Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter: Nach neuen Quellenforschungen [Reprint 2018 ed.] 9783111484297, 9783111117546

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Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter: Nach neuen Quellenforschungen [Reprint 2018 ed.]
 9783111484297, 9783111117546

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
I. Heinrich von Kleist und seine Zeitgenossen
II. Heinrich von Kleists Werke
III. Heinrich von Kleist und die Frauen
IV. Nachträge
V. Nachweis der benutzten Archive
VI. Register

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Heinrich von Meist als Mensch und Dichter Nach neuen Quellenforschungen von

G. R-ahmer

Nlit 2 Porträts und \ Textabbildung.

Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer

ÖO9

Inhalt. Vorwort I. Heinrich von Kleist und seine Zeitgenossen. *. Kapitel. Ernst von Pfuel und andere Freunde Kleists aus der Potsdamer Militärzeit..................................................... 2. Kapitel. Das Haus Lohen und andere Gesellschaftskreise während Kleists erster Berliner Periode (*soo—*805)............. 3. Kapitel. Heinrich Zschokke und andere Freunde Kleists in der Schweiz ............................................................................. 4. Kapitel. Kleist mit Gauvain und Lhrenberg in ftanzösischer Gefangenschaft ................................................................. 5. Kapitel. Friedrich de la Motte Fouqu6 und Otto Heinrich Loebens Beziehungen zu Kleist..................................... 6. Kapitel, varnhagens Beziehungen zu Kleist............................... 7. Kapitel. Kleist in Österreich........................................................... 6. Kapitel. Adam Müllers Beziehungen zu Kleist. Die Berliner Abendblätter...................................................................... Schlußwort................................................................................................. *. Kapitel. 2. Kapitel.

3. Kapitel. $. Kapitel.

Sette * 50 79 94

*0 $ *36 *62 *7 * 209

II. Heinrich von Kleists Werke. Kleists Kämpfe um den Robert Guiskard. Kleists Kunstideal ......................................................................... 223 Michael Kohlhaas und seine (Quellen.......................... 236 Das Bettelweib von Locarno und seine(Quelle.......... 252 Ergänzungen und Berichtigungen zu den Kommen­ taren von Kleists Werken...................................... 258 a) Die Gedichte......................................................... 258 b) Die Familie Schroffenstein................................. 267 c) Der zerbrochene Krug......................................... 278 d) Penthesilea ........................................................... 28* e) Das Käthchen von Heilbronn ........................... 28$ f) Die Hermannsschlacht ......................................... 30* g) Prinz Friedrich von Homburg.......................... 306 h) Erzählungen ........................................................ 333

IV III. Heinrich von Rleist unddie Frauen. V Kapitel. 2. Kapitel. 3. Kapitel.

Seite

Kleists Liebesleben............................................................. 337 Kleists Tod.......................................................................... 38$ Am Grabe Kleists............................................................ $08

IV. Nachträge. V Neues Material zu Ludwig von Brockes ..................................... a) Lin Brief Brockes' an Kleist.................................................... b) Briefe von Brockes und seiner Braut an Joh. Schulze in Weimar ........................................................................................ 2. Rudolf Köpke über Adam Müller und die Abendblätter (Manu­ skript) ................ 5. Kleist-Lollectaneum............................................................................

