Im Netzwerk interkulturellen Handelns: Theoretische und praktische Perspektiven der interkulturellen Kommunikationsforschung [1 ed.] 9783896448712, 9783896731340

Interkulturelle Kommunikationsforschung hat sich im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland zu einer eigenständigen Wissens

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Im Netzwerk interkulturellen Handelns: Theoretische und praktische Perspektiven der interkulturellen Kommunikationsforschung [1 ed.]
 9783896448712, 9783896731340

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Im Netzwerk interkulturellen Handelns

Schriftenreihe Interkulturelle Wirtschaftskommunikation herausgegeben von: Prof. Dr. Jürgen Bolten, Universität Jena Prof. Dr. Peter Oberender, Universität Bayreuth

Band 6

Jürgen Bolten Daniela Schröter (Hrsg.)

Im Netzwerk interkulturellen Handelns Theoretische und praktische Perspektiven der interkulturellen Kommunikationsforschung

Verlag Wissenschaft & Praxis

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Im Netzwerk interkulturellen Handelns : Theoretische und praktische Perspektiven der interkulturellen Kommunikationsforschung / Hrsg.: Jürgen Bolten ; Daniela Schröter Sternenfels : Verl. Wiss, und Praxis, 2001 (Schriftenreihe Interkulturelle Wirtschaftskommunikation ; Bd. 6) ISBN 3-89673-134-3

ISBN 3-89673-134-3

© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2001 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu­ stimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Verviel­ fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver­ arbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

5

Inhalt

Einleitung

I.

8

Internationalisierungsprozesse in der Wirtschaft

Der Mergers & Acquisitions - Prozeß Reinhard Meckl, Jena

14

Die Internationalisierung deutscher Unternehmen Matthias Fischer, Frankfurt/Main

33

II.

Interkulturelle Personalentwicklung und Interkulturelles Training

Internationale Bewerbungen und internationale Personalauswahl Ansgar Kinkel, Düsseldorf

46

Interkulturelle Kompetenz Eberhard Schenk, Köln

52

Interkulturelle Trainings in der deutschen Wirtschaft: Eine Bestandsaufnahme Manfred Niedermeyer, Schlöben

62

Interkulturelle Trainingsforschung: Bestandsaufnahme und Perspektiven Stefan Kammhuber, Regensburg

78

Training mit „InterAct“ Jürgen Bolten, Jena

Workshop: Die Critical-Incident-Methode Daniela Schröter, Jena

94

100

6

III.

Interkulturelles Lernen

Thesen zum interkulturellen Lernen in der Schule Jürgen Bolten, Jena

106

4xKultur. Annährungen an einen Kulturbegriff im Kontext der Sprachlehr- und -lernforschung Hans Barkowski, Jena

114

Workshop: Intuition in interkulturellen Trainings Guido Lindner, Jena

123

IV.

Fremde Kulturen erklären: Ansätze der kulturellen Stilforschung

Kann man Kulturen beschreiben oder erklären, ohne Stereotypen zu verwenden? Einige programmatische Überlegungen zur kulturellen Stilforschung Jürgen Bolten, Jena Der Wirtschaftsstil - ein Instrument zu Analyse fremder Volkswirtschaften, erläutert am Beispiel des französischen Wirtschaftsstil Günther Ammon, Jena Kulturelle Lernstile. Erfahrungslernen und Bildungssysteme in Frankreich und Deutschland Christoph L Barmeyer, Karlsruhe/ Strasbourg

V.

128

143

155

Interkulturelle Prozesse beschreiben: Diskursanalytische Ansätze

Ein diskursanalytisches Konzept zum interkulturellen Kommunikationstraining Jan D. ten Thije, Wien/ Chemnitz Grenz(en)überschreitende Kommunikation? Eine diskursanalytische Untersuchung zur interkulturellen Arzt - Patient - Kommunikation „Deutschland - Dänemark“ Sabine Riedel, Flensburg

176

205

7

VL

Märkte als Kulturen verstehen

Der französische Managementstil. Zum Verständnis des Verhaltens französischer Führungskräfte Günther Ammon, Jena /Jan Knoblauch, Erlangen Die deutsch-französische Kommunikation: Wie? Warum? Jacques Demorgon, Bordeaux/ Reims

Deutschlandbilder - Amerikabilder. Stereotypisierung und Vorurteilsbildung aus interkultureller Perspektive Steffen Höhne, Weimar

226 242

246

Dänemark - der Nachbar im Norden Sören Schneider, Odense (DK)

261

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: Russland Marion Dathe, Chemnitz

278

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: China Wenjian Jia,Peking/Zwickau

282

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: USA Carey J. Mickalites, East Lansing (MI/USA)

288

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: Großbritannien Sonja Bründl-Price

291

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: Deutschland Jürgen Bolten, Jena

294

Anhang Linkliste zur interkulturellen Kommunikationsforschung

302

8

Einleitung Der vorliegende Band enthält Vortrags- und Workshopbeiträge der 1. Jenaer Interkulturellen Sommerakademie, die Anfang September 2000 von interculture.de und vom Fachgebiet Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Universität Jena durchgeführt worden ist. Die Tagung hatte sich insbesondere eine Intensivierung des Dialogs zwischen Theo­ rie und Praxis zum Ziel gesetzt, so dass zu den Teilnehmern neben Hochschullehrern vor allem auch Manager international tätiger Unternehmen, Personalverantwortliche, interkulturelle Trainer, Consultants sowie Vertreter internationaler Austauschgesell­ schaften und Lehrer aus dem Sekundarschulbereich zählten.

In den Beiträgen, die aus der Praxis stammten, wurde vor allem die Bedarfssituation in bezug auf interkulturelle Aus- und Weiterbildungsangebote verdeutlicht. Es wur­ de auf Defizite der gegenwärtigen Angebote hingewiesen, Wünschbares wurde skiz­ ziert und Machbares dagegen abgewogen. Sehr deutlich zum Ausdruck kam dabei, dass viele der konzeptionellen Probleme, die interkulturellen (Weiter-)bildungsangeboten angelastet werden können, nicht nur mit ihrer mangelnden Praxisnähe, sondern auch mit ihrem teilweise sehr einseitigen fachgebundenen Blickwinkel Zusammenhängen. Dass interkulturelle Aufgabenstel­ lungen nicht jeweils mit ausschließlich fremdsprachenphilologischen, wirtschafts­ wissenschaftlichen, kulturhistorischen oder psychologischen Instrumentarien lösbar sind, war allen Beteiligten von Anbeginn deutlich. Als sehr fruchtbar erwies sich in diesem Zusammenhang auf Seiten der Forschung, dass der Dialog mit den Prakti­ kern interdisziplinär geführt werden konnte: Wirtschafts-, Kultur-, Sprach-, Kom­ munikationswissenschaftler, Soziologen, Didaktiker und Psychologen bemühten sich gemeinsam darum, Antworten auf die Bedarfsskizzen der Praktiker zu finden. Die Diskussionsergebnisse wie auch die einzelnen Beiträge haben insgesamt eine Reihe von Akzentverschiebungen bestätigt, die für die Entwicklung der interkultu­ rellen Kommunikationsforschung in Europa gegenwärtig signifikant sind. Interkul­ turelle (Wirtschafts-)Kommunikationsforschung hat in den vergangenen vier, fünf Jahren teilweise einschneidende Perspektivenwechsel vollzogen. Dies betrifft so­ wohl die Forschungsbedingungen einschließlich der daraus resultierenden Fragestel­ lungen als auch die Methoden, mit denen diese Fragestellungen bearbeitet werden: 1. Die Interkulturalität des Wirtschaftsalltags: nicht mehr das Besondere, sondern der Normalfall.

Der internationale Verflechtungsgrad insbesondere größerer und mittelständischer Unternehmen ist heute so weit fortgeschritten, dass es bei Intemationalisierungsprozessen nicht mehr in erster Linie um Expansion, Macht oder einseitigen Gewinn und Abenteuer geht {M. Fischer). Internationalisierung funktioniert nur noch unter win/win-Gesichtspunkten. Das bedeutet aber, dass nicht Preis und Leistung allein den

9

Wettbewerb entscheiden, sondern auch die Qualität der Beziehungen zu Mitarbei­ tern, Kunden, Zulieferern Wettbewerbern aus und in anderen Kulturen. Und wie in Kommunikationsprozessen Inhalte nie unabhängig von den Beziehungen der Kom­ munikationspartner geäußert und verstanden werden können, so gilt gleiches auch für internationales Handeln: es sollte immer auch beziehungsorientiert als interkultu­ relles Handeln verstanden werden. Dass dies im Untemehmensalltag mehr und mehr den Normalfall als die Ausnahme darstellt, dokumentiert nicht zuletzt die Welle der Mergers & Acquisitions - Verfah­ ren, die seit den späten 90er Jahren zu erheblichen Veränderungen in der internatio­ nalen Untemehmenslandschaft geführt haben (R. Meckl). Wie zahlreiche dieser Fälle sehr deutlich vor Augen führen, erweisen sich solche Kraftakte gerade auf der kultu­ rell determinierten Beziehungsebene als sehr sensibel und störanfällig.

2. Interkulturelle Personalentwicklung: Von Trainings off-the-job zu Trainings on-the-job “Interkulturelle Kompetenz” ist ein Aus- und Weiterbildungsziel, das fraglos mit jedem interkulturellen Lernprozess eng verknüpft gesehen werden muss (A. Kinkel}, Was unter einer solchen Kompetenz letztlich verstanden wird, lässt sich bislang keineswegs eindeutig beantworten. Derzeit existieren diesbezüglich noch sehr viele sehr unterschiedliche Ansichten, was zu sehr heterogenen und teilweise einander widersprechenden Ausbildungskonzepten geführt hat.

Ein Konsens beginnt sich dennoch ansatzweise herauszukristallisieren, so dass es künftig auf einer solchen Basis eher möglich sein wird, effiziente interkulturelle Trainings bzw. Curricula zu entwickeln, die faktisch nicht mehr genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich bezwecken (E. Schenk}. Dass ein solches kontraproduktives Arbeiten derzeit zumindest in interkulturellen Trainings für die Wirtschaft keinesfalls die Ausnahme darstellt, belegen sehr detail­ liert Bestandsaufnahmen zur interkulturellen Trainingspraxis (M. Niedermeyer) und zur interkulturellen Trainingsforschung (5. Kammhuber}. Sowohl aus praxisbe­ zogener als auch forschungsorientierter Sicht wird deutlich, dass interkulturelle Trainings off-the-job aufgrund ihrer Zeit- und Kostenintensität künftig eher das Nachsehen gegenüber interkulturellem Team-Coaching vor Ort haben dürften. Das setzt bildungspolitisch wiederum eine frühe Vertrautheit des Einzelnen mit interkulturellen Fragestellungen voraus, so dass Plädoyers für eine Integration inter­ kultureller Themen in den Fremdsprachenunterricht oder die Realisierung interkultu­ rellen Lernens bereits in der Sekundarstufe sehr dringlich und notwendig erscheinen (H. Barkowski, J. Bolten). Ein solches integriertes Lernen beinhaltet in diesem Zu­ sammenhang aber auch die Forderung, dass Interkulturalität nicht nur thematisiert, sondern in Interaktionen mit Lernern unterschiedlicher kultureller Herkunft auch praktiziert wird (Planspiel InterAct).

10 3. Fremde Kulturen verstehen: Von der KuUurbeschreibung zur Erklärung kultureller Zusammenhänge So verständlich er Wunsch auch sein mag, fremde Kulturen möglichst detailliert zu beschreiben und mit Merkmalen der eigenen Kultur zu vergleichen, um möglichst „viel“ zu verstehen: Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen, sobald es Vollständigkeit anstrebt oder suggeriert. Entweder man versinkt in der unendlichen Weite von Mik­ roanalysen und ist nur noch fähig, über konkrete Individuen einer anderen Kultur Auskunft zu geben, oder man gerät auf das Glatteis, das Makroanalysen bilden, die mit vereinfachenden und oft stereotypisierenden „Kulturdimensionen“ arbeiten. Beide Forschungsrichtungen sind der Kulturbeschreibung verpflichtet und haben in den vergangenen Jahrzehnten zweifellos auch zu verdienstvollen Ergebnissen ge­ führt. Dennoch, das Unbehagen, entweder nur den individuellen Einzelfall zu erfas­ sen oder aber unzulässige Übergeneralisierungen zu vollziehen, bleibt. Ein Mittel­ weg scheint sich dort anzudeuten, wo man von der individuellen Kommunikati­ onsspezifik ausgehend versucht, den kulturellen Stil (Lemstil, Führungsstil, Wirt­ schaftstil etc.) einer Gruppe als kommunikativen Stil zu verstehen. Dies schließt mirko- und makroanalytische Perspektiven gleichwertig ein und leitet zur Frage nach der kulturhistorischen Entwicklung dieser Stile über. Wenn man versteht, wo­ durch das Kommunikationsverhalten einer Gruppe über Jahrhunderte hinweg be­ ständig geprägt worden ist, ist man zumindest annähernd in der Lage, diesen Stil in seinen Entwicklungszusammenhängen (religiös, politisch, wissenschaftlich, me­ dienbedingt etc.) zu verstehen. Damit ist man zumindest bedingt in der Lage, neben dem Was einer Kultur, ihren Fakten, das Warum, ihre Entwicklungszusammenhänge zu verstehen und zu erklären.

Die (inter)kulturelle Stilforschung scheint diesbezüglich auf jeden Fall eine vielver­ sprechende Wegmarke in der Entwicklung der interkulturellen Kommunikationsfor­ schung darzustellen (G. Ammon, C. Barmeyer, J. Bolten). 4. Vom Kulturvergleich zur Analyse konkreter interkultureller Interaktionen Erläuterungen kultureller Zusammenhänge oder auch kulturvergleichende Studien können immer nur ein Verständnis für zWakulturelles Handeln vermitteln. Bezogen auf wterkulturelle Prozesse ist dieses Wissen unverzichtbar - aber nur im Sinne der Kenntnis kulturbedingter Handlungsvoraussetzungen. Interkulturelle Begegnungen sind hingegen beeinflusst durch gegenseitige Erwartungen, Selbstbilder, Vorurteile und Stereotype. Da diese zu wesentlichen Teilen individuengebunden sind, lassen sich interkulturelle Prozesse hinsichtlich ihres konkreten Verlaufs nie vorhersagen. Sie ereignen sich als Interaktions- bzw. Kommunikationsprozess. Die Untersuchung konkreter interkultureller Missverständnissituationen etwa im Rahmen von Teamco­ achings erfolgt heute vielfach mit interaktionstheoretisch fundierten diskursanalyti­ schen Methoden (J. ten Thije, S. Riedel).

11 Mehr oder minder stark geprägt durch diese Akzentverschiebungen im methodi­ schen Instrumentarium der interkulturellen Kommunikationsforschung waren letzt­ lich auch die kulturbezogenen Vorträge und Workshops der Sommerakademie. Sie standen unter dem Motto „Märkte als Kulturen verstehen“ und bezogen sich auf die USA, Frankreich, Dänemark, China, Großbritannien, Deutschland und Russland. Sie sind in diesem Band teilweise als Essays (S. Höhne, J. Demorgon, G. Ammon, S. Schneider), teilweise als Zusammenfassungen der jeweils zweitägigen Workshops vertreten (IF. Jia, C. Mickalites, S. Bründl, M. Dathe, J. Bolten). Inwieweit sich die in diesem Band skizzierten Positionen der aktuellen interkulturel­ len Kommunikationsforschung bewähren, wie und ob sie sich in der Forschungsdis­ kussion weiterentwickeln und ihr Impulse geben können, kann vielleicht schon die für den Sommer 2003 geplante Folgeveranstaltung beantworten. Jena, im Juni 2001 Jürgen Bolten/ Daniela Schröter

I.

Internationalisierungsprozesse in der Wirtschaft

14

Der Mergers & Acquisitions-Prozess Reinhardt Meckl, Jena

1.

Unternehmenskäufe und -Zusammenschlüsse als Internationalisierungsstrategie

Nicht erst seit der feindlichen Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone Airtouch sind Akquisitionen und Fusionen von Unternehmen ein Thema, das so­ wohl in den Medien als auch in der betriebswirtschaftlichen Literatur einen hohen Stellenwert einnimmt. Insbesondere im Zuge der Globalisierung unternehmerischer Tätigkeiten stellt der Kauf eines Wettbewerbers in einem Zielmarkt eine von vielen Unternehmen gewählte Strategie dar, um Absatzpotentiale in ausländischen Märk­ ten zu erreichen und sich als „global playef ‘ zu etablieren.

Solche internationalen Akquisitionen bringen ein Problemfeld zum Vorschein, dessen Relevanz im „normalen“ Geschäftsbetrieb häufig nur unterschwellig wahr­ genommen wird: die Potentiale und Konflikte bei der Zusammenarbeit zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturbereichen. Beim Kauf eines ausländischen Unternehmens wird dieses Problem geradezu akut, da die soziokulturellen Unter­ schiede durch untemehmenskulturelle Divergenzen verstärkt werden, andererseits der Erfolg eines M&A-Projekts, wie später gezeigt wird, maßgeblich von der Integ­ ration der Aktivitäten abhängt. Bei M&A-Projekten ist also ein hoher Bedarf an Planungen und Instrumenten zum interkulturellen Management nötig. Der Erfolg des interkulturellen Managements wird stark beeinflusst von dem Ge­ samtprozess, den das einzelne M&A-Projekt durchläuft. Die Abwicklung eines M&A-Projekts kann als Prozess verstanden werden, in dessen Verlauf eine Vielzahl inhaltlicher und methodischer Einflussfaktoren zu beachten sind. Diese Faktoren lassen den Gesamtprozess als ein komplexes Gebilde von logisch und chronolo­ gisch anzuordnenden Schritten erscheinen (vgl. im Detail dazu Abschnitt 2.1). Feh­ ler, die bei der Prozessabwicklung gemacht werden, z.B. was die untemehmensoder interkulturelle Zusammenarbeit betrifft, schlagen sich als wertmindemde Defi­ zite nieder und müssen häufig unter Inkaufnahme eines hohen zeitlichen und kos­ tenmäßigen Aufwands repariert werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, den M&A-Prozess frühzeitig zu planen, um kritische Stellen für ein Projekt antizipativ zu erkennen. Der vorliegende Aufsatz setzt sich deshalb das Ziel, die grundlegende Struktur und die wichtigsten Instrumente eines solchen M&A-Prozesses darzulegen. Der klar strukturierte Ablauf und die Verwendung von geeigneten Instrumenten in den ein­ zelnen Prozessstufen stellen eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Gestaltung

15 eines M&A-Projekts gerade auch im Hinblick auf die interkulturelle Integration dar. Die Festlegungen, die im Verlauf dieses Prozesses gemacht werden, müssen bei den interkulturellen Integrationsmaßnahmen berücksichtigt werden. Aus Kapa­ zitätsgründen können im folgenden nicht für alle Stufen des Prozesses die Metho­ den, die eine strukturierte Abarbeitung der Aktivitäten erlauben, vorgestellt werden. Es findet eine Beschränkung auf die Themen mit einem großen Wertsteigerungshe­ bel statt. Nicht nur Großunternehmen, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen sehen sich zunehmend der Notwendigkeit ausgesetzt, nicht nur im nationalen oder gar regionalen, sondern zumindest im europäischen Markt mit seinen zunehmend schwindenden Markteintrittsbarrieren in den einzelnen Ländern präsent zu sein. Die seit einigen Jahren stetig steigende Zahl der M&A-Aktivitäten belegt dies (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Gesamtvolumen weltweiter M&A-Aktivitäten (in Mrd. US$; Quelle: Thomson Financial Securities Data) Als wesentliche Gründe für die aktuell hohe Relevanz von M&A insbesondere im internationalen Umfeld lassen sich festhalten:



Globalisierung:

Eine zunehmende Konvergenz von technischen Normen und von Konsumen­ tenpräferenzen erlauben, Produkte für den Weltmarkt zu entwickeln und diese

16

mit nur geringen Adaptionen weltweit zu vertreiben. Die Bearbeitung ausländi­ scher Märkte wird dadurch grundsätzlich erleichtert. •

Deregulierung/Liberalisierung:

Insbesondere die Öffnung der großen Infrastrukturmärkte, vor allem der Telekommunikations- und der Energiemärkte, machen es für Unternehmen erst möglich, aussichtsreich in einen ausländischen Markt einzutreten. Insbesondere das Deregulierungsprogramm „EG-Binnenmarkt 1992“ wirkte hier wie ein Startschuss.



Dynamisierung: Der schnelle technologische Wandel führt in vielen Branchen dazu, dass „Zeit“ einen zentralen Wettbewerbsfaktor darstellt. Der Aufbau der Aktivitäten in ei­ nem Auslandsmarkt aus eigener Kraft ist in der Regel sehr zeitaufwendig. Ver­ triebssysteme müssen entwickelt und Kontakte zu den Kunden hergestellt wer­ den. Geeignetes Personal, das Kenntnisse über den Markt hat, muss akquiriert werden. Der Kauf eines Unternehmens, das bereits in dem Zielmarkt etabliert ist, erlaubt eine deutliche Beschleunigung der Erschließung dieses Marktes.



Erhöhung der Wettbewerbsintensität:

Aufgrund einer zunehmenden Zahl von Anbietern, die aus den Schwellenländem kommen, hat sich die Wettbewerbsintensität in vielen Branchen erhöht. Das Kostenargument spielt deshalb eine große Rolle. Über den Kauf eines Wettbewerbers und die anschließende Zusammenlegung der Produktion und die Abstimmung des Produktprogramms ist es möglich, Größeneffekte in Form einer günstigeren Kostenposition im Vergleich zu kleineren Unternehmen zu realisieren.

Die aus den genannten Gründen aktuelle „Beliebtheit“ von Akquisitionen und Fusi­ onen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Strategie auch hohe Risi­ ken birgt. So stellen PricewaterhouseCoopers in einer Studie 1996 fest, dass von 150 untersuchten Transaktionen lediglich 50% als Erfolg, gemessen an der Errei­ chung der mit der Transaktion ursprünglich verfolgten Ziele, eingestuft werden können (vgl. Feldman/Spratt 2000: 33). Generell legen empirische Studien den Schluss nahe, dass eine Erfolgsquote von mehr als 50% bei solchen Transaktionen nicht selbstverständlich ist (vgl. zu einer Übersicht über empirische Arbeiten: Dörr 2000; Kerler 2000: 109-137). Angesichts des offensichtlich hohen Risikos, das mit einer M&A-Strategie eingegangen wird, und der trotzdem hohen Relevanz solcher Transaktionen ist eine detailliertere Beschäftigung mit den Erfolgsfaktoren solcher Projekte nötig.

Unter M&A werden im folgenden Transaktionen verstanden, die durch den Über­ gang von Leitungs- und Kontrollbefugnissen an Unternehmen auf andere Unter­ nehmen gekennzeichnet sind. Wesentliches Kriterium ist also die Änderung der Eigentumsverhältnisse am Eigenkapital. Akquisitionen bezeichnen dabei den Er­ werb von Unternehmen oder Untemehmensteilen, also Mehrheits- und Minder-

17

heitsbeteiligungen. Eine Akquisition erfolgt i. d. R. entweder durch die Übertragung von Gesellschaftsanteilen (Share Deal) oder einzelner Wirtschaftsgüter und Ver­ bindlichkeiten eines Unternehmens (Asset Deal). Eine Fusion (Merger) liegt vor, wenn sich zwei oder mehrere bis dahin rechtlich selbständige Unternehmen zu­ sammenschließen, wobei zumindest formell keines der beteiligten Unternehmen die alleinige Führung der integrierten Organisation bekommt. Allerdings verliert min­ destens ein beteiligtes Unternehmen seine rechtliche Selbständigkeit. Bekannte Beispiele stellen die Fusion der Bayerischen Vereinsbank mit der Bayerischen Hy­ pothekenbank oder der Merger zwischen der DaimlerBenz AG und der Chrysler Corporation dar. Grundsätzlich wird im folgenden für den Fall einer Akquisition argumentiert. Auf Spezifitäten der Fusion wird gegebenenfalls hingewiesen. Spezi­ alformen des M&A wie z.B. das Joint Venture werden nicht explizit thematisiert. Allerdings gelten für diese Form die wesentlichen Aussagen der nachfolgenden Kapitel analog.

2.

Instrumente im M&A-Prozess

2.1. Überblick über den M&A-Prozess Nach generellem Verständnis in der Literatur und auch in der Praxis wird der M&A-Prozess in drei übergeordnete Phasen, die wiederum in mehrere Einzelschrit­ te zerlegt werden, eingeteilt (vgl. Abbildung 2). Ziel der Analysephase ist es, die generellen Zielsetzungen, die mit einer Transakti­ on verfolgt werden, zu identifizieren und sicherzustellen, dass das Projekt in Ein­ klang mit den strategischen Zielen des Gesamtuntemehmens steht. Die erste Stufe der Analysephase besteht deshalb aus der Entwicklung einer Grundsatzstrategie bzw. der Übernahme dieser Strategie aus den (hoffentlich) vorhandenen strategi­ schen Plänen des Unternehmens. Ergebnis für eine weitere Verfolgung der Strategie „M&A“ muss sein, dass die externe Variante, also der Kauf eines anderen Unter­ nehmens die dominante Alternative im Vergleich zur eigenständigen Entwicklung des Geschäfts darstellt (zu Methoden der generellen Strategiebewertung vgl. z.B. Hungenberg 2000: 380-387). Referenzpunkt ist dabei die Erreichung der überge­ ordneten Untemehmensziele.

18

Vor dem Hintergrund dieser Ziele ist als nächstes zu prüfen, welche Unternehmen als Kaufobjekte überhaupt in Betracht kommen. Die Beschaffung von Informatio­ nen über potentielle Kandidaten bis hin zur Bewertung dieser Unternehmen bzgl. ihrer Eignung als Kaufobjekt fuhren zu einer Rangordnung, an deren Spitze das Unternehmen, das für eine Übernahme am besten geeignet ist, steht (vgl. genauer dazu Abschnitt 2.2.).

Inhalt der Transaktionsphase ist die konkrete Abwicklung des „Deals“. Auf Basis der ökonomischen Bewertung des Unternehmens, das gekauft werden soll, muss in Verhandlungen ein Kaufpreis gefunden werden. Die detaillierte Informationsbe­ schaffung über das Kaufobjekt erfolgt im Rahmen einer Due Diligence (vgl. aus­ führlich dazu z.B. Pack 2000). Die vereinbarten Konditionen müssen in Verträgen festgehalten werden. Mit dem sogenannten „closing“ geht die Verfügungsgewalt über das Unternehmen auf den Käufer über. Die eigentliche Arbeit für das operative Management beginnt mit der Integrations­ phase. Bereits in der Analyse- und in der Transaktionsphase müssen Planungen und Konditionen auf die Integrationserfordemisse abgestimmt werden. Die konkreten Maßnahmen der Integration betreffen in den meisten Fällen sowohl die strategische Ebene als auch die Strukturen der zu integrierenden Unternehmen (vgl. zu den Details der Integration z.B. Habeck/Kröger/Träm 2000). Den Abschluss des Pro­ jekts bildet die Kontrollphase, die in Einzelfällen auch mit einer größeren zeitlichen Verzögerung sinnvoll sein kann. Ziel ist es, die Einhaltung bzw. Erreichung der Ziele, die mit dem Projekt verfolgt worden sind, sicheizustellen (vgl. dazu z.B. Steinöcker 1993).

19

Abbildung 2 legt nahe, dass der M&A-Prozess nach einem logisch genau festgeleg­ ten Prozedere abläuft und die einzelnen Schritte zeitlich und inhaltlich in eine ein­ deutige Abfolge gebracht werden können. Dies ist aus rein konzeptioneller Sicht auch richtig. In der Praxis von M&A-Projekten zeigt sich allerdings, dass eine Viel­ zahl von „Prozessschleifen“ nötig sind, da sich einmal getroffene Annahmen z.B. über die Eignung eines Partners durch zusätzliche Informationen als falsch heraus­ stellen können und wieder auf eine vorgelagerte Stufe zurückgekehrt werden muss. Die Beteiligung von vielen Personen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und nicht zuletzt die Unwägbarkeiten des Verhandlungsverlaufs machen eine inhaltlich und strukturell flexible Handhabung des in Abbildung 2 skizzierten Prozesses un­ abdingbar. 2.2. Instrumente der Analysephase: Die Kandidatenauswahl Die Analysephase soll insbesondere sicherstellen, dass eine Akquisition nicht rein opportunistisch durchgeführt wird. Opportunistisch bedeutet in diesem Zusammen­ hang, dass z. B. aufgrund eines zufälligen Kontakts zu einem anderen Unternehmen eine Akquisition vorgenommen wird. Solche Transaktionen sind häufig wenig zielführend, weil nicht systematisch geprüft wurde, ob dieses Unternehmen den mit der Akquisition verfolgten Zielen nahe kommt und ob es nicht bessere Alternativen auf dem Markt gibt.

Im folgenden wird für die Analysephase nur der Prozessschritt der Kandidatenaus­ wahl erläutert, da die Stufe der Strategieentwicklung als Teil der strategischen Pla­ nung des Unternehmens wenige M&A-Spezifika aufweist.

Bei der strategischen Analyse wurde der Kauf eines Unternehmens als zunächst dominante Alternative im Vergleich zum eigenständigen Geschäftsaufbau identifi­ ziert. Die Ableitung dieses Ergebnisses erfolgte allerdings auf der Basis theoreti­ scher Überlegungen. Der nächste Schritt besteht darin, Informationen über Kauf­ möglichkeiten zu beschaffen und vor allem zu bewerten, ob mit den sich bietenden Kaufobjekten die gesetzten Ziele zu erreichen sind. Es empfiehlt sich bei diesem auch als „screening“ bezeichneten Vorgang nach dem Filterprinzip diejenigen Kan­ didaten, die sich bzgl. bestimmter Beurteilungskriterien als weniger erfolgverspre­ chend erweisen, stufenweise auszusieben. Abbildung 3 stellt schematisch dieses Vorgehen dar und enthält auch bereits die Bewertungskriterien für die Kandidaten. Potentielle Akquisitionskandidaten sind alle Unternehmen, bei deren Kauf zumin­ dest die Möglichkeit besteht, dass die Ziele aus der Strategieentwicklung erreicht werden können. Häufig suchen akquisitionsbereite Unternehmen nur in ihrem di­ rekten Umfeld. Es ist aber auch zu überlegen, ob mit Kaufobjekten aus einer ande­ ren Branche die Ziele erreicht werden können. Wichtig ist außerdem, dass bei der Zusammenstellung dieser Grundgesamtheit nicht nur diejenigen Unternehmen be­ rücksichtigt werden, die bereits bekannt sind, z. B. weil sie direkte Konkurrenten sind. Mitgliederverzeichnisse von Branchenverbänden oder bei internationalen

20 Akquisitionen die Hilfe von staatlichen Stellen oder z.B. von „Chambers of Com­ merce“ erhöhen die Zahl der sich bietenden Möglichkeiten häufig erheblich.

Über die potentiellen Akquisitionskandidaten müssen im nächsten Schritt Informa­ tionen beschafft werden. Wie man an diese Informationen gelangt, ist stark vom Einzelfall abhängig. Hier kommt es vor allem darauf an, welche gesellschaftsrecht­ liche Form und damit Publizitätspflichten das Kaufobjekt aufweist. Von der Grund­ idee her kann hier ähnlich vorgegangen werden wie bei der Konkurrentenanalyse (vgl. dazu im Detail Welge/Al-Laham 1999: 226-230).

Abb. 3: Der „Screening“-Prozess (in Anlehnung an Jung 1993: 163) Bei der Bewertung der Kandidaten ist es maßgeblich, ob die Ressourcen und Fä­ higkeiten des potentiellen Akquisitionsobjekts eine Erreichung der Ziele erwarten lassen. Falls dies der Fall ist, also eine Stimmigkeit („Fit“) zwischen den Eigen­ schaften des Kaufobjekts und den eigenen Zielen besteht, macht eine Akquisition Sinn. Stimmigkeit bedeutet, dass durch die Eigenschaften des Kaufobjekts die Wahrscheinlichkeit, dass der Käufer seine Ziele mit der Transaktion erreicht, sehr hoch ist. Drei Ebenen sollten betrachtet werden (vgl. Abbildung 3). Auf der strategischen Ebene ist sicherzustellen, dass wesentliche Parameter, vor allem was die Marktstellung des betrachteten Unternehmens betrifft, eine Komple­ mentarität zu der Stellung des Akquisiteurs haben. Grundsätzlich müssen hier alle strategisch relevanten Stellgrößen betrachtet werden (für einen Überblick vgl. z.B. Hungenberg 2000: 73-98). Zwei wesentliche strategische Merkmale von Unter­ nehmen sind die Beschaffenheit des Produktprogramms und die regionale Präsenz eines Anbieters, auf die im folgenden exemplarisch eingegangen wird. Beim Pro­ duktprogramm ist eine Komplementarität insbesondere dann gegeben, wenn durch eine Zusammenlegung der beiden Programme ein deutlich erweitertes Spektrum entsteht und alle Segmente vom „low-end“ bis hin zum „high-end“ angeboten wer­

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den können, was wiederum Synergien im Vertriebsbereich zur Folge hat. Was die regionale Abdeckung betrifft, so ist eine Komplementarität insbesondere dann ge­ geben, wenn sich die regionalen Märkte mit einer starken Stellung der Unterneh­ men ergänzen und sich dadurch für den Akquisiteur die Möglichkeit des Eintritts in einen bisher nicht oder nur unzureichend bearbeiteten regionalen Zielmarkt ergibt. In Abbildung 4 werden diese beiden strategischen Komplementaritätsprüfungen in einer Matrixdarstellung visualisiert. Die einzelnen Kreise repräsentieren die verschiedenen Kaufkandidaten. Die Größe der Kreise steht für die Höhe der Umsätze, die diese Unternehmen tätigen. Bei Kandidat 6 z. B. liegt sowohl eine niedrige Komplementarität beim regionalen Vergleich als auch beim Vergleich der Produktprogramme vor. Unternehmen 1 würde sich in beiden Dimensionen sehr gut mit der Stellung des Akquisiteurs er­ gänzen. Als Ergebnis wäre Unternehmen 1 bei einer Akquisition unter strategischen

Abb. 4: Matrix der Produkt-ZRegionalkomplementarität Diese Art des Screening macht deutlich, dass die strategischen Ziele bei der Bewer­ tung der Kandidaten die entscheidende Rolle spielen. Falls das zentrale Ziel der Akquisition die Erreichung von Größenvorteilen in der Produktion ist, so muss bei der Komplementaritätsprüfung bezüglich der Produktprogramme darauf geachtet werden, dass sich die Programme möglichst überschneiden, da dies Größenvorteile sichert. Die Schlussfolgerungen aus der Matrix in Abbildung 4 wären also genau umgekehrt im Vergleich zu oben. Falls aber eine stärkere Abdeckung der Markt­

22 Segmente im Sinne der Befriedigung differierender Kundenbedürfhisse beabsichtigt ist, muss auf eine Ergänzung der Produktprogramme im Sinne einer Erweiterung des abgedeckten Produktspektrums geachtet werden.

Lassen sich die Kriterien der strategischen Fit-Analyse zumindest zum größten Teil noch mit einiger Genauigkeit quantifizieren und auf dieser Basis dann auch relativ gut vergleichen, so ist dies bei der Überprüfung der kulturellen Stimmigkeit der beiden zur Disposition stehenden Unternehmen ungleich schwieriger. Ungeachtet der Frage, ob Unternehmen überhaupt eine eigene homogene Kultur aufweisen, stellen sich gewichtige Probleme der Messung und Operationalisierung dieses theo­ retischen Konstrukts (vgl. im Detail dazu Drumm 1991; Clemente/Greenspan 1998: 178-200). Bei internationalen Untemehmenskäufen erhöhen soziokulturelle Unter­ schiede und Kompatibilitätsüberlegungen die Komplexität dieses Problembereichs nochmals beträchtlich. Nichtsdestotrotz kann dieses Kriterium auch oder gerade bei den Vorüberlegungen zu einer Akquisition nicht ausgespart werden. Unüberwind­ bare Differenzen in der Untemehmenskultur werden als häufiger Grund des Misser­ folgs eines M&A-Projekts in der Integrationsphase genannt (vgl. z.B. Töpfer 2000: 10; vgl. zu einer anderen Meinung z.B. Feldman/Spratt 2000: 165). In der Integrati­ onsphase ist es aber zu spät, um noch gegensteuem zu können und die gesamte Transaktion evtl, wegen kulturellen Aspekten zu stoppen. Man ist also trotz der Bedenken gezwungen, sich zumindest eine grobe Vorstellung vom kulturellen „Fit“ zu machen. Ein Instrument, das in der Untemehmenspraxis und von vielen Beratern angewendet wird, stellt das „Culture Web“ dar, wie es in Abbildung 5 skizziert ist (vgl. dazu z.B. auch Forstmann 1998: 69-73).

Abb. 5: Darstellung der kulturellen Ähnlichkeit: Das „ Culture Web“ (in Anlehnung an: Coenenberg/Jakoby 2000:184)

23 Die in dem Netz eingetragenen Kriterien sind als Indikatoren der Untemehmenskultur zu verstehen. Hier können natürlich auch andere Kriterien gewählt werden. Die Ähnlichkeit der Untemehmenskultur wird repräsentiert durch die Überschneidung der beiden Flächen. Dieses Instrument darf aber aus den oben genannten Gründen nicht als deterministisches Entscheidungsinstrument gedeutet, sondern sollte nur als Möglichkeit der ersten Einschätzung der Kompatibilität verwendet werden. Sollte sich allerdings als Ergebnis zeigen, dass in einer Vielzahl der gewählten Kulturin­ dikatoren eine erhebliche Divergenz festzustellen ist, so muss dem Kulturthema im weiteren Verlauf des M&A-Prozesses eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werden. Nach der Überprüfung des „financial fit“, auf den aus Kapazitätsgründen nicht näher eingegangen wird, besteht die Möglichkeit, die in der Grundgesamtheit der potentiellen Akquisitionskandidaten betrachteten Unternehmen in eine Rangord­ nung zu bringen. An der Spitze dieser Liste steht das Unternehmen, das nach dem Screening die größte Stimmigkeit mit dem eigenen Unternehmen aufweist und deshalb das größte Potential für die Erreichung der strategischen Ziele bei einer Akquisition verspricht.

2.3. Instrumente der Transaktionsphase Gegenstand der Transaktionsphase ist die Abwicklung des Untemehmenskaufs (vgl. z. B. Jansen 2000: 167-212). Betriebswirtschaftliche und juristische Überle­ gungen und Notwendigkeiten werden hier mit dem Ziel des letztendlichen Über­ gangs der Eigentums- und Kontrollrechte in die in Abbildung 2 aufgezeigten Pha­ sen eingeteilt. Zu Beginn dieser Phase wird auch erstmals Kontakt mit den Vertre­ tern des Kaufobjekts aufgenommen. Dies kann direkt oder über eingeschaltete Be­ rater erfolgen. Drei wesentliche Punkte sind in den Verhandlungen zu klären: •

Grundsätzliche Bereitschaft der Eigentümer des Kaufobjekts zum Verkauf bzw. zur Abgabe eines Teils der Eigentumsrechte;



Strategische Überlegungen zum Inhalt der Zusammenarbeit bis hin zur Integra­ tion;



Wertvorstellungen bzgl. der zu akquirierenden Aktivitäten.

Ist die Bereitschaft zum Verkauf grundsätzlich vorhanden, so können auch anhand der Instrumente, die in Kapitel 2.1. skizziert worden sind, in den Verhandlungen evtl, falsche Annahmen über den Partner aufgeklärt und die strategischen Überle­ gungen und Planungen dementsprechend angepasst werden. Was den dritten Punkt betrifft, so sollte zunächst intern ein „Grenzpreis“ errechnet werden, der den maxi­ malen Wert, den das Kaufobjekt für den Käufer hat, widerspiegelt. Dieser maxima­ le Wert repräsentiert dann auch den höchstmöglichen Kaufpreis, der für den Akqui­ siteur aus ökonomischer Sicht Sinn macht. Die Instrumente, die hier Verwendung finden, stammen aus der Untemehmensbewertung. Allerdings ist festzuhalten, dass es den richtigen Wert für ein Unternehmen nicht gibt. Unterschiedliche Käufer werden je nach den Möglichkeiten, die sie für die Art der Weiterführung der ge­

24

kauften Aktivitäten haben, auch unterschiedliche Werte berechnen. Hinzu kommt, dass es mehrere Bewertungsverfahren gibt, von denen sich keines letztendlich durchgesetzt hat. Abbildung 6 zeigt schematisch diese Verfahren auf (vgl. zu den Details und zur ausführlichen Diskussion von Untemehmensbewertungsverfahren z.B. Scholz 2000; Achleitner 2000; Kengelbach 2000).

Abb. 6: Untemehmensbewertungsverfahren (vgl. Coenenberg/Jakoby 2000: 185)

Auf internationaler Ebene hat sich, ausgehend von den angelsächsischen Ländern und vor dem Hintergrund der Orientierung am „Shareholder-Value“ das CashFlow-Verfahren etabliert. Die grundsätzliche Idee hinter dieser Vorgehensweise besteht darin, die zukünftigen von einem Unternehmen erwirtschafteten sog. FreeCash-Flows (vereinfacht sind das die Zahlungsüberschüsse nach Abzug der Investi­ tionen) als Maßstab für den ökonomischen Wert des Unternehmens zu nehmen. Die Free-Cash-Flows der zukünftigen Perioden werden mit einem risikoadäquaten Zins­ satz diskontiert und addiert. Der sich ergebende Barwert ist der Wert des Unter­ nehmens. Folgendes Vorgehen ist also bei der Bewertung zu wählen (vgl. im Detail dazu Volkart 1999: 61-77): 1. Erstellung eines „Stand-Alone“-Geschäftsplans bei Weiterfuhrungsprämisse

2. Berechnung der Free-Cash-Flow-Reihe 3. Diskontierung der Free-Cash-Flows

25

CF

n

RW

uw = S ------L-+------ Dt = Kl + i)1 (l + i)n uw = Unternehmens wert (Stand-Alone-Wert) CFt i RW

= Cash Flow der Periode t = Diskontierungssatz = Restwert in Periode n mit CFt ab Periode n+1

_ CF n n " ,

und konstantem

4. Addition des Restrukturierungs- und des Synergiewertes, Subtraktion der Risiken/Kosten

In diesem Vorgehen spiegeln sich mehrere Komponenten des Werts eines Unter­ nehmens wider. Diese Komponenten können in einem Stufenmodell angeordnet werden, das auch die Wirkung der Wertkomponenten auf den Gesamtuntemehmenswert zeigt (vgl. Abbildung 7).

Synergiewert

Restrukturier­

ungswert

Stand AloneWert

Objekti­ vierter Wert des Unterneh­ mens „wie es steht und liegt“

Effizien­ teres Ma­ nagement

Erschlies­ sung von Synergie­ potentialen

Risiken der Inte­ gration

Subjektiver Gesamtwert des Unter­ nehmens aus Käufersicht

Abb, 7: Das Stufenmodell der subjektiven Untemehmensbewertung (Coenenberg/ Jakoby 2000: 196) Der Stand-Alone-Wert ergibt sich aus der oben in Schritt 3 angegebenen Formel zur Diskontierung der Free-Cash-Flows, ohne dass an dem Unternehmen etwas geän­ dert wird. Der Restrukturierungswert berücksichtigt die diskontierten Verbesserun­

26 gen der zukünftigen Cash-Flows, die sich aus einem verbesserten Management ergeben. Ein solches Verbesserungspotential könnte z.B. in der besseren Nutzung vorhandener Aktiva/Passiva liegen, was sich z.B. in einem niedrigeren Umlaufver­ mögen äußern könnte, was wiederum zu einem erhöhten Cash-Flow fuhrt. Falls sich der Übernehmer solche Verbesserungen zutraut, bedeutet das für ihn einen Wertgewinn.

Der inzwischen schon inflationär verwendete Begriff der Synergien steht für Kos­ tenersparnisse oder Umsatzsteigerungen, die sich aus einer Integration der Aktivitä­ ten des kaufenden mit dem gekauften Unternehmen ergeben (vgl. genauer dazu Ebert 1998; Steinöcker 1998: 149). Anschaulich lässt sich dies durch die Formel „1 + 1=3“ darstellen, was nichts anderes bedeutet, als dass die integrierte Einheit aus kaufendem und gekauftem Unternehmen mehr als die Summe der Einzelteile dar­ stellt. Eine bessere Auslastung von Fertigungskapazitäten und damit eine Kosten­ senkung oder die Nutzung des Vertriebssystems des Kaufobjekts zum Vertrieb der eigenen Produkte in einem anderen Land sind Beispiele für solche Synergien. Die Diskontierung der Wirkungen dieser Synergien auf den Cash-Flow stellt wiederum einen ökonomischen Wert dar, den das kaufende Unternehmen als werterhöhend ansetzen kann. Allerdings kommen Synergien nicht von alleine. Bei der Planung der Synergien ist zu berücksichtigen, dass diese positiven Verbundeffekte, vor al­ lem wenn es sich um Kostensynergien handelt, teilweise schmerzliche Eingriffe in die bestehenden Aktivitäten verlangen und deshalb nicht, mit Zeitverzögerung oder nur teilweise realisiert werden können. M&A-Projekte sind auch mit Kosten verbunden. Die Aufwendungen für den Pro­ zess an sich, wie z.B. Honorare für externe Berater wie Investment Banker oder Rechtsanwaltskanzleien schlagen hier zu Buche. Wichtiger sind aber unter dem Aspekt der Wertminderung die Risiken, die man sich mit einer Akquisition einhan­ delt. Falsche Annahmen und Prognosen bzgl. der Kosten und der Zeitdauer der Integration und der Entwicklung der bearbeiteten Märkte stellen potentielle Gefah­ ren für die Höhe der erwirtschafteten Cash-Flows dar und sind damit als Abschlag vom Wert des gekauften Unternehmens zu sehen (vgl. Abbildung 7).

Ausgehend von dem Stand-Alone-Wert ergibt sich damit insgesamt gesehen ein subjektiver Gesamtwert des Unternehmens. Subjektiv deswegen, weil der Restrukturierungs- und der Synergiewert und auch die Risikoeinschätzung von Käufer zu Käufer unterschiedlich sind. Dieser Gesamtwert abzüglich des Kaufpreises stellt den Wertzuwachs dar, den ein Käufer aus dem Kauf erwarten kann. Ist der Kauf­ preis höher, so stellt das Projekt aus Planungssicht eine Wertvemichtung dar. Ist es möglich, in den Verhandlungen eine Einigung über den Kaufpreis zu errei­ chen, so können die Verträge, die den Eigentumsübergang regeln, verfasst und unterschrieben werden. Auf diese Phasen wird hier nicht näher eingegangen (vgl. dazu im Detail z.B. Picot 2000).

27

2.4. Instrumente der Integrationsphase

Nach der Unterzeichnung der Kaufverträge und der Überweisung des Kaufpreises ist die Gefahr sehr groß, dass das Projekt als erfolgreich beendet angesehen wird. Die in den strategischen Überlegungen und der Wertbestimmung gesetzten Ziele und Wertkomponenten müssen aber jetzt erst realisiert werden. Dies muss durch eine Integration geschehen, die die gekauften Aktivitäten auf eine möglichst wert­ maximierende Art weiterfuhrt. Die Art und Weise wie diese Aktivitäten weitergefuhrt werden, spiegelt sich im wesentlichen an dem Grad der Integration wider, der deshalb zu Beginn einer Integ­ rationsphase festgelegt werden muss. Abbildung 8 macht die Möglichkeiten, die hier grundsätzlich bestehen, deutlich. Die Ausprägungen der beiden Dimensionen der Matrix in Abbildung 8 richten sich nach den strategischen Zielen und den zu erwartenden Synergien. Die Realisierung von Synergien bedeutet nicht automa­ tisch, dass ein hoher Integrationsgrad gewählt werden muss. Bei einem ausländi­ schen Markt, der nach anderen Regeln funktioniert als der Heimatmarkt, empfiehlt es sich, der neu akquirierten Tochter, die sich schon seit langem in diesem Markt bewegt, eine hohe Autonomie einzuräumen. Damit kann sie sich an die lokalen Gegebenheiten besser anpassen. Hier wäre also die Strategie der Erhaltung zu wählen. Der umgekehrte Fall wäre dann gegeben, wenn eine Integration der Ferti­ gungskapazitäten das wesentliche Ziel der Akquisition darstellt. Hier ist eine Ab­ sorption in einen internationalen Fertigungsverbund und damit ein sehr hoher Integ­ rationsbedarf vonnöten. Den wohl schwierigsten Fall stellt die Symbiose dar, da hier widerstreitende Interessen der Muttergesellschaft und des akquirierten Unter­ nehmens in Einklang gebracht werden müssen. Eine detaillierte und im Konsens entwickelte Planung der wesentlichen Integrationsschritte und Meilensteine er­ scheint hier unerlässlich.

stark

Erhaltung

Symbiose

Autonomiebedarf des Tochterunternehmens

gering

Absorption

gering stark Integrationsbedarf des Mutterunternehmens

Abb. 8: Die Integrationsmatrix (in Anlehnung an Haspeslagh/Jemison 1992: 174)

28

Der Grad der Zusammenführung der Aktivitäten hat wesentliche Implikationen für die Frage der untemehmenskulturellen Integration und im internationalen Fall nach den Schnittstellen, in denen eine interkulturelle Zusammenarbeit stattfindet. Vor dem Hintergrund der generellen Führungsphilosophie eines Unternehmens muss entschieden werden, ob das neu akquirierte Unternehmen an die eigene Untemehmenskultur herangeführt werden soll, um im Endeffekt eine Kulturhomogenität im Gesamtuntemehmen zu erreichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, ange­ sichts kultureller Unterschiede einer heterogenen Untemehmenskultur den Vorzug zu geben. Folgende grundlegende Strategien bestehen in diesem Feld (vgl. dazu auch Gertsen/Soderberg/Torp 1998): Kalturstrategie

Kulturmischung

Kombination aus bestehenden Kulturen des kaufenden und des gekauften Unternehmens

Übernahme einer Kultur, normalerweise der Kultur des Übernehmers

Vorteile

Nachteile

•Geringer Kulturschock

• schwierig umzusetzen

• „neue“ Gemeinsamkeiten

• Diskussionen über zu starke Einflußnahme einer Seite

• positive Aspekte aus jeder Kultur werden übernommen • Schnelle Abwicklung • „Umgewöhnung“ nur eines Partners

Kulturübemahme

• Hoher Zeitaufwand • Kulturschock und evtl. Widerstände bei Unternehmen, das sich anpassen muß • Paßt die neue Kultur in dem Umfeld?

Beide Kulturen bestehen gleichberechtigt nebeneinander

Kulturpluralismus

• Kein Kulturschock, keine Widerstände

• Evtl. Verzicht auf Synergien

• Kontinuität der an die Rahmenbedingungen gut angepaßten Teilkulturen

• Führung des Gesamtuntemehmens schwieriger

Abb. 9: Alternativen der Kulturintegration Die Aufgaben und auch die dazu zu verwendenden Instrumente sind bei der Integ­ ration sehr einzelfallspezifisch. Es lassen sich allerdings allgemeingültige Typen von Aufgaben und die Ebenen, auf denen integriert werden muss, identifizieren. Abbildung 10 macht dies deutlich.

29 ^^\_Aufgabe

Koordination

Kontrolle

Konfliktlösung

Entwicklung und Anpassung von Systemen und Pro­ zessen (z.B. Rech­ nungswesen)

Entwicklung und An­ passung von internen Abrechnungs- und Kontrollsystemen

Eliminierung von widersprüchlichen Regeln und Prozessen

Definition von Ansatzpunkten zur gemeinsamen Ressourcen-nutzung bzw. zum Knowhow-Transfer

Implementierung von Systemen zur Mes­ sung der Ressourcen­ produktivität

Richtlinien zur Res­ sourcenallokation, Neuaufteilung von Produktionsfaktoren

Etablierung von Integrationsregeln; Festlegung des neuen Kulturmo­ dells

Entwicklung von Entlohnungs- und In­ centi ve-S ystemen; Verteilung von Zu­ ständigkeiten

Ebene

Strukturell

Physisch

Personalwirtschaft­ lich/ Sozio­ kulturell

Stabilisierung der Machtverteilung

Abb. 10: Integrationsaufgaben (vgl. Coenenberg/Jakoby 2000: 201) Zur Gestaltung eines erfolgreichen Integrationsprozesses ist es wichtig zu wissen welche dieser Aufgabeninhalte essentiell sind. Eine empirische Studie von Mercuri International und des Institute for Mergers & Acquisitions gibt auf der Basis von 103 befragten Integrationsmanagem erste Hinweise darauf. Folgende Maßnahmen wurden von den Befragten als wesentlich für ein erfolgreiches Integrationsmana­ gement genannt: (Jansen/Kömer 2000) • Schnelle Entscheidung über Führungsstruktur

57

• Erarbeitung einer internen und externen Kommunikationsstrategie

47

• Einsatz von Integrationstcams

27

• Anpassen der Kundenstrukturen

24

• Integrationsplanung im Vorfeld

21

• Definition der Kembelegung und Abgleichen der Gehalts- und Incentivestrukturen

19

• Neugestaltung der Produkt- und Leistungspalette

19

• Neue Marktsegmentierung und Preispolitik

18

• Konsolidierung des betrieblichen Berichtswesens

14

• Einbeziehung wichtiger Kunden und Lieferanten in den Integrationsprozess

10

• Erarbeitung neuer Führungs- und Steuerungssysteme

9

• Einrichtung eines kennzahlenbasierten Post-Merger-Audit-Systems

7

• Entwicklung von Instrumenten zum Wissenstransfer

7

Eine interessante Erkenntnis besteht darin, dass nationale Zusammenschlüsse in der Integrationsphase wesentlich einfacher zu bewältigen sind als internationale Akqui-

30 sitionen. Dies gibt einen Hinweis auf die Relevanz des Einsatzes von interkulturel­ len Instrumenten zur Überwindung kultureller Unterschiede.

Ein exaktes Ende der Integrationsphase ist kaum festlegbar. Wichtig ist eine perma­ nente Erfolgskontrolle. Diese Kontrolle sollte nach dem Soll-Ist-Prinzip durchge­ führt werden. Die in der Analyse- und teilweise der Transaktionsphase erarbeiteten Ziele und Planungen dienen als Soll-Größe. An diesen Vorgaben werden durch die Erfolgskontrolle die im Zeitablauf erreichten Ergebnisse gemessen. Bei Abwei­ chungen wird eine Ursachenanalyse durchgeführt und falls nötig Korrekturmaß­ nahmen eingeleitet. Instrumentell lehnt sich die Erfolgskontrolle bei M&AProjekten bei diesem Vorgehen an das strategische Controlling an (vgl. dazu Baum/Coenenberg/Günther 1999).

3.

Erfolgsfaktoren für M&A-Projekte

Im vorangegangenen Kapitel wurde der M&A-Prozeß in einigen ausgewählten Stufen vor allem aus instrumenteller Sicht beschrieben. Allerdings wäre es wichtig zu wissen, welche Einzelschritte und -kriterien einen besonders großen Stellhebel zur Sicherstellung einer Wertsteigerung durch das Projekt darstellen. Eine Umfrage von Booz Allen & Hamilton ergab folgende Resultate (Einstufung der Wichtigkeit von 0-100; vgl. Booz Allen & Hamilton 1985): Das Ergebnis bestätigt, dass die Integration einen entscheidenden Beitrag für das Gesamtprojekt liefert. Ähnlich relevant sind Synergien, deren Realisierung aber den oben beschriebenen Schwierigkeiten unterliegt. Interessant ist die hohe Relevanz der Wettbewerbsposition der beiden beteiligten Unternehmen, was wiederum für eine genaue strategische Planung in der Analysephase spricht. Erst an vierter Stelle steht dann der von vielen wohl ganz vorne erwartete Faktor der Wertfeststellung und noch unwichtiger scheint der Kaufpreis zu sein.

Abb. 11: Schlüsselfaktoren für Akquisitionen

31

Die Befragung zeigt, dass die Stufen des M&A-Prozesses unterschiedliche Rele­ vanz für den Erfolg des Gesamtprojekts besitzen. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass nach Abschluss der betriebswirtschaftlichen Planungen und der juristischen Transaktionsmechanismen die operativen Probleme der Integration gelöst werden müssen, um eine Wertsteigerung zu erreichen. Damit rücken bei internationalen Projekten die Fragen der interkulturellen Zusammenarbeit und vor allem der antizi­ pativen Lösung von interkulturell bedingten Konflikten in den Mittelpunkt der Betrachtung, um den Erfolg des Gesamtprozesses zu gewährleisten.

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32

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33

Internationale Kooperationen und Direktinvestitionen deutscher Unternehmen Matthias Fischer, Frankfurt Nicht nur die Großunternehmen, sondern auch der Mittelstand muss sich der Globa­ lisierung stellen und handeln. Kooperationen, die Konzentration auf Kembereiche, Outsourcing von Nebentätigkeiten und Kapazitätsverlagerungen ins Ausland sind wichtige Maßnahmen zur Wachstumssteigerung im deutschen Mittelstand. Letzten Endes fuhren diese Maßnahmen im Rahmen der Internationalisierung zu einer Er­ höhung der Wettbewerbskraft und zur Stärkung der Unternehmen. Wichtiger Gradmesser für die zunehmende Internationalisierung sind die weltweiten Direktin­ vestitionen. Von 1989 bis 1999 sind sie um 370% gestiegen auf 827 Mrd US$ in 1999. Länderschwerpunkte der deutschen Direktinvestitionen sind die EU und Amerika, während die Staaten von Mittel-Ost-Europa und Asien deutlich abfallen. Afrika ist prozentual nur marginal von deutschen Direktinvestitionen betroffen. Begründet sind die zunehmenden Direktinvestitionen deutscher Unternehmen, ins­ besondere im Abbau der Handelshemmnisse durch die EU-Erweiterung und den Wegfall tarifärer sowie nicht tarifärer Handelsbarrieren. Auch die Schaffung eines gemeinsamen Währungsraumes im Euroraum trägt zu verstärkten Direktinvestitio­ nen bei. Durch die Kostensenkung bei Kommunikation, Transport und Reisen sind zudem die Transferkosten deutlich gesunken. So liegen in Polen, Ungarn, Tsche­ chien sehr günstige Produktionsbedingungen vor. Es existieren deutliche Vorteile bei Lohn und Materialkosten, Immobilienpreisen usw., beispielsweise liegen die durchschnittlichen Stundenlöhne bei nur bei 20 bis 40% vergleichbarer durch­ schnittlicher Stundenlöhne in Deutschland. In vielen Schwellenländem werden zudem neue Absatzpotenziale gesehen, da die Kaufkraftsteigerungen dort deutlich ausgeprägter sind als in den entwickelten westeuropäischen Ländern.

Abbildung 1 zeigt verschiedene Ausprägungen der Internationalisierung und struk­ turiert diese nach der Intensität der Kooperation sowie nach der Intensität von Sachund Humankapitalinvestitionen. Im weiteren Verlauf des Artikel unterstellen wir ganz allgemein, dass eine Internationalisierung dann vorliegt, wenn grenzüber­ schreitende Transaktionen zum Gegenstand von Managementaktivitäten werden.

34

Abb. 1: Markteintrittsform im Abgleich der unternehmensintemen Ressourcen mit lokalen Bedingungen

Die Stimmung des deutschen Mittelstands zum Thema Internationalisierung Mit der Mind-Studie1 wurde 1999 versucht ein repräsentatives und zeitgenaues Bild des selbständigen deutschen Mittelstands zu zeichnen. Das Befragungssample um­ faßte inbesondere Fragen der Internationalisierung und der Konsequenzen des Eu­ ropäischen Binnenmarktes für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Zwei Drit­ tel der deutschen kleinen und mittleren Unternehmen fühlen sich demnach durch den globalen Wettbewerb nicht oder nur wenig unter Druck gesetzt. Sie sehen ihn aber auch nicht als Chance. Andererseits betrachten die größeren Unternehmen die Globalisierung eher als Chance denn als Risiko. Zur Erhaltung und Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit im globalen Wettbewerb setzen die Unternehmen vor allem auf Mitarbeiterqualifikation und -motivation sowie auf die Nutzung neuer Medien. Für die Dienstleistungsbranche spielt der globale Wettbewerb eine deutlich geringere Rolle als für das produzierende Gewerbe und den Handel. Mit zuneh­ mender Untemehmensgröße nimmt der Druck durch den globalen Wettbewerb jedoch zu. So läßt sich feststellen, dass Unternehmen mit über 50 Beschäftigten in einem relevanten Ausmaß über Betriebsstätten im Ausland verfügen. Diese kon­ zentrieren sich auf die EU und MOE, andere Regionen spielen nur eine untergeord­ nete Rolle. 1 Ergebnisse aus der Mind Mittelstandsstudie: Hrg. GrunerHahr AG&Co, Köln WirtschaftsPresse und Dresdner Bank AG, Wissenschaftliche Begleitung Institut für Mittelstandsforschung Bonn, Köln 1999.

35

10 % der Unternehmen planen eine Standortverlegung, die Mehrheit jedoch im Inland. Bei den Unternehmen, die eine Standortverlagerung ins Ausland planen gibt es in Abhängigkeit von der Untemehmensgröße starke regionale Unterschiede. Unternehmen bis 50 Beschäftigte planen in der Mehrheit einen neuen Standort in den Staaten Mittel- und Osteuropas, während Unternehmen über 50 Beschäftigte fast ausschließlich im EU-Binnenmarkt neue Standorte planen. Weniger als 10 % der mittelständischen Unternehmen haben Untemehmensbeteiligungen im Ausland. Die Beteiligungen konzentrieren sich auf die EU und MOE. Ein Drittel der Unter­ nehmen im Ausland sind durch den Unternehmer selbst gegründet worden. Der Rest hat sich an bestehenden Unternehmen beteiligt bzw. diese gekauft. Gut 10 % aller und ein Drittel der größeren Unternehmen hat Kooperationsverein­ barungen mit Unternehmen im Ausland. Ein Viertel der mittelständischen Unter­ nehmen unterhält Geschäftsbeziehungen (Import/ Export) mit dem Ausland. Wäh­ rend im produzierenden Gewerbe und im Handel jeweils ein Drittel der Unterneh­ men Auslandsgeschäfte tätigt, sind es im Dienstleistungssektor nur halb so viele. Das Auslandsengagement steigt mit der Untemehmensgröße deutlich bis auf über 60 % bei den Unternehmen mit über 50 Beschäftigten. Während im produzierenden Gewerbe und vor allem vom Handel mehr exportiert wird, ist der Dienstleistungs­ sektor Nettoimporteur. Sowohl die Exporteure als auch die Importeure erwarten zu gleichen Teilen für die Zukunft eine Stagnation oder eine Intensivierung ihres Aus­ landsgeschäfts zum EU-Binnenmarkt und Mittel- und Osteuropa. In Bezug auf die anderen Regionen sind deutlich weniger Unternehmen optimistisch eingestellt. Knapp die Hälfte der kleinen und mittleren Unternehmen mit Auslandsgeschäft exportieren. Hiervon haben zwei Drittel der Unternehmen einen Exportanteil am Gesamtumsatz von weniger als 30%. Daher ist für den größten Teil der KMU der Export interessant aber keine Existenzfrage. Für ein Viertel dagegen ist er überle­ benswichtig und für ein weiteres Viertel spielt er kaum eine bzw. keine Rolle. Ob­ wohl mit 60 Prozent überdurchschnittlich viele Unternehmen des Handels exportie­ ren, ist für diese der Export mehrheitlich keine Überlebensfrage. Je kleiner das Unternehmen desto geringer ist die Abhängigkeit vom Export. Insbesondere die Unternehmen mit über 50 Beschäftigten exportieren überdurchschnittlich viel in­ nerhalb des EU-Binnenmarktes und in andere Regionen der Welt.

Die Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes sind aus Sicht der Befragten KMUs relativ gering. Im produzierenden Gewerbe werden dort, wo vorhanden, die Auswirkungen eher negativ, im Dienstleistungsgewerbe eher positiv gesehen. Ten­ denziell steigen mit der Untemehmensgröße die Auswirkungen, aber auch die posi­ tive Einstellung. Auf dem europäischen Binnenmarkt haben insbesondere die grö­ ßeren Unternehmen mit Maßnahmen wie Rationalisierung, der Entwicklung neuer Produkte sowie einer Intensivierung des Vertriebs reagiert. Während das produzie­ rende Gewerbe Rationalisierungen vomimmt, verstärkt insbesondere der Handel den Vertrieb. Die Expansion in EU-Länder spielt ausschließlich für die größeren Unternehmen eine bedeutende Rolle. Insgesamt hat der Euro laut Umfrageergebnis-

36 sen der Mind-Mittelstandsstudie die Wettbewerbsfähigkeit der weitaus meisten Unternehmen nicht verbessert. Vor allem kleinere Unternehmen sehen darin keine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.

Motive für Auslandsinvestitionen Der Grund für die Auslandsinvestition kann in der Kostenoptimierung liegen, d.h. bei Lohnkosten, Energiekosten, Steuern, Materialkosten oder Vertriebskosten kann durch die Internationalisierung eine Verbesserung angestrebt werden. Die Absatzsi­ cherung ist ein weiteres Argument, da insbesondere globale Kunden auch eine glo­ bale Belieferung erwarten. Mit der wichtigste Grund ist jedoch die Markterschlie­ ßung, d.h. u.a. aufgrund der Grenzöffhungen in den Ländern Osteuropas versucht man neue Wachstumsmärkte zu erschließen. Auch die Ressourcensicherung von Rohstoffen, Vorprodukten, Mitarbeitern oder Kapitalquellen kann ein Argument für die Auslandsinvestition sein. Zudem können dort rechtliche Vorteile herrschen, die durch Zölle, Devisengesetze, Normen oder Importquoten eine Präsenz vor Ort zwingend notwendig machen. Für deutsche Unternehmen gehört die Markterschlie­ ßung und die Marktsicherung sicherlich zu den wichtigsten Motiven. Niedrige Transportkosten, Steuern oder Lohnkosten hingegen sind von nachrangiger Bedeu­ tung. Zumeist erfolgt die angestrebte Markterschließung über Untemehmenskäufe oder Untemehmensübemahmen.

Für die richtige Einschätzung der Zweckmäßigkeit einer Investition existieren qua­ litative und quantitative Größen. Dem Unternehmen stehen für erfolgreiche Investi­ tionsentscheidungen verschiedene Investitionsgrundlagen zur Verfügung: Erstens investitionsspezifische Grundlagen, d.h. Untemehmensziele, Untemehmensstrategie, Produktstruktur, finanzielle Flexibilität oder zweitens markt- und länderspezifi­ sche Grundlagen, d.h. wirtschaftliche und politische Entwicklung, Markt- und Branchenentwicklung, gesetzliche Rahmenbedingungen, Arbeitsmarktsituation, Investitionsrisiken, Partnerselektion und drittens die relevante Investitionsrechnung, die sich auf Mengen, Preise, Kostenschätzung, Kapitaleinsatz und Investitionsbe­ darf sowie Finanzierung und Zinssätze konzentriert. Zuerst werden die investitions­ spezifischen und markt- bzw. länderspezifischen Investitionsaltemativen ausge­ wählt, um im nächsten Schritt die Wirtschaftlichkeit der ausgewählten Alternativen zu bewerten.

