Heimat, Kirche und Nation: Deutsche und polnische Nationalisierungsprozesse im geteilten Oberschlesien (1922-1939) 9783412213619, 9783412206116

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Heimat, Kirche und Nation: Deutsche und polnische Nationalisierungsprozesse im geteilten Oberschlesien (1922-1939)
 9783412213619, 9783412206116

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Heimat, Kirche und Nation

Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte herausgegeben von joachim bahlcke Band 19

Andrzej Michalczyk

Heimat, Kirche und Nation Deutsche und polnische Nationalisierungsprozesse im geteilten Oberschlesien (1922–1939)

2010 Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und von der Historischen Kommission für Schlesien

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Besuch des polnischen Staatspräsidenten Ignacy Mościcki in Königshütte, Oktober 1927. Narodowe Archiwum Cyfrowe, 1-A-1585-2.

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20611-6

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Thematische Einführung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Forschungsstand und Forschungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Die historische Oberschlesienforschung zwischen Deutschland und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Nationalismusforschung über die europäischen Zwischenräume und den Themenkomplex Kirche und Nation . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Der methodische Zugang: vergleichende Alltags- und Mikrogeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Anlage der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6. Terminologie und Zitierweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.

Ausgangssituation: Nationsbildungsprozesse im preußischen Oberschlesien im ‚langen‘ 19. Jahrhundert . . .

VII 1 1 11 11 19 27 31 34 36

40

3.

Identitätsangebote und Identitätspraktiken im Lichte politischer Feiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6.

Plebiszitfeiern im deutschen Teil Oberschlesiens . . . . . . . . . . . . . . Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien. . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nationalisierungsprozesse und Eigensinn auf der lokalen Ebene . . . Politische Feiern und die katholische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 55 73 84 86 96 105

4.

Kirchliche Feiern als Orte nationaler Auseinandersetzung . .

107

4.1.

Muttersprache und nationale Zugehörigkeit – die Feier des Gottesdienstes im mehrsprachigen Oberschlesien. . . . . . . . . . . . . . Sprach- und Nationalitätsverhältnisse in Oberschlesien im Spiegel der statistischen Erhebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gottesdienstfeiern und die Sprachenproblematik nach der Teilung der Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konflikte um die Gottesdienstsprache nach der nationalsozialistischen Machtübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutschsprachige Gottesdienstfeiern im polnischen Teil Oberschlesiens nach 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4.

112 114 121 135 144

VI

Inhaltsverzeichnis

4.1.5. Die Zuspitzung des Konfliktes um die Gottesdienstsprache Ende der 1930er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Fronleichnamsprozessionen und die Besetzung des öffentlichen Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Wojewodschaft Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Provinz Oberschlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die Denkmalweihe in Orzesche: Der oberschlesische Klerus zwischen Seelsorge und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.

Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse auf der Mikroebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1.

St. Maria Magdalena-Pfarrgemeinde in Bielschowitz (Wojewodschaft Schlesien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bischofsfeier in Bielschowitz 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kirchliche Feiern und nationale Konflikte bis zur Abberufung Buschmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Amtszeit des Pfarrers Józef Niedziela . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . St. Hedwig-Pfarrgemeinde in Bierdzan (Provinz Oberschlesien) . . . Sensus katholicus in der Bierdzaner St. Hedwig-Pfarrgemeinde . . . . Bierdzan nach der Machtübernahme durch die NSDAP. . . . . . . . . Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. 5.1.4. 5.2. 5.2.1. 5.2.2. 5.2.3.

6. 6.1. 6.2.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polnische Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 159 161 162 179 180 202 204

217 218 221 232 240 242 244 248 257 261 263 263 272

Anhang Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282 283 301 304

Vorwort

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine Arbeit, die im Januar 2007 am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt als Dissertation angenommen wurde. Sie ist für den Druck überarbeitet worden. Die in der Zwischenzeit erschienene und für das Thema relevante Literatur wurde weitgehend berücksichtigt. Die Entstehung dieses Buches wäre ohne die Unterstützung vieler Menschen nicht möglich gewesen. Nach einem vorwiegend politisch- und makrohistorisch angelegten Geschichtsstudium in Warschau hatte ich unheimlich viel Glück, Prof. Alf Lüdtke in Erfurt kennen zu lernen, der mich noch mehr für eine Geschichte ‚von unten‘ begeisterte. Herr Lüdtke betreute meine Arbeit äußerst engagiert und führte mich in die Welt der Alltags- und Mikrogeschichte ein. Dafür herzlichen Dank! Besonders möchte ich ebenfalls meinem zweiten Betreuer danken, Prof. Włodzimierz Borodziej von meiner polnischen Alma Mater. Er hat mir immer mit Rat zur Seite gestanden und war bereit, als Gutachter tätig zu werden. Der Ideengeber für die Arbeit war wiederum Prof. Mathias Niendorf. Seine Arbeit zu den Minderheiten an der Grenze und die persönlichen anregenden Gespräche haben meinen Überlegungen einen entscheidenden Anstoß für das Interesse an Oberschlesien gegeben. Für diese so wichtige Unterstützung gerade zu Beginn des Promotionsweges bedanke ich mich sehr. Finanzielle Förderung und zugleich eine interdisziplinär anregende und intensive Arbeitsatmosphäre bekam ich durch das Max-Weber-Kolleg, das meine Studie in den Jahren 2003–2005 mit einem Stipendium der Marga und Kurt MöllgaardStiftung unterstützte. In der sich daran anschließenden Zeit war es schließlich das Institut für Europäische Geschichte in Mainz, das den Abschluss meiner Dissertation mit einem Stipendium erst möglich machte. Für den aufwendigen sprachlich-stilistischen Korrekturgang der Dissertation möchte ich mich sehr herzlich bei Stefanie Schneider bedanken. Im Zusammenhang mit der Drucklegung bekam ich zahlreiche wertvolle Impulse und Hinweise von Christian Lotz. Für das sorgfältige Lektorat des Manuskripts und wichtige Anregungen danke ich Dag Krienen und Rafael Sendek, für zahlreiche weitere Korrekturen David Skrabania. Abschließend gilt mein Dank Prof. Joachim Bahlcke, der mir schon in einer frühen Phase der Untersuchung mit viel Zuversicht die Aufnahme der entstehenden Arbeit in die Reihe „Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte“ angeboten hat. Bei meinen Recherchen in Oberschlesien hat mich mein masowisch-oberschlesischer Familienzweig aus Knurów mit größter Gastfreundschaft stets unterstützt und in das alltägliche Leben der Oberschlesier eingeführt. Wujku, ciociu, wielkie dzięki! Der wohl größte Dank gebührt meiner Frau Diana. Sie hat alle Last ertragen, die ein Historikerleben mit sich bringt: nicht zuletzt als unsere erste Tochter

VIII

Vorwort

Nevena in der Erfurter Promotionszeit zur Welt kam und in den letzten Monaten, als in der heißen Phase der Manuskriptsüberarbeitung unser zweites Töchterchen Elena geboren wurde. Diese drei Frauen sind sicherlich sehr froh, dass dieses Buch endlich erschienen ist. Bochum, im Mai 2010

Andrzej Michalczyk

1.

Einleitung

1.1.

Thematische Einführung und Fragestellung

Seit dem politischen Umbruch 1989 wurde die von den kommunistischen Machthabern gepflegte These von einer ethnisch homogenen polnischen Nation in Frage gestellt. Die bis dahin stark kontrollierte, wenn nicht gar geleugnete Existenz nationaler Minderheiten auf dem Territorium des polnischen Staates führte nach diesem Umbruch explosionsartig zur Entstehung kultureller, sprachlicher und politischer Organisationen, die sich den Schutz und die Entfaltung der jeweils eigenen nationalen Kultur zum Ziel setzten. Die polnischen Regierungsbehörden gehen heute zumeist von 13 Minderheitengruppen aus, die nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 380.000 und 1,5 Millionen Personen (d. h. maximal ca. vier Prozent der Gesamtbevölkerung) umfassen.1 Unter ihnen sind nach den Ergebnissen der Volkszählung von 2002 die deutsche (152.897 Angehörige), die weißrussische (48.737) und die ukrainische (30.957) Bevölkerungsgruppe zahlenmäßig am stärksten vertreten.2 Die dabei ermittelten Zahlen müssen jedoch als Mindestzahlen betrachtet werden, da es nicht erlaubt war, bei der Zählung mehr als eine nationale Zugehörigkeit anzugeben. Es kann zudem auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Eintragung einer nichtpolnischen Nationalität auf wenig Verständnis der Befragenden stieß und sich dieser Umstand auf die Endergebnisse auswirkte. In diesem Zusammenhang überrascht um so mehr, dass sich bei der landesweiten Zählung über 173.000 Einwohner der Wojewodschaften Oppeln und Schlesien als „Schlesier“ deklarierten.3 Aus den Reaktionen eines Teils der polnischen Bevölkerung auf dieses Ergebnis konnte oft Erstaunen, nicht selten aber auch Empörung herausgelesen werden, dass es eine so unübersehbare Bevölkerungsgruppe in ihrem Land gibt, die ihr für allgemein vorhanden gehaltenes polnisches Nationalbewusstsein nicht teilt bzw. schlicht leugnet. Die ermittelten Ergebnisse trugen schließlich zu einer gesteigerten medialen Präsenz und einer landesweiten Thematisierung der Minderheitenproblematik in Oberschlesien bei. Zugleich stellten sie eine zusätzliche Existenzberechtigung für die „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“ (Ruch Autonomii Śląska) dar, die schon seit 1990 in der Region tätig gewesen war. Ihre Aktivisten waren der breiten Öffentlichkeit allerdings erst 1997 bekannt geworden, als sie beantragt hatten, den „Verband der Bevölkerung Schlesischer Nationalität“ 1 2 3

Gawrich, Andrea: Minderheiten im Transformations- und Konsolidierungsprozess Polens. Verbände und politische Institutionen, Opladen 2003, 23. Die Ergebnisse der Volkszählung von 2002 sind zu finden unter: http://www.stat.gov.pl/ gus/5840_4520_PLK_HTML.htm [Zugriff am 14.4.2010]. Ebd.

2

Einleitung

(Związek Ludności Narodowości Śląskiej) gerichtlich zu registrieren.4 Der Antrag wurde in der ersten gerichtlichen Instanz tatsächlich akzeptiert, was die rechtliche Anerkennung einer schlesischen Nationalität implizierte. Nach seiner Ablehnung durch das Berufungsgericht kam der Fall des Verbands schließlich vor das Oberste Gericht, wo die Registrierung einer nationalen Organisation der Oberschlesier endgültig untersagt wurde. Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass zwar jede Person das Recht habe, „ihre Nationalität subjektiv zu wählen“. Dies führe aber „nicht direkt zur Entstehung einer neuen separaten Nation oder nationalen Minderheit“. Die Wahl der Nationalität müsse sich nämlich „auf eine nationale Gruppe beziehen, die im historischen Prozess gebildet wurde und gesellschaftlich akzeptiert wird“. Diese Bedingungen seien im Fall der Oberschlesier nicht vorhanden. Es gebe dementsprechend keine schlesische Nationalität.5 Diese Feststellung wurde im Gesetz über die nationalen und ethnischen Minderheiten in Polen, das 2005 vom polnischen Parlament verabschiedet wurde, bestätigt. In dem Gesetzestext werden die Oberschlesier nicht erwähnt: weder als nationale noch als ethnische Minderheit. Diese wird gemäß dem Gesetz folgendermaßen definiert: Sie müsse sich wesentlich von den übrigen Bürgern unterscheiden, nach Aufrechterhaltung der eigenen Sprache, Kultur oder Tradition streben, sich ihrer ethnischen Gemeinschaft bewusst sein und das Territorium des polnischen Staates seit mindestens hundert Jahren bewohnen. Eine nationale Minderheit müsse sich gemäß den Anforderungen dieses Gesetzes darüber hinaus mit einer Nation verbunden fühlen, die in einem eigenen Staat organisiert sei.6 Die so kodifizierte Rechtslage gab dem umstrittenen Verband der Oberschlesier einen neuen Impuls, um einen leicht modifizierten weiteren Registrierungsantrag zu stellen. Das langjährige Verfahren wurde 2007 durch ein Urteil des Obersten Gerichts endgültig abgeschlossen. Die Richter wiederholten die bereits angeführten rechtlichen Bedenken und lehnten den Antrag erneut ab. Die Begründung ergänzten sie jedoch um das Argument, dass eine nationale Gemeinschaft nur dann existiere, wenn sie „vom Gesetzgeber oder anderen Menschen“ als solche wahrgenommen werde. Es sei keine ausreichende Existenzberechtigung für eine Nationalität, wenn nur ihre vermeintlichen

4 5

6

Für das Thema der folgenden geschichtswissenschaftlichen Ausführungen sind die eventuellen politischen Motive der Personen, die den Antrag stellten, von zweitrangiger Bedeutung. Orzeczenie Sądu Najwyższego z dnia 18 marca 1998 r. In: Orzecznictwo Sądu Najwyższego. Izba Administracyjna, Pracy i Ubezpieczeń Społecznych 1999, Nr. 5, Pos. 170. Die Entscheidung der höchsten polnischen Instanz wurde anschließend vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten, wo der Antrag des Verbands im Februar 2004 abgelehnt wurde. Vgl. http:// zlns.republika.pl/dokumenty.htm [Zugriff am 14.4.2010]. Ustawa z dnia 6 stycznia 2005 roku o mniejszościach narodowych i etnicznych oraz o języku regionalnym. Art. 2. In: http://isap.sejm.gov.pl/DetailsServlet?id=WDU20050170141 [Zugriff am 14.4.2010].

Thematische Einführung und Fragestellung

3

Mitglieder „innerlich“ von ihrer Existenz überzeugt seien oder sie allein in einer Volkszählung deklariert hätten.7 Vor dem hier skizzierten rechtlich-gesellschaftlichen Hintergrund stellt sich dem Historiker die Frage, ob die Oberschlesier im Laufe der Geschichte die Voraussetzungen für die Bildung einer eigenen Nation oder zumindest einer eigenständigen ethnisch-kulturellen Gruppe erfüllten oder nicht. Diese Frage wurde von den polnischen Gerichten und dem Parlament unmissverständlich verneint. An dieser Stelle ist es aber notwendig, das quantitative Ausmaß der Problematik für die angesprochene Region und das gegenwärtige Polen zu verdeutlichen. Außer der Zugehörigkeit zu der umstrittenen schlesischen Nationalität (über 173.000 Personen) erklärten bei der Volkszählung 2002 fast 140.000 Einwohner der Wojewodschaften Oppeln und Schlesien die Zugehörigkeit zur deutschen Nation. Darüber hinaus besitzen dort über 234.000 Personen neben der polnischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Hierbei muss noch angemerkt werden, dass bei über 224.000 Befragten gar keine bestimmte Nationalität registriert wurde8 – ein durchaus bekanntes Phänomen in Oberschlesien, wie sich das im weiteren Verlauf der vorliegenden Studie in Bezug auf die Zwischenkriegszeit herausstellen wird. Einem Bericht über die gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen in der früheren Wojewodschaft Kattowitz Ende der 1990er Jahre ist wiederum zu entnehmen, dass sich 63,8 Prozent ihrer Einwohner als Polen und 1,1 Prozent als Deutsche fühlten. Zwischen diesen bipolaren, ‚national reinen‘ Positionen gab es jedoch ein breites Spektrum von Selbsteinschätzungen: Als Schlesier bezeichneten sich demnach 12,4 Prozent der Befragten, als Polen und Schlesier 18,4 Prozent, als Deutsche und Schlesier 2,4 Prozent, als Oberschlesier 1,4 Prozent.9 Dabei gilt es anzumerken, dass sich diese Zahlen lediglich auf den östlichen, größtenteils schon seit 1922 zum polnischen Staat gehörenden Teil der historischen Region beziehen. Nichtsdestoweniger ist festzustellen, dass bei zweifellos eindeutiger Dominanz des polnischen Elements offensichtlich doch etwa ein Drittel der Befragten eine starke Verbundenheit mit der Region empfindet. Wenn man die prozentualen Ergebnisse der Umfrage mit der Bevölkerungszahl der damaligen Wojewodschaft Kattowitz (in den 1990er Jahren etwa vier Millionen Menschen) verrechnet, ergibt sich aus einem Anteil von 13,8 Prozent (12,4 Prozent + 1,4 Prozent) die hypothetische Zahl von über 550.000 Personen, die sich in erster Linie als Schlesier bzw. Oberschlesier bezeichnen würden und nicht als Polen oder Deutsche. Dies würde wiederum bedeuten, dass eine solche hypothetische oberschlesische Minderheit zahlenmäßig die stärkste unter allen in Polen lebenden nationalen und ethnischen Minderheiten 7 8 9

Postanowienie Sądu Najwyższego z dnia 14 lutego 2007 r. In: http://zlns.republika.pl/dokumenty.htm [Zugriff am 14.4.2010]. Vgl. http://www.stat.gov.pl/gus/5840_4520_PLK_HTML.htm [Zugriff am 14.4.2010]. Angaben nach Długosz, Dagmir: Gibt es eine schlesische Nation? In: Transodra 18 (1998) 128.

4

Einleitung

wäre. Wenn man zu dieser Zahl auch noch diejenigen Einwohner der Wojewodschaft hinzurechnet, die sich gemäß der zitierten Umfrage gleichzeitig als Polen und Schlesier/Oberschlesier bzw. als Deutsche und Schlesier/Oberschlesier fühlten – umgerechnet wären es bei einem Bevölkerungsanteil von 20,8 Prozent rund 800.000 Menschen –, und dazu auch noch einen Teil der sich in der Volkszählung von 2002 zum Deutschtum bekennenden einheimischen Bevölkerung der Wojewodschaften Oppeln und Kattowitz berücksichtigt und ebenso noch einen Teil derjenigen hinzuzählt, die keine Nationalität angaben, wird das Gewicht dieses gesellschaftlichen und politischen Themenkomplexes deutlich. Damit soll jedoch nicht behauptet werden, dass es im heutigen Polen eine wohl definierte oberschlesische Nationalität bzw. ethnische Minderheit mit weit über einer Million Angehörigen gibt, dagegen sprechen schon die unterschiedlichen Begriffe und Selbstbezeichnungen derjenigen, die keine einfache Selbstidentifikation als ausschließlich polnisch vornehmen wollen. Das angesprochene Problemfeld einer ethnischen oder nationalen Gemeinschaft der Oberschlesier ist freilich vielschichtig: Es stehen sowohl historische als auch gesellschaftliche, verfassungsrechtliche und internationale Dimensionen im Raum. Mit der Mehrdimensionalität geht noch ein zusätzlicher Faktor einher, der eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex erschwert. Die Diskussion wird nämlich hoch emotionalisiert geführt, zumal viele Polen in Fragen der nationalen und ethnischen Minderheiten äußerst empfindlich reagieren und den deklarierten Oberschlesiern eine antipolnische und/oder eine versteckte prodeutsche Haltung unterstellen. Es ist jedoch bis jetzt nicht erkennbar, dass die in jüngster Zeit beobachtete Stärkung von Identifikationen, die erstrangig auf die Region Oberschlesien fokussieren, mit einer Schwächung des übergeordneten Nationalstaats und seines Rechtssystems einhergehen würden. In der hier vorgelegten Studie wird die geschichtliche Perspektive des skizzierten Phänomens durch eine alltags- und mikrogeschichtliche Analyse der Nationalisierungsprozesse in Oberschlesien zwischen den Weltkriegen vorgestellt. Am Beispiel des in den Jahren 1922–1939 zwischen Polen und Deutschland geteilten Oberschlesien, einer ethnisch und sprachlich gemischten, aber zugleich nahezu monokonfessionellen katholischen Region, wird erstmals die Durchsetzungskraft von Nationalisierungsprozessen auf der lokalen Ebene untersucht und das heute in der Region so brisante Verhältnis zwischen Deutschen, Oberschlesiern und Polen historisch ‚von unten‘ beleuchtet. In den knapp zwei Jahrzehnten zwischen Abstimmungskampf und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs versuchten nämlich Politiker und Vereinsaktivisten auf beiden Seiten der neuen Grenze, ein exklusives deutsches bzw. polnisches Nationalbewusstsein in der Region zu implantieren. Die Zugehörigkeit Oberschlesiens und seiner Einwohner zum jeweiligen Nationalstaat sollte durch breit angelegte Aktivitäten in Politik, Kultur und Wissenschaft als eine ‚natürliche‘ und außer jeglichem Zweifel stehende Bindung erscheinen. Durch das vielfältige Instrumentarium der symbolischen Gedächtnispolitik – Gedenkfeiern,

Thematische Einführung und Fragestellung

5

Denkmäler, Festreden, Helden, Erinnerungsorte, Ausstellungen, wissenschaftliche Publikationen usw. – sollte eine „jahrhundertelange“ und „innige“ Verbundenheit der einheimischen Bevölkerung Oberschlesiens mit der jeweiligen Nation bestätigt werden. Dieser Umstand wirft jedoch die Frage auf, inwiefern solche Bestrebungen unter den Bedingungen der staatlichen Teilung der Region von Erfolg gekrönt waren. In diesem Zusammenhang ist es äußerst wichtig, nach der Rolle der katholischen Kirche zu fragen, die eine herausragende Stellung in der Region innehatte. Blieb der kirchliche Raum trotz der intensiven Versuche einer nationalpolitischen Homogenisierung ein verbindender Ort sowohl für deutsch- als auch slawisch bzw. polnischsprachige Oberschlesier? Vor dem Hintergrund konkurrierender nationaler Identitäten, aber auch möglicher nichtnational definierter und weniger abstrakter Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten stehen schließlich konkrete historische Akteure und ihre Aneignungs- und Ablehnungsstrategien gegenüber den Nationalisierungsprozessen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die nationalstaatliche Ordnung in fast ganz Europa durch. An die Stelle der national heterogenen Imperien traten neue Staatsorganismen, die sich in der Regel entschieden als Nationalstaaten bzw. gelegentlich als eine politische Vereinigung verschiedener wohldefinierter Nationalitäten auffassten. Die neu gegründeten Nationalstaaten Ostmittel- und Südosteuropas standen jedoch vor alten Herausforderungen: Ihr Recht auf Selbstbestimmung überlappte sich häufig innerhalb ihrer staatlichen Grenzen mit dem Recht anderer nationaler Gemeinschaften. So wurden mehrere Landstriche, insbesondere Grenzgebiete, zum Schauplatz von militärischen Auseinandersetzungen, Herrschaftswechseln, Teilungen und (meist erzwungenen) Migrationsbewegungen. Die Nationalstaaten setzten verstärkt auf die Mobilisierung der Bevölkerung für das jeweilige nationale Projekt bis hin zur Forderung nach einer ausschließlichen Identifikation all ihrer Bürger mit der Trägernation und ihrem Staat. Auf dem ganzen Kontinent kam es zu Konflikten zwischen den „nationalizing nation-states“ (Rogers Brubaker) und den Mitgliedern von nichtnational definierten oder andersnationalen Wir-Gruppen. Die „nationalisierenden Nationalstaaten“ bedienten sich dabei diverser Unterdrückungsmethoden zur Durchsetzung ‚nationaler Interessen‘ und suchten nur vereinzelt nach einem Kompromiss oder einem Ausgleich auf der regionalen oder lokalen Ebene. Der alltägliche Umgang der regionalen und lokalen Akteure mit dieser Politik der Nationalisierung steht im Mittelpunkt der hier vorgelegten empirischen Studie. Durchgängig werden dabei Aushandlungsprozesse und Spannungsfelder zwischen unterschiedlichen sozialen Milieus und politischen wie kirchlichen Entscheidungsträgern sowie der „Eigensinn“ der historischen Akteure beobachtet. Am Beispiel der Einwohner Oberschlesiens wird die Frage nach den ‚Grenzen‘ der Nationalisierungsprozesse und dem Inhalt solcher Bezeichnungen wie „deutsch“ und „polnisch“, „einheimisch“, „oberschlesisch“ oder „katholisch“ im wechselseitigen Selbstverständnis auf der Mikroebene analysiert. Dabei wird gefragt, inwieweit die

6

Einleitung

gegenseitige Wahrnehmung überhaupt primär nach nationalen Gesichtspunkten erfolgte und inwieweit die Spannung zwischen nationaler Inklusion und Exklusion die oberschlesische Lebenswelt tatsächlich prägte. Schließlich wird das Problem angesprochen, inwieweit für die Einwohner des zwischen Polen und Deutschland geteilten Oberschlesien die – zudem möglicherweise auch noch keineswegs jeweils endgültige, sondern in Abhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Konjunkturen wechselnde bzw. nur temporäre – Hinwendung zur polnischen oder deutschen nationalen Ideologie und die Mitgliedschaft in einer relativ abstrakt bleibenden, primär sprachlich und ethnisch definierten nationalen Gemeinschaft tatsächlich verbindlich waren und ihre Alltagswirklichkeit beeinflussten. Oder ob für die Oberschlesier im allgemeinen nicht vielmehr andere, stärker lokal, regional oder konfessionell geprägte Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten die konstant existierenden, eigentlich verbindlichen und vorrangigen waren. Diesen Fragenkomplex zu klären, ist keine einfache Aufgabe. Während die Staatsbürgerschaft, das Wahlrecht und die Wehrpflicht als klar identifizierbare Kriterien der Zugehörigkeit von Bürgern zu einem Nationalstaat angeführt werden, können lokale oder regionale Einheiten ähnliche Legitimationsquellen nicht in Anspruch nehmen. Das „Zugehörigkeitsgefühl“ zu dem Heimatort oder der Region lässt sich daher eher „aus identitären Elementen, zu denen überwiegend ‚weiche‘ kulturelle Kriterien wie Dialekte, Sitten, Gebräuche, personale Beziehungen und spezifische historische Erfahrungen und ‚Erinnerungen‘ gehören“,10 ableiten. Von dieser Feststellung ausgehend wird daher in der vorliegenden Arbeit die traditionelle Kirchlichkeit der Oberschlesier, in der sich identitäre Elemente widerspiegeln können, durch eine eingehende Beobachtung des Gottesdienstsbesuches, der Fronleichnamsprozessionen sowie anderer kirchlicher Rituale im Kontext der Verbundenheit mit der katholischen Kirche untersucht. Dabei bleiben die Religion als individuelle Reflexion und moralisches Vorbild ebenso wie ihre transzendentale, überhistorische Dimension in den vorliegenden Ausführungen zweitrangig. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf den ritualisierten Formen des Gruppenverhaltens im breit gefassten kirchlichen Raum. Es handelt sich hier mehr um die Untersuchung eines Ausdrucks der Verbundenheit mit der Gruppe als um den einer individuellen Religiosität. Die Kirchlichkeit und Gläubigkeit der Oberschlesier wird als eine Form sozialen Verhaltens analysiert und als eine Bühne betrachtet, auf der sich ein Wir-Gefühl der Einwohner manifestieren und sich unterschiedliche Formen und Arten kollektiver Identität offenbaren konnten. An dieser Stelle muss der Gebrauch der für die Studie relevanten Begriffe „Nationalisierung“ und „Identität“ erklärt werden. Mit Nationalisierung werden poli10 Ther, Philipp: Einleitung. Sprachliche, kulturelle und ethnische „Zwischenräume“ als Zugang zu einer transnationalen Geschichte Europas. In: ders./Sundhaussen, Holm (Hg.): Regionale Bewegungen und Regionalismen in europäischen Zwischenräumen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Marburg 2003, IX–XXIX, hier XVI.

Thematische Einführung und Fragestellung

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tische und gesellschaftliche Anstrengungen bezeichnet, die das Ziel verfolgen, die Identifikationen bzw. Identifikationsprozesse von einzelnen Menschen oder Gruppen im Sinne einer national gedeuteten Zugehörigkeit zu prägen und zu beherrschen. Durch die Nationalisierung soll die Nation den wichtigsten Platz in der Identität der Individuen und Kollektive einnehmen. Am Ende eines Nationalisierungsprozesses soll sich die nationale Deutung in allen Bereichen des Alltags auch gegenüber anderen konkurrierenden Deutungsmustern durchgesetzt haben. Die nationale Gemeinschaft soll also als höchstrangige Wir-Gruppen-Zugehörigkeit wahrgenommen werden, als selbstverständlich erscheinen und die Gegenwartsund Zukunftsentwürfe der Individuen und Gemeinschaften bestimmen. Die Nation wird demnach zum „Letztwert, der alle Forderungen rechtfertigt, die man an die politische Obrigkeit stellt, für den man in den Krieg zieht und zu sterben bereit und verpflichtet ist“.11 Gleichzeitig duldet eine so konstruierte Nationszugehörigkeit keine andere vergleichbar enge und verpflichtende Zugehörigkeit und keine Bindungen wie beispielsweise die an die engere Heimat, Region oder Konfession und beansprucht dementsprechend eine möglichst ausschließliche Stellung für die politische nationale Identität. In diesem Zusammenhang wird in dieser Studie auch wiederholt der ansonsten wenig gebräuchliche Terminus „nationalpolitisch“ in einer speziellen Weise gebraucht. Als nationalpolitisch werden im Folgenden solche Situationen und Bestrebungen bezeichnet, bei denen die Anstrengungen zur Nationalisierung zu politischen Auseinandersetzungen zwischen zwei oder mehr Gruppen führen oder doch potentiell führen können, also Widerstand erwartet oder doch für möglich gehalten wird und entsprechend vorgegangen wird. Identität wird hier verstanden als „eine in der Intensität und Form variable Identifikation, die von historischen Rahmenbedingungen und Kontexten sowie ihrer Perzeption beeinflusst wird und als Ergebnis sozialer Interaktion entsteht“.12 In der Untersuchung wird in erster Linie eine Facette des Identitätsbegriffs analysiert: die Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten und Wir-Gruppen-Prozesse.13 Kollektive Identitäten bzw. selbstverständlich empfundene, von manchen bewusst reflektierte Zugehörigkeiten zu einer Gemeinschaft von Menschen können vielschichtig sein, sich auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen beziehen und müssen demnach nicht a priori als konkurrierende Konzepte angesehen werden. Sie können in ihrer Intensität variieren, von ihren Trägern instrumentalisiert werden und gleichzeitig stattfinden – Menschen verstehen sich demnach nicht als Teil nur einer Wir-Gruppe, sondern definieren sich über die unterschiedlichsten Identifikationsmechanismen 11 Langewiesche, Dieter: ‚Nation‘, ‚Nationalismus‘, ‚Nationalstaat‘ in der europäischen Geschichte seit dem Mittelalter – Versuch einer Bilanz. In: ders./Schmidt, Georg (Hg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, 9–30, hier 12. 12 Ther: Sprachliche, kulturelle und ethnische „Zwischenräume“, XXVI. 13 Vgl. Elwert, Georg: Nationalismus und Ethnizität. Über die Bildung von Wir-Gruppen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 41 (1989) 440–464.

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Einleitung

als der Nation, Konfession, Stadt, dem Dorf oder dem Geschlecht zugehörig. Hierbei sind die unterschiedlichen Zugehörigkeiten nur punktuell zu fassen und im Zeitverlauf wandelbar. Dementsprechend handelt es sich in der Studie nicht um Identität im wörtlichen sozialpsychologischen Sinne, sondern um das Verhältnis ihrer potentiellen Träger zu bestimmten, in ihrem Umfeld vorhandenen oder forcierten Gruppenzugehörigkeiten und um den praktischen alltäglichen Umgang der Vielen mit den Zugehörigkeitskonzepten zu bestimmten Gemeinschaften. Es geht also nicht darum, sich einen tiefen Einblick in die sozialpsychologischen Identitätszustände der historischen Akteure zu verschaffen, sondern darum, die Relevanz von auf Gruppen und Territorien bezogenen, nationalen, regionalen, lokalen, sozioökonomischen oder konfessionellen Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten auf einem bestimmten Territorium und in einem begrenzten Zeitraum zu hinterfragen. Als Zugangstor zu dieser Problematik wurden kirchliche und – nur in ergänzendem Ausmaß – politische Feiern ausgewählt. Feste und Feiern eignen sich in besonderem Maße für die Untersuchung einer Gesellschaft: einerseits aufgrund der Wiederholung bestimmter Riten, andererseits aufgrund der bewussten und ausdrücklichen Abweichung von den gewohnten Verhaltensmustern des Alltags.14 Feste und Feiern können als „historischer Mikrokosmos“ bezeichnet werden,15 hier wird das komplexe Wechselspiel zwischen nationalen, regionalen und lokalen, sozialen und konfessionellen Loyalitäten und die Dynamik der kollektiven Identifikationsprozesse sichtbar. Sie übernehmen nämlich wichtige Funktionen innerhalb der Gesellschafts- und Gemeinschaftsbildung, „ihr emotionales Wirkungspotential“ korrespondiert mit dem menschlichen Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit und kollektiver Identität.16 Öffentliche Feste nehmen in hohem Maße Einfluss auf das Denken und Handeln von Menschen und stehen in einer Wechselwirkung mit der soziokulturellen Praxis der gesellschaftlichen Gruppen; sie „bündeln, steuern und kanalisieren soziale und politische Verhaltensweisen, die wiederum durch ihr kontinuierliches Einüben im Prozess des Feierns verinnerlicht werden“.17 Eine Analyse von Festen und Feiern ermöglicht daher, Urteile über Wandel und Neuformierung, aber zugleich über Persistenz und Dauer von Gemeinschaftsstrukturen zu erhel-

14 Vgl. Gebhardt, Winfried: Fest, Feier und Alltag. Über die gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen und ihre Deutung, Frankfurt a. M. 1987; Maurer, Michael: Feste und Feiern als historischer Forschungsgegenstand. In: Historische Zeitschrift 253 (1991) 101–130; Lüsebrink, Hans-Jürgen: Das Fest. In: Haupt, Heinz-Gerhard (Hg.): Orte des Alltags. Miniaturen aus der europäischen Kulturgeschichte, München 1994, 202–206. 15 Hettling, Manfred/Nolte, Paul: Bürgerliche Feste als symbolische Politik im 19. Jahrhundert. In: dies. (Hg.): Bürgerliche Feste. Symbolische Formen politischen Handelns im 19. Jahrhundert, Göttingen 1993, 7–36, hier 17. 16 Riederer, Günter: Feiern im Reichsland. Politische Symbolik, öffentliche Festkultur und die Erfindung kollektiver Zugehörigkeiten in Elsass-Lothringen (1871–1918), Trier 2004, 25. 17 Ebd., 28.

Thematische Einführung und Fragestellung

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len.18 Sie lässt es darüber hinaus zu, die in einer Gesellschaft vorhandenen Brüche, Spannungen und inneren Verwerfungen zu beleuchten. In den Veranstaltungen können nämlich nicht nur Konsens und Loyalität zur Schau gestellt werden, sondern auch die inneren Konfliktlinien zwischen den Gruppen. Darüber hinaus werden Feiern als das scheinbar Außergewöhnliche, Besondere meist gut quellenmäßig überliefert. Vor allem dicht dokumentierte Stör- und Zwischenfälle während der kirchlichen Rituale und der politischen Feierlichkeiten erscheinen geeignet zur Rekonstruktion von Alltagswirklichkeiten, zumal hierbei auch Bevölkerungsgruppen in das Blickfeld geraten, die sich ansonsten meist dem Zugriff des Historikers entziehen. In der historischen Forschung wurde zwar die Verbindung zwischen Fest und Politik längst erkannt und in den letzten zwei Jahrzehnten intensiv unter die Lupe genommen,19 aber die Bedeutung des konfessionellen Einflusses auf das Alltagsleben und -handeln der Menschen, der sich in kirchlichen Feiern widerspiegeln konnte, wurde weiterhin wenig erforscht. Durch die Fokussierung auf die Alltagswirklichkeiten unterscheidet sich die vorliegende Studie zudem von Arbeiten, die sich explizit mit der politischen Festkultur befassen und dabei vorrangig die Mechanismen der Macht bzw. die Relationen zwischen den Machthabern und oppositionellen Eliten untersuchen.20 Feste und Feiern können in erster Linie als der Ort betrachtet werden, an dem sich der Loyalitätsanspruch der Nation gegenüber konkurrierenden konfessionellen und sozialen Bindungen, aber auch ökonomischen Interessen behaupten musste. Insbesondere kirchliche, katholische Feste spielten eine große Rolle im Kampf um die symbolische Besetzung öffentlicher Räume und konnten die staatliche Autorität im Prozess der Nationsbildung in Frage stellen. Die hier vorliegende Untersuchung stellt also einen Versuch dar, sich über den Umweg des Außeralltäglichen an den oberschlesischen Alltag heranzutasten und die Normalität durch die Beobachtung des Spektakulären und Dramatischen zu erfassen. Dadurch soll die alltägliche Lebenswelt der Oberschlesier, d. h. also das, was für diese selbstverständlich und fraglos gegeben war, rekonstruiert werden.21 18 Ebd. 19 Vgl. exemplarisch Beilharz, Richard/Frank, Gerd (Hg.): Feste. Erscheinungs- und Ausdrucksformen, Hintergründe, Rezeption, Weinheim 1991; Friedrich, Karin (Hg.): Festive Culture in Germany and Europe from the sixteenth to the twentieth century, Lewiston/ Queenston/Lampeter 2000; Behrenbeck, Sabine/Nützenadel, Alexander (Hg.): Inszenierungen des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/1871, Köln 2000. 20 Vgl. Main, Izabella: Trudne świętowanie. Konflikty wokół obchodów świąt państwowych i kościelnych w Lublinie (1944–1989), Warszawa 2004; Rolf, Malte: Das sowjetische Massenfest, Hamburg 2006. 21 Vgl. Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1–2, Frankfurt a. M. 1979–1984; Vierhaus, Rudolf: Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten. Probleme moderner Kulturgeschichtsschreibung. In: Lehmann, Hartmut (Hg.): Wege zu einer neuen Kulturgeschichte, Göttingen 1995, 7–28.

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Einleitung

Die Studie will konkrete Formen alltäglicher Praxis und Erfahrung zeigen, in denen Identität „formuliert, variiert, nuanciert oder auch zurückgewiesen wird“.22 Durch die vergleichende Darstellung einer Randregion der Nationalstaaten, die an der Schnittstelle heterogener Ethnizitäten lag, aber eine konfessionell homogene Zusammensetzung aufwies, wird ein Beitrag zur Diskussion über die Relevanz und Wechselwirkungen von Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten in einem europäischen Zwischenraum geleistet. Anhand einer analytischen Beobachtung Oberschlesiens der 1920er und 1930er Jahre können spezifisch ‚moderne‘ Phänomene wie Nationalisierung, Politisierung und Säkularisierung mit den Erscheinungen konfrontiert werden, die als ‚vormodern‘ gelten, wie etwa das Übergewicht lokaler, konfessioneller und/oder regionaler Zugehörigkeitsgefühle zu einer Gemeinschaft. Es handelt sich also um eine Studie im Bereich der Nationalismusforschung, die sich gleichzeitig sowohl als Beitrag zur deutschen wie zur polnischen Geschichtsschreibung versteht. Den territorialen Rahmen der Untersuchung bildet das oberschlesische Abstimmungsgebiet von 1921, das abgesehen von den am westlichen Rand gelegenen, fast ausschließlich deutschsprachigen Kreisen deckungsgleich mit dem preußischen Regierungsbezirk Oppeln war. Nach dem Plebiszit wurde das umstrittene Gebiet durch eine Grenze geteilt. Auch an dieser Stelle, wie so oft im Europa der Zwischenkriegszeit, konnten ethnische und administrative Grenzen nicht zur Deckung gebracht werden. Auf beiden Seiten verblieben ethnische Polen und Deutsche und vor allem die einheimische slawophone Bevölkerung. Die Einwohner des österreichischen Teils der historischen Region, der bis 1918 unter der Herrschaft der Habsburger gestanden hatte und nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Polen und der Tschechoslowakei geteilt wurde, werden hingegen in der Analyse ausgeblendet. Das sogenannte Teschener Schlesien durchlief nämlich im 18. und 19. Jahrhundert eine andere sprachlich-ethnische sowie politische Entwicklung, die erst 1922 zu einer Vereinigung mit dem Polen zugeteilten, ehemals preußischen Abstimmungsgebiet in der Wojewodschaft Schlesien führte. In der Arbeit bleibt auch die evangelische und die jüdische Bevölkerung Oberschlesiens ausgeklammert. Lediglich der Kreis Kreuzburg, am nördlichen Rand Oberschlesiens gelegen, konnte eine hohe Anzahl an Protestanten aufweisen – ungefähr 40 Prozent.23 Aber gerade diese territoriale Konzentration der evangelischen Gläubigen trug dazu bei, dass die im Zentrum der Untersuchung stehenden restlichen Kreise des Abstimmungsgebiets an konfessioneller Homogenität noch gewannen. Diese Proportionen vermochten auch die preußischen Kolonisten nicht zu verändern, die nach der Eroberung fast 22 Lüdtke, Alf: Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie. In: Goertz, HansJürgen (Hg.): Geschichte: Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 2001, 557–578, hier 559. 23 Chmiel, Peter: Die sprachlichen Verhältnisse in Oberschlesien in Geschichte und Gegenwart. In: Engel, Walter (Hg.): Kulturraum Schlesien. Ein europäisches Phänomen, Wrocław 2001, 177–187, hier 179.

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ganz Schlesiens durch Friedrich II. auch im oberschlesischen Teil der Provinz siedelten.24 Die oberschlesischen Juden machten wiederum weniger als zwei Prozent der gesamten Bevölkerung aus, die meisten von ihnen betrachteten sich als ein loyaler Teil der deutschen Nation und waren nur sehr selten in den ländlichen Gebieten Oberschlesiens wohnhaft.25 Die Studie konzentriert sich daher auf die katholischen Einwohner Oberschlesiens und untersucht Nationalisierungsprozesse in den nationalpolitisch umstrittenen, aber konfessionell homogenen Gemeinden. Die zeitlichen Eckpunkte der vergleichenden Studie stellt die einzige Periode in der Geschichte des historischen Kerns Oberschlesiens dar, in der die Region zu zwei verschiedenen Staaten gehörte: zwischen der Übernahme des östlichen Teils Oberschlesiens durch Polen 1922 und dem Einmarsch der deutschen Truppen in die polnische Wojewodschaft Schlesien 1939.

1.2.

Forschungsstand und Forschungsprobleme

1.2.1.

Die historische Oberschlesienforschung zwischen Deutschland und Polen

In der geschichtswissenschaftlichen Oberschlesienforschung gab es im gesamten 20. Jahrhundert ein eindeutiges Übergewicht von Untersuchungen, die selbst als Teil der Nationalisierungsprozesse betrachtet werden können. Sie hatten das Ziel, die Deutungshoheit der ‚eigenen‘ Ideologie des Nationalen über die des ‚Gegners‘ wissenschaftlich zu begründen. Seit dem Anfang der nationalpolitischen Auseinandersetzungen in Oberschlesien an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, d. h. seit dem Ausbruch des politischen Kampfes zwischen Polen und Deutschen um die territoriale Zugehörigkeit der Region und die nationale Orientierung ihrer Einwohner, stand die Beweisführung für einen eindeutig polnischen oder deutschen Charakter des Landes im Mittelpunkt der deutschen und polnischen Forschungen. Die Geschichtspolitik wurde so zum wichtigen Element und zugleich Instrument des deutsch-polnischen Konfliktes. Gleichwohl lag die Deutungshoheit über die Vergangenheit und die aktuellen Verhältnisse in der Region nicht bei der äußerst kleinen und schwachen einheimischen oberschlesischen Elite, sondern bei polni24 Wąs, Gabriela: Dzieje Śląska od 1526 do 1806 roku. In: Czapliński, Marek u. a. (Hg.): Historia Śląska, Wrocław 2002, 117–248, hier 240–242. 25 1938 wurden in der Wojewodschaft Schlesien lediglich 19.000 Juden gezählt. Angaben nach Serafin, Franciszek: Stosunki demograficzne i społeczne. In: ders. (Hg.): Województwo śląskie. Zarys monograficzny, Katowice 1996, 78–99, hier 89. Vgl. auch Jaworski, Wojciech: Ludność żydowska w województwie śląskim w latach 1922–1939, Katowice 1997; Kalinowska-Wójcik, Barbara: Żydzi na Śląsku. In: Haubold-Stolle, Juliane/Linek, Bernard (Hg.): Górny Śląsk wyobrażony: wokół mitów, symboli i bohaterów dyskursów narodowych, Marburg 2006, 235–247; Cygański, Mirosław: Żydzi Poznańscy, Pomorscy oraz Śląscy. In: Studia Śląskie 55 (1997) 57–95.

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schen und deutschen Historikern, die nicht selten von machtpolitischen Interessen ihrer Regierungen geleitet wurden. So begann der deutsche nationale Diskurs sich immer stärker sowohl auf die realen als auch auf die potentiellen Forderungen des polnischen nationalen Diskurses zu beziehen und gründete seine Legitimität in Oberschlesien auf dem zivilisatorischen Erfolg der preußisch-deutschen Herrschaft in der Region. Die polnische Nationalbewegung dagegen betonte stets die ethnische und konfessionelle Verwandtschaft der Oberschlesier mit den Polen. Besonders in und nach der Abstimmungszeit kam es zu einer publizistischen und historiographischen ‚Offensive‘, die in den 1930er Jahren in groß angelegten „Geschichte[n] Schlesiens“ mündete.26 Die deutsche Ostforschung und ihr Pendant, der „polnische Westgedanke“, schufen vor 1939 ein nationalistisches Paradigma, das weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus in polnischen und deutschen Untersuchungen überdauerte.27 Es war daher äußerst schwierig, sich diesem Modell zu entziehen und Oberschlesien als eine Region zu betrachten, in der der breit verkündete Siegeszug des Nationalismus auf beträchtliche Hindernisse stieß und die nationalen Ideologien möglicherweise nur bedingt und von einem zahlenmäßig kleinen Teil der Oberschlesier als die erstrangige Form der Wir-Gruppen-Zugehörigkeit wahrgenommen wurden. Im kommunistischen Polen wurde eine Darstellung Oberschlesiens, die den Erfolg des Nationalen in Frage gestellt hätte, nicht akzeptiert oder negativ konnotiert. Die nationale Perspektive diente den kommunistischen Machthabern als historische Legitimation ihrer Herrschaft. Demzufolge überwogen Arbeiten, die weiterhin die Existenz der slawophonen Bevölkerung in Oberschlesien als den ultimativen Beweis der Zugehörigkeit dieser Region zu Polen betrachteten.28 Das Grundmuster des polnischen nationalen Narrativs, das die Oberschlesier zweifellos als Bestandteil der polnischen Nation integrierte, beruhte auf den Faktoren Ethnizität,

26 Vgl. Mühle, Eduard: Polityka historyczna i polska „myśl zachodnia“ w województwie śląskim (1922–1939). In: Studia Śląskie 62 (2003) 169–188. 27 Dass der Zweite Weltkrieg nur in geringem Ausmaß einen Kontinuitätsbruch bedeutete, ist nicht zuletzt auf den ausgebliebenen Personal- und Generationenwechsel zurückzuführen. Vgl. die Untersuchungen zu den zwei prominentesten Vertretern der beiden nationalen Geschichtswissenschaften: Mühle, Eduard: Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, Düsseldorf 2005; Krzoska, Markus: Für ein Polen an Oder und Ostsee: Zygmunt Wojciechowski (1900–1955) als Historiker und Publizist, Osnabrück 2003. Zu der deutsch-polnischen historiographischen Auseinandersetzung allgemein vgl. Piskorski, Jan/Hackmann, Jörg/Jaworski, Rudolf (Hg.): Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, Poznań/Osnabrück 2002. 28 Vgl. exemplarisch Kokot, Józef: Historia Górnego Śląska 1815–1965 (tezowa propozycja koncepcji dziejów całego Górnego Śląska w XIX i XX wieku), Opole 1967; Popiołek, Kazimierz (Hg.): Historia Śląska od pradziejów do 1945 roku, Katowice 1972.

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Sprache, Sitte, Gebräuche und kulturelle Tradition.29 Gegen diese die Oberschlesier national einfach vereinnahmende Perspektive konnten sich im kommunistischen Polen lediglich vereinzelte Studien durchsetzen.30 Die sich mit Oberschlesien befassende deutsche Geschichtsschreibung sah sich hingegen nach 1945 mit den Erwartungen einer Zielgruppe konfrontiert, deren Bewusstsein und mentale Lage durch die Ereignisse in der unmittelbaren Nachkriegszeit entscheidend geprägt worden waren. Die Stimmen der vertriebenen Deutschen beeinflussten die öffentliche und wissenschaftliche Wahrnehmung ihrer alten Heimat erheblich. Die Debatten der Zwischenkriegszeit erlebten eine Neuauflage, als die Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Bundesrepublik Deutschland gewisse Parallelen zum Revisionismus der Weimarer Republik aufwies. Oberschlesien wurde von westdeutschen Autoren aus einer Leidensperspektive betrachtet und blieb lange Zeit die Domäne einer landsmannschaftlich geprägten Heimatpublizistik, die den deutschen Charakter der Region und ihrer Einwohner ausdrücklich beteuerte.31 In der DDR wiederum gab es kaum Bedingungen, die eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der ostdeutschen Gebiete erlaubt hätten. Das von der Geschichtswissenschaft gezeichnete Bild der Oberschlesier begann sich erst in den 1990er Jahren zu verändern. Einigen wenigen Autoren genügte es nicht mehr, die ethnische und nationale Komplexität der Region ausschließlich mit den Kategorien der heutigen Staatsnationen zu beschreiben oder die Relevanz nichtnationaler Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten zu leugnen.32 Trotz dieses einsetzenden Wandels wird allerdings auch heute noch in Polen das ‚Polentum‘ der slawophonen Oberschlesier weiterhin vielfach nicht hinterfragt, sondern als gegeben unterstellt. Michał Lis, Professor für Geschichte an der Universität Oppeln, betont in seiner 29 Vgl. Hawranek, Franciszek: Okres powstań śląskich i plebiscytu z perspektywy 60–lecia. In: Powstania śląskie i plebiscyt z perspektywy 60–lecia. Materiały na sesję naukową z okazji 60–lecia powstań śląskich w Opolu, Opole 1981, 9–28, hier besonders 9–11. 30 Zu erwähnen sind in erster Linie eine Studie von Ossowski, Stanisław: Zagadnienie więzi regionalnej i więzi narodowej na Śląsku Opolskim. In: ders.: Dzieła, Bd. 3, Warszawa 1967, 251–299, mit einer einmaligen soziologischen Analyse eines oberschlesischen Dorfes kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und eine Arbeit von Kopeć, Eugeniusz: „My i oni“ na polskim Śląsku (1918–1939), Katowice 1986, die auf immense Integrationsprobleme der oberschlesischen Bevölkerung in der Zweiten Polnischen Republik hinweist und detailliert den Antagonismus zwischen den Einheimischen und Zugewanderten im polnischen Teil Oberschlesiens beschreibt. 31 Vgl. exemplarisch Brzoska, Emil: Oberschlesien im politischen Kraftfeld der Geschichte, Bonn 1962; Ulitz, Otto: Oberschlesien. Aus seiner Geschichte, Bonn 1971. 32 Einen Überblick über die Debatte der 1990er Jahre und der ersten Jahre des 21. Jahrhunderts in Polen und Deutschland, allerdings mit Bezug auf die Geschichte der Oberschlesier nach 1945, verschafft Wanatowicz, Maria Wanda: Od indyferentnej ludności do śląskiej narodowości? Postawy narodowe ludności autochtonicznej Górnego Śląska w latach 1945– 2003 w świadomości społecznej, Katowice 2004, 133–186.

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2001 erschienenen „Geschichte Oberschlesiens“, dass die „polnische Bevölkerungsgruppe“ trotz der Herrschaft Böhmens, Österreichs, Preußens und Deutschlands „als eigenständige Gruppe“ überdauert habe, was sich „in der Sprache, in den Sitten und Gebräuchen sowie in der Bindung an den Glauben und schließlich in dem natürlichen Streben zu ihrem ideologischen Vaterland manifestierte“. Dies habe sich besonders in der Sphäre der Kultur gezeigt: „Der Kampf des Polentums mit der aufgezwungenen fremden Kultur, besonders seit der Herrschaft der Habsburger und verstärkt unter den Hohenzollern gegen deren Politik der Entnationalisierung, stellt den grundlegenden Zug der Geschichte Oberschlesiens, besonders des östlichen Teils, dar.“33 Auch Mieczysław Pater, ein Priester und emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Breslau, bedient sich in seinen zahlreichen Publikationen zur Geschichte des oberschlesischen Klerus einer explizit polonozentrischen Perspektive.34 Einen Forschungsansatz, der eine vielschichtige Perspektive der nichtnationalen Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten inkludieren würde, stellt letztendlich auch die langjährige Direktorin des Historischen Instituts der Schlesischen Universität in Kattowitz, Maria Wanda Wanatowicz, in Frage. Sie unterstreicht, dass „die Dokumentation der Ausdrücke eines nationalen Antagonismus zwischen der polnischen Mehrheit und der deutschen Minderheit in der Wojewodschaft Schlesien [in den Jahren 1922–1939] so groß“ sei, dass „die Versuche einer Entwertung des Ausmaßes und einer Milderung des Charakters dieses Phänomens als politische und nicht als wissenschaftliche Aktivität gelten müssen“. Wanatowicz geht allerdings immerhin schon davon aus, dass bei einem großen Teil der Einwohner Oberschlesiens ein breites Spektrum nationaler Haltungen anzutreffen sei und bei zahlreichen Oberschlesiern zudem auch noch „kein herauskristallisiertes Nationalbewusstsein“ festgestellt werden könne.35 Sie hebt sich insoweit deutlich von der ‚traditionellen‘ polnischen Oberschlesienforschung ab. Dennoch bewegt sich ihr Ansatz letztendlich weiterhin in einer dichotomischen Deutung der oberschlesischen Lebenswelten: Die Auseinandersetzung zwischen den deutschen und polnischen Eliten behindert ihren analytischen Blick auf die Grenzen der Durchsetzungskraft der elitären Diskurse auf der lokalen Ebene. Von ihrem Gesichtspunkt aus erscheint der Anspruch einer nichtnational ausgerichteten Geschichtsschreibung aus der Perspektive der na33 Lis, Michał: Górny Śląsk. Zarys dziejów do połowy XX wieku, Opole 2001, 8. Zit. nach Struve, Kai: Einleitung: Geschichte und Gedächtnis in Oberschlesien. Die polnischen Aufstände nach dem Ersten Weltkrieg. In: ders. (Hg.): Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg. Studien zu einem nationalen Konflikt und seiner Erinnerung, Marburg 2003, 1–32, hier 9. 34 Vgl. Pater, Mieczysław: Duchowieństwo katolickie wobec spraw polskich na Górnym Śląsku w latach 1891–1914, Katowice 2004. 35 Wanatowicz, Maria Wanda: Społeczeństwo polskie w województwie śląskim wobec niemieckiej mniejszości narodowej. In: Lis, Michał (Hg.): Doświadczenia polityki mniejszościowej okresu międzywojennego na górnośląskim obszarze plebiscytowym, Opole 2004, 53–71, hier 55.

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tionalpolitisch passiven Einwohner der Region als wenig relevant.36 Diese Betrachtungsweise wird von Marek Czapliński in der neuesten, solide ausgearbeiteten und ‚national‘ ausgewogenen „Geschichte Schlesiens“ um eine regional geprägte Perspektive erweitert. Der Breslauer Professor weist auf die spezifischen Rahmenbedingungen eines für Europa typischen Grenzgebiets hin und stellt fest, dass dies die nationalpolitischen Entscheidungen der Oberschlesier beeinflusst hätte. Es habe eine zahlenmäßig bedeutende Gruppe gegeben, die sich weder für die polnische noch für die deutsche Seite erklären wollte, sondern an einem „Schlesiertum“ festgehalten habe.37 Diese Bemerkung schlägt sich jedoch nicht in einem konsequenten Perspektivenwechsel nieder, wobei das Fehlen einer ausführlichen Betrachtung der Vorstellungswelten der einheimischen slawophonen Einwohner auch auf die Themenvielfalt der Synthese zurückzuführen ist. Das ethnozentrische Forschungsmuster dominierte in den 1990er Jahren auch in Deutschland. In den großen Darstellungen der schlesischen Geschichte überwog weiterhin der Blick auf eine genuin deutsche Geschichte der Region. Sowohl dem im Auftrag der „Historischen Kommission für Schlesien“ verfassten Werk38 als auch dem Schlesien-Band in der erfolgreichen Reihe „Deutsche Geschichte im Osten Europas“39 gelang es nicht, eine entnationalisierte Betrachtungsweise auf die Oberschlesier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu entwickeln. Ein weiteres Manko dieser und auch vieler anderer deutschsprachiger Publikationen ist die fehlende Berücksichtigung der polnischen Literatur. Diese Unzulänglichkeiten gelten jedoch nicht für die erstmals 1996 erschienene, von Joachim Bahlcke herausgegebene Synthese „Schlesien und die Schlesier“.40 Gleichwohl wird auch darin den Oberschlesiern nur wenig Platz in den Interpretationen eingeräumt, wobei ein Übergewicht der deutschen Perspektive erkennbar ist. Ähnliches kann auch an der politischen Biographie Carl Ulitzkas, der führenden Persönlichkeit des oberschlesischen Zentrums vor 1933, bemängelt werden. Guido Hitze verfasste zwar eine äußerst umfangreiche und kenntnisreiche Darstellung der Abstimmungszeit und des deutschen politischen Katholizismus in Oberschlesien. Dennoch geht der Autor nur unzureichend auf die polnische Litera36 Diese Feststellung betrifft die polnischen Sozialwissenschaften in weit geringerem Ausmaß. Seit mindestens 20 Jahren wird die Oberschlesier-Perspektive in soziologischen Analysen systematisch angewendet, wenn auch meist für die Periode nach dem Zweiten Weltkrieg. Vgl. Szmeja, Maria: Niemcy? Polacy? Ślązacy! Rodzimi mieszkańcy Opolszczyzny w świetle analiz socjologicznych, Kraków 2000; Berlińska, Danuta: Mniejszość niemiecka na Śląsku Opolskim w poszukiwaniu tożsamości, Opole 1999. 37 Czapliński, Marek: Dzieje Śląska od 1806 do 1945 roku. In: ders. u. a. (Hg.): Historia Śląska, 249–424, hier 296. 38 Fuchs, Konrad: Politische Geschichte 1918–1945. In: Menzel, Josef Joachim (Hg.): Geschichte Schlesiens, Bd. 3: Preußisch-Schlesien 1740–1945. Österreichisch-Schlesien 1740– 1918/45, Stuttgart 1999, 81–104. 39 Fuchs, Konrad: Vom deutschen Krieg zur deutschen Katastrophe. In: Conrads, Norbert (Hg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien, Berlin 1994, 553–692. 40 Bahlcke, Joachim (Hg.): Schlesien und die Schlesier, München 42005 [11996].

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tur ein und konzentriert sich auf die politischen Entwicklungslinien der preußischen Provinz Oberschlesien in den Jahren 1922–1939, was unvermeidlich dem deutschen Blickwinkel eine Vorrangstellung verschafft.41 Als eine Gegenreaktion auf die übliche deutsche und polnische Historiographie ist wiederum die „Geschichte der oberschlesischen Nation“ zu betrachten. Ihr Autor, Dariusz Jerczyński, Mitglied der umstrittenen Autonomiebewegung und des „Verbands der Bevölkerung Schlesischer Nationalität“, bedient sich jedoch seinerseits unerbittlich der nationalpolitischen Begrifflichkeit und bleibt dem nationalgeschichtlichen Paradigma – diesmal in einer oberschlesischen Version – verhaftet.42 Das Buch stellt also einen Versuch dar, die geschichtliche Grundlage für eine oberschlesische Nationsbildung zu liefern. In den wissenschaftlichen Kategorien ist es so jedoch keinesfalls innovativ. Einen anderen Eindruck hinterlässt hingegen ein Essay von Stanisław Bieniasz, einem oberschlesischen Schriftsteller und Publizisten, über die Schicksale der Oberschlesier im 20. Jahrhundert.43 Dabei handelt es sich zwar nicht um eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung im eigentlichen Sinn, aber die Aussagen des Autors geben einen konzisen Überblick über die Konturen einer ‚oberschlesischen‘ Meistererzählung der regionalen Geschichte. Nach Bieniasz sei in Oberschlesien „das Gefühl, Deutscher oder Pole zu sein, von ziemlich hoher Dynamik gekennzeichnet“. Die Oberschlesier seien „immer Oberschlesier und nur manchmal Polen, Deutsche oder ein bisschen von den beiden oder aber weder die einen noch die anderen“ gewesen. Dies sei ein typisches Merkmal der Einwohner von Grenzgebieten.44 Demnach müsse eine historiographische Auseinandersetzung mit der Region die komplizierten individuellen Schicksale berücksichtigen und nicht nur Polen und Deutsche in den Vordergrund stellen, sondern auch „Oberschlesier, die eine nationale Deklaration mieden oder sich zu einem regionalen Bewusstsein bekannten“.45 Das von Bieniasz formulierte Postulat einer explizit regionalen oberschlesischen Perspektive wurde noch nicht zur Grundlage größerer geschichtswissenschaftlicher Arbeiten gemacht. Die Erforschung der oberschlesischen Region innerhalb des Themenkomplexes der historischen deutsch-polnischen Grenzräume bleibt also weiterhin unbefriedigend. Dies ist nicht zuletzt auf die eingangs erwähnte reale Präsenz der einheimischen Oberschlesier in der gegenwärtigen Region zurückzuführen. Offensichtlich lässt sich die Geschichtsforschung über diejenigen Landesteile leichter und ohne negative Emotionen neu definieren, in denen es nach dem 41 Hitze, Guido: Carl Ulitzka (1873–1953) oder Oberschlesien zwischen den Weltkriegen. Carl Ulitzka (1873–1953) albo Górny Śląsk pomiędzy dwoma Wojnami Światowymi. Düsseldorf 2002. 42 Jerczyński, Dariusz: Historia Narodu Śląskiego. Prawdziwe dzieje ziem śląskich od średniowiecza do progu trzeciego tysiąclecia, Zabrze 2003. 43 Bieniasz, Stanisław: Losy Górnoślązaków w dwudziestym wieku, Gliwice o. J. [ca. 2000]. 44 Ebd., 6f. 45 Ebd., 20.

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Zweiten Weltkrieg zu einem fast vollkommenen Bevölkerungsaustausch gekommen ist.46 Dennoch bildete sich in den letzten Jahren ein international zusammengesetzter Historikerkreis heraus, welcher sich vom nationalistischen Paradigma abwendet und die Geschichte Oberschlesiens mit einer programmatischen Berücksichtigung aller Einwohner unabhängig von der sprachlichen, ethnischen oder sozialen Stellung zu beschreiben versucht.47 Mittlerweile werden auch bei der Erforschung der oberschlesischen Geschichte innovative Konzepte einer ‚entangled history‘ oder der ‚postcolonial studies‘ angewendet.48 Dies legte Juliane HauboldStolle mit ihrer Untersuchung der polnischen und deutschen nationalen Narrative über Oberschlesien als einer „zusammengehörenden Geschichte“ beeindruckend dar.49 Tomasz Kamusella übertrug wiederum postkoloniale Debatten um die ‚hidden history‘ einer kolonisierten Bevölkerung auf die oberschlesische Region, und zwar vor dem Hintergrund der dominierenden nationalen Diskurse, die eine scheinbare Eindeutigkeit der Zuordnungen zu sozial-kulturellen Gruppen wie institutionellen Ordnungszusammenhängen behaupten. Er postulierte dementsprechend, die multiplen Selbst- und Fremdzuschreibungen unter dem Begriff der Hybridität zusammenzufassen.50 Ihm pflichtete Philipp Ther bei, indem er die Ge46 So entstanden beispielsweise über die Masuren und Ermländer bzw. die Provinz Ostpreußen sowohl in Polen als auch in Deutschland Arbeiten, die eine neue Betrachtungsweise entwickeln. Vgl. Traba, Robert: Niemcy – Warmiacy – Polacy 1871–1914. Z dziejów niemieckiego ruchu katolickiego i stosunków polsko-niemieckich w Prusach, Olsztyn 1994; ders.: Wschodniopruskość. Tożsamość regionalna i narodowa w kulturze politycznej Niemiec, Poznań 2005; Kossert, Andreas: Preußen, Deutsche oder Polen? Die Masuren im Spannungsfeld des ethnischen Nationalismus 1870–1956, Wiesbaden 2001; ders.: Ostpreußen. Geschichte und Mythos, München 2005. 47 Vgl. Struve, Kai/Ther, Philipp (Hg.): Die Grenzen der Nationen. Identitätenwandel in Oberschlesien in der Neuzeit, Marburg 2002; Haubold-Stolle/Linek (Hg.): Górny Śląsk wyobrażony. Darüber hinaus wurden zwei kritisch kommentierte Quelleneditionen herausgegeben, die sich mit den deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert befassen und dabei die Region Oberschlesien nicht nur aus der Perspektive der zentralen Behörden, sondern auch aus einer regional und lokal geprägten Sicht betrachten: Niendorf, Mathias/Hauser, Przemysław (Bearb.): Provinz Oberschlesien und Wojewodschaft Schlesien. In: Jaworski, Rudolf/Wojciechowski, Marian (Hg.): Deutsche und Polen zwischen den Kriegen. Minderheitenstatus und „Volkstumskampf“ im Grenzgebiet. Amtliche Berichterstattung aus beiden Ländern 1920–1939, Teilbd. 2, München 1997, 811–1133; Borodziej, Włodzimierz/Lemberg, Hans (Hg.): „Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden ...“ Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950. Dokumente aus polnischen Archiven, Bd. 2: Zentralpolen. Wojewodschaft Schlesien (Oberschlesien), Marburg 2003. 48 Zur methodologischen Diskussion vgl. Kälble, Hartmut: Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt? In: H-Soz-u-Kult, 8.2.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ forum/id=574&type=artikel [Zugriff am 14.4.2010]. 49 Haubold-Stolle, Juliane: Mythos Oberschlesien. Der Kampf um die Erinnerung in Deutschland und in Polen 1919–1956, Osnabrück 2008. 50 Kamusella, Tomasz: Schlonzsko: Horní Slezsko, Oberschlesien, Górny Śląsk. Esej o regionie i jego mieszkańcach, Zabrze 2006.

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schichte des preußisch-deutschen Kaiserreichs in Ostmitteleuropa als imperiale Herrschaft mit zunehmend kolonialen Zügen beschrieb und eine methodisch vielversprechende Verschränkung der Imperialismusforschung mit dem Ansatz der ,postcolonial studies‘ bei der Erforschung der deutsch-slawischen Grenzgebiete postulierte.51 Das Ergebnis dieser innovativen Vorangehensweisen, die das methodische Instrumentarium der modernen Nationalismusforschung in Anspruch nehmen, wird im Folgenden in Bezug auf Oberschlesien zwischen den beiden Weltkriegen an zwei Beispielen erläutert. Durch eine vornehmlich auf quantitative Daten gestützte Analyse versucht Philipp Ther in einem explizit Oberschlesien gewidmeten Aufsatz zu zeigen, dass die nationalen Identitäten in Oberschlesien wandelbar gewesen und die Wirkungskräfte des Nationalismus bei der ethnisch und sprachlich gemischten Bevölkerung an ihre Grenzen gestoßen seien.52 Dies folgert Ther aus den Zahlen von Minderheitenangehörigen, die zwischen den Weltkriegen nicht konstant geblieben seien. Im deutschen Teil Oberschlesiens habe die Zahl der zwei- oder nur polnischsprachigen Oberschlesier sowie die der Wählerstimmen für polnische Listen und Kandidaten in den 1920er Jahren kontinuierlich abgenommen. Dessen ungeachtet stiegen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme die Mitgliederzahlen der polnischen und zugleich vorwiegend katholischen Organisationen an, die einen Zufluchtsort für die tief religiöse Bevölkerung darstellten. Im östlichen Teil Oberschlesiens wiederum bekamen laut Ther deutsche Parteien bei manchen Wahlen deutlich mehr Stimmen, als es dem ‚deutschen‘ Bevölkerungsanteil entsprach. Wenn sich jedoch die wirtschaftliche Lage Polens stabilisierte, gingen die Zahlen ihrer Anhänger und der deutsch-nationalen Kundgebungen spürbar zurück. Dies zeuge – so Ther zusammenfassend – von einer auf die engere Heimat gerichteten Identität, die meist über ein sekundär bleibendes deutsches oder polnisches Nationalbewusstsein dominiert habe und eng mit dem katholischen Glauben verbunden gewesen sei. Der Kölner Historiker Manfred Alexander konzentriert sich noch stärker auf die Mehrdimensionalität einer oberschlesischen Identität.53 Schon die Verwendung der Begriffe „Schlonsaken“ und „schlonsakisch“ in Anlehnung an die Selbstbezeichnung der einheimischen Oberschlesier in ihrem eigenen Dialekt (ślonzok, ślunzak) deutet die gewählte ‚einheimische‘ Perspektive an.54 Alexander entwickelt 51 Ther, Philipp: Deutsche Geschichte als imperiale Geschichte. Polen, slawophone Minderheiten und das Kaiserreich als kontinentales Empire. In: Conrad, Sebastian (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004, 129–148. 52 Ther, Philipp: Schlesisch, deutsch oder polnisch? Identitätenwandel in Oberschlesien 1921– 1956. In: ders./Struve (Hg.): Die Grenzen der Nationen, 169–202. 53 Alexander, Manfred: Oberschlesien im 20. Jahrhundert – eine missverstandene Region. In: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004) 465–489. 54 Die Begriffe „Schlonsaken“ und „schlonsakisch“ werden in der hier vorliegenden Analyse nicht verwendet. Sie sind – wie auch Alexander anmerkt – emotional belastet und in der Vergangenheit politisch manipuliert worden. Darüber hinaus klingen diese Begriffe gerade in

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ein sprachlich-soziales Strukturmodell, das die Einstellung der Einwohner der Region zur eigenen Sprache und zu den jeweiligen Amtssprachen zu erfassen versucht. Er warnt dabei vor einer voreiligen Einordnung konkreter Personen: „Je nach Lebensabschnitt in der eigenen Biographie, nach Karrieregesichtspunkten oder Bekanntschaften und Umgebung konnte sich ein Schlonsake je nach Situation auf verschiedenen Stufen einordnen.“ Er weist anschließend auf ein „Wir-Gefühl“ der „Hiesigen“ hin, das sie alle (mit Ausnahme der „Deutschen und Polen von außen“) sprachübergreifend miteinander verband. Dies hänge damit zusammen, dass „die gemeinsame katholische Religion, aber auch die Erfahrung der Diskriminierung, Herabsetzung und Bevormundung durch andere“ sie vereint habe. Da ein sozialer Aufstieg und gesellschaftliches Ansehen ausschließlich durch die Beherrschung des Deutschen bzw. Polnischen möglich gewesen wäre, sei es den Oberschlesiern nicht gelungen, eine eigene Bildungsschicht und ein Bürgertum mit eigener Sprachgemeinschaft hervorzubringen. Dies habe dazu beigetragen, dass sich „eine oberschlesische Identität“ nicht herausbilden konnte. „Das heißt aber nicht“ – so Alexander –, „dass man in Oberschlesien nicht gewusst hätte, wer ‚dazu‘ gehört und wer nicht (jedyn z naszich, ‚einer von uns‘); es hätte jedoch einer eigenen Intelligenz bedurft, um solchen Bezeichnungen Definierbarkeit und Akzeptanz zu verschaffen“.55 Die hier skizzenhaft vorgestellten neueren Forschungsansätze sind in ihrer Methodik und Herangehensweise innovativ und sensibilisieren die Oberschlesienforschung für die Vielfältigkeit der kollektiven Identitätsentwürfe in der Region. Diese Aufsätze stellen dennoch keine fundierten Monographien dar, die sich durchgängig auf eine breite Quellenbasis stützen würden. Sie begreifen sich eher als „ein Stimulans“ für weitere Forschungen über die tatsächliche Bedeutung national konstruierter Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten im Vergleich mit anderen religiösen, territorialen oder sozialen Identifikationen.56 1.2.2.

Nationalismusforschung über die europäischen Zwischenräume und den Themenkomplex Kirche und Nation

Die Nation und der Nationalstaat sind bis heute trotz einer weitgehenden Befreiung der Geschichtswissenschaft von ihrer Instrumentalisierung durch verschiedene Nationalismen „die wichtigsten Untersuchungsgegenstände oder zumindest Referenzpunkte“ von Historikern geblieben.57 Auch im Bereich des historischen Verder deutschen Sprache etwas künstlich: Sie wurden in dieser ‚eingedeutschten‘ Form von der slawophonen Bevölkerung Oberschlesiens nicht verwendet. 55 Ebd., 480. 56 Ther, Philipp: Die einheimische Bevölkerung des Oppelner Schlesiens nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Entstehung einer deutschen Minderheit. In: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000) 407–438, hier 410. 57 Ther: Sprachliche, kulturelle und ethnische „Zwischenräume“, IX.

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gleichs werden überwiegend Untersuchungen von Nationalstaaten und national definierten Gesellschaften durchgeführt. In der von Dieter Langewiesche unternommenen Bilanz der Forschungen zum Themenkomplex Nation, Nationalismus, Nationalstaat wird eine Erfolgsgeschichte des Nationalen attestiert. Innerhalb der Nationalismusforschung bestehen zwar wesentliche Unterschiede im Hinblick auf die Erklärung der Entstehung und Wirkung des Nationalismus: Eine Gruppe von Forschern definiert die Nationen ethnisch und historisch und weist auf Kontinuitätslinien zu ihren mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorläufern hin;58 für eine andere Gruppe sind die Nationen ein Resultat diskursiver Narrationen und Modernisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts.59 Aber die wichtigsten Nationalismustheorien gehen allesamt davon aus, dass es den diversen Nationalbewegungen schließlich gelang, die Bevölkerung kontinuierlich zu nationalisieren. Die Werte ‚Nation‘ und ‚Nationalstaat‘ hätten sich in einem langsamen Prozess durchgesetzt; sie hätten die europäische Gesellschaft „zu verschiedenen Zeitpunkten“ erfasst und seien „sehr unterschiedlich nach gesellschaftlichen Gruppen [verlaufen], forciert stets in Zeiten des politischen Aufbruchs, in Revolutionen und in Zeiten der Gefahr, vor allem in Krieg“.60 Demnach sei im Europa des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts eine Gesellschaft entstanden, die sich „als fähig erwies zu großräumiger Kommunikation, in die immer mehr Menschen aus allen sozialen Schichten hineinwuchsen“.61 Die Nation sei zu einem Kommunikationszusammenhang geworden und dadurch eine Art privilegiertes Forum des überpersönlichen und überlokalen Austausches von Ideen, Menschen und Gütern.62 Die horizontalen Kommunikationsnetze seien immer breiter, schneller und zugänglicher geworden. Die regionalen und überregionalen Informationsnetze wie z. B. die Presse hätten immer weitere, mittlerweile lesekundige Bevölkerungskreise erfasst. Mit den Mitteln der Kommunikationsrevolution hätten die Massen nationalisiert werden können und die Gesellschaft sei „über kleine Zirkel Gebildeter hinaus mit nationalen Kategorien vertraut und damit fähig [gemacht worden], politisch in überlokalen Zusammenhängen zu denken und zu handeln“.63 Parallel hätten sich neue Formen des großräumigen Wirtschaftens entwickelt, die die „voneinander isolierten Gemeinschaften landwirtschaftlicher Produzenten“ zu Veränderungen und einer überlokalen Mobilität gezwungen

58 Exemplarisch der prominenteste Vertreter dieser Thesen: Smith, Anthony D.: Nations und Nationalism in a Global Era, Cambridge 1995. 59 Diese Position entwickelten vor allem: Gellner, Ernest: Nations and Nationalism, Ithaca 1983; Anderson, Benedict: Imagined Communities: Reflections on the Origin und Spread of Nationalism, London 1983. 60 Langewiesche: ‚Nation‘, ‚Nationalismus‘, ‚Nationalstaat‘, 13. 61 Ebd., 29. 62 Vgl. Deutsch, Karl W.: Nationalism and Social Communication. An Inquiry into the Foundations of Nationality, Cambridge/London 1953. 63 Langewiesche: ‚Nation‘, ‚Nationalismus‘, ‚Nationalstaat‘, 29.

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hätten.64 Eine Verschränkung von Industrialisierung, Verstaatlichung und Durchsetzung von Schul- und Wehrpflicht habe schließlich die lokalen Lebenswelten aufgebrochen.65 An diesem hier umrissenen Bild der Entwicklung wird in breiterem Ausmaß erst in jüngster Zeit gerüttelt und gezeigt, dass die Nationalisierungsprozesse nicht zwangsläufig mit den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen gleichgesetzt werden können. Manche Gebiete und gesellschaftliche Schichten wurden von einer Nationalisierung der Massen erst spät, nur bedingt oder gar nicht erfasst. In den letzten Jahren beispielsweise erschienen innovative Studien, die sich mit den unvollkommenen Nationalisierungsprozessen in lokalen Räumen des Habsburger Reiches befassen und die Persistenz einer breiten, national indifferenten Bevölkerungsgruppe belegen.66 Besonders wenn man das Augenmerk auf europäische Zwischenräume richtet, stellt sich oft heraus, dass „die Konfession, politische Überzeugungen, die soziale Stellung, ein Monarch oder der Staat vielen Menschen wichtiger waren als nationale Bekenntnisse und Identitäten“.67 Es handelt sich dabei um eine Vielzahl europäischer Regionen wie beispielsweise das Elsass, Schleswig, Südtirol, Katalonien, die polnischen Kresy, den ehemaligen deutschen Osten, Teile Makedoniens und Bosniens und eine Reihe von Grenzgebieten, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs innerhalb der europäischen Imperien lagen, aber nach 1918 zu territorialen Peripherien der neu entstandenen Staaten wurden. Das Gemeinsame dieser Regionen besteht in ihrer Zwischenlage: einerseits im geographischen Sinn – zwischen den Kerngebieten der Nationalstaaten – und andererseits zwischen verschiedenen sprachlichen, kulturellen und ethnischen Einflüssen, die sich in diesen Übergangsgebieten überkreuzten und oft vermischten.68 Die nationale Ideologie, die als demokratische Partizipationsverheißung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden war, aber spätestens im 20. Jahrhundert zum Höchstwert erhoben wurde und keine konkurrierenden Wertesysteme mehr duldete,69 musste sich gerade in den Zwischenräumen gegen andere Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten oft eher mühsam behaupten. Es scheint, dass das Zusammenspiel von nationalen, regionalen und lokalen Identitäten gerade für die Periode nach dem Ersten Weltkrieg ein

64 Gellner, Ernest: Nationalismus und Moderne, Berlin 1991, 20. 65 Langewiesche: ‚Nation‘, ‚Nationalismus‘, ‚Nationalstaat‘, 29. 66 Vgl. King, Jeremy: Budweisers into Czechs and Germans. A Local History of Bohemian Politics, 1848–1948, Princeton 2002; Judson, Peter M.: Guardians of the Nation. Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria, Cambridge 2006; Zahra, Tara: Kidnapped Souls. National Indifference and the Battle for Children in the Bohemian Lands, 1900–1948, Ithaca 2008. 67 Ther: Sprachliche, kulturelle und ethnische „Zwischenräume“, XIV. 68 Ebd., XI. 69 Langewiesche, Dieter: Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, 16.

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nach wie vor nicht vollständig geklärter Gegenstand der Nationalismusforschung bleibt. Eine rasante gesellschaftliche Transformation kann auch im Oberschlesien des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts beobachtet werden. Mit allen hier erwähnten schwerwiegenden Erscheinungen der Moderne wurden auch die dortigen Einwohner konfrontiert, und zwar in einer auf den ersten Blick äußerst intensiven Art und Weise: Der Südosten des preußischen Regierungsbezirks Oppeln gehörte zu den wenigen Industrialisierungsinseln Ost- und Mitteleuropas. Die Landflucht und die Zuwanderung aus dem Inneren des Reiches setzten die horizontale und teilweise auch vertikale Mobilität der Menschen frei; gesellschaftliche Arbeitsteilung, Produktions- und Erkenntnisprozesse veränderten die traditionellen Kommunikationsgewohnheiten; die Grenzen der isolierten Dorfgemeinschaften wurden an immer mehr Stellen durchbrochen. Zum Schluss kam eine „Zeit der Gefahr“, eine Kriegsperiode, zuerst in der Gestalt eines Weltkriegs 1914–1918 und anschließend eines deutsch-polnischen ‚Ersatzkriegs‘ 1919–1921 – ein in den Augen der Nationalismusforscher für die Nationalisierung und Politisierung der Massen an sich äußerst günstiger Umstand. Vor dem Hintergrund der Umwälzungen des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts und der These von der Rolle von Kriegen, die den Nationalbewegungen zur nationalen Massenmobilisierung verhelfen, ist es jedoch angezeigt zu fragen, ob der Nationalismus seinen Anspruch auf Höchstgeltung und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz dieses Anspruchs in dieser Region in den 1920er und 1930er tatsächlich erreichte. Zur Analyse steht also die Handlungsrelevanz des Nationalen für gesellschaftliche Gruppen in einer von den Erscheinungen der Moderne bereits weitgehend erschlossenen Lebenswelt. In diesem Zusammenhang scheint die Rolle der in Oberschlesien mächtigen katholischen Kirche entscheidend gewesen zu sein. Nation und Nationalstaat konnten nämlich „nur dann gesellschaftliche Letztwerte werden, wenn die Kirchen als die institutionellen Gehäuse religiöser Letztwerte sich auf die Nation als oberster Richtschnur allen Handelns einzustellen begannen“.70 In der Vorstellungswelt der modernen Nation, im Gegensatz zu ihren vormodernen Vorläufern, wird das nationale Bekenntnis das Zentrale; ihm „zu dienen wird zur Aufgabe der Kirche in der jeweiligen Nation“. Demnach hätten sich die Kirchen „überall […] in Zeiten existenzieller Gefährdung der eigenen Nation letztlich diesem Ersten Gebot des Nationalismus [gefügt]: Du sollst keinen anderen Gott haben neben Deiner Nation“.71 Insbesondere angesichts der Komplexität, mit der der Übergang in die Moderne einherging, scheint sich eine komplementäre Funktion von Kirche und Nation bewährt zu haben. Diese Symbiose habe die Orientierungslosigkeit zu bewältigen geholfen und den verunsicherten Gruppen willkommene Traditions- und Kontinuitätslinien geboten. Im 19. Jahrhundert sei nach den Erkenntnissen der 70 Langewiesche: ‚Nation‘, ‚Nationalismus‘, ‚Nationalstaat‘, 29. 71 Ebd.

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neueren Sozial- und Kirchengeschichte eine gegenseitige Bedingtheit und Verflechtung von Kirche, Nation und Moderne entstanden.72 Diese innere Wechselbeziehung zwischen Religion und Nation „als große[n] Bewegungsströme[n], die eine spezifische Ausrichtung des Denkens, Fühlens und Handelns bewirken“, habe vor dem Hintergrund der Anpassung der Kirche an den Nationalisierungsprozess und der aktiven Mitgestaltung von Emanzipation und Modernisierung stattgefunden. Wegen der Massenverbundenheit und zugleich ihrer Vermittlerrolle zwischen den breiten Bevölkerungskreisen und der Macht sei der Kirche eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung der modernen Massengesellschaft zugekommen.73 Dennoch bleibt der Themenkomplex Kirche und Nation ein nach wie vor unterbeleuchtetes Kapitel der Nationalismusforschung, dessen Erforschung immer wieder als Desiderat bezeichnet wird.74 Die Unzulänglichkeit der Forschungslage gilt insgesamt auch für Ostmitteleuropa,75 aus den ersten Ergebnissen kann dennoch die These formuliert werden, dass in diesem Teil Europas eine Hybride aus Religion und Nationalismus entstanden sei. Dort seien Kirchen und Nationen gar „eine Symbiose eingegangen, die in ihrer Durchdringung geradezu einzigartig im europäischen Vergleich“ sei: „Die Kirche gestaltet wesentliche Inhalte der Nation mit und übernimmt nationale Muster bei ihrer religiösen Umgestaltung. […] Das kirchliche Engagement bei den Nationalisierungsprozessen in Ostmitteleuropa bestimmt eine Elementarlage und die stringente Einbindung in die Nationalisierung der Gesellschaft bringt eine Aufwertung von Religion und Kirche als Institution.“76 Hauptsächlich der niedere katholische Klerus habe sich aktiv an der Schaffung, Festigung und Bewahrung nationaler Identitäten beteiligt, was ein Ineinandergreifen von nationaler Ideologie und katholischer Kirche bestätige.77 Demnach sei die Vorstellung falsch, dass die östlichen Teile Europas wegen ihrer vermeintlich verspäteten Modernisierung we-

72 Schattkowsky, Ralph/Osatschuk, Sergij/Wójtowicz-Huber, Bernadetta: Kirche und Nation. Westpreußen, Galizien und die Bukowina zwischen Völkerfrühling und Erstem Weltkrieg, Hamburg 2009, 42f. 73 Ebd., 21. 74 Vgl. Haupt, Heinz-Gerhard/Langewiesche, Dieter: Nation und Religion – zur Einführung. In: dies. (Hg.): Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt a. M. 2001, 11–29; Geyer, Michael: Religion und Nation – eine unbewältigte Geschichte. In: ders./Lehmann, Hartmut (Hg.): Religion und Nation – Nation und Religion. Beiträge zu einer unbewältigten Geschichte, Göttingen 2004, 11–32. 75 Maner, Hans-Christian/Schulze Wessel, Martin: Einführung. In: dies. (Hg.): Religion im Nationalstaat zwischen den Weltkriegen 1918–1939. Polen – Tschechoslowakei – Ungarn – Rumänien, Stuttgart 2002, 7–12, hier 7f. 76 Schattkowsky/Osatschuk/Wójtowicz-Huber: Kirche und Nation, 59. 77 Jaworski, Rudolf: Konfession als Faktor nationaler Identifikationsprozesse in Ostmitteleuropa im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Csáky, Moritz/Zeyringer, Klaus (Hg.): Pluralität, Religionen, kulturelle Codes, Innsbruck 2001, 133–149.

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niger von der Säkularisierung betroffen seien als der europäische Westen.78 Im dynamischen Prozess des religiösen Wandels und der Säkularisierung sei hier vielmehr ein neuer Priestertypus entstanden, der Öffentlichkeit und Partizipation einschloss: Die Geistlichen „definieren sich in der neuen Gesellschaft als Volkserzieher und Volksfreund und stehen auf der Kanzel ebenso wie an der Spitze von Massenveranstaltungen, vertreten Bürger und Gläubige in den Vorständen von Vereinen, Genossenschaften und Banken, schreiben Artikel für die Zeitung, sind umfassend meinungsbildend und wesentliches Element der sich rasant entwickelnden gesellschaftlichen Kommunikation“.79 Diese Thesen zum Verhältnis zwischen Kirche und Nation wurden für den polnischen Fall bereits ausführlich herausgearbeitet. Der Katholizismus habe sich demnach dort nicht nur zu einer Stütze der Nationalbewegung entwickelt, sondern die Basis eines polnischen Nationalbewusstseins gebildet.80 Die katholische Kirche und der Nationalismus hätten sich auch gegenseitig gegen den Vorwurf einer Überlagerung der universalen Werte durch die nationalen gedeckt. Dieser Vorwurf sei mit dem Hinweis auf ein religiös-polnisches Sendungsbewusstsein Polens als „Christus der Völker“ abgewehrt worden.81 Der polnische Klerus habe demnach in der ersten Reihe der nationalen ‚Erwecker‘ gestanden. Dies sei für die Lage des deutschen Katholizismus in den östlichen Provinzen Preußens ausschlaggebend gewesen. Nach der Gründung des einheitlichen deutschen Staates in seiner protestantisch-kleindeutschen Dimension habe in der Kulturkampfzeit der Gegensatz „Pole – Katholik“ und „Deutscher – Protestant“ zudem eine bis dahin nicht gekannte Relevanz erfahren: „Nicht nur, dass der Pole ethnisch, zumal mit einem eigenen legitimierbaren nationalen Anspruch, nur schwer zu integrieren war, so stellte er auch noch durch seine Katholizität ein der Einheit Deutschlands als entgegenstehend bewertetes Element dar. Wenn nun alles getan wurde, um seine nationalkulturelle Identität aufzulösen und ihn zu einer wie auch immer gearteten Assimilation zu bringen, so war doch seine konfessionelle Bindung, zumal in ultramontaner Ausrichtung, eine kaum zu lösende Aufgabe der Integration.“82 78 Vgl. Schulze Wessel, Martin: Revolution und religiöser Dissens. Der römisch-katholische und russisch-orthodoxe Klerus als Träger religiösen Wandels in den böhmischen Ländern und der Habsburgermonarchie bzw. in Russland 1848–1922, Halle 2001; Schulze Wessel, Martin (Hg.): Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006. 79 Schattkowsky/Osatschuk/Wójtowicz-Huber: Kirche und Nation, 29. 80 Vgl. Szlachta, Bogdan: Ład, Kościół, Naród, Kraków 1996; Kriedte, Peter: Katholizismus, Nationsbildung und verzögerte Säkularisierung in Polen. In: Lehmann, Hartmut (Hg.): Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa, Göttingen 1997, 249–274. 81 Vgl. Garsztecki, Stefan: Mickiewicz‘ Messianismus und romantisches deutsches Sendungsbewusstsein. In: ders./Krasnodębski, Zdzisław (Hg.): Sendung und Dichtung. Adam Mickiewicz in Europa, Hamburg 2002, 127–170. 82 Schattkowsky/Osatschuk/Wójtowicz-Huber: Kirche und Nation, 64.

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Es scheint, dass die hier skizzierten Forschungsansätze zwei wesentliche Punkte unhinterfragt voraussetzen, die das Verhältnis zwischen Kirche und Nation in Ostmitteleuropa entscheidend beeinflusst haben sollen. Erstens beziehen sich die Autoren hauptsächlich auf gemischtkonfessionelle Gebiete, wo sich konfessionelle Gruppen mit ethnisch und sprachlich definierten Zuschreibungen überlagern konnten. Dadurch wurde es möglich, einen konfessionellen Faktor des Alltags als Bestandteil eines ‚nationalen‘ Gegensatzes zu deuten. Zweitens setzen sie eine weit fortgeschrittene Nationalisierung der Einwohner Ostmitteleuropas voraus und attestieren folglich eine intensive Involvierung des Klerus in die Nationalisierungsprozesse. Es bleibt aber zu fragen, ob diese Phänomene auch in monokonfessionellen Gebieten wie z. B. in Oberschlesien anzutreffen waren und ähnliche Wirkung entfalteten. Was passiert, wenn sowohl die deutsch- als auch die polnischsprachige Bevölkerung der gleichen Kirche angehört? Wie verhält sich die polnische Nationalbewegung gegenüber den Einwohnern solcher Gebiete? Wie ist die Stellung des deutschen Staates gegenüber den sich als deutsch und staatsloyal fühlenden, teilweise aber polnischsprachigen Katholiken? Haben wir dabei tatsächlich weitgehend mit nationalbewussten Gläubigen zu tun? War es schließlich der Klerus, der die Nationalisierungsprozesse vorantrieb? Im Fall Oberschlesiens wurde die innere Wechselwirkung zwischen Kirche und Nation bereits mehrfach untersucht. Die meisten polnischen Autoren gehen davon aus, dass sich hauptsächlich der niedere, aus Oberschlesien stammende Klerus intensiv für die Belange der polnischen Nationalbewegung engagierte, und versetzen den Beginn seiner nationalen Aktivitäten weit in das 19. Jahrhundert zurück.83 Aus dieser Perspektive heraus wird in vielen polnischen Arbeiten auch die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen dargestellt.84 Es scheint, dass diese Arbeiten die herausragende Rolle der katholischen Geistlichkeit für die polnische Nationsbildung, wie sie zweifellos in der Provinz Posen oder Galizien gegeben war, auch für Oberschlesien nachzuweisen versuchen. Dagegen argumentieren James E. Bjork und Robert Traba in ihren Untersuchungen zur Rolle des Katholizismus in den monokonfessionellen deutsch-polnischen Grenzgebieten (Oberschlesien und Ermland) zwischen dem Kulturkampf und dem Ersten Weltkrieg.85 Sie weisen auf die entscheidende Rolle der Priester in den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen um die Jahrhun83 Vgl. Pater: Duchowieństwo. 84 Erst in jüngster Zeit erschienen Arbeiten, die sich etwas differenzierter mit dem Themenkomplex Kirche und Nation in Oberschlesien auseinandersetzen: Macała, Jarosław: Duszpasterstwo a narodowość wiernych. Kościół katolicki w diecezji katowickiej wobec mniejszości niemieckiej 1922–1939, Wrocław/Katowice 1999; Krzyżanowski, Lech: Kościół katolicki wobec mniejszości niemieckiej na Górnym Śląsku w latach 1922–1930, Katowice 2000; Olszar, Henryk: Duchowieństwo katolickie diecezji śląskiej (katowickiej) w Drugiej Rzeczypospolitej, Katowice 2000. 85 Bjork, James E.: Neither German nor Pole. Catholicism and national indifference in a Central European borderland, Ann Arbor 2008; Traba: Niemcy – Warmiacy – Polacy.

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dertwende hin und zeigen, dass sich eine große Mehrheit der Oberschlesier und der Ermländer als integraler Bestandteil des deutschen Katholizismus verstanden und sich trotz der alltäglichen Benutzung slawischer Dialekte nicht mit der polnischen nationalen Ideologie identifiziert habe. Dies habe wiederum zu einer Auseinandersetzung zwischen der polnischen Nationalbewegung und der katholischen, teilweise auch polnischsprachigen Geistlichkeit geführt, weil sich die letztere an den polnischen Nationalisierungsbestrebungen nicht habe beteiligen wollen und in der Regel kein Gegner einer staatsloyalen Assimilation der slawophonen Gläubigen in den deutschen Staat gewesen sei. Beide Arbeiten betonen zugleich die ungebrochene Macht des Katholizismus in den untersuchten Regionen und lehnen die Vorstellung eines schwindenden Einflusses der religiösen Prägekraft auf die Lebenswelt der Menschen um die Jahrhundertwende entschieden ab. Sie bestätigen dadurch auch für die östlichen Provinzen des Deutschen Reiches die vor allem von Olaf Blaschke vertretene These vom „zweiten konfessionellen Zeitalter“, in dem die Relevanz der Religion zwar massiv in Frage gestellt wurde, aber zugleich ihre Renaissance erlebte.86 Die Studie von Bjork endet genau an dem Punkt, an dem die hier vorliegende Arbeit ansetzen will. Bjork zeigt nämlich, wie sich die oberschlesischen Pfarrer in der nationalistisch aufgeheizten Abstimmungszeit ein ‚nationales‘ Ausweichen nicht mehr leisten konnten und sich unmittelbar für den einen oder anderen Nationalstaat engagierten.87 Insoweit gibt es eine Analogie zu der Entwicklung der Haltung des deutschen und französischen katholischen Klerus während des Ersten Weltkriegs, als nicht einmal der Papst erbitterte Kämpfe im Namen der jeweiligen Nation verhindern konnte.88 Diese Indienstnahme der Geistlichkeit für die nationalpolitischen Ziele scheint also die These zu bestätigen, dass sich die Nationalisierung der Kirche nach dem Ersten Weltkrieg in einem fortgeschrittenen Stadium befand und das moderne Phänomen der Nation als Religionsersatz oder als Säkularreligion immer mehr an Geltung gewann. Diese Annahmen will die vorliegende Studie am oberschlesischen Beispiel überprüfen. Welche waren die Folgen des priesterlichen Engagements für die Idee des Nationalen nach 1921 und wie weit ging dieses Engagement überhaupt? Können wir im Oberschlesien der Zwischenkriegszeit von Nation als Religionsersatz sprechen? Am Beispiel Oberschlesiens der 1920er und 1930er Jahre können somit auf drei Ebenen innovative Problemstellungen verfolgt werden. Erstens wird die Erfolgsgeschichte des Nationalen in einem europäischen Zwischenraum hinterfragt, zwei86 Vgl. Blaschke, Olaf/Kuhlemann, Frank-Michael (Hg.): Religion im Kaiserreich. Milieus, Mentalitäten, Krisen, Gütersloh 1996; Blaschke, Olaf: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter? In: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000) 38–75; ders. (Hg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002. 87 Bjork: Neither German nor Pole, 214–265. 88 Langewiesche: ‚Nation‘, ‚Nationalismus‘, ‚Nationalstaat‘, 30.

Der methodische Zugang: vergleichende Alltags- und Mikrogeschichte

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tens wird nach Faktoren einer möglichen Inkongruenz zwischen Modernisierung und Nationalisierung gesucht und drittens werden die wechselseitige Durchdringung von Kirche und Nation und zugleich die Grenzen dieses Prozesses analysiert.

1.3.

Der methodische Zugang: vergleichende Alltagsund Mikrogeschichte

Die vorliegende Studie untersucht anstelle ‚großer‘ politischer Handlungen einzelner Herrscherpersönlichkeiten oder Staatsvertreter bzw. anonymer Strukturen und Prozesse die Menschen in ihren konkreten Lebenswirklichkeiten. Das Innovative der Arbeit besteht in der Verbindung von Anschaulichkeit mit jener Konkretion, in der sich die unterschiedlichen Verhältnisse, die Wahrnehmungen und Aktionsweisen der Akteure erst zeigen und die komplexen sprachlichen, nationalen und konfessionellen Zugehörigkeiten und Abgrenzungen erschließen. Alltags- und mikrogeschichtliche Fragestellungen sind seit den 1980er Jahren zum wichtigen Korrektiv der Geschichtswissenschaft geworden und haben neue Einsichten in die Vergangenheit und den Ablauf wichtiger historischer Prozesse geschaffen.89 Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken die Verhaltensweisen der Vielen, so dass tradierte und breit akzeptierte Bilder nuanciert werden und anstelle schwarz-weißer Geschichtsauslegung facettenreiche Grautöne hervortreten. Im Mittelpunkt dieser „Geschichte von unten“ stehen Aktivitäten der ‚kleinen‘ historischen Akteure und nicht mehr die „großen Männer“ bzw. anonyme Strukturen, die „Geschichte machten“.90 Diese Akteure sind „beweglich, [sie] agieren und handeln“; „sie eignen sich die Verhältnisse an, d. h. gehen auf ihre Weise mit den Anreizen und Zumutungen um, in denen sie sich finden“ und „interpretieren [sie] situativ“.91 Eine Untersuchung der angeblich Namen- und Geschichtslosen erlaubt ein breites Spektrum von Verhaltensweisen zu rekonstruieren. Dabei wird der auf einer angeblich rein zufälligen Auswahl beruhende Vorwurf einer unzureichenden Repräsentativität der „wenigen Einzelfälle“ durch ein hohes Maß an Konkretheit neutralisiert: „Das Allgemeine findet sich in der Konkretion, in der Stofflichkeit

89 Vgl. Lüdtke, Alf: Einleitung: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte? In: ders. (Hg.): Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt a. M./New York 1989, 9–47; ders.: Stofflichkeit, Macht-Lust und Reiz der Oberflächen. Zu den Perspektiven von Alltagsgeschichte. In: Schulze, Winfried (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994, 65–78; Medick, Hans: Mikro-Historie. In: ebd., 40–53; Schlumbohm, Jürgen (Hg.): Mikrogeschichte – Makrogeschichte: komplementär oder inkommensurabel? Göttingen 22000 [11998]. Einen neueren Zwischenstand der Erkenntnisergebnisse der Alltagsgeschichte liefert Lüdtke, Alf: Alltagsgeschichte – ein Bericht von unterwegs. In: Historische Anthropologie 11 (2003) 278–295. 90 Lüdtke: Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, 560. 91 Ebd., 562, 566.

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Einleitung

des Handelns und Lebens der Vielen.“92 Es geht schließlich um die Pluralität und Widersprüchlichkeit von Aneignungen der historischen Akteure, um deren „Eigensinn“, d. h. um die Formen, in denen sie sich strukturelle Vorgaben oder Verhaltensordnungen ‚zu eigen‘ machen und ihrer Lebenswelt anpassen.93 Bei der hier vorgelegten Analyse der Deutungskompetenz und Ordnungskraft des modernen Nationalismus wird methodisch die Kombination eines sozialgeschichtlichen mit einem lebensweltlichen, wahrnehmungsgeschichtlichen Zugang verfolgt.94 Es wird also nach den sozialen Regeln gesucht, die „für das konkrete Handeln in überschaubaren Interaktionszusammenhängen“ relevant sind.95 Im Umkehrschluss werden auch soziale Prozesse beobachtet, die durch die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen dieses Handelns selbst Strukturen hervorbringen oder die bestehenden modifizieren. Demnach werden lokal tradierte Sinnordnungen in ein Verhältnis zu jenen Zuschreibungen und Sinngebungen gesetzt, die die Nationalisierung als alternatives Organisationsmodell und Loyalitätsangebot anstelle der ordnenden Kraft der lokalen Gemeinschaften anpreisen. Dadurch werden die überschaubare lokale Lebenswelt und die abstrakte, imaginierte Idee einer nationalen Gemeinschaft in Beziehung gesetzt und die Aushandlungsprozesse zwischen den Protagonisten der beiden Ordnungsmodelle in der sozialen Praxis ‚vor Ort‘ erhellt.96 Der alltags- und mikrogeschichtliche Zugang wird es darüber hinaus erlauben, die Analyse der oberschlesischen Lebenswelten über die gängige Konzentration auf privilegierte gesellschaftliche Gruppen hinaus zu erweitern. Dadurch wird die bisherige Oberschlesienforschung entscheidend ergänzt und parallel zu historischen Arbeiten über west- und mitteleuropäische Verhältnisse untersucht, wie weit und über welche Wege die von Intellektuellen propagierten „nationalen Ideen und Vergesellschaftungsformen, die staatlichen Integrationsbestrebungen, die Symbole sowie die symbolischen Handlungen und Aktionsformen“ breite Teile der Bevölkerung erreichten.97 Hier werden in erster Linie Geistliche als unmittelbare Vermittlungsinstanzen und die persönlichen Erfahrungen der Priester und der Gläubigen

92 Ebd., 568. 93 Vgl. Lüdtke, Alf: Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993. 94 Haas, Hanns: Dörfer an der Grenze. Bericht von einem österreichisch-tschechischen Forschungsprojekt. In: Hans Lemberg (Hg.): Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle Forschungsprobleme, Marburg 2000, 209–245, hier 210. 95 Dietrich, Tobias: Konfession im Dorf. Westeuropäische Erfahrungen im 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2004, 33. 96 Vgl. Lüdtke, Alf: Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis. In: ders. (Hg.): Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, 9–63. 97 Dörner, Ruth: Staat und Nation im Dorf. Erfahrungen im 19. Jahrhundert: Frankreich, Luxemburg, Deutschland, München 2006, 15.

Der methodische Zugang: vergleichende Alltags- und Mikrogeschichte

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in den Mittelpunkt der Analyse gestellt.98 Dadurch wird auch berücksichtigt, wie bestimmte gesellschaftliche Veränderungen im „Parterre der Gesellschaft“99 vermittelt wurden, sich konkret auswirkten bzw. auch ausblieben. Durch die Betrachtung ‚von unten‘ wird die Art der Einbindung der lokalen Gemeinschaften in größere Zusammenhänge und zugleich die Verbreitung, Akzeptanz und Prägekraft von nationalen, patriotischen und staatsloyalen Ideen im lokalen Mikrokosmos beleuchtet. Es geht also nicht darum, durch die Reduktion des Beobachtungsmaßstabs eine Lokal- oder Heimatgeschichte der jeweiligen Ortschaften oder Pfarrgemeinden zu verfassen, sondern das Verhältnis dieser lokalen Gesellschaften zu makrohistorischen Zusammenhängen herauszuarbeiten.100 Dies wird es erlauben, „Strukturelemente zu beobachten, die der Makrogeschichte entgehen, aber gesamtgesellschaftliche Relevanz besitzen“.101 Erst durch die Analyse von Denk- und Handlungsmustern der ‚kleinen Leute‘ können neue Erkenntnisse gewonnen werden, die so auf der Makroebene nicht erzielt werden können. Dabei ist nicht „das Alltägliche an sich, sondern Mikro in Relation zu Makro“ von Interesse.102 Das MikroMakro-Verhältnis steht also nicht in einer Konkurrenzbeziehung, sondern komplementär zueinander. Gerade von dieser Herangehensweise können neue Impulse für die Erkundung der Geschichte Ost- und Mitteleuropas ausgehen. Mathias Niendorf gehört zu den ersten, die diesen methodischen Zugang bei der Erforschung der deutsch-polnischen Grenzräume erfolgreich umgesetzt103 und die inhaltliche Ausrichtung auch dieser Studie angestoßen haben. Diese Arbeit profitiert zugleich von Erfahrungen, die mikro- und alltagsgeschichtlich arbeitende Historiker bei der Analyse unterschiedlicher europäischer Regionen und lokaler Gesellschaften im Übergang zur modernen Welt gesammelt haben. Es handelt sich dabei um die Trierer Historikergruppe um Lutz Rafael, die die historischen Lebenswelten an den westlichen Rändern des Deutschen Reiches vergleichend untersuchen,104 und um die österreichi98 Vgl. Hürten, Heinz: Alltagsgeschichte und Mentalitätsgeschichte als Methoden der Kirchlichen Zeitgeschichte. In: Kirchliche Zeitgeschichte 5/1 (1992) 28–43, hier insbesondere 28f. 99 Langewiesche, Dieter: Nation, Nationalstaat, Nationalismus. Forschungsstand und Forschungsperspektiven. In: Neue Politische Literatur 40 (1995) 190–236, hier 212. 100 Levi, Giovanni: On Microhistory. In: Peter Burke (Hg.): New Perspectives on Historical Writing. Oxford 1991, 93–113, hier 97. 101 Dietrich: Konfession im Dorf, 32. 102 Ebd. 103 Niendorf, Mathias: Minderheiten an der Grenze. Deutsche und Polen in den Kreisen Flatow (Złotów) und Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) 1900–1939, Wiesbaden 1997. Andere kleinräumige Analysen interethnischer Beziehungen folgten: Kosmala, Beate: Juden und Deutsche im polnischen Haus: Tomaszów Mazowiecki 1914–1939, Berlin 2000; Lorenz, Torsten: Von Birnbaum nach Międzychód. Bürgergesellschaft und Nationalitätenkampf in Großpolen bis zum Zweiten Weltkrieg, Berlin 2005. 104 Vgl. exemplarisch Franz, Norbert/Grewe, Bernd-Stefan/Knauff, Michael (Hg.): Landgemeinden im Übergang zum modernen Staat. Vergleichende Mikrostudien im linksrheini-

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schen und tschechischen Forscher um Hanns Hass, die den Dorfgemeinschaften an der dortigen Grenze nachgingen.105 Hier ist besonders die vergleichende Vorgehensweise der beiden Projektgruppen hervorzuheben, die in der Oberschlesienforschung noch wenig erprobt worden ist, aber in der hier vorgelegten Studie den Gang der Analyse konsequent mitbestimmen wird.106 Diese Entscheidung hängt mit der potentiellen Tragweite der so erzielten Befunde zusammen. Mikro- und Alltagshistoriker werden nämlich mit gewichtigen Vorwürfen konfrontiert, die die Repräsentativität ihrer Ergebnisse bemängeln. Aber gerade ein kontextbezogener Gesellschaftsvergleich in einem reduzierten Maßstab kann die Repräsentativität des Normalen aufzeigen und zugleich dessen außergewöhnlichen Charakter entfalten.107 Die vergleichende Betrachtung eines durch politische Entscheidungsprozesse geteilten Raumes verbindet die Arbeit mit einer Regionalgeschichte, die vornehmlich durch eine erfahrungs- und personenorientierte Vorgehensweise geprägt ist und deren Gegenstand ein Territorium und die Gesamtheit seiner Bewohner bilden.108 Die polnische Geschichtswissenschaft beschränkte sich bisher vorwiegend auf die Untersuchung der Vorkriegswojewodschaft Schlesien bzw. der polnischen Minderheit im deutschen Teil der Region, die deutschen Arbeiten konzentrierten sich hingegen auf die Provinz Oberschlesien bzw. auf die in Polen verbliebenen Deutschen.109 In Abkehr von dieser Perspektive steht im Mittelpunkt dieser Unter-

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schen Raum, Mainz 1999; Dörner, Ruth/Franz, Norbert/Mayr, Christine (Hg.): Lokale Gesellschaften im historischen Vergleich. Europäische Erfahrungen im 19. Jahrhundert, Trier 2001. Vgl. den abschließenden Bericht von Haas: Dörfer an der Grenze. Es liegen zwar einige vergleichend angelegte Analysen der Nationalisierungsprozesse im Oberschlesien der Zwischenkriegszeit vor, sie konzentrieren sich jedoch auf die politische Tätigkeit beider Nationalstaaten und gehen nicht auf die Rezeption dieser Prozesse in der Breite durch die Masse der Einwohner ein: Brubaker, Rogers: Nationalism reframed. Nationhood and the National Question in the New Europe, Cambrigde 1996, 79–147; Linek, Bernard: Deutsche und polnische nationale Politik in Oberschlesien 1922–1989. In: Struve/ Ther (Hg.): Die Grenzen der Nationen, 137–168; Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 83–258. Dietrich: Konfession im Dorf, 35. Der hier vertretene Ansatz steht somit einerseits im Gegensatz zur üblichen Definition von Regionalgeschichte, wie sie von renommierten Vertretern dieser Teildisziplin propagiert wird: „Regionalgeschichte ist vornehmlich struktur- und prozessorientiert, nicht erfahrungs- und personenorientiert. Sie ist vor allem Strukturgeschichte.“ Zit. nach Hinrichs, Ernst: Landesund Regionalgeschichte. In: Goertz (Hg.): Geschichte, 539–555, hier 543. Andererseits wird hier den Forschungsforderungen entgegengekommen, die von der jüngeren Historikergeneration formuliert werden. Vgl. Bömelburg, Hans-Jürgen: Historia regionalna w dialogu polsko-niemieckim – granice, zagrożenia i szanse dla dwunarodowego podejścia. In: Studia Śląskie 62 (2003) 123–140, hier insbesondere 135. Vgl. Weber, Matthias: Główne koncepcje i skale wartości badań historycznych nad Śląskiem w Niemczech i w Polsce. In: Studia Śląskie 62 (2003) 141–158.

Quellenlage

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suchung das gesamte Gebiet des geteilten Oberschlesiens. Die einzelnen Bevölkerungsgruppen werden nicht isoliert herausgegriffen. Es handelt sich demnach um eine Abkehr von der ‚nationalen‘ Regionalgeschichte und im Gegenzug um die Hinwendung zu einer ‚offenen‘ Regionalgeschichte.110 Im Fall Oberschlesiens lässt dieses Verfahren in Verbindung mit dem Perspektivenwechsel auf die ‚hidden history‘ der einheimischen Einwohner die Erforschung der Durchsetzungskraft des Nationalen in neuem Licht erscheinen. Zusammen mit dem komparatistischen Ansatz wird so eine Methode erprobt, die in der Oberschlesienforschung keine Vorgänger hat. Durch eine alltags- und mikrogeschichtliche wie synchrone und diachrone Untersuchung der Wirksamkeit von Nationalisierungsprozessen in der Lebenswelt der Oberschlesier verheißt die Themenstellung einen besonderen Erkenntnisgewinn und ermöglicht es auch, manche Zweifel an den bisherigen Befunden zu äußern.

1.4.

Quellenlage

Für Historiker scheint die Erforschung der identitären Elemente vergangener Lebenswelten besonders komplex und problematisch zu sein. Nur wenige Menschen haben in ihren Aufzeichnungen Auskünfte über tiefere Schichten ihrer Person hinterlassen oder ihr Selbstverständnis explizit offenbart. Dementsprechend gilt es in den meisten Fällen, äußere Verhaltensweisen zu analysieren, in denen sich Identitäten manifestieren. Angesichts unzähliger, aber nicht unbedingt ergiebiger Quellen ist es legitim, das zur Verfügung stehende Quellenmaterial einzuschränken und es nur unter dem Aspekt der Relevanz von Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten zu befragen. Auf eine ursprünglich geplante Mikrostudie auf der Kreisebene, wie sie Mathias Niendorf vorbildlich für einen westpreußischen Kreis durchgeführt hat,111 musste jedoch aufgrund der unzureichenden, fragmentarischen Verdichtung der Überlieferung für einen vergleichbaren oberschlesischen Teilraum verzichtet werden. Aufgrund der Fragestellung dieser Arbeit erschien es sinnvoller, die Gesamtregion in die Untersuchung einzubeziehen. Dabei wurden in erster Linie amtliches und kirchliches Aktenmaterial sowie die zeitgenössische Presse und ergänzend mit der gebotenen Vorsicht auch die persönliche Erinnerungsliteratur berücksichtigt. Während des gesamten Untersuchungszeitraums gab es in der staatlichen Verwaltung der Region auf beiden Seiten der Grenze ein System mehrstufiger Berichterstattung, das in den bisherigen Studien noch keineswegs erschöpfend ausgewertet wurde. Besonders Schriftstücke der untersten Ebene, welche die Qualität von Primärquellen besitzen, wurden von der Forschung aufgrund der Fokussierung auf 110 Vgl. Traba, Robert: Regionalismus in Polen. Die Quellen des Phänomens und sein neues Gesicht nach 1989. In: Ther/Sundhaussen (Hg.): Regionale Bewegungen, 275–284, hier 279. 111 Niendorf: Minderheiten an der Grenze.

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‚große‘ politische Begebenheiten noch unzulänglich beachtet. Aber gerade die oft sehr farbigen und anschaulichen Berichte der Dorfpolizisten und Gemeindevorsteher beinhalten wichtige Informationen über das Selbstverständnis der Menschen ‚vor Ort‘. Besonders viel wurde über örtliche Feste und Feiern festgehalten, zumal wenn es während der Veranstaltungen zu Störungen und Zwischenfällen kam. Die plastischen und aussagekräftigen Ereignismeldungen der deutschen Landräte zur jeweiligen Situation und Stimmung in ihren Verwaltungsbezirken stellen die nächste Stufe der Berichterstattung dar. Auf dieser Ebene sind leider die Berichte der polnischen Starosten sehr viel schematischer gehalten. Der Schriftverkehr der deutschen Oberpräsidenten bzw. der polnischen Wojewoden, der deutschen Polizeipräsidenten oder der polnischen Polizeidirektoren ist wiederum durch das Streben gekennzeichnet, die empfangenen Berichte in einem breiteren gesellschaftspolitischen Kontext zu analysieren. Deshalb müssen diese Interpretationsversuche mit anderem Quellenmaterial konfrontiert und mit ihm abgeglichen werden. Die amtlichen Aktenbestände der Provinz Oberschlesien und der Wojewodschaft Schlesien überdauerten im Gegensatz zu manchen anderen deutsch-polnischen Grenzgebieten das Kriegsende in gutem Zustand und befinden sich heute in den Staatsarchiven Oppeln und Kattowitz. Leider sind von den Gestapo-Akten nur wenige erhalten geblieben. Als zusätzlicher Prüfstein für die Berichte der inneren Verwaltung ist das Aktenmaterial des deutschen Konsulats in Kattowitz und des polnischen Konsulats in Oppeln (später in Beuthen O.S.) zu betrachten, das im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin und im Archiv der Neuen Akten in Warschau aufbewahrt wird. Als weniger relevant für die mikro- und alltagsgeschichtlich konzipierte Untersuchung erwiesen sich die Bestände der Zentralbehörden in Berlin und Warschau. Viel weniger Beachtung als die Akten staatlicher Behörden fanden in der Forschung bislang solche kirchlicher Provenienz. Dies ist nur teilweise auf die Überlieferungslage zurückzuführen. Die Bestände des Bistums Kattowitz, sowohl das Schriftgut der Mittelinstanzen als auch die lokalen Akten der einzelnen Pfarrämter, befinden sich heute in weitem Umfang im Erzdiözesanarchiv Kattowitz. Die Akten des für die Provinz Oberschlesien zuständigen Bistums Breslau fielen leider einem Kriegsbrand zum Opfer, nur ein kleiner Teil der Kanzleidokumente Kardinal Bertrams konnte gerettet werden und ist heute zugänglich. Infolgedessen musste das Anschauungsmaterial einzelner Pfarreien vor Ort gesichtet werden, was mit fehlenden Inventarisierungs- und Ordnungsmöglichkeiten verbunden war und schließlich nur eingeschränkt unternommen werden konnte – nicht zuletzt weil der Zugang zu de facto privaten Pfarrarchiven deutlich erschwert war und nur in Einzelfällen durch private Kontakte und Empfehlungen von Dritten erleichtert wurde. Zudem haben leider viele Pfarrämter der ehemaligen Provinz Oberschlesien im Winter 1944/45 große Schäden durch Brände erlitten. Nichtsdestoweniger wurde in einigen Fällen eine Auswertung des lokalen Quellenmaterials aus solchen Pfarrarchiven vorgenommen.