V. Nachweis der benutzten Archive. VI. Register.

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Vorwort. Als ich an das Kleist-Problem herantrat, stellte ich mir zunächst die Aufgabe, das Bild des Dichters von den Schlacken zu befreien, die ihm anhafteten. Die literarisch-historische Forschung hatte in immer ausgesprochenerem Maße der Lebens­ beschreibung Kleists einen pathologischen Zuschnitt gegeben, sie hatte seiner Eigenart nicht beikommen, das Rätsel seines Lebens nicht anders lösen können, als dadurch, daß sie aus dem Sänger und Melden einen erblich Belasteten, einen psychisch Degenerierten, einen geistig Gestörten machte. )ch trat dieser Anschauung entgegen, indem ich vom theoretischen Standpunkt auf den Widersinn hinwies, der darin liegt, das dichterische Kunstwerk als den Ausfluß der Persönlichkeit immer höher zu bewerten, dem Bilde des Dichters aber fortdauernd neue pathologische Züge beizufügen. Von der Anschauung geleitet, daß der geistig-sittliche Kern der Dichtung und des Dichters identisch ist, daß die progressive Entwicklung des Dichters das Resultat einer ansteigenden Entwicklung und wachsenden Lharakterfestigung des Menschen ist, ging ich an die Kritik der bisher benutzten Quellen und glaubte den Nachweis erbringen zu können, daß das bisher benutzte Forschungsmaterial, legendenhaft und tendenziös entstellt, vor einer strengen Kritik nicht bestehen könne. Das war die Auf­ gabe, die ich mir in meinem ersten Buche „Das Kleist-Problem" gestellt hatte, das, im wesentlichen negativ gehalten, den Be­ weis zu erbringen sucht, daß die Fundamente der KleistBiographie unzulänglich sind, daß die Forschung ein an Wider­ sprüchen reiches Zerrbild entworfen hat, und daß der Mensch

VI und Dichter Aleist ein bis dahin unverstandenes und uner­ klärtes probiern geblieben ist. Neues Material als Ergebnis meiner Forschungen hatte ich meiner Darstellung nur soweit beigefügt, als es mir notwendig erschien, das Unzulängliche und Irrtümliche der üblichen Auffassung klarzulegen. Um das Gebäude, das ich eingerissen, von neuem auf einem gesicherten Fundamente aufzubauen, habe ich in lang­ jähriger Forschung nach neuem HZuellenmaterial gesucht. So­ weit ich solches schon vor der Veröffentlichung meines Kleistproblems besaß und durch weitere Forschungen gefunden habe, stelle ich es in dem vorliegenden zweiten Aleist-Buche zusammen. Der erste weg, den ich für die Zwecke meiner Forschung ein­ schlug, ist der natürlich gegebene, ich wendete mich an das Archiv der Aleist-Familie selbst, in dem aller Voraussicht nach wertvolles Material niedergelegt fein muß. Das Ergebnis war leider ein negatives; selbst aus spezielle, bestimmt formu­ lierte Fragen, für welche die Lhronik der Familie Anhalts­ punkte bot, erhielt ich abschlägigen Bescheid. Ich mußte andere Wege einschlagen. Der nächste, welcher sich bot, ist schon von Treitschke gewiesen. Das gewöhnliche Mittel, schreibt er, über wert und Bedeutung eines Künstlers ins Klare zu kommen, die Untersuchung seines Verhältnisses zu den Mitstrebenden, wird durch Kleists vereinsamte Stellung von vornherein ab­ geschnitten. Nachdem sich die Voraussetzung dieses Satzes durch meine Forschungen als unzutreffend erwiesen, nachdem wir zu der Überzeugung gekommen, daß Kleist nicht ein ver­ einsamtes, abgeschlossenes, weltabgeschiedenes Leben führte, sondern im Gegenteil, daß er in der Zeitgeschichte eine maß­ gebende Rolle spielte und durch unzählige Fäden mit dem Leben zusammenhing, konnte ich hier den Hebel ansetzen. Ich suchte durch das Studium der Zeitgenossen und aller der Kreise, die Kleist im Leben nahegestanden, die Auffassung über ihn selbst zu klären und zu ergänzen und habe durch die Benutzung von Familienarchiven, sowie der Familien­ tradition, durch eine umfangreiche Korrespondenz mit