37 I^JteschaffuR^

Absatzziele

> Ausbau der Produktionskapazitäten

> Erschließung neuer Absatzmärkte

> Qualifizierung günstiger Lieferanten

> Marktführerschaft bei geringen

Eintrittshürden und erheblichen > Verlagerung von unrentablen,

Gestaltungsfreiräumen

lohnintensiven Fertigungsbereichen

> Errichtung eines Brückenkopfes für > Begegnung des Kostendrucks,

andere osteuropäische Staaten

insbesondere aus Fernost > Absicherung von bestehenden > Möglichkeit zu höherer Produktdifferenzierung

Lieferbeziehungen durch Präsenz

auch in Osteuropa

Abb. 2: Osteurpa bietet Chancenför deutsche KMU sowohl auf Beschaffungs- als auch aufAbsatzmärkten Osteuropa bietet für deutsche Mittelständer sowohl Chancen auf der Beschaffungsals auch auf der Absatzmarktseite - siehe hierzu auch Abbildung 2. Beschaffungs­ ziele sind der Ausbau der Produktionskapazitäten, die Qualifizierung günstiger Lieferanten, die Verlagerung von unrentablen bzw. lohnintensiven Fertigungsberei­ chen und die Begegnung des Kostendrucks, insbesondere aus Femost. Dagegen sind für den Mittelstand die Absatzziele begründet in der Erschließung neuer Ab­ satzmärkte, in der Marktführerschaft bei geringen Eintrittshürden und erheblichen Gestaltungsräumen, in der Errichtung eines Brückenkopfes für andere osteuropäi­ schen Staaten und schließlich in der Absicherung von bestehenden Lieferbeziehun­ gen durch Präsenz auch in Osteuropa.

Risiken bei Investitionsvorhaben von KMU im Ausland Viele Unternehmen erreichen ihre Ziele in Osteuropa im ersten Anlauf nicht wie geplant. Die Erfolgsbilanz der mittelständischen Unternehmen sieht ernüchternd aus. Während die ersten Informationsreisen, Vorgespräche und Analysen zumeist erfolgversprechend verlaufen, sieht die Partneranalyse, die Vorverhandlung und die Bestimmung der Fertigungs- und Vertriebskooperation schon deutlich schwieriger aus. In dieser Phase werden die meisten Projekte aufgegeben: aufgrund fehlender Ressourcen, weil kein geeigneter Partner gefunden werden kann oder weil mit fal­ schen Vorstellungen in die Verhandlungen gegangen wird. In den weiteren Phasen der Vertragsverhandlung, der Bewertungsfragen, der Gründung der Investitionen und der Finanzierungsverhandlungen bestehen Hürden, die viele Unternehmen nicht überspringen können: Eine Änderung der Prioritäten im Unternehmen, eine mangelnde Einigung der Partner, das Nichtzustandekommen der Finanzierung. Schließlich wird auch aufgrund von Managementproblemen aufgegeben oder weil

38

sich die Umsetzung verzögert oder weil Qualitäts- und Produktionsziele nicht er­ reicht wurden.

Westlicher Partner

>

Erschließung neuer Märkte

>

Sicherung der Starrmärkte,

Lokaler Partner

t Harmonie

>

Sicherung der Starrmärkte

>

Erschließung von Exportmärkten

Margenverbesserung

> >

Steigerung der Produktivität

>

Begrenzung der Investition

>

Konflikt >

Bewahrung der Wettbewerbsvorteile

Modernisierung / Soziale Personalpolitik

Überwindung von Finanzierungsbameren

i

>

Know-how/Technologie-Transfer

Abb. 3: Eine stabile Partnerschaft erfordert einen frühzeitigen Konsens bezüglich der Ziele einer Kooperation Bei der Durchführung des Investitionsvorhabens sind daher insbesondere externe und interne Risiken zu beachten. Die internen Risiken umfassen das Partnerrisiko, das technologische Risiko und das Planungsrisiko, während das externe Risiko konzentriert ist auf das Marktrisiko und das politische Risiko. Beide Risiken zu­ sammen bewirken ein Ertragsrisiko und ein Ausfallrisiko. Betrachtet man nun ins­ besondere die sich schnell entwickelnden Länder MitteL/Osteuropas, dann ist ins­ besondere die Qualität des Humankapitals ausschlaggebend für den Erfolg. Die Qualität der Mitarbeiter steht also noch vor anderen Erfolgskriterien wie der Unter­ nehmensführung, dem technischen Stand der Produktion oder der Markt- und Wettbewerbssituation.2 In Industrieländern Westeuropas ist es wesentlich einfacher qualifiziertes Personal zu bekommen. Dagegen ist die Markt- und Wettbewerbssitu­ ation sowie die Produktqualität deutlich wichtiger als in Osteuropa.

Die Phasen des Eintritts in den ausländischen Markt Für den Eintritt in den neuen Markt wird innerhalb der Unternehmen in den meisten Fällen ein Projektteam gebildet, das die Internationalisierung begleitet. Dieses Team besteht aus Mitarbeitern des Unternehmens, aus verschiedenen Abteilungen, u.a. Rechtsabteilung, Steuerabteilung, Produkt- und Marketingseite sowie aus der 2 Diese Aussage trifft jedoch nicht nur für Mittel-/Osteuropa zu. Auch in Ländern Westeuropas ist insbe­ sondere die Qualität des Managements ausschlaggebend für Erfolg oder Mißerfolg einer Direktinvestiti­ on. Siehe hierzu auch: Fischer, Matthias: Interkulturelle Herausforderungen im Frankreichgeschäft, Gabler Edition Wissenschaft, Wiesbaden 1996.

39

Begleitung externer Berater mit Branchenanalysen und lokalen Marktkennem. Insbesondere die Branchenspezialisten und die lokalen Berater bringen Know how fur eine mögliche Akquisition und die Markteintrittsstrategie mit. Generell lassen sich bei den Beratungs- und Projektphasen die Initiierungsphase, die Planungs- und Genehmigungsphase, die Anlaufphase und die operative Phase unterscheiden. 1.

Initiierungsphase

Hier stellt sich die Frage der Strategiewahl. Welche Zielsetzung soll verfolgt wer­ den und wie ist der Markteintritt optimal zu gestalten. Bei der Informationsbeschaf­ fung stehen die lokalen Absatzmärkte im Mittelpunkt. Die Fragen der Möglichkei­ ten für Einkauf und Beschaffung sowie welche Unternehmen, Standorte oder Per­ sonen für eine mögliche Kooperation in Frage kommen, müssen zuerst beantwortet werden. Diese ersten Fragen der Marktanalyse, der Markteintrittsstrategie und des Partner- bzw. des Standort-Screenings sollten in einem Workshop des Unterneh­ mens zusammen mit lokalen Experten (Untemehmensberater, Banken, etc.) durch­ geführt werden.

2.

Die Geschäftsplanungs- und Genehmigungsphase

In der Geschäftsplanungsphase stellt sich die Frage, welche wirtschaftlichen Ergeb­ nisse von diesem Engagement zu erwarten sind und welche Projektrisiken zu ma­ nagen sind. Bei der Partneranalyse wird gefragt, ob die Investitionen und Einlagen der lokalen Partner auch den Beteiligungsverhältnissen entsprechen. Insbesondere in Osteuropa sollten lokale Berater oder Beratungsuntemehmen bei der Verhand­ lungsunterstützung dabei sein, da die einzelnen Vertragspunkte nach strategischen Gründen ausgestaltet werden müssen. Die Beratungsuntemehmen werden weiterhin wichtige Hilfe beim Genehmigungsverfahren leisten, etwa bei Fragen nach den relevanten Behörden für das jeweilige Genehmigungsverfahren sind und den Prozeßaltemativen, um dieses Verfahren zu beschleunigen.

3.

Anlaufphase

In der Ingangsetzungsphase stellen sich insbesondere Fragen nach den Finanzie­ rungsquellen und Fördermitteln für das Projekt. Es wird geklärt, wie die erforderli­ chen Anträge für die Fördermittel erfolgreich gestaltet werden können und wie die sich abzeichnenden Risiken abgesichert werden sollen. Zu einer Implementierungs­ beratung gehören auch Managementfragen nach Gehältern und Verträgen für das lokale Management, Fragen der Qualitätssicherung und des Controlling sowie des Vertriebskonzepts, das den lokalen Markt optimal abdeckt. 4.

Operative Phase

Die Unterstützung der Beratung für ein deutsches Unternehmen in der laufenden Geschäftstätigkeit bezieht sich auf die rechtliche Vertretung, d. h. wie werden Ein­ berufungen von Aktionären organisiert und Hauptversammlungsprotokolle ausge­ arbeitet oder wie kann eine vorübergehende Übernahme der Untemehmensführung dargestellt werden. Auch bei der TechnologieVermittlung unterstützen externe Be-

40 rater, um die Möglichkeiten fur den Erwerb von Technologien aus dem Ausland zu analysieren oder nach um nach der besten Strategie für den Know-how-Transfer aus dem Ausland zu suchen. Die Executive Search spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Untersucht wird das lokale Angebot an Managern und die Festlegung objektiver und subjektiver Auswahlkriterien. Ausgangspunkt jedes Intemationalisierungskonzepts ist in den meisten Fällen eine gründliche Feasibility-Studie, wie sie in Abbildung 4 schematisch dargestellt wird.

Entscheidjngsgundcge Investor/ Fi nenzier

Einschätzung Unternehmen, Management und Investoren

Marktbedngungen und Voraussetzung Ertragslage Wettbewerteposttion für und ___________________________ Geschäftsplanung Bilanzkritik

Sicherheits-und Risikobewertung

Beantwortung der festgestellten Informationslucken

Abb. 4: Module der Feasibility-Studieför die Geschäftsplanung Das Unternehmen sollte alle Phasen des Markteintrittsprozesses im Detail vorberei­ ten - siehe hierzu auch Abbildung 5. Der typische Prozeß bei der Suche nach Kooperations- oder Übemahmepartnem könnte nach folgendem Schema ablaufen: Zu­ erst erfolgt die Marktanalyse, in der die Wachstumsstrategie formuliert wird. Ein detailliertes Suchprofil für das Partneruntemehmen wird aufgestellt und es erfolgt die Recherche potentieller Kooperationspartner, Lieferanten, Kunden über ver­ schiedenste Quellen, d. h. öffentlich zugängliche Datenbanken, Industrie- und Han­ delskammern, Banken, Steuerberater und Rechtsanwälte. Als nächster Schritt er­ folgt die Identifikation des Zieluntemehmens. Hier kommt es zur anonymen Kon­ taktaufnahme durch Gespräche mit Insidern, es erfolgt die Überprüfung öffentlich zugänglicher Finanzinformationen und die Analyse des Produktmixes des Unter­ nehmens. Als nächster Schritt wird das Unternehmen bewertet und die Übernahme vorbereitet. Es folgt die direkte (offene) Kontaktaufnahme durch Gespräche mit dem Management verbunden mit einer Firmenbesichtigung.

41 Markt- und Wettbewerbsanalyse

Standortwahl und Datenerhebung

Geschäftsplanung

>

Analyse der bisherigen Marktentwicklung

>

Auswahl geeigneter Partneruntemehmen bzw. Standorte

>

Erarbeitung eines Unter­ nehmenskonzeptes

>

Ermittlung des relevanten Absatzpotentials und Preisniveaus

>

Bestimmung der Eigentums­ situation und der wirtschaft­ lichen Verhältnisse

>

Break-Even-Analyse, Cash Flow und Bestimmung der Pay­ off-Periode

>

Marktposition der potentiel­ len Wettbewerber (Stärken-/ Schwächenanalyse)

>

Ermittlung der Kostenstruktur für die Herstellung der zu verlagernden Produkte

>

Sensitivitätsanalyse der Planungsparameter und Risikoabschätzung (“what if, if then")

>

Untersuchung der Distributionsstrukturen

>

Bestimmung des jeweiligen Beitrags und Nutzens der beiden JV-Partner

>

Darstellung der Finanzierungsund Fördermittelmöglichkeiten

Abb. 5: Eine gründliche Vorbereitung sichert die Investitionsentscheidung ab Am Anfang jedes Intemationalisierungsprojektes steht die Marktanalyse mit Desk Research, Delphi-Befragungen und Portfolioanalysen. Beim Desk Research werden Informationen durch Anwendung moderner Kommunikationsmedien zusammenge­ tragen. Branchenexperten fuhren erste Interviews durch und werten alle zur Verfü­ gung stehenden Informationsquellen aus. Bei der Delphi-Methode kommt es zu Einzelinterviews und Gesprächen mit externen Experten, u.a. lokalen Bank- und Steuerexperten. Durch Besuche im Unternehmen vor Ort kann ein Cross Check der Interviewergebnisse erfolgen. In der Portfolioanalyse wird eine Kategorisierung aller Unternehmen nach bestimmten Zielkriterien vorgenommen. Es kommt zur Identifikation der attraktivsten Partneruntemehmen, die anschließend selektiert werden.

Öffentliche Mittel zur Finanzierung von Investitionen im Ausland Die richtige Wahl der Finanzierung ist abhängig von Objekt, Funktion und Zweck der Investition - siehe hierzu Abbildung 6. Nicht alle Instrumente sind zur Finan­ zierung von mittelständischen Projekten im Ausland geeignet. Insbesondere in den aufstrebenden Ländern MitteL/Osteuropas gelten andere Rahmenbedingungen als in Westeuropa. Die Emissionen von Aktien oder Beteiligungskapital ist zwar prin­ zipiell geeignet, es handelt sich hier um sehr innovative Finanzierungsinstrumente, aber in Osteuropa finden sich kaum funktionierende Kapitalmärkte. Die Selbstfi­ nanzierung durch das mittelständische Unternehmen ist ebenfalls oft problematisch, weil die Eigenkapitalausstattung zumeist nur begrenzt ist. Eine Kreditsubstitution durch z. B. Leasing ist im Grunde möglich, aber sehr teuer und sollte nur zusätzlich benutzt werden. Die Aufnahme von Krediten in Deutschland ist natürlich möglich, doch oft sind die Untemehmensaktiva schon deutlich belastet. Eine Finanzierung

42

über Rückstellungen ist schwierig, da langfristige Rückstellungsbeträge in kleineren und mittleren deutschen Unternehmen meistens zu gering sind.

Unterscheidung nach Investitions­ objekt

Investitionu n ktio n___

Sachinvestition

Forschungsinvestition

Finanzinvestition

Fertigungsinvestition

Immaterielle Investition

Absatzinvestition

Investitions­ zweck Erst- oder Errichtungs­ investition Beteiligungsinvestition

Ersatzinvestition E rweite rungsinvestition Rationalisierungs­ investition

Abb. 6: Systematische Darstellung der möglichen Investitionen beim Markteintritt im Ausland Aufgrund dieser geschilderten Einschränkungen für herkömmliche Finanzierungs­ instrumente sind die zahlreichen Förderprogramme für kleine und mittlere Unter­ nehmen zur Finanzierung von Investitionsvorhaben im Ausland um so wichtiger. Vier Institutionen, die Investitionen des Mittelstands mit öffentlichen Mitteln unter­ stützen, werden im folgenden genannt:

1. Für KMU existieren zahlreiche zinssubventionierte Kredite durch das Mit­ telstandskreditprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW.3 Die KfW för­ dert in ihrem „Mittelstandskreditprogramm Ausland“ deutsche Tochterunternehmen sowie deren Tochterunternehmen mit Sitz im Ausland und Joint Ventures mit deut­ scher Beteiligung im Ausland, deren konsolidierter Jahresumsatz DM 1 Mrd. nicht überschreitet. Gefordert werden durch die KfW Kredite mit festem Zinssatz in EU­ RO, USD und GBP sowie Kredite mit variablen Zinssatz in EURO, GBP und JPY auf sechs Monatsbasis. In der Regel werden max. DM 10 Mio. oder entsprechende Gegenwerte in der Auslandswährung gefördert. Der Finanzierungsanteil der KfW beträgt bei Vorhaben von Unternehmen mit einem Jahresumsatz kleiner DM 100 Mio. bis zu Dreiviertel der forderfähigen Kosten. Bei einem Jahresumsatz von mehr als DM 100 Mio. beträgt der Finanzierungsanteil bis zu Zweidrittel der förderfahi3 Siehe zu aktuellen Konditionen im Förderprogramm www.kfw.de

43 gen Kosten. Die Kreditlaufzeit beträgt bis zu 10 Jahren, bei max. zwei tilgungsfrei­ en Anlaufjahren. Für Investitionsvorhaben, bei denen mindestens Zweidrittel der forderfähigen Kos­ ten auf Grunderwerbs- oder Baukosten entfallen, sind Laufzeiten bis zu 20 Jahren bei max. drei tilgungsfreien Anlaufjahren möglich. Die Tilgung der Kredite erfolgt nach Ablauf der tilgungsfreien Anlaufjahre im gleich hohen halbjährlichen Raten. Während der Tilgungsfreijahre sind lediglich die Zinsen auf die ausgezahlten Kre­ ditbeträge zu zahlen. Eine vorzeitige außerplanmäßige Tilgung ist bei Festsatzkredi­ ten grundsätzlich ausgeschlossen. Die Konditionen für Festsatzkredite und variable Zinssätze werden auf Anfrage durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau mitgeteilt. Bei anteiliger Haftungsfreistellung der durchleitenden Hausbank zahlt der Endkre­ ditnehmer einen Zinsaufschlag von nominal 0,5 % p. a. auf die variablen Zinssätze. Für das KfW Mittelstandskreditprogramm sind bankübliche Sicherheiten zu stellen, d. h. Grundschulden, Bürgschaften inkl. Garantien von Kreditgarantiegemeinschaf­ ten und im Ausnahmefall auch ausländische Sicherheiten. Falls notwendig, kann zur Absicherung des politischen Risikos eine Garantie des Bundes für Kapitalanla­ gen im Ausland geliefert werden. 2. Die deutsche Investitions- und Entwicklungs-GmbH (DEG) vergibt Darlehen zur Finanzierung von Joint Ventures und Niederlassungen deutscher Firmen in Osteu­ ropa. Max. DM 20 Mio. bzw. max. bis zu 35% der gesamten Investition werden als Darlehen zur Verfügung gestellt. Die Laufzeit beträgt 4 bis 10 Jahre, wobei die tilgungsfreien Jahre abhängig vom Cash-flow sind. Der Zinssatz kann fest oder variabel sein.4

3. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat ein all­ gemeines Programm für kleine und Mittelstandsuntemehmen aufgelegt. Gefordert wird die Internationalisierung der Unternehmen mit einem Betrag von bis zu 35% der gesamten Investitionen. Der maximale Kreditbetrag für den Mittelstand liegt bei DM 8,5 Mio. bei einer Laufzeit von 5 bis 10 Jahren mit festem oder variablen Zins­ satz. Die Marge über Libor entspricht dabei dem Projektrisiko.5

4. Die Europäische Investitionsbank (EIB) unterstützt die Finanzierung der Anlage­ investitionen eines Vorhabens in Entwicklungsländern. Sie übernimmt max. 50% der Projektkosten durch Kredite. Die Laufzeit beträgt 10 bis 12 Jahre und die Til­ gung erfolgt in gleich hohen Halbjahresraten nach angemessener tilgungsfreier Zeit. Der Zinssatz ist fest ohne Gewinnmarge.6

Die Hausbank des Unternehmens sollte den Intemationalisierungsprozeß des Un­ ternehmens in wichtigen Phasen unterstützen. Dies beginnt mit der Prüfung der Förderfahigkeit des Investitionsvorhabens und mit der individuellen Auswahl und Optimierung der Fördermittel. Sofern erforderlich, wird die Hausbank einen Liqui4 Siehe zu aktuellen Konditionen im Förderprogramm www.deginvest.de 5 Siehe zu aktuellen Konditionen im Förderprogramm www.EBRD.com 6 Siehe zu aktuellen Konditionen im Förderprogramm www.EIB.org

44 ditäts- und Tilgungsplan erstellen. Sie wird weiterhin Beratung und Unterstützung bei der Antragstellung der Fördermittel anbieten. Die Hausbank kann selbst die Antragskorrespondenz sowie die Führung der Verhandlungen mit öffentlichen För­ derinstitutionen bis hin zur Bewilligung der beantragten Mittel übernehmen.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich die deutschen kleinen und mittle­ ren Unternehmen gut für den internationalen Wettbewerb vorbereitet fühlen. Der Euro hat bisher keine spürbaren Veränderungen in der Wettbewerbsumwelt verur­ sacht und die Grenzöffnung nach Mittel-Ost-Europa wurde bereits intensiv zur Sicherung neuer Absatzmärkte und Nutzung günstiger Produktionsbedingungen genutzt. Zu empfehlen ist allen Unternehmen, die den Martkeintritt im Ausland planen ein gründliches Projektmanagement, das alle Phasen der Internationalisie­ rung im Detail plant und kontrolliert. Die Einschaltung von mit den lokalen Bedin­ gungen vertrauten externen Beratern ist für die Feasibility-Study, die Executive Search sowie für den Kontakt zu lokalen Behörden fast unumgänglich. Den beson­ deren Risiken einer Investition in den Märkten Mittel-Ost-Europas wird insbeson­ dere durch zahlreiche Angebote öffentlicher Fördermittel Rechnung getragen. Als wichtigster Erfolgsfaktor für den Eintritt in den ausländischen Markt gilt die richti­ ge Auswahl des Personals und des Managements. Die Kenntnis der lokalen kultu­ rellen Umwelt ist daher zwingende Grundvoraussetzung, um die Chancen und Risi­ ken der Internationalisierung erfolgreich zu bestreiten.

II. Interkulturelle Personalentwicklung und Interkulturelles Training

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Internationale Bewerbung und Personalauswahl Ansgar Kinkel, Düsseldorf Globales Denken ist auf den Märkten Normalität, die Hochschulen richten ihre Aus­ bildung mehr und mehr international aus. Dementsprechend wächst das Interesse der Studenten nicht nur an akademischen Auslandsaufenthalten, sondern auch an inter­ nationaler Praxiserfahrung. Praktika sind derzeit am stärksten gesucht. Der Einstieg im Ausland nach dem Hochschulabschluß rückt auf der Prioritätenliste höher. Nur der Wechsel als Young Professional ins Ausland ist immer noch nicht dem Bedarf der Unternehmen angemessen.

Auch die Unternehmen suchen zunehmend Absolventen im Ausland und wählen international aus. Insgesamt sind das beste Voraussetzungen dafür, dass ein funktio­ nierender internationaler Arbeitsmarkt für junge Akademiker entsteht. Aber die Realität sieht anders aus: Frustrierte Bewerber und enttäuschte Unterneh­ men. Original-Ton von Personalsuchenden: sie empfinden die Kandidaten als „zu alt oder zu unreif4 und viele beherrschen die jeweilige nationale Sprache nicht.

Bewerber machen die Erfahrung, dass ihre Bewerbung, obwohl sie in ihrem eigenen Land zu den Top-Absolventen gehören, postwendend zurückgeschickt wird.

Eine viel zu oft verdrängte Konsequenz ist, dass Bewerber bestimmte, national je­ doch sehr unterschiedliche, Bedingungen erfüllen müssen: Gefordert sind Sprachkenntnisse, vorhandene Ausländserfahrung, möglichst schon Spezialwissen, idealerweise Berufs-/Praxiserfahrung. Auch die Anerkennung von Abschlüssen kann notwendig werden, zumindest die Erklärung, welchem nationalen Abschluss die eigene Qualifikation entspricht. Sehr wichtig sind Kenntnisse der na­ tionalen „Spielregeln“ beim Bewerbungsprozess.

Aber selbst wenn die Voraussetzungen erfüllt sind und der Bildungsabschluß als gleichwertig „anerkannt“ wird, reagieren die Unternehmen nicht wie von den Be­ werbern erwartet. Warum? Das Problem liegt tiefer.

Allein die Aufbereitung der Bewerbung, sprich die Eigenpräsentation, muß von Land zu Land unterschiedlich umgesetzt werden. Ein paar kurze Beispiele, wie sehr Bewerbungsstandards von den uns gewohnten abweichen können:

Frankreich: Das Anschreiben muß mittlerweile nicht mehr zwangsläufig handgeschrieben sein. Auf dem Lebenslauf ist das Foto kein „muß“, er braucht auch nicht datiert oder unterschrieben zu sein. Zeugnis- oder Praktikakopien sind überflüssig.

47 Großbritannien: Die Bewerbung besteht aus Anschreiben und CV. Kein Fo­ to, keine Zeugnisse, aber dafür Referenzen, wenn vorhanden. Wichtig ist auch, den CV zeitlich rückwärts (mit dem aktuellen Datum beginnend) auf­ zubauen. Entscheidend sind Angaben zu außeruniversitären Aktivitäten (insbesondere social activities).

USA: Die Bewerbungsunterlagen bestehen aus Anschreiben und Lebens­ lauf und werden am besten per Email übermittelt. Zeugnisse werden nicht mitgesandt. Sehr wichtig ist es, kein Geburtsdatum anzugeben und kein Fo­ to zu verwenden. Denn Alter, Rasse und Personenstand dürfen bei der Auswahl keine Rolle spielen, es besteht sonst die Gefahr der Klage wegen Diskriminierung für potentielle Arbeitgeber. Deshalb müssen alle entspre­ chenden Hinweise fehlen, oder die Bewerbung wird nicht bearbeitet. Auch im Interview sind Fragen hierzu nicht erlaubt. Deshalb versuchen die Un­ ternehmen dann über indirekte Fragen oder die Interpretationen z. B. von Daten der Ausbildungsabschlüsse einen Hinweis auf das Alter zu erhalten. Die formalen Anforderungen sind aber nur die Oberfläche, die letztendlich dahinter liegende Werte spiegelt. Diese Werte müssen Bewerber kennen und sich damit aus­ einandersetzen, denn sie bilden die eigentlichen Bewertungskriterien der Unterneh­ men. Bei dieser Betrachtung wird auch der Zusammenhang zu dem entsprechenden nationalen Ausbildungssystem deutlicher. Nur wer diesen versteht und berücksich­ tigt, kann sich erfolgreich präsentieren, denn dann werden die Qualifikationen vom Bewerbungsempfänger erkannt und gewürdigt.

Die persönliche Qualifikation eines Bewerbers setzt sich für Unternehmen zusam­ men aus einer Top-Ausbildung (bewertet anhand von Hochschule und Noten), Pra­ xiserfahrung und sonstigen Qualifikationen. Welches Wissen vermittelt wird, wie das geschieht und welche Zielsetzung dadurch angestrebt wird, korrespondiert mit dem Kodex für ein „erfolgreiches“ Verhalten im Unternehmen. Umgekehrt bewerten die Unternehmen diejenigen Ausbildungsinstitutionen positiv, von denen sie aus eigener Erfahrung wissen, dass deren Absolventen sich regelmäßig „erfolgreich“ verhalten. An die Stelle des konkreten Wissens kann auch das Image einer Hoch­ schule treten. Als Vorbereitung auf den Berufseinstieg richtet jeder Kandidat diese Qualifikationen auf „sein“ Land aus und reflektiert auf die ihm bekannten Bewerbungsstandards. Ein Unternehmen legt jedoch „seine“ nationalen Bewertungskriterien zugrunde, die von einer anderen Vorbereitung ausgehen.

48 Studentische Qualifikationen im Europäischen Vergleich Deutschland

Frankreich

Großbritannien

Außeruniversitäres

Arbeit in Vereinen und

Arbeit in Verbänden, Junior

Sehr hoch, Mehrzahl der

Engagement

Jugendverbänden, Sport

Enterprises, Sport, Reisen

Studenten in Clubs/ Societies, debating club

Mobilität

Mittel

Niedrig, nur bei ca. 10% vorhanden

Hoch

Fremdsprachenkenntnisse

Praktische Erfahrung bis Studienende

Gut (Englisch), häufig

Englisch, Spanisch,

Wenig, 2-3 Jahre

weitere Fremdsprachen

Deutsch

Französisch, etwas Deutsch

Je nach Fachbereich Pflichtpraktika, Juristen

Ca. 1 dreimonatiges

Häufig 1 Jahr vor der Uni, Praktischer Teil während

Praktikum pro Jahr

des Studiums

kaum, BWLer sehr viel

Ausländserfahrung

Zunehmend mehr

Zunehmend mehr

Studenten, ca. 20% eines

Studenten, hauptsächlich

Jahrgangs

durch ERASMUS

Viele studieren für 1 bis 2 Semester im Ausland

Ouefl« Kienbaun Executive Consiitants, H(/i Potertiaie

Das macht - aus Sicht der Bewerber oft beklagt - Sinn: Denn im Job sind genau diese Qualitäten gefragt, die interne Weiterentwicklung wie auch die Beurteilung geht von diesen Voraussetzungen aus. Wer in dem einen System hervorragend beur­ teilt wird, kann unter Umständen gerade wegen der positiv bewerteten Eigenschaften in einem anderen Umfeld scheitern. Ein erfolgreicher Controller wurde von der deutschen Zentrale eines Unternehmens zur französischen Tochter entsandt, um dort das Controlling zu übernehmen. Nur stieß seine Art, sehr konkret Fragen zu stellen und auch den Sinn von Entscheidungen zu hinterfragen, bei den Geschäftsführern auf völliges Unverständnis. Aus ihrer Wahrnehmung heraus war das keine konstruk­ tive und - nach deutschen Maßstäben positiv kritische - Mitarbeit, sondern der of­ fensichtliche Versuch, sie aus ihrer Position zu drängen oder zumindest ihre Autori­ tät in Frage zu stellen. Die Situation eskalierte so stark, dass sich die Zentrale genö­ tigt sah, diesen Mitarbeiter nach wenigen Monaten wieder zurückzuholen, um die Aufregung nicht zu groß werden zu lassen.

Die Bewertung in Frankreich unterscheidet sich vor allem bei Ausbildung und deren Zielen von unseren Erwartungen: Die besuchte Hochschule zählt besonders, da ein rigoroses Auswahlsystem im Vorfeld dazu fuhrt, dass nur die besten eine Chance haben, auf die besten Hochschulen zu gelangen. Für jede Fach-Disziplin gibt es an­ dere Top-Hochschulen, und nur die ersten fünf im Ranking zählen wirklich. Praktika während des Studiums sind eher selten, wichtiger ist dann die Mitarbeit bei einer der in Frankreich zahlreich vertretenen studentischen Untemehmensberatungen. Das Ziel der gesamten Ausbildung ist, schnell Wissen aufnehmen und verarbeiten zu können. Der Hintergrund dafür sind die stark zentralisierten Strukturen - alle we­ sentlichen Entscheidungen werden in den Untemehmenszentralen im Großraum

49

Paris getroffen, dezentral geschieht nichts ohne Wissen der Zentrale. Und das ge­ samte Unternehmen ist auf den PDG ausgerichtet, um seine Entscheidungen schnell und effizient umzusetzen. In Großbritannien gelten dagegen eine andere Ausbildung und ganz verschiedene Erwartungen: Zwar zählt auch hier die Hochschule, insbesondere Oxford und Cam­ bridge oder ausgewählte Business Schools. Das Fach dagegen ist weniger wichtig. Gefragt ist die Art und Weise wie logisches Denken vermittelt wurde sowie die so­ ziale Kontaktfahigkeit. Deshalb ist auch das Engagement in Clubs extrem wichtig. Die Unternehmen sind dementsprechend darauf eingestellt, selbst das notwendige Fachwissen für den Job zu vermitteln. Teilweise findet aber auch die eigentliche Auswahl erst „on the job“ statt. Investmentbanken stellen beispielsweise mehrere Absolventen ein und planen, dass nach wenigen Monaten nur die wirklich guten noch für sie tätig sind. Der Rest geht mehr oder weniger freiwillig. Die Absolventen sind durch das Bildungssystem noch relativ jung und haben dadurch Zeit und Ge­ duld, sich von den Unternehmen in ihrer Persönlichkeit „formen“ zu lassen.

Das dezentrale deutsche Bildungssystem, das sehr fachorientiert ausgerichtet ist und eine reife Persönlichkeit generieren will - deshalb auch sehr stark zum Hinterfragen erzieht - ist für . diese Länder deshalb nur begrenzt die richtige Vorbereitung. Für Unternehmen in Frankreich halten die vielen Fragen nur auf, und für britische Un­ ternehmen sind die Absolventen zu alt, das viele Wissen ist überspitzt ausgedrückt: nett, aber aus deren Sicht überflüssig. Umgekehrt sind dafür für deutsche Unternehmen die französischen und britischen Absolventen „zu jung“. Übersetzung erforderlich. Beide Seiten, Bewerber wie auswählende Unternehmen, müssen eine größere interkulturelle Flexibilität erreichen, um das Ziel nicht zu ver­ fehlen, in dem sich beide einig sind: Internationaler zu werden.

Für Studenten gilt deshalb:

Die Darstellung der Bewerbung muß dem Betrachtungsansatz des jeweiligen Ziel­ landes angepasst werden. Wichtig ist insbesondere, die Qualifikationen zu erläutern und entsprechend den Erwartungen bewertbar zu machen. Die vorherige Beschäfti­ gung mit den nationalen Gepflogenheiten ist Pflicht. Hilfestellung hinsichtlich der anfangs kurz dargestellten Unterschiede können beispielweise die IntemetStellenbörsen geben, die auf jeden Fall Tips für das eigene Land geben, aber fast alle inzwischen auch internationale Informationen anbieten.

50



Informationsquellen: Austauschprogramme und Beratungsstellen

Austauschprogramme (EU-Mobilitätsprogramme) »

SOCRATES (incl. Erasmus)

Hochschulbereich

»

Jugend für Europa

Allg. Austauschprogramm

»

Untemehmensstiftungen

z.B. Thyssen Stiftung

Beratungsstellen »

DAAD

»

EURES-Berater

Informationen zum Gastland

»

Auslandshandelskammem

Adressen; Kontakte

»

Botschaften/Konsulate

Allgemeine Informationen

»

www.europa.eu.int

SOCRATES, Erasmus

Infos über Programme & Anerkennung von Abschlüssen

Stellenbörsen im Internet

Siellenb$r$en mit aktuellen Jobangeboten In Deutschland



jobpilot.de



Jobline.de



stepstone.de



karrieredirekt.de (Handelsblatt)



berufsstart.de



benjfswelt.de



wirtschaftswoche.de/wwkarriere/kd.htm (Titelseite der Rubrik „Karriere" der Wirtschafts­ woche online; vor allem für Praktika geeignet)

Intemetstellenbörsen In Europa



jobpilot.de



http://intemational.monster.com



espan.com

Nationale InternetanbieterJn;

Frankreich •

go.tm.fr



aliena.net



apr-job.fr

England Intemetanbleter, die Imagewerbung veröffentlichen



karrierefuehrer.de



unicum.de



Focus Online (Rubrik JOB & KARRIERE“)



jobtrak.com



jobsite.co.uk



topjobs.co.uk

Genauso wichtig ist aber auch, mit den Unterschieden zu rechnen und zu leben: vor allem die k.o.-Kriterien für die Bewerbungsbewertung sollten berücksichtigt werden.

51 Noten müssen „übersetzt“ oder zumindest erläutert werden, denn eine Eins bedeutet in der Schweiz „durchgefallen“. Flexibilität ist eine weitere notwendige Eigenschaft. In Deutschland ist die Promotion für einen Betriebswirt oder Ingenieur eine für Un­ ternehmen sehr interessante Qualifikation. In Großbritannien findet man sich damit zwischen den Stühlen wieder: Für das damit verbundene Alter ist die Berufserfah­ rung viel zu gering. Entweder sind die Bewerber nach dem Bachelor sehr jung oder schon berufserfahren nach dem MBA. Das Auftreten spielt eine große Rolle, nur sind die möglichen Fehler nicht so bekannt. Auch in Gehaltsfragen kann Flexibilität notwendig sein, denn die Gehaltsunterschiede sind auf jeden Fall vorhanden.

Um die Erfolgschancen zu verbessern, ist es sinnvoll, Sprungbretter einzusetzen: Partnerschaften der eigenen Hochschule mit Top-Hochschulen des Landes sind ein sehr gutes Entree, um sich positiv zu positionieren. Unternehmen mit Interesse an einem bestimmten nationalen Markt sind wesentlich offener für Bewerber aus die­ sem Land, da diese zu wertvollen Mitarbeitern werden können.

Die Unternehmen müssen vor allem interne Aufklärung betreiben. Die Recruiter in der Personalabteilung mögen mittlerweile die Unterschiede kennen und können die Qualifikationen richtig einschätzen. Für die letztendlich einstellenden Fachvorge­ setzten wird dies eher nicht gelten. Deshalb sollten intern die einer Bewerbungsbewertung zugrundeliegenden Werte aufgedeckt werden und auch über die Top-Qualifikationen in anderen Ländern in­ formiert werden. Gut ist sicherlich, vergleichbare Qualifikationen zu finden, um das Verständnis zu verbessern. Insgesamt gilt auch hier, die Flexibilität zu verbessm.

52

Interkulturelle Kompetenz Eberhard Schenk, Köln Die Zusammenarbeit mit Menschen aus fremden Kulturen wird immer mehr zu einem normalen Bestandteil unseres Lebens. Interkulturelles Lernen und das Entwi­ ckeln interkultureller Kompetenz erweisen sich daher als immer wichtigere Bestand­ teile beruflichen wie privaten Handelns. Interkulturelle Trainings versprechen oft großartige Lemeffekte, doch der theoretische Hintergrund ist mitunter dünn. Selbst die Definition dessen, was interkulturelle Kompetenz sei, ist ein vernachlässigtes Thema. Dieser Beitrag möchte einen kleinen Einblick geben in den Diskurs zum Thema interkulturelle Kompetenz. Auf der Basis eines Modells interkultureller Kompetenz, das wir als eine notwendige Voraussetzung für die Durchführung effek­ tiver Trainingsprogramme verstehen, werden einige Implikationen für interkulturelle Trainings vorgestellt.

Überlegungen zu interkultureller Kompetenz Zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen über interkulturelle Kompetenz ließen sich als Einstieg in das Thema resümieren. Doch statt die diversen Modelle, wie sie etwa bei Spitzberg & Cupach 1984; Yoshikawa 1987; Winter 1988; Sandhaas 1988; Spitzberg 1989; Ruben 1989; Kealey 1989; Imahori & Lanigan 1989; Hammer 1989; Martin 1993; Wiseman & Koester 1993; Krewer & Scheitza 1995; Dinges & Baldwin 1996 zu finden sind, an den Anfang zu stellen, möchte ich mit einer scheinbar schlichten Frage beginnen: „Wer braucht interkulturelle Kompetenz?“ Ohne Mühe lassen sich zahlreiche Antworten finden, einige Beispiele sind hier auf­ gelistet: ■

Frau B leitet als Geschäftsführerin eines deutschen mittelständischen Un­ ternehmens Verhandlungen mit einem möglichen Partneruntemehmen in Korea.



Herr D ist deutscher Berufsschullehrer, arbeitet für eine deutsche Institution der Entwicklungszusammenarbeit an einem Modell-Schulprojekt in einer Stadt in Zimbabwe.



Herr F ist deutscher Ingenieur für Telekommunikationstechnik eines gro­ ßen internationalen Konzerns. Er ist häufig rund um den Globus tätig als ’’Trouble-Shooter”.



Herr P ist General Manager, Deutscher, eines Equity Joint-Ventures in China. Die Leitung hat er übernommen von seinem chinesischen Kollegen.



Frau G arbeitet in der Wirtschaftsabteilung einer Kommunalverwaltung in Deutschland. Sie ist verantwortlich für die Intensivierung der wirtschaftli­ chen Kontakte ihrer Region und China.

53 ■

Frau M ist deutsche Studentin an der einer Universität in Arizona.



Herr T, ehemaliger Deutsch-Lektor, hat sich in Japan ein kleines Dienstleistungsuntemehmen aufgebaut.

Die Liste könnte unschwer fortgefuhrt werden. Was sagen uns all die Beispiele über interkulturelle Kompetenz? Deutlich wird, dass die genannten Personen mit Aufga­ ben konfrontiert sind, die vom Kontext und den Rahmenbedingungen her sehr unter­ schiedliche Anforderungen stellen. Diese kontextuelle Diversität würde noch größer werden, wenn wir auch noch Beispiele hinzuzögen wie Asylanten oder Einwanderer oder wenn wir den Blick ausdehnen auf die jeweils andere Seite der genannten Bei­ spiele, also auf die Kooperationspartner. Welche Anforderungen sind an diese Per­ sonen hinsichtlich interkultureller Kompetenz gestellt, was sind relevante Kriterien, gibt es einen gemeinsamen Kem von Kriterien? Mit Sicherheit werden die Betroffenen unterschiedliche Antworten finden, unter­ schiedliche Schwerpunkte erkennen.

Effizient zu arbeiten, den anderen verstehen, sich anpassen und integrieren sind sehr verschiedene Anforderungen, die entsprechend unterschiedliche Aspekte interkultu­ reller Kompetenz erfordern. Interkulturelle Kompetenz umfasst mehr als effizientes Funktionieren in einer fremden Gesellschaft oder Umgebung. Interkulturelle Kom­ petenz muss den spezifischen Kontext der Begegnung und persönliche Merkmale einschließen, um eine allgemeine Gültigkeit zu besitzen.

In seiner psycholinguistischen Theorie der generativen Transformationsgrammatik hat Chomsky als Kompetenz die Kenntnis des Systems von Regeln der Sprache definiert, die es dem Sprecher ermöglichen, unendlich viele neue Sätze zu generie­ ren und zu verstehen, sie hinsichtlich ihrer Bedeutung und Grammatikalität zu beur­ teilen, zu bewerten und zu vergleichen. Das Ziel der Grammatik ist dabei die Be­ schreibung der Kompetenz. Ist es dieser Kompetenzbegriff, den wir meinen, wenn wir von interkultureller Kom­ petenz sprechen oder verquicken wir hier Kompetenz mit Performanz? Die bloße Kenntnis der interkulturellen Regeln, so es sie denn gäbe, erschiene uns alleine wohl kaum ausreichend. Als kompetent bezeichnen wir vielmehr Personen, die Kenntnis­ se in konkretes Handeln umsetzen können. Damit wären wir bei der interkulturellen Performanz angelangt, die, mit Chomsky gesprochen, nur dem idealen Sprecher als direkte Widerspiegelung der interkulturellen Kompetenz zu eigen ist. Der ideale Sprecher ist der „native speaker“, in der Übertragung auf den Kulturkontext, der in seiner Kultur enkulturierte.

Die zahlreichen Fehler und Regelabweichungen der Performanz sind nach Chomsky dabei drei Kategorien von Störfaktoren geschuldet: soziokulturellen, psychologi­ schen und situativen [ähnlich den drei Faktoren Kultur; Person/ interpersonal; situa­ tiv, kontextspezifisch]. Da auf die Kompetenz nur über die Beobachtung der Per­ formanz geschlossen werden kann, sie nicht direkt messbar ist, werden Kompetenz und Performanz oft synonym verwendet. Die Einschränkung bezüglich der Mess­

54 barkeit gilt insbesondere für die interkulturelle Kompetenz, da hier anders als in der Sprache, die „Regeln“ des „richtigen“ Interagierens nicht festgelegt sind wie in einer Sprachgrammatik. Wünschenswert wäre damit ein Modell interkultureller Kompe­ tenz, das es ermöglicht, diese Rückschlüsse möglichst präzise zu ziehen.

Aspekte interkultureller Kompetenz in der Forschung Eine tabellarische, stichwortartige Betrachtung einiger Ergebnisse der Forschung zur Frage der Definition interkultureller Kompetenz soll helfen, die Komplexität des Konzeptes zu veranschaulichen. Vor allem in den USA wurde die Relevanz einzel­ ner Aspekte für interkulturell kompetentes Verhalten (Performanz) intensiv unter­ sucht. Forscher Nishida (’85)

Gudykunst, Nishida & Chua (’87)

Weissman & Fumham f87)

Dinges & Lie­ bermann (’89)

Kealey('89)

Erkenntnisinteresse

Ergebnisse

Ambiguitätstoleranz korrelierte stark mit der Höhe des erlebten Kultur­ schocks. Die Fähigkeiten des Zuhörens und des Sprechens (Ausdrucksfähigkeit) korre­ lieren hoch mit der Interaktions­ kompetenz. (Tendenz der Unterschätzung von Fremdsprachensprechern) Überprüfen einer im intrakulturellen Der Grad der sozialen Einbindung ist Bereich gültigen Theorie (Social Penet­ ein verlässlicher Gradmesser für inter­ ration Theory: Orientation, exploratory kulturelle Interaktionskompetenz. affective exchange, affective exchange, stable exchange) Untersuchten die Beziehungen zwi­ Erwartungen und Erfahrungen scheinen schen den erfüllten und unerfüllten wenig zu differieren. Erwartungen und der Anpassungsleis­ Negative Erwartungen (Befürchtungen) tung (adjustment). korrelieren mit einem geringeren Sicherheitsgefühl, beeinträchtigtem Gesundheitszustand (Psychosomatik) und schlechterem Wohlbefinden. Empfundene kommunikative Kompe­ Situative Faktoren erweisen sich in tenz in spezifischen Situationen mit interkulturellen Interaktionssituationen fremdkulturellen / eigenkulturellen als bedeutsamere Einflussgröße gegen­ Interaktionspartnem über Persönlichkeitsmerkmalen (traits). Vorhersage und Erklärung von Anpas­ Die Bedeutung diverser Persönlich­ sungsleistungen und transkultureller keitsvariablen wird wieder bestätigt, Effektivität. Beziehung zwischen ebenso wie der Einfluss situativer interpersonalen Schlüssel­ Faktoren -> interaktionistischer Stand­ qualifikationen, (isomorphe) Attributi- punkt. onsfähigkeit

Beziehung zwischen sprachlichen/kommunikativen Kompetenzen (Kealey’89) und Mustern erfolgreicher fremdkultureller Anpassung

55 Wiseman, Ham­ mer & Nishida f89)

Untersuchen die Beziehung zwischen interkultureller Kommunikationskom­ petenz, dem Wissen über die Gastkultur und der affektiven Einstellung dem Partnerland gegenüber.

Martin & Ham­ mer (’89)

Frage, welche Verhaltensweisen mit dem Eindruck kommunikativer Kompetenz korrespondieren

Dean & Popp ('90)

Cui & Van den Berg (’91) Cui & Awa (’92)

Ward & KennedyC92)

Der Grad des Ethnozentrismus und die soziale Distanz zur Partnerkultur erweisen sich als einflussreichste Variablen. Ein größeres kulturallgemeines Ver­ ständnis begünstigt ein größeres kultur­ spezifisches und umgekehrt.

Gute Beherrschung kommunikativer Funktionen wie Empathie, Flexibilität, respektvolle Haltung (Gesicht) korre­ spondieren mit dem Eindruck kommu­ nikativer Kompetenz. (auch Fähigkeiten wie: langsam, deut­ lich sprechen; einfache, klare Aus­ drucksweise, Techniken der Verständ­ nisabsicherung (Rückformulierung etc.) und Reden über kulturelle Themen = Metakommunikation. Untersuchten die Unterschiede der Amerikanische und französische Ma­ subjektiven Einschätzung der Bedeu­ nager unterscheiden sich wesentlich tung von Persönlichkeitsvariablen bei hinsichtlich der Einschätzung der amerikanischen und französischen Bedeutung der kommunikativer Fähig­ Managern. keiten (Redegewandheit). Kulturallge­ meine und kulturspezifische Fähigkei­ ten erweisen sich als relevant für effektives interkulturelles Handeln. Testen der Konstruktvalidität von Kommunikationskompetenz und Empa­ Maßen interkultureller Effektivität thie erweisen sich als gute Prädiktoren. Untersuchten die Faktorenstruktur von Die Relevanz der Faktoren ist für fünf Dimensionen interkultureller Akkulturationsleistung und Job Per­ Effektivität: Sprache und interpersonel­ formance unterschiedlich. Transkulturelle Anpassungsleistung / le Kompetenz, soziale Interaktion, Empathie, Persönlichkeitsmerkmalen Akkulturation ist wesentlich abhängig (traits), und Managementfähigkeiten in von Persönlichkeitsmerkmalen; Job Bezug auf Akkulturationsleistung und Performance dagegen stärker von inter­ personellen (sozialen) Qualifikationen. Job Performance. Anwesenheit und Befindlichkeit des Partners haben in beiden Fällen wesent­ lichen Einfluß. Untersuchten den Einfluß des ’’Locus Interner versus externer Locus of of Control” auf den Akkulturationspro­ Control verursachen in unterschiedli­ chem Maße Stress, Depressivität, zeß. Verunsicherung und Orientierungs­ losigkeit.

Eine Systematik interkultureller Kompetenz Das Bemühen um eine systematisierte Darstellung der Einzelbefunde resultiert in einem vor allem im anglophonen Raum verbreiteten Modell (u.a. Chen, Guo-Ming & Starosta, W.J. (1996), das drei Kategorien interkultureller Kompetenz postuliert: eine affektive, eine kognitive und eine verhaltensbezogene. Eine Differenzierung von Situationen oder Kontexten der interkulturellen Interaktion oder eine Betrach­ tung der personalen Eigenschaften der involvierten Interaktionspartner und deren

56 Ziele findet nicht statt. Alle drei Kategorien sind von gleich gewichteter Bedeutung. Die einzelnen Aspekte lassen sich natürlich weiter ausdifferenzieren, mitunter ist auch die Zuordnung in nur eine der drei Kategorien eher künstlich. Der Zweck der übersichtlichen Darstellbarkeit wird jedoch mit der groben Differenzierung besser erreicht.

Kategorien interkultureller Kompetenz Affektive Aspekte Interkulturelle Sensitivität ■

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Selbstkonzept (wer bin ich, wer sind die anderen) Motivation und Interesse an interkulturellem Kontakt Unvoreingenommenheit; Verzicht auf negative Bewertungen positive Einstellung zur fremden Kultur; Akzeptanz kultureller Unterschiede Empathiefähigkeit, Fähigkeit zur sozialen Einlassung realistische Erwartungen Respekt gegenüber den Sitten und Gebräuchen einer anderen Kultur (relativistische Einstellung) Geduld und Toleranz

Behavioral aspects, skills Interkulturell akzeptables Verhalten ■ Sprachkompetenz, Rollenkonzept (was tue ich Akkommodation des hier wie) (Sprech-) verhaltens »Awareness“ fur interkulturelle Prozesse ■ kulturbewusste Selbstdarstellung Wissen über die Kultur: Werte ■ Soziale Kompetenz: und Normen; historische, Höflichkeit, Freundlichkeit, politische & ökonomische Diplomatie, „selfKenntnisse disclosure“ »Awareness“ fur sich selbst, ■ Interaktionsmanagement: Selbststeuerung Verhaltensdisponibilität Ambiguitätstoleranz und Flexibilität; (soziale) Intelligenz, kognitive Beherrschung von Flexibilität, Kategorienbreite, kognitive Komplexität Strategien zur Vermeidung Initiative» Selbstbewusstsein, und Klärung von Missverständnissen Ausdauer, Belastbarkeit ■ Rollenübemahmefähigkeit, Fachkenntnisse Fähigkeit zur Übernahme Fähigkeit des Aushandelns fremdkultureller Perspektiven von für beide Seiten akzeptierbaren Identitäten ■ „Social support network“ ■ reflektierter Umgang mit Attributionen und Stereotypen

kognitive Aspekte und Wissen Interkulturelle Bewusstheit

■ ■ ■



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Die einzelnen Teilkompetenzen in den drei Kategorien sollen hier nicht weiter dis­ kutiert und vertieft werden. Das Schaubild soll in erster Linie verdeutlichen, dass die eingangs geforderte Einbeziehung des Kontextes hier nicht oder nur ungenügend berücksichtigt wird. Das Ziel wäre eine Integration dieser als zentral für das Ver­ ständnis interkultureller Kompetenz erachteten Kontextvariable in das hier darge­ stellte Modell. Im Bemühen, Handlungskompetenzen nicht losgelöst von ihrem Anwendungskontext zu betrachten oder gar zu bewerten, kommt Krewer (1995) zu einer anderen Systematik interkultureller Kompetenz. Er betrachtet erstens eine kulturelle Passung der konkreten Person, zweitens aufgabenspezifische Fähigkeiten, die die Person in die Situation mit einbringt und lediglich die dritte Kategorie, die kulturallgemeine soziale Kompetenzen umfasst, ist losgelöst von der konkreten Situation.

57 Partnerland Kulturspezifi­ Stellenprofil sche Passung Interkulturell orientiertes Anforderungsprofil Wissen und Kenntnis kultu­ Belastbarkeit Stressverarbeitung reller Regeln Unsicherheitstoleranz partnerbezogen'. Kulturelle Affinität Rollenübemahmefahigkeit Fremdwahmehmung Isomorphe Attributionen selbstbezogen: Identitätsmanagement Selbstdarstellung

Allgemeine Sozialkompetenz im interkulturellen Kontext

Sprachkompetenz

kontextangepasste Fachkompe­ tenz Management-Kompetenz Planen, Delegieren, Entschei­ den, kontextangepasste Personalund Organisationsentwicklung

interaktionsbezogen: social support, Kommunikations­ bewusstheit

Für den ersten Block stellt der kulturelle Kontext des Partnerlandes den zentralen Referenzpunkt dar. Er ist daher mit dem Begriff kulturelle Passung überschrieben. Entscheidend für die kulturelle Passung einer Person sind zum einen ihre Kenntnis­ se über das Partnerland. Eine interkulturell kompetente Person kennt die kulturellen Regeln und Besonderheiten des Partnerlandes, dessen gesellschaftliche und politi­ sche Organisation, die vorherrschenden Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die Verhaltenskonventionen im beruflichen und privaten Leben. Zum anderen ist die Einstellung einer Person zur konkreten Partnerkultur relevant. Kulturelle Andersar­ tigkeit sollte eher als attraktiv und nicht als unakzeptabel erlebt werden. Darüber hinaus sollte eine Person in der Lage sein, sich in typische Rollenzuschreibungen, soziale Attributionen und Verhaltenserklärungen hineinzuversetzen. Zusammenfas­ sen lässt sich diese Fähigkeit unter dem Begriff der ’’isomorphen Attribution”.

Anforderungsspezifische Fähigkeiten stellen den zweiten Block des Kompetenz­ rasters dar. Diese sind durch Ziele und Aufgaben einer Person bestimmt. Ganz all­ gemein von grundlegender Bedeutung ist jedoch die Fähigkeit, die eigene Fachkom­ petenz an andere soziale, gesellschaftliche, kulturelle und ökologische Bedingungen anzupassen.

Der dritte Block des Rasters fasst schließlich Fähigkeiten zusammen, die unabhän­ gig vom kulturellen oder anforderungsspezifischen Kontext zentral sind. Er ist aus diesem Grund mit kulturallgemeine Fähigkeiten überschrieben. Bedeutsam ist hier zum einen die Fähigkeit, komplex zu denken, d.h. systemische Zusammenhänge zu erkennen, bei der Interpretation von Fremdverhalten verschiedenartige Verhaltens­ ursachen in Betracht zu ziehen und Erklärungen beim Erhalt neuer Informationen auch revidieren zu können. Entscheidend ist zum anderen die Fähigkeit, sich in die Rolle eines fremdkulturellen Partners versetzen zu können (Empathie und Rollenübemahmefähigkeit). Darüber hinaus relevant ist die Fähigkeit zu einer angemesse­ nen Selbstdarstellung. Ein Akteur im interkulturellen Bereich sollte selbstsicher und

58 kompetent auftreten, aber gleichzeitig bereit sein, sich auf die Erwartungen und Normen des Publikums einzustellen. Eine weitere Voraussetzung für erfolgreiches Handeln in interkulturellen Kontexten sind außerdem interaktive und kommunikati­ ve Fähigkeiten. Eine interkulturell kompetente Person sollte sensibel sein für kultu­ relle Varianten verbaler und nonverbaler Kommunikationsregeln (Kommunikations­ bewusstheit). Bei Unsicherheiten hinsichtlich des Verhaltens fremdkultureller Part­ ner sollte sie in der Lage sein, weitere Informationen einzuholen. Zur Klärung von Missverständnissen sollte sie über Strategien verfugen, mit den Kommunikationspartnem Gespräche über unterschiedliche Formen der Kommunikation - sowohl des Sendens als auch des Verstehens - zu fuhren (solche Gespräche, die Kommunikati­ on selbst zum Thema haben, werden metakommunikative genannt). Grundsätzlich hilfreich ist eine hohes Belastbarkeitsniveau in Hinblick auf Stress und Unsicherheit erzeugende Situationen. Für längere Aufenthalte in einer fremden Kultur ist es schließlich von großem Nutzen, in der Lage zu sein, Freundschaften und vertrauens­ volle Beziehungen zu Personen aus der Partnerkultur herzustellen und aufrecht zu erhalten („social support“). Krewers Modell birgt gegenüber dem Eigenschaftsmodell einen weiteren Vorzug. Ihm liegt ein Verständnis von interkultureller Kompetenz als einem beidseitigen, bipolaren Prozess zugrunde, nicht das eines einseitigen, statischen Zustands von Expertise. Interkulturelle Kompetenz wird aktiv durch und zwischen den Partnern hergestellt. Interkulturelle Interaktion ist das Eröffnen eines Handlungsraumes durch beide Interaktionspartner, um gemeinsam neue Praktiken, Symbole und schließlich neue Identitäten auszuhandeln, die bezüglich Situation, Kontext und Person je spezi­ fisch und neu sind.

Trotz dieser Unterschiedlichkeit beider Modelle erscheinen sie keineswegs unver­ einbar. Vielmehr ergänzen sich beide Modelle, wie folgende Kreuztabelle zeigt. Kulturelle Passung

Affektiv

Nonjudgmental attitudes Self-concept Motivation and interest

Kognitiv

Cultural awareness: norms and values Knowledge about host culture

Verhaltens­ bezogen

Language competence, accom­ modation of speech-regulation Politeness, self-disclosure Social support network

Aufgabenspezi­ fische Fähigkei­ ten [wie oben im Text dargestellt]

Soziale Schlüssel­ kompetenzen Social relaxation Empathy Open-mindedness

Self-awareness, self­ monitoring Tolerance of ambiguity Cognitive complexity Intelligence Social competence Interaction management Role-taking Flexibility of behaviour

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Intercultural Communication Competence Auf der Basis eines solchen integrativen Modells interkultureller Kompetenz kann diese gefasst werden als die Fähigkeit, kulturelle Bedeutungen auszuhandeln und effektive kommunikative Verhaltensweisen partner- und situationsbezogen zu ent­ wickeln, die den unterschiedlichen Identitäten der Interaktionspartner in je spezifi­ schen Kontexten gerecht werden (Chen/ Starosta 1996). Für gegebene internationale Begegnungen können je spezifische Profile interkultu­ reller Kompetenz entwickelt werden. Trainings- und Weiterbildungsmaßnahmen können gezielt auf den jeweiligen Kontext, die Person(en) und die Zielkultur einge­ hen.

Ableitungen für interkulturelle Trainingsprogramme Interkulturelle Trainingsprogramme sind meist Vorbereitungen auf einen Auslands­ aufenthalt. Dabei liegt das Ziel der Programme häufig darin, die kulturellen Unter­ schiede so präzise wie möglich zu beschreiben. Dabei wird völlig übersehen, dass interkulturelle Kommunikation ein beidseitiger Prozess des Bemühens um Verste­ hen und der Konstruktion von Identität ist. Wesentliche Lemziele sollten realisiert werden durch die Nutzung von (Selbst-)Erkenntnis- und Reflexionspotentialen in­ nerhalb der eigenen Person. Sie sollten damit unabhängig vom Wissen um die kultu­ relle Andersartigkeit des Partners sein. ■

Person und Kontext sind zentrale Bestimmungsmerkmale der Interakti­ on. Sie sollten in interkulturelle Trainings stärker einbezogen werden.



„Do’s and Don’ts“, kulturelle Muster, Stereotypen, Kulturstandards etc. sind ein Mittel, um einen Prozess interkulturellen Lernens und interkul­ tureller Verständigung anzustoßen. Es reicht nicht aus, hier stehen­ zubleiben oder zu betonen, dass einzelne Personen vom Stereotyp ab­ weichen können.



Wenn wir interkulturelles Lernen als einen individuellen Prozess akzep­ tieren, der verschiedene Lempfade verfolgen kann, müssen wir Trai­ ningsmodule anbieten, die es erlauben, auf diesem individuellen Wege persönliche (Lem-) Ziele zu verfolgen.



Interkulturelles Training muss interaktives Lernen heißen. Performanz kann nicht allein durch das Unterrichten von „interkultureller Gramma­ tik“ erreicht werden.



Nicht nur der Inhalt, die Form des Lernens ist mit entscheidend für die Qualität interkulturellen Lernens.

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Interkulturelle Trainings in der deutschen Wirtschaft: eine Bestandsaufnahme. Manfred Niedermeyer, Schlöben Die vorliegende Bestandsaufnahme der gängigen interkulturellen Trainingspraxis in der deutschen Wirtschaft bezieht ihre Informationen aus zwei Quellen. Erstens wur­ de mittels einer Reihe von Experteninterviews1 versucht, ein Stimmungsbild bezüg­ lich der gängigen Trainingspraxis zu skizzieren.2 Und zweitens wurden die mittels der Interviews gewonnenen Informationen unterlegt durch aktuelle Stellungnahmen aus der einschlägigen Fachliteratur zu den jeweiligen Fragestellungen? Methodisch orientiert sich dieses - bekennend subjektive - Vorgehen an der Erfordernissen einer Feldforschung, die an differenzierten qualitativen Aussagen mehr interessiert ist, als an Untersuchungsergebnissen, die zwar quantitativ untermauert aber in ihrer Aussa­ gekraft begrenzt sind. Der berechtigte Vorwurf des Subjektivismus eines solchen Vorgehens darf nicht darüber hinwegtäuschen, „daß persönliche Interviews Vorzüge haben, die andere Erhebungsmethoden nicht aufweisen, weil eben im persönlichem Gegenüber verbale und nonverbale Äußerungen in vielen Fällen ergiebiger und erforderliche Klärungen sowie die Verwendung von ergänzenden Materialien mög­ lich sind. Komplizierte Sachverhalte lassen sich vielfach nur auf diesem Wege eruie­ ren. (Berekhoven 1998: 106).“4

Es wird davon ausgegangen, dass Fragen nach der Notwendigkeit interkultureller Trainings, nach verstreichender Zeitspanne zwischen Wahrnehmung und Durchfüh­ rung des Trainingsbedarfes, nach den Auswahlkriterien im internationalen Selekti­ onsprozess und nach den zu trainierenden Kompetenzen aus Sicht der Befragten eine 1 Die diesem Aufsatz zugrundeliegenden Interviewergebnisse wurden mittels problemzentrierter Inter­ views gewonnen. „Beim problemzentrierten Interview (...) wird der Befragte durch einen Interviewleitfa­ den auf Fragestellungen hingelenkt, auf die er offen, d.h. ohne Antwortvorgaben eingehen soll.“ (Stahl, 1998, S. 125) 2 Die in vorliegendem Aufsatz zitierten Interviewpartner sind unter vollem Namen und Nennung der Firmen, die sie vertreten, im Anhang aufgefuhrt. 3 Folgende Bestandsaufnahme fasst einige Ergebnisse meiner Dissertation zusammen, die an der Fried­ rich-Schiller-Universität in Jena am Fachgebiet Interkulturelle Wirtschaftskommunikation im Zeitraum von 1998-2001 entstanden ist. Dem empirischen Teil dieser Untersuchung liegen insgesamt 17 Experten­ interviews zugrunde. Veröffentlicht wird diese Untersuchung voraussichtlich unter dem Titel: Interkultu­ relle Trainings in der deutschen Wirtschaft. Bestandsaufnahme, Analyse, Ausblick. Sternenfels, 2001. 4 Zu qualitativen Forschungsansätzen im Spannungsverhältnis zwischen Subjektivismus und Wissen­ schaft wird immer mehr zugestanden, dass auch empirisch nicht objektivierbare Ergebnisse Wissen schaffen können, das konstruktiv zu einer qualitativen Weiterentwicklung evidenter Fragestellungen aktueller Forschung beitragen kann. Es gilt zu konzedieren, dass „sich der Wert eines explorativen Inter­ views nicht allein nach dem Erfullungsgegenstand testtheoretischer Gütekriterien bemisst, sondern auch nach dem Beitrag, den die Methode zur Erkundung des Forschungsproblems zu leisten vermag“. (Stahl, 1998, S. 130). Zu qualitativen Forschungsansätzen vgl. auch den zentralen und kurzen Aufsatz von Tomczak (1992).

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Komplexität von Antworten evozieren, die statistisch nicht erfassbar ist. Eine „kom­ plexe Wirklichkeit (kann) nur durch die zusätzliche Heranziehung beschreibender, verstehender und deutender Untersuchungsansätze und damit durch die Erkenntnis­ potentiale qualitativer Methoden erhellt werden.“ (Blomberg-Simmet 1998: 215). Das überraschende und zentrale Ergebnis der vorgenommenen Interviews in Abglei­ chung mit den Forschungsergebnissen der aktuellen Sekundärliteratur besteht in der Erkenntnis, dass interkulturelle Trainings in den wenigsten deutschen Unternehmen durchgeführt werden. „Es wird entsandt und nicht trainiert.“5 Werden diese Trai­ nings doch durchgefuhrt, so sind dies in den meisten Fällen punktuelle Personalent­ wicklungsmaßnahmen, veranstaltet kurz vor der Ausreise und beschränkt auf die Zielgruppe der Angestellten des Mutterhauses.

1.