Quellenlage

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Als weitere Quellengruppe ist die oberschlesische Presse zu nennen, die in der Schlesischen Bibliothek in Kattowitz und in der Universitätsbibliothek Breslau in sehr breitem Umfang archiviert ist. Die Presse stellt ein wichtiges zeitgenössisches Zeugnis dar. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auf die Rolle von Zensur und Selbstzensur – insbesondere in der Zeit der autoritären und totalitären Regime – hinzuweisen. Dennoch erfüllt die Presse eine spezifische Rolle als Korrektiv amtlicher Berichterstattung. Hinzu kommt, dass in den Zeitungen Leserbriefe und Berichterstattung über lokale Ereignisse aus erster Hand zu finden sind, was für die hier verfolgten alltags- und mikrogeschichtlichen Fragestellungen nach den oberschlesischen Vorstellungswelten von großer Bedeutung ist. Dabei galt es eine sinnvolle Auswahl aus den im Untersuchungsgebiet verbreiteten Titeln zu treffen, und zwar im Hinblick auf die überlieferten Jahrgänge einerseits und die politische Parteilichkeit der Blätter andererseits.112 So wurden neben anderen Periodika folgende Blätter, die in der deutschen Provinz Oberschlesien erschienen, systematisch ausgewertet: „Oberschlesische Volksstimme“ (der Pressetitel des Zentrums), „Ostdeutsche Morgenpost“ (ein rechtskonservatives Blatt) und „Nowiny Codzienne“ (die Zeitung der polnischen Minderheit in der Provinz Oberschlesien). Für den polnischen Teil Oberschlesiens wurden gesichtet: „Gość Niedzielny“ (die Wochenzeitung der katholischen Kurie in Kattowitz), „Kattowitzer Zeitung“ (die Zeitung der Deutschnationalen), „Oberschlesischer Kurier“ (das Blatt der deutschen Christdemokraten), „Polonia“ (das Blatt der polnischen Christdemokraten) und schließlich „Polska Zachodnia“ (das Organ des Aufständischen-Verbandes und nach 1926 der Sanacja). Darüber hinaus muss bemerkt werden, dass die von den Behörden als politisch brisant eingestuften Presseartikel auch Eingang in die einschlägigen Akten fanden. Zum Schluss ist auf die ergänzende Funktion von Memoirenliteratur und Zeitzeugenerinnerungen hinzuweisen. Die slawophone bzw. polnischsprachige Bevölkerung Oberschlesiens wurde nach dem Krieg mehrmals ermuntert, ihre Erinnerungen festzuhalten und auch bei Wettbewerben einzureichen. Im Zentrum des Interesses standen allerdings eine ‚heroische‘ Grundhaltung gegenüber den ‚Germanisatoren‘ und die Aufzeichnung der Kriegs- und Besatzungsereignisse. Als typisches Beispiel kann ein kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erschienener Band zu den Lebensläufen von Bergleuten aufgeführt werden. Einer der renommiertesten polnischen Soziologen, Józef Chałasiński, sammelte dort nur diejenigen Aussagen, die die These bestätigen sollten, die Klassenmotive seien mit den nationalen auf das Engste verbunden und der soziale Kampf gehe mit der nationalen Befreiung einher.113 Einen ähnlichen Vorwurf kann man vielen weiteren polnischen Publikatio112 Vgl. Gröschel, Bernhard: Die Presse Oberschlesiens bis 1945, Berlin 1993. 113 Żywirska, Maria/Chałasiński, Józef (Bearb.): Życiorysy górników, Katowice 1949. Die Edition von Memoiren der nächsten Bergmannsgeneration verfolgte die gleichen Ziele: Gołębiowski, Bronisław (Hg.): Pamiętniki górników, Katowice 1973. In letzter Zeit wurde

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nen, deren Inhalte nach solchen sozial-politischen Kriterien zusammengesetzt wurden, nicht ersparen.114 Ehemalige deutsche Bewohner des Gebiets beteiligten sich hingegen vornehmlich an den Publikationen der Heimatvertriebenenpresse. Für sie jedoch spielte – ähnlich wie für die im Umfeld von Vertriebenenverbänden organisierten Befragungsaktionen aus den 1950er und 1960er Jahren – das Thema Kriegsende und Vertreibung eine zentrale Rolle. Zum Wort meldeten sich vorwiegend Mitglieder der deutschsprachigen Elite und viele kommunal- bzw. regionalpolitisch Verantwortliche aus der Vorkriegszeit. Damit spiegelten auch sie eine selektive Wahrnehmung der politischen Ereignisse und sozialen Zustände Oberschlesiens wider.115 Die oben dargestellte Quellenbasis wird zusätzlich durch einige wenige Zeitzeugenbefragungen vervollständigt sowie durch den hier an letzter Stelle noch zu erwähnenden Quellentypus, die Presse- und Berufsphotographien, die allerdings für diese Untersuchung eher illustrativen Charakter als dokumentarische Bedeutung besitzen.

1.5.

Anlage der Untersuchung

Nach dem vorliegenden einleitenden Teil der Studie und einer sich daran anschließenden Einführung in den historischen Raum und seine Einwohner im ‚langen‘ 19. Jahrhundert werden im Kapitel 3 politische Feierlichkeiten des polnischen und des deutschen Staates in Oberschlesien unter die Lupe genommen. Unter der Annahme, dass die politische Festkultur dazu benutzt wurde, um die Nation aus einem gedachten und abstrakten Begriff in eine gemeinsam erlebte und wahrnehmbare Wirklichkeit zu überführen, wird dieser Problematik am Beispiel der oberschlesischen Jahrestage des Plebiszits nachgegangen. Dabei wird gefragt, inwiefern die Spannungen zwischen einer national gedeuteten Inklusion und Exklusion die politische Feierpraxis der beiden Staaten prägten. Demzufolge widmet sich dieser Teil der Untersuchung den ambivalenten Funktionen der politischen Feiern, die einerseits für Leitbilder und für die Integration in eine politische Gemeinschaft sorgen, andererseits aber Abgrenzung und damit Feindbilder schaffen können. Es handelt sich dabei um eine Darstellung der Nationalisierungspolitik sowohl auf der polnischen als auch deutschen Seite. Wie wurden die Nationalisierungsprozesse ein Einzelzeugnis mit einem kritischen Vorwort vorbildlich herausgegeben: Jeleń, Edward: Pamiętnik górnika. Hg. u. bearb. von Henryk Pietras, Kraków 2002. 114 Vgl. Szewczyk, Wilhelm (Hg.): Pamiętniki powstańców śląskich, Bd. 1–2, Katowice 1957– 1961; Hajduk, Ryszard (Hg.): Pamiętniki Opolan, Kraków 1954; Kornatowski, Wiktor/Malczewski, Kazimierz (Hg.): Wspomnienia Opolan, Warszawa 1960; Popiołek, Kazimierz (Hg.): Wspomnienia Ślązaków i Zagłębiaków, Katowice 1970. 115 Vgl. exemplarisch Vermächtnis der Lebenden. Oberschlesier erzählen, Augsburg 1959; Köhler, Willibald: Ein Leben in Oberschlesien und anderswo, Augsburg 1963.

Anlage der Untersuchung

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vorangetrieben, mit welchen Inhalten versehen, welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die einheimische slawophone Bevölkerung der Region – dies sind die Leitfragen des ersten Teilkapitels, das methodisch an die Analysen der nationalen Narrative anknüpft und sich auf der politischen Makroebene bewegt. Der erste Blick ‚von oben‘ bildet anschließend eine geeignete Ausgangsbasis für den nächsten Teilschritt der Studie. Vor dem Hintergrund der politischen Feiern geht es um die Verhaltensmuster der einheimischen Bewohner Oberschlesiens gegenüber der politischen Propaganda. Da die offiziellen Feierlichkeiten eine Form der Darstellung der nationalen Politik in der Öffentlichkeit annahmen und als Ort der Vermittlung der nationalen Botschaft an die Oberschlesier dienten, werden die Wahrnehmungen und Aneignungen dieser Botschaft punktuell überprüft. Im Anschluss daran richtet sich das Augenmerk auf das Verhältnis des katholischen Klerus zu den politischen Inszenierungen des Staates bzw. zu den versuchten politischen Akzentsetzungen im kirchlichen Raum während der nationalen Feierlichkeiten. Hier werden Spannungen und Interdependenzen zwischen der jeweiligen nationalstaatlichen Politik und der katholischen Kirche nachgezeichnet und der zentrale Untersuchungsgegenstand der Studie – die Durchsetzungskraft der Nationalisierungsprozesse auf der lokalen Ebene – bereits angerissen. Die sich daran anschließenden Ausführungen im Kapitel 4 bewegen sich entlang der Frage, inwieweit sich die kirchlichen Feiern als Orte lokaler Auseinandersetzungen in den oberschlesischen Pfarrgemeinden zu nationalistischen Zwecken instrumentalisieren ließen und welche Personen oder Gruppen hinter diesen Bemühungen standen. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß der katholische Klerus zu den Trägern der Nationalisierungsprozesse gehörte. Durchgängig wird dabei das Augenmerk auf die nationalistisch begründete Inklusion und Exklusion während der kirchlichen Feiern gerichtet und die Wirkungskraft der deutschen und polnischen Nationalisierungsprozesse auf die Mitglieder katholischer oberschlesischer Gemeinden beleuchtet. Die Problemstellung dieses Kapitels wird exemplarisch auf drei Feldern entfaltet: zunächst durch eine Analyse der Auseinandersetzung um die Sprache der katholischen Gottesdienste (jenseits des eventuellen Lateins), anschließend durch einen eingehenden Blick auf die öffentlichen Konfrontationen im Umfeld der Fronleichnamsprozessionen und schließlich durch die Betrachtung einer erinnerungspolitischen ‚nationalen‘ Denkmalweihe und der Rolle der Pfarrer bei solchen symbolischen nationalpolitischen Handlungen im öffentlichen Raum. Einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn verspricht im Kapitel 5 der Arbeit eine synchrone und diachrone mikrohistorische Betrachtung zweier oberschlesischer Pfarrgemeinden. Dieser methodische Zugang wird es erlauben, oberschlesische Akteure in ihren verschiedenen konkreten Lebenswirklichkeiten zu beleuchten. Die Durchsetzungskraft von Politisierungs- und Nationalisierungsprozessen kann gerade durch eine detaillierte mikrohistorische Analyse von Aneignungs- und Ablehnungsstrategien erhellt werden. Daher ist ein Blick auf die lokalen Verhältnisse ei-

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ner katholischen Gemeinde, wo die handelnden Akteure aus nächster Nähe betrachtet werden, unumgänglich. Dieser Forschungsansatz wird durch eine dichte Beschreibung eines für das Kohlerevier typischen Industriedorfs (Bielschowitz, Wojewodschaft Schlesien) und einer für die ländlichen Gebiete charakteristischen Ortschaft (Bierdzan, Provinz Oberschlesien) eingelöst. Die mikrohistorische Analyse der beiden ausgewählten Beispiele stellt einen Versuch dar, die in Oberschlesien vor dem Zweiten Weltkrieg zahlenmäßig dominierende einheimische slawophone Bevölkerung in ihren Denkmustern und Handlungsspielräumen und im Rahmen ihrer typischen Siedlungsstruktur, eines bäuerlich geprägten Dorfes und eines der zahlreichen Industriedörfer des Industriebezirks, facettenreich zu beschreiben. Die Untersuchung der Interdependenzen zwischen Makro- und Mikroebene, zwischen der großen Politik und ihren Auswirkungen vor Ort wird schließlich den kritischen Blick für Traditionslinien und Brüche schärfen. Die Studie wird mit einer Zusammenfassung in deutscher und polnischer Sprache abgeschlossen, der sich ein Quellen- und Literaturverzeichnis wie auch ein Ortsregister mit Namenskonkordanz anschließen.

1.6.

Terminologie und Zitierweise

Der Leser verdient noch eine Erklärung bezüglich der in der Studie verwendeten Terminologie. Der Landesname „Schlesien“ galt im Hochmittelalter nur für das Gebiet mit dem machtpolitischen Zentrum Breslau, während die südöstlich gelegene Region damals „terra opolensis“ (Oppelner Land) hieß. Erst die böhmischen Könige weiteten im 14. Jahrhundert die Bezeichnung „Schlesien“ auf das Gesamtherzogtum aus, ein schlesischer Dualismus artikulierte sich jedoch weiter in den Namen „Niederschlesien“ und „Oberschlesien“. Nach der Eroberung Schlesiens durch Preußen umfasste der Regierungsbezirk Oppeln – 1816 gegründet und verwaltungsmäßig zur Provinz Schlesien gehörig – bis zum Ende des Ersten Weltkriegs fast das gesamte Oberschlesien – mit Ausnahme des habsburgischen Teils (Ober) Schlesiens. In dieser Periode bezeichneten sich die meisten Bewohner des preußischen Regierungsbezirks Oppeln weniger als „Schlesier“, sondern zumeist als „Oberschlesier“. Die damaligen Bewohner Niederschlesiens wiederum hätten sich selbst kaum „Niederschlesier“ genannt, sie waren schlicht und einfach „Schlesier“. Nachdem das Abstimmungsgebiet, das ungefähr dem Regierungsbezirk Oppeln entsprach, 1922 geteilt worden war, kam es zu einer Neuordnung der regionalen Verwaltungseinheiten: Auf der polnischen Seite der neuen Grenze wurde die Wojewodschaft Schlesien (Województwo Śląskie) mit der Hauptstadt Kattowitz ins Leben gerufen, in der Weimarer Republik dagegen entstand neben der Provinz Niederschlesien mit Breslau als Hauptstadt eine selbständige Provinz Oberschlesien mit dem Verwaltungszentrum Oppeln. So wurden zwischen den beiden Weltkriegen sowohl der polnische Teil Oberschlesiens als auch das deutsche Niederschlesien

Terminologie und Zitierweise

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einfach Śląsk bzw. „Schlesien“ genannt. Diesem Wirrwarr bereitete das nationalsozialistische Deutschland ein vermeintliches Ende und führte 1939 die beiden Teile Oberschlesiens erneut zusammen, bis 1945 die ganze Region dem polnischen Staat zugeteilt wurde. Heute ist das historische Oberschlesien auf zwei polnische Verwaltungseinheiten aufgeteilt: die Wojewodschaft Oppeln und die Wojewodschaft Schlesien mit der Hauptstadt Kattowitz. Dies führt dazu, dass das historische Oberschlesien in gängiger Wahrnehmung oft auf das Kattowitzer Industrierevier reduziert wird. Die Situation ist dermaßen paradox, dass wenn ein Pole in Niederschlesien von den „Schlesiern“ (Ślązacy) spricht, er darunter im allgemeinen die alteingesessenen Oberschlesier (Górnoślązacy) versteht, auch wenn sich heute die meisten von ihnen als Deutsche, Polen, deutsche oder polnische Schlesier oder ausschließlich Schlesier bzw. Oberschlesier deklarieren. In Deutschland wiederum versteht man heute unter „Schlesien“ meist das historische Gebiet Niederschlesiens. Die Begriffe „Schlesien“ und Śląsk bezeichnen folglich in der deutschen und polnischen Sprache mittlerweile oft zwei ganz unterschiedliche historische Räume. In der hier vorgelegten Studie wird durchgängig der Name „Oberschlesien“ verwendet. Damit ist die historische Region Oberschlesien gemeint, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – deckungsgleich mit dem preußischen Regierungsbezirk Oppeln bis 1919 war.116 Für die beiden Teile der Region werden im Zeitraum von 1922 bis 1939 die Termini „deutscher“ oder „polnischer Teil Oberschlesiens“ verwendet und dadurch der Ansatz einer ‚Verflechtungsgeschichte‘ auch in der verwendeten Terminologie unterstrichen. Folgerichtig werden für den Zweck dieser Untersuchung die einheimischen, sowohl slawisch- bzw. polnisch- als auch deutschsprachigen Bewohner der gesamten Region „Oberschlesier“ genannt. Hierbei ist das von Manfred Alexander entwickelte sprachlich-soziale Strukturmodell richtungsweisend. Demnach werden die zugewanderten Polen und Deutschen nicht dazu gezählt. Innerhalb der Gruppe der Oberschlesier wird wiederum zwischen den slawophonen, d. h. slawisch- bzw. polnischsprachigen Personen und der nichtslawophonen, in der Regel ausschließlich deutschsprachigen, aber einheimischen Bevölkerung unterschieden. Im Kontext der Sprachkenntnisse der Oberschlesier muss noch ein tief verankertes Missverständnis bezüglich der oberschlesischen Dialekte ausgeräumt werden. Es geht um den oft gebrauchten und meist falsch verstandenen Terminus „wasserpolnisch“, wenn von den slawischen Dialekten Oberschlesiens die Rede ist. Gemäß dem deutschen Slawisten Reinhold Olesch kann behauptet werden, dass die slawistische Fachwissenschaft diesen Terminus nicht verwende, weil er „unwis-

116 Der Fokus der Studie gilt fast ausschließlich dem umstrittenen Abstimmungsgebiet, so dass die überwiegend einsprachigen Westkreise der Provinz Oberschlesien (Falkenberg, Grottkau, Leobschütz, Neisse-Stadt und Neisse-Land) ausgeklammert werden.

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Einleitung

senschaftlich“ sei.117 Seine ihm heute anhaftende Nuance von „verwässertem Polnisch“ ist politischen Ursprungs und jung. Es sei „sachlich unbegründet“ gewesen, „das oberschlesische Polnisch als eine sich auflösende Sprache zu bezeichnen, die sich vom Slawischen weg zum Deutschen hin entwickle“. Die phonetische und morphologische Struktur der slawischen Dialekte Oberschlesiens sei zweifelsfrei polnisch – mit teilweise archaischen Zügen. Dennoch seien die Dialekte durch eine Vielzahl deutscher Lehnwörter, insbesondere eine Fülle moderner technischer und administrativer Begriffe, ausgezeichnet. Sie seien aufgrund der lang andauernden Abtrennung Oberschlesiens von Polen seit dem 14. Jahrhundert und den historischen Gegebenheiten zufolge übernommen, aber zugleich in das slawische Sprachsystem integriert worden. Es sei daher falsch, von „einer deutsch-polnischen Mischsprache“ zu sprechen. Die Sprachen seien in der Grammatik und Syntax nicht gemischt, sondern „situationsbezogen nebeneinander verwendet“ worden: Es sei ‚normal‘ gewesen, deutsche Begriffe im Übermaß in die „lokale schlonsakische Mundart“ zu importieren: „Sprachpuristen und Außenstehende mögen darin ein Gräuel und einen Verstoß gegen linguistische Normen sehen, vergessen aber, dass vielfach die deutschen Wörter gar nicht als ‚deutsch‘ erkannt wurden, da sie zum täglichen Gebrauch gehörten und nach slawischer Sprachregel flektiert wurden.“118 Darüber hinaus wurden die slawischen Dialekte Oberschlesiens in keiner Form kodifiziert und waren nur in zahlreichen Varianten fassbar. So konnte der sprachliche Ausdruck an keinen Rechtschreibregeln gemessen und korrigiert werden. Dabei ergab sich die Nähe der oberschlesischen Dialekte zum angrenzenden polnischen, mährischen und slowakischen Sprachgebiet, die als Ganzes ein westslawisches Dialektkontinuum bildeten.119 Die von einheimischen Oberschlesiern verwendete deutsche Sprache beruhte wiederum auf keiner deutschen Dialektform, sondern stellte vielmehr ein Schriftdeutsch mit polnisch-mundartlichem Substrat dar. Die oberschlesische Sprachlandschaft der Zwischenkriegszeit stellt also vielmehr ein typisches sprachliches Mischgebiet dar, in dem das Deutsche und das Slawische in jeweils variierten Ausprägungen nebeneinander und miteinander existierten. In der Arbeit werden ausschließlich die von deutscher Seite gebrauchten Ortsnamen verwendet und zwar in der vor 1933 geltenden Fassung. In den 1930er Jahren wurden die (zu) slawisch klingenden Ortsnamen in der Provinz Oberschlesien systematisch ‚eingedeutscht‘, auf die Benutzung dieser meist nationalsozialistischen Erfindungen wird im Text verzichtet. Eine Konkordanz der Ortsnamen be117 Olesch, Reinhold: Die polnische Sprache in Oberschlesien und ihr Verhältnis zur deutschen Sprache. In: Schlesien 24 (1979) 14–24, hier 16f. 118 Alexander: Oberschlesien, 475. 119 Vgl. Kamusella, Tomasz: Das oberschlesische Kreol: Sprache und Nationalismus in Oberschlesien im 19. und 20. Jahrhundert. In: Krzoska, Markus/Tokarski, Peter (Hg.): Die Geschichte Polens und Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert. Ausgewählte Beiträge, Osnabrück 1998, 143–161.

Terminologie und Zitierweise

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findet sich am Ende der Arbeit. Sie stützt sich auf das „Polnisch-deutsche und deutsch-polnische Wörterbuch der Ortsnamen Oberschlesiens“.120 Was die in der Arbeit zitierten Quellenausschnitte anbelangt, werden sie grundsätzlich mit allen syntaktischen und grammatikalischen Eigentümlichkeiten der originalen Schreibweise übernommen, aber orthographisch gemäß den Regeln der neuen Rechtschreibung wiedergegeben. Nicht kommentierte Hervorhebungen in Zitaten sind stets solche des Originals. Die Übersetzungen fremdsprachiger Titel und Zitate stammen, soweit nicht anders angegeben, vom Autor der hier vorliegenden Untersuchung. Zum Schluss soll versichert werden, dass der Verfasser sich der Bedeutung geschlechtsspezifischer Unterschiede bewusst ist, auch wenn in der Studie, wie in wissenschaftlichen Texten meist noch üblich, die männliche Form als Kollektivform benutzt wird.

120 Choroś, Monika/Jarczak, Łucja/Sochacka, Stanisława (Hg.): Słownik nazw miejscowych Górnego Śląska: polsko-niemiecki i niemiecko-polski, Opole 1996.

2.

Ausgangssituation: Nationsbildungsprozesse im preußischen Oberschlesien im ‚langen‘ 19. Jahrhundert

Oberschlesien war schon seit dem Mittelalter eine Region, in der sich unterschiedliche kulturelle und sprachliche Einflüsse überkreuzten und mischten, und unterstand nacheinander polnischer, böhmischer, österreichischer und ab den 1740er Jahren preußischer Herrschaft. Religionsgeschichtlich gesehen konnte die Reformation, obwohl sie beachtliche Erfolge in großen Teilen Schlesiens feierte, in dem südöstlichen, dünn besiedelten und schwach urbanisierten Gebiet des Herzogtums nur in geringem Umfang Fuß fassen. Als die Habsburger nach dem Dreißigjährigen Krieg im oberschlesischen Teil des Landes zu unmittelbaren Landesherren wurden, machten sie dort den Katholizismus zur Staatsreligion. Die niederschlesischen Fürsten und Städte hingegen blieben zwar der habsburgischen Obrigkeit unterstellt, aber diese durfte das protestantische Bekenntnis in Niederschlesien nicht benachteiligen. Die Rekatholisierung Oberschlesiens unter der habsburgischen Herrschaft bewirkte, dass der Katholizismus eine fast uneingeschränkte Hegemonialstellung in Oberschlesien erhielt: Über 90 Prozent der Bevölkerung bekannten sich auch im ‚langen‘ 19. Jahrhundert zu diesem Glauben. Die im Westfälischen Frieden getroffenen Regelungen führten somit zu einer konfessionellen Spaltung ganz Schlesiens, die praktisch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unverändert erhalten blieb.1 Das katholische Oberschlesien genoss zu Beginn des 19. Jahrhunderts keinen guten Ruf in der deutschen Öffentlichkeit.2 Eine negative Beurteilung durch Fremde tauchte sehr oft in Reiseberichten auf.3 Exemplarisch sei hier auf Johann Wolfgang von Goethe verwiesen, der Oberschlesien 1790 besuchte und dies mit den Worten kommentierte: „Fern von gebildeten Menschen, am Ende des Reiches.“4 Ähnlich wie der Dichter urteilte auch der erste schlesische Oberpräsident Theodor von Merckel 1810: In Oberschlesien „lebt ein armes und darum unwissendes, rohes Volk“.5 Einer seiner Beamten spitzte seine Beobachtungen noch 1

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Vgl. Conrads, Norbert: Abriß der Geschichte Schlesiens bis 1945. In: Bździach, Klaus (Hg.): „Wach auf, mein Herz, und denke!“ Zur Geschichte der Beziehungen zwischen Schlesien und Berlin-Brandenburg von 1740 bis heute, Berlin 1995, 33–44. Lüer, Jörg: Die Oberschlesier im preußisch-deutschen Denken. In: ebd., 79–87, hier 79–82. Vgl. Dobbelmann, Hanswalter/Husberg, Volker/Weber, Wolfhard (Hg.): „Das preußische England ...“ Berichte über die industriellen und sozialen Zustände in Oberschlesien zwischen 1780 und 1876, Wiesbaden 1993. Zit. nach Lüer: Die Oberschlesier, 80. Zit. nach Herzig, Arno: Die Herausbildung eines deutschen Nationalismus in Schlesien im 19. Jahrhundert. In: Ruchniewicz, Krzysztof/Tyszkiewicz, Jakub/Wrzesiński, Wojciech (Hg.): Przełomy w historii. XVI Powszechny Zjazd Historyków Polskich. Pamiętnik, Bd. 1, Wrocław 2001, 239–252, hier 243.

Nationalbildungsprozesse im preußischen Oberschlesien

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zu: „In Oberschlesien ist der gemeine Mann bloß der polnischen Sprache mächtig, katholischer Religion, höchst unwissend, faul, störrisch und dem Trunke ergeben“; diese Charakterzüge seien jedoch nicht angeboren, sondern anerzogen und durch die soziale Abhängigkeit der Oberschlesier von einem unverantwortlichen Adel verursacht.6 Ähnlicher Meinung war damals die gebildete deutsche Elite Schlesiens. Sie unterschied deutlich zwischen einem oberschlesischen und einem polnischen Volk, obwohl sie die oberschlesisch-slawische Alltagssprache der polnischen gleichstellte und die letztere als ein ganz Schlesien bereicherndes Kulturgut betrachtete. Typisch für die Einstellung dieser Elite sind die Vorstellungen des Oppelner Schulrats und späteren Weihbischofs von Breslau, Bernhard Bogedain, der für die Verbreitung des deutschen Idioms plädierte, aber die einheimischen, slawophonen Oberschlesier ihrer Muttersprache in familiären, kirchlichen und schulischen Angelegenheiten nicht beraubt sehen wollte.7 Eine eindeutig nationalistisch ausgerichtete Forderung nach einer Germanisierung Oberschlesiens brachte erst 1844 der Leipziger Historiker Heinrich Wuttke in die Diskussion ein. Er betonte die Wichtigkeit eines Sprachenkampfes, worunter er die Verdrängung des Polnischen aus der Region verstand.8 Seine Ausführungen wurden in der schlesischen Provinz zunächst aber nur in geringem Umfang rezipiert und deren Botschaft blieb bis in die Kulturkampfzeit hinein nicht sehr einflussreich. Die Aneignung eines deutschen bzw. polnischen Nationalbewusstseins beschränkte sich bis dahin auf einen kleinen Bevölkerungsteil und stand insofern noch in der Tradition der Frühen Neuzeit.9 Die deutsche Elite Schlesiens war noch zur Gründungszeit des zweiten deutschen Kaiserreichs davon überzeugt, dass „die panslavistischen Träumereien und Bestrebungen unter den Oberschlesiern durchaus keinen Grund und Boden finden. [Die Oberschlesier] sind polnische Preußen, aber nicht preußische Polen.“10 Laut Statistiken aus dem „Handbuch der Fürstbischöflichen Geheimen Kanzlei von Breslau“ wurden im Jahr 1815 in dem Gebiet, in dem 1921 die Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder Polen stattfinden sollte, 260.417 Katholiken polnischer und 19.871 deutscher Zunge gezählt. 1871 seien 6 Zit. nach ebd., 243f. 7 Czapliński, Marek: Der Oberschlesier – Staatsbürger oder Untertan? Zur preußischen Politik der Jahre 1807–1914. In: Hahn, Hans Henning/Kunze, Peter (Hg.): Nationale Minderheiten und staatliche Minderheitenpolitik in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin 1999, 81–91, hier 84. 8 Wuttke, Heinrich: Den Sprachenkampf in Schlesien betreffend. In: Schlesische Provinzialblätter 119 (1844) 82–85. Zit. nach Herzig: Die Herausbildung, 244. 9 Vgl. Friedrich, Karin: Nationsbewußtsein in Schlesien in der frühen Neuzeit. In: Struve/Ther (Hg.): Die Grenzen der Nationen, 19–44. 10 Baron, Richard: Zur Frage der Germanisierung der polnischen Bevölkerung Oberschlesiens durch die Volksschule. In: Schlesische Provinzialblätter N. F. 11 (1872) 121. Zit. nach Herzig: Die Herausbildung, 245.

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Ausgangssituation

23 Dekanate polnischsprachig und drei vorherrschend polnischsprachig gewesen. Schon für das Jahr 1891 erwähnt das „Handbuch“ aber nunmehr 13 ‚polnische‘ und 13 gemischte Dekanate. 1912 wurden 188 ‚polnische‘, zwei ‚deutsche‘, 75 mehrheitlich ‚polnische‘ und 27 mehrheitlich ‚deutsche‘ Gemeinden aufgelistet.11 Die kirchliche Statistik kann zusätzlich mit den Ergebnissen der letzten preußischen Volkszählung vor dem Ersten Weltkrieg verglichen werden. 1910 gaben im späteren Abstimmungsgebiet 666.681 Einwohner (35 Prozent) Deutsch als Muttersprache an, hingegen trugen sich 1.157.449 Einwohner (60 Prozent) als polnische Muttersprachler und 88.340 (fünf Prozent) als zweisprachig ein.12 Diese Ergebnisse bestätigten den Trend zu einer ständigen Zunahme der deutschsprachigen Bevölkerung, die in den früheren Volkszählungen noch kleinere Anteile zu verzeichnen gehabt hatte.13 Die rasante Verbreitung der deutschen Sprache in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist vor allem auf den enormen Fortschritt der industriellen Entwicklung der Region und den damit verbundenen erheblichen Bevölkerungszuwachs zurückzuführen. Der sich schnell industrialisierende Kreis Beuthen O.S. beispielsweise hatte 1781 lediglich 12.000 Einwohner, 1820 noch 32.000, 1850 bereits 106.000 und kurz vor dem Ersten Weltkrieg etwa 650.000.14 Wegen reicher Bodenschätze an Erz und Kohle entstanden zwischen Gleiwitz und Kattowitz unzählige Hüttenwerke und Zechen. Der Zuzug deutscher Führungskräfte und qualifizierter deutscher Arbeiter schlug sich rasch in der sozialen Struktur nieder, insbesondere in den Städten des Industriebezirks. Die Kenntnis der deutschen Sprache wurde zur Bedingung beruflichen Aufstiegs sowie zum sozialen Unterscheidungsmerkmal, auch wenn die Grenzen zwischen den Schichten fließend blieben. Das steigende soziale Prestige des deutschen Idioms erweckte auch bei den einheimischen Oberschlesiern den Willen, aus eigener Motivation heraus diese Sprache zu beherrschen, um dadurch ‚von unten‘ zu einer höher angesehenen sozialen Stellung zu gelangen. Diese Selbstmotivation ersetzte somit bei der ‚Germanisierung‘ der Oberschlesier die staatlichen Maßnahmen, die, wenn sie ‚von oben‘ angeordnet wurden, ihr Ziel häufig verfehlten. Es entstand in der Region somit eine Hierarchie 11 Angaben nach: Die seelsorgliche Betreuung der deutschen Katholiken in der Diözese Kattowitz, Kattowitz 1934, 8. 12 Angaben nach Kneip, Matthias: Die deutsche Sprache in Oberschlesien. Untersuchungen zur politischen Rolle der deutschen Sprache als Minderheitensprache in den Jahren 1921–1998, Dortmund 1999, 54. Im gesamten Regierungsbezirk Oppeln, der auch rein deutschsprachige Gebiete umfasste, war der Anteil der deutschen Muttersprachler freilich höher. Aus diesem Grund wurden die westlichen Gebiete – nach den Angaben 1910 von 217.364 deutschen und 11.891 polnischen Muttersprachlern bewohnt – zum größten Teil von der Abstimmung ausgeschlossen und ihre Zugehörigkeit zu Deutschland gar nicht erst zur Disposition gestellt. Ebd. 13 Bjork: Neither German nor Pole, 60–75. 14 Angaben nach Kneip: Die deutsche Sprache, 29.

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der Sprachen: Die sprachliche Zugehörigkeit deckte sich in der Regel mit der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht. So sprachen Bauern, einfache Land- und Industriearbeiter, Berg- und Hüttenwerkleute die lokalen westslawischen Dialekte, die Höhergestellten hingegen hauptsächlich Deutsch, auch wenn einige von ihnen das Slawische zumindest verstehen konnten.15 Dagegen wurde der umgekehrte Weg, neben der deutschen Muttersprache auch noch die lokalen Dialekte zu erlernen, wohl eher selten begangen, weil dies schwierig und kaum prestigefördernd war. Wer sich dennoch die Mühe machte, machte davon in der Regel kein besonderes Aufheben. Umgekehrt – so Manfred Alexander – „wurde das Erlernen des Deutschen gefördert und auf der Schule erzwungen, im täglichen Umgang mit den Behörden meist vorausgesetzt“. Die nicht kodifizierten slawischen Dialekte waren der deutschen Sprache „an Ausdrucksfähigkeit, an Eleganz und Präzision unterlegen“ und wurden nicht als eine ebenbürtige Sprache gegenüber der deutschen, tschechischen oder polnischen Hochsprache betrachtet. Gerade für viele aufsteigende slawophone Einheimische war daher „der Gebrauch der Muttersprache außerhalb der Familie eine Sache, derer man sich oft schämte und deren Kenntnis man deswegen besonders in ‚höheren‘ Gesellschaftsschichten geheim zu halten trachtete“.16 Diese Entwicklung hatte schließlich einen wesentlichen Einfluss auf das sprachlich-soziale Stadt-Land-Gefälle. Der Aufstieg des Deutschen betraf in hohem Maße die oberschlesischen Städte, nicht zuletzt die des Montanreviers und die Provinzhauptstadt mit ihrer deutschen Verwaltung. Die Einwohner der oberschlesischen Dörfer hingegen verzichteten trotz des schulischen Deutschunterrichts selten auf ihre traditionellen Mundarten. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war zugleich in ganz Europa vom rasanten Aufstieg der nationalen Ideologie gekennzeichnet. Die Entwicklung der Nationalbewegungen verlief meist in drei Phasen, die Miroslav Hroch anhand der Geschichte von mehreren „kleinen Völkern“ plausibel ausgearbeitet hat.17 In Phase A wurde von wenigen Gelehrten die sprachlich-ethnische „Einheit der Vielen“ entdeckt und als nationales Projekt formuliert. In Phase C setzte die Massenbewegung der Nationalbewussten ein: Die breite Öffentlichkeit wurde mobilisiert und die Nationalgesellschaft ausgebildet. Dazwischen lag die entscheidende Phase B der zielstrebigen Agitation einer national bewussten Minorität, die sich um die allgemeine Verbreitung des wertbezogenen Nationalbewusstseins bemühte und die breite Schichten ihrer ethnischen Gruppe für die nationale Bewegung zu begeistern 15 Vgl. das sprachlich-soziale Strukturmodell bei Alexander: Oberschlesien, 478. 16 Ebd., 477. 17 Hroch, Miroslav: Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas. Eine vergleichende Analyse zur gesellschaftlichen Schichtung der patriotischen Gruppen, Prag 1968; ders.: Das Erwachen kleiner Nationen als Problem der komparativen Forschung. In: Winkler, Heinrich August (Hg.): Nationalismus, Königstein 1978, 155–172. Vgl. auch ders.: Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, Göttingen 2005.

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Ausgangssituation

versuchte. Wenn man das von Hroch entwickelte Modell auf den Fall Oberschlesien anwendet, fällt sofort auf, dass der slawophonen Bevölkerung eine eigene Intelligenzschicht fehlte, die sich als „patriotische Erwecker“ an der Nationalbewegung aktiv hätte beteiligen können. Der Staat, die Wirtschaft und die Bildung waren ausschließlich mit der deutschen Sprache verbunden, es gab kaum Platz für die Entwicklung einer slawophonen Trägerschicht der Intelligenz. Dies hatte weitreichende Folgen. Die Oberschlesier wurden von den deutschen und polnischen Nationalisten als ein ‚national‘ unbeschriebenes Blatt wahrgenommen, was sie zu intensiven Aktivitäten anstachelte, um sie für je ihre Nation vereinnahmen zu können. Dementsprechend traten an die Stelle der eigenen ‚Erwecker‘ „die ‚Helfer‘ von außen“.18 Dies war auf deutscher Seite in erster Linie die deutsche Intelligenz, d. h. Beamte, Lehrer, Pfarrer, Fachleute für wirtschaftliche und technische Probleme, die aus anderen Teilen Preußens und des Deutschen Reiches kamen und sich mit der ansässigen deutschen Bevölkerung vermischten. Alle sozial aufsteigenden slawophonen Oberschlesier wurden dabei akzeptiert, vorausgesetzt, sie hatten sich an die deutsche Kultur assimiliert. Die einheimische slawisch-katholische Eigenart der slawophonen Oberschlesier galt hingegen als „derb“ und sollte „durch die Unterweisung in deutscher Kultur ‚verbessert‘ werden“: „Das Ziel eines jeden guten Oberschlesiers – deutscher oder slawischer Muttersprache – war es offenbar (und so wurde es von den deutschen Beamten verstanden), ein guter ‚Deutscher‘ zu werden.“19 Dieser Prozess hätte vermutlich am Ende zur vollständigen Assimilation der slawophonen Oberschlesier in die deutsche Nation geführt, hätte es im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nicht einen äußerst wichtigen Einschnitt für die konfessionelle, sprachliche und soziale Entwicklung Oberschlesiens gegeben, der für die Region zu einem Schlüsselerlebnis wurde: den vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck eingeleiteten Kulturkampf. Die Politik, die auf die Verdrängung der katholischen Kirche aus einigen Bereichen des öffentlichen Lebens zielte, die der deutsche Staat als die neue ordnende Macht für sich beanspruchte,20 nahm in Oberschlesien Dimensionen an, die vom Reichskanzler vermutlich nicht vorhergesehen worden waren. Die Reichsregierung definierte nun die Nationalität der slawophonen Oberschlesier über den vermeintlich ‚objektiven‘ Faktor der dort jeweils vorherrschenden Sprache, nicht über das eher ‚subjektive‘ Kriterium der staatlichen Loyalität. „Dadurch wurden“ – schreibt Guido Hitze – „die polnischsprachigen Oberschlesier genauso behandelt wie die preußischen Staatsbürger polnischer Nationalität in den Provinzen Posen und Westpreußen, obwohl erstere in einem Gebiet lebten, das vor Jahrhunderten auf 18 Alexander: Oberschlesien, 479. 19 Ebd. 20 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, München 1995, 892–901. Ausführlicher zur Regierungszeit des ersten Reichskanzlers vgl. Althammer, Beate: Das Bismarckreich 1871–1890, Paderborn 2009.

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friedlichem Wege vom damaligen polnischen Königreich abgetrennt worden war, während letzteren als Nachfahren echter ‚Nationalpolen‘ noch die gewaltsamen polnischen Teilungen des 18. Jahrhunderts in lebhafter Erinnerung waren“.21 Im Gegensatz zu Posen oder Westpreußen hatte sich in Oberschlesien bis dahin noch kein nationalpolnisches Wir-Gefühl entwickelt, die slawophonen Oberschlesier waren außerhalb der Reichweite der polnischen Nationalbewegung geblieben und wurden von ihr noch nicht als Bestandteil der polnischen Nation betrachtet.22 Der gegen den Einfluss der katholischen Kirche auf das Schulwesen gerichtete Kulturkampf überschnitt sich zudem am östlichen Rand des Kaiserreichs mit dem Angriff auf die nichtdeutschen Sprachen im Schul- und insbesondere im Religionsunterricht. Einen Teil der oberschlesischen Priesterschaft bildeten jedoch Polen und polnisch orientierte Oberschlesier, die nun zumindest beim Streit um die Verwendung der polnischen Sprache im Religionsunterricht und Gottesdienst auf erhebliche Unterstützung der slawophonen Katholiken zählen konnten. Denn die einheimische, slawische Bevölkerung, die sich bis dahin äußerst loyal und gehorsam gegenüber dem preußischen Staat verhalten hatte, wollte sich diesen Teil ihrer Identität keinesfalls nehmen lassen.23 Die Germanisierungspolitik Bismarcks in Posen, Westpreußen und Oberschlesien ließ den Eindruck einer diskriminierten polnischen Schicksalsgemeinschaft entstehen. Die slawophonen Oberschlesier, die bis dahin außerhalb des Gesichtsfeldes der polnischen Nationalbewegung geblieben waren, rückten nun ins Visier der polnischen ‚Erwecker‘. Es setzte die „organische Arbeit“ ein – Maßnahmen zur Volksbildung sowie zur Schaffung einer eigenen polnischen Presse und eines autonomen Vereinswesens.24 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich in Oberschlesien zahlreiche gut gebildete Polen aus der preußischen Provinz Posen an, vor allem Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer, Priester und Handwerker, was das Fehlen einer einheimischen, slawophonen Intelligenzschicht auszugleichen begann.25 Aber eine wirklich neue Qualität erhielt die polnische ‚nationale Wiedergeburt‘ in Oberschlesien erst am Anfang des 20. Jahrhunderts mit der aktiven Teilnahme an politischen Wahlen. Die polnisch-nationale Partei um Wojciech Korfanty wusste dabei die sozialen Forderungen der Arbeiter auszunutzen und konnte zum ersten Mal 1903 im industriell geprägten Wahlkreis Zabrze ein Reichstagsmandat gewinnen.26 Weitere Wahlerfolge der polnischen Partei konnten 1907 und 1912 verzeichnet

21 Hitze: Carl Ulitzka, 79. 22 Gehrke, Roland: Der polnische Westgedanke bis zur Wiedererrichtung des polnischen Staates nach Ende des Ersten Weltkrieges, Marburg 2001, 221–233. 23 Alexander: Oberschlesien, 479. 24 Gehrke: Der polnische Westgedanke, 221. 25 Wanatowicz, Maria Wanda: Społeczeństwo polskie wobec Górnego Śląska 1795–1914, Katowice 1992, 75. 26 Bjork: Neither German nor Pole, 98–109.

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werden. Doch trafen die polnischen ‚Erwecker‘ immer wieder auf einen erfolgreichen Gegenspieler: die katholische Zentrumspartei. Das Zentrum betonte konsequent, dass die slawophonen Oberschlesier keine Polen, sondern Preußen seien, als katholische, ethnisch slawische Preußen allerdings das Recht auf die Erhaltung ihrer polnischen Muttersprache in Familie, Kirche und Schule hätten. Die Zentrumspolitiker stellten das konfessionelle Element der oberschlesischen Identität in den Vordergrund und zielten auf die freiwillige Integration der Oberschlesier in den deutschen Kultur- und Staatsgedanken ab. Mit diesem Programm gelang dem Zentrum, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die politische Szene Oberschlesiens zu dominieren: Bei den Reichstagswahlen gewann es 1871 nur einen Wahlkreis, 1874 schon acht und zwischen 1882 und 1893 alle zwölf Wahlkreise im Regierungsbezirk Oppeln für sich.27 Die Zentrumspartei leistete damit einen Brückenschlag zwischen der preußischen Regierung und den oberschlesischen Katholiken. Doch aufgrund der Germanisierungspolitik Bismarcks, dessen Kurs der 1894 gegründete „Deutsche Ostmarkenverein“ fortsetzte, und der darauf folgenden polnischen Gegenreaktion entflammte an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert auch in Oberschlesien ein Nationalitätenkonflikt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich eine deutsch oder polnisch geprägte Zugehörigkeit zu derart eindeutig national definierten Wir-Gruppen bei der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung nicht etablieren können. Die slawophonen Oberschlesier hatten sich auf dem besten Weg befunden, sich freiwillig zu assimilieren und in das staatliche und nationale Leben des Deutschen Reiches zu integrieren. Dieser allmähliche und scheinbar unausweichliche Prozess wurde jedoch durch den von außen geschürten Nationalismus gestoppt. Dabei muss vor allem den deutschen Regierungsstellen der Vorwurf einer bereits im Ansatz verfehlten Integrationspolitik gemacht werden. Sie konzentrierten ihre Anstrengungen auf eine restlose Assimilation der slawischen Oberschlesier an die deutsche Kultur und versperrten ihnen so den Weg einer möglichen Akkulturation ohne die Aufgabe der eigenen Tradition und Sprache. Aber auch die Stellung der katholischen Kirche, der bis dahin stärksten sozialen Kraft in Oberschlesien, ist in diesem Zusammenhang symptomatisch. James E. Bjork hat jüngst den oberschlesischen Klerus im Spannungsfeld der Germanisierungs- und Polonisierungsbestrebungen ins Visier genommen und die Frage untersucht, ob vor dem Ersten Weltkrieg der politische Katholizismus eine Alternative gegenüber den zwei aufkommenden Nationalismen darstellte.28 Er hat dabei überzeugend ausgearbeitet, dass sich die katholische Kirche in Oberschlesien kritisch gegenüber der deutschen bzw. polnischen Nationalbewegung verhielt und ein eigenes, alternatives soziales Netzwerk mit den vom Klerus geführten und national pluralistischen Vereinen, Kongregationen und Pressetiteln aufbaute. Durch 27 Bahlcke (Hg.): Schlesien und die Schlesier, 104. 28 Bjork: Neither German nor Pole.

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diese Aktivitäten bekundete die Kirche die politische Treue zum deutschen Staat, verteidigte aber hartnäckig die polnische Sprache als Teil der oberschlesischen Kirchlichkeit. Den Versuch der Kirche, in der nationalistischen Ära vor 1914 einem dritten, vorrangig katholisch geprägten Denk- und Handlungsmuster den Weg zu ebnen, stellt Bjork als aussichtsreich dar. So war es zwar für viele Oberschlesier fast unmöglich, sich der aufkommenden Nationalitätenfrage nicht zu stellen. Aber genauso undenkbar erschien es ihnen, sich konsequent und exklusiv zu einer deutschen oder polnischen Wir-Gruppe zu bekennen. Eine Analyse aufeinander folgender Reichstagswahlen zwischen 1898 und 1912 zeigt zwar, dass die nationalen Parteien nach einem Start bei Null (40 Stimmen für die Polenliste 1898) nach 1900 zunächst erhebliche Erfolge zu erringen vermochten. 1907 konnten die nationalen Parteien ihren höchsten Stimmenanteil in Oberschlesien verzeichnen – mit 46 Prozent der Stimmen (über 115.000) für die polnische Partei und 24 Prozent für die deutschen Gruppierungen. Aber schon fünf Jahre später schrumpfte dieser Anteil wieder auf insgesamt 55 Prozent. Zugleich erholte sich das katholische Zentrum von dem zeitweise hochgekochten Nationalitätenkonflikt und wurde wieder zur stärksten politischen Kraft in Oberschlesien.29 Die unumstrittenen politischen Erfolge der nationalistischen Gruppierungen im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg sind größtenteils auf die Verknüpfung der sozialen Belange mit der Nationalitätenfrage zurückzuführen. Hier standen sich zwei große Gruppen gegenüber – wie Rudolf Vogel etwas überspitzt formulierte –, „auf der einen Seite die protestantische, germanisierende Regierung Hand in Hand mit den gewerkschaftsfeindlichen, lohndrückenden Industriellen und Magnaten, auf der anderen Seite die katholischen, zum größten Teil polnischsprachigen Massen der Arbeiter“.30 Es waren vor allem soziale und nicht nationale Fragen, die die einheimischen slawophonen Oberschlesier zeitweise zur Wahl von Gruppierungen wie den polnisch-nationalen Sozialisten bewegten. So überrascht es auch nicht, dass viele Mitglieder patriotischer Kriegervereine, darunter auch Offiziere, ihre Stimme für die polnische Partei abgaben. Dafür war vornehmlich die soziale Schieflage verantwortlich.31 Darüber hinaus zeugte das häufig wechselnde Wahlverhalten der einheimischen slawophonen Oberschlesier von einer sehr unbeständigen Bindung an bestimmte Parteien und politische Optionen. 29 Ebd., 128f. 30 Vogel, Rudolf: Deutsche Presse und Propaganda des Abstimmungskampfes in Oberschlesien, phil. Diss. Leipzig 1931, 16. 31 Bjork: Neither German nor Pole, 106f. Die Kriegervereine mussten im Übrigen keinen explizit nationalen Charakter haben. Da viele Oberschlesier an den Fronten des preußisch-französischen Krieges gekämpft hatten, bildeten die Organisationen in mehreren Fällen schlicht eine Vereinigung der Kriegskameraden. Vgl. dazu Grabowski, Sabine: Deutscher und polnischer Nationalismus. Der Deutsche Ostmarken-Verein und die polnische Straż 1894–1914, Marburg 1998. Die Autorin zeigt, dass die häufig stattfindenden Ortsvereinsabende kaum der ‚großen Politik‘ gewidmet waren, sondern primär dem verschärften Bierkonsum dienten.

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Ausgangssituation

Das Ringen des politischen Katholizismus mit den nationalistischen Parteien wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zunächst beendet. Eine massenhafte politische Mobilisierung, und zwar in Form des aggressiven Nationalismus, bekamen die Oberschlesier jedoch erst nach den Kriegshandlungen direkt zu spüren. Deutschland und Polen beanspruchten die Region und die dortige Bevölkerung für sich.32 Es kam zum Ausbruch der in der polnischen Historiographie so genannten drei „schlesischen Aufstände“, die nichts anderes waren als ein Ersatzkrieg zwischen der deutschen und polnischen Nationalbewegung. Die Mehrheit der einheimischen Oberschlesier schaute dieser blutigen Auseinandersetzung meist passiv zu, die von Politikern außerhalb der Region aufgeheizt worden war. Aktiver beteiligten sich viele Oberschlesier an der Entwicklung einer alternativen Option für die Region, die ihre Einheit bewahrt hätte: die eines selbständigen Freistaats Oberschlesien. „Der Konflikt zwischen zwei konkurrierenden Nationalismen“ – schreibt Philipp Ther – „war also kein Nullnummerspiel, in dem sich die Menschen entweder für die eine oder andere Nation erklärten, sondern beförderte vielmehr die Entstehung weiterer Identitätsangebote auf der Basis eines Territoriums und einer bestimmten Bevölkerungsgruppe“.33 Der Antagonismus der Nationalbewegungen, der sich in der Schaffung nationaler Freund- und Feindschemata ausdrückte und die Einwohner Oberschlesiens als Teil der deutschen oder polnischen Nation vereinnahmte, erzeugte also einen dritten Faktor. Der „Bund der Oberschlesier – Związek Górnośląski“ wurde zum Sprachrohr des oberschlesischen Regionalismus und konnte zeitweise bis zu 350.000 Mitglieder verzeichnen.34 Anstatt sich dezidiert gegen eine bestimmte Nation zu richten, entschied sich der Bund für ein transnationales politisches Angebot und für eine vermittelnde Rolle im Nationalitätenstreit. Dies war jedoch im Zeitalter der kämpfenden Nationalismen eine fast utopische Aufgabe. „Eine klar anti-deutsche Stoßrichtung der Regionalbewegung“ – wie Philipp Ther betont – „kam nach 1918 kaum in Frage, weil das Kaiserreich und die lange preußische Herrschaft die Bevölkerung stark geprägt hatten. Leichter ließen sich anti-polnische Ressentiments zur Bestimmung von Alterität und damit Identität abrufen, aber damit verprellte man all jene slawophonen Mitbürger, die zu Hause den oberschlesischen Dialekt spra-

32 Ausführlich dazu Hitze: Carl Ulitzka, 165–490; Tooley, T. Hunt: National Identity and Weimar Germany: Upper Silesia and the Eastern Border, 1918–1922, Lincoln u. a. 1997; Kapała, Zbigniew (Hg.): Górny Śląsk czasu powstań i plebiscytu. Sprawy mało znane i nieznane, Bytom 1996. 33 Ther, Philipp: Die Grenzen des Nationalismus. Der Wandel von Identitäten in Oberschlesien von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1939. In: Hirschhausen, Ulrike von/Leonhard, Jörn (Hg.): Nationalismen in Europa. West- und Osteuropa im Vergleich, Göttingen 2001, 322– 346, hier 333f. 34 Schmidt-Rösler, Andrea: Autonomie- und Separatismusbestrebungen in Oberschlesien 1918–1922. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 48 (1999) 1–49, hier 11.

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chen, der dem Polnischen weit näher war als dem Deutschen“.35 Als Ausweg aus der kaum entwirrbaren Situation wählte der „Bund der Oberschlesier“ schließlich eine Formel, die auf die sprachlich vielfältige, aber abstammungsmäßig einheitliche Gemeinschaft hinwies: Die Oberschlesier seien demnach „ein multilinguales Einheitsvolk“ und eine „slavo-germanische Blutmischung“.36 Einen dritten oberschlesischen Weg lehnten jedoch sowohl Polen als auch Deutschland entschlossen ab. Die als Vermittler agierenden Alliierten schlugen wiederum eine Lösung vor, die die politischen Interessen der regionalen Bewegung nicht berücksichtigte. Im Zusammenhang mit der vom amerikanischen Präsidenten unterstützten polnischen Forderung nach einem Nationalstaat, der alle „von unbestreitbar polnischer Bevölkerung bewohnten Gebiete“ umfassen sollte, wurde bei den Friedensverhandlungen in Versailles 1919 anfänglich beschlossen, neben den Provinzen Westpreußen und Posen auch den Großteil des preußischen Oberschlesien einfach dem neuen polnischen Staat zuzuschlagen.37 Die polnische Delegation um den Anführer der Nationaldemokraten, Roman Dmowski, hatte sich während der Verhandlungen in Versailles auf die Zahlen der letzten preußischen Volkszählung berufen und gefordert, ganz Oberschlesien in den neu entstandenen polnischen Staat einzugliedern. Dass im Jahr 1910 nicht nach dem nationalen Bekenntnis, sondern nach der Muttersprache der Betroffenen gefragt worden war, erschien den polnischen Nationalisten zweitrangig. In ihrer Vorstellung stellte die Sprache ja das ultimative und absolut objektive Kriterium der Nationalität eines Individuums dar. Gegen diese Ansicht polemisierte unter anderem Max Weber als Sachverständiger der deutschen Unterhändler für die Ostfragen.38 Die mit einem fertigen Vertragstext konfrontierte deutsche Delegation erreichte es schließlich, dass die alliierten Mächte eine darin ursprünglich nicht vorgesehene Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Oberschlesiens unter ihrer Aufsicht zugestanden. Das Ergebnis des Plebiszits sollte dann nach den einfachen Mehrheiten in den Gemeinden festgehalten werden und die neue Grenze aufgrund dieses Ergebnisses, aber auch nach wirtschaftlichen und geographischen Gesichtspunkten festgelegt werden.39 35 Ther: Sprachliche, kulturelle und ethnische „Zwischenräume“, XX–XXI. 36 Schmidt-Rösler: Autonomie- und Separatismusbestrebungen, 14f. Vgl. auch Doose, Günther: Die separatistische Bewegung in Oberschlesien nach dem ersten Weltkrieg 1918–1922, Wiesbaden 1987; Hauser, Przemysław: Śląsk między Polską, Czechosłowacją a separatyzmem. Walka Niemiec o utrzymanie prowincji śląskiej w latach 1918–1919, Poznań 1991; ders.: Von der Provinz zum Freistaat? Der oberschlesische Separatismus im Jahr 1918/1919. In: Ther/Sundhassen (Hg.): Regionale Bewegungen, 113–126. 37 Hitze: Carl Ulitzka, 203–209. 38 Weber, Max: The Nation. In: Gerth, Hans H./Milles, Charles W. (Hg.): From Max Weber: Essays in Sociology, London 1948, 173. Zur Frage von Volksabstimmungen im Osten Preußens vgl. Erklärung der Ostsachverständigen der Friedensdelegation vom 22. Mai 1919. In: Mommsen Wolfgang J. (Hg.): Max Weber. Gesamtausgabe, Bd. 16: Zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918–1920, Tübingen 1988, 293–297. 39 Tooley: National Identity, 51.

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Ausgangssituation

Der Entschluss, eine Volksabstimmung durchzuführen, schien vorteilhafter als die bloße Berufung auf die Sprachstatistik zu sein, da zum ersten Mal der Wille der betroffenen Menschen selbst erfragt werden konnte. Die Oberschlesier, für die bis dahin eine wechselnde, ihrer sozialen Situation angepasste Wahl bzw. Benennung ihrer Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten möglich gewesen war und die kurz nach dem Ersten Weltkrieg eher der regionalen Autonomiebewegung zugeneigt waren, wurden jetzt jedoch vor eine klare Wahl ihrer nationalen Option zwischen „deutsch“ und „polnisch“ gestellt. In der Abstimmung wurde zwar nicht nach dem entsprechenden nationalen Bewusstsein der Einwohner, sondern nur nach der bevorzugten staatlichen Zugehörigkeit gefragt. Aber die betroffenen Menschen mussten eine durchaus politische Aussage treffen, die in der äußerst intensiv geführten Abstimmungspropaganda als Bekenntnis für das Polentum oder Deutschtum dargestellt wurde.40 Eine andere dritte Entscheidungsmöglichkeit in Form einer politischen Unabhängigkeit der Region stand nicht zur Disposition. Mit dem Plebiszit verlor also der organisierte oberschlesische Regionalismus seine politische Existenzgrundlage. In der Volksabstimmung am 20. März 1921 votierten 707.393 Personen für den Verbleib bei Deutschland (59,6 Prozent) und 479.365 für den Anschluss an Polen (40,4 Prozent); die Wahlbeteiligung lag bei fast 99 Prozent.41 Die deutschen Stimmen kamen hauptsächlich aus den Städten und urban geprägten Kreisen. Auf dem Land hingegen entfielen die meisten Stimmen auf Polen. In den industrialisierten Kreisen kam es dabei zu sehr knappen Entscheidungen, letzten Endes gewannen dort die Deutschen in fünf von acht Kreisen die Mehrheit. Eine klare territoriale Aufteilung in ein westliches, für Deutschland votierendes und ein östliches, für Polen stimmendes Oberschlesien war am Ende nicht möglich: Auch in westlichen Kreisen siegten die Polen in der Regel in den ländlichen Gebieten, eine eindeutige deutsche Mehrheit kam wiederum z. B. in Kattowitz am östlichen Rand der Region zustande. Dementsprechend war die Frage der Grenzziehung äußerst kompliziert und wurde auch von strategischen und bündnispolitischen Motiven der damit befassten alliierten Mächte beeinflusst. Sie wurde von ihnen auf eine Weise gelöst, dass am Ende Polen etwa zwei Drittel des Industriegebiets, darunter drei Viertel der Kohlebergwerke und fast 90 Prozent des Kohlevorkommens, zugeteilt bekam, bei Deutschland dagegen ungefähr 70 Prozent des Abstimmungsgebiets und 57 Prozent der Einwohner verblieben.42 Das Ergebnis des Plebiszits zeigte jedenfalls, dass nicht alle in den preußischen Statistiken als polnischsprachig erfassten Oberschlesier für Polen gestimmt haben 40 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 66–81. Vgl. auch Grosch, Waldemar: Deutsche und polnische Propaganda während der Volksabstimmung in Oberschlesien 1919–1921, Dortmund 2002. 41 Hitze: Carl Ulitzka, 363–369. 42 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 65.

Nationalbildungsprozesse im preußischen Oberschlesien

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Abb. 1. Ein Wegweiser im deutsch-polnischen Grenzgebiet bei Königshütte (um 1932/35). Bildnachweis: Narodowe Archiwum Cyfrowe, 1-G-6445.

konnten. Ein Teil musste sich offensichtlich nicht gemäß den angeblich ‚objektiven‘ Kriterien der nationalen Zugehörigkeit qua Sprache, sondern nach subjektivem Empfinden und anderen Überlegungen für eine der Streitparteien entschieden haben.43 Der Prozess der Nationalisierung der Oberschlesier fand dennoch während des Plebiszits einen vorläufigen Höhepunkt. Mit der konkreten Frage nach der staatlichen Zugehörigkeit konfrontiert, konnten die Oberschlesier einer als nationale dargestellten Entscheidung nicht mehr ausweichen. Mehr noch, die Zeit der Abstimmungspropaganda und der drei ,schlesischen Aufstände‘ stellte eine Periode des radikalen Nationalismus dar, der in dieser Art den Oberschlesiern bis dahin fremd gewesen war. Insbesondere der dritte Aufstand, ausgebrochen nach der für die polnische Seite unerwartet ungünstig ausgefallenen Abstimmung, war für einen Großteil der Oberschlesier eine von Gewalt geprägte Leidenszeit. Ähnlich wie die unmittelbare Nachkriegsperiode nach 1945 war auch die Zeit zwischen Mai und Juli 1921 von grassierenden kriminellen Banden geprägt, die die Schwäche des Staates ausnutzten und ganze Landstriche in Angst und Schrecken versetzten.44 Der propagandistisch hoch aufgeladenen Stimmung vermochte sich auch die katholische Kirche nicht mehr zu entziehen. So engagierten sich auch viele der katholischen Priester im Abstimmungskampf, auch wenn ihr Vorgesetzter, der 43 Ther, Philipp: Schlesisch, deutsch oder polnisch? Identitätenwandel in Oberschlesien 1921– 1956. In: Struve/Ther (Hg.): Die Grenzen der Nationen, 169–202, hier 176. 44 Tooley: National Identity, 252.

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Ausgangssituation

Breslauer Bischof Adolf Bertram, dies ausdrücklich und offiziell verbieten ließ.45 Guido Hitze kommt bei der Analyse des politischen Engagements des Klerus zu der Schlussfolgerung, dass die polnische Seite „den Begriff ‚katholisch‘ […] total“ besetzt hätte: „In ihrer Propaganda verschmolzen Katholizismus und polnischer Nationalismus zu ein und derselben Sache. Dem negativen Stereotyp des ‚protestantischen Deutschen‘ wurde die ‚katholische Mutter Polen‘ als erlösende Macht gegenübergestellt; die Glaubenskämpfe des konfessionellen Zeitalters erfuhren dadurch in ihrer fanatischen Gewalt noch eine zusätzliche Steigerung durch die Leidenschaften des Nationalismus.“46 Die deutschgesinnte Geistlichkeit wiederum „‚entnationalisierte‘ die Religion [und] propagierte eine regionale und konfessionelle Identität aller Oberschlesier“.47 Ob das von Hitze entworfene Bild einer durchgängigen politischen Polarisierung des oberschlesischen Klerus in zwei Lager, von denen das polnische den aggressiven Teil darstellte, zutreffend ist, muss dahingestellt bleiben. Bjork kommt in diesem Zusammenhang zu viel differenzierteren Ergebnissen, die häufig quer zu den vermeintlich ‚objektiven‘ Kriterien der ‚nationalen‘ Zuordnung der Priester liegen.48 In der hier vorliegenden Studie werden nur Ausmaß, Formen und Folgen des priesterlichen Engagements in den Nationalisierungsprozessen nach 1922 untersucht; zugleich wird nach dem Einfluss der religiösen Prägekraft auf die Lebenswelt der Menschen zwischen den beiden Weltkriegen gefragt. Die Eindeutigkeit der als nationale interpretierten Entscheidung des Jahres 1921 erlaubte jedenfalls der katholischen Geistlichkeit kein weiteres Ausweichen vor der ‚nationalen Frage‘ mehr und holte sie mit Gewalt aus der sehr weit verbreiteten unparteiischen Haltung, die Bjork für die Zeit bis 1918 ausführlich nachgewiesen hat, heraus. Emil Szramek, ein prominenter oberschlesischer Geistlicher der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, stellte in diesem Kontext fest: „Die Priester denken flüssig in den Kategorien der Kirche und des Staates. Aber sie haben Schwierigkeiten, in den nationalen Kategorien zu denken.“49 Die Involvierung der katholischen Kirche in die nationalistischen Auseinandersetzungen zwang diese Institution in eine neue Rolle hinein, in der die überkommene distanzierte Einstellung gegenüber dem Nationalismus nicht mehr zu halten war. Während der Zeit des Plebiszits zeichneten sich aber schon zwei mögliche Strategien ab, die für den Umgang der Kirche mit dem vordringenden Nationalismus in Oberschlesien wegweisend werden konnten. Die eine akzeptierte die nationalpolitische Polarisierung der Gläubigen und wollte sie aktiv in die eine oder andere Richtung beeinflussen; 45 Ebd., 161; Hitze: Carl Ulitzka, 321–337. Vgl. auch Falęcki, Tomasz: O narodowe oblicze katolickiego życia kościelnego na Górnym Śląsku. Polska – Stolica Apostolska – Niemcy 1919–1922, Kraków 2003. 46 Hitze: Carl Ulitzka, 37, 329–335. 47 Ebd. 48 Bjork: Neither German nor Pole, 214–266. 49 Szramek, Emil: Ks. Aleksander Skowroński, Katowice 1936, 8.

Nationalbildungsprozesse im preußischen Oberschlesien

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die andere versuchte wiederum, den kirchlichen Raum vor dem Fortschreiten der Nationalisierungsprozesse möglichst weit abzuschirmen. Die unmittelbare Nachkriegsperiode mit ihren Gewaltausbrüchen und bewaffneten Kämpfen und der Psychose der Abstimmungspropaganda kann damit als das zweite Schlüsselerlebnis in der Lebenswelt der Oberschlesier bezeichnet werden. Es handelte sich durchaus um eine Periode der allgegenwärtigen Politisierung und zugleich war es auch eine Kriegszeit. Diese bieten gemäß den gängigen Nationalismustheorien an sich die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nationalisierung der Massen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Nationalismus in Oberschlesien in den 1920er und 1930er tatsächlich seinen Anspruch auf die höchste politische Geltung und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz dieses Anspruchs erreichen konnte. Zur Analyse steht also die Handlungsrelevanz des Nationalen für gesellschaftliche Gruppen in einer von den Erscheinungen der Moderne bereits weitgehend erschlossenen Lebenswelt.

3.

Identitätsangebote und Identitätspraktiken im Lichte politischer Feiern

Um die Wahrnehmungen und Aneignungen der politischen Propaganda in Oberschlesien zu untersuchen, ist es zunächst notwendig, die Nationalisierungspolitik sowohl auf polnischer als auch auf deutscher Seite zu betrachten. Es werden daher im Folgenden die ein- und ausschließenden Mechanismen staatlichen Handelns erörtert, die sich auf beiden Seiten der Grenze an nationalen Kriterien orientierten. Dabei wird exemplarisch analysiert, wie die staatlichen Stellen in Polen und im Deutschen Reich versuchten, die Prinzipien eines ethnisch-sprachlichen Nationalismus zu verwirklichen und wie sie ihre entsprechende Propaganda inszenierten. Im Mittelpunkt der makrogeschichtlichen Untersuchung stehen die Plebiszitfeierlichkeiten, die in der Zeit zwischen 1924 und 1931 die aufwendigsten Inszenierungen des polnischen bzw. deutschen Staates im geteilten Oberschlesien darstellten. Die Erinnerung an die Abstimmung und die Zeit des „Abstimmungskampfes“ war in erster Linie in Deutschland „der wichtigste Baustein für den ‚Mythos Oberschlesien‘“.1 Das Abstimmungsergebnis galt dort als „der unschlagbare Beweis des Deutschtums Oberschlesiens“.2 Die polnische Seite hatte zwar weniger gute Gründe, des Jahrestages des Plebiszits zu gedenken, dennoch entwickelte sich zwischen den beiden regionalen Regierungsbehörden eine erinnerungspolitische Dynamik in der Auseinandersetzung um die Prägung des Geschichtsbildes der Oberschlesier. Im zweiten Schritt wird von einer Analyse der Absichten der politischen Führungen in Warschau und Berlin und der regionalen oberschlesischen Eliten zur Untersuchung der Wirksamkeit ihrer Entscheidungen aus alltagsgeschichtlicher Perspektive – also ‚von unten‘ – übergegangen. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht hierbei die Frage, wie sich die Spannungen und Probleme zwischen beiden Regierungen und politisch-gesellschaftlichen Eliten auf der lokalen Ebene niederschlugen und welche Auswirkungen sie in der unmittelbaren Realität des gesellschaftlichen Lebens hatten. Da hier Neuland in der Oberschlesienforschung betreten wird, ist ein solches Herangehen aus zwei Richtungen – durch einen Vergleich der deutschen und polnischen Nationalisierungsprozesse und ihrer Durchsetzungskraft in der Lebenswelt der Oberschlesier – in der Lage, einen besonderen Erkennt1

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Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 94. Juliane Haubold-Stolle befasst sich ausführlich mit dem Themenkomplex der deutschen und polnischen Erinnerungspolitik in Oberschlesien. In ihrer Analyse widmet sie sich auch den Abstimmungsfeiern als einem Kristallisationspunkt des deutsch-polnischen „Kampfes um Erinnerung“. Da die Autorin vordergründig auf die Einbettung und Wechselwirkung der auf Oberschlesien bezogenen Erinnerungspolitik im gesamtdeutschen bzw. -polnischen Diskurs fokussiert, konzentriert sich die vorliegende Studie in den Teilkapiteln 3.1. und 3.2. detaillierter auf die inneroberschlesischen Perspektiven und Auswirkungen der Plebiszitfeiern. Ebd.

Plebiszitfeiern im deutschen Teil Oberschlesiens

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nisgewinn zu erzielen. Dies betrifft sowohl die Eigenarten der jeweiligen Nationalisierungspolitik als auch die Formen ihrer Annahme oder Ablehnung durch die Bevölkerung. Im Anschluss daran wird das Augenmerk auf die katholische Kirche gerichtet und das Verhältnis des katholischen Klerus zu den politischen Inszenierungen bzw. politischen Versuchen der Einflussnahme im kirchlichen Raum skizziert. Dieser erste, makrogeschichtlich geprägte Blick auf das mögliche Spannungsfeld zwischen den nationalstaatlichen und kirchlichen Interessen wird zum Ende dieses Kapitels eine Perspektive auf eine eingehende Analyse von Identitätspraktiken der Oberschlesier im kirchlichen lokalen Raum eröffnen.

3.1.

Plebiszitfeiern im deutschen Teil Oberschlesiens

Bereits als die Ergebnisse des Plebiszits bekannt wurden, gab es spontane Feierlichkeiten. Viele, die für den Verbleib Oberschlesiens beim Deutschen Reich gestimmt hatten, schlussfolgerten aus dem veröffentlichten Resultat, dass das gesamte Abstimmungsgebiet beim deutschen Staat verbleiben würde. Dies verkündeten auch die offiziellen deutschen Stellen und feierten das Ergebnis als „überwältigenden Abstimmungssieg“ und „eine große Tat deutschen Willens“.3 Dies stand allerdings im Widerspruch zu den Regularien des Volksabstimmungsabkommens, das eine Entscheidung auf Grundlage der Abstimmungsergebnisse in den einzelnen Gemeinden vorsah.4 Dass die Region später doch von einer Staatsgrenze durchschnitten wurde, sah die deutsche Regierungspropaganda als „Unrecht“ und Oberschlesien als ein „vergewaltigtes“ Land an.5 Die Folgen der Teilung wurden als „die blutendste Wunde am leidenden Körper“ Deutschlands dargestellt.6 Der Jahrestag des Plebiszits wurde so zum Anlass für die Inszenierung alljährlicher Protestkundgebungen der deutschen Bevölkerung gegen die Entscheidung der Alliierten und gegen das ganze ‚Versailler System‘. Im März 1924 wurde ein Aufruf des Oberpräsidenten von Oppeln, Alfons Proske, sowohl auf Deutsch als auch auf Polnisch in der oberschlesischen Presse veröffentlicht.7 Der höchste Beamte der Provinzialverwaltung suggerierte darin, dass Oberschlesien und seine Bevölkerung durch eine Entscheidung fremder Mächte und „ohne Berücksichtigung des wahren Willens des oberschlesischen Volkes“ zerrissen worden wären. Dies habe die schlechte wirtschaftliche Lage der gesamten 3 4 5 6 7

Grußwort Dr. Knackricks. In: Oberschlesien 8/3 (1931) 7. Zit. nach Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 95. Tooley: National Identity, 51. Kretschmar, Curt: Vor zehn Jahren! Der Abstimmungskampf um Oberschlesien. In: POS 15 (1931) 97–99. Zit. nach Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 95. Grußwort Lukaschek. In: Oberschlesien 8/3 (1931) 6. Zit. nach Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 96. APOp, OP 34, Bl. 9f.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

Region, insbesondere unter den Umsiedlern aus dem polnisch gewordenen Teil Oberschlesiens, verursacht. Proske forderte Treue zu den verlorenen Gebieten und zum Vaterland. Er rief zur Erinnerung an das „Unrecht“ auf, das den Oberschlesiern widerfahren wäre.8 Unter diesem Motto wurden in den folgenden Jahren, jeweils zum 20. März bzw. an den Tagen davor oder danach, ‚vaterländische‘ Abende und Gedenktage anlässlich der Wiederkehr des Abstimmungstages abgehalten.9 Die ersten Jahrestage des Plebiszits 1922 und 1923 wurden noch unkoordiniert und ohne einheitliche Leitmotive begangen. Erst der Aufruf von Proske trug dazu bei, dass grundlegende Aspekte der deutschen Propaganda in Oberschlesien während der Abstimmungsfeierlichkeiten 1924 nun Form gewannen. In einem Schreiben, das wenige Tage vor dem Gedenktag vom Oberpräsidenten an alle Landräte und Oberbürgermeister der Provinz verschickt wurde, lassen sich die politischen und gesellschaftlichen Ziele der Provinzialbehörde deutlich erkennen.10 Die Abstimmungsfeierlichkeiten sollten die beste Gelegenheit bilden, um der Weltöffentlichkeit ins Gedächtnis zu rufen, dass das Deutsche Reich durch die Abstimmung im März 1921 ausreichend legitimiert sei, ganz Oberschlesien zu regieren. Sie sollten aber auch nach innen wirken und der oberschlesischen Bevölkerung stets „ins Bewusstsein bringen“, dass es sich bei der alliierten Teilungsentscheidung über Oberschlesien um „einen ungerechten Spruch“ gehandelt habe, „dessen Revision einmal unbedingt erfolgen muss“. Die Betonung der inneroberschlesischen Perspektive spielte für Proske eine besonders wichtige Rolle. Er war beunruhigt, dass „die Bevölkerung selbst schon so kurze Zeit nach der Abstimmung eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber diesem großen Schicksalstag Oberschlesiens“ zeige. So bedauerte er, dass „in einem großen Teil [der] Bevölkerung die Initiative zu einem gewissen nationalen Schwung“ fehle. Deshalb sei es „die Sache der amtlichen Stellen, im allgemeinen vaterländischen Interesse [und] zur Belebung des nationalen Geistes, der nationalen Stimmung immer wieder nachzuhelfen“. Dies sei insbesondere „in diesem so gefährdeten Grenzgebiet“ erforderlich und müsse daher „von allen von einem positiven nationalen Geiste durchdrungenen Deutschen ausgenutzt werden, um die Bevölkerung national aufzumuntern“. Das Schreiben von Proske ist also auch ein Hinweis auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Stimmung in der oberschlesischen Provinz. Offensichtlich konnte die Abstimmungspropaganda von 1921 keinen nachhaltigen gesellschaftlichen Trend erzeugen: Nach der Hochzeit des Nationalismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit blieb ein Großteil der Oberschlesier schon wenige Jahre später der ‚nationalen Sache‘ gleichgültig und fern.

8 Ebd. Vgl. auch „Erinnerung an die oberschlesische Abstimmung“. In: Schlesische Zeitung 135 vom 20. März 1924. 9 Zum Gedenktag 1924 vgl. „Der Gedenktag Oberschlesiens“. In: Schlesische Zeitung 139 vom 22. März 1924. 10 Oberpräsident Proske an alle Landräte und Oberbürgermeister der Provinz Oberschlesien am 17. März 1924: APOp, OP 34, Bl. 17f.

Plebiszitfeiern im deutschen Teil Oberschlesiens

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Die Abstimmungsfeiern sollten jedoch nicht nur die Weltöffentlichkeit und die gesamtdeutsche Gesellschaft für „das oberschlesische Leid“ sensibilisieren und die Oberschlesier selbst aufrütteln. Sie waren ebenfalls gegen den östlichen Nachbarn gerichtet. Die polnische Seite wiederum war verständlicherweise gegenüber revisionistischen Tönen besonders empfindlich. Sie beobachtete die Aktivitäten der deutschen Behörden und registrierte die Inhalte der politischen Inszenierungen. Der polnische Konsul in Beuthen O.S. berichtete beispielsweise über programmatische Zeitungsartikel im Umfeld des Abstimmungsgedenktages 1924.11 Es fällt dabei auf, dass auf deutscher Seite unabhängig von der parteipolitischen Couleur die gleichen außenpolitischen Töne angeschlagen wurden. Die oberschlesische Presse hob parteiübergreifend hervor, dass die Teilung des Gebietes unverständlich sei und als Resultat einer polnisch-französischen Verschwörung angesehen werden müsse. Überdies sei es zu einer gewaltsamen nachträglichen Manipulation der Abstimmung gekommen, als der dritte polnische Aufstand ein Urteil der Siegermächte erzwungen habe, das mit den Abstimmungsergebnissen im Widerspruch stehe. Zudem sei der neue Grenzverlauf, der den Hauptteil des Industriereviers von der deutschen Provinz abschnitt, die Ursache für die schlechte wirtschaftliche Lage der Region. Die östliche Vorkriegsgrenze Oberschlesiens sei seit sechs Jahrhunderten unangetastet geblieben und markiere den äußersten Rand der westlichen Zivilisation. Jetzt aber sei sie im Zug der französisch-polnischen Tätigkeit zerstört worden.12 Solche und ähnliche Stimmen riefen unüberhörbar nach einer Beseitigung der als ungerecht empfundenen Grenze. Zudem stellten sie heraus, dass man die im polnischen Teil des Gebiets verbliebenen Deutschen nicht vergessen habe und dass sie nach wie vor ein wertvoller Bestandteil der deutschen Gemeinschaft seien.13 Der Abstimmungsgedenktag sollte die Einigkeit des ganzen deutschen Volkes auch über die staatlichen Grenzen hinaus unterstreichen. Seine inhaltliche Gestaltung richtete sich auch gegen die in Deutschland aufkommenden Stimmen, dass die in Polen gebliebenen Deutschen ihr nationales Bewusstsein aufgegeben hätten und damit nicht als Teil der Nation betrachtet werden dürften.14 Diese Betonung des nationalen Zusammenhalts war eindeutig nach außen gerichtet: an die deutsche Diaspora in Oberschlesien und an den dort dominierenden und nationalisierenden polnischen Staat.15

11 Raport polityczny Konsula Aleksandra Szczepańskiego do Ministerstwa Spraw Zagranicznych z dnia 26 marca 1924: AAN, Konsulat Generalny RP w Opolu, 162, Nr. 82. 12 Darüber berichteten Oberschlesische Volksstimme 81 vom 21. März 1924, Oberschlesische Zeitung 68 vom 20. März 1924 und Ostdeutsche Morgenzeitung 68 vom 20. März 1924. Zit. nach Raport polityczny Konsula Aleksandra Szczepańskiego do Ministerstwa Spraw Zagranicznych z dnia 26 marca 1924: AAN, Konsulat Generalny RP w Opolu, 162, Nr. 82. 13 Leitartikel von Kurt Urbanek. In: Oberschlesische Zeitung 68 vom 20. März 1924. 14 Ebd. 15 Ebd.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

Dem Ablauf und Inhalt der Feierlichkeiten brachten die deutschen Behörden wachsendes Interesse entgegen. Nachdem 1923 staatliche Stellen kaum an der Organisation von Veranstaltungen mitgewirkt hatten, änderte sich dies im folgenden Jahr, als durch eine Reihe von gezielten Zeitungsartikeln, die Proskes Aufruf propagierten, vaterländische Abende und Gedenkveranstaltungen initiiert wurden, die bereits ein einheitliches Programm aufwiesen. Ein Jahr später nahm der Abstimmungsjahrestag insofern eine offizielle Form an, als er große Kundgebungen in vielen oberschlesischen Städten umfasste, zu denen sich führende Vertreter der nationalistischen Organisationen mit Festreden zu Wort meldeten.16 Den Impuls zu diesen Gedenkveranstaltungen gab wieder der oberschlesische Oberpräsident Proske, mit dem Ziel, „in schlichter, aber eindrucksvoller Form ein erneutes Treuebekenntnis zum Deutschen Reich und Preußischen Staat und einen Protest gegen die willkürliche Zerreißung Oberschlesiens zum Ausdruck zu bringen“.17 Einen vorläufigen Höhepunkt der Plebiszitfeiern bildete der fünfte Jahrestag des Volksentscheids. Sowohl die veränderte internationale Lage Deutschlands als auch die innere Entwicklung in Oberschlesien trugen dazu bei, dass die Peripherie des Reichsgebiets erneut ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte. Im Sommer 1925 kam es zum Ausbruch des sogenannten Zollkrieges, der sich auf die Aus- und Einfuhr oberschlesischer Kohle bezog und an der neuen deutsch-polnischen Grenze eskalierte. Im Oktober des gleichen Jahres wurden die diplomatischen Verhandlungen in Locarno abgeschlossen, welche die endgültige Festlegung der deutschen Ostgrenze offen ließen. Beide Ereignisse entzündeten einen emotional aufgeladenen Streit zwischen den Regierungen.18 Die politische Elite der oberschlesischen Provinz erkannte sehr schnell die propagandistischen Potentiale, die sich für die wirtschaftlich gebeutelte Region boten, und begann eine Werbekampagne, durch die sie politische und finanzielle Hilfe für Oberschlesien zu erreichen suchte. Die Wahrnehmung Oberschlesiens in der deutschen Öffentlichkeit sollte durch das Bild eines wirtschaftlich stark bedrohten Grenzlandes geprägt werden und nationale Solidarität herbeiführen.19 Wie Juliane Haubold-Stolle herausgearbeitet hat, führte „die unablässige Werbung für Oberschlesien, der Hinweis auf die Schädigung durch den Versailler Vertrag und der Verweis auf den Grenzkampf mit dem slawischen Nachbarn“ dazu, dass die 16 Vgl. „Oberschlesische Gedenktage“. In: Ostdeutsche Morgenpost 82 vom 23. März 1925; „Die offene Wunde“. In: Oberschlesische Volksstimme 81 vom 23. März 1925; „Dem Andenken des Abstimmungstages“. In: Ratiborer Nachrichten 68 vom 24. März 1925; Raport polityczny Konsula Aleksandra Szczepańskiego do Ministerstwa Spraw Zagranicznych z dnia 26 marca 1925: AAN, Konsulat Generalny RP w Opolu, 162, Nr. 118. 17 Oberpräsident Proske an alle Landräte und Oberbürgermeister der Provinz Oberschlesien am 24. Februar 1925: APOp, OP 34, Bl. 54. 18 Schattkowsky, Ralph: Deutschland und Polen von 1918/19 bis 1925. Deutsch-polnische Beziehungen zwischen Versailles und Locarno, Frankfurt a. M. u. a. 1994, 303–318. 19 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 87f.

Plebiszitfeiern im deutschen Teil Oberschlesiens

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deutsch-polnische Grenze in Oberschlesien „offen und umstritten“ blieb. Dennoch war die Revision des Grenzverlaufs zunächst nur das Fernziel: „Nahziel war die finanzielle und kulturelle Förderung der Provinz.“20 Dieser Strategie kam der fünfte Jahrestag der Abstimmung sehr gelegen: Zum einen konnte die Botschaft an die deutsche Öffentlichkeit in den offiziellen Feiern medienwirksam zum Ausdruck gebracht, zum anderen die oberschlesische Bevölkerung im Rahmen der Kundgebungen nationalpolitisch mobilisiert werden. Schon im Januar 1926 bildete sich eine Sonderkommission für die Vorbereitung des Feiertages, an deren Spitze der Beuthener Landrat und frühere deutsche Plebiszitkommissar Kurt Urbanek stand und in der sich angesehene Repräsentanten aus Staat und Gesellschaft zusammenfanden. An der Gestaltung der Feier beteiligten sich sämtliche Regierungsparteien sowie verschiedene paramilitärische und heimatliche Vereine unter der Obhut der „Vereinigten Verbände Heimattreuer Oberschlesier“ (VVHO) und des für den nationalistisch orientierten Nachwuchs zuständigen „Jungdeutschlands“. Der erste Festakt fand am 21. März in verschiedenen oberschlesischen Städten statt und bestand aus Kundgebungen, an denen sich auch Vertreter der regionalen Elite beteiligten. Eine Neuigkeit stellte die Einbeziehung der aus ganz Deutschland und Österreich angereisten Studentenverbindungen dar, die wahrscheinlich darauf abzielte, die Jugend mit der täglichen ‚nationalen Kampferfahrung‘ im Grenzgebiet vertraut zu machen.21 Eine Woche später, am 28. März 1926, wurde die Abstimmungsfeier in Oppeln, dem Sitz der oberschlesischen Provinzialregierung, mit einer aufwendigen offiziellen Kundgebung gekrönt. Die Stadt legte ein „festliches Gewand“ an, wie es die „Oberschlesische Volksstimme“ am Folgetag in lebhaften Farben beschrieb: Überall „grüßten“ Nationalfahnen; auf der Hauptstraße wurde eine Ehrenpforte errichtet, versehen mit der Inschrift „Gedenke, dass Du ein Deutscher bist“.22 Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Teilnahme zahlreicher Gäste aus Berlin, die am Oppelner Ring vom versammelten Publikum und aus allen Fenstern, von Balkonen und sogar von den Dächern begrüßt wurden. Einen enthusiastischen Beifallsturm erntete auch der ehemalige Kommandant des Selbstschutzes, General Karl von Höfer, da „ohne Höfers und des Selbstschutzes aufopferungsvolles Werk in Oppeln wahrscheinlich nicht preußische und deutsche, sondern polnische Behörden die Landesgedenkfeier abhalten würden“.23 Der erste Teil der offiziellen Feier fand im reich dekorier20 Ebd., 88f. 21 Raport polityczny Konsula Aleksandra Szczepańskiego do Ministerstwa Spraw Zagranicznych z dnia 30 marca 1926: AAN, Konsulat Generalny RP w Opolu, 162, Nr. 147; Mendel, Edward: Piąta rocznica górnośląskiego plebiscytu w Opolu i Katowicach. In: Wczoraj – Dzisiaj – Jutro 5 (1971) 88–92. 22 „Abstimmungsfeier in Oppeln“. In: Oberschlesische Volksstimme 75 vom 29. März 1926. 23 Kommentar des Redakteurs Hans Schadewaldt. In: Ostdeutsche Morgenpost 88 vom 29. März 1926.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

ten Stadttheatersaal statt und wurde von musikalischen Darbietungen örtlicher Chöre und Orchester sowie von einer Festrede des Beuthener Landrats und ehemaligen deutschen Plebiszitkommissars Kurt Urbanek umrahmt. Anschließend hielt der Reichsinnenminister Wilhelm Külz (DDP) eine Ansprache im Namen des Reichspräsidenten von Hindenburg. Darauf folgte der zweite Festakt, der sich auf dem Ring abspielte und bei welchem der preußische Innenminister Carl Severing (SPD) ans Rednerpult trat. Die drei offiziellen Reden geben ausführlich Auskunft über die Inhalte der deutschen Politik in Oberschlesien.24 Kurt Urbanek wies in erster Linie auf das „Unrecht an Oberschlesien“ hin, das trotz des „klaren deutschen Abstimmungssieges“ begangen worden sei. Er erinnerte an den „gewalttätige[n] Bruch“ und „die Zerreißung des im Friedensvertrag verbrieften, des hoch und heilig verkündeten Gottesfriedens durch den von Herrn Korfanty ausgerufenen Aufstand“.25 Anschließend pries Urbanek in den höchsten Tönen den „heldensinnig[en] Selbstschutz“, dessen „Vaterlandsliebe und Selbstaufopferung“ vorbildlich für die nächsten Generationen seien. So kontrastierte er „den Terror der Polen“ mit dem heroischen und gerechten Kampf der deutschen Verbände. Schon wenige Jahre nach der Teilung sei sich jedoch „jeder Oberschlesier [darüber einig], mag er deutsch oder polnisch gesinnt sein“, dass es „nur eine Rettung, nur eine Lösung für die hier sich jetzt in unerhörter Fülle häufenden Nöte“ gebe: „die Wiedervereinigung beider Oberschlesien“. Hiermit wurde der zentrale Punkt der politischen Anstrengungen der Provinzialbehörden in aller Öffentlichkeit kräftig unterstrichen: die Revision der Grenze. Dieses politische Ziel schwebte parteiübergreifend der oberschlesischen politischen Elite vor und wurde insbesondere vom Zentrum vorangetrieben. Juliane Haubold-Stolle stellt in diesem Zusammenhang fest, dass „selbst die oberschlesischen Zentrumspolitiker wie Carl Ulitzka nicht verstanden, wie sehr die Revisionsforderung das polnische Bedrohungsgefühl verstärken musste“.26 Die Rede Urbaneks wurde vom polnischen Konsul in Beuthen O.S. als ein reales Bedrohungsszenario eingestuft und schleunigst nach Warschau weitergeleitet.27 Külz und Severing verzichteten in ihren Ansprachen auf eine detaillierte Darlegung, wie es zur Teilung Oberschlesiens gekommen war. Sie richteten ihr Augenmerk vielmehr auf ganz Deutschland und auf den Stellenwert Oberschlesiens im 24 Die Inhalte der Reden nach „Abstimmungsfeier in Oppeln“. In: Oberschlesische Volksstimme 75 vom 29. März 1926. 25 Beim zehnten Jahrestag der Abstimmung 1931 steigerte Kurt Urbanek seine rhetorische Überzeichnung der Aufstände und bezeichnete sie als „Deutschenpogrome“. Grußwort Kurt Urbanek. In: Oberschlesien 8/3 (1931) 7. Zit. nach Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 95. 26 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 99. Ausführlicher zur Stellung Carl Ulitzkas in der Revisionsfrage vgl. Hitze: Carl Ulitzka, 970–977. 27 Raport polityczny Konsula Aleksandra Szczepańskiego do Ministerstwa Spraw Zagranicznych z dnia 30 marca 1926: AAN, Konsulat Generalny RP w Opolu, 162, Nr. 147.

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gesamtstaatlichen Zusammenhang. Im Namen des Deutschen Reiches dankte Wilhelm Külz den Oberschlesiern für den Mut, sich in den Zeiten schwerster Not zu Deutschland zu bekennen, ein Bekenntnis, das „ein gewaltiges, geschichtliches Monument der deutschen Treue“ selbst und der Treue zum großen deutschen Vaterland und der Heimatliebe gewesen sei. In der Darstellung des Reichsinnenministers handelten die Oberschlesier also nach nationalen Mustern. Külz beschwor die deutsche Gemeinschaft, die „mit den deutschen Brüdern und Schwestern“ trotz der Teilung Oberschlesiens über die Grenzen hinweg weiterhin bestehe. Darüber hinaus betonte er, dass diese Grenzen „niemals durch unsere Herzen gehen“ würden und dies „keine Gewalt der Erde fertig bringen“ werde. Einem Pressebericht zufolge beantwortete die versammelte Menge diese Aussage des Ministers mit lebhaftem Beifall. Auf diese Art und Weise wurde die Integrität des nationalen Territoriums beschworen und zwar in den Grenzen, wie sie von der Regierung definiert wurden. Die auf der polnischen Seite verbliebenen „Brüder und Schwestern“ wurden direkt in den nationalen politischen Forderungskatalog integriert: „Bekennt Euch immer zum Deutschtum, denkt immer an uns, bleibt uns treu, bleibt treu dem deutschen Vaterlande, deutscher Kultur und deutscher Gemeinschaft. [...] Haltet Euren Willen lebendig.“ Külz fuhr mit der Bemerkung fort, dass „das deutsche Kulturvolk“ jegliche Unterdrückung der nationalen Minderheiten im eigenen Staatsgebiet als „unwürdig“ ablehne und daher die deutsche Minderheit im Ausland die ihr gebührende Achtung und Freiheit verlangen dürfe. Somit unterstrich er den nach außen orientierten Charakter des deutschen Nationalstaates – wie dies für die nationalistisch geprägte Politik der Zwischenkriegszeit von Rogers Brubaker plausibel herausgestellt wurde.28 Dabei handelt es sich um eine grenzüberschreitende Form des Nationalismus, der durch Verbindungen zu Landsleuten gekennzeichnet ist, die als nationale Minderheit in anderen Staaten leben. Külz sprach zwar nicht unmittelbar von einer Revision der deutsch-polnischen Grenze. Aber anschließend hob er die „große, einige, innerlich verbundene Gemeinschaft“ hervor, die sich „ohne Chauvinismus [...] mit Stolz betrachten“ dürfe. Er argumentierte: „Das Deutschtum besteht nicht in der Verkörperung einer nationalen Idee, sondern in der Verkörperung der Menschheitsideale. Das, was das Deutschtum der Welt in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und geschichtlicher Beziehung an Großtaten geschenkt hat, das steht vor der Geschichte allezeit fest, das kann kein Neid und keine Missgunst mindern. Dass es feststeht, darf uns mit berechtigtem Stolz erfüllen. Mit Selbstvertrauen dürfen wir trotz der Not unsere Blicke vorwärts und aufwärts richten. Wir dürfen immer wieder täglich mit Freude bekennen: wir danken Gott, dass wir Deutsche sind!“ Külz entwarf in seiner Rede einen ideologischen Rahmen, in dem als wichtigster Bezugspunkt für die kollektive Identität der Zuhörer die positiv formulierte Zugehörigkeit zur deutschen Nation hervorgehoben wurde. Er ging nicht direkt 28 Brubaker: Nationalism reframed, 79–147.

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auf revisionistische Forderungen ein, verzichtete auch auf eine ‚harte‘ Wortwahl im Kontext der Grenzproblematik. Dennoch klingt aus seiner Rede ein Gefühl der Überlegenheit über den östlichen Nachbarn heraus. Es scheint, dass dieses Denkmuster von der gesamten politischen Elite der Weimarer Republik geteilt wurde, auch von denjenigen Politikern, die vor dem Hintergrund der deutschen Parteienlandschaft als gemäßigt eingestuft werden müssen. Die nationale Überhöhung, „diese innerliche Erfassung des Deutschtums“, wie sie Wilhelm Külz nannte, sollte nach seiner Überzeugung über Generationen hinweg erhalten bleiben. Külz wies der deutschen Mutter die „heilige und große Mission“ zu, die Zukunft des Volkes zu sichern und an ihre Kinder die nationalen Gefühle weiterzugeben, damit „wir deutsche Brüder und Schwestern in unserer Schicksalsgemeinschaft weiterleben und schaffen“ können. Somit wurde auch den Frauen, allerdings nur denen, die zur Vermehrung der Nation und dadurch zur Größe der Gemeinschaft beitrugen, eine konkrete Position im national vorgestellten Kollektiv zugeteilt und zwar mit einer wichtigen ‚nationalen‘ Aufgabe. Zum Schluss hob Külz auf eine zukünftige Erlösung der Nation ab und beschwor „einen tiefen Auferstehungsglauben“ des deutschen Volkes, welches „vorwärts und aufwärts will [und] auch aufwärts kommen wird, wenn es den Drang in sich fühlt“. Den Festakt im Theatersaal schloss ein gemeinsames Singen des Deutschlandliedes ab. „Eine gewaltige Kundgebung, die wie ein Schwur an das Vaterland klang“, resümierte der Redakteur der „Oberschlesischen Volksstimme“.29 Die Rede des preußischen Innenministers auf dem Oppelner Ring enthielt zwei neue Momente. Severing griff zunächst zu einer kriegerischen Rhetorik und verlieh dem oberschlesischen Plebiszit den Charakter eines militärischen Siegeszugs. Dieser sei, wie so viele ruhmreiche Schlachten, vom deutschen Volk festlich zu begehen. Auf diese Weise versuchte Severing, das Plebiszit in eine Reihe von Traditionen wie etwa die Sedan-Feiern zu integrieren, die in der Vergangenheit erheblich zur Konstituierung eines deutschen Nationalbewusstseins beigetragen hatten.30 Gleichzeitig erklärte er die an der „Schlacht für die Nation“ direkt Beteiligten zu Nationalhelden und unterstrich die von ihnen erlebte und erfahrene Zugehörigkeit zur „deutschen Volksgemeinschaft“. Der sozialdemokratische Minister verschob anschließend die Akzente auf den deutschen „Kampf der Idee gegen die Gewalt“, der „die Irrtümer der Interalliierten Kommission“ berichtigen müsse: „Ich meine nicht, dass wir diesen Kampf mit Handgranaten und Maschinengewehren gegen die Polen ausführen sollen. Nicht nur Oberschlesien blutet aus tausend wirtschaft29 „Abstimmungsfeier in Oppeln“. In: Oberschlesische Volksstimme 75 vom 29. März 1926. 30 Vgl. Confino, Alon: Localities of a Nation. Celebrating Sedan-Day in the German Empire. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 26 (1997) 61–74; Schneider, Ute: Einheit ohne Einigkeit. Der Sedantag im Kaiserreich. In: Behrenbeck/Nützenadel (Hg.): Inszenierungen des Nationalstaats, 27–44; Linek, Bernard: Der Sedantag – Nationalfeiertag des deutschen Kaiserreichs in Oberschlesien. In: Haubold-Stolle/Linek (Hg.): Górny Śląsk wyobrażony, 179–190.

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lichen Wunden. Europa, das ganze Europa, ist heute sterbenskrank, und ein neuer blutiger Kampf könnte die Heilung Europas nur hintanhalten. Ich spreche also nicht von dem Rüstzeug der Waffen, ich spreche von dem Kampf, den wir heute führen sollen als gute Deutsche und als gute Weltbürger. Ich spreche von dem Kampf, der mit den Waffen des Geistes ausgefochten werden soll und in dem wir Sieger bleiben, wenn jeder auf seinem Posten steht. [...] Wir wollen zu einer hohen Kultur, wir wollen zu wahrer Menschlichkeit gelangen. Und in diesem Kampf um deutsches Deutschtum, um diese deutsche Kultur werden wir Sieger bleiben, wenn jeder Einzelne sich bemüht, besser zu sein als der östliche Nachbar ist.“31 Severing äußerte demnach keine Kriegsdrohungen gegenüber Polen – im Gegensatz zum rechten Flügel der politischen Szene in der Weimarer Republik, der eine sofortige Entscheidung an der Ostgrenze forderte.32 Er setzte sich für eine friedliche Lösung des oberschlesischen Grenzkonflikts ein und ähnlich wie zuvor Wilhelm Külz ersetzte er eine potentielle Gewaltanwendung durch das populäre Bild einer zivilisatorisch-kulturellen Überlegenheit Deutschlands. Dennoch ist seine Stellungnahme als souverän und mutig einzuschätzen. Er sprach der oberschlesischen gesellschaftlichen Elite wohl nicht aus der Seele, wenn er zur Geduld und Selbstdisziplin aufrief und die Lage Oberschlesiens nicht in schwarz-weißen griffigen Bildern beschrieb. Was in den analysierten Reden auffällt und ebenfalls die Inhalte anderer Festakte charakterisiert, ist der Stellenwert der polnischen Minderheit in der Politik der Weimarer Republik. Die in der Provinz Oppeln lebenden slawophonen Minderheiten stellten in der Innenpolitik des deutschen Staates kein sehr wesentliches Problem dar. Dies betraf insbesondere die national indifferente, aber dem deutschen Staat gegenüber loyale Bevölkerung, die von den regierenden Parteien weder politisch noch ökonomisch als Gefahr wahrgenommen wurde. Das oberschlesische ‚schwebende Volkstum‘ hatte ohnehin keine eigene Repräsentanz mit ausgeprägten politischen Konturen. Es unterstützte vorwiegend das katholische Zentrum, dessen politische Tätigkeit von der Breslauer Kurie und ihren Priestern vor Ort aktiv propagiert und teilweise direkt mitgestaltet wurde. Darüber hinaus verließen über 60.000 Polen bzw. sich zum Polentum bekennende Oberschlesier nach der Abstimmung den deutsch gebliebenen Teil Oberschlesiens, darunter nahezu vollzählig die Angehörigen jener slawophonen Elite, die sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu entwickeln begonnen hatte.33 Die Abwanderung der polnisch orientierten Führungsschicht – einerseits durch Ausschreitungen und Überfälle der paramilitärischen deutschen nationalistischen Verbände verursacht, andererseits durch den er31 „Abstimmungsfeier in Oppeln“. In: Oberschlesische Volksstimme 75 vom 29. März 1926. 32 Hitze: Carl Ulitzka, 845–848. 33 Masnyk, Marek: Die Situation der Polen im Oppelner Regierungsbezirk in den zwanziger und dreißiger Jahren. Ein Problemüberblick. In: Struve (Hg.): Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg, 97–110, hier 103f.

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hofften sozialen Aufstieg im polnischen Staat begünstigt – trug dazu bei, dass die deutschen Regierungsstellen die verbliebene slawophone Bevölkerung als assimilierungsfähig ansahen.34 Das oberschlesische Zentrum betrachtete die slawophonen Einwohner der Provinz prinzipiell als loyale preußische Bürger. Demzufolge wurden sie während der politischen Feierlichkeiten nicht angegriffen. Die gegen Polen vorhandenen Vorurteile, die in der Zeit der Abstimmungspropaganda noch aktiviert und instrumentalisiert worden waren, richteten sich nun größtenteils gegen den neuen polnischen Staat, spielten aber nach innen hin bei der propagandistischen Durchführung der Erinnerungspolitik keine erstrangige Rolle mehr. Die deutschen Behörden bemühten sich vielmehr, die Angehörigen der polnischen Minderheit und die national indifferenten, slawophonen Einheimischen für den deutschen Staatsgedanken zu gewinnen. Sie betrieben eine gewaltlose, langfristige, vor allem aber nicht ethnisch, sondern staatspolitisch zu verstehende Assimilation.35 In diesem Zusammenhang müssen auch die vom Oberpräsidenten veröffentlichten Aufrufe zu den Abstimmungsgedenktagen gesehen werden. Alfons Proske betonte darin das „treue Zusammenhalten für die Heimat“ und gab sein politisches Glaubensbekenntnis kund: „So wollen wir auch nichts mehr wissen von einem erst von außen her in unsere Heimat hineingetragenen Gegensatz zwischen deutschsprechenden und zwischen polnischsprechenden Oberschlesiern. Wir gehören alle in gleicher Weise unserer Heimat wie sie uns. So sollen die Abstimmungsgedenkfeiern auch den Heimatgenossen gegenüber, die anders dachten und fühlten als die Mehrheit, vom Geiste völligster Versöhnung und heimatlicher Brüderlichkeit getragen sein. Das ist mein besonderer Wunsch, meine besondere Bitte für die Abstimmungsgedenkfeiern!“36 Die Aufrufe erschienen zudem über die ganzen 1920er Jahre nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Polnisch und belegen so exemplarisch die erwähnte These.37 Durch solche sprachliche Gleichberechtigung bemühten sich die Provinzialbehörden gleichzeitig, dem Kattowitzer Wojewodschaftsamt keinen Anlass zur Diskriminierung der deutschen Minderheit im polnischen Teil Oberschlesiens zu geben.38 Darüber hinaus sollten Polizeiorgane „jeder Belästigung von Angehörigen 34 Niendorf, Mathias: Die Provinz Oberschlesien und ihre polnische Bevölkerung. In: Jaworski/ Wojciechowski (Hg.): Deutsche und Polen zwischen den Kriegen, 811–816, hier 814. 35 Hitze: Carl Ulitzka, 672f. 36 Aufruf des Oberpräsidenten Proske an alle Oberschlesier am 17. März 1926: APOp, OP 34, Bl. 321. 37 Vgl. beispielsweise die Verordnung des Oberpräsidenten Proske vom 16. März 1926: APOp, OP 34, Bl. 318f., wo er explizit darauf Wert legt, 2.500 Aufrufplakate auf Deutsch und 2.500 auf Deutsch und Polnisch drucken und letztere besonders auf dem Land anschlagen zu lassen. 38 Oberpräsident Proske an alle Landräte und Oberbürgermeister der Provinz Oberschlesien und den Polizeipräsidenten in Gleiwitz am 7. März 1926: APOp, OP 34, Bl. 296. Vgl. auch das Schreiben des Beuthener Landrats Urbanek an den Oberpräsidenten vom 8. März 1926: ebd., Bl. 301.

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der polnischsprechenden Minderheit mit aller Entschiedenheit entgegentreten“.39 Die Abstimmungsgedenkfeiern im deutschen Teil Oberschlesiens konnten nach Auffassung von Proske nur dann verantwortet werden, wenn sie „ohne Behelligung von Angehörigen der Minderheit ruhig und würdig verlaufen“ würden.40 Den Behörden war es zugleich bewusst, dass Störungen der Veranstaltungen nicht nur politischen Motiven entspringen, sondern auch durch Alkoholkonsum verursacht werden konnten. So wurden besonders auf dem Land die Feierlichkeiten auf Sonntage und die Vormittagsstunden bzw. auf die Mittagszeit „nach der Kirche“ gelegt, um „einen völlig störungslosen, würdigen Verlauf“ zu gewährleisten.41 Symptomatisch war dabei, dass nicht nur die alkoholisierte Landbevölkerung als potentieller Störer der Feiern gefürchtet wurde. In der Korrespondenz der regionalen Behörden lassen sich auch generelle Misstrauenstöne gegenüber den Dorfbewohnern feststellen. So postulierte Landrat Urbanek vor dem fünften Jahrestag der Abstimmung 1926, „Umzüge, insbesondere Fackelzüge […] nur in den Städten, nicht aber in den Landgemeinden“ zu veranstalten. Auf dem Land, „wo die Überwachung nicht so einfach“ sei, forderte er, „etwaige Veranstaltungen auf rednerische Darbietungen, vielleicht von Musikchören umrahmt, zu beschränken“.42 Diese Aussage verdeutlicht, dass von den Behörden durchaus ein Stadt-Land-Gefälle in Bezug auf die Integration der jeweiligen Bevölkerungsgruppen in das öffentliche politische Leben wahrgenommen wurde. Sie zeigt zugleich, dass die Vertreter des Staates nur einen begrenzten Zugang und folglich Einflussnahme auf das öffentliche Leben in den Dörfern hatten.43 Trotz des latenten Misstrauens und der durchaus unvollständigen Präsenz auf dem Land bemühte sich die politische Elite der Provinz über die ganzen 1920er Jahre hinweg um eine nachhaltige und gewaltlose Assimilationspolitik gegenüber der ländlichen Bevölkerung. Eine solche Heranführung und dauerhafte Bindung der slawophonen Bevölkerungsteile an den deutschen Staat konnte jedoch nur solange durchgesetzt werden, wie in Preußen eine Regierung amtierte, die in Fragen der Minderheitenpolitik mit den Grundüberzeugungen des Zentrums übereinstimmte. Aus diesem Grund funktionierten die Einschlussmechanismen gegenüber der Minderheit nur bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung, in deren Folge ein rassistisch geprägter Nationalismus mit klar definierten Feindbildern eine eindeutige Trennung des ‚slawischen‘ und ‚germanischen Elements‘ propagierte. Das Leitmotiv der ‚Volkstumspolitik‘ der Weimarer Republik war die Verbundenheit des deutschen Volkes mit den deutschen Minderheiten jenseits der Gren39 Oberpräsident Proske an alle Landräte und Oberbürgermeister der Provinz Oberschlesien und den Polizeipräsidenten in Gleiwitz am 7. März 1926: APOp, OP 34, Bl. 296. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Beuthener Landrat Urbanek an den Oberpräsidenten in Oppeln am 8. März 1926: APOp, OP 34, Bl. 301f. 43 Vgl. Dörner: Staat und Nation im Dorf, 261–276.

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zen. Sie konnten nämlich für die grundlegenden Ziele der Außenpolitik instrumentalisiert werden und als Legitimation für revisionistische Forderungen im Osten gelten. Aus diesem Grund wurde das Bild einer ‚blutenden Grenze‘ aufgebaut, das in den Plebiszitfeiern stets auftauchte, um das angebliche oder tatsächliche Leiden der deutschen Minderheit unter der Herrschaft der Mehrheitsnation hervorzuheben.44 In der Weimarer Republik, die unter den Folgen des Krieges und der Wirtschaftskrise litt, erfüllten die Aufrechterhaltung der Bindungen zur deutschen Diaspora und die finanzielle und ideelle Unterstützung des Deutschtums im Ausland auch eine kompensierende Rolle. Sie erinnerten die Bürger an die vergangene Größe des deutschen Staates und lieferten den politischen Eliten ein brisantes Thema, das die Wähler von alltäglichen, wirtschaftlichen Problemen ablenken konnte. Symptomatisch für die Minderheitenpolitik der Weimarer Republik war die zehnte Feier der Volksabstimmung im März 1931. Obwohl es hinsichtlich der Sicherheit der geladenen prominenten Gäste Bedenken gab,45 entsprach der Reichskanzler Heinrich Brüning den Bitten des Vorsitzenden der VVHO, Adolf Kaschny,46 und des Oberpräsidenten Hans Lukaschek47 und beteiligte sich persönlich an den Feierlichkeiten. Im Beuthener Stadion versammelten sich mehrere zehntausend Menschen, um die Ansprachen des Reichskanzlers Brüning und des preußischen Innenministers Carl Severing zu hören.48 Während der Zentrumspolitiker Brüning besonders „die Not des zerrissenen Landes“ betonte und die Versicherung abgab, dass das Reich „seinen Protest und seine Rechtsverwahrung“ gegen den Teilungsbeschluss aufrechterhalten werde,49 hob Severing besonders den Grundsatz hervor, „dass man der Minderheit durch die vorbehaltlose Gewährung der politischen und kulturellen Rechte die Einfügung in den Staat erleichtern“ müsse.50 Diesem Grund-

44 Linek: Deutsche und polnische nationale Politik, 148; Brubaker: Nationalism reframed, 124f.; Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 94–96. 45 Chefbesprechung vom 7. März 1931, 12 Uhr, TOP Abstimmungsfeiern in Oberschlesien: Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik – Die Kabinette Brüning I/II, Bd. 2, Dok. 256, 929–931, http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0020/bru/bru2p/ kap1_1/kap2_4/para3_1.html [Zugriff am 8.3.2010]. 46 Schreiben des Vorsitzenden der VVHO Kaschny an den Reichskanzler vom 21. Januar 1931: BA R 43 I 369, Bl. 244–246. 47 Chefbesprechung vom 7. März 1931, 12 Uhr, TOP Abstimmungsfeiern in Oberschlesien: Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik – Die Kabinette Brüning, Bd. 2, Dok. 256, 930, http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0020/bru/bru2p/kap1_1/ kap2_4/para3_1.html [Zugriff am 8.3.2010]. 48 Ausführliches Programm der Abstimmungsgedenkstunde in Beuthen: BA R 43 I 369, Bl. 250–252. 49 Rede des Reichskanzlers bei der Abstimmungsfeier in Beuthen am 22. März 1931: BA R 43 I/369, Bl. 336–339. 50 „Gewaltige nationale Kundgebung in Beuthen“. In: Ostdeutsche Morgenpost 82 vom 23. März 1931; „Abstimmungsgedenkstunde des deutschen Volkes im Beuthener Stadion“. In: Oberschlesische Volksstimme 82 vom 23. März 1931.

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satz folgend wurden die slawophonen Oberschlesier nicht a priori als Mitglieder der polnischen Nation angesehen. Doch auch der moderate Verlauf der offiziellen Feierlichkeiten konnte nicht verdecken, dass sich im Reich, und in Oberschlesien im Besonderen, die Problematik der ethnisch-nationalen Zugehörigkeit und der staatspolitischen Loyalität wieder zuzuspitzen begann. Bezeichnend ist hier ein Schreiben des Gleiwitzer Polizeipräsidenten Max Emil Beck (SPD). Er bekam im Juli 1929 einen Hinweis auf eine „Versammlung polnischer Stoßtruppführer“ im Kreis Guttentag, die sich jedoch als eine Zusammenkunft von Vertrauensleuten des örtlichen Polenbundes vor den bevorstehenden Kommunalwahlen entpuppte. Diese „falschen Vermutungen und Hirngespinste“ gaben Beck Anlass zu einer Stellungnahme zu den Verhaltensmustern der Einwohner Oberschlesiens, insbesondere zu deren Verständnis von Staatsverrat und Staatsloyalität.51 Beck konstatierte, dass „der Gegensatz zwischen Deutschen und Polen“ in den kleinen Ortschaften der Kreise Guttentag und Groß Strehlitz dadurch als ganz besonders auffallend eingestuft werden muss, weil „gewisse deutsche Kreise“ dieser Gegend „zu einem verhältnismäßig großen Teil einem krankhaften Nationalismus“ huldigen, „der die Wurzel jenes Übel“ sei. Dabei hielt er es für bemerkenswert, dass „die Reichs-, Staats- und Kommunalbeamten dieses Landstriches, vor allem die Zoll- und Polizeibeamten, ferner die Lehrerschaft sowie die Forstbeamten fast ausnahmslos diesem Nationalismus huldigen und in der Feindschaft gegenüber dem Polentum tonangebend“ seien. „Diese nationalistischen Elemente glauben“ – so der Polizeipräsident – „mit der fanatischen Verfolgung alles dessen, was polnisch ist, der deutschen Sache zu dienen; in Wirklichkeit aber stören sie die ruhige Entwicklung, die sich mit der vernünftigen Polenpolitik der preußischen Behörden in der Nachkriegszeit angebahnt hat“. So sorgten „diese nationalistischen Elemente“ dafür, dass „kein Gastwirt den Polen einen Versammlungsraum zur Verfügung stellt; wenn sich dann aber die Polen notgedrungen in einer Privatwohnung versammeln, dann wittern die deutschen Nationalisten Verschwörung und Hochverrat“. „Jede Regung des polnischen Lebens“ werde aus dieser Perspektive als „staatsfeindliche Handlung“ angesehen; und jeder Deutsche, „der die Polen nicht verachtet und nicht streng meidet“, werde „als Verräter und Polenfreund“ bezeichnet. Die polnische Bevölkerung gebe aber den Deutschen zu dieser Feindschaft keinen Grund. Sie bemühe sich, ihren deutschen Landsleuten zu beweisen, dass sie „nichts Ungesetzliches“ treibe und dass „ihre Zusammenkünfte nicht das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben“. Beck betonte jedoch, dass sich „der deutsche Nationalismus einer solchen Beweisführung krampfhaft verschlossen“ habe: Zur Versammlung am 30. Juni 1929 in Brinitz sollten die Polen auch zwei deutschgesinnte Dorfeinwohner eingeladen haben, damit diese „hätten sehen und hören können, dass es 51 Polizeipräsident Beck an den Oberpräsidenten in Oppeln am 16. August 1929: APOp, OP 77, Bl. 140–142.

