Historien. Band II: Lateinisch und deutsch 9783534181605, 9783534257522, 9783534735082, 9783534735099, 3534181603

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German Pages 267 Year 2014

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Historien. Band II: Lateinisch und deutsch
 9783534181605, 9783534257522, 9783534735082, 9783534735099, 3534181603

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Cornelius Tacitus, Historien (zweisprachig)
– Buch 3
– Buch 4
– Buch 5
– Die Fragmente der Historien
Anmerkungen zu Buch 3
Anmerkungen zu Buch 4
Anmerkungen zu Buch 5
Anmerkungen zu den Fragmenten
Über den Autor
Über die Herausgeber
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EDITION ANTIKE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

CORNELIUS TACITUS

HISTORIEN Band II

Lateinisch und deutsch

Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Alfons Städele

Verantwortlicher Bandherausgeber: Martin Hose

Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-18160-5 Gesamtnummer Band I–II

ISBN 978-3-534-25752-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73508-2 eBook (epub): 978-3-534-73509-9

Inhalt Cornelius Tacitus, Historien (zweisprachig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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– Buch 3

....................................................

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– Buch 4

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

– Buch 5

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

– Die Fragmente der Historien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Anmerkungen zu Buch 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Anmerkungen zu Buch 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Anmerkungen zu Buch 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Anmerkungen zu den Fragmenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

CORNELII TACITI HISTORIARUM LIBRI (LIBRI III–V et FRAGMENTA)

CORNELIUS TACITUS HISTORIEN (BÜCHER 3–5 und FRAGMENTE)

LIBER III 1 (1) Meliore fato fideque partium Flavianarum duces consilia belli tractabant. Poetovionem in hiberna tertiae decimae legionis convenerant. illic agitavere, placeretne obstrui Pannoniae Alpes, donec a tergo vires universae consurgerent, an ire comminus et certare pro Italia constantius foret. (2) quibus opperiri auxilia et trahere bellum videbatur, Germanicarum legionum vim famamque extollebant, et advenisse mox cum Vitellio Britannici exercitus robora: ipsis nec numerum parem pulsarum nuper legionum et, quamquam atrociter loquerentur, minorem esse apud victos animum. sed insessis interim Alpibus venturum cum copiis Orientis Mucianum; superesse Vespasiano mare classes studia provinciarum, per quas velut alterius belli molem cieret. ita salubri mora novas vires adfore, e praesentibus nihil periturum.

2 (1) Ad ea Antonius Primus (is acerrimus belli concitator) festinationem ipsis utilem, Vitellio exitiosam disseruit. plus socordiae quam fiduciae accessisse victoribus; neque enim in procinctu et castris habitos: per omnia Italiae municipia desides, tantum hospitibus metuendos, quanto ferocius antea egerint, tanto cupidius insolitas voluptates hausisse. (2) circo quoque ac theatris et amoenitate urbis emollitos aut valetudinibus fessos; sed addito spatio rediturum et his robur meditatione belli; nec procul Germaniam, unde vires; Britanniam freto dirimi, iuxta Gallias Hispaniasque, utrimque viros equos tributa, ipsamque Italiam et opes urbis; ac si inferre arma ultro velint, duas

BUCH 3 1 (1) Unter einem besseren Schicksalsstern und mit größerer Loyalität berieten sich die Kommandeure der flavianischen Partei über die richtige Strategie. In Poetovio waren sie im Winterlager der 13. Legion zusammengekommen. Dort überlegten sie, ob man beschließen solle, die Pannonischen Alpen abzuriegeln, bis im Rückraum die gesamten Streitkräfte mobilisiert seien, oder ob es größere Entschlossenheit beweise, auf den Feind loszugehen und um den Besitz Italiens zu kämpfen. (2) Wer dafür war, die Hilfstruppen abzuwarten und den Krieg hinhaltend zu führen, der lobte überschwänglich die Stärke und den guten Ruf der germanischen Legionen; zudem seien gerade zusammen mit Vitellius die Kerntruppen des britannischen Heeres eingetroffen. Sie selbst verfügten dagegen nicht über die gleiche Zahl von Legionen – die erst kürzlich geschlagen worden seien –, und obgleich man trotzige Reden führe, habe man nach einer Niederlage weniger Selbstvertrauen. Aber falls sie zwischenzeitlich die Alpen besetzten, werde Mucian mit den Truppen des Ostens kommen; Vespasian verfüge dann immer noch über das Meer, die Flotten, die Sympathien der Provinzen, mit deren Hilfe er sozusagen eine zweite Kriegsmaschinerie in Bewegung setzen könne. So stünden nach einer heilsamen Pause neue Kräfte zur Verfügung, während von den aktuellen nichts verloren gehe. 2 (1) Dazu führte Antonius Primus – er war der schärfste Kriegstreiber – aus, Eile sei für sie selbst vorteilhaft, für Vitellius katastrophal. Mehr Sorglosigkeit als Selbstvertrauen habe sich bei den Siegern breitgemacht. Sie würden ja auch nicht kampfbereit in Lagern gehalten: In sämtlichen Landstädten Italiens lungerten sie herum, nur für ihre Quartierswirte zu fürchten; je unbändiger sie sich zuvor benahmen, desto gieriger hätten sie die ungewohnten Vergnügungen genossen. (2) Auch durch Zirkus, Theater und die Annehmlichkeiten der Hauptstadt seien sie verweichlicht oder durch Krankheiten erschöpft. Falls man ihnen aber Zeit lasse, kehre auch bei ihnen ihre Kampfkraft zurück beim Gedanken an den Krieg. Nicht weit entfernt sei auch Germanien, woher ihre Streitkräfte kämen; Britannien sei nur durch eine Meerenge getrennt, dicht daneben lägen Gallien und Spanien: auf beiden Seiten Männer, Pferde, Tribute, und dann Italien selbst und die Ressourcen der Hauptstadt. Falls sie ihrerseits angreifen wollten, hätten sie

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Historiarum liber tertius

classes vacuumque Illyricum mare. quid tum claustra montium profutura? quid tractum in aestatem aliam bellum? unde interim pecuniam et commeatus? (3) quin potius eo ipso uterentur, quod Pannonicae legiones deceptae magis quam victae resurgere in ultionem properent, Moesici exercitus integras vires attulerint. si numerus militum potius quam legionum putetur, plus hinc roboris, nihil libidinum; et profuisse disciplinae ipsum pudorem; equites vero ne tum quidem victos, sed quamquam rebus adversis disiectam Vitellii aciem. (4) ‘duae tunc Pannonicae ac Moesicae alae perrupere hostem: nunc sedecim alarum coniuncta signa pulsu sonituque et nube ipsa operient ac superfundent oblitos proeliorum equites equosque. nisi quis retinet, idem suasor auctorque consilii ero. vos, quibus fortuna in integro est, legiones continete: mihi expeditae cohortes sufficient. iam reseratam Italiam, impulsas Vitellii res audietis. iuvabit sequi et vestigiis vincentis insistere.’

3 Haec ac talia flagrans oculis, truci voce, quo latius audiretur (etenim se centuriones et quidam militum consilio miscuerant), ita effudit, ut cautos quoque ac providos permoveret, volgus et ceteri unum virum ducemque, spreta aliorum segnitia, laudibus ferrent. hanc sui famam ea statim contione commoverat, qua recitatis Vespasiani epistulis non ut plerique incerta disseruit, huc illuc tracturus interpretatione, prout conduxisset: aperte descendisse in causam videbatur, eoque gravior militibus erat culpae vel gloriae socius.

4 (1) Proxima Cornelii Fusci procuratoris auctoritas. is quoque inclementer in Vitellium invehi solitus nihil spei sibi inter adversa reliquerat.

Historien 3,2,2-3,4,1

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zwei Flotten und das frei zugängliche Illyrische Meer zur Verfügung. Welchen Nutzen böte da die Abriegelung des Gebirges, welchen der in den nächsten Sommer verschleppte Krieg? Woher kämen unterdessen Geld und Nachschub? (3) Viel eher sollten sie sich gerade den Umstand zunutze machen, dass die pannonischen Legionen mehr getäuscht als besiegt worden seien und deshalb schleunigst zur Rache aufstünden und dass die mösischen Heere intakte Streitkräfte herangebracht hätten. Falls man lieber die Zahl der Soldaten als die der Legionen in Rechnung stelle, dann gebe es auf ihrer Seite mehr Kampfkraft und keinerlei Exzesse; und in der Tat habe zur Hebung der Disziplin gerade das Gefühl der Beschämung beigetragen. Die Kavallerie aber sei nicht einmal seinerzeit besiegt worden, sondern trotz der widrigen Umstände habe man die Front des Vitellius gesprengt. (4) „Zwei pannonische und mösische Kavallerieregimenter sind damals durch den Feind gestoßen. Jetzt aber werden die vereinten Abteilungen von 16 Regimentern mit ihrem dröhnenden Hufschlag und allein schon mit ihrer Staubwolke die Reiter und Pferde bedecken und überschütten, die sich an Gefechte nicht mehr erinnern können. Falls mich niemand zurückhält, werde ich selbst Ratgeber und zugleich Vollstrecker meines Rates sein. Ihr, die ihr über euer Schicksal noch frei entscheiden könnt,1 haltet nur die Legionen zusammen; mir werden die leicht bewaffneten Kohorten genügen! Schon bald werdet ihr hören, dass Italien aufgesperrt ist und die Herrschaft des Vitellius den entscheidenden Stoß versetzt bekommen hat. Es wird eine Freude sein, zu folgen und in die Fußstapfen des Siegers zu treten.“ 3 Dies und dergleichen gab er mit leuchtenden Augen und dröhnender Stimme, damit man ihn in weiterem Umkreis hören konnte – es hatten sich nämlich Zenturionen und ein paar einfache Soldaten der Beratung angeschlossen –, in einer Art und Weise von sich, dass er auch die vorsichtigen und bedächtigen Teilnehmer beeindruckte, das einfache Soldatenvolk und damit alle übrigen ihn als einzigen Mann und militärischen Führer voller Verachtung für die abwartende Haltung der anderen überschwänglich lobten. Diese Auffassung über seine Person hatte er gleich in der Heeresversammlung hervorgerufen, in der er nach der Verlesung eines Briefs Vespasians sich nicht wie die Mehrzahl unklar äußerte in der Absicht, seine Worte später in die eine oder andere Richtung auslegen zu können, je nachdem was vorteilhaft war: Ganz eindeutig hatte er sich in ihren Augen auf seine Seite geschlagen. Deshalb galt er bei den Soldaten mehr – in Schuld oder Ruhm ihr Partner. 4 (1) Am nächsten kam ihm an Einfluss der Prokurator Cornelius Fuscus. Auch er zog gewöhnlich unerbittlich über Vitellius her und hatte deshalb im Falle eines Misserfolgs für seine Person keinerlei Hoffnung gelassen.

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Historiarum liber tertius

Tampius Flavianus, natura ac senecta cunctator, suspiciones militum inritabat, tamquam adfinitatis cum Vitellio meminisset; id‹em›que, quod coeptante legionum motu profugus, dein sponte remeaverat, perfidiae locum quaesisse credebatur. (2) nam Flavianum, omissa Pannonia ingressum Italiam et discrimini exemptum, rerum novarum cupido legati nomen resumere et misceri civilibus armis impulerat, suadente Cornelio Fusco, non quia industria Flaviani egebat, sed ut consulare nomen surgentibus cum maxime partibus honesta specie praetenderetur.

5 (1) Ceterum ut transmittere in Italiam impune et usui foret, scriptum Aponio Saturnino, cum exercitu Moesico celeraret. ac ne inermes provinciae barbaris nationibus exponerentur, principes Sarmatarum Iazugum, penes quos civitatis regimen, in commilitium adsciti. plebem quoque et vim equitum, qua sola valent, offerebant: remissum id munus, ne inter discordias externa molirentur aut maiore ex diverso mercede ius fasque exuerent. trahuntur in partes Sido atque Italicus reges Sueborum, quis vetus obsequium erga Romanos et gens fidei quam iussorum patientior. (2) posita in latus auxilia, infesta Raetia, cui Porcius Septiminus procurator erat, incorruptae erga Vitellium fidei. igitur Sextilius Felix cum ala Auriana et octo cohortibus ac Noricorum iuventute ad occupandam ripam Aeni fluminis, quod Raetos Noricosque interfluit, missus. nec his aut illis proelium temptantibus, fortuna partium alibi transacta.

6 (1) Antonio vexillarios e cohortibus et partem equitum ad invadendam Italiam rapienti comes fuit Arrius Varus, strenuus bello, quam gloriam et dux Corbulo et prosperae in Armenia res addiderant. idem secretis apud Neronem sermonibus ferebatur Corbulonis virtutes criminatus; unde infami

Historien 3,4,1-3,6,1

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Tampius Flavianus, von Natur aus und wegen seines Alters ein Zauderer, erregte den Verdacht der Soldaten dadurch, dass er den Eindruck erweckte, er denke an seine Verwandtschaft mit Vitellius. Desgleichen glaubte man von ihm, weil er zu Beginn der Meuterei der Legionen geflohen, dann aber von sich aus wieder zurückgekommen war, er habe eine Gelegenheit für einen Verrat gesucht. (2) Denn den Flavianus hatte, nachdem er Pannonien aufgegeben hatte, nach Italien gereist und so der Gefahr entronnen war, das Verlangen nach einem Umsturz dazu veranlasst, sich wieder den Titel „Legat“ zuzulegen und sich in den Bürgerkrieg einzumischen. Dazu riet ihm Cornelius Fuscus, nicht weil er die Mithilfe des Flavianus gebraucht hätte, sondern damit der Titel „Konsular“ seiner gerade jetzt aufstrebenden Partei einen ehrenvollen Anschein verleihe. 5 (1) Damit im Übrigen der Übergang nach Italien gefahrlos vor sich gehen konnte und Erfolg versprach, schrieb man Aponius Saturninus, er solle sich mit dem mösischen Heer beeilen. Um so die von Truppen entblößten Provinzen nicht den Barbarenstämmen auszuliefern, nahm man die führenden Männer der sarmatischen Jazygen, bei denen die Leitung des Stammes lag, in die Heeresgemeinschaft auf. Auch das einfache Volk und damit ihr Aufgebot an Reitern, auf dem allein ihre Stärke beruht, wollten sie zur Verfügung stellen; dieses Angebot lehnte man ab, damit sie nicht während unserer inneren Auseinandersetzungen auswärtige Interessen verfolgen oder dank höherer Belohnung durch die Gegenpartei menschliches und göttliches Recht zur Seite legen konnten. Zum Beitritt zur eigenen Partei bewogen wurden Sido und Italicus, die Könige der Sueben, die schon lange dauernden Gehorsam gegen die Römer zeigen und ein Stamm sind, der eher Wort hält als sich Befehlen fügt. (2) An der Flanke wurden Hilfstruppen stationiert, weil Rätien aufseiten der Feinde stand; es hatte Porcius Septiminus als Prokurator, einen Mann von unverbrüchlicher Treue gegenüber Vitellius. Also schickte man Sextilius Felix mit dem Kavallerieregiment „Auriana“, acht Infanteriekohorten und dem Milizheer der Noriker zur Besetzung des Ufers des Inn, des Grenzflusses zwischen Rätern und Norikern. Weil aber weder die einen noch die anderen ein Gefecht wagten, wurde das Schicksal der Parteien anderswo entschieden. 6 (1) Zur Begleitung des Antonius, der Spezialeinheiten aus den Kohorten und einen Teil der Kavallerie schnell zum Angriff auf Italien zusammenzog, gehörte Arrius Varus, ein im Krieg bewährter Mann; diesen Ruhm hatten ihm sowohl sein Kommandeur Corbulo als auch seine Erfolge in Armenien eingetragen. Genauso erzählte man sich aber, er habe in geheimen Gesprächen bei Nero Corbulos Vorzüge herabgesetzt. Daher erhielt er als schändlichen Dank die Position eines Primipilus; dieser für den Augen-

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Historiarum liber tertius

gratia primum pilum adepto laeta ad praesens male parta mox in perniciem vertere. (2) sed Primus ac Varus occupata Aquileia ‹per› proxima quaeque et Opitergii et Altini laetis animis accipiuntur. relictum Altini praesidium adversus classis Ravennatis ‹conatus›, nondum defectione eius audita. inde Patavium et Ateste partibus adiunxere. illic cognitum tris Vitellianas cohortes ‹et› alam, cui Sebosianae nomen, ad Forum Alieni ponte iuncto consedisse. (3) placuit occasio invadendi incuriosos; nam id quoque nuntiabatur. luce prima inermos plerosque oppresse‹re›. praedictum, ut paucis interfectis ceteros pavore ad mutandam fidem cogerent. et fuere qui se statim dederent: plures abrupto ponte instanti hosti viam abstulerunt.

7 (1) Volgata victoria, post principia belli secundum Flavianos data legiones septima Galbiana, tertia decima Gemina cum Vedio Aquila legato Patavium alacres veniunt. ibi pauci dies ad requiem sumpti, et Minicius Iustus praefectus castrorum legionis septimae, quia adductius quam civili bello imperitabat, subtractus militum irae ad Vespasianum missus est. (2) desiderata diu res interpretatione gloriaque ‹in› maius accipitur, postquam Galbae imagines discordia temporum subversas in omnibus municip‹i›is recoli iussit Antonius, decorum pro causa ratus, si placere Galbae principatus et partes revirescere crederentur.

8 (1) Quaesitum inde quae sedes bello legeretur. Verona potior visa, patentibus circum campis ad pugnam equestrem, qua praevalebant: simul coloniam copiis validam auferre Vitellio in rem famamque videbatur. possessa ipso transitu Vicetia; quod per se par‹v›um (etenim modicae municipio vires) magni momenti locum obtinuit reputantibus illic Caecinam genitum et patriam hostium duci ereptam. in Veronensibus pretium fuit: exemplo opibusque partes iuvere; et interiectus exercitus Raetiam Iuliasque Alpes, [ac] ne pervium illa Germanicis exercitibus foret, obsaepserat. (2) quae

Historien 3,6,1-3,8,1

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blick erfreuliche, auf üble Weise erzielte Erfolg schlug ihm bald zum Verderben aus.2 (2) Primus und Varus aber wurden nach der Besetzung Aquileias in der gesamten näheren Umgebung, ebenso in Opitergium und Altinum freundlich aufgenommen. Zurück ließ man in Altinum eine Besatzung gegen Unternehmungen der Flotte von Ravenna, da man von ihrem Abfall noch nicht gehört hatte. Anschließend schloss man Patavium und Ateste der Partei an. Dort erfuhr man, drei vitellianische Kohorten und das sogenannte Sebosiana-Regiment hätten bei Forum Alieni eine Brücke geschlagen und ein Lager bezogen. (3) Gerne nahm man die Gelegenheit wahr, über die sorglosen Einheiten herzufallen; denn auch das wurde gemeldet. Im Morgengrauen überraschten sie die überwiegend noch unbewaffneten Männer. Es war ausgegeben worden, nur wenige umzubringen und den Rest in seiner Angst dazu zu zwingen, die Front zu wechseln. Tatsächlich gab es einige, die sich sofort ergaben; die Mehrzahl brach die Brücke ab und nahm so dem nachdrängenden Feind den Weg. 7 (1) Als sich der Sieg herumgesprochen hatte und der Kriegsbeginn zugunsten der Flavianer verlief, kamen die 7. Legion „Galbiana“ und die 13. „Gemina“ mit dem Legaten Vedius Aquila in bester Stimmung nach Patavium. Dort nahm man sich wenige Tage Zeit zur Erholung, und der Lagerkommandant Minicius Iustus von der 7. Legion wurde, weil er für einen Bürgerkrieg ein zu straffes Regiment führte, der Wut seiner Soldaten entzogen und zu Vespasian geschickt. (2) Eine schon lange sehnlichst erwünschte Maßnahme empfand man dank großtuerischer Auslegung als unverhältnismäßig wichtig: Antonius hatte die im Laufe der Auseinandersetzungen umgestürzten Statuen Galbas in allen Landstädten wieder aufstellen lassen in der Meinung, es sei opportun für seine Sache, wenn man glaube, ihm gefalle Galbas Prinzipat und dessen Partei erstarke wieder. 8 (1) Danach überlegte man, welches Hauptquartier man für den Krieg auswählen solle. Verona kam anscheinend vor allem in Frage, weil das ebene Gelände ringsum für ein Kavalleriegefecht offen dalag, in dem man seine Stärke hatte; zugleich schien es zweckmäßig zu sein und Ruhm zu bringen, die mit Vorräten gut versorgte Koloniestadt Vitellius zu entreißen. In Besitz genommen wurde beim bloßen Vorbeimarsch Vicetia; dieser an sich nebensächliche Vorfall – die Landstadt verfügte nämlich nur über bescheidene Kräfte – erhielt eine große Bedeutung, wenn man bedachte, dass Caecina dort geboren war und damit dem Kommandeur der Feinde seine Heimatstadt entrissen wurde. An den Veronesern hatte man einen wirklichen Gewinn: Durch ihr Vorbild und ihre Mittel unterstützten sie die Partei; und das dazwischenliegende Heer hatte Rätien und die Julischen Alpen abgeriegelt, damit es dort für die germanischen Heere kein Durchkommen gab.

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Historiarum liber tertius

ignara Vespasiano aut vetita: quippe Aquileiae sisti bellum exspectarique Mucianum iubebat, adiciebatque imperio consilium, quando Aegyptus, claustra annonae, vectigalia opulentissimarum provinciarum obtinerentur, posse Vitellii exercitum egestate stipendii frumentique ad deditionem subigi. (3) eadem Mucianus crebris epistulis monebat, incruentam et sine luctu victoriam et alia huiusce modi praetexendo, sed gloriae avidus atque omne belli decus sibi retinens. ceterum ex distantibus terrarum spatiis consilia post res adferebantur.

9 (1) Igitur repentino incursu Antonius stationes hostium inrupit; temptatisque levi proelio animis ex aequo discessum. mox Caecina inter Hosti‹li›am, vicum Veronensium, et paludes Tartari fluminis castra permuniit, tutus loco, cum terga flumine, latera obiectu paludis tegerentur. (2) quod si adfuisset fides, aut opprimi universis Vitellianorum viribus duae legiones, nondum coniuncto Moesico exercitu, potuere, aut retro actae deserta Italia turpem fugam conscivissent. sed Caecina per varias moras prima hostibus prodidit tempora belli, dum, quos armis pellere promptum erat, epistulis increpat, donec per nuntios pacta perfidiae firmaret. (3) interim Aponius Saturninus cum legione septima Claudiana advenit. legioni tribunus Vipstanus Messalla praeerat, claris maioribus, egregius ipse et qui solus ad id bellum artes bonas attulisset. (4) has ad copias nequaquam Vitellianis pares (quippe tres adhuc legiones erant) misit epistulas Caecina, temeritatem victa arma tractantium incusans. simul virtus Germanici exercitus laudibus attollebatur, Vitellii modica et volgari mentione, nulla in Vespasianum contumelia: nihil prorsus, quod aut corrumperet hostem aut terreret. (5) Flavianarum partium duces omissa prioris fortunae defensione pro Vespasiano

Historien 3,8,2-3,9,5

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(2) Davon wusste Vespasian nichts, oder er hatte es verboten. Denn in Aquileia den Krieg einzustellen und auf Mucian zu warten, lautete sein Befehl; an ihn schloss er die Überlegung an, da man Ägypten, die Schlüsselstellung in der Getreideversorgung, und die Steuern der reichsten Provinzen in der Hand behalte, könne man Vitellius’ Heer durch das Ausbleiben des Solds und des Getreides zur Kapitulation zwingen. (3) Dasselbe gab Mucian in häufigen Schreiben zu bedenken, wobei er einen Sieg ohne Blutvergießen und Trauer sowie andere derartige Gesichtspunkte vorschob, tatsächlich aber nur nach Ruhm gierte und die gesamte Ehre des Kriegs für sich beanspruchen wollte. Im Übrigen wurden aus den weit entfernten Gebieten der Erde die Ratschläge erst nach den Ereignissen übermittelt. 9 (1) Deshalb fiel Antonius in einem Überraschungsangriff über die Vorposten der Feinde her, und nachdem man in einem leichten Gefecht seinen Mut auf die Probe gestellt hatte, trennte man sich unentschieden. Dann schlug Caecina zwischen Hostilia, einem Dorf der Veroneser, und den Sümpfen des Flusses Tartarus ein befestigtes Lager, sicher in seiner Stellung, weil die Rückseite durch den Fluss, die Flanken durch den dazwischenliegenden Sumpf gedeckt wurden. (2) Wenn er sich aber loyal verhalten hätte, hätten entweder durch die gesamte Armee der Vitellianer die zwei Legionen – das mösische Heer hatte sich ihnen ja noch nicht angeschlossen – überwältigt werden können, oder sie wären zurückgetrieben worden, hätten Italien im Stich lassen und sich für eine ehrlose Flucht entscheiden müssen. Doch überließ Caecina durch sein Zögern in verschiedenen Situationen den Feinden die Initiative in der ersten Phase des Kriegs, wobei er die Leute, die er problemlos im Kampf hätte schlagen können, in Briefen so lange beschimpfte, bis er durch Unterhändler die Bedingungen für seinen Treuebruch festmachen konnte. (3) In der Zwischenzeit traf Aponius Saturninus mit der 7. Legion „Claudiana“ ein. Die Legion befehligte der Tribun Vipstanus Messalla, ein Mann mit berühmten Vorfahren, persönlich hervorragend und der Einzige, der zu diesem Krieg ein anständiges Verhalten beigesteuert hatte. (4) Diesen Truppen, die den Vitellianern in keiner Weise gewachsen waren – es waren ja immer noch erst drei Legionen –, schickte Caecina ein Schreiben, in dem er ihnen die Unvernunft von Leuten vorwarf, eine verlorene Sache weiter zu verfolgen. Zugleich wurde die Tüchtigkeit des germanischen Heers überschwänglich gelobt, wobei Vitellius nur nebenbei und ganz allgemein Erwähnung fand, aber auch ohne jede Schmähung gegen Vespasian: überhaupt nichts, was den Feind entweder hätte verführen oder erschrecken können. (5) Die Kommandeure der flavianischen Partei sahen von einer Verteidigung ihrer früheren Misserfolge ab und äußerten sich an erster Stelle für Vespasian mit großartigen Worten, für ihre Sache zuver-

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Historiarum liber tertius

magnifice, pro causa fidenter, de exercitu securi, in Vitellium ut inimici praesumpsere, facta tribunis centurionibusque retinendi quae Vitellius indulsisset spe, atque ipsum Caecinam non obscure ad transitionem hortabantur. recitatae pro contione epistulae addidere fiduciam, quod submisse Caecina, velut offendere Vespasianum timens, ipsorum duces contemptim tamquam insultantes Vitellio scripsissent.

10 (1) Adventu deinde duarum legionum, e quibus tertiam Dillius Aponianus, octavam Numisius Lupus ducebant, ostentare vires et militari vallo Veronam circumdare placuit. forte Galbianae legioni in adversa fronte valli opus cesserat, et visi procul sociorum equites vanam formidinem ut hostes fecere. (2) rapiuntur arma metu proditionis. ira militum in Tampium Flavianum incubuit, nullo criminis argumento, sed iam pridem invisus turbine quodam ad exitium poscebatur: propinquum Vitellii, proditorem Othonis, interceptorem donativi clamitabant. nec defensioni locus, quamquam supplices manus tenderet, humi plerumque stratus, lacera veste, pectus atque ora singultu quatiens. id ipsum apud infensos incitamentum erat, tamquam nimius pavor conscientiam argueret. (3) obturbabatur militum vocibus Aponius, cum loqui coeptaret; fremitu et clamore ceteros aspernantur. uni Antonio apertae militum aures; namque et facundia aderat mulcendique volgum artes et auctoritas. ubi crudescere seditio et a conviciis ac probris ad tela et manus transibant, inici catenas Flaviano iubet. sensit ludibrium miles, disiectisque qui tribunal tuebantur extrema vis parabatur. (4) opposuit sinum Antonius stricto ferro, aut militum se manibus aut suis moriturum obtestans, ut quemque notum et aliquo militari decore insignem adspexerat, ad ferendam opem nomine ciens. mox conversus ad signa et bellorum deos, hostium

Historien 3,9,5-3,10,4

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sichtlich, im Hinblick auf ihr Heer ohne Sorge, Vitellius gegenüber wie Feinde. Dabei machten sie Tribunen und Zenturionen Hoffnung, sie dürften behalten, was Vitellius bewilligt habe, und forderten Caecina ganz unverblümt zum Frontwechsel auf. Die vor der Heeresversammlung verlesenen Briefe erhöhten die Zuversicht, weil Caecina unterwürfig, so als fürchte er, Vespasian vor den Kopf zu stoßen, ihre eigenen Kommandeure aber in verächtlichem Tonfall, so als wollten sie Vitellius verhöhnen, geschrieben hätten. 10 (1) Nach der anschließenden Ankunft zweier weiterer Legionen, von denen die dritte Dillius Aponianus, die achte Numisius Lupus kommandierte, beschloss man, Stärke zu demonstrieren und rings um Verona einen im Krieg üblichen Wall zu ziehen. Zufällig hatte die Legion „Galbiana“ auf der dem Feind zugewandten Seite die Arbeit am Wall getroffen, und in der Ferne gesichtete Reiter der Bundesgenossen hatten, weil man sie für Feinde hielt, eine unbegründete Angst ausgelöst. (2) Man griff schleunigst zu den Waffen aus Furcht vor Verrat. Der Zorn der Soldaten richtete sich gegen Tampius Flavianus nicht wegen eines begründeten Vorwurfs, sondern weil er schon länger verhasst war, verlangte man in einem orkanartigen Durcheinander seine Hinrichtung. Ein Verwandter des Vitellius, ein Verräter Othos, einer, der das Geldgeschenk eingesteckt habe, sei er, schrien sie. Zur Verteidigung gab man ihm keine Gelegenheit, obwohl er inständig bittend seine Hände ausstreckte, sich immer wieder zu Boden warf, sein Gewand zerriss, sich schluchzend auf Brust und Gesicht schlug. Gerade dieses Verhalten reizte die aufgebrachten Männer erst recht, da ihrer Meinung nach die übergroße Furcht sein schlechtes Gewissen verriet. (3) Überschrien wurde durch das Gebrüll der Soldaten Aponius, als er zu sprechen beginnen wollte; mit Geschimpfe und Geschrei ließen sie auch ihre übrigen Vorgesetzten nicht zu Wort kommen. Einzig Antonius fand bei den Soldaten ein offenes Ohr; denn er verfügte über Beredsamkeit, über Fähigkeiten, das einfache Soldatenvolk zu beschwichtigen, und über Autorität. Sobald dann der Tumult an Heftigkeit zunahm und man von Schmähungen und Beschimpfungen zu Waffen und Handgreiflichkeiten überging, ließ er Flavianus in Ketten legen. Die Soldaten durchschauten das Täuschungsmanöver, man vertrieb die Wachen, die das Podium schützten, und war dabei, äußerste Gewalt anzuwenden. (4) Da streckte ihnen Antonius mit gezücktem Schwert seine Brust entgegen und beteuerte, er werde entweder durch die Hände der Soldaten oder seine eigenen sterben. Dabei bat er, sooft er jemanden erblickte, den er kannte und der durch irgendeine militärische Auszeichnung auffiel, diesen namentlich um Hilfe. Dann wandte er sich den Standarten und Kriegsgöttern3 zu und betete, sie sollten diese blinde Wut,

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potius exercitibus illum furorem, illam discordiam inicerent orabat, donec fatisceret seditio et extremo iam die sua quisque in tentoria dilaberentur. profectus eadem nocte Flavianus obviis Vespasiani litteris discrimini exemptus est. 11 (1) Legiones velut tabe infectae Aponium Saturninum Moesici exercitus legatum eo atrocius adgrediuntur, quod non, ut prius, labore et opere fessae, sed medio diei exarserant, volgatis epistulis, quas Saturninus ad Vitellium scripsisse credebatur. (2) ut olim virtutis modestiaeque, tunc procacitatis et petulantiae certamen erat, ne minus v‹i›olenter Aponium quam Flavianum ad supplicium deposcerent. quippe Moesicae legiones adiutam a se Pannonicorum ultionem referentes, et Pannonici, velut absolverentur aliorum seditione, iterare culpam gaudebant. (3) in hortos, in quibus devertebatur Saturninus, pergunt. nec tam Primus et Aponianus et Messalla, quamquam omni modo nisi, eripuere Saturninum, quam obscuritas latebrarum, quibus occulebatur, vacantium forte balnearum fornacibus abditus. mox omissis lictoribus Patavium concessit. (4) digressu consularium uni Antonio vis ac potestas in utrumque exercitum fuit, cedentibus collegis et obversis militum studiis. nec deerant qui crederent utramque seditionem fraude Antonii coeptam, ut solus bello frueretur.

12 (1) Ne in Vitellii quidem partibus quietae mentes: exitiosiore discordia non suspicionibus volgi, sed perfidia ducum turbabantur. Lucilius Bassus classis Ravennatis praefectus ambiguos militum animos, quod magna pars Dalmatae Pannoniique erant, quae provinciae Vespasiano tenebantur, partibus eius adgregaverat. nox proditioni electa, ut ceteris ignaris soli in principia defectores coirent. (2) Bassus pudore seu metu, quisnam exitus foret, intra domum opperiebatur. trierarchi magno tumultu Vitellii imagines invadunt; et paucis resistentium obtruncatis ceterum volgus rerum novarum stu-

Historien 3,10,4-3,12,2

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diese Aufsässigkeit besser den Heeren der Feinde eingeben, bis dann der Aufruhr einschlief und – es war schon spät am Abend – jeder in seinem Zelt verschwand. Flavianus reiste in derselben Nacht ab und wurde durch ein unterwegs eintreffendes Schreiben Vespasians aus seiner misslichen Lage befreit. 11 (1) Die Legionen griffen nun, wie von einer Seuche befallen, Aponius Saturninus, den Legaten des mösischen Heeres, umso heftiger an, als sie nicht wie früher von der anstrengenden Schanzarbeit erschöpft, sondern mitten am Tag in flammende Empörung geraten waren, nachdem der Inhalt eines Briefs bekannt geworden war, den angeblich Saturninus an Vitellius geschrieben hatte. (2) Wie man sich einst in Tapferkeit und Disziplin zu überbieten versucht hatte, so nun in Unverschämtheit und Frechheit, um nicht weniger gewaltbereit die Hinrichtung des Aponius als die des Flavianus verlangen zu können. Denn die mösischen Legionen behaupteten, von ihnen sei die Rache der pannonischen unterstützt worden, und die pannonischen freuten sich darauf – als ob sie durch die Meuterei der anderen freigesprochen würden –, ihr Fehlverhalten wiederholen zu können. (3) In den Park, in dem Saturninus einquartiert war, eilten sie. Und obwohl sich Primus, Aponianus und Messalla jede erdenkliche Mühe gaben, retteten nicht so sehr sie den Saturninus als vielmehr ein finsterer Schlupfwinkel, in den er sich verkroch, im Ofen eines zufällig unbenützten Bades versteckt. Später begab er sich unter Verzicht auf seine Liktoren nach Patavium. (4) Nach dem Weggang der ehemaligen Konsuln hatte allein Antonius Macht und Befehlsgewalt über beide Heere; seine Kollegen gestanden sie ihm zu, und die Sympathien der Soldaten gehörten ihm. Ja, es fehlte nicht an Leuten, die glaubten, beide Meutereien seien hinterlistig von Antonius angezettelt worden, damit er allein die Früchte des Kriegs genießen könne. 12 (1) Aber auch aufseiten des Vitellius herrschte keineswegs eine gelöste Stimmung: Noch katastrophaler war die Aufsässigkeit, weil man nicht durch die Verdächtigungen des einfachen Soldatenvolks, sondern durch die Illoyalität der Kommandeure beunruhigt wurde. Lucilius Bassus, der Kommandant der Flotte von Ravenna, hatte die unschlüssigen Soldaten, weil sie zum Großteil Dalmater und Pannonier waren, also aus Provinzen stammten, die zu Vespasians Machtbereich gehörten, dessen Partei zugeführt. Eine Nacht suchte man für den Verrat aus, damit sich ohne Wissen aller anderen allein die Abtrünnigen am Hauptplatz treffen konnten. (2) Bassus wartete entweder aus Scham oder aus Furcht vor dem Ausgang des Unternehmens in seinem Haus ab. Die Kapitäne machten sich laut lärmend über die Standbilder des Vitellius her. Nachdem man die wenigen Männer, die Widerstand leisteten, erschlagen hatte, neigte die übrigen einfachen Soldaten in ihrem

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dio in Vespasianum inclinabat. tum progressus Lucilius auctorem se palam praebet. (3) classis Cornelium Fuscum praefectum sibi destinat, qui propere adcucurrit. Bassus honorata custodia Liburnicis navibus Atriam pervectus a praefecto alae Vibennio Rufino praesidium illic agitante vincitur, sed exsoluta statim vincula interventu Hormi Caesaris liberti: is quoque inter duces habebatur.

13 (1) At Caecina, defectione classis volgata, primores centurionum et paucos militum, ceteris per militiae munera dispersis, secretum castrorum adfectans in principia vocat. ibi Vespasiani virtutem viresque partium extollit: transfugisse classem, in arto commeatum, adversas Gallias Hispaniasque, nihil in urbe fidum; atque omnia de Vitellio in deterius. mox incipientibus qui conscii aderant, ceteros re nova attonitos in verba Vespasiani adigit; simul Vitellii imagines dereptae et missi, qui Antonio nuntiarent. (2) sed ubi totis castris in fama proditio, recurrens in principia miles praescriptum Vespasiani nomen, proiectas Vitellii effigies adspexit, vastum primo silentium, mox cuncta simul erumpunt. huc cecidisse Germanici exercitus gloriam, ut sine proelio, sine volnere vinctas manus et capta traderent arma? quas enim ex diverso legiones? nempe victas; et abesse unicum Othoniani exercitus robur, primanos quartadecimanosque, quos tamen isdem illis campis fuderint straverintque. (3) ut ‹tot› armatorum milia, velut grex venalium, exuli Antonio donum darentur? octo nimirum legiones unius classis accessionem fore. id Basso, id Caecinae visum, postquam domos hortos opes principi abstulerint, etiam militibus principem auferre. integros incruentosque, Flavianis quoque partibus viles, quid dicturos reposcentibus aut prospera aut adversa?

Historien 3,12,2-3,13,3

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Wunsch nach einem Umsturz Vespasian zu. Da erst trat Lucilius heraus und präsentierte sich öffentlich als Rädelsführer. (3) Die Flotte bestimmte aber als ihren Kommandanten Cornelius Fuscus, der eilends herbeikam. Bassus wurde in ehrenvoller Haft durch Liburnerschiffe nach Atria gebracht und vom Regimentskommandanten Vibennius Rufinus, der dort die Stellung hielt, in Fesseln gelegt, aber die Fesseln wurden sofort wieder abgenommen auf Intervention des Freigelassenen des Cäsars Hormus – auch der zählte zu den Kommandeuren! 13 (1) Doch zurück zu Caecina! Er berief nach dem Bekanntwerden des Abfalls der Flotte die führenden Zenturionen und ein paar einfache Soldaten – alle anderen waren mit dienstlichen Aufgaben an verschiedene Stellen geschickt worden –, weil er seine Absichten im Lager unbedingt geheim halten wollte, ins Hauptquartier ein. Dort lobte er überschwänglich die Fähigkeiten Vespasians und die Stärke seiner Partei: Übergelaufen sei die Flotte, Schwierigkeiten gebe es mit dem Nachschub, Gallien und Spanien stünden auf der Gegenseite, auf nichts könne man sich in der Hauptstadt mehr verlassen; überhaupt machte er alles schlecht, was Vitellius betraf. Nachdem die anwesenden Mitwisser damit begonnen hatten, vereidigte er dann alle anderen, von der unerhörten Entwicklung völlig überraschten Teilnehmer auf Vespasian. Zugleich riss man Vitellius’ Bildnisse herunter und schickte Kuriere, die Antonius davon in Kenntnis setzen sollten. (2) Aber sobald sich im gesamten Lager der Verrat herumgesprochen hatte und die auf den Hauptplatz zurücklaufenden Soldaten sahen, dass man Vespasians Namen hingeschrieben und Vitellius’ Statuen umgestürzt hatte, herrschte zunächst eisiges Schweigen, dann aber brach alles zugleich aus ihnen heraus: So tief sei also das Ansehen des germanischen Heeres schon gesunken, dass man sich ohne Gefecht, ohne Verwundung die Hände fesseln und die Waffen abnehmen lassen und diese dann ausliefern müsse? Welche Legionen stünden ihnen denn gegenüber? Doch nur besiegte! Und weit weg seien die einzigen ernst zu nehmenden Einheiten von Othos Heer, die Einser und Vierzehner, die sie dennoch genau auf diesen Feldern in die Flucht geschlagen und niedergemacht hätten. (3) Damit man so viele tausend bewaffnete Männer wie eine Herde zum Verkauf bestimmter Sklaven dem verbannten Antonius zum Geschenk machen könne? Natürlich stellten die acht Legionen nur das Anhängsel der einen Flotte dar! Das habe Bassus, das Caecina vor, nachdem sie Häuser, Parks und Besitz ihrem Princeps weggenommen hätten, nun auch den Soldaten ihren Princeps wegzunehmen. Ohne Verluste und ohne Blut vergossen zu haben, sogar für die flavianische Partei verächtlich, was sollten sie da Leuten sagen, die Rechenschaft über ihre Erfolge oder Misserfolge verlangten?

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14 Haec singuli, haec universi, ut quemque dolor impulerat, vociferantes, initio a quinta legione orto, repositis Vitellii imaginibus vincla Caecinae iniciunt; Fabium Fabullum quintae legionis legatum et Cassium Longum praefectum castrorum duces deligunt; forte oblatos trium Liburnicarum milites ignaros et insontes trucidant; relictis castris, abrupto ponte Hostiliam rursus, inde Cremonam pergunt, ut legionibus primae Italicae et unietvicensimae Rapaci iungerentur, quas Caecina ad obtinendam Cremonam cum parte equitum praemiserat.

15 (1) Ubi haec comperta Antonio, discordes animis, discretos viribus hostium exercitus adgredi statuit, antequam ducibus auctoritas, militi obsequium et iunctis legionibus fiducia rediret. namque Fabium Valentem profectum ab urbe adceleraturumque cognita Caecinae proditione coniectabat; et fidus Vitellio Fabius nec militiae ignarus. simul ingens Germanorum vis per Raetiam timebatur; et Britannia Galliaque et Hispania auxilia Vitellius acciverat, immensam belli luem, ni Antonius id ipsum metuens festinato proelio victoriam praecepisset. (2) universo cum exercitu secundis a Verona castris Bedriacum venit. postero die legionibus ad muniendum retentis, auxiliares cohortes in Cremonensem agrum missae, ut specie parandarum copiarum civili praeda miles imbueretur: ipse cum quattuor milibus equitum ad octavum a Bedriaco progressus, quo licentius popularentur. exploratores, ut mos est, longius cur‹s›abant.

16 (1) Quinta ferme hora diei erat, cum citus eques adventare hostes, praegredi paucos, motum fremitumque late audiri nuntiavit. dum Antonius quidnam agendum consultat, aviditate navandae operae Arrius Varus cum promptissimis equitum prorupit impulitque Vitellianos modica caede; nam plurium adcursu versa fortuna, et acerrimus quisque sequentium fugae ultimus erat. (2) nec sponte Antonii properatum, et fore quae acciderant reba-

Historien 3,14-3,16,2

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14 So schrien sie bald einzeln, bald im Chor, gerade wie jeden seine Empörung dazu trieb. Auf Initiative der 5. Legion stellten sie die Standbilder des Vitellius wieder auf und legten Caecina in Ketten. Fabius Fabullus, den Legaten der 5. Legion, und den Lagerkommandanten Cassius Longus wählten sie zu ihren Anführern. Die zufällig auftauchenden Soldaten dreier Liburnerschiffe, ahnungslos und unschuldig, schlugen sie tot. Dann verließ man das Lager, brach die Brücke ab und zog wieder nach Hostilia, von dort nach Cremona, um sich mit der 1. „Italica“- und 21. „Rapax“Legion zu vereinigen, die Caecina mit einem Teil der Kavallerie vorausgeschickt hatte, um Cremona in seiner Hand zu behalten. 15 (1) Sobald Antonius davon erfahren hatte, beschloss er, die zerstrittenen, in einzelne Kontingente zersplitterten Heere der Feinde anzugreifen, bevor deren Kommandeure ihre Autorität, die Soldaten ihren Gehorsam und die vereinten Legionen ihr Selbstvertrauen wiederfänden. Denn er vermutete, Fabius Valens sei aus der Hauptstadt abmarschiert und werde sich auf die Nachricht von Caecinas Verrat hin beeilen. Tatsächlich war Fabius dem Vitellius treu ergeben und in militärischen Belangen keineswegs unerfahren. Zugleich fürchtete man sich vor der durch Rätien vordringenden, gewaltigen Streitmacht der Germanen; dazu hatte Vitellius aus Britannien, Gallien und Spanien Hilfstruppen kommen lassen, eine Kriegsseuche riesigen Ausmaßes, wenn Antonius sich nicht aus Furcht gerade davor mit dem Kampf beeilt und damit den Sieg vorweggenommen hätte. (2) Mit seinem gesamten Heer kam er nach zwei Tagesmärschen von Verona aus nach Bedriacum. Am nächsten Tag behielt man die Legionen zum Schanzen da und schickte die Kohorten der Hilfstruppen in das Gebiet von Cremona, damit die Soldaten unter dem Vorwand, sie sammelten Vorräte, am Beutemachen unter Zivilisten Geschmack finden konnten. Persönlich rückte er mit 4 000 Kavalleristen zum achten Meilenstein von Bedriacum aus vor, um sie umso ungezwungener plündern zu lassen. Spähtrupps streiften wie üblich noch weiter umher. 16 (1) Es war ungefähr die fünfte Tagesstunde, da meldete ein Eilreiter, im Anmarsch seien die Feinde, vorneweg ziehe nur eine kleine Vorhut; den durch die Bewegung verursachten Lärm könne man weithin hören. Während Antonius noch überlegte, was zu tun sei, stieß Arrius Varus voller Ungeduld, sein Können zu zeigen, mit seinen schneidigsten Kavalleristen vor und trieb die Vitellianer zurück, wobei diese nur wenige Verluste erlitten. Denn als eine größere Anzahl herbeieilte, wandte sich das Glück, und gerade die schärfsten Verfolger waren nun auf der Flucht die Letzten. (2) Einerseits entsprach die Eile Antonius’ Absichten nicht, andererseits war er der Überzeugung, kommen werde, was dann auch geschehen war. Er

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tur. hortatus suos ut magno animo capesserent pugnam, diductis in latera turmis vacuum medio relinquit iter, quo Varum equitesque eius reciperet; iussae armari legiones; datum per agros signum, ut, qua cuique proximum, omissa praeda proelio occurreret. pavidus interim Varus turbae suorum miscetur intulitque formidinem. pulsi cum sauciis integri suomet ipsi metu et angustiis viarum conflictabantur.

17 (1) Nullum in illa trepidatione Antonius constantis ducis aut fortis militis officium omisit. occursare paventibus, retinere cedentes, ubi plurimus labor, unde aliqua spes, consilio manu voce insignis hosti, conspicuus suis. eo postremo ardoris provectus est, ut vexillarium fugientem hasta transverberaret; mox raptum vexillum in hostem vertit. quo pudore haud plures quam centum equites restitere: iuvit locus, artiore illic via et fracto interfluentis rivi ponte, qui incerto alveo et praecipitibus ripis fugam impediebat. (2) ea necessitas seu fortuna lapsas iam partes restituit. firmati inter se densis ordinibus excipiunt Vitellianos temere effusos, atque illi consternantur. Antonius instare perculsis, sternere obvios; simul ceteri, ut cuique ingenium, spoliare capere, arma equosque abripere. et exciti prospero clamore, qui modo per agros fuga palabantur, victoriae se miscebant.

18 (1) Ad quartum a Cremona lapidem fulsere legionum signa Rapacis atque Italicae, laeto inter initia equitum suorum proelio illuc usque provecta. sed ubi fortuna contra fuit, non laxare ordines, non recipere turbatos, non obviam ire ultroque adgredi hostem tantum per spatium cursu et pugnando fessum. †forte victi† haud perinde rebus prosperis ducem desideraverant atque in adversis deesse intellegebant. (2) nutantem aciem victor equitatus

Historien 3,16,2-3,18,2

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ermunterte seine Soldaten, mit großem Mut die Schlacht aufzunehmen, verteilte die Schwadronen auf die Flanken und ließ so in der Mitte einen Weg frei, auf dem er Varus und dessen Kavallerie in Empfang nehmen wollte. Die Legionen erhielten den Befehl, zu den Waffen zu greifen; über das Gelände hin gab man das Signal, jeder solle vom Beutemachen ablassen und sich auf dem kürzesten Weg ins Gefecht begeben. In Panik geraten, schlich sich Varus in der Zwischenzeit in das Gedränge seiner Leute und machte ihnen damit Angst. Auf der Flucht gerieten zusammen mit den verwundeten die unverletzt gebliebenen Männer durch ihre eigene Furcht und die schmalen Wege in große Schwierigkeiten. 17 (1) Keine Aufgabe eines gewissenhaften Kommandeurs oder tapferen Soldaten versäumte Antonius in diesem fürchterlichen Durcheinander. Er stellte sich Verängstigten in den Weg, hielt Zurückweichende auf, wo die Not am größten war, wo sich ein Hoffnungsschimmer zeigte, mit Rat, Tat und Zuspruch, deutlich erkennbar für den Feind, ein leuchtendes Vorbild für seine Männer. Derart in Rage geriet er schließlich, dass er einen fliehenden Standartenträger mit seiner Lanze durchbohrte; dann riss er die Standarte an sich und richtete sie gegen den Feind. Dadurch bei ihrer Ehre gepackt, machten nicht mehr als einhundert Kavalleristen wieder kehrt. Ihnen half die Örtlichkeit, weil dort der Weg schmaler und die Brücke über einen mittendurch fließenden Bach unterbrochen war, der mit seinem unsicheren Bett und steil abfallenden Ufern die Flucht behinderte. (2) Diese Notlage oder das Glück richtete die schon ins Wanken geratene Partei wieder auf. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu und nahmen in dichtgeschlossenen Reihen die Vitellianer in Empfang, die unüberlegt ausgeschwärmt waren, und nun waren sie es, die in Schwierigkeiten gerieten. Antonius setzte den mutlos gewordenen Gegnern nach, schlug nieder, wer sich ihm in den Weg stellte; gleichzeitig plünderten alle anderen, machten Gefangene, nahmen Waffen und Pferde ab, ganz nach dem Geschmack eines jeden. Von dem Freudengeschrei angelockt, mischten sich die Leute, die eben noch auf der Flucht über die Felder geirrt waren, unter die Sieger. 18 (1) Am vierten Meilenstein vor Cremona blitzten die Feldzeichen der „Rapax“- und der „Italica“-Legion auf, die nach dem anfangs erfolgreich verlaufenen Gefecht ihrer Kavallerie bis dorthin vorgerückt waren. Aber als sich dann das Glück gewendet hatte, lockerten sie ihre Reihen nicht, nahmen ihre ohne Ordnung zurückweichenden Kameraden nicht auf, stellten sich dem Feind nicht entgegen und griffen ihn nicht von sich aus an, obwohl dieser vom Lauf über eine so weite Strecke und vom Kämpfen erschöpft war. …4 hatten sie nicht so sehr im Erfolg einen Kommandeur vermisst als im Misserfolg sein Fehlen festgestellt. (2) Auf die wankende Front ging die

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incursat et Vipstanus Messalla tribunus cum Moesicis auxiliaribus adsequitur, quos multi e legionariis quamquam raptim ductos aequabant: ita mixtus pedes equesque rupere legionum agmen. et propinqua Cremonensium moenia quanto plus spei ad effugium, minorem ad resistendum animum dabant. nec Antonius ultra institit, memor laboris ac volnerum, quibus tam anceps proelii fortuna, quamvis prospero fine, equites equosque adflictaverat.

19 (1) Inumbrante vespera universum Flaviani exercitus robur advenit. utque cumulos super et recentia caede vestigia incessere, quasi debellatum foret, pergere Cremonam et victos in deditionem accipere aut expugnare deposcunt. haec in medio, pulchra dictu: illa sibi quisque, posse coloniam plano sitam impetu capi. (2) idem audaciae per tenebras inrumpentibus et maiorem rapiendi licentiam. quod si lucem opperiantur, iam pacem, iam preces, et pro labore ac volneribus clementiam et gloriam, inania, laturos, sed opes Cremonensium in sinu praefectorum legatorumque fore. expugnatae urbis praedam ad militem, deditae ad duces pertinere. spernuntur centuriones tribunique, ac ne vox cuiusquam audiatur, quatiunt arma, rupturi imperium, ni ducantur.

20 (1) Tum Antonius inserens se manipulis, ubi aspectu et auctoritate silentium fecerat, non se decus neque pretium eripere tam bene meritis adfirmabat, sed divisa inter exercitum ducesque munia: militibus cupidinem pugnandi convenire, duces providendo consultando, cunctatione saepius quam temeritate prodesse. (2) ut pro virili portione armis ac manu victoriam iuverit, ratione et consilio, propriis ducis artibus, profuturum; neque enim ambigua esse, quae occurrant, noctem et ignotae situm urbis, intus hostes et cuncta insidiis opportuna. non si pateant portae, nisi explorato, nisi die

Historien 3,18,2-3,20,2

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siegreiche Kavallerie los, und der Tribun Vipstanus Messalla traf mit den mösischen Hilfstruppen ein, mit denen viele von den Legionären mithalten konnten, obwohl sie sehr schnell herangeführt wurden. Auf diese Weise durchbrachen Infanterie und Kavallerie durcheinander gemischt die Linie der Legionen. Und je mehr die nahen Stadtmauern von Cremona Hoffnung auf ein Entkommen boten, desto weniger machten sie Mut zum Widerstand. Aber auch Antonius drängte nicht weiter nach, sondern dachte an die Strapazen und Wunden, mit denen das so zweifelhafte Schlachtenglück trotz des guten Endes Reitern und Pferden hart zugesetzt hatte. 19 (1) Der Abend warf schon seine Schatten, da kam die gesamte Hauptstreitmacht des flavianischen Heeres an. Sobald sie über die Leichenhaufen und die noch frischen Spuren des Blutbads stiegen, verlangten sie, gerade als ob der Krieg schon entschieden sei, nach Cremona zu ziehen und die Kapitulation der Besiegten anzunehmen oder die Stadt anzugreifen. Das sagte man nach außen hin – schöne Worte –, Folgendes jeder für sich: Man könne die in der Ebene liegende Koloniestadt im Sturm nehmen. (2) Nur dieselbe Risikobereitschaft brauche man beim Eindringen in der Dunkelheit und habe doch mehr Freiheit beim Plündern. Falls man aber das Tageslicht abwarte, dann gebe es bestimmt Frieden, bestimmt Bitten, und für ihre Strapazen und Wunden ernteten sie nur den Ruf der Milde und Ruhm, wertloses Zeug, die Reichtümer der Cremoneser jedoch verschwänden in der Gewandfalte5 der Kommandanten und Legaten. Nach der Eroberung einer Stadt gehöre die Beute dem Soldaten, nach einer Kapitulation den Kommandeuren. Man achtete nicht auf Zenturionen und Tribune, und damit man die Stimme von keinem hören konnte, schlugen sie die Waffen aneinander, entschlossen, ihren Gehorsam aufzukündigen, falls man sie nicht gegen den Feind führe. 20 (1) Da ging Antonius bei den Manipeln herum, und sobald er mit seinem Anblick und seiner Autorität für Schweigen gesorgt hatte, beteuerte er, er wolle nicht Ruhm und Belohnung derart verdienten Leuten wegnehmen, aber zwischen Heer und Kommandeuren seien die Aufgaben verteilt: Zu Soldaten gehöre die Lust zu kämpfen, Kommandeure zeigten ihren Nutzen durch Voraussicht und Überlegung, öfter durch Abwarten als durch Draufgängertum. (2) Wie er seinen Mann gestellt und mit den Waffen in der Hand zum Sieg beigetragen habe, werde er ihnen nun mit Überlegung und Planung, den eigentlichen Fähigkeiten eines Kommandeurs, nützen. Denn was sie erwarte, stehe außer Frage, nämlich die Nacht und die örtlichen Verhältnisse in einer unbekannten Stadt, drinnen die Feinde und alles für einen Hinterhalt wie geschaffen. Selbst wenn die Tore offenstünden, dürfe man nur nach vorheriger Erkundung, nur am Tag eindringen. Oder wollten sie

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intrandum. an obpugnationem inchoaturos adempto omni prospectu, quis aequus locus, quanta altitudo moenium, tormentisne et telis an operibus et vineis adgredienda urbs foret? (3) mox conversus ad singulos, num secures dolabrasque et cetera expugnandis urbibus secum attulissent, rogitabat. et cum abnuerent, ‘gladiisne’ inquit ‘et pilis perfringere ac subruere muros ullae manus possunt? si aggerem struere, si pluteis cratibusve protegi necesse fuerit, ut volgus improvidum inriti stabimus, altitudinem turrium et aliena munimenta mirantes? quin potius mora noctis unius, advectis tormentis machinisque, vim victoriamque nobiscum ferimus?’ simul lixas calonesque cum recentissimis equitum Bedriacum mittit, copias ceteraque usui adlaturos.

21 (1) Id vero aegre tolerante milite prope seditionem ventum, cum progressi equites sub ipsa moenia vagos e Cremonensibus corripiunt, quorum indicio noscitur sex Vitellianas legiones omnemque exercitum, qui Hostiliae egerat, eo ipso die triginta milia passuum emensum, comperta suorum clade in proelium accingi ac iam adfore. is terror obstructas mentes consiliis ducis aperuit. (2) sistere tertiam decimam legionem in ipso viae Postumiae aggere iubet, cui iuncta a laevo septima Galbiana patenti campo stetit, dein septima Claudiana, agresti fossa (ita locus erat) praemunita; dextro octava per apertum limitem, mox tertia [decima] densis arbustis intersaepta. hic aquilarum signorumque ordo: milites mixti per tenebras, ut fors tulerat; praetorianum vexillum proximum tertianis, cohortes auxiliorum in cornibus, latera ac terga equite circumdata; Sido atque Italicus Suebi cum delectis popularium primori in acie versabantur.

22 (1) At Vitellianus exercitus, cui adquiescere Cremonae et reciperatis cibo somnoque viribus confectum algore atque inedia hostem postera die

Historien 3,20,2-3,22,1

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etwa mit der Erstürmung beginnen, obwohl ihnen jede Möglichkeit genommen sei, einen Blick darauf zu werfen, welche Stelle die richtige sei, wie hoch die Mauern seien, ob man mit Geschützen und Geschossen oder mit Schanzarbeiten und Laufgängen die Stadt angreifen müsse? (3) Dann wandte er sich an einzelne Soldaten mit der Frage, ob sie Beile, Brechäxte und die übrigen zum Erstürmen von Städten erforderlichen Geräte mit sich gebracht hätten, und als sie verneinten, sagte er: „Mit Schwertern und Wurfspießen Mauern durchbrechen und unterwühlen, können das Hände überhaupt? Falls es erforderlich sein sollte, eine Rampe zu errichten, falls sich mit Schutzwänden oder -schirmen zu decken, werden wir dann wie der unbedarfte Pöbel hilflos dastehen und die Höhe der Türme und die Befestigungswerke der anderen bewundern? Sollen wir uns nicht besser eine einzige Nacht Zeit lassen, Geschütze und Maschinen heranführen und so die Kraft und den Sieg mit uns nehmen?“ Zugleich schickte er Marketender und Trossknechte zusammen mit den rüstigsten Reitern nach Bedriacum; sie sollten Lebensmittel und was man sonst noch brauchte, heranschaffen. 21 (1) Das aber nahmen die Soldaten nun vollends übel; es wäre beinahe zu einer Meuterei gekommen, da griffen Reiter bei einem bis unmittelbar an die Stadtmauern führenden Vorstoß sich dort herumtreibende Cremoneser auf. Durch ihre Angaben erfuhr man, dass sechs vitellianische Legionen und damit das gesamte Heer, das in Hostilia stationiert gewesen war, genau an diesem Tag 30 Meilen zurückgelegt habe, auf die Kunde von der Niederlage ihrer Leute sich nun zum Kampf bereitmache und in jedem Moment da sein werde. Erst diese Schreckensnachricht öffnete die verstockten Gehirne für die Überlegungen des Kommandeurs. (2) Er ließ die 13. Legion unmittelbar auf dem Damm der Via Postumia Stellung beziehen; links im Anschluss an sie stand die 7. „Galbiana“ im freien Gelände, dann die 7. „Claudiana“, durch einen landwirtschaftlichen Graben – so war die Stelle – vorne geschützt; rechts kam die 8. einen offen daliegenden Feldweg entlang, dann die 3., die durch dichtes Gebüsch gedeckt war. Das war die Aufstellung der Adler und Standarten. Die Soldaten standen in der Dunkelheit durcheinander, wie es sich zufällig ergeben hatte. Die Prätorianereinheit hatte unmittelbar neben den Dreiern, die Kohorten der Hilfstruppen auf den Flügeln Stellung bezogen, die Flanken und die Rückseite waren von der Kavallerie umgeben. Die Sueben Sido und Italicus hielten sich mit Elitetruppen ihrer Landsleute in der vordersten Reihe auf. 22 (1) Doch das vitellianische Heer, für das es am vernünftigsten gewesen wäre, sich in Cremona zu erholen und erst nach Auffrischung seiner Kräfte durch Essen und Schlafen dem von Kälte und Hunger arg mitgenommenen Feind am nächsten Tag den entscheidenden Stoß zu versetzen, traf

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profligare ac proruere ratio fuit, indigus rectoris, inops consilii, tertia ferme noctis hora paratis iam dispositisque Flavianis impingitur. (2) ordinem agminis disiecti per iram ac tenebras adseverare non ausim, quamquam alii tradiderint quartam Macedonicam dextrum suorum cornu, quintam et quintam decimam cum vexillis nonae secundaeque et vicensimae Britannicarum legionum mediam aciem, sextadecimanos duoetvicensimanosque et primanos laevum cornu complesse. Rapaces atque Italici omnibus se manipulis miscuerant; eques auxiliaque sibi ipsi locum legere. (3) proelium tota nocte varium anceps atrox, his, rursus illis exitiabile. nihil animus aut manus, ne oculi quidem provisu iuvabant. eadem utraque acie arma, crebris interrogationibus notum pugnae signum, permixta vexilla, ut quisque globus capta ex hostibus huc vel illuc raptabat. (4) urgebatur maxime septima legio, nuper a Galba conscripta. occisi sex primorum ordinum centuriones, abrepta quaedam signa: ipsam aquilam Atilius Verus primi pili centurio multa cum hostium strage et ad extremum moriens servaverat.

23 (1) Sustinuit labentem aciem Antonius accitis praetorianis. qui ubi excepere pugnam, pellunt hostem, dein pelluntur. namque Vitelliani tormenta in aggerem viae contulerant, ut tela vacuo atque aperto excuterentur, dispersa primo et arbustis sine hostium noxa inlisa. (2) magnitudine eximia quintae decimae legionis ballista ingentibus saxis hostilem aciem proruebat. lateque cladem intulisset, ni duo milites praeclarum facinus ausi, arreptis e strage scutis ignorati, vincla ac libramenta tormentorum abscidissent. statim confossi sunt eoque intercidere nomina: de facto haud ambigitur. (3) neutro inclinaverat fortuna, donec adulta nocte luna surgens ostenderet acies falleretque. sed Flavianis aequior a tergo; hinc maiores equorum virorum-

Historien 3,22,1-3,23,3

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ohne Führung, ohne taktisches Konzept ungefähr um die dritte Nachtstunde6 auf die schon vorbereiteten und in Gefechtsordnung aufmarschierten Flavianer. (2) Die Aufstellung des dank der erbitterten Stimmung und der Dunkelheit zersplitterten Heeres zur Schlacht sicher anzugeben getraue ich mich nicht recht, obwohl andere Autoren überliefert haben, die 4. „Macedonica“ habe den rechten Flügel ihres Heeres, die 5. und 15. zusammen mit Abteilungen der 9., der 2. und 20. britannischen Legion das Zentrum, die Sechzehner, Achtzehner und Einser den linken Flügel eingenommen. Die Angehörigen der „Rapax“ und „Italica“ hatten sich unter alle Manipel gemischt; die Kavallerie und die Hilfstruppen wählten sich ihre Position selbst aus. (3) Die Schlacht verlief die ganze Nacht hindurch mit wechselndem Erfolg, unentschieden und grässlich, einmal für die einen, dann wieder für die anderen verheerend. Nichts halfen Mut oder Zupacken, nicht einmal die Augen, wenn sie sich umschauten: Die gleichen Waffen trug man in beiden Heeren, durch häufiges Nachfragen war die Parole bekannt, die Standarten waren durcheinandergeraten, je nachdem ein Trupp sie den Feinden abgenommen hatte und dann hier- oder dorthin schleppte. (4) Am meisten in Bedrängnis kam die erst kurz zuvor von Galba ausgehobene 7. Legion. Es waren sechs Zenturionen der höchsten Dienstgrade gefallen, einige Standarten abgenommen worden. Den Adler selbst hatte der Primipiluszenturio Atilius Verus gerettet,7 indem er ein Blutbad unter den Feinden anrichtete und schließlich selbst starb. 23 (1) Zum Stehen brachte die schon wankende Front Antonius durch den Einsatz der Prätorianer. Nach Aufnahme des Kampfes schlugen sie den Feind zurück, wurden anschließend selbst zurückgeschlagen. Denn die Vitellianer hatten Wurfgeschütze auf den Straßendamm gezogen, um die Geschosse von einer freien und offenen Stellung aus verschießen zu können. Diese waren, zunächst weit streuend und ohne den Feinden zu schaden, im Gebüsch eingeschlagen. (2) Ein Geschütz der 15. Legion von besonderer Größe streckte mit riesigen Felsbrocken die feindliche Front nieder, und es hätte weit und breit Schaden angerichtet, wenn nicht zwei Soldaten eine Heldentat gewagt, gefallenen Gegnern schnell ihre Schilde abgenommen und deshalb unerkannt die Spannseilbündel für die Geschosse8 durchgeschnitten hätten. Sie wurden sofort niedergemacht, und daher gingen ihre Namen verloren; über die Tatsache an sich besteht aber kein Zweifel. (3) Auf keine von beiden Seiten hatte sich das Glück geneigt, bis mitten in der Nacht der aufgehende Mond die Heere sichtbar werden ließ und in die Irre führte. Aber für die Flavianer stand er günstiger, nämlich im Rücken. Deshalb warfen Pferde und Männer längere Schatten, und infolgedessen fielen,

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Historiarum liber tertius

que umbrae, et falso, ut in corpora, ictu tela hostium citra cadebant: Vitelliani adverso lumine conlucentes velut ex occulto iaculantibus incauti offerebantur. 24 (1) Igitur Antonius, ubi noscere suos noscique poterat, alios pudore et probris, multos laude et hortatu, omnes spe promissisque accendens, cur resumpsissent arma, Pannonicas legiones interrogabat: illos esse campos, in quibus abolere labem prioris ignominiae, ubi reciperare gloriam possent. (2) tum ad Moesicos conversus principes auctoresque belli ciebat: frustra minis et verbis provocatos Vitellianos, si manus eorum oculosque non tolerent. haec, ut quosque accesserat; plura ad tertianos, veterum recentiumque admonens, ut sub M. Antonio Parthos, sub Corbulone Armenios, nuper Sarmatas pepulissent. (3) mox infensus praetorianis ‘vos’ inquit, ‘nisi vincitis, pagani, quis alius imperator, quae castra alia excipient? illic signa armaque vestra sunt, et mors victis; nam ignominiam consumpsistis.’ undique clamor, et orientem solem (ita in Syria mos est) tertiani salutavere.

25 (1) Vagus inde an consilio ducis subditus rumor advenisse Mucianum, exercitus in vicem salutasse. gradum inferunt quasi recentibus auxiliis aucti, rariore iam Vitellianorum acie, ut quos nullo rectore suus quemque impetus vel pavor contraheret ‹di›duceretve. postquam ‹im›pulsos sensit Antonius, denso agmine obturbabat. laxati ordines abrumpuntur, nec restitui quivere impedientibus vehiculis tormentisque. per limitem viae sparguntur festinatione consectandi victores. (2) eo notabilior caedes fuit, quia filius patrem interfecit. rem nominaque auctore Vipstano Messalla tradam. Iulius Mansuetus ex Hispania, Rapaci legioni additus, impubem filium domi liquerat. is mox adultus, inter septimanos a Galba conscriptus, oblatum forte patrem et

Historien 3,23,3-3,25,2

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weil man darauf fälschlicherweise wie auf wirkliche Körper zielte, die Geschosse der Feinde zu kurz. Die Vitellianer dagegen leuchteten im Gegenlicht und waren so den wie aus einem Versteck heraus schießenden Gegnern ungeschützt ausgesetzt. 24 (1) Daher feuerte Antonius, sobald er seine Leute erkennen und selbst erkannt werden konnte, einen Teil mit einem vorwurfsvollen Appell an ihr Ehrgefühl, die Mehrzahl mit ermutigendem Lob, alle zusammen mit Hoffnung machenden Versprechungen an. Warum sie wieder zu den Waffen gegriffen hätten, fragte er die pannonischen Legionen. Das hier sei das Gelände, auf dem sie den Schandfleck ihrer früheren Niederlage tilgen, wo sie ihren guten Ruf zurückgewinnen könnten.9 (2) Dann wandte er sich an die mösischen Soldaten und bezeichnete sie als Auslöser und Anstifter zum Krieg.10 Unsinnigerweise habe man mit wortreichen Drohungen die Vitellianer herausgefordert, falls man ihre Fäuste und ihren Blick nicht ertragen könne. Das sagte er, wie er zu der jeweiligen Einheit hingeritten war; ausführlicher sprach er zu den Dreiern, indem er sie an ihre alten und neuen Erfolge erinnerte, dass sie nämlich unter M. Antonius die Parther, unter Corbulo die Armenier und erst kürzlich die Sarmaten geschlagen hätten.11 (3) Dann sagte er voller Bitterkeit zu den Prätorianern: „Ihr, falls ihr nicht siegt, nur mehr Zivilisten – welcher andere Oberbefehlshaber, welches andere Lager wird euch aufnehmen? Da drüben sind eure Standarten und Waffen, und der Tod wartet auf euch, falls ihr besiegt werdet. Denn das Maß der Schande habt ihr vollgemacht.“ Überall ertönte der Schlachtruf, und die aufgehende Sonne – das ist in Syrien so Brauch – begrüßten die Dreier. 25 (1) Darauf kam es zu dem unbestimmten oder vielleicht absichtlich vom Kommandeur ausgestreuten Gerücht, eingetroffen sei Mucian, die Heere hätten sich gegenseitig begrüßt. Da rückten sie so vor, wie wenn sie durch frische Unterstützung verstärkt worden wären. Dagegen lichtete sich die Front der Vitellianer, weil ohne Führungspersönlichkeit einen jeden sein eigener Mut oder seine Angst sich zusammenscharen oder von den anderen absetzen ließ. Nachdem Antonius bemerkt hatte, dass sie zurückwichen, setzte er ihnen in geschlossener Formation nach. Die schon gelockerten Reihen rissen ab und konnten sich nicht mehr zusammenschließen, da Fahrzeuge und Wurfgeschütze im Weg standen. Entlang der Straßentrasse schwärmten bei der hastigen Verfolgung die Sieger aus. (2) Umso denkwürdiger war das Gemetzel, weil dabei ein Sohn seinen Vater umbrachte. Den Sachverhalt und die Namen will ich unter Berufung auf Vipstanus Messalla wiedergeben: Iulius Mansuetus aus Spanien hatte bei seiner Aufnahme in die „Rapax“-Legion seinen noch unmündigen Sohn zu Hause zurückgelassen. Als dieser dann herangewachsen war, wurde er von Galba bei den Siebe-

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Historiarum liber tertius

volnere stratum dum semianimem scrutatur, agnitus agnoscensque et exsanguem amplexus, voce flebili precabatur pla‹ca›tos patris manes, neve se ut parricidam aversarentur: publicum id facinus; et unum militem quotam civilium armorum partem? (3) simul attollere corpus, aperire humum, supremo erga parentem officio fungi. advertere proximi, deinde plures: hinc per omnem aciem miraculum et questus et saevissimi belli exsecratio. nec eo segnius propinquos adfinis fratres trucidant spoliant: factum esse scelus loquuntur faciuntque.

26 (1) Ut Cremonam venere, novum immensumque opus occurrit. Othoniano bello Germanicus miles moenibus Cremonensium castra sua, castris vallum circumiecerat eaque munimenta rursus auxerat. quorum adspectu haesere victores, incertis ducibus quid iuberent. (2) incipere obpugnationem fesso per diem noctemque exercitu arduum et nullo iuxta subsidio anceps: sin Bedriacum redirent, intolerandus tam longi itineris labor, et victoria ad inritum revolvebatur: munire castra, id quoque propinquis hostibus formidolosum, ne dispersos et opus molientes subita eruptione turbarent. (3) quae super cuncta terrebat ipsorum miles periculi quam morae patientior: quippe ingrata quae tuta, ex temeritate spes; omnisque caedes et volnera et sanguis aviditate praedae pensabantur.

27 (1) Huc inclinavit Antonius cingique vallum corona iussit. primo sagittis saxisque eminus certabant, maiore Flavianorum pernicie, in quos tela desuper librabantur; mox vallum portasque legionibus adtribuit, ut discretus labor fortes ignavosque distingueret atque ipsa contentione decoris accenderentur. (2) proxima Bedriacensi viae tertiani septimanique sumpsere,

Historien 3,25,2-3,27,2

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nern angeworben; zufällig traf er auf seinen Vater, streckte ihn durch eine Verwundung zu Boden, und während er den Halbtoten durchsuchte, wurde er erkannt und erkannte ihn. Da nahm er den nun schon Leblosen in die Arme und bat mit tränenerstickter Stimme die Totengeister seines Vaters, sie möchten ihm vergeben und sich von ihm nicht wie von einem Vatermörder abwenden. Der Allgemeinheit zuzuschreiben sei diese Tat; und ein einziger Soldat, was habe der in einem Bürgerkrieg schon zu bedeuten? (3) Zugleich nahm er den Leichnam auf, hob eine Grube aus und leistete seinem Vater den letzten Dienst. Das bemerkte die nächste Umgebung, dann immer mehr Leute. Darauf ging durch das gesamte Heer ein verwundertes Staunen, Klagen, Verfluchen des maßlos grausamen Kriegs. Aber nicht umso weniger eifrig erschlugen und raubten sie Verwandte, Verschwägerte und Brüder aus: Begangen worden sei ein Verbrechen, sagten sie – und begingen es. 26 (1) Sobald sie nach Cremona gekommen waren, erwartete sie dort eine neue, äußerst schwierige Aufgabe. Im Krieg gegen Otho hatten die germanischen Soldaten vor den Stadtmauern der Cremoneser ihr Lager errichtet, um das Lager einen Wall gezogen und diese Befestigungen später noch verstärkt. Bei ihrem Anblick hielten die Sieger an, da ihre Kommandeure unsicher waren, welche Befehle sie erteilen sollten. (2) Mit der Erstürmung zu beginnen, obwohl das Heer Tag und Nacht hindurch beansprucht worden war, schien kaum durchführbar und, da man in der Nähe über keine Reserven verfügte, bedenklich. Falls sie aber nach Bedriacum zurückkehren wollten, wäre die mit einem derart langen Marschweg verbundene Anstrengung unzumutbar, und außerdem würde ihr Sieg ungeschehen gemacht. Ein befestigtes Lager zu schlagen, auch davor grauste es ihnen wegen der Nähe der Feinde; konnten diese doch den im Gelände verteilten und mit Schanzarbeit beschäftigten Männern bei einem überraschenden Ausfall arg zusetzen. (3) Mehr als all das machten ihnen aber ihre eigenen Soldaten Angst, die lieber die Gefahr als einen Aufschub auf sich nehmen wollten; denn sie hielten nichts von Sicherheit, nur auf Verwegenheit beruhte ihre Hoffnung. Überdies wurden alle Verluste, Verwundungen und Blutopfer durch die Beutegier aufgewogen. 27 (1) Dazu neigte auch Antonius und gab Befehl, den Wall mit einer Kette von Feldposten ringsum einzuschließen. Zunächst kämpfte man mit Pfeilen und Steinen aus der Distanz unter höheren Verlusten der Flavianer, auf die die Geschosse von oben herab geschleudert wurden. Dann aber teilte er Wall und Lagertore den Legionen zu, damit die unterschiedliche Aufgabe die Tapferen von den Feiglingen unterscheide und sie durch den bloßen Wettstreit um die Ehre angefeuert würden. (2) Das Gelände unmittelbar

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Historiarum liber tertius

dexteriora valli octava ac septima Claudiana; tertiadecimanos ad Brixianam portam impetus tulit. paulum inde morae, dum ex proximis agris ligones dolabras et alii falces scalasque convectant: tum elatis super capita scutis densa testudine succedunt. (3) Romanae utrimque artes: pondera saxorum Vitelliani provolvunt, disiectam fluitantemque testudinem lanceis contisque scrutantur, donec soluta compage scutorum exsangues aut laceros prosternerent multa cum strage. incesserat cunctatio, ni duces fesso militi et velut inritas exhortationes abnuenti Cremonam monstrassent.

28 Hormine id ingenium, ut Messalla tradit, an potior auctor sit C. Plinius, qui Antonium incusat, haud facile discreverim, nisi quod neque Antonius neque Hormus a fama vitaque sua quamvis pessimo flagitio degeneravere. non iam sanguis neque volnera morabantur, quin subruerent vallum quaterentque portas, innixi umeris et super iteratam testudinem scandentes prensarent hostium tela brachiaque. integri cum sauciis, semineces cum exspirantibus volvuntur, varia pereuntium forma et omni imagine mortium.

29 (1) Acerrimum tertiae septimaeque legionum certamen, et dux Antonius cum delectis auxiliaribus eodem incubuerat. obstinatos inter se cum sustinere Vitelliani nequirent et superiacta tela testudine laberentur, ipsam postremo ballistam in subeuntes propulere, quae ut ad praesens disiecit obruitque quos inciderat, ita pinnas ac summa valli ruina sua traxit; simul iuncta turris ictibus saxorum cessit, qua septimani dum nituntur cuneis, tertianus securibus gladiisque portam perfregit. (2) primum inrupisse C. Volusium tertiae legionis militem inter omnes auctores constat. is in vallum egressus, deturbatis qui restiterant, conspicuus manu ac voce capta castra

Historien 3,27,2-3,29,2

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an der Straße nach Bedriacum übernahmen die Dreier und Siebener, den mehr rechts liegenden Abschnitt des Walls die 8. und die 7. „Claudiana“; die Dreizehner trug ihr Schwung bis zum Tor nach Brixia. Dort gab es eine kurze Pause, während einige von den nächstgelegenen Äckern Hacken und Äxte, andere wiederum Sicheln und Leitern herbeischleppten. Dann hielt man die Schilde über die Köpfe und rückte in einer dichten Schildkröte12 heran. (3) Römisch waren auf beiden Seiten die Methoden: Schwere Felsbrocken wälzten die Vitellianer herab, in die auseinandergesprengte, hinund herwankende Schildkröte stießen sie mit Lanzen und Stangen hinein, bis sich der Schildverbund auflöste und sie ihre verblutenden oder verstümmelten Gegner in einem gewaltigen Blutbad niederstreckten. Der Angriff wäre ins Stocken geraten, wenn die Kommandeure ihre ermüdeten Soldaten, die von deren letztlich sinnlosen Ermahnungen nichts mehr hören wollten, nicht auf Cremona aufmerksam gemacht hätten. 28 Ob das ein Einfall des Hormus war, wie Messalla überliefert, oder ob der zuverlässigere Autor C. Plinius ist, der Antonius beschuldigt, lässt sich meines Erachtens nicht leicht entscheiden, aber so viel ist sicher, dass weder Antonius noch Hormus ihrem Ruf und ihrer Lebensführung selbst durch die schlimmste Schandtat untreu wurden. Nun hielten nicht mehr Blut noch Wunden davon ab, den Wall einzureißen und die Tore einzuschlagen, auf Schultern und die erneut gebildete Schildkröte zu steigen und dann die Waffen und Arme der Feinde zu packen. Unversehrte wälzten sich zusammen mit Verwundeten, Halbtote zusammen mit Sterbenden; vielfältig war das Erscheinungsbild der Männer, die umkamen, und der Tod zeigte sich in allen Gestalten. 29 (1) Am hitzigsten tobte der Kampf zwischen der 3. und 7. Legion, und der Kommandeur Antonius hatte sich mit Eliteeinheiten der Hilfstruppen gerade dorthin geworfen. Als den in gegenseitiger Rivalität verbissen kämpfenden Männern die Vitellianer nicht mehr standhalten konnten und ihre von oben herab geschleuderten Wurfgeschosse an der Schildkröte abprallten, warfen sie schließlich das Geschütz selbst auf die heranrückenden Feinde. Dieses zersprengte und begrub zwar für den Augenblick die Leute, auf die es gefallen war, riss aber die Zinnen und die Wallspitze beim Sturz mit sich; gleichzeitig gab ein angrenzender Turm dem Steinbeschuss nach. Während die Siebener in Keilformation angriffen, sprengten die Dreier mit Beilen und Schwertern das Tor auf. (2) Der Erste, der eindrang, war C. Volusius, ein einfacher Soldat der 3. Legion, berichten übereinstimmend alle Autoren. Der stieg auf den Wall, trieb die Gegner, die Widerstand leisteten, hinunter, machte mit Gesten und Rufen auf sich aufmerksam und schrie, das

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Historiarum liber tertius

conclamavit; ceteri trepidis iam Vitellianis seque e vallo praecipitantibus perrupere. completur caede quantum inter castra murosque vacui fuit. 30 (1) Ac rursus nova laborum facies: ardua urbis moenia, saxeae turres, ferrati portarum obices, vibrans tela miles, frequens obstrictusque Vitellianis partibus Cremonensis populus, magna pars Italiae stato in eosdem dies mercatu congregata, quod defensoribus auxilium ob multitudinem, obpugnantibus incitamentum ob praedam erat. (2) rapi ignes Antonius inferrique amoenissimis extra urbem aedificiis iubet, si damno rerum suarum Cremonenses ad mutandam fidem traherentur. propinqua muris tecta et altitudinem moenium egressa fortissimo quoque militum complet; illi trabibus tegulisque et facibus propugnatores deturbant.

