Horaz und Actium: Studien zu den politischen Epoden [1 ed.] 8200069583, 9788200069584

Wie verhält sich der junge Horaz zu Octavian? Hat er sich im Laufe der dreissiger Jahre, wie man es öfters dargestellt f

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Horaz und Actium: Studien zu den politischen Epoden [1 ed.]
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UNIVERSITETSFORLAGET Oslo-Bergen-Stavanger-Tromse MCMLXXXIV

© Universitetsforlaget 1984 ISSN 0332-561X ISBN 82-00-06958-3

Distribution offices:

NORWAY P.O. Box 2977 Toyen 0608 Oslo 6, Norway

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UNITED KINGDOM Global Book Resources Ltd. 109 Great Russel Street London WCIiB 3NA

UNITED STATES and CANADA Columbia University Press 136 South Broadway Irvington-on-Hudson New York 10533

Published with a grant from The Norwegian Research Council for Science and the Humanities

Printed in Denmark by P. J. Schmidt A/S, Vojens

INHALT VOTWOLIIR

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Vorwort

Wie verhält sich der junge Horaz zu Octavian? Hat er sich im Laufe der dreissiger Jahre, wie man es öfters dargestellt findet, von einem parteilosen, eher skeptisch gesinnten Aussenstehenden zu einem treuen, aber etwas reservierten Anhänger entwickelt? Sicher ist, dass eine Antwort auf den hier zur Diskussion ‚stehenden Epoden aufbauen muss, die ja zu den schwierigsten Gedichten dieses nie einfachen Dichters gehören. Das Bild, das ich selbst gewonnen habe, unterscheidet sich in

wesentlichen Zügen von dem landläufigen; es ist kaum von persönlichen Entwicklungslinien geprägt und wird wohl auf manchen Horaz-Leser weniger »menschlich« wirken. Die Untersuchung ist aus den besonderen Problemen der sog. »ActiumEpode« (9) hervorgewachsen. Dadurch wurden mir die zweifelhaften Voraussetzungen, die der geläufigen Interpretation der 7. und 16. Epode zugrundeliegen, allmählich klarer. Vor allem dürfte dabei eine ins Prinzipielle gehende Betrachtung der Datierungsfragen lohnend sein. Die 16. Epode ist bekanntlich ein Problemkind der horazischen Muse. Dem können wir im Rahmen dieses Buches nicht völlig gerecht werden. Eine eigene Monographie wäre dafür eigentlich erforderlich. Stattdessen haben wir einige für unsere Betrachtung besonders belangvolle Aspekte etwas eingehender behandelt und glauben auf dieser Grundlage eine Gesamtdeutung des Gedichts skizzieren zu können, die eher eine Korrektive zu den bisherigen Analysen als eine erschöpfende Behandlung sein will. Mein Versuch ist dem verehrten und lieben Lehrer gewidmet,

der in Seminarübungen und Vorlesungen über Horaz immer wach für die auftauchenden Einzelprobleme war und manchmal auch ungewohnte Gesichtspunkte beisteuerte und lebhaft diskutierte. Oslo, März 1983

E.K.

I

Einleitende Betrachtungen und vorläufige Fragen

Wir haben uns zu Recht daran gewöhnt, ein Horaz-Gedicht als ein Ev kal öAov zu betrachten, das aus sich heraus verstanden

werden will.! Eine auf die Spitze getriebene Vorstellung von der selbstgenügsamen dichterischen Einzelschöpfung birgt jedoch die doppelte Gefahr in sich, etwaige Beziehungen innerhalb der Gedichtsammlung wie auch Beziehungen zum Milieu des Dichters ausser Betracht zu lassen oder zu unterschätzen. Solche Einschränkungen in der Autonomie eines Gedichts werden besonders dringlich bei politischen Gedichten, die den Leser nicht so sehr ästhetisch und privatim in Anspruch nehmen als ihn als Bürger und interessiertes Mitglied der Gesellschaft anreden. Ebenso wie der politische Dichter selbst hat ja sein Leser an den Geschicken des Staates teil; dieselben Erfahrungen und dieselben Hoffnungen verbinden die beiden. Bedenkt man zudem, dass der typische Leser des Horaz zur führenden Gesellschaftsschicht gehörte, und dass der Dichter selbst dem Machtzentrum in nächster Nähe stand, als er seine Epodensammlung herausgab, ist man von vornherein geneigt, hohe Anforderungen an die Gültigkeit solcher Gedichte zu stellen. Zu keiner Zeit zwischen dem Jahr 38 und seinem Tod kann man sich in der Tat Horaz als einen politischen Outsider vorstellen. Man sollte sich von dem Bild, das Horaz von seiner Position etwa in den Satiren I 6 und II

6 entwirft, nicht täuschen lassen. Dass er kein politisches Amt haben wollte und ambitio für sich ablehnte, heisst nicht, dass er

eine Stimme unter anderen war oder sein wollte. Wir dürfen davon ausgehen, dass der Maecenas-Freund, insbesondere wenn

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EGIL KRAGGERUD

er sich zu hochwichtigen und kritischen Fragen der zeitgenössischen römischen Politik äussert, als Deuter solcher Fragen im Sinne der Staatsführung verstanden werden will. Scheitert nun nicht ein solches Bild — das übrigens hier um der Deutlichkeit willen nur grob skizziert wurde - an seiner frühesten ausgesprochen politischen Dichtung, eben den Epoden? Mit der geläufigen Vorstellung von diesen Gedichten, insbesondere der 7. und der 16. Epode, scheint es jedenfalls unvereinbar, denn diese

Gedichte sind nach allgemeiner Auffassung ganz pessimistische Äusserungen des Dichters zur politischen Lage. Man könnte freilich das skizzierte Prinzip »retten«, indem man diese Gedichte vor der Aufnahme

des Horaz in den Maecenas-Kreis

ansetzt;

aber derselbe Horaz, der angeblich in solchen Epoden seiner Verzweiflung und seiner politischen Frustration Luft machte, hat sie ja mehrere Jahre später, unter gänzlich verschiedenen Umständen, der Welt vorgestellt. Die Problematik einer solchen “Redakteurtätigkeit’ scheint bislang kaum auf der Agenda der Horaz-Forschung zu stehen. Auch die Epoden 1 und 9, die in bestimmter Beziehung zur Actium-Expedition stehen, sind in dieser Hinsicht nicht ganz unproblematisch. Eben in dem letzgenannten Gedicht, das die Niederlage der Antonianer und der Feindeskönigin feiert, ist man bisweilen: geneigt, die innere Reserve

des Dichters

zu betonen,

als sei er noch

kein recht

überzeugter Anhänger des Divi filius. Dann wundert es kaum, dass man das Verhältnis zu Augustus auch in neuester Zeit als eine allmähliche Konversion bezeichnet und die Epoden 16 und 7, die Ode I 14, die Epode 9 und die Ode I 37, in dieser Reihenfolge, als literarische Dokumente einer Annäherung an Augustus sieht.? Zwei fragliche Voraussetzungen liegen diesem Postulat einer lang ausgedehnten Entwicklung zugrunde. Die erste ist die, dass mehrere (bis zu zehn) Jahren zwischen den Epoden 7 und 16 einerseits und 1 und 9 andererseits liegen, die zweite, dass diese

Gedichte so verschieden seien, dass sie unmöglich einer einiger. massen einheitlichen Beurteilung der politischen Szene entsprungen sein könnten. Widersprüchliche Äusserungen werden nun einmal am einfachsten als Entwicklung gedeutet.

Einleitende Betrachtungen und vorläufige Fragen

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Dabei hat man fast völlig den (ursprünglichen) Leser und dessen Orientierungsmöglichkeiten übersehen. Es steht indessen fest, dass die Sammlung von siebzehn Epoden erst nach Actium veröffentlicht wurde, allem Anschein nach im J. 30. Wir kommen

deswegen um die Frage nicht herum, was es für die Auffassung eines Gedicht bedeutet, dass es in einer bestimmten

Situation

bzw. zu einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht wird, besonders wenn eine geschichtliche Dimension dem Gedicht selbst irgendwie innewohnt. Wenn es sich nun um ein ausgesprochen politisches Dokument handelt, das laut allgemeiner Meinung erheblich früher geschrieben? worden ist, dann wird allenfalls die Frage drängend, ob der Dichter dem Leser die nötigen Hinweise gibt, damit dieser das Gedicht als geschichtliches Dokument beurteilen und es so tatsächlich richtig deuten kann. Es wäre ja fatal, wenn der Leser etwa eine negative, verdammende oder pessimistische Haltung des Dichters als seine gegenwärtige Einstellung zur politischen Lage verstehen sollte. Autoritative Deutungen der 16. Epode lassen diese Frage in der Weise ausser Betracht, als sei es für das erste Publikum des Horaz selbstverständlich, dass das Gedicht etwa 41, 40 oder 38 geschrieben

worden sei. Zunächst muss man aber nach meinem Dafürhalten die Frage prüfen, ob eine derartige Rückdatierung überhaupt wahrscheinlich oder möglich ist. Wenn nicht, bleibt ernsthaft zu bedenken, ob sich Horaz als Redakteur nicht etwas leichtsinnig benommen hat. Der langwierige Streit um die richtige geschichtliche Einordnung dieser Epode mag unter einem solchen Blickwinkel tatsächlich als ein Einwand gegen die dichterische Leistung gelten, falls Horaz in einer zentralen Angelegenheit sein Publikum verwirrt haben sollte. Erst eine genaue Prüfung der Datierungsfrage wird diesen Einwand bestätigen oder widerlegen können. Wir wollen in diesen vorläufigen Betrachtungen einige weiterführende Gesichtspunkte vorlegen. Es liesse sich ja denken, dass der Dichter seinem jeweiligen politisch-nationalen Thema gegenüber eine möglichst weite Perspektive anlegen wollte. Auch muss eigens gefragt werden, ob seine Sicht nicht (auch) die

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EGIL KRAGGERUD

(veränderte) Lage im Augenblick der Veröffentlichung irgendwie berücksichtigte, was im Falle der Epoden heisst, von der Voraussetzung auszugehen, dass das Redigieren der Sammlung weit mehr als ein Zusammentragen disparater Stücke und eine ästhetische Anordnung der zu verschiedenen Zeiten komponierten Einzelgedichte war. Wenn man auch vielleicht zu Recht einen zufälligen, zeitlich weit ausgedehnten Werdegang für die anderen Gedichte der Sammlung behaupten könnte, braucht derselbe Prozess nicht auch für die politischen Gedichte zu gelten. Denn ihr Inhalt hebt sie von vornherein als paullo maiora aus den übrigen Gedichten der Sammlung heraus. In allen vier politischen Jamben geht es um die Existenz des Römerstaates. Daneben treten besondere formale Elemente hinzu: Die Gedichte sind entweder an Maecenas als treuen Mitkämpfer Octavians adressiert (1 und 9) oder wenden sich direkt an die Römer (7 und 16). Dies setzt überall eine Dichterrolle eigener, hoher und selbstbewusster Prägung voraus. Man möchte a priori meinen, dass dieser Rolle gewisse konstante persönliche und gesellschaftlige Voraussetzungen zugrundeliegen müssten, die nicht zu jeder Zeit während des chaotischen Dezenniums vor der Veröffentlichung denkbar wären — mit anderen Worten, dass hier die Frage der Reife und der gesellschaftlichen Sicherheit «des Dichters mit im Spiele sei. Um es often zu sagen: das eifrige Bemühen der Interpreten, diese Gedichte hier oder dort der Zeitskala einzuordnen, hat meiner Meinung nach wenig Gutes angerichtet. Statt die Deutung zu bereichern hat die Konzentration auf das richtige Kompositionsjahr das Verständnis der dichterischen Aussage eher eingeengt und mitunter auch den geistigen Ausblick des Dichters in den Engpass der Tagespolitik getrieben. Dieser unbefriedigende Zustand gilt nicht weniger bei denjenigen Epoden, die man ohnehin ungefähr zeitlich festlegen kann, bei 1 und 9. Wenn man Fraenkel folgt, hat der Dichter hier nicht minder Pech gehabt, nämlich im Hinblick auf den Leser der fertigen Sammlung: »There can be little doubt that Horace conceived the idea of this epode [die 9.] on the spur of the moment, before the military and political consequences of the

Einleitende Betrachtungen und vorläufige Fragen

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battle of Actium could fully unfold. He then left the poem as he had written it. That applies also to Epode I, where we may admire his indifference to petty criticism, for when the book appeared everyone in Rome knew that the plans had been altered and that Maecenas had not, after all, joined Caesar’s fleet« (S. 75). Eine solche Theorie von der Entstehung der politischen Einzelgedichte wirkt sich in der Weise auf die Auffassung der veröffentlichten Sammlung aus, dass man gern behaupten möchte, Horaz habe die Kommunikation mit seinen Lesern zum Nachteil seines literarischen wie auch moralischen Renommees versäumt. Bedenklich ist auch, dass sie eine Arbeitsweise des Dichters voraussetzt, die vielleicht zur Zeit der archaischen Lyrik denkbar wäre, aber nicht die des Horaz ist. Man wäre aber bei alledem geneigt, diese Theorie zu diskutieren, wenn sie die Gedichte, wie sie uns

vorliegen, auch gut erklären könnte. Sie scheint uns aber den Weg zu einem reicheren Verständnis der horazischen Epoden geradezu zu versperren. Eine Besinnung auf die prinzipiellen Verständnismöglichkeiten des Lesers ist aber als erster Schritt erforderlich. Der umgekehrte Weg, dass man aus den Einzelproblemen heraus Schlussfolgerungen auf das Vorgehen und die Intentionen des Dichters macht, hat sich oft genug als unzureichend oder irreführend erwiesen. Statt etwa von den Problemen der dramatischen Situation (epo. 9) oder dem Verhältnis zur 4. Ekloge Vergils (epo. 16) auszugehen, wollen wir lieber einige allgemeine Gesichtspunkte auf die interpretatorische Probe stellen. Wer hier einen circulus vitiosus wittert, hat insofern Recht, als wir uns von

vornherein auf den Blickwinkel des Lesers einstellen. Eben weil diese Perspektive, wie wir glauben, einige neue Momente an den Tag bringt, haben wir dies Buch geschrieben. Die Perspektive des damaligen Lesers legt es nahe, jedes einzelne Gedicht im Rahmen der Sammlung zu betrachten und auf seine etwaigen Bezüge zu den anderen Gedichten hin zu untersuchen. Darin liegt gleichsam zu jeder Zeit eine Möglichkeit für einen inneren Ausgleich in der Weltdeutung des Dichters vor: Einseitigkeiten können aufgewogen oder gemildert werden, Einzelthemen

können

deshalb

isoliert betrachtet werden, weil ein

späteres Gedicht sie ergänzt u.s.f.

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EGIL KRAGGERUD

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich der Leser schrittweise durch die Sammlung bewegt. Die früheren Gedichte tragen dazu bei, seine Auffassung von dem jeweiligen Gedicht irgendwie zu beeinflussen. Besonders gilt dies bei gemeinsamer oder verwandter Thematik. Liest man z. B. die 17. Epode, ohne die 5. zu

kennen, beraubt man sich eines Teils ihrer Wirkung. Wie jener damalige messenen Ende des lichung, bedeutet

Leser muss auch sein moderner Nachfolger den angeStandort für seine Betrachtung finden, nämlich am Schaffensprozesses des Dichters, d.h. bei der Veröffentsoweit sich diese Situation rekonstruieren lässt. Dies nahezu einen Verzicht auf die gewöhnliche Art analyti-

schen Verfahrens, wonach man sein Ohr für die Geburtsstunde des Einzelgedichts schärft. Was will es heissen, so müssen wir uns fragen, wenn der Leser

so verschiedenen, aber irgendwie zusammengehörig erscheinenden Gedichten wie der 1., 7., 9. und

16. Epode* aus der Zeit

zwischen Actium und der Eroberung Ägyptens begegnet? Hat nun aber der Dichter diesen besonderen zeitgenössischen Horizont eigens berücksichtigt? Dies läuft irgendwie auf die Frage hinaus, ob die politisch-nationalen Gedichte als (nur) geschichtliche Dokumente oder als aktuelle Kommentare gelesen werden sollen. Das erfordert, dass wir genau auf die chronologischen Daten bzw. auf ihr Fehlen achten.° Weiter dürfte die Anordnung der Gedichte, sowohl absolut im Rahmen der Sammlung wie auch relativ untereinander, von einigem Belang sein. Informationsbruchstücke ähnlichen Inhalts werden von einem aufmerksamen Leser nolens volens synoptisch betrachtet und entweder zu einem bedeutungsvolleren Ganzen zusammengearbeitet oder als Separata aufgenommen. Falls der redigierende Dichter seine Aufgabe als guter Dirigent zu erledigen weiss, so ist ihm dank der Gedichtausgabe die Möglichkeit gegeben, eine über das Einzelgedicht hinausführende, vielsträngige und dynamische Aussage aufzubauen. Die viel diskutierte 9. Epode dürfte ein lehrreiches Beispiel für die mit der gängigen Interpretation verbundenen Probleme sein. Es ist einerseits klar, dass die Diskussion der letzten 25 Jahre die

Einleitende Betrachtungen und vorläufige Fragen

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fiktionale Situation des Gedichts im grossen Ganzen ins reine gebracht hat, doch bleibt bei allem Consensus ein gewisses Unbehagen bestehen, das folgendermassen diagnostiziert werden kann: 1. Die neueren Interpretationen scheinen dem Spürsinn des Lesers nicht wenig abzufordern, damit das Gedicht überhaupt verständlich werden soll. Vor allem gilt es — dies ist unser Eindruck -, gleichsam einen archimedischen Punkt zu finden, um das Ganze in den Griff zu bekommen. Und wenn nun dieser Punkt erst im Schlussbild des Gedichts enthüllt wird, dann muss

der Leser, endlich mit dem richtigen »Schlüssel« versehen, aufs neue anfangen und seine etwaigen früheren Missverständnisse »korrigieren«. Es ist meine Überzeugung, dass dies eine unnatürliche und vielleicht widersinnige Weise ist, irgendein Gedicht zu lesen. Habe ich in dieser Angelegenheit das richtige Gefühl, dann bin ich freilich meinerseits den Nachweis schuldig, dass das fortlaufende Lesen durchführbar ist und den Gesamtsinn erst auf angemessene Weise hergeben kann. Es handelt sich hierbei natürlich um die grossen Linien der Deutung, die von der Richtigkeit problematischer Einzelentscheidungen nicht betroffen werden. Der Prüfstein der vorgezogenen Interpretationsweise liegt letzlich darin, ob sie die vielstrapazierte Frage beantworten kann, was

Horaz

mit seinem

Gedicht

und dessen besonderer

Form vermitteln will. 2. Zudem

muss

man,

wie schon

angedeutet,

den Platz der

Epode innerhalb der Sammlung berücksichtigen. Dies betrifft nicht nur die 9. Epode, wo keine tiefere Uneinigkeit zu herrschen scheint, sondern vor allem die 16.

Niemand scheint sich ernsthaft gefragt zu haben, was Horaz damit gemeint haben könne, ein Gedicht wie Altera iam teritur an die vorletzte Stelle der Sammlung -— einen Ehrenplatz, wie es scheint® - zu stellen. Wird nicht dadurch gerade die Botschaft der Aktium-Epode betroffen? Was ist eigentlich der tiefere Sinn der zentralen Stellung der 9. Epode? Oder gibt es keinen solchen Sinn, wenn der Leser dann der 16. Epode begegnet? Eine synoptische Betrachtung drängt sich bei solchen einander scheinbar wider-

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sprechenden Botschaften nicht gerade auf. Die Alternative dazu ist, die communis opinio zu akzeptieren, wonach jedes politisches Gedicht für sich allein betrachtet und verstanden werden soll. Auch dies ist problematisch, weil es tatsächlich darauf hinausliefe, den Herausgeber Horaz an den Pranger zu stellen. Dann müsste man die Nachsicht des Maecenas und des Octavian bewundern, die sich mit Fug und Recht darüber hätten beschweren können, dass Horaz das Positive nicht nach Gebühr behandle

und die Ergebnisse der gewaltigen Opfer an der Schwelle des endgültigen Sieges als zweifelhaft und durch seine Missklänge als hinfällig hinstelle. Man versteht nicht recht, wie der Dichter nach solcher ‘Leistung’ auch weiterhin das uneingeschränkte Vertrauen seitens der Staatsführung geniessen konnte. Die 16. Epode mutet der herkömmlichen Interpretation zufolge fast wie eine Palinodie gegenüber optimistischen Ansätzen in der 9. Epode an. Wenn diese Gedichte noch immer voneinander isoliert werden und die hier vorgelegten Ideen noch kaum erwogen worden sind, so hängt das ohne Zweifel auch damit zusammen, dass sie weder

inhaltlich noch formal ein Ensemble derselben Art wie die Römeroden’ ausmachen. Auf den ersten Blick heben sie sich nicht sonderlich von ihrer Umgebung ab, haben nicht wie jene eine eigene Einleitung, die den Leser in eine Stimmung religiöser Art versetzt u.s.w. Nur die 16. Epode ist durch ihr Versmass ein wenig von den übrigen abgerückt. Sonst ist der Ton vielstimmig und der Ausdruck nach dem jambischen Grundton der Sammlung abgestimmt. Die 1. Epode ist zudem eine Introduktion zur Sammlung, wo die Politik gegenüber der Freundschaftsbekundung zurückzutreten scheint. Wie kann man letzten Endes politische Äusserungen von so heterogenem Inhalt unter einen Nenner bringen? Hoffnung und Triumph, Verzweiflung und Weltverfremdung, Hinneigung zu Octavian und Vernachlässigung desselben scheinen abzuwechseln. In dem einen Gedicht verdammt der Dichter das römische Volk, in dem anderen bekundet er seinen

Kampfwillen und seine Allianzzugehörigkeit. Dass es sich dabei um verschiedene Zeiten und verschiedene Konflikte handelt, ist

immerhin

ein naheliegender

Gedanke.

Es liesse sich darüber

Einleitende Betrachtungen und vorläufige Fragen

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hinaus vermuten, dass die wechselnden Stimmungen und die unterschiedliche politische Haltung vielleicht bewusst die Verwirrung der Triumviralzeit oder den persönlichen Werdegang des Dichters spiegeln sollten. Dann würde man aber dem Eindruck nicht los, dass ein solches Konzept nicht klar genug hervortritt. Es müssten dann etwa Hinweise auf bestimmte Situationen in der Vergangenheit einen bestimmten Raum indizieren, damit die zeitliche Dimension sichtbar werden könnte. Eine Art zeitlicher Perspektive ist auf alle Fälle in diesen Gedichten klar zu sehen, nämlich in dem Bestreben des Dichters, seine Gegenwart in einen grösseren (9. Epode) oder gar weitesten (7. und 16. Epode) Rahmen der römischen Geschichte einzufügen. Politisch-nationale Kommentare ohne einen weiteren Ausblick auf die Vergangenheit und die römische Geschichte sind auch lange nach Actium bei Horaz kaum denkbar. Inwiefern sind aber dabei, wenn überhaupt, veränderte persönliche Haltungen und Positionen des Dichters mit im Spiele? Kommen wir auf die Spur etwa einer »Brutus-Periode«, einer »scriba-Periode«, um von verschiedenen Stadien in seinem Verhältnis zu Maecenas und zu Octavian zu schweigen? Eine weitere Frage ist diese: Wann war zwischen dem Eintritt des Horaz in den Maecenas-Kreis und der Schlacht bei Actium die äussere Situation derart stabil und sicher, dass man gleichsam eine Bilanz ziehen und einigermassen gültige Urteile fällen konnte, oder vielleicht besser: Wann und wie konnten überhaupt politische Äusserungen zu Papier gebracht werden? Wann war für Schweigen und wann war für Reden die richtige Zeit? Dies soll nur eine der Fragestellungen andeuten, die von den Interpreten kaum prinzipiell berührt werden, trotzdem aber entscheidend wichtig für die Beurteilung solcher politischer Rede wie in der 7. und 16. Epode sind. Nicht nur für unsere Betrachtung allein waren die Geschehnisse bei Actium in den ersten September-Tagen des J. 31 von epochaler Bedeutung; sie waren es offenbar schon für die damalige Welt. Die Zeit der geteilten Macht war vorüber. Der Erbe Caesars konnte die Herrschaft im ganzen römischen Reich

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EGIL KRAGGERUD

beanspruchen. Actium war eine Wende. Nicht einmal ein Pessimist konnte an ein Fortbestehen des alten Chaos und der Willkür denken, wie sehr er auch den Sieg Octavians beklagt haben mag. Die Anhänger desselben hegten gewiss gute Hoffnung für die Zukunft. Niemand konnte ihrem dux weiterhin die Position streitig machen. Die Segnungen einer dauerhaften pax waren in greifbarer Nähe. Die Frage ist letzlich die, ob die in solcher Situation, d.h. im J. 30 erschienene Gedicht-Sammlung des Horaz mit solchen Fakten und Gefühlen gut vereinbar ist oder nicht. Der Freund und Kollege Vergil hat um dieselbe Zeit einen tiefschürfenden Kommentar in seinen Georgica vorgelegt, wo sich Licht und Schatten zu einem hoffnungsvollen Schluss-Credo vereinen.® Wie verhält sich dazu die gleichzeitige Stimme des Dichter-Bruders Horaz? Für glückliche Töne war die Zeit schon reif. Ein wenig bedeutender Dichter hätte leicht der Versuchung erliegen können, das Vergangene zu vergessen und nur die triumphale und lichtvolle Seite des Bildes auszubreiten. Für einen Unglücksvogel oder Zweifler war dagegen die Zeit, in einer Hinsicht jedenfalls, entschieden um. Finden wir trotzdem derartige Erzeugnisse, dann dürfen wir sie auf ihren Eindruck im J. 30 hin prüfen. Wir glauben den Redakteur Horaz gegen die Vorstellung eines pessimistischen Dichters ins Spiel bringen zu können: Carmina mali ominis könnten zuletzt einfach unterdrückt werden. Das ist eine zu aller Zeit geübte Praxis bei veränderter Stellungnahme und verlassenen Positionen. Insbesondere liegen solche Überlegungen nahe, wenn es sich um einen Dichter handelt, der einst ein Gegner des Siegers gewesen war, der weder sozial noch ökonomisch eine selbständige Stellung hatte, und der — nicht zuletzt — sonst taktvoll genug gegenüber den Mächtigen der Gesellschaft auftrat und mit besonderer Loyalität der Sache Caesars verbunden war. Ehe wir diese allgemeine Betrachtungen verlassen, möchten wir den Unterschied zwischen den politisch-nationalen Gedichten und der übrigen Sammlung betonen. Denn ein politisches Gedicht, besonders wenn man es auf dem Hintergrund der dreissiger Jahre betrachtet, ist ein heikles Erzeugnis der Muse, insofern es

Einleitende Betrachtungen und vorläufige Fragen

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auf einer besonderen Konstellation der politischen Bühne zu einer bestimmten Zeit beruht. Es mag seine aktuelle Bedeutung mit einem Schlag verlieren. Bei einer äusseren Umwälzung kann es im Nu zu einem (nur) geschichtlichen Dokument verwandelt werden. In solchen Fällen dürfte man bei einem sorgfältig redigierenden Dichter kaum von »Unterdrückung« reden können. Die innere Stimme müsste ihn dazu raten, stattdessen etwas

im Aktuellen

Gültiges

zu setzen.

Nicht

weniger

müsste

der

Dichter behutsam darauf achten, dass sein Gedicht durch Veränderungen in der äusseren Situation nicht mal ä propos oder peinlich würde. Ein politisches Gedicht gleicht in gewisser Hin-

sicht dem politischen Kommentar. Redet diese Stimme etwa anspruchsvoll im Namen der Gesamtheit oder der Herrschenden, wird wohl die Forderung dringend, dass sie irgendwie die aktuelle Situation in gültiger Weise abspiegelt. Das tempus edax kann eine Äusserung verderben oder unverständlich machen. Ein neuer geschichtlicher Kontext versucht ihr den eigenen Stempel aufzudrücken. Es ist schon aus den vorhergehenden Erwägungen klar geworden, dass

wir ohne

weiteres

mit einem

erheblichen

Abstand

zwischen Horaz und dem frühgriechischen Lyriker, z.B. Archilochos oder Alkaios, oder auch zwischen Horaz und Catull rech-

nen. Wir glauben kaum, dass Horaz je ein spontaner Dichter gewesen ist, der dem Augenblick genügen wollte, weiter nichts. Seine Gewohnheit ist, das Gültige in jeder Situation sichtbar zu machen. Wenn er den Augenblick festhält, dann geschieht es vor allem, weil dieser Augenblick über sich hinaus weist. Von seinen ausgesprochen politischen Kommentaren würde man von vornherein erwarten, dass sie von gültiger Überzeugung und fester Verantwortung geprägt seien. Das Einmalige wäre dann in den Dienst grösserer Ideen gestellt worden. Das war er nicht zuletzt seinen Gönnern schuldig. ANMERKUNGEN ı Vgl. z.B. Fraenkels Bemerkung (S. 27): »No external material can, in the case ofa real poem, that is to say of a self-contained poem, supply a clue not contained

20

EGIL KRAGGERUD

in the poem itself.« Daneben sollte man immer das Gedichtbuch als übergreifenden Rahmen berücksichtigen; vgl. das Kap. X bei W. Kroll, Studien zum Verständnis der römischen Literatur, Stuttgart 1924, S. 225 ff. Er findet zu Recht (S. 246), dass Horaz in der Gedichtsammlung die platonische Forderung nach dem organischen Ganzen erfüllt hat. Vgl. auch H. Haffter, »Das Gedichtbuch als dichterische Aussage«, Festschr. Vretska, Heidelberg 1970, 53-67. 2 So E. Doblhofer, »Horaz und Augustus« in: ANRW 31,3 (1981), S. 1943, der

in Anm. 101 das Urteil E. Burcks als typisch“ anführt (in: Vom römischen Manierismus, Darmstadt 1971, S. 95): »Horaz hat nach seiner Verzweiflung am römischen Staat, wie sie Epode 7 und 16 erkennen lassen, in einem langsamen

Reifeprozess die Annäherung an Octavian gefunden und die von ihm begründete neue Ordnung in tiefer Dankbarkeit gepriesen.« 3 Immer wieder trifft man auf die Behauptung, Horaz sei mit der 16. Epode wahrscheinlich zum ersten Mal vor die Öffentlichkeit getreten; vgl. z.B. Heinze in der Einl. zur Epode. Von einer separaten Herausgabe der Epode kann schwerlich die Rede sein. Mit dem Vortrag von Einzelgedichten unter Freunden muss man natürlich rechnen. Auch mögen Kopien unter ihnen zirkuliert sein.

* Völliger Consensus über die thematische Zusammengehörigkeit dieser Gedichte ist wohl nicht erreicht; vgl. die Übersicht zu dieser Frage bei Carrubba 31. Die Epoden 7, 9 und 16 werden, wie man aus seiner Tabelle ersehen kann, meist zusammen rubriziert. Zur Zusammengehörigkeit der Epoden I und 9 richtig Carrubba a.O. — Die 13. Epode hingegen lässt sich kaum als politisch-national bezeichnen; vgl. Carrubba S. 34 Anm. und S. 81 f. — Auch die 4. Epode muss aus dieser Gruppe ausgeschlossen werden. Es fehlt ihr vor allem der Blick auf das Ganze; sie nimmt eine Sonderfrage der gesellschaftlichen Entgleisung auf, und zudem in der Form der jambisch-persönlichen Invektive. 5 Eine Übersicht über die verschiedenen Datierungen findet sich bei Carrubba S. 16. 6 Man

vergleiche

vor

allem

die Oden

I 37, II 19 (die ich demnächst

zu

behandeln beabsichtige) und III 29. Die 19. Epistel des 1. Buches ist an Maecenas gerichtet, die 14. Ode des 4. Buches an Augustus. 7 Die letzte sorgfältige Behandlung dieser Oden durch H. P. Syndikus, Die Lyrik des Horaz, kommt zum folgenden Ergebnis (B. II, S. 6): »So scheint Horaz wohl die drei ersten Oden als zusammengehörige Gruppe konzipiert zu haben; die unabhängig davon früher geschriebene 4. und 6. Ode hat er dann dazugefügt, wohl weil er glaubte, dass sie thematisch und im Ton so verwandt seien, dass sie die anderen Oden gut ergänzen und ihre Wirkung verstärken können. Die 5. Ode wird zur Abrundung des Zyklus geschrieben sein.« Dieser Kompromiss scheint

uns jedoch auf einigen fraglichen Prämissen zu basieren. Wir hoffen auch diese Frage an anderer Stelle zu behandeln. ® Vgl. meine Studie »Die Proteus-Gestalt des 4. Georgica-Buches«, WJA 8, 1982, 35-46, bes. S. 46.

II

Die erste Epode

Als Einleitung zur Sammlung hat dieses Gedicht seine spezifischen Aufgaben zu erfüllen. Die innige Beziehung des Dichters zu Maecenas

steht zweifellos im Zentrum, und so kommt es einer

Widmung gleich, ohne dass dafür ein Wort eigens gesagt zu werden braucht. Die stark hervortretenden Dankbarkeits- und Freundschaftsmotive bedeuten aber keineswegs, dass die besondere fiktionale Situation des Gedichts sekundär sei, um etwa nur

die Freundschaftsbeziehung zwischen Dichter und Gönner hervorzuheben.! Es ist lehrreich, in dieser Hinsicht unsere Epode mit dem Iter Brundisinum (sat. 15) zu vergleichen. In der Satire tritt der Anlass zur Reise fast völlig zurück. Der politische Rahmen mit der diplomatischen Mission des Maecenas in der Krise zwischen Octavian und Antonius zeichnet sich nur einmal am Rande ab.? Horaz scheint geradezu desinteressiert zu sein. Sein Hauptanliegen ist offenbar, die Reise selbst mit ihren bunten Erlebnissen zu schildern und mitten darin seinen Kreis launig darzustellen. Die eigene Welt des Dichters sticht eben von der grösseren und leider so andersgearteten politischen Welt ab.? Dieser private Horizont zeichnet sich durch

Freundschaft,

allerlei Witz und herzliches

Zusammensein aus. In der ersten Epode dagegen sind Situation und Anlass ein Rahmen sine qua non. Das Zeitgeschehen mit seiner Bedrohung wird nicht gleichsam weggezaubert, sondern deutlich in einigen Hauptzügen markiert. Passive, gleichgültige Beobachtung der politischen Szene wird durch aktive Bereitschaft zur Teilnahme ersetzt. Anders als in der Satire, wo die Person des

OR

EGIL KRAGGERUD

Octavianus nicht einmal direkt erwähnt wurde,* steht hier an vorderster Stelle der Name Caesar,° nicht als Randfigur, sondern

als Blick- und Orientierungspunkt; er ist der erste und zwar der Höherstehende im Bunde. Während im /ter Brundisinum eine äussere Gefahr nicht einmal angedeutet wird, ist diesmal die Bedrohung ein einigender Faktor. Eine andere Eigenheit der Epode hebt sie ebenfalls von der Satire ab. Die Satire war geschichtliche Erzählung, ein Tagebuchbericht; in der Epode wird eine bestimmte Situation festgehalten, worin der Blick auf eine kommende Gefahr, auf Intentionen und

. künftiges Handeln gerichtet wird. Es handelt sich dabei um etwas mehr als den Gebrauch von futuralem gegenüber präteritalem Tempus. In einem narrativen Kontext steht der Leser im Prinzip mit dem Erzähler auf gleicher Stufe; er kann sich das Vergangene mittels der Erzählung vergegenwärtigen und als Betrachter das Erzählte miterleben. Wenn aber die dargelegte Zukunft, wie in unserer Epode, für den Leser auch Vergangenheit ist, und zwar ein für ihn naheliegendes Ereignis von höchster Wichtigkeit, dann tritt ihm das Gedicht tatsächlich mit einem zeitlichen Janus-Kopf entgegen: Was im Gedicht Zukunft ist, so wie einst auch für ihn selbst, das ist nunmehr zu einer Erfahrung geworden, die so oder so durchlebt ist, deren »wie« aber nicht gleichgültig sein kann. Der Leser will ohne irgendwelches Zutun des Dichters diese bereits vollzogene Wirklichkeit mit den in gewisser Hinsicht noch offenen Aussagen des Gedichts zusammenführen. Eine dringliche Frage wird dann dies: Wie verhält sich eigentlich der Dichter zu dieser Leserperspektive? Ist sie ein Teil auch seiner Perspektive? Wäre das Gedicht den Lesern vor Aktium® vorgelegt worden, wäre die Sache klar. Das Gedicht müsste einfach ausschliesslich von sich aus beurteilt werden. Anders liegen jedoch die Dinge nach der Herausgabe der ganzen Sammlung. Dann konnte man nicht ignorieren, dass alles oder jedenfalls das Wichtigste, worauf sich der Blick des Dichters im Gedicht bezog, ein Fait accompli geworden war. Zweierlei ist nun denkbar: Der Dichter hat ein vor den Ereignissen geschriebenes Gedicht nach den Ereignissen veröffentlicht oder er hat das Gedicht als ein Futururmn ex praete-

Die erste Epode

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rito konzipiert, geschrieben und veröffentlicht. Dann wäre das Gedicht eine Art vaticinum ex eventu, nur dass im strengen Sinne nichts prophezeit wird. Haben wir überhaupt eine Möglichkeit, dieses Thema zu beleuchten? Die Fragestellung macht uns allerdings auf einen entscheidenden Punkt in der Beurteilung des Gedichts durch den Leser aufmerksam, wofür der redigierende Dichter kaum blind gewesen sein konnte, nämlich dass der Leser die Aussagen und Befürchtungen des Gedichts dank einer besonderen Sachkenntnis beurteilen würde, die der redende Dichter in seiner Situation aus guten Gründen nicht besitzen konnte. Was hier als Intention, Wille oder Versprechen hervortritt, müsste vom Leser mit Rücksicht auf Erfüllung und Ergebnis beurteilt werden. Darin liegt sozusagen ein Prüfstein des menschlichen Gehalts des Gedichts, ob sich Horaz bzw. Maecenas als Freunde bewährt haben. Eine Fragestellung, die in abstracto zunächst spitzfindig erscheinen mag, ist es wohl nicht, wenn wir dem Gedicht so auf den Leib rücken. Nur das Gedicht selbst kann uns einen Anhalt dafür geben, ob der Dichter von vornherein, d.h. schon bei der Komposition des Gedichts mit der besonderen Leserperspektive rechnet: Ibis Liburnis inter alta navium, amice, propugnacula,

paratus omne Caesari’ periculum subire, Maecenas, tuo:

Zunächst handelt es sich nicht um die Haltung und Entscheidung des Horaz, sondern um die des Freundes. Eine erwartete Handlung seitens des Freundes (ibis) bekommt durch den Kontext einen voluntativen Charakter. Denn das ibis spiegelt ein ibo des Maecenas

wider, was

eine geplante

Reise sein muss.

Die

dahinterstehende Entschlossenheit wird offenkundig, wenn man das Wort paratus hört: Die Fahrt hat eine Kampfbereitschaft als Grundlage, die in den Dienst der Freundschaft gestellt ist, und bedeutet eine Entschlossenheit, jede beliebige Gefahr für den hohen Freund auf sich zu nehmen. Amice nimmt die Freund-

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schaft zwischen Maecenas und Horaz vorweg; es handelt sich aber in dem Verhältnis zwischen Maecenas und Octavian um eine nicht weniger innige Freundschaft. Ein gemeinsames Band vereint so nicht nur Horaz mit Maecenas und Maecenas mit Octavian, sondern auch indirekt Horaz und Octavian, mit Maecenas als Mittler. Wer hellhörig die nicht eigens erwähnten, sondern zwischen den Zeilen ausgedrückten Beziehungen wahrnimmt, wird verstehen, in welchem Mass die Haltung und das Benehmen des Maecenas gegenüber Octavian verpflichtend für den Dichter in seiner Beziehung zu Maecenas wie auch zu Octavian sein müssen. Man sollte auch das Wort paratus in seinem temporalen Bezug zum ganzen Satz überdenken. Man kann es selbstverständlich nicht exklusiv mit dem Zukunftsaspekt verbinden; man wird es ohne weiteres so verstehen, dass Maecenas schon bereit ist, d.h. dass sein Wille und seine Kampfentschlossenheit schon wirksame Fakten sind. Es wäre kein Grund gewesen, das Evidente schulmeisterhaft hervorzuheben, wenn nicht recht viel von einer einfühlsamen grammatikalischen Auslegung des Satzes abhinge. Ibis ıst also als eine Folge der Einstellung des Maecenas zu verstehen: Verbum finitum und das quasi-partizipiale paratus hängen kausal zusammen. . Es geht zudem aus dem einleitenden Satz hervor, dass Maecenas Teil einer grösseren Expedition sein wird. Seine Liburner werden neben hohen, offenbar grösseren und stärkeren Schiffen in Erscheinung treten. Alta navium propugnacula bezieht sich nicht, wie man gewöhnlich angenommen hat, auf die Schiffe des

Gegners, d.h. des Antonius, sondern auf die Flotte Caesars (bzw. Agrippas).® Unter anderem sprechen sowohl die Präposition inter als auch die respektvolle Periphrase? für diese Deutung. Die Liburner als Stolz der Flotte werden sicher den tatsächlichen Verhältnissen gemäss mit Maecenas verknüpft.!° Die LiburnerSchiffe hatten sich schon gegen Sextus Pompeius im J. 36 bewährt.!! An erster Stelle in der neuen Sammlung erwähnt zu werden, kommt ihnen aber wohl vor allem deshalb zu, weil sie sich während der Expedition auszeichneten.!? Darüber hinaus

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3)

kann man aus der Art und Weise der Zusammenstellung von Liburnern und grösseren Kriegsschiffen dies herauslesen: Den Liburnern fällt nicht die Hauptlast des Kampfes zu, diese obliegt den hohen propugnacula. Dass Horaz gewissermassen die späteren Ereignisse durch seine Formulierungen vorwegnimmt, mag zunächst als eine offene Frage gelten. Vorläufig wollen wir nur auf die ‘besserwissende’ Perspektive des Lesers im J. 30 hinwei-

sen. Die Entschlossenheit und Kampfbereitschaft seitens des Maecenas haben sodann eine Folie in der Haltung des Dichters. Seine eigene Haltung spielt er mit grosser Geste aus: quid nos, quibus te vita sit!° superstite, iucunda, si contra gravis? utrumne iussi persequemur otium non dulce, ni tecum simul, an hunc laborem, mente laturi decet 10 qua ferre non mollis viros feremus et te vel per Alpium iuga inhospitalem et Caucasum vel occidentis usque ad ultimum sinum forti sequemur pectore?

In der Interpunktion der Verse 7-14 ist Housman!* und Shackleton Bailey!° zu folgen, welche das Fragezeichen der Herausgeber nach viros (V. 10) streichen. Welche Auswirkung hat dies für den Sinn der Partie? Keine andere, wie ich sehen kann, als diese: Die Antwort des Dichters auf die Frage, ob er in Ruhe bleiben oder dem Freund folgen werde, liegt nunmehr in der Frage selbst und ist als etwas Selbstverständliches bejahend aufzufassen. Statt der bisherigen Annahme einer starken Versicherung (Feremus V. 11 etc.) tritt die Einstellung des Horaz gegenüber der Expedition indirekter, doch mit unverkennbarer Deutlichkeit in den ersten 14 Versen des Gedichts hervor. Die Freundschaft mit Maecenas (und somit die bedingungslose Gefolgschaft) ist für den Dichter eine indiskutable Instanz, wobei sich eine Entscheidung erübrigt, und dies, obwohl ihn Maecenas

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selbst aufgefordert hat, zu Hause zu bleiben, und überhaupt den Sinn seiner Kriegsteilnahme bezweifelt hat (V. 15-16). Indem Horaz zugibt, dass er keinen handgreiflichen Nutzen (quid iuvem) bringen kann, tritt die Freundschaft, die ihn mit Maecenas verbindet, nur um so reiner hervor. Dass diese Freundschaft ihn

dabei zu einem Vorkämpfer für die Sache Caesars macht, ergibt sich deutlich genug aus dem ganzen Zusammenhang. Was lässt sich nach alledem zu der umstrittenen Frage anführen, ob Maecenas und Horaz in Wirklichkeit teilgenommen haben?!° Dazu sind wichtige und richtige Gesichtspunkte schon von anderen vorgebracht worden. Einiges möchten wir noch hinzufügen. Gegen die Auffassung Fraenkels (vgl. oben S. 13) har man die an betonter Stelle gegebene eigene Versicherung des Horaz geltend gemacht.!” Nach meiner Auffassung würde diese Voraussage hinsichtlich der Kampfbereitschaft des Maecenas erheblich als Kompliment einbüssen, wenn der Freund letzten Endes zu Hause geblieben wäre. Das Gegenargument hierzu, dass Horaz, als er das Gedicht verfasste — vorausgesetzt, dass dies vor dem Absegeln der Flotte geschah -, keine Verantwortung für die endgültige Teilnahme des Maecenas haben konnte, so bedeutet aber dies, an der redaktionellen Verantwortung des Dichters vorbeizusehen.

Wir meinen jedoch, dass Horaz in vollem Sinn

Herr seiner Veröffentlichung post eventum war. Die Gültigkeit dieses Räsonnements wird durch einige weitere Erwägungen noch erhärtet. Stellt man sich vor, dass die Hauptperson des Gedichts, die ja Caesars Freund Maecenas ist, die Expedition tatsächlich nicht mitmachte, wenn auch nach dem Willen und nach Geheiss ÖOctavians, so wird unsere Epode geradezu ein recht dubioses politisches Dokument. Während sich Horaz selbst auf den Wunsch des Maecenas (vgl. iussi) berufen haben könnte, wird im Gedicht nirgendwo ein entsprechendes Entschuldigungsmoment für Maecenas sichtbar. Und es handelt sich doch um den nahen Freund und Stellvertreter Octavians! Es ist deshalb praktisch undenkbar, dass sich Maecenas anders verhielt und auftrat als es

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im Gedicht dargestellt wird. Das Gedicht des Horaz kann als eine Quelle sicherster Art in dieser Angelegenheit gelten. Der Wille und die Intention des Maecenas (und des Octavian) sind nichts anderes als Reflexe des realen Ablaufs der Geschehnisse. Wäre dies nicht der Fall, würde für Horaz gewiss mehr als »petty criticism« (Fraenkel) auf dem Spiele stehen. Die politischen Implikationen liegen ja auf der Hand, wenn man diese hypothetische Gedankenlinie etwas weiter verfolgt. Wäre Maecenas in Rom als Stellvertreter Octavians während der Expedition zurückgeblieben, dann würde fast die ganze Welt davon gewusst haben, aber nur der nächste Kreis näher über die Beweggründe für die Änderung der Pläne unterrichtet gewesen sein. Horaz wäre also in einem solchen Fall bei der Veröffentlichung der Epodensammlung nicht lediglich in einen Konflikt mit den Fakten geraten, sondern hätte zu unerwünschten Fragen Anlass geben können. Statt ein Bild von der Einheit der caesarischen Front zu geben, hätte die Diskrepanz diese Einheit leicht in Frage stellen können. Es war natürlich für Horaz unmöglich, irgendwelche Taktlosigkeiten gegenüber seinen mächtigen Gönnern mit offenen Augen zu begehen. Was Horazens eigene Kriegsteilnahme betrifft, ist diese natürlich im Vergleich sekundär und, wie er sie darstellt, eine viel weniger bedeutsame Sache. Doch gelten ähnliche Erwägungen wie die obigen auch für seinen Fall. Zunächst war es undenkbar, dass sich die beiden Freunde tatsächlich getrennt haben sollten. Dann wäre das Gedicht qua Freundschaftsbekundung zusehends verblasst; die Versicherungen,

die einen beträchtlichen Teil des

Gedichts ausmachen, würden hohl klingen, und man verstünde überhaupt nicht, warum dann Horaz die Expedition als anspruchsvollen Rahmen erwählt hätte. Es liegen also nach unserer Auffassung keine triftigen Gründe vor, weder an dem Zeugnis des Horaz noch an demjenigen der prima Elegia ad Maecenatem zu zweifeln.'® Im Falle eines Widerspruches zwischen dem letzterwähnten Gedicht und einer historiographischen Quelle wäre die Elegie — ob sie nun verhältnismässig bald nach dem Tode des Maecenas geschrieben worden

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ist oder nicht — nicht etwa als panegyrische Dichtung oder poetisch-rhetorische Übung historisch verdächtiger. Zudem hat Erik Wistrand das indirekte Zeugnis Appians — das einzige, wodurch eine Nichtbeteilung des Maecenas an der Expedition wahrscheinlich gemacht werden sollte — überzeugend entkräfters2 Erst wenn die Übereinstimmung zwischen dichterischer Voraussage und dem tatsächlichen Geschehnisablauf erkannt wird, kommt das Gedicht zu seinem Recht. Seine Spitzenstellung bewahrt es davor, als beliebiges Extempore-Stück gelesen zu werden. Sein Rang als Einleitungsgedicht war im voraus gegeben. Horaz hat mit ihm in jeder Hinsicht ein Prosopon telauges für die Sammlung schaffen wollen. Ein solches Gedicht ist unter allen Umständen spät anzusetzen. Auch von dieser Seite her wird man geneigt sein, an eine Abfassungszeit nach Actium zu denken. Neben seiner Funktion als Einleitung und Zueignung kommen auch andere Momente erst durch die Anfangsstellung des Gedichts zu ihrem Recht: Es soll die mutige Loyalität des Gönners gegenüber Octavian in einer kritischen Stunde hervorgehoben werden. Erst wenn die Kampfbereitschaft des Maecenas ihre Probe bestanden hatte, würde diese Beziehung hervorleuchten.