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sich um eine harmlose Zusammenkunft handelt“. Die beiden Deutschen hätten jedoch dieser Einladung nicht Folge geleistet. Vielleicht wollten sie – so die ironische Vermutung des Polizeipräsidenten – „sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich nachträglich über eine ‚geheime‘ und ‚verdächtige‘ polnische Versammlung zu entrüsten und Gerüchte über eine ‚Siegesfeier polnischer Stoßtruppführer‘ zu verbreiten“. Schließlich beendete Beck seinen Bericht mit einem symptomatischen Kommentar: „Solange die deutschen Nationalisten der dortigen Gegend ihren polnischen Landsleuten die Überlegenheit der deutschen Kultur lediglich mit solchem Terror beweisen zu können glauben, ist nicht damit zu rechnen, dass die dortigen Polen mit der Zeit fürs Deutschtum gewonnen werden können.“ Auch wenn der Polizeipräsident seine Lageeinschätzung wahrscheinlich etwas überspitzt formulierte, weist sein Schreiben auf zwei unterschiedliche politische Ansätze gegenüber der polnischen Minderheit und den slawophonen Oberschlesiern hin. Auf der einen Seite ist eine nationalistische Vorgehensweise zu finden, die durch das ethnisch-sprachliche Verständnis von nationaler Zugehörigkeit gekennzeichnet ist. Sie äußert sich in Gestalt einer Verhaltensskala, die vom Misstrauen bis hin zur Diskriminierung gegenüber andersethnischen und anderssprachigen Mitbürgern reicht. Welche Einwohner Oberschlesiens teilten diese Ansichten? Beck liefert dazu eine eindeutige Antwort und lokalisiert die deutschen Nationalisten in der preußischen Beamtenschaft. Die Staatsdiener, ob uniformierte Vertreter der Staatsgewalt oder laizistische Bildungselite der Provinz wie die Lehrerschaft, gehörten zum Kern dieser Gruppe. In eine andere Richtung zielte der Ansatz, sich für eine „ruhige Entwicklung“ und „vernünftige Polenpolitik“ einzusetzen, wie sie der erwähnte Zentrumsmann und Oberpräsident Proske52 oder der Sozialdemokrat und Polizeipräsident Beck vertraten. Sie strebten nach einer erfolgreichen Integration der Angehörigen der polnischen Minderheit und der national indifferenten Einheimischen in den deutschen Staat. Das Schreiben von Beck zeigt deutlich, dass ein wichtiger Teil der staatstragenden Elite der Weimarer Republik eine gewaltlose, nachhaltige und staatspolitische Integration der loyalen Minderheiten verfolgte. Diese Politik wurde jedoch von deutschnational und konservativ orientierten Beamten nicht umgesetzt oder sogar unterlaufen. Im Bericht des Polizeipräsidenten fällt zudem auf, dass im Kontext des „krankhaften Nationalismus“ keine Geistlichen genannt werden.53 Die unterschiedlichen politischen Konzepte des Umgangs mit ethnisch-sprachlichen Minderheiten und mit der außenpolitischen Stellung gegenüber dem polni-

52 Vgl. den Aufruf des Oberpräsidenten Proske vom 2. April 1928, der auf Deutsch und Polnisch in der oberschlesischen Presse erschien und – teilweise gewalttätige – Störungen der Festlichkeiten „der polnischsprechenden Minderheit“ mit Nachdruck verurteilte. APOp, LandOpp 94, Bl. 943–945. 53 Ausführlich über die Stellung der Kirche in den Nationalisierungsprozessen in den Kapiteln 4 und 5.

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schen Staat offenbarten sich bei den Plebiszitfeierlichkeiten 1931. Zum zehnten Jahrestag des Volksentscheids organisierten sämtliche politischen Kräfte von den Kommunisten bis zu den Deutschnationalen und Nationalsozialisten eigene Aufmärsche und Veranstaltungen. Dabei waren sich alle Parteien über die nationalpolitische Deutung des Plebiszits einig. Sie gestalteten die Erinnerung an die Abstimmungskämpfe einseitig und mit nationalistischen Tönen. Nur die KPD beteiligte sich an den Gedenkfeiern nicht und demonstrierte für ein „Sowjetschlesien“.54 Die Rolle der Kommunisten war jedoch in der vorwiegend ländlichen Provinz Oberschlesien zweitrangig. Von viel höherer Relevanz im Kontext der Politisierungsprozesse waren hingegen die Aktivitäten des Zentrums. Bei der Betrachtung der Abstimmungsgedenkfeier in Beuthen O.S. 1931 wird deutlich, dass auch die Erinnerungspolitik der Katholischen Volkspartei, wie das Zentrum sich in Oberschlesien nannte, weiterhin auf ein wiedervereinigtes, deutsches Oberschlesien abzielte und, diesem Grundsatz verhaftet, nationalistische Töne anschlug. Im Gegensatz zu den rechtskonservativen und nationalsozialistischen Parteien sprach sich das Zentrum allerdings für eine staatspolitisch integrative Einstellung der Provinzialbehörden gegenüber den slawophonen Oberschlesiern aus. Dieser Zwiespalt plagte auch die Vertreter der SPD. Carl Severing schwankte zwischen einer Revision der „blutenden Grenze“ mit den „Waffen des Rechts“ und einer uneingeschränkten Anerkennung der polnischen Minderheit. In der Beuthener Hindenburg-Kampfbahn beteuerte er, dass „der Minderheitsangehörige in Deutschland, zu dem er sich bekennt, kein Fremder“ sei. Er sei „trotz anderen Fühlens, trotz anderer Sprache Teil des Staatsganzen, in das er sich einzufügen hat, in dem er aber auch [...] in seiner freien und volkstümlichen Entwicklung, in seinem Volkstum, seiner Kultur, seinen Sitten und Gebräuchen nicht beeinträchtigt wird und nicht beeinträchtigt werden darf“. Schließlich ermögliche „nur solche freiheitliche und wahrhaft sittliche Politik die Eingliederung fremden Volkstums in das Staatsganze“.55 Diesem Grundsatz der Minderheitenpolitik folgten auch die oberschlesischen Pazifisten. Darüber hinaus sprachen sie sich als einzige politische Gruppierung für die Anerkennung der neuen Ostgrenze und friedliche Beziehungen zu Polen aus. Sie wiesen zugleich auf die vernichtende Kriegsgefahr hin, die von der Revisionspolitik der Weimarer Eliten ausgehe.56 Sie waren freilich sowohl im Reich als auch in Oberschlesien zahlenmäßig sehr schwach und hatten dementsprechend nur einen minimalen Einfluss auf die Politisierungsprozesse in der Provinz. Wie Juliane Haubold-Stolle zu Recht konstatiert, umfasste „der Revisions-Konsens“ fast die gesamte deutsche Gesellschaft und bereitete „nicht nur den psychologischen Boden für den Überfall auf Polen 1939, sondern hatte auch innenpolitische Konsequenzen“.57 54 55 56 57

Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 99. Zit. nach ebd., 101. Ebd., 103–106. Ebd., 106.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

Bei den Abstimmungsfeiern 1931 ging es im Grunde längst nicht mehr um die Folgen des oberschlesischen Plebiszits als vielmehr um das Austragen innenpolitischer Gegensätze. Das Zentrum konnte jedoch die Parteien des rechten Spektrums trotz aller unternommenen Anstrengungen an nationalistischer Haltung nicht überbieten. Die Deutschnationalen und Nationalsozialisten propagierten entschiedener und konsequenter eine harte Vorgehensweise gegenüber den slawophonen Oberschlesiern und eine gewaltsame Revision der Gebietsteilung, wobei sie sich auf die vorhandenen Vorurteile gegenüber dem Nachbarland stützten. Diese Position wurde bei den Konkurrenzgedenkfeiern am Sankt Annaberg im Mai 1931 deutlich.58 Die rechtskonservative und nationalsozialistische Seite feierte dort die antipolnischen Kämpfe des Selbstschutzes und trat offen für eine militante Lösung der deutsch-polnischen Streitfrage ein. Mit der Erinnerung an den Selbstschutz konnte Oberschlesien in eine nationalsozialistische Geschichtsinterpretation eingebunden werden, auch wenn die Region nur eine untergeordnete Rolle in der gesamtdeutschen Propaganda der NSDAP spielte.59 Unter anderem deshalb verlief der Aufstieg der NSDAP in der oberschlesischen Provinz deutlich langsamer als in anderen Teilen Deutschlands. Der Stimmenanteil der NSDAP (9,5 Prozent) blieb bei den Reichstagswahlen 1930 deutlich unter dem deutschlandweiten Durchschnitt (18,3 Prozent).60 Erst seit der propagandistischen Offensive während der Gedenkfeiern 1931 – durch die Vereinnahmung der Freikorps-Erinnerung und die Dominierung des Revisionsdiskurses – begann die NSDAP, in Oberschlesien fester Fuß zu fassen. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde die Selbständigkeit der oberschlesischen Provinz de facto aufgehoben. Durch die Zusammenlegung der Posten des ober- und niederschlesischen Gauleiters und des Oberpräsidenten in der Hand von Helmuth Brückner verlagerte sich der Schwerpunkt der nationalsozialistischen Propagandamaßnahmen nach Breslau. Parallel dazu wurde verstärkt auf die Ideologie des „Gesamtschlesien“ gesetzt.61 Oberschlesien verschwand im gesamtschlesischen Bild eines von Polen gefährdeten „Grenzlandes“.62 In diesem neuen ideologischen Rahmen gab es kaum Platz für eine oberschlesische Eigenständigkeit oder Andersartigkeit. Plebiszitfeiern, die besonders zu runden Jahrestagen die Region in den Mittelpunkt der gesamtdeutschen Öffentlichkeit rücken ließen, wurden nur noch 1933 und 1934, und zwar in eingeschränktem Maße, organisiert.63 Im Zentrum der Gedenktage stand erwartungsgemäß die Selbstschutztradi58 Ebd., 151. 59 Ebd., 155. 60 Niendorf: Die Provinz Oberschlesien, 812; Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4, München 2003, 568. 61 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 263. 62 Ebd., 268. 63 Die Zeitung „Deutsche Ostfront“ informierte über die geplanten Kundgebungen in Gleiwitz (Deutsche Ostfront 61 vom 3. März 1934), die auf Druck Polens und mit Berufung auf den

Plebiszitfeiern im deutschen Teil Oberschlesiens

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tion: Die Freikorpskämpfer wurden zu ersten Nationalsozialisten aufgewertet und ein Opferkult um die gefallenen Helden inszeniert. Dadurch wurde auch Schlesien zu einer Stütze der gesamtdeutschen nationalsozialistischen Bewegung erklärt.64 Die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltungen konzentrierte sich auf die Frage der Grenzrevision.65 Die propagandistischen Anstrengungen sollten der schlesischen Bevölkerung nicht nur vor Augen führen, dass die Problematik der östlichen Grenze umstritten und offen blieb, sondern sie auch zur „militärischen Grenzveränderung“ motivieren.66 Während der nationalsozialistischen Herrschaft in Oberschlesien lag der Schwerpunkt offizieller Festlichkeiten auf den Feiern des Ersten Mai, der Machtergreifung und des Hitler-Geburtstags.67 Diese Anlässe besaßen keinen regionalen Charakter mehr, sondern dienten einer übergreifenden propagandistischen Gleichschaltung der Reichsbürger. Mit den Maiparaden und den sie begleitenden Fackelzügen sollte beispielsweise eine weitere Vereinheitlichung der Gesellschaft erreicht werden und das gerade an einem Feiertag, der nur geringe Traditionen in Oberschlesien aufweisen und kaum auf Zustimmung der in Oberschlesien mächtigen katholischen Kirche rechnen konnte. Mit der äußeren Miteinbeziehung der Oberschlesier in den gesamtdeutschen Staat sollte ein innerer „Volkstumskampf“ einhergehen. „Der schlesische Nationalsozialismus“ – schreibt zutreffend Juliane Haubold-Stolle – „sah die Hauptaufgabe der Oberschlesier darin, sich gegen eine ‚Verpolung‘ Oberschlesiens zu wehren, auch wenn diese Warnung vor einer ‚Umvolkung‘ Oberschlesiens zur gleichzeitigen Behauptung des BDO, dass ‚bis auf verschwindende Bruchteile‘ das ganze ‚oberschlesische Volk deutsch‘ sei, im Widerspruch stand“.68 Dabei hatte die Überzeugung der Nationalsozialisten, der deutsche Staat müsse gegen die Assimilation der andersethnischen Bürger eintreten, um einer ‚Verunreinigung des deutschen Blutes‘ entgegenzuwirken, einen bedeutsamen Einfluss auf die Situation in Oberschlesien. Diese zwiespältige Haltung, einerseits der Anspruch auf ein rein deutsches Oberschlesien, andererseits die Ablehnung der Germanisierung der slawophonen Oberschlesier aus rassistischen Gründen, prägte das Bild der nationalsozialistischen Herrschaft an der südöstlichen Pe-

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deutsch-polnischen Nichtangriffspakt schließlich abgesagt wurden (Deutsche Ostfront 78 vom 20. März 1934). Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 269. „Oberschlesien an das Weltgewissen“. In: Oberschlesische Volksstimme 83 vom 27. März 1933; „Oberschlesien feiert den 21. März“. In: Ostdeutsche Morgenpost 81 vom 22. März 1933; „Oberschlesien muß wieder deutsch werden“. In: Ostdeutsche Morgenpost 86 vom 27. März 1933. Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 283f. Vgl. ausführliche Zeitungsberichte unter anderem in: Oberschlesische Volksstimme 106 vom 21. April 1933; ebd. 116 vom 2. Mai 1933; ebd. 31 vom 31. Januar 1935; ebd. 120 vom 2. Mai 1935; Ostdeutsche Morgenpost 30 vom 31. Januar 1934; ebd. 110 vom 21. April 1936; ebd. 121 vom 2. Mai 1936; ebd. 119 vom 2. Mai 1938. Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 286.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

ripherie des Reiches. Zugleich strebte die nationalsozialistische Reichsregierung unter Adolf Hitler aus taktischen Gründen eine außenpolitische Annäherung an Polen an und vereinbarte mit der Warschauer Regierung am 26. Januar 1934 einen Nichtangriffspakt. Beide Staaten verpflichteten sich, Probleme wirtschaftlicher, politischer und kultureller Art friedlich zu lösen, wobei letztgenannte sich hauptsächlich auf die Minderheitenfragen bezogen.69 Die nationalsozialistische Rassenpolitik und der Nichtangriffspakt mit Polen trugen dazu bei, dass in den ersten Jahren nach der Machtergreifung die aggressive Assimilationspropaganda gegenüber den slawophonen Oberschlesiern etwas zurückgefahren wurde. Über die Auswirkungen des deutsch-polnischen Abkommens in der oberschlesischen Provinz berichtete die Oppelner Staatspolizeistelle im April 1935, dass „die Beteiligung an den Veranstaltungen, denen die Polen einen stark religiösen Unterton zu geben verstehen, sehr beachtlich“ sei.70 Den Versammelten wird immer wieder erklärt, dass die Anhänger der polnischen Minderheit „zu keiner NS-Organisation, weder politischer noch wirtschaftlicher Art, verpflichtet werden können“. Unter anderem wird die Jugend darauf hingewiesen, dass sie „bei Zugehörigkeit zu polnischen Organisationen weder zum Eintritt in den Arbeitsdienst, noch in die Arbeitsfront, in die SA, SS, Luftschutz usw. genötigt werden“ dürfe.71 Die Sonderstellung der polnischen Minderheit in Oberschlesien war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Besonders nachdem die Nationalsozialisten zahlreiche katholische Organisationen aufgelöst hatten, wurde die Zugehörigkeit zu den durch die Genfer Konvention geschützten polnischen Minderheitenorganisationen attraktiver. Die NS-Propaganda verkündete gleichzeitig eine angebliche rassische Minderwertigkeit der oberschlesischen Bevölkerung und sah die slawophonen Einheimischen nicht als vollwertigen deutschen Volksteil an. Die nationalsozialistische Rassentheorie trug somit zu einem Solidaritätsgefühl unter den slawophonen Oberschlesiern bei. Zunächst als die Genfer Konvention für Oberschlesien 1937 nicht verlängert wurde und dann, als sich die deutsch-polnischen Beziehungen ab Anfang des Jahres 1939 erheblich verschlechterten, stieg jedoch der Assimilationsdruck auf die Minderheit beträchtlich an.

69 Kotowski, Albert: Polska polityka narodowościowa wobec mniejszości niemieckiej w latach 1919–1939, Toruń 2003, 189–200. Ausführlicher zu der deutschen Polenpolitik in den ersten Jahren nach der Machtergreifung vgl. Schramm, Gottfried: Der Kurswechsel der deutschen Polenpolitik nach Hitlers Machtantritt. In: Förster, Roland G. (Hg.): „Unternehmen Barbarossa“. Zum historischen Ort der deutsch-sowjetischen Beziehungen von 1933 bis Herbst 1941, München 1993, 23–34. 70 Staatspolizeistelle in Oppeln an den Oppelner Oberpräsidenten am 9. April 1935: APOp, OP 75, Bl. 893. 71 Ebd.

Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien

3.2.

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Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien

Im geteilten Oberschlesien existierten in den 1920er Jahren auf beiden Seiten der Grenze politische Gruppierungen, die sich im Grunde politisch nahe standen und deren Führungseliten noch im preußischen Staat vor 1918 ihre ersten Schritte im Regieren und Verwalten erprobt hatten. Unter ähnlichen Umständen hatten sie im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag politische Erfahrung gesammelt und waren Verfechter eines Rechtsstaats und des parlamentarischen Systems. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme regierte in der Provinz Oberschlesien die katholische Zentrumspartei (hier unter dem Namen „Katholische Volkspartei“). Alle Oberpräsidenten – Joseph Bitta (bis 1922), Alfons Proske (bis 1929) und Hans Lukaschek (bis 1933) – gingen aus der einheimischen deutschen Elite hervor.72 Im polnischen Oberschlesien leitete die Christlich-Demokratische Partei (Chadecja) in Koalition mit der Nationalen Arbeiterpartei (Narodowa Partia Robotnicza) die Grundzüge der politischen Entwicklung im regionalen Parlament, dem Schlesischen Sejm, dem Konstanty Wolny, ein Führungsmitglied der Chadecja, über drei Legislaturperioden (1922–1935) vorstand.73 Im Gegensatz zum deutschen Teil der Region wurden jedoch die Wojewoden, d. h. die von Warschau ernannten regionalen Vertreter der Exekutive, seit 1923 von außerhalb berufen.74 Der oberschlesische Chef der polnischen Christdemokraten, Wojciech Korfanty, fand dennoch in Józef Rymer, dem ersten schlesischen Wojewoden (bereits Ende 1922 verstorben), sowie in Antoni Schultis (im Amt vom Februar bis Oktober 1923), Tadeusz Koncki (im Amt vom Oktober 1923 bis Mai 1924) und Mieczysław Bilski (im Amt vom Mai 1924 bis August 1926) politische Verbündete.75 Beide regionale Regierungen waren gezwungen, ähnliche brennende Problemlagen zu lösen; dazu gehörte in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit im Industrierevier. Besonders die stärker industriell geprägte Wojewodschaft Schlesien musste mit den Folgen der Teilung des Industriegebiets (1922), des deutsch-polnischen Zollkrieges (seit 1925) und der Weltwirtschaftskrise (seit 1929) kämpfen.76 Hinzu kamen Schwierigkeiten mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Integration Oberschlesiens in den neuen polnischen Staat, der im Gegensatz zu Oberschlesien durchaus landwirtschaftlich geprägt war.77 Dennoch standen sich die beiden regio72 Webersinn, Gerhard: Die Provinz Oberschlesien. In: Jahrbuch der schlesischen FriedrichWilhelm-Universität Breslau 14 (1969) 325–329; Niendorf: Provinz Oberschlesien, 812. 73 Wanatowicz, Maria Wanda: Historia społeczno-polityczna Górnego Śląska i Śląska Cieszyńskiego w latach 1918–1945, Katowice 1994, 50–67. 74 Vgl. Hojka, Zbigniew: Administracja rządowa. In: Serafin (Hg.): Województwo śląskie, 30–48. 75 Wanatowicz: Historia społeczno-polityczna, 47–52; Hojka: Administracja rządowa, 35; Linek: Deutsche und polnische nationale Politik, 146f. 76 Wanatowicz: Historia społeczno-polityczna, 98–101. 77 Vgl. Wanatowicz, Maria Wanda: Wrastanie w Polskę. Z problemów unifikacji i integracji Górnego Śląska z Drugą Rzeczpospolitą. In: Kapała, Zbigniew u. a. (Hg.): Górny Śląsk po

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nalen christlich-demokratischen Regierungseliten im sozialen Programm und in der Auffassung über die gesellschaftspolitische Rolle der katholischen Kirche erstaunlich nahe, wollten jedoch keine Annäherungsversuche über die staatliche Grenze und den nationalpolitischen Gegensatz hinweg unternehmen. Dies äußerte sich unter anderem in der Gestaltung der öffentlichen Feiern, die die Reminiszenzen an die unlängst ausgetragenen blutigen Kämpfe und die Nationalisierungspolitik der Regierungen in Warschau und Berlin widerspiegelten und die vorhandenen Ähnlichkeiten in den Hintergrund rücken ließen. Auf beiden Seiten der Grenze eignete sich die Erinnerung an die Volksabstimmung als Mittel zur Integration Oberschlesiens in die jeweilige nationale Meistererzählung. Dadurch sollten die Bewohner dieser Region in ihrer politischen Vorstellungswelt dem jeweiligen Gesamtstaat angeschlossen werden. In der Wojewodschaft Schlesien wurde jedoch zunächst nicht der Abstimmung, sondern der ‚Rückkehr‘ eines Teils der Region feierlich gedacht.78 Damit begann „die Einschreibung Oberschlesiens in den nationalen Verband mit Polen“.79 Erst der vierte Jahrestag der Volksabstimmung rückte ins öffentliche Interesse des polnischen Teils Oberschlesiens. Die polnischen Behörden hatten zuvor wenig Interesse, an das im Hinblick auf die Nachkriegserwartungen der polnischen Seite enttäuschende Ergebnis des Volksentscheids zu erinnern. Der vierte Abstimmungsjahrestag fiel jedoch mit deutschen diplomatischen Bestrebungen zusammen, im Zuge der Locarno-Verhandlungen die Frage einer endgültigen Anerkennung der deutschen Ostgrenzen offen zu halten.80 Daraufhin begannen die wichtigsten Presseorgane in der Wojewodschaft Schlesien mit einer massiven Kampagne für die Teilnahme an Kundgebungen in Kattowitz, Tarnowitz und Rybnik, die als Ausdruck des Unmuts breiter Gesellschaftskreise gegen die revisionistische deutsche Politik gedacht waren.81 An der Kundgebung in Kattowitz am 15. März 1925 sollten sich nach Presseangaben über 50.000 Menschen beteiligt und eine gemeinsame Resolution abgegeben haben. Die Resolution drückte „die Kampfbereitschaft des schlesischen Volkes [...] für die Unantastbarkeit der polnischen Grenzen“ aus und beschwor „die Einheit mit dem polnischen Mutterland“.82

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podziale w 1922 roku. Co Polska, a co Niemcy dały mieszkańcom tej ziemi, Bd. 1, Bytom 1997, 203–218. Gerlich, Marian Grzegorz/Stawarz, Andrzej: Polska przejmuje Górny Śląsk. Uroczystości i symbolika. In: Niepodległość i Pamięć 1 (1994) 89–102; Długajczyk, Edward: Zmiana suwerenności na Górnym Śląsku w 1922 roku. In: Zaranie Śląskie 35 (1972) 330–349, hier 339–342. Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 169. Schattkowsky: Deutschland und Polen, 311–317. Cimała, Bogdan: Obchody rocznic plebiscytu na Górnym Śląsku w latach 1924–1927. In: Kronika Katowic 6 (1994) 119–131, hier 121f.; Mendel, Edward: Obchody rocznic powstań śląskich przez społeczeństwo polskie do 1939 r. In: Hawranek, Franciszek u. a. (Hg.): Encyklopedia powstań śląskich, Opole 1982, 336–339, hier 336. „Lud górnośląski czuwa“. In: Polonia 74 vom 16. März 1925.

Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien

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Es liegt jedoch nahe, dass erst die rege Tätigkeit der Oppelner Regierung und deren unmittelbare Mitwirkung an den Feierlichkeiten zum fünften Jahrestag des Plebiszits 1926 die polnische Seite unter Druck setzte, ihrerseits propagandistische Maßnahmen zu ergreifen. Sie mündeten schließlich in eigene öffentliche Gedenkveranstaltungen, die die ‚polnische‘ Erinnerung an die Abstimmung explizit betonten.83 Die Ausarbeitung des Konzepts der Feierlichkeiten für 1926 wurde ähnlich wie im deutschen Teil Oberschlesiens nationalistischen Organisationen wie dem „Verband zur Verteidigung der Westmarken“ (Związek Obrony Kresów Zachodnich [ZOKZ])84 und dem „Verband der Schlesischen Aufständischen“ (Związek Powstańców Śląskich [ZPŚl])85 anvertraut. Dementsprechend oblag den nationalistischen Organisationen die Aufgabe, die Form und Inhalte der Feiern zu gestalten und dadurch den Oberschlesiern die wesentlichen Punkte des polnischen Nationalisierungsprogramms zu vermitteln. Die feierliche Kundgebung fand am 21. März 1926 in Kattowitz statt. Der polnischen Presse zufolge erschienen etwa 80.000 Menschen, darunter über 400 Fahnenträger und beinahe hundert Musikkapellen. Auf dem Markt wurde eine Resolution angenommen, in der die Teilnehmer die Unantastbarkeit der polnischen Grenzen, die Sicherung der Minderheitenrechte für die Polen in Deutschland und den Ausschluss Deutschlands aus dem Völkerbundsrat forderten. Darüber hinaus wurde verlangt, die bedeutendste überparteiliche Organisation der deutschen Minderheit in Oberschlesien, den „Deutschen Volksbund für Polnisch-Schlesien“, aufzulösen, da ihm eine polenfeindliche Tätigkeit nachzuweisen sei.86 Ähnlich wie im deutschen Teil der Region stand der Schwerpunkt der Forderungen im Zusammenhang mit den politischen Aktivitäten, die mit Bezug auf Oberschlesien im Nachbarland unternommen wurden. Dennoch ist auch ein wesentlicher Unterschied in der Wahrnehmung der jeweiligen nationalen Minderheit erkennbar. Die deutsche Minderheit in der Wojewodschaft Schlesien besaß eine deutlich stärkere soziale Position als die Polen bzw. die slawophone Bevölkerung jenseits der Grenze.87 Auch wenn die deutsche Bevölkerung ihre politische Vormachtstellung nach dem Ersten Weltkrieg aufgeben musste, blieb ihre Dominanz im kulturellen und wirtschaftlichen Leben ungebrochen: Sie besaß drei Viertel des

83 Cimała: Obchody rocznic plebiscytu, 122f. 84 Vgl. Mroczko, Marian: Związek Obrony Kresów Zachodnich 1921–1934. Powstanie i działalność, Gdańsk 1977; ders.: Polska myśl zachodnia 1918–1939 (kształtowanie i upowszechnianie), Poznań 1986. 85 Vgl. Falęcki, Tomasz: Powstańcy śląscy 1921–1939, Warszawa 1990. 86 „Imponująca manifestacja ludu górnośląskiego w piątą rocznicę plebiscytu“. In: Polonia 82 vom 23. März 1926. 87 Nordblom, Pia: Die Lage der Deutschen in Polnisch-Oberschlesien nach 1922. In: Struve (Hg.): Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg, 111–126, hier 117–122.

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Kapitals in der Schwerindustrie und 85 Prozent des privaten Grundbesitzes.88 Die Vorwürfe gegenüber der deutschen Minderheit und die Forderung nach Auflösung ihres Dachverbandes, die während der Feiern zutage kamen, spiegelten die Grundsätze der polnischen Nationalisierungspolitik wider: Sie betrachtete die deutsche Minderheit in den westlichen Wojewodschaften als eine der größten Gefahren für die staatliche Integrität. Die Grundsätze der Minderheitenpolitik im neuen polnischen Staat hatte schon die im Januar 1919 entstandene Regierung unter Ignacy Paderewski mit folgenden Punkten vorgegeben: Entfernung von Deutschen aus der Verwaltung, Maßnahmen gegen den Besuch deutscher Schulen durch polnische Kinder, Bekämpfung der Germanisierung der evangelischen Bevölkerung, Unterstützung der polnischen Organisationen im Kampf gegen das Deutschtum und schließlich Anstreben eines wirtschaftlichen Niveauausgleichs zwischen der polnischen und der deutschen Bevölkerung.89 Sämtliche Regierungen orientierten sich an diesen Richtlinien und ließen die antideutsche Politik auch bei offiziellen Feierlichkeiten zum Ausdruck kommen. Dies mündete in Oberschlesien in einen Exklusionsmechanismus, der die ‚Staatsfremden‘ von einer Partizipation an den Inszenierungen des Nationalstaats ausschloss. Die Feiern des fünften Jahrestages der Abstimmung sind auch für den Stellenwert der geteilten Region im jeweiligen Gesamtstaat symptomatisch. Die Regierungselite der deutschen Provinz setzte aufwendige Mittel ein, um den Mythos des blutenden Grenzlandes medienwirksam an die deutsche Öffentlichkeit zu vermitteln. Sie wurde in ihren Bemühungen von Vertretern der preußischen und der Reichsregierung unterstützt. Im Gegensatz dazu nahmen keine Entsandten der Warschauer Regierung an den Kattowitzer Kundgebungen teil. Das fehlende Interesse der zentralen Stellen beklagte auch die oberschlesische Presse.90 In sehr deutlichen Worten drückte der polnische Konsul in Beuthen O.S., Aleksander Szczepański, seinen Unmut aus: Der Oberschlesier fühle sich von Polen enttäuscht und verlassen, er werde nur „vom trockenen Brot der polnischen Staatlichkeit genährt ohne Berücksichtigung seiner speziellen Bedürfnisse und seiner psychischen Eigenart“. So sei es höchste Zeit, die polnische Politik gegenüber Oberschlesien „einer gründlichen Revision zu unterziehen“.91 Ob der Appell des Konsuls in Warschau wahrgenommen und diskutiert wurde, konnte nicht festgestellt werden. Jedoch spätestens im Oktober 1926 schlugen zweifellos Alarmglocken in den polnischen Ministerien. Nachdem durch einen politisch-militärischen Umsturz eine um den Marschall Józef Piłsudski versam88 Wanatowicz, Maria Wanda: Województwo Śląskie na tle Drugiej Rzeczypospolitej. In: Serafin (Hg.): Województwo śląskie, 15–29, hier 21f.; Wanatowicz: Historia społeczno-polityczna, 60–63. 89 Matelski, Dariusz: Niemcy w Polsce w XX wieku, Warszawa 1999, 66. 90 Mendel: Piąta rocznica górnośląskiego plebiscytu, 89. 91 Raport polityczny Konsula Aleksandra Szczepańskiego do Ministerstwa Spraw Zagranicznych z dnia 30 marca 1926: AAN, Konsulat Generalny RP w Opolu, 162, Nr. 147.

Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien

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melte Sanacja-Gruppierung im Mai 1926 an die Macht gekommen war und das Amt des schlesischen Wojewoden im September desselben Jahres von Michał Grażyński übernommen worden war,92 fanden anschließend in der Wojewodschaft Schlesien Kommunalwahlen statt. Durch deren Ausgang fiel den Vertretern der deutschen Minderheit eine größere politische Rolle zu. Die deutschen Parteien gewannen über 40 Prozent der Stimmen, die Christdemokraten erreichten wiederum 25 Prozent, während sich das regierende Sanacja-Lager mit mageren 2,5 Prozent deutlich geschlagen geben musste.93 Der neue Wojewode verschärfte daraufhin seine Politik gegenüber der deutschen Minderheit und setzte sich verstärkt für eine schnelle Polonisierung Oberschlesiens ein. Diese Ziele sollten auch durch eine engere Integration der Wojewodschaft in den polnischen Staat erreicht werden. Unter diesen Prämissen wurden die Feierlichkeiten des sechsten Jahrestages der Abstimmung im März 1927 geplant. In erster Linie waren die Ergebnisse der Kommunalwahlen, die durch die deutsche Propaganda in den westeuropäischen Ländern weithin bekannt gemacht wurden, ausschlaggebend für einen propagandistischen Vorschlag des polnischen Außenministeriums. Es richtete ein geheimes Schreiben an das Innenministerium und regte darin zum sechsten Jahrestag des Plebiszits „prächtige, von den Wojewodschaftsbehörden initiierte nationale Kundgebungen“ im oberschlesischen Gebiet an.94 Anschließend sollten diese Kundgebungen als „öffentlicher Ausdruck der Zufriedenheit der schlesischen Bevölkerung über die Vereinigung dieser Region mit der Polnischen Republik“ im Ausland propagandistisch verwertet werden. Zu diesem Zweck sollten die einzelnen Bestrebungen der nationalistischen Vereine zentralisiert und eine sichtbare Demonstration des polnischen Willens im breiteren Ausmaß organisiert werden, um „das polnische Ansehen im Ausland positiv zu beeinflussen“. Außerdem sollte zu propagandistischen Zwecken eine Exkursion ausländischer Journalisten während der Feierlichkeiten organisiert werden, denen man die Gelegenheit bieten wollte, „Oberschlesien in einer im Ausland wenig bekannten Stimmung“ zu sehen. Hinsichtlich der im Nachhinein vielfach beschworenen „Spontaneität“ der Veranstaltungen merkte wiederum das Innenministerium an, dass nur die Vereinskreise zu den Kundgebungen aufrufen sollten, wenn auch mit „ergiebiger, allerdings inoffizieller Hilfe der Behörden“. Grundsätzlich war man sich darüber im Klaren, dass die angepeilten Ziele nur dann erreicht werden

92 Musialik, Wanda: Michał Tadeusz Grażyński (1890–1965). Biografia polityczna, Opole 1989, 86–93. 93 Ergebnisse der Wahlen nach Ujdak, Małgorzata: Samorząd. In: Serafin (Hg.): Województwo śląskie, 65–77, hier 69. 94 Wydział Zachodni Departamentu Politycznego Ministerstwa Spraw Zagranicznych do Ministerstwa Spraw Wewnętrznych 11 stycznia 1927: APKat, UWŚl, Wydział Prezydialny 18, Bl. 9f.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

konnten, wenn große Teile der oberschlesischen Bevölkerung an den Veranstaltungen teilnehmen würden.95 Am 1. März antwortete Michał Grażyński dem polnischen Innenministerium, dass die Vorbereitungen zur nationalen Demonstration zum sechsten Jahrestag des oberschlesischen Plebiszits bereits im Gange wären. An der Kundgebung, die am 20. März in Kattowitz stattfinden sollte und zu der man etwa 100.000 Menschen erwartete, sollten sich zahlreiche Delegationen aus der gesamten Wojewodschaft und insbesondere aus dem ehemals preußischen Gebiet beteiligen.96 Die nationalisierungspolitischen Ziele der Feierlichkeiten in Oberschlesien untermauerte das organisatorische Verfahren. Die Initiative zu dieser großangelegten Manifestation ging vom „Verband der Schlesischen Aufständischen“ aus, der „in der Gestaltung solcher Kundgebungen reichliche Erfahrungen“ besaß. Der Verband traf sich zuerst mit Repräsentanten paramilitärischer Vereine, unter anderem des Schützenvereins, des Invalidenvereins und des Hallerschen Vereins, sowie mit Vertretern von Sokół und Pfadfindergruppen, um anschließend, am 25. Februar 1927, eine Versammlung einzuberufen und gemeinsam mit Repräsentanten der größeren Bürger-, Sport- und Berufsorganisationen ein Exekutivkomitee zu wählen. Die Führung dieses Komitees blieb in den Händen des „Verbandes der Schlesischen Aufständischen“ und des „Verbandes zur Verteidigung der Westmarken“. Anhand dieser Korrespondenz ist deutlich zu sehen, dass die Gestaltung und Durchführung der öffentlichen Plebiszitfeier fest in den Händen nationalistischer Organisationen lag. Die am 20. März 1927 veranstaltete Abstimmungsfeier hatte dementsprechend einen spürbar nationalistischen Charakter.97 Es gab einen großen Umzug paramilitärischer Organisationen vor den Vertretern der zentralen Behörden. An der Feier beteiligten sich diesmal prominente Gäste aus Warschau: der Industrie- und Handelsminister Eugeniusz Kwiatkowski, der Hauptinspekteur der polnischen Armee, General Jan Romer, der stellvertretende Marschall des polnischen Sejm, Ludwik Gdyk, u. a. Die von Grażyński erhoffte Teilnahme Józef Piłsudskis blieb allerdings aus, was einerseits als Distanzierung von der Minderheitenpolitik des Wojewoden, andererseits als mangelndes Interesse des Marschalls für die Belange der Westgebiete gedeutet werden kann. Minister Kwiatkowski und General Romer hielten vor der versammelten Menge auf dem Kattowitzer Ring, deren Zahl vom Korrespondenten der „Polonia“ auf 100.000, von der „Polska Zachodnia“ auf sogar 150.000 geschätzt wurde, festliche Ansprachen. Der Inhalt der Festreden stimmte mit den Leitlinien der Polonisierungspolitik in den Westgebieten überein. Ähnlich wie schon in der Abstimmungs95 Ebd., Bl. 8. 96 Wojewoda Śląski Michał Grażyński do Ministra Spraw Wewnętrznych Sławoja Składkowskiego 1 marca 1927: ebd., Bl. 15–17. 97 „Wspaniała manifestacja polskości Śląska“. In: Polska Zachodnia vom 21. März 1927; „Szósta rocznica plebiscytu“. In: Polonia 79 vom 21. März 1927.

Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien

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propaganda wurde auf die historische, ethnische, soziale und wirtschaftspolitische Begründung der Zugehörigkeit Oberschlesiens zu Polen hingewiesen, und zwar mit dem Ziel, den revisionistischen Bestrebungen Deutschlands entgegenzuwirken. General Romer ging sogar so weit, eine Annexion des westlichen Oberschlesien zu fordern. Er drückte seine Überzeugung aus, dass die schlesischen Gebiete bis an die Oder „kernpolnisch“ seien und die dort lebenden Polen „unter fremdem Joch“ ausharren müssten.98 Im Kontext dieser Forderung wird sichtbar, dass auch die polnische Seite die Revisionsrhetorik der Deutschen aufgriff und zumindest verbal bereit war, in eine militante Offensive zu gehen.99 Der sechste Jahrestag 1927 stellte den Höhepunkt der Abstimmungsfeiern im polnischen Oberschlesien dar. Nur noch zum zehnten Jahrestag 1931 wurden Feierlichkeiten veranstaltet, die jedoch einen anderen Charakter hatten als die groß angelegten Kundgebungen im deutschen Teil Oberschlesiens. Der schlesische Wojewode Grażyński hatte nämlich andere Vorstellungen von der Nationalisierungspolitik in seinem Zuständigkeitsgebiet als seine politischen Opponenten unter den Christdemokraten. So ist es für die Zerrissenheit der politischen Eliten im polnischen Teil Oberschlesiens bezeichnend, dass der runde Jahrestag ausschließlich im Rahmen einer feierlichen Sitzung des schlesischen Sejm, wo die Chadecja weiterhin eine führende Rolle inne hatte, begangen wurde. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung hielt auch der Wojewode eine Festrede, in der er historische, ethnische und soziale Argumente für einen unzweifelhaft polnischen Charakter Oberschlesiens programmatisch zusammentrug. Er schloss seine Ausführungen mit einer ausdrucksstarken Aussage, indem er feststellte, „dass hier unser Vaterland ist, dass hier in Schlesien wir Polen die Hausherren sind auf der Grundlage sowohl unserer unantastbaren moralischen Rechte, die sich aus der Geschichte dieses Landes ableiten lassen, als auch aus dem Grund, dass wir heute die erdrückende nationale Mehrheit stellen“.100 Diese breit und vielfach verkündete Überzeugung von Oberschlesien als einem ethnisch eindeutig polnischen Land, das sich Jahrhunderte lang im Widerstand gegen Deutschland bewährt hatte, war auf polnischer Seite – wie es Juliane Haubold-Stolle ausführlich analysierte – „Grundlage für einen ‚Mythos Oberschlesien‘“.101 „Die Überhöhung des Polentums Oberschlesiens“ wurde in erster Linie deshalb so intensiv und konsequent verbreitet, weil „unklare Machtverhältnisse, hohe Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut sowie die Auseinandersetzung mit der deutschen Minderheit die Integration der neuen Wojewodschaft in den polnischen Staat sehr kompliziert gestalteten“. Die erinnerungspolitischen Grundlinien der polnischen Nationalisierungspolitik erwuchsen also „aus 98 „Wspaniała manifestacja polskości Śląska“. In: Polska Zachodnia vom 21. März 1927. 99 Vgl. Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 204f. 100 Uroczyste przemówienie z okazji 10–tej rocznicy plebiscytu na Śląsku: APKat, Sejm Śląski 915, Bl. 10. Zit. nach Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 173f. 101 Ebd., 174.

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der Notwendigkeit, der schlechten Stimmung in der oberschlesischen Bevölkerung entgegenzuwirken, und auch, um die national indifferente Zwischenschicht Oberschlesiens für Polen zu gewinnen“.102 Mit der Amtsübernahme Michał Grażyńskis begann ein neues Kapitel der Polonisierungspolitik in der Wojewodschaft. Der aus Galizien stammende, aber an den ,schlesischen Aufständen‘ in einer Führungsrolle beteiligte Wojewode103 konzentrierte sich im Rahmen der staatlichen Propagandamaßnahmen stärker auf die Belebung der Aufstandstradition. Er hob die Feier des dritten ,schlesischen Aufstands‘ hervor, die mit dem gesamtpolnischen Feiertag am 3. Mai aus Anlass der ersten polnischen Verfassung von 1791 zusammenfiel. Dabei konnte Grażyński auf die gestiegenen Lenkungsmöglichkeiten des inzwischen autoritär regierten polnischen Staates zurückgreifen. Entscheidend aber für die härtere Nationalisierungspolitik in Oberschlesien war der Charakter des politischen Milieus, das Grażyński umgab und dessen Rückgrat der „Verband der Schlesischen Aufständischen“ und der „Verband zur Verteidigung der Westmarken“ bildeten. Die ehemaligen Aufständischen waren nach 1922 enttäuscht und fühlten sich ungerecht behandelt. Zwar wurde deren Traum von einem polnischen Oberschlesien teilweise verwirklicht, dennoch konnten die meisten Aufstandskämpfer weder wirtschaftlich noch sozial davon profitieren. Einen Großteil der neuen Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst übernahmen besser dafür qualifizierte Zuwanderer aus Galizien oder anderen Regionen Polens.104 Die Aufständischen wurden auch im politischen Leben marginalisiert.105 Durch diese Faktoren klaffte bei ihnen eine enorme Lücke zwischen den Erwartungen, die in der Zeit der Abstimmungspropaganda geweckt worden waren, und den Ansprüchen auf eine elitäre Rolle in der Wojewodschaft einerseits sowie der Realität des gesellschaftlichen Lebens im neu entstandenen Polen andererseits. „Die Enttäuschung der Aufständischen“ – schreibt Juliane Haubold-Stolle – „richtete sich jedoch nicht gegen die polnische Nation oder den Staat als Ganzes und führte auch nicht zu einer grundsätzlichen Kritik am Wirtschaftssystem, sondern verstärkte im Gegenteil das Nationalgefühl der Aufständischen noch, da dieses das letzte Stück ‚gesellschaftliches Kapital‘ [...] war, das die Aufständischen nach 1921 noch vorweisen konnten“.106 Auf der Grundlage der Erinnerung an die Kämpfe gegen die Deutschen und des ‚gelebten‘ Patriotismus dieser Zeit richteten die Aufständischen ihre ganze Frust gegen die Deutschen und alles, was für deutsch gehalten wurde. Die Lebenserfahrung der bewaffneten, nati102 Ebd. 103 Vgl. Musialik: Michał Grażyński, 17–70. 104 Vgl. Wanatowicz, Maria Wanda: Ludność napływowa na Górnym Śląsku w latach 1922– 1939, Katowice 1982; Kopeć: „My i oni“. 105 Falęcki, Tomasz: Regionalizm powstańców śląskich (do 1939 roku). In: Wanatowicz, Maria Wanda (Hg.): Regionalizm a separatyzm – historia i współczesność. Śląsk na tle innych obszarów, Katowice 1995, 46–64, hier 53–60. 106 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 176.

Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien

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onalistisch überhöhten Kämpfe war somit eine der Ursachen dafür, dass sie in Oberschlesien einem ethnisch-sprachlichen Nationalismus den Vorzug über die Grundsätze des Rechtstaats und des demokratischen Systems gaben.107 Nach 1926 wurde unter dem neuen Wojewoden Grażyński die Machtelite der schlesischen Wojewodschaft vor allem aus der Gruppe der ehemaligen Aufständischen rekrutiert. Parallel dazu stützte sich der neue Wojewode auf den „Verband zur Verteidigung der Westmarken“, der seine kulturelle, wissenschaftliche und soziale Arbeit dem propagandistischen Ziel widmete, politische und territoriale Forderungen gegenüber Deutschland in der polnischen Gesellschaft populär zu machen. Die Mitglieder des ZOKZ, wenn auch nicht so zahlreich wie die ehemaligen Aufständischen, dafür aber häufiger in Führungspositionen oder als Lehrer tätig, propagierten den polnischen ‚Westgedanken‘, um der deutschen Ostforschung und Mythenbildung eine eigene kulturelle und wissenschaftliche „Oberschlesienimagination“ entgegenzustellen.108 Die antideutsche Ausrichtung des Wojewoden und der beiden nationalistischen Organisationen trug dazu bei, dass der Druck auf die deutsche Minderheit im polnischen Teil Oberschlesiens nach 1926 eindeutig anstieg. Auf der gemeinsamen Plattform einer radikalen Entdeutschungs- und Polonisierungspolitik kam es zu einer engen Symbiose zwischen den Verbänden und dem polnischen Staat, was der regierenden Elite die Möglichkeit gab, die Bevölkerung über mehrere Kanäle zu beeinflussen. Die nationalistischen Vereine waren den staatlichen Stellen stets behilflich und letztendlich so weit der staatlichen Kontrolle unterworfen, dass sie allmählich zu Teilen der staatlichen Strukturen wurden.109 So waren sie für die propagandistische Arbeit, unter anderem für die Vorbereitung und Durchführung von paramilitärisch geprägten Feiern in der aufständischen Tradition, verantwortlich. In der Erinnerungspolitik des oberschlesischen Sanacja-Lagers waren es die Aufstände, nicht die Abstimmung, die den Anschluss Oberschlesiens an Polen ermöglicht hatten. Grażyński war überzeugt, dass sich die schlesischen Erhebungen nahtlos in die große polnische Tradition der nationalen Aufstände des 19. Jahrhunderts einbinden lassen konnten. Darin sah er eine Chance, „auf das Gefühl und die Phantasie der Massen“ einzuwirken und „zur stärksten Verbindung des Gefühls nationaler Einheit“ beizutragen. So strebte er an, „die schlesische Erde mit Denkmälern zu Ehren der Gefallenen zu bedecken, [sich] an ihnen zu nationalen Feiern zu versammeln und dort – in der Berufung auf die aufopfernde Tat der Aufständischen – die Parole der gemeinsamen, solidarischen nationalen Arbeit zu verkün107 Linek: Deutsche und polnische nationale Politik, 149. 108 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 179f. Zum polnischen Westgedanken vgl. Mroczko: Polska myśl zachodnia; Wanatowicz: Społeczeństwo polskie; Gehrke: Der polnische Westgedanke. 109 Linek: Deutsche und polnische nationale Politik, 141.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

den“.110 Während seiner Festrede zum zehnten Jahrestag der Abstimmung behauptete er ferner, dass die „schlesischen Aufstände“ die „am meisten volksnahen polnischen Aufstände“ gewesen seien und dass „der oberschlesische Bauer und Arbeiter sein nationales Selbstbewusstsein, die Vaterlandsliebe und seine Begabung zur opferbereiten Tat im Dienste der allerhöchsten Ideale“ darin unterstrich.111 Man fragt sich jedoch im Kontext dieser Aussage, ob die nachdrückliche Polonisierungspolitik des Wojewoden nicht obsolet gewesen wäre, wenn die Bevölkerung Oberschlesiens bereits einen so eindeutigen Beweis des polnischen Patriotismus gegeben hätte. Die Erinnerungspolitik der oberschlesischen Sanacja verfolgte trotz der Beschwörung des unzweifelhaft polnischen Charakters Oberschlesiens klare Polonisierungsziele und strebte an, eine starke Anbindung der Region an Polen in der Vorstellungswelt der Oberschlesier durchzusetzen. Komplementär dazu, aber nicht minder wichtig war die Mobilisierung der Gesellschaft für die Machtsicherung der Bewegung, und zwar vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der deutschen Minderheit und der christlich-demokratischen Opposition um Korfanty. Dennoch entfaltete auch diese hauptsächlich innenpolitisch gerichtete Propaganda ihre außenpolitische Wirkung: Ähnlich wie die Revisionsforderungen im deutschen Teil Oberschlesiens trugen auch die polnischen Ansprüche auf den westlichen Teil der Region zu einer aggressiven Stimmung zwischen den beiden Ländern bei.112 Einen anderen innenpolitischen Bezugspunkt der Sanacja-Propaganda bildete der in ganz Polen propagierte Piłsudski-Kult.113 Besonders die Józef-Namenstagsfeiern am 19. März boten dem Regierungslager eine Möglichkeit, den Abstimmungsjahrestag, der auf den nachfolgenden Tag fiel, geschickt zu übergehen. Die deutsche „Kattowitzer Zeitung“ schrieb beispielsweise zum zehnten Jahrestag des Plebiszits am 20. März 1931, dass dem schlesischen Wojewoden der einen Tag früher liegende Josephstag „sehr zustatten“ kam, da dieser es ermöglichte, „die Volksbegeisterung um 24 Stunden früher wachzurufen und sie gleichzeitig in ein Fahrwasser zu lenken, das dem herrschenden System genehmer“ erschien. Eine Begehung der Plebiszitfeier, „in der Korfanty im Mittelpunkt stehen würde“, würde „kein Anhänger Piłsudskis gestatten“.114 Die Erinnerung an das Plebiszit wurde dadurch zur Domäne der unerbittlich bekämpften Opposition: der um Wojciech Korfanty versam110 Grażyński, Michał: Krótki zarys historii Związku Powstańców Śląskich, Katowice 1926, 9. Zit. nach Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 182. 111 Uroczyste przemówienie z okazji 10–tej rocznicy plebiscytu na Śląsku: APKat, Sejm Śląski 915, Bl. 10. Zit. nach Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 189. 112 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 213. 113 Ausführlich zum Piłsudski-Kult vgl. Hein, Heidi: Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung für den polnischen Staat 1926–1939, Marburg 2002. 114 Kattowitzer Zeitung 65 vom 20. März 1931. Zit. nach: Hein, Heidi: Der Piłsudski-Kult in der Wojewodschaft Schlesien. Ein Mittel zur politischen Integration? In: Ruchniewicz, Krzysztof (Hg.): Geschichte Schlesiens im 20. Jahrhundert in den Forschungen junger Nach-

Plebiszitfeiern in der Wojewodschaft Schlesien

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melten Christdemokraten und der deutschen Minderheit unter der Führung von Eduard Pant. Die aggressiven Polonisierungsmaßnahmen des Wojewoden Grażyński führten die beiden katholisch und demokratisch ausgerichteten Gruppierungen, die vor 1926 einander noch bekämpft hatten, immer näher zusammen.115 Der Kult einer Persönlichkeit, die als Symbol des wieder errichteten polnischen Staates galt, sollte in der Wojewodschaft Schlesien eine integrative Aufgabe erfüllen. Es wurden zum gleichen Zeitpunkt die gleichen Feiern wie in anderen Regionen Polens organisiert. Dies konnte für die einheimische Bevölkerung ein Zeichen dafür sein, ein in dieser Hinsicht ebenso gleichberechtigter Teil Polens zu sein wie auch andere Wojewodschaften. Somit sollte die Anteilnahme an einer im gesamten Land ausgerichteten Gedenkfeier zu einer Einigung des gesamten Staatsvolkes führen.116 Die Namenstagsfeiern von Józef Piłsudski im polnischen Teil Oberschlesiens können in ihrer Funktion mit den Geburtstagsfeiern von Adolf Hitler im deutschen Teil verglichen werden. Aus der Perspektive der oberschlesischen Peripherie handelte es sich in beiden Fällen um die Verfolgung gesamtstaatlicher Ziele, bei denen der regionale Charakter anderer Festlichkeiten stark in den Hintergrund treten musste. Die ‚gleichgeschalteten‘ Feiern sollten die Integration der Region in den Gesamtstaat dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie sich von den standardisierten Veranstaltungen in anderen Landesteilen nicht unterschieden. So wurde die Einheit der Gesellschaft und die Übereinstimmung der zentralen und der provinziellen Regierungseliten demonstriert. Dennoch waren die Beziehungen der schlesischen Sanacja zur landesweit regierenden Warschauer Sanacja nicht reibungslos. Den Hintergrund der Spannungen bildete besonders nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nichtangriffsabkommens das Verhältnis zur deutschen Minderheit: Grażyński hielt auch nach Januar 1934 an seiner antideutschen Politik in Oberschlesien fest.117 Seine Anhänger sahen weiterhin Deutschland und die Deutschen als die Hauptbedrohung des polnischen Staates an. Dieses Denkmuster kam in der Wojewodschaft in der Forderung nach einem rein polnischen Oberschlesien zum Ausdruck. Das Gefühl der Bedrohung intensivierte sich dadurch, dass eine parteiübergreifende Überzeugung bezüglich der Notwendigkeit einer Grenzrevision auf deutscher Seite der Grenze vorherrschte. Bezeichnend war dabei, dass die Angst vor einer Verschiebung der deutsch-polnischen Grenze ostwärts sowohl in der Wojewodschaft Schlesien als auch in Polen insgesamt ebenfalls parteiübergreifend vorhanden war. So betonte auch Wojciech Korfanty in seinem Leitartikel zum zehnten Jahrestag der Abstim-

wuchswissenschaftler aus Polen, Tschechien und Deutschland, Wrocław 1998, 102–113, hier 105. 115 Wanatowicz, Maria Wanda: Aktywność społeczno-polityczna ludności. In: Serafin (Hg.): Województwo śląskie, 131–177, hier 154–156. 116 Hein: Der Piłsudski-Kult in der Wojewodschaft Schlesien, 111. 117 Musialik: Michał Grażyński, 232–243.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

mung, dass in der gesamten polnischen Gesellschaft darüber Einigkeit bestehe, die Grenze an der Oder und Ostsee mit jedem notwendigen Opfer zu verteidigen.118 Es scheint, dass diese Furcht am tiefsten in den Reihen der Bewegung der ehemaligen Aufständischen verankert war. So kann ihre hohe Bereitschaft, Gewalt als Mittel der Politik gegenüber der deutschen Minderheit und oppositionellen Kräften einzusetzen, auch als Abwehrverhalten und aggressive Bereitschaft zur Verteidigung des polnischen Besitzstandes verstanden werden. In den 1930er Jahren steigerten sich jedoch beide Staaten in ihrer Gewaltbereitschaft und befanden sich dadurch in einem Teufelskreis: jede deutsche Stimme für die Grenzrevision wurde in Polen registriert und in einer diskriminierenden Haltung gegenüber der deutschen Minderheit abreagiert; dies wiederum bekräftigte die deutsche Seite in ihrer Überzeugung von der Notwendigkeit eines territorialen ‚Anschlusses‘ der Auslandsdeutschen.

3.3.

Zwischenbilanz

In der makrohistorischen Analyse der deutschen und polnischen Plebiszitfeiern zeigt sich, dass die staatlichen Stellen beiderseits der Grenze große Anstrengungen unternahmen, um Nationalisierungsprozesse voranzutreiben. Diese Aktivitäten begannen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und intensivierten sich enorm während der Abstimmungskampagne. Der anschließende Volksentscheid bildete den ersten Höhepunkt der nationalisierenden Politikstrategien, als sich die Oberschlesier zwischen zwei Nationalstaaten entscheiden sollten. Die Feierlichkeiten der folgenden Jahre versuchten, dieses national überformte ‚Entscheidungsereignis‘ immer wieder zu aktualisieren. Die alljährlichen Feierlichkeiten wurden dadurch zu einem wichtigen Mittel im Instrumentarium staatlicher Nationalisierungspolitik, mit dem die symbolische und abstrakte Zugehörigkeit zur nationalen Gemeinschaft jedes Jahr aufs Neue in Erinnerung gerufen wurde. Relevante Aspekte der nationalisierenden Politik beider Seiten traten in der Untersuchung der Festreden und Resolutionen hervor. Die nationale Gemeinschaft dominierte als kollektives Leitbild, ihre Bedeutung und die in ihr erhoffte ‚erlösende‘ Zukunft standen im Mittelpunkt aller Ansprachen unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Redner. Auch die Aufgaben der einzelnen Nationsmitglieder wurden auf der Basis nationaler Bedürfnisse definiert. Nicht nur das tatsächliche Staatsgebiet, sondern auch das ‚national‘ beanspruchte Territorium spielten eine zentrale Rolle in den Inhalten der Feiern und reichten besonders im deutschen Fall über die staatlichen Grenzen hinaus. Damit wurde die Verbundenheit mit den Landsleuten im benachbarten Teil Oberschlesiens unterstrichen. Die Revisionsforderungen der deutschen Seite wurden in den 1920er Jahren auf Seiten der republikanischen Parteien in erster Linie vom regierenden Zentrum getragen, auch wenn 118 „W dziesiątą rocznicę plebiscytu“. In: Polonia vom 20. März 1931.

Zwischenbilanz

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das unmittelbare Nahziel der Provinzialregierung die Einwerbung von Unterstützung für die wirtschaftlich stagnierende Region blieb. Darüber hinaus wurden in den Reden nationalistische Vorurteile erzeugt und verbreitet und die Überlegenheit der eigenen Nation, die sich im „nationalen Kampf“ durchgesetzt habe, ausdrücklich betont. Zu Helden dieser „Schlacht“ um die Existenz der Nation wurden alle Oberschlesier gekürt und ihre Anführer gefeiert. Hierbei versuchten sowohl deutsche als auch polnische Politiker, geschichtliche Ereignisse in eine Reihe von Traditionen zu integrieren, die für die Konstituierung der nationalen Gemeinschaft zentral und sinnstiftend sein sollten. Als ein auffallender Unterschied kann die Stellung der jeweiligen nationalen Minderheiten bezeichnet werden. In der preußischen Provinz Oberschlesien bildete die slawophone Bevölkerung bzw. die polnische Minderheit keinen so herausragenden gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Faktor wie die deutsche Bevölkerungsgruppe in der polnischen Wojewodschaft Schlesien. Was die Minderheitenpolitik betrifft, bestand auf beiden Seiten der Grenze offensichtlich kein jeweils parteiübergreifender Konsens. So bemühten sich das Zentrum und andere staatstragende und demokratische Parteien der Weimarer Republik um eine langfristige Assimilation der slawophonen Oberschlesier und betrachteten sie als loyale preußische Staatsbürger. Nach 1933 kamen in Deutschland andere Nationalisierungsstrategien zum Zug. ‚Das slawische Element‘ wurde nun grundsätzlich misstrauisch beobachtet und als minderwertig eingestuft. Schließlich sollten die slawophonen Oberschlesier schleunigst und auch mit Anwendung von Gewaltmitteln assimiliert werden. Auch für den polnischen Teil Oberschlesiens können analoge Wechsel in den Nationalisierungsstrategien der regionalen Regierung festgestellt werden. Solange die Christdemokraten um Wojciech Korfanty das politische Geschehen in der Wojewodschaft gestalteten, war der Polonisierungsdruck auf die deutsch- und polnischsprachigen einheimischen Oberschlesier gemäßigt. Nach 1926 veränderten sich die politischen Ziele und eine dynamische Beschleunigung der Nationalisierungsprozesse wurde gefordert. Auch hier wurde nicht vor der Anwendung von Gewalt zurückgeschreckt. Auf der Makroebene der deutsch-polnischen Beziehungen erwiesen sich beide Nationalisierungsstrategien als destruktiv für einen politischen Dialog. Sowohl der deutsche, als auch der polnische „Mythos Oberschlesien“ waren einerseits innenpolitisch auf die Machtsicherung bedacht, andererseits auch nach außen gegen den nationalen Nachbarn gerichtet. Dabei war „die gute und richtige Seite [...] jeweils die eigene, die Bösen befanden sich ausschließlich in den Reihen der anderen“.119 In der Dichotomie der nationalen Erzählungen gab es keinen Raum für Kompromisse. Dies äußerte sich deutlich schon in der verbissenen und kämpferischen Erinnerung an die Abstimmungszeit. Aber auch außerhalb der öffentlichen Feierlichkeiten wurde die deutsch-polnische Auseinandersetzung um Oberschlesien ausge119 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 243.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

tragen. So bemühte sich beispielsweise die historische Forschung in den beiden Ländern um eine geschichtliche Legitimation für den jeweils angestrebten eindeutigen nationalen Charakter der Region.120 Eine ähnliche Funktion hatten Denkmäler, die ‚das nationale Territorium‘ im öffentlichen Raum markieren sollten.121 Auf der institutionellen Ebene kam es zur Gründung von Museen in Beuthen O.S. und Kattowitz, die jeweils die konkurrierende Meistererzählung in den Schatten stellen sollten.122 Schließlich kam es sogar zum sogenannten „Rundfunkkrieg“ zwischen den Sendern in Gleiwitz und Kattowitz, deren jeweilige Nationalisierungsbotschaften miteinander kollidierten.123 Wenn auch „die radikalen mythischen Darstellungen“ Oberschlesiens zwar „nicht direkt für den Krieg verantwortlich zu machen“ sind, wie Juliane Haubold-Stolle feststellt, „so bereiteten sie doch, zusammen mit anderen imaginativen Ostkonstrukten, den Boden für die brutale Art der Kriegsführung und das politische Programm, das nach der Eroberung Polens territorial und in der Bevölkerung durchgesetzt wurde“.124 Angesichts der massiven Bemühungen der deutschen und polnischen Aktivisten – sowohl auf dem Feld der symbolischen Politik und Erinnerung an die Abstimmungs- und Aufstandszeit als auch in der Wissenschaft und bei der Verbreitung der nationalisierenden Politik in Museen und Rundfunk –, Oberschlesien als eine national rein deutsche bzw. polnische Region darzustellen und die einheimische Bevölkerung in die jeweilige Nation zu integrieren, gilt es im Folgenden, die tatsächliche Haltung der einheimischen Bewohner der Region gegenüber den von oben forcierten Nationalisierungsprozessen zu erörtern.

3.4.

Nationalisierungsprozesse und Eigensinn auf der lokalen Ebene

Die ersten Abstimmungsgedenktage zogen nur ein verhaltenes Interesse der oberschlesischen Bevölkerung auf sich. Wie der oberschlesische Oberpräsident vor dem dritten Jahrestag der Abstimmung beunruhigt feststellte, fieberte ein Großteil der Oberschlesier dem Gedenktag keinesfalls entgegen. Er sprach von „einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber diesem großen Schicksalstag Oberschlesiens“ und vom ausbleibenden „nationalen Schwung“ unter der Bevölkerung.125 Auch ein Jahr später erreichten Alfons Proske Berichte von Landräten, in denen plädiert wurde,

120 Vgl. Mühle, Eduard: Geschichtspolitik und polnischer „Westgedanke“ in der Wojewodschaft Śląsk (1922–1939). In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 51/3 (2003) 409–426; ders.: Für Volk und deutschen Osten. 121 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 222–224. 122 Ebd., 247f. 123 Ebd., 248–256. 124 Ebd., 258. 125 Oberpräsident Proske an alle Landräte und Oberbürgermeister der Provinz Oberschlesien am 17. März 1924: APOp, OP 34, Bl. 17f.

Nationalisierungsprozesse und Eigensinn

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1925 von Gedenkfeierveranstaltungen abzusehen. Dies wurde dadurch begründet, dass sich die Bevölkerung an der vorjährigen Feier nur sehr zurückhaltend beteiligt habe und „nicht gewillt“ sei, „diesen Tag alljährlich zu begehen“.126 Erst die Abstimmungsfeiern des fünften und zehnten Jahrestages waren sehr gut besucht. Im Kontext der Beuthener Abstimmungsfeier 1931 informierte die Zeitung „Germania“ über „Zehntausende“ Teilnehmer, die „Frankfurter Zeitung“ sprach von 80.000 Besuchern.127 In einigen Fällen wurde gar von hunderttausend Menschen berichtet. Jedoch blieben die Angaben über die Zahl der Teilnehmer zwischen den beiden Lagern stets umstritten. Der „Oberschlesische Kurier“ schrieb zum sechsten Jahrestag des Plebiszits im polnischen Kattowitz, dass die amtliche Anzahl der Teilnehmer mit rund 150.000 angegeben wurde, aber „niemand die Richtigkeit dieser Behauptung nachzuweisen“ vermochte. Der Ring in Kattowitz war jedenfalls dicht gefüllt, „aber auch nicht dichter als bei bisherigen Demonstrationen, die mit 60–100.000 veranschlagt wurden“. Der Redakteur betonte jedoch, dass „der Aufmarsch volle drei Stunden“ gedauert habe und „schon am Sonnabend jeder Verkehr im Zentrum der Stadt unmöglich“ gewesen sei.128 Ein Journalist des Oppositionsblattes „Polonia“ behauptete, die Verbände der Aufständischen zweimal vorbeimarschieren gesehen zu haben.129 Einen ähnlichen Eindruck hatte auch der Korrespondent des „Kuriers“, mochte dies aber nicht mit Sicherheit bestätigen. Unumstritten ist, dass die Behörden die Feierlichkeiten äußerst auffällig und mit möglichst großen Teilnehmerzahlen – zumindest dem Anschein nach – durchzuführen wussten. Dementsprechend wurden die Veranstaltungen an wichtigen Versammlungsorten wie Marktplätzen oder in technisch gut ausgestatteten Sportstadien durchgeführt.130 In der Regel wurde die Zufahrt zu den Kundgebungsorten erleichtert, indem die Teilnehmer die Eisenbahn kostenlos oder zum ermäßigten Preis nutzen konnten. Die feierlichen Demonstrationen, so berichtete der Wojewode Michał Grażyński in einem Schreiben an das Innenministerium, wären ohne die vom Staat organisierte und bezahlte Beförderung misslungen, da sie keine Massen hätten anziehen können. Dabei unterstrich er, dass die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer Arbeitslose gewesen seien.131 126 Der Landrat von Groß Strehlitz an den Oberpräsidenten am 12. März 1925: APOp, OP 34, Bl. 57. 127 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 129. 128 „Der Verlauf der Demonstrationssonntages“. In: Oberschlesischer Kurier 66 vom 22. März 1927. 129 Ebd. 130 Vgl. das Werbungsschreiben für die Beuthener „Hindenburg-Kampfbahn“ als den Hauptaustragungsort der zehnten Abstimmungsjahresfeier des Beuthener Oberbürgermeisters Adolf Knakrick an den Vorsitzenden der VVHO Adolf Kaschny am 2. Januar 1931: APOp, OP 35, Bl. 6f. 131 Wojewoda śląski Michał Grażyński do Ministerstwa Spraw Wewnętrznych w Warszawie dnia 1 marca 1927: APKat, UWŚl, Wydział Prezydialny 18, Bl. 16.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

Diese Gruppe war auf die finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen und ließ sich dadurch in ihren politischen Entscheidungen leichter beeinflussen. So überrascht es nicht zu erfahren, dass beispielsweise die Gemeinde Orzesche die Auszahlung der Arbeitslosenhilfe von der Beteiligung an politischen Feierlichkeiten abhängig machte.132 Die Arbeitslosen wurden darüber hinaus nicht selten durch kostenloses Essen zur Teilnahme bewogen, die Mitglieder der Aufständischen-Verbände konnten sogar mit Tagesgeldern rechnen.133 Diese Formen der ‚Ermutigung‘ lassen vermuten, dass die Anwesenheit eines Teils der oberschlesischen Bevölkerung bei den Feierlichkeiten primär einen pragmatischen Hintergrund besaß und möglicherweise nur in begrenztem Ausmaß mit dem von den Behörden jeweils gewünschten Nationalbewusstsein einherging. Dass die staatlichen Stellen nur durch ‚wirtschaftliche Ermunterung‘ die Besucherzahlen der Inszenierungen in die Höhe treiben konnten, ist jedenfalls auch ein Anzeichen für eine nur schwache Anziehungskraft des nationalen Identifikationsangebotes in Oberschlesien. Die Repräsentanten des Staates erkannten, dass sich ein so erzieltes ‚nationales Engagement‘ der Oberschlesier als eine lediglich vorübergehende Erscheinung erweisen konnte. So ist einer vertraulichen Meldung an den Leiter des Generalstabs in Warschau zu entnehmen, dass man sich durchaus dessen bewusst war, dass äußere Symptome „polnischer Gesinnung“ der oberschlesischen Bevölkerung „keine Anzeichen einer realen, ideentreuen Einstellung“ bei der Mehrheit der Oberschlesier waren: „Der 95–prozentige Anteil aller Kinder in polnischen Schulen, die massenhafte Registrierung der Arbeiter bei polnischen Gewerkschaften und die zahlreiche Beteiligung der Bevölkerung an patriotischen Feierlichkeiten“, die allesamt als Ausdruck der Polonisierung der Oberschlesier in der Warschauer Regierungszentrale wahrgenommen wurden, hatten ihren Grund nach Ansicht des Verfassers der Meldung „bloß in der Ergatterung von Brot und Arbeit“.134 Das Übergewicht materieller Beweggründe für eine Teilnahme an den Feierlichkeiten wird in einem Bericht über die Tätigkeit des polnischen Schützenvereins in Oberschlesien deutlich. Darin heißt es, dass „das Anwerben neuer Leute mit materiellen Mitteln, d. h. durch Gewährleisten einer Arbeitsstelle, Bezahlung für die Teil132 Kalinowska, Barbara: Okres międzywojenny. In: Drozdowski, Aleksander u. a. (Hg.): Dzieje Orzesza, Orzesze 2002, 180–264, hier 256. Darüber hinaus waren gute Kontakte zu den Wohlfahrtsorganisationen der deutschen oder polnischen Seite besonders in Zeiten wirtschaftlicher Regression und Massenarbeitslosigkeit ein wichtiger Hebel, über den man amtlicherseits Einfluss auf die nationale Option der Arbeitslosen nehmen zu können hoffte. Vgl. exemplarisch Komenda Powiatowa Policji Województwa Śląskiego w Tarnowskich Górach do Prokuratora przy Sądzie Okręgowym w miejscu. In: Jaworski/Wojciechowski (Hg.): Deutsche und Polen zwischen den Kriegen, Bd. 2, 1118–1120; Nordblom, Pia: Für Glaube und Volkstum. Die katholische Wochenzeitung „Der Deutsche in Polen“ (1934–1939) in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, Paderborn u. a. 2000, 43. 133 „Wielki niezapomniany dzień Śląska“. In: Polska Zachodnia vom 3. Mai 1931. 134 Raport dyrektora Biura Wojskowego Ministerstwa Przemysłu i Handlu dla Szefa Sztabu Głównego z 29 lipca 1936: CAW, Sztab Centralny 56, Bl. 663f. Zit. nach Kopeć: „My i oni“, 221.

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nahme an öffentlichen Feierlichkeiten, [...] für die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Organisationen“ in Oberschlesien als eine „sehr populäre Methode“ angesehen werden muss.135 Die Behörden merkten allerdings bald, dass die Oberschlesier auf diesem Weg nicht dauerhaft zu gewinnen waren. Recht bildhaft formulierte diese Befürchtung General Graf Stanisław Szeptycki, der Befehlshaber der polnischen Truppen, die im Juni 1922 den Polen zuerkannten Teil Oberschlesiens besetzten: „Die Oberschlesier sind leicht zu begeistern, doch die Begeisterung schwindet schneller als beim Rest unserer Landsleute; es sind einerseits sehr misstrauische Menschen, die sich andererseits aber auch leicht übertölpeln lassen. Derselbe Mensch, der am Vormittag ein überzeugter Rechter ist, wird nach einem guten Mittagessen mit entsprechenden geistigen Getränken ein erklärter Linker sein, doch das auch nur so lange, wie ihm das Bekenntnis zu einer anderen Partei keinen größeren materiellen Nutzen bringt.“136 Solche negativen Urteile sind wohl auch auf die Hilflosigkeit der staatlichen Stellen bei der nationalen und politischen Einordnung der Oberschlesier zurückzuführen und gingen mit dem Verdacht der staatlichen Illoyalität einher. Die offiziellen Dokumente schreiben dennoch den Zuschauern ein im Sinne der Propagandaüberlieferung aufrichtiges Interesse an den politischen Feierlichkeiten zu. Tatsächlich sind zeitgenössische Pressemeldungen überliefert, die von außerordentlichem Interesse der Teilnehmer berichten. Bei der Feier der fünften Wiederkehr des Abstimmungstages waren am Oppelner Ring sogar Handgemenge um die begrenzt vorhandenen Stehplätze beobachtet worden. Die „Ostdeutsche Morgenpost“ berichtete, dass es bei den Feierlichkeiten zu „lebhaften Auseinandersetzungen und gegenseitigen Beschimpfungen, die fast zu Prügeleien ausarteten“, kam. Dabei soll die frühere große Wettersäule von der Bevölkerung eingedrückt und die erst kürzlich auf dem Ring errichtete Lichtreklamesäule ebenfalls „ein Opfer der Auseinandersetzungen“ geworden sein. Der Redakteur wies zudem darauf hin, dass bei all diesen Feiern zahlreiche Dächer der Ringhäuser „mit Publikum belagert“ worden seien.137 Hierbei muss betont werden, dass die großen und außergewöhnlichen Umzüge, Militärparaden und Festreden von Persönlichkeiten, die die Zeitgenossen hauptsächlich nur aus der Zeitungsberichterstattung kannten, eine ungeheure Anziehungskraft besaßen. Im Gegensatz dazu konnten Feierlichkeiten, die mit kleinerem 135 Sprawozdania z rezultatów i warunków pracy Związku Strzeleckiego na terenie województwa śląskiego z października 1938: CAW, Związek Strzelecki 571 [unpag.]. Zit. nach Kopeć: „My i oni“, 221. 136 Stellungnahme von General Stanisław Szeptycki zum dritten schlesischen Aufstand [ohne Datum]. Zit. nach Hauser, Przemysław: Zur Frage der nationalen Identität der oberschlesischen Bevölkerung in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. In: Stöber, Georg/Maier, Robert (Hg.): Grenzen und Grenzräume in der deutschen und polnischen Geschichte, Hannover 2000, 205–215, hier 211. 137 „Gedränge auf dem Ring“. In: Ostdeutsche Morgenpost 90 vom 31. März 1926. Den Menschenandrang und die „Belagerung“ der Dächer kann man auf mehreren Pressefotografien, die den Bericht illustrieren, zweifelsfrei feststellen.

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Identitätsangebote und Identitätspraktiken

Aufwand durchgeführt wurden, nur durchschnittliche Besucherzahlen verzeichnen. Es gibt daher Berichte, in denen über die dürftige, als unpatriotisch gebrandmarkte Teilnahme geklagt wird. Ein Korrespondent der Zeitung „Polak“ wies enttäuscht auf die „nationale Haltung“ der Jugend während der offiziellen Feierlichkeiten in einer kleineren Stadt hin, die sich am Umzug nicht beteiligt hatte. Ebenso enttäuscht äußerte er sich über das fehlende „nationale Gefühl“ der hiesigen Mädchen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen seien, Blumen zu verteilen, und „sich nicht schämten, alles zu tun, um bloß nicht im nationalen Sinne aktiv zu werden“.138 In einer anderen Ortschaft scheiterte 1925 eine Schweigeminute für die gefallenen polnischen Soldaten daran, dass die Bevölkerung im Straßenverkehr die Sirenentöne, die die Schweigeminute einleiteten, nicht beachtete.139 Diese Beispiele können auf eine spürbare Passivität gegenüber den deutschen bzw. polnischen Bemühungen um eine stärkere Integration der einheimischen Oberschlesier in die jeweilige nationale Gemeinschaft hindeuten. In den Quellen kann man jedoch auch Formen einer aktiven Teilnahme an politischen Feiern finden, und zwar wenn es um die materielle Existenz der Oberschlesier ging. Eine deutsche Polizeigrenzstelle berichtete über einen offiziellen Umzug anlässlich der Verfassungsfeier am 3. Mai 1925 in der polnischen Stadt Königshütte, bei dem einige Arbeitslose plötzlich Transparente und Aufschriften zeigten, die sie zuvor verborgen hatten und auf denen zu lesen war: „Gebt unseren hungernden Kindern Brot!“, „Gebt uns Arbeit!“ und „Wo sind die Versprechungen, die uns vor der Besatzung gemacht wurden!“.140 Manchmal kam es auch zu ‚national‘ gedeuteten Missverständnissen, die die Beteiligten wahrscheinlich unbeabsichtigt hervorriefen. Während eines polnischen Umzugs zur Feier des 3. Mai unterbrachen die auf der Tribüne versammelten prominenten Gäste plötzlich das Salutieren. Anlass dazu hatte ihnen eine Kattowitzer Feuerwehrabteilung gegeben, die – offenbar ohne sich des ‚Verstoßes‘ bewusst zu sein – eine Fahne mit sich führte, auf der der preußische Adler mit deutscher Aufschrift prangte.141 Die Feuerwehr präsentierte hier schlicht ihr traditionelles und – besonders wichtig im katholischen Oberschlesien – geweihtes Abzeichen, das sie aus ihrer Geschichte nicht tilgen wollte. Im deutschen Teil Oberschlesiens wiederum wurden gegen den Landwirt Johann Broy aus Boguschütz Ermittlungen eingeleitet, weil er am 1. Mai 1937 seinem Dienstboten zu arbeiten befohlen hatte. Dadurch sollte der Gehilfe an der Teilnahme am spektakulären Umzug der Nationalsozialisten gehindert werden. „Das Füttern der Tiere“, so verteidigte sich Broy,

138 „Uroczystości 3 majowe w Tychach“. In: Polak vom 10. Mai 1924. 139 „Wiadomości lokalne“. In: Goniec Śląski 258 vom 3. November 1925. 140 Grenzkommissariat Oppeln an den Oberpräsidenten in Oppeln am 10. Mai 1925: APOp, OP 180 [unpag.]. 141 „Ein Zwischenfall bei der Nationalfeier“. In: Kattowitzer Zeitung 103 vom 6. Mai 1924.

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müsse „selbstverständlich, gleichgültig, ob es Feiertag oder Sonntag ist, erfolgen“.142 Aus Rosenberg im deutschen Teil Oberschlesiens berichtete der Landrat 1936, dass sich die einheimische slawophone Bevölkerung aus zwei Grenzgemeinden an den offiziellen 1. Mai-Feierlichkeiten nicht beteiligte. Zwei Tage später hingegen, am polnischen Nationalfeiertag, wollte ein Teil der Einwohner in das polnische Oberschlesien einreisen. „Jedoch war“, schrieb der Beamte, „ein Überschreiten der Landesgrenze infolge des Hochwassers der Prosna nicht möglich, so dass die Unterhaltung von Ufer zu Ufer gepflogen wurde“.143 Die in Polen lebenden Oberschlesier wiederum nutzten oft den Feiertag, um einen ganztägigen Ausflug in den deutschen Teil zu unternehmen.144 Die staatliche Grenze, die 1922 künstlich gezogen worden war, stellte offensichtlich in den Köpfen der alteingesessenen Oberschlesier keine reale Grenze dar – es bestanden weiterhin rege familiäre, nachbarschaftliche und wirtschaftliche Kontakte. Die ‚zwischenstaatliche‘ Kommunikation wurde zwar von Polen und Deutschland grundsätzlich erschwert, aber selbst die widrige Natur in Gestalt des Hochwassers konnte sie nicht unterbinden.145 Mit Blick auf die in den Quellen verwendeten Begriffe ist ein Aspekt besonders auffällig und in methodischer Hinsicht beachtenswert: In den deutschen Schreiben wird die Bevölkerung, die die Grenze in Richtung Deutschland überschreitet, als „deutsche Minderheit“ aus dem östlichen Oberschlesien bezeichnet; die polnischen Beamten betrachteten wiederum die nach Polen einreisenden Oberschlesier als „polnische Minderheit“ aus dem deutschen Teil Oberschlesiens. Dies verdeutlicht, dass die deutschen und polnischen Regierungsstellen eine klare Trennung der Bevölkerung nach nationalen Kriterien anstrebten und diese Scheidelinie auch im Sprachgebrauch vollzogen. In der Realität standen sie jedoch vor dem grundsätzlichen Problem, die nationale Identität eines Teils der einheimischen slawophonen Bevölkerung schwer feststellen zu können.146 War bei diesen Oberschlesiern eine wandelbare Hinwendung zum polnischen oder deutschen Nationalbewusstsein 142 APOp, LandOpp 85, Bl. 75. 143 Landrat in Rosenberg an den Regierungspräsidenten in Oppeln am 25. Mai 1936: APOp, RegOpp I, Allgemeine Abteilung 1933, Bl. 253. 144 Beispielsweise am 3. Mai 1934. Vgl. Bericht des Oberpräsidenten in Oppeln an den preußischen Minister des Innern am 29. Mai 1934: PAAA, Abteilung IV, Polenbewegung in Deutschland 30726 [unpag.]. 145 Ein ausdrucksstarkes Beispiel für die kommunikationsbezogene Anpassungsfähigkeit der Oberschlesier lieferte ein oberschlesischer Schüler im November 1933: „Und lobt ihr jetzt den Herrgott in der Schule? – Ja, wenn der Lehrer in die Klasse kommt, so sagen wir ‚Gelobt sei Jesus Christus‘, und wenn er sich abwendet, so heben wir die Arme hoch und rufen ‚Heil Hitler‘, und der Lehrer sagt: ‚In Ewigkeit amen‘.“ In: Ilustrowany Kurier Codzienny 308 vom 6. November 1933. Zit. nach einer deutschen Abschrift in: APOp, OP 51 [unpag.]. 146 Im amtlichen Schriftverkehr kommen vielerorts Formulierungen vor wie: „Da sich die Eheleute Malczewski nicht mit ganzer Hingabe für die polnische Sache einsetzten, wurden sie als zu wenig polnisch-national gesinnt hingestellt.“ In: Geheime Staatspolizei Oppeln an den Oberpräsidenten ebendort am 10. April 1937: APOp, OP 80, Bl. 209.

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vorhanden? War die Lebenswelt dieser Gruppe vom alltäglichen Pragmatismus und der Loyalität dem jeweiligen Staat gegenüber gekennzeichnet? Dies konnte bereits anhand der erfolgten Untersuchung der politischen Feiern ansatzweise beobachtet werden. Im Folgenden wird sich die Analyse dieser Fragen auf Quellen aus dem halböffentlichen und privaten Bereich konzentrieren. Ein Ereignis aus dem oberschlesischen Alltag kann als symptomatisches Beispiel betrachtet werden. So berichtete der Landrat in Oppeln dem Regierungspräsidenten, dass sich der stellvertretende Kreisleiter der NSDAP in Oppeln-Land, Hans Witolla, am 29. Januar 1935 mit der Stieftochter des „Polenführers“ Franz Buhl aus Grudschütz, Kreis Oppeln, verheiratet habe.147 Der Oppelner Landrat machte keinen Hehl daraus, dass er dies „aus Gründen der Geheimhaltung verschiedener politischer Vorgänge in der Kreisleitung für eine Unmöglichkeit“ hielt, zumal Buhl, dessen Name immer wieder in den Zeitungsberichten der polnischen Presse sowie in den Berichten der Geheimen Staatspolizei auftauchte, von den deutschen staatlichen Stellen als „einer der führendsten und radikalsten Polen“ angesehen wurde. Buhl, der tatsächlich die polnische Minderheit im Landkreis Oppeln mit anführte, war zudem Geschäftsführer der polnischen landwirtschaftlichen Genossenschaft Rolnik. In seinem Haus fanden daher immer wieder polnische Veranstaltungen statt.148 Während solcher Veranstaltungen sollte sich auch Witolla in Buhls Haus aufgehalten haben. Der Oppelner Landrat empörte sich darüber, dass ihm bis zum Zeitpunkt des Abfassens seines Schreibens Tatsachen, die Witolla dort wahrgenommen oder erfahren haben konnte und die „von Wichtigkeit für die zuständigen Behörden“ hätten sein können, nicht bekannt geworden waren. Der Landrat berichtete, dass an der Hochzeit, die im Gasthaus Lax in Grudschütz gefeiert wurde, etwa 150 Personen teilgenommen hätten. Am zweiten Tag soll die Hochzeit dann in Buhls Haus gefeiert worden sein. Abschließend gab der Landrat „unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Abstimmungsgebiet“ seiner Überzeugung Ausdruck, dass Hans Witolla von der Gauleitung „die Einwilligung zu dieser Hochzeit“ nicht erhalten hätte.149 Diese Quellenaussage veranschaulicht, dass sich in dem von Polen und Deutschen umkämpften Gebiet die Bewohner in ihrem alltäglichen Leben nicht primär an den staatlich angestrebten nationalen Zuordnungen orientierten. Dies hatte seine Ursache wahrscheinlich in einem lokalen Zusammengehörigkeitsgefühl (die Heimatdörfer beider Familien liegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt), das von örtlichen Formen der katholischen Frömmigkeit verstärkt wurde. Nicht zuletzt 147 Der Landrat in Oppeln an den Regierungspräsidenten ebendort am 31. Januar 1935: APOp, OP 51, Bl. 220. 148 Leitendes Grenzkommissariat Oppeln an den Oberpräsidenten ebendort. In: Jaworski/Wojciechowski (Hg.): Deutsche und Polen zwischen den Kriegen, Bd. 2, 826; Bul, Franciszek: Wspomnienia. In: Kornatowski/Malczewski (Hg.): Wspomnienia Opolan, Bd. 1, 65–69, hier 69. 149 Der Landrat in Oppeln an den Regierungspräsidenten ebendort am 31. Januar 1935: APOp, OP 51, Bl. 220.

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spielte die soziale Stellung der beteiligten Hochzeitsparteien eine relevante Rolle: Es handelte sich um dörfliche Oberschichten, die möglicherweise durch die Heirat ihren lokalen Führungsanspruch bestätigen und öffentlich zur Schau stellen wollten. Diese Faktoren ermöglichten Menschen, selbst wenn sie politisch eindeutig konträre polnische bzw. deutsche Orientierungen aufwiesen – Franz Buhl war zweifellos an der Spitze der polnischen Minderheit politisch engagiert, Hans Witolla gehörte der lokalen Funktionselite der NSDAP seit den 1920er Jahren an –, eine reibungslose Kommunikation und Verständigung jenseits der von staatlichen Stellen beschworenen Nationalitätenunterschiede. Der Aufwand, mit dem die Hochzeit begangen wurde, deutet darauf hin, dass die Eheschließung von beiden Familien gewollt war und die Feier nicht als eine Peinlichkeit innerhalb der örtlichen wachsamen Dorfgemeinschaft wahrgenommen wurde. Es scheint, dass gerade in bäuerlich und mehrsprachig geprägten Gebieten wie dem Landkreis Oppeln die historisch gewachsenen lokalen Gemeinschaften über starke Bindungskräfte verfügten, die eine moderne Erscheinung wie der Nationalismus erst mit zeitlicher Verzögerung oder nur temporär aufzubrechen vermochte. Im Lichte des angeführten Beispiels ist ebenfalls zu sehen, dass der zugespitzte Nationalismus immer tiefer ins Leben der Menschen einzugreifen versuchte. So hätte Witolla sein privates Glück nach den Ansichten der Gauleitung woanders suchen müssen, auch wenn die erwähnte soziale und konfessionelle Kongruenz für die Heirat gegeben war und offenbar nur die ideologisch straff geschulten Kader der NSDAP Anstoß an dieser Verbindung nahmen.150 Um die Verhaltensmuster von Hans Witolla und seinen Zeitgenossen im deutschen Teil Oberschlesiens besser zu verstehen, kann eine weitere aussagekräftige Quelle herangezogen werden. Als Witolla vom Polenbund knapp ein Jahr vor seiner Hochzeit beschuldigt wurde, sich während eines Schulungsabends der NSDAP in Vogtsdorf minderheitenfeindlich geäußert zu haben,151 rechtfertigte er sich in einem Bericht an den Oppelner Landrat.152 Darin hieß es, dass sich der Polenbund in Sachen Minderheitenschulwesen und polnischer Sprachunterricht benachteiligt fühlte. Ein gewisser Klimek, Ortsgruppenleiter der NSDAP in Halbendorf und Teilnehmer der Schulung, drückte nämlich sein Unverständnis darüber aus, dass man Kinder in die Minderheitenschule schicke, obwohl „die Kinder [nach der Schulausbildung] selbstverständlich in Vogtsdorf, also in Deutschland, verbleiben und, da sie dann der deutschen Sprache nicht vollkommen mächtig sein werden, dadurch ein schlechteres Fortkommen haben könnten“.153 Dies bewegte Witolla zu 150 Für Hans Witolla hatte die Heirat wahrscheinlich ein parteigerichtliches Nachspiel. In einem Bericht wenige Monate später wird er als „früherer stellvertretender Kreisleiter“ erwähnt. Vgl. Der Landrat in Oppeln an den Regierungspräsidenten ebendort am 24. Juni 1935: APOp, OP 51, Bl. 223. 151 Beschwerde des Polenbundes am 29. März 1934: APOp, LandOpp 95, Bl. 788. 152 Stellvertretender Kreisleiter der NSDAP Hans Witolla an den Landrat in Oppeln am 5. April 1934: ebd., Bl. 794. 153 Ebd.

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einer reflektierenden Aussage, die ein Licht auf die Denkmuster der einheimischen slawophonen Oberschlesier wirft: „Wir haben auch bei uns in Oberschlesien Sitten und Gebräuche der Grenzbevölkerung übernommen und werden dieselben immer achten. Wir verlangen nicht, dass man plötzlich deutsch sprechen soll, denn auch die, die heute zu Hause polnisch sprechen, sind gute Deutsche. Es gibt z. B. an der holländischen Grenze ein Stück Land, dessen Bewohner nur holländisch sprechen, in ihrer Art aber bessere Deutsche als andere sind. Ich selbst bin Oberschlesier und kann auch polnisch sprechen. [...] Wenn zu mir ins Büro eine alte Frau mit einem Anliegen kommt und polnisch spricht, spreche ich selbstverständlich, wenn sie nicht Deutsch kann oder versteht, auch polnisch.“154 Witolla wies hier auf einen oberschlesischen Kommunikationsraum hin, dessen Bewohner trotz ihrer regionalen Spezifik von hoher Loyalität gegenüber dem deutschen Staat geprägt seien. Seiner Auffassung nach zeichneten sich die Oberschlesier als Grenzbewohner durch Kompetenz in der Sprache und Kultur beider Nationen aus. Die Aussage von Witolla verdeutlicht, dass sich mindestens ein Teil der einheimischen slawophonen Elite als Mitglied einer regionalen, oberschlesisch gedeuteten Wir-Gruppe verstand und diese Zugehörigkeit nicht, beispielsweise angesichts sozialer Benachteiligung, negativ, sondern positiv deutete: „Ich selbst bin Oberschlesier und kann auch polnisch sprechen“; d. h. er könne mehr, weil er ein slawophoner Oberschlesier sei. Zumindest im Falle Witollas, immerhin eines nationalsozialistischen Parteifunktionärs von lokaler Bedeutung, ließ diese regionale oberschlesische Prägung offensichtlich sogar die an sich von der Partei geforderte ideologische Einstellung in der Nationalitätenfrage in den Hintergrund treten. Die Aussage von Klimek wiederum zeugt von hohem Alltagspragmatismus vieler Oberschlesier: Wenn die Arbeitsmöglichkeiten und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland aussichtsreich seien, wäre es in erster Linie notwendig, die deutsche und nicht die polnische Sprache zu beherrschen. Das angeführte Beispiel verweist auf ein wichtiges Merkmal des oberschlesischen Alltags. Die einheimische Bevölkerung hatte die Möglichkeit, aus einem breiten kulturellen Reservoir zu schöpfen, und sie tat es nicht selten ohne Rücksicht auf die von Warschau oder Berlin erwünschte nationale und sprachliche Exklusivität. In einer Meldung aus dem Dorf Raschau schrieb ein GendarmerieHauptwachtmeister 1937, dass sich einige Mitglieder der dortigen Hitlerjugend inklusive ihres Führers an den Festen der Jugendgruppe der polnischen Minderheit beteiligten. Der Beamte befürchtete, dass noch weitere Angehörige der HJ daran teilgenommen und den Beitritt in die polnische Organisation erklärt hätten.155

154 Ebd., Bl. 794–796. 155 Gendarmerie-Hauptwachtmeister Bunke in Nakel an den Amtsvorsteher in Tarnau am 18. März 1937. In: Jaworski/Wojciechowski (Hg.): Deutsche und Polen zwischen den Kriegen, Bd. 2, 915.

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Die sprachliche und kulturelle Kompetenz der einheimischen Bevölkerung konnte selbst an einem einzigen Festabend in Erscheinung treten. Am 11. November 1928 veranstaltete ein auf Polnisch singender Chor aus Gleiwitz-Richtersdorf (im deutschen Teil Oberschlesiens) ein Vereinsfest zu Ehren des 10. Jahrestags der polnischen Unabhängigkeit, verbunden mit einem Tanzvergnügen, in dessen Pausen ein 56 Sänger zählender gemischter Chor des polnischen Gesangvereins „Chopin“ aus Hindenburg O.S. polnische Lieder vortrug. Der zuständige Polizeipräsident, verantwortlich für die Überwachung der Aktivitäten der polnischen Minderheit, berichtete, dass die Veranstaltung abgesehen von den gesanglichen Darbietungen in keiner Weise einen politischen Charakter hatte. Die Gäste hätten untereinander deutsch gesprochen, bei der veranstalteten Saalpost sei zumeist deutsch geschrieben worden, der Ausrufer, ein Angehöriger der polnischen Minderheit, habe sich vorwiegend der deutschen Sprache bedient, und als die Gäste in Stimmung waren, sollen an einzelnen Tischen sogar deutsche Trink- und Soldatenlieder angestimmt worden sein. Außer den „Polenführern“ Lapa und Artur Aulich habe keiner der Anwesenden dabei „etwas gefunden“. Die beiden genannten „Polenführer“ hätten zwar versucht, den deutschen Gesang durch Einreden auf die Sänger zu verhindern, ihre Einmischungen seien jedoch nicht beachtet worden. Einzelne Festteilnehmer, und zwar solche, die zu den geladenen Gästen gehörten und die der Polizeipräsident zur polnischen Minderheit rechnete, hätten es Lapa sogar „übel genommen, dass er sich Sachen herausnehme, für die nur die Veranstalter des Vergnügens zuständig“ seien. Schließlich habe Lapa „sogar unter seinen Gesinnungsgenossen so viele Feinde“ gehabt, dass er nach Beendigung des Vergnügens „nicht den Mut hatte, nach Ostroppa nach Hause zu gehen, sondern sich in Begleitung von Beamten der politischen Polizei in die Innenstadt begab, um einem Überfall aus dem Wege zu gehen“.156 In diesem Fall ist zu sehen, dass polnisch geneigte oder sogar polnisch orientierte Oberschlesier – wer sonst hätte die Feier des polnischen Unabhängigkeitstags im deutschen Teil der Region organisiert – sowohl auf Polnisch bzw. im örtlichen slawischen Dialekt als auch auf Deutsch kommunizierten. Darüber hinaus nahmen an der Veranstaltung national indifferente und möglicherweise deutsch geneigte Oberschlesier teil, für die der Auftritt der Chöre und das anschließende Tanzvergnügen offenbar hohe Attraktivität besaßen. Der Anlass zum Feiern hatte zwar einen durchaus nationalen polnischen Charakter – als Gründungsvoraussetzung der Polnischen Republik wurde der Jahrestag des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 zum offiziellen Nationalfeiertag in Polen –, aber die Gäste und gegebenenfalls die Organisatoren waren damit nicht einverstanden, den Festabend ausschließlich in polnischer Sprache und Tradition zu gestalten. Die von beiden Chören vorgestellten patriotischen Lieder waren vermutlich mit der allgemeinen polni156 Der Polizeipräsident in Gleiwitz an den Oberpräsidenten in Oppeln am 5. Januar 1929. In: ebd., 934.

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schen Festform aufs Engste verbunden. Das literarische, also dialektfreie Polnisch nahm nämlich in Oberschlesien festliche Züge an und wurde meist in Zeitungen, Kalendern, sakralen Handlungen sowie religiösen und patriotischen Liedern verwendet. Der oberschlesische Dialekt dagegen diente als Verständigungsmittel in familiären und nachbarschaftlichen Milieus.157 Das Anstimmen deutscher Soldatenlieder beim Umtrunk geht auf den Umstand zurück, dass zahlreiche Oberschlesier im deutsch-französischen Krieg und im Ersten Weltkrieg in der preußischen Armee gekämpft hatten, was bei vielen Einheimischen in ihrer familiären und lokalen Überlieferung fest verankert war. Mit einer ausschließlich polnischen Traditionsbildung, die vor allem auf die Unabhängigkeitskämpfe der Polen Bezug nahm, war dies kaum in Einklang zu bringen. Daher versuchten die am stärksten polnisch orientierten Oberschlesier bzw. Vertreter der polnischen Minderheit, hier die beiden sogenannten Polenführer, derlei zu unterbinden. Gleichwohl verteidigte ein Teil des Publikums die eigenen heimischen Umgangsformen, die aus vermeintlich nicht zusammenpassenden Komponenten bestanden. Dies dürfte der Grund der Auseinandersetzung gewesen sein, wobei man nicht ausschließen kann, dass auch andere Faktoren wie etwa persönliche Streitigkeiten eine Rolle gespielt haben mochten. Es ist schon paradox, aber für die Lage in Oberschlesien doch bezeichnend, dass ein Anführer der polnischen Minderheit Schutz vor einem Überfall seiner ‚Volksgenossen‘ in den Reihen der deutschen politischen Polizei suchen musste. Es scheint, dass die meisten Veranstaltungsbesucher wie auch die Mitglieder der beiden Chöre unterschiedliche Ziele mit der Teilnahme am ‚nationalen‘ Fest verfolgten wie z. B. Geselligkeit, Gesang oder Wohltätigkeit. Vieles deutet darauf hin, dass die Einbindung in überlokale Kommunikationsstrukturen und dadurch der Kontakt mit den nationalen Narrativen und patriotischen Verhaltensformen für einen Großteil der Beteiligten nur ein beiläufiges Ergebnis war.158 Ähnlich wie die Mitglieder der polnischen Nationalbewegung taten sich auch die Nationalsozialisten in Oberschlesien schwer – zumindest diejenigen, die nicht wie Hans Witolla den Unterschied zwischen ideologischem Anspruch und lokaler bzw. regionaler Prägung einfach zugunsten der letzteren ignorierten. Gegen einen Siegeszug der neuen Ideologie wirkten bei den einheimischen slawophonen Oberschlesiern zwei Faktoren: der Katholizismus und der Alltagspragmatismus. Ein besorgter Hitlerjugendführer berichtete, dass ein Teil der HJ-Mitglieder aus Klein Schimnitz, Kreis Oppeln, gleichzeitig dem katholischen Jugendverein angehöre. Bei einem lokalen Sportfest, das von der NSDAP-Kreisgruppe Oppeln-Land im Juni 1937 organisiert wurde, traten die beiden Mitgliedschaften in eine direkte Konkurrenzsituation, da in einer benachbarten Kirchengemeinde gleichzeitig ein Ablassfest (ein wichtiges alljährliches Fest katholischer Kirchengemeinden) statt157 Kopeć: „My i oni“, 153f. 158 Vgl. Grabowski: Deutscher und polnischer Nationalismus; Riederer: Fest im Reichsland, 422–429.

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fand. Zum Entsetzen des HJ-Führers gingen die meisten Jungen zum Kirchfest, und zwar mit der Begründung: „Dort gibt es Kaffee und Kuchen, beim Sportfest aber nicht.“159

3.5.

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Vor dem Ausbruch der deutsch-polnischen Abstimmungsrivalität kam im kirchlichen Raum staatliche bzw. nationalisierende Politik nur selten zur Geltung. Lediglich zum Kaiser-Geburtstag wurde regelmäßig für den Monarchen gebetet.160 Am Sedantag (1. September) bestellten die Kriegervereine für die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges Gottesdienste, ehe sich der Jahrestag der Schlacht in einen symbolischen Erinnerungsort des deutschen nationalen Diskurses wandelte und die Nationalhelden und nationale Symbolik auch in den Kirchen gefeiert wurden.161 Die meist polnische Sprache der Gebete und des Gesangs wurde bis 1918 nur von der polnischen Nationalbewegung als Ausdruck der Verbundenheit mit dem Polentum betrachtet. In Oberschlesien kannte man – im Gegensatz zu den Gebieten, die vor 1772 auf dem Territorium der polnischen Adelsrepublik lagen und sich vor dem Ersten Weltkrieg in den Grenzen der polnischen Diözesen befanden – das Fest der Muttergottes als der Königin Polens nicht. Erst nach der Teilung Oberschlesiens hielten neue Gewohnheiten in den katholischen Gotteshäusern der Region Einzug. Das zwischen Polen und dem Vatikan geschlossene Konkordat aus dem Jahr 1925 setzte das kirchliche Fest der Muttergottes als der Königin Polens auf den 3. Mai – zugleich den Feiertag der ersten polnischen Verfassung. Es kam zu einer engen symbolischen Verbindung der katholischen und nationalen Traditionen, die ihren Ursprung im feierlichen Gelöbnis des polnischen Königs Johann Kasimir aus dem Jahr 1656 hatte und während der Teilungszeit zu einer vereinigenden symbolischen Figur der polnischen Nationalbewegung geworden war.162 Dieser nationalpolitische Zusammenhang zwischen der auch in Oberschlesien verehrten Schwarzen Madonna von Tschenstochau163 und den Unabhängigkeitsbestrebungen

159 HJ-Führer aus Proskau an den Landrat in Oppeln am 4. September 1937: APOp, LandOpp 176, Bl. 1253. 160 Aus regionaler und zugleich katholischer Perspektive vgl. Schneider, Ute: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1806–1918), Koblenz 1995. 161 Explizit zu Oberschlesien vgl. Linek: Sedantag. 162 Vgl. Gąsior, Agnieszka: Die Gottesmutter. Marias Stellung in der religiösen und politischen Kultur Polens. In: Samerski, Stefan (Hg.): Die Renaissance der Nationalpatrone. Erinnerungskulturen in Ostmitteleuropa im 20./21. Jahrhundert, Köln 2007, 77–98. 163 Kluzowicz, Katarzyna: Transgraniczność kultu ikony Matki Boskiej Częstochowskiej i Matki Boskiej Piekarskiej na Śląsku doby nowożytnej. In: Dolański, Dariusz (Hg.): Religijność na polskich pograniczach w XVI–XVIII wieku, Zielona Góra 2005, 47–59.

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der polnischen Eliten war allerdings im polnisch gewordenen Teil des Abstimmungsgebiets wenig bekannt. Den Marienfeiertag führte die Kattowitzer Kurie gleich nach der Unterzeichnung des Konkordats ein. Der Tag sollte in allen Gemeinden mit einem feierlichen Gottesdienst mit einer Predigt, die den Anlass entsprechend betonen sollte, begangen werden. Der genaue Termin der Messe musste zusammen mit den örtlichen Schulvorständen und staatlichen Behörden vereinbart werden.164 Ein Jahr später, schon nach der Machtübernahme durch das Sanacja-Lager, wurde zusätzlich die Pflicht eingeführt, für den Präsidenten und die Republik zu beten. Die Priester mussten am 3. Mai, 15. August, 11. November und beim Namenstag des Präsidenten daran erinnern. Die Predigt an diesen Tagen sollte durch die Betonung der Verbundenheit aller Polen das Feiermotiv unterstreichen und sich auf die Liebe zum Vaterland und die Dankbarkeit gegenüber Gott für die Wiedererlangung der Unabhängigkeit konzentrieren. Zum Abschluss sollte die kirchlich-patriotische Hymne „Boże coś Polskę“ intoniert werden.165

Abb. 2. Kundgebung zum polnischen Nationalfeiertag am 3. Mai 1933 auf dem Ring in Kattowitz. Auf der rechten Seite ist das Stadttheater zu sehen. Bildnachweis: Narodowe Archiwum Cyfrowe, 1-P-2887-1 (Czesław Datka).

164 Myszor, Jerzy: Historia diecezji katowickiej, Katowice 1999, 175. 165 Ebd., 176.

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In der Regel verliefen die Festlichkeiten reibungslos. Die hohen kirchlichen Würdenträger nahmen an offiziellen Feiern teil und hielten feierliche Gottesdienste ab. Die Messen fanden oft nicht nur in der Kattowitzer Kathedrale, sondern auch vor dem Wojewodschaftsgebäude oder auf dem Ring statt. Die Beteiligung der Geistlichen an den staatlichen Feierlichkeiten war zusätzlich dadurch legitimiert, dass das kanonische Recht den Priestern nicht verbot, sich im politisch-öffentlichen Leben zu engagieren. So kam es nicht selten vor, dass bei solchen Anlässen manche Priester in einer Doppelrolle – eines Geistlichen und z. B. eines Parlamentariers – auftraten.

Abb. 3. Kundgebung zum polnischen Nationalfeiertag am 3. Mai 1933 in Kattowitz. Pfarrer Kwoczola aus Myslowitz hält während eines Gottesdienstes eine patriotische Ansprache vor dem Gebäude des Wojewodschaftsamtes. Bildnachweis: Narodowe Archiwum Cyfrowe, 1-P-2887-5 (Czesław Datka).

Schon während des Plebiszits beteiligte sich ein Teil des Klerus an Propagandaaktionen und einige Priester sammelten ihre ersten politischen Erfahrungen noch im preußischen Staat, meist als Vertreter des vor dem Krieg erfolgreichen politischen Katholizismus. So war es weder für den Klerus noch für die Gemeindemitglieder ungewöhnlich, wenn die Geistlichen ihre politischen Überzeugungen öffentlich äußerten. Wenn jedoch die priesterliche Agitation das vertretbare Maß überschritt, reagierten die Gläubigen mit offener Kritik oder anonymen Zeitungsartikeln.166 166 Dies war z. B. der Fall in Bismarckhütte, wo Dekan Józef Czempiel am Sonntag der Kommunalwahlen im November 1926 seine politischen Gegner von der Kanzel herab tadelte. Ein Teil der deutschsprachigen Gemeindemitglieder verließ ostentativ den Gottesdienst und ver-

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Nichtsdestoweniger wurden sowohl in den Sejm der Zweiten Republik als auch in das schlesische Landesparlament mehrere Priester gewählt. Sie gehörten jedoch nicht alle einer Gruppierung an. Die Mehrheit der politisch engagierten Geistlichen aus Oberschlesien unterstützte die Christliche Demokratie, ein kleinerer Teil die Sanacja.167 Als ein besonders kontroverser Streitpunkt erwies sich die Unterstützung des Piłsudski-Kultes. Viele Geistliche ignorierten den Personenkult aufgrund anderer politischer Ansichten, was sofort Interventionen der Wojewodschaftsbehörde nach sich zog. Die Stimmung innerhalb eines Teils des polnischen Klerus gab ein ostpolnischer Bischof, Zygmunt Łoziński, in einem Hirtenbrief wieder. Darin begründete er seine Ablehnung und sein Verbot, das er den ihm untergeordneten Geistlichen erteilt hatte, am 19. März 1930 eine Lobrede auf Piłsudski zu halten. Keineswegs, so erläuterte Łoziński, seien persönliche Abneigung oder gar Hass auf den Marschall der Grund dafür, jedoch halte er es für äußerst unangebracht und die katholische Liturgie verzerrend, eine Lobrede auf Piłsudski in der Kirche während eines Gottesdienstes zu halten. Weiterhin führte er aus, dass der Gottesdienst und die Predigt keine äußerlichen Zeremonien seien, die den Zweck hätten, einen kurzfristigen Eindruck zu erzeugen. Ein kirchliches Fest in die Feier einer lebenden Person umzuwandeln, so wurde Łoziński abschließend sehr deutlich, sei „Gotteslästerung“.168 Solche politischen Jahrestage, die mit einem feierlichen Gottesdienst verbunden waren, stießen – im Gegensatz zu ‚gewöhnlichen‘ nationalen Feiertagen – auf lebhaftes Interesse der Bevölkerung. Vielerorts beantragten die Vertreter der lokalen Behörden einen Feldgottesdienst, um einerseits der öffentlichen Feier einen besonderen Rahmen zu verleihen und andererseits einer möglichst großen Menschenmenge eine Teilnahme an der kirchlichen Zeremonie zu erleichtern. So fand z. B. in Lipine, einem Industriedorf im polnischen Teil des Kohlereviers, am 3. Mai 1923 ein Feldgottesdienst statt, an dem kirchliche wie weltliche Vereine, Berufsvereinigungen und die Schuljugend teilnahmen. Ein Jahr später hielt der Pfarrer eine festliche Messe in der Kirche ab, so dass nur ausgewählte Vertreter der Vereine und der Schule einen Platz im Kirchenraum fanden – mehrere Personen blieben zwangsläufig auf dem Kirchenvorplatz oder sogar der Messe fern. Um dies 1925 zu vermeiden, wandte sich der Lipiner Amtsvorsteher an den Pfarrer und argumentierte für einen Feldgottesdienst am 3. Mai, da sich „das Volk an den Feierlichkeiten beteiligen und seine nationale Pflicht erfüllen“ wolle. Das Festkomitee wiederum müsse nach „einer Verbindung der nationalen mit der kirchlichen Pflicht“ streben. Schon „die einfache Neugier“ ziehe die Leute dahin, „wo sie etwas Einmaliges“

öffentlichte einen kritischen Artikel im Oberschlesischen Kurier. Vgl. Archiwum Parafii Najświętszej Marii Panny w Hajdukach Wielkich, 80, Bl. 76–87. 167 Vgl. Olszar: Duchowieństwo, 514–541; Musialik, Wanda: W kręgu polityki i władzy. Polskie środowiska przywódcze górnośląskiego obszaru plebiscytowego z lat 1921–1939, Opole 1999, 54–62. 168 „List pasterski biskupa Łozińskiego“. In: Polonia 1986 vom 16.4.1930.

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sehen könnten. Da die heilige Messe sehr feierlich abgehalten werde, müsste der Pfarrer auch „dieses psychologische Argument“ berücksichtigen.169 Schließlich wurde ein Feldgottesdienst von der Kurie erlaubt. Es zeigte sich, dass gerade eine Verbindung von „nationalen“ und „kirchlichen“ Pflichten eine sehr attraktive Mischung für die Oberschlesier darstellte. Die Einwohner konnten so dem neuen Staat ihre Loyalität zeigen, und zwar in einem Rahmen, der ihnen sehr vertraut war. Die Stellungnahme des Lipiner Pfarrers muss auch als symptomatisch gewertet werden: Gutwillig hielt er einen feierlichen Feldgottesdienst an einem politischen polnischen Feiertag, als der zum ersten Mal am 3. Mai 1923 in Oberschlesien gefeiert werden durfte. Ein Jahr später jedoch erachtete er es nicht als notwendig, eine solche enge Verbindung zwischen einer politischen Angelegenheit und einem außergewöhnlichen Gottesdienst dauerhaft zu etablieren. Erst aufgrund von Bittschriften seitens der politischen Verwaltungsgemeinde wurde ein Feldgottesdienst 1925 wieder möglich. Mancherorts kam es zu Missverständnissen, die das Verhältnis von nationalisierender Politik und Kirche betrafen. In Hohenlohehütte bei Kattowitz verbot der örtliche Pfarrer Paweł Michatz den Ministranten, am 3. Mai-Feiertag 1925 die Abzeichen mit dem polnischen Adler in der Kirche zu tragen. Daraufhin wurde er von der Hauptkommandantur der schlesischen Polizei einer antipolnischen Tätigkeit bezichtigt.170 Wahrscheinlich wollte der Priester keiner nationalen Ideologie und ihrer politischen Symbolik, nicht nur der polnischen, innerhalb der kirchlichen Mauern einen Platz gewähren. Während der deutschen Besatzung nach 1939 hatte er den Mut, für verfolgte polnische Katholiken einzutreten, worauf die Nationalsozialisten mit Repressionen reagierten.171 Auch rein persönliche Gründe konnten zu Auseinandersetzungen führen. In Leschczin, Kreis Rybnik (im polnischen Teil Oberschlesiens), beschlagnahmte die Polizei 1926 eine selbstgebaute Radioempfängerstation des örtlichen Pfarrers Paul Gediga. Diese Maßnahme wurde damit begründet, dass im Grenzstreifen private Radiostationen aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt seien.172 Pfarrer Gediga empfand die Aktion als persönlichen Angriff und Verunglimpfung seitens der polnischen Behörden. Kurz danach lehnte er die Bitte eines Festkomitees ab, am 3. Mai 1926 einen feierlichen Gottesdienst zu zelebrieren. Seiner Auffassung nach sei „der 3. Mai-Feiertag kein kirchliches Fest, sondern ein staatliches und aufgezwungenes [...] und die Bevölkerung darf an diesem Tag arbeiten und muss nicht zur Kirche

169 Naczelnik gminy Lipiny do urzędu parafialnego tamże dnia 3 kwietnia 1925: AAKat, AL Lipiny, Bd. 2, Bl. 5f. 170 Myszor: Historia diecezji katowickiej, 111f. 171 Ebd. 172 Naczelnik wydziału w Śląskim Urzędzie Wojewódzkim do biskupa katowickiego 28 maja 1926: AAKat, Exeat 1, Bl. 48.

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gehen“.173 Der Pfarrer war offenkundig wegen der Polizeiaktion in seinem Haus äußerst erbost, wenn er auf zusätzliche Möglichkeiten verzichtete, das Gotteswort zu verkünden und die entsprechenden, vermutlich hohen Einnahmen zu sammeln. Der Geistliche fühlte sich wahrscheinlich aus dem Grund dazu gezwungen, dass zuvor seine Autorität als Pfarrer von der staatlichen Stelle untergraben worden war.174 Einen anderen Streitpunkt im polnischen Teil Oberschlesiens bildeten die deutschsprachigen Messen an polnischen staatlichen Feiertagen. Da der 3. Mai nicht nur ein politisches, sondern auch ein kirchliches (Marien)Fest war, hielten manche Priester einen festlichen Gottesdienst für die deutschsprachigen Gemeindemitglieder ab. Gut besucht war ein solcher Gottesdienst etwa am 3. Mai 1926 in Rydultau, Kreis Rybnik. Während der heiligen Messe drangen jedoch etwa zehn Personen in die Kirche ein und begannen „wild zu singen, zu schreien und zu johlen“. Der Geistliche zelebrierte das Amt still zu Ende, „die Orgel und der Kirchengesang verstummten“, ein Teil der Besucher flüchtete aus dem Gotteshaus. Die Störer des Gottesdienstes kamen angeblich angetrunken von einem Nachtbiwak der ehemaligen Aufständischen.175 Der Pfarrer verdächtigte den örtlichen ZOKZ, diese für ihn unerhörte Tat angestiftet zu haben.176 Jene polnischen Vereine, deren Mitglieder nationalistisch orientiert waren, empfanden einen deutschen Gottesdienst am polnischen Feiertag als Unverschämtheit. Der Druck auf die Kirche erhöhte sich besonders gegen Ende der 1930er Jahre. In Orzesche protestierten die polnischen Vereine gegen eine deutsche Maiandacht am 3. Mai 1936.177 In Pleß fanden nur dienstags und freitags deutsche Maiandachten statt, aber 1938 fiel der 3. Mai ausgerechnet auf einen Dienstag und der Pfarrer hielt wie üblich eine deutsche Andacht an diesem Tag ab. Das Presseorgan der polnischen Nationalisten in Oberschlesien tadelte dies in scharfen Worten als eine „unerhörte nationale Beleidigung“.178 In einer Erklärung an den Bischof wies der Pleßer Pfarrer darauf hin, dass er das Gottesdienstprogramm eigenhändig und willkürlich nicht verändern dürfe. Darüber hinaus seien die polnischen Maiandachten am 3. Mai wegen großer politischer Festveranstaltungen schlecht besucht. Hier wird die direkte Konkurrenz zwischen kirchlichen und politischen Ver173 Protokół zeznania świadka Alojzego Pogockiego [ohne Datum]: AAKat, AL Leszczyny, Bl. 196. 174 Ausführlich zur Stellung des Pfarrers in der ländlichen Gemeinschaft vgl. die Einleitung im Kapitel 4. 175 Oberschlesischer Grenzbericht Juni 1926: PAAA, Abteilung IV, Innere Politik 82898 [unpag.]. 176 Proboszcz Emil Biernacki do Kurii Biskupiej w Katowicach 14 maja 1926: AAKat, AL Rydułtowy, Bd. 1, Bl. 142. 177 Zarząd Arcybractwa Matek Chrześcijańskich i zarząd Towarzystwa Polek do biskupa Bromboszcza 7 czerwca 1936: AAKat, AL Orzesze, Bd. 1, Bl. 68f. 178 Polska Zachodnia 125 vom 8. Mai 1938.