31 (1) Iam legiones in testudinem glomerabantur, et alii tela saxaque incutiebant, cum languescere paulatim Vitellianorum animi. ut quis ordine anteibat, cedere fortunae, ne Cremona quoque excisa nulla ultra venia omnisque ira victoris non in volgus inops, sed in tribunos centurionesque, ubi pretium caedis erat, [re]verteretur. (2) gregarius miles futuri socors et ignobilitate tutior perstabat: vagi per vias, in domibus abditi, pacem ne tum quidem orabant, cum bellum posuissent. primores castrorum nomen atque imagines Vitellii amoliuntur; catenas Caecinae (nam etiam tunc vinctus erat) exsolvunt orantque, ut causae suae deprecator adsistat. aspernantem tumentemque lacrimis fatigant, extremum malorum, tot fortissimi viri proditoris opem invocantes; mox velamenta et infulas pro muris ostentant. (3) cum Antonius inhiberi tela iussisset, signa aquilasque extulere; maestum inermium agmen deiectis in terram oculis sequebatur. circumstiterant victores et primo ingerebant probra, intentabant ictus: mox, ut praeberi ora contumeliis et posita omni ferocia cuncta victi patiebantur, subit recordatio illos

Historien 3,29,2-3,31,3

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Lager sei eingenommen. Da gelang, weil sich die Vitellianer schon in Panik vom Wall hinabstürzten, auch den übrigen Angreifern der Durchbruch. Mit Leichen füllte sich der gesamte freie Raum zwischen Lager und Mauern. 30 (1) Und wieder zeigte sich eine neue Form von Schwierigkeiten: steil aufragend die Stadtmauern, steinern die Türme, aus Eisen die Torriegel, Wurfgeschosse schleudernde Soldaten, zahlreich und der vitellianischen Partei verpflichtet das Volk von Cremona, ein großer Teil Italiens zu einem gerade an diesen Tagen regelmäßig abgehaltenen Jahrmarkt versammelt; das war für die Verteidiger eine Hilfe wegen der großen Menschenmenge, für die Belagerungstruppen ein Ansporn wegen der Beute. (2) Da ließ Antonius schnell Brandfackeln heranschaffen und sie in die stattlichsten Gebäude außerhalb der Stadt werfen in der Hoffnung, durch den Verlust ihres Besitzes könnten die Cremoneser zu einem Frontwechsel veranlasst werden. Die den Mauern nächstgelegenen Häuser, die sie an Höhe überragten, ließ er von all seinen tapfersten Soldaten besetzen; sie vertrieben mit Balken, Dachziegeln und Fackeln die Verteidiger. 31 (1) Schon ballten sich die Legionen zu einer Schildkröte zusammen, und die anderen Soldaten schleuderten Wurfgeschosse und Steine, da ließ der Mut der Vitellianer allmählich nach. Je höher der Dienstgrad war, den einer bekleidete, desto eher ergab er sich in sein Schicksal aus Angst, es gebe, wenn auch Cremona vernichtet sei, keine Gnade mehr und die ganze Erbitterung des Siegers richte sich nicht gegen das mittellose Soldatenvolk, sondern gegen die Tribune und Zenturionen, bei denen sich das Totschlagen lohne. (2) Der einfache Soldat, der sich keine Gedanken über die Zukunft machte und in seiner Anonymität sicherer war, hielt durch: Herumziehend in den Straßen, in den Häusern versteckt, baten sie nicht einmal dann um Frieden, wenn sie den Krieg schon aufgegeben hatten. Die hohen Offiziere im Lager ließen Vitellius’ Namen und Bilder entfernen. Die Ketten nahmen sie Caecina ab – er war auch da noch gefesselt – und baten, er möge ihrer Sache als Fürsprecher beistehen. Als er das ablehnte und sich sogar hochnäsig gab, bestürmten sie ihn unter Tränen – das Schlimmste, was geschehen konnte, dass so viele äußerst tapfere Männer die Hilfe eines Verräters anflehten! Dann zeigte man sich mit umwundenen Ölzweigen und Kopfbinden13 oben auf den Mauern. (3) Als Antonius den Beschuss einzustellen befohlen hatte, trugen sie Standarten und Adler hinaus; ein trauriger Zug unbewaffneter Männer folgte mit zu Boden gesenkten Blicken. Ringsum hatten sich die Sieger aufgestellt und überschütteten sie zunächst mit Beschimpfungen, drohten Schläge an. Dann aber, als sie ihre Gesichter für die Beleidigungen hinhielten, jeden Trotz fahren ließen und als Besiegte alles hinnahmen, kam die Erinnerung hoch, das seien die Männer, die sich

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Historiarum liber tertius

esse, qui nuper Bedriaci victoriae temperassent. (4) sed ubi Caecina praetexta lictoribusque insignis, dimota turba consul incessit, exarsere victores: superbiam saevitiamque (adeo invisa scelera sunt), etiam perfidiam obiectabant. obstitit Antonius datisque defensoribus ad Vespasianum dimisit.

32 (1) Plebs interim Cremonensium inter armatos conflictabatur; nec procul caede aberant, cum precibus ducum mitigatus est miles. et vocatos ad contionem Antonius adloquitur, magnifice victores, victos clementer, de Cremona in neutrum. exercitus praeter insitam praedandi cupidinem vetere odio ad excidium Cremonensium incubuit. (2) iuvisse partes Vitellianas Othonis quoque bello credebantur; mox tertiadecimanos ad exstruendum amphitheatrum relictos, ut sunt procacia urbanae plebis ingenia, petulantibus iurgiis inluserant. auxit invidiam editum illic a Caecina gladiatorum spectaculum eademque rursus belli sedes et praebiti in acie Vitellianis cibi, caesae quaedam feminae studio partium ad proelium progressae; tempus quoque mercatus ditem alioqui coloniam maiore opum specie complebat. (3) ceteri duces in obscuro: Antonium fortuna famaque omnium oculis exposuerat. is balineas abluendo cruori propere petit. excepta vox est, cum teporem incusaret, statim futurum ut in‹c›alescerent: vernile dictum omnem invidiam in eum vertit, tamquam signum incendendae Cremonae dedisset, quae iam flagrabat.

33 (1) Quadraginta armatorum milia inrupere, calonum lixarumque amplior numerus et in libidinem ac saevitiam corruptior. non dignitas, non aetas protegebat quo minus stupra caedibus, caedes stupris miscerentur. grandaevos senes, exacta aetate feminas, viles ad praedam, in ludibrium trahebant: ubi adulta virgo aut quis forma conspicuus incidisset, vi manibusque rapientium divolsus ipsos postremo direptores in mutuam perniciem agebat. dum pecuniam vel gravia auro templorum dona sibi quisque trahunt, maiore

Historien 3,31,3-3,33,1

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kurz zuvor in Bedriacum bei ihrem Sieg zurückhaltend benommen hätten.14 (4) Aber sobald Caecina, durch Praetexta15 und Liktoren herausstechend, die Menge auseinandertreiben ließ und als Konsul einherstolzierte, packte die Sieger helle Empörung: Hochmut und Grausamkeit – derart verhasst sind diese üblen Eigenschaften16 –, sogar Verrat warf man ihm vor. Antonius schritt ein, gab ihm eine Begleitmannschaft und schickte ihn zu Vespasian. 32 (1) Die einfache Bevölkerung Cremonas hatte in der Zwischenzeit unter den Männern in Waffen arg zu leiden; tatsächlich fehlte nicht mehr viel zu Mord und Totschlag, da ließen sich die Soldaten durch die Bitten ihrer Kommandeure erweichen. Auch berief Antonius eine Heeresversammlung ein und sprach zu ihnen, voller Pathos zu den Siegern, zu den Besiegten milde, Cremona betreffend unbestimmt. Das Heer bestand zusätzlich zu seiner angeborenen Beutegier aus altem Hass auf der Vernichtung der Cremoneser. (2) Unterstützt hätten diese die vitellianische Partei auch im Krieg gegen Otho, glaubte man; später hätten sie die zum Bau des Amphitheaters zurückgelassenen Dreizehner frech, wie es die Art des städtischen Pöbels nun einmal sei, mit neckischen Sticheleien verspottet. Ihren Unmut steigerte, dass dort von Caecina ein Gladiatorenspiel veranstaltet worden war, dass derselbe Ort erneut zum Schauplatz eines Krieges wurde und man während der Kämpfe den Vitellianern Verpflegung gebracht hatte; dabei waren ein paar Frauen, die in ihrem Eifer für die Partei sich aufs Schlachtfeld vorgewagt hätten, ums Leben gekommen. Auch der Markttermin verlieh der ohnehin schon wohlhabenden Koloniestadt den Anschein noch größeren Reichtums. (3) Die übrigen Kommandeure blieben im Hintergrund; nur Antonius hatte mit seinem Glück und Ruhm aller Augen auf sich gezogen. Er suchte zum Abwaschen des Bluts schnell ein Bad auf. Dabei fing man, als er sich über die lauwarme Temperatur beschwerte, die Äußerung auf, es werde sofort heiß werden. Dieser von einem Sklaven17 gesprochene Satz lenkte die gesamte Erbitterung auf ihn, so als habe er das Zeichen dafür gegeben, Cremona anzuzünden, das schon in Flammen stand. 33 (1) 40 000 Bewaffnete drangen ein, von Trossknechten und Marketendern eine noch größere Zahl, die beim Ausleben ihrer Gelüste und Grausamkeit noch verkommener war. Keine gesellschaftliche Stellung, kein Alter schützte davor, dass sich Vergewaltigungen mit Morden, Morde mit Vergewaltigungen vermischten. Altehrwürdige Greise, hochbetagte Frauen schleppten sie, da sie als Beute wertlos waren, zum Spott mit sich. Wo ihnen eine erwachsene junge Frau oder jemand von auffallendem Äußeren über den Weg lief, wurde er von den gewalttätigen Händen der Räuber herumgezerrt und brachte schließlich die Plünderer selbst dazu, sich gegenseitig niederzumachen. Während einige jeweils für sich Geld oder Tempelgeschenke

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Historiarum liber tertius

aliorum vi truncabantur. (2) quidam obvia aspernati verberibus tormentisque dominorum abdita scrutari, defossa eruere: faces in manibus, quas, ubi praedam egesserant, in vacuas domos et inania templa per lasciviam iaculabantur; utque exercitu vario linguis moribus, cui cives socii externi interessent, diversae cupidines et aliud cuique fas nec quicquam inlicitum. per quadriduum Cremona suffecit. cum omnia sacra profanaque in igne considerent, solum Mefitis templum stetit ante moenia, loco seu numine defensum.

34 (1) Hic exitus Cremonae anno ducentesimo octogesimo sexto a primordio sui. condita erat Ti. Sempronio P. Cornelio consulibus, ingruente in Italiam Annibale, propugnaculum adversus Gallos trans Padum agentes et si qua alia vis per Alpes rueret. igitur numero colonorum, opportunitate fluminum, ubere agri, adnexu conubiisque gentium adolevit floruitque, bellis externis intacta, civilibus infelix. (2) Antonius pudore flagitii, crebrescente invidia, edixit ne quis Cremonensem captivom detineret; inritamque praedam militibus effecerat consensus Italiae, emptionem talium mancipiorum aspernantis: occidi coepere; quod ubi enotuit, a propinquis adfinibusque occulte redemptabantur. mox rediit Cremonam reliquus populus: reposita fora templaque magnificentia municipum; et Vespasianus hortabatur.

35 (1) Ceterum adsidere sepultae urbis ruinis noxia tabo humus haud diu permisit. ad tertium lapidem progressi vagos paventesque Vitellianos, sua quemque apud signa, componunt; et victae legiones, ne manente adhuc civili bello ambigue agerent, per Illyricum dispersae. (2) in Britanniam inde et Hispanias nuntios famamque, in Galliam Iulium Calenum tribunum, in Germaniam Alpinium Montanum praefectum cohortis, quod hic Trevir, Calenus

Historien 3,33,1-3,35,2

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aus massivem Gold mitschleppten, wurden sie von noch gewalttätigeren Zeitgenossen umgebracht. (2) Manche verschmähten, was offen dalag, und suchten mit Schlägen und Foltern nach verstecktem Gut der Besitzer, wühlten vergrabene Gegenstände aus dem Boden. In den Händen hielten sie Fackeln, die sie, sobald sie die Beute herausgeschafft hatten, in die leeren Häuser und ausgeplünderten Tempel aus reinem Mutwillen warfen. Und wie bei dem nach Sprachen und Sitten zusammengewürfelten Heer, zu dem Bürger, Bundesgenossen und Ausländer gehörten, nicht anders zu erwarten, waren die Äußerungen der Gier unterschiedlich; jeder hatte ein anderes Recht, und nichts war unerlaubt. Vier Tage lang hielt Cremona durch. Nachdem dann alle sakralen und profanen Gebäude in Schutt und Asche lagen, blieb nur der Tempel der Mefitis18 vor den Stadtmauern stehen, weil er durch seine Lage oder göttliches Walten geschützt wurde. 34 (1) Dieses Ende fand Cremona 285 Jahre nach seinem Beginn. Gegründet worden war es unter den Konsuln Ti. Sempronius und P. Cornelius (218 v. Chr.) beim Einfall Hannibals nach Italien, und zwar als Bollwerk gegen die jenseits des Po siedelnden Gallier und für den Fall, dass irgendeine andere Macht durch die Alpen vordringe. So wuchs es denn heran und blühte dank der Zahl der Siedler, der günstigen Lage an Wasserläufen, der Fruchtbarkeit des Ackerlands, der Beziehungen und ehelichen Verbindungen mit anderen Stämmen, von auswärtigen Kriegen unberührt, in Bürgerkriegen unglücklich19. (2) Antonius veröffentlichte aus Scham über das schändliche Verhalten und weil die Erbitterung zunahm, einen Erlass, niemand dürfe einen Cremoneser als Gefangenen behalten. Und dass die Beute für die Soldaten wertlos blieb, dafür hatte die einmütige Haltung Italiens gesorgt, das einen Kauf derartiger Sklaven ablehnte. Da begann man sie umzubringen. Als sich das herumsprach, wurden sie von ihren blutsverwandten und verschwägerten Angehörigen heimlich losgekauft. Bald kehrte nach Cremona die am Leben gebliebene Bevölkerung zurück. Wieder aufgebaut wurden Marktplätze und Tempel dank der Freigebigkeit ihrer Landsleute, und Vespasian ermunterte dazu. 35 (1) Aber sich neben den Ruinen der begrabenen Stadt zu lagern ließ der von den verwesenden Leichen verpestete Boden nicht lange zu. Man zog bis zum dritten Meilenstein hinaus und sammelte die umherirrenden, verängstigten Vitellianer, einen jeden bei seinen Fahnen. Die besiegten Legionen wurden, damit sie, da der Bürgerkrieg immer noch andauerte, kein Doppelspiel treiben konnten, über Illyricum verteilt. (2) Nach Britannien und von dort nach Spanien schickte man dann Kuriere mit den Neuigkeiten, nach Gallien den Tribun Iulius Calenus, nach Germanien den Kohortenkommandanten Alpinius Montanus: zur Demonstration, weil, der eine

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Historiarum liber tertius

Aeduus, uterque Vitelliani fuerant, ostentui misere. simul transitus Alpium praesidiis occupati, suspecta Germania, tamquam in auxilium Vitellii accingeretur. 36 (1) At Vitellius profecto Caecina, cum Fabium Valentem paucis post diebus ad bellum impulisset, curis luxum obtendebat: non parare arma, non adloquio exercitioque militem firmare, non in ore volgi agere, sed umbraculis hortorum abditus, ut ignava animalia, quibus si cibum suggeras, iacent torpentque, praeterita instantia futura pari oblivione dimiserat. (2) atque illum in nemore Aricino desidem et marcentem proditio Lucilii Bassi ac defectio classis Ravennatis perculit; nec multo post de Caecina adfertur mixtus gaudio dolor, et descivisse et ab exercitu vinctum. plus apud socordem animum laetitia quam cura valuit. multa cum exsultatione in urbem revectus frequenti contione pietatem militum laudibus cumulat; Publilium Sabinum praetorii praefectum ob amicitiam Caecinae vinciri iubet, substituto in locum eius Alfeno Varo.

37 (1) Mox senatum composita in magnificentiam oratione adlocutus exquisitis patrum adulationibus attollitur. initium atrocis in Caecinam sententiae a L. Vitellio factum; dein ceteri composita indignatione, quod consul rem publicam, dux imperatorem, tantis opibus tot honoribus cumulatus amicum prodidisset, velut pro Vitellio conquerentes, suum dolorem proferebant. (2) nulla in oratione cuiusquam erga Flavianos duces obtrectatio: errorem imprudentiamque exercituum culpantes, Vespasiani nomen suspensi et vitabundi circumibant, nec defuit qui unum consulatus diem (is enim in locum Caecinae supererat) magno cum inrisu tribuentis accipientisque ‹e›blandiretur. pridie kalendas Novembris Rosius Regulus iniit eiuravitque. adnotabant periti numquam antea non abrogato magistratu neque lege lata

Historien 3,35,2-3,37,2

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ein Treverer, Calenus ein Häduer, beide Vitellianer gewesen waren. Zugleich besetzte man die Alpenübergänge mit Garnisonen, da Germanien verdächtigt wurde, es rüste sich zur Hilfe für Vitellius. 36 (1) Vitellius jedoch versuchte nach dem Abmarsch Caecinas und nachdem er Fabius Valens wenige Tage später dazu gebracht hatte, in den Krieg zu ziehen, seine Sorgen mit einem Leben in Saus und Braus zu überdecken. Keine Waffen ließ er herrichten, stärkte seine Soldaten nicht mit Ansprache und Exerzieren, zeigte sich in den Augen der einfachen Soldaten nicht zupackend, sondern, in schattigen Lauben von Parks versteckt wie die trägen Tiere, die, wenn man ihnen Futter vorwirft, faul daliegen, hatte er die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Probleme in gleicher Vergesslichkeit verdrängt. (2) Da trafen ihn, als er untätig im Hain von Aricia20 herumlungerte, der Verrat des Lucilius Bassus und der Abfall der Flotte von Ravenna wie ein Schlag. Nicht viel später brachte man über Caecina die mit Freude vermischte traurige Nachricht, er sei abgefallen und von seinem Heer festgenommen worden. Mehr Eindruck hinterließ bei dem unbekümmerten Gemüt die Fröhlichkeit als die Sorge. Nachdem er in völlig gelöster Stimmung in die Hauptstadt zurückgefahren war, überhäufte er vor einer gut besuchten Heeresversammlung seine Soldaten für ihre Anhänglichkeit mit höchstem Lob. Den Prätorianerkommandanten Publilius Sabinus ließ er wegen seiner Freundschaft mit Caecina festnehmen und setzte an seine Stelle Alfenus Varus. 37 (1) Dann hielt er vor dem Senat eine salbungsvolle Rede und wurde daraufhin mit raffinierten Schmeicheleien der Väter ausgezeichnet. Der Beginn mit einem gegen Caecina gerichteten scharfen Antrag wurde von L. Vitellius gemacht. Anschließend brachten die übrigen Mitglieder in gespielter Entrüstung darüber, dass dieser als Konsul seinen Staat, als Kommandeur seinen Oberbefehlshaber, trotz der Überhäufung mit so großen Reichtümern und so vielen Ehren seinen Freund verraten habe, so als ob sie sich in Vitellius’ Namen beklagten, doch nur ihre persönliche Enttäuschung zum Ausdruck. (2) Zu keinerlei Angriffen kam es in der Rede irgendeines Mitglieds auf die flavianischen Kommandeure. Der Verblendung und Unklugheit der Heere gab man die Schuld, Vespasians Namen umging man verlegen ausweichend, und es fand sich tatsächlich auch ein Mann, der sich einen einzigen Konsulatstag – nur der war nämlich an Caecinas Stelle noch übrig – erschmeichelte, wobei Spender und Empfänger viel Spott ernteten: Am 31. Oktober trat Rosius Regulus sein Amt an und legte auch den Schlusseid ab.21 Sachkundige Zeitgenossen bemerkten dazu, niemals zuvor sei ohne Amtsenthebung und eigenen Gesetzesantrag ein anderer Mann nachge-

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Historiarum liber tertius

alium suffectum; nam consul uno die et ante fuerat Caninius Rebilus C. Caesare dictatore, cum belli civilis praemia festinarentur. 38 (1) Nota per eos dies Iunii Blaesi mors et famosa fuit, de qua sic accepimus. gravi corporis morbo aeger Vitellius Servilianis hortis turrim vicino sitam conlucere per noctem crebris luminibus animadvertit. sciscitanti causam apud Caecinam Tuscum epulari multos, praecipuum honore Iunium Blaesum nuntiatur; cetera in maius, de adparatu et solutis in lasciviam animis. nec defuere qui ipsum Tuscum et alios, sed criminosius Blaesum incusarent, quod aegro principe laetos dies ageret. (2) ubi asperatum Vitellium et posse Blaesum perverti satis patuit iis, qui principum offensas acriter speculantur, datae L. Vitellio delationis partes. ille infensus Blaeso aemulatione prava, quod eum omni dedecore maculosum egregia fama anteibat, cubiculum imperatoris reserat, filium eius sinu complexus et genibus accidens. (3) causam confusionis quaerenti, non se proprio metu nec sui anxium, sed pro fratre, pro liberis fratris preces lacrimasque attulisse. frustra Vespasianum timeri, quem tot Germanicae legiones, tot provinciae virtute ac fide, tantum denique terrarum ac maris immensis spatiis arceat: in urbe ac sinu cavendum hostem Iunios Antoniosque avos iactantem, qui se stirpe imperatoria comem ac magnificum militibus ostentet. (4) versas illuc omnium mentes, dum Vitellius amicorum inimicorumque neglegens fovet aemulum principis labores e convivio prospectantem. reddendam pro intempestiva laetitia maestam et funebrem noctem, qua sciat et sentiat vivere Vitellium et imperare et, si quid fato accidat, filium habere.

39 (1) Trepidanti inter scelus metumque, ne dilata Blaesi mors maturam perniciem, palam iussa atrocem invidiam ferret, placuit veneno grassari.

Historien 3,37,2-3,39,1

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rückt. Denn Konsul für einen einzigen Tag war auch schon früher Caninius Rebilus unter dem Diktator C. Caesar gewesen, als man die Belohnungen für den Bürgerkrieg noch schnell vergab. 38 (1) Bekannt wurde in diesen Tagen und viel beredet der Tod des Iunius Blaesus, über den ich Folgendes erfahren habe: Der schwer erkrankte Vitellius bemerkte im Servilianischen Park, dass ein in der Nachbarschaft stehender Palast die Nacht hindurch von zahlreichen Lichtern hell erleuchtet war. Als er nach dem Grund dafür fragte, teilte man ihm mit, bei Caecina Tuscus seien viele Personen zu einem Bankett versammelt und der Ehrengast sei Iunius Blaesus; der Rest wurde übertrieben dargestellt, was Ausstattung und ausgelassene Stimmung betraf. Da fehlte es dann nicht an Leuten, die Tuscus persönlich und auch andere, besonders verleumderisch aber Blaesus beschuldigten, er verbringe während der Krankheit des Princeps fröhlich seine Tage. (2) Sobald es für die Personen, die mit scharfem Blick auf Verärgerungen der Principes achten, hinreichend klar war, dass Vitellius erbost war und man deshalb Blaesus erledigen könne, übertrug man L. Vitellius die Rolle des Denunzianten. Der war in übler Rivalität mit Blaesus verfeindet, weil der ihn, einen über und über mit Schande bedeckten Mann, mit seinem hervorragenden Ruf übertraf. Er ließ sich das Schlafzimmer des Oberbefehlshabers aufsperren, nahm dessen Sohn in seine Arme und fiel auf die Knie. (3) Auf die Frage nach dem Grund für seine Aufregung antwortete er, er habe nicht aus Furcht um die eigene Person oder in Angst um sich selbst, sondern für den Bruder, für die Kinder des Bruders nur Bitten und Tränen mitgebracht. Grundlos fürchte man sich vor Vespasian, den so viele germanische Legionen, so viele Provinzen mit ihrer Tapferkeit und Treue, schließlich eine solche Menge von Ländern und Meer mit ihren unermesslichen Entfernungen fernhielten: Im Schoß der Hauptstadt stehe der Feind, vor dem man sich in Acht nehmen müsse, der mit Juniern und Antoniern als Ahnen prahle und sich als Sprössling von Imperatoren freundlich und großzügig den Soldaten präsentiere! (4) Die allgemeine Aufmerksamkeit richte sich auf ihn, während sich Vitellius um Freund und Feind keine Gedanken mache und den Rivalen des Princeps noch fördere, der dessen Leiden von einem Bankett aus zuschaue. Vergelten solle man seine unangebrachte Fröhlichkeit mit einer Nacht der Trauer und des Todes, durch die er zu wissen und spüren bekomme, dass Vitellius noch am Leben sei und herrsche und, falls ihm selbst etwas zustoße, einen Sohn habe. 39 (1) Während er ängstlich zwischen dem Verbrechen und der Furcht hin- und herschwankte, ein Aufschub von Blaesus’ Tod bringe ihm den raschen Untergang, der offene Befehl dazu aber unversöhnlichen Hass ein, beschloss er, mit Gift vorzugehen. Er begleitete seine Schandtat mit einem

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Historiarum liber tertius

addidit facinori fidem no‹ta›bili gaudio Blaesum visendo. quin et audita est saevissima Vitellii vox qua se (ipsa enim verba referam) pavisse oculos spectata inimici morte iactavit. (2) Blaeso super claritatem natalium et elegantiam morum fidei obstinatio fuit. integris quoque rebus a Caecina et primoribus partium iam Vitellium aspernantibus ambitus abnuere perseveravit. sanctus inturbidus, nullius repentini honoris, adeo non principatus adpetens, parum effugerat, ne dignus crederetur.

40 (1) Fabius interim Valens multo ac molli concubinarum spadonumque agmine segnius quam ad bellum incedens, proditam a Lucilio Basso Ravennatem classem pernicibus nuntiis accepit. et si coeptum iter properasset, nutantem Caecinam praevenire aut ante discrimen pugnae adsequi legiones potuisset; nec deerant qui monerent, ut cum fidissimis per occultos tramites vitata Ravenna Hostiliam Cremonamve pergeret. (2) aliis placebat accitis ex urbe praetoriis cohortibus valida manu perrumpere: ipse inutili cunctatione agendi tempora consultando consumpsit; mox utrumque consilium aspernatus, quod inter ancipitia deterrimum est, dum media sequitur, nec ausus est satis nec providit.

41 (1) Missis ad Vitellium litteris auxilium postulat. venere tres cohortes cum ala Britannica, neque ad fallendum aptus numerus neque ad penetrandum. sed Valens ne in tanto quidem discrimine infamia caruit, quo minus rapere inlicitas voluptates adulteriisque ac stupris polluere hospitum domus crederetur: aderant vis et pecunia et ruentis fortunae novissima libido. (2) adventu demum peditum equitumque pravitas consilii patuit, quia nec vadere per hostes tam parva manu poterat, etiam si fidissima foret, nec integram fidem attulerant; pudor tamen et praesentis ducis reverentia morabatur,

Historien 3,39,1-3,41,2

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Vertrauensbeweis, dass er bei einem Besuch bei Blaesus auffallend fröhlich war. Ja, man konnte sogar eine an Brutalität nicht zu überbietende Äußerung des Vitellius hören, mit der er sich rühmte – ich zitiere ihn wörtlich –, er habe seine Augen am Anblick des sterbenden Feindes geweidet. (2) Blaesus zeichnete zusätzlich zu seiner vornehmen Abstammung und geschmackvollen Lebensführung unverbrüchliche Loyalität aus. Auch als Vitellius’ Position noch sicher war, war er von Caecina und den führenden Männern der Partei, die sich von diesem schon abwandten, umworben worden, lehnte aber konsequent ab. Charakterlich integer und für keine Umtriebe zu haben, auf keine plötzliche Ehre, geschweige denn auf den Prinzipat aus, hatte er es nicht ganz vermeiden können, seiner für würdig gehalten zu werden. 40 (1) Fabius Valens kam inzwischen mit einer langen, verweiblichten Kolonne von Konkubinen und Eunuchen schwerfälliger als für einen Krieg daher und erfuhr durch Eilboten vom Verrat der Flotte von Ravenna durch Lucilius Bassus. Hätte er nun den bereits begonnenen Marsch schnell fortgesetzt, so hätte er dem noch schwankenden Caecina zuvorkommen oder vor der Entscheidungsschlacht die Legionen einholen können. Aber es fehlte nicht an Leuten, die rieten, er solle mit seinen zuverlässigsten Einheiten über versteckte Pfade unter Umgehung von Ravenna nach Hostilia oder Cremona ziehen. (2) Andere vertraten die Auffassung, man solle die Prätorianerkohorten aus der Hauptstadt kommen lassen und mit der schlagkräftigen Truppe den Durchbruch versuchen. Er selbst verpasste in nutzlosem Zögern mit Beratungen die richtigen Zeitpunkte zum Handeln. Dann lehnte er beide Pläne ab und zeigte – das schlechteste Verhalten in einer kritischen Situation –, indem er den Mittelweg einschlug, weder genügend Entschlossenheit noch Vorsicht. 41 (1) In einem Brief an Vitellius bat er dringend um Hilfe. Es kamen drei Kohorten mit einem britannischen Kavallerieregiment, eine Zahl, die weder dazu taugte, unbemerkt zu bleiben noch sich durchzuschlagen. Aber Valens bewahrte sich nicht einmal in dieser höchst kritischen Lage vor der Schande, dass man von ihm glaubte, er greife gierig nach unerlaubten Vergnügungen und beschmutze mit Ehebrüchen und anderen sexuellen Übergriffen die Häuser seiner Gastgeber. Er verfügte über Gewalt, Geld und den unerhörten Sinnenkitzel, den man beim Zusammenbruch seines Glücks zuletzt noch sucht. (2) Erst nach der Ankunft der Infanterie- und Kavallerietruppen zeigte sich die Verkehrtheit seines Plans, weil er mit einer so kleinen Schar weder durchs Feindesland ziehen konnte, selbst wenn sie völlig loyal gewesen wäre, noch hatten sie unbedingte Treue mitgebracht. Das Ehrgefühl und die Achtung vor ihrem anwesenden Kommandeur hielten sie

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Historiarum liber tertius

haud diuturna vincla apud ‹p›avidos periculorum et dedecoris securos. (3) eo metu cohortes Ariminum praemittit, alam tueri terga iubet: ipse paucis, quos adversa non mutaverant, comitantibus flexit in Umbriam atque inde Etruriam, ubi cognito pugnae Cremonensis eventu non ignavum et, si provenisset, atrox consilium iniit, ut arreptis navibus in quamcumque partem Narbonensis provinciae egressus Gallias et exercitus et Germaniae gentes novumque bellum cieret.

42 (1) Digresso Valente trepidos, qui Ariminum tenebant, Cornelius Fuscus admoto exercitu et missis per proxima litorum Liburnicis terra marique circumvenit: occupantur plana Umbriae et qua Picenus ager Hadria adluitur, omnisque Italia inter Vespasianum ac Vitellium Appennini iugis dividebatur. (2) Fabius Valens e sinu Pisano segnitia maris aut adversante vento portum Herculis Monoeci depellitur. haud procul inde agebat Marius Maturus Alpium maritimarum procurator, fidus Vitellio, cuius sacramentum cunctis circa hostilibus nondum exuerat. is Valentem comiter exceptum, ne Galliam Narbonensem temere ingrederetur, monendo terruit; simul ceterorum fides metu infracta.

43 (1) Namque circumiectas civitates procurator Valerius Paulinus, strenuus militiae et Vespasiano ante fortunam amicus, in verba eius adegerat; concitisque omnibus, qui exauctorati a Vitellio bellum sponte sumebant, Foroiuliensem coloniam, claustra maris, praesidio tuebatur, eo gravior auctor, quod Paulino patria Forum Iuli et honos apud praetorianos, quorum quondam tribunus fuerat, ipsique pagani favore municipali et futurae potentiae spe iuvare partes adnitebantur. (2) quae ut paratu firma et aucta rumore apud varios Vitellianorum animos increbruere, Fabius Valens cum quattuor speculatoribus et tribus amicis, totidem centurionibus ad naves regreditur; Maturo ceterisque remanere et in verba Vespasiani adigi volentibus fuit.

Historien 3,41,2-3,43,2

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dennoch zurück, keine dauerhaften Bande bei Männern, die sich vor Gefahren fürchten und aus Schande nichts machen. (3) Aus Angst davor schickte er die Kohorten nach Ariminum voraus und gab dem Kavallerieregiment den Auftrag, die Deckung nach hinten zu übernehmen. Persönlich bog er mit wenigen Begleitern, welche die unglückliche Entwicklung nicht umgestimmt hatte, nach Umbrien und von dort aus nach Etrurien ab, wo er auf die Nachricht vom Ausgang des Kampfes bei Cremona den gar nicht feigen und, wäre er geglückt, mit schrecklichen Folgen verbundenen Plan fasste, schnell Schiffe aufzubringen, in irgendeinem Teil der narbonensischen Provinz an Land zu gehen, dann Gallien sowie die Heere und Völker Germaniens aufzubieten und damit einen neuen Krieg zu entfachen. 42 (1) Die durch den Abzug des Valens entmutigte Besatzung Ariminums schloss Cornelius Fuscus dadurch, dass er sein Heer heranführte und an den Küstenstrich in der Umgebung Liburnen schickte, von der Landund Seeseite her ein. Man besetzte die Ebenen Umbriens und die Stelle, an der die Adria an das Gebiet von Picenum schlägt, und so wurde ganz Italien zwischen Vespasian und Vitellius durch die Höhen des Apennins aufgeteilt. (2) Fabius Valens wurde aus der Bucht von Pisa wegen einer Flaute oder durch widrige Winde in den Hafen des Hercules Monoecus abgetrieben. Nicht weit davon entfernt stand Marius Maturus, der Prokurator der Seealpen, loyal zu Vitellius; vom Treueid auf ihn hatte er sich, obwohl ringsum alles feindlich war, noch nicht losgesagt. Er empfing Valens freundlich und ließ ihn dann durch seine Warnungen davor zurückschrecken, in Gallia Narbonensis aufs Geratewohl an Land zu gehen. Zugleich wurde die Treue aller anderen vor Angst immer brüchiger. 43 (1) Denn die umliegenden Gemeinden hatte der Prokurator Valerius Paulinus, ein tüchtiger Militär und mit Vespasian schon vor dessen Aufstieg befreundet, auf diesen vereidigt. Nachdem er alle Männer, die von Vitellius entlassen worden waren und den Dienst freiwillig wieder aufnahmen, aufgeboten hatte, schützte er die Koloniestadt Forum Iulii, den Schlüssel zum Meer, mit einer Besatzung – ein um so ernster zu nehmender Vertreter, weil Paulinus’ Heimatstadt Forum Iulii war, er bei den Prätorianern als deren ehemaliger Tribun Ansehen genoss und die Bevölkerung selbst aus Bewunderung für ihren Mitbürger und in der Hoffnung auf seine zukünftige einflussreiche Stellung seine Partei unterstützte. (2) Als diese Maßnahmen, durch ihre Umsetzung schon wirkungsvoll und durch Gerüchte noch übertrieben, bei den bereits schwankenden Vitellianern bekannt wurden, kehrte Fabius Valens mit vier Leibwächtern, drei Freunden und ebenso vielen Zenturionen zu den Schiffen zurück; Maturus und alle anderen blieben freiwillig gerne zurück und legten den Eid auf Vespasian ab. Im Übrigen war

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Historiarum liber tertius

ceterum ut mare tutius Valenti quam litora aut urbes, ita futuri ambiguus et magis quid vitaret quam cui fideret certus, adversa tempestate Stoechadas Massiliensium insulas adfertur. ibi eum missae a Paulino Liburnicae oppressere. 44 Capto Valente cuncta ad victoris opes conversa, initio per Hispaniam a prima Adiutrice legione orto, quae memoria Othonis infensa Vitellio decimam quoque ac sextam traxit. nec Galliae cunctabantur. et Britanniam incli‹na›tus erga Vespasianum favor, quod illic secundae legioni a Claudio praepositus et bello clarus egerat, non sine motu adiunxit ceterarum, in quibus plerique centuriones ac milites a Vitellio provecti expertum iam principem anxii mutabant.

45 (1) Ea discordia et crebris belli civilis rumoribus Britanni sustulere animos auctore Venutio, qui super insitam ferociam et Romani nominis odium propriis in Cartimanduam reginam stimulis accendebatur. Cartimandua Brigantibus imperitabat, pollens nobilitate; et auxerat potentiam, postquam capto per dolum rege Carataco instruxisse triumphum Claudii Caesaris videbatur. inde opes et rerum secundarum luxus: spreto Venutio (is fuit maritus) armigerum eius Vellocatum in matrimonium regnumque accepit. (2) concussa statim flagitio domus: pro marito studia civitatis, pro adultero libido reginae et saevitia. igitur Venutius accitis auxiliis, simul ipsorum Brigantum defectione in extremum discrimen Cartimanduam adduxit. tum petita a Romanis praesidia. et cohortes alaeque nostrae variis proeliis exemere tamen periculo reginam; regnum Venutio, bellum nobis relictum.

46 (1) Turbata per eosdem dies Germania, et socordia ducum, seditione legionum, externa vi, perfidia sociali prope adflicta Romana res. id bellum cum causis et eventibus (etenim longius provectum est) mox memorabimus.

Historien 3,43,2-3,46,2

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das Meer für Valens zwar sicherer als Küsten und Städte, aber er war sich im Zweifel über die Zukunft und wusste eher, was er meiden als wem er vertrauen solle; da wurde er von einem Unwetter an die Stoechaden, zu Massilia gehörende Inseln, verschlagen. Dort überwältigten ihn von Paulinus geschickte Liburnen. 44 Nach Valens’ Gefangennahme wandte sich alles der Macht des Siegers zu. Dabei wurde der Anfang in Spanien von der 1. Legion „Adiutrix“ gemacht, die in Erinnerung an Otho dem Vitellius feindlich gesinnt war und auch die 10. und 6. mitzog. Aber auch Gallien zögerte nicht. Britannien veranlasste die Vespasian geltende Zuneigung ebenfalls zum Anschluss, weil er dort das Kommando über die 2. Legion von Claudius erhalten und sich im Krieg bewährt hatte, nicht ohne Aufregung bei den übrigen Legionen, in denen die Mehrzahl der Zenturionen und einfachen Soldaten von Vitellius befördert worden war und nun ängstlich den Princeps, mit dem man schon gute Erfahrungen gemacht hatte, gegen einen anderen tauschen musste. 45 (1) Wegen dieser Uneinigkeit und der häufigen Gerüchte von einem Bürgerkrieg schöpften die Britannier Mut unter Führung des Venutius, der zusätzlich zu seiner angeborenen Wildheit und seinem Hass auf alles, was Römer hieß, durch persönliche Animositäten gegen die Königin Cartimandua angetrieben wurde. Cartimandua herrschte über die Briganten, eine wegen ihrer vornehmen Abstammung mächtige Frau; sie hatte ihren Einfluss noch gesteigert, da sie durch die hinterlistige Gefangennahme des Königs Caratacus den Triumphzug des Claudius Caesar ausgestattet zu haben schien.22 Daher wurde sie reich und konnte ihr Glück verschwenderisch genießen. Sie ließ Venutius – das war ihr Ehemann – fallen, heiratete dessen Waffenträger Vellocatus und machte ihn zum Mitregenten. (2) Erschüttert wurde sofort durch diesen Skandal ihr Haus: Dem Ehemann galten die Sympathien der Bevölkerung, dem Ehebrecher die Leidenschaft der Königin und ihre Grausamkeit. Deshalb konnte Venutius Truppen aufbieten und durch den gleichzeitigen Abfall ausgerechnet der Briganten Cartimandua in höchste Gefahr bringen. Da wurden die Römer um Schutz gebeten. Tatsächlich holten unsere Kohorten und Regimenter in unterschiedlich verlaufenden Gefechten dennoch die Königin aus der Gefahr heraus: Die Herrschaft blieb dem Venutius, der Krieg uns. 46 (1) Zu Unruhen kam es in diesen Tagen in Germanien, und durch die Fahrlässigkeit der Kommandeure, den rebellischen Geist der Legionen, durch Gewalt von außen und die Treulosigkeit der Bundesgenossen wurde der römischen Macht beinahe ein vernichtender Schlag versetzt. Über diesen Krieg mit seinen Ursachen und Ereignissen werde ich – er dauerte nämlich ziemlich lange – später23 berichten. (2) In Bewegung geriet auch das

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Historiarum liber tertius

(2) mota et Dacorum gens numquam fida, tunc sine metu, abducto e Moesia

exercitu. sed prima rerum quieti speculabantur: ubi flagrare Italiam bello, cuncta in vicem hostilia accepere, expugnatis cohortium alarumque hibernis utraque Danuvii ripa potiebantur. iamque castra legionum excindere parabant, ni Mucianus sextam legionem opposuisset, Cremonensis victoriae gnarus, ac ne externa moles utrimque ingrueret, si Dacus Germanusque diversi inrupissent. (3) adfuit, ut saepe alias, fortuna populi Romani, quae Mucianum viresque Orientis illuc tulit, et quod Cremonae interim transegimus. Fonteius Agrippa ex Asia (pro consule eam provinciam annuo imperio tenuerat) Moesiae praepositus est, additis copi‹i›s e Vitelliano exercitu, quem spargi per provincias et externo bello inligari pars consilii pacisque erat.

47 (1) Nec ceterae nationes silebant. subita per Pontum arma barbarum mancipium, regiae quondam classis praefectus, moverat. is fuit Anicetus Polemonis libertus, praepotens olim, et postquam regnum in formam provinciae verterat, mutationis impatiens. (2) igitur Vitellii nomine adscitis gentibus, quae Pontum adcolunt, corrupto in spem rapinarum egentissimo quoque, haud temnendae manus ductor, Trapezuntem, vetusta fama civitatem, a Graecis in extremo Ponticae orae conditam, subitus inrupit. caesa ibi cohors, regium auxilium olim; mox donati civitate Romana signa armaque in nostrum modum, desidiam licentiamque Graecorum retinebant. (3) classi quoque faces intulit, vacuo mari eludens, quia lectissimas Liburnicarum omnemque militem Mucianus Byzantium adegerat: quin et barbari contempti‹m› vagabantur fabricatis repente navibus: camaras vocant, artis lateribus latam alvum sine vinculo aeris aut ferri conexam; et tumido mari,

Historien 3,46,2-3,47,3

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Volk der Daker, das niemals zuverlässig und damals nach dem Abzug des Heers aus Mösien ohne Furcht war. Doch den Beginn der Geschehnisse verfolgten sie in Ruhe. Sobald sie dann aber erfahren hatten, Italien stehe durch einen Krieg in Flammen und alles sei sich gegenseitig feind, eroberten sie die Winterlager der Kohorten und Regimenter und bemächtigten sich so beider Donau-Ufer. Schon machten sie sich an die Zerstörung der Legionslager – wenn ihnen dann nicht Mucian die 6. Legion entgegengestellt hätte; er wusste bereits vom Sieg bei Cremona und tat das auch, damit nicht eine ausländische Menschenmasse auf beiden Seiten eindringen könne, falls Daker und Germanen aus entgegengesetzten Richtungen einbrächen. (3) Zur Seite stand uns, wie schon häufig anderswo, das Glück des römischen Volkes, das Mucian und die Streitkräfte des Ostens dorthin trug, dazu die Tatsache, dass wir bei Cremona inzwischen die Entscheidung herbeigeführt hatten. Fonteius Agrippa wurde von Asia weg – als Prokonsul hatte er diese Provinz mit einjährigem Kommando verwaltet – an die Spitze von Mösien gestellt und bekam zusätzlich Truppenkontingente aus dem vitellianischen Heer. Dieses über die Provinzen zu verteilen und in einen Krieg gegen auswärtige Feinde einzubinden war Bestandteil überlegter Planung und des Friedens. 47 (1) Aber auch andere Völker hielten nicht still. Überraschend hatte in Pontus ein barbarischer Sklave, früher Admiral der königlichen Flotte, zu den Waffen gegriffen. Es handelte sich um Anicetus, einen Freigelassenen Polemos24, einen zuvor höchst einflussreichen Mann und, nachdem das Königreich in die Rechtsform einer Provinz übergegangen war, nicht bereit, die Veränderung hinzunehmen. (2) Deshalb zog er in Vitellius’ Namen die am Schwarzen Meer siedelnden Völker auf seine Seite; nachdem er gerade die ärmsten Leute mit der Aussicht auf Plünderungen verführt hatte, brach er als Anführer einer beachtlichen Schar überraschend in Trapezus ein, einer berühmten alten Stadt, die von Griechen ganz am äußersten Punkt der pontischen Küste gegründet worden war. Nieder machte man die dortige Kohorte, die einmal eine vom König gestellte Hilfstruppe war; später waren sie mit dem Bürgerrecht beschenkt worden und führten Standarten und Waffen in unserer Art, behielten aber die Nachlässigkeit und Disziplinlosigkeit der Griechen bei. (3) Auch die Flotte ließ er in Brand stecken, wobei er auf dem entblößten Meer sein Spiel treiben konnte, weil Mucian die auserlesensten Liburnen und ihre gesamte Besatzung nach Byzantium überführt hatte. Ja, die Barbaren selbst segelten mit schnell erbauten Schiffen dreist umher; diese heißen camarae und haben bei sich nach oben verengenden Seitenwänden einen breiten Bauch, der ohne Bronze- oder Eisenklammern zusammengefügt ist. Wenn das Meer aufgewühlt ist, erhöhen sie

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Historiarum liber tertius

prout fluctus attollitur, summa navium tabulis augent, donec in modum tecti claudantur. sic inter undas volvuntur, pari utrimque prora et mutabili remigio, quando hinc vel illinc adpellere indiscretum et innoxium est.

48 (1) Advertit ea res Vespasiani animum, ut vexillarios e legionibus ducemque Virdium Geminum spectatae militiae deligeret. ille incompositum et praedae cupidine vagum hostem adortus coegit in naves; effectisque raptim Liburnicis adsequitur Anicetum in ostio fluminis Chobi, tutum sub Sedochezorum regis auxilio, quem pecunia donisque ad societatem perpulerat. (2) ac primo rex minis armisque supplicem tueri: postquam merces proditionis aut bellum ostendebatur, fluxa, ut est barbaris, fide pactus Aniceti exitium perfugas tradidit, belloque servili finis impositus. (3) Laetum ea victoria Vespasianum, cunctis super vota fluentibus, Cremonensis proelii nuntius in Aegypto adsequitur. eo properantius Alexandriam pergit, ut fractos Vitellii exercitus urbemque externae opis indigam fame urgeret. namque et Africam eodem latere sitam terra marique invadere parabat, clausis annonae subsidiis inopiam ac discordiam hosti facturus.

49 (1) Dum hac totius orbis nutatione fortuna imperii transit, Primus Antonius nequaquam pari innocentia post Cremonam agebat, satis factum bello ratus et cetera ex facili, seu felicitas in tali ingenio avaritiam superbiam ceteraque occulta mala patefecit. ut captam Italiam persultare, ut suas legiones colere, omnibus dictis factisque vi‹a›m sibi ad potentiam struere. (2) utque licentia militem imbueret, interfectorum centurionum ordines legionibus offerebat. eo suffragio turbidissimus quisque delecti; nec miles in arbitrio ducum, sed duces militari violentia trahebantur. quae seditiosa et

Historien 3,47,3-3,49,2

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je nachdem, wie hoch die Wogen schlagen, den Bordrand der Schiffe mit Brettern, bis sie sich in der Art eines Dachs schließen. So treiben sie in den Wellen, wobei sie an beiden Enden den gleichen Bug haben und die Ruderrichtung ändern können, da es keinen Unterschied macht und ungefährlich ist, mit der einen oder anderen Seite anzulanden. 48 (1) Dieser Vorfall erweckte die Aufmerksamkeit Vespasians, sodass er Vexillarier aus den Legionen und als ihren Kommandanten Virdius Geminus, einen bewährten Militär, auswählte. Dieser griff den ohne Ordnung voller Beutegier umherstreifenden Feind an und trieb ihn auf seine Schiffe. Nachdem er eilig Liburnen hatte bauen lassen, holte er an der Mündung des Flusses Chobus den Anicetus ein; dieser fühlte sich dank der Unterstützung durch den Sedochezenkönig sicher, den er mit Geld und Geschenken zu einem Bündnis veranlasst hatte. (2) Und zunächst schützte der König durch Drohungen mit Waffengewalt den inständig bittenden Mann. Nachdem ihm dann aber eine Belohnung für einen Verrat oder andernfalls ein Krieg in Aussicht gestellt wurde, begann wie bei Barbaren üblich seine Treue zu wanken; er vereinbarte deshalb, Anicetus zu vernichten, lieferte die Flüchtlinge aus, und so wurde dem Krieg gegen den Sklaven ein Ende gesetzt. (3) Den über diesen Sieg erfreuten Vespasian – all seine Unternehmungen verliefen ja mehr als wunschgemäß – erreichte die Nachricht von der Schlacht bei Cremona in Ägypten. Umso mehr beeilte er sich, nach Alexandria zu kommen, um die entmutigten Heere des Vitellius und die auf Hilfe von außen angewiesene Hauptstadt durch Hunger unter Druck zu setzen. Denn er schickte sich an, auch das auf derselben Seite gelegene Africa zu Lande und zu Wasser anzugreifen in der Absicht, die Getreidelieferungen zu unterbinden und damit Not und Uneinigkeit beim Feind hervorzurufen. 49 (1) Während durch diese Erschütterung des gesamten Erdkreises das Schicksal des Reichs in andere Hände überging, verhielt sich Primus Antonius nach Cremona keineswegs gleich tadellos, weil er meinte, man habe nun genug Krieg geführt und der Rest lasse sich leicht erledigen, oder weil das Glück bei einem solchen Charakter Habgier, Hochmut und alle anderen versteckten Fehler offenlegte: Als sei es erobert, durchstreifte er Italien, als seien sie sein Eigentum, hofierte er die Legionen, mit all seinen Äußerungen und Handlungen bahnte er sich den Weg zur Macht. (2) Um die Soldaten mit Disziplinlosigkeit vertraut zu machen, bot er die Stellen der gefallenen Zenturionen den Legionen an. Bei dieser Abstimmung wurden gerade die übelsten Unruhestifter ausgewählt, und so fügten sich die Soldaten nicht mehr den Entscheidungen ihrer Kommandeure, sondern die Kommandeure hingen im Schlepptau ihrer gewalttätigen Soldaten. Diese aufrührerischen

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Historiarum liber tertius

corrumpendae disciplinae mox in praedam vertebat, nihil adventantem Mucianum veritus, quod exitiosius erat quam Vespasianum sprevisse.

50 (1) Ceterum propinqua hieme et umentibus Pado campis expeditum agmen incedere. signa aquilaeque victricium legionum, milites volneribus aut aetate graves, plerique etiam integri Veronae relicti: sufficere cohortes alaeque et e legionibus lecti profligato iam bello videbantur. (2) undecima legio sese adiunxerat, initio cunctata, sed prosperis rebus anxia quod defuisset; sex milia Dalmatarum, recens dilectus, comitabantur; ducebat Pompeius Silvanus consularis: vis consiliorum penes Annium Bassum legionis legatum. is Silvanum socordem bello et dies rerum verbis terentem specie obsequii regebat ‹et ad› omnia, quae agenda forent, quieta cum industria aderat. (3) ad has copias e classicis Ravennatibus legionariam militiam poscentibus optumus quisque adsciti: classem Dalmatae supplevere. exercitus ducesque ad Fanum Fortunae iter sistunt, de summa rerum cunctantes, quod motas ex urbe praetorias cohortes audierant et teneri praesidiis Appenninum rebantur; et ipsos in regione bello adtrita inopia et seditiosae militum voces terrebant, clavarium (donativi nomen est) flagitantium. nec pecuniam aut frumentum providerant, et festinatio atque aviditas praepediebant, dum, quae accipi poterant, rapiuntur.

51 (1) Celeberrimos auctores habeo, tantam victoribus adversus fas nefasque inreverentiam fuisse, ut gregarius eques occisum a se proxima acie fratrem professus praemium a ducibus petierit. nec illis aut honorare eam caedem ius hominum aut ulcisci ratio belli permittebat. distulerant tamquam maiora meritum, quam quae statim exolverentur; nec quidquam ultra traditur. (2) ceterum et prioribus civium bellis par scelus inciderat. nam

Historien 3,49,2-3,51,2

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und zur Untergrabung der Disziplin führenden Verhaltensweisen benutzte er dann zum Beutemachen, ohne sich vor dem anrückenden Mucian in Acht zu nehmen. Das war für ihn verhängnisvoller, als sich nicht um Vespasian gekümmert zu haben. 50 (1) Im Übrigen rückte, weil der Winter schon nahte und die Po-Ebene überschwemmt war, die Marschkolonne ohne Tross vor. Die Standarten und Adler der siegreichen Legionen, die durch Verwundungen oder ihr Alter beeinträchtigten Soldaten, aber auch eine ganze Anzahl voll einsatzfähiger Männer hatte man in Verona zurückgelassen. Die Infanteriekohorten, Kavallerieregimenter und aus den Legionen ausgewählte Einheiten schienen für den fast schon beendeten Krieg zu genügen. (2) Die 11. Legion hatte sich nach anfänglichem Zögern angeschlossen, aber nun nach den Erfolgen war sie ängstlich, weil sie abseits gestanden hatte. 6 000 gerade erst ausgehobene Dalmater begleiteten sie. Das Kommando hatte der ehemalige Konsul Pompeius Silvanus. Die eigentliche Planung lag beim Legionslegaten Annius Bassus. Dieser lenkte den im Krieg untätigen Silvanus, der die entscheidenden Tage mit Geschwätz vertat, den Anschein der Unterordnung wahrend und war bei allem, was getan werden musste, mit unauffälligem Einsatz zur Stelle. (3) Zu diesen Truppen wurden aus den Marinesoldaten in Ravenna, die forderten, ihren Dienst in einer Legion ableisten zu dürfen, die Tüchtigsten hinzugenommen; die Flotte füllten Dalmater auf. Heer und Kommandeure machten bei Fanum Fortunae halt. Sie zögerten wegen der Gesamtlage, weil sie gehört hatten, die Prätorianerkohorten seien aus der Hauptstadt aufgebrochen, und außerdem der Meinung waren, der Apennin sei von Feldposten besetzt. Auch ängstigten sie in der vom Krieg ausgelaugten Gegend der Mangel an allem und das aufsässige Gerede der Soldaten, die ein Nagelgeld25 – so heißt ein Geldgeschenk – haben wollten. Man hatte auch weder für Sold noch für Proviant vorgesorgt, und Hast und Gier stellten ein Hindernis dar, da man sich gewaltsam nahm, was man auch so hätte bekommen können. 51 (1) Die namhaftesten Gewährsleute habe ich dafür, dass die Sieger eine derartige Gleichgültigkeit gegenüber göttlichem Recht und Unrecht an den Tag legten, dass ein einfacher Kavallerist sich offen dazu bekennen konnte, er habe in der letzten Schlacht seinen Bruder erschlagen, und dafür von den Kommandeuren eine Belohnung verlangte. Doch jenen gestattete das unter Menschen geltende Recht zwar keine Belohnung für diesen Totschlag, aber die im Krieg üblichen Grundsätze ließen auch keine Bestrafung zu. Sie vertrösteten ihn unter dem Vorwand, er habe mehr verdient, als man sofort vergelten könne; darüber hinaus wird nichts mehr davon berichtet. (2) Im Übrigen war auch in früheren Bürgerkriegen eine gleich entsetzliche

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Historiarum liber tertius

proelio, quo apud Ianiculum adversus Cinnam pugnatum est, Pompeianus miles fratrem suum, dein cognito facinore se ipsum interfecit, ut Sisenna memorat: tanto acrior apud maiores, sicut virtutibus gloria, ita flagitiis paenitentia fuit. sed haec aliaque ex vetere memoria petita, quotiens res locusque exempla recti aut solacia mali poscet, haud absurde memorabimus.

52 (1) Antonio ducibusque partium praemitti equites omnemque Umbriam explorari placuit, si qua Appennini iuga clementius adirentur: acciri aquilas signaque et quidquid Veronae militum foret, Padumque et mare commeatibus compleri. erant inter duces qui necterent moras: quippe nimius iam Antonius, et certiora ex Muciano sperabantur. (2) namque Mucianus tam celeri victoria anxius, et ni praesens urbe potiretur, expertem se belli gloriaeque ratus, ad Primum et Varum media scriptitabat, instandum coeptis aut rursus cunctandi utilitates disserens atque ita compositus, ut ex ‹e›ventu rerum adversa abnueret vel prospera adgnosceret. (3) Plotium Grypum, nuper a Vespasiano in senatorium ordinem adscitum ac legioni praepositum, ceterosque sibi fidos apertius monuit, hique omnes de festinatione Primi ac Vari sinistre et Muciano volentia rescripsere. quibus epistulis Vespasiano missis effecerat, ut non pro spe Antonii consilia factaque eius aestimarentur.

53 (1) Aegre id pati Antonius et culpam in Mucianum conferre, cuius criminationibus eviluissent pericula sua; nec sermonibus temperabat, immodicus lingua et obsequii insolens. litteras ad Vespasianum composuit, iactantius quam ad principem nec sine occulta in Mucianum insectatione: se Pannonicas legiones in arma egisse, suis stimulis excitos Moesiae duces, sua constan-

Historien 3,51,2-3,53,1

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Tat vorgefallen. Denn in dem Gefecht, in dem man am Ianiculum gegen Cinna kämpfte, brachte ein pompejanischer Soldat seinen Bruder, dann, als er merkte, was er angerichtet hatte, sich selbst um, berichtet Sisenna.26 Um so viel stärker war bei unseren Vorfahren wie für sittlich vorbildliches Verhalten der Ruhm, so für Schandtaten die Reue. Aber diese und andere der alten Geschichte entnommenen Vorfälle auch künftig zu erwähnen, sooft Sachverhalt und Zusammenhang Vorbilder für richtiges oder Trost für verwerfliches Handeln erfordern, halte ich nicht für unangebracht. 52 (1) Antonius und die Kommandeure seiner Partei beschlossen, Kavallerie vorauszuschicken und in ganz Umbrien erkunden zu lassen, ob es irgendwo sanftere Anstiege zu den Apenninenpässen gebe. Man ließ die Adler, Standarten und alles, was in Verona an Soldaten lag, kommen und den Po und das Meer mit Nachschubtransporten füllen. Nun gab es unter den Kommandeuren einige, die für Verzögerungen sorgten; Antonius schien ja schon zu einflussreich, und sicherere Belohnungen erhoffte man sich von Mucian. (2) Denn Mucian war besorgt über den derart schnell errungenen Sieg und vertrat die Auffassung, falls er sich nicht persönlich in den Besitz der Hauptstadt setze, habe er mit dem Krieg und damit mit dem Ruhm nichts mehr zu tun. Deshalb schrieb er zweideutige Briefe an Primus und Varus, in denen er darlegte, man müsse das begonnene Unternehmen energisch fortsetzen, oder dann wieder die Vorteile einer Hinhaltetaktik aufzeigte, und war darin derart geschult, dass er je nach dem Ausgang der Angelegenheit die Verantwortung für einen Misserfolg von sich weisen oder für einen Erfolg sich zuschreiben konnte. (3) Plotius Grypus, der erst kurz zuvor von Vespasian in den Senatorenstand aufgenommen und mit dem Kommando über eine Legion betraut worden war, und die übrigen ihm treu ergebenen Männer mahnte er deutlicher, und sie alle äußerten sich in ihren Antwortschreiben ablehnend zum hastigen Vorgehen des Primus und Varus – was Mucian eben hören wollte. Dadurch dass er diese Briefe an Vespasian weiterschickte, hatte er es fertiggebracht, dass man Antonius’ Absichten und Handlungen nicht so würdigte, wie es dieser erwartet hatte. 53 (1) Darüber war Antonius empört und schob die Schuld auf Mucian, durch dessen Verleumdungen seine gefährlichen Unternehmungen wertlos geworden seien. Dabei hielt er sich mit seinen Äußerungen nicht zurück, unbeherrscht in seiner Ausdrucksweise und an Unterordnung nicht gewöhnt. Einen Brief verfasste er an Vespasian in selbstgefälligerem Ton, als man das einem Princeps gegenüber tut, und auch nicht ohne versteckte Ausfälle gegen Mucian: Er sei es gewesen, der die pannonischen Legionen zu den Waffen habe greifen lassen; nur durch sein Drängen seien die Kommandeure Mösiens aufgescheucht worden, dank seiner Beharrlichkeit sei man

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Historiarum liber tertius

tia perruptas Alpes, occupatam Italiam, intersaepta Germanorum Raetorumque auxilia. (2) quod discordes dispersasque Vitellii legiones equestri procella, mox peditum vi per diem noctemque fudisset, id pulcherrimum et sui operis. casum Cremonae bello imputandum: maiore damno, plurium urbium excidiis veteres civium discordias rei publicae stetisse. (3) non se nuntiis neque epistulis, sed manu et armis imperatori suo militare, neque officere gloriae eorum, qui Daciam interim composuerint: illis Moesiae pacem, sibi salutem securitatemque Italiae cordi fuisse; suis exhortationibus Gallias Hispaniasque, validissimam terrarum partem, ad Vespasianum conversas. sed cecidisse in inritum labores, si praemia periculorum soli adsequantur qui periculis non adfuerint. nec fefellere ea Mucianum; inde graves simultates, quas Antonius simplicius, Mucianus callide eoque implacabilius nutriebat.

54 (1) At Vitellius fractis apud Cremonam rebus nuntios cladis occultans stulta dissimulatione remedia potius malorum quam mala differebat. quippe confitenti consultantique supererant spes viresque: cum e contrario laeta omnia fingeret, falsis ingravescebat. mirum apud ipsum de bello silentium; prohibiti per civitatem sermones, eoque plures ac, si liceret, vere narraturi, quia vetabantur, atrociora volgaverant. (2) nec duces hostium augendae famae deerant, captos Vitellii exploratores circumductosque, ut robora victoris exercitus noscerent, remittendo; quos omnis Vitellius secreto percunctatus interfici iussit. notabili constantia centurio Iulius Agrestis post multos sermones, quibus Vitellium ad virtutem frustra accendebat, perpulit ut ad vires hostium spectandas quaeque apud Cremonam acta forent ipse mitteretur. nec exploratione occulta fallere Antonium temptavit, sed mandata

Historien 3,53,1-3,54,2

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durch die Alpen vorgestoßen, habe Italien besetzt und die Hilfstruppen der Germanen und Räter abgeschnitten. (2) Dass er die zerstrittenen, zerstreut agierenden Legionen des Vitellius durch einen Sturmangriff seiner Kavallerie, dann durch eine heftige Attacke seiner Infanterie einen Tag und eine Nacht hindurch gejagt habe, sei ein großartiger Erfolg und ganz sein Werk. Das Unglück Cremonas müsse man dem Krieg zurechnen. Einen noch größeren Verlust, die Vernichtung von noch mehr Städten hätten die Auseinandersetzungen unter den Bürgern in der Vergangenheit den Staat gekostet. (3) Nicht mit Botschaften und Briefen, sondern mit der Waffe in der Hand diene er seinem Oberbefehlshaber im Krieg. Aber er wolle auch den Ruhm der Personen nicht schmälern, die inzwischen in Dakien Ordnung geschaffen hätten. Diesen Männern27 sei der Friede in Mösien, ihm die Rettung und Sicherheit Italiens am Herzen gelegen; dank seinem Zureden hätten sich Gallien und Spanien, der Teil der Erde mit den stärksten Ressourcen, Vespasian zugewandt. Aber seine Bemühungen seien umsonst gewesen, falls die Belohnungen für die Gefahren nur die Leute bekämen, die an den Gefahren gar nicht beteiligt gewesen seien. Diese Äußerungen blieben Mucian nicht verborgen. Daher kam es zu schweren Spannungen, die Antonius ganz offen, Mucian dagegen raffiniert und deshalb noch unversöhnlicher nährte. 54 (1) Vitellius aber verheimlichte nach dem Zusammenbruch seiner Macht bei Cremona die Nachrichten von seiner Niederlage und hielt sich so in törichter Verdrängung eher die Arznei für seine Leiden als die Leiden fern. Hätte er sie sich nämlich eingestanden und darüber nachgedacht, hätte er noch genug Hoffnungen und Streitkräfte gehabt. Da er sich aber im Gegenteil vorgaukelte, alles stehe bestens, verschlechterte sich seine Lage durch diese unrealistischen Vorstellungen immer mehr. Ein eigentümliches Schweigen herrschte in seiner Gegenwart über den Krieg; unterbunden wurden in der Bevölkerung Gespräche darüber, und deshalb gab es noch mehr Personen, die, falls sie erlaubt gewesen wären, die Wahrheit zum Ausdruck gebracht hätten, nun aber, weil sie verboten waren, noch grauenhaftere Einzelheiten verbreitet hatten. (2) Aber auch die Kommandeure der Feinde taten das Ihre dazu, die Gerüchte anzuheizen, indem sie gefangen genommene Spione des Vitellius herumführen ließen, damit sie die Stärke des siegreichen Heers feststellen konnten, und sie dann zurückschickten. Sie alle ließ Vitellius heimlich vernehmen und dann umbringen. Mit bemerkenswerter Beharrlichkeit brachte es der Zenturio Iulius Agrestis nach vielen Gesprächen, in denen er Vitellius vergeblich zu einem mannhaften Verhalten anzufeuern versuchte, fertig, dass er persönlich losgeschickt wurde, um die Streitkräfte der Feinde und die Ereignisse bei Cremona auszukundschaften. Er legte es auch nicht darauf an, mit geheimer Spionage Antonius

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Historiarum liber tertius

imperatoris suumque animum professus, ut cuncta viseret postulat. missi qui locum proelii, Cremonae vestigia, captas legiones ostenderent. (3) Agrestis ad Vitellium remeavit abnuentique vera esse, quae adferret, atque ultro corruptum arguenti ‘quando quidem’ inquit ‘magno documento opus est, nec alius iam tibi aut vitae aut mortis meae usus, dabo cui credas.’ atque ita digressus voluntaria morte dicta firmavit. quidam iussu Vitellii interfectum, de fide constantiaque eadem tradidere.

55 (1) Vitellius ut e somno excitus Iulium Priscum et Alfenum Varum cum quattuordecim praetoriis cohortibus et omnibus equitum alis obsidere Appenninum iubet; secuta e classicis legio. tot milia armatorum, lecta equis virisque, si dux alius foret, inferendo quoque bello satis pollebant. (2) ceterae cohortes ad tuendam urbem L. Vitellio fratri datae: ipse nihil e solito luxu remittens et diffidentia properus festinare comitia, quibus consules in multos annos destinabat; foedera sociis, Latium ‹ex›ternis dilargiri; his tributa remittere, alios immunitatibus iuvare; denique nulla in posterum cura lacerare imperium. sed volgus ad magnitudinem beneficiorum hiabat: stultissimus quisque pecuniis mercabatur; apud sapientes cassa habebantur, quae neque dari neque accipi salva re publica poterant. (3) tandem flagitante exercitu, qui Mevaniam insederat, magno senatorum agmine, quorum multos ambitione, plures formidine trahebat, in castra venit, incertus animi et infidis consiliis obnoxius.

56 (1) Contionanti – prodigiosum dictu – tantum foedarum volucrum supervolitavit, ut nube atra diem obtenderent. accessit dirum omen, profugus altaribus taurus disiecto sacrificii apparatu, longe, nec ut feriri hostias mos est, confossus. (2) sed praecipuum ipse Vitellius ostentum erat, ignarus

Historien 3,54,2-3,56,2

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zu täuschen, sondern gab offen den Auftrag seines Oberbefehlshabers und seine eigene Absicht bekannt und verlangte, alles besichtigen zu dürfen. Man schickte Leute mit, die ihm den Kampfplatz, die Ruinen Cremonas, die gefangen genommenen Legionen zeigen sollten. (3) Agrestis kehrte zu Vitellius zurück, und als dieser behauptete, nicht wahr sei, was er zu melden habe, und ihn zusätzlich beschuldigte, er sei bestochen worden, sagte er nur: „Da es nun einmal eines deutlichen Beweises bedarf und für dich mein Leben oder mein Tod schon keinen anderen Nutzen mehr hat, werde ich dir einen Nachweis liefern, dem du glauben kannst.“ Damit entfernte er sich und bestätigte durch seinen Freitod seine Worte. Einige Autoren berichten, er sei auf Vitellius’ Befehl umgebracht worden; über seine Treue und Beharrlichkeit sagen sie dasselbe. 55 (1) Vitellius gab nun, wie aus dem Schlaf erwacht, Iulius Priscus und Alfenus Varus mit 14 Prätorianerkohorten und allen Kavallerieregimentern den Befehl, den Apennin zu besetzen; ihnen folgte eine aus Marinesoldaten gebildete Legion. So viele tausend Bewaffnete, eine Elite von Pferden und Männern, wären, falls sie einen anderen Kommandeur gehabt hätten, stark genug für einen Angriffskrieg gewesen. (2) Alle anderen Kohorten wurden zum Schutz der Hauptstadt seinem Bruder L. Vitellius übergeben. Persönlich machte er keinerlei Abstriche an seinem vertrauten Schlemmerleben und beeilte sich nur aus mangelndem Selbstvertrauen, hastig Wahlversammlungen abzuhalten, in denen er die Konsuln für viele Jahre im Vorhinein bestimmte. Verträge verteilte er großzügig an Bundesgenossen, das latinische Recht28 an Ausländer. Den einen erließ er die Abgaben, andere unterstützte er mit Steuerprivilegien; schließlich zerfleischte er ohne jede Sorge um die Zukunft das Reich. Aber die große Masse gierte im Hinblick auf den Umfang der Zuwendungen nach noch mehr, besonders die größten Dummköpfe kauften sie um Geld, lediglich bei den Leuten mit Verstand galt als null und nichtig, was man nur geben und nehmen konnte, wenn der Staat Schaden litt. (3) Endlich kam er auf Verlangen des Heeres, das Mevania besetzt hatte, mit einer gewaltigen Kolonne von Senatoren, von denen er viele ihm zu Gefallen, die Mehrzahl aus Angst vor ihm mit sich zog, ins Lager, unsicher in seinem Inneren und treulosen Ratschlägen ausgeliefert. 56 (1) Bei seiner Ansprache an das Heer flog – allein schon davon zu sprechen ist ungeheuerlich – ein derart großer Schwarm abscheulicher Vögel über ihm herum, dass sie mit einer schwarzen Wolke das Tageslicht verdunkelten. Dazu kam ein weiteres grässliches Vorzeichen: ein Stier, der bei seiner Flucht vom Altar das gesamte Opfergerät umstieß und erst weit weg und nicht so, wie man Opfertiere dem Ritual nach treffen muss,29 abgestochen wurde. (2) Aber das eigentliche Unglückszeichen war Vitellius per-

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Historiarum liber tertius

militiae, improvidus consilii, quis ordo agminis, quae cura explorandi, quantus urgendo trahendove bello modus, alios rogitans et ad omnis nuntios voltu quoque et incessu trepidus, dein temulentus. postremo taedio castrorum et audita defectione Misenensis classis Romam revertit, recentissimum quo‹d›que volnus pavens, summi discriminis incuriosus. (3) nam cum transgredi Appenninum integro exercitus sui robore et fessos hieme atque inopia hostes adgredi in aperto foret, dum dispergit vires, acerrimum militem et usque in extrema obstinatum trucidandum capiendumque tradidit, peritissimis centurionum dissentientibus et, si consulerentur, vera dicturis. arcuere eos intimi amicorum Vitellii, ita formatis principis auribus, ut aspera quae utilia, nec quidquam nisi iucundum et laesurum acciperet.

57 (1) Sed classem Misenensem (tantum civilibus discordiis etiam singulorum audacia valet) Claudius Faventinus centurio per ignominiam a Galba dimissus ad defectionem traxit, fictis Vespasiani epistulis pretium proditionis ostentans. praeerat classi Claudius Apollinaris, neque fidei constans neque strenuus in perfidia; et Apinius Tiro praetura functus ac tum forte Minturnis agens ducem se defectoribus obtulit. a quibus municipia coloniaeque impulsae, praecipuo Puteolanorum in Vespasianum studio, contra Capua Vitellio fida, municipalem aemulationem bellis civilibus miscebant. (2) Vitellius Claudium Iulianum (is nuper classem Misenensem molli imperio rexerat) permulcendis militum animis delegit; data in auxilium urbana cohors et gladiatores, quibus Iulianus praeerat. ut conlata utrimque castra, haud magna cunctatione Iuliano in partes Vespasiani transgresso, Tarracinam occupavere, moenibus situque magis quam ipsorum ingenio tutam.

Historien 3,56,2-3,57,2

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sönlich: Er hatte keine Ahnung von militärischen Belangen, war nicht in der Lage, einen Entschluss zu fassen. Welche Reihenfolge die Marschkolonne einhalten solle, wie die Aufklärung durchzuführen sei, bis zu welchem Umfang man den Krieg vorantreiben oder verzögern könne, musste er ständig andere fragen und reagierte auf alle Nachrichten auch in Blick und Gang nervös, dann betrunken. Schließlich kehrte er aus Widerwillen gegen das Lagerleben und auf die Nachricht vom Abfall der Flotte von Misenum nach Rom zurück, erschrocken über jeden frisch erlittenen Schlag, aber ohne sich um die Hauptgefahr zu kümmern. (3) Denn obwohl er freie Hand gehabt hätte, den Apennin mit der unverbrauchten Kerntruppe seines Heeres zu überqueren und die von Winter und Entbehrung erschöpften Feinde anzugreifen, lieferte er, indem er seine Streitkräfte verzettelte, die entschlossensten und zum Äußersten bereiten Soldaten zur Niedermetzlung und Gefangennahme aus, wobei die erfahrensten Zenturionen dagegen waren und, hätte man sie um Rat gefragt, die Wahrheit gesagt hätten. Doch die engsten Freunde des Vitellius ließen sie nicht vor, zumal die Ohren des Princeps darauf ausgerichtet waren, als bitter zu empfinden, was nützlich war, und nur angenehme Nachrichten und was ihm schaden sollte, aufzunehmen. 57 (1) Aber die Flotte von Misenum – so viel erreicht bei Auseinandersetzungen unter Bürgern sogar die Frechheit einzelner Personen – brachte der von Galba unehrenhaft entlassene Zenturio Claudius Faventinus zum Abfall, indem er in einem gefälschten Schreiben Vespasians eine Belohnung für den Verrat in Aussicht stellte. Die Flotte kommandierte Claudius Apollinaris, der weder zuverlässig in seiner Treue noch entschlossen in seiner Untreue war; so bot sich Apinius Tiro, der die Prätur bekleidet hatte und sich damals zufällig in Minturnae aufhielt, als Kommandant den Abtrünnigen an. Von diesen Männern beeinflusst, vermengten die Land- und Koloniestädte – die Sympathien der Puteolaner galten ganz und gar Vespasian, dagegen stand Capua treu zu Vitellius – ihre kleinstädtische Rivalität mit den Bürgerkriegen. (2) Vitellius wählte Claudius Iulianus – dieser hatte erst kurz zuvor die Flotte von Misenum mit einem milden Regiment geleitet – zur Beschwichtigung der Gemüter der Soldaten aus. Zur Unterstützung wurden eine städtische Kohorte und die Gladiatoren mitgegeben, die Iulianus befehligte. Nachdem beide Lager zusammengelegt worden waren, trat nach nicht langem Zögern Iulianus zur Partei Vespasians über. Dann besetzten sie Tarracina, das durch seine Mauern und Lage sicherer war als durch den Mut der Besetzer selbst.

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Historiarum liber tertius

58 (1) Quae ubi Vitellio cognita, parte copiarum Narniae cum praefectis praetorii relicta L. Vitellium fratrem cum sex cohortibus et quingentis equitibus ingruenti per Campaniam bello opposuit. ipse aeger animi studiis militum et clamoribus populi arma poscentis refovebatur, dum volgus ignavum et nihil ultra verba ausurum falsa specie exercitum et legiones appellat. (2) hortantibus libertis (nam amicorum eius quanto quis clarior, minus fidus) vocari tribus iubet, dantes nomina sacramento adigit. superfluente multitudine curam dilectus in consules partitur; servorum numerum et pondus argenti senatoribus indicit. equites Romani obtulere operam pecuniasque, etiam libertinis idem munus ultro flagitantibus. ea simulatio officii a metu profecta verterat in favorem; ac plerique haud proinde Vitellium quam casum locumque principatus miserabantur. (3) nec deerat ipse voltu voce lacrimis misericordiam elicere, largus promissis et, quae natura trepidantium est, immodicus. quin et Caesarem se dici voluit, aspernatus antea, sed tunc superstitione nominis, et quia in metu consilia prudentium et volgi rumor iuxta audiuntur. (4) ceterum ut omnia inconsulti impetus coepta initiis valida spatio languescunt, dilabi paulatim senatores equitesque, primo cunctanter et ubi ipse non aderat, mox contemptim et sine discrimine, donec Vitellius pudore inriti conatus quae non dabantur remisit.

59 (1) Ut terrorem Italiae possessa Mevania ac velut renatum ex integro bellum intulerat, ita haud dubium erga Flavianas partes studium tam pavidus Vitellii discessus addidit. erectus Samnis Paelignusque et Marsi aemulatione, quod Campania praevenisset, ut in novo obsequio ad cuncta belli munia acres erant. (2) sed foeda hieme per transitum Appennini conflictatus exercitus, et vix quieto agmine nives eluctantibus patuit, quantum discri-

Historien 3,58,1-3,59,2

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58 (1) Als Vitellius davon erfuhr, ließ er einen Teil seiner Truppen in Narnia zusammen mit den Prätorianerkommandanten zurück und stellte seinen Bruder L. Vitellius mit sechs Kohorten und 500 Kavalleristen dem durch Kampanien eindringenden Krieg entgegen. Er selbst war niedergeschlagen, wurde aber durch die Sympathiekundgebungen der Soldaten und das Geschrei des Volks, das nach Waffen verlangte, wieder ermutigt, weil er die feige Masse, von der zu erwarten war, dass sie nichts außer Worten wagen werde, dem trügerischen Schein zuliebe als Heer und Legionen bezeichnete. (2) Auf Anraten seiner Freigelassenen – denn je angesehener einer von seinen Freunden war, desto weniger loyal war er – ließ er die Tribus30 einberufen und vereidigte, wer sich einschreiben ließ. Da die Menge unverhältnismäßig groß war, übertrug er die Aufgabe der Aushebung den Konsuln; eine Anzahl Sklaven und ein bestimmtes Gewicht an Silber erlegte er den Senatoren auf. Die römischen Ritter boten ihre Dienste und Geld an, sogar seine Freigelassenen verlangten von sich aus, denselben Gefallen erweisen zu dürfen. Diese Heuchelei einer Dienstbeflissenheit, deren Ausgangspunkt Angst war, hatte sich in Zuneigung verwandelt; so beklagte eine große Anzahl nicht so sehr Vitellius als die unglückliche Lage des Prinzipats. (3) Aber auch er selbst war sich nicht zu schade, mit Miene, Stimme und Tränen Mitleid zu erregen, großzügig mit Versprechungen und – das ist ein Wesenszug ängstlicher Menschen – dabei maßlos. Ja, er wollte sogar als „Cäsar“ angeredet werden, was er zuvor abgelehnt hatte,31 nun aber aus abergläubischem Vertrauen in den Titel und weil man aus Furcht auf die Ratschläge kluger Menschen und das Gerede der großen Masse gleichermaßen hört. (4) Wie übrigens alles, was man mit unüberlegtem Schwung beginnt, nach starken Anfängen mit der Zeit erlahmt, verliefen sich allmählich die Senatoren und Ritter, zuerst nur zögerlich und wo er persönlich nicht zugegen war, dann ohne jede Scheu und rücksichtslos, bis Vitellius aus Scham über den vergeblichen Versuch auf das verzichtete, was man ihm doch nicht geben wollte. 59 (1) Wie Italien die Besetzung Mevanias und der gleichsam von Neuem wieder aufgelebte Krieg in Angst und Schrecken versetzt hatten, so verstärkte zweifellos die Sympathien für die flavianische Partei der von einer derartigen Angst zeugende Abzug des Vitellius. Angetrieben von Eifersucht, weil ihnen Kampanien zuvorgekommen sei, erbrachten Samniten, Päligner und Marser, gerade so als handle es sich um ein neues Untertanenverhältnis, alle kriegsbedingten Leistungen voller Eifer. (2) Aber durch das scheußliche Winterwetter wurde beim Überqueren des Apennins das Heer stark mitgenommen, und den Männern, die, obwohl der Marsch ungestört verlief, sich kaum durch die Schneemassen kämpfen konnten, wurde klar, wieviel

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Historiarum liber tertius

minis adeundum foret, ni Vitellium retro fortuna vertisset, quae Flavianis ducibus non minus saepe quam ratio adfuit. obvium illic Petillium Cerialem habuere, agresti cultu et notitia locorum custodias Vitellii elapsum. propinqua adfinitas Ceriali cum Vespasiano, nec ipse inglorius militiae, eoque inter duces adsumptus est. (3) Flavio quoque Sabino ac Domitiano patuisse effugium multi tradidere, et missi ab Antonio nuntii per varias fallendi artes penetrabant, locum ac praesidium monstrantes. Sabinus inhabilem labori et audaciae valetudinem causabatur: Domitiano aderat animus, sed custodes a Vitellio additi, quamquam se socios fugae promitterent, tamquam insidiantes timebantur. atque ipse Vitellius respectu suarum necessitudinum nihil in Domitianum atrox parabat.