So auch die Haltung des Horaz. Nachdem er sein Versprechen an Maecenas erfüllt und seine Gefolgschaft auch wirklich erwiesen hatte, verdient das an solcher Stelle erwähnt zu werden. Die Erwähnung von Gefahr und Bedrohung darf eigentlich erst in der

Stunde des Sieges öffentlich laut werden. Wir glauben, dass die Zukunft nur teilweise und bedingt als eine offene Zukunft in einem derart die Position und Stellung der Beteiligten berührenden Gedicht betrachtet werden kann. Die Wahl der fiktionalen Situation war allem Anschein nach für Horaz überhaupt kein Wagnis. Die Position des Lesers, des Dichters und des Redakteurs ist demnach ein und dieselbe — post eventum. Diese »Datierung« der Epode hat zwar zunächst nichts Notwendiges an sich. Es liesse sich ja gut denken, dass eine günstige Fortuna dem redigierenden Dichter den Ball in die Hände gespielt hat: Ein Gedicht, das vor der Abfahrt der Expedition als

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Einleitungsgedicht geschrieben worden war, konnte mit noch grösserem Recht nach einer erfolgreichen kriegerischen Auseinandersetzung veröffentlicht werden. Aber der Eindruck, dass der nach-actiatische Ausblick im Konzept des Gedichts eingehalten ist, verstärkt sich, wenn man den politischen Voraussetzungen seines Inhalts näher nachgeht. Die politische Lage, aus der der Dichter zu Maecenas spricht, ist unschwer zu erkennen. Im Vordergrund steht die Zeit, als die Flottenexpedition gegen Antonius und Kleopatra vorbereitet wurde. Der Hauptteil der Flotte unter Octavian verliess Brundisium im Frühjahr 31.2 Die Westküste von Hellas hatte sich als Ziel offensiver Operationen abgezeichnet. Die Mobilmachung hatte geraume Zeit in Anspruch genommen. Das Gedicht versetzt uns anscheinend in eine Zeit, die von der Abfahrt nicht allzu fern zu denken ist: Die Beteiligung des Dichters an dem Unternehmen ist schon seit einiger Zeit Diskussionsthema gewesen,?! und Horaz hat offenbar seinen Willen durchgesetzt (bzw. setzt seinen Willen mittels des Gedichts durch). Auf einer tieferen Ebene liegt die Loyalitätsmobilisierung zugunsten Octavians seit dem vorangegangenen Sommer darunter. Diese war ein augenfälliger Teil der Vorbereitungen zum Krieg gewesen. Vermutlich im Spätsommer des Jahres, nachdem die Kriegserklärung nach altem Fetialenritus gegen Kleopatra erfolgt war,?? hatte Octavian zunächst Italien, dann die westlichen Provinzen durch einen Treueid an

sich gebunden.?? Aufgrund der Formulierungen in dem paphlagonischen Treueid aus dem J. 3 v. Chr.?* und aus späteren ähnlichen Eidesformeln?° wird die Nähe unserer Epode zur coniuratio totius Italiae sichtbar. An erster Stelle stand im Eide die Loyalitätsbeteuerung gegenüber Caesar und seinem Haus. Dies führte eine Freund- und Feindschaftsklausel mit sich, »diejenigen als Freunde anzusehen, die auch Caesar und sein Haus als solche ansehen, und als Feinde jene, die auch sie für solche halten.«?° Dabei kam es vor allem auf die Opferbereitschaft an: das Leben

für die Sache des dux bzw. princeps einzusetzen, jede Gefahr auf sich zu nehmen und die Feinde überall mit Waffengewalt zu Lande und auf dem Meere zu verfolgen. Diese totale Einsatzbe-

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reitschaft der coniurantes spiegelt sich in der Epode sowohl in Bezug auf Maecenas als auch Horaz wider. Denn Maecenas ist paratus omne ... periculum subire; dies stimmt wortwörtlich mit der Formulierung des paphlagonischen Eides überein (öuvow ...) nravta Kivövvov Unoueveiv.”’ Horaz versichert in eigenem Namen, dass »hoc et omne?® militabitur bellum« (V. 24 f.). Ebenso scheint unsere Epode den Freiwilligkeitsaspekt des Gefolgschaftsschwurs zu reflektieren. Der Schwörende sollte — und dies galt offenbar in besonderem Masse für die coniuratio des J. 32 - aus freien Stücken sein eidliches Versprechen abgeben, wie sehr dies auch propagandistisch gewesen sein mag.?? In seinen Res gestae hat Augustus dies betont (c. 25, 2): /Zuravit in mea verba tota Italia sponte sua. Darin sieht von Premerstein sicher zu Recht einen gewollten Unterschied zum Eidsschwur des J. 44 für Caesar dictator; Octavian suchte Anschluss an den traditionellen

Gefolgschaftsschwur zwischen dem patronus und seiner. clientela2? Die dem Octavian treu gebliebenen Senatoren?! und Ritter waren offenbar Schlüsselfiguren. Die patroni mit ihren clientes wurden ihrerseits dem Patronat des dux unterstellt. Vergil hat in prägnanter und überschwenglicher Form ein Bild davon gegeben (Aen. 8, 678 f.): hinc Augustus agens Italos (durch die coniuratio totius Italiae vereint) in proelia Caesar/cum patribus (d.h. den Senatoren) populoque, penatibus et magnis dis. Der wichtigste und weitaus sichtbarste dieser Gefolgsmänner Caesars war der Ritter Maecenas,

nicht so sehr wegen

seiner

clientela, sondern wegen seines nahen Treueverhältnisses zu Octavian. Auf diesem Hintergrund gewinnen, wie wir glauben, die Aussagen des Gedichts über die Loyalität und den Aufopferungswillen des Maecenas sowie die ähnliche Selbstdarstellung des Dichters eine exemplarische Bedeutung in politischer Hinsicht. Wenn ein dem dux so nahestehender Dichter wie Horaz in feierlicher Form Erklärungen über eigene Intentionen und die seines Gönners abgibt, dann ist dies gewissermassen ein vorbildhaftes Vorgehen. Wer seine Überzeugung nicht teilte, würde am ehesten von

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Propaganda sprechen. Das Gedicht kann als ein eindringliches Bekenntnis zu Kampfbereitschaft und wohlgesinntem Gehorsam angesehen werden; das entsprach dem höchsten Anliegen Octavians in der Vorbereitungszeit vor seiner grossen Flottenexpedition: Die augenfälligste Seite der inneren Konsolidierung war wohl die Einberufung von Senatoren und Rittern, an der Expedition teilzunehmen. Mag diese Massnahme auch aus Sicherheitsrücksichten diktiert worden sein, sicher ist, dass so die Einheitsfront am sichtbarsten proklamiert wurde.?? In dieser Sicht wird das scheinbare Standardmotiv in der Zueignung, die Freundschaft zwischen Dichter und Gönner, als zentraler Faden in dem nationalen Gewebe jener Zeit deutlich sichtbar. Es handelt sich ja um einen geradezu entscheidenden Faktor in der kritischen Auseinandersetzung. Das vereinende Band der coniuratio war eben amicitia,; der Kampf für Caesar richtete sich gegen seine inimici. Die Beziehung zwischen patronus und cliens war durch den Treuschwur zur nationalen Angelegenheit geworden. Diese untrennbare Einheit von privater Freundschaft und Nationalem ist auch im zweiten Teil der Epode zu sehen: Die persönliche Freundschaft und Hingabe des Dichters für Maecenas ist noch immer beispielhaft für die innere Mobilisierung Italiens, weil diese auf jener Art Gefolgschaft basierte:

libenter hoc et omne militabitur bellum, in tuae spem gratiae, 25 non ut iuvencis inligata pluribus aratra nitantur meis pecusve Calabris ante sidus fervidum Lucana mutet pascuis neque ut superni?? villa candens Tusculi 30 Circaea tangat moenia. satis superque me benignitas tua ditavit, haud paravero quod aut avarus ut Chremes terra premam, discinctus aut perdam nepos.

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Begrifflich ist gratia zentral in dieser Partie. Die bevorstehende Expedition sowie jeder künftige Krieg sind von Horazens Seite Freundestaten für Maecenas, die den Gönner zur Dankbarkeit verpflichten. Wenn man aber den ganzen Zusammenhang berücksichtigen will, kann die Beziehung zwischen Maecenas und Horaz nicht isoliert werden. Diese ist ja Teil einer grösseren Gemeinschaft. Ein weiterer Horizont Von gratia wird insofern sogleich sichtbar, als Maecenas seinerseits ebenso aufopfernd für Octavian kämpft. Dies erinnert den Leser an die ideologische Basis der grossen Auseinandersetzung mit Antonius und Kleopatra im allgemeinen: die politische Gefolgschaft und der Militärdienst waren nicht zuletzt eine Konsequenz der amicitia für den obersten Patronus.°* Die zehn letzten Verse haben ihre besondere persönliche Bevandtnis, aber auch hier schimmert eine politisch-ideologische Tendenz durch. Die Bindung des Horaz an Maecenas ist vorbildhaft, weil sie als wahre Freundschaft hervorleuchtet. Die gratia des Maecenas wird also ausdrücklich als eine immaterielle Dankbarkeit verstanden.?° Durch die Ablehnung einer remuneratio tritt zugleich die Opferbereitschaft für Octavian indirekt klar hervor: beneficia halten diese Allianz nicht zusammen. Der Einleitungscharakter dieser Epode, wird auch darin sichtbar, dass Horaz motivisch auf seine frühere Dichtung hinweist,

d.h. auf die erste Satirensammlung, die etwa 4 bis 5 Jahre früher erschienen war. Das Wort avarus mit der Erwähnung der Chremes-Gestalt der Komödie und die Betonung der Verschwendungssucht als das andere Extrem rufen die programmatische erste Satire?® jener Sammlung in Erinnerung.?’ Da hatte Horaz mit aller Deutlichkeit

betont,

dass

die moralische

Basis

der

Gesellschaft für ihn eine Herzensangelegenheit war; die avaritia war für ihn, wie auch für Sallust,?® ein Grundübel der Zeit. Man wird sich daran gewöhnen, dass Horaz, auch wenn er wie

in unserer Epode lichen Bedeutung dieser Stelle wird ve Gegenpol zur

im eigenen Namen spricht, sich der gesellschaftund Tragweite seines Themas bewusst ist.3° An mittels der ernsten Rahmensituation der positiavaritia, die Zufriedenheit mit dem eigenen Los,

Die erste Epode

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als festes Fundament angedeutet. Die 2. Epode knüpft daran an und führt den gesellschaftlichen Aspekt dieser Problematik näher aus. So wird also schon in dem Einleitungsgedicht recht unauffällig signalisiert, dass die Jambendichtung an die frühere Dichtung anknüpft wie auch dass das jambische Genos seine aktuellen Wege geht. Archilochos und Hipponax drängen sich in inhaltlicher Hinsicht als Vorbilder nicht eben auf. Der Leser, der den

lyrischen Kanon kennt, wird viel stärker an Alkaios erinnert. Als dura navis, dura fugae mala, dura belli, als pugnae und exacti tyranni bezeichnet Horaz später (c. 2, 13, 27 f; 31) den Inhalt der alkäischen Dichtung, wenn er seine Macht über das Publikum hervorheben will. Darin ist wenigstens eine Andeutung davon zu sehen, dass Horaz die Politik seiner Sammlung einverleibt hat. Viel stärker kommt dann der alkäische Ton in der 9. Epode zum Vorschein. Es kann deshalb auch von dieser Seite her behauptet werden, dass Horaz die 1. und 9. Epode in der Zeit nach Actium als zwei aufeinander hinkomponierte Stücke geschrieben hat. Haben wir damit Recht, ein gewisses ideologisch-politisches Kalkül in diesem Gedicht zu sehen, das eher einige Reife und Distanz

zu den Geschehnissen

vermuten

lässt, dann

sind wir

versucht, eine weitere Betrachtung aus der Perspektive des post eventum anzuschliessen, die auf den ersten Blick vielleicht eher

wie ein Gegenargument zu unserer Datierung aussieht. Die angedeuteten Beziehungen zur Lage vor Actium muten zunächst in den Monaten nach Actium etwas passe an, insofern die Entscheidung zwischen den Gegnern zur See bereits gefallen war. Die äusseren Geschehnisse sind aber weder in der Zukunftsperspektive der Il. noch in der Vergangenheitsperspektive der 9. Epode Horazens exklusives Anliegen. Das Thema der I. Epode ist seine freundschaftliche Beziehung zu Maecenas angesichts des bevorstehendens Kampfes für Octavian, und dieses Thema klingt noch reicher post als ante Actium. Mit dem J. 31 hatte sich zwar die konstitutionelle Position Octavians verändert, insofern er den Rang und das Imperium eines Konsuls hatte; die Basis seiner Macht als Kriegsleiter war aber nach wie vor der extraordinäre Volksbeschluss vom vorangegangenen Sommer.*° Damit war

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seine uneingeschränkte Macht bis zum Abschluss des Krieges gesichert.*! So war die Lage auch nach Actium in dem angenommenen Jahr der Veröffentlichung der Sammlung. Die exemplarische Loyalitätskette, die das Gedicht darlegt, war noch immer gültig und aktuell. Wichtiger ist aber der folgende Aspekt, den erst der Leser nach dem Sieg bei Actium recht einschätzen konnte: Die selbstlose Freundschaft des Horaz gegenüber Caesars Stellvertreter und die bedingungslose Kampfbereitschaft des Maecenas gegenüber Octavian als dem obersten Heeresleiter machen die moralischstrategische Grundlage sichtbar, die bislang den Sieg für die Sache Octavians in dem grossen Konflikt gesichert hat. Bei Actium

hatten

Horaz,

Maecenas

und

alle anderen

amici des

Kriegsfürsten die gefährlichen Schlangen (V. 20) zur Flucht gezwungen;*? die alta navium propugnacula hatten glänzend ihre Probe bestanden. Caesar musste deshalb gratia obligatus denen gegenüber sein, die ihre Loyalität erfüllt hatten; diese Dankbarkeit würde sich auch auf diejenigen ausdehnen, die wie Horaz keine eigentlichen kriegerischen Leistungen für sich beanspruchen konnten,

sondern

als comites und

amici in seiner Nähe

waren. Durch den futuralen Charakter dieser Bekundung kann der Leser (und der Herrscher) auf die weitere freundschaftliche und gehorsame Zustimmung zur Sache Caesars auch für die Zukunft rechnen. Diese Zukunfstlinie weist zugleich hörbar über den von der Veröffentlichung bedingten zeitlichen Rahmen hinaus. Somit wird auch der Gedanke des Lesers auf etwas Zukünftiges, noch nicht Abgeschlossenes gerichtet. Auf dieser Grundlage wagen wir geläufige Vorstellungen von der Haltung des Horaz zu Octavian in Frage zu stellen. An seiner Loyalität zu zweifeln, liegt kein Grund vor.*? Über den Grad der inneren Zustimmung mag man sich streiten; formal bemerkt man seine indirekte Weise, sich Octavian zu nähern. Daraus sollte man aber kaum weitergehende Schlussfolgerungen ziehen. Einerseits war der Platz Octavians im Gedicht durch die zentrale Stellung des Gönners bedingt, so wie auch in der 9. Epode - an beiden Stellen ist die Anrede an Maecenas und eine Gesprächssituation

Die erste Epode

3

mit ihm fingiert. Andererseits war eben Maecenas eine Garantie für die amicitia des Dichters gegenüber Octavian. Noch bleibt zu untersuchen, inwiefern die übrigen politischnationalen Gedichte zu dieser Auffassung passen. Doch ist von vornherein zu bedenken, dass dieses Gedicht das ‘Schaufenster’ von Horazens Position zur Zeit der grossen Auseinandersetzung mit Antonius ist. Für sich genommen mögen die obigen Betrachtungen zu unterschiedlichen Perspektiven im Gedicht, wobei der Leser mit seiner »Hinterherklugheit« seine Ansprüche anmeldete, etwas subtil scheinen. Stünde die Epode für sich allein, dann würde man wohl mit zufälligen Wirkungen statt mit Intentionen des Dichters rechnen müssen und geneigt sein, das Gedicht zeitlich vor der Abfahrt der Flotte, wie es alle Erklärer offenbar tun, anzusetzen. Erst die Gedichtsammlung kann den Erweis unserer Deutungslinie bringen. An dieser Stelle ist eine kurze Erörterung zum Thema Doppelperspektive einzufügen. Darunter verstehen wir solche literarischen Äusserungen, deren Sinn sich nicht in der fiktionalen Zeit erschöpft, sondern die einen Bezug zur Editionszeit haben und

dadurch erst recht ihr Telos finden. Der zeitliche Abstand ist freilich meistens ohne Belang; der Dichter ist totus in. illis. Manchmal verspürt ein Leser eine Distanz zwischen sich selbst und dem Text und trägt spätere Erfahrungen, etwa aus der Geschichte, aus persönlichen Erlebnissen oder ungleichartigen kulturellen

Voraussetzungen,

in den

Kosmos

des Dichtwerks

hinein. Er liest den Text also nicht selten unbewusst mit gefärbter Brille. Diese Distanz mag sich zuweilen zu fruchtbarem Dialog oder lehrreicher Auseinandersetzung entwickeln, geht uns aber hier nichts an. Wir haben die weit seltenere Erscheinung im Blick, wo der Abstand zwischen der fiktionalen Zeit und der des Lesers der Dichtung inhärent ist und vom Dichter mehr oder weniger gewollt ist; denn wie bewusst ein Autor dabei verfährt, mag natürlich von Fall zu Fall sehr verschieden sein. Ein naheliegendes, aber nicht ganz einfaches Beispiel aus antiker Literatur ist Platons Symposion. Dieser Dialog ist zwar

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nicht einzigartig in dieser Hinsicht - der sokratische Dialog hatte ja per se eine zeitliche Distanz zum Leser -, sondern ist besonders dafür geeignet, die Aufmerksamkeit für die subtile Datierungsfrage bei Horaz zu schärfen. Stellt man nun die Frage, wann Platons Symposion datiert werden soll, muss man zunächst die Frage präzisieren. Es gibt erstens ein dramatisches Datum für das Gespräch, Agathons Fest, dann eine Rahmenerzählung mit ihrer Zeit und schliesslich — auf anderer Ebene - noch eine Zeit der Abfassung bzw. der Veröffentlichung.** Die geschichtliche Sokrates-Gestalt und die indirekte Erzählweise Platons etablieren eine Art chinesischen Kasten von zeitlichen Ebenen. Ob die verschiedenen zeitlichen Dimensionen der Hauptszene, des Erzählers und des Verfassers für das Verstehen des Dialogs bedeutungsvoll sind und in soicher Richtung von Platon ausgenützt wurden, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Die Möglichkeit kann nicht bestritten werden.*° Hierin liegt zweifellos im Prinzip ein Vehikel eines Autors, sein Thema zu färben, zu aktualisieren oder zu vertiefen. Zeitliche Distanz ist ein perspektivschaffender Faktor, der ein mögliches künstlerisches Mittel für einen künstlerisch bewussten Autor ist. So ist wohl Platons Symposion als ein Beispiel dafür anzusehen. Die Tatsache, dass die Gespräche an einem bestimmten Tag des J. 416‘stattfinden, schärft die Aufmerksamkeit des Lesers für den geschichtlichen Kontext der Reden. Ihm wird nahegelegt, dass viele Geschehnisse, einige darunter von entscheidender Bedeutung im Leben des Alkibiades,

des

Sokrates

oder

gar

der

Stadt

Athen,

irgendwie

mitberücksichtigt werden sollen. Diese Geschehnisse, die sich zwischen den Akteuren und dem Leser einschieben, stehen ja in kurzem zeitlichem Abstand zur fiktionalen Zeit. Dann wird sich zugleich die Frage erheben, ob dieselben Geschehnisse etwas mit dem besonderen Thema des Tages zu schaffen haben. Zumal wenn der Abstand zwischen den immanenten Zeitpunkten und demjenigen des Verfassers bzw. des Lesers so markiert wie in diesem Fall ist — eine volle Generation -, jedoch nicht so fern, als dass nicht viele Leser persönliche Erinnerungen aus dem früheren (416), oder zumindest aus dem späteren Jahr jener Zeit (ca. 400)

Die erste Epode

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hatten, dann besteht gewiss eine gute Möglichkeit für ein Spiel des Autors mit vielschichtiger Perspektive. Der Leser wird in ungezwungener Weise seine eigenen Erfahrungen oder geschichtlichen Kenntnisse mit der Situation der nichtsahnenden Akteure verbinden. Vielleicht soll dabei eine zusätzliche Erkenntnis gewonnen werden. Kaum irgendwo sonst in antiker Dichtung wird die Distanz zwischen Leser und Akteur markierter und mit grösserer Wirkung ausgenützt als in der Aeneis. Der Leser wird ständig vom Dichter gleichsam aufgefordert, Damals und Jetzt aneinander nahezubringen und zu vergleichen. Was im Epos Prophetie ist, ist für den

Leser

eine

schon

erfüllte

Wirklichkeit,

nämlich

die

Geschichte der Nation. Auch sonst im epischen Bericht begegnet der Leser immer wieder der über den epischen Rahmen hinausweisenden Perspektive. Was vom Gesichtspunkt der Auftretenden als normal, unauffällig oder erwartet bezeichnet werden kann, mag den Leser in seiner Position tief beeindrucken. Es kann kein Zweifel sein, dass der Dichter den Horizont des Lesers — der

auch sein eigener ist — zu einem integrierenden Bestandteil seiner Erzählung macht. Jenes in illo tempore-Geschehen®® soll vom Standpunkt eines damit geschichtlich verbundenen späten Betrachters beurteilt werden. Ein bezeichnendes Beispiel, das zudem mit dem Thema der vorliegenden Arbeit verbunden ist, findet sich Aen. 3, 278 ff., wo Vergil von der Ankunft der Aeneaden in Actium berichtet. Wäre diese Partie einem Leser vor dem J. 31 vorgelegt worden, dann hätte er sie aus der mythographischen und geographischen Perspektive heraus lesen müssen, und sie hätte keinen besonderen Nachklang in seinem Inneren gefunden. Vergil verarbeitet hier tatsächlich einen überlieferten Sagenstoff wenig erregender Art,*’ aber das Bewusstsein von dem, was sich in der Gegenwart mit der Lokalität verband, gibt dem Erzählten eine unerhörte Ausstrahlung. Die späte Betrachtung kann überhaupt vom Leseakt nicht weggedacht werden; anders ausgedrückt: Die Auffassung des Dichters von den Ereignissen bei Actium hat den Ausdruck wie die Stoffwahl bestimmt. Unsere nächste Frage muss dann die sein, ob eine solche

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zusätzliche Perspektive mit einiger Wahrscheinlichkeit und interpretatorischem Nutzen an die unleugbar viel kürzeren zeitlichen Abstände bei Horaz angelegt werden kann. Es handelt sich um eine politische Dichtung, die vor der Eroberung Ägyptens geschrieben und veröffentlicht worden ist. Kann im Wirbel der Geschehnisse jener Zeit das Wissen des Lesers und seine Erfahrung ex eventu irgendwie impliziert werden? Wir halten in den weiteren Analysen ex hypothesi daran fest, dass die erste Anrede des Horaz an Maecenas und sein Publikum auf eine bedeutungsvolle Zukunft hinweist. Ein epochales Ereignis, die Schlacht bei Actium, wird am Horizont für den Leser sichtbar. Erst die ex eventu-Position gibt dem Gedicht und der Sammlung die angemessene Grösse. Es darf zuletzt daran erinnert werden, dass gerade das Spiel mit der Perspektive offenbar Horaz sehr ansprach. Die zweite Epode ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür.*? Nichtsahnend wird zunächst der Leser den Lobpreis über das Glück und die Segnungen des Landlebens lesen und ihm vermutlich als ureigenster Überzeugung des Dichters zustimmen — hier lese man georgische Botschaft in Kurzform. Am Ende zeigt sich aber zur Überraschung des Lesers, dass Horaz eine Rede des stadtbekannten Wucherers Alfius widergibt. Es ist aber nicht so, dass Horaz dadurch die vorgetragene Lehre an sich diskreditieren will; er scheint offenbar ein widersprüchliches Verhalten, den Abstand zwischen Leben und Lehre, an den Pranger stellen zu wollen.*? Was in Beatus ille ein Spiel mit der Persona ist, ist in der ersten Epode ein Wechsel des Standpunktes und erfolgt aus dem Abstand zwischen immanenter und äusserer Situation. Somit soll vorläufig auf die mögliche Mehrdeutigkeit der dichterischen Aussage hingewiesen sein. Erst in der 9. Epode wird man sehen, wie derartige Tendenzen in einem recht proteischen Geschöpf der horazischen Muse zusammenlaufen. Weil wir aber den linearen Durchgang durch die Sammlung als den angemessenen ansehen, lesen wir vor der 9. eine Epode, deren Düsterkeit

nur vom Anfang der 16. wettgemacht wird.

Die erste Epode

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ANMERKUNGEN ı Vgl. z.B. K. Büchner, Die römische Lyrik, Stuttgart 1976, 102 £.: »Die 1. Epode ... ist ein reines Freundschaftsgedicht für Maecenas.« Ähnlich Hanslik 337: »Somit ist die epod. 1 ein hohes Lied bewährter oder sich bewähren wollender Freundschaft, nichts anderes. Von ängstlicher Sorge um das politische und militärische Geschehen zeigt das Gedicht bestenfalls Anklänge am Rande.« 2 Sat. I 5,28: (Maecenas und Cocceius) missi magnis de rebus uterque/legati, aversos soliti componere amicos. Jene brüchige Freundschaft steht in hörbarem Gegensatz zu derjenigen Freundschaft, die in der Satire geschildert wird. ® Hierin eine Spannung etwa der Art zu sehen, wie sie auch in den Eklogen Vergils zwischen der politischen Welt und jener der Hirten hervortritt, wäre doch zu erwägen. Besonders ist die Zentralepisode der Satire (V. 50-70) in dieser Hinsicht interessant. * Octavian steckt lediglich in dem Wort amicos des V. 29. > Dass Caesars Name hier wie in der 9. Epode bedeutungsvoll an erster Stelle erwähnt wird, wurde mehrfach beobachtet; vgl. Carrubba 33 und 36; Hanslik 336. 6 Unsere Epode auf den Konflikt mit Sextus Pompeius zu beziehen, sehe ich als symptomatisch für einen fehlenden Realitätssinn in Datierungsfragen überhaupt an; so M. W. Thompson, »The Date of Horace’s First Epode«, CO 20, 1970, 328 ff. Auch C. L. Babcock scheint für diese Datierung offen zu sein (in: »Omne militabitur bellum«, CJ 70, 1974, 14-31). Diese These wird zu Recht von Setaioli 1695 abgelehnt. ” Von Brinks Argumentation (S. 34) überzeugt schreiben wir Caesari ... tuo statt Caesaris periculum ... tuo (sc. periculo). Dies hebt nach unserer Auffassung das Freundschaftsmotiv in gebührender Weise hervor. 8 In seiner Anm. zu Aen. 8, 693 schreibt P. T. Eden trefflich (Commentary on Virgil: Aeneid VIII, Leiden 1975): »the ‘turreted ships’ belonged to both sides, and Virgil’s imaginative picture 691-3 is historically accurate. The widespread view that Actium was the victory of Octavian’s light Liburnian ‘cutters’, which admittedly received most publicity, out-manoeuvering the massive and unwieldy ships of Antony is false and rests largely on a misunderstanding of Horace Epodes 1.1-4.« Eden verweist auf C. G. Starr, The Roman Imperial Navy?, London

1960,

7 f., der jedoch alta navium propugnacula auf Antonius’ Schiffe bezieht. — Die Grösse der Schiffe auf Antonius’ Seite wird öfters in den antiken Quellen erwähnt; Stellen bei Leroux 36. Horaz scheint gleichzeitig betonen zu wollen, dass die Flotte Octavians in dieser Hinsicht dem Gegner ebenbürtig war. Dass auch die Schiffe Caesars gross waren, wird von den Quellen nicht verhehlt, vgl. Florus 2, 21,6 Caesaris naves a binis remigum in senos nec amplius creverant; vgl. W. W. Tarn, »The Battle of Actium«, JRS 21,1931,193 Anm. 8; Richardson 154 Anm. 7.

9 Propugnacula betont rein begrifflich die Verteidigungsaufgabe; dies hohe Wort auf den Gegner zu beziehen, scheint auf alle Fälle wenig angemessen zu sein. 10 Die Hervorhebung der Liburner-Schiffe deutet zugleich an — was wir aus

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anderen Quellen wissen —, dass sich auch Octavian an Bord eines solchen befinden wird; vgl. Velleius 2,85.

11 Vgl. Appian 5,111 (463). 12 Vgl. Veget. 4,33; Florus 4,11.

13 Die Herausgeber lesen hier gewöhnlich mit der Überlieferung si. Das Wesentliche hierzu hat schon Porphyrio gesagt: bis posuit particulam ‘si’ sed semel abundat. melius enim sic loqueretur: ‘quibus te superstite vita iucunda est ...' Wie man si grammatisch begründen.will, ist mir nicht,ersichtlich geworden. Heinze führt keine Belege für seine Behauptung an: »formal für die beabsichtigte Schärfe der Antithese notwendig.« Die Versuche der Schulausgaben, die Konstruktion zu erhellen, verstärken den Verdacht: quibus vita, si (nobis es) te superstite, iucunda est, si contra (acciderit), gravis erit (K. Numberger, Horaz: Lehrerkomm. zu den lyr. Gedichten, Münster 1972, S. 428). »Ähnlich schon Bentley: quibus vita, si te superstite (vivitur), iucunda est.« Bei unserem wortökonomischen Verfasser ist solche Umständlichkeit kaum wahrscheinlich. Es dient H. Schütz zu Ehren, dass

er von der Aldina und von Cruquius sit mit folgender Begründung aufgenommen hat (Oden und Epoden?, Berlin 1889): »Das erste si scheint durch Irrtum aus dem zweiten (si contra) entstanden zu sein ...«. Man scheint die knappe Konstruktion missverstanden zu haben und als Gegensätze si vita iucunda (est) und si contra gravis (est) gelesen zu haben. Der Gegensatz zu der euphemistischen Protasis si contra ist jedoch te superstite in hypothetischer Bedeutung. In solchem Zusammenhang ist der Kon). sit nicht nur gut am Platze, sondern tatsächlich unentbehrlich. 14 A. E. Housman, Journal of Philology 10,1882, 192 f. (=Classical Papers, Cambr. 1972, I, 5). 15 D. R. Shackleton Bailey, Profile of Horace, London 1982793 16 Es ist heute noch eine Tendenz bemerkbar, diese Frage als belanglos für das Verständnis des Gedichts zu betrachten; vgl. Babcock (oben Anm. 6, S. 20); G. Williams, Horace (Greece

& Rome. New Surveys in the Classics No. 6, Oxf. 1972,

11 Anm. 2: »The factual question ‘Did Maecenas go to Actium? is irrelevant because the point of the poem is to assert loyalty and devotion by adapting a traditional motif (cf. e.g. Catullus 11, Hor. Odes I. 6.)« — als ob ein literarisches Motiv das Verhältnis der auftretenden Personen zur ernsten Wirklichkeit aufheben könnte! 17 Hanslik 339. 18 Vgl. richtig Wistrand 6 und 19. 19 Wistrand S. 11 ff. Vgl. Kromayer 9. 21 An eine wirkliche Diskussion zwischen Maecenas und Horaz brauchen wir jedoch nicht zu denken. Eine mögliche oder wahrscheinliche Situation konnte einfach von Horaz in dieser Weise angenommen und als wirklich stattfindend dargestellt werden. 22 Über die Reihenfolge der Begebenheiten in diesem dramatischen Jahr (32)

Die erste Epode

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herrscht nicht volle Klarheit. Nach Cassius Dio (50, 4, 6) ging die Kriegserklärung der coniuratio voraus. Visscher 203 Anm. 8 und 213 befürwortet diese Chronologie. 23 Zur Coniuratio Italiae et provinciarum vgl. Sueton, Aug. 17, 2; Cassius Dio 50, 6, 1; Augustus, Res gestae 25, 2-3 (mit dem Komm. von Brunt & Moore z. St.). Eingehend behandelt von Premerstein diese Institution (S. 26 ff.). Der genaue Wortlaut des Eids ist zwar nicht bekannt, er lässt sich jedoch mit gewisser Sicherheit besonders aus späteren Eiden rekonstruieren; vgl. Visscher 223 Anm. 52; von Premerstein 36 ff.; Brunt & Moore 67 f. 24 Der Text wurde von F. Cumont veröffentlicht in: REG 14, 1901, 26 ff.; von Premerstein 45 f.; Weinstock 308.

25 Vgl. Brunt & Moore 67; von Premerstein 46. 2° Der Text aus Gangra in Paphlagonien hat: pi]Aovg nyoulusvog]/oög Av Ereivoı ny@®vralı] &x0oo0s te v[ouilwv]/oös äv adroi kotvwaıv. In dem Treueid für Caligula aus Aritium in Lusitania aus dem J. 37 n. Chr. heisst es (zum wichtigeren Punkt der Feindschaft): »... ego iis inimicus/ero, quos C. Caesari Germanico inimicos esse/cognovero ...« (CIL 2, 172; Weinstock 308). Dies war ein zentraler Punkt schon in dem Treuschwur der Italiker für M. Livius Drusus aus dem J. 91 v. Chr.;

vgl. von Premerstein 27. 27 In dem Eid von Aritium heisst es: »... si quis periculum ei salutig(ue) eius/in[flert in[fleretque, armis bello internicivo/terra marig(ue) persequi non desinam, quoad/poenas ei persolverit.« 28 Omne (V. 3 und 24) erinnert an die Ausschliesslichkeit des Treueids. Vgl. z.B. das wiederholte zavr- in dem paphlagonischen Eid. 29 Bedeutsam war dabei als Vorbild ohne Zweifel der freiwillige Eid für Antonius im J. 44 (Appian 3, 46); vgl. von Premerstein 31. 30 yon Premerstein 35 f., 42; Syme 284 f. 31 Vgl. R.G. 25, 3 Qui sub signis meis tum militaverint fuerunt senatores plus quam DCC. 32 Vgl. Cassius Dio 50, 11, 5 To de u&yıorov, Ötı Kal To nAeloTov Kal TO KOATIOTOV tov Pwualwv Ouoyvmuovodv Exei. 33 Diese La. ist ganz unsicher; vgl. Brink 36. 34 Vgl. von Premerstein 40: »Selbst in unserer dürftigen Überlieferung ... offenbart sich die ungebrochene Kraft der Bindung durch beneficia, der Freundschafts- und Klientelverhältnisse, die für den Anschluss an den einen oder anderen Parteiführer, aber auch für neutrales Verhalten bestimmend waren. Zu ihr tritt als gewichtiger Abschluss der Entwicklung die Verpflichtung der Gesamtbevölkerung des Bürgerlandes Italien und der Westprovinzen durch einen Eid, den sich Oktavian in der kritischen Lage des Jahres 32 schwören liess.« 35 Vgl. hierzu Hanslik 336 f.; zum Begriff vgl. E. Wistrand, Caesar and Contemporary Roman Society, Göteborg 1979, passim; J. Hellegouarc’h, Ze vocabulaire latin des relations et des partis politiques sous la republique?, Paris 1972, 204 ff.

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36 Vgl. meine Studie »Die Satire I 1 des Horaz. Zu ihrer Einheit und Thematik«, SO 53, 1978, 133-164. 37 Die Verbindung zur Sat. I 1 wird auch von Babcock (oben Anm. 6, S. 15, Anm. 7) gezogen. 38 Nähere Auskunft gibt z.B. D. C. Earl, The Political Thought of Sallust,

Cambridge 1961, passim. 39 Auf das Allgemeine zielen insbesondere V. 27-30, die Horaz selbst nicht betreffen. > u SE 40 Aug. R.G. 25, 2 tota Italia ... me belli quo vici ad Actium ducem depoposcit. Hierzu und zum ausserordentlichen imperium, das dem Octavian vom Volke übertragen wurde, vgl. Visscher, bes. 215 ff.; G. E. F. Chilver, » Augustus and the Roman Consitution; a bibliographical report 1939-1950«, Historia 1, 1950, 408-

35. Vgl. jetzt auch D. Kienast, Augustus, Darmstadt 1982, 60 mit Anm. 240. 41 Vgl. Aug. R.G. 34, 1 In consulatu sexto et septimo, postquam bella civilia extinxeram per consensum

universorum potitus rerum omnium, rem publicam ex

mea potestate in senatus populigque Romani arbitrium transtuli, dazu die Kommentare von Visscher S. 218 £. 42 Vgl.R. W. Carrubba, »Cleopatra and Antony: the serpents of Actium,« in: Classics and the Classical Tradition, herausgeg. v. E. N. Borza u. R. W. C., 1977, 26-32. 43 Einige Beispiele befremdender Auffassungen werden von Babcock (oben Anm. 6) S. 30 f. mit Anm. 38 mit Sympathie erwähnt. 4* Vgl. den Komm. von Hug-Schöne, Einleitung?, $7.- Zum Kompositionsdatum K. Dover, Phronesis 10, 1965, 1-20.

45 Über den besonderen Charakter der Rahmenerzählung in zeitlicher Perspektive vgl. P. Friedländer, Platon IIl?, Berlin 1973,2: »Glanz und Heiterkeit wird von Ernst durchdrungen, wenn man sich sagen muss, dass sich nicht nur die Katastrophe des Alkibiades und Athens schon ereignet hat, sondern auch, dass

Sokrates’ Tod vielleicht nicht mehr als ein Jahr vorausliegt, als Apollodor von dem Fest berichtet.« Vgl. auch H. H. Bacon, »Socrates Crowned«, The Virginia Ouarterly 35, 1959, bes. 418 ff. (Verweis bei S. Rosen, Plato’s Symposium, New Haven-London 1968, 7, Anm. 16). #6 Die Bezeichnung ist die von M. Eliade; vgl. sein Buch Patterns in Comparative Religion (Kap. »Sacred time«), London 1958, S. 388. *7 Die Legende von dem wandernden Aeneas wird am ausführlichsten bei Dionysios Hal. berichtet; 1, 50 erzählt er von der Ankunft der Aeneaden in Aktion, wo sie beim Vorgebirge vor der Ambrakischen Bucht ankerten; vgl. Klingners Komm. zur Episode, Virgil, Zürich/Stuttgart 1967, 425: »Die Aeneaden berühren, ohne es zu wissen, die künftige Geschichte Roms, und zwar ihre Erfüllung ... So ist also auch hier die Rettung und die heitere Frömmigkeit des Festes insgeheim auf die ferne Zukunft, den entscheidenden Sieg und die festlichen Spiele bezogen und gestimmt, die Augustus dort gestiftet hat.« #8 Aus der umfassenden Sekundärliteratur greife ich heraus F. Cairus, »Hora-

Die erste Epode

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ce, Epode 2, Tibullus I, 1 and rhetorical praise of the countryside«, Museum Philologum Londiniense 1, 1975, 79-91.

49 Dass diese Lehre beim Nachsinnen etwas hohl klingt, wollte Horaz zugleich andeuten; vgl. schon das hervorgehobene solutus omni fenore (V. 4).

III

Die siebente Epode Rn

Sowohl bei dieser wie auch bei der vielfach vergleichbaren 16. Epode sind Datierungsfrage und Interpretation innig verbunden. Die Datierung bedingt dabei die feineren Schattierungen in der Deutung, und diese bedingen ihrerseits die Datierung. Wichtige Fragen werden von den Interpreten meistens völlig ausser acht gelassen: so die Frage nach der Möglichkeit des Lesers, das Gedicht überhaupt zu »datieren«. Unsere erste Frage soll also diese sein: Welche Anhaltspunkte gibt in der Tat Horaz für eine Datierung, bzw. welche Auskünfte im Gedicht erlauben überhaupt einigermassen sichere Schlüsse auf die Zeit, in der das Gedicht entstand? Man sollte von vornherein die Anforderungen an die Beweisführung nicht zu niedrig stellen: Der kumulative Effekt unsicherer Argumente ist in solchen Dingen zweifelhaft. Es fällt zunächst auf, dass der Dichter den Leser nicht gerade

freigebig mit Mitteilungen bedenkt, die diesen vor die Notwendigkeit einer »Rückdatierung« des Gedichts stellen. Dessen ungeachtet meinen aber die Interpreten solche zu finden; sie sind im

grossen ganzen vor allem darin uneinig, ob sie das Gedicht bald nach Philippi oder während der Auseinandersetzungen mit Sextus Pompeius im J. 38 oder 37 ansetzen sollen oder ob das Gedicht älter oder jünger als die 16. Epode sei.! Wir wollen hier das ganze Dickicht der Meinungen nicht ausbreiten. Wir wählen exempli gratia den übrigens besonnenen Datierungsversuch von Ableitinger-Grünberger aus, um die Schwächen der »geschichtlichen« Datierung zu veranschaulichen. Vor allem die ersten 10 Verse kommen für die Datierungsfrage in Betracht:

Die siebente Epode

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Quo, quo scelesti ruitis? aut cur dexteris aptantur enses conditi? parumne campis atque Neptuno super

fusum est Latini sanguinis, 5 non ut superbas invidae Karthaginis Romanus arces ureret intactus aut Britannus ut descenderet sacra catenatus via,

sed ut secundum vota Parthorum sua 10 urbs haec periret dextera? Ableitinger-Grünberger weist besonders auf V. 3 f. hin: »Möglicherweise deutet dieses Wort (sc. campis) mit seiner ländlichen Färbung im besonderen auf die blutigen Auseinandersetzungen während des Perusinischen Krieges hin ... Noch um vieles bemerkenswerter erscheint jedoch die in der Wahl des Eigennamens »Neptunus« vorliegende Personifikation des Meeres. Darin kann man ... eine mehr oder minder versteckte Anspielung auf Sex. Pompeius sehen, der es liebte, sich seiner göttlichen Abstam-

mung zu rühmen, und den Beinamen »Neptunius« führte ... Somit hätten wir an dieser Stelle einerseits eine Anspielung auf den Perusinischen Krieg, andererseits auf die blutigen Kämpfe mit Sex. Pompeius, wie sie vor dem Vertrag von Puteoli gegeben waren, und wie sie kurz nach dem Abschluss des Übereinkom-

mens wiederaufgenommen wurden. Das »conditi enses« (V. 2) könnte sich gut auf die Atempause zwischen dem Vertrag von Puteoli und dem Beginn der neuerlichen Kämpfe beziehen. Demzufolge kämen wir mit der Enstehung des Gedichtes in eine Zeit um die Wende vom Jahr 39 auf das Jahr 38 v. Chr.«? Von diesen Vermutungen lassen wir Eine als erwägenswert gelten, die Anspielung auf Sextus Pompeius in Neptuno, die anderen scheinen mir auch aus ihren eigenen Prämissen zweifelhaft zu sein. Auch in den Jahren 39 und 38 würde man die Vorstellung vom vergeudeten Bürgerblut weit eher auf die blutigen Schlachten bei Philippi? als auf die relativ unbedeutenden Gefechte im Perusinischen Krieg* beziehen. Zudem passt das

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Wort campus in einen martialischen Zusammenhang weder zu den für diesen Krieg charakteristischen Heeresbewegungen® noch zur Belagerungssituation bei Perusium;° damit assoziiert man vor allem das offene Schlachtfeld.” Und spräche ein Autor unmodifiziert von Blutvergeudung in Verbindung mit dem bellum Perusinum, dann würde wohl der zeitgenössische wie auch der spätere Leser vor allem an die scharfe Strafaktion gegen die Perusiner denken, jenes dunkle Kapitel in der Karriere Octavians, das seine Gegner auszunutzen wussten.® Auch der zweite, die blutigen Seegefechte betreffende Punkt kommt in dieser Deutung nicht gut zu ihrem Recht. Die Expedition unter Salvidienus Rufus im J. 40 brachte zwar einen ernsten Verlust für Octavian mit sich, wie aus Cassius Dio und Appian? hervorgeht, aber die Kampfhandlungen spielten dabei keine grosse Rolle — sanguinis impliziert ja deutlich genug Kampf; die Verluste gingen zum grössten Teil auf den Sturm zurück und bedeuteten Cassius Dio zufolge keine Katastrophe.!° Dann wäre es insofern besser, an die Kämpfe Octavians mit Sextus Pompeius im J. 38 zu denken, wobei Octavian erhebliche Verluste erlitt, obwohl auch diesmal Sturm und See weit folgenschwerer waren;!! dieser Zeitpunkt liegt aber schon ausserhalb des von Ableitinger-Grünberger für möglich gehaltenen Zeitraums, weil die Verfasserin das Gedicht früher als die 16. Epode ansetzt, die sie vor dem Eintritt des Horaz in den Kreis des Maecenas (in der zweiten Hälfte des J. 38) verfasst sein lässt.!? Aber auch wenn diese Argumente an sich Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen könnten, wäre eine frühe Datierung der Epode 7 nicht zu retten. Wir müssen geltend machen, dass Horaz ım J. 30 ein Gedicht solchen Inhalts, das sich vom Publikum auf die Periode 39-37 kompositionell zurückführen liesse, nicht hätte veröffentlichen können, es sei denn, dass Horaz es gerade wünschte, seine frühere Einstellung gegenüber Octavian und dessen Sache öffentlich blosszulegen, d.h. aber, dass er nach Philippi mehrere Jahre ein parteiloser Pessimist gewesen wäre. Dies ist jedoch ganz unwahrscheinlich. Die Kämpfe jener Jahre mussten weit über den Kreis der Anhänger Octavians hinaus als

Die siebente Epode

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eine berechtigte Verteidigung Italiens erschienen sein; es galt ja vor allem, eine Blockade zu brechen, die Italien auszuhungern

drohte. Angesichts einer solchen Situation ist die pathetische Anrede an die Römer mit ihrem sakralmoralischem Ton kaum angemessen. Der Vertrag von Puteoli zielte darauf, eine unerträgliche Situation durch Zugeständnisse an Sextus Pompeius zu beseitigen. Wenn sich die Lösung auch als Illusion entlarvte, wäre doch ‘quo quo scelesti ruitis?’ eine recht provozierende Reaktion. Denn die Formulierung dieser Frage sowie conditi enses wären viel eher auf Octavian zu beziehen als auf Sextus Pompeius. Was den letzteren betrifft, könnte man

zwar

an den Zuwachs

von

Sympathisanten und Sklaven denken, was aber kaum etwas mit dem Ausbruch neuer Feindseligkeiten zu schaffen hatte, müsste aber vorzugsweise an Octavians Massnahmen zur Gegenwehr denken, die somit als Verbrechen gestempelt wären.!? Man kann aber in der Argumentation gegen diese Datierung noch einen Schritt weiter gehen: Im J. 30 müsste es überhaupt bedenklich erscheinen, an frühere Niederlagen Octavians zu erinnern, die er, wie man

hinzunehmen

pflegte.

aus den Quellen weiss, nicht leicht

Insbesondere

der taktvolle

Horaz

war

zweifellos darauf bedacht, nicht an alte, vielleicht noch offene Wunden zu rühren. Bestimmt hat er nach Actium nicht daran

gedacht, den Alleinherrscher des römischen Reiches mit den verhassten Gegnern in Mitleidenschaft zu ziehen, wenn auch in einem »historischen« Dokument. Versuchen wir also eine ganz andere Linie in dieser Frage einzuschlagen. Abgesehen von etwaigen zeitlichen Anhaltspunkten kommt es nach unserer Auffassung hauptsächlich auf zwei »Datierungskriterien« an: 1. Welche Signale hat der Dichter gegeben bzw. der Leser in dem vorangehenden Teil der Sammlung bekommen? Die Sammlung als den übergeordneten kontextuellen Rahmen zu betrachten, ist jedenfalls ein Gesichtspunkt, den man nicht unberücksichtigt lassen sollte. 2. Welche Auffassung müsste zur Zeit der Veröffentlichung für den Leser, dem kein »Kiessling-Heinze« zur Hand war, am nächsten liegen? Was die erste Frage betrifft, findet sich eine beachtenswerte

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Prämisse in der 1. Epode. Die aktuelle »innere« Zeitspanne war hier auf einige Monate oder Wochen um die Jahreswende 32/31 beschränkt.