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anstaltungen deutlich. Die Vertreter der polnischen Nationalbewegung beanspruchten jedoch beide Veranstaltungsarten für sich, auch wenn sie nicht an beiden teilnehmen konnten. Für diese Menschen war es wahrscheinlich wichtiger, dass den deutschsprachigen Gemeindemitgliedern die Gelegenheit, einem Gottesdienst beizuwohnen, entzogen wurde. Dadurch wird eine nationalisierende negative Politik sichtbar. Ähnliche Rivalitäten waren im deutschen Teil Oberschlesiens Anfang der 1930er Jahre und nicht zuletzt nach der nationalsozialistischen Machtergreifung zu beobachten. Bis 1931 ließen sich kaum Unstimmigkeiten beobachten. Dies ging darauf zurück, dass das in Oberschlesien regierende Zentrum eng mit der katholischen Kirche zusammenarbeitete: Die Katholische Volkspartei, wie das Zentrum in Oberschlesien hieß, wurde von Prälat Carl Ulitzka – einem Ratiborer Pfarrer und Reichstagsabgeordneten – geleitet.179 Kardinal Bertram ordnete regelmäßig an, bei großen Abstimmungsfeierlichkeiten die Glocken aller Kirchen zu läuten.180 Erst zum zehnten, groß begangenen Jahrestag der Abstimmung 1931 wurden Beschuldigungen und Vorwürfe von nationalistischen Vereinen laut. Den Priestern aus Bierdzan, Kreis Oppeln, und Woinowitz, Kreis Ratibor, wurde vorgeworfen, keinen deutschen Festgottesdienst zelebrieren zu wollen. Obwohl jeder Priester in der Predigt am 20. März des Plebiszits gedenken sollte, habe der Woinowitzer Pfarrer Johann Melzer statt der Predigt eine polnische Religionsprüfung der Kinder abgehalten.181 Der Ratiborer Landrat entschärfte jedoch die Vorwürfe eines ehemaligen Selbstschutzführers und wies auf mehrere falsche Angaben hin.182 In Bierdzan, ähnlich wie in anderen oberschlesischen Dörfern, teilten sowohl die Gemeindemitglieder als auch der Pfarrer die Überzeugung, dass sie als loyale Staatsbürger und gute Katholiken an einigen Sonn- und Feiertagen im Kirchenjahr für das Wohl ihres Staates beten sollten. Ein Teil der Bierdzaner Katholiken wünschte sich, den runden, groß gefeierten Jahrestag des Plebiszits während des sonntäglichen Hauptgottesdienstes am 22. März 1931 mit Gesang und Lesung in deutscher Sprache zu begehen.183 Dies stand jedoch im Widerspruch zu der vom Breslauer Erzbischof akzeptierten Gottesdienstordnung der St. Hedwig-Gemeinde, nach der der Hauptgottesdienst von polnischem Gesang und Gebet begleitet und das Evangelium auf Polnisch vorgelesen wurde. Die deutsche Sprache hingegen kam während des Frühgottesdienstes zur Geltung, in dem die Lesung und die Ver179 Ausführlich zu Carl Ulitzka vgl. Hitze: Carl Ulitzka. 180 Beispielsweise Hirtenbrief Kardinal Bertrams vom 22. März 1931: AAWr, NB I A 25 z. 24 [unpag.]. 181 Von Banck, ehemaliger Führer des Selbstschutzes in Woinowitz, an Landrat in Ratibor am 16. Juni 1931: APOp, OP 75, Bl. 37. 182 Landrat in Ratibor an den Oberpräsidenten in Oppeln am 24. Juni 1931. In: ebd., Bl. 51– 57. 183 Johann Stasch an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin am 28. Juli 1931: APOp, OP 85, Bl. 165.

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kündung der Hirtenbriefe auf Deutsch stattfanden und der auf Wunsch von deutschen religiösen Liedern umrahmt war. Pfarrer Gottfried Pillawa erlaubte deshalb schließlich nicht, am zehnten Jahrestag der Abstimmung den Hauptgottesdienst ausnahmsweise mit deutschsprachigen Elementen abzuhalten. Dies löste bei einem Teil seiner Gemeindemitglieder heftige Kritik aus.184 Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung kam es zu einer offenen Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche. Auf der Ebene der normalen oberschlesischen Gemeinden ging der Streit in erster Linie um die Sonntagsheiligung, d. h. die Pflicht eines jeden Katholiken, am Sonntag die heilige Messe zu besuchen. Ganz gezielt organisierte die NSDAP politische Feierlichkeiten an Sonntagen oder anderen für die Katholiken wichtigen kirchlichen Feiertagen. Durch die Konkurrenzveranstaltungen wollten die Nationalsozialisten die Gläubigen von der Kirche fernhalten. Dies geschah trotz der Regelungen, die im Konkordat 1933 vereinbart worden waren. So legte dessen Artikel 31 fest, dass Sport- und Jugendveranstaltungen mit der Sonntagspflicht nicht kollidieren dürften. Am Sonntag, dem 25. Februar 1934, fand jedoch eine feierliche Amtswaltervereidigung in Oppeln statt und den mehreren tausend Teilnehmern wurde keine Gelegenheit zum Besuch des Gottesdienstes geboten.185 Einige Wochen später legte die SA ein mehrtägiges großes Annaberg-Fest auf den Karfreitag sowie den Ostersonntag und -montag.186 Ähnliches geschah auch in Groß Strehlitz, wo sich 10.000 meist katholische SA-Männer an einem Aufmarsch beteiligten.187 Der Breslauer Erzbischof Adolf Kardinal Bertram reagierte prompt mit einem Brief an den Reichsminister ohne Geschäftbereich und Stellvertreter Hitlers in der NSDAP, Rudolf Heß, in dem er unmissverständlich darauf hinwies, dass Deutschland „ein christliches Land“ sei. Mit diesem Grundsatz sei es unvereinbar, „die Hochfeste ohne Not zu weltlichen Veranstaltungen in Anspruch zu nehmen, auch wenn diese vaterländischen Zielen“ dienten. Es sei „verbitternd und ärgernisgebend, wenn immer dieser edelste Zug der oberschlesischen Diözesanen mit rauer Hand verletzt“ werde.188 Schon wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wandte sich Bertram als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz an den Reichsinnenminister Wilhelm Frick. In seinem Schreiben beschwerte er sich, dass „die überaus zahllosen Veranstaltungen der nationalsozialistischen Bewegung für Erwachsene und für die Jugend, für die Jungmänner und die heranwachsende weibliche Jugend, Übungen, Märsche, festliche Kundgebungen, Gedenktage, patriotische Feiern, Kontrollversammlungen und desgleichen mehr, sowie die Gestaltung

184 Ebd. 185 Beschwerde der Vertreter des oberschlesischen Klerus beim Oberpräsidenten in Oppeln am 23. Februar 1934: AAWr, NB I A 25 s. 78 [unpag.]. 186 Kardinal Bertram an Reichsminister Heß am 17. März 1934. In: ebd. 187 Ebd. 188 Ebd.

Zwischenbilanz

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der Aufgaben im Freiwilligen Arbeitsdienste und Wehrsport“ fast überall in Deutschland „immer wieder ohne Rücksichtnahme auf die gottesdienstlichen Pflichten der Katholiken angesetzt“ werden.189 Um diesem Zustand ein Ende zu setzen, hätten die Geistlichen mit unteren Instanzen verhandelt, jedoch ohne einen „befriedigenden Erfolg“. Die Behörden hätten sich in solchen Fällen für nicht zuständig erklärt oder keine Antwort gegeben und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass „die Teilnahme an all [den Veranstaltungen] eine freiwillige“ sei. Nach Bertram seien jedoch die tatsächlichen Folgen des Fernbleibens für die beteiligten Katholiken „sehr schwerwiegend, sowohl wegen ihrer sozialen Stellung, wie wegen wirtschaftlicher Auswirkung in ihrem Lebenskreise und ihrer Erwerbsmöglichkeit“. In zahlreichen anderen Fällen würden die Gruppen- und Massenveranstaltungen so angesetzt, dass die Teilnehmer „schon bald nach 5 Uhr morgens zum Ausrücken antreten müssen, so dass ein Gottesdienstbesuch ausgeschlossen“ sei. Wenn wiederum „von Ermöglichung des Gottesdienstbesuches“ die Rede sei, so werde die Zeit dafür vielfach so gewählt, dass „eine ruhige Teilnahme gar nicht oder nur hastig und in einem fast erschöpften Körperzustande möglich“ sei. Dennoch sei die Art der Sonntagsheiligung „der Gradmesser christlicher Glaubenskraft und christlicher Lebensordnung“. So bleibe die Sonntagsheiligung „in jeder Hinsicht bis ins letzte Dorf und bis in jedes einzelne Menschenleben hinein Grundpfeiler christlicher Kultur“.190 Die von Kardinal Bertram zum Schluss betonte Verbundenheit der Bevölkerung mit der katholischen Kirche verdeutlicht, dass gerade eine Untersuchung der oberschlesischen Kirchlichkeit weiterführende Aufschlüsse über die tatsächlich praktizierten Denk- und Handlungsmuster der Oberschlesier mit sich bringen kann. Die in diesem Teilkapitel erfolgte, skizzenhafte Betrachtung der Interdependenzen zwischen der nationalstaatlichen Politik und der katholischen Kirche ist somit als inhaltliche Einleitung in den Hauptuntersuchungsbereich der Studie – Heimat, Kirche und Nation – zu betrachten.

3.6.

Zwischenbilanz

Das Leben an der oberschlesischen Grenze, das von den deutschen und polnischen Nationalisten als tägliche nationale Kampferfahrung und als gelebter Patriotismus dargestellt wurde, wies in der Realität vielfältige Schattierungen auf. Zwar war Oberschlesien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine hart umkämpfte Region und ihre Einwohner Objekt politischer Mobilisierungen für das jeweilige nationale Vorhaben, dennoch war es gleichzeitig eine Region der kulturellen Durchmischung. Ungeachtet dessen verlangten die Regierungen der Nationalstaaten eine 189 Kardinal Bertram an Reichsinnenminister Frick am 25. September 1933. In: ebd. 190 Ebd.

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ausschließliche Identifikation mit ihrer Trägernation und ihrem Staat. Die „nationalizing nation-states“, wie sie Rogers Brubaker bezeichnete,191 setzten auf Vereinheitlichung und, falls das primäre Ziel nicht erreicht werden konnte, auf Unterdrückung nichtkonformer Minderheiten statt auf Kompromiss. Dabei wurden zwischenstaatliche und zwischengesellschaftliche Beziehungen gegen den politischen Rivalen instrumentalisiert. Dennoch lässt sich gerade durch eine mikrogeschichtliche Beobachtung unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten feststellen, dass selbst im „Zeitalter des Nationalismus“ die Wirksamkeit solcher Instrumentalisierungen begrenzt war. Eine Vielzahl der einheimischen Oberschlesier blieb resistent gegenüber nationalpolitischer Mobilisierung und eignete sich die schwarz-weiße Propagandabotschaft nicht an. Es gab offensichtlich neben den „nationalisierenden Nationalstaaten“, dem „externen Heimatland“ und den verschiedenen Ethnonationalismen der Minderheiten, die in Brubakers Modell einen politischen, zwischenstaatlichen Dialog äußerst schwer, wenn nicht sogar unmöglich machen, eine wenig politisierte und kampfunwillige Alltagswirklichkeit unterhalb der politischen Elitendiskurse. Die angeführte Rezeptionsanalyse zeigt, dass ein Blick ‚von unten‘ auf die kirchliche Ebene der lokalen oberschlesischen Lebenswelten ein großes Potential im Hinblick auf die Erforschung des realen Verlaufs und Erfolgs von Nationalisierungsprozessen im geteilten Oberschlesien aufweist. Eine detaillierte Betrachtung der Kirchlichkeit der Oberschlesier kann demgemäß an die oberschlesischen Alltagswirklichkeiten heranführen.

191 Brubaker: Nationalism reframed, 57.

4.

Kirchliche Feiern als Orte nationaler Auseinandersetzung

Dem Problemfeld Heimat, Kirche und Nation soll im Folgenden anhand kirchlicher Feiern in oberschlesischen Pfarrgemeinden nachgegangen werden. Dabei wird untersucht, inwiefern sich die kirchlichen Feiern als Orte lokaler Auseinandersetzungen zu nationalistischen Zwecken instrumentalisieren ließen und welche Personen oder Gruppen hinter diesen Bemühungen standen. Darüber hinaus wird die Frage gestellt, unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß der katholische Klerus zu den Trägern der Nationalisierungsprozesse gehörte. Durchgängig wird dabei das Augenmerk auf die nationalistisch begründete Inklusion und Exklusion während der Feiern gerichtet. Zunächst muss jedoch der Stellenwert der oberschlesischen Pfarrer und Kapläne in den katholischen Gemeinden der Region verdeutlicht werden. Diese historischen Akteure spielten gerade auf der lokalen Ebene eine wichtige Rolle bei der Vermittlung, Aneignung oder Ablehnung moderner Erscheinungen wie Politisierung, Ideologisierung oder Durchstaatlichung. Die Kirchengemeinde wird hier als „ein örtlich begrenzter, juristisch definierter Kreis von Gläubigen“ verstanden, der „aufgrund seiner religiösen Bedürfnisse fromme Handlungen gemeinsam ausübt und dafür die Unterstützung von Seelsorgern erhält“.1 Die wirksame Reichweite einer Pfarrei umfasste traditionell die ganze Bevölkerung des jeweiligen Gebietes. Sie war dabei eine feste Größe, die ihre Wurzeln und ihre Stärke aus der vormodernen Zeit schöpfte und über einflussreiche Mobilisationsmittel verfügte. An der Spitze der jeweiligen Gemeinde stand der Pfarrer, der durch seine Haupttätigkeit, die Ausübung von Riten, einen wichtigen Platz in der örtlichen Lebenswelt einnahm und sich hohen Ansehens erfreute. Rudolf Vogel, Redakteur der „Oberschlesischen Volksstimme“, stellte in seiner 1931 veröffentlichten soziologischen Analyse Oberschlesiens anschaulich fest, dass die Person des oberschlesischen Priesters „im sozialen Ansehen bedeutend höher als im katholischen Westen“ stehe. „Schon äußerlich“ bringe „der einfache Mann, natürlich noch mehr die Frau, dem Geistlichen eine Devotion entgegen, die schon dem westdeutschen Katholiken auffällt, geschweige denn dem Protestanten“. Besonders „die wahren Volksfeste“ Oberschlesiens, die Fronleichnamsprozessionen und die Wallfahrten, erlaubten es, „die Verschmelzung von Volkstum und Katholizismus“ richtig einzuschätzen. So könne die Bevölkerung von keiner Seite leichter beeinflusst werden „als von der des Klerus“.2 Der Pfarrer war eine unumstrittene Respektperson des gesellschaftlichen Lebens, dem höchste Anerkennung und sogar offene Verehrung entgegengebracht

1 2

Dietrich: Konfession im Dorf, 22. Vogel: Deutsche Presse, 18.

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wurde. In einer Welt, in der das katholische Bekenntnis nicht nur religiöse Bedeutung besaß, sondern auch allgemeine Norm war, entsprach die Stellung des Pfarrers tatsächlich der eines „Pfarrherrn“. Dieser auch offiziell gebräuchliche Ausdruck konnte im Oberschlesien der Zwischenkriegszeit, wie Guido Hitze schreibt, durchaus noch wörtlich genommen werden.3 Diese Bezeichnung verweist auf eine überaus starke Position des Pfarrers, die „weit über seine damals allgemein übliche und kirchenrechtlich festgeschriebene Hirtenfunktion hinausreichte“.4 Insbesondere auf dem Land, aber nicht minder in zahlreichen Industriedörfern des Kohlereviers gehörte der Pfarrer „nicht nur zu den führenden Honoratioren, sondern in vielen Fällen war [er] auch eine Art kleiner Gutsbesitzer“.5 So suchten die Gläubigen seinen Rat „nicht nur in religiösen Fragen, sondern auch in Rechts- und Geschäftsangelegenheiten“.6 Sein Wort galt in vielen Fällen als „ungeschriebenes Gesetz und die Autorität des Pfarrers stand oftmals weit über der des Dorfpolizisten oder gar des Richters“.7 Der Pfarrer musste in seiner herausgehobenen Position hohe Verantwortung tragen und angesichts der sich verändernden Lebenswelt und der vor diesem Hintergrund möglichen Konflikte Stellung beziehen.8 Gerade nach dem Ende des Ersten Weltkriegs waren diese Eigenschaften besonders gefragt. In Oberschlesien befand sich der katholische Pfarrklerus in einem nicht ungefährlichen Wechselspiel zwischen antagonistischen nationalistischen Kräften, zwischen deutscher und polnischer Hochkultur sowie regionaler oberschlesischer Eigenart und schließlich zwischen dem Partikularismus der Nation und dem Universalismus der römisch-katholischen Kirche. Dies bot den Pfarrern einerseits die Möglichkeit, bei auftretenden Spannungen für jede Konfliktpartei ein Ansprechpartner und möglicherweise auch ein Schlichter zu sein, andererseits aber konnte diese uneindeutige Stellung Misstrauen hervorrufen und befremden. Bis zum Plebiszit verhielten sich die meisten Priester ablehnend gegenüber den Nationalisierungsprozessen und einer vermeintlich ‚objektiven‘ Einschätzung der nationalen Zugehörigkeit.9 Sie akzeptierten eine arbiträre Verbindung der Muttersprache mit der politischen Orientierung nicht, sprachen in der Regel sowohl polnisch als auch deutsch und verrichteten die Seelsorge in der von den jeweiligen Gemeindeangehörigen erwünschten Sprache. Die nationalistisch überhöhte Abstimmungszeit und ihre brutalen Begleiterscheinungen – auch gegenüber Priestern 3 4 5 6 7 8

9

Hitze: Carl Ulitzka, 130f. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Zur Rolle der Priester als „Milieumanager“ vgl. Blaschke, Olaf: Die Kolonialisierung der Laienwelt. Priester als Milieumanager und die Kanäle klerikaler Kuratel. In: ders./Kuhlemann (Hg.): Religion im Kaiserreich, 93–135. Bjork: Neither German nor Pole, 224–236.

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kam es mancherorts zu Beschimpfungen und Gewalttaten10 – hatten allerdings einen erheblichen Einfluss auf den Wandel dieses Handlungsmusters. Ein Engagement des Klerus für eine Politik der Nationalisierung sah aber ein Großteil der Priester weiterhin kritisch an. So verurteilte ein prominenter Geistlicher, der Kattowitzer Pfarrer Teodor Kubina, eine nationalisierende Haltung des Klerus in einer Rede im Sommer 1922.11 Er betonte darin, in der Abstimmungszeit „unter einem gewissen Zwang“ politisch tätig gewesen zu sein, dabei jedoch „immer einen starken Missklang in [der] Seele“ verspürt zu haben. Er habe aber auch bemerkt, dass in der Zeit des Plebiszits, wo es sich „um Sein oder Nichtsein handelte, Ausnahmezeiten vorhanden waren, welche die Seelsorger gezwungen haben, sich aktiv mit dem politischen Leben zu befassen“. Nun aber gebe es solche Ausnahmezeiten nicht mehr und deshalb sei er „der Erste, welcher sich gemäß [seiner] Ausführungen vom politischen Leben loslöst [und] gänzlich aus dem tätigen politischen Leben“ ausscheide, um nun nur noch der zu sein, der er eigentlich schon immer gewesen sei: „ein Seelsorger“.12 Angesichts der Teilung der Region zielte die allgemeine kirchliche Linie auf seelsorgerische Kontinuität sowie Loyalität gegenüber dem neuen polnischen Staat. Dies formulierte schon der Breslauer Bischof Adolf Kardinal Bertram bei der Errichtung der fürstbischöflichen Delegatur in Kattowitz, als er feststellte, dass „gemäß göttlichem Gebote der staatlichen Obrigkeit die schuldige Ehrerbietung“ zu zollen sei, „einerlei in welcher Hand“ sie ruhe. „Für die glückliche Zukunft“ des polnisch gewordenen Teils Oberschlesiens zu beten, „zieme sich auch für diejenigen Untertanen, die sich eine andere politische Entwicklung gewünscht haben“.13 Welche Spuren das Plebiszit und die Aufstände jedoch in Bezug auf den Zusammenhalt der Gemeindemitglieder untereinander und ihrem Hirten gegenüber hinterließen, erschließt sich erst durch die Betrachtung der lokalen Verhältnisse. Diesem Untersuchungsgegenstand muss zunächst ein skizzenhafter Blick auf die sprachlich-soziale Zusammensetzung der Einwohner Oberschlesiens vorausgehen, um den sozioökonomischen Hintergrund der katholischen Gemeinden besser einordnen zu können. Das Ergebnis des Plebiszits zeigte, dass vorwiegend in den Stadtkreisen, gerade im Industrierevier, eine deutliche Mehrheit für den Verbleib bei Deutschland vorhanden war, wohingegen die ländlichen Gegenden, punktuell sogar die am westlichen Rand des Abstimmungsgebiets, eher für Polen votierten. Nach der Volksabstimmung setzten Migrationsbewegungen ein, auch wenn die sogenannte Genfer 10 Beispielsweise in Lipine, vgl. Grzegorek, Grzegorz/Piegza, Marian: Lipiny 1802–2002. Zarys dziejów osady, gminy, dzielnicy, Katowice 2002, 72. 11 Deutsche Abschrift eines Artikels aus „Gazeta Ludowa“. In: PAAA, Abteilung IVa, Deutschtum in Oberschlesien 82981 [unpag.]. 12 Ebd. 13 Kardinal Adolf Bertram an den fürstbischöflichen Delegaten Jan Kapitza am 26. Oktober 1921: AAWr, NB I A 25 o. 31 [unpag.]. Zit. nach Hitze: Carl Ulitzka, 487.

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Konvention für Oberschlesien, ein auf 15 Jahre befristetes Übergangsabkommen, rechtlichen Schutz für nationale Minderheiten unter der internationalen Aufsicht des Völkerbundes garantierte. Im Gebiet, das Polen zugeteilt bekam, wurde die polnische Sprache im Januar 1923 zur Amtssprache erklärt, was für die nicht polnischsprachigen Einwohner, vor allem für die in der wilhelminischen Zeit zugewanderten, aber auch für die einheimischen Deutschen ein wesentliches Hindernis bei der Besetzung öffentlicher Stellen bedeutete.14 Es begann ein Prozess der Verdrängung der ausschließlich deutschsprachigen Beamten aus Verwaltung, Post, Bahn und Armee.15 Auch das deutsche Schulwesen verlor an quantitativer Bedeutung, so dass immer weniger deutsche Lehrer eine Beschäftigung finden konnten.16 In der Wirtschaft verfolgte der polnische Staat eine Steuer- und Personalpolitik, die auf ökonomische Schwächung der deutschen Industriellen, Ingenieure und Techniker zielte.17 Ähnliche Entwicklungen konnten im Gerichtswesen, bei den Rechtsanwälten und Notaren sowie im Gesundheitswesen beobachtet werden.18 Infolge dieser Prozesse begann das deutsche Bürgertum, das vorwiegend in den Städten des Industriereviers lebte, allmählich nach Deutschland auszuwandern. Unter den Emigranten befanden sich größtenteils Personen, die kulturell eng mit dem Deutschtum verbunden und nationalbewusst waren. Dies trug dazu bei, dass die deutschsprachige Bevölkerung im polnisch gewordenen Oberschlesien nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Verluste hinnehmen musste. Nichtsdestoweniger spielten die verbliebenen nationalbewussten Deutschen weiterhin eine herausragende ökonomische, politische und kulturelle Rolle im polnischen Teil der Region. Die einheimische slawischsprachige Bevölkerung hingegen war hauptsächlich in den unteren Gesellschaftsschichten als Land- und Industrieproletariat zu finden.19 Die Gesamtzahl der Einwohner im polnischen Teil Oberschlesiens verminderte sich indessen nach 1922 nicht. An die Stelle der deutschen Auswanderer traten zum Teil slawophone, zumeist polnisch nationalbewusste Emigranten aus dem Ge-

14 Hojka: Administracja rządowa, 44f. 15 Vgl. Wanatowicz, Maria Wanda: Die Deutschen im staatlichen Sektor des öffentlichen Lebens in Großpolen, Westpreußen und Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 48 (1999) 555–582. 16 Vgl. Falęcki, Tomasz: Niemieckie szkolnictwo mniejszościowe na Górnym Śląsku w latach 1922–1939, Katowice/Kraków 1970; Eser, Ingo: Nationale Identität und deutsches Minderheitsschulwesen in Polnisch-Oberschlesien 1922–1939. In: Ruchniewicz (Hg.): Geschichte Schlesiens, 71–84; Glimos-Nadgórska, Anna: Szkolnictwo i oświata pozaszkolna. In: Serafin (Hg.): Województwo śląskie, 469–503, hier 482–484. 17 Vgl. Grzyb, Mieczysław: Narodowościowo-polityczne aspekty przemian stosunków własnościowych i kadrowych w górnośląskim przemyśle w latach 1922–1939, Katowice 1978. 18 Vgl. Pietrykowski, Tadeusz: Sądownictwo polskie na Śląsku 1922–1937, Katowice 1939; Wanatowicz: Ludność napływowa, 130–133. 19 Serafin: Stosunki demograficzne, 92–98.

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biet, das nach dem Plebiszit bei Deutschland verblieben war.20 Von viel größerer Bedeutung war allerdings die Zuwanderung aus benachbarten polnischen Provinzen. Die zugereisten katholischen Polen waren zwar nicht besonders zahlreich (schätzungsweise etwa 40.000 Personen), oft jedoch besser ausgebildet und beruflich besser qualifiziert als die einheimische slawophone Bevölkerung. Sie übernahmen die frei gewordenen Führungspositionen und beherrschten das Schul-, Gesundheits- und Gerichtswesen.21 Ein großer Teil dieser Gruppe zeichnete sich durch einen selbstbewussten Nationalismus aus, der leicht in eine nationalistische, radikale, antideutsch geprägte Haltung ausartete.22 Im deutschen Teil Oberschlesiens trug die Teilung des Abstimmungsgebiets dazu bei, dass die schmale slawophone Elite beinahe vollständig die Provinz verließ. Sie versprach sich einen sozialen Aufstieg im neu errichteten polnischen Staat.23 Mit der Abwanderung der verhältnismäßig gut ausgebildeten und/oder sozial hoch angesehenen Einheimischen, die die kulturelle und symbolische Kommunikation der slawophonen Bevölkerung verstanden und sie nicht zwangsläufig als minderwertig empfunden hatten, verschwanden weitgehend die Muster des sozialen Aufstiegs in der Sprache der ‚Hiesigen‘. Ein Großteil der slawischsprachigen Bevölkerung blieb dadurch noch stärker in einer Rolle verhaftet, die eng mit geringen Bildungschancen, sozialer Diskriminierung und einem entsprechenden Minderwertigkeitskomplex verbunden war.24 Als Folge der slawischen Tradition der Erbteilung handelte sich bei dieser Gruppe mehrheitlich um ländliches Proletariat, Klein- und Kleinstbauern. Der Agrarsektor war mit einem Anteil von 43 Prozent der wichtigste Erwerbszweig der Provinz. Dadurch dass sich die Großindustrie hauptsächlich um die Städte Beuthen O.S., Hindenburg O.S. und Gleiwitz am nunmehr östlichen Rand der Provinz konzentrierte, besaß der restliche Teil der Region einen noch stärker ländlichen Charakter. Die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche befand sich dabei in der Hand von lediglich 22 deutschen Familien.25 Auch der Verwaltungsapparat wurde von einheimischen Deutschen, in den Führungspositionen teilweise von Zuwanderern aus dem Reichsinneren, dominiert. Auch dadurch prägten die deutsche Sprache und Kultur die Innenstädte der Provinzhauptstadt und der ländlichen Kreisstädte ebenso wie die urbanen Kerne der bevölkerungsreichen Industriezentren. In zahlreichen Dörfern hingegen war der Einfluss der deutschen Amtssprache und Hochkultur viel geringer. Häufig war es nur der örtliche Schullehrer, der diese Faktoren repräsentierte und förderte. 20 Vgl. Mikrut, Jan: Uchodźstwo polityczne z Górnego Śląska po III powstaniu śląskim. In: Studia i materiały z dziejów Śląska 16 (1987) 214–252. 21 Vgl. Wanatowicz: Ludność napływowa; dies.: Inteligencja na Śląsku w okresie międzywojennym, Katowice 1986. 22 Kopeć: „My i oni“, 59–73. 23 Niendorf: Provinz Oberschlesien, 813. 24 Alexander: Oberschlesien, 482f. 25 Niendorf: Provinz Oberschlesien, 813.

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In dem hier skizzierten sozialen Kontext wird im Folgenden die Wirkungskraft der deutschen und polnischen Nationalisierungsprozesse auf die Mitglieder katholischer oberschlesischer Gemeinden beleuchtet. Dieser Untersuchungsgegenstand wird exemplarisch auf drei Feldern beobachtet: zunächst durch eine Analyse der Auseinandersetzung um die Sprache der katholischen Gottesdienste, anschließend durch einen eingehenden Blick auf die öffentlichen Konfrontationen im Umfeld der Fronleichnamsprozessionen und schließlich durch die Betrachtung einer erinnerungspolitischen Denkmalweihe und der Rolle der Pfarrer bei symbolischen nationalpolitischen Handlungen im öffentlichen Raum.

4.1.

Muttersprache und nationale Zugehörigkeit – die Feier des Gottesdienstes im mehrsprachigen Oberschlesien

1920, ein Jahr vor der Abstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Oberschlesiens und in einer äußerst angespannten Zeit der Auseinandersetzung um die Region, kam es zu einem symptomatischen Ereignis, dessen Verlauf ein einleitendes Beispiel für die Verwickeltheit des Themenkomplexes Sprache und Nationalität in Oberschlesien darstellt. Am ersten Maisonntag formierte sich nach den Hochämtern in den Kirchen der Oppelner Umgebung ein propolnischer Umzug und brach in Richtung Provinzhauptstadt auf.26 Die Demonstration führte Szymon Koszyk an, ein in Oppeln geborener und dort aufgewachsener junger Aktivist der polnischen Bewegung. Die Verbreitung der Nachricht über den Aufmarsch veranlasste deutsche Männer, eine Gegenbewegung zu initiieren. Diese führte Jan Mrocheń an, geboren in Grudschütz, einem nahe Oppeln gelegenen Dorf. Beide Aufmärsche trafen sich auf der Oderbrücke unweit der Oppelner Heilig-Kreuz-Pfarrkirche. Bevor sie aufeinander prallten, traten beide Anführer nach vorne und überschütteten den Gegner mit Drohungen, Schimpfworten und Beleidigungen. Szymon Koszyk jedoch, der in einer Stadt, und zwar in Oppeln, geboren und aufgewachsen war, sprach entschieden besser deutsch als polnisch, feuerte also seine verbale Munition gegen Mrocheń und dessen Leute überwiegend auf Deutsch ab.27 Mrocheń hingegen, aus dem Dorf stammend, bediente sich in diesem emotionalen Moment nicht der deutschen Sprache, sondern wetterte – im Namen des deutschen Aufzugs gegen Koszyk – in seinem heimischen, slawischen Dialekt. Anschließend begann eine

26 Die Darstellung der Ereignisse vom Mai 1920 nach Goczoł, Jan: Nationale Zugehörigkeit und Sprache in Oberschlesien. In: Bździach (Hg.): „Wach auf, mein Herz, und denke!“, 96–104, hier 96f. 27 Bezeichnenderweise erwähnt Szymon Koszyk in seinen Erinnerungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Volksrepublik Polen verfasst wurden und erschienen sind, den oben geschilderten Vorfall nicht. In: Glińska, Alina/Malczewski, Kazimierz/Pałosz, Andrzej (Hg.): Wspomnienia Opolan, Bd. 2, Warszawa 1965, 105–166.

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große Prügelei, die ihren Abschluss vor dem Gericht der Interalliierten Kommission für Oberschlesien fand. Dieses merkwürdige Ereignis aus dem Leben der beiden Oberschlesier veranschaulicht plastisch, dass nationales Bewusstsein und Sprache gerade in multiethnischen und sprachlich gemischten Gebieten nicht gleichgesetzt werden können. Dennoch lässt sich anhand der Geschichte Oberschlesiens im 20. Jahrhundert sowie ihrer historiographischen Aufarbeitung aufzeigen, dass Fragen von nationaler Zugehörigkeit und Sprache sehr oft instrumentalisiert und mythologisiert wurden. Dies ist in besonderem Maße auf zwei völlig konträre Auffassungen über die Bedeutung der Sprache für die nationale Identität zurückzuführen. Im Mittelpunkt der Kontroverse steht die Frage, nach welchen Kriterien die Zugehörigkeit zu einer Nation bzw. einer nationalen Minderheit festgestellt werden kann. In der Periode zwischen den Weltkriegen wurden meistens zwei theoretische Ansätze vertreten, ein ‚objektiver‘ und ein ‚subjektiver‘, die in einem scharfen Gegensatz zueinander standen. Die ‚objektive‘ Theorie versuchte, den Nations- bzw. Minderheitenbegriff nach äußeren Merkmalen, d. h. vom Willen des Menschen unabhängigen Faktoren, zu bestimmen. Maßgebend waren danach ,natürliche‘ Gegebenheiten wie gemeinsame Abstammung, Kultur, Brauchtum, Religion und Wohnsitz, vor allem aber die Muttersprache, die als das objektivste Kennzeichen einer stammesmäßigen Gemeinschaft angesehen wurde.28 Die ‚subjektive‘ Theorie hingegen stellte das Willenselement der Personen in den Vordergrund und damit das subjektive freie Bekenntnis, da nach ihrer Auffassung die vermeintlich objektiven Merkmale zu viele Möglichkeiten des Missbrauchs boten.29 Zur Nation bzw. nationalen Minderheit gehöre damit letztlich derjenige, der zu ihr gehören will, unabhängig davon, welche ‚objektiven‘ Merkmale seinen Willen stützen. In dem hier behandelten Fall Oberschlesiens zwischen den Weltkriegen ging der Streit um die nationale Zugehörigkeit der einheimischen Bevölkerung und – als Beweis für die eine oder andere Nationalität – um ihre sprachliche Kompetenz. Dabei verlief die Auseinandersetzung in erster Linie entlang der Frage, inwieweit die von beiden Seiten anerkannte größere Zahl von Sprechern slawischer Dialekte zur polnischen oder zur deutschen Nation gerechnet werden musste. Dieses Kapitel setzt sich dementsprechend zum Ziel, dieser umstrittenen Problematik nachzugehen, und zwar einerseits durch eine Analyse der zeitgenössischen statistischen Erhebungen und andererseits durch die Beobachtung eines Ausschnitts der oberschlesischen Feierkultur sowohl im polnischen als auch im deutschen Teil der Region. Eine kritische Betrachtung der offiziellen, aber auch der vertraulichen Sprachstatistiken wird es zuerst erlauben, Grundzüge der Sprach- und Nationalisierungspolitik beider Regierungen vorzustellen. Zur Durchführung eines systematischen Vergleichs der Sprachenproblematik sind wiederum die katholischen Gottesdienst28 Kneip: Die deutsche Sprache, 49. 29 Ebd.

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feiern zwischen den beiden Weltkriegen ausgewählt worden, als die oberschlesische Sprachenfrage in beiden Staaten durch höchste Brisanz gekennzeichnet war und den kirchlichen Raum in bis dahin ungekannter Intensität erreichte. Am Beispiel der Gottesdienste werden einerseits die Haltung der katholischen Bischöfe und dadurch die allgemeine Handlungslinie der institutionalisierten Kirche, andererseits die lokale Ebene der einzelnen Pfarrgemeinden in Betracht gezogen. Durch den Fokus auf konkrete historische Akteure, in erster Linie die Pfarrer und Gemeindemitglieder, werden die Rezeption und die Durchsetzungskraft der staatlichen Sprach- und Nationalisierungspolitik aus nächster Nähe betrachtet. 4.1.1.

Sprach- und Nationalitätsverhältnisse in Oberschlesien im Spiegel der statistischen Erhebungen

Das oberschlesische Abstimmungsgebiet wurde nach den offiziellen deutschen Sprachstatistiken von 1910 abgegrenzt. Die westlichen Kreise mit 80- bis 95-prozentigem Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung blieben vom Plebiszit ausgeschlossen und wurden gleich bei Deutschland belassen. Im restlichen Gebiet fielen die Sprachverhältnisse nach der Volkszählung von 1910 deutlich zugunsten der polnischen Sprache aus: Über 60 Prozent der Oberschlesier hatten als Muttersprache Polnisch und nur 35 Prozent Deutsch angegeben.30 Dennoch zeigte das Ergebnis der Abstimmung ein nahezu umgekehrtes Zahlenverhältnis: 60 Prozent der Stimmberechtigten votierten für den Verbleib bei Deutschland, nur 40 Prozent für einen Anschluss an Polen. Bei der Abstimmungsentscheidung mussten freilich nicht nur nationalpolitische, sondern auch andere Faktoren, z. B. wirtschaftliche und pragmatische, eine Rolle gespielt haben. Mit dem Ausgang des Votums konnte sich die polnische Seite angesichts der vielversprechenden Volkszählungsergebnisse nicht zufrieden geben und bedauerte entsprechend, dass das Abstimmungsergebnis „von einer ökonomischen und gesellschaftspolitischen Konjunktur beeinflusst“ sei, die „fast immer vorübergehenden Charakter“ habe, während eine Volkszählung dagegen „in der Regel ein objektives Bild widerspiegelt, das der Wirklichkeit entspricht“.31 Eine eindeutige, saubere Aufteilung Oberschlesiens in ein „östliches polnischsprachiges“ und ein „westliches deutschsprachiges“ Gebiet war aufgrund des diffusen Abstimmungsergebnisses unmöglich.32 Infolgedessen blieben beide Teile der Region nach der Ziehung der neuen Grenze weiterhin zweisprachig. Die Gewichtung der Sprachen und die Handlungslinien der polnischen und der deutschen Regierung gegenüber der oberschlesischen Sprachenproblematik nach dem Plebis30 Golachowski, Stefan (Hg.): Materiały do statystyki narodowościowej Śląska Opolskiego z lat 1910–1939, Poznań 1950, Tab. 1. 31 Korowicz, Marek: Spór o wykonanie Konwencji Genewskiej. In: Strażnica Zachodnia 3 (1931) 430. Zit. nach Kneip: Die deutsche Sprache, 55. 32 Ebd.

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zit können anhand der Volkszählungen, die zwischen den Weltkriegen durchgeführt wurden, veranschaulicht werden. Im deutschen Teil Oberschlesiens wurden 1925, 1933 und 1939 entsprechende Befragungen durchgeführt.33 Schon eine kurze Betrachtung der Zahlen der polnisch- und zweisprachigen Bevölkerung ermöglicht es, die wichtigsten Tendenzen festzustellen. Bei der einzigen Volkszählung in der Weimarer Republik gaben knapp 150.000 Personen Polnisch (13,6 Prozent) und etwa 385.000 Deutsch und Polnisch (34,4 Prozent) als Muttersprache(n) an.34 In ländlich geprägten Kreisen überwogen jedoch die polnisch oder deutsch und polnisch sprechenden Oberschlesier deutlich, wie z. B. im Kreis Oppeln-Land (über 72 Prozent) oder im Kreis Groß Strehlitz (über 73 Prozent). Dieses für das polnische Idiom günstige Verhältnis wurde aber durch die bevölkerungsreichen und größtenteils deutschsprachigen Stadtkreise ausgeglichen. Die Ergebnisse der Volkszählung 1925 waren im Wesentlichen nicht manipuliert worden, sie sollten neben anderen demographischen Themen über den tatsächlichen Sprachgebrauch Auskunft geben. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass das in Oberschlesien regierende Zentrum eine gewaltlose, langfristige, vor allem aber nicht ethnisch, sondern staatlich zu verstehende Assimilation der slawischsprachigen Oberschlesier anstrebte. So wurde ein überwiegender Teil der slawophonen Oberschlesier nicht als nationale Minderheit betrachtet, sondern als zweisprachige Bevölkerung, die an den deutschen Staat dauerhaft gebunden werden sollte. Dementsprechend wurde die Zweisprachigkeit vieler Oberschlesier nicht nur nicht verpönt, sondern als Gegengewicht gegenüber den ausschließlich polnischen Sprachdeklarationen sogar gefördert. Dies muss sich auf die Ergebnisse ausgewirkt haben und erklärt den erheblichen Zuwachs der Zahlen in der Kategorie der Zweisprachigen im Vergleich zu 1910. Die Zentrumspartei konnte aber diese Politik nur solange verfolgen, wie sie die Unterstützung der preußischen bzw. der Reichsregierung besaß. Durch die nationalsozialistische Machtergreifung entstanden völlig neue politische Rahmenbedingungen, was sich auch auf die offizielle Präsenz der slawophonen Bevölkerung in den Statistiken auswirkte. In der ersten von der nationalsozialistischen Regierung durchgeführten Volkszählung 1933 schrumpfte die Zahl der Polnischsprachigen auf lediglich 99.000 (8,3 Prozent), aber auch die der Zweisprachigen auf 263.000 (etwa 22 Prozent). Das scheinbar rasante Wirkungstempo der germanisierenden Sprachpolitik der Nationalsozialisten verdeutlicht die einige Monate vor dem Ausbruch des Krieges 1939 veranstaltete erneute Befragung: Als

33 In der darauf folgenden Darstellung der statistischen Entwicklung der Muttersprachen wird hauptsächlich das umstrittene Abstimmungsgebiet berücksichtigt, so dass die überwiegend einsprachig deutschen Westkreise der Provinz Oberschlesien (Falkenberg, Grottkau, Leobschütz, Neiße-Stadt und -Land) ausgeklammert werden. 34 Angaben zu den Volkszählungen von 1925 und 1933 nach Golachowski (Hg.): Materiały, Tab. 1.

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ausschließlich polnische Muttersprachler deklarierten sich nunmehr 3.731 Personen, 37.000 gaben zwei Sprachen oder oberschlesisch als Muttersprache an.35 Auch im polnischen Teil Oberschlesiens kann in der Zwischenkriegszeit eine Tendenz zur Homogenisierung der sprachlichen Verhältnisse zugunsten der Mehrheitssprache beobachtet werden. Die Statistiker des Wojewodschaftsamtes ermittelten 1931, dass in dem an Polen gefallenen Abstimmungsgebiet lediglich 6,6 Prozent der Bevölkerung (etwa 70.000) Deutsch als Muttersprache deklarierten.36 Dies hätte einen erheblichen Rückgang im Vergleich zur Volkszählung von 1910 (263.000 allein Deutschsprachige in der späteren Wojewodschaft) bedeutet. Die Kategorie der Zweisprachigen wurde in der polnischen Volkszählungsstatistik nicht eingeführt: Jeder slawophone Oberschlesier wurde der polnischen Mehrheitssprache zugerechnet. Auch wenn Migrationsbewegungen, die nach der Abstimmung eingetreten sind, berücksichtigt werden, erscheinen die Sprachstatistiken der dreißiger Jahre sowohl im deutschen als auch im polnischen Teil Oberschlesiens wenig glaubwürdig. Die Zahlen zur Größe der jeweiligen sprachlichen Minderheiten sind lediglich als Mindestangabe zu betrachten und umfassten nur die unumstritten polnisch-/ slawisch- bzw. deutschsprachige Bevölkerung, die sogar unter starkem politischem Druck ihre Muttersprache als solche deklarierte und Ende der 1930er Jahre möglicherweise so vor allem ihr Nationalbewusstsein und ihre nationale Identität betonen wollte. Die offiziellen statistischen Ergebnisse stellen so eher Wunschvorstellungen der Regierungen dar und zeugen damit vor allem von den Richtlinien der jeweiligen Sprachpolitik, die sich auf beiden Seiten der Grenze auf die Zurückdrängung der sprachlichen Minderheiten konzentrierte. Die polnischen und deutschen Behörden waren sich der Unzulänglichkeit ihrer eigenen offiziellen Spracherhebungen sehr wohl bewusst. Es war ihnen bekannt, dass „zwischen den sehr geringen, bei den letzten Volkszählungen festgestellten Anteilen der oberschlesisch-polnischen Sprache sowie den Anteilen der polnischen Wahlstimmen einerseits und dem Gebrauch der oberschlesisch-polnischen Sprache im Umgang sehr beträchtliche Unterschiede“ bestanden, wie selbst ein hoher Vertreter des Bundes Deutscher Osten (BDO)37 1935 in Bezug auf die Provinz Ober35 Angaben nach Kneip: Die deutsche Sprache, 137f. 36 Myszor: Historia diecezji katowickiej, 102f. 37 Der Bund Deutscher Osten wurde im Mai 1933 gegründet und kann als nationalsozialistische Nachfolgeorganisation des alldeutschen Ostmarkenvereins und der einzelnen Heimatverbände bezeichnet werden. Er stand unter der direkten Kontrolle der SS-Stabsführung und hatte zum Ziel, ‚fremde Volksteile‘ schnell zu assimilieren und die östlichen Grenzregionen durch Indoktrination an Schulen, Universitäten und unter der deutschen Bevölkerung mit dem ‚germanischen Kerngebiet‘ des Reiches zu vereinheitlichen. Vgl. Fiedor, Karol: Bund Deutscher Osten w systemie antypolskiej propagandy, Warszawa 1977; Jonca, Karol: Polityka narodowościowa Trzeciej Rzeszy na Śląsku Opolskim (1933–1940): studium politycznoprawne, Katowice 1970, 386–405.

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schlesien festhielt.38 Zwar generierten die Volkszählungen brauchbare Zahlen, mit denen die Regierungen in der in- und ausländischen Öffentlichkeit zu hantieren wussten, aber die Sprachdeklarationen der Bevölkerung wurden durch die Angst vor Repressionen, z. B. in Bezug auf den Arbeitsplatz, verzerrt und von örtlichen Ermittlern im Sinne der politischen Machthaber überarbeitet. Infolgedessen leiteten die politischen Führer geheime Untersuchungen ein oder stützten sich, ausschließlich inoffiziell, auch auf die Zahlen der kirchlichen Statistiken. Eine Betrachtung der alltäglichen Sprachpraktiken sollte die offiziellen Ergebnisse korrigieren und eine realistische Sprachenkarte Oberschlesiens, die nicht für ein breites Publikum bestimmt war, entstehen lassen. Eine geheime Beobachtung der Sprache im häuslichen Umgang wurde jedoch als äußerst aufwendig und schwer durchführbar eingestuft und schließlich abgelehnt. Es blieb nur ein geeigneter Ort, an dem eine aussagekräftige Sprachuntersuchung durchgeführt werden konnte: die katholische Kirche und die kirchlichen Praktiken in den Landessprachen. Das tatsächliche Ausmaß des Gebrauchs der polnischen Sprache in der Provinz Oberschlesien und der deutschen in der Wojewodschaft Schlesien kann anhand der Verwendung der beiden Hochsprachen in den Gottesdiensten schätzungsweise ermittelt werden. Mit den Bezeichnungen „polnischer“ bzw. „deutscher“ Gottesdienst sind in diesem Kontext heilige Messen gemeint, bei denen neben dem – nach dem alten, vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil geltenden Ritus für den überwiegenden Teil des Gottesdienstes vorgeschriebenen – Latein einige Teile der Liturgie wie z. B. die Predigt, die Lesung des Evangeliums oder der Gesang in der Landessprache gestaltet wurden. Als besonders informativ für die Ermittlung des oberschlesischen Sprachbildes im deutschen Landesteil ist eine streng vertrauliche Studie des Bundes Deutscher Osten hervorzuheben, die unter der Leitung des Stabchefs Heinz Rogmann erstellt wurde. Sie wurde erstmals 1934/35 und anschließend 1937/38 im Auftrag der nationalsozialistischen Regierung in den gemischtsprachigen Kreisen der Provinz Oberschlesien durchgeführt.39 In den Berichten der Vertrauensmänner, in der Regel der örtlichen Lehrer, zeigte sich, dass beinahe die Hälfte der kirchlichen Hochämter in polnischer Sprache abgehalten wurde.40 Diese Zahl ist als signifikant anzusehen, weil das sonntägliche Hochamt den wichtigsten Gottesdienst einer katholischen Pfarrgemeinde darstellte. Folgerichtig wurde die Sprache der Hochämter in den meisten Fällen nach der örtlich dominierenden Sprache bestimmt. Bei den übrigen Sonntagsgottesdiensten überwog das Deutsche. Dies ist darauf zurückzuführen, dass an diesem Tag gewöhnlich neben dem Hochamt nur noch ein Früh38 Der Sprachgebrauch bei den Gottesdiensten in Oberschlesien 1934/1935. In: Golachowski (Hg.): Materiały, 51. 39 Der Sprachgebrauch bei den Gottesdiensten in Oberschlesien 1938/1939. In: ebd., 81–109; Der Sprachgebrauch 1934/35, 49–80. 40 Der Sprachgebrauch 1934/35, 53.

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gottesdienst stattfand, in der Regel in der Sprache, die beim Hochamt nicht berücksichtigt wurde, sowie eine Kinder- und Schuljugendmesse, meist in der Sprache der Schulbildung, also der jeweiligen Staatsnation, auch dort, wo neben der staatlichen Volksschule eine Minderheitenschule existierte. Hierbei ist noch anzumerken, dass Hochämter und weitere Sonntagsmessen an exponierter Stelle im Gottesdienstprogramm jeder Pfarrgemeinde standen und dadurch einer ständigen Aufsicht durch die örtliche und regionale Politik unterlagen. Im Gegensatz dazu wurde bei den sonntäglichen und an Werktagen stattfindenden Nachmittags- und Abendandachten mehr den tatsächlichen Wünschen der Bevölkerung entgegengekommen. Hier mussten die BDO-Vertrauensmänner ein deutliches Übergewicht der polnischen Sprache feststellen.41 Diese Sprachkonstellation war in besonders hohem Maße in den ländlichen Kreisen der Provinz Oberschlesien anzutreffen und bereits bei den Anteilen der Hochämter in polnischer Sprache deutlich erkennbar: Oppeln-Stadt 10,6 Prozent gegenüber Oppeln-Land 49,8 Prozent; Gleiwitz-Stadt 22,6 Prozent im Vergleich zu Tost-Gleiwitz 52,8 Prozent; Beuthen-Stadt 30,8 Prozent und Beuthen-Land 48,6 Prozent.42 Bei den Nachmittags- und Abendandachten zeigte sich ein noch stärkeres Übergewicht der polnischen Sprache in den ländlich geprägten Kreisen: Groß Strehlitz 74,6 Prozent, Ratibor 73,5 Prozent, Oppeln-Land 72,8 Prozent, Rosenberg 71,7 Prozent.43 Die Hochburg der deutschen Sprache war wiederum die Provinzhauptstadt, wo kaum polnische Gottesdienste stattfanden.44 Aber schon in den Städten des Industriereviers machten die polnischsprachigen Messen ein Drittel aus,45 weil die Berg- und Hüttenarbeiter hauptsächlich vom Land rekrutiert worden waren. Die vertraulich ermittelte hohe Anzahl der Gottesdienste in polnischer Sprache bewegte Rogmann 1935 zu der Feststellung, dass es „wahrscheinlich eher zu niedrig als zu hoch gegriffen“ sei, wenn man „die tatsächliche polnische Minderheit“ in der Provinz Oberschlesien „auf noch mindestens 400.000 Menschen“ schätze. „Gewiss haben sich diese Oberschlesier bei den späteren Parlamentswahlen und auch bei den Abstimmungen nach der Machtübernahme nur noch in sehr geringem Umfange der Stimme für Deutschland enthalten“, so Rogmann, aber darin liege „noch längst keine Gewähr“ für ihre endgültige Entscheidung „für das Deutschtum“. Er wies darauf hin, dass in einer internen Untersuchung wie der vorliegenden „nicht ernst genug vor einer Unterschätzung der zahlenmäßigen Bedeutung des Polentums“ in der Provinz gewarnt werden kann. Zwar seien die gesammelten Zahleninformationen nur Schätzungen, aber „sie dürften der tatsächli41 42 43 44 45

Ebd., 56–58. Ebd., 53. Ebd., 56–58. Ebd., 55. Ebd., 54f.

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chen polnischen Minderheit in Westoberschlesien weit näher kommen als die Veröffentlichungen, die aus wohl begründeten Erwägungen heraus nur die Zahl der offiziellen Minderheit“ berücksichtigten.46 In dieser Beurteilung ist deutlich zu sehen, dass hier die einheimische slawophone Bevölkerung trotz ihrer vorangegangenen politischen Loyalitätsbekundungen mit der polnischen Minderheit gleichgesetzt wird. Zugleich wird damit das Übergewicht der ‚objektiven‘ Merkmale, die von der nationalsozialistischen Führung bei der Bestimmung der nationalen Zugehörigkeit herangezogen wurden, über das ‚subjektive‘ Bekenntnis sichtbar. Laut dem BDO stellten die slawophonen Oberschlesier eine unberechenbare Gefahr für die Nationalsozialisten dar und wurden als Vorposten des Polentums betrachtet. Im weiteren Verlauf der Studie forderte Rogmann, gezielte Maßnahmen einzuführen, um das slawische Idiom aus dem kirchlichen Leben verschwinden zu lassen. Durch die Beseitigung der slawischen Dialekte könnten nämlich die einheimischen Oberschlesier für das Deutschtum endgültig gewonnen werden.47 Im polnischen Teil Oberschlesiens ergaben die kirchlichen Statistiken im Vergleich zu den offiziellen Volkszählungen ebenfalls abweichende Angaben. Anstatt lediglich 70.000 deutschsprachige Einwohner ermittelte die Kattowitzer Kurie 1928 fast 180.000 deutschsprachige Katholiken im polnisch gewordenen Teil des Abstimmungsgebiets.48 Dazu müssten noch deutschsprachige Protestanten gezählt werden, deren Zahl auf etwa 60.000 geschätzt wurde.49 Der Kattowitzer Bischof August Hlond sah zwar in der Mehrheit der katholischen deutschen Bevölkerung „germanisierte polnische Schlesier, die in der für die polnische Staatsidee günstigen Zeit sicherlich zum Nationalbewusstsein ihrer Väter zurückkehren“ würden. Er stellte aber auch fest, dass zu jener Zeit in diesem Bereich „eine gewisse Fluktuation“ zu beobachten gewesen sei, die „abhängig von den äußeren Bedingungen und der deutschen Agitation Personen mit schwach ausgeprägtem nationalen Bewusstsein von einem nationalen Lager zum anderen“ geschoben habe.50 Die Wojewodschaftsbehörde war über die Ergebnisse der bischöflichen Erhebung trotz solcher entgegenkommenden Formulierungen empört und beanstandete sie heftig. Der zahlenmäßige Unterschied zwischen den beiden Untersuchungen lässt sich aber leicht erklären. Das Wojewodschaftsamt richtete sich nach ‚objektiven‘ Kriterien der verwendeten Sprache als Indikator für die nationale Zugehörigkeit und setzte sie während der Befragung kompromisslos um. So wurden slawophone Einwohner grundsätzlich der Mehrheitsnation zugerechnet. Die Diö-

46 Ebd., 70. 47 Ebd., 71. 48 Die seelsorgliche Betreuung, 12f. Vgl. Śmigiel, Kazimierz (Hg.): Die statistischen Erhebungen über die Katholiken in den Bistümern Polens 1928 und 1936, Marburg 1992. 49 Die seelsorgliche Betreuung, 10f. 50 Zit. nach Macała: Duszpasterstwo, 40.

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zesanbehörde dagegen überließ es den örtlichen Pfarrern, die Zahl der Gemeindemitglieder, für die ein deutschsprachiger Gottesdienst notwendig sei, zu ermitteln. Die Pfarrer sollten sich dabei nach den Prinzipien der Seelsorge und nicht nach den vermeintlich objektiven Merkmalen der Nationalität richten. Die auf diese Weise gesammelten Ergebnisse übertrafen die offiziellen Zahlen der ‚Deutschen‘ um das Mehrfache. Intern übernahm allerdings auch das Wojewodschaftsamt die Zahlen aus der Umfrage der Geistlichkeit und stellte fest, dass etwa 280.000 in erster Linie deutschsprachige Personen, d. h. etwa 21 Prozent aller Einwohner, in dem Polen zugeteilten Abstimmungsgebiet lebten.51 Bei den geschätzten Zahlen handelte es sich nicht nur um die angestammte deutsche Bevölkerung, die vor allem in den wirtschaftlichen Führungspositionen, in der technischen Verwaltung der Industrie und unter den Freiberuflern zu finden war und dadurch einen starken gesellschaftlichen und ökonomischen Machtfaktor darstellte. Vielmehr gehörte dieser Gruppe ein Teil der oberschlesischen Dialektsprecher an, der sich weiterhin eng mit der deutschen Sprache verbunden fühlte: nämlich die von Hlond erwähnten „germanisierten polnischen Schlesier“. Deutsch war schließlich bis 1922 Amtssprache in Oberschlesien und stellte bis zu diesem Zeitpunkt die dominierende Sprache der Behörden und des öffentlichen Lebens dar. So führte auch der Wechsel der staatlichen Souveränität und der Amtssprache von Deutsch zu Polnisch keineswegs zu einer sofortigen sprachlichen Umstellung im polnisch gewordenen Oberschlesien.52 Die deutsche Sprache wurde in vielen Alltagssituationen, z. B. auf der Straße, in den Verkehrsmitteln und Geschäften, unverändert häufig weiterverwendet. Es entwickelte sich ein Zustand der Zweisprachigkeit, der in erster Linie von der jeweiligen Kommunikationssituation und einer individuellen Entscheidung abhängig war.53 Dies traf allerdings nur in begrenztem Ausmaß auf die zugewanderten Polen zu, die untereinander und mit den einheimischen slawophonen Oberschlesiern nur auf Polnisch kommunizierten. Aus der kurzen Betrachtung der offiziellen und geheimen Spracherhebungen gehen hauptsächlich drei Befunde hervor. Erstens lebte in beiden Teilen Oberschlesiens eine zahlenstarke Bevölkerungsgruppe, die aus der Sicht der deutschen Behörden, vor allem der Nationalsozialisten, nicht als ein vollwertiger Bestandteil der deutschen Nation bzw. sogar als Gefährdung angesehen sowie aus der Sicht der polnischen Regierung als national unzuverlässig eingestuft und als potentielle Irredenta betrachtet wurde. Diese abneigende Haltung der Regierungen betraf jedoch nur diejenigen Dialektsprecher, die in den Grenzen des jeweils eigenen Landes wohnten. Die polnisch-/slawisch- bzw. deutschsprachigen Oberschlesier in den ‚ausländischen‘ Teilen der Region instrumentalisierte die offizielle Propaganda der 51 Ebd., 46. 52 Kneip: Die deutsche Sprache, 70. Fünf Jahre nach dem Plebiszit beherrschten in der Stadtverwaltung von Tarnowitz fast 50 Prozent der Angestellten die polnische Sprache nicht. Ebd. 53 Ebd., 72.

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beiden Nationalstaaten hingegen sehr gern für ihre politischen Ziele.54 Zweitens gab es zwischen städtischem und ländlichem Milieu große sprachliche Unterschiede, wonach in beiden Teilen Oberschlesiens das Deutsche in den Städten und die slawischen Dialekte in den Dörfern überwogen. Drittens konnte durch den Blick auf das kirchliche Leben ein realitätsnahes Bild der Sprachenverwendung im alltäglichen Leben gewonnen werden. Dort reichte der Einfluss der jeweiligen nationalisierenden Politik nicht so weit und den politischen Machthabern standen bei den kirchlichen Praktiken keine direkten Eingriffsmöglichkeiten zur Verfügung. Dementsprechend blieben die kirchlichen Sprachverhältnisse und die vorwiegend ablehnende Haltung der Kirche gegenüber der politisch zunehmenden Rolle nationaler und zugleich polarisierender Zuschreibungen besonders der nationalsozialistischen und der Sanacja-Regierung ein Dorn im Auge. So versuchten beide Staaten, auf die Kirche einzuwirken und ihr sprachlich-ethnisches Vereinheitlichungskonzept auch im kirchlichen Raum durchzusetzen. Der nationalistische Homogenisierungsdruck erhöhte sich besonders nach der Aufhebung des auf 15 Jahre befristeten Übergangsabkommens, der sogenannten Genfer Konvention für Oberschlesien. Die letzten Jahre vor dem Ausbruch des Krieges verdienen deshalb eine genauere Betrachtung. Durchgehend ist aber zu fragen, ob in der Zwischenkriegszeit die Konfession als erstrangige Grundlage sozialer Bindungen im Zuge nationalistischer Mobilisierung an Bedeutung verlor und ob gleichzeitig der Einfluss der Sprache als identitätsstiftendes Element und als mögliche Konfliktursache wuchs. Diese Problematik soll im Folgenden durch eine Untersuchung der lokalen Gegebenheiten auf der Ebene der Pfarrgemeinden betrachtet werden. Dort lassen sich konkrete Personen wie z. B. Pfarrer, Gemeindevorsteher, aber auch lokale Vereine und Parteiortsgruppen in ihren Erfahrungshorizonten und Handlungsspielräumen beleuchten. Parallel dazu wird eine zweite Untersuchungsperspektive herangezogen und die kirchliche Sprachpolitik sowohl des (Erz)bistums Breslau als auch der Kattowitzer Diözese berücksichtigt. Hier ist auf die Haltung der Kirche in Sachen Gottesdienstsprache zu achten und die wechselseitige Wirkung zwischen den kirchlichen und staatlichen Behörden zu analysieren. 4.1.2.

Gottesdienstfeiern und die Sprachenproblematik nach der Teilung der Region

Die polnische Standardsprache bzw. das Hochdeutsch waren ein wichtiger Bestandteil des praktizierten katholischen Glaubens in Oberschlesien. Unabhängig davon, dass das Latein die Liturgie bestimmte, besaßen sie große rituelle Bedeutung dadurch, dass die Predigt, die Lesung und nicht zuletzt der religiöse Gesang während des Gottesdienstes in diesen Sprachen stattfanden. Ein Wechsel der Ritu54 Vgl. Kapitel 3.1. und 3.2. in dieser Studie.

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alsprache konnte nach Meinung der Oberschlesier einen verheerenden Einfluss auf die Wirksamkeit der Riten und dementsprechend auf den Kontakt mit der übernatürlichen Welt haben.55 Gebete in einer anderen Sprache könnten nicht erhört werden, im Gegensatz zu den Gebeten in der althergebrachten Sprache der Vorfahren; der Glaube der Vorfahren war fest mit der Sprache der Vorfahren verbunden. Ein Vertrauensmann des BDO, Hauptlehrer Kunisch aus Klein Althammer (Provinz Oberschlesien), berichtete 1938, nachdem es ihm in Zusammenarbeit mit dem örtlichen deutschgesinnten Kaplan gelungen war, den polnischen Gottesdienst beinahe abzuschaffen, von folgenden Stimmen unter der Dorfbevölkerung: „Wir werden vom Glauben abfallen, wenn wir keinen polnischen Gottesdienst haben werden“; „Meine Mutter hat schlecht deutsch gekonnt, wir sprachen nur polnisch. Wenn wir bei der Beerdigung deutsch singen, würde sie im Himmel nicht verstehen, was wir singen und sagen.“56 Überzeugungen dieser Art waren nicht nur für die ländliche Bevölkerung typisch. Als sich ein Teil der Gemeindemitglieder für die Abschaffung des allsonntäglichen polnischen Gottesdienstes in der überwiegend deutschsprachigen Gleiwitzer St. Bartholomäus-Gemeinde 1934 einsetzte, argumentierten die polnischsprachigen Gläubigen in einer Petition an den Breslauer Erzbischof, dass dies nicht im Interesse der Kirche, sondern der staatlichen Gleichschaltung der Kirche liege und für das Seelenheil der kirchlichen Gemeinde äußerst schädlich sei: „Beten kann man nur in der Muttersprache. Unter Beten verstehen wir die Sonntagsandacht als solche.“57 Durch diese enge Verbindung von Ritual und Sprache, die in den Augen der Oberschlesier nicht nur einen traditionellen, sondern auch einen „übernatürlichen“ Charakter besaß, blieb der kirchliche Raum eine Hochburg der Minderheitensprachen. Gleichwohl gab es seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 im deutschen Teil Oberschlesiens, im polnischen Teil wiederum nach der Teilung 1922 und nicht zuletzt 1926 nach der Berufung Michał Grażyńskis auf den Wojewodenposten besonders viele Versuche, die Gottesdienste in den Minderheitensprachen zu beseitigen oder zumindest deren Anzahl zu verringern. Welche Interessengruppen, Organisationen oder konkreten Personen hinter den Streitigkeiten um die Sprachregelung bei Gottesdiensten standen und welche Vorgehensweisen es dabei gab, kann anhand von Beispielen aus beiden Teilen Oberschlesiens analysiert werden. Die Grundzüge der kirchlichen Sprachpolitik in den gemischtsprachigen Gemeinden der katholischen Erzdiözese Breslau stellte der Erzbischof Adolf Kardinal Bertram in einem Schreiben an seinen Kommissarius Prälat Josef Kubis vor. Bertram sah sich im Herbst 1932 angesichts des verstärkten nationalistischen Drucks 55 Ossowski: Zagadnienie więzi regionalnej, 278. 56 Der Sprachgebrauch 1938/1939, 104. 57 Bittschrift der polnischen Gemeindemitglieder an den Breslauer Erzbischof Bertram am 15. Mai 1934: APOp, OP 85, Bl. 487.

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im Hinblick auf eine Veränderung der Gottesdienstordnungen gezwungen, seine seelsorgerischen Prinzipien, die er bereits in einem Erlass vom 15. Dezember 1921 festgelegt hatte, zu wiederholen und dem oberschlesischen Klerus erneut bekannt zu geben.58 Erstens sei für die Einführung eines neuen, deutschen Gottesdienstes „das seelsorgerische Interesse“ ausschlaggebend, „also die Rücksicht darauf, in welcher Sprache Verständnis und Herz für religiöse Belehrung, Anleitung, Ermahnung und Erbauung am besten zu gewinnen“ seien. Zweitens sei „das numerische Verhältnis“ zu berücksichtigen, „in dem in den einzelnen Gemeinden die durchweg deutschen zu den durchweg polnischen Parochianen [Gemeindemitgliedern]“ stünden. „Wünschenswert“ sei drittens „eine friedliche Einführung, wo immer neue Anordnungen zu treffen“ seien, wobei, „soweit tunlich, der Besitzstand der seitherigen Praxis zu schonen“ sei. Schließlich seien „die von politischen oder nationalistischen Interessenkreisen vorgebrachten Forderungen [...] mit einer gewissen Vorsicht zu bewerten und auch der Schein einer einseitigen oder parteiischen Stellungnahme, soweit tunlich, zu vermeiden“.59 Die wenigen Anträge auf eine Änderung der Gottesdienstordnung, die in den 1920er Jahren bei der Breslauer Kurie eingingen, wurden unter zwei Gesichtspunkten geprüft: ob „ein Bedürfnis für eine beachtenswerte Anzahl der Parochianen“ vorlag und ob „unter Schonung des Besitzstandes der Übung der anderen Parochianengruppe etwa durch Vermehrung der Gottesdienste (Bination, Einführung von Frühgottesdienst und Andachten) geholfen werden konnte ohne schädigende Überlastung der Geistlichen“.60 Dieses vorsichtige und moderate Vorgehen gegenüber einer politischen Einflussnahme auf die Gottesdienstordnungen und deren potentieller Instrumentalisierung für nichtkirchliche Zwecke stieß bei den nationalistischen polnischen Kreisen in der deutschen Provinz Oberschlesien auf Ablehnung. Die polnische Minderheitenpresse warf katholischen Pfarrern immer wieder vor, die deutschsprachigen Gemeindemitglieder auf Kosten der polnischsprachigen Gläubigen vorzuziehen und die Polen germanisieren zu wollen. Für die tatsächliche Linie der Kirche in dieser Frage ist jedoch nicht nur das Schreiben von Bertram, sondern auch die Reaktion eines Geistlichen auf die Vorwürfe des polnischen Blattes „Nowiny Codzienne“ symptomatisch. Pfarrer Jan Gladisch aus der Kreisstadt Guttentag rechtfertigte sich 1924 vor dem dortigen Landrat, dass er zwar für katholische Zeitungen und Vereine werbe, die deutschgesinnt seien, aber nicht wie „jene vorkriegsmäßigen Eiferer“.61 Laut Gladisch sollte die Gottesdienstsprache „dem Volke und dem Laufe der Zeit“ überlassen werden. Es müsse auf diesem Gebiet „mit größter Delikatesse“ vorgegangen werden. Zunächst seien „die unzufriedenen und störenden Elemente derart zu fas58 59 60 61

Kardinal Bertram an Prälat Kubis in Oppeln am 11. Oktober 1932: APOp, OP 86, Bl. 15f. Ebd. Ebd. Pfarrer Jan Gladisch an den Landrat in Guttentag am 22. Mai 1924: APOp, OP 77, Bl. 13.

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sen, dass sie es vorziehen zu verschwinden, und gleichzeitig die harmlosen und gut gesinnten so zu fördern, dass sie sich wohl fühlen und Deutschland als ihr wahres Vaterland betrachten“. Der Pfarrer konstatierte schließlich, dass sich dabei eine Zusammenarbeit der staatlichen Stellen mit der Kirche nicht umgehen lassen werde. Er schlug auch konkrete Maßnahmen vor: Polnischgesinnte Priester sollten in den polnischen Teil Oberschlesiens entsandt, der Zuwachs des polnischen Nachwuchses in Priesterseminaren restringiert und die deutschgesinnten Theologiestudenten durch den Staat unterstützt werden.62 Sowohl die zentralen als auch die lokalen kirchlichen Stellen berücksichtigten also eine freiwillige Entscheidung der Oberschlesier in Sachen Gottesdienstsprache und legten dabei Wert auf Nachhaltigkeit dieser Bestimmungen. Die möglichen Veränderungen sollten die Gläubigen weder in politischer noch in konfessioneller Hinsicht verletzen. Nichtsdestoweniger war für weite Teile der Geistlichkeit eine gezielte, aber dennoch möglichst unauffällige ‚nationale‘ Einflussnahme charakteristisch, was bei dem vom Pfarrer Jan Gladisch vorgestellten Assimilationsprogramm sehr konkrete Konturen annahm. Seine Vorschläge zur staatspolitischen Assimilation der einheimischen Oberschlesier im kirchlichen Raum erinnern hierbei an die Vorgehensweise der Breslauer Kurie und des oberschlesischen Zentrums vor dem Ersten Weltkrieg.63 Diese machtpolitische Konstellation blieb auch nach der turbulenten Abstimmungszeit in der oberschlesischen Provinz bestehen und veränderte ihren vor allem auf staatliche Loyalität bedachten Umgang mit der slawophonen Bevölkerung nicht. Als charakteristisches Beispiel für die Problematik der Gottesdienstsprache vor der nationalsozialistischen Machtübernahme können die Verhältnisse in der St. Peter und Paul-Gemeinde in Lugnian, Kreis Oppeln, angeführt werden. Nach Angaben des Pfarrers Paul Schmidt zählte die Gemeinde 1929 3.100 Seelen, davon seien die überwiegende Mehrheit (etwa 90 Prozent) zweisprachig, ungefähr 200 Personen in erster Linie deutschsprachig und etwa 50–100 über 65 Jahre alte nur des slawischen Dialekts mächtig.64 Diese statistischen Daten weisen auf eine in den ländlichen Gegenden typische Überzahl der slawophonen Bevölkerung hin, die sich auch der deutschen Sprache bedienen konnte. In der Zeit des Kaiserreichs hatte der damalige Pfarrer Franz Pogrzeba (ab 1904 im Pfarramt) lediglich dreimal im Jahr Gottesdienste mit deutscher Predigt und deutschem Gesang abgehalten. Nachdem er sich in der Abstimmungszeit für Polen engagiert hatte, verließ er seine Gemeinde und übersiedelte 1922 in das polnisch gewordene Oberschlesien.65 Sein

62 Ebd. 63 Vgl. Bjork: Neither German nor Pole, 128–173. 64 Pfarrer Schmidt an die Regierung in Oppeln am 19. März 1929: APOp, OP 79, Bl. 628– 631. 65 Smołka, Leonard: Pogrzeba Franciszek. In: Pater, Mieczysław (Hg.): Słownik biograficzny katolickiego duchowieństwa śląskiego XIX i XX wieku, Katowice 1996, 324–325.

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Nachfolger führte nach einigen Jahren neben dem polnischen sonntäglichen Hauptgottesdienst zweimal im Monat im Frühgottesdienst deutsche Predigt und deutschen Gesang ein. Im Gegensatz zur Amtszeit Pogrzebas – als der Frühgottesdienst ohne Predigt stattfand – verringerte sich zwar die Zahl der polnischen Predigten so nicht, aber in der Frühmesse wurde alle zwei Wochen deutsch anstatt polnisch gesungen. Angegriffen vom polnischen Minderheitenblatt „Nowiny Codzienne“ wegen der angeblichen „Germanisierungsmaßnahmen“ argumentierte der Pfarrer, dass er „voll berechtigte Wünsche wohl der Hälfte der Parochianen“ erfüllen wollte und „die deutschen Gottesdienste ebenso besucht sind wie die polnischen und der deutsche Volksgesang ebenso klappt wie der polnische“.66 Dies seien die Gründe gewesen, die ihn veranlasst hätten, „vom rein pastorialen Standpunkt und aus Gerechtigkeitsgefühl den Bitten [seiner] Parochianen stattzugeben und ohne Verdrängung des polnischen Gottesdienstes neben diesem zweimal monatlich an den Sonntagen deutschen Gottesdienst einzuführen“.67 In der Vorgehens- und Argumentationsweise des Pfarrers spiegelt sich also die allgemeine Handlungslinie der Breslauer Kurie wider: Pfarrer Schmidt agierte gehorsam und genau nach den Anweisungen des Bischofs, vermutlich wie die allermeisten Priester in der Diözese. In der Korrespondenz mit dem Oppelner Regierungspräsidenten gab Schmidt noch eine wichtige Auskunft über die Werktagsmessen: Sie seien nur polnisch gewesen, mit Ausnahme der wöchentlichen Schulmessen. Dies bestätigt die Annahme, dass das Dorf überwiegend von einer slawophonen Bevölkerung bewohnt war. Dennoch begann das zahlenmäßige Gewicht der heranwachsenden Jugend, die in überwältigender Mehrheit deutsche Schulen besuchte, die Sprachverhältnisse in den Landgemeinden und in der Provinz insgesamt allmählich zu verändern. Der bischöflichen Kurie wurde es Anfang der 1930er Jahre immer mehr bewusst, dass die jungen Katholiken, deren „fast gesamte religiöse Bildung und Erziehung und Übung in deutscher Sprache erfolgt[e], im polnischen Gottesdienste nicht erfolgreiche Erbauung und seelsorgliche Betreuung finden [konnten] und daher der Kirche leicht entgleiten könnte[n]“.68 Von dieser Entfremdung war es möglicherweise nur ein Schritt zu kirchenfeindlichen Ideologien wie dem Nationalsozialismus oder dem Kommunismus. Solche Entwicklungen wollte die Geistlichkeit unbedingt vermeiden, dementsprechend wurde eine Erweiterung des Gottesdienstangebots gegenüber einer Verminderung der Anzahl polnischer Feiern vorgezogen. Während die katholische Kirche im deutsch gebliebenen Teil Oberschlesiens die Abstimmungszeit und die anschließende Teilung des Gebietes relativ unbeschadet überstand und sich erfolgreich um eine unbeeinträchtigte Fortsetzung ihrer seelsorgerischen Arbeit und eine Förderung der staatspolitischen Loyalität bei der 66 Pfarrer Schmidt an die Regierung in Oppeln am 19. März 1929: APOp, OP 79, Bl. 630. 67 Ebd., Bl. 631. 68 Kardinal Bertram an Prälat Kubis in Oppeln am 11. Oktober 1932: APOp, OP 86, Bl. 18.

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slawophonen Bevölkerung bemühte, markierten die Ereignisse der Jahre 1919– 1922 im polnischen Teil der Region einen wesentlichen Kontinuitätsbruch. Der Wechsel der staatlichen Macht beeinflusste erheblich die Tätigkeit der Kirche und wurde von der polnischen Nationalbewegung als eine günstige Umbruchsperiode begriffen, in der ihren nationalistischen Forderungen Rechnung getragen werden sollte. Mit der Polonisierung der öffentlichen Verwaltung, des Schulwesens und der Wirtschaft ging auch ein Eingriff in die Angelegenheiten der katholischen Kirche einher. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Problematik der deutschen Gottesdienste und generell der Seelsorge in der deutschen Sprache, deren Neugestaltung von den nationalistischen Kreisen als symbolische Konzession der Kirche an die neue staatspolitische Ordnung eingefordert wurde. Als charakteristisches Beispiel für diese Thematik können die Ereignisse aus dem am Rand von Kattowitz gelegenen Industriedorf Hohenlohehütte angeführt werden. Am 26. April 1924 stellte eine Gruppe von Mitgliedern der dortigen katholischen Gemeinde einen Antrag an die Apostolische Administratur, in dem ein zusätzlicher polnischer Sonntagsgottesdienst und eine Reduktion des allsonntäglichen deutschen Frühgottesdienstes auf ein abwechselndes Abhalten mit der benachbarten St. Josef-Gemeinde in Josephsdorf erbeten wurde. Das Schreiben wurde von Repräsentanten des „Verbands der Schlesischen Aufständischen“, der Christlichen Demokraten, des kirchlichen Chors und des „Polinnen-Vereins“ unterzeichnet. Die Argumentation der Bittsteller konzentrierte sich auf das ethnischsprachliche Zahlenverhältnis der Einwohner und die Tätigkeit des Pfarrers. Die Gemeinde sollte sich demnach zu 90 Prozent aus Polen und nur zu zehn Prozent aus Deutschen zusammensetzen, wobei die zweite Zahl sowohl die „national unsichere“ als auch die „wahre deutsche“ Bevölkerung umfasse.69 Infolgedessen habe die paritätische Gottesdienstordnung den Bedürfnissen der Gemeindemitglieder nicht entsprochen und ein Teil der Polen sei gezwungen gewesen, den deutschen Gottesdienst zu besuchen. Pfarrer Jerzy Schulz wurde dabei vorgeworfen, dass er, „worauf schon sein Name hinweist, [...] ein geborener und überzeugter Deutscher“ sei und „mit seiner Tätigkeit langsam, aber konsequent das gläubige polnische Volk germanisiert“ werde. Um diese Feststellung zu bekräftigen, wurde hervorgehoben, dass Schulz „sehr schön“ auf Deutsch predige, polnische Ansprachen hingegen „fürchterlich radebrecht“. Aus diesen Gründen sollte Schulz in eine durchweg polnische Gemeinde versetzt werden, wo er sich schnell „polonisieren lassen“ werde. Schließlich sei auch der neue Organist der polnischen Sprache nicht mächtig.70 Um sich ein differenziertes Bild der angespannten Lage zu machen, entsandte der Apostolische Administrator August Hlond einen seiner vertrauten Mitarbeiter, Pfarrer Józef Kubis aus dem nahe gelegenen Zalenze, nach Hohenlohehütte. Kubis 69 Związek Towarzystw Polskich w Wełnowcu do Kurii Biskupiej w Katowicach 26 kwietnia 1924: AAKat, AL Wełnowiec, Bd. 1, Bl. 64f. 70 Ebd.

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berichtete anschließend, dass die meisten Gemeindemitglieder mit der Gottesdienstordnung zufrieden seien. Die sprachlichen Verhältnisse verteilten sich 60 zu 40 Prozent zugunsten der polnischen Sprache, wobei die Gemeinde finanziell zu einem wesentlichen Teil vom Verwaltungspersonal des örtlichen Berg- und Hüttenwerks, d. h. hauptsächlich von deutschsprachigen Angestellten, unterhalten werde. Der Organist sei auch Mitarbeiter des Unternehmens. Er könne zwar nur bedingt polnisch, sei aber sehr musikalisch und „einen anderen gibt es nicht“. Zusammen mit dem Pfarrer brächten sie jedoch einem jungen Polen das Orgelspiel bei, so dass in Zukunft „ein tüchtiger Pole“ das Amt werde übernehmen können.71 In Anbetracht dieser Analyse gab der Apostolische Administrator dem polnischen Antrag nicht statt. Der kurz skizzierte Fall gibt Auskunft über die Argumentationsmuster der involvierten Seiten. Die Antragsteller richteten sich offensichtlich nach der Umgangssprache als dem ,objektiven‘ Kriterium der nationalen Zugehörigkeit und betrachteten die slawischsprachige Bevölkerung der Gemeinde als einen Teil der polnischen nationalen Gemeinschaft. Dennoch war es ihnen offensichtlich bewusst, dass ihre vermeintlich fast nur aus Polen bestehende Gemeinde (nach eigenen Angaben im Verhältnis 90 zu zehn) nach den subjektiven Selbstbestimmungen der Einwohner heterogener war (nach Angaben von Pfarrer Kubis 60 zu 40), als es ihnen recht gewesen wäre. Folglich forderten sie die Versetzung des Pfarrers in eine tatsächlich polnische Pfarrgemeinde und gaben damit mittelbar zu, dass ihre Gemeinde solche Kriterien nicht erfülle. Die Apostolische Administratur dagegen berücksichtigte in erster Linie das subjektive Empfinden der Oberschlesier, was sich vielerorts mit den sprachlichen Verhältnissen nicht deckte. Hinsichtlich der Stellung der Kirchenleitung gegenüber den vermehrten Anträgen auf Abschaffung der deutschen Gottesdienste merkte der Generalvikar Teofil Bromboszcz im Mai 1924 an, dass bei der Einführung neuer Gottesdienste zunächst berücksichtigt werden müsse, „ob dies im Hinblick auf die seelsorgerische Arbeit angebracht“ sei. Was die nationalen Minderheiten betreffe, so solle „die Zahl der Gottesdienste für sie dem Verhältnis der Minderheitenangehörigen zur Mehrheit angepasst werden“. In solchen Fällen müsse zunächst festgestellt werden, „wie viele Familien die Einführung eines Gottesdienstes für die Minderheitenangehörigen“ befürworteten.72 Auch in den städtischen Gemeinden des an Polen angeschlossenen Industriereviers, die von deutschsprachigen Gläubigen dominiert waren, kam es nach 1922 zur Vermehrung der Zahl polnischer Gottesdienste. Dies geschah z. B. 1924 in der St. Maria Magdalena-Gemeinde in Königshütte.73 71 Sprawozdanie księdza Kubisa do Administratora Apostolskiego Augusta Hlonda w Katowicach 4 czerwca 1924: ebd., Bl. 66. 72 Wikariusz generalny Teofil Bromboszcz do proboszcza Ernesta Kudziełki w Nakle 10 maja 1924: AAKat, AL Nakło, Bd. 1, Bl. 78. 73 Vgl. AAKat, AL Chorzów św. Maria Magdalena, Bd. 3, Bl. 116–121.

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In beiden Teilen Oberschlesiens richtete sich die katholische Kirche aber generell nach den Prinzipien einer möglichst effektiven Seelsorge und bemühte sich, auf der Basis des gemeinsamen Glaubens eine integrierende Rolle zu erfüllen. Dementsprechend weigerte sich nicht nur die Breslauer, sondern auch die Kattowitzer Kurie, Gottesdienste in der Minderheitensprache abschaffen zu lassen. Um die Bittsteller zufrieden zu stellen und die Integrität der Gemeinde zu bewahren, wurden in begründeten Fällen in beiden Diözesen zusätzliche Gottesdienste in der Mehrheitssprache eingeführt. Was jedoch die beiden Diözesen deutlich unterschied, war die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung der jeweiligen Minderheiten, was sich wiederum auf die Gottesdienstordnung auswirkte. Die slawophone Bevölkerung der deutschen Provinz Oberschlesien, meistens auf dem Land und in den sozial unteren Schichten der Gesellschaft zu finden, war selten gut gebildet und zeigte weniger Initiative bzw. besaß weniger Durchsetzungsvermögen als die gut organisierten deutschen Einwohner der Wojewodschaft Schlesien. Es gingen daher keine Anträge für einen zusätzlichen polnischen Gottesdienst beim Breslauer (Erz) bischof ein. In der Regel übernahmen die katholischen Priester, die sich ohnehin als Führer der lokalen Gemeinschaften fühlten und von vielen Gemeindemitgliedern so wahrgenommen wurden, die Rolle eines Anwalts der einheimischen slawophonen Oberschlesier. Die Kattowitzer Kurie hingegen musste sich mancherorts mit sorgfältig begründeten Petitionen der deutschen Minderheit auseinandersetzen. Beispielsweise wandten sich die deutschen Katholiken aus Koschentin, Kreis Lublinitz (im polnischen Teil Oberschlesiens), 1925 mehrmals an Bischof Hlond mit der Bitte um einen allmonatlichen deutschsprachigen Gottesdienst.74 Es handelte sich dabei um die Wiedereinführung einer deutschen Messe, die vor 1922 allsonntäglich abgehalten worden war. Der örtliche Pfarrer Walter Gąska lehnte die Eingaben entschieden ab, denn es gebe – wie er behauptete – nur zwei deutsche Katholiken in seiner Gemeinde und die übrigen verständen Polnisch. Dagegen argumentierten die Bittsteller, dass es nicht Grund genug sei, den deutschen Gottesdienst mit der Begründung abzulehnen, alle hier wohnenden Katholiken verständen Polnisch, „was ohnehin nicht zutreffe“. Die Kirche habe „stets und überall den Grundsatz vertreten“, der Gottesdienst müsse „in der Mutter- bzw. Umgangssprache“ gehalten werden. Dieser „allein richtige“ Standpunkt, den „die Katholische Kirche stets und überall verfochten“ habe, könne auch hier nicht aufgegeben werden. „Mit wie viel größerem Recht könnte ja sonst in Deutsch-Oberschlesien der polnische Gottesdienst, an dem seit der Übergabe nichts geändert worden“ sei,

74 Die Vertreter der deutschen Katholiken aus Koschentin an die bischöfliche Kurie in Kattowitz am 12. November 1925: AAKat, AL Koszęcin, Bd. 1, Bl. 37; Die Vertreter der deutschen Katholiken aus Koschentin an die bischöfliche Kurie in Kattowitz am 22. Januar 1927: ebd., Bl. 46.

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aufgehoben werden, wenn dort „ein ähnlicher haltloser Grund, die Bevölkerung verstehe sämtlich Deutsch, zur Geltung“ kommen sollte.75 Um die Qualität der Seelsorge zu erhöhen und vor allem dem für die restlichen Gemeindemitglieder unschädlichen Wunsch eines Teils der örtlichen Katholiken zu entsprechen, gab die Kurie dem Antrag statt. Dies löste eine Protestwelle unter den polnischgesinnten Personen aus, die vom „Verband der Schlesischen Aufständischen“ und dem „Verband zur Verteidigung der Westmarken“ angeregt wurde.76 Die polnischen Organisationen bezogen dabei eine gemeinsame Front mit dem Pfarrer. Walter Gąska, ursprünglich Pfarrer in Zabelkau, Kreis Ratibor (im deutschen Teil Oberschlesiens), hatte sich während der Abstimmungszeit dezidiert für den polnischen Staat engagiert, weswegen er einige Monate im Ratiborer Gefängnis verbracht hatte. Nach dem Plebiszit war er in das polnisch gewordene Oberschlesien geflüchtet und hatte die Koschentiner Gemeinde übernommen, wo er sofort den allsonntäglichen deutschen Gottesdienst abgeschafft hatte. Gleichzeitig beteiligte er sich weiterhin am politischen Geschehen: Er wurde zu einem wichtigen Mitglied der örtlichen Zelle des ZOKZ und übte einen informellen Einfluss auf die örtliche Selbstverwaltung aus.77 Gąska behauptete nun, die deutsche Petition sei ein politischer Schritt: Der deutsch-protestantische Großgrundbesitzer, Graf von Hohenlohe, habe ihn nämlich im Pfarrhaus besucht und auf ihn einzuwirken versucht. Darüber hinaus habe er, so der Geistliche, festgestellt, dass fast die Hälfte der Unterschriften von Personen stamme, die im Alltag Polnisch sprächen bzw. kaum zur Kirche gingen oder gar nicht in Koschentin bekannt seien.78 Trotz dieses Einwandes des Ortspfarrers setzte der Kattowitzer Bischof seine für die deutschen Antragsteller positive Entscheidung durch, allerdings unter einem wichtigen Vorbehalt, der das wirtschaftliche Übergewicht (Graf von Hohenlohe war zweifellos der wichtigste Arbeitgeber in Koschentin) und die daraus resultierenden potentiellen Druckmittel der deutschsprachigen Gemeindemitglieder unterstrich. So machte er unmissverständlich deutlich, dass im Fall des Missbrauchs der deutschen Gottesdienste „zur nationalen oder politischen Agitation“ oder wenn es vorkommen sollte, dass für „in einem Abhängigkeitsverhältnis“ stehende Gemeindemitglieder der Besuch des deutschen Gottesdienstes „zu einer Frage von Brot und Lohn“ gemacht werde, der örtliche Pfarrer die bischöfliche Kurie darüber unverzüglich zu informieren habe.79

75 Ebd., Bl. 37. Das Schreiben wurde durch 117 Unterschriften bekräftigt. 76 Organizacje polskie z Koszęcina do Kurii Biskupiej w Katowicach 14 stycznia 1926: ebd., Bl. 44. 77 Wycisło, Janusz: Gąska Walter. In: Pater (Hg.): Słownik, 114–115. 78 Proboszcz Gąska do Kurii Biskupiej w Katowicach 14 stycznia 1926: AAKat, AL Koszęcin, Bd. 1, Bl. 41. 79 Biskup Hlond do proboszcza Gąski w Koszęcinie 29 stycznia 1926: AAKat, AL Koszęcin, Bd. 1, Bl. 43.

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Die bischöfliche Regelung sollte zunächst anderthalb Jahre gelten. Dessen ungeachtet wurde sie vom Pfarrer nicht umgesetzt, auch wenn die zusätzliche Messe nicht von ihm, sondern von einem eingeladenen Priester auf Kosten der deutschsprachigen Gemeindemitglieder abgehalten werden sollte. Gąska bestand zunächst darauf, den deutschen Gottesdienst auf Propagandainhalte überwachen zu können, und setzte ihn vorbehaltlich auf die Mittagszeit, die für die ländliche Bevölkerung ungünstig war. Ferner verlangte er eine ständige Anwesenheit der Polizei, falls es zu Unruhen oder Zwischenfällen im Umfeld der Liturgie kommen sollte. Schließlich wollte er einen Türsteher engagieren, der nur diejenigen Personen zur strittigen Messe zulassen würde, die die Petition unterschrieben hatten.80 Nach einjährigem Hin und Her wandten sich die deutschen Katholiken wieder an den Bischof, um insbesondere die „unerhörte“ namentliche Kontrolle zu kritisieren und das vermeintlich entscheidende sprachliche Argument zu widerlegen. Ihrer Meinung nach lagen dafür „keine objektiven Merkmale“ vor und „in doppelsprachigen Gebieten, wo die Mehrzahl zwei Sprachen, die eine vielleicht besser, die andere schlechter“, spreche, könne auch die Sprache „kein Merkmal nach außen ergeben“. „Nur eine eigene Entscheidung des einzelnen Gläubigen“ stelle vielmehr dar, „zu welchem Volkstum er sich hinzurechnet“.81 Diesmal sammelten die Bittsteller 170 Unterschriften, deren Richtigkeit auch der Pfarrer bezeugte. Er betonte jedoch, dass alle Unterschriebenen im häuslichen Umgang Polnisch sprächen und sich nur aus Angst um ihre Arbeitsstelle beim Grafen Hohenlohe an der Aktion beteiligt hätten.82 Der „Verband zur Verteidigung der Westmarken“ hob wiederum hervor, dass die Petition rein „politisch“ zu verstehen und keine „Herzenssache“ sei. Darüber hinaus müsse sie im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen vom November 1926, die die Deutschen deutlich gewonnen hatten, betrachtet werden. In Wirklichkeit habe es nur zwei Deutsche und eine Mehrzahl von Polen auf der deutschen Liste gegeben. Diese Polen – so der ZOKZ – könnten „kein Deutsch schreiben, und sprechen und beten nur auf Polnisch“.83 Aufgrund der unzureichenden Quellenlage ist es unmöglich zu entscheiden, ob die deutschen Bitten tatsächlich mit einer – möglicherweise nur angedeuteten, aber unmissverständlichen – ökonomischen Drohung verbunden waren. Aus anderer Überlieferung ist durchaus bekannt, dass ein Teil der Oberschlesier gerade mit einer Argumentation ökonomischer Art am leichtesten zu beeinflussen war – insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Not und Arbeitslosigkeit. Dieser Sachverhalt muss jedoch an dieser Stelle vorerst ausgeklammert werden. Dagegen konzentriert sich die Analyse auf die Argumentationsmuster der oberschlesischen Akteure im 80 Die Vertreter der deutschen Katholiken aus Koschentin an die bischöfliche Kurie in Kattowitz am 22. Januar 1927: ebd., Bl. 50. 81 Ebd. 82 Proboszcz Gąska do Kurii Biskupiej w Katowicach 14 marca 1927: ebd., Bl. 56. 83 ZOKZ z Koszęcina do Kurii Biskupiej w Katowicach 25 lutego 1927: ebd., Bl. 55.

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Kontext der Sprachenproblematik. Dabei fällt erneut auf, dass die beiden Seiten in der Auseinandersetzung völlig konträre Konzepte der nationalen Zugehörigkeit verfolgten. Die nationalbewussten Polen und Oberschlesier wurden nicht müde, die Objektivität des sprachlichen Kriteriums zu unterstreichen: Demnach gehörten sogar slawophone Mitglieder und Aktivisten der deutschen Parteien zur polnischen nationalen Gemeinschaft. Sie seien nämlich „im Herzen“, also primordial und essentiell, von der Geburt an und bis zum Tod Polen und zwar ausschließlich Polen. Auf der anderen Seite der Barrikade hingegen situierten sich die deutsch orientierten Oberschlesier, die den subjektiven, willensabhängigen Ansatz akzentuierten und immer wieder den Anspruch auf einen deutschsprachigen Gottesdienst stellten. Im Fall der Koschentiner Gemeinde ist aber zu sehen, dass hinter den deutschen Forderungen nicht nur religiöse Bedürfnisse standen. Für die Bittsteller handelte es sich bei der rein kirchlichen Gottesdienstproblematik auch um das deutsche „Volkstum“. Dies und das Engagement des Grafen Hohenlohe lassen vermuten, dass die Initiative aus nationalbewussten Kreisen herauskam und infolgedessen auf umso hartnäckigeren Widerstand bei den polnisch orientierten und politisch aktiven Einwohnern Koschentins stieß. Schließlich entschied sich das Kattowitzer Kirchenoberhaupt Arkadiusz Lisiecki, der polnischen Bischofskonferenz zu empfehlen, einen deutschen Gottesdienst in Koschentin nicht wiedereinzuführen.84 Sein Gutachten wurde anschließend von der Bischofskonferenz berücksichtigt und umgesetzt.85 Die nicht antideutsche Haltung, die die Kattowizer Kurie anfänglich vertrat, indem sie Ende 1925 den deutschen Sonntagsgottesdienst zunächst genehmigte, stieß auf Unverständnis in den Reihen der nationalistisch geprägten Katholiken, insbesondere unter einem Teil der ehemaligen Aufständischen und der Mitglieder des Westmarkenverbands. Für sie, wie auch für einen weiteren Teil der polnischen und der polnisch orientierten Gemeindeangehörigen, bedeutete das kompromissbereite Handeln der Kirche, das die deutschen und deutsch orientierten Oberschlesier ihrer Sprache, Tradition und Kultur nicht beraubte, nichts anderes als eine Fortsetzung der ‚Germanisierung‘ und zwar auf eine „unverschämte“ Art und Weise, weil sie im souveränen polnischen Staat stattfand. Auch einige Pfarrer der Kattowitzer Diözese vertraten dieses Denkmuster, wie am Beispiel von Walter Gąska zu sehen ist. Nachdem dann Arkadiusz Lisiecki den bischöflichen Stuhl im Oktober 1926 übernommen hatte, beugte sich die Kattowitzer Kurie offensichtlich immer mehr dem Polonisierungsdruck der neu besetzten Wojewodschaftsbehörde. Die polonozentrische Wahrnehmung der katholischen Lebenswelt in der schlesischen Wojewodschaft hatte in einigen Fällen, noch bevor Michał Grażyński den Wojewodenposten übernahm, zu äußerst delikaten Ereignissen geführt. Zu den 84 Opinia biskupa Lisieckiego dotycząca wprowadzenia niemieckojęzycznego nabożeństwa w Koszęcinie z dnia 26 sierpnia 1927: ebd., Bl. 35. 85 Pismo komisji episkopatu do biskupa Lisieckiego w Katowicach 2 lipca 1928: ebd., Bl. 72.

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spektakulärsten von ihnen gehörte die Fahnenweihe des Hl. Alois-Vereins in Laurahütte, die einen starken Widerhall in ganz Oberschlesien fand. Am Sonntag, dem 8. Juli 1923, wurde dort ein feierlicher, deutscher Gottesdienst abgehalten, der mit der Fahnenweihe des deutschen Jungmännervereins verbunden war. Zur Zeremonie wurden auch polnische Vereine wie z. B. der Jungmännerverein des Hl. Kasimir eingeladen, die nach anfänglicher Zusage kurzfristig auf die Teilnahme verzichteten. Die Absage war mit der Angst vor einem Eingriff der ehemaligen Aufständischen verbunden, die es nicht zulassen wollten, dass „der polnische Boden mit der deutschen Fahnenweihe befleckt“ werde.86 Der örtliche Pfarrer Wilhelm Scholz berichtete, dass sich an jenem sonntäglichen Morgen, als der Hl. Alois-Verein mit der Fahne in die Kirche einzog, eine größere Anzahl junger Leute vor der Kirche versammelt habe und sich drei von ihnen in die Sakristei begeben hätten. Dort hätten sie sich als „Aufständische“ ausgegeben und unter Androhung von Gewalt den Verzicht auf die Weihe gefordert. Nach dem Gottesdienst sollen die ehemaligen Aufständischen dann vor dem deutschen Vereinshaus gewartet haben, um die Fahne zu zerreißen. Erst als der Leiter des Polizeikommandos den Befehl zum Bereithalten der Waffen gegeben habe, seien sie zurückgewichen, was ein Blutvergießen verhindert habe. Weiterhin führte der Pfarrer aus, dass es sich hierbei um Personen gehandelt habe, die mehrheitlich nicht seiner Gemeinde angehörten, aber „unter ruhigen Bürgern Angst stifte[te]n“. Die Gemeindemitglieder, „sowohl die polnischen als auch die deutschen“, seien darüber „äußerst empört“. „Alle verurteil[t]en so ein Verhalten“, weil es „ein trauriges Bild“ gewesen sei, „als die Polizei mit Gewehren vor der Kirche Wache hielt, um den Gottesdienst zu schützen“.87 Zur weiteren Eskalation des Konflikts kam es eine Woche später. Am 14. Juli – also am Tag des feierlich begangenen ersten Jahrestags der ‚Wiederkehr‘ Oberschlesiens zu Polen – demonstrierten mehrere Aufständische vor dem Polizeiamt in Laurahütte gegen das Vorgehen der Polizei, das ihnen nicht erlaubt hatte, die deutschen Feierlichkeiten am vorherigen Sonntag zu verhindern. Anschließend begaben sie sich vor das Pfarrhaus, wo sie von der Polizei gezwungen wurden, auseinander zu gehen. Daraufhin wurde sogar eine polizeiliche Nachtwache zum Schutz des Pfarrers abdelegiert. Pfarrer Scholz kommentierte diese Ereignisse fast schon resignierend: „Ich bin am schlechten Ruf der Aufständischen nicht schuld. Ich habe mich in die Politik nie eingemischt und darauf aufgepasst, dass kein einziges Wort auf der Kanzel fällt, das die eine oder andere Seite stören könnte. Und genau das gefällt einigen Leuten nicht. Einer von ihnen sagte einmal zu mir: ‚Sie, Herr Pfarrer, fordern nur zur Versöhnung auf. Sie müssen auf die Deutschen donnern und schlagen, erst dann werden Sie ein wahrer Priester sein.‘ Bis ich die Deutschen 86 Proboszcz Scholz do Kurii Biskupiej w Katowicach 12 lipca 1923: AAKat, AL Siemianowice, Bl. 97. 87 Ebd.

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nicht offen bekämpfe, geben mir diese Leute keine Ruhe. Eine Handvoll von Leuten, meistens sehr junge, schürt diesen Terror. [...] Der polnische Teil der Gemeinde verurteilt die Angriffe in der Presse und während der Kundgebungen. Nur dies tröstet mich noch und lässt mich im Geist der Versöhnung weiter arbeiten.“88 Die Zwischenfälle in Laurahütte im Juli 1923 erlauben es, die Hauptakteure der Auseinandersetzung um die Seelsorge in deutscher Sprache zu beleuchten. Zu den aktivsten Protagonisten gehörten zweifellos die sogenannten Aufständischen. Wahrscheinlich hatte sich ein großer Teil von ihnen tatsächlich am militärischen und blutigen Konflikt zwischen Deutschland und Polen um die staatliche Zugehörigkeit Oberschlesiens in den Jahren 1919–1921 beteiligt. Die Lebenserfahrung der bewaffneten, nationalistisch überhöhten Kämpfe war eine der Ursachen dafür, dass sie in Oberschlesien einem ethnisch-sprachlichen Nationalismus den Vorzug vor den Grundsätzen des Rechtsstaates und des demokratischen Systems gaben.89 Mit dieser Grundüberzeugung gingen Gewaltbereitschaft und Radikalität einher. Die ehemaligen Aufstandskämpfer konnten sich nicht damit abfinden, dass ihre eigenen Blutopfer und das Leben ihrer vielen Kameraden nicht zur vollständigen Verdrängung des Deutschtums im neu errichteten polnischen Staat geführt hatten. Einen feierlichen deutschen Gottesdienst in dem von ihnen erkämpften Teil Oberschlesiens deuteten sie als ‚nationale Beleidigung‘. Zugleich fühlten sie sich von den Repräsentanten des polnischen Staates betrogen. Die örtliche – wohl gemerkt polnische – Polizei trieb ihre „berechtigten Demonstrationen“ auseinander und verhaftete sogar die lautesten Anführer. Generell fühlten sich die ehemaligen Aufstandskämpfer nach 1922 enttäuscht und ungerecht behandelt. Die dadurch entfachte Frustration richtete sich jedoch nicht gegen die polnische Nation oder den Staat als Ganzes und führte auch nicht zu einer grundsätzlichen Kritik am Wirtschaftssystem, sondern verstärkte im Gegenteil den aggressiven Nationalismus der Aufständischen noch mehr, da dieses „das letzte Stück ‚gesellschaftliches Kapital‘ [...] war, das die Aufständischen nach 1921 noch vorweisen konnten“.90 Auf Grundlage der Erinnerung an die antideutschen Kämpfe und des ‚gelebten‘ Patriotismus dieser Zeit richteten die ehemaligen Aufständischen ihre ganze Frust gegen die Deutschen und alles, was für deutsch gehalten wurde. Auf dem gegenüberliegenden Pol des Konflikts situierte sich der Pfarrer. Wilhelm Scholz versuchte, für all seine Gemeindemitglieder ein apolitischer Ansprechpartner zu sein und nach den Richtlinien der Kattowitzer Kurie zu handeln. Dies wurde von den nationalistisch gesinnten Gemeindemitgliedern bzw. auch von den von außerhalb kommenden Anführern als unakzeptabel bewertet. Auf dem Weg hin zur Polonisierung der Gemeinde betrachteten sie den Pfarrer als unzuverlässig und

88 Proboszcz Scholz do Kurii Biskupiej w Katowicach 31 lipca 1923: ebd., Bl. 91. 89 Linek: Deutsche und polnische nationale Politik, 149. 90 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 176.

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feindlich eingestellt. Wegen der Haltung des Pfarrers konnten sie ihre Nationalisierungsziele 1923 nicht verwirklichen. Nachdem sich die Machtverhältnisse in Oberschlesien 1926 verändert hatten, unternahm die nationalistische Gruppe einen weiteren Angriff auf die Position des Pfarrers. Diese Vorkommnisse werfen ein zusätzliches Licht auf die Inhalte der nationalistischen Handlungsmuster in Laurahütte. Nach den Kommunalwahlen im November 1926, die in Laurahütte zugunsten der Sanacja ausgingen, legten zwei Mitglieder des Pfarrkirchenvorstands ihr Amt nieder. Eines von ihnen, Emanuel Halaczek, begründete seine Entscheidung mit der „fehlenden Liebe“ des Pfarrers „zum armen polnischen Volk“. Gegen die an den Pfarrer gerichteten Vorwürfe „seitens der radikaleren Personen der polnischen Gesellschaft“ habe er immer eine Entschuldigung finden können, da er hoffte, der Pfarrer werde eines Tages das polnische Volk schließlich doch noch „lieben lernen“. Erst in letzter Zeit habe er aber in Erfahrung gebracht, der Pfarrer sei „ein Ausländer“, was „der Schlüssel zu seinem passiven Verhalten“ sei. Obwohl er „die priesterlichen Tugenden“ des Pfarrers bewundere, könne er nicht weiter mit ihm zusammenarbeiten und lege daher das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Kirchenrates nieder.91 Nach den Veränderungen in den kommunalen und regionalen Behörden 1926 wurde der politische Druck auf den Kirchenvorstand und mittelbar auf den Pfarrer immer größer. Plötzlich wogen Argumente nichtreligiöser Natur schwerer als dessen bisherige seelsorgerische Tätigkeit. Angesichts von Halaczeks Aussage kann angezweifelt werden, ob die deutsche Staatsbürgerschaft des Priesters tatsächlich eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung der Kirchenvorstandsmitglieder spielte. Bis dahin waren Reibereien zwischen dem Kirchenvorstand und dem Pfarrer nicht vorgekommen. Scholz wurde sogar für sein priesterliches Engagement bewundert. Dennoch verlangte die politische Aggressivität der neuen Machthaber nun den Bruch mit einem deutschen Geistlichen. Pfarrer Scholz schlug bald dem Kirchenvorstand zwei neue Mitglieder vor, die jedoch vom Laurahütter Bürgermeister Ferdynand Popek als „unakzeptabel“ eingeschätzt wurden: „Obwohl sie einheimische, vor Ort geborene Oberschlesier polnischer Herkunft“ seien, so seien sie doch „durchaus deutscher Gesinnung, so dass die polnischen Gemeindemitglieder mit diesen Kandidaten nicht einverstanden sein können“.92 Daraufhin beauftragte die Kattowitzer Kurie den Michalkowitzer Dekan, Paweł Brandys, einen engagierten und politisch erfolgreichen Vertreter der Christlichen Demokraten in Oberschlesien,93 die Zustände in Laurahütte „vertraulich und taktvoll“ zu überprüfen. Brandys bezeichnete die vorgeschlagenen zwei 91 Emanuel Halaczek i Józef Kot do proboszcza Scholza 26 listopada 1926: AAKat, AL Siemianowice, Bl. 119. 92 Burmistrz Ferdynand Popek do Kurii Biskupiej w Katowicach 18 czerwca 1927: ebd., Bl. 124. 93 Czapliński, Marek: Brandys Paweł. In: Pater (Hg.): Słownik, 47–49.

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Mitglieder unmissverständlich als seriöse und gute Katholiken, denen auch hinsichtlich ihrer kirchlichen Haltung nichts vorzuwerfen sei: „Politisch sind sie Oberschlesier und beherrschen die polnische Sprache gut. Nationalisten sind sie nicht.“ Die vorangegangene Amtsniederlegung der beiden ehemaligen Kirchenvorstandsmitglieder sei eine Provokation gewesen, um den Pfarrer zum Verlassen der Gemeinde zu zwingen.94 Die Aktivitäten der nationalistischen Kreise gegen die Autorität der Kirche bekräftigten den Willen des Kattowitzer Bischofs, den kirchlichen Alltag zu entpolitisieren. Obschon es in den ersten Jahren nach der Teilung und dann nach dem Maiumsturz 1926 zu einer verstärkten Petitionswelle gegen die deutschen Gottesdienste und die deutschsprachige Seelsorge gekommen war, konstatierte August Hlond, dass „die Allgemeinheit, von den Kampfunruhen erholt, es immer besser versteht, dass sich die Kirche mit keiner Nationalität und Partei identifizieren kann und der Missbrauch der Religion für politische Zwecke unzulässig ist und keine nachhaltigen Vorteile mit sich bringt“.95 Zur Beruhigung der Gemüter trug auch das Konkordat bei, das im Februar 1925 zwischen der Polnischen Republik und dem Vatikan abgeschlossen wurde. Der Vertrag sah unter anderem die von den oberschlesischen Katholiken lang ersehnte Gründung eines neuen Bistums in Kattowitz vor, enthielt aber auch eine wichtige Regelung bezüglich der Gottesdienstsprachen. Demnach musste jede Veränderung der Sprache bei Predigten, Gesängen und Lesungen von der Bischofskonferenz genehmigt werden. Dementsprechend wurde die konfliktträchtige Problematik der deutschsprachigen Seelsorge einer langwierigen Prozedur unterstellt, die es nicht mehr erlaubte, Entscheidungen allein auf der Pfarr- bzw. Diözesanebene zu treffen. Dadurch sollten den lokalen Akteuren wesentliche Einflussmöglichkeiten entzogen und die Gottesdienste entpolitisiert werden. Die nationalsozialistische Machtübernahme im deutschen Teil Oberschlesiens ließ jedoch die Konflikte um die Seelsorge in der Minderheitensprache neu aufleben. 4.1.3.

Die Konflikte um die Gottesdienstsprache nach der nationalsozialistischen Machtübernahme

Aus der Provinz Oberschlesien ging im Frühjahr 1933 eine Welle von Petitionen an Kardinal Bertram ein, die für die Abschaffung polnischer und die Einführung deutscher Gottesdienste plädierten. Unter anderem ging von der Pfarrgemeinde Zelasno, Kreis Oppeln, ein Schreiben nach Breslau, das im Namen der katholischen Kirchengemeinde verfasst wurde. Die Bittsteller baten den Erzbischof, auf

94 Proboszcz Brandys do Kurii Biskupiej w Katowicach 30 sierpnia 1927: AAKat, AL Siemianowice, Bl. 126. 95 Zit. nach Macała: Duszpasterstwo, 38.

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den Pfarrer Richard Woitok Einfluss zu nehmen und die Gottesdienste und deren Ansprachen und Gesang an Sonn- und Feiertagen abwechselnd in deutscher und polnischer Sprache abhalten zu lassen. Die Verstärkung der Seelsorge in deutscher Sprache begründeten sie damit, dass nicht nur die erwachsenen Gemeindemitglieder, sondern auch die Jugend im April 1933 „so besonders für die deutsche Sprache und das Deutschtum“ eingetreten seien. Die Unterzeichnenden sowie auch die gesamte Jugend würden sich zur „Beiwohnung an einem rein deutschen Gottesdienst veranlasster“ fühlen als zur Teilnahme an einem polnischen Gottesdienst. Daher baten sie um Gottesdienste in deutscher Sprache, „um endlich auch im katholischen Glauben einen Fortschritt für die Ideale an Gottesfurcht“ bringen zu können.96 Unter dem Antrag sind eine Unterschrift des NSDAP-Ortsgruppenleiters Pogrzeba und ein Stempelabdruck der örtlichen Parteizelle zu sehen. Zusätzlich beinhaltet das Schreiben eine handschriftliche Bemerkung, wahrscheinlich auch von Pogrzeba, mit der Drohung, dass, wenn dem Antrag nicht entsprochen werde, die Nationalsozialisten andere Schritte unternehmen müssten. Daraufhin berichtete der Pfarrer an den Erzbischof, dass das Gesuch nicht von der ganzen Kirchengemeinde ausgegangen sei, sondern nur von einigen Gemeindeangehörigen, versammelt um den politischen Gemeindevorsteher Pogrzeba.97 Einige Wochen später informierte Woitok den Oberpräsidenten in Oppeln, dass er bereits vor 1933 einen zusätzlichen deutschen Gottesdienst sowie einen polnischen Schulgottesdienst eingeführt habe. Das letztere sei notwendig gewesen, weil in seiner Gemeinde 1.250 Katholiken lebten, davon aber nur zwölf rein deutschsprachig seien. Er werde sich aber trotzdem für eine Vermehrung der deutschen Gottesdienste beim Erzbischof einsetzen.98 Über die Person des Pfarrers erfährt man mehr aus einem 1937 verfassten Gutachten des Gemeindevorstehers und Hauptlehrers Malorny aus dem benachbarten Birkowitz, der immer wieder in den Quellen als besonders eifriger Nationalsozialist erwähnt wird.99 Woitok sei nach der Abstimmung aus dem polnisch gewordenen Teil Oberschlesiens geflüchtet, da er aus einer rein deutschen Familie stamme und nur schlecht polnisch könne. Darüber hinaus betätige er sich immer im deutschen Sinne, verhalte sich aber in seiner Arbeit „genau nach den Buchstaben“.100 Ein Jahr später berichtete Malorny über Woitok, dass der Pfarrer von Zelasno „ganz unbelehrbar“ sei. Er fördere das Polentum „in jeder Weise“. Jeden Sonntag früh lese er eine polnische Messe. Der Hauptgottesdienst sei einmal deutsch und einmal pol96 Antrag der katholischen Kirchengemeinde aus Zelasno an den Breslauer Erzbischof Bertram am 16. April 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.]. 97 Pfarrer Woitok an den Breslauer Erzbischof Bertram am 4. Mai 1933: ebd. 98 Pfarrer Woitok an den Oberpräsidenten in Oppeln am 10. August 1933: APOp, OP 86, Bl. 106–119. 99 Vgl. Jaworski/Wojciechowski (Hg.): Deutsche und Polen zwischen den Kriegen, 918–921. 100 Der Gemeindevorsteher in Birkental [Birkowitz] Malorny an den Regierungspräsidenten in Oppeln am 16. April 1937: APOp, RegOpp I 2006 [unpag.].

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nisch, so dass „an manchen Sonntagen zwei polnische Gottesdienste stattfinden, aber gar kein deutscher“. Deshalb müsse der Geistliche zur Abhaltung „aller Gottesdienste in deutscher Sprache gezwungen“ werden.101 Die Empörung der örtlichen Parteistellen erreichte ihren Höhepunkt, als der Pfarrer die Bestellung eines deutschen Hochamtes am Erntedankfest ablehnte.102 Woitok antwortete dem Gemeindevorsteher von Zelasno, dass es dem Ortspfarrer nicht gestattet sei, die Gottesdienstordnung zu ändern, dies könne „nur von Breslau aus angeordnet werden“. Er halte sich an das für seine Gemeinde vorgeschriebene Gottesdienstprogramm, in dem abwechselnd deutsche und polnische Hochämter vorgesehen seien. Und auf Sonntag, den 4. Oktober 1936, falle ausgerechnet ein polnischer Gottesdienst.103 Am Beispiel von Zelasno können die Hauptakteure der Auseinandersetzung um die polnischen Gottesdienste beleuchtet werden. Der Druck im Hinblick auf die Abschaffung bzw. Verringerung der polnischen Messen ging von den örtlichen politischen Anführern aus, die im Vergleich zur Weimarer Zeit wahrscheinlich stärkeren Rückhalt bei den Machthabern in Berlin spürten und dadurch aktiver und mutiger wurden. Ähnlich wie auf der politischen Bühne wollte die NSDAP einen sofortigen Wechsel auch im kirchlichen Bereich herbeiführen, um in diesem öffentlichen Raum, wo noch die ‚alte‘ Ordnung herrschte, die Ideale des nationalsozialistischen ‚Fortschritts‘ zu verwirklichen. Dabei ist es auffallend, dass sich die Jugend für die antidemokratische Politik begeistern ließ – ähnlich wie im polnischen Teil Oberschlesiens, wo junge Männer an den Aufständen teilgenommen hatten und später zum Rückgrat des autoritären Sanacja-Regimes in Oberschlesien wurden. Eine schnelle Durchsetzung der nationalsozialistischen Absichten verhinderten jedoch solche Personen wie der Pfarrer Richard Woitok, der zwar deutschgesinnt war, aber in erster Linie im Interesse der Kirche und des eigenen Pfarramtes handelte. Sein Gehorsam gegenüber dem Bischof, verstärkt durch regelrechte Sturheit, erlaubte es ihm, übereilte und aus seiner Sicht möglicherweise unberechenbare Veränderungen in seiner Gemeinde erfolgreich zu bremsen. Auch in der Pfarrgemeinde Rosnochau, Kreis Neustadt, wurden im April 1933 Stimmen nach einem allsonntäglichen deutschen Gottesdienst laut. Nachdem eine Bittschrift beim Bischof eingegangen war, schilderte der örtliche Pfarrer Paul Ernst in einem Brief an Bertram die ethnisch-sprachlichen Verhältnisse in seiner Ge101 Der Gemeindevorsteher in Birkental [Birkowitz] Malorny an den Landrat in Oppeln am 6. Februar 1938: APOp, LandOpp 100 [unpag.]. 102 Der Gemeindevorsteher von Eisenau [Zelasno] an den Erzpriester Woitok am 15. September 1936: APOp, LandOpp 98, Bl. 255; Der Landrat in Oppeln an den Regierungspräsidenten ebendort am 29. Oktober 1936: APOp, RegOpp I 12193, Bl. 6; Der Gemeindevorsteher von Eisenau [Zelasno] an den Landrat in Oppeln am 4. November 1936: APOp, LandOpp 98, Bl. 257. 103 Pfarrer Woitok an den Gemeindevorsteher von Eisenau [Zelasno] am 16. September 1936: ebd., Bl. 256.