Notwendigkeit interkultureller Trainings

Die Notwendigkeit interkultureller Trainings ist in den meisten deutschen Firmen umstritten. Begründet wird dies häufig damit, dass die bisherigen wirtschaftlichen Erfolge im Ausland auch ohne interkulturelle Trainings realisiert werden konnten. „Kollegen haben Länder aufgebaut, ohne dass sie perfekt Englisch sprachen, ge­ schweige denn die Landessprache, ohne dass sie interkulturelle Seminare durchlau­ fen haben.“6 Mehr noch als die Personalverantwortlichen zweifeln die Fachvertreter grundsätzlich daran, dass interkulturelle Trainings im Sinne einer Effizienzsteige­ rung der Entsandten notwendig seien. „Wir müssen an den operativen Bereich he­ rangehen und diesen von dem Sinn solcher Trainings überzeugen.“7 Im Sinne einer Konfliktabwägung zwischen Notwendigkeit und Kostenintensität interkultureller Trainings haben Personalverantwortliche auch mit dem Einwand zu kämpfen, „es sei billiger Fehler zu machen, als interkulturelle Trainings zu veranstalten“.8

Mangelndes Engagement hinsichtlich der interkulturellen Vorbereitung zukünftiger Expatriates kann auch Konsequenz eines bisher nicht bereinigten Strukturdefizits deutscher international engagierter Firmen sein: Während die Vorbereitungskosten bei der deutschen Mutterfirma zu Buche schlagen, profitieren die ausländischen Töchter vom Erfolg eines gut vorbereiteten Expatriates. Da die ausländischen Töch­ ter sich häufig zu autonomen Profitcenters entwickelt haben, verbuchen die Töchter diese Erfolge für sich, während die dafür zumindest mitverantwortliche Personalab­ teilung des Mutterhauses leer ausgeht. „Es ist ein strukturelles Problem aller Mutter­

5 Zitiert aus Interview mit M. Kolakovic. Viele der hier angeführten Interviewpassagen wurden unter stilistischen Gesichtspunkten leicht überarbeitet, um allzu umgangssprachliche Formulierungen zu glät­ ten. Dies geschah allerdings unter der strikten Bemühung, die Bedeutung des Gesagten möglichst unver­ fälscht wiederzugeben. 6 Zitiert aus Interview mit H.-U. Fettweiß. Vgl. dazu auch Interview mit D. Thiel: „Wenn ein Mitarbeiter so unsensibel ist, nicht zu realisieren, welches Verhalten in einem Land angemessen ist und welches nicht angemessen ist, kommt er auch nicht für eine Führungsposition in Frage.“ 7 Zitiert aus Interview mit Y. Bemau. 8 Zitiert aus Interview mit H.-U. Fettweiß

64 firmen, Geld dafür auszugeben, dass die eigenständige Tochter erfolgreich ist.“9 Verständlich, dass sich dieses Strukturdefizit motivationshenunend auf die inländi­ schen Personalverantwortlichen auswirkt, die permanent unter Kostendruck stehen. Häufig ist die Einsicht in die Notwendigkeit interkultureller Trainings durch zutage getretene Probleme in der internationalen Zusammenarbeit motiviert. „Bei konkreten Problemen, die schmerzen“10, werden von einigen Firmen interkulturelle Trainings im Sinne eines Problemlösungsworkshops in Anspruch genommen. Von Trainersei­ te wird allerdings bezweifelt, ob bei schon evidenten Problemen interkultureller Zusammenarbeit entsprechende Trainings im Sinne einer Konfliktbewältigung noch sinnvoll seien. „Dann ist schon der volle Machtkampf im Gange. Angesichts der Gruppendynamik, die damit verbunden ist, pralle ich mit meinem Kulturthema voll­ ständig ab.“11

Persönliche Präferenzen einzelner hochrangiger Personalentwickler können eben­ falls ausschlaggebendes Motiv zur Inanspruchnahme entsprechender Trainings sein. „Meist sind interkulturelle Trainings das persönliche »Steckenpferd’ eines Personal­ verantwortlichen.“12 In seltenen Fällen werden interkulturelle Trainings grundsätz­ lich vor einer Entsendung durchgeführt. Die Entsendung an sich begründet in die­ sem Fall die Notwendigkeit eines interkulturellen Trainings für den zu Entsenden­ den. „Bedarfsfeststellung ist bei uns, wenn ein Mitarbeiter ins Ausland geht.“13 Lediglich eines der befragten Unternehmen betreibt eine Personalentwicklungspoli­ tik, die in ihrer strategischen Anlage den Komplex „Interkulturalität“ systematisch und mit dem Ziel der Optimierung des Prozesses interkultureller Zusammenarbeit integriert. „Es geht darum, die Zusammenarbeit im Team effizienter zu gestalten.“14 Interkulturelle Trainings werden hier als ein Modul innerhalb eines ganzen Bündels von Entwicklungsmaßnahmen für Teams betrachtet.15

Anhand der Interviewergebnisse entsteht der Eindruck, dass heute nur in Ausnahme­ fallen interkulturelle Trainings präventiv im Sinne einer interkulturellen Prozessop­ timierung und Problemvermeidung ante portas als konkretes Instrument einer strate­ gischen internationalen Personalentwicklung eingesetzt werden.

Dieser Eindruck wird durch die aktuelle Forschungsliteratur bestätigt. „In der deut­ schen Wirtschaft herrscht wohl noch immer die Hoffnung und der Glaube vor, dass die in Deutschland bewährte Fachkraft, im Ausland ,ins kalte Wasser’ geworfen, sich schon bewähren wird.“(Thomas 1995: 111). Unumstritten ist dagegen die Not­ wendigkeit interkultureller Trainings. Alleine der dramatisch anmutende Prozentsatz von erfolglosen Auslandsentsendungen würde die Notwendigkeit interkultureller 9 Zitiert aus Interview mit A. Bittner 10 Zitiert aus Interview mit B. Bauer 11 Zitiert aus Interview mit S. Schroll-Machl 12 Zitiert aus Interview mit S. Zaninelli 13 Zitiert aus Interview mit O. Grohmann 14 Zitiert aus Interview mit S. Mönikheim 15 Vgl. dazu den Aufsatz von S. Mönikheim (1998)

65 Trainings ausreichend belegen. „Die Erfolgseinschätzungen für Auslandsaufenthalte werden von den Unternehmen mit unter 30 % angegeben. Das heißt über 70 % aller Entsendungen ins Ausland werden als Fehlschläge zugegeben! Wie viel „Assignements“ dann gut oder sehr gut funktioniert haben, wird sich wohl eher im 10 %Bereich bewegen, also in dem Bereich, der wissenschaftlich an die Grenze der Zu­ fallsergebnisse rückt. [...] Die daraus entstehenden Kosten liegen zwischen $250 000 und $1,000,000 pro Entsendung.“ (Trimpop/Meynhardt 2000: 188). Die mit erfolg­ losen Auslandsaufenthalten häufig verbundenen interkulturellen Probleme sind ein wesentlicher Grund dafür, dass viele internationale Fusionen in einem Fiasko enden. „Denn gerade in den immer zahlreicher auftretenden Fällen, in denen die Ursachen des Scheiterns internationaler Kooperationen nicht für alle Beteiligten in gleicher Weise plausibel benennbar oder rekonstruierbar sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Disfunktionalität nicht auf fachlich-inhaltlicher Ebene, sondern auf der Ebene interkultureller Beziehungen auslösend gewirkt hat.“(Bolten 2000a: 157). Die in der deutschen Wirtschaft dominierende einseitige Perspektivierung fachlicher Inhalte bewirkt, dass die Relevanz der Faktoren Kultur und Kommunikation für eine effizient verlaufende interkulturelle Wirtschaftskommunikation dramatisch unter­ schätzt wird. Dies hat nahezu zwangsläufig das Negieren der Relevanz von Perso­ nalentwicklungsmaßnahmen zur Folge, die sich auf dem fremden Terrain der Ent­ wicklung fachlich nicht gebundener Kompetenzen bewegt. Häufigste Verweige­ rungsargumente hinsichtlich der Notwendigkeit interkultureller Trainings sind in ihrer immanenten Logik geleitet von dem Gedanken, dass Kulturunterschiede zwar vorhanden sind, diese sich aber nicht im Arbeitsumfeld auswirken, „weil in unseren Auslandsniederlassungen nach weltweiten Konzemstandards gearbeitet wird; die einheitliche Untemehmenskultur überdeckt die unterschiedlichen nationalen Kultu­ ren ,..“16.

Im Gegensatz dazu wird in der Sekundärliteratur festgestellt, dass gerade kulturelle Diversität zusätzliche Anforderungen an die interkulturell Agierenden stellt. Sind diesem Prozess der Zusammenarbeit doch Missverständnis- und Konfliktpotentiale inhärent, die in vielen Fällen erst virulent werden, wenn die Beteiligten sich in einer trügerischen Sicherheit wiegen, die ihnen das Bewusstsein ihrer - vermeintlich einheitlichen Untemehmenskultur vermittelt. In vielen Fällen ist „die vermeintliche Normalität allerdings trügerisch. Sie kann dazu führen, dass interkulturelle und ei­ genkulturelle Handlungsschemata reflexiv nicht mehr auseinandergehalten werden, dass interkulturelles Handeln auf der Folie des eigenkulturellen Wissensvorrats gedeutet wird. Gerade weil dies nicht bewusst verläuft, sind Missverständnisse vor­ programmiert [...] Sofern diese Missverständnisse nicht rechtzeitig bemerkt und thematisiert werden, können sie durchaus irreparabel sein.“ (Bolten 2000b: 118). Um diese oft im Fiasko eskalierenden Missverständnispotentiale interkultureller Begegnung zu vermeiden, sind Personalentwicklungsmaßnahmen notwendig, wel16 Diese und andere Verweigerungsargumente deutscher Personal- und Fachverantwortlicher sind ge­ sammelt in Bittner (1996), S. 324

66 ehe die Risiken interkultureller Begegnung explizieren oder besser noch die Wider­ spruchspotentiale kultureller Diversität zu einer produktiven Untemehmensqualität systematisch nutzen.

2.

Die Zeitspanne zwischen interkultureller Problemwahrnehmung und Trainingsdurchführung

Die zeitliche Koordination interkultureller Trainingsmaßnahmen belegt den verbrei­ teten Mangel an Systematik der interkulturellen Personalentwicklung in Deutschland heute. Insgesamt besteht nach Meinung der Befragten die Tendenz, dass interkultu­ relle Trainings kurzfristig anberaumt werden. „Leider liegen zwischen Ausreiseent­ scheidung und Ausreise bei vielen Unternehmen nur sechs bis zwölf Wochen.“17 Eine zeitintensive Auslandsvorbereitung, die noch dazu die Teilnehmer mit inhalt­ lich ungewohnten Themenkomplexen konfrontiert und die darüber hinaus auch auf der affektiv-emotionalen Ebene Wirkungen erzielen will, ist in diesen knappen Zeit­ spannen unmöglich. Interkulturelle Trainings geraten unter diesen Vorzeichen zu reinen Alibiveranstaltungen - so sie überhaupt abgehalten werden. Bedenkt man weiter, dass die Ausreisenden im Zuge der Ausreisevorbereitungen mit existentiellen Fragestellungen konfrontiert sind, wie beispielsweise Wohnsituation, Kinderunterbringung, Arbeitsplatz für die mitausreisende Partnerin, Vertragsver­ handlungen [...], so ist es nachvollziehbar, dass Mitarbeiter angesichts des knappen Zeitbudgets - wenn überhaupt - nur zu Personalentwicklungsmaßnahmen bereit sind, deren Nutzeneffekt unmittelbar einsichtig ist. Zeitlich aufwendige kultursensibilisie­ rende und verhaltensorientierte Maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Kompetenz sind unter diesen Vorzeichen den Ausreisenden nicht vermittelbar. „Die Muße und Gelassenheit, die für Maßnahmen notwendig sind, die auf Persönlich­ keitsentwicklung zielen, kann in der Vorbereitungszeit generell nicht vorausgesetzt werden.“ (Bittner 1996: 325). Die Kurzfristigkeit aktueller Entsendungsentscheidungen steigt angesichts der im­ mer noch zunehmenden Dynamisierung der Intemationalisierungsprozesse weiter an. Die Vorbereitungszeit im Zuge der Auslandsentsendung wird in der Konsequenz immer knapper.18 Eine wichtige Bewährungsaufgabe global agierender Unterneh­ men wird es daher sein, Wahmehmungsinstrumentarien zu entwickeln, die während des gesamten Prozesses internationaler Zusammenarbeit rechtzeitig Informationen über den aktuellen Bedarf von interkulturellen systematischen Personalentwick­ lungsmaßnahmen bereitstellen. Interkulturelle Personalentwicklung beginnt mit der Wahrnehmung der Wissens- und Fähigkeitsdefizite aller an der Prozesskette inter17 Zitiert aus Interview mit A. Bittner. Vgl. dazu auch Interview mit M. Kolakovic: „Zwei Monate, in dieser Größenordnung.“ Vgl. dazu auch Interview mit W. Rall: „Ich habe in dieser Richtung noch nicht viel Systematisches erlebt.“ 18 Vgl. dazu Bolten (1998,162): „Da die Kurzfristigkeit der Entscheidungen angesichts der rapiden Dynamisierung von Intemationalisierungsprozessen künftig noch stärker ausgeprägt sein wird, folgt hieraus, daß die für Off-the-j ob-Trainings zur Verfügung stehende Zeit auch immer geringer bemessen sein wird.“

67 kultureller Wirtschaftskommunikation Involvierter just in time. Doch davon ist man in der deutschen Unternehmenswirklichkeit noch weit entfernt.

3.

Auswahlkriterien für den Auslandseinsatz

Ausschlaggebendes Auswahlkriterium für die Entsendungsnominierung ist aus Perspektive der befragten Repräsentanten deutscher Unternehmen die Fachkompe­ tenz der zukünftigen Expatriates. Denn in vielen Fällen soll mittels der Mitarbeiter­ entsendung der Transfer von Fachwissen in die ausländischen Tochterunternehmen intensiviert werden. „Das Wichtigste ist die fachliche Qualifikation. Was nutzt es uns, wenn ein Mitarbeiter interkulturell kompetent ist, aber von der Materie keine Ahnung hat?“19

Immer größeren Wert legen befragte Personalverantwortliche auf die (fremd-) sprachliche Kompetenz im Zuge der Entsendungsentscheidung. Erst und vor allem wird nach den Englischkenntnissen gefragt. Kenntnisse in der Sprache der Gastkul­ tur sind eher von sekundärer Relevanz. „Ein Mitarbeiter, der nicht Englisch spricht, wird nirgendwohin geschickt. Er muss allerdings nicht unter Beweis stellen, dass er noch eine andere Sprache kann. Wenn er nach Brasilien geschickt wird und er kann kein Portugiesisch, aber einigermaßen Englisch, so reicht das aus; obwohl es natür­ lich nicht ausreicht.“20 Dass seitens der Unternehmen vermehrt Sprachkenntnisse verlangt werden, begründet sich aus dem Bewusstsein, dass Auslandsentsendungen aber auch kurzfristigere internationale Kontakte zum festen Bestandteil des heutigen Managements in Handel und Industrie geworden sind. Insofern liegt diesem Verlan­ gen nach entsprechenden sprachlichen Kompetenzen ein verändertes Management­ bild zugrunde, das sich in den letzten Jahren entwickelt hat und das Konsequenz der voranschreitenden Internationalisierung deutscher Unternehmen ist. „Niemand hat früher daran gedacht zu fragen: „Sprechen Sie Englisch? Warum auch? Er sollte Geschäftsführer in Kassel werden. Und warum sollte ein Geschäftsführer in Kassel Englisch sprechen?“21

Die interkulturelle Kompetenz ist im Zuge der Entsendungsentscheidung bestenfalls von marginaler Bedeutung. „Das Interkulturelle ist sozusagen das Sahnehäub­ chen.“22 Dass interkulturelle wie auch soziale Kompetenzen der Entsendungskandi­ daten kaum beachtet werden, hängt erstens damit zusammen, dass für eine Entsen­ dung kaum ausreisebereite Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Insgesamt bedauern die Befragten die mangelnde Mobilität deutscher Mitarbeiter. Daher müssen viele Personalentwickler die Qualität ihrer Auswahlkriterien mangels Masse an ausreise­ willigen Mitarbeitern reduzieren. „Zum Beispiel ist bei Volkswagen für Nordchina teilweise die fünfte Wahl genommen worden. Weil die anderen vier nicht wollten. 19 Zitiert aus Interview mit Dieter Gollnick. Vgl. dazu Interview mit A. Bittner: „Fachliche Qualifikation ist die entscheidende. Wenn diese nicht stimmt, wird nicht entsandt.“ 20 Zitiert aus Interview mit W. Rall. 21 Zitiert aus Interview mit H.-U. Fettweiß. 22 Zitiert aus Interview mit D. Gollnick.

68 Man war froh, dass man überhaupt jemanden gefunden hat, der halbwegs dahin passte. Alle Auswahlverfahren werden so ad absurdum geführt.“23 Zum zweiten wird davon ausgegangen, dass - im Gegensatz zur Fachkompetenz - die Mitarbeiter mittels entsprechender Personalentwicklungsmaßnahmen eventuelle soziale und interkulturelle Defizite ausgleichen können. „Soziale und interkulturelle Kompetenz sind eher Kriterien, bei denen man sagt: ,Wenn alles stimmt und das nicht; Viel­ leicht kann man dann im Zuge der Personalentwicklung etwas machen.’ Das sind nicht die ausschlaggebenden Kriterien.“24 Dass innerhalb des Entscheidungsprozesses primär fachliche Kriterien für die Ent­ sendung ausschlaggebend sind, wird durch die Sekundärliteratur bestätigt. „Aus­ wahlentscheidungen für Auslandseinsätze werden nahezu ausschließlich aufgrund fachlicher Eignung der Kandidaten getroffen [...]. Einstellungen und Fertigkeiten, die für den Umgang mit fremden Lebens- und Arbeitsbedingungen wichtig sind, bleiben dagegen weitgehend unberücksichtigt.“ (Kühlmann/Stahl 1998: 214). Die privat-familiäre Lebenswirklichkeit einer zu entsendenden Führungskraft beein­ flusst, wenn überhaupt, nur am Rande die Entsendungsentscheidung. „Als Sozialwe­ sen, als ein in der Familie eingebundenes Geschöpf wird ihr im Auswahlprozeß ebensowenig Beachtung zuteil wie letztendlich auch ihrem Ehepartner und den Kin­ dern.“ (Schilo-Silbermann 1995: 128).

Ein Hauptgrund für diese einseitige Fokussierung fachlicher Kompetenzen als aus­ schlaggebendes Auswahlkriterium für eine Auslandsentsendung mag darin liegen, dass die Entsendungsentscheidungen primär durch die Fachabteilungen und nicht durch die Personalabteilungen getroffen werden. Empirische Untersuchungen bele­ gen, „daß in international tätigen Unternehmen vor allem die Fachabteilungen bzw. der Fachvorstand für die endgültige Auswahl der ins Ausland zu entsendenden Füh­ rungskräfte verantwortlich ist.“ (Schilo-Silbermann 1995: 117).

In der Sekundärliteratur wird von einem „Entsendungsproblem“ gesprochen, das den gesamten innerbetrieblichen Selektionsprozess dominiert. „Das zentrale Problem bei der Rekrutierung von Mitarbeitern für den Auslandseinsatz besteht darin, dass übli­ cherweise nur eine geringe Anzahl von Kandidaten zur Verfügung steht “(Stahl 1998: 26). Dieser Personalengpass hat zur Folge, dass mangels Masse häufig deijenige Mitarbeiter entsandt wird, der grundsätzlich ausreisewillig ist. Die Entsen­ dungsbereitschaft ist in diesen Fällen das einzig entscheidende Auswahl- und Ent­ sendungskriterium. Eine systematische Personalauswahl vor internationalen Einsät­ zen ist unter diesen Umständen nur schwer realisierbar. Der Ausprägungsgrad der interkulturellen Kompetenz möglicher Expatriates als Entsendungskriterium ist nur rudimentär im Fokus der am Entscheidungsprozeß Beteiligten.

23 Zitiert aus Interview mit M. Rosemeyer 24 Zitiert aus Interview mit S. Mönikheim

69

4.

Zielgruppen interkultureller Trainings

Befragt nach den Zielgruppen, die in interkulturellen Trainings trainiert werden, divergieren die Aussagen von befragten Personalentwicklem auf der einen Seite und den befragten interkulturellen Trainern und Consultants auf der anderen Seite. Der Großteil der befragten Personalentwickler deutscher Unternehmen gibt an, dass dem mitausreisenden Partner die Teilnahme an den interkulturellen Vorbereitungsmaß­ nahmen grundsätzlich eingeräumt wird. „Für die Ehepartner ein Muss.“25 Dass ande­ re Zielgruppen wie beispielsweise die Entsandten vor Ort oder Gäste aus Tochter­ firmen während ihres (Schulungs-) Aufenthaltes in Deutschland in interkulturelle Trainings oder andere interkulturelle Personalentwicklungsmaßnahmen integriert würden, wurde durch die befragten Personalverantwortlichen nicht thematisiert.

Andere externe Trainer attestieren, dass die Bereitschaft der Firmen grundsätzlich vorhanden ist, Personalentwicklungsmaßnahmen auch in Familienangehörige der zu Entsendenden zu investieren. „D. h. wir haben im Schnitt in den Auslandsvorberei­ tungsseminaren 30 % bis 35 % Mitausreisende. Dass es nicht 50 % sind, erklärt sich daraus, dass einige als Single ausreisen ssowie aus technischen Gründen. Die Partner werden durch ihren Arbeitgeber nicht freigestellt. Oder es gibt Probleme in der Betreuung kleiner Kinder. Die Bereitschaft der Unternehmen, etwas für die mitaus­ reisende Partnerinnen zu tun, ist erstaunlich hoch.“26 Aus Sicht der befragten externen Dienstleister ergibt sich ein teilweise anderes Bild. Diese stellen fest, dass Firmen oft zögern, Familienangehörige in interkulturelle Vorbereitungsmaßnahmen mit einzubeziehen. Ein Grund für dieses Verhalten ist die Kostenfrage. „Allgemein wird durchaus anerkannt, dass ein Ehepartner der sich im Ausland zuhause alleine langweilt, noch mehr Anforderungen zu erfüllen hat, als jemand, der in eine berufliche Umgebung eingebunden ist. Das sind auch ganz ande­ re Anforderungen. Aber speziell dafür Geld auszugeben, ist nicht immer Sache der Firmen.“27 Ein weiterer Grund sind unterschiedliche Auffassungen zwischen den Abteilungen bezüglich der Relevanz der Familie für das Gelingen eines Aus­ landseinsatzes.28

Dieses Umfrageergebnis scheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Alle befrag­ ten Firmen konzedieren, dass sie Familienangehörige in die Auslandsvorbereitung 25 Zitiert aus Interview mit O. Grohmann. Vgl. dazu Interview mit Thomas Hauk: „Wen wir in das inter­ kulturelle Training mit einbeziehen? Natürlich den Mitarbeiter, die Partnerin und die Heimkehrer.“ 26 Zitiert aus Interview A. Bittner. Dieser fährt fort: „Wir haben der Tradition der DSE folgend von An­ fang an gefordert: Auch die mitausreisenden Partner sollte unbedingt teilnehmen; in der Regel Partnerin­ nen. Und erstaunlicherweise war das kein Problem. Firmen, die eine Auslandsvorbereitung für sinnvoll halten, sagen in aller Regel: Und das auch für die Partnerinnen. Bei Kindern sicherlich nicht. Ein 15- bis 18-jähriger mag daran teilnehmen, wenn er will. Aber darunter wird es keinen Sinn machen.“ 27 Zitiert aus Interview mit M. Rosemeyer. Dieser fahrt fort „Ich habe eine ganze Reihe von Trainings gemacht, bei denen ich bewusst im Vorfeld die Firmen immer auch gebeten habe, die Ehepartner mit einzubeziehen. Das wird nicht immer gewünscht.“ 28 Vgl. dazu Interview mit M. Rosemeyer: „Häufig ist es so, daß wir unsere direkten Auftraggeber davon nicht überzeugen müssen, aber die Finanzabteilungen oder andere Abteilungen. Nicht unbedingt der Personalentwickler hat häufig auch die Entscheidung.“

70 integrieren. Der größere Teil der befragten Untemehmensberatungen und Trainer stellt dagegen fest, dass die Integration von Familienangehörigen eher die Ausnahme in der Entsendungspraxis deutscher Unternehmungen ist.29

Eine Erklärung für diese widersprüchlichen Aussagen könnte sein, dass die für die vorliegenden Interviews auskunftsbereiten Firmenvertreter ein Verständnis hinsicht­ lich interkultureller Personalentwicklung haben, das weit über dem der meisten deutschen Unternehmen liegt. Auch ist die Perspektive der befragten Personalent­ wickler vorwiegend fokussiert auf das eigene Unternehmen.

Demgegenüber verfugen Trainer und Untemehmensberater über einen - berufsbe­ dingt - breiteren Einblick in die deutsche Firmenwirklichkeit, so dass deren Aussa­ gen eher als repräsentativ bewertet werden könnten. Im Allgemeinen ist die Rückkehrsituation eines Mitarbeiters und die damit verbun­ denen spezifischen Anforderungen nicht Gegenstand einer interkulturellen Personal­ entwicklung. Vorrangig wird angestrebt, den Heimkehrer mit möglichst wenig Auf­ wand möglichst reibungslos und geräuschlos wieder in den Firmenalltag einzugliedem. „Die Erfahrungen von zurückkehrenden und zurückgekehrten Expatriates werden nur sehr wenig, meistens unsystematisch genutzt. Das ist nach wie vor der Regelfall.“30 Wenn überhaupt, so beschränken sich die Hilfestellungen der Firmen auf organisatorische und technische Herausforderungen, mit denen eine Familie nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt bei der Rückkehr nach Deutschland konfrontiert ist, wie beispielsweise die Beschaffung einer neuen Wohnung.31 Überschattet wird die Reintegration der Mitarbeiter von der Problematik, eine an­ gemessene Stelle zu finden. Die Entscheidung, für mehrere Jahre ins Ausland zu gehen, wurde oft motiviert durch die Versprechung, bei der Rückkehr eine Beförde­ rung zu erfahren. In der Folge sind die Personalabteilungen bei der Rückkehr der Entsandten voll damit beschäftigt, eine Position zu finden, die den Vorstellungen des Heimkehrers angemessen ist. Doch dies gelingt oft nicht. „Durch die starke 29 Vgl. dazu Interview mit B. Bauer auf die Frage, ob Familienmitglieder in den Auslandsvorbereitungen mit einbezogen werden: „Meistens nicht. Das ist einer der grundlegenden Fehler.“ 50 Zitiert aus Interview mit M. Rosemeyer. Dieser fahrt fort: „Die Erfahrungen von Expatriates werden in den Unternehmen ganz häufig nicht genutzt. Werden manchmal sogar bewußt nicht genutzt. Es gibt Firmen, da habe ich den Eindruck, die wollen, daß die Heimkehrer wieder eintauchen in die nationale Atmosphäre. Und teilweise machen die Expatriates das mit, weil sie befurchten, daß sie als Exoten eine Sonderstellung in der Firma haben.“ Vgl. dazu auch Interview mit A. Bittner auf die Frage, wie die Firmen mit den Rückkehrern umgehen: „Sehr unterschiedlich im Detail. Aber grundsätzlich läßt sich sagen: Die konkret erworbene Ausländserfahrung wird viel zu wenig genutzt. Mir kommt das so vor: Früher hat man einen Bewerber gefragt: Haben Sie gedient? Wenn er gedient hatte, war das gut. Aber man war an seinen militärtechnischen Kenntnissen nicht interessiert. Das hatte ihn zum Mann gemacht. Und ein ähnliches formales Label ist jetzt: Sind Sie auslandserfahren? Wenn ja, ist das gut. Dann haben Sie sozusagen gedient. Sie haben etwas durchlitten. Das hat Sie stärker gemacht. Aber daß man sagt, der Mann war drei Jahre in Japan und es macht Sinn, die ganz konkreten Kenntnisse möglichst weitgehend zu nutzen, das geschieht viel zu wenig. In der Regel heißt es: Schön, daß Sie wieder da sind. Aber die Musik spielt jetzt hier wieder Zuhause. Passen Sie sich möglichst gut an.“ Jl Vgl. dazu Interview mit Th. Hauk: „Wir helfen natürlich unseren Mitarbeitern im Rahmen der Rein­ tegration, was wir auch Relocation nennen. (...) Wir helfen bei der Wohnungssuche. Wir sind ihnen bei den Kosten, die entstehen, behilflich. Wir helfen der Familie, wieder reinzukommen.“

71 Verschlankung und die erhöhte Dynamik im Sinne von Umstrukturierungen wird es immer schwieriger, für Rückkehrer überhaupt eine halbwegs angemessene InlandsStelle zu finden. Mit dieser Problematik sind die Zuständigen so absorbiert, daß sie den Blick für die psychosozialen und soziokulturellen Reintegrationsschwierigkeiten überhaupt nicht haben.“32

Aus Perspektive der Forschungsliteratur werden vor allem die zu entsendenden Mitarbeiter in entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen integriert. „Der Schwerpunkt von Maßnahmen der internationalen Personalentwicklung liegt bisher bei der Vorbereitung von (Nachwuchs-)Führungskräften des Stammhauses auf einen befristeten Auslandseinsatz...“(Stahl 2000b: 152)33 Hierbei ist allerdings nochmals zu betonen, dass nur eine Minderheit der zu Entsendenden und Entsandten über­ haupt an interkulturellen Trainings teilnehmen kann oder darf.34 Mit anderen Wor­ ten: Der weitaus größte Teil der im Prozess internationaler Zusammenarbeit enga­ gierter Personen nimmt an keinerlei interkulturellen Personalentwicklungsmaßnah­ men teil. Bedenkt man ferner, dass teilweise die Fortführung des Sprachunterrichts im Gastland unter interkulturellen Trainingsmaßnahmen verbucht wird, so reduziert sich nochmals der Personenkreis der Teilnehmer an interkulturellen Trainings.35 Dieses Phänomen ist auch im Inland zu beobachten. In vielen Fällen beschränken sich die Vorbereitungsmaßnahmen auf einen Crash-Kurs in der Landessprache der Zielkultur. Die Intensität der Auslandsvorbereitung ist - auch im Verhältnis zu euro­ päischen Nachbarländern - als gering zu bewerten. „Trotz immer wiederkehrender Mahnungen werden Vorbereitungsmaßnahmen allgemeiner Art sowie CrossCultural Trainings somit hierzulande so gut wie gar nicht angeboten. Was in den USA und anderen westlichen Ländern üblich ist, wir hier nicht genutzt. Selbst ein

32 Zitiert aus Interview mit A. Bittner. Dieser fahrt fort: „Ich denke die Wahrnehmung der Personalabtei­ lung ist sehr stark auf folgendes ausgerichtet: Daß das Ausschlaggebende für den Reintegrationserfolg die Stelle ist, die man dem Betreffenden zur Verfügung stellen kann. Sprich: Wenn sich dessen Aufstiegs­ hoffhungen erfüllen, dann wird er schon zufrieden sein. Dann kommt er zurecht. Und wenn wir feststel­ len, wir haben für den Heimkehrer gar nichts Angemessenes, dann nützt auch ein Seminar nichts. Dann ist der sowieso ,sauer’. Dazwischen reibt sich diese Angelegenheit auf.“ 33 Vgl. dazu auch Horsch (1995:183): „Internationale personalwirtschaftliche Maßnahmen zielen derzeit in allen befragten deutschen Unternehmen, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht, vor allem darauf ab, Mitarbeiter des Stammhauses zu einer ausländischen Niederlassung zu entsenden.“ 34 Vgl. dazu Stahl (1998: 151), der anhand Befragung von 156 Entsandten zu folgendem Ergebnis kommt: „Jeder vierte Befragte nahm vor der Ausreise an einem Sprachkurs teil. (...) Ebenfalls knapp ein Viertel der Befragten erhielt systematisch aufbereitete landeskundliche Informationen, weniger noch nahmen an einem interkulturellen Training teil. (...) Berücksichtigt man, daß ein Teil (28 %) der Befragten mehrere Vorbereitungsmaßnahmen erhielt, der größere Teil dagegen überhaupt keine, dann wird deutlich, daß bei vielen Auslandsentsendungen von einer systematischen Vorbereitung keine Rede sein kann.“ 35 Vgl. dazu Bittner/Reisch (Internationale Personalentwicklung in deutschen Großunternehmen, o. J.), der mittels einer umfangreichen Befragung der deutschen Großindustrie feststellt, dass 14,7 % der Be­ fragten interkulturelle Trainings während des Auslandsaufenthaltes anbieten. „Diese Ergebnis ist aller­ dings noch geschönt: Denn über die Hälfte der berichteten Maßnahmen bezieht sich auf die Fortführung des Spracherwerbs.“ Doppelt geschönt erscheinen diese Zahlen, wenn man bedenkt, dass diese Untersu­ chung bei Unternehmungen durchgeführt wurde, die „zu den Vorreitem bei Internationalisierung und internationaler Personalentwicklung zählen“, (ebd., S. 11) Vgl. dazu auch Stahl (1998), S. 164.

72 europäischer Vergleich zeigt deutschen Nachholbedarf auf.“ (Djarrahzadeh 1993: 72).

5.

Zu trainierende Kompetenzen während des interkulturellen Trainings

Obwohl aus Perspektive der Befragten die fachliche Qualifikation ein Hauptaus­ wahlkriterium für einen Auslandseinsatz ist, wird die Anhebung der fachlichen Kompetenzen als Inhalt interkultureller Trainings nicht angesprochen.

Neben dem Training sprachlicher Kompetenzen räumen die Interviewteilnehmer der konkreten Wissensvermittlung von Landesgepflogenheiten in der Arbeitswelt und Alltagswirklichkeit der zukünftigen Gastkultur eine hohe Priorität ein. „Ganz we­ sentlich: Das Leben im Lande. Allgemeine Informationen über Land und Leute, das Verhalten im Land; was sind die Todsünden im Land.“36 Diese sowohl landeskund­ lichen wie auch kulturorientierten Inhalte müssen nach Vorstellung der Befragten den Teilnehmern die Orientierung und das erfolgreiche Agieren in der Gastkultur ermöglichen. „Das sind Fragen, die nicht den Kulturkontrast zum Gegenstand haben, sondern: „Wie überlebe ich im Ausland?“37

In dieser Grundausrichtung zielen interkulturelle Trainings auf die Wissensebene der Teilnehmer. Mittels der Anhebung der kognitiven Kompetenz soll bei den Teilneh­ mern ein Qualitätssprung bezüglich des Verstehens und Akzeptierens der anderen Kultur ausgelöst werden. „Mehr wissen und damit mehr verstehen. In der Hoffnung: Je mehr die Teilnehmer wissen, um so vorsichtiger sind die mit vorschnellen Urtei­ len und um so besser können sie relativieren.“38 Dieses „Mehr“ an Wissen fuhrt zu einer Öffnung gegenüber fremden Kulturen, denen häufig aus einem NichtVerstehen heraus ablehnend begegnet wird. Wissen wird zur Brücke zum tieferen Verständnis und fuhrt zu einer neuen Aufgeschlossenheit gegenüber der Zielkultur. Diese verbesserte Wahrnehmung bedingt dann nach Einschätzung Befragter eine neue Sensibilität gegenüber kulturellen und interkulturellen Kontexten. Diese neu­ gewonnene Sensibilität geht über den Bereich des Kognitiven hinaus. Der mittels des interkulturellen Trainings intendierte Qualitätssprung ist vollzogen. Diese Denkweise ist Legitimationsbasis der kognitiv orientierten Trainings. „Wir denken, daß die kognitive Erkenntnis zu affektiven Wirkungen fuhren kann; vielleicht erst nach dem Training.“39 36 Zitiert aus Interview mit Th. Hauk. Der fachlichen Kompetenz wird seitens der Interviewteilnehmer meist eine eigenständige Relevanz eingeräumt wird, die unabhängig von interkulturellen Kompetenzen perspektiviert und entwickelt wird. Dies lässt vermuten, dass die Entwicklung der fachlichen Kompeten­ zen eher als ein selbstverständlicher und kontinuierlicher Prozess innerbetrieblicher Weiterbildung ver­ standen und praktiziert wird, der keiner expliziten Thematisierung im Zuge der Auslandsvorbereitung bedarf. Vgl. dazu Bolten (1998), der feststellt, dass „heute das Fachwissen eher als ohnehin unverzichtba­ re Prämisse angesehen“ wird. (S. 159) 37 Zitiert aus Interview mit A. Bittner 38 Zitiert aus Interview mit S. Schroll-Machl 39 Zitiert aus Interview mit M. Rosemeyer

73 Interkulturelle Trainings sollten auch die Sozialkompetenz der Teilnehmer stärken. Denn nach Meinung vieler Befragter ist eine entsprechende Sozialkompetenz Aus­ gangsbasis für die Entwicklung interkultureller Kompetenz: „Wir haben es auf einen Nenner gebracht. Und der heißt soziale Kompetenz. Wer soziale Kompetenz hat, hat auch interkulturelle Kompetenz.“40 Nur ausnahmsweise wird thematisiert, dass mittels interkultureller Trainings die interkulturelle Kompetenz der Teilnehmer vertieft werden sollte. Mit anderen Wor­ ten: Das Training interkultureller Kompetenz mittels interkultureller Trainings wird durch die Befragten weder reflektiert noch intendiert. Auch ist es auffallend, dass bei den Befragten - bis auf eine Ausnahme - im Fokus der Kompetenzdiskussion das einzelne Individuum als zu trainierendes Subjekt steht. Kaum thematisiert wird, dass mittels interkultureller Trainings auch die Effektivität interkultureller Teams ange­ hoben werden sollte. Als Beleg für diese - wenn auch eher ausnahmsweise - ange­ sprochene Perspektivierung einer interkulturellen Kompetenz als interdependente Schnittstelle zwischen individuellen Kompetenzen und konkreten interkulturellen Bewältigungsszenarien sei folgende Interviewaussage angeführt: „Unsere Ausbil­ dungsschwerpunkte: vor allem Prozesskompetenz im Zusammenhang mit der Frage, woher die Probleme in der Zusammenarbeit kommen. Denkstile und nationale Kul­ turen als Quellen der Mißverständnisse. Gleichzeitig wollen wir die Prozeßfähigkeit im internationalen Team entwickeln.“41 Aus Perspektive der Forschungsliteratur sind soziale, kulturelle oder interkulturelle Kompetenzen im Allgemeinen nicht Gegenstand der Personalentwicklung in deut­ schen Unternehmen, die vorwiegend fachorientiert ist. „Die inhaltlichen Schwer­ punkte bei der Vorbereitung für den Auslandseinsatz liegen bei [...]:



43 % Vermittlung von Fachwissen



40 % Sprachunterricht



18 % Informationen über die firmeneigene Produktpalette und Herstellungs­ verfahren



18 % Kultur



12 % kultureller und sprachlicher Unterricht.“ (Oechsler 1997: 775 (Mehr­ fachnennungen waren möglich).42

Diese Zahlen bestätigen tendenziell die Ergebnisse der diesen Ausführungen zugrundeliegenden Interviews. Es lässt sich feststellen, dass die gängige Personal­ entwicklungspraxis deutscher Unternehmen dadurch gekennzeichnet ist, „daß Ent­ 40 Zitiert aus Interview mit D. Gollnick 41 Zitiert aus Interview mit S. Mönikheim 42 Vgl. dazu Schilo-Silbermann (1995), der Mittel seiner standardisierten Umfrage deutschen Entsandten folgende Frage stellte: „Charakteristisch für die Vorbereitungsprogramme, die in unserem Unternehmen den nominierten Führungskräften angeboten werden, ist, daß die Vermittlung der Gastlandessprache das primäre Ziel ist.“ 74,6 % der Befragten bejahten diese Frage. 11,1 % der Befragten bejahten die Frage, daß „diese Programme sich bemühen, die Kursteilnehmer für ein »gastlandkulturspezifisches* Führungs­ verhalten zu sensibilisieren“. (S. 166)

74 Sendungskandidaten nur in Ausnahmefällen eine kulturbezogene Vorbereitung erhal­ ten, wenn man von landeskundlicher Information und Sprachkursen absieht. Verhal­ tensorientierte Trainingsverfahren, die dem Lernenden die Gelegenheit zu aktiver Teilnahme, direktem Feedback und praktischer Anwendung geben [...], gelangen nur bei einem Bruchteil der Mitarbeiter zum Einsatz.“ (Stahl 1998: 32).43

Anhand der vorliegenden Bestandsaufnahme der aktuellen interkulturellen Trai­ ningspraxis in Deutschland konnte - einmal mehr - aufgezeigt werden, dass „das Management einer interkulturellen Personalentwicklung bei den meisten Unterneh­ men noch in den Kinderschuhen“ (Horsch 1996:24) steckt. Während unter quantita­ tiven Gesichtspunkten die Internationalisierung deutscher Unternehmen weit fortge­ schritten ist, lässt ein entsprechendes qualitatives Wachstum noch auf sich warten. Das in Deutschland weit verbreitete Primat fachlicher Kompetenz über alle anderen Untemehmensbereiche, die Dominanz von Fachabteilungen in betrieblichen Ent­ scheidungsprozessen und ein vorwiegend auf betriebliche „hard-facts“ orientiertes Management werden auch in absehbarer Zeit Entwicklungen behindern und er­ schweren, die sich ernsthaft um eine stärkere Beachtung kommunikativer und kultu­ reller Faktoren innerhalb der sich internationalisierenden Unternehmen bemühen. Dennoch ist es absehbar, dass ausgehend von den Universitäten und einzelnen Un­ ternehmen, sich zwischenzeitlich eine neue Managementgeneration zu formieren beginnt, welche die Relevanz von Kultur und Kommunikation für ein entsprechen­ des interkulturelles Management anerkennt und in diesem Zusammenhang auch versucht, entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen im Unternehmen syste­ matisch zu implementieren. Bleibt zu hoffen, dass diese Entwicklung anhält und zu Erfolgen führt.

Literatur Barmeyer, Christoph L/Bolten, Jürgen (Hg.): Interkulturelle Personalorganisation. Sternenfels 1998. Berekhoven, Ludwig/Eckert Werner/Ellenrieder Peter: Marktforschung. Methodische Grundlagen und praktische Anwendung. Wiesbaden 1998. Bittner, Andreas/Reisch, Bernhard: Internationale Personalentwicklung in deutschen Großunternehmen. Eine Bestandsaufnahme. Bad Honnef, IFIM, o. J. Bittner, Andreas: Psychologische Aspekte der Vorbereitung und des Trainings. In: Thomas, Alexander (Hrsg.): Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen u.a. 1996, 317-339.

43 An derselben Stelle die Auflistung der entsprechenden empirischen Untersuchungen. Eine komprimier­ te Erklärung des Begriffes „Interkulturelle Kompetenz“ findet sich in dem Aufsatz von Bolten: „Interkul­ tureller Trainingsbedarf aus der Perspektive der Problemerfahrung entsandter Führungskräfte.“ (Bolten 2000). In diesem Zusammenhang wird in diesem Aufsatz auch ein Handlungsrahmen entworfen, inner­ halb dem interkulturelle Kompetenz bei Trainingsteilnehmem entwickelt werden kann.

75 Blomberg-Simmet, Heike: Interkulturelle Marktforschung im europäischen Transformationsprozess. Stuttgart 1998. Bolten, Jürgen: Integrierte interkulturelle Trainings als Möglichkeit der Effizienzsteigerung und Kostensenkung in der internationalen Personalentwicklung. In: Barmeyer, Christoph I./Bolten, Jürgen (Hrsg.): Interkulturelle Personalorganisation. Sternenfels 1998,157-178. Bolten, Jürgen: Internationales Personalmanagement als interkulturelles Prozeßmanagement: Perspektiven für die Personalentwicklung internationaler Unternehmen. In: Globalisierung und kulturelle Differenz. Theoretische Überlegungen zu Globalisierungsprozessen in der internationalen Wirtschaft. Jena 2000a (= Jenaer Skripten zur Interkulturellen Wirtschaftskommunikation, Bd. 5), 156-171. Bolten, Jürgen: Können internationale mergers eine eigene Identität ausbilden? Untemehmensfusionen aus der Perspektive der interkulturellen Wirtschaftskommunikationsforschung. In: Wierlacher, Alois (Hrsg.): Kulturthema Kommunikation. Konzepte-Inhalte-Funktionen. Möhnsee 2000b, 113-119. Djarrahzadeh, Maryam: Internationale Personalentwicklung. Ausländische Führungskräfte in deutschen Stammhäusern. Wiesbaden 1993. Horsch, Jürgen: Auslandseinsatz von Stammhausmitarbeitem. Eine Analyse ausgewählter personalwirtschaftlicher Problemfelder multinationaler Unternehmen mit Stammsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a. M. (u. a.) 1995. Horsch, Jürgen: Reif fürs Ausland? In: Personalwirtschaft 7. 1996,22-24. Kühlmann, Torsten M.: Mitarbeiterentsendung ins Ausland: Auswahl, Vorbereitung, Betreuung und Wiedereingliederung. Göttingen 1995. Kühlmann, Torsten/ Stahl, Günter K.: Diagnose interkultureller Kompetenz: Entwicklung und Evaluierung eines Assessement Centers. In: Barmeyer, Christoph I./Bolten, Jürgen (Hrsg.): Interkulturelle Personalorganisation. Sternenfels 1998, 213-224. Kühlmann, Torsten MJStahl, Günter K.: Internationale Personalentwicklung: Anspruch und Wirklichkeit. In: Wierlacher, Alois (Hg.): Kulturthema Kommunikation. Inhalte-Konzepte-Funktionen. Möhnesee 2000, 149-158. Mönikheim, Sabine: Die Entwicklung des interkulturellen Managements am Beispiel der Dasa (Daimler-Benz Aerospace AG). In: Barmeyer, Christoph L/Bolten, Jürgen (Hg.): Interkulturelle Personalorganisation. Sternenfels 1998, 107-120. Oechsler, Walter A.: Verfahren zur Auswahl, Vorbereitung und Entsendung von Stammhausdelegierten ins Ausland. In: Macharzina, Klaus/Oesterle, MichalelJörg (Hg.): Handbuch Internationales Management. Grundlagen-InstrumentePerspektiven. Wiesbaden 1997, 771-784

Schilo-Silbermann, Daniel: Auswahl und Vorbereitung von Führungskräften für die Entsendung ins Ausland. Wiesbaden 1995. Stahl, Günter K: Internationaler Einsatz von Führungskräften. München (u. a.) 1998. Thomas, Alexander: Die Vorbereitung von Mitarbeitern für den Auslandseinsatz: Wissenschaftliche Grundlagen. In: Kühlmann, Torsten M.: Mitarbeiterentsendung ins Ausland: Auswahl, Vorbereitung, Betreuung und Wiedereingliederung. Göttingen 1995, 85-118. Trimpop, Rüdiger M./Meynhardt, Timo: Interkulturelle Trainings und Einsätze: Psychische Kompetenzen und Wirkungsmessungen. In: Götz, Klaus (Hrsg.): Interkulturelles Lernen/Interkulturelles Training. München 2000, 187-220. Tomczak, Torsten: Forschungsmethoden in der Marketingwissenschaft. In: Marketing ZFP, Nr. 2. 1992, 77-87. Wierlacher, Alois (Hrsg.): Kulturthema Kommunikation. Konzepte-InhalteFunktionen. Möhnsee 2000.

Interviewpartner • Bauer, Brigitte

Consultant International Management

Roland Berger & Partner

• Bernau, York

Direktor Personal

Schering AG

• Bittner, Andreas

Geschäftsführer/Trainer

Institut für Interkulturel­ les Management

• Fettweiß, Hans-Ulrich

Abteilungsleiter Führungskräfte

International Metro AG

• Gollnick, Dieter

Personalabteilung

DaimlerChrysler AG

• Grohmann, Oliver

Personalabteilung

Lufthansa AG

• Hauk, Thomas

Direktor

Mannesmann AG

• Kolakovic, Mihajlo

Geschäftsführer

Beratungsgesellschaft Jenoptik

• Mönikheim, Sabine Dr.

International Management

Daimler-Benz Aerospace

• Rall, Wilhelm Dr.

Direktor

McKinsey

77

Rapp, Margit

Personalreferentin

Wella

Rosemeyer, Michael

Geschäftsführer

Carl Duisberg Centren

Thiel, Dieter

Abteilungsleiter Personal

Merck

Schroll-Machl, Sylvia Dr.

Geschäftsfuhrerin/Trainerin

Zaninelli, Susanne

Geschäftsfuhrerin/Trainerin Culture Contact

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Interkulturelle T rainingsforschung: Bestandsaufnahme und Perspektiven Stefan Kammhuber, Regensburg Interkulturelle Trainings zwischen Forschung und Praxis Die fortschreitende Internationalisierung vieler Gesellschaftsbereiche hat der Wei­ terbildungsbranche und dort speziell den interkulturellen Trainingsanbietem ein immer lukrativeres Geschäftsfeld eröffnet. Der Fusionskater hat den Rauschzustand abgelöst, viele fusionierte Unternehmungen pflegen ihre Wunden oder leiden noch immer und bereuen. Bei der Begründung, warum -trotz perfekter Planung- die er­ hofften Synergieeffekte äußerst spärlich aufgetreten sind, wird immer wieder der Topos der „Kultur” verwendet, um auf die Komplexität der Untemehmenszusammenschlüsse zu verweisen. „Im Zusammenfuhren der unterschiedlichen Kulturen liegt die größte Kunst des Managements," stellte Jürgen Schrempp während der Anfangsphase des DaimlerChrysler-Zusammenschlusses fest (Süddeutsche Zeitung, 13.07.2000: 27). Inwieweit „Kultur" als schwer fassbares, kaum zu steuerndes und nur langsam zu veränderndes Phänomen inzwischen als exkulpierendes Argument für strategische Fehleinschätzungen missbraucht wird, sei dahingestellt. Es wird ihm auf jeden Fall immer größere Beachtung zuteil, sei es in der Analysephase, in der der „cultural fit" zwischen den fusionierten Unternehmen überprüft wird bzw. in der sog. „Post-Merger-Integrationsphase", in der es gilt, das Management und die Be­ legschaften zu einer neuen Einheit zusammenzuschweißen (Grosse-Leege 2000). Dieser Leidensdruck hat in Deutschland die Nachfrage nach interkulturellen Trai­ nings verstärkt und die Angebotspalette um die Fusionsberatung erweitert, die nun neben die klassischen Themen der Auslandsvorbereitung für Expatriates und der Begleitung internationaler Teams tritt.

Die interkulturelle Trainingsforschung hat gezeigt, dass interkulturelle Trainings das Denken, Fühlen und Handeln von Personen nachhaltig beeinflussen können. So konnte in einer Vielzahl von Studien belegt werden, dass trainierte Personen leichter eine Situation aus der Perspektive der fremden Kultur einschätzen konnten, ihre Fremdwahmehmung eher differenzierten und weniger negative Stereotype ausbilde­ ten, die Begegnung mit Personen der Gastkultur als weniger angstbesetzt, sondern vielmehr als Bereicherung empfanden und eher in der Lage waren, sich in eine fremde Kultur einzufinden und befriedigende wie produktive Beziehungen zu Per­ sonen der Gastkultur herzustellen (Kinast 1998; Landis & Bhagat 1996). Wie sich dies aber vollzieht, ist nach wie vor eher unklar. So mußten Black und Mendenhall (1990) nach knapp 30 Jahren interkultureller Trainingsforschung feststellen: „The lack of a theoretical framework leaves unanswered the question about why crosscultural training is effective" (120). Es existiert zwar eine große Anzahl teilweise

19 sehr kreativer Trainingsmethoden, die aber meist nur in rudimentärer Form an For­ schungsergebnisse, Konzepte oder Theorien eng benachbarter Disziplinen angebun­ den sind. Winter (1994) zeigte dies z. B. für die attributionstheoretische Fundierung der Culture-Assimilator-Methode (Lange 1994; Fiedler, Mitchell & Triandis 1971). Noch erstaunlicher ist in diesem Zusammenhang die meist völlig vernachlässigte Verknüpfung mit lern- und instruktionspsychologischen Grundlagen (Kammhuber 2000). Zurückzufuhren ist diese Entwicklung laut McCaffery (1993) auf die Praxis­ nähe des Gebiets, die eine intensivere Reflexion der Arbeit im Alltagsgeschäft häu­ fig verhindert.

„Almost all of us come into the field through the side door, and most are only tem­ porarily in the field [...] We rarely get to a point where we consider adult education principles, training techniques, educator/trainer styles, the relationships between method, content, and environment, and the overall aim of cross-cultural training and orientation” (224 ff.)

Die Qualität eines interkulturellen Trainers zeigt sich darin, inwieweit er oder sie in der Lage ist, Methodenentscheidungen konsistent zu begründen und überzeugend Lernerfolge nachzuweisen.

Ziele interkultureller Trainings Gemeinhin wird die Zielstellung interkultureller Trainingsmaßnahmen als Trias beschrieben. Der Trainee sollte in die Lage versetzt werden, ■

die ihm gestellten Aufgaben auch in einem interkulturellen Kontext zu er­ füllen,



tragfahige soziale Beziehungen zu Personen der anderen Kultur auf­ zubauen,



diese Begegnungen als persönlich befriedigend zu erleben, (z. B. Bhawuk 1990, Brislin 1993, Kealey & Ruben 1983, Kühlmann 1995).

Um diese globalen Ziele zu erreichen, werden je nach Interesse des Trainers oder Forschers Teilziele auf den drei psychologischen Funktionsebenen, Kognition, Emo­ tion und Verhalten spezifiziert, wie z. B. die Fähigkeit zur Bildung isomorpher Attributionen, die Wissenserweiterung um Kulturdimensions- oder Kulturstandard­ modelle, die Toleranz von Ambiguitäten, die Regulation von Emotionen oder das Erlernen konkreter Begrüßungsrituale etc. Bewährt hat sich dabei die Unterschei­ dung von kulturallgemeinen und kulturspezifischen Trainings, von denen erstge­ nannte für die Relativität kultureller Sinnsysteme und die psychologische Dynamik des Fremderlebens sensibilisieren sollen, während in letzteren der Trainee auf eine bestimmte Zielkultur vorbereitet oder vor Ort gecoacht wird. Beide Formen schlie­ ßen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich und gehen teilweise ineinander über, wenn z. B. in einem kulturallgemeinen Training anhand verschiedener kulturspezifischer Situationen auf allgemeine Kulturthemen hingewiesen wird (Cushner & Brislin 1996). Eine ausschließliche kulturspezifische Vorbereitung ohne kritische

80

Reflexion der eigenen kulturellen Herkunft kann leicht dazu fuhren, dass Fremdes eingeordnet wird in das Kuriositätenkabinett der eigenen Wahrnehmung („schon komisch, diese Japaner”), während ein ausschließliches Sensibilisierungstraining nur ungenügend auf die Erfordernisse des konkreten Handlungsfeldes vorbereiten kann. Einigkeit besteht darüber, dass interkulturelle Trainingsmaßnahmen niemals den Trainee auf die ganze Vielfalt der Situationen vorbereiten kann, die er in seinem Handlungsfeld erleben wird. Notwendig wird dann eine vom Trainer „unabhängige Effektivität” (Mc Caffery 1993), d. h. die Entwicklung der Fähigkeit, sich eigen­ ständig die Bedeutungssysteme fremder Kulturen erschließen zu können (Winter 1988).

Während die vorgenannten Beispiele sich auf die inhaltlichen Aspekte interkulturel­ ler Handlungskompetenz beziehen, beschreibt letzteres ein lemtheoretisches Prob­ lem. Wie kann in einem Trainee die Motivation geweckt oder verstärkt werden, sich autonom in fremde Sinnsysteme einzudenken? Welches Design einer interkulturel­ len Lemumgebung ist geeignet, transferierbares Wissen aufzubauen und welche Fähigkeiten sind notwendig, um selbstgesteuert Kulturwissen zu erwerben? Die Beantwortung dieser Fragen macht eine Auseinandersetzung mit der Lempsychologie unausweichlich.

Interkulturelle Trainings aus Sicht der Lehr-Lernforschung Noch immer wird bei der Klassifikation interkultureller Trainingsmethoden die Unterteilung in expositorische und erfahrungsorientierte Methoden angeführt (Gudykunst, Guzley & Hammer 1996), die zum Teil negativ konnotiert und zum ande­ ren mangelhaft theoretisch begründet ist. Der Terminus „expositorisch” bezieht sich auf die Anfangszeit interkultureller Trainings, bei der Peace-Corps-Mitarbeiter an amerikanischen Universitäten Seminare und Vorlesungen über die jeweilige zu besuchende Kulturegion besuchten, weswegen diese Art der Vorbereitung auch „Universitäts-Modell" genannt wurde. Schnell stellte sich allerdings im Handlungs­ feld heraus, daß die auf diese Weise Trainierten zwar zweifellos über ein komplexes landeskundliches Wissen verfugten, dieses aber nicht vor Ort brauchen oder umset­ zen konnten. Die Trainees hatten also „träges Wissen” entwickelt (Renkl 1996). Daraufhin entwickelten Harrison und Hopkins (1967) in einer furiosen Kritik an der bisherigen Vorbereitung eine eigene Lemkonzeption, die sie als „experiential lear­ ning” bezeichnen. Ihre hauptsächliche Kritik bezog sich vor allem auf die Abhän­ gigkeit des Lernenden von Trainer und Lemumgebung (s. o.) und die damit verbun­ dene Unfähigkeit, eigenständig Problemdefinitionen in interkulturellen Situationen vorzunehmen und entsprechend zu handeln. Ihrer Meinung nach sollten Trainees „Kopf und Bauch” beim Lernen verbinden. „Training problems must require that the person experience the emotional impact of the phenomena with which he is dealing, as well as to understand them” (443). Dem Lernen im Seminarraum stellten sie Projektlemen in klimatisch ähnlichen Settings mit authentischen Aufgaben gegenüber,

81 über die nachfolgend reflektiert werden sollte, wobei dies methodisch aber nicht näher beschrieben wurde.

Die Begeisterung in der Folgezeit für erfahrungsorientierte Methoden führte zu einer Abwertung der expositorischen Methoden mit der Argumentation, dass dabei die Trainees eine zu passive und die Trainer eine nicht angemessen informationsmächti­ ge Rolle einnehmen würden. Analysiert man die vorgetragenen Argumente genauer, ist festzustellen, daß die Kritiker häufig nicht zwischen Lehr- und Lemmethoden und den zugrundeliegenden Epistemologien unterschieden (Kammhuber 2000). So zielten die Angriffe zumeist auf eine „objektivistische” Epistemologie, bei der der Lehrende im Besitz des absoluten und wahren Wissens zu sein beansprucht und der Lernende die Aufgabe hat, dieses Wissen möglichst exakt abzubilden, wohingegen im erfahrungsorientierten Lernen implizit für eine eher konstruktivistische Lemphilosophie argumentiert wird. Trägt man diesen Paradigmenkampf allerdings auf der Ebene der Trainingsmethoden aus, indem man Tabellen entwirft, in denen Trai­ ningstechniken dem einen oder dem anderen Pol zugeordnet werden, dann landen Forscher und Trainer in der Sackgasse. Denn Trainingsmethoden stellen nur das Medium dar, mit dem eine spezifische lemphilosophische Grundhaltung transpor­ tiert wird. Vergleicht man nun verschiedene prototypische interkulturelle Trainingsmodelle in ihrem Bezug zu Lemparadigmen, kann zum einen festgestellt werden, dass viele Aussagen zum Verständnis von „Kultur“ und „(interkulturellem) Lernen“ zumindest begrifflich noch stark im behavioristischen Paradigma gefangen sind und die kogni­ tive Wende erst sehr spät mitvollzogen wurde, z. B. im Modell der interkulturellen Expertise (Bhawuk & Triandis 1996). In der Lehr-/Lemforschung hat hingegen bereits Ende der 80er Jahre ein neuer Wettstreit der Paradigmen begonnen. Die Computermetapher zur Abbildung menschlicher Fähigkeiten war an die Grenzen ihrer Erklärungsfähigkeit gelangt und wurde zunehmend herausgefordert von den Vertretern des sogenannten „Situierten Lernens”. Sie kritisierten, dass die Fähigkeit des Menschen, sein Handeln an unun­ terbrochen sich ständig verändernde Umweltbedingungen anzupassen, im Rahmen des kognitivistischen Paradigmas nicht befriedigend geklärt werden kann und griffen die aus ihrer Sicht fehlende Berücksichtigung der sozialen Natur menschlicher Lernprozesse an (z.B. Greeno 1998, Clancey 1997, Lave & Wenger 1991). In den Situiertheitstheorien werden die Grundideen der pragmatistischen Philoso­ phie (Dewey; James) sowie der soziohistorischen Philosophie (Vygotskij) wiederbe­ lebt. In ihnen wird davon ausgegangen, dass Wissenserwerb kein isolierter, indivi­ dueller, symbolvermittelter Prozess ist, sondern eine soziale und interaktive Kon­ struktionsleistung von Menschen in ihrer Umwelt. Wissen wird als dynamische Transaktion von Person und Umwelt aufgefasst, eingebettet in einen spezifischen idiographischen und soziohistorischen Kontext. Es ist damit untrennbar an den Kon­ text gebunden, in dem es erworben wurde (Brown, Collins & Duguid 1989). Folgt man dieser Konzeption, so hat dies bedeutende Implikationen für die Herstellung

82 einer geeigneten Lemmotivation, die Gestaltung interkultureller Lemumgebungen sowie die Erfassung des Lernerfolgs.

Interkulturelle Lernmotivation und Need Assessment Jedes interkulturelle Training steht und fallt mit der Motivation der Teilnehmer, sich in den interkulturellen Lernprozess hineinzubegeben. Dieses Thema wurde innerhalb der interkulturellen Trainingsforschung trotz dessen bisher oberflächlich behandelt. Zwar wird oft darauf verwiesen, dass ein interkulturelles Training nur dann erfolg­ reich sein kann, wenn in ihm auf die individuellen Lembedürfhisse der Trainees eingegangen wird, aber zumeist scheint man davon auszugehen, dass ein Teilnehmer eines interkulturellen Trainings die nötige Lemmotivation und Einsicht in die Not­ wendigkeit eines solchen Trainings bereits mitbringt.

Gerade interkulturelle Trainings, in denen so oft der Satz fällt „Schön und gut, aber ich verlasse mich lieber auf mein Fingerspitzengefühl und gesunden Menschenvers­ tand” stellen eine hohe Herausforderung an die Fähigkeit des Trainers dar, eine Lemumgebung zu gestalten, in der die Teilnehmer nicht nur Interesse am Lemgegenstand entwickeln, sondern nachfolgend autonom weiterlemen, um den oben genannten Zielzustand einer „unabhängigen Effektivität" zu erreichen. Interkulturel­ le Trainings sollten ermöglichen, dass der einzelne Trainee im Lemgegenstand eine für ihn wichtige Problematik erkennt, für die es sich lohnt, interkulturelles Wissen zu erwerben. Der Lernprozess sollte eine „personale Situiertheit" (Holzkamp 1995) aufweisen. Eine Person entwickelt nach Holzkamp (1995) eine Lemproblematik, wenn sie zu­ vor eine für sie bedeutsame „Handlungsproblematik" wahrgenommen hat, die sich nicht durch Vorwissen, Routinen oder situative Lösungen bewältigen lässt. In die­ sem Fall sieht die Person einen „guten Grund" zu lernen, um nachfolgend produktiv handeln zu können. Ein interkulturelles Training sollte also so gestaltet sein, dass die Teilnehmer eine für sie lebensweltlich relevante Handlungsproblematik entdecken können, um eine Lemmotivation aufzubauen, mit der sie in die Tiefe des Lemgegenstands eintauchen und mit dem sie sich über das Ende des Trainings hinaus be­ schäftigen wollen („Expansive Lemmotivation"). Können sie diese Handlungsprob­ lematik nicht wahmehmen, dann entwickeln sie eine sog. „defensive Lemmotivati­ on", mit der sie versuchen, Handlungsstrategien zu erlernen, um die Trainingszeit unbehelligt abzusitzen. Die klassischen Simulationsübungen wie z. B. Bafa Bafa bedürfen deshalb eines größeren Argumentationsaufwands im Hinblick auf ihre lebensweltliche Relevanz als z. B. ein Rollenspiel mit einem fremdkulturellen CoTrainer anhand einer von einem Teilnehmer beschriebenen kritischen Interaktionssi­ tuation.

Insbesondere bei einem interkulturellen Training ist es während der Vorbereitung deshalb bedeutsam zu überprüfen, inwieweit die vorhandenen Lemmaterialien Handlungsproblematiken beinhalten, die die Teilnehmer als ihre eigenen über­

83 nehmen können bzw. sich Wege zu überlegen, wie die Handlungsproblematiken der Teilnehmer in das Training einfließen können.

Mit seinem Modell der Handlungsorientierungen in interkulturellen Begegnungen hat Layes (2000) einen wichtigen Beitrag zur präziseren Erforschung von Lembedürfhissen geliefert. Er zeigte, dass sich Personen bei der Wahrnehmung von interkulturellen Konfliktsituationen entweder vermehrt auf die instrumenteilen Ziele der Interaktion konzentrieren (Zielorientierung) oder eher versuchen, Erklärungskonzep­ te über die Ursachen und Wirkungen der interkulturellen Interaktion zu konstruieren (Klärungsorientierung). Schließlich ließen sich Personen unterscheiden, deren Hauptaugenmerk auf der interpersonalen Beziehung zwischen den Handlungspartnem lag (Beziehungsorientierung). In einem interkulturellen Training lässt sich dies z. B. erkennen an Aussagen, wie „Mich interessiert nicht, warum die so was machen, sondern was ich tun kann, um meinen Job zu erledigen.“ (ZO) oder „Für mich ist es wichtig, zu verstehen, auf welchem historischen Hintergrund sich ein bestimmtes Verhalten herausgebildet hat“ (KO) oder „wichtig ist doch vor allen Dingen, dass man respektvoll und freund­ lich miteinander umgeht” (BO). Dabei geht Layes davon aus, dass in jeder Person alle drei Handlungsorientierungen angelegt sind, sich aber durch Sozialisationspro­ zesse bestimmte Wahmehmungsmuster akzentuieren. Nur eine Integration der drei Handlungsorientierungen trägt zu einer umfassenden interkulturellen Handlungs­ kompetenz bei. Eine reine Problemlöseorientierung ohne Klärungsperspektive fuhrt zu einer blinden Praxis. Umgekehrt fuhrt eine reine Klärungsperspektive ohne Prob­ lemlöseorientierung zu Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung. Ohne Beachtung der Beziehungsperspektive kann den beiden anderen Handlungsorientierungen un­ terstellt werden, den fremdkulturellen Handlungspartner zu instrumentalisieren und nicht wertzuschätzen. Die Konsequenz daraus ist, dass ein interkulturelles Training auf diese Handlungsorientierungen zum einen Rücksicht nehmen muss, will es keine defensive Lemmotivation erzeugen und zum anderen das Wahmehmungsfeld der Teilnehmer um die anderen Perspektiven erweitern sollte. Dies wird dadurch er­ schwert, dass auch der interkulturelle Trainer auf der Grundlage einer bestimmten Handlungsorientierung agiert, die Entscheidungen über Inhalt und Methodik eines Trainings nahe legt und über die er sich zunächst bewusst werden muss.

Transfer interkulturellen Wissens Die wohl entscheidende Frage, die ein interkultureller Trainer beantworten muss, betrifft die Übertragbarkeit des Gelernten von der Lemumgebung in den Alltag des Lernenden. Umso erstaunlicher mutet es an, dass sich die interkulturelle Trainings­ forschung nur marginal mit diesem Problem beschäftigt hat. Erst Bhawuk und Tri­ andis (1996) versuchten in ihrem Modell der interkulturellen Expertise eine Anbin­ dung an die klassischen Transfertheorien zu vollziehen. Dabei lassen sich zwei Theoriefamilien unterscheiden: ■

Die Theorie der identischen Elemente

84



Die Theorie der allgemeinen Prinzipien.