60 (1) Duces partium ut Carsulas venere, paucos ad requiem dies sumunt, donec aquilae signaque legionum adsequerentur. et locus ipse castrorum placebat, late prospectans, tuto copiarum adgestu, florentissimis pone tergum municipiis; simul conloquia cum Vitellianis decem milium spatio distantibus et proditio sperabatur. aegre id pati miles et victoriam malle quam pacem; ne suas quidem legiones opperiebantur, ut praedae quam periculorum socias. (2) vocatos ad contionem Antonius docuit esse adhuc Vitellio vires, ambiguas, si deliberarent, acres, si desperassent. initia bellorum civilium fortunae permittenda: victoriam consiliis et ratione perfici. iam Misenensem classem et pulcherrimam Campaniae oram descivisse, nec plus e toto terrarum orbe reliquum Vitellio quam quod inter Tarracinam Narniamque iaceat. (3) satis gloriae proelio Cremonensi partum et exitio Cremonae nimium invidiae: ne concupiscerent Romam capere potius quam servare. maiora illis praemia et multo maximum decus, si incolumitatem senatui populoque Romano sine sanguine quaesissent. his ac talibus mitigati animi.

Historien 3,59,2-3,60,3

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Gefahr sie auf sich hätten nehmen müssen, wenn das Schicksal Vitellius nicht zur Umkehr bewogen hätte, das den flavianischen Kommandeuren nicht weniger häufig als kluge Überlegung beistand. Dort kam ihnen Petillius Cerialis entgegen, der in Bauerntracht und dank seiner Ortskenntnis den Wachtposten des Vitellius entgangen war. Nahe verwandt war Cerialis mit Vespasian, auch persönlich nicht ohne Kriegsruhm, und wurde deshalb unter die Kommandeure aufgenommen. (3) Für Flavius Sabinus und Domitian habe ebenfalls eine Fluchtmöglichkeit bestanden, berichteten viele Autoren; tatsächlich drangen von Antonius geschickte Agenten dank verschiedener Täuschungsmanöver zu ihnen vor und wiesen auf einen Treffpunkt und auf Geleitschutz hin. Sabinus schützte seinen für ein anstrengendes, gewagtes Unternehmen ungeeigneten Gesundheitszustand vor; Domitian war dazu bereit, aber die ihm von Vitellius beigegebenen Wachen fürchtete man, obwohl sie versprachen, seine Begleiter auf der Flucht zu sein, in der Annahme, sie wollten ihm eine Falle stellen. Vitellius selbst führte im Hinblick auf seine eigene Verwandtschaft nichts Schlimmes gegen Domitian im Schilde. 60 (1) Als die Kommandeure der Partei nach Carsulae gekommen waren, nahmen sie sich wenige Tage Zeit zur Erholung, bis die Adler und Standarten der Legionen nachkamen. Auch der Lagerplatz selbst fand ihr Gefallen, weil er einen weiten Ausblick bot, die Zufuhr von Nachschub gesichert war und die blühendsten Landstädte in ihrem Rücken lagen. Gleichzeitig hoffte man auf Verhandlungen mit den nur zehn Meilen entfernten Vitellianern und auf Verrat. Das nahmen die Soldaten übel und wollten lieber den Sieg als den Frieden; nicht einmal auf die eigenen Legionen wollten sie warten, da sich diese mehr am Beutemachen als an den Gefahren beteiligen würden. (2) Den zu einer Heeresversammlung einberufenen Männern machte Antonius klar, Vitellius verfüge noch immer über Streitkräfte, unzuverlässig, falls sie nachdenken könnten, grimmig, falls sie verzweifelt seien. Die Anfänge von Bürgerkriegen müsse man dem Schicksal überlassen; der Sieg werde nur durch überlegte Planung erreicht. Schon seien die Flotte in Misenum und die wunderschöne Küste Kampaniens abgefallen, und vom gesamten Erdkreis sei Vitellius nicht mehr geblieben als der Landstrich zwischen Tarracina und Narnia. (3) Genug Ruhm habe man in der Schlacht von Cremona erworben und durch Cremonas Vernichtung ein Übermaß an Empörung. Sie sollten sich nicht wünschen, Rom lieber zu erobern als zu retten. Höhere Belohnungen und die weitaus größte Ehre könnten sie erzielen, wenn sie die Sicherheit für Senat und Volk von Rom ohne Blutvergießen zu erhalten versucht hätten. Durch diese und vergleichbare Ausführungen beruhigten sich die Gemüter.

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Historiarum liber tertius

61 (1) Nec multo post legiones venere. et terrore famaque aucti exercitus Vitellianae cohortes nutabant, nullo in bellum adhortante, multis ad transitionem, qui suas centurias turmasque tradere, donum victori et sibi in posterum gratiam, certabant. per eos cognitum est Interamnam proximis campis praesidio quadringentorum equitum teneri. (2) missus extemplo Varus cum expedita manu paucos repugnantium interfecit, plures abiectis armis veniam petivere. quidam in castra refugi cuncta formidine implebant, augendo rumoribus virtutem copiasque hostium, quo amissi praesidii dedecus lenirent. (3) nec ulla apud Vitellianos flagitii poena, et praemiis defectorum versa fides ac reliquum perfidiae certamen. crebra transfugia tribunorum centurionumque; nam gregarius miles induruerat pro Vitellio, donec Priscus et Alfenus desertis castris ad Vitellium regressi pudore proditionis cunctos exsolverent.

62 (1) Isdem diebus Fabius Valens Urvini in custodia interficitur. caput eius Vitellianis cohortibus ostentatum, ne quam ultra spem foverent; nam pervasisse in Germanias Valentem et veteres illic novosque exercitus ciere credebant: visa caede in desperationem versi. et Flavianus exercitus immane quantum ‹aucto› animo exitium Valentis ut finem belli accepit. (2) natus erat Valens Anagniae equestri familia. procax moribus neque absurdus ingenio famam urbanitatis per lasciviam petere. ludicro Iuven‹ali›um sub Nerone velut ex necessitate, mox sponte mimos actitavit, scite magis quam probe. legatus legionis et fovit Verginium et infamavit; Fonteium Capitonem corruptum, seu quia corrumpere nequiverat, interfecit. Galbae proditor, Vitellio fidus et aliorum perfidia inlustratus.

63 (1) Abrupta undique spe Vitellianus miles transiturus in partes, id quoque non sine decore, sed sub signis vexillisque in subiectos Narniae cam-

Historien 3,61,1-3,63,1

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61 (1) Nicht viel später kamen die Legionen. Da begannen wegen des Schrecken verbreitenden Gerüchts von der Verstärkung des Heers die vitellianischen Kohorten wankend zu werden. Niemand ermunterte sie dabei zum Krieg, viele jedoch zum Überlaufen, und sie wetteiferten darin, ihre eigenen Zenturien und Schwadronen auszuliefern als Geschenk für den Sieger und für sich selbst in der Zukunft als Anlass zu Dankbarkeit. Von ihnen erfuhr man, Interamna werde in der Ebene in unmittelbarer Nachbarschaft durch eine Besatzung von 400 Kavalleristen gehalten. (2) Sofort wurde Varus mit einer Abteilung ohne Gepäck losgeschickt und tötete einige wenige, die Widerstand leisteten, die Mehrzahl warf die Waffen weg und bat um Gnade. Ein paar Mann, die zurück ins Lager geflohen waren, erfüllten alles mit Angst, weil sie bei ihren Erzählungen die Tapferkeit und die Truppen der Feinde übertrieben darstellten, um ihre mit dem Verlust des Stützpunkts verbundene Schmach abzumildern. (3) Aber bei den Vitellianern gab es keinerlei Strafe für schändliches Verhalten, und durch die Belohnungen für Abtrünnige wurde die Treue untergraben – übrig blieb ein Wettstreit in Treulosigkeit. Häufig kam es zu Frontwechseln von Tribunen und Zenturionen. Denn der einfache Soldat hielt unerschütterlich zu Vitellius, bis Priscus und Alfenus aus dem Lager desertierten, sich zu Vitellius zurückbegaben und so alle von der Schande des Verrats erlösten. 62 (1) In den nämlichen Tagen wurde Fabius Valens in Urvinum in der Haft umgebracht. Seinen Kopf zeigte man den vitellianischen Kohorten, damit sie keinerlei Hoffnung mehr hegten. Denn sie glaubten, Valens sei bis nach Germanien durchgedrungen und biete dort alte und neue Heere auf. Als sie jedoch die Bluttat sahen, verfielen sie in Verzweiflung, und das flavianische Heer empfand mit gewaltig gestärktem Mut den Untergang des Valens als Ende des Kriegs. (2) Geboren wurde Valens in Anagnia in einer Ritterfamilie. Ein unverschämter Kerl, aber nicht unbegabt, suchte er den Ruf eines Mannes von Welt durch Extravaganz zu gewinnen. Am Juvenalienfest unter Nero spielte er scheinbar gezwungenermaßen, dann aber freiwillig in Mimen mit, mehr gekonnt als anständig.32 Als Legionslegat hielt er einerseits zu Verginius, schwärzte ihn andererseits an; Fonteius Capito ließ er umbringen, weil er sich (zum Abfall) hatte verführen lassen oder weil man ihn nicht dazu verführen konnte. Galbas Verräter war er, Vitellius treu ergeben und durch die Treulosigkeit der anderen in ein günstiges Licht gesetzt. 63 (1) Da ihnen in jeder Hinsicht die Hoffnung abgeschnitten war, machten sich die vitellianischen Soldaten daran, zur Gegenpartei überzulaufen, aber auch das nicht würdelos, sondern sie zogen hinter ihren Feldzeichen und Standarten in die unterhalb Narnias gelegene Ebene hinab. Das flavia-

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Historiarum liber tertius

pos descendere. Flavianus exercitus, ut ad proelium intentus ornatusque, densis circa viam ordinibus adstiterat. accepti in medium Vitelliani, et circumdatos Primus Antonius clementer adloquitur: pars Narniae, pars Interamnae subsistere iussi. relictae simul e victricibus legiones, neque quiescentibus graves et adversus contumaciam validae. (2) non omisere per eos dies Primus ac Varus crebris nuntiis salutem et pecuniam et secreta Campaniae obferre Vitellio, si positis armis seque ac liberos suos Vespasiano permisisset. in eundem modum et Mucianus composuit epistulas; quibus plerumque fidere Vitellius ac de numero servorum, electione litorum loqui. tanta torpedo invaserat animum, ut, si principem eum fuisse ceteri non meminissent, ipse oblivisceretur.

64 (1) At primores civitatis Flavium Sabinum praefectum urbis secretis sermonibus incitabant, victoriae famaeque partem capesseret: esse illi proprium militem cohortium urbanarum, nec defuturas vigilum cohortes, servitia ipsorum, fortunam partium, et omnia prona victoribus: ne Antonio Varoque de gloria concederet. (2) paucas Vitellio cohortes et maestis undique nuntiis trepidas; populi mobilem animum et, si ducem se praebuisset, easdem illas adulationes pro Vespasiano fore; ipsum Vitellium ne prosperis quidem parem, adeo ruentibus debilitatum. gratiam patrati belli penes eum, qui urbem occupasset: id Sabino convenire, ut imperium fratri reservaret, id Vespasiano, ut ceteri post Sabinum haberentur.

65 (1) Haudquaquam erecto animo eas voces accipiebat, invalidus senecta; sed erant qui occultis suspicionibus incesserent, tamquam invidia et aemulatione fortunam fratris moraretur. namque Flavius Sabinus aetate prior privatis utriusque rebus auctoritate pecuniaque Vespasianum anteibat, et credebatur adfectam eius fidem parce iuvisse domo agrisque pignori acceptis; unde, quamquam manente in speciem concordia, offensarum oper-

Historien 3,63,1-3,65,2

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nische Heer hatte, wie zum Kampf bereit und gerüstet, in dichten Reihen die Straße entlang Aufstellung bezogen. Die Vitellianer wurden in die Mitte genommen, und an die ihn umgebenden Gegner hielt Primus Antonius eine freundliche Ansprache. Teils in Narnia, teils in Interamna befahl man ihnen haltzumachen. Zurück ließ man zugleich einige der siegreichen Legionen, die für Leute, die sich ruhig verhielten, nicht lästig und doch stark gegen Aufsässigkeit waren. (2) In diesen Tagen versäumten es Primus und Varus nicht, Vitellius mit häufigen Botschaften Sicherheit, Geld und entlegene Gegenden Kampaniens anzubieten für den Fall, dass er die Waffen niederlege und sich sowie seine Kinder Vespasian anvertraue. Im gleichen Sinn verfasste auch Mucian Briefe; auf sie verließ sich Vitellius im Großen und Ganzen und sprach schon von der Zahl der Sklaven und der Auswahl der Küstengegenden. Ein derartiger Stumpfsinn hatten seinen Geist befallen, dass, falls die anderen ihn nicht daran erinnert hätten, er sei der Princeps, er selbst es vergessen hätte. 64 (1) Andererseits versuchten die führenden Persönlichkeiten der Bürgerschaft den Stadtkommandanten Flavius Sabinus in geheimen Gesprächen dazu zu bringen, nach seinem Anteil an Sieg und Ruhm zu greifen. Er verfüge über eigene Soldaten der städtischen Kohorten; dazu würden die Wachkohorten, ihre eigenen Sklavenscharen und das Glück der Partei nicht abseits stehen, und überhaupt sei alles günstig für die Sieger: Er solle doch nicht einem Antonius und Varus an Ruhm nachstehen wollen! (2) Nur wenige Kohorten habe Vitellius, und die zitterten vor Angst wegen der aus allen Richtungen eintreffenden schlechten Nachrichten; die Stimmung im Volk sei wankelmütig, und es werde, falls er sich als Führerpersönlichkeit anbiete, zu genau denselben Schmeicheleien für Vespasian kommen; Vitellius selbst sei nicht einmal Erfolgen gewachsen, ja sogar durch den allgemeinen Zusammenbruch entmutigt. Der Dank für die Beendigung des Kriegs werde dem Mann zufallen, der die Hauptstadt besetzt habe. Es komme Sabinus zu, die Herrschaft seinem Bruder vorzubehalten, und Vespasian, alle anderen nach Sabinus einzureihen. 65 (1) Keineswegs in gehobener Stimmung nahm er diese Äußerungen entgegen, gebrechlich vor Altersschwäche wie er war. Es gab aber Leute, die ihn mit geheimen Verdächtigungen beschuldigten, er hintertreibe aus Neid und Rivalität das Glück des Bruders. Denn Flavius Sabinus übertraf als der Ältere, während beide noch Privatleute waren, an Ansehen und Geld Vespasian, und man glaubte, er habe diesen, als dessen Kreditwürdigkeit einmal angeschlagen war, erst dann schäbig unterstützt, als er Haus und Grundstücke als Pfand bekommen hatte. Von daher fürchtete man sich, obwohl zum Schein die Eintracht erhalten bleibe, vor verdeckten Anfeindungen. (2) Die

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ta metuebantur. (2) melior interpretatio, mitem virum abhorrere a sanguine et caedibus, eoque crebris cum Vitellio sermonibus de pace ponendisque per condicionem armis agitare. saepe domi congressi, postremo in aede Apollinis, ut fama fuit, pepigere. verba vocesque duos testes habebant, Cluvium Rufum et Silium Italicum: voltus procul visentibus notabantur, Vitellii proiectus et degener, Sabinus non insultans et miseranti propior.

66 (1) Quod si tam facile suorum mentes flexisset Vitellius, quam ipse cesserat, incruentam urbem Vespasiani exercitus intrasset. ceterum ut quisque Vitellio fidus, ita pacem et condiciones abnuebant, discrimen ac dedecus ostentantes et fidem in libidine victoris. (2) nec tantam Vespasiano superbiam, ut privatum Vitellium pateretur, ne victos quidem laturos: ita periculum ex misericordia. ipsum sane senem et prosperis adversisque satiatum, sed quod nomen, quem statum filio eius Germanico fore? nunc pecuniam et familiam et beatos Campaniae sinus promitti: sed ubi imperium Vespasianus invaserit, non ipsi, non amicis eius, non denique exercitibus securitatem nisi exstincto aemulo redituram. (3) Fabium illis Valentem, captivum et casibus dubiis reservatum, praegravem fuisse, nedum Primus ac Fuscus et specimen partium Mucianus ullam in Vitellium nisi occidendi licentiam habeant. non a Caesare Pompeium, non ab Augusto Antonium incolumes relictos, nisi forte Vespasianus altiores spiritus gerat, Vitellii cliens, cum Vitellius collega Claudio foret. (4) quin, ut censuram patris, ut tres consulatus, ut tot egregiae domus honores deceret, desperatione saltem in audaciam accingeretur. perstare militem, superesse studia populi; denique nihil atrocius eventurum,

Historien 3,65,2-3,66,4

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wohlwollendere Auslegung war, der gutmütige Mann schrecke vor Blutvergießen und Totschlag zurück und verhandle deshalb in häufigen Gesprächen mit Vitellius über den Frieden und das Niederlegen der Waffen auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen. Oft kamen sie zu Hause zusammen, schließlich trafen sie, wie es hieß, im Apollotempel eine Abmachung. Der Wortlaut und die einzelnen Äußerungen hatten nur zwei Zeugen, Cluvius Rufus und Silius Italicus; ihre Mienen wurden von Zuschauern aus der Ferne beobachtet, die des Vitellius war niedergeschlagen und seiner Stellung unwürdig, Sabinus triumphierte nicht und glich eher einem Mann, der Mitleid hat. 66 (1) Wenn aber Vitellius die Einstellung seiner Anhänger so leicht hätte umbiegen können, wie er selbst nachgegeben hatte, wäre das Heer Vespasians ohne Blutvergießen in die Hauptstadt eingezogen. Aber je treuer einer zu Vitellius hielt, desto mehr lehnte er den Frieden und seine Bedingungen ab; sie wiesen dabei auf die Gefahr und die Schande hin und dass das Worthalten im Belieben des Siegers liege. (2) Auch sei das Überlegenheitsgefühl Vespasians nicht derart groß, dass er Vitellius als Privatmann ertragen könne, nicht einmal die Besiegten33 würden das hinnehmen. Deshalb erwachse Gefahr aus dem Mitleid. Er selbst sei freilich schon ein alter Mann und habe Erfolge und Misserfolge im Übermaß erlebt, aber welchen Namen, welche Stellung werde sein Sohn Germanicus haben? Jetzt verspreche man Geld, Dienerschaft und die prächtigen Buchten Kampaniens. Doch sobald sich Vespasian der Herrschaft bemächtigt habe, werde sich bei ihm persönlich, bei seinen Freunden, schließlich bei den Heeren das Gefühl der Sicherheit nur nach Beseitigung seines Rivalen wieder einstellen. (3) Fabius Valens, in Gefangenschaft für kritische Situationen aufgespart,34 sei für sie eine unerträgliche Belastung gewesen, geschweige denn dass Primus und Fuscus und das Aushängeschild der Partei Mucian irgendeine andere Handlungsfreiheit Vitellius gegenüber besäßen, als ihn umzubringen. Pompejus sei nicht von Cäsar, Antonius nicht von Augustus am Leben gelassen worden35 – es sei denn, Vespasian habe zufällig eine großherzigere Einstellung, der Schützling eines Vitellius zu der Zeit, als dieser Vitellius Kollege des Claudius gewesen sei! (4) Vielmehr solle er sich, wie es dem Zensoramt seines Vaters, den drei Konsulaten, so vielen Ehrenämtern seines erlauchten Hauses angemessen sei,36 wenigstens aus Verzweiflung zu einer mutigen Tat aufraffen. Die Soldaten stünden fest zu ihm, die Sympathien des Volks gehörten immer noch ihm. Schließlich werde ihnen kein schrecklicheres Schicksal zuteil werden als das, in das sie sich aus eigenem Entschluss stürzten. Sterben müssten

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Historiarum liber tertius

quam in quod sponte ruant. moriendum victis, moriendum deditis: id solum referre, novissimum spiritum per ludibrium et contumelias effundant an per virtutem. 67 (1) Surdae ad fortia consilia Vitellio aures: obruebatur animus miseratione curaque, ne pertinacibus armis minus placabilem victorem relinqueret coniugi ac liberis. erat illi et fessa aetate parens; quae tamen paucis ante diebus opportuna morte excidium domus praevenit, nihil principatu filii adsecuta nisi luctum et bonam famam. (2) XV kalendas Ianuarias audita defectione legionis cohortiumque, quae se Narniae dediderant, pullo amictu Palatio degreditur, maesta circum familia; ferebatur lecticula parvulus filius velut in funebrem pompam: voces populi blandae et intempestivae, miles minaci silentio.

68 (1) Nec quisquam adeo rerum humanarum immemor, quem non commoveret illa facies, Romanum principem et generis humani paulo ante dominum relicta fortunae suae sede per populum, per urbem exire de imperio. nihil tale viderant, nihil audierant. repentina vis dictatorem Caesarem oppresserat, occultae Gaium insidiae, nox et ignotum rus fugam Neronis absconderant, Piso et Galba tamquam in acie cecidere: (2) in sua contione Vitellius, inter suos milites, prospectantibus etiam feminis, pauca et praesenti maestitiae congruentia locutus – cedere se pacis et rei publicae causa, retinerent tantum memoriam sui fratremque et coniugem et innoxiam liberorum aetatem miserarentur –, simul filium protendens, modo singulis modo universis commendans, postremo fletu praepediente adsistenti consuli (Caecilius Simplex erat) exsolutum a latere pugionem, velut ius necis vitaeque civium reddebat. (3) aspernante consule, reclamantibus qui in contione adstiterant, ut in aede Concordiae positurus insignia imperii domumque fratris petiturus discessit. maior hic clamor obsistentium penatibus privatis, in

Historien 3,66,4-3,68,3

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sie bei einer Niederlage, sterben nach einer Kapitulation. Nur darauf komme es an, ob sie den letzten Atemzug in Spott und Schande aushauchten oder in mannhafter Haltung. 67 (1) Taub waren für tapfere Ratschläge Vitellius’ Ohren. Innerlich wurde er von Jammer und der Sorge überschüttet, bei einem hartnäckigen Festhalten an den Waffen werde er einen weniger versöhnlichen Sieger seiner Frau und seinen Kindern hinterlassen. Er hatte auch noch eine altersschwache Mutter; diese kam dennoch wenige Tage vorher durch einen rechtzeitigen Tod dem Untergang ihres Hauses zuvor, nachdem sie durch den Prinzipat ihres Sohnes nur Trauer erlangt hatte und einen guten Ruf. (2) Als er am 18. Dezember vom Abfall der Legion und der Kohorten, die in Narnia kapituliert hatten, hörte, ging er in dunkler Kleidung vom Palatium hinab inmitten einer wehmütigen Dienerschaft. Auf einem Tragebett trug man seinen kleinen Sohn mit wie bei einem Leichenzug. Die Zurufe des Volks waren schmeichlerisch und den Umständen nicht angemessen, die Soldaten verharrten in trotzigem Schweigen. 68 (1) Da war niemand derart ohne einen Gedanken an das Los der Menschen, dass ihn dieses Bild nicht bewegt hätte: Der römische Princeps, kurz zuvor noch Herr über das Menschengeschlecht, hatte den Amtssitz seiner hohen Stellung verlassen und ging nun durch das Volk, durch die Hauptstadt hinaus aus seiner Herrschaft. Nichts dergleichen hatte man je gesehen, nichts gehört. Eine überraschende Gewalttat hatte den Diktator Cäsar beseitigt, ein geheimes Attentat den Gaius, die Nacht und ein unbekanntes Landgut hatten Neros Flucht verhüllt,37 Piso und Galba fielen sozusagen im Kampf: (2) In einer von ihm selbst einberufenen Versammlung, unter seinen eigenen Soldaten hielt Vitellius sogar vor den Augen von Frauen eine kurze und zur augenblicklichen wehmütigen Stimmung passende Ansprache: Er mache Platz um des Friedens und des Staates willen; sie sollten ihn nur im Gedächtnis behalten und Mitleid mit seinem Bruder, seiner Gattin und seinen Kindern in ihrem unschuldigen Alter haben. Dabei streckte er ihnen seinen Sohn entgegen und vertraute ihn bald einzelnen Personen, bald allen zusammen an. Schließlich versuchte er mit tränenerstickter Stimme dem dabeistehenden Konsul – es handelte sich um Caecilius Simplex – seinen von der Seite gelösten Dolch gleichsam als das Recht über Leben und Tod der Mitbürger zu übergeben. (3) Als der Konsul ablehnte und die Versammlungsteilnehmer laut Einspruch erhoben, ging er weg, als beabsichtige er, im Concordia-Tempel38 die Abzeichen der Herrschaft niederzulegen und das Haus seines Bruders aufzusuchen. Daraufhin erhob sich ein noch lauteres Geschrei der Leute, die sich seinem Eintritt in ein Privathaus wider-

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Palatium vocantium. interclusum aliud iter, idque solum, quo in sacram viam pergeret, patebat: tum consilii inops in Palatium redit. 69 (1) Praevenerat rumor ‹e›iurari ab eo imperium, scripseratque Flavius Sabinus cohortium tribunis, ut militem cohiberent. igitur tamquam omnis res publica in Vespasiani sinum cecidisset, primores senatus et plerique equestris ordinis omnisque miles urbanus et vigiles domum Flavii Sabini complevere. illuc de studiis volgi et minis Germanicarum cohortium adfertur. (2) longius iam progressus erat, quam ut regredi posset; et suo quisque metu, ne disiectos eoque minus validos Vitelliani consectarentur, cunctantem in arma impellebant; sed quod in eius modi rebus accidit, consilium ab omnibus datum est, periculum pauci sumpsere. circa lacum Fundani descendentibus, qui Sabinum comitabantur, armatis occurrunt promptissimi Vitellianorum. modicum ibi proelium improviso tumultu, sed prosperum Vitellianis fuit. (3) Sabinus re trepida, quod tutissimum e praesentibus, arcem Capitolii insedit mixto milite et quibusdam senatorum equitumque, quorum nomina [aut] tradere haud promptum est, quoniam victore Vespasiano multi id meritum erga partes simulavere. subierunt obsidium etiam feminae, inter quas maxime insignis Verulana Gratilla, neque liberos neque propinquos, sed bellum secuta. (4) Vitellianus miles socordi custodia clausos circumdedit; eoque concubia nocte suos liberos Sabinus et Domitianum fratris filium in Capitolium accivit, misso per neglecta ad Flavianos duces nuntio, qui circumsideri ipsos et, ni subveniretur, artas res nuntiaret. noctem adeo quietam egit, ut digredi sine noxa potuerit: quippe miles Vitellii adversus pericula ferox, laboribus et vigiliis parum intentus erat, et hibernus imber repente fusus oculos auresque impediebat.

Historien 3,68,3-3,69,4

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setzten und „Ins Palatium!“ riefen. Versperrt war ein anderer Weg, allein der stand offen, auf dem er zur Heiligen Straße39 kommen konnte. Da kehrte er ratlos ins Palatium zurück. 69 (1) Vorausgeeilt war das Gerücht, er schwöre der Herrschaft ab,40 und Flavius Sabinus hatte den Kohortentribunen geschrieben, sie sollten ihre Soldaten zurückhalten. Deshalb füllten, als sei der gesamte Staat Vespasian schon in den Schoß gefallen, die führenden Männer des Senats, zahlreiche Angehörige des Ritterstandes, die gesamten städtischen Soldaten und Wachmannschaften das Haus des Flavius Sabinus. Dorthin kam die Nachricht von den Sympathiekundgebungen des Volks und der drohenden Haltung der germanischen Kohorten.41 (2) Aber er war schon zu weit gegangen, als dass er noch einen Schritt hätte zurückgehen können. Weil jeder für seine Person Angst hatte, die Vitellianer könnten sie verfolgen, wenn sie getrennt und deshalb weniger schlagkräftig seien, versuchten sie ihn trotz seines Zögerns zum Griff zu den Waffen zu veranlassen. Aber was in derartigen Fällen geschieht: Rat wurde von allen erteilt, die Gefahr nahmen nur wenige auf sich. Als die Begleiter des Sabinus bewaffnet in der Nähe des Fundanus-Brunnens42 hinabzogen, stellten sich ihnen die schneidigsten Vitellianer in den Weg. Dort kam es bei dem unvorhergesehenen Zusammenstoß zu einer unbedeutenden Auseinandersetzung, aber sie verlief erfolgreich für die Vitellianer. (3) Sabinus besetzte in diesem kritischen Augenblick, was unter den gegebenen Umständen die sicherste Maßnahme war, die Burg des Kapitols mit seinen Soldaten, denen sich einige Senatoren und Ritter anschlossen. Deren Namen zu überliefern ist nicht ganz einfach, weil nach dem Sieg Vespasians viele Personen dieses Verdienst für seine Partei zu Unrecht für sich in Anspruch nahmen. An der Belagerung nahmen auch Frauen teil, unter denen vor allem Verulana Gratilla auffiel, weil sie weder ihren Kindern noch Verwandten, sondern nur dem Krieg nachgelaufen war. (4) Die vitellianischen Soldaten umgaben die Eingeschlossenen mit einer nachlässigen Wache. Daher konnte mitten in der Nacht Sabinus seine eigenen Kinder und Domitian, den Sohn seines Bruders, auf das Kapitol holen, nachdem er an einer unbewachten Stelle zu den flavianischen Kommandeuren einen Boten geschickt hatte, der melden sollte, sie selbst würden belagert und die Lage werde, wenn man nicht zu Hilfe komme, bedenklich. Er verbrachte eine derart ruhige Nacht, dass er ohne Gefährdung hätte abziehen können. Denn die Soldaten des Vitellius waren Gefahren gegenüber wild entschlossen, zeigten aber recht wenig Eifer bei körperlichen Anstrengungen und auf Wache; zudem behinderte ein plötzlich einsetzender Winterregen Augen und Ohren.

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Historiarum liber tertius

70 (1) Luce prima Sabinus, antequam in vicem hostilia coeptarent, Cornelium Martialem e primipilaribus ad Vitellium misit cum mandatis et questu, quod pacta turbarentur: simulationem prorsus et imaginem deponendi imperii fuisse ad decipiendos tot inlustres viros. cur enim e rostris fratris domum, imminentem foro et inritandis hominum oculis, quam Aventinum et penates uxoris petisset? ita privato et omnem principatus speciem vitanti convenisse. (2) contra Vitellium in Palatium, in ipsam imperii arcem regressum; inde armatum agmen emissum, stratam innocentium caedibus celeberrimam urbis partem, ne Capitolio quidem abstineri. togatum nempe se et unum e senatoribus: dum inter Vespasianum ac Vitellium proeliis legionum, captivitatibus urbium, deditionibus cohortium iudicatur, iam Hispaniis German‹i›isque et Britannia desciscentibus, fratrem Vespasiani mansisse in fide, donec ultro ad condiciones vocaretur. (3) pacem et concordiam victis utilia, victoribus tantum pulchra esse. si conventionis paeniteat, non se, quem perfidia deceperit, ferro peteret, non filium Vespasiani vix puberem – quantum occisis uno sene et uno iuvene profici? –: iret obviam legionibus et de summa rerum illic certaret: cetera secundum eventum proelii cessura. (4) trepidus ad haec Vitellius pauca purgandi sui causa respondit, culpam in militem conferens, cuius nimio ardori imparem esse modestiam suam; et monuit Martialem, ut per secretam aedium partem occulte abiret, ne ‹a› militibus internuntius invisae pacis interficeretur: ipse neque iubendi neque vetandi potens non iam imperator, sed tantum belli causa erat.

71 (1) Vixdum regresso in Capitolium Martiale furens miles aderat, nullo duce, sibi quisque auctor. cito agmine forum et imminentia foro templa praetervecti erigunt aciem per adversum collem usque ad primas Capitolinae arcis fores. erant antiquitus porticus in latere clivi dextrae subeuntibus,

Historien 3,70,1-3,71,1

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70 (1) Im Morgengrauen schickte Sabinus vor Beginn der gegenseitigen Kampfhandlungen Cornelius Martialis von den Primipilaren zu Vitellius mit Aufträgen und der Beschwerde, die Abmachungen würden nicht eingehalten. Das Ganze sei nur Verstellung und die Inszenierung eines Herrschaftsverzichts gewesen zu dem Zweck, so viele hervorragende Männer zu täuschen. Warum denn sonst habe er von der Rednerbühne weg das Haus seines Bruders, das unmittelbar am Forum liege und die Blicke der Menschen auf sich ziehe, anstatt den Aventin und das Heim seiner Frau aufgesucht? So hätte es sich für einen Privatmann gehört, der jeden Anschein des Anspruchs auf den Prinzipat vermeiden wollte. (2) Stattdessen sei Vitellius in das Palatium und damit in die Burg der Herrschaft schlechthin zurückgegangen. Von dort habe man eine bewaffnete Schar ausgeschickt, mit den Leichen unschuldiger Menschen den belebtesten Teil der Hauptstadt bedeckt, nicht einmal vom Kapitol halte man sich zurück. Ein friedlicher Bürger sei er dagegen ja nur und einer von den Senatoren. Während man zwischen Vespasian und Vitellius durch Kämpfe zwischen Legionen, die Einnahme von Städten, die Kapitulation von Kohorten entscheide zu einer Zeit, wo schon Spanien, Germanien und Britannien abfielen, sei er, Vespasians Bruder, bei seinem Wort geblieben, bis man ihn ohne sein Zutun zu Verhandlungen gerufen habe. (3) Friede und Eintracht seien nur für Besiegte von Nutzen, für Sieger lediglich schöne Begriffe. Falls er die Übereinkunft bereue, solle er nicht auf ihn, den er mit seiner Treulosigkeit getäuscht habe, mit der Waffe losgehen, nicht auf den kaum erwachsenen Sohn Vespasians43 – welchen Vorteil habe man schon von der Ermordung des einen alten und des einen jungen Mannes? Entgegenziehen solle er den Legionen und um die höchste Macht dort streiten; der Rest werde sich nach dem Ausgang des Kampfes ergeben. (4) Bestürzt antwortete darauf Vitellius mit wenigen Worten zu seiner Rechtfertigung, wobei er die Schuld auf die Soldaten schob, deren allzu großem Feuereifer sein zurückhaltendes Wesen nicht gewachsen sei. Dann forderte er Martialis auf, sich durch den abgelegenen Teil des Hauses hinauszuschleichen, damit er nicht von den Soldaten als Vermittler des verhassten Friedens umgebracht werden könne. Er selbst, weder zu befehlen noch zu verbieten imstande, war nun nicht mehr Oberbefehlshaber, sondern nur mehr Anlass zum Krieg. 71 (1) Kaum war Martialis aufs Kapitol zurückgekehrt, da waren schon die tobenden Soldaten zur Stelle, ohne einen Kommandeur, jeder sein eigener Herr. Im Laufschritt zogen sie am Forum und den unmittelbar am Forum gelegenen Tempeln vorbei und stellten sich den gegenüberliegenden Hang hinauf bis hin zum ersten Tor der kapitolinischen Burg zum Kampf auf. Es standen seit alten Zeiten Säulenhallen am Rande des Abhangs

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Historiarum liber tertius

in quarum tectum egressi saxis tegulisque Vitellianos obruebant. (2) neque illis manus nisi gladiis armatae, et arcessere tormenta aut missilia tela longum videbatur: faces in prominentem porticum iecere et sequebantur ignem ambustasque Capitolii fores penetrassent, ni Sabinus revolsas undique statuas, decora maiorum, in ipso aditu vice muri obiecisset. (3) tum diversos Capitolii aditus invadunt, iuxta lucum asyli et qua Tarpeia rupes centum gradibus aditur. improvisa utraque vis; propior atque acrior per asylum ingruebat. nec sisti poterant scandentes per coniuncta aedificia, quae ut in multa pace in altum edita solum Capitolii aequabant. (4) hic ambigitur, ignem tectis obpugnatores iniecerint, an obsessi, quae crebrior fama, nitentes ac progressos depulerint. inde lapsus ignis in porticus adpositas aedibus; mox sustinentes fastigium aquilae vetere ligno traxerunt flammam alueruntque. sic Capitolium clausis foribus indefensum et indireptum conflagravit.

72 (1) Id facinus post conditam urbem luctuosissimum foedissimumque rei publicae populi Romani accidit, nullo externo hoste, propitiis, si per mores nostros liceret, deis, sedem Iovis Optimi Maximi auspicato a maioribus pignus imperii conditam, quam non Porsenna dedita urbe neque Galli capta temerare potuissent, furore principum excindi. arserat et ante Capitolium civili bello, sed fraude privata: nunc palam obsessum, palam incensum, quibus armorum causis? quo tantae cladis pretio? stetit, ‹dum› pro patria bellavimus. (2) voverat Tarquinius Priscus rex bello Sabino ieceratque fundamenta spe magis futurae magnitudinis, quam quo modicae adhuc populi Romani res sufficerent. mox Servius Tullius sociorum studio, dein Tarquinius

Historien 3,71,1-3,72,2

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rechts, wenn man hinaufgeht, auf deren Dach sie hinaustraten und mit Steinen und Ziegeln die Vitellianer überschütteten. (2) Diese hatten nur ihre mit Schwertern bewaffneten Hände, und Wurfgeschütze oder -geschosse herbeizuholen schien zu umständlich. Da warfen sie Fackeln in eine vorspringende Säulenhalle, wollten dem Feuer nachgehen und wären schon durch das halbverbrannte Tor des Kapitols eingedrungen, wenn Sabinus nicht von allen Seiten umgestürzte Statuen, die Ehrenmäler der Vorfahren, unmittelbar am Eingang anstelle einer Mauer aufgetürmt hätte. (3) Dann stürmten sie auf die einander gegenüberliegenden Zugänge zum Kapitol zu, neben dem Hain des Asyls44 und wo man auf den Tarpejischen Felsen über die Hundert Stufen hinaufsteigen kann. Unvermutet setzte auf beiden Seiten die Gewalt ein; näher und heftiger tobte sie durchs Asyl. Man konnte die Angreifer beim Aufstieg durch die aneinanderstoßenden Gebäude nicht aufhalten. Diese waren im Vertrauen auf eine lange Periode des Friedens in die Höhe gebaut worden und erreichten so das Niveau des Kapitolhügels. (4) Hier nun ist umstritten, ob die Angreifer Feuer in die Häuser warfen oder ob die Belagerten, so heißt es häufiger, damit ihre sich hocharbeitenden und schon weit vorgedrungenen Gegner hinabtrieben. Von dort griff das Feuer auf die an die Tempel anstoßenden Säulenhallen über; dann zogen die das Dach tragenden Adler45 mit ihrem alten Holz die Flamme an und boten ihr Nahrung. So brannte das Kapitol bei geschlossenen Toren unverteidigt und ungeplündert nieder. 72 (1) Diese Schandtat war seit Gründung der Stadt das traurigste und verabscheuungswürdigste Ereignis, das dem Gemeinwesen des römischen Volks widerfuhr: Ohne einen auswärtigen Feind, als die Götter, falls das bei unseren moralischen Zuständen überhaupt möglich ist, gnädig waren, wurde der Sitz Jupiters des Besten und Größten, der unter günstigen Vorzeichen von unseren Vorfahren als Unterpfand der Herrschaft errichtet worden war, den nicht ein Porsenna nach der Kapitulation der Hauptstadt und auch nicht die Gallier nach ihrer Eroberung entweihen konnten, durch das Wüten der Principes zerstört. In Brand geraten war das Kapitol auch früher schon im Bürgerkrieg, aber durch die Hinterlist von Privatleuten.46 Jetzt aber war es ganz offen belagert, ganz offen angezündet worden. Aus welchen militärischen Motiven heraus? Was war der Lohn für diese furchtbare Katastrophe? Es stand, solange wir für unser Vaterland Kriege führten. (2) Gelobt hatte es der König Tarquinius Priscus im Krieg gegen die Sabiner, und er hatte die Grundmauern mehr aus der Hoffnung auf kommende Größe heraus gelegt, als dass die damals noch bescheidenen Mittel des römischen Volks dafür ausgereicht hätten. Später baute es Servius Tullius unter eifriger Beteiligung der Bundesgenossen, anschließend Tarquinius Superbus

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Historiarum liber tertius

Superbus capta Suessa Pometia hostium spoliis exstruxere. sed gloria operis libertati reservata: pulsis regibus Horatius Pulvillus iterum consul dedicavit ea magnificentia, quam immensae postea populi Romani opes ornarent potius quam augerent. (3) isdem rursus vestigiis situm est, postquam interiecto quadringentorum quindecim annorum spatio L. Scipione C. Norbano consulibus flagraverat. curam victor Sulla suscepit, neque tamen dedicavit: hoc solum felicitati eius negatum. Lutatii Catuli nomen inter ‹tan›ta Caesarum opera usque ad Vitellium mansit. ea tunc aedes cremabatur.

73 (1) Sed plus pavoris obsessis quam obsessoribus intulit. quippe Vitellianus miles neque astu neque constantia inter dubia indigebat: ex diverso trepidi milites, dux segnis et velut captus animi non lingua, non auribus competere; neque alienis consiliis regi neque sua expedire, huc illuc clamoribus hostium circumagi, quae iusserat vetare, quae vetuerat iubere; mox, quod in perditis rebus accidit, omnes praecipere, nemo exsequi; postremo abiectis armis fugam et fallendi artes circumspectabant. (2) inrumpunt Vitelliani et cuncta sanguine ferro flammisque miscent. pauci militarium virorum, inter quos maxime insignes Cornelius Martialis, Aemilius Pacensis, Casperius Niger, Didius Scaeva, pugnam ausi obtruncantur. Flavium Sabinum inermem neque fugam coeptantem circumsistunt et Quintium Atticum consulem, umbra honoris et suamet vanitate monstratum, quod edicta in populum pro Vespasiano magnifica, probrosa adversus Vitellium iecerat. (3) ceteri per varios casus elapsi, quidam servili habitu, alii fide clientium contecti et inter sarcinas abditi. fuere qui excepto Vitellianorum signo, quo inter se noscebantur, ultro rogitantes respondentesve audaciam pro latebra haberent.

74 (1) Domitianus, prima inruptione apud aedituum occultatus, sollertia liberti lineo amictu turbae sacricolarum immixtus ignoratusque apud Corne-

Historien 3,72,2-3,74,1

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nach der Eroberung Suessa Pometias mit der feindlichen Beute aus. Aber der mit der Vollendung des Baus verbundene Ruhm blieb der freiheitlichen Staatsform vorbehalten: Nach der Vertreibung der Könige weihte es Horatius Pulvillus in seinem zweiten Konsulat47 mit der Pracht, die der später unermessliche Reichtum des römischen Volkes eher nur verschönern als steigern konnte. (3) An derselben Stelle wurde es wieder aufgebaut, nachdem es nach einem Zeitraum von 415 Jahren unter den Konsuln L. Scipio und C. Norbanus48 abgebrannt war. Diese Aufgabe übernahm der Sieger Sulla, und dennoch weihte er es nicht ein; das war das Einzige, was seinem Glück49 versagt blieb. Der Name des Lutatius Catulus50 hielt sich unter den so bedeutenden Bauwerken der Cäsaren bis hin zu Vitellius. Das war das Heiligtum, das damals eingeäschert wurde. 73 (1) Aber mehr Furcht jagte das den Belagerten als den Belagerern ein. Denn den vitellianischen Soldaten fehlte es in schwierigen Situationen weder an Findigkeit noch an Ausdauer. Auf der Gegenseite waren die Soldaten ängstlich, ihr Kommandeur unentschlossen und wie betäubt nicht seiner Zunge, nicht seiner Ohren mächtig. Weder ließ er sich von fremden Überlegungen leiten noch teilte er seine eigenen mit, ließ sich durch das Geschrei der Feinde hierhin und dorthin treiben, verbot, was er befohlen, und was er verboten hatte, befahl er. Dann kam, was geschieht, wenn die eigene Sache verloren ist: Alle gaben Anweisungen, niemand befolgte sie. Schließlich warfen sie die Waffen weg und schauten sich nur mehr nach einer Fluchtmöglichkeit und Wegen um, unentdeckt zu bleiben. (2) Nun drangen die Vitellianer ein und stürzten alles in ein Durcheinander von Blut, Schwert und Flammen. Nur ein paar altgediente Soldaten, unter ihnen die bekanntesten Cornelius Martialis, Aemilius Pacensis, Casperius Niger und Didius Scaeva, wagten den Kampf und wurden niedergemacht. Flavius Sabinus, der unbewaffnet war und nicht an Flucht dachte, umstellten sie und dazu den Konsul Quintius Atticus, der durch das Schattenbild seines Ehrenamtes und sein persönliches Geltungsbedürfnis aufgefallen war, weil er Erlasse unter das Volk gestreut hatte, für Vespasian voller Lobhudelei, voller Schmähungen für Vitellius. (3) Alle anderen entkamen auf allerlei Art und Weise, manche in Sklaventracht, andere von der Treue ihrer Klienten gedeckt und unter Gepäckstücken verborgen. Es gab ein paar, die die Parole der Vitellianer, mit der diese sich gegenseitig zu erkennen gaben, aufgeschnappt hatten, nun ihrerseits danach fragten oder antworteten und so gewagtes Verhalten als Zufluchtsort ansahen. 74 (1) Domitian hatte sich gleich zu Beginn des Überfalls bei einem Tempeldiener versteckt, mischte sich dann dank der Erfindungsgabe eines Freigelassenen in einem Leinenumhang51 unter die Schar der Opferdiener, blieb

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Historiarum liber tertius

lium Primum paternum clientem iuxta Velabrum delituit. ac potiente rerum patre, disiecto aeditui contubernio, modicum sacellum Iovi Conservatori aramque posuit casus suos in marmore expressam; mox imperium adeptus Iovi Custodi templum ingens seque in sinu dei sacravit. (2) Sabinus et Atticus onerati catenis et ad Vitellium ducti nequaquam infesto sermone voltuque excipiuntur, frementibus qui ius caedis et praemia navatae operae petebant. clamore ‹a› proximis orto sordida pars plebis supplicium Sabini exposcit, minas adulationesque miscet. stantem pro gradibus Palatii Vitellium et preces parantem pervicere, ut absisteret: tum confossum [con]laceratumque et absciso capite truncum corpus Sabini in Gemonias trahunt.

75 (1) Hic exitus viri haud sane spernendi. quinque et triginta stipendia in re publica fecerat, domi militiaeque clarus. innocentiam iustitiamque eius non argueres; sermonis nimius erat: id unum septem annis quibus Moesiam, duodecim quibus praefecturam urbis obtinuit, calumniatus est rumor. in fine vitae alii segnem, multi moderatum et civium sanguinis parcum credidere. quod inter omnis constiterit, ante principatum Vespasiani decus domus penes Sabinum erat. (2) caedem eius laetam fuisse Muciano accepimus. ferebant plerique etiam paci consultum dire‹m›pta aemulatione inter duos, quorum alter se fratrem imperatoris, alter consortem imperii cogitaret. (3) sed Vitellius consulis supplicium poscenti populo restitit, placatus ac velut vicem reddens, quod interrogantibus, quis Capitolium incendisset, se reum Atticus obtulerat eaque confessione, sive aptum tempori mendacium fuit, invidiam crimenque adgnovisse et a partibus Vitellii amolitus videbatur.

Historien 3,74,1-3,75,3

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deshalb unerkannt und konnte sich bei Cornelius Primus, einem Klienten seines Vaters, in der Nähe des Velabrum verkriechen. Nachdem sich dann sein Vater der Herrschaft bemächtigt hatte, ließ er die Wohnung des Tempeldieners abtragen und errichtete eine bescheidene Kapelle für Jupiter den Erretter und einen Altar, auf dem seine Abenteuer in Marmor dargestellt waren. Als er später den Oberbefehl erhalten hatte, weihte er Jupiter dem Bewahrer einen gewaltigen Tempel und (eine Darstellung von) sich selbst im Schoße des Gottes. (2) Sabinus und Atticus wurden, mit Ketten beladen und zu Vitellius geführt, keineswegs mit feindseligen Worten und Blicken empfangen; deshalb protestierten die Leute, die das Recht auf ihre Ermordung und die Belohnungen für den geleisteten Dienst einfordern wollten. Nachdem seine nächste Umgebung in Geschrei ausgebrochen war, verlangte der Abschaum des Pöbels die Hinrichtung des Sabinus, vermengte Drohungen und Schmeichelein. Vitellius, der auf den Stufen des Palatiums stand und gerade Bitten äußern wollte, brachten sie dazu, davon abzusehen. Dann stießen sie Sabinus nieder, zerfleischten ihn, schnitten ihm den Kopf ab und schleppten den verstümmelten Leichnam auf die Gemonien. 75 (1) Das war das Ende eines Mannes, der keinesfalls Verachtung verdient. 35 Jahre hatte er im Staatsdienst verbracht und sich in Frieden und Krieg bewährt. Seine Uneigennützigkeit und seinen Sinn für Gerechtigkeit dürfte man nicht bestreiten können. Nur viel zu redselig war er: Das ist der einzige Punkt, den in den sieben Jahren, in denen er Mösien, in den zwölf, in denen er die Stadtkommandantur verwaltete, das Gerede der Leute bekrittelte. An seinem Lebensende hielten ihn die einen für unentschlossen, viele für besonnen und darauf bedacht, Bürgerblut zu schonen. Darin dürften sich jedoch alle einig sein, dass vor dem Prinzipat Vespasians der Glanz seines Hauses bei Sabinus lag. (2) Sein gewaltsamer Tod war dem Vernehmen nach für Mucian ein erfreuliches Ereignis. Sehr viele Leute vertraten die Ansicht, sogar dem Frieden sei gedient worden durch die Beseitigung der zwischen beiden Männern herrschenden Rivalität, von denen sich der eine als Bruder des Oberbefehlshabers, der andere als Partner in der Herrschaft betrachtete. (3) Wie dem auch sei, Vitellius widersetzte sich dem Volk, das die Hinrichtung des Konsuls verlangte; er war nämlich versöhnlich gestimmt und leistete sozusagen einen Gegendienst, weil sich auf die Frage, wer das Kapitol angezündet habe, Atticus als schuldig bekannt hatte und mit diesem Geständnis, mag es sich auch um eine Notlüge gehandelt haben, die Erbitterung über das Verbrechen auf sich genommen und von der Partei des Vitellius abgewälzt zu haben schien.

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76 (1) Isdem diebus L. Vitellius positis apud Feroniam castris excidio Tarracinae imminebat, clausis illic gladiatoribus remigibusque, qui non egredi moenia neque periculum in aperto audebant. praeerat, ut supra memoravimus, Iulianus gladiatoribus, ‹A›pollinaris remigibus, lascivia socordiaque gladiatorum magis quam ducum similes. (2) non vigilias agere, non intuta moenium firmare: noctu dieque fluxi et amoena litorum personantes, in ministerium luxus dispersis militibus, de bello tantum inter convivia loquebantur. paucos ante dies discesserat Apinius Tiro donisque ac pecuniis acerbe per municipia conquirendis plus invidiae quam virium partibus addebat.

77 (1) Interim ad L. Vitellium servus Vergilii Capitonis perfugit pollicitusque, si praesidium acciperet, vacuam arcem traditurum, multa nocte cohortes expeditas summis montium iugis super caput hostium sistit. inde miles ad caedem magis quam ad pugnam decurrit: sternunt inermos aut arma capientes et quosdam somno excitos, cum tenebris pavore, sonitu tubarum clamore hostili turbarentur. (2) pauci gladiatorum resistentes neque inulti cecidere: ceteri ad naves ruebant, ubi cuncta pari formidine implicabantur, permixtis paganis, quos nullo discrimine Vitelliani trucidabant. sex Liburnicae inter primum tumultum evasere, in quis praefectus classis Apollinaris; reliquae in litore captae, ‹a›ut nimio ruentium onere pressas mare hausit. (3) Iulianus ad L. Vitellium perductus et verberibus foedatus in ore eius iugulatur. fuere qui uxorem L. Vitellii Triariam incesserent, tamquam gladio militari cincta inter luctum cladesque expugnatae Tarracinae superbe saeveque egisset. ipse lauream gestae prospere rei ad fratrem misit, percunctatus statim regredi se an perdomandae Campaniae insistere iuberet. (4) quod salutare non modo partibus Vespasiani, sed rei publicae fuit. nam si

Historien 3,76,1-3,77,4

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76 (1) In den gleichen Tagen schlug L. Vitellius bei der Feronia52 ein Lager und bedrohte so Tarracina mit der Vernichtung. Dort waren nämlich die Gladiatoren und Ruderer eingeschlossen, die sich nicht aus den Stadtmauern herauszukommen und ein Risiko im freien Gelände einzugehen wagten. Es kommandierte, wie oben erwähnt,53 Iulianus die Gladiatoren, Apollinaris die Ruderer, an Zügellosigkeit und Lässigkeit mehr Gladiatoren als militärischen Führern ähnlich. (2) Sie stellten keine Nachtwachen auf, verstärkten schwache Mauerabschnitte nicht: Tag und Nacht trieben sie sich ausgelassen herum und erfüllten die lieblichen Küstenabschnitte mit ihrem Lärm. Denn die Soldaten hatten sich im Dienste ihres Lotterlebens voneinander getrennt, und über den Krieg sprach man nur mehr bei Gelagen. Wenige Tage vorher war Apinius Tiro abgezogen und brachte durch die rücksichtslose Eintreibung von Geschenken und Geld in den Landstädten seiner Partei mehr Erbitterung als Stärke ein. 77 (1) In der Zwischenzeit lief zu L. Vitellius ein Sklave des Vergilius Capito über und versprach, falls er einen Trupp Soldaten erhalte, die unbesetzte Burg zu übergeben. Tief in der Nacht ließ er kampfbereite Kohorten auf den Gipfeln der Berge über den Köpfen der Feinde Stellung beziehen. Von dort liefen die Soldaten mehr zu einem Gemetzel als zu einem Kampf hinab. Sie schlugen die unbewaffneten oder erst nach ihren Waffen greifenden und einige gerade aus dem Schlaf aufgeschreckte Gegner nieder, weil diese in der Dunkelheit, vor Angst, bei dem Geschmetter der Trompeten und dem Geschrei der Feinde völlig konfus waren. (2) Nur einige wenige Gladiatoren leisteten Widerstand und fielen, nicht ohne ihren Gegnern Verluste beigebracht zu haben. Der Rest stürzte zu den Schiffen, wo alles in gleicher Panik drunter und drüber ging; Zivilisten befanden sich darunter, die von den Vitellianern unterschiedslos niedergemacht wurden. Nur sechs Liburnen entkamen gleich zu Beginn des Durcheinanders, auf ihnen der Flottenkommandant Apollinaris. Alle übrigen wurden am Strand gekapert, oder es verschlang sie, weil sie von dem zu hohen Gewicht der sich auf sie stürzenden Männer unter Wasser gedrückt wurden, das Meer. (3) Iulianus wurde zu L. Vitellius geführt, mit Schlägen schrecklich zugerichtet und vor seinen Augen umgebracht. Es gab Leute, die L. Vitellius’ Frau Triaria beschuldigten, sie habe sich, mit einem Soldatenschwert umgürtet, während der traurigen Ereignisse und des Blutbads bei der Eroberung Tarracinas hochmütig und grausam aufgeführt. Er selbst schickte das lorbeerumwundene Schreiben, das seinen Erfolg anzeigte,54 seinem Bruder und erkundigte sich, ob er befehle, sofort umzukehren oder sich weiter darum zu bemühen, Kampanien ganz zu unterwerfen. (4) Das war nicht nur für Vespasians Partei, sondern für den Staat ein Segen. Denn wenn die Soldaten, die nach

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recens victoria miles et super insitam pervicaciam secundis ferox Romam contendisset, haud parva mole certatum nec sine exitio urbis foret. quippe L. Vitellio quamvis infami inerat industria, nec virtutibus, ut boni, sed quo modo pessimus quisque, vitiis valebat.

78 (1) Dum haec in partibus Vitellii geruntur, digressus Narnia Vespasiani exercitus festos Saturni dies Ocriculi per otium agitabat. causa tam pravae morae, ut Mucianum opperirentur. nec defuere qui Antonium suspicionibus arguerent tamquam dolo cunctantem post secretas Vitellii epistulas, quibus consulatum et nubilem filiam et dotales opes pretium proditionis offerebat. (2) alii ficta haec et in gratiam Muciani composita; quidam omnium id ducum consilium fuisse, ostentare potius urbi bellum quam inferre, quando validissimae cohortes a Vitellio descivissent, et abscisis omnibus praesidiis cessurus imperio videbatur: sed cuncta festinatione, deinde ignavia Sabini corrupta, qui sumptis temere armis munitissimam Capitolii arcem et ne magnis quidem exercitibus expugnabilem adversus tris cohortes tueri nequivisset. (3) haud facile quis uni adsignaverit culpam, quae omnium fuit. nam et Mucianus ambiguis epistulis victores morabatur, et Antonius praepostero obsequio, vel dum regerit invidiam, crimen meruit, ceterique duces dum peractum bellum putant, finem eius insignivere. ne Petillius quidem Cerialis cum mille equitibus praemissus, ut transversis itineribus per agrum Sabinum Salaria via urbem introiret, satis maturaverat, donec obsessi Capitolii fama cunctos simul exciret.

79 (1) Antonius per Flaminiam ad Saxa rubra multo iam noctis serum auxilium venit. illic interfectum Sabinum, conflagrasse Capitolium, tremere urbem, maesta omnia accepit; plebem quoque et servitia pro Vitellio armari

Historien 3,77,4-3,79,1

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ihrem eben erst errungenen Sieg und zusätzlich zu der ihnen eigenen Sturheit durch ihren Erfolg aufgeputscht waren, nach Rom gezogen wären, wäre es zu einem Kampf von nicht geringen Ausmaßen gekommen; das hätte für die Hauptstadt das Ende bedeutet. Denn mochte L. Vitellius auch in einem noch so schlechten Ruf stehen, er verfügte dennoch über Tatkraft, aber seine Macht beruhte nicht auf Vorzügen wie bei anständigen Zeitgenossen, sondern wie bei allen Schurken auf seinen Fehlern. 78 (1) Während dieser Vorgänge bei der Partei des Vitellius zog Vespasians Heer von Narnia ab und verbrachte die Feiertage Saturns55 mit Nichtstun in Ocriculum. Der Grund für diese so unangebrachte Verzögerung lag darin, dass man auf Mucian warten wollte. Es fehlte auch nicht an Leuten, die Antonius mit Verdächtigungen beschuldigten, er zögere aus Hinterlist nach dem Eintreffen eines geheimen Briefs des Vitellius, in dem dieser den Konsulat, seine heiratsfähige Tochter und eine reichliche Mitgift als Belohnung für den Verrat anbot. (2) Andere Autoren halten das für eine Erfindung, die man sich Mucian zuliebe ausdachte; ein paar behaupten, es sei der Plan aller Kommandeure gewesen, der Hauptstadt eher den Krieg nur vor Augen zu halten als ihn in sie hineinzutragen, nachdem die schlagkräftigsten Kohorten von Vitellius abgefallen waren und man, weil er von sämtlichen Truppenteilen abgeschnitten sei, den Eindruck hatte, er werde von der Herrschaft zurücktreten. Aber all diese Vorhaben seien durch das übereilte Vorgehen, dann durch die mangelnde Entschlusskraft des Sabinus vereitelt worden, der planlos zu den Waffen gegriffen habe und die stärkstens befestigte Burg des Kapitols, die nicht einmal für große Heere zu erobern war, gegen lediglich drei Kohorten nicht habe verteidigen können. (3) Nicht leicht wird aber jemand einem einzigen Mann die Schuld zuschreiben können, die alle auf sich geladen hatten. Denn einerseits versuchte auch Mucian mit zweideutigen Briefen die Sieger hinzuhalten, andererseits zog sich Antonius durch seine verfehlte Willfährigkeit oder dadurch dass er die Erbitterung von sich ablenken wollte, einen berechtigten Vorwurf zu, und die übrigen Kommandeure verhalfen im Glauben, der Krieg sei nun ganz zu Ende geführt, seinem Schluss zu trauriger Berühmtheit. Nicht einmal Petillius Cerialis, den man mit 1 000 Kavalleristen vorausgeschickt hatte, damit er auf Schleichwegen durch das Sabinergebiet und dann auf der Via Salaria in die Hauptstadt einziehen konnte, hatte sich genügend beeilt, bis dann die Nachricht von der Belagerung des Kapitols alle miteinander aufscheuchte. 79 (1) Antonius kam auf der Flaminia zu den Roten Felsen56 erst tief in der Nacht als zu späte Hilfe. Dort erfuhr er, Sabinus sei umgebracht worden, das Kapitol in Flammen aufgegangen, die Hauptstadt zittere, es herrsche allgemeine Niedergeschlagenheit. Sogar der Pöbel und die Sklavenscharen

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nuntiabatur. et Petillio Ceriali equestre proelium adversum fuerat; namque incautum et tamquam ad victos ruentem Vitelliani, interiectus equiti pedes, excepere. (2) pugnatum haud procul urbe inter aedificia hortosque et anfractus viarum, quae gnara Vitellianis, incomperta hostibus metum fecerant. neque omnis eques concors, adiunctis quibusdam, qui nuper apud Narniam dediti fortunam partium speculabantur. capitur praefectus alae Iulius Flavianus; ceteri foeda fuga consternantur, non ultra Fidenas secutis victoribus.

80 (1) Eo successu studia populi aucta; volgus urbanum arma cepit. paucis scuta militaria, plures raptis quod cuique obvium telis signum pugnae exposcunt. agit grates Vitellius et ad tuendam urbem prorumpere iubet. mox vocato senatu deliguntur legati ad exercitus, ut praetexto rei publicae concordiam pacemque suaderent. (2) varia legatorum sors fuit. qui Petillio Ceriali occurrerant, extremum discrimen adiere, aspernante milite condiciones pacis. volneratur praetor Arulenus Rusticus: auxit invidiam, super violatum legati praetorisque nomen, propria dignatio viri. palantur comites, occiditur proximus lictor, dimovere turbam ausus, et ni dato a duce praesidio defensi forent, sacrum etiam in‹ter› exteras gentes legatorum ius ante ipsa patriae moenia civilis rabies usque in exitium temerasset. aequioribus animis accepti sunt qui ad Antonium venerant, non quia modestior miles, sed duci plus auctoritatis.

81 (1) Miscuerat se legatis Musonius Rufus equestris ordinis, studium philosophiae et placita Stoicorum aemulatus, coeptabatque permixtus manipulis, bona pacis ac belli discrimina disserens, armatos monere. id plerisque

Historien 3,79,1-3,81,1

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würden für Vitellius bewaffnet, wurde gemeldet. Zudem war für Petillius Cerialis ein Kavalleriegefecht unglücklich ausgegangen; denn als er sich unvorsichtig und als ob sie schon besiegt wären, auf sie stürzte, nahmen ihn die Vitellianer, und zwar unter die Kavallerie verteilte Infanterie, in Empfang. (2) Man kämpfte nicht weit entfernt von der Hauptstadt zwischen Gebäuden, Gärten und auf verwinkelten Wegen, die den Vitellianern bekannt waren; da ihre Feinde damit nicht vertraut waren, hatten sie Angst hervorgerufen. Auch waren sich die Kavalleristen insgesamt nicht einig, weil ihnen ein paar Einheiten angegliedert worden waren, die sich kurz zuvor bei Narnia ergeben hatten und nun das Glück der Parteien im Auge behielten. Gefangen nahm man den Regimentskommandanten Iulius Flavianus. Alle anderen jagten in schändlicher Flucht davon; dabei verfolgten die Sieger sie nicht über Fidenae hinaus. 80 (1) Durch diesen Erfolg nahm die Begeisterung des Volkes zu; der hauptstädtische Pöbel griff zu den Waffen. Nur wenige hatten Soldatenschilde, die Mehrzahl packte schnell Geräte, die jedem gerade im Weg lagen, und verlangte das Signal zum Kampf. Vitellius sprach dafür seinen Dank aus und befahl, zum Schutze der Hauptstadt loszustürmen. Dann wurde der Senat einberufen, und man bestimmte Gesandte für die Heere, die unter dem Vorwand, es gehe um das öffentliche Wohl, zu Eintracht und Frieden raten sollten. (2) Unterschiedlich war das Los der Gesandten: Die Petillius Cerialis entgegengezogen waren, gerieten in Lebensgefahr, weil seine Soldaten von Frieden nichts wissen wollten. Verwundet wurde der Prätor Arulenus Rusticus; die Erbitterung darüber steigerte zusätzlich zur Verletzung des Ansehens eines Gesandten und Prätors die persönliche Hochachtung, die der Mann genoss. Seine Begleiter liefen davon, der ihm am nächsten stehende Liktor wurde umgebracht, weil er es gewagt hatte, einen Weg durch die Menge zu bahnen, und wenn sie nicht durch eine vom Kommandeur beigegebene Eskorte geschützt worden wären, hätte das Wüten von Mitbürgern das selbst in den Augen ausländischer Völker heilige Gesandtenrecht unmittelbar vor den Mauern der eigenen Vaterstadt sogar mit einem Mord besudelt. Gelassener wurden die Gesandten aufgenommen, die zu Antonius gekommen waren, nicht weil seine Soldaten disziplinierter gewesen wären, sondern weil ihr Kommandeur über mehr Autorität verfügte. 81 (1) Es hatte sich unter die Gesandten Musonius Rufus gemischt, ein Mann aus dem Ritterstand, der sich eifrig mit der Philosophie beschäftigte und dabei den Auffassungen der Stoiker anhing.57 Nun begab er sich unter die einfachen Soldaten und begann die Vorteile des Friedens und die Gefahren des Kriegs darzulegen und so die Männer in Waffen zu belehren. Darüber amüsierten sich viele, noch mehr aber fanden es nur lästig. So fehlte es

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ludibrio, pluribus taedio: nec deerant qui propellerent proculcarentque, ni admonitu modestissimi cuiusque et aliis minitantibus omisisset intempestivam sapientiam. (2) obviae fuere et virgines Vestales cum epistulis Vitellii ad Antonium scriptis: eximi supremo certamini unum diem postulabat: si moram interiecissent, facilius omnia conventura. virgines cum honore dimissae; Vitellio rescriptum Sabini caede et incendio Capitolii dire‹m›pta belli commercia.

82 (1) Temptavit tamen Antonius vocatas ad contionem legiones mitigare, ut castris iuxta pontem Mulvi positis postera die urbem ingrederentur. ratio cunctandi, ne asperatus proelio miles non populo, non senatui, ne templis quidem ac delubris deorum consuleret. sed omnem prolationem ut inimicam victoriae suspectabant; simul fulgentia per colles vexilla, quamquam imbellis populus sequeretur, speciem hostilis exercitus fecerant. (2) tripertito agmine pars, ut adstiterat, Flaminia via, pars iuxta ripam Tiberis incessit; tertium agmen per Salariam Collinae portae propinquabat. plebs invectis equitibus fusa; miles Vitellianus trinis et ipse praesidiis occurrit. proelia ante urbem multa et varia, sed Flavianis consilio ducum praestantibus saepius prospera. (3) ii tantum conflictati sunt, qui in partem sinistram urbis ad Sallustianos hortos per angusta et lubrica viarum flexerant. superstantes maceriis hortorum Vitelliani ad serum usque diem saxis pilisque subeuntes arcebant, donec ab equitibus, qui porta Collina inruperant, circumvenirentur. concurrere et in campo Martio infestae acies. pro Flavianis fortuna et parta totiens victoria: Vitelliani desperatione sola ruebant, et quamquam pulsi, rursus in urbe congregabantur.

83 (1) Aderat pugnantibus spectator populus utque in ludicro certamine, hos, rursus illos clamore et plausu fovebat. quotiens pars altera inclinasset,

Historien 3,81,1-3,83,1

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nicht an Leuten, die ihn wegstießen und ihm Fußtritte versetzten – wenn er dann nicht doch aufgrund des Zuredens der besonnenen Männer und der Drohungen anderer von seiner unangebrachten Weisheitslehre abgesehen hätte. (2) Entgegen kamen auch die vestalischen Jungfrauen mit einem Brief des Vitellius an Antonius: Man solle den Entscheidungskampf um einen Tag verschieben, verlangte er; lege man eine Pause ein, werde man sich leichter über alles einigen können. Die Jungfrauen wurden in allen Ehren entlassen; Vitellius schrieb man zurück, durch die Ermordung des Sabinus und den Brand des Kapitols seien Verhandlungen über den Krieg hinfällig geworden. 82 (1) Dennoch versuchte Antonius die zu einer Versammlung einberufenen Legionen zu beschwichtigen: Sie sollten ein Lager neben der Milvischen Brücke schlagen und erst am nächsten Tag in die Hauptstadt einmarschieren. Der Grund für sein Zögern war die Befürchtung, die durch den Kampf verbitterten Soldaten würden nicht das Volk, nicht den Senat, ja nicht einmal die Tempel und Heiligtümer der Götter verschonen. Aber sie verdächtigten jeden Aufschub als nachteilig für ihren Sieg. Zudem hatten die über die Hügel hinweg glänzenden Standarten, obwohl ihnen nur unkriegerisches Volk folgte, den Eindruck eines feindlichen Heeres erweckt. (2) Von den drei Marschkolonnen rückte ein Teil, wie er Stellung bezogen hatte, auf der Via Flaminia, ein anderer am Tiberufer entlang vor; die dritte Kolonne näherte sich über die Salaria der Porta Collina. Der Pöbel wurde durch die heransprengende Kavallerie verjagt; die vitellianischen Soldaten marschierten selbst ebenfalls in drei Abteilungen dem Feind entgegen. Gefechte gab es vor der Hauptstadt in großer Zahl und mit verschiedenem Ausgang, aber für die Flavianer, die durch das taktische Geschick ihrer Kommandeure überlegen waren, verliefen sie häufiger erfolgreich. (3) Nur die Männer gerieten in Schwierigkeiten, die in den linken Teil der Hauptstadt zum Park des Sallust58 auf engen, glatten Wegen abgebogen waren. Die oben auf der Parkmauer stehenden Vitellianer konnten bis spät in den Abend hinein mit Steinen und Wurfspeeren den Ansturm abwehren, bis sie von den Kavalleristen, die durch die Porta Collina eingebrochen waren, umzingelt wurden. Auch auf dem Marsfeld stießen die feindlichen Reihen aufeinander. Für die Flavianer sprachen das Glück und der schon so oft errungene Sieg; die Vitellianer dagegen stürmten aus blanker Verzweiflung los, und obwohl sie zurückgeschlagen wurden, sammelten sie sich wieder in der Hauptstadt. 83 (1) Neben den Kämpfern stand als Zuschauer das Volk und unterstützte wie bei einer Veranstaltung im Zirkus die eine, dann wieder die andere Seite mit Geschrei und Beifall. Jedesmal wenn eine Partei unterlag,

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abditos in tabernis aut si quam in domum perfugerant, erui iugularique expostulantes parte maiore praedae potiebantur: nam milite ad sanguinem et caedes obverso spolia in volgus cedebant. (2) saeva ac deformis urbe tota facies: ali‹b›i proelia et volnera, alibi balineae popinaeque; simul cruor et strues corporum, iuxta scorta et scortis similes; quantum in luxurioso otio libidinum, quidquid in acerbissima captivitate scelerum, prorsus ut eandem civitatem et furere crederes et lascivire. (3) conflixerant ‹et› ante armati exercitus in urbe, bis Lucio Sulla, semel Cinna victoribus, nec tunc minus crudelitatis: nunc inhumana securitas et ne minimo quidem temporis voluptates intermissae: velut festis diebus id quoque gaudium accederet, exsultabant, fruebantur, nulla partium cura, malis publicis laeti.

84 (1) Plurimum molis in obpugnatione castrorum fuit, quae acerrimus quisque ut novissimam spem retinebant. eo intentius victores, praecipuo veterum cohortium studio, cuncta validissimarum urbium excidiis reperta simul admovent, testudinem tormenta aggeres facesque, quidquid tot proeliis laboris ac periculi hausissent, opere illo consummari clamitantes. (2) urbem senatui ac populo Romano, templa dis reddita: proprium esse militis decus in castris: illam patriam, illos penates; ni statim recipiantur, noctem in armis agendam. contra Vitelliani, quamquam numero fatoque dispares, inquietare victoriam, morari pacem, domos arasque cruore foedare suprema victis solacia amplectebantur. (3) multi semianimes super turres et propugnacula moenium exspiravere: convolsis portis reliquus globus obtulit se victoribus, et cecidere omnes contrariis volneribus, versi in hostem: ea cura etiam morientibus decori exitus fuit.

Historien 3,83,1-3,84,3

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verlangten sie, die in den Buden versteckten oder in irgendein Haus geflüchteten Männer herauszuzerren und umzubringen, und bemächtigten sich dann des Großteils der Beute. Denn weil die Soldaten nur mit Mord und Totschlag beschäftigt waren, fielen die Beutestücke an den Pöbel. (2) Grauenhaft und abstoßend war das Bild, das sich in der ganzen Hauptstadt bot: hier Kämpfe und Verwundungen, dort Bäder und Kneipen; gleichzeitig Blutlachen und Leichenhaufen, daneben Huren und Huren vergleichbares Gesindel; alle Exzesse, die in einer üppigen Friedenszeit, alle Verbrechen, die bei einer erbarmungslosen Eroberung vorkommen, kurz, man hätte glauben können, dieselbe Bürgerschaft sei sowohl in rasende Wut als auch in ausgelassene Freude verfallen. (3) Gekämpft hatten auch schon früher bewaffnete Heere in der Hauptstadt, zweimal war dabei Lucius Sulla, einmal Cinna der Sieger,59 und auch damals ereigneten sich nicht weniger Grausamkeiten. Jetzt aber herrschte eine ungeheuerliche Unbekümmertheit, und auch nicht für einen Augenblick wurden die Vergnügungen unterbrochen. Als ob zu den Feiertagen60 sogar noch diese Belustigung dazugehöre, war man übermütig, genoss sie, kümmerte sich nicht um die Parteien, war angesichts des öffentlichen Unglücks fröhlich. 84 (1) Am meisten Mühe machte der Sturm auf die Kaserne, die gerade die entschlossensten Kämpfer als ihre letzte Hoffnung zu halten versuchten. Umso verbissener setzten die Sieger – die alten Kohorten taten sich besonders hervor – zugleich alle Mittel ein, die man zur Zerstörung der stärksten Städte erfunden hat: Schildkröte61, Wurfgeschütze, Rampen und Brandfackeln. Dabei schrien sie, alle Anstrengungen und Gefahren, die sie in so vielen Gefechten auf sich genommen hätten, fänden ihren krönenden Abschluss in diesem einen Unternehmen. (2) Die Hauptstadt habe man dem Senat und Volk von Rom, die Tempel den Göttern zurückgegeben. Der einem Soldaten eigene Ehrenplatz sei in der Kaserne; das sei seine Heimat, das sein Heim. Falls sie nicht sofort eingenommen werde, müsse man die Nacht in Waffen zubringen. Dagegen klammerten sich die Vitellianer, obwohl sie von ihrer Zahl und ihrem Schicksal her nicht ebenbürtig waren, an den letzten Trost für Besiegte: den Sieg zu erschweren, den Frieden zu verzögern, Häuser und Altäre mit Blut zu besudeln. (3) Viele Soldaten hauchten ihr Leben schon halbtot oben auf den Türmen und Brustwehren der Kasernenmauern aus. Nach der Sprengung der Tore warf sich der übrig gebliebene Haufen den Siegern entgegen, und alle fielen mit Wunden auf der Brust, dem Feind zugekehrt. Auf diese Weise waren sie sogar sterbend um ein ehrenvolles Lebensende bemüht.

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Historiarum liber tertius

(4) Vitellius capta urbe per aversam Palatii partem Aventinum in domum uxoris sellula defertur, ut, si diem latebra vitavisset, Tarracinam ad cohortes fratremque perfugeret. dein mobilitate ingenii et, quae natura pavoris est, cum omnia metuenti praesentia maxime displicerent, in Palatium regreditur vastum desertumque, dilapsis etiam infimis servitiorum aut occursum eius declinantibus. terret solitudo et tacentes loci; temptat clausa, inhorrescit vacuis; fessusque misero errore et pudenda latebra semet occultans ab Iulio Placido tribuno cohortis protrahitur. (5) vinctae pone tergum manus; laniata veste, foedum spectaculum, ducebatur, multis increpantibus, nullo inlacrimante: deformitas exitus misericordiam abstulerat. obvius e Germanicis militibus Vitellium infesto ictu per iram, vel quo maturius ludibrio eximeret, an tribunum adpetierit, in incerto fuit: aurem tribuni amputavit ac statim confossus est.

85 Vitellium infestis mucronibus coactum modo erigere os et offerre contumeliis, nunc cadentes statuas suas, plerumque rostra aut Galbae occisi locum contueri, postremo ad Gemonias, ubi corpus Flavii Sabini iacuerat, propulere. una vox non degeneris animi excepta, cum tribuno insultanti se tamen imperatorem eius fuisse respondit; ac deinde ingestis volneribus concidit. et volgus eadem pravitate insectabatur interfectum qua foverat viventem.

86 (1) Patrem illi ** Luceriam: septimum et quinquagensimum aetatis annum explebat, consulatum sacerdotia, nomen locumque inter primores nulla sua industria, sed cuncta patris claritudine adeptus. principatum ei detulere qui ipsum non noverant: studia exercitus raro cuiquam bonis artibus quaesita perinde adfuere quam huic per ignaviam. (2) inerat tamen simplicitas ac liberalitas, quae, ni adsit modus, in exitium vertuntur. amicitias

Historien 3,84,4-3,86,2

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(4) Vitellius ließ sich nach der Einnahme der Hauptstadt durch den abgewandten Teil des Palatiums auf einer kleinen Sänfte zum Aventin ins Haus seiner Frau tragen, um, falls er den Tag in dem Versteck überstehe, nach Tarracina zu den Kohorten und seinem Bruder zu fliehen. Dann aber kehrte er unschlüssig und – das ist ja das Wesen der Angst – da er alles befürchtete und sich deshalb mit dem Nächstliegenden am wenigsten anfreunden konnte, ins Palatium zurück, das öde und verlassen dalag, weil selbst die Niedrigsten von seinen Sklaven davongelaufen waren oder ihm aus dem Weg gingen. Ihn erschreckten die Einsamkeit und die schweigenden Gemächer; er versuchte, die verschlossenen Räume aufzusperren, erschauderte vor ihrer Leere. Als er sich dann, von dem erbärmlichen Herumirren erschöpft, in einem schändlichen Schlupfwinkel62 versteckte, wurde er von dem Kohortentribun Iulius Placidus herausgezogen. (5) Man band ihm die Hände auf den Rücken; mit zerrissenem Gewand, ein grauenhaftes Schauspiel, führte man ihn ab. Viele beschimpften, niemand beweinte ihn. Die Ehrlosigkeit seines Lebensendes hatte kein Mitleid aufkommen lassen. Ob einer von den germanischen Soldaten, der daherkam, sich mit einem feindseligen Hieb voller Wut oder um ihn umso schneller der Verhöhnung zu entziehen, auf Vitellius stürzte oder aber auf den Tribun, ließ sich nicht klären: Er schlug dem Tribun ein Ohr ab und wurde sofort niedergemacht. 85 Vitellius zwang man mit gezückten Schwertern, bald sein Gesicht zu zeigen und der Verspottung preiszugeben, dann wieder das Umwerfen seiner Statuen und immer wieder die Rednerbühne oder die Stelle anzusehen, an der Galba umgebracht worden war; schließlich stieß man ihn zu den Gemonien, wo der Leichnam des Flavius Sabinus gelegen hatte. Nur eine einzige Äußerung, die von keiner würdelosen Einstellung zeugt, konnte man von ihm hören, als er nämlich einem Tribun, der ihn verhöhnte, die Antwort gab, er sei trotzdem sein Oberbefehlshaber gewesen. Dann brach er unter den ihm zugefügten Wunden zusammen, und der Pöbel vergriff sich mit derselben Niedertracht an dem getöteten Mann, mit der er den lebenden gefeiert hatte. 86 (1) Zum Vater (hatte er, wie oben erwähnt, L. Vitellius …, als Heimatstadt?) Luceria.63 Er stand kurz vor der Vollendung seines 57. Lebensjahrs; Konsulat und Priestertümer, Namen und Stellung unter den führenden Männern hatte er keinesfalls durch persönliche Leistung, sondern alles nur dank der Berühmtheit seines Vaters erreicht. Den Prinzipat übertrugen ihm Personen, die ihn gar nicht kannten. Die Sympathien des Heeres galten nur selten jemandem, der sie mit anständigen Methoden gewinnen wollte, im gleichen Umfang wie ihm dank seiner Energielosigkeit. (2) Er besaß dennoch ein argloses Wesen und Freigebigkeit, die, falls sie kein Maß kennen,

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Historiarum liber tertius

dum magnitudine munerum, non constantia morum contineri putat, meruit magis quam habuit. rei publicae haud dubie intererat Vitellium vinci, sed imputare perfidiam non possunt qui Vitellium Vespasiano prodidere, cum a Galba descivissent. (3) Praecipit‹i› in occasum die ob pavorem magistratuum senatorumque, qui dilapsi ex urbe aut per domos clientium semet occultabant, vocari senatus non potuit. Domitianum, postquam nihil hostile metuebatur, ad duces partium progressum et Caesarem consalutatum miles frequens utque erat in armis in paternos penates deduxit.