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meinde. Darin stellte er fest, dass unter den 950 Gemeindemitgliedern lediglich 23, deren „Umgangssprache ausschließlich oder zum größten Teil deutsch“ sei, als „deutsche Familien“ gezählt werden könnten. In den übrigen 190 Familien hingegen würden die Eltern mit den Kindern und die Kinder untereinander polnisch sprechen. Ein Jahr zuvor hatte jedoch der örtliche Hauptlehrer „auf Wunsch einiger Interessenten“ eine Art „Abstimmung“ zur Frage der Gottesdienstsprache organisiert. Sie habe ergeben, dass „90 % der Gemeindemitglieder einmal einen deutschen, einmal einen polnischen Gottesdienst an Sonntagen und nur 7 % einmal im Monat einen deutschen Gottesdienst“ wollten. Der örtliche Pfarrer hielt trotz der vermeintlich großen Mehrheit für noch mehr deutsche Gottesdienste das letztere „vorläufig wenigstens für empfehlenswert“. Eine Reduzierung der polnischen Gottesdienste gleich auf die Hälfte hätte hingegen vielen Gemeindemitgliedern „weh getan“, die sich zur Zustimmung zu mehr deutschen Gottesdiensten zwar nicht direkt von den Unterschriftensammlern, aber „doch durch die Befürchtung“ hätten bewegen lassen, man würde sie „sonst für ‚Polen‘ halten“, was in dieser Gemeinde „mit ‚Landesverräter‘ gleichbedeutend“ sei. Der Pfarrer plädierte schließlich für eine Übergangszeit mit einem deutschen Gottesdienst im Monat.104 In Rosnochau ist eine etwas andere Vorgehensweise zu beobachten als in Zelasno. Hier engagierten sich „einige Interessenten“ und der örtliche Hauptlehrer für eine neue Gottesdienstordnung und organisierten eine Umfrage. Aus anderen Quellen, die einen solchen Vorgang schildern, kann man erfahren, dass in den meisten Fällen die Einwohner direkt von Haus zu Haus befragt und anschließend die Unterschriften gesammelt wurden. Vielerorts führte die lokale, meist deutschgesinnte Lehrerschaft die Aktionen gegen die polnische Sprache und/oder für die Verstärkung des Deutschen durch und sehr oft erreichte sie ihr vorgegebenes Ziel. Dennoch erlaubt die Auskunft des Pfarrers die Annahme, dass die Ergebnisse solcher Abstimmungen den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechen mussten. Gerade in kleinen, ländlichen Gemeinschaften war es die Angst vor sozialer Ausgrenzung, die die Einwohner in die vorgegebene Richtung lenkte. In diesem Fall ist die Zuschreibung zur Gruppe der „Polen“ als ein befremdender Faktor bezeichnet worden. Ein Großteil der slawophonen Bevölkerung aus Rosnochau empfand offensichtlich keinen Zusammenhang zwischen dem von ihm verwendeten slawischen bzw. polnischen Dialekt und der Zugehörigkeit zu einer polnischen nationalen Gemeinschaft. Mehr noch, sie wollten nicht als Polen bezeichnet werden: Die substantivische Bezeichnung „Pole“ bezog sich offensichtlich auf Einwohner des angrenzenden Landes Polen, aber nicht auf die einheimische slawophone Bevölkerung. Die polnische Sprache im Gottesdienst und die slawischen bzw. polnischen Dialekte im Alltag stellten dagegen eine althergebrachte Komponente der dortigen

104 Pfarrer Paul Ernst an den Breslauer Erzbischof Bertram am 3. Mai 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.].

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Lebenswelt dar. Diesen scheinbaren Widerspruch erkannte wohl der Pfarrer und setzte sich für den Erhalt der traditionellen Gottesdienstordnung ein. In der Pfarrgemeinde Sudoll, Kreis Ratibor, sind weitere Faktoren zu beobachten, die wichtig für eine Neugestaltung der Gottesdienstordnung waren. Im Mai 1933 beschwerte sich der Ratiborer Landrat beim Oberpräsidenten der Provinz, dass die deutschen Messen in der St. Maria-Rosenkranz-Gemeinde105 nur am Volkstrauertag und zum Nationalfeiertag am 1. Mai, und zwar bereits um sieben Uhr früh, abgehalten würden. Einen Gottesdienst in polnischer Sprache habe es sonntags hingegen immer gegeben. Diese Vernachlässigung der deutschen Gemeindemitglieder stünde aber im krassen Gegensatz zu den Ergebnissen der Abstimmung von 1921 (283 Stimmen für Deutschland und 171 für Polen), der Volkszählung 1925 (16 deutschsprachige Einwohner, 462 polnischsprachige und 362 zweisprachige) oder der im März 1933 durchgeführten Reichstagswahlen (407 Stimmen für deutsche Parteien und nur 28 für die polnische Liste).106 Aufgrund dieser Intervention erkundigte sich der Oppelner Oberpräsident bei der Breslauer Kurie nach ihrer Einschätzung der Lage in Sudoll. Anschließend berichtete er an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, dass es nicht zutreffe, der Ortspfarrer von Sudoll sei „irgendwie polnischgesinnt“. Weder dem Oberpräsidenten sei bisher etwas darüber bekannt geworden, noch habe der erzbischöfliche Kommissarius darüber etwas feststellen können. Dieser habe jedoch zugegeben, dass der Pfarrer „sehr bequem“ sei und „seine Weigerung auf Einführung deutscher Gottesdienste auf Furcht vor Mehrarbeit zurückzuführen“ sei.107 Pfarrer Josef Kampka wehrte sich gegen diese Vorwürfe und behauptete, dass ein deutscher Gottesdienst in einer Gemeinde mit 860 Seelen, die fast ausschließlich aus slawophonen Mitgliedern bestehe,108 überflüssig sei. Darüber hinaus habe er jede deutsche Andachtbestellung berücksichtigt. Dabei erwähnte er, wie solche Bittschriften zustande kamen, und nahm Stellung zur Beschwerde des Landrats. Er verwies auf ein von der Feuerwehr für den 14. Mai 1933 bestelltes feierliches Hochamt. Auf seine Frage, ob „deutsch oder polnisch gesungen“ werden solle, wurde ihm geantwortet, dass „von ‚Oben‘ deutsch verlangt“ worden sei. Mit dem „Oben“ sei aber „keine ‚Sudoller Instanz‘ gemeint“ gewesen. Darüber hinaus behauptete der Pfarrer, dass der Prozentsatz der Stimmen bei politischen Wahlen „in keinem Falle als Maßstab für kirchliche Sprachverhältnisse“ betrachtet werden könne.109 105 Vgl. Bindacz, Anna: Dzieje parafii Matki Boskiej Różańcowej w Sudole, Racibórz 2005. 106 Der Landrat in Ratibor an den Oberpräsidenten in Oppeln am 10. Mai 1933: APOp, OP 86, Bl. 77f. 107 Der Oberpräsident in Oppeln an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin am 29. Mai 1933: ebd., Bl. 79. 108 Sprache in Gottesdienst und Seelsorge 1931. In: Golachowski (Hg.): Materiały, 20–45, hier 44. 109 Pfarrer Kampka an die bischöfliche Kurie in Breslau [ohne Datum]: APOp, OP 86, Bl. 86–88.

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Die analysierte Korrespondenz weist auf mehrere Faktoren hin, die auf die Entscheidungen über die Sprache im Gottesdienst Einfluss nahmen. Einerseits konnte die Bequemlichkeit des Pfarrers angesichts einer zusätzlichen Aufgabe durchaus eine Rolle spielen. Andererseits erreichte die neue politische Ordnung schon im Frühjahr 1933 die am weitesten abgelegenen und kleinsten Ortschaften des Reiches. So fühlte sich auch die Sudoller Feuerwehr genötigt, sich der neuen Situation anzupassen und sich den Prinzipien der ethnisch-sprachlichen Gleichschaltung in der Provinz unterzuordnen. Dabei ist es für die Wahrnehmung und die Einschätzung der sprachlichen und dadurch, wie man sieht, auch politischen Verhältnisse in Oberschlesien charakteristisch, dass die Berichterstattung über den Fall eines ausbleibenden deutschen Gottesdienstes in einer abgelegenen Gemeinde ein preußisches Kabinettsmitglied erreichte. Die Einschaltung der höchsten preußischen Behörden zwang auch den Breslauer Erzbischof, zum Sudoller Fall Stellung zu nehmen. Er entschied unverzüglich, einen monatlich einmal abzuhaltenden Frühgottesdienst mit deutschem Gesang und deutscher Predigt in Sudoll einzuführen. Zugleich formulierte er eine etwas modifizierte Linie der Breslauer Kurie in der Frage der Gottesdienstsprache. Er argumentierte, dass er die vielerorts geäußerte größere Berücksichtigung der deutschen Sprache in Predigt und Gesang für nicht unberechtigt halte, und führte drei Gründe dafür an. Erstens müsse dies „aus Rücksicht auf die seelische Einstellung der heranwachsenden jüngeren Generation“ erfolgen, zweitens „zur Rückgewinnung solcher, die dem kirchlichen Leben mehr oder weniger entfremdet“ worden seien und „die polnische Predigt meiden“ würden, und drittens, weil „eine zu geringe Berücksichtigung der in den öffentlichen Verhältnissen des Landes eingetretenen Veränderungen Nachteile in kirchlicher Hinsicht im Gefolge haben würde“.110 Diese Argumentation lässt deutlich erkennen, warum die Kirche gegenüber der Intensivierung der deutschsprachigen Seelsorge verhältnismäßig aufgeschlossen war. Es ging nicht um eine rücksichtslose „Germanisierung“ der slawophonen Oberschlesier, was die polnische Minderheitenpresse stets behauptete, deren Perspektive wiederum lange Zeit von der polnischen Oberschlesienforschung übernommen wurde.111 Es handelte sich eher um eine Anpassung der Kirche an die sich verändernden Rahmenbedingungen der seelsorgerischen Arbeit in Oberschlesien. So sollte der Jugend, die in der Regel deutsche Schulen besuchte und eine andere Wahrnehmung der deutschen Standardsprache zu entwickeln begann, auch im kirchlichen Bereich ein deutschsprachiges Seelsorgeangebot gemacht werden. Die Kurie erkannte, dass die Möglichkeit, sich im kirchlichen Leben in deutscher Sprache engagieren zu können, gerade in den 1930er Jahren besonders relevant wurde. 110 Kardinal Bertram an Pfarrer Pech in Wallendorf am 12. August 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.]. 111 Vgl. beispielsweise Pater (Hg.): Słownik.

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Sonst hätte ein Teil der Jugendlichen auf eine Seelsorge, die ausschließlich in polnischer Sprache stattfand, verzichten und sich womöglich der nationalsozialistischen Bewegung enger anschließen können. Schließlich wollte die katholische Kirche einer Konfrontation mit den regierenden Nationalsozialisten aus dem Weg gehen und den neuen Machthabern keine Angriffsfläche bieten. Aus diesen drei gewichtigen Gründen musste sie einen Teil der Bittschriften für die Vermehrung der deutschsprachigen Gottesdienste in Oberschlesien berücksichtigen. Von der Kirche gingen dennoch keine unüberlegten und vorschnellen Initiativen in Bezug auf die Sprachenfrage der Gottesdienste aus. So beschwerte sich ein zugezogener Ansiedler aus Westfalen im Dezember 1933 beim südwestfälischen Gauleiter Josef Wagner, dass es eine Schande sei, dass innerhalb des deutschen Reichsgebiets in der Pfarrgemeinde Rudnau, Kreis Tost-Gleiwitz, „die deutsche Sprache verpönt“ werde und selbst noch Ende 1933 die katholische Geistlichkeit einen polnischen Gottesdienst abhalte. Der Pfarrer von Rudnau habe „genau wie zuvor selbst auf Weihnachten“ einen polnischen Gottesdienst mit der Begründung abgehalten, dass er „für das Seelenheil seiner Gemeinde“ zu sorgen habe und die meisten Gemeindemitglieder nicht deutsch sprechen würden. Der zugezogene Ansiedler beteuerte aber, dass die dortige Bevölkerung „nach seiner genauen Orientierung sehr wohl die deutsche Sprache“ beherrsche. Dementsprechend war er „empört über ein derartiges Geschehen im Dritten Reich“.112 Der Neuansiedler, der aus einem nicht zweisprachigen Teil des Reiches nach Oberschlesien zugezogen war, konnte die oberschlesischen Verhältnisse mit denen, die er aus seinem Heimatort kannte, nicht in Einklang bringen. Da er die intensive ‚Deutschtumspropaganda‘ der politisch rechts stehenden Kreise sehr wohl wahrgenommen und sie sich zu Eigen gemacht hatte, konnte er es nicht fassen, dass die Oberschlesier, die auch die deutsche Sprache beherrschten, gleichzeitig einen polnischen Gottesdienst besuchten. Dieser Diskrepanz wollte er mit einem Schlag ein Ende setzen und jeden polnischen Gottesdienst abschaffen lassen. Diese radikale, nationalsozialistisch geprägte Vorgehensweise stand natürlich im krassen Gegensatz zu der früheren Politik des Zentrums, das eine allmähliche und dadurch nachhaltige Eingliederung der slawophonen oberschlesischen Bevölkerung in die deutsche nationale Gemeinschaft angestrebt hatte. Ungeachtet des massiven Vorgehens der Nationalsozialisten gegen die polnische Sprache im kirchlichen Raum kamen immer wieder Meldungen vor, dass z. B. der Trauungsgottesdienst eines SA-Mannes mit einer Angehörigen der NS-Frauenschaft in polnischer Sprache bestellt wurde.113 Die örtlichen NSDAP-Gruppenleiter mussten immer wieder ermahnende Schreiben an die Mitglieder der Gliederungen richten, weil von ihnen augenscheinlich „Selbstverständlichkeiten“ nicht be112 Hans Kupka aus Rudnau an den Gauleiter Südwestfalens Josef Wagner am 26. Dezember 1933: APOp, OP 85, Bl. 400f. 113 Beispielsweise in Woinowitz bei Ratibor 1935. Vgl. Der Sprachgebrauch 1934/1935, 76.

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achtet wurden. In einem solchen Rundschreiben ist zu lesen, dass es selbstverständlich sei, dass ein jedes Mitglied einer Gliederung und eines angeschlossenen Verbandes der NSDAP „in und außer Dienst und in der Familie nur deutsch“ spreche. Ferner sei es selbstverständlich, dass jeder diejenigen Volksgenossen, Erwachsene und Kinder, „die sich bei irgendeiner Gelegenheit der so genannten wasserpolnischen Sprache bedienen“, darauf hinweisen müsse, dass „jeder Deutsche nur seine deutsche Muttersprache“ spreche. Ebenso selbstverständlich sei es, dass „jede deutsche nationalsozialistische Frau nur deutsche Gottesdienste“ besuche und „Beerdigungen, Hochzeiten usw. nur in deutscher Sprache“ bestelle. Jedes Mitglied sei es „der Bewegung und seinem Führer schuldig, diese Grundsätze ohne weitere Erinnerungen“ zu befolgen.114 Es fällt in diesem Schreiben auf, dass gerade die Frauen im kirchlichen Leben gewisse Widerspenstigkeit gegen eine forcierte sprachliche Eindeutschung zeigten. Offensichtlich waren sie in den Prozess der politischen Ideologisierung nicht so stark involviert. In traditionellen oberschlesischen Familien arbeiteten Frauen äußerst selten außerhalb des Haushalts.115 Ihr außerhäusliches soziales Leben konzentrierte sich auf die Kirche und ihre Organisationen und sie sahen im Pfarrer den wahren und ‚geborenen‘ Führer der Gemeinde. Dies stand natürlich im Widerspruch zum Versuch der Nationalsozialisten, die Lebenswelt der Oberschlesier sowohl in privaten und familiären als auch in kirchlichen Kontexten total zu beherrschen. Diesen Anspruch fasste Josef Wagner, der inzwischen zum kommissarischen Gauleiter von Oberschlesien ernannt worden war, 1935 auf einer Versammlung der Lehrer des BDO programmatisch zusammen. Er verkündete bezüglich der polnischen Sprache in der Seelsorge, dass er noch in diesem Jahr vorhabe, „dauernd beim Kardinal [Bertram] einzuschreiten“, wenn auch nur eine polnische Predigt oder ein polnischer Gottesdienst abgehalten würde. Jeden Geistlichen, der polnisch predige oder polnische Gottesdienste abhalte, werde er einzeln in sein Büro rufen, wo jener dann unweigerlich erklären müsse, niemals mehr eine polnische Predigt oder einen polnischen Gottesdienst abhalten zu wollen. Er werde dafür Sorge tragen, dass alle polnischen Namen in diesem Land verschwinden würden. Binnen zehn Jahren solle Schlesien urdeutsch werden und binnen 30 Jahren das ganze Oberschlesien nichts mehr von Polen wissen. Der Minderheit müsse beigebracht werden, dass „ein Pole bei uns einem Schuhputzer gleiche, der Deutsche – der Kraft, der Macht, der größten Ehre“. „Die neue Jugend“ müsse sich „eher totschlagen lassen als über ihre Lippen ein polnisches Wort zu bringen“.116

114 Ortsgruppenleiter Kowohl in Groschowitz an alle Mitglieder der Gruppierungen und angeschlossenen Verbände am 11. November 1938: APOp, LandOpp 96, Bl. 177. 115 Vgl. Gerlich, Halina: Pozycja kobiety w rodzinie górniczej na Górnym Śląsku w pierwszej połowie XX wieku (do 1939 roku). In: Żarnowska, Anna (Hg.): XV Powszechny Zjazd Historyków Polskich. Pamiętnik, Bd. 2, Gdańsk 1995, 93–97. 116 Zit. nach Kneip: Die deutsche Sprache, 139f.

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Ähnliche antipolnische Parolen wurden von der deutschen Presse aufgegriffen, um so die angebliche Minderwertigkeit des Polentums und die dadurch aufgewertete eigene Position hervorzuheben.117 Auch derartige Maßnahmen trugen dazu bei, dass viele Oberschlesier bei den Volkszählungen lieber die deutsche bzw. beide Sprachen als Muttersprachen angaben als nur die polnische. Gleichwohl blieb in den ländlich geprägten Teilen der Provinz Oberschlesien Polnisch die vorherrschende Gottesdienstsprache. Der Klerus bediente sich vielfältiger Techniken der Konfliktentschärfung, um sowohl den deutschen als auch den polnischen Gottesdienst in den gemischtsprachigen Gemeinden aufrechtzuerhalten. Beispielsweise berichtete der BDO-Vertrauensmann aus Groß Rauden, Kreis Ratibor, 1938, dass der dortige Pfarrer, wenn ein Messebesteller die Pfarrkanzlei mit polnischem Gruß betrat, die Messe stillschweigend polnisch einschrieb; grüßte er deutsch, so wurde die Messe deutsch eingetragen. Der Pfarrer lehnte es ab, die Messebesteller direkt zu befragen, ob die Messe Deutsch oder Polnisch gesungen werden solle. Als Begründung gab er an, dass er in einem solchen Augenblick „die politisierende Entscheidungsfrage“ hätte stellen müssen, die Geistlichkeit solle jedoch nicht politisieren.118 Die allgemeine Linie der Kirche formulierte ihr Breslauer Oberhaupt Kardinal Bertram, der sich für „ein verständiges langsames Vorgehen“ hinsichtlich der vermehrten Einsetzung deutscher Gottesdienste aussprach, was seiner Beurteilung nach „auch den staatlichen Interessen“ entspreche. Jeder Druck von deutscher Seite könne „einen ungünstigen Einfluss nicht nur auf den Frieden der Gemeinde und deren Verhältnis zur kirchlichen Obrigkeit, sondern auch auf die Lage der Deutschen im benachbarten Polen“ ausüben.119 Seine Einschätzung war richtig: Der politische Druck auf die polnischen Gottesdienste im deutschen Teil Oberschlesiens fand einen starken Widerhall im polnischen Teil der Region. Die gegenseitige Abhängigkeit wurde durch die Bestimmungen des Konkordats, das zwischen dem Vatikan und dem Dritten Reich im Juli 1933 geschlossen wurde, zusätzlich verstärkt. Demnach bekamen die katholischen Minderheitsangehörigen im Deutschen Reich das Recht auf die Seelsorge in der Minderheitensprache in dem Ausmaß zugesprochen, wie es der Lage der katholischen Angehörigen der deutschen Minderheit im Ausland entsprach.120

117 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 268. 118 Der Sprachgebrauch 1938/39, 107. 119 Zit. nach einem Schreiben des Oberpräsidenten in Oppeln an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin vom 12. September 1933: APOp, OP 86, Bl. 94. 120 Macała: Duszpasterstwo, 90f.

144 4.1.4.

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Deutschsprachige Gottesdienstfeiern im polnischen Teil Oberschlesiens nach 1933

Ähnlich wie der Breslauer Erzbischof bemühte sich auch die Kattowitzer Kurie, die politischen Spannungen aus dem kirchlichen Raum möglichst herauszuhalten. Die Bischöfe orientierten sich an den Prinzipien einer sinnvollen kirchlichen Seelsorge in der jeweiligen Muttersprache, deren Priorität gegenüber solchen politisch und nationalistisch motivierten Handlungsweisen, die mit Glaubensfragen nichts zu tun hatten, geltend gemacht wurde. Ein Großteil des oberschlesischen Klerus strebte nach seelsorgerischer Betreuung aller Katholiken seiner Gemeinden. So behauptete der Pfarrer Ernest Kudziełko aus Naklo, Kreis Tarnowitz, dass er „weder Deutsche noch Polen kenne; [er] kenne nur unsterbliche Seelen“.121 Pfarrer Paweł Drozdek aus Jendryssek, Kreis Tarnowitz, beteuerte in Antwort auf eine Petition, die die Beseitigung des deutschen Gottesdienstes in seiner Gemeinde verlangte, dass er unzweifelhaft Pole sei, aber keinesfalls „Deutschenfresser“. Er antwortete den Bittstellern, dass sie ihn „totschlagen können“, aber er werde es trotzdem nicht erlauben, „die Deutschen zu unterdrücken“. Er resümierte, dass ein gerechter Priester die deutschsprachigen Gemeindemitglieder „der mageren Nahrung des einmal im Monat [in ihrer Sprache] stattfindenden Gottesdienstes“ nicht berauben dürfe.122 Der politische Druck auf die Begünstigung der polnischen und Vermeidung der deutschen Sprache im Gottesdienst hatte sich jedoch nach der Berufung Michał Grażyńskis zum neuen Wojewoden erhöht und nahm in den 1930er Jahren noch mehr zu. Die innenpolitischen Konflikte, in denen die nationalistischen Gruppierungen in beiden Teilen Oberschlesiens schließlich die Oberhand gewannen, trugen zur weiteren Verschärfung der Auseinandersetzung um die Gottesdienstsprache bei. Nach einigen Zwischenfällen während deutscher Gottesdienste in den ersten Monaten des Jahres 1933 wandte sich der Kattowitzer Bischof Stanisław Adamski in einer Ansprache an die Katholiken seiner Diözese. Er verurteilte die Störungen der heiligen Messen insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Täter gestanden hätten, damit eine Antwort auf die Verfolgung der polnischen Minderheit in Deutschland geben zu wollen. Der Bischof beklagte, dass diese Personen dadurch zugegeben hätten, dass nicht „die Sorge um das Seelenheil der Gemeindemitglieder für den bedauerlichen Missbrauch der Kirche und die Störung des Gottesdienstes“ ausschlaggebend gewesen sei. Adamski unterstrich, dass „es in der Kirche keinen 121 Proboszcz Kudziełko do Adminstratora Apostolskiego Hlonda w Katowicach 12 maja 1923: AAKat, Akta personalne ks. Ernest Kudziełko [unpag.]. Zit. nach Olszar: Duchowieństwo, 211. 122 ZOKZ w Tarnowskich Górach do Kurii Biskupiej w Katowicach 27 czerwca 1923: AAKat, Akta personalne ks. Paweł Drozdek [unpag.]. Zit. nach Olszar: Duchowieństwo, 211.

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Platz für die Durchführung nationaler oder parteilicher Vergeltungsmaßnahmen“ gebe, und dementsprechend könne er es nicht gestatten, in die Gotteshäuser „Streitigkeiten und Fehden einzuführen und die Gottesdienste zum gegenseitigen Kampf zu missbrauchen“. Er forderte die Gläubigen auf, „angesichts der Ereignisse und Informationen [in und aus Deutschland] und vor allem gegenüber den hitzköpfigen und unbeherrschten Mitbrüdern Ruhe zu bewahren und auf unvernünftige Schritte zu verzichten“. Laut dem Bischof sollten die Polen nicht nach jenen Kriterien handeln, die sie selbst bei den anderen verurteilten. Schließlich betonte er ausdrücklich, dass die katholische Kirche ein Ort sei, wo sich „alle Menschen als Brüder“ treffen: „Die katholische Kirche ist und muss immer das Band aller unsterblichen Seelen bleiben, unabhängig von ihrer Nationalität, Rasse und familiären Zugehörigkeit.“123 Trotz dieser unmissverständlichen Worte konzentrierte sich das Wojewodschaftsamt auf die Einschränkung und anschließende Beseitigung der deutschsprachigen Seelsorge, in erster Linie in den sonntäglichen Gottesdiensten. Insbesondere herausgehobene kirchliche Feierlichkeiten waren den Sanacja-Anhängern ein Dorn im Auge. Als der neue Pfarrer in Domb bei Kattowitz, Wojciech Scholtyssek,124 im März 1935 feierlich in sein Amt eingeführt wurde und einen Gottesdienst mit polnischem und deutschem Gesang sowie polnischer und deutscher Begrüßungsansprache abhielt, wurde er dafür im Presseorgan des Wojewoden scharf angegriffen.125 Die Kurie reagierte auf diese Kritik mit einem Artikel in ihrer Wochenzeitschrift, wo sie ihren Umgang mit der polnischen Nationalisierungspolitik darlegte.126 Sie gab dabei zu, dass sich der oberschlesische Klerus seit mehreren Jahren um eine nachhaltige Polonisierung der Region bemühe. Zugleich aber habe sich die Geistlichkeit mit ihren Aktivitäten für die deutschsprachigen Gemeindeangehörigen deren weiterer Entfremdung von der Kirche und deren Annäherung an den Geist des Nationalsozialismus entgegengesetzt, und zwar im Gegensatz zur Wojewodschaftsbehörde, die gegen die zunehmende Nazifizierung der deutschen Minderheit nichts unternommen habe. Der Redakteur der Zeitschrift verglich schließlich die Aktionen der nationalistischen Vereine gegen die deutschen Gottesdienste mit der antipolnischen Tätigkeit der Nationalsozialisten im deutschen Teil Oberschlesiens. Angesichts dieser Argumentationsmuster fallen gravierende Ähnlichkeiten auf der Ebene der Entscheidungsträger in beiden Teilen der Region auf. Sowohl die Breslauer als auch die Kattowitzer Kurie strebten eine gewaltlose und freiwillige Nationalisierung der sprachlichen Minderheiten auf der Basis der Loyalität gegenüber dem Staat an, ohne berechtigten Gruppen von Gemeindemitgliedern das 123 124 125 126

Gość Niedzielny 20 vom 14. Mai 1933. Smołka, Leonard: Szołtysik Wojciech. In: Pater (Hg.): Słownik, 417–418. Polska Zachodnia vom 31. März 1935. Gość Niedzielny 15 vom 14. März 1935.

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Recht auf eine Seelsorge in den jeweiligen Minderheitensprachen abzusprechen. Die Vertreter des Staates wiederum waren sich in ihren Methoden der Nationalisierung auf beiden Seiten der Grenze ebenfalls einig. Sie wollten möglichst schnell eine deutliche Veränderung der sprachlichen und dadurch, wie sie glaubten, der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung erreichen. Die Wirksamkeit dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen soll im Folgenden auf der lokalen Ebene einzelner Pfarrgemeinden überprüft werden. In dem nahe Kattowitz liegenden Ort Janow, bewohnt von 17.000 Katholiken, schätzte der Pfarrer die Zahl der deutschsprachigen Gemeindemitglieder auf etwa 20 Prozent, mit der Anmerkung, dass diese meistens „germanisierte Polen“ seien.127 Im März 1938 bekam Pfarrer Paweł Dudek ein Schreiben vom Vorstand des örtlichen „Polnischen Westverbandes“ (Polski Związek Zachodni, PZZ) – der Nachfolgeorganisation des im Zuge der deutsch-polnischen Annäherung 1934 aufgelösten „Verbandes zur Verteidigung der Westmarken“ –, in dem im Namen aller ortsansässigen Polen die Abschaffung der deutschen Gottesdienste und die Einsetzung eines zusätzlichen polnischen Gottesdienstes an deren Stelle verlangt wurde. Die Verfasser des Schreibens betrachteten den bisherigen deutschen Gottesdienst „für die vierprozentige Minderheit“, die der polnischen Sprache „durchaus mächtig“ sei, als „überflüssig“.128 Die nächste Forderung veranschaulicht die Ziele der Bittsteller noch deutlicher. Sie baten um „vollständige Beseitigung der deutschen Texte aus dem Pfarrgemeindeblatt“, weil es „ausschließlich von Polen gekauft und gelesen“ werde und die Zweisprachigkeit des Blattes „in der hiesigen polnischen Umgegend berechtigten Unmut“ errege. Die Erfüllung der Petition sollte „in hohem Maße zur Vertiefung des religiösen Lebens der Gemeindemitglieder“ beitragen und „das religiöse Leben mit der nationalen Tradition und dem nationalen Stolz“ stärker verbinden.129 Einige Tage später antwortete Pfarrer Dudek auf das zitierte Schreiben, dass er sich „um alle ihm von Gott und dem Bischof anvertrauten Seelen kümmern“ müsse.130 Er dürfe die seelsorgerische Betreuung nicht einem Teil der Gemeindemitglieder entziehen, nicht zuletzt in einer Zeit, in der „verschiedene antireligiöse Strömungen“ das Seelenheil der deutschen Gemeindemitglieder besonders bedrohten. Mehr als je zuvor müsse man „über die Vertiefung des religiösen Lebens unter den deutschen Gemeindemitgliedern“ wachen, um sie „vor der Pest des sich verbreitenden, neuen Heidentums“ zu schützen. Die Abschaffung der deutschen Gottesdienste stehe diesem Vorhaben entgegen und die deutschen Gemeindemitglieder,

127 Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 24, 202. 128 Polski Związek Zachodni w Janowie do proboszcza Dudka tamże 10 marca 1938: AAKat, AL Janów [unpag.]. 129 Ebd. 130 Proboszcz Dudek do Polskiego Związku Zachodniego w Janowie 22 marca 1938: ebd.

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die noch zu Hunderten ihre Gottesdienste besuchten, könnten sich „von ihrem Seelsorger oder sogar von Gott“ abwenden.131 In Josephsdorf (mit fast 10.000 Katholiken, davon etwa 15 Prozent deutschsprachige „germanisierte Polen“), einer Siedlung nahe Kattowitz, wurden 1934 im Pfarramt etwas andere, aber ebenfalls symptomatische Forderungen von einer Delegation polnischer Organisationen gestellt. Neben der Auflösung des alten Kirchengemeinderats, der zu „ruhig und apolitisch, obwohl ganz in polnischer Hand“ gewesen sei, und Einberufung eines neuen, der deutlich „lebendiger und radikaler“ agieren sollte, wurde auch eine Neuregelung der Gottesdienstordnung beantragt. Pfarrer Paweł Michatz berichtete an die bischöfliche Kurie, dass seitens der Delegation „vor allem die Wichtigkeit von irgendwelchen Vorträgen in Kattowitz oder im Stadttheater“ betont worden sei, die „angeblich wertvoller sein sollten als der Besuch des Gottesdienstes“. Beim Schulgottesdienst habe sogar die Predigt ausfallen sollen, damit die Messe nicht länger als eine halbe Stunde dauerte und so die besagten Veranstaltungen wahrgenommen werden könnten.132 Ähnlich wie im deutschen Teil Oberschlesiens standen auch im polnischen Industrierevier nationalistische Organisationen hinter der Diskriminierung der fremdsprachigen Gemeindemitglieder. In einem Nationalstaat wie der Zweiten Polnischen Republik beanspruchten sie auch den kirchlichen Raum, um ihr Verlangen nach Vereinheitlichung kollektiver Zusammengehörigkeitsgefühle auf der Grundlage eines ethnisch und sprachlich definierten Nationalismus durchzusetzen. Die Repräsentanten dieser Politik, vor allem die ehemaligen Aufständischen und die vorwiegend aus den kernpolnischen Gebieten zugewanderten Lehrer, Beamten und Verwaltungsangestellten, wurden dabei wahrscheinlich vom Wojewodschaftsamt zum Handeln ermutigt, da der Wojewode Grażyński keinen direkten rechtlichen Einfluss auf die sprachlich-kirchlichen Verhältnisse ausüben durfte. Die angeführten Beispiele lassen erkennen, dass nicht nur den im engeren Sinn deutschstämmigen und -sprachigen Bewohnern deutsche Gottesdienste entzogen werden sollten. Das Augenmerk der Drahtzieher richtete sich eher auf jene sich subjektiv deutsch fühlenden Oberschlesier, die in den kirchlichen Statistiken immer wieder als „germanisierte Polen“ bezeichnet wurden. Da dieser Teil der Bevölkerung slawisch- bzw. polnischsprachig war, sollte er zum Besuch der polnischen Gottesdienste gezwungen werden, um ihn dadurch zum ‚ursprünglichen Nationalbewusstsein‘ zurückzuführen. Dem zielstrebigen Vorgehen, die „Renegaten“ und „Verräter“ der Nation zu bekehren bzw. zu bekämpfen, maßen die nach exklusiv nationalistischen Mustern handelnden Akteure einen höheren Rang bei als den Prinzipien des katholischen Glaubens. So versuchten sie, z. B. die Gottesdienstord-

131 Ebd. 132 Proboszcz Michatz do Kurii Biskupiej w Katowicach 22 marca 1934: AAKat, AL Józefowiec [unpag.].

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nung anderen öffentlichen Veranstaltungen anzupassen, was die Kirche mit größter Missbilligung ablehnte. Die Pfarrer hingegen vertraten das Interesse der Kirche, das sich auf eine Art der Seelsorge konzentrierte, die möglichst viele katholische Gruppierungen, unabhängig von der ethnischen und sprachlichen Zugehörigkeit, umfasste. Gerade nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, als sich zur Freude des Wojewoden die deutsche Minderheit politisch zu polarisieren und zu radikalisieren begann, versuchte die Kirche verstärkt, den deutschsprachigen Katholiken entgegenzukommen. Die Kurie betrachtete die katholische Seelsorge als ein geeignetes Mittel gegen die Verbreitung ‚heidnischen‘ nationalsozialistischen Gedankenguts. Folglich bemühte sie sich, das deutschsprachige pastorale Angebot auf einem hohen qualitativen und quantitativen Niveau zu halten. Diese Vorgehensweise kann besonders im ethnisch gemischten Industriebezirk beobachtet werden. Ähnliches lässt sich auch am Beispiel einer ländlich geprägten Pfarrgemeinde feststellen, wo die deutschsprachigen Gemeindemitglieder deutlich in der Minderheit waren, aber sich trotzdem überproportionaler seelsorgerischer Betreuung erfreuten. In Czerwionka, Kreis Rybnik, wo der Pfarrer etwa 30 Prozent der Gemeindemitglieder als deutschgesinnt, davon aber nur einige als „geborene Deutsche“ bezeichnete, fanden sonntäglich ein deutscher und ein polnischer Gottesdienst statt.133 Über sechs Jahre lang gab es eine Reihe von Petitionen für die Abschaffung der deutschen Messe. An der Spitze der Aktionen stand – wie in anderen Ortschaften der schlesischen Wojewodschaft – der örtliche polnische Schulleiter.134 Die Beschwerden wurden damit begründet, dass angeblich nur einige wenige deutsche Bergbaubeamte im Dorf lebten und ein paritätisches Gottesdienstverhältnis viele Einwohner dazu zwinge, den fremdsprachigen Andachten beizuwohnen. Dadurch bleibe „das Deutschtum erhalten und die national labilen Personen, insbesondere die Jugend“, werde „germanisiert“.135 Daraufhin entsandte der Bischof 1931 für einige Wochen einen zweiten Priester nach Czerwionka, damit an jedem Sonntag zwei polnische und ein deutscher Gottesdienst abgehalten werden konnten. Die getestete Gottesdienstordnung zeigte schließlich, dass die Kirche während des deutschen Gottesdienstes weiterhin gut gefüllt war.136 Es war also nicht notwendig, die deutschsprachige Messe abzuschaffen. Offensichtlich besuchte ein Teil der slawophonen Oberschlesier, die von nationalistischen Organisationen ‚objektiv‘ der polnischen Nation zugerechnet wurden, aus eigenem Entschluss heraus den deutschen Gottesdienst.

133 Petycja organizacji polskich z Czerwionki do Kurii Biskupiej w Katowicach 22 stycznia 1923: AAKat, AL Czerwionka, Bd. 1 [unpag.]. 134 Proboszcz Jan Komraus do Kurii Biskupiej w Katowicach 15 marca 1930: ebd. 135 Petycja organizacji polskich z Czerwionki do Kurii Biskupiej w Katowicach z 15 stycznia 1930: ebd. 136 Notatka wikariusza generalnego Kasperlika [ohne Datum]: ebd.

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Die geschilderten Ereignisse in Janow, Josephsdorf oder Czerwionka ergeben zunächst den Eindruck, dass die Handlungslinie des Kattowitzer Bistums in Sachen Minderheitenseelsorge auf der Ebene des Pfarrklerus allgemein akzeptiert und umgesetzt wurde. Doch vertrat ein kleiner Teil der oberschlesischen Geistlichkeit keine mit der Kurie übereinstimmende Meinung in Bezug auf die deutsche Sprache in den Gottesdiensten. Dies konnte im bereits geschilderten Fall vom Koschentiner Pfarrer Walter Gąska belegt werden. Die uneinige Haltung des Klerus wurde ebenfalls in der Königshütter St. Josef-Gemeinde sichtbar. 1932 wurde das Gottesdienstprogramm, das bis dahin aus zwei polnischen und einer deutschen heiligen Messe bestand, um zwei weitere, paritätische Sonntagsgottesdienste erweitert. Im Februar 1934 bat der Elternrat der örtlichen polnischen Schule den Bischof, die deutsche Schulmesse durch einen polnischen Gottesdienst zu ersetzen.137 Pfarrer Paweł Czaja argumentierte jedoch dagegen. Er hob hervor, dass seit der Ausweitung der Gottesdienstordnung die sonntägliche Kirchengängerrate um etwa 800 Personen gestiegen sei. Die beantragte Korrektur des Gottesdienstprogramms würde dazu beitragen, dass sich diese Zahl wieder verringern könnte. Auch die polnischsprachigen Gemeindemitglieder seien mit dem erweiterten Gottesdienstangebot sehr zufrieden gewesen und vermuteten, dass die Initiative aus den Kreisen des ZOKZ gestartet worden war.138 Die Annahme, dass der Antrag auf eine Aktivität des nationalistischen Verbands und der polnischen Lehrer zurückzuführen ist, scheint angesichts der bereits angeführten Beispiele sehr wahrscheinlich zu sein. Trotzdem war der Königshütter Dekan Józef Czempiel, eine bekannte kirchliche Autorität im polnischen Teil Oberschlesiens,139 einer Abänderung des Gottesdienstprogramms nicht abgeneigt. Er sprach sich für die Abschaffung der deutschen Schulmesse aus, allerdings ohne dafür einen polnischen Gottesdienst anzusetzen, um die sonntägliche Gottesdienstordnung dem sprachlichen Zahlenverhältnis der Gläubigen genauer anzupassen. Gegen die Argumentation Pfarrer Czajas wendete er ein, dass die Besucherzahlen nur dann sinken würden, wenn zur alten Ordnung mit nur drei Sonntagsmessen zurückgekehrt würde. Sein Vorschlag sah hingegen vor, dass „nur ein Gottesdienst abgeschafft wird, was wahrscheinlich nur eine geringe Senkung der Teilnehmerzahlen nach sich ziehen würde“.140 Die Kattowitzer Kurie entschied schließlich, keine Neuerungen zum Nachteil der deutschsprachigen Angehörigen der St. Josef-Gemeinde einzuführen. Die kurz skizzierte Diskussion lässt jedoch erkennen, dass innerhalb des oberschlesischen 137 Rada rodzicielska szkoły nr 7 do Kurii Biskupiej w Katowicach 13 lutego 1934: AAKat, AL Chorzów św. Józef, Bd. 1 [unpag.]. 138 Proboszcz Paweł Czaja do Kurii Biskupiej w Katowicach 23 kwietnia 1934: ebd. 139 Vgl. Kurek, Jacek/Hojka, Zbigniew: Śląski Machabeusz. Ksiądz Józef Czempiel i jego parafia, Chorzów 1997. 140 Dziekan Józef Czempiel do Kurii Biskupiej w Katowicach 30 kwietnia 1934: AAKat, AL Chorzów św. Józef, Bd. 1 [unpag.].

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Klerus kein völlig einheitlicher Umgang mit der Problematik der Gottesdienstsprache bestand. Einige Geistliche nahmen sogar eine Verringerung der Zahlen der Kirchgänger in Kauf, um die ihres Erachtens für die Allgemeinheit der Gemeindeangehörigen angemessene Seelsorge anzubieten. 4.1.5.

Die Zuspitzung des Konfliktes um die Gottesdienstsprache Ende der 1930er Jahre

Ende der 1930er Jahre nahm die Dynamik der Auseinandersetzungen um die Gottesdienstsprache spürbar zu. Im deutschen Teil Oberschlesiens forcierte die NSDAP eine offene Politik der ‚Eindeutschung‘ der slawophonen Bevölkerung, die durch vollständige Eliminierung der polnischen Sprache und deren Dialekte aus dem öffentlichen und privaten Leben realisiert werden sollte. Diese Zielsetzung konnte relativ schnell in den Bereichen Verwaltung und Bildung verwirklicht werden, wo die Gauleitung nach dem Auslaufen der Genfer Konvention für Oberschlesien keinen völkerrechtlich verbindlichen Beschränkungen mehr ausgesetzt war. Die katholische Kirche aber blieb dem direkten staatlichen Zugriff entzogen. Dort fanden immer noch polnische Gottesdienste und Seelsorge statt. Dieser Umstand ließ den kirchlichen Raum zum spektakulären Kampfschauplatz der Germanisierungspolitik werden. Im polnischen Teil Oberschlesiens stand die Kirche ebenfalls unter hohem staatlichem Druck, der auf die Aufhebung der fremdsprachigen Gottesdienste abzielte. Allerdings setzte die nationalsozialistische Regierung die Impulse zur Zuspitzung des Konfliktes um die Minderheitensprachen; ihr klarer antipolnischer Kurs verursachte anschließend nationalistische Gegenreaktionen in Polen. Als sich 1938 die Anzeichen mehrten, dass das nationalsozialistische Regime zu einer gewaltsamen Beseitigung der polnischen Sprache im Gottesdienst entschlossen war und dabei vor dem kirchlichen Raum keinen Halt mehr machte, richtete der oberschlesische Klerus aus der Diözese Breslau an den schlesischen Gauleiter Josef Wagner ein „Memorandum zur Frage des Gebrauchs der polnischen Muttersprache in der Ausübung der Seelsorge“.141 Darin schilderten die Geistlichen die spezifische Situation in Oberschlesien zu Beginn des Jahres 1939. Demnach sei das Polnische für die Bevölkerung Oberschlesiens, auch in der Gesamtheit betrachtet, „im weiten Umfange“ die Muttersprache. In den Landgemeinden sei dies bei den Erwachsenen, bei Männern und Frauen, „fast die Regel“. Bei diesen Oberschlesiern sei die polnische Sprache „die Sprache des Herzens“. Auch wenn dagegen eingewendet werde, fast alle Oberschlesier verständen deutsch, so sei darauf zu erwidern, dass sie „zwar die Worte“ verständen, ihnen aber „nur das in ihrer Muttersprache gebotene Wort wirklich zu Herzen“ gehe. Berufe man sich mancherorts auf entgegengesetzte „Wil141 Memorandum zur Frage des Gebrauchs der polnischen Muttersprache in der Ausübung der Seelsorge vom 13. Februar 1939: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.].

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lensäußerungen der Gemeinde“, so sei darauf zu antworten, dass es nicht unbekannt sei, „auf welche Weise solche Willensbekundungen zustande“ kämen. In den meisten Fällen gäben sie weder „das wirkliche Bedürfnis, noch den unbeirrten Willen und Wunsch der Gemeinde“ wieder, sondern seien „durch eine Agitation zustande gekommen, die mit ungehörigen Mitteln“ betrieben werde und Beweggründen entspringe, die „mit der Sorge um das Heil der Seelen nichts zu tun“ hätten. Durch den Gebrauch der polnischen Sprache bei der Betätigung der Religion werde dennoch „die innere Zugehörigkeit der Oberschlesier zum deutschen Volke“ keinesfalls berührt. Für den Oberschlesier sei der Gebrauch der polnischen Sprache „kein Bekenntnis zu einer fremden Nation, sondern Ausdruck der Verbundenheit mit seinen Vorfahren, mit der überkommenen Tradition, und mit dem Boden, dem er entwachsen ist“. Der Gebrauch der polnischen Muttersprache sei in diesem Sinn „kein Hindernis für das allmähliche organische Hineinwachsen in das deutsche Volkstum auch in sprachlicher Hinsicht“. Dieser Prozess vollziehe sich langsam, aber das erwartete Ergebnis werde „umso sicherer, tiefgehender und nachhaltiger sein, weil es eben auf Freiwilligkeit“ beruhe. „Ein Eingreifen mit Zwang und rauer Hand“ würde hingegen eine „Schädigung deutschen Volkstums“ bedeuten.142 Dieses nüchterne Urteil über die Sprachverhältnisse in Oberschlesien, das die in diesem Kapitel der Studie vorgestellten Thesen bekräftigt, veränderte die Politik der Gauleitung nicht. Das Vorgehen gegen die polnische Sprache radikalisierte sich noch weiter und erreichte im Frühjahr 1939 seinen vorläufigen Höhepunkt. Zunächst bekamen die Pfarrer, die polnische Gottesdienste abhielten, Drohbriefe von „alle[n] Oberschlesier[n], die in unverbrüchlicher Treue zum deutschen Volk und Reich“ stünden.143 In einem dieser Briefe war zu lesen, dass „in Stadt und Land spontan der Wunsch laut geworden“ sei, „alles Polnische“ habe aus dem Leben „zu verschwinden“. In fast allen Kirchen Oberschlesiens werde nunmehr „nur noch deutscher Gottesdienst abgehalten und deutsch gebetet und deutsch gesungen“. Laut den Briefautoren habe sich der betreffende Pfarrer „unverständlicher Weise [...] bisher gegen diesen Wunsch und dieses Verlangen gesträubt“. Daher werde von ihm erwartet, dass sich seine Haltung, die „an allen Stellen sehr missfällig“ aufgenommen worden sei, ändere und dass er „den berechtigten Wünschen der Bevölkerung“ Rechnung tragen und nur noch deutschen Gottesdienst in seiner Kirche abhalten werde. Andernfalls werde man daraus „die notwendigen Konsequenzen“ zu ziehen wissen.144 Priester, die sich angesichts dieser Drohkulisse nicht beugten, wurden wiederholt von der Gestapo vernommen. Wenn diese Repressalie nicht den gewünschten Erfolg brachte, kam physische Gewalt zur Anwendung wie beispielsweise in der St. Nikolaus-Gemeinde in Ratibor-Altendorf.

142 Ebd. 143 Anonym [ohne Datum]: AAWr, NB I A 25 t. 60 [unpag.]. 144 Ebd.

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Am 9. Mai 1939 hatte dort Pfarrer Carl Ulitzka für 19 Uhr eine Maiandacht in polnischer Sprache angesetzt.145 Als die ersten Gläubigen die Kirche betreten wollten, wurden sie daran durch einen Kordon grölender SA-Männer gehindert. Als der Pfarrer den Aufruhr bemerkte, trat er im vollen Ornat vor die Kirche, sprach seinen Gemeindeangehörigen Mut zu, durchbrach persönlich die Absperrung und geleitete die Gläubigen ins Kircheninnere. Beim Einzug kam es dann zu schweren Handgreiflichkeiten; ein Kirchenbesucher wurde regelrecht verprügelt, einem anderen der Arm gebrochen. Trotz dieses Ausbruchs körperlicher Gewalt setzte der Pfarrer auch für die folgenden Tage Maiandachten in polnischer Sprache an, auch wenn sich immer weniger Gläubige in der Kirche versammelten. Welche Wirkung der nationalsozialistische Terror auf die Oberschlesier hatte, verdeutlicht ein Ereignis aus dem Dorf Zelasno. Der Gemeindevorsteher Malorny aus dem benachbarten Birkowitz berichtete an den Landrat in Oppeln im Mai 1939, dass „der Pole Knosalla“ aus Oberschlesien ausgewiesen worden sei. Zuvor habe er noch bei Malorny um Hilfe gebeten und sei auch bei der Gestapo gewesen. Er sei sehr bedrückt gewesen und habe gemeint, es gebe „noch schlimmere Polen“ in Zelasno als ihn. Die Ausweisung habe sich sofort in der Umgegend herumgesprochen. Viele „Polen und Polenfreunde“ aus Zelasno seien zu Knosalla gekommen und hätten gefragt, ob dies „tatsächlich wahr“ sei. Auch Leute aus anderen Dörfern hätten danach gefragt, natürlich diejenigen, die „nicht deutsch denken“. Am Sonntag sei Knosalla nach Dresden abgefahren. Die Wirkung der Ausweisung sei „eine ganz gewaltige“. Man höre in Zelasno und in der Umgegend „kein polnisches Wort mehr“. Auf den Straßen und in den Geschäften werde nur noch deutsch gesprochen. Als Malorny in Zelasno am Sonntag in einer Feierstunde die Ehrenkreuze ausgegeben habe, seien „Polen zugegen“ gewesen, die zuvor keiner Versammlung beigewohnt hätten. Die polnischen Gottesdienste seien auch nicht mehr so stark besucht wie früher. Nach Malorny bräuchten „nur noch einige Polen ausgewiesen“ zu werden, dann werde „kein Mensch mehr“ einem polnischen Gottesdienst beiwohnen.146 An diesem Vorfall kann die Form des antipolnischen Vorgehens der lokalen Vertreter des nationalsozialistischen Staates deutlich abgelesen werden. Zugleich treten hier einige typische Züge des oberschlesischen Alltags in Erscheinung. In einer Zeit, als alles Polnische aus dem öffentlichen Leben verschwinden sollte, wie z. B. auch die Anführer der polnischen Minderheit, erwartete es Knosalla offensichtlich nicht, aus seiner Heimat ausgewiesen zu werden. Er nahm sich selbst augenscheinlich nicht als einen Polen wahr, dem eine Ausweisung drohte. Die Verwunderung der Dorfbewohner bestätigt diese Vermutung: Wenn Knosalla tatsächlich als polnischer Aktivist bekannt gewesen wäre, wären die Einwohner von Ze145 Die Schilderung des Vorfalls nach Hitze: Carl Ulitzka, 1177. 146 Der Amtsvorsteher in Birkental [Birkowitz] an den Landrat in Oppeln am 23. Mai 1939: APOp, LandOpp 96, Bl. 688.

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lasno wahrscheinlich nicht dermaßen erstaunt darüber gewesen, dass ihn solche Repressionen trafen. Knosalla wurde von ihnen eher als ‚einer von uns‘, als Einheimischer und nicht als Pole wahrgenommen; um so gewaltigere Wirkung hatte das Bekanntwerden seiner Zwangsausweisung: Wenn nicht nur potentielle Gegner des Regimes, ‚tatsächliche‘ oder politisch aktive Polen, sondern auch wenig politisierte ‚gewöhnliche‘ Einheimische so hart bestraft wurden, musste jeder Dorfbewohner auf der Hut sein. Dementsprechend stellten sich die zweisprachigen Oberschlesier schnell um und verwendeten in der Öffentlichkeit nur noch Deutsch. Dies heißt aber nicht, dass sie damit etwas taten, was mit ihrer überkommenen alltäglichen Lebensweise unvereinbar gewesen wäre: Für die einheimische Bevölkerung Oberschlesiens besaß die im Alltag erlebbare Zweisprachigkeit augenscheinlich kaum ideologische Bedeutung. Lediglich in der Kirche hielt die slawophone Bevölkerung an der polnischen Sprache fest. Obwohl sie so stark eingeschüchtert wurde, besuchte sie weiterhin die polnischen Gottesdienste: Dort besaß die polnische Sprache als eine Sprache, in der mit Gott kommuniziert wurde, wohl einen selbstverständlichen und althergebrachten Charakter. Folglich hatten die Nationalsozialisten größte Schwierigkeiten mit der Verdrängung der polnischen Sprache aus dem kirchlichen Raum. Zum angeführten Beispiel kann noch eine semantische Bemerkung gemacht werden. Knosalla gab zwar zu, dass er Pole sei, aber zugleich behauptete er, dass es „noch schlimmere Polen“ in seinem Heimatdorf gebe. Dies würde darauf hinweisen, dass unter den Oberschlesiern eine gewisse Steigerung des Substantivs „Pole“ geläufig war.147 In einer nationalen Gemeinschaft wird jedoch die Bezeichnung für ein Mitglied nicht abgestuft und lässt sich in der Regel mit der Teilnahme an einer anderen nationalen Gruppe nicht in Einklang bringen. In diesem Fall ist aber davon auszugehen, dass der Terminus „Pole“ nicht im substantivischen, sondern eher im adjektivischen Sinn angewendet wird und sich dementsprechend steigern lässt: Ein Oberschlesier konnte also im größeren oder kleineren Ausmaß „Pole“ sein, d. h. in seinem Leben spielte eine Ideologie, in diesem Fall die nationale, eine größere oder kleinere Rolle. Entsprechend ähnelte die nationale Zugehörigkeit der Anhängerschaft einer politischen Partei, die unter Umständen nur für zeitlich begrenzte Lebensabschnitte angenommen und dann möglicherweise wieder fallen gelassen werden konnte. Die Identifikation mit einer nationalen Gemeinschaft war demzufolge ein politisches Angebot, das abhängig von wechselnden Faktoren bewusst wahrgenommen wurde oder auch nicht. Konstant, vertraut und selbstverständlich blieb dagegen offensichtlich allein ein lokales Zusammengehörigkeitsgefühl, das mit der engeren Heimat gleichgesetzt wurde. Der Heimatbegriff umfasste wiederum eine wahrscheinlich selbstverständliche Verschränkung des Heimatorts und der örtlichen 147 Stanisław Ossowski kommt in seiner Analyse eines oberschlesischen Dorfes (Groß Döbern) kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zu den gleichen Folgerungen. Ossowski: Zagadnienie więzi regionalnej, 263.

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katholischen Pfarrgemeinde. Das Selbstverständnis dieser so definierten WirGruppe basierte demnach auf zwei Faktoren, die 1939 in Zelasno beobachtet werden konnten: dem katholischen Glauben, von dem man nicht abfallen darf und sich deshalb gegen einen Wechsel der Ritualsprache beharrlich wehrt, und der Gebundenheit an die Heimat, deren Verlust einem Weltuntergang gleichkam. Die Ereignisse in Zelasno und zahlreichen weiteren Ortschaften im deutschen Teil Oberschlesiens, wo es zur Diskriminierung der polnischen Sprache kam, riefen eine rasche Reaktion der polnischen nationalistischen Organisationen hervor. Der regierungstreue „Polnische Westverband“ und der „Verband der Schlesischen Aufständischen“ unternahmen noch im Mai 1939 eine systematische und koordinierte Aktion gegen die Durchführung deutscher Gottesdienste in der Wojewodschaft. Zwar sind solche Aktivitäten, wie schon oben geschildert, mancherorts bereits in den 1920er und 1930er Jahren aufgetreten. Aber das Ausmaß und das systematische Vorgehen gegen die deutschsprachige Seelsorge am Vorabend des Weltkrieges übertrafen die Vorstellungskraft vieler Pfarrer und Gemeindemitglieder bei weitem. Das schlesische Wojewodschaftsamt hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Erfahrung in der Bekämpfung nichtpolnischer Gottesdienste gesammelt, und zwar in dem von der Tschechoslowakei nach dem Münchener Abkommen im November 1938 zwangsweise abgetretenen Olsagebiet, wo im Herbst und Winter 1938/39 die tschechischen und deutschen Gottesdienste durch eine organisierte Kampagne abgeschafft worden waren.148 Die Stärke und die tiefe Verankerung der katholischen Kirche im Alltagsleben des ehemals preußischen Oberschlesien hatten es anfangs nicht erlaubt, im Kerngebiet der Wojewodschaft ähnliche Schritte durchzuführen. Die Verschlechterung der Lage slawophoner Oberschlesier im deutschen Teil der Region einerseits und die Zuspitzung des deutsch-polnischen Konfliktes auf zwischenstaatlicher Ebene andererseits dynamisierten jedoch die Situation vor Ort derart, dass ein dezidiertes Vorgehen gegen die deutsche Minderheit in den Kirchen des polnisch gewordenen Abstimmungsgebiets opportun erschien. Ab Sonntag, dem 21. Mai 1939, kam es deshalb in mehreren Pfarrgemeinden zu Störungen der deutschen Gottesdienste und zur vollständigen Lähmung der deutschsprachigen Seelsorge. Eine Schilderung der Vorfälle erlaubt es, die Haltung unterschiedlicher Teile der oberschlesischen Gesellschaft in der Frage der Gottesdienstsprache und dadurch gegenüber Polonisierungsprozessen zu erhellen. In Josephsdorf wurde zunächst schon im März 1939 vor dem Hintergrund einer Missionswoche für die deutschen Gemeindemitglieder gegen die deutschsprachige Seelsorge protestiert. Sie beleidige nämlich – so der Beschluss der Versammlung – „die nationalen Gefühle der hiesigen Gemeinschaft“ und diene den Deutschen oder „eigentlich den verwirrten Polen, sogenannten Quasi-Deutschen“ als Manifestation „für ein kämpfendes Deutschtum“. Die Vereinsaktivisten verlangten 148 Vgl. Valenta, Jaroslav (Hg.): Zarys dziejów Śląska Cieszyńskiego, Praga/Ostrawa 1992, 87– 99.

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anschließend in einer Petition an den Bischof die Abschaffung der deutschsprachigen Messen.149 Diese Vorgehensweise blieb jedoch erfolglos, so dass am Freitag, dem 19. März 1939, die Forderungen während einer Zusammenkunft der örtlichen Organisationen wiederholt heftig diskutiert wurden. Darüber wurde auch Pfarrer Paweł Michatz informiert und meinte daraufhin, dass er die Abschaffung der deutschsprachigen Messen unterstützen würde, wenn ihm der Bedarf der Einführung eines zusätzlichen polnischen Gottesdienstes bewiesen werde, da immerhin 200 bis 300 Personen den deutschen Gottesdienst regelmäßig besuchten. Die Bittsteller betonten jedoch, dass es ihnen hauptsächlich um die Aufhebung „der scheußlichen deutschen Gottesdienste“ gehe.150 Am Sonntag – laut Bericht des Pfarrers – wurde die ganze Gemeinde zur Störung des deutschen Gottesdienstes mobilisiert. Den Bergarbeitern der örtlichen, im Staatsbesitz befindlichen Zeche wurde schriftlich mitgeteilt, dass sie um acht Uhr zur Kirche gehen sollten. Der örtliche Polinnenverein drohte seinen Mitgliedern, die die Kirche um diese Uhrzeit nicht besuchten, mit Ausschluss. Ein Lehrer instruierte seine Schüler, sie sollten polnische Lieder in der Kirche lauter singen als die deutschen Gemeindemitglieder die deutschen. Als am Sonntagmorgen der Pfarrer ein tausendköpfiges Aufgebot von Störern zu sehen bekam, ließ er den deutschen Gottesdienst ausfallen, um „die deutschsprachigen Gemeindemitglieder nicht einer Verunglimpfung“ auszusetzen. Da aber um 14 Uhr eine deutsche Maiandacht angesetzt war, kam es wieder zur Konfrontation. Am Nachmittag saßen Mitglieder polnischer Organisationen bereits in den Kirchenbänken und sangen polnische Lieder, unter anderem die kirchlich-patriotische Hymne „Boże coś Polskę“. Während dieser „frechen Manifestation“ – wie sie von Michatz bezeichnet wurde – betete der Pfarrer vor dem Hauptaltar kniend, da er – laut seiner Schilderung – „auf solche Dreistigkeit der örtlichen Bürger“ nicht vorbereitet war. Er verließ schließlich den Altarbereich, ohne den Anwesenden einen Segen zu erteilen.151 Am Montag sollte eine stille Andacht, die von deutschen Gemeindemitgliedern bestellt worden war, ohne Gesang abgehalten werden. Dennoch fingen wieder die gleichen Personen an, polnisch zu singen. Der Pfarrer unterbrach den Gottesdienst und versuchte die Störer dazu zu bewegen, den heiligen Raum zu achten und den Aufforderungen ihres kirchlichen Führers nachzukommen. Es kam zu heftigen Diskussionen und die Andacht wurde schlussendlich unterbrochen. Am Mittwoch wiederum wurde vor der deutschen Maiandacht eine polnische Versammlung einberufen. Um die Schändung des Gottesdienstes zu verhindern, blieb Pfarrer Michatz vor der Kirche und ließ die Andacht „privat“, ohne Beteiligung eines

149 Rezolucja polskich organizacji społeczno-politycznych z terenu gminy Wełnowiec z 22 marca 1939: AAKat, AL Józefowiec, Bd. 2 [unpag.]. 150 Proboszcz Michatz do Kurii Biskupiej w Katowicach 21 maja 1939: ebd. 151 Ebd.

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Priesters, feiern.152 Bis zum Ende des Monats mussten allerdings weitere deutsche Gottesdienste ausfallen oder wurden erfolgreich durch die Menge gestört.153 Michatz charakterisierte in einem Brief an den Wojewoden zwei typische Haltungen gegenüber den Unruhen in seiner Gemeinde. Ein Teil des polnischsprachigen Milieus verurteile die Störaktionen: Sie zeugten vom „moralischen Untergang der antikirchlichen Anführer“ und hätten zum Ziel, die Autorität der Kirche und der Geistlichkeit zu unterminieren. Eine andere Gruppe hingegen lasse sich von den noch jungen und „vom Glauben abgefallenen“ Anstiftern, die nicht selten „kommunistisch oder liberal gesinnt“ seien, verführen.154 Diese Gruppe musste zuvor erfolgreich mobilisiert worden sein, da der Pfarrer über das „kühne Vorgehen“ vieler Gemeindemitglieder deutlich überrascht war. Obwohl es schon früher zu Bittschriften für die Abschaffung deutscher Gottesdienste gekommen war, hatte Michatz offensichtlich nicht erwartet, dass seine Gemeindemitglieder zu dermaßen weitreichenden Schritten fähig seien. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Aktion von der Wojewodschaftsbehörde gesteuert wurde und die Anführer der Unruhen möglicherweise mit Geldbeträgen entlohnt wurden.155 Bemerkenswert ist ebenfalls, wie das große Aufgebot an Störern zustande kam. Die Bergarbeiter der örtlichen Zeche waren wegen der schriftlichen Aufforderung zur Teilnahme an der Aktion sicherlich wenig gewillt, ihren Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen. Dementsprechend beteiligten sie sich sehr zahlreich an den Störungen der deutschen Gottesdienste. Den Mitgliedern des polnisch-patriotischen Polinnenvereins musste wiederum erst mit Ausschluss gedroht werden, damit sie sich in dieser Form für die nationalistischen Ziele einsetzten. Die Art und Weise, wie diese Oberschlesier für die antideutschen und zugleich antikirchlichen Tätigkeiten mobilisiert werden mussten, bestätigt, dass für einen wahrscheinlich nicht unerheblichen Teil von ihnen nationalistische Handlungsmotivationen nur bedingt an erster Stelle standen. Symptomatisch sind ebenfalls die sozialen Orte, an denen die einheimische Bevölkerung politisch mobilisiert werden konnte: der Arbeitsplatz in der staatlichen Industrie, ein patriotischer, von den Behörden unterstützter Verein und schließlich die öffentliche Schule – allesamt Orte, an denen der polnische Nationalstaat einen direkten Zugriff auf seine Bürger hatte und das Handeln der Menschen beeinflussen konnte. Den Eindruck, dass es sich bei den nationalistischen Aktivitäten eher weniger um ein freiwilliges Engagement handelte, bestätigt auch die Reaktion des Pfarrers: Er war sichtbar überrascht über die zahlreiche Beteiligung seiner Gemeindemitglieder an solchen politischen Eingriffen in den kirchlichen Raum, obwohl gerade die Pfarrer am besten über die örtlichen Verhaltensmuster Bescheid wussten. Bei der Analyse der Handlungsmotivationen der Ein152 153 154 155

Proboszcz Michatz do Kurii Biskupiej w Katowicach 22 maja 1939: ebd. Proboszcz Michatz do Kurii Biskupiej w Katowicach 27 maja 1939: ebd. Proboszcz Michatz do Wojewody śląskiego Grażyńskiego w Katowicach 26 maja 1939: ebd. Dies behauptete zumindest Pfarrer Michatz. Ebd.

Die Feier des Gottesdienstes im mehrsprachigen Oberschlesien

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wohner von Josephsdorf darf jedoch auch der Zeitpunkt der politischen Aktionen nicht außer Acht gelassen werden. Als die emotionsgeladene antideutsche Stimmung im Zuge der nationalsozialistischen Politik im deutschen Teil Oberschlesiens und der sich verschlechternden deutsch-polnischen Beziehungen im Mai 1939 einen Höhepunkt erreichte, stieß die Kampagne gegen die deutsche Seelsorge möglicherweise auf größere Zustimmung unter den Oberschlesiern als je zuvor. Diese erhitzte Stimmung ließ auch die Priester nicht unberührt. Einen starken Widerhall fand ein Zwischenfall, der sich am 30. Mai in der Pfarrkirche in Lipine ereignete.156 Während einer deutschen Maiandacht drangen einige Jugendliche in die Kirche ein und begannen, die patriotische Kirchenhymne „Boże coś Polskę“ zu singen. Der die Andacht abhaltende Kaplan Paweł Krollik versuchte, vom Altar aus auf die jungen Männer einzuwirken, mit dem störenden Singen aufzuhören. Da dies nicht fruchtete, zog der Priester sein liturgisches Kleid aus, verließ den Altar, beschimpfte die Singenden und schlug drei Jungen ins Gesicht. Schließlich beförderte er die Jugend mit williger Hilfe seiner deutschsprachigen Gemeindemitglieder aus der Kirche. Zwei Tage später wurde Krollik inhaftiert und nach einem Gerichtsverfahren zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Wie das Gericht argumentierte, hätte der Kaplan in der damaligen Situation mehr Ruhe bewahren müssen. Durch sein aggressives Verhalten, das jedoch nicht gegen das patriotische „Boże coś Polskę“ gerichtet gewesen, sondern durch die Störung der gerade stattfindenden Andacht verursacht worden sei, habe er das polnische Volk und die katholische Kirche beleidigt. Entlastend wurde dem Kaplan seine bisherige tüchtige Erfüllung der geistlichen und bürgerlichen Pflichten angerechnet, die ihm von mehreren, auch polnischsprachigen Gemeindemitgliedern und dem Pfarrer von Lipine bescheinigt wurde. Nach über einer Woche intensiver Störaktionen waren die Gemüter offensichtlich aufs Höchste erregt. Der junge 28-jährige Vikar, der sich sowohl in deutsch- als auch in polnischsprachigen kirchlichen Vereinen betätigte und bis dahin mit einem diskriminierenden Verhalten nicht aufgefallen war, stieß an die Grenzen seiner Geduld und versuchte in extremer Aufregung, die Heiligkeit des kirchlichen Raumes zu verteidigen. Provoziert von der Jugend, überschritt er aber die Grenzen des Erlaubten und musste sein Fehlverhalten schließlich büßen. Der Bischof stellte sich hinter seinen Priester und tadelte die Wojewodschaftsbehörde. Im Gegensatz zur Kirche, die von einer Strafverfolgung der Unruhestifter abgesehen habe, weil „eine Strafe die Verführten treffen würde, dass aber die wirklichen Schuldigen sich verbergen und straflos ausgehen würden“, habe man dem Staatsanwalt verständlich gemacht, dass der Geistliche „in seinem Schmerz und seiner Nervosität seiner Em156 Die Schilderung der Ereignisse vom 30. Mai 1939 beruht auf folgenden Quellen: AAKat, Personalakten ks. Paweł Krollik; Zeitungsartikel in Polonia 5284 vom 4. Juli 1939 und 5287 vom 7. Juli 1939; Kattowitzer Zeitung 183 vom 7. Juli 1939; Polska Zachodnia vom 2. Juni 1939.

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Kirchliche Feiern

pörung Ausdruck gab und sich den ungehorsamen Demonstranten gegenüber gar zu sehr aus dem Gleichgewicht bringen ließ“.157 Was die „verführte Jugend“ im Fall Lipine betrifft, muss angemerkt werden, dass sie ihr ganzes bisheriges Leben im polnischen Staat und Bildungssystem verbracht hatte. Das polnische Bildungssystem in Oberschlesien wurde größtenteils von aus den kernpolnischen Gebieten zugewanderten Lehrern getragen und war besonders in den 1930er Jahren auf eine strenge patriotische Erziehung ausgerichtet.158 Folgerichtig ist es bei mehreren Zwischenfällen auffallend, dass sich sehr viele junge Personen daran beteiligten, auch wenn die Beweggründe für die Teilnahme an Demonstrationen zugleich einen ‚eventbezogenen‘ Charakter haben mochten. Die Gewaltspirale bei den Gottesdienstfeiern in beiden Teilen Oberschlesiens nötigte schließlich sowohl das Kattowitzer als auch das Breslauer Kirchenoberhaupt dazu, das Abhalten der fremdsprachigen Gottesdienste „zur Vermeidung weiterer Entweihungen von Kirchen und weiterer Beleidigungen Gottes“ zu suspendieren.159 Bischof Adamski argumentierte, dass die antideutsche Bewegung zum Ziel habe, „unwürdige Vorfälle in katholischen Gotteshäusern herbeizuführen, die Würde der Kirche herabzudrücken, die Einheit der Katholiken zu zerschlagen und in ihre Seelen Grundsätze und Praktiken hineinzubringen, die den heidnischen Pseudopatriotismus des westlichen Nachbarn nachahmen“.160 Der nationalsozialistische Terror gegen die polnischsprachigen Gottesdienste erreichte seinen Höhepunkt im Juni und Juli 1939. Kardinal Bertram stellte fest, dass „gewaltsame Maßnahmen und Drohungen in einem Maße zugenommen [hätten], dass die öffentliche Ruhe ernstlich gefährdet“ werde und an „friedliche erbauliche Gottesdienstübung“ nicht zu denken sei.161 Schließlich fühlte er sich gezwungen, eine stille heilige Messe ohne Gesang an die Stelle der von polnischem Gesang begleiteten Vormittagsgottesdienste zu verordnen.162 Diese Entscheidung fiel gerade rechtzeitig, da der BDO für Sonntag, den 2. Juli, eine umfassende Störaktion der polnischen Messen plante. In Bolko und Groschowitz bei Oppeln beispielsweise wurden noch am Samstag Plakate mit dem Aufruf angeschlagen: „Wer jetzt noch am polnischen Gottesdienst 157 Deutsche Abschrift eines Schreibens von Bischof Adamski an alle Pfarrer betreffend der deutschen Sprache im Gottesdienst vom 29. Juni 1939: AAWr, NB I A 25 p. 49 [unpag.]. 158 Glimos-Nadgórska, Anna: Autochtoni na Górnym Śląsku wobec tendencji centralistycznych w szkolnictwie polskim 1922–1939. In: Wanatowicz, Maria Wanda (Hg.): Józef Chlebowczyk – badacz procesów narodowotwórczych w Europie XIX i XX wieku, Katowice 2007, 318–337. 159 Deutsche Abschrift eines Schreibens von Bischof Adamski an alle Pfarrer betreffend der deutschen Sprache im Gottesdienst vom 29. Juni 1939: AAWr, NB I A 25 p. 49 [unpag.]. 160 Ebd. Ausführlicher zur Suspendierung der deutschen Gottesdienste in der Diözese Kattowitz vgl. Macała, Jarosław: Zawieszenie nabożeństw niemieckich w diecezji śląskiej w czerwcu 1939. In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 48 (1993) 377–388. 161 Rundschreiben von Erzbischof Bertram an alle Pfarrer vom 27. Juni 1939: AAWr, NB I A 25 p. 49 [unpag.]. 162 Ebd.

Die Feier des Gottesdienstes im mehrsprachigen Oberschlesien

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teilnimmt, bekennt sich als Pole. Wir warnen daher jeden deutschen Volksgenossen, in Zukunft an polnischen Gottesdiensten teilzunehmen.“163 Zu den einige Tage zuvor angeordneten stillen Sonntagsmessen fanden sich in Bolko nur wenige Besucher ein, meist ältere Frauen. In Groschowitz hingegen war eine größere Zahl der Einwohner aus dem benachbarten Grudschütz eingetroffen, wo sich „der berüchtigte Polenführer“ Franz Buhl hoher Autorität erfreute. Es kam zur gewaltsamen Konfrontation vor der Kirche und einige Besucher bekamen – wie der örtliche Gemeindevorsteher berichtete – „die ihnen für ihre Frechheit zustehende gehörige Tracht Prügel“.164 An diesem Beispiel ist erkennbar, dass in der Zeit der höchst angespannten deutsch-polnischen Beziehungen und des vorherrschenden antipolnischen Terrors die überwiegende Mehrheit der slawophonen Bevölkerung im deutschen Teil Oberschlesiens gnadenlos eingeschüchtert wurde. Nur alte fromme Frauen gingen ihrer althergebrachten Gewohnheit nach und besuchten den umstrittenen Gottesdienst. Von ihrer Ehrfurcht vor Gott konnten sie von den Nationalsozialisten offensichtlich nicht abgebracht werden. Es gab aber auch Personen, die durch die Teilnahme am stillen Gebet praktisch ein öffentliches Bekenntnis nicht nur zur polnischen Sprache, sondern vor allem zum Polentum ablegen wollten. Diese Oberschlesier können zu diesem Zeitpunkt als Angehörige der polnischen Minderheit betrachtet werden. Aufgrund der Behinderungen während der stillen Messen in den ersten Juliwochen baten schließlich sogar viele derjenigen Gemeindemitglieder, die gewöhnlich polnische Gottesdienste besucht hatten, darum, den deutschen Gesang auch in solchen heiligen Messen einzuführen, „um Ruhe zu haben“. Diesen Wünschen gab Kardinal Bertram am 14. Juli 1939 statt. Die Freiheit des Gebrauchs der jeweiligen Fremdsprache „bei der häuslichen und familiären Übung, in der Sprache beim Sakramentenempfange und im stillen Gebet bei der hl. Messe“ blieb aber den Gläubigen ausdrücklich gewährt.165 Damit wurde letztlich der Möglichkeit, überhaupt einem Gottesdienst beizuwohnen, Vorrang eingeräumt vor dem Recht auf die Wahl der Sprache der Liturgie. 4.1.6.

Zwischenbilanz

Für die einheimische Bevölkerung Oberschlesiens besaß die im Alltag erlebbare Zweisprachigkeit keine ideologische Bedeutung und war kein zwingender, ‚objektiver‘ Indikator für das jeweilige nationale Bekenntnis. Die zwei Sprachsysteme 163 Der Amtsvorsteher in Bolko an den Landrat in Oppeln am 12. Juli 1939: APOp, LandOpp 96, Bl. 825f. 164 Ebd. Das gewaltsame Nachspiel des Gottesdienstes beschreibt auch Jan Adamek, ein damals 37–jähriger Einwohner von Grudschütz, in seinen Erinnerungen. In: Kornatowski/Malczewski (Hg.): Wspomnienia Opolan, Bd. 1, 18. 165 Rundschreiben von dem Breslauer Erzbischof Bertram an alle Pfarrer vom 14. Juli 1939: AAWr, NB I A 25 p. 49 [unpag.].

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traten in unterschiedlichen Proportionen abhängig von Thema und Begebenheit in Erscheinung. Des Deutschen bediente man sich vorwiegend in der Armee, Schule, bei Amtsgängen und am Arbeitsplatz in der Industrie, manchmal auch in Handelsangelegenheiten. Nach dem Plebiszit verschwanden allmählich die amtlichen und schulbezogenen Kontexte des Deutschen im polnischen Teil Oberschlesiens. Auf beiden Seiten der Grenze blieb aber eine Kultur erhalten, die keine Voreingenommenheit gegenüber den beiden Sprachsystemen kannte. Ein Oberschlesier konnte vom slawischen Dialekt, der ja mit deutschen Ausdrücken durchsäht war, in ein Deutsch, das wiederum typisch slawische Satzkonstruktionen und Wendungen aufwies, umschalten und umgekehrt, ohne dass dies von anderen Oberschlesiern als ungewöhnlich oder gar als ‚Landesverrat‘ wahrgenommen wurde. Nur in einem Lebensbereich spielte es eine äußerst wichtige Rolle, welche Sprache bei der Handlung eingesetzt wurde, nämlich bei den kirchlich-religiösen Praktiken. Dort wurden auch nicht die Dialekte, sondern die jeweilige ‚Hochsprache‘ angewendet. Das ‚literarische‘, also dialektfreie Polnisch nahm in Oberschlesien festliche Züge an und wurde meist in Zeitungen, Kalendern, sakralen Handlungen sowie religiösen und patriotischen Liedern verwendet. Trotz erheblicher Behinderungen durch die staatlichen Behörden ab 1933 bzw. 1926 blieb der Gebrauch der polnischen Sprache im deutschen Teil Oberschlesiens und der deutschen Sprache im polnischen Teil der Region im Bereich der Kirche bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erhalten. Dies war dadurch möglich, weil sich in der gesamten Region ein Wir-Gefühl, das sich in erster Linie auf die althergebrachten Traditionen des in der lokalen ‚eigenen‘ Pfarrgemeinde gelebten Katholizismus stützte, in der Phase des überhöhten Nationalismus der ersten Nachkriegsjahre weiterhin behaupten und seine Beständigkeit auch nach der Übernahme der politischen Macht durch verstärkt nationalistisch agierende Gruppierungen beweisen konnte. Dennoch wuchs in den Jahren zwischen den Weltkriegen der Einfluss der Sprache als identitätsstiftendes Element und mögliche Konfliktursache. Besonders ein Teil der oberschlesischen Jugend, die ihren ganzen Sozialisationsprozess bereits in einem der beiden Nationalstaaten durchlaufen hatte, war bereit, die Sprache als ein objektives und entscheidendes Merkmal des nationalen Bewusstseins und Bekenntnisses zu bewerten. Für eine Mehrzahl der Oberschlesier, und zwar auf beiden Seiten der Grenze, stellte jedoch die Verwendung der slawischen Dialekte und des spezifisch oberschlesischen Deutschen kein Politikum dar. Bei einem Großteil der slawophonen Bevölkerung konnte gleichzeitig beobachtet werden, dass für sie das polnische bzw. deutsche Nationalbewusstsein keinen ursprünglichen, primordialen und unabänderlichen Charakter und Bedeutung besaß, sondern eher eine Ideologie war, die man zeitweise unterstützen oder auch gänzlich ablehnen konnte. Diese Ideologie sollte am Ende von staatlicher Seite dennoch mit aller Härte durchgesetzt werden. Auch dafür waren teilweise Oberschlesier verantwortlich, ob in den Reihen der ehemaligen Aufständischen oder der Anhänger des Nationalsozialismus. In den führenden Positionen beim Vorantrei-

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ben der Nationalisierungsprozesse befanden sich dennoch in der Regel zugewanderte nationalbewusste und nationalistische Personen, die zudem ein anderes Verständnis des Stellenwerts der katholischen Kirche im oberschlesischen Alltag mit sich brachten. So konnte am Vorabend des Krieges auch die letzte Bastion der ‚subjektiven‘ Zuschreibung von Sprache und nationaler Zugehörigkeit, die katholische Kirche, zermürbt und zum Nachgeben gezwungen werden. Am Ende der offiziellen Begründung für die Suspendierung der deutschen Sprache in den Gottesdiensten musste der Kattowitzer Bischof Stanisław Adamski einräumen, dass „ein innerer, schädlicher, überflüssiger und die Einheit des Volkes schwächender Kampf [...] in der Kattowitzer Grenzdiözese in einer für Europa und die polnische Nation schweren Zeit“ hervorgerufen worden sei. „Umso mehr“ sei es notwendig, dass die „Geistlichkeit und die gläubigen Katholiken aus dem Laienstande im Bewusstsein der Gefahren der Zeit“ alles von sich abschüttelten, was „aus einer fremden und [ihnen] feindlichen Gedankenwelt“ herstamme und „in das katholische Volk von Schlesien den Zündstoff der Uneinigkeit und der gegenseitigen Fehde“ werfen möchte.166 Der bischöfliche Aufruf kam jedoch recht spät: Ab September 1939 standen die Katholiken auch im polnischen Teil Oberschlesiens einer dem katholischen Glauben prinzipiell feindlichen Macht gegenüber.

4.2.

Fronleichnamsprozessionen und die Besetzung des öffentlichen Raumes

Der Konflikt um die Sprache und das ‚Volkstum‘ der Oberschlesier fand nicht nur in den kirchlichen Gebäuden statt, wo die rituellen und liturgischen Handlungen in der Regel ausschließlich von Gemeindemitgliedern mitverfolgt wurden. Er ereignete sich auch im weltlichen öffentlichen Raum außerhalb der Kirche und des kirchlichen Geländes. Einen Anlass, der von der gesamten Bevölkerung ganz besonders wahrgenommen wurde, boten die alljährlichen Fronleichnamsprozessionen, die auf eine jahrhundertealte Tradition zurückgingen und im katholischen Oberschlesien tief verwurzelt waren. Gerade in den katholischen Dörfern, aber auch in den zahlreichen Industriesiedlungen und -städten, die meist von Menschen überfüllt waren, die aus den ländlichen Gegenden zugezogen waren, richtete sich das öffentliche Leben nach dem kirchlichen Kalender, der wiederum von kirchlichen Festen geprägt war. Unter diesen zählte die Fronleichnamsprozession zu den absoluten Höhepunkten des Jahres. Sie war durch den feierlichen Ausdruck der Gottesverehrung ein öffentliches Bekenntnis des katholischen Glaubens, stellte sich aber nicht bloß als „eine Veranstaltung einer Konfession im engeren Sinne“ dar, wie es der Ratiborer Prälat Carl Ulitzka ausdrückte, „sondern als eine der Be166 Deutsche Abschrift eines Schreibens von Bischof Adamski an alle Pfarrer betreffend der deutschen Sprache im Gottesdienst vom 29. Juni 1939: AAWr, NB I A 25 p. 49 [unpag.].

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völkerung überhaupt“.167 Oberschlesische Fronleichnamsprozessionen spiegelten demzufolge den sozialen Status der Teilnehmer wider und waren „eine Selbstdarstellung der Gemeinschaft mit ihren Gruppen und Rängen“168. Infolge der öffentlichen Bedeutsamkeit wurden die Corpus-Christi-Prozessionen zu einem wichtigen Schauplatz im nationalistisch geprägten Tauziehen um die Wir-Gruppen-Identitäten der Oberschlesier. 4.2.1.

Wojewodschaft Schlesien

Im polnischen Teil Oberschlesiens trat diese Rivalität in konzentrierter Form in den industrialisierten Gebieten der Region in Erscheinung, wo die Angehörigen der deutschen Minderheit eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der kirchlichen Umzüge spielten. Es handelte sich dabei nicht nur um die angestammte deutsche Bevölkerung, die vor allem in den städtischen Zentren zu finden war. Vielmehr gehörte dieser Gruppe auch jener Teil der oberschlesischen Dialektsprecher an, der sich eng mit der deutschen Sprache verbunden fühlte – die „germanisierten Einheimischen“. Ähnlich wie die Gruppe der Deutschen von außerhalb und die der einheimischen Deutschen waren wiederum die zugewanderten Polen weit mehr in den sich schnell entwickelnden Industriestädten des Kohlereviers zu finden als auf dem hinsichtlich des Arbeitsplatzangebots weniger attraktiven Land. Die relativ hohe Konzentration der nationalbewussten Bevölkerung in den Städten trug dazu bei, dass sich die nationalistisch begründeten Spannungen in den großen städtischen Pfarrgemeinden intensivierten. Anhand des Fronleichnamsfestes kann daher überprüft werden, ob die Streitparteien versuchten, Nationalisierungsprozesse während der aus dem Alltag herausgehobenen Prozessionen öffentlich und dadurch mit potentiell höherer Resonanz voranzutreiben. Parallel ist zu fragen, ob nicht auch noch andere Faktoren wie beispielsweise das gesellschaftliche Prestige der teilnehmenden Gruppen, Vereine und einzelnen Individuen bei den großen kirchlichen Prozessionen auf dem Spiel standen. Die erste Phase des Konfliktes markierte die Übernahme der staatlichen Verwaltung durch die Republik Polen. Um das Jahr 1922 kam es in einigen Pfarrgemeinden zur Neugestaltung der Prozessionsordnung, insbesondere dort, wo sich das Kräfteverhältnis zwischen den nationalbewussten Polen und Deutschen geändert hatte. Nach dem Plebiszit wanderten bis zu 100.000 Deutsche aus dem polnisch gewordenen Teil der Region ab, unter anderem ein Großteil des höheren Beamtenstands (darunter allerdings viele Protestanten).169 An ihre Stelle traten wiederum (in der Regel katholische) Polen aus benachbarten polnischen Provinzen, die auch

167 Zit. nach Hitze: Carl Ulitzka, 1157f. 168 Hürten, Heinz: Deutsche Katholiken 1918–1945, Paderborn u. a. 1992, 20. 169 Czapliński: Dzieje Śląska, 394f.

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die frei gewordenen Verwaltungsposten neu besetzten.170 Die Apostolische Administratur achtete darauf, dass diese Verschiebungen nicht zu schlagartig die jeweilige althergebrachte Gottesdienst- und Prozessionsordnung ins Wanken brachten und für einen unwillkommenen Wirrwarr in den Gemeinden sorgten. Sie bemühte sich um einen ausgewogenen Wandel, mit dem eine weitere Verunsicherung der oberschlesischen Katholiken nicht einhergehen sollte. Nach den Unruhezeiten der ersten Nachkriegsjahre versuchte die Kirche verstärkt, eine vermittelnde Rolle zu spielen und die nationalistisch aufgepeitschte Stimmung wieder zu besänftigen. Dennoch kam es mancherorts zu Vorfällen, die keinen aussöhnenden Charakter hatten, sondern darauf gerichtet waren, vollkommen neue Gegebenheiten auch ohne Zustimmung der kirchlichen Obrigkeit zu schaffen. So war es beispielsweise in der Zeit vor dem Plebiszit in der St. Augustin-Gemeinde in Lipine zu gewalttätigen Vorkommnissen gekommen. In dem zwischen Beuthen O.S. und Schwientochlowitz gelegenen und bevölkerungsreichen Industriedorf mit etwa 18.000 Einwohnern von nahezu ausschließlich katholischer Konfession war damals ein erbitterter Kampf um die Stimmanteile entflammt. Die Auseinandersetzungen hatten in einem Mord gegipfelt, dem der Gemeindevorsteher und Leiter der örtlichen deutschen Propaganda, Dr. Hans Rösner, zum Opfer gefallen war.171 Die Erschießung des politischen Rivalen hatte unter den Oberschlesiern den traurigen Ruf von Lipine als einer „außergewöhnlich unruhigen Ortschaft“ bekräftigt.172 Die anschließende Abstimmung, bei der es der polnischen Seite gelungen war, ein leichtes Übergewicht von 56,4 Prozent der Stimmen zu erringen, hatte aber keine klaren Mehrheitsverhältnisse geschaffen. Die Gemeinde war durch den alliierten Teilungsspruch Polen zugeschlagen worden, was das Selbstbewusstsein der polnischgesinnten Agitatoren erheblich gestärkt hatte. Kurz vor dem Einmarsch der polnischen Truppen und der Verwaltungsübernahme in Lipine (26. Juni 1922) kam es daher im Vorfeld des Fronleichnamsfestes (15. Juni) zum Streit um den religiösen Gesang an den vier Prozessionsstationen im Zentrum der Ortschaft.173 Gegen den Willen des Pfarrers setzten sich polnisch orientierte Gemeindemitglieder durch – offensichtlich bestärkt durch die bevorstehende Übernahme der Ortschaft durch Polen – und entfernten aus dem bisherigen Prozessionsprogramm den örtlichen, in der Regel deutsch singenden Cäcilienverein. An dessen Stelle wurde ein polnischer Chor von außerhalb eingeladen, da es in Lipine zuvor noch keinen ‚polnischen‘ Gesangsverein gegeben hatte. Man kann vermuten, dass diese

170 Vgl. Wanatowicz: Ludność napływowa. 171 Grzegorek/Piegza: Lipiny, 72. 172 Proboszcz Sowa do biskupa katowickiego Lisieckiego 25 czerwca 1927: AAKat, AL Lipiny, Bd. 2 [unpag.]. 173 Sprawozdanie z działalności Stowarzyszenia Śpiewaków Śląskich, Oddział Lipiny z czerwca 1936: ebd.

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Änderung nicht ohne Androhung von Gewalt eingeführt wurde, denn der Pfarrer Wincenty Muschalik, obwohl bereits über 20 Jahre im Amt, wurde wenige Monate später aus seiner Pfarrei regelrecht vertrieben.174 Dies geschah gegen die Regeln der bischöflichen Kurie, die zwar die Verlegung eines Pfarrers, der sich in der neuen politischen Realität des polnischen Staates äußerst unwohl fühlte und das Vertrauen der Gläubigen nicht mehr uneingeschränkt genoss, in einigen Fällen zuließ, aber grundsätzlich auf die Bewahrung der seelsorgerischen Kontinuität bedacht war. Der nachfolgende Pfarrer, Emanuel Sowa, war über das Hinausjagen seines „außergewöhnlich gutmütigen“ Vorgängers entsetzt und bemerkte, dass „trotz der nationalen Kämpfe in keinem anderen Dorf so etwas vorgekommen“ sei.175 Auch wenn das Ausmaß der Gewaltanwendung im Fall Lipine die Vorfälle in anderen oberschlesischen Gegenden übertraf, zeigt dieses Beispiel, wie auf der lokalen Ebene eine neue nationalistische Ordnung in den öffentlichen Raum hineingetragen werden sollte. Noch bevor die Gemeinde staatsrechtlich Polen angeschlossen wurde, bewirkten die aktiven Anhänger der neuen Staatsgewalt, dass die neuen politischen Machtverhältnisse im öffentlichen Raum zur Schau gestellt wurden. Das ungehorsame Verhalten gegenüber der Autorität der Kirche, die auf der Ebene der Gemeinde der Pfarrer symbolisierte, legt die Vermutung nahe, dass die Verbundenheit der Drahtzieher mit der institutionalisierten Kirche nicht besonders ausgeprägt gewesen sein dürfte. Trotzdem entschlossen sie sich, gerade bei einem religiösen Anlass die neue Ordnung derart deutlich zu repräsentieren, um eine möglichst breite Wirkung zu erzielen: Die öffentliche Fronleichnamsprozession wurde zugunsten der polnischen nationalen Ideologie politisiert. Wer sich dem widersetzte, wie der örtliche Pfarrer, wurde durch Nötigung entfernt. Die Gewaltspirale, die in der Abstimmungs- und Aufstandszeit in Bewegung gekommen war, ließ sich im Jahr 1922 mancherorts noch nicht bändigen. Dies verwundert jedoch nicht, wenn man die Hauptakteure näher betrachtet. Im Fall Lipine waren es die ehemaligen Aufständischen, die gewalttätig gegen den Pfarrer vorgingen. Diese Gruppe der Einwohner war durch die Gewalterfahrung während der Aufstände geprägt worden. In der politisch veränderten Realität nach dem Plebiszit übernahm gerade einer ihrer Anführer, Franciszek Lazar, die kommissarische Macht über die Gemeindeverwaltung.176 Trotz des prägnanten Vorfalls in Lipine konnte sich die bedächtige Politik der Kirche im Allgemeinen durchsetzen, so dass es in den meisten Gemeinden zu keinem abrupten Wandel in der Seelsorge kam. Den geistlichen Würdenträgern, die auf Neuerungen sehr verhalten reagierten, standen die weltlichen, der christlichdemokratischen Partei entstammenden regionalen Machthaber wohlwollend ge174 Grzegorek/Piegza: Lipiny, 72. 175 Proboszcz Sowa do biskupa katowickiego Lisieckiego 25 czerwca 1927: AAKat, AL Lipiny, Bd. 2 [unpag.]. 176 Grzegorek/Piegza: Lipiny, 75.

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genüber. Dieses informelle Bündnis verhinderte in vielen Fällen den Erfolg der nationalistischen Gruppierungen in den einzelnen Gemeinden. Doch als es 1926 zum Machtwechsel in Kattowitz kam, erkannten die nationalistischen Aktivisten die Gunst der Stunde. Da Michał Grażyński eine Ausgrenzungspolitik gegenüber der deutschen Minderheit und den deutsch geneigten Oberschlesiern verfolgte, erlebte die Konfrontation um die symbolische Besetzung des öffentlichen Raumes eine neue Auflage, ohne dabei die katholischen Fronleichnamsprozessionen auszulassen. Zu brisanten Auseinandersetzungen kam es nicht zuletzt in den Städten, in denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung deutschsprachig und politisch deutsch orientiert war, aber zugleich mit den polnischen, nationalbewussten und einflussreichen Zuwanderern konfrontiert war. Als Beispiel kann die Stadt Königshütte angeführt werden, wo sich in zwei bevölkerungsreichen Pfarrgemeinden – St. Barbara und St. Josef – im Umfeld der Fronleichnamsprozessionen Misshelligkeiten ereigneten. In beiden Gemeinden handelte es sich um den religiösen, lateinischen Gesang während der Prozession: Sowohl der deutsche als auch der polnische Chor beanspruchten das Recht, diese kirchlichen Lieder zu singen. Königshütte war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ein Symbol der deutschen Herrschaft über die Region. Hier konzentrierte sich das deutsche Bürgertum, das in der Industrie und in den öffentlichen Institutionen in Führungspositionen beschäftigt war. Aus diesen Gründen pulsierte das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben der Stadt in der deutschen Sprache: Mehrere deutsche Pressetitel erschienen in Königshütte und unzählige deutsche Vereine waren dort tätig.177 Gleichzeitig lebten in Königshütte aber auch wichtige Vertreter polnischer Patrioten in Oberschlesien. Karol Miarka hatte dort seinen Pressekonzern gegründet,178 Juliusz Ligoń und auch Józef Gallus agierten in dieser Stadt.179 In Königshütte nahmen die polnische Theater- und Gesangsbewegung wie die religiösen, patriotisch inszenierten Ausflüge nach Krakau oder Warschau ihren Anfang; die ersten polnischen kulturellen Vereinigungen, Bibliotheken und Büchereien wurden ebenfalls dort gegründet.180 Nach der preußischen Volkszählung von 1910 lebten in Königshütte fast 40.000 deutsche und beinahe 25.000 polnische Muttersprachler.181 Über 8.000 Einwohner, d. h. 11,5 Prozent der Bevölkerung betrachteten beide Sprachen als ihre Muttersprachen182 – ein hoher Prozentanteil im Vergleich zu anderen oberschlesischen Gebieten und ein Hinweis darauf, dass in Königshütte besonders viele „germanisierte Einheimische“ lebten. Die damaligen statistischen Sprachverhältnisse gaben jedoch nicht zwingend ein korrektes Bild der nationalen 177 Wanatowicz, Maria Wanda: Stosunki narodowościowe w Chorzowie w latach 1918–1939 na tle górnośląskim. In: Zeszyty Chorzowskie 8 (2005) 14–28, hier 15. 178 Bar, Adam: Karol Miarka. Studium z dziejów Górnego Śląska, Katowice 1938, 99f. 179 Wanatowicz: Stosunki narodowościowe, 15. 180 Ebd., 15. 181 Ebd., 16. 182 Ebd.

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Abb. 4. Besuch des polnischen Staatspräsidenten Ignacy Mościcki in Königshütte, Oktober 1927. Bildnachweis: Narodowe Archiwum Cyfrowe, 1-A-1585-3.

Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten der Königshütter Bevölkerung wieder, was bereits am Beispiel der Sprachenproblematik bei den Gottesdiensten für mehrere oberschlesische Ortschaften ausführlich belegt werden konnte. Auch die Abstimmungsergebnisse zeigen, dass die preußische Sprachstatistik keinen zuverlässigen Indikator für die realen Nationalitätenverhältnisse in Königshütte abgibt. Im März 1921 votierten drei Viertel der Stadtbevölkerung für Deutschland und nur ein Viertel für Polen, was allerdings nicht nur einen arithmetischen Ausdruck der damaligen nationalen Zugehörigkeitsgefühle der Einwohner darstellte, sondern wohl auch von anderen sozioökonomischen Faktoren beeinflusst wurde. Vor diesem komplexen Hintergrund ist angezeigt zu fragen, wie sich die Bildungsprozesse gesellschaftlicher Wir-Gruppen in den Königshütter Pfarrgemeinden in den 1920er und 1930er Jahren insbesondere im öffentlichen Raum gestalteten. Die St. Barbara-Gemeinde war die älteste, traditionsreichste und zentral gelegene Pfarrei in Königshütte.183 Ende der 1920er Jahre lebten in ihren Grenzen 27.000 Menschen, davon 13.000 Katholiken deutscher Sprache, die in der Regel seit Jahren in Oberschlesien ansässig und meist auch des slawischen Dialekts mäch-

183 Vgl. Myszor, Jerzy (Hg.): Z dziejów parafii św. Barbary w Chorzowie, Chorzów 1998.

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tig waren,184 was zu vermuten erlaubt, dass es sich dabei mehrheitlich um Mitglieder der einheimischen slawophonen Bevölkerung handelte. Nachdem Königshütte 1922 Polen zugeschlagen worden war, verließ der bisherige Pfarrer Alois Reiff seine Gemeinde und trat eine Stelle auf der deutschen Seite der Grenze an. Den frei gewordenen Posten übernahm der geistliche Rat Ludwik Wojciech, ein älterer Priester, der aus Oberschlesien stammte und von der Kurie als geeigneter Mann für die Führung einer prestigeträchtigen und mehrsprachigen Pfarrei angesehen wurde. Wojciech setzte konsequent die kirchliche Politik der nationalen Ausgewogenheit in die Realität um. Er führte einen zusätzlichen polnischen Gottesdienst ein, um auf diese Art und Weise den gestiegenen Ansprüchen der polnischen Gemeindemitglieder entgegenzukommen, ohne dabei die deutsche Sonntagsmesse zu gefährden. Er gründete mehrere polnischsprachige Vereine, um unterschiedliche Altersund Geschlechtergruppen wie Mütter, Jugendliche und Männer stärker an die Kirche zu binden und die Seelsorgearbeit unter den slawophonen Gemeindemitgliedern zu vertiefen.185 Ende 1923 wurde mit ausgiebiger Hilfe des Pfarrers auch ein polnischer Kirchenchor ins Leben gerufen. Nach zweieinhalb Jahren erreichte der neue Gesangsverein ein entsprechendes Niveau, um auch bei wichtigen, die gesamte Gemeinde betreffenden Festlichkeiten aufzutreten. Dies geschah auf Kosten des bereits seit der preußischen Zeit aktiven Cäcilienvereins, der eher deutschsprachige Mitglieder versammelte und bisher das Monopol auf den organisierten religiösen Gesang in der Gemeinde innegehabt hatte. 1926 entschied sich der Pfarrer zum ersten Mal, das Singen der Kirchenlieder bei den Stationen der Fronleichnamsprozession dem polnischen Chor zu überlassen. Der polnische Gesangsverein erhielt den Vorzug auch bei der nächstjährigen Prozession sowie bei der großen Feier des 75-jährigen Bestehens der St. Barbara-Gemeinde.186 Die deutschen Sänger fanden sich mit dem Bedeutungsverlust nicht ab und forderten vom Pfarrer eine Kompromisslösung. Wojciech ging auf die Wünsche dieses Teils der Gemeindemitglieder ein und verordnete, dass alle drei Jahre der Cäcilienverein das Prozessionssingen übernehmen sollte. Diese Regelung setzte er auch tatsächlich um, d. h. nach zwei Jahren des – wohl gemerkt – lateinischen Singens durch den polnischen Chor durfte während der Prozession 1928 der deutsche Verein lateinische Lieder zelebrieren. Diese Entscheidung führte nun allerdings bei einigen polnisch orientierten Gemeindemitgliedern zur Empörung. Die Reibereien in der Gemeinde gelangten in die Zeitungen. So berichtete ein anonymes Gemeindemitglied im „Śląski Głos Poranny“, dass „die Deutschen ihre Köpfe erheben“, 184 Nach Angaben des Pfarrers Ludwik Wojciech. In: Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 30. 185 Proboszcz Wojciech do biskupa katowickiego Lisieckiego 4 czerwca 1928: AAKat, AL Chorzów św. Barbara, Bd. 4, Bl. 174. 186 Odpis listu czytelnika z Śląskiego Głosu Porannego 113 z 15 maja 1928: ebd., Bl. 163f.

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und argumentierte, dass sich „die Polen im unabhängigen Polen“ nicht gefallen lassen würden, „zweite Geige zu spielen“.187 Nur den Polen solle „im freien Polen der Vorzug gegeben werden“, und nicht den Deutschen. Die letzten hassten Polen, seien keine guten Katholiken und dürften vor dem Allerheiligsten kein „Halleluja“ singen, weil sie bei den politischen Wahlen eine Koalition mit den Juden eingegangen seien.188 Diese Begründung schloss also Argumente nicht nur religiöser Natur ein. Es handelte sich zwar auch um ein für die Zeit typisches Argumentationsmuster, wonach eine Zusammenarbeit mit anderskonfessionellen Gemeinschaften diskreditierend sein sollte – dafür wurden die antisemitischen Parolen mobilisiert. Aber der Schwerpunkt der Aussage lag im verletzten, national gedeuteten Repräsentationsmonopol. Somit wurde hier ein kirchliches Ereignis, die Fronleichnamsprozession, mehr als Anlass zur Darstellung des nationalpolitischen Kräfteverhältnisses im öffentlichen Raum begriffen denn als Gelegenheit zur gemeinsamen Gottesverehrung. Dies wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass während der Prozession von den Chören ja in keiner der beiden Nationalsprachen, sondern in der universalen Kirchensprache Latein gesungen wurde. Pfarrer Wojciech erläuterte daraufhin dem Bischof, dass wenn die Gemeinde „mindestens zu 50 Prozent deutsch ist, oder sich für solche hält, dann verlangt die Gerechtigkeit, je drei Jahre die Deutschen zum lateinischen Gesang während der gemeinsamen Feier zuzulassen“.189 Die Kurie stellte sich anschließend auf die Seite des Pfarrers und unterstrich in einem Erklärungsbrief an die Redaktion der Zeitung, dass ihr der geistliche Rat Ludwik Wojciech „als ein eifriger Priester und guter Pole bekannt“ sei.190 Zugleich sei er aber „Pfarrer auch für die deutschgesinnten Gemeindemitglieder, die er aus übernatürlichen Gründen aus dem kirchlichen Leben nicht ausschließen kann und ihnen zustehende Rechte gewähren muss“.191 Die Vertreter der Kirche verstanden es also, eine ‚nationale‘ Monopolisierung des öffentlichen Raumes während der kirchlichen Feiern abzuwehren. Um die Spannungen abzumildern, entschied sich der Pfarrer schon früh für den ausschließlich lateinischen Gesang während der Prozessionen. Durch den Verzicht auf polnische oder deutsche Lieder sicherte er einen seines Erachtens gerechten Ablauf des Fronleichnamsfestes, auch wenn er das Deutschtum eines Teils seiner Gemeindemitglieder anzweifelte. Seiner Einschätzung nach vermochte die überwiegende Mehrheit der Gemeinde einem polnischen Gesang durchaus zu folgen, aber die seelsorgerische Besonnenheit empfahl dem Pfarrer, jedwede sprachliche Entschei-

187 188 189 190

Ebd. Ebd. Proboszcz Wojciech do biskupa katowickiego Lisieckiego 4 czerwca 1928: ebd., Bl. 174. Odpis pisma wikariusza generalnego Kasperlika do Śląskiego Głosu Porannego z 8 czerwca 1928: ebd., Bl. 175f. 191 Ebd.

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dung des Einzelnen zu respektieren. Gleichzeitig versuchte die katholische Kirche, beiden Konfliktparteien Rechnung zu tragen, und bemühte sich um eine Kompromisslösung. Der Ausweg in den lateinischen Gesang stellte jedoch die nationalistisch argumentierenden Gemeindemitglieder nicht zufrieden. Dies ist in einer anderen Königshütter Gemeinde, nämlich St. Josef, noch deutlicher zu beobachten. Die St. Josef-Gemeinde hatte zwar fast um die Hälfte weniger Einwohner, aber zeigte eine annähernd identische Bevölkerungsstruktur wie ihre Mutterpfarrei St. Barbara: Von den etwa 14.000 Mitgliedern war nach Angaben des Pfarrers Paweł Czaja für ein Drittel (4.500) die Seelsorge in der deutschen Sprache erforderlich.192 Ähnlich wie in der Nachbargemeinde verliefen die Streitigkeiten auch hier entlang der Frage, wer während der Fronleichnamsprozession singen sollte. Bis zum Jahr 1928 wurden die religiösen lateinischen Lieder gemeinsam vom polnischen und deutschen Chor intoniert. Laut dem Pfarrer besaß noch keiner der beiden Vereine ein ausreichendes Niveau, um allein die größten kirchlichen Feste mit Gesang zu begleiten. Demzufolge sprach sich Pfarrer Czaja, der 1931 zum stellvertretenden Leiter der „Kommission für kirchliche Musik in der Diözese Kattowitz“ ernannt werden sollte,193 auch dagegen aus, die Chöre bei den Fronleichnamsprozessionen abwechselnd singen zu lassen. 1929 änderten sich jedoch die Rahmenbedingungen: Der bisherige Dirigent und zugleich der örtliche Kirchenorganist verließ den polnischen Kirchenchor wegen des mangelnden Engagements der Sänger. Daraufhin engagierten die Polen einen externen Gesangslehrer und bestanden darauf, beim Fronleichnamsfest ohne deutsche Beteiligung aufzutreten.194 Als die Kurie darüber in Kenntnis gesetzt wurde, fertigte ein Vertreter der Kurie ein unmissverständliches Schreiben an Pfarrer Czaja an, das aber letzten Endes nicht in dieser Form versandt wurde. Nichtsdestoweniger spiegelt dieses Briefkonzept die Haltung des höheren Klerus in dieser Frage wider. Demnach könne es die geistliche Macht nicht zulassen, dass eine solche große Feier wie Fronleichnam, „anstatt eine Manifestation der brüderlichen Gottesliebe“ zu werden, „zum Zwecke parteilicher oder persönlicher Abrechnungen“ missbraucht werde. Angesichts dessen solle, „nach einer sorgfältigen Prüfung der Angelegenheit“ und um das Fronleichnamsfest in der St. Josef-Gemeinde „möglichst würdig und herrlich ausfallen zu lassen“, verfügt werden, dass beide Kirchenchöre, d. h. der polnische und der deutsche Chor, bei der Feier „gemeinsam und unter der Führung des vom Amt wegen zuständigen Organisten der St. Josef-Kirche“ auftreten. Zudem forderte die bischöfliche Kurie in dieser Vorlage beide Chöre auf, „die

192 Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 32. 193 Ledwoń, Joachim Paweł: Dzieje parafii pod wezwaniem św. Józefa w Chorzowie do roku 1982, Katowice 1993, 93 (eine unveröffentlichte Magisterarbeit, die sich im Bestand der Bibliothek der Theologischen Fakultät der Schlesischen Universität in Kattowitz befindet). 194 Protokół petycji polskiego chóru kościelnego do Kurii Biskupiej w Katowicach z 27 maja 1929: AAKat, AL Chorzów św. Józef, Bd. 1 [unpag.].

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Reibereien wenigstens während des großen heiligen Festes aufzugeben und gegenseitige Ressentiments und Voreingenommenheiten an diesem Tage der Liebe und Aussöhnung zu vergessen“. Schließlich drückte sie ihre Hoffnung aus, „von den verantwortlichen Gemeindemitgliedern in dieser Angelegenheit nicht enttäuscht zu werden“.195 Das Schreiben, das später Pfarrer Czaja und die beiden Chöre erreichte, wurde etwas weniger eindeutig formuliert und ließ mehrere Entscheidungsoptionen zu. Beiden Chören wurden gleiche Rechte eingeräumt: Sie sollten zusammen singen oder abwechselnd, bei der ersten und dritten Station der polnische und bei der zweiten und vierten Station der deutsche Verein, bzw. gemeinsam auftreten, aber wer dann nicht mitsingen wolle, könne auch stumm bleiben.196 Die tatsächliche Verordnung der kirchlichen Behörde gab den beteiligten Akteuren also ungewöhnlich viel Spielraum und ließ den Eindruck entstehen, dass die Kurie angesichts der Eskalation solcher Probleme doch etwas ratlos war. Das Hauptanliegen der Kirche bestand in der Stärkung des konfessionellen Zusammenhalts der Gläubigen, unabhängig von den ideologischen, sprachlichen oder auch persönlichen Gräben, die sich seit der Politisierungsperiode Anfang der 1920er Jahre aufgebaut hatten. Der Erfolg des kirchlichen Programms war in erster Linie von Handlungs- und Sichtweisen des örtlichen Geistlichen abhängig. Jedoch gerade in großen Stadtgemeinden wurde es immer schwieriger, Probleme dieser Art einzudämmen und ein attraktives Identifikationsangebot der konfessionellen Gemeinschaft abseits nationalistischer Verhaltensmuster in den Vordergrund zu stellen. Pfarrer Paweł Czaja gehörte einer Generation der oberschlesischen Geistlichen an, die eine ausschließlich kirchlich ausgerichtete und unpolitische Rolle in ihren Gemeinden spielen wollten. Geboren 1874 im Kreis Ratibor absolvierte Czaja noch vor den ersten nationalistisch geprägten deutsch-polnischen Auseinandersetzungen um Oberschlesien das Breslauer Theologiestudium, die Priesterweihe erhielt er 1899. Nach einem längeren Vikariat in der Liebfrauengemeinde in Kattowitz, also ebenfalls in einer sprachlich gemischten, großstädtischen und prestigevollen Gemeinde, übernahm er 1913 die neugegründete St. Josef-Pfarrei. Dies war ein offenes Vertrauensvotum des Breslauer Bischofs Kardinal Bertram und auch der polnische Kattowitzer Bischof Adamski würdigte später, 1930, die seelsorgerische Arbeit des Priesters durch seine Ernennung zum geistlichen Rat.197 Im Fall der St. Josef-Gemeinde fühlte sich jedoch der polnische Chor durch das Handeln des von den Vorgesetzten so geschätzten Pfarrers benachteiligt. In einer Petition an den Bischof führten die Sänger an, sie wollten nicht mehr eine zweitrangige Rolle in der Gemeinde spielen, eine Rolle, „mit der sich ein polnischer 195 Pierwsza wersja listu z Kurii Biskupiej do proboszcza Czai w Królewskiej Hucie z 23 maja 1929: ebd., Bl. 98. 196 Ksiądz Jarczyk do proboszcza Czai w Królewskiej Hucie 27 maja 1929: ebd., Bl. 99. 197 Ledwoń: Dzieje parafii, 91–93.

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Chor im unabhängigen Polen nicht abfinden“ könne.198 Um „diese Rolle zu überwinden“, schlugen sie vor, den deutschen Chor während des Gottesdienstes in der Kirche singen zu lassen, der Gesang bei den Prozessionsstationen hingegen sollte von ihnen, den Polen, übernommen werden. Hier sieht man erneut, dass einem Auftritt im öffentlichen Raum eine höhere Bedeutung beigemessen wurde als einem innerhalb der kirchlichen Mauern. Erst im deutlich herausgehobenen, öffentlichen Raum konnte der polnische Chor seinen Ansprüchen genügen. Hier kommt wieder der Aspekt der öffentlichen Repräsentation zutage: Der polnische Verein wollte durch den Auftritt auf den Straßen des Stadtviertels während eines der Höhepunkte im Kirchenjahr ein klares Dominanzzeichen setzen. Gerade bei der außergewöhnlichen Fronleichnamsprozession konnte man eine breite Wirkung erzielen und das eigene soziale Prestige steigern. Der Verzicht auf den Gesang im feierlichen, aber doch etwas ‚gewöhnlichen‘ Gottesdienst wäre ein weiterer Beleg dafür, dass bei diesen oberschlesischen Katholiken nicht nur religiöse Argumente entscheidend waren. In einer anderen dicht bevölkerten Gemeinde, St. Hedwig in Rosdzin-Schoppinitz (mit 22.000 Mitgliedern, überwiegend Einheimischen, davon etwa 4.000 deutschsprachigen Katholiken199), einige Kilometer östlich von Kattowitz, wurde ebenfalls eine Fronleichnamsprozession zum Anlass für einen Konflikt. Eine der Hauptfiguren in dieser Auseinandersetzung war der örtliche Pfarrer Józef Zientek. Eine genauere Analyse der Ereignisse wird es erlauben, einige charakteristische Züge einer Pfarrgemeinde im polnischen Teil des oberschlesischen Kohlereviers darzustellen. Józef Zientek übernahm seinen Posten bereits 1903; außer einer regen Tätigkeit auf dem kirchlichen Feld fiel er auch dadurch auf, dass er vor dem Ersten Weltkrieg Vorträge während der Treffen des örtlichen Kriegervereins hielt.200 In der Abstimmungszeit machte er keinen Hehl aus seiner deutschen Orientierung, dennoch emigrierte er nach dem Übergang seiner Pfarrei an Polen nicht. Zehn Jahre nach der Teilung der Region geriet er in die Schlagzeilen der polnisch-nationalistischen Presse: Im April 1932 löste er den polnischen Kirchenchor auf, nachdem sich dessen Mitglieder geweigert hatten, mit dem deutschen Gesangsverein zusammen beim Fronleichnamsfest zu singen.201 Der polnische Chor war erst 1925 ins Leben gerufen worden und trat seitdem anstelle des deutschen Cäcilienvereins bei den Fronleichnamsprozessionen auf. Dies war auf die sprachliche Zusammensetzung der Gemeinde zurückzuführen. Nach den wahrscheinlich etwas großzügigen Anga198 Protokół petycji polskiego chóru kościelnego do Kurii Biskupiej w Katowicach z 27 maja 1929: AAKat, AL Chorzów św. Józef, Bd. 1 [unpag.]. 199 Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 48. 200 Bjork: Neither German nor Pole, 96. 201 „Ks. proboszcz Zientek musi się dowiedzieć, że żyjemy w Polsce, a nie w ‚Vaterlandzie‘“. In: Polska Zachodnia 151 vom 31. Mai 1932; „Na co sobie pozwala ks. proboszcz Zientek po dziesięciu latach przynależności Śląska do Polski“. In: ebd. 153 vom 2. Juni 1932.