Die Theorie der identischen Elemente ist verwurzelt im behavioristischen Paradigma und besagt, dass Personen umso leichter Gelerntes anwenden, wenn die ReizReaktions-Verbindungen von Lem- und Anwendungssituation übereinstimmen. Diese Auffassung unterliegt den sog. Feldsimulations-Trainings, bei denen Trainees in klimatisch und kulturell ähnlichen Settings für ihre Aufgaben ausgebildet werden. Die empirische Befundlage für diese Auffassung ist uneinheitlich und richtet sich danach, wie weit das unscharf definierte Konstrukt der identischen Elemente gefasst wird. Geht man jedoch davon aus, dass damit die Oberflächenmerkmale von Situati­ onen mit beobachtbaren Reiz-Reaktionsmustem gemeint waren, muss gefragt wer­ den, ob nicht die subjektiv wahrgenommene Ähnlichkeit von Situationen entschei­ dender ist als die objektive, inwieweit es überhaupt möglich ist, Lem- und Anwen­ dungssituation anzugleichen bzw. welche Unterschiede gemacht werden müssen, damit sich überhaupt so etwas wie Lernen vollzieht (Mandl, Prenzel & Gräsel 1992) Das Lernen anhand allgemeiner Prinzipien geht davon aus, dass Trainees leichter ihr Wissen anwenden können, wenn sie zuvor das abstrakte Lösungsprinzip erfahren haben. Diese Auffassung entstammt einem eher mentalistischen Paradigma, in dem das „Lernen durch Einsicht” im Mittelpunkt steht. Diese Auffassung unterliegt z. B. den „Kultur-Briefings”, in denen den Trainees möglichst allgemeine Handlungsre­ geln („Gesicht-wahren ist wichtig in Asien”) an die Hand gegeben werden in der Hoffnung, dass die Trainees sie dann in allen erdenklichen Situationen umsetzen können. Sie unterliegt auch interkulturellen Trainings, in denen den Teilnehmern Kulturtheorien, -dimensionen, -standards etc. ohne kontextuelle Einbettung an die Hand gegeben werden. Dieses Transfermodell weist im Hinblick auf Transfereffekte ebenfalls eine schlechte empirische Befundlage auf. Zwar können die Lernenden auf Anfrage das Prinzip wiedergeben, sind aber häufig nicht in der Lage zu erkennen, wann eine Situation auftritt, in der das gelernte Prinzip relevant wird (Gick & Holyoak 1983).

Die oben angeführten Theorien situierten Lernens stellen die Transferproblematik in den Mittelpunkt und bieten eine adäquatere Erklärung für Transferschwierigkeiten und deren Überwindung an. Ausgehend von einem Bild des Lerners als aktivem, sozialen bedeutungsschaffenden Wesen liegt für sie das hauptsächliche Transfer­ hemmnis in der Trennung von abstraktem symbolischen Wissen und konkreter Er­ fahrung. Die Entkleidung des Wissens von seinem Kontext, wie z. B. bei der Ver­ mittlung allgemeiner Theorien führt zu einer „Verinselung” des Wissens (Greeno 1989). Der Trainee ist nach dem Training zwar hervorragend in der Lage, innerhalb der Kulturdimensionen von Hofstede virtuos zu argumentieren, aber erkennt in einer Alltagssituation nicht, wann eine Situation auftaucht, die die Dimension „Machtdis­ tanz” berührt und entsprechende Handlungen verlangt. So stellt die oben angeführte Handlungsregel, dass man in Asien das Gesicht des Anderen sowie das eigene wah­ ren sollte, die Übersetzung einer konkreten Erfahrung in ein abstraktes Konzept dar. Deijenige Teilnehmer, der noch über wenig Interaktionserfahrung mit Asiaten ver­

85

fugt, muss bei der »Rückübersetzung’ auf seine eigenen Vorstellungen von „GesichtWahren” zurückgreifen, die zwangsläufig von dem eigenen kulturellen Orientie­ rungssystem geprägt sind. Das auf diese Weise entwickelte mentale Modell wird wahrscheinlich nicht angemessen sein. Daraus folgt für die Gestaltung interkultureller Trainings, dass in ihnen die Mög­ lichkeit gegeben sein muss, anhand authentischer Interaktionssituationen Kulturwis­ sen in seinem konkreten Kontext zu erlernen. Authentisch bedeutet in diesem Fall die Erhaltung der Komplexität der Alltagssituation in der Lemsituation. Das bedeu­ tet z.B. für das Lernen mit kritischen Interaktionssituationen und Fallstudien, dass die Lemsituationen eben nicht nur Informationen für die zu lernende Kulturthematik beinhalten und noch dazu knapp und überakzentuiert geschrieben oder verfilmt werden sollten, sondern auch nicht relevante Informationen zeigen. So bleibt dem Lerner die Aufgabe, herauszufiltem, welche Information in welcher Situation tat­ sächlich bedeutsam wird. Weiterhin ist es dann wichtig, Kulturwissen in verschiede­ nen Kontexten zu erwerben, um zu einem abstrahierten Konzept über diese Situatio­ nen, zu einem sog. „Metakontext” zu gelangen. So wäre dies auf unser Beispiel bezogen die Möglichkeit, „Gesicht-Wahren” in einer deutsch-chinesischen Bespre­ chung mit einer deutsch-indonesischen oder einer deutsch-japanischen auf Gemein­ samkeiten und Unterschiede zu vergleichen, um zu einer flexiblen Vorstellung von „Gesicht-Wahren” zu kommen.

Evaluation interkultureller Trainings Um die Qualität interkultureller Trainings erhalten oder optimieren zu können, be­ darf es einer Erfolgskontrolle. Der Blick in die Praxis zeigt, dass dieser Aspekt auf­ grund der damit verbundenen Zeitaufwendungen oftmals ein stiefmütterliches Da­ sein führt. Wie in den meisten anderen Weiterbildungsveranstaltungen wird am Ende eines Seminars ein Fragebogen verteilt, der den subjektiven Eindruck der Teil­ nehmer und deren Stimmungslage am Ende des Seminars erfassen soll. Eine solche Erhebung ist durchaus sinnvoll, denn es darf davon ausgegangen werden, dass ein Teilnehmer eher bereit ist, im Training gelernte Inhalte in die Praxis umzusetzen, wenn er von der Maßnahme selbst begeistert war. Allerdings bietet ein solches In­ strument noch keine Aussage darüber, ob ein Transfer im Alltag tatsächlich gelingt bzw. ob nicht ein vormals sehr skeptischer Teilnehmer im Alltag die Relevanz der Leminhalte entdeckt. Zur Einordnung von Trainingswirkungen hat sich das Vier-Ebenen-Modell von Kirkpatrick (1967) als hilfreich erwiesen. Unterschieden werden in diesem Modell:

1.

Reaction: Wie ist die unmittelbar Reaktion des Teilnehmers auf die Maß­ nahme?

2.

Learning: Welche Wissensinhalte hat der Teilnehmer erworben?

3.

Behavior: Welche Wissensinhalte kann der Teilnehmer in der für ihn rele­ vanten Alltagssituation im Handeln umsetzen?

86 4.

Results: Welche quantifizierbaren Effekte hat dies für ihn und seine Orga­ nisation?

In ihrer umfassenden Analyse bisheriger Evaluationsstudien interkultureller Trai­ nings konnte Kinast (1998) feststellen, dass sie hauptsächlich Effekte erfassen, die der Ebene „Learning" zuzuordnen sind. So kann z.B. das interkulturelle Lernen mit einem Culture Assimilator zu einer vermehrten Häufigkeit von isomorphen Attributionen bei der Bearbeitung eines weiteren Culture Assimilator fuhren oder zu einer Steigerung der interkulturellen Sensitivität gemessen an einem dafür entwickelten Erhebungsinstrument (Bhawuk 1998). Ein solches Ergebnis ist interessant bei der Feststellung, ob und wie sich kognitive Strukturen oder emotionale Werthaltungen beim Teilnehmer ausdifferenzieren. Dass sich dies auf das Handeln in alltäglichen interkulturellen Begegnungen auswirkt, kann auf der Basis dieser Untersuchungen allerdings nicht gefolgert werden. Es ist nicht feststellbar, ob dieses Wissen träge bleibt oder nicht. Blickt man in andere Teildisziplinen der Psychologie, die sich mit sozialem Lernen beschäftigen, ist eine Kluft zwischen Wissen und Handeln gut belegt. So können Personen auf einer hohen Stufe in Kohlbergs Modell der Moral­ entwicklung argumentieren, aber in einer Alltagssituation auf einer wesentlich nied­ rigeren Stufe handeln (Kohlberg & Candee 1984). Eine Erfassung der Effekte auf der Ebene „Behavior" ist im Hinblick auf den Zugang zum Handlungsfeld, die Aus­ wahl der Methoden sowie die Einwirkung schwer kontrollierbarer Kontextvariablen, erheblich schwieriger durchzufuhren. Es besteht ein hoher Bedarf an kreativen Da­ tenerhebungsmethoden, die lebensweltlich relevante Aufgaben beinhalten und einen Aufschluss über die Handlungswirksamkeit des untersuchten interkulturellen Trai­ nings liefert. Dies kann z.B. mit einem Portfolio-Design geschehen (Jacobson, Sleicher & Maureen 1999). Dabei werden für die Evaluation relevante Ergebnisse eines Lernenden zu unterschiedlichen Zeitpunkten in einem Portfolio gesammelt, von Experten beurteilt und nachfolgend mit ihm diskutiert. Evaluation wird dann nicht mehr verstanden als Beurteilung des Lernerfolgs ausschließlich durch eine außen­ stehende Instanz, sondern als Teil eines interaktiven Lernprozesses. Für die Optimierung interkultureller Trainings ist neben der soeben beschriebenen summativen Evaluation auch eine formative Evaluation wichtig, bei der die Elemen­ te einer Lemumgebung, wie z. B. die eingesetzten Methoden, die Trainer selbst oder die Organisation einer Veranstaltung überprüft werden. In der interkulturellen Trai­ ningsforschung wurden bisher nur wenige vergleichende Studien zur Trainingsme­ thodik durchgeführt, die zudem uneinheitliche Ergebnisse erbrachten. Gegenstand der Untersuchungen war zumeist ein Vergleich von erfahrungsorientierten und ex­ positorischen Methoden (Earley 1987, Gannon & Poon 1997, Pruegger & Rogers 1994). Die Ergebnisse weisen daraufhin, dass sich beide Methoden kaum in ihrer Wirksamkeit unterscheiden und sich allenfalls leichte Vorteile für die erfahrungsori­ entierten Methoden im Hinblick auf Akzeptanz, subjektiv empfundene Relevanz und Willen zur Einstellungsveränderung ergaben. Allerdings enthalten diese Untersu­ chungen eine Reihe methodischer Schwächen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Inhalte in den untersuchten Gruppen, die Uneinheitlichkeit der Interventionsdau-

87 er und die soziale Erwünschtheit in Messinstrumenten. Generell leiden Studien die­ ser Art an begrifflicher Schwammigkeit, da, wie oben bereits aufgefuhrt wurde, die Methoden selbst unscharf und inkonsistent beschrieben sind. Hier zeigt sich ein deutlicher Nachholbedarf der interkulturellen Trainingsforschung. Einen ersten Ansatz machte Limpächer (1998), der anhand eines eintägigen Orientierungssemi­ nars zur Vorbereitung deutscher Studierender auf die USA ein expositorisches Trai­ ning auf der Basis der „Meaningful Reception Theory” Ausubel (1968) mit einer situierten Lemumgebung auf der Basis der Anchored Inquiry (CTGV 1997) ver­ glich. Beide Lemumgebungen wurden standardisiert im Hinblick auf das Trainer­ team, den Lemort, die Tageszeit, die Dauer, die Kenneniemphase sowie die Test­ phase am Ende des Trainings. Sie unterschieden sich in der Sequenzierung bestimm­ ter Lemschritte, der Trainer-Rolle sowie der Steuerung des Lehr-Lernprozesses. Die in der Testphase gewonnenen Ergebnisse zeigen bei vergleichbar hoher Akzeptanz und vergleichbarem Erwerb von Wissensinhalten einen Vorteil im Erwerb flexiblen Handlungswissens sowie einer geeigneten interkulturellen Lemhaltung. Wenn man dem oben genannten Ziel zustimmt, dass interkulturelle Trainings den Teilnehmer befähigen sollen, selbstgesteuert interkulturelle Lernprozesse zu initiie­ ren, dann sollte der Lernende auch in der Lage sein, seinen Handlungserfolg selbst zu evaluieren. Das erfordert auf Seiten des Lerners den Willen und die Fähigkeit, das eigene Wahmehmen, Denken, Fühlen und Handeln vor, in und nach interkultu­ rellen Interaktionssituationen zu reflektieren, und sich Feedback von seinen Handlungspartnem einzuholen. Letzteres setzt wiederum die Fähigkeit zu einer kultursen­ sitiven Metakommunikation voraus. Die Förderung dieser SelbstevaluationsKompetenzen ist dann ebenso Bestandteil einer interkulturellen Lemumgebung wie die Vermittlung inhaltlichen Wissens.

Interkulturelle Anchored Inquiry als alternatives Trainingsmodell Die Intercultural Anchored Inquiry (Kammhuber 2000) stellt eine Übertragung der von John Bransford und der Cognition and Technology Group at Vanderbilt entwickelten Anchored Inquiry dar (CTGV 1997). Sie wurde entwickelt, um die Erzeugung trägen Wissens im Bereich der Natur- und Gesellschaftswissenschaften zu vermeiden, und lässt sich den situierten Lemmodellen zuordnen. In ihrem Mittel­ punkt steht das Lernen an authentischen, komplexen und für die Lernenden relevan­ ten Problemsituationen, die ein aktives, soziales, multiperspektivisches Lernen er­ möglichen. Lemsituationen können dabei das Erleben und die Reflexion kritischer Interaktionssituationen, Fallstudien, Simulationsübungen, oder auch Filme sein. Entscheidend ist dabei die Auslösung einer subjektiv als relevant empfundenen Handlungsproblematik und nachfolgend einer interkulturellen Lemproblematik auf Seiten des Teilnehmers.

Ein auf dieser Konzeption aufgebautes Training beinhaltet folgende Sequenzierung:

88 1. Schaffung interkultureller Lemmotivation durch die Bereitstellung oder Hervor­ bringung geeigneter Handlungsprobleme, die die Teilnehmer für sich als so relevant und bedeutsam wahmehmen, dass sie interkulturelle Lembedürfnisse entwickeln.

2. Wahmehmungstraining: Kompetentes interkulturelles Handeln gründet sich auf eine möglichst komplexe und schnelle Wahrnehmung einer interkulturellen Situati­ on. Durch die Herstellung eines kritischen Diskurses über die Lemsituation kann der Lernende sein Wahmehmungsfeld um bisher nicht entdeckte Handlungsangebote und Handlungsgrenzen erweitern. So kann anhand einer deutsch-chinesischen Ver­ handlung die Situation aus national- oder regionalkultureller, aus bereichsspezifi­ scher oder geschlechtsspezifischer Perspektive reflektiert werden. Ebenso kann die Frage aufgeworfen werden, wie sich das Handlungsfeld strukturiert, wenn die glei­ che Situation aus politischer, ökonomischer, psychologischer, linguistischer oder ethnologischer Sicht betrachtet wird. Sind diese Perspektiven kompatibel, oder wi­ dersprechen sie sich? 3. Transfertraining: Wenn Wissen an den Kontext gebunden ist, wird es wichtig, verschiedene Lemsituationen zur Verfügung zu stellen, damit „Metakontexte”, wie z. B. Kulturdimensionen oder Kulturstandards ausgebildet werden können, die im Handlungsfeld als flexibel anwendbare Denkwerkzeuge genutzt werden können. (Kammhuber 1998). Geschehen kann dies durch „kontrastierenden Fallvergleich", bei dem Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Anwendung dieser geistigen Werkzeuge herausgearbeitet werden können (Schwartz & Bransford 1998).

4. Handlungstraining: Wenn man situiertes interkulturelles Lernen als eine Relation zwischen wahrgenommenen Handlungsangeboten und der Fähigkeit des Lernenden, diese Handlungen auch ausfuhren zu können, versteht, bliebe ein interkultureller Lernprozess, der sich allein auf die Wahrnehmung beschränkt, unvollständig. Viel­ mehr muss er ergänzt werden um die Überprüfung, ob im Handlungsrepertoire des Lerners entsprechende Handlungsaltemativen verfügbar sind, wie z. B. die Kontrolle nonverbaler Reaktionen, Beziehungsstiftungsrituale etc. (Harrison 1992). 5. Partizipation an einer interkulturellen Community of Practice: Lernen beinhaltet auch immer einen identitätsstiftenden Aspekt (Lave & Wenger 1991). Der Teilneh­ mer erfährt in einem interkulturellen Training nicht nur Wissenswertes über Eigenes und Fremdes, sondern immer auch etwas darüber, wie ein interkultureller Trainer interkulturelle Situationen wahmimmt und welche Bedeutung der Lemgegenstand hat. So muss sich auch hier eine Passung zwischen der Konzeption einer Lemumge­ bung und der epistemologischen Grundhaltung eines Trainers einstellen. Ein interkultureller Trainer, der den Eindruck erweckt, er habe bereits alles Kulturwissen in sich vereinigt, wird beim Lernenden den Eindruck hinterlassen, dass interkulturelles Lernen einen in einer recht kurzen Zeitspanne abschließbaren Prozess darstellt. Expansives interkulturelles Lernen wäre damit konterkariert. Eine Teileinheit einer interkulturellen Anchored Inquiry vollzieht sich wie folgt:

89 1. Präsentation einer kritischen Interaktionssituation (Rollenspiel, Film, schriftlich), die für die Teilnehmergruppe authentisch und relevant ist. 2. Individuelle emotionale Bewertung und kognitive Interpretation des Handlungsgeschehen, um vorschnellen Konformitätsprozessen vorzubeugen.

3. Generierung multipler Interpretationsperspektiven bei Teilnehmern, Trainern und anderen Lemressourcen zur Erweiterung des Wahmehmungsfeldes. 4. Reflexion der Interpretationsperspektiven zur kritischen Überprüfung der (kultur­ spezifischen) Prämissen, die den Aussagen unterliegen. 5. Generierung multipler Handlungsperspektiven zur Erweiterung des potenziellen Handlungsrepertoires.

6. Reflexion der Handlungsfolgen zur kritischen Überprüfung der Konsequenzen, die die jeweilige Handlungsaltemative bezüglich der oben angeführten Ziele interkulturellen Handelns haben könnte sowie der Einschätzung der Fähigkeit zur Ausführung der jeweiligen Handlung. 7. Metakontextualisierung, in der die der Situation zugrundeliegenden interkulturel­ len Konzepte durch kontrastierenden Fallvergleich abstrahiert werden.

Perspektiven interkultureller Trainingsforschung und Trainings­ praxis Es kann der Trend ausgemacht werden, dass neben der Vorbereitung und Begleitung von Expatriates bedingt durch die Globalisierung des Arbeitsmarkts und internatio­ nale Mergers & Acquisitions multikulturelle Teams zunehmend mehr an Bedeutung gewinnen. Durch die sich gleichzeitig vollziehende technologische Entwicklung müssen sich diese Teams nicht zwangsläufig an einem Ort befinden, sondern können verteilt über den Erdball per Video- oder Intemetkonferenz kooperieren, was die Komplexität interkultureller Begegnungen zusätzlich erhöht. Für die interkulturelle Trainingsforschung bedeutet dies, zu überprüfen, inwieweit sich die Untersuchungs­ ergebnisse der Potenziale und Hemmnisse interkultureller Teamarbeit (z. B. Zeutschel 1999, Tjitra 2001) übertragen lassen oder inwiefern sie sich durch die Benut­ zung unterschiedlicher Kommunikationsmedien ändern und welche Konsequenzen das für die Gestaltung interkultureller Trainingsmaßnahmen hat. Multimediale interkulturelle Trainingtools, wie Computersimulationen (Bolten 1999) oder computergestützte interkulturelle Trainings zur kulturallgemeinen Sensi­ bilisierung oder Teamarbeit werden nun vermehrt entwickelt und können Gegens­ tand von Evaluationsstudien werden, in denen ihre Wirksamkeit getestet werden kann.

Ein noch weitgehend neues Feld interkultureller Trainingsforschung ist das interkul­ turelle Erfahrungs- und Wissensmanagement in Organisationen. Insbesondere in größeren Unternehmen wird das Handlungswissen der interkulturell erfahrenen Mitarbeiter oftmals nur unzureichend abgerufen, obgleich es für das Unternehmen

90 von großem Wert wäre. Gerade diese Mitarbeiter verfugen z. B. über einen Pool an handlungsfeldspezifischen kritischen Interaktionssituationen, die nach systemati­ scher Erhebung und Weiterverarbeitung wiederum als authentisches Lemmaterial in interkulturellen Trainings in diesem Unternehmen genutzt werden könnten (Thomas, Kinast & Schroll-Machl 2000, Kammhuber 2000). Die Pionierphase interkultureller Trainings ist inzwischen vorüber. In interkulturel­ len Trainings gibt es den ,naiven’ Teilnehmer in kurzer Zeit so gut wie nicht mehr, der mit großen Augen staunend erfährt, dass es fremde Kulturkonzepte gibt und Übungen wie „BafaBafa”, „Bamga” oder „Albatross” (vgl. Fowler & Mumford 1995) als Offenbarung empfindet. Vielmehr wird Intemationalität zur Normalität, was die Durchführung interkultureller Trainings aber eher schwieriger als einfacher werden lässt, da sich nun ethnozentristische Einstellungen wesentlich subtiler äu­ ßern. Die Trainingsmethoden, auch in kulturallgemeinen Trainings, werden in Zu­ kunft eine immer höhere Handlungsfeldspezifität aufweisen müssen, wenn sie von den Teilnehmern akzeptiert werden sollen. Die Entwicklung solcher Methoden er­ fordert eine enge Verzahnung zwischen Trainingsforschung und Trainingspraxis.

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94

InterAct. Zur Konzeption eines interkulturellen U nternehmensplanspiels Jürgen Bolten, Jena Eines der größten Probleme interkultureller Managementtrainings besteht gegenwär­ tig darin, dass sie in einem zu geringem Maß der zeitlichen und inhaltlichen Be­ darfssituation in internationalen Unternehmen gerecht zu werden vermögen. In der Regel sind sie entweder kognitiv oder kultursensibilisierend konzipiert bzw. sie binden beide inhaltlichen Orientierungen eklektisch (und dementsprechend ohne einen konsistenten inneren Zusammenhang) aneinander. Notwendig wurde dieses nicht sehr effektive konzeptionelle Merkmal durch die begrenzten Zeitvorgaben der Unternehmen: An zwei Tagen lässt sich nur sehr schwer ein komplexes interkultu­ relles Training durchfuhren, das in befriedigender Weise nicht nur Kenntnisse über eine Kultur vermitteln, sondern auch den Umgang mit fremdkulturellen Situationen ermöglichen soll.

Von daher erscheint es sinnvoll, interkulturelle Trainings zu entwickeln, die in die­ sem Sinne integrativ aufgebaut sind und die gleichzeitig auch die Erfahrung interkultureller Interaktionen im beruflichen Umfeld erlauben. Eine solche Kon­ zeption kann mittels interkultureller Planspiele gelingen, da die Teilnehmer - sofern sie aus verschiedenen Kulturen stammen- hier zumindest semiauthentisch jene berufsbezogenen Interaktionen vollziehen können, die sie (später) im authentischen internationalen Untemehmensalltag bewältigen müssen. Eingeschobene Plenarphasen ermöglichen dann nicht nur die Reflexion der Interaktionen, sondern erlauben auch zusätzlichen ziel- und interkulturellen Kenntnisinput. Mit „InterAct“ wurde kürzlich erstmals ein derartiges interkulturelles Planspiel in einer deutschen und einer englischsprachigen Version veröffentlicht:

Zielgruppenprofil und Planspieldesign Den Ausgangspunkt bei der Zielgruppenbestimmung von ’’InterAct” bildet die Überlegung, ein Training zu konzipieren, das in weiterem Umfang für die Vorberei­ tung auf internationale Tätigkeiten in der Wirtschaft einsetzbar ist. Da universelle Lösungen nicht denkbar sind oder zumindest zu Lasten der Trainingseffizienz ge­ hen, wurde zunächst versucht, den aus Effizienzgesichtspunkten größten gemeinsa­ men Nenner zu finden. Hieraus resultierte ein Zielgruppenprofil, dem sowohl Führungs- und Nachwuchskräfte der Wirtschaft mit geringeren Ausländserfahrungen als auch fortgeschrittene Studierende wirtschaftswissenschaftlicher Fachrichtungen mit Praktikumserfahrung zuzurechnen sind. Fachlich sollten die Angehörigen beider

95 Gruppen alternativ in den Bereichen Vertrieb, Werbung, Finanzen oder Organisation ausgewiesen sein. Hinsichtlich des Planspieldesigns wurde von einem Handlungsrahmen ausgegangen, der Interaktionen zwischen maximal vier kulturell unterschiedlichen Gruppen er­ möglicht. Jeder Gruppe werden 3 bis 5 Teilnehmer zugeordnet, wobei jeweils min­ destens zwei Teilnehmer Angehörige der entsprechenden Kultur sein sollten. Die weiteren Teilnehmer sollten mit der Kultur vertraut sein oder sie als Zielkultur ge­ wählt haben. Verhandlungssichere Kenntnisse der entsprechenden Landessprache oder zumindest einer lingua franca werden vorausgesetzt. Entsprechend der faktischen Teilnehmerzusammensetzung kann derzeit bei InterAct eine Zuordnung der vier Gruppen zu folgenden Kulturen vorgenommen werden: Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Rußland, Spa­ nien, USA. Für jede der aufgeführten Kulturen liegen Trainingsmaterialien in der jeweiligen Landessprache vor. In den kommenden Jahren werden zu weiteren Kultu­ ren Trainingsmaterialien erstellt.

Fallstudienkonzeption Die Fallstudie bildet den Ausgangspunkt des Trainings und ist von den Teilnehmern vor Trainingsbeginn zu erarbeiten. Kurz gefasst, bezieht sie sich auf aktuelle Ent­ wicklungen auf dem internationalen Markt für Sportbekleidung. Der Markt wurde bislang im wesentlichen von je einem Unternehmen aus Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Russland, Spanien und den USA be­ stimmt. Aufgrund des Zusammenschlusses von zwei der genannten Unternehmen zu einem Jointventure haben sich jedoch die Marktanteile in teilweise bestandskriti­ scher Weise zu Ungunsten der einzeln agierenden Unternehmen entwickelt. Dies wird durch ausführliche Analysen für die Absatzmärkte West- und Osteuropa, Asien und USA vor und nach dem Zusammenschluss belegt.

Die einzige Möglichkeit wirtschaftlichen Überlebens besteht folglich für die anderen ’’InterAct"-Unternehmen darin, untereinander ebenfalls Kooperationen aufzubauen.

Für die Fallstudienerarbeitung liegen den Teilnehmern in ihren Trainingsmaterialien genaue Daten über die marktspezifische Umsatzentwicklung aller Unternehmen seit der Joint-Venture-Bildung vor (= 1. und 2 Geschäftsperiode). Darüber hinaus enthal­ ten die Materialien detaillierte Angaben für alle Unternehmen zum jeweiligen Stand der Produktions- und Verfahrenstechnologie, zu den Break-Even-Points bei den ein­ zelnen Produktversionen, zur Produktionskapazität sowie zu den jeweiligen Organi­ sations- und Führungsgrundsätzen.

96 1.Bestimmung des Zielgruppenprofils

(a) Um einerseits einen angemessenen Inter­ aktionsrahmen zu erzeugen, andererseits aber auch ein effektives Coaching gewähr­ leisten zu können, sollte die Teilnehmerzahl bei mindestens 8 und höchstens 20 Personen liegen. (b) Nationalitäten der Teilnehmer, Mutter­ sprachen (jeweils mindestens zwei)? (c) Derzeitige oder geplante berufliche Tä­ tigkeitsfelder der Teilnehmer? (d) Fremdsprachenkenntnisse der Teil­ nehmer (Verhandlungsfähigkeit in einer der Muttersprachen der anderen Teil­ nehmer oder in einer lingua franca)?

2. Planspieldesign

(a) Entsprechend l(a,b) sollte eine Auftei­ lung in zwei bis vier Gruppen ä 3-5 Teil­ nehmer erfolgen. Die Gruppen sollten sich hinsichtlich der jeweils dominieren­ den kulturellen Herkunft und der Mutter­ sprache der Teilnehmer unterscheiden. (b) Außer einem Supervisor-Trainer sollte für jede der Gruppen ein Co-Trainer mit entsprechender kultureller Herkunft zur Verfügung stehen (ggf. auch Repatriates), (c) Jeder Gruppe sollte ein eigener Raum - möglichst mit Telefon - zur Verfügung stehen.

3.Fallstudienauswahl

Eine Fallstudie aus dem internationalen Wirtschaftsalltag bildet den Ausgangs-punkt des Planspiels. Sie sollte folgende Bedingun­ gen erfüllen oder ggf. in dieser Weise kon­ struiert werden: (a) Es muß eine Affinität zu den beruflichen Tätigkeiten der Teilnehmer bestehen (vgl. lc). (b) Der internationale Kontext sollte mit der Gruppenaufteilung in 2(a) korrespondieren. Hier bietet sich ein Fallbeispiel mit Unter­ nehmen aus verschiedenen Ländern an. (c) Der dargestellte Fall darf nicht abge­ schlossen sein. Vielmehr sollte er an einem "kritischen" Punkt abbrechen, der zu eigen­ initiativem Handeln und zu eigenen Lö­ sungswege anregt. (d) Bei realen Fallbeispielen sollten anstelle der Namen nur die Stammländer der beteilig­ ten Unternehmen genannt werden.

4. Planspielhandlung

Die Planspielhandlung baut auf der Fallstudie auf ->3(c) und wird im wesentlichen durch die Interaktionen der Gruppen/ Unternehmen ge­ mäß 2(a)/ 3(b) bestimmt. Um begründete Ein­ schnitte für Plenarsitzungen (Videoauswertung, Kenntnis-Input etc.) zu erhalten, empfiehlt es sich, das Planspiel in mehrere aufeinander auf­ bauende, in sich jedoch abgeschlossene Teilse­ quenzen zu gliedern. Die Aufgabenstellungen des Planspiels sollten so konzipiert sein, daß * die Teilnehmer vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Kompetenzen zu interkulturell synergetischem Handeln veranlaßt werden; * eine Steuerung der Interaktion in einer Weise erfolgt, die mit großer Wahrscheinlichkeit criti­ cal incidents provoziert; * insbesondere individuelle und soziale bzw. interkulturelle Kompetenzen trainiert werden (Empathie, Ambiguitätstoleranz, Kommunika­ tionsfähigkeit, Fähigkeit zu Metakommunikati­ on, Bestimmung von Akzeptanzgrenzen, Rol­ lendistanz, Fähigkeit zur historischen Begrün­ dung kulturspezifischer Denk- und Verhaltens­ weisen, Handeln in Streßsituationen); * das in den Plenarsitzungen vermittelte kulturspezifische Wissen angewendet werden kann.

97

Planspielkonzeption Das Planspiel setzt mit der dritten Geschäftsperiode ein und hat als Prämisse die logische Konsequenz der Fallstudie, nämlich die Notwendigkeit, internationale Ko­ operationen zu bilden, um Marktanteile des neugebildeten Jointventures zurückzu­ gewinnen. Das Jointventure wird nicht aktiv in das Planspiel einbezogen, sondern ist lediglich in den Computer-Auswertungsbögen der nachfolgenden Geschäftsperioden präsent (s.u.). Folglich repräsentieren die vier Trainingsgruppen entsprechend der kulturel­ len Herkunft der Teilnehmer jeweils eines der in Absatzschwierigkeiten geratenen Unternehmen aus Australien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Nie­ derlande, Russland, Spanien bzw. den USA: /----------------- \ Unternehmen A

(----------------- \

Unternehmen B

l__________ /

Al K 11 Al K 12

! Bei Ihnen erstmal, aber er hat/ sie sind zwei [ Straße bei mir.

[ Personen, ne? Allein. A-aha, eine Person. [ Er ist allein, Gribov Ja, allein

In Partiturfläche 8 fragt die Angestellte (Al), wo sich der Sohn befindet. Als die Mutter antwortet Jetzt ist er in der Karl-Buber-Straße bei mir, rephrasiert4 Al die Antwort, die mit der Reparatur der Mutter in 10/11 zusammenhängt und sagt Bei Ihnen erstmal. Gerade weil das Bei-der-Mutter-Sein als punktuell und vorläufig qualifiziert wird, wird die Zuwiderhandlung stark entkräftet, und es liegt hier eine Vorwegnahme einer Rechtfertigung durch die Mutter vor, die ihr die Angestellte quasi im Zuge der Rephrasierung in den Mund legt.

Anschließend formuliert sie aber er hat, und beginnt somit, ihre vorherige Aussage weiter zu hinterfragen. Sie könnte in diesem Moment feststellen, dass der Sohn noch keine Zuweisung hat. Interessanterweise bricht sie jedoch ihre Äußerung ab und formuliert stattdessen die Frage, Sie sind zwei Personen in der Wohnung der Mutter. Damit hat sie den Regelverstoß übergangen. Auf der Basis des nonverbalen Han­ delns bzw. des leichten Lachens der Mutter kann man unterstellen, dass auch sie 4 Vgl. Bührig (1996, 236) für eine genaue Bestimmung des Rephrasierens

192 weiß, dass ihr Sohn gegen eine Regel verstoßen hat (vgl. P. 11). Man kann dieses Lachen als Eingeständnis auffassen.

Im Rahmen des Trainings wurde dieses Fragment ausführlich diskutiert, vor allem nachdem in den anschließenden Simulationen unterschiedlich auf den Regelverstoß reagiert wurde. In der ersten Simulation war es Aufgabe der Klientin (K2) und An­ gestellten (A3), das erarbeitete Institutionswissen kommunikativ umsetzen. In der zweiten Simulation wurde die Teilnehmerin, die den Part der Klientin (K3) hatte, aufgefordert, beim gleichen Anliegen aus ihrer eigenen Berufserfahrung typische interkulturelle Kommunikationsprobleme einzusetzen. Die Angestellte (A5) sollte im Rollenspiel ihr interkulturelles Handlungswissen einsetzen, um adäquat auf vor­ kommende Probleme zu reagieren. Betrachten wir Fragment 4 aus der ersten und Fragment 5 aus der zweiten Simulation, um einen Eindruck zu gewinnen, wie der Handlungsspielraum der Angestellten unterschiedlich gestaltet wird. Fragment 4 entstammt der ersten Simulation und enthält die erste Phase der Anlie­ gensthematisierung (Phase 3 des Beratungsgesprächs), in dem die Voraussetzungen des Anliegens der Mutter (K2) durch die Angestellte (A3) kontrolliert werden.

Fragment 4: Simulation 1: Hat er dann schon die Zuweisung? A3 K2 15

[ Aber Sie sagten doch gerade,. er sei schon in Glachau. [ Ja, der is/ der is

A3 > K2 16

[

> A3 17

K2 18 K2 19

Er ist bei Ihnen zu Hause? Und hatte er denn schon ! jetzt bei mir. Ja. ((1 Sek.))

! ! die . Zuweisung? Also die Erlaubnis nach Glachau ziehen zu dürfen?

[ Äh der/ er sollte ins Wohnheim in die Emst Enge Straße, aber da is doch

[ gar kein Platz.

In Partiturfläche 16 und 17 fragt die Angestellte (A3) nach, wo der Sohn ist, und vergewissert sich explizit, ob er schon die Zuweisung hat. In der Simulation reagiert die Mutter nicht sofort auf die letzte Frage, sodass A3 nachfragt und dabei den Ter­ minus »Zuweisung* erläutert. Die Mutter erklärt anschließend, warum der Sohn bei ihr ist. In diesem simulierten Behördengespräch ist explizit für beide klar, dass der Sohn gegen eine Regel verstoßen hat. Im weiteren Verlauf schlägt A3 in Zuge der Lösungsfindung vor, dass der Sohn über das Wochenende bei seiner Mutter bleibt,

193 und dass die Mutter Montag zurückrufen soll, um zu erfahren, ob die »schriftliche Versetzung’ schon durchgeführt wurde.

Die zweite Simulation ist entsprechend der Aufgabe der Klientin durch gespielte mangelhafte Deutschkenntnisse charakterisiert und bringt viele Nachfragen, Repa­ raturen, Abbrüche, Missverständnisse, Erklärungen und Erläuterungen hervor. Das Gespräch dauert viel länger als der authentische Fall, insgesamt 12 Minuten. Frag­ ment 5 stammt aus dem Ende des Gesprächs, in dem die Angestellte mehrmals ver­ sucht, Lösungen vorzuschlagen. Konkret schlägt die Angestellte (A4) der Mutter (K3) vor, dass ihr Sohn bei ihr in der Wohnung bleiben darf (vgl. Partiturfläche 113), und dass sie inzwischen versuchen wird, das Anliegen zu bearbeiten und zu lösen, sodass wir dann die Sache bereinigen können (vgl. Partiturfläche 117). Fragment 5: 2. Simulation: Ihr Sohn bleibt erst mal bei Ihnen A4 [ Ich kann jetzt folgendes vorschlagen. Ihr Sohn bleibt erst mal bei Ihnen, 111 A4 [ in den nächsten Tagen. Ist das eine Variante? K3 [ Was ist Variante? 112

Äh., das ist

A4 [ eine Möglichkeit. Ihr Sohn bleibt erst mal bei Ihnen K3 [ Möglichkeit. Sohn bleibt 113

A4 [ Ja. Ein paar Tage. Und dann . inzwischen schaue ich nach ob es in K3 [ bei mir. 114

A4 [ einem Wohnheim in Glachau ein Platz gibt und dann rufe ich Annastein an 115 A4 [ und sage: 'Es ist Platz im Wohnheim,’ Dann gibt es ein Dokument. Und dann 116

A4 K3

[ können wir die Sache bereinigen. ((10 Sek.)) schaut nach unten.

117

Die Formulierung des LösungsVersuches von A4 nimmt in PI 13 die Form einer Zusage: Ihr Sohn bleibt erstmal bei Ihnen. In ihrer Reaktion fragt die Mutter erst nach, was ’Variante’ bedeutet und wiederholt, dann in PI 13 die Zusage. Danach schränkt die Angestellte ihre Zusage ein, indem sie sagt: Ja ein paar Tage und dann die Bedingung erklärt, warum ihr Sohn diese Erlaubnis bekommt, nämlich damit die

194

Angestellte währenddessen die Zuweisung organisieren kann (in P 116: Dann gibt es ein Dokument). Abschließend fügt sie an, dass mit diesem Dokument der Regel­ verstoß bereinigt werden kann (P. 117). Damit bestätigt sie nachträglich, dass das Handeln des Sohnes eigentlich widerrechtlich ist, aber als Ausnahme geduldet wird. Nach diesem Lösungsvorschlag folgt eine lange Pause von 10 Sekunden, die die Beendigung des Gesprächs einleitet. Die Klientin akzeptiert den Vorschlag nicht und verlässt enttäuscht den Raum, nachdem sie der Angestellten gesagt hat, dass diese ihr wohl nicht helfen kann. Sie hatte erwartet, die Zuweisung sofort zu bekommen.

Die Diskussion im Rahmen des Trainings über das sprachliche Handeln der Ange­ stellten im authentischen Fall und in den Simulationen brachte vier Handlungsalter­ nativen bezüglich festgestellter Regelverstöße hervor, die folgendermaßen systema­ tisiert werden können: 1.

Ablehnung der Fehlhandlung und die Aufforderung an die Klientin, sich ord­ nungsgemäß zu verhalten (= der institutionelle Standard);

2.

Die Legitimierung der Fehlhandlung durch zusätzliche Handlungen zur Regel­ änderung oder -anpassung (= die nicht erfüllte Erwartung der Klientin in der zweiten Simulation)

3.

Das Übersehen der Fehlhandlung (= das Handeln im authentischen Fall);

4.

Das Tolerieren der Fehlhandlung durch Akzeptanz des Verstoßes unter be­ stimmten Bedingungen (= das Handeln in den Simulationen)

Das heißt, dass die Handlung akzeptabel wäre:

für eine beschränkte Gruppe (= der Sohn), für eine beschränkte Zeitspanne (= über das Wochenende), an bestimmten Orten (= bei der Mutter), für eine beschriebene Zielsetzung (= zur Einholung der Zuweisung). Diese Systematisierung zeigt in der gegebenen Situation den Handlungsspielraum der Angestellten: Zwischen der Ablehnung und der sofortigen Legitimierung der Fehlhandlung liegen Negierung und Tolerierung der Fehlhandlung.

Im Training wurde die These diskutiert, inwieweit der Handlungsspielraum der Behördenangestellten in der interkulturellen Kommunikation größer oder kleiner ist als in der deutsch-deutschen Kommunikation. Angestellte in der interkulturellen Kommunikation gäben sich so viel Mühe Verständigung herzustellen, dass sie bereit seien, ihren Handlungsspielraum voll auszunutzen. Andererseits kann man feststel­ len, dass dann, wenn keine interkulturelle Verständigung möglich ist, sich die Ange­ stellten strikt nach dem institutionellen Standard richten. Fehlendes oder mangelhaf­ tes Institutionswissen der Klienten, die manchmal Erwartungen von widerrechtli­ chen Anliegenslösungen haben, führen dazu, dass interkulturelle Behördenkommu­ nikation im Grunde immer sehr kritisch abläuft und zusammenbrechen kann, so wie es in der zweiten Simulation anhand des Einsatzes eigener Erfahrungen mit der Behörde aufgezeigt wurde.

195

Das Ausnutzen vorhandener Handlungsspielräume ist eine Möglichkeit zur DeEskalierung. Wichtig dabei ist, dass die Angestellten diese Entscheidungen nicht für sich behalten, sondern sich darüber mit ihren Kolleginnen austauschen. Als Vertre­ ter der Institution sind Behördenangestellte häufig als erste in der Lage, aktuelle Entwicklungen der multikulturellen Gesellschaft an ihrem Schalter zu erfahren. Wenn sie ihre Entscheidungen bezüglich individueller Handlungsspielräume mit ihren Kolleginnen diskutieren und gemeinsam reflektieren und die Ergebnisse an die Verwaltung weiterleiten, können adäquate Maßnahmen getroffen werden. Behör­ denangestellte sollten sich nicht nur als Vertreter ihrer Behörden, sondern auch als Bindeglied zu einer sich verändernden Gesellschaft verstehen. Ein interkulturelles Training kann dazu beitragen, das erforderliche Handlungswissen zu vermitteln.

5. Fazit In diesem Aufsatz wird ein Konzept für interkulturelles Kommunikationstraining vorgestellt. Dazu werden die Hintergründe und Entwicklungen der Diskursanalyse und ihre Anwendungsbereiche dargelegt. Anhand der Analyse eines authentischen Gesprächs und der anschließender Simulationen alternativer Gesprächsverläufe in einem Training können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:

Interkulturelle Behördenkommunikation muss immer sehr genau auf ihre insti­ tutionelle Strukturierung hinterfragt werden, um zu verhindern, dass verfestigte Fremdbilder und Institutionsbilder reproduziert werden.

Inhalte des Trainings bilden sowohl Missverständnisse als auch selbst­ verständliche Strukturen der interkulturellen Kommunikation (etwa die Herstel­ lung eines common ground). Wenn man nur den ersten Punkt, die Missver­ ständnisse, berücksichtigt, gerät eine Bearbeitung von Handlungsspielräumen aus dem Blickfeld. Allgemeine Zielsetzungen interkultureller Kommunikationskompetenz bekom­ men ihren Stellenwert, wenn sie anhand authentischer Behördenkommunikation überprüft werden. Ihre Vermittlung im Rahmen einer Arbeit mit Transkriptio­ nen führt nicht zu einer direkten Übernahme der gezeigten Praktiken, sondern zu berufsbezogenen Reflektionsprozessen.

Die Aufgaben der weiteren Forschung liegen in der Ausarbeitung interkulturel­ ler Muster, in denen das spezifische Zusammenkommen von institutioneilen Strukturen der Behördenkommunikation und die diskursiven Strukturen zur in­ terkulturellen Verständigung genauer gefasst werden können.

Behördenkommunikation wurde häufig als Zwangskommunikation dargestellt (z.B. Hinnenkamp 1985). Das vorliegende Trainingsbeispiel zeigt, wie Angestellte ihre Handlungsspielräume reflektieren und ausnutzen können und damit zur aktiven Gestaltung der multikulturellen Gesellschaft beitragen können.

196

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200

Anlage 1:

Transkriptionskonventionen

Verbale Kommunikationszeile / ( ) (Otto soll)

((2 Sek.)) ((0,5 Sek.)) lacht ? Hm

Reparatur oder Abbruch unverständlich Vorschläge oder Vermutungen sehr kurze Pause Pause von zwei Sekunden Pause von einer halben Sekunde Benennung einer non-verbalen Handlung

unklar, welcher Sprecher ’Hm' geäußert hat

b Hast Du J [' ['• . (Punkt) ?

9

Informationen über die (Sub-)Segmente innerhalb dieser Klammer findet man unter der Partiturklammer Segmentnummer Subsegmentnummer fallende Intonation am Satzende steigende Intonation am Satzende steigende Intonation am Satzteilende

Intonationszeile !

Betonung verlängernd steigende Intonation fallende Intonation fallende und steigende Intonation gekürzt

/ \ V A

Anlage 2:

Transkript

Al: Deutsche Angestellte A2: Deutscher Angestellter Kl: Russlanddeutsche Klientin

> Al 1

[ [ So, wer war denn der erste jetzt? Sie warten/kommen Sie ertsma,

Al 2

[ bitte ((4 Sek.)) So ((2 Sek.)) nehmen Sie bittschön Platz.

Al K 3

[ ((3 Sek.)) Und was gibts? [ Ich wollte fragen, wann der Platz hat,

201 Al Kl 4

[ Von Annastein? Da muß ich mir mal [ daß . den Sohn nehmat daher. Ja,

Al Kl 5 Al Kl 6

[ schnell meine Liste holen. Warten Sie mal. Warn Sie [ Hmhm, ich hab hierher geschrieben.

Al Kl 7

[ Wie ist'n Ihr Name? [ mit ihm hat alles gemacht, schon zwei/

Al Kl

[ Gribov. Ist er denn schon in Glauchau? Ja. Ja. Bei mir ist er jetzt.

[ schon mal da? [ Jaa, jaa, ich war schon hier ((3 Sek.)) Der Vater Fritz

Gribov.

Leicht lachend

8

Al Kl 9

[ Ach ja, von Frau Gribov. [ Mir hann eine Wohnung. Ja. Ja, er hat/ gestern sind

Al Kl

[In der Emst-Enge-Straße, ja? sie gekommen gestern/ Nein, jetzt ist er in Karl-Buber lacht

10

> Al Kl 11

! Bei Ihnen erstmal, aber er hat/ sie sind zwei [ Straße bei mir.

Al Kl 12

[ Personen, ne? Allein. A-aha, eine Person. [ Er ist allein, Gribov Ja, allein

Al Kl 13

[ Aha. Und warum ist er jetzt nicht in [ Er hat gedient. Ihn hamse nicht ((unverständlich))

Al

der Emst-Enge-Straße? schaut B. an.

Kl 14

[

Ah, dort war doch kein Platz, ich weiß

202 Al Kl 15

[ Sie ham das aber gemacht, ne? Das steht ja hier. [ nicht Ja.

Al A2 16

[ Hmhm. Also wäre jetzt ein [ Das ist gestern erst abgestimmt mit Annastein/

Al Kl 17

[ Bett dort. Schau ich mal nach. [ Ja. Weil ich war gestern in Emst

Al Kl 18

[ Hmhm Die vier [ Enge, hat sie gesagt: möglich ist es . eine Person.

Al A2 19

[ hundertsieben, ne, Frau Gribov? [ Das Fax kommt noch.

Al Kl 20

[ Hmhm. Dann könnt er eigentlich / ab wann soll er na dann [ No,ja.

Al A2 21

[ dann kommen, nach Glauchau? per Fax? [ Des is no'nie raus, wie der

Al Kl A2 23

[ Aha. [ Er fahrt jetzt im Montag zurück [ Transport zusammengestellt wird.

Al [ Aha Aha. Gut. Kl [ nach Annastein, hemma so gemacht. Und dann sagen sies ihm. 24 Al Kl 25

[ Ja. ((1 Sek.)) Jetzt geb ich Ihnen die Telefonnummer und Sie [ Ja Jaja

Al Kl 26

[ rufen hier nochmal an, damit ich Ihnen sagen kann, an welchem Tag [ Hm.

Al Kl 27

[ er kommt. Vielleicht kommt er gar am Montag schon. [ Hmm Vielleicht ((un-

Ne?

203 Al Kl 28

[Ich gebe Ihnen mal en Zettel mit. Da schreiben wir das drauf. [ verständlich) Hmhm.

Kl 29

[Weil dort is mei Mutter jetzt und des is besser, wenn er ((unver-

Al Kl 30

[ ((lacht)) [ stündlich)) Die Mutter wird halt kocha für ihn.

Al Kl 31

[[ Das glaub ich Ihnen. So . Ich schreib den da noch auf. Am [ auch immer ((lacht)) Ja. Hm

Al Kl 32

[ besten, Sie können auch morgen noch mal anrufen Ne, da sag ich [ Ja.

Al Kl 33

[ich Ihnen/ ich werd noch mal mit Annastein sprechen. Die sagen mir [ Hmhm.

Al > Kl 34

[ dann, wann der Transport ist. Nee, ich mein, ! Da/no, er könnt allein komma.

Al Kl 35

[ damit er dann/ damit er sich anmelden kann im Wohnheim, damit er [ Des is/ Jaja.

Al Kl 36

[ dahin gehen kann, dann kriegt er die Schlüssel, die Bettwäsche [ Ja. Hm. Noja, gewiß. Des, noja.

Wir werden

und wird er eingewiesen, ne? ((8 Sek.)) So, ne, da rufen Sie hier

Al

schreibt

Des genau so.

Kl 37

[

Al K1 38

[die Nummer, die drei, acht, drei und dann die fünfzig, fünfund[ Ja Jaja

> Al Kl

! dreißig, und dann sag ich Dinen, wann er kommt. Gut, das wars, Jaja. Hm. Gut. Danke.

204 steht auf.

39 Al Kl

[aufWiedersehen. Das wars. Mit dem Sohn muß man jetzt rennen lächelt

40

Al Kl

[

Das kriegn wa schon richtig hin. Ja. überall. Noja. verläßt den Raum

41

205

Grenz(en)überschreitende Kommunikation? Eine diskursanalytische Untersuchung zur interkulturellen Arzt-Patient-Kommunikation „Deutschland-Dänemark“ Sabine Riedel, Odense/ Dänemark 1. Zur Fragestellung der Untersuchung5 Studien zur interkulturellen Kommunikation gehen immer wieder davon aus, dass Interaktionen zwischen Aktanten verschiedener kultureller und sprachlicher Zugehö­ rigkeit stärker von Verständigungsproblemen betroffen sind als Kontakte zwischen Mitgliedern einer Kommunikationsgemeinschaft (vgl. Rehbein 1985). Tatsächlich scheint es recht wahrscheinlich, dass sich unterschiedliches kulturelles und sprachli­ ches Wissen erschwerend auf den gemeinsamen Verständigungsprozess auswirken können. Demzufolge kann für die mehrsprachige Kommunikation zwischen Arzt und Patient noch eine Zuspitzung dieser „Kommunikation unter erschwerten Bedin­ gungen“ angenommen werden, birgt diese Konstellation aufgrund ihrer speziellen institutionellen und fachlichen Voraussetzungen und den daraus resultierenden sprachlichen Besonderheiten doch schon unter einsprachigen Konditionen oft genug die Problematik einer „Verständigung über Grenzen“.

Bei der im weiteren folgenden diskursanalytisch angelegten Untersuchung deutsch­ dänischer Arzt-Patient-Kommunikation werden Aufklärungsgespräche vor einer radio-onkologischen Strahlenbehandlung bei Brustkrebserkrankungen zugrunde gelegt. Geführt wurden diese Gespräche zwischen einem deutschen Arzt und ver­ schiedenen dänischen Patientinnen, die in einem Flensburger Krankenhaus das An­ gebot einer durch Patienteninitiative angeregten grenzüberschreitenden Strahlenthe­ rapie für Krebspatienten aus Spndeijylland/ Dänemark wahmehmen. Da diese Ko­ operation eine ganz neue Erfahrung auf beiden Seiten der Grenze darstellt, scheint eine Untersuchung hinsichtlich des sprachlich-kulturellen Verlaufs der Zusammen­ arbeit mit Blick auf Verständigungsphänomene oder -probleme äußerst relevant. Zudem finden sich trotz zahlreicher Studien zur Erforschung interkultureller Kom­ munikation (vgl. Rehbein 1985, Knapp/ Knapp-Potthoff 1990, Rost-Roth 1994, Hinnenkamp 1994) bis dato nur wenige Arbeiten zur Interaktion „Deutschland­

5 Mein herzlicher Dank gilt Yrsa Petersen, Helle Hildebrand und Heidi Sand des deutsch-dänischen Studiengangs Kultur- und Sprachmittler, die wichtige Impulse zu dieser Arbeit gegeben haben. Ein weiteres großes Dankeschön geht an die beteiligten Ärzte des St. Franziskus Hospital in Flensburg sowie des Gesundheitsamtes in Aabenraa und natürlich ganz besonders an die Patientinnen für ihr Vertrauen, ihre Geduld und ihre Unterstützung.

206 Dänemark“6. Dies mag daran liegen, dass diese Konstellation wegen der aufgrund der engen Nachbarschaft oft unterstellten „kulturellen Verwandtschaft“ kaum anfäl­ lig für kommunikative Störungen und somit im Vergleich zu fernkulturellen Settings weniger interessant erscheint. Diesen Eindruck zu entkräften und die Diskussion um einige Ideen anzureichern soll daher Ziel der anschließenden Analyse sein. Im Mit­ telpunkt des Interesses wird dabei die Frage stehen, ob und wie die Interaktanten angesichts der sich ihnen stellenden kommunikativen Herausforderung zur doppel­ ten „Grenz(en)überschreitung“ interkulturelle Kommunikationsfähigkeit zeigen (vgl. Knapp-Potthoff 1997) und ihre besondere Kommunikationssituation bewusst zu reflektieren und kommunikationsorientiert zu bearbeiten in der Lage sind, so dass tatsächlich von einer wechselseitigen Begegnung im Sinne interkultureller Kommu­ nikation gesprochen werden kann (vgl. Redder/Rehbein 1987, Rehbein 1999).

2. Das theoretisch-methodische Vorgehen 2.1. Zur Konzeption der funktional-pragmatischen Diskursanalyse Die vorliegende Arbeit knüpft an Untersuchungen zur interkulturellen Kommunika­ tion in Institutionen an, die zumeist aus dem Ansatz der funktional-pragmatischen Diskursanalyse7 hervorgegangen sind. Diesem Ansatz zufolge wird Sprache nicht nur als Mittel zum Handeln, sondern grundsätzlich selbst als Handlung verstanden. Wesentlich ist dabei die Auffassung des Sprachhandelns als Sprecher-HörerInteraktion. Übergreifendes Resultat solchermaßen geleiteter Untersuchungen ist, dass mündli­ che Kommunikation in einem weitaus höheren Maße strukturiert und geregelt ist, als sich dies unserem Vorverständnis zunächst darstellt. Dabei ist das zentrale struktu­ rierende Element der sprachlichen Handlungsprozesse der ihnen zugrundeliegende gesellschaftlich entwickelte Zweck.

Gesellschaftlich entwickelte Zwecke beeinflussen besonders die komplexeren For­ men des sprachlichen Handelns, die gerade in institutionalisierten Zusammenhängen - beispielsweise im Krankenhaus - eine Rolle spielen und sich in Form von Handlungsmustem manifestieren. Diese sprachlichen Organisationsformen haben den Charakter gesellschaftlich ausgearbeiteter Handlungswege, d. h. sprachliche Hand­ lungsmuster sind Ablaufformen, die von den Interaktanten für regelmäßig zu bewäl­ tigende kommunikative Aufgaben in einer Gesellschaft entwickelt und standardisiert wurden und somit ein Handlungspotential darstellen, auf das bei der Realisierung gesellschaftlicher Zwecke zurückgegriffen werden kann.

Für interkulturelle Begegnungen kann dies bedeuten, dass aufgrund unterschiedli­ cher gesellschaftlich zu realisierender Zwecke Muster und ihre sprachlichen Formen 6 Verwiesen sei hier insbesondere auf die Arbeiten von Rasmussen 1996, Andersen 1997, Fredsted 1998 und Asmuß 1999. 7 Zur Konzeption der funktional-pragmatischen Diskursanalyse vgl. ausführlicher Brünner/ Graefen 1994 sowie Ehlich 1996 und Rehbein 1996.

207 sowie das dazugehörige Wissen divergieren und infolge abweichender Normalitäts­ erwartungen zu Verständigungsschwierigkeiten führen können (vgl. Rehbein 1985: 27 ff.). 2.2. Sprachliches Handeln in Institutionen Institutionen sind Teilsysteme zur Prozessierung gesellschaftlicher Zwecke (vgl. Ehlich/ Rehbein 1986). Ein Blick in die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt, dass interkulturelle Kommunikation zu einem Großteil in Institutionen stattfindet (vgl. Liedke 1997: 155). Verwaltungen und Gerichte, Arztpraxen und Krankenhäuser, Wirtschaftsuntemehmen, Schulen etc. sind Orte, in und an denen sich gesellschaftli­ ches Handeln in seiner kulturellen bzw. interkulturellen Geprägtheit sprachlich reali­ siert.

Bei den in der Institution Handelnden lassen sich nun zwei Aktantengruppen unter­ scheiden: die Klienten (z. B. Angeklagte, Patienten, Schüler), auf die hin die Zwecke der Institution ausgerichtet sind, und die für die Zwecke der Institution tätigen Agen­ ten (z. B. Richter, Ärzte, Lehrer), d.h. ihr Personal. Beide Gruppen verfügen bezo­ gen auf die jeweilige Institution über unterschiedliches Wissen und damit einherge­ hend über unterschiedliche kommunikative Möglichkeiten. Ist das Agentenwissen als professionalisiertes Wissen meist systematisch durchstrukturiert und in instituti­ onsspezifischen sprachlichen Handlungsmustem organisiert, so ist das Klientenwis­ sen zumeist durch individuelle, partikuläre Erfahrungen charakterisiert und den besonderen Erfordernissen der institutionellen Kommunikation mittels der aus der alltäglichen Kommunikation zur Verfügung stehenden sprachlichen Formen anzu­ passen. In der Praxis erweisen sich diese unterschiedlichen Wissensrepertoires der Klienten einerseits und der Agenten andererseits daher immer wieder als Quelle kommunikativer Probleme, für die bei einem interkulturellen Kontakt eine zusätzli­ che Verschärfung angenommen werden kann. 2.2.1.

Arzt-Patient-Kommunikation

Die naturwissenschaftlich und technisch bedingten Fortschritte der Medizin haben dazu geführt, dass in der Arzt-Patient-Beziehung die Bedeutung des Gesprächs mehr und mehr zugunsten der apparativen Diagnose und medikamentösen Therapie sowie der Zeitökonomie in den Hintergrund gedrängt wird. Dennoch kommt der Sprache bei der Realisierung des gesellschaftlichen Zwecks der Linderung von Krankheit und Wiederherstellung von Gesundheit nach wie vor eine zentrale Rolle zu (vgl. Löning 1994: 97). Sprache koordiniert das gemeinsame Handeln von Arzt und Pati­ ent und transferiert das dafür notwendige Wissen. Verständigungsprozesse machen somit einen sehr großen Teil der Arzt-Patient-Kommunikation aus. Charakteristisch sind daher stark ausgearbeitete reformulierende Handlungen seitens des Arztes, mit denen Patientenwissen den institutionsspezifischen Bedürfnissen entsprechend adap­ tiert wird (vgl. Bührig 1996). Dabei muss das subjektive Erlebniswissen des Patien­ ten nicht nur in die professionellen Strukturen des Arztwissens transformiert, son­ dern auch solchermaßen bearbeitet wieder verständlich, z.B. als Therapievorschlag,

208 an den Patienten weitergegeben werden. Häufig wird genau dies zum Problem: Die Verwendung professioneller Fachtermini, semi-professioneller und pseudo­ professioneller Begriffe wie auch von Begriffen der Alltagssprache als Repräsentati­ on unterschiedlicher Wissenstypen und ihre Einbettung in nicht immer für beide Aktanten gleichermaßen klar erkennbare institutionelle Abläufe, lassen den ArztPatient-Diskurs immer wieder für Asymmetrien bis hin zu Missverständnissen anfäl­ lig werden (vgl. Löning 1994: 112ff.).

Diesen Verständigungsschwierigkeiten stehen oftmals nicht nur die Patienten wegen ihrer direkten Betroffenheit, sondern auch die Ärzte aufgrund der in ihrer Ausbil­ dung immer noch vernachlässigten Gesprächsschulung sowie der institutionstypi­ schen Gegebenheiten hilflos gegenüber.8 Nicht selten hat dies Einfluss auf den Er­ folg einer Behandlung - gerade bei nichtmuttersprachlichen Patienten. 2.3. Interkulturelle Kommunikation und interkulturelle Kommunikationsfähigkeit9

Als Schlüsselproblem interkultureller Kommunikation wird zumeist das Fehlschlä­ gen von Kommunikation zwischen Interaktanten unterschiedlicher kultureller und sprachlicher Zugehörigkeit angeführt. Mit solch einer Zuweisung in diesem sehr weiten Sinne werden allerdings gleich mehrere Aspekte missachtet (vgl. Rehbein 1999: Iff.): So ist zwar zum einen die Wahrscheinlichkeit, dass wenn zwischen Aktanten Formen des Wissens und Handelns sowie der sprachlichen Mittel und ihrer Funktion differieren, der interkulturelle Aspekt eintritt, recht wahrscheinlich; zum anderen sind jedoch allein Problemkommunikation und Missverständnisse keine Garanten dafür, dass eine interkulturelle Kommunikationssituation vorliegt, zumal in solch einer Situation Missverständnisse auch häufig geklärt werden. Nicht alle Fälle von Kommunikation zwischen Interaktanten mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen, bei denen Verständigungsprobleme und kom­ munikative Fehlschläge zu beobachten sind, sind daher Beispiele für interkulturelle Kommunikation. Interkulturell im engeren Sinne ist eine Kommunikation vielmehr erst dann, wenn es zu einer echten „Begegnung“, einer Reflexion der Denk- und Wahmehmungsstrukturen sowie der Handlungspraktiken bis hin zu einer eventuel­ len Umorganisierung derselben in Form von neuen Formen des Wissens und Han­ delns kommt (vgl. Redder/ Rehbein 1987, Rehbein 1999). Die alltagspraktische Erfahrung nun zeigt, dass einige interkulturelle Kontakte zu­ friedenstellend, andere jedoch weniger glücklich verlaufen. Knapp-Potthoff geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass Gelingen und Scheitern solcher Kontakte nicht nur von Zufällen oder situativen Faktoren abhängig sind, sondern dass die an 8 Vgl. dazu ausführlicher Fiehler 1990 sowie Spranz-Fogasy 1990 und 1992. 9 Der vorliegenden Arbeit liegt ein dynamisch-pragmatischer Kulturbegriff zugrunde, demzufolge „Kul­ tur“ als ein in ständiger Entwicklung begriffenes, gesellschaftlich geteiltes Ensemble von Wissensbestän­ den und Standards des Wahmehmens, Glaubens und Bewertens aufgefasst werden kann, welches sich in bestimmten kognitiven Schemata und Handlungspraktiken manifestiert und zumeist über Sprache trans­ portiert.

209 ihnen Beteiligten die Gestaltung dieser Kontakte - in Grenzen - in der Hand haben und diese Kompetenz zu einem gewissen Grad lernbar ist (vgl. Knapp-Potthoff 1997: 181L). Solch eine interkulturelle Kommunikationsfähigkeit ist dabei als Fä­ higkeit aufzufassen, mit Mitgliedern fremder Kommunikationsgemeinschaften eben­ so erfolgreich Verständigung zu erzielen, wie mit denen der eigenen, und dabei die im einzelnen nicht genau vorhersehbaren, durch Fremdheit verursachten Probleme zu bewältigen und neue Kommunikationsgemeinschaften aufzubauen (vgl. KnappPotthoff 1997: 196). Wichtige Komponenten einer solchen interkulturellen kommu­ nikativen Kompetenz sind Empathiefähigkeit und Toleranz, kulturspezifisches Wis­ sen über die fremde wie auch die eigene Kommunikationsgemeinschaft, allgemeines Wissen über Kultur und Kommunikation, ein Bewusstsein über die Besonderheiten interkultureller Kontakte sowie ein gewisses Inventar an sprach- und interaktionsbe­ zogenen Strategien bis hin zu Strategien zur Erweiterung und Differenzierung des Wissens über fremde Kommunikationsgemeinschaften. 2.4. Erfahrungen interkulturellen Kontakts in Institutionen Im Zusammenhang mit der Kommunikation in Institutionen wird die Funktionalität von Sprache in ihrer kulturspezifischen Ausprägung augenfällig (vgl. Rehbein 1985: 31). Was die Erfahrung des interkulturellen Kontakts in Institutionen angeht, kann dies zu weitreichenden Konsequenzen führen.

Meistens stellen die Angehörigen der sprachlichen Mehrheit das Agenten-Personal, und die Angehörigen der sprachlichen Minderheit sind die Klienten. In den Ein­ zugsbereich einer Institution eingetreten, aktualisieren die Angehörigen der sprachli­ chen Minderheit ihr Vorwissen über in diesem Zusammenhang adäquates sprachli­ ches Handeln, das sie teils aus fragmentarischen Kenntnissen über das angemessene institutionelle Handeln in der Mehrheitsgesellschaft und teils aus der Erfahrung mit der entsprechenden Institution ihrer Herkunftsgesellschaft beziehen. Dabei steht die Kulturspezifik ihres Vorwissens oftmals im Widerspruch zu den aktuellen Erforder­ nissen, und auch die Agenten haben oft nur wenig bis gar kein Wissen über die Vor­ erfahrungen ihrer Klienten, als dass sie mögliche Verständigungsschwierigkeiten angemessen bearbeiten könnten. In vielen Fällen kann dies zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins der Klienten gegenüber dem Handeln der Agenten führen. Dem Wunsch nach Durchsichtigkeit steht somit eine erlebte Undurchsichtigkeit gegen­ über (vgl. Liedke 1997: 163).

2.4.1.