Historien 3,86,2-3,86,3

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zum Verderben ausschlagen. Weil er glaubte, Freundschaften beruhten auf der Größe von Geschenken, nicht auf charakterlicher Zuverlässigkeit, erkaufte er sie sich mehr, als dass er sie hatte. Im Interesse des Staates lag es zweifellos, dass Vitellius besiegt wurde, aber ihre Treulosigkeit können sich die Männer nicht als Verdienst anrechnen lassen, die Vitellius an Vespasian verrieten, nachdem sie schon von Galba abgefallen waren. (3) Da sich der Tag schnell seinem Ende zuneigte, konnte man wegen der Angst der Amtsträger und Senatoren, die sich aus der Hauptstadt davongemacht hatten oder sich in den Häusern von Klienten versteckt hielten, den Senat nicht einberufen. Den Domitian, der, nachdem man keine Feindseligkeiten mehr zu befürchten hatte, zu den Kommandeuren seiner Partei herausgekommen und als Cäsar begrüßt worden war, geleiteten Soldaten in hellen Scharen und bewaffnet, wie sie waren, zum Haus seines Vaters.

LIBER IV 1 (1) Interfecto Vitellio bellum magis desierat quam pax coeperat. armati per urbem victores implacabili odio victos consectabantur: plenae caedibus viae, cruenta fora templaque, passim trucidatis, ut quemque fors obtulerat. ac mox augescente licentia scrutari ac protrahere abditos; si quem procerum habitu et iuventa conspexerant, obtruncare nullo militum aut populi discrimine. (2) quae saevitia recentibus odiis sanguine explebatur, dein verterat in avaritiam. nihil usquam secretum aut clausum sinebant, Vitellianos occultari simulantes. initium id perfringendarum domu‹u›m, vel si resisteretur, causa caedis; nec deerat egentissimus quisque e plebe et pessimi servitiorum prodere ultro dites dominos, alii ab amicis monstrabantur. (3) ubique lamenta, conclamationes et fortuna captae urbis, adeo ut Othoniani Vitellianique militis invidiosa antea petulantia desideraretur. duces partium accen‹den›do civili bello acres, temperandae victoriae impares, quippe in‹ter› turbas et discordias pessimo cuique plurima vis, pax et quies bonis artibus indigent.

2 (1) Nomen sedemque Caesaris Domitianus acceperat, nondum ad curas intentus, sed stupris et adulteriis filium principis agebat. praefectura praetorii penes Arrium Varum, summa potentiae in Primo Antonio. is pecuniam familiamque e principis domo quasi Cremonensem praedam rapere; ceteri modestia vel ignobilitate ut in bello obscuri, ita praemiorum expertes. (2) civitas pavida et servitio parata occupari redeuntem Tarracina L. Vitel-

BUCH 4 1 (1) Mit der Ermordung des Vitellius hatte eher der Krieg aufgehört als der Frieden begonnen. Mit den Waffen in der Hand verfolgten in der ganzen Hauptstadt die Sieger in unversöhnlichem Hass die Besiegten: Voll von Erschlagenen waren die Straßen, blutbespritzt Marktplätze und Tempel, da man auf Schritt und Tritt abschlachtete, wen einem der Zufall in den Weg geführt hatte. Zudem suchte man mit zunehmender Hemmungslosigkeit nach Personen, die sich versteckt hatten, und zog sie hervor. Wenn sie einen hochgewachsenen jungen Mann erblickten, brachten sie ihn um, ohne zwischen Soldaten oder Zivilisten zu unterscheiden.1 (2) Dieses Wüten wurde, solange die Hassgefühle noch frisch waren, durch Blut befriedigt, dann aber war es in Habgier umgeschlagen. Nirgendwo ließen sie etwas abseits liegen oder abgeschlossen und taten dabei so, als seien Vitellianer versteckt. Das war der Anlass dafür, in Häuser einzubrechen, oder, falls Widerstand geleistet wurde, der Grund für Mord und Totschlag. Dabei waren vor allem die ärmsten Schlucker aus dem Pöbel und das schlimmste Sklavengesindel sofort dafür zu haben, von sich aus ihre reichen Herren zu verraten, andere wurden von ihren Freunden angezeigt. (3) Überall Jammern, Klagen, kurz, das Schicksal einer eroberten Stadt, und zwar derart, dass man den vorher verhassten Mutwillen der othonianischen und vitellianischen Soldaten herbeisehnte! Die Kommandeure der Partei waren mit Feuereifer dabei gewesen, den Bürgerkrieg zu entfachen, aber sie waren nicht fähig, mit dem Sieg zurückhaltend umzugehen; denn bei Unruhen und Auseinandersetzungen haben gerade die größten Schurken den meisten Einfluss, Frieden und Ruhe dagegen sind auf sittlich gute Verhaltensweisen angewiesen. 2 (1) Titel und Amtssitz eines Cäsars hatte Domitian bekommen; dabei kümmerte er sich noch nicht um seine Amtsgeschäfte, sondern spielte mit sexuellen Übergriffen und Ehebrüchen den Sohn des Princeps. Das Kommando über das Prätorium lag bei Arrius Varus, die höchste Macht bei Primus Antonius. Dieser raffte Geld und Dienerschaft aus dem Haus des Princeps an sich, als handle es sich um die Beute von Cremona.2 Alle anderen waren, genauso wie sie dank ihrer Mittelmäßigkeit oder Unbekanntheit im Krieg im Dunkeln geblieben waren, nun an den Belohnungen nicht beteiligt. (2) Die ängstliche und zur Unterwürfigkeit bereite Bürgerschaft ver-

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lium cum cohortibus exstinguique reliqua belli postulabat: praemissi Ariciam equites, agmen legionum intra Bovillas stetit. nec cunctatus est Vitellius seque et cohortes arbitrio victoris permittere, et miles infelicia arma haud minus ira quam metu abiecit. (3) longus deditorum ordo saeptus armatis per urbem incessit, nemo supplici voltu, sed tristes et truces et adversum plausus ac lasciviam insultantis volgi immobiles. paucos erumpere ausos circumiecti pressere; ceteri in custodiam conditi, nihil quisquam locutus indignum, et quamquam inter adversa, salva virtutis fama. dein L. Vitellius interficitur, par vitiis fratris, in principatu eius vigilantior, nec perinde prosperis socius quam adversis abstractus.

3 (1) Isdem diebus Lucilius Bassus cum expedito equite ad componendam Campaniam mittitur, discordibus municipiorum animis magis inter semet quam contumacia adversus principem. viso milite quies et minoribus coloniis impunitas: Capuae legio tertia hiemandi causa locatur et domus inlustres adflictae, cum contra Tarracinenses nulla ope iuvarentur. (2) tanto proclivius est iniuriae quam beneficio vicem exsolvere, quia gratia oneri, ultio in quaestu habetur. solacio fuit servus Vergilii Capitonis, quem proditorem Tarracinensium diximus, patibulo adfixus in isdem anulis, quos acceptos a Vitellio gestabat. (3) at Romae senatus cuncta principibus solita Vespasiano decernit, laetus et spei certus: quippe sumpta per Gallias Hispaniasque civilia arma, motis ad bellum Germaniis, mox Illyrico, postquam Aegyptum Iudaeam Syriamque et omnis provincias exercitusque lustraverant, velut expiato terrarum orbe cepisse finem videbantur. (4) addidere alacritatem Vespasiani litterae tamquam manente bello scriptae. ea prima specie forma; ceterum ut princeps loquebatur, civilia de se et rei publicae egregia. nec

Historien 4,2,2-4,3,4

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langte, man solle dem mit seinen Kohorten aus Tarracina zurückkehrenden L. Vitellius den Weg abschneiden und die Reste des Kriegs auslöschen; so wurde nach Aricia Kavallerie vorausgeschickt, die Kolonne der Legionen machte diesseits von Bovillae halt. Nun zögerte Vitellius nicht, sich und seine Kohorten der Gnade des Siegers auszuliefern, und die Soldaten warfen ihre Unglück bringenden Waffen nicht weniger aus Erbitterung als aus Furcht weg. (3) Die lange Reihe der Kapitulanten zog, von Bewaffneten umringt, durch die Hauptstadt, keiner mit unterwürfiger Miene, sondern finster und trotzig und vom Beifallklatschen und beißenden Spott des sie verhöhnenden Pöbels ungerührt. Ein paar Mann, die auszubrechen wagten, wurden umstellt und niedergestoßen. Alle anderen nahm man in Haft; dabei sagte keiner ein würdeloses Wort, und so blieb trotz ihres Unglücks der Ruf ihrer Tapferkeit gewahrt. Dann brachte man L. Vitellius um; er war an Fehlern seinem Bruder ebenbürtig, während dessen Prinzipats aktiver und nicht so sehr Gefährte in seinem Glück als mit in sein Unglück gerissen. 3 (1) In den gleichen Tagen wurde Lucilius Bassus mit Kavallerie ohne Tross zur Wiederherstellung der Ordnung nach Kampanien geschickt, wobei die Landstädte mehr untereinander verfeindet waren als aufsässig gegenüber dem Princeps. Als man die Soldaten zu Gesicht bekommen hatte, trat Ruhe ein, und die kleineren Koloniestädte kamen ohne Bestrafung davon. In Capua dagegen wurde die 3. Legion zum Überwintern einquartiert, und die vornehmen Familien hatten darunter sehr zu leiden, während man andererseits die Tarraciner mit keinerlei Hilfsmaßnahmen unterstützte.3 (2) Um so viel leichter neigt man dazu, ein Unrecht statt ein Entgegenkommen zu entgelten, weil man Dank als Last, Rache dagegen als Einnahmequelle betrachtet. Ein Trost war, dass der Sklave des Vergilius Capito, den wir als Verräter der Tarraciner bezeichnet haben, ans Kreuz gehängt wurde, und zwar mit denselben Ringen angetan, die er von Vitellius bekommen hatte und trug.4 (3) Doch in Rom beschloss der Senat für Vespasian sämtliche für die Principes üblichen Ehrungen in froher und zuversichtlicher Stimmung. Denn der in Gallien und Spanien begonnene Bürgerkrieg, dem sich Germanien und bald darauf Illyricum angeschlossen hatten, schien, nachdem er durch Ägypten, Judäa, Syrien und alle Provinzen und Heere gewandert war, so als sei nun der ganze Erdkreis von seiner Schuld gereinigt, ein Ende genommen zu haben. (4) Für noch mehr Hochstimmung sorgte ein Brief Vespasians, der abgefasst war, als dauere der Krieg immer noch an. So wirkte dem ersten Eindruck nach seine Ausdrucksweise; tatsächlich aber äußerte er sich wie ein Princeps, machte zurückhaltende Ausführungen über sich selbst und für das Gemeinwesen vorzügliche. Aber auch der Senat ließ es

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Historiarum liber quartus

senatus obsequium deerat: ipsi consulatus cum Tito filio, praetura Domitiano et consulare imperium decernuntur. 4 (1) Miserat et Mucianus epistulas ad senatum, quae materiam sermonibus praebuere. si privatus esset, cur publice loqueretur? potuisse eadem paucos post dies loco sententiae dici. ipsa quoque insectatio in Vitellium sera et sine libertate: id vero erga rem publicam superbum, erga principem contumeliosum, quod in manu sua fuisse imperium donatumque Vespasiano iactabat. (2) ceterum invidia in occulto, adulatio in aperto erant: multo cum honore verborum Muciano triumphalia de bello civium data, sed in Sarmatas expeditio fingebatur. adduntur Primo Antonio consularia, Cornelio Fusco et Arrio Varo praetoria insignia. mox deos respexere: restitui Capitolium placuit. (3) eaque omnia Valerius Asiaticus consul designatus censuit: ceteri voltu manuque, pauci, quibus conspicua dignitas aut ingenium adulatione exercitum, compositis orationibus adsentiebantur. ubi ad Helvidium Priscum praetorem designatum ventum, prompsit sententiam ut honorificam in novum principem, * * falsa aberant, et studiis senatus attollebatur. isque praecipuus illi dies magnae offensae initium et magnae gloriae fuit.

5 (1) Res poscere videtur, quoniam iterum in mentionem incidimus viri saepius memorandi, ut vitam studiaque eius, et quali fortuna sit usus, paucis repetam. Helvidius Priscus [regione Italiae] ‹e› Carecinae municipio Cluviis, patre, qui ordinem primi pili duxisset, ingenium inlustre altioribus studiis iuvenis admodum dedit, non, ut plerique, ‹ut› nomine magnifico segne otium velaret, sed quo firmior adversus fortuita rem publicam capesseret. (2) doctores sapientiae secutus est, qui sola bona quae honesta, mala tantum quae turpia, potentiam nobilitatem ceteraque extra animum neque bonis neque malis adnumerant. quaestorius adhuc a Paeto Thrasea gener delectus

Historien 4,3,4-4,5,2

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nicht an Unterwürfigkeit fehlen: Für ihn persönlich beschloss man den Konsulat zusammen mit seinem Sohn Titus, die Prätur und die Amtsgewalt eines Konsuls für Domitian. 4 (1) Auch Mucian hatte ein Schreiben an den Senat geschickt, das Gesprächsstoff bot: Falls er ein Privatmann sei, warum äußere er sich dann offiziell? Er hätte die gleichen Ausführungen doch wenige Tage später bei der Abstimmung machen können. Auch seine Ausfälle gegen Vitellius kamen zu spät und zeugten nicht von Freimut. Die Tatsache aber war dem Gemeinwesen gegenüber anmaßend, für den Princeps ehrenrührig, dass er sich rühmte, in seiner Hand sei die Herrschaft gelegen und er habe sie Vespasian geschenkt. (2) Im Übrigen hielt sich die Entrüstung darüber im Hintergrund, die Liebedienerei trat offen zutage: Mit vielen ehrenden Worten verlieh man Mucian die Triumphabzeichen für den Bürgerkrieg, aber man nahm sein Unternehmen gegen die Sarmaten zum Vorwand.5 Primus Antonius wurden die Abzeichen eines Konsuls, Cornelius Fuscus und Arrius Varus die eines Prätors zuerkannt. Erst dann kümmerte man sich um die Götter: Man beschloss, das Kapitol wieder aufzubauen. (3) All diese Anträge stellte der designierte Konsul Valerius Asiaticus; die übrigen Mitglieder stimmten durch Miene und Handbewegung, einige wenige, die dank ihrem hohen Rang im Rampenlicht standen oder ein in Liebedienerei geschultes Wesen hatten, mit wohlgesetzten Reden zu. Sobald der designierte Prätor Helvidius Priscus an die Reihe kam, brachte er einen Antrag vor, der, wie er ehrenvoll für den neuen Princeps war, …6 es fehlte die Verlogenheit, und er wurde begeistert durch den Senat gefeiert. Vor allem dieser Tag war es, der für ihn den Beginn großer Anfeindung und großen Ruhms darstellte. 5 (1) Meine Darstellung scheint es, weil wir wiederum auf den Mann zu sprechen gekommen sind, den man noch häufiger erwähnen muss, zu erfordern, auf sein Leben, seine Lieblingsbeschäftigungen und welches Schicksal er hatte, mit wenigen Worten einzugehen. Helvidius Priscus aus der Landstadt Cluviae, die zu Carecina gehört, mit einem Vater, der den Rang eines Primipilus bekleidet hatte, wandte seine ausgezeichnete Begabung noch als junger Mann höheren Studien zu, nicht, wie die meisten, um mit einer prächtigen Bezeichnung faules Nichtstun zu verschleiern, sondern um sich noch mehr gegen die Zufälligkeiten des Lebens zu wappnen und sich dann dem Staatsdienst widmen zu können. (2) Den Lehrern der Weisheit schloss er sich an, die allein für gut halten, was sittlich gut, für schlecht nur das, was sittlich schlecht ist, und Macht, vornehme Abkunft und alles andere außerhalb des geistigen Bereichs weder den Gütern noch den Übeln zurechnen.7 Er war gerade noch Quästor gewesen, da wurde er schon von Paetus Thrasea als Schwiegersohn ausgewählt und nahm von den Charakterzügen sei-

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e moribus soceri nihil aeque ac libertatem hausit, civis senator, maritus gener amicus, cunctis vitae officiis aequabilis, opum contemptor, recti pervicax, constans adversus metus. 6 (1) Erant quibus adpetentior famae videretur, quando etiam sapientibus cupido gloriae novissima exuitur. ruina soceri in exilium pulsus, ut Galbae principatu rediit, Marcellum Eprium, delatorem Thraseae, accusare adgreditur. ea ultio, incertum maior an iustior, senatum in studia diduxerat: nam si caderet Marcellus, agmen reorum sternebatur. (2) primo minax certamen et egregiis utriusque orationibus testatum; mox dubia voluntate Galbae, multis senatorum deprecantibus, omisit Priscus, variis, ut sunt hominum ingenia, sermonibus moderationem laudantium aut constantiam requirentium. (3) Ceterum eo senatus die, quo de imperio Vespasiani censebant, placuerat mitti ad principem legatos. hinc inter Helvidium et Eprium acre iurgium: Priscus eligi nominatim a magistratibus iuratis, Marcellus urnam postulabat, quae consulis designati sententia fuerat.

7 (1) Sed Marcelli studium proprius rubor excitabat, ne aliis electis posthabitus crederetur. paulatimque per altercationem ad continuas et infestas orationes provecti sunt, quaerente Helvidio, quid ita Marcellus iudicium magistratuum pavesceret: esse illi pecuniam et eloquentiam, quis multos anteiret, ni memoria flagitiorum urgeretur. sorte et urna mores non discerni: suffragia et existimationem senatus reperta, ut in cuiusque vitam famamque penetrarent. (2) pertinere ad utilitatem rei publicae, pertinere ad Vespasiani honorem, occurrere illi, quos innocentissimos senatus habeat, qui honestis sermonibus aures imperatoris imbuant. fuisse Vespasiano amicitiam cum

Historien 4,5,2-4,7,2

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nes Schwiegervaters nichts in gleicher Weise in sich auf wie den Freimut als Bürger, Senator, Ehemann, Schwiegersohn und Freund, in den Pflichten des Lebens sich stets gleichbleibend, ein Verächter von Besitz, im richtigen Handeln unbeugsam, standhaft gegenüber Einschüchterungen. 6 (1) Es gab Leute, denen er es zu sehr auf einen großen Namen anzulegen schien, denn sogar die Weisen legen das Streben nach Ruhm erst ganz zuletzt ab. Durch den Sturz seines Schwiegervaters wurde er in die Verbannung getrieben; gleich nach seiner Rückkehr während Galbas Prinzipat machte er sich daran, Marcellus Eprius, den Denunzianten Thraseas, anzuklagen. Dieser Racheakt, bei dem unklar war, ob er mehr aus Geltungsbedürfnis oder Streben nach Gerechtigkeit erfolgte, hatte den Senat in Interessengruppen gespalten; denn falls Marcellus fiel, wurde eine ganze Schar von Angeklagten zur Strecke gebracht. (2) Zuerst gab es ein hitziges Wortgefecht, das durch die hervorragenden Reden der beiden Kontrahenten bezeugt ist; dann aber ließ Priscus, weil Galbas Wille nicht klar zum Ausdruck kam und viele Senatoren Fürbitte einlegten, die Anklage fallen. Daraufhin konnte man, wie die Menschen nun einmal veranlagt sind, unterschiedliche Äußerungen hören: von den einen, die seine Zurückhaltung lobten, oder den anderen, die ein konsequentes Verhalten vermissten. (3) Im Übrigen hatte man bei der Senatssitzung, in der man über die Herrschaft Vespasians abstimmte, beschlossen, zum Princeps Abgeordnete zu schicken. Darüber kam es zwischen Helvidius und Eprius zu einer heftigen Auseinandersetzung: Priscus verlangte eine namentliche Auswahl durch vereidigte8 Amtspersonen, Marcellus das Losverfahren; das war auch der Antrag des designierten Konsuls gewesen. 7 (1) Aber den leidenschaftlichen Einsatz des Marcellus rief seine persönliche Eitelkeit hervor: Es sollten nicht andere Personen ausgewählt werden und dadurch der Eindruck entstehen, er sei übergangen worden. Allmählich wechselten sie vom Wortgefecht zu zusammenhängenden, aggressiven Reden über, wobei Helvidius fragte, warum Marcellus vor dem Urteil der Amtsträger solche Angst habe; er besitze doch Geld und eine Redegabe, durch die er vielen Mitgliedern gegenüber im Vorteil sei – falls ihm nicht doch die Erinnerung an seine Schandtaten Probleme bereite. Durch Los und Urne würde die charakterliche Eignung nicht berücksichtigt. Abstimmungen und Würdigung durch den Senat seien erfunden worden, um Lebensführung und Ruf der einzelnen Personen durchleuchten zu können. (2) Es erfordere der Nutzen des Staates, es erfordere die Ehre Vespasians, dass ihm nur die tadellosesten Personen, die der Senat habe, gegenüberträten, die in der Lage seien, die Ohren des Oberbefehlshabers an Äußerungen von Ehrenmännern zu gewöhnen. Vespasian sei mit Thrasea, Soranus und

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Historiarum liber quartus

Thrasea, Sorano, Sentio; quorum accusatores etiam si puniri non oporteat, ostentari non debere. (3) hoc senatus iudicio velut admoneri principem, quos probet, quos reformidet. nullum maius boni imperii instrumentum quam bonos amicos esse. satis Marcello, quod Neronem in exitium tot innocentium impulerit: frueretur praemiis et impunitate, Vespasianum melioribus relinqueret.

8 (1) Marcellus non suam sententiam impugnari, sed consulem designatum censuisse dicebat, secundum vetera exempla, quae sortem legationibus posuissent, ne ambitioni aut inimicitiis locus foret. nihil evenisse, cur antiquitus instituta exolescerent aut principis honor in cuiusquam contumeliam verteretur; sufficere omnes obsequio. (2) id magis vitandum, ne pervicacia quorundam inritaretur animus novo principatu suspensus et voltus quoque ac sermones omnium circumspectans. se meminisse temporum, quibus natus sit, quam civitatis formam patres avique instituerint; ulteriora mirari, praesentia sequi; bonos imperatores voto expetere, qualescumque tolerare. (3) non magis sua oratione Thraseam quam iudicio senatus adflictum; saevitiam Neronis per eius modi imagines inlusisse, nec minus sibi anxiam talem amicitiam quam aliis exilium. denique constantia fortitudine Catonibus et Brutis aequaretur Helvidius: se unum esse ex illo senatu, qui simul servierit. (4) suadere etiam Prisco, ne supra principem scanderet, ne Vespasianum senem triumphalem, iuvenum liberorum patrem, praeceptis coerceret. quo modo pessimis imperatoribus sine fine dominationem, ita quamvis egregiis modum libertatis placere. (5) haec magnis utrimque contentionibus iactata diversis studiis accipiebantur. vicit pars, quae sortiri legatos malebat, etiam mediis

Historien 4,7,2-4,8,5

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Sentius befreundet gewesen; selbst wenn es nicht zweckdienlich sei, deren Ankläger zu bestrafen, so dürfe man sie doch auch nicht vor ihm zur Schau stellen. (3) Durch diese Entscheidung des Senats werde der Princeps gleichsam mahnend darauf hingewiesen, wen er schätzen, wen er fürchten solle. Kein bedeutenderes Hilfsmittel für eine gute Herrschaft gebe es als gute Freunde. Zufriedengeben solle sich Marcellus damit, dass er Nero zur Vernichtung so vieler unschuldiger Männer veranlasst habe. Er möge die Belohnungen dafür und seine Straflosigkeit genießen, Vespasian aber besseren Personen überlassen! 8 (1) Marcellus sagte, damit werde nicht seine persönliche Auffassung bekämpft, sondern der designierte Konsul habe den Antrag gestellt entsprechend den alten Vorbildern, die für Gesandtschaften das Losverfahren vorgeschrieben hätten, damit Stimmenfang oder Feindschaften keinen Platz finden könnten. Nichts sei vorgefallen, weswegen die seit alten Zeiten üblichen Verfahrensweisen nicht mehr angewandt werden sollten oder die Ehrung des Princeps als Schande für irgendjemanden ausgelegt werden könne; sie alle seien gut genug für die Huldigung. (2) Davor müsse man sich mehr in Acht nehmen, dass durch die Sturheit gewisser Personen der durch den für ihn neuen Prinzipat noch unsichere, auch die Mienen und Äußerungen aller im Auge behaltende Mann gereizt werde. Er könne sich noch an die Zeiten erinnern, in denen er geboren worden sei, an die Staatsform, die sich Väter und Großväter gegeben hätten. Die Vergangenheit bewundere er, der Gegenwart füge er sich; gute Oberbefehlshaber wünsche er sich sehnlichst, nehme sie aber hin, wie sie kämen. (3) Nicht härter sei Thrasea durch seine Rede getroffen worden als durch das Urteil des Senats: Neros Grausamkeit habe ihnen mit derartigen Schauprozessen übel mitgespielt, und für ihn sei eine solche Freundschaft nicht weniger beängstigend gewesen als für andere die Verbannung. Schließlich möge man Standhaftigkeit und Tapferkeit betreffend Helvidius mit Männern wie Cato und Brutus9 auf eine Stufe stellen; er sei doch nur einer von jenem Senat, der sich zugleich auch wie Sklaven benommen habe. (4) Er rate Priscus auch, sich nicht über den Princeps zu stellen, nicht Vespasian, den mit den Triumphabzeichen geehrten alten Mann, den Vater bereits erwachsener Söhne, durch Vorschriften bevormunden zu wollen. Wie den schlechtesten Oberbefehlshabern eine grenzenlose Gewaltherrschaft, so gefalle auch noch so hervorragenden ein maßvoller Umgang mit der Freiheit. (5) Diese Ausführungen, die beiderseits mit großer Leidenschaftlichkeit vorgebracht wurden, fanden eine geteilte Aufnahme. Es setzte sich der Teil durch, der die Abgeordneten lieber durch das Los bestimmen wollte, da es auch die Senatoren in der Mit-

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patrum adnitentibus retinere morem; et splendidissimus quisque eodem inclinabat metu invidiae, si ipsi eligerentur. 9 (1) Secutum aliud certamen. praetores aerarii (nam tum a praetoribus tractabatur aerarium) publicam paupertatem questi modum impensis postulaverant. eam curam consul designatus ob magnitudinem oneris et remedii difficultatem principi reservabat: Helvidius arbitrio senatus agendum censuit. (2) cum perrogarent sententias consules, Vulcacius Tertullinus tribunus plebis intercessit, ne quid super tanta re principe absente statueretur. censuerat Helvidius, ut Capitolium publice restitueretur, adiuvaret Vespasianus. eam sententiam modestissimus quisque silentio, deinde oblivio transmisit: fuere qui et meminissent.

10 Tum invectus est Musonius Rufus in Publium Celerem, a quo Baream Soranum falso testimonio circumventum arguebat. ea cognitione renovari odia accusationum videbantur. sed vilis et nocens reus protegi non poterat: quippe Sorani sancta memoria; Celer professus sapientiam, dein testis in Baream, proditor corruptorque amicitiae, cuius se magistrum ferebat. proximus dies causae destinatur; nec tam Musonius aut Publius quam Priscus et Marcellus ceterique, motis ad ultionem animis, exspectabantur.

11 (1) Tali rerum statu, cum discordia inter patres, ira apud victos, nulla in victoribus auctoritas, non leges, non princeps in civitate essent, Mucianus urbem ingressus cuncta simul in se traxit. fracta Primi Antonii Varique Arrii potentia, male dissimulata in eos Muciani iracundia, quamvis voltu tegeretur. sed civitas rimandis offensis sagax verterat se transtuleratque: ille unus ambiri, coli. nec deerat ipse, stipatus armatis domos hortosque permutans,

Historien 4,8,5-4,11,1

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te10 darauf anlegten, das traditionelle Verfahren beizubehalten, und die angesehensten Mitglieder neigten dazu aus Furcht vor dem Neid, falls sie selbst ausgewählt würden. 9 (1) Es folgte eine weitere Auseinandersetzung: Die für die Staatskasse zuständigen Prätoren – denn damals wurde die Staatskasse von Prätoren verwaltet11 – hatten sich über die öffentliche Armut beklagt und eine Beschränkung der Ausgaben gefordert. Diese Aufgabe wollte der designierte Konsul wegen der Bedeutung des Problems und der Schwierigkeit einer Lösung dem Princeps vorbehalten wissen; Helvidius aber vertrat die Auffassung, der Senat müsse die Entscheidung treffen. (2) Als die Konsuln die Standpunkte der Reihe nach abfragten, erhob der Volkstribun Vulcacius Tertullinus Einspruch: In einer derart gewichtigen Angelegenheit dürfe man nicht in Abwesenheit des Princeps einen Beschluss fassen. Helvidius hatte auch beantragt, das Kapitol auf Staatskosten wieder aufbauen zu lassen; Vespasian solle nur einen Zuschuss leisten. Diesen Antrag übergingen die gemäßigten Mitglieder mit Schweigen, dann geriet er in Vergessenheit; aber es gab einige, die sich noch an ihn erinnern sollten. 10 Dann griff Musonius Rufus den P. Celer an: Er erhob die Beschuldigung, von diesem sei Barea Soranus12 durch ein falsches Zeugnis ins Unglück gestürzt worden. Durch dieses Verfahren schienen die Hassgefühle über die Anklagen wieder aufzuleben. Aber der verachtenswerte, schuldige Angeklagte konnte nicht geschützt werden; denn das Andenken an Soranus hielt man in höchsten Ehren. Celer hatte die Weisheit13 gelehrt, war dann als Zeuge gegen Barea aufgetreten und so Verräter und Schänder der Freundschaft geworden, als deren Lehrer er sich aufspielte. Der nächste Tag wurde für den Prozess bestimmt. Aber man war nicht so sehr auf Musonius oder Publius wie auf Priscus, Marcellus und die Übrigen gespannt, weil man auf Rache sann. 11 (1) Bei diesem Stand der Dinge, als Uneinigkeit unter den Vätern, Erbitterung bei den Besiegten herrschte, die Sieger über kein Ansehen verfügten, es keine Gesetze, keinen führenden Mann in der Bürgerschaft gab, marschierte Mucian in die Hauptstadt ein und zog alles auf einmal an sich. Gebrochen wurde die Macht des Primus Antonius und Varus Arrius, wobei Mucian seine Empörung über sie nur schlecht verhehlen konnte, obwohl er sie durch seine Miene zu überspielen versuchte. Aber die Bürgerschaft, die ein feines Gespür dafür hatte, Verstimmungen auszumachen, hatte einen Schwenk vollzogen und sich auf die andere Seite geschlagen: Er war nun der Einzige, den man umwarb und hofierte. Auch er selbst tat, indem er, von einer bewaffneten Eskorte umgeben, Häuser und Parks wechselte, das Seine dazu, mit seiner prachtvollen Ausstattung, seinem Auftreten und seinen

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apparatu incessu excubiis vim principis amplecti, nomen remittere. (2) plurimum terroris intulit caedes Calpurnii Galeriani. is fuit filius Gai Pisonis, nihil ausus: sed nomen insigne et decora ipsi‹us› iuventa rumore volgi celebrabantur, erantque in civitate adhuc turbida et novis sermonibus laeta qui principatus inanem ei famam circumdarent. iussu Muciani custodia militari cinctus, ne in ipsa urbe conspectior mors foret, ad quadragensimum ab urbe lapidem Appia via fuso per venas sanguine exstinguitur. (3) Iulius Priscus praetoriarum sub Vitellio cohortium praefectus se ipse interfecit, pudore magis quam necessitate. Alfenus Varus ignaviae infamiaeque suae superfuit. Asiaticus (is enim libertus) malam potentiam servili supplicio expiavit.

12 (1) Isdem diebus crebrescentem cladis Germanicae famam nequaquam maesta civitas excipiebat; caesos exercitus, capta legionum hiberna, descivisse Gallias non ut mala loquebantur. id bellum quibus causis ortum, quanto externarum sociarumque gentium motu flagraverit, altius expediam. (2) Batavi, donec trans Rhenum agebant, pars Chattorum, seditione domestica pulsi extrema Gallicae orae vacua cultoribus simulque insulam iuxta sitam occupavere, quam mare Oceanus a fronte, Rhenus amnis tergum ac latera circumluit. (3) nec opibus (rarum in societate validiorum) adtritis viros tantum armaque imperio ministrant, diu Germanicis bellis exerciti, mox aucta per Britanniam gloria, transmissis illuc cohortibus, quas vetere instituto nobilissimi popularium regebant. erat et domi delectus eques, praecipuo nandi studio, ‹quo› arma equosque retinens integris turmis Rhenum perrumperet.

13 (1) Iulius Civilis et Claudius Paulus regia stirpe multo ceteros anteibant. Paulum Fonteius Capito falso rebellionis crimine interfecit; iniectae

Historien 4,11,1-4,13,1

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Leibwächtern die Macht eines Princeps zu beanspruchen, nur auf den Titel zu verzichten. (2) Am meisten Schrecken verbreitete die Ermordung des Calpurnius Galerianus14. Er war ein Sohn Gaius Pisos und war kein politisches Wagnis eingegangen; aber sein berühmter Name und sein jugendliches gutes Aussehen waren häufig Gegenstand der Unterhaltungen im Volk, und es gab in der immer noch aufgewühlten und über neuen Gesprächsstoff frohen Bürgerschaft Leute, die ihn grundlos mit Gerüchten über den Prinzipat in Verbindung brachten. Auf Mucians Befehl wurde er von einer militärischen Wache umstellt und dann, damit sein Tod mitten in der Hauptstadt nicht zu großes Aufsehen errege, am vierzigsten Meilenstein vor der Hauptstadt an der Via Appia ums Leben gebracht, indem man sein Blut aus den Adern fließen ließ. (3) Iulius Priscus, der Kommandant der Prätorianerkohorten unter Vitellius, beging Selbstmord, mehr aus Ehrgefühl als aus Zwang. Alfenus Varus überlebte seine Feigheit und Schande. Asiaticus15 – er war ja ein Freigelassener – büßte seine verbrecherische Machtausübung mit der bei Sklaven üblichen Hinrichtung. 12 (1) In denselben Tagen nahm das mit immer größerer Gewissheit um sich greifende Gerücht von der Katastrophe in Germanien eine keineswegs traurige Bürgerschaft entgegen: Über die Vernichtung der Heere, die Eroberung der Winterlager der Legionen, den Abfall Galliens sprach man nicht wie über schlimme Ereignisse. Aus welchen Gründen dieser Krieg ausbrach, welch große Unruhe unter ausländischen und verbündeten Völkern sein Aufflackern hervorrief, möchte ich nun ausführlicher darlegen. (2) Die Bataver, solange sie über dem Rhein lebten, ein Teil der Chatten, wurden bei einer internen Auseinandersetzung vertrieben und besetzten daraufhin die abgelegensten Gebiete der gallischen Küste, die frei von Siedlern waren, und zudem die daneben liegende Insel, die das Ozeanmeer von vorne, der Rheinstrom rück- und seitwärts umspült.16 (3) Ohne in ihrer Macht geschwächt zu sein – das ist selten bei einem Bündnis mit Stärkeren –, stellen sie lediglich Männer und Waffen dem Reich.17 Nachdem sie sich schon lange in den germanischen Kriegen geübt hatten, wuchs ihr Ruhm in Britannien. Dorthin waren ihre Kohorten übergesetzt worden, die nach altem Brauch ihre vornehmsten Landsleute kommandierten. Aber auch zu Hause verfügten sie über eine Elitekavallerie, deren ganze Aufmerksamkeit dem Schwimmen galt, damit sie Waffen und Pferde bei sich behalten und so mit Schwadronen in geschlossener Formation über den Rhein vorstoßen konnten. 13 (1) Iulius Civilis und Claudius Paulus aus königlichem Geschlecht überragten alle anderen bei Weitem. Den Paulus ließ Fonteius Capito unter dem falschen Vorwurf umbringen, er plane einen Aufstand. Civilis wurde in

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Civili catenae, missusque ad Neronem et a Galba absolutus sub Vitellio rursus discrimen adi‹i›t, flagitante supplicium eius exercitu: inde causae irarum spesque ex malis nostris. (2) sed Civilis ultra quam barbaris solitum ingenio sollers et Sertorium se aut Annibalem ferens simili oris dehonestamento, ne ut hosti obviam iretur, si a populo Romano palam descivisset, Vespasiani amicitiam studiumque partium praetendit, missis sane ad eum Primi Antonii litteris, quibus avertere accita ‹a› Vitellio auxilia et tumultus Germanici specie retentare legiones iubebatur. (3) eadem Hordeonius Flaccus praesens monuerat, inclinato in Vespasianum animo et rei publicae cura, cui excidium adventabat, si redintegratum bellum et tot armatorum milia Italiam inrupissent.

14 (1) Igitur Civilis desciscendi certus, occultato interim altiore consilio, cetera ex eventu iudicaturus, novare res hoc modo coepit. iussu Vitellii Batavorum iuventus ad dilectum vocabatur, quem suapte natura gravem onerabant ministri avaritia ac luxu senes aut invalidos conquirendo, quos pretio dimitterent: rursus impubes et forma conspicui (et est plerisque procera pueritia) ad stuprum trahebantur. (2) hinc invidia, et compositae seditionis auctores perpulere, ut dilectum abnuerent. Civilis primores gentis et promptissimos volgi specie epularum sacrum in nemus vocatos, ubi nocte ac laetitia incaluisse videt, a laude gloriaque gentis orsus iniurias et raptus et cetera servitii mala enumerat: neque enim societatem, ut olim, sed tamquam mancipia haberi. (3) quando legatum, gravi quidem comitatu et superbo, cum imperio venire? tradi se praefectis centurionibusque: quos ubi spoliis et san-

Historien 4,13,1-4,14,3

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Ketten gelegt; man schickte ihn zu Nero, und nachdem er von Galba freigesprochen worden war, geriet er unter Vitellius wieder in Gefahr, weil das Heer seine Hinrichtung verlangte. Das waren die Gründe für seine Erbitterung, und er machte sich nun Hoffnungen angesichts unserer üblen Lage. (2) Aber Civilis war in höherem Maße, als man das von Barbaren gewöhnt ist, ein schlauer Kopf und verhielt sich wie Sertorius oder Hannibal nach einer ähnlichen Verunstaltung seines Gesichts18: Damit man ihm nicht wie einem Feind begegne, falls er vom römischen Volk offen abfalle, schützte er Freundschaft mit Vespasian und Sympathie für dessen Partei vor. Freilich war ein Schreiben des Primus Antonius an ihn geschickt worden, in dem ihm befohlen wurde, die von Vitellius herbeigerufenen Hilfstruppen davon abzubringen und zu versuchen, unter dem Vorwand eines Aufstands in Germanien die Legionen festzuhalten. (3) Dazu hatte ihn auch Hordeonius Flaccus persönlich aufgefordert, weil er zu Vespasian neigte und aus Sorge um den Staat, auf den der Untergang zukam, falls nach einer Wiederaufnahme des Kriegs so viele Tausend bewaffnete Männer in Italien eingefallen wären. 14 (1) Der zum Abfall fest entschlossene Civilis verheimlichte seine weiter gehende Absicht vorderhand und wollte alle anderen Entscheidungen je nach dem Verlauf treffen. Deshalb begann er die Rebellion auf folgende Weise: Auf Vitellius’ Befehl wurden die jungen Männer der Bataver zu einer Aushebung gerufen. Die war schon von Natur aus belastend, aber die beauftragten Personen erschwerten sie zusätzlich, indem sie aus Habgier und wegen ihres verschwenderischen Lebenswandels alte oder gebrechliche Männer verpflichteten, die sie dann gegen Bezahlung wieder laufen ließen; andererseits wurden Heranwachsende und gut aussehende junge Leute – tatsächlich sind die meisten Burschen von schlankem Wuchs – zum sexuellen Missbrauch weggeschleppt. (2) Das führte zu empörten Reaktionen, und die Rädelsführer des verabredeten Aufstands brachten es so weit, dass man sich der Aushebung widersetzte. Civilis ließ die führenden Persönlichkeiten des Stammes und die entschlossensten Männer aus dem einfachen Volk angeblich zu einem festlichen Mahl in einem heiligen Hain zusammenrufen, und als er sie von der fröhlichen Stimmung bei Nacht erhitzt sah, begann er vom Ruhm und Ansehen ihres Stammes zu sprechen und zählte dann die Übergriffe, Erpressungen und übrigen Übel der Knechtschaft auf; es bestehe nämlich keine Bundesgenossenschaft mehr wie früher, sondern man behandle sie nun wie Sklaven. (3) Wann komme endlich ein Legat mit seiner zwar lästigen und hochmütigen Begleitmannschaft, aber auch mit Befehlsgewalt? Man liefere sie Kommandanten und Zenturionen aus. Sobald man diese mit Beute und Blut gesättigt habe, wechsle man sie aus,

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Historiarum liber quartus

guine expleverint, mutari, exquirique novos sinus et varia praedandi vocabula. instare dilectum, quo liberi a parentibus, fratres a fratribus velut supremum dividantur. (4) numquam magis adflictam rem Romanam nec aliud in hibernis quam praedam et senes: attollerent tantum oculos et inania legionum nomina ne pavescerent. at sibi robur peditum equitumque, consanguineos Germanos, Gallias idem cupientes. ne Romanis quidem ingratum id bellum, cuius ambiguam fortunam Vespasiano imputaturos: victoriae rationem non reddi.

15 (1) Magno cum adsensu auditus barbaro ritu et patriis exsecrationibus universos adigit. missi ad Canninefates qui consilia sociarent. ea gens partem insulae colit, origine lingua virtute par Batavis; numero superantur. mox occultis nuntiis pellexit Britannica auxilia, Batavorum cohortes missas in Germaniam, ut supra rettulimus, ac tum Mogontiaci agentes. (2) erat in Canninefatibus stolidae audaciae Brinno, claritate natalium insigni; pater eius multa hostilia ausus Gaianarum expeditionum ludibrium impune spreverat. igitur ipso rebellis familiae nomine placuit impositusque scuto more gentis et sustinentium umeris vibratus dux deligitur, statimque accitis Frisiis (Transrhenana gens est) duarum cohortium hiberna proxima [occupata] Oceano inrumpit. nec providerant impetum hostium milites, nec, si providissent, satis virium ad arcendum erat: capta igitur ac direpta castra. (3) dein vagos et pacis modo effusos lixas negotiatoresque Romanos invadunt. simul excidiis castellorum imminebant, quae a praefectis cohortium incensa sunt, quia defendi nequibant. signa vexillaque et quod militum in superiorem insulae partem congregantur duce Aquilio primipilari, nomen magis exer-

Historien 4,14,3-4,15,3

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erfinde neue Taschen19 und andersartige Bezeichnungen für das Plündern. Es stehe eine Aushebung bevor, bei der Kinder von Eltern und Brüder von Brüdern sozusagen für immer getrennt würden. (4) Niemals sei der römische Staat mehr angeschlagen gewesen, und nichts anderes gebe es in den Winterlagern als Beute und alte Männer. Sie sollten nur ihre Augen erheben und sich vor den nichtssagenden Namen der Legionen ja nicht fürchten. Sie jedoch verfügten über eine schlagkräftige Truppe von Infanterie und Kavallerie, die Germanen seien ihre Blutsverwandten und Gallien habe dieselben Wünsche. Nicht einmal den Römern komme dieser Krieg ungelegen, dessen ungünstigen Verlauf sie Vespasian anlasten könnten; für den Sieg dagegen brauche man keine Rechenschaft abzulegen. 15 (1) Nachdem man ihn mit lautem Beifall angehört hatte, vereidigte er alle miteinander nach barbarischem Brauch und mit den traditionellen Verfluchungen. Boten schickte man zu den Kanninefaten, die diese mit in das Vorhaben einbeziehen sollten. Dieser Stamm siedelt in einem Teil der Insel und ist seiner Herkunft, Sprache und Tapferkeit nach den Batavern gleich; nur zahlenmäßig werden sie übertroffen. Dann zog er durch Geheimagenten die britannischen Hilfstruppen auf seine Seite, nämlich die, wie oben berichtet,20 nach Germanien geschickten Kohorten der Bataver, die damals in Mogontiacum stationiert waren. (2) Es gab da bei den Kanninefaten einen gewissen Brinno, einen Mann von dummdreister Verwegenheit und besonders vornehmer Abstammung; sein Vater hatte viele feindselige Unternehmungen gewagt und sich über die komödienreifen Feldzüge des Gaius21 ungestraft verächtlich geäußert. Deshalb fand er allein schon durch den Namen seiner aufrührerischen Familie Anklang. Man hob ihn nach dem Brauch des Stammes auf einen Schild, schwenkte ihn auf den Schultern der Männer, die ihn in die Höhe hoben, hin und her und wählte ihn so zum Anführer. Sofort wurden die Friesen herbeigerufen – das ist ein jenseits des Rheins siedelnder Stamm –, und dieser fiel über das unmittelbar am Ozean gelegene Winterlager zweier Kohorten her. Weder hatten die Soldaten den Angriff der Feinde vorhergesehen, noch wären, falls sie ihn vorhergesehen hätten, genügend Streitkräfte zur Abwehr da gewesen; deshalb wurde das Lager eingenommen und geplündert. (3) Daraufhin überfiel man wie im Frieden weit und breit umherziehende römische Marketender und Kaufleute. Gleichzeitig drohte man mit der Zerstörung der Kastelle, die von den Kohortenkommandanten in Brand gesteckt wurden, weil man sie nicht verteidigen konnte. Die Fahnen, Standarten und was noch an Soldaten da war, sammelte man im stromaufwärts gelegenen Teil der Insel unter Führung des Primipilars Aquilius, mehr dem Namen nach ein Heer als eine wirkliche

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Historiarum liber quartus

citus quam robur: quippe viribus cohortium abductis Vitellius e proximis Nerviorum Germanorumque pagis segnem numerum armis oneraverat. 16 (1) Civilis dolo grassandum ratus incusavit ultro praefectos, quod castella deseruissent: se cum cohorte, cui praeerat, Canninefatem tumultum compressurum, illi sua quisque hiberna repeterent. subesse fraudem consilio et dispersas cohortes facilius opprimi, nec Brinnonem ducem eius belli, sed Civilem esse patuit, erumpentibus paulatim indiciis, quae Germani, laeta bello gens, non diu occultaverant. (2) ubi insidiae parum cessere, ad vim transgressus Canninefates Frisios Batavos propriis cuneis componit: derecta ex diverso acies haud procul a flumine Rheno et obversis in hostem navibus, quas incensis castellis illuc adpulerant. nec diu certato Tungrorum cohors signa ad Civilem transtulit, perculsique milites improvisa proditione a sociis hostibusque caedebantur. (3) eadem etiam ‹in› navibus perfidia: pars remigum e Batavis tamquam imperitia officia nautarum propugnatorumque impediebant, mox contra tendere et puppes hostili ripae obicere, ad postremum gubernatores centurionesque, nisi eadem volentis, trucidant, donec universa quattuor et viginti navium classis transfugeret aut caperetur.

17 (1) Clara ea victoria in praesens, in posterum usui; armaque et naves, quibus indigebant, adepti magna per Germanias Galliasque fama libertatis auctores celebrabantur. Germaniae statim misere legatos auxilia offerentes: Galliarum societatem Civilis arte donisque adfectabat, captos cohortium praefectos suas in civitates remittendo, cohortibus, abire an manere mallent, data potestate; manentibus honorata militia, digredientibus spolia Romanorum offerebantur. (2) simul secretis sermonibus admonebat malorum, quae tot annis perpessi miseram servitutem falso pacem vocarent. Batavos, quam-

Historien 4,15,3-4,17,2

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Streitmacht; denn nach dem Abzug der Kampftruppen der Kohorten hatte Vitellius aus den nächstgelegenen Gauen der Nervier und Germanen einen müden Haufen mit Waffen bepackt. 16 (1) Civilis ging in der Überzeugung, List anwenden zu müssen, so weit, die Kommandanten zu beschuldigen, sie hätten ihre Kastelle im Stich gelassen. Er werde mit der von ihm befehligten Kohorte schon den Aufruhr der Kanninefaten unterdrücken, sie sollten alle in ihr jeweiliges Winterlager zurückkehren. Dass hinter diesem Rat Betrug steckte, dass nämlich die zersplitterten Kohorten leichter überfallen werden könnten, dass auch nicht Brinno, sondern Civilis der Anführer in diesem Krieg war, war offenkundig. Dazu kamen allmählich Beweise zum Vorschein, welche die Germanen, ein Volk, das sich über einen Krieg freut, nicht lange hatten geheimhalten können. (2) Als das hinterhältige Vorgehen keinen rechten Erfolg zeigte, ging er zu Gewalt über und bildete aus den Kanninefaten, Friesen und Batavern eigene Gefechtskeile. Auf der Gegenseite marschierte man zum Kampf auf nicht weit vom Rhein entfernt mit gegen den Feind ausgerichteten Schiffen, die man nach der Brandschatzung der Kastelle dort angelandet hatte. Aber man kämpfte noch nicht lange, da lief die Tungrerkohorte zu Civilis über, und die von dem unerwarteten Verrat schwer getroffenen Soldaten wurden von ihren Bundesgenossen und Feinden niedergemacht. (3) Die gleiche Treulosigkeit spielte sich auch auf den Schiffen ab: Ein Teil der aus Batavern bestehenden Rudermannschaft behinderte scheinbar aus Unerfahrenheit die Manöver der Seeleute und Schiffssoldaten, dann leisteten sie offen Widerstand und ließen die Schiffe mit den Achterdecks zum feindlichen Ufer hin treiben, schließlich stießen sie die Steuerleute und Zenturionen nieder, falls diese keine gemeinsame Sache machten, bis die gesamte, aus 24 Schiffen bestehende Flotte zu den Feinden überging oder gekapert wurde. 17 (1) Ruhm brachte dieser Sieg für den Augenblick, für die Zukunft war er von Nutzen; da sie sich Waffen und Schiffe, an denen es ihnen fehlte, verschafft hatten, waren sie in ganz Germanien und Gallien in aller Munde, und man feierte sie als Bringer der Freiheit. Germanien schickte sofort Gesandte, die Hilfstruppen anboten. Ein Bündnis mit Gallien strebte Civilis mit List und Geschenken an, indem er die gefangen genommenen Kohortenkommandanten in ihre eigenen Gemeinden zurückschickte und den Kohorten die freie Entscheidung überließ, ob sie lieber abziehen oder dableiben wollten. Wer blieb, dem bot man einen ehrenvollen Dienst, wer abzog, Beutestücke der Römer an. (2) Gleichzeitig erinnerte er sie in vertraulichen Gesprächen an die üble Behandlung, die sie so viele Jahre hindurch ertragen hätten – und doch bezeichneten sie ihre elende Knechtschaft fälschlicherweise als Frieden! Die Bataver hätten, obwohl sie keine Abga-

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quam tributorum expertes, arma contra communes dominos cepisse; prima acie fusum victumque Romanum. quid si Galliae iugum exuant? quantum in Italia reliquum? (3) provinciarum sanguine provincias vinci. ne Vindicis aciem cogitarent: Batavo equite protritos Aeduos Arvernosque; fuisse inter Verginii auxilia Belgas, vereque reputantibus Galliam suismet viribus concidisse. nunc easdem omnium partes, addito, si quid militaris disciplinae in castris Romanorum viguerit; esse secum veteranas cohortes, quibus nuper Othonis legiones procubuerint. (4) servirent Syria Asiaque et suetus regibus Oriens: multos adhuc in Gallia vivere ante tributa genitos. nuper certe caeso Quinctilio Varo pulsam e Germania servitutem, nec Vitellium principem, sed Caesarem Augustum bello provocatum. (5) libertatem natura etiam mutis animalibus datam, virtutem proprium hominum bonum; deos fortioribus adesse: proinde adriperent vacui occupatos, integri fessos. dum alii Vespasianum, alii Vitellium foveant, patere locum adversus utrumque. (6) sic in Gallias Germaniasque intentus, si destinata provenissent, validissimarum ditissimarumque nationum regno imminebat.

18 (1) At Flaccus Hordeonius primos Civilis conatus per dissimulationem aluit: ubi expugnata castra, deletas cohortes, pulsum Batavorum insula Romanum nomen trepidi nuntii adferebant, Munium Lupercum legatum (is duarum legionum hibernis praeerat) egredi adversus hostem iubet. Lupercus legionarios e praesentibus, Ubios e proximis, Trevirorum equites haud longe agentis raptim transmisit, addita Batavorum ala, quae iam pridem corrupta fidem simulabat, ut proditis in ipsa acie Romanis maiore pretio fugeret. (2) Civilis captarum cohortium signis circumdatus, ut suo militi recens

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ben leisten müssten,22 die Waffen gegen die gemeinsamen Unterdrücker erhoben. Gleich in der ersten Schlacht seien die Römer vertrieben und besiegt worden. Was erst, falls Gallien das Joch abschüttle? Wieviel bleibe dann in Italien noch übrig? (3) Mit dem Blut der Provinzen würden die Provinzen besiegt. Sie sollten nicht an den Kampf des Vindex23 denken: Von batavischer Kavallerie seien Häduer und Arverner niedergeritten worden; unter den Hilfstruppen des Verginius hätten sich Belger befunden, und wenn man es recht bedenke, dann sei Gallien unter seinen eigenen Truppen zusammengebrochen. Jetzt aber stünden sie alle auf derselben Seite; dazu komme noch die militärische Disziplin, falls überhaupt etwas davon in den Lagern der Römer gewirkt habe. Mit ihm hielten es die altgedienten Kohorten, denen erst kurz zuvor Othos Legionen unterlegen seien. (4) Als Sklaven dienen sollten Syrien, Asia und überhaupt der an Despoten gewöhnte Orient.24 In Gallien lebten immer noch viele Menschen, die vor den Tributzahlungen geboren seien. Es sei ja doch noch nicht lange her,25 dass mit der Tötung des Quinctilius Varus aus Germanien die Knechtschaft vertrieben worden sei, und man habe dabei nicht einen Princeps Vitellius, sondern einen Caesar Augustus zum Krieg herausgefordert. (5) Der Freiheitsdrang sei von der Natur sogar den stummen Lebewesen verliehen worden, Mannhaftigkeit sei das für Menschen charakteristische Gut. Die Götter stünden aufseiten der Mutigeren; deshalb sollten sie sich, solange sie noch freie Hand hätten, auf die von anderen Problemen in Anspruch genommenen, solange sie frisch seien, auf die erschöpften Feinde stürzen. Während es die einen mit Vespasian, die anderen mit Vitellius hielten, böten sich alle Möglichkeiten beiden gegenüber. (6) So richtete er sein Augenmerk auf Gallien und Germanien und drohte, falls seine Absichten Erfolg haben sollten, die Königsherrschaft über die stärksten und reichsten Völker an sich zu reißen. 18 (1) Flaccus Hordeonius jedoch begünstigte den Beginn der Unternehmungen des Civilis durch Nichtbeachtung. Erst als die Eroberung des Lagers, die Vernichtung der Kohorten, die Vertreibung all dessen, was Römer hieß, von der Bataverinsel Angst erregende Nachrichten meldeten, gab er dem Legaten Munius Lupercus – er kommandierte das Winterlager zweier Legionen – den Befehl, gegen den Feind auszurücken. Lupercus ließ die an Ort und Stelle zur Verfügung stehenden Legionäre, Ubier aus der nächsten Umgebung sowie die nicht weit entfernt stationierte Kavallerie der Treverer schleunigst übersetzen und gliederte eine Schwadron Bataver an, die, obwohl sie schon längst bestochen war, Treue heuchelte, um dann die Römer mitten im Gefecht verraten und um eine höhere Belohnung fliehen zu können. (2) Civilis ließ die Feldzeichen der gefangen genommenen Kohorten um sich herum aufstellen, damit seinen eigenen Soldaten der kurz

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gloria ante oculos et hostes memoria cladis terrerentur, matrem suam sororesque, simul omnium coniuges parvosque liberos consistere a tergo iubet, hortamenta victoriae vel pulsis pudorem. (3) ut virorum cantu, feminarum ululatu sonuit acies, nequaquam par a legionibus cohortibusque redditur clamor. nudaverat sinistrum cornu Batavorum ala transfugiens statimque in nos versa. sed legionarius miles, quamquam rebus trepidis, arma ordinesque retinebat. Ubiorum Treverorumque auxilia foeda fuga dispersa totis campis palantur; illuc incubuere Germani, et fuit interim effugium legionibus in castra, quibus Veterum nomen est. (4) praefectus alae Batavorum Claudius Labeo, oppidano certamine aemulus Civili, ne interfectus invidiam apud populares vel, si retineretur, semina discordiae praeberet, in Frisios avehitur.

19 (1) Isdem diebus Batavorum et Canninefatium cohortes, cum iussu Vitellii in urbem pergerent, missus a Civile nuntius adsequitur. intumuere statim superbia ferociaque et pretium itineris donativum, duplex stipendium, augeri equitum numerum, promissa sane a Vitellio, postulabant, non ut adsequerentur, sed causam seditioni. (2) et Flaccus multa concedendo nihil aliud effecerat, quam ut acrius exposcerent quae sciebant negaturum. spreto Flacco inferiorem Germaniam petivere, ut Civili iungerentur. Hordeonius adhibitis tribunis centurionibusque consultavit, num obsequium abnuentes vi coerceret; mox insita ignavia et trepidis ministris, quos ambiguus auxiliorum animus et subito dilectu suppletae legiones angebant, statuit continere intra castra militem: dein paenitentia et arguentibus ipsis qui suaserant, tamquam secuturus scripsit Herennio Gallo legionis primae legato, qui Bonnam obtinebat, ut arceret transitu Batavos: se cum exercitu tergis

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zuvor errungene Ruhm vor Augen stehe und die Feinde durch die Erinnerung an ihre Niederlage in Angst gerieten. Dann befahl er seiner Mutter und seinen Schwestern, zudem den Ehefrauen und kleinen Kindern aller anderen, sich in ihrem Rücken hinzustellen, als Ermunterungen zum Sieg oder für Männer, die flohen, zur Beschämung. (3) Als dann vom Gesang der Männer, dem Geheul der Frauen das zum Kampf angetretene Heer erdröhnte, wurde das Geschrei keineswegs in gleicher Lautstärke von den Legionen und Kohorten erwidert. Entblößt hatte den linken Flügel das desertierende Bataverregiment und sich sofort gegen uns gewandt. Aber die Legionssoldaten hielten trotz der beängstigenden Situation ihre Waffen fest und bewahrten ihre Aufstellung. Die Hilfstruppen der Ubier und Treverer ließen sich in schändlicher Flucht auseinandertreiben und streiften im ganzen Gelände umher. Auf sie stürzten sich die Germanen, und das bedeutete unterdessen für die Legionen die Möglichkeit, in das Lager mit Namen Vetera zu entkommen. (4) Der Regimentskommandant der Bataver Claudius Labeo, in landsmannschaftlicher Konkurrenz ein Rivale des Civilis, wurde zu den Friesen abgeschoben, damit seine Ermordung nicht Erbitterung bei seinen Landsleuten hervorrufen oder er, falls er dabehalten werde, die Samen für Auseinandersetzungen liefern könne. 19 (1) In den nämlichen Tagen holte die Kohorten der Bataver und Kanninefaten, als sie auf Vitellius’ Befehl auf dem Weg in die Hauptstadt waren, ein von Civilis geschickter Kurier ein. Sie bliesen sich sofort voller Arroganz und wildem Übermut auf und verlangten als Belohnung für ihren Marsch ein Geldgeschenk, doppelten Sold, eine Erhöhung der Zahl der Kavalleristen26 – das hatte ihnen Vitellius freilich versprochen –, nicht um ihre Forderungen durchzusetzen, sondern als Vorwand für eine Rebellion. (2) Tatsächlich hatte Flaccus mit seinen vielen Zugeständnissen nur erreicht, dass sie noch aufdringlicher verlangten, was er, wie sie wussten, abschlagen werde. Sie kümmerten sich weiter nicht um Flaccus und zogen nach Untergermanien, um sich Civilis anzuschließen. Hordeonius rief seine Tribune und Zenturionen zu sich und beriet sich mit ihnen, ob er die Gehorsamsverweigerer nicht mit Gewalt zur Vernunft bringen solle. Daraufhin beschloss er aufgrund seiner angeborenen Feigheit und seiner ängstlichen Untergebenen, welche die zweifelhafte Einstellung der Hilfstruppen und die Tatsache beunruhigten, dass die Legionen durch eine überstürzte Aushebung aufgefüllt worden waren, die Soldaten im Lager zu halten. Dann packte ihn wieder die Reue, und weil ihm gerade die Leute, die ihm dazu geraten hatten, nun Vorwürfe machten, schrieb er, als sei er zur Verfolgung entschlossen, dem Legaten der 1. Legion Herennius Gallus, der in Bonna kommandierte, er solle die Bataver am Übergang hindern; er werde sich mit seinem Heer

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eorum haesurum. (3) et opprimi poterant, si hinc Hordeonius, inde Gallus, motis utrimque copiis, medios clausissent. ‹sed› Flaccus omisit inceptum aliisque litteris Gallum monuit, ne terreret abeuntes: unde suspicio sponte legatorum excitari bellum cunctaque, quae acciderant aut metuebantur, non inertia militis neque hostium vi, sed fraude ducum evenire.

20 (1) Batavi, cum castris Bonnensibus propinquarent, praemisere qui Herennio Gallo mandata cohortium exponeret. nullum sibi bellum adversus Romanos, pro quibus totiens bellassent: longa atque inrita militia fessis patriae atque otii cupidinem esse. si nemo obsisteret, innoxium iter fore: sin arma occurrant, ferro viam inventuros. (2) cunc‹tan›tem legatum milites perpulerant, fortunam proelii experiretur. tria milia legionariorum et tumultuariae Belgarum cohortes, simul paganorum lixarumque ignava sed procax ante periculum manus omnibus portis ‹pro›rumpunt, ut Batavos numero impares circumfundant. (3) illi veteres militiae in cuneos congregantur, densi undique et frontem tergaque ac latus tuti; sic tenuem nostrorum aciem perfringunt. cedentibus Belgis pellitur legio, et vallum portasque trepidi petebant. ibi plurimum cladis: cumulatae corporibus fossae, nec caede tantum et volneribus, sed ruina et suis plerique telis interi‹e›re. (4) victores colonia Agrippinensium vitata, nihil cetero in itinere hostile ausi, Bonnense proelium excusabant, tamquam petita pace, postquam negabatur, sibimet ipsi consuluissent.

21 (1) Civilis adventu veteranarum cohortium iusti iam exercitus ductor, sed consilii ambiguus et vim Romanam reputans, cunctos qui aderant in verba Vespasiani adigit mittitque legatos ad duas legiones, quae priore acie pulsae in Vetera castra concesserant, ut idem sacramentum acciperent. (2) red-

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an ihre Fersen heften. (3) Tatsächlich hätte man sie überwältigen können, wenn hier Hordeonius, dort Gallus auf beiden Seiten ihre Truppen in Bewegung gesetzt und sie in der Mitte eingeschlossen hätten. Aber Flaccus ließ von seinem Vorhaben wieder ab und warnte Gallus in einem anderen Schreiben davor, sie bei ihrem Abzug auch noch zu scheuchen. Dadurch kam der Verdacht auf, der Krieg werde mit Wissen und Willen der Legaten geschürt und alles, was geschehen war oder was man noch befürchtete, ereigne sich nicht wegen der Untüchtigkeit der Soldaten und auch nicht wegen der Stärke der Feinde, sondern wegen der Hinterhältigkeit der Kommandeure. 20 (1) Als die Bataver dem Lager von Bonna näherkamen, schickten sie einen Unterhändler voraus, der Herennius Gallus die Aufträge der Kohorten ausrichten sollte: Sie führten keinesfalls Krieg gegen die Römer, für die sie schon so oft gekämpft hätten; vom langen, fruchtlosen Militärdienst erschöpft, hätten sie nur Sehnsucht nach Heimat und Ruhe. Falls sich ihnen niemand in den Weg stelle, werde ihr Marsch harmlos verlaufen; sollten ihnen aber Truppen entgegenkommen, würden sie mit dem Schwert ihren Weg zu finden wissen. (2) Den zögernden Legaten hatten die Soldaten dazu gebracht, das Schlachtenglück zu versuchen. 3 000 Legionäre und eilends zusammengeraffte Kohorten der Belger, zudem die feige, aber vor der Gefahr vorlaute Schar von Zivilisten und Marketendern stürzten aus allen Toren hinaus, um die zahlenmäßig unterlegenen Bataver zu umzingeln. (3) Die aber, altgediente Soldaten, schlossen sich zu Gefechtskeilen zusammen, überall dicht nebeneinander stehend und vorne, hinten und an den Flanken gesichert; so durchbrachen sie die dünne Front unserer Leute. Als die Belger wichen, wurde die Legion in die Flucht geschlagen, und man eilte ängstlich durcheinanderlaufend auf den Wall und die Tore zu. Dort kam es zu den größten Verlusten; in den Gräben häuften sich die Leichen, und man kam nicht nur im Gemetzel und durch Wunden, sondern schon beim Sturz und dabei vielfach durch die eigenen Waffen ums Leben. (4) Die Sieger mieden Colonia Agrippinensis, wagten auf dem restlichen Marsch keine Feindseligkeiten mehr und versuchten das Gefecht bei Bonna damit zu entschuldigen, sie hätten um Frieden gebeten und erst, als er verweigert wurde, zur Selbsthilfe gegriffen. 21 (1) Civilis war durch die Ankunft der altgedienten Kohorten schon Führer eines richtigen Heeres geworden. Aber weil er noch unschlüssig war und an die römische Macht dachte, vereidigte er alle Anwesenden auf Vespasian und schickte eine Abordnung zu den zwei Legionen, die im früheren Gefecht geschlagen worden waren und sich ins Lager Vetera zurückgezogen hatten; sie sollten denselben Fahneneid ablegen. (2) Man gab zur Antwort:

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ditur responsum: neque proditoris neque hostium se consiliis uti; esse sibi Vitellium principem, pro quo fidem et arma usque ad supremum spiritum retenturos: proinde perfuga Batavus arbitrium rerum Romanarum ne ageret, sed meritas sceleris poenas exspectaret. quae ubi relata Civili, incensus ira universam Batavorum gentem in arma rapit; iunguntur Bructeri Tencterique et excita nuntiis Germania ad praedam famamque.

22 (1) Adversus has concurrentis belli minas legati legionum Munius Lupercus et Numisius Rufus vallum murosque firmabant. subversa longae pacis opera, haud procul castris in modum municipii exstructa, ne hostibus usui forent. sed parum provisum, ut copiae in castra conveherentur: rapi permisere. ita paucis diebus per licentiam absumpta sunt quae adversus necessitates in longum suffecissent. (2) Civilis medium agmen cum robore Batavorum obtinens utramque Rheni ripam, quo truculentior visu foret, Germanorum catervis complet, adsultante per campos equite; simul naves in adversum amnem agebantur. hinc veteranarum cohortium signa, inde depromptae silvis lucisque ferarum imagines, ut cuique genti inire proelium mos est, mixta belli civilis externique facie obstupefecerant obsessos. (3) et spem obpugnantium augebat amplitudo valli, quod duabus legionibus situm vix quinque milia armatorum [Romanorum] tuebantur; sed lixarum multitudo turbata pace illuc congregata et bello ministra aderat.

23 (1) Pars castrorum in collem leniter exsurgens, pars aequo adibatur. quippe illis hibernis obsideri premique Germanias Augustus crediderat, neque umquam id malorum, ut obpugnatum ultro legiones nostras venirent; inde non loco neque munimentis labor additus: vis et arma satis placebant. (2) Batavi Transrhenanique, quo discreta virtus manifestius spectaretur, sibi quaeque gens consistunt, eminus lacessentes. post ubi pleraque telorum tur-

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Sie hielten sich weder an die Ratschläge eines Verräters noch an die von Feinden; ihr Princeps sei Vitellius, für den sie Treue und Waffen bis zum letzten Atemzug bewahren würden. Deshalb solle sich der desertierte Bataver nicht zum Schiedsrichter in römischen Angelegenheiten aufspielen, sondern auf die verdienten Strafen für sein Verbrechen warten. Als das Civilis berichtet wurde, rief er wutentbrannt sofort den gesamten Stamm der Bataver zu den Waffen; es schlossen sich Brukterer und Tenkterer an, und Germanien wurde durch Boten dazu aufgerufen, Beute und Ruhm zu erwerben. 22 (1) Gegen diese Drohungen des mit dem anderen zusammentreffenden27 Kriegs verstärkten die Legionslegaten Munius Lupercus und Numisius Rufus den Wall und die Mauern. Abgerissen wurden die in langer Friedenszeit in keiner großen Entfernung vom Lager in der Art einer Landstadt errichteten Bauten, damit sie den Feinden nicht von Nutzen sein konnten. Aber man hatte zu wenig Vorsorge dafür getroffen, dass Vorräte ins Lager geschafft wurden; also erlaubte man Plünderungen. Auf diese Weise wurde in wenigen Tagen mutwillig verschwendet, was für die nötigen Bedürfnisse lange Zeit gereicht hätte. (2) Civilis, der mit der Kerntruppe der Bataver das Zentrum seines Heeres hielt, ließ, um einen schrecklicheren Anblick zu bieten, beide Rheinufer von Germanenscharen besetzen, während seine Kavallerie über die Felder dahinsprengte; zugleich wurden seine Schiffe stromaufwärts gezogen. Auf der einen Seite hatten die Standarten der altgedienten Kohorten, auf der anderen die aus Wäldern und Hainen herausgeholten Figuren wilder Tiere – wie es eben bei jedem Stamm üblich war, in den Kampf zu ziehen – wegen des zwischen einem Bürgerkrieg und einem Krieg gegen auswärtige Feinde vermischten Erscheinungsbilds bei den Belagerten lähmendes Entsetzen hervorgerufen. (3) Dazu stärkte die Hoffnung der Belagerer der Umfang des Walls, den, obwohl er für zwei Legionen angelegt worden war, kaum 5 000 Mann in Waffen schützten. Doch war eine große Anzahl von Marketendern da, die nach der Störung des Friedens dort zusammengekommen war und im Krieg Hilfsdienste leisten konnte. 23 (1) Ein Teil des Lagers zog sich sanft ansteigend einen Hügel hinauf, der andere war vom ebenen Gelände her zugänglich. Denn mit diesem Winterlager könne Germanien in Schach gehalten und unter Druck gesetzt werden, hatte Augustus geglaubt, und es werde niemals zu solch schlimmen Situationen kommen, dass es sogar zum Angriff auf unsere Legionen anrücke. Deshalb hatte man keine Mühe auf die Wahl des Platzes und auf Befestigungen verwendet: Unsere Stärke und Waffen schienen zu genügen. (2) Die Bataver und rechtsrheinischen Germanen stellten sich, damit man durch die Trennung ihre Tapferkeit deutlicher registrieren konnte, jeder Stamm für sich auf und begannen mit dem Fernkampf. Dann aber, als die

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ribus pinnisque moenium inrita haerebant et desuper saxis volnerabantur, clamore atque impetu invasere vallum, adpositis plerique scalis, alii per testudinem suorum; scandebantque iam quidam, cum gladiis et armorum incussu praecipitati sudibus et pilis obruuntur, praeferoces initio et rebus secundis nimii. (3) sed tum praedae cupidine adversa quoque tolerabant; machinas etiam, insolitum sibi, ausi. nec ulla ipsis sollertia: perfugae captivique docebant struere materias in modum pontis, mox subiectis rotis propellere, ut alii superstantes tamquam ex aggere proeliarentur, pars intus occulti muros subruerent. sed excussa ballistis saxa stravere informe opus. (4) et crates vineasque parantibus adactae tormentis ardentes hastae, ultroque ipsi obpugnatores ignibus petebantur, donec desperata vi verterent consilium ad moras, haud ignari paucorum dierum inesse alimenta et multum imbellis turbae; simul ex inopia proditio et fluxa servitiorum fides ac fortuita belli sperabantur.

24 (1) Flaccus interim cognito castrorum obsidio et missis per Gallias qui auxilia concirent, lectos ‹e› legionibus Dillio Voculae duoetvicensimae legionis legato tradit, ut quam maximis per ripam itineribus celeraret, ipse navibus, invalidus corpore, invisus militibus. neque enim ambigue fremebant: emissas a Mogontiaco Batavorum cohortes, dissimulatos Civilis conatus, adsciri in societatem Germanos. (2) non Primi Antonii neque Muciani ope Vespasianum magis adolevisse. aperta odia armaque palam depelli: fraudem et dolum obscura eoque inevitabilia. Civilem stare contra, struere aciem: Hordeonium e cubiculo et lectulo iubere quidquid hosti conducat. tot armatas fortissimorum virorum manus unius senis valetudine regi:

Historien 4,23,2-4,24,2

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meisten Geschosse wirkungslos an den Türmen und Zinnen der Mauern hängen blieben und sie von oben her mit Steinen verwundet wurden, setzten sie mit Geschrei zum Sturmangriff auf den Wall an, die Mehrzahl mit angelegten Leitern, andere mit einer von ihren Leuten gebildeten Schildkröte28. Tatsächlich waren einige schon dabei, auf den Wall zu steigen, da wurden sie mit Schwertern und Schildstößen hinabgetrieben und dann mit Pfählen und Wurfspeeren überschüttet – anfangs noch überaus ungestüm und im Erfolg maßlos. (3) Dann jedoch nahmen sie aus Beutegier auch Rückschläge hin. Sogar an Belagerungsmaschinen, ihnen nicht vertraute Geräte, wagten sie sich. Aber sie besaßen selbst keinerlei technisches Geschick: Überläufer und Gefangene brachten ihnen bei, Bauholz in der Art einer Brücke zusammenzuzimmern, dann mit daruntergesetzten Rädern nach vorne zu rollen, damit sich andere daraufstellen und wie von einer Rampe aus kämpfen, ein Teil, der sich im Inneren versteckt hatte, die Mauern untergraben konnte. Aber von Ballisten geschleuderte Steine brachten das unförmige Bauwerk zum Einsturz. (4) Als sie dann Faschinen und Laufgänge vorbereiteten, wurden mit Geschützen29 brennende Lanzen darauf abgeschossen, und darüber hinaus zielte man mit Brandgeschossen auf die Belagerer selbst, bis sie am gewaltsamen Vorgehen verzweifelten und ihre Taktik auf Abwarten umstellten in dem sicheren Bewusstsein, dass nur mehr Nahrungsmittel für wenige Tage im Lager waren und eine große Menge kampfunfähiges Volk. Gleichzeitig hoffte man wegen der Notlage auf Verrat, die schwankende Treue der Sklaven und die Zufälle des Krieges. 24 (1) Flaccus hatte zwischenzeitlich von der Belagerung des Lagers erfahren und Kuriere in ganz Gallien herumgeschickt, die Hilfstruppen herbeiholen sollten. Dann übergab er aus den Legionen ausgewählte Einheiten Dillius Vocula, dem Legaten der 22. Legion, mit dem Auftrag, in Eilmärschen so schnell wie möglich am Ufer entlang zu marschieren; er selbst fuhr zu Schiff, krank und seinen Soldaten verhasst. Sie gaben ihrer Empörung nämlich unmissverständlich Ausdruck: Fortgeschickt habe man aus Mogontiacum die Bataverkohorten, ignoriert die Unternehmungen des Civilis, ein Bündnis schließe man mit Germanen. (2) Nicht durch die Hilfe des Primus Antonius und Mucian sei Vespasians Position mehr gefestigt worden. Gegen offene Hassausbrüche und Waffen könne man sich in aller Öffentlichkeit wehren; Betrug und Hinterlist dagegen wirkten im Dunkeln, und deshalb könne man ihnen nicht ausweichen. Civilis stehe ihnen gegenüber, stelle sein Heer auf; Hordeonius gebe von seinem Schlafzimmer und Bett aus nur Befehle, die dem Feind nützten. So viele bewaffnete Hände äußerst tapferer Männer würden von der Krankheit eines einzigen alten Mannes kommandiert. Warum sollten sie nicht eher den Verräter töten und ihr eigenes

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quin potius interfecto proditore fortunam virtutemque suam malo omine exsolverent. (3) his inter se vocibus instinctos flammavere insuper adlatae a Vespasiano litterae, quas Flaccus, quia occultari nequibant, pro contione recitavit vinctosque qui attulerant ad Vitellium misit.

25 (1) Sic mitigatis animis Bonnam, hiberna primae legionis, ventum. infensior illic miles culpam cladis in Hordeonium vertebat: eius iussu derectam adversus Batavos aciem, tamquam a Mogontiaco legiones sequerentur; eiusdem proditione caesos, nullis supervenientibus auxiliis: ignota haec ceteris exercitibus neque imperatori suo nuntiari, cum adcursu tot provinciarum exstingui repens perfidia potuerit. (2) Hordeonius exemplares omnium litterarum, quibus per Gallias Britanniamque et Hispanias auxilia orabat, exercitui recitavit instituitque pessimum facinus, ut epistulae aquiliferis legionum traderentur, a quis ante militi quam ducibus legebantur. tum e seditiosis unum vinciri iubet, magis usurpandi iuris, quam quia unius culpa foret. (3) motusque Bonna exercitus in coloniam Agrippinensem, adfluentibus auxiliis Gallorum, qui primo rem Romanam enixe iuvabant: mox valescentibus Germanis pleraeque civitates adversum nos arma ‹sumpsere› spe libertatis et, si exuissent servitium, cupidine imperitandi. (4) gliscebat iracundia legionum, nec terrorem unius militis vincula indiderant: quin idem ille arguebat ultro conscientiam ducis, tamquam nuntius inter Civilem Flaccumque falso crimine testis veri opprimeretur. conscendit tribunal Vocula mira constantia prensumque militem ac vociferantem duci ad supplicium iussit, et dum mali pavent, optimus quisque iussis paruere. exim consensu ducem Voculam poscentibus, Flaccus summam rerum ei permisit.

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Schicksal und ihre Tapferkeit von dem schlimmen Vorzeichen30 befreien? (3) Die Männer, die sich auf diese Weise untereinander in Rage geredet hatten, versetzte zusätzlich das Eintreffen eines Briefs Vespasians in flammende Empörung, den Flaccus, weil er ihn nicht verheimlichen konnte, vor versammelter Mannschaft vorlas; die Überbringer schickte er dann in Fesseln zu Vitellius. 25 (1) So beruhigten sich die Gemüter wieder,31 und man kam nach Bonna ins Winterlager der 1. Legion. Noch aufgebrachter schoben die dortigen Soldaten die Schuld an der Niederlage auf Hordeonius: Auf seinen Befehl hin habe man das Heer zum Kampf gegen die Bataver aufmarschieren lassen in der Annahme, von Mogontiacum aus kämen die Legionen nach; durch den Verrat genau dieses Mannes seien sie vernichtend geschlagen worden, weil überhaupt keine Unterstützung eingetroffen sei. Das sei den übrigen Heeren nicht bekannt und werde auch ihrem Oberbefehlshaber nicht gemeldet, wo man doch durch rasche Hilfe aus so vielen Provinzen den neuerlichen Treuebruch im Keim hätte ersticken können. (2) Hordeonius ließ Abschriften aller Briefe, mit denen er in ganz Gallien, Britannien und Spanien um Hilfstruppen bat, dem Heer vorlesen und führte dabei das abgrundschlechte Verfahren ein, dass die Schreiben den Adlerträgern der Legionen ausgehändigt wurden, von denen sie dann den Soldaten früher als den Kommandeuren verlesen wurden. Dann ließ er einen einzigen von den Meuterern in Fesseln legen, eher um von seinem Recht Gebrauch zu machen, als weil es sich um die Schuld eines Einzelnen gehandelt hätte. (3) Ferner rückte das Heer von Bonna nach Colonia Agrippinensis vor, und es strömten Hilfstruppen der Gallier herbei, die anfangs die römische Sache mit großem Einsatz unterstützten. Als dann aber die Germanen immer stärker wurden, griff eine Anzahl von Gemeinden gegen uns zu den Waffen in der Hoffnung auf Freiheit und, falls sie die Knechtschaft abgelegt hätten, aus Herrschsucht. (4) Da nahm die Erbitterung der Legionen zu, und die Festnahme des einen Soldaten hatte keine abschreckende Wirkung gezeigt. Ja, ausgerechnet dieser Mann beschuldigte obendrein seinen Kommandeur der Mitwisserschaft mit der Behauptung, er, der Mittelsmann zwischen Civilis und Flaccus, solle durch den falschen Vorwurf als Zeuge der Wahrheit ausgeschaltet werden. Da stieg Vocula in bewundernswerter Entschlossenheit auf die Tribüne, ließ den Soldaten packen und trotz seines Geschreis zur Hinrichtung führen, und während die schlechten Elemente Angst bekamen, gehorchten die tüchtigsten Männer den Befehlen. Als man daraufhin einstimmig Vocula als Kommandeur verlangte, überließ ihm Flaccus die wichtigsten Dienstgeschäfte.