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ben des Pfarrers benötigten fast 20 Prozent der Gemeindemitglieder eine seelsorgerische Betreuung in der deutschen Sprache.202 Die Zusammenarbeit zwischen dem polnischen Gesangsverein und dem Pfarrer verlief offensichtlich nicht reibungslos, so dass sich dieser einige Jahre lang bemühte, den Verein zu beseitigen oder zumindest mit dem deutschen Chor, dessen Leitung Zientek selbst innehatte, zusammenzuführen. Gegen diesen Schritt konnte sich der örtliche Vikar Paweł Macierzyński, zugleich Präses und Dirigent des polnischen Kirchenchores, erfolgreich durchsetzen.203 Die Situation änderte sich im Frühjahr 1932, als Macierzyński nach Zalenze versetzt und an seine Stelle ein neuer junger Priester berufen wurde. Zientek nutzte im April diese Übergangsperiode aus und löste den polnischen Chor auf. Der neue Vikar und wie sein Vorgänger auch Präses des umstrittenen Vereins, Walenty Piaskowski, versuchte diese Entscheidung abzuwenden, indem er auf die musikalische Stärke und Erfahrung des 80-köpfigen gemischten Chores hinwies. Im Gegensatz zur Argumentation des Pfarrers betonte er, dass ein gemeinsamer Gesang während der Prozession nicht gelingen könne, weil die ungleiche Aussprache des Lateinischen von Polen und Deutschen in der sehr kurzen Zeit bis zum Fronleichnamsfest nicht genügend angeglichen werden könne. Die Einwände des Vikars fanden aber kein Gehör bei seinem Vorgesetzten, sie sollen bei Zientek sogar zu einem Wutausbruch geführt haben.204 Gegen die Entscheidung des Pfarrers sprachen sich auf einer Versammlung ebenfalls alle Mitglieder des polnischen Chores aus und suchten Hilfe beim Bischof.205 Ob tatsächlich sämtliche Sänger in dieser Sache offenen Ungehorsam gegenüber ihrem Pfarrer befürworteten, ist jedoch fraglich. Die Abstimmung hatte den Charakter einer Akklamation und bereits am nächsten Tag wurde Zientek von jemandem über die Vorgänge ausführlich informiert.206 Die Sitzung soll von örtlichen Lehrern der öffentlichen polnischen Schule dominiert worden sein. Die Mitglieder dieser Berufsgruppe stammten in der Regel von außerhalb und waren nationalbewusste Polen. Sie fühlten sich durch den Beschluss des Pfarrers besonders herausgefordert, denn die Leitung des gemeinsamen Chores sollte einem Lehrer der örtlichen deutschen Minderheitenschule übertragen werden.207 Die Verbreiter der polnischen Kultur in Oberschlesien konnten es sich nicht gefallen lassen, während der wichtigsten kirchlich-öffentlichen Prozession in die hinteren Reihen abge202 Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 48. 203 Proboszcz Zientek do Kurii Biskupiej 22 kwietnia 1932: AAKat, AL Roździeń-Szopienice, Bd. 2 [unpag.]. 204 Wikary Piaskowski do Kurii Biskupiej 21 kwietnia 1932: ebd. 205 Protokół wypowiedzi członków polskiego chóru kościelnego w Roździeniu-Szopienicach z 20 kwietnia 1932: ebd. 206 Wikary Piaskowski do Kurii Biskupiej 21 kwietnia 1932: ebd. 207 Protokół wypowiedzi członków polskiego chóru kościelnego w Roździeniu-Szopienicach z 20 kwietnia 1932: ebd.

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schoben zu werden. Nach ihrer Einschätzung hätte dies dem Ruf der polnischen Lehrerschaft in Oberschlesien erheblich geschadet. Um diese Gefahr zu verhindern, erwogen sie sogar, einen Schulstreik zu organisieren.208 Der offene Antagonismus zwischen dem Pfarrer und einem Teil seiner Gemeindemitglieder wurde während der bischöflichen Visitation am 2. Mai 1932 vorläufig beigelegt. Zientek hatte kurz zuvor den polnischen Gesangsverein reaktiviert. Der Vorstand des polnischen Chores wurde vom bischöflichen Generalvikar Wilhelm Kasperlik belehrt, seinem Pfarrer zu gehorchen. Bei der anschließenden feierlichen Firmung bekam der deutsche Chor den Vorzug, sein Können vor dem Oberhirten zu präsentieren. Der Pfarrer bestand jedoch weiterhin darauf, dass beide Chöre während der Fronleichnamsprozession zusammen auftreten sollten. Falls die Polen damit nicht einverstanden wären, was Zientek nach der heftigen Auseinandersetzung wohl erwartete, wollte er den deutschen Cäcilienverein allein singen lassen. Den polnischen Vorschlag, beide Vereine abwechselnd bei den Prozessionsstationen zum Singen zuzulassen bzw. den deutschen Chor gar als einen Repräsentanten der Minderheit an den polnischen Gesangsverein unter der polnischen Leitung anzuschließen, lehnte er entschieden ab.209 Und tatsächlich sang bei der feierlichen, durch heftige Regenfälle begleiteten Prozession am 26. Mai 1932 der deutsche Cäcilienverein in Alleinregie. Die polnisch-nationalistische Presse reagierte äußerst empört auf das „willkürliche“ und „germanisierende“ Handeln Zienteks. „Polska Zachodnia“ erhielt eine Zuschrift von einem „seriösen und glaubwürdigen Gemeindemitglied“ über den Verlauf der Prozession und behauptete auf dieser Grundlage, dass schon beim ersten Altar „eine große Menge der Teilnehmer aufgebracht den Umzug verließ, zahlreiche Vereine ihre Fahnen einzogen und anschließend nach Hause zurückkehrten“. Das Blatt bemerkte zugleich, dass „die polnischen Sänger mit bewundernswerter Ruhe der krassen Benachteiligung auf polnischem Boden zuschauten“. Darüber hinaus staunte der Redakteur der Zeitung, dass der örtliche „Verband der polnischen Vereine“ gegen das Verhalten des Pfarrers nicht protestiert habe.210 Das Verhalten der Gläubigen aus Rosdzin-Schoppinitz während der umstritten gestalteten Prozession weist auf die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster einer als nationalpolitisch bedeutsam gedeuteten Angelegenheit hin. Offensichtlich gab es eine Gruppe, die dem religiösen, obgleich lateinischen Gesang eines deutschen Vereins nicht zuhören wollte, da sie ihn als eine „Beleidigung nationaler Gefühle“ empfand. Sie verließ nach Angaben der Zeitung den feierlichen Umzug, obwohl sich am katholischen Ritus der Fronleichnamsprozession im Vergleich zu früheren 208 Ebd. 209 „Na co sobie pozwala ks. proboszcz Zientek po dziesięciu latach przynależności Śląska do Polski“. In: Polska Zachodnia 153 vom 2. Juni 1932. 210 Ebd.

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Jahren nichts geändert hatte. Dennoch war nun die Verpflichtung des deutschen Chores für eine nicht näher feststellbare Zahl der Einwohner ein Grund genug, sich von einem der wichtigsten Feste im Kirchenjahr fernzuhalten. Dies stellt allerdings ihre Frömmigkeit als Katholiken in Frage: Die als sehr schwerwiegend empfundene Verletzung der nationalen Gefühle erlaubte ihnen offensichtlich nicht, einer Feier der gemeinschaftlichen Gottesverehrung beizuwohnen. Ihr Katholizismus war augenscheinlich einer integralen Idee des Nationalismus untergeordnet. Die ablehnende Reaktion dieser Personen wurde sicherlich durch den Faktor der bei der Prozession vorhandenen breiten Öffentlichkeit verstärkt. Eine als ‚national‘ gedeutete Verachtung ausgerechnet im öffentlichen Raum konnte nicht ohne weiteres hingenommen werden. Auch wenn diese Gruppe in der Beschreibung der „Polska Zachodnia“ als sehr zahlreich dargestellt wurde, kann im Hinblick auf die Parteilichkeit des Blattes und seine Übertreibungslust daran gezweifelt werden. Höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um die örtliche, aus Polen zugewanderte Intelligenzschicht, was schon die führende Rolle der polnischen Lehrerschaft bei den Protesten andeutet. Die polnischen Zuwanderer, in der Selbstwahrnehmung die Elite der Wojewodschaft Schlesien, betrachteten sich in erster Linie als Mitglieder der polnischen Nation und waren mit einem polnischen ‚nationalen‘ Sendungsbewusstsein ausgestattet.211 Obwohl fast ausschließlich katholisch, waren sie nicht bereit, den unangefochtenen Primat der katholischen Kirche im gesellschaftlichen Leben Oberschlesiens anzuerkennen, und verhielten sich gegenüber dem Pfarrklerus nicht unkritisch – im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der einheimischen Gläubigen. Dies mündete auf der lokalen Ebene in einer Rivalität der örtlichen Eliten: der neuen, mit den Institutionen des Staates verbundenen, und der alten, um den Pfarrer gruppierten. Vor diesem Hintergrund kam es zu den hier geschilderten Auseinandersetzungen. Neben dem Handeln, das als polnisch-nationalistisch bezeichnet werden kann, sind auch andere Handlungsmuster in Rosdzin-Schoppinitz erkennbar. So erfahren wir, dass viele Mitglieder des polnischen Kirchenchores die Fronleichnamsprozession nicht verließen. Es befanden sich also unter denen, die direkt in die Streitigkeiten involviert waren, auch solche, die auf das religiöse Erlebnis nicht verzichten wollten. Den Mitgliedern dieser Gruppe bedeutete das katholische Bekenntnis mehr als das Austragen nationalistischer Spannungen in der Gemeinde, wie der Berichterstatter des nationalistischen Blattes irritiert feststellen musste. Möglicherweise handelten diese Menschen nach dem religiösen Muster des Fronleichnamsfestes als eines Festes „der Liebe und Aussöhnung“, wie es die bischöfliche Kurie im Fall der Königshütter St. Josef-Gemeinde forderte. In jedem Fall scheint das katholische feierliche Erlebnis konfessioneller Gemeinschaft für einen Teil der Gemeinde weiterhin attraktiv gewesen zu sein. An der Spitze dieser örtlichen konfessionellen Gemeinschaft stand der Pfarrer und die Teilnahme an der Prozession war demnach 211 Kopeć: „My i oni“, 59–73. Vgl. auch Wanatowicz: Inteligencja na Śląsku.

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auch ein Bekenntnis zur althergebrachten Autorität der Kirche. Wahrscheinlich handelte es sich bei den Reibereien in der St. Hedwig-Gemeinde auch gar nicht um einen großen Konflikt, der die angeblich in ihrem Nationalstolz verletzte Partei zum Verzicht auf die Beteiligung am großen Gemeindefest zwang. Einen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der Prozession konnte zudem die Tradition haben. Vor der Teilung Oberschlesiens, aber auch noch danach, bis 1925, hatte nämlich allein der örtliche Cäcilienverein die kirchlichen Feiern mit religiösem Gesang begleitet. Demgemäß bestand 1932 keine völlig neue Lage, in der sich die meisten Oberschlesier hätten unwohl fühlen müssen. Sogar die Vertreter der örtlichen, dem Namen nach polnischen Organisationen hielten sich aus dem Streit zwischen dem Pfarrer und einem Teil des polnischen Kirchenchors heraus. Dies weist erneut darauf hin, dass die Misshelligkeiten einen wahrscheinlich nur kleinen Teil der Gemeinde von Rosdzin-Schoppinitz mitgerissen hatten. Einen Kommentar verdient noch die kompromisslose Haltung des Pfarrers. Józef Zientek gehörte zur älteren Generation der oberschlesischen Geistlichen, die an einen bedingungslosen Gehorsam ihrer Gemeindemitglieder gewöhnt waren und einen solchen als Voraussetzung für eine fruchtbare Seelsorgearbeit betrachteten. Er entsprach vollkommen der gängigen Bezeichnung „Pfarrherr“: Er war der nahezu absolute Herrscher in seiner Gemeinde, der keinen Widerspruch und keine Opposition duldete. Eine Beanstandung seiner Entscheidung verletzte seine von ihm als unbegrenzt empfundene Autorität als Pfarrherr und hatte zur Folge, dass Zientek in der strittigen Frage unnachgiebig, kompromisslos und äußerst emotional handelte. In einem Brief an die bischöfliche Kurie erklärte er, dass es in der Sache der Zusammenfügung der Chöre „nie um eine nationale Angelegenheit oder irgendeine dumme Politik“ gegangen sei.212 Pfarrer Józef Kubis aus Zalenze stufte den Fall als „harmlos“ ein und Pfarrer Teofil Bromboszcz aus Myslowitz nannte ihn „eine Kleinigkeit, die die ganze Aufmerksamkeit“ nicht verdiene.213 Letzten Endes führte jedoch die mangelnde Kompromissbereitschaft Zienteks zum Verzicht eines Teils der Gemeindemitglieder auf die Teilnahme an der Prozession. In dieser Situation zeigte sich der Pfarrer um so entschlossener, seine Autorität bedingungslos und ohne Rücksichten durchzusetzen, zumal es sich bei der Fronleichnamsprozession nicht nur um ein kirchliches, sondern auch um ein außerordentliches öffentliches Ereignis in ,seiner‘ Gemeinde handelte. Es scheint, dass der Konflikt in der Tat keinen ‚nationalen‘ Charakter hatte, sondern er ereignete sich vor dem Hintergrund der Differenzen in der Auffassung des Stellenwerts und der Autorität der katholischen Kirche im oberschlesischen Alltag. Demnach prallte hier die traditio-

212 Proboszcz Zientek do Kurii Biskupiej 22 kwietnia 1932: AAKat, AL Roździeń-Szopienice, Bd. 2 [unpag.]. 213 Proboszcz Kubis do biskupa katowickiego Adamskiego 2 maja 1932 i odręczna notatka proboszcza Bromboszcza poniżej: ebd.

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nelle örtliche und vom katholischen Klerus dominierte Lebenswelt auf die Vorstellungswelt der zugewanderten Elite, die die lokalen Verhältnisse neu ordnen wollte. Die Dreieckskonstellation „Autorität der Kirche – polnischer Nationalstolz – deutschsprachige Seelsorge“ wurde in der St. Anna-Gemeinde in Janow (mit 17.000 Mitgliedern und für etwa 20 Prozent mit deutschsprachiger Seelsorge214) um einen neuen Pol in der breiten Öffentlichkeit erweitert. Den feierlichen Gottesdienst zur Einweihung des St. Barbara-Altars am 4. Dezember 1932, den der Kattowitzer Bischof Stanisław Adamski selbst zelebrierte, übertrug der Kattowitzer Sender des Polnischen Rundfunks. Die Pfarrgemeinde, die nach dem Bau des Nikisch-Schachts und einer an das Giesche-Bergwerk angrenzenden Siedlung 1912 errichtet worden war, zeichnete sich durch einheitliche soziale Zusammensetzung (95 Prozent der Familien lebten von der Arbeit im Bergbau) und eine Frömmigkeit aus, die sogar für oberschlesische Verhältnisse herausragend war – 1925 bestellten die Gemeindemitglieder insgesamt 498 Gottesdienste.215 Im Dezember 1932 geriet die Gemeinde in ihrer jungen Geschichte bereits zum zweiten Mal in das Rampenlicht der katholischen Öffentlichkeit Oberschlesiens. Das breite Interesse hatte im Oktober 1927 zunächst die Konsekration der neobarocken Kirche angezogen. Die Weihe, die ein Höhepunkt für jede katholische Gemeinschaft ist, hatte der damalige Kattowitzer Bischof Arkadiusz Lisiecki zelebriert: Das feierliche, über zweistündige Hochamt wurde damals von lateinischem Gesang begleitet, für den die zusammengeführten Kirchenchöre, sowohl der polnische als auch der deutsche, unter der Leitung des Organisten sorgten. Das 160–köpfige Ensemble schloss die Konsekration mit einem gemeinsamem Te Deum laudamus, das die Glaubenseinheit der stolzen Gemeinde kräftig unterstrich.216 Doch fünf Jahre später, Ende 1932, als die Altarweihe für die im oberschlesischen Kohlerevier verehrte Patronin der Bergleute bevorstand, weigerte sich der polnische Chor, zusammen mit den deutschen Sängern aufzutreten.217 Daraufhin wollte der Kattowitzer Rundfunk auf die Sendung verzichten, denn die Übertragung einer großen kirchlichen Feier mit einem zwar lateinischen, aber vom deutschen Cäcilienverein ausgeführten Gesang konnte mit der Polonisierungspolitik der Wojewodschaftsbehörde nicht in Einklang gebracht werden. Der Sender war nämlich in den Augen der politischen Entscheidungsträger nicht einfach ein regionales Radiounternehmen, sondern sollte vor dem Hintergrund der deutsch-polnischen Konfrontation um Oberschlesien für nationalpolnische Propagandabot214 Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 24, 202. 215 Olszar, Henryk: Parafia św. Anny w Janowie w latach 1910–1945. In: Zacher, Elżbieta (Hg.): Janów nasza mała ojczyzna, Janów 1996, 29–43, hier 35. 216 Płonka, Emanuel: Pamiętnik jubileuszowy parafii Janów-Giszowiec 1910–1935, Katowice 1935, 27–32; Protokół wypowiedzi członków polskiego chóru kościelnego z 25 stycznia 1933: AAKat, AL Janów, Bd. 1 [unpag.]. 217 Die Schilderung der Ereignisse beruht auf den Schreiben des polnischen Kirchenchores wie des Pfarrers und dem bischöflichen Schiedsspruch. In: ebd.

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schaften benutzt werden.218 Um einen Eklat zu vermeiden und einem breiten Publikum die Teilnahme am Hochamt zu ermöglichen, entschloss sich Pfarrer Paweł Dudek für einen selbständigen Auftritt des polnischen Gesangsvereins. Bereits am Tag darauf suspendierte er jedoch den polnischen Kirchenchor. In einem Schreiben an den Kattowitzer Bischof begründete er seine Entscheidung damit, dass sowohl polnische als auch deutsche Gemeindemitglieder für den St. Barbara-Altar gespendet hätten und dementsprechend beiden Seiten die Teilnahme an der Feier habe ermöglicht werden müssen. Dies habe nur „durch einen gemeinsamen Auftritt der beiden Chöre während des Hochamtes mit lateinischem Gesang“ erfolgen können. Daher habe er drei Wochen vor der Feier den polnischen Kirchenchor verständigt, dass beide Chöre „mit einer Sondererlaubnis des Bischofs“ bei der Feier auftreten sollten. „Die Pflicht des polnischen Chores“ sei es entsprechend gewesen, „der Verordnung seines Pfarrers zu gehorchen“. Trotzdem habe sich der polnische Chor „kategorisch geweigert, [...] durch einige Hetzermitglieder überredet, den Gehorsam zu leisten und den deutschen Chor zum gemeinsamen lateinischen Gesang zuzulassen“. Der Pfarrer merkte gleichzeitig an, dass „das unfügsame Verhalten des Kirchenchores sowohl polnische als auch deutsche Gemeindemitglieder“ sehr empört habe. Der polnische Chor habe gegenüber den deutschen Gläubigen „große Taktlosigkeit und zugleich mangelndes Verständnis für eine Milderung der nationalen Unterschiede in der Kirche“ gezeigt. Dementsprechend habe er, der Pfarrer, „im Interesse der Autorität rectoris ecclesiae und der kirchlichen Disziplin“ den Kirchenchor für eine gewisse Zeit suspendieren müssen.219 Nach einer anschließenden Intervention des Chorvorstands beim Bischof erfolgte eine Prüfung des Falles durch die Kurie. Der Schiedsspruch folgte vollkommen der Schilderung Dudeks und dem Verein wurde empfohlen, sich beim Pfarrer zu entschuldigen.220 Was hatte jedoch dazu beigetragen, dass nach einem gemeinsamen erfolgreichen Auftritt beider Chöre 1927 fünf Jahre später eine Wiederholung dieses Ereignisses nicht mehr zustande kam? Die Kirchenweihe im Oktober 1927 war sicherlich ein wahres Fest der ganzen Gemeinde: Nach langjährigen Mühen – die Bauarbeiten waren bereits 1912 begonnen, aber durch den Krieg und darauf folgende Unruhezeiten unterbrochen worden – erreichten der Pfarrer Dudek und seine Gemeindemitglieder die Errichtung eines prächtigen Gotteshauses.221 An diesem Erfolg hatten polnisch- und deutschsprachige Gemeindeangehörige ihren vollen Anteil. Während der Konsekration präsentierten sie sich vor dem Bischof geschlossen; zu einer nationalistisch begründeten Auseinandersetzung kam es nicht, obwohl bereits seit einem Jahr ein 218 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 250. 219 Proboszcz Dudek do biskupa katowickiego Adamskiego 9 lutego 1933: AAKat, AL Janów, Bd. 1 [unpag.]. 220 Kuria biskupia w Katowicach do polskiego chóru kościelnego w Janowie 15 lutego 1933: ebd. 221 Płonka: Pamiętnik jubileuszowy, 54f.

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neuer politischer Wind aus Kattowitz wehte. Dennoch war bereits damals ein Missklang in der Gemeinde zu spüren. Dudek hielt es jedenfalls für nötig, dem polnischen Verein entgegenzukommen. Die Leitung des zusammengeführten Ensembles wurde einem Polen, Maksymilian Labiński, anvertraut, obwohl der deutsche Chor deutlich mehr aktive Mitglieder hatte (hundert angesichts der 60 Polen) und über eine längere Tradition verfügte – der polnische Chor war erst 1923 gegründet worden.222 Nichtsdestoweniger drängten einige Mitglieder des polnischen Chores in der Folgezeit den Pfarrer, weitere kirchliche Feiern mit gemeinsamem Gesang zu unterlassen. Charakteristisch war dabei eine Beschwerde des örtlichen Gemeinderats, unterschrieben vom Gemeindevorsteher aus Janow, Józef Szeja, über den Vikar der St. Anna-Gemeinde, Wendelin Kałuża, die Anfang 1928 bei der Kurie einging. Szeja hielt dem Vikar vor, deutsche Kongregationen den polnischen vorzuziehen und über sehr schlechte Polnischkenntnisse zu verfügen (am Rande des Schreibens vermerkte der Generalvikar Wilhelm Kasperlik: „Es ist nicht wahr. Mehrmals habe ich seine Predigten gehört.“). Demzufolge sei es „im Interesse des Polentums in der Gemeinde“, einen neuen Vikar nach Janow zu berufen, einen „überzeugten, guten Polen und Patrioten, und zwar nicht nur einen guten und aktiven Priester, aber vor allem einen guten und energischen Verbreiter der polnischen Idee“. Der bisherige Vikar solle wiederum versetzt werden, und zwar „noch vor der Wahlkampagne, damit seine Agitation das Wahlergebnis“ nicht beeinflusse. Aber auch Dudek wurden Vorwürfe nicht erspart: Der Pfarrer sei ein „verbitterter Renegat“.223 Anhand dieses Argumentationsmusters ist erkennbar, dass die kommunalen Entscheidungsträger zur neuen, nationalistischen Machtelite gehörten und die Kirche in das Projekt der Nationalisierung miteinbeziehen wollten. Der Pfarrklerus sollte sich in die Dienste der Polonisierungspolitik stellen. Der Pfarrer ging jedoch auf die Zumutung einer solchen politischen Zusammenarbeit offenbar nicht ein. Vor dem Barbarafest 1932 wünschte er sich sogar einen gemeinsamen deutschpolnischen Chorauftritt, der zudem per Radio in ganz Oberschlesien gehört werden konnte.224 Die Angelegenheit drohte so aus der Sicht des Gemeinderats zu einer öffentlichen Blamage der polnischen Nationalbewegung in Janow auszuarten. Deshalb wurde Dudek beinahe erpresst, um diesen Prestigeverlust zu vermeiden und die erkämpfte ‚nationale Ordnung‘ nicht zu gefährden. Nach Angaben des Pfarrers stieß jedoch das Handeln der wenigen „Hetzer“ kaum auf Zustimmung. 222 Ebd., 44. 223 Skarga Urzędu Gminnego z Janowa do Kurii Biskupiej z 12 stycznia 1928: AAKat, Exeat 1, Bl. 124f. Kałuża wurde anschließend in eine andere Gemeinde versetzt und 1931 in die Diözese Breslau abdelegiert. 224 Die Polnische Rundfunkanstalt in Kattowitz sendete seit 1927 und nutzte die im Vergleich zum restlichen Polen hohe Radiogerätedichte in der Wojewodschaft aus. Zudem besaß sie eine Reichweite, die es erlaubte, im deutschen Teil Oberschlesiens das polnische Programm empfangen zu können. Vgl. Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 250.

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Die deutschen Gemeindemitglieder fühlten sich zu Recht benachteiligt, die polnischsprachigen Katholiken hingegen mochte zumindest die Missachtung der kirchlichen Autorität erregt haben. Ein Großteil der einheimischen Einwohner von Janow missbilligte wahrscheinlich eine Vertiefung der ideologischen Gräben, die so einen weiteren Bereich ihrer kirchlich geprägten Lebenswelt erreichte. Schließlich muss noch erwähnt werden, dass die klare Absage des Pfarrers gegenüber der polnischen Nationalisierungspolitik ein tragisches Ende nahm. Paweł Dudek, der 1878 geboren und 1905 zum Priester geweiht worden war, gehörte zu der Generation der oberschlesischen Geistlichen, die konsequent eine unpolitische und rein seelsorgerisch definierte Tätigkeit des Klerus verkörperten. Er war seit der Gründung der Gemeinde in Janow deren Pfarrer und setzte sich mit all seinen Kräften für das kirchliche Wohl seiner Gemeinde ein. Er trug am meisten zum Bau der neuen Kirche bei und wurde während der Kirchenweihe zum geistlichen Rat ernannt. Während des Zweiten Weltkriegs schützte er die polnischen Gemeindemitglieder vor den Eingriffen der Gestapo.225 Trotz dieser Verdienste verziehen ihm die polnischen Aktivisten nach dem Krieg sein fehlendes Engagement für die Polonisierungspolitik nicht und deuteten seine Haltung als Unterstützung der ‚feindlichen‘ Nationalbewegung. Infolgedessen wurde Paweł Dudek, der vermeintliche „verbitterte Renegat“, nach dem Zweiten Weltkrieg aus seiner Gemeinde nach Deutschland vertrieben.226 4.2.2.

Zwischenbilanz

Ein roter Faden zieht sich durch die vorgestellten Fälle. Bei den Fronleichnamsprozessionen bzw. anderen von der breiten Öffentlichkeit wahrnehmbaren kirchlichen Feierlichkeiten handelte es sich nicht in erster Linie um den Gesang als Gebet und ein Mittel der Kommunikation mit Gott. Die Vorstellung, dass die Änderung der Ritualsprache die Wirksamkeit der Riten beeinträchtigen konnte, spielte dabei keine erhebliche Rolle. Vielmehr standen öffentliches Prestige und gesellschaftliche Anerkennung auf dem Spiel. Auch wenn die Lieder in einer neutralen Sprache – Latein – gesungen wurden, konnte in den vorgestellten Fällen eine Einigung zwischen den Streitparteien nicht erzielt werden. Es ging also eher um die Repräsentation in der Öffentlichkeit als um ein Prinzip, das mit dem katholischen Glauben direkt in Verbindung gebracht werden konnte. Vor diesem Hintergrund zeigten sich verschiedene Wahrnehmungsmuster. Am auffälligsten sind die Verfechter des polnischen Nationalismus, die die Polonisierungspolitik auch im Widerspruch zur mächtigen katholischen Kirche forcierten. Die Pfarrer und die Vertreter der bischöflichen Kurie hingegen befanden sich meist in der Defensive; sie waren ge225 Olszar: Duchowieństwo, 208. 226 Olszar: Parafia św. Anny, 35.

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zwungen, auf die Aktionen der in der Regel wenigen „Hetzer“ zu reagieren. Der Kirche gelang es dabei nicht, die entschlossenen Anhänger der nationalen Ideologien unter dem Dachmantel der gemeinsamen Konfession miteinander zu versöhnen. Dieser Auseinandersetzung schaute die Mehrheit der Gemeindemitglieder tatenlos zu. Eine genauere Charakterisierung dieser Gruppe ist angesichts der Passivität der Akteure und der daraus folgenden spärlichen Überlieferung schwer zu erstellen. Das quantitative Ausmaß der unterschiedlichen Verhaltensweisen kann ebenso lediglich angedeutet werden. Es scheint, dass die politische Zäsur der Amtsübernahme durch Michał Grażyński 1926 auch die kirchlich-öffentlichen Feiern beeinflusste. Eine Anhäufung dezidierter Konflikte ist erst für die Zeit danach festzustellen. Auffällig bleibt, dass sich die nationalistisch begründeten Streitigkeiten hauptsächlich im städtischen Milieu abspielten. Über ähnliche Vorfälle in ländlich und zugleich mehrsprachig geprägten Gebieten berichten die Quellen nicht, was aber nicht zwangsläufig bedeutet, solche hätten sich dort gar nicht ereignet. Dennoch kann das diesbezügliche Schweigen der Überlieferung die These unterstützen, dass in den ländlichen Gebieten, in denen die slawophone einheimische Bevölkerung ein erhebliches zahlenmäßiges Übergewicht besaß und im Gegensatz zu den städtisch-industriellen Stadtgemeinden eine große soziale Kohäsion innerhalb der lokalen Gemeinschaft aufwies, eine moderne Erscheinung wie die Idee einer abstrakten vorgestellten nationalen Gemeinschaft die dortige Bevölkerung erst mit Verspätung und nicht unbedingt erfolgreich zu erfassen vermochte. 4.2.3.

Provinz Oberschlesien

Bei der Untersuchung der kirchlich-öffentlichen Feiern im deutschen Teil Oberschlesiens wird denselben Fragestellungen gefolgt. Ähnlich wie im Fall der Wojewodschaft Schlesien steht hier das Potential der öffentlichen Rituale für eine nationalistisch begründete Auseinandersetzung im Zentrum der Analyse. Dabei wird auch nach dem Einfluss der politischen Zäsuren auf den Verlauf der kirchlichen Prozessionen gefragt – in den Vordergrund rückt hier die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Dabei werden die Unterschiede zwischen industrialisierten und ländlichen Gemeinden durchgängig berücksichtigt. Die Provinz Oberschlesien besaß eine ähnliche sprachlich-soziale Struktur wie die Wojewodschaft Schlesien,227 aber die Gewichtung der einzelnen Gruppen verteilte sich anders. Es fehlten weitgehend nationalbewusste Polen und eindeutig polnisch orientierte Oberschlesier. Diese beiden Gruppen hatten größtenteils die Region verlassen, nachdem sie 1922 bei Deutschland verblieben war. Infolgedessen spielte die polnische Minderheit keine bedeutende Rolle in der Provinz, weder 227 Vgl. Golachowski (Hg.): Materiały.

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ökonomisch noch politisch. Die Provinzhauptstadt und die westlichen Kreise bewohnten überwiegend einheimische Deutsche, deutsch assimilierte Oberschlesier sowie auch Deutsche von außerhalb, die letzteren waren meist im öffentlichen Dienst beschäftigt. Das deutsche Idiom besaß in diesen Teilen der Provinz eine klare Vorherrschaft. Die Situation auf dem Land, insbesondere östlich der Oder, gestaltete sich beinahe umgekehrt: Dort lebten vornehmlich einheimische Oberschlesier, die untereinander in den oberschlesischen Dialekten kommunizierten und ihren Lebensunterhalt hauptsächlich aus der Landwirtschaft schöpften. Die rein deutschsprachige Bevölkerung war dort teils in deutschen Dorfkolonien wohnhaft, teils bei staatlichen Stellen angestellt. In den Kreisstädten und am industrialisierten östlichen Rand der Provinz war ein gemischtes Bild zu finden, wobei die Zentren der Städte mehrheitlich deutschsprachige, das Hinterland hingegen, insbesondere die Industriedörfer um Gleiwitz, Hindenburg O.S. und Beuthen O.S., vorwiegend slawophone Einwohner bewohnten.228 Wie bereits anhand einer Analyse der Gottesdienste gezeigt wurde, verfolgte das Bistum Breslau eine Sprachpolitik, die sich nach den Prinzipien der Seelsorge in der Muttersprache richtete. Die katholische Lehre sollte demgemäß den Gläubigen möglichst verständlich vermittelt werden, und zwar unabhängig von der vorherrschenden Amtssprache. Der Ansatz der Kirche konnte in den 1920er Jahren tatsächlich umgesetzt werden, nicht zuletzt wegen der engen Zusammenarbeit mit der Oppelner Regierung, die sich vollständig in der Hand der Katholischen Volkspartei befand. Angesichts der Schwäche der polnischen Minderheit und der politischkonfessionellen Kooperation der Bistums- und Provinzbehörden wurden während der kirchlichen Feiern nur selten öffentliche Konflikte ausgetragen. Mancherorts kam es dennoch zu ethnisch-sprachlichen Spannungen, die über kirchliche Prozessionen auch in den öffentlichen Raum transportiert wurden. Ein prägnantes Beispiel bietet dafür eine Bittprozession in der Ortschaft Ellguth-Zabrze vom Mai 1924. Der Gleiwitzer Vorort hatte zwischen den Weltkriegen etwa 2.000 Einwoh229 ner und gehörte bis zum Jahr 1925 zur St. Peter und Paul-Gemeinde. Während des Plebiszits 1921 hatte eine knappe Mehrheit der Einwohner (56,5 Prozent) für Deutschland votiert und 43,5 Prozent für Polen. Bei den Reichstagswahlen drei Jahre später erhielten allerdings die am deutlichsten nationalistisch ausgerichteten Parteien, die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die Polnische Volkspartei, entsprechend 29 und 24 Stimmen (insgesamt sieben Prozent aller Stimmen). Einen klaren Sieg hingegen verzeichneten die Kommunisten mit einem fast 60-prozenti-

228 Czapliński: Dzieje Śląska, 296–300, 367. 229 Im Jahr 1913 lebten in Ellguth-Zabrze 1.668 Personen, 1931 gehörten zu der dort 1925 errichteten St. Josef-Gemeinde 2.200 Katholiken. Golachowski (Hg.): Materiały, 23.

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gen Anteil, gefolgt vom vergleichsweise abgeschlagenen Zentrum (22 Prozent).230 Die Ellguther entschieden sich 1924 also mit überwältigender Mehrheit für zwei Parteien, die die nationalistische Rhetorik kaum betonten, und bereiteten den ‚vaterländischen‘ Fraktionen unverkennbar ein Debakel. Möglicherweise war diese politische Niederlage die Ursache dafür, dass schon drei Wochen nach den Wahlen zwei lokale Honoratioren ihre deutsch-nationalistische Grundüberzeugung mit aller Macht unter der Bevölkerung verbreiten wollten. So kam es am 25. Mai 1924 zu einem öffentlichen Zwischenfall in Ellguth-Zabrze. An diesem Tag veranstalteten der Gemeindevorsteher Lepiarczyk und der Konrektor Zylla eine Bittprozession, die im Gegensatz zu den früheren Jahren diesmal auf Deutsch stattfinden sollte. Zylla übte mit den Schulkindern mehrere deutsche Kirchenlieder ein, Lepiarczyk bestellte zehn Musiker, die deutsche Lieder spielen sollten. Zur Prozession wurde der zuständige Pfarrer Josef Jaglo nicht eingeladen, weil er „polnischgesinnt“ sei und von den Organisatoren befürchtet wurde, dass er die Feier „in polnischem Sinne beeinflussen würde“.231 Trotzdem erschien der Pfarrer kurz vor Beginn des dem heiligen Urbanus gewidmeten Umzugs, was er damit begründete, dass doch hierfür zunächst der Pfarrer zuständig sei, auch wenn die Veranstalter der Prozession ihm von ihrer Absicht nichts mitgeteilt hätten. Auf die Veranstaltung habe ihn sein Vikar Mainka aufmerksam gemacht, der in der großen Gleiwitzer Pfarrei für die Ellguther und die dortigen katholischen Vereine zuständig war. Mainka habe gemeint, es sei „für das kommunistische Ellguth-Zabrze in seelsorglicher [sic!] Beziehung gut“, wenn der Pfarrer an dieser Prozession teilnehme; auch würden sich „die gut gesinnten Teilnehmer ohne Zweifel darüber freuen“. Mainka habe aber nicht gewusst, dass „eine rein deutsche Prozession beabsichtigt wurde“.232 Angekommen erkundigte sich der Pfarrer bei den Musikern, „ob und wann polnische Lieder gespielt und polnische Gebete verrichtet werden“, da er ihm „bekannte polnische Leute“ unter den Teilnehmern gesehen habe.233 Im weiteren Verlauf der Prozession fragte er die Musiker, „ob sie nicht auch dieses oder jenes polnische Lied spielen können“, was sie bejahten; und sie zeigten sich auch durchaus bereit, „nach den deutschen Liedern auch ein polnisches Lied zu spielen“.234 Daraufhin kamen die Organisatoren des Umzugs, Lepiarczyk und Zylla, auf den Pfarrer zu und erklärten ihm, laut Jaglo, „sehr aufgeregt“, dass die Prozession deutsch sei und wenn polnische Lieder gesungen würden, müssten sie die Kinder davon 230 Angaben nach einem Schreiben des Polizeipräsidenten in Gleiwitz an den Oberpräsidenten in Oppeln vom 4. Juli 1924: APOp, OP 76, Bl. 50f.; Pfarrer Jaglo an die bischöfliche Kurie am 2. September 1924: APOp, OP 76, Bl. 55–59. 231 Der Polizeipräsident in Gleiwitz an den Oberpräsidenten in Oppeln am 4. Juli 1924: ebd., Bl. 50. 232 Pfarrer Jaglo an die bischöfliche Kurie am 2. September 1924: ebd., Bl. 55. 233 Ebd., Bl. 56. 234 Ebd.

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fernhalten. Während der Prozession gab es schließlich nur deutschen Gesang. Lepiarczyk und Zylla richteten anschließend an den Breslauer Bischof eine Beschwerde über ihren Pfarrer, und zwar wegen „beabsichtigte[r] Provokation der Deutschen“.235 Angesichts der Anschuldigungen, die im politisch umkämpften Oberschlesien folgenschwer sein konnten, fühlte sich Josef Jaglo genötigt, eine ausführliche Erwiderung zu verfassen. Sie wirft ein zusätzliches Licht auf die Denk- und Handlungsmuster der Oberschlesier. Der Pfarrer habe „nicht einen einzigen Gedanken gehabt, die deutschen Parochianen irgendwie provozieren zu wollen“, und betonte, dass ihm „alle Parochianen gleich lieb“ seien.236 Darüber hinaus habe er in Ellguth-Zabrze einen deutschen katholischen Arbeiter- und Jugendverein gegründet. Er habe sogar Andachten für den Ellguther Kriegerverein gehalten und an der Einweihung des dortigen Kriegerdenkmals teilgenommen. Jaglo betonte zugleich, dass er „wohl von polnischen Eltern aus dem Kreise Oppeln“ abstamme und sich seiner Abkunft und seiner Muttersprache nicht schäme, aber nie „mit einer politischen polnischen Partei Fühlung“ gehabt oder sich „irgendwie in ihrem Dienste“ betätigt habe. Bei politischen Wahlen habe er seine Stimme stets dem Zentrum bzw. der Katholischen Volkspartei gegeben und für sie auch in dem Rahmen, den ihm seine seelsorgerischen Pflichten erlaubten, gearbeitet. Freilich habe er auch keine Angst gehabt, als Kaplan und Pfarrer den polnischen Arbeiterverein und die polnische Kongregation zu leiten und „die sehr bescheidenen seelsorglichen Ansprüche“ seiner polnischen Gemeindemitglieder „nach Möglichkeit und Tunlichkeit“ zu berücksichtigen. Wenn er deshalb „von gewissen Kreisen als polnischgesinnt und darum als gefährlich“ angesehen werde, müsse er sich damit abfinden. In Bezug auf den Zwischenfall fuhr Jaglo fort, dass die meisten Ellguther nicht bloß deutsch, sondern auch polnisch sprächen, von polnischen Eltern abstammten und viele „den Herzenswunsch“ hätten, „zu ihrem Herrgott auch in der Muttersprache beten und singen zu dürfen“. „Die polnisch sprechenden Leute“ seien jedoch „zu sehr eingeschüchtert, um ihre berechtigten Wünsche irgendwie vernehmlich zu äußern“. Zudem wies der Pfarrer darauf hin, dass in fast allen umliegenden Dorfgemeinden die Bittprozessionen nur polnisch stattfänden und es den polnischen Gemeindemitgliedern im städtischen deutschen Gleiwitz bis jetzt nicht verwehrt worden sei, bei den Bittprozessionen und bei der Fronleichnamsprozession auch polnisch zu singen. Bis vor kurzem seien „die Prozessionen in Ellguth-Zabrze polnisch gewesen, weil es in Ellguth wenige Deutsche“ gegeben habe.237 In Ellguth-Zabrze lassen sich bei den Hauptakteuren der Veranstaltung, ähnlich wie bei den Fronleichnamsprozessionen einige Kilometer weiter östlich auf der anderen Seite der Grenze, hauptsächlich drei Gruppen unterscheiden: Den engagier235 Ebd., Bl. 57. 236 Ebd. 237 Ebd., Bl. 58.

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ten Part spielten die deutschen nationalistischen Aktivisten, die zwei Jahre nach der Teilung der Region die sprachlichen Verhältnisse im öffentlichen Raum neu gestalten wollten.238 Dafür schien ihnen eine religiöse Prozession wohl am besten geeignet. Die Initiative kam aus den gleichen sozialen Milieus wie im polnischen Teil Oberschlesiens: Auf die Bühne traten ein hoher Vertreter der Kommunalbehörde und ein örtlicher Schulbeamter. Es handelte sich also wieder um die Repräsentation der staatlichen Macht in ihrer lokalen Ausprägung und um die Vermittlung nationalistischer Verhaltensmuster an die heranwachsenden Kinder und Jugendlichen. Die beiden Ziele verhielten sich komplementär zueinander und konnten aus der Sicht der Veranstalter erfolgreich erreicht werden, wenn eine kirchlich-öffentliche Feier als vermittelnde Kommunikationsplattform genutzt wurde. Laut dem Pfarrer verbarg sich dahinter eine „politische Gesinnungsschnüffelei, wie sie vor dem Kriege in gewissen Kreisen üblich war“.239 Der Geistliche meinte wahrscheinlich damit die deutsch-nationalistische Tätigkeit des Ostmarkenvereins, dessen Mitglieder sich genau aus diesen oben beschriebenen Milieus rekrutierten. Josef Jaglo repräsentiert in diesem Streit die Linie der katholischen Kirche und des Zentrums, die darauf bedacht waren, allen Gemeindemitgliedern die Seelsorge in der Muttersprache zuzusichern, und zwar besonders denjenigen Gruppen, die einer möglichen Diskriminierung ausgesetzt waren. Jaglo war in einem oberschlesischen Dorf (Boguschütz bei Oppeln) aufgewachsen, umgeben fast ausschließlich von der slawophonen einheimischen Bevölkerung. Während des Theologiestudiums in Breslau hatte er zu den Mitbegründern eines Akademikervereins der Oberschlesier gehört und sich für die geschichtliche Eigenart des ihm vertrauten slawophonen Milieus interessiert. Gleich nach der Priesterweihe 1897 war er nach Gleiwitz geschickt worden, wo er von 1908 bis zu seinem Tod im Jahr 1949 den Pfarrerposten der St. Peter und Paul-Gemeinde innehatte.240 Seine über 22.000 Gläubige zählende städtische Pfarrgemeinde gehörte zu den bevölkerungsreichsten in der gesamten Provinz Oberschlesien und setzte sich zu 90 Prozent aus deutschsprachigen Katholiken zusammen.241 Jaglo arbeitete unter diesen Voraussetzungen über 50 Jahre lang und zugleich über die verschiedensten politischen Perioden hinweg: das wilhelminische Kaiserreich, die unmittelbare Nachkriegszeit unter der alliierten Kontrolle, die Weimarer Republik, das Dritte Reich und schließlich auch das kommunistische Polen. Er vermochte es, sich großen Respekt von zwei deutschen und einem polnischen Bischof sowie unzähligen Gemeindemitgliedern zu verschaffen. 238 Es kann dabei nicht ausgeschlossen werden, dass es nach der Teilung der Region in Ellguth zur Ansiedlung einer hier nicht mehr feststellbaren Zahl von Flüchtlingen aus dem polnisch gewordenen Teil Oberschlesiens kam, wodurch das zahlenmäßige Gewicht der deutsch orientierten Bevölkerung gewachsen wäre. 239 Pfarrer Jaglo an die bischöfliche Kurie am 2. September 1924: APOp, OP 76, Bl. 59. 240 Pośpiech, Jerzy: Jagło Józef. In: Pater (Hg.): Słownik, 145. 241 Sprache in Gottesdienst und Seelsorge 1931: AAWr, NB I A 25 e. 50 [unpag.].

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Josef Jaglo gehörte zu der Gruppe der einheimischen oberschlesischen Priester, die für fast alle Schichten der oberschlesischen Gesellschaft ansprechbar waren, unabhängig von der Kommunikationssprache, ob auf Deutsch, Polnisch oder in den lokalen Dialekten. Auch wenn er sich für die Erhaltung der polnischen Sprache in der Seelsorge und in der Vereinsarbeit einsetzte und zugab, dass ihm die polnischsprachigen Gemeindemitglieder besonders nah am Herzen lagen, bestritt er jegliche politische Zusammenarbeit mit einer polnischen Partei.242 Er unterstützte ebenso wenig die deutsche nationalistische Option, was in bestimmten Kreisen der deutsch geprägten Gemeinde auf Ablehnung stieß. Seine Position in der Gemeinde muss dennoch unumstritten gewesen sein: Der Gleiwitzer Schützenverein beispielsweise, der ausschließlich das wohlhabende deutsche Bürgertum der Stadt versammelte, verlieh Josef Jaglo die Ehrenmitgliedschaft.243 Es scheint, dass die Aussagen des Pfarrers, er habe die Teilnehmer der deutschsprachigen Prozession nicht provozieren wollen, als glaubwürdig zu betrachten sind. Ein halbes Jahrhundert verfolgte er treu die kirchlichen Richtlinien, darüber hinaus erhielt er von Kardinal Bertram einige Monate nach dem Zwischenfall in Ellguth-Zabrze den Titel eines Ehrendekans und kurz danach verlieh ihm Papst Pius XI. die Prälatenwürde.244 Seine jahrzehntelange Seelsorgearbeit und die hohen Auszeichnungen hätten gegen den massiven öffentlichen Unwillen seiner deutsch geprägten Gemeinde schwerlich erreicht werden können. Außer den Organisatoren der Prozession und dem Pfarrer treten im Hintergrund der öffentlichen Konfrontation zahlreiche Akteure auf – die übrigen Teilnehmer der Bittprozession. Ähnlich wie in den angeführten Fällen aus dem polnischen Teil Oberschlesiens hinterließ diese Gruppe keine direkten Quellenaussagen. So muss ihre Wahrnehmung der Prozession nach logischen Gesichtspunkten und der Wahrscheinlichkeit nach ermittelt werden. Wie bereits erwähnt, vermochten die nationalistischen Parteien die politische Vorstellungswelt der Ellguther nicht zu besetzen. Obwohl das ausgeglichene Abstimmungsergebnis auf den ersten Blick zu einer als national gedeuteten Polarisierung beigetragen zu haben schien, erfreute sich weder die deutsche noch die polnische nationale Ideologie im kleinen Industriedorf am Kohlebergwerk „Öhringen“ einer spürbaren Popularität. Die schwache Stellung des Zentrums bei den Reichstagswahlen zeugt wiederum von einer nicht unkritischen Haltung der Ellguther gegenüber der Kirche. Nichtsdestoweniger entschieden sich die nationalistischen Organisatoren der alljährlichen Bittprozession gerade bei dieser kirchlichen Feier, 242 Die polnischen Autoren, die sich mit der Person des Gleiwitzer Pfarrers beschäftigten, bezeugten ihm allerdings nicht nur ein zweifelsfrei polnisches Nationalbewusstsein, sondern stellten ihn auch in die Reihe der wichtigen Aktivisten der polnischen Nationalbewegung in Oberschlesien. Vgl. Pośpiech: Jagło, 145f.; Schmidt, Jacek: Prałat Józef Jagło. In: Rocznik Muzeum w Gliwicach 10 (1996) 191–200. 243 Schmidt: Prałat Józef Jagło, 193. 244 Drabina, Jan (Hg.): Historia Gliwic, Gliwice 1995, 396.

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die von ihnen gewünschte sprachliche Ordnung zu repräsentieren. Es gab sicherlich Einwohner, die den Sprachwechsel begrüßten oder sogar veranlassten, wie es die Veranstalter behaupteten.245 Laut dem Pfarrer gingen aber auch zahlreiche „polnische Leute“ beim St. Urban-Umzug mit; und generell bildeten slawophone einheimische Bewohner die klare Mehrheit in der Gemeinde. Sie hätten sich jedoch gemäß seiner Darstellung nicht getraut, gegen die örtlichen Honoratioren und Aktivisten der deutschen Sprache vorzugehen, da sie zu eingeschüchtert gewesen seien. Möglicherweise waren aber die am meisten engagierten Anführer der polnischen Bewegung nach 1922 in die Wojewodschaft Schlesien ausgewandert. Dies würde auf eine Veränderung im örtlichen Kräfteverhältnis hinweisen und die Befürworter des deutschen Idioms in der Öffentlichkeit zum Handeln bewegt haben. Charakteristisch war jedoch das Verhalten der Musiker. Sie fanden es offenbar unproblematisch, auf Wunsch neben deutschen auch polnische Lieder zu spielen. Der deutliche Wahlsieg der Kommunisten bei den Reichstagswahlen 1924 deutet wiederum darauf hin, dass nicht die Position der einen oder anderen Sprache in der Öffentlichkeit, sondern die soziale Schieflage der zahlreichen Arbeiter und ihrer Familien zu den wichtigsten Problemen des Alltags in Ellguth-Zabrze gehörte. Das Spiegelbild der Verhältnisse im polnischen Teil Oberschlesiens kann noch um einen Faktor ergänzt werden. Es handelt sich um die gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen der Provinzregierung und der bischöflichen Kurie. Über die Ellguther Bittprozession schrieb der Oppelner Oberpräsident Alfons Proske an Kardinal Bertram, dass der Gebrauch der polnischen Sprache „selbstverständlich mit nationalpolnischer Gesinnung nichts zu tun“ habe und dass es eine Aufgabe der Kirche wie des Staates sei, „der Bevölkerung den Gebrauch ihrer Muttersprache, insbesondere bei religiösen Anlässen, mit allen Mitteln zu erleichtern“. Doch bat er Kardinal Bertram, Pfarrer Jaglo anzuhalten, jedes öffentliche Auftreten, „das als propolnische Propaganda gedeutet werden könnte, zu unterlassen“.246 Die moderaten, von den Provinzbehörden geförderten Maßnahmen in Sachen Minderheitensprache fanden jedoch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ein Ende. Das Vorgehen der neuen Machthaber kann man dennoch auch nach 1933 zeitlich differenzieren. Im Vergleich zu anderen Provinzen des Deutschen Reiches hatte die NSDAP im katholischen Oberschlesien erst mit einiger Verspätung eine bedeutende politische Stellung errungen.247 Nach der Übernahme der politischen Führung in Oppeln sahen die regionalen NSDAP-Organe ihre Machtstellung am Anfang noch nicht als ausreichend gefestigt an, um einen öffent245 Der Polizeipräsident in Gleiwitz an den Oberpräsidenten in Oppeln am 4. Juli 1924: APOp, OP 76, Bl. 50. 246 Der Oberpräsident in Oppeln an den Breslauer Bischof Bertram am 20. November 1924: ebd., Bl. 65–67. 247 Vgl. Orzechowski, Marian: Wyniki wyborów do parlamentu Rzeszy i Sejmu Pruskiego na Śląsku w latach 1919–1933. In: Galos, Adam/Popiołek, Kazimierz (Hg.): Studia i materiały z dziejów Śląska, Bd. 7, Wrocław u. a. 1966, 457–520; Czapliński: Dzieje Śląska, 371–373.

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lichen Streit mit der katholischen Kirche zu wagen. Die zunächst aus diesem Grund wenig offensive Einstellung gegenüber der katholischen Kirche änderte sich nach dem Abschluss des Nichtangriffspaktes im Januar 1934, mit den verbesserten politischen Beziehungen zu Polen und folglich auch zur polnischen Minderheit innerhalb der Reichsgrenzen, erst einmal nicht. Die Verhältnisse auf der Makroebene wirkten sich schnell auf die Politik in den Provinzen aus. Ende Mai 1934 ersuchte der Oppelner Regierungspräsident sogar alle Landräte, Oberbürgermeister und Polizeidirektoren, „unter allen Umständen dafür Sorge zu tragen, dass der Fronleichnamstag ohne Zwischenfälle verläuft“.248 Und tatsächlich wurden 1934 die Prozessionen nur vereinzelt gestört. Wenn es dazu kam, wie z. B. in Sandowitz, Kreis Groß Strehlitz, wo die örtlichen Hitlerjugend- und Jungvolkführer am Vorabend des Fronleichnamsfestes die polnischen Inschriften von den für die Fronleichnamsprozession aufgestellten Ehrenpforten abschlugen, dann wurden die Täter unverzüglich bestraft.249 Das vorsichtige Handeln der regierenden Partei in einer Provinz, deren Bevölkerung in doppelter Hinsicht als politisch unzuverlässig wahrgenommen wurde, war angesichts der Verhältnisse, die den oberschlesischen Alltag prägten, durchaus angemessen. Symptomatische Erscheinungen können beispielsweise im Umfeld der Fronleichnamsprozession der St. Anna-Gemeinde in Oderwalde, Kreis Cosel, das bis 1931 Dziergowitz geheißen hatte,250 beobachtet werden. Die Fronleichnamsprozession am 31. Mai 1934 wurde auf Empfehlung des örtlichen Pfarrers Paul Gröger mit deutschem und lateinischem Gesang durchgeführt. 248 Der Regierungspräsident in Oppeln an alle Landräte, Oberbürgermeister und Polizeidirektoren am 25. Mai 1934: APOp, LandOpp 566, Bl. 51 (mit Unterstreichungen im Originaltext). 249 Der Landrat in Groß Strehlitz an den Regierungspräsidenten in Oppeln am 21. Juni 1934: APOp, RegOpp I 1739, Bl. 163. Angesichts der Quellenlage bleibt es offen, ob dem Handeln der Jugendlichen ein politisches Motiv zugrunde lag. 250 Der Ortsname Oderwalde wurde bereits 1931 eingeführt und zeugt davon, dass eine Eindeutschungspolitik der slawischen Ortsnamen ansatzweise bereits vor der nationalsozialistischen Herrschaft forciert wurde. Diese Vorgehensweise wurde besonders nach dem Plebiszit intensiviert. Einige slawische Namen, die für die deutsche Zunge schwer aussprechbar waren, wurden so noch vor der gezielten Ortsnamenpolitik des Dritten Reiches geändert – so wurde z. B. Brzesetz bereits 1926 in Birken umbenannt. Ähnlich behandelten die Behörden die Ortsnamen, die explizit den polnischen Charakter einer Ortschaft unterstrichen: Polnisch Neukirch beispielsweise wurde durch Groß Neukirch ersetzt. Vgl. Słownik nazw miejscowych Górnego Śląska: polsko-niemiecki i niemiecko-polski. Die heutige deutsche Minderheit in der Wojewodschaft Oppeln strebte in den 1990er Jahren eine Wiederbelebung auch der deutschen Ortsnamen an, die zwischen 1933 und 1945 eingeführt worden waren. Seitdem in dem 2005 verabschiedeten Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten eine Verwendung der von den Nationalsozialisten erfundenen Ortsnamen ausdrücklich verboten wurde, konzentrieren sich die Anführer der Minderheit auf eine offizielle Zulassung solcher Namen wie Oderwalde oder Birken. Vgl. Ogiolda, Krzysztof: Dziergowice, Dziergowitz czy Oderwalde. In: Nowa Trybuna Opolska vom 19. Januar 2004.

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Die Entscheidung des Geistlichen richtete sich nicht nach den sprachlichen Verhältnissen im Dorf, sondern muss als ein Ausdruck seiner prononciert deutschen Orientierung bewertet werden. Nach Angaben von Paweł Brandys, dem Vorgänger Grögers, benötigten zwei Drittel der rund 2.500 Gemeindeangehörigen eine Seelsorge in der polnischen Sprache.251 Auch ein Vertrauensmann des „Bundes Deutscher Osten“ merkte in seinem Kommentar zur Spracherhebung in Oderwalde 1935 an, dass zwar der deutsche Sprachgebrauch gegenüber dem Jahr 1933 um 30 Prozent zugenommen habe, die Bevölkerung allerdings weiterhin „vorwiegend polnisch sprechend“ sei. Selbst Angehörige der NSDAP und SA-Männer hätten zu jener Zeit zu Hause und auf den Arbeitsplätzen „in der Hauptsache polnisch“ gesprochen. Während aber 1933 nur zehn Prozent der Kommunionskinder den deutschen Unterricht besucht hätten, seien es im Jahr 1935 hundert Prozent gewesen.252 Der Einfluss der Pfarrer und der politischen Ereignisse auf den Alltag in der St. Anna-Gemeinde, wie z. B. auf die Sprache im Kommunionsunterricht, ist hier nicht zu unterschätzen. Die Gemeindemitglieder aus Oderwalde und Solarnia, einer benachbarten Siedlung, stellen dafür ein prägnantes Beispiel dar. In den Jahren 1900 bis 1921 hatte Paweł Brandys den Pfarrerposten inne. Er war ein politisch äußerst aktiver Priester und wurde als Vertreter der polnischen Partei, d. h. in Opposition zum Zentrum, 1907 und 1912 in den Reichstag gewählt.253 Es überrascht daher nicht zu erfahren, dass sich in der Volkszählung 1910 über 90 Prozent der Einwohner als ausschließlich polnischsprachig erklärten.254 Vor der Volksabstimmung 1921 agitierte Brandys offen für den Anschluss an Polen und erreichte in seiner Gemeinde den höchsten Anteil an polnischen Stimmen im gesamten Kreis Cosel (rund 80 Prozent). Nachdem Brandys das bei Deutschland verbliebene Dorf verlassen und im polnischen Teil Oberschlesiens eine steile geistliche und politische Karriere begonnen hatte, übernahm ein deutsch geneigter Pfarrer, Paul Gröger, die Gemeinde. Sowohl diese Anstellung als auch die politische Entscheidung, die die Gemeinde beim Deutschen Reich belassen hatte, dürften neben anderen gewichtigen Faktoren zu einer Veränderung der statistisch erfassten sprachlichen Verhältnisse in Oderwalde und Solarnia beigetragen haben. In der Volkszählung 1925 wurden dort ausgeglichene Sprachverhältnisse ermittelt: Ein Drittel der Bewohner deklarierte Polnisch als seine Muttersprache, knapp die Hälfte bekannte sich zu beiden Sprachen und 16 Prozent ausschließlich zu Deutsch (im Jahr 1910 nicht einmal fünf Prozent).255 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde 1933 im Rahmen einer Volkszählung erneut ein Sprachenbild in Oderwalde und 251 252 253 254 255

Golachowski (Hg.): Materiały, 21. Ebd., 74. Czapliński: Brandys Paweł, 47–49. Golachowski (Hg.): Materiały, Dokument 2, Bl. 2, 13. Ebd.

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Solarnia erstellt. Diesmal bezeichneten über 40 Prozent der Einwohner das deutsche Idiom und lediglich neun Prozent Polnisch als ihre Muttersprache.256 Der blitzartige Anstieg des Deutschen ist nicht nur auf die Manipulationen der nationalsozialistischen Statistiker zurückzuführen. Auf die individuellen Entscheidungen der Befragten konnten auch die Haltung des Pfarrers sowie die politische und wirtschaftliche Entwicklung eine im Einzelnen freilich kaum abzuschätzende Auswirkung haben. Sicher bleibt jedoch, dass die statistisch erfasste steil ansteigende Kurve des deutschen Idioms (von fünf Prozent im Jahr 1910 auf über 40 Prozent im Jahr 1933) und die sich vermeintlich im Sturzflug befindliche Verwendung des Polnischen (von über 90 Prozent im Jahr 1910 auf nur neun Prozent im Jahr 1933) wenig mit den tatsächlichen sprachlichen Kommunikationsgepflogenheiten in Oderwalde zu tun hatten. Selbst der BDO gab 1935 intern zu, dass der lokale slawische Dialekt im Alltag der Bewohner von Oderwalde eindeutig überwog. Um diesem Tatbestand entgegenzuwirken, führte Pfarrer Gröger unter anderem den deutschen Gesang ins Programm des Fronleichnamsfestes ein und gab offensichtlich den entscheidenden Impuls dafür, dass sich alle Kinder für einen Kommunionsunterricht in deutscher Sprache anmeldeten. Gegen diese Maßnahmen protestierte während der Prozession 1934 aber ein Einwohner von Oderwalde, August Klinik. Der örtliche Gendarmeriewachtmeister Domin berichtete an seinen Vorgesetzten in Cosel, dass als gegen neun Uhr die Prozession begonnen und der Cäcilienchor ein lateinisches Lied angestimmt habe, Klinik mit einem polnischen Lied dazwischen geschrien haben soll. Die deutschgesinnten Personen seien „durch das Gebaren des Klinik entrüstet“ gewesen. Ein Kirchenbesucher habe „dem Klinik einige Puffe versetzt“, um ihn zum Aufhören zu bewegen. Als der Gendarmeriewachtmeister an Klinik herangetreten sei, um ihn aus der Kirche herauszuführen, habe er sich, polnische Wörter schreiend, zur Wehr gesetzt. Gemeinsam mit dem Amtsvorsteher, dem örtlichen Schullehrer Gratza und dem SA-Truppführer Josef Niesporek habe er Klinik um neun Uhr vorläufig festgenommen und im örtlichen Amtsgefängnis während der Dauer des Gottesdienstes in Polizeigewahrsam gehalten, um weiteren Störungen vorzubeugen. Nach dem Ende der Prozession sei Klinik wieder auf freien Fuß gesetzt worden.257 Eine eindeutige, keine Zweifel mehr lassende Schilderung der Motive, die Klinik zu der Störaktion in der Kirche bewegt haben mochten, ist angesichts unzureichender Quellenüberlieferung und teilweise widersprüchlicher Zeugenaussagen nicht möglich.258 Festzuhalten bleibt aber, dass Klinik auf jeden Fall als ein Anhänger der Verwendung der polnischen Sprache bei kirchlichen Feiern anzusehen ist.

256 Ebd. 257 Gendarmerieposten I in Oderwalde an die Gendarmerie-Abteilung in Cosel am 31. Mai 1934: APOp, OP 85, Bl. 496. 258 Ebd.

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Dies sollte in Anbetracht der darauf folgenden Ereignisse in Erinnerung behalten werden. Für den anschließenden Sonntag, den 3. Juni 1934, veranstaltete Pfarrer Gröger eine Prozession mit polnischem Gesang rings um das Kirchengebäude. Eine solche Prozession konnte jedoch nicht das gesellschaftlich prestigeträchtige Gewicht einer Fronleichnamsprozession auf den zentralen Straßen der Ortschaft aufweisen. Dessen ungeachtet bemühte sich Klinik, dem Ritual einen außergewöhnlich feierlichen Ausdruck zu verleihen. Am Vorabend errichtete er zwei Ehrenpforten mit religiösen Inschriften in polnischer Sprache. Eine davon lautete übersetzt: „Damit du unsere Jugend vor dem Verderben bewahrest, wir bitten Dich, o Herr.“259 Sie wurde vom wachsamen Gendarmen Domin als „ein Stoß gegen die nationalsozialistische Jugend“ eingestuft und sofort beschlagnahmt. Die Ehrenpforte habe zudem auch „auf die deutsche Bevölkerung und ihren deutschen Pfarrer Gröger provozierend wirken“ sollen und das Ganze sei nichts anderes als „polnische Propaganda“ gewesen.260 Die Einschätzung des eifrigen Gendarmen betonte also das polnisch-nationalistische Element in der Aktion Kliniks. Die Lektüre weiterer diesbezüglicher Berichte wirft jedoch ein anderes Licht auf die Handlungsmotive des „Polenführers“ Klinik und seiner Dorfmitbewohner. Bei der Aufstellung der einen Ehrenpforte war Klinik auch der SA-Scharführer Rust behilflich, „ohne dass er wusste, dass diese im Sinne der Polen errichtet wurde“.261 Als er dies nachträglich erfuhr, „riss er in der Dunkelheit die Pforte wieder herunter“. Obgleich Klinik drei Tage davor als Störer einer ‚deutschen‘ kirchlichen Feier vorläufig verhaftet und der „polnischen Propagandaarbeit“ bezichtigt worden war, nahm ihn der örtliche SA-Scharführer augenscheinlich zunächst nicht als einen nationalpolnischen Aktivisten wahr. Aufgrund der in der Regel großen Kommunikationsdichte in einer Dorfgemeinschaft scheint es hierbei ausgeschlossen, dass er vom Zwischenfall am Donnerstag nichts mitbekommen hatte bzw. dass er Klinik und seine Position in der Dorfgemeinschaft nicht kannte. Für Rust hatte das Auftreten Kliniks beim Fronleichnamsfest möglicherweise gar kein politisches oder gar nationalpolnisches Handeln dargestellt, sondern vielleicht nur einen (harmlosen) Versuch, zu den älteren kirchlichen Gepflogenheiten zurückzukehren. Sobald Rust indes hörte, dass er offenbar einen ‚politischen‘ Fehler begangen hatte, zögerte er nicht, ihn wieder gutzumachen. Wie einem Bericht des Leiters der Oppelner Staatspolizeistelle und zugleich des dortigen NSDAP-Parteikreises entnommen werden kann, hatte Klinik bei der Errichtung der zweiten Pforte ebenfalls unerwartete Helfer gehabt. Als er sich zusam259 Gendarmerieposten I Oderwalde an die Gendarmerieabteilung in Cosel am 4. Juni 1934: ebd., Bl. 497f. 260 Ebd. 261 Staatspolizeistelle Oppeln an den Oberpräsidenten ebendort am 21. Juni 1934: ebd., Bl. 524–527.

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men mit dem Landwirt Salwiczek an die Arbeit machte, erschien der Schwiegersohn Salwiczeks, Josef Niesporek. Der SA-Obertruppführer Niesporek, derselbe, der am Fronleichnamstag bei der Festnahme Kliniks dem Gendarmeriewachtmeister Domin behilflich gewesen sein soll, war auch der Nachtwächter des Dorfes. Auf seiner Streife, am späten Abend, sei er zufällig während der Errichtung der Ehrenpforte vorbeigekommen und habe auf Ersuchen seines Schwiegervaters Salwiczek beim Aufstellen der Gestänge mitgeholfen. Er habe sich der Aufforderung des Schwiegervaters aus familiären Gründen nur schwer entziehen können. Die Staatspolizeistelle versuchte, den SA-Obertruppführer trotz seines nationalpolitisch ‚falschen‘ Handelns in Schutz zu nehmen. So sei ihm allgemein „ein guter Leumund auszustellen“. Er gehöre der SA seit 1929 an und habe sich auch immer für die nationalsozialistische Bewegung eingesetzt. Vor allem werde ihm auch in den Zeiten der Kämpfe der NSDAP in jeder Weise Korrektheit nachgesagt. Der Verdacht „einer polnischen Einstellung“ werde allgemein in Abrede gestellt. Niesporek sei der Ansicht gewesen, dass es sich um eine Ehrenpforte gehandelt habe, die „lediglich zur Ausschmückung des Dorfes für die Prozession“ dienen sollte. In diesem Zusammenhang hob die Oppelner Behörde hervor, dass die Umgangssprache in Oderwalde „fast ausschließlich die polnische“ sei und sich „auch die Angehörigen der SA untereinander vorwiegend polnisch“ unterhielten. Zwischen „polnischer Gesinnung und polnischer Unterhaltung“ müsse jedoch ein Unterschied gemacht werden.262 Durch eine Analyse der Ereignisse können einige historische Akteure aus dem Dorf Oderwalde in ihren Denkhorizonten und Handlungsspielräumen näher beleuchtet werden. Der Häusler August Klinik wurde im Bericht des örtlichen Gendarmen als Mitglied der polnischen Minderheit bezeichnet. Er habe sich zum Ziel gesetzt, die polnische Sprache in kirchlichen Ritualen durchzusetzen, und hierzu Widerstand gegen die neue nationalsozialistische Ordnung geleistet. Für den Oppelner Kreisleiter der NSDAP war es deshalb unbestreitbar, dass es sich bei Klinik um einen „Polenführer“ handele, der gezielt gegen das deutsche Volk und das ganze nationalsozialistische System vorgehe.263 Dass seine Agitation in der Kirche im Umfeld der Religionsausübung stattgefunden hatte, wurde als ein gefährliches Mittel aufgefasst, mit dem die nationalpolitischen Ziele Kliniks im lokalen katholischen Milieu von Oderwalde erreicht werden sollten. Diese Wahrnehmung von Klinik speiste sich auch daraus, dass er bei seiner Festnahme angedroht hatte, eine Beschwerde beim Polenbund wegen der Verletzung seiner Minderheitenrechte einzureichen.264 Dies wurde von der örtlichen NSDAP-Leitung als ein politisches, nationalpolnisches Handlungsmotiv eingestuft. Dabei wurde jedoch außer Acht 262 Ebd., Bl. 525. 263 Ebd. 264 Gendarmerieposten I in Oderwalde an die Gendarmerie-Abteilung in Cosel am 31. Mai 1934: APOp, OP 85, Bl. 496.

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gelassen, dass es Klinik primär um den Erhalt der polnischen Gesänge und Gebete in religiösen Ritualen ging. Durch die Verdrängung des Polnischen als Ritualsprache wurde er einer festen, althergebrachten Konstante seiner Lebenswelt und eines äußerst relevanten Orientierungspunktes seines Alltags beraubt. Wie für viele slawophone Oberschlesier, so auch in der Auffassung Kliniks, konnte eine durch Tradition geweihte Kommunikation mit Gott nur in polnischer Sprache erfolgen. Durch das Anstimmen eines polnischen Liedes während des Fronleichnamsgottesdienstes hoffte Klinik, die Einwohner von Oderwalde wachzurütteln. Die von Klinik errichteten Transparente und Ehrenpforten wirken wiederum wie die letzten Verzweiflungsrufe eines Gläubigen, der seine katholischen Mitbrüder und Nachbarn ins Verderben gehen sieht. Er ersuchte öffentlich Gott, die Jugend vor dem heidnischen Gegenentwurf zum althergebrachten und lokal tief verwurzelten Katholizismus zu schützen. Er tat es in polnischer Sprache, weil Polnisch seine Kommunikationssprache in religiösen Zusammenhängen war und die Botschaft auch von den ‚Gefährdeten‘ mühelos verstanden werden konnte. Dem Handeln von August Klinik können also eindeutig katholische, in den lokalen Rahmen verankerte Motive zugrunde gelegt werden. Erst als seine Aktion scheiterte, griff er zu einer letzten Maßnahme, um das Heil der Gemeinde zu retten, und verwies auf die Hilfe des polnischen Minderheitenverbandes; doch tat er es eher aus einer opportunistischen und religiös motivierten Überlegung heraus als aufgrund einer Verbundenheit mit der polnischen Nation. Der örtliche Gendarm Domin hingegen kann im Kontext seiner Berichterstattung über den Vorfall als ein vorbildlicher Repräsentant der nationalsozialistischen Herrschaft auf der lokalen Ebene bezeichnet werden. Er nahm Klinik in der Kirche fest, beseitigte die ‚propagandistischen‘ Ehrenpforten und ließ beides zur Anzeige bringen. Er führte seine Aufgaben als Gendarmeriewachtmeister politisch linientreu und pflichtbewusst aus. So ging er gegen jedes als polnisch und politisch anmutende Handeln vor und berichtete darüber seinen Vorgesetzten umgehend und ausführlich. Dem örtlichen Polizisten half der SA-Obertruppführer Josef Niesporek bei der vorübergehenden Festnahme Kliniks. Er war bereits seit 1929 Mitglied der SA und hatte sich seither mit Engagement für die nationalsozialistische Bewegung betätigt. Möglicherweise hatte er auch deshalb den Posten eines Nachtwächters in Oderwalde bekommen. Es scheint, dass er ein linientreuer Nationalsozialist war, der aus eigener Überzeugung im Sinn seiner Vorgesetzten agierte. Die soziale und politische Haltung Niesporeks wurde dennoch uneindeutig angesichts der familiären Verhältnisse, die ersichtlich größeren Einfluss auf die Spielräume der oberschlesischen Akteure im Alltag hatten als eine politische Ideologie und ein von ihr postuliertes Handlungsmuster. So musste er seinem Schwiegervater Respekt erweisen und „aus Pietätsgründen“ bei der Errichtung einer der Ehrenpforten helfen. Dies bedeutete aber noch nicht, dass er ansonsten eine Ehrenpforte mit polnischen Inschriften für eine festliche ‚polnische‘ Prozession nicht hätte dulden können. Wahrscheinlich

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wurden von ihm die beiden Prozessionen anfangs in erster Linie als kirchliche Rituale wahrgenommen und nicht als öffentliche Veranstaltungen, bei denen es sich um ein politisches Geschehen handelte. Niesporek weigerte sich dementsprechend auch deshalb nicht, bei der Ausschmückung des Dorfes für eine feierliche kirchliche Prozession auszuhelfen, und sah darin anfänglich gar keine „polnische Propaganda“. Ein vergleichbares Denkmuster lag auch dem Handeln des SA-Scharführers Rust zugrunde. Er leistete Hilfe bei der Errichtung der Pforte, weil er Klinik zunächst nicht als einen dem nationalsozialistischen Regime feindlich eingestellten Polen wahrnahm, sondern als einen ihm wohl bekannten Bewohner des Dorfes, einen Nachbarn oder schlicht als ‚einen von uns‘. Sein politischer ‚Fehler‘ musste ihm erst von seinen Vorgesetzten erklärt werden. Danach riss er die Pforte schon in derselben Nacht herunter, um sein in der Fremdwahrnehmung politisch gedeutetes ‚Fehlverhalten‘ ungeschehen erscheinen zu lassen, aber gleichzeitig um gegenüber seinem Nachbarn nicht auffällig zu werden. Der Wunsch nach sozialer Akzeptanz in der Gruppe und die Angst vor Ausgrenzung spielten dabei wahrscheinlich neben möglichen parteigerichtlichen Konsequenzen ebenfalls eine Rolle. Die NSDAP stand nach der Machtübernahme in Oberschlesien vor einer Reihe von Herausforderungen. Sogar die aktiven Anhänger der Bewegung sprachen im Gegensatz zu den offiziellen Angaben bei der Volkszählung untereinander weiterhin überwiegend eine nichtdeutsche Sprache, waren in den katholisch geprägten Gemeinschaften fest verankert und wollten sich der Autorität der Familienoberhäupter nicht widersetzen. Darüber hinaus fehlte es den meist jungen SA-Mitgliedern an einer politisch-propagandistischen Erfahrung, auf deren Grundlage sie jedwede öffentliche Tätigkeit in polnischer Sprache als gefährliche Gegenpropaganda hätten interpretieren können. Aber auch erfahrene und lokal prominente „Kämpfer“ der nationalsozialistischen Bewegung wie beispielsweise der im Kapitel 3 erwähnte Hans Witolla sahen im Aufrechterhalten der oberschlesischen Gepflogenheiten, die auf einer engen Beziehung zum Heimatdorf, der örtlichen Pfarrgemeinde und den althergebrachten Traditionen und Kommunikationsformen basierten, nichts für einen oberschlesischen Nationalsozialisten Unakzeptables oder politisch Diskreditierendes. Dennoch konnten die Nationalsozialisten gerade bei der Jugend auf die Erfolge der Assimilationsarbeit im Schulwesen des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik zurückgreifen. Immer mehr junge Menschen sprachen genauso gut Deutsch wie den zu Hause geläufigen slawischen Dialekt. Diese Entwicklung wurde im Dritten Reich durch staatlich-erzieherische Maßnahmen gefördert, aber auch durch die beinahe völlige Aussichtslosigkeit auf sozialen Aufstieg bei öffentlicher Weiterverwendung des Dialekts oder der polnischen Sprache verstärkt. Die in den offiziellen Statistiken stark übertrieben dargestellte Zunahme der Verwendung der deutschen Sprache fand in kleinerem Ausmaß in Oberschlesien sicherlich statt und wirkte sich auch auf die Gestaltung der kirchlichen Rituale aus. Die öffentlichkirchlichen Fronleichnamsprozessionen waren davon vornehmlich betroffen.

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Im Juni 1936 behauptete die polnische Presse anhand einer Korrespondenz aus Pilchowitz, Kreis Tost-Gleiwitz, dass die „bisher immer polnische Fronleichnamsprozession abgeschafft wurde“. Dies sollte ein in der Gemeinde tätiger „Polenfresser“, Pfarrer Tomasz Kubis, herbeigeführt haben.265 Das häufig übertriebene Urteil dieser Blätter kann allerdings auch in diesem Fall nicht als glaubwürdig bewertet werden. Bei Heranziehung der dokumentierten Zeugenaussagen kommt man zu dem Schluss, dass der polnische Gesang während der Prozession nicht beseitigt wurde, sondern nur seine Anteile am Ritual sich verringerten. Der Vorsitzende des Kirchenvorstands, Josef Malkusch, und der Kirchenvorsteher, Vinzent Kokott, berichteten, dass während der Prozession schon seit vielen Jahren neben lateinisch auch deutsch und polnisch gesungen worden sei. Dies habe vor allem jene Lieder betroffen, die die gleichen Melodien, aber sowohl eine deutsche als auch eine polnische Textfassung hätten. Seit drei Jahren habe man in Pilchowitz überwiegend deutsch gesungen, weil immer mehr Jugendliche den deutschen Kommunionsunterricht besucht und polnische Lieder nicht mehr gekannt hätten.266 Diese Aussagen klingen glaubwürdig, da die oberschlesischen Kirchenvorstände vorwiegend aus älteren Leuten bestanden, die in der Regel in polnischer Sprache beteten.267 Malkusch und Kokott kann daher eine Bevorzugung des deutschen Gesangs während der kirchlichen Feiern nur schwer unterstellt werden. Ihren Ausführungen pflichtete Robert Kynast bei, der als örtlicher Lehrer der Hauptverantwortliche für die Veränderung der Sprachverhältnisse war.268 Wichtig ist hier aber auch noch die Feststellung, dass die Einwohner von Pilchowitz mit der nationalsozialistischen Machtübernahme eine sprachliche Zäsur verbanden. Danach trugen vornehmlich zwei Faktoren zu einer Zunahme des Gebrauchs der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit bei: der deutsche Unterricht in der Schule und die nach 1933 intensivierte Nationalisierungspolitik der staatlichen Stellen. Pfarrer Kubis reagierte eher auf diese allmählichen Veränderungen als er sie selbst heraufbeschworen hätte. In der Spracherhebung des BDO (1934/35) wurde der angebliche „Polenfresser“ im Übrigen der kleinen Gruppe der polnischgesinnten Pfarrer – nach Einschätzung des Bundes rund zwölf Prozent aller oberschlesischen Pfarrer in der Provinz – zugerechnet.269 Die widersprüchliche Beurteilung des Geistlichen durch das polnische Minderheitenblatt und den deutschen Verband verweisen darauf, dass schon ein passives Verhalten gegenüber einer Forcierung von Nationalisierungsprozessen 265 „Korespondecja z Pilchowic“. In: Nowiny Codzienne 137 vom 18. Juni 1936. Eine Abschrift ist auch zu finden in Polska Zachodnia 169 vom 22. Juni 1936. 266 Ein Protokoll von Zeugenaussagen vom 17. August 1936: APOp, OP 86, Bl. 179–182. 267 Die Funktionäre des BDO wiesen auf diesen Umstand sowohl 1935 als auch 1939 hin und sahen in der Besetzung der Kirchenvorstände durch eigene Mitglieder ein erfolgversprechendes Nationalisierungsmittel. Vgl. Der Sprachgebrauch 1934/1935, 65; Der Sprachgebrauch 1937/1938, 97. 268 Ein Protokoll von Zeugenaussagen vom 17. August 1936: APOp, OP 86, Bl. 179–182. 269 Der Sprachgebrauch 1934/1935, 65.

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in den Augen der nationalistischen Aktivisten bereits als unakzeptabel oder gar feindlich eingestuft wurde. Mitte der 1930er Jahre vermehrten sich die alarmierenden Meldungen in der polnischen Presse, die ein antipolnisches Vorgehen des nationalsozialistischen Regimes während kirchlich-öffentlicher Feiern tadelten. In Roßberg, einem Stadtteil Beuthens O.S., kamen nach Angaben der Zeitung „Polonia“ während einer Ablassfestprozession fünf Wagen mit SA-Truppen angerast und überschütteten unter brüllendem, antireligiösem Geschrei die Gläubigen mit nationalsozialistischen Flugblättern.270 Während des Fronleichnamsfestes in Zaborze, einem Stadtteil Hindenburgs O.S., sollen sich mehrere SA-Männer auf die Straßen begeben und die örtlichen Katholiken aufgefordert haben, die kirchlichen Fahnen und Heiligenbilder aus den Fenstern zu entfernen. Dabei sollen sich gewaltsame Zwischenfälle ereignet haben.271 Die polnisch singende Fronleichnamsprozession in Laband bei Gleiwitz soll hingegen von einem Polizeibeamten aufgehalten und wegen Singens polnischer Kirchenlieder aufgelöst worden sein.272 Ein Jahr später versuchte die dortige BDO-Gruppe nachweislich, die Fronleichnamsprozession in polnischer Sprache zu verhindern. Der Umzug wurde trotzdem durchgeführt, aber nur auf dem kirchlichen Gelände um das Gotteshaus herum. Darüber hinaus durften weder Ehrenpforten aufgestellt noch Häuser geschmückt werden.273 Den Anhängern des Regimes gelang es in diesem Fall, die kirchliche Feier aus dem Raum der breiten Öffentlichkeit zu verdrängen. Die Berichte der polnischen Blätter können nicht gerade als ausgewogen und gut recherchiert betrachtet werden;274 trotzdem deuten sie auf ein sich mit der Zeit deutlich veränderndes Vorgehen der Nationalsozialisten hin. Es wurde keine Anordnung des Regierungspräsidenten mehr erlassen, um möglichen Zwischenfällen während des Fronleichnamsfestes vorzubeugen. Es scheint, dass spätestens ab 1937 gezielte Maßnahmen ergriffen wurden, um die Präsenz der katholischen Gottesverehrung aus dem öffentlichen Raum zu beseitigen. Die systematische administrative Vorgehensweise gegen die Stellung des Katholizismus in der Öffentlichkeit lässt 270 271 272 273

Polonia 3892 vom 14. August 1935. Polonia 4534 vom 1. Juni 1937. Polska Zachodnia 149 vom 2. Juni 1937. Der Bund der Polen in Deutschland an den Regierungspräsidenten in Oppeln am 10. September 1938: APOp, RegOpp I 2113, Bl. 321; Bericht der BDO-Gruppe Laband an den Regierungspräsidenten in Oppeln: ebd., Bl. 323. 274 Nowiny Codzienne 122 vom 2. Juni 1937 beispielsweise schlug Alarm, dass die Fronleichnamsprozession in Thurze, Kreis Ratibor, auf deutsch durchgeführt worden sei, was es früher „noch nie gegeben hat“. Zum gleichen Zeitpunkt berichtete die Staatspolizeistelle Oppeln an den Oberpräsidenten über den dortigen Pfarrer Johannes Ploch, dass er durch seine polenfreundliche Einstellung mehrfach in Erscheinung getreten sei. Er fördere die Bestrebungen der polnischen Minderheitenbewegung in jeder Beziehung und verkehre nur in Kreisen dieser Bewegung. Die Gottesdienste halte er fast ausschließlich in polnischer Sprache ab. Die Staatspolizeistelle Oppeln an den Oberpräsidenten ebendort am 22. Mai 1937: APOp, OP 86, Bl. 256.

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sich anhand der amtlichen Genehmigungsverfahren für die Fronleichnamsprozessionen detailreich darstellen. Vielerorts wurde den Pfarrern die Anordnung zugestellt, die Fronleichnamsprozessionen in die Nebenstraßen zu verlegen. Der Oberbürgermeister von Ratibor forderte am 23. Juni 1937 die St. Nikolaus-Gemeinde im Vorort Altendorf auf, der Ortspolizeibehörde mitzuteilen, welchen Weg die Fronleichnamsprozession im kommenden Jahr „unter Ausschaltung der Fern- und Hauptverkehrsstraßen nehmen“ wolle.275 Das Zurückdrängen der öffentlich-religiösen Bekundungen aus den topographisch zentralen Teilen der Ortschaft wurde damit begründet, dass die Sperrung von Fernverkehrs- und Hauptstraßen anlässlich von Prozessionen und Umzügen, die zu Verkehrsstörungen führen könnten, nur noch in den Fällen zugelassen werden könne, wenn „staatspolitische Notwendigkeiten“ es verlangten oder eine Verlegung auf andere Straßen oder Plätze undurchführbar sei.276 Der Altendorfer Pfarrer Carl Ulitzka, der als prominenter Geistlicher und Politiker die oberschlesische Zentrumspartei bis zu ihrer Auflösung 1933 angeführt hatte, erwiderte dem Oberbürgermeister am 21. Juli 1937, dass die Anordnung zur Verlegung der Fronleichnamsprozession in die Nebenstraßen den Charakter einer Fronleichnamsprozession, die „der feierliche Ausdruck der Gottesverehrung und ein öffentliches Bekenntnis des Glaubens“ sei, grundsätzlich negiere. Er führte weiterhin aus, dass sich die Fronleichnamsprozession bei der St. Nikolaus-Gemeinde nicht bloß „als eine Veranstaltung einer Konfession im engeren Sinne, sondern als eine der Bevölkerung überhaupt“ darstelle. Eine Zurückdrängung auf Winkelstraßen könne infolgedessen „das religiöse Empfinden der hiesigen Bevölkerung aufs Tiefste verletzen“. Eine dahingehende behördliche Anordnung würde „an dem einem Volksstaat eigenen Verhältnis zwischen Behörde und Volk“ rühren. Auch technisch sei die Ausführung dieser Verfügung unmöglich, wie ein Blick auf die Lage der Kirche, von der die Prozession ausgehe, und das sie umgebende Straßennetz zeige, ganz abgesehen davon, dass die Entfaltung einer Prozession, an der sich viele Tausende beteiligten, auf Nebenstraßen unmöglich sei. Die durch die Verfügung der Ortspolizeibehörde bedingte Einschränkung, „in Wirklichkeit Unmöglichmachung der seit Jahrhunderten geübten und im Volke tief verwurzelten Fronleichnamsprozession“, könne die religiösen Empfindungen der davon betroffenen Menschen „aufs Tiefste verletzen und eine Verbitterung weitester Volkskreise“ nach sich ziehen. Dass „diese Verbitterung und Enttäuschung nicht entsprechend zum Ausdruck“ werde kommen können, ändere nichts an der Tatsache an sich. Ulitzka bekräftigte schließlich seine Ausführungen mit einem Zitat „von autoritativster Seite: ‚Dem politischen Führer haben religiöse Lehren und Einrichtungen seines Volkes immer unantastbar zu sein ...‘ (Hitler, Mein Kampf, Seite 127, Absatz 4)“.277 275 Zit. nach Hitze: Carl Ulitzka, 1157. 276 Ebd. 277 Ebd., 1157f.

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Der Altendorfer Pfarrer argumentierte hier äußerst geschickt gegen das allmähliche Zurückdrängen des religiösen Lebens aus der Öffentlichkeit. Seine reiche politische Erfahrung erlaubte es ihm, seine Sicht der Dinge souverän vorzustellen und sogar die für die Nationalsozialisten unanfechtbare Autorität Hitlers zur Hilfe zu rufen. Ulitzka war es bewusst, dass es sich bei der polizeilichen Anordnung um viel mehr handelte als bloß um eine Frage der Verkehrssicherheit. Hier standen sich grundsätzlich konträre Weltanschauungen gegenüber und rangen um die dominierende Stellung in der Öffentlichkeit. Laut dem Biographen Ulitzkas, Guido Hitze, gewann vorläufig der Pfarrer diese Auseinandersetzung. In den Jahren bis zum Ausbruch des Krieges sollen in seinem Pfarrbezirk die Fronleichnamsprozessionen aus dem öffentlichen Raum nicht zurückgedrängt worden sein.278 Hierzu muss jedoch angemerkt werden, dass nur wenige Gemeinden dermaßen politisch erfahrene Pfarrer besaßen und dass selbst souveränste Auftritte der Geistlichkeit vor dem steigenden Druck des nationalsozialistischen Regimes auf die katholische Lebenswelt nicht zuverlässig schützten. Sogar wenn die Pfarrer verstärkt auf eine deutsche Seelsorge setzten und die bisher übliche Ausübung der Gesänge, Gebete und Predigten in polnischer Sprache einschränkten, wurden sie mit Verboten der kirchlichöffentlichen Prozessionen konfrontiert. Dies musste beispielsweise auch der Pfarrer der Dreifaltigkeit-Gemeinde in Boguschütz, Kreis Oppeln, erfahren. Der dortige Pfarrer hatte noch bei der Sprachumfrage der Breslauer Kurie im Jahr 1931 festgestellt, dass die polnische Seelsorge für 99 Prozent der 1.410 Gemeindemitglieder notwendig sei, wenn auch „außer den ältesten Leuten alle über 10 Jahre“ deutsch verständen. In ihrem Alltag kommunizierten jedoch alle Dorfeinwohner außer der Lehrerfamilie im lokalen Dialekt.279 Im April 1933, als die Pfarrei neu besetzt werden sollte und die nationalsozialistische Machtübernahme ein günstiges Klima für die deutsche Agitation schuf, äußerte der örtliche Schulrektor Steiner dem Breslauer Erzbischof Bertram gegenüber den Wunsch nach einer Vermehrung der deutschen Gottesdienste in der kleinen, bei Oppeln gelegenen Gemeinde.280 Vielleicht auch dank dieser Korrespondenz wurde anschließend ein der vermehrten Verwendung der deutschen Sprache wohlwollend gegenüberstehender Priester, Joachim Walloschek, nach Boguschütz entsandt. Zwei Jahre später 278 Ebd., 1158. 279 Sprache in Gottesdienst und Seelsorge 1931: AAWr, NB I A 25 e. 50 [unpag.]. Die Anmerkung des Pfarrers verweist auf die Bedeutung der Schule im deutschen Teil Oberschlesiens. Des Deutschen waren nämlich die älteren Oberschlesier meist nicht mächtig. Sie unterhielten außerhalb des sozialen Milieus ihres slawophonen Dorfes kaum Kontakte und hatten die lokale Volksschule entweder gar nicht besucht oder noch vor dem Kulturkampf, als der Unterricht auf Polnisch stattgefunden hatte. Darüber hinaus verfügten meist diejenigen Kinder über keine deutschen Sprachkenntnisse, die noch nicht oder nicht lange genug eingeschult waren. 280 Schulrektor Steiner in Boguschütz an den Breslauer Erzbischof Bertram am 22. April 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.].

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zeichnete ein nicht identifizierter Autor, wahrscheinlich der örtliche Lehrer, dem BDO gegenüber ein Bild von der Sprachentwicklung im Dorf, in dem trotz der Hoffnungen, die in den neuen Pfarrer gesteckt worden waren, keine Zunahme der Verwendung der deutschen Sprache vermerkt werden konnte. Pfarrer Walloschek sei zwar „deutscher Gesinnung und wegen dieser deutschen Gesinnung in Ostoberschlesien schwer misshandelt und ausgewiesen“ worden. Er werde zudem in der Polenpresse angegriffen.281 Trotzdem gebe es fast durchweg nur polnischsprachigen Gottesdienst, weil die Bevölkerung zum großen Teil polnischgesinnt sei und polnische Messen bestelle. Deutsche Vereine müssten erst ins Leben gerufen werden, um dem geschilderten Zustand entgegenzuwirken.282 Als sich die Anzeichen vermehrten, dass die Anwesenheit der polnischen Sprache im öffentlichen Raum auf amtliche Gegenreaktionen stoßen könnte, wollte der Pfarrer die Fronleichnamsprozession 1938 zum „allerersten Mal“ in deutscher Sprache durchführen.283 Trotzdem wurde der feierliche Umzug vom zuständigen Amtsvorsteher nicht genehmigt.284 Dies wiederum konnte durchaus zu einer der deutschen Sprache und der NSDAP gegenüber unfreundlichen Stimmung im Dorf beigetragen haben. An diesem Beispiel wird sichtbar, dass das Regime Ende der 1930er Jahre schließlich frontal gegen die Präsenz der Kirche in der Öffentlichkeit vorging, auch wenn die in den Jahren zuvor immer wieder erhobenen Vorwürfe einer „unangemessenen“ polnischen Seelsorge von kirchlichen Stellen selbst bereits aus dem Weg geräumt worden waren. Typisch fällt dabei der Vergleich zwischen den Gemeinden aus Ratibor-Altendorf und Boguschütz aus: Es kam offenbar auf die persönliche Durchsetzungskraft der Pfarrer und den Eifer der örtlichen Behördenleiter an, unter welchen Bedingungen und mit welchem Ergebnis der Streit um die Akzentsetzung im öffentlichen Raum ausgetragen wurde. In den Gemeinden jedoch, in denen der Entchristlichungsdruck der NSDAP auf die öffentliche Seelsorge in polnischer Sprache ausgerichtet war, waren die Gemeindemitglieder der administrativen Willkür der Nationalsozialisten in besonderem Maße ausgesetzt. Diese Entwicklung ging mit einer drastischen Verschlechterung der politischen Beziehungen zwischen Berlin und Warschau ab Frühjahr 1939 einher. In Groß Döbern, Kreis Oppeln, wurde die letzte feierliche Prozession in polnischer Sprache am 11. Juni 1939 durchgeführt, weitere Genehmigungen wurden von den Behörden verweigert.285 Im nahen Czarnowanz, Kreis Oppeln, wurde zu 281 Die polnische Presse kritisierte Walloschek wegen der Einführung einer zusätzlichen deutschen Frühmesse an jedem zweiten Sonntag und der mangelnden Unterstützung für das polnische Vereinswesen. In: Nowiny Codzienne 239 vom 19. Oktober 1934. 282 Der Sprachgebrauch 1934/1935, 72. 283 Pfarrer Walloschek aus Gottesdorf [Boguschütz] an den Landrat in Oppeln am 23. August 1938: APOp, LandOpp 176, Bl. 785. 284 Ebd. 285 Der Landrat in Oppeln an den Regierungspräsidenten ebendort am 30. Juni 1939: ebd., Bl. 581.

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diesem Zeitpunkt sogar keine polnische Prozession erlaubt, aber die Gläubigen formierten spontan einen Umzug hinter der vom Pfarrer erhobenen Monstranz. Dies soll zu „Verkehrsstörungen“ und „vollkommenem Chaos“ geführt haben. Der berichterstattende Gendarm gewann dabei den Eindruck, dass der Pfarrer die Prozession absichtlich so veranstalten wollte.286 Nur wenige Kilometer weiter östlich, in Luboschütz, Kreis Oppeln, gingen die örtlichen Vertreter der nationalsozialistischen Politik entschlossener gegen das hohe Ansehen der katholischen Kirche und nicht zuletzt gegen die Anwesenheit der polnischen Sprache in der Öffentlichkeit vor. In diesem oberschlesischen Dorf, wo 1933 nach Angaben des Pfarrers Arthur Konda der lokale Dialekt zu etwa 90 Prozent und Deutsch nur zu zehn Prozent den Alltag bestimmten,287 kam es in den 1930er Jahren zu einer starken politischen Polarisierung unter den Einwohnern. Die Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung waren in Luboschütz äußerst aktiv und versuchten durchgehend, einen Einfluss auf den Pfarrer auszuüben. Vor allem die Gottesdienstordnung sollte schon im April 1933 zugunsten der deutschen Sprache neu gestaltet werden. Pfarrer Konda versuchte indes, mit seiner seelsorgerischen Arbeit weiterhin allen Gemeindeangehörigen gerecht zu werden. Einerseits konzedierte er, dass „dem Zug der Zeit entsprechend eine Vermehrung des deutschen Gottesdienstes angebracht“ sei, andererseits wollte er, dass das Hochamt an Sonn- und Feiertagen „vorläufig noch ganz für die polnisch sprechenden Parochianen“ reserviert bleibe, um sie „nicht zu verärgern“, da sie bislang noch die große Majorität in der Gemeinde gebildet und „fast ganz allein den Unterhalt des Geistlichen“ bestritten hätten.288 Aus diesen triftigen Gründen kam es schließlich nicht zu einer Änderung der Sprache beim Hochamt. Erst als Arthur Konda 1938 starb, drängten der örtliche Amtsvorsteher und seine Gefolgschaft auf die Wahl des dem Deutschen mehr geneigten Priesters Rogier.289 Als die Kurie den Kaplan Jerzy Wyrwoł, der als polnisch orientiert galt, nach Luboschütz delegierte, ließen die

286 Ebd. Der Pfarrer in Czarnowanz, Henryk Mainka, war gegenüber dem NS-Regime besonders aufsässig. Zum nationalsozialistischen Bauerntag am 1. Oktober 1933, der vor 1933 nur als kirchliches Erntedankfest gefeiert worden war, entfernte er vor dem Gottesdienst eine HJFahne, die vor den Altar gestellt worden war, und rügte von der Kanzel herab die Verantwortlichen. In: Die Staatspolizeistelle in Oppeln an die Geheime Staatspolizei ebendort am 25. Januar 1934: APOp, RegOpp I 1739, Bl. 101. Ein Jahr später gelang es Mainka, einen Großteil der Dorfjugend zu einer Wallfahrt zum Sankt Annaberg zu vereinen. Anschließend trat eine BDM-Gruppe geschlossen der Marianischen Kongregation bei. In: Der Regierungspräsident in Oppeln an den Oberpräsidenten in Breslau am 3. Februar 1935: APOp, OP 75, Bl. 740. 287 Pfarrer Konda an den Breslauer Erzbischof Bertram am 27. April 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.]; Sprache in Gottesdienst und Seelsorge 1931: AAWr, NB I A 25 e. 50 [unpag.]. 288 Pfarrer Konda an den Breslauer Erzbischof Bertram am 27. April 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.]. 289 Kałuża, Henryk: Dzieje parafii św. Antoniego w Luboszycach, Luboszyce 2000, 73.

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Gegner seiner Berufung den nominierten Pfarrer, als er in Luboschütz ankam, nicht aus dem Auto aussteigen und zwangen ihn unter Drohungen zur Umkehr.290 Nach diesen Unruhen, denen die Breslauer Kurie machtlos zuschauen musste, übernahm im Februar 1939 Alojzy Sowa den umstrittenen Posten. Schon bald wurde von Seiten der Behörden auch gegen die seelsorgerische Tätigkeit des neuen Pfarrers – nicht zuletzt gegen die von ihm veranstalteten kirchlich-öffentlichen Prozessionen – vorgegangen. Am Abend des 28. Mai 1939 organisierte Sowa eine Lichtprozession zu Ehren der Muttergottes. An der glanzvollen Veranstaltung beteiligten sich etwa 550 bis 600 Menschen mit Kerzen und Lichtern und hoben beim Singen der religiösen Lieder beim Wort Maria jedes Mal die brennenden Kerzen hoch. Der örtliche Gendarmeriewachtmeister empörte sich, dass die Prozession ohne Genehmigung stattfand, die Gläubigen keine Dreierreihen bildeten und sogar Wehrmachtsangehörige in Uniform unter den Teilnehmern erkennbar waren. Daraufhin wurden weitere Prozessionen in Luboschütz unter anderem wegen „Brandgefahr für die Teilnehmer und die Umgebung“ verboten.291 Anhand dieses Ereignisses wird sichtbar, dass in einer angeblich gleichgeschalteten Gesellschaft auf der lokalen Ebene eines oberschlesischen Dorfes ein öffentliches Tauziehen zwischen der neuen und alten Ordnung weiterhin möglich war. Der örtliche Vertreter der kirchlichen Autorität wagte es, eine glanzvolle katholische Feier im öffentlichen Raum zu veranstalten, ohne dass er die Vertreter eines Staates, der die politische und gesellschaftliche Deutungsmacht in der Öffentlichkeit zu monopolisieren versuchte, nach einer Genehmigung fragte. Aufgrund der traditionell starken Stellung des Pfarrers in den ländlichen Gemeinden Oberschlesiens war dieser Schritt wahrscheinlich weniger riskant als in den Städten. Die Einwohner von Luboschütz beachteten – ob mit oder ohne einen Anstoß des Geistlichen – die offensichtlich schon früher angeordneten „Verkehrssicherheitsmaßnahmen“ einfach nicht und beteiligten sich an der Prozession in der alten Aufstellung. Unter den Prozessionsteilnehmern befand sich auch ein Teil der in die Wehrmacht eingezogenen jungen Männer, die offensichtlich die von ihnen seitens der Machthaber erwartete Distanz zum kirchlichen Lebensbereich – vermutlich in einigen Fällen bewusst, in anderen dagegen unbewusst (man kann hier den SA-Scharführer Rust aus Oderwalde in Erinnerung rufen) – nicht einhielten. Infolge dieser für das nationalsozialistische Regime demütigenden Umstände wurden verwaltungstechnische Schritte eingeleitet und weitere kirchliche Umzüge untersagt. Nicht ohne Bedeutung dürfte hierbei der Anspruch der Nationalsozialisten gewesen sein, das ausschließliche Recht auf spektakuläre Lichter- und Fackelzüge im öffentlichen Raum zu besitzen. 290 Ebd.; Sprawozdanie jednego z pracowników polskiego konsulatu z końca października 1938 r.: APOp, Polski konsulat generalny, B 692 [unpag.]. 291 Gendarmeriewachmeister Hackenberg in Liebtal [Luboschütz] an den Landrat in Oppeln am 29. Mai 1939: APOp, LandOpp 176, Bl. 545.

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Pfarrer Sowa erwies sich jedoch als hartnäckiger Verfechter der katholischen Ordnung und als Förderer der slawischen Dialekte. Schon drei Wochen nach dem Marienlichterfest fanden aus den umliegenden Orten Ablassprozessionen nach Luboschütz statt. Die feierlichen Umzüge aus den benachbarten Dörfern sangen in der Regel polnisch und nur in wenigen Fällen deutsch. In der Kirche wurden anschließend zwei polnische und ein deutscher Gottesdienst abgehalten.292 Alojzy Sowa predigte von der Kanzel, dass es sich bei den Gebeten und Gesängen um eine „oberschlesische Sprache“ handele, obwohl „in den Büchern und im Liedertext alles hochpolnisch gehalten sein muss, weil es doch keine ‚oberschlesischen‘ Gebetbücher und Liedertexte gibt und geben kann“.293 Der Pfarrer betonte damit ein wesentliches Merkmal der oberschlesischen Gesellschaft: Ihre eigene Sprache, die mit der polnischen nicht gleichzusetzen war. Es ist zugleich ein wichtiges, da seltenes Quellenbeispiel, in dem explizit eine sprachliche Abgrenzung der Oberschlesier gegenüber ihren östlichen Nachbarn vorgenommen wird. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Predigt in einer Zeit gehalten wurde, in der die Hassspirale zwischen Deutschen und Polen extrem in Bewegung gekommen war. Die Betonung der sprachlichen Eigenständigkeit des Oberschlesischen sollte so eine Schutzfunktion vor den massiven antipolnischen Angriffen erfüllen. Der Pfarrer versuchte auf diese Art und Weise, die in der oberschlesischen Öffentlichkeit herrschenden Sprachverhältnisse zu differenzieren und die Existenzberechtigung der zwar slawophonen und in kirchlichen Handlungen auf Polnisch singenden und betenden, aber nationalpolitisch dennoch nicht als polnisch einzustufenden Gemeinschaft der einheimischen Oberschlesier zu stärken. Die Botschaft des Pfarrers wurde von den örtlichen Vertretern des nationalsozialistischen Regimes dennoch als polnische Propaganda gedeutet und sollte entsprechend bekämpft werden.294 Der Geistliche wurde jedoch anfangs noch nicht direkt angegriffen. Die polizeilichen Maßnahmen konzentrierten sich zunächst auf Personen, die sich nur bedingt wehren konnten und einen öffentlichen Eklat, dessen Ausgang schwer abzuschätzen war, kaum herbeizuführen vermocht hätten, deren ‚Selbstkritik‘ aber dennoch sehr wirksam für die Legitimierung des Gebrauchs allein der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit wäre. Dem örtlichen Gendarmen war vor allem ein Vorsänger namens Pogrzeba aufgefallen, Landwirt und Leiter der Feuerwehr in Biadacz, dessen Prozessionszug „besonders laut polnisch sang, um zu beweisen, dass man sich an gegebene Richtlinien nicht hält oder nicht zu halten braucht“.295 Mit ihm wurde daraufhin „ein ermahnendes, geheimes Gespräch“ durchgeführt, über dessen Ergebnisse der Gendarmerieposten in Luboschütz an 292 Gendarmerieposten in Liebtal [Luboschütz] an den Landrat in Oppeln am 19. Juni 1939: ebd., Bl. 429. 293 Ebd. 294 Ebd. 295 Ebd.

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den Oppelner Landrat berichtete. Über Pogrzeba wurde dabei festgestellt: Er bekenne sich nicht zur polnischen Minderheit, bei der letzten Volkszählung [im Mai 1939] habe er ‚deutsch‘ eingetragen, bei der Abstimmung 1921 aber für Polen gestimmt. Sein Bruder sei damals nach Polen ausgewandert. Pogrzeba selbst „fühle deutsch“, ihm seien „die Unterdrückungen des Deutschtums in Polen“ bekannt und er gebe sich Mühe, „auch in der Sprache eine deutsche Haltung zu zeigen“. Dies sei aber dadurch erschwert, dass er der deutschen Sprache nicht so mächtig sei, um als Vorsänger deutsche Lieder singen zu können. Von nun an wolle er aber bei Prozessionen nur noch deutsch singen.296 Durch diese unmissverständliche Belehrung erreichten die Anhänger des deutschen sprachlich und ethnisch definierten Nationalismus ihr vorläufiges Ziel: Ein weiterer Bereich der Öffentlichkeit wurde für die deutsche Sprache erobert. Dass Pogrzeba weder für einen polnischen noch einen deutschen Nationalisten gehalten werden kann, sondern einfach nur ein kaum politisierter, frommer slawophoner Oberschlesier war, liegt aber auf der Hand. Und auch, dass er sicherlich viel Angst hatte. Wesentlich schwieriger war es, den selbstbewussten Pfarrer einzuschüchtern. Als die Nationalsozialisten kein ‚freiwilliges‘ Loyalitätsbekenntnis des Pfarrers zu erzwingen vermochten, wurden sie schließlich gewalttätig. Am Abend des ersten Adventssonntags 1939 wurde die Kirchensakristei in Brand gesetzt. Den Dorfbewohnern gelang es jedoch, die Kirche vor dem Verbrennen zu retten.297 Nach der Anordnung von Kardinal Adolf Bertram waren – wie erwähnt – schon früher, im Juli 1939, die Gottesdienste und Prozessionen mit polnischen Gebeten und Gesängen unter dem massiven Druck der Nationalsozialisten suspendiert worden. Die Machthaber erreichten es schließlich, den öffentlichen Raum auch während der kirchlichen Feiern von der polnischen Sprache zu ‚säubern‘. Wenn auch die oberschlesische Bevölkerung ihre Meinung darüber nicht frei ausdrücken durfte, dürfte die Ansicht einer Frau aus Klein Althammer, Kreis Cosel, keine Seltenheit gewesen sein: „Mir kommen die Tränen, wenn ich sehe, wie die Prozessionen jetzt deutsch singen, wo sie früher so schön polnisch gesungen haben.“298 4.2.4.

Zwischenbilanz

In der Provinz Oberschlesien konnten in den Jahren zwischen den Weltkriegen ähnliche Wahrnehmungsmuster der kirchlich-öffentlichen Prozessionen festgestellt werden wie in der benachbarten Wojewodschaft Schlesien. Auch im deutschen Teil der Region wurde den feierlichen religiösen Umzügen eine hohe gesellschaftliche 296 Gendarmerieposten in Liebtal [Luboschütz] an den Landrat in Oppeln am 1. Juli 1939: ebd., Bl. 439. 297 Kałuża: Dzieje parafii, 74f. 298 Der Sprachgebrauch 1937/1938, 104.

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Bedeutung beigemessen, wobei einem Teil der Einwohner die Gelegenheit zur glanzvollen Repräsentation in der Öffentlichkeit wichtiger gewesen zu sein scheint als die Prinzipien des katholischen Glaubens. Solange die kirchlichen und staatlichen Behörden gemeinsame Interessen verbanden, kam es jedoch nur in Einzelfällen zu öffentlichen Ausbrüchen eines nationalistisch motivierten Unmuts. Dies änderte sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, wenn auch in den ersten Jahren noch nicht schlagartig. Die NSDAP musste in Oberschlesien zunächst fester Fuß fassen, bevor ein systematisches und rücksichtsloses Vorgehen gegen die für sie provozierend glanzvolle öffentliche Präsenz der slawischen und religiösen Elemente eingeleitet wurde. Selbst die Mehrheit der lokalen aktiven Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung sprach untereinander eine nichtdeutsche Sprache und fühlte sich mit ihren lokalen katholischen Pfarrgemeinden tief verbunden. In den konservativ-ländlichen Gemeinschaften wogen oft auch familiäre Bindungen schwerer als politische Loyalitäten. So musste die NSDAP in den 1930er Jahren erst gezielte Maßnahmen ergreifen, um ‚Problemlagen‘, die in den ethnisch homogenen Gebieten des Reiches unbekannt waren, aus dem oberschlesischen Alltag zu verdrängen. In diesem Zusammenhang betrachtete die regierende Partei zurecht die vom polnischen Gesang begleiteten, katholischen und in der oberschlesischen Öffentlichkeit hoch angesehenen Fronleichnamsprozessionen als die Hochburg einer nicht gleichgeschalteten Lebenswelt. Dementsprechend strebte sie eine Unterdrückung dieser fest verankerten Tradition an. So mehrten sich ab Mitte der 1930er Jahre die Prozessionsverbote, die schikanösen behördlichen Verlegungen in weniger prestigeträchtige Nebenstraßen und die anlässlich kirchlicher Umzüge inszenierten antireligiösen Zwischenfälle. Nicht selten führten diese Maßnahmen zum Unmut und zu einer NS-kritischen Haltung unter der Bevölkerung. Als natürliche Gegner des Regimes erwiesen sich katholische Geistliche, die auf dem Land weiterhin einen großen Einfluss auf die lokalen Gemeinschaften besaßen. Trotz des frontalen Vorgehens gegen die öffentlich exponierten Prozessionen befanden sich nicht alle Pfarrer auf verlorenem Posten und es hing von ihrer Durchsetzungsfähigkeit ab, wie die Auseinandersetzungen verliefen. Am Ende wuchs der staatliche Druck aber immer mehr an und die antireligiöse nationalsozialistische Bewegung setzte vielerorts rohe Gewalt ein. Dadurch gelangte sie schließlich auch ans Ziel: Die polnische Sprache und die groß angelegten Prozessionen verschwanden aus dem öffentlichen Bereich. Man kann aber daran zweifeln, dass dies eine nachhaltige Wirkung im Sinn einer ‚Bekehrung‘ der einheimischen katholischen Bevölkerung zur nationalsozialistischen Ideologie hatte. Bei einem Vergleich der Provinz Oberschlesien mit der Wojewodschaft Schlesien zeigt sich auf einigen Vergleichsebenen eine spiegelbildliche Verkehrung der Verhältnisse. Im polnischen Teil der Region wurde politischer Einfluss auf die Fronleichnamsprozessionen vor allem in den städtischen Gemeinden ausgeübt, wo

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verhältnismäßig viele deutsche und polnische nationalbewusste Einwohner lebten. Der Nationalitätenkampf war hier vornehmlich ein städtisches Phänomen. In der deutschen Provinz dagegen konzentrierten sich die Streitigkeiten auf dem Land, da die Städte vorwiegend deutschsprachig und mit der deutschen Kultur so eng verbunden waren, dass das Monopol der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit außer Frage stand. Ähnlich wie im Osten der Region bildete die slawophone Bevölkerung eine große Mehrheit außerhalb der urbanen Räume und füllte die religiösen Feiern mit polnischen Gesängen und Gebeten. Solange die in den kirchlichen Zusammenhängen angewendete Sprache nicht mit einem Illoyalitätsverdacht gegenüber dem Staat gleichgesetzt wurde, war eine politische Einflussnahme relativ selten anzutreffen. Dennoch wurde die Bekämpfung der sprachlichen Inkongruenz mit der Mehrheitssprache – westlich der Grenze vornehmlich auf dem Land, östlich davon in den Städten – zur Priorität der autoritären bzw. totalitären Regime ab 1926 bzw. 1933 in der Region. Das polnische Sanacja-Lager unterschied sich jedoch von den Nationalsozialisten dadurch, dass es keine Eliminierung der katholischen Kirche aus der Öffentlichkeit anstrebte. Der nationalistischen Bewegung um den Wojewoden Grażyński war allerdings die Vorstellung einer prinzipiellen Unterordnung der mächtigen und sprachlich pluralen Kirche unter ihre nationalpolnischen Ziele nicht ganz fremd, was sich mancherorts in der Missachtung der Autorität der Pfarrer ausdrückte. Die Vertreter beider Regime konnten es dabei nicht dulden, dass die Prinzipien eines ethnisch-sprachlichen Nationalismus während der so aus dem Alltag hervorgehobenen Fronleichnamsprozessionen öffentlich immer wieder missachtet wurden. Mehrere Indizien deuten jedoch darauf hin, dass sowohl im deutschen als auch im polnischen Teil Oberschlesiens nur ein kleiner Teil der einheimischen Einwohner diese Politik aktiv unterstützte. Die überwiegende Mehrheit der Oberschlesier schaute passiv zu oder missbilligte das behördlich abgesegnete Vorgehen, das die traditionelle kirchliche Ordnung in ihren Gemeinden zu beeinflussen oder sogar zu sprengen versuchte.

4.3.

Die Denkmalweihe in Orzesche: Der oberschlesische Klerus zwischen Seelsorge und Politik

In der Rivalität um die Oberhoheit im öffentlichen Raum spielte die katholische Kirche eine wesentliche Rolle. Dementsprechend wurden insbesondere die außerhalb des Kirchengeländes stattfindenden kirchlich-religiösen Feiern zu einem wichtigen Ort, an dem die Ansprüche nationaler Gemeinschaften öffentlich ausgetragen werden konnten. Durch ihre straffe, hierarchisch organisierte Struktur gelang es der katholischen Kirche dennoch, sich fast geschlossen über eine lange Zeit hinweg entschieden gegen eine Politisierung der religiösen Rituale zu wehren. Dies konnte im vorangegangenen Kapitel anhand der Analyse der oberschlesischen Fronleichnamsprozessionen sowohl für den Breslauer als auch den Kattowitzer Kle-

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rus gezeigt werden. Das dabei gezeichnete Bild der oberschlesischen Geistlichkeit muss jedoch noch differenziert werden, um auch die Anzeichen einer inneren Zerrissenheit dieses vermeintlich einheitlichen Gefüges nicht zu unterschlagen. Die katholische Kirche versuchte zwar meist erfolgreich, Unstimmigkeiten innerhalb des Diözesanklerus in der Öffentlichkeit nicht bekannt werden zu lassen. Aber angesichts der sich verändernden Lebenswelt und der vor diesem Hintergrund möglichen Konflikte musste insbesondere der Pfarrklerus in seiner alltäglichen Seelsorgearbeit und bei den direkten Kontakten mit den Gläubigen Stellung beziehen. Als es nach dem Ende des Ersten Weltkriegs während der konfliktreichen Abstimmungszeit auf der lokalen Ebene zur Beschleunigung der Politisierungsprozesse kam, wurden die Priester vor besondere Herausforderungen gestellt. In einem bis dahin ungekannten Ausmaß fanden sie sich mitten in einem Streit zwischen antagonistischen nationalistischen Kräften wieder. In diesem Zusammenhang zeugte die aktive bzw. passive Beteiligung oder gar Nichtbeteiligung eines Priesters an weltlichen, öffentlichen Ereignissen, die einen vorprogrammierten nationalpolitischen Charakter besaßen, von unterschiedlichen Graden der Involvierung des Klerus in die Forcierung von Nationalisierungsprozessen. Diese Problematik wird im Folgenden detailliert auf der Ebene einer Pfarrgemeinde am Beispiel einer Denkmalweihe in der Ortschaft Orzesche (Wojewodschaft Schlesien) untersucht. Die Analyse der Argumentationsmuster zweier involvierter Pfarrer wird es erlauben, einerseits das Vorhandensein grundlegender Differenzen im Handeln des einheimischen oberschlesischen Klerus gegenüber Politisierungs- und Nationalisierungsprozessen aufzuzeigen, andererseits auch die Wahrnehmungsmuster der ihnen anvertrauten Gemeindemitglieder vor diesem Hintergrund näher zu charakterisieren. Zwei Jahre nach dem dritten ‚schlesischen Aufstand‘ und ein Jahr nach der Teilung Oberschlesiens entschieden sich die ehemaligen Aufständischen aus Orzesche, ein Denkmal für die gefallenen Kameraden aufzustellen. Während der Kampfhandlungen gegen die deutschen Freikorps waren mehrere von ihnen ums Leben gekommen. Dennoch war ihr Tod in den Augen der überlebenden Mitstreiter nicht vergeblich gewesen: Orzesche und der Kreis Pleß wurden dem polnischen Staat zugeteilt. Diese Entscheidung war ursprünglich nach dem Plebiszit nicht zwangsläufig zu erwarten gewesen, da das Ergebnis in Orzesche nur knapp zugunsten der polnischen Seite (55 zu 45 Prozent) ausgefallen war.299 Nach Angaben des Pfarrers sprachen allerdings in seiner 3.200 Personen zählenden Gemeinde weniger als zehn Prozent der Einwohner hauptsächlich deutsch, davon konnten nur etwa hundert Personen als eindeutig nicht slawophon bezeichnet werden.300 Orzesche war also zu über 90 Prozent von slawophonen Katholiken bewohnt, die ähnlich wie ihre eindeutig deutschsprachigen Miteinwohner einer Arbeit in den umliegenden Berg299 Sztoler, Grzegorz: Droga do niepodległości. In: Drozdowski (Hg.): Dzieje Orzesza, 167. 300 Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 40f.