„Widerstreit“ in der interkulturellen Arzt-Patient-Kommunikation

Nicht immer tritt die Erfahrung interkulturellen Kontakts in Institutionen deutlich und klar erkennbar zutage. Anknüpfend an den soeben festgehaltenen Widerspruch zwischen gewünschter Durchsichtigkeit und tatsächlich erfahrener Undurchsichtig­ keit stößt man vielmehr auf einen verdeckteren, inneren Widerstand. In der interkul­ turellen Arzt-Patient-Kommunikation ist dies häufig daran erkennbar, dass deutsche Ärzte nichtdeutschen Patienten Ratschläge geben, die trotz wiederholter arztseitiger Versuche der Verstehenssicherung patientenseitig auf sehr unterschiedliche Auf-

210

und Übemahmebereitschaft treffen (vgl. Rehbein 1994: 124). Dadurch werden Handlungen, die aus dem professionellen sprachlichen Handeln als Konsequenz erwachsen sollen, bei den Patienten sequentiell-mental blockiert. Es entsteht ein kooperatives Gegeneinander, das zwar nicht zum Eklat führt, aber auch nicht gelöst wird und sich nach Rehbein in seiner Ambivalenz mit dem Begriff „rencontre“ (feindliche und freundliche Begegnung) bezeichnen lässt (vgl. Rehbein 1994: 124). Solch ein Widerstreit aktiviert Strukturen, die den Diskurs in einer weiten Erstre­ ckung betreffen und eine mangelnde mentale Übernahme der ärztlichen Empfehlun­ gen wahrscheinlich erscheinen lassen. Besondere Anfälligkeit für solche Fälle inter­ kulturellen Widerstreits zeigen u.a. der kommunikative Apparat, die Struktur des Diskurses sowie die Wissensstruktur der Interaktanten (vgl. Rehbein 1994: 148). So kann der die Interaktion permanent kontrollierende kommunikative Apparat - d. h. die den Interaktanten zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel zur Organisation der Rede, der wechselseitigen Sprecher-Hörer-Steuerung, des ReparaturMechanismus etc. - von Sprecher und Hörer unterschiedlich gehandhabt werden; daraus resultieren u. U. ein Nicht-Verstehen, eine gegenläufige Diskursgliederung, ein Nicht-Zuhören etc., also das Unterlassen bzw. Verschieben essentieller, die ge­ meinsame Kommunikation wechselseitig steuernder Prozeduren. Hinsichtlich der Diskursstruktur sind Deplacierung, Verschiebung, Ausfall, Hyperlaboriertheit etc. struktureller Musterpositionen beobachtbar; daraus entstehende Phänomene sind häufig Asynchronie, Repetitivität und eine Spiralstruktur des Diskurses mit steigen­ der Gespanntheit. Bezüglich der Wissensstruktur kann beobachtet werden, dass Bilder, Vorstellungen und Handlungserwartungen der Beteiligten kulturspezifisch präformiert sein können, so dass der Umfang des gemeinsamen Diskurs- und All­ tagswissens bei Sprecher und Hörer eingeschränkt und als Basis für Kooperation nicht selbstverständlich ist.

3.

Diskursbeispiele

Bei der nun folgenden Analyse deutsch-dänischer Aufklärungsgespräche im Kran­ kenhaus10 ist bei den drei betroffenen Patientinnen verständlicherweise sowohl Angst als auch ein Informationsbedürfnis gegenüber der bevorstehenden Strahlen­ therapie vorauszusetzen, die - typisch für Arzt-Patient-Kommunikation - in einem belastenden Widerspruch zueinander stehen. Zusätzliche Brisanz mag dieser Um­ stand noch durch die Tatsache erhalten, dass sich die Patientinnen in diesem speziel­ len Fall nicht in der ihnen vertrauten dänischen Institution Krankenhaus zu einer Behandlung eingefunden haben, sondern in einem Krankenhaus in Deutschland. Diese beiden Momente zusammen genommen lassen den zuvor skizzierten Wider­ 10 Eine detaillierte Darstellung und Analyse medizinischer Aufklärungsgespräche sowie einen umfas­ senden Überblick über die strukturellen Charakteristika der Arzt-Patient-Kommunikation im Kranken­ haus aus diskursanalytischer Sicht bieten die im Rahmen des Sonderfoischungsbereich „Mehrsprachig­ keit“ der Universität Hamburg entstandenen Arbeitspapiere von Meyer 2000 und Bührig/ Durlanik/ Meyer 2000.

211

streit, wie er für die interkulturelle Arzt-Patient-Kommunikation oft kennzeichnend ist, für die vorliegenden Gespräche nicht unwahrscheinlich erscheinen. Wichtigste Aufgabe des Arztes wird somit die Etablierung einer Auf- und Übemahmebereitschaft der für die Therapie wichtigen Informationen, Ratschläge und Empfehlungen mittels einer einfühlsamen und geschickten Gesprächsführung sein, die auch mögli­ che sprachlich-kulturelle Differenzen mit einbezieht.11 3.1. Gespräch 1

Bezüglich des ersten der insgesamt drei Gespräche ist festzustellen, dass die däni­ sche Patientin sowohl relativ gut Deutsch spricht als auch versteht und darüber hin­ aus - trotz ihrer psychisch belastenden Situation - recht selbstsicher wirkt und die Informationen zu der ihr bevorstehenden Behandlung mit positiv-kritischem Interes­ se aufnimmt. Demgegenüber verfügt der deutsche Arzt bezüglich des Dänischen über eine gewisse Menge an sprachlichen Mitteln der Alltagskommunikation sowie über einige fachliche Begriffe, die zur Aufklärung gehören. Er versteht auch das meiste, wenn die Patientin von seinem gleich zu Beginn des Gesprächs formulierten Angebot, ruhig Dänisch zu sprechen, Gebrauch macht. Das nachfolgende Gespräch zeigt daher - wie auch die zwei anderen Aufklärungsdiskurse - Züge von Semikom­ munikation12, wobei der Arzt hauptsächlich Deutsch und die Patientin Dänisch spricht. Beim Verlauf des Gesprächs erkennt man deutlich, dass der Arzt die Wissensprozessierung nach einem speziell entwickelten Merk- und Informationsblatt organisiert. Dabei ist sich der Arzt sehr wohl über die Wissensdifferenzen und sprachlichen Unterschiede zwischen ihm und seiner Patientin im klaren. Eine von ihm in diesem Zusammenhang angewandte, in vielen mehrsprachig-interkulturellen Gesprächen beobachtbare Strategie ist die des Sprachenwechsels. Funktional wird solch ein Sprachenwechsel immer dann eingesetzt, wenn der Arzt eine für die Aufklärung essentielle Information als schwer verständlich oder problematisch für die Auf- und Übemahmebereitschaft erachtet und daraufhin eine Übersetzung oder Paraphrase anbietet oder wenn die Patientin auf Dänisch das Wort an ihn richtet. Sprachen­ wechsel wird somit als Strategie verwendet, um einerseits fachliche Zusammenhän­ ge verständlicher zu machen und die Aufmerksamkeit gezielt auf wichtige Informa­ tionen zu lenken, und andererseits, um - wie im nachfolgenden Ausschnitt - Koope­ rationsbereitschaft gegenüber Fragen und Vorbehalten zu signalisieren.

11 Da alle hier untersuchten Gespräche vom selben Arzt in einem vergleichbaren Setting durchgeführt wurden, weisen die Diskurse einige Parallelitäten auf; untersucht werden sollen daher nur die für jedes Gespräch besonders charakteristischen Punkte, so wie es im Rahmen dieses Beitrags möglich ist. 12 Zum Konzept der „Semikommunikation“ hinsichtlich der deutschen und der skandinavischen Sprachen vgl. ausführlicher Braunmüller 1995.

212 (Bl) IKK/APK/l/040400/16/Sa (A: Arzt, Pl: Patientin 1, Ü: Übersetzung) (01) A:

So, wir wollen gerne heute einmal über dieses Merkblatt noch sprechen, ne?

(02)

(1s) Denn die Strahlenbehandlung (ls) erfordert vorher eine ganz genaue Aufklärung.

(03) PI:

Ja?

Ja. (04) A:

Und wenn Sie irgendetwas nicht verstehen, dann sagen Sie mir gleich Bescheid, ja?

(05) PI:

Ja!

(06) A:

Auch für Sie muss alles ganz genau verstanden sein.

(07) A:

Hvis du ikke forstär noget sä skal du sige til.

(08) Ü:

Wenn du irgendwas nicht verstehst, musst du es sagen.

Ebenfalls am obigen Beispiel in Anklängen erkennbare, für mehrsprachig­ interkulturelle Situationen im Sinne einer Bearbeitung von Verständigungsschwie­ rigkeiten und Dissens typische Strategien sind der häufige Gebrauch von Sprech­ handlungsaugmenten wie „ne“ (01) und ,ja“ (04), die frequente Verwendung von Intensifikatoren wie „ganz“ (02, 06) und „genau“ (02, 06) im Zusammenspiel mit „müssen“ (06) sowie ausgearbeitete Wiederholungs- und Erläuterungssequenzen vorangegangener Äußerungen seitens des Arztes (vgl. Rehbein 1994: 135). Diese Phänomene erinnern an einen anderen Diskurstyp institutioneller Kommunikation: den Lehr-Lem-Diskurs13. Solch ein Musterimport findet sich oft, wenn die Wichtig­ keit bzw. Richtigkeit von etwas zuvor Gesagtem betont und noch einmal festgehal­ ten werden soll. Insgesamt gibt der Arzt also deutlich zu erkennen, dass er sich bei der Konstellation „deutscher Arzt - dänische Patientin“ der Gefahr von Verständigungs- und Ver­ ständnisproblemen sehr wohl bewusst ist. Entsprechend seiner Aufklärungspflicht wendet er Strategien an, die als typisch für die Bearbeitung interkultureller Kommu­ nikationssituationen gelten können. Er zeigt somit erkennbare Ansätze interkulturel­ ler Kommunikationsfähigkeit. Dass die Patientin diese Bemühungen des Arztes kooperativ aufzunehmen und zu schätzen weiß, zeigt sich, wenn - nach einer recht deutlichen Gesprächsdominanz des Arztes zu Beginn des Gesprächs - sie sich im weiteren Gesprächsverlauf zunehmend mit persönlichen Beobachtungen und Erkun­ digungen zur Krankheit einbringt. Dabei zeigt die Patientin, dass sie sich schon vorher eigeninitiativ und produktiv mit der Thematik befasst hat, was als Zeichen 13 Zur Analyse von Kommunikation in institutionellen Lehr-Lem-Prozessen vgl. ausführlicher Ehlich/ Rehbein 1986 und Brünner 1987.

213

einer positiven „compliance“, d. h. Akzeptanz der Therapie (vgl. Löning 1992: 225), gewertet werden kann. Aufgrund dieser kooperativen Atmosphäre wird sogar - wie der folgende Gesprächsausschnitt zeigt - gemeinsamer Humor für die beiden Betei­ ligten möglich. (B2) IKK/APK/l/040400/16/Sa (A: Arzt, PI: Patientin, Ü: Übersetzung) (01) A:

Wie ist es mit Zigaretten und Alkohol?

(02) PI:

Ich rauche nicht, ne/hm/eh/trinke etwas Rotwein.

(03) A:

(

) (dacht))

(04) PI:

((lacht))

(05)

Doch/mä man det?

(06) Ü:

darf man das?

(07) PI:

Ogsä när man fär sträler, mä man sä tage?

(08) Ü:

Auch wenn man Strahlen bekommt, darf man dann nehmen?

(09) PI:

(dacht))

(10) A:

Ja, aber nur gemeinsam mit dem Arzt!

(11)

((lacht))

(12) PI:

Nä, men sä mä jeg tage en flask med!

(13) Ü:

Ach so, aber dann muss ich ja eine Flasche mitnehmen!

(14) PI:

((lacht))

Eine im Sinne des interkulturellen Aspekts sehr interessante Situation findet sich schließlich gegen Ende des Gesprächs.

(B3) IKK/APK/l/040400/16/Sa (A: Arzt, PI: Patientin, Ü: Übersetzung) (01) PI:

Hvorfor skal jeg sä skrive under der?

(02) Ü:

Wieso muss ich dann da unterschreiben?

(03) PI:

Undskyld jeg spprger, men det g0r vi jo ikke i danmark!

(04) Ü:

Entschuldigung, dass ich frage, aber das machen wir ja in Dänemark nicht!

(05) A:

(1s) Ja, in Dänemark gibt es das gar nicht.

(06)

In Deutschland muss man aber vor jeder Behandlung aufgeklärt werden.

(07) PI:

Hm.

214 (08) A:(ls)

Über die möglichen Nebenwirkungen, auch über seltene Nebenwirkungen.

(09) PI:

Hm.

(10) A:

Dann muss der Patient einverstanden sein mit der Behandlung.

(11) (12) PI:

Er muss die Aufklärung unterschreiben.

(13) A:

Das ist also eine merkwürdige Geschichte.

(14) PI:

Ja, hm.

(15) A:

In Deutschland verlangen die Juristen das.

(16)

(1s) Alles ohne Einverständnis des Patienten wäre Körperverletzung.

(17)

Sie bestrahlen, ohne dass Sie damit einverstanden wären, nicht unterschrieben hätten,

(18)

wäre nicht aufgeklärt.

(19) PI:

Jamen ellers var jeg jo ikke kommen!

(20) Ü:

Aber sonst wäre ich ja nicht gekommen!

(21) PI:

(dacht))

(22) A:

(dacht))

(23)

Ja, genau das sag ich auch immer, aber das ist ganz komisch.

(24)

Also, Sie bekommen eine Kopie davon mit, ne?

(25) PI:

Hm.

Ja!

Dieser Ausschnitt zeigt zweierlei: Zum einen manifestiert sich hier ein grundsätzli­ cher Unterschied zwischen der deutschen und der dänischen Vorgehensweise bei einem invasiven Eingriff wie der Strahlentherapie. Zum anderen wird jedoch auch deutlich, wie sich damit der Zweck dieses Gesprächs für beide Interaktanten als unterschiedlich kulturell präformiert darstellt: Für die Patientin bedeutet die Aufklä­ rung hauptsächlich eine Orientierung über medizinische Sachverhalte in Zusam­ menhang mit der ihr bevorstehenden Behandlung; für den Arzt kommt jedoch dazu noch der von ihm einzuhaltende juristische Hintergrund der Aufklärung, der von der Patientin eine positive Bewertung der ihr zuvor vermittelten Informationen in Form der Unterschriftenleistung verlangt. Beide - Patientin und Arzt - zeigen jedoch trotz dieser kulturell bedingten Wissensdifferenz in der Stellung der Frage selbst wie auch in ihrer Beantwortung die Fähigkeit zur Reflexion im Sinne einer interkulturellen Begegnung und damit interkulturelle kommunikative Kompetenz.

215

3.2. Gespräch 2

Auch bei der zweiten Patientin können recht gute Deutschkenntnisse vorausgesetzt werden; verglichen mit der Patientin aus dem vorangegangenen Beispiel ist sie je­ doch deutlich unsicherer und nervöser. Es sind daher einige Verständigungsproble­ me bis hin zu Missverständnissen zu erkennen. Exemplarisch dafür ist das folgende Beispiel.

(B4) IKK/APK/2/110400/20/Hi (A: Arzt, P2: Patientin 2, Ü: Übersetzung) (01) P2:

Men nu/eh, mi/med mit bryst altsä det haever ogsä nogen gange nu.

(02) Ü:

Aber jetzt, äh, mit meiner Brust, also sie schwillt auch jetzt manchmal an.

(03) A:

Undskyld, det?

(04) Ü:

Entschuldigung, das?

(05) P2:

Nae, 0h, at brystet kan haeve ved strälebehandling, men sädan har jeg det ogsä nu!

(06) Ü:

Nein, oh, dass die Brust bei der Strahlenbehandlung anschwellen kann, so habe ich es

(07)

auch jetzt!

(08) A:

Ja.

(09) P2:

At den ene dag sä kan det vaere meget stört, og sä naeste dag at sä er det ikke sä stört.

(10) Ü:

Dass an einem Tag, da kann sie sehr groß sein, und dann am nächsten Tag, dass sie dann

(H)

nicht so groß ist.

(12) A:

Das kann sein, dass die Brust etwas anschwillt durch die Strahlung.

(13)

Das wäre normal, weil etwas Wasser sich anreichert in der Brust.

(14)

Wir gucken uns das immer an.

(15)

Und auch während der Bestrahlung schauen wir immer drauf.

(16)

(1s) Und wenn Sie mal das Gefühl haben, dass etwas nicht in Ordnung ist, sagen Sie es.

(17)

Die Assistentin, die die Bestrahlung durchführt, kann den Arzt jederzeit zuholen

(18) P2:

(1s) Sädan har jeg haft det!

216 (19) Ü:

So habe ich es schon gehabt!

(20) A:

Aha, hatten Sie schon gehabt.

(21) P2:

Ja!

(22) A:

Ja.

(23) P2:

Altsä den ene dag er det, eh, rigtigt stramm og den anden dag (................. )

(24) Ü:

Also, am einen Tag ist sie, äh, richtig fest, und am anderen Tag (................ )

(25) A:

Und am anderen Tag ist sie wieder flach.

(26) P2:

Ja!

(27) A:

Das ist aber/det er helt normalt i sädan en situation.

(28) Ü:

das ist ganz normal in einer solchen Situation.

(29) A:

Det vil ogsä vaere helt normalt med strälebehandling.

(30) Ü:

Da wird auch ganz normal mit Strahlenbehandlung sein.

(31) P2:

Ja.

Bis zu Beginn dieses Ausschnitts dreht sich das Gespräch um mögliche Nebenwir­ kungen, die durch die Strahlenbehandlung verursacht werden können. Der Arzt beschreibt sowohl Sofortreaktionen als auch Spätfolgen. Dabei erwähnt er als eine mögliche Spätfolge, dass die Brust nach Ende der Strahlenbehandlung anschwellen und fester werden kann. Damit scheint für ihn dieser Punkt abgehandelt. Die Patien­ tin jedoch ist anderer Auffassung. Sie beginnt einen Beschwerden vortrag auf dä­ nisch, wobei sie deutlich Nervosität und Unsicherheit zeigt, welche in dem „nu/eh“ (jetzt, äh) (01), der Selbstreparatur von „med“ (mit) (01) und das wiederholte „sä“ (da bzw. dann) (9) zum Ausdruck kommen. Sie versucht zu erklären, dass ihre Brust schon jetzt - und nicht erst als Spätfolge der Strahlenbehandlung - manchmal an­ schwillt. Dabei versteht der Arzt anscheinend zunächst nicht, was sie meint (03), so dass sie( daraufhin das Wort „haeve“ (anschwellen) (05) nochmals betont. Die Patien­ tin macht in dieser Sequenz nicht ausdrücklich deutlich, dass sie über sich selbst redet, sondern bleibt in ihrer Beschreibung eher allgemein, so dass der Arzt die Äußerung auch eher als allgemeine Bestätigung der zuvor von ihm skizzierten Spät­ folgen auffasst und nicht als individuelles, aktuelles Erleben seiner Patientin. Er signalisiert zwar, dass er die Patientin verstanden hat (08), jedoch scheint das für diese noch nicht zufriedenstellend zu sein, denn sie macht nun erneut den Versuch zu schildern, dass ihre Brust schon jetzt manchmal anschwillt, und beschreibt dabei zusätzlich konkret, wie sie dieses Anschwellen erlebt (09-11). Offensichtlich jedoch versteht der Arzt noch immer nicht, denn er erklärt daraufhin noch einmal erneut und detaillierter als beim ersten Mal dieses von ihm weiterhin als Spätfolge konzeptualisierte Anschwellen (12-17). Dabei bemüht er sich die Patientin zu beruhigen,

217 indem er versichert, dass er und die Assistentin die Problematik jederzeit im Auge hätten. Die Patientin ist jedoch immer noch nicht zufrieden, denn sie versucht nach einer kurzen Pause ein drittes Mal durch eine betonte Verwendung von „har jeg haft det“ (hatte ich das gehabt) (18) zu erklären, dass sie ganz konkret und schon vor der Therapie die oben genannten Symptome an sich beobachtet habe. Diesmal scheint sie damit auch Erfolg zu haben, denn durch sein „aha, hatten Sie schon gehabt“ (20) wirkt es so, als ob der Arzt nun verstanden hätte. Kurz darauf jedoch bezieht er ihre Beobachtung dann wieder ganz auf die Strahlenbehandlung (27-30), worauf die Patientin endgültig aufgibt und mit einem resignativen ,ja“ (31) das Thema als scheinbar zufriedenstellend bearbeitet abschließt.

Dieser soeben skizzierte Gesprächsverlauf erinnert an die nach Rehbein häufig in interkultureller Arzt-Patient-Kommunikation beobachtbare asynchrone und repetiti­ ve Spiralstruktur des Diskurses, die nicht selten die Form eines Beschwerdenzirkels (vgl. Rehbein 1986: 318) annimmt. Die Gründe für diesen Widerstreit, der in eine kommunikative „Sackgasse“ in Form eines unaufgelösten Missverständnisses führt, können in zwei Punkten festgemacht werden: Einerseits gelingt es der Patientin nicht, ihre Beschwerden so zu formulieren, dass der Arzt sie auch in der ihm doch noch in weiten Teilen fremden Sprache Dänisch in ihrer Aktualität erfassen kann; andererseits scheint der Arzt den Strukturen seines fachlichen Wissens zu sehr ver­ haftet zu sein, als dass er sich durch ein aufmerksames Zuhören (vgl. Löning 1992: 223ff.) von der Vorstellung eines Anschwellens der Brust als Spätfolgesymptom lösen und in das aktuelle, subjektive Erlebnis- und Wahmehmungswissen seiner Patientin einfinden könnte. Dass der Arzt mit schwierigen Gesprächssituationen jedoch ansonsten recht gut umzugehen weiß, zeigt das folgende Beispiel. Dem Ausschnitt voraus gehen einige Erklärungen bezüglich der Sensibilität der Haut während der Therapie und der dar­ aus resultierenden Notwendigkeit, während der Behandlung kein Wasser und keine Seife an die Haut zu bringen.

(B5) IKK/APK/2/110400/20/Hi (A: Arzt, P2: Patientin 2, Ü: Übersetzung) (01) A:

Du skal ikke vaske den hud i sträleomrädet.

(02) Ü:

Du sollst nicht die Haut im Strahlungsgebiet waschen.

(03) P2:

I seks og en halv uge skal man ikke vaske sig?

(04) Ü:

Für sechseinhalb Wochen soll man sich nicht waschen?

(05) A:

Seks og en halv uge du skal ikke vaske med saebe!

(06) Ü:

Sechseinhalb Wochen du sollst nicht mit Seife waschen!

(07) P2:

Nej, nej, med lidt vand mäske godt?

218 (08) Ü:

Nein, nein, mit ein bisschen Wasser vielleicht?

(09) A:

Wenn da ein bisschen Wasser drüberläuft, dann ist das nicht schlimm.

(10)

Auf jeden Fall keine Seife an wenden in der Gegend, sondern drum herum duschen.

(11)

(2s) So, Sie nehmen den Brausekopf und duschen drum herum, (zeigt))

(12) P2:

((lacht))

(13) A:

Also, hier links duschen, und rechts nicht so sehr duschen, ((zeigt))

(14) P2:

Aha!

(15) A:

Und dann vorsichtig anschließend nur abtupfen, ((zeigt))

(16) P2:

Ja!

(17) A:

Nicht frottieren!

(18) P2:

Nicht frottieren!

(19) A:

Nein, nicht frottieren!

(20) P2: (21) A:

Ja!

Ja! Ganz vorsichtig sein!

Die Tatsache, sich sechs Wochen nicht an der Brust waschen zu können, stößt bei der Patientin verständlicherweise auf wenig Gegenliebe (03). Um so wichtiger ist daher, dass der Arzt hier die Reserviertheit der Patientin aufbricht und die notwendi­ gen Voraussetzungen für eine positive Auf- und Übemahmebereitschaft seiner Emp­ fehlungen herstellt, was ihm tatsächlich auch zu gelingen scheint. Wie schon im vorangegangenen Gespräch bedient er sich dabei an diesem zentralen Punkt des Gesprächs der Strategie des Sprachenwechsels und ausgearbeiteter Erläuterungsse­ quenzen. Er zeigt schließlich der Patientin sogar noch durch Einsatz von Körper­ sprache14, wie sie beim Duschen und Abtrocknen vorgehen soll (11-15), was diese mit einem Lachen reagieren und ihm dann ihre Kooperationsbereitschaft durch bes­ tätigende Jas“ (16, 20) zusichem lässt. Trotz der oben angeführten Verständigungsprobleme lassen sich also beide Interakt­ anten bei der Lösung ihrer gemeinsamen kommunikativen Aufgabe nicht beirren. Das Gespräch zeigt somit Ansätze interkultureller Kommunikationsfähigkeit, auch wenn es dabei nicht unbedingt zu einer reflektierten „Begegnung“ im Sinne des interkulturellen Aspekts kommt. 14 Zur Bedeutung der Körpersprache für die interkulturelle Kommunikation vgl. ausführlicher Apeltauer 1997.

219

3.3. Gespräch 3 Beim letzten der drei Gesprächsbeispiele kann die gleiche Konstellation wie schon zuvor vorausgesetzt werden. Auffällig jedoch ist, dass diese Patientin vergleichswei­ se extrem ruhig, zurückhaltend und reserviert ist. Dies führt offenkundig dazu, dass der Arzt in diesem Gespräch sehr viel an Rede einnimmt. Unabhängig von der Tat­ sache, dass dies für die Arzt-Patient-Kommunikation im allgemeinen und den Dis­ kurstyp Aufklärungsgespräch im speziellen typisch ist, ist diese Asymmetrie mögli­ cherweise auch dadurch zu begründen, dass der Arzt dieser Patientin aufgrund ihrer Handlungsunterlassungen ein extremes Nichtwissen sowie eine deutliche Unselb­ ständigkeit unterstellt (vgl. Liedke 1997: 161). Folglich fühlt er sich mehr oder we­ niger gezwungen, die Interaktion alleine durchzuführen, auch wenn er immer wieder die Distanz zu mindern und die Patientin aus ihrer Reserviertheit hervorzulocken versucht, indem er zum Beispiel des öfteren im Gesprächsverlauf sein Interesse an der dänischen Kultur und Sprache signalisiert.

Wie schon bei den vorangegangenen Gesprächen versucht der Arzt auch hier bei für die Aufklärung besonders wichtigen und seines Erachtens nach schwerverständli­ chen und für die Auf- und Übemahmebereitschaft problematischen Punkten durch Strategien wie Sprachenwechsel, Paraphrasen, Wiederholungen, Erläuterungen oder rücksichemde Fragen Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnissen vor­ zubeugen sowie Kooperationsbereitschaft zu signalisieren wie auch herzustellen. Etwas ausführlicher eingegangen werden soll nun auf einige rückversichernde Fra­ gen.

(B6) IKK/APK/3/270400/20/Pe (A: Arzt, P: Patientin 3, Ü: Übersetzung) (01) A:

So, (2s) haben Sie denn jetzt noch Fragen zur Behandlung?

(02) P3:

Nej.

(03) Ü:

Nein.

(04) A:

Etwas nicht verstanden?

(05)

Alles gut verstanden?

(06) P3:

Jaja.

(07) A:

Ja.

(08)

(5s) Das kann ich gar nicht glauben.

(09)

Da müssten doch noch irgendwelche Fragen sein?

(10)

Na, Fragen kommen auch erst hinterher, während der Behandlung.

Da die Patientin während des gesamten Gesprächsverlaufs nur relativ wenig von

220 sich selbst eingebracht hat, mag der Arzt hier unsicher sein, ob die Patientin alles verstanden hat. Er fragt daher gegen Ende des Gesprächs mittels mehrerer rückver­ sichernder Fragen, die an eine Fragebatterie erinnern, ob sie alles gut verstanden habe (01, 04, 05). Darauf reagiert die Patientin sehr schnell und sehr knapp mit „ja­ ja“ (06), was den Arzt letztlich nicht zu überzeugen scheint. Fast wie zu sich selbst äußert er seinen Zweifel am Verstehen der Patientin und die Vermutung, es müsse doch noch Fragen geben, und fügt dann - nahezu um sich selbst eine Erklärung zu geben - hinzu, dass viele Fragen ja oft auch erst während der Behandlung auftauchen würden (08-10). Für den Arzt scheint sich hier ein Bruch im Handlungsprozess (vgl. Liedke 1997: 165 ff.) zu manifestieren, bei dem durch die Abweichung von einer bestimmten Erwartungshaltung die Kooperationsbereitschaft der Patientin in Frage gestellt zu sein scheint. Um diese Irritation nun auszuräumen, äußert der Arzt im weiteren Gesprächsverlauf die Vermutung, dass die Patientin sicherlich auch schon einiges über die Behandlung von den Kollegen in Dänemark erfahren habe. Aller­ dings tritt daraufhin statt der vom Arzt exothetisierten gewünschten Beseitigung seiner Unsicherheit etwas anderes ein: Die Patientin bestätigt zwar kurz die Vermu­ tung des Arztes, schiebt aber sogleich nach, dass sie immer gedacht habe, dass nur die Narbe und nicht der gesamte Oberkörper bestrahlt würde, zudem eine Schul­ freundin, der auch eine Brust entfernt wurde, überhaupt keine Bestrahlung bekom­ men habe. Obwohl nun am Ende der Aufklärung angekommen, scheint die Patientin somit immer noch deutliche Vorbehalte bezüglich der Therapie zu haben.

Der folgende Ausschnitt zeigt, dass der Arzt im Sinne der Verständlichkeit und Signalisierung von Kooperationsbereitschaft bei wichtigen Fachtermini und deren Erläuterungen sehr langsam, mit Pausen und einer entsprechenden Betonung spricht. (B7) IKK/APK/3/270400/20/Pe (A: Arzt, P3: Patientin 3, Ü: Übersetzung)

(01) A:

So, (1s) wie wird diese Behandlung ablaufen?

(02)

(1s) Die Brust wurde durch die Operation entfernt.

(03)

(3s) Wenn Sie irgendwas nicht verstehen, dann müssen sie gleich fragen, ne?

(04)

(2s) Da ist also die Brustdrüse entfernt, und man hat hier eine Narbe.

(zeigt)) (05)

Wir wollen jetzt diese (1s) Narbenregion, dieses Narbengebiet mit der Brustwand, (2s)

(06)

das wollen wir bestrahlen.

(07)

(2s) Das machen wir über zwei, schräg angesetzte Bestrahlungsfelder.

(08)

(1 s) Ein Feld von vorne, ein Feld von der Seite.

221 (09)

(1s) Das sind zwei schräge Felder.

(10)

(2s) Damit wird die Brustwand sozusagen in die Zange genommen.

(11)

(5s) Verstehen Sie das?

Auf dieses Beispiel ist jedoch auch noch einmal gesondert einzugehen. Wie schon beschrieben, verwendet der Arzt hier zum Zweck einer besseren Verständlichkeit eine recht langsame Sprechweise mit Pausen und gezielter Betonung zur SprecherHörer-Steuerung. Darüber hinaus macht er in diesem Sinne auch noch von einem Bild bzw. einer Redewendung Gebrauch, wobei seine Wahl allerdings leider auf die in diesem Zusammenhang sehr unglückliche Formulierung „etwas in die Zange nehmen“ (10) fällt. Dieser Ausdruck - wenn überhaupt verstanden - löst bei seiner Patientin mit Bezugnahme auf ihre Brust sicherlich keine schöne Vorstellung und Beruhigung aus. Der Arzt bekommt daher auf seine verständnissichemde Rückfrage (11) auch keine ersichtliche Reaktion. In der nachfolgenden Sequenz bemüht sich der Arzt somit auch wieder um eine geschicktere Gesprächsführung, im Zuge derer er die Patientin - was die gesamte Vorgehensweise bei der Bestrahlung angeht - zu beruhigen versucht.

(B8) IKK/APK/3/270400/20/Pe (A: Arzt, P3: Patientin 3, Ü: Übersetzung) (01) A:

Deshalb soll man die Brustwand bestrahlen.

(02)

(3s) Ich zeige Ihnen das nachher am Planungsgerät.

(03)

Dann werden Sie das genau verstehen.

(04)

(3s) Da wird also einmal die Brustwand bestrahlt.

(05)

(1s) Also, so, ((zeichnet)) von beiden Seiten an zwei schrägen Feldern.

(06)

(1s) Und dann werden wir diesen Lymphabfluss auch noch

bestrahlen. (07)

(3s) So, (1s) diesen, ((zeichnet))

(08)

Das wird von vorne bestrahlt, und dies wird schräg bestrahlt.

(09)

(1s) Und dazu machen wir hier Markierungen auf die Haut.

(10)

(2s) Und dann können wir das Ganze (1s) ganz genau einstellen.

(11) P3:

Hm.

(12) A:

(3s) So, das ist nicht weiter schlimm.

(13)

Das geht auch ganz schnell, und es tut nicht weh.

(14)

(1s) Det g0r ikke ondt.

222

(15) Ü:

Das tut nicht weh.

(16) A:

(2s) Braucht man keine Sorge zu haben.

Allerdings bekommt er auch auf diese sehr ausgearbeiteten Erläuterungen wieder wenig bis gar keine „compliance“ signalisierende Rückmeldungen. Eindrucksvoll zeigt dieses Gespräch, wie sich der für die Arzt-PatientKommunikation typische Widerspruch zwischen Angst und Informationsbedürfnis erschwerend auf den Diskurs auswirken und in der Kommunikation zwischen Ange­ hörigen unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Zugehörigkeit eine Zuspit­ zung bis hin zum Widerstreit erfahren kann. Eine Patientin, die Angst hat, sagt nicht viel. Die Verantwortung für ein erfolgreiches Aufklärungsgespräch - gerade in mehrsprachig-interkulturellen Settings - liegt somit überwiegend in der Hand des Arztes. Von einer Patientin, die ein Informationsbedürfhis hat, wird jedoch wenigs­ tens Kooperationsbereitschaft erwartet. Es bleibt daher festzuhalten, dass Strategien zur Überwindung von Distanz und Verständigungsschwierigkeiten im Sinne inter­ kultureller Kommunikationsfähigkeit nur dann wirklich zufriedenstellend funktio­ nieren können, wenn beide an solch einer kommunikativen Aufgabe Beteiligten ihren Beitrag zur Lösung derselben zu leisten in der Lage sind. Leider ist dies hier nicht der Fall. Es kommt somit zu keiner wirklichen „Begegnung“ - weder interkul­ turell noch interpersonal.

4.

Abschließende Überlegungen

Die vorliegende diskursanalytische Untersuchung deutsch-dänischer Arzt-PatientKommunikation stellt einen Beitrag zu Fragestellungen der Erforschung interkultu­ reller Kommunikation in Institutionen dar. Birgt dieser Kommunikationstyp schon unter einsprachigen Konditionen oft genug die Problematik einer „Verständigung über Grenzen“, so konnte gezeigt werden, dass dieser Umstand unter mehrsprachig­ mehrkulturellen Bedingungen noch eine Zuspitzung im Sinne des interkulturellen „rencontres“ erfährt, besonders dann, wenn - wie bei den hier untersuchten Gesprä­ chen vor einer Krebstherapie - Angst und Informationsbedürfhis in einem belasten­ den Widerspruch zueinander stehen. Um genau diesem, sich z.B. in Exothesen der Nicht-Übernahme oder schlichter Nicht-Reaktion darstellenden Widerstreit zu be­ gegnen, verwendet der deutsche Arzt daher verschiedene Kommunikationsstrate­ gien, um so die Übernahme der Therapie und der damit verbundenen Empfehlungen seitens seiner dänischen Patientinnen zu begünstigen. Hier mögen speziell noch einmal die sehr deutlich ausgearbeiteten Paraphrasen-, Wiederholungs- und Erläute­ rungssequenzen genannt werden, mit denen der Arzt den Motivationsmechanismus seiner Patientinnen zu bearbeiten sucht und die quasi als Reparaturversuche wahrge­ nommener Konflikte und somit als Zeichen interkultureller Kommunikationsfähig­ keit zu sehen sind. Im ersten Gespräch kommt es somit denn auch zu einer interkul­ turellen Begegnung, im zweiten wiederum lassen sich Ansätze einer solchen erken­

223 nen, im dritten dagegen kommt es zu überhaupt keiner Begegnung - weder interkul­ turell noch interpersonal. Anhand der Analyse empirischer Daten konnte somit gezeigt werden, dass auch Gespräche nahkultureller Prägung wie in der Kommunikation zwischen Deutschen und Dänen durchaus interkultureller Kommunikationsfähigkeit bedürfen, damit es zu einer wechselseitigen Begegnung im Sinne interkultureller Kommunikation kommen kann. Weitere Untersuchungen hinsichtlich Beschaffenheit solch einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz und ihrer möglichen Vermittlung wä­ ren somit höchst wünschenswert.

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VI. Märkte als Kulturen verstehen

226

Der französische Managementstil Zum Verständnis des Verhaltens französischer Führungskräfte Günther Ammon, Jena/ Jan Knoblauch, Erlangen I.

Theoretische Grundlagen zum Managementstil

Im interkulturellen Kontakt wird in vielen Bereichen immer wieder die Korrelation von kultureller Identität und Verhalten deutlich. Im politischen Dialog, im Ge­ schäftsleben und im privaten Bereich sind kulturspezifische Verhaltensmuster über­ all erkennbar. Die immer schneller, immer enger werdenden wirtschaftlichen Ver­ flechtungen zwischen Unternehmen verschiedenen kulturellen Hintergrundes werfen die Frage nach der Bedeutung kultureller Identitäten in diesem Zusammenhang auf. Betrachtet man die großen, im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehenden Fusionen wie z. B. BMW Rover oder Hoechst Rhöne-Poulenc näher, so lassen sich hier durchaus interkulturelle Konflikte als Ursachen für Probleme in der Zusammenarbeit erkennen.

In der Managementlehre wird die Frage der Kulturabhängigkeit bereits seit mehr als 30 Jahren diskutiert. Auf der einen Seite stehen sie bejahende Theorien und Umfra­ geergebnisse, auf der anderen Seite werden Managementmodelle immer noch als allgemeingültig, Führungsinstrumente in ihrer Funktionsfahigkeit als unabhängig vom kulturellen Hintergrund der Manager und ihrer Mitarbeiter betrachtet (Vgl. Adler 1983:29-47, Miller 1971:87-110, Hofstede 1982, Weihrich 1994:203-220) obwohl in der Praxis verschiedene Misserfolge zu verzeichnen sind, wie die geschei­ terte Einführung des amerikanischen management by objectives in einigen französi­ schen Unternehmen (vgl. DTribame 1989:96, Morin 1981:217). An dieser Stelle soll versucht werden, den Begriff des Managementstils konzeptio­ nell zu fassen und für den französischen Fall zu konkretisieren. Ausgehend von John Childs Überlegung, Kulturabhängigkeit äußere sich vor allem im Verhalten der Manager (Vgl. Child 1983:348. Vgl. dazu auch Phatak 1992:37.), greifen wir dabei zur Strukturierung der Sachverhalte aus Sicht der Managementlehre auf ein der Verhaltensschule zuzurechnendes Managementmodell zurück: das aus der Beobach­ tung von Managern am Arbeitsplatz entwickelte Zehn-Rollen-Modell von Henry Mintzberg (vgl. Mintzberg 1975:49-61). Er beschreibt Management darin als die Erfüllung von zehn Rollen, die er zu Aktivitätsgruppen bündelt: die Aktivitätsgrup­ pe Aufbau und Aufrechterhaltung interpersoneller Beziehungen umfasst in seinem Modell die Rollen der das Unternehmen nach innen und außen repräsentierenden Galionsfigur, des Vorgesetzten und des innerhalb und außerhalb des Unternehmens Kontakte pflegenden Vernetzers. Der Gruppe Aufnahme und Abgabe von Informatik

227 onen rechnet er die Rollen des Informationen aufhehmenden Radarschirms, des Senders von Informationen an die eigenen Mitarbeiter und des Sprechers nach außen zu. Die Aktivitätsgruppe Treffen von Entscheidungen schließlich setzt sich nach Mintzberg zusammen aus den Rollen des Produkt- und Prozessentwicklungen an­ stoßenden Innovators, des Problemlösers, des Ressourcenverteilers und des Ver­ handlungsführers.

Zur Analyse eines Managementstils schlagen wir vor, zunächst die Erfüllung dieser Rollen auf kulturspezifische Muster zu untersuchen. In einem weiteren Schritt kön­ nen diese mit den Mitteln der historischen Kulturanthropologie - der Analyse kultu­ reller Schlüsselwörter unter Rückbezug auf die jeweilige Geschichte - erklärt und verständlich gemacht werden. Zum Begriff des Managementstils gelangen wir nun in Anlehnung an das von Wemer Sombart und Alfred Müller-Armack erarbeitete Verständnis vom Wirtschaftsstil, das an einen kunsthistorischen Stilbegriff anknüpft (vgl. Sombart 1925, Müller-Armack 1943. Die verschiedenen Aspekte der Diskussi­ on um den Begriff schildert Weippert 1967): Betrachten wir die erarbeiteten kultu­ rellen Spezifika in ihrer Gesamtheit, ergibt sich ein konsistentes Gesamtgefüge, ein einheitliches Gepräge, ist ein Gesamtzusammenhang erkennbar, so wollen wir von Managementstil sprechen.

Unsere Untersuchung des französischen Managementstils stützt sich zum einen auf Literatur zum Thema, zum anderen auf Gespräche mit französischen Führungskräf­ ten. Die Erkenntnisse strukturieren wir mit Hilfe des Mintzbergschen Modells konkret werden wir auf die Rollen der Galionsfigur, des Vorgesetzten, des Vernet­ zers, des Innovators und des Verhandlungsführers eingehen. Dem stellen wir im folgenden einige Überlegungen zu Organisationsstruktur und Machtverhältnissen in französischen Unternehmen voran. Die damit konkretisierten kulturellen Spezifika werden wir mit Hilfe der für den französischen Kontext besonders wichtigen kultu­ rellen Schlüsselwörter raison, esprit und progres untersuchen, um abschließend die Frage nach einem Managementstil beantworten zu können (vgl. Ammon 1994:52f.)’.

1 Die französische raison erschließt sich am einfachsten in der Gegenüberstellung mit der deutschen Vernunft. Vernunft kommt von vernehmen; etwas vernehmen heißt, auf eine innere Stimme hören, ihr vertrauen, ihr gehorchen. Vernunft in diesem Sinne ist eher rezeptiv, sie vermittelt, bewahrt und hebt auf, tendiert dazu, Gegensätze zu vereinen. Die raison meint etwas ganz anderes. Sie sucht Gewissheit, eine absolute unbezweifelbare Gewissheit, sie geht dabei von axiomatisch festliegenden Gesetzen aus und kommt in Deduktionsschlüssen zu unwiderlegbaren Wahrheiten. Die raison liebt klare und deutliche Definitionen, messerscharfe Analysen, sie möchte Klarheit schaffen, Transparenz, noch verbleibende dunkle Ecken ausleuchten. Die raison kann nicht vermitteln, ihr Wesen verträgt nicht den Kompromiss, sie integriert und schließt aus und proklamiert bei allem die Wahrheit. Die raison konstruiert die Welt neu. Das französische Bildungswesen unterrichtet die Menschen im Gebrauch der raison, so wird sie prägend für das Verhalten und findet sich auch im Verhalten der Manager wieder. Zu den kulturellen Schlüsselwörtern esprit und progres, sowie zum Konzept der kulturellen Schlüsselwörter, vgl. ebenfalls Ammon 1994.

228

II. Organisationsstruktur und Machtverhältnisse in französischen Unternehmen Die Organisationsstruktur französischer Unternehmen ist gegenüber deutschen Un­ ternehmen geprägt von einer hohen Anzahl hierarchischer Ebenen. An der Spitze steht allein der patron, in mittleren und größeren Unternehmen in seinen Aufgaben unterstützt von einem kleinen Führungskreis enger Vertrauter. So ergibt sich das Bild einer zentralisierten Pyramide, in der der patron eine deutliche hierarchische Distanz zur ausführenden Ebene bewahrt.

Dieses Bild ist auch gesellschaftsrechtlich verankert: Der President-Directeur General (PDG) einer klassischen Societe Anonyme (S.A.) ist gleichzeitig Verwal­ tungsratsvorsitzender und Geschäftsführer. Er ist als Exekutivorgan mit weitrei­ chenden Befugnissen ausgestattet und handelt in jeder Situation alleinverantwortlich im Namen der Gesellschaft. Als Vorsitzender des Verwaltungsrates hat er maßgebli­ chen Einfluss auf die Bestimmung der Richtlinien und die Kontrolle der Geschäfts­ führung. Neben der klassischen S.A. gibt es seit 1966 eine mit der deutschen gesell­ schaftsrechtlichen Regelung vergleichbare zweite Form der Aktiengesellschaft mit Vorstand und Aufsichtsrat. Sie beschränkt die Befugnisse des untemehmensführenden president du directoire, der dem PDG der traditionellen S.A. entspricht. Diese neue Form der S.A. vermochte sich im französischen Wirtschaftsleben bisher jedoch kaum durchzusetzen (vgl. Storp 1991:95). Als geistigen Hintergrund der starken Hierarchisierung bezeichnet Henri Weber einerseits eine culture patrimoniale, andererseits eine culture entrepreneuriale. Erstere ist vor allem durch einen sozialhierarchischen Gedanken geprägt: “Ce patronat, grand ou petit, considere l’entreprise comme un patrimoine, permettant de tenir un rang dans la hierarchie sociale.” (Weber 1988:55). Dabei steht nach Weber aus Sicht der patrons das Streben nach Erhalt der eigenen Autonomie im Vordergrund. Er nennt drei Grundcharakteristika des traditionellen patronat. den die Machtdistanz vor allem bewirkenden Paternalismus, den Malthusianismus und die Erwartungshal­ tung nach staatlichem Protektionismus zugunsten der inländischen Industrie (vgl. Weber 1988:55-56). Dieser mittelständische Traditionalismus erhielt seine Prägung schon vor der französischen Revolution: Die katholische Kirche forderte die öko­ nomische Passivität, der bis heute wirksame Colbertismus verfestigte sie durch den Staatsinterventionismus und erzeugte gleichzeitig die Erwartungshaltung nach staat­ lichem Eingreifen. Die Persistenz des Paternalismus ist Konsequenz des späten Einsetzens, dann aber schnellen Fortschreitens der industriellen Revolution in Frankreich: In den die französische Wirtschaftsstruktur lange Zeit dominierenden Kleinuntemehmen blieb er das tradierte Modell, das schnelle Fortschreiten der In­ dustriellen Revolution ließ dann keine Zeit zu grundlegenden Änderungen.

Die culture entrepreneuriale hingegen sieht Weber geprägt von einem Streben nach wirtschaftlicher Macht. Er spricht von aventuriers economiques, die sich im Unter­ nehmen verwirklichten wie andere in der Politik oder im sportlichen Wettkampf.

229 Mit ihrer Expansionsorientierung stehen sie im Gegensatz zu den Werten des traditi­ onellen patronat. Die Machtdistanz zwischen Unternehmensleitung und den ausführenden hierarchischen Ebenen spiegelt in diesem Fall den Primat der Theorie über die Praxis wider (vgl. Fischer 1996:167-173). Die hohe Wertschätzung theoreti­ schen Wissens wird dabei durch die raison legitimiert und verleiht eben dadurch der Spitze des Unternehmens ein hohes Maß an Macht.

Um die Machtverhältnisse in französischen Unternehmen und die Art und Weise, in der in Frankreich die Rollen des Mintzbergschen Managementmodells ausgefüllt werden, verstehen zu können, bedarf es neben dieser fuhrungszentrierten Sichtweise eines Blickes auf die ausführende Ebene in den Unternehmen. Philippe dTribame analysiert die der Untemehmensführung auf ausführender Ebene gegenüberstehen­ den Arbeitnehmer und kommt zu dem Schluss, sie fühlten sich verschiedenen Be­ rufsgruppen zugehörig. Sie haben, so d’Iribame, den Anspruch, die Inhalte ihrer Arbeit vor dem Hintergrund ihrer Gruppenzugehörigkeit selbst zu definieren: “Chacun tend ä pousser tres loin sa propre interpretation de ses responsabilites, sans attendre que la direction de l’usine defmisse ses objectives.” (DTribame 1989:22 und 27). Zum einen kann es dadurch jedoch zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen ver­ schiedenen Gruppen kommen, die gleiche Tätigkeitsfelder für sich beanspruchen, zum anderen ergibt sich daraus eine gewisse Verteidigungshaltung gegenüber der Untemehmensführung: Die Arbeitnehmer wollen in der Ausführung ihrer Arbeit von ihren Vorgesetzten unbehelligt bleiben und wehren sich gegen Kontrollmaßnahmen. Auch Michel Crozier beschreibt die tatsächliche Macht der Führungsebene französi­ scher Unternehmen als weitaus geringer denn ihre legitime Macht (vgl. Crozier 1964:81-82, 277-282). So scheiterte zum Beispiel in den 60er und 70er Jahren der Versuch, das in den USA entwickelte management by objectives auch in Frankreich umzusetzen am Widerstand gegen die damit verbundene Einschränkung der Hand­ lungsfreiheit der Arbeitnehmer (vgl. DTribame 1989 :96. Morin 1981:217).2 Auch die Matrixorganisation ließ sich in Frankreich nicht durchsetzen.3 “Die Franzosen haben es gelernt,” so schreibt Jacques Pateau, “sich gegen einen absoluten, aber fernen Machtanspruch abzuschirmen und Gegenkräfte zu entwickeln, die in Murren, Protest, Aufstand oder in passivem Widerstand zum Ausdruck kommen.” (Pateau 1997:277-278). Franzosen haben aber nicht nur den Anspruch einer gewissen Freiheit in ihrem Han­ deln, sondern sie legen auch großen Wert auf das Auftreten ihres patron ihnen geDas Modell entspricht zwar zunächst eher der durch Ziel- als durch Mitteldefinition geprägten franzö­ sischen Führungspraxis, durch die Ziel- und Teilzielpräszisierung und die damit verbundene genaue Betimmung eines Kontrollmaßstabes widerspricht es jedoch dem Anspruch französischer Arbeitnehmer auf Unabhängigkeit in ihrer Arbeit und auf die Möglichkeit zur Flexibilität in der Gestaltung er eigenen £rbeit. Problematisch ist die Matrixorganisation nicht für die Manager, die in diesem System Funktions- oder Objektmanager sind, sondern für die Mitarbeiter, die sich plötzlich zwei Vorgesetzten gegenüber sehen. Entsprechend schreibt Jacques Pateau, die doppelte Abhängigkeit würde “oft als Element der Spaltung und des ständigen Kräftemessens empfunden, das Zeit koste, Verzögerungen verursache oder sogar Entscheidungen verhindere.” (vgl. Pateau 1997:273).

230

genüber: So sei, schreibt Matthias Fischer, “ein scherzhafter, höflich-respektvoller Ton einer französischen Führungskraft gegenüber seinen Mitarbeitern entsprechend dem esprit erforderlich” (Fischer 1996:155). Dieses Idealbild der Kommunikation, gekennzeichnet durch interessant strukturiertes Vertreten sprachlich präzis formu­ lierter und intellektuell scharf durchdachter Thesen erfuhr seine Prägung zunächst in der höfischen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts. Von dort wurde es über das Medium der bürgerlichen salons des 18. Jahrhunderts in die ganze Gesellschaft getragen. Die Macht eines Vorgesetzten ergibt sich also nicht automatisch aus seiner hierar­ chischen Position, sondern auch daraus, dass seine Untergebenen die auf sie ausge­ übte Autorität akzeptieren. Fischer schreibt in diesem Zusammenhang von einer Machtbalance zwischen den interdependenten hierarchischen Ebenen (vgl. Fischer 1996:155). Dieses Bild hat sich auch in verschiedenen Gesprächen mit französischen Managern bestätigt: Franzosen beanspruchen ein gewisses Maß an Freiraum in ih­ rem Handeln im Unternehmen, zu wenig Autorität empfinden sie jedoch als Füh­ rungsschwäche und reagieren unter Umständen mit Passivität. Persönliche Bezie­ hungen spielen eine herausragende Rolle, französische Mitarbeiter wollen für den Menschen in ihrem Vorgesetzten arbeiten können, nicht nur für ihn als Verkörpe­ rung einer hierarchisch übergeordneten Stufe.

III. Die Erfüllung der Managementrollen durch französische Manager 1.

Galionsfigur

Nach Mintzberg gilt es nun für einen Manager die Rolle der Galionsfigur zu erfül­ len. Dies bedeutet die repräsentative Vertretung des Unternehmens sowohl nach innen als auch nach außen (vgl. Mintzberg 1975:54).

Auf die< repräsentative Rolle im Innenverhältnis des Unternehmens gehen Jean Pi­ erre Anastassopoulos und Jean-Paul Larson in ihren Gedanken zur identite de Uentreprise ein. Dabei hat der patron als zentrale Person und Symbol, als Autorität und oberster Gesprächspartner, als Repräsentant des Unternehmens nach innen und außen die Aufgabe der Verkörperung und Vermittlung dieser identite de Uentreprise'. “[II; d.A.] devrait [en; d.A.] etre le metteur en scene, le heraut et le gardien.” (vgl. Anastasspoulos-Larcon 1978:137). Für ein Unternehmen zu arbeiten, heißt gleichzeitig für den patron zu arbeiten, persönliche Beziehungen sind hier von großer Bedeutung. Die Repräsentationsfunktion im Außenverhältnis zeigt sich zum Beispiel bei den Verhandlungen: So ist es nach Anastassopoulos und Larson der patron, der die wichtigen Gespräche mit Banken führt oder mit Vertretern anderer Unternehmen über Unternehmens- und Filialbeteiligungen, -käufe und -Verkäufe verhandelt (vgl. Anastasspoulos-Larcon 1978:121). Ein Gesprächspartner bezeichnete es aber auch als Aufgabe des patron, seine wichtigsten Geschäftspartner regelmäßig zu besuchen,

231

ihnen so die Ehre eines Besuches oder einer Werksbesichtigung zuteil werden zu lassen. Er betonte dabei den Hintergedanken der generellen, von konkreten Verhandlungen abgelösten Kontaktpflege. Ein weiteres Charakteristikum im repräsentativen Handeln französischer patrons ist ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, das heißt ihr Auftreten im Außenverhältnis über die geschäftliche Ebene hinaus: So tragen immer wieder französische patrons - vor allem großer Unternehmen - mit Vorträgen und Diskussionen zur Praxisvermittlung an Universitäten und Grandes Ecoles bei oder nehmen an Gesprächsrunden über wirtschaftliche oder politische Themen in Fernsehen und Hörfunk teil. Als Beispiel für entsprechende Sendungen seien Le capital und La vie des entreprises genannt, die M6 Sonntag abends zu bester Sendezeit ausstrahlt. Einer der stark in der Öffent­ lichkeit vertretenen patrons ist der ehemalige Chef von PSA Peugeot Citroen, Jacques Calvet. Der Stellenwert, den französische patrons den öffentlichen Auftrit­ ten beimessen, zeigt sich in einer IPSOS-Umfrage deutlich: 74% der Befragten pro­ phezeien darin den Niedergang der Unternehmen, die sich nicht über ihre patrons in der Öffentlichkeit mitteilen (nach Michalowska 1988:35).4 Im gleichen Kontext veröffentlichte auch eine ganze Reihe von patrons Bücher über sich, ihre Unterneh­ men und ihre Ansichten, wie zum Beispiel Alain Mine, ehemals Chef der CerusHolding.5 Die Rolle der Galionsfigur ist in französischen Unternehmen von überragender Be­ deutung. An der Untemehmensspitze steht nicht einfach ein Vorstandsvorsitzender oder ein Geschäftsführer, sondern der patron, eine Symbolfigur, die allein und he­ rausgehoben das Unternehmen nach innen und außen repräsentiert. Der französische Rationalismus, der im 17. Jahrhundert die spezifisch französischen Denkstrukturen und Problemlösungsmethoden geformt hat, die im weiteren Verlauf so prägend wurden, dass wir sie an anderer Stelle mit dem kulturellen Schlüsselwort raison bezeichnet haben, prägt auch bis heute französische Organisationsstrukturen in Staat und Wirtschaft (vgl. Ammon 1994:38ff.). Die pyramidale Struktur mit vielen Hie­ rarchieebenen und einem herausgehobenen Chef an der Spitze findet sich bis heute entgegen starken Tendenzen in anderen Ländern - in Frankreich. Daß dieser heraus­ gehobene patron ein stark paternalistisches Verhalten an den Tag legt und dabei die persönlichen Beziehungen eine viel größere Rolle spielen als im angelsächsischen oder deutschen Kulturkreis, hat mit dem starken Einfluß des katholischen Traditio­ nalismus bis in unsere Tage zu tun (vgl. Münch 1986). Hier überdauert ein Charak­ teristikum vorindustrieller Familienkleinuntemehmen.

Das Auftreten der Galionsfigur ist geprägt durch die Eigenart des französischen Bildungssystems, insbesondere durch die Grandes Ecoles, die im Hinblick auf Bil­ dungsinhalte und deren Vermittlung in der Tradition der Jesuitenschulen stehen. Diese hatten im 16. Jahrhundert die Sekundarschulausbildung der gesellschaftlichen 4 Erschienen in: Communication & Business, IX 1987. 5 In letzter Zeit publizierte Mine fast jährlich ein Werk zu politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaft­ lichen Themen. Viele seiner Bücher sind auch in englischer und deutscher Sprache erschienen.

232 Elite zum Ziel und waren dabei von strikter Disziplin, strengen Formalismen und ständigem Wettbewerb der Schüler untereinander geprägt. Das Aniemen umfangrei­ chen Allgemeinwissens und ein hoher Stellenwert der Rhetorik zählten zu den in­ haltlichen Prinzipien. Napoleon strukturierte das Bildungswesen neu und machte die sich seit einem halben Jahrhundert entwickelnden Grandes Ecoles endgültig zu den Elitebildungsstätten Frankreichs - unter anderem unter Rückgriff auf eben die oben genannten formalen und inhaltlichen Prinzipien (vgl. Suleiman 1981). Die durch den Bildungsgang vermittelten Kompetenzen und das Bewusstsein, zur Elite des Landes zu gehören, prägen das Auftreten der Galionsfigur.

2.

Vorgesetzter

Im Rahmen der Rolle des Vorgesetzten differenziert Mintzberg zwischen der direk­ ten und der indirekten Führungsarbeit, die ein Manager zu leisten habe. Unter der direkten Führungsarbeit versteht er die Verantwortung für Personalschulung und Personalauswahl. Als indirekte Führungsarbeit, auf die wir hier näher eingehen wollen, bezeichnet er die Motivation der Mitarbeiter durch den Manager und den Versuch, deren persönliche Ziele mit dem Untemehmensziel in Deckung zu bringen. Betrachtet man die indirekte Führungsarbeit französischer Vorgesetzter in der Lite­ ratur, fällt zunächst eine Betonung der autoritären Führung auf. Der Untemehmensberater Klaus Walter Herterich beschreibt die Führung in Frankreich als straff und den französischen patron als “Herm im Haus”, der sich um vieles kümmere, in alle Führungsebenen eingreife und nicht gerne Verantwortung und Entscheidungsbefug­ nisse delegiere - Sachverhalte, die Jochen Peter Breuer und Pierre de Bartha eben­ falls darlegen (vgl. Herterich 1987:18. Breuer/Bartha 1990:31. Breuer/Bartha 1996:159). Der patron müsse mit dem “vollen Gewicht seiner Person” auftreten und führe mit dem gesprochenen Wort (vgl. Herterich 1991:13). Er habe seine Mitarbei­ ter ständig unter Strom zu halten, denn: “Jeder Franzose braucht einen patron. Sonst macht er, was er will, wird aufsässig oder irrt lust- und tatenlos herum.” (vgl. Herte­ rich 1994:33). Mangelnde Autorität, schreibt Gunter Hildenbrand, könne von fran­ zösischen Mitarbeitern durchaus als Führungsschwäche interpretiert werden (vgl. Hildenbrand 1997:56). Auch die Anthropologen Edward T. Hall und Mildred R. Hall beschreiben französische Manager als autoritär führend und Gehorsam erwar­ tend (vgl. Hall/Hall 1984 :108).

Zieht man jedoch die bereits genannten Studien von d’Iribame (1989) und Crozier (1964) hinzu, so erscheint diese Betrachtung als zu wenig differenziert. D’Iribame unterscheidet hinsichtlich der Machtverhältnisse zwischen den hierarchischen Ebe­ nen einen Normalfall, in dem das Unternehmen oder der betrachtete Untemehmensteil zufriedenstellend arbeitet, von einem Krisenfall, dessen Bewältigung die Mitar­ beiter überfordert. Im ersten Fall erweist es sich für die Vorgesetzten als schwierig, sich in die Arbeit ihrer Untergebenen einzumischen. Solange diese ihre Arbeit gut machen, gebietet das Prinzip der Mäßigung den Vorgesetzten, sich zurückzuhalten. “Les «bons» modes francais d’autorite interdisent de se meler trop des affaires de celui qui remplit les devoirs de son etat.” (D’Iribame 1989:125) Auch Crozier

233 (1964:20) beobachtet, dass in Zeiten der Routine die Vorgesetzten ihren Untergebe­ nen weitgehend freie Hand lassen. Wer also die nach der raison definierten Aufgaben seiner Berufsgruppe erfüllt, erwartet vom Management weitgehend unbehelligt seiner Arbeit nachgehen zu können. Die Kontrolle der Arbeit gilt als Einmischung in den persönlichen Bereich und als Mangel an Vertrauen, sogar als Ausdruck von Mißtrauen. D’Iribame zitiert einen Produktionsleiter: “On est oblige de faire confiance, sinon ?a serait invivable, si on n’avait confiance en personne.” (D’Iribame 1989:45). Die Manager entsprechen den Erwartungen ihrer Mitarbeiter nach eigenem Handlungsspielraum durch zielorientierte Führung. Die Arbeitsanweisungen beziehen sich dabei weniger auf die Ausführung bestimmter Aufgaben, als vielmehr auf das Ziel selbst. Den Weg zur Zielerreichung nach der raison zu definieren und zu beschreiten, obliegt den Mitarbeitern, er bleibt ihrer Kreativität und ihrem esprit überlassen.

Diesem Normalfall stellen d’Iribame und Crozier den Krisenfall im Unternehmen gegenüber. Sind die Mitarbeiter mit der Lösung einer Krise überfordert, haben die Vorgesetzten sehr weite Befugnisse, zu entscheiden und zu handeln (vgl. D’Iribame 1989:45). Sie sind dabei nur noch ihrem Gewissen verantwortlich. So wie im Routi­ nefall das Prinzip der Mäßigung den Vorgesetzten eine zu weitgehende Einfluss­ nahme verbietet, so zwingt es nun die Mitarbeiter, ihre eigenen Ansprüche zurück­ zustellen, solange die allgemeine Bedrohung nicht beseitigt ist. Sie akzeptieren massive Interventionen des Vorgesetzten (vgl. D’Iribame 1989:125).

Versagt also der individuelle Gebrauch der raison, wird es Aufgabe des Vorgesetz­ ten, das weitere Vorgehen nach der raison festzulegen. Die bereits zitierte Machtba­ lance bleibt nur erhalten, so Fischer, sofern der Manager in seinem Verhalten den Erwartungen der Mitarbeiter entspricht (vgl. Fischer 1996:155). Wichtig scheint jedoch in jedem Fall das Wissen um die Bereitschaft des Managers, gegebenenfalls autoritär durchzugreifen. Auch wenn er dies nicht immer tut, müssen seine Mitarbei­ ter doch um seine Stärke wissen. Die Erwartungshaltung der Mitarbeiter bezieht sich dabei nicht nur auf den Inhalt der Arbeitsanweisungen, sondern auch die Form des interpersonellen Umgangs. So beschreibt Herterich die Notwendigkeit guten Auftretens der patrons, des savoir faire und der sprachlichen Eloquenz in der Mitarbeiterfuhrung (vgl. Herterich 1995:32). Auch Fischer geht auf diesen Aspekt ein. Er erachtet einen höflich-respektvollen Umgang der Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitern, entsprechend dem esprit, als erforderlich. Fischer zitiert einige deutsche Manager, die ihren französischen Kollegen gutes äußeres Auftreten und dadurch eine ausgeprägte Motivationsfähigkeit in der Mitarbeiterfuhrung attestieren und von der Notwendigkeit sprechen, im französischen Management mit esprit zu überzeugen (vgl. Fischer 1996:88, 155). Französische Vorgesetzte beweisen mit dem esprit, der sich aus der raison ableiten läßt, daß sie zum Handeln nach der rai­ son in der Lage sind und durchzugreifen vermögen, wenn es notwendig erscheint.

Auch bei der Betrachtung der Vorgesetztenrolle wird deutlich, dass Management­ verhalten in hohem Maße kulturell geprägt ist. In Frankreich gelingt eine Reduktion

234

auf betont sachliche und ständig kontrollierte Zielvorgaben im Sinne des manage­ ment by objectives kaum: Immer steht die Person, der Mensch, im Mittelpunkt, die des Chefs ebenso wie die des Mitarbeiters. Spätestens im Krisenfall muss der Vor­ gesetzte auch menschlich überzeugen, um von seinen Mitarbeitern akzeptiert zu werden. Funktioniert die persönliche Beziehung dann nicht, und das heißt in Frank­ reich, dass der Vorgesetzte keine natürliche Autorität gegenüber seinen Mitarbeitern ausstrahlt, dann werden Arbeiten nicht erledigt wie notwendig. Die natürliche Auto­ rität des Vorgesetzten hat dabei viel mit kulturellen Mustern zu tun: Das Auftreten, die Sprache und Rhetorik, der esprit, zeichnen den charismatischen Vorgesetzten aus; dies alles aber sind kulturelle Muster, die sich bis auf die höfische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts und die Salons der Aufklärung zurückverfolgen lassen. 3.

Vernetzer

Nach Mintzberg muß sich ein Manager in seiner Rolle als Vernetzer ein Informati­ onssystem schaffen, das über seine vertikalen Weisungsstrukturen hinausgeht. Die­ ses Informationsnetzwerk aus Untergebenen, Kunden, Geschäftspartnern, Lieferan­ ten, Politikern, usw. wollen wir auf Basis der Überlegung von Hall und Hall betrach­ ten. Sie bezeichnen die französische Gesellschaft insgesamt als informationsintensiv (Vgl. Hall/ Hall 1984:51). Informationsflüsse seien ausgesprochen wichtig, da die Menschen bestrebt seien, sich stets selbst über alles und jeden auf dem laufenden zu halten. “In high-context cultures, interpersonal contact takes precedence over every­ thing else; wherever people are spatially involved with each other, information flows freely.” (Vgl. Hall/ Hall 1989:23). Die Franzosen gehören zu den Völkern mit dich­ ten Informationsnetzen zu Familienmitgliedern, Freunden, Kollegen und Kunden, die gepflegt sein wollen und für deren Pflege sie sich auch entsprechend Zeit neh­ men. Dieser hohe Stellenwert der Beziehungsnetzwerke gilt auch im französischen Geschäftsleben, sowohl im Außen- als auch im Innenverhältnis. Im Außenverhältnis spielen die Beziehungsnetzwerke der französischen Manager zunächst zu Informationszwecken eine außerordentlich große Rolle. Nur wer sich im Zentrum eines Netzwerks befindet und gute gesellschaftliche und geschäftliche Verbindungen besitzt, hat in Frankreich Macht und Einfluss. Insbesondere spielen enge Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft eine erheblich wichtigere Rolle als in anderen Kulturkreisen (vgl. Ammon 1994:170 ff.). Eine gewichtige Rolle in diesen Beziehungsnetzwerken spielen die Absolventenvereine der Grandes Ecoles. Sie dienen einerseits dem Fluss wichtiger und neuester Informationen aus Politik und Gesellschaft. Andererseits erfolgt die Neubesetzung wichtiger Positionen in Wirtschaft und Politik häufig über diese Kreise. Der Besuch einer der renommierten Grandes Ecoles und die Zugehörigkeit zu deren Absolventenvereinigung ist eine der wichtigsten Zugangsvoraussetzungen zum Kreis der Manager. Die Bildung dieser Netzwerke unterstützte bereits Napoleon gezielt (vgl. Suleiman 1981:104). Durch den eine gesellschaftliche Synthese erzeugenden Rückgriff auf militärische und kirchliche, insbesondere jesuitische Organisationsprinzipien gelang die Entwicklung eines von absoluter Loyalität geprägten Corps-Geistes.