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26 (1) Sed discordes animos multa efferabant: inopia stipendii frumentique et simul dilectum tributaque Galliae aspernantes, Rhenus incognita illi caelo siccitate vix navium patiens, arti commeatus, dispositae per omnem ripam stationes, quae Germanos vado arcerent, eademque de causa minus frugum et plures qui consumerent. (2) apud imperitos prodigii loco accipiebatur ipsa aquarum penuria, tamquam nos amnes quoque et vetera imperii munimenta desererent: quod in pace fors seu natura, tunc fatum et ira dei vocabatur. (3) Ingressis Novaesium sexta decima legio coniungitur. additus Voculae in partem curarum Herennius Gallus legatus; nec ausi ad hostem pergere * * (loco Gelduba nomen est) castra fecere. ibi struenda acie, muniendo vallandoque et ceteris belli meditamentis militem firmabant. utque praeda ad virtutem accenderetur, in proximos Cugernorum pagos, qui societatem Civilis acceperant, ductus ‹a› Vocula exercitus; pars cum Herennio Gallo permansit.

27 (1) Forte navem haud procul castris, frumento gravem, cum per vada haesisset, Germani in suam ripam trahebant. non tulit Gallus misitque subsidio cohortem: auctus et Germanorum numerus, paulatimque adgregantibus se auxiliis acie certatum. Germani multa cum strage nostrorum navem abripiunt. (2) victi, quod tum in morem verterat, non suam ignaviam, sed perfidiam legati culpabant. protractum e tentorio, scissa veste, verberato corpore, quo pretio, quibus consciis prodidisset exercitum, dicere iubent. redit in Hordeonium invidia: illum auctorem sceleris, hunc ministrum vocant, donec exitium minitantibus exterritus proditionem et ipse Hordeonio obiecit; vinctusque adventu demum Voculae exsolvitur. (3) is postera die auctores seditionis morte adfecit: tanta illi exercitui diversitas inerat licentiae patientiaeque. haud dubie gregarius miles Vitellio fidus, splendidissimus quisque in

Historien 4,26,1-4,27,3

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26 (1) Aber die aufsässigen Männer machten viele Umstände wütend: das Ausbleiben von Sold und Getreide, dazu Gallien mit seinem Widerstand gegen Aushebung und Tribute, der Rhein, der wegen einer beim dortigen Klima unbekannten Trockenheit kaum mehr Schifffahrt zuließ, der dürftige Nachschub, die über das gesamte Ufer verteilten Posten, welche die Germanen vom Überqueren einer Furt abhalten sollten, und aus dem gleichen Grund weniger landwirtschaftliche Erzeugnisse und mehr Personen, die sie verzehrten. (2) Bei den ungebildeten Leuten sah man als Vorzeichen gerade den Wassermangel an, weil uns angeblich auch die Flüsse und damit die alten Verteidigungsanlagen des Reichs im Stich ließen. Was in Friedenszeiten Zufall oder Natur, hieß nun Schicksal und Zorn des Gottes32. (3) Nach dem Einmarsch in Novaesium wurde die 16. Legion angegliedert. Vocula gab man für einen Teil der Aufgaben den Legaten Herennius Gallus bei; aber sie getrauten sich nicht, gegen den Feind zu ziehen … – der Ort heißt Gelduba – schlugen sie ein Lager. Dort versuchten sie den Soldaten durch Antreten in Kampfformation, durch Befestigungs- und Schanzarbeit und die übrigen Kriegsmanöver Mut zu machen. Um ferner durch Beutemachen ihre Tapferkeit zu steigern, wurde das Heer von Vocula in die nächstgelegenen Gaue der Kugerner geführt, die ein Bündnis mit Civilis geschlossen hatten; ein Teil blieb mit Herennius Gallus vor Ort. 27 (1) Als zufällig ein Schiff nicht weit vom Lager entfernt schwer mit Getreide beladen in einer Untiefe steckengeblieben war, versuchten es die Germanen an ihr Ufer zu ziehen. Das ließ sich Gallus nicht gefallen und schickte eine Kohorte zu Hilfe. Auch die Zahl der Germanen nahm zu, und nachdem allmählich immer mehr Verstärkungen dazustießen, kam es zu einer richtigen Schlacht. Die Germanen schleppten unter zahlreichen Verlusten unsererseits das Schiff mit sich fort. (2) Die Besiegten gaben, was damals allgemein üblich geworden war, nicht ihrer eigenen Feigheit, sondern der Treulosigkeit des Legaten die Schuld. Sie zogen ihn aus seinem Zelt heraus, zerrissen sein Gewand, verprügelten ihn und befahlen ihm dann zu sagen, um welchen Preis, mit welchen Komplizen er sein Heer verraten habe. Zurück kehrte auch die Erbitterung über Hordeonius: Der sei der Urheber des Verbrechens, der andere nur sein Werkzeug, bis er, völlig eingeschüchtert durch die Männer, die ihm sein Ende androhten, auch selbst Hordeonius Verrat vorwarf; man legte ihn in Fesseln, und er kam erst durch Voculas Ankunft wieder frei. (3) Dieser ließ am nächsten Tag die Rädelsführer bei der Meuterei hinrichten: So groß war der Gegensatz in diesem Heer zwischen Disziplinlosigkeit und Unterwürfigkeit. Zweifellos war der gemeine Soldat Vitellius treu, aber vor allem die höheren Offiziere neigten

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Historiarum liber quartus

Vespasianum proni: inde scelerum ac suppliciorum vices et mixtus obsequio furor, ut contineri non possent qui puniri poterant. 28 (1) At Civilem immensis auctibus universa Germania extollebat, societate nobilissimis obsidum firmata. ille, ut cuique proximum, vastari Ubios Trevirosque, et aliam manum Mosam amnem transire iubet, ut Menapios et Morinos et extrema Galliarum quateret. actae utrobique praedae, infestius in Ubiis, quod gens Germanicae originis eiurata patria Romanorum ‹in› nomen Agrippinenses vocarentur. (2) caesae cohortes eorum in vico Marcoduro incuriosius agentes, quia procul ripa aberant. nec quievere Ubii, quo minus praedas e Germania peterent, primo impune, dein circumventi sunt, per omne id bellum meliore usi fide quam fortuna. (3) contusis Ubiis gravior et successu rerum ferocior Civilis obsidium legionum urgebat, intentis custodiis, ne quis occultus nuntius venientis auxilii penetraret. machinas molemque operum Batavis delegat: Transrhenanos proelium poscentis ad scindendum vallum ire detrusosque redintegrare certamen iubet, superante multitudine et facili damno.

29 (1) Nec finem labori nox attulit: congestis circum lignis accensisque, simul epulantes, ut quisque vino incaluerat, ad pugnam temeritate inani ferebantur. quippe ipsorum tela per tenebras vana: Romani conspicuam barbarorum aciem, et si quis audacia aut insignibus effulgens, ad ictum destinabant. (2) intellectum id Civili et restincto igne misceri cuncta tenebris et armis iubet. tum vero strepitus dissoni, concursus incerti, neque feriendi neque declinandi providentia: unde clamor acciderat, circumagere corpora, tendere artus; nihil prodesse virtus, fors cuncta turbare et ignavorum saepe

Historien 4,27,3-4,29,2

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Vespasian zu. Daher wechselten sich Gewalttaten und Hinrichtungen ab, und wütende Exzesse waren mit Gehorsam vermengt, sodass man die Leute nicht in Zaum halten konnte, die man bestrafen konnte. 28 (1) Doch Civilis’ Selbstgefühl erhöhte ganz Germanien mit gewaltigen Verstärkungen; dabei wurde das Bündnis noch durch Geiseln aus den vornehmsten Geschlechtern gefestigt. Er befahl deshalb, da es für sie alle am nächsten lag, das Gebiet der Ubier und Treverer zu verwüsten; eine andere Abteilung sollte die Maas überqueren, um die Menapier, Moriner und damit die abgelegensten Gegenden Galliens heimzusuchen. In beiden Gebieten wurde Beute gemacht, rücksichtsloser bei den Ubiern, weil der Stamm germanischer Herkunft seinem Heimatland abgeschworen habe und sich nun mit der römischen Bezeichnung Agrippinenser nenne.33 (2) Niedergemacht wurden im Dorf Marcodurum ihre Kohorten, die sich zu sorglos verhielten, weil sie sich weit vom Rheinufer entfernt befanden. Aber die Ubier nahmen das nicht ruhig hin, sondern holten Beute aus Germanien, zunächst ohne dafür bestraft zu werden, dann aber wurden sie überwältigt, wie überhaupt diesen ganzen Krieg hindurch ihre Treue besser war als ihr Schicksal. (3) Nach der Vernichtung der Ubier war Civilis noch mächtiger und durch seine Erfolge kampflustiger, Deshalb verstärkte er die Einschließung der Legionen, wobei Wachtposten darauf achteten, dass keine geheime Nachricht durchdringen konnte, die das Kommen von Hilfe ankündigte. Die Belagerungsmaschinen und die schweren Belagerungsarbeiten übertrug er den Batavern, Den rechtsrheinischen Stämmen, die eine Schlacht forderten, befahl er, sich an das Herausreißen der Palisadenpfähle zu machen, und als sie dabei zurückgeschlagen wurden, den Kampf wieder aufzunehmen, weil Leute im Überfluss da waren und der Verlust leicht zu verschmerzen war. 29 (1) Aber auch die Nacht setzte dem Kampf kein Ende: Man schichtete ringsum Holz auf, zündete es an und veranstaltete ein Festmahl, und jeder stürzte sich, sowie er durch den Wein in Hitze geraten war, in sinnloser Verwegenheit in den Kampf. Denn ihre Wurfgeschosse richteten in der Dunkelheit nichts aus. Die Römer dagegen konnten auf die deutlich sichtbare Reihe der Barbaren und auf jeden zielen, der durch sein verwegenes Verhalten oder ein besonderes Merkmal auffiel. (2) Das wurde von Civilis bemerkt; er ließ das Feuer löschen und befahl, alles in ein chaotisches Durcheinander von Dunkelheit und Waffenlärm zu stürzen. Nun kam es vollends zu wirrem Getöse und planlosen Zusammenstößen, und man konnte sich weder beim Zuschlagen noch beim Ausweichen vorsehen. In die Richtung, aus der Geschrei gekommen war, drehte man die Körper, wandte man die Gliedmaßen34; nichts nützte Tapferkeit, der Zufall brachte alles durcheinander, und

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Historiarum liber quartus

telis fortissimi cadere. (3) apud Germanos inconsulta ira: Romanus miles periculorum gnarus ferratas sudes, gravia saxa non forte iaciebat. ubi sonus molientium aut adpositae scalae hostem in manus dederant, propellere umbone, pilo sequi; multos in moenia egressos pugionibus fodere. sic exhausta nocte novam aciem dies aperuit.

30 (1) Eduxerant Batavi turrim duplici tabulato, quam praetoriae portae (is aequissimus locus) propinquantem promoti contra validi asseres et incussae trabes perfregere multa superstantium pernicie. pugnatumque in perculsos subita et prospera eruptione; simul a legionariis peritia et arte praestantibus plura struebantur. (2) praecipuum pavorem intulit suspensum et nutans machinamentum, quo repente demisso praeter suorum ora singuli pluresve hostium sublime rapti verso pondere intra castra effundebantur. Civilis omissa expugnandi spe rursus per otium adsidebat, nuntiis et promissis fidem legionum convellens.

31 (1) Haec in Germania ante Cremonense proelium gesta, cuius eventum litterae Primi Antonii docuere, addito Caecinae edicto; et praefectus cohortis e victis, Alpinius Montanus, fortunam partium praesens fatebatur. diversi hinc motus animorum: auxilia e Gallia, quis nec amor neque odium in partes, militia sine adfectu, hortantibus praefectis statim a Vitellio desciscunt: vetus miles cunctabatur. (2) sed adigente Hordeonio Flacco, instantibus tribunis, dixit sacramentum, non voltu neque animo satis adfirmans, et cum cetera iuris iurandi verba conciperent, Vespasiani nomen haesitantes aut levi murmure et plerumque silentio transmittebant.

32 (1) Lectae deinde pro contione epistulae Antonii ad Civilem suspiciones militum inritavere, tamquam ad socium partium scriptae et de Germani-

Historien 4,29,2-4,32,1

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häufig fielen durch die Geschosse von Feiglingen die mutigsten Männer. (3) Bei den Germanen herrschte unbedachte Wut; der mit Gefahren vertraute römische Soldat jedoch schleuderte eisenbeschlagene Pfähle und schwere Steine nicht aufs Geratewohl. Wo die Geräusche der gegen die Befestigung anrennenden Männer oder angelegte Leitern einem den Feind in die Hand geliefert hatten, trieb man ihn mit dem Schildbuckel vor sich her, warf ihm den Speer nach; viele, die auf die Mauern geklettert waren, stach man mit den Dolchen nieder. Als man so die Nacht zu Ende gebracht hatte, ließ der Tag eine neue Form des Kampfes sichtbar werden: 30 (1) Konstruiert hatten die Bataver einen Turm mit zwei Stockwerken, den beim Heranrollen an das Vordertor35 – dort war das Gelände ganz eben – dagegen gestemmte starke Stangen und daraufgeworfene Balken zerschmetterten; dabei kam es zu schweren Verlusten unter den oben stehenden Männern. Dann bekämpfte man die verstörten Feinde mit einem plötzlichen, erfolgreich verlaufenden Ausfall; zudem wurde von den an Erfahrung und technischem Wissen überlegenen Legionären noch mehr Kriegsgerät eingesetzt. (2) Besonderes Entsetzen verbreitete eine in der Höhe schwebende, sich auf und ab bewegende Vorrichtung, durch die, wenn man sie plötzlich herabließ, vor den Augen ihrer Kameraden einzelne oder mehrere Feinde in die Höhe gerissen und durch die Drehbewegung des Gegengewichts ins Lager geschleudert wurden.36 Civilis gab die Hoffnung auf Eroberung auf und setzte die Belagerung untätig fort, wobei er durch Boten mit Versprechungen die Treue der Legionen zu untergraben versuchte. 31 (1) Das ereignete sich in Germanien vor der Schlacht von Cremona37, von deren Ausgang ein Brief des Primus Antonius unterrichtete, dem ein Erlass Caecinas beigegeben war; auch der Kohortenkommandant aus den Reihen der Besiegten Alpinius Montanus bestätigte persönlich den Misserfolg seiner Partei. Das führte zu unterschiedlichen Reaktionen: Die Hilfstruppen aus Gallien, die für die Parteien weder Zu- noch Abneigung empfanden, ihren Dienst vielmehr ohne innere Beteiligung ableisteten, fielen auf die ermunternden Worte ihrer Kommandanten sofort von Vitellius ab; die altgedienten Soldaten zögerten noch. (2) Aber als Hordeonius Flaccus sie vereidigte, leisteten sie auf Drängen ihrer Tribune den Eid. Dazu bekannten sie sich nicht mit ihrer Miene und auch nicht innerlich, und während sie die übrigen Worte des Schwurs deutlich nachsprachen, gingen sie über Vespasians Namen stockend oder nur mit leisem Gemurmel und häufig sogar mit Schweigen hinweg. 32 (1) Der anschließend vor der Versammlung verlesene Brief des Antonius an Civilis erregte den Verdacht der Soldaten, er sei an einen Parteifreund geschrieben und verrate eine feindselige Einstellung gegenüber dem

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co exercitu hostiliter. mox adlatis Geldubam in castra nuntiis eadem dicta factaque, et missus cum mandatis Montanus ad Civilem, ut absisteret bello neve externa armis falsis velaret: si Vespasianum iuvare adgressus foret, satis factum coeptis. (2) ad ea Civilis primo callide: post ubi videt Montanum praeferocem ingenio paratumque in res novas, orsus a questu periculisque, quae per quinque et viginti annos in castris Romanis exhausisset, ‘egregium’ inquit ‘pretium laborum recepi, necem fratris et vincula mea et saevissimas huius exercitus voces, quibus ad supplicium petitus iure gentium poenas reposco. vos autem Treveri ceteraeque servientium animae, quod praemium effusi totiens sanguinis exspectatis nisi ingratam militiam, immortalia tributa, virgas, secures et dominorum ingenia? (3) en ego praefectus unius cohortis et Cannenefates Batavique, exigua Galliarum portio, vana illa castrorum spatia excidimus vel saepta ferro fameque premimus. denique ausos aut libertas sequetur aut victi idem erimus.’ sic accensum, sed molliora referre iussum dimittit: ille ut inritus legationis redit, cetera dissimulans, quae mox erupere.

33 (1) Civilis parte copiarum retenta veteranas cohortes et quod e Germanis maxime promptum adversus Voculam exercitumque eius mittit, Iulio Maximo et Claudio Victore, sororis suae filio, ducibus. rapiunt in transitu hiberna alae Asciburgii sita; adeoque improvisi castra involavere, ut non adloqui, non pandere aciem Vocula potuerit: id solum ut in tumultu monuit, subsignano milite media firmare: auxilia passim circumfusa sunt. (2) eques prorupit exceptusque compositis hostium ordinibus terga in suos vertit. caedes inde, non proelium. et Nerviorum cohortes, metu seu perfidia, latera nostrorum nudavere: sic ad legiones perventum, quae amissis signis intra

Historien 4,32,1-4,33,2

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germanischen Heer. Als dann die Nachrichten nach Gelduba ins Lager überbracht wurden, kam es zu denselben Äußerungen und Handlungen, und man schickte Montanus mit den Aufträgen zu Civilis, er solle doch mit dem Krieg aufhören und nicht ausländische Interessen mit militärischen Scheinunternehmungen verschleiern; falls er die Absicht gehabt habe, Vespasian zu unterstützen, sei diesem Anliegen Genüge getan. (2) Darauf reagierte Civilis zunächst geschickt ausweichend; als er dann aber sah, dass Montanus wild entschlossen und zu einem Aufruhr bereit war, begann er mit Klagen über die Gefahren, die er 25 Jahre lang in römischen Feldlagern durchgestanden habe, und sagte dann: „Einen ganz besonderen Lohn habe ich für meine Strapazen erhalten: die Ermordung meines Bruders, meine Festnahme und die grauenhaften Rufe dieses Heeres, mit denen man meine Hinrichtung forderte38 und für die ich nun nach dem Völkerrecht umgekehrt Bestrafung verlange. Ihr Treverer aber und ihr übrigen Sklavenseelen, welchen Lohn für euer so häufig vergossenes Blut erwartet ihr außer einem undankbaren Militärdienst, ewigen Tributen, Ruten, Beilen39 und den Launen von Herren? (3) Seht doch, ich, der Kommandant einer einzigen Kohorte, und die Kanninefaten und Bataver, nur ein ganz kleiner Teil Galliens, haben jene lächerlich umfangreichen Lager verwüstet oder eingeschlossen und setzen ihnen nun mit Schwert und Hunger zu! Kurzum, wenn wir etwas wagen, wird uns entweder die Freiheit folgen, oder wenn wir besiegt werden, werden wir in der gleichen Lage sein.“ So hetzte er ihn auf, befahl ihm aber, Verbindlicheres zu berichten, und entließ ihn dann. Er kehrte zurück, als sei die Gesandtschaft erfolglos gewesen, und tat dabei so, als wisse er von all dem anderen nichts, das dann bald ans Licht kam. 33 (1) Civilis behielt nur einen Teil seiner Truppen bei sich und schickte die altgedienten Kohorten und was von den Germanen am entschlossensten war, gegen Vocula und dessen Heer; Iulius Maximus und Claudius Victor, der Sohn seiner Schwester, hatten das Kommando. Als sie daran vorbeikamen, überrumpelten sie das Winterlager des Regiments, das in Asciburgium lag. Derart unerwartet stürmten sie in das Lager hinein, dass Vocula niemanden ansprechen, keine richtige Front aufstellen konnte; nur dazu forderte er angesichts des Durcheinanders auf, mit den regulären Einheiten ein starkes Zentrum zu bilden. Die Hilfstruppen gruppierten sich auf allen Seiten. (2) Die Kavallerie stürmte los, wurde aber von den gut geordneten Reihen der Feinde in Empfang genommen; deshalb musste sie zu ihren eigenen Leute zurückfliehen. Es folgte ein Blutbad, kein Kampf. Zudem entblößten die Kohorten der Nervier aus Angst oder Treulosigkeit unsere Flanken. So stieß man bis zu den Legionen vor, die nach dem Verlust ihrer Standarten noch innerhalb des Walls niedergemacht wurden. Da änderte

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Historiarum liber quartus

vallum sternebantur, cum repente novo auxilio fortuna pugnae mutatur. (3) Vasconum lectae a Galba cohortes ac tum accitae, dum castris propinquant, audito proeliantium clamore intentos hostis a tergo invadunt latioremque quam pro numero terrorem faciunt, aliis a Novaesio, aliis a Mogontiaco universas copias advenisse credentibus. is error Romanis addit animos, et dum alienis viribus confidunt, suas recepere. (4) fortissimus quisque e Batavis, quantum peditum erat, funduntur: eques evasit cum signis captivisque, quos prima acie corripuerant. caesorum eo die in partibus nostris maior numerus et imbellior, e Germanis ipsa robora.

34 (1) Dux uterque pari culpa meritus adversa prosperis defuere. nam Civilis, si maioribus copiis instruxisset aciem, circumiri a tam paucis cohortibus nequisset castraque perrupta excidisset: Vocula nec adventum hostium exploravit, eoque simul egressus victusque; dein victoriae parum confisus tritis frustra diebus castra in hostem movit, quem si statim impellere cursumque rerum sequi maturasset, solvere obsidium legionum eodem impetu potuit. (2) temptaverat interim Civilis obsessorum animos, tamquam perditae apud Romanos res et suis victoria provenisset: circumferebantur signa vexillaque, ostentati etiam captivi. ex quibus unus egregium facinus ausus clara voce gesta patefecit, confossus illic‹o› a Germanis: unde maior indici fides; simul vastatione incendiisque flagrantium villarum venire victorem exercitum intellegebatur. (3) in conspectu castrorum constitui signa fossamque et vallum circumdari Vocula iubet: depositis impedimentis sarcinisque expediti certarent. hinc in ducem clamor pugnam poscentium; et minari adsueverant. ne tempore quidem ad ordinandam aciem capto incompositi fessique proelium sumpsere; nam Civilis aderat, non minus vitiis hostium

Historien 4,33,2-4,34,3

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sich plötzlich durch eine unerwartete Hilfe der Verlauf der Schlacht. (3) Vasconenkohorten, die von Galba ausgehoben und damals herbeigeholt worden waren, hörten bei ihrer Annäherung an das Lager das Geschrei der Kämpfer, griffen die voll beschäftigten Feinde von hinten an und riefen dabei eine größere Panik hervor, als es ihrer Zahl entsprach, weil die einen glaubten, aus Novaesium, die anderen aus Mogontiacum seien sämtliche Truppen eingetroffen. Dieser Irrtum machte den Römern Mut, und während sie sich auf fremde Kräfte verließen, gewannen sie die eigenen wieder zurück. (4) Die tapfersten Bataver wurden, soweit sie Infanteristen waren, niedergemacht; die Kavalleristen dagegen entkamen mit den Feldzeichen und Gefangenen, die sie zu Beginn der Schlacht an sich gerissen hatten. An Gefallenen war an diesem Tag auf unserer Seite die Anzahl größer; aber es waren weniger schlagkräftige Einheiten, während bei den Germanen gerade die Kerntruppen betroffen waren. 34 (1) Beide Kommandeure hatten sich gleich große Schuld an ihrem Misserfolg zuzuschreiben und versäumten es, die Gunst des Augenblicks zu nützen. Denn Civilis hätte, falls er sein Heer mit stärkeren Einheiten aufgestellt hätte, von derart wenigen Kohorten nicht umzingelt werden können, und er hätte das Lager zerstört, in das er bereits eingebrochen war; Vocula dagegen ließ den Anmarsch der Feinde nicht einmal erkunden und war deshalb, als er ausrückte, schon besiegt. Dann war er zu wenig von seinem Sieg überzeugt, ließ untätig Tage verstreichen und brach erst dann gegen den Feind auf. Wenn er sich beeilt hätte, diesem sofort den entscheidenden Stoß zu versetzen und den Lauf der Dinge zu nützen, hätte er die Einschließung der Legionen im gleichen Schwung aufheben können. (2) Civilis hatte in der Zwischenzeit die Einstellung der Belagerten auf die Probe gestellt, indem er den Eindruck zu erwecken versuchte, bei den Römern sei alles verloren und seinen Leuten der Sieg schon zugefallen: Man trug Standarten und Fahnen umher, stellte auch die Gefangenen zur Schau. Von diesen wagte einer eine Heldentat, indem er mit lauter Stimme verriet, was wirklich geschehen war; er wurde daraufhin auf der Stelle von den Germanen niedergemacht. Dadurch wurden seine Angaben noch glaubwürdiger; zudem bemerkte man an der Verwüstung und dem Feuerschein der in Flammen stehenden Gehöfte, dass das siegreiche Heer anrückte. (3) In Sichtweite des Lagers befahl Vocula, haltzumachen und ringsum Graben und Wall zu ziehen; man solle Tross und Gepäck abstellen und unbehindert kämpfen können. Daraufhin schrien sie ihrem Kommandeur zu, sie verlangten eine Schlacht; sie hatten sich sogar angewöhnt zu drohen. Man nahm sich nicht einmal mehr Zeit, das Heer richtig aufzustellen, da begannen sie ungeordnet und erschöpft den Kampf. Denn Civilis war schon zur Stelle; er verließ

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Historiarum liber quartus

quam virtute suorum fretus. (4) varia apud Romanos fortuna et seditiosissimus quisque ignavus: quidam recentis victoriae memores retinere locum, ferire hostem, seque et proximos hortari et redintegrata acie manus ad obsessos tendere, ne tempori deessent. illi cuncta e muris cernentes omnibus portis prorumpunt. (5) ac forte Civilis lapsu equi prostratus, credita per utrumque exercitum fama volneratum aut interfectum, immane quantum suis pavoris et hostibus alacritatis indidit: sed Vocula omissis fugientium tergis vallum turrisque castrorum augebat, tamquam rursus obsidium immineret, corrupta totiens victoria non falso suspectus bellum malle.

35 (1) Nihil aeque exercitus nostros quam egestas copiarum fatigabat. impedimenta legionum cum imbelli turba Novaesium missa, ut inde terrestri itinere frumentum adveherent; nam flumine hostes potiebantur. primum agmen securum incessit, nondum satis firmo Civile. (2) qui ubi rursum missos Novaesium frumentatores datasque in praesidium cohortes velut multa pace ingredi accepit, rarum apud signa militem, arma in vehiculis, cunctos licentia vagos, compositus invadit, praemissis qui pontes et viarum angusta insiderent. pugnatum longo agmine et incerto Marte, donec proelium nox dirimeret. (3) cohortes Geldubam perrexere, manentibus, ut fuerant, castris, quae relictorum illic militum praesidio tenebantur. non erat dubium, quantum in regressu discriminis adeundum foret frumentatoribus onustis perculsisque. addit exercitui suo Vocula mille delectos e quinta et quinta decima legionibus apud Vetera obsessis, indomitum militem et ducibus infensum. (4) plures quam iussum erat profecti palam in agmine fremebant non se ultra famem, insidias legatorum toleraturos: at qui remanserant,

Historien 4,34,3-4,35,4

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sich nämlich nicht weniger auf die Fehler seiner Feinde als auf die Tapferkeit seiner Leute. (4) Wechselhaft war bei den Römern das Glück, und gerade die schlimmsten Unruhestifter waren Feiglinge. Einige Männer aber hielten in Erinnerung an den jüngst errungenen Sieg die Stellung, schlugen auf den Feind ein, sprachen sich und ihren Nebenleuten Mut zu, und als der Kampf wieder in vollem Gange war, streckten sie ihre Hände den Eingeschlossenen entgegen, sie sollten den günstigen Zeitpunkt nicht verpassen. Die beobachteten alles von den Mauern aus und machten deshalb an allen Toren einen Ausfall. (5) Zufällig wurde Civilis von seinem strauchelnden Pferd abgeworfen, und das in beiden Heeren geglaubte Gerücht, er sei verwundet worden oder umgekommen, rief bei seinen Leuten außergewöhnlich viel Angst und bei seinen Feinden Begeisterung hervor. Aber Vocula sah davon ab, die Fliehenden zu verfolgen, und verstärkte den Wall und die Türme des Lagers, wie wenn wieder eine Einschließung drohe, wobei er, da der Sieg schon so oft verspielt worden war, nicht zu Unrecht verdächtigt wurde, er wolle lieber den Krieg. 35 (1) Nichts setzte unseren Heeren gleichermaßen zu wie der Mangel an Proviant. Der Tross der Legionen wurde mit dem kampfuntauglichen Haufen nach Novaesium geschickt, um von dort auf dem Landweg Getreide herbeizuschaffen; denn den Fluss beherrschten die Feinde. Der erste Konvoi kam sicher durch, weil Civilis sich noch nicht genügend erholt hatte. (2) Als er dann davon erfuhr, dass wieder Furagiere nach Novaesium geschickt wurden und die als Begleitschutz beigegebenen Kohorten wie im tiefsten Frieden dahinzogen, dass nur selten ein Soldat bei seinen Fahnen war, die Waffen auf den Fahrzeugen lagen und alle sich nach Belieben herumtrieben, da griff er mit einem geordneten Verband an, nachdem er Trupps vorausgeschickt hatte, die Stege und Engstellen besetzen sollten. Man kämpfte in einer langen Front und mit schwankendem Kriegsglück, bis die Nacht das Gefecht beendete. (3) Die Kohorten zogen nach Gelduba weiter; das Lager befand sich noch in dem Zustand, in dem es gewesen war, weil es durch eine Besatzung dort zurückgelassener Soldaten gehalten wurde. Es bestand kein Zweifel daran, welch große Gefahr die schwer beladenen und entmutigten Furagiere beim Rückmarsch auf sich nehmen mussten. Da gliederte Vocula seinem Heer eintausend aus der 5. und 15. Legion ausgewählte Männer an, die in Vetera eingeschlossen gewesen waren, undisziplinierte, gegen ihre Kommandeure aufsässige Soldaten. (4) Nachdem mehr Leute, als befohlen, aufgebrochen waren, protestierten sie auf dem Marsch ganz offen, sie nähmen den Hunger und die Hinterlist ihrer Legaten nicht weiter hin; doch die Einheiten, die zurückgeblieben waren, klagten, man habe sie durch den

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desertos ‹se derelictos›que abducta parte legionum querebantur. duplex hinc seditio, aliis revocantibus Voculam, aliis redire in castra abnuentibus. 36 (1) Interim Civilis Vetera circumsedit: Vocula Geldubam atque inde Novaesium concessit. [Civilis capit Geldubam] mox haud procul Novaesio equestri proelio prospere certavit. sed miles secundis adversisque perinde in exitium ducum accendebatur; et adventu quintanorum quintadecimanorumque auctae legiones donativum exposcunt, comperto pecuniam a Vitellio missam. (2) nec diu cunctatus Hordeonius nomine Vespasiani dedit, idque praecipuum fuit seditionis alimentum. effusi in luxum et epulas et nocturnos coetus veterem in Hordeonium iram renovant, nec ullo legatorum tribunorumve obsistere auso (quippe omnem pudorem nox ademerat) protractum e cubili interficiunt. eadem in Voculam parabantur, nisi servili habitu per tenebras ignoratus evasisset.

37 (1) Ubi sedato impetu metus rediit, centuriones cum epistulis ad civitates Galliarum misere, auxilia ac stipendia oraturos: ipsi, ut est volgus sine rectore praeceps pavidum socors, adventante Civile raptis temere armis ac statim omissis, in fugam vertuntur. (2) res adversae discordiam peperere, iis qui e superiore exercitu erant causam suam dissociantibus; Vitellii tamen imagines in castris et per proximas Belgarum civitates repositae, cum iam Vitellius occidisset. dein mutati in paenitentiam primani quartanique et duoetvicensimani Voculam sequuntur, apud quem resumpto Vespasiani sacramento ad liberandum Mogontiaci obsidium ducebantur. (3) discesserant obsessores, mixtus ex Chattis Usipis Mattiacis exercitus, satietate praedae nec incruentati, quia dispersos et nescios miles noster invaserat. quin et loricam vallumque per fines suos Treveri struxere, magnisque in vicem cladibus cum Germanis certabant, donec egregia erga populum Romanum merita mox rebelles foedarent.

Historien 4,35,4-4,37,3

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Abzug eines Teils der Legionen im Stich gelassen und aufgegeben. Eine zweifache Meuterei ergab sich daraus: Die einen riefen Vocula zurück, die anderen weigerten sich, ins Lager zurückzukehren. 36 (1) Inzwischen schloss Civilis Vetera ein. Vocula zog nach Gelduba und von dort nach Novaesium. Bald darauf lieferte er nicht weit entfernt von Novaesium ein glücklich verlaufendes Kavalleriegefecht. Aber die Soldaten ließen sich durch Erfolge und Misserfolge in gleicher Weise zu Mordplänen gegen ihre Kommandeure aufhetzen, und die durch die Ankunft der Fünfer und Fünfzehner verstärkten Legionen verlangten das Geldgeschenk, nachdem sie erfahren hatten, das Geld sei von Vitellius geschickt worden. (2) Ohne lange zu zögern, gab es ihnen Hordeonius im Namen Vespasians, und das war ein vorzüglicher Nährboden für eine Meuterei. Sie ließen sich in Wohlleben, Gelagen und nächtlichen Zusammenrottungen gehen und frischten ihre alte Empörung über Hordeonius wieder auf. Als dann keiner der Legaten oder Tribune einzuschreiten wagte – denn alles Ehrgefühl hatte die Nacht aufgehoben –, zogen sie ihn aus seinem Schlafzimmer und brachten ihn um. Dasselbe Schicksal planten sie für Vocula, wenn dieser nicht in Sklavenkleidung in der Dunkelheit unerkannt entkommen wäre. 37 (1) Sobald sich die Erregung gelegt hatte und die Furcht zurückgekehrt war, schickte man Zenturionen mit Briefen zu den Gemeinden in Gallien mit der Bitte um Hilfstruppen und Geld für deren Sold; sie selbst griffen überstürzt, ängstlich und gedankenlos, wie das einfache Volk ohne Führer nun einmal ist, beim Herannahen des Civilis unüberlegt schnell zu den Waffen, warfen sie dann sofort wieder weg und wandten sich zur Flucht. (2) Der Misserfolg führte zu Uneinigkeit; denn die Angehörigen des oberen Heeres machten nicht mehr gemeinsame Sache. Dennoch stellte man die Standbilder des Vitellius im Lager und in den nächstgelegenen Gemeinden der Belger wieder an ihren Platz, obwohl Vitellius schon nicht mehr am Leben war. Schließlich packte die Einser, Vierer und Zweiundzwanziger die Reue, und sie schlugen sich auf Voculas Seite, von dem sie wieder auf Vespasian vereidigt und zur Aufhebung der Einschließung Mogontiacums geführt wurden. (3) Die Belagerer waren schon abgezogen, ein aus Chatten, Usipern und Mattiakern zusammengewürfeltes Heer, weil sie genug Beute gemacht hatten. Aber sie kamen nicht ohne Blutvergießen davon; denn während sie sich zersplittert und nichtsahnend entfernten, waren unsere Soldaten über sie hergefallen. Ja, die Treverer zogen sogar einen Wall mit Brustwehr ihre Grenzen entlang und kämpften unter bedeutenden gegenseitigen Verlusten gegen die Germanen, bis sie ihre außerordentlichen Verdienste um das römische Volk dann als Aufrührer trübten.

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Historiarum liber quartus

38 (1) Interea Vespasianus iterum ac Titus consulatum absentes inierunt, maesta et multiplici metu suspensa civitate, quae super instantia mala falsos pavores induerat, descivisse Africam res novas moliente L. Pisone. (2) is ‹pro consule› provinciae nequaquam turbidus ingenio; sed quia naves saevitia hiemis prohibebantur, volgus alimenta in dies mercari solitum, cui una ex re publica annonae cura, clausum litus, retineri commeatus, dum timet, credebat, augentibus famam Vitellianis, qui studium partium nondum posuerant, ne victoribus quidem ingrato rumore, quorum cupiditates externis quoque bellis inexplebiles nulla umquam civilis victoria satiavit.

39 (1) Kalendis Ianuariis in senatu, quem Iulius Frontinus praetor urbanus vocaverat, legatis exercitibusque ac regibus laudes gratesque decretae; Tettio Iuliano praetura, tamquam transgredientem in partes Vespasiani legionem deseruisset, ablata, ut in Plotium Grypum transferretur; Hormo dignitas equestris data. (2) et mox eiurante Frontino Caesar Domitianus praeturam cepit. eius nomen epistulis edictisque praeponebatur, vis penes Mucianum erat, nisi quod pleraque Domitianus instigantibus amicis aut propria libidine audebat. (3) sed praecipuus Muciano metus e Primo Antonio Varoque Arrio, quos recentes clarosque rerum fama ac militum studiis etiam populus fovebat, quia in neminem ultra aciem saevierant. et ferebatur Antonius Scribonianum Crassum, egregiis maioribus et fraterna imagine fulgentem, ad capessendam rem publicam hortatus, haud defutura consciorum manu, ni Scribonianus abnuisset, ne paratis quidem corrumpi facilis, adeo metuens incerta. (4) igitur Mucianus, quia propalam opprimi Antonius nequibat, multis in senatu laudibus cumulatum secretis promissis onerat, citeriorem Hispaniam ostentans discessu Cluvii Rufi vacuam; simul amicis

Historien 4,38,1-4,39,4

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38 (1) Währenddessen traten Vespasian zum zweiten Mal und Titus den Konsulat in Abwesenheit an. Dabei war die Bürgerschaft in gedrückter Stimmung und schwebte in vielfacher Angst: Sie hatte sich über das bereits bestehende Unglück hinaus unbegründete Befürchtungen zu eigen gemacht, Africa sei abgefallen, weil L. Piso einen Umsturz plane. (2) Der war Prokonsul der Provinz und alles andere als ein aufrührerischer Geist. Aber weil die Schiffe durch das stürmische Winterwetter behindert wurden, glaubte das Volk, das seine Lebensmittel gewöhnlich von Tag zu Tag kauft und nur ein einziges politisches Interesse hat, nämlich die Getreideversorgung, voller Angst, die Küste werde blockiert, der Nachschub zurückgehalten. Dabei verstärkten das Gerücht die Vitellianer, die den Einsatz für ihre Partei noch nicht abgelegt hatten. Doch nicht einmal den Siegern war das Gerede unwillkommen, deren Begehrlichkeiten, die sich auch durch auswärtige Kriege nicht erfüllen ließen, erst recht niemals ein Sieg über Mitbürger zufriedenstellen konnte. 39 (1) Am 1. Januar (70 n. Chr.) wurden im Senat, den der städtische Prätor Iulius Frontinus einberufen hatte, den Legaten, Heeren und Königen Lob und Dank ausgesprochen. Tettius Iulianus erkannte man die Prätur mit der Begründung ab, er habe seine zu Vespasians Partei übertretende Legion im Stich gelassen, und übertrug sie dann Plotius Grypus; Hormus erhielt die Ritterwürde. (2) Als Frontinus später das Amt niederlegte, übernahm Caesar Domitianus die Prätur. Sein Name wurde an die Spitze der Briefe und Erlasse gesetzt, die wirkliche Macht lag bei Mucian, abgesehen davon, dass sich Domitian auf Anstiften seiner Freunde oder je nach Laune allerhand herausnahm. (3) Aber den größten Respekt hatte Mucian vor Primus Antonius und Varus Arrius, die wegen ihrer Taten und Beliebtheit bei den Soldaten in frischem Ruhm schwelgten und auch die Sympathien des Volks genossen, weil sie über das Schlachtfeld hinaus gegen niemanden brutal vorgegangen waren. Nun kam dazu, dass man sich erzählte, Antonius habe den Scribonianus Crassus, der sich im Glanz seiner herausragenden Vorfahren und im Bild seines Bruders40 sonnen konnte, dazu ermuntert, nach der Macht im Staat zu greifen, wobei es ihm nicht an einer Schar von Mitverschworenen gefehlt hätte – wenn dann Scribonianus nicht doch abgelehnt hätte, ein Mann, der nicht einmal leicht zu verführen gewesen wäre, wenn alle Vorkehrungen getroffen waren, erst recht nicht, wenn er einen ungewissen Ausgang befürchten musste. (4) Deshalb überhäufte Mucian, weil Antonius offen nicht ausgeschaltet werden konnte, ihn im Senat mit vielen Lobhudeleien und überschüttete ihn mit geheimen Versprechungen, indem er ihm das diesseitige Spanien in Aussicht stellte, das nach dem Weggang des Cluvius Rufus unbesetzt war; zugleich beschenkte er dessen Freunde mit

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Historiarum liber quartus

eius tribunatus praefecturasque largitur. dein postquam inanem animum spe et cupidine impleverat, vires abolet dimissa in hiberna legione septima, cuius flagrantissimus in Antonium amor, et tertia legio, familiaris Arrio Varo miles, in Syriam remissa; pars exercitus in Germanias ducebatur. sic egesto quidquid turbidum redi‹i›t urbi sua forma legesque et munia magistratuum.

40 (1) Quo die senatum ingressus est Domitianus, de absentia patris fratrisque ac iuventa sua pauca et modica disseruit, decorus habitu; et ignotis adhuc moribus crebra oris confusio pro modestia accipiebatur. referente Caesare de restituendis Galbae honoribus, censuit Curtius Montanus, ut Pisonis quoque memoria celebraretur. patres utrumque iussere: de Pisone inritum fuit. (2) tum sorte ducti, per quos redderentur bello rapta, quique aera legum vetustate delapsa noscerent figerentque et fastos adulatione temporum foedatos exonerarent modumque publicis impensis facerent. redditur Tettio Iuliano praetura, postquam cognitus est ad Vespasianum confugisse: Grypo honor mansit. (3) repeti inde cognitionem inter Musonium Rufum et Publium Celerem placuit, damnatusque Publius et Sorani manibus satis factum. insignis publica severitate dies ne privatim quidem laude caruit. iustam vindictam explesse Musonius videbatur, diversa fama Demetrio Cynicam sectam professo, quod manifestum reum ambitiosius quam honestius defendisset: ipsi Publio neque animus in periculis neque oratio subpeditavit. signo ultionis in accusatores dato, petit a Caesare Iunius Mauricus, ut commentariorum principalium potestatem senatui faceret, per quos nosceret, quem quisque accusandum poposcisset. consulendum tali super re principem respondit.

41 (1) Senatus inchoantibus primoribus ius iurandum concepit, quo certatim omnes magistratus, ceteri, ut sententiam rogabantur, deos testes advoca-

Historien 4,39,4-4,41,1

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Tribunaten und Präfekturen. Dann entzog er ihm, nachdem er den eitlen Mann mit Hoffnung und Gier erfüllt hatte, seine Machtbasis, indem er die 7. Legion, die den Antonius am glühendsten liebte, ins Winterlager entließ. Zudem wurde die 3. Legion, mit Arrius eng verbundene Soldaten, nach Syrien zurückgeschickt; ein Teil des Heeres wurde nach Germanien geführt. Durch diese Entfernung aller aufrührerischen Elemente kehrte für die Hauptstadt das für sie charakteristische Erscheinungsbild zurück: die Gesetze und die Wahrnehmung der Aufgaben der Amtspersonen. 40 (1) Am Tag seines Einzugs in den Senat äußerte sich Domitian über die Abwesenheit seines Vaters und Bruders und über sein jugendliches Alter knapp und zurückhaltend, angenehm in seinem Auftreten; und da man seinen Charakter noch nicht kannte, nahm man sein häufiges Erröten als Ausdruck von Bescheidenheit. Als der Cäsar die Auffassung vertrat, Galbas Ehrungen sollten wieder in Kraft gesetzt werden, beantragte Curtius Montanus, auch das Andenken an Piso zu feiern. Die Väter beschlossen beides; aber bei Piso war es umsonst.41 (2) Dann bestimmte man durch das Los Mitglieder mit dem Auftrag, die im Krieg geraubten Güter zurückzuerstatten, und andere, die im Lauf der langen Jahre herabgefallenen bronzenen Gesetzestafeln zu registrieren und wieder anbringen zu lassen, den durch die zeitbedingte Liebedienerei verunstalteten Festkalender42 zu entlasten und den öffentlichen Aufwendungen eine Obergrenze zu setzen. Man gab Tettius Iulianus die Prätur zurück, nachdem man erfahren hatte, er sei zu Vespasian geflohen; Grypus beließ man das Ehrenamt. (3) Dann beschloss man, das Verfahren zwischen Musonius Rufus und Publius Celer wieder aufzunehmen;43 Publius wurde verurteilt, und die Totengeister des Soranus erhielten Genugtuung. Dieser durch Ernsthaftigkeit in öffentlichen Angelegenheiten ausgezeichnete Tag verlief auch nicht ohne Lob für eine Privatperson: Eine gerechte Strafe schien Musonius vollzogen zu haben, während sich Demetrius, der Anhänger der kynischen Schule,44 den entgegengesetzten Ruf zuzog, weil er den offensichtlich schuldigen Angeklagten mit mehr Ehrgeiz als Ehrenhaftigkeit verteidigt habe: Publius verfügte persönlich weder über Mut in den kritischen Augenblicken noch über die Gabe der Rede. Nachdem damit das Signal zur Rache an den Anklägern gegeben war, bat Iunius Mauricus den Cäsar darum, dem Senat Einblick in die Akten der Principes zu gewähren; dadurch könne man erfahren, für wen jeder eine Anklage verlangt habe. Er antwortete, zu einer derart gewichtigen Angelegenheit müsse der Princeps befragt werden. 41 (1) Der Senat leistete unter Führung der tonangebenden Persönlichkeiten einen Eid, mit dem um die Wette alle Amtsträger und der Rest, sobald er mit seiner Äußerung an der Reihe war, die Götter als Zeugen

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bant nihil ope sua factum, quo cuiusquam salus laederetur, neque se praemium aut honorem ex calamitate civium cepisse, trepidis et verba iuris iurandi per varias artes mutantibus, quis flagitii conscientia inerat. (2) probabant religionem patres, periurium arguebant, eaque velut censura in Sariolenum Voculam et Nonium Attianum et Cestium Severum acerrime incubuit, crebris apud Neronem delationibus famosos. Sariolenum et recens crimen urgebat, quod apud Vitellium molitus eadem foret: nec des‹ti›tit senatus manus intentare Voculae, donec curia excederet. (3) ad Paccium Africanum transgressi eum quoque proturbant, tamquam Neroni Scribonios fratres concordia opibusque insignes ad exitium monstravisset. Africanus neque fateri audebat neque abnuere poterat: in Vibium Crispum, cuius interrogationibus fatigabatur, ultro conversus miscendo quae defendere nequibat, societate culpae invidiam declinavit.

42 (1) Magnam eo die pietatis eloquentiaeque famam Vipstanus Messalla adeptus est, nondum senatoria aetate, ausus pro fratre Aquilio Regulo deprecari. Regulum subversa Crassorum et Orfiti domus in summum odium extulerat: sponte accusationem subisse iuvenis admodum, nec depellendi periculi sed in spem potentiae videbatur; et Sulpicia Praetextata Crassi uxor quattuorque liberi, si cognosceret senatus, ultores aderant. (2) igitur Messalla non causam neque reum tueri, sed periculis fratris semet opponens flexerat quosdam. occurrit truci oratione Curtius Montanus, eo usque progressus, ut post caedem Galbae datam interfectori Pisonis pecuniam a Regulo adpetitumque morsu Pisonis caput obiectaret. (3) ‘hoc certe’ inquit ‘Nero non coegit, nec dignitatem aut salutem illa saevitia redemisti. sane toleremus istorum defensiones, qui perdere alios quam periclitari ipsi maluerunt: te securum reliquerat exul pater et divisa inter creditores bona, nondum

Historien 4,41,1-4,42,3

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dafür anriefen, es sei nichts mit ihrer Hilfe geschehen, wodurch das Wohlergehen irgendeiner Person beeinträchtigt worden sei, und sie hätten auch keine Belohnung oder ein Ehrenamt als Folge des Unglücks von Mitbürgern bekommen; dabei wurden diejenigen Mitglieder, die sich eines Fehlverhaltens bewusst waren, sehr nervös und versuchten, den Wortlaut des Eids durch allerlei Kniffe abzuändern. (2) Ehrlichkeit bedachten die Väter mit Beifall, Meineid rügten sie, und diese Art Sittengericht brach in aller Härte über Sariolenus Vocula, Nonius Attianus und Cestius Severus herein, die für ihre häufigen Denunziationen unter Nero berüchtigt waren. Sariolenus kam auch durch den erst jetzt erhobenen Vorwurf in Bedrängnis, er habe es unter Vitellius genauso getrieben. Tatsächlich sah der Senat nicht davon ab, Vocula mit den Fäusten zu drohen, bis er die Kurie verließ. (3) Auf Paccius Africanus ging man dann los und wollte auch ihn hinauswerfen mit der Begründung, er habe bei Nero die Brüder Scribonii45, die für ihr gutes Verhältnis und ihr Vermögen bekannt waren, angezeigt, um sie vernichten zu können. Africanus getraute sich weder zu gestehen noch konnte er leugnen; gegen Vibius Crispus, durch dessen Fragen er in die Enge getrieben wurde, wandte er sich daraufhin seinerseits und lenkte dadurch, dass er ihn in Sachen hineinzog, die dieser nicht abstreiten konnte, durch die gemeinsame Schuld die Empörung von sich ab. 42 (1) Den hohen Ruhm der Bruderliebe und Beredsamkeit erzielte an diesem Tag Vipstanus Messalla, der, obwohl er für den Senat noch nicht alt genug war, sich getraute, für seinen Bruder Aquilius Regulus46 Fürbitte einzulegen. Den Regulus hatte der Sturz des Hauses der Crassi und des Orfitus äußerst verhasst gemacht; ohne Not schien er noch als ganz junger Mann die Rolle eines Anklägers übernommen zu haben, und zwar nicht, um eine Gefahr abzuwenden, sondern in der Hoffnung auf eine einflussreiche Stellung. Auch Crassus’ Frau Sulpicia Praetextata und ihre vier Kinder standen für den Fall einer Untersuchung durch den Senat als Rächer bereit. (2) So verteidigte Messalla nicht den Klagegegenstand und auch nicht den Angeklagten, sondern er hatte allein dadurch, dass er sich vor seinen gefährdeten Bruder stellte, ein paar Mitglieder umgestimmt. Da trat ihm mit einer bissigen Rede Curtius Montanus entgegen und ging dabei so weit, ihm vorzuwerfen, nach der Ermordung Galbas habe Regulus dem Mörder Pisos Geld gegeben und nach dem Kopf Pisos geschnappt. (3) „Dazu hat dich“, sagte er, „Nero gewiss nicht gezwungen, und du hast mit diesem grauenhaften Verhalten auch nicht deine gesellschaftliche Stellung oder dein Leben erkauft. Nehmen wir meinetwegen die Entschuldigungen der unglücklichen Zeitgenossen hin, die lieber andere vernichten als selbst in Gefahr geraten wollten! Dich aber hatten dein Vater als Verbannter und sein unter die

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Historiarum liber quartus

honorum capax aetas, nihil quod ex te concupisceret Nero, nihil quod timeret. (4) libidine sanguinis et hiatu praemiorum ignotum adhuc ingenium et nullis defensionibus expertum caede nobili imbuisti, cum ex funere rei publicae raptis consularibus spoliis, septuagiens sestertio saginatus et sacerdotio fulgens innoxios pueros, inlustres senes, conspicuas feminas eadem ruina prosterneres, cum segnitiam Neronis incusares, quod per singulas domos seque et delatores fatigaret: posse universum senatum una voce subverti. (5) retinete, patres conscripti, et reservate hominem tam expediti consilii, ut omnis aetas instructa sit, et quo modo senes nostri Marcellum, Crispum, iuvenes Regulum imitentur. invenit aemulos etiam infelix nequitia: quid si floreat vigeatque? et quem adhuc quaestorium offendere non audemus, praetorium et consularem ausuri sumus? an Neronem extremum dominorum putatis? idem crediderant qui Tiberio, qui Gaio superstites fuerunt, cum interim intestabilior et saevior exortus est. (6) non timemus Vespasianum: ea principis aetas, ea moderatio; sed diutius durant exempla quam †mores. elanguimus, patres conscripti, nec iam ille senatus sumus, qui occiso Nerone delatores et ministros more maiorum puniendos flagitabat. optimus est post malum principem dies primus.’

43 (1) Tanto cum adsensu senatus auditus est Montanus, ut spem caperet Helvidius posse etiam Marcellum prosterni. igitur a laude Cluvii Rufi orsus, qui perinde dives et eloquentia clarus nulli umquam sub Nerone periculum facessisset, crimine simul exemploque Eprium urgebat, ardentibus patrum animis. (2) quod ubi sensit Marcellus, velut excedens curia ‘imus’ inquit, ‘Prisce, et relinquimus tibi senatum tuum: regna praesente Caesare.’ sequebatur Vibius Crispus, ambo infensi, voltu diverso, Marcellus minacibus ocu-

Historien 4,42,3-4,43,2

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Gläubiger verteiltes Vermögen in Sicherheit zurückgelassen, du warst für Ehrenämter noch nicht alt genug, es gab nichts, was Nero von dir unbedingt gewollt, nichts, was er zu befürchten gehabt hätte. (4) Aus Blutdurst und Gier auf Belohnungen hast du dein bis dahin unbekanntes, in keinen Verteidigungsreden erfahrenes Talent mit dem Mord an einem vornehmen Mann eingeweiht, als du aus der Leichenfeier für das Gemeinwesen47 heraus die Vermögen ehemaliger Konsuln als Beute an dich gerafft und, mit sieben Millionen Sesterzen gemästet und im Glanz deines Priesteramts, unschuldige Kinder, hervorragende alte Männer, angesehene Frauen in einem Zug ins Verderben gerissen hast, als du Nero Schwerfälligkeit vorwarfst: Er ermüde durch sein Vorgehen gegen ein Haus nach dem anderen nur sich und die Denunzianten; er könne doch den gesamten Senat mit einem einzigen Wort erledigen. (5) Behaltet ihn bei euch, versammelte Väter, und bewahrt ihn auf, den Herrn, der sofort mit seinem Rat bei der Hand ist, damit jede Altersstufe ihren Lehrmeister hat und wie unsere alten Männer den Marcellus und Crispus, so die jungen den Regulus nachahmen können! Nacheiferer findet sogar die Nichtsnutzigkeit, die nichts zustande bringt. Was erst, wenn sie blüht und gedeiht? Werden wir uns denn an den Mann, an den wir uns, obwohl er bisher nur Quästor war, nicht heranwagen, dann heranwagen, wenn er Prätor und Konsul gewesen ist? Oder glaubt ihr etwa, Nero sei der letzte Tyrann gewesen? Genau das hatten die Männer geglaubt, die einen Tiberius, die einen Gaius überlebten, und dann trat doch ein noch unsäglicherer und grausamerer auf. (6) Wir haben Vespasian nicht zu fürchten; er hat das richtige Alter für einen Princeps, die richtige Zurückhaltung. Aber länger wirken exemplarische Strafen, als (ein Menschenleben dauert?).48 Wir haben nachgelassen, versammelte Väter, und sind schon nicht mehr der Senat, der nach Neros Tötung die Denunzianten und ihre Helfershelfer dem Brauch der Vorfahren gemäß49 zu bestrafen verlangte. Am besten ist nach einem schlechten Princeps der erste Tag.“ 43 (1) Mit einer derartigen Zustimmung hörte man im Senat Montanus an, dass Helvidius Hoffnung schöpfte, man könne auch Marcellus zu Fall bringen. Deshalb begann er mit einer Lobrede auf Cluvius Rufus, der, obwohl er ebenso reich wie durch seine Beredsamkeit berühmt sei, nie jemanden unter Nero in Gefahr gebracht habe, und trieb mit dem Vorwurf und zugleich mit dem Vergleich Eprius in die Enge, was zu heller Aufregung bei den Vätern führte. (2) Als das Marcellus bemerkte, tat er so, als wolle er die Kurie verlassen, und sagte dabei: „Wir gehen, Priscus, und überlassen dir deinen Senat: Gebärde du dich als König in Anwesenheit des Cäsars!“ Ihm wollte sich Vibius Crispus anschließen, beide aufgebracht, mit unterschiedlicher Miene, Marcellus mit drohenden Blicken, Crispus spöttisch

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Historiarum liber quartus

lis, Crispus renidens, donec adcursu amicorum retraherentur. cum glisceret certamen, hinc multi bonique, inde pauci et validi pertinacibus odiis tenderent, consumptus per discordiam dies.

44 (1) Proximo senatu inchoante Caesare de abolendo dolore iraque et priorum temporum necessitatibus, censuit Mucianus prolixe pro accusatoribus; simul eos, qui coeptam, deinde omissam actionem repeterent, monuit sermone molli et tamquam rogaret. patres coeptatam libertatem, postquam obviam itum, omisere. (2) Mucianus, ne sperni senatus iudicium et cunctis sub Nerone admissis data impunitas videretur, Octavium [Sabinum] Sagittam et Antistium Sosianum senatorii ordinis egressos exilium in easdem insulas redegit. Octavius Pontiam Postuminam stupro cognitam et nuptias suas abnuentem impotens amoris interfecerat, Sosianus pravitate morum multis exitiosus. (3) ambo gravi senatus consulto damnati pulsique, quamvis concesso aliis reditu, in eadem poena retenti sunt. nec ideo lenita erga Mucianum invidia; quippe Sosianus ac Sagitta viles, etiam si reverterentur: accusatorum ingenia et opes et exercita malis artibus potentia timebantur.

45 (1) Reconciliavit paulisper studia patrum habita in senatu cognitio secundum veterem morem. Manlius Patruitus senator pulsatum se in colonia Seniensi coetu multitudinis et iussu magistratuum querebatur; nec finem iniuriae hic stetisse: planctum et lamenta et supremorum imaginem praesenti sibi circumdata cum contumeliis ac probris, quae in senatum universum iacerentur. (2) vocati qui arguebantur, et cognita causa in convictos vindicatum, additumque senatus consultum, quo Seniensium plebes modestiae admoneretur. isdem diebus Antonius Flamma Cyrenensibus ‹accusantibus› damnatur lege repetundarum et exilio ob saevitiam.

Historien 4,43,2-4,45,2

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lächelnd, bis ihre Freunde hinliefen und sie zurückhielten. Da der Streit immer heftiger wurde und auf der einen Seite viele anständige, auf der anderen wenige einflussreiche Mitglieder in andauernden Hasstiraden aufeinander losgingen, wurde der Tag mit den Meinungsverschiedenheiten vertan. 44 (1) Als in der nächsten Senatssitzung der Cäsar damit anfing, man solle über den Kummer, die Erbitterung und die unvermeidlichen Folgen der Vergangenheit Gras wachsen lassen, sprach sich Mucian zugunsten der Ankläger aus; zugleich ermahnte er die Mitglieder, die den begonnenen, dann aufgegebenen Prozess wieder aufnehmen wollten, in einer sanften Rede und so, als bitte er sie. Die Väter gaben ihre entschlossen begonnene freimütige Haltung gleich wieder auf, nachdem man ihnen entgegengetreten war. (2) Mucian schickte, um nicht den Eindruck zu erwecken, das Urteil des Senats werde missachtet und sämtlichen unter Nero begangenen Verbrechen Straflosigkeit gewährt, die Angehörigen des Senatorenstands Octavius Sagitta und Antistius Sosianus, die ihren Verbannungsort verlassen hatten, auf dieselben Inseln zurück. Octavius hatte Pontia Postumina, die er zum Ehebruch verführt hatte, die aber die Eheschließung mit ihm ablehnte, außer sich vor Liebe umgebracht, Sosianus bedeutete durch seinen bösartigen Charakter für viele den Untergang.50 (3) Weil beide durch einen strengen Senatsbeschluss verurteilt und verbannt worden waren, erhielt man, obwohl man anderen die Rückkehr gestattet hatte, die gleiche Strafe aufrecht. Aber deshalb ließ die Erbitterung über Mucian nicht nach. Denn Sosianus und Sagitta spielten keine Rolle, auch wenn sie zurückkehren sollten: Es waren die Ankläger, vor deren Gewitztheit, Einfluss und in üblen Schlichen geübter Macht man sich fürchtete. 45 (1) Die Sympathien der Väter gewann ihm für kurze Zeit eine im Senat stattfindende Untersuchung nach der alten Art wieder. Der Senator Manlius Patruitus beklagte sich, er sei in der Koloniestadt Sena bei einer Zusammenrottung der Bevölkerung geschlagen worden, und das auf Befehl der Behörden. Aber der Übergriff habe an diesem Punkt kein Ende gefunden: Totenklagen, Trauergesänge und die Komödie einer Leichenfeier habe man um seine Person aufgeführt unter Schmähungen und Beschimpfungen, die gegen den gesamten Senat gerichtet waren. (2) Man lud die Beschuldigten vor, und nach Abschluss des Verfahrens wurden die Überführten bestraft. Angefügt wurde ein Senatsbeschluss, durch den der Pöbel von Sena zur Mäßigung aufgefordert wurde. In den nämlichen Tagen wurde Antonius Flamma auf eine Anklage der Einwohner von Cyrene hin verurteilt nach dem Gesetz über Erpressung und mit Verbannung bestraft wegen seines brutalen Vorgehens.

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Historiarum liber quartus

46 (1) Inter quae militaris seditio prope exarsit. praetorianam militiam repetebant a Vitellio dimissi, pro Vespasiano congregati; et lectus in eandem spem e legionibus miles promissa stipendia flagitabat; ne Vitelliani quidem sine multa caede pelli poterant: sed immensa pecunia tanta vis hominum retinenda erat. (2) ingressus castra Mucianus, quo rectius stipendia singulorum spectaret, suis cum insignibus armisque victores constituit, modicis inter se spatiis discretos. tum Vitelliani, quos apud Bovillas in deditionem acceptos memoravimus, ceterique per urbem et urbi vicina conquisiti producuntur prope intecto corpore. eos Mucianus diduci et Germanicum Britannicumque militem, ac si qui aliorum exercituum, separatim adsistere iubet. (3) illos primus statim adspectus obstupefecerat, cum ex diverso velut aciem telis et armis trucem, semet clausos nudosque et inluvie deformis adspicerent: ut vero huc illuc distrahi coepere, metus per omnes et praecipua Germanici militis formido, tamquam ea separatione ad caedem destinaretur. prensare commanipularium pectora, cervicibus innecti, suprema oscula petere, ne desererentur soli neu pari causa disparem fortunam paterentur; modo Mucianum, modo absentem principem, postremum caelum ac deos obtestari, donec Mucianus cunctos eiusdem sacramenti, eius‹dem› imperatoris milites appellans, falso timori obviam iret; namque et victor exercitus clamore lacrimas eorum iuvabat. isque finis illa die. (4) paucis post diebus adloquentem Domitianum firmati iam excepere: spernunt oblatos agros, militiam et stipendia orant. preces erant, sed quibus contra dici non posset; igitur in praetorium accepti. dein quibus aetas et iusta stipendia, dimissi cum honore, alii ob culpam, sed carptim ac singuli, quo tutissimo remedio consensus multitudinis extenuatur.

47 Ceterum verane pauperie an uti videretur, actum in senatu, ut sescentiens sestertium a privatis mutuum acciperetur, praepositusque ei curae

Historien 4,46,1-4,47

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46 (1) Währenddessen flammte beinahe eine Meuterei unter den Soldaten auf. In den Dienst bei den Prätorianern versuchten die Leute wieder aufgenommen zu werden, die von Vitellius entlassen und dann für Vespasian erneut eingezogen worden waren. Dazu verlangten die mit derselben Erwartung aus den Legionen ausgewählten Soldaten den versprochenen Lohn. Nicht einmal die Vitellianer51 hätte man ohne starkes Blutvergießen zurückweisen können; aber nur mit einer riesigen Geldsumme war eine solch große Masse von Menschen dazubehalten. (2) Mucian ging in die Kaserne, um die Dienstverhältnisse der einzelnen Personen genauer prüfen zu können, und ließ dann die Sieger mit ihren jeweiligen Abzeichen und Waffen in geringen Abständen voneinander antreten. Anschließend führte man die Vitellianer, die, wie berichtet, bei Bovillae kapituliert hatten, und die übrigen in der Hauptstadt und in der Umgebung der Hauptstadt aufgelesenen Leute zu ihnen; ihre Leiber waren kaum mit Rüstungen bedeckt. Mucian ließ sie abgesondert aufmarschieren und befahl den Soldaten, die den germanischen, britannischen und anderen Heeren angehörten, sich getrennt voneinander aufzustellen. (3) Diese Männer hatte gleich der erste Anblick äußerst bestürzt gemacht, weil sie sich gegenüber sozusagen eine von Angriffs- und Verteidigungswaffen starrende Front, sich selbst aber eingesperrt, beinahe nackt und hässlich vor Schmutz sahen. Als man sie dann noch hierhin und dorthin zu verteilen begann, kamen bei allen Furcht und besondere Angst bei den germanischen Soldaten auf, mit dieser Absonderung habe man für sie den Tod bestimmt. Sie drückten sich an die Brust ihrer Manipelkameraden, umschlangen ihren Hals, verlangten den Abschiedskuss: Man solle sie doch nicht allein und bei gleichem Sachverhalt ein ungleiches Schicksal erleiden lassen. Bald beschworen sie Mucian, bald den abwesenden Princeps, schließlich Himmel und Götter, bis Mucian sie alle Soldaten desselben Eids, desselben Befehlshabers nannte und damit ihrer unbegründeten Furcht entgegentrat; denn auch das siegreiche Heer unterstützte mit Zurufen ihre Tränen. So ging dieser Tag zu Ende. (4) Wenige Tage später hörten sie Domitian bei seiner Ansprache schon beruhigt zu. Sie nahmen das angebotene Ackerland nicht an, baten um Dienst und Sold. Es waren zwar nur Bitten, denen man aber nicht widersprechen konnte; so wurden sie unter die Prätorianer aufgenommen. Dann wurde, wer alt genug war und die erforderliche Anzahl von Dienstjahren hatte, ehrenvoll entlassen, andere zur Strafe, aber nur nach und nach und einzeln, das sicherste Mittel, den Zusammenhalt in einer Masse von Menschen zu untergraben. 47 Im Übrigen wurde wegen einer tatsächlichen Geldknappheit oder auch nur, um einen entsprechenden Anschein zu erwecken, im Senat beschlossen, ein Darlehen von 60 Millionen Sesterzen von Privatleuten auf-

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Historiarum liber quartus

Pompeius Silvanus. nec multo post necessitas abiit sive omissa simulatio. abrogati inde legem ferente Domitiano consulatus, quos Vitellius dederat, funusque censorium Flavio Sabino ductum, magna documenta instabilis fortunae summaque et ima miscentis.

48 (1) Sub idem tempus L. Piso pro consule interficitur. ea de caede quam verissime expediam, si pauca supra ‹re›petiero ab initio causisque talium facinorum non absurda. legio in Africa auxiliaque tutandis imperii finibus sub divo Augusto Tiberioque principibus proconsuli parebant. mox C. Caesar, turbidus animi ac Marcum Silanum obtinentem Africam metuens, ablatam proconsuli legionem misso in eam rem legato tradidit. (2) aequatus inter duos beneficiorum numerus, et mixtis utriusque mandatis discordia quaesita auctaque pravo certamine. legatorum ius adolevit diuturnitate officii, vel quia minoribus maior aemulandi cura, proconsulum splendidissimus quisque securitati magis quam potentiae consulebant.

49 (1) Sed tum legionem in Africa regebat Valerius Festus, sumptuosae adulescentiae neque modica cupiens et adfinitate Vitellii anxius. is crebris sermonibus temptaveritne Pisonem ad res novas an temptanti restiterit, incertum, quoniam secreto eorum nemo adfuit et occiso Pisone plerique ad gratiam interfectoris inclinavere. nec ambigitur provinciam et militem alienato erga Vespasianum animo fuisse; et quidam e Vitellianis urbe profugi ostentabant Pisoni nutantes Gallias, paratam Germaniam, pericula ipsius et in pace suspecto tutius bellum. (2) inter quae Claudius Sagitta, praefectus alae Petri‹a›nae, prospera navigatione praevenit Papirium centurionem a Muciano missum adseveravitque mandata interficiendi Pisonis centurioni data: cecidisse Galerianum consobrinum eius generumque; unam in audacia

Historien 4,47-4,49,2

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zunehmen; betraut wurde mit dieser Aufgabe Pompeius Silvanus. Tatsächlich war die Notlage nicht viel später verschwunden, oder man hatte es aufgegeben, sie vorzutäuschen. Aberkannt wurden dann auf einen Gesetzesantrag Domitians hin die Konsulate, die noch Vitellius verliehen hatte, und Flavius Sabinus erhielt ein zensorisches Begräbnis52, eindrucksvolle Belege für die Unbeständigkeit des Glücks, das höchsten Aufstieg und tiefsten Fall miteinander vermengt. 48 (1) Ungefähr zur selben Zeit wurde der Prokonsul L. Piso ermordet. Über diese Bluttat werde ich möglichst wahrheitsgetreu berichten, wenn ich zuvor wenige Punkte nachgetragen habe, die mit dem Beginn und den Motiven für derartige Verbrechen ganz eng zusammenhängen. Die in Africa zum Schutz der Grenzen des Reichs stationierte Legion und die Hilfstruppen gehorchten unter den Prinzipaten des vergöttlichten Augustus und Tiberius einem Prokonsul. Dann entzog C. Caesar in seiner Unberechenbarkeit und in Angst vor Marcus Silanus, der Africa verwaltete, dem Prokonsul die Legion und übergab sie einem zu diesem Zweck geschickten Legaten. (2) Die zwei Männer erhielten gleich viele Beförderungsstellen, und dadurch dass sich die Aufgabenbereiche beider überschnitten, suchte man das Zerwürfnis und verschärfte es durch einen üblen Rangstreit. Die Rechtsposition der Legaten wurde durch die Dauer ihres Amts53 gestärkt oder weil Untergeordnete überhaupt einen größeren Ehrgeiz entwickeln; gerade die angesehensten Prokonsuln aber mussten mehr auf ihre Sicherheit als auf ihre Macht bedacht sein. 49 (1) Nun kommandierte damals die Legion in Africa Valerius Festus, der als junger Mann ein verschwenderisches Leben geführt hatte, einerseits nicht gerade bescheidene Wünsche hegte und andererseits wegen seiner Verwandtschaft mit Vitellius beunruhigt war. Ob er bei ihren häufigen Gesprächen Piso zu einem Umsturz bewegen wollte oder sich dessen Versuchen widersetzte, ist unklar, weil bei ihren geheimen Treffen niemand dabei war und nach Pisos Ermordung sehr viele um ein gutes Verhältnis zu seinem Mörder bemüht waren. Aber es besteht kein Zweifel, dass die Provinz und die Soldaten von Vespasian nichts wissen wollten. Dazu machten einige aus der Hauptstadt geflüchtete Vitellianer Piso darauf aufmerksam, Gallien schwanke, Germanien stehe bereit. Sie wiesen auf die Gefahr hin, in der er persönlich schwebe, und darauf, dass für jemanden, der schon im Frieden verdächtigt werde, der Krieg mehr Sicherheit biete. (2) Währenddessen überholte Claudius Sagitta, der Kommandant des Kavallerieregiments „Petriana“, dank einer günstigen Seefahrt den von Mucian geschickten Zenturio Papirius und behauptete, der Zenturio habe den Auftrag erhalten, Piso umzubringen. Umgekommen sei schon sein Vetter und Schwiegersohn

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Historiarum liber quartus

spem salutis, sed duo itinera audendi, seu mallet statim arma, seu petita navibus Gallia ducem se Vitellianis exercitibus ostenderet, nihil ad ea moto Pisone. (3) centurio a Muciano missus ut portum Carthaginis attigit, magna voce laeta Pisoni omnia tamquam principi continuare, obvios et subitae rei miraculo attonitos, ut eadem adstreperent, hortari. volgus credulum ruere in forum, praesentiam Pisonis exposcere; gaudio clamoribusque cuncta miscebant indiligentia veri et adulandi libidine. (4) Piso indicio Sagittae vel insita modestia non in publicum egressus est neque se studiis volgi permisit, centurionemque percontatus, postquam quaesitum sibi crimen caedemque comperit, animadverti in eum iussit, haud perinde spe vitae quam ira in percussorem, quod idem ex interfectoribus Clodii Macri cruentas legati sanguine manus ad caedem proconsulis rettulisset. anxio deinde edicto Carthaginiensibus increpitis, ne solita quidem munia usurpabat, clausus intra domum, ne qua motus novi causa vel forte oreretur.

50 (1) Sed ubi Festo consternatio volgi, centurionis supplicium veraque et falsa more famae in maius innotuere, equites in necem Pisonis mittit. illi raptim vecti obscuro adhuc coeptae lucis domum proconsulis inrumpunt destrictis gladiis et magna pars Pisonis ignari, quod Poenos auxiliares Maurosque in eam caedem delegerat. (2) haud procul cubiculo obvium forte servum, quisnam et ubi esset Piso, interrogavere. servus egregio mendacio se Pisonem esse respondit ac statim obtruncatur. nec multo post Piso interficitur; namque aderat qui nosceret, Baebius Massa e procuratoribus Africae, iam tunc optimo cuique exitiosus et in‹ter› causas malorum, quae mox tulimus, saepius rediturus. (3) Festus Adrumeto, ubi speculabundus substiterat,

Historien 4,49,2-4,50,3

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Galerianus54; die einzige Hoffnung auf Rettung bestehe in einem riskanten Vorgehen, aber es gebe zwei Wege, sich riskant zu verhalten: entweder sich sofort für eine bewaffnete Auseinandersetzung zu entscheiden oder zu Schiff Gallien aufzusuchen und sich den vitellianischen Heeren als Kommandeur anzubieten; aber Piso ließ sich darauf unter keinen Umständen ein. (3) Als der von Mucian geschickte Zenturio im Hafen von Karthago an Land gegangen war, rief er ununterbrochen mit lauter Stimme alle möglichen Segenswünsche für Piso, als sei dieser der Princeps, und forderte die entgegenkommenden und über sein sonderbares, überraschendes Verhalten verblüfften Leute auf, sie sollten laut dasselbe rufen. Der leichtgläubige Pöbel stürzte auf das Forum, verlangte Pisos persönliche Anwesenheit; mit Freudenrufen und Geschrei erfüllten sie alles, ohne sich um das wirkliche Geschehen zu kümmern und aus reiner Lust am Schmeicheln. (4) Piso ging auf einen Wink Sagittas oder aus angeborener Zurückhaltung nicht in die Öffentlichkeit und lieferte sich nicht den Sympathiekundgebungen des Pöbels aus, und als er beim Verhör des Zenturios erfuhr, man habe nur nach einem Vorwurf und einem Grund, ihn umzubringen, gesucht, ließ er ihn hinrichten, nicht so sehr in der Hoffnung, sein Leben zu retten, als aus Empörung über den Henker, weil derselbe Mann, einer von den Mördern des Clodius Macer55, erneut seine noch vom Blut des Legaten triefenden Hände nun zum Mord am Prokonsul erhoben habe. In einem von seiner Beunruhigung zeugenden Erlass machte er den Einwohnern von Karthago Vorwürfe, nahm dann aber nicht einmal mehr die üblichen Amtsgeschäfte wahr, sondern schloss sich in sein Haus ein, damit keinerlei Anlass für einen neuen Auflauf auch nur zufällig entstehen könne. 50 (1) Doch als Festus der Tumult des Volks, die Hinrichtung des Zenturios, Wahres und Falsches wie bei Gerüchten üblich übertrieben zu Ohren kamen, schickte er Reiter zur Ermordung Pisos. Die ritten schnellstens los und brachen deshalb noch im Dämmerschein des beginnenden Tageslichts ins Haus des Prokonsuls ein; sie hatten die Schwerter gezückt und kannten Piso zum Großteil gar nicht, weil er punische Hilfstruppen und Mauren für diese Bluttat ausgesucht hatte. (2) Nicht weit von seinem Schlafzimmer entfernt stießen sie zufällig auf einen Sklaven und fragten ihn, wer denn und wo Piso sei. Der Sklave antwortete mit einer großartigen Lüge, er sei Piso, und wurde sofort niedergemacht. Aber nicht viel später wurde Piso umgebracht; denn es war einer vor Ort, der ihn kannte, Baebius Massa von den Prokuratoren Africas, der es schon damals auf die Vernichtung der besten Männer abgesehen hatte und unter den Gründen für die schlimmen Zustände, die wir dann ertragen mussten, noch öfter wieder auftauchen wird.56 (3) Festus eilte von Adrumetum aus, wo er sich auf die Lauer gelegt hatte, zur

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Historiarum liber quartus

ad legionem contendit praefectumque castrorum Caetronium Pisanum vinciri iussit proprias ob simultates, sed Pisonis satellitem vocabat, militesque et centuriones quosdam puniit, alios praemiis adfecit, neutrum ex merito, sed ut obpressisse bellum crederetur. (4) mox Oeensium Lepcitanorumque discordias componit, quae raptu frugum et pecorum inter agrestes modicis principiis, iam per arma atque acies exercebantur; nam populus Oeensis multitudine inferior Garamantas exciverat, gentem indomitam et inter accolas latrociniis fecundam. unde artae Lepcitanis res, lateque vastatis agris intra moenia trepidabant, donec interventu cohortium alarumque fusi Garamantes et recepta omnis praeda, nisi quam vagi per inaccessa mapalium ulterioribus vendiderant.

51 (1) At Vespasiano post Cremonensem pugnam et prosperos undique nuntios cecidisse Vitellium multi cuiusque ordinis, pari audacia fortunaque hibernum mare adgressi, nuntiavere. aderant legati regis Vologaesi quadraginta ‹milia› Parthorum equitum offerentes. (2) magnificum laetumque tantis sociorum auxiliis ambiri neque indigere: gratiae Vologaeso actae mandatumque, ut legatos ad senatum mitteret et pacem esse sciret. Vespasianus in Italiam resque urbis intentus adversam de Domitiano famam accipit, tamquam terminos aetatis et concessa filio egrederetur: igitur validissimam exercitus partem Tito tradit ad reliqua Iudaici belli perpetranda.