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werken nachgingen. Die Beschäftigungsstruktur im kleinen Industriedorf blieb in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts unverändert und sorgte für die soziale Kontinuität des Alltags – ähnlich wie die katholische Pfarrei, die 1912 gegründet und von Beginn an vom Pfarrer Józef Kulig betreut worden war. Das Jahr 1922 markierte dennoch einen wesentlichen Umbruch, da die Machtaufteilung auf der lokalen Ebene der Gemeinde Orzesche mit der Änderung der staatlichen Zugehörigkeit neu gestaltet wurde. Die wichtigsten kommunalen Selbstverwaltungsposten übernahmen polnisch orientierte Oberschlesier und nicht selten zugleich aktive Anhänger der Polonisierungspolitik.301 Unter diesen äußerst günstigen politischen Bedingungen wollten die ehemaligen Aufständischen nicht nur das Andenken ihrer Waffenkameraden ehren, sondern in der Öffentlichkeit auch ein sichtbares Zeichen setzen und im sozialen Raum von Orzesche die veränderte gesellschaftspolitische Situation durch ein unmissverständlich nationalpolnisches Denkmal deutlich repräsentieren. Entsprechend dieser Zielsetzung wurde das Denkmal 1923, ein Jahr nach der Übernahme der Ortschaft durch die polnische Verwaltung, auf dem Hauptplatz von Orzesche platziert. Vor dem Monument wurden in der gesamten Zwischenkriegsperiode polnisch-patriotische Feierlichkeiten zelebriert.302 Dadurch nahm das Denkmal als symbolische Vermittlungsinstanz die Spezifiken mythischer nationaler Narration auf und machte den nationalen Mythos im öffentlichen Raum erfahrbar.303 Das Ziel war dabei, an die Aufstände „als äußersten Ausdruck des Nationalgefühls“ öffentlich zu erinnern und „das Wissen über die Aufstände für kommende Generationen zum verpflichtenden nationalen Katechismus“ werden zu lassen.304 Dieses Nationalisierungsprogramm formulierte Michał Grażyński und setzte nach seinem Amtsantritt als Wojewode in die Tat um. Grażyński war davon überzeugt, dass „die schlesischen Aufstände“ als „eine lebendige historische Tradition“ die Einwohner Oberschlesiens „in die Geschichte der befreienden Bemühungen des polnischen Volkes“ einbinden und „als eine solche befreiende Tat [...] auf das Gefühl und Phantasie der Massen“ wirken würden. Dementsprechend strebte er danach, „die schlesische Erde mit Denkmälern zu Ehren der Gefallenen zu bedecken“, sich an ihnen „zu nationalen Feiern zu versammeln und dort – in der Berufung auf die 301 Kalinowska: Okres międzywojenny, 186f. 302 Ebd., 253. 303 Zum Themenkomplex Denkmäler als politische Legitimation und symbolische Repräsentation gibt es eine breite Literatur. Vgl. Tacke, Charlotte: Denkmal im sozialen Raum. Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1995; Menkovic, Biljana: Politische Gedenkkultur. Denkmäler – die Visualisierung politischer Macht im öffentlichen Raum, Wien 1998; Mayer, Kathrin: Mythos und Monument. Die Sprache der Denkmäler im Gründungsmythos des italienischen Nationalstaates 1870–1915, Köln 2004; Rausch, Helke: Kultfigur und Nation. Öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London 1848–1914, München 2006. 304 Haubold-Stolle: Mythos Oberschlesien, 182.

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aufopfernde Tat der Aufständischen – die Parole von der gemeinsamen, solidarischen nationalen Arbeit zu verkünden“.305 Das Aufständischen-Denkmal in Orzesche trug also als einer von vielen Erinnerungsorten zur Herstellung symbolischer Landschaften der polnischen Nation in Oberschlesien bei. Kurz nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im September 1939 wurde jedoch das Denkmal im Zuge der Entpolonisierung des gerade eroberten polnischen Teils Oberschlesiens zerstört, was wiederum von der diametral veränderten Erinnerungspolitik in den Jahren 1939–1945 zeugte.306 Im Folgenden wird zunächst nur auf die Ereignisse eingegangen, die im Umfeld der Enthüllungszeremonie des AufständischenDenkmals im Juli 1923 stattfanden. Sie werden Auskunft geben über die Erinnerungs- und historischen Selbstverortungsdiskurse der Einwohner von Orzesche. Auch wenn sich die historische Forschung bei den Fragen zum kulturellen Gedächtnis eher auf die symbolische Praxis der Trägerschichten eines Erinnerungsmediums konzentriert,307 stellt ein Denkmal auch in seiner Entstehungszeit einen Gegenstand dar, an dem sich Deutungs- und Interessenkämpfe entzünden sowie die Geschichtsbilder der Gemeinschaft und dadurch ebenso die Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten ausgehandelt werden.308 Im katholischen Oberschlesien, besonders in den katholischen Dorfgemeinschaften, konnte kein öffentliches, für die Gemeinde relevantes Ereignis ohne Beteiligung oder sogar Mitwirkung des örtlichen Geistlichen auf breite Zustimmung stoßen. Dies hing mit dem hohen Ansehen der Priester als Vermittler des Wortes Gottes und als direkte Vertreter der mächtigen Kirchenorganisation vor Ort zusammen. Die herausgehobene Stellung des Pfarrers in den ländlichen Gegenden wurde zusätzlich dadurch verstärkt, dass er eine für die dortigen Verhältnisse überdurchschnittliche Bildung besaß – in der Regel hatten die oberschlesischen Priester ein Theologiestudium in Breslau absolviert – und den örtlichen, meist recht großen Kirchenbesitz verwaltete. Die daraus resultierende herausragende Bedeutung der Geistlichen in der Gemeinschaft ließ ihren religiösen und nicht zuletzt zugleich sozialen Segen für ein gesellschaftliches Unterfangen unentbehrlich erscheinen. Folgerichtig wurde auch Pfarrer Kulig um den offiziellen Segen der Kirche für das Gefallenendenkmal gebeten. Er äußerte jedoch Bedenken gegenüber diesem politischen Projekt und einer feierlich-öffentlichen Einweihung, denn seiner Meinung nach sei die Wahrnehmung der Aufstände unter dem Klerus und den Laien nicht einheitlich. Ein bedeutender Teil der dortigen Gläubigen behaupte, die Aufstände könnten „ethisch nicht gerechtfertigt werden“ und dementsprechend dürfe man an solchen Feierlichkeiten nicht teilnehmen. Eine Beteiligung an der Enthüllungsze305 306 307 308

Grażyński: Krótki zarys historii, 9. Zit. nach ebd. Kalinowska: Okres międzywojenny, 253. Tacke: Denkmal im sozialen Raum, 18. Weber, Claudia: Auf der Suche nach der Nation. Erinnerungskultur in Bulgarien von 1878– 1944, Berlin 2006, 23f.

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remonie würde „die Zustimmung oder sogar Glorifizierung der Aufstände oder die Ermutigung für einen weiteren Aufstand“ bedeuten. Der andere Teil der Bevölkerung aber beteilige sich ohne zu zögern an solchen Feierlichkeiten. Das ganze Problem sei deshalb von großer Wichtigkeit, weil sich ein Teil des Klerus bei diesem Sachverhalt „in einem großen Gewissenskonflikt“ befinde, was „schlimme Auswirkungen für die Kirche“ nach sich ziehe. Aus diesen Gründen äußerte Pfarrer Kulig schließlich eine Bitte an die Apostolische Administratur um eine Entscheidung in der Sache, ob sie seine Teilnahme an der Denkmalweihe erlaube oder nicht.309 Der Apostolische Administrator August Hlond antwortete daraufhin, dass eine liturgische Einweihung keinesfalls stattfinden könne, eine andersartige Beteiligung des Geistlichen wiederum seiner eigenen Entscheidung überlassen bleibe.310 Etwas später betonte er gegenüber den polnischen Vereinen aus Orzesche, dass er eine kirchliche Einweihung des Denkmals nicht zulassen könne, da die Kirche „solche Weihe gar nicht kennt“. Er argumentierte, dass die Denkmäler „in Anwesenheit der Bewohner und der eingeladenen Gäste enthüllt [werden dürften], die Kirche kann sie aber nicht weihen“. Die Kirche könne nur mit einem Gottesdienst zu den Feierlichkeiten beitragen.311 Hlond war es dabei bewusst, dass die ehemaligen Aufständischen nicht um eine liturgische Weihe eines weltlichen Denkmals gebeten hatten. Sie wollten der Enthüllungszeremonie öffentlich einen verstärkten Ausdruck geben und dadurch der eigenen Erinnerung und Tradition eine breite soziale Legitimation verschaffen. Diese Ziele konnten jedoch nur durch eine Beteiligung des örtlichen kirchlichen Würdenträgers erreicht werden. Die Entscheidung über das priesterliche Engagement in die Angelegenheit überließ der Apostolische Administrator schließlich dem sich vor Ort auskennenden Pfarrer. Pfarrer Kulig entschloss sich, am 1. Juli 1923, vor der Enthüllungszeremonie des Denkmals, das wenige hundert Meter vom Pfarrhaus entfernt aufgestellt worden war, einen Gottesdienst abzuhalten. Er nahm jedoch an dem sich daran anschließenden feierlichen Ereignis selbst nicht mehr teil, wie er berichtete, „im Interesse der Seelsorge“ und „mit der Furcht vor einer Verletzung des Friedens, den diese Gemeinde sehr braucht“. Zu seinem Unmut wurde der Pfarrer Teofil Bromboszcz aus dem benachbarten Ornontowitz zur feierlichen Denkmaleinweihung eingeladen. Wenige Tage später beschwerte sich Kulig heftig bei der Kurie in Kattowitz über das öffentliche Auftreten eines dafür nicht zuständigen Priesters in ‚seiner‘ Pfarrgemeinde. Er argumentierte, dass nur eine kleine „radikale Clique“, die in der Öffentlichkeit von Orzesche für „gewaltsame Überfälle auf ruhige Bür-

309 Proboszcz Kulig do Administratora Apostolskiego Hlonda w Katowicach 6 czerwca 1923: AAKat, AL Orzesze, Bd. 1, Bl. 142f. 310 Administrator Apostolski Hlond do proboszcza Kuliga w Orzeszu 9 czerwca 1923: ebd., Bl. 143. 311 Administrator Apostolski Hlond do Komitetu Budowy Pomnika w Orzeszu 19 czerwca 1923: ebd., Bl. 138.

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ger“ während der Abstimmungszeit verantwortlich gemacht werde, diesen Eklat herbeigeführt habe. Die Unruhestifter hätten sich in den Augen des Geistlichen auch dadurch kompromittiert, dass sie „öffentlich zu hiesigen Konkubinen“ gingen. Kulig war also darüber verärgert, dass sich sein Amtskollege aus Ornontowitz ausgerechnet von diesen politisch radikalen, gewalttätigen und ‚unsittlichen‘ Personen zur Teilnahme an einer Feier, die gerade die Vorgehensweise dieser Gruppe legitimieren sollte, bewegen ließ. Kulig fügte empört hinzu, dass nach Angaben glaubwürdiger Gemeindemitglieder Bromboszcz „eine aufhetzerische Rede“ gehalten habe, die für große Empörung im Dorf gesorgt habe. Pfarrer Kulig machte zudem unmissverständlich klar, dass er und ein überwiegender Teil der Geistlichen das Verhalten von Pfarrer Bromboszcz für destruktiv und unerwünscht hielten. Er könne es nicht zulassen, dass Pfarrer Bromboszcz seine Arbeit und seine Autorität in der Gemeinde zerstöre.312 Auf die im Gegenzug erhobenen Vorwürfe von Bromboszcz, er sei antipolnisch eingestellt und verkehre nur mit Deutschen, antwortete Kulig, dass es nicht wahr sei, dass er gegenüber der polnischen Nation feindlich gesinnt sei und in seinem privaten Leben nur mit Deutschen verkehre. „Die gemäßigten Polen“ hätten sein Verhalten verstanden, „die Radikalen“, an der Spitze seine beiden Gegner, der stellvertretende Gemeindevorsteher Jan Szafraniec und der Gemeindevorsteher Otrząsek, die nicht viele Anhänger hätten, hätten hingegen seine seelsorgerische Arbeit „diskreditieren“ wollen und deshalb Pfarrer Bromboszcz eingeladen. Weiterhin unterstrich Kulig, dass ein Priester, wenn er eine Tätigkeit in einer „fremden“ Pfarrgemeinde ausüben wolle, dies nur mit Einverständnis und nach Absprache mit dem örtlichen Pfarrer tun sollte. Lasse er sich „von den Gegnern des örtlichen Pfarrers und ohne dessen Wissen“ zu einer Veranstaltung einladen, während der er einer Rede zuhören müsse, die gegen den örtlichen Pfarrer gerichtet sei, wie sich das Szafraniec erlaubt habe zu tun, dann sei eine solche Arbeit seines Erachtens nach destruktiv, weil sie die Autorität des örtlichen Pfarrers untergrabe.313 Bromboszcz reagierte prompt auf Kuligs Kritik und brachte sie nicht nur, wie bereits erwähnt, mit dessen angeblich antipolnischer Gesinnung in Zusammenhang, sondern legte seine eigene Version der Ereignisse dar. Er sei aufgrund der ablehnenden Haltung des örtlichen Pfarrers vom polnischen Schulleiter und dem Gemeindevorstand aus Orzesche sowie von den dortigen Mitgliedern des Westmarkenverbands mit Jan Szafraniec an der Spitze zur Zeremonie eingeladen worden. Er habe keine liturgische Tätigkeit ausgeübt, da er das Denkmal nur nach Art eines Laien enthüllt habe. Anschließend habe er in Anwesenheit ehemaliger Aufständischenabteilungen aus zehn Ortschaften und vor den zahlreich erschienenen Einwohnern von Orzesche eine patriotische Rede gehalten. Gegenüber den Vor312 Proboszcz Kulig do Kurii Biskupiej w Katowicach 15 lipca 1923: AAKat, Akta personalne ks. Teofil Bromboszcz, Bl. 84. 313 Proboszcz Kulig do Kurii Biskupiej w Katowicach 2 sierpnia 1923: ebd., Bl. 87f.

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würfen von Kulig betonte er, dass er es für seine Pflicht gehalten habe, „dem Volk zu zeigen, dass nicht alle Priester der nationalen Arbeit feindlich oder zumindest gleichgültig gesinnt“ seien so wie Pfarrer Kulig. Er habe sich gefreut, dass sich „das Volk ein Gefallenendenkmal und die Anwesenheit eines Priesters bei der feierlichen Einweihung“ gewünscht habe und ihm „die Ehre erwies“, das Denkmal zu enthüllen. Nicht er, sondern Pfarrer Kulig habe die Gemeindemitglieder aus Orzesche mit seinem Verhalten empört. Schließlich legte er seine Auffassung der priesterlichen Aufgaben in einer Zeit kurz nach der Übernahme der Region durch Polen aus. So dürfe sich die Aktivität des Klerus „nicht auf die Arbeit in der Kirche und Sakristei beschränken“. Ebenso wünschenswert sei „die Unterstützung der nationalen Angelegenheiten aus einer seelsorgerischen Perspektive“. Der dabei entstandene „Unmut seitens der kleinen deutschen Minderheit“ sei nur „ein winziger Nachteil“ gewesen.314 Dass einzelne Pfarrer durchaus sehr voneinander abweichende persönliche Haltungen gegenüber Nationalisierungsprozessen einnehmen konnten, demonstriert das Beispiel der Ereignisse in Orzesche unverkennbar. Die dortige Denkmalweihe zeigt zugleich, dass unterschiedliche Ansichten bezüglich der seelsorgerischen Arbeit gerade auch innerhalb der Gruppe der Priester mit oberschlesischer Herkunft vorkommen konnten. Sowohl Józef Kulig als auch Teofil Bromboszcz stammten aus einheimischen slawophonen Familien: Kulig, geboren 1874 in Alt Schalkowitz, Kreis Oppeln, wuchs als Sohn eines Landwirts im dörflichen Milieu auf,315 Bromboszcz wiederum, geboren 1886 in Ellguth bei Kattowitz als Sohn eines Häuslers, verbrachte seine Jugend im sich rasant entwickelnden Kohlerevier.316 Beide besuchten preußische Volksschulen und bekamen als begabte Jungen die Möglichkeit, einen Gymnasialabschluss in Oppeln (Kulig) bzw. in Gleiwitz (Bromboszcz) zu machen. Anschließend studierten sie an der Theologischen Fakultät der Universität Breslau und erhielten von Kardinal Georg Kopp die Priesterweihe – Kulig 1899 und Bromboszcz 1912. Es scheint, dass gerade die Studienperiode einen wesentlichen Einfluss auf die gesellschaftspolitischen Ansichten dieser, aber auch vieler weiterer oberschlesischer Priester hatte. So findet man in der vorliegenden Studie immer wieder Priester, die bis zur Jahrhundertwende ihre Ausbildung in Breslau abgeschlossen hatten und sich anschließend, wie die Analyse ihrer typischen Handlungsmuster zeigt, bei ihrer seelsorgerischen Tätigkeit apolitisch verhielten wie z. B. Józef Kulig, Josef Jaglo, Franz Buschmann, Józef Knosała, Gottfried Pillawa, Richard Woitok oder Ludwik Wojciech. Unter den Priestern hingegen, deren jugendliche Sozialisation während des letzten Jahrzehnts vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stattgefunden hatte, kommen häufiger Persönlichkeiten mit ausgepräg314 Proboszcz Bromboszcz do Kurii Biskupiej w Katowicach 20 lipca 1923: ebd., Bl. 85f. 315 Starosta, Henryk: Kulig Józef (1874–1946). In: Lysko, Alojzy (Hg.): Słownik biograficzny ziemi pszczyńskiej, Pszczyna 1995, 121–122. 316 Smołka, Leonard: Bromboszcz Teofil. In: Pater (Hg.): Słownik, 51–55.

Die Denkmalweihe in Orzesche

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tem politischen Sinn vor, die öffentlich und entschlossen Nationalisierungsprozesse mit Hilfe der kirchlichen Autorität forcierten wie beispielsweise Teofil Bromboszcz, Juliusz Bieniek, Józef Czempiel oder Józef Niedziela.317 Die 13 Jahre, die zwischen den Priesterweihen der Pfarrer aus Orzesche und Ornontowitz lagen, waren offensichtlich für die Hierarchie der Schlüsselerlebnisse beider Generationen entscheidend. Während der 1880er und 1890er Jahre war Oberschlesien politisch vollkommen vom Zentrum dominiert worden. Der katholischen Partei gelang es in dieser Zeit, die weit überwiegende Mehrheit der einheimischen Oberschlesier mit den katholischen Glaubenssätzen und der katholischen Soziallehre und damit zugleich mit antisozialistischen und nationalisierungskritischen Wertvorstellungen zu imprägnieren.318 In diesen Jahren erfolgte die Gymnasial- und Hochschulbildung Kuligs, und zwar in dem vom Zentrum unangefochten beherrschten Oppelner Teil Oberschlesiens. Als bei den Reichstagswahlen 1903 Wojciech Korfanty den ersten Erfolg für die polnische Partei verbuchen konnte, begann wiederum eine Periode, die von einem äußerst emotionalen politischen Kampf um die nationalpolitische Mobilisierung der Oberschlesier gekennzeichnet war. Die politische Auseinandersetzung zwischen der deutschen und polnischen Nationalbewegung in Oberschlesien erfasste immer weitere Kreise der Bevölkerung, nicht zuletzt die einheimische, zumeist geistliche Elite. Bromboszcz absolvierte just in der bis dahin heißesten Phase der politischen Konfrontation zweier Nationalisierungsbestrebungen nach den Reichstagswahlen 1907 das Gymnasium, und zwar in einem Industriebezirk, der von sozialen und nationalistisch geprägten Unruhen stark gekennzeichnet war. Vier Jahre später, 1911, als sich die politischen Gemüter schon nicht mehr beruhigen ließen, schloss er das Breslauer Theologiestudium ab. Auch die beruflichen Karrieren der beiden Kleriker weisen wesentliche Unterschiede auf. Kulig nahm den typischen Weg eines solide gebildeten, gehorsamen und ausschließlich auf seine liturgisch-seelsorgerischen Aufgaben konzentrierten Priesters: Er wurde Vikar in ländlichen (Petersdorf ), kleinstädtischen (Oberglogau) und großstädtischen (Gleiwitz) Gemeinden Oberschlesiens, ehe er als Verwalter (1906) und schließlich Pfarrer (1912) die Pfarrei in Orzesche übernahm.319 Bromboszcz dagegen wurde nach der Priesterweihe weit entfernt von Oberschlesien, im pommerschen Stettin, eingesetzt. Dies entsprach der üblichen Praxis der Breslauer Bischöfe gegenüber denjenigen aus Oberschlesien stammenden slawophonen Priestern, die zu stark politisierten, intellektuell zu souverän agierten und in ihrer Hei317 Es muss jedoch betont werden, dass eine quantitative Untersuchung der politischen Haltungen des oberschlesischen Klerus gegenüber den Nationalisierungsprozessen für die Zwecke der vorliegenden Studie nicht durchgeführt werden konnte. Nichtsdestoweniger zeichnen sich klare Tendenzen bei der Betrachtung der Fälle der in der Arbeit behandelten Geistlichen ab. 318 Vgl. Bjork: Neither German nor Pole, 19–76. 319 Starosta: Kulig.

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matregion für eine aus kirchlicher Sicht unnötige politische Polarisierung und gefährliche Unruhe in der Gemeinde sorgen konnten. Diese Befürchtungen der Breslauer Kurie waren im Fall von Teofil Bromboszcz wohl berechtigt. So meldete sich Bromboszcz nach dem Ausbruch des Krieges ohne Einwilligung des Oberhirten zum Wehrdienst und übte katholische Seelsorge an den Frontlinien in Belgien, Frankreich, Russland und auf dem Balkan aus. Anschließend wurde er Pfarrer in der Festung Thorn (1917). Gleichzeitig schloss er eine theologische Promotion ab und engagierte sich in der polnischen Unabhängigkeitsbewegung. Im Jahr 1920 lehnte er die Annahme einer Theologieprofessur in Wilna ab und kehrte entgegen dem bischöflichen Willen nach Oberschlesien zurück, um an der Abstimmungskampagne aktiv teilzunehmen. Nach der Volksabstimmung fand sich die Kurie mit dem eigenmächtigen Handeln des begabten Priesters ab und teilte ihm die Ornontowitzer Pfarrei zu. 1922 wurde Bromboszcz Mitbegründer und erster Präses des nationalistischen „Verbandes zur Verteidigung der Westmarken“ im polnischen Teil Oberschlesiens und Leiter des „Verbandes der Schlesischen Aufständischen“ im Kreis Pleß.320 Die kurze Betrachtung dieser beiden Lebensläufe verdeutlicht, dass es innerhalb des einheimischen oberschlesischen Klerus völlig konträre Auffassungen von der Rolle des Priesters in der Gesellschaft geben konnte. Józef Kulig vertrat hier die Gruppe der gemäßigten und grundsätzlich apolitischen Geistlichen, die sich mit Hingabe der reinen Seelsorge widmeten und sich ausschließlich nach der Autorität und Tradition der von ihnen bedingungslos anerkannten Kirchenhierarchie richteten. Teofil Bromboszcz repräsentiert hingegen einen moderneren Priestertypus mit einem ausgeprägten politischen Sinn, der im Gegensatz zum Charakter des politischen Engagements der geistlichen Zentrumsabgeordneten der Vorkriegsjahre nicht unbedingt in allen Fragen mit den Zielen der institutionalisierten Kirche übereinstimmte. So war Bromboszcz dazu fähig, zugunsten der nationalen Ideologie die Autorität der Kirche in Frage zu stellen. Sein Patriotismus konnte demgemäß schwerer wiegen als die priesterliche Aufgabe, für jedes katholische Gemeindemitglied – unabhängig von dessen sprachlichem, ethnischem oder sozialem Hintergrund – ein vertrauenswürdiger und unparteiischer Ansprechpartner zu sein. Die Bevölkerung von Orzesche war in diesem Fall das Spiegelbild ihrer geistlichen Elite. Unter den slawophonen Oberschlesiern sind entschlossene Verfechter des Nationalismus zu finden, die von ihren Gegnern als radikale und brutale „Clique“ bezeichnet wurden. So wie die beiden sich im Konflikt befindlichen Geistlichen entstammten auch die Anführer der nationalistischen Vereine der einheimischen oberschlesischen Bevölkerung. Jan Szafraniec beispielsweise, einer der aktivsten von ihnen, wurde nahe Orzesche in einer Häuslerfamilie geboren. Er arbeitete als Schlosser im benachbarten Bergwerk, wo er zugleich eine Gewerkschaftsbewegung mitorganisierte. Szafraniec zeichnete sich durch großes soziales Engagement 320 Smołka: Bromboszcz.

Die Denkmalweihe in Orzesche

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aus und wurde 1922 zum stellvertretenden und 1925 zum Gemeindevorsteher gewählt.321 Er muss sich also in großem Umfang der Unterstützung und des Vertrauens seiner Orzescher Mitbürger erfreut haben. Das Beispiel von Orzesche zeigt, dass sowohl die Träger der nationalistischen Weltanschauung als auch ihre Kritiker in den gleichen sozialen Milieus zu finden waren: in der einheimischen geistlichen Elite sowie unter den weniger gebildeten oberschlesischen Arbeitern. Auf der anderen Seite gab es eine Einwohnergruppe, die gegenüber den Polonisierungsbestrebungen gleichgültig oder sogar feindlich eingestellt war. Diese Aufteilung entspricht der schon wiederholt gemachten Beobachtung, dass unterschiedliche Wahrnehmungsmuster der nationalen Ideologien in Oberschlesien vorhanden waren. Um dieser wenig differenzierten Feststellung schärfere Konturen zu verleihen, ist es empfehlenswert, die politische Auseinandersetzung in Orzesche auch in den Jahren nach der Denkmalenthüllung kurz zu skizzieren. Schon ein Jahr nach dem Eklat um die Einweihung des Gefallenenmonuments wandten sich die polnischen Vereine aus Orzesche direkt an die Kattowitzer Kurie mit der Bitte, den einmal im Monat stattfindenden deutschen Gottesdienst aufzuheben. Sie argumentierten, die Gottesdienstordnung sei seit der Gründung der Gemeinde im Jahr 1912 unverändert geblieben und müsse nun aufgrund der neuen machtpolitischen Lage modifiziert werden. Dadurch sollten „der letzte Pfeiler und das letzte starke Bollwerk des Deutschtums in der Gemeinde gestürzt und Verdorbenheit und Anstößigkeit“ aus der Gemeinde verschwinden. Anderenfalls würden die hiesigen Katholiken weiterhin „dem Germanisierungseinfluss“ ausgeliefert. Die Bittsteller, an deren Spitze die Orzescher Ortsgruppen des „Verbandes zur Verteidigung der Westmarken“ und des „Verbandes der Schlesischen Aufständischen“ standen, hatten zuvor eine direkte Anfrage beim zuständigen Pfarrer unterlassen. Kulig finde nämlich „auch während nationaler Feierlichkeiten [damit war die Denkmalweihe 1923 gemeint] keine Worte, um den Polen in Polen etwas Nationales zu sagen“.322 Der vorgetragenen Forderung schloss sich auch der Gemeinderat von Orzesche mit einem entsprechenden Beschluss an, was angesichts der Verschränkungen in der personalen Besetzung der nationalistischen Verbände und der kommunalen Verwaltung keineswegs verwunderlich war. Der Petition wurde schließlich, ähnlich wie in vielen anderen Fällen, die bereits im Kapitel über die Konflikte um die Gottesdienstsprache behandelt wurden, nicht entsprochen. Obwohl unter der Bittschrift die Unterschriften von den Leitern mehrerer polnischer Organisationen zu finden waren, wollte die Kurie der lokalen deutschsprachigen Minderheit die Möglichkeit, eine heilige Messe in deutscher Sprache besuchen zu können, nicht entziehen. Die polnischen Vereine gaben jedoch noch nicht auf. Sie wiederholten ihre Bitte zehn Jahre später, ausgerechnet 321 Kalinowska: Okres międzywojenny, 186f. 322 Miejscowe koło ZOKZ i Polonia w Orzeszu do Administratora Apostolskiego Hlonda w Katowicach 19 czerwca 1924: AAKat, AL Orzesze, Bd. 1, Bl. 144f.

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zwei Tage, nachdem Teofil Bromboszcz, der mittlerweile eine steile geistliche Karriere in der Kattowitzer Metropole gemacht hatte, zum Weihbischof konsekriert worden war und zu seiner ersten Visitation nach Orzesche kam. Dort hatte Józef Kulig die örtliche Pfarrei weiterhin inne. Der geistliche Würdenträger wurde am 5. Juni 1934 feierlich empfangen: Vor der aufwendig errichteten Ehrenpforte wurde Bromboszcz vom Gemeindevorsteher und zugleich Leiter des örtlichen Westmarkenverbands, Jan Szafraniec, und von den Vertretern der polnischen Vereine mit Franciszek Włoczka an der Spitze enthusiastisch begrüßt.323 Es wiederholte sich also die personelle Konstellation, die es schon bei der Denkmalenthüllung 1923 gegeben hatte, und die Akteure der damaligen Auseinandersetzung trafen wieder aufeinander. Die eindeutig polnisch orientierten Oberschlesier erkannten bei der Visitation des neuen Weihbischofs die Gunst der Stunde und wiesen abermals auf die Bedrohung der polnischen „Nationalisierungsarbeit“ hin, falls „die öffentliche Bedeutsamkeit des deutschen Gottesdienstes nicht geschmälert“ werde. Sie argumentierten, dass in ihrer Gemeinde die Zahl der deutschen Katholiken sehr gering sei, darüber hinaus beherrsche jeder von ihnen „vorzüglich“ die polnische Sprache. Das Abhalten der deutschen Gottesdienste erwecke unter den Personen, „die national weniger bewusst“ seien, die „völlig unnötige Überzeugung“, die deutsche Sprache sei in Oberschlesien so wichtig, dass „sogar die katholische Kirche auf sie nicht verzichten“ könne. Wenn schon die deutschen Gottesdienste einmal im Monat stattfinden müssten, so baten die hiesigen Bewohner seine bischöfliche Exzellenz, eine Verfügung zu erlassen und die deutschen Gottesdienste auf die frühen Morgenstunden zu verlegen sowie eine zusätzliche polnische Messe einzuführen. Dies, so das Argument, werde „die polnische Bevölkerung vor einer Teilnahme an den deutschen Gottesdiensten schützen“.324 Mit dem Schreiben gaben die Vertreter der polnischen Nationalbewegung in Orzesche indirekt zu, wie fruchtlos ihre Bemühungen um die Nationalisierung der dortigen slawophonen Bevölkerung bislang gewesen waren. Ihre Ratlosigkeit bewog sie dazu, Kompromisse zu schließen und ihrem polnischen Nationalismus auf einem anderen Weg Geltung zu verschaffen. Am Ende wollten sie wenigstens erreichen, dass der deutsche Gesang während der wenigen deutschsprachigen Messen reduziert werde, damit keine religiös-emotionale Bindung zwischen den „national wenig bewussten“ Dialektsprechern und der deutschen Sprache entstehe. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Orzesche lassen sich mühelos jene Probleme wiedererkennen, die sich bei der vorangegangenen Analyse der Auseinandersetzungen um eine Politisierung der Gottesdienste und Fronleichnamsprozessionen herauskristallisiert haben. Eine erfolgreiche Nationalisierungspolitik konnte nach 323 Protokół wizytacji biskupiej w Orzeszu z 5 czerwca 1934: ebd., Bd. 2, Bl. 56. 324 Towarzystwa Polskie w Orzeszu do biskupa sufragana Bromboszcza 5 czerwca 1934: ebd., Bd. 2, Bl. 34.

Die Denkmalweihe in Orzesche

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Meinung der Verfechter des ethnisch-sprachlichen Nationalismus offensichtlich nur dann gelingen, wenn Verordnungen der weltlichen und geistlichen Obrigkeit zur Unterstützung herangezogen wurden. Obschon 1934 die verstärkte Assimilationspolitik Grażyńskis seit einigen Jahren umgesetzt wurde, konnten die Nationalisten aus Orzesche auf den kirchlichen Bereich keinen direkten Einfluss nehmen und durften folglich auf die Unterstützung der Kirche nicht verzichten. Aber auch der Beistand des neuen Weihbischofs Bromboszcz trug schließlich nicht zu einer Veränderung der Gottesdienstordnung bei, da solche Fragen von der gesamtpolnischen Bischofskonferenz entschieden werden mussten. Als im Juni 1936 der letzte Versuch vor dem Krieg unternommen wurde, den deutschen Gottesdienst zu beseitigen, wurde Pfarrer Kulig erneut ein Anstoß und Anlass gegeben, dem Kattowitzer Bischof die gesellschaftlichen Verhältnisse in seiner Gemeinde zu schildern. Seine Beschreibung beinhaltet weitere wichtige Hinweise über die Einwohner von Orzesche. Besonders auffallend ist, dass er in seiner Charakteristik der sich subjektiv deutsch fühlenden Einwohner den Ausdruck verwendete, sie seien „keine größeren Deutschen und sprechen meistens polnisch“.325 Hier kann wieder die semantische Feststellung gemacht werden, die bereits im Hinblick auf die Steigerung des Substantivs „Pole“ in Oberschlesien getroffen wurde: In einer nationalen Gemeinschaft wird die Bezeichnung für die nationale Mitgliedschaft nicht abgestuft und lässt sich in der Regel mit der Mitgliedschaft in einer anderen nationalen Gruppe nicht in Einklang bringen. In den angeführten Fällen aus beiden Teilen Oberschlesiens ist aber zu sehen, dass die Termini „Pole“ und „Deutscher“ nicht im substantivischen, sondern eher im adjektivischen Sinn angewendet werden und sich dementsprechend steigern lassen. Die einheimischen Bewohner der oberschlesischen Grenzregion konnten also gemäß eigenem Empfinden in größerem oder kleinerem Ausmaß Mitglieder der polnischen oder deutschen nationalen Gemeinschaft sein. Entsprechend ähnelte die subjektive nationale Zugehörigkeit einer unter Umständen nur zeitweiligen Anhängerschaft an eine politische Partei, die man auch wieder wechseln oder aufgeben konnte. Eine Konstante bildete wahrscheinlich allein das lokale, vielleicht von manchen als regionaloberschlesisch reflektierte Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich durch die spezifische Kirchlichkeit in der ‚eigenen‘ Pfarrgemeinde und ‚unsere‘ hiesige Sprache definierte. Zum Schluss muss betont werden, dass ein kurzer Blick auf die Mikroebene und die Denk- und Handlungsmuster konkreter historischer Akteure zeigt, dass die Darstellung unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten gerade durch eine detaillierte Beschreibung einer lokalen Gemeinschaft zum besseren Verständnis der Verhältnisse in der Region für die Zeit zwischen den Weltkriegen beitragen kann. Deshalb wird im folgenden Kapitel der Studie eine mikrogeschichtliche Analyse zweier 325 Proboszcz Kulig do Kurii Biskupiej w Katowicach 24 czerwca 1936: AAKat, AL Orzesze, Bd. 2, Bl. 70.

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Kirchliche Feiern

ausgewählter katholischer Pfarrgemeinden aus dem polnischen und deutschen Teil Oberschlesiens durchgeführt. Dabei wird versucht werden, die Beziehungen zwischen Religion und Nationalismus und nicht zuletzt die Aneignung nationaler Ideologien sowie den Eigensinn historischer Akteure vor dem Zweiten Weltkrieg synchron und diachron darzustellen.

5.

Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse auf der Mikroebene

Die Abstimmungszeit führte 1921 dazu, dass beinahe die gesamte Bevölkerung Oberschlesiens zur Beantwortung einer Frage politisch mobilisiert wurde, die primär in Kategorien einer ‚nationalen‘ Entscheidung aufgefasst wurde. In diesem Kapitel der Untersuchung wird daher überprüft, welche Auswirkungen die nationalpolitische Mobilisierung auf die Vorstellungswelt der Einwohner der 1922 geteilten Region hatte. Es wird durchgehend danach gefragt, welche sozialen Bindungskräfte den oberschlesischen Alltag bestimmten und welche Rolle insbesondere die nationale Ideologie in den 1920er und 1930er Jahren auf beiden Seiten der Grenze spielte. Dieser Fragestellung wird anhand eines mikrogeschichtlichen Vergleichs zweier oberschlesischer Pfarrgemeinden nachgegangen. Dieser methodische Zugang wird es erlauben, die oberschlesischen Akteure in ihren verschiedenen Lebenswirklichkeiten konkret fassbar werden zu lassen. Durch eine detaillierte mikrohistorische Analyse der Aneignungs- und Ablehnungsstrategien wird die Durchsetzungskraft von Politisierungs- und Nationalisierungsprozessen in einem für das Europa vor dem Zweiten Weltkrieg typischen Zwischenraum erhellt. Zum mikrogeschichtlichen Vergleich werden zwei Ortschaften mit ihren katholischen Pfarrgemeinden ausgewählt. Im ersten Schritt wird das fast 14.000 Einwohner zählende Bielschowitz, im Herzen des polnischen Teils des Industriebezirks gelegen und ein für das oberschlesische Kohlerevier typisches Industriedorf, aus nächster Nähe betrachtet. Anschließend steht das durchaus ländlich geprägte Bierdzan im Zentrum der Untersuchung, ein typisches, mit knapp tausend Einwohnern kleines Dorf mit einer überwältigenden Mehrheit slawophoner einheimischer Einwohner, das unweit von Oppeln im deutschen Teil Oberschlesiens lag. Dem Verfasser ist es dabei bewusst, dass eine Gegenüberstellung zweier im Hinblick auf die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung ähnlicherer Pfarrgemeinden aus einem Verwaltungskreis, der durch die Grenzziehung 1922 zwischen Deutschland und Polen geteilt wurde, aussagekräftiger ausfallen könnte. Dies könnte beispielsweise im Fall Bielschowitz, das im polnisch gewordenen Restkreis Hindenburg O.S. lag, durch einen Vergleich mit einer Gemeinde aus der benachbarten preußischen Verwaltungseinheit versucht werden. Aber aufgrund mangelnder Quellenüberlieferung, die eine vergleichbar dichte Beschreibung der für einen solchen Vergleich in Frage kommenden Ortschaften äußerst schwierig gestalten würde, musste diese methodisch an sich empfehlenswerte Vorgehensweise unterlassen werden. Aus dieser (Quellen)not wird im Folgenden eine Tugend gemacht und versucht, zwei in ihrer sozialen Struktur unterschiedliche Gemeinden zu vergleichen, um dadurch ein noch differenzierteres Bild der oberschlesischen Bevölkerung im Zeitalter der Intensivierung von Nationalisierungsprozessen zu zeichnen. Eine

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Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse

Darstellung Oberschlesiens, in der lediglich zwei Gemeinden aus dem Kohlerevier eingehend berücksichtigt und die ländlichen Gebiete außer Acht gelassen worden wären, wäre zudem unvollständig und würde die klischeehafte Vorstellung von einem ‚schwarzen‘ industrialisierten Oberschlesien zwangsweise verstärken. Die Untersuchung der beiden ausgewählten Orte stellt also einen Versuch dar, die in Oberschlesien vor dem Zweiten Weltkrieg zahlenmäßig dominierende einheimische slawophone Bevölkerung in ihren Denkmustern und Handlungsspielräumen und im Rahmen ihrer typischen Siedlungsstruktur, d. h. in einem bäuerlich geprägten Dorf und einem der zahlreichen Industriedörfer des Kohlereviers, in vielfältigen Facetten zu beschreiben. Die vorgenommene Aufteilung entspricht schließlich dem Charakter der oberschlesischen Subregionen: dem industriell geprägten Osten und dem ländlichen Westen.

5.1.

St. Maria Magdalena-Pfarrgemeinde in Bielschowitz (Wojewodschaft Schlesien)

Bielschowitz wurde im Herbst 1921 dem polnischen Teil Oberschlesiens zugeteilt und lag unweit von Hindenburg O.S. am südwestlichen Rand des polnischen Industriebezirks im Kreis Ruda bzw. nach dessen Auflösung 1924 im Kreis Kattowitz, nur wenige Kilometer entfernt von der neuen deutsch-polnischen Grenze. Die Gemeinde Bielschowitz war eine typische Industriesiedlung des oberschlesischen Kohlereviers und machte seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine für die Industriedörfer charakteristische Entwicklung durch. Noch im Jahr 1890 hatte sie nur knapp 4.000 Einwohner, 1905 waren es bereits über 10.000 und kurz vor dem Ersten Weltkrieg über 12.500.1 Wie aus der Beschreibung eines zugewanderten polnischen Lehrers zu erfahren ist, war das Bild der Ortschaft durch rote, unverputzte, „verkommene und verräucherte“ Häuser geprägt, die „aufeinander zu sitzen“ schienen.2 Sie seien zwei bis dreistöckig gewesen und hätten regelmäßig angeordnet entlang sorgfältig gepflasterter, oft asphaltierter Straßen gestanden. Die Landschaft hätten riesige Halden als Überreste längst geschlossener Bergwerke ergänzt. Nebenan hätten sich wiederum riesige Gruben „von unglaublicher Größe und Tiefe“ befunden, die durch die Tätigkeit zweier Ziegeleien entstanden seien. Über diese Gruben und Erdeinsenkungen hätten wiederum „die Arbeitslosen geherrscht und dort ihre ärmlichen Bergwerke platziert“. In Bielschowitz habe es im Vergleich zur Zahl der Menschen und Häuser nur sehr wenige Bäume gegeben, die darüber hinaus „ein erbärmliches Schicksal“ gehabt hätten.

1 2

Hojka, Zbigniew/Wawrzynek, Rafał: Parafia pod wezwaniem św. Marii Magdaleny w Bielszowicach, Ruda Śląska 2003, 67. Kopyciński, Czesław: Monografia klasy. In: Chowanna – Czasopismo pedagogiczne 5 (1934) 275–276.

St. Maria Magdalena-Pfarrgemeinde in Bielschowitz

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Das Industriedorf bestand aus vier Ortsteilen: Ortsmitte, Redendorf, Kolonie Bielschowitz und Piaski. In der Ortsmitte befanden sich alle örtlichen Ämter und das Bergwerk „Bielszowice“ (ehemalige Rheinbabenschächte). Dort lebte die große Mehrheit der örtlichen Inteligencja. Hier gab es auch „den Palast des Bergwerkdirektors“, der eine ähnliche Stellung in den oberschlesischen Industriedörfern einnahm wie der Gutshof in den Dörfern Ostelbiens oder in den ländlichen Regionen Polens. Der Palast habe jedoch nach Ansicht des zitierten polnischen Lehrers „keine Kultur oder Tradition ausgestrahlt“. Er sei lediglich neidisch bewundert worden, denn dort habe eben der reiche Beamte gelebt, der allerdings oft ausgetauscht worden sei. Piaski war eine landwirtschaftliche Gegend und zeugte davon, dass im industrialisierten Oberschlesien ländliche Ortsteile durchaus intakt geblieben waren. Die Kolonie Bielschowitz war wiederum eine zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandene Bergarbeitersiedlung am nördlichen Rand der Gemeinde. Ihre Bevölkerung war größtenteils arbeitslos, weil sie vor 1922 im 1,5 Kilometer entfernten Zaborze gearbeitet hatte, das in den 1920er und 1930er Jahren auf der deutschen Seite der Grenze lag. Viele dortige Einwohner wurden zu Grenzgängern und Schmugglern und kamen deshalb häufig in Konflikt mit dem Grenzschutz. Den vierten Ortsteil, Redendorf, bewohnten fast ausschließlich Berg- und Hüttenarbeiter, deren Leben sich auf die gruba (die Berggrube) und das werk (das Hüttenwerk) konzentrierte. Sie arbeiteten nämlich in dem in der Nachbargemeinde gelegenen Hüttenwerk „Pokój“ (ehemalige Friedenshütte) und Bergwerk „Litandra“ (ehemalige Lythandragrube), die Arbeitslosen wiederum in Schächten, die sie auf eigene Faust anlegten, in den sogenannten biedaszyby. In Redendorf wohnte fast die Hälfte der Einwohner von Bielschowitz, die Bevölkerungsdichte betrug tausend Einwohner pro Quadratkilometer oder sogar mehr. Die dortigen zwei- bis dreistöckigen Häuser waren alle im Besitz der erwähnten Berg- und Hüttenwerke. Diesem Ortsteil schrieb der zugewanderte Lehrer einen schlechten Ruf zu. Dort sollen nur chachary gewohnt haben, „die ärmsten Menschen, unter denen es oft zu Schlägereien, Überfällen und Unfällen“ gekommen sein soll.3 Den Dokumenten der bischöflichen Visitation in Bielschowitz aus dem Jahr 1927 kann entnommen werden, dass von den 13.900 Einwohnern lediglich 97 Protestanten und 14 Juden waren, die Katholiken bildeten demnach eine konfessionelle Mehrheit von über 99 Prozent.4 Laut der letzten preußischen Volkzählung von 1910 sprachen über zwei Drittel der Bielschowitzer polnisch.5 Während des Plebiszits stimmten 71 Prozent der Einwohner für den Anschluss an Polen und 29 Prozent für den Verbleib bei Deutschland.6 Diese Stimmenaufteilung deckte sich also in diesem Fall tatsächlich mit den Ergebnissen des preußischen Zensus, was 3 4 5 6

Ebd. Protokół wizytacji biskupiej z 12 czerwca 1927: AAKat, AL Bielszowice, Bd. 1, Bl. 138. Hojka/Wawrzynek: Parafia, 67. Ebd., 69.

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Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse

jedoch nicht notwendig von einer Übereinstimmung zwischen der Sprache und dem Wunsch nach staatlicher Zugehörigkeit zeugen musste. Die kirchliche Statistik aus dem Jahr 1928 liefert weitere Informationen über die Bielschowitzer. Der örtliche Pfarrer der St. Maria Magdalena-Gemeinde gab damals an, dass von 13.800 katholischen Seelen etwa 4.000 primär deutschsprachig seien, mit der üblichen Anmerkung: „fast alle germanisierte Polen“; und in Klammern setzte er dahinter die Zahl 200 für die deutschstämmige Bevölkerung.7 Acht Jahre später, 1936, und nach einem Wechsel im Pfarramt füllte der neue, polnischgesinnte Geistliche die Umfrageformulare ähnlich aus, nur dass die Zahl der Deutschen auf 196 gesunken war und „alle germanisierten Polen“ gleich in der Rubrik „polnische Katholiken“ eingetragen wurden.8 Hier ist nochmals daran zu erinnern, dass bei einer Untersuchung der Durchsetzungskraft von Nationalisierungsprozessen in einer oberschlesischen Pfarrgemeinde zwischen den seit einer oder zwei Generationen in Oberschlesien lebenden preußischen Beamten und Arbeitern sowie der alteingesessenen deutsch- und slawisch- bzw. polnischsprachigen Bevölkerung zu unterscheiden ist. Die zitierten statistischen Erhebungen geben leider auch keine Auskunft über die Zahl der neu hinzugezogenen Polen aus anderen Landesteilen, z. B. aus dem ehemaligen Kongresspolen oder aus Galizien. Der Anteil der polnischen Zuwanderer, wenn man sich an Durchschnittswerten für den polnischen Teil des Industriereviers orientiert, dürfte aber auch in Bielschowitz nicht allzu hoch ausfallen. Dennoch handelte es sich dabei zumeist um beruflich höher qualifizierte und besser ausgebildete Personen als die einheimischen slawophonen Einwohner. Sie übernahmen in der Regel Positionen in der öffentlichen Verwaltung, im Schul-, Gerichts- und Gesundheitswesen.9 Im Licht der beiden kirchlichen Statistiken von 1928 und 1936 kann weiterhin festgestellt werden, dass beinahe alle Gemeindeangehörigen der polnischen Sprache mächtig waren. Zudem ist zu vermuten, dass die polnische Sprache von den Einwohnern des Ortes im Einzelnen in recht unterschiedlichem Ausmaß beherrscht wurde und es der örtliche oberschlesische Dialekt war, der unabhängig von der nationalen oder politischen Orientierung im Alltag vorherrschte.10 Im Fall Bielschowitz handelt es sich demnach um ein einheimisches katholisches Milieu, das in vermeintlich ‚objektiver‘, sprachlich-ethnischer Hinsicht vorwiegend polnisch, aber nach den ‚subjektiven‘ Kriterien weitaus heterogener zusammengesetzt war.

7 8 9 10

Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 16f. Ebd., 192f. Vgl. Wanatowicz: Ludność napływowa. Alexander: Oberschlesien, 478.

St. Maria Magdalena-Pfarrgemeinde in Bielschowitz

5.1.1.

221

Die Bischofsfeier in Bielschowitz 1927

Die oben skizzierte sprachlich-ethnische Bevölkerungsstruktur muss auch für den örtlichen Pfarrer eine Herausforderung in dessen alltäglicher Seelsorge gewesen sein. Wie schwierig das Zusammenleben dieses heterogenen Milieus werden konnte, wurde während der Bischofsfeier 1927 sehr deutlich. Solche Feiern wurden im Lauf des Jahres in einer Reihe von oberschlesischen Pfarrgemeinden veranstaltet, um den neuen Kattowitzer Bischof zu begrüßen und sich unter seine Obhut zu begeben. Um sich besser vorstellen zu können, was der Einzug eines neuen Oberhirten für das tief religiöse Oberschlesien bedeutete und wie der neue Bischof in einzelnen Gemeinden begrüßt wurde, muss noch kurz auf den Empfang des neuen Bischofs in seiner Bistumsstadt zurückgeblickt werden, als im Spätherbst 1926 Arkadiusz Lisiecki den bischöflichen Sitz in Kattowitz übernahm. Seine Ankunft in Oberschlesien kann durchaus als das Ereignis des Jahres bezeichnet werden. Den nach Kattowitz reisenden Priester grüßten auf der ganzen Strecke geschmückte Bahnhöfe, illuminierte Gebäude, gleich ob private oder öffentliche, triumphale Ehrenpforten und in jeder Ortschaft warteten örtliche Vertreter der weltlichen und geistlichen Macht, Militärorchester und kirchliche Chöre wie auch unzählige Vereine mit ihren Fahnen und die Lehrerschaft mit der Schuljugend.11 Bischof Lisiecki bedankte sich überall bei den polnisch- und deutschsprachigen Katholiken für den außergewöhnlichen Empfang und segnete die ein enges Spalier formierenden Gläubigen, die ihn mit dem Läuten sämtlicher Kirchenglocken und pompöser Orchestermusik mit Hochrufen bejubelten. Am Abend fand vor dem Mariensanktuarium in Deutsch Piekar, dem wichtigsten Wallfahrtsort im östlichen Teil Oberschlesiens und der ersten Anlaufstation jedes neuen Kattowitzer Bischofs, ein spektakulärer Fackelzug statt, begleitet von Getöse der Böllerschüsse und Lichteffekten eines Feuerwerks. Die kraftvolle Kirchenhymne „Boże coś Polskę“ beendete den ersten Teil der Feierlichkeiten. Am nächsten Morgen zelebrierte Lisiecki einen deutschen und der Pelpliner Bischof Stanisław Okoniewski einen polnischen Gottesdienst. Anschließend begab sich der ganze Triumphzug nach Kattowitz, wobei der neue oberschlesische Seelsorger die letzten Kilometer in einem offenen Wagen zurücklegte und sich wieder von unzähligen Zuschauern bejubeln ließ. Schließlich wurde er vom Wojewoden, von den Vertretern des schlesischen Sejms, der Selbstverwaltung, der Armee und der deutschen Minderheit feierlich begrüßt. Nach einer polnischen und deutschen Rede des Bischofs wurde abschließend in der Kathedrale das gemeinsame „Te Deum“ und „Boże coś Polskę“ gesungen. Der feierliche Einzug und die Konsekration des neuen Bischofs hatten also eine durchaus integrative soziale Wirkung und verbanden auf positivem Weg die Katholiken sowohl polnischer als auch deutscher Zunge. Die Person des Oberhirten ver11 Ausführlich berichtete darüber unter anderem die Wochenzeitung der Kurie „Gość Niedzielny“ (Nr. 45/1926) und ihr deutschsprachiges Pendant „Der Sonntagsbote“ (Nr. 45/1926).

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Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse

einigte die oberschlesische Bevölkerung, auch wenn man nicht vergessen darf, dass die wenigen Protestanten, Juden und Orthodoxen vom katholischen Integrationsprozess ausnahmslos ausgeschlossen blieben. Trotzdem muss man feststellen, dass das kirchliche Oberhaupt Ostoberschlesiens eine fast die gesamte Region umfassende und durch kirchlich-religiöse Legitimation gestützte herausragende Stellung und Autorität besaß. Die Analyse einer Reihe von Ereignissen auf lokaler Ebene wird es jedoch ermöglichen, die Gefahren, denen die sozial verbindende Position der Kirche im nationalpolitisch inhomogenen Oberschlesien ausgesetzt war, näher zu betrachten. Im Lauf des Jahres 1927 besuchte der neue Oberhirt mehrere Pfarrgemeinden, wo ihn ein ähnlich herzlicher Empfang erwartete. Auf seiner Firmungsreise sollte er unter anderem vom 10. bis 12. Juni auch nach Bielschowitz kommen. Noch kurz vor dem Bischofsbesuch war es jedoch in der St. Maria Magdalena-Pfarrgemeinde zu einem Zwischenfall gekommen, den nationalistisch orientierte Einwohner verursacht hatten. Am 24. April nahmen etwa 300 Personen an einer vom „Verband deutscher Katholiken“ organisierten Papstfeier teil, die alljährlich aus Anlass der Papstwahl organisiert wurde. Der Inhalt der Feier wurde in nationalpolitischer Hinsicht harmlos gestaltet und bestand aus Ansprachen über das Leben und Wirken des vatikanischen Oberhauptes, die keine politischen Anspielungen beinhalteten.12 Dessen ungeachtet drangen im Lauf der Feier ungefähr 30 Personen ein, die meisten von ihnen ehemalige Aufständische, die das antideutsche polnische Lied „Rota“ absangen und schließlich ein vorzeitiges Ende der Veranstaltung herbeiführten. Die Wojewodschaftsbehörde verurteilte den nationalistischen Exzess nicht, sondern verteidigte die Veranstaltungsstörer in der eigenen Presse.13 Dies ermutigte die örtlichen ehemaligen Aufständischen zu weiteren Aktionen während der Bischofsfeier im Juni. Am Samstag, dem 10. Juni, wurde Arkadiusz Lisiecki von den polnischsprachigen Gemeindemitgliedern feierlich begrüßt, am Sonntag um 8 Uhr wiederum sollte die im Festprogramm vorgesehene, besondere Huldigung der deutschsprachigen Katholiken aus Bielschowitz stattfinden. Dabei kam es zu Ereignissen, die ein breites Echo in Oberschlesien hervorriefen.14 So sollen die deutsch12 Tygodniowe sprawozdania sytuacyjne z 29 kwietnia 1927: APKat, UWŚl, Wydział Społecznopolityczny 561, Bl. 22. 13 Polska Zachodnia 108 vom 12. Mai 1927. 14 Die Schilderung der Ereignisse nach einer Abschrift der Zeitung „Germania“ vom 14. Juni 1927. In: Stimmungsberichte Juni 1927–März 1928: PAAA, Abt. IV, Innere Politik 82899 [unpag.]. Die Berichterstattung der oberschlesischen Blätter wurde zensiert, so dass nichtoberschlesische Zeitungen wie „Germania“ (Erscheinungsort: Breslau) oder „Kurier Poznański“ zu Hilfe gezogen werden müssen. Vgl. „Polonia“, „Oberschlesischer Kurier“ oder „Ilustrowany Kurier Codzienny“, der zwar in Oberschlesien konfisziert wurde, aber außerhalb der Region erhältlich war. Die Beschreibung der Feier in „Polska Zachodnia“ (135 vom 16. Juni 1927 und 137 vom 18. Juni 1927) dürfte angesichts des politischen Engagements und der

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sprachigen Katholiken mit ihren Vertretern durch bewaffnete uniformierte Aufständische, die dort „Ehrenwache“ hielten, auf dem Weg zum Pfarrhaus „mit vorgehaltenen Gewehren“ aufgehalten worden sein. Auf Vorhaltungen hätten die Aufständischen erklärt, dass sie „von oben strengen Befehl erhalten“ hätten, jede deutsche Kundgebung zu verhindern. Das Eingreifen des Ortspfarrers Franz Buschmann, der darauf hingewiesen habe, die Aufständischen seien „auf kirchlichem Grund und Boden“ und hätten daher „keinerlei Befugnisse“, soll erfolglos geblieben sein. Mit gleichem Misserfolg hätten „die wiederholten, dringenden Vorstellungen“ des geistlichen Sekretärs des Bischofs geendet, der im Namen des Bischofs die Aufständischen ersucht habe, den Huldigungsakt nicht zu stören. Selbst als er erklärt habe, dass der Bischof den Ort sofort verlassen werde, wenn sich die Aufständischen nicht von der entwürdigenden „Bewachung“ zurückziehen würden, habe er nur die unverschämte Antwort erhalten: „So möge er eben abfahren.“ Ein Vertreter der deutschen Katholiken, ein älterer Herr, der mit seiner Tochter zum Pfarrhaus vorzudringen versuchte, soll in brutaler Weise geschlagen worden sein, und zwar in Gegenwart des bischöflichen Sekretärs, der völlig machtlos habe zusehen müssen. Den geschilderten Ablauf der Ereignisse in Bielschowitz bestätigte auch ein spezieller Bericht einer Sonderkommission des schlesischen Sejms, die wegen mehrerer Zwischenfälle, die in Verbindung mit den ehemaligen Aufständischen gebracht werden konnten, einberufen worden war. Die Berichterstatter betonten darin, dass „auf Empfehlung der bischöflichen Kurie dem schlesischen Volke oftmals von der Kanzel aus“ gesagt worden sei, dass jedes Gemeindemitglied, „gleich welcher Nation er sich zugehörig fühle“, das Recht habe, an den Bischof heranzutreten.15 Dessen ungeachtet hätten die Aufständischen den Zugang zum Bischof versperrt und von den deutschsprachigen Katholiken des Ortes „Passierscheine“ verlangt. Die betroffenen Gläubigen seien sogar bereit gewesen, sich die verlangten przepustki zu beschaffen, was allerdings erfolglos geblieben sei. Der bischöfliche Sekretär habe versucht, die Aufständischen zu überzeugen, dass zum Bischof jeder Katholik „ohne Rücksicht auf seine Sprache“ Zutritt habe. Er habe sie außerdem gebeten, keine Ausschreitungen herbeizuführen. Nach dem fruchtlosen Hin und Her habe Pfarrer Buschmann den Bischof schließlich gebeten, ihm zu gestatten, die deutschsprachigen Gemeindemitglieder dazu zu bewegen, von der geplanten Ehrerbietung abzusehen, um weitere Ausschreitungen zu vermeiden. Allerdings habe sich der Bischof kategorisch dagegen ausgesprochen und gegen die Ausschreitungen protestiert.16 Inzwischen rief der bischöfliche Kaplan Namysł die Polizei und den Wojewoden an. Durch das folgende Eingreifen der Ortspolizei hätten sich die Aufstänunmittelbaren Involvierung der Aufständischen in den Zwischenfall nicht glaubwürdig sein. Vgl. Macała: Duszpasterstwo, 62f. 15 Stimmungsberichte Juni 1927–März 1928: PAAA, Abt. IV, Innere Politik 82899 [unpag.]. 16 Ebd.

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dischen schließlich zum Rückzug bewegen lassen, so dass mit erheblicher Verspätung der Empfang der deutschsprachigen Gemeindemitglieder doch noch habe stattfinden können. Der Bischof habe sich „für die Ansprache und die Gesänge auf das Herzlichste“ bedankt und am Schluss den bischöflichen Segen erteilt.17 Hierzu schrieben die Parlamentarier, dass der Bischof die deutsche Delegation genauso wie die polnische empfangen habe und anschließend aus Bielschowitz abgereist sei, um nicht mit den berittenen Aufständischen zusammenzukommen, die ihn auf dem weiteren Weg hätten begleiten wollen.18 Im Endeffekt verursachte die Störung der Bischofsfeier in Bielschowitz eine Intervention der Kattowitzer Kurie bei der Polizeidirektion. In einem Schreiben beschrieb Bischof Lisiecki den Zwischenfall – seine Schilderung bestätigt die Mitteilungen der Presse und der Sejmkommission – und verlangte mehr Aufsicht und Bestrafung der Schuldigen.19 Im Kontext der bischöflichen Aufforderung darf jedoch vermutet werden, dass eine Fahndung nach den Tätern nicht unbedingt erfolgte. Die Beteiligten rekrutierten sich ja aus einem Milieu, das nach dem Maiputsch von 1926 und der Ernennung Michał Grażyńskis zum schlesischen Wojewoden die Stütze der neuen Machthaber in Oberschlesien bildete. So strebten sowohl die Mitglieder der Aufständischenverbände als auch der aus Galizien stammende ehemalige Kommandant des dritten Aufstands eine kompromisslose Vereinigung Oberschlesiens mit dem polnischen Staat an. Dies schlug sich sofort in mehreren Gewaltakten der ehemaligen Aufständischen gegen die deutsche Minderheit und die Oppositionsparteien nieder, vor allem gegen die von Wojciech Korfanty geleitete Christliche Demokratie. Die bis dahin in Oberschlesien regierenden Christdemokraten befürworteten nämlich eine Respektierung der Minderheitenrechte und sprachen sich zugleich für eine oberschlesische Autonomie und die Bewahrung der oberschlesischen, von der katholischen Kirchlichkeit dominierten Regionalkultur aus. Diese politische Zielsetzung erschien den nationalistisch handelnden Sanacja-Anhängern in Oberschlesien als zu defensiv und den in ihren Augen ungünstigen nationalpolitischen status quo fördernd. Spätestens 1927 kam es also zu einer politischen Wende in Oberschlesien. Die ehemaligen Aufständischen wurden ermutigt, die bestehenden nationalen und sozialen Verhältnisse im eigenen Sinn zu berichtigen. Die Bielschowitzer Bischofsfeier lässt zudem erkennen, dass in erster Linie nicht die 200 im engeren Sinn deutschstämmigen Bewohner angegriffen wurden. Das Augenmerk der Drahtzieher richtete sich eher gegen die subjektiv deutschgesinnten Einwohner, die in der kirchlichen Statistik meist als „germanisierte Polen“ bezeichnet wurden. Dem zielstrebigen Vorgehen, diese „Renegaten“ und „Verräter“ der Nation zu bekämpfen, 17 Germania vom 14. Juni 1927. 18 Stimmungsberichte Juni 1927–März 1928: PAAA, Abt. IV, Innere Politik 82899 [unpag.]. 19 Biskup katowicki Lisiecki do dyrektora Policji w Katowicach 15 czerwca 1927: AAKat, Towarzystwa Świeckie, Bd. 1, Bl. 121.

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maßen sie einen höheren Rang bei als dem katholischen Glauben, so dass die nationalistischen Auseinandersetzungen auch den kirchlichen Raum erfassten. Die nationalpolitischen Ziele der ehemaligen Aufstandskämpfer konnten gerade bei den Feiern, die derart öffentlich exponiert waren und die ganze örtliche Bevölkerung versammelten, zur Schau gestellt werden und durch die Intensität des Rituals an Brisanz gewinnen. Die gestörte Bischofsfeier in Bielschowitz ist dabei ein Beispiel für das nationalistische Exklusivitätsdenken, das sogar im kirchlichen Raum auf die Anwendung von Gewaltmitteln nicht verzichtete. Dies stellt die von den Akteuren deklarierte Religiosität in Frage; es scheint eher, dass der katholische Glaube nur ein konventioneller Ausdruck des polnischen Nationalismus bei einem Großteil der ehemaligen Aufstandskämpfer war. Dementsprechend groß war die Empörung des Kattowitzer Bischofs und des polnischen Episkopats, die zwar ihre seelsorgerische Botschaft in Verbindung mit einem polnischen Patriotismus begriffen, aber nicht bereit waren, über diese Grenzen hinauszugehen. Wenn ein solcher Grenzübertritt vom Patriotismus zum nationalistischen Exklusivitätsdenken vorkam und dazu noch mit der Berufung auf eine polnisch-katholische Wertegemeinschaft begründet wurde, wie dies in Bielschowitz der Fall war, nutzte die Kirche diese Gelegenheit, dem aggressiven Nationalismus die Grenzen aufzuweisen, über die dieser nicht hinausgehen durfte, ohne die Kirche gegen sich aufzubringen.20 Vor dem Hintergrund des gesellschaftspolitischen Ringens zwischen der Kurie und dem Wojewodschaftsamt soll im Folgenden die Aufmerksamkeit wieder auf die lokale Ebene der Pfarrgemeinde gerichtet und untersucht werden, wie sich die Erfahrungshorizonte der vor Ort handelnden Akteure gestalteten. Ein Blick in die lokalen Akten der Pfarrgemeinde Bielschowitz erlaubt es dabei, zusätzliche Informationen über die Genese der Auseinandersetzung zu gewinnen, die bei der Bischofsfeier 1927 ihren ersten Höhepunkt erreichte. Pfarrer Franz Buschmann, geboren 1876 in Himmelwitz, Kreis Groß Strehlitz, in einer oberschlesischen Bauernfamilie, setzte sich gleich nach seiner Amtsübernahme 1911 energisch für die Entwicklung des religiösen Lebens in Bielschowitz ein. Zu diesem Zweck gründete er mehrere kirchliche – sowohl deutsch- als auch polnischsprachige – Organisationen und Vereine.21 Laut Zeitzeugenberichten weigerte er sich jedoch bis zum Ende des Weltkriegs, den Gottesdienst in polnischer Sprache zu halten, und votierte während des Plebiszits für Deutschland.22 Buschmann muss sich aber in dieser Zeit nur sehr begrenzt politisch engagiert haben, da er sich später zum Verlassen seiner polnisch gewordenen Pfarrgemeinde nicht ge-

20 Vgl. das erwähnte Schreiben des Bischofs an die Polizeidirektion und den schon genannten Artikel in „Kurier Poznański“ vom 16. Juni 1927 sowie einen Bericht des deutschen Konsuls in Posen. In: Stimmungsberichte Juni 1927–März 1928: PAAA, Abt. IV, Innere Politik 82899 [unpag.]. 21 Hojka/Wawrzynek: Parafia, 60–65. 22 Ebd., 60.

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zwungen sah – im Gegensatz zu vielen deutschgesinnten Priestern, die wegen einer intensiven nationalpolitischen Tätigkeit nach der Übernahme des ihr zugesprochenen Gebiets durch die Republik Polen weder von den polnischen Behörden noch von großen Teilen der Gemeindemitglieder weiter geduldet wurden. Buschmann hatte allerdings erklärte Feinde in seiner Gemeinde, die ihn ein Jahr nach der Übernahme des Gebiets durch den polnischen Staat angriffen. So erhielt die Apostolische Administratur in Kattowitz im August 1923 ein Schreiben aus Bielschowitz mit der Forderung, den Pfarrer Buschmann abzuberufen. Die Autoren warfen dem Geistlichen „Ignoranz gegenüber allem, was polnisch ist“, „offenkundige Verbrüderung mit den gebliebenen preußischen Hakatisten“, d. h. den Anhängern des deutsch-nationalistischen Ostmarkenvereins, und die „eigenwillige Bildung des kirchlichen Vorstands und der kirchlichen Gemeindevertretung, ohne Übereinstimmung mit der kirchlichen Gemeinde“, vor.23 Den Protest sollen über 4.000 bei einer Kundgebung versammelte Personen bewilligt haben. Darunter befanden sich die Unterschriften mehrerer polnischer Vereinsführer, sowohl von den weltlichen Organisationen wie dem „Verband zur Verteidigung der Westmarken“ oder dem „Verband der Schlesischen Aufständischen“ als auch von den im kirchlichen Rahmen aktiven Gruppen wie z. B. dem polnischen Kirchenchor in Bielschowitz. Ferner ging das Schreiben auch an das Wojewodschaftsamt. Die Reaktion der Behörde zielte aber im Rahmen der schon erwähnten Politik der Christdemokraten auf eine Deeskalation des Konflikts und entsprach nicht den Vorstellungen der Bittsteller.24 Der angeblich bestehende Konsens der polnischen Gemeindemitglieder hinsichtlich der Ablehnung der deutschen Minderheit, an deren Spitze Pfarrer Buschmann stehen sollte, wird durch mehrere Briefe aus Bielschowitz an den Apostolischen Administrator August Hlond stark relativiert. Drei Tage nach der Kundgebung erhielt der Oberhirte Schreiben von der Vorsitzenden der „Marianischen Kongregation“ und von der Leiterin des „Polinnenvereins“, in denen sie ihre Unterschriften unter der Abberufungsforderung rückgängig machen wollten, weil sie zu dieser Aktion gezwungen bzw. über den Protest falsch informiert worden seien.25 Gleichzeitig bekam Hlond einen Brief von einem „einfachen Arbeiter an der Grube in Bielschowitz“, der die Vorwürfe gegen Buschmann abwehrte.26 Er schrieb, dass an der Versammlung, die als „Kundgebung der polnischen Katholiken“ angekündigt worden war, zwar etwa 3.000 Personen teilgenommen hätten, aber nur 23 Związek Towarzystw Polskich w Bielszowicach do Administratora Apostolskiego Augusta Hlonda 24 sierpnia 1923: AAKat, AL Bielszowice, Bd. 1, Bl. 65f. 24 Ebd. 25 Przewodnicząca Kongregacji Mariańskiej Panien, Wiktoria Grycmanowa, do Administratora Apostolskiego Augusta Hlonda 28 sierpnia 1923: ebd., Bl. 69–71; Przewodnicząca Towarzystwa Polek z Pniaków, Ema Burdowa, do Administratora Apostolskiego Augusta Hlonda 7 września 1923: ebd., Bl. 82. 26 Górnik Jan Połyk do Administratora Apostolskiego Augusta Hlonda 31 sierpnia 1923: ebd., Bl. 72f.

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weil sie wichtige Informationen über den in Kürze stattfindenden Katholikentag erwartet hätten. Im Lauf der Zusammenkunft sei der Pfarrer dann allerdings mehrmals beleidigt und das Publikum gegen ihn aufgehetzt worden. Anschließend seien die Unterschriften unter die Resolution mit Einreden und Drohungen erzwungen worden. Der Autor des Briefes schätzte den Anteil der Gemeindeangehörigen, die sich ein Ausscheiden des Pfarrers nicht wirklich gewünscht hätten, auf drei Viertel ein. Im September wurde die Kurie mit mehreren Unterschriftenlisten regelrecht überflutet, in denen sich der „Verein Christlicher Mütter“, die „Marianische Kongregation“ und die „Bürgerinnen und Bürger aus Bielschowitz“ für ihren Gemeindehirten einsetzten und die Initiative zur Konfrontation eindeutig den ehemaligen Aufständischen und dem Westmarkenverein zuschrieben.27 Parallel dazu lief eine Kampagne in der Presse, aus der eine wichtige Notiz über den Protest des „Vereins Christlicher Mütter“ hervorgehoben werden muss. Darin ist zu lesen, die von den ehemaligen Aufständischen organisierte Kundgebung habe ein Flüchtling geleitet, der erst seit einem Jahr Angehöriger der Pfarrgemeinde sei. Ihm wurde von den Vertreterinnen der „Christlichen Mütter“ angeraten, er solle still bleiben und die Leute nicht gegen den Pfarrer aufhetzen. Außerdem wurde er darauf hingewiesen, dass man in Bielschowitz nicht in Deutschland sei, wo die polnischen Priester verfolgt und sogar ermordet würden. Die Autorinnen des Briefes betonten, dass sie „als Polinnen“ solches in ihrer Gemeinde nicht zulassen könnten. Zudem brachten sie zum Ausdruck, dass sie sich für „ungestüme Personen“ geschämt hätten, die den Pfarrer „völlig unvernünftig und abscheulich“ beschimpft und den Leuten gedroht hätten, die sich für den Pfarrer eingesetzt hätten.28 Schließlich erklärten sie, dass sie „weder Deutsche noch fanatische Lutheranerinnen, sondern katholische Polinnen“ seien.29 Eine solche Argumentation der Vereinsmitglieder lässt vermuten, dass das konfessionelle Denk- und Identifikationsmuster einen erstrangigen Platz bei ihnen einnahm, die betonte Zugehörigkeit zur polnischen Nation dagegen nur eine ergänzende Komponente darstellte. In der Auseinandersetzung um den Pfarrer versuchten beide Seiten, die Glaubwürdigkeit des Gegners in Frage zu stellen. So erfährt man, dass zwei ‚BuschmannAktivistinnen‘ „nicht mit Ehemännern zusammenleben“,30 die ‚Buschmann-Gegner‘ wiederum nur selten zur Kirche gingen, wenig religiös seien und eine rücksichtslose Politik in die Kirche hineinbringen wollten.31 Solche Arten der Argumentation lassen erneut die typischen Denkmuster der Bielschowitzer sichtbar

27 28 29 30 31

Vgl. ebd., Bl. 83f., 91–93, 98–111. Katolik Codzienny vom 13. September 1923. Gazeta Ludowa vom 18. September 1923. Anonym [ohne Datum]: AAKat, AL Bielszowice, Bd. 1, Bl. 115. Korporacje kościelne z Bielszowic do Administratora Apostolskiego Augusta Hlonda 7 listopada 1923: ebd., Bl. 76.

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werden, die trotz der nationalistisch aufgeladenen Auseinandersetzung althergebrachten religiös-moralischen Kategorien verhaftet blieben. Außerdem würde der Vorwurf einer mit der katholischen Lehre wenig konformen Haltung eines Teils der oberschlesischen Bevölkerung, vor allem der polnischgesinnten Anführer der Nationalisierungskampagne, die oben bereits aufgestellte These bestätigen, dass der Katholizismus dieser Personen nur ein konventioneller Ausdruck ihres Nationalismus und nicht echter Religiosität war. Die Situation in Bielschowitz spitzte sich im Sommer 1923 dermaßen zu, dass August Hlond dem Pfarrer von Eichenau den Auftrag gab, „die Missverständnisse zwischen dem hochwürdigen Pfarrer Buschmann und einem Teil seiner Gemeindemitglieder“ zu untersuchen und zu klären.32 Der Vermittler erfüllte seine Aufgabe und trug zu einem Kompromiss bei. Der 30–köpfige Pfarrgemeinderat wurde durch acht Mitglieder der polnischen Vereine ergänzt und der bisherige Vikar durch einen „tüchtigen polnischen Kaplan“ ersetzt.33 Die Vertreter der polnischen Verbände gaben sich daraufhin zufrieden, dass der Zugang zum kirchlichen Vorstand für die Personen, die sich „in Arbeiten auf dem nationalen Feld“ engagierten, geöffnet und der Weg zur „Erlangung der von Bismarck entzogenen Rechte“ frei gegeben worden sei.34 Die Kirche wiederum bewies auf diese Weise, dass sie sich dem Druck der weltlichen Organisationen nicht beugte und über die Personalwechsel in einer Pfarrei allein nach eigenem Gutdünken entschied. Dass sich aber die Gemüter nur für wenige Jahre beruhigen ließen, sollte die eingangs geschilderte Bischofsfeier von 1927 zeigen. Die unverkennbare Polarisierung erfasste jedoch nicht nur die weltlichen Mitglieder der St. Maria Magdalena-Gemeinde, sondern auch den dortigen Klerus. In einer bevölkerungsreichen Gemeinde wie der Bielschowitzer musste der Pfarrer in seiner alltäglichen Seelsorge von Vikaren unterstützt werden. An der Seite Pfarrer Buschmanns stand seit Sommer 1924 Michał Brzoza, ein junger Priester, der schnell in einen Konflikt mit seinem Vorgesetzten geraten sollte. Buschmann hatte nämlich kein Verständnis für das politische Engagement seines Vikars, das sich in glühenden patriotischen Reden und Predigten artikulierte. Die Auseinandersetzung im Pfarrhaus erreichte vor den Kommunalwahlen im November 1926 ihren Höhepunkt. Brzoza beteiligte sich äußerst aktiv an der Wahlkampagne der polnischen Christdemokraten, was den älteren, apolitischen Geistlichen verärgerte. Schließlich wurde Brzoza von Bischof Lisiecki in eine andere Pfarrei versetzt, um einer weiteren Eskalation des Konflikts und seiner Übertragung auf die Gemeinde-

32 Administrator Apostolski August Hlond do proboszcza Wawrzyńca Puchra w Dąbrówce Małej 6 października 1923: ebd., Bl. 68. 33 Proboszcz Wawrzyniec Pucher w Dąbrówce Małej do Administratora Apostolskiego Augusta Hlonda w Katowicach 24 stycznia 1924: ebd., Bl. 78. 34 Delegaci Związku Towarzystw Polskich w Bielszowicach do Związku Towarzystw Polskich tamże 13 grudnia 1923: ebd., Bl. 80.

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mitglieder vorzubeugen. Diese Entscheidung trug jedoch zu weiterem Unmut eines Teils der Gemeindemitglieder bei, die im politisch engagierten Vikar „die einzige Stütze der katholischen Bevölkerung und der gesamten katholisch-nationalen Bewegung in Bielschowitz“ gesehen hatten.35 Abgesehen von weiteren Einzelereignissen wird so erneut ein Generationenkonflikt in den Reihen des oberschlesischen Klerus sichtbar. Was bereits anhand von Beispielen aus anderen großen Gemeinden, vor allem aus dem polnischen Teil des Kohlereviers, deutlich wurde, bestätigt sich auch in Bielschowitz: Die älteren, noch Ende des 19. Jahrhunderts ausgebildeten Priester verhielten sich in der Regel apolitischer als die jüngere Generation der oberschlesischen geistlichen Elite, die in der heißesten Phase der nationalpolitischen Konflikte kurz vor oder nach dem Ersten Weltkrieg herangewachsen war. Vor dem Hintergrund der langjährigen Auseinandersetzung in der Gemeinde Bielschowitz erscheinen die Ausschreitungen bei der Bischofsfeier im neuen Licht. Buschmann, der schon 1911 das Pfarramt übernommen hatte, hatte offensichtlich bis zur Teilung Oberschlesiens verhindert, dass die polnischen Nationalisten einen Platz im kirchlichen Vorstand erhielten. Zu einer Konfrontation aus nationalpolitischen Gründen kam es indes erst nach der Übernahme der Staatshoheit durch Polen, wobei sich der Konflikt vorwiegend unter den einheimischen slawophonen Oberschlesiern abspielte. Auf der einen Seite wurde 1923 die Zahl der polnisch orientierten Gemeindemitglieder von diesen selbst auf 4.000 (etwa 30 Prozent der Bewohner) geschätzt, was es erlaubt, diese als die maximale Anzahl der mehr oder weniger polnischgesinnten Bielschowitzer zu betrachten. Auf der anderen Seite wurde der Anteil der nicht nach nationalistischen Mustern handelnden Einwohner, die gegen eine stärkere Einflussnahme der polnisch orientierten Nationalisten auftraten, von einem Gemeindemitglied auf drei Viertel geschätzt, was wiederum als Maximalangabe angesehen werden darf. Hier sei nun noch einmal das Bielschowitzer Abstimmungsergebnis von 1921 in Erinnerung gerufen, bei dem über 70 Prozent der Einwohner für Polen und fast 30 Prozent für Deutschland abgestimmt hatten. Zwei Jahre später indes lag demnach der Anteil der aktiv oder zumindest passiv polnischgesinnten Bewohner im höchsten Fall bei 30 Prozent und die Zahl der Katholiken, die den deutsch orientierten Pfarrer unterstützten, war jedenfalls deutlich größer. Dies verdeutlicht erneut, dass die nationalistisch gedeuteten Unterschiede im Bielschowitzer Alltag weniger Gewicht besaßen als ein kirchlich-katholisch grundiertes Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich im Rahmen der lokalen Gemeinschaft ausdrückte und auf die Zugehörigkeit zur ‚eigenen‘ Pfarrgemeinde stützte. Eine weitere wichtige Auskunft über die Denk- und Verhaltensmuster der Einwohner von Bielschowitz geben uns die Wahlergebnisse. Einige Monate vor der 35 Związek Towarzystw Polskich w Bielszowicach do Kurii Biskupiej w Katowicach 20 listopada 1927: AAKat, Akta obsadzenia parafii bielszowickiej 1890–1940, Bd. 1 [unpag].

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ersten Auseinandersetzung um den Pfarrer fanden politische Wahlen sowohl für das regionale (September 1922) als auch für das gesamtpolnische Parlament (November 1922) statt. In beiden Fällen teilte sich die Masse der Stimmen auf zwischen den Christdemokraten (ChD – 34,8 und 35,1 Prozent), die eine Allianz mit kleineren polnisch-nationalen Gruppierungen eingegangen waren, den polnischen Sozialisten (PPS – 34,1 und 33,2 Prozent) und der Nationalen Arbeiterpartei (NPR – 24,3 und 23,8 Prozent). Die deutschen Parteien erhielten lediglich 2,3 bzw. 5,8 Prozent der Stimmen und erlebten so in Bielschowitz ein Debakel – auf der Wojewodschaftsebene schnitten die Katholische Volkspartei, die Deutsche Partei und die Deutsche Sozialistische Partei mit Stimmenanteilen von 11,9 bzw. 29,2 Prozent eindeutig besser ab.36 Anhand der angeführten Wahlstatistik wird deutlich, dass die explizit nationalen Parteien eine unbedeutende Rolle in Bielschowitz spielten. Die polnischen Nationalisten waren sogar gezwungen gewesen, mit den Christdemokraten zu koalieren, um den Einzug ins Parlament nicht zu gefährden; die Deutsche Partei wiederum erhielt bei den Septemberwahlen magere sieben Stimmen. Zwei andere politische Optionen bekamen den Vorrang in Bielschowitz: Die Christdemokraten betonten in ihrem Programm die katholische Soziallehre und setzten sich für eine enge Verbindung der katholischen Kirche mit dem Staat ein. Sie unterstrichen ebenfalls nationalpatriotische Werteorientierungen, kritisierten jedoch den ausschließenden sprachlich-ethnischen Nationalismus als eine Ideologie, die mit der christlichen Ethik unvereinbar sei. Die Sozialisten erhielten aufgrund der sozialen Zusammensetzung der Bielschowitzer Bevölkerung ebenfalls starke Unterstützung. Die Nationale Arbeiterpartei hingegen versuchte in ihrem Programm, sowohl christliche als auch sozialistische Akzente zu setzen, und wurde schließlich zur drittstärksten Kraft. Die Stimmenverteilung unter den polnischen Parteien wiederholte sich, auch wenn in absoluten Zahlen in einem Miniaturmaß, bei den deutschen Gruppierungen: Das beste Resultat erreichte die Nachfolgerin des Zentrums, die Katholische Volkspartei, gefolgt von den deutschen Sozialisten; das Feld schloss die weit abgeschlagene nationalistische Deutsche Partei. Nach der Machtübernahme durch die Sanacja und einige Monate nach den Misshelligkeiten in der St. Maria Magdalena-Gemeinde stimmten die Bielschowitzer erneut bei politischen Wahlen ab. Im März 1928 wählten sie das polnische Parlament und ließen dabei auf den ersten Blick eine stark fortgeschrittene natio36 Angaben nach Niedurny, Marcin: Preferencje polityczne mieszkańców Rudy Śląskiej w dwudziestoleciu międzywojennym na przykładzie wyników wyborów parlamentarnych oraz do Sejmu Śląskiego. In: Rudzki rocznik muzealny (2003) 38–61, hier 42f. Die analysierten Ergebnisse auf der regionalen Ebene beziehen sich ausschließlich auf den ehemals preußischen Teil der Wojewodschaft ohne die Kreise Bielitz-Stadt und -Land sowie Teschen. Sie wurden ermittelt mit Hilfe von Pabisz, Jerzy: Wyniki wyborów parlamentarnych (do Senatu i Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej oraz do Sejmu Śląskiego) na terenie województwa śląskiego w latach 1919–1939. In: Galos/Popiołek (Hg.): Studia i materiały, 385–455, hier 414f.

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nale Polarisierung in der Gemeinde erkennen. Das Regierungslager, verstärkt durch die NPR, erhielt nun die Hälfte aller Stimmen. Die 1922 noch unbedeutenden deutschen Parteien andererseits wurden jetzt von einem Viertel der Bielschowitzer bevorzugt. Die wichtigsten Oppositionskräfte, PPS und ChD, mussten sich diesmal mit Stimmenanteilen von 13,3 bzw. 12,3 Prozent begnügen.37 Die Wahlen von 1928 gewannen demnach zwei Gruppen politischer Vereinigungen, die sich im offenen nationalpolitischen Streit befanden. Dies spiegelt sich auch in den Auseinandersetzungen um den deutsch orientierten Pfarrer Buschmann wider und scheint auf den ersten Blick darauf hinzuweisen, dass die nationalpolnische Option doch sehr attraktiv für die Bielschowitzer gewesen sein muss. Die nächsten Parlamentswahlen, die nur zwei bzw. zweieinhalb Jahre später durchgeführt wurden, lassen jedoch begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage aufkommen. 1930 wurde im März (Wahlen zum schlesischen Sejm) und im November (Wahlen zum polnischen Sejm) abgestimmt. Die Regierungsparteien erreichten in Bielschowitz bei der erstgenannten Wahl nicht einmal 20 Prozent der Stimmen, um sich am Ende des Jahres auf 33 Prozent zu verbessern. Die deutschen Parteien kamen im März insgesamt auf Stimmenanteile von über 36 Prozent, aber im November reduzierte sich ihr Ergebnis auf nur zehn Prozent. Diese ,deutschen‘ Verluste kamen vornehmlich den polnischen Christdemokraten zugute, die von neun Prozent im Frühjahr auf 38 Prozent bei den Herbstwahlen kletterten.38 Insgesamt gewannen jedoch sowohl im März als auch im November vor allem jene politischen Parteien, die sich auf die soziale Schieflage der einheimischen Bevölkerung konzentrierten und einen starken Gegensatz zu den zugewanderten Polen und der regierenden, antideutschen Sanacja betonten. Angesichts der angeführten quantitativen Daten zeichnet sich das Bild einer ‚konstanten‘ Unbeständigkeit der Bielschowitzer bei ihren politischen Entscheidungen ab. Dies war jedoch kein begrenztes, nur lokales Phänomen. Philipp Ther hat in Bezug auf das ganze an Polen gefallene Abstimmungsgebiet darauf hingewiesen, dass die deutschen Parteien bei manchen Wahlen deutlich mehr Stimmen bekamen, als es dem ‚deutschen‘ Bevölkerungsanteil entsprach; die Zahl ihrer Anhänger und die der deutsch-nationalen Kundgebungen ging jedoch immer dann spürbar zurück, wenn sich die wirtschaftliche Lage Polens stabilisierte.39 Die regionalund mikrogeschichtlich ermittelten Befunde stimmen demnach überein und zeugen von einer an der engeren Heimat ausgerichteten Identität, die meist das nur sekundäre und temporäre deutsche oder polnische Nationalbewusstsein in den Schatten stellte und eng mit dem katholischen Glauben verbunden war.

37 Niedurny: Preferencje polityczne, 48. 38 Ebd., 55f. 39 Ther: Schlesisch, deutsch oder polnisch?

232 5.1.2.

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Kirchliche Feiern und nationale Konflikte bis zur Abberufung Buschmanns

Das Jahr 1928 markierten weitere nationalistisch begründete Konfrontationen im kirchlichen Raum. Im Mai kam es zu Streitigkeiten um einen Gottesdienst bei der Einweihung einer polnisch-patriotischen Erinnerungstafel. Für die Bielschowitzer Aufständischen war es eine äußerst wichtige und prestigeträchtige Angelegenheit: Die Gedenktafel sollte an die Aufstandskämpfe und die gefallenen Kameraden im zentralen öffentlichen Raum der Ortschaft erinnern. Zur Enthüllung der Tafel wurden hochrangige prominente Vertreter der Wojewodschaftsbehörde eingeladen und der Wojewode Michał Grażyński hielt persönlich eine Festrede.40 Die Zeremonie fügte sich nahtlos in das politische Programm der schlesischen Sanacja ein und bekräftigte den mit Nachdruck propagierten Aufstandsmythos, mit dem Oberschlesien in die Tradition der großen polnischen Aufstände des 19. Jahrhunderts eingeordnet und dadurch zum festen Bestandteil der nationalen Geschichte und des nationalen Territoriums werden sollte. Buschmann weigerte sich jedoch, diese erinnerungspolitische Unternehmung zu unterstützen, und wurde von seinem Vikar vertreten. Die unmissverständlich ablehnende Haltung des Pfarrers gegenüber den polnisch-nationalistischen Anstrengungen eines Teils seiner Gemeindemitglieder regte die letzteren auf. Im Anschluss an die Zeremonie brachte der Vorsteher der Bielschowitzer Kommunalverwaltung eine Beschwerde bei der Kurie vor, in der er dem Pfarrer das Erheben eines überhöhten Betrags für den Einweihungsgottesdienst vorwarf.41 Schon einen Monat später kam es erneut zu einer Auseinandersetzung. Bei der Aufstellung der Prozessionsordnung der Verbände und Vereine für den Fronleichnamsumzug ignorierte der Pfarrer die Mitglieder der Gemeindeverwaltung.42 Wie bereits im Kapitel über die Fronleichnamsprozessionen ausführlich gezeigt wurde, gehörten die Corpus-Christi-Umzüge zu den wichtigsten Höhepunkten im Kirchenjahr und stellten nicht nur einen Akt der Gottesverehrung dar, sondern auch eine öffentliche Repräsentation des gesellschaftlichen Status der Teilnehmer. Demzufolge spielte die Aufstellung in der Prozessionsordnung eine wesentliche Rolle und die Nichtberücksichtigung der örtlichen Behördenvertreter machte diese, aber gleichzeitig auch deren Amt in den Augen der Gemeindemitglieder lächerlich. Insofern konnten dem Pfarrer Illoyalität und schädliche Tätigkeit gegenüber dem polnischen Staat vorgeworfen werden. Bei genauerer Betrachtung der Prozessionsordnung ist allerdings zu erkennen, dass andere Gruppierungen, die dem polnischgesinnten Milieu zugeschrieben werden können, wie der patriotische Turnverein 40 Bericht des Gleiwitzer Polizeipräsidenten vom 9. Mai 1928: APOp, OP 194 [unpag.]. 41 Naczelnik gminy Bielszowice, Olszowski, do Kurii Biskupiej w Katowicach 2 maja 1928: AAKat, AL Bielszowice, Bd. 1, Bl. 149. 42 Naczelnik gminy Bielszowice, Olszowski, do Kurii Biskupiej w Katowicach 16 sierpnia 1928: ebd., Bl. 161f.

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Sokół, der „Polinnenverein“ oder die „Vereinigung der polnisch-katholischen Jugend“ herausgehobene Plätze im feierlichen Umzug zugeteilt bekamen.43 Daraus kann gefolgert werden, dass nicht die polnisch-patriotische Orientierung der Festteilnehmer oder die Mitgliedschaft in einer kirchlichen Organisation mit Polnisch als Kommunikationssprache das ausschlaggebende Kriterium für den Pfarrer darstellte, sondern eher der Grad der Involvierung und des politisch aktiven Engagements in eine Polonisierungspolitik, die die Autorität des Pfarrers massiv in Frage stellte. Es wird hier allerdings auch sichtbar, dass auf der Seite des Pfarrers wenig Bereitschaft vorhanden war, die bestehenden Spannungen zu überbrücken und den Konflikt zu mildern. Im Gegenteil: Buschmann verschärfte die angespannte Lage mit seiner arbiträren und provozierenden Entscheidung. Bei seinem Kampf um die Wahrung seiner Autorität, seiner ‚Pfarrherrschaft‘, konnte er dennoch mit starker Unterstützung seitens eines großen Teils der Bielschowitzer rechnen. Denn diese würdigten wenig später die Verdienste Buschmanns für die Pfarrgemeinde während der Feier zu seinem 25–jährigen Priesterjubiläum. Laut Augenzeugenberichten versammelten sich bei dieser Gelegenheit am 30. Juni 1928 sowohl polnisch- als auch deutschsprachige Gemeindemitglieder in großer Menge.44 Die Reaktion der bei der Fronleichnamsprozession gedemütigten Beamten ließ allerdings ebenfalls nicht lange auf sich warten. Im August verbot die Polizeidirektion in Kattowitz einen von Pfarrer Buschmann und angeblich vom „Verband deutscher Katholiken“ vorbereiteten alljährlichen Pfarrgemeindeausflug mit der Begründung, dass dies die öffentliche Ordnung und Ruhe gefährde.45 Daraufhin beschwerten sich Buschmann und der kirchliche Vorstand bei der Kurie und argumentierten, dass der Ausflug für alle Gemeindemitglieder gedacht und sowohl beim polnischen als auch beim deutschen Gottesdienst angekündigt worden sei. Deshalb könne von einem „deutschen“ Ereignis nicht die Rede sein.46 Laut kirchlichem Vorstand fand schließlich der Ausflug von etwa tausend Personen in eigener Regie ohne Teilnahme des Pfarrers statt.47 Kurz danach erhielt der Kattowitzer Bischof eine Reihe von Beschwerdebriefen aus Bielschowitz, die von kirchlichen Organisationen verfasst worden waren. Der „Verein Christlicher Mütter“ betonte beispielsweise, dass am erwähnten Ausflug auch sämtliche polnischen Vereine hätten teilnehmen sollen und alle Gemeindemitglieder auch in polnischer Sprache eingeladen worden seien.48 Der Aus43 Odpis porządku procesji Bożego Ciała w Bielszowicach z 16 sierpnia 1928: ebd., Bl. 163. 44 Hojka/Wawrzynek: Parafia, 72, 77. 45 Zarządzenie dyrektora Policji w Katowicach, dr Wilhelma Seidlera, do proboszcza Franza Buschmanna w Bielszowicach 18 sierpnia 1928: AAKat, AL Bielszowice, Bd. 1, Bl. 154. 46 Proboszcz Franz Buschmann do Kurii Biskupiej w Katowicach 19 sierpnia 1928: ebd., Bl. 153. 47 Protokół zeznań członków zarządu kościelnego w Bielszowicach sporządzony w Kurii Biskupiej 20 sierpnia 1928: ebd., Bl. 155f. 48 Protest Stowarzyszenia Matek Chrześcijańskich w Bielszowicach do Kurii Biskupiej w Katowicach 24 sierpnia 1928: ebd, Bl. 160.

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flug habe nur zur Erholung dienen sollen. In diesem Zusammenhang baten die Protestierenden die bischöfliche Kurie dringend, „bei der Ausübung einer unbegrenzten Macht in der Gemeinde durch [ihre] Geistlichkeit zu helfen und die Einmischung der Polizei in das Gemeindeleben zu unterbinden“, und zwar mit der Begründung, dass „[ihr] heiliger katholischer Glaube“ und „[ihr] geliebtes Vaterland“, für das sie ihre Stimmen gegeben hätten, um „[ihren] heiligen Glauben“ bewahren zu können, „unter solchen Verboten leiden“. Die Frauen sahen im polizeilichen Ausflugsverbot „eine unerhörte Schikane und eine ungerechte Einschränkung“ ihrer Pfarrgemeinde- und Bürgerrechte. Daher sei „Empörung und Verbitterung“ unter den Mitgliedern groß, weil sie sich „als katholische Polinnen fühlen, die ihre Stimmen und Opfer für ihr geliebtes Vaterland mit Freude und nur wegen der Liebe zum heiligen katholischen Glauben“ abgegeben hätten. Daher hätten sie sich „in polnischer Hinsicht beleidigt und gedemütigt“ gefühlt, wenn sie „zu Deutschen degradiert werden sollen“. Schließlich verlangten sie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und dass „[ihre] polnische Gesinnung mit solchen Verboten nicht mehr erstickt“ werde.49 Anhand dieser Beschwerde ist zu sehen, dass das konfessionell geprägte Denkmuster stärkeren Einfluss auf die Lebensentscheidungen und die Lebenswelt der Autorinnen hatte als ihre nationale Gesinnung. Sie stellten sich zwar als „katholische Polinnen“ vor, aber die Bezeichnung „katholisch“ steht unangefochten an der ersten Stelle. Die Abstimmungsentscheidung wurde von ihnen in erster Linie nicht als eine Frage der Zugehörigkeit zur polnischen oder deutschen Nation wahrgenommen, sondern als Frage der besseren Bewahrung ihrer primären katholischen Lebenswelt. Die bekundete Verbundenheit mit der polnischen Nation scheint daher nur ein Teil und eine Folge ihres intensiven Katholizismus zu sein und konnte demnach sogar durch eine antikatholische und das Pfarrgemeindeleben beeinträchtigende Vorgehensweise der polnischen Behörden gefährdet werden, da dies zu einer Abschwächung der Identifikation mit Polen führen würde. In diesem Fall darf also der Katholizismus als die feste und tief verankerte primäre Größe, die nationale Identität hingegen als ein schwächer etablierter und zweitrangiger Faktor der Wir-Gruppen-Zugehörigkeit betrachtet werden. Dies bestätigt ferner auch die Forderung nach unbegrenzter Macht und souveräner Stellung des Pfarrers in der Gemeinde, auf deren eigenständiges Leben die weltliche Gewalt keinen Einfluss nehmen sollte. Es scheint, dass die Pfarrgemeinde den wichtigsten sozialen Bezug für die Vereinsmitglieder darstellte. Obwohl es der polnischen Seite 1921 mit der Abstimmungspropaganda offenbar erfolgreich gelungen war, den Katholizismus mit polnischer Gesinnung gleichzusetzen und das Deutschtum als eine dem „heiligen Glauben“ gegenüber feindlich eingestellte Macht darzustellen, gelang es nun nicht mehr, der Vorstellung von der Zugehörigkeit zu einer primär als national verstandenen Gemeinschaft eine erstrangige Position im Bewusstsein dieser Bielschowitzer 49 Ebd.

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Frauen zu verschaffen. Nach dem Ende der vom Nationalismus überformten Abstimmungszeit ließ sich also weiterhin ein Großteil der oberschlesischen Bevölkerung nicht auf das exklusiv-nationale Deutungsmuster ein und verharrte in seiner lokal geprägten und vom Katholizismus dominierten Vorstellungswelt. Im Bielschowitzer Fall machen sich auch geschlechtsspezifische Unterschiede bemerkbar. So kann festgestellt werden, dass die nationalistischen Aktivisten fast ausnahmslos männlich waren. In den Protestbriefen gegen Buschmann sowie in den oben vorgestellten Auseinandersetzungen im kirchlichen Raum begegnet man nahezu nur Männern. Sie waren meistens in Vereinen organisiert, die ihren Gründungsauftrag aus der Zeit der gemeinsamen militärischen Kämpfe in den ‚schlesischen Aufständen‘ bezogen und sich der Idee eines exklusiven ethnisch-sprachlichen Nationalismus verpflichtet fühlten. Diese Gruppe, die nach der Teilung Oberschlesiens zunächst aus dem öffentlichen Leben verbannt und für die öffentliche Ordnung als gefährlich angesehen worden war, gehörte nach dem Machtwechsel von 1926 zu den neuen Machteliten, was sich in Bielschowitz im Frühjahr 1927 deutlich bemerkbar machte. In den Unterstützungsbriefen für den Pfarrer findet man dagegen in vielen Fällen Vertreterinnen der Frauenorganisationen, die sich gerade im kirchlichen Umfeld sozial engagieren konnten. Sie bildeten den Gegenpol in der Auseinandersetzung in Bielschowitz und stellten ihre Zugehörigkeit zur örtlichen katholischen Gemeinde über die nationale Identität. Dies konnte auch daran liegen, dass sie in die ‚modernen‘ Prozesse der Politisierung und Nationalisierung weniger involviert waren als die Männer. In den traditionellen oberschlesischen Familien arbeiteten die Frauen äußerst selten außerhalb des Haushalts. Ihr außerhäusliches soziales Leben konzentrierte sich auf die Kirche und deren Organisationen; im Pfarrer sahen sie den wahren und ‚geborenen‘ Führer der Gemeinde, dessen Autorität nicht in Frage gestellt werden durfte. Als Buschmann später nach seiner Abdelegierung in die Breslauer Diözese einen Gottesdienst für seine alten Gemeindemitglieder im deutschen Teil Oberschlesiens abhalten sollte, nahmen daran 200 Frauen und nur sieben Männer teil.50 Die Bielschowitzer Männer wiederum waren meistens an den dortigen Bergund Hüttenwerken beschäftigt und bewegten sich in etwas weiteren Kommunikationsräumen als ihre Frauen. Durch ihren Arbeitsplatz in Unternehmen, die nach 1922 zum polnischen Staatsbesitz wurden, waren sie allerdings auch dem direkten Zugriff der staatlichen Stellen stärker ausgesetzt. Eine Einflussnahme der polnischen Berg- und Hüttenwerksverwaltung auf das nationalpolitische Handeln der Beschäftigten konnte oben am Beispiel von Josephsdorf und der Mobilisierung der dortigen Bergarbeiter für die Störaktionen während der deutschsprachigen Gottesdienste bereits nachgewiesen werden. So überrascht es nicht, dass ein Teil der Pro50 Podgórski, radca wojewódzki w Urzędzie Wojewódzkim Śląskim w Katowicach, do Kurii Biskupiej tamże 21 czerwca 1930: AAKat, Exeat, Bd. 1, Bl. 90.

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testbriefe gegen Buschmann von Arbeitern und Angestellten des Bielschowitzer Kohlebergwerks verfasst und verabschiedet wurde.51 Im industriellen Zentrum der Ortschaft überkreuzten sich die Wege der lokalen, meist aus Polen zugewanderten Intelligenzschicht und der ebenfalls polnischen Leiter des Bielschowitzer Bergwerks mit der Präsenz der Kommunalverwaltung. Auch dieses polnisch orientierte Milieu war männlich dominiert und bildete in der lokalen Auseinandersetzung das eigentliche Gegengewicht gegenüber dem Pfarramt. Gleichwohl fand der Pfarrer Unterstützung nicht nur bei den weiblichen Gemeindeangehörigen. Der nur aus Männern bestehende Kirchenvorstand und der Pfarrgemeinderat standen bis zu ihrer Ergänzung durch nationalpolitisch engagierte Polen im Jahr 1923 vollständig auf der Seite Buschmanns und der traditionellen apolitischen Rolle der Pfarrgemeinde. Darüber hinaus definierten nicht nur Mitglieder des „Vereins Christlicher Mütter“ ihre Nationszugehörigkeit über ihren katholischen Glauben. In einem Brief der Mitglieder des „Dritten Ordens des heiligen Franziskus“ heißt es, dass entgegen den Feststellungen der örtlichen Behörden, die den Gemeindeausflug vom August 1928 „für eine antistaatliche Propagandamaßnahme“ hielten, die Teilnehmer „überzeugte Polen und Polinnen“ seien, die ihr „geliebtes Vaterland unterstützen und es wie eine Mutter lieben“, weil sie dazu „durch die Prinzipien [ihres] heiligen katholischen Glauben verpflichtet“ seien. Sie argumentierten, wenn sie den Pflichten gegenüber ihrem Vaterland nicht nachkämen, so hätten sie „nicht nach den Prinzipien [ihres] heiligen Glauben“ gelebt.52 Dieses patriotische Argumentationsmuster, das dennoch klar den Vorrang der Konfession über die Nation herausstreicht, bestätigt, dass diese Art zu denken in Bielschowitz ein geschlechtsübergreifendes Phänomen darstellte. Die vorhin beschriebene Anhäufung von Zwischenfällen im Jahr 1928 hatte ihre Wurzeln in der bischöflichen Visitation im Juni desselben Jahres. Bei dieser Gelegenheit verlor Buschmann erstmals seine Rückendeckung bei der Kurie im Konflikt zwischen der weltlichen und geistlichen Macht in einem Milieu, wo der Vorsteher der Kommunalverwaltung und der Pfarrer zwei aufeinander prallende Weltanschauungen repräsentierten. Denn Bischof Lisiecki verurteilte in der Visitationsurkunde in klaren Worten die in diesem Konflikt bislang eingenommene Haltung Buschmanns. So habe er „mit größtem Bedauern“ feststellen müssen, dass das Verhältnis des Pfarrers leider nicht zu allen Gemeindemitgliedern so sei, wie es sein solle. Dies betreffe vor allem „den örtlichen Lehrkörper und einen gewissen Teil der Gemeindemitglieder polnischer Nationalität“. Lisiecki mochte dem Pfarrer den Vorwurf nicht ersparen, dass dieser in seinem bisherigen Verhalten „der seelsorgerischen Besonnenheit“ nicht genügend nachgekommen sei. Der Kattowitzer Bi51 Protest załogi kopalni „Bielszowice“ do Kurii Biskupiej w Katowicach 26 lipca 1927: APKat, UWŚl, Wydział Administracyjny 1779, Bl. 5–7. 52 III Zakon św. Franciszka do Kurii Biskupiej w Katowicach 25 sierpnia 1928: AAKat, AL Bielszowice, Bd. 1, Bl. 165f.

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schof instruierte anschließend seinen Priester in klaren Worten: „So sollten Sie, hochwürdiger Pfarrer, von den prekären und schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit belehrt, sogar in Ihrem privaten Leben alles vermeiden, was die Nationalgefühle der polnischen Gemeindemitglieder verletzen würde, und Ihr Verhältnis zur staatlichen polnischen Macht auf Loyalität stützen. [...] Ohne dass Sie Ihre Zugehörigkeit zur deutschen Nation verleugnen, sollen Sie alle polnischen Organisationen genau wie die deutschen mit Wohlwollen und väterlicher Seele behandeln. [...] So werden diese Vereinigungen in der Person des hochwürdigen Pfarrers ihren Seelsorger und ergebenen Vater sehen, auch wenn Sie sich zur polnischen Nationalität nicht bekennen. Dadurch gewinnen Sie aber ihre Liebe und Dankbarkeit, verhindern ihre weitere Entfremdung von der Kirche und bringen sie näher an Christus und seine Kapläne.“53 Der Bischof gab damit mittelbar auch zu, dass das Milieu, das Buschmann so heftig kritisierte, sich in einiger Distanz zur Kirche befand und in seiner Lebenswelt offensichtlich der Katholizismus nicht mehr der dominante Faktor war. Aber gerade diese Menschen sollten deshalb noch mehr Aufmerksamkeit seitens des Pfarrers erfahren. Und diese Forderung erfüllte Buschmann zum Zeitpunkt der Visitation nicht. Zum Schluss drohte der Bischof mit Konsequenzen bis zur Abberufung vom Pfarramt, falls sich das Verhältnis des Pfarrers zur staatlichen Macht, der Lehrerschaft und dem nationalistisch gesonnenen Teil der polnischen Gemeindemitglieder nicht rasch verbessern sollte. Die in Aussicht gestellte Amtsenthebung trug möglicherweise noch mehr zur weiteren Zuspitzung des Konflikts bei. Die Auseinandersetzungen spitzten sich nach der Visitation weiter zu und verursachten letzten Endes die Abdelegierung Franz Buschmanns vom Bielschowitzer Pfarramt in die Diözese Breslau im Frühjahr 1929. Dabei ist zu vermuten, dass die Versetzungsverfügung des Bischofs durch den Druck des Wojewodschaftsamts beeinflusst wurde.54 Die umstrittene Versetzungsentscheidung der Kurie verursachte indes weitere Konflikte. Am 31. März und 1. April 1929 versammelten sich etwa 500 Gemeindemitglieder vor dem Pfarrhaus und demonstrierten gegen die Abberufung Buschmanns. Die regelrechte Blockade des Pfarrhauses wurde erst durch eine Polizeiintervention beendet.55 Die „Kattowitzer Zeitung“ wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht nur „deutschgesinnte, sondern auch polnische Gemeindemitglieder“ gegen das Ausscheiden ihres Pfarrers protestiert hätten.56 Die örtlichen Christdemokraten wiederum versuchten, aus der polarisierenden Situation politi53 Dekret wizytacyjny biskupa Lisieckiego dla parafii św. Marii Magdaleny w Bielszowicach 12 sierpnia 1928: ebd., Bl. 140f. 54 Macała: Duszpasterstwo, 62f. 55 Kuria Biskupia w Katowicach do Komendy Miejskiej i Powiatowej Policji Województwa Śląskiego tamże 26 kwietnia 1929: AAKat, Akta obsadzenia parafii bielszowickiej 1890– 1940, Bd. 1 [unpag.]. 56 Kattowitzer Zeitung 77 vom 2 April 1929.

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sches Kapital zu schlagen, und luden Wojciech Korfanty zu ihrer Versammlung in Bielschowitz am 5. April ein. Der Parteivorstand jedoch äußerte sich kritisch gegenüber dieser Idee und mahnte die Bielschowitzer Ortsgruppe, „im Interesse der Disziplin und des öffentlichen Friedens zur Milderung der Gegensätze und zur Beruhigung der herrschenden Aufregung“ beizutragen. „Jeder Katholik“ solle sich schließlich „den Regelungen der geistlichen Macht unterordnen“.57 Die „Kattowitzer Zeitung“, das Blatt der Deutschnationalen im polnischen Teil Oberschlesiens, betonte in einem Kommentar zu den Vorfällen in Bielschowitz, dass Pfarrer Buschmann noch zu preußischer Zeit durchaus nicht zu denen gehört habe, die „sich hemmungslos der preußischen Regierung in die Arme geworfen hatten und ihren politischen Wünschen Rechnung trugen“. Vielmehr habe ihm auch damals „der nationale Friede“ innerhalb seiner Gemeinde höher als „die Verfolgung einseitiger Wünsche“ gestanden. Der Redakteur wies darauf hin, dass er unter den hiesigen katholischen Geistlichen sehr viele Namen solcher nennen könne, die früher „mit den preußischen Behörden durch Dick und Dünn“ gegangen und heute „stramme polnische Patrioten“ seien. Pfarrer Buschmann habe es jedenfalls nicht nötig gehabt, „seinen Mantel umzuhängen“, und sei „seinen alten geraden Weg“ weitergegangen. Dies beweise auch die Versammlung seiner polnischen Gemeindemitglieder, in der diese ihrem geistigen Hirten „ein uneingeschränktes Vertrauensvotum“ ausgesprochen hätten.58 Die Bielschowitzer Ereignisse zeigen, dass die katholische Kirche das Nationalitätenprinzip im oberschlesischen Alltag letztendlich doch anerkennen musste. In der Zweiten Polnischen Republik gehörte die institutionalisierte Kirche zu den indirekten Trägern des Staates, nicht zuletzt aufgrund der in der Geschichte Polens tief verwurzelten Bindung des kulturellen Polentums an den Katholizismus. Dieser national geprägte Katholizismus fand auch institutionell Eingang in Oberschlesien, wo er in der Abstimmungszeit dem polnischen Staat große Dienste erwies. Dennoch fassten viele einheimische Oberschlesier die Mission der Kirche weiterhin nicht unbedingt als in exklusiver Verbindung mit der polnischen Nation stehend auf, wie die aufgezeigten Verhaltensmuster eines Großteils der slawophonen Gemeindemitglieder aus Bielschowitz verdeutlichen. In einem Nationalstaat wie der Zweiten Polnischen Republik beanspruchten die Vertreter der Polonisierungspolitik andererseits auch den kirchlichen Raum, um ihr Verlangen nach der Vereinheitlichung der kollektiven Identität auf der Grundlage eines ethnisch-sprachlichen Nationalismus durchzusetzen. Die Repräsentanten dieser Politik in Oberschlesien, vor allem die ehemaligen Aufständischen und ein Teil der vorwiegend aus Polen eingewanderten Intelligenz, Beamtenschaft und Verwaltungsangestellten, gewannen spätestens nach dem Maiumsturz 1926 einen mächtigen Verbündeten im schlesischen Wojewodschaftsamt. Michał Grażyński konnte dabei auf 57 Polonia 1614 vom 4. April 1929. 58 Kattowitzer Zeitung 26 vom 31. Januar 1929.

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die gestiegenen Interventionsmöglichkeiten des autoritären polnischen Staates zurückgreifen und ermutigte die nationalistischen Gruppierungen zum Handeln. So kam es zu nationalistisch begründeten Auseinandersetzungen mit den „Feinden des Polentums“ wie in Bielschowitz mit dem örtlichen Pfarrer. Dabei muss aber angemerkt werden, dass die Abneigung des Geistlichen gegenüber dem polnischen Nationalismus ihren Ursprung in der geschilderten Politisierung des Bielschowitzer Alltags und der damit einhergehenden Polarisierung der katholischen Gemeinschaft hatte. So ist zu vermuten, dass für die aktive deutsch orientierte Haltung Buschmanns, der sich in der preußischen Zeit auf eine deutsch-nationalistische Tätigkeit in seiner Gemeinde nicht eingelassen hatte, erst die nationalistischen Exzesse nach der Übernahme des Industriedorfes durch die polnische Verwaltung den ausschlaggebenden Impuls abgaben. Ein ähnlicher Mechanismus kann nicht nur im Fall des Bielschowitzer Pfarrers, sondern auch für die Lebenswelt Tausender Oberschlesier in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg festgestellt werden.59 In beiden nationalistisch hoch aufgepeitschten unmittelbaren Nachkriegsperioden bekamen die national dichotomisch aufgefassten Fremdzuschreibungen als Teil der deutschen oder polnischen Nation auch in den Augen der betroffenen Oberschlesier einen gewissen Geltungsanspruch. Durch das Fehlen einer in der politischen Öffentlichkeit präsenten Option der Zugehörigkeit zu einer nichtnational definierten Wir-Gruppe bekannten sich dabei immer mehr slawophone einheimische Oberschlesier aus Abneigung gegenüber Polen und dem Polonisierungsdruck zu einer prodeutschen Haltung. Das Amt und die damit gegebene Möglichkeit eines jeden oberschlesischen Pfarrers, auf der Basis der kirchlichen Autorität und der lokalen Verwurzelung Ansprechpartner für jeden Gemeindeangehörigen ungeachtet von dessen Muttersprache und subjektivem Nationalgefühl zu sein, rief bei den Nationalisierungsverfechtern Misstrauen hervor, das schnell in Abneigung münden konnte. In der Bielschowitzer St. Maria Magdalena-Gemeinde trug jedoch auch der Pfarrer zur Verschärfung des Konflikts bei und nutzte nicht das ganze Instrumentarium der „seelsorgerischen Besonnenheit“. Das grundsätzlich apolitische Verhalten Buschmanns in Verbindung mit seiner wenig flexiblen und kompromisslosen Auffassung der Priesterrolle in der Gemeinde erwiesen sich nach der Intensivierung des staatlich geförderten Homogenisierungsdrucks als nicht mehr haltbar. Dessen ungeachtet blieb Buschmann auch nach seiner Abberufung für viele polnisch- und deutschsprachige Gemeindemitglieder ein vorbildlicher Priester, der all seine Kräfte seiner Pfarrgemeinde widmete und bis zum Schluss jegliches Eindringen des Nichtkonfessionellen in die kirchliche Lebenswelt abwehrte. In seiner Abschiedsrede betonte Buschmann, dass „der menschliche Hass einziger Grund seiner Entlassung“ gewesen sei.60 59 Vgl. Ther: Die einheimische Bevölkerung. 60 Ks. Wojtek do Kurii Biskupiej w Katowicach 3 kwietnia 1929: AAKat, Akta obsadzenia parafii bielszowickiej 1890–1940, Bd. 1 [unpag.].

240 5.1.3.