VII überlebenden, durch Einblicke in die ITCemoirenlitemtur neue Gesichtspunkte gewonnen. Soweit Kleists Bestrebungen und seine Schicksale in das öffentliche Leben eingriffen, habe ich auch in den staatlichen Archiven des )n- und Auslandes Schließlich suchte ich noch manche Aufklärung gefunden. durch die Benutzung der zeitgenössischen Literatur und be­ sonders der periodischen Zeitschriften unser wissen zu be­ reichern. Da ich irrt Text die benutzte Literatur angebe, am Schlüsse des Buches auch die Archive anführe, an die ich mich mit und ohne Erfolg gewendet habe, so ist damit der weg gezeichnet, den ich im einzelnen gegangen bin. Mein Buch will Bausteine herbeitragen zu einer KleistBiographie der Zukunft und zu einem vertieften Verständnis von Kleists Werken, es will die Wege zeichnen, auf denen die Kleist-Forschung mit Aussicht auf Erfolg weiterarbeiten kann, es will aber auch mancher irrtümlichen Auffassung und falscher Deutung entgegentreten, die mein Kleist-Problem hervor­ gerufen hat. Meine dort geäußerten Anschauungen sind viel­ fach mißdeutet worden. Der Standpunkt, den ich vertrat, ist mit wenigen Worten der folgende: Kleists Werke lassen den genial veranlagten, wohl organisierten Geist, den Menschen von hoher sittlicher Potenz in steigender Entwicklung erkennen; sein Leben, soweit wir es überblicken können, zeigt keine Hand­ lungsweise, die auf seelische und geistige Erkrankung hinweist, was war der Erfolg meiner Ausführungen? Gewiß hat man, meinen Standpunkt billigend, das Andenken Kleists aus den Ketten geistiger Umnachtung befreit, aber im allgemeinen sind wir nicht weiter gekommen als Zolling und andere, die, wo ihr eigenes Verständnis nicht ausreichte und ihre Psycho­ logie sie im Stich ließ, in einem besonderen Falle die Hand­ lungsweise des Menschen, die Eigenart des Dichters geistes­ gestört nannten. Man will heut Kleist nicht mehr verrückt nennen, aber man kommt doch immer noch nicht aus ohne psychiatrische Symptome und ist sich nicht klar darüber, daß die einzelnen Symptome die Diagnose der geistigen Umnachtung

vra ausmachen. Mein Buch beabsichtigt, hier größere Klarheit zu schaffen. Das Ergebnis meiner Forschungen entspricht nicht meinen Erwartungen, wer die übergroßen Schwierigkeiten kennt, die sich der Forschung auf diesem Gebiete entgegenstellen, wird auch über ein bescheidnes Ergebnis Befriedigung empfinden. Meine Forschungen sind nicht abgeschlossen, wenn ich sie dennoch vorzeitig abbreche und mit lückenhaften Ergebnissen an die Öffentlichkeit trete, so bestimmen mich Gründe mannig­ facher Art. Zunächst haben mich verschiedene Kleist-Forscher ersucht, die Resultate meiner Forschung nicht länger vorzuenthalten. Sie hoffen aus ihnen Anregung für ihre eigenen Arbeiten zu gewinnen. In der Tat glaube ich, daß meine Ergebnisse manche Aufklärung und manche Anknüpfungspunkte bieten. Sodann leitet mich bei der verfrühten Veröffentlichung ein persönliches Interesse. Manches wertvolle und in müh­ samer Arbeit gewonnene Resultat ist mir hinterrücks aus den Händen gewunden worden. Hierzu rechne ich vor allem die drei an pfuel gerichteten Briefe Kleists, die für dieses Buch bestimmt waren, und die in dem Briefband der neuen KleistAusgabe bereits Aufnahme gefunden haben. Ich habe dieses in der wissenschaftlichen Welt einzigartige Verfahren geistiger Entwendung gekennzeichnet in einem Aufsatze der Zeitschrift „Deutschland" (tgo? Februar). In der langen Zwischenzeit ist von der angeklagten Seite eine Entgegnung nicht erfolgt. Sie hat sich mit ihrer vogel-Strauß-politik selbst gerichtet. In letzter Reihe bestimmte mich zu einer vorzeitigen Publikation der Umstand, daß ich im Verfolg meiner Arbeit immer mehr zu der Überzeugung kam, daß die Kraft des einzelnen nicht ausreicht, um die unabsehbare Menge von Fragen und Untersuchungen, die sich aufdrängen, zu erledigen. Es bedarf gemeinsamer, wohlorganisierter Arbeit der ver­ schiedensten Kräfte, wenn der Bau eines Kleist-Gebäudes auf­ geführt werden soll: zahlreicher, opferwilliger, arbeitsfreudiger