52 (1) Titum, antequam digrederetur, multo apud patrem sermone orasse ferunt, ne criminantium nuntiis temere accenderetur integrumque se ac placabilem filio praestaret. non legiones, non classes proinde firma imperii munimenta quam numerum liberorum; nam amicos tempore, fortuna, cupidinibus aliquando aut erroribus imminui transferri desinere: suum cuique

Historien 4,50,3-4,52,1

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Legion und ließ den Lagerkommandanten Caetronius Pisanus festnehmen wegen einer persönlichen Feindschaft, aber er bezeichnete ihn als Spießgesellen Pisos; er bestrafte Soldaten und einige Zenturionen, andere bedachte er mit Belohnungen, in beiden Fällen nicht nach Verdienst, sondern um den Eindruck zu erwecken, er habe einen Krieg unterdrückt. (4) Dann legte er die Auseinandersetzungen zwischen den Einwohnern von Oea und Lepcis bei, die nach unbedeutenden Anfängen mit dem Raub von Ernte und Vieh unter der Landbevölkerung nun schon mit Waffen und regelrechten Schlachten ausgetragen wurden; denn die an Zahl unterlegene Bevölkerung von Oea hatte die Garamanten herbeigerufen, einen ungebändigten und stets damit beschäftigten Stamm, Raubzüge gegen die Nachbarn zu unternehmen. Daher wurde die Lage für die Einwohner von Lepcis ernst, und nachdem ihre Ländereien weithin verwüstet waren, blieben sie ängstlich innerhalb ihrer Stadtmauern, bis durch das Eingreifen der Infanteriekohorten und Kavallerieregimenter die Garamanten vertrieben und ihnen die gesamte Beute wieder abgenommen wurde mit Ausnahme der Stücke, die sie beim Umherziehen in den unzugänglichen Hüttenlagern noch weiter draußen siedelnden Stämmen verkauft hatten. 51 (1) Doch nun wieder zu Vespasian! Ihm meldeten nach der Schlacht von Cremona und nach von überall her eintreffenden günstigen Nachrichten viele Männer jedes Standes, Vitellius sei umgekommen, nachdem sie sich mit ebensoviel Kühnheit wie Glück auf das winterliche Meer gewagt hatten. Anwesend waren auch Gesandte des Königs Vologaesus, die 40 000 parthische Reiter anboten. (2) Großartig und erfreulich war es, mit so zahlreichen Hilfstruppen der Bundesgenossen umworben zu werden, ohne sie zu benötigen. Man dankte Vologaesus und trug ihm auf, Gesandte zum Senat zu schicken und zur Kenntnis zu nehmen, dass Frieden herrsche. Vespasian erhielt, als er sich Italien und der Lage in der Hauptstadt zuwandte, über Domitian unerfreuliche Nachrichten: Er überschreite die seinem Alter gesetzten Grenzen und die Vorrechte eines Sohns. Deshalb übergab er den schlagkräftigsten Teil seines Heeres Titus, damit dieser, was vom jüdischen Krieg noch übrig war, zu Ende bringe. 52 (1) Titus bat der Überlieferung zufolge vor seiner Abreise in einem langen Gespräch mit seinem Vater darum, er solle sich durch Hinweise von Verleumdern nicht grundlos aufregen lassen und sich seinem Sohn gegenüber unvoreingenommen und versöhnlich zeigen. Nicht Legionen, nicht Flotten seien genauso starke Stützen der Herrschaft wie die Zahl der Kinder. Denn Freunde würden mit der Zeit, dem Schicksal zufolge, manchmal auch durch Emotionen oder Irrtümer weniger, wechselten, hörten ganz auf. Das eigene Blut sei für einen jeden ein unauflösliches Band, am meisten

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sanguinem indiscretum, sed maxime principibus, quorum prosperis et alii fruantur, adversa ad iunctissimos pertineant. ne fratribus quidem mansuram concordiam, ni parens exemplum praebuisset. (2) Vespasianus, haud aeque Domitiano mitigatus quam Titi pietate gaudens, bono esse animo iubet belloque et armis rem publicam attollere: sibi pacem domumque curae fore. tum celerrimas navium frumento onustas saevo adhuc mari committit: quippe tanto discrimine urbs nutabat, ut decem haud amplius dierum frumentum in horreis fuerit, cum a Vespasiano commeatus subvenere.

53 (1) Curam restituendi Capitolii in Lucium Vestinum confert, equestris ordinis virum, sed auctoritate famaque inter proceres. ab eo contracti haruspices monuere, ut reliquiae prioris delubri in paludes aveherentur, templum isdem vestigiis sisteretur: nolle deos mutari veterem formam. (2) XI kalendas Iulias serena luce spatium omne, quod templo dicabatur, evinctum vittis coronisque ingressi milites, quis fausta nomina, felicibus ramis; dein virgines Vestales cum pueris puellisque patrimis matrimisque aqua e fontibus amnibusque hausta perluere. (3) tum Helvidius Priscus praetor, praeeunte Plat‹i›o Aeliano pontifice, lustrata suovetaurilibus area et super caespitem redditis extis, Iovem Iunonem Minervam praesidesque imperi deos precatus uti coepta prosperarent sedesque suas pietate hominum inchoatas divina ope attollerent, vittas, quis ligatus lapis innexique funes erant, contigit; simul ceteri magistratus et sacerdotes et senatus et eques et magna pars populi, studio laetitiaque conixi, saxum ingens traxere. (4) passimque iniectae fundamentis argenti [et] aurique stipes et metallorum primitiae, nullis fornacibus victae, sed ut gignuntur. praedixere haruspices, ne temera-

Historien 4,52,1-4,53,4

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aber für die Principes, deren Erfolge auch andere genössen, während ihr Unglück nur die engste Umgebung treffe. Aber nicht einmal unter Brüdern werde die Eintracht erhalten bleiben, wenn der Vater kein Vorbild abgebe. (2) Vespasian, der nicht in gleicher Weise Domitian gegenüber mild gestimmt war, wie er sich über Titus’ Bruderliebe freute, hieß ihn unbesorgt zu sein und mit Krieg und Waffen den Ruhm des Vaterlands zu mehren. Er werde sich um den Frieden und die Familie kümmern. Dann vertraute er die schnellsten, mit Getreide beladenen Schiffe dem immer noch aufgewühlten Meer an. Denn die Lage in der Hauptstadt war derart kritisch, dass für nicht mehr als zehn Tage Getreide in den Speichern lagerte, als der Nachschub von Vespasian Abhilfe brachte. 53 (1) Die Aufgabe, das Kapitol wieder aufzubauen, übertrug er Lucius Vestinus, einem Mann aus dem Ritterstand, der aber seinem Ansehen und Ruf nach zu den führenden Persönlichkeiten gehörte. Die von ihm beigezogenen Opferschauer rieten, die Überreste des früheren Heiligtums in Sümpfe wegzufahren und den Tempel auf denselben Fundamenten zu errichten; die Götter wollten, dass man den alten Grundriss nicht verändere. (2) Am 21. Juni betraten bei heiterem Wetter die gesamte Fläche, die für den Tempel geweiht werden sollte und mit Binden und Girlanden umwunden war, Soldaten, die glückverheißende Namen hatten und glückbringende Zweige57 trugen; hierauf besprengten sie die vestalischen Jungfrauen zusammen mit Knaben und Mädchen, deren Väter und Mütter noch am Leben waren, mit aus Quellen und Flüssen geschöpftem Wasser. (3) Dann entsühnte der Prätor Helvidius Priscus, wobei der Pontifex Plautius Aelianus die Gebetsformel vorsprach, die Fläche mit dem Eber-Widder-Stier-Opfer und brachte die Eingeweide auf einem Rasenaltar dar. Er betete danach zu Jupiter, Juno und Minerva und den Schutzgöttern des Reichs, sie sollten das Unternehmen segnen und ihre Wohnstätte, die durch die Frömmigkeit der Menschen begonnen worden sei, mit göttlicher Hilfe in die Höhe führen, und berührte die Binden, in die der erste Stein58 eingewickelt und mit denen die Seile umwunden waren. Gleichzeitig zogen die übrigen Amtsträger, Priester, Senat, Ritter und ein Großteil des Volks voll Eifer und ausgelassener Freude mit aller Kraft den mächtigen Steinbrocken. (4) Von allen Seiten warf man auf die Grundmauern Gaben aus Silber und Gold, dazu die Erstausbeute aus Bergwerken, die noch in keinem Ofen bearbeitet worden war, sondern so, wie sie wächst; denn die Opferschauer hatten vorher erklärt, man dürfe das Bauwerk nicht entweihen durch Gestein oder Gold, das zu

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retur opus saxo aurove in aliud destinato. altitudo aedibus adiecta: id solum religio adnuere et prioris templi magnificentiae defuisse credebatur.

54 (1) Audita interim per Gallias [et] Germaniasque mors Vitellii duplicaverat bellum. nam Civilis omissa dissimulatione in populum Romanum ruere, Vitellianae legiones vel externum servitium quam imperatorem Vespasianum malle. Galli sustulerant animos, eandem ubique exercituum nostrorum fortunam rati, volgato rumore a Sarmatis Dacisque Moesica ac Pannonica hiberna circumsederi; paria de Britannia fingebantur. (2) sed nihil aeque quam incendium Capitolii, ut finem imperio adesse crederent, impulerat. captam olim a Gallis urbem, sed integra Iovis sede mansisse imperium: fatali nunc igne signum caelestis irae datum et possessionem rerum humanarum Transalpinis gentibus portendi superstitione vana Druidae canebant. (3) incesseratque fama primores Galliarum ab Othone adversus Vitellium missos, antequam digrederentur, pepigisse, ne deessent libertati, si populum Romanum continua civilium bellorum series et interna mala fregissent.

55 (1) Ante Flacci Hordeonii caedem nihil prorupit, quo coniuratio intellegeretur: interfecto Hordeonio commeavere nuntii inter Civilem Classicumque praefectum alae Trevirorum. Classicus nobilitate opibusque ante alios: regium illi genus et pace belloque clara origo, ipse e maioribus suis hostis populi Romani quam socios iactabat. (2) miscuere sese Iulius Tutor et Iulius Sabinus, hic Trevir, hic Lingonus, Tutor ripae Rheni a Vitellio praefectus; Sabinum super insitam vanitatem falsae stirpis gloria incendebat: proaviam suam divo Iulio per Gallias bellanti corpore atque adulterio placuisse. (3) hi secretis sermonibus animos ceterorum scrutari, ubi quos ido-

Historien 4,53,4-4,55,3

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einem anderen Zweck bestimmt gewesen sei. An Höhe wurde dem Gotteshaus zugegeben; das war das Einzige, was, wie man glaubte, die religiösen Bedenken gestatteten und was man an der Großartigkeit des früheren Tempels vermisst hatte. 54 (1) Die Tatsache, dass man zwischenzeitlich in Gallien und Germanien von Vitellius’ Tod gehört hatte, hatte den Krieg verdoppelt. Denn Civilis ließ die Maske fallen und stürzte sich nun auf das römische Volk, die vitellianischen Legionen wollten sogar lieber Knechtschaft durch Ausländer als Vespasian zum Oberbefehlshaber. Die Gallier hatten Mut geschöpft in der Überzeugung, das Schicksal unserer Heere sei überall dasselbe, nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, von den Sarmaten und Dakern würden die mösischen und pannonischen Winterlager eingeschlossen; Entsprechendes stellte man sich hinsichtlich Britannien vor. (2) Aber nichts hatte in gleicher Weise wie der Brand des Kapitols zu der Annahme geführt, das Ende des Reichs sei gekommen. Erobert worden sei zwar einst von den Galliern die Hauptstadt, aber da Jupiters Sitz nicht angetastet wurde, sei das Reich bestehen geblieben. Durch das jetzige katastrophale Feuer sei ein Zeichen himmlischen Zorns gegeben worden, und die Weltherrschaft werde den Völkern jenseits der Alpen in Aussicht gestellt, weissagten in großsprecherischem Aberglauben die Druiden. (3) Dazu war das Gerücht aufgekommen, die führenden Männer Galliens, die von Otho Vitellius entgegengeschickt worden waren, hätten sich, bevor sie auseinandergingen, verpflichtet, die Freiheit nicht im Stich zu lassen, falls die ununterbrochene Reihe von Bürgerkriegen und die Schwierigkeiten im Inneren die Macht des römischen Volkes gebrochen hätten. 55 (1) Vor dem Mord an Hordeonius Flaccus drang nichts an die Öffentlichkeit, an dem man eine Verschwörung hätte erkennen können; erst nach Hordeonius’ Tod gingen Kuriere zwischen Civilis und Classicus, dem Regimentskommandanten der Treverer, hin und her. Classicus übertraf an vornehmer Abkunft und Reichtum die anderen; er war aus königlichem Geschlecht und hatte in Frieden und Krieg berühmte Ahnen, persönlich prahlte er damit, unter seinen Vorfahren seien mehr Feinde des römischen Volkes als Verbündete gewesen. (2) Es schlossen sich Iulius Tutor und Iulius Sabinus an, der eine Treverer, der andere Lingoner. Tutor war von Vitellius zum Kommandanten des Rheinufers ernannt worden, Sabinus’ Dünkel verstärkte zusätzlich zu seiner angeborenen Eitelkeit der Ruhm seiner vermeintlichen Abstammung: Seine Urgroßmutter habe dem vergöttlichten Julius während seines Kriegszugs gegen Gallien wegen ihrer Schönheit gefallen und mit ihm ein Verhältnis gehabt. (3) Diese Männer suchten in geheimen Unterredungen die Einstellung aller anderen herauszubekommen

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Historiarum liber quartus

neos rebantur conscientia obstrinxere, in colonia Agrippinensi in domum privatam conveniunt; nam publice civitas talibus inceptis abhorrebat; ac tamen interfuere quidam Ubiorum Tungrorumque. (4) sed plurima vis penes Treviros ac Lingonas, nec tulere moras consultandi: certatim proclamant furere discordiis populum Romanum, caesas legiones, vastatam Italiam, capi cum maxime urbem, omnis exercitus suis quemque bellis distineri: si Alpes praesidiis firmentur, coalita libertate discep‹tatu›ras Gallias, quem virium suarum terminum velint.

56 (1) Haec dicta pariter probataque: de reliqui‹i›s Vitelliani exercitus dubitavere. plerique interficiendos censebant, turbidos infidos sanguine ducum pollutos: vicit ratio parcendi, ne sublata spe veniae pertinaciam accenderent: adliciendos potius in societatem; legatis tantum legionum interfectis ceterum volgus conscientia scelerum et spe impunitatis facile accessurum. ea primi concilii forma, missique per Gallias concitores belli; simulatum ipsis obsequium, quo incautiorem Voculam opprimerent. (2) nec defuere qui Voculae nuntiarent, sed vires ad coercendum deerant, infrequentibus infidisque legionibus. inter ambiguos milites et occultos hostes optimum e praesentibus ratus mutua dissimulatione et isdem quibus petebatur grassari, in coloniam Agrippinensem descendit. (3) illuc Claudius Labeo, quem captum et [extra commentum] amendatum in Frisios diximus, corruptis custodibus perfugit; pollicitusque, si praesidium daretur, iturum in Batavos et potiorem civitatis partem ad societatem Romanam retracturum, accepta peditum equitumque modica manu nihil apud Batavos ausus quosdam Nerviorum Baetasiorumque in arma traxit, et furtim magis quam bello Cannenefates Marsacosque incursabat.

Historien 4,55,3-4,56,3

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und banden, sobald sie jemand für geeignet hielten, ihn durch Mitwisserschaft ein. Dann kamen sie in Colonia Agrippinensis in einem Privathaus zusammen; denn die Bürgerschaft als solche schreckte vor derartigen Vorhaben zurück. Dennoch nahmen einige Ubier und Tungrer teil. (4) Aber das Übergewicht hatten die Treverer und Lingonen, und sie nahmen die mit Beratungen verbundenen Verzögerungen nicht hin. Um die Wette schrien sie, das römische Volk wüte in Uneinigkeit, niedergemacht seien die Legionen, verwüstet Italien, gerade eben werde die Hauptstadt erobert, alle Heere seien mit jeweils eigenen Kriegen vollauf beschäftigt; falls man die Alpen durch Besatzungen schütze, werde nach dem Erstarken der Freiheit Gallien darüber entscheiden, welche Grenze es der eigenen Macht setzen wolle. 56 (1) Kaum gesagt, fand das schon allgemeine Zustimmung; nur wegen der Reste des vitellianischen Heeres war man sich noch unschlüssig. Eine größere Anzahl war dafür, sie umzubringen als treulose, mit dem Blut ihrer Kommandeure besudelte Meuterer. Aber es siegte die Überlegung, sie zu verschonen, um ihnen nicht die Hoffnung auf Gnade zu nehmen und damit ihren hartnäckigen Widerstand zu schüren. Besser solle man sie für die gemeinsame Sache gewinnen; falls erst einmal die Legionslegaten umgebracht seien, würden sich alle anderen, nämlich das einfache Soldatenvolk, im Bewusstsein ihrer Verbrechen und in der Hoffnung auf Straflosigkeit leicht anschließen. Diesen Verlauf nahm die erste Versammlung, und man schickte dann nach Gallien Kriegshetzer; von ihnen selbst wurde Gehorsam vorgespielt, um Vocula umso unvorsichtiger zu machen und dann überfallen zu können. (2) Aber es fehlte nicht an Leuten, die Vocula davon in Kenntnis setzten, doch an Streitkräften, dagegen einzuschreiten, fehlte es, da die Legionen nur schwach besetzt und treulos waren. Zwischen seinen unzuverlässigen Soldaten und versteckten Feinden hielt er es unter den gegebenen Umständen für das Beste, auch seinerseits mit Verstellung und mit den gleichen Mitteln vorzugehen, mit denen man ihn herausforderte, und fuhr nach Colonia Agrippinensis hinab. (3) Dorthin floh, nachdem er seine Wachen bestochen hatte, Claudius Labeo, der, wie erwähnt,59 gefangen genommen und zu den Friesen außer Landes gebracht worden war. Er versprach, falls man ihm eine Truppe mitgebe, zu den Batavern zu gehen und den bedeutenderen Teil des Stammes wieder in das Bündnis mit den Römern zurückzuführen. Daraufhin erhielt er eine kleinere Schar Infanterie und Kavallerie, getraute sich aber bei den Batavern nichts zu unternehmen, sondern brachte nur einige Nervier und Baetasier dazu, zu den Waffen zu greifen, und fiel dann mehr in heimlichen Plünderungszügen als in einem Krieg ins Gebiet der Kanninefaten und Marsaker ein.

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Historiarum liber quartus

57 (1) Vocula Gallorum fraude inlectus ad hostem contendit; nec procul Veteribus aberat, cum Classicus ac Tutor per speciem explorandi praegressi cum ducibus Germanorum pacta firmavere. tumque primum discreti a legionibus proprio vallo castra sua circumdant, obtestante Vocula non adeo turbatam civilibus armis rem Romanam, ut Treveris etiam Lingonibusque despectui sit. (2) superesse fidas provincias, victores exercitus, fortunam imperii et ultores deos. sic olim Sacrovirum et Aeduos, nuper Vindicem Galliasque singulis proeliis concidisse. eadem rursus numina, eadem fata ruptores foederum exspectarent. melius divo Iulio divoque Augusto notos eorum animos: Galbam et infracta tributa hostiles spiritus induisse. nunc hostes, quia molle servitium; cum spoliati exutique fuerint, amicos fore. (3) haec ferociter locutus, postquam perstare in perfidia Classicum Tutoremque videt, verso itinere Novaesium concedit: Galli duum milium spatio distantibus campis consedere. illuc commeantium centurionum militumque emebantur animi, ut (flagitium incognitum) Romanus exercitus in externa verba iurarent pignusque tanti sceleris nece aut vinculis legatorum daretur. Vocula, quamquam plerique fugam suadebant, audendum ratus vocata contione in hunc modum disseruit:

58 (1) ‘Numquam apud vos verba feci aut pro vobis sollicitior aut pro me securior. nam mihi exitium parari libens audio mortemque in tot malis [hostium] ut finem miseriarum exspecto: vestri me pudet miseretque, adversus quos non proelium et acies parantur; id enim fas armorum et ius hostium est: bellum cum populo Romano vestris se manibus gesturum Classicus sperat imperiumque et sacramentum Galliarum ostentat. (2) adeo nos, si fortuna in praesens virtusque deseruit, etiam vetera exempla deficiunt, quotiens Romanae legiones perire praeoptaverint, ne loco pellerentur? socii saepe nostri exscindi urbes suas seque cum coniugibus ac liberis cremari pertule-

Historien 4,57,1-4,58,2

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57 (1) Vocula ließ sich durch das Ränkespiel der Gallier verleiten und zog gegen den Feind. Er war nicht mehr weit von Vetera entfernt, da ritten Classicus und Tutor angeblich zur Erkundung voraus und schlossen mit den Anführern der Germanen ein Abkommen. Dann sonderten sie sich zum ersten Mal von den Legionen ab und umgaben ihr eigenes Lager mit einem Wall, obwohl Vocula beteuerte, die Macht Roms sei durch die Bürgerkriege noch nicht derart heruntergekommen, dass sie von Treverern und Lingonen verachtet werden dürfe. (2) Es gebe immer noch treue Provinzen, siegreiche Heere, das Glück des Reichs und strafende Götter. Auf diese Weise seien einst Sacrovir und die Häduer, erst kürzlich Vindex und Gallien60 in jeweils nur einem einzigen Gefecht vernichtet worden. Auf dieselben göttlichen Mächte, dasselbe Schicksal sollten sich die Bündnisbrecher nun wieder gefasst machen. Besser sei dem vergöttlichten Julius und dem vergöttlichten Augustus ihre Gesinnung bekannt gewesen; erst Galba und die Herabsetzung der Tribute hätten sie mit Feindseligkeit angesteckt. Jetzt seien sie Feinde, weil die Knechtschaft lasch sei; seien sie erst einmal ausgeraubt und kaltgestellt, würden sie Freunde sein. (3) Das sagte er voller Ingrimm, machte dann, als er sah, dass Classicus und Tutor in ihrer Treulosigkeit verharrten, kehrt und begab sich nach Novaesium. Die Gallier lagerten auf einem zwei Meilen entfernten freien Feld. Die dort ein- und ausgehenden Zenturionen und Soldaten wurden gekauft, sodass – eine vorher nicht bekannte Schandtat – sie, ein römisches Heer, Ausländern Treue schworen und man als Unterpfand für ein solches Verbrechen die Ermordung oder Verhaftung der Legaten gab. Vocula aber glaubte, obwohl sehr viele zur Flucht rieten, er müsse das Risiko eingehen, berief eine Heeresversammlung ein und sagte ungefähr Folgendes: 58 (1) „Noch nie habe ich vor euch das Wort ergriffen, ohne mir mehr Sorgen um euch oder weniger um mich zu machen. Denn dass man meine Ermordung ins Auge fasst, höre ich gerne und warte nur auf den Tod in so viel Elend, da er das Ende meiner Leiden bedeutet. Für euch schäme ich mich und euch bedauere ich, weil man gegen euch keine offene Feldschlacht vorhat. Das wäre nämlich im Krieg üblich und das Recht von Feinden. Den Krieg gegen das römische Volk jedoch hofft Classicus mit euren Händen führen zu können und prahlt dazu mit einem gallischen Reich und dem Treueid auf Gallien. (2) Haben wir denn, wenn uns schon im Augenblick Glück und Tapferkeit verlassen haben, gar keine alten Vorbilder mehr dafür, wie oft römische Legionen es vorzogen unterzugehen, um nur ja nicht nachgeben zu müssen? Unsere Bundesgenossen haben es häufig auf sich genommen, dass ihre Städte vernichtet wurden und sie zusammen mit ihren Frauen und Kindern verbrannten, und doch bekamen sie keinen anderen

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runt, neque aliud pretium exitus quam fides famaque. (3) tolerant cum maxime inopiam obsidiumque apud Vetera legiones nec terrore aut promissis demoventur: nobis super arma et viros et egregia castrorum munimenta frumentum et commeatus quamvis longo bello pares. pecunia nuper etiam donativo suffecit, quod sive a Vespasiano sive a Vitellio datum interpretari mavoltis, ab imperatore certe Romano accepistis. (4) tot bellorum victores, apud Geldubam, apud Vetera, fuso totiens hoste si pavetis aciem, indignum id quidem, sed est vallum murique et trahendi artes, donec e proximis provinciis auxilia exercitusque concurrant. sane ego displiceam: sunt alii legati, tribuni, centurio denique aut miles. (5) ne hoc prodigium toto terrarum orbe volgetur, vobis satellitibus Civilem et Classicum Italiam invasuros. an, si ad moenia urbis Germani Gallique duxerint, arma patriae inferetis? horret animus tanti flagitii imagine. Tutorine Treviro agentur excubiae? signum belli Batavus dabit? et Germanorum catervas supplebitis? quis deinde sceleris exitus, cum Romanae legiones contra derexerint? transfugae e transfugis et proditores e proditoribus inter recens et vetus sacramentum invisi deis errabitis? (6) te, Iuppiter optime maxime, quem per octingentos viginti annos tot triumphis coluimus, te, Quirine, Romanae parens urbis, precor venerorque ut, si vobis non fuit cordi me duce haec castra incorrupta et intemerata servari, at certe pollui foedarique a Tutore et Classico ne sinatis, militibus Romanis aut innocentiam detis aut maturam et sine noxa paenitentiam.’

59 (1) Varie excepta oratio inter spem metumque ac pudorem. digressum Voculam et de supremis agitantem liberti servique prohibuere foedissimam mortem sponte praevenire. et Classicus misso Aemilio Longino, desertore primae legionis, caedem eius maturavit; Herennium et Numisium legatos vinciri satis visum. (2) dein sumptis Romani imperii insignibus in castra

Historien 4,58,2-4,59,2

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Lohn für ihren Untergang als den Ruhm ihrer Treue. (3) Gerade jetzt ertragen in Vetera die Legionen Not und Einschließung und lassen sich nicht durch Schrecken oder Versprechungen aus ihrer Stellung vertreiben; wir dagegen haben zusätzlich zu Waffen, Männern und hervorragenden Lagerbefestigungen Getreide und Nachschub, die für einen auch noch so langen Krieg genügen. Das Geld hat kürzlich sogar für das Geschenk ausgereicht, das ihr, ob ihr es nun als von Vespasian oder von Vitellius gegeben verstanden wissen wollt, dennoch ganz gewiss vom römischen Oberbefehlshaber bekommen habt. (4) Ihr Sieger in so vielen Kriegen – bei Gelduba, bei Vetera –, nach so vielen Erfolgen über den Feind, wenn ihr da noch vor einer Feldschlacht Angst habt, dann ist das zwar euer nicht würdig, aber es gibt noch Wall und Mauern und Hinhaltetaktiken, bis aus den nächsten Provinzen Hilfstruppen und Heere herbeieilen. Sollte freilich ich es sein, der euch nicht gefällt, dann gibt es doch noch andere Legaten, Tribune, schließlich sogar einen Zenturio oder einfachen Soldaten. (5) Es soll nur nicht diese Ungeheuerlichkeit auf der ganzen Erde verbreitet werden können, mit euch als Begleitung schickten sich Civilis und Classicus an, in Italien einzufallen. Oder erhebt ihr etwa, wenn euch Germanen und Gallier an die Mauern der Hauptstadt herangeführt haben, die Waffen gegen eure Vaterstadt? Man erstarrt vor Schreck beim bloßen Gedanken an eine derartige Schandtat. Steht man für den Treverer Tutor Wache? Gibt das Signal zum Krieg ein Bataver? Und füllt ihr die Horden der Germanen auf? Welches Ende nimmt schließlich euer Verbrechen, falls römische Legionen euch gegenüber in Stellung gehen? Zu Deserteuren aus Deserteuren und zu Verrätern aus Verrätern geworden, irrt ihr da zwischen dem neuen und alten Treueid, den Göttern verhasst, hin und her? (6) Dich, bester und größter Jupiter, den wir nun 820 Jahre lang mit so vielen Triumphen geehrt haben, dich, Quirinus, der römischen Hauptstadt Vater, flehe ich ehrfürchtig an, falls euch schon nicht daran liegt, unter meiner Führung dieses Lager frei von Bestechung und Entweihung zu erhalten, es ganz bestimmt nicht zuzulassen, dass es von einem Tutor und Classicus besudelt und beschmutzt wird, und den römischen Soldaten entweder Schuldlosigkeit zu verleihen oder eine frühe Reue, ohne dass Schaden angerichtet wurde.“ 59 (1) Eine geteilte Aufnahme fand diese Rede zwischen Hoffnung, Furcht und Scham. Vocula entfernte sich und dachte schon über den letzten Schritt nach, aber seine Freigelassenen und Sklaven hinderten ihn daran, einem grässlichen Tod von sich aus zuvorzukommen. Da schickte Classicus den Aemilius Longinus, einen Deserteur der 1. Legion, und ließ ihn schnell umbringen; bei den Legaten Herennius und Numisius schien die Festnahme zu genügen. (2) Dann legte er die Abzeichen römischer Befehlsgewalt an

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venit. nec illi, quamquam ad omne facinus durato, verba ultra suppeditavere, quam ut sacramentum recitaret: iuravere qui aderant pro imperio Galliarum. interfectorem Voculae altis ordinibus, ceteros, ut quisque flagitium navaverat, praemiis attollit. (3) Divisae inde inter Tutorem et Classicum curae. Tutor valida manu circumdatos Agrippinenses, quantumque militum apud superiorem Rheni ripam, in eadem verba adigit, occisis Mogontiaci tribunis, pulso castrorum praefecto, qui detractaverant. Classicus corruptissimum quemque e deditis pergere ad obsessos iubet, veniam ostentantes, si praesentia sequerentur: aliter nihil spei, famem ferrumque et extrema passuros. adiecere qui missi erant exemplum suum.

60 (1) Obsessos hinc fides, inde egestas inter decus ac flagitium distrahebant. cunctantibus solita insolitaque alimenta deerant, absumptis iumentis equisque et ceteris animalibus, quae profana foedaque in usum necessitas vertit. virgulta postremo et stirpes et internatas saxis herbas vellentes miseriarum patientiaeque documentum fuere, donec egregiam laudem fine turpi macularent, missis ad Civilem legatis vitam orantes. (2) neque ante preces admissae, quam in verba Galliarum iurarent: tum pactus praedam castrorum dat custodes, qui pecuniam calones sarcinas retentarent et qui ipsos leves abeuntes prosequerentur. ad quintum fer‹m›e lapidem coorti Germani incautum agmen adgrediuntur. pugnacissimus quisque in vestigio, multi palantes occubuere; ceteri retro in castra perfugiunt, querente sane Civile et increpante Germanos, tamquam fidem per scelus abrumperent. (3) simulata ea fuerint an retinere saevientes nequiverit, parum adfirmatur. direptis castris faces iniciunt, cunctosque, qui proelio superfuerant, incendium hausit.

Historien 4,59,2-4,60,3

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und kam so ins Lager. Und doch standen ihm, obwohl er ein hartgesottener Verbrecher war, nicht mehr Worte zur Verfügung, als dass er den Treueid vorlas; alle Anwesenden schworen auf das Reich Galliens. Voculas Mörder zeichnete er mit einem hohen Dienstgrad, alle anderen je nach ihrer Beteiligung an der Schandtat mit Belohnungen aus. (3) Aufgeteilt wurden dann zwischen Tutor und Classicus die Aufgaben: Tutor schloss mit einer schlagkräftigen Schar die Agrippinenser ein und ließ sie dann genauso wie alle Soldaten am oberen Rheinufer den gleichen Eid schwören, nachdem man in Mogontiacum die Tribune umgebracht und den Lagerkommandanten vertrieben hatte, die sich geweigert hatten. Classicus befahl den verkommensten Elementen unter den Männern, die sich ergeben hatten, zu den Belagerten zu gehen und ihnen Gnade in Aussicht zu stellen, wenn sie sich in ihre aktuelle Situation fügten; anders gebe es keine Hoffnung, und sie würden Hunger, Schwert und das Äußerste zu ertragen haben. Dazu wiesen die Abgesandten auf ihr eigenes Beispiel hin. 60 (1) Die Belagerten ließ einerseits ihre Treue, andererseits ihre erbärmliche Lage zwischen einem rühmlichen und schändlichen Verhalten hin- und herschwanken. Während sie noch zögerten, gingen ihnen gewöhnliche und ungewöhnliche Nahrungsmittel aus, nachdem sie Zugtiere, Pferde und alle übrigen Tiere bereits verzehrt hatten, die sie, obwohl unrein und ekelerregend, ihre katastrophale Lage zu verwenden zwang. Schließlich rissen sie Gestrüpp, Wurzeln und zwischen den Steinen wachsende Kräuter heraus und lieferten damit einen Beleg für ihr Elend und ihre Leidensfähigkeit, bis sie ihr außerordentlich achtbares Verhalten dann doch mit einem schmählichen Ende beschmutzten: Sie schickten eine Gesandtschaft zu Civilis und baten um ihr Leben. (2) Aber ihre Bitten wurden erst angenommen, als sie den Treueid auf Gallien geleistet hatten. Dann bedang er sich die Plünderung des Lagers aus und gab ihnen Wachen mit, die das Geld, die Trossknechte und das Gepäck zurückhalten und andere, welche die ohne Gepäck abziehenden Menschen begleiten sollten. Ungefähr beim fünften Meilenstein tauchten Germanen auf und griffen den unvorsichtigen Zug an. Die stärksten Kämpfer fielen auf der Stelle, viele beim Herumirren; der Rest floh ins Lager zurück, wobei sich Civilis freilich darüber beklagte und über die Germanen schimpfte, sie brächen ihr Treuwort durch ihr Verbrechen. (3) Ob das Heuchelei war oder ob er sie in ihrer Wut nur nicht zurückhalten konnte, ist nicht sicher festzustellen. Man plünderte das Lager und warf Fackeln hinein, und alle Überlebenden des Gefechts verschlangen die Flammen.

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61 (1) Civilis barbaro voto post coepta adversus Romanos arma propexum rutilatumque crinem patrata demum caede legionum deposuit; et ferebatur parvulo filio quosdam captivorum sagittis iaculisque puerilibus figendos obtulisse. ceterum neque se neque quemquam Batavum in verba Galliarum adegit, fisus Germanorum opibus et, si certandum adversus Gallos de possessione rerum foret, inclutus fama et potior. (2) Munius Lupercus legatus legionis inter dona missus Veledae. ea virgo nationis Bructerae late imperitabat, vetere apud Germanos more, quo plerasque feminarum fatidicas et augescente superstitione arbitrantur deas. tuncque Veledae auctoritas adolevit; nam prosperas Germanis res et excidium legionum praedixerat. (3) sed Lupercus in itinere interfectus. pauci centurionum tribunorumque in Gallia geniti reservantur pignus societati. cohortium alarum legionum hiberna subversa cremataque, iis tantum relictis, quae Mogontiaci ac Vindonissae sita sunt.

62 (1) Legio sexta decima cum auxiliis simul deditis a Novaesio in coloniam Trevirorum transgredi iubetur, praefinita die, intra quam castris excederet. medium omne tempus per varias curas egere, ignavissimus quisque caesorum apud Vetera exemplo paventes, melior pars rubore et infamia: quale illud iter? quis dux viae? et omnia in arbitrio eorum, quos vitae necisque dominos fecissent. alii nulla dedecoris cura pecuniam aut carissima sibimet ipsi circumdare; quidam expedire arma telisque tamquam in aciem accingi. (2) haec meditantibus advenit proficiscendi hora exspectatione tristior. quippe intra vallum deformitas haud perinde notabilis: detexit ignominiam campus et dies. revolsae imperatorum imagines, inho‹no›ra signa, fulgentibus hinc inde Gallorum vexillis; silens agmen et velut longae exsequiae;

Historien 4,61,1-4,62,2

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61 (1) Civilis hatte sich einem bei den Barbaren üblichen Gelübde zufolge nach dem Beginn der bewaffneten Auseinandersetzung mit den Römern das Haar lang wachsen lassen und rot gefärbt; erst nachdem die Vernichtung der Legionen vollzogen war, schnitt er es ab. Zudem erzählte man sich, er habe seinem kleinen Sohn ein paar Gefangene übergeben, damit er auf sie mit Kinderpfeilen und -speeren schießen konnte. Im Übrigen leistete weder er selbst noch einer von den Batavern den Treueid auf Gallien, weil er sich allein auf die Macht der Germanen verließ und, falls man gegen die Gallier um die Vorherrschaft kämpfen müsse, auf seinen Ruhm und seine Überlegenheit. (2) Der Legionslegat Munius Lupercus wurde unter anderen Geschenken zu Veleda geschickt. Diese, eine Jungfrau vom Stamm der Brukterer, übte weithin einen großen Einfluss aus nach der alten Gewohnheit bei den Germanen, der zufolge sie eine ganze Anzahl Frauen für Seherinnen und mit der Zunahme des Aberglaubens für Göttinnen halten. Damals nun wuchs das Ansehen Veledas; denn sie hatte den Germanen ihre Erfolge, und zwar die Vernichtung der Legionen, vorhergesagt. (3) Übrigens wurde Lupercus unterwegs umgebracht. Nur wenige in Gallien geborene Zenturionen und Tribune bewahrte man als Unterpfand des Bündnisses auf. Die Winterlager der Kohorten, Regimenter und Legionen wurden zerstört und in Brand gesteckt; nur die in Mogontiacum und Vindonissa lagen, ließ man übrig. 62 (1) Die 16. Legion erhielt den Befehl, zusammen mit den Hilfstruppen, die sich gleichzeitig ergeben hatten, von Novaesium in die Koloniestadt der Treverer zu marschieren; dabei gab man ihr den Termin vor, bis zu dem sie das Lager räumen musste. Die ganze Zwischenzeit verbrachten sie mit unterschiedlichen Sorgen, die größten Feiglinge voller Angst wegen des warnenden Beispiels der in Vetera ums Leben gekommenen Männer, der bessere Teil aber aus Scham und Furcht vor der Schande: Was sei das für ein Marsch? Wer sei ihr Führer auf dem Weg? Dazu hänge alles vom Gutdünken der Personen ab, die sie zu Herren über Leben und Tod gemacht hätten. Wieder andere scherten sich nicht um die Schande, sondern bepackten sich mit Geld oder dem, was ihnen persönlich am teuersten war; manche richteten ihre Schutzwaffen her und umgürteten sich mit ihren Angriffswaffen, als ob es in eine Schlacht gehe. (2) Während sie noch damit beschäftigt waren, kam die Stunde des Abmarsches, noch trauriger als erwartet. Denn innerhalb des Walls war die Schmach nicht besonders aufgefallen. Erst das freie Feld und der helle Tag deckten die Schande auf: heruntergerissen die Bilder der Oberbefehlshaber, ohne ihre Ehrenzeichen die Standarten, während beiderseits die Fahnen der Gallier blitzten; schweigend die Marschkolonne und in der Art eines langen Leichenzugs; als Führer Claudius Sanctus, mit

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dux Claudius Sanctus effosso oculo dirus ore, ingenio debilior. (3) duplicatur flagitium, postquam desertis Bonnensibus castris altera se legio miscuerat. et volgata captarum legionum fama cuncti, qui paulo ante Romanorum nomen horrebant, procurrentes ex agris tectisque et undique effusi insolito spectaculo nimium fruebantur. (4) non tulit ala Picentina gaudium insultantis volgi, spretisque Sancti promissis aut minis Mogontiacum abeunt; ac forte obvio interfectore Voculae Longino, coniectis in eum telis initium exsolvendae in posterum culpae fecere: legiones nihil mutato itinere ante moenia Trevirorum considunt.

63 (1) Civilis et Classicus rebus secundis sublati, an coloniam Agrippinensem diripiendam exercitibus suis permitterent, dubitavere. saevitia ingenii et cupidine praedae ad excidium civitatis trahebantur: obstabat ratio belli et novum imperium inchoantibus utilis clementiae fama; Civilem etiam beneficii memoria flexit, quod filium eius primo rerum motu in colonia Agrippinensi deprehensum honorata custodia ‹habu›erant. (2) sed Transrhenanis gentibus invisa civitas opulentia auctuque; neque alium finem belli rebantur, quam si promisca ea sedes omnibus Germanis foret aut disiecta Ubios quoque dispersisset.

64 (1) Igitur Tencteri, Rheno discreta gens, missis legatis mandata apud concilium Agrippinensium edi iubent, quae ferocissimus e legatis in hunc modum protulit: ‘redisse vos in corpus nomenque Germaniae communibus deis et praecipuo deorum Marti grates agimus, vobisque gratulamur, quod tandem liberi inter liberos eritis; nam ad hunc diem flumina ac terram et caelum quodam modo ipsum clauserant Romani, ut conloquia congressusque nostros arcerent, vel, quod contumeliosius est viris ad arma natis, inermes ac prope nudi sub custode et pretio coiremus. (2) sed ut amicitia societasque nostra in aeternum rata sint, postulamus a vobis muros coloniae,

Historien 4,62,2-4,64,2

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seinem ausgeschlagenen Auge scheußlich anzusehen, seiner geistigen Verfassung nach noch jämmerlicher. (3) Doppelt so groß war die Entehrung, nachdem sich nach der Aufgabe des Lagers in Bonna die zweite Legion angeschlossen hatte. Und als sich die Nachricht von der Gefangennahme der Legionen herumsprach, liefen alle, die kurz zuvor noch in Angst und Schrecken vor dem Namen Römer gerieten, von den Feldern weg und aus den Häusern heraus, stellten sich überall auf und genossen das ungewöhnliche Schauspiel nur allzu sehr. (4) Da nahm das Regiment „Picentina“ die Schadenfreude der sie verhöhnenden Menge nicht mehr hin, gab nichts auf die Versprechungen oder Drohungen des Sanctus und zog nach Mogontiacum ab. Als ihnen zufällig Voculas Mörder Longinus über den Weg lief, warfen sie mit ihren Lanzen nach ihm und machten damit den Anfang für die künftige Sühnung ihrer Schuld. Die Legionen änderten ihren Marschweg nicht und bezogen vor den Stadtmauern der Treverer ein Lager. 63 (1) Civilis und Classicus erwogen im Hochgefühl ihrer Erfolge, Colonia Agrippinensis ihren Heeren zur Plünderung zu überlassen. Durch ihre Veranlagung zur Grausamkeit und aus Beutegier liebäugelten sie mit der Zerstörung der Stadt. Dagegen sprachen strategische Überlegungen und der für Männer am Anfang einer Herrschaft nützliche Ruf der Milde. Den Civilis brachte auch die Erinnerung an ein Entgegenkommen davon ab; hatte man doch seinen Sohn, der ganz am Beginn des Aufstands in Colonia Agrippinensis festgenommen worden war, in ehrenvoller Haft gehalten. (2) Aber den überrheinischen Stämmen war die Gemeinde verhasst wegen ihres Reichtums und ihres Aufschwungs; ein Ende des Kriegs konnte es ihrer Meinung nach nur geben, wenn dieser Siedlungsplatz für alle Germanen zugänglich war oder seine Zerstörung auch die Ubier zerstreute. 64 (1) Deshalb schickten die Tenkterer, ein durch den Rhein getrennter Stamm, Gesandte mit dem Befehl, ihre Aufträge vor der Versammlung der Agrippinenser bekanntzugeben, die der Wildeste unter den Gesandten folgendermaßen vortrug: „Dass ihr zur Gemeinschaft und zum Namen Germanien zurückgekehrt seid, dafür danken wir den gemeinsamen Göttern und dem Höchsten der Götter, Mars, und wir beglückwünschen euch, dass ihr endlich frei unter Freien seid. Denn bis zum heutigen Tag hatten die Römer Flüsse und Erde und sogar den Himmel irgendwie abgesperrt, um unsere Besprechungen und Zusammenkünfte zu unterbinden, oder, was noch viel schimpflicher ist für Männer, die für das Waffenhandwerk geboren sind, dass wir nur waffenlos und beinahe nackt unter Bewachung und gegen Zollgebühren zusammenkommen können. (2) Aber damit unsere Freundschaft und unser Bündnis auf ewig gültig bleiben, verlangen wir von euch, dass ihr die Mauern eurer Koloniestadt, die Bastionen der Knechtschaft, schleift –

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munimenta servitii, detrahatis (etiam fera animalia, si clausa teneas, virtutis obliviscuntur), Romanos omnes in finibus vestris trucidetis (haud facile libertas et domini miscentur): bona interfectorum in medium cedant, ne quis occulere quicquam aut segregare causam suam possit. (3) liceat nobis vobisque utramque ripam colere, ut olim maioribus nostris: quo modo lucem diemque omnibus hominibus, ita omnes terras fortibus viris natura aperuit. instituta cultumque patrium resumite, abruptis voluptatibus, quibus Romani plus adversus subiectos quam armis valent. sincerus et integer et servitutis oblitus populus aut ex aequo agetis aut aliis imperitabitis.’

65 (1) Agrippinenses sumpto consultandi spatio, quando neque subire condiciones metus futuri neque palam aspernari condicio praesens sinebat, in hunc modum respondent: ‘quae prima libertatis facultas data est, avidius quam cautius sumpsimus, ut vobis ceterisque Germanis, consanguineis nostris, iungeremur. muros civitatis, congregantibus se cum maxime Romanorum exercitibus, augere nobis quam diruere tutius est. (2) si qui ex Italia aut provinciis alienigenae in finibus nostris fuerant, eos bellum absumpsit vel in suas quisque sedes refugerunt. deductis olim et nobiscum per conubium sociatis quique mox provenerunt haec patria est; nec vos adeo iniquos existimamus, ut interfici a nobis parentes fratres liberos nostros velitis. (3) vectigal et onera commerciorum resolvimus: sint transitus incustoditi, sed diurni et inermes, donec nova et recentia iura vetustate in consuetudinem vertuntur. arbitrum habebimus Civilem et Veledam, apud quos pacta sancientur.’ (4) sic lenitis Tencteris legati ad Civilem ac Veledam missi cum donis cuncta ex voluntate Agrippinensium perpetravere; sed coram adire adloquique Veledam negatum: arcebantur adspectu, quo venerationis plus inesset. ipsa edita in turre; delectus e propinquis consulta responsaque ut internuntius numinis portabat.

Historien 4,64,2-4,65,4

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auch die wilden Tiere vergessen, wenn man sie eingesperrt hält, ihren Mut – und alle Römer auf eurem Gebiet umbringt – nicht leicht vertragen sich Freiheit und Herren –. Der Besitz der Getöteten soll Gemeingut werden, damit niemand etwas verbergen oder seine Angelegenheit getrennt verfolgen kann. (3) Möglich soll es für uns und für euch sein, an beiden Ufern zu siedeln, wie einst für unsere Vorfahren. Wie das Tageslicht allen Menschen, so hat die Natur alle Länder tapferen Männern zugänglich gemacht. Nehmt die Gebräuche und die von den Vätern ererbte Lebensweise wieder an, nachdem ihr euch von den Verlockungen losgerissen habt, mit denen die Römer mehr gegen ihre Untertanen ausrichten als mit Waffen! Als reines und unverdorbenes Volk, das die Knechtschaft vergessen hat, werdet ihr entweder gleichberechtigt leben oder über andere herrschen.“ 65 (1) Die Agrippinenser nahmen sich Bedenkzeit und gaben dann, da es weder ihre Angst vor der Zukunft zuließ, sich den Bedingungen zu fügen, noch ihre aktuelle Situation, sie offen zurückzuweisen, folgende Antwort: „Die erste sich bietende Gelegenheit zur Freiheit haben wir mit mehr Begeisterung als Vorsicht ergriffen, um uns euch und den übrigen Germanen, unseren Blutsverwandten, anschließen zu können. Was die Mauern unserer Stadt betrifft, ist es, da sich eben jetzt schon die Heere der Römer versammeln, für uns sicherer, sie zu verstärken als einzureißen. (2) Falls irgendwelche aus Italien oder den Provinzen stammende Ausländer in unserem Gebiet gewesen waren, sind sie dem Krieg zum Opfer gefallen oder wieder in ihr jeweiliges Heimatland geflüchtet. Für die einst hier angesiedelten61 und mit uns durch Ehen verbundenen Personen sowie für diejenigen, die seitdem daraus hervorgegangen sind, ist das hier ihre Heimat. Zudem halten wir euch nicht für derart ungerecht, dass es euer Wunsch sein kann, wir sollten unsere Eltern, Geschwister und Kinder umbringen. (3) Den Zoll und die Belastungen für den Handelsverkehr schaffen wir ab; eure (Rhein-)Überquerungen können ohne Aufsicht, aber so lange nur tagsüber und ohne Waffen erfolgen, bis die neuen und frischen Rechtsverhältnisse zur Gewohnheit geworden sind. Als Schiedsrichter werden wir Civilis und Veleda haben, von denen unsere Abmachungen bestätigt werden sollen.“ (4) So ließen sich die Tenkterer beschwichtigen, und die zu Civilis und Veleda mit Geschenken geschickten Gesandten setzten alles den Wünschen der Agrippinenser entsprechend durch; aber zu Veleda persönlich vorgelassen zu werden und sie anzusprechen wurde ihnen verweigert. Man hielt sie von ihrem Anblick fern, damit sie noch mehr Verehrung genoss. Sie lebte in einem hohen Turm; ein aus dem Kreis ihrer Verwandten ausgewählter Mann brachte die Anfragen und Antworten wie der Mittelsmann eines göttlichen Wesens.

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66 (1) Civilis societate Agrippinensium auctus proximas civitates adfectare aut adversantibus bellum inferre statuit. occupatisque Sunucis et iuventute eorum per cohortes composita, quo minus ultra pergeret, Claudius Labeo Baetasiorum Tungrorumque et Nerviorum tumultuaria manu restitit, fretus loco, quia pontem Mosae fluminis anteceperat. (2) pugnabaturque in angustiis ambigue, donec Germani tranatantes terga Labeonis invasere; simul Civilis, ausus an ex composito, intulit se agmini Tungrorum, et clara voce ‘non ideo’ inquit ‘bellum sumpsimus, ut Batavi et Treveri gentibus imperent: procul haec a nobis adrogantia. accipite societatem: transgredior ad vos, seu me ducem seu militem mavultis.’ (3) movebatur volgus condebantque gladios, cum Campanus ac Iuvenalis e primoribus Tungrorum universam ei gentem dedidere; Labeo antequam circumveniretur, profugit. Civilis Baetasios quoque ac Nervios in fidem acceptos copiis suis adiunxit, ingens rerum, perculsis civitatum animis vel sponte inclinantibus.

67 (1) Interea Iulius Sabinus proiectis foederis Romani monumentis Caesarem se salutari iubet magnamque et inconditam popularium turbam in Sequanos rapit, conterminam civitatem et nobis fidam; nec Sequani detractavere certamen. fortuna melioribus adfuit: fusi Lingones. Sabinus festinatum temere proelium pari formidine deseruit; utque famam exitii sui faceret, villam, in quam perfugerat, cremavit, illic voluntaria morte interisse creditus. (2) sed quibus artibus latebrisque vitam per novem mox annos traduxerit, simul amicorum eius constantiam et insigne Epponinae uxoris exemplum suo loco reddemus. Sequanorum prospera acie belli impetus stetit: resipiscere paulatim civitates fasque et foedera respicere, principibus

Historien 4,66,1-4,67,2

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66 (1) Civilis war durch das Bündnis mit den Agrippinensern noch mächtiger geworden und beschloss deshalb, die benachbarten Stämme auf seine Seite zu ziehen oder im Falle der Weigerung gegen sie Krieg zu führen. Nachdem er das Gebiet der Sunuker besetzt und aus deren wehrfähigen jungen Männern Kohorten gebildet hatte, stellte sich ihm, um ihn nicht weiter vordringen zu lassen, Claudius Labeo mit einer zusammengewürfelten Schar Baetasier, Tungrer und Nervier in den Weg im Vertrauen auf seine Stellung, weil er ihm mit der Besetzung der Brücke über die Maas zuvorgekommen war. (2) Dann kämpfte man an der Engstelle unentschieden, bis die Germanen hinüberschwammen und Labeo von hinten angriffen. Zugleich stürzte sich Civilis aus Kühnheit oder wie vorher verabredet in den Haufen der Tungrer und rief mit lauter Stimme: „Nicht dazu haben wir den Krieg auf uns genommen, dass Bataver und Treverer über Völker herrschen können. Fern sei uns dieser Hochmut! Nehmt das Bündnis an: Ich gehe zu euch über, ob ihr mich nun lieber als Kommandeur oder als einfachen Soldaten haben wollt!“ (3) Die Menge ließ sich davon beeindrucken und steckte die Schwerter weg, da übergaben ihm Campanus und Iuvenalis von den führenden Männern der Tungrer ihren gesamten Stamm. Labeo konnte, bevor er umzingelt wurde, fliehen. Civilis nahm auch die Unterwerfung der Baetasier und Nervier an und gliederte sie seinen Truppen an; gewaltig war nun seine Macht, weil die Stämme eingeschüchtert waren oder ihm freiwillig zuneigten. 67 (1) Inzwischen ließ Iulius Sabinus die Denkmäler des Bündnisses mit den Römern umstürzen, befahl dann, ihn als Cäsar zu begrüßen, und führte einen großen, ungeordneten Haufen seiner Landsleute hastig ins Gebiet der Sequaner, eines benachbarten, uns treu ergebenen Stamms. Aber die Sequaner verweigerten den Kampf nicht. Das Glück stand aufseiten der besser Gesinnten: Die Lingonen wurden geschlagen. Sabinus verließ das unüberlegt und übereilt begonnene Gefecht in ebensolcher Furcht, und um das Gerücht von seinem Ende in die Welt zu setzen, ließ er das Landhaus, in das er sich geflüchtet hatte, anzünden; daraufhin glaubte man von ihm, er sei dort freiwillig aus dem Leben geschieden. (2) Doch mit welchen Täuschungsmanövern und in welchen Verstecken er dann sein Leben die folgenden neun Jahre hindurch fristete, zudem von der unerschütterlichen Treue seiner Freunde und dem leuchtenden Vorbild seiner Frau Epponina werden wir an geeigneter Stelle62 berichten. Durch den Schlachtenerfolg der Sequaner kam der Schwung des Kriegs zum Erliegen. Allmählich nahmen die Stämme wieder Vernunft an und beachteten das heilige Bündnisrecht,

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Remis, qui per Gallias edixere, ut missis legatis in commune consultarent, libertas an pax placeret. 68 (1) At Romae cuncta in deterius audita Mucianum angebant, ne quamquam egregii duces (iam enim Gallum Annium et Petillium Cerialem delegerat) summam belli parum tolerarent. nec relinquenda urbs sine rectore; et Domitiani indomitae libidines timebantur, suspectis, uti diximus, Primo Antonio Varoque Arrio. (2) Varus praetorianis praepositus vim atque arma retinebat: eum Mucianus pulsum loco, ne sine solacio ageret, annonae praefecit; utque Domitiani animum Varo haud alienum deleniret, Arrecinum Clementem, domui Vespasiani per adfinitatem innexum et gratissimum Domitiano, praetorianis praeposuit, patrem eius sub C. Caesare egregie functum ea cura dictitans, laetum militibus idem nomen, atque ipsum, quamquam senatorii ordinis, ad utraque munia sufficere. (3) adsumuntur e civitate clarissimus quisque et alii per ambitionem. simul Domitianus Mucianusque accingebantur, dispari animo, ille spe ac iuventa properus, hic moras nectens, quis flagrantem retineret, ne ferocia aetatis et pravis impulsoribus, si exercitum invasisset, paci belloque male consuleret. (4) legiones victrices, octava, undecima, tertia decima, Vitellianarum unaetvicensima, e recens conscriptis secunda Poeninis Cottianisque Alpibus, pars monte Graio traducuntur; quarta decima legio e Britannia, sexta ac prima ex Hispania accitae. (5) Igitur venientis exercitus fama et suopte ingenio ad mitiora inclinantes Galliarum civitates in Remos convenere. Trevirorum legatio illic opperiebatur, acerrimo instinctore belli Iulio Valentino. is meditata oratione cuncta magnis imperiis obiectari solita contumeliasque et invidiam in populum Romanum effudit, turbidus miscendis seditionibus et plerisque gratus vaecordi facundia.

Historien 4,67,2-4,68,5

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wobei die Remer den Anfang machten, die in Gallien verkünden ließen, man solle Abordnungen schicken und gemeinsam darüber beraten, ob man lieber Freiheit oder Frieden haben wolle. 68 (1) Doch in Rom klang alles, was man davon hörte, noch schlimmer. Deshalb war Mucian darüber beunruhigt, auch noch so hervorragende Kommandeure – er hatte nämlich schon Gallus Annius und Petillius Cerialis ausersehen – könnten der Gesamtleitung des Kriegs nicht ganz gewachsen sein. Zudem dürfe man die Hauptstadt nicht ohne Führung lassen, und man fürchtete sich auch vor den hemmungslosen Lüsten Domitians, zumal man, wie erwähnt,63 Primus Antonius und Varus Arrius nicht traute. (2) Varus hielt als Prätorianerkommandant Macht und militärische Mittel in der Hand; ihn entfernte Mucian aus seiner Stellung und beauftragte ihn, damit er nicht ohne Ausgleich leben musste, mit der Leitung der Getreideversorgung. Um ferner Domitian, der Varus sehr gewogen war, zu beschwichtigen, übertrug er Arrecinus Clemens, der dem Haus Vespasians durch Verschwägerung verbunden war und Domitian sehr nahestand, das Kommando über die Prätorianer. Dabei betonte er, dessen Vater habe unter C. Caesar dieses Amt hervorragend ausgeübt, bei den Soldaten sei derselbe Name beliebt, und persönlich sei er, obwohl dem Senatorenstand angehörend,64 für beide Aufgaben geeignet. (3) Hinzu nahm man aus der Bürgerschaft die angesehensten Persönlichkeiten und andere aufgrund ihrer Bewerbung. Gleichzeitig machten sich Domitian und Mucian reisefertig, in unterschiedlicher Gemütsverfassung, der eine voller Hoffnung und Jugendlichkeit auf Eile, der andere auf Verzögerungen bedacht, mit denen er ihn in seinem Feuereifer aufhalten konnte, damit er nicht in seinem ungestümen Alter und dank schlechter Ratgeber, falls er sich des Heers bemächtigt habe, für Frieden und Krieg schlechte Entscheidungen treffe. (4) Die siegreichen Legionen, die 8., 11. und 13., von den vitellianischen die 21. und von den erst kurz zuvor ausgehobenen die 2. führte man über die Pöninischen und Cottischen Alpen, zum Teil über das Graius-Gebirge. Die 14. Legion wurde aus Britannien, die 6. und 1. aus Spanien herkommandiert. (5) So kamen auf das Gerücht vom kommenden Heer und weil sie ihrer typischen Veranlagung nach zum friedlicheren Verhalten neigten, die Stämme Galliens im Gebiet der Remer zusammen. Eine Abordnung der Treverer wartete dort unter ihrem schärfsten Kriegshetzer Iulius Valentinus. Der schüttete in einer sorgfältig vorbereiteten Rede alle Vorwürfe, die man üblicherweise großen Reichen macht, und hasserfüllte Schmähungen über das römische Volk aus, ein Agitator, der Unruhe stiften konnte und sehr vielen willkommen war mit seiner wahnwitzigen Redegabe.

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Historiarum liber quartus

69 (1) At Iulius Auspex e primoribus Remorum, vim Romanam pacisque bona dissertans et sumi bellum etiam ab ignavis, strenuissimi cuiusque periculo geri, iamque super caput legiones, sapientissimum quemque reverentia fideque, iuniores periculo ac metu continuit: et Valentini animum laudabant, consilium Auspicis sequebantur. (2) constat obstitisse Treveris Lingonibusque apud Gallias, quod Vindicis motu cum Verginio steterant. deterruit plerosque provinciarum aemulatio: quod bello caput? unde ius auspiciumque peteretur? quam, si cuncta provenissent, sedem imperio legerent? (3) nondum victoria, iam discordia erat, aliis foedera, quibusdam opes viresque aut vetustatem originis per iur‹g›ia iactantibus: taedio futurorum praesentia placuere. scribuntur ad Treviros epistulae nomine Galliarum, ut abstinerent armis, impetrabili venia et paratis deprecatoribus, si paeniteret: restitit idem Valentinus obstruxitque civitatis suae aures, haud perinde instruendo bello intentus quam frequens contionibus.

70 (1) Igitur non Treviri neque Lingones ceteraeve rebellium civitates pro magnitudine suscepti discriminis agere; ne duces quidem in unum consulere, sed Civilis avia Belgarum circumibat, dum Claudium Labeonem capere aut exturbare nititur; Classicus segne plerumque otium trahens velut parto imperio fruebatur; ne Tutor quidem maturavit superiorem Germaniae ripam et ardua Alpium praesidiis claudere. (2) atque interim unaetvicensima legio Vindonissa, Sextilius Felix cum auxiliariis cohortibus per Raetiam inrupere; accessit ala Singularium, excita olim a Vitellio, deinde in partes Vespasiani transgressa. praeerat Iulius Briganticus sorore Civilis genitus, ut ferme acerrima proximorum odia sunt, invisus avunculo infensusque. (3) Tutor Trevirorum copias recenti Vangionum Caeracatium Tribocorum dilec-

Historien 4,69,1-4,70,3

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69 (1) Doch Iulius Auspex von den führenden Männern der Remer wies auf die römische Macht, die Vorteile des Friedens und darauf hin, dass ein Krieg auch von Feiglingen angefangen, aber unter Gefährdung gerade der tüchtigsten Männer geführt werde und dass ihnen schon die Legionen im Nacken säßen. Damit hielt er gerade die vernünftigsten Teilnehmer durch den Appell an ihr Ehr- und Pflichtgefühl, die jüngeren Leute durch die Angst vor der Gefahr zurück. Da lobten sie den Mut des Valentinus, befolgten aber den Rat des Auspex. (2) Ganz gewiss schadete es den Treverern und Lingonen in den Augen der übrigen Gallier, dass sie bei der Erhebung des Vindex aufseiten des Verginius gestanden hatten. Eine große Anzahl schreckte auch die Rivalität unter den Provinzen ab: Wer solle der führende Kopf im Krieg sein? Wo solle man die rechtliche Befugnis und den Götterwillen einholen?65 Welchen Sitz solle man, falls alles erfolgreich verlaufen sei, für die Regierung auswählen? (3) Es gab noch keinen Sieg, aber schon Auseinandersetzungen, weil die einen mit ihren Bündnissen, manche mit ihrer Macht und ihren Streitkräften oder dem hohen Alter ihrer Herkunft im Wortwechsel prahlten: Aus Widerwillen gegen das, was kommen sollte, gefiel der gegenwärtige Zustand. Man schrieb an die Treverer einen Brief im Namen Galliens, sie sollten die Waffen niederlegen, da man Verzeihung erlangen könne und Bittsteller bereitstünden, falls sie Reue zeigten. Dem widersetzte sich wiederum Valentinus und machte die Ohren seines Stammes taub, wobei er es nicht so sehr auf die Entfesselung eines Kriegs anlegte als häufig in Versammlungen auftreten wollte. 70 (1) Deshalb verhielten sich die Treverer und auch die Lingonen oder die übrigen Stämme der Aufständischen nicht der Bedeutung des begonnenen gefährlichen Unternehmens entsprechend; nicht einmal ihre militärischen Führer waren sich einig, sondern Civilis zog in den abgelegenen Gebieten der Belger umher und bemühte sich dabei, Claudius Labeo gefangen zu nehmen oder zu verjagen. Classicus ließ sich meist in trägem Nichtstun gehen und genoss die Herrschaft, als sei sie schon errungen. Nicht einmal Tutor beeilte sich, das obergermanische Ufer und die Alpenhöhen mit Besatzungen zu sperren. (2) In der Zwischenzeit fielen die 21. Legion von Vindonissa aus und Sextilius Felix mit den Auxiliarkohorten über Rätien ein. Dazu kam das Singularenregiment66, das einst von Vitellius aufgestellt worden und dann zur Partei Vespasians übergelaufen war. Das Kommando hatte Iulius Briganticus, der Sohn einer Schwester des Civilis, der – tiefe Abneigung ist unter Verwandten in der Regel ja am stärksten ausgeprägt – seinem Onkel verhasst und mit ihm verfeindet war. (3) Tutor verstärkte die Truppen der Treverer, die schon durch eine kurz zuvor durchgeführte Aushebung von Vangionen, Caerakaten und Tribokern angewachsen waren,

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tu auctas veterano pedite atque equite firmavit, corruptis spe aut metu subactis legionariis; qui primo cohortem praemissam a Sextilio Felice interficiunt, mox ubi duces exercitusque Romanus propinquabant, honesto transfugio rediere, secutis Tribocis Vangionibusque et Caeracatibus. (4) Tutor Treveris comitantibus vitato Mogontiaco Bingium concessit, fidens loco, quia pontem Navae fluminis abruperat, sed incursu cohortium, quas Sextilius ducebat, et reperto vado proditus fususque. ea clade perculsi Treviri, et plebes omissis armis per agros palatur; quidam principum, ut primi posuisse bellum viderentur, in civitates, quae societatem Romanam non exuerant, perfugere. (5) legiones a Novaesio Bonnaque in Treviros, ut supra memoravimus, traductae se ipsae in verba Vespasiani adigunt. haec Valentino absente gesta; qui ubi adventabat furens cunctaque rursus in turbas et exitium conversurus, legiones in Mediomatricos, sociam civitatem, abscessere: Valentinus ac Tutor in arma Treviros retrahunt, occisis Herennio ac Numisio legatis, quo minore spe veniae cresceret vinculum sceleris.

71 (1) Hic belli status erat, cum Petillius Cerialis Mogontiacum venit. eius adventu erectae spes; ipse pugnae avidus et contemnendis quam cavendis hostibus melior, ferocia verborum militem incendebat, ubi primum congredi licuisset, nullam proelio moram facturus. (2) dilectus per Galliam habitos in civitates remittit ac nuntiare iubet sufficere imperio legiones: socii ad munia pacis redirent securi velut confecto bello, quod Romanae manus excepissent. auxit ea res Gallorum obsequium: nam recepta iuventute facilius tributa toleravere, proniores ad officia, quod spernebantur. (3) at Civilis et Classicus ubi pulsum Tutorem, caesos Treviros, cuncta hostibus prospe-

Historien 4,70,3-4,71,3

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noch mit aus Veteranen bestehender Infanterie und Kavallerie, nachdem er die Legionäre durch Hoffnung verführt oder durch Furcht gezwungen hatte. Diese machten zuerst eine von Sextilius Felix vorausgeschickte Kohorte nieder, kehrten dann aber, als die römischen Kommandeure und ihr Heer näherkamen, in ehrenvollem Überlaufen zu uns zurück; ihnen schlossen sich die Triboker, Vangionen und Caerakaten an. (4) Tutor marschierte in Begleitung der Treverer unter Umgehung von Mogontiacum nach Bingium im Vertrauen auf seine Stellung im Gelände, weil er die Brücke über die Nahe hatte abbrechen lassen. Aber als die von Sextilius geführten Kohorten heranstürmten und man eine Furt entdeckt hatte, war er ihnen ausgeliefert und wurde in die Flucht geschlagen. Durch diese Niederlage gerieten die Treverer in Panik; das einfache Kriegsvolk warf die Waffen weg und zerstreute sich über die Felder. Ein paar von den führenden Männern flüchteten sich, um den Eindruck zu erwecken, sie seien die Ersten gewesen, die den Krieg beendet hätten, zu den Stämmen, die das Bündnis mit den Römern nicht abgeschüttelt hatten. (5) Die Legionen, die, wie oben erwähnt, von Novaesium und Bonna aus ins Gebiet der Treverer geführt worden waren, leisteten von sich aus den Treueid auf Vespasian. Das alles geschah in Abwesenheit des Valentinus. Sobald er dann wutentbrannt und in der Absicht, alles wieder in Chaos und Verderben zu stürzen, ankam, zogen die Legionen ins Gebiet der Mediomatriker ab, eines verbündeten Stamms. Valentinus und Tutor brachten die Treverer dazu, wieder zu den Waffen zu greifen, nachdem sie die Legaten Herennius und Numisius hatten umbringen lassen, damit durch die schwindende Hoffnung auf Verzeihung das Band des Verbrechens fester wurde. 71 (1) So stand es mit dem Krieg, als Petillius Cerialis nach Mogontiacum kam. Durch seine Ankunft wurden Hoffnungen geweckt; er selbst brannte auf den Kampf und war besser darin, Feinde zu verachten als sich vor ihnen in Acht zu nehmen. Deshalb feuerte er durch Worte voller Kampfeslust die Soldaten an in der Absicht, sobald ein Aufeinandertreffen möglich sei, das Gefecht nicht aufzuschieben. (2) Die in Gallien ausgehobenen Einheiten schickte er zu ihren Stämmen zurück und befahl ihnen zu verkünden, dem Reich genügten die Legionen. Die Bundesgenossen sollten zu ihren Tätigkeiten im Frieden zurückkehren, und das in Sicherheit, weil der Krieg so gut wie beendet sei, den Römer in die Hand genommen hätten. Dieses Verhalten steigerte den Gehorsam der Gallier; denn da sie ihre jungen Leute zurückbekommen hatten, ertrugen sie die Tribute leichter und waren eher dazu geneigt, ihre Pflichten zu erfüllen, weil man auf sie keinen Wert legte. (3) Doch sobald Civilis und Classicus davon erfahren hatten, Tutor sei geschlagen, die Treverer niedergemacht, alles verlaufe für die Feinde erfolg-

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ra accepere, trepidi ac properantes, dum dispersas suorum copias conducunt, crebris interim nuntiis Valentinum monuere, ne summae rei periculum faceret. (4) eo rapidius Cerialis, missis in Mediomatricos qui breviore itinere legiones in hostem verterent, contracto quod erat militum Mogontiaci quantumque secum transvexerat, tertiis castris Rigodulum venit, quem locum magna Trevirorum manu Valentinus insederat, montibus aut Mosella amne saeptum; et addiderat fossas obicesque saxorum. (5) nec deterruere ea munimenta Romanum ducem, quo minus peditem perrumpere iuberet, equitum aciem in collem erigeret, spreto hoste; quem temere collectum haud ita loco iuvari, ut non plus suis in virtute foret. paulum morae in adscensu, dum missilia hostium praevehuntur: ut ventum in manus, deturbati ruinae modo praecipitantur. et pars equitum aequioribus iugis circumvecta nobilissimos Belgarum, in quis ducem Valentinum, cepit.

72 (1) Cerialis postero die coloniam Trevirorum ingressus est, avido milite eruendae civitatis. hanc esse Classici, hanc Tutoris patriam; horum scelere clausas caesasque legiones. quid tantum Cremonam meruisse? quam e gremio Italiae raptam, quia unius noctis moram victoribus attulerit. stare in confinio Germaniae integram sedem spoliis exercituum et ‹du›cum caedibus ovantem. redigeretur praeda in fiscum: ipsis sufficere ignes et rebellis coloniae ruinas, quibus tot castrorum excidia pensarentur. (2) Cerialis metu infamiae, si licentia saevitiaque imbuere militem crederetur, pressit iras: et paruere, posito civium bello ad externa modestiores. convertit inde animos accitarum e Mediomatricis legionum miserabilis adspectus. (3) stabant con-

Historien 4,71,3-4,72,3

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reich, bekamen sie es mit der Angst zu tun und beeilten sich; während sie die verstreuten Truppen ihrer Leute zusammenzogen, warnten sie zwischenzeitlich durch häufige Boten Valentinus davor, das Risiko einer Entscheidungsschlacht einzugehen. (4) Umso rascher handelte Cerialis: Er schickte Leute zu den Mediomatrikern, die auf dem kürzeren Weg67 die Legionen gegen den Feind führen sollten, zog alle Soldaten, die in Mogontiacum waren und die er mit sich herübergebracht hatte, zusammen und kam in nur drei Tagesmärschen nach Rigodulum, einem Ort, den Valentinus mit einer großen Schar Treverer besetzt hatte und der von Bergen oder der Mosel umgeben war; dazu hatte er Gräben und Steinbarrikaden errichten lassen. (5) Aber diese Befestigungen ließen den römischen Kommandeur nicht davor zurückschrecken, der Infanterie den Befehl zum Durchbruch zu geben und die Kavallerie den Hügel hinaufrücken zu lassen, ohne dass er sich um den Feind Gedanken machte; da dieser auf gut Glück zusammengezogen worden sei, werde er vom Gelände nicht so viel Nutzen haben, dass seine Leute nicht ein Übergewicht dank ihrer Tüchtigkeit hätten. Es kam zu einer kurzen Verzögerung beim Aufstieg, solange man außerhalb der Reichweite der feindlichen Wurfgeschosse ritt. Sobald es dann zum Nahkampf kam, wurden sie aus ihrer Stellung vertrieben und wie beim Einsturz eines Gebäudes kopfüber hinabgeworfen. Dazu nahm ein Teil der Kavallerie, der auf flacheren Höhenzügen um die Feinde herumgeritten war, die vornehmsten Belger gefangen, unter ihnen deren Kommandeur Valentinus. 72 (1) Cerialis zog am nächsten Tag in die Koloniestadt der Treverer ein; seine Soldaten brannten darauf, die Stadt völlig zu zerstören: Das sei des Classicus, das des Tutor Heimat; durch deren Verbrechen seien die Legionen eingeschlossen und niedergemacht worden. Was habe sich Cremona denn schon Schlimmes zuschulden kommen lassen? Es sei aus dem Schoß Italiens herausgerissen worden, nur weil es für die Sieger die Verzögerung einer einzigen Nacht bedeutet habe.68 Im Grenzgebiet zu Germanien jedoch stehe unangetastet der Ort, der über die den Heeren abgenommenen Beutestücke und die Ermordung ihrer Kommandeure juble. Zuführen solle man die Beute der Staatskasse; ihnen selbst genügten die Brände und Trümmer der aufrührerischen Koloniestadt, mit denen die Vernichtung so vieler Lager aufgewogen würde. (2) Cerialis versuchte aus Furcht vor dem üblen Ruf, falls man von ihm glaube, er gewöhne seine Soldaten an Disziplinlosigkeit und Grausamkeit, die Wutausbrüche zu beschwichtigen – und sie gehorchten tatsächlich, da sie sich nach Beendigung des Bürgerkriegs in Auseinandersetzungen mit ausländischen Feinden zurückhaltender benahmen. Dann zog der erbärmliche Anblick der aus dem Gebiet der Mediomatriker herbeikommandierten Legionen die Aufmerksamkeit auf sich. (3) Sie standen

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scientia flagitii maestae, fixis in terram oculis: nulla inter coeuntes exercitus consalutatio, neque solantibus hortantibusve responsa dabant, abditi per tentoria et lucem ipsam vitantes. nec proinde periculum aut metus quam pudor ac dedecus obstupefecerat, attonitis etiam victoribus, qui vocem precesque adhibere non ausi lacrimis ac silentio veniam poscebant, donec Cerialis mulceret animos, fato acta dictitans, quae militum ducumque discordia vel fraude hostium evenissent. (4) primum illum stipendiorum et sacramenti diem haberent: priorum facinorum neque imperatorem neque se meminisse. tunc recepti in eadem castra, et edictum per manipulos, ne quis in certamine iurgiove seditionem aut cladem commilitoni obiectaret.

73 (1) Mox Treviros ac Lingonas ad contionem vocatos ita adloquitur: ‘neque ego umquam facundiam exercui et populi Romani virtutem armis adfirmavi: sed quoniam apud vos verba plurimum valent bonaque ac mala non sua natura, sed vocibus seditiosorum aestimantur, statui pauca disserere quae profligato bello utilius sit vobis audisse quam nobis dixisse. (2) terram vestram ceterorumque Gallorum ingressi sunt duces imperatoresque Romani nulla cupidine, sed maioribus vestris invocantibus, quos discordiae usque ad exitium fatigabant, et acciti auxilio Germani sociis pariter atque hostibus servitutem imposuerant. quot proeliis adversus Cimbros Teutonosque, quantis exercituum nostrorum laboribus quove eventu Germanica bella tractaverimus, satis clarum. nec ideo Rhenum insedimus, ut Italiam tueremur, sed ne quis alius Ariovistus regno Galliarum potiretur. (3) an vos cariores Civili Batavisque et transrhenanis gentibus creditis quam maioribus eorum patres avique vestri fuerunt? eadem semper causa Germanis transcendendi in Gallias, libido atque avaritia et mutandae sedis amor, ut relictis paludibus et

Historien 4,72,3-4,73,3

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niedergeschlagen da im Bewusstsein ihres schändlichen Versagens, die Augen zu Boden gesenkt. Es kam zu keinerlei Begrüßung zwischen den aufeinandertreffenden Heeren, und sie gaben auch den Leuten, die sie zu trösten oder ermuntern versuchten, keine Antwort, hielten sich in ihren Zelten versteckt und mieden sogar das Tageslicht. Es hatten sie nicht so sehr das Bewusstsein von Gefahr oder Furcht als vielmehr Scham und Schande bedrückt gemacht. Da waren sogar die Sieger fassungslos und wagten es nicht, Bitten zu äußern, sondern sie wollten nur still weinend Verzeihung erreichen, bis dann Cerialis die Gemüter beruhigte, indem er sagte, durch Schicksalsfügung sei geschehen, was sich durch die Uneinigkeit von Soldaten und Kommandeuren oder die Hinterlist der Feinde ereignet hatte. (4) Diesen Tag sollten sie als den ersten ihrer Dienstzeit und ihrer Vereidigung ansehen; an ihr früheres Verhalten erinnere sich weder ihr Oberbefehlshaber noch er. Daraufhin wurden sie in dasselbe Lager aufgenommen, und man machte in den Manipeln bekannt, niemand dürfe im Streit oder Wortwechsel Meuterei oder Niederlage einem Kameraden vorwerfen. 73 (1) Dann berief er die Treverer und Lingonen zu einer Versammlung ein und sprach folgendermaßen zu ihnen: „Zwar habe ich mich nie mit Beredsamkeit beschäftigt, sehr wohl aber die Tüchtigkeit des römischen Volkes mit Waffen unter Beweis gestellt. Aber weil auf euch Worte den größten Eindruck machen und gute und schlechte Verhaltensweisen nicht ihrem eigentlichen Wesen nach, sondern aufgrund der Äußerungen von Aufrührern beurteilt werden, habe ich mich entschlossen, einige wenige Gedanken vorzutragen, die, nachdem der Krieg nun niedergeschlagen ist, für euch anzuhören nützlicher ist als für uns, sie auszusprechen. (2) Euer Land und das aller anderen Gallier haben die römischen Kommandeure und Oberbefehlshaber nicht aus Begehrlichkeit betreten, sondern weil eure Vorfahren sie herbeiriefen; diesen setzten innere Auseinandersetzungen bis hin zur Vernichtung zu, und die zu Hilfe gerufenen Germanen hatten ihren Verbündeten genauso wie ihren Feinden die Knechtschaft aufgebürdet. Mit wie vielen Gefechten gegen die Kimbern und Teutonen, mit welch großen Strapazen für unsere Heere oder mit welchem Ausgang wir die Kriege in Germanien geführt haben, ist hinreichend bekannt. Auch haben wir nicht dazu den Rhein besetzt, Italien zu schützen, sondern damit sich kein zweiter Ariovist der Alleinherrschaft über Gallien bemächtigen kann. (3) Oder glaubt ihr etwa, ihr seid Civilis, den Batavern und rechtsrheinischen Stämmen lieber, als deren Vorfahren eure Väter und Großväter waren? Immer denselben Grund haben die Germanen dafür, nach Gallien überzusetzen: Gier und Habsucht und den Hang zu einem Wechsel ihres Siedlungsgebiets, damit sie Sümpfe und Einöden verlassen und diesen äußerst fruchtbaren

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solitudinibus suis fecundissimum hoc solum vosque ipsos possiderent: ceterum libertas et speciosa nomina praetexuntur; nec quisquam alienum servitium et dominationem sibi concupivit ut non eadem ista vocabula usurparet. 74 (1) Regna bellaque per Gallias semper fuere, donec in nostrum ius concederetis. nos, quamquam totiens lacessiti, iure victoriae id solum vobis addidimus, quo pacem tueremur; nam neque quies gentium sine armis neque arma sine stipendiis neque stipendia sine tributis haberi queunt: cetera in communi sita sunt. ipsi plerumque legionibus nostris praesidetis, ipsi has aliasque provincias regitis; nihil separatum clausumve. (2) et laudatorum principum usus ex aequo quamvis procul agentibus: saevi proximis ingruunt. quo modo sterilitatem aut nimios imbres et cetera naturae mala, ita luxum vel avaritiam dominantium tolerate. vitia erunt, donec homines, sed neque haec continua et meliorum interventu pensantur, nisi forte Tutore et Classico regnantibus moderatius imperium speratis, aut minoribus quam nunc tributis parabuntur exercitus, quibus Germani Britannique arceantur. (3) nam pulsis, quod di prohibeant, Romanis quid aliud quam bella omnium inter se gentium exsistent? octingentorum annorum fortuna disciplinaque compages haec coaluit, quae convelli sine exitio convellentium non potest: sed vobis maximum discrimen, penes quos aurum et opes, praecipuae bellorum causae. (4) proinde pacem et urbem, quam victi victoresque eodem iure obtinemus, amate colite; moneant vos utriusque fortunae documenta, ne contumaciam cum pernicie quam obsequium cum securitate malitis.’ tali oratione graviora metuentes composuit erexitque.