235

Ein Beispiel fur die Wirksamkeit der Beziehungsnetzwerke bei der Besetzung wich­ tiger Positionen in der Wirtschaft ist der Fall des Credit Lyonnais: Durch eine über­ zogene Expansionsstrategie, die auf den Aufbau von Machtpositionen spekulierte und ökonomische Kompetenzen leichtfertig vernachlässigte, geriet das Staatsunter­ nehmen zu Beginn der 90er Jahre an den Rand des Zusammenbruchs. Den seit 1988 amtierenden verantwortlichen Bankpräsident Jean-Yves Haberer ersetzte man dar­ aufhin im April 1993, und entzog ihm damit symbolisch das Vertrauen, die Aufga­ ben seiner Position bewältigen zu können. Haberers Bank-Karriere war damit jedoch nicht beendet: er wurde umgehend zum Präsidenten des Credit National ernannt. Erst als sich das Ausmaß der Krise des Credit Lyonnais immer weniger vertuschen ließ, enthob man Haberer auf öffentlichen Druck auch dieses Postens. Für den dama­ ligen Leiter des Schatzamtes im Finanzministerium, verantwortlich für die Aufsicht über die Staatsbeteiligungen an Banken, blieb die Krise folgenlos: Jean-Claude Trichet soll ab dem Jahre 2002 Präsident der europäischen Zentralbank werden (vgl. “Credit Lyonnais: trois ans de rebondissements” 1996:11. “Bankendrama mit Licht­ gestalt” 1996:9).

Auch auf Ebene der Geschäftsbeziehungen spielen persönliche Beziehungen eine große Rolle. Maxime Furkel und Jörg Kasberger kommen nach der Analyse ihrer Befragungen frankreicherfahrener, deutscher Manager zu dem Schluss, Franzosen bauten “gerne vor jeglicher positiven Geschäftsbeziehung persönliche Kontakte auf* (Furkel/Kasberger 1994:45). Auch die ausgeprägten französischen Geschäftsessen sind in diesem Kontext zu sehen. Sie dienen nach Hall und Hall dem - oft langwieri­ gen - Aufbau und der Pflege der persönlichen Beziehung, des Vertrauensverhältnis­ ses, das beim Abschluss von Geschäften eine gewichtige Rolle spielt (vgl. Hall/ Hall 1989:16-17).6 Um eine gute und für das Gedeihen der persönlichen Beziehung fruchtbare Atmosphäre zu schaffen, kommt - im deutschen Verständnis - Äußer­ lichkeiten wie der Auswahl des Restaurants, des Menüs und des Weines große Be­ deutung zu. Im Innenverhältnis steht der Entwicklung eines Beziehungsnetzes nach Hall und Hall die Distanz zwischen den Hierarchieebenen im Wege: “The French share specialized information only within their own network; often they do not share information with subordinates. We’ve had many reports of instances where the boss did not keep subordinates informed about important aspects of the business op­ erations, with the result that major problems developed. In the stratified French society, subordinates are not in a French executive’s network.” (Hall/ Hall 1989:115).

6 Hall und Hall beschreiben hier ein Beispiel fur die Langfristigkeit der Beziehungen in der französischen Geschäftswelt: “A French salesman working for a French company that had recently been bought by Americans found himself with a new American manager who expected instant results and higher profits immediately. Because of the emphasis on personal relationships, it frequently takes years to develop customers in polychronic France, and in familiar-owned firms, relationships with customers may span generations. The American manager, not understanding this, ordered the salesman to develop new cus­ tomers within three months. The salesman knew this was impossible and had to resign, asserting his legal right to take with him all the loyal customers he had developed over the years. Neither side understood what had happened.”

236 Diese Aussage trifft zwar einen wichtigen Punkt, muss aber relativiert werden. Es existieren sehr wohl nebeneinander ein formelles und ein informelles Organigramm und das informelle Netzwerk beinhaltet auch unterschiedliche Hierarchiestufen. Trotzdem sind die Barrieren zwischen den Hierarchieebenen stärker als in Deutsch­ land und die informellen Kanäle funktionieren am besten auf der jeweils gleichen Ebene. Die französische Kultur kennt - ganz im Gegensatz zur deutschen - ein weit in die Geschichte zurückreichendes ungebrochenes Verhältnis zur Macht und zu einer Elite, die diese Macht innehat. Diese Elite ist heute eine meritokratische, die ein hoch selektives Schul- und Hochschulsystem erfolgreich durchlaufen hat. Ein nicht zu unterschätzender (Neben-)Effekt der harten Ausbildung und Auslese ist das Ent­ stehen eines elitären Gemeinschaftsgeistes, der mehr oder weniger sichtbare (Ver-) Bindungen zwischen den Mitgliedern der Elite erzeugt. Der französische Manager muss nun innerhalb dieser Struktur permanent die Rolle des Vernetzers spielen, denn er ist auf Informationen aus diesen Netzen angewiesen, kann sie aber nur erhal­ ten, wenn er ständig an Aufbau und Weiterentwicklung der Beziehungsnetze mit­ wirkt. 4.

Innovator

Mit der Rolle des Innovators schreibt Mintzberg dem Manager die Aufgabe zu, seine Organisationseinheit ständig zu verbessern. Er muss Probleme aufspüren und versu­ chen, Chancen zur Realisierung von Wandlungsprozessen zu nutzen. Die Innovator­ rolle des französischen Managers wollen wir erneut unter Rückgriff auf die Unter­ scheidung Webers zwischen der culture patrimoniale und der culture entrepreneuri­ ale betrachten (vgl. Weber 1988:55-56).

Die patrons der von der culture patrimoniale geprägten Unternehmen streben in erster Linie den Erhalt ihrer sozialen Position und ihrer Autonomie an. Dieses Untemehmensziel fuhrt hinsichtlich der Entwicklung der betreffenden Unternehmen zu einer gleichmäßigen, maßvollen Tendenz. Fischer erkennt darin eine gewisse, in Frankreichs katholischer Tradition begründete ökonomische Passivität, die sich auch in der Innovatorrolle der patrons niederschlägt: Er spricht in diesem Zusammenhang von einer “traditionellen innovativen Lücke” (Fischer 1996:127-128). Herterich verweist auf die staatliche Vormundschaft: Diese habe “in Frankreich statt wagemu­ tiger Unternehmer vorsichtige Taktiker hervorgebracht, die bei unternehmerischen Entscheidungen erstaunlich zögerlich zu Werke” gingen (Herterich 1991:21). Der Colbertismus, der bereits im 17. Jahrhundert die fehlende Eigeninitiative ersetzte und in der Folge auch vielfach erstickte, ist in dieser Zurückhaltung in der Innova­ torrolle bis heute wirksam.

Die patrons der von der culture entrepreneuriale geprägten Unternehmen sieht We­ ber - wie bereits erwähnt - hingegen als aventuriers economiques (vgl. Weber 1988:56). Diese Unternehmen sind wohl gemeint, wenn Furkel und Kasberger von kreativen und ideenreichen Managern sprechen, wenn Breuer und de Bartha schrei-

237 ben, Projekte würden in Frankreich mit viel Enthusiasmus geführt, oder wenn sie die Kreativität und die innovativen Produkte französischer Unternehmen hervorheben (vgl. Furkel/Kasberger 1994:68. Breuer/Bartha 1990:65 und 1996:216, 238). Hier kommt das Streben nach dem progres in kreativen, von esprit geprägten Lösungen zum Ausdruck. Die hohe Innovationsbereitschaft äußert sich vor allem darin, Dinge immer wieder in Frage zu stellen, wie ein patron in einem Gespräch erläuterte: “En France, on met en place quelque chose, on en discute, on execute, on rediscute, on remet en place...”

In der grundsätzlichen Entscheidung über Innovationen zeigt sich die zentralisierte Position des patron'. Er bildet seine Meinung zwar unter Rücksprache mit seinen wichtigsten Mitarbeitern, Entscheidungen fällt er jedoch allein. Das Delegieren von Entscheidungen könnte ihm leicht als Führungsschwäche ausgelegt werden. Die überwältigende Mehrheit der französischen Klein- und Mittelbetriebe ist bis heute von der culture patrimoniale geprägt, die auf eine lange Tradition in Frank­ reich zurückblickt. Am Vorabend des ersten Weltkriegs standen 11,2 Millionen Arbeitnehmern in Frankreich gut 8,5 Millionen patrons gegenüber (vgl. Ammon 1994:198). Auch wenn sich die Strukturen im 20. Jahrhundert sehr verändert haben, ist diese vom katholischen Traditionalismus geprägte Geisteshaltung doch bis heute lebendig geblieben. In diesem Bereich der Wirtschaft dominieren das Streben nach persönlicher Unabhängigkeit und der Versuch, die Kontinuität persönlicher (Ge­ schäfts-) Beziehungen zu wahren. Das Managementverhalten ist geprägt vom Stre­ ben nach Sicherheit und vergleichsweise wenig innovativ.

Im Bereich der culture entrepreneuriale, also im wesentlichen in den vom französi­ schen Staat massiv geforderten Großunternehmen, werden ganz andere Traditionen wirksam. Hier arbeiten die an den Grandes Ecoles geschulten Manager, lösen Prob­ leme durch Anwendung der raison, streben nach immer neuen, kreativen Lösungen zur Verwirklichung des progres. Jede technische (sachliche) Verbesserung beinhal­ tet in diesem Sinne immer auch ein Stück (moralische) Fortentwicklung des Men­ schen. Dabei gilt es innovativ zu sein, esprit zu zeigen, aber eben nicht - wie häufig in Deutschland - durch eine beharrliche Verbesserung unzähliger Details, sondern durch neue, spektakuläre Lösungen. Genauso wie die intellektuelle wissenschaftli­ che Szene in Frankreich eben nicht durch faktenreiche, detailgenaue, aber langweili­ ge Arbeiten besticht, sondern durch große Entwürfe, die sich im Zweifel nicht um widrige Einzelheiten kümmern, ist auch das Managementverhalten in französischen Großunternehmen eher durch groß angelegte, kreative, das Neue aufspürende Stra­ tegien geprägt. 5.

Verhandlungsfuhrer

Als letzte Rolle schreibt Mintzberg dem Manager die des Verhandlungs fuhrers zu, die er einnimmt, da er über die meisten Informationen verfugt und Macht über die Ressourcenverteilung besitzt.

238

In der Literatur wird eine spezifisch französische Verhandlungsweise deutlich: Das persönliche Verständnis und Vertrauen, die menschliche Ebene, spielt zwischen Verhandlungspartnern eine große Rolle (vgl. Helmolt/Müller-Jacquier 1991:10). Breuer und de Bartha erklären dies aus einer gewissen Tendenz, Regeln und Gesetze zu umgehen, was im Geschäftsleben zu Misstrauen führe. Dem begegne man mit dem Versuch, zunächst eine positive Atmosphäre zu schaffen und den anderen ken­ nen zu lernen (vgl. Breuer/Bartha 1996:149,156). Das Streben nach einer angenehmen Gesprächsatmosphäre kommt darin zum Aus­ druck, dass auch bereits bekannte Geschäftspartner zunächst über Themen diskutie­ ren, die nicht das Geschäft betreffen. Die Beteiligten versuchen, sich gebildet, welt­ gewandt und intellektuell zu geben. Ohne den Vorspann einer Diskussion über Kul­ tur, Geschichte und Politik lässt sich nach Hildenbrand in Frankreich fast nichts erreichen (vgl. Hildenbrand 1997:31). Auch die wohlbekannten französischen Ge­ schäftsessen dienen dem Schaffen einer positiven Atmosphäre, denn Geschäfte will man mit Freunden machen. Die persönliche Beziehung steht zunächst im Vorder­ grund, geschäftliche Inhalte werden erst spät thematisiert, wie in Gesprächen mit französischen Managern immer wieder deutlich wurde: “Je ne vous dis pas le nombre d’affaires que j’ai regle «entre la poire et le fromage»!” - sogar eine Rede­ wendung hat sich diesbezüglich herausgebildet.

In jedem Fall ist es wichtig, die Form zu wahren und die Kunst der Diplomatie zu pflegen. Herterich hält sogar die Form für ebenso wichtig wie den Inhalt (vgl. Herte­ rich 1987:18). Konflikte werden kaum direkt ausgetragen, sowohl Zustimmung als auch Widerspruch formuliert man zurückhaltend. So erhält das Gegenüber die Mög­ lichkeit, sein Gesicht zu wahren, die zuvor erarbeitete Atmosphäre bleibt damit erhalten. Das Streben nach persönlichem Erlebniswert, das den Franzosen in diesem Zusammenhang auch zugeschrieben wird, stellt ein seit den mit esprit geführten Diskussionen in den salons des 18. Jahrhunderts ausgeprägtes Element dar. Auf die strenge Einhaltung einer Tagesordnung wird bei Verhandlungen in Frank­ reich kein großer Wert gelegt: sie dienen vielmehr als Leitfaden, flexible Themen­ wechsel und das Abschweifen zu Nebenaspekten sind quasi “an der Tagesordnung” (Helmolt/Müller-Jacquier 1991:6). Wieder kommt das Ideal geistreicher und unter­ haltender Konversation aus den salons zum Tragen. Der französische Manager ist in seiner Rolle als Verhandlungsführer nicht einfach nur Fachmann, er ist sogar mehr als nur Generalist: er ist ein Gesellschaftsmensch, ein Mensch, der sich (freudig und mit Leichtigkeit) in der Gesellschaft nach sehr genauen Spielregeln bewegt. Diese Rolle legt er auch im Geschäftsleben nicht ab, gerade als Verhandlungsführer kommt sie zum Tragen.

Seit der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts mit ihrer starren Etikette hat das Gesellschaftliche in Frankreich einen hohen Stellenwert, der Mensch verwirklicht sich nicht in der Natur, sondern in der Gesellschaft. Dieses kulturelle Muster bleibt über die salons des 18. Jahrhunderts bis in unsere Zeit unverändert bestehen. Heute gilt nicht mehr die starre Etikette des 17. Jahrhunderts, aber genaue Regeln für den

239 Umgang der Menschen miteinander - im Geschäftlichen wie im Privaten - gibt es auch heute. Vollendete Umgangsformen, die Beherrschung der Sprache, rhetorische Fähigkeiten und eine geistreiche, schlagfertige Gesprächsfuhrung kennzeichnen den französischen Verhandlungsfuhrer.

IV. Zur Identität des französischen Managers Der französische Manager lässt sich, wie wir gesehen haben, vor allem als patron recht gut charakterisieren und in seinen kulturabhängigen Verhaltensweisen auch erklären. Wir können, aufbauend auf unsere Eingangsüberlegungen zum Begriff, hier von einem französischen Managementstil sprechen: Der Manager steht an der Spitze seiner mit der raison nach dem Abbild der katholischen Kirche hierarchisch strukturierten Organisation, die er allein führt. Seine Position als nach innen und außen gut sichtbarer Repräsentant erfüllt er mit esprit und Bestimmtheit - seine Akzeptanz sowohl bei Mitarbeitern als auch bei Geschäftspartnern ist sonst bedroht. Um stets über möglichst viele, sein Umfeld betreffende und für sein Handeln rele­ vante Informationen zu verfugen, spinnt und pflegt er permanent ein hochwirksames Netzwerk von Beziehungen und Informationskanälen, das ihm Zugriff sowohl auf geschäftliche als auch auf politische Informationen gewährt. Auch an dieser Stelle sichern Stil und esprit die Anerkennung. Diese Charakterzüge lassen sich - ebenso wie das Verhältnis französischer Manager zu Innovationen - aus der französischen Geschichte und der Entwicklung der franzö­ sischen Kultur heraus erklären. Dabei spielen überkommene kirchliche Denkmuster ebenso eine Rolle wie Elemente der höfischen Gesellschaft (esprit), das aufgeklärte Gedankengut der lumieres (raison, progres) und napoleonische Einflüsse. Es sind immer wieder die gleichen Aspekte, mit denen sich die Ausprägungen der Teilele­ mente des Managementstils begründen lassen; auf der Suche nach Erklärung der verschiedenen Phänomene gelangt man immer wieder zu denselben französischen Wurzeln. Der französische Managementstil weist ein einheitliches Gepräge auf, der patron erscheint so in seiner Identität als feste Größe, die sich in einem über lange Zeit hauptsächlich auf das Hexagon bezogenen Wirtschaftsumfeld entwickeln konn­ te.

Die zunehmende Globalisierung bringt neben der wirtschaftlichen Öffnung jedoch auch verstärkt andere Einflüsse mit sich. So werden französische Manager bei­ spielsweise immer sprachflexibler: Die weitestmögliche Betonung der französischen Sprache als Geschäftssprache auch im internationalen Bereich nimmt ab, in deutschfranzösischen Konzernen wird teilweise schon Englisch als Konzemsprache ge­ pflegt. Der zunehmende Kostendruck auf französische Unternehmen durch verstärk­ te ausländische Konkurrenz auf dem Heimatmarkt und durch verstärktes eigenes Engagement im Ausland “bedroht” noch andere Spezifika des französischen Mana­ gementstils. So bekommt die französische Gastronomie den Wandel der traditionel­ len französischen Geschäftsessen schon seit einiger Zeit zu spüren: Opulente, mehr­

240 gängige und lange Abendessen in noblen Restaurants weichen mehr und mehr kur­ zen Treffen zu einem kleinen Mittagessen.

Bei der Betrachtung solcher Entwicklungen dürfen jedoch die zu führenden Mitar­ beiter nicht übersehen werden. Wie bereits dargestellt, ist deren Motivation in ho­ hem Maße davon abhängig, ob sie die Autorität ihres Vorgesetzten akzeptieren. Ein Stilwandel seitens der Vorgesetzten mag also in der Belegschaft, deren Wertesystem - im Vergleich zu dem internationalen Einflüssen unterliegenden ihrer Vorgesetzten - geringeren Änderungen unterliegen dürfte, auch weiterhin auf Widerstand stoßen. Trotzdem wird sich - davon ist auszugehen - das Bild des französischen Managers ebenso wandeln wie das der Volkswirtschaft, in der er tätig ist. Da seine Charakter­ züge aber, wie wir gesehen haben, tief in der französischen Geschichte und Kultur verwurzelt sind, werden sie weiterhin erkennbar bleiben.

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242

Die deutsch-französische Kommunikation: Wie? Warum? Jacques Demorgon, Bordeaux/ Reims Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen sind heutzutage ein Gemeinplatz. Beim 2. Kolloquium der A.E.M.L „Das Inter­ kulturelle Management - Modalitäten und Modelle“ (Lausanne 1990) brachte eine dänische Referentin die Versammlung mit der Bemerkung zum Lachen: „Ich werde meine Ausführungen auf Französisch vortragen. Mein Vortrag ist - wie es sich im Französischen gehört - in drei Teile aufgeteilt. Aber meine dänische Kultur wird dennoch präsent sein, denn ich werde nicht so schnell wie die Fran­ zosen sprechen. Einige von Ihnen werden sich langweilen, aber Sie können es auch - wenn sie wollen - für ausgleichende Gerechtigkeit halten.“

Deutsche Zuhörer sind im allgemeinen unzufrieden, wenn Franzosen einen Vor­ trag halten. Zwar finden sie die Ausführungen brillant, denn die Vielfalt des Ge­ genstands wird aus allen Richtungen beleuchtet, aber es fehlt an Klarheit und Kohärenz. Die Deutschen erleben sie als verbale, aber letztlich oberflächliche Bravourstücke und reine Wortspiele.

Für die französische Seite sind die deutschen Beiträge meist zu lang und zu päda­ gogisch, für sie sind sie nicht originell und wenig bereichernd. Ähnliche Reaktionen sind bei binationalen Sitzungen in Betrieben zu beobachten. Der Beitrag von deutscher Seite ist klar und entsprechend der Zielsetzung struktu­ riert. Demgegenüber sind die Ausführungen von französischer Seite viel infor­ meller und vom Zusammenspiel der anwesenden Personen geprägt. Der Skeptiker bleibt jedoch unbefriedigt angesichts dieser Beispiele, denen man weitere hinzufügen kann. Er wird immer wieder Erfahrungen heranziehen, in denen sich die deutschen und französischen Ausführungen diesen Kategorisie­ rungsversuchen entziehen.

Wenn man eine objektive und zuverlässige Reflexion und Praxis im Interkulturel­ len aufbauen will, dann können wir uns nicht mit Feststellungen zufrieden geben, die von statistischen Beobachtimgen ausgehen. Es muss uns gelingen, auf die Ebene vorzudringen, auf der kulturelle Unterschiede hervorgebracht werden. Damit ist gemeint, dass aufgezeigt werden muss, warum kulturelle Unterschiede überhaupt entstanden sind und erst danach kommen wir zu der Frage, wie sie entstanden sind. Auf die erste Frage lässt sich antworten: Die kulturellen Unterschiede sind mög­ lich, weil menschliches Verhalten eine Reaktion ist auf Veränderungen in der Umwelt, die sich ihrerseits vielfältig verändert. In diesen Verhaltensweisen müs-

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sen kontrastierende Polarisationen berücksichtigt werden. Je nachdem, ob es günstige oder eher ungünstige Umstände sind, werden entsprechend eher offene oder geschlossene Verhaltensweisen ausgewählt.

Das gilt ebenfalls für die Kommunikation. Die beiden Pole sind hier erstens: das Explizite, und zweitens: das Implizite. Damit mich mein Zuhörer versteht, muss ich im ersten Fall immer auch die verwendeten Begriffe definieren. Mein Vortrag wird daher entsprechend länger, er verliert an Kürze, aber gewinnt an Präzision. Im zweiten Fall, das Implizite, ist mein Gegenüber über die von mir beschriebe­ nen Realitäten gut informiert, wenn ich all das wiederholte, was er bereit weiß, langweile ich ihn. Meine Mitteilung besteht daher aus Andeutungen und bleibt sogar oft rätselhaft. So wie es in der zutreffenden Formulierung heißt „Man ver­ steht sich ,ä demi-mot’ (mit halben Worten; d. Üb. ) “ Aber dieser wahrschein­ lich kürzere Beitrag verliert an Präzision. Ein Außenstehender, der nicht über die gleichen Informationen verfugt, versteht nicht, was gesagt wurde. Welcher Kultur wir auch angehören, immer müssen wir unsere Aussagen der jeweiligen Situation anpassen, mal sind diese expliziter mal impliziter Natur. Es handelt sich hier um die „Ökonomie der Kommunikation“, die Einzelne, Gruppen und Gesellschaften notwendigerweise meistem und dabei müssen sie auch die verschiedenen Kategorien des Zuhörers: Erwachsene oder Kinder, Vertraute oder Fremde berücksichtigen.

Wir haben die Frage beantwortet, wie Unterschiede überhaupt möglich sind? Noch ist die Frage unbeantwortet: Wie werden sie Realität und wie werden sie aufrecht erhalten? Wenn jedes Individuum, jede Gruppe, jede Gesellschaft unendlich verschiedene Kommunikationsverhalten hervorbringt, wie kommt es dann zu dem einen und nicht zu allen anderen Verhaltensweisen? Zum Beispiel wie kommt es, dass die Beiträge der Schweizer und der Deutschen, meistens explizit sind, und die der Franzosen häufig implizit?

Die Antwort finden wir in der Geschichte. Implizite Kommunikation entsteht leichter im Rahmen eines gemeinsamen sozialen Kontextes. Auf der Grundlage gemeinsamer Erfahrungen werden Bezugspunkte schneller verstanden. Aber ein gemeinsamer Kontext entsteht oder auch nicht im Laufe der Geschichte eines Landes. Es ist eine Entwicklung, die sich über Jahrhunderte hinzieht. Für Frank­ reich trifft das zu. Ein relativ allgemein gültiger Kontext ist im Verlaufe von mindestens vier Zusammenschlüssen entstanden, die politischer, religiöser und/ oder kultureller Natur waren. Die erste Vereinigung ist aus dem Römischen Reich hervorgegangen. Die zweite war das Ergebnis der Christianisierung und der Verbreitung des Katholizismus. Die Dritte erfolgte in Verbindung mit der lang­ samen Entstehung der Nation seit Chlodwig und während der langen Epoche des „Ancien Regime“. Die vierte Vereinigung war der Wert der Republik: Einfuh-

244 rung der Departements, Unterdrückung der Dialektsprachen, Trennung von Kir­ che und Staat, Einführung des öffentlichen Unterrichts und der Schulpflicht.

Demgegenüber führte auf deutscher Seite das Streben nach staatlicher Einheit unablässig zu Misserfolgen: Das Römische Reich deutscher Nation (962 - 1806). Die Beibehaltung, ja sogar Vermehrung der Kleinstaaten (355 Staaten im Jahre 1648) und die kulturelle Aufsplitterung (mit dem Protestantismus in seinen ver­ schiedenen Spielarten) haben dazu geführt, dass sich die Kommunikation unter Deutschen in engen und festen Grenzen vollzog. Es konnte daher gar keine Kommunikation in Andeutungen entstehen, denn die­ jenigen, die in den verschiedenen Kleinstaaten umherreisten, hätten jedes Mal beim Hin- und Herreisen Veränderungen auslösen können.

Die japanische Kommunikation in einem völlig anderen geographischen Kontext ist noch impliziter als die französische. Der beschriebene Prozess kommt in noch verstärkter Form zum Tragen durch die starke religiöse, politische und kulturelle Einheitlichkeit. Demgegenüber ist die amerikanische Kommunikationsweise, einen Land mit zahlreichen Bundesstaaten, mit den unterschiedlichen kulturellen Wurzeln der zahlreichen Immigranten, der deutschen vergleichbar.

In seinem Buch „Das Internationale Management“ gibt Usunier folgende Aufstel­ lung in der ca. 10 Länder im Bezug auf diese Fragestellung in einer Rangordnung aufgelistet werden: von Japan über Frankreich bis in die Schweiz. Stark

Schwach

Japan Mittlerer Osten Lateinamerika Italien/ Spanien Frankreich Großbritannien Vereinigte Staaten Skandinavische Länger Deutschland Schweiz Explizit Implizit

Daraus folgt, dass das Entstehen kultureller Unterschiede aus menschlichen Ver­ haltensweisen heraus verstanden werden muss, die sich auf dem Hintergrund der historischen Gegebenheiten entwickelt haben. Sie sind also keine zweifelhafte und immer wieder je nach aktueller Erfahrung anzweifelbare Behauptungen mehr, sondern sie sind das Ergebnis von langen Prozessen. Diese befinden sich zwar immer wieder erneut in prozesshafter Veränderung, dennoch bleiben sie in ihrer Existenz gleich. Kulturelle Unterschiede sind jedoch nicht immerwährend und sind auch nicht oberflächlich, sie sind trotz kontinuierlicher Metamorphose

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beständig. Das trifft für die deutsch-französische Kommunikation zu, wie auch für die zwischen anderen Ländern. Erst eine vertiefte Analyse dieser Vorgänge wird die Austauschpraxis verbessern.

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246

Deutschlandbilder - Amerikabilder. Stereotypisierung und Vorurteilsbildung aus interkultureller Perspektive1 Steffen Höhne, Weimar

I.

Vorbemerkung

Die deutsch-US-Amerikanischen Beziehungen lassen sich in besonderer Weise als eine „special relationship“ verstehen, ruft doch die wechselseitige Thematisierung der jeweils anderen Kultur eine Vielzahl von Assoziationen und Bildern hervor, die sich als mehr oder minder stabile nationale Images dokumentieren. Bringt man beispielsweise in Deutschland das Gespräch auf die Amerikaner (wobei im folgenden damit die US-Amerikaner gemeint sind), so erhält man, gleich ob auf akademischen Fluren oder am so sprichwörtlichen Stammtisch, häufig wiederkeh­ rende Urteile: Amerikaner, und damit sind zumeist Repräsentanten der weißen Mit­ telschicht gemeint, seien demnach oberflächlich, materialistisch und besäßen natür­ lich keine Kultur oder Bildung, um einige der negativen Aspekte hervorzuheben. Oder, positiv gewendet, Amerikaner seien offen, freundlich und unkompliziert und sehr kommunikativ.

Dabei lässt sich dieses Experiment provozierter Vorurteilsbildung sehr einfach um­ drehen und man kann vergleichbare Äußerungen über die Deutschen erhalten: Diese sind offenbar sehr direkt, obrigkeitshörig, sehr förmlich, wissen alles besser und scheinen - nicht zuletzt im Straßenverkehr - über eine ausgesprochen sozialdarwi­ nistische Aggressivität zu verfugen. Oder, auch hier positiv gewendet, diese Deut­ schen sind sehr zuverlässig, tüchtig und gründlich. Diese und andere Urteile zeigen sich auf beiden Seiten in unterschiedlichen Kontex­ ten und Situationen immer wieder, sie verdichten sich zu einem relativ stabilen, stereotypen Bild des typischen Repräsentanten der jeweils anderen Kultur.

Wie nun ein solches Alltagswissen das Image der jeweils anderen Kultur und damit die Kommunikation über diese prägen kann, dafür sei ein kleines Beispiel angeführt. Zur Zeit der vorletzten Fußballweltmeisterschaft 1996, bei der ein kolumbianischer Spieler aufgrund des vorzeitigen Ausscheidens seiner Mannschaft erschossen wurde, entwickelte sich folgender Dialog zwischen einem deutschen Aushilfs-Taxifahrer und seinem US-Fahrgast in New York City. „Eward blickte auf die 7th Avenue, als sähe er sie zum ersten Mal. ,Sag mal, Freund, wo kommst Du eigentlich her?‘ »Deutschland, Sir.‘ Edward prustete los, so ein übergeschnapptes Besoffenenlachen.

1 Bei dem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Antrittsvorlesung an der Philoso­ phischen Fakultät der Friedrich Schiller Universität Jena, gehalten am 13.07.2000.

247 .Deutschland, hahaha. Hab* immer viel von Deutschland gehalten. Aber jetzt, diese Fußballspiele bei der Weltmeisterschaft. Diese seltsame Art von Fußball. Rennen zwei Stunden rauf und runter, und zum Schluß heißt es null zu null.1

,In der Regel rennen sie neunzig Minuten, Sir, und sie schießen auch Tore.* ,Das einzige, was die schießen, sind Kugeln auf die eigenen Leute. Kommt der arme Kerl nach Hause nach Bogotä und wird abgeknallt, nur weil er ein Eigentor fabriziert hat.*

,In New York erschießen sie manchmal Leute ganz ohne Grund.“ Eine Weile schwieg mein Fahrgast. Dann sagte er und klang wieder ziemlich nüchtern: ,Wie nett, ein Taxifahrer, der aufs Debattieren scharf ist. Aber eins sag* ich dir: Wenn’s dir hier nicht paßt, dann hau ab dorthin, wo du hergekommen bist. Ihr großmäuligen Deutschen habt uns gerade noch gefehlt.“ (Schuhler, 1994: 18)

Fragt man nun nach den Hintergründen eines solchen Krisengesprächs, so ist man bei Phänomenen der Stereotypisierung und sozialen Vorurteilsbildung angelangt, die ja in der Regel auf der Verallgemeinerung von eigenen oder vermittelten Erfahrun­ gen beruhen. Auf die Verletzung der sozialen Rolle (soziale Position von Fahrgast und Taxifahrer) und die Verletzung eines ritualisierten Gesprächsablaufs (Gespräche zwischen Fahrgast und Taxifahrer verlaufen in der Regel nicht als ernsthafte bzw. seriöse Diskussionen), verstärkt durch die Thematisierung und damit auch indirekt persönliche Zuweisung eines Tabuthemas (Kriminalität in New York), erfolgt eine Zuschreibung auf der Basis nationaler Charakteristika, die, erkennbar an der Genera­ lisierung, ein Wissen über die fragliche Gruppe aktivieren (verdichtet als Oberlehrertopos) und verbalisieren - die großmäuligen Deutschen.

So weit das Beispiel. Um nun etwas weiter auszuholen, seien ein paar allgemeine Überlegungen zum Phänomen der Stereotypisierung vorangestellt. Dabei soll es hier nicht darum gehen, die unterschiedlichen Forschungstraditionen und die damit verknüpften Definitionen zu analysieren, zumal beide Ausdrücke mitunter synonym verwendet werden.2 Sozi­ ale Vorurteilsbildung scheint insgesamt einen stärker pejorativen Charakter im Sinne einer alogischen, erfahrungsgemäß nicht abgesicherten Verallgemeinerung zu besit­ zen, die aus einer sozialen Beziehung resultiert und generell negative Zuschreibun­ gen beinhaltet. Der Ausdruck Stereotyp, eine Entlehnung aus der Druckereitechnik von Walter Lippmann (1922), besitzt dagegen, zumindest in seiner soziolinguisti­ schen Tradition, heuristische Qualitäten.

Zwar findet man auch hier-je nach Forschungstradition - unterschiedliche Ansätze, wobei hier weniger an die affektive Funktion zu denken wäre, wie sie beispielsweise in Adornos (1996) Modell des autoritären Charakters konzipiert wird, ein Modell, nach dem alles Fremde als Bedrohung wahrgenommen wird, vor der es sich zu schützen gilt, noch an die soziale Funktion im Kontext der ingroup-outgroupAbgrenzung, derzufolge die Aufrechterhaltung sozialer Identität Gruppenabgren­

2 Einen guten Überblick bietet Quasthoff (1987).

248 zung als ein psychisches Grundbedürfnis versteht? Brauchbarer erscheint die dem Prozess der Stereotypisierung immanente kognitive Funktion, mit der die Art und Weise der Informationsverarbeitung verstanden wird. In einem Prozess selektiver Wahrnehmung per Komplexitätsreduktion dienen Prozesse der Stereotypisierung der Orientierung - Komplexität in der Umwelt wird auf ein überschaubares Maß redu­ ziert. Über Prozesse der Stereotypisierung werden Wahrnehmung und Verhalten gesteuert. Zugleich entlasten Stereotype davon, Situationen ständig neu bewerten zu müssen, insbesondere gruppenbildende Stereotype bieten die Möglichkeit, Personen nach Teilmerkmalen als Gruppe/Kollektiv kategorisieren zu können.4 Diese Katego­ risierungsleistung per Komplexitätsreduktion mag ein populäres Beispiel verdeutli­ chen, welches man - als Postkarte - heutzutage in einem der vielen Brüsseler EUShops erwerben kann.

5 Die soziale Funktion des Stereotyps (ingroup-outgroup-Modell) geht von der Aufrechterhaltung sozialer Identität als einem psychischen Grundbedürfhis der Gruppenabgrenzung aus, welches zu Durchdringung von gruppendynamischen Vorurteilen und lust/angstbesetzter Projektion fuhrt. 4 „Die kognitive Gruppierung von Personen, die ein Merkmal gemeinsam haben, macht es jedenfalls möglich, Urteile über andere Personen, die ebenfalls dieses Merkmal tragen, auf der Grundlage schnell und leicht verfügbarer kategorialer Informationen zu treffen. Die Mitglieder einer Kategorie werden als untereinander ähnlich wahrgenommen, die Mitglieder verschiedener Kategorien als unähnlich. Stereoty­ pen haben also für das Denken die Funktion von Kategorien, welche einzelne Entitäten zu Gruppen von Entitäten zusammenfassen und dadurch die Komplexität der vorhandenen Informationen reduzieren.“ (Wintermantel, 1994: 84) Zur Abgrenzung ggü. der Schematheorie vgl. Quasthoff (1989:41 f.).

249 Vergegenwärtigt man sich grundlegende kognitive Mechanismen wie Induktion, Analogiebildung, Verifikation durch Zeugnis, Vervollständigung und Zukunftsent­ wurf, dann lassen sich Stereotype als deren Fehlanwendung betrachten: So verläuft der Prozess der Stereotypenbildung über Pauschalierungen, falsche Vergleiche, ungeprüfte Weitergabe, Spekulationen und Eskalation von Phantasmen (Klein, 1994: 137ff). Für beide - Vorurteil wie Stereotyp - gilt, dass gegenüber einem bestimmten Objekt eine bestimmte Einstellung existiert, die als Überzeugung oder Meinung zum Aus­ druck gebracht wird, indem diesem Objekt bestimmte - typische - Qualitäten zuoder abgesprochen werden. Soweit der Versuch einer inhaltlichen Bestimmung des Phänomens.

II. Kommunikativ-kontrastive Ebene Nach diesen Vorüberlegungen soll nun das eigentliche Thema, Deutschland- und Amerikabilder, behandelt werden. Schon auf der kommunikativen Ebene lassen sich einige markante Phänomene beobachten, die z. T. Prozesse der Stereotypisierung unterstützen. Der etwas einfühlsamere Betrachter wird schnell merken, dass dem Small talk im US-Amerikanischen ein größerer kommunikativer Stellenwert zu­ kommt als im Deutschen, er wird aber vielleicht nicht immer die kommunikative Funktion des Small talk im Hinblick auf Phasen der Gesprächseröffnung bzw. Ge­ sprächsbeendigung erkennen, wird dieser doch aus deutscher Perspektive nur zu häufig als oberflächlich abqualifiziert.5 Über die negative Zuschreibung wird nun eine Generalisierung im Sinne einer typischen Charaktereigenschaft vorgenommen, die den Weg für das Stereotyp, beispielsweise die Oberflächlichkeit USAmerikanischer Alltagsgespräche, vorbereitet. Dabei handelt es sich gerade bei Begrüßungs- und Beendigungssequenzen um konversationell betrachtet äußerst komplexe kommunikative Phänomene - schon auf der intrakulturellen Ebene. So signalisiert man durch Begrüßungen den sozialen Status, den Grad der Vertrautheit, den Grad gegenseitiger Sympathie und schließlich die Rollen, welche die Partner in der folgenden Kommunikation einnehmen werden. Aufgrund der starken Ritualisierung solcher Sequenzen ist die Kenntnis kultureller Regeln von besonderer Bedeutung, besitzen Begrüßungssequenzen nach Gofiman doch die Funktion - neben Höflichkeit -, Anwesenheit zur Geltung zu bringen, jegliche Bedrohung zu verneinen, Bitten vorzubereiten und Selbstdarstellung zu unterstützen. Für die interkulturelle Dimension konversationeller Sequenzen sei ein kurzes Bei­ spiel gewählt, die Gesprächsbeendigung (s. Kotthoff, 1994). Dabei handelt es sich um eine vergleichbar sensible Sequenz, denn man steht schließlich nicht einfach auf und verlässt den Raum, sondern signalisiert schrittweise eine Zurücknahme von 5 Zur Umsetzung solcher Phänomene im Rahmen interkultureller Trainings siehe Müller-Jacquier (2000).

250

Zugänglichkeit. Unterstützt wird diese konversationeile Konstitution der Gesprächs­ beendigung durch interagierende Schlusseinleitungsformeln (gut, okay), die ratifi­ ziert werden müssen oder durch explizite Beendigungssignale: Ja, das wär’s wohl für heute. Beendigungsphasen gelten als besonders heikel, da man an ihnen erkennt, wie die Interagierenden auseinander gehen.6 D.h., gerade bei Beendigungsphasen existiert eine Abhängigkeit von den Höflichkeitsritualen einer Kultur, welche Flos­ keln und Sequenzen wann erwartet werden dürfen. So gilt im Deutschen der Aus­ druck einer spontanen Kontaktverlängerung mit den Gästen nach dem Motto Nein, musst ihr wirklich schon gehen? als ein Signal positiver Höflichkeit, ein Signal, das allerdings bei US-Amerikanern aufgrund der Nichtakzeptanz für den Aufbruch der Gäste zu Irritation fuhren kann, ist es doch bei ihnen eher üblich, sich emphatisch für die miteinander verbrachte Zeit zu bedanken: It was so nice that you could come (s. Kotthoff 1991, 1994).

III. Ebene zugrunde liegender kultureller Standards Dennoch würde eine rein kontrastive Oberflächenanalyse kommunikativer Natur zu kurz greifen, denn in einem solchen Falle müsste es ja möglich sein, per Erlernung einer »kulturellen Grammatik* interkulturelle Überschneidungssituationen problem­ los zu meistem. Dass dies nicht immer gelingt oder auch nur gelingen kann, das beweisen Phänomene wie Kulturschock, Vorurteilsbildung und Stereotypisierung. Man benötigt also einen weiter oder tiefer gehenden Erklärungsansatz, der nach den das Verhalten determinierenden, zugrundeliegenden Einstellungen und Werten fragt, also einen explikativen Ansatz. Hierfür kann die Analyse von Kulturstandards hel­ fen, ein Ansatz, der maßgeblich von dem Regensburger Organisationspsychologen Alexander Thomas entwickelt worden ist.

Mit Kulturstandards lassen sich - im Gegensatz zu Stereotypen - objektive Aussagen über Merkmale anderer Kulturen ermöglichen, bilden diese doch für Gruppen, Or­ ganisationen und Nationen typische Orientierungsmaßstäbe des Wahmehmens, Denkens, Urteilens und Handelns. Dabei unterscheidet man zentrale und periphere Kulturstandards, zentral sind solche, die über den Prozess der Sozialisation als Maß­ stab zur Beurteilung sozial relevanten Verhaltens internalisiert werden und weite Bereiche des Wahmehmens, Denkens, Urteilens und Handelns prägen. Sie geben Orientierungsmöglichkeiten für das eigene Verhalten und sind ein Entscheidungskri­ terium dafür, was als normal, typisch und noch akzeptabel anzusehen bzw. was abzulehnen ist. Kulturstandards machen somit (Re)-Aktionen unserer Mitmenschen vorhersehbar und erlauben einen problemlosen Umgang mit anderen über die Kenntnis gesellschaftlicher Konventionen und deren Respektierung. Ferner regulie­ ren sie das Verhalten - die Kenntnis und Akzeptanz der Spielregeln entscheidet über Gruppenzugehörigkeit bzw. entsprechende Anerkennung durch die Gruppe -, und sie präzisieren das Verhalten auf der Basis gruppenspezifischer Normen, wobei 6 Möglicherweise ist hiermit die auf Deutsche befremdend wirkende Regel zu erklären, dass bei privaten Einladungen in den USA mitunter auch deren Ende angegeben wird.

251 natürlich Toleranzgrenzen bei Abweichungen akzeptiert, teilweise aber auch - denkt man an Künstler - erwartet werden können.

Entfällt diese Orientierungsmöglichkeit, versagt also das soziale und kulturelle Ori­ entierungssystem, dann spricht man von Kulturschock. Andererseits darf man Kul­ turstandards genauso wenig wie kulturelle Phänomene insgesamt im Sinne einer lernbaren kulturellen Grammatik verwenden, denn diese unterliegen einem perma­ nenten Wandel (anlog dem gesamtgesellschaftlichen Wertewandel), ferner ist der Grad der Verbindlichkeit der Standards und ihrer Regeln variabel und höchst unter­ schiedlich, was allerdings nichts an ihrem prinzipiellen Orientierungswert ändert. Müller und Thomas (1991) haben unterschiedliche US-Kulturstandards herausgear­ beitet, u. a. Individualismus, Patriotismus, Gleichheitsdenken und Leistungsorientie­ rung. Zwei dieser Kulturstandards, die eine spezifische Beziehung zum kommunika­ tiven Verhalten aufweisen, seien hier vorgestellt: Der Kulturstandard der Distanzmi­ nimierung und der Kulturstandard der Distanzdifferenzierung. Beide basieren auf der Theorie der interpersonalen Distanzregulation, mit ihnen lassen sich gängige Vorurteile zwischen US-Amerikanern und Deutschen erklären. Die zentralen Regio­ nen „enthalten die bedeutsameren, wertbehafteteren, intimeren und den Persönlichkeitskem stärker berücksichtigenden Dimensionen als periphere Regionen. Je höher der Intimitätsgrad einer Person ist, den sie mit anderen Personen zu teilen bereit ist, um so geringer ist die soziale Distanz und um so stärker werden zentrale Regionen berührt.“ (Thomas 1990: 5) Folgt man dem Konzept der Kulturstandards, so lässt sich annehmen, dass die US-Amerikanische Kultur im Unterschied zur deutschen andere Vorschriften, Regeln und Maßstäbe dafür ausgebildet hat, wie eine Interakti­ on zu gestalten und zu bewerten ist.

Bezogen auf Alltagsäußerungen über den typischen Amerikaner bzw. Deutschen lässt sich vermuten, dass US-Amerikaner sich der Anteilnahme fremder Personen weniger verschließen. Der Amerikaner zeigt an Stellen eine gewisse Offenheit, an denen der Deutsche keinerlei oder höchstens oberflächlichen Kontakt mit seinem Mitmenschen ausübt. D. h., dass ein Deutscher in den USA „von der dort üblichen Qualität der Distanzregulation besonders während der ersten Akkulturationsphase profitieren [kann]. Hilfe und soziale Zuwendung werden auch ohne ausdrückliche Aufforderung angeboten. Weitaus mehr Regionen der Persönlichkeit des Amerika­ ners sind für einen Deutschen zugänglich, als er das vom Umgang mit seinen Lands­ leuten her gewohnt ist. So erscheint ihm der Amerikaner als offen, zugänglich, hilfs­ bereit und freundlich.“ (Thomas 1991: 9) Ein Problem entsteht nun dann, wenn dieser typische Deutsche sein Verhalten mit den kommunikativen Regeln in Deutschland gleichsetzt und so leicht die Barriere übersieht, die den zentralen Per­ sönlichkeitsbereich des Amerikaners umgibt. Konsequenz: Enttäuschung wegen falscher Interpretation von amerikanischer Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Gast­ freundschaft, an die zu hohe Erwartungen gestellt werden, aus der dann die Zu­ schreibung von »typischer* amerikanischer Oberflächlichkeit oder Unzuverlässigkeit erfolgt.

252 Der Kulturstandard der Distanzminimierung regelt die jeweilige individuelle Zu­ gänglichkeit, steuert also die Art der interpersonalen Distanz in konkreten Interakti­ onen. Vor diesem Hintergrund erhalten kulturtypische Konversationsmaximen und deren sprachliche Realisierung eine zentrale Bedeutung. Denn Distanz lässt sich minimieren durch Grußformeln, durch Small talk, durch persönliche Informationen oder durch unverbindliche, aber als freundliche Geste gemeinte Einladungen zu gemeinsamen Treffen. Sie wird ferner durch die fehlende Du-Sie-Opposition nebst der Tendenz, schneller als im Deutschen zum Vornamen überzugehen, erleichtert. Das Gebot der Distanzminimierung im Amerikanischen gilt grundsätzlich, wenn eine andere Person im eigenen Handlungsbereich in Erscheinung tritt und wahrge­ nommen wird. Im weiteren Verlauf der Interaktion erfolgt dann die personenspezifi­ sche Differenzierung in Personen, die man kennt (friends) und Personen, denen man sich besonders eng verbunden fühlt (intimates). Erst intimates erfahren Privilegien unbegrenzter Offenheit und Zugänglichkeit.

Im Deutschen verläuft diese Dramaturgie etwas anders. Dort wird zwischen sehr gut bekannten, flüchtig bekannten und unbekannten Personen differenziert. Sehr gut bekannte Personen müssen begrüßt, angesprochen und eventuell unterhalten werden. Flüchtig bekannte Personen können gegrüßt werden. Unbekannte Personen bedür­ fen, ohne zwingenden äußeren Grund, keinerlei sozialer Aufmerksamkeit. Dies betrifft auch institutionelle Räume, weshalb sich die Mitglieder einer Universität, die sich auf dem Campus begegnen, nur dann grüßen, wenn sie miteinander bekannt sind. Aufdringlichkeit bzw. Distanzlosigkeit wird im Deutschen stärker sozial sank­ tioniert als ausgeprägte Formen sozialer Zurückhaltung. Das zeigt sich auch an so­ genannten mate-ta/Zr-Situationen, die in Deutschland anders codiert sind als in den USA. So ist es im Deutschen möglich, dass einander fremde Personen in einem Restaurant an einem Tisch sitzen und - für US-Amerikaner befremdlich - nicht miteinander sprechen. Dieses kulturell divergente kommunikative Verhalten korreliert auf der Ebene sozia­ ler Bedeutung mit kulturell unterschiedlichen Definitionen von Freundschaft. Die Vorstellung von Freundschaft, wie sie sich im Deutschen herausgebildet hat, ist von geringerer Flexibilität hinsichtlich der Aufnahme sozialer Beziehungen gekenn­ zeichnet. Ihr liegt eine starke partikularistische Ausschließlichkeitsbeziehung zugrunde, die mit Attributen der Treue, Tiefe, Unveränderlichkeit verknüpft ist. Ganz anders die Definition von Freundschaft in Amerika, die in einem weiten sozia­ len Netzwerk von Beziehungen und Verpflichtungen integriert ist, welche dem ein­ zelnen wiederum größere Entscheidungsfreiheit einräumt. Friendship ist mit Faithfulness, Loyality oder Reliability codiert, mit der eine gegenseitige Verlässlich­ keit impliziert ist, allerdings bei einer geringeren Ausschließlichkeit der Beziehung. Im US-Amerikanischen weiß der einzelne, „dass er keinen absoluten Zugriff auf den anderen hat, von ihm also nicht vollkommen Besitz nehmen kann. Freundschaft ist nicht ein wechselseitiges Inbesitznehmen des anderen, sondern mehr eine Beziehung

253

der wechselseitigen Verlässlichkeit und vor allem der wechselseitigen Achtung.“ (Münch 1993/2: 810) Diese größere Offenheit zeigt sich auch in geschäftlichen Beziehungen. Wo in Deutschland schon phraseologisch (unter Freunden soll man keine Geschäfte ma­ chen oder Geld verdirbt die Freundschaft) die scharfe Trennung der Bereiche Freundschaft und Geschäft markiert werden, da gilt Business unter Freunden als besonders zuverlässig. Diese kulturell divergierenden Definitionen lassen sich auch durch statistisches Material untermauern. So bejahten 1980 die Aussage ,Den meis­ ten Menschen kann man trauen!‘:7

USA

55%

GB

49%

BRD

19%

Italien

7%

Und auf die Aussage ,Die meisten Menschen sind eher geneigt, anderen zu helfen als zuerst an sich selbst zu denken!* befürworteten: USA

31%

GB

28%

BRD

5%

Italien

5%

Man kann es der Phantasie des Lesers überlassen sich vorzustellen, wie aus diesen kulturell unterschiedlichen Definitionen von Freundschaft Stereotype wie USAmerikanische Oberflächlichkeit bzw. Freundschaft als kalte, rationale Zweckbe­ ziehung geschäftlicher Natur oder - umgekehrt - deutsche Unsozialität bzw. Ver­ schlossenheit äußerst leicht entstehen müssen.

Die metaphorische Identifikation des typischen Amerikaners mit einem Pfirsich und die des typischen Deutschen mit einer Kokosnuss scheint hier ihren Ursprung zu besitzen.

IV. Diachrone Ebene Nun darf man, will man kulturelle und nationale Stereotype angemessen beurteilen, nicht auf der synchronen Ebene stehen bleiben, handelt es sich bei Stereotypisierun­ gen doch nicht nur um affektiv, sozial und kognitiv begründbare Phänomene, son­ dern auch um Einheiten des kulturellen Wissens, das sich über lange Zeiträume entwickelt und zu Traditionskontexten verdichtet, die einen Relevanzrahmen bilden, innerhalb dessen nationale Bilder je nach Situation aktiviert werden können.

7 Zitiert in Münch (1993/1: 387) nach: Almond, G./Verba, S.: The Civic Culture Revisited. Boston 1980.

254

Aufgrund der historischen Dimension von Prozessen der Stereotypisierung scheint sich in der jüngsten Diskussion eine starke Tendenz zur Substitution des methodisch polysemen Terminus ,Stereotyp’ zugunsten des linguistisch eindeutigeren Terminus »Kategorisierung’ durchzusetzen, handelt es sich bei Stereotypen doch nicht nur um Phänomene der Wahrnehmung (Perzeption), sondern auch um solche des (kulturel­ len) Wissens, wobei unter Kategorisierung Verallgemeinerungsprozesse bzw. Konzeptualisierungsleistungen verstanden werden, die ein Teil des dem Diskurs voraus­ gehenden kollektiven Wissens sind. Ausgehend von dem bei Konrad Ehlich und Jochen Rehbein (1977) entwickelten Ansatz der Wissensstrukturtypen8 lassen sich Stereotype bzw. Kategorisierungen als eine Reproduktion von ,Sentenzen* und ,Bil­ dern* bzw. ,Images* in individuellen oder gesellschaftlichen Umbruchsituationen verstehen. „Diese Wissenstypen selbst sind nicht diskursiv, sie sind auch nicht diskursiv erzeugte, sondern sie sind mentale und mental erzeugte, unter Verarbeitung von Erfahrungen, unter Verarbeitung von Wahrnehmung und unter Verarbeitung auch von sprachlichen Wahrnehmungen, zu Diskursen.“ (Eh­ lich, 1998:21/

Aus dem Konzept der Wissensstrukturtypen folgt notwendig eine pragmatische Quantifizierung, keine logische zur Bestimmung der Langlebigkeit von Stereotypen. Der Rückgriff auf diese Wissensstrukturtypen sichert dem Individuum oder der Gruppe Kontinuität über Diskontinuitäten hinweg, erleichtert somit den Umgang mit noch nicht begreifbaren Veränderungen oder auch mit Widersprüchen in der Wirk­ lichkeit.

Nun baut sich Wissen über andere Kulturen in einem komplexen intertextuellen und interdiskursiven Diskussionskontext auf, wobei es zu Überlagerungen, einander widersprechenden Entwicklungen und auch Brüchen in der Wahrnehmung wie Re­ 8 Das Konzept der Wissenstypen (des praktischen Alltagswissens) umfasst folgende Hierarchisierung (nach Ehlich, 1998): a) partikulares Erlebniswissen; das Individuell-Gewusste über ein Thema, das individuelle Erlebnis, welches keine Verallgemeinerung provoziert. b) Einschätzung: die Synthetisierung von Gewusstem zu einer höheren Stufe von Gewusstem: hier und da; hin und wieder, viele etc. c) Bild: der Aktant weiß, dass das Gewusste immer für ein Objekt zutrifft. „Das Bild gibt ein Arsenal von festen Interpretationen der Handlungswirklichkeit für individuelle Aktanten, es ermöglicht den individuellen Aktanten Prognosen.“ (Ehlich, 1998: 19) Wird dieses Bild von mehreren Aktanten geteilt, spricht man von Image. d) Sentenz (im Prozess der Verallgemeinerung von Bildern und Images): Das Gewusste trifft immer zu, und dieses Wissen haben alle Aktanten. Die hohe Widerspruchresistenz dokumentiert sich in Sprichwör­ tern und Tropen (als feste Klischees oder Denk- und Ausdrucksschemata, Formeln, Wendungen, Zitaten, Symbolen). e) Maximen: ein handlungsleitendes Destillat aus vorgängiger Erfahrung. Hinzu kommt das Musterwissen als ein in der Sozialisation erworbenes Wissens über die historisch­ gesellschaftliche Zweckstruktur (sprachlicher) Handlungen und das Routinewissen als weitgehend auto­ matisierte, ein-aktantige Handlungsverkettungen. 9 Ein Stereotyp ist demnach „[...] eine Reproduktion von »Sentenzen* und ,Bildern* bzw.,Images*, zuwei­ len auch »Einschätzungen*, in individuellen oder gesellschaftlichen Umbruchsituationen, also angesichts wahrnehmbarer, wenngleich noch nicht begreifbarer und behandelbarer Veränderungen oder Widersprü­ che in der Wirklichkeit. Der Rückgriff auf diese Wissensstrukturtypen sichert dem Individuum oder Kollektiv eine Kontinuität über Diskontinuitäten hinweg.“ (Redder, 1995: 320)

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zeption kommen kann, so wie einzelne Texte mitunter eine überproportionale Wir­ kung entfalten. Als Beispiel sei an das zur Zeit Napoleons verfasst Werk de’Allemagne erinnert, mit dem Mme. de Stäel für eine lange Zeit nicht nur das französische Image eines klassisch-romantischen Deutschlands prägte, sondern beispielsweise auch das entsprechende US-Bild von Deutschland beeinflusste. Eine Umbruchsituation stellt zweifellos die deutsche Wiedervereinigung dar, die weltweit im Zentrum öffentlichen Interesses stand, mit der aber nicht nur Zustim­ mung verknüpft war, sondern auch Ängste geweckt wurden.

Diese Umbruchsituation führte zu einer vor allem von den Medien unterstützten Aktivierung kulturellen Wissens über Deutschland und die deutsche Geschichte, welches sich in vielerlei Interviews, Kommentaren, Berichten, Karikaturen etc. artikulierte, wobei man an bestehende Bilder anknüpfen konnte. Geht man davon aus, dass die Beziehungen zwischen modernen Gesellschaften und Staaten zu einem sehr starken Maße durch deren historisch gewachsene Images geprägt werden, dann zeigt sich die Bedeutung, die solche Bilder im Hinblick auf die wechselseitige Wahrnehmung besitzen.10 Denn obwohl sich die offiziellen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA seit dem Zweiten Weltkrieg in politischer, ökonomischer und kultureller Hinsicht durchaus positiv entwickelten, lassen sich dennoch für die gesamte Nachkriegszeit vier übergeordnete Bilder (Images) von Deutschland fin­ den:11 1. Image des verlässlichen und verbündeten Deutschland. 2. Image der ökonomischen Prosperität (Tüchtigkeit, Präzision, Fleiß, Pünktlich­ keit, Gründlichkeit = made in Germany). 3. Image des hässlichen Deutschland: Aggressivität, Obrigkeitshörigkeit, Arro­ ganz, Kälte, in der Regel vor dem Hintergrund selektiven Wissens über das m. Reich, verbunden mit Rollenstereotypen in einschlägigen Femsehserien. 4. Image des romantisch-provinziellen Deutschland (in Verbindung mit süddeut­ schen Sitten und Bräuchen).

Aus diesem Reservoir kulturellen Wissens über Deutschland konnten die Medien, und als Beispiel seien hier Karikaturen angeführt, 1989/90 schöpfen. Zwar handelt es sich bei der Textsorte Karikatur um dem politischen Tagesgeschehen verpflichte­ te Gebrauchstexte von begrenzter Lebens- und Funktionsdauer, in ihnen lasse sich allerdings Verdichtungen auf spezifische Typologien beobachten, die dem kollekti­ ven Reservoir an Alltagswissen über eine andere Kultur entstammen.

10 Aus der vielfältigen Literatur zur wechselseitigen Wahrnehmung hier nur der Hinweis auf einige Stan­ dardtitel. Zur Rolle der Medien siehe Bredella (1991); Bredella/Gast/Quandt (1994); Böhme-Dürr (2000) Zur Tradition des Antiamerikanismus siehe Diner (1993); Schwan (1999). 11 Willis (1999) spricht zu Recht von Deutschland als einer Metapher, in der sich divergierende inhaltli­ che, von temporalen und kontextuellen Bedingungen abhängige Vorstellungen materialisieren.

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Boston Herald 1990 Weist die Auseinandersetzung mit der deutschen Wiedervereinigung zu Beginn noch auf ökonomische Risiken dieses Prozesses - so der BOSTON Herald 1990 - so findet man bald warnende Stimmen vor einem selbstbewussten und wiedererstarkten Deutschland, so beispielsweise der Daily Reporter in Kansas.

Daily Reporter in Kansas

257 Bei dieser befürchteten neuen deutschen Dominanz gerät zunehmend auch die euro­ päische Integration in den Blick, wie die Palm Beach POST 1992 angesichts des europäischen Währungssystems zu erkennen meint.

Palm Beach Post 199212 Diesen Thematisierungen, die in der Tradition einer deutschlandskeptischen bis kritischen Perspektive stehen und die sich bis auf das späte 19. Jahrhundert zurück­ verfolgen lassen (s. Zacharasiewicz, 1998) liegt ein kulturelles Alltagswissen zugrunde, welches je nach Situation aktualisiert werden kann. Trotz der offenkundigen Simplifizierung verlieren solche karikaturesken Themati­ sierungen nichts von ihrer psychologischen bzw. politischen Wirksamkeit. Insofern erscheint es nur konsequent, dass gerade die Phase der Wiedervereinigung und die damit ebenfalls thematisierte bzw. befürchtete deutsche Dominanz auch vor einem völlig anderen Hintergrund reflektiert wurde, was ein letztes Beispiel aus dem ARI­ ZONA REPUBLIC verdeutlichen vermag, in dem die rhetorische Frage des Karikaturis­ ten angesichts der stereotypen Rollenmuster sowie angesichts der Generierung von Bildern und Symbolen des Nazi-Komplexes nicht weiter kommentiert zu werden braucht.

12 Das Europäische Währungssystem: „Die großen Fische fressen die kleinen“.

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Arizona Republic

Literatur: Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter [1950]. Frankfurt/Main 1996. Böhme-Dürr, Karin: Perspektivensuche. Das Ende des kalten Krieges und der Wandel des Deutschlandbildes in der amerikanischen Presse (1976 - 1997). Konstanz 2000. Bredella, Lothar: Mediating a Foreign Culture. The United States and Germany. Studies in Intercultural Understanding, Tübingen 1991. Bredella, Lothar/Gast, W./Quandt, Siegfried: Deutschlandbilder im amerikanischen Fernsehen. Inhalte, Form, Funktionen. Tübingen 1994. Diner, Dan: Verkehrte Welten. Antiamerikanismus in Deutschland. Ein historischer Essay. Ffm (Eichbom) 1993. Ehlich, Konrad/Rehbein, Jochen: Wissen, kommunikatives Handeln und die Schule. In: Goeppert, H. (Hrsg.): Sprachverhalten im Unterricht. Zur Kommunikation von Lehrer und Schüler in der Unterrichtssituation. München 1977,36- 114.

259 Ehlich, Konrad: Vorurteile, Vor-Urteile. Wissenstypen, mentale und diskursive Strukturen. In: Heinemann, M. (Hrsg.): Sprachliche und soziale Stereotype [Formen angewandter Linguistik 33]. Ffm 1998, 11 -24. Klein, Josef: Sprachliche Mechanismen bei der Bildung nationaler Vorurteile. In: Grucza, F. (Hrsg.): Vorurteile zwischen Deutschen und Polen. Warschau 1994, 129- 146. Kotthoff, Helga: Oberflächliches Miteinander versus unfreundlichens Gegeneinander? Deutsch-amerikanische Stildifferenzierungen bei Nicht­ übereinstimmung. In: Müller, Bernd-Dietrich (Hrsg.): Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. München 1991, 325 - 341. Kotthoff, Helga: Zur Rolle der Konversationsanalyse in der interkulturellen Kommunikationsforschung. Gesprächsbeendigungen im Schnittfeld von Mikro und Makro. In: Lili. Zts. für Literaturwissenschaft und Linguistik 24/Heft 93, Göttingen 1994, 75 - 96. Lippmann, Walter: Public Opinion, New York 1922. Müller, Andrea/Thomas, Alexander: Interkulturelles Orientierungstraining für die USA (= SSIP Bulletin 62) Saarbrücken/Fort Lauderdale 1991. Müller-Jacquier, Bernd: Linguistic Awareness of Cultures. Grundlagen eines Trainingsmoduls. In: Bolten, Jürgen (Hrsg.): Studien zur internationalen Unternehmenskommunikation 2000, 20 - 49. Münch, Richard: Die Kultur der Moderne. Bd. 1: Ihre Grundlagen und ihre Entwicklung in England und Amerika. Bd. 2: Ihre Entwicklung in Frankreich und Deutschland. Frankfurt/Main 1993. Quasthoff, Uta: Linguistic prejudice/stereotype. In: Ammon/Dittmar/Mattheier: Sociolinguistics/Soziolinguistik. Ein Handbuch, Bd. I. Berlin 1987,785 - 799. Quasthoff, Uta: Ethnozentrische Verarbeitung von Informationen: Zur Ambivalenz der Funktionen von Stereotypen in der interkulturellen Kommunikation. In: Matusche, P. (Hrsg.): Wie verstehen wir Fremdes? Aspekte zur Klärung von Verstehensprozessen. München (Goethe-Institut) 1989, 37-62. Redder, A.: »Stereotyp* - eine sprachwissenschaftliche Kritik. In: Jb. Deutsch als Fremdsprache 21. München 1995, 311 - 329. Schuhler, Conrad: Die Stadt, der Müll und der Tod. In: Süddeutsche Zeitung Magazin. München 25.11.1994,10 - 23,44 - 48. Schwan, Gesine: Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel nach 1945. Baden Baden (Nomos) 1999. Thomas, Alexander: Psychologische Wirksamkeit von Kulturstandards im interkulturellen Handeln. Vortrag auf der 1. Fachtagung zur Bedeutung von Kulturstandards in der internationalen Begegnung. Thomas-Morus-Akademie. Bensberg 1990. Thomas, Alexander (Hg.): Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen 1996.

260 Wintermantel, Margret: Stereotype und Vorurteile aus sozialpsychologischer Sicht. In: Grucza, F.(Hrsg.): Vorurteile zwischen Deutschen und Polen. Warschau 1994, 83-91. Willis, Jim (Hrsg.): Images of Germany in the American Media. Westport/CT (Greenwood Publishing) 1999. Zacharasiewicz, W.: Das Deutschlandbild in der amerikanischen Literatur. Darmstadt 1998.

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Dänemark - der Nachbar im Norden Sören Schneider, Odense (DK)

Was Dänen über Deutschland wissen Durch die dänische Schulausbildung wissen die Dänen etwas über Deutschland sowohl geschichtlich wie politisch. Und die meisten Schüler, die später das Abitur machen wollen, lernen ab dem 7. Schuljahr Deutsch. Das heißt, dass sie als Abitu­ rienten 6 Jahre Deutschunterricht hinter sich haben, was aber nicht bedeutet, dass sie sich für Deutschland besonders interessieren, z. B. ist Deutschland nicht das große Urlaubsland der Dänen, es hat jedoch das zweifelhafte Vergnügen, viele dänische Autos auf den deutschen Autobahnen zu sehen, wenn die Dänen vor allem im Som­ mer mit ihren Autos Deutschland als Transitland benutzen, um so schnell wie mög­ lich nach Italien, Spanien, Kroatien, Südfrankreich, ihrem eigentlichen Urlaubsziel, zu kommen. Und hier lernen die Dänen Deutschland kennen, und zwar als ein sehr großes Land, das man erst nach etwa 10 Stunden oder mehr durchquert hat.