IX Kräfte unter gemeinsamer Leitung an den verschiedensten Punkten des In- und Auslandes. Nur so kann auf die Dauer etwas erreicht werden, nur so läßt sich, schon durch die Autorität einer gemeinsamen Vereinigung manches retten, das sicherlich in vielen Archiven noch vermutet werden kann. Wer immer wieder ans seine Ansragen die betrübende Antwort erhält, daß an dieser oder jener Stelle nachweisbar ein reiches KleistMaterial bis vor wenigen Jahren vorhanden war, das jetzt vernichtet oder im Auslande verschwunden ist, kommt zur Ein­ sicht, daß unendlich viel gesündigt wurde. Wir sind nicht am Ende, wie man immer zu hören bekommt, sondern am Anfange der Kleist-Forschung, wir können ein Kleist-Denkmal entbehren und können auskommen ohne ein Kleist-Archiv, dessen Grundlage übrigens in dem Bestände der von der Presse ungerecht angegriffenen Königlichen Bibliothek gegeben ist — was uns nottut ist eine Organisation wissenschaftlicher Arbeiter, die konsequent das Ziel verfolgt, das Bild unseres größten dramatischen Genies in ein Helles Licht zu setzen. Ich wünschte, daß mein Appell nicht angehört verhallt, daß bei vielen etwas von dem wahrhaft nationalen Pflichtgefühl rege würde, das aus Hebbels Wörter: spricht, die er in sein Tagebuch einträgt: Da eben eine neue Ausgabe der Werke Heinrichs von Kleist erscheint, so will ich zu allernächst durch eine Kritik derselben die Ehrenschuld jedes Deut­ schen gegen dieses außerordentliche, zu Tode gemarterte Genie für meine Person abtragen. Berlin, November 1908. Der Verfasser.

I. Teil.

Heinrich v. Aleist und seine Zeitgenossen.

„Gott wird die Pfeile mir, die treffen, reichen!" (Prinz. III. 5.)

I. Rapkel. Ernst von Pfucl und andere Freunde Nleists aus der Potsdamer Militärzeit. wenn wir die Beziehungen Kleists zu seinen Zeitgenossen und den zahlreichen freunden, die ihm im Leben sehr nahe gestanden, einer kritischen Prüfung unterziehen, so machen wir sehr bald die befremdende Erfahrung, daß sie wohl alle seinen wert und seine hohen Eigenschaften im Leben und nach dem Tode öffentlich anerkannten, daß sie aber sein poetisches Erbe sehr schlecht behüteten, und daß sie vor allem auch die Nachwelt nur sehr mangelhaft mit brauchbarem biographischen Material über ihren freund bedacht haben. Friedrich Lhristoph Dahlmann war der einzige, der an Julian Schmidt einen zusammenhängenden Bericht über die Tage gab, welche er mit Kleist zusammenverlebt, ein Bericht, der wenigstens eine Episode im Leben des Dichters in ein Helles Licht stellt. Aber auch dieser einzige sachgemäße Bericht, den Freundeshand geliefert, entstammt sicher mehr fremden Einflüssen, als einem liebevollen Gedenken; denn auch Dahlmann hat wenig Pietät an den Tag gelegt, als er eine große Anzahl Gedichte aus der Hinterlassenschaft Kleists der Nachwelt vorenthielt, die erst lange nach seinem Tode durch einen Zufall und nur lückenhaft an das Licht kamen. Und nun gar die anderen. Einzelne verleugnen Kleist gänzlich, andere erwähnen wohl seiner, aber ihre Schriften, Briese oder Autobiographien bringen nur spärliche Andeutungen oder lückenhafte Berichte, Rahm er,

v. Kleist.