Wenn

also der Leser nicht daran zweifeln konnte,

dass er die letzte grosse Auseinandersetzung vor Augen hatte, dann würde er bei der nächsten Erörterung einer politischnationalen Situation kaum einen anderen und weit ferneren Bezugsrahmen ad libitum wählen können. Dass es aber deutliche Hinweise auf einen anderen Konflikt nicht gibt, werden hoffentlich die meisten Anhänger einer frühen Datierung zugeben. Dies bedeutet aber nicht, dass man das Gedicht nicht genau auf zeitliche Anspielungen prüfen sollte. Es findet sich jedoch mindestens Ein terminus post von nicht geringem Argumentationswert, den man bislang aus Voreingenommenheit vernachlässigt hat, nämlich der Hinweis auf die Britanner in V. 7 f. Vor dem J. 35 wäre allem Anschein nach das Britannerthema kaum gut angebracht, wollte man nicht vermuten, dass

sich Horaz

Nostalgie,

Wunschträumen

oder

leeren

Beispielen hingäbe. Solange Octavians Stellung gefährdet war, durfte eine Wiederaufnahme des caesarischen Erbes in dieser Richtung kaum erwägenswert gewesen sein. Erst mit dem endgültigen Sieg über Sextus Pompeius, als Antonius in seiner Operationssphäre die Hände voll hatte, konnte sich Octavian imperialistischen Plänen zuwenden oder wenigstens den Anschein davon geben. Nachdem er im J. 35 die Verhältnisse in Pannonien geordnet hatte, plante er einen Feldzug gegen Britannien — kara tov Tod natoög (NAov — wie es bei Cassıus Dio heisst.!* Im Winter 35/34 hielt er sich in dem cisalpinischen Gallien auf, als Pannonien und Dalmatien in Aufruhr gerieten. Die Expedition musste auch weiterhin auf Eis gelegt werden, als sich das Verhältnis zwischen ihm und Antonius verschlechterte. Keinem der augusteischen Dichter war aber sonderlich daran gelegen, während der 10 nächsten Jahre den jungen Caesar diese »Verpflichtung« vergessen zu lassen.!° Auch der Hinweis auf die Parther darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden, wenn auch daraus kein Terminus so einfach entnommen werden kann. Erst nach der Mitte der

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dreissiger Jahre gewann diese Frage wieder an Aktualität;!6 die Niederlagen des Antonius, insbesondere der furchtbare ‘Retour de la grande Armee’ liessen sich trotz verschönernden oder irreführenden Depeschen vor Octavian nicht verbergen.!? Seitdem war nichts geschehen, um alte und neue Schande abzuwaschen. Was andererseits die Stimmung des Gedichts betrifft und den möglichen Bezug einer solchen Schwarzmalerei auf die allerletzte Zeit der Bürgerkriege, so kann dies am besten durch eine nähere Betrachtung beantwortet werden. Dabei gilt es vor allem die Frage zu berücksichtigen, wie ein solches Gedicht zwischen ganz anders gearteten Gedichten aus derselben Zeit (1 und 9) zu beurteilen sei. Die Einleitungsepode hatte die Erinnerung an die kritische Stunde

Italiens wachgerufen,

als der Westen

im Begriffe war,

gegen den östlichen Feind auszusegeln. Man erhielt bei dieser Gelegenheit den Eindruck einer einheitlichen Front; an die Gegenseite wurde höchstens durch einen raschen Hieb auf der Vergleichsebene (serpentes) verwiesen. Offiziell galt der Krieg der ägyptischen Königin und ihren Verbündeten. Die Realität war ein neuer und grösserer Akt der Bürgerkriege. Wer auf diesem Hintergrund — und befreit von der Annahme einer frühen Datierung - die Anrede der 7. Epode liest, weiss dass Horaz die Römer nicht samt und sonders als scelesti bezeichnen und so ein allegemeines Verdammungsurteil hätte aussprechen können. Der übergeordnete Zusammenhang der Epodensammlung zeigt, dass die civitas Romana ein mehrschichtiges, zum Teil polarisiertes Kollektiv ist. Wer zum Schwerte greift - und von dieser ruchlosen Initiative hängt für Horaz sehr viel ab -, der ist der Verbrecher, auf ihm ruht der Fluch einer Art Erbsünde seit

dem Bestehen der Stadt. Daneben hat es aber immer einen besseren Teil gegeben — und natürlich eine indifferente Masse. Für die geschichtliche Betrachtung gibt es Stadien, ein Auf und Ab, die Möglichkeit einer guten oder einer schlechten Entwicklung. Dies wird von Horaz keineswegs geleugnet. Darauf kommt es aber für ihn nicht hauptsächlich an. Eben weil die Sammlung

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als Ganzes Licht- und Schattenseiten aufweist, scheint der Dich-

ter um so leichter auf Abstufungen und Nuancierungen in seinem moralischen Ausblick verzichten zu können. Diesmal ist die Stunde gekommen, die Schuldigen anzureden, ihr verheerendes Spiel dem grösseren geschichtlichen Horizont einzuordnen und die Schuld solcher Bürger auf eine ursprüngliche Tat zurückzuführen. Durch diese Einseitigkeit wird däs kranke Glied nur noch schärfer herausgestellt. Dies entspricht im Prinzip der eindringlichen Art des archaischen Lyrikers, die Gemeinschaft anzureden, sei es lobend, belehrend oder vor allem tadelnd.!?®

In der 1. Epode hatte Horaz Wichtiges zur ideologischen Grundlage der patriotischen Front geäussert, also des Teiles der Bürgerschaft, der zum Sieg verholfen werden sollte. In der 7. Epode nimmt er dann die Gegenseite in den Blick. Erst durch die im Rahmen der Gedichtsammlung etablierte Zusammengehörigkeit der Gedichte und zwar eine zeitliche, wird eine übergreifende Bilanz im politischen Ausblick des Dichters möglich. Aber nicht nur aus diesem Grunde ist eine Beziehung auf die grosse Auseinandersetzung mit den Antonianern wahrscheinlich. Die aufgeregten beiden ersten Verse passen schon an sich gut zu dem, was man vor kurzem erlebt hatte, dass die Anhänger des Antonius in der letzten Krise zu ihrem Herrn flohen, um mit ihm

gegen Octavian und den Westen zu kämpfen.!? Angeblich sollten die beiden Konsuln des Jahres samt mehr als 300 Senatoren bei dieser Gelegenheit Italien verlassen haben. Die Anrede nimmt ihren Ausgangspunkt aus der konkreten Situation der nahen Gegenwartsgeschichte. Die Situation stellt sich als eine fluchbeladene Iteration dar, ein Zeichen der kränkelnden Gesellschaft. Auf jede lichtvolle Seite wird bei solcher Diagnose verzichtet. Sofort tut sich in den nächsten Versen der weitere geschichtliche Horizont auf. Die früher geübten Datierungsexerzitien haben oft das Verständnis für die Art und Weise der horazischen Auseinandersetzung mit der römischen Geschichte getrübt. Man sollte darauf achten, dass eine höchste Krise zugleich eine Wende zum Besseren bedeuten kann. Die unwillige Frage in V. 3, ob nicht genug Latinerblut im

Die siebente Epode

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Kampf schon vergeudet ist, ist prinzipiell nicht zeitlich begrenzt. Nichtdestoweniger lasse ich die Anspielung auf Sextus Pompeius in Neptuno super gern gelten, denn dies war der zuletzt erlebte grosse und verheerende Kampf zur See vor Actium. Auf diese Schlacht anzuspielen, hat offenbar guten Sinn: Ein Appell an die nächstliegende, exemplarische Erfahrung ist in jeder Belehrung angemessen, insbesondere wenn es sich um einen Versuch handelt, eine verkehrte Tendenz zu beeinflussen. Zweitens sollte nicht

vergessen werden, dass somit indirekt an den herrlichen Sieg Octavians

erinnert

werden

konnte,

wobei

mehr

unerfreuliche

Erinnerungen in den Schatten gestellt wurden. Es wird, genau wie in der 9. Epode,?° auf die frühere Niederlage eines grossen Gegners hingewiesen, und zwar desselben in beiden Gedichten. Einen ähnlichen Bezug auf Sextus auch in campis zu sehen, ist wohl müssig, denn der ganze Ausdruck campis atque Neptuno super kommt einem terra marique gleich. Philippi sollte in diesem Zusammenhang natürlich nicht ausgeschlossen werden, nichts verbietet es jedoch, auch an das Fernerliegende zu denken, denn die Aussage

ist, wie man

sieht, rückwärts

einzig vom

Thema

Bürgerkrieg begrenzt. Die Formulierung, die hierbei verwendet wird, ist offen, inso-

fern sie das Blutvergiessen als solches erwähnt, ohne die Reziprozität des Bürgerkriegs besonders zu betonen. Dies eröffnet um so leichter die folgende Entwicklung des Gedankens: Das Latinerblut wurde nicht geopfert, um dieses oder jenes herrliche Ziel zu erlangen. So wird der Bürgerkrieg mit den herrlichsten Siegen der römischen Geschichte konfrontiert. Das positive Bild der eigenen Tradition steht hart gegen das schandvolle der Gegenwart. Der geschichtliche Horizont erweitert sich dabei zusehends über den engeren Rahmen der Bürgerkriegszeit hinaus. So wird ein bellum iustum gegen ein bellum scelestum oder besser scelestorum gestellt. In dieser aus dem Gedicht selbst gewonnenen Perspektive, die einer philosophisch-moralischen Geschichtsbetrachtung nahekommt, wird eine Festlegung der Komposition auf eine Lage etwa acht Jahre (wenn man sich für die Mittelzahl der Meinungen entscheidet) vor der Veröffentlichung nicht eben wahrscheinlich.

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Wie konnte der unbekannte Dichter damals einen solchen Weitblick in einer komplexen, immer wieder wechselnden Situation besitzen, dass er sich mit autoritativer Stimme an seine Mitbürger wenden und offenbar alles über einen Kamm scheren konnte? Damals war die Position Octavians von Zeit zu Zeit gefährdet und schwankte. Gegen Ende der dreissiger Jahre klärten sich die

Fronten, Sextus war getötet, Lepidus entmachtet und der Hort Italiens hatte immens an Leuchtkraft gewonnen. Nicht zuletzt hatte Horaz selbst eine Position erlangt, die seinen Worten hohe Autorität sicherte. Die Auseinandersetzung mit Antonius war mit nichts aus den früheren Jahren vergleichbar, nicht nur wegen der fast weltumfassenden Dimension, sondern einfach deswegen, weil

Antonius der einzige übriggebliebene Rivale war. In einer solchen Sicht wird der Hinweis auf Karthago in jeder Weise sinnvoll. Die Grösse der Auseinandersetzung ist einigermassen vergleichbar, insbesondere wenn man bedenkt, dass auch damals Rom und Africa die beiden Pole waren. Dann hat dieser Vergleich, wenn unsere zeitliche Ansetzung des Gedichts die richtige ist, einen Januscharakter, der gleichsam die Ehre Octavians und seiner Partei rettet. Denn was primär eine harte Rüge und eine Verdammung der Landesverräter ist, wird aus patriotischer Sicht eher eine Parallele. Denn: es handelt sich vom Standpunkt der Verteidiger um einen gerechten Krieg gegen Kleopatra und Ägypten. Zur Parallelität zwischen Karthago und diesem neuen Konflikt sollte man auch die 9. Epode beachten. Nach diesem Blick auf den Höhepunkt der römischen Geschichte, kehrt Horaz in zwei weiteren Beispielen zur Gegenwart zurück. Auf die Aktualität der Beispiele kommt es auch hier an. Es handelt sich ja nicht nur darum, dass diese cives scelesti ihr Schwert gegen die Mitbürger ergreifen, sondern auch, dass sie solche hohen Aufgaben verraten und sozusagen aus der Tagesordnung der römischen Politik vertreiben. Durch ihr Verhalten werden triumphale Stunden wie die in V. 7 f. beschriebenen verhindert.?! Das Schlimmste ist aber, dass die Existenz des Reiches aufs Spiel gesetzt wird (V. 9 £.). Die drei Beispiele sind in der Beschreibung fein gegeneinander

Die siebente Epode

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abgestimmt: Zunächst tritt in den negativen (nicht gültigen) Absichtssätzen die Eroberung eines feindlichen Machtzentrums durch den römischen Soldaten hervor — die früher geleistete Aufgabe. Dann erfolgt die Vorführung des besiegten Feindes im Triumphe - eine noch zu vollziehende Aufgabe. Dann endlich wird die wahre und gültige Absicht unterstrichen: der Untergang der Stadt - der Triumph des Feindes, die Umkehrung der Rolle Roms, die ja gerade angesichts der Parther seit Bestehen der Stadt vor ihrer grössten noch zu vollziehenden Aufgabe stand. Dies Beispiel ist das einzige, das auf eine zeitgenössische, und zwar durchaus negative Erfahrung anspielt.?? Damit ist der lange Satz zu Ende, und es ist wohl kaum Zufall, dass somit eine Synchronie

mit der Anspielung auf die Niederlage des Sextus Pompeius in V. 3 erreicht wird. Dadurch weiss der Dichter indirekt Octavian gegen seinen Gegner rühmlich herrvorzuheben. Bei solcher Weite der Perspektive und bei solcher Autorität in der Ansprache, meldet sich die Frage von selbst: Wo hat Horaz

eine solche Haltung gelernt, wer hat ihn zu diesem Horizont geführt? Während man bei der Ansprache an den Freund Maecenas in der 1. Epode sich damit begnügen konnte — was die literarischen Voraussetzungen betraf -, auf die politische Dichtung eines Archilochos oder Alkaios hinzuweisen, geht die 7. Epode darüber hinaus: Das Schicksal der damaligen Generation, ihre eigene Verantwortung für die mögliche Katastrophe des Reichs, der auf ihr lastende Fluch, dies alles geht auch über einen Solon weit hinaus. Es wäre ja sonderbar, wenn sich bei dieser spezifisch römischen Selbstbesinnung nichts zwischen den griechischen Mustern und Horaz befände, das ihn angeregt haben könnte. Ein nahmhafter Vertreter römischer Geschichtsphiloso-

phie, der eben zur Zeit der Rückkehr des Horaz von Philippi mit einer eindringlichen Botschaft an die Öffentlichkeit herantrat, Sallust, verlangt in dieser Hinsicht unsere Aufmerksamkeit, denn die Thematik der Epode und ihr besonders eindringlicher Ton führen den Gedanken auf den Historiker. Im folgenden soll vor allem auf die Übereinstimmung mit dem sallustischen Catilina hingewiesen werden.

54

EGIL KRAGGERUD

Nachdem

Horaz (11 f.) die rebellischen Bürger als fürchter-

licher denn Wölfe

und

Löwen

bezeichnet

hat, weil die Tiere

einander nicht angreifen, fährt er mit der Frage fort:

furorne caecus?? an rapit vis acrior an culpa? responsum date. tacent et albus ora pallor inficit Rn mentesque perculsae stupent.

In den beiden ersten Versen gibt Horaz eine Analyse von dem Verhalten derer, die das Schwert gegen die Vaterstadt ergreifen. Drei

Faktoren

nebeneinander

kommen

dabei

in Betracht,

die vielleicht

eine gewisse Gültigkeit besitzen.

alle

Dass sie alle

etwas Wahres an sich haben, liegt wohl in der Natur der Sache,

sonst wären sie vom Dichter schwerlich erwähnt worden. Hier werden in der Tat Momente geboten, die in der Beschreibung Catilinas und seiner Anhänger bei Sallust eine Rolle spielen. Insbesondere war sein furor notorisch; vgl. 24,2 neque tamen Catilinae furor minuebatur, sed in dies plura agitare und 31,9 tum ille furibundus »quoniam quidem circumventus« inquit »ab inimicis praeceps agor, incendium meum

ruina exstinguam«; deinde se ex

curia domum propripuit.”* Der wilde Trotz, der ihm eigen war, zeigte sich auch am Gesicht des Gefallenen: ferociam ... animi, quam habuerat vivos, in voltu retinens (61,4).?° Die

Schuld

ist eine Triebkraft,

die zunächst

bei Catilinas

Anhängern aufgezeigt wird. Diese werden zuerst folgendermassen beschrieben: Catilina ... omnium flagitiorum atque facinorum circum se tamquam stipatorum catervas habebat (14,1). Dann folgt ein Lasterkatalog: omnes undique parricidae sacrilegi convicti iudicüs aut pro factis iundicium timentes, ad hoc quos manus atque lingua periurio aut sanguine civili alebat, postremo omnes quos flagitium egestas conscius animus exagitabat, ii Catilinae proxumi familiaresque erant. Quod si quis etiam a culpa vacuos in amicitiam eius inciderat, cottidiano usu et illecebris facile par similisque ceteris efficiebatur. Nach Sallust war offenbar bei Catilina selbst die Schuld (das Schuldgefühl) eine starke Triebkraft: iam primum adulescens Catilina multa nefanda stupra fecerat (15,1); sein

Die siebente Epode animus war impurus ... ita conscientia mentem

55 excitam vastabat

(15,4). Horaz tritt als öffentlicher Ankläger gegen die verbrecherischen Mitbürger auf (cf. responsum date). Diese Rolle war schon in der Catilina-Affäre vorgebildet, durch die berühmte erste Rede Ciceros gegen Catilina, die von Sallust hoch gepriesen wird: luculentam atque utilem rei publicae (31,6). Diese Rede wurde bekanntlich von Catilina selbst angehört. Cicero stellt Fragen an ihn anlässlich der Verschwörung, die er amentia und scelus nennt: Num negare audes? Ouid taces? Sallust zufolge entsprach die von conscientia geplagte Seele Catilinas seiner Gesichtsfarbe: igitur colos [ei] exsanguis (15,5). Dass Horaz Anregungen für sein Gedicht gerade aus dieser Schrift schöpfte, lässt sich zwar nicht beweisen, gelangt doch zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit, wenn man folgendes bedenkt: Die erste Schrift dieses einst treuen Anhängers Caesars war das Bellum Catilinae. Wann die Schrift geschrieben und veröffentlicht wurde, ist nicht näher zu ermitteln; vermutlich war das Werk in

Rom nicht vor dem J. 41 bekannt.?° Was ihn zu diesem Thema führte und was er damit bezweckt hat, darüber gehen die Meinungen der Forscher auseinander.?’ Jedenfalls wurde hier eine Analyse eines nicht allzu fernen Kapitels der römischen Gegenwartsgeschichte geliefert, die eine furchtbare Aktualität hatte. Die Schrift konnte als ‘Fallstudie’ einer gesellschaftlichen Krankheit gelesen werden, die mit der Zeit nur viel härter den Staatskörper angegriffen hatte. Es ist zudem möglich, dass Sallust gerade die post-caesarische Bühne im Auge hatte, als er seine Themen wählte und seine Geschichtsphilosophie darstellte.?® Als Diagnose hat die Monographie weit über das behandelte Einzelereignis hinaus Gültigkeit. Nahe liegt die Vermutung, dass der Aufruhr Catilinas den Beginn einer neuen Phase des römischen Verfalls für Sallust bedeutete. Wenn man bedenkt, wie der Römer

gerade den Anfang als konstituierend für die weitere Entwicklung betrachtete, muss die Parallele mit den späteren Konflikten etwas mehr als zufällig erscheinen. Es ist geradezu auffallend, wie sehr die Ansprache des Gedichts (quo, quo scelesti ruitis? aut cur

56

EGIL KRAGGERUD

dexteris aptantur enses conditi?) aus der catilinarischen Verschwörung heraus gesprochen scheint. Bezeichnend sowohl für Sallust als auch für Horaz ist, dass dieses Verhalten auf den Charakter

und die früheren Verbrechen zurückgeführt werden kann; in der Verschwörung Catilinas sowie in dem aufrührerischen Aufbruch der Bürger bei Horaz ist die Kulmination schon gegebener Dispositionen zu sehen. Wer vom Chaös der Bürgerkriege loskommen

will, der muss

offenbar

nicht

nur

die rebellischen

Elemente selbst bekämpfen, sondern auch den Ursachen auf den Leib rücken. Es ist zu vermuten, dass der von jeher in ethischen Fragen interessierte und in der griechischen Moralphilosophie gut geschulte Horaz in Sallust einen Katalysator gefunden hat, um seine allgemeine philosophische Einsicht mit einer aktuellen politischen Botschaft zu verbinden. Erst die Begegnung mit einem Geschichtsdenker vom Range Sallusts hat eine eher apolitische Gesinnung für eine politische vates-Rolle fähig gemacht. Dass diese Rolle etwa ein Dilemma für ihn bedeuten haben sollte, ist

jedenfalls am Ende der dreissiger Jahre nicht zu ersehen. Denn wenn er in die undae civiles (epi. I, 1, 16) hinuntertaucht, dann konnte seine Haltung nichts zu wünschen übrig lassen. Hat dieser Bezug auf Sallust einiges für sich, dann ist es verlockend, noch auf

einige weitere Linien aufmerksam zu machen. Es entgeht dem Betrachter beim Vergleich unserer Epode mit Sallusts Catilina nicht, dass gewisse Unterschiede in der Beurtei-

lung der römischen Geschichte bestehen. Nicht dass Sallust nur bei dem persönlichen Hintergrund Catilinas stehengeblieben ist; er macht einen möglichst weiten geschichtlichen Horizont sichtbar. Zunächst hält er Roms innere Zwistigkeiten in der Jugend Catilinas (Kap. 5) für seine schlechte Entwicklung verantwortlich; insbesondere hatte Sulla einen Präzedenzfall für mala ambitio?? gegeben, der mit voller Wucht auf Catilina wirkte; zudem wurde er von den grassierenden Lastern der Gesellschaft verleitet. Der Ausblick auf die sittlichen Zustände eröffnet wiederum eine Totaldiagnose der römischen Geschichte, wobei Sallust darlegt, wie sıch Sitten und Politik allmählich verschlechtert haben,

Die siebente Epode

nachdem die römische Gesellschaft durch viele

57

Jahrhunderte im

Grunde gesund gewesen war: iurgia discordias simultates cum hostibus (d.h. nicht mit einander), cives cum civibus de virtute certabant (d.h. nicht im Hass) (9,2) Gerade die älteste Geschichte wird fast idealisiert. Der junge, heranwachsende Staat gewann Grösse und Ansehen durch Tugenden, wurde reich und mächtig; aber dann wird das Bild etwas getrübt: invidia ex opulentia orta est, nämlich seitens der Nachbarn (6,3). Ein Übereinstimmung zwischen Sallust und Horaz liegt allerdings in ihrer Auffassung von der Abrechnung mit Karthago vor; diese ist für beide ein Höhepunkt in der römischen Geschichte, nicht zuletzt moralisch. Im übrigen scheinen sich ihre Beurteilungen der nationalen Geschichte zu scheiden. Denn Horaz wäre man versucht, als den pessimistischeren der beiden zu bezeichnen: Die Römer zeigen sich schlechter als wilde Tiere in ihrem Benehmen; durch den Brudermord des Romulus lastet ein sacer cruor des Getöteten auf den späteren Generationen. Der paradoxale Befund löst sich aber bei einer näheren Betrachtung der Schlussverse: sic est: acerba fata Romanos agunt scelusque fraternae necis, ut immerentis fluxit in terram Remi 20 sacer nepotibus cruor.

Die Tat des Stadtgründers bringt also einen jahrhundertewährenden Fluch in die römische Geschichte herein! Die kritische Beurteilung des Gründers bei Cicero und bei anderen reicht bei weitem nicht an diese Härte heran. Wie soll man sie erklären? Tatsächlich stehen Sallust und Horaz einander näher als der Vergleich mit Catilina allein zeigen kann. Sallust scheint in seinen letzten Lebensjahren pessimistischer geworden zu sein. Als er im Frühjahr 35 starb, hinterliess er als sein geistiges Vermächtnis ein unvollendetes

Bild der römischen

zeitgenössischen

Geschichte,

das den meisten hoffnungslos erscheinen konnte. Er hatte in der Einleitung zu den Historien die römische Geschichte als ein

58

EGIL KRAGGERUD

Kontinuum innerer Streitigkeiten dargestellt.?! Barwick findet diesen Pessimismus innerlich mit der horazischen Haltung in den Versen 17-20 verwandt.?? Wie Horaz den Erbfluch geltend macht, findet Sallust die Ursache des Übels in einem vitium humani ingenii (frgm. 7 Maurenbr.). Barwick erwägt auch, ob

Sallust den Brudermord des Romulus erwähnt habe. Diese letzte Vermutung ist jedoch durch nichts Wahrscheinlich gemacht. Zudem möchte ich den Unterschied zwischen dem sallustischen vitium humani ingenii und der horazischen Konzeption nicht unterschätzen. Denn rechnet man wie Sallust mit einem konstitutiven Fehler des Menschen, so ist kein Ende des Unglücks und des Leidens, in casu der Bürgerkriege, zu sehen. Diese Art von Pessimismus liegt jedoch bei Horaz nicht vor, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens lässt sich anführen, dass ein Mord, wenn

auch seit

langem nachwirkend wie in diesem Falle, sich dennoch sühnen lässt und somit völlig beseitigt werden kann. Horaz erweckt nicht den Eindruck, dass sich dıe Krise endlos perpetuieren wird. Zweitens bedeutet das Romulus-Beispiel nicht restlos eine Verurteilung der Römer, wie auffallend es auch für den Kenner der Romulus-Ideologie des Princeps erscheinen mag, dass Horaz mit solcher Stärke den primus conditor ‚urbis brandmarkt; sagt doch z.B. Cassius Dio (zum J. 27): »Als sie (die Senatoren) ihn (den Princeps) mit einem besonderen Ehrennamen benennen wollten und den einen nach dem anderen angetragen hatten, da war dem Caesar sehr daran gelegen, Romulus genannt zu werden.«°? Hierin liegt scheinbar ein Gegenargument gegen die späte Datierung der 7. Epode, wenn man meinen sollte, dass das Romulus-Bild des Horaz seinen Schatten auf diese Gleichsetzung werfe. Denn wären nicht der Romulus-Titel und die RomulusIdeologie kompromittiert, wenn ein Dichter solchen Ranges den Namen derart belastet? Er scheint ja keinen Versuch gemacht zu haben, die Mordtat zu rechtfertigen oder durch Verdienste des Gründers auszugleichen. Wir glauben jedoch, dass der Schluss des Gedichts interpretatorisch eng auf den vorhergehenden Teil bezogen werden muss.

Die siebente Epode

sg

Das Gedicht als Ganzes ist in eine Anrede an die scelesti cives (114) und in einen Schlussteil gegliedert, der nicht mehr an diese Bürger, sondern an den Leser gerichtet ist. Diesen Wechsel sehen wir als bedeutungsvoll an. Die begrenzte Anrede schafft Distanz zu jenen ruchlosen Römern. Das römische Volk wird vielmehr vom Leser vertreten, der die Sorge des Dichters durchaus versteht und teilt. Die Polarisierung der Bürger, die wir schon auf anderer Grundlage glauben festgestellt zu haben, spricht so aus der Struktur des Gedichts heraus. Dies wirkt sich auf die Deutung des Romulus-Beispiels aus. Der Schluss gliedert sich seinerseits in eine Beschreibung (V. 15 f.), welche die Schuld dieser Bürger feststellt, und in eine Deutung derselben: Acerba fata Romanos agunt/scelusque fraternae necis ist eine Einheit, die wir folgendermassen auslegen dürfen: Mord an Mitbürgern - nicht einfach »Bürgerkrieg« - ist ein bitteres Schicksal, das die Römer ständig verfolgt, seitdem etc. Die beiden letzten Verse, die den Anfang und die Ursache

in dem

Mord

an Remus

sehen, setzen dies

Schicksal mit der ganzen bisherigen römischen Geschichte gleich. An sich braucht darin keine äusserste Verzweiflung zu liegen. Eine Hoffnung wird sichtbar, indem man die klare Verteilung von Schuld und Unschuld im Mythos beachtet. Die Tat des Gründers, der übrigens nicht eigens erwähnt wird, und nicht minder der in der römischen Geschichte ständig wiederholte Brudermord, unterscheiden sich von demjenigen Typ solcher Kämpfe, wo beide gleichermassen schuldig sind, etwa wie im Falle des Eteokles und Polyneikes; das Opfer ist bei Horaz ausgesprochen unschuldig: immerentis Remi. Man bemerkt, dass der Dichter kein neutralisti-

scher Zuschauer dieser Geschichte ist: Er nimmt für die angegriffene und ermordete Seite Partei. Im Rahmen des Gedichts entspricht also der unschuldige Remus denjenigen, die von den verruchten Bürgern angegriffen werden. Die intendierte Mordtat dieser scelesti ist mit der verübten Tat im Präzedenzfall auf gleiche Stufe zu stellen. Zwei Möglichkeiten liegen aus dem Gesichtswinkel der Epoden-Situation vor: Entweder vermögen die angeredeten Bürger ihre ungeheuerlichen Wünsche durchzuführen — dann wird ein weiteres Kapitel der früheren düsteren Sage angefügt —

60

EGIL KRAGGERUD

oder ihr Versuch wird vereitelt — dann ist die Möglichkeit einer Beendigung des Fluches gegeben. Diese im Gedicht liegende Implikation wird interpretatorisch und ideologisch fruchtbar, wenn wir mit einer späten Datierung rechnen. Die Polarisierung wird unmittelbar für den zeitgenössischen Leser verständlich. Alle Verantwortung fällt, wie man es erwarten würde, auf die eine

Seite im Konflikt: die Adresse des Dichters gilt den Antonianern. Sie sind es, die einen Schuldlosen, nämlich Octavian, frater auch

im konkreten Sinne, aus dem Wege räumen und so den alten Fluch fortsetzen wollen. Wie steht es denn mit der Romulus-Ideologie, wenn wir Antonius und seine Gefolgschaft mit der Tat des Romulus vergleichen? Ist eine solche Beschränkung auf die Feinde überhaupt mit der Stellung des Stadtgründers im augusteischen Prinzipat vereinbar? Ich glaube ja. Denn ein alter Romulus zu sein, bedeutet ideologisch gesehen keine völlige Identifizierung. Der neue Namensträger — wenn es wirklich dazu gekommen wäre - mag das Vorbild übertreffen und sich dadurch von dem ersten Gründer

abheben, dass er den inneren Streit heilt und so eine

noch grössere Gründung vollzieht. In Horazens Gedicht scheint mitenthalten zu sein, dass Octavian den Anschlag vereiteln werde,

und damit die ganze römische Geschichte Zum Besseren wenden könne. Die 9. Epode bringt dann eine Bestätigung dieser Ahnung, insofern der epochale Charakter des Actium-Sieges aufgezeigt wird. In der 7. Epode ist es Horaz daran gelegen, wenn auch auf indirekte Weise, zu zeigen, dass der Gegner Antonius eben nicht

immerens ist, und dass ein neues Vergiessen von Bürgerblut, die übrigens der 9. Epode zufolge unbedeutend wurde, nicht Teil des alten Fluches ist, sondern diesen überwindet. Wir glauben so, im Rahmen der Epodensammlung, ein pointiertes Paradoxon in dieser Epode zu sehen. Derjenige Leser, dessen Auffassung der römischen Geschichte und des zeitgenössischen Geschehens durch Sallust bestimmt worden war, der musste darin zunächst eine Bestätigung des sallustischen Pessimismus finden. Denn war nicht nach dem J. 63 — dem letzten von Sallust beschriebenen - alles nur noch schlimmer und aussichtslo-

Die siebente Epode

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ser geworden? Jede pessimistische Äusserung des Historikers müsste den Leser mit der Wucht der eigenen a fortiori-Erfahrung treffen. Dem steht dann eine andere, vom Dichter sorgfältig entwickelte und suggerierte Erfahrung entgegen, diejenige des Lesers der fertigen Sammlung, der den alten Pessimismus nicht mehr teilen kann. In der 7. wie auch in der 1. Epode tut sich eine Spannung zwischen der fiktionalen und der realen Zeit des veröffentlichten Werkes auf. In dieser Frage können wir dieselben Betrachtungen geltend machen wie bei der 1. Epode; die Spannung wird nur noch fühlbarer, weil wir in der 7. Epode den Schritt zurück zu jener verzweifelten und die Existenz Roms gefährdenden Stunde machen, als sich die Kluft erneut, aber gefährlicher als je zwischen den Bürgern auftat,?* während die 1. Epode die Gegenbewegung der eigenen Seite bis an die Schwelle der Expedition ins Auge fasste. Schon durch die 1. Epode war deshalb eine Antidosis zum Pessimismus der 7. Epode gegeben. Erst die 9. Epode wird jedoch ein kräftigeres Heilmittel bringen. Auf ein völlige Überwindung der Angst zielt aber der Dichter nicht; die aktuelle Bedeutung der Anrede in der 7. Epode soll auch im Rahmen der Sammlung gefühlt werden; eine Warnung soll in den Ohren des Lesers nachklingen. Es musste ja auch für diejenigen, die an dem endgültigen Sieg über Antonius und Kleopatra nicht zweifelten, als die wichtigste Aufgabe der weiteren Politik gelten, ein für allemal den Fluch der Bürgerkriege zu beseitigen und so den Pessimismus sallustischer Art zu überwinden. Wer aber die Nebentöne dieses Gedichts noch nicht vernimmt, für den sollte die horazische Deutung der jüngsten Geschichte als eine grosse Wende viel klarer mit der 9. Epode werden. Die eigenartige Vorstellung der Schlussverse ist aber keineswegs mit dem Bezug auf Sallust »erklärt«. Wir beanspruchen im folgenden nicht das letzte Wort zu dieser vieldiskutierten Frage zu sagen. Letzten Endes sind auch wir von der mytheninnovierenden Originalität des Horaz an dieser Stelle überzeugt.’ Eine ideologische Übereinstimmung zwischen Horaz und dem Finale des ersten Georgica-Buches hat man längst bemerkt,

62

EGIL KRAGGERUD

besonders in den Versen, die eine Art geschichtsphilosophischen Kommentars zur Katastrophe bei Philippi sind (V. 501 £.): satis am pridem sanguine nostro Laomedonteae luimus periuria Troiae. Aus dem vergilischen Kontext geht hervor, dass der Bürgerkrieg ein zentraler Aspekt des eversum saeclum ist, aber nicht so ausschliesslich wie bei Horaz. Vergil klagt darüber, dass der Krieg überall rast, dass fas und nefas verkehrt worden sind. Die eiserne Zeit ist vorherrschend. Es besteht kein Zweifel, dass der Kampf der Römer unter einander ein primum malum ist, das

andere Leiden nach sich gezogen hat. Darüber hinaus wird bei Vergil der Gedanke hervorgehoben, dass die Römer einander so sehr geschwächt haben, dass sie den Angriffen der Barbaren ausgeliefert sind: hinc movet Euphrates, illine Germania bellum (1,509). Dieses komplexe Unglück der Gegenwart wird also von Vergil auf eine mythische Urschuld zurückgeführt. Diese Erklärung steht aber bei ihm nicht als die einzige da. Auch die vorhergehende Partie (1,466-488) trägt zum Verständnis der unglücklichen Gegenwart bei. Da wird von der unheilverheissenden Sonne gesprochen, insbesondere vom Krieg und Treubruch: , ille (sc. sol) etiam caecos instare tumultus saepe monet fraudemque et operta tumescere bella; ille etiam exstincto miseratus Caesare Romam,

cum caput obscura nitidum ferrugine texit impiaque aeternam timuerunt saecula noctem. Eine Mordtat steht auch bei Vergilam Anfang und ergänzt den mythischen Ursachenzusammenhang. Diese Tat löst nach Vergil offenbar die spätere Vergiessung des römischen Blutes bei Philippi aus, was ja geschichtlich gesehen unbestreitbar war. Während nun Vergil das Unglück sowohl durch den Mythos (Laomedon) wie auch durch die Geschichte (Mord an Caesar) erklärt, hat Horaz mit seiner Verwendung des Romulus-Mythos beides durch eines ausgedrückt.?° Ob in diesem Punkt eine

faktische Beeinflussung der horazischen Konzeption durch Vergil

Die siebente Epode

63

vorliegt, ist allerdings nicht sicher. Die Priorität dieser Dichtungen lässt sich kaum mit unserer Spätdatierung der 7. Epode entscheiden. Allerdings müssen wir mit gegenseitiger Beeinflussung auch ausserhalb der publizierten Dichtung im Fall dieser beiden Dichter rechnen. Die obige Betrachtung gilt auch einer anderen Übereinstimmung zwischen den Georgica und den politischen Epoden: Eine augenfällige Eigenart ist nämlich sowohl dort wie hier der Wechsel zwischen Pessimismus und Optimismus. Dies ist bei Vergil fast programmatisch in den Buchfinalen verwirklicht. Auch bei ihm möchten wir diese Moll-Dur-Bewegung aus dem Erlebnis der zeitgenössischen Geschichte herleiten. Sie setzt den Glauben an eine erzielte oder zu erzielende Wende voraus. Vielleicht darf man auch für Vergils Georgica die beiden Jahre 31-30 als entscheidend wichtig für den hoffnungsvollen Ausklang des ganzen Werkes betrachten (vgl. 4,560 f., die unmittelbar auf die Bugonie folgen). Wichtig für Horaz war bei dem Romulus-Remus-Mythos nicht so sehr der religiös-sakrale, als der stellvertretende Charakter der Sage, wodurch der Begriff des Brudermordes individualisiert und

veranschaulicht werden konnte; an eine magische Fortzeugung des Fluches hat er schwerlich geglaubt. ANMERKUNGEN

! Die Datierungen weichen erheblich von einander ab; am gewöhnlichsten scheint es heute, die Epode auf den Kampf mit Sextus zu beziehen; vgl. Ableitinger-Grünberger 12 Anm. 13. Von Forschern, die eine späte Datierung (jedoch vor Actium) erwogen haben, erwähnen wir Schörner 48, Syme 284 (vermutlich), L. Hermann, REA

39, 1937, 330-338.

2 Ableitinger-Grünberger 11. 3 Vgl. Cassius Dio 47, 39, 1; Plut.; Brutus 45, 1; Vell. 2, 71; Manil. 1, 908 f.; Lucan 6, 582 ff. Vgl. P. A. Brunt, Italian Manpower, Oxf. 1971, 478; P. Wallmann, Talanta 6, 1975, 63 ff.

* Syme 207 ff.; Brunt a.O. 111. 5 Syme 210. 6 Die verzweifelten Ausfälle des L. Antonius (Appian 5, 35-38) sind nicht als Feldschlachten zu rechnen.

EGIL KRAGGERUD ? Man könnte dabei an die 2. Schlacht bei Philippi denken, die blutige Entscheidungsschlacht, ohne dass ich campis bei Horaz ausschliesslich auf Philippi festlegen möchte; vgl. Verg., Georg. 1, 489 ff. 8 Die Tradition von der Hinschlachtung der 300 Bürger von Perusium findet H. Bengtson, Kaiser Augustus, München 1980, 37 übertrieben. ° Cassius Dio 48, 18; Appian 4, 85; Hadas 75-78. 10 Cassius Dio 48, 18, 4 kaltoı tod nAslovog vavrıkod awhEvrog 01 ...

11 Dazu Appian 5, 80 ff.; Ca3sius Dio 48, 46 ff.- Zum Sturm Appian 5, 89-90; Cassius Dio 48, 48, 1-4; Hadas 109 ff.

12 Vgl. Ableitinger-Grünberger 12; 60 ff. 13 Falls diese Deutung richtig wäre, müsste man vielleicht sogar an die Anklage des Antonius aus jener Zeit denken, wonach Octavian der Verantwortliche für den Vertragsbruch war. 14 Cassıus Dio 49, 38, 2. Hierzu W. Schmitthenner, »Octavians militärische Unternehmungen in den Jahren 35-33 v. Chr.«, Historia 7, 1958, 194 f. mit Anm. 1. Ein Reflex derselben Pläne ist vermutlich auch in Verg., Georg. 3, 25 zu sehen. 15 Vgl. Nisbet & Hubbard, Horace: Odes B. 1, Introd., S. xxx f.; H. D. Meyer, Die Aussenpolitik des Augustus und die Augusteische Dichtung, 1961, 9 f.; C. E. Stevens, »Britain between the Invasions (B.C. 54-A.D. 43)« in: Aspects of Mur Essays presented to ©. G. S. Crawford, Lond. 1951, 332-344.

6 Etwa gleichzeitig mit der 7. Epo. Verg., Georg. 1, 507 £.; Hor., sat. 2, 5, 62. 17 Cassius Dio 49, 32; Scott 36.

18 19 20 © 21

Man denke z.B. an Kallinos 1,1; Theognis; Solon 3, 17 ff. Cassius Dio 50, 2, 4-6; 20, 6. Vgl. 9, 7-20 (Neptunius dux), Cassius Dio 48, 48, 5; vgl. 48, 31, 5. Vgl. D. Kienast, »Augustus und Alexander«, Gymnasium 76, 1969, 446.

22 Die Schwierigkeit, die Behandlung des Parther-Themas mit den Verhältnissen um die Wende von 39/38 zu vereinbaren, geht zur Genüge aus dem Kommentar von Ableitinger-Grünberger hervor: Ventidius Bassus vertrieb ja die Eindringlinge im Frühjahr 38 durch einige spektakuläre Siege, die ihm einen

Triumph

sicherten.

Dann

sollte also Horaz

kurz davor

seinen

Gegner

als

möglichen Triumphator in Rom dargestellt haben! 23 Hier muss caecos ernsthaft erwogen werden; vgl. Brink 38 f. ?* Vgl. Cic., Cat. 1,1 quam diu etiam furor iste tuus nos eludet? Vretska (Komm. zu Sallusts Cat. S. 343 f.) erwägt, ob diese Cicero-Stelle zur Wortwahl Sallusts beigetragen habe; furor und furibundus kommen in den historischen Schriften

Sallusts nur an den beiden zitierten Stellen vor. 5 Sallust hat die Verbindung vis ... acrior im Bellum Jugurthinum 89,5 (von Schlangen). Cicero bezeichnet Catilina (3, 17) als hominem tam acrem; Sallust spricht stattdessen von seinem animus ferox (5, 7). 6 Zur Datierung vgl. P. McGushin, Bellum Catilinae, A Commentary, Leiden 1977, 6 f.; Vretska a.O. 618.

27 In diesem Zusammenhang darf die Auffassung von W. Hoffmann, »Catilina

Die siebente Epode

65

und die Römische Revolution«, Gymnasium 66, 1959, 459 ff., erwähnt werden, der

Catlinas Revolte, so unbedeutend sie auch gewesen sein mag, »als Vorspiel der kommenden Ereignisse« (S. 476) sieht. »Sie war also eine Art Knotenpunkt innerhalb des vierzigjährigen Zeitraums, welcher der Abfassung der sallustischen Schrift voranging«. 28 Interessantes in dieser Richtung bei V. Pöschl, Grundwerte römischer Staatsgesinnung in den Geschichtswerken des Sallust, Berlin 1940, 83 Anm. 3.

2° 3° 31 1928, 32

Zum Ambitio-Begriff Sallusts vgl. Vretska 216 ff. Hierzu vgl. Krämer mit reichen Literaturangaben. Vgl. F. Klingner, »Über die Einleitung der Historien Sallusts«, Hermes 63, 165-192 (= Studien 571-593); K. Büchner, Sallust, Heidelberg 1960, 348 ff. Barwick 65. 33 Cassius Dio 53, 16, 6 ff.; vgl. Suet., Aug. 7, 2. 3* Möchte man den fiktionalen Zeitpunkt bestimmen, kommt man auf das Frühjahr 32, als die beiden Konsuln und mit ihnen fast ein Drittel der Senatoren sich nach Ephesos begaben (Cassius Dio 50, 2, 6). 35 Krämer fasst seine besonnene Behandlung der Epode gewiss treffend in folgender Weise zusammen (S. 364): »Der Geschichtsmythos des Horaz stellt sich darum in der Verbindung verschiedener Momente und Motive — »profanes« Geschichtsbild, objektiv fortzeugender Fluch, Schuldgedanke, Sühne durch Wie-

derholung, Selbstvernichtung, Völkerschicksal — als ein Gebilde ganz eigener Prägung dar. Was darin an älterem Gut aufgenommen sein mag, ist in die Einfachheit einer originären Anschauung eingegangen, die durch vergleichende Analyse nur in ihrem genuinen Reichtum aufgewiesen werden kann.« 36 Es soll auch hier die Möglichkeit nicht bestritten werden, dass Horaz Anregungen aus Sallusts Catilina bekommen haben mag. Wie Catilina eine repräsentative Gestalt für Sallust in seiner Deutung der näheren römischen Geschichte war bzw. so gelesen werden konnte, so mag Horaz eine derartige Perspektive erheblich erweitert haben. Dem Catilina eignete, wie wir oben gesehen haben, eine verbrecherische und mörderische Veranlagung; aus anderen Quellen wissen wir, dass er sowohl seine Schwäger (M. Marius Gratidianus und Q. Caecilius; vgl. RE II 2, 1695 s.v. Sergius) wie auch seinen Bruder getötet hatte.

IV

Die neunte Epode

Versuchen wir an diesem Punkt unserer Untersuchung die Sonderung zwischen der fiktionalen Zeit des Gedichts und der realen Zeit der Veröffentlichung mit Rücksicht auf die besonderen Probleme, die jedem Interpreten der proteischen 9. Epode begegnen, zu formulieren: Wenn aus dem dramatischen »Jetzt« der Epode — wie man diesen Zeitpunkt auch verstehen mag hervorgehen sollte, der Dichter habe es mit Absicht vor wichtigen Ereignissen bei Actium zeitlich festlegen wollen, was bewirkt und bezweckt Jdann eine solche Prozedur?! Hat Horaz von Haus aus damit gerechnet, dass der Leser die späteren, d.h. die nach der Seeschlacht erfolgten Ereignisse für sein Verständnis des Gedichts ohne weiteres fruchtbar macht? Dann müsste man mindestens verlangen, dass der Dichter dem Leser gewisse Peilsignale gibt, um ihn vor Missverständnissen oder Verwirrung zu bewahren. Diese letzte Bemerkung mag ironisch für den klingen, der die Diskussion zu diesem Gedicht näher kennt. Aufgrund der verwickelten Forschungsgeschichte könnte man eher zu der Meinung neigen, dass der Dichter das Ziel verfehlt habe, sich einigermassen klar mitzuteilen. Der Fehler liegt trotzdem nach meiner Überzeugung auch diesmal bei den Interpreten. Ich denke dabei nicht so sehr an den Misserfolg mancher Interpreten, einzelne Auskünfte im Gedicht richtig deuten zu können - dies ist ein Teil der gewöhnlichen Interpretationsdialektik -, als an die allgemeine Vernachlässigung, zwischen dramatischer und kompositioneller bzw. editorischer Zeit zu unterscheiden.