Auch die Deutschen kennen natürlich Dänemark. Die Deutschen reisen fleißig nach Dänemark, vor allem im Sommer an die dänische Westküste und sonst an die däni­ sche Küste generell, wo viele Ferienhäuser von Deutschen ’’besetzt” werden. Es ist tatsächlich so, dass 40 % aller Ferienübemachtungen in Dänemark von Deutschen getätigt werden. Der deutsche Anteil an ausländischen Übernachtungen beträgt 70 %, und gemessen an den Übernachtungen in den Ferienhäusem liegt der deutsche Anteil sogar bei etwa 90 % (Danmarks Turisträd 1999: 33,35). Die Gesamtzahl von Übernachtungen in Dänemark liegt bei etwa 50 Mill. Ohne die Einnahmen durch die deutschen Touristen würde der dänische Tourismus rote Zahlen schreiben. Und somit sind wir bei dem Bereich angelangt, wo Deutschland für die Dänen am wichtigsten ist - dem wirtschaftlichen Bereich, denn als größter Handelspartner spielt Deutschland eine fast alles bestimmende Rolle im dänischen Außenhandel. Fast 22 % des dänischen Exports gehen nach Deutschland; 1998 in einem Wert von etwa 64 Mia. Dänenkronen - fast 17 Mia. D-Mark. Auch fast 22 % des dänischen Imports kommen aus Deutschland, und somit ist auch im Importbereich Deutschland der wichtigste Partner für Dänemark. Der Wert des Imports liegt bei etwa 60 Mia. Dänenkronen - fast 16 Mia. D-Mark (vgl. Statistisches Amt Dänemarks).1 Somit ist Dänemark von der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland sehr abhängig. Das Der dänische Gesamtexport liegt bei etwa 320 Mia. DKK (etwa 82 Mia. DEM), davon gehen 67 % in die EU-Länder. Der Gesamtimport liegt bei etwa 305 Mia. DDK (etwa 77 Mia. DEM), davon gehen 73 % in die Länder der EU. Sowohl beim Export wie beim Import kommen auf den 2. bzw. den 3. Platz Schweden und Großbritannien - insgesamt jedoch bei nur etwa 20,5 % (Bundesrepublik allein bei fast 22 %).

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lässt sich an Hand einer kleinen Karikatur aus dem Jahr 1981 gut illustrieren (vgl. Hertel 1981:213): Man sieht dort einen dänischen Geldschein - 100 Kronen - he­ rausgegeben von der Deutschen Bundesbank. Auf dem Schein sieht man groß den damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt, und in seiner Westentasche den damaligen dänischen Ministerpräsidenten Anker Jorgensen. Deutlicher kann man die Abhängigkeit der dänischen von der deutschen Wirtschaftspolitik kaum schildern. Die Rolle Deutschlands für Dänemark ist seit 1973 - durch die erste Erweiterung der EWG - stark gestiegen. Am 1. Januar 1973 wurde Dänemark zusammen mit Irland und Großbritannien Mitglied der EWG. Für Dänemark als primäres Agrarland be­ deutete die wirtschaftliche Zugehörigkeit von Großbritannien eine Menge. Der Schweineexport nach Großbritannien florierte damals, Dänemark hatte viel Geld in die Vermarktung seiner Agrarprodukte in Großbritannien investiert und konnte somit nicht tatenlos zusehen, wenn Großbritannien als Markt plötzlich ’’verschwin­ den” sollte. Es war folglich für Dänemark logisch, Großbritannien in die Gemein­ schaft zu folgen, weil sich damit zwei von den drei wichtigsten Export/Importmärkten, nämlich Deutschland und Großbritannien (Schweden war der Drit­ te) in der EWG befanden. Dänemark hätte es sich nicht leisten können, außerhalb des Gemeinsamen Marktes zu bleiben. Die wirtschaftliche Entwicklung bis heute hat dies bestätigt, wenn es bei den däni­ schen Wählern auch nie die ganz große und euphorische Europabegeisterung gege­ ben hat. Auch bei dem ersten Referendum 1972 wegen des Beitritts zur EWG war das Land gespalten - 54 % stimmten damals für den Beitritt, 46 % dagegen. Und das hat sich seitdem nicht geändert (Branner/Kelstrup 2000:17).2 Am 28. September 2000 gab es die vorläufig letzte Abstimmung. Es ging um die Einführung des Euro. Dass am 28. September 2000 überhaupt eine Abstimmung stattfinden musste, ist auf die dänische Ablehnung des Maastrichter Vertrages bei der Abstimmung im Jahr 1992 zurückzuführen. Um mit der europäischen Zusammenarbeit weiterzukommen, haben die Dänen unter sich zuerst einen sogenannten nationalen Kompromiss ge­ schlossen, den man dann in Edinburgh den anderen Mitgliedstaaten vorgelegt hat. Die anderen haben die vier Vorbehalte der Dänen akzeptiert, und beim zweiten Versuch im März 1993 haben die Dänen mit ”Ja” gestimmt. Zu den vier Vorbehal­ ten gehört u.a. neben der Ablehnung der militärischen Zusammenarbeit in der EU eben auch die Ablehnung der gemeinsamen Währung.

Bei allen Referenden seit 1972 ist die große Mehrheit des Parlaments für ein Ja zu Europa gewesen - nur sieht es in der Bevölkerung eben etwas anders aus. Die Prog­ nosen vor der Abstimmung am 28. September - im Videotext des dänischen Femse2

Weitere dänische Referenden (laut Branner/Kelstrup) in Bezug auf die EG/EU: 1986: Gemeinsame Europäische Akte: Ja: 56 % - Nein: 44 % 1992: Maastrichter Vertrag: Ja: 49 % - Nein: 51 % 1993: Maastrichter Vertrag mit Edinburgher Vorbehalten: Ja: 57 % - Nein: 43 % 1998: Amsterdamer Vertrag: Ja: 55 % - Nein: 45 %

263 hens veröffentlicht - sagten überwiegend voraus, dass ein Nein wahrscheinlicher sei als ein Ja, und so kam es ja auch. Jedoch konnte man wegen der statistischen Unsi­ cherheit, die es bei allen Umfragen gibt, keineswegs davon ausgehen, dass ein Nein das Endergebnis des Abstimmungstages werden würde. Als der Abend des 28. Sep­ tember dann vorbei war, hatte die Nein-Seite mit 53 % gegenüber der Ja-Seite mit 47 % gewonnen.

Unterscheiden sich die Argumente der Ja- bzw. der Nein-Sager? Es lässt sich fest­ stellen, dass die Ja-Sager vor allem wirtschaftliche Argumente ins Feld führen - d.h. die Einführung des Euro wird der dänischen Wirtschaft insgesamt helfen können. Die Einführung des Euro bedeutet, dass Dänemark in der Europäischen Zentralbank bei deren Entscheidungen dabei sein wird. Die Ja-Seite spricht also - vereinfacht gesagt - vor allem die Vernunft an. Die Nein-Seite hingegen warnt vor dem bevorstehenden Verschwinden Dänemarks als Staat. Wenn der Euro eingefuhrt sei, so die Argumentation, würde sich auch die Europäische Union zu einem Staatsgebilde entwickeln. Die dänische Grenze würde verschwinden, und das dürfe nicht passieren. Verlust der Souveränität, Verlust auch der kulturellen Eigenständigkeit und somit der eigenen dänischen Identität. Das wären die Konsequenzen aus einem Ja zum Euro. Für die Nein-Seite sind dänische Symbole wie ’’die Grenze” und die ’’Dänenkrone” gefährdet. Das Königshaus würde seinem Ende zugehen; die sog. ”Mor Danmark” (also die Mutter Dänemark) und auch Holger der Däne würden ihre symbolische Bedeutung für die Dänen verlieren. Mit anderen Worten: von Seiten der EU-Gegner sind die Argumente eher emotiona­ ler Art.

Exkurs: Über ’’Holger den Dänen” und die ’’Mutter Dänemark” Betrachten wir die beiden letztgenannten Symbole - ”Mor Danmark” und ’’Holger den Dänen”: Holger der Däne hat in der dänischen Geschichte die gleiche Funktion wie Barbarossa in der deutschen Geschichte. Also: Wenn Dänemark sich in äußers­ ter Not befindet, wird er, der sonst in den Kasematten von Helsingor (Nordostsee­ land) in einem steinernen Sessel sitzend schläft, sich von seinem Sessel erheben und Dänemark zu Hilfe eilen. Hat er das je getan? 1864 im Krieg gegen Preußen und Österreich nicht; im zweiten Weltkrieg als Dänemark von deutschen Truppen be­ setzt war, auch nicht. Und wird er in Zukunft eventuell helfen? Kaum, denn der Holger von heute wird genauso dargestellt wie der in den Kasematten. Der alte stei­ nerne Holger ist als Karikatur ersetzt worden durch den gemütlichen dänischen Fußballzuschauer mit den dänischen rot-weißen Farben auf dem Hemd und im Ge­ sicht, mit dem bekannten dänischen Klapphut (mit den Wackelohren), mit dem obli­ gatorischen Bier und einer Zigarette. Dazu ist er auch noch ziemlich korpulent ge­ worden. Der Wohlstand hat seine Spuren hinterlassen. Und auch dieser neue Holger ist wie sein Kollege in den Kasematten. Er ist (auch) zu Stein geworden, mit seinem Sessel zusammengewachsen.

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Abb. 1: Holger der Däne (im Sessel) Aus: Soren Morch: Den sidste Danmarkhistorie.57fortcellinger affcedrelandets historie. GyIdendal.Kopenhagen 1996. (Schutzumschlag) Auch die Mutter Dänemark hat im Laufe der Zeit den Dänen wenig geholfen. Ihr Mythos entwickelte sich im Zusammenhang mit dem aufblühenden Nationalstolz nach den napoleonischen Kriegen. 1851 entstand sie als Gemälde, das von einer Deutschen, Elisabeth Jerichau-Baumann, erstellt wurde. Die Mutter Dänemark sym­ bolisiert - wie die Germania - das Vaterland oder eher den Willen der Dänen, sich gegen äußere Feinde zur Wehr zu setzen. Das Gemälde zeigt sie als eine starke, schöne Frau mit Schmuckstücken aus urdänischer Zeit um Hals und Stirn; sie trägt ein Schwert und den Danebrog (also die dänische Nationalfahne), und sie schreitet majestätisch durch ein Kornfeld. Auch sie hat den Dänen 1864 oder 1940 bis 45 nicht geholfen. Deshalb kann sie heute - genau so wie Holger der Däne - karikiert werden - z.B. als Bauernmädchen auf Rollschuhen, Eis essend. Ihre Funktion als Schutzsymbol hat sie völlig verloren.

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Holzschnitt (links): nach Mor Danmark (Mutter Dänemark - von der deutschen Künstlerin Elisabeth Jerichau Baumann 1851); Zeichnung (rechts) Mor Danmark (Mutter Dänemarkfährt Rollschuhe - von Des Asmussen 1947) Aus: Thorkild Borup Jensen: Danskernes identitetshistorie. Antologi.C.A. Reitzels Forlag. Kopenhagen 1993 (Titelbild)

Zurück zur EU-Problematik Natürlich ist es keine Frage, dass Dänemark weiterhin existieren muss, aber ich glaube, dass die Existenz besser innerhalb der EU gewährleistet ist als außerhalb. Denn es geht ja nicht nur darum, dass Dänemark existiert, sondern auch darum, wie Dänemark existieren wird - und hier spielt die Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Man kann nicht den Wohlstand aufrechterhalten, wenn eine vollständige Integration in Europa nicht gelingt. Warum ist es so schwierig, dies der großen Mehrheit der Dänen zu vermitteln? Denn die große Mehrheit der Parlamentsabgeordneten ist ja für den Euro. Warum gibt es bei jeder Abstimmung dieses Kopf-an-Kopf-Rennen? Wahrscheinlich, weil die Dänen oft eher mit dem Herzen entscheiden, was richtig ist, als mit der Vernunft grob und vereinfachend gesagt.

Ein Beispiel für die gefühlsbetonte Argumentation: Es gibt in Dänemark eine rechte Partei (Dänische Volkspartei) - fast rechtsextrem. Diese Partei steht geschlossen hinter einem NEIN zum Euro. Unter dem Motto ’’Königin - Krone - Vaterland” hat die Partei ihre Kampagne gestartet. Diese drei Begriffe sprechen die tiefsten Gefühle

266 der Dänen an. Die Königin und somit die königliche Familie und das Königshaus wird niemand negativ bewerten. Wenn die Königin also für diese Zwecke benutzt wird, dann ist es ein zutiefst emotionales Argument - nur die wenigsten Dänen wol­ len eine Republik. Es wird sogar behauptet, dass, falls eine Republik eingeführt würde, die heutige Königin in das Präsidentschaftsamt gewählt würde. Noch etwas, was das Emotionale in den Dänen anspricht: Die Partei wählte den 9. April 2000 als Startdatum der Nein-Kampagne. Genau 60 Jahre nach der Besetzung Dänemarks durch die Deutschen im zweiten Weltkrieg. Das heißt natürlich aus heutiger Sicht: Dänemark wird bei einem „Ja“ von den Gegnern Dänemarks (also vor allem von den Deutschen) überrollt. Aber auch parteiinterne Probleme vor allem in den großen Parteien haben 2000 zum Nein geführt. Früher gab es nur eine Partei, in der eine wesentliche Spaltung gegen­ über der EU zu verzeichnen war, nämlich die Sozialdemokraten. Das größte Prob­ lem bei der Abstimmung am 28. September 2000 war jedoch die allmählich wach­ sende Spaltung auch der beiden großen bürgerlichen Parteien bzw. eher die Spaltung ihrer Wähler. Denn wie schon gesagt: Die meisten Politiker dieser Parteien, vor allem die im Parlament, sind für den Euro. Die Wähler zunehmend weniger. Was ist geschehen? Auch bei den Bürgerlichen wächst allmählich die Angst, dass nur die großen Staaten in der EU das Sagen haben werden, vor allem Frankreich und natür­ lich Deutschland. Deutschland, weil es den Motor der europäischen Wirtschaft schlechthin verkörpert. Und wirtschaftliche Macht ist auch politische Macht.

So denken viele Dänen, so denken nicht unbedingt die Politiker bzw. die Vertreter des dänischen Königreichs im Ausland. Das beste Beispiel dafür finden wir in einer Rede, die der dänische Botschafter in Bonn, Knud Erik Thygesen, am 11. Juni 1991 gehalten hat. Er sagt am Ende seiner Rede: „Dänemark hat die Deutsche Einheit begrüßt und unterstützt. Für uns war es bei der Vereini­ gung der beiden Teile Deutschlands entscheidend, dass die alte Bundesrepublik auch zusam­ men mit den fünf neuen Ländern weiterhin vollgültiges NATO-Mitglied bleiben würde und dass wir mit dem neuen Deutschland die Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft weiter ausbauen können. Durch die Jahrhunderte hatte Dänemark viele schmerzliche Erfahrungen mit seinem südlichen Nachbarn. Bismarcks Krieg gegen uns 1864 und die Besatzung durch Hitlertruppen 1940-45 sind nicht vergessen - sollen auch nicht vergessen werden, weder in Dänemark noch in Deutschland. Die schlechten Erfahrungen haben wir jedoch mit einem deutschen Zentralstaat gemacht. Mit dem jetzigen Bundesstaat haben wir fast 45 Jahre gute Erfahrungen. Das Ver­ hältnis im dänisch-deutschen Grenzland ist so gut wie nie zuvor. Es könnte - und sollte - in an­ deren Grenzregionen Europas als Vorbild dienen. [...] Wir sehen alle guten Zeichen dafür, dass das vereinte Deutschland - wie bisher die alte Bundesrepublik - eine konstruktive Rolle beim Aufbau des zukünftigen Europa spielen wird." (Kühnhardt/Schwarz 1991:108).

Der vom Botschafter benutzte Ausdruck "Bismarcks Krieg gegen uns" ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, fußt er doch auf einer falschen Auffassung des Krieges 1864, davon aber weiter unten.

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Dänemark-Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun­ derts Das demokratische Deutschland stellt heute - 55 Jahre nach Kriegsende - keine Be­ drohung mehr für seine Nachbarn dar. Politisch und wirtschaftlich ist Deutschland stark, wenn auch die deutsche Einheit vor allem menschlich, aber auch wirtschaft­ lich viele Probleme mit sich gebracht hat. Kulturell hat Deutschland eine Menge zu bieten, und im Sportbereich gehört Deutschland zu den stärksten Nationen der Welt (daher sind wir Dänen immer noch stolz darauf, 1992 die Fußballeuropameister­ schaft mit einem 2:0 Sieg eben gegen Deutschland gewonnen zu haben). Dänemarks Nachkriegsentwicklung sieht aus wie die deutsche - in der Praxis haben die Deutschen natürlich ganz anders - also von ganz unten - anfangen müssen. So schlimm war es in Dänemark nicht. Beide Staaten haben ein soziales marktwirt­ schaftliches System aufgebaut. Während dies in Deutschland unter einer CDU­ geführten Regierung geschah, erfolgte die ähnliche Entwicklung in Dänemark unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung.

Wie in Deutschland nahm auch in Dänemark Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre die Arbeitslosigkeit rapide ab, und es wurden Gastarbeiter nach Dänemark geholt vor allem aus Jugoslawien, Italien und der Türkei. Aber auch die Dänen mussten sinngemäß mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch erkennen: Wir haben Ar­ beitskräfte gerufen - es sind Menschen gekommen. Allmählich kamen auch Frauen und Kinder nach Dänemark, und wenn auch Anfang der 70er Jahre ein Einwande­ rungsstopp eingeführt wurde, konnten durch Familienzusammenführungen weiterhin viele Ausländer nach Dänemark geholt werden. Heute hat Dänemark insgesamt 5,3 Mill. Einwohner (1985: 5,1 Mill.), davon sind etwa 5,5 % oder fast 260.000 Perso­ nen ausländische Staatsbürger (Berg 2000:65)3. Davon sind 30 % ’’Edelausländer” (wie es der deutsche Schriftsteller Max von der Grün 1967 in seinem Buch ’’Leben im gelobten Land” formuliert hat) - d.h. Ausländer aus den nordischen Ländern, aus Deutschland, Großbritannien, den USA, die also keineswegs unmittelbar als Ausländer erkennbar sind. Weitere 30 % etwa sind dann echte Flüchtlinge, und das letzte Drittel kann man als echte Einwanderer oder Gastarbeiter im herkömmlichen Sinne bezeichnen, also Menschen aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, aus Pakistan und Indien. Eine Zahl von insgesamt maximal 260.000 kann nur bei Ext­ remisten zu einem Problem aufgebauscht werden. Das größte Problem in diesem Zusammenhang entsteht wegen der Gettoisierung, denn die Ausländer leben am liebsten dort, wo andere Ausländer leben. Dadurch entsteht auch eine Isolierung der Ausländer von der übrigen Bevölkerung. Im Raum Kopenhagen wohnen etwa 70 % 3 Von den angegebenen fast 260.000 Ausländem kommen 53.000 aus EU-Ländern (u.a. je 12.000 aus der Bundesrepublik, Großbritannien und Norwegen; 10.000 aus Schweden), 38.000 aus der Türkei; 34.500 aus dem ehemaligen Jugoslawien.

268 der Ausländer, in Odense und Aarhus leben insgesamt 10 % und die restlichen 20 % sind dann auf die anderen Kommunen verteilt. Diese Gettoisierung wird heute von vielen heftig kritisiert. Aber man braucht nur die dänischen (und vor allem auch die deutschen) Amerika-Auswanderer im 19. Jahrhundert zu betrachten. Was taten sie, als sie in Amerika gelandet waren? Sie bildeten Gettos. Betrachtet man heute USamerikanische Landkarten, dann entdeckt man Hunderte von deutschen Ortsnamen (Dresden, Altona, Berlin etc. und zwar Mehrfachnennungen) (Bade 1992:158). Und die Dänen taten dasselbe: In Kalifornien findet man die kleine Stadt ’’Solvang” (di­ rekt übersetzt: Sonnenwiese), heute das Dänischste überhaupt in den USA.

Auch Dänemark erlebt heute Fremdenfeindlichkeit - es gibt eben Parteien, die sich auf Kosten der Fremden profilieren. Ein Beispiel ist die schon erwähnte rechte Eu­ rogegner-Partei ’’Dänische Volkspartei”, die auch im Parlament vertreten ist. Poli­ tisch spielt diese Partei keine große Rolle (und die anderen Rechtsparteien schon gar nicht), denn alle anderen Parteien im Parlament sind sich einig, mit dieser Partei nicht zusammenarbeiten zu wollen. Eine bürgerliche Partei hatte sich in einem Wahlkampf vor ein paar Jahren positiv gegenüber dieser Partei geäußert, was schon bald Folgen bei den Meinungsumfragen hatte, und sehr schnell distanzierte man sich von den eigenen Äußerungen. Dieses Distanzverhalten kann durch folgenden Exkurs verbildlicht werden: Eine Karikatur aus dem Jahre 1991 zeigt einen durch und durch dänischen Beamten (Hut mit Wackelohren, Krawatte als Danebrog gemacht, dänische Farben im Ge­ sicht). Der dazugehörige Text lautet: Ihre Mutter ist eine Schwedin, sagen sie, und Ihre Großmutter war eine Deutsche, und Sie sind mit einem Franzosen verheiratet. Äußerst bedenklich ... und dann rufen Sie auch noch von Amalienburg aus an.” (Amalienburg ist der Sitz der Königin, die ja eben mit einem Franzosen verheiratet ist). Man könnte diesen Karikaturtext ja weiterschreiben, denn der zweite Sohn der königlichen Familie ist mit einer Chinesin aus Hongkong verheiratet, deren Mutter wiederum Engländerin ist.

269 Racehygiejne

Danmarks Statistik har udfiirmet nye, overraskende kriterierjbr, hood man fuvstiir ved en rigtig dansher.

Aus: „Politiken“ 25.11.1991 (Hertel 1997:217) Zurück zur wirtschaftlichen Entwicklung Dänemarks: Auch Dänemark wurde von den beiden Ölkrisen der 70er Jahre schwer getroffen. Die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe, und es schien unmöglich, etwas dagegen zu tun. Der sozialdemokrati­ sche Ministerpräsident Anker Jorgensen musste sein Amt verlassen und die Regie­ rungsgewalt an eine bürgerliche Koalition abgeben. Das war 1982 - also im selben Jahr, in dem auch in Deutschland nach 13 Jahren sozial-liberaler Koalition Helmut Kohl an die Macht gelangte. Das Jahrzehnt der bürgerlichen Regierungen in Europa hatte angefangen - denn auch Margaret Thatcher hatte in Großbritannien die Macht übernommen. Es gelang der dänischen Regierung ein Wirtschaftsaufschwung, je­ doch gelang es ihr nicht, die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren. Die Arbeitslosig­ keit stieg immer noch, und zwar von 276.000 (oder 10 %) im Jahre 1984 auf 350.000 (oder etwa 12 %) im Jahre 1993. Im Januar 1993 musste der bürgerliche Ministerpräsident Poul Schlüter wegen eines Regierungsskandals sein Amt niederle­ gen, und Dänemark erhielt wieder eine sozialdemokratisch geführte Regierung, und dazu noch eine Mehrheitsregierung. Wir werden weiter unten auf den Begriff Minderheits- und Mehrheitsregierung zurückkommen, weil dies in Dänemark etwas Spezielles ist. Die Sozialdemokraten übernahmen also eine hohe Arbeitslosigkeit. Nie seit 1932/33 war die Arbeitslosigkeit so groß gewesen. Im Dezember 1932 lag sie bei 42 %. 1993 war sie zwar niedriger, aber es war doch die höchste Arbeitslosigkeit der Nach­ kriegszeit. Heute (die letzte offizielle Zahl ist aus dem Jahre 1999) liegt die Arbeits-

270 losigkeit in Dänemark bei 5,7 % (etwa 158.000) (Berg 2000:292).4 Was haben die Dä­ nen hier getan - im Gegensatz zu Deutschland, wo ja die Zahl der Arbeitslosen heute noch sehr groß ist. Vermutlich war die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der dänischen Unternehmen eine wesentliche Ursache für die Trendwende. Diese Verbesserung ist durch die angemessenen Tarifverträge zustande gekommen. Zwi­ schen 1985 und 1998 hat man auf dem dänischen Arbeitsmarkt weder im privaten noch im öffentlichen Bereich einen großen und umfassenden Arbeitskampf erlebt. Die Entwicklung der Stundenlöhne zwischen 1975 und 1995 ist für die positive Entwicklung in Dänemark entscheidend gewesen. Der dänische Stundenlohn, der 1975 nur wenig hinter dem deutschen zurücklag (Stundenlohn in Dollar: Dänemark: 6,28; Deutschland: 6,35), stieg bis 1995 ’’nur” um 285 %, während der deutsche um ganze 402 % gestiegen ist (1995 in Dollar: Dänemark: 24,19, Deutschland: 31,88) (Berlingske Tidende:1997). Diese Entwicklung hat auch die Inflationsrate gebremst - sie lag 1999 bei 2,5 % (Det Okonomiske Rad 2000:3)5. Etwas anderes ist aber noch hinzugekommen. Um die Zahl der Arbeitslosen in Dänemark zu reduzieren, hatte schon die bürgerliche Regierung 1989 eine Frührentenreform durchgefuhrt. Gegriffen hat diese Reform jedoch erst nach dem Regierungswechsel im Januar 1993. Die Reform sah vor, dass Menschen sich vom Arbeitsmarkt zurückziehen könnten, wenn sie die Grenze von 60 Jahren überschritten hatten. Der Unterschied zwischen ihrem Lohn/Gehalt und der Rente war unwesentlich. Im Laufe der 90er Jahre zogen sich viele vom Arbeitsmarkt zurück und machten somit den vielen jun­ gen Menschen, die sonst arbeitslos waren, Platz. Der Erfolg der ’’Rente mit 60” war so groß, dass die Zahl der Arbeitslosen sich rapide verringerte, nur mit dem Ergeb­ nis, dass Engpässe in bestimmten Branchen wie der IT-Branche entstanden, und dass man voraussehen konnte, dass z.B. im Grundschul- und gymnasialen Bereich in wenigen Jahren auch ein Mangel an Lehrern entstehen würde. Also musste man die Reform reformieren, und das erfolgte 1998. Nach der Reform der Reform ist es nicht mehr wirtschaftlich vorteilhaft, mit 60 den Arbeitsmarkt zu verlassen. Jetzt will man versuchen, die Leute länger auf dem Arbeitsmarkt zu behalten. Wie macht man das? Einfach - wo man früher sozusagen Geld erhielt, um den Arbeitsmarkt zu verlassen, erhält man jetzt Geld, wenn man auf dem Arbeitsmarkt bleibt. Wenn man mit dem Verlassen des Arbeitsmarktes bis zum 62. Lebensjahr wartet, erhält man vom Staat steuerfrei umgerechnet 27.000 D-Mark. Zwar muss man etwas mehr in die Arbeits­ losenkasse zahlen, aber für Personen ab 50 lohnt es sich allemal. Wie lange diese Reform dauern darf, weiß man natürlich nicht, denn es können immer neue, unvor­ hersehbare wirtschaftliche Probleme auftauchen.

4

Es gibt Bereiche wie z.B. die Krankenschwestern, wo die Arbeitslosigkeit bei weniger als 1 % liegt, gegenüber 4,7 % 1984/85

271

Arbeitskampf in Dänemark Die Art und Weise, wie in Dänemark Tarifverhandlungen geführt und zu Ende ge­ tragen werden oder zu Ende getragen werden können, unterscheidet sich von den Verhältnissen in Deutschland. In Deutschland gibt es die absolute Tarifautonomie. Nur die beiden Tarifparteien verhandeln, und falls sie zu keinem positiven Ergebnis kommen können, wird ein Schlichter angerufen. Auf diese Art und Weise ist die mögliche Einmischung von außen nicht aktuell - und wäre ja auch gesetzwidrig. Beim Scheitern des Schlichters kann es in Deutschland zum Arbeitskampfkommen. In Dänemark ist dies anders. Am Anfang ist alles wie in Deutschland: Die Tarifpar­ teien verhandeln. Gibt es kein Ergebnis, wird der Schlichter angerufen. Der macht einen Kompromissvorschlag, der zur Abstimmung kommt. Wird der Vorschlag angenommen, gibt es keinen Arbeitskampf - genau wie in Deutschland. Wird der Vorschlag des Schlichters abgelehnt, wird der Arbeitskampf eingeleitet. Wenn aber dieser Arbeitskampf droht, ganz Dänemark lahm zu legen, dann kann die Regierung über das Parlament eingreifen. Die Regierung kann nämlich aus dem abgelehnten Schlichtungsvorschlag einen Gesetzesentwurf machen, wobei sie den Vorschlag des Schlichters sogar noch ändern kann. Dieser Gesetzesentwurf wird dann durch ein Schnellverfahren (alle drei Lesungen im Verlauf von einem oder zwei Tagen, viel­ leicht sogar nachts) vom Parlament zum Gesetz erklärt. Welche Forderungen haben die dänischen Arbeitnehmer bei den Tarifverhandlun­ gen? Natürlich wollen sie mehr Lohn und Gehalt, jedoch die Forderungen halten sich in Grenzen, denn die dänischen Steuern sind so hoch, dass eine Lohn- oder Gehaltserhöhung schnell in den Taschen des Finanzamtes enden würde. Also will man was anderes: Erstens will man eine Verkürzung der Arbeitswoche von derzeit 37 Stunden auf 35, zweitens will man eine zusätzliche Urlaubswoche. Bei den letz­ ten Tarifhinden hat man angefangen, die 6. Urlaubswoche einzufuhren, und die Lohn- und Gehaltserhöhung lag immer knapp über der Inflationsrate. Eine generelle Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit hat jedoch kaum Aussicht auf Erfolg.

Das System der Minderheitsregierungen Zwischen 1953 und 1998 hat es in Dänemark insgesamt 20 Regierungen gegeben, davon waren nur 4 Mehrheitsregierungen, 16 also Minderheitsregierungen. In den 70er und 80er Jahren hat es keine einzige Mehrheitsregierung gegeben. Woher kommt diese Tendenz zur Bildung von Minderheitsregierungen? Eine Erklärung ist die Zahl der Parteien im dänischen Parlament. Seit Anfang der 70er Jahre sind min­ destens 7-10 Parteien im Parlament vertreten. Die Sperrklausel in Dänemark liegt bei nur 2 %, was natürlich den kleinen Parteien den Einzug ins Parlament erleichtert. Keine Partei erreicht normalerweise mehr als etwa 30-35 %. Wenn man bei so vie­ len Parteien eine Mehrheitsregierung bilden will, dann ist dies fast aussichtslos. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb es nach 1970 nur eine Mehrheitsregierung

272 gegeben hat, nämlich das erste Kabinett Nyrup Rasmussen 1993/94. Es gibt aber auch Leute, die behaupten, dass Dänemark heute noch - im Jahre 2000 - einer Dorf­ gemeinschaft ähnlich sehe, daher sei die Auffassung aus dem Dorf geblieben, man müsse immer einen Konsens finden, denn die Menschen im Dorf seien ja aufeinan­ der angewiesen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Parteien rechts und links von der Mitte erreichte ihren ersten Höhepunkt in der Krisenbewältigung im Jahre 1933. Durch die Weltwirtschaftskrise 1929 hatte die Arbeitslosigkeit 1932 einen Anteil von 42 % erreicht. Man musste also etwas unternehmen. Es kam am 30. Januar 1933 zu Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien (den Sozialdemokraten und den Linksliberalen) auf der einen Seite und der Opposition (der Liberalen Bauernpartei) auf der anderen Seite. Die Verhandlungen waren einem Zusammenbruch nahe, die Opposition wollte die Wohnung des Ministerpräsidenten verlassen, dann hat dieser vorgeschlagen, man könne doch zum Abschied ein Glas Whisky trinken - und als die Flasche dann leer war, war der Kompromiss unter Dach und Fach. Ausgewählte Punkte des Kompromisses waren: Durchführung einer Sozialreform (Unfallversiche­ rung - Arbeitslosenunterstützung mit dem Ziel: Unterstützung durch die öffentliche Hand ist ab jetzt ein Recht und nicht mehr als Almosen zu betrachten); Vergabe von Staatsaufträgen an die Industrie (dadurch wurde die erste Brücke über den Kleinen Belt zwischen Jütland und Fünen finanziert, fertig war die Brücke 1937); Finanzie­ rung von anderen Bauvorhaben; Verteilung von Fleisch an die Arbeitslosen; Abwer­ tung der Krone gegenüber dem Pfund; Verbot der Aussperrung als Waffe im Ar­ beitskampf (Gültigkeit ein Jahr). Seit diesem Zeitpunkt werden alle großen Refor­ men und Gesetze in Dänemark von den großen Parteien rechts und links von der Mitte getragen.

Bei Parlamentswahlen in Dänemark gibt es die magische Zahl 90. 90 von insgesamt 179. Wer über 90 Mandate verfugt, hat die Mehrheit im Parlament. In Dänemark sprechen wir von der parlamentarischen Grundlage von 90 Sitzen, was bedeutet, dass, wer über die Unterstützung von Parteien mit insgesamt mindestens 90 Sitzen verfugt, sich an die Regierungsbildung wagen kann. Das dänische Grundgesetz sagt, dass eine Regierung solange bestehen kann, wie sie keine Mehrheit im Parlament gegen sich hat. Ähnliches gilt auch für die gegenwärtige Regierung: Sie besteht aus zwei Parteien (Sozialdemokraten und Linksliberalen), die insgesamt über 40 Prozent der Stimmen verfugen; was für 90 Sitze jedoch nicht ausreicht. Aber eine sozialde­ mokratisch geführte Regierung wird automatisch von der Sozialistischen Volkspar­ tei und von der Einheitspartei unterstützt (beide links von der Mitte) - und durch diese Unterstützung kam man 1998 eben auf die magische Zahl 90. Somit haben wir heute eine Minderheitsregierung, die jedoch eine parlamentarische Grundlage von 90 Sitzen im Rücken hat.

Was bedeutet es für ein Land, dass es immer Minderheitsregierungen hat? - oder was bedeutet dies für die geführte Politik? - Minderheitsregierungen müssen immer Konsenspolitik führen! Die Lage ist in Deutschland an und für sich nicht anders, auch wenn man in Deutschland nur Mehrheitsregierungen kennt - jedenfalls auf

273 Bundesebene (einige Länder nähern sich dänischen Zuständen). In Deutschland kann man im Bundestag Parteipolitik fuhren, und da die Regierung immer eine Mehrheit hat, kann sie ihre Politik auch gegen die Stimmen der Opposition durch­ setzen - im Bundestag. Da aber Deutschland eine zweite Kammer hat (eine solche wurde 1953 in Dänemark abgeschafft), und da in dieser Kammer oft die Opposition die Mehrheit innehat, kommt das Problem der Konsensbildung unweigerlich - nur ein bisschen später - durch die Einsetzung des Vermittlungsausschusses. In Däne­ mark muss die Regierung im Parlament schon von Anfang an auf ihre fehlende Regierungsmehrheit Rücksicht nehmen. Die Konsensbildung findet schon bei der Ausarbeitung der Gesetze statt.

Deutsch-dänische Beziehungen in der Vergangenheit Zurück zu den Äußerungen des Botschafters. Dänemark hat - wie der Botschafter zu Recht kurz andeutete - in seiner langen Geschichte häufig mit Deutschland zu tun gehabt. Diese Tatsache wird besonders deutlich, wenn man das umfangreiche, vor etwa 10 Jahren erschienene Werk ’’Die Identitätsgeschichte der Dänen” (Dansk Identitetshistorie) betrachtet (Feldbaek 1991 Inhaltsverzeichnis). Das Inhaltsver­ zeichnis dieses vierbändigen Werkes zeigt mit aller Deutlichkeit, dass Dänemark zu Deutschland ein besonderes Verhältnis hat, bzw. gehabt haben muss. Das Werk hat auf etwa 1300 von insgesamt etwa 2000 Seiten die Beziehungen von Deutsch und Dänisch zum Gegenstand. Ich sage hier bewusst nicht Deutschland und Dänemark, nicht nur weil man über weite Strecken keineswegs von Deutschland sprechen kann, sondern vor allem, weil es eben auch um die Beziehungen zwischen deutschsprachi­ gen Dänen, die in Holstein lebten, und dänischsprachigen Dänen, die in Schleswig und natürlich im Königreich lebten, ging. Schon im 18. Jahrhundert gab es etliche deutsche Kolonien in Kopenhagen. Die Deutschen dort kamen teils aus Holstein, teils aus den Gebieten südlich von Holstein (was wir wohl dann der Einfachheit halber doch Deutschland nennen wollen). Der Einfluss der Deutschsprachigen in der dänischen Verwaltung war enorm. Am Hofe wurde Deutsch gesprochen, wollte man mit den Ministern sprechen, musste man oft Deutsch sprechen. Das wurde allmählich unpopulär, vor allem nachdem der Leibarzt des Königs (Struensee) die Macht an sich gerissen hatte. Der König war geistes­ krank und als Struensee noch dazu mit der Königin einen Sohn bekam, wurde er enthauptet. Danach entbrannte ein Streit über den Einfluss der Deutschen in Dänemark, und 1776 wurde ein Gesetz durchgefuhrt, wonach nur Einheimische Ämter im damaligen Einheitsstaat bekleiden durften. Der Einheitsstaat umfasste damals neben dem Kö­ nigreich Dänemark auch Norwegen, das bis 1812 zu Dänemark gehörte sowie die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein. Damit waren die Deutschen ausge­ schlossen. Aber man hatte immer noch die Holsteiner, da sie ja als Einwohner des Einheitsstaates erfasst waren. Dieser Streit um die Holsteiner, die sich oft diskrimi-

XU niert fühlten, ging weiter und hat letztendlich auch etwas zu tun mit dem Satz des Botschafters ’’Bismarcks Krieg gegen uns” (Kühnhardt/Schwarz:108). Und jetzt zurück zu diesem Satz, der auf das Jahr 1864 anspielt. 1864 ist ein traumatisches Jahr für Dänemark. Denn durch diesen verlorenen Krieg mit Preußen, verlor man auch ein Drittel des damaligen dänischen Einheitsstaates, der aus Dänemark und den beiden Herzogtümern Schleswig und Holstein sowie dem Herzogtum Lauenburg (Lauenburg war im Zuge des Wiener Kongresses zu Dänemark gekommen) bestand. Welche Rolle spielte Bismarck dabei? Als er sah, dass er den Krieg gewinnen wür­ de, hat er den Dänen ein Angebot gemacht: Preußen solle Holstein und Schleswig bis zur heutigen Grenze, jedoch ohne Flensburg, erhalten. Die Dänen wollten jedoch Schleswig mindestens bis zur Eider, und somit begann der Krieg von neuem, und Dänemark verlor nicht nur Holstein, sondern auch ganz Schleswig bis zur Königsau (ein bisschen südlich von Kolding - etwa 100 Kilometer nördlich von der heutigen deutsch-dänischen Grenze). Damit war Dänemarks große Zeit in Europa endgültig vorbei. Aber dieses Ende hat Dänemark sich selbst zu verdanken. Die heutige Grenze verläuft ja nicht länger bei Kolding, sondern bei Flensburg, und zwar nördlich von Flensburg. Nordschleswig, wie die Deutschen sagen, Sondeijylland, wie die Dänen sagen, kam nach dem ersten Weltkrieg an Dänemark zurück. Der amerikanische Präsident Wilson hatte immer von dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gesprochen, und im Prager Vertrag zwischen Preußen und Österreich aus dem Jahre 1866 (Preußen hatte in dem Jahr die Österreicher geschlagen, und ein Teil von Schleswig-Holstein gehörte nach 1864 Österreich, den Österreich bei dem Friedensschluss jetzt verlor) gab es eine Klausel: Das Gebiet könne durch einen Volksentscheid an Dänemark zurückgegeben werden. Darauf bestanden die Dänen nach dem 1. Weltkrieg, und die Deutschen waren ein­ verstanden. Alle wussten, dass Holstein und der südlichste Teil von Schleswig keine dänische Mehrheit enthielten, also bemühte man sich nicht darum, dort eine Volks­ abstimmung durchzufuhren. Alle waren sich auch sicher, dass Nordschleswig, also das, was heute wieder dänisch ist, eine überwältigende dänische Mehrheit hatte. Es wurde dort zwar eine Volksabstimmung durchgeführt, jedoch das Ergebnis stand von vorne herein fest, wurde doch dieses Gebiet als eine Einheit betrachtet. Wie eine geographische Aufschlüsselung der Abstimmungsergebnisse zeigt, gab es deutsche Mehrheiten vor allem in den größeren Städten (Tondem, Hoyer und Umgebung, Apenrade, Sonderburg), die ländlichen Gebiete sorgten jedoch dafür, dass Nord­ schleswig wieder dänisch wurde. Am 10. Februar 1920 hieß das Ergebnis: 75.000 Stimmen für Dänemark und 25.000 Stimmen für Deutschland. Ungewiß war der Ausgang der Abstimmung vor allem in Flensburg, in der soge­ nannten 2. Zone. Flensburg wurde von den Dänen als eine dänische Bastion und als eine ursprünglich dänische Stadt betrachtet, auch weil diese Stadt bei den Wahlen zum Norddeutschen Reichstag im Jahre 1867 eine deutliche dänische Mehrheit hat­ te. Man hoffte deshalb, man würde die Stadt Flensburg wiedergewinnen können.

275

Jedoch kam es nicht dazu. Die Germanisierung der Stadt hatte zur Folge gehabt, dass bei der Abstimmung am 14. März 1920 in Flensburg ganze 75 % für Deutsch­ land stimmten und nur 25 % für Dänemark (Schwensen/Adriansen 1995:34-35). Natürlich hat man auch damals Wahlkampf geführt. An Hand von Wahlplakaten kann man zeigen, wie auch damals vor allem mit dem Herzen, also mit den Gefüh­ len argumentiert wurde. Die Dänen haben sowohl die Mutter Dänemark wie auch den Danebrog in den Wahlkampf einbezogen. Ein sehr berühmtes Plakat, das eine helle, goldene Mutter Dänemark vor einem großen, dunklen deutschen Adler mit roten Augen zeigt, hat folgenden Text: „Jetzt ruft Dänemark seine Kinder, für ewig weiche, du deutscher Adler”. Die hellen dänischen Farben gegen das Schwarz (und das Unheimliche) des deutschen Adlers. Wer kann sich hier überhaupt noch für Deutschland entscheiden? Und als Zeichen der friedlichen Einstellung trägt die Mutter Dänemark auf diesem Plakat kein Schwert, sondern einen (Öl-?)Zweig.

Aus: Folkeafstemningen i 1920 (Die Volksabstimmung 1920) H. Aschehoug & Co, Dansk Forlag. 1930. p. 88. (Sonderdruck des Dyppeler Anzeigers(Dybb0l-Posten) anlässlich 10 Jahre Volksabstimmung.)

Aus: Fogtdals Illustreret Tidende. Bilieder af danskemes liv. Nr. 7 - Juli 1995. Forlaget Palle Fogtdal A/S. Kopenhagen. 1995. S.ll.

Oder: ’’Deine Stimme bringt dich nach Hause”. Die typisch dänische Landschaft wird so dargestellt: ein reifes Kornfeld, im Hintergrund das blaue Meer und ein

276 kleines Häuschen mit dem Danebrog, geschützt hinter dem Hügel. Und dazu noch sehen wir den großen Danebrog, wie er vom Himmel fällt, wie damals im Jahre 1219 (am. 15. Juni) im Baltikum im Krieg gegen die Esten. Der Inbegriff des Däni­ schen.

Oder wir sehen einen kleinen Jungen, der die Zukunft symbolisieren soll. Das Plakat gibt es sowohl mit einem dänischen wie auch mit einem deutschen Text, weil natür­ lich auch an die andere, die deutsche Seite appelliert wurde. Sinn des Textes: Nur als Teil Dänemarks hat Schleswig eine Zukunft.

TÄNK PAA MIG

Aus: Fogtdals Illustreret Tidende. Bilieder

Aus: Rerup, Lorenz: Slesvig og

af danskemes liv. Nr. 7 -juli 1995. Forlaget

Holsten efter 1830. Politikens Forlag

Palle Fogtdal A/S. Kopenhagen. 1995. S. 11.

A/S. Kopenhagen. 1982. S. 340.

Die deutsche Perspektive dokumentiert ein Plakat mit einem Jungen, der eine Fahne mit den schleswig-holsteinischen Farben (Blau, Weiß, Rot) trägt und dem Wähler sehr deutlich zu verstehen gibt: ’’Denk an mich” - nur als Teil Deutschlands hat Schleswig eine Zukunft.

Aber der Verlust 1864 und die Bestätigung 1920 von einem Teil dieses Verlustes sowie natürlich der zweite Weltkrieg prägten lange Zeit die dänische Auffassung von den Deutschen.

Schlussbemerkung: Das waren einige Aspekte des Themas ’’Dänemark - der Nachbar im Norden”. Es ist keineswegs ein nur objektives Bild, das hier illustriert wird. Alle Bilder sind natür-

277 lieh von der Auffassung der Person, die sie ausgesucht hat, geprägt. Ein anderer hätte wahrscheinlich ganz andere Aspekte eines Dänemark-Bildes ausgesucht und vorgestellt.

Literatur Bade, Klaus J. (Hrsg.): Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München 1992. Berg, Chris (Red.): Hvem - Hvad - Hvor 2001. Politikens ärbog. Kopenhagen 2000. [zu Deutsch: Wer - Was - Wo 2001. Jahrbuch] Branner, Hans and Morten Kelstrup (ed.): Denmark’s Policy towards Europa after 1945: History, Theory and Options. Odense 2000. Danmarks Turisträd. Det Tyske Ferierejsemarked for Danmark 1999. Kopenhagen. 1999. [zu Deutsch: Dänischer Fremdenverkehrsverband. Der deutsche Urlaubsmarkt in Dänemark 1999}. Det Okonomiske Räd. Dansk okonomi, forär 2000. Kopenhagen 2000. [zu Deutsch: Dänischer Sachverständigenrat. Die dänische Wirtschaft im Frühjahr 2000] Feldbaek, Ole: Dansk identitetshistorie. 1-4. Kopenhagen 1991-92 [zu Deutsch: Identitätsgeschichte der Dänen, 4 Bde.] Fogtdals Illustrere! Tidende. Bilieder af danskemes liv. Forlaget Palle Fogtdal A/S. Kopenhagen 1995. [zu Deutsch: Illustrierte Nachrichten. Das Leben der Dä­ nen in Bildern] Folkeafstemningen i 1920. Saertryk af Dybbol-Postens Festudgave i Anledning af Tiaarsdagen for Folkeafstemningen. H. Aschehoug & Co. Dansk Forlag 1930. Hertel, Hans: Bo Bojesens Danmarkshistorie 1943-1994. Kopenhagen 1997. [zu Deutsch: Die dänische Geschichte durch die Brille des Karikaturisten Bo Bojesen] Kühnhardt, Ludger und Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Zwölf Nachbarn - ein Europa. Deutschland und die europäische Zukunft aus Sicht der Diplomaten umliegender Länder. Bonn-Berlin 1991. Morch, Soren: Den sidste Danmarkshistorie. 57 fortaellinger af faedrelandets histo­ ric. Kopenhagen 1996. [zu Deutsch: Die letzte dänische Geschichte. 57 Erzählungen über die Geschichte des Vaterlandes] Rerup, Lorenz: Slesvig og Holsten efter 1830. Politikens Forlag. Kopenhagen 1982. [zu Deutsch: Schleswig und Holstein nach 1830] Schwensen, Broder und Inge Adriansen: Von der deutschen Niederlage zur Tei­ lung Schleswigs 1918-1920. (Schriften der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte e.V. - Nr. 47). Flensburg-Apenrade 1995.

Folgende Zeitungen sind hin und wieder als Quelle benutzt: Berlingske Tidende. [überregionale Tageszeitung]. Kopenhagen. Politiken, [überregionale Tageszeitung]. Kopenhagen.

278

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: Russland Marion Dathe, Chemnitz Russland verstehen. Die Feindbilder sind verblasst - was kommt nun? Spezifik der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen Die Mehrheit der russischen Bevölkerung und ihr voran Michail Gorbatschow haben vor mehr als einem Jahrzehnt der Welt vermittelt, dass sie den einst beschrittenen Weg nicht mehr zu gehen bereit sind, dass Systemkonfrontation und „Muskelspiel“ (um die Welt von den „Vorzügen des Sozialismus“ zu überzeugen) der Vergangen­ heit angehören könnten. Seit dem hat sich der Westen zunehmend zurückgelehnt und darauf gewartet, dass sich Russland und zeitgleich auch Osteuropa nach westli­ chen Rezepten verändert: Alles schien nur eine Frage der Zeit zu sein, wann es zu Kongruenz zwischen traditioneller Marktwirtschaft im Westen und „neu erlernter“ Marktwirtschaft im Osten kommen würde. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass vom Westen auch großzügige Hilfe für die und nach der Kehrtwende in der Sowjetunion angeboten wurde.

Einige Jahre später war man dort jedoch darüber verwundert, wie zähfließend und wenig erwartungsgemäß die Veränderungen im Osten vorankamen. Nach der Eu­ phorie über die begonnene Transformation in Russland ließ man sich im Westen daraufhin auf den Flügeln von Tjutschews Worten (die bis dahin dort wenig bekannt waren) mitreißen, dass Russland mit dem Verstand nicht zu begreifen sei... So wur­ den logischerweise die Versuche seltener wirklich zu ergründen, welche der mögli­ chen Varianten der Systemtransformation realistisch zu erwarten waren, welche Werte Russen aufzugeben bereit sein konnten, um neue zu entwickeln (oder zu übemehmen), und wie weit eine Öffnung gegen­ über dem Westen (nicht die erste in der Ge­ schichte!) maximal gehen könnte. Selbstreflektion „des Westens“ bezüglich seines Einflusses auf den Wand-lungsprozess in Russland war in dieser Zeit leider kaum auszumachen. Ratlosig­ keit bzw. Unverständnis waren die Folge, also eine recht ungewisse Situation, wenn man be­ denkt, welch riesiges Potential Russland in die jeweilige Waagschale - pro oder kontra westli­ che Demokratie und Marktwirtschaft bzw. pro „westeme“ oder pro slawophile Position - wer­ fen könnte.

Karikatur: Novoje vremja, 37/1993.

279 Der Workshop „Russland verstehen“ sollte deshalb ein wichtiges Ziel verfolgen, nämlich den Blick zu öffnen (und nicht durch Vorurteile und eben falsche Erwar­ tungen verstellen zu lassen) auf die ersten Etappen der Reformen bzw. Transforma­ tion in Russland und die ihnen innewohnende Logik. Es mussten wichtige Epochen der russischen Geschichte, die Konstituenten des russischen kulturellen Gedächtnis­ ses und danach das Geschehen in Russland im vergangenen Jahrzehnt als ein logi­ sches, kohärentes Ganzes dargestellt werden. Auch die Bildung neuer politischer und ökonomischer Gruppierungen (Eliten) und der neuerdings unter Putin einge­ schlagene Entwicklungsweg Russlands - soweit schon klar definierbar - sollte nach­ vollziehbar werden.

Im Workshop wurden Wege gezeigt, das „mit dem Verstand nicht begreifbare“ Russland transparenter, plausibler und berechenbarer zu machen. Dabei wurden vielfältige Fragen und Aspekte einbezogen, wie

■ Die stark voneinander abweichende geschichtliche Entwicklung von angrenzen­ dem Westeuropa und Russland - basierend auf den Traditionen des West- versus des Oströmischen Reichs; ■ Entwicklungsetappen der frühkapitalistischen, sowjetischen und postsowjetischen Wirtschaft Russlands; ■ Gründe der Entstehung, Etappen der Her­ ausbildung und Merkmale der sogenannten Nomenklatura; ■ deutsche und russische Untemehmensfuhrung im Vergleich - Unterschiede der jeweili­ gen religiösen und Wirtschaftsethiken; ■ unterschiedliche Ansprüche des Staates und an den Staat in Russland und Deutschland; ■ Verlauf der Privatisierungsprozesse in den MOEL im Vergleich; Insiderprivatisierung in Russland;

■ die russische Schattenwirtschaft, ihre Hin­ tergründe und Entwicklungsetappen seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts; Abb.: Werbung einer russischen mittelstän­ dischen Konfekrionsfirma aus dem Jahre 1870; Quelle: Delovyje ljudi, Nr. 6, 19961

1 In Russland gab es bis 1917 durchaus Großbürgertum und Mittelstand sowie in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts während der sogenannten NÖP neuen Mittelstand.

280

Abb.: Karikatur: Privatisierung des „ Volkseigentums “, Erdölpipeline stückweise Aufteilung unter den Be­ schäftigten der Branche; Quelle: Izvestija, 19.8.1998 „Pipelineabschnitt Ivanov, Petrov, Sidirov..." ■ Gründe für den Zusammenbruch der Planwirtschaft sowjetischen Typs; ■ Fremd- und Selbstbilder der Russen und Deutschen - Stereotype und Vorurteile; ■ gegenseitige Feindbilder aus den Zeiten heißer Kriege und des kalten Krieges im 20. Jahrhundert; ■ weitere Besonderheiten des deutschen und des russischen kulturellen Gedächtnis­ ses, die noch immer die Verzögerung der Annäherung beider Seiten bedingen; ■ Analyse der Kommunikationsebenen und wichtiger Sprechhandlungen im Russi­ schen; ■ Werte und Wertewandel in Russland; ■ überhöhte Erwartungen der russischen Bevölkerung an die Marktwirtschaft west­ licher Prägung und die darauf folgende Enttäuschung;

■ Markteintrittsstrategien in Osteuropa - Chancen und Risiken; Produzentenmarkt Russland; ■ Verhandlungsstrategien russischer Manager-Generationen; ■ Besonderheiten des Marketings - ausländischer und einheimischer Unternehmen - in Russland;

■ internationale Finanzorganisationen und ihr Einfluss auf die Reformen des russischen Außen­ handels; ■ tatsächliche Resultate westlicher Hilfe für Russ­ land;

■ Veränderungen in der Russischen Föderation seit Putins Machtantritt. Berechtigter Stolz der Russen - der Sieg über den Faschismus1945; Abb.: Delovyje ljudi, Nr. 11, 1990

281

Während der Analyse von verfilmten critical incidents und von Fallstudien konnte das neu gewonnene Wissen in der Praxisannäherung erprobt werden. Begleitprogramm: In einem russischen Restaurant in der Jenaer Innenstadt konnte der direkte Kulturkontakt erlebt werden: In Russland ist man besonders stolz darauf, im Unterschied zu vielen Menschen in der westlichen Zivilisation noch frei Emotio­ nen zeigen zu können. Sympathie (oder wenigstens Empathie) gehören bekanntlich in diesen Bereich. Ein Muss war deshalb das persönliche Kenneniemen der russi­ schen Küche - denn Liebe/Sympathie geht bekanntlich durch den Magen. Die russi­ schen kulinarischen Genüsse, der herzliche Umgangsstil und das Ambiente des Restaurants, für das Tischwäsche und Trachten des Personals aus Moskau eingeflo­ gen werden, waren ein emotionales I-Tüpfelchen des Workshops.

282

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: China Wenjian Jia, Peking/ Zwickau

Chinesische Märkte als Kulturen verstehen Im Rahmen der Interkulturellen Sommerakademie an der Universität Jena zielte der Workshop Märkte als Kulturen verstehen: China darauf ab, die Teilnehmer mit dem chinesischen Stil der Kommunikation, Personalfuhrung und Planung vor dem kul­ turhistorischen Hintergrund Chinas vertraut zu machen und ihnen Kompetenzen in der interkulturellen (Wirtschafts-) Kommunikation mit dem chinesischen Kultur­ kreis zu vermitteln.

L Grundüberlegungen zur inhaltlichen Gestaltung des Workshops Die inhaltliche Gestaltung des Workshops ging von folgenden Überlegungen aus: ■

Die Lebenswelt der Kommunikanten besteht aus drei Schichten: kulturelles Gedächtnis, gesellschaftliche Subkultur und Persönlichkeit. Um einen anderen Kulturkreis zu begreifen und mit seinen Angehörigen erfolgreich zu kommuni­ zieren, ist es unbedingt notwendig, eine kulturhistorische Perspektive in Hin­ blick auf diesen Kulturkreis zu bekommen und die Individuen vor dem Hinter­ grund der gesellschaftlichen Subkultur und des kulturellen Gedächtnisses zu verstehen (Bolten, 1997: 489; vgl. Habermas, 1995: 209; Assmann, 1988: 1216). Daher werden am Anfang des Workshops eine Skizze der kulturhistori­ schen Perspektive Chinas und philosophische Wurzeln der chinesischen Denk­ weise bzw. Mentalität dargelegt;



Kulturelle Stile und kommunikative Stile sind miteinander untrennbar verbun­ den (Bolten, 1997: 484-485). Wegen des kommunikativen Systemcharakters ist der Kommunikationsstil auf verbaler, nonverbaler, paraverbaler und extraverba­ ler Ebene ganzheitlich zu betrachten. Besondere Aufmerksamkeit ist den Punk­ ten zu widmen, die in der deutsch-chinesischen Kommunikation hohes Miss­ verständnis- bzw. Konfliktpotential besitzen, wie z.B. Direktheit/ Indirektheit, Mimik, Blickkontakt, Gesprächspausen, Zeitauffassung, Kommunikationsbe­ ziehungen.



Die chinesische Personalfuhrung und Planung sind von der chinesischen Kul­ turgeschichte und dem allgemeinen Kommunikationsstil geprägt. Der Work­ shop war bestrebt, den „Wirtschaftsstil“ (Ammon, 1989) mit dem kulturellen Stil i.S. von „Intellektuellem Stil“ (Galtung, 1985), „Wissensstil“ (Münch, 1990) und „Lemstil“ (Barmeyer, 1999) - sowie dem Kommunikationsstil (Bol-

283

ten, 1998) zu vernetzen und den Teilnehmern eine ganzheitliche Orientierung anzubieten. ■

Kommunikate eines Kulturkreises - z.B. Geschäftsberichte (Bolten u.a., 1996) lassen auf den diesbezüglichen Kultur-, Kommunikations- und Wirtschaftsstil schließen. Um die Sensibilität gegenüber den chinesischen Kulturspezifika zu verschärfen, wurden Websites von chinesischen Unternehmen als Spiegel der chinesischen Untemehmenskultur analysiert. Außerdem wurden chinesische und europäische Werbebeispiele für dieselben Produkte miteinander verglichen und die Werbewelt als Wertewelt interpretiert.

Von dieser Konzeption ausgehend wurden in diesem Workshop die Themenbereiche Kulturgeschichte, Kommunikationsstil, Personalfuhrung/ Planung und Websitebzw. Werbeanalyse der Reihe nach behandelt.

2. Die chinesische Kulturgeschichte Zunächst wurde im kulturhistorischen Teildes Workshops eine Skizze der chinesi­ schen Kulturgeschichte vom 21. Jh. v. Chr. bis zur Gegenwart angeboten. Besondere Aufmerksamkeit wurde Philosophien und Religionen in der chinesischen Kulturge­ schichte geschenkt, weil sie als Wurzeln der chinesischen Denkweise bzw. Mentali­ tät gedacht werden können. Chinesen denken selten in der Form des „EntwederOder“, sondern eher in Form „Sowohl-Als-Auch“. Die geistigen Gegensätze schlie­ ßen einander nicht aus, sondern bilden eine harmonische Synthese. Diese Denkweise ist in der chinesischen Kosmologie, im Daoismus und Buddhismus eindeutig vertre­ ten, was als kulturelles Gedächtnis in China von Generation zu Generation überlie­ fert ist. Konfuzianismus als Verhaltenskodex prägt in der langen Geschichte die sozialen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Älteren und Jüngeren, Herr­ schern und Untertanen, Mann und Frau sowie Freunden untereinander. Ohne Kennt­ nisse des Konfuzianismus kann man das Beziehungsmuster im chinesischen Kultur­ kreis nicht nachvollziehen (Gan, 1997; Holz, 1994). Seit der Reform- und Öff­ nungspolitik zeichnet sich ein Wertewandel in China aus. Daher befindet sich das gegenwärtige China zur Zeit in einer Überschneidungsphase zwischen Altem und Neuem, Traditionellem und Modernem (Gransow/ Li, 1995). Die Entwicklung der chinesischen Kulturgeschichte wird in der folgenden Abbil­ dung skizziert:

284

21. Jh. v.Chr.

Opium* krieg

Ende Gründung Kaiserzeit VR China

1840

1911

Kaiser Kommunikations- Kaiser Monopolisten Literatur­ Literaturbeamte

beamte

Hintergrund

1949

Staat

1978

Staat

2000

Staat Medien

Westler

Reformversuche Bewegung Ideologie RefonnKosmologie der neuen Konfuzianismus und ÖffnungsKultur; Taoismus politik Buddhismus Marxismus

3. Der chinesische Kommunikationsstil Im zweiten Teil des Workshops wurde vor allem die mündliche Kommunikation intensiv behandelt. Die besonders kritischen Punkte in der mündlichen Kommunika­ tion zwischen Deutschen und Chinesen sind: Direktheit/Indirektheit (V erbale Ebene): Deutsche sind durch starke Direktheit und Explizitheit gekennzeichnet. Chinesen neigen dazu, etwas weit auszuholen, zuerst stillschweigend auf die eigentliche Inten­ tion anzuspielen und erst am Ende ihre Meinung klar zum Ausdruck zu bringen. Als Folge dieses Unterschieds findet die deutsche Seite Chinesen häufig undurchschau­ bar oder sogar unehrlich, während die chinesische Seite Deutsche ungeduldig und aggressiv einschätzt (Günthner, 1993: 78-81).

Mimik und Blickkontakt (Nonverbale Ebene): Während der Gesprächspartner redet, nickt der chinesische Partner ständig. Je nach der Situation signalisiert das Nicken Verschiedenes, wie zum Beispiel Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Ermunterung, Verständnis, Überlegen, Nachdenken oder Einver­ ständnis. Der deutsche Partner interpretiert das Nicken der Chinesen häufig als Zu­ stimmung und stößt am Ende eher auf Enttäuschung und Ärger (Tang, 1994: 61; Wirtschaftswoche Nr. 15/1995:90). (Sprech-)Pausen (Paraverbale Ebene):

Bezüglich der Gesprächspausen unterscheiden sich der angelsächsische, romanische und orientalische Diskursstil voneinander. Bei dem angelsächsischen Stil beginnt B

285 zu reden, wenn A geendet hat, was auch für den deutschen Kommunikationsstil gilt. Bei dem orientalischen Stil besteht häufig ein Moment der Stille zwischen der Rede von A und der Rede von B (Trompenaars, 1993: 102-103). Diese Pause gilt in China als Zeichen der Besonnenheit und der intensiven gedanklichen Arbeit. Die meisten deutschen Verhandlungspartner empfinden so lange Redepausen unangenehm und werden unruhig und nervös. Aber wenn die deutschen Partner das Wort immer wie­ der aufnehmen, fühlen sich die chinesischen Partner wiederum bedrängt (KäserFriedrich/Garratt-Gnann, 1995:74-75).

Zeit und Kommunikationsbeziehungen (Extraverbale Ebene):

Chinesen praktizieren eher eine polychrone Zeitauffassung und Deutsche eher eine monochrone Vorgehensweise (Reisach/ Tauber/ Yuan, 1997: 310-313). Im Umgang mit chinesischen Partnern ist es wichtig, der Zeitplanung mehr Flexibilität einzu­ räumen. Die Kommunikationsbeziehungen sind besonders durch Harmoniestreben, „Gesichts“-Konzepte, Bescheidenheit und Konflikttoleranz in der Gruppe gekennzeich­ net (Günthner, 1993: 69-77, 81-83).

4. Personalführung und Planung in China In chinesischen Unternehmen dominiert der autokratisch-patriarchalische Stil (Kutschker/ Schmid, 1997: 193). Großes Konfliktpotential stellen die deutsch­ chinesischen Unterschiede bezüglich Machtdistanz, Individualismus/ Kollektivis­ mus, Maskulinität/ Femininität, Unsicherheitsvermeidung/ Ambiguitätstoleranz und Kurzeit-/Langzeitorientierung dar (Hofstede, 1993: 35-198; Rothlauf, 1999: 226230; vgl. Trompenaars, 1993). Der sequentiell-lineare Planungsstil von Deutschen und der eher reaktive Planungs­ stil von Chinesen sind häufige Gründe für Missverständnisse in der Kooperation, vor allem, weil beide Seiten der Planung unterschiedliche Verbindlichkeit und Flexibili­ tät verleihen (Tang/Reisch, 1995: 107-110; Reisach/Tauber/Yuan, 1997:310-313).

5. Website- und Werbeanalyse Um die Sensibilität für die interkulturelle Kommunikation zu fördern, wurden die Teilnehmer gebeten, ausgewählte Websites und Werbungen von chinesischen Un­ ternehmen zu analysieren und ihre Merkmale bezüglich des Kultur-, Kommunikations- und Wirtschaftsstils auszuarbeiten. Als Beispiele für chinesische Unterneh­ mens-Websites wurden diejenigen von Zhuhai Jianan (Group) Corporation (www.jianan.com) und die von CSCEC the Fourth Construction Co. (www.cscecconstruction.cn.net/eng_index.htm) angeführt. Bei der Werbeanalyse wurde die Nivea-Werbung für Nivea Soft in China und Großbritannien, die Audi-Werbungen für Audi A6 in China und Deutschland miteinander verglichen.

286 Was sich die Teilnehmer vorher während des Workshops über chinesische Kulturge­ schichte, Kommunikations-, Führungs- und Planungsstil chinesischer Prägung ange­ eignet hatten, sollte in dieser abschließenden Phase für die Interpretation angewen­ det werden. Neben der Kultursensibilisierung als Hauptziel wurde damit überprüft, in welcher Weise die Teilnehmer die behandelten Stoffe rezipiert haben. Den Teilnehmern stand ein Handout zur Verfügung, das aus 4 Teilen bestand: ■ ■ ■ ■

Skizze der kulturhistorischen Perspektive Chinas; Philosophische Wurzeln der chinesischen Denkweise bzw. Mentalität; Der chinesische Kommunikationsstil; Der chinesische Führungs- und Planungsstil.

Literatur Ammon, Günther: Der französische Wirtschaftsstil. München 1989. Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Assmann, J./ Hölscher, T. Hrsg.). Kultur und Gedächtnis. Frankfurt/Main 1988, 9-19. Barmeyer, Christoph I.: Interkulturelles Management und Lemstile. Frankfurt/ New York 2000. Bolten, Jürgen u.a.: Interkulturalität, Interlingualität und Standardisierung bei der Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen: Gezeigt an amerikanischen, britischen, deutschen, französischen und russischen Geschäftsberichten. In: K.-D. Baumann (Hrsg.). Fachliche Textsorten: Komponenten - Relationen Strategien. Tübingen 1996, 389-425. Bolten, Jürgen: Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. In: Walter, R. (Hrsg.). Wirtschaftswissenschaften: eine Einführung. Paderborn u.a. 1997, 469-497. Bolten, Jürgen: Kommunikativer Stil, kulturelles Gedächtnis und Kommunikationsmonopole. In: Geißner/ Herbig/ Wessela (Hrsg.). Wirtschaftskommunikation in Europa. Berlin 1998. Galtung, Johan: Struktur, Kultur und intellektueller Stil. Ein vergleichender Essay über sachsonische, teutonische, gallische und nipponische Wissenschaft. In: Wierlacher, A. (Hrsg.). Das Fremde und das Eigene. München 1985, 151193. Gan, Shaoping: Die chinesische Philosophie: die wichtigsten Philosophen, Werke, Schule und Begriffe. Darmstadt 1997. Gransow, B./ Li, H.: Chinas neue Werte: Einstellungen zu Modernisierung und Reformpolitik. München 1995. Günthner, Susanne: Diskursstrategien in der interkulturellen Kommunikation: Analysen deutsch-chinesischer Gespräche. Tübingen 1993. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Band 2. Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt/Main 1995. Hofstede, Geert: Interkulturelle Zusammenarbeit: Kulturen - Organisationen Management. Wiesbaden 1993.