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wenig geeignet, unsere Kenntnis von Kleists Persönlichkeit zu erweitern und zu vertiefen. Am eigenartigsten trieb es Ernst von pfuel, der, als ältester, intimster, und durch zahlreiche Bande mit Kleist verknüpfter freund, der natürliche Anwalt und Wächter seines Andenkens, dieses nicht bloß auf das ärgste vernachlässigt, sondern durch leichtsinnig-unkontrolierbare Angaben verzerrt und entstellt hat. was er anderen über seinen Freund mitzuteilen wußte, das beschränkt sich auf ganz wenige anekdotenhafte Züge. Der an sich belanglose Zwischenfall von den reichlich fließenden Tränen bei dem Tode der Penthesilea ist die wichtigste Mitteilung, die er Adolf wilbrandt aus dem Leben seines berühmten Freundes machte. Alle, die sich an ihn um Auskunft über Kleist wendeten, bekamen immer wieder diese eine Anekdote aufgetischt. Varnhagen hat sie zweimal in verschiedener Fassung niedergeschrieben und seiner Mappe beigefügt, in der er offenbar Material für eine Kleistarbeit oder -Biographie sammelte. Dann findet sie sich in der bekannten Form bei wilbrandt, und schließlich gibt sie ganz unabhängig mit offensichtlichen Entstellungen Franz wallner wieder in einem Aufsatze: „Dom alten Pfuel. Lharakterzüge aus dem Leben eines alten Veteranen". Der Auffatz bringt aus dem Munde Pfuels Beiträge zu Kleist und pfuel und findet sich in der „Gartenlaube", )ahrg. 67, Nr. \; er gehört, wie so viele andere, zu den Kleistbeiträgen, die am Wege liegen blieben. wir beklagen nicht bloß, daß Pfuels Mund verschlossen blieb, sondern noch viel mehr, daß er durch leichtsinnige und subjektiv gefärbte Anschauungen viele falsche Auffassungen und Irrtümer in die Kleistliteratur hineingetragen hat. Der eigenartigen Persönlichkeit, der empfindsamen Dichternatur seines Freundes hat er niemals das nötige Verständnis ent­ gegengebracht; nach Kleists unglückseligem Ende war er der erste und einzige, der den letzten Schritt seines Freundes nicht aus dem Zwange äußerer Verhältnisse, sondern auf innere, seelische, triebartige Kräfte zurückführte. Das lehrt

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der Brief Brentanos **) über Kleists Ende, der Pfuels Ansichten wiedergibt, und darüber belehren uns ähnliche Äußerungen anderer freunde, die sich auf pfuel berufen, und auf die wir später zurückkommen werden. Es ist kein bloßer Zufall, daß die Biographie Vilbrandts, die ihr Material vornehmlich den Mitteilungen des Staatsministers a. D. General v. Pfuel verdankt, den Höhepunkt jener Auffassung bedeutet, welche Kleists Eigenart auf eine krankhafte Organi­ sation zurückführt. Nach einem an Abenteuern und allen möglichen Wechselfällen reichen Leben hatten sich zudem im vorgerücktem Alter die Tatsachen in pfuels Erinnerung ver­ wischt, sein Gedächtnis täuschte ihn, und was wilbrandt aus seinem Munde erfuhr, ist zum großen Teil nachweisbar un­ richtig. Ich habe schon an anderer Stelle 2) Pfuels Bericht­ erstattung als fehlerhaft und unzuverlässig nachgewiesen; nichtsdestoweniger halten auch die neueren Biographien alle die Legenden fest, welche aus dieser Quelle stammen. Vollen wir eine zutreffende Einsicht in Kleists Lharakter gewinnen, wollen wir seine Eigenart verstehen lernen, so müssen wir uns vor allen Dingen freimachen von den falschen Vorstellungen, die Pfuel in die Kleistforschung hineingetragen hat und müssen als oberste Aufgabe betrachten, das Verhältnis der beiden Freunde zueinander auf Grund zuverlässigen Materials klar­ zustellen. Die angedeutete Aufgabe stößt auf große Schwierigkeiten. Eine Biographie Pfuels, die uns als Unterlage dienen könnte, fehlt uns; die biographische Skizze von wippermann auf Grund handschriftlicher Urkunden und Familiennachrichten in der Allgemeinen Deutschen Biographie (Leipzig *887) bringt nur wenig Material für die Lebensperiode, die für uns von Interesse ist und ist auch in ihren Angaben für diese UNS

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