Die neunte Epode

67

Franz Buecheler, dessen kurze Erläuterungen zu den Problemen der Epode mit Recht als Ausgangspunkt für die modernen Deutungsversuche bezeichnet werden können, schliesst seinen bewunderungswürdigen Kommentar? wie folgt ab: epodum igitur crede factam IV nonas Septembres anni DCCXXII vesperi in aliqua Liburnica.* Der letzte Berichterstatter zu allen wichtigeren Fragen dieser Epode, Aldo Setaioli, den man gern als verlässlichen Cicerone in jeder problematischer Forschungslage empfiehlt, befürwortet dieselbe Auffassung: »L’epodo & scritto duncque la sera stessa del giorno della battaglia, dopo che questa € cessata, ma prima della resa delle navi.«* Das Missverständnis kann besonders bei einem politischen Gedicht folgenschwer sein. Zwischen fiktionaler und kompositioneller Zeit mag eine kürzere oder längere Spanne liegen,° aber die Möglichkeit, womit man ohne weiteres rechnet, dass nämlich der

Dichter am selben Abend, an dem das Schiffssymposium stattfindet, das Gedicht in die uns vorliegende Form gegossen habe, ist schon an sich so unwahrscheinlich, dass sie ohne weiteres abgelehnt werden kann. Es ist aber nicht hinreichend, auf die eigene immanente Zeit eines Gedichts aufmerksam zu machen, es kommt auch offenbar darauf an, wie diese Zeit im Laufe des Gedichts verwirklicht wird,

nicht zuletzt an welcher Stelle im hervortritt und inwiefern sie klar etabliert wird. Die erste Epode Problem: Mit den Futurformen bestimmter Termin anvisiert, der

Gedicht die zeitliche Distanz auf einmal oder allmählich bot in dieser Hinsicht kein wurde vom Anfang an ein Tag des Absegelns, und der

Dichter vermittelt den Eindruck, vor diesem Termin Maecenas anzureden; im Laufe des Gedichts wurden die näheren zeitlichen

Umstände nicht weiter präzisiert. Es darf aber keineswegs als gegeben gelten, dass die fiktionale Zeit überall so unproblematisch auftritt. Die Verwirrung anlässlich der 9. Epode scheint zum Teil darauf zurückzugehen, dass der Leser erst allmählich und fast nebenbei auf die Spur der zeitlichen (und lokalen) Fixierung der Szene kommt. Wenn man aber die diesbezüglichen Fragen als erledigt betrachtet — und sie dürfen tatsächlich dank neuerer

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Untersuchungen als geklärt gelten -, dann bleibt nichtsdestoweniger das problematische Verhältnis zum Aussichtspunkt des Lesers bestehen, der dem Inhalt des Gedichts, den darin enthalte-

nen Vermutungen, Hoffnungen und Gefühlen unter reichlich verschiedenen Umständen begegnet. Eine unpräzise Vorstellung von der Abfassungszeit als mehr oder weniger identisch mit der dramatischen Zeit der Epode, trägt leicht dazu bei, das besondere politische Augenmerk zu trüben. Was immerhin feststeht, soweit überhaupt von Datierung in Verbindung mit der Epodensammlung gesprochen werden kann, ist dass diese erst, nachdem die ganze Actium-Expedition abgeschlossen worden war, veröffentlicht wurde. War Horaz als comes Maecenatis selbst dabei, was wir glauben, kann er seine Gedichte

erst zur Sammlung vereint haben, nachdem er nach Hause zurückgekehrt war. Dies muss noch heute unterstrichen werden, denn man erhält gelegentlich den Eindruck, Horaz habe in letzter Stunde die neunte Epode zu einer bereits »druckreifen« Epodensammlung nachgetragen. Wie lange nach dem Actium-Feldzug die Veröffentlichung stattfand, lässt sich nicht genau ermitteln; nach der in dieser Abhandlung vertretenen Auffassung sollte man sich aber die Zeitspanne nicht zu knapp vorstellen. Andererseits scheint Horaz selbst einen terminus ante mit der Ode I 37 (nunc est bibendum) anzudeuten; dies heisst, dass die Epodensammlung vor August 30 fertig vorlag. Ganz sicher ist aber dieses Kriterium nicht. Man wird sich nämlich fragen können, ob das triumphale Thema überhaupt zum jambischen Genos passte. Rechnet man also mit einer Veröffentlichung in der ersten Hälfte des J. 30, vielleicht noch im Sommer jenes Jahres, trifft man vermutlich das

Wahre. Dies ergibt eine Trennungslinie im Schaffen des Dichters zu dem bellum Alexandrinum. Das entspricht also einer bedeutungsvollen Zäsur auf der zeitgenössischen politischen Bühne: der schon siegreiche Octavian konnte im August 30 die reifen Früchte seiner Übermacht ernten. Horaz hätte sich der politischen Lage kaum vollauf gewachsen gezeigt, wenn diese ungeheure Machtverschiebung sich nicht deutlich in seiner gleichzeitigen Dichtung widerspiegelte. Andererseits musste er irgendwie der Tatsache

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Rechnung tragen, dass das endliche Ziel noch nicht ganz erreicht worden war, dass man sich im Laufe der nächsten Monate nach

Actium mitten in einem für die Zukunft bedeutungsvollen Prozess befand, der besonders zur geschichtlichen Besinnung einladen musste. Wir wollen demnach im folgenden von der Arbeitshypothese ausgehen - ich verweise dabei zugleich auf die Deutungen der 1. und 7. Epode -, dass wir es bei den wichtigeren, mehr profiliert politisch-nationalen Erklärungen des Horaz nie mit »geschichtlichen« Äusserungen zu tun haben, bei denen wir uns nach eigenem Gutdünken in eine bestimmte Situation einer früheren Periode versetzen dürfen, sondern, dass der Dichter sorgfältig die Konstellation der Umstände zur Zeit der Veröffentlichung berücksichtigt. Man musste ihn ja im J. 30 als eine offizielle Stimme der siegreichen factio Octavians betrachten. Läge ihm stattdessen am Herzen, etwa einen persönlichen Werdegang oder den leidvoll verwickelten Ablauf einer früheren Periode durchschimmern zu lassen, dann hätte er ebenso sorgfältig dafür sorgen müssen, dem Leser sichere Anhaltspunkte für Rückdatierungen zu zeigen. Warum hat Horaz dann bei der Behandlung von Actium in der 9. Epode nicht die Gelegenheit benutzt, die Errungenschaften dieser Expedition in voller Breite darzustellen oder jedenfalls anzudeuten? Warum hat er vor dem gewiss glanzvollen Abschluss dieser Expedtition innegehalten? Irgendwie muss er einen besonderen dichterischen Reiz darin gesehen haben, aus dem unvollendeten Teil etwas Gültiges und Aktuelles herauszuarbeiten. Ziel der folgenden Seiten ist nicht zuletzt, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Wenn der Leser beim Aufrollen der Sammlung zur 9. Epode kam, stand er aufgrund der beiden früheren Gedichte (1 und 7) mit einem »gespaltenen Bewusstsein« da. Einerseits war ihm nach wie vor eine Betrachtung aus der nachaktischen Perspektive heraus ganz selbstverständlich, andererseits hatte er sich mit dem Dichter in das kritische Vorspiel mit seiner Verzweiflung und seiner Gegenbewegung hineinversetzt. Kurzum: er will ohne sein post eventum-Wissen aufzugeben, offene Sinne für die geschichtli-

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che Bedingtheit der neuen Epode haben. Wenn nun die heutigen Forscher einen bestimmten Zeitpunkt inter bellum Actiacum im Gedicht wiederzufinden meinen, dann wäre ein solcher Gesichtswinkel von vornherein vom Dichter gut vorbereitetet worden. Viel kommt trotzdem darauf an, wie diese Kenntnis und diese Perspektive dem Leser vermittelt werden. Weil es für unsere Analyse von Vorteil ist, den Ablauf der

Actium-Expedition möglichst präsent vor Augen zu haben, sowohl vor wie auch nach der zentralen Seeschlacht, möchten wir

hier an diesen für Horazens Publikum besser bekannten oder gar miterlebten Bezugsrahmen erinnern. Wir können dabei zumeist auf den Untersuchungen von Kromayer und Wurzel basieren, die beide ihren Darstellungen die Geschichtsschreiber zugrunde legen (Dionys von Halıkarnass, Plutarch, Sueton, Livius, Florus,

Orosius). Man muss allerdings davor warnen, voreilig Horaz als »gleichzeitige Quelle« gegen jene Historiker auszuspielen, eben deshalb, weil Horaz sich dem Geschehnisablauf gegenüber höchst eigenwillig und eklektisch verhält, was anders kaum zu erwarten wäre. Hier wie sonst rechnet Horaz offenbar mit dem einsichtsvollen Leser. In diesem Fall war er dazu um so mehr berechtigt, als es sich ja um die grösste Nachricht in der römischen Welt seit der Seeschlacht von Naulochos fünf Jahre früher handelte. Im Laufe des Herbstes und des Winters 32/31 hatten Antonius und Kleopatra, mit Patrai als Hauptquartier, ihre Stärke entlang der Westküste von Hellas aufgebaut. Die Hauptmasse der Flotte war in die Ambrakische

Bucht verlegt; Stützpunkte waren von

Methone bis Korkyra errichtet. Im Frühjahr 31, vielleicht noch vor dem Ende des Winters, hatte Agrippa als Vorbereitung zur Hauptattacke, die unter Octavians Leitung erfolgen sollte, damit begonnen, die Stützpunkte zu stören und die Verbindungslinien des Gegners aufzurollen. Um die Mitte des März setzte dann der Hauptteil der Flotte und des Heeres nach Epirus über. Das Ziel war ohne Zweifel, sich der Flotte des Antonius in der Ambraki-

schen Bucht durch Überraschung zu bemächtigen. Dieser Plan kam zum Scheitern. Octavian befestigte sein Lager auf der strategisch günstigen Höhe von Mikalitzi, während Antonius

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Hals über Kopf seine Basis südlich des Sundes, auf der Landzunge von Actium ausbaute,” Im Laufe der kommenden Monate erreichte es Octavian, eine effektive Blockade von der Seeseite her zu etablieren, dank strategischer Initiative und einer numerisch

überlegenen Flottenmacht. Der Versuch des Antonius, als Gegenzug das Lager der Caesarianer von der Wasserversorgung abzuschneiden und überhaupt den Gegner zur Landschlacht herauszufordern, blieb ohne Erfolg. Das besondere Problem der Antonianer waren Krankheiten, Ausbleiben der Versorgung und Abfall. Die Abtrünnigen waren ein Anzeichen dafür, wie man die Chancen des Antonius im eigenen Lager beurteilte. Zweimal kam es zu grösseren Reitergefechten an der Nordseite der Mikalitzi-Höhe. Beide Male wurde die Reiterei des Antonius in die Flucht getrieben. Im Kielwasser der letzten dieser Niederlagen verliess der Galaterkönig Amyntas die Reihen des Antonius und schloss sich mit seinen Reitern Octavian an. Dies geschah vermutlich in der letzten Hälfte des August. Mit den übrigen Verlusten und Rückschlägen bedeutete dies, dass die Reiterei und

damit die ganze Heeresmacht des Antonius im Verhältnis zur Gegenseite ernsthaft geschwächt worden var.® Bald nach diesem Abfall wurden alle weiteren offensiven Operationen auf der Nordseite des Sundes aufgegeben; Antonius zog sich aus dem hierfür eigens errichteten Hilfslager zurück und konzentrierte seine Kräfte auf der Südseite. Wenn Kromayers Auffassung richtig ist, war es in dieser Stunde, dass Antonius den Entschluss fasste, die Blockade zu brechen, wenn nötig durch Kampf, um zu retten, was noch gerettet werden konnte.? Der zurückgebliebene Teil des Heeres sollte versuchen, sich nach dem westlichen oder

nordöstlichen Teil von Hellas durchzuschlagen. Octavian, der über die Pläne seines Gegners gut unterrichtet war, lag jeden Morgen bereit, um dem Ausbruchsversuch zu begegnen. Vier Tage wurde dieser Versuch durch schlechtes Wetter verhindert. Endlich am Morgen des 2. Septembers herrschte Windstille. Die Flotte Octavians hatte ihre Stellung vor dem Sund eingenommen. Um Mittag drängte sich die Linie des Antonius nach vorn. Die Flotten wurden in heftigen Kampf verwickelt. Nach ein paar

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Stunden wurde der Wind zur Flucht günstig. Die Flottenabteilung Kleopatras, die als Reserve in Bereitschaft lag, fand eine Öffnung und kam frei. Als Antonius dies sah, verliess er die kämpfenden Reihen. Nur wenige Schiffe folgten ihm.!° Ein grosser Teil seiner Flotte setzte den Kampf noch eine Zeitlang fort; einige Schiffe waren schon versenkt, andere untüchtig gemacht.!! Am Nachmittag kam starker Wind von Süden (bzw. Südwesten). Der noch unbeschädigte Teil der feindlichen Schiffe zog sich nach dem Hafen in der Preveza-Bucht zurück. Die Flotte Octavians blieb vor dem Sund liegen, um den Feind am Ausbruch zu hindern.!? Am nächsten Morgen, dem 3. September, übergab sich die Flotte im Hafen.!? Der zurückgebliebene Teil des Landheeres war aber schon nach dem Inneren des Landes unterwegs. Die gemeinen Soldaten waren jedoch weiterer Strapazen überdrüssig geworden. Eine Woche nach der Seeschlacht akzeptierten sie Octavians Bedingungen; der kommandierende General lief davon. Damit war die Expedition in Hellas endgültig vorüber. Weitere Kämpfe, wenn es dazu kommen sollte, würden

jedenfalls hier nicht stattfinden. Antonius und Kleopatra waren zwar geflohen — das tat der Freude an dem nicht allzu blutigen Sieg ohne Zweifel einen Abbruch --, aber der Krieg konnte noch nicht als abgeschlossen gelten. Die Ressourcen des Feindes waren noch immer bedeutend.!* Octavians Vorbereitungen zum Schlussgefecht nahmen geraume Zeit in Anspruch. Furcht vor dem Ausgang spielte wohl keine grosse Rolle in dieser festinatio lenta. Octavian liess den gewonnenen Sieg für sich arbeiten. Antonius erlebte weiteren Abfall seitens seiner Verbündeten. Als es schliesslich zur Entscheidung kam, fiel dem Actium-Sieger die ganze Beute ohne grosse Mühe in die Hand. Wenn wir im folgenden das Gedicht fortlaufend kommentieren, geschieht es nicht primär, um der herkömmlichen Art und Weise des Kommentierens zu genügen, sondern weil wir es wesentlich für das richtige Verständnis betrachten, den Weg des unvoreingenommenen Lesers nachzuvollziehen:

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Quando repostum Caecubum ad festas dapes victore laetus Caesare tecum sub alta - sic!° Iovi gratum — domo, beate Maecenas, bibam

5 sonante mixtum tibiis carmen Iyra, hac Dorium, illis barbarum,

ut nuper, actus cum freto Neptunius dux fugit ustis navibus minatus urbi vincla, quae detraxerat 10 servis amicus perfidis?

Ohne näheren Hinweis auf die zeitliche oder lokale Situation des Dichters, wird der Leser mit der Frage an den Freund Maecenas konfrontiert. Die Anrede knüpft eine Verbindung zur Einleitungsepode. Der Name Maecenas steht an beiden Stellen im 4. Vers und im Vers am selben Platz.!° Wie in der ersten Satirensammlung ist der Name des Gönners an struktural bedeutungsvoller Stelle angebracht. Dort wurden die beiden Hälften der Sammlung durch den Namen Maecenas markiert, hier wird die höhere und bedeutungsvollere Mitte hervorgehoben. Die formale Übereinstimmung führt den Leser ungezwungen zu der Frage, wie sich die neue Anrede zur ersten verhält. Dort stand man vor einer gefahrvollen Expedition. Was ist seitdem geschehen? Was ist den beiden Freunden passiert? Es lag in der Darstellung der kritischen Situation und in der Blickrichtung auf die Zukunft implizite eine Erwartung, das weitere Schicksal des Maecenas und des Dichters dargestellt zu sehen. Insbesondere für den zeitgenössischen Leser hatte Horaz ein A gesagt, das man ohne ein B als Bruchstück der Gegenwartsgeschichte empfinden musste. Der partielle Charakter der 1. Epode wurde nur noch fühlbarer bei dem harten und verzweifelten Angriff auf die rebellischen Bürger (epo. 7), die dafür verantwortlich waren, wie man

es gern kombinieren

möchte, dass Caesar, Maecenas

und

Horaz ins Feld ziehen mussten. Dies liegt nun alles auf der dramatischen Wirklichkeitsebene, wie ihr der Leser in der Sammlung begegnet; er weiss ja eigentlich, wie es zuging, dass bisher

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alles glücklich verlaufen war. Um so mehr musste er erwarten, die Siegesleistung in hellem Licht dargestellt zu finden. Hat nun Horaz diese Erwartung erfüllt? Nein, offenbar nicht ganz, und doch wieder: ja. Die Anrede

an Maecenas

ist diesmal

eine Frage, wann

er,

Horaz, mit ihm zusammen beim festlichen Gelage trinken werde (quando tecum ... bibam). Diese Frage nach dem künftigen Zeitpunkt ist in einen syntaktischen Zusammenhang eingebettet, der auf eine zentrale frühere Begebenheit als Exemplum hinweist: Die beiden Freunde haben schon einmal eine offenbar ähnliche Krise glücklich überstanden und mit einem gemeinsamen Fest gekrönt. Der Leser wird zunächst ganz natürlich bei der ersten Begegnung mit diesem Gedicht die Periode aus der Perspektive der post bellum Actiacum-Situation verstehen.!?’ Er weiss ja schon selbst, dass die Zeit auch für ihn noch nicht da ist, um den endgültigen Sieg Caesars zu feiern: Octavian ist noch immer im J. 30 abwesend, noch leben seine erbitterten Gegner, sich auf bedeuten-

de Streitkräfte und Reichtümer stützend. Die Expedition, die bei Actium abgeschlossen worden war, Konnte sogar im allgemeinen Bewusstsein als enttäuschend oder mangelhaft gegolten haben. Es war bislang kaum zu erraten, dass das Geleistete einen eigenen Triumph verdienen sollte. Die Abrechnung mit den äusseren Feinden, in der offiziellen Sprache mit Kleopatra, war das übergeordnete Ziel, und weil die ägyptische Königin noch fast unversehrt in ihrer Hauptstadt herrschte, war sicher für viele der Siegesanspruch Octavians etwas mangelhaft. Dass in dieser Art und Weise der »nach-actische« Leser des Gedichts in eine Zukunftsperspektive hineingezogen wird, fassen wir als Teil der dichterischen Intention auf. Im Lichte dieser Perspektive wird man in der Interpretation kaum den futuralen Bezug im Glied victore laetus Caesare einfach ablehnen können. Wie also der Dichter das Fest mit Maecenas in der Zukunft sieht, so ist auch,

jedenfalls als eine Deutung, der Sieg Caesars Sache der Zukunft, und nicht nur der Sieg, sondern auch die darauf beruhende Freude.*®

Die neunte Epode

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Aber kaum hat der Interpret bzw. der Leser diese Deutung des prädikativen Gliedes (V. 2) formuliert, so muss er gestehen, dass sie nicht die einzige zu sein braucht. Es ist aber nicht so, als ob laetus einen Gegensatz, etwa zu maestus, in der Stunde der Anrede impliziere — eine solche Annahme ist als Fehlspur in der Deutung zu bezeichnen,!?

sondern

man

wird sich im Hinblick

auf die

Situation des Lesers fragen, ob victore laetus Caesare eine aktuelle Empfindung sei. Falls man also legitim den Anfang abwartend deuten kann, so ist der Leser schon hier vermutlich etwas unschlüssig betreffs der Situation des Dichters, ob er aus seiner eigenen Gegenwart, d.h. dem J. 30, oder aus einer früheren Situation spricht. Denn nach der 7. Epode liegt der Gedanke an eine weitere Äusserung über die unsichere, chaotische Lage nahe. Eine mehrschichtige Spannung tut sich demnach auf. Eine Präzisierung ist deshalb im Laufe des weiteren Gedichts erwünscht: Wie soll der Leser Octavians Sieg bei Actium beurteilen? Octavian ist doch gewissermassen schon ein victor; victore laetus Caesare kann also für ihn, den Leser, nicht ausschliesslich Zukunft sein. So muss seine Aufmerksamkeit und seine Spannung auf die Fortsetzung durch diese Offenheit und Mehrdeutigkeit am Anfang angeregt sein.?° Wenn wir die offene Form richtig erkannt haben, so scheint der Dichter die Stimmung post bellum bewusst einzukalkulieren: Einerseits ist ein wesentlicher Sieg über den Feind schon gewonnen, andererseits steht die Beendigung des Krieges noch aus, so dass man noch kein richtiges und endgültiges Freudenfest begehen kann. Wenn wir aber die fortlaufende Art, ein Horaz-Gedicht zu lesen, ernst nehmen wollen, dann haben wir noch keinen Anhaltspunkt gewonnen, um eine Perspektive während der Operationen bei Actium zu etablieren, so wie man auch bei der Alfius-Epode

(2) nicht mit der widersprüchlichen Perspektive des Wucherers rechnen kann, ehe man

das Ende des Gedichts erreicht hat. In

beiden Fällen müssen wir uns zunächst damit begnügen, die Aussage des Dichters aufgrund einer unvollständigen Kenntnis der Situation zu beurteilen. Information, die von Belang für das

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Verständnis des Ganzen ist, aber erst später mitgeteilt wird, muss also in solchen Fällen zum zweifachen »Lesen« führen — ein vorläufiges und begrenztes, aber deswegen nicht minder gültiges, und ein späteres, einsichtsvolleres. Das dieses im Laufe des Gedichts hinzugekommene Wissen etwas Schlagartiges an sich haben kann, ist deutlich genug in der zweiten Epode zu sehen. Diese innere Dynamik des Gedichts bringt es auch mit sich, dass man am Ende ein reflektiertes, aufgeschlossenes Verhältnis zum früher Gesagten bekommen kann. Es kann deshalb eine wichtige interpretatorische Frage werden, wie sich unsere Position während des Gedichts durch eine (allmähliche) Klärung der Gedichtsituation ändern kann. Wir greifen durch diese Bemerkungen schon selbst etwas voraus. Was aber schon hier bemerkt sein soll, ist die fein abgewogene Ponderierung des Dichters, die sowohl auf die Situation vor Actium wie auch auf diejenige nach Actium Rücksicht zu nehmen scheint. Auch das nicht ganz durchsichtige sic /ovi gratum ist Teil eines solchen Zusammenhanges. Wir wissen zunächst nicht recht, ob wir est oder erit ergänzen sollen oder wie wir überhaupt das Wohlwollen Juppiters zu verstehen haben.?! Nichts wird aber gesagt, das den gewonnenen Sieg bei Actium verringern Könnte. Victore laetus Caesare ist wahr auf zwei Ebenen, sowohl wenn man auf Actium zurückblickt als auch wenn man auf die Zukunft blickt, d.h. vom Standpunkt des J. 30.

Der Abstand zur ersehnten Zukunft ist nicht notwendigerweise gross. Das quando, das von vornherein etwas Ungeduldiges an sich haben kann, wird man als Ausdruck einer Sehnsucht nach

einer schon greifbar nahen und erwarteten Lösung auffassen können. Vom Standpunkt des Lesers des J. 30 suggeriert also Horaz durch die vier ersten Verse eher Optimismus. Noch können wir nicht wissen, ob die Hervorhebung des Maecenas-Hauses als Szene des Symposions eine eigene Funktion hat. Denn vorläufig, ehe Horazens Situation näher bestimmt worden ist, sieht man den Abstand zum ersehnten Freudenfest nur noch als einen zeitlichen, in quando befindlichen.

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Ut nuper gibt sodann einen Hinweis auf ein Freudenfest als Exemplum und Muster für das von Horaz ersehnte an. Es liegt deshalb nahe, die nachfolgende Beschreibung als eine Parallele anzusehen, wenn auch ein weitgehender Parallelismus keine logische Notwendigkeit in sich hat. Das Beispiel aus der Geschichte konnte einzig dazu herangezogen worden sein, um die Art und Weise des Festes zu veranschaulichen. Der Leser sieht aber unschwer, dass der Dichter mit dem Hinweis auf das J. 36 die

Situation, die mit Actium gegeben war, ziemlich genau vorwegnimmt. Man sollte auf das Paradoxe dieser Prozedur achten. Durch die augenfällige Parallelität wird tatsächlich dem Leser gegenüber behauptet, dass Damals und Jetzt Entscheidendes schon gemein haben. Die Beschreibung von Naulochos mutet wie eine Aufforderung an, die Parallele zu beachten und daraus stillschweigend Schlussfolgerungen zu ziehen. Wie soll man sich dies erklären? Die Einleitungsverse muss man ja als heisses Verlangen nach einer noch nicht stattgefundenen endgültigen Abrechnung mit den Feinden deuten. Aus der Sicht des Ausgangspunktes hätte man erwarten können, dass Horaz auch die Unterschiede herausgearbeitet hätte. Aber Punkt für Punkt wird sich der Leser bei diesem Bericht sagen können: Dies ist ja auch bei Actium erreicht worden. Der feindliche Flottenführer, Neptunius dux,?? wurde vom Schlachtfeld vertrieben und floh, nachdem

seine Schiffe in Brand gesetzt worden waren (ustis navibus). Hier kommen zwar zunächst nur die Gewässer bei Naulochos in den Blick. Es wäre aber ein sonderbarer Zufall, wenn

Horaz diese

Zeilen geschrieben hätte, ohne dass die Seeschlacht bei Actium schon stattgefunden hätte.?? Der Leser wird im einzelnen den Vergleich zwischen damals und jetzt ziehen können: Auch Antonius (mit Kleopatra) wurde 1) actus ... freto;?* 2) dann ist auch er geflohen (fugir); und 3) auch seine Schiffe wurden (und gleicherweise natürlich nur zum Teil) verbrannt. Dass ustis navibus?° oder Entsprechendes im Gedicht nicht eigens von Antonius gesagt wird, bedeutet keine Ungleichheit in der Parallelisierung der beiden Gegner Octavians. Völlige Korrespondenz ist beim Vergleich nicht zu erwarten. Für Horaz zählt erstens die Ökonomie

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in Wörtern und Bildern; zweitens war die Extrapolation dieser Tatsache ohne weiteres leicht für denjenigen, der sowohl die Niederlage des Sextus Pompeius als auch die des Antonius aus unabhängigen Berichten schon kannte.?° So hat denn Horaz später auch diesen Zug zu seinem Bild der Schlacht hinzugefügt; vgl. die Ode I 37, 13 vix una sospes navis ab ignibus.?” Im Falle des Sextus springt gleichsam iin die Augen, was nicht gesagt wird, nämlich das weitere Schicksal des Gegners.?® Ehe Sextus von einem Vertrauensmann des Antonius, Titius, ermordet wurde, hatte er ein Heer von drei Legionen um sich geschart;

es handelte sich beim allerletzten Kapitel seiner Saga — Monate nach der Schlacht bei Naulochos und der Triumphfeier in Rom — nicht um reine Liquidation. Dazu wird aber von Horazens Seite kein Wort laut. Einen solchen Hinweis zu geben, hat er offenbar als überflüssig oder unerwünscht betrachtet, überflüssig, weil Sextus nach der Flucht zu keinem Zeitpunkt kaum als gefährlich für die beiden Triumvirn oder für Rom empfunden wurde. Man kann auch geltend machen, dass eine diesbezügliche Auskunft im Rahmen der immerhin knappen Erwähnung nichts weiter als eine lahme Antiklimax gewesen wäre. Zudem ist zu vermuten, dass ein Hinweis auf den Tod des Sextus nicht gerade erwünscht war, denn Octavian hatte in seiner Propaganda gegen Antonius seinem Rivalen den Tod des Sextus zur Last gelegt;?” sein Name bedeutete offensichtlich noch etwas in gewissen Kreisen in Rom und Italien.?° Schliesslich kann wohl das Schweigen des Dichters geradezu als überlegt bezeichnet werden. Wir sahen bereits, dass sich anfangs die Sehnsucht des Dichters auf eine Art privater triumphähnlicher Veranstaltung richtete, die er in dieser Weise mit seinem Freund Maecenas fünf Jahre früher begangen hatte. Die Beschreibung jenes Festes suggeriert gleichsam den Eindruck, dass etwas (beinahe) Entsprechendes schon durch die naheliegende Äquivokation von Naulochos und Actium erzielt worden ist. Indirekt wird so jede Vorstellung von Mühen und Gefahren in Verbindung mit dem noch bevorstehenden Teil des Krieges gedämpft. Wie Sextus Pompeius schon mit seiner Flucht tatsächlich als erledigt gelten konnte, so ist es auch, dürfen wir heraushö-

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ren, mit Antonius und Kleopatra der Fall. Ein Siegesfest ist deshalb in greifbarer Nähe. Bereits an dieser Stelle im Gedicht wird der Leser auf den Gedanken geführt, dass Caesar schon ein victor sei, so wie er es bei der früheren Gelegenheit war, insofern

es nämlich auf die Schlacht selbst ankommt. Welche Art von Zusammensein hat nun Horaz als Siegesfest in seiner Vorstellung? Auch in dieser Frage dürfen wir von der Übereinstimmung zwischen damals und jetzt ausgehen. Wenn der Rahmen dieses Festes das Haus des Maecenas sein soll, kann es

kaum ohne weiteres als privat bezeichnet werden; die private Feier ergänzt die offizielle, sie sind als die beiden Seiten desselben Siegesmedaillons zu betrachten. War doch Maecenas aufs engste mit dem Sieger selbst verbunden. Die kapitolinischen Triumphalakten teilen mit, dass eine Ovation anlässlich des Sieges über Sextus in Rom am 13. November des Naulochos-Jahres stattfand.°! Appian teilt in diesem Zusammenhang mehrere Einzelheiten mit:?? »Als er [Octavian] nach Rom zurückkehrte, hat der Senat Ehrenbezeigungen ohne Ende beschlossen ... Am nächsten Tag proklamierte er [Oct.] Frieden und gute Hoffnung, dass die Bürgerkriegszeit zu Ende sei, erliess unbezahlte Steuern usf. ... Von den votierten Ehrenbezeigungen nahm er eine Ovation und eine alljährliche Feier an den Siegestagen an nebst einer vergoldeten Statue, die auf dem Forum stehen sollte, in Verbindung mit einer Speisung des Volkes, vor allem auf dem Capitol, aber auch an anderen Stellen in der Stadt.« Diese letzte Massnahme war kaum etwas Aussergewöhnliches. Ausdrücklich werden wir nur in Verbindung mit der Ovation des Tiberius aus dem J. 9 v. Chr. darüber informiert.°? Sowohl Ovation?* wie auch Triumph galten dem Juppiter Optimus Maximus. Ihm weihte der siegreiche Feldherr seinen Siegeskranz und einen Teil der manubiae. So wurde auch die Feier selbst als kultischer Akt für den höchsten Gott angesehen. An den Gott selbst sollte der triumphierende Sieger durch seine Tracht und sein rotgefärbtes Antlitz erinnern. Die Siegesfeier kommt dem Gott deswegen zu, weil er dem Feldherrn den Sieg gesichert hat. Der Tempel des Juppiter O.M. ist Ziel des Zuges; das Opfer,

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aus weissen Ochsen bestehend, wurde dem Gott an seinem Altar

dargebracht, und der Siegeskranz wurde in seinen Schoss niedergelegt. Auch die nachfolgende Feier fand Juppiter zu Ehren statt. Die enge Verknüpfung zwischen Juppiter und Sieger scheint im Falle Octavians noch enger gewesen zu sein. Der Tag für die Feier scheint mit Bedacht gewählt worden zu sein. Die /dus Novembres waren nicht nur wie andere Iden feriae publicae, sondern im Kalender mit der Beischrift feriae Iovis bezeichnet. Am vorhergehenden Tag hatten die Ludi plebeii begonnen. An dem Tag, der Juppiter geweiht war, fand das sog. Epulum Iovis statt. Nach diesem Brauch hatte Juppiter den Beinamen Epulo, auf dem Lande Dapalis, erhalten.?® Auf diesem kultisch-religiösen Hintergrund fand nun an den Iden des Novembers im J. 36 ein privates Fest im Haus des Maecenas statt. Der rückblickende Dichter sieht dieses Fest gleichsam als Abbild und humorvolle Widerspiegelung der Ovationsfeier an. Dass eine solche festliche Begehung dem Juppiter lieb sein musste, versteht sich aus der Ovationsfeier von selbst; war ja der Gott Ziel und Mittelpunkt der ganzen Veranstaltung. Und eine noch grössere Prägnanz bekommen also die Worte des Dichters, wenn wir darauf acht geben, dass die ovatio damals am

Tage des traditionellen Epulum Iovis stattfand. Auf ein paar weitere Punkte möchten wir in diesem Zusammenhang aufmerksam machen. Keinem Leser des V. 3 ist wohl das erlesene Hyperbaton entgangen: tecum sub alta — sic Iovi gratum — domo. Juppiter selbst wird gewissermassen vom Haus des Maecenas umfasst. Hierin liegt wie oft bei Horaz eine illustrierende Funktion: Auch bei den trinkenden, jubelnden Freunden wird Juppiter im Zentrum stehen. Aber damit nicht genug: Auch die Bezeichnung, die Horaz für das Haus des Maecenas in diesem Vers gefunden hat, spielt auf den grösseren Kontext der Feier an, denn alta domus will zugleich an den mächtigsten Bau Roms erinnern, den kapitolinischen Tempel des Juppiter Optimus Maximus, das Zentrum der ovatio-Feier. Durch solche Anspielung fällt ein Strahl religiöser Heiterkeit auf das Wunschbild des Dichters: Es ist, als wolle er den Gedanken

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nahelegen, dass sich die Freunde im herrlich ausgestatteten Haus des Maecenas gleichsam in der Wohnung Juppiters befänden.3® In diesem umfassenderen Licht von Triumphalvorstellungen und religiöser Stimmung sind auch die anderen Einzelheiten der Beschreibung sinnvoll. Die symphonische Musik ist vermutlich nicht weniger ein Reflex der offiziellen Feier. Horaz hebt das Zusammenspiel von Leier und Tibiae hervor. Denkt er nicht dabei zugleich an die dichterische Lyra, während das Blasinstrument an die Tibiae-Begleitung bei der Ovatio erinnert? Falls diese Musik während der Feier tatsächlich auf dem Capitol und im Juppiter-Tempel gehört wurde, wird die Parallele noch enger.?’ Ob Horaz sich die kommende Feier als ovatio oder als Triumph gedacht hat, spielt dabei eine geringere Rolle. Nichts in seinen Worten ist aber mit der Vorstellung einer ovatio unvereinbar. Wie er im folgenden die Kämpfe bei Actium und die Schlacht selbst schildert, würde man eher an eine ovatio als einen regelrechten Triumph denken. War ja die ovatio besonders bei einem weniger

blutigen Sieg die angemessene Feier. Zudem war die Hauptschlacht vor allem gegen römische Bürger ausgefochten worden’? Die beiden Verse 9-10 stellen die ideologische Grundlage der damaligen Auseinandersetzung dar. Diese Grundlage begründet zugleich den Freudencharakter des Festes. In Horazens Augen war nicht nur ein arger Feind besiegt, sondern vor allem eine Bedrohung gegen die Freiheit Roms und die gesellschaftliche Ordnung aus der Welt geschafft. Der Kampf galt der Libertas, denn Sextus hatte die Stadt mit Fesseln bedroht. Die Versorgung der italischen Bevölkerung, die von der Flotte des Pompeius schwer behindert wurde, wird nicht erwähnt.?? Horazens Darstel-

lung dürfte der offiziellen Propaganda entsprechen. Octavian war ja diesem Bilde zufolge vor allem ein Hüter der republikanischen Verfassung und der Sitte der Väter. Die Fesseln waren um so empörender, weil sie entlaufenen Sklaven abgenommen worden waren, als deren Beschützer und Freund Sextus auftrat.*° Dies konnte für römisches Bewusstsein nur das eine bedeuten, res novae, einen Umsturz der bestehenden Ordnung. Die Bekämp-

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fung solcher Elemente war nicht nur untadelig, sondern eine hohe Pflicht. Ein Sieg des Sextus hätte eine verkehrte Welt bedeutet; gleichzeitig wird die Aufmerksamkeit von dem Bürgerkriegscharakter der Auseinandersetzung dadurch abgelenkt, dass das Sklavenelement im Heere des Sextus hervorgehoben wird. In diesem ideologischen Teil des Sextus-Beispiels wird eine völlige Parallelität mit dem Fall des Ähtonius nicht angestrebt. Gleichwohl liegt die Übereinstimmung mit Antonius und Kleopatra auf der Hand: Die Abrechnung mit der Königin und ihrem Alliierten war ein Kampf für die Freiheit Roms gegen die Gefahr einer orientalischen Despotie. Der erste Punkt im SextusBeispiel (minatus urbi vincla) war nicht weniger aktuell*! und war auch nach Actium nicht überwunden; denn solange der Feind nicht endgültig beseitigt worden war, konnten die Worte auch über die Situation des Lesers einen Schatten werfen. Während also die Verse 7-8 indirekt an die bei Actium geleistete Kriegstat erinnern, ist die aktuelle ideologische Perspektive des 9. Verses noch immer kenntlich. Vor allem ist jedes Wort, das den Konflikt begründet, als wichtiges Defensiv-Mittel für Octavian in seinem Kampf gegen römische Bürger anzusehen, damals wie jetzt. Darüber hinaus liegt in dem V. 9 eine mögliche Begründung dafür, dass das Siegesfest im J. 30 noch etwas auf sich erwarten lässt.*? Wenn Horaz hervorhebt, dass die Sklavenmannschaft des Sextus aus entlaufenen Sklaven bestand, hat dies seine eigene Bewandtnis. Dies heisst natürlich, dass jene Sklaven rechtwidrig

ihren Herren als Eigentum abgesprochen worden waren. Die grosse Schande, die damit verbunden war, hat ihre Beziehung zur neuen Situation, nicht als Wiederholung, sondern als Gegenstück, das von dem neuen Gegner noch überboten wird.

11-16 Horaz hat den Begriff »römisch« für diese neue Stufe aufgespart; auch so wird der neue Konflikt ernster:

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Romanus eheu - posteri negabitis — emancipatus feminae fert vallum et arma miles et spadonibus servire rugosis potest 15 interque signa turpe militaria sol adspicit conopium. Diese Verse verdienen einen näheren Kommentar nicht nur wegen ihres ideologischen Inhalts, sondern auch mit Rücksicht auf die Zeitformen der Verba, die ja für den Blickwinkel und die Gültigkeit der Aussagen bestimmend sind. Zunächst aber zum spezifischen /nhalt. Wie die beiden vorhergehenden Verse die ideologische Begründung der damaligen Siegesfreude gaben, so stellt entsprechend die zitierte Partie die Begründung des aktuellen Krieges dar: Genau diese Schande zu entfernen, ist als das höchste Ziel Octavians anzusehen. Es wäre also von vornherein undenkbar, dass eine solche Partie anders als

präsentisch dargestellt würde. Denn mit diesem Zustand hat offenbar der Umstand etwas zu tun, dass die Siegesfeier noch nicht stattfinden kann. Unnötig zu sagen, dass dies oft missverstanden worden ist, als handele es sich hier etwa (nur) um einen Einblick in das Feindeslager. Der römische*? Soldat ist nunmehr einer Frau ausgeliefert; für sie muss er Schanzpfähle tragen und Waffen. Er führt mit anderen Worten ihren Krieg, und was noch schlimmer ist, er muss ihren naturwidrigen, abscheulichen Dienern gehorchen. Die Sextus-Partie wird dadurch überboten,

dass der Römer

schon ge-

knechtet worden ist. Was im vorhergehenden Exemplum (nur noch) Drohung gegen das freie Rom war (vincla), ist dem Leser im gegenwärtigen Konflikt viel näher an den Leib gerückt. Es braucht kaum eigens gesagt zu werden, dass Horazens Unterscheidung zwischen »Sklavenkrieg« von damals und »Bürgerkrieg« von jetzt (jedoch nicht als selbständig zu betrachtenden Bürgern) eine rhetorisch zugespitzte Wahrheit darstellt. Es kommt vor allem darauf an, diesen Römer als erniedrigt darzustellen. Es sollte beachtet werden, wie die beiden Heerführer,

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Sextus und Antonius, miteinander verglichen werden. Sie direkt gegeneinander zu stellen und zu vergleichen, hat er gemieden. Sein indirektes Vorgehen ist suggestiver. Gegen servis amicus steht ein Antonius, ohne dass es begrifflich eigens ausgedrückt wird, der dem freien römischen Bürger Schande zufügt.

In zwei Gliedern kommt die furchtbare Metamorphose des römischen Soldaten ’zum Ausdruck. Das eine Glied ist Romanus ... emancipatus feminae.** Das relativ seltene und technische Wort emancipatus*° lässt aufhorchen.*° Mit diesem besonderen Begriff hat Horaz die Vorstellung bereichern wollen, dass der römische Bürger zu einem mancipium, d.h. zu einem Sklaven als Ware,

gemacht worden ist. Der Sklave war ja das weitaus gewöhnlichste Objekt bei der mancipatio-Prozedur. Mancipatio, und damit die Handlung des emancipare, setzt ausser dem mancipium — dem zu übertragenden Objekt — sowohl einen Verkäufer wie auch einen Käufer voraus. Der Käufer ist in unseren Versen eigens erwähnt worden, femina, d.h. Kleopatra, deren Reichtum ja notorisch war und die ein grosses Heer besolden konnte. Der unerwähnte

Verkäufer ist Antonius. Man sollte diesen zweiten Kontrahenten hier mitberücksichtigen. Auch Antonius soll, wenn auch am Rande, sichtbar werden als verantwortlich für den schimpflichen Dienst des ehedem stolzen und freien römischen Soldaten. Ist hierin nicht zugleich ein kleines Entschuldigungsmoment für diesen

Soldaten

mit enthalten?

Er soll wohl

nicht, etwa

im

Gegensatz zu jenem Sklavenheer, in Bausch und Bogen verdammt werden. Er wird zwar hart von Schande getroffen, aber nicht jenseits der Amnestie. Ihm den hostis-Stempel aufzudrücken oder mit seinem Führer in Mitleidenschaft zu ziehen, war offenbar nicht erwünscht. Es soll ja für ihn, den reuevollen, einen möglichen Rückzug geben. So reflektiert Horaz wohl auch hier die Politik Octavians.*”? Als zweites Glied dieses Versklavungsthemas hören wir von dem Dienst des Soldaten für runzelige Eunuchen. Dies verstärkt die Richtung des vorhergehenden Gliedes und zeigt eine weitere Erniedrigung. Nicht einmal Soldatendienst im herkömmlichen Sinne wird dem Römer bei Kleopatra gewährt; er muss sich noch

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mehr demütigen, indem er diesen verächtlichen Dienern zu Diensten stehen muss, deren Aussehen und unmännliches Wesen so stark vom echten, soldatischen Wesen abweichen und auf jeden Römer, auch den Soldaten des Antonius, abscheulich wirken muss. Daher potest: Der Soldat muss es über sich bringen, einen solchen Dienst zu machen. Dies wird noch kräftig durch die Iuxtaposition von miles und spadonibus unterstrichen, obwohl der

Begriff miles syntaktisch schon zum ersten Glied gehört. Der Kontext bedingt es also, dass wir servire in vollem Sinne nehmen müssen.*® Diese Sklaverei ist um so empörender, als das barbarische Hofgesindel für Horaz moralisch minderwertig ist.*° Trotzdem tritt das Bild der herkömmlichen Beschäftigung des römischen Soldaten hervor. So stossen schroff die westliche und östliche Welt gegeneinander, und zwar in einer für den Westen ehrlosen Weise. Das Gewicht liegt auf der allgemeinen Charakteristik, nicht auf den besonderen Verhältnissen bei Actium. Auch die SchmerzInterjektion eheu trägt dazu bei, das Bild ins Allgemeine zu transponieren. Das Unglaubliche daran - posteri negabitis — wird als dauerhafter Eindruck hervorgehoben. Gewöhnlich wird jedoch angenommen, dass Horaz mit diesen Versen einen Blick in das feindliche Lager gewährt, so wie es auf dem Vorlande südlich des Actium-Sundes errichtet worden war. Eine Einzelheit stimmt aber dazu nicht gut: fert vallum et arma. Diese Beschreibung passt viel besser zur Vorstellung eines marschierenden Heeres als zu derjenigen des regulären Lagerdienstes.°° Dass Horaz jedoch von »Autopsie« angeregt sein mag, steht auf einem anderen Blatte. Eine solche Vermutung bekommt sogar durch die letzten Verse eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Unsere Behandlung der vier ersten Verse dieser Partie wäre aber keineswegs vollständig, wenn wir die Linie zu den beiden vorhergehenden politisch-nationalen Gedichten nicht aufzeigten. Die begrenzte Perspektive des Einzelgedichtes lässt sich in dieser Weise erweitern. Im Verhältnis zur 7. Epode wird die Gegenseite so gekennzeichnet, dass an der Stellungnahme des Dichters ım Ganzen nicht länger gezweifelt werden kann. Es gibt, wie man

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schon in der 7. Epode ahnt, eine bestimmte Trennungslinie der Werte. Wer den Horaz der 7. Epode zu einem nicht-beteiligten Beobachter macht, der muss, wenn er zu unserer Epode kommt,

eine vorausliegende persönliche Entwicklung hinzudenken, wofür ihm der Dichter selbst direkt keinen Rückhalt gibt. Der Unterschied der beiden Epoden erklärt sich durchaus natürlich innerhalb des zeitlichen Rahmens des letzten Konfliktes, darüber hinaus aus dem Umstand, dass dort die Schuldigen selbst angeredet wurden, hier Maecenas. Die eigene Überzeugung und Position des Dichters haben sich nicht verändert. Nichtsdestoweniger wird der Leser unmittelbar eine Entwicklung konstatieren, die daraus hervorgeht, dass man dort am Anfang des Konflikts stand, hier aber beim entscheidenden Wendepunkt. Dadurch wird die pessimistische Spitze der 7. Epode gebrochen, insofern eine grosse Hoffnung aus der neuen Situation erwächst. Andererseits wird die Situation der ersten Epode erhellt, da der Abgrund zwischen den Seiten mit starken Farben dargestellt wird: auf der einen Seite sieht man die Sache Caesars und seiner Freunde, die

auf freie Entscheidung und Freundschaft gegründet ist und deren Kampf der libertas Romana gilt (1), auf der anderen eine geknechtete und unwürdige Allianz mit Barbaren (9). Es ist bezeichnend für Horazens Art und Weise, dass die Schande nicht voll beleuchtet wird, bevor er ihre Überwindung bekannt machen

kann. Dazu fügen sich die beiden Verse (15 f.), die nicht mehr direkt dem römischen Soldaten gelten, dennoch die Vorstellung verstärken, dass sich römisches Wesen und römische Mannhaftigkeit mit einer unwürdigen Welt verbunden haben: signa militaria ist durch die Wortstellung mit /urpe conopium verschlungen. Conopium sollte man dabei nicht in der mehr harmlosen Bedeutung »mosquito-net« verstehen,°! die sich auf die Annahme zu stützen scheint, dass Horaz vom Lager Kleopatras bei Actium spreche. Der Begriff »Bett« ist wesentlich; es weist sowohl auf den ganzen Apparat eines orientalischen Hofes, der ins Feld mitgebracht wurde als auch auf die schändliche ‘Ehe’ zwischen Antonius und Kleopatra.°? Diese Verbindung war im zeitgenössischen Be-

Die neunte Epode wusstsein

nahe

mit der Verstossung

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der rechtmässigen

Frau,

Octavia, verknüpft. Dadurch wird indirekt zugleich der private Groll auf Seiten Octavians aufgezeigt. Nun zum zweiten Punkt in unserer Betrachtung dieser Partie, dem Tempusgebrauch, und der damit verknüpften Frage, inwieweit Horaz eine Situation vor, während oder nach der Schlacht beschreibe. Schon durch die inhaltliche Analyse haben wir teilweise Stellung dazu genommen. Wurzel hatte in seiner wichtigen Untersuchung darauf hingewiesen, dass Horaz einen Zustand beschreibt, der vor dem 9. Sept. gilt, denn an diesem Tage hatte sich der Landheer des Antonius ergeben.°3 Die Bemerkung über die Zustandsschilderung lasse ich gelten, nicht aber unbedingt den Termin. Wurzels Deutung ist eine Variante der communis opinio,°* wonach Horazens Verse ein Bild des Feindeslagers bei Actium vermitteln wollen. Neben Einzelheiten spricht dagegen der sonstige Zeitgebrauch im Gedicht. Wie sich sofort herausstellt, steht hostilium navium ... latent puppes damit im Widerspruch.