287 Holz, Hans Heinz: China im Kulturvergleich: Ein Beitrag zur philosophischen Komparatistik. Köln 1994. Käser-Freidrich, Sabine/Garratt-Gnann, Nicola: Interkultureller ManagementLeitfaden Volksrepublik China:... denn im interkulturellen Management ist es wie im Marketing: Nur wer seine Zielgruppe kennt, hat Erfolg. Frankfurt/ Main 1995. Kutschker, Michael/ Schmid, Stefan: >Guanxi< oder: Die Bedeutung von Beziehungen in China. In: Kutschker, M. (Hrsg.). Management in China: die unternehmerischen Chancen nutzen. Frankfurt/Main 1997. Reisach, Ulrike/ Tauber, Theresia / Yuan, Xueli: China - Wirtschaftspartner zwischen Wunsch und Wirklichkeit: ein Seminar für Praktiker. Wien 1997. Rothlauf, Jürgen: Interkulturelles Management: mit Beispielen aus Vietnam, China, Japan, Rußland und Saudi-Arabien. München/ Wien 1999. Tang, Jutang: Zhongwai Wenhua Chayi yu Jingmao Hezuo (Kulturelle Unterschiede zwischen China und dem Ausland sowie Wirtschaftsund Handelskooperation. Beijing 1994. Tang, Zailiang/ Reisch, Bernhard: Erfolg im China-Geschäft: von Personalauswahl bis Kundenmanagement. Frankfurt am Main/ New York 1995. Trompenaars, Fons: Handbuch globales Managen: wie man kulturelle Unterschiede im Geschäftsleben versteht. Düsseldorf u.a. 1993. Wirtschaftswoche. Nr. 15/1995.

288

Workshop Märkte als Kulturen verstehen: USA Carey J. Mickalites, East Lansing (MI,USA)

Marketing as Culture Any task to fall under a title like “Understanding Markets as Cultures: the USA,” is a daunting one. In fact, this would apply to any national culture, if for no other reasons than at least those of the challenge of setting, and justifying, limits upon history itself as just one approach to exploring dimensions of that culture in the area of marketing, and the very dynamics involved: culture just does not sit still, nor does it allow its own comfortable division, to make for easy definitions or explanations. Given this, then, when the task itself is to provide, in roughly two days, a practical workshop in the area of U.S. marketing and culture, without reducing it to a set of untheorized, and unreliable, “do’s and taboos,” one is indeed confronted with the challenge of imposing limits. Thus, I chose to focus the workshop, generally, around exploring aspects of U.S. communicative styles, U.S. individualism (a terribly overused, and, at times, over­ romanticized word), and (another overused word) multiculturalism in the U.S., and the cultural-historical interrelatedness of these fluid phenomena, as well as their practical implications in various spheres of business communication. Below I will explain the various methods we used in the workshop to explore these issues, as my purpose here is to give an overview of the workshop itself while providing the theo­ retical reasoning behind the materials, discussions, and tasks used, as well as, where appropriate, venturing a reflective analysis and critique of the theoretical founda­ tions and their respective methodological implementation.

On the first day (a half-day, afternoon session), after brief and informal introduc­ tions, I began by asking the participants to create individual, simple lists of stereo­ types and images of U.S. Americans. The purposes of these lists were several, in­ cluding: to ascertain static perceptions and assumptions and to point out the confin­ ing function of stereotypes (as a means of comfortably “understanding” another culture or collective); to create an introductory frame for an historically-informed approach to understanding the existence of those stereotypes; and to suggest, per­ haps ambitiously, that an awareness of these static perceptions as such may allow one to get beyond their correlative “do’s and taboos” approach to cross-cultural (not zVi^rcultural) investigations, a theoretical base partly informed by the thinking that, as Jürgen Bolten explains, ...the dynamism of intercultural interaction lies in the interdependence of the ‘self-image’, ‘image of the foreign culture’, and ‘meta-image’... For example: the British often assume that Germans always shake hands. However, Germans know that the British do not usually do this. The course of events during a meeting of the two is therefore unpredictable (Bolten 1993: 339).

289 Following this, then, participants worked in small groups in analyzing two brief, fictional case studies containing German-U.S. intercultural critical incidents, which led into a larger discussion session emphasizing those aspects of unpredictability, divergent from (if informed by) the stereotype, that are bound to arise in the dyna­ mism of intercultural interaction.

But, as I suggested earlier, this dynamism is not limited to the realm of interna­ tional M/erculture, but should also ground any approach to zw/raculture and its analysis, and this was at the center of our work during the second day, in which we explored aspects of U.S. individualism, multiculturalism, and Otherness, by way of various culturally significant historical texts, advertisements, and group tasks. We began this more intracultural day by looking at an excerpt from the U.S. Dec­ laration of Independence as an example of the Classical Liberal Humanist assump­ tions that are both historically significant as well as a perhaps mythologized base for American patriotism manifests for example in Hollywood films, and which was mentioned as one of the common images or stereotypes of U.S. Americans. As a further example, we looked at a contemporaneous text, Prince Hall’s “Petition to the Massachusetts Legislature,” 1777, in which Hall, a former slave, echoes the rhetoric of the Declaration in his argument against slavery, further suggesting the historical pervasiveness of Humanism in American historical thought. To explore these and other issues, we spent much time looking at a wide range of U.S. twentieth century advertisements, trying to see them as symptoms or expres­ sions of cultural desires, even though their scope is limited, and as elements within various broader cultural narratives, functioning as examples of ever-changing, and often conflicting, cultural behaviors and values. Seen as such, we looked at a selec­ tion of print media advertisements from the 1950’s, centered around families, begin­ ning with the obvious conclusion that this was more widely valued than now, but, more importantly, considering elements of Liberal Humanism such as decentraliza­ tion as appearing more vividly during politically conservative moments. Thus, the common focus on family in ads from the 1950’s, I suggested, could be read as part, or expression, of a widely valued political, social, and cultural conservatism. While this is only one angle of interpretation, it served as a basis for this approach to print media ads as expressions of certain cultural desires, which we then applied to an­ other series suggesting the historically changing roles and social positions of women, and also the dramatic change in depictions of African-Americans from the 1930’s through the 1990’s, from strongly racist representations to the ones we are now commonly familiar with, serving as just a glance at race and multiculturalism in the development and history of U.S. marketing.

We also looked at a series of advertisements that, in contrast to the selection from the 1950’s, illustrated the pervasive practice of appealing to the “individual” or that evoked themes of individual freedom, seen most in U.S. automobile advertising from the past decade. And, rather than seeking a lengthy historical understanding of a so-called U.S. individualism, I sought to lead the discussion in a way that ex­

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plained: (a) that this “Project of the Self,” as Jib Fowles calls it (1996), or the appeal to the development of the non-constrained individual made possible by, for example, the right model of the new Ford series, as an appeal to a growing need for cultural identity formation within the vastly dynamic processes of redefining what culture is in the U.S., and (b) to suggest a comparison between ads appealing to the subject/consumer and what I called “respect for the other” within a highly (if often mythologically) individualized and individualistic group of cultures. In other words, I tried to link this to a practical exersice in communicative technique, which we try to teach in English negotiation trainings as combining direct expression of needs with rhetorical strategies that concede respect to the other. This session was fol­ lowed by a brief discussion of a relevant case study/critical incident, in order to extend our investigation within the communicative dynamics reflected in any com­ municative and interpretive situation.

We concluded this long second day with a marketing game that required small groups to develop an advertising campaign for marketing the Mercedes Smart in the U.S., to try to implement relevant cultural ideas and marketing patterns, and to pre­ sent their proposals for a print media ad. On the third day (a half-day session) we focused, rather informally, on two tasks (both of which I will only mention here). The first was to discuss a list of “Do’s and Taboos” on business communications in the U.S. My hope here was simply to show the static and thus impractical nature of this approach, in light of the previous two days. The second was a brief introduction to the practice of intercultural communicative problem-solving strategies, used also to test our investigations within the workshop, in which we returned to one of the more open-ended critical incidents and two groups worked on developing and role-playing communicative strategies that they thought might help resolve the cultural misunderstandings (German-American) contained within the original text. Overall, I felt the workshop was successful, at least in having exposed the partici­ pants to some of the cultural-historical reasoning behind potential grounds for inter­ cultural misunderstandings, and for generating interesting and fruitful discussions of, for example, the existence of stereotypes about U.S. Americans and culture, and how versions of these same perceptions are sometimes part of Americans’ own no­ tions of a cultural identity, even if in a constant state of flux.

Literature Bolten, Jürgen: Life-World Games. In: European Journal ofEducation 28 (1993). Fowles, Jib: Advertising and Popular Culture. Thousand Oaks, CA: 1996.

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Workshop Märkte als Kulturen verstehen: Großbritannien/ Irland Sonja Bründl-Price, Jena The British-Irish workshop of the summer academy in Jena took place on 25th, 26th and 27th August 2000. Although a premiere, its well-suited combination of GB and Ireland was very effective. Dr. Susanne Kirchmeyer and Dr. Gisela Holfter made up the team and the strength of the workshop as a whole clearly lay in the variety of themes and teachers, so that there was every opportunity to quickly acquire some very useful tools for intercultural business communication between Britain or Ire­ land and Germany. The British Background

The first part concentrated on British Culture, British Economic Performance, and Managerial Interaction between Germany and GB. The essential cultural differences were reviewed and an attempt was made to find some explanations for these historical developments. Stereotypes may be useful for an initial understanding, but an in-depth analysis of British society and historical background is essential for true comprehension. Both religion and education mould such cultural identities, as do British colonial history and twentieth century devel­ opment. Whilst endeavouring to review the history of ideas of the respective coun­ tries, we soon grasp the reasons for the pragmatic, flexible approach of the British manager and the somewhat technical, even theoretical attitude of his or her counter­ part. This has far-reaching consequences and can be even found in the length and outlay of annual company reports which are much shorter and easier to read in the United Kingdom than in Germany. Such varying styles will provoke reactions in the other culture which can often be detrimental to business success and can only be counteracted if background information is supplied and absorbed. The British educational system and its implications for the business world were reviewed in detail and there was general astonishment expressed about the qualities demanded of a British as opposed to a German manager. The technical aspects of business do not usually fall into the field of competence of a British manager, whereas communication and social skills are absolutely vital. Most British managers do not study business or economics or engineering but have a degree in history or literature and it certainly would be very unusual to find a British manager with a PhD. Some British managers have a complete lack of higher education and there are many more ways to reach the top than in the German system.

Job mobility. What may be highly thought of in one country or culture will not necessarily be similarly esteemed in another and can even result in a complete clash of values. It is usually well looked upon in German business circles to remain with

292 the same firm for a long period of time whereas job mobility within and outside of the firm is the normal state of affairs in GB. Horizontal mobility is actively encour­ aged in GB and the prospective manager will tend to zigzag his or her way to the top. Veiy few will progress on a continual path of promotion as in Germany. And academic qualifications in general often play a minor role in climbing the ladder of promotion in GB. Firms are open to outsiders who are actively welcomed. Compari­ son of these two systems and kinds of managers requires a wealth of background information in order to avoid head shaking on both sides. Negotiations. It is vital to bear in mind throughout negotiations with British partners that the British style is much more likely to be cooperative rather than confronta­ tional, yet if this is not correctly interpreted the outcome will be extremely unsatis­ factory. What may appear to be the conclusion of a business deal may simply be politeness and not agreement on the British side. Admittedly language as such is usually a great barrier on the British side: according to a recent survey 66% can only speak English, 22% in addition French and only 10% have a grasp of the German language1. This usually leads to an English speaking encounter, yet their good com­ mand of English often lures German business people into a false sense of security: agreement is perceived where only politeness is expressed. It became rapidly ap­ parent that language alone is insufficient in overcoming cultural barriers, for the subtleties of language and behaviour can make the difference between clinching a deal or not.

Politeness. Other aspects such as the seemingly immortal gentleman ideal in British society also play a role in business interaction. If the British are still greatly influ­ enced by this ideal, then there is plenty of room for misunderstanding when their German partners continue to ask questions directly or try to get too quickly to the point. Behaviour which may be perfectly acceptable in an exclusively German con­ text may be viewed as impolite or even threatening by the British. On the other hand British behaviour may be considered superficial and small talk totally superfluous. Business Systems. The differences between British and German business systems were reviewed, especially revolving around the aspects of the involvement of the banking and financial institutes, the work of the Chamber of Commerce and the role of trade unions. Short Term Outlook. A better understanding of British business style can also be attained if the relatively short-term approach to business deals and returns is ac­ cepted and taken into account. British-German Case Studies BMW/Rover. This knowledge was then applied to the concrete situation of the BMW/ Rover case study. The burning question was whether a change in the soft factors could have saved the almost inevitable failure of the takeover. What part did 1 Thüringer Allgemeine 21“ February 2001 “Die sprachfaule Insel ”

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they have in the collapse? This study was enhanced by video material such as the BBC documentary of the BMW take-over of Rover. It was extremely interesting to discover that one of the participants had actually worked for BMW at that time and so could give the group some interesting inside information. This contributed to a very lively discussion and although it was basically impossible in hindsight to estab­ lish the solution there could be no doubt that soft factors such as lack of human understanding on both sides had played an immense role in the development. Vodafone/Mannesmann. More material followed in the form of a case study on the hostile take-over of Mannesmann by Vodafone, based on the battle carried out in the press a few months earlier. This apparently was more than a struggle between two companies and had taken on national dimensions. Apart from the page-long adver­ tising campaign on both sides the language in the press was often reminiscent of war terminology and the whole situation was reported in terms of victory or defeat. However, politicians on both sides became involved and we tried to understand both the British seemingly aggressive stance and the almost hysterical German reaction. Both are perfectly plausible if regarded against the social, economical and historical background yet each reaction was totally incomprehensible to the other side. An attempt was also made to identify the much-feared losses for the German economy, which would now appear to be less grave than anticipated. British Advertising

Dr. Susanne Kirchmeyer continued on the British theme with an analysis of British advertising since the 1950s. This entertaining contribution was an eye-opener in as far as it spotlighted the subtle changes in British society since this period. This is one of the quickest ways towards a deeper understanding of a foreign culture as nothing reflects the state of society so truly as advertising which either has to hit the nerve of time or fail in its very function. The Irish Economy Dr. Gisela Holfter, Head of the Irish-German Department at the University of Lim­ erick in Ireland, introduced the participants to Ireland and its booming economy. This was particularly fascinating as Ireland now has the fastest growing G.N.P. of all of Europe. There is much business potential to be optimised and discovered here. Not only did Dr. Holfter give us an excellent insight into Ireland's past but also illustrated the economic and social situation together with Ireland's achievements and problems. Perhaps most important of all was the background knowledge of Irish-German relations. Although time was limited Dr. Holfter also supplied many tips and aids for doing business in Ireland ranging from a look at business contracts to banking and making social contacts. This part was rounded up with a case study to enable the participants to see how Irish-German relations are presented in the media.

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Workshop Märkte als Kulturen: Deutschland Jürgen Bolten, Jena

Werbegeschichte als Zeitgeschichte: Die Bundesrepublik Deutschland von den 50er bis zu den 90er Jahren Kultur- oder zeithistorische Entwicklungen eines Landes in einem eineinhalbtägigen Workshop umfassend darstellen zu wollen, ist schlichtweg unmöglich. Eine Focussierung auf bestimmte Aspekte und bestimmte Methoden ist daher unerlässlich. Bei der Durchführung des Workshops zur Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland von den 50er bis zu den 90er Jahren haben wir uns an einer Darstellung der Werbegeschichte orientiert, weil sich hierin in exemplarischer Form einerseits eine Entwicklung gesellschaftlichen Selbstverständnisses dokumentiert. Anderer­ seits gibt Werbung aber - wie wohl kaum ein anderer Kommunikationsbereich auch in sehr exemplarischer Form Auskunft über die Bedürfnisse, Wünsche und Kommunikationsformen einer kulturellen Gruppe zu einer bestimmten Zeit.

In dieser Hinsicht signifikante Merkmale der einzelnen Jahrzehnte seien nachfol­ gend kurz skizziert: 1. Wiederverfügbarkeit und Traditionsbewusstheit an der Wende zu den fünfziger Jahren

Als Stichtag für den Wiederbeginn der WirtschaftsWerbung in Deutschland kann die Währungsreform am 20.6.1948 angesetzt werden. Bedingt durch den Krieg und die restriktiven Regelungen des 1933 von den Nationalsozialisten erlassenen ’’Gesetzes über Wirtschaftswerbung'’, mit dem jegliche Werbeaktivität dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt worden war, unterlag die Werbung der dazwischenliegenden Zeit folglich auch ausschließlich politischen Maßgaben: Pa­ thos, Orientierung an antiker Formgebung und Monumentalismus waren gleichsam ’’verordnete” Stilelemente, die den Gestaltungsspielraum von Anzeigenwerbung sehr stark einschränkten. Dass es die vieldiskutierte "Stunde Null ” im Sinne eines radikalen Neubeginns nach der NS-Zeit nicht gab, ließe sich auch in der Werbung am Fortbestehen der genann­ ten Stilelemente bis in die frühen fünfziger Jahre nachweisen, obwohl entsprechende Darstellungen zweifellos in der Minderzahl waren. Sehr häufig vorzufinden sind hingegen Anzeigenwerbungen, die bewusst an Traditionen der Vorkriegszeit an­ knüpfen, indem sie auf Stilelemente der zwanziger Jahre, insbesondere des 1933 von den Nationalsozialisten geschlossenen Bauhauses, zurückgreifen. Ob man dies nun mit Mitscherlich als Ausdruck der Verdrängung oder der "Unfähigkeit zu trauern" (Mitscherlich 1967) werten soll, mag dahingestellt bleiben; Ziel dürfte es jedenfalls gewesen sein, einerseits Kontinuitätsversicherung als Mittel der Dokumentation von

295 Glaubwürdigkeit, Integrität und wirtschaftlichem Potential einzusetzen und anderer­ seits durch optische Sachlichkeit einen Kontrapunkt zum NS-Pathos zu setzen. Ver­ bal wird die streng geometrische, fast schon mathematisch-nüchtern wirkende An­ zeigengestaltung insbesondere der Zeit zwischen 1948 und 1951 komplementiert durch in der Regel sehr knappe Textaussagen, bei denen der Hinweis auf die Wie­ derverfügbarkeit von Produkten im Vordergrund steht: "Es gibt wieder " (Sunlicht-Seife), ’’Da bin ich wieder” (Fewa) "Endlich wieder" (Nivea Zahnpasta) oder "Wieder da!" (Sanella) sind Variationen der Themen "Verfügbarkeit" und "Traditi­ on", die in dieser oder ähnlicher Weise in dem überwiegenden Teil der damaligen Produktwerbungen expliziert werden. Wenn von Vergangenheit gesprochen wird, bleibt die NS-Zeit grundsätzlich ausgeklammert, so dass auch Behauptungen "be­ währter" Qualität immer mindestens auf die zwanziger Jahre zurückverweisen oder in der Gegenüberstellung von "damals" und "heute" das "damals" in positiver Kon­ notation auf z.B. das erste Jahrhundertdrittel verweist. Was verbal letztlich auf eine Selbst-Entnazifizierung der Unternehmen über das Medium Werbung hinauslief, konnte in non-verbaler Hinsicht als Kontext natürlich kein Pathos im Sinne des Monumentalstils zulassen, ohne dabei unglaubwürdig zu wirken. Ein weiterer Grund für die Chancenlosigkeit derartiger Darstellungen war zweifellos die Kargheit des Nachkriegsalltags selbst: Schlangestehen, Hamsterfahrten und Aufräum- bzw. Auf­ bauarbeiten ließen auch in der Werbung kaum anderes zu als die Konzentration auf das hic et nunc - und das durchaus im Sinne von Günter Eichs Gedicht "Inventur".

2. Private Wunsch- und Wunderwelten der mittfünfziger Jahre

Veränderungen innerhalb des Kommunikationssystems Anzeigenwerbung gingen in der Nachkriegszeit naheliegenderweise von der verbalen Ebene aus. Vor dem Hin­ tergrund der wirtschaftlichen Konsolidierung mit einem relativ rasch expandieren­ den Konsumgütermarkt waren Hinweise auf die Wiederverfügbarkeit von Produkten bereits Anfang der fünfziger Jahre wenig sinnvoll und demzufolge auch so gut wie nicht mehr zu finden. Die in der Anzeigenwerbung entstandene Argumentationslü­ cke wurde im wesentlichen dadurch gefüllt, dass man in den Texten das Bedürfnis reflektierte, heimisch zu werden, sich in der Wiederaufbauweit einzurichten und Arbeit als Mittel, aber nicht als alleinigen Lebenszweck zu betrachten. Was auf der einen Seite Slogans wie "mach mal Pause" (Coca-Cola) zum Erfolg verhalf, münde­ te auf der anderen Seite in der verbalen Konstruktion von Wunschwelten idyllisch­ beschaulicher Privatheit^. Kulturell dokumentierte sich dies in der Konjunktur her­ metischer Poesie, alltagskulturell u.a. in Kinoschlagem wie "Sissy", "Schwarzwald­ mädel" oder "Träumender Mund". Die wenig experimentierfreudige, konservative Grundtendenz der damit verbundenen Lebenseinstellung wirkte sich politisch be-

* So warb Rama noch 1954 mit dem Text ’’Erinnern Sie sich? Damals führend durch beste Qualität... heute alle Erwartungen übertreffend" (Kellner et al. 1995, 53) 2 So ergab eine 1950 durchgefuhrte Meinungsumfrage, daß 75% der 15-19jährigen, 65% der 2025jährigen und 62% der über 25jährigen politisch interessenlos waren. Nach: Gimbel (1964, 211).

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kanntlich systemstabilisierend aus, wobei entsprechende Slogans der Parteienwer­ bung wie ’’Keine Experimente!” oder ’’Bleib beim Alten!" (CDU) in ähnlicher Weise auch in der Investitions- und Konsumgüterwerbung eingesetzt werden konnten (Lloyd: "Der Alexander ist kein Experiment"; Kriegeskorte 1994, 51). Hinweise auf "harte" wissenschaftlich-technische Fakten oder informative Strenge spielten folg­ lich in der Anzeigenwerbung bis über die Mitte der fünfziger Jahre hinaus nur eine untergeordnete Rolle. Angesagt war vielmehr die Welt des schönen Scheins, waren verbale Bilder, die eine Käuflichkeit jener "heilen Welt" (Bergengruen 1950) sugge­ rieren sollten, die familiäre Harmonie, Geborgenheit und (Wirtschafts)wunder jeder Art versprach. Lexikalisch führte dies - quer durch nahezu alle Produktgruppen - zu einer Gebrauchskonjunktur von Adjektivattributen wie "wohltuend", "gediegen", "behaglich", "bezaubernd", "bestechend schön", "unbeschwert", zu Produktbenen­ nungen, die wie "Fa" (von fabelhaft), "Janus" oder "Prinz" Märchen- und Mythen­ welten assoziieren ließen oder zu einer extrem gehäuften Verwendung von Partikeln, die "wohl", "auch", "stets", "so", "wirklich", "gewiß", "recht" beteuernd in Bezug auf das Produkt und betörend in Bezug auf die Rezipienten wirken sollten. Stilis­ tisch hatte dies zur Folge, dass sachliche Information pseudoästhetisch in Erzähltex­ te von - auch syntaktisch - nicht unerheblicher Komplexität verpackt wurde. Eine Variante verbaler Ästhetisierung repräsentiert das Werbegedicht, das in den mittle­ ren fünfziger Jahren Hochkonjunktur verzeichnen konnte (Schindelbeck 1994). Für Borgward, Bosch, Brinkmann, Henkel, NSU und eine ganze Reihe weiterer großer Unternehmen gehörte diese Art der Werbung seinerzeit fast schon zu einem Pflicht­ bestandteil der Marketingarbeit. Hierzu und zu dem mit fortschreitender Vollbeschäftigung in der Werbung immer häufiger skizzierten Wunschbild, durch repräsentatives und vor allem elegantes Auftreten Sozialprestige im Sinne eines innergesellschaftlichen "Wir sind wieder wer" oder "Hast Du was - bist du was" zu erlangen ("Neckermann macht's mög­ lich"), passte natürlich auch die Sachlichkeit, Strenge und Distanziertheit des Bau­ hausstils nicht mehr. Geschwungene, dynamische Formen waren es, die dem ge­ schilderten Erzählduktus der verbalen Anzeigenkommunikation eher Ausdruck verleihen und das Kommunikationssystem konsistent erscheinen lassen konnten. Mitte der fünfziger Jahre war dementsprechend auch eine eindeutige Dominanz runder und bewegter Formen erreicht, wobei das Nierenmotiv, das laut CONSTANZE eine "freie Atmosphäre" (zit. nach Kriegeskorte 1992, 38) vermitteln sollte, im non­ verbalen Gestaltungsbereich zweifellos die größte Popularität besaß. 3. Die sechziger Jahre: Neue Sachlichkeit, Internationalität und Kommunikationsökonomie

Einen vergleichbaren radikalen konzeptionellen Wandel, wie er zwischen den späten fünfziger und den mittleren sechziger Jahren festzustellen ist, hat es in der Geschich­ te der Printwerbung zumindest in einem so kurzen Zeitraum seitdem nicht mehr gegeben. Die Entwicklungen verliefen - fast schon in Entsprechung zur Konjunktur des Präfixes "anti-" in den sechziger Jahren - nahezu überall gegenläufig: Ästhetik

297 wurde durch Funktionalität ersetzt, Pathos durch Sachlichkeit, bei den Formen be­ gann Eckiges Rundes zu ersetzen, und bei den Motiven wich Provinzialität der In­ ternational ität.

Der Beginn dieses Wandels ist aufgrund seiner Vielschichtigkeit naheliegenderweise nicht genau datierbar, lässt sich aber bereits 1956 belegen. Interessanterweise ist es die ’’ästhetische” Form des Werbegedichts, in die jetzt Inhalte verpackt wurden, die nicht mehr unbedingt eine Atmosphäre des Gefälligen, Optimistischen und Biedermeierlich-Idyllischen verbreiteten. Vor dem Hintergrund der Wiedereinführung der Wehrpflicht, der Wiederbewaffhung und der bevorstehenden atomaren Aufrüstung wurden - wie in der nachstehenden Werbung für NSU-Quickly-Motorräder - erst­ mals wieder politische Themen aufgegriffen. Wenngleich noch unter dem Banner ’’Ohne mich!”, so entstand doch erstmals wieder ein gewisses Einmischungsbedürf­ nis: ’’Bald schallen wieder die Trompeten/ zu dem Kommando: ’Angetreten!’/ ’Ich trete', sagt der kluge Mann,/ 'am liebsten meine Quickly an!’/ Wohl dem, der eine Quickly hat.”3 Die anklingende Kritik war ähnlich wie diejenige der "Kampf-dem-Atomtod"Bewegung von 1957 eine im wesentlichen moralische, wobei sich die private Nach­ kriegsmoral jetzt nicht mehr auf die von gesellschaftlicher Realität hermetisch abge­ schotteten "Pfade in Utopia”(Buber 1950; Hervorh. J.B.) beschränkte, sondern gleichsam "Pfade aus Utopia" (Dahrendorf 1961; Hervorh. J.B.) in die Öffentlich­ keit hinein ebnete. Rationalität, Gegenwartsbezogenheit, Intemationalität und Leis­ tungsorientierung rückten dementsprechend ab Beginn der sechziger Jahre immer stärker in den Mittelpunkt werblicher Argumentation. "Öfter mal was Neues" (Be­ kleidungsindustrie, 1962), "Jung und voll Schwung"(0pel, 1963), "Genuß im Stil der neuen Zeit" (Lord, 1963), "Der Duft der großen weiten Welt" (Stuyvesant, 1967) sind einige Beispiele für Slogans, die seinerzeit dem "neuen Stil" (Fa, 1963) Aus­ druck verleihen sollten. Dieser "neue Stil” insbesondere mit seiner Komponente ’’Intemationalität" war zu Beginn der sechziger Jahre primär an den USA orientiert. Was einerseits politisch durch Kennedys Engagement in Berlin und dann durch die Politik Erhards forciert wurde, fand im Bereich der Werbewirtschaft eine Entspre­ chung durch zahlreiche amerikanische Agentumeugründungen und -übernahmen, so dass - wie in der Untemehmenslandschaft insgesamt - mit Recht von einer "Invasion amerikanischer Firmen nach Deutschland" (Kellner et al. 1995, 12) gesprochen werden kann. Nicht zuletzt hier mag auch ein Grund für die sprunghafte Zunahme von Anglizismen in Werbeanzeigen zu suchen sein, wobei freilich zunächst häufig noch übersetzerische Hilfestellungen geleistet wurden: Das Deodorant Bac - selbst in gewisser Hinsicht ein Folgeprodukt der schweißtreibenden amerikanischen Kunstfasermode - wurde Mitte der sechziger Jahre beispielsweise in den Sorten "mild/ soft", "frisch/ clear" sowie "herb/ dry" angeboten, während die Verwendung des Begriffs "up to date" in einer Ariel-Anzeige durch eine Fußnote (!) Erläuterung 3 zit. nach Schindelbeck (1994, 360).

298 fand: ’’englisch: modern, aufgeschlossen (typische Eigenschaft von ArielBenutzern)” (Kellner et al. 1995, 113). Vor dem Hintergrund der inzwischen vollzogenen Wende vom Verkäufer- zum Käufermarkt, der Verlagerung von Erweiterungs- zu Intensivierungsinvestitionen und nicht zuletzt angesichts der sich mit der Strukturkrise im Bergbau (1958) schon lange vor der Rezessionsphase andeutenden Zweifel an der Krisenfestigkeit der bundesrepublikanischen Wirtschaft wurde auch in der Werbung das Konkurrenz­ prinzip zu einem immer stärker dominierenden Konzeptionsfaktor. Abgesehen von unmittelbar ausgetragenen Konkurrenzkämpfen wie etwa dem zwischen Henkel (Creme 21: ’’Der große Wechsel”) und Beiersdorf (Nivea: ’’Die Creme, die nicht mehr verspricht, als sie hält”, ’’Wenn es eine bessere gäbe, würden wir sie machen”) resultierte aus dem Angebotsüberhang auch die Notwendigkeit grundlegender kom­ munikationsstrategischer Veränderungen. Ähnlich der zunehmenden Informations­ dichte durch die vermehrte Nutzung von Medien wie Fernsehen oder Telefon^ for­ derte die größer gewordene Produktdiversifizierung und -Vielfalt zu einer auf allen Ebenen aggressiveren Werbekommunikation heraus. Werbebotschaften konnten nur noch unter den Prämissen der Informationsbündelung, Direktheit und Überschau­ barkeit erfolgreich übermittelt werden.

4. 70er Jahre: Individualität und Freizeitgesellschaft Farben und Farbwirkungen sind seit den siebziger Jahren endgültig in den Mittel­ punkt werblicher Strategiekonzeptionen gerückt. Abgesehen von entsprechenden technischen Vereinfachungen im Bereich der Printmedien darf hierbei das Vordrin­ gen des Farbfernsehens nicht unterschätzt werden. Wahmehmungsgewohnheiten und Konsumentenerwartungen veränderten sich, und Marken- bzw. Untemehmensidentitäten wurden mehr und mehr nach farblichen Kriterien als einem Teil des neu kreierten ’’Corporate Design” geschaffen. Eines der eindringlichsten Beispiele hier­ für bietet - allerdings erst an der Wende zu den neunziger Jahren - die Zi­ garettenwerbung im Kontext der Verbotsdiskussion: Marlboro, Camel oder auch Benson & Hedges haben gleichsam als Vollendung dieser Entwicklung gezeigt, dass es heute möglich ist, Marken ausschließlich nonverbal zu identifizieren und zu be­ werben.

Der insbesondere für die frühen siebziger Jahre signifikante Trend zu auffälligen, grellen (Schock-) Farben war jedoch noch eher dem Versuch geschuldet, vor dem Hintergrund des sich vollziehenden Wandels von Pflicht- bzw. Akzeptanz- zu Selbstentfaltungswerten (Klages 1988, 1993) mit geltenden Konventionen auch der Werbegestaltung zu brechen. Jugendlichkeit, Humor, Ausgefallenheit und Lebens­ lust waren Aspekte, die der sich durchsetzenden Verabschiedung streng hierarchi4 I960 wurde Telefonieren (zumindest im Ortsbereich) erstmals billiger als Briefeschreiben, was zu nicht unerheblichen Konsequenzen im privaten Kommunikationsverhalten führte. Die Durchsetzung des Medi­ ums Telefon auch in der fernmündlichen Kommunikation forderte im Sinne des time-is-money-Effekts sprachökonomisches Verhalten geradezu heraus ("Fasse dich kurz").

299 scher Denkmuster (sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich) Ausdruck verleihen konnten und die es vor allem nonverbal umzusetzen galt.

Thematisch im Vordergrund standen - ganz im Zeichen der ’’Neuen Subjektivität” und der ’’Neuen Sensibilität” der siebziger Jahre - nicht mehr rationale, sondern emotionale Aspekte. Nach dem von Marcuse 1967 propagierten ’’Ende der Utopie”, mit dem die ’’Abschaffung der entfremdeten Arbeit", ’’der Armut und des Elends” als ’’möglich” deklariert worden war (Marcuse 1980, 12), gewann - quasi als melancho­ lische Replik auf das Scheitern dieses 68er-Versprechens - eine neue Utopie gesell­ schaftliche Relevanz: die von individueller Freiheit und grenzenloser Freizeit. Iden­ tifikationsangebote stellten dementsprechend die solipsistischen (oder narzissti­ schen?) Genussmenschen der Jägermeister-Kampagne ’’Ich trinke, weil ” dar (ab 1972) bzw. Abenteuer-Freizeit-Typen, die Zeit genug erübrigen konnten, "mei­ lenweit” für eine Zigarette zu gehen (Camel, 1970), gerade weil der reale Alltag mit Ölkrise, Rezession und steigender Arbeitslosigkeit den ’’Geschmack von Freiheit und Abenteuer” (Marlboro, 70er Jahre) eben so recht nicht aufkommen lassen woll­ te.

5. Die 80er und 90er Jahre

Ohne im Detail auf werbegeschichtliche Entwicklungen der beiden vergangenen Jahrzehnte eingehen zu können, sollen vor allem zwei Aspekte zumindest kurz skiz­ ziert werden, die auf den ersten Blick Kontinuitätsbrüche vermuten lassen: (a) Die partielle Rückkehr zu sachinformatorischen Anzeigen mit Langtexten ab Mitte der achtziger Jahre und (b) der scheinbar ’’unzeitgemäße” Stil von Werbekampagnen, die für den ostdeutschen Markt nach der politischen Vereinigung konzipiert wurden. (a) Zu den Hauptinitiatoren der Wiedereinführung von Langtexten in der Printwer­ bung zählt Mercedes-Benz. Dass sich die Rückkehr zu Textprimat, vollständigen Sätzen und bisweilen erzählerischen Konzeptionen seit Beginn der achtziger Jahre durchsetzen konnte und inzwischen auch eine Reihe von Nachfolgern gefunden hat, lässt sich allerdings nur schwer unter dem Etikett ’’Antiwerbung” verbuchen. Ge­ meinsam mit Darstellungen des Hässlichen (Fiat), Skurrilen (West, HB) oder mora­ lisch Anstößigen (Benetton) ist ihnen allenfalls die Gegenläufigkeit zu konven­ tionellen Werbekonzeptionen, nicht aber das Spekulieren auf die Aufmerksamkeit postmodem-zynischer Vernunft. Dass Langtexte in der Werbung im Zeitalter der fast-food-Informationen auffallen, impliziert natürlich eo ipso auch einen Werbeef­ fekt. Dies ist aber nur einer von sehr vielen Gründen für das Wiederaufleben dieser Tradition. Genauso entscheidend dürften gesellschaftliche Entwicklungen sein, die sich unter plakativen Titeln wie ’’Neue Unübersichtlichkeit” und ’’Cocooning" zu­ sammenfassen lassen. Was aus Sicht der Medienentwicklung zu einem Boom von Special-Interest-Titeln oder zur Entwicklung des Spartenfemsehens beigetragen hat, lässt sich in diesem Sinne auch als (allenfalls noch zappender) Selbstschutz gegen die eingangs erwähnte Informationsüberflutung beschreiben. Auf diese Weise ent­ stehen Freiräume, die, entsprechendes Interesse vorausgesetzt, Platz genug lassen, um komplexere Informationen wieder rezipieren oder mit dem Produzenten in com-

300 puterunterstützte Interaktion treten zu können. Hiermit verknüpft, verläuft eine wei­ tere Entwicklung, die in dieser Richtung Verstärkungsfunktion besitzt: Unübersicht­ lichkeit impliziert ihre eigene Überwindung im Wunsch nach Kontinuitätsvergewis­ serung, so dass die für die achtziger Jahre signifikante Thematisierung historischer Ereignisse und Traditionen bis hin zur Hoffähigkeit nostalgisch-konservativer Posi­ tionen nur naheliegend ist. Wo dies letztlich für die Wiederkehr des Erzählens ver­ antwortlich ist, schließt sich der Kreis, wenn man den Erfolg wortreicher Werbe­ kampagnen z.B. zur Geschichte des Automobil-Rennsports (Opel), des Automobils allgemein (Ford) oder anderer Konsumgüter (Bärenmarke) erklären möchte. Hinzu kam gerade in den umweltbewussten achtziger Jahren der Begründungszwang, dem sich vor allem Chemieuntemehmen ausgesetzt sahen: Mit knappen Slogans allein war eine Rechtfertigung der eigenen Handlungsweise nicht mehr zu leisten. Bei allem gilt aber auch hier das wesentliche Merkmal des Zeitalters der ’’Neuen Un­ übersichtlichkeit”: es handelt sich nur um eine Form der Werbekommunikation neben einer Reihe ganz anders konzipierter (und als solche ebenfalls erfolgreicher).

(b) Langtexte bestimmten nach der "Wende" in Ostdeutschland ebenfalls die Wer­ bekommunikation in Printmedien - zumindest, insofern differenziert gearbeitet wur­ de. Wie der Gesamtkontext, so war allerdings auch der Grund hierfür ein anderer. Es ging nicht darum, im Rahmen einer extremen Zielgruppendiversifizierung Werbung gegen den Mainstream zu konzipieren, um auf diese Weise Aufmerksamkeit erlan­ gen zu können, sondern darum, Informationen über bisher allenfalls aus dem West­ fernsehen bekannte Warenwelten zu vermitteln. So sachbezogen die Texte dement­ sprechend ausfielen, so funktionalistisch war auch der nicht-verbale Teil der Kom­ munikation. Life-Style-Motive fehlten naheliegenderweise fast vollständig, bei der Formgebung wurden streng geometrische Kompositionsprinzipien verwendet. Was auf westdeutsche Konsumenten farblos, unattraktiv und provinziell gewirkt hätte, folgte letztlich Leitgedanken, die in ähnlicher Form seinerzeit für die westdeutsche Nachkriegswerbung maßgebend gewesen waren. Angefangen bei Slogans wie "End­ lich da!" oder "Wir sind da!" (BMW, 1991) bis hin zu Couponanzeigen, in denen auch aus ostdeutscher Sicht selbst Banalitäten bis ins Detail erklärt wurden, zielten die Anzeigeninhalte nahezu ausschließlich darauf, Produkte bekannt zu machen. Obwohl Gleichsetzungen mit der westdeutschen Situation an der Wende zu den fünfziger Jahren in vielerlei Hinsicht unzulässig sind, lässt sich eine strukturelle Verwandtschaft der Kommunikation&systewe nicht verleugnen. Dies betrifft vor allem auch das Bemühen, auf Traditionslinien sowohl vor der DDR-Zeit als auch vor dem nationalsozialistischen Regime hinzuweisen.

Literatur: Bergengruen, W.: Die heile Welt. Zürich 1950. Buber, Martin: Pfade in Utopia 1950. Dahrendorf, Ralf: Pfade aus Utopia. In: Ders.: Gesellschaft und Freiheit. München 1961.

301 Gimbel, J.: Eine deutsche Stadt unter amerikanischer Besatzung. Köln 1964. Kellner et al.: 1945 bis 1995. 50 Jahre Werbung in Deutschland. Ingelheim 1995. Klages, Helmut: Wertedynamik: Über die Wandelbarkeit des Selbstverständlichen. Osnabrück 1988. Klages, Helmut: Wertewandel in Deutschland in den 90er Jahren. In: L. v. Rosenstiel (Hrsg.): Wertewandel. Stuttgart 1993, 1-15. Kriegeskorte, Michael: Werbung in Deutschland 1945-1965. Die Nachkriegszeit im Spiegel der Anzeigen. Köln 1992. Kriegeskorte, Michael: Automobilwerbung in Deutschland 1948-1968. Köln 1994. Mitscherlich, A. u. M.: Die Unfähigkeit zu trauern. München/ Zürich 1967. Schindelbeck, Dirk: ’’Kinder ist das eine Freude, unser Kühlschrank wird gebracht...”. Erhards ’Soziale Marktwirtschaft' als Zeitgedicht. In: UNIVERSITAS 49 H.4. 1994, 356-366.

Anhang

304

Links zur interkulturellen Kommunikationsforschung Die nachstehende Linkliste gibt den Stand von April 2001 wieder. Sie ist nicht voll­ ständig, sondern möchte Anreiz bieten, sich im Internet zu Fragen der Interkulturel­ len Kommunikationsforschung zu orientieren.

Eine jeweils aktualisierte (und aktualisierbare) Fassung der Linkliste findet sich auf der Homepage des Fachgebiets Interkulturelle Wirtschaftskommunikation der Uni­ versität Jena:

http:/www.wiwi.uni-jena.de/IWK/home.htm sowie -in Varianten- auf der Homepa­ ge von interculture.de: http:/www.interculture.de.

Viel Spaß beim Surfen!

1.

Allgemeine Infopools, Portale, Kontakte

1.1. Portale und Einstiegsseiten Bildungsserver Deutschland. Umfangreiche Informationen und Links zu Personen und Institutionen in Schule und Weiterbildung. Guter Tagungskalender zum Bereich schulische/ Berufliche Weiterbildung. Homepage der Zentralstelle für Auslandskunde. Umfangreiche Linklisten zu allen Bereichen interkulturellen Lernens. Homepage von Intermundo - Culture Network. Links und Tagungen zu interkulturellen Kongressen

http://www.bildungsserver.de/

Portalseite der UN mit Suchfunktion zu Literatur, Projekten, UN-Stellungsnahmen etc. Informationspool zur multikulturellen Erziehung insbesondere in den USA. Homepage der Unesco mit Berichten zu inter-kulturellen Projekten, Links und kulturgeschichtlichen Darstellungen.

http://www.un.org/search/

http://www.dse.de/za/material/ikz-page

http://intermundo.net/

http://curry.edschool.virginia.edu/go/multicultural/ http://www.unesco.org/culture/dialogue/html _eng/index_en.htm

305

Site mit Links zu diversen Aspekten inter­ kultureller Kommunikationsforschung und -praxis.

http://wwwl.acm.org/sigs/sigchi/intercultural/

The American Forum for Global Education. Umfangreiche Linkslisten insbesondere zu Area Studies Informationen zum Leben in multi­ kulturellen Gesellschaften. Gute Schlagwort-Suchfunktion.

http://www.globaled.org/resource.html

httD://www.diversityweb.org/search.html

Niederländische Portalseite zu multikulturellen Homepages weltweit. Umfangreiche Unesco Statistiken, u.a. zu Bildungswesen, Naturwissenschaft, Medien und Kommunikation . Mit LänderSuchftmktion. Gute Linkliste der University of Florida zu Radio- und Femsehstationen weltweit.

http://www.vada.nl/indexen.htm

UN-Weltstatistik mit Länder-Suchfunktion.

http://www.adb.org/statistics/

http://unescostat.unesco.org/en/stats/statsO.htm

http://www.fiu.edu/~escotet/indexO.html

1.2. Interkulturelle Email-Kontakte I Worldwide Classroom "is a compilation of 1 intercultural and educational programs around

the world which welcome international visitors. They include: University Study, Adult Enrichment, Foreign Language Immersion, Teen Camps, Volunteerism, Internships, Cultural, Craft and Heritage Programs." Sehr ausführliche Liste. Weltweite Schul-Email-Kontakte. Weltweite Email-Kontakte. Email-Kontakte zu Schulen in den USA. “Intercultural E-Mail Classroom Connections offers mailing lists which "are provided by St. Olaf College as a free service to help teachers and classes link with partners in other countries and cultures for e-mail classroom pen-pal and 1 project exchanges." Mit virtuellen Reisen durch

1 Europa und Japan.

1

http ://www. worldwide.edu

http.7/www.iecc.org. http://schubert.ugate.net/nicknacks http://www.gsh.org/pr/index.html_________

http://www.stolaf.edu/network/iecc/

[

306

2.

Bibliographien, Zeitschriften

2.1 . Literaturlinks Übersicht der Universität Hawaii insbesondere zu interkulturellen Trainings (ausschließlich englisch- sprachiger Titel). Intercultural Communication Institute. Englischsprachige Titel zu interkulturellen Trainings, Multikulturalität und zu Einführungen in den Bereich Interkulturelle Kommunikation. Kommentierte Bibliographie des Instituts für interkulturelle Didaktik der Universität Göttingen zu Literatur mit dem Schwerpunkt: Interkulturelles Lernen. Ausführliche, aber nicht sehr aktuelle Bibliographie zu Interkultureller Kommunikation, interkulturellem Lernen und inter-kultureller Pädagogik. Culture Source - Im Aufbau befindliche Bibliography on Intercultural Communica­ tion. Sietar Frankreich: Thematisch unsortierte aber sehr umfangreiche Literaturliste zu französisch-, englisch- und deutschsprachi­ ger Literatur aus dem Bereich interkulturel­ le Kommunikation. Fachgebiet Interkulturelle Wirtschafts­ kommunikation der Universität Jena: Der­ zeit mit ca. 1000 Titeln die umfangreichste Literaturliste zu fast allen Teilbereichen interkultureller Kommunikationsforschung.

http://www2.hawaii.edu/~fontaine/uirefs.html

[

http://www.intercultural.org/resources.html

|

http://www.gwdg.de/~kflechs/iikdiktlitnew.htm |

http://www.eaie.nl/activities/ps/SAFSA/ directory.asp

| 1

http://www.culture-source.de/

http://www.sietar-france.org

http://www.wiwi.uni-iena.de/IWK/home.htm

2.2 Zeitschriften “The Edge” - Internet-Zeitschrift für interkulturelle Beziehungen. International Journal of Intercultural Relations, a journal for psychologists, anthropologists, sociologists and behavioural scientists.

http://kumo.swcp.com/biz/theedge/sylha [ ssn.htm http://www.elsevier.com:80/inca/ publications/store/5/3/5/

307

Simulation and gaming: An International Journal of Theory, Design, and Research.

http://www.unice.fr/sg/

Englischsprachige Zeitschrift fur Kulturanthropologie, Intercultural Education , 3 issues per year, free of charge for the members of IAIE (International Association for Intercultural Education), Carfax Publishing, Taylor and Francis Group Ltd.

http://bemard.pitzer.edu/-cultanth/

Deutschsprachige Zeitschrift fur interkulturellen Fremdsprachenunterricht österreichische Seite der Online-

http://www.ualberta.ca/-german/eioum al/ei oumal.html

http: //www. adis. at/arlt/institut/studies/

Forschungskooperation des INST, dessen Ziel es ist /‘regionale und internationale Literatur- und Kulturprozesse zu erforschen und an ihren Entwicklungen produktiv mitzuwirken“. Beiträge zu verschiedenen Themenbereichen sind in Volltextformat online anzusehen. Über die

Homepage erhält man Zugang zu TRANS, einer Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften Journal of Experiential Education. Zeitschrift, die interessante Artikel zum Bereich „interkulturelle Simulationen“ publiziert MOST Journal on Multicultural Societies Promotes interdisciplinary and international communication in social science. Published by UNESCO MOST Clearing House Zeitschrift fur internationale Beziehungen CTHEORY is an international journal of theory, technology and culture. Culture Machine. Postmodern angefarbtes Interdisciplinary journal in cultural theory and cultural studies M/C/T is a joumal/e-zine concerned with media, culture and technology which analyses, critiques, probes and raises questions about the intersecting vectors of these three fields. Host: Department of Media and Communication, Karlstad University, Sweden Homepage des Instituts fur Auslandsbeziehungen e.V. mit Links zu einer Online-Bibliothek sowie zur „Zeitschrift fur Kulturaustausch“

http://www.aee.org/publications/joumal I /aeejoum.html

http://www.unesco.org/most/jmshome. htm

http://www-user.uni-bremen.de/ -iniis/zib/inhalt-d.htm

http://www.ctheory.com/ http.7/culturemachine.tees.ac.uk/frm_fl. htm

http://www.unesco.org/general/eng/info serv/doc/shsdc/ i oumals/humanitiesculture-society.html

http://www.ifa.de/index.htm



308

UNESCO-Homepage mit umfangreichem Fundus zu Culture, Humanities und Soziologie. Gute Links zu Online-Zeitschriften.

http://www.unesco.org/general/eng/info serv/doc/shsdc/joumals/humanitiesculture-society.html

3. Interkulturelle Kommunikationsforschung an deutschen Hochschulen 3.1 Schwerpunkt Wirtschaft Fachgebiet Interkulturelle Wirtschaftskommunikation der Universität Jena. Infor­ mationen zum gleichnamigen M.A.Studiengang sowie zu den Bereichen interkulturelles Training, Coaching und Consulting. Curricula und Inhalte der Lehrveranstaltungen sowie aktuelle Publikationen des Fachgebiets zum Herunterladen. Sehr ausführliche Bibliographie. Universität Mannheim: Schwerpunkte „Kultur“ und „interkulturelle Kommunika­ tion“ im Studiengang BWL Universität Jena, Lehrstuhl Internationales Management: Diplom-Studiengang „BWL/ Interkulturelles Management“ Universität Passau: Sprachen, Wirtschaftsund Kulturraumstudien; Studiengang „Dip­ lom-Kulturwirt“ Lehrstuhl für Sprachwissenschaft II der Uni Frankfurt oder. Schwerpunkte Tabufor­ schung und Interkulturelle Wirtschafts­ kommunikation, gute Bibliographie, virtu­ elles Doktorandenkolloquium “Widok” Interkulturelle Fortbildung und Organisati­ onsentwicklung an der Universität Saarbrü­ cken (Studienkolleg). Länderinformationen abrufbar.

http://www.wiwi.uni-iena.de/IWK/home.htm

|

http://www.bwl.uni- mannheim.de/Fakultaet/ Studium_allgemein/Kultur-BWL/kulturbwl.html http://www.wiwi.uni-iena.de/ Interkultur/ikm.html

1

http://www.kuwi.de/

|

http://studweb.euv-frankfurt-o.de/~euv2109/Lehrstuhl.html

http://www.uni-saarland.de/fak5/ifoe/

309

3.2 . Schwerpunkt Sprachwissenschaft, Philologie Technische Universität Chemnitz, M.A.Studiengang Interkulturelle Kommunikation Informationen zum M.A.-Studium „In­ terkulturelle Kommunikation“ an der Universität München

http://www.tu-chemnitz.de/phil/ikk/

Universität des Saarlandes: Französische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation (mit Schwerpunkt Frankreich/Deutschland)

http://www.phil.uni-sb.de/fr/romanistik/IK/

Homepage des Faches Interkulturelle Germanistik an der Uni Bayreuth (M.A.Studiengang)

http://www.uni-bayreuth.de/departments/ intergerm/fach/index.htm

Universität Karlsruhe: Studienkompo­ nente Interkulturelle Germanistik im Bereich Philologie/Sprachwissenschaft:

http://www.unikarlsruhe.de/~litwiss/interger.html

Universität Hildesheim: Internationales Informationsmanagement (Studienkom­ ponente Interkulturelle Kommunikation) Technische Universität Dresden: Zent­ rum für interkulturelle Forschung

http://www.uni-hildesheim.de/FB/FB3/IIM/ Studium/Haufach/Sprawi/inkulkom.html

http://www.fakl2.unimuenchen.de/ikk/index.html

http://www.tu-dresden.de/sul/zif.htm

3.3 Schwerpunkt Pädagogik, Psychologie Website des Instituts für interkulturelle Didaktik an der Universität Göttingen mit guter kommentierter Bibliographie zur interkulturellen Pädagogik

http://www.gwdg.de/~kflechs/iikdws98991a3pl.htm

Universität Koblenz: Institut für Interkultu­ relle Bildung

http://iku.uni-landau.de/

Universität zu Köln: Interkulturelle Päda­ gogik Femuniversität Hagen: Interkulturelle Erziehungswissenschaft

http://www.uni-koeln.de/ewfak/Alle Daeda/int/ http://www.femunihagen.de/ESGW/ERZBIL/INTE/

Universität Regensburg: Institut für Psy­ chologie Umfangreiche Literaturliste der Arbeiten von Alexander Thomas.

http://www.uni- regensburg.de/ Fakultaeten/ philFakll/ Psychologie/Thomas/ index_top.html

1

310

Freie Universität Berlin: Institut für Inter­ kulturelle Erziehungswissenschaft: Europe­ an Master in Intercultural Education Universität Bielefeld: Zentrum für Lehrer­ bildung, Zusatzstudium Interkulturelle Pädagogik Universität Gesamthochschule Essen: Zusatzstudiengang »Interkulturelle Päda­ gogik«

http://www.fu-berlin.de/interkultur/start.htm

Universität Hamburg: Arbeitsstelle Inter­ kulturelle Bildung / Intercultural Studies Westfälische Wilhelms-Universität Müns­ ter: Arbeitsstelle Interkulturelle Pädagogik Universität Oldenburg: Institut für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozes­ sen, IBKM (Interkulturelle Pädagogik) und Info zum Studium im Bereich Betriebswirt­ schaftslehre

http://www.erzwiss.unihamburg.de/Arbeitsstellen/Interkultur/

I |

http://www.uni-muenster.de/ Erziehungswissenschaft/Proiekte/Interkultur/intkult.html

| 1

http://www.uni-oldenburg.de/fb 1 /ibkm/

|

http://www.zfl.unibielefeld.de/recht/pvo/intkult/info.html

http://fab2.fb02.uni-

1

essen.de/fb2/recht/ordleit.htm

3.4. Schwerpunkte Politik-, Sozial- und Kulturwissenschaften

Uni Bremen, Institut für interkulturelle Studien. Schwerpunkte im Bereich Politik, Europäische Integration, Globalisierung Universität Karlsruhe (TH): Interfakultati­ ves Institut für Angewandte Kulturwissen­ schaft

http://www 1 .uni-bremen.de/~iniis/proiekte.htm |

http://www.iak.uni-karlsruhe.de/start.html

Fachhochschule Koblenz: Interkulturelle http://www.fhInterdisziplinäre Europäische Studien koblenz.de/fhkoblenz/institute/interest.html http://www.imis.uni-osnabrueck.de/ Universität Osnabrück: Institut für Migra­ tionsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS)__________________________________

[

311

4. Hochschulen, Forschung international 4.1 . Europa außer Deutschland

4.1.1. Niederlande

..

The Institute for Migration and Ethnie Studies is an interdis­ ciplinary research institute of the University of Amsterdam which has existed since 1994. The research programme pro­ motes the encounter and - where possible - the integration of different perspectives and therefore co-operates with the Departments of Anthropology, Sociology, Communication Science, Political Science, Social Geography, Economic Geography, Econometrics, and Administrative Law and the Department of Social and Economic History.

। i...

http://www.pscw.uva.nl/imes/

4.1.2. Dänemark Copenhagen Business School, Department of Intercultural Communication and Man­ agement conducts research on "the growing interna­ tionalisation of enterprises and organisations.”

http ://www.econ.cbs.dk/institutes/ikl/

4.1.3 Spanien Universidad Autonoma de Madrid - Fundacion General de la UAM: zweimonatiges Weiterbildungsprogramm fur Lehrer mit dem Schwerpunkt interkulturelle Erziehung Universidad de Granada, Instituto de la paz y de los conflictos: Postgraduiertenstudium (Doktorandenprogramm) im Rahmen des Studiengangs Paz y conflictos. Schwerpunkte: Theorie und Praxis inter­ kultureller Erziehung

http://www.fguam.es:80

www.ugr.es/ -eirene

4.1.4 Frankreich "Aufbaustudiengang" Internationale Angelegenheiten und interkulturelle Verhandlungsfuhrung an der Nanterre Universite (Paris 10)

http://www.multimania.com/dessaini/

1

312

International Space University in Strasbourg/ France ”is an interdisciplinary, intercultural and international institution preparing individuals to respond to the current needs and the increasing and evolving de­ mands of the space sector in a rapidly changing world.”

http://www.isunet.edu/

4.2 USA/Kanada 1 Center for Cross Cultural Research des Department of

Psychology at Western Washington University. Schwerpunkt: Interkulturelle Psychologie | The International Academy for Intercultural Research

(LAIR) was founded in 1997 as a result of deliberations by the Organizing Forum for an Intercultural Academy. These deliberations were co-sponsored by the Intercul[ tural Communications Institute and the International I Journal of Intercultural Relations. The aim of the Acad-

http://www.ac.wwu.edu/~lonner/cr oss_culture.html http://www.watervalley.net/users/a cademy/academy.html

1 emy is to provide a forum where senior intercultural | researchers, academics, and trainers can exchange ideas, | theories, research and successful training approaches. | Führen jährlich an wechselnden Orten wichtige TagunI gen zur interkulturellen Kommunikationsforschung durch. Umfangreiche Link- und Literaturliste.

Centre of Intercultural Communications (CIC) an der University of British Columbia. Mischung aus Work­ shop-Arbeit (in Kanada) und Intemetlemen. Abschluss: Certificate in Intercultural Studies der UBC Yale University, Program In International Educational Resources offers intercultural communication training by way of “Summer Institutes and Professional devel­ opment presentations at your site workshops and semi­ nars at Yale." Gute Beschreibung der eigenen Pro­ gramme, keine allgemeinen Informationen wie Links oder Bibliographien John Brown University, Department of Intercultural Studies offers course "designed to cultivate an aware­ ness of the cultural, political, economic, linguistic and 1 spiritual diversity of our interdependent world and 1 prepare Christian leaders to live and serve effectively in 1 the international community."

http://itrc.cstudies.ubc.ca/intercultu I ral.studies/contact.htm I

http://www.cis.yale.edu/pieris/

http://www.ibu.edu/sbs/ics/ics.html 1

313

Kobe University, Division of Intercultural Communication is developing a site show­ casing their Faculty and students. Walsh School of Foreign Service hopes to "foster an intercultural, interdisciplinary learning environment for future govern­ ment and corporate leaders in the interna­ tional field." Florida International University, Graduate Studies in International and Inter­ cultural Development Education" is an interdisciplinary field which offers its programs in conjunction with other de­ partments and colleges." University of Minnesota. Schwerpunkt Simulationen, interkulturelle Spiele

http://133.30.96.24:9080/Ibunka/index.html

Homepage der University of California zum Forschungsbereich nonverbale Kom­ munikation (engl.). Gute Beispiele und Literaturangaben

http://zzyx.ucsc.edu/~archer/

University of Minnesota, Center for Advanced Research on Lan­ guage Acquisition (CARLA) "The mission of CARLA is to study multilingualism and multiculturalism, to develop knowledge of second language acquisition, and to ad­ vance the quality of second language teach­ ing and learning." Kleineres Verzeichnis von Anbietern inter­ kultureller Studien in den USA

http://134.84.235.92/

Simon Fraser University, David See-Chai Lam Centre for International Communica­ tion is "a teaching, training, service and research centre with a high-profile focus on interdisciplinary, international, intercultural and interlingual cooperation and communi­ cation at Simon Fraser University at Har­ bour Centre in downtown Vancouver."

http://hoshi.cic.sfu.ca/

http://sfswww.georgetown.edu/sfs/about.htm

http://www.fiu.edu/~escotet/

http://carla.acad.umn.edu/ISresources.html#specific

http://www.christianmissions.net/schools/

314

4.3 Asien Department of Intercultural Studies at Nagoya City Univer­ sity. BA-Studiengang mit Schwerpunkten Kulturanthropolo­ gie, Kommunikationstheorie, Interkulturelle Kommunikati­ onstheorie, interkulturelle Psychologie und Area Studies zu Japan, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und USA

Graduate School of International Cultural Studies (Masterund Doktorandenprogramm) an der Tohoku University. Schwerpunkte: Area Studies und Interkulturelle Beziehun-

http://cgewsl .hum.nagoya-

1

cu.ac.jp/IS/

http://www.intcul.tohoku.ac.jp /index-e.html

_____________________________________________________

5. Fachverbände, Organisationen SIETAR International: The International Society for Intercultural Education Training and Research "is an interdisciplinary professional and service organization whose purpose is to implement and promote cooperative interactions and effective communication among peoples of diverse cultures, races, and ethnic groups. Its objective is to encourage the development and application of knowledge, values, and skills which enable effective intercultural, interracial, and interethnic actions at the individual, group, organization, and community levels." Society for Cross Cultural Research. Ausführliche Linksammlung zu Organisationen und Zeitschriften im Bereich Interkulturelle Kommunikation. Homepage der Society for Cross-Cultural Research

http://www.sietarintemational. 1

SIETAR Europa "to enhance awareness of intercultural issues in education, policy making and business; to contribute to the solution of societal problems by facilitating communication between people of different cultures; to provide multidisciplinary professional expertise in intercultural issues in practice and in research by establishing a network of intercultural specialists; to support publications as well as personal exchange about related projects through regional and international conferences; to promote and support the positive effects of migration; to facilitate the mutual exchange of research and its application among different countries."

http://www.sietareuropa.org/index-e.htm

Homepage von Sietar Frankreich mit umfangreicher LinkListe

http://www.sietar-france.org

org/index.html

http://www.fit.edu/ CampusLife/clubs-org/sccr/

315

American Psychological Association has sometimes information pertaining to Cross-Cultural Psychology

http://www.apa.org/

Web Of Culture (WOC) " is primarily designed to educate and entertain you on the topic of cross-cultural communications. We are seeking to provide quality content on this topic.’’

http://www.worldculture.com

American Communication Association ’’is the national professional organization of scholars, students, and practitioners in the field of communication studies.” They maintain a collection of materials Intercultural Communication

http://www.uark.edu/~aca/

Multicultural Council of Saskatchewan (MCoS) is comprised of organizations and individuals dedicated and committed to enhancing the multicultural reality of Saskatchewan and Canada.

http://alep.unibase.com/mcos/ mcos.html

National Association for Ethnic Studies ’’was founded in 1972. It provides an interdisciplinary forum for scholars and activists concerned with the national and international dimensions of ethnicity." Ausführliche Liste der Studienangebote “Ethnie Studies” an Hochschulen in den USA

http://www.ksu.edu/ameth

6. Private Anbieter interkultureller Trainings/ Consultings Interculture.de: Interkulturelle Trainings, Coachings, Consultings für die Wirtschaft. Länderschwerpunkte: D, F, GB, DK, E, I, USA, CZ, Russland, China/ Südostasien, Lateinamerika. Interkulturelle Sommerakademie Niederländischer Trainingsanbieter unter der Leitung von Fons Trompenaars

ITIM, niederländischer Trainingsanbieter für den Bereich interkulturelles Management. Bekannt als “HofstedeInstitut”. IFIM; Anbieter interkultureller Beratungs- und Trainingsleistungen für die Wirtschaft ICI-Homepage. Das Institut hat sich vor allem durch seine interkulturellen Sommerkurs-Angebote profilieren können. Umfangreiche Bibliographie zum Bereich interkulturelle Trainings Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung (DSE): Trainings und Coachings insbesondere im Rahmen der

http://www.interculture.de

1

http ://www. interculturalcompetence.com http://www.itim.org/

http://www.ifim.de/ http://www.intercultural.org/

http://www.dse.de/za/material 1 /index.htm |

316

Entwicklungspolitik. Ausführliche didaktische Grundlegung der Trainingstätigkeit

Schwerpunkte in den Bereichen interkulturelles Coaching und Erstellung von Videos/ CD-Roms mit interkulturellen Szenen

Schwerpunkt: Frankreich-orientierte Trainings und Beratungen Homepage mit Links zu vielen anderen Trainingsanbietem

http://www.intercountrymana gement.com/english ZChoaching.htm_____________ http://www.culturebridge.de httD://www.worldleaming.org

Global Integration Ltd: Interkulturelle Fortbildungsangebote insbesondere für Manager. Homepage mit vielen Informationsangeboten zum Thema Malkam Consultants Ltd., Ottawa/ Ontario. Training und Consulting vor allem für Ausländer, die sich aus beruflichen Gründen in Kanada niederlassen wollen. Einfallsreiche Zusatzfunktionen wie z.B. Kalender der Nationaltage mit Grußkartenversand

http ://www. globalintegration.com

In Deutschland und den USA ansässige interkulturelle Untemehmensberatung unter der Leitung von Susanne Zaninelli

http :/www. culturecontact, de

Niederländischer Trainingsanbieter unter der Leitung von Fons Trompenaars Gesellschaft zur Förderung der Weiterbildung an der Universität der Bundeswehr in München Untemehmensberatung mit interkulturellen Schwerpunkten unter der Leitung von George Simons

http://www.interculturalcompetence.com http:Zwww.gfwmunich.de/trainicm2.htm 1

Interkulturelle Trainings und Software Schweizer „5 C-Institute for Cross-Cultural Communication and Conflict Conciliation” Carl Duisberg Gesellschaft, Köln mit Schwerpunkten in der interkulturellen Beratung in Bezug auf Entwicklungsländer Schweizer Personalberatungs-Portal mit z.T. interkulturellen Themen

http:Zwww.getcustoms.com http:Zwww.5c-institute.com

http://www.malkam.com/ index.htm

http:/www.diversophy.com

http:Zwww.cdg.de

http:Zwww.hrgate.com

|

317

7. Verlage mit dem Schwerpunkt interkulturelle Kommunikation Intercultural Press, Inc. "Our books, simulation games, and videos help heighten cultural awareness. Whether you are a student taking a semester abroad, a businessperson relocating to another country, taking a vacation in an unfamiliar culture, an intercultural trainer, or a professor teaching students in this multicultural world, you will find our titles offer you the most up-to- date information presented by the leaders in the intercultural field." Amerikanischer Verlag, der Bücher, Simulationen und Trainingsmaterialien

http://interculturalpress.com/shop/index.html

zum Thema Interkulturelle Kommunikation veröffentlicht; Online-Buchshop

Verlag für Interkulturelle Kommunikation IKO mit Schwerpunkten in den Bereichen Interkulturelles Lernen und Entwicklungspolitik

http://www.geist.de/iko/verlag-D.html

8. Konferenz- und Tagungskalender Bildungsserver Deutschland. Umfangreiche Informationen und Links zu Personen und Institutionen in Schule und Weiterbildung. Guter Tagungskalender zum Bereich schulische/ Berufliche Weiterbildung

http://www.bildungsserver.de/

http://www.royfc.com/confer.html Sehr umfangreiche und aktuelle Konferenzliste zu den Bereichen Language/ Communication/ Intercultural Studies http://intermundo.net/ Homepage von Intermundo - Culture Network. Links und Tagungen zu interkulturellen Kongressen http://www.dialogin.com/ dialogin.com - The Delta Intercultural Academy, a virtual forum for intercultural­ ists. Forum mit Chat und Kongresshin­ weisen