75 (1) Tenebantur victore exercitu Treveri, cum Civilis et Classicus misere ad Cerialem epistulas, quarum haec sententia fuit: Vespasianum, quamquam nuntios occultarent, excessisse vita, urbem atque Italiam interno bello consumptam, Muciani ac Domitiani vana et sine viribus nomina: si Cerialis imperium Galliarum velit, ipsos finibus civitatium suarum contentos; si

Historien 4,73,3-4,75,1

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Boden und euch selbst in Besitz nehmen können. Allerdings schützt man Freiheit und schön klingende Bezeichnungen vor, und keiner hat die Versklavung anderer und eine Gewaltherrschaft für sich angestrebt, ohne genau diese Begriffe in Anspruch zu nehmen. 74 (1) Alleinherrschaften und Kriege hat es in Gallien immer gegeben, bis ihr unserer Rechtsordnung beigetreten seid. Wir haben, obwohl wir so oft herausgefordert wurden, nach Siegesrecht euch nur auferlegt, womit wir den Frieden schützen. Denn die Ruhe unter den Völkern kann nicht ohne Waffen und die Waffen nicht ohne Sold und der Sold nicht ohne Abgaben beibehalten werden. Alles andere haben wir gemeinsam: Ihr selbst kommandiert sehr oft unsere Legionen, ihr selbst leitet diese und andere Provinzen; nichts ist abgetrennt oder ausgeschlossen. (2) Dazu ist der Nutzen von Principes, die man lobt, für euch gleich, obwohl ihr weit weg lebt; grausame Herrscher aber fallen über ihre nächste Umgebung her. Wie Missernten oder übermäßige Regengüsse und die übrigen Naturkatastrophen, so ertragt die Exzesse oder Habgier von Männern, die sich als Herren gebärden. Sittliches Fehlverhalten wird es geben, solange es Menschen gibt, aber es dauert nicht ständig an und wird dadurch, dass dazwischen bessere Verhaltensweisen auftreten, wieder aufgewogen – außer ihr erwartet, wenn Tutor und Classicus als Despoten regieren, gar eine maßvollere Herrschaft oder dass mit geringeren Abgaben als jetzt Heere aufgestellt werden, mit denen man die Germanen und Britannier abwehren kann. (3) Denn sollten, was die Götter verhüten mögen, die Römer vertrieben werden, was anderes wird dann entstehen als Kriege aller Völker gegeneinander? Durch Schicksalsfügung und diszipliniertes Verhalten von achthundert Jahren ist dieser Verband hier zusammengewachsen, der nicht zerrissen werden kann ohne den Untergang der Menschen, die ihn zerreißen. Aber die größte Gefahr droht euch, bei denen es Gold und Reichtum gibt, die wichtigsten Gründe für Kriege. (4) Deshalb liebt und ehrt den Frieden und unsere Hauptstadt, die wir, Besiegte und Sieger, mit demselben Recht in Besitz haben! Lasst euch die Belege für die beiden Alternativen eures Schicksals eine Warnung davor sein, lieber trotzige Überheblichkeit in Verbindung mit Vernichtung als Fügsamkeit in Verbindung mit Sicherheit zeigen zu wollen!“ Mit dieser Rede beruhigte und ermunterte er die Leute, die Schlimmeres befürchteten. 75 (1) Das Treverergebiet war in der Hand des siegreichen Heeres, da schickten Civilis und Classicus an Cerialis einen Brief folgenden Inhalts: Vespasian sei, obwohl man die Nachrichten verheimliche, aus dem Leben geschieden, die Hauptstadt und Italien durch den Krieg im Inneren erschöpft, Mucian und Domitian seien bedeutungslose Namen ohne Macht. Falls Cerialis die Herrschaft über Gallien wolle, gäben sie sich selbst mit den

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proelium mallet, ne id quidem abnuere. ad ea Cerialis Civili et Classico nihil: eum qui attulerat ‹et› ipsas epistulas ad Domitianum misit. (2) Hostes divisis copiis advenere undique. plerique culpabant Cerialem passum iungi quos discretos intercipere licuisset. Romanus exercitus castra fossa valloque circumdedit, quis temere antea intutis consederat.

76 (1) Apud Germanos diversis sententiis certabatur. Civilis opperiendas Transrhenanorum gentes, quarum terrore fractae populi Romani vires obtererentur: Gallos quid aliud quam praedam victoribus? et tamen, quod roboris sit, Belgas secum palam aut voto stare. (2) Tutor cunctatione crescere rem Romanam adfirmabat, coeuntibus undique exercitibus: transvectam e Britannia legionem, accitas ex Hispania, adventare ex Italia, nec subitum militem, sed veterem expertumque belli. nam Germanos, qui ab ipsis sperentur, non iuberi, non regi, sed cuncta ex libidine agere; pecuniamque ac dona, quis solis corrumpantur, maiora apud Romanos, et neminem adeo in arma pronum, ut non idem pretium quietis quam periculi malit. (3) quod si statim congrediantur, nullas esse Ceriali nisi e reliqui‹i›s Germanici exercitus legiones, foederibus Galliarum obstrictas. idque ipsum, quod inconditam nuper Valentini manum contra spem suam fuderint, alimentum illis ducique temeritatis: ausuros rursus venturosque in manus non imperiti adulescentuli, verba et contiones quam ferrum et arma meditantis, sed Civilis et Classici; quos ubi aspexerint, redituram in animos formidinem fugam famemque ac totiens captis precariam vitam. (4) neque Treviros aut Lingonas benivolen-

Historien 4,75,1-4,76,4

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Gebieten ihrer Stämme zufrieden; falls er aber lieber den Kampf hätte, würden sie auch den nicht verweigern. Darauf gab Cerialis dem Civilis und Classicus keine Antwort; den Überbringer und den Brief selbst schickte er zu Domitian. (2) Die Feinde hatten ihre Truppen aufgeteilt und rückten von allen Seiten heran. Eine ganze Anzahl von Leuten machte Cerialis den Vorwurf, er habe den Zusammenschluss der Einheiten geschehen lassen, die man getrennt hätte abfangen können. Das römische Heer umgab das Lager mit Wall und Graben, in dem es sich zuvor unvorsichtigerweise ohne Schutzmaßnahmen aufgehalten hatte. 76 (1) Bei den Germanen kam es wegen Meinungsverschiedenheiten zum Streit: Civilis war dafür, die rechtsrheinischen Stämme abzuwarten; mit dem Schrecken, den sie verbreiteten, könne man die bereits angeschlagenen Streitkräfte des römischen Volks zermalmen. Die Gallier dagegen, was seien sie anderes als Beute für die Sieger? Jedenfalls stehe, was Kampfkraft habe, nämlich die Belger, offen oder wenigstens ihrem Wunsch nach auf seiner Seite. (2) Tutor betonte, durch Zögern wachse die römische Macht, da von überallher die Heere zusammenkämen: Übergesetzt sei aus Britannien eine Legion, herbeigeholt würden andere aus Spanien, seien im Anmarsch aus Italien, und zwar nicht eilig ausgehobene Rekruten, sondern altgediente, kriegserfahrene Leute. Die Germanen, auf die sie ihre Hoffnung setzten, ließen sich ja nichts sagen, sich nicht kommandieren, sondern handelten in allem nur nach Laune. Dazu gebe es Geld und Geschenke, die einzigen Werte, mit denen man sie bestechen könne, in größerem Umfang bei den Römern, und niemand sei derart auf einen Krieg versessen, dass er nicht doch für den gleichen Preis lieber Frieden als Gefahr haben wolle. (3) Falls sie aber sofort aufeinanderträfen, verfüge Cerialis nur über Legionen aus den Resten des germanischen Heeres, die vertraglich an Gallien gebunden seien. Ferner gebe gerade die Tatsache, dass sie erst kürzlich den ungeordneten Haufen des Valentinus entgegen ihrer eigenen Erwartung geschlagen hätten, ihrer Verwegenheit und der ihres Kommandeurs neue Nahrung. Sie würden wieder ein Risiko eingehen und in die Hände nicht eines unerfahrenen Bürschchens, das Worte und Reden ans Volk statt Schwerter und Waffen im Sinn habe,69 sondern eines Civilis und Classicus fallen. Sobald sie die zu Gesicht bekommen hätten, kehrten bei ihnen die Gedanken an Furcht, Flucht und Hunger zurück und an das von der Gnade anderer abhängige Leben von Leuten, die schon so oft in Gefangenschaft geraten seien. (4) Auch sei es nicht ihre freundschaftliche Gesinnung, die Treverer oder Lingonen in Schranken halte; sie würden wieder zu den Waffen greifen, sobald

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tia contineri: resumpturos arma, ubi metus abscesserit. diremit consiliorum diversitatem adprobata Tutoris sententia Classicus statimque exsequuntur. 77 (1) Media acies Ubiis Lingonibusque data; dextro cornu cohortes Batavorum, sinistro Bructeri Tencterique. pars montibus, alii viam inter Mosellamque flumen tam improvisi adsiluere, ut in cubiculo ac lectulo Cerialis (neque enim noctem in castris egerat) pugnari simul vincique suos audierit, increpans pavorem nuntiantium, donec universa clades in oculis fuit: perrupta legionum castra, fusi equites, medius Mosellae pons, qui ulteriora coloniae adnectit, ab hostibus insessus. (2) Cerialis turbidis rebus intrepidus et fugientes manu retrahens, intecto corpore promptus inter tela, felici temeritate et fortissimi cuiusque adcursu reciperatum pontem electa manu firmavit. mox in castra reversus palantes captarum apud Novaesium Bonnamque legionum manipulos et rarum apud signa militem ac prope circumventas aquilas videt. (3) incensus ira ‘non Flaccum’ inquit, ‘non Voculam deseritis: nulla hic proditio; neque aliud excusandum habeo, quam quod vos Gallici foederis oblitos redisse in memoriam Romani sacramenti temere credidi. adnumerabor Numisiis et Herenniis, ut omnes legati vestri aut militum manibus aut hostium ceciderint. ite, nuntiate Vespasiano vel, quod propius est, Civili et Classico, relictum a vobis in acie ducem: venient legiones, quae neque me inultum neque vos impunitos patiantur.’

78 (1) Vera erant, et a tribunis praefectisque eadem ingerebantur. consistunt per cohortes et manipulos; neque enim poterat patescere acies effuso hoste et impedientibus tentoriis sarcinisque, cum intra vallum pugnaretur. Tutor et Classicus et Civilis suis quisque locis pugnam ciebant, Gallos pro libertate, Batavos pro gloria, Germanos ad praedam instigantes. et cuncta pro hostibus erant, donec legio unaetvicensima patentiore quam ceterae

Historien 4,76,4-4,78,1

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ihre Furcht geschwunden sei. Die Meinungsverschiedenheiten beseitigte Classicus dadurch, dass er sich der Auffassung Tutors anschloss, und man machte sich sofort ans Werk. 77 (1) Das Zentrum der Front übertrug man den Ubiern und Lingonen; auf dem rechten Flügel standen die Kohorten der Bataver, auf dem linken die Brukterer und Tenkterer. Ein Teil stürmte über die Berge, ein anderer zwischen der Straße und der Mosel derart überraschend heran, dass Cerialis in seinem Schlafzimmer, ja noch im Bett – er hatte die Nacht nämlich nicht im Lager verbracht – von dem Kampf und zugleich von der Niederlage seiner Leute hörte. Er schimpfte über die Angst der Boten, bis ihm die ganze Katastrophe vor Augen stand: der Feind eingebrochen in das Legionslager, in die Flucht geschlagen die Kavallerie, die Moselbrücke in der Mitte, die die jenseitigen Viertel mit der Koloniestadt verbindet, von den Feinden besetzt! (2) Cerialis ließ sich von der kritischen Lage nicht beeindrucken und hielt Flüchtende eigenhändig zurück. Mit ungeschütztem Leib warf er sich entschlossen in den Geschosshagel, eroberte mit glücklicher Verwegenheit und mit Hilfe der tapfersten Männer, die hinzueilten, die Brücke zurück und sicherte sie mit einer Eliteeinheit. Dann kehrte er ins Lager zurück und sah, wie die Manipel der bei Novaesium und Bonna gefangen genommenen Legionen in voller Auflösung begriffen, nur mehr wenige Soldaten bei ihren Feldzeichen und die Adler beinahe schon umzingelt waren. (3) Wutentbrannt schrie er: „Nicht einen Flaccus, nicht einen Vocula lasst ihr im Stich; hier gibt es keinen Verrat!70 Ich habe mich für nichts anderes zu entschuldigen, als dass ich blindlings geglaubt habe, ihr hättet das Bündnis mit den Galliern vergessen und die Erinnerung an den römischen Treueid wieder aufleben lassen. Man wird mich zu Leuten wie Numisius und Herennius71 rechnen, damit dann ja alle eure Legaten entweder durch die Hand ihrer Soldaten oder die ihrer Feinde gefallen sind. Geht doch und meldet Vespasian oder, was noch näher liegt, Civilis und Classicus, von euch sei in der Schlacht euer Kommandeur im Stich gelassen worden! Kommen werden Legionen, die es nicht hinnehmen, dass ich ungerächt und ihr straflos bleibt.“ 78 (1) Die Wahrheit war das, und von den Tribunen und Kommandanten wurden dieselben Vorhaltungen gemacht. Man trat kohorten- und manipelweise an; denn man konnte keine Front entfalten, weil die Feinde überall herumschwärmten und Zelte und Gepäckstücke im Weg lagen, da man ja innerhalb des Walls kämpfte. Tutor, Classicus und Civilis feuerten jeder an seinem Platz zum Kampf an, indem sie die Gallier für ihre Freiheit, die Bataver für ihren Ruhm, die Germanen zum Beutemachen anstachelten. Und alles verlief für die Feinde günstig, bis die 21. Legion sich an einer frei-

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spatio conglobata sustinuit ruentes, mox impulit. (2) nec sine ope divina mutatis repente animis terga victores vertere. ipsi territos se cohortium adspectu ferebant, quae primo impetu disiectae summis rursus iugis congregabantur ac speciem novi auxilii fecerant; sed obstitit vincentibus pravom inter ipsos certamen omisso hoste spolia consectandi. Cerialis ut incuria prope rem adflixit, ita constantia restituit; secutusque fortunam castra hostium eodem die capit exscinditque.

79 (1) Nec in longum quies militi data. orabant auxilium Agrippinenses offerebantque uxorem ac sororem Civilis et filiam Classici, relicta sibi pignora societatis. atque interim dispersos in domibus Germanos trucidaverant; unde metus et iustae preces invocantium, antequam hostes reparatis viribus ad spem vel ad ultionem adcingerentur. (2) namque et Civilis illuc intenderat, non invalidus, flagrantissima cohortium suarum integra, quae e Chaucis Frisiisque composita Tolbiaci in finibus Agrippinensium agebat: sed tristis nuntius avertit, deletam cohortem dolo Agrippinensium, qui largis epulis vinoque sopitos Germanos, clausis foribus, igne iniecto cremavere; simul Cerialis propero agmine subvenit. (3) circumsteterat Civilem et alius metus, ne quarta decima legio adiuncta Britannica classe adflictaret Batavos, qua Oceano ambiuntur. sed legionem terrestri itinere Fabius Priscus legatus in Nervios Tungrosque duxit, eaeque civitates in deditionem acceptae: classem ultro Cannenefates adgressi sunt maiorque pars navium depressa aut capta. (4) et Nerviorum multitudinem sponte commotam, ut pro Romanis bellum capesseret, idem Cannenefates fudere. Classicus quoque

Historien 4,78,1-4,79,4

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eren Stelle als die übrigen zusammenschließen, die auf sie einstürmenden Gegner aufhalten und dann zurücktreiben konnte. (2) Aber nicht ohne göttliche Hilfe verließ die Sieger plötzlich der Mut, und sie wandten sich zur Flucht. Selbst erzählten sie, sie seien beim Anblick der Kohorten in Panik geraten, die, obwohl sie schon beim ersten Zusammenstoß zersprengt worden waren, sich nun ganz oben auf den Höhenzügen wieder zusammenscharten und dadurch den Eindruck erweckt hatten, neue Hilfe komme. Tatsächlich aber standen ihnen bei ihrem siegreichen Vorgehen unsinnige Streitereien untereinander im Weg: Sie ließen vom Feind ab und liefen der Beute nach. Cerialis hätte zwar durch seine Leichtfertigkeit das Unternehmen beinahe in einer Katastrophe enden lassen, rettete es dann aber durch sein entschlossenes Vorgehen wieder; er nutzte den Erfolg, nahm das Lager der Feinde noch am selben Tag ein und zerstörte es. 79 (1) Aber nicht lange gönnte man den Soldaten Ruhe. Um Hilfe baten nämlich die Agrippinenser und boten die Auslieferung der Frau und Schwester des Civilis sowie einer Tochter des Classicus an, die man bei ihnen als Unterpfand für das Bündnis zurückgelassen hatte. Zudem hatten sie in der Zwischenzeit die über die Häuser verteilten Germanen umgebracht. Deshalb hatten sie Angst, und die Bitten der Hilfesuchenden waren berechtigt, bevor die Feinde mit erneuerten Kräften wieder Hoffnung schöpfen oder sich zur Rache rüsten konnten. (2) Denn auch Civilis hatte das wieder ins Auge gefasst; er war durchaus noch stark, weil die kampflustigste seiner Kohorten verschont geblieben war, die sich aus Chauken und Friesen zusammensetzte und in Tolbiacum im Gebiet der Agrippinenser lag. Aber eine betrübliche Nachricht brachte ihn davon ab, nämlich dass die Kohorte durch die Hinterlist der Agrippinenser vernichtet worden war, die mit üppigem Essen und viel Wein die Germanen einschläferten, dann die Ausgänge absperrten, Feuer hineinwarfen und sie so in den Flammen umkommen ließen; gleichzeitig kam Cerialis in Eilmärschen zu Hilfe. (3) Bedrängt hatte Civilis auch eine andere Furcht, nämlich die 14. Legion werde in Verbindung mit der britannischen Flotte den Batavern dort zusetzen, wo sie vom Ozean umgeben sind. Aber die Legion führte auf dem Landweg der Legat Fabius Priscus ins Gebiet der Nervier und Tungrer, und man nahm die Unterwerfung dieser Stämme an. Die Flotte griffen wider Erwarten die Kanninefaten an, und der Großteil der Schiffe wurde versenkt oder gekapert. (4) Dazu vertrieben ebenfalls die Kanninefaten eine größere Menge von Nerviern, die sich von sich aus dazu entschlossen hatten, für die Römer den Krieg aufzunehmen. Auch führte Classicus gegen eine von

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Historiarum liber quartus

adversus equites Novaesium a Ceriale praemissos secundum proelium fecit. quae modica, sed crebra damna famam victoriae nuper partae lacerabant. 80 (1) Isdem diebus Mucianus Vitellii filium interfici iubet, mansuram discordiam obtendens, ni semina belli restinxisset. neque Antonium Primum adsciri inter comites a Domitiano passus est, favore militum anxius et superbia viri aequalium quoque, adeo superiorum intolerantis. (2) profectus ad Vespasianum Antonius ut non pro spe sua excipitur, ita neque averso imperatoris animo. trahebatur in diversa, hinc meritis Antonii, cuius ductu confectum haud dubie bellum erat, inde Muciani epistulis; simul ceteri ut infestum tumidumque insectabantur, adiunctis prioris vitae criminibus. (3) neque ipse deerat adrogantia vocare offensas, nimius commemorandis quae meruisset: alios ut imbelles, Caecinam ut captivom ac dediticium increpat. unde paulatim levior viliorque haberi, manente tamen in speciem amicitia.

81 (1) Per eos menses, quibus Vespasianus Alexandriae statos aestivis flatibus dies et certa maris opperiebatur, multa miracula evenere, quis caelestis favor et quaedam in Vespasianum inclinatio numinum ostenderetur. e plebe Alexandrina quidam oculorum tabe notus genua eius advolvitur, remedium caecitatis exposcens gemitu, monitu Serapidis dei, quem dedita superstitionibus gens ante alios colit, precabaturque principem, ut genas et oculorum orbes dignaretur respergere oris excremento. alius manum aeger eodem deo auctore, ut pede ac vestigio Caesaris calcaretur, orabat. (2) Vespasianus primo inridere aspernari; atque illis instantibus modo famam vanitatis metuere, modo obsecratione ipsorum et vocibus adulantium in spem induci: postremo aestimari a medicis iubet, an talis caecitas ac debilitas ope humana superabi-

Historien 4,79,4-4,81,2

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Cerialis nach Novaesium vorausgeschickte Kavallerieeinheit ein erfolgreiches Gefecht. Diese unbedeutenden, aber häufigen Misserfolge zerfetzten den Ruhm des erst kurz zuvor errungenen Siegs. 80 (1) In denselben Tagen ließ Mucian den Sohn des Vitellius72 umbringen unter dem Vorwand, die Uneinigkeit werde bestehen bleiben, falls er die Samen für einen Krieg nicht vernichte. Er ließ auch nicht zu, dass Antonius Primus von Domitian unter dessen Gefolge aufgenommen wurde, weil er vor ihm Angst wegen seines Ansehens bei den Soldaten hatte und wegen der Überheblichkeit des Mannes, der sich schon mit Gleichgestellten, geschweige denn mit Höhergestellten nicht abfinden wollte. (2) Als sich Antonius daraufhin zu Vespasian begab, wurde er zwar nicht seiner Erwartung entsprechend empfangen, aber der Oberbefehlshaber zeigte sich auch nicht abweisend. Dieser befand sich in einem Zwiespalt, einerseits wegen der Verdienste des Antonius, unter dessen Führung ohne jeden Zweifel der Krieg beendet worden war, andererseits wegen Briefen Mucians; zudem fielen alle anderen über ihn als einen gehässigen, eingebildeten Kerl her und brachten dabei Vorwürfe aus seinem früheren Leben vor. (3) Aber auch er selbst tat alles dazu, mit seiner Arroganz eine feindselige Stimmung aufkommen zu lassen, indem er in völlig übertriebener Weise seine Verdienste in Erinnerung rief; die anderen beschimpfte er als Feiglinge, den Caecina als Gefangenen, der sich auf Gedeih und Verderb ergeben habe. Daher galt er allmählich als immer weniger ernstzunehmend und bedeutend, obwohl zum Schein die Freundschaft bestehen blieb. 81 (1) Während dieser Monate, in denen Vespasian in Alexandria die Periode der Sommerwinde73 und damit sichere Bedingungen auf dem Meer abwartete, ereigneten sich viele Wunder, durch die sich die Gunst des Himmels und eine bestimmte Zuneigung der Götter zu Vespasian zeigten. Ein Mann aus dem einfachen alexandrinischen Volk, der für den Verlust seines Augenlichts bekannt war, warf sich ihm zu Füßen und flehte ihn unter Stöhnen inständig um eine Medizin für seine Blindheit an auf Veranlassung des Gottes Serapis, den dieses dem Aberglauben verfallene Volk mehr als alle anderen Götter verehrt; so ersuchte er den Princeps, er möge geruhen, seine Wangen und Augenhöhlen mit seinem Speichel zu benetzen. Ein anderer, dessen Hand gelähmt war, bat auf Veranlassung desselben Gottes darum, mit seiner Fußsohle solle der Cäsar darauftreten. (2) Vespasian lachte zunächst darüber und weigerte sich. Als sie aber darauf bestanden, fürchtete er bald in den Ruf der Wichtigtuerei zu kommen, bald schöpfte er dank den beschwörenden Worten durch sie selbst und die Äußerungen von Schmeichlern Hoffnung. Schließlich ließ er durch Ärzte begutachten, ob eine solche Blindheit und Lähmung durch menschliche Hilfe überwunden werden

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les forent. medici varie disserere: huic non exesam vim luminis et redituram, si pellerentur obstantia; illi elapsos in pravum artus, si salubris vis adhibeatur, posse integrari; id fortasse cordi deis et divino ministerio principem electum; denique patrati remedii gloriam penes Caesarem, inriti ludibrium penes miseros fore. (3) igitur Vespasianus cuncta fortunae suae patere ratus nec quicquam ultra incredibile, laeto ipse voltu, erecta quae adstabat multitudine, iussa exsequitur. statim conversa ad usum manus, ac caeco reluxit dies. utrumque qui interfuere nunc quoque memorant, postquam nullum mendacio pretium.

82 (1) Altior inde Vespasiano cupido adeundi sacram sedem, ut super rebus imperii consuleret: arceri templo cunctos iubet. atque ingressus intentusque numini respexit pone tergum e primoribus Aegyptiorum nomine Basiliden, quem procul Alexandria plurium dierum itinere et aegro corpore detineri haud ignorabat. (2) percunctatur sacerdotes, num illo die Basilides templum inisset, percunctatur obvios, num in urbe visus sit; denique missis equitibus explorat illo temporis momento octoginta milibus passuum afuisse: tunc divinam speciem et vim responsi ex nomine Basilidis interpretatus est.

83 (1) Origo dei nondum nostris auctoribus celebrata: Aegyptiorum antistites sic memorant, Ptolemaeo regi, qui Macedonum primus Aegypti opes firmavit, cum Alexandriae recens conditae moenia templaque et religiones adderet, oblatum per quietem decore eximio et maiore quam humana specie iuvenem, qui moneret, ut fidissimis amicorum in Pontum missis effigiem suam acciret; laetum id regno magnamque et inclutam sedem fore, quae excepisset: simul visum eundem iuvenem in caelum igne plurimo attolli. (2) Ptolemaeus omine et miraculo excitus sacerdotibus Aegyptiorum, quibus mos talia intellegere, nocturnos visus aperit. atque illis Ponti et externorum

Historien 4,81,2-4,83,2

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könnten. Die Ärzte brachten allerlei Argumente vor: Bei dem einen sei die Sehkraft nicht völlig erloschen und werde zurückkehren, wenn man die Hinderungsgründe beseitige; dem anderen könnten die nur in die verkehrte Position verschobenen Glieder, falls man den richtigen Druck ausübe, wieder eingerenkt werden. Das liege vielleicht den Göttern am Herzen, und für den göttlichen Dienst sei der Princeps ausersehen worden. Schließlich falle der Ruhm, falls das Heilmittel Erfolg habe, auf den Cäsar. Wirke es nicht, treffe der Spott nur die unglücklichen Kranken. (3) Deshalb führte Vespasian in der Überzeugung, alles stehe seinem Glück offen und nichts sei mehr unglaublich, er selbst mit froher Miene, die dabeistehende Menge in gespannter Erwartung, die verlangten Handlungen aus. Sofort kehrte die Gebrauchsfähigkeit der Hand zurück, und für den Blinden leuchtete wieder das Tageslicht. Von beiden Vorfällen erzählen Augenzeugen noch jetzt, wo es doch für einen Schwindel keinerlei Belohnung mehr gäbe. 82 (1) Ein tieferes Verlangen packte daraufhin Vespasian, die heilige Stätte zu besuchen, um über den Stand seiner Herrschaft nachzufragen. Er ließ alle Leute vom Tempel fernhalten. Nachdem er ihn dann betreten hatte und seine Aufmerksamkeit auf das göttliche Wesen richtete, erblickte er in seinem Rücken einen von den führenden Männern der Ägypter namens Basilides, von dem er bestimmt wusste, dass er sich mehrere Tagesreisen entfernt von Alexandria aufhielt und dort durch eine Krankheit festgehalten wurde. (2) Er fragte die Priester, ob an diesem Tag Basilides in den Tempel gegangen sei, er fragte die Leute, die ihm über den Weg liefen, ob man ihn in der Stadt gesehen habe; schließlich schickte er Reiter los und bekam heraus, dass er im fraglichen Zeitpunkt 80 Meilen weit weg gewesen sei. Da erklärte er sich das Geschehen als göttliche Erscheinung und unterlegte dem Namen Basilides74 die Bedeutung eines Orakelspruchs. 83 (1) Die Herkunft des Gottes ist von unseren Schriftstellern noch nicht ausführlich behandelt worden. Die Priester der Ägypter erzählen Folgendes: Dem König Ptolemäus, der als Erster von den Makedonen in Ägypten eine feste Machtbasis schuf,75 sei, als er das gerade erst gegründete Alexandria mit Stadtmauern, Tempeln und Kulten ausstattete, im Schlaf ein junger Mann von ausnehmender Schönheit und übermenschlicher Gestalt erschienen, der ihn aufforderte, er solle die Treuesten von seinen Freunden nach Pontus schicken und sein Bild holen lassen. Das werde Glück bringend für sein Reich sein, und bedeutend und berühmt werde die Stätte werden, die es aufnehme. Zugleich habe er geträumt, derselbe junge Mann fahre in einer großen Feuerwolke in den Himmel auf. (2) Ptolemäus wachte durch das wundersame Vorzeichen auf und eröffnete seine nächtlichen Traumgesichte den Priestern der Ägypter, die derartige Vorkommnisse zu deuten

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parum gnaris, Timotheum Atheniensem e gente Eumolpidarum, quem ut antistitem caerimoniarum Eleusine exciverat, quaenam illa superstitio, quod numen, interrogat. Timotheus, quaesitis qui in Pontum meassent, cognoscit urbem illic Sinopen, nec procul templum vetere inter accolas fama Iovis Ditis: namque et muliebrem effigiem adsistere, quam plerique Proserpinam vocent. (3) sed Ptolemaeus, ut sunt ingenia regum, pronus ad formidinem, ubi securitas rediit, voluptatum quam religionum adpetens neglegere paulatim aliasque ad curas animum vertere, donec eadem species terribilior iam et instantior exitium ipsi regnoque denuntiaret, ni iussa patrarentur. (4) tum legatos et dona Scydrothemidi regi (is tunc Sinopensibus imperitabat) expediri iubet, praecepitque navigaturis, ut Pythicum Apollinem adeant. illis mare secundum, sors oraculi haud ambigua: irent simulacrumque patris sui reveherent, sororis relinquerent.

84 (1) Ut Sinopen venere, munera preces mandata regis sui Scydrothemidi adlegant. qui ‹di›versus animi modo numen pavescere, modo minis adversantis populi terreri; saepe donis promissisque legatorum flectebatur. atque interim triennio exacto Ptolemaeus non studium, non preces omittere: dignitatem legatorum, numerum navium, auri pondus augebat. (2) tum minax facies Scydrothemidi offertur, ne destinata deo ultra moraretur: cunctantem varia pernicies morbique et mani‹fe›sta caelestium ira graviorque in dies fatigabat. advocata contione iussa numinis, suos Ptolemaeique visus, ingruentia mala exponit: volgus aversari regem, invidere Aegypto, sibi metuere templumque circumsedere. (3) maior hinc fama tradidit deum ipsum adpulsas litori navis sponte conscendisse: mirum inde dictu tertio die tantum

Historien 4,83,2-4,84,3

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pflegen. Da sie sich aber in Pontus und im Ausland nicht gut genug auskannten, fragte er den Athener Timotheus aus dem Geschlecht der Eumolpiden, den er als den für die religiösen Zeremonien in Eleusis76 zuständigen Priester hatte holen lassen, was das denn für ein fremder Glaube, was für ein göttliches Wesen das sei. Timotheus befragte Personen, die schon nach Pontus gereist waren, und erfuhr, dort lägen die Stadt Sinope und nicht weit weg davon ein unter den Anwohner seit alten Zeiten berühmter Tempel des Iuppiter Dis; auch die Statue einer Frau stehe nämlich dort, welche die meisten als Proserpina bezeichneten.77 (3) Aber Ptolemäus, der, wie Könige nun einmal veranlagt sind, zur Furcht neigte, dann aber, als das Gefühl der Sicherheit zurückgekehrt war, sich lieber um seine Vergnügungen als um religiöse Belange kümmerte, dachte allmählich nicht mehr daran und wandte seine Aufmerksamkeit anderen Problemen zu, bis dasselbe Traumbild nun schon schrecklicher und nachdrücklicher ihm selbst und seinem Königreich den Untergang ankündigte, falls die Aufträge nicht ausgeführt würden. (4) Da nun befahl er, Gesandte sollten sich mit Geschenken für den König Scydrothemis bereitmachen – der herrschte damals über die Sinoper –, und trug ihnen vor ihrer Abreise zur See auf, den Pythischen Apollo aufzusuchen. Ihnen war das Meer gewogen, der Orakelspruch unzweideutig: Sie sollten gehen und das Bild seines Vaters zurückbringen, das seiner Schwester zurücklassen. 84 (1) Nach ihrer Ankunft in Sinope überbrachten sie die Gaben, Bitten und Aufträge ihres Königs dem Scydrothemis. Dieser war hin- und hergerissen: Bald fürchtete er sich vor der Gottheit, bald schreckte er vor den Drohungen seines Widerstand leistenden Volks zurück; wiederholt ließ er sich von den Geschenken und Versprechungen der Gesandten umstimmen. Obwohl zwischenzeitlich schon drei Jahre vergangen waren, unterließ Ptolemäus keine Bemühungen, keine Bitten; den gesellschaftlichen Rang der Gesandten, die Anzahl der Schiffe, das Gewicht des Goldes erhöhte er. (2) Dann erschien Scydrothemis eine Gestalt, die ihn drohend aufforderte, die Umsetzung des Gotteswillens nicht länger hinauszuschieben. Weil er noch zögerte, ließen ihm verschiedene Plagen, Krankheiten und der offensichtliche, von Tag zu Tag drückender werdende Zorn der Himmlischen keine Ruhe. Deshalb berief er eine Volksversammlung ein und legte die Befehle der Gottheit, seine und des Ptolemäus Traumgesichte und das hereinbrechende Unheil dar. Die Menge sprach sich gegen den König aus, war neidisch auf Ägypten, war in Sorge um sich und umlagerte den Tempel. (3) Noch bemerkenswerter wird von da an die Sage: Der Gott selbst sei aus eigenem Antrieb an Bord der an der Küste liegenden Schiffe gegangen. Wunderbarerweise hätten sie von dort aus bereits am dritten Tag eine der-

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maris emensi Alexandriam adpelluntur. templum pro magnitudine urbis exstructum loco, cui nomen Rhacotis; fuerat illic sacellum Serapidi atque Isidi antiquitus sacratum. (4) haec de origine et advectu dei celeberrima. nec sum ignarus esse quosdam, qui Seleucia urbe Syriae accitum regnante Ptolemaeo, quem tertia aetas tulit; alii auctorem eundem Ptolemaeum, sedem, ex qua transierit, Memphim perhibent, inclutam olim et veteris Aegypti columen. (5) deum ipsum multi Aesculapium, quod medeatur aegris corporibus, quidam Osirin, antiquissimum illis gentibus numen, plerique Iovem ut rerum omnium potentem, plurimi Ditem patrem insignibus, quae in ipso manifesta, aut per ambages coniectant.

85 (1) At Domitianus Mucianusque antequam Alpibus propinquarent, prosperos rerum in Treviris gestarum nuntios accepere. praecipua victoriae fides dux hostium Valentinus nequaquam abiecto animo, quos spiritus gessisset, voltu ferebat. auditus ideo tantum, ut nosceretur ingenium eius, damnatusque inter ipsum supplicium exprobranti cuidam patriam eius captam accipere se solacium mortis respondit. (2) sed Mucianus, quod diu occultaverat, ut recens exprompsit: quoniam benignitate deum fractae hostium vires forent, parum decore Domitianum confecto prope bello alienae gloriae interventurum. si status imperii aut salus Galliarum in discrimine verteretur, debuisse Caesarem in acie stare, Cannenefates Batavosque minoribus ducibus delegandos: ipse Luguduni vim fortunamque principatus e proximo ostentaret, nec parvis periculis immixtus et maioribus non defuturus.

86 (1) Intellegebantur artes, sed pars obsequii in eo, ne deprehenderentur: ita Lugudunum ventum. unde creditur Domitianus occultis ad Cerialem nuntiis fidem eius temptavisse, an praesenti sibi exercitum imperiumque traditurus foret. qua cogitatione bellum adversus patrem agitaverit an opes

Historien 4,84,3-4,86,1

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artige Strecke auf dem Meer zurückgelegt gehabt und seien in Alexandria gelandet. Einen Tempel habe man dann der Größe der Stadt entsprechend an der Stelle errichtet, die Rhacotis heißt; dort war eine Kapelle gestanden, die seit uralten Zeiten dem Serapis und der Isis geweiht war. (4) Das sind die am weitesten verbreiteten Nachrichten über Herkunft und Transport des Gottes. Aber ich weiß sehr wohl, dass manche Leute behaupten, er sei aus Seleukia, einer Stadt in Syrien, geholt worden unter der Herrschaft des der dritten Generation angehörenden Ptolemäus78; andere Autoren führen aus, veranlasst habe das derselbe Ptolemäus, die Stätte, aus der er herüberkam, sei Memphis gewesen, einst berühmt und führender Ort des alten Ägypten. (5) Was den Gott selbst betrifft, so vermuten viele, er sei Äskulap, weil er kranke Körper heile, einige Osiris, eine uralte Gottheit bei diesen Völkern, sehr viele Jupiter als Herrscher über das All, die meisten aber der Vater Dis aufgrund der Attribute, die an ihm offenkundig sind, oder komplizierter Schlussfolgerungen. 85 (1) Doch Domitian und Mucian erhielten, bevor sie sich den Alpen näherten, günstige Nachrichten von den Ereignissen bei den Treverern. Eine besondere Bestätigung für den Sieg stellte der Kommandeur der Feinde Valentinus dar, der keineswegs niedergeschlagen in seiner Miene zum Ausdruck brachte, welch hochfliegenden Pläne er gehabt hatte. Man hörte ihn nur dazu an, seine Einstellung kennenzulernen, und verurteilte ihn dann. Als einer unmittelbar bei seiner Hinrichtung ihm höhnisch zurief, seine Vaterstadt sei nun doch erobert, gab er zur Antwort, er nehme gerade den Trost entgegen, nicht mehr weiterleben zu müssen. (2) Aber Mucian brachte, was er lange geheimgehalten hatte, so vor, als handle es sich um eine ganz neue Überlegung: Weil dank der Gnade der Götter die Macht der Feinde gebrochen sei, gehöre es sich eigentlich nicht, dass sich Domitian, nachdem der Krieg nun beinahe beendet sei, fremdem Ruhm in den Weg stelle. Falls der Bestand des Reichs oder die Rettung Galliens auf dem Spiel stehe, hätte sich der Cäsar an der Front aufhalten müssen. Kanninefaten und Bataver könne man unbedeutenderen Kommandeuren übertragen. Er solle persönlich in Lugdunum Macht und Glanz des Prinzipats aus nächster Nähe zeigen, sich dabei nicht in kleine Gefahren einmischen und doch dazu bereit sein, bei größeren nicht abseits zu stehen. 86 (1) Zwar wurden die Schliche durchschaut, aber ein Teil der Gefügigkeit79 bestand darin, zu tun, als bemerke man sie nicht. So kam man nach Lugdunum. Von dort aus stellte Domitian durch geheime Boten an Cerialis angeblich dessen Treue damit auf die Probe, ob er ihm bei persönlicher Anwesenheit Heer und Oberbefehl übergeben würde. Ob er mit dieser Überlegung an Krieg gegen seinen Vater dachte oder an Mittel und Streit-

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Historiarum liber quartus

viresque adversus fratrem, in incerto fuit: nam Cerialis salubri temperamento elusit ut vana pueriliter cupientem. (2) Domitianus sperni a senioribus iuventam suam cernens modica quoque et usurpata antea munia imperii omittebat, simplicitatis ac modestiae imagine in altitudinem conditus studiumque litterarum et amorem carminum simulans, quo velaret animum et fratris ‹se› aemulationi subduceret, cuius disparem mitioremque naturam contra interpretabatur.

Historien 4,86,1-4,86,2

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kräfte gegen seinen Bruder, blieb ungeklärt; denn Cerialis wich ihm in weiser Zurückhaltung aus in der Überzeugung, er wolle wie ein kleines Kind unbedingt für ihn Unerreichbares haben. (2) Domitian merkte, dass er wegen seiner Jugend von den Älteren nicht ernst genommen wurde und kümmerte sich deshalb nun auch nicht mehr um die unbedeutenden, vorher von ihm wahrgenommenen Regierungsgeschäfte. Unter der Maske der Einfachheit und Bescheidenheit zog er sich ganz in sich selbst zurück und täuschte Interesse für die Wissenschaften und die Liebe zu Gedichten vor, um sein wahres Inneres zu verbergen und sich der Eifersucht seines Bruders zu entziehen, dessen anders geartetes, überaus freundliches Wesen er ins Gegenteil umdeutete.

LIBER V 1 (1) Eiusdem anni principio Caesar Titus, perdomandae Iudaeae delectus a patre et privatis utriusque rebus militia clarus, maiore tum vi famaque agebat, certantibus provinciarum et exercituum studiis. atque ipse, ut super fortunam crederetur, decorum se promptumque in armis ostendebat, comitate et adloquiis officia provocans ac plerumque in opere, in agmine gregario militi mixtus, incorrupto ducis honore. (2) tres eum in Iudaea legiones, quinta et decima et quinta decima, vetus Vespasiani miles, excepere. addidit e Syria duodecimam et adductos Alexandria duoetvicensimanos tertianosque; comitabantur viginti sociae cohortes, octo equitum alae, simul Agrippa Sohaemusque reges et auxilia regis Antiochi validaque et solito inter accolas odio infensa Iudaeis Arabum manus multi‹que›, quos urbe atque Italia sua quemque spes adciverat occupandi principem adhuc vacuum. his cum copiis fines hostium ingressus composito agmine, cuncta explorans paratusque decernere, haud procul Hierosolymis castra facit.

2 (1) Sed quoniam famosae urbis supremum diem tradituri sumus, congruens videtur primordia eius aperire. Iudaeos Creta insula profugos novissima Libyae insedisse memorant, qua tempestate Saturnus vi Iovis pulsus cesserit regnis. argumentum e nomine petitur: inclutum in Creta Idam montem, accolas Idaeos aucto in barbarum cognomento Iudaeos vocitari. (2) quidam regnante Iside exundantem per Aegyptum multitudinem ducibus

BUCH 5 1 (1) Zu Beginn desselben Jahres (70 n. Chr.) ging Caesar Titus, der von seinem Vater zur endgültigen Unterwerfung Judäas auserwählt worden war und sich schon, als beide noch Privatleute waren, militärisch bewährt hatte, nun mit größerem Nachdruck und Ansehen vor, wobei die Provinzen und Heere sich an Einsatzbereitschaft überboten. Dazu ließ er sich selbst, um den Eindruck zu erwecken, er habe schon mehr erreicht als seine augenblickliche hohe Stellung, als stattlicher und entschlossener Mann der Waffen sehen, wobei er durch Freundlichkeit und persönliche Ansprache den Diensteifer weckte und sich sehr oft bei der Schanzarbeit und auf dem Marsch unter die einfachen Soldaten mischte, ohne damit seine Würde als Kommandeur zu beeinträchtigen. (2) Drei Legionen nahmen ihn in Judäa in Empfang, die 5., 10. und 15., altgediente Soldaten Vespasians. Er gliederte ihnen aus Syrien die 12. und die aus Alexandria herangeführten Zweiundzwanziger und Dreier an. Es begleiteten ihn zwanzig bundesgenössische Kohorten und acht Kavallerieregimenter, dazu die Könige Agrippa und Sohaemus sowie die Hilfstruppen des Königs Antiochus1 und eine starke und wegen des unter Nachbarvölkern üblichen Hasses mit den Juden verfeindete Einheit von Arabern und noch viele Leute, die aus der Hauptstadt und aus Italien ihre jeweils persönliche Hoffnung hatte herkommen lassen, sie könnten den noch unvoreingenommenen Princeps in ihrem Sinn beeinflussen. Mit diesen Truppen rückte er in das Gebiet der Feinde in wohlgeordnetem Zug ein, wobei er es ganz erkunden ließ und sich zur Entscheidungsschlacht bereithielt. Dann schlug er nicht weit von Jerusalem entfernt ein Lager. 2 (1) Aber weil wir dabei sind, vom letzten Tag der berühmten Stadt zu berichten, scheint es angebracht, ihre Gründungsgeschichte darzulegen: Die Juden hätten, erzählt man sich, als Flüchtlinge von der Insel Kreta die entlegensten Gebiete Libyens besiedelt zu der Zeit, als Saturn von Jupiter mit Gewalt vertrieben wurde und von der Herrschaft zurücktrat. Den Beleg dafür sucht man im Namen: Berühmt sei auf Kreta der Berg Ida, und die an ihm wohnenden Idäer würden nun nach einer bei Barbaren üblichen Namenserweiterung Judäer genannt.2 (2) Einige Autoren behaupten, unter der Herrschaft der Königin Isis habe sich die Ägypten überflutende Men-

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Hierosolymo ac Iuda proximas in terras exoneratam; plerique Aethiopum prolem, quos rege Cepheo metus atque odium mutare sedes perpulerit. (3) sunt qui tradant Assyrios convenas, indigum agrorum populum, parte Aegypti potitos, mox proprias urbes Hebraeasque terras et propiora Syriae coluisse. clara alii Iudaeorum initia: Solymos, carminibus Homeri celebratam gentem, conditae urbi Hierosolyma nomen e suo fecisse.

3 (1) Plurimi auctores consentiunt orta per Aegyptum tabe, quae corpora foedaret, regem Bocchorim adito Hammonis oraculo remedium petentem purgare regnum et id genus hominum ut invisum deis alias in terras avehere iussum. sic conquisitum collectumque volgus postquam vastis locis relictum sit, ceteris per lacrimas torpentibus, Moysen, unum exulum, monuisse, ne quam deorum hominumve opem exspectarent utrisque deserti, et sibimet duce caelesti crederent, primo cuius auxilio praesentes miserias pepulissent. adsensere atque omnium ignari fortuitum iter incipiunt. (2) sed nihil aeque quam inopia aquae fatigabat, iamque haud procul exitio totis campis procubuerant, cum grex asinorum agrestium e pastu in rupem nemore opacam concessit. secutus Moyses coniectura herbidi soli largas aquarum venas aperit. id levamen, et continuum sex dierum iter emensi septimo pulsis cultoribus obtinuere terras, in quis urbs et templum dicata.

4 (1) Moyses quo sibi in posterum gentem firmaret, novos ritus contrariosque ceteris mortalibus indidit. profana illic omnia quae apud nos sacra, rursum concessa apud illos quae nobis incesta. (2) effigiem animalis, quo monstrante errorem sitimque depulerant, penetrali sacravere, caeso ariete velut in contumeliam Hammonis; bos quoque immolatur, quoniam Aegyptii Apin colunt. sue abstinent memoria cladis, quod ipsos scabies quondam tur-

Historien 5,2,2-5,4,2

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schenmenge unter Führung des Hierosolymus und Judas in die nächstgelegenen Länder ergossen. Eine ganze Anzahl hält sie für Nachkommen der Äthiopier, die unter König Cepheus Furcht und Hass dazu gebracht hätten, ihr Siedlungsgebiet zu wechseln. (3) Es gibt auch Verfasser, die überliefern, zusammengelaufenes Volk aus Assyrien habe sich auf der Suche nach Ackerland eines Teils von Ägypten bemächtigt, später dann eigene Städte und die hebräischen Lande und das noch näher an Syrien gelegene Gebiet besiedelt. Glänzend, sagen andere, seien die Anfänge der Juden: Die Solymer, ein in Homers Gedichten gefeiertes Volk,3 hätten für ihre neu gegründete Hauptstadt den Namen Hierosolyma nach dem ihren gebildet. 3 (1) Die meisten Autoren stimmen darin überein, beim Ausbruch einer die Körper entstellenden Seuche in Ägypten habe sich König Bocchoris an das Orakel des Hammon4 gewandt und um ein Heilmittel gebeten. Daraufhin sei ihm befohlen worden, sein Königreich zu säubern und dieses Menschengeschlecht als den Göttern verhasst in andere Länder wegschaffen zu lassen. So habe man das Volk zusammengesucht und -geführt und dann in der Wildnis sich selbst überlassen. Während alle anderen in Tränen aufgelöst und wie betäubt waren, warnte sie Moyses, einer der Ausgewiesenen, davor, irgendeine Hilfe von Göttern oder Menschen zu erwarten, da sie von beiden im Stich gelassen worden seien; sie sollten nur auf sich selbst vertrauen unter dem himmlischen Führer, mit dessen Hilfe sie zuerst ihre gegenwärtige Notlage überwunden hätten. Sie waren einverstanden und begannen völlig ahnungslos ihren Marsch aufs Geratewohl. (2) Aber nichts setzte ihnen in gleicher Weise zu wie der Wassermangel, und schon hatten sie sich dem Untergang nahe auf dem ganzen freien Feld niedergelegt, da wechselte eine Herde Wildesel von ihrem Weideplatz in eine dank einem Hain schattige Schlucht. Moyses folgte ihnen, deutete den grasbedeckten Boden richtig und fand ergiebige Wasseradern. Das bedeutete die Erlösung, und nachdem sie einen ununterbrochenen Marsch von sechs Tagen hinter sich gebracht hatten, vertrieben sie am siebten die Bewohner und besetzten die Länder, in denen ihre Hauptstadt und ihr Tempel geweiht wurden. 4 (1) Moyses brachte dem Volk, um sich für die Zukunft seiner Treue zu versichern, neue, denen der übrigen Sterblichen entgegengesetzte religiöse Bräuche bei. Unheilig ist dort alles, was bei uns heilig ist, andererseits bei ihnen erlaubt, was für uns gottlos ist. (2) Das Bild des Tieres, dank dessen Fingerzeig sie ihren Irrmarsch beendet und ihren Durst vertrieben hatten, stellten sie im Inneren ihres Heiligtums auf,5 nachdem sie gleichsam zur Verhöhnung Ammons einen Widder geschlachtet hatten; auch den Stier opfert man, weil die Ägypter den Apis verehren.6 Schweinefleisch rühren sie nicht an in Erinnerung an die Plage, weil sie selbst einst der Aussatz entstellt hat-

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paverat, cui id animal obnoxium. (3) longam olim famem crebris adhuc ieiuniis fatentur, et raptarum frugum argumentum panis Iudaicus nullo fermento detinetur. septimo die otium placuisse ferunt, quia is finem laborum tulerit; dein blandiente inertia septimum quoque annum ignaviae datum. (4) alii honorem eum Saturno haberi, seu principia religionis tradentibus Idaeis, quos cum Saturno pulsos et conditores gentis accepimus, seu quod de septem sideribus, quis mortales reguntur, altissimo orbe et praecipua potentia stella Saturni feratur; ac pleraque caelestium vi‹a›m suam et cursus septenos per numeros commeare.

5 (1) Hi ritus quoquo modo inducti antiquitate defenduntur: cetera instituta, sinistra foeda, pravitate valuere. nam pessimus quisque spretis religionibus patriis tributa et stipes illuc ‹con›gerebant, unde auctae Iudaeorum res, et quia apud ipsos fides obstinata, misericordia in promptu, sed adversus omnes alios hostile odium. (2) separati epulis, discreti cubilibus, proiectissima ad libidinem gens, alienarum concubitu abstinent; inter se nihil inlicitum. circumcidere genitalia instituerunt, ut diversitate noscantur. transgressi in morem eorum idem usurpant, nec quidquam prius imbuuntur quam contemnere deos, exuere patriam, parentes liberos fratres vilia habere. (3) augendae tamen multitudini consulitur; nam et necare quemquam ex agnatis nefas, animosque proelio aut suppliciis peremptorum aeternos putant: hinc generandi amor et moriendi contemptus. corpora condere quam cremare e more Aegyptio, eademque cura et de infernis persuasio, caelestium contra. (4) Aegyptii pleraque animalia effigiesque compositas venerantur, Iudaei mente sola unumque numen intellegunt: profanos, qui deum imagi-

Historien 5,4,2-5,5,4

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te, von dem dieses Tier befallen wird. (3) Die lange Hungersnot von einst bezeugen sie immer noch durch häufiges Fasten, und zum Beweis dafür, dass sie die Feldfrüchte hastig zusammenraffen mussten, halten sie am jüdischen Brot ohne jeden Sauerteig fest. Am siebten Tag hätten sie, wird berichtet, an der Ruhe Gefallen gefunden, weil dieser Tag das Ende ihrer Mühsal gebracht habe; dann habe man, da ihnen das Nichtstun behagte, auch jedes siebte Jahr dem Müßiggang gewidmet. (4) Andere Autoren glauben, diese Ehre werde Saturn erwiesen, entweder weil die Anfänge des Kults die Idäer weitergaben, die der Überlieferung nach zusammen mit Saturn vertrieben und zu Gründern des Volks wurden, oder weil von den sieben Gestirnen, durch die die Sterblichen gelenkt werden,7 in der höchsten Kreisbahn und mit dem stärksten Einfluss Saturns Stern umläuft; dazu zögen die meisten Himmelskörper ihren Weg und ihre Bahnen nach der Siebenzahl. 5 (1) Diese wie auch immer eingeführten religiösen Bräuche lassen sich mit ihrem hohen Alter rechtfertigen; alle übrigen Einrichtungen dagegen, widerwärtig und abscheulich, setzten sich nur wegen ihrer Anstößigkeit durch. Denn gerade die übelsten Elemente haben ihre heimischen Kulte verleugnet und dann Abgaben und Spenden dort angehäuft, wodurch die Macht der Juden wuchs. Ein weiterer Grund war, dass bei ihnen unerschütterliche Treue, allgegenwärtiges Mitgefühl, aber allen anderen gegenüber feindseliger Hass vorherrschen. (2) Abgesondert bei ihren Mahlzeiten, abgetrennt in ihren Schlafzimmern, enthält sich das ganz der Sinnlichkeit verfallene Volk des Geschlechtsverkehrs mit fremdstämmigen Frauen; untereinander ist nichts unerlaubt. Die Beschneidung der Geschlechtsteile haben sie eingeführt, um sich durch ein Unterscheidungsmerkmal zu erkennen zu geben. Wer sich ihrem Lebenswandel angeschlossen hat,8 verhält sich genauso, und nichts wird ihnen früher beigebracht, als die Götter zu verachten, sich von seinem Vaterland loszusagen, Eltern, Kinder, Geschwister gering zu schätzen. (3) Dennoch ist man darauf bedacht, die Bevölkerungszahl zu erhöhen. Denn einerseits ist es nicht erlaubt, eines von den nachgeborenen Kindern zu töten,9 andererseits halten sie die Seelen der im Gefecht oder bei Hinrichtungen Umgekommenen für unsterblich. Daher rühren ihre Liebe zum Kinderzeugen und ihre Todesverachtung. Die Leichen beerdigen sie, anstatt sie zu verbrennen, nach ägyptischem Brauch, und sie haben den gleichen Totenkult und den gleichen Glauben über die Unterwelt, bei den himmlischen Göttern jedoch vertreten sie das Gegenteil. (4) Die Ägypter verehren sehr viele Tiere und zusammengesetzte Gestalten, die Juden erkennen nur mit ihrem Geist, und zwar ein einziges göttliches Wesen. Gottlos seien die Menschen, die Götterbilder aus vergänglichem

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nes mortalibus materiis in species hominum effingant; summum illud et aeternum neque imitabile neque interiturum. igitur nulla simulacra urbibus suis, nedum templis s‹ist›unt; non regibus haec adulatio, non Caesaribus honor. (5) sed quia sacerdotes eorum tibia tympanisque concinebant, hedera vinciebantur vitisque aurea ‹in› templo reperta, Liberum patrem coli, domitorem Orientis, quidam arbitrati sunt, nequaquam congruentibus institutis: quippe Liber festos laetosque ritus posuit, Iudaeorum mos absurdus sordidusque.

6 (1) Terra finesque, qua ad Orientem vergunt, Arabia terminantur; a meridie Aegyptus obiacet, ab occasu Phoenices et mare; septemtrionem e latere Syriae longe prospectant. corpora hominum salubria et ferentia laborum. rari imbres, uber solum. exsuperant fruges nostrum ad morem praeterque eas balsamum et palmae. palmetis proceritas et decor, balsamum modica arbor: ut quisque ramus intumuit, si vim ferri adhibeas, pavent venae; fragmine lapidis aut testa aperiuntur; umor in usu medentium est. (2) praecipuum montium Libanum erigit, mirum dictu tantos inter ardores opacum fidumque nivibus; idem amnem Iordanen alit funditque. nec Iordanes pelago accipitur, sed unum atque alterum lacum integer perfluit, tertio retinetur. lacus immenso ambitu, specie maris, sapore corruptior, gravitate odoris accolis pestifer, neque vento impellitur neque pisces aut suetas aquis volucres patitur. inertes undae superiacta ut solido ferunt; periti imperitique nandi perinde attolluntur. (3) certo anni bitumen egerit, cuius legendi usum, ut ceteras artes, experientia docuit. ater suapte natura liquor et sparso aceto concretus innatat; hunc manu captum, quibus ea cura, in summa navis trahunt: inde nullo iuvante influit oneratque, donec abscindas. nec abscindere aere ferrove possis: fugit cruorem vestemque infectam sanguine, quo

Historien 5,5,4-5,6,3

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Stoff in Menschengestalt schaffen; jenes höchste, ewige Wesen sei weder darstellbar noch vergänglich. Deshalb stellen sie keine Götterbilder in ihren Städten, geschweige denn in ihren Tempeln auf; nicht für Könige gibt es diese Huldigung, nicht für Cäsaren eine solche Ehrung. (5) Aber weil ihre Priester mit Flöte und Pauken Musik machten, sich mit Efeu bekränzten und sich ein goldener Rebstock10 im Tempel fand, glaubten manche, der Vater Liber11 werde verehrt, der Bezwinger des Orients, obwohl die Kultvorschriften keineswegs übereinstimmen; denn Liber hat festliche, fröhliche Riten eingeführt, die Gebräuche der Juden dagegen sind widersinnig und abstoßend. 6 (1) Die Grenzen ihres Landes stoßen, wo sie sich zum Orient hin erstrecken, an Arabien. Im Süden liegt Ägypten davor, im Westen die Phönizier und das Meer. Nach Norden zu dehnen sie sich weit an der Flanke Syriens aus.12 Die Menschen sind körperlich gesund und können Strapazen ertragen. Selten sind Regengüsse, fruchtbar ist der Boden. Die Früchte wachsen hoch empor in der bei uns üblichen Weise, außerdem gibt es Balsam und Palmen. Die Palmenhaine haben einen schlanken, schönen Wuchs, der Balsam ist ein niedriger Baum. Jedesmal wenn ein Zweig geschwollen ist, schließen sich, falls man mit scharfem Eisen darangeht, die Adern; mit einem Steinsplitter oder einer Scherbe lassen sie sich öffnen. Den Saft wenden die Ärzte an. (2) Als bedeutendsten Berg lässt das Land den Libanon aufragen, der erstaunlicherweise trotz des sehr heißen Klimas schattig und schneesicher ist. Auch speist er den Jordanfluss und lässt ihn entspringen. Aber der Jordan wird nicht vom Meer aufgenommen, sondern er fließt unvermindert durch den einen, dann einen zweiten See und wird erst von einem dritten13 zurückgehalten. Der See hat einen riesigen Umfang in der Art eines Meeres, sein Geschmack ist aber noch übler, durch seinen Gestank ist er für die Anwohner gesundheitsschädlich, und er wird weder durch Wind aufgewühlt noch duldet er Fische oder Wasservögel. Die trägen Wellen tragen daraufgeworfene Gegenstände wie auf festem Grund. Schwimmer und Nichtschwimmer werden in gleicher Weise hochgehoben. (3) Zu einer bestimmten Jahreszeit wirft er Erdpech aus. Die Art und Weise, es zu sammeln, hat wie die übrigen technischen Verfahren die Erfahrung gelehrt: Die von Natur aus schwarze und, wenn man Essig daraufgießt, erstarrte Flüssigkeit schwimmt obenauf. Die damit Beschäftigten schöpfen sie mit der Hand ab und ziehen sie auf das Verdeck eines Schiffs; von dort fließt sie ohne weitere Hilfe hinein und bildet die Ladung, bis man sie abschneidet. Aber man kann sie nicht mit Bronze oder Eisen abschneiden; sie weicht vor frischem Blut und einem Kleidungsstück zurück, das mit dem

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feminae per menses exsolvuntur. (4) sic veteres auctores, sed gnari locorum tradunt undantes bitumine moles pelli manuque trahi ad litus, mox, ubi vapore terrae, vi solis inaruerint, securibus cuneisque ut trabes aut saxa discindi.

7 (1) Haud procul inde campi, quos ferunt olim uberes magnisque urbibus habitatos fulminum iactu arsisse; et manere vestigia terramque ipsam specie torridam vim frugiferam perdidisse. nam cuncta sponte edita aut manu sata, sive herba tenus aut flore seu solidam in speciem adolevere, atra et inania velut in cinerem vanescunt. (2) ego sicut inclutas quondam urbes igne caelesti flagrasse concesserim, ita halitu lacus infici terram, conrumpi superfusum spiritum, eoque fetus segetum et autumni putrescere reor solo caeloque iuxta gravi. et Belius amnis Iudaico mari inlabitur, circa cuius os lectae harenae admixto nitro in vitrum excocuntur. modicum id litus et egerentibus inexhaustum.

8 (1) Magna pars Iudaeae vicis dispergitur; habent et oppida: Hierosolyma genti caput. illic immensae opulentiae templum, et primis munimentis urbs, dein ‹re›gia, templum intimis clausum. ad fores tantum Iudaeo aditus, limine praeter sacerdotes arcebantur. (2) dum Assyrios penes Medosque et Persas Oriens fuit, despectissima pars servientium: postquam Macedones praepolluere, rex Antiochus demere superstitionem et mores Graecorum dare adnisus, quo minus taeterrimam gentem in melius mutaret, Parthorum bello prohibitus est; nam ea tempestate Arsaces desciverat. (3) tum Iudaei Macedonibus invalidis, Parthis nondum adultis (et Romani procul erant), sibi ipsi reges imposuere; qui mobilitate volgi expulsi, resumpta per arma dominatione fugas civium, urbium eversiones, fratrum coniugum parentum

Historien 5,6,3-5,8,3

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Blut getränkt ist, von dem die Frauen allmonatlich befreit werden.14 (4) Soweit die alten Autoren; Ortskundige aber berichten, die wogende Masse Erdpech werde zusammengetrieben und mit der Hand an den Strand gezogen, dann, sobald sie durch die Hitze der Erde, die Kraft der Sonne getrocknet sei, mit Beilen und Keilen wie Balken oder Felsblöcke auseinandergeschnitten. 7 (1) Nicht weit von dort entfernt liegen Ebenen, die der Überlieferung zufolge einst fruchtbar und mit bedeutenden Städten besiedelt waren und durch Blitzschläge in Brand gerieten; tatsächlich fänden sich noch Spuren davon, aber das Land selbst, das ausgedörrt aussehe, habe seine fruchttragende Kraft verloren. Denn alles, was von alleine sprieße oder von Menschenhand ausgesät werde, wird – ob es nun nur bis zum Halm oder den Blüten oder zu seiner vollständigen Gestalt herangewachsen sei – schwarz und taub und zerfällt wie zu Asche. (2) Ich gebe meinerseits zwar gerne zu, dass einst berühmte Städte durch Feuer vom Himmel in Flammen aufgegangen sind, glaube aber, dass durch die Ausdünstung des Sees die Erde verseucht und der darüber wehende Windhauch verpestet wird und dass deshalb die Früchte der Aussaat und des Herbstes verfaulen wegen des in gleicher Weise ungesunden Bodens und Klimas. Ferner fließt der Fluss Belius in das jüdische Meer; um dessen Mündung herum wird Sand gesammelt, mit Salpeter vermischt und dann zu Glas verkocht. Nur kurz ist dieser Strandabschnitt und doch für die Sandgewinnung unerschöpflich. 8 (1) Der Großteil Judäas ist von Dörfern überzogen, aber sie haben auch Städte: Jerusalem ist die Hauptstadt des Volks. Dort steht ein Tempel von ungeheurem Reichtum, und durch die äußeren Verteidigungsanlagen wird die Stadt, dann die Königsburg und durch die inneren der Tempel umschlossen. Nur bis zu den Toren hatte ein Jude Zugang, von der Schwelle wurden sie mit Ausnahme der Priester ferngehalten. (2) Solange der Orient in der Hand der Assyrer, Meder und Perser war, waren sie der verachtetste Teil der versklavten Völker. Als dann die Makedonen die Macht übernommen hatten, wollte König Antiochus15 ihnen den Aberglauben nehmen und die Sitten der Griechen geben, um das durch und durch abscheuliche Volk zum Besseren hin zu wandeln, wurde aber durch den Krieg gegen die Parther daran gehindert; denn zu dieser Zeit war Arsaces16 abgefallen. (3) Weil damals nun die Makedonen schwach, die Parther noch nicht erstarkt – und die Römer weit weg – waren, setzten sich die Juden selbst Könige ein. Diese wurden dann durch den Wankelmut des Volks wieder vertrieben, holten aber mit Waffengewalt die Herrschaft zurück und erdreisteten sich, Mitbürger zu verbannen, Städte zu zerstören, ihre Brüder, Ehefrauen, Eltern zu

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neces aliaque solita regibus ausi superstitionem fovebant, quia honor sacerdotii firmamentum potentiae adsumebatur. 9 (1) Romanorum primus Cn. Pompeius Iudaeos domuit templumque iure victoriae ingressus est: inde volgatum nulla intus deum effigie vacuam sedem et inania arcana. muri Hierosolymorum diruti, delubrum mansit. mox civili inter nos bello, postquam in dicionem M. Antonii provinciae cesserant, rex Parthorum Pacorus Iudaea potitus interfectusque a P. Ventidio, et Parthi trans Euphraten redacti: Iudaeos C. Sosius subegit. (2) regnum ab Antonio Herodi datum victor Augustus auxit. post mortem Herodis nihil exspectato Caesare Simo quidam regium nomen invaserat. is a Quinctilio Varo obtinente Syriam punitus, et gentem coercitam liberi Herodis tripertito rexere. sub Tiberio quies; dein iussi a C. Caesare effigiem eius in templo locare arma potius sumpsere, quem motum Caesaris mors diremit. (3) Claudius defunctis regibus aut ad modicum redactis Iudaeam provinciam equitibus Romanis aut libertis permisit, e quibus Antonius Felix per omnem saevitiam ac libidinem ius regium servili ingenio exercuit, Drusilla Cleopatrae et Antonii nepte in matrimonium accepta, ut eiusdem Antonii Felix progener, Claudius nepos esset.

10 (1) Duravit tamen patientia Iudaeis usque ad Gessium Florum procuratorem: sub eo bellum ortum. et comprimere coeptantem Cestium Gallum Syriae legatum varia proelia ac saepius adversa excepere. qui ubi fato aut taedio occidit, missu Neronis Vespasianus fortuna famaque et egregiis ministris intra duas aestates cuncta camporum omnesque praeter Hierosolyma urbes victore exercitu tenebat. (2) proximus annus civili bello intentus quantum ad Iudaeos per otium transiit. pace per Italiam parta et externae curae redi‹e›re: augebat iras, quod soli Iudaei non cessissent; simul manere

Historien 5,8,3-5,10,2

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ermorden und die anderen bei Königen üblichen Schandtaten zu begehen; dabei förderten sie den Aberglauben, weil die Würde des Priestertums als Grundpfeiler ihrer Macht angesehen wurde. 9 (1) Von den Römern bezwang als Erster Cn. Pompeius17 die Juden und betrat nach Siegesrecht ihren Tempel. Seitdem ist allgemein bekannt, drinnen stehe kein Götterbild, die Stätte sei leer und die Geheimnistuerei unbegründet. Die Mauern Jerusalems wurden geschleift, das Heiligtum blieb stehen. Als dann während des Bürgerkriegs bei uns diese Provinzen M. Antonius zugefallen waren, brachte der Partherkönig Pacorus Judäa in seine Gewalt und wurde von P. Ventidius getötet; die Parther wurden über den Euphrat zurückgetrieben, die Juden unterwarf C. Sosius.18 (2) Das von Antonius dem Herodes verliehene Königreich erweiterte Augustus nach seinem Sieg. Nach Herodes’ Tod hatte sich, ohne die Zustimmung des Cäsars abzuwarten, ein gewisser Simon den Königstitel zugelegt.19 Er wurde von Quinctilius Varus, als dieser Syrien verwaltete,20 bestraft, und das in seine Schranken gewiesene Volk regierten die Söhne des Herodes, nachdem das Gebiet dreigeteilt worden war. Unter Tiberius herrschte Ruhe. Als ihnen dann von C. Caesar befohlen wurde, sein Standbild im Tempel aufzustellen, griffen sie lieber zu den Waffen; diesen Aufruhr beendete der Tod des Cäsars. (3) Claudius vertraute, nachdem die Könige gestorben oder in ihrer Machtbefugnis eingeschränkt worden waren, die Provinz Judäa römischen Rittern oder Freigelassenen an, von denen Antonius Felix mit aller Brutalität und Willkür das Recht eines Königs in der Gesinnung eines Sklaven ausübte, nachdem er Drusilla, Kleopatras und Antonius’ Enkelin, zur Ehefrau bekommen hatte, sodass Felix der Gatte der Enkelin ebendieses Antonius und Claudius der Enkel war.21 10 (1) Dennoch hielt die Leidensfähigkeit der Juden bis hin zum Prokurator Gessius Florus an; unter ihm brach der Krieg aus. Als nun Cestius Gallus, der Legat Syriens, ihn zu unterdrücken versuchte, warteten auf ihn Gefechte mit verschiedenem Ausgang, überwiegend Niederlagen. Nachdem er seinem Schicksal zufolge oder aus Lebensüberdruss gestorben war,22 hielt der auf Neros Weisung gekommene Vespasian mit Glück, gutem Ruf und hervorragenden Helfern innerhalb zweier Sommer das gesamte flache Land und mit Ausnahme Jerusalems alle Städte mit seinem siegreichen Heer besetzt. (2) Das nächste Jahr war ganz auf den Bürgerkrieg ausgerichtet und verging die Juden betreffend in Ruhe. Als dann der Friede in Italien eingekehrt war, kamen auch die ausländischen Probleme wieder zurück; die Erbitterung verstärkte die Tatsache, dass nur die Juden nicht nachgegeben

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apud exercitus Titum ad omnes principatus novi eventus casusve utile videbatur. 11 (1) Igitur castris, uti diximus, ante moenia Hierosolymorum positis instructas legiones ostentavit: Iudaei sub ipsos muros struxere aciem, rebus secundis longius ausuri et, si pellerentur, parato perfugio. missus in eos eques cum expeditis cohortibus ambigue certavit; mox cessere hostes et sequentibus diebus crebra pro portis proelia serebant, donec adsiduis damnis intra moenia pellerentur. (2) Romani ad obpugnandum versi; neque enim dignum videbatur famem hostium opperiri, poscebantque pericula, pars virtute, multi ferocia et cupidine praemiorum. ipsi Tito Roma et opes voluptatesque ante oculos; ac ni statim Hierosolyma conciderent, morari videbantur. (3) sed urbem arduam situ opera molesque firmaverant, quis vel plana satis munirentur. nam duos colles in immensum editos claudebant muri per artem obliqui aut introrsus sinuati, ut latera obpugnantium ad ictus patescerent. extrema rupis abrupta, et turres, ubi mons iuvisset, in sexagenos pedes, inter devexa in centenos vicenosque attollebantur mira specie ac procul intuentibus pares. alia intus moenia regiae circumiecta, conspicuoque fastigio turris Antonia, in honorem M. Antonii ab Herode appellata.

12 (1) Templum in modum arcis propriique muri, labore et opere ante alios; ipsae porticus, quis templum ambibatur, egregium propugnaculum. fons perennis aquae, cavati sub terra montes et piscinae cisternaeque servandis imbribus. (2) providerant conditores ex diversitate morum crebra bella: inde cuncta quamvis adversus longum obsidium; et a Pompeio expugnatis metus atque usus pleraque monstravere. atque per avaritiam Claudianorum temporum empto iure muniendi struxere muros in pace tamquam ad bellum, magna conluvie et ceterarum urbium clade aucti; nam pervicacissi-

Historien 5,10,2-5,12,2

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hatten. Zudem schien es im Hinblick auf alle mit dem neuen Prinzipat verbundenen Chancen und Risiken nützlich zu sein, dass Titus bei den Heeren blieb. 11 (1) Also schlug er wie erwähnt ein Lager vor den Stadtmauern Jerusalems und präsentierte dann seine Legionen in Schlachtordnung; die Juden stellten ihr Heer unmittelbar unter den Mauern auf, um sich bei einem Erfolg weiter vorwagen zu können und im Falle einer Niederlage eine Rückzugsmöglichkeit zu haben. Die gegen sie zusammen mit leicht bewaffneten Kohorten geschickte Kavallerie kämpfte unentschieden. Dann aber mussten sich die Feinde zurückziehen, und in den folgenden Tagen kam es zu einer ganzen Reihe von Gefechten vor den Toren, bis sie durch die andauernden Verluste hinter ihre Mauern getrieben wurden. (2) Die Römer machten sich nun an die Erstürmung; einerseits schien es nämlich ihrer nicht würdig, eine Hungersnot abzuwarten, andererseits verlangte man nach Gefahren, teils aus Tapferkeit, viele aus Draufgängertum und Gier nach Belohnungen. Titus persönlich standen Rom und seine Reichtümer und Vergnügungen vor Augen, und falls Jerusalem nicht sofort falle, schienen sie noch lange auf sich warten zu lassen. (3) Aber die auf einer steilen Anhöhe gelegene Stadt hatten massive Befestigungen zusätzlich gesichert, durch die sogar ein Platz in flachem Gelände genügend geschützt worden wäre. Denn zwei sehr hohe Hügel umschlossen kunstvoll schräg vorspringende oder nach innen gebogene Mauern, sodass Angreifer ihre Flanken für Schüsse darbieten mussten. Der Fels fiel am äußersten Rand steil ab, und Türme, wo der Berg mitgeholfen hatte, von je 60, in den Senken von je 120 Fuß ragten in die Höhe, wunderbar anzusehen und für Betrachter aus der Ferne gleich hoch. Eine andere Mauer war drinnen um die Königsburg gezogen; von auffallender Höhe war der Antonius-Turm, der so zu Ehren des M. Antonius von Herodes benannt worden war. 12 (1) Der Tempel war eine Art Burg und hatte eigene Mauern, für die mehr Mühe und kunstvolle Arbeit aufgewendet worden waren als für die anderen; selbst die den Tempel umgebenden Säulenhallen bildeten ein vorzügliches Bollwerk. Es gab eine ganzjährig sprudelnde Quelle, Berge mit unterirdischen Höhlen sowie Bassins und Zisternen zum Auffangen des Regenwassers. (2) Die Erbauer hatten wegen der unterschiedlichen Sitten häufige Kriege vorhergesehen; daher war alles auf eine auch noch so lange Belagerung abgestellt. Auch hatten die Bevölkerung bei der Eroberung durch Pompejus Furcht und Erfahrung sehr viel gelehrt, und weil sie wegen der Habgier zu Zeiten des Claudius sich das Recht erkauft hatten, Befestigungen anzulegen, errichteten sie Mauern im Frieden wie für einen Krieg. Dabei wuchs ihre Zahl noch durch unkontrollierten Zustrom und das

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Historiarum liber quintus

mus quisque illuc perfugerat, eoque seditiosius agebant. (3) tres duces, totidem exercitus: extrema et latissima moenium Simo, mediam urbem Ioannes [quem et Bargioram vocabant], templum Eleazarus firmaverat. multitudine et armis Ioannes ac Simo, Eleazarus loco pollebat: sed proelia dolus incendia inter ipsos, et magna vis frumenti ambusta. (4) mox Ioannes, missis per speciem sacrificandi qui Eleazarum manumque eius obtruncarent, templo potitur. Ita in duas factiones civitas discessit, donec propinquantibus Romanis bellum externum concordiam pareret.

13 (1) Evenerant prodigia, quae neque hostiis neque votis piare fas habet gens superstitioni obnoxia, religionibus adversa. visae per caelum concurrere acies, rutilantia arma et subito nubium igne conlucere templum. apertae repente delubri fores et audita maior humana vox, excedere deos; simul ingens motus excedentium. (2) quae pauci in metum trahebant: pluribus persuasio inerat antiquis sacerdotum litteris contineri, eo ipso tempore fore ut valesceret Oriens profectique Iudaea rerum potirentur. quae ambages Vespasianum ac Titum praedixerat, sed volgus more humanae cupidinis sibi tantam fatorum magnitudinem interpretati ne adversis quidem ad vera mutabantur. (3) multitudinem obsessorum omnis aetatis, virile ac muliebre secus, sexcenta milia fuisse accepimus: arma cunctis, qui ferre possent, et plures quam pro numero audebant. obstinatio viris feminisque par ac si transferre sedes cogerentur, maior vitae metus quam mortis. (4) hanc adversus urbem gentemque Caesar Titus, quando impetus et subita belli locus abnueret, aggeribus vineisque certare statuit: dividuntur legionibus munia, et quies proeliorum fuit, donec cuncta expugnandis urbibus reperta apud veteres aut novis ingeniis struerentur.

Historien 5,12,2-5,13,4

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Unglück aller anderen Städte an; denn gerade die verstocktesten Männer waren dorthin geflohen, und umso aufsässiger gebärdeten sie sich. (3) Es gab drei militärische Anführer, ebenso viele Heere; den äußersten und damit längsten Mauerring hatte Simon, die Stadtmitte Johannes, den Tempel Eleazar gesichert. In der Zahl und Bewaffnung ihrer Leute lag die Stärke des Johannes und Simon, in der Stellung die Eleazars; aber es kam zu Kämpfen, Hinterlist und Brandstiftung unter ihnen selbst, und eine große Menge Getreide verbrannte. (4) Dann schickte Johannes Leute aus, die unter dem Vorwand eines Opfers Eleazar und seine Truppe niedermachten, und bemächtigte sich so des Tempels. Deshalb zerfiel die Bürgerschaft nun in zwei Parteien, bis beim Herannahen der Römer der Krieg gegen den äußeren Feind zu Eintracht führte. 13 (1) Es hatten sich Vorzeichen ereignet, deren Folgen mit Opfern oder Gelübden abzuwenden dem Volk, das dem Aberglauben verfallen ist, von religiösen Zeremonien aber nichts wissen will, nicht erlaubt ist. Man sah am Himmel Heere zusammenstoßen, rötlich schimmernde Waffen und im plötzlichen Feuerschein der Wolken den Tempel hell aufleuchten. Mit einem Schlag öffnete sich die Pforte des Heiligtums, und man konnte eine übermenschliche Stimme hören, die Götter zögen aus; zugleich kam es zu der mit einem Auszug verbundenen starken Unruhe. (2) Das deuteten nur wenige als angsterregend. Die Mehrzahl war der Meinung, in alten Priesterschriften stehe, eben zu dieser Zeit werde der Orient stark werden und aus Judäa aufgebrochene Männer bemächtigten sich der Weltherrschaft. Diese dunkle Prophezeiung hatte Vespasian und Titus vorhergesagt, doch das einfache Volk hatte, wie es menschlichem Wunschdenken nun einmal entspricht, eine solch großartige Schicksalsfügung auf sich bezogen und ließ sich nicht einmal durch Misserfolge zum tatsächlichen Geschehen bekehren. (3) Die Menge der Belagerten jeden Alters, männlichen und weiblichen Geschlechts, soll 600 000 Personen betragen haben. Waffen hatten alle, die sie tragen konnten, und Wagemut zeigten noch mehr, als es ihrer Zahl entsprochen hätte. Die Verbissenheit ist bei Männern und Frauen gleich groß, und falls man sie zwänge, ihr Siedlungsgebiet zu verlegen, hätten sie mehr Angst vor dem Weiterleben als vor dem Tod. (4) Gegen diese Stadt und dieses Volk beschloss Caesar Titus, da Sturmangriffe und handstreichartige Unternehmungen das Gelände nicht zuließ, mit Rampen und Laufgängen vorzugehen. Man teilte den Legionen ihre Aufgaben zu, und es herrschte so lange Waffenruhe, bis alle Geräte, die man zur Eroberung von Städten in alter Zeit oder mit neuem Erfindungsgeist erdacht hat, fertiggestellt wurden.

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Historiarum liber quintus

14 (1) At Civilis post malam in Treveris pugnam reparato per Germaniam exercitu apud Vetera castra consedit, tutus loco, et ut memoria prosperarum illic rerum augescerent barbarorum animi. secutus est eodem Cerialis, duplicatis copiis adventu secundae et sextae et quartae decimae legionum; cohortesque et alae iam pridem accitae post victoriam properaverant. (2) neuter ducum cunctator, sed arcebat latitudo camporum suopte ingenio umentium; addiderat Civilis obliquam in Rhenum molem, cuius obiectu revolutus amnis adiacentibus superfunderetur. ea loci forma, incertis vadis subdola et nobis adversa: quippe miles Romanus armis gravis et nandi pavidus, Germanos fluminibus suetos levitas armorum et proceritas corporum attollit.

15 (1) Igitur lacessentibus Batavis ferocissimo cuique nostrorum coeptum certamen; deinde orta trepidatio, cum praealtis paludibus arma equi haurirentur. Germani notis vadis persultabant, omissa plerumque fronte latera ac terga circumvenientes. neque ut in pedestri acie comminus certabatur, sed tamquam navali pugna vagi inter undas aut, si quid stabile occurrebat, totis illic corporibus nitentes, volnerati cum integris, periti nandi cum ignaris in mutuam perniciem implicabantur. (2) minor tamen quam pro tumultu caedes, quia non ausi egredi paludem Germani in castra rediere. eius proelii eventus utrumque ducem diversis animi motibus ad maturandum summae rei discrimen erexit: Civilis instare fortunae, Cerialis abolere ignominiam; Germani prosperis feroces, Romanos pudor excitaverat. nox apud barbaros cantu aut clamore, nostris per iram et minas acta.