Denn

als die Feindesflotte

im Hafen

lag, waren

die

römischen Soldaten im Lager bei Actium kaum mehr anwesend; sie waren, wie es scheint, am späten Nachmittag des 2. Septembers schon nach dem Innern des Landes unterwegs. Zudem hatte die Entscheidung des Antonius, einen Durchbruch

zu machen,

seit den letzten Augusttagen eine neue Lage herbeigeführt. Die Soldaten waren also, teils an Bord der Flotte, teils wegmarschiert. Die gewöhnliche Auffassung ist deshalb nach meiner Überzeugung zu eng. Als wichtigster Grund darf aber der folgende gelten: Der Leser hat noch nicht hinreichende Information über Ort und Zeitpunkt bekommen, um mit einer begrenzten Beziehung auf Actium zu rechnen. Für Horaz kommt es stattdessen auf einen allgemeinen, für den ganzen Krieg gültigen Zustand an. Erst so verstanden kann die enge Verbindung zwischen dieser Partie und dem Vorhergehenden befriedigend gedeutet werden. In diesen Versen soll der ideologische Hintergrund des Krieges im allgemeinen sichtbar werden. Die dargestellte Schande konnte erst mit der Beendigung des Krieges, die auch für den Leser noch in der Zukunft lag, getilgt werden. Den prima facie-Eindruck von der

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Aktualität dieser Verse auch in der Gegenwart des Lesers sollte man nicht wegzudeuten versuchen. Denn hier gewinnt auch er eine Begründung dafür, warum der Triumph noch eine Zeitlang nach Actium ausbleiben muss. Auf allen Bezugsebenen, die wir für die ungeduldige Frage des Anfangs fanden, ist somit die Begründung gültig. Die uneingeschränkte Darstellung der römischen Schande ist Teil der intendierten Meinung des Dichters: Die hässliche Wahrheit des Konfliktes soll zunächst klar vor dem Blick stehen, ehe Horaz gleichsam den inneren Protest seines Lesers vorwegnimmt und diese Wahrheit erheblich modifiziert. Zugunsten dieses Vorgehens des Dichters, eine Bewegung von einem Punkt zum anderen im Gedicht nachzuzeichnen, mag für die aktuelle Situation des Lesers folgendes angeführt werden: Auch nach Actium bestand die schändliche Allianz zwischen Antonius und Kleopatra. Die römischen Legionen, die noch zu ihrer Verfügung standen, mussten noch immer eine offene Wunde im Bewusstsein römischer Patrioten bedeuten. Eben deswegen war der weitere Krieg gut begründet. Unerwartet heftig hat uns das unretouchierte Bild von der Gegenseite getroffen; das Gedicht hat damit seinen Nadir erreicht, oder um es mit einem anderen Bild auszudrücken: ein disharmonischer Akkord erinnert uns an das Unbehagen der 7. Epode, nur ist alles vor der Wende konkreter, spezifischer, um die Wirklichkeit zu enthüllen. Die Spannung zur Situation des Lesers ist aber — ungeachtet der vielen Legionen auf Antonius’ Seite im J. 30 — derart scharf, dass ihm der Gedanke nahe gelegt wird, dass Horazens Darstel-

lung aus einer bestimmten Situation der Vergangenheit verstanden werden müsse. Ein Horaz-Gedicht — das lehrt die 9. Epode in exemplarischer Weise — bedeutet keine Betrachtung eines statischen Panoramas. Man macht eine mehrschichtige Bewegung mit, wo nichts ganz eindeutig ist und bleibt, wo Stimmungen ständig wechseln. Das Gedicht hat eine Dynamik, wodurch dem Leser eine dialektische

Besinnung auf die Wirklichkeit zuteil wird.

Die neunte Epode

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Wir möchten nicht behaupten, dass diese Betrachtungen zur Partie 11-16 die einzig möglichen sind, nur dass sie die ersten sind, die sich bei dem Leser bei einer fortlaufenden Betrachtung des Gedichts natürlich einstellen werden.°° Auch eine mehr begrenzte Perspektive, die von der immanenten Situation des Gedichts bestimmt wird, lässt sich daraus gewinnen; sie steht aber

nicht im Gegensatz zu den ersten Eindrücken, sondern trägt dazu bei, die Botschaft des Dichters zu bereichern.>®

Die ersten 16 Versen lassen sich als eine Exposition bezeichnen. Hätte Horaz an dieser Stelle den Schlussstrich gesetzt, dann wäre das Produkt vielleicht als leidlich gut zu betrachten. Im Hinblick auf die endgültige Entscheidung, die man in den Monaten nach Actium erwartete, wäre es an sich verständlich genug; eine tröstliche Seite wäre auch darin anzuerkennen (Sextus Pompeius » Antonius). Eine solche Aussage wäre aber als Ausdruck der politischen Überzeugung des Dichters und als Fazit der ActiumExpedition entschieden zu düster. Auch wäre ein wesentlicher künstlerischer Einspruch gegen ein solches amputiertes Gedicht zu erheben: Es läge darin keine Andeutung einer Perspektive, die jenen mehr tröstlichen Ausblick (das Sextus-Beispiel) mit der düsteren Betrachtung der Situation (römische Soldaten im Dienst Kleopatras) verbinden könnte. Insbesondere würde jeder, der die Fortsetzung unserer Epode kennt und schätzt, einen höheren Bogen schmerzlich vermissen. Der isolierte Teil würde in der Tat in seiner Einheit auseinanderfallen: einerseits würde ein (gewisser) Optimismus stehen, andererseits ein allzu betonter Pessimismus, als wäre das Gewonnene dem Dichter noch unklar und kaum glaubhaft. Die Idee, ein solches Gedicht abzutrennen, möchte hoffentlich niemand befürworten.’ Sie ist aber lehrreich, um die

überbrückende Funktion der Fortsetzung zu erkennen: Die gegensätzlichen Positionen nähern sich einander, um nur einen kleinen Abstand übrigzulassen, eben jenen von Horaz und vom Leser erhofften Abschluss des Krieges.

17-20 Dass der V. 17 eine offenkundige Zäsur im Gedicht bedeutet, ist

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klar. Die Übergänge sind aber bei Horaz niemals scharf, sondern gleitend. Wer im Namen der Text-Recensio und der Interpretation das markierte at wegschafft, verwischt die Struktur der Epode.® Auch Wurzel muss dafür kritisiert werden, dass er den Absatz durch seine Strukturanalyse zudeckt, indem er die gegnerische Seite in Heer, Reiterei und Flotte zergliedert.°° Wir lesen also als neuen Abschnitt: ° at huc frementis verterunt bis mille equos Galli canentes Caesarem hostiliumque navium portu latent 20 puppes sinistrorsum citae.

Der neue Ansatz ist rein äusserlich im Tempus-Gebrauch deutlich. Nach der Schilderung des Zustandes folgen einmalige Handlungen. Der Dichter verweist auf bestimmte Situationen der vorangegangenen Zeit, die offenbar eine neue Lage herbeigeführt haben.°° Es handelt sich um eine Gegenbewegung zu dem deprimierenden Zustand im Vorhergehenden. Dies bedeutet für den Leser zunächst, dass er aus seiner allgemeinen Betrachtung aufgerüttelt wird, um einzelne, irgendwie bedeutungsvolle Geschehnisse zu betrachten. Der Dichter ist darauf nicht aus, einen zusammenhängenden Bericht zu erstatten, sondern hebt einige Momente hervor. Versuchen wir eine Übersetzung der beiden ersten Verse (17 £.): »Doch.hierher haben die Gallier (ihre) 2000 wiehernde Rosse gelenkt, indem sie Caesar besangen.« In einer Hinsicht jedenfalls ist der Gegensatz zum Vorhergehenden betont; man erlebt förmlich einen Aufbruch von der Schande des Vorhergehenden.°! Sehen wir zunächst den geschichtlichen Gehalt näher an: Wenn Kromayer dieses Ereignis richtig in den Ablauf der Ereignisse vor der Schlacht einordnet°? - und ich sehe keine triftigen Gründe, an seiner Rekonstruktion zu zweifeln -—, bedeutet der Abfall der galatischen Reitereskadron unter Amyntas den Abschluss der Landoperationen des Antonius nördlich des Sundes. Er gab

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sofort danach das Hilfslager auf und setzte alles auf die eine Karte des Ausbruchs. In der Gesamtschau der Actium-Expedition konnte man mit Fug und Recht dieses Ereignis als eine Wende ansehen. Die Lage hatte sich mit diesem Abfall schon strategisch entschieden zugunsten Caesars verändert. Horaz selbst kann es schwerlich anders als der moderne Historiker aufgefasst haben. Selbst bei einer kompendiarischen Betrachtung des Feldzugs ist eine Markierung dieses Ereignisses sinnvoll. Was ergibt sich nun hieraus für den Eindruck, den der Leser in der Partie 11-16 gewann? Zunächst einmal dies Einfache, dass die schändliche Lage zwar nicht aufgehoben wird, sondern ein starkes Gegengewicht bekommt. Gegen das unwürdige Auftreten des römischen Legionars auf der Gegenseite, gegen den Schimpf, den er dem römischen Namen zugefügt hat, tritt das positive Bild der Barbaren, die die richtige Seite, diejenige Octavians, mit Begeisterung erwählt haben. Diese Handlung ist exemplarisch. Nicht nur auf der moralischen Ebene wird ein Gegengewicht etabliert, sondern auch auf der strategischen. Neben der aufgezeigten näheren Perspektive der Actium-Expedition eröffnet sich zugleich eine weitere. Die Verse gewinnen erheblich an Bedeutung, wenn man sie in Beziehung zur nach-actischen Situation setzt. Der Übertritt des Amyntas mag nämlich nicht nur als eine Kulmination des Abfalls vor der Seeschlacht und als eine Wende in der Expedition angesehen werden, sondern leitet auch den nach Actium erfolgten Erdrutsch unter den Verbündeten des Antonius ein, den der Leser aus seinem Orientierungspunkt heraus mitberücksichtigen wird. Den genauen Verlauf dieser Ereignisse desselben Herbstes (J. 31) kennen wir nicht. Von den Alliierten des Antonius erzählt Dio Cassius (51, 1, 5), dass sie nach der Schlacht nach Hause flohen. »Diese kämpften nicht mehr gegen Caesar, aber sowohl sie als auch andere Völker, die ehedem auf Roms Seite gestanden hatten, schlossen Friedensverträge mit ihm (Caesar) ab.« Der Prozess begann sicher bald nach Actium, aber wieviel davon dem Dichter vor der Abfassung seiner Epode bekannt war, muss natürlich dahingestellt bleiben. Ein faktisches

Wissen um diese Dinge ist kaum das Entscheidende. Das beson-

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dere Merkmal dieser Äusserung des Horaz über Amyntas’ Abfall ist sein gutes Omen. Es galt ja für Octavian, nicht zuletzt die vielen Verbündeten des Antonius für sich zu gewinnen, um so die Sphäre des Gegners einzuengen und das Reich als Einheit wiederherzustellen. Der vielversprechende Anfang war mit Amyntas gemacht. Knüpft man aber die Komposition der Epode allzu sehr an den Zeitpunkt der Schla&ht an, beraubt man das Gedicht dieser Untertöne; als wichtiger würde dann das rein Faktische des Ereignisses erscheinen, dabei vor allem der Kräftezuwachs auf Octavians Seite, was schwerlich die beiden Verse in ihrem Zusammenhang völlig begründen könnte. Die Dichtkunst

des Horaz fordert eben eine gewisse Distanz. Nur was Bedeutung hat, wird erzählt. Diese Art Sinndeutung konkreter Phänomene ist bei ihm oft derart unauffällig, dass man sie mit Improvisation verwechseln könnte. Schon die Knappheit der Erinnerungsbilder macht jedoch die Eigenart sichtbar. Die Huldigung an Caesar steht auf demselben Blatt. Zum zweiten Mal im Gedicht wird sein Name erwähnt. Das erste Mal stand der Name im 2. Vers: victore laetus Caesare, eng mit dem ersehnten Triumph verbunden. Das nächste Mal hört man, dass die Krieger eines Barbarvolkes demselben Caesar mit begeisterter Hingabe huldigen, und zwar vor der Schlaeht bzw. dem Sieg. In solchem ominösen Zusammenhang kommt die Erwartung zum Ausdruck, dass es Caesar sein wird, dem sich schliesslich die Völker und Könige des Ostens anschliessen wollen. Die Feindeallianz steht vor ihrem Zusammenbruch oder macht diesen schon durch. Eine siegreiche Machtverschiebung, wie sie bei Actium begann, greift weiter um sich. In dieser Perspektive steht fest, dass die Verse ein neues und starkes Moment zur Einschätzung der Situation nach Actium hinzufügen. Horaz ist weit davon entfernt, dass er das geschichtliche Ereignis an dieser Stelle nur als Resumee eines Geschehnisablaufes oder einfach in seiner Einmaligkeit verstanden haben will. Die Actium-Entscheidung,

wie sie nun

von

Horaz

vorgeführt

wird, ist ein Exemplum. Aufgrund der beschriebenen uneingeschränkten Schande (11-16) war man geneigt, die Lage als

schwarz zu bezeichnen. Die Fortsetzung leitet dann eine kräftige

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Gegenbewegung ein, die gleichsam als Antidosis zum Vorhergehenden ihre argumentative Stärke darin hat, dass sie auf unbestreitbaren Tatsachen basiert. Das strategische und das moralisch-psychologische Kräfteverhältnis sind zugleich im Spiel. Dadurch vollzieht sich, was wir als die dialektische Dynamik des Gedichts bezeichneten: Eine Behauptung wird zunächst pauschal aufgestellt, dann erfolgt die Gegendarstellung in Form eindeutiger Erfahrungen. Dies hat wiederum zur Folge, dass sich unsere Beurteilung mittels der neuen Informationen ändert. Das Düstere weicht einer im Prinzip positiven und weitgehend optimistischen Beurteilung der Lage. Es ist nicht so, dass der Leser Widersprüche erlebt, wie man sie in diesem Gedicht glaubt gefunden zu haben; er macht eine sokratische Gedankenlinie mit. Was aber der Leser als aktuell in seiner nach-actischen Situation empfindet, entpuppt sich nun als die Erfahrung des ActiumTeilnehmers. Eine Deutung der Epode, die das Pessimistische und die Unsicherheit der Situation, sowie den Kummer

und die Furcht

der Beteiligten über Gebühr betont, verfehlt die Richtung des Gedichts.°® Eine solche Deutung würde zudem dem zentralen Platz des Gedichts innerhalb der Sammlung nicht gerecht werden können. Und schliesslich — und dies ist das Entscheidende — würde sie als eine politische Äusserung eines regimenahen Dichters zu jener Zeit, als das Gedicht dem römischen Publikum vorgelegt wurde, rätselhaft bleiben. Wir sehen auch im Wortlaut dieser Verse nichts, was den oben

dargelegten Betrachtungen widerspricht. Huc lässt sich unschwer auch als »nach unserer Seite hin« in einer grösseren Perspektive verstehen. Wie nun diese Verse durch ihre Dynamik und ihren deutlichen Hinweis auf die actische Szene eine neue Entwicklung einleiten, so wird auch die eigene Position des Dichters klarer. Der lokale Bezug in huc ist nicht zu überhören; die Anschaulichkeit scheint eigene Erlebnisse zu bekunden. Insofern ist nur das eine Glied eines syntaktischen Ganzen berücksichtigt worden; ein weiteres Kapitel in der Auseinandersetzung erfolgt mit den beiden schwierigen Versen 19 f. Das rein

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philologische Verständnis dieser Verse darf heute als weitgehend geklärt gelten. Wir gehen deshalb rasch über einige Punkte hinweg, die lange Zeit unentschieden hin und her gewälzt wurden: Ciere (navium puppes) bedeutet offenbar für Horaz »rückwärts rudern«. Die ungewöhnliche Verbindung rührt wohl zum Teil daher, dass der technische Ausdruck kaum klar genug war. Horaz mag bei seiner Formulierung von dem griechischen roeöuvav xoovbeodaı beeinflusst gewesen sein.°* Woher, wohin und in welcher Situation fand nun dieses Manöver der feindlichen Schiffe statt? Ein Blick auf eine Karte bringt Klarheit. Der Haupthafen des Antonius musste, wie erwähnt, in der PrevezaBucht gewesen sein; genau wo, ob an der nördlichen oder — am wahrscheinlichsten — an der südlichen Seite, lässt sich vielleicht

nicht mehr ermitteln. Dies ist aber ohne Belang für das Verständnis der Horaz-Verse. Fest steht, dass eine Bewegung zurück — natürlich vom offenen Meer her — nach dem Hafen in der Preveza-Bucht stattgefunden hat, eine Bewegung »nach links«°° für den Zuschauer auf dem offenen Meer ausserhalb des Sundes. Das besagte Manöver lässt sich zeitlich ziemlich genau festlegen. Es handelt sich um den Nachmittag des 2. Septembers und zwar, wenn wir gewissen Untersuchungen zur Schlacht folgen, ein paar Stunden vor Sonnenuntergang.°° Wurzel hat richtig darauf hingewiesen, dass das Wort hostilium eine Zeit vor der Kapitulation der Flotte am Morgen des 3. Septembers andeutet.°” Wir sind also mit dieser knappen Beschreibung einer Enthüllung der dramatisch-poetischen Situation um einen bedeutenden Schritt nähergetreten. Der Leser ist bis zum Punkt geführt, dass er sich den Dichter am ehesten als Zuschauer an Bord eines Schiffes vor dem Sund bei Actium vorstellen kann. Ehe wir dazu übergehen, diese Verse aus verschiedenen Blickwinkeln zu behandeln, muss ein Wort noch über den zeitlichen

Aspekt gesagt werden. Man wird sich nämlich fragen, ob hier nicht noch einmal eine Schilderung eines Zustandes gegeben werde (latent). Dies ist aber nur zum Teil so. Das Partizip citae veranschaulicht

eine Handlung,

die soeben

stattgefunden

hat,

und die somit mit dem vorhergehenden verterunt (17) parallel ist;

Die neunte Epode

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latent beschreibt andererseits das daraus erfolgte Resultat, einen Zustand. Formale Parallelität der beiden Doppelverse darf nicht urgiert werden, denn die Hauptverba verterunt und latent stehen aspektuell nicht auf derselben Stufe. Diejenigen Forscher, die eine inhaltliche Parallelität zwischen 17-18 und 19-20 ihrer Deutung zugrundelegen, sind jedoch auf dem richtigen Wege.°® Einerseits ist ein unblutiges Ende der Operationen zu Land erreicht worden, andererseits sind die Kämpfe zur See mit dem beschriebenen Manöver abgeschlossen worden.

Gemeinsam

ist den beiden Aussagen,

dass nichts von

Kampf verlautet. Dies ist in dem zweiten Fall auffallender als in dem ersten, doch ist der Unterschied nur graduell. Wir haben Grund anzunehmen, dass der zeitgenössische Leser ein verständnissvolleres Ohr für das Ungesagte als die modernen Historiker gehabt haben mag. Dass der Kampfcharakter der Ereignisse kaum hervortritt, zeugt gewiss von einer besonderen Einstellung‘? und ist darüber hinaus Reflex eines höheren politischen Willen. Dass Römer im Kampf gegen Römer gefallen waren, verstand sich von selbst. Man sollte aber daran nicht ausdrücklich erinnert werden, sondern die Vorstellung hegen, dass das Entscheidende ohne schmerzliches Blutvergiessen erreicht worden war. In anderer Hinsicht darf aber nicht von Parallelität geredet werden. Das zweite Verspaar hat eben durch das präsentische latent und das hervorgehobene Adj. hostilium nicht den abgeschlossenen Charakter von 17-18: Die Schiffe der Feinde liegen im Hafen und bedeuten noch immer eine mögliche Drohung und eine Gefahr weiterer Kämpfe. Das letzte Wort ist also noch nicht gesagt. Warum hat Horaz eine so subtile Art von Kommentar gewählt? Was hat er damit erreichen wollen bzw. tatsächlich erreicht? Es ist wichtig, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass die Partie 17-20 eine Einheit ausmacht. Horaz zieht hier gewissermassen eine Siegeslinie durch die Hervorhebung einiger entscheidender Ereignisse. Aber an der Schwelle des endlichen Erfolgs hält er

inne. Warum setzt er sein punctum finale an dieser Stelle? Warum

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hat er nicht alle Operationen bis zum Schluss verfolgt? Wir glauben ja nicht, dass ihn die äusseren Umstände zu dieser Lösung gezwungen haben. Es ist offenbar, dass eine gewisse Spannung festgehalten werden soll; ein ungewisser Rest soll im Kriegsbericht unseres Dichters zurückbleiben. Eine Siegesmeldung mit eingebautem Vorbehalt fordert jedoch einige Kommen-

tierungen.”

i

ce

Es kann darüber kein Zweifel sein, dass der zweite Akt (19-20) dieser verkürzten Darstellung des Actium-Dramas als das wichtigere Ereignis der Expedition angesehen werden soll; navium puppes sinistrorsum citae wird nur auf dem Hintergrund der unerwähnten Seeschlacht verständlich. Der Rückzug ist eben der Abschluss dieser Schlacht und das Eingeständnis der Niederlage.’! Die Rückzugsbewegung der Schiffe heisst nichts anderes als Verzicht auf weiteren Kampf. Es handelt sich um eine Flucht. Dass Horaz

die entscheidende

Wende in der Seeschlacht, und

zwar als Höhepunkt des ganzen Unternehmens festhalten wollte, geht aus der Struktur der Epode deutlich genug hervor. Die Verse 19-20 bilden genau die Mitte des Gedichts; unmittelbar voraus geht die hymnische Huldigung durch die barbarischen Reiter; danach steht ebenso bedeutungsvoll der Ruf io Triumphe. Solche Formalia sind ja in der augusteischen Dichtung am innigsten mit der »Botschaft« verbunden. Die Tragweite des Ausdrucks liegt auch diesmal nicht zuletzt in dem ominösen Aspekt. Denkt man sich einmal in die Situation von

damals

hinein,

so

konnte

der

Anblick

der

sich

zurückziehenden feindlichen Schiffe die Caesarianer keineswegs entmutigt oder voll Kummer zurückgelassen haben.’? Wie viel war nicht schon erreicht worden? Es musste eine mächtige Aufmunterung in diesem Rückzug gelegen haben; eine grosse Erleichterung für die Herzen aller Beteiligten auf Octavians Seite. Hierin liegt keine Diskrepanz zwischen der näheren und der längeren Perspektive. Handfeste Tatsachen sprachen schon auf dem Kampfplatz für eine durchaus positive Beurteilung der Situation. Der Sieg musste als beinahe gewonnen gelten, und zwar ohne grosse Verluste. Man durfte von nun an einen

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friedlichen Ausgang der ganzen Expedition erhoffen. Die Übergabe der Flotte am nächsten Morgen’? konnte kaum jemand überrascht haben, der eine Ahnung von der Schwäche der Gegenseite hatte. Wichtig für uns ist auch das für den Leser nunmehr etablierte dramatische nunc — ein Kunstgriff von grosser Wirkung. Horaz hat durch seine besonnene Art und Weise, das dramatische nunc vorzubereiten und einzuführen, eben diese bestimmte Stunde im

Ablauf der Expedition zum kardinalen Wendepunkt der Unternehmung und zugleich zu einem Paradeigma von aktueller Bedeutung machen wollen. Der Leser konnte diese Ereignisse als eine Art Präfiguration lesen und daraus Aufmunterung in seiner eigenen Situation schöpfen. Die noch unentschiedene — aber doch weitgehend geklärte — Situation von damals, am Nachmittag des 2. Septembers, entspricht einer noch unentschiedenen - aber nicht minder positiv zu beurteilenden — Situation der Monate nach Actium. Wie man damals an der Schwelle des Sieges stand und dies auch ahnte, so konnte nach Actium, trotz des noch nicht Erreichten, getrost behauptet werden, dass der volle Sieg in den Schoss Caesars fallen würde. So vereint der Dichter eine Huldigung an Caesar mit einer paradigmatischen Funktion des Gedichts. Actium ist aktuell: Wenn es noch immer ein Feindesheer gibt — so ist die Botschaft des Dichters an seine Zeitgenossen -, wenn es noch immer Soldaten unter dem Banner Kleopatras gibt, wenn

es darüber

hinaus

auch

eine feindliche

Flotte

gibt, so

werden wir bald alles gewinnen, wie es ja bei Actium geschah. Die beiden Verse 19-20 knüpfen die Verbindung sowohl zum Vorhergehenden als auch zum Nachfolgenden an. Es lohnt immer die Mühe zu sehen, welch dichtes Gewebe vom Dichter gewoben worden ist. Hostilium navium puppes macht nicht die ganze zurückgebliebene Heeresmacht des Antonius aus; nur ein Teil konnte an Bord der Schiffe gewesen sein. Die ganze Streitmacht war dagegen in der Partie 11-16 im Blick. Romanus miles umfasste auch, wie man wusste, ein übriggebliebenes Landheer. Nach dem Eindruck, den Horaz hervorrufen will, ist es nur eine

Frage der Zeit, wann auch dieses auf die rechte Seite gelangt. Die

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Gallier hatten in exemplarischer Weise den Weg gewiesen. Der Übertritt der gallischen Reiter ist gewiss als belangvolles Vorzeichen auch innerhalb des engeren Horizonts der Actium-Ereignisse zu sehen, sowohl im Hinblick auf die Kapitulation des folgenden Morgens als auch auf diejenige des Landheeres eine Woche später, womit der Schlusstrich der Expedition gesetzt wurde. Unter der Voraussetzung einer späteren Leserperspektive wird vom Dichter bewusst eine Entwicklung signalisiert, die eine vollere Vorstellung eines Sieges »zu Lande und zu Wasser« gibt. Wenn also weiter unten der (vorläufige) Sieg des 2. Septembers als ein vollständiger Sieg (terra marique) bezeichnet wird, dann kann bestimmt der Leser einer derartigen Begriffsverwendung aus seiner Position heraus zustimmen. Der Satz, der mit terra marique victus eingeleitet wird, bringt eine weitere wichtige Mitteilung über die Seeschlacht und deren Ergebnis zur Sprache, nämlich die Flucht des Heerführers. Deshalb darf man diese Worte nicht von der Partie 17-20 scharf abtrennen. Es ist für das Verständnis des Gedichts wichtig, dass man die Partie 17-32 als eine Einheit betrachtet. Die Interpreten haben allzu oft wenig Sinn für den inneren Zusammenhang dieser Verse gehabt; jedes einzelne Glied trägt aber dazu bei, ein grösseres, abgerundetes Bild aufzubauen. ' Im Rahmen dieser Partie ist der Rückzug der Flotte — der Abschluss des Tages - als Endergebnis einer Schlacht anzusehen; der Höhepunkt der Entwicklung wird mit der Flucht des Antonius erreicht. Diese Bewegungen des Gegners ergänzen einander zu einer umfassenderen Vorstellung von der Niederlage. Auf diesem Hintergrund wird die Linie zum »phony war« nach Actium transparent. Diese Perspektive ist durch die besondere ante-triumphale Fixierung der Gedichtsituation der Epode gleichsam einverleibt. Dass diese Verlängerung der Perspektive als Teil der Botschaft vom Dichter einkalkuliert worden ist, daran gibt es keinen Zweifel. Denn erst in dieser Deutung wird die eigene Form der Epode gut verständlich, dass nämlich Horaz das Licht auf den im grösseren Actium-Kontext noch vorläufigen

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Zustand lenkt, wo Caesars Sache noch etwas Unsicheres bei sich

hatte. Es liegt in einer solchen Behandlung begründet, dass die Begebenheiten wenig für sich betrachtet werden können. Den Dichter interessiert der Kairos, der Augenblick, wo sich die Lage

gleichsam schlagartig zum Besseren wendet. Wer den richtigen Blick für die Bedeutung dieser Stunde besitzt, den kann die nachfolgende Entwicklung nicht überraschen, ob es sich nun um den 3. Sept. oder einen noch in der Zukunft liegenden Zeitpunkt handelt. Die Voraussetzungen für die künftige Entwicklung sind geklärt. So kann der Leser nicht weniger als der Teilnehmer an jenem 2. September gute Hoffnung hegen. Die Möglichkeit einer Projektion und einer Prognose ist in beiden Positionen analog. Das Dargestellte ist grundlegend, das Weitere eine natürliche Folge. So vermittelt der Dichter vor allem Optimismus. Ein Gedanken-Experiment kann zeigen, was Horaz damit erreicht hat, dass er das dramatische nunc am Nachmittag des 2. Septembers etabliert. Hätte er für sein Gedicht einen späteren Zeitpunkt erwählt, z.B. den 9. September,’* als die Frucht des Sieges geerntet wurde, hätten wir ein anderes Gedicht gehabt. Auf der Verlustseite hätte man dann u.a. buchen müssen: Die zeitliche Nähe zu den dramatischen Ereignissen, das psychologisch Komplizierte eines gefühlsmässigen Umschlags, um nur das Sichtbarste zu nennen. Das Wichtigste wäre aber dabei, dass auf die Zukunftsdimension einer exemplarischen Situation hätte verzichtet werden müssen. Actium wäre statt einer sich vollziehenden Wende der Rückblick auf ein weitgehend abgeschlossenes Kapitel. Dann wäre mit dem Blick auf das Erreichte das noch nicht Erreichte um so fühlbarer geworden, und die Trennungslinie nach Actium würde schärfer hervortreten. Das Gedicht wäre zwar als Enkomion vielleicht volltöniger für den überflächlichen Betrachter geworden - so viel läge nämlich dann in den Händen Caesars -,

aber von Spannung könnte kaum mehr die Rede sein. Die Bedeutung der Actium-Expedition wäre eher reduziert, weil man an die Mängel des bisherigen Feldzuges erinnert worden wäre; Actium wäre eine Episode. Insofern hat sich das Gedicht als ein wohlerwogener Balance-

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akt erwiesen: Horaz feiert Actium, indem er das Gewicht auf die

Prognose legt. Wie affiziert die erste Enthüllung einer besonderen dramatischen Situation und überhaupt der persönliche Blickwinkel die Auffassung des Lesers von der Einleitung, die noch ohne Rücksicht auf die zeitlich und lokal bedingten Autorperspektive gelesen wurde? Wir wissen nunmehr, dass die Sehnsucht nach einem Siegesfest im Hause des Freundes bei dem Dichter unmittelbar nach der Schlacht erwacht. Nicht nur das zeitliche Moment (quando) ist unter diesem Blickwinkel relevant, sondern auch das lokale. Die Sehnsucht nach dem reich ausgestatteten Haus des Maecenas hat, wie sich jetzt zeigt, ganz verschiedene Verhältnisse als Hintergrund. Das Feldleben ist natürlich wenig bequem. Feldzug und Frieden sind scharf abgetrennte Formen des Lebens. Die geäusserte Sehnsucht gibt also auch in dieser Hinsicht guten Sinn. Gleichzeitig ist darin eine zusätzliche Antwort auf die Frage zu sehen, warum so herrliche dapes und eine so luxuriös ausgestatte Umgebung für das Zusammensein der Freunde noch nicht erreicht werden können.

21-26 Die besondere Form des io Triumphe-Rufes macht die Doppelperspektive des Gedichts nur noch profilierter. Die feinsinnige Kombination einer Huldigung an Caesar für den gewonnenen Sıeg und der Sehnsucht nach einer Beendigung des ganzen Krieges setzt sich fort: io Triumphe, tu moraris aureos

currus et intactas boves? io Triumphe, nec Iugurthino parem bello reportasti ducem 25 neque Africanum, cui super Carthaginem virtus sepulcrum condidit. Der Triumph-Ruf lässt sich von der Frage der Einleitung nicht trennen. Dieselbe Triumph-Situation ist an beiden Stellen als Zukunft im Blick. Es ist beim Ruf, als wäre der Dichter schon als

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Zuschauer an der heiligen Strasse anwesend, um dem heimgekehrten siegreichen Feldherrn zuzurufen. Wiederum kommt seine Ungeduld, wie am Anfang, zum Ausdruck. Obwohl der Leser in V. 17-20 deutlich vernehmen konnte, dass ein Siegschon gewonnen worden ist, so kommt doch der doppelte Anruf des Triumphus und noch mehr der überschwengliche

Vergleich Octavians mit den grössten Feldherrn der römischen Geschichte überraschend, wenn nicht paradox. Denn der Übergang stellt sich als ein kühner Schritt dar. Aus dem Vorhergehenden heraus ist man kaum bereit, eine so weitgehende Schlussfolgerung zu ziehen. Io triumphe ist, wie man betont hat, kein Ruf, den man nach

siegreichem Gefecht auf dem Schlachtfeld ruft,” hat aber mit solchen Freudenäusserungen jedenfalls psychologisch etwas gemein.’° An unserer Stelle muss jedoch die konkrete Situation etwas anders sein, weil ja der Dichter sich mitten in einer Rede an den Freund befindet. Die Vorwegnahme einer künftigen Triumphfreude in Rom ist für Horaz das Wesentliche. Dann wird der siegreiche Feldherr auch wirklich nach Hause zurückgekehrt sein, was aber weder im Augenblick der Gedichtsituation noch zur Zeit der Veröffentlichung der Fall war. Der Überraschungseffekt bewährt sich also auch in der späteren Leserperspektive. Die Partie ist zweifellos als eine Fortsetzung der dramatischen nunc-Situation zu betrachten. Die letzte Äusserung des Redenden galt der gewichenen Feindesflotte. Durch diesen Übergang wird deutlich genug, dass die Stimmung alles andere als niedergeschlagen ist. Zwei Gefühle machen sich gleichzeitig geltend: Ungeduld und Siegesfreude, zwischen denen kein Gegensatz sein kann. Die Partie ist in einer Hinsicht ein wahres Enkomion: Eine entscheidende Wende hat sich soeben ereignet; die Siegestrophäe ist greifbar nahe. Horaz scheint dabei gute Einsicht in die Psychologie des siegreichen Soldaten zu zeigen: Er ist wohl immer nach gewonnener Schlacht ungeduldig, mit seinem Feldherrn den Triumph daheim zu feiern. Übrigens war vor der Triumphfeier ein triumphales Enkomion kaum anders möglich als durch Antizipation. Horaz konnte auch

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nicht im J. 30 den siegreich heimgekehrten Feldherrn durch ein Epinikion wie Pindar feiern. Die offene Form des Ausdrucks bzw. des Bildes ist hier wie in der Einleitung charakteristisch: Sie beinhaltet eine Ungeduld auf zwei Ebenen. Am Abend des 2. Septembers war der Abschluss des Krieges noch ungewiss in doppelter Hinsicht. Noch war die Frage in der Schwebe, ob sich die zum Teil intakte Flotte des Gegners samt seinem Heer tatsächlich ergeben wollte. Sodann war es auch unklar, ob die geflüchteten Anführer den Krieg fortsetzen wollten. Dieser ungewissen Zukunft steht der Dichter nicht neutral gegenüber. Wie wir bereits dargelegt haben, hat Horaz viel Gewicht darauf gelegt, keine düstere Wolken am heiteren Himmel des Siegestages zu sammeln, sondern Zuversicht einzuflössen. Moraris drückt nicht Besorgnis aus, sondern Ungeduld. Der Triumph ist nur eine Frage der Zeit. Jene Stimmungen und Reaktionen »in situ« lassen sich dann auf die Situation des Lesers projizieren. Die äussere Lage hat sich ja für ihn zusehends verbessert; mit um so grösserem Recht darf er der kommenden Entwicklung vertrauensvoll entgegensehen. Ein Triumph hat natürlich als Zentrum einen Triumphator. Diesen exponieren die Verse 23-26 in eigentümlicher Weise. Ein hymnisch-triumphaler Anschlag war schon'in canentes Caesarem (V. 18) zu vernehmen. Mit dem Sieg zur See, welcher die Ahnungen und Gefühle der Barbaren nur noch bestätigt hat, wird dieses Thema mächtig erweitert. Die Kühnheit des Enkomions tritt erst recht durch den Vergleich des gegenwärtigen Siegers mit

berühmten Feldherren aus der römischen Geschichte hervor: Im Gegensatz zu Marius und Scipio Africanus ist Octavian noch im Felde. Aus der Perspektive der Epode heraus befindet er sich offenbar vor der Einfahrt zur Ambrakischen Bucht auf einem Schiff. Streng genommen ist also der Gebrauch von reportare in seinem Fall nicht berechtigt. Das Verb kann ja eigentlich nur von dem gesagt werden, sei es Feldherr oder Heer, der von einem abgeschlossenen Feldzug zurückgekehrt ist und den Triumph feiern kann,’’ wie es die beiden republikanischen Exempla zeigen. Der Wortgebrauch des Dichters ist jedoch insofern tadellos, als

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reportare sich syntaktisch nur mit diesen verbindet. Aber genau wie der Ruf io Triumphe deutet das Verb den künftigen Tag an, da auch Octavian nach seinem siegreich beendigten bellum nach Rom zurückgekehrt sein wird. Unnötig zu sagen, dass dies Zuversicht und Siegesgewissheit einflössen soll. Beide Exempla scheinen zudem die »Botschaft« des Dichters zu unterstreichen: Jene waren nach der völligen Niederkämpfung ihrer Gegner nach Hause zurückgekehrt. Der Römer muss aber noch eine Weile auf einen solchen Tag warten, und um so ungeduldiger, weil er so klar sehen kann - noch klarer als es am Tag der Schlacht, am 2. September möglich war -, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Meiner Meinung nach werden die herangezogenen Exempla des Horaz erst durch die spätere Perspektive des Lesers voll motiviert. Wenn diese Argumentation schlüssig ist, haben wir ein weiteres Indiz dafür, dass die Epode geraume Zeit nach Actium geschrieben worden ist und dass die Ereignisse am 3. und 9. September für Horaz längst bekannt waren. Sowohl Marius als auch Scipio Africanus hatten afrikanische Gegner besiegt, und zwar in Africa. Marius, der z.B. hohe Anerkennung für seinen Sieg über die Kimbern verdiente, wird wegen seines Siegs über Jugurtha hervorgehoben, Scipio wegen seines Siegs über Carthago. Dies gibt die angemessene geographische Assoziation für den Leser zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Der Leser sollte vermutlich sowohl an die Basis des Antonius in der Cyrenaica denken als selbstverständlich auch an Alexandria, das Ziel der ganzen Kriegführung. Horaz teilt somit indirekt einen Hinweis auf die kommende Front mit, die er am Tag der Schlacht oder kurz danach kaum so klar hätte voraussehen können.”® Die von Horaz verwendeten Formulierungen in jedem der beiden Exempla werfen einige Probleme auf und erlauben einige Schlussfolgerungen. Der Name Marius wird nicht erwähnt. Mit Jugurthino ... bello (abl. temp. od. sep.) scheint Horaz anzudeuten, dass seine Quelle die Monographie Sallusts war.’” Dass eben daran

erinnert

wird,

hat wohl

seine

besondere

Bewandtnis.

Jugurtha war nicht nur ein hervorragender Gegner, sondern der

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Krieg mit ihm war auch innerlich mit dem moralischen Verfall Roms verknüpft. Marius brachte den wenig ehrenvollen, langwierigen Krieg zum Abschluss; laut Sallust trug er damit dazu bei, die Übermut (superbia) der Nobilität zurückzuschlagen.®° Nach seinem Sieg wurde er abwesend zum Konsul erwählt und konnte dann am 1. Januar (des J. 104) seinen Triumph begehen. Et ea tempestate spes atque opes civitatis in illö‘sitae -- so schliesst Sallust seine Schrift ab. Dass es danach wiederum schlecht ging, dass Marius keine Erneuerung zu bringen vermochte, das wussten alle. Einen Kommentar verlangt auch das Scipio-Beispiel: neque Africanum,®! cui super Carthaginem/virtus sepulerum condidit. Dass dies das wichtigere der beiden Beispiele ist, geht schon aus seiner Länge hervor; Scipio hat offenbar für Horaz ein noch grösseres Anrecht darauf, in diesem Vergleich erwähnt zu werden. Hier wird zudem der Name des Siegers erwähnt, in dem ersten nicht. Ein Problem bleibt allerdings, um welchen Scipio Africanus es sich handelt. Und was ist mit dem überlieferten super Carthaginem gemeint? Um die letzte Frage zunächst zu behandeln, so bieten die Kommentare Erklärungen an, die wohl nicht

recht überzeugen können:

»Der Sieger selbst, Afrikanus

/d.h.

Aemilianus/, ist es, dem seine virzus ein Grabmal über dem zu Boden geworfenen Karthago, d.h. dessen: jeder beim Anblick

Karthagos gedenken wird, wie das monumentum an den darin Beigesetzten erinnert.«®? Nach dieser Auffassung beruht der Vergleich darauf, dass wir die Ruinen Karthagos als das geistige Grabmal Scipios betrachten. Super Carthaginem ist jedoch nicht über jeden Verdacht erhoben. Das Ineinandergreifen von eigentlicher und übertragener Bedeutung ist mir nicht recht ersichtlich. Klarer scheint die Aussage mit super Carthagine »anlässlich (des Sieges über) Karthago« zu werden.®? Dann brauchen wir nicht mehr das Grabmal Scipios mit der Feindesstadt gleichsam lokal zusammenzuführen. Ob nun Horaz wirklich an den jüngeren Scipio denkt, scheint mir noch nicht ausgemacht zu sein. Einige Argumente können jedenfalls zugunsten des Älteren angeführt werden: 1) Die endliche Zerstörung Karthagos im sog. 3. Punischen Krieg war nicht

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unbedingt eine glanzvolle Leistung, es sei denn, dass man die Vernichtung des Rivalen, wie Cato, als eine Aufgabe ersten Ranges betrachtete. Dieses Karthago war jedenfalls kein ebenbürtiger Gegner mehr und seine Überwindung wirkt wie eine Antiklimax im Vergleich zur Feldherrenleistung des älteren Scipio Africanus. Scipio d.J. zeigte sich als ein grösserer Feldherr bei Numantia. 2) Ceteris paribus liegt es näher an den ersten Namensträger an dieser Stelle zu denken. Die Tat des älteren Scipio, wofür er den Beinamen Africanus gewann,®* bedeutete eine grössere Rettungstat für Rom. Angesichts des hervorgehobenen Begriffs virtus musste der Sieg über Hannibal viel schwerer wiegen als die letzte Runde der Auseinandersetzung. Der Zusammenhang verlangt auf alle Fälle die grössten Leistungen römischer Feldherren, um Octavians Sieg hervorzuheben. So bekämen wir auch ohne eigene Erwähnung des Namens einen gefährlichen und bedeutenden Gegner, nämlich Hannibal, als Gegenpol zu Jugurtha.®° 3) Die sallustische Deutung der römischen Geschichte, die vermutlich einiges für Horazens Auffassung bedeutet hat, scheint diese Identifizierung zu stützen. Für Sallust war die Zerstörung Karthagos eine Wende in der römischen Geschichte;

danach - und teilweise deswegen — habe der innere Verfall Roms angefangen. Der Hannibal-Krieg war jedoch für Sallust ein Höhepunkt der Bewährung römischer virtus.?° 4) Ein Moment ist wohl schliesslich, dass der Kampf Octavians gegen Antonius auch sonst Hannibal als Beispiel hervorgerufen zu haben scheint eleeBxey2, :125:2),87 Zugunsten einer Identifizierung mit dem Scipio Aemilianus können auf der anderen Seite zwei gute Argumente angeführt werden: 1) Die besondere Erwähnung der Feindesstadt statt des Gegners (Hannibal) lässt eher an den jüngeren Scipio denken. 2) Ein Scipio wird nur einmal sonst bei Horaz erwähnt, und zwar der jüngere, nämlich in der ungefähr gleichzeitigen sat. II 1, 17 und 72, wo Horaz das Verhältnis des Feldherrn zu Lucilius in

Parallele zu seinem eigenen Verhältnis zu Caesar setzt (vgl. besonders den Ausdruck virtus Scipiadae V. 72). Der Ausdruck sepulcrum condere ist auf den ersten Blick in diesem Kontext

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sonderbar. Man würde denken, dass es ein schlechtes Omen wäre.

Wenn Africanum zudem den jüngeren Scipio bezeichnen sollte, dann würde man an seinen jähen und verdächtigen Tod denken, was an unserer Stelle einen missliebigen Akkord bedeuten würde. Aber der Grund für die Erwähnung des Grabmals liegt wohl vor allem in der ehrenvollen Anspielung auf Octavian. Zunächst ist virtus zum selbständigen Begriff geworden, weil Octavian daran, nicht zuletzt durch seinen Sieg, Teil hat. Erst wenn man Octavian berücksichtigt, scheint zudem die Junktur sepulerum condidit ihren vollen Sinn auszustrahlen. Denn dadurch wurde der zeitgenössische Leser wohl an das Mausoleum des Herrschers erinnert. Diesen Gedanken aus zeitlichen Gründen abzulehnen, ist kaum ratsam. Nun sagt zwar Sueton, die einzige Quelle, die ausdrücklich etwas zum Aufführungsdatum dieses Riesenbaus anzuführen hat: id opus ... sexto suo consulatu extruxerat/d.h. Octavian im J. 28 v.Chr./(Aug. 100,4). Nach der scharfsinnigen Untersuchung von Kraft ist diese Datierung auf den Abschluss der Bauarbeiten zu

beziehen.

Es

sei wahrscheinlich,

so

glaubt

er,

dass

das

Mausoleum von Haus aus als eine propagandistische Antwort auf den testamentarischen Wunsch des Antonius, zusammen mit

Kleopatra in Alexandria begraben zu werden, zu verstehen sei. Etwa seit dem Frühjahr des J. 32 war das Testament des Gegners in Rom bekannt. Den Beginn der Bauarbeiten setzt Kraft zum J. 31 als dem spätesten Termin mit Hinblick auf die Fertigstellung des Mausoleums im J. 28. Man könnte sich also denken, dass das Mausoleum ein sichtbares Denkmal der Hingabe Octavians an die Sache Roms und des Westens sein sollte. Als die Epodensammlung des Horaz veröffentlicht wurde, war also das Mausoleum schon gut fortgeschritten. Haben diese Vermutungen von Kraft etwas für sich,®® so ist der horazische Zusammenhang von

einigem Interesse für die Beurteilung der Absichten Octavians, als er sein Mausoleum errichten wollte. Die Konkurrenz seines Baus mit den früheren Grabmonumenten Roms lag in der Natur der Sache. Insbesondere würde dies neue Grab das bekannte Scipionengrabmal an der via Appia im Süden Roms überflügeln. Die Grösse und Herrlichkeit eines sepulerum lag für Horaz offenbar

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in den Verdiensten des Bauherrn begründet. Dies war die natürliche Deutung auch des neuen Mausoleums; der Bau war ein sichtbarer Ausdruck der überragenden virtus Octavians und konnte damit gerechtfertigt werden, dass Octavian die Stadt von der Tyrannei ihrer gefährlichen Gegner retten wollte und gerettet hatte. Darin wurde sichtbar, dass Octavian ein libertatis vindex war. Erst diese Leistung konnte propagandistisch eine solche prangende Überbietung republikanischer Präzedenzfälle einigermassen rechtfertigen. Der Vergleich zwischen Scipio und Octavian ist demnach ein klares Zeugnis für die überschwenglichen Gefühle der factio Octavians vor der Rückkehr ihres Herrn aus dem Osten. Ein letzter Blick soll die Bedeutung der Partie innerhalb des Gedichtzusammenhanges berücksichtigen. Die Verse waren, wie wir gesehen haben, aus den in 17-20 dargestellten Geschehnissen entwickelt, insbesondere aus dem Rückzugsmanöver der feindlichen Flotte (19-20). Hinsichtlich der Schande der Partie 11-16 ist nunmehr ein kraftvoller Gegenpol errichtet worden. Der Leser versteht, dass der negative, unerträgliche Zustand im Begriffe ist, eliminiert zu werden. Die Verstimmung macht einer optimistischen und siegesgewissen Stimmung Platz. Diese Wende spielt sich gleichsam vor unseren Augen auf der dargestellten Bühne ab. Die Bewegung kommt durch die Einbeziehung der erlebten Erfahrung zustande.