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Die Amtszeit des Pfarrers Józef Niedziela

Um die Nachfolge Buschmanns bewarben sich drei erfahrene und in der kirchlichen Arbeit verdiente Priester, die eine wichtige Voraussetzung erfüllten – sie waren durchaus polnischgesinnte Oberschlesier.61 Letzten Endes übernahm im August 1929 Józef Niedziela das vakante Pfarramt. Niedziela wurde 1888 in einer Bauernfamilie in einem slawophonen ländlichen Milieu bei Oppeln geboren. Er absolvierte das Gymnasium in Oppeln und die Theologische Fakultät an der Breslauer Universität, ehe er 1912 zum Priester geweiht wurde. Wegen seiner nationalpolitischen Aktivität während des Studiums wurde Niedziela zur seelsorgerischen Arbeit nach Brandenburg und Berlin bzw. in das überwiegend protestantische Niederschlesien entsandt. Erst nach fünf Jahren wurde er nach Oberschlesien versetzt, wo er sich sofort in der polnischen Unabhängigkeitsbewegung engagierte. Während der Abstimmungskampagne koordinierte er die polnisch-kirchlichen Aktivitäten als Mitglied des Plebiszitkommissariats. Gleichzeitig beteiligte er sich an der Gründung des „Roten Kreuzes“ in Oberschlesien, dessen Leitung er ab 1922 innehatte. Bis zur Übernahme der Bielschowitzer Pfarrei übte er keine seelsorgerischen Pflichten aus, sondern widmete sich der Wohlfahrtsarbeit.62 Józef Niedziela gehörte also zur jungen, nationalpolitisch aktiven Generation der oberschlesischen Priester, die aufgrund persönlicher Begabung und hoher Bildung eine herausragende Stellung innerhalb der geistlichen Elite des Kattowitzer Bistums erreichten. Für die Bielschowitzer bedeutete der Amtswechsel eine völlig neue Ausstrahlung des Pfarrhauses. Den Posten des ehemaligen, geradlinigen, apolitischen Pfarrers, dessen gesellschaftspolitischer Horizont über die Grenzen der Gemeinde kaum hinausragte, übernahm nun ein intellektueller Geistlicher mit breiten Kontakten in der politischen Welt der Zweiten Republik. Auch die groß angelegte Bibliothek und die Gemäldesammlung des Pfarrers machten auf die meist ungebildeten Gemeindemitglieder einen ungeheuren Eindruck und riefen Bewunderung hervor.63 Niedziela erfreute sich dadurch großer Autorität. In dieser günstigen Lage gelang es dem Pfarrer, den alltäglichen Frieden in der Gemeinde wiederherzustellen. Seine Entscheidungen fanden breite Akzeptanz, da das ‚feine‘ Flair des Priesters, verbunden mit der Unterstützung des Bischofs und des Wojewodschaftsamtes, auf potentielle Unmutsausbrüche hemmend wirkten. Die Gemeindeangehörigen waren von ihrem Hirten äußerst beeindruckt, was eine starke Persönlichkeit wie Pfarrer Niedziela in einem Milieu, das sich politisch in der Regel loyal und pragmatisch zu verhalten pflegte, auszunutzen wusste.

61 Kuria Biskupia do Ministerstwa Przemysłu i Handlu w Warszawie 13 maja 1929: ebd. 62 Hojka/Wawrzynek: Parafia, 80f.; Brożek, Krzysztof: Niedziela Józef. In: Pater (Hg.): Słownik, 297–298. 63 Hojka/Wawrzynek: Parafia, 82.

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Józef Niedziela konzentrierte sich besonders auf die Jugendarbeit, in der er eine Chance für eine dauerhafte Veränderung der Nationalitätenverhältnisse in Oberschlesien sah. Schon nach wenigen Jahren erreichte er eine Zusammenführung des deutschen Jungmännervereins, der immer kleiner und unbedeutender wurde, mit seinem polnischen und vom Pfarrer bevorzugten Pendant.64 Er betrachtete die slawophone Bevölkerung in den ,objektiven‘ Kategorien des Nationalen, so dass seiner Ansicht nach lediglich rund 200 deutsche Katholiken in Bielschowitz lebten, während die „germanisierten Einheimischen“ für ihn wiederum nichts anderes als oberschlesische Polen waren.65 Zu einer weiteren Verstärkung des nationalistischen Homogenisierungsdrucks kam es in Bielschowitz, ähnlich wie in vielen anderen Ortschaften des polnischen Teils Oberschlesiens, nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Deutschen Reich. Mit der Welle von Abschaffungen polnischer Gottesdienste in der Provinz Oberschlesien im April 1933 ging eine Reaktion der nationalistischen Vereine in der Wojewodschaft Schlesien einher. So drohten auch die Mitglieder des Bielschowitzer „Verbands der polnischen Vereine“, dass sie „die deutschen Gottesdienste zahlreich besuchen und durch das Singen polnischer Lieder weiteres Abhalten der überflüssigen deutschen Messen verhindern werden“.66 Um Ausschreitungen im kirchlichen Raum vorzubeugen und nicht ohne innere Überzeugung, setzte sich Niedziela beim Bischof für eine Reduzierung der sonntäglichen deutschen Gottesdienste ein. Er unterstützte insoweit die Bitte der polnischen Vereine und argumentierte, es gebe kaum noch deutsche Katholiken in Bielschowitz, die wenigen Verbliebenen seien der polnischen Sprache mächtig und die deutschen Gottesdienste seien immer schlechter besucht worden.67 Im Argumentationsmuster des polnischen Verbandes und des Pfarrers wurden also ethnisch-sprachliche Entscheidungskriterien hervorgehoben, die sich auf die Ausübung der Seelsorge auswirken sollten. Die Petition der deutschsprachigen Gemeindemitglieder, die den Kattowitzer Bischof um die Erhaltung des deutschen Gottesdienstes ersuchten, wurde dagegen damit begründet, dass der etwas schwächer gewordene Besuch der deutschen Messen an der gegenwärtigen sozialen und wirtschaftlichen Situation in Oberschlesien liege. Viele Gemeindemitglieder hätten die Furcht gehabt, dass sich der Besuch eines deutschen Gottesdienstes ungünstig auf ihre soziale Lage hätte auswirken können. Dies sei angesichts der katastrophalen materiellen Lage der deutschsprachigen Katholiken in der Gemeinde ausschlaggebend für ihr zurückgegangenes Interesse an deutschsprachigen Gottesdiensten.68 64 Ebd., 83. 65 Śmigiel (Hg.): Die statistischen Erhebungen, 192f. 66 Proboszcz Niedziela do Kurii Biskupiej w Katowicach 25 lipca 1933: AAKat, AL Bielszowice, Bd. 1, Bl. 190f. 67 Ebd. 68 Deutsche Katholiken aus Bielschowitz an die bischöfliche Kurie in Kattowitz am 17. Juli 1933: ebd., Bl. 192.

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Nicht nur anhand der Beobachtung von Bielschowitz kann die These aufgestellt werden, dass die sozialen Belange den Alltag der oberschlesischen Einwohner dominierten und sich auf eine Ablehnung oder Akzeptanz der nationalpolitisch gedeuteten Entscheidungen durchaus auswirken konnten. Folgerichtig konnte die Diskriminierung der deutsch orientierten Einwohner am Arbeitsplatz in den Bergund Hüttenwerken zur sprachlichen Anpassung und zu einem ‚nationalstaatskonformen‘ Handeln beitragen. Dies entfaltete offensichtlich Wirkung sogar auf die alltägliche Kirchlichkeit der betroffenen Personen. Schließlich erklärte sich die Kurie einverstanden, wenn auch erst 1936 und nach wiederholten Anträgen des Pfarrers,69 deutsche Sonntagsmessen in der St. Maria Magdalena-Gemeinde nur noch einmal im Monat und an den drei wichtigsten kirchlichen Feiertagen abzuhalten.70 Ende der 1930er Jahre kam es im polnischen Teil Oberschlesiens zur unverkennbaren Verminderung der Zahl der sich offen zum Deutschtum bekennenden Oberschlesier. So fruchtete auch in Bielschowitz die auf die Jugend konzentrierte Seelsorge des Pfarrers, die die polnisch-patriotische Ausrichtung der jungen Oberschlesier nachhaltig zu formen versuchte. Insbesondere als seit der Wirtschaftskrise soziale Probleme der Erwachsenen hinzukamen, traf die erzieherische propolnische Tätigkeit des Pfarrers und der nationalbewussten polnischen Intelligenzschicht auf immer kleinere Widerstände. Dass diese Entwicklung nicht auf festen Grundlagen fußte, bezeugt jedoch die weiterhin nur oberflächliche und wechselhafte Aneignung nationaler Wir-Gruppen-Identifikationen durch die einheimische Bevölkerung der Wojewodschaft Schlesien während und nach dem Zweiten Weltkrieg.71 5.1.4.

Zwischenbilanz

Die Analyse des vorgestellten Fallbeispiels erhebt keinen Anspruch, repräsentative und für jede andere Gemeinde in Oberschlesien zutreffende Ergebnisse zusammengetragen zu haben. Gleichwohl ermöglicht die Untersuchung ausgewählter und durch die Quellen relativ gut überlieferter lokaler Begebenheiten, die Handlungsspielräume konkreter Akteure und deren Erfahrungshorizonte zu erhellen und dadurch einige charakteristische Merkmale lokaler Gemeinschaften im Zeitalter der Nationalisierung präziser zu beschreiben. Obwohl das oberschlesische Kohlerevier stark industrialisiert war und die Prozesse der gesellschaftlichen Modernisierung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant beschleunigt wurden, konnte der Nationalismus in dieser Region nur 69 Proboszcz Niedziela do Kurii Biskupiej w Katowicach 15 czerwca 1936: ebd., Bd. 3, Bl. 25. 70 Ebd. 71 Vgl. Dokumente 50–59. In: Długoborski Wacław (Hg.): Położenie ludności w rejencji Katowickiej w latach 1939–1945. Wybór źródeł, Poznań 1983. Zur unmittelbaren Nachkriegszeit vgl. Borodziej/Lemberg (Hg.): Die Deutschen östlich von Oder und Neiße, Bd. 2.

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schwer Fuß fassen. Das vormoderne Phänomen des Übergewichts konfessionell und lokal geprägter Wir-Gruppen-Zugehörigkeiten gegenüber der abstrakten Idee einer auf ethnisch-sprachliche Kriterien gestützten nationalen Gemeinschaft reichte noch weit bis in das vermeintlich von nationalen Denkmustern dominierte 20. Jahrhundert hinein. Am Beispiel von Bielschowitz kann man auf der lokalen Ebene Strategien der Resistenz und der Ablehnung gegenüber den Nationalisierungsprozessen beobachten. Gleichzeitig sind auch die Akteure deutlicher zu erkennen, die diese Prozesse vorantrieben und primär in den Kategorien des Nationalen dachten und handelten. Die Auseinandersetzung zweier Weltbilder war unwiderruflich in der Abstimmungszeit aufgeflammt und wurde nach dem Maiumsturz 1926 beschleunigt. Danach standen sich in Bielschowitz das Pfarramt und die örtliche nationalpolnisch gesinnte Kommunal- und Schulverwaltung gegenüber. Aus dieser Auseinandersetzung ging am Ende die weltliche Macht als Sieger hervor, aber viele Einwohner der Gemeinde ließen sich noch lange nicht in die Bahnen der polnisch-nationalen Denk- und Handlungsmuster lenken. Für sie diskreditierte sich die nationale Ideologie gerade wegen der Exzesse im kirchlichen Raum und der Widersprüchlichkeiten, die in Bielschowitz tagtäglich erfahrbar waren. Die sprachliche Homogenisierung, propagiert von nationalistischen Organisationen, Vereinen und Medien und unterstützt von der Wojewodschaftsbehörde, stand im markanten Gegensatz zum oberschlesischen Alltag, in dem die von mehreren Sprachen geprägte Kommunikation die gewöhnliche Norm darstellte. Viele Bielschowitzer entschieden über ihre jeweiligen nationalpolitischen Positionen situationsbezogen und nicht selten opportunistisch, so wie sich Wähler bei politischen Wahlen für eine Option aussprechen, ohne dass die Parteien mit einer zeitlich unbegrenzten Unterstützung rechnen können. Die meisten Bielschowitzer hielten unverrückbar lediglich am Katholizismus fest, der einen äußerst wichtigen, wenn nicht den grundsätzlich primären Wert in ihrer Lebenswelt darstellte. Die in den einschlägigen Stellungnahmen der Bielschowitzer immer wieder zu findenden Argumentationsmuster lassen zudem erkennen, dass sich ihre alltägliche Kirchlichkeit, geprägt von einem festen Bezug zu ‚ihrer eigenen‘ Pfarrgemeinde, von der Religiosität der zugewanderten Polen unterschied. Deshalb wurden diese von den einheimischen Oberschlesiern als nicht fromm genug und zu kirchenkritisch wahrgenommen.72 Die Differenzen des jeweiligen Stellenwerts der Kirche im Alltag schufen ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal gegenüber den neuzugezogenen Polen. Dies verstärkte im Umkehrschluss ein ‚hiesiges‘ Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich an lokale, althergebrachte katholische Traditionen und Gepflogenheiten anlehnte. Dazu gehörte die uneingeschränkte Anerkennung der katholischen Kirche und ihrer Vertreter vor Ort. Dieses WirGefühl wurde jedoch durch die Nationalisierungspolitik des polnischen Staates einem hohen Homogenisierungsdruck ausgesetzt. Durch seine ablehnende Hal72 Vgl. Kopeć: „My i oni“, 65f.

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Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse

tung gegenüber dieser Politik geriet der Pfarrer Franz Buschmann in eine Reihe von Konflikten mit Vereinen und Milieus, die um eine Polonisierung der Gemeinde bemüht waren. Erst die Tätigkeit eines polnisch orientierten Priesters schien die Möglichkeit einer politischen Lösung zu bieten, um das polnische Nationalbewusstsein in der Bielschowitzer Gemeinde fester zu etablieren. So konnten die gemeinsamen Bemühungen der lokalen weltlichen und geistlichen Macht im Dienst der gleichen nationalpolitischen Ziele verbunden werden. Ob das Ergebnis dieser Anstrengungen den Erwartungen entsprach, muss hier offen bleiben, nicht zuletzt wegen der kurzen Periode bis 1939, in der dieses informelle Bündnis zum Tragen kam.

5.2.

St. Hedwig-Pfarrgemeinde in Bierdzan (Provinz Oberschlesien)

Bierdzan lag im Kreis Oppeln, 25 Kilometer entfernt von der Provinzhauptstadt, und zählte in der Zwischenkriegszeit um die tausend Einwohner, die fast ausschließlich der katholischen St. Hedwig-Gemeinde angehörten. Im Hinblick auf die sprachliche Zusammensetzung kann Bierdzan als ein typisches Dorf des bei Deutschland belassenen Abstimmungsgebiets bezeichnet werden. Die Ergebnisse der amtlichen Spracherhebungen, die in der Ortschaft im Zuge der amtlichen Volkszählungen von 1910 bis 1933 durchgeführt wurden, gibt die folgende Tabelle wieder:73 Deutsch

Deutsch und Polnisch

Polnisch

1910

153 (16 %)

20 (2 %)

784 (82 %)

1925

101 (10 %)

648 (67 %)

220 (23 %)

1933

580 (49 %)

313 (27 %)

282 (24 %)

Die statistischen Zahlen sind ein geeigneter Ausgangspunkt für eine Analyse der Pfarrgemeinde. Bei der preußischen Volkszählung von 1910 gab eine überwältigende Mehrheit der Bierdzaner Polnisch als Muttersprache an. Dabei muss erneut angemerkt werden, dass hier nicht das standardisierte Polnisch gemeint war, sondern ein slawischer oberschlesischer Dialekt. Ferner fällt auf, dass die Kategorie der Zweisprachigen damals nicht populär war: Ein Großteil der slawophonen Bevölkerung, die in der Regel neben ihrer slawischen Muttersprache auch Kenntnisse des Deutschen besaß, gab sich offensichtlich als nur polnischsprachig aus und nur in wenigen Fällen als bilingual. Im Jahr 1910 überrascht daher eher die relativ hohe

73 Angaben nach Golachowski (Hg.): Materiały, Dokument 2, Bl. 8. Die Ergebnisse der im Mai 1939 durchgeführten Volkszählung wurden für die Gemeindeebene nicht mehr veröffentlicht.

St. Hedwig-Pfarrgemeinde in Bierdzan

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Zahl der nur deutschsprachigen Einwohner, denn nach Angaben des örtlichen Pfarrers bestand die Bierdzaner Gemeinde einige Jahre später zu 99 Prozent aus oberschlesischen Dialektsprechern.74 Die Aussagen des Pfarrklerus waren gewöhnlich glaubwürdiger als amtliche Statistiken, die katholischen ‚Milieumanager‘ schöpften ihr Wissen über ihre Gemeindemitglieder aus einer direkten alltäglichen und dementsprechend zuverlässigen Beobachtung. So darf vermutet werden, dass es sich bei den Deutschsprachigen, die sich nicht als zweisprachig eintragen ließen, ebenfalls meist um slawophone Familien handelte, die durch die Erklärung zum deutschen Idiom ein politisches Zeugnis ablegen und/oder ihre Loyalität gegenüber dem Kaiser und dem preußischen Staat bekräftigt sehen wollten. Diese Annahme wird durch einen Blick auf die Ergebnisse der Weimarer Sprachstatistik erhärtet. 15 Jahre nach der letzten preußischen Volkszählung sahen die sprachlichen Verhältnisse in Bierdzan deutlich anders aus. Zeugen sie aber tatsächlich von einer dermaßen tiefgreifenden Veränderung der Sprachgewohnheiten im Dorf? Es scheint, dass hier die Entscheidung, vor die die Oberschlesier 1921 gestellt worden waren, eine zentrale Rolle spielte. Die massenhafte politische Mobilisierung im Zusammenhang mit der Frage nach der staatlichen Zugehörigkeit, die während des Plebiszits und der blutigen Auseinandersetzung auf das Äußerste zugespitzt worden war, fand ihren Widerhall auch in der Weimarer Sprachstatistik. Nachdem die Oberschlesier den deutschen und polnischen Nationalismus am eigenen Leib zu spüren bekommen hatten, wollten sie mit ihm offenbar nicht mehr viel zu tun haben. Zwei Drittel der Bierdzaner wählten 1925 eine Option, die keine eindeutige Zuordnung zu einer nationalen Gruppe erlaubte sowie die slawische Herkunft und den alltäglichen slawischen Dialekt mit Kompetenzen in der erlernten deutschen Sprache und Kultur vereinbarte. Diese Option wurde zugleich von den damaligen, vom Zentrum dominierten Provinzialbehörden begrüßt, da sie den statistischen Anteil der ausschließlich polnischsprachigen Bevölkerung drastisch verringerte. Diese allgemein bekannte Einstellung der Machthaber trug dabei möglicherweise zu solchen regierungskonformen Antworten vieler Befragter bei. Dennoch schien die Zweisprachigkeit auch für die früheren Befürworter des deutschen Idioms attraktiv gewesen zu sein, so dass ihre Reihen allmählich zu schmelzen begannen. Polnisch allein deklarierten höchstwahrscheinlich nur politisch polnisch orientierte Einwohner oder ältere Personen, die ihren Bildungsweg entweder gar nicht angetreten oder noch vor dem Kulturkampf abgeschlossen und dadurch keinen deutschen Schulunterricht erhalten hatten – insgesamt immerhin fast ein Viertel der Bierdzaner. Diese Proportion stimmte im Übrigen auch mit dem Ergebnis der Volksabstimmung in Bierdzan überein: 25 Prozent der Dorfbewohner hatten 1921

74 Pfarrer Pillawa an die Regierung in Oppeln, Abteilung für Kirchen und Schulwesen, am 23. April 1931: APOp, OP 85, Bl. 100.

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für Polen votiert, 75 Prozent für den Verbleib bei Deutschland. Dies muss nicht bedeuten, dass es genau die gleichen Personen waren, die zum Zeitpunkt des Plebiszits 1921 den polnischen Staat und bei der Volkszählung 1925 dessen Amtssprache wählten. Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, gestaltete sich das Verhältnis von Muttersprache und nationalpolitischen Ansichten in Oberschlesien äußerst flexibel. Der Anteil der polnischsprachigen bzw. polnisch orientierten Bierdzaner blieb nach und trotz der nationalsozialistischen Machtübernahme unverändert. Das überrascht nicht, wenn man die zwei ‚polnischen‘ Bevölkerungsgruppen näher betrachtet. Die älteren ausschließlich polnischsprachigen Bierdzaner waren nur schwer für eine Veränderung ihrer sprachlichen Gewohnheiten zu begeistern. Angesichts ihres Alters spielte für sie die Aussichtslosigkeit einer slawophonen Option in einem Staat, dessen Umgang mit ethnischen Minderheiten von Einschüchtern bis Terrorisieren reichte, keine große Rolle mehr. Dieser Sachverhalt wurde bereits am Beispiel der Beteiligung an polnischen Gottesdiensten Ende der 1930er Jahre thematisiert. Die polnischgesinnten Oberschlesier wurden wiederum in ihrer nationalpolitischen Werteorientierung durch die Parolen Hitlers eher bekräftigt, er wolle „unreines, slawisches Blut“ nicht germanisieren. Diese Faktoren hatten zur Folge, dass sich ein Viertel der Bierdzaner trotz der radikalen Änderung der politischen Rahmenbedingungen 1933 weiterhin zur polnischen Sprache bzw. auch zum Polentum bekannte. Ein etwas größerer Teil der Bevölkerung legte sich jedoch in seiner sprachlichen Entscheidung nicht fest. Hingegen erkannte schon kurz nach der Machtübernahme ein noch größerer Teil der Dorfbewohner, dass sein Beharren auf einer uneindeutigen bilingualen Sprachoption ihm womöglich Probleme machen könnte. Vorsichtshalber deklarierte deshalb schon die Hälfte der Bierdzaner 1933 ihre Verbundenheit mit der Sprache der Machthaber. Gleichzeitig dürfte allerdings ein Teil der heranwachsenden Jugend, die ihre Bildung hauptsächlich auf Deutsch erhielt, diese Gruppe auch ohne solche opportunistische Motivation vergrößert haben. Als ein wichtiges Korrektiv zu den amtlichen Spracherhebungen können erneut die Beobachtungen des örtlichen Pfarrers gelten. Die kirchlichen Statistiken zeichneten sich durch höhere Glaubwürdigkeit aus: Sie ließen sich nicht vom vermeintlich ‚objektiven‘, ethnisch-sprachlichen Prinzip leiten, sondern waren auf die praktischen alltäglichen Bedürfnisse der Seelsorge in der Muttersprache bedacht. Deshalb überrascht nicht, dass 1931 der Bierdzaner Geistliche Gottfried Pillawa ein anderes Sprachenbild seiner Gemeinde ermittelte. Hierbei muss erwähnt werden, dass er über genaue Kenntnisse der lokalen Verhältnisse verfügte: 1931 war er bereits seit 22 Jahren Inhaber der Bierdzaner Pfarrstelle. Über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg berichtete er, dass „die etwa 1000 Seelen zählende Bevölkerung zu 99 Prozent polnischer Muttersprache respektive utraquistisch [zweisprachig]“ gewesen sei. Eine Zuwanderung deutschstämmiger Menschen habe es nicht gegeben. Als ausschließlich deutschsprachig seien allein eine einzige Lehrerfamilie, „angeblich

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auch eine zweite“ und ein unverheirateter Lehrer als „Nicht-Oberschlesier“ zu erwähnen.75 Von annähernd gleichen Sprachverhältnissen wie in Bierdzan wurde im Übrigen ebenfalls aus den benachbarten Kirchengemeinden berichtet. Auf die statistische Nachfrage des Bischofs, für wie viel Prozent der Gemeindemitglieder die polnische Sprache in der Seelsorge notwendig sei, antwortete beispielsweise der Pfarrer aus Jellowa: für „10 bis 90 % – etwa 10 % [sprechen] nur polnisch, etwa 10 % nur deutsch“.76 Ein paar Kilometer weiter in Lugnian fiel die Antwort: „10 bis 100 %. Die Leute verstehen und sprechen polnisch und deutsch, nur etwa 10 % versteht ungenügend deutsch.“77 Vieles deutet somit darauf hin, dass die Schilderung Pillawas am ehesten dem tatsächlichen alltäglichen Sprachgebrauch entspricht. Bierdzan kann daher als eine typische ländliche Siedlung mit einem beinahe hundertprozentigen Anteil an einheimischen slawophonen und zugleich katholischen Einwohnern betrachtet werden, die in der Regel sowohl ihren örtlichen, als Muttersprache erworbenen slawischen Dialekt als auch Deutsch als zweite, erlernte Umgangssprache beherrschten. Dennoch steht diesem beständigen Bild des lokalen Sprachgebrauchs statistisch ein sich äußerst dynamisch entwickelnder Prozess gegenüber: Innerhalb einer Zeitspanne von 23 Jahren, von 1910 bis 1933, verdreifachte sich die Zahl der angeblich rein deutschsprachigen Bevölkerung. Diese scheinbar unmögliche Entwicklung lässt sich sicherlich am einfachsten mit dem politischen Druck der Nationalsozialisten und einer kreativen Tätigkeit der nationalsozialistischen Statistiker erklären. Gleichwohl ist angezeigt zu fragen, ob der rasante Anstieg der Zahl von Personen, die ausschließlich Deutsch zu ihrer Umgangssprache erklärten, allein von einer durch Druck erzwungenen Aneignung des deutschen Identifikationsangebotes zeugte oder auch und mehr noch das Resultat eines wenig ideologisierten, pragmatischen und möglicherweise opportunistischen Umgangs mit den nationalpolitischen Grundsätzen der nun herrschenden deutschen Eliten war. Durchgängig muss also überprüft werden, ob eine eher oberflächliche Verinnerlichung der nationalpolitischen Prinzipien, wie sie bei einem großen Teil der Bielschowitzer Gemeindemitglieder im polnischen Teil Oberschlesiens in Bezug auf den polnischen Staat diagnostiziert wurde, unter den im deutschen Teil ansässigen Oberschlesiern ihre Parallele im Hinblick auf das Ausmaß ihrer tatsächlichen Verbundenheit mit der deutschen Nation findet. Im Gegensatz zu Bielschowitz lebten die Einwohner von Bierdzan allerdings seit Generationen auf dem Land und kamen deutlich seltener mit den gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen in Berührung, die den industriellen Bezirk weit schneller erfasst hatten. Sie erlebten weder einen Staats- noch einen Amtssprachenwechsel, blieben auch nach 1922 deutsche Staatsbürger und 75 Ebd. 76 Sprache in Gottesdienst und Seelsorge 1931: AAWr, NB I A 25 e. 50 [unpag.]. 77 Ebd.

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Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse

waren kontinuierlich dem direkten Einfluss der deutschen Kultur und Politik ausgesetzt. Zuvor hatten in Bierdzan drei Viertel der Einwohner für Deutschland votiert, in Bielschowitz hingegen hatte der polnische Staat einen ähnlich hohen Stimmenanteil erreicht. Die Hauptfrage lautet dennoch, ob trotz dieser unterschiedlichen Rahmenbedingungen und gravierenden Unterschiede im Alltag ähnliche Verhaltensweisen gegenüber der jeweiligen Nationalisierungspolitik in beiden Teilen Oberschlesiens festgestellt werden können. Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln werden auch im Fall der Pfarrgemeinde Bierdzan lokale Feiern zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht. Bei solchen Feierlichkeiten treten nämlich Konsens und Spannungen besonders deutlich zutage und durch die Abweichungen von der Norm wird erst die zugrunde liegende Normalität erkennbar. Dabei ist es äußerst wichtig, vor allem zu berücksichtigen, dass Bevölkerungsgruppen, die für die vermeintlich ‚große‘ Geschichte unbedeutend sind – wie z. B. die nicht einmal tausendköpfige Einwohnerschaft eines scheinbar vergessenen Dorfes am äußersten Rand des Reiches –, nahezu nur durch die dokumentierten Stör- und Zwischenfälle während solcher Veranstaltungen in das Blickfeld des Historikers geraten können. Folgerichtig beginnt auch die Rekonstruktion der Alltagswirklichkeit in Bierdzan mit einer Meldung über eine konfliktgeladene Feierlichkeit.78 5.2.1.

Sensus katholicus in der Bierdzaner St. Hedwig-Pfarrgemeinde

Im März 1931 jährte sich die oberschlesische Volksabstimmung zum zehnten Mal. Anlässlich des Gedenktages besuchten auch der Reichskanzler Heinrich Brüning und der preußische Innenminister Carl Severing Oberschlesien und beteiligten sich mit Festreden an einer groß angelegten Veranstaltung im Beuthener Stadion, die von etwa 80.000 Zuschauern besucht wurde. An den Feierlichkeiten nahmen über 200 prominente Persönlichkeiten Oberschlesiens teil, unter anderem die Vertreter der Provinzialregierung, der Gemeinden, des Vereinswesens, die Geistlichkeit aller Konfessionen und die Generalität.79 Außer der oberschlesischen Prominenz und den Tausenden von Schaulustigen aus Beuthen O.S. und der Umgebung wünschten auch viele staatsloyale und deutsch orientierte Oberschlesier aus anderen Provinzteilen, den Gedenktag festlich zu begehen. Sie wollten dadurch ihre Teilhabe am groß inszenierten Festtag ‚ihres‘ Nationalstaates zum Ausdruck bringen. Daher bemühten sie sich, das von den Behörden vorgegebene Leitmotiv der Veranstaltungen, die ganze Welt solle daran erinnert werden, dass Deutschland 78 Die lokale Aktenüberlieferung der St. Hedwig-Gemeinde in Bierdzan ist leider nicht erhalten. Nach Auskunft des jetzigen Pfarrers Gerard Wilk waren die Dokumente am Ende des Zweiten Weltkrieges verschollen (Gespräch am 23.9.2005). 79 „Abstimmungsgedenkstunde des deutschen Volkes im Beuthener Stadion“. In: Oberschlesische Volksstimme 82 vom 23. März 1931.

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durch das gewonnene Plebiszit ausreichend legitimiert sei, um im ganzen Oberschlesien zu regieren, in ihrer lokalen Umgebung angemessen zum Ausdruck zu bringen. Wie es der gängigen Praxis eines oberschlesischen Dorfes entsprach, musste die öffentliche Anteilnahme an großen gesellschaftlichen bzw. politischen Ereignissen jeweils durch einen feierlichen Gottesdienst unterstrichen werden. Darüber herrschte auch in Bierdzan Konsens. Sowohl die Gemeindemitglieder als auch der Pfarrer teilten die Überzeugung, dass sie als loyale Staatsbürger und gute Katholiken an einigen Sonn- und Feiertagen im Kirchenjahr für das Wohl ihres Staates beten sollten. Dennoch: 1931 „machten sich gelegentlich der Abstimmungsfeier Misshelligkeiten bemerkbar“, wie der Landrat von Oppeln, Michael Graf Matuschka, an seinen Vorgesetzten, den Oberpräsidenten der Provinz, berichtete.80 Ein Teil der Bierdzaner Katholiken wünschte demnach, den runden, groß gefeierten Jahrestag des Plebiszits während des sonntäglichen Hauptgottesdienstes am 22. März 1931 mit Gesang und Lesung in deutscher Sprache zu begehen.81 Dies stand jedoch im Widerspruch zu der vom Breslauer Erzbischof akzeptierten Gottesdienstordnung der St. Hedwig-Gemeinde, nach der die Hauptmesse von polnischem Gesang und Gebet begleitet und das Evangelium auf Polnisch vorgelesen werden sollte. Die deutsche Sprache hingegen sollte während des Frühgottesdienstes zur Geltung kommen, in dem die Heilige Schrift und die Hirtenbriefe auf Deutsch verlesen wurden und der auf Wunsch von deutschen religiösen Liedern umrahmt werden konnte. Pfarrer Pillawa, gebunden an die vom Erzbistum festgelegte Gottesdienstreihenfolge, erlaubte es schließlich nicht, am zehnten Jahrestag der Abstimmung den Hauptgottesdienst ausnahmsweise mit deutschsprachigen Elementen abzuhalten. Dies vertiefte die Spannungen zwischen dem Geistlichen und einem Teil seiner Gemeindemitglieder. Bereits kurz vor der Abstimmungsfeier war dem Pfarrer vorgeworfen worden, dass er die Gemeinde zu polonisieren versuche. Laut einer Beschwerde habe Pillawa es nicht für angebracht gehalten, bei der Beerdigung eines Schulkindes das „Vaterunser“ auf Deutsch zu beten, obwohl die Eltern „durchaus deutsch“ gewesen seien und sich „die Schule mit deutschem Gesang an der Beerdigung geschlossen beteiligt“ habe.82 Ein Teil der deutschgesinnten einheimischen Oberschlesier aus Bierdzan empfand die beiden erwähnten, angeblich „antideutschen“ Ereignisse als „nationale“ Beleidigung. Ähnlich wie die empörten Mitglieder der polnischen nationalistischen Vereine in Bielschowitz fragte sich der Vorsitzende der Ortsgruppe der „Ver80 Der Landrat in Oppeln an den Oberpräsidenten ebendort am 1. April 1931: APOp, OP 85, Bl. 152f. 81 Johann Stasch aus Bierdzan an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin am 28. Juli 1931: APOp, OP 85, Bl. 165. 82 Ebd.

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einigten Verbände Heimattreuer Oberschlesier“ (VVHO), einer nationaldeutschen Organisation in der Provinz Oberschlesien, Johann Stasch, rhetorisch: „Leben wir überhaupt noch in einem deutschen Staate?“ Stasch betrachtete das Handeln des Pfarrers als eine unerhörte Verachtung des Deutschtums: Der „Herr Pfarrer“ wolle „aus dem fast rein deutschen Dorf eine polnische Republik machen“.83 Ähnlich wie in Bielschowitz kam es in Bierdzan nun zu einer Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der nationalistischen Organisationen und dem Vertreter der katholischen Kirche. Wie im polnischen Teil Oberschlesiens handelte es sich dabei um eine nationalistisch geprägte Politisierung des kirchlichen Lebens, der sich der Geistliche entgegenstellte. Schon im Vorfeld der Abstimmungsfeier hatte sich Stasch bemüht, das Landratsamt auf die seines Erachtens unzulängliche Berücksichtigung der deutschen Sprache bei den Gottesdiensten in Bierdzan aufmerksam zu machen. Er beschwerte sich, dass in der St. Hedwig-Gemeinde lediglich drei deutsche Gottesdienste im Jahr – an den zweiten Feiertagen von Weihnachten, Ostern und Pfingsten – abgehalten würden, was dem prozentualen Verhältnis der Stimmen für deutsche Parteien bei politischen Wahlen nicht entspreche.84 Auf diese Art und Weise setzte er einen dynamischen Prozess der individuellen Parteioption mit dem vermeintlich konstanten Phänomen der nationalen Zugehörigkeit gleich – ein Argument, das in der bisherigen Analyse oft anzutreffen war und dessen angeblich entscheidende Aussagekraft von den nationalistischen Gruppen auf beiden Seiten gerne instrumentalisiert wurde. Auf die Intervention der Bierdzaner VVHO-Ortsgruppe reagierten offiziell weder die Oppelner noch die Berliner Behörden. Dennoch wurde intern eine Überprüfung der Angelegenheit eingeleitet. Sie ergab zunächst, dass in sämtlichen Pfarrkirchen des Presbyteriats Schalkowitz (zu dem auch Bierdzan gehörte) an allen Sonn- und Feiertagen sowohl polnische als auch deutsche Gottesdienste stattfanden.85 In Bierdzan war es aber aus Sicht der VVHO „nur“ ein Frühgottesdienst, der mit deutschen Elementen versehen war und dadurch nicht als eine für die deutschsprachigen Gläubigen würdige vollwertige Sonntagsmesse angesehen wurde. Die Bittsteller empfanden diesen Tatbestand als erhebliche Beeinträchtigung des Deutschtums und plädierten dafür, jeden zweiten Sonntag den Hauptgottesdienst auf Deutsch abzuhalten, um auf diesem Weg die Gleichstellung der deutschen Sprache im kirchlichen Leben von Bierdzan zu gewährleisten. Die Bierdzaner Nationalisten versuchten nun, einen zusätzlichen Druck auf den Ortsgeistlichen zu erzeugen, und informierten den Oppelner Oberpräsidenten

83 Johann Stasch aus Bierdzan an den Oberpräsidenten in Oppeln am 26. Januar 1931: ebd., Bl. 129. 84 Johann Stasch an den Landrat in Oppeln am 22. Februar 1931: APOp, LandOpp 167, Bl. 141. 85 Regierung in Oppeln, Abteilung für Kirchen- und Schulwesen, an den Oberpräsidenten ebendort am 3. März 1931: APOp, OP 85, Bl. 156.

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wie die Breslauer Kurie über weitere angebliche Polonisierungsmaßnahmen des Pfarrers. Sie behaupteten, Pillawa bestimme aus nationalpolitischen Gründen, welche Kinder in der Beicht- und Kommunionsvorbereitung auf Polnisch und welche auf Deutsch unterrichtet werden. Diese „Willkür“ habe verursacht, dass die Arbeiterin Anna Swora und der Maurer Franz Reichel beim Elternbeirat der Bierdzaner Schule um Hilfestellung gebeten hätten. Die Eingabe von Reichel gibt ausführlich Auskunft über die konkreten Gründe, die ihn zu diesem Schritt bewegten. Reichel hatte nachdrücklich darauf bestanden, dass sein Sohn zum deutschen Beichtunterricht gehen solle, da sein Sohn „deutsch und nicht polnisch lernen“ solle. Er sei schon ein Jahr zuvor persönlich beim Pfarrer Pillawa gewesen und habe ihn gebeten, er solle seinen Sohn deutsch unterrichten. Dies habe der Pfarrer aber nicht zugelassen, und zwar mit der knappen Begründung, sein Sohn habe Polnisch lernen sollen. Daraufhin habe Reichel ihn nicht zum Beichtunterricht gehen lassen, denn sein Sohn brauche „keine polnische Lehre“, sondern „nur deutsche, denn er muss seinen Verdienst, wenn er seine Jahre bzw. sein Alter [erreicht] haben wird, nur im Innern Deutschlands suchen“.86 Die gleiche Argumentation findet sich in der Eingabe von Swora.87 Für diese pragmatisch handelnden Eltern bildete der Beichtunterricht die erste Gelegenheit, ihre Kinder mit Kenntnissen des Hochdeutschen für die Zukunft zu versorgen. Gleichzeitig mit der ersten schulischen Bildungsstufe, die in deutscher Sprache erfolgte – nach Angaben des Pfarrers waren die Dorflehrer die einzigen Nichteinheimischen und möglicherweise ausschließlich deutschsprachig –, sollte den Kindern das deutsche Idiom auch in anderen sie prägenden Lebensbereichen, vor allem in der Kirche, vermittelt werden. Dabei ging es in erster Linie um eine dauerhafte, auch emotionale Bindung an die Amtssprache, denn nach Ansicht vieler Oberschlesier war die Sprache der Kommunikation mit Gott zugleich die Sprache des Herzens. Infolgedessen bildete der Beicht- und Kommunionsunterricht eine äußerst wichtige Etappe in der Spracherziehung eines oberschlesischen Kindes. In der Regel kommunizierten die Kinder bis zur Einschulung ausschließlich in der Sprache der ‚Unseren‘ (po naszymu). Der lokale polnisch-slawische Dialekt, der von Ausdrücken deutscher Herkunft durchzogen war, stellte aber sowohl in Deutschland als auch in Polen ein Hindernis für den sozialen Aufstieg dar. Die offensichtlich wenig ideologisierten Eltern aus Bierdzan kämpften demnach konkret eher für eine bessere berufliche Zukunft ihrer Kinder in Deutschland als für den ‚Erhalt des deutschen Volkstums‘ bzw. die ‚Germanisierung‘ ihrer Kinder. Dabei war der Erwerb der ‚feinen‘ Sprache88 für sie wichtiger als eine verständliche Vermittlung der Beicht- und Kommunionskatechismen. 86 Franz Reichel an den Elternbeirat in Bierdzan am 22. Januar 1931 (Abschrift): ebd., Bl. 147. 87 Anna Swora an den Elternbeirat in Bierdzan am 22.1.1931 (Abschrift): ebd., Bl. 148. 88 Manfred Alexander weist auf die wichtige Rolle des Begriffs „fein“ in den sozialen Interaktionen der einheimischen Oberschlesier hin. „Feines“ Deutsch wurde zunächst im Deutschen

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Mit diesem pragmatischen, wenig idealistischen Umgang mit der Kirchenlehre war der Pfarrer nicht einverstanden. Er verfolgte konsequent die Linie, die erwachsene slawophone Bevölkerung an den polnischen Hauptgottesdienst zu binden. Der örtliche Nachwuchs wiederum sollte seine erste religiöse Erbauung nur im bereits bekannten und allgemein verstandenen slawischen Dialekt bzw. in Polnisch vermittelt bekommen. Der Pfarrer sah seine Aufgabe darin, bei den alten wie jungen Bierdzanern die Werte der katholischen Lehre mit nachhaltiger Wirkung in traditioneller Weise und Sprache einzuprägen und nicht Sprachunterricht zum Zweck der Beförderung sozialen Aufstiegs zu geben. Dies war auch die Stellung der bischöflichen Kurie, die sich auf die Kenntnis der lokalen Belange durch den Ortsgeistlichen verließ und auf die Beschwerden weniger Gemeindemitglieder nicht reagierte. Das Vorgehen der Breslauer Kirchenbehörde war also in solchen Angelegenheiten der grundsätzlichen Haltung der Kattowitzer Kurie sehr ähnlich. Die Vorwürfe einer Polonisierungspolitik, die vor dem Hintergrund der Abstimmungsfeier, der Gottesdienstordnung und des Beicht- und Kommunionsunterrichts in Bierdzan laut wurden, bewogen auch Pfarrer Gottfried Pillawa zu einer ausführlichen Stellungnahme.89 Seine Erklärungen werfen ein zusätzliches Licht auf die gesellschaftlichen Denk- und Handlungsmuster der einheimischen slawophonen Bewohner eines typischen oberschlesischen Dorfes. Seit seinem Amtsantritt in Bierdzan 1909 hielt Pillawa nach dem Vorbild seiner Vorgänger zunächst fast ausschließlich polnische Gottesdienste ab. Nur am zweiten Feiertag von Weihnachten, Ostern und Pfingsten wurde im Hauptgottesdienst Deutsch gepredigt und gesungen. Dies entsprach der massiven Überzahl slawophoner Einwohner in der St. Hedwig-Gemeinde. Nach Pillawa habe „kein Mensch an dem traditionellen Gottesdienst[programm] etwas zu tadeln und zu mäkeln gefunden“. Die Lage änderte sich erst in der Abstimmungszeit und während der brutalen Aufstandskämpfe: „Aus der Abstimmungspsychose heraus und aus dem Rausch eines sehr bezeichnenden Machtfimmels unter der Lehrerschaft hielten politisch engagierte Kreise die Zeit für gekommen, gegen den üblichen polnischen Gottesdienst aus rein politischen Gründen Sturm zu laufen“, urteilte der Pfarrer, der damals selbst zum Opfer der unruhigen Zeiten wurde. Deutsche Aktivisten, laut Pillawa nicht zuletzt die Lehrer und der evangelische deutschnationale Landtagsabgeordnete Hubertus Graf Garnier aus dem benachbarten Turawa, bezichtigten ihn einer propolnischen Tätigkeit und zwangen ihn trotz seiner ‚pfarrherrrlichen‘ Autorität zur Flucht aus Bierdzan.90 Erst nachdem die Gewaltwelle abgeflaut war, durfte Pillawa in seine Pfarrei zurückkehren. Reich einer als „derb“ bewerteten Bauern- und Arbeitersprache gegenübergestellt. Alexander: Oberschlesien, 473. 89 Pfarrer Pillawa an die Regierung in Oppeln, Abteilung für Kirchen und Schulwesen, am 23. April 1931: APOp, OP 85, Bl. 100–105. 90 Pfarrerverzeichnis der Diözese Breslau für das Jahr 1921: AAWr, NB I A 25 p. 51 [unpag.].

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Wieder in Bierdzan konzentrierte sich der Geistliche auf eine rein kirchliche und zu den nationalpolitischen Zielen Abstand haltende Seelsorge. Er folgte zunächst der bischöflichen Verfügung, die besagte, dass an der bisherigen Gottesdienstordnung nichts geändert werden solle und „wenn solche Wünsche geäußert würden, sollte sorgfältig geprüft werden, ob solche aus wirklich seelsorglichen, religiösen, innerkirchlichen Bedürfnissen heraus erwüchsen oder aber aus politischen Beweggründen vertreten würden“.91 Kurze Zeit später entschied er sich aber dennoch für eine wichtige Veränderung in seiner priesterlichen Seelsorgearbeit: „Um aber mit allen Kräften in der katholischen Kirchengemeinde wieder aufzubauen, was die politischen Leidenschaften und Dämonen des Abstimmungskampfes an katholischem Denken und Fühlen, am sensus katholicus, in den Herzen der Parochianen verwüstet haben, entschloss ich mich aus eigenem Antriebe, um Bination einzukommen. [Und zwar] um allen denen, die etwa aus dem in dieser Zeit für das oberschlesische katholische Volk so schmerzlichen Zeit entstandenen politischen Ressentiment eine Aversion gegen den traditionellen Gottesdienst hatten, die Erfüllung der Sonntagspflicht nicht zu erschweren. Prinzip: Gib dem Einen, ohne den anderen etwas zu nehmen. [Und] weil ich mir sagen musste, dass ich durch Übernahme eines zweiten Sonn- und Feiertagsgottesdienstes für die Stärkung des katholischen Glaubens und für die Pflege katholischer Religiosität, also für das Zentrale, mir mehr versprechen durfte als durch alle nur periphere Seelsorge in halbweltlichen Vereinen in der Kneipe, denen sich doch immer nur ein Bruchteil der Eingepfarrten anschließt.“92 Die Beweggründe des Pfarrers weisen auf wichtige Merkmale des oberschlesischen Dorfes hin. Nach Pillawa seien die ländlich geprägten Bierdzaner in überwältigender Mehrheit slawophone Dialektsprecher, praktizierende Katholiken und bis zum Beginn der 1920er Jahre politisch so gut wie nicht engagierte Bürger gewesen. Die Zusammensetzung dieser Faktoren machte sie zu den treuesten Zentrumswählern, so dass der Kreis Oppeln-Land und auch andere ländliche Verwaltungseinheiten in Oberschlesien zur Hochburg der katholischen Partei wurden.93 Die konkurrenzlose Stellung des örtlichen Geistlichen und einer Partei, die direkt von der kirchlichen Hierarchie unterstützt wurde, endete in Bierdzan spätestens in der Abstimmungsperiode. Die nationalpolitische Mobilisierung wurde nach Angaben Pillawas nicht ‚von unten‘ auf Initiative der einheimischen alteingesessenen Bevölkerung vorangetrieben, sondern durch die örtliche Lehrerschaft, die nicht der lokalen Gemeinschaft entstammte, und durch den oberschlesischen deutschnationalen Adel forciert, der von der katholischen, ungebildeten, slawischen und nicht zuletzt armen Landbevölkerung in Bezug auf sozialen Status, Erfahrungshorizonte und Lebensstil 91 Pfarrer Pillawa an die Regierung in Oppeln, Abteilung für Kirchen und Schulwesen, am 23. April 1931: APOp, OP 85, Bl. 101. 92 Ebd., Bl. 102. 93 Vgl. Bahlcke (Hg.): Schlesien und die Schlesier, 104–106.

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äußerst weit entfernt war. In dieser politisch neuen Situation büßte der Vertreter der katholischen Kirche in Bierdzan an Autorität ein und musste folgenschwere Konsequenzen inklusive einer zeitweiligen Verbannung ertragen. Um jedoch ein klares Aussöhnungszeichen in der politisch überhitzten Gemeinde zu setzen und den slawophonen, aber dem deutschen Staat gegenüber loyalen Gemeindemitgliedern eine umfassende Seelsorge anzubieten, entschied er sich kurz nach dem Plebiszit für einen sprachlichen Ausgleich in der sonntäglichen Gottesdienstordnung durch die Einführung einer zusätzlichen deutschen Frühmesse am Sonntag. Die Vorgehensweise von Pillawa bestätigt die in der Studie vertretene These, dass diejenigen oberschlesischen Geistlichen, die noch vor dem Aufkommen des politischen Nationalismus in Oberschlesien aufgewachsen waren und studiert hatten, deutlich apolitischer und strikter nach ausschließlich seelsorgerischen Gesichtspunkten handelten als die nachkommende Priestergeneration. Diese Annahme kann unter Umständen für die Mitglieder der gesamten oberschlesischen Elite eine gewisse Geltung besitzen, nicht zuletzt weil die katholischen Priester einen ihrer wichtigsten Teile bildeten. Gottfried Pillawa, geboren 1876, stellt ein weiteres Beispiel dafür dar. Durch den zusätzlichen Gottesdienst versuchte er, zur Vorkriegsstellung der traditionellen Kirchlichkeit in Bierdzan zurückzukehren, in der „die Stärkung des katholischen Glaubens“ und „die Pflege katholischer Religiosität“ noch nicht in Frage gestellt worden waren. In seiner Lebenswelt und anscheinend auch in der Lebenswelt der meisten Bierdzaner Katholiken ging es um „das Zentrale“, um das katholische „Denken und Fühlen“. Dies fasste der oberschlesische Priester unter der plastischen Überschrift zusammen: Es sei der sensus katholicus, der die Mitglieder der lokalen Gemeinde in ihren Denk- und Handlungsmustern bestimme. Pillawa betonte unmissverständlich, dass der sensus katholicus seine würdigen Träger gerade unter den slawophonen Oberschlesiern fand. Der Pfarrer verband die Adjektive oberschlesisch und katholisch mit voller Überzeugung: Sie seien füreinander bestimmt und hätten darüber hinaus eine Form der Abgrenzung nach außen geschaffen. Er sprach vom „katholische[n], oberschlesische[n] Erbgut, das man nicht verachten sollte“, und charakterisierte dessen Merkmale wie folgt: „Liebe zur Muttersprache, Liebe und Anhänglichkeit zum Volksstamm, zu heimischen Sitten, Dank gegen Gott für alle ererbten Vorzüge.“94 Diese manifestartige Aussage illustriert die wichtigsten Eigenschaften eines einheimischen Oberschlesiers. Einerseits verschafften ihm die in der Region verbreiteten Dialekte und Sitten sowie die traditionelle, tief verankerte Kirchlichkeit ein deutliches Unterscheidungsmerkmal im Kontakt zu Polen und Deutschen. Andererseits trug die Erfahrung von Diskriminierung und Verachtung zu einem Wir-Gefühl abseits der deutschen und polnischen nationalen Identifikationsmuster bei. Es scheint zudem, dass der Pfarrer ei94 Pfarrer Pillawa an die Regierung in Oppeln, Abteilung für Kirchen und Schulwesen, am 23. April 1931: APOp, OP 85, Bl. 105.

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ner regional geprägten Schicksalsgemeinschaft aller Oberschlesier das Wort redete. Die Artikulation eines oberschlesischen Zusammengehörigkeitsgefühls, das durch die regionalen Sprachvarianten, gemeinsame Herkunft und Ethnizität und nicht zuletzt die lokal verankerten Muster der katholischen Kirchlichkeit charakterisiert war, blieb also in erster Linie die Domäne eines Teils der einheimischen oberschlesischen Elite, in der der lokale Pfarrklerus zahlreich vertreten war. Gegen das kirchlich geprägte, mit der lokalen Pfarrgemeinde verbundene, aber womöglich auch regional empfundene Wir-Gefühl, das, wie unter anderem auch die Beobachtung des Bielschowitzer Alltags gezeigt hat, offensichtlich bei der Mehrheit der Oberschlesier den ersten Rang einnahm, stellten sich jene Personen, die von Pillawa als „überhitzte Nationalisten“ bezeichnet wurden.95 „Ihre Religion“ fasste er wie folgt zusammen: „Zuerst bin ich deutsch und wieder deutsch und nebenbei auch katholisch [und verfechte] den Primat des Politischen vor dem Religiösen.“96 Der Vorwurf des Priesters lässt wieder eine Parallele zum polnischen Industriedorf erkennen: Hier wie dort begegnen wir katholischen Nationalisten, deren Kirchlichkeit angezweifelt wird und die sich gegen die kirchliche Hierarchie um eine primär national ausgerichtete Politisierung der katholischen Lebenswelt bemühten. Auf der Ebene der Pfarrer und der Gemeindemitglieder aus Bielschowitz und Bierdzan konnten so bisher mehrere Analogien im Hinblick auf die unter ihnen verbreiteten typischen Denk- und Handlungsmuster festgestellt werden. Das dabei gezeichnete Bild einer oberschlesischen Gemeinschaft muss allerdings um eine weitere Vergleichsebene ergänzt werden, auf der die bisherigen Ergebnisse eine kleine Korrektur erfahren werden. Es handelt sich um die grundsätzliche Haltung der weltlichen Provinzialbehörde in Oppeln im Vergleich zum Kattowitzer Wojewodschaftsamt. Über diese Problematik geben uns zwei Schreiben des Oppelner Landrats in aussagekräftiger Weise Aufschluss. Michael Graf Matuschka, Mitglied der Zentrumspartei und Landrat von Oppeln von 1923 bis 1933, berichtete 1931 an seinen Vorgesetzten über Gottfried Pillawa, dass der Geistliche zu Unrecht bezichtigt worden sei, polnischer Gesinnung zu sein. Seine Einstellung gegenüber der Minderheit sei eine „durchaus grundsätzliche“ gewesen. Sie habe derjenigen entsprochen, die auch Deutschland offiziell immer vertreten habe. Pillawa habe in der Sprachenfrage bei der Zuteilung der Kinder zum Unterricht ganz ohne Zweifel lediglich so gehandelt, wie es ihm „sein Gewissen als Priester“ vorgeschrieben habe. Nach den Beobachtungen des Landrats sei aber in Bierdzan eine „etwas starke nationalistische Hetze“ betrieben worden. So habe Graf Matuschka anlässlich der Abstimmungsfeier 1931, die in diesem Kapitel bereits geschildert worden ist und bei der sich auch gewisse nationalistische Misshelligkeiten bemerkbar machten, diejenigen Einwohner, die Forde95 Ebd., Bl. 104. 96 Ebd.

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rungen hinsichtlich einer größeren Zahl und besseren Terminierung deutscher Gottesdienste gestellt hatten, „recht deutlich“ darauf hingewiesen, dass erst einmal „von der Möglichkeit, deutsch zu singen, doch auch wirklich Gebrauch gemacht“ werden möchte. Wie ihm bekannt gewesen sei, habe Pfarrer Pillawa seit etwa zehn Jahren die Erlaubnis zum ‚Binieren‘ gehabt. In der sonntäglichen Frühmesse sei seitdem stets das Evangelium deutsch gelesen worden und der ganze Gottesdienst habe „als rein deutscher in Anspruch genommen werden können“. Es habe allerdings, wie Graf Matuschka bemerkte, „an der Aktivität der Deutschinteressierten in Ausnutzung der ihnen gebotenen Möglichkeit gefehlt, während der Protest gegen die nicht gebotenen Möglichkeiten ein um so energischer“ gewesen sei.97 Matuschka fügte in einem weiteren Schreiben diesmal an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung hinzu, dass gegen Pillawa, der „sich bei dem übergroßen Teil der Gemeinde einer außerordentlichen Beliebtheit“ erfreue und sein Amt „rein seelsorgerisch“ auffasse, „von gewisser Seite, die der evangelische Graf Garnier anführt“, gehetzt werde. Dadurch entstehe „ein bedauerlicher Umstand“, bei dem „das bisher in der oberschlesischen Bevölkerung glücklicherweise noch nicht eingewurzelte Vergleichsmoment katholisch-polnisch, evangelisch-deutsch“ neu belebt werde: „[E]ine Gedankenrichtung, die, wenn sie bei der tief religiösen Bevölkerung in Oberschlesien in größerem Maße Platz greifen würde, schwerwiegende Folgen zu Ungunsten des Deutschtums zeitigen müsste“, wie der Landrat konstatierte. Er schlug schließlich vor, in dem Fall mit „allergrößte[r] Vorsicht und größte[m] Takt“ vorzugehen, denn sobald in die Angelegenheit Schärfe hineingetragen werde, würde das bei der Persönlichkeit des Pfarrers, der z. B. bei der Errichtung einer deutschen Kleinkinderschule auf das Zuvorkommendste mitgewirkt habe, nur zum gegenteiligen Erfolg führen, „als wie einzelne Heißsporne mit ihrem Vorgehen bezwecken, und der deutschen Sache in Bierdzan größten Schaden verursachen“.98 Die Stellungnahme des Landrats war unmissverständlich. Er plädierte für ein ‚sanftes‘ Vorgehen gegenüber einer Bevölkerung, die zwar slawophon, aber politisch staatsloyal und staatstragend orientiert war. Dies entsprach den grundsätzlichen Zielen der Zentrumspartei, die bis 1933 die politische Macht in Oberschlesien nahezu allein innehatte und auch auf der Ebene des Reiches und vor allem Preußens an der direkten Mitgestaltung der Politik in der Weimarer Republik intensiv beteiligt war. Als staatstragende Partei bemühte sich das Zentrum, die Angehörigen der polnischen Minderheit und die nationalpolitisch indifferenten Oberschlesier an den deutschen Staatsgedanken heranzuführen, und betrieb eine gewaltlose, langfristige, vor allem aber nicht primär auf ethnische Homogenisierung, sondern auf staatliche Loyalität abzielende Assimilationspolitik. Solch eine Heran97 Der Landrat in Oppeln an den Oberpräsidenten ebendort am 1. April 1931: ebd., Bl. 152f. 98 Der Landrat in Oppeln an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin am 13. Mai 1931: ebd., Bl. 107–109.

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führung und dauerhafte Bindung der Polnisch bzw. den oberschlesischen Dialekt sprechenden Bevölkerungsteile an den deutschen Staat konnte jedoch nur solange durchgesetzt werden, wie in Preußen eine Regierung amtierte, die die minderheitspolitischen Grundüberzeugungen des Zentrums im Wesentlichen mittrug. Im Fall Bierdzan waren 1931 deutliche Anzeichen einer sich verändernden nationalpolitischen Stimmung zu sehen. Zumindest ein gewisser Teil der Dorfbewohner sprach sich gegen die Autorität des offensichtlich beliebten Pfarrers aus und ließ sich dabei von einem einflussreichen nichtkatholischen Verbündeten aus den Reihen der Deutschnationalen leiten. Dieser Prozess fand seine Entsprechung im polnischen Teil Oberschlesiens. In Bielschowitz wurde Pfarrer Buschmann trotz der Angriffe seitens nationalistischer polnischer Organisationen Anfang der 1920er Jahre sowohl vom Wojewoden als auch vom Bischof in Schutz genommen. Die weltliche und die geistliche Macht bemühten sich um eine Entpolitisierung des kirchlichen Raumes und sahen nicht ein, einen Pfarrer, der durchaus unpolitisch und seelsorgerisch tüchtig agierte, von seinem Posten zu entfernen. Diese Vorgehensweise änderte sich erst nach dem politischen Richtungswechsel im Wojewodschaftsamt 1926. Die Anhänger des ‚gelebten‘ Patriotismus liefen von da an offenen Sturm gegen den ‚national unzuverlässigen‘ Pfarrer und scheuten sich nicht vor Gewaltanwendung, um ihre Ziele zu erreichen. Vor diesem Hintergrund muss noch untersucht werden, wie sich das Spannungsfeld zwischen der oberschlesischen Kirchlichkeit und den politisch triumphierenden Kategorien des ethnischen (völkischen) Nationalismus in einem oberschlesischen Dorf im deutschen Teil der Region nach 1933 gestaltete. 5.2.2.

Bierdzan nach der Machtübernahme durch die NSDAP

Die Anzeichen einer neuen ‚Qualität‘ im politischen Geschehen der Provinz Oberschlesien machten sich, wie bereits erwähnt, schon 1931 bemerkbar. Vor dem Hintergrund der offiziellen Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Volksabstimmung zeigten sich die deutlich verschärften innenpolitischen Gegensätze bereits offen. Zu den wesentlichen Streitpunkten gehörten hierbei die Fragen nach einer ‚harten‘ bzw. ‚sanften‘ Vorgehensweise gegenüber der slawophonen Bevölkerung und nach einer gewaltsamen bzw. friedlichen Revision der Grenzen. Als 1933 die NSDAP die politische Macht übernahm, suchte sie sofort nach klaren Lösungen für beide Fragen, ohne dabei lediglich auf politische, gewaltlose Druckmittel zurückzugreifen. Auf der lokalen Ebene in Bierdzan zeigten sich zudem schon 1931 erste Symptome einer zukünftigen, rechtswidrigen Vorgehensweise gegen die vermeintlichen Feinde des Deutschtums. In der Eingabe an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 28. Juli 1931 beschuldigte der örtliche Vorsitzende der VVHO den katholischen Pfarrer einer durchgehend antideutschen

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Tätigkeit und schloss den Brief mit einem diese Zukunft antizipierenden Kommentar ab: „Wenn die Dinge weiter so gehen und die deutschen Regierungsstellen nichts dagegen unternehmen, dann muss sich die deutschgesinnte Bevölkerung nur fragen: Leben wir eigentlich überhaupt noch in einem deutschen Staate, Herr Minister? Wir hoffen es noch und bitten um Schutz des Deutschtums und schleunige Abhilfe der Übelstände. Sollte es nicht bald geschehen, dann glaube ich, dass Selbsthilfe am besten wirksam sein wird.“99 Ein grundsätzliches Vertrauen in die Institutionen und das Rechtssystem der Weimarer Republik ist in diesem Schreiben nicht auszumachen. Dagegen lässt sich hier eine Drohung vernehmen, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme konkrete Umsetzung finden sollte. Eine latente Gewaltandrohung gegen ein nicht konformes Wahlverhalten mochte dazu beigetragen haben, dass die Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 in Bierdzan die absolute Mehrheit erreichten und sich schon kurz nach dem Machtwechsel bereits die Hälfte der Bierdzaner in der Volkszählung vom Herbst 1933 als ausschließlich deutschsprachig bezeichnete. Es ist eher unwahrscheinlich, dass diese deutliche Veränderung des Abstimmungsverhaltens gegenüber den Wahlen vor 1933 auf eine stärkere Aneignung des nationalistischen deutschen Identifikationsangebots der Nationalsozialisten zurückzuführen ist. Über die genauen Motive für das Wahlverhalten in Bierdzan 1933 schweigen zwar die vorhandenen Quellen, aber anhand von Beobachtungen in anderen oberschlesischen Dörfern darf vermutet werden, dass auch ein schon wiederholt zu beobachtender, genereller politischer Opportunismus der Oberschlesier und die sozialen Versprechungen Hitlers diese deutliche Stimmenumverteilung bewirkten. Der politische Wechsel wurde rasch auch in den abgelegensten Dörfern spürbar. Das Vorgehen der Nationalsozialisten konzentrierte sich auf eine institutionelle Anerkennung der deutschen Sprache im oberschlesischen Alltag, vor allem in den traditionellen Ritualen der katholischen Kirche. Diese Entwicklung ging auch an Bierdzan nicht vorbei. In der Sitzung des kommunalen Gemeinderates am 12. Juni 1933 wurde einstimmig der Beschluss gefasst, den Breslauer Erzbischof darum zu bitten, im sonntäglichen Hauptgottesdienst wie bei den Mai- und Oktoberandachten je eine Woche abwechselnd Deutsch und Polnisch singen zu dürfen.100 Es wurde also dieselbe Forderung, die schon im Februar 1931 nur von wenigen Gemeindemitgliedern formuliert worden war, unter den veränderten politischen Rahmenbedingungen auf der staatlichen Ebene einstimmig erneut erhoben. Dabei besaßen die Mitglieder der nationalsozialistischen Partei zu diesem Zeitpunkt noch keine Mehrheit in der lokalen Verwaltung. 99 Johann Stasch an den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin am 28. Juli 1931: ebd., Bl. 165. 100 Petition einer Bierdzaner Einwohnerversammlung an den Breslauer Erzbischof Bertram am 17. Oktober 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.].

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Pfarrer Pillawa lehnte jedoch ab, diesem Beschluss Rechnung zu tragen, und berief sich auf seine Abhängigkeit von diesbezüglichen bischöflichen Weisungen. Er bediente sich, wie viele andere oberschlesische Pfarrer in dieser Zeit, gegenüber nationalistischen Ansprüchen einer Verteidigungsstrategie, die über eine lange Periode sehr erfolgreich gewesen war. Deshalb wurde nach dem Machtwechsel 1933 die bischöfliche Kurie von vielen Kirchenangehörigen direkt angesprochen und mit Anträgen auf größere Berücksichtigung der deutschen Sprache in Predigt und Gesang überflutet. Kardinal Bertram reagierte auf diese Petitionswelle mit einem Schreiben an die Pfarrer. Er überließ es der Entscheidung des örtlichen Geistlichen, ob Deutsch mehr als bisher in der Seelsorge zur Geltung kommen solle, „und zwar in dem Umfange, in welchem [die Pfarrer] es nach den obwaltenden Verhältnissen für ratsam halten“.101 Der Breslauer Oberhirte sah, wie bereits im Kapitel 3 erwähnt, für eine Erhöhung der Zahl deutschsprachiger Gottesdienste drei Gründe vor: Erstens „aus Rücksicht auf die seelische Einstellung der heranwachsenden jüngeren Generation“, zweitens „zur Rückgewinnung solcher, die dem kirchlichen Leben mehr oder weniger entfremdet“ seien und die polnische Predigt mieden, und schließlich drittens, „weil eine zu geringe Berücksichtigung der in den öffentlichen Verhältnissen des Landes eingetretenen Veränderungen Nachteile in kirchlicher Hinsicht im Gefolge haben würde“.102 Pfarrer Pillawa muss die Empfehlungen seines Bischofs sicherlich erwogen haben, aber er setzte sie in der eigenen Pfarrgemeinde nicht in konkrete Änderungen der Gottesdienstordnung um. Er bezeichnete sogar die Forderungen des kommunalen Gemeinderates als ein Produkt weniger „überhitzter Nationalisten“ und als nicht dem wahren Wunsch der Mehrheit der Bierdzaner Katholiken entsprechend.103 Die unnachgiebige Haltung des Priesters ließ seine Gegner zur Anwendung der schon 1931 angedrohten „Selbsthilfe“ schreiten. Im August 1933 bekam Pillawa zunächst Drohbriefe, in denen er zur Räumung der Pfarrstelle aufgefordert wurde, falls er seine „antideutschen Aktivitäten“ fortsetzen sollte.104 Da der Pfarrer auf die unverhüllten Drohungen nicht reagierte, griffen seine Widersacher zu aggressiveren Mitteln. In der Nacht des 14. Oktober 1933 wurde Pillawa in seinem Pfarrhaus überfallen.105 Auf diese Weise erreichte die lokale Auseinandersetzung zwischen den Verfechtern der deutsch-nationalistischen Handlungsmuster und dem Vertreter der katholischen Kirche in Form der Anwendung nackter Gewalt ihren Höhepunkt. Die nationalsozialistischen Aktivisten stellten die herausragende öffentliche 101 Der Breslauer Erzbischof Bertram an Pfarrer Pech in Wallendorf am 12. August 1933: ebd. 102 Ebd. 103 Petition einer Bierdzaner Einwohnerversammlung an den Breslauer Erzbischof Bertram am 17. Oktober 1933: ebd. 104 Der Landrat in Oppeln an den Regierungspräsidenten ebendort am 28. Oktober 1933: APOp, RegOpp I 1739, Bl. 71. 105 Ebd.

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Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse

Stellung des Geistlichen unverhohlen und abrupt in Frage. Der Konflikt erreichte auch deshalb diese Intensität, weil sich hier zwei Hauptziele der neuen Machthaber in Bierdzan überlappten: Der verbitterte Kampf um ein ethnisch und sprachlich homogenes Deutschland und der Wille, die Autorität der katholischen Kirche aus der Lebenswelt der deutschen Staatsbürger vollständig auszuradieren. Die Zielsetzung derjenigen Gemeindemitglieder, die nach nationalistischen Prinzipien handelten, unterscheidet insofern Bierdzan von Bielschowitz. Auf der polnischen Seite der Grenze wurde zwar nach 1926 auch ein starker Homogenisierungsdruck auf die ethnischen und sprachlichen Verhältnisse in der Region ausgeübt, aber der feste Bestandteil des oberschlesischen Alltags – die katholische Kirche – wurde nicht offen angegriffen. Zur Gewaltanwendung gegenüber dem katholischen Pfarrklerus ließen sich die polnischen Nationalisten ebenfalls kaum bewegen, wahrscheinlich wohl wissend, wie diskreditierend ein solches Vorgehen in den Augen der einheimischen Bevölkerung gewesen wäre. Diese Befürchtungen hatten die Nationalsozialisten im deutschen Teil Oberschlesiens offensichtlich nicht. Kurz nach dem Überfall organisierten die Anhänger des neuen Regimes eine große öffentliche Versammlung der Dorfbewohner. „Leidenschaftlich“ und „einstimmig“ wurde dabei beschlossen, an den Erzbischof einen Antrag auf Vermehrung der Zahl deutscher Hauptgottesdienste zu stellen. Die Veränderung des Gottesdienstprogramms sollte „im Interesse des Friedens in der Gemeinde“ geschehen und entspreche „dem Willen der übergroßen Mehrheit“ der Bierdzaner.106 Der brutale Überfall auf die herausragende Autoritätsperson des Dorfes lässt erahnen, wie diese Mehrheit zustande kam und welche angsterfüllte Stimmung unter den Gemeindemitgliedern zu diesem Zeitpunkt herrschen musste. Der vermeintliche Sieg der Nationalsozialisten hatte dennoch nur wenig Einfluss auf die Gottesdienstordnung. Die Oppelner Regierung meldete 1937 weiterhin ein deutliches Übergewicht polnischer Messen in Bierdzan.107 Die rücksichtslose Verfolgung jeglicher Gegner des Nationalsozialismus erreichte Bierdzan spätestens im Oktober 1933. Schon wenige Monate nach der Machtergreifung gelang es den Anhängern der neuen Ordnung, die Dorfbevölkerung zu terrorisieren und schließlich ihren mächtigsten Fürsprecher zu demütigen. Von einer innerlichen Aneignung der nationalsozialistischen Politik durch die Mehrheit der Bierdzaner lässt sich in dieser Periode aber nur schwerlich sprechen.

106 Petition einer Bierdzaner Einwohnerversammlung an den Breslauer Erzbischof Bertram am 17. Oktober 1933: AAWr, NB I A 25 d. 40 [unpag.]. 107 Verzeichnis der deutschen und polnischen Gottesdienste im Kreis Oppeln-Land vom Februar 1937: APOp, RegOpp 12193, Bl. 22. Die darin enthaltene Angabe ist nicht ganz eindeutig. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Antrag des kommunalen Gemeinderates sein vorgegebenes Ziel dennoch erreichte und der Hauptgottesdienst in Bierdzan schließlich abwechselnd auf Deutsch und Polnisch, aber die übrigen Gottesdienste weiterhin überwiegend auf Polnisch abgehalten wurden.

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5.2.3.

261

Zwischenbilanz

Der Bierdzaner und Bielschowitzer Alltag gestaltete sich unter verschiedenen Rahmenbedingungen. Bierdzan war eine kleine ländliche Siedlung, wie sie so oft im deutschen Teil Oberschlesiens anzutreffen war; Bielschowitz wiederum gehörte zu den typischen, bevölkerungsreichen Industriedörfern des oberschlesisch-polnischen Kohlereviers. Diese beiden Ortschaften, die die Siedlungsstruktur des geteilten Oberschlesien schematisch wiedergeben, lagen seit Jahrhunderten zusammen in einer Region, in der die staatliche Verwaltungshoheit wiederholt wechselte. Sie standen 1921/22 wieder vor einer Änderung ihrer Staatszugehörigkeit. Der Wechsel wurde diesmal nur im Fall von Bielschowitz verwirklicht, und zwar mit Zustimmung einer überwiegenden Mehrheit seiner Einwohner. Ab diesem Zeitpunkt gingen die Bewohner von Bierdzan und Bielschowitz staatlich getrennte Wege. Sie wurden der Politik zweier Nationalstaaten und ihren integralen Nationalismen ausgesetzt. In beiden Siedlungen kam es zu Nationalisierungsprozessen; die einheimische Bevölkerung wurde dabei politisch instrumentalisiert und sozial diskriminiert. Durch die vorgenommene konkrete mikrohistorische Analyse konnte ein differenziertes Bild der Einwohner von Bielschowitz und Bierdzan gewonnen werden. Beide Bevölkerungsgruppen wiesen unübersehbare Ähnlichkeiten im Hinblick auf den praktischen Umgang mit der neuen politischen Realität auf. Sie verhielten sich sehr flexibel gegenüber der deutschen und polnischen Nationalisierungspolitik. Das nationalpolitische Angebot einer Zugehörigkeit zur polnischen oder deutschen Nation, das teilweise mit großem Nachdruck oder sogar mit Gewalt forciert wurde, wurde offensichtlich nur auf Zeit wahrgenommen und lediglich bedingt angeeignet. Dies belegen unter anderem die sich dynamisch wandelnden Ergebnisse der offiziellen Spracherhebungen und der politischen Wahlen. Die Oberschlesier zeigten sich äußerst anpassungsfähig und meist loyal gegenüber den immer wieder wechselnden Machthabern. Beständig blieben sie lediglich hinsichtlich ihres Pragmatismus im Alltag und in ihrer aufrichtigen Verbundenheit mit der katholischen Kirche und deren Vertretern vor Ort. Durch die möglichst nahe Betrachtung der Einwohner von Bielschowitz und Bierdzan konnte festgestellt werden, dass auf beiden Seiten der Grenze analoge Verhaltensweisen zu beobachten sind. Anders als die stets wandlungsfähige und von den Betroffenen nur als sekundär empfundene, oft nur temporäre Hinwendung zum polnischen bzw. deutschen Identifikationsangebot erwies sich ein ganz anders fundiertes Wir-Gefühl als eine oberschlesische Konstante. Das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe war auf die engere Heimat gerichtet und zeichnete sich durch den alltäglichen Gebrauch oberschlesischer Dialekte und eine tief verankerte, seit Generationen praktizierte und dadurch selbstverständliche katholische Kirchlichkeit aus. Ein großer Teil der Bielschowitzer und Bierdzaner verstand sich als katholische Oberschlesier – ihr Katholizismus unterschied sich dabei durchaus von dem, der in den ethnisch homogenen Zentralgebieten der je-

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Sensus katholicus und Nationalisierungsprozesse

weiligen Nationalstaaten praktiziert wurde. Die lokalen Dialekte waren ebenfalls ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal. Wer po naszymu, d. h. ‚unsere‘ Sprache, sprach, wusste, wer dazu gehörte und wer nicht. Schließlich wiesen die ‚Lebensläufe‘ beider Gemeinden ähnliche Entwicklungen auf: Die einheimische slawophone Bevölkerung wurde sowohl in Deutschland als auch in Polen von den Mehrheitsnationen sozial diskriminiert. Dadurch war ein Minderwertigkeitskomplex bei vielen Einheimischen tief verankert. Zum Schluss muss darauf hingewiesen werden, dass in den mikrohistorisch analysierten Fällen nur vereinzelt Anzeichen eines grenzüberschreitenden, regional und nicht nur lokal definierten und reflektierten Zusammengehörigkeitsgefühls aller Oberschlesier, die in der Zwischenkriegsperiode in Polen und Deutschland lebten, festgestellt werden konnten. Eine enge Verbindung beider Bevölkerungsgruppen wurde hingegen von manchen Politikern stark betont. Dabei ging es ihnen aber nicht um eine Stärkung der regionalen Bindungen der einheimischen Bevölkerung, sondern um Argumente ethnischer Art in der Debatte um die Gebietsansprüche beider Nationalstaaten. Abseits der politischen Rhetorik kann jedoch behauptet werden, dass die oben geschilderten Denk- und Handlungsmuster der oberschlesischen Einwohner von Bielschowitz und Bierdzan charakteristisch für einen großen Teil aller Einwohner des Abstimmungsgebiets waren.

6.

Zusammenfassung

6.1.

Deutsche Fassung

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die nationalstaatliche Ordnung in fast ganz Europa durch. An die Stelle der national heterogenen Imperien traten neue Staatsorganismen, die sich in der Regel entschieden als Nationalstaaten bzw. gelegentlich als eine politische Vereinigung verschiedener wohldefinierter Nationalitäten auffassten. Die nach 1918 neu gegründeten Nationalstaaten Ostmittel- und Südosteuropas standen jedoch vor alten Herausforderungen: Ihr Recht auf Selbstbestimmung überlappte sich häufig innerhalb ihrer staatlichen Grenzen mit dem Recht anderer nationaler Gemeinschaften. So wurden mehrere Landstriche, insbesondere Grenzgebiete, zum Schauplatz von militärischen Auseinandersetzungen, Herrschaftswechseln, Teilungen und (meist erzwungenen) Migrationsbewegungen. Vom Baltikum über Oberschlesien bis zum Balkan setzten die Nationalstaaten verstärkt auf die Mobilisierung der Bevölkerung für das jeweilige nationale Projekt und verfolgten das Ziel, die Identifikationen bzw. Identifikationsprozesse einzelner Menschen oder Gruppen im Sinne einer national gedeuteten Zugehörigkeit zu prägen und zu beherrschen. Diese Bestrebungen wurden für die Zwecke der vorliegenden Studie als „Nationalisierungspolitik“ bezeichnet. Der alltägliche Umgang der regionalen und lokalen Akteure mit dieser Politik der Nationalisierung stand im Mittelpunkt der hier durchgeführten empirischen Untersuchung. Durchgängig wurden Aushandlungsprozesse und Spannungsfelder zwischen unterschiedlichen sozialen Milieus und politischen wie kirchlichen Entscheidungsträgern sowie der Eigensinn der historischen Akteure vor dem Hintergrund der Nationalisierungsprozesse analysiert. Den territorialen Rahmen der Untersuchung bildete das oberschlesische Abstimmungsgebiet von 1921, das abgesehen von den am westlichen Rand gelegenen, fast ausschließlich deutschsprachigen Kreisen deckungsgleich mit dem preußischen Regierungsbezirk Oppeln vor 1919 war. Nach dem Plebiszit wurde das zwischen Deutschland und Polen umstrittene Gebiet durch eine Grenze geteilt. Auch an dieser Stelle, wie so oft im Europa der Zwischenkriegszeit, konnten ethnische und staatliche Grenzen nicht zur Deckung gebracht werden, so dass auf beiden Seiten ethnische Polen und Deutsche und vor allem die einheimische slawophone Bevölkerung verblieben. Die zeitlichen Eckpunkte der vergleichenden Studie stellen demnach die einzige Periode in der Geschichte des historischen Kerns Oberschlesiens dar, in der die Region zu zwei verschiedenen Staaten gehörte: zwischen der Übernahme des östlichen Teils Oberschlesiens durch Polen 1922 und dem Einmarsch der deutschen Truppen in die polnische Wojewodschaft Schlesien 1939.

264

Zusammenfassungen

Am Beispiel des geteilten Oberschlesiens, einer ethnisch und sprachlich gemischten, aber zugleich nahezu monokonfessionellen katholischen Region, wurde erstmals die Durchsetzungskraft von Nationalisierungsprozessen auf der lokalen Ebene untersucht und das heute in der Region so brisante Verhältnis zwischen Deutschen, Oberschlesiern und Polen historisch ‚von unten‘ beleuchtet. In den knapp zwei Jahrzehnten zwischen Abstimmungskampf und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs versuchten nämlich Politiker und Vereinsaktivisten auf beiden Seiten der neuen Grenze, ein exklusives deutsches bzw. ein polnisches Nationalbewusstsein in der Region zu implantieren. Die Zugehörigkeit Oberschlesiens und seiner Einwohner zum jeweiligen Nationalstaat sollte durch breit angelegte Aktivitäten in Politik, Kultur und Wissenschaft als eine außer jeglichem Zweifel stehende Bindung erscheinen. Vor diesem Hintergrund wurde am Beispiel der Einwohner Oberschlesiens der Frage nach den Grenzen der Nationalisierungsprozesse und dem Inhalt solcher Bezeichnungen wie „deutsch“ und „polnisch“, „einheimisch“, „oberschlesisch“ oder „katholisch“ im wechselseitigen Selbstverständnis auf der Mikroebene nachgegangen. Die Arbeit verfolgte demnach das Ziel, die unterschiedlichen Verhältnisse, die Wahrnehmungen und Aktionsweisen der Akteure und die komplexen sprachlichen, nationalen und konfessionellen Zugehörigkeiten und Abgrenzungen aus der mikro- und alltagsgeschichtlichen Perspektive anschaulich und mit einem hohen Maß an Konkretion zu erschließen. Dieser Zugang erlaubte es, die Analyse der oberschlesischen Lebenswelten über die gängige Konzentration auf privilegierte gesellschaftliche Gruppen hinaus zu erweitern. In der zu Beginn der Studie durchgeführten makrohistorischen Analyse der deutschen und polnischen Plebiszitfeiern aus den Jahren 1923–1933 zeigte sich, dass nach der Teilung der Region die staatlichen Stellen beiderseits der neuen Grenze große Anstrengungen unternahmen, um Nationalisierungsprozesse voranzutreiben. Diese Aktivitäten hatten sich zuvor während der Abstimmungskampagne und der militanten Auseinandersetzungen um das umstrittene Grenzgebiet 1919–1921 enorm intensiviert. Der anschließende Volksentscheid im März 1921 hatte den ersten Höhepunkt der nationalisierenden Politikstrategien gebildet, als sich die Oberschlesier zwischen zwei Nationalstaaten entscheiden sollten. Die Feierlichkeiten der folgenden Jahre versuchten, dieses national überformte „Entscheidungsereignis“ immer wieder zu aktualisieren. Sie wurden dadurch zu einem wichtigen Mittel im Instrumentarium der staatlichen Nationalisierungspolitik, mit dem die symbolische und abstrakte Zugehörigkeit zur nationalen Gemeinschaft jedes Jahr aufs Neue in Erinnerung gerufen wurde. Die nationale Gemeinschaft dominierte dadurch den öffentlichen Diskurs als kollektives Leitbild. Hierbei versuchten sowohl deutsche als auch polnische Politiker und Aktivisten parteiübergreifend, geschichtliche Ereignisse in eine Reihe von Traditionen zu integrieren, die für die Konstituierung der Nation zentral und sinnstiftend sein sollten.

Deutsche Fassung

265

Als ein auffallender Unterschied zwischen den deutschen und polnischen Aktivitäten kann die Stellung der jeweiligen nationalen Minderheiten bezeichnet werden. In der preußischen Provinz Oberschlesien bildete die slawophone Bevölkerung bzw. die polnische Minderheit keinen so herausragenden gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Faktor wie die deutsche Bevölkerungsgruppe in der polnischen Wojewodschaft Schlesien. In der Minderheitenpolitik bestand hierbei auf beiden Seiten der Grenze kein jeweils parteiübergreifender Konsens. So bemühten sich das Zentrum und andere staatstragende und demokratische Parteien der Weimarer Republik um eine langfristige Assimilation der slawophonen Oberschlesier und betrachteten sie als loyale preußische Staatsbürger. Nach 1933 kamen in Deutschland andere Nationalisierungsstrategien zum Zug. Das „slawische Element“ wurde nun grundsätzlich misstrauisch beobachtet und als minderwertig eingestuft. Schließlich sollten die slawophonen Oberschlesier schleunigst und auch mit Anwendung von Gewaltmitteln assimiliert werden. Diese Vorgehensweise stand im Gegensatz zu dem in der zeitgenössischen Ostforschung postulierten Konzept des deutschen „Volks- und Kulturbodens“, nach dem die Herrschaftsansprüche der Deutschen über das von Slawen bewohnte Ostmitteleuropa mit den kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen der Deutschen begründet wurden. Demnach sollte die Bestimmung der Nationalität der ethnisch slawischen Bevölkerung nicht nur über die vermeintlich objektiven Merkmale wie die Sprache erfolgen, sondern über das subjektive Bekenntnis zugunsten des „überlegenen“ Deutschtums ausfallen. Das Handeln der Nationalsozialisten in der Provinz Oberschlesien in den 1930er Jahren zeugt jedoch von einer konträren Praxis vor Ort. Die Nationalsozialisten betrachteten die slawophonen Oberschlesier als eine unberechenbare Gefahr und als Vorposten des Polentums. So konzentrierten sie sich auf die Beseitigung der slawischen Dialekte aus allen privaten und öffentlichen Bereichen, um dadurch die slawophonen Oberschlesier für das Deutschtum endgültig zu gewinnen. Auch für den polnischen Teil Oberschlesiens können Veränderungen der Nationalisierungsstrategien der regionalen Regierung festgestellt werden. Solange die Christdemokraten um Wojciech Korfanty das politische Geschehen in der Wojewodschaft gestalteten, war der Polonisierungsdruck auf die deutsch- und polnischsprachigen einheimischen Oberschlesier gemäßigt. Als 1926 Michał Grażyński den Wojewodenposten übernahm, veränderten sich die politischen Ziele und eine dynamische Beschleunigung der Nationalisierungsprozesse wurde gefordert. Auch sie stellten die Bedeutung einer als objektiv gedeuteten Nationszugehörigkeit in den Vordergrund und schreckten – wie die Nationalisten auf deutscher Seite – nicht vor der Anwendung von Gewalt zurück. Trotz der massiven Bemühungen der deutschen und polnischen Politiker und Aktivisten, Oberschlesien als eine national rein deutsche bzw. polnische Region darzustellen und die einheimischen Einwohner in die jeweilige Nation zu integrieren, erwies sich die Wirksamkeit solcher Nationalisierungsstrategien als begrenzt.

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Zusammenfassungen

Gerade durch eine mikrogeschichtliche Analyse unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten konnte festgestellt werden, dass sich selbst im „Zeitalter des Nationalismus“ eine Vielzahl der Oberschlesier äußerst reserviert gegenüber nationalpolitischer Mobilisierung verhielt. Es gab offensichtlich neben den nationalisierenden Strategien der tonangebenden politischen Eliten und den Ethnonationalismen der organisierten nationalen Minderheiten eine wenig politisierte und kampfunwillige Alltagswirklichkeit abseits der politisch aufgeladenen öffentlichen Diskurse. Für eine Mehrzahl der Oberschlesier stellten beispielsweise die Verwendung der slawischen Dialekte und der spezifisch oberschlesischen Variante des Deutschen kein Politikum und keinen zwingend objektiven Indikator für das jeweilige nationale Bekenntnis dar. Auf beiden Seiten der Grenze blieb auch nach der polarisierenden Periode der Abstimmungspropaganda eine Kultur erhalten, die keine Voreingenommenheit gegenüber den beiden Sprachsystemen kannte. Nur in einem Lebensbereich spielte es eine äußerst wichtige Rolle, welche Sprache bei der Handlung eingesetzt wurde, nämlich bei den kirchlich-religiösen Praktiken. Dort wurden auch nicht die Dialekte, sondern die jeweilige Hochsprache angewendet. Trotz erheblicher Behinderungen durch die staatlichen Behörden ab 1926 in Polen und 1933 in Deutschland blieb der Gebrauch der deutschen Sprache im polnischen Teil Oberschlesiens und der polnischen Sprache im deutschen Teil der Region im Bereich der Kirche bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erhalten. Dies war möglich, weil sich ein Bewusstsein von Zusammengehörigkeit in erster Linie auf die althergebrachten Traditionen des in der lokalen „eigenen“ Pfarrgemeinde gelebten Katholizismus stützte. Dieses Phänomen konnte sich in der Phase des überhöhten Nationalismus der ersten Nachkriegsjahre weiterhin behaupten und seine Beständigkeit auch nach der Übernahme der politischen Macht durch verstärkt nationalistisch agierende Gruppierungen beweisen. Dennoch wuchs in den Jahren zwischen den Weltkriegen der Einfluss der Sprache als identitätsstiftendes Element und mögliche Konfliktursache. Besonders ein Teil der oberschlesischen Jugend, die ihren ganzen Sozialisationsprozess in den 1920er und nicht zuletzt in den 1930er Jahren in einem der beiden Nationalstaaten durchlief, war bereit, die Sprache als ein objektives und entscheidendes Merkmal des nationalen Bewusstseins und Bekenntnisses zu bewerten. Dies musste jedoch kein linearer Nationalisierungsprozess gewesen sein, er war auch bei diesen Jugendlichen eher von Unterbrechungen und Rückschlägen gekennzeichnet. Bei einem Großteil der slawophonen Bevölkerung konnte aus den Quellen herausgearbeitet werden, dass für sie das polnische bzw. deutsche Nationalbewusstsein keinen ursprünglichen und unabänderlichen Charakter und Bedeutung besaß, sondern eher eine Ideologie war, die man zeitweise unterstützte oder auch gänzlich ablehnen konnte. Es scheint zugleich, dass bei diesen Menschen die Nation keinen Wert an sich darstellte, sondern vielmehr durch pragmatische Argumente wie das Umgehen von Unannehmlichkeiten oder unterschiedliche Nützlichkeitserwägungen gekennzeichnet war. Die nationale Ideologie sollte Ende der 1930er Jahre von staatlicher

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Seite her sowohl im deutschen als auch im polnischen Teil Oberschlesiens dennoch mit aller Härte durchgesetzt werden. Dafür waren teilweise einheimische Bewohner der Region verantwortlich, ob in den Reihen der ehemaligen Aufständischen oder der Anhänger des Nationalsozialismus. Möglicherweise waren auch für ihr nationales Engagement pragmatische Überlegungen ausschlaggebend und die Nation wurde von ihnen als Projektionsfläche für die verschiedensten Wünsche, die sich aus der jeweiligen Lebenssituation ergaben, wahrgenommen. In den führenden Positionen bei dem Vorantreiben der Nationalisierungsprozesse befanden sich dennoch in der Regel zugewanderte nationalbewusste und nationalistisch handelnde Personen, die zudem ein anderes Verständnis des Stellenwerts der katholischen Kirche im oberschlesischen Alltag mit sich brachten. So konnte am Vorabend des Krieges auch die letzte Bastion der subjektiven Zuschreibung von Sprache und staatlicher Zugehörigkeit, die katholische Kirche, zum Nachgeben gezwungen werden. Bei der Analyse von Fronleichnamsprozessionen bzw. anderen von der breiten Öffentlichkeit wahrnehmbaren kirchlichen Feierlichkeiten stellte sich heraus, dass für die Verfechter des Nationalismus in erster Linie nicht der Gesang als Gebet und ein Mittel der Kommunikation mit Gott, sondern vielmehr öffentlicher Prestigegewinn und gesellschaftliche Anerkennung eine vorrangige Rolle spielten. Dies wirft ein zusätzliches Licht auf die nichtideellen Motivationen der nationalen Wortführer im Prozess der Nationalisierung. Solange die kirchlichen und staatlichen Behörden gemeinsame Interessen verbanden, kam es jedoch nur in Einzelfällen zu öffentlichen Ausbrüchen eines nationalistisch begründeten Unmuts. Dies änderte sich im polnischen Teil Oberschlesiens nach der Amtsübernahme durch Grażyński im September 1926. Diese politische Zäsur beeinflusste die kirchlich-öffentlichen Feiern, eine Anhäufung handfester Konflikte ist erst für die Zeit danach festzustellen. Auffällig bleibt, dass sich die nationalistisch begründeten Streitigkeiten in der Wojewodschaft Schlesien hauptsächlich im städtischen Milieu abspielten. In den ländlichen Gegenden besaß die slawophone einheimische Bevölkerung ein erhebliches zahlenmäßiges Übergewicht und wies im Gegensatz zu den städtisch-industriellen Gemeinden eine große soziale Kohäsion innerhalb der lokalen Gemeinschaft auf. Aus diesem Grund vermochte eine moderne Erscheinung wie die Idee einer abstrakten Nation die dortige Bevölkerung erst mit Verspätung und nicht unbedingt erfolgreich zu erfassen. Die NSDAP musste nach der Machtübernahme im Reich 1933 in der oberschlesischen Provinz zunächst fester Fuß fassen, bevor sie ein systematisches und rücksichtsloses Vorgehen gegen die für sie provozierend glanzvolle öffentliche Präsenz der slawischen und religiösen Elemente einleiten konnte. Selbst die Mehrheit der lokalen aktiven Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung sprach untereinander eine nichtdeutsche Sprache und fühlte sich mit ihren lokalen katholischen Pfarrgemeinden tief verbunden. In der konservativ-ländlichen Lebenswelt wogen oft auch familiäre Bindungen schwerer als politische Loyalitäten. So musste die

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NSDAP in den 1930er Jahren erst gezielte Maßnahmen ergreifen, um aus ihrer Sicht problematische Lagen, die in den ethnisch homogenen Gebieten des Reiches unbekannt waren, aus dem oberschlesischen Alltag zu verdrängen. In diesem Zusammenhang betrachtete die regierende Partei zurecht die vom polnischen Gesang begleiteten, katholischen und in der oberschlesischen Öffentlichkeit hoch angesehenen Fronleichnamsprozessionen als Hochburg einer nicht gleichgeschalteten Gemeinschaft. Dementsprechend strebte sie eine Unterdrückung dieser fest verankerten Tradition an. Als natürliche Gegner des Regimes erwiesen sich dabei katholische Geistliche, die auf dem Lande weiterhin einen großen Einfluss auf die lokalen Gemeinschaften besaßen. Bei einem Vergleich der Provinz Oberschlesien mit der Wojewodschaft Schlesien zeigte sich auf einigen Vergleichsebenen eine spiegelbildliche Verkehrung der Verhältnisse. Im polnischen Teil der Region wurde politischer Einfluss auf die kirchliche Lebenswelt vor allem in den städtischen Gemeinden ausgeübt, wo verhältnismäßig viele deutsche und polnische nationalbewusste Einwohner lebten. Der Nationalitätenkampf war hier vornehmlich ein städtisches Phänomen. In der deutschen Provinz dagegen konzentrierten sich die Streitigkeiten auf dem Lande, da die Städte vorwiegend deutschsprachig und mit der deutschen Kultur so eng verbunden waren, dass das Monopol der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit außer Frage stand. Ähnlich wie im Osten der Region bildete die slawophone Bevölkerung eine große Mehrheit außerhalb der urbanen Räume und füllte die religiösen Feiern mit polnischen Gesängen und Gebeten. Solange die in den kirchlichen Zusammenhängen angewendete Sprache nicht mit dem Verdacht behaftet war, Illoyalität gegenüber dem Staat auszudrücken, war eine politische Einflussnahme relativ selten anzutreffen. Dennoch wurde die Bekämpfung der sprachlichen Inkongruenz mit der Mehrheitssprache – westlich der Grenze vornehmlich auf dem Lande, östlich von ihr in den Städten – zur Priorität der autoritären nationalisierenden Regime ab 1926 bzw. 1933 in der Region. Das nach 1926 in Polen regierende Sanacja-Lager unterschied sich jedoch von den Nationalsozialisten dadurch, dass es keine Eliminierung der katholischen Kirche aus der Öffentlichkeit anstrebte. Der nationalistischen Bewegung um den Wojewoden Grażyński war allerdings die Vorstellung einer prinzipiellen Unterordnung der mächtigen und sprachlich pluralen Kirche unter ihre nationalpolnischen Ziele nicht ganz fremd, was sich mancherorts darin zeigte, dass sie die Autorität der Pfarrer anfocht. Mehrere Indizien deuten jedoch darauf hin, dass sowohl im deutschen als auch im polnischen Teil Oberschlesiens nur ein kleiner Teil der einheimischen Einwohner diese Politik aktiv unterstützte. Die überwiegende Mehrheit der Oberschlesier schaute passiv zu oder missbilligte das behördlich abgesegnete Vorgehen, das die traditionelle kirchliche Ordnung in ihren Gemeinden zu beeinflussen oder sogar zu sprengen versuchte. Am Beispiel eines Industriedorfes im polnischen Teil Oberschlesiens (Bielschowitz) konnten auf der lokalen Ebene Strategien der Zurückhaltung und der

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Ablehnung gegenüber den Nationalisierungsprozessen beobachtet werden. Obwohl das oberschlesische Kohlerevier stark industrialisiert war und die Prozesse der gesellschaftlichen Modernisierung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant beschleunigt wurden, konnte der Nationalismus in dieser Region nur schwer Fuß fassen. Das vormoderne Phänomen des Übergewichts eines konfessionell und lokal geprägten Wir-Gefühls gegenüber der abstrakten Idee einer auf ethnischsprachliche Kriterien gestützten nationalen Gemeinschaft reichte noch weit bis in das vermeintlich von nationalen Denkmustern dominierte 20. Jahrhundert hinein. Gleichzeitig sind auch die Akteure deutlicher zu erkennen, die diese Prozesse vorantrieben und primär in den Kategorien des Nationalen dachten und handelten. Die Auseinandersetzung zweier Weltbilder war unwiderruflich in der Abstimmungszeit aufgeflammt und wurde nach dem Maiumsturz 1926 beschleunigt. Danach standen sich im Fall von Bielschowitz das Pfarramt und die örtliche nationalpolnisch gesinnte Kommunal- und Schulverwaltung gegenüber. Aus dieser Auseinandersetzung ging am Ende die weltliche Macht als Sieger hervor, aber viele Einwohner der Gemeinde ließen sich noch lange nicht in die Bahnen der polnisch-nationalen Denk- und Handlungsmuster lenken. Aus ihrer Sicht diskreditierte sich die nationale Ideologie hauptsächlich wegen der Exzesse im kirchlichen Raum. Viele Bielschowitzer entschieden über ihre jeweiligen nationalpolitischen Positionen weiterhin situationsbezogen und nicht selten opportunistisch. Für beide Teile Oberschlesiens konnte festgestellt werden, dass die Termini „Pole“ und „Deutscher“ nicht im substantivischen, sondern eher im adjektivischen Sinne angewendet wurden und sich dementsprechend steigern ließen. In der Quellenüberlieferung sind demnach solche Bezeichnungen anzutreffen wie „noch schlimmere Polen“ oder „größere Deutschen“. In einer nationalen Gemeinschaft wird jedoch die Bezeichnung für ein Mitglied nicht abgestuft und lässt sich in der Regel mit der Teilnahme an einer anderen nationalen Gruppe nicht in Einklang bringen. Die einheimischen Bewohner der oberschlesischen Grenzregion konnten dennoch gemäß eigenem Empfinden im größeren oder kleineren Ausmaß Mitglieder der polnischen oder deutschen nationalen Gemeinschaft sein. Entsprechend ähnelte die subjektive nationale Zugehörigkeit der unter Umständen nur zeitweiligen Anhängerschaft an eine politische Partei, die man auch wieder wechseln oder aufgeben konnte. Die Identifikation mit einer Nation war demzufolge ein politisches Angebot, das abhängig von wechselnden Faktoren bewusst wahrgenommen wurde oder auch nicht.Die meisten Oberschlesier hielten unverrückbar lediglich am Katholizismus fest, der einen äußerst wichtigen, wenn nicht den grundsätzlich primären Wert in ihrer Lebenswelt darstellte. Ihre alltägliche Kirchlichkeit, geprägt von einem festen Bezug zu „ihrer eigenen“ Pfarrgemeinde, unterschied sich in der Wojewodschaft Schlesien von der Religiosität der zugewanderten Polen. Diese wurden von den einheimischen Oberschlesiern deshalb als nicht fromm genug und zu kirchenkritisch wahrgenommen. Die Differenzen des jeweiligen Stellenwerts der Kirche im Alltag schufen ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal gegenüber den

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neuzugezogenen Polen. Dies verstärkte im Umkehrschluss ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich an lokale, althergebrachte katholische Traditionen und Gepflogenheiten anlehnte. Dazu gehörte die uneingeschränkte Anerkennung der katholischen Kirche und ihrer Vertreter vor Ort. Dieses Wir-Gefühl wurde jedoch durch die Nationalisierungspolitik des polnischen Staates einem hohen Homogenisierungsdruck ausgesetzt. Der Erfolg dieser Bemühungen hing eng von der Haltung der örtlichen Geistlichen ab. In Bielschowitz erlaubte es erst die Tätigkeit eines polnisch orientierten Priesters (ab 1929), das Ansehen der polnisch-nationalen Ideologie unter den Gemeindemitgliedern zu erhöhen. So konnten die gemeinsamen Bemühungen der lokalen weltlichen und geistlichen Macht im Dienst der gleichen nationalpolitischen Ziele verbunden werden. Das Ergebnis der nationalisierenden Anstrengungen bleibt dennoch nicht zuletzt aufgrund der kurzen Periode bis 1939 offen. Ähnliche Phänomene konnten auch auf der anderen Seite der Grenze im Dorf Bierdzan beobachtet werden. Die Einwohner des polnischen Bielschowitz und deutschen Bierdzan wiesen unübersehbare Analogien im Hinblick auf den praktischen Umgang mit der neuen politischen Realität auf. Sie verhielten sich sehr flexibel gegenüber der deutschen und polnischen Nationalisierungspolitik. Das nationalpolitische Angebot einer Zugehörigkeit zur polnischen oder deutschen Nation, das teilweise mit großem Nachdruck oder sogar mit Gewalt forciert wurde, wurde offensichtlich nur auf Zeit wahrgenommen und lediglich bedingt angeeignet. Dies belegen unter anderem die sich dynamisch wandelnden Ergebnisse der offiziellen Spracherhebungen und der politischen Wahlen. Die Oberschlesier zeigten sich äußerst anpassungsfähig und meist loyal gegenüber den immer wieder wechselnden Machthabern. Beständig blieben sie lediglich hinsichtlich ihres Pragmatismus im Alltag und in ihrer aufrichtigen Verbundenheit mit der katholischen Kirche und ihren Vertretern vor Ort. Der Heimatbegriff umfasste demnach eine wahrscheinlich selbstverständliche Verschränkung des Heimatortes und der örtlichen katholischen Pfarrgemeinde. Ein grenzüberschreitendes, regional und nicht nur lokal definiertes und reflektiertes Zusammengehörigkeitsgefühl aller Oberschlesier konnte nur vereinzelt festgestellt werden. Zu den Vertretern einer so artikulierten Wir-Gruppe gehörten in erster Linie einige wenige Geistliche. Ein Großteil des oberschlesischen Klerus verhielt sich grundsätzlich apolitisch und widmete sich mit Hingabe der reinen Seelsorge. Daneben gab es einen „moderneren“ Priestertypus mit einem ausgeprägten politischen Sinn, der im Gegensatz zum Charakter des politischen Engagements der geistlichen Zentrumsabgeordneten vor 1914 nicht unbedingt in allen Fragen mit den Zielen der institutionalisierten Kirche übereinstimmte. Der nationale Patriotismus solcher Kapläne konnte schwerer wiegen als die priesterliche Aufgabe, für jedes katholische Gemeindemitglied – unabhängig von seinem sprachlichen, ethnischen oder sozialen Hintergrund – ein vertrauenswürdiger und unparteiischer Ansprechpartner zu sein. Diese Haltung befand sich jedoch eindeutig in der Minderheit.

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Vor dem Hintergrund des nationalpolitischen Engagements des Klerus konnte ferner ein generationsbedingter Unterschied festgestellt werden. Bei ihrer seelsorgerischen Tätigkeit verhielten sich apolitisch in der Regel diejenigen Priester, die bis zur Jahrhundertwende ihre theologische Ausbildung in Breslau abgeschlossen hatten. Unter den Priestern hingegen, deren jugendliche Sozialisation während des letzten Jahrzehnts vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stattgefunden hatte, kamen häufiger Persönlichkeiten mit ausgeprägtem politischen Sinn vor, die öffentlich und entschlossen Nationalisierungsprozesse mit der Hilfe der kirchlichen Autorität forcierten. Diese mögliche „Generationalität“ garantierte dennoch keine lineare Erfolgsgeschichte des Nationalen. Die Nationalisierung der Oberschlesier war eben keine Frage der Zeit. Auch wenn sich ein Großteil des oberschlesischen Klerus in der äußerst politisierten Periode der Abstimmung für die Belange der einen oder anderen Nation engagierte, kann für die Zwischenkriegszeit nicht von einer Irreversibilität des Nationalen gesprochen werden. Ein bedeutender Teil der oberschlesischen Geistlichkeit kehrte nach dem Plebiszit zu seinen rein seelsorgerischen Aktivitäten zurück und duldete eine weitere politische Mobilisierung seiner Pfarrgemeinden nicht. Dies ist umso bemerkenswerter, dass es sich beim Klerus um eine gebildete und mobile, also dementsprechend moderne und in breiten Erfahrungshorizonten reflektierende Gruppe handelte. Sie war zugleich mit dem modernen Vereins- und Pressewesen nicht nur vertraut, sondern gestaltete es maßgeblich mit. Die katholische Priesterschaft war dadurch die intellektuelle Gesellschaftsschicht vor Ort. Trotz alledem ließ sie sich nicht dauerhaft und unumkehrbar nationalisieren. Dieser Befund bringt die gängigen Modernisierungstheorien in Verlegenheit, die argumentieren, dass die Teilhabe an der Hochkultur – insbesondere in einem industrialisierten urbanen und politisch bereits mobilisierten Umfeld – mit der Verinnerlichung der nationalen Denkmuster gleichbedeutend sei und als irreversibler Abschluss eines jeden Modernisierungsprozesses angesehen werden solle. Der zwingende Zusammenhang von Modernisierungs- und Nationalisierungsprozessen, der spätestens seit der Studie Eugen Webers von 1976 zu französischen Bauern eindeutig hervorgetreten ist, hält im Fall Oberschlesien nicht stand. Ein Großteil der einheimischen slawophonen Intellektuellen – das vermeintlich beste Material für die Hrochsche „Patriotengruppe“ – bevorzugte nationale Indifferenz und engagierte sich nicht in der Nationalisierungspolitik. Die Haltung der katholischen Gemeindemitglieder in Oberschlesien bestätigt wiederum die These von der Revitalisierung des Religiösen im „zweiten konfessionellen Zeitalter“. Vieles deutet darauf hin, dass der Zusammenhalt der lokalen Pfarrgemeinden von Modernisierungs- und Nationalisierungsprozessen nicht gesprengt werden und sogar eine noch intensivere Wirkung gerade nach der Periode der massiven politischen Mobilisierung entfalten konnte. Dieser Befund legt wiederum nahe, dass die Geschichte Oberschlesiens zwischen den Weltkriegen weniger als ein Schauplatz des deutsch-polnischen, im Nationalismus verankerten Kon-

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flikts und mehr als eine Auseinandersetzung zwischen einem klerikalen und antiklerikalen Lager gelesen werden muss. Demnach standen sich hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Weltbilder gegenüber und nicht Verfechter von miteinander verfeindeten, aber in ihrer Struktur gleichen nationalen Ideologiemustern. Zum Schluss muss betont werden, dass die vorliegende Studie konkrete Formen alltäglicher Praxis und Erfahrung zeigte, in denen Identität definiert, variiert, nuanciert oder auch abgelehnt wurde. Durch die vergleichende Darstellung einer Randregion der Nationalstaaten, die an der Schnittstelle heterogener Ethnizitäten lag, aber eine konfessionell homogene Zusammensetzung aufwies, wurde ein Beitrag zur Diskussion über die Relevanz und Wechselwirkungen von Wir-GruppenZugehörigkeiten in einem europäischen Zwischenraum geleistet. Anhand einer analytischen Beobachtung des zwischen Deutschland und Polen umkämpften Oberschlesien der 1920er und 1930er Jahre konnten spezifisch moderne Phänomene wie Nationalisierung, Politisierung und Säkularisierung mit den Erscheinungen konfrontiert werden, die als vormodern gelten, wie etwa das Übergewicht lokaler, konfessioneller und/oder regionaler Zugehörigkeitsgefühle zu einer Gemeinschaft. Dadurch versteht sich diese Studie als Beitrag zu aktuellen Debatten der Nationalismusforschung und schließt sich sowohl der deutschen wie der polnischen Geschichtsschreibung an.

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Streszczenie w języku polskim Po I wojnie światowej powstał w Europie porządek polityczny oparty na państwach narodowych. W miejsce wielonarodowych imperiów powołane zostały do życia organizmy państwowe, które postrzegały się zdecydowanie jako państwa narodowe lub w najgorszym wypadku jako polityczny związek ukształtowanych narodów. Te nowe państwa narodowe powstałe w Europie Środkowo- i Południowo-Wschodniej musiały jednak sprostać starym wyzwaniom: ich prawo do samostanowienia pokrywało się często z analogicznymi roszczeniami innych wspólnot narodowych w granicach tego samego państwowego terytorium. Z tego powodu w pierwszych latach po Wielkiej Wojnie liczne obszary graniczne stały się widownią konfliktów militarnych, zmian władzy, podziałów terytorialnych czy też – często wymuszonych – ruchów migracyjnych. Od krajów bałtyckich przez Górny Śląsk aż po Bałkany mamy w tym czasie do czynienia ze wzmożoną aktywnością państw narodowych pragnących ukształtować i ukierunkować procesy identyfikacji poszczególnych osób lub grup w stronę idei przynależności narodowej i mobilizujących ludność do bezwzględnego utożsamiania się z rządzącą większością narodową. Tego typu starania zostały nazwane w niniejszej książce „polityką unaradawiania“.

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Codzienny stosunek regionalnych i lokalnych aktorów historycznych do tej polityki unaradawiania znajdował się w centrum zainteresowania przedłożonych tutaj empirycznych badań. Na tym tle zostały przeanalizowane procesy kommunikacji i źródła napięć pomiędzy poszczególnymi środowiskami społecznymi a politycznymi czy kościelnymi ośrodkami władzy, jak również formy przyswajania, modyfikowania lub odrzucania propagowanych procesów unaradawiania. Ramy terytorialne tychże badań stanowił górnośląski obszar plebiscytowy z 1921 roku, który z pominięciem zachodnich, prawie wyłącznie niemieckojęzycznych powiatów pokrywał się z pruską rejencją opolską z czasów sprzed wybuchu wojny. Obszar ten będący sceną konfliktów terytorialnych między Polską a Niemcami po zakończeniu I wojny światowej został po plebiscycie przecięty granicą i podzielony. Jednakże nawet powszechne głosowanie w sprawie przynależności państwowej regionu nie pozwoliło na wytyczenie granicy państwowej pokrywającej się z granicą występowania grup etnicznych – podobny fenomen można było zaobserwować w wielu krajach ówczesnej międzywojennej Europy. Po obu stronach nowej granicy pozostali Polacy i Niemcy, a przede wszystkim slawofoniczna ludność miejscowa. Prawie dwa dziesięciolecia, między przejęciem przez polską administrację wschodnich terenów Górnego Śląska w 1922 roku a wkroczeniem niemieckiego Wehrmachtu do polskiego województwa śląskiego we wrześniu 1939 roku, stanowią jedyny okres w dziejach historycznego rdzenia Górnego Śląska, kiedy region ten znajdował się w dwóch różnych państwach. Z tego względu przedłożona tutaj porównawcza praca koncentruje się właśnie na okresie 1922–1939. Na przykładzie podzielonego Górnego Śląska, regionu niejednorodnego etnicznie i językowo, ale równocześnie praktycznie jednowyznaniowego, katolickiego, została przebadana siła oddziaływania procesów unaradawiania na poziomie lokalnym. W ten sposób została przybliżona ‚oddolnie‘ perspektywa historyczna wzajemnych stosunków między Polakami, Niemcami i Górnoślązakami. W ciągu niecałych dwóch dziesięcioleci między walką plebiscytową a wybuchem II wojny światowej politycy i aktywiści społeczni po obu stronach nowej granicy podejmowali wiele prób zaszczepienia wyłącznie polskiej bądź wyłącznie niemieckiej świadomości narodowej w regionie. Przynależność Górnego Śląska i jego mieszkańców do danego państwa narodowego starano się udowodnić poprzez szeroko zakrojoną działalność na polu polityki, kultury i nauki, a ukazywano ją jako więź naturalną, odwieczną i niepodlegającą żadnym wątpliwościom. Na tle tych dążeń postawione zostało pytanie o granice procesów unaradawiania mieszkańców Górnego Śląska, jak również przeanalizowana została na płaszczyźnie mikrohistorycznej naturalność i postrzeganie treści takich określeń jak „niemiecki“, „polski“, „miejscowy“, „górnośląski“ czy „katolicki“ we wzajemnych relacjach między mieszkańcami. Celem pracy było zatem odtworzenie szerokiej gamy wzajemnych stosunków, wzorów postrzegania i działania aktorów historycznych, jak też skomplikowanej siatki przynależności językowych, narodowych czy wyznaniowych. Rekonstrukcja tych zagadnień odbyła się z perspektywy mikrohistorii życia co-

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dziennego, co pozwoliło uzyskać wysoki stopień plastyczności i konkretności w opisie górnośląskiego świata przeżywanego oraz rozszerzyć obserwację historycznych aktorów poza już stosunkowo szeroko przebadane grupy społecznie uprzywilejowane. W przeprowadzonej na początku pracy analizie polskich i niemieckich uroczystości plebiscytowych z lat 1923–1933 okazało się, że przedstawiciele obu państw wkładali bardzo dużo wysiłku w przyspieszenie procesów unaradawiania. Do ogromnego zintensyfikowania tego typu działalności doszło już wcześniej w trakcie kampanii plebiscytowej i konfliktu militarnego o sporne terytorium w latach 1919–1921. Głosowanie, które nastąpiło w marcu 1921 roku i dotyczyło określenia się Górnoślązaków po stronie jednego albo drugiego państwa narodowego, stanowiło pierwszy moment kulminacyjny politycznych strategii unaradawiania. W latach następnych coroczne uroczystości w rocznicę plebiscytu miały za zadanie wciąż na nowo aktualizować to wydarzenie nasycone treściami narodowymi, przez co stały się ważnym instrumentem w państwowej polityce unaradawiania. Ich rola polegała na rokrocznym przywoływaniu i potwierdzaniu pamięci o symbolicznej i abstrakcyjnej przynależności do wspólnoty narodowej. W ten sposób naród był przedstawiany jako ideał wspólnoty i dominował w dyskursie publicznym. Równocześnie zarówno polscy, jak i niemieccy politycy i aktywiści, co ciekawe bez względu na przynależność partyjną, podejmowali próby integracji wydarzeń z 1921 roku w ramach tradycji historycznych, które w decydujący sposób miały przyczynić się do ukonstytuowania się narodu. W kontekście tych polskich i niemieckich akcji propagandowych rzuca się w oczy odmienna rola i znaczenie odnośnych mniejszości narodowych. W pruskiej prowincji górnośląskiej ludność slawofoniczna, czy też polska mniejszość nie były żadnym ważnym czynnikiem społeczno-politycznym lub gospodarczym, zupełnie przeciwnie do roli, jaką odgrywała w tych dziedzinach mniejszość niemiecka w polskim województwie śląskim. Jeśli chodzi o politykę wobec mniejszości, to po obu stronach granicy nie było trwałego politycznego konsensusu, jak z nimi postępować. Do roku 1933 katolickie Centrum i inne propaństwowe i demokratyczne partie Republiki Weimarskiej dążyły do długofalowej asymilacji slawofonicznych Górnoślązaków, których postrzegały jako lojalnych pruskich obywateli państwa niemieckiego. Strategia polityki unaradawiania zmieniła się znacznie, gdy do władzy doszli narodowi socjaliści z Adolfem Hitlerem na czele. „Żywioł słowiański“ był obserwowany od tej pory z dużą dozą nieufności i oficjalnie określany jako mniej wartościowy. W końcowym efekcie wprowadzono politykę natychmiastowej asymilacji, która była zaszczepiana także z użyciem środków przemocy. Ten sposób prowadzenia polityki wobec słowiańskiej mniejszości był przeciwieństwem postulatów niemieckich badaczy Wschodu, którzy postulowali program niemieckiego Volksund Kulturboden. Według tej koncepcji niemiecki prymat nad Słowianami w Europie Środkowo-Wschodniej został ugruntowany poprzez kulturalne i gospodarcze osiągnięcia Niemców w tej części Europy. Oznaczało to, że określenie narodowości

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ludności słowiańskiej miało się dokonywać nie tylko na podstawie domniemanych kryteriów obiektywnych, jak na przykład używanego języka, lecz przede wszystkim poprzez subiektywne poczucie przynależności do kulturowo i gospodarczo dominującej niemieckości. Działania narodowych socjalistów w prowincji górnośląskiej w latach 30–tych XX wieku wskazują jednakże na odmienną praktykę w konkretnych codziennych sytuacjach. W tajnych sprawozdaniach NSDAP postrzegała slawofonicznych Górnoślązaków jako nieobliczalne niebezpieczeństwo oraz przyczółek polskości. Dlatego partia ta koncentrowała się na usuwaniu słowiańskich dialektów zarówno ze sfery prywatnej jak