16 (1) Postera luce Cerialis equite et auxiliariis cohortibus frontem explet, in secunda acie legiones locatae; dux sibi delectos retinuerat ad improvisa. Civilis haud porrecto agmine, sed cuneis adstitit: Batavi Cugerni-

Historien 5,14,1-5,16,1

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14 (1) Doch zurück zu Civilis! Nach der unglücklich verlaufenen Schlacht bei den Treverern hatte er sein Heer in Germanien ergänzt und bezog in Vetera sein Lager, weil er durch das Gelände geschützt war und durch die Erinnerung an die dort erzielten Erfolge der Mut der Barbaren wieder wachsen sollte. Ebendorthin folgte ihm Cerialis mit nun doppelt so vielen Truppen, weil die 2., 6. und 14. Legion eingetroffen waren; zudem hatten sich die schon früher herbeikommandierten Kohorten und Regimenter nach ihrem Sieg beeilt. (2) Keiner von beiden Kommandeuren war ein Zauderer, aber ein Hindernis stellten die weiten, von Natur aus sumpfigen Ebenen dar. Civilis hatte quer in den Rhein einen Damm bauen lassen, durch dessen Widerstand der Fluss aufgestaut wurde und sich über die angrenzenden Flächen ergoss. So sah das Gelände aus: tückisch durch unsichere Untiefen und für uns ungünstig. Denn der römische Soldat ist schwer mit Waffen beladen und hat Angst vor dem Schwimmen, die Germanen dagegen, die mit Flüssen vertraut sind, halten sich dank ihrer leichten Waffen und hochgewachsenen Gestalten immer über Wasser. 15 (1) Als deshalb die Bataver zu provozieren anfingen, begannen unsere entschlossensten Soldaten mit dem Kampf. Daraufhin kam es zu einer chaotischen Situation, weil von den abgrundtiefen Sümpfen Waffen und Pferde verschlungen wurden. Die Germanen sprengten durch die ihnen bekannten Furten, machten meist einen Bogen um die Front und umzingelten uns an den Flanken und im Rücken. Aber man kämpfte auch nicht wie in einer Landschlacht Mann gegen Mann, sondern wie in einem Seegefecht trieb man zwischen den Wogen umher, oder wenn man auf festen Untergrund gestoßen war, stemmte man sich mit dem ganzen Körper darauf, Verwundete zusammen mit Unverwundeten, Schwimmer mit Nichtschwimmern zogen sich gegenseitig ins Verderben. (2) Dennoch waren die Verluste geringer, als das Durcheinander erwarten ließ, weil sich die Germanen nicht getrauten, aus dem Sumpf herauszukommen, und sich in ihr Lager zurückzogen. Der Ausgang dieses Gefechts brachte beide Kommandeure aus entgegengesetzten Beweggründen dazu, noch schneller die Entscheidung zu suchen: Civilis wollte seinem Glück auf den Fersen bleiben, Cerialis die Schmach tilgen; die Germanen waren dank ihrem Erfolg wild entschlossen, die Römer hatte ihr Ehrgefühl angestachelt. Die Nacht verbrachte man bei den Barbaren mit Gesang und Geschrei, bei uns mit erbitterten Drohungen. 16 (1) Am nächsten Morgen ließ Cerialis die vorderste Linie ganz von Kavallerie und Kohorten der Hilfstruppen bilden, in der zweiten Reihe bezogen die Legionen Stellung; der Kommandeur hatte bei sich Eliteeinheiten zurückbehalten für unvorhergesehene Zwischenfälle. Civilis hatte sein Heer nicht in langer Linie, sondern in Gefechtskeilen aufgestellt; die Bata-

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Historiarum liber quintus

que in dextro, laeva ac propiora flumini Transrhenani tenuere. exhortatio ducum non more contionis apud universos, sed ut quosque suorum advehebantur. (2) Cerialis veterem Romani nominis gloriam, antiquas recentesque victorias; ut perfidum ignavum victum hostem in aeternum exciderent, ultione magis quam proelio opus esse. pauciores nuper cum pluribus certasse, ac tamen fusos Germanos, quod roboris fuerit: superesse qui fugam animis, qui volnera tergo ferant. (3) proprios inde stimulos legionibus admovebat, domitores Britanniae quartadecimanos appellans; principem Galbam sextae legionis auctoritate factum; illa primum acie secundanos nova signa novamque aquilam dicaturos. hinc praevectus ad Germanicum exercitum manus tendebat, ut suam ripam, sua castra sanguine hostium recuperarent. alacrior omnium clamor, quis vel ex longa pace proelii cupido vel fessis bello pacis amor, praemiaque et quies in posterum sperabatur.

17 (1) Nec Civilis silentem struxit aciem, locum pugnae testem virtutis ciens: stare Germanos Batavosque super vestigia gloriae, cineres ossaque legionum calcantes. quocumque oculos Romanus intenderet, captivitatem clademque et dira omnia obversari. ne terrerentur vario Treverici proelii eventu: suam illic victoriam Germanis obstitisse, dum omissis telis praeda manus impediunt: sed cuncta mox prospera et hosti contraria evenisse. (2) quae provideri astu ducis oportuerit, providisse, campos madentes et ipsis gnaros, paludes hostibus noxias. Rhenum et Germaniae deos in adspectu: quorum numine capesserent pugnam, coniugum parentum patriae memores: illum diem aut gloriosissimum inter maiores aut ignominiosum apud posteros fore. (3) ubi sono armorum tripudiisque (ita illis mos) adprobata sunt

Historien 5,16,1-5,17,3

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ver und Kugerner standen auf dem rechten Flügel, den linken, dem Fluss näheren hielten die rechtsrheinischen Stämme. Die Ansprache der Kommandeure war nicht wie bei einer Heeresversammlung an alle gerichtet, sondern an die einzelnen Abteilungen ihrer Leute, zu denen sie hinritten. (2) Cerialis wies auf den alten Ruhm des römischen Namens, auf frühere und neue Siege hin. Um den treulosen, feigen und bereits besiegten Feind für immer auszuschalten, sei eher eine Strafaktion als ein Gefecht nötig. Zahlenmäßig unterlegen, hätten sie erst kurz zuvor gegen eine Übermacht gekämpft und dennoch die Germanen in die Flucht geschlagen, und zwar ihre wichtigsten Truppen; übrig geblieben seien nur die Leute, die Fluchtgedanken in ihren Herzen, die Wunden auf dem Rücken trügen. (3) Anschließend richtete er an die Legionen persönliche Worte, um sie anzuspornen, indem er die Vierzehner als Bezwinger Britanniens bezeichnete; Princeps sei Galba nur dank der Initiative der 6. Legion geworden; in der kommenden Schlacht würden die Zweier zum ersten Mal ihre neue Feldzeichen und ihren neuen Adler einweihen.23 Dann ritt er weiter zum germanischen Heer und rief, wobei er mit der Hand darauf zeigte, sie sollten ihr eigenes Ufer, ihr eigenes Lager mit dem Blut der Feinde zurückerobern. Lauter erhob sich daraufhin das Freudengeschrei all derer, die entweder nach dem langen Frieden Lust auf den Kampf hatten oder sich kriegsmüde nach Frieden sehnten. Zudem erhoffte man sich Belohnungen und Ruhe für später. 17 (1) Aber auch Civilis stellte sein Heer nicht in Schweigen auf, rief vielmehr den Kampfplatz als Zeugen ihrer Tapferkeit an: Die Germanen und Bataver stünden auf den Spuren ihres Ruhms und träten dabei die Asche und Gebeine der Legionen mit Füßen. Überall wohin der Römer seine Augen richte, begegneten ihm Gefangenschaft, Niederlagen, kurz, lauter entsetzliche Bilder. Sie sollten sich auch nicht durch den unentschiedenen Ausgang des Gefechts bei den Treverern schrecken lassen. Ihr eigener Sieg sei dort den Germanen im Weg gestanden, da sie ihre Waffen beiseite legten und mit Beute ihre Hände behinderten; aber später habe sich alles günstig und für den Feind nachteilig entwickelt. (2) Wofür man mit kluger Überlegung des Kommandeurs vorsorgen müsse, dafür habe er vorgesorgt, für morastige Ebenen, die ihnen selbst bekannt, für Sümpfe, die für die Feinde verderblich seien. Der Rhein24 und die Götter Germaniens lägen vor ihren Augen; mit deren göttlicher Hilfe sollten sie den Kampf beginnen und dabei an Frauen, Eltern und Vaterland denken. Dieser Tag werde im Vergleich mit denen, die ihre Vorfahren erlebt hätten, entweder der ruhmreichste oder bei der Nachwelt mit Schande verbunden sein. (3) Nachdem man mit Waffengeklirr und Kriegstanz – das ist bei ihnen so Sitte – die Ausführungen gutge-

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Historiarum liber quintus

dicta, saxis glandibusque et ceteris missilibus proelium incipitur, neque nostro milite paludem ingrediente et Germanis, ut elicerent, lacessentibus.

18 (1) Absumptis quae iaciuntur et ardescente pugna procursum ab hoste infestius: immensis corporibus et praelongis hastis fluitantem labantemque militem eminus fodiebant; simul e mole, quam eductam in Rhenum rettulimus, Bructerorum cuneus transnatavit. turbata ibi res, et pellebatur sociarum cohortium acies, cum legiones pugnam excipiunt suppressaque hostium ferocia proelium aequatur. (2) inter quae perfuga Batavus adiit Cerialem, terga hostium promittens, si extremo paludis eques mitteretur: solidum illa et Cugernos, quibus custodia obvenisset, parum intentos. duae alae cum perfuga missae incauto hosti circumfunduntur. quod ubi clamore cognitum, legiones a fronte incubuere, pulsique Germani Rhenum fuga petebant. debellatum eo die foret, si Romana classis sequi maturasset: ne eques quidem institit, repente fusis imbribus et propinqua nocte.

19 (1) Postera die quartadecima legio in superiorem provinciam Gallo Annio missa: Cerialis exercitum decima ex Hispania legio supplevit: Civili Chaucorum auxilia venere. non tamen ausus oppidum Batavorum armis tueri, raptis quae ferri poterant, ceteris iniecto igni, in insulam concessit, gnarus deesse naves efficiendo ponti neque exercitum Romanum aliter transmissurum: (2) quin et diruit molem a Druso Germanico factam Rhenumque prono alveo in Galliam ruentem, disiectis quae morabantur, effudit. sic velut abacto amne tenuis alveus insulam inter Germanosque continentium terrarum speciem fecerat. (3) transiere Rhenum Tutor quoque et Classicus et centum tredecim Trevirorum senatores, in quis fuit Alpinius Montanus, quem a Primo Antonio missum in Gallias superius memoravi-

Historien 5,17,3-5,19,3

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heißen hatte, begann man mit Steinen, Kugeln und den übrigen Wurfgeschossen den Kampf. Dabei rückten einerseits unsere Soldaten nicht in den Sumpf vor, andererseits provozierten die Germanen sie, um sie hervorzulocken. 18 (1) Als alles, was man verschießen kann, aufgebraucht war und die Schlacht nun heftiger entbrannte, stieß man vonseiten des Feindes energischer vor: Mit ihren riesigen Körpern und überlangen Lanzen stachen sie aus der Distanz auf unsere unsicher stehenden und schwankenden Soldaten ein. Gleichzeitig schwamm von dem Damm aus, der, wie erwähnt, in den Rhein hineingebaut worden war, ein Gefechtskeil der Brukterer hinüber. Dort entstand ein Chaos, und schon wurde die Front der bundesgenössischen Kohorten zum Weichen gebracht, da fingen die Legionen den Kampf auf, die wild anstürmenden Feinde wurden aufgehalten, und das Gefecht verlief ausgeglichen. (2) Währenddessen kam ein batavischer Überläufer zu Cerialis und versprach, ihn in den Rücken der Feinde zu führen, falls Kavallerie am Rand des Sumpfes losgeschickt werde. Dort sei fester Boden, und die Kugerner, denen die Bewachung zugefallen sei, seien nicht besonders bei der Sache. Zwei Regimenter wurden mit dem Überläufer geschickt und umzingelten den unvorsichtigen Feind. Als man das wegen des Geschreis bemerkte, griffen die Legionen von vorne an, die Germanen wurden geschlagen und flohen auf den Rhein zu. Der Krieg wäre an diesem Tag entschieden worden, falls die römische Flotte sich mit ihrer Verfolgung beeilt hätte. Aber nicht einmal die Kavallerie setzte nach, weil plötzlich starker Regen fiel und die Nacht schon nahte. 19 (1) Am nächsten Tag wurde die 14. Legion in die obere Provinz zu Gallus Annius geschickt, Cerialis’ Heer ergänzte die 10. Legion aus Spanien, zu Civilis kamen Hilfstruppen der Chauken. Dennoch getraute er sich nicht, den Hauptort der Bataver mit Waffen zu schützen, sondern ließ, was man tragen konnte, zusammenraffen, in den Rest Feuer werfen und zog sich dann auf die Insel25 zurück im Wissen, dass Schiffe für die Errichtung einer Brücke fehlten und das römische Heer anders nicht übersetzen werde. (2) Ja, er ließ sogar den von Drusus Germanicus errichteten Deich abtragen und den Rhein, der in natürlichem Gefälle nach Gallien hin drängt, durch die Beseitigung des Hindernisses abfließen.26 So hatte, nachdem dadurch der Strom sozusagen umgelenkt worden war, das nur noch schmale Rinnsal zwischen der Insel und den Germanen den Eindruck einer zusammenhängenden Landmasse hervorgerufen. (3) Den Rhein überschritten auch Tutor, Classicus und 113 Senatoren der Treverer, unter ihnen Alpinius Montanus, der, wie weiter oben erwähnt,27 von Primus Antonius nach Gallien geschickt worden war. Es begleitete ihn sein Bruder D. Alpinius. Zugleich

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Historiarum liber quintus

mus. comitabatur eum frater D. Alpinius; simul ceteri miseratione ac donis auxilia concibant inter gentes periculorum avidas. 20 (1) Tantumque belli superfuit, ut praesidia cohortium alarum legionum uno die Civilis quadripertito invaserit, decimam legionem Arenaci, secundam Batavoduri, et Grinnes Vadamque, cohortium alarumque castra, ita divisis copiis, ut ipse et Verax, sorore eius genitus, Classicusque ac Tutor suam quisque manum traherent, nec omnia patrandi fiducia, sed multa ausis aliqua in parte fortunam adfore: simul Cerialem neque satis cautum et pluri‹bu›s nuntiis huc illuc cursantem posse medio intercipi. (2) quibus obvenerant castra decumanorum, obpugnationem legionis arduam rati egressum militem et caedendis materiis operatum turbavere, occiso praefecto castrorum et quinque primoribus centurionum paucisque militibus: ceteri se munimentis defendere. interim Germanorum manus Batavoduri [in]rumpere inchoatum pontem nitebantur; ambiguum proelium nox diremit.

21 (1) Plus discriminis apud Grinnes Vadamque. Vadam Civilis, Grinnes Classicus obpugnabant nec sisti poterant interfecto fortissimo quoque, in quis Briganticus praefectus alae ceciderat, quem fidum Romanis et Civili avunculo infensum diximus. sed ubi Cerialis cum delecta equitum manu subvenit, versa fortuna: praecipites Germani in amnem aguntur. (2) Civilis dum fugientes retentat, agnitus petitusque telis relicto equo transnatavit; idem Veraci effugium: Tutorem Classicumque adpulsae luntres vexere. ne tum quidem Romana classis pugnae adfuit; et iussum erat, sed obstitit formido et remiges per alia militiae munia dispersi. (3) sane Cerialis parum temporis ad exsequenda imperia dabat, subitus consiliis et eventu clarus: aderat fortuna, etiam ubi artes defuissent; hinc ipsi exercituique minor cura dis-

Historien 5,19,3-5,21,3

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bemühten sich alle anderen, durch das Erregen von Mitleid und durch Geschenke unter den Völkern, die nach Gefahren gierten, Hilfstruppen aufzubieten. 20 (1) So wenig war der Krieg zu Ende, dass Civilis an einem einzigen Tag die Stützpunkte der Infanteriekohorten, Kavallerieregimenter und Legionen mit vier Abteilungen angriff: die 10. Legion in Arenacium, die 2. in Batavodurum, dazu Grinnes und Vada, ein Kohorten- und ein Regimentslager. Dabei wurden die Truppen derart aufgeteilt, dass er persönlich und Verax, der Sprößling seiner Schwester, sowie Classicus und Tutor jeder seine eigene Abteilung führten, und das nicht im Vertrauen darauf, alle Ziele erreichen zu können, sondern dass Leuten, die sich viel getrauten, in irgendeinem Teilbereich das Glück zur Seite stehen werde. Gleichzeitig könne man Cerialis, der sich einerseits nicht genügend in Acht nehme, andererseits wegen der sich häufenden Nachrichten hierhin und dorthin eile, unterwegs abfangen. (2) Die Feinde, denen das Lager der Zehner zugefallen war, stürzten sich in der Überzeugung, ein Sturmangriff auf die Legion sei zu schwierig, auf ausgerückte und mit dem Fällen von Baumaterial beschäftigte Soldaten und verursachten ein Durcheinander, nachdem sie den Lagerkommandanten sowie fünf der ranghöchsten Zenturionen und einige wenige Mannschaftsdienstgrade umgebracht hatten; die Übrigen konnten sich hinter den Befestigungen verteidigen. In der Zwischenzeit bemühten sich Einheiten der Germanen in Batavodurum, die begonnene Brücke zu zerstören. Das unentschiedene Gefecht unterband die Nacht. 21 (1) Kritischer war die Lage in Grinnes und Vada. Vada griff Civilis, Grinnes Classicus an, und man konnte sie nicht aufhalten, nachdem die tapfersten Männer getötet worden waren. Unter ihnen war der Regimentskommandant Briganticus gefallen, der wie gesagt28 den Römern treu ergeben und mit seinem Onkel Civilis verfeindet war. Aber als Cerialis mit einer Eliteeinheit Kavallerie zu Hilfe kam, wandte sich das Glück: Hals über Kopf wurden die Germanen in den Strom getrieben. (2) Während Civilis die Flüchtenden zurückzuhalten versuchte, wurde er erkannt, beschossen, ließ sein Pferd zurück und schwamm hinüber. Auf die gleiche Weise entkam Verax; Tutor und Classicus nahmen Kähne mit, die dort angelegt hatten. Nicht einmal jetzt griff die römische Flotte in den Kampf ein; und doch war das befohlen worden, aber die Angst stand im Wege, und die Ruderer waren mit anderen militärischen Aufgaben irgendwo unterwegs. (3) Freilich ließ Cerialis immer zu wenig Zeit zum Ausführen seiner Befehle, übereilt in seinen Entschlüssen und doch durch den Erfolg glänzend bestätigt. Denn ihm stand das Glück zur Seite auch da, wo er es an taktischer Planung hatte fehlen lassen. Deshalb legten er persönlich und sein Heer nur recht wenig Wert

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ciplinae. et paucos post dies, quamquam periculum captivitatis evasisset, infamiam non vitavit. 22 (1) Profectus Novaesium Bonnamque ad visenda castra, quae hiematuris legionibus erigebantur, navibus remeabat disiecto agmine, incuriosis vigiliis. animadversum id Germanis et insidias composuere: electa nox atra nubibus, et prono amne rapti nullo prohibente vallum ineunt. (2) prima caedes astu adiuta: incisis tabernaculorum funibus suismet ‹ten›toriis coopertos trucidabant. aliud agmen turbare classem, inicere vincla, trahere puppis; utque ad fallendum silentio, ita coepta caede, quo plus terroris adderent, cuncta clamoribus miscebant. Romani volneribus exciti quaerunt arma, ruunt per vias, pauci ornatu militari, plerique circum brachia torta veste et strictis mucronibus. (3) dux semisomnus ac prope intectus errore hostium servatur; namque praetoriam navem vexillo insignem, illic ducem rati, abripiunt. Cerialis alibi noctem egerat, ut plerique credidere, ob stuprum Claudiae Sacratae mulieris Ubiae. vigiles flagitium suum ducis dedecore excusabant, tamquam iussi silere, ne quietem eius turbarent; ita intermisso signo et vocibus se quoque in somnum lapsos. multa luce revecti hostes captivis navibus, praetoriam triremem flumine Lupia donum Veledae traxere.

23 (1) Civilem cupido incessit navalem aciem ostentandi: complet quod biremium quaeque simplici ordine agebantur; adiecta ingens luntrium vis: tricenos quadragenosque ferunt, armamenta Liburnicis solita; et simul captae luntres sagulis versicoloribus haud indecore pro velis iuvabantur. spatium velut aequoris electum, quo Mosae fluminis os amnem Rhenum Oceano adfundit. (2) causa instruendae classis super insitam genti vanitatem, ut

Historien 5,21,3-5,23,2

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auf Disziplin. Tatsächlich konnte er dann wenige Tage später, obwohl er der Gefahr der Gefangennahme entgangen war, eine Blamage nicht vermeiden. 22 (1) Bei einer Fahrt nach Novaesium und Bonna zur Inspektion der Lager, die man für die Legionen zum Überwintern errichtete, fuhr er zu Schiff zurück; seine Eskorte war also zersplittert,29 die Wachen unaufmerksam. Das bemerkten die Germanen und planten einen Überfall. Man wählte eine wolkenverhangene, dunkle Nacht aus, ließ sich von der raschen Strömung des Flusses mittreiben und drang ins Lager ein, ohne auf Widerstand zu stoßen. (2) Anfangs half bei dem Gemetzel eine List: Sie schnitten die Zeltschnüre durch und schlachteten die von ihren eigenen Zeltplanen zugedeckten Männer ab. Ein anderes Kontingent überfiel die Flotte, warf Schlingen auf die Schiffe und zog sie an den Achterdecken zu sich her; und wie sie, um unentdeckt zu bleiben, schweigend vorgegangen waren, so erfüllten sie nun nach dem Beginn des Gemetzels, um noch mehr Schrecken hervorzurufen, alles mit ihrem Geschrei. Die Römer suchten, erst von ihren Wunden aufgeweckt, nach ihren Waffen, rannten durch die Lagergassen, nur wenige in militärischer Rüstung, sehr viele mit um die Arme gewickelten Kleidungsstücken und gezogenen Schwertern. (3) Ihr Kommandeur wurde, schlaftrunken und beinahe unbekleidet, nur durch einen Irrtum der Feinde gerettet; denn sie schleppten das Admiralsschiff, das man an seiner Flagge erkennen konnte, in der Überzeugung ab, der Kommandeur halte sich dort auf. Cerialis aber hatte anderswo die Nacht verbracht, wie man allgemein glaubte, wegen eines amourösen Abenteuers mit Claudia Sacrata, einer verheirateten Ubierin. Die Wachen entschuldigten ihr eigenes Fehlverhalten mit der schandbaren Weisung ihres Kommandeurs: Es sei ihnen befohlen worden, still zu sein, damit sie seine Nachtruhe nicht störten. Deshalb habe man das Signal und Zurufe30 unterlassen, und so seien sie selbst eingeschlafen. Am helllichten Tag fuhren die Feinde auf den gekaperten Schiffen zurück und schleppten den Dreiruderer des Admirals als Geschenk für Veleda die Lippe hinauf. 23 (1) Civilis wollte unbedingt mit einer Parade seine Kriegsflotte vorführen: Er bemannte, was er an Zweiruderern hatte, und alle Schiffe, die nur durch eine einfache Ruderreihe angetrieben wurden. Dazu kam eine riesige Menge Kähne; je dreißig bis vierzig Mann sollen sie gefasst haben, ihre Ausstattung entsprach der von Liburnen. Zugleich wurden erbeutete Kähne zur Beschleunigung der Fahrt mit verschiedenfarbigen Mänteln – durchaus schön anzusehen – anstelle von Segeln ausgerüstet. Als Raum wählte man eine dem offenen Meer ähnliche Fläche aus, wo die Mündung der Maas auch den Rhein sich in den Ozean ergießen lässt. (2) Das Motiv, die Flotte in Gefechtsordnung auffahren zu lassen, lag über den dem Volk angebore-

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Historiarum liber quintus

eo terrore commeatus Gallia adventantes interciperentur. Cerialis miraculo magis quam metu derexit classem numero imparem, usu remigum, gubernatorum arte, navium magnitudine potiorem. his flumen secundum, illi vento agebantur: sic praevecti temptato levium telorum iactu dirimuntur. (3) Civilis nihil ultra ausus trans Rhenum concessit: Cerialis insulam Batavorum hostiliter populatus agros villasque Civilis intactas nota arte ducum sinebat, cum interim flexu autumni et crebris per aequinoctium imbribus superfusus amnis palustrem humilemque insulam in faciem stagni opplevit. nec classis aut commeatus aderant, castraque in plano sita vi fluminis differebantur.

24 (1) Potuisse tunc opprimi legiones et voluisse Germanos, sed dolo a se flexos imputavit Civilis; neque abhorret vero, quando paucis post diebus deditio insecuta est. nam Cerialis per occultos nuntios Batavis pacem, Civili veniam ostentans, Veledam propinquosque monebat fortunam belli tot cladibus adversam opportuno erga populum Romanum merito mutare: caesos Treviros, receptos Ubios, ereptam Batavis patriam; neque aliud Civilis amicitia partum quam volnera fugas luctus. (2) exulem eum et extorrem recipientibus oneri, et satis peccavisse, quod totiens Rhenum transcenderint. si quid ultra moliantur, inde ‹in›iuriam et culpam, hinc ultionem et deos fore.

25 (1) Miscebantur minis promissa; et concussa Transrhenanorum fide inter Batavos quoque sermones orti: non prorogandam ultra ruinam, nec posse ab una natione totius orbis servitium depelli. quid profectum caede et incendiis legionum, nisi ut plures validioresque accirentur? si Vespasiano

Historien 5,23,2-5,25,1

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nen Hang zur Angeberei hinaus darin, durch den dadurch hervorgerufenen Schrecken die aus Gallien eintreffenden Nachschubtransporte zu unterbrechen. Cerialis ließ mehr aus Überraschung als aus Furcht seine Flotte auslaufen, die zahlenmäßig unterlegen, aber durch die Erfahrung der Ruderer, das Können der Steuerleute und die Größe der Schiffe überlegen war. Für die einen war die Strömung günstig, die anderen ließen sich vom Wind treiben. So fuhren sie aneinander vorbei, versuchten mit leichten Waffen aufeinander zu schießen, und trennten sich dann wieder. (3) Civilis getraute sich nichts weiter zu unternehmen, sondern zog sich über den Rhein zurück. Cerialis verwüstete die Bataverinsel wie Feindesland, ließ aber die Äcker und Landgüter des Civilis nach altbekannter Feldherrnlist unangetastet, während inzwischen nach der Wende zum Herbst31 und der wegen der Tagundnachtgleiche häufigen Regenfälle der Strom über die Ufer getreten war und die sumpfige und niedrig gelegene Insel in eine Art Tümpel verwandelt hatte. Ferner waren keine Flotte oder Nachschubtransporte da, und das in der Ebene gelegene Lager drohte durch die Gewalt des Flusses weggeschwemmt zu werden. 24 (1) Es hätten damals die Legionen aufgerieben werden können, und die Germanen hätten das auch gewollt, aber mit List habe er sie davon abgebracht, hielt sich Civilis zugute. In der Tat widerspricht es auch nicht der Wahrheit, da ja wenige Tage später seine Kapitulation erfolgte. Denn Cerialis hatte durch geheime Unterhändler den Batavern Frieden, dem Civilis Verzeihung in Aussicht gestellt und forderte dann Veleda und ihre Verwandten auf, das Kriegsglück, das sich ihnen mit so vielen Niederlagen als feindlich erwiesen habe, zum richtigen Zeitpunkt mit einem Dienst am römischen Volk zu wenden: Vernichtet worden seien die Treverer, die Ubier wieder aufgenommen, entrissen den Batavern ihre Heimat, und nichts anderes sei durch ihre Freundschaft mit Civilis entstanden als Wunden, Exile, Trauer. (2) Verbannt und heimatlos, falle er denjenigen, die ihn aufnähmen, nur zur Last, und sie hätten schon damit genug Schuld auf sich geladen, dass sie so oft den Rhein überquert hätten. Sollten sie weiterhin etwas im Schilde führen, stünden auf ihrer Seite auf Unrecht beruhende Schuld, auf der anderen strafende Götter. 25 (1) Mit den Drohungen verband man Versprechungen. Als dann die Treue der überrheinischen Stämme erschüttert war, wurden auch bei den Batavern Stimmen laut: Man dürfe den Zusammenbruch nicht weiter verlängern. Auch könne nicht von einem einzigen Volk die Versklavung des gesamten Erdkreises abgeschüttelt werden. Was habe man denn durch Vernichtung und Brandschatzung bei den Legionen schon erreicht, außer dass noch mehr und noch kampfkräftigere herbeigeholt wurden? Falls sie für

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Historiarum liber quintus

bellum navaverint, Vespasianum rerum potiri: sin populum Romanum armis vocent, quotam partem generis humani Batavos esse? (2) respicerent Raetos Noricosque et ceterorum onera sociorum: sibi non tributa, sed virtutem et viros indici. proximum id libertati; et si dominorum electio sit, honestius principes Romanorum quam Germanorum feminas tolerari. (3) haec volgus, proceres atrociora: Civilis rabie semet in arma trusos; illum domesticis malis excidium gentis opposuisse. tunc infensos Batavis deos, cum obsiderentur legiones, interficerentur legati, bellum uni necessarium, ferale ipsis sumeretur. ventum ad extrema, ni resipiscere incipiant et noxii capitis poena paenitentiam fateantur.

26 (1) Non fefellit Civilem ea inclinatio et praevenire statuit, super taedium malorum etiam spe vitae, quae plerumque magnos animos infringit. petito conloquio scinditur Nabaliae fluminis pons, in cuius abrupta progressi duces, et Civilis ita coepit: (2) ‘si apud Vitellii legatum defenderer, neque facto meo venia neque dictis fides debebatur: cuncta inter nos inimica; hostilia ab illo coepta, a me aucta erant: erga Vespasianum vetus mihi observantia, et cum privatus esset, amici vocabamur. (3) hoc Primo Antonio notum, cuius epistulis ad bellum actus sum, ne Germanicae legiones et Gallica iuventus Alpes transcenderent. quae Antonius epistulis, Hordeonius Flaccus praesens monebat: arma in Germania movi, quae Mucianus in Syria, Aponius in Moesia, Flavianus in Pan‹no›nia * * * Desinit codex ante finem columnae.

Historien 5,25,1-5,26,3

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Vespasian die Mühen des Kriegs auf sich genommen hätten, so sei Vespasian nun an der Macht;32 falls sie aber das römische Volk mit Waffen herausforderten, der wievielte Teil des Menschengeschlechts seien denn schon die Bataver? (2) Man solle auf die Räter und Noriker schauen und auf die Belastungen der übrigen Bundesgenossen; ihnen dagegen habe man keine Tribute, sondern nur Mannhaftigkeit und Männer auferlegt.33 Dieser Zustand komme der Freiheit ganz nahe; und falls man eine Wahlmöglichkeit bei den Herren habe, sei es ehrenhafter, die Principes der Römer als die Frauen der Germanen zu ertragen. (3) So das einfache Volk! Die Vornehmen aber äußerten sich schärfer: Durch Civilis’ Wahnsinnstat seien sie in eine bewaffnete Auseinandersetzung getrieben worden. Er habe seiner persönlichen schlimmen Behandlung den Untergang seines Volkes entgegengesetzt. Damals seien die Götter den Batavern feindlich gesinnt gewesen, als die Legionen belagert, die Legaten umgebracht wurden, man einen Krieg aufnahm, den er als Einziger nötig hatte, der für sie selbst verhängnisvoll war. Nun sei es zum Äußersten gekommen, falls sie nicht wieder Vernunft annähmen und durch die Bestrafung des schuldigen Kopfes Reue zeigten. 26 (1) Civilis entging dieser Stimmungsumschwung nicht, und er beschloss, ihm zuvorzukommen, zusätzlich zum Verdruss über sein Unglück auch in der Hoffnung, am Leben zu bleiben, die oft genug sogar beherzte Geister schwach werden lässt. Als er um eine Unterredung bat, unterbrach man die Brücke über den Fluss Nabalia. Zur Abbruchstelle gingen die Kommandeure nach vorn, und Civilis begann folgendermaßen: (2) „Falls ich mich vor einem Legaten des Vitellius verteidigen würde, verdiente weder mein Tun Nachsicht noch meine Worte Glauben: Alles zwischen uns war von persönlicher Feindschaft bestimmt. Die Feindseligkeiten waren von ihm begonnen, von mir verschärft worden. Vespasian gegenüber empfinde ich eine althergebrachte Hochachtung, und als er noch Privatmann war, nannten wir uns Freunde. (3) Das ist Primus Antonius bekannt, durch dessen Briefe ich in den Krieg getrieben wurde, damit die germanischen Legionen und die Miliz der Gallier die Alpen nicht überquerten. Wozu mich Antonius brieflich, dazu hat mich Hordeonius Flaccus persönlich aufgefordert: Ich habe in Germanien zu den Waffen gegriffen, die Mucian in Syrien, Aponius in Mösien, Flavianus in Pannonien … Der Text endet vor dem Spaltenrand.

FRAGMENTA HISTORIARUM 1. Sulpicius Severus Chron. II 30,3. Interea Iudaei obsidione clausi, quia nulla neque pacis neque deditionis copia dabatur, ad extremum fame interibant, passimque viae compleri cadaveribus coepere, victo iam officio humandi: quin omnia nefanda esca super ausi ne humanis quidem corporibus pepercerunt, nisi quae eiusmodi alimentis tabes praeripuerat.

2. Sulpicius Severus Chron. II 30,6. Fertur Titus adhibito consilio prius deliberasse, an templum tanti operis everteret. etenim nonnullis videbatur aedem sacratam ultra omnia mortalia illustrem non oportere deleri, quae servata modestiae Romanae testimonium, diruta perennem crudelitatis notam praeberet. at contra alii et Titus ipse evertendum in primis templum censebant, quo plenius Iudaeorum et Christianorum religio tolleretur: quippe has religiones, licet contrarias sibi, isdem tamen ‹ab› auctoribus profectas; Christianos ex Iudaeis extitisse: radice sublata stirpem facile perituram.

3. Orosius VII 9,7. Sexcenta milia Iudaeorum eo bello interfecta Cornelius et Suetonius referunt (cf. Tac. Hist. 5,13,3). 4. Orosius VII 3,7. Deinde, ut verbis Corneli Taciti loquar, sene Augusto Ianus patefactus, dum apud extremos terrarum terminos novae gentes saepe ex usu et aliquando cum damno quaeruntur, usque ad Vespasiani duravit imperium. hucusque Cornelius. 5. Orosius VII 19,4. Gordianus … Iani portas aperuit: quas utrum post Vespasianum et Titum aliquis clauserit, neminem scripsisse memini, cum tamen eas ab ipso Vespasiano post annum apertas Cornelius Tacitus prodat.

DIE FRAGMENTE DER HISTORIEN 1. Sulpicius Severus, Chronik 2,30,3.1 In der Zwischenzeit waren die durch die Belagerung eingeschlossenen Juden, weil ihnen keinerlei Möglichkeit weder zum Frieden noch zur Kapitulation geboten wurde, dabei, zuletzt durch Hunger zugrunde zu gehen. Überall begannen sich die Straßen mit Leichen zu füllen, weil auch schon die Pflicht zur Beerdigung aufgehoben war. Ja, nachdem sie sich dazu verstiegen hatten, alle Abscheulichkeiten um der Nahrung willen zu begehen, verschonten sie nicht einmal mehr menschliche Kadaver, außer es hatte diese nach dem Verzehr derartiger Nahrungsmittel die Seuche hinweggerafft. 2. Sulpicius Severus, Chronik 2,30,6. Titus soll seinen Kriegsrat einberufen und zunächst überlegt haben, ob er einen Tempel von derartigen Ausmaßen zerstören solle. Einige Teilnehmer gaben nämlich zu bedenken, man dürfe ein geweihtes Gebäude, das berühmter sei als alle anderen von Sterblichen errichteten Bauwerke, nicht vernichten; erhalten würde es einen Nachweis maßvollen römischen Verhaltens, zerstört einen ewigen Schandfleck brutalen Vorgehens darstellen. Doch im Gegensatz dazu waren andere Mitglieder und auch Titus persönlich dafür, vor allem den Tempel zu zerstören, damit die Religion der Juden und Christen umso gründlicher beseitigt werde. Denn diese Religionen seien, wenn sie sich auch widersprächen, dennoch von denselben Stiftern ausgegangen. Die Christen seien aus den Juden hervorgegangen; habe man die Wurzel beseitigt, werde der Stamm leicht eingehen. 3. Orosius 7,9,7. 600 000 Juden seien in diesem Krieg umgekommen, berichten Cornelius und Sueton. 4. Orosius 7,3,7. Hierauf wurde, um mit den Worten des Cornelius Tacitus zu sprechen, durch den alten Augustus der Janustempel2 geöffnet, während in den entferntesten Grenzgebieten neue Völker oft zum Nutzen und manchmal auch zum Schaden gewonnen wurden, und dieser Zustand dauerte bis zur Herrschaft Vespasians an. So weit Cornelius. 5. Orosius 7,19,4. Gordian3 … öffnete die Tore des Janustempels. Ob sie nach Vespasian und Titus jemand geschlossen hat, darüber hat meiner Erinnerung nach niemand geschrieben, wo doch Cornelius Tacitus überliefert, sie seien von Vespasian persönlich nach einem Jahr geöffnet worden.

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Fragmenta Historiarum

6. Orosius VII 10,4. Nam quanta fuerint Diurpanei, Dacorum regis, cum Fusco duce proelia quantaeque Romanorum clades, longo textu evolverem, nisi Cornelius Tacitus, qui hanc historiam diligentissime contexuit, de reticendo interfectorum numero et Sallustium Crispum et alios auctores quam plurimos sanxisse et se ipsum idem potissimum elegisse dixisset. Domitianus tamen pravissima elatus iactantia, sub nomine superatorum hostium de extinctis legionibus triumphavit (cf. R. Syme, Tacitus 215 n. 4).

7. Orosius VII 34,5. Itaque Theodosius … maximas illas Scythicas gentes formidatasque cunctis maioribus, Alexandro quoque illi Magno, sicut Pompeius Corneliusque testati sunt, evitatas …, hoc est Alanos Hunos et Gothos incunctanter adgressus magnis multisque proeliis vicit. 8. Servii Comment. in Verg. Aen. III 399 (1 p. 413 ed. Thilo-Hagen). Hi vero (Locri), qui iuxta Delphos colunt, Ozolae nuncupantur … qui autem Libyam delati sunt, Nasamones appellantur, ut Cornelius Tacitus refert, oriundi a Naryciis (cf. Dio 67,4,6).

Die Fragmente der Historien

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6. Orosius 7,10,4. Denn welch bedeutende Gefechte es zwischen dem Dakerkönig Diurpaneus und dem Kommandeur Fuscus4 gab und welch schwere Niederlagen, würde ich in einem langen Abschnitt darlegen, wenn nicht Cornelius Tacitus, der diese Geschichte mit höchster Sorgfalt beschrieben hat, gesagt hätte, auf das Verschweigen der Zahl der Gefallenen hätten sich sowohl Sallustius Crispus als auch sehr viele andere Autoren festgelegt, und er selbst habe sich gerade diesen Grundsatz sehr gerne zu eigen gemacht. Domitian ließ sich dennoch von übelster Prahlsucht leiten und triumphierte unter dem Namen der besiegten Feinde über die ausgelöschten Legionen. 7. Orosius 7,34,5. Deshalb griff Theodosius5 … diese überaus großen skythischen Stämme, die bei allen Vorfahren gefürchtet waren und denen sogar der berühmte Alexander der Große, wie Pompeius6 und Cornelius bezeugt haben, aus dem Weg ging …, das heißt, die Alanen, Hunnen und Goten, ohne zu zögern an und besiegte sie in vielen bedeutenden Gefechten. 8. Servius, Kommentar zu Vergil, Aeneis 3,399. Die (Lokrer) aber, die bei Delphi siedeln, nennt man Ozoler … Diejenigen aber, die nach Libyen verschlagen wurden, heißen Nasamonen7, wie Cornelius Tacitus berichtet, da sie von den Naryciern abstammten.

Anmerkungen Buch 3 1

Die Erklärer sind sich nicht einig, wie quibus fortuna in integro est aufzufassen ist. Wellesley schlägt in seinem Kommentar (1972,80) vor: „‘you, who have a reputation to maintain’ (sc. as successful generals) or ‘you who have not compromised yourselves’ (i. e. have not openly declared against Vitellius by such an initiative and speech as mine)“, um dann auf P. Cerocchi zu verweisen, dessen Argumentation, „that all commanders were in fact already committed, suggests the translation ‘You, in whose judgement the success of war depends on maintaining our forces intact …’: this would make excellent sense, but can scarcely be read into the Latin“ (Letzterem ist voll zuzustimmen): Tacitus geht es im Zusammenhang nur darum, Antonius als den einzigen zum sofortigen Handeln entschlossenen General darzustellen, der sich unmissverständlich auf Vespasian festgelegt hat (ähnlich Heubner 1972,19 im Anschluss an Andresen) und seinen zögernden Kollegen siegessicher klarmacht, sie müssten sich im Augenblick gar nicht entscheiden, sondern sollten nur ihn agieren lassen. Nach seinem Erfolg könnten sie dann mühelos den Rest erledigen. 2 Heubner (1972,29) vermutet, Corbulos Tochter Domitia Longina habe als zweite Frau Domitians die Bestrafung des Verleumders ihres Vaters durchgesetzt. 3 Entweder handelt es sich um eine variatio der von Tacitus häufig gebrauchten Verbindung signa et aquilae mit dem Adler als Kultgegenstand einer jeden Legion, oder es sind die am Schaft der Standarten angebrachten Göttermedaillons gemeint. 4 Das überlieferte forte victi ergibt keinen Sinn. Zu den zahlreichen unbefriedigenden Verbesserungsvorschlägen vgl. im Anhang „Zur Textgestaltung“. 5 Vgl. Anm. zu 1,52,3. 6 Das heißt zu dieser Jahreszeit ungefähr um 20.30 Uhr. 7 Die Legion hatte also entsetzliche Verluste erlitten: Die ranghöchsten Offiziere von sechs der zehn Kohorten waren gefallen, darunter der für den

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Anmerkungen

Adler als kultisch verehrtes Symbol einer jeden Legion verantwortliche primipilus der ersten Kohorte. 8 Zu den Ballisten vgl. Anm. zu 2,34,2. Tacitus erschwert uns auch hier das Verständnis, weil er mögliche Fachbegriffe vermeidet. Die übliche Wiedergabe der Formulierung vincla ac libramenta mit „Seile und Schwungriemen“ oder gar mit „contrepoids“ (Le Bonniec) führt dazu, dass man sich unter ballista ein mit Hebelwirkung arbeitendes Wurfgeschütz vorstellt, das es in der römischen Armee nicht gab. 9 Vgl. 2,43,2 die erste Schlacht von Bedriacum, in der die aus Pannonien kommende 13. Legion geschlagen worden war. 10 Zu ihrer Rolle im Bürgerkrieg vgl. 2,85,1. 11 Die 3. Legion hatte 36–34 v. Chr. gegen die Parther gekämpft, 63 n. Chr. feierte Corbulo einen Erfolg über die Armenier. Zur Auseinandersetzung mit den Sarmaten ist 1,79 zu vergleichen. 12 Wenn man beim Angriff auf eine Stadtmauer oder einen Lagerwall über keine Belagerungsgeräte wie die in 2,21,3 erwähnten Faschinen und Laufgänge verfügte, konnte sich ein Trupp Soldaten dadurch gegen Beschuss von vorne und von oben schützen, dass die zweite und die folgenden Reihen ihre rechteckigen, gewölbten Schilde dicht aneinandergepresst über die Köpfe hielten und so ein Schutzdach in der Art eines Schildkrötenpanzers bildeten. 13 Mit diesen Zeichen der Unterwürfigkeit bat man um Gnade und Schutz (vgl. 1,66,1). 14 Vgl. 2,45,2f. 15 Diese mit Purpur verbrämte Toga war höheren Amtsträgern, verschiedenen Priestern und den frei geborenen Knaben bis zum 16. Lebensjahr vorbehalten. Die Konsuln trugen sie bei ihren öffentlichen Auftritten im Frieden (vgl. 2,89,1). 16 Der Einschub adeo invisa scelera sunt lässt sich am besten verstehen, wenn man ihn wie öfter bei Tacitus auf das Folgende bezieht: Die Soldaten empfanden den stolzen Auftritt des von Vitellius für die Monate September und Oktober zum Suffektkonsul ernannten Caecina, der kurz zuvor von seinen eigenen Leuten noch in Ketten gelegt worden war, in der gegebenen Situation als völlig deplatziert. Statt die um Gnade bittenden Gegner, die man nachsichtig zu behandeln entschlossen war, für Vespasian zu gewinnen, übte er Verrat an diesem, indem er sie gewaltsam auseinandertreiben ließ. 17 Tacitus lässt durch die Formulierung vernile dictum offen, ob darunter nicht „eine von der Gesinnung eines Sklaven zeugende Äußerung“ gemeint ist, die dann von Antonius stammte. Wesentlich dürfte sein, dass man diesem derart niederträchtige, offenbar witzig gemeinte Worte zutraute.

Buch 3

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Diese an vielen Orten in Italien verehrte Gottheit schützte vor schädlichen, übel riechenden Gasen, die aus der Erde drangen oder sich in schwefelhaltigen Gewässern bildeten. 19 40 v. Chr. hatten die Triumvirn in der Umgebung von Cremona und Mantua sehr viele Veteranen angesiedelt. Unter anderem verlor dabei Vergil sein Landgut. 20 Das Städtchen Aricia lag am Fuß der Albanerberge an der Via Appia. In einem Hain in seiner Umgebung stand ein berühmter Dianatempel. 21 Am letzten Tag ihrer Amtszeit mussten die Amtsträger schwören, dass sie nicht gegen Gesetze verstoßen hatten (se nihil contra leges fecisse). 22 Kaiser Claudius feierte den Triumph über Britannien im Jahre 43, Cartimandua lieferte den nach einem fehlgeschlagenen Aufstand zu ihr geflüchteten Caratacus 51 an die Römer aus. „The capture of Caratacus eight years later may be said to have adorned this triumph retrospectively, for in 51 the emperor completed the earlier event with an insigne spectaculum in which the king figured“ (Wellesley 1972,138f.). 23 Vgl. 4,12–37.54–79; 5,14–26. 24 Nero hatte im Jahre 63 Pontus und Galatia zusammengelegt. Polemon II., pontischer König 38–63, durfte Kilikien im Südosten Kleinasiens behalten. Er war mit Titus’ Geliebter Berenike verheiratet (vgl. 2,2,1). 25 Die Soldaten mussten für Verpflegung, Kleidung, die Waffen am Mann, die Zelte, aber auch für Dienstbefreiungen (vgl. 1,46,2) selbst aufkommen. Deshalb nutzten sie jede Gelegenheit, Sonderzahlungen zu verlangen, zu denen (nach langen Märschen?) ein Zuschuss für ihre durch Nägel verstärkten Stiefel(sohlen) gehörte. 26 Im Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla nahmen 87 v. Chr. die Anhänger des Marius unter Cinnas Führung das von den Konsuln Cn. Pompeius Strabo und Cn. Octavius verteidigte Rom ein und besetzten dabei den Ianiculus. – L. Cornelius Sisenna, gestorben 67 v. Chr., verfasste u. a. eine die Jahre 91 bis 79 umfassende Zeitgeschichte (Historiae) in mindestens zwölf Büchern, von der nur Fragmente erhalten sind. 27 Damit meint er seinen Rivalen Mucian. 28 Das ius Latii, ursprünglich den Bewohnern Latiums zugestanden, war eine begehrte Vorstufe zum römischen Vollbürgerrecht; es wurde an Provinzstädte verliehen. 29 Das Opfertier wurde mit einem Axt- oder Hammerschlag betäubt und verblutete durch einen Stich in die Halsschlagader. Als schlechtes Vorzeichen galt, wenn es sich wehrte oder der Schlag oder Stich misslang. 30 In der Republik versammelte sich das Volk in verschiedenen comitia, darunter die comitia tributa, in denen nach den 35 Wahlbezirken abgestimmt

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Anmerkungen

wurde (ursprünglich waren es nur drei, daher die Bezeichnung tribus). Diese comitia wurden in der Kaiserzeit nur mehr bei besonderen Anlässen einberufen, etwa bei feierlichen Aufzügen, zur Getreideversorgung und zu Aushebungen. 31 Vgl. 1,62,2; 2,62,2. 32 Die Iuvenalia hatte Nero im Jahre 59 nach griechischem Vorbild eingeführt: griechische und lateinische Mimen – diese volkstümlich-realistische Darstellung typischer, oft derber Szenen des täglichen Lebens ersetzte im 1. Jh. n. Chr. immer mehr die Komödie –, Einzel- und Chorgesänge. Der Kaiser nahm an dem in seinem privaten Park am rechten Tiberufer stattfindenden Wettbewerb selbst als Kitharaspieler teil und zwang angesehene Bürger und Matronen, auf der Bühne aufzutreten oder die Aufführungen wenigstens als Zuschauer zu verfolgen. 33 Während Wellesley (1972,163) und Hellegouarc’h (1989,307) unter den „Besiegten“ die Anhänger des Vitellius verstehen, die eine Abdankung des Kaisers auch nach seiner Niederlage nicht einfach hinnehmen würden, vermutet Heubner (1972,159) wenig überzeugend, von den Flavianern werde „hier unter dem Gesichtspunkt der getroffenen Vereinbarung und ihrer Folgen als von Besiegten gesprochen“. 34 Bei einem Misserfolg sollte er den Vermittler bei Vitellius spielen. 35 Die Ratgeber gehen sehr großzügig mit der historischen Wahrheit um: Pompejus wurde nach seiner Niederlage bei Pharsalos auf der Flucht in Ägypten umgebracht, Antonius beging nach Aktium Selbstmord. 36 A. Vitellius’ Vater L. Vitellius war nicht nur dreimal Konsul (vgl. 1,9,1), sondern in den Jahren 47 bis 51 auch zusammen mit Claudius Zensor gewesen. Über das „Klientelverhältnis“ (mit entsprechenden Verdiensten des Vitellius gegenüber Vespasian?) wissen wir sonst nichts. 37 Der Diktator Cäsar war 44 v. Chr., Kaiser Gaius (Caligula) 41 n. Chr. einem Attentat zum Opfer gefallen. Nero hatte sich nach dem Abfall der Prätorianer auf einem in der Nähe der Hauptstadt gelegenen Landgut eines seiner Freigelassenen versteckt und beging dort am 9. Juni 68 Selbstmord. 38 In diesem auf dem Forum gelegenen Tempel tagte oft der Senat. Tiberius hatte aus ihm eine Art Museum für Kunstwerke gemacht. 39 Sie führte vom Forum zum Kapitol und weiter zum Palatin. 40 Der Ausdruck ist sarkastisch gemeint: Der Kaiser legt sein Amt wie ein gewöhnlicher Amtsträger nieder, der am letzten Tag seiner Tätigkeit schwören musste, nichts Ungesetzliches getan zu haben (vgl. Anm. zu 3,37,2). 41 Es handelte sich um Vitellius’ Leibwache. 42 Diese Brunnenanlage lag am südlichen Abhang des Quirinals an dem Weg, der zum Forum führte.

Buch 3

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Domitian war am 24. Oktober 51 geboren, also gut 18 Jahre alt. Der kapitolinische Hügel hat zwei Kuppen: Auf der nördlichen stand der Tempel der Iuno Moneta (heute Santa Maria in Araceli), auf der südlichen der Jupitertempel. In der Senke dazwischen, heute ungefähr die Piazza del Campidoglio, war der Sage nach von Romulus in einem kleinen Eichenhain ein Asyl eingerichtet worden. 45 Entweder sind hölzerne Giebelstützen gemeint, die von Ferne Adlern mit ausgebreiteten Schwingen glichen, oder es handelte sich um schmückende Skulpturen aus Holz. 46 Der historischen Legende zufolge griff der Etruskerkönig Porsenna von Clusium (Chiusi) Rom an, um den 509 v. Chr. vertriebenen letzten römischen König Tarquinius Superbus wieder einzusetzen. – 387 (oder 390) v. Chr. wurden die Römer an der Allia, einem Nebenflüsschen des Tiber, von den Galliern vernichtend geschlagen. Rom wurde daraufhin erobert und geplündert. – Im Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla ging das Kapitol im Juli 83 v. Chr. in Flammen auf; die Brandstifter wurden nie entlarvt. 47 Im Jahre 509, einer anderen Tradition zufolge 507 v. Chr. 48 Scipio und Norbanus waren 83 v. Chr. Konsuln. Die Zahl 415 ist demnach falsch überliefert. 49 Sulla führte den Beinamen Felix, „der Glückliche“. 50 Der Sohn des Kimbernsiegers Q. Lutatius Catulus weihte den Tempel 69 v. Chr. ein und verewigte sich in der Bauinschrift. 51 Die Priester der Isis und ihre Ministranten trugen linnene Gewänder. 52 Feronia, eine ursprünglich wohl sabinische Göttin der Landwirtschaft, hatte einen Tempel bei Tarracina an der Via Appia. 53 Vgl. 3,57. 54 Siegesnachrichten wurden mit Lorbeerzweigen umwunden. 55 Die Saturnalien, eine Art antiker Karneval, wurden vom 17. bis 23. Dezember gefeiert. 56 Als Saxa rubra wurden die etwa 14 km nördlich von Rom am rechten Tiberufer aufragenden Tufffelsen bezeichnet. 57 Musonius Rufus war Lehrer der Stoiker Epiktet und Dion von Prusa und wurde wegen seines als provokativ empfundenen Auftretens von Nero und Vespasian verbannt, von Galba und Titus begnadigt. Tacitus verwendet nur hier den Fachbegriff philosophia und spricht sonst immer wie am Ende dieses Paragraphen von sapientia (vgl. Anm. zu 4,5,2). 58 Der ursprünglich wohl Cäsar und dann dem Geschichtsschreiber Sallust gehörende Park lag südlich des heutigen Monte Pincio im Norden von Rom. 59 Sulla in den Jahren 88 und 82, Cinna 87 v. Chr. 44

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Anmerkungen

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Die Kämpfe fanden während der Saturnalien statt (vgl. 3,78,1). Vgl. Anm. zu 3,27,2. 62 Nach Sueton, Vitellius 16, versteckte er sich in der Kammer des Pförtners, versuchte sie mit Bett und Matratze zu verrammeln und band davor seinen Hund an; nach Dio Cassius 65,20 verkroch er sich in der Hundehütte. 63 Der fehlerhafte Text wird von den Herausgebern folgendermaßen verbessert: Patria illi Luceria, oder man nimmt eine Lücke an und ergänzt sie mit Andresen sinngemäß: Patrem illi ‹Lucium Vitellium censorem ac ter consulem fuisse memoravi, patriam habuit› Luceriam. Für diese Lösung spricht außer dem Inhalt, dass das Auge eines Kopisten von Lucium zu Luceriam abgeirrt sein könnte. 61

Buch 4 1 Man hielt sie offensichtlich für Angehörige der germanischen Hilfstruppen im Heer des Vitellius. 2 Vgl. 3,34,2. 3 Capua war Vitellius treu geblieben, Tarracina hatte sich Vespasian angeschlossen und wurde von den Vitellianern arg mitgenommen (vgl. 3,57.77); der Bestrafung Capuas hätte also eine Belohnung Tarracinas entsprochen. 4 Der Verräter, ein Freigelassener, den Tacitus wie üblich abschätzig als Sklaven bezeichnet, war von Vitellius also in den Ritterstand aufgenommen worden (vgl. 1,13,1; 3,77). 5 Mucian sollte für seine Verdienste um die siegreiche Partei im Bürgerkrieg geehrt werden. Da man die Triumphabzeichen aber nur nach einem bedeutenden Sieg über äußere Feinde erhalten konnte, verlieh man sie ihm vordergründig für seinen Erfolg bei der Abwehr der mit den Sarmaten verbündeten Daker (vgl. 3,46,2). 6 Sinngemäß dürfte zu ergänzen sein: ita ipsi decoram; quippe „so glanzvoll für ihn persönlich; denn …“ (Andresen) oder: ita pro re publica decoram. adulationum „so glanzvoll für den Staat: Die Verlogenheit der Liebedienereien …“ (Heraeus). 7 Gemeint sind die Stoiker (Tacitus umschreibt in Historien und Annalen die Philosophie regelmäßig mit „Weisheit“; die Fachbegriffe philosophus/ -ia verwendet er nur je einmal, vgl. Anm. zu 3,81,1). Der im Folgenden erwähnte Thrasea Paetus war der Führer der sogenannten stoischen Senatsopposition gegen Nero (vgl. Tac. ann. 13–16, vor allem 16,21f.). 8 Damit sollte gewährleistet werden, dass man sich bei der Auswahl nicht von persönlichen Interessen leiten ließ (vgl. 4,8,1).

Buch 4

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Cato der Jüngere stürzte sich nach Cäsars Sieg bei Thapsus (46 v. Chr.) ins Schwert, Brutus beging nach der Niederlage gegen die Cäsarrächer Octavian und Antonius bei Philippi (42 v. Chr.) ebenfalls Selbstmord. Beide galten als Verkörperungen des Widerstands gegen eine Gewaltherrschaft. 10 Tacitus unterscheidet ihrer Bedeutung und ihrem Ansehen nach drei Gruppen von Senatoren: die führenden Köpfe (primores civitatis vel senatus), die große Masse der medii (vgl. 1,19,1) und die pedarii, die noch nicht Ädil, Prätor oder Konsul gewesen waren und sich nur dem Votum anderer Mitglieder anschließen durften (vgl. ann. 3,65,2). 11 Das im Saturntempel am Fuß des Kapitols ursprünglich von Quästoren verwahrte mobile Vermögen des römischen Volkes verlor neben dem fiscus, der kaiserlichen Privatkasse, immer mehr an Bedeutung. Eine Unterabteilung, das aerarium militare, war für die Veteranenversorgung zuständig. Das aerarium diente auch als Archiv für Urkunden aller Art. 12 Er wurde im Jahre 66 zusammen mit seiner Tochter des Hochverrats gegen Nero angeklagt; beide begingen daraufhin Selbstmord (vgl. Tac. ann. 16,33). 13 Vgl. 3,81,1; 4,5,2. 14 C. Calpurnius Piso Galerianus war der Sohn C. Calpurnius Pisos, der im Jahre 65 nach der nach ihm benannten, fehlgeschlagenen Verschwörung gegen Nero hingerichtet worden war. 15 Zu Iulius Priscus, Alfenus Varus und Asiaticus vgl. 2,92,1; 3,55,1.61,3. – 2,29,2.43,2; 3,36,2.55,1.61,2f. – 2.57,2.95,3 und 4,3,2. Die bei Sklaven übliche Hinrichtungsart war die Kreuzigung. 16 Es handelt sich um die von Niederrhein (Lek) und Waal gebildete Insel; der Landstrich in der Provinz Gelderland heißt noch heute „Betuwe“. 17 Ihr Anführer Iulius Civilis stellt 5,25,2 fest: sibi non tributa, sed virtutem et viros indici. In der Germania (29,1) hatte Tacitus diesen Sachverhalt folgendermaßen formuliert: velut tela atque arma bellis reservantur „sie werden gleichsam als Geschosse und Waffen für Kriege aufgespart“. 18 Er hatte ein Auge verloren. 19 Zur Verwendung der Toga als „Tasche“ für kleinere Gegenstände vgl. 1,52,3. 20 Vgl. 2,69,1. 21 Kaiser Gaius (Caligula) hatte in den Jahren 39/40 großartige Vorbereitungen für Kriege gegen Germanien und Britannien getroffen; die Unternehmungen beschränkten sich dann aber auf eine Demonstration römischer Macht. 22 Sie hatten stattdessen die vor allem für ihre „amphibischen“ Unternehmen gefürchteten Kavallerieregimenter zu stellen (vgl. 4,12,3).

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Anmerkungen

Vgl. 1,6,2. Das ist die sich aus der sog. anthropogeographischen Konzeption ergebende Auffassung, der zufolge sich Klima und Bodenbeschaffenheit einer Erdzone nicht nur auf das Äußere, sondern auch auf Geist und Charakter der dort lebenden Menschen auswirken (vgl. Anm. zu 2,32,1), 25 nuper kann einen langen Zeitraum umfassen: Am Ende des vorhergehenden Paragraphen ist die erste Schlacht bei Bedriacum gemeint (vgl. 2,43), hier das Jahr 9 n. Chr. Aber Tacitus lässt Civilis wahrscheinlich gezielt rhetorisch übertreiben; denn um 70 n. Chr. lebten gewiss nicht mehr viele Gallier, die vor der Festlegung des Zensus durch Augustus (27 v. Chr.) geboren waren. 26 Es handelte sich also um gemischte Einheiten, bei denen Infanteristen zur besser bezahlten und höher angesehenen Kavallerie wechseln wollten. 27 Wahrscheinlich ist gemeint, dass dadurch der Bürgerkrieg und der Krieg gegen den ausländischen Feind „zusammenlaufen“ (im folgenden Paragraphen spricht Tacitus von der mixta belli civilis externique facies; vgl. auch 1,2,1). Manche Erklärer sehen in concurrentis aber ein Attribut zu minas und verstehen unter der dichterischen Verbindung ein „sich drohend zusammenziehendes Kriegsgewitter“. 28 Vgl. 3,27,2. 29 Zu Faschinen und Laufgängen vgl. Anm. zu 2,21,3, zu den Geschützen Anm. zu 2,34,2. 30 Das cognomen des Hordeonius, Flaccus, kann „schlaff, welk“ bedeuten, sein nomen gentile ist von hordeum (Gerste) abgeleitet und hat vielleicht im Soldatenwitz auf den strafbaren Tatbestand des Vertauschens von Weizen gegen Gerste (als Verpflegung) hingewiesen. Wahrscheinlich galt aber ein an Gicht leidender, kaum bewegungsfähiger Kommandeur schon als schlechtes Vorzeichen an sich (vgl. 3,56,2 Vitellius). 31 Die Soldaten waren darüber empört, dass tatsächlich ein Brief Vespasians an den von ihnen bereits des Verrats verdächtigten Legaten eingetroffen war. Dessen Verhalten zeigte dann aber, dass sie ihm diesbezüglich keinen Vorwurf machen konnten. 32 Tacitus lässt hier den Flussgott Rhenus zürnen; vielleicht handelt es sich aber auch nur um eine sprachliche Variante der römischem Denken ebenso entsprechenden Vorstellung vom Zorn der Götter (einige Erklärer haben dementsprechend vorgeschlagen, den Text in ira deum zu ändern). 33 Die germanischen Ubier wurden im 1. Jh. v. Chr. von M. Agrippa, dem Schwiegersohn des Kaisers Augustus, auf das linke Rheinufer umgesiedelt. Ihr Hauptort, die civitas (oppidum, ara) Ubiorum, wurde 50 n. Chr. zu Ehren 24

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Agrippinas, der dort geborenen Mutter Kaiser Neros, in Colonia Claudia Ara Agrippinensis(-ium) „Köln“ umbenannt. 34 Das heißt, die Soldaten nehmen die Grundstellung ein, um einen Angriff parieren oder selbst angreifen zu können. 35 Als porta praetoria wurde das dem Feind zugewandte Tor eines Lagers bezeichnet; in seiner Nähe lag das praetorium, die Unterkunft des Kommandeurs. 36 Es handelte sich um einen tolleno („Kran“), dessen Erfindung auf den berühmtesten Mathematiker und Physiker der Antike, Archimedes von Syrakus (um 287 – 212 v. Chr.), zurückging. 37 Das heißt: vor dem 24. Oktober 69 (vgl. 3,58). 38 Vgl. 4,13,1. 39 In den Rutenbündeln, die Liktoren den Konsuln voraustrugen, steckten Beile als Symbole für deren Macht über Leben und Tod. 40 Er war der ältere Bruder des von Galba adoptierten und von den Othonianern umgebrachten L. Calpurnius Piso Frugi Licinianus (vgl. 1,43), dessen Büste wie in den vornehmen Familien üblich zusammen mit den Bildern der Vorfahren im Atrium des Hauses aufgestellt war. 41 Das heißt, der Beschluss wurde nicht ausgeführt. Wahrscheinlich verhinderte Mucian die Rehabilitierung des Mannes, dessen Bruder mit Antonius Primus in hochverräterischer Verbindung gestanden haben sollte (Heubner 1976,95). 42 Unter Nero waren Monatsnamen geändert – der April in Neroneus und nach Beinamen des Kaisers der Mai in Claudius, der Juni in Germanicus – und Feste für Angehörige der kaiserlichen Familie eingefügt worden. 43 Vgl. 4,10. 44 Er war mit Seneca befreundet und begleitete Thrasea Paetus in dessen letzten Stunden (vgl. 2,91,3; 4,5–8 und das Ende der Annalen); 71 wurde er von Vespasian verbannt. 45 Rufus und Proculus Scribonius waren zur gleichen Zeit Statthalter in Ober- und Untergermanien; im Jahre 67 zwang sie Nero zum Selbstmord, um sich ihr riesiges Vermögen aneignen zu können. 46 Messalla war also noch keine 25 Jahre alt. – Sein Halbbruder M. Aquilius Regulus war unter Nero ein gefürchteter Denunziant gewesen; aber auch danach galt er als äußerst unangenehmer Zeitgenosse. 47 Die Formulierung funus rei publicae ist ciceronisch (Heubner 1976,102): Regulus hat den Untergang des Gemeinwesens unter Nero dazu benützt, sich durch die Anklage gegen zwei Konsulare nicht nur schamlos zu bereichern – ein Teil des Vermögens der Verurteilten fiel an den Ankläger –, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.

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Anmerkungen

Der „vielfach mißverstandene[n] Satz“ (Heubner 1976,103) ist vor allem deshalb völlig verschieden interpretiert worden, weil man exempla gegensätzlich auffassen kann: „Vorbilder“, „Beispiele, die schlechte Herrscher gegeben haben“, „vom Senat statuierte Exempel“; aber auch zu mores muss man, um den Satz verständlich zu machen, ein Attribut setzen: „ursprünglich gute Charakteranlage“, „untadelige Sitten“ (sc. Vespasians). Zahlreiche Herausgeber und Kommentatoren halten mores für verderbt überliefert (vgl. „Zur Textgestaltung“ im Anhang). Die überzeugendste, in der Übersetzung in Klammern wiedergegebene Alternative hat 1844 der Schweinfurter Gymnasialprofessor Ölschläger vorgeschlagen: mor‹tal›es (Adnotationes criticae in C. Cornelium Tacitum: Gymn.-Progr. Schweinfurt, S. 11). Ihm hat sich zuletzt M. Lauletta angeschlossen (Intertestualità e critica del testo. Alcuni esempi da Tacito: Annali dell’Istituto Universitario Orientale di Napoli 17 [1995] 174–190, S. 178). 49 Der Delinquent wurde ausgepeitscht und mit dem Beil hingerichtet. 50 Näher geht Tacitus darauf in den Annalen (13,49 und 14,48f.) ein. 51 Gemeint sind die Prätorianereinheiten, die sich bei Narnia und Bovillae ergeben hatten (vgl. 3,63,1; 4,2f.). 52 Für Staatsbegräbnisse waren in der Republik die Zensoren zuständig. 53 Während die Prokonsuln wie die übrigen Amtsträger ihr Amt nur für jeweils ein Jahr übertragen bekamen, lag es im Ermessen des Kaisers, wie lange er einen Legaten in seiner Stellung beließ. 54 Vgl. 4,11,2. 55 Vgl. 1,7,1. 56 In den erhaltenen Teilen der Historien ist das nicht mehr der Fall. 57 Namen von günstiger Vorbedeutung waren z. B. Faustus, Felix, Valerius, Victor; die entsprechenden Zweige stammten von Fruchtbäumen wie Eiche, Feige, Olive. 58 Unter lapis wird an dieser Stelle gewöhnlich der Grundstein verstanden. Chilver/Townend (1985,66) haben aber überzeugend darauf hingewiesen, dass ein alter Naturstein gemeint ist: „… clearly the lapis Terminus, described as on the site before the construction of the original temple and preserved as a guarantee of the perpetuity of empire …” 59 Vgl. 4,18,4. 60 Im Jahre 21 n. Chr. hatten der Häduer Iulius Sacrovir und der Treverer Iulius Florus einen Aufstand gegen die Römer angezettelt; er brach sehr schnell zusammen (vgl. Tac. ann. 3,40–46). – Zu Vindex vgl. 1,6,2 und 4,17,3. 61 Vgl. 1,56,2; deducere (colonos in) coloniam ist Terminus technicus für die Ansiedlung neuer Bürger in einer Koloniestadt.

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Der Bericht stand im verlorenen Teil der Historien zu den Jahren 75– 79. Aus Cassius Dio 66,16,1f. und Plutarch, Amatorius 25 (mor. 770D), wissen wir, dass sich Sabinus die ganze Zeit über in einem Grabmal unter der Erde versteckt hatte, wo ihm seine Frau auch Zwillinge gebar; er wurde schließlich entdeckt, nach Rom gebracht und trotz eines herzzerreißenden Appells Epponinas an das Mitleid des Kaisers auf Befehl Vespasians zusammen mit Frau und Kindern hingerichtet. 63 Vgl. 4,39,3. 64 Die Prätorianerkommandanten kamen in der Regel aus dem Ritterstand. 65 Das entspricht der römischen Vorstellung vom Beginn eines bellum iustum. 66 Die equites singulares waren Gardesoldaten, die in der kaiserlichen Leibwache oder als Ordonnanzen der Statthalter und Angehörige von Eliteeinheiten in den Provinzen dienten. 67 Metz liegt in Luftlinie etwa 90, Mainz etwa 110 Kilometer von Riol (vgl. das Folgende) entfernt; die Differenz zwischen den tatsächlich zurückgelegten Strecken war naturgemäß um einiges größer. 68 Vgl. 3,32f. 69 Gemeint ist Iulius Valentinus (vgl. vor allem 4,69,3); als adulescentulus kann er um die Dreißig gewesen sein (Chilver/Townend 1985,80). 70 Die Soldaten hatten Flaccus und Vocula Verrat vorgeworfen (4,36.59,1). 71 Vgl. 4,59,1.70,5. 72 Er war noch keine acht Jahre alt (vgl. 2,59,3). 73 Sie wehen von Ende Mai bis Ende Juli. Danach setzen die aus nordwestlicher Richtung kommenden Etesien ein (vgl. 2,98,2). 74 Er ist von griech. basileús „König“ abgeleitet. 75 Alexanders d. Gr. General Ptolemaios war seit 323 v. Chr. Satrap, ab 306/305 König von Ägypten. Die von ihm begründete Dynastie herrschte bis Kleopatras Tod im Jahre 30 v. Chr. 76 Die Eumolpiden waren ein vornehmes attisches Priestergeschlecht, das die Mysterien in Eleusis leitete. 77 (Iuppiter) Dis (oder Dis pater) ist die römische Entsprechung des griechischen Unterweltsgotts Pluton; Proserpina/Persephone war seine Gemahlin. 78 Ptolemaios III. Euergetes regierte 247–222 v. Chr. 79 Chilver/Townend (1985,87) beziehen den Satz auf Mucian und verstehen unter obsequium „the courtier’s diplomacy“. Aber auch aus dem Fol-

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Anmerkungen

genden geht hervor, dass sich der junge Domitian – er war zwölf Jahre jünger als sein Bruder Titus und damals noch keine 19 Jahre alt – den erfahrenen älteren Männern fügen musste.

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Zu Agrippa, Sohaemus und Antiochus vgl. 2,81,1. Tacitus hat für seine phantastische jüdische Urgeschichte vermutlich judenfeindliche ägyptische Quellen benutzt. Die Ableitung des Namens Iudaei vom Berg Ida ist bezeichnend für die antike Etymologie, die sich meist auf rein äußerliche Anklänge stützte und in der Regel als gelehrtes Spiel anzusehen ist. 3 Ilias 6,184; Odyssee 5,282. 4 Bocchoris regierte in der Mitte des 8. Jh.s v. Chr.; der biblische Auszug aus Ägypten lässt sich – falls er nicht legendär ist – ins 13. Jh. einordnen. – Das berühmte Orakel des Gottes Ammon (Amun) lag in der Oase Siwa in der libyschen Wüste. 5 Die Eselsgeschichte und das Eindringen des Pompejus in das Allerheiligste (vgl. 5,9,1) erwähnt Tertullian (um 160 – um 220) im 16. Kapitel seines Apologeticum; er nennt als Quelle irrtümlich das 4. Buch der historiae des Cornelius Tacitus und bezeichnet diesen (in einem Wortspiel?) als sane ille mendaciorum loquacissimus. 6 Ammon wurde in Widder-, Apis in Stiergestalt verehrt. 7 Jupiter, Mars, Merkur, Mond, Saturn, Sonne, Venus. 8 Damit umschreibt Tacitus die Proselyten, zum Judentum übergetretene Neubekehrte. 9 Als agnati bezeichnet wurden „Kinder, die einer zweiten Ehe entstammen, solche, die über eine vom Vater gewünschte Anzahl hinaus geboren worden sind, oder solche, die nach Abfassung eines Testaments zur Welt gekommen sind …“ In Rom wurde „ein bereits errichtetes Testament durch die Geburt eines weiteren Kindes ungültig … und damit (mag) dessen Beseitigung für den Vater, der ohnehin über Leben und Tod eines Neugeborenen zu entscheiden hatte, in vielen Fällen eine Versuchung bedeutet haben“ (Heubner/Fauth 1982,74). 10 Ihn hatte Herodes der Große am Tempeleingang anbringen lassen. 11 Der altitalische Fruchtbarkeitsgott Liber wurde später mit dem griechischen Weingott Dionysos/Bakchos gleichgesetzt. 12 Das poetische Bild besagt, dass das Land „Ausschau hält“. Auch im Folgenden greift Tacitus auf Umschreibungen alltäglicher Sachverhalte 2

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zurück, die auf uns sehr gekünstelt wirken. Denn er musste seine Vorgänger zumindest sprachlich-stilistisch übertreffen; vielleicht benutzte er auch eine Dichtung als Quelle. So „zittern“ die Adern in den Zweigen der Balsamstaude, in die der Saft geschossen ist, „ängstlich“, wenn man mit einem scharfen Eisenmesser hineinschneidet, d. h., sie schließen sich; man darf sie nur vorsichtig mit einem Steinmesser oder einer Tonscherbe ritzen. 13 Der Meromsee, der See Genesareth und das Tote Meer. 14 Die phantastische Geschichte von der magischen Kraft des Menstruationsbluts findet sich auch im Jüdischen Krieg des Flavius Iosephus (4,8,4) und in der Naturalis historia des älteren Plinius (7,65). Dieser gibt den angeblichen Sachverhalt prosaischer wieder: Das Erdpech kann nur mit einem entsprechend beschmutzten Faden abgeschnitten werden. 15 Antiochos IV. Epiphanes regierte 176/5–164 v. Chr. in Syrien. Er wollte Judäa mit Gewalt hellenisieren. 16 Die Parther fielen unter Arsaces um 250 v. Chr. ab; Tacitus oder seine Quelle scheint in Antiochos II. Theos (260–245 v. Chr.) und Antiochos IV. Epiphanes eine Person gesehen zu haben. 17 Pompejus griff 63 v. Chr. in jüdische Thronstreitigkeiten ein; Judäa wurde danach von der römischen Provinz Syrien aus verwaltet. 18 Nach der Schlacht bei Philippi (42 v. Chr.) war Antonius im Osten, Octavian im Westen der tonangebende Mann. – Der Partherprinz Pacorus wurde 38 v. Chr. von Antonius’ Legaten Ventidius und Sosius geschlagen. – Sosius unterdrückte 37 v. Chr. zusammen mit Herodes, dem späteren „Großen“, einen Aufstand der Juden; Herodes herrschte als von den Römern eingesetzter König bis 4 v. Chr. über Judäa. 19 Dieser Freigelassene des Herodes hatte sich an die Spitze eines Aufstands gestellt und kam auf der Flucht vor den Römern um. 20 Der mit Augustus verschwägerte P. Quinctilius Varus, bekannt vor allem durch seine spätere Niederlage gegen Arminius im Teutoburger Wald, war 6–4 v. Chr. Statthalter in Syrien. 21 Felix war der Bruder von Claudius’ allmächtigem „Finanzminister“ Pallas. – M. Antonius war zunächst mit Augustus’ Schwester Octavia, später dann mit Kleopatra verheiratet; aus der ersten Ehe stammte Antonia minor, die Mutter des Claudius, aus der zweiten Kypros, die Mutter der Drusilla. 22 Florus war 64–66 Prokurator; im Herbst 66 erhoben sich die Juden. Gallus musste sich nach einer Niederlage unter Zurücklassung der Verwundeten zurückziehen. Vermutlich starb er nicht eines natürlichen Todes, sondern beging Selbstmord. 23 Die 14. Legion galt nach dem Sieg über die aufständischen Britannier im Jahre 61 n. Chr. als Elitetruppe (vgl. 2,32,2). – Galba war von der 6. Legion

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Anmerkungen

zum Kaiser ausgerufen worden. – Die 2. Legion gehörte zu den laut 4,68,4 neu ausgehobenen Einheiten. 24 Vielleicht ist auch an dieser Stelle wie möglicherweise in 4,26,2 der Rhein unter die Götter eingereiht. 25 Zur insula Batavorum vgl. 4,12,2; 5,23,3. 26 Drusus, der Bruder des späteren Kaisers Tiberius, hatte 12–9 v. Chr. am linken Rheinufer mit dem Bau des Deichs zur Eindämmung des Flusses (Tac. ann. 13,53,2 coercendo Rheno) begonnen; vollendet wurde er erst unter Nero. Da uns weder der Verlauf der fossa Drusiana noch ein möglicher Bezug des Deichs zu ihr bekannt ist, wissen wir nicht, was Civilis mit dem Abbruch bezweckte. Tacitus’ Text kann man am ehesten entnehmen, dass er die Betuwe enger an Germanien anbinden wollte (so Chilver/ Townend 1985, 100). 27 Vgl. 3,35,2; 4,31,1. 28 Vgl. 4,70,2. 29 Während ältere Kommentatoren disiecto agmine auf die Schiffe bezogen, die nicht in geschlossener Linie (d. h. hintereinander?) gefahren seien, hat Heubner (1982,169f.) überzeugend darauf verwiesen, dass ein Teil der Eskorte auf dem Landweg zurückkehrte und man die Nacht gemeinsam an den vorgesehenen Anlegeplätzen in einem Lager verbrachte. 30 Anfang und Ende der vier Nachtwachen wurden durch ein Trompetensignal markiert. Die Ablösung erfolgte durch Zurufen der Parole, die auch von Patrouillen gebraucht wurde. 31 Die Formulierung flexu autumni wird in aller Regel als „mit dem Ende des Herbsts“ verstanden. Mit der danach erwähnten Tagundnachtgleiche beginnt aber um den 22./23. September astronomisch der Herbst (vgl. Chilver/Townend 1985,102). 32 Gedanklich zu ergänzen ist: … dann hätten sie ihr Ziel schon erreicht, und weiterzukämpfen sei widersinnig (Heubner 1982,175f.). 33 Vgl. 4,12,3.

Fragmente 1 Von folgenden antiken Autoren sind Zitate aus den Historien des Tacitus erhalten: 1. Sulpicius Severus aus Aquitanien (etwa 360–400) schrieb Chronica in zwei Büchern, die einen Abriss der Menschheitsgeschichte von der Schöpfung der Welt bis in seine Zeit boten.

Fragmente

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2. Orosius stammte wohl aus Portugal und verfasste zu Beginn des 5. Jh.s auf Anregung von Augustinus Historiarum adversus paganos libri VII (Geschichtswerk gegen die Heiden in sieben Büchern), die ebenfalls einen Abriss der Weltgeschichte bis 417 n. Chr. bieten. 3. Der Philologe (grammaticus) Servius verfasste um 400 in Rom den bedeutendsten antiken Kommentar zu den Werken Vergils. 2 Im Krieg wurden die Tore des Tempels geöffnet, im Frieden geschlossen. 3 M. Antonius Gordianus war 238–244 römischer Kaiser. 4 Cornelius Fuscus war zur Zeit Domitians unter anderem Prätorianerkommandant und fiel im Krieg gegen die Daker (vgl. 2,86,3). 5 Theodosius war 379–395 römischer Kaiser. Die Kämpfe endeten 382 mit der Ansiedlung der Westgoten im Gebiet südlich der unteren Donau. 6 Pompeius Trogus schrieb eine Universalgeschichte der nichtrömischen Welt mit dem Titel Historiae Philippicae in 44 Büchern. Davon erhalten sind nur die vermutlich am Anfang des 3. Jh.s n. Chr. angefertigten Exzerpte des Iustinus. 7 Die griechische Landschaft Lokris war in das epiknemidische (westliche, gegenüber Euböa) und ozolische (östliche, nördlich des Golfs von Korinth) Lokris unterteilt. Die epiknemidischen Lokrer, in deren Gebiet die Stadt Naryx lag, gründeten eine Kolonie an der nordafrikanischen Küste im Gebiet der Nasamonen.

Über den Autor: Cornelius Tacitus (ca. 55–120 n. Chr.) ist der bedeutendste antike Geschichtsschreiber. In seinen Historien schildert er die Geschichte des Römischen Reiches zwischen den Jahren 69 und 96 n. Chr., die Zeit der Flavier. Ursprünglich umfasste dieses Werk 14 Bücher. Heute sind davon lediglich die Bücher I bis IV sowie der Anfang von Buch V erhalten. Tacitus selbst charakterisiert seine Darstellung als eine Ansammlung von »Missgeschick, von Schlachtengreueln, zwietrachterfüllten Meutereien, ja selbst von Schreckenstaten in Friedenszeit«. Es ist der Widerspruch zwischen den Ereignissen seiner Zeit und der altrömischen Tugend, der hohen Wertschätzung von Tugend und Anstand in der Vergangenheit, die Tacitus hier gewissermaßen als Grundlinie seines historiographischen Werkes zum Ausdruck bringt. Dr. Alfons Städele war Lateinlehrer sowie Ministerialrat im Bayerischen Minis terium für Unterricht und Kultus und hat bereits mehrere klassische Autoren übersetzt. Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte.

Über die Herausgeber: Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur und war von 2008 bis 2014 Präsident der Universität Erfurt. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.