27-32 Dann folgt eine Partie mit sechs Versen, welche die Situation der Verse 19 f. und folglich die Darstellung des Tages der Schlacht mit einem weiteren Höhepunkt versehen, der Flucht der feindli-

chen Führer: terra marique victus hostis punico lugubre mutavit sagum, aut ille centum nobilem Cretam urbibus 30

ventis iturus non suis,

exercitatas aut petit Syrtis Noto aut fertur incerto marıi.

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Die Alternativen spiegeln die begrenzte Übersicht eines Teilnehmers in den Stunden nach der Flucht. Gleichwohl handelt es sich keineswegs um beliebige geographische Angaben, wie man richtig gesehen hat.°° Die drei Alternativen sind gleichermassen »wahr«. Creta ist, wie man leicht auf der Karte sieht, die natürliche Zwischenstation auf dem Wege nach Ägypten.?® Syrtis deutet die afrikanische Hauptbasis des Antonius in der Cyrenaica an. Die dritte Alternative, incerto mari, ist als »ziellos« zu verstehen, eine kopflose Flucht in beliebiger Richtung.?! Dies sind Worte, die nicht ohne Grund und Wirkung an letzter Stelle in den Ohren des Lesers nachklingen sollen.

Auch der Leser würde von seinem Standort aus die Verse treffend finden. Möglicherweise konnte er bestätigen, dass Antonius zunächst nach der Cyrenaica, dann nach Ägypten gegangen war. Auch für ihn würde der letzte Vers das Aussichtslose eines weiteren Widerstandes seitens des Antonius andeuten. Damit wird der neue Flüchtling auf dieselbe Stufe wie Sextus Pompeius im früheren Teil des Gedichts gestellt. Terra marique victus zieht die für den Betrachter - sei es der anwesende Dichter, sei es der spätere Leser — einzig mögliche Schlussfolgerung aus dem Vorhergehenden.?? Der Hintergrund für diese Behauptung einer völligen Niederlage ist nicht einspurig: Im Vorhergehenden war ja die Vorstellung vermittelt worden, die Antonianer hätten auf zwei Fronten schwere Rückschläge hinnehmen

müssen

(17-20).°® Nun

sieht man,

wie der feindliche

Feldherr diesen Eindruck durch sein Benehmen selbst bestätigt: In vietus liegt das Eingeständnis der Niederlage.°* Kein Hehl wird davon gemacht, dass Antonius ein Hauptgegner, um nicht zu sagen der Hauptgegner ist. Sein Auftreten als Feldherr ist schliesslich entscheidend. Es spielte ja Kleopatra mit ihrem Geschwader keine Rolle im Seegefecht. Ihre Erwähnung an dieser Stelle würde den Sieg Octavians nur reduziert haben. Zudem kommt wohl die Vorstellung von dem wenig Ehrenhaften hinzu, gegen eine Frau zu kämpfen. Nunmehr sind wir auch imstande, einen Begriff von der Strukturierung der Partie und deren Funktion zu geben. Horaz

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liess also den io Triumphe-Ruf und den überschwenglichen Vergleich des Feldherrn unmittelbar auf das Bild der abgeschlossenen Seeschlacht folgen. Daran knüpft wiederum die PartoutBehauptung terra marique victus an. Dass aber hier kein wahres post hoc ergo propter hoc vorliegt, ist klar zu sehen, ging ja die Flucht des Antonius dem Rückzug der Hauptflotte zeitlich voran. Derjenige Leser, der diese eigentümliche Erzähltechnik bedenkt, versteht, dass Antonius schon von Anfang an als ein Besiegter zu sehen ist, dass ihm die Schlacht zu keiner Zeit Erfolg versprochen hat. Darüber hinaus versteht der Leser, dass diese Position des Besiegten ihm keine weitere Chancen übriglässt. Was am nächsten Morgen geschah sowie eine Woche später und was noch bevorsteht, dies alles kann die Einschätzung der Lage seitens des Dichters nur bestätigen. Die letzte Instanz steht ausserhalb der Gedichtsituation,

es ist der Leser. Die von den Forschern viel

strapazierte Phrase terra marique victus gehört Schlüsseln zum Verständnis der Epode; sie verbindet sche nunc ideologisch mit der Gegenwart des Lesers, eine gültige Tatsache hinweist. Man kann auch von einer doppelten Absicherung

also zu den das dramatiindem sie auf des Dichters

reden. Eine Beurteilung der Situation, die auf jeder Ebene etwas

übertrieben erscheint und uns eher wie eine Propaganda-Meldung anmutet, kann sich also durch die besondere Erzählstruktur darauf berufen, dass die Niederlage des Feindes (terra marique victus) sowohl als Folge des 17-20 beschriebenen Geschehnisablaufs als auch als Begründung der im Folgenden beschriebenen Flucht des Antonius gesehen werden kann. Die Anlegung der Trauertracht statt dem prangenden Feldherrnmantel ist eine konkrete Veranschaulichung des (für immer) geschlagenen Feldherrn. Er scheint kein Gegner mehr, mit dem man zu rechnen braucht. Dies alles ist eine ermutigende Botschaft an den zeitgenössischen Leser. Wer kann weiterhin an die Treue der übriggebliebenen Legionen des Antonius glauben? Man bedenke, welchen Feldherrn der Romanus ... miles (11-13) hat! Bleibt eine andere Möglichkeit übrig, als sich dem Sieger anzuschliessen?

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33-38 capaciores adfer huc, puer, scyphos et Chia vina aut Lesbia, 35 vel quod fluentem nauseam coerceat metire nobis Caecubum.

curam metumque Caesaris rerum iuvat dulci Lyaeo solvere. Wie ist die Verbindung des Schlussteils mit dem Vorhergehenden zu verstehen? Mit einem Hinweis auf incerto (32) und fluentem nauseam (35),?° das auf stürmische See hindeute, findet Ableitinger-Grünberger: »Alles ist in der Schwebe, nichts entschieden, vieles ungewiss. Die Natur wird zum Spiegelbild der menschlichen Situation. Mit einfachen Mitteln erzielt Horaz einen künstlerischen Effekt, durch den die Lage seltsam labil und düster erscheint.« Eine Frage ist aber dabei wesentlich: Wessen Situation ist gemeint? Die vorangehenden Verse galten dem geschlagenen Feind; incerto mari lässt sich von der Situation des Antonius nicht trennen und darf nicht mit derjenigen der Caesarianer verwechselt werden. Horaz ist weit davon entfernt, den Eindruck zu erwecken, noch sei wenig oder nichts erreicht, bzw.

eine Siegesgewissheit sei Illusion. Eine Deutung der Schlussverse, die auf Entlarvung des Positiven hinausläuft, ist deshalb nicht akzeptabel. Wir kommen mit der Schlusspartie viel eher zurecht, wenn wir ihre Stimmung aus dem Vorhergehenden ableiten. Grundlegend ist noch immer das Erlebnis einer Wende in der Auseinandersetzung mit Antonius. Ausgangspunkt war zwar eine gefährliche Krise gewesen, nun steht man aber vor dem Abschluss

des ganzen Kriegs. Das spontane Trinkgelage unmittelbar nach der Seeschlacht ist in der Hauptsache positiv zu beurteilen: Es entspringt ja der entstandenen Situation nach dem Rückzug bzw. der Flucht des Feindes. Es muss deshalb vor allem als eine Markierung der Freude an diesen Geschehnissen, vor allem der de facto-Niederlage, verstanden werden.?® Der Lobpreis Octavians erfordert, dass der äussere Rahmen für die Rede des Horaz dem nicht wider-

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spricht. Dass diese positiv-optimistische Note ihre Begrenzung haben muss, ist schon im Vorhergehenden sichtbar geworden. Denn Horaz nimmt Rücksicht auf die Situation, dass der endliche

Schlussstrich nicht gezogen worden ist und dass der Triumph auch für den Leser in der Zukunft liegt. Die noch bestehende Aufgabe soll demnach keineswegs verschwiegen werden. Insofern mag man von einem schwebenden Charakter der Partie sprechen. Dass die Feier der Stunde trotz ihres vorläufigen Charakters dennoch zum ganzen Krieg ein praeludium triumphale ist, geht zugleich aus einem kleinen Detail hervor. Der Dichter wünscht sich einen Caecuber-Wein auf den Tisch — auch bei dieser Gelegenheit. Dies ist weder, wie man gewollt hat, eine schlaffe Wiederholung von Caecubum in V. 1 noch mit dem Begriff »Ringkomposition« erschöpft. In dieser Weise unterstreicht Horaz den Zusammenhang mit dem endlichen künftigen Sieg. Von einem sachlichen Gesichtspunkt her lässt sich behaupten, dass der Gedanke an den Festwein, mit dem der Sieg des 2. Septembers gefeiert werden soll, den Gedanken an einen analogen, aber noch

herrlicheren künftigen Sieg auslöst.?’ V. 35 gibt eine neue wichtige Auskunft über das nunc des Gedichts, das nur denjenigen überraschen kann, der V. 19 nicht durchschaut hat. Dass nämlich Horaz zusammen mit Maecenas sich an Bord eines Schiffes befindet, steht hier als Veranschaulichung und Präzisierung der mitten im Gedicht enthüllten Perspektive. Es handelt sich jedoch diesmal nicht um den Zeitpunkt, den der informierte Leser schon hinlänglich kennt, sondern um den Ort, wenn man auch dies aus dem Vorhergehenden geahnt haben mag. Gleichzeitig wird das in der Anfangsfrage liegende Moment der Sehnsucht, wie erwähnt, um eine konkrete Perspek-

tive bereichert. Die Sehnsucht hat ja ganz beschwerliche gegenwärtige Umstände zur Folie. Der Komparativ capaciores hat viele Kommentare hervorgerufen. Es hängt zweifellos von der Auffassung dieser Form ab, wie man den äusseren Rahmen für die Rede des Dichters verstehen soll. Die Frage ist, ob das Trinkgelage vor seinem Beginn stehe oder ein fortgeschrittenes Stadium erreicht habe.?® Noch scheint

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die letztere Auffassung vorherrschend zu sein, indem man sich auf die komparativische Deutung des Adjektivs stützt. Sie hat aber eine gute Stütze damit verloren, dass es nicht mehr möglich ist, nausea als »Übelkeit« oder »Brechreiz« als Folge unmässigen Trinkens zu verstehen.?? Diese Deutung war übrigens nie in sonderlichem Einklang mit dem Tenor des ganzen Gedichts; sie war weder der Situation des Tages ängemessen noch mit der Haltung unseres Dichters gegenüber Alkohol und empfehlenswerten Trinksitten gut vereinbar. Wir müssen uns deshalb unbedingt für die andere Möglichkeit entscheiden, der elativischen Auffassung des Adjektivs. Zu den wenigen Gelehrten, die diese Deutung befürwortet haben, gehört Wistrand.!°° Man sollte den fraglichen Vers also folgendermassen übersetzen: »Recht grosse Pokale (d.h. grössere als sonst üblich) bring’ hierher, Diener.« Dieser Gebrauch des Komparativs ist völlig natürlich, nicht zuletzt im Umgangston - ich verweise besonders auf vis acrior in der 7. Epode (V. 13) hin. Diese Bedeutung passt aufs beste zu nausea als »Seekrankheit« wie auch zur ganzen Situation. Von den beiden Schlussversen erwarten wir aufgrund der ganzen Interpretationslinie, dass sie die Idee des Gedichts irgendwie widerspiegeln und die Komplexität des Gedichts mit ihrer Dynamik der aneinanderstossenden Teile nachklingen lassen. Der starke Schmerz, der in der Partie 11-16 hervorbrach, und der

letzten Endes noch nicht abgeschlossene Krieg müssen bis zum Ende des Gedichts mitberücksichtigt werden. Es scheint, dass Horaz die verzwickte Aufgabe eines vorläufigen Enkomions auch in seinem Schlussakkord gemeistert hat. »Dem Rest-Krieg« hat er in der Weise Rechnung getragen, dass er an die Wachsamkeit der Anhänger Caesars zu appellieren scheint. Denn alle guten Kräfte müssen für den gerechten Krieg bis zum letzten Schluss eingesetzt werden. Die letzten Verse sind also kaum ambivalent im Sinne einer müden und enttäuschten Reaktion. Die Freude tritt auch in diesen Versen, wenn auch nicht übermässig, hervor. Juvat ist ein

nicht wegzudeutendes Anzeichen dieser Stimmung. sind die Verse

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aufschlussreich,

Überhaupt

was das Motiv

und die

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Begründung des Trinkgelages betrifft. Die Seekrankheit zu bekämpfen bzw. zu dämpfen, ist nebensächlich. Jenes Motiv wird schon syntaktisch-formal als ein möglicher und willkommener Nebeneffekt charakterisiert (... quod fluentem nauseam coercear). 10!

Wie sind nun cura und metus zu verstehen? Wir lesen diese Bezeichnungen unter dem Blickwinkel der Wende, die diesem Tag

der Schlacht eignet. Die Stimmung und die Gefühle der Beteiligten während ihres Kampfes für die Sache Caesars haben in diesen Begriffen einen angemessenen Ausdruck gefunden. Soeben hat man eine heftige Schlacht beendet und steht nunmehr an der Schwelle einer Beendigung des langwierigen Streites. Es überrascht kaum, dass diese Gefühle an die Einleitungsepode erinnern. Metus wurde da (V. 17), gestützt von timet (V. 20), verwendet; die Haltung der Verteidiger im allgemeinen konnte treffend als cura bezeichnet werden, ohne dass das Wort eigens gebraucht wurde. Mittels des funkelnden Weins im Gelage der 9. Epode erlebt man einen Übergang. Wein symbolisiert auch sonst Erleichterung und Lösung von Kummer, und da wo es Freude gibt, wird sie vom Wein verstärkt, nicht aber hervorgerufen. Viele Erklärer glauben offensichtlich, dass die Symbolik des Weins in einem gewissen Gegensatz zur herrschenden Stimmung stehe. Dies beruht aber, wie wir sahen, auf einem Missverständnis des

Gedichts. Kummer und Furcht seitens des Maecenas und ÖOctavian sind nicht vorherrschend; die mit Wein gefüllten grossen Becher können nicht die Funktion haben, solche beklemmende

Gefühle zu vertreiben. Eine solche Deutung hiesse den Freudenausbruch im Vorhergehenden gleichsam zu widerrufen. Nicht ohne Grund ist solvere das letzte Wort der Epode. Auch dies indiziert die gefühlsmässige Wende, die man eben erlebt hat. Horaz deutet die Situation aus dem nunc des Gedichts heraus als eine Zeitenwende für das römische Volk. Im engeren Rahmen ist er es, der seinen Freund und die comites auffordert, der plötzlich

eingetretenen Wende zum Besseren in der äusseren Situation Rechnung zu tragen und die Sorge zu vetreiben. Eine naheliegen-

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de Parallele dazu ist Verg. Aen. 2,25 f. Ergo omnis longo solvit se Teucria luctu.!°2 Die Trojaner glauben, dass die Griechen nach Hause zurückgekehrt seien und der Krieg zu Ende sei. Der Schluss-Satz des Gedichts ist natürlich nicht nur an die Teilnehmer an Bord des Schiffes gerichtet; es wird vor allem durch diese Aussage ein optimistischer Glaube an den Leser vermittelt, der aus seiner Situation heraus um so berechtigter war, weil sich die Schlacht von Actium in der Zwischenzeit noch viel deutlicher als das entscheidende Ereignis des Krieges gezeigt hatte. Gleichwohl soll niemand diese Äusserung als eine Aufforderung zur leichtsinnigen Sorglosigkeit verstehen. Die PlancusOde (I 7) ist eine andere verbindliche Parallele: ru sapiens finire memento/tristitiam vitaeque labores/molli, Plance, mero (17-19), dem man das Teucer-Beispiel entgegenhalten muss (21 ff.): Teucer Salamina patremque/cum fugeret, tamen uda Lyaeo/ tempora populea fertur vinxisse corona/sic tristis adfatus amicos:}... nunc vino pellite curas:/cras ingens iterabimus aequor. Der Charakter des Gelages ist von der Situation bestimmt. So auch in der 9. Epode. Künftige Wachsamkeit ist mit der Hingabe an die Erlösung und Freude des Augenblicks verbunden. Zwischen

Freude und Wachsamkeit ist kein unvereinbarer Konflikt — weder in der damals, am Nachmittag des 2. Septembers entstandenen

Situation noch in der post-Actium-Wirklichkeit der folgenden Monate. Victore laetus Caesar hat zwar keine uneingeschränkte volle Gültigkeit, wie sich schon in dem Augenblick herausstellte,

als Horaz auf die Schande der im Sold der ägyptischen Königin stehenden römischen Soldaten zeigte. Das Gedicht ist nicht zuletzt ein Aufruf,

trotz der gewonnenen

Schlacht

die Sache

Caesars bis zum Ende zu verteidigen. Doch hat sich während der Rede und des »Kriegsberichts« des Dichters das Gefühl immens verstärkt, dass das Wichtigste schon geleistet worden sei und dass

man vor viel leichteren Aufgaben stehe. In solcher Weise glauben wir die ausgewogene politische Botschaft in ihrer mehrschichtigen Beziehung zu bestimmen. Finige Fäden der vorangehenden detaillierten Analyse möchten wir in dieser Schlussbetrachtung festhalten.

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Die Ambivalenz der Perspektive ist nichts Zufälliges, sondern entspricht einer wohlkalkulierten Anwendung jener bei Actium gemachten Erfahrung als aktuellem Paradeigma. Das Vorgehen des Horaz ist so, dass sich die engere »actische« Perspektive erst allmählich seit dem Mittelteil des Gedichts (17 ff.) enthüllt. Es ist nicht glaubhaft, dass hier ein Augenblickserzeugnis vorliege, das kurz danach in die Sammlung aufgenommen worden sei. Horaz hat von vornherein, als er den Plan zur Herausgabe der Sammlung entwarf, den Actium-Sieg Octavians zu deren Mittelpunkt machen wollen. Es handelte sich ja, worin man ohne weiteres dem Dichter Recht geben möchte, um nichts geringeres als das entscheidende Gefecht des letzten Bürgerkrieges und in einer weiteren Perspektive um die Beendigung der bella civilia.‘°® Indem Horaz die Gewässer bei Actium zur Szene und den Tag der Schlacht zum dramatischen nunc machte, hat er in einzigartiger Weise jenen Sieg Octavians als cardo rerum hervorgehoben. Im Rahmen der Sammlung ist nicht nur eine Folie zur ersten Epode hinzugekommen, sondern auch zur siebenten. Die letztere Beziehung ist ideologisch wichtiger. Jene schwarze Wolke der bürgerlichen Entzweiung ist im Begriffe sich aufzulösen. Dies verspricht ein Ende der Greuelzeiten. In der 9. Epode ist die äussere Überwindung jener üblen coniuratio beinahe etwas Vollzogenes. Wie in den gleichzeitigen Georgica steht Octavian in der Miitte.10* Nicht nur beherrscht er die Mitte der Sammlung - darin unterscheidet diese Sammlung sich von der ersten Satirensammlung -, sondern er wird im voraus als der grösste Sieger der römischen Geschichte gepriesen; diese Länge des geschichtlichen Ausblicks war in der 7. Epode vorgebildet. Unsere Epode hat schliesslich einen signifikanten Platz zwischen der 7. und der 16. Dies wird dann klarer hervortreten, wenn

wir auch die letzte Epode betrachtet haben. Denkt man sich aber die 9. Epode in der Sammlung weg, wäre die 16. Epode kaum dasselbe Gedicht. Die umgebenden Epoden nehmen inhaltlich Rücksicht auf die 9. Voran ging mit der 8. Epode ein grob aischrologisches Gedicht: ein nicht näher erwähntes Weib wird mit Schmähung

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überhäuft. Dies ergibt, wenn nicht eine Parallele, so doch eine

Assoziation zu dem jambischen Einschlag unserer Epode, nämlich dem Angriff auf Kleopatra — die femina — mit ihrer unwürdigen Entourage (12-16).!°° Dieses Bild von den spadones rugosi und dem furpe conopium führt die Verachtung von der privaten Sphäre des vorhergehendes, Gedichts auf die grosse zeitgenössische Szene hinüber. Entsprechend gelangen wir von dem flüchtenden hostis im zweiten Teil der Epode zu einem verwandten Thema in der Mevius-Epode (10). Diese Epode ist zwar an sich, was die Person des Angegriffenen betrifft, reichlich änigmatisch, hat aber, wie es scheint, ihren Platz gerade unmittelbar nach der Actium-Epode ihrem hasserfüllten Propemptikon-Charakter zu verdanken. Der Feind des Dichters segeit, wie ihn Horaz in seiner Phantasie sieht, von feindlichen Winden getragen und wird in ein vernichtendes Fahrwasser wegen des Notus gelangen - vgl. 9, 31 exercitatas ... Syrtis Noto. Wie das erotisch-moralische Thema im Falle Kleopatras durch das Nachbargedicht verstärkt und gleichsam zum Genos-Spezifischen geknüpft wurde, so auch ähnlich im Falle des Antonius durch den Angriff auf Mevius. Auch haben diese Nachbargedichte zusehends die Funktion, das Actium-Gedicht in jambischer Hinsicht gewissermassen zu entlasten. Denn es wäre kaum angemessen gewesen, neben dem Enkomion Octavians sich in Angriffen auf die gegnerische Seite zu ergehen; man würde bald zum Punkt kommen, wo man den eigenen Sieg reduzieren würde. Dies bedeutet aber nicht, dass die 8. und 10. Epode für ihren Platz und die architektonische Funktion geschrieben worden sind. Nichts scheint dagegen zu sprechen, diese Produkte als früh zu betrachten. Die 9. Epode gehört nicht nur kompositionell zu den spätesten Gedichten der Sammlung, sie macht ohnehin auch genosgenetisch gesehen einen reifen Eindruck. Dann sollte man sich fragen, ob diese späte Datierung auch bei denjenigen politisch-nationalen Epoden richtig ist, die eine so klare Datierung nicht erlauben. Interessant für die Beurteilung der 9. Epode sind auch ihre

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Bezüge zu den Iyrischen Vorbildern. Horaz scheint Anregungen von verschiedener Seite bekommen zu haben. Eine Beziehung, wenn auch nicht zum jambischen Genos, so

doch zu seinem Begründer Archilochos hat Wilkinson in dem elegischen Fragment 4 (West) gesehen. Leider bleibt der Hintergrund dieses Schiffsymposions für uns dunkel. Es handelt sich offenbar um einen Wachdienst (V. 9 pvAaxrj). Vielleicht ist ein frohes Ereignis eingetreten, das die Aufforderung begründet; von einem bedeutungsvollen Sieg war schwerlich die Rede. Das Verhalten des Archilochos mutet nicht eben verantwortungsvoll an. Horaz hat demgegenüber jedenfalls betont, dass das Werk erledigt worden ist: im Augenblick ist seitens des Feindes nichts zu befürchten. Vielleicht waren die Umstände bei Archilochos einfach unangenehm und deshalb mittels des Weines zu bekämpfen.22® Eine wichtige Inspiration scheint indessen von Alkaios frgm. 18 zu kommen.!?’ Der sympotische Rahmen machte bei Horaz zwar von vornherein die Dämpfung des Kampfthemas erforderlich; dieser Rahmen ist jedoch gegenüber dem politischen Inhalt der Epode und der Grösse des geschichtlichen Moments sekundär. Die Kombination geht auf Alkaios zurück. Der Fall des Tyrannen war ein für diesen Dichter bezeichnendes Thema; man vergleiche Horazens eigene Worte c. II 13,31 exactos tyrannos. Sextus Pompeius und Antonius sind bei Horaz anstelle von Myrsilos (vielleicht auch Melanchros) getreten. Eine Berührung mit Alkaios zeigt auch das Motiv der unangenehmen Umstände, worin sich der Dichter gerade befindet. Auch hierbei wird man auf Horazens Worte in c. II 13 über die Dichtung des Alkaios (V. 27-28): dura navis, ... dura belli erinnert. Bei Alkaios finden sich auch die trinkenden Freunde, welche die Vertreibung des Tyran-

nen feiern. Eine Bestätigung dieser Affinität der 9. Epode zu Alkaios erfolgt in der »Appendix«, c. I 37, wo bekanntlich wörtlich auf das Alkaios-Gedicht angespielt wird. Die Epode darf demnach als ein Praeludium Alcaicum bezeichnet werden. Aber Alkaios scheint den Dimensionen der von Horaz berich-

118

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teten Ereignisse nicht zu entsprechen. Der Lobpreis auf Octavian weist über den archaischen Lyriker hinaus. Diese Seite des Gedichts lässt an den grössten der griechischen Lyriker denken, Pindar: ein Siegesfest, der höchste Gott als Zentrum des Ganzen samt dem Sieger selbst sind ein pindarisches Ensemble par excellence.!°® Horaz wendet sich aber nicht direkt an den Sieger; es sind bei ihm der Gott des Sieges, Triumphus, und Jupiter, Gott

der Triumphfeier, die hervortreten. Anlässlich der alten und umstrittenen Frage, ob Maecenas und Horaz dabei gewesen seien, hoffen wir, auch diese geklärt zu haben. Wie z.B. Buecheler, Hanslik und Ableitinger-Grünberger halten auch wir es für ausgemacht, dass sie an der Expedition wirklich teilnahmen. Wistrand hat gegen Fraenkel gezeigt, dass die geschichtliche Quellen, vor allem Arrian, nicht gegen diese Auffassung ins Feld geführt werden können. Die Argumente, die wir bei der ersten Epode zugunsten einer Annahme, dass sie teilgenommen hätten, anführten, sind in noch stärkerem Mass für

dieses

Gedicht

gültig:

Es wäre

sonderbar,

einen

so starken

Eindruck von ihrer Teilnahme hervorzurufen, wenn sie nicht dabei gewesen wären. War doch ein grosser Teil der Leserschaft

sich mit der Frage, ob sie wirklich mitgefochten hätten oder zu Hause geblieben wären, völlig im reinen. Deshalb haben Beispiele aus der Fiktionswelt der Dichtung keine Beweiskraft für die gegenteilige Auffassung. Die Epode ist ja nicht einfach »geschichtlich« im einfachen Sinne, sondern ein ideologisches Dokument. Dass aber das Gedicht an Ort und Stelle geschrieben worden sei, ist nicht zu vermuten. Nach unserem Dafürhalten ist diese Frage, recht besehen, weniger interessant und lässt keine sichere Antwort zu. Wahrscheinlich hat Horaz seine Epode als Actium-Veteran entweder in Rom oder auf seinem neulich erworbenen Sabinum verfasst, vielleicht auch anderswo, wo er ruhige Tage und Wochen nach seiner »Dimission« verbringen konnte, beispielsweise in Baiae oder Tarent, wo er das winterliche

Klima angenehm fand.!° Um nach Hause zurückzukehren, ist Horaz (und Maecenas) nicht später als die Hauptmasse des Heeres von Actium aufgebrochen. Daheim in Italien konnte er

Die neunte Epode

119

sich dann der Fertigstellung zwei fortgeschrittener Sammlungen widmen, dem Epodenbuch und dem zweiten Satirenbuch. Die Epoden hatten sich über mehrere Jahre erstreckt, jedoch höchst wahrscheinlich mit langer Unterbrechung (bzw. langen Unterbrechungen): einige in die Sammlung aufgenommene Gedichte gehören wie es scheint der Zeit vor der Aufnahme in den Maecenas-Kreis an.!!° Nach Actium war Horaz imstande, diese Sammlung dank des politisch-nationalen Themas auf eine höhere Stufe zu bringen. Dadurch wurde gleichzeitig mehreres erzielt: eine Bereicherung des Genos, eine starke, wenn auch indirekte Huldigung Octavians, die Errichtung eines dichterischen Monuments über das wichtigste Ereignis der zeitgenössischen Geschichte, das die chaotische Polykoironia der Triumviralzeit beendete. Gleichzeitig trat er selbst durch diese Gedichte als loyaler Vorkämpfer für die Sache der Caesarianer bzw. des Regimes hervor. Seine Rolle als geistreich-begabter Liebling des Maecenas erfuhr eine Erweiterung mit dem von Vergil angeeigneten dichterischen Anspruch, eine bedeutende Stimme der Nation zu sein. So hat offenbar die Auseinandersetzung zwischen Octavian und Antonius eine neue Stufe im Schaffen des Horaz bedeutet. Im Laufe dieser Monate war er dem Machtzentrum der römischen Welt nähergetreten. Auch in dieser Hinsicht ist die 9. Epode bezeichnend: Horaz ist nicht mehr (nur) comes Maecenatis, sondern fast durch die Umstände selbst ein vates Caesaris geworden. Diese zusammenfassende Betrachtung — sowie zum Teil die Analyse selbst — beruht auf der Annahme eines grösseren Ensemble von zusammenhängenden politischen Äusserungen des Horaz. Die Frage spitzt sich auf die Schwierigkeit zu, ob auch die letzte dieser Epoden, die 16., zu diesem Konzept passt. Denn die 16. Epode scheint ja bei der herkömmlichen Auffassung aus dem Rahmen einer Actium-Perspektive in dem hier dargelegten Sinne herauszufallen. Unsere Analyse der 16. Epode muss deshalb insbesondere das Verhältnis zu den früheren Gedichten prüfen.

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ANMERKUNGEN ! Wir rechnen im folgenden a priori damit, dass man zwischen Wirkung und Zweck nicht zu unterscheiden braucht. 2 Der Versuch Fraenkels (S. 72 f.), Buechelers Deutung zu widerlegen, ist als folgenschwerer Fehlschlag zu bezeichnen. 3 Die Hervorhebungen in den Zitaten sind von mir. — Die Arbeit Buechelers, als Index scholarum hib. Bonnae 1878/9, 13 "&rstmals publiziert, ist bequem zugänglich in: Kleine Schriften Il, Leipzig-Berlin 1927, 321. * Setaioli 1718. Ähnliche Formulierungen sind Legion. Ich greife nur einiges heraus: K. J. Reckford, »Horace and Maecenas«, TAPhA 90, 1959, 196 Anm. 3:

»the ode was actually written later on dry land.« Wurzel nennt den 3. September den »terminus post quem für die Abfassung der Epode« (S. 377) und betont sogar, dass Horaz nichts über das Fluchtziel des Antonius am Abend des Kampftages gewusst habe« (S. 378 Anm. 2). Unpräzise Verwendungen des Begriffes »Datierung« finden sich in den sonst wertvollen Arbeiten von Ableitinger-Grünberger (1968) 78 f., 83 und von Bartels 306 f. Bartels hat zwar richtig darauf hingewiesen, dass die Situation des Gedichts nicht mit der Abfassung desselben zusammenfalle, aber nur um die Frage nach der realen Abfassungszeit als uninteressant zu erledigen (S. 307); er scheint in seiner Anm. 65 (S. 307) zu meinen, dass die Gedicht-Situation erdichtet und nichts Erlebtes sein könne, wenn das Gedicht in Rom geschrieben worden sei. — Auf der richtigen Spur ist allerdings Schörner (S. 49): »Man darf bei Horaz wohl kaum jemals von derjenigen Situation sprechen, aus welcher der Dichter ein Gedicht tatsächlich verfasst hat, sondern immer nur von einer fiktiven, d.h. von derjenigen Situation, aus der heraus das Gedicht verstanden werden will. Demgemäss kann es sich auch bei der 9. Epode nicht darum handeln, bei welcher »Gelegenheit« sie verfasst ist, ob auf dem Schiff oder in Rom und was man nun sonst alles vermutet hat, sondern nur darum, wie Horaz

selbst die Situation aufgefasst wissen will.« Wie richtig diese Beurteilung gegenüber der diffusen communis opinio auch sein mag, so ist sie doch zum vollen Verständnis dieser Epode, wie sich im folgenden ergeben wird, unzulänglich. 5 Man mag zugegebenermassen an eine »Überbrückung« zwischen fiktionaler und kompositioneller Zeit durch einen Entwurf, eine Prosa-Skizze oder ähnl. denken; dies würde jedoch nichts an dem prinzipiellen und belangvollen Unterschied zwischen den Observationspunkten ändern, wäre zudem unbeweisbar und

schliesslich weniger wahrscheinlich als die Annahme, dass Horaz die Idee zum

Gedicht erst nach der Beendigung der ganzen Expedition bekommen und verwirklicht habe. h ° Die abweichenden Auffassungen von A. Ferrabino, »La battaglia d’Azio« RF, 1924, 433-72, und von Tarn haben mich in den entscheidenden Punkten nicht überzeugt. ” Eine detaillierte Karte bei Kromayer-Veith, Schlachtenatlas, Römische Abt., fol. 24; J. Gage, »Actiaca«, MEFR 53, 1936, 43; Carter 154 (gegenüber) u. 207.

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® Das anfängliche Stärkeverhältnis scheint etwa 12000 Reiter auf beiden Seiten betragen zu haben. Ausser dem Abfall des Amyntas wurde Antonius auch von Deiotaros Philadelphos aus Paphlagonien und Rhymetalces aus Thrakien verlassen (Plutarch, Ant. 63,3). ° Die Flotten betrugen ca. 400 Schiffe auf Octavians Seite und 170 auf der des Antonius (Orosius 6,19,9); Kleopatra hatte darüber hinaus ein Geschwader von 60 Schiffen. Zu diesen Zahlenangaben vgl. Richardson 154. 10 Hier sind wir auf Vermutungen angewiesen; höchstens einige wenige Schiffe scheinen ihm gefolgt zu sein; vgl. Wurzel 362 Anm. 4; Richardson 163. 11 Leroux schätzt dieser Schiffe auf ca. 30 aus der Gesamtzahl von 170. 12 Sueton, Aug. 17,2: Nec multo post navali proelio apud Actium vicit, in serum dimicatione protracta, ut in nave victor pernoctaverit. 13 Orosius 6,19 Illucescente iam die victoriam Caesar consummavit; vgl. Wurzel 364. 14 Kromayer 52 fand, dass Octavian mit dem Widerstand von 17 Legionen zu rechnen hatte; vgl. Leroux 40. 15 D.R. Schackleton Bailey, Profile of Horace, Lond. 1982, 80, schlägt si vor: »equivalent to ‘D.V.’« Diese geringfügige Änderung tut doch dem Charakter des Gedichts Gewalt an; vgl. zum Verständnis dieser Parenthese im Text S. 79 ff. 16 Vgl. Carrubba 33 ff. 17 Wenn Bartels 286 sagt: »Kaum ... wird sich hieraus [V. 1 ff.] ein Ansatz gewinnen lassen, der eindeutig für eine Abfassung der Epode nach oder vor der Schlacht von Actium

spricht«, dann wollen wir stattdessen betonen, dass der

Leser den Anfang ganz natürlich auf seine eigene Situation beziehen will, d.h. eine Situation, nachdem die ganze Expedition abgeschlossen worden war, und dass dies in der Deutung mitberücksichtigt werden muss. 18 beate (V. 4) gehört nicht zu dieser Diskussion, denn das Adj. geht auf den Reichtum des Maecenas, nicht auf seine Freude (so noch Ableitinger-Grünberger (1968) 75). Heinzes Kommentar ist mir nicht recht begreiflich: »auch bei beate sieht Horaz im Geiste den Mäcen jener ersehnten Zukunft« (wohl »glücklich«?). Gegen beatus in der Bedeutung »glücklich« spricht, dass das Glück vor allem mit der Zukunft verbunden ist, dass aber das Epitheton nicht zeitbedingt ist. 19 Beate in der Bedeutung ‘glücklich’ widerspricht übrigens der Deutung der obwaltenden Stimmung als Niedergeschlagenheit. Ableitinger-Grünberger (1968) 75 bezieht zu Unrecht beate auf die künftige Siegesfeier. 20 Wir ziehen eine Ausdrucksweise vor, welche die Offenheit in den Formulierungen des Dichters hervorhebt: Horazens Perspektive ist umfassend, nicht eingeengt. Das Schillernde, noch nicht Abgemachte wird sichtbar. Von Mehrdeutigkeit zu sprechen, wäre weniger treffend, wenn man damit ein »sowohl ... als auch«

als scharfe

Alternativen

im

Auge

hätte.

G.

Williams,

Tradition

and

Originality in Roman Poetry, Oxf. 1968, 215 hat dies richtig beobachtet, zieht aber daraus nach unserer Auffassung ganz schiefe Schlussfolgerungen. 21 Darüber näher im folgenden (S. 79 ff).

122

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22 Zum Ausdruck und seinem Zusammenhang mit der zeitgenössischen Propaganda vgl. L. R. Taylor, The Divinity of the Roman Emperor, Middletown 1931, 120; K. Scott 28 f. 23 Nach unserem Dafürhalten liegt hierin ein beachtenswertes Argument gegen diejenigen Interpreten vor, welche die Komposition des Gedichts vor dem 2. Sept. datieren. - Unverständlich ist es, wenn Bartels meint (S. 290 Anm. 18), dass sich aus diesen Versen »kaum ein Argument für au Datierung der Epode vor oder nach der Schlacht« ableiten liesse. 24 Man könnte vielleicht einwenden, dass actus keine genaue Übereinstimmung mit der beschriebenen Flucht des Antonius aufweist. Hier handelt es sich jedoch nicht um Wörter, sondern Bilder; bei Horaz folgt V. 27 — und übrigens auch V. 23-26 — als Bestätigung dafür, dass der Parallelismus beabsichtigt ist. Horaz meidet es, denselben Ausdruck in der Beschreibung der beiden Seeschlachten zu verwenden: actus entspricht victus, fugit, petit. Gegenüber nur zwei Versen zur Niederlage des Sextus wird das Bild im Falle des Antonius ausführlicher und komplizierter. 25 Natürlich ist dies im Falle des Pompeius eine grosse Übertreibung. Dass ustis navibus auf den Fall des Antonius zugleich Bezug nimmt, hat Wurzel 372 f. mit Anm. 1 beobachtet. 26 Es ist freilich für uns aufgrund dürftigerer Quellen nicht leicht anzugeben, was tatsächlich geschah. Drei verschiedene Brände kommen in Betracht: 1) Antonius zündete die überflüssigen Schiffe vor der Schlacht an (Plut., Ant. 64,1; Cassius Dio 50,15,4). Leroux 33 schätzt die Zahl dieser Schiffe auf 80 bis 120. 2) Schiffe wurden während der Schlacht in Brand gesteckt (Plut., Ant. 66,3; Florus 4, 11, 6; Cassius Dio 50, 15, 4 mit rhetorischer Ausschmückung;

Anm.

123. 3) Die Schiffe, die nach der Kapitulation

am

vgl. Leroux

53

3. September von

Octavian nicht weiter benutzt werden konnten, wurden vermutlich verbrannt; hierzu W. W. Tarn, »The Battle of Actium«, JRS 21, 1931, 184 (ob zu Recht,

möchte ich nicht sagen). Von diesen Möglichkeiten ist m.E. nur die zweite aktuell; vgl. ausser der Ode I 37 auch Verg., Aen. 8, 694 f.: Cassius Dio 50, 34, 2.

2” Dass die Aussage nur Kleopatra betrifft, ist vom Thema der Ode bedingt. Dasselbe könnte Horaz auch von der grösseren Flotte des Antonius behauptet haben. Kleopatra war wohl in der offiziellen Propaganda die Anführerin der ganzen feindlichen Streitmacht (vgl. V. 10-16). 28 Hierzu Appian 5, 135 ff.; RE 21 (1952) 2241-2245 (F. Miltner). Über das Ende des Sextus vgl. Hadas 148; H. Buchheim, Die Orientpolitik des Triumvirn M. Antonius, Heidelberg 1960, 88 ff. 29 Cassius Dio 50, 1, 4; Vell. 2, 87, 2. »° Vgl. die Reaktion in Rom, als man den Mörder Titius wahrnahm; Vell. 2, 79,6. 1 Stellen bei K. Fitzler-O. Seeck, RE (1919) 319, 11 ff. s.v. Iulius (Augustus); vgl. A. Degrassi, Fasti Capitolini, Roma 1952, 109; E. Pais, Fasti triumphales pop. Rom., Roma 1920, 298-301.

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123

2 Appian 5, 130. Cassius Dio 49, 15, 1 erwähnt, dass Octavian das Privileg erhielt, Ev tod Aıög tod Kanırwllov uera te Ns yvvaIkos Kal era Tov naldov Eotidodaı. 33 Cassius Dio 55, 2, 4.

34 Zur Ovation vgl. G. Rohde, RE 18 (1) (1942) 1890-1903. 35 K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1960, 74 mit Anm. 2; G. Wissowa, Religion und Kultus der Römer?, München 1912, 120. 3° Ist darin zugleich auch etwas von einer himmlisch-olympischen Perspektive enthalten? Beate passt auch in einen solchen Zusammenhang (beatus = uäxao). 37 Vgl. Rohde (oben Anm. 34) 1899, 55 ff. 38 Über solche Momente, die für eine Ovation sprechen würden, vgl. Rohde 1894 £. 3% Hätte Horaz ein solches Moment erwähnt, dann wäre die frühere Auseinandersetzung mit Sextus nicht mehr eine gute Parallele zu Actium und zum aktuellen Konflikt. 40 Vgl. Augustus, R.G. 25,1-2 Mare pacavi a praedonibus. Eo bello servorum qui fugerant a dominis suis et arma contra rem publicam ceperant triginta fere millia capta dominis ad supplicium sumendum tradidi. — Perfidis (V. 10) ist wesentlich. Octavian hatte vor dem Entscheidungskampf ca. 20000 Sklaven als Rudermannschaft drillen lassen; nur waren sie gebührend freigegeben worden (Suet., Aug. 16, 1). - Zur Sklavenbeteiligung bei Sextus vgl. W. Haben, Terminologische Studien zu den Sklavenerhebungen der römischen Republik, Wiesbaden 1978, 73 Anm. 43; Hadas 70. 41 Zur Propaganda gegen Kleopatra vor Actium gehörte, 1) dass Antonius ihre Söhne mit Caesar zu Caesars Erben machen wollte, und 2) dass sie Recht vom Capitol aus sprechen wollte; Wurzel 372 Anm. 3; Cassius Dio 50, 4, 1; 50, 5, 4; Florus 4, 11, 2; Eutropius 7, 7.

42 Wie geflissentlich Horaz jedoch im Gedicht meidet, den Sieg bei Actium als mangelhaft darzustellen, haben wir später hervorgehoben (S. 99). 43 Die kräftige Sperrung Romanus ... miles unterstreicht, dass diese Soldaten (im Gegensatz zu denen des Sextus) römische Bürger waren und führt so den Gedanken auf den Anfang der 7. Epode. Das Gewicht liegt nicht mehr auf der verbrecherischen Handlung, sondern auf der Demütigung des Römers. 44 feminae gehört sowohl zu emancipatus wie auch zu fert vallum et arma. 45 Ausführlich zu diesem Begriff vgl. R. H. Brophy, »Emancipatus feminae«, TAPhA 105, 1975, 1-11. Über den Gebrauch des Wortes in lateinischer Literatur vgl. Brophy 6. 46 Emancipare kommt bei Horaz nur hier vor; mancipium als Bezeichnung des servus kommt sat. II 7,3 und epi. I, 6,39 vor; mancipare epi. II 2,159.

47 Vgl. wie Augustus hierin Antonius in seiner Selbstbiographie belastete (Servius zu Aen. 8, 696): Et Augustus in commemoratione vitae suae refert Antonium iussisse ut legiones suae apud Cleopatram excubarent et eius nutu et iussu parerent.

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48 Vgl. OLD s.v. 1: »to serve (a master) in the capacity of a slave.« — Dass Antonius in seinem Verhältnis zu Kleopatra versklavt worden war (Plut. Ant. 60, Cass. Dio 50, 5, 3), tritt bei Horaz kaum hervor. 49 Zur Bedeutung von potest »bringt über sich«, das ebenso das Naturwidrige betont, vgl. OLD s.v. possum 3. 50 Zu ferre vallum vgl. z.B. Liv. 23, 16, 8; Cic., Tusc. 2, 37. 51 So z.B. G. Williams (oben Anm. 20) in seiner Übersetzung (S. 213).

52 Über die »Ehe« zwischen Antonius und Kleöpatra vgl. K. Kraft, Hermes 95, 1967, 496 ff. (= Gesammelte Aufsätze I, Darmstadt 1973, 47 ff.). 53 Wurzel 377, vgl. auch 371. 54 Setaioli 1718 behauptet in ähnlicher Weise, dass die Schilderung dem bei

Actium gelagerten Heer vor der Kapitulation gelte; Ableitinger-Grünberger (1968) 76 betont ihrerseits, dass die Anwesenheit Kleopatras keine notwendige Voraussetzung für diese Verse sei. —- Schörner 50: »Die Präsentia in diesen Versen ...sind als lebhafte Schilderung unter dem unmittelbaren Eindruck der vorhergegangenen Ereignisse zu erklären. Darüber hinaus besteht der unwürdige Zustand auch nach der Schlacht noch fort.« Ähnlich Leroux 40. 55 Wir möchten nicht ganz bei der negativen Feststellung stehenbleiben, dass nichts einer weiteren Deutung der Partie zu widersprechen scheint. Die Formulierungen scheinen durchaus dem Feldzug im allgemeinen angepasst gewesen zu sein. Während eines Feldzuges oder eines Krieges sind Heere ständig auf dem Marsch und wechseln Lager. Der Leser wird wohl nicht zuletzt an Actium denken - dies ist Teil der horazischen Psychagogie und einer allmählichen Enthüllungstechnik -, aber er kann mit ebenso grosser Berechtigung an Alexandria oder an einem beliebigen Ort denken, wo sich die Führer des Feindes jeweils befanden. 56 Durch unsere Deutung glauben wir einige Klarheit in der Frage nach der dominanten Stimmung in diesen Versen schaffen zu können. AbleitingerGrünberger (1968) 77 bezeichnet die allgemeine Situation als eine, worin der Feind übermächtig erscheint. Bartels 291 Anm. 21 wendet sich gegen diese Auffassung. L. P. Wilkinson, CR 47, 1933, 4 spricht von einem »depressed tone«. Das Wesentliche scheint indessen zu sein, dass der zugrundeliegende Konflikt und seine Ursache noch unspezifiert in seinem ganzen Ausmass vorgeführt wird. — Das Allgemeingültige an der Situation geht m.E. auch aus posteri negabitis hervor, denn die Nachwelt wird den ganzen Krieg als eine Einheit betrachten. >” H. Wagenvoort, »De Horatii epodo nono«, Mnemosyne 59, 1932, 420 kam zu dem Ergebnis, dass die Verse 1-20 ein vor der Schlacht geschriebenes separates Gedicht bildeten, das die Überlieferung zu Unrecht mit dem nach der Schlacht

geschriebenen Gedicht 9, 21-36 vereint habe. 58 Noch G. Williams, Trad. & Orig. 212 schreibt ad hunc. Das Demonstrativpronomen würde jedoch auf Romanus ... miles hinweisen! So richtig schon Ritter

z. St. (1856). 5° Wurzel 370: Heer 11-16, Reiterei 17-18, Flotte 19-20. Die Flotte umfasst

indessen milites.

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60 Servius zu Aen. 6, 612: transierunt ad eum (sc. Octavian) ab Antonio duo milia equitum, per quos est victoriam consecutus. Diese Scholie basiert offenbar direkt

auf Horazens V. 17 f. Der Relativsatz des Servius bedeutet aber eine schiefe Schlussfolgerung aus Horazens Angabe. 61 Es scheint weniger treffend mit Ableitinger-Grünberger (1968) 77 V. 17f. als »ein Ereignis ..., (das) der letzte Anstoss zur Aufgabe seiner (d.h. des Antonius) Passivität sein musste« bzw. als »den entscheidenden Anstoss zur Schlacht« zu deuten. 62 Kromayer S. 23 £. 63 Der pessimistische Aspekt wird von Ableitinger-Grünberger (1968) 8 f. mit Anm. 63 betont: »pessimistische Stimmung«, »Ratlosigkeit«. Bei Bartels werden passim »bang« und »Bangen« als roter Faden der Deutung verwendet. °* Der Ausdruck hat nichts mit der üblichen Terminologie gemein; vgl. L. Casson, Ships and Seamanship in the Ancient World, Princeton 1973, 279. Impellere navem wäre, um die rückwärtige Bewegung auszudrücken, nicht gut verwendbar. 65 Die Bewegung nach links entspricht der Form der Meerenge, die zur Preveza-Bucht führt (vgl. die Karten). Man wird kaum aus sinistrorsum allein ausfindig machen können, wo die Schiffe des Antonius vor Anker lagen bzw. wo seine Hauptflotte ihre Basis hatte. — Es ist unnötig mit Setaioli 1729 folgende Erlärung für sinistrorsum zu geben: »Se i Cesariani inseguivano in direzione sud, le navi antoniane si mossero appunto verso sinistra per rientrare nel golfo.« U.a. stellt dies zu hohe Anforderungen an die Detaillekenntnisse des Lesers über den Gang der Schlacht. Eine Deutung von sinistrorsum muss zweifellos darauf basieren, dass er rein lokal sinnvoll ist. Die oben gegebene Deutung entspricht aufs beste dem sonstigen Gebrauch des Wortes. Bei alledem sind wir aber nicht sicher, dass eine übertragene Konnotation des Begriffes ausgeschlossen ist. Im Griechischen hat Er’ aoıorteoa einen düsteren Klang; vgl. E. Rohde, Psyche I, Tübingen 1921, 221 Anm.; E. R. Dodds, Platon: Gorgias 375; vgl. daneben auch Matthäus 25,33 und den Gebrauch von sinister (z.B. Vergil Aen. 6, 548). Die lokale Bewegung würde somit den Eindruck verstärken, dass die Sache der Antonianer verlorengegangen sei. -— An der überlieferten Form sinistrorsum zu zweifeln, liegt kein Grund vor. Ableitinger-Grünberger (1968) erwägt sinu introrsum. Die schwere Elision würde jedoch auffallen. 66 Ableitinger-Grünberger (1968) 77 £. ist eher skeptisch, das Geschehnis zeitlich genauer bestimmen zu können. 67 Wurzel 371 f.: Hostilium bezeichne »den Zeitraum zwischen dem Rückzug der Schiffe und ihrer Übergabe an Caesar. 68 Leroux 58 verzerrt nach unserer Meinung den Parallelismus von 17 f. mit 19 f. 69 Ableitinger-Grünberger (1968) betont richtig, dass Horaz sich der Verherrlichung kriegerischer Taten enthielt (S. 90 und 97 f.). 70 Ich sehe hier von den herkömmlichen Gelegenheitslösungen ab, z.B. dass der

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Dichter eine erste Depesche in Rom schnell zu Papyrus gebracht habe, ehe er von dem endlichen Ausgang etwas gewusst habe (Tarn). 71 Die geschichtlichen Quellen weisen tatsächlich in dieselbe Richtung: Vell. Pat. 2, 85, 4 aegre summissis

victoriam

armis cessere

victoriam;,

Orosius

6, 19, 10 in

Caesaris declinavit (dies). Leroux richtig: »par le fait m&me qu’ elle

abandonanait le terrain, laissa ä Octave la victoire«. ”2 R. Hanslik, RE 9A, 1245 Nachträge s.v. M. Vipsanius Agrippa, verfehlt sowohl die Stimmung als auch das Verständnis des ganzen Gedichts durch diese Zusammenfassung: »Das Ziel (des Agrippa) ... war nicht erreicht, eine Entscheidungsschlacht war nicht geschlagen worden, und Antonius und Kleopatra waren nach Ägypten entkommen. Die tiefe Niedergeschlagenheit auf den Schiffen der ‘Sieger’ spiegelt ja Horat. epod. 9.« 73 Wurzel 368 Anm. 3 zeigt überzeugend, das am nächsten Morgen »der allergrösste Teil in die Hand des Siegers gelangte«. 74 Die Landarmee ergab sich am 9. September. Davon kann Horaz erst ein paar Tage danach gehört haben. 75 Vgl. RE TA 502, 53 ff. s.v. Triumphus (Stellen für den io Triumphe-Ruf); TheslL VII 281, 70 ff.; S. Weinstock, Divus Julius, Oxf. 1971, 65 f.

76 Es ist möglich, dass Horaz an dieser Stelle von der eigentlichen ovatio der römischen Soldaten ausgegangen ist; vgl. Festus p. 195L (ovatio) ab eo clamore, quem faciunt redeuntes ex pugna victores milites geminata O littera.

77 Zu diesem Gebrauch von reportare vgl. OLD s.v. 2b. 78 Vgl. Cassius Dio 51, 4, 2-3.

7° Der Titel bellum Iugurthinum ist sicher; vgl. Quint. 3, 8, 9. 80 Sall., Jug. 5,1... tunc primum superbiae nobilitatis obviam itum est.

81 Africanum (nicht Africano) darf als gesichert gelten, nämlich parem ducem reportasti.

82 Kiessling-Heinze. Ähnlich Bartels »seine virtus hat ihm über Karthago, das er endgültig besiegt hat, ein Grabdenkmal errichtet, welches die Erinnerung an die Grösse seines Feldherrnruhmes für alle Zeiten bezeugt.« (S. 300) und A. La Penna in seinem Komm. Firenze 1969, z. St.: »il suo vero merumentum non fu quello che

a Roma racchiuse il suo corpo, ma le rovine di Cartagine, in quanto tramandano la sua gloria.« 832 Zu diesem Gebrauch von super vgl. OLD s.v. 11. — Die vorhergehenden Akkusative parem, ducem können die falsche Endung herbeigeführt haben, sowie das Gefühl, dass ein konkretes condere ein lokales Komplement haben musste. * Vgl. Sall. Jug. 5, 4 (Scipio), quoi postea Africano cognomen ex virtute fuit. 85 In diesem Zusammenhang ist auf die horazische Beiordnung der Kola hinzuweisen. Sie ergänzen einander in einer Weise, die für Horaz typisch zu sein scheint. Es handelt sich um eine Inkonzinnität, die seinem bewusst ökonomischen Stil entspringt: Im ersten Glied fehlt der römische Feldherr, der jedoch ohne Schwierigkeit aus parem ducem ergänzt und identifiziert werden kann, doch erwähnt der Dichter sowohl den Krieg (bello) als auch den Gegner beim Namen

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(lugurthino). Im folgenden Glied findet sich auf der anderen Seite der römische Feldherr (Africanum) — an dieser Stelle müssen wir parem ducem ergänzen — und der Gegner fehlt, aber kann aus dem folgenden Relativsatz, wo die Feindesmacht erwähnt wird, ergänzt werden. Darin liegt eine Steigerung, insofern der Gegner nunmehr nicht der Feldherr, hier Hannibal, ist, sondern die Feindesmacht selbst. Das zweite Glied ist das längere und wuchtigere, wie wir es erwarten. Virtus hebt den zentralen Faktor hervor, der zugleich besonders relevant für unsere Einschätzung von Octavianus victor sein soll. Reportasti soll natürlich auch hier ergänzt werden, erhält aber durch sepulerum condidit eine höhere Perspektive: Es handelt sich nicht nur um einen Triumph anlässlich eines Sieges, sondern um ein Denkmal für ein Lebenswerk. 86 Virtus war laut der Selbstdarstellung der Scipionen (vgl. die Inschriften) für viele Mitglieder der Familie charakteristisch. 8” Aus der Art und Weise der Triumph-Feier der beiden Scipionen sind schwerlich Argumente für die Identifizierung zu finden, aber der des Africanus d.Ä. war für seine Zeit etwas Aussergewöhnliches; vgl. Livius 30, 45, 2 triumpho ... omnium clarissimo urbem est invectus. 88 Richard kehrt aber mit guten Argumenten zum J. 28 als dem Jahr des Baubeginns zurück. 89% Ableitinger-Grünberger (1968) 83: »Die Möglichkeiten, die der Dichter aufzeigt, sind jedoch wohlüberlegt und fern jeder dichterischen Fiktion, wie die Tatsachen später beweisen, sogar weitgehend richtig«. — Über die Fluchtroute des Antonius vgl. Leroux 39. 90 Es könnte wohl als ein unangenehmer Hinweis auf die Fortsetzung des Krieges aufgefasst werden, wenn Ägypten direkt erwähnt worden wäre. Horaz lässt ja die Möglichkeit offen, dass ein Schlussakt überflüssig wird. 91 jincerto mari darf nicht als »stürmische See« gedeutet werden (so AbleitingerGrünberger (1968) 84), vgl. Bartels 303 richtig: »er lässt sich ohne Ziel und Richtung - incerto mari, wie Horaz mit einer Art kühnen Hypallage sagt — auf dem Meere treiben.« Vgl. Verg., Aen. 3, 200. 92 Der hervorgehobene Begriff virtus (26) wird durch den folgenden Vers mit terra marique victus gleichsam näher begründet. Ableitinger-Grünberger (1968) 83 betont richtig, dass die Partie eine Fortsetzung des Enkomions ist. Doch wird man

dem Ausdruck terra marique victus keineswegs durch das Etikett »panegyrische Formel« gerecht. 93 Bartels 301 überzeugt nicht, wenn er einen solchen Zusammenhang leugnet;

so schon Wurzel 374 f. 94 Darüber hinaus wird victore ... Caesare (V. 2) hier bestätigt; vgl. Wurzel 372. 95 Ableitinger-Grünberger (1968) 85 ff. hat das Verdienst, die Deutung von nausea als »vomiting« (Fraenkel u.a.) endgültig widerlegt zu haben (das Entscheidende hatte schon Hanslik 340 gesagt). Vielleicht ist es möglich, diese Seekrankheit mit der in den Quellen enthaltenen Nachricht von dem Wind zu verbinden, der etwa um vier Uhr nachmittags aufgekommen sein soll.

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96 Ableitinger-Grünberger (1968) schreibt hierzu: »Man versucht die aufsteigende Besorgnis beim Wein zu vergessen. Ähnlich paraphrasiert Hanslik 340: »... während wir jetzt bei gewöhnlichem Wein in sorgenvoller Stimmung fern von Rom sitzen.« 97 Ableitinger-Grünberger (1968) 85 deutet die Übereinstimmung zwischen dem Sextus-Beispiel und der Flucht des Antonius zu eindimensional,

wenn

sie

schreibt: »Man würde auch jetzt nach der aufgezeigten Parallele erwarten, dass die Flucht des Antonius ein ähnliches Fest nach“sich ziehen müsste. Doch die Parallele ist nur eine vordergründige.« Was aber Horaz durch Entfaltung seiner Kunst zeigen will, ist, wie weit die Parallele eigentlich geht. 98 So schreibt Setaioli 1727 Anm. 9: »indica uno stadio avanzato del banchetto.« Ableitinger-Grünberger (1968) 88 geht noch weiter: »hat man bisher aus kleinen Gefässen getrunken, und erst jetzt sollen Sorge und Furcht im Wein gelöst werden.« So auch Hanslik 339 f. 9% Vgl. oben Anm. 95. 100 Wistrand 34. Er verweist dabei auf die Parallele c. 19, 6 (benignius), scheint aber damit noch nicht allgemein überzeugt zu haben. Das Material liesse sich aber unschwer stark vermehren. Gerade die augusteischen Dichter haben offenbar den Komparativ öfters elativisch verwendet; vgl. Leumann-Hofmann-Szantyr 169. 101 Der quod-Satz drückt die Folge einer bestimmten Beschaffenheit aus; es handelt sich also um die Natur dieses guten Weins, die eine solche Erleichterung bewirkt. Dass aber die Behandlung der Seekrankeit die primäre Absicht des Trinkens sein sollte, wäre jedoch ein Missverständnis. Dann müsste sich Horaz anders ausgedrückt haben. Seinen Intentionen genau folgend hat er das Nebensächliche im Nebensatz beschrieben. 102 Die Spondeen mit ihrer Endiktierung scheinen anzudeuten, dass sich nicht alles mit einem Schlag in den Herzen der Trojaner verändert habe, sondern dass

ein Prozess stattfindet. 103 Dies entspricht aufs beste den Auffassungen Octavians und seines Kreises. Man hat ja 29 v.Chr. Actium als selbständigen Sieg an einem der drei Triumphtage gefeiert. 104 Zum Anfang des 3. Georgicabuches vgl. V. Buchheit, Der Anspruch des Dichters, Darmstadt 1972, 72 ff. 105 Zum Jambischen in V. 13 f. vgl. G. Williams, ‘“Horace-Survey’, S. 12. 106 Jetzt weist jedoch Macleod 371 ff. richtig auf Archilochos frg. 324 (West) hin, wo Horazens io triumphe ein Vorbild in dem Ruf tyveAia kaAlivıre (an Herakles) zu haben scheint. 107 Vgl.K. Büchner, Römische Lyrik, 103 (zu quando repostum): »Die Frage ist gezielt auf ein nunc est bibendum wie es Alkäus mit seinem vöv xo ue0boOnv - ein sicheres Zeichen, dass Horaz Alkäus in dieser Zeit schon gelesen hat.«

108 Vgl. besonders den Anfang der 2. olympischen Ode, ein Modell für c. I 12. N Le N LEE 110 Hierher gehören vermutlich epo. 5, 8, 10, 12.

V

Die sechzehnte Epode

Ein derart gründlich behandeltes Gedicht lädt zu einer eher knappen Betrachtung der Fragen ein, zu denen sich wenig Neues darbietet. Viele Fragen sind zudem in der Weise mit einander verbunden, dass eine Klärung an einem Punkt auch Licht über viele andere Probleme werfen kann. Man denke z.B. an das alte Prioritätsproblem, ob die 4. Ekloge oder die 16. Epode das frühere Gedicht sei,! was wir hier als eigenes Problem nicht zu behandeln beabsichtigen. Für uns ist eine Deutung des Ganzen im Zusammenhang mit der Datierungsfrage das Wichtigste. Bisher ist nicht hinlänglich berücksichtigt worden, wie sehr die Deutung der Epode von der Datierung abhängt. Am Ende wollen wir in einer eigenen Appendix das vielbehandelte Rätsel der Verse 15-16 einer neuen Prüfung unterziehen. Der Ausgangspunkt für diese Epode ist ein Bild, dessen Düsterkeit von nichts in dieser Sammlung überboten wird: Das von Bürgerkriegen zerriebene Rom geht durch seine eigenen Kräfte zu Grunde. Das pessimistische Urteil knüpft sichtlich an die 7. Epode an; vgl. parumne campis atque Neptuno super/fusum est Latini sanguinis ... ut secundum vota Parthorum sua/urbs haec periret dextera? Was damals als Wunsch der Parther dargestellt wurde, scheint in der 16. Epode eine Realität zu werden. Aber nicht darin liegt die fast schockierende Wirkung des Anfangs, sondern in der krassen Antithese zum hoffnungsvollen Ausblick der 9. Epode, die als eine Überwindung der 7. Epode gelesen werden konnte. Durch den Sieg Caesars war man ja einer Beendigung des langen Bürgerkriegs greifbar nahe gekommen. Beim Anfang der 16. Epode scheint aber nichts erreicht worden

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EGIL KRAGGERUD

zu sein, die pessimistische Stimme des Dichters klingt schärfer denn je. Es ist deshalb kaum überraschend, dass die Erklärer aus dieser Position heraus eine Spätdatierung des Gedichts als wenig wahrscheinlich betrachten. Oft hat man sich für ein Datum kurz nach der Heimkehr des Dichters von Philippi entschieden, weil man am liebsten an einen Hintergrund denken mochte, der zugleich für Rom und für den Dichter selbst düster wäre.? Vorerst sei auf eine Eigentümlichkeit in der Vates-Rolle des Dichters aufmerksam gemacht. Nirgendwo kommt wohl bei Horaz diese klarer zum Ausdruck als in dem Zyklus der RömerOden (c. III 1-6). In der Schlussstrophe des Ganzen (6, 45-48) wird in schärfster Form die ‘Entwicklung? als eine Verschlechterung der Generationen charakterisiert: damnosa quid non imminuit dies? aetas parentum peior avis tulit nos nequiores, MoxX daturos progeniem vitiosiorem. Liest man diese Zeilen als eine gültige Beschreibung der gegenwärtigen Entwicklung und eine Prognose über die wahrscheinliche Zukunft, dann wäre damit ein hartes Urteil über die

augusteische Restauration der zwanziger‘ Jahre gefällt worden. Man muss sie unbedingt auf dem Hintergrund eines grösseren Zusammenhangs sehen. Horaz will am Ende seines Zyklus als Warner hervortreten.” Wenn die Römer den Anforderungen nicht gewachsen sein sollten, dann mag - im allerschlimmsten Fall — das Beschriebene passieren. Dies möchte er dem Leser als sein letztes Wort einprägen, um ihn davor zu bewahren. Ähnlich zu beurteilen

ist, wenn

er bisweilen

dem

einzelnen

Adressaten ein warnendes Bild entgegenhält, das aber nicht als die vom Dichter erwartete Zukunft verstanden werden soll; vgl. besonders c. II 14, 25 ff.:

absumet heres Caecuba dignior servata centum clavibus et mero tinguet pavimentum superbo, pontificum potiore cenis.

Die sechzehnte Epode

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Dies wird sich nur unter der Bedingung verwirklichen, dass der Angeredete die Lehre des Dichters missachten sollte, was Horaz seiner Gewohnheit entsprechend kaum befürchtet hat. Sonst wäre das Gedicht eine Beleidigung. In unserer Epode konstatiert Horaz eine Tendenz zum immer Schlechteren hin, um seine Mitbürger aus dem Schlaf zu rütteln. Um als Warnung fungieren zu können, muss sich die Entwicklung im Gedicht schon in die Gegenwart erstrecken. Was aber der Dichter nicht gesagt hat, ist dass der Prozess des Zusammenbruchs nicht aufgehalten werden kann. Denn obwohl er die stetige Fortsetzung dieses Prozesses schildert, ist eben in den Futura V. 9-14 die Bedingtheit der Zukunft offensichtlich.* Rom steht vor der Gefahr, in die Katastrophe zu stürzen, wenn es den Kurs einhalten sollte. Der Leser aber, der schon die früheren Äusserungen des Dichters zum Vergleich heranziehen konnte, weiss, dass eine Wende schon eingetreten ist, die nur dann aufs

Spiel gesetzt würde, wenn die Römer es unterlassen sollten, das Ihrige zu tun. Die Weite der geschichtlichen Perspektive ist hier ebenso wichtig wie in der 7. Epode. Die Stärke Roms gegenüber den Feinden wird durch eine Reihe von Beispielen hervorgehoben, die vom Nahen zum Fernen reichen. Die Reihe wird mit Hannibal abgeschlossen, was an 7, 5 f. erinnert. Roms Streit mit Hannibal und Karthago ist für Horaz teils vorbildhaft, teils Antithese: Das jetzige Rom ist wegen des inneren Verfalls des Roms jener Zeit unwürdig, denn man hat die eigenen Kräfte im inneren Streit vergeudet. Diese Auffassung vom Verfall stimmt mit Sallusts Position weitgehend überein. Doch hat ein einzelner, Octavian, wie der Leser weiss, die Kräfte Roms und Italiens mobilisiert, um den unwürdigen Zuständen ein Ende zu setzen. Dadurch hat er sogar Scipio übertroffen. Es kommt nur noch auf die Römer selbst an, denn ohne sie wird das grosse Werk nicht gekrönt werden können. Die (fast) vollendete Tat Octavians muss ja von einer entsprechenden Handlung des römischen Volkes ergänzt werden, um nicht zu scheitern. Dann wird Rom nicht nur gerettet, sondern kann sich einer besseren Zukunft zuwenden.

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Es liegt der Beispielsreihe 3-14 nicht weniger als den geschichtlichen Beispielen der 7. Epode als selbstverständliche Voraussetzung zugrunde, dass Rom dank der virtus seine gefährlichen Feinde zurückgeschlagen hatte. Also kommt es auf eine Rückkehr zu dieser bis in die jüngste Zeit bewährten Mannhaftigkeit an, wenn dem Verfall Einhalt geboten werden soll.° Diese Deutung liegt nicht mit Notwendigkeit in der besprochenen Partie. Man muss V. 1-14 zunächst als einen pessimistischen Ausblick auf die Lage der Gegenwart lesen. Nicht einmal eine warnende Stimme braucht in die Verse hineingetragen zu werden. Aber nirgendwo kommt es bei Horaz mehr darauf an, aus welcher Situation heraus man die Worte des Dichters beurteilt. Sieht man sie z.B. auf dem Hintergrund der Zeit nach Philippi, so kann man nicht umhin, das Gedicht als einen Ruf der Verzweif-

lung aufzufassen; das darin geschilderte glückliche Dasein stellt eher einen Trug dar als eine realistische Hoffnung auf ein besseres Los. Und so hat man in der Tat die Epode oft genug gelesen, ohne sich dabei ernsthaft zu fragen, warum Horaz ein solches Gedicht

am Vorabend einer neuen Ära veröffentlicht habe. Setzt man aber auf der anderen

Seite voraus,

dass die Situation,

worin

das

Gedicht geschrieben wurde, viel Hoffnung in sich barg, dann ändert das Gedicht auch weitgehend seinen Charakter. Es liegt im Erlebnis einer Zeitenwende eine Ambivalenz. Der Dichter ist zugleich nach hinten, d.h. nach der überstandenen Krise, als auch nach vorn, d.h. einem erhofften Glückszustand,

orientiert. Merkwürdig ist nur, wie wenig Aufmerksamkeit man einer solchen Interpretation in der bisherigen Forschung gewidmet hat. Ehe wir uns der Analyse des übrigen Gedichts zuwenden, wollen wir einige Erwägungen zu der umstrittenen Datierungsfrage anstellen. Von den in der Literatur vertretenen Auffassungen stellen wir hier einfachheitshalber die spätere Datierung Frühjahr 38 — zur Debatte. Einerseits scheint die noch frühere Datierung — etwa in der Nähe von Philippi — nach den Diskussionen zur Prioritätsfrage erheblich an Wahrscheinlichkeit verloren zu haben und auch von den meisten Forschern aufgegeben

Die sechzehnte Epode

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worden zu sein.” Falls man eine solche Datierung noch für gültig betrachtet, wird sie von meinen Argumenten im folgenden berührt. Andererseits hat eine Datierung etwa zum J. 37 von Hause aus weniger für sich, falls man die herkömmliche Deutungslinie vertritt, weil ja Horaz bereits in diesem Jahr ein Mitglied des Maecenas-Kreises war. Auch dürfen wir damit rechnen, dass die 16. Epode nach der 7. verfasst worden ist, obwohl ebensoviel Forscher die gegenteilige Meinung vertreten haben. Ich verweise in dieser Frage auf die besonnene Argumentation von Doris Ableitinger-Grünberger.® Dann kommt man auch von dieser Seite her auf den schmalen Zeitraum zwischen der Abfassung der 7. Epode und der Aufnahme des Horaz in den Maecenas-Kreis.”° Wenn wir im folgenden insbesondere auf die Argumentation von Ableitinger-Grünberger Bezug nehmen, dann vor allem, weil hier eine zusammenfassende und abgewogene Behandlung dieser Frühdatierung vorliegt. Zunächst bedarf nach unserer Auffassung die Frage nach der Priorität zwischen der 7. und der 16. Epode einer Modifikation in zwei Punkten. Nimmt man an, dass die Gedichte gleichsam als zwei Beleuchtungen desselben Themas aufeinander Bezug nehmen, dann wird die Frage nach der zeitlichen Fixierung weniger interessant. Jedes Gedicht wird dann nicht so sehr ein jeweiliger Reflex einer äusseren Situation als eine im Rahmen der Sammlung stattfindende Diskussion einer zeitgenössischen Problematik, die auf das Prinzipielle ausgerichtet ist. Auch hierbei könnte der Vergleich mit den Römeroden lehrreich sein. Argumente, die für eine bestimmte Abfassungszeit innerhalb knapper zeitlicher Grenzen sprechen, verlieren ihr Gewicht bei einer solchen Betrachtung. Auch die Prioritätsfrage löst sich dann von selbst. Denn Horaz dürfte dann von Anfang an vor Auge gehabt haben, dass die Gedichte 7 und 16 in der Reihenfolge gelesen werden, die sie in der Sammlung haben. Die rhetorische Ausformung und der Gebrauch besonderer Stilmittel zeigen dann die Interpendenz der Gedichte. Wenn man das Argument zugunsten der frühen Datierung wegen des angeblichen Pessimismus schon bei der 7. Epode

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bezweifeln musste, so gilt dies in noch höherem Mass von der 16. Epode. Man darf nicht beide Gedichte allzusehr unter einem Nenner sehen und dabei die erheblichen Unterschiede verwischen. Insbesondere eignet der 16. Epode eine innere Dynamik, die sie von der 7. abhebt. Letzten Endes werden wir auf die besonderen konkreten Argumente hingewiesen, die eine Datierung auf das J. 38 wahrscheinlich machen sollten. Die Gefahr des circulus vitiosus liegt auf der Hand, was in diesem Fall heissen will, dass man das Gedicht auf eine bestimmte Konstellation jenes Jahres zurückführt und sich wiederum auf diese beruft, um das Gedicht

zu erschliessen. Es ist für die Beweisführung wenig hilfreich, dass man auf die schwierigen Verhältnisse dieses Jahres hinweist: dass der Vertrag von Puteoli auf die Dauer keine Besserung brachte, dass Sextus bald die Hungerblockade Italiens wiederaufnahm und dergleichen mehr. Einen besseren Stand scheint indessen eine Begründung aus der strategischen Lage heraus zu haben. Aber auch diese Argumentation ist brüchig, wie wir bei der 7. Epode glaubten nachweisen zu können. Und auch in Bezug auf die 16. Epode, die ja zu einem etwas späteren Zeitpunkt entstanden sein sollte, helfen diese Reweisgründe wenig zur Sache. Die SeeOperationen Octavians gegen Sextus scheiterten zwar gänzlich in dieser Phase. Aus Appian (V. 86-90) geht hervor, dass Octavian fast seine ganze Flotte verlor; in Rom brachen daraufhin Unruhen aus. Octavian begann dann den Bau einer neuen Flotte; wie der weitere Kampf ausfallen würde, war noch ungewiss. Im Osten waren

dunkle

Wolken

zu

sehen;

die

Parther

waren

wieder

offensiv, nachdem ihnen Ventidius Bassus im vorangegangenen Jahr eine grosse Niederlage zugefügt hatte. Im Frühling gingen sie über den Euphrat, wurden aber wenige Wochen danach zurückgeschlagen. Diese Darstellung folgt in der Hauptsache dem von Ableitinger-Grünberger aus der Geschichte gewonnenen Hintergrund,

den

man

sich

als den

terminus

unserer

Epode

vorstellen soll. Diese ganze Art von Beweisführung mit ihren schmalen Zeitspannen überzeugt weder in ihren eigenen Prämissen noch prinzi-

Die sechzehnte Epode

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piell. Das Gedicht würde dann der tagesaktuellen Publizistik gefährlich nahe stehen. Wenige Monate später wäre ein solcher poetischer Kommentar schon etwas verblasst, wie auch Ableitinger-Grünberger zugibt. Denn später im J. 38 hatte sich ja die Lage ganz verändert. Auch passt diese Datierung nicht gut zur Veränderung in der eigenen Situation des Horaz in diesem Jahr. Man wird zur Annahme gezwungen, dass die erste Begegnung des Horaz mit Maecenas für ihn wenig bedeutet habe und dass die politische Missstimmung des Dichters dieselbe geblieben sei. Wie kann man sich eigentlich vorstellen, dass führende Dichter des Maecenas-Kreises — Vergil und Varius - einen Dichter empfohlen hätten, der eher einem Dissidenten ähnelte? Nicht nur soll er mit grossem Selbstbewusstsein als Volksredner in seinen Gedichten

dieser Periode aufgetreten sein, sondern noch dazu mit einer pessimistischen Botschaft. Von Sympathie zur gemeinsamen Sache des Maecenas und des Octavian wäre kaum eine Spur zu sehen. Noch schlimmer ist es dieser Deutung zufolge, dass man es mit einem Dichter zu tun hätte, der rasch auf die Veröffentlichung der Eklogen mit einer Antwort aufträte, die man als eine Widerlegung auffassen müsste. Das Bild dieses Horaz, das man in solchen Analysen angedeutet findet, ist in der Tat für die Beurteilung von Redefreiheit und Rechtssicherheit in jenen Jahren aufsehenerregend. Um die Sache auf die Spitze zu treiben: ist es auch nur entfernt wahrscheinlich, dass Horaz in dem Jahre als Untergangsprophet auftrat, in dem er in den Kreis des Maecenas aufgenommen wurde? Gegenargumente könnten nur einzelne Komponenten jener Auffassung stützen, kaum aber ihre innere Wahrscheinlichkeit beglaubigen. Folgen wir stattdessen wie im Falle der 7. Epode den aus der Sammlung selbst hervorgehenden Andeutungen. Wie konnte der Leser anno 30 das Gedicht anders als eine aktuelle Anrede an ihn selbst lesen? Wie konnte er davon eine Ahnung haben, dass Horaz ihm ein Gedicht vorlege, das etwa acht Jahre früher in einer labilen, für den Leser nur noch schwer kenntlichen Krise geschrieben sein sollte, — falls nämlich das Gedicht nicht selbst die nötigen Zeichen zum Verständnis lieferte? Dass aber solche in der

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Epode nicht vorhanden sind, scheint nur jede neue Analyse zu bestätigen. Horaz will auch nicht etwa die Rolle eines modernen Poeten spielen, der aus früheren, schon im Leserkreis gut bekannten Sammlungen wieder eine repräsentative Auswahl in einer Anthologie vorlegt. Aber auch ein moderner Dichter würde sich davor scheuen, ein älteres, zeitbedingtes politisches Gedicht ohne das Erstveröffentlichungsjahr wieder abdrucken zu lassen. Denn der historische Kontext spielt ja für die Würdigung und das Verständnis eines solchen Gedichts in hohem Masse mit. Das Prinzip des nonum prematur in annum (a.p. 388) kann gerade für ein solches Gedicht vernichtend sein. Wenn wir dagegen den Konflikt mit Antonius auch für diese Epode als Bezugsrahmen annehmen, lösen sich diese Schwierigkeiten geradezu schlagartig. Aus der aktuellen Lage heraus wirkt die Anrede an das römische Volk durchaus verständlich. Eine Parteinahme im Konflikt ist in dieser Zeit für den Leser ohne weiteres mit der vates-Rolle gegeben. Besondere Hinweise historischer Art, um die Situation näher zu fixieren, sind nicht nötig.

Aus der eigenen Erfahrung versteht der Leser ohnehin das Selbstbewusstsein des Dichters. Endlich findet man erst unter dieser Voraussetzung die Einordnung des Gedichts an die vorletzte Stelle der Sammlung motiviert. Zu kurz ist bisher dieser letzte Gesichtspunkt in der Forschung weggekommen. Man darf schon für die Epoden-Sammlung behaupten, dass die vorletzte Stelle der Sammlung einen Ehrenplatz darstellt.!° Hier stehen besonders wichtige Gedichte, während der Schluss für heitere, weniger prätentiöse Töne reserviert ist. Auch die Wahl des ausgesuchten Versmasses wird in dieser Sicht verständlicher. Wir setzen also voraus, und zwar als Arbeitshypothese, dass die 16. Epode nicht nur ungefähr gleichzeitig mit der 9. Epode geschrieben worden ist, sondern auch eine Art Pendant zu jener hochwichtigen Epode der Mitte ausmacht. Wie lassen sich nun diese Gesichtspunkte mit den Aussagen des Gedichts vereinbaren? Bevor wir uns aber seiner inneren Gedankenlinie zuwenden, möchten wir die Grenzen angeben, innerhalb derer sich eine Deutung bewähren muss, falls das Kriterium der

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Aktualität richtig sein soll. Ein Ausdruck von tiefstem Pessimismus wäre im J. 30 fehl am Platze und entspricht keineswegs dem Eindruck, den Horaz bisher vermittelt hat. Man muss also die

düsteren Möglichkeiten als eine Warnung verstehen. Eine Warnung allein kann jedoch kein angemessenes Gegengewicht zur 9. Epode bilden. Die innere Dynamik und zukünftige Perspektive, die in der 9. Epode hervortraten, scheinen von vornherein hohe Anforderungen an die 16. Epode zu stellen, um eine ebenbürtige politische Aussage sein zu können. Kehren wir also zu unserem Gedicht an jenem Punkt zurück, wo wir es um dieses Exkurses willen verlassen haben. Nach den Schreckbildern der Einleitung folgt die direkte Anrede an die Zuhörer mit einem dringlichen Appell. Als selbstverständlich wird angenommen, dass sie die Berechtigung der vorangehenden drohenden Zukunftsperspektive anerkennen. Zentral steht dabei der Antrag des Dichters; der übrige Teil des Gedichts ist in einer Hinsicht nichts anderes als eine Begründung dieses Antrags. Das Phokäer-Beispiel geht dem eigenen Vorschlag als Präzedenzfall und Begründung voraus: Phocaeorum velut profugit exsecrata civitas agros atque lares patrios, habitandaque fana 20 apris reliquit et rapacibus lupis, ire, pedes quocumque ferent, quocumque per undas Notus vocabit aut protervus Africus. Die Funktion dieses Exemplum zum eigenen Antrag des Dichters verdient es, etwas eingehender erläutert zu werden.!! Zunächst fällt auf, dass die äusseren Feinde des Vaterlandes nunmehr in den Hintergrund getreten sind. Es endete ja die Einleitung mit dem eindrucksvollen Bild von einer Entweihung des Quirinus-Grabes durch die berittenen Feinde. Das geschichtliche Beispiel war in diesem Punkt nicht eigentlich verschieden. Denn jeder Herodot-Leser wusste, dass die Stadt der Phokäer in Gefahr kam, von den Persern besetzt zu werden. Bedroht von Harpagos, dem General des Kyros, schiff-

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ten sich die Phokäer ein und setzten den Kurs nach Chios: zyv de Dovraav Eonuwdelcav dvöo@®v Eaxov oi Il&ocaı (1 164,3). Daraufhin folgte ein neuer Akt dieser Auswanderung. Denn auf Chios wurde eine Fahrt nach Kyrnos (Korsika) geplant. Die Mehrzahl der Flüchtlinge kehrte zunächst nach Hause, wo sie die Wachmannschaft des Harpagos töteten. »Und als sie dies getan hatten, belegten sie mit gewaltigen Schwüre denjenigen von ihnen, der von dem Zuge zurückbleiben würde (vgl. exsecrata)... Als sie nun von da nach Cyrnus weiterfahren wollten, erfasste über die Hälfte der Bürger ein Verlangen und ein Jammer nach ihrer Stadt und ihren Wohnsitzen, so dass sie des Eidschwures nicht achteten und zurück nach Phokäa segelten.« (I 165,2-3). Dass sie sich damit unter das persische Joch begaben, wird nicht eigens gesagt, versteht sich aber von selbst. Dass Horaz über den äusseren Anlass im Fall der Phokäer schweigt, geschieht wohl nicht ganz ohne Grund. Denn hätte er das Moment einer äusseren, zwingenden Gefahr hervorgehoben, wäre der Unterschied zwischen damals und jetzt nur noch stärker in den Blick getreten. Nicht primär eine äussere Gefahr greift plötzlich in das Schicksal der Römer ein; sie haben sich durch Bürgerkriege aufgerieben und ihre Kräfte eingebüsst. Dies spielte bei den Phokäern keine Rolle. Damals stand eine einzige griechische Polis einem übermächtigen Feind gegenüber. In der jetzigen Situation der Römer dagegen kommt die Gefahr von innen, von einem Teil der civitas. Diesem Unterschied zuliebe hat Horaz sein Exemplum entsprechend gestaltet. Aufgrund von Herodots Erzählung hätten an sich viele Details erzählt werden können, z.B. dass die Phokäer ihre Stadt, Wohnungen und Tempel dem Feind überliessen, nicht, wie bei Horaz, den wilden Tieren. Es liegt dabei zwar kein Widerspruch vor, denn der Herodot-Leser

vermag ohnehin diese Version zu akzeptieren; es lag ja in der Hand des Feindes, die aufgegebene Stadt ihrem Schicksal zu überlassen,

d.h.

dem

Verfall,

wie

sich

Horaz

das

drohende

Schicksal Roms ausmalt: Der Feind würde Rom nicht übernehmen, sondern zerstören und danach verlassen. Der Aufbruch ist beiden Fällen gemeinsam. Wie mit der Flucht und den heiligen

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Schwüren die Stadt der Phokäer aufgegeben worden war, so wird auch durch die Flucht der Römer die römische Geschichte abgeschlossen werden. Was zunächst in der Einleitung als drohende Möglichkeit sichtbar wurde, der Sturz Roms, kann durch den Antrag des Horaz nicht nur nicht verhindert werden, sondern

wird gar beschleunigt. Das Phokäer-Beispiel hat also nicht nur eine Beziehung nach vorn, sondern durch seinen klaren Bezug auf die dargestellte drohende Zukunft Roms muss es den Leser dazu anregen, den Antrag des Dichters zu überdenken und nach seiner wahren Bedeutung zu fragen. So stellt Horaz von Anfang an das Paradoxon seines Vorschlags in den Brennpunkt. Um den Unterschied zwischen Beispiel und aktueller Situation zu überbrücken, könnte man etwa folgende Betrachtung anstellen: Ist denn unsere Situation doch mit derjenigen der Phokäer auch in Bezug auf die äussere Gefahr ähnlicher als es beim ersten Blick hervortritt? Steht etwa hinter V. 11 f. die Gefahr des ägyptischen Krieges, wobei ja neben den übrigen Truppen insbesondere die östlichen Kontingente einen beträchtlichen Teil der Gegner ausmachten?!? Kleopatra hegte ja den Wunsch, mindestens laut der Propaganda, die Stadt einzunehmen und ihr eigenes Recht vom Kapitol zu sprechen. Darüber hinaus wusste man in Rom nach der eigenmächtigen Veröffentlichung von Antonius’ Testament, dass er Alexandria zur Reichshauptstadt machen wollte.!3 Dann wäre schliesslich der Abstand zwischen Phokäern und Römern nicht so gross; der Begriff civilia bella ist ja in der Einleitung deutlich genug mit der Furcht vor dem äusseren Feind verbunden. Wenn

sich unsere Datierung des Gedichts bewährt,

ist eine solche Deutung nicht abwegig, sie löst aber kaum das Problem des Paradoxon. Die Gefahr, die vor Actium mit einigem Recht hätte einbezogen werden können, war ja an jenem Tag der Schlacht realistisch gesehen — zurückgeschlagen worden. Wer die 9. Epode gelesen hatte, war davon überzeugt, dass jeder äussere Feind und ebenso der innere Zwist der Römer dank der Leistung Octavians keine augenblickliche Drohung mehr bedeutete. Wer wollte nach so optimistischer Frontmeldung auf den Gedanken kommen, auf

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das Beispiel der Phokäer hinzuweisen, die Stadt aufzugeben und ihrem Schicksal zu überlassen? Und noch mehr: wer konnte überhaupt auf einen solchen Gedanken verfallen? Welche Krise konnte ein so selbstmörderisches Unternehmen rechtfertigen? Wenn überhaupt die Frage einer Auswanderung für den Römer einen Sinn ergeben sollte, dann konnte man sie nicht buchstäblich verstehen. Rom zu verlassen, kann also nicht heissen, die Stadt

als geographisch-topographische Grösse wie im Falle der Phokäer zu verlassen, sondern muss offensichtlich in übertragener Bedeutung verstanden werden, d.h. mit der verfluchten Vergangenheit zu brechen und diese innere Tat durch die weitere Handlungsweise im Sinne einer geistig-moralischen Neugründung Roms zu befestigen. Einige Forscher haben eine derartige Deutung schon befürwortet, ohne aber alle dafür zutreffenden Prämissen zu berücksichtigen.!* Erst durch die späte Datierung wird nicht nur eine sinnvolle Verbindung zwischen der 16. und der 9. Epode etabliert, sondern auch die übertragene Bedeutung des horazischen Antrags dem Leser nahegelegt. Schon die 7. Epode hatte uns ein eindringliches Bild von demjenigen Rom gegeben, das man unbedingt hinter sich bringen musste, um malis carere ... laboribus, nämlich vom Rom des Bürgerkriegs. Diese Tat zu vollbringen, muss schliesslich eine Tat der pietas sein (vgl. V. 63, 65), sowie die impietas das frühere Rom zerrieben hatte. Bürger, die solche Kriege entfacht hatten, mussten bekämpft werden, damit Rom geheilt werden konnte. Wenn die Römer ihr Schicksal nicht auch innerlich überwänden, würden solche Kriege

auch künftig wiederkehren können. Dass dies eine richtige Linie der Interpretation erschliesst, kann durch zwei negative Argumente gestützt werden. Hätte Horaz, wenn auch nur als Ausdruck seiner Verzweiflung, seinen Mitbürgern eine tatsächliche Auswanderung von Rom vorgeschlagen, wie es fünf Jahrhunderte früher in der kleinasiatischen Phokaia geschah, wäre dies ein Schlag in die leere Luft. Denn Rom war ja längst nicht nur eine Stadt, sondern das imperium Romanum;

Rom

zu verlassen, käme einer Absage an die Welt

gleich, wodurch Horaz den »utopischen« Vergil weit hinter sich

Die sechzehnte Epode

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lassen würde. Es ist sehr zu bezweifeln, ob Horaz überhaupt ein solches Gedicht vor der Entscheidung bei Actium hätte schreiben können. Eine eindringliche Botschaft jener Art wäre nur in einer Lage möglich, wo Octavians Position unsicher wäre. Dann liesse sich jedenfalls daran denken, diesen Antrag in concreto ernst zu nehmen, das Imperium aufzugeben und das individuelle Glück anderswo in der Welt zu suchen. Auch wenn man es für möglich halten sollte, dass Horaz je einen solchen epikureischen Defaitismus hegte, ist es ganz und gar unmöglich, dass er eine solche Weltflucht — zudem in feierlicher Form — im J. 30 veröffentlicht haben sollte. Dass er aber trotzdem durch sein Gedicht einen Balance-Akt vollzieht, wird aus dem Weiteren ersichtlich. Die Flucht selbst und die unbedingte Notwendigkeit, die Heimat zu verlassen, treten zunächst in das Blickfeld:

nulla sit hac potior sententia ... ire, pedes quocumque ferent, quocumque per undas etc. (17-22) Nicht unähnlich der Flucht der Phokäer ist die von Horaz vorgeschlagene Flucht zunächst ohne Ziel, was nach unserer Auffassung den bedingungslosen Bruch mit der fluchbeladenen Vergangenheit unterstreicht. Dieser Aspekt wird in der Fortsetzung nur noch stärker durch den Eid - eine Parallele zum phokäischen Eid — unterstrichen (25 f.): sed iuremus in haec: simul imis saxa renarint vadis levata, ne redire sit nefas.

Bei Herodot heisst es: »Hernach ... belegten sie gewaltige Schwüre denjenigen von ihnen, der von dem Zuge zurückbleiben würde. Dazu versenkten sie einen Klumpen von Eisen und schworen, nicht eher nach Phokäa zurückzukehren, als bis dieser

Eisenklumpen wieder zum Vorschein gekommen wäre«.!° Horaz hat sich aber nicht damit begnügt, in unzweideutiger Weise an diesen »Präzedenzfall« zu erinnern, sondern hat ihn auch durch

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eine Reihe von Adynata gesteigert. Hätte er in denselben konkreten Kategorien wie die Phokäer gedacht, dann wäre diese Erweiterung der Schwurformel kaum verständlich. Nur in der dargelegten übertragenen Bedeutung kommt diese Partie zu ihrem Recht. Gegen den Fluch des Brudermordes, den die 7. Epode eindringlich vor Augen stellte, setzt der Dichter einen neuen Eid — vielleicht von der ‘Coniuratio totius Italiae’ inspiriert: die Selbstverfluchung, die dem angewachsenen Fluch ein Ende setzt. Durch diese neue Vereidigung und die von den Römern zu vollbringende Tat soll das Siegeswerk Octavians vollendet werden. Im Einklang mit dem übertragenen Sinn der Flucht wird man das Wort redire als eine Rückkehr zu jenen früheren Zuständen verstehen. Paradoxal ist dabei - auch im Rahmen der konkreten Vorstellung — die Bezeichnung dieser Rückkehr als aulecis (35 £.):

haec et quae poterunt reditus abscindere dulcis eamus omnis exsecrata civitas.

Dies hat seinen Hintergrund in der Phokäer-Geschichte, denn der Eid sollte sie von verführerischer Liebe zur Heimat bewahren. Aber wie steht es mit demselben Begriff in der übertragenen Bedeutung? Hat nicht Horaz das Leben seiner Mitbürger deutlich genug als mali labores angegeben? Wir‘ glauben, dass diese Diskrepanz dem Dichter bewusst gewesen ist und dass damit das Dilemma vor der Entscheidung bezeichnet werden solle. Einerseits war das Leben der Römer politisch und national gesehen eine Leidenszeit gewesen, andererseits hatte sich damit eine hedonistische

Indifferenz

verbunden,

die niemand

stärker

als

Sallust blossgestellt hatte.!5 Diese moralische Seite der Vergangenheit wird vor allem in den nachfolgenden beiden Versen dargestellt (37-8): aut pars indocili melior grege; mollis et exspes inominata perprimat cubilia. Indocilis grex entspricht denjenigen — von Horaz nicht eigens erwähnten, sondern offenbar als bekannt vorausgesetzten Phokäern, die aus nödos und oiktos in ihre Heimat

Die sechzehnte Epode

143

zurückkehrten (I 165,3). Herodot verzichtet auf jeden weiteren Kommentar zu diesen Eidbrüchigen, legt aber dar, dass ihre weitere Fahrt leidvoll wurde. Bei Horaz aber, wo es noch nicht zu einer Eidesleistung gekommen ist, sondern nur eine Aufforderung dazu vorliegt, wird von vornherein mit einem abtrünnigen bzw. uninteressierten Teil gerechnet. Für ihn ist die civitas keineswegs moralisch homogen. Die unverbesserliche Gruppe soll aber nicht mit denjenigen scelesti identifiziert werden, die für den Bürgerkrieg verantwortlich waren. In der 16. Epode handelt Horaz von der römischen Bevölkerung, also von der eigenen Seite. Es kommt eine Normaldiagnose der civitas zum Ausdruck, womit man auch in dem künftigen glücklichen Rom rechnen muss. Nicht auf den indocilis grex kann das künftige Roma bauen, sondern, wie es zweimal in positiver Form unterstrichen wird, auf die melior pars. Die Unverbesserlichen wurden bei Sallust besonders in seinem Catilina als Leute charakterisiert, die inertia und desidia verfallen waren und die nur Sinn für Vergnügungen und eigene Lust hatten. Lehrreich ist ein Vergleich mit dem 37. Kap.: Unter denjenigen, aus denen Catilina sein Heer rekrutierte, erwähnt Sallust die italische Jugend, die durch die Aussicht auf private und öffentliche Gaben in die Stadt gelockt wurde und die ein Faulenzerleben in Rom der harten, wenig dankbaren Bearbeitung der Erde vorzog. Diese und andere desselben Schlages gediehen an den üblen Zuständen im Staat. Auch mit der adeligen Jugend wird gerechtet (Kap. 17): quibus in otio vel magnifice vel molliter vivere copia erat,; incerta pro certis, bellum quam pacem malebant. Dass der Gegner im Bürgerkrieg besiegt wurde, bedeutete keineswegs, wie Sallust lehrte, dass die Gesellschaft geheilt worden war. Neu gegenüber Sallust ist jedoch bei Horaz der betonte Glaube an die Bedeutung der melior pars. An ihre Kraft appelliert der Dichter. Vom Pessimismus des Historikers trennt ihn zugleich der Blick auf eine hohe und glückliche Stufe in der Geschichte Roms. Er stimmt zwar mit Sallust in der moralischen Diagnose und in der kritischen Haltung gegenüber der römischen Tradition überein; dem stellt er aber eine positive Möglichkeit entgegen, die wohl vor allem von

144

EGIL KRAGGERUD

der Mission Octavians bestimmt war: Der Sieg bei Actium bot für Horaz eine Möglichkeit zur Überwindung des Pessimismus. Der Dichter hätte zweifellos V. 35 ff. direkt auf V. 26 folgen lassen können. Worauf zielt dann der Adynaton-Katalog? Es dürfte jedenfalls in diesem Gedicht dem Dichter fern gelegen haben, eine populäre Topik nur um ihrer selbst willen auszubrei-

ten (27-34):

So

neu conversa domum pigeat dare lintea, quando Padus Matina laverit cacumina, in mare seu celsus procurrerit Appenninus, 30 novaque monstra iunxerit libidine mirus amor, iuvet ut tigris subsidere cervis, adulteretur et columba miluo, credula nec ravos timeant armenta leones, ametque salsa levis hircus aequora.

Während das erste Adynaton (25b-26a) mit der Eidesleistung nahe verbunden und zudem religiös gefärbt war (nefas), bekommt die Fortsetzung einen neuen Ansatz: neu ... pigeat, wovon alles folgende abhängig ist. Die negative Ausdrucksweise besagt wohl, dass diejenigen in der Gegenwart einen Widerwillen davor empfinden müssen, zu den alten Zuständen zurückzukehren, die wie Horaz aufbrechen wollen. Das Dilemma der Situation tritt in den scheinbar einander widersprechenden Wendungen hervor (dulcis reditus gegenüber neu ... pigeat): Ein Rückfall liege für den verführerisch nahe, der die Kraft und den Entscheidungswillen nicht besitze. Wer noch glauben sollte, dass der Dichter von realer Flucht spreche, kann sich jedenfalls hier von der Richtung des Gedankens überzeugen: Nicht die Stadt als solche soll man

scheuen, sondern die alten Übelstände. Was die nähere Ausführung der Adynaton-Bilder betrifft,!° so mag Horaz beim ersten Beispiel das berühmte, öfters in der römischen Literatur benutzte Adynaton aus der euripideischen Medea (V. 410 f.) vorgeschwebt haben: dv» notau®v ieo@v xwoodcı nayal,/kal ölka Kal navra nalıv oto&perar. Heinze bemerkt richtig: »Als Parallele zum convertere ist die conversio

Die sechzehnte Epode

145

naturae gedacht.« Die Adynaton-Situation in der Natur ist ein Ausdruck dafür, dass der Normalzustand auf den Kopf gestellt ist und, damit übereinstimmend, dass die moralische Lage ver-

kehrt ist. Dass die Gedanken des Dichters besonders auf das Moralische ausgerichtet sind, scheinen gerade die Beispiele V. 3032 anzudeuten. Solche Adynata sind moralisch empörend und ein Zeichen dafür, dass die Welt aus den Fugen geraten ist, ein Abbild jener Verkehrtheit, die mit der verfluchten Vergangenheit verbunden war. In dieser Sicht bekommt die sexuelle Perversion der Beispiele eine Pointe.!” Viele Römer, darunter Octavian, waren davon überzeugt, dass der Staat diese Seite des Lebens aktiv zügeln solle, damit Rom gesunden könne. Die beiden letzten Verse — und Beispiele — stehen auf einem anderen Blatt. V. 33 ist oft genug herangezogen worden, um die Priorität zwischen der 4. Ekloge und der 16. Epode zu entscheiden. Die Verbindung zu Ecl. 4,22 ist klar, insbesondere wenn man bedenkt, dass die beiden Dichter einander nahestanden. Dass

dabei Vergil der Nachahmer sein sollte, ist schon an sich wenig wahrscheinlich; die umgekehrte Annahme hat mehrere Gründe für sich. Tatsächlich handelt es sich um den ersten vernehmbaren Hinweis zur vergilischen Ekloge im Gedicht. Es muss sich, wenn man den Kontext bedenkt, um eine bewusste Anspielung handeln. Dieses Adynaton fällt auch inhaltlich auf. Es ist ja von den vorhergehenden, zum Teil monströsen Adynata so verschieden wie nur denkbar. Dass das Vieh seine natürliche (und berechtigte) Furcht vor den Raubtieren ablegen und die Raubtiere ihrerseits ihre naturbedingte Aggressivität vergessen würden, wäre ein wahrhaft göttliches Wunder. Bei Vergil kommt das Bild als Zeichen eines vollkommenen Friedens vor (V. 22). Hat Horaz durch seine »Imitatio« andeuten wollen, dass er an den vergilischen Utopismus nicht glaubt? Aus dem Kontext des Gedichts heraus (vgl. die in V. 10 und in V. 20 erwähnten Raubtiere) darf man wohl einen Nachklang des Warnungsthemas heraushören: Kehrt

man

zum

alten zurück,

dann

muss

man

mit der 9-14

geschilderten Entwicklung rechnen. Eine Vordeutung auf die zukünftige Glücksmöglichkeit liegt vielleicht auch in diesem Vers.

146

EGIL KRAGGERUD

Aber das Wunschbild

des Horaz,

wie es im folgenden zum

Ausdruck kommt, ist auf die Realitäten des Lebens, der Natur und der Menschen, bezogen. Die guten Bürger stehen nach Horaz an einem Scheideweg. Ihre Teilnahme hatte er - freilich in der Form der Möglichkeit —

V.15 f. vorausgesetzt. Bisher haben sie ‚m Kummer gelebt (39 £.): vos quibus est virtus muliebrem tollite luctum, Etrusca praeter et volate litora.!® Eine latente Tatkraft wird bei der Elite vorausgesetzt. Sie steht im Gegensatz zur inertia und desidia der übrigen. Luctus deutet eher eine lange zeitliche Perspektive an und passt deshalb am besten zu einer späten Datierung der Epode. Eine Parallele liefert die 13. Epode, wo die schwierige Gegenwart die Stimmung des Horaz und seiner Freunde zu prägen scheint (vgl. V. 10 diris ... sollicitudinibus und V. 18 deformis aegrimoniae in Chirons Rede). Das Gedicht, das am deutlichsten auf diese Gefühle Bezug nimmt, ist das heutzutage von den meisten allegorisch verstandene c. 1 14 (O navis): Das Schiff (des Staates) war vor kurzem für Horaz ein sollicitum ... taedium (V. 17). Während der Dichter mitten im Gedicht noch kein Ziel angegeben hat, sondern seinen Mitbürgern gegenüber nur die Notwendigkeit einer Flucht um jeden Preis unterstrichen hatte, nimmt er anschliessend das Ziel der Fahrt näher ins Auge, was nach unserer Deutung heissen will, dass er den Charakter

der

erhofften Zukunft näher aufzeigen will. Ohne ein klares Ziel würde die Aufforderung zur Flucht in der Luft hängen und nur eine halbe, unbefriedigende Antwort sein können. Das Ziel schafft erst das Gegenbild zur unglücklichen Zeit. Dass Horaz an den konkreten Vorstellungen einer Flucht festhält, ist selbstver-

ständlich. Die Phokäer fanden schliesslich ihr neues Heim auf Korsika, wie der Leser Herodots wusste; sie mussten über das tyrrhenische Meer segeln, wie nun auch die Flüchtlinge aus Rom (41 £.): nos manet Oceanus circum vagus arva beata; petamus arva divites et insulas.!?

Die sechzehnte Epode

147

Noch mit dem V. 41a (nos manet Oceanus) machen wir eine Route im geographisch-realen Raum mit. Dann wird es auf einmal problematischer: wir nehmen wahr, dass wir uns auf dem Wege nach einer anderen Wirklichkeit befinden. Der Übergang von dem Konkret-Anschaulichen zum Mythisch-Transzendenten ist wahrhaft gleitend. Die Grenze ist nirgendwo scharf gezogen. Wer nur die eine Seite berücksichtigt, dem geht etwas Wesentliches von der horazischen Botschaft verloren. Diejenigen, die der Aufforderung des Dichters Folge leisten, haben die Möglichkeit, jenes Ziel zu erreichen. Die Beschreibung des Ziels soll zur Reise begeistern; ein Versprechen, dass die Römer es erreichen werden, liegt darin nicht. Ohne Tatkraft und entschlossenen Willen wird ihnen kein verheissenes Land zu Teil. Das zugrundeliegende Konzept ist von gleichsam verführerischer Anschaulichkeit. Konnte man eine Zeitlang daran denken, dass der Dichter an eine wirkliche Auswanderung dachte, so tritt im zweiten Teil des Gedichts die Transparenz einer geschichtlichen Neuorientierung viel deutlicher hervor. Denn für jeden Leser hatten die Inseln der Seligen einen mythisch-transzendenten Charakter. Für denjenigen, der nur die Tünche griechischer Bildung besass, waren die Inseln eine Utopie hesiodischer Prägung und an einem archaisch-religiöses Weltbild geknüpft. Innerhalb dieses Rahmens ist die Vorstellung der Inseln der Seligen mit derjenigen vom Goldenen Zeitalter innig verbunden. Wer schon im V. 33 den Anschluss an die 4. Ekloge beobachtet hat, sieht allmählich

klarer,

dass

Horaz,

genau

wie

Vergil,

von

der

Glücksmöglichkeit im eigenen Land spricht. Dennoch hat Horaz offenbar einen Reiz darin gefunden, die Wirklichkeitsbezogenheit seiner Rede noch weiter zu führen. Er konnte, als er die Idee zu seiner eigentümlichen Apoikia fasste und ausformte, sich kaum darüber im unklaren gewesen sein, dass die Inseln der Seligen als konkrete geographische Vorstellung eine gewisse Aktualität in Rom bekommen hatten, und zwar wenige Jahre zuvor durch Sallusts Historien. Auch Forscher, die mit einer Frühdatierung der Epode rechnen, wollen die Möglichkeit einer Verbindung zwischen Horaz und Sallust in diesem

148

EGIL KRAGGERUD

Punkt nicht leugnen. Sie werden aber zu der wenig wahrscheinlichen Annahme gezwungen, dass Sallust sein Werk Buch für Buch veröffentlichte. Es handelt sich um das von Plutarch dargestellte Intermezzo der atlantischen Seefahrer, dem Sallust im 1. B. der Historiae einen Platz gab. Als sich Sertorius an der iberischen Küste aufhielt, bekam er Kunde von fernen und glücklichen Inseln in

dem Atlantik (Plut. Sert., Kap. 8): »Hier stiessen einige Schiffe auf

ihn,

welche

erst

kürzlich

von

den

atlantischen

Inseln

zurückgefahren waren. Dieser Inseln gibt es zwei. Sie werden durch eine ganz schmale Meerenge getrennt, liegen zehntausend Stadien von Afrika entfernt und heissen die »Inseln der Seligen«. Sie haben nur in seltenen Fällen einige schwache Regengüsse (vgl. V. 53b f. ut neque largis/aquosus Eurus arva radat imbribus), dagegen meistenteils sanfte Winde, welche Tau herbeiführen. Dadurch bieten sie nicht nur ein gutes und ergiebiges Land zum Pflügen und Pflanzen (vgl. V. 43-46), sondern bringen auch von selbst Früchte hervor, die nach ihrer Menge und Schmackhaftigkeit genügend sind, um die Bevölkerung ohne Arbeit und künstliches Geschäft in süsser Untätigkeit zu ernähren. Das Klima, welches auf diesen Inseln herrscht, ist bei der Temperatur

der Jahreszeiten und dem geringen Masse des Wechsels (vgl. V. 56) völlig beschwerdelos. Denn die Nord- und Ostwinde, welche von unseren Weltgegenden nach aussen wehen, fallen zunächst in einen ungeheuer ausgedehnten Raum, wo sie sich zerstreuen und

abschwächen. Dagegen die Seewinde, welche sie umspielen, — Süd- und Westwinde, — bringen nur gelinde, sporadische Strichregen vom Meere; grösstenteils aber erfrischen sie das Land durch die Feuchtigkeit der Luft bei heiterem Himmel, wodurch alles in mildester Weise gedeiht. Daher ist auch bis ins fernste Ausland der Glaube stark verbreitet, dass hier »die Elysischen Felder« und die »Wohnungen der Seligen« zu suchen seien, wovon Homer eine so erhabene Schilderung gegeben hat. Diese Erzählungen erregten in Sertorius eine ausserordentliche Lust, auf den genannten Inseln zu wohnen und dort in Ruhe seine Tage hinzubringen, frei von jeder Tyrannenherrschaft und frei von den unaufhörlichen Kriegen.«

Die sechzehnte Epode

149

Welche Funktion die Episode in dem Bericht über Sertorius in Sallusts Historiae gehabt haben mag, ist schwer zu beurteilen. Bemerkenswert ist aber die Reaktion des Sertorius; man darf annehmen, dass sie ähnlich auch bei Sallust mitgeteilt wurde.

Dann war vermutlich das Intermezzo ein Ausdruck der Sehnsucht, den langwierigen Kämpfen zu entkommen, und vielleicht bezeichnender für die Haltung Sallusts als die des Sertorius. Man wird gewisse Zweifel an der Geschichtlichkeit der Erzählung nicht los.?° Sie passt so gut zur Einstellung Sallusts, dass ein Verdacht einer freien Kombination nicht unterdrückt werden kann. Fest steht aber die Konvergenz dieser Episode mit dem horazischen Gedicht: Sowohl hier wie dort ist der Gedanke an Flucht mit den Inseln der Seligen als einer Lokalität verbunden. Bei Sertorius handelt es sich um einen wirklichen Eskapismus, d.h. um eine Absage an die römische Welt. Dass aber Horaz, wie sich viele

Forscher offenbar denken, mit dieser Haltung einverstanden gewesen wäre, ist nicht möglich. Dann müsste man Horaz (freilich nur in einer Periode) als einen Herold politischer Verzweiflung und Imperium-Müdigkeit betrachten, was sich keineswegs mit der anbahnenden Restauration harmonieren |liesse. Zudem übersieht diese Deutung einige wesentliche Merkmale der horazischen Version, denn er zielt nicht auf einen da capoGebrauch des sallustischen Konzepts. Der Hauptunterschied dieser Konzeptionen von den Inseln der Seligen liegt darin, dass bei Horaz keine Rede von einer individuellen, nur als Wunsch gehegten Flucht ist. Es ist bei ihm der ernstzunehmende Antrag an die ganze römische civitas, der freilich, wie er erkennt, nur vom besten Teil verwirklicht werden

kann. Die Handlung des Sertorius hätte keine weiteren Folgen gehabt, als sein eigenes persönliches Glück zu sichern und vermutlich die weiteren Kämpfe und Rivalitäten anderen zu überlassen.

Wie

anders

die horazische

sententia!

Die

civitas,

jedenfalls ein Teil von ihr, soll durch den heiligsten Eid zu gemeinsamer Aktion verpflichtet werden. Käme eine wirkliche Flucht zustande, wäre es mit dem Imperium Romanum vorbei. Daran würde das eventuelle Fortbestehen einer römischen Ge-

150

EGIL KRAGGERUD

meinde im Atlantik nichts ändern. Es liegt auf der Hand, dass dieser Antrag sich radikal von der sallustischen Parallele unterscheidet, sowohl durch die Grösse des Unternehmens als auch dessen Folgen. Als Leser werden wir in ganz anderer Weise als bei Sallust betroffen. Wir werden vom Dichter mitangeredet. Diesem Vergleich lag aber die von uns abgelehnte Voraussetzung zugrunde, dass auch bei Horaz von Flucht in buchstäblichem Sinne die Rede war. Die Hauptkomponenten ändern sich zusehends, wenn man sich der übertragenen Deutung zuwendet. Dann wird der Wunschtraum eines Sertorius oder die ferne Utopie eines Hesiod auf einmal realisierbar. Ein neues Rom zu gründen ist zudem dringend notwendig. Erst dann entkommt man dem, was ein Sertorius bzw. das gegenwärtige Rom entkommen wollte. So hat es Horaz erreicht, dass er der konkreten, aber

unrealisierbaren Vorstellung Sallusts einen neuen realistischen Sinn gegeben hat und zum Deuter eines neuen Rom geworden ist. Dann mag er sich zugleich gestatten, den flachen Rationalismus, wie man ihn in dem plutarchischen Bericht liest, mit mythischwunderbaren Einzelheiten zu bereichern. Die Inseln der Seligen werden zum Bild eines wahrhaft goldenen Zeitalters, und zwar ganz ungezwungen. Diese Inseln waren ja die Wohnstatt des Kronos. Hesiod zufolge lebte hier die alte Herrlichkeit weiter. Das Glück kann sowohl negativ, d.h. durch das Fehlen übler Dinge, wie auch positiv geschildert werden. Bei Hesiod tritt gerade der ersterwähnte Aspekt hervor, wenn er z.B. das menschliche Leben vor Pandora beschreibt (Erga 90 f.): nolv uev yao LweoKov Eni xOovi gÖA’ üvdo@nwv v0opIV ÄTEQ TE KAKOV Kal ÜTEO XaAEnolo TTOVOIDO. Vgl. daneben 112 f. (über die Menschen der goldenen Zeit): &ote deol Ö' ELwov, aknöca Hvuov Exovres, voopIv ÄTEQ TE TOVWV Kal Öllvog'

So viel ich sehen kann, hat niemand den Niederschlag dieser Ausdrucksweise in V. 16 gesehen: malis carere ... laboribus, was der hesiodischen Vorstellung durchaus entspricht. Horaz sagt

Die sechzehnte Epode

151

also in der Tat seinen Mitbürgern: »Wenn ihr in unserem eisernen Zeitalter einen Traum vom Goldenen Zeitalter hegen solltet, dann ...«. In der positiven Ausformung seines Bildes, ab V. 43 ff., steht Horaz unter dem Einfluss der vergilischen Vorstellung vom Goldenen Zeitalter. Besonders deutlich kommt diese Abhängigkeit in V. 49 f. zum Vorschein:

illic iniussae veniunt ad mulctra capellae refertque tenta grex amicus ubera.

Vgl. Vergil, Ecl. 4, 21:

ipsae lacte domum referent distenta capellae. Horazens mella cava manant ex ilice (47) erinnert an Vergils et durae quercus sudabunt roscida mella (30). Auch die vier letzten Verse der horazischen Beschreibung nehmen ihren Ausgangspunkt von der 4. Ekloge: non huc Argoo contendit remige pinus, neque impudica Colchis intulit pedem; 60

non huc Sidonii torserunt cornua nautae, laboriosa nec cohors Ulixei.

Dies erinnert an diejenige Partie Vergils, wo die Verwirklichung der Goldenen Zeit modifiziert wird (V. 31 ff.): Pauca tamen suberunt priscae vestigia fraudis, quae temptare Thetim ratibus, quae cingere muris oppida, quae iubeant telluri infindere sulcos. Alter erit tum Tiphys et altera quae vehat Argo 35 delectos heroas; erunt etiam altera bella atque iterum ad Troiam magnus mittetur Achilles. Erst wenn das Kind die Kraft des männlichen Alters erreicht

hat, wird sich dies ändern (38 ff.): cedet et ipse mari vector, nec nautica pinus mutabit merces, omnis feret omnia tellus:

182

EGIL KRAGGERUD

40 non rastros patietur humus, non vinea falcem; robustus quoque iam tauris iuga solvet arator. Horaz hat dagegen ein einheitliches Bild ohne Zwischenstadien und ohne Entwicklung entworfen. Dabei erweckt er beim Leser die Vorstellung, dass baldiges ungetrübtes Glück im Schoss der Zukunft liege. Das Argo-Beispiel besagt bei ihm das Gegenteil von dem, was bei Vergil seine Bedeutung war: Das verheissene Ziel habe seinen jungfräulichen Charakter unbeschwert bewahrt. Es hat nicht wie die übrige Welt eine Verschlechterung bis zum schlimmen Endstadium durchgemacht. Medea gehört mythisch eng zum Argo-Teil. Für Horaz ist hier das Schlimmste

bei der ersten

Seefahrt

nicht, dass man

das

fremde Element eroberte — dies würde zum Vorschlag einer langen Seefahrt nicht sonderlich gut passen -, sondern dass sie mit der gemeinen Art einer Medea verknüpft war. Aber warum ist Medea impudica??! Denkt Horaz an ihre Liebe zu Jason? Wenn man die geschichtliche Situation berücksichtigt, drängt sich dem Leser der Gedanke an die ägyptische Königin auf, deren Drohung Rom in dem noch nicht abgeschlossenen Krieg schon einmal hatte zurückschlagen müssen. Ihr Wunsch, als Sieger zusammen mit Antonius Rom zu betreten, wurde zweifellos von Octavian propagandistisch voll ausgenutzt.??

Die beiden folgenden Verse erweitern die Vorstellung in allgemeiner Richtung: Die Sidonier waren weitbereiste Kaufleute; die Seefahrt des Odyssevs war wiederum ein mytisches Korrelat zur jetzigen Fahrt. Ein moralisches Moment ist auch hier in der Ausdrucksweise su sehen: Die Mannschaft des Odyssevs fand wegen ihrer araodaliaı (a 7) ein klägliches Ende.?* Dadurch wird ein Übergang zu den Schlussversen erreicht:

Iuppiter illa piae secrevit litora genti, ut inquinavit aere tempus aureum, 65 aere, dehinc ferro duravit saecula, quorum piis secunda vate me datur fuga.

Die Schlussverse sind zugleich eine endliche Enthüllung dessen,

Die sechzehnte Epode

153

was mit der zugrundeliegenden Vorstellung gemeint ist. Der Ort ist ein fortbestehender Rest des Goldenen Zeitalters. Ihn zu erreichen, heisst das Glück zu gewinnen. Somit wird das Eiserne Zeitalter, d.h. die Bürgerkriegszeit überwunden. Dass nur die melior pars die Fahrt wagt, ist zwar im Rahmen des Gedichts vom Charakter des Bestimmungsortes bedingt. Diese Exklusivität passt zur Vorstellung der Seligen Inseln, nicht zu derjenigen des Goldenen Zeitalters. Dahinter liegt deutlich das politische Konzept, das mit einer elitären Gesellschaft rechnet. Die anderen werden dabei nicht zur Hölle der Eisernen Zeit verdammt,

sie

werden natürlich von den glücklichen Zeiten profitieren, werden aber darin keine aktive Rolle spielen. So wird einerseits eine Verbindung zur gesellschaftlichen Analyse Sallusts, andererseits eine grössere Realitätsnähe im Vergleich zur vergilischen Vorstellung sichtbar. Bei Horaz ist die eschatologische Vorstellung realistisch geworden. Die arva beata gehören politisch gesehen zum Diesseits. Darin baut er gewissermassen auf Hesiod. Die galten bei ihm den Lebenden (Vgl. Erga 167 ff.). Das Selbstgefühl des Dichters ist von der Grösse seines Themas bedingt. Weil er seinen Mitbürgern die Möglichkeit einer Flucht aus dem Eisernen Zeitalter aufzeigt und zum Künder eines kommenden

Glücks wird, ist das Wort

vates berechtigt.°” Von den Römern wird pietas verlangt, worin sich manifest die Überwindung des Bürgerkriegsfluches äussert. Diese wahre Vaterlandsliebe?* ist der Gegensatz zu Egoismus und Untätigkeit, die zurück in die alten Misstände führen würden. Pietas ist ein Grundwert römischer Staatsgesinnung.

Nach alledem versteht man, wie irreführend in Bezug auf das ganze Gedicht die eingebürgerte Etikettierung »pessimistisch« ist. Pessimismus wird man gewöhnlich etwa so definieren: »Neigung, besonders die schlechte Seite des Lebens und der Welt zu betonen; Schwarzseherei;

seelische Gedrücktheit«

(Duden).

Ein Dichter,

der keine Hoffnung am politischen Himmel sehen kann, an keine Rettung glaubt und den Gedanken an eine mögliche Besserung ablehnt,

den

könnte

man

einen

Pessimisten

nennen.

Sallust

kommt in der letzten Periode seiner Schriftstellerei einer solchen

154

EGIL KRAGGERUD

Haltung nahe. Wer den Horaz der dreissiger Jahre über denselben Kamm schert, hat einige Faktoren der 16. Epode nicht nach Gebühr berücksichtigt: Der Dichter tritt in eigenem Namen hervor, um seine Mitbürger zu gemeinsamer Aktion aufzurufen. In Anbetracht dieser Voraussetzung wäre es kaum sinnvoll, sie zu einer Aktion aufzufordern, worin er selbst keine Möglichkeit zum Besseren erkennen könnte. Viele Erklärer hegen öffenbar die Ansicht, dass eine solche Handlungsweise nichts mehr an der Sache ändere. Das Reich sei nach Horaz so wie so verloren und Rom dem Untergang geweiht. Dass dies nicht die Intention des Horaz sein kann, bedarf keiner ausführlichen Darlegung. Das enthüllte Ziel der Auswanderung muss ebenso in die Rechnung einbezogen werden. Das Telos des Gedichts ist natürlich nicht die Flucht an sich mit ihren Strapazen und Wechselfällen — wie beispielsweise bei der Phokäer-Auswanderung -, sondern die Lokalität, die das glückliche Leben verspricht. Und wiederum ist es nicht sinnvoll, eine Glücksmöglichkeit dem Volke vorzuhalten, um sie nur als unrealisierbar und als Illusion zu entlarven. Ein vorgegaukeltes Credo dieser Art ist kein wahrscheinliches Thema für eine Rolle als vates. Sehen wir also lieber den Horaz dieser Epode als einen Optimisten im wahren Sinne des Wortes an, einen Dichter, der all

der bitteren Erfahrung zum Trotz seine Mitbürger zu einer Vision verpflichtet, die innerhalb des Erreichbaren liegt und die wie ein feierliches Proömium zu einem politischen Programm aussieht. Er wendet sich dabei an die besten Kräfte der Gesellschaft, vorerst warnend mit dem Hinweis auf die bisherige Erfahrung, dann voll Eifer und innerer Überzeugung auffordernd. Dass er dabei tatsächlich alles andere als eine Utopie verfolgt, darf als typisch für diesen Dichter gelten. Er will weder das Ausmass der überstandenen Leiden verschweigen noch die glückliche Wende jubelnd vorwegnehmen. So haben wir ihn schon in der 9. Epode kennengelernt. Der Inhalt des Gedichts und sein politisch-paränetischer Charakter haben wenig Vergleichbares in der zeitgenössischen Litera-

Die sechzehnte Epode

tur; man

155

wird vor allem an die 4. Ekloge und die Georgica

erinnert.

Folgendes hat sich aus unserer Analyse für das Verhältnis zwischen der 4. Ekloge und der 16. Epode ergeben: 1) Die Gedichte sind zeitlich mindestens sieben Jahre von einander getrennt. 2) Ton und Stimmung sind zwar vielfach verschieden, aber nichts deutet darauf hin, dass Horaz gegen Vergils Vision polemisiert.”* 3) Horaz hat stattdessen durch die deutlichen Anklänge ein Gedicht geschaffen, das den vergilischen Optimismus unterbauen soll. Seine Botschaft läuft auf dasselbe hinaus. Dafür hat er zwar eine eigene Konzeption gefunden, diese bietet aber eine durchaus verwandte, vielfach konvergierende mythologische Vorstellung. Wenn Horaz zudem in den Anfangsversen auf ein Sibyllinum anspielen sollte,?° dann wird der Leser um so leichter die beiden Gedichte zusammengebracht haben. Im Unterschied zu Vergil legt Horaz zwar darauf Gewicht, dass das Eiserne Zeitalter noch nicht überwunden sei, aber im weiteren Verlauf des Gedichts versteht man auch bei Horaz, dass diese

Unglückszeit zu Ende gekommen ist — falls nämlich die Römer das Ihrige tun. Auch nach Horaz steht Rom vor einer Wende, die das grösste Glück verspricht. Der wichtigste Unterschied ist wohl dieser: Vergil zufolge kommt das glückliche Zeitalter vor allem als eine göttliche Einwirkung von aussen zu den Menschen. Der menschliche Faktor ist bei ihm keineswegs eliminiert, macht aber eher eine Modifikation und Verzögerung der göttlichen Epiphanie des aureum saeculum aus. Bei Horaz ist aber der menschliche Faktor von entscheidender Bedeutung. Roms Glück wird sich nicht von selbst schaffen; die Handlung, der Wille und die Haltung des Menschen müssen wirksam werden, um eine glückliche Wende herbeizuführen. Die religiöse Vision Vergils wird so der realen Situation der Römer nähergebracht. Durch den Einsatz und das Bestreben der römischen Elite wird sich das Glück im Lande selbst manifestieren. Man wird dabei an die hesiodische Glücksvorstellung, die innig mit der Dike verbunden ist, denken. Möglich ist es auch, dass Horaz von Vergils Georgica angeregt wurde.

156

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Anhang: Epo. 16, 15-16 Es gibt wohl kein Wort in diesen Versen, das nicht Anlass zu Fragen und Meinungsverschiedenheiten gegeben hat, und wenn irgendwo das Horazische ‘et adhuc sub iudice lis’ gilt, so bei diesen beiden Versen. Zweifel rufen wie öfters Vorschläge zu Textverbesserungen hervor. Vorerst sollte aber "das Überlieferte genau geprüft werden. Wir führen zunächst die Verse ohne Interpunktion an: forte quid expediat communiter aut melior pars malıs carere quaeritis laboribus. Voran geht die Beschreibung des erschreckenden Zustandes (12) und eine Beschwörung der allerdüstersten Zukunft. Danach (17 ff.) spricht der Dichter in eigener Person über eine Chance des Überlebens. In den fraglichen Versen wendet er sich an eine Gemeinschaft, aber an welche? Diese natürliche Frage ist in der Diskussion etwas zu kurz gekommen. Meint Horaz die Römer im allgemeinen, »die Bürgergemeinde«, »an assembly of the Roman people« (Fraenkel)? Um hier festeren Grund unter die Füsse zu bekommen, muss man jeden Stein der gelehrten Kommentierungen umwenden. Wer in der Verwirrung ein Kriterium sucht, sollte sich von Anfang an vom Stern des Wahrscheinlichen sowohl grammatisch wie auch lexikalisch leiten lassen.

I Forte kann entweder Neutrum des Adj. oder Adverb sein.?” Die Deutung als Adj. bedingt eine problematische Interpunktion. Andererseits scheint auch gegen die adverbiale Deutung einiges zu sprechen. Die Grammatik lehrt, dass forte im Klass. Lat. nur in Verbindung mit si, sin, nisi, ni und ne ‘vielleicht’ heissen kann, was die Äquivalenz von forte quaerere und fortasse quaerere auszuschliessen scheint. Die handfeste Regel lockert sich aber etwas beim näheren Zusehen.

Die sechzehnte Epode

157

Forte verwendet Horaz mit Praeteritum eines Verbs sat. 19, 1; epi. 17, 29 und II 2, 34. Die semantische Nuance ist überall: ‘es traf sich’, ‘es geschah’, ‘zufälligerweise’ (ibam forte via Sacra kann folgendermassen paraphrasiert werden: ‘es traf sich (eines Tages), dass ich auf der Sacra Via ging’). - Wenn wir von dem fraglichen forte absehen, hat Horaz fünf Wörter für ‘vielleicht’, die einfach Varianten sind.?® 1) Am gewöhnlichsten ist fortasse (epo. 13, 7 im Hexameter): deus haec fortasse benigna/reducet in sedem vice. An derselben Versstelle findet es sich auch sat. 13, 20; I 6, 98, epi. II 2, 164, a.p. 19.2° 2) Weiter kommt zweimal fortassis vor, auch dies im Hexameter: sat. 14, 131 fortassis et istinc?°/... und sat. II 7, 40 fu cum sis quod ego et fortassis nequior, ultro/... Hier ist fortassis deutlich eine metrische Dublette. Die drei übrigen Formen kommen alle nur einmal vor: 3) Im Hexameter steht forsit sat. 16, 49 ut forsit honorem/iure mihi invideat quivis, wiederum handelt es

sich ein bequemes metrisches Substitut für fortasse. Nur in den Oden finden sich 4) fors und 5) forsan: I 28, 31 fors et/(katal. daktyl. Tetrameter); II 16, 31 et mihi forsan, tibi quod negarit/(sapphischer Elfsilbler). — Forsitan hat Horaz überhaupt nicht. Das von ihm bevorzugte fortasse ist sonst in hexametrischer Dichtung oft verpönt. Fortassis hat ausser bei Horaz sehr wenige literarische Belege; eine molossische Wortform konnte sich auch schwerlich in der Dichtung einbürgern. Auffallender ist, dass sich forsit nur bei Horaz findet; es liegt ja allem Anschein nach dem italienischen forse zugrunde.?® Das bei Horaz fehlende forsitan ist geradezu ein Lieblingswort Ovids. Forsan taucht bei Lucrez VI 729 zum ersten Mal auf. Fors in der Bedeutung ‘vielleicht’ ist in den erhaltenen Texten erstmals Aen. II 139 zu finden (quos illi fors et poenas ... reposcent), wenn man nicht die Horaz-Ode zeitlich

früher ansetzen will. Wozu nun dieses Expose zum Begriff ‘vielleicht’? Es lehrt, dass die Belegstellen manchmal für weitgehende Folgerungen zu dürftig fliessen. Dass eine Variante spät ist, z.B. zuerst bei Horaz auftaucht (fors, forsit, fortassis), bedeutet betreffs ihres Alters vermutlich nicht viel. Die überlieferten Texte machen ja einerseits einen winzigen Teil dessen aus, was auf Latein geschrieben

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worden ist, und dies wiederum einen noch viel winzigeren Teil der lateinischen parole. Es geht weiter aus dem Thesaurus-Material hervor, dass die Grenzen zwischen Poesie und Prosa wenig scharf sind und dass bei Horaz offenbar manchmal metrische Rücksichten schwerer wiegen als etwaige stilistische Schattierungen.?? Wer also die Variante forte in der Bedeutung »vielleicht« mittels des Thesaurus aus zeitlichen Gründen verdächtigt, bewegt sich von vornherein auf brüchigem Eis. he Die normierende Position wird noch mehr geschwächt, wenn man sich den Befund bei forte etwas näher ansieht. Der Antibarbarus dekretiert:”? »Nur bei Dichtern und einigen Nachklassikern, z.B. bei Vitruv, auch im Sp. L., z.B. bei Sulp. Sev. D. 2, 13,

4H, nirgends aber in Kl. Sprache, hat es ausser den genannten Bedeutungen die von vielleicht.« Nun hatten aber die Grammatiker bei dem Horaz-Verses keine Schwierigkeit, forte als in der Bedeutung ‘vielleicht’ zu akzeptieren (Priscian, vgl. auch Cledonius, Charisius).?* Wie willkürlich der Antibarbarus mit seinen zeitlichen Rubriken verfährt, geht aus dem Hinweis

auf Vitruv hervor, denn die De architectura

gehört praktisch derselben Zeit an wie die Epodensammlung. Vitruv verwendet an zwei Stellen forte als ‘vielleicht’. Die erste davon ist 5,5,7: Dicet aliquis forte multa theatra quotannis Romae facta esse neque ullam rationem harum rerum in his fuisse; sed errabit in eo, quod omnia publica lignea theatra tabulationes habent complures, quas necesse est sonare. Die andere Stelle lautet (6 pr. 4): Sed forte nonnulli haec levia iudicantes putant eos esse sapientes, qui pecunia sunt copiosi. Itaque plerique ad id propositum contendentes audacia adhibita cum divitiis etiam notitiam sunt consecuti. Wir möchten nicht ausschliessen, dass selbständiges forte als ‘vielleicht’ im Lateinischen um diese Zeit aufkam. Was aber aus diesen beiden Beispielen hervorzugehen scheint, ist, dass dieser Gebrauch dem alltäglichen bei si, nisi etc. semantisch und syntaktisch ganz nahe steht und dass selbständiges forte beim Präteritum davon kaum so verschieden ist, wie man zu meinen pflegt. Einige beliebige Beispiele können dies zeigen. Verg., Ge. IV 28

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si forte morantis (sc. apes)/sparserit aut praeceps Neptuno immerserit Eurus. »Geschieht es nun, dass der Wind usw.«; Prop. II 18,4

si quid doluit forte, dolere nega. »Sollte etwas schmerzen, dann ...«. Bei Horaz (an seinen libellus) epi. 120, 26 forte meum siquis te percontabitur aevum, ... sciat (conj. potent.) »Sollte es nun passieren, dass dich jemand über mein Alter fragt ...«3*. Forte ist ja ursprünglich Abl. von fors. Es unterstreicht den potentialen Charakter der Aussage bzw. des Bedingungssatzes. Ähnlich auch bei Vitruv: »Nun mag es geschehen, dass einer sagt ...«. »Einige könnten aber denken ...«.?° Dies entspricht durchaus einem hypotaktischen si forte (siquis forte dixerit ..., errabit in illo). Forte drückt sowieso die Potentialität aus: ‘Für den Fall, dass jemand sagt — es mag aber geschehen oder nicht’. So auch an unserer angefochtenen Horaz-Stelle (die man mit dem angeführten Beispiel aus epi. I 20, 26 vergleichen sollte): forte quaeritis ... nulla sit hac potior sententia »vielleicht fragt ihr, d.h. für den Fall, dass ihr fragt bzw. wenn ihr fragen solltet ... dann usf.« Wir fassen also forte getrost als Adv. auf und können insofern feststellen, dass die angeredeten Römer (noch) keine Anfrage an den Dichter gerichtet haben, dass dies aber geschehen mag und nach Horazens Meinung auch natürlich ist.

II Dies führt sofort zum nächsten Problem: Was wird eigentlich von quaeritis regiert? Diesen in der Diskussion verwickelten Knoten können wir hier dank Axelson so durchhauen:?” Carere lässt sich nur mit quaeritis konstruieren. Dass noch immer einige Forscher an dem finalen carere festhalten, tut ihrem Scharfsinn grössere Ehre als ihrem sprachlichen Gefühl. Für sich genommen ergibt also forte ... malis carere quaeritis laboribus: »Solltet ihr nun die schlimmen Leiden zu meiden suchen.«

III Mit der obigen Übersetzung befinden wir uns schon mitten in zwei weiteren Problemen, der Bedeutung von mali labores und der von quaerere. Zum ersten Punkt möchten wir zunächst nicht viel

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Aufhebens von mali machen;?® das Adj. verstärkt den Begriff des Leidens. Dass der Ausdruck seine eigene Bewandtnis hat, wollen wir am Ende dieser Untersuchung nachzuweisen versuchen. Ouaerere mit Inf. ist bei Horaz alltäglich. Folgende Beispiele zeigen hoffentlich am besten die semantische Nuance: sat. I 9, 8 misere discedere quaerens »indem ich vergebens zu entkommen versuchte«; c. III 4, 39 vos (die Musen) Caesarem ... finire quaerentem labores/Pierio recreatis aiitro« ... während er bemüht ist, seine (kriegerische) Anstrengungen zu beendigen.«

IV In unserem philologischen Schachspiel nimmt jede Entscheidung nolens volens Bezug auf die noch übrigbleibenden Probleme, indem sich die Lösungsmöglichkeiten von selbst allmählich begrenzen. Von den übersprungenen Worten des Satzes hat man oft quid expediat zum grössten Rätsel gemacht. Das überlieferte quid ist nicht zu bezweifeln; quod?? löst keine Probleme im übrigen Satz. Wir gehen also davon aus, dass hier ein indirekter Fragesatz überliefert ist.*° An sich ist es kein Problem, diesen Satz mit dem

Hauptverb quaeritis zu kombinieren. Es gibt eine grössere Anzahl Belege für diese Konstruktion bei Horaz (sat. 12, 113; 4, 46; 5, 66; 6, 37; 10, 57). Zwei Einwände werden dagegen wiederholt

angeführt, die nicht ohne weiteres abgelehnt werden können: 1) dass ein abhängiger Fragesatz und ein Infinitiv mit demselben Verb nicht kombiniert werden könnten, 2) dass man dabei eine semantische Verschiebung von quaerere voraussetzen müsse (zunächst ‘fragen’, dann ‘suchen’). Um die letzte Frage zuerst anzufassen: Es ist kaum ausgemacht, dass quaerere »verschiedene Bedeutungen« aufweist. Vergleicht man z.B. eine Stelle wie Cic., Orat. 74 si histrio quid deceat quaerit, so wird man dem Element suchender Untersuchung mit

der Übersetzung »fragen« nicht gerecht. OLD

schlägt vor: »to

inquire into, examine, consider«; vgl. Horaz c. I 9, 13 quid sit

futurum cras fuge quaerere. Sowohl bei dem ersten als auch bei dem zweiten Glied liegt die Vorstellung vom Streben, SichAbmühen zugrunde, sei es nun durch Überlegung und Rat, sei es

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durch Handlung, wie beim letzten Glied der hier behandelten Partie. Und was den ersten Punkt betrifft, so sollte ein derartiger Wechsel in der Konstruktion keinen Horaz-Leser überraschen, ist

er doch auf Breviloquenz erpicht. Zeugmatische Verbindungen*! und Inkonzinnitäten sind bei ihm wie auch bei den anderen augusteischen Dichtern beliebt. Dies gehört zu den Mitteln, womit der Dichter den Eindruck rhetorischer Syntax meidet. C. I 1, 19 gibt für unseren Satz eine gute Parallele: est qui nec veteris pocula Massici/nec partem solidi demere de die spernit. Im ersten Glied hat spernere ein sachliches konkretes Objekt, im zweiten folgt ein explikativer Infinitiv, d.h. eine Handlung. Vgl. auch c. IV 1, 29 ff. me nec femina nec puer/iam nec spes animi credula mutui/nec certare iuvat mero/nec vincire novis tempora floribus. "Dass sich damit gelegentlich ein leichtes Zeugma verbindet, ist durchaus natürlich und geht über das bei Horaz Übliche kaum hinaus.

V Nachdem wir so die Konstruktion verteidigt zu haben glauben, bleibt noch als eine Frage für sich die Bedeutung von expedire. Mit der Übersetzung »was frommt« oder ähnlich wird man dem Ausdruck kaum gerecht; dies schmeckt nach einem moralphilosophischen Thema. Es wäre auch eine Antiklimax in Anbetracht der verzweifelten Situation, wenn es sich um eine Frage »quid utile aut non« handeln sollte, wenn auch diese Bedeutung von expedire ganz normal ist;*? vgl. Ovid, ep. ex Ponto Il 3, 9 cura quid expediat prius est quam quid sit honestum. Bei Horaz steht aber die Frage im Brennpunkt, was man in der schweren Stunde Roms tun solle, um sich zu retten. Man möchte also viel eher an die Grundbedeutung dieses Verbums denken: »aus hemmenden od. hinderlichen Schwierigkeiten lösen (im Gegensatz zu impedire).«*3 Es gibt dafür Beispiele in Fülle, wobei mit einem Subst. die Schwierigkeit bezeichnet wird; vgl. Cic., Att. 2, 25, 2 expedies nos omni molestia. Für diese Verwendung lässt sich bei Horaz z.B. epo. 11, 23 ff. anführen: nunc gloriantis quamlibet muliercu-

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lam/vincire mollitia amor Lycisci me tenet;Junde expedire non amicorum queant/libera consilia nec contumeliae graves,|sed etc. Dann ergibt sich weiter, dass wir aus dem nächsten Glied zu expediat das malis ... laboribus ergänzen. Dann bleibt noch zu sehen, ob diese engere Zusammenknüpfung der Glieder durch die weitere Interpretation bestätigt wird. An diesem Punkt unserer Untersuchung haben wir zwei Aussa-

gen von ungefähr folgendem Inhalt: 1) Wenn ihr an einem Weg aus den Schwierigkeiten interessiert seid ..., 2) wenn ihr frei von den schlimmen Leiden zu leben wünscht ...

VI Die Zahl der Variablen wird allmählich kleiner, aber noch bleiben

einige nach unserer Meinung arg missverstandene Worte zurück: communiter aut melior pars. Die meisten fassen sie etwa folgendermassen: »(alle) insgesamt oder wenigstens der bessere Teil von euch.« Dass melior pars »der bessere Teil« bedeutet, soll nicht bestritten werden. Aber es ist von vornherein keineswegs klar, wozu communiter gehört und was es bedeutet und schliesslich was aut verbindet und in welcher Bedeutung. In der Tat scheint die Fehldeutung von communiter folgenschwer gewesen zu sein. Das Schlimmste ist dabei nicht, dass man omnes zu communiter als etwas Selbstverständliches ergänzt, aber schon dies sollte man nicht ohne weiteres sprachlich hinnehmen. Betrachten wir zunächst, was sich aus der communis opinio für die Aussage ergibt. Einserseits soll man offenbar an eine Gemeinschaft oder Versammlung aller römischer Bürger denken, dann an eine qualitative Auslese unter ihnen. Nun gut. Aber damit unterstellt man Horaz die Meinung, dass das ganze Volk gegebenenfalls an seinem Glück reichlich indifferent sei, was um so merkwürdiger wirkt, wenn man an eine kompetente Versammlung, etwa die comitia, denken soll. Eine solche Zumutung ist an dieser Stelle fehl am Platze. Darin einen Zweifel des Horaz an der Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Aktion des ganzen Volkes zu sehen, ist schwerlich richtig. Dies wäre zudem, wie mir scheint, durch das fragliche Glied etwas unbeholfen ausgedrückt. Und

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wozu eigentlich die Verbindung des ganzen Volkes mit quid expediat, während melior pars (nur) mit dem zweiten Glied malis carere laboribus verbunden wird? Welche Funktion sollte eine solche Unterscheidung haben? Man könnte daran denken, es mit quaeritis zu verbinden. Es würde dann an Verbindungen wie communiter consulere/consultare erinnern.** Dann würde man zugleich geneigt sein, an eine beratende

Versammlung,

etwa an den römischen

Senat, nicht

aber an eine Versammlung des Volkes (comitia oder contio) zu denken. Gegen eine solche Interpretationslinie spricht aber die Wortstellung, die es natürlicher macht, communiter mit expediat zu verbinden: es wird nach einem gemeinschaftlichen Ausweg, einer Hilfe für die römische Gemeinschaft gefragt. Die hervorgehobene Stellung von communiter legt es ohnehin nahe, es auch mit carere zu verbinden. Darauf wird man auch

vom Sachlichen her geführt.

VII Der Hauptfehler der herkömmlichen Deutung liegt offenbar in aut. Dies soll nicht »alle« von melior pars unterscheiden, sondern quid expediat von carere, was ohnehin als das sprachlich Natürlichere angesehen werden muss. Aut kann nicht mehr in der Bedeutung »oder jedenfalls« verstanden werden, sondern als »oder gar«.*° Dann verhält sich carere (sc. malis laboribus) zu quid expediat (sc. malis laboribus) als eine steigernde, weiterführende Alternative.

VI Noch bleibt bei unserer Art und Weise, den Satz zu lesen, melior pars zu erörtern. Die Unterbringung der Verbindung im Ganzen ergibt sich einerseits aus dem Vorhergehenden, andererseits aus unserer Suche nach einer leidlich logischen und einfachen Aussage. Wenn wir melior pars als Apposition zu dem in quaeritis befindlichen Subjekt verstehen, so glauben wir in beiderlei Hinsicht eine einwandfreie Lösung gefunden zu haben. Melior pars gehört nach dieser Deutung nicht ausschliesslich zum letzten

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Glied, sondern zum ganzen Satz: forte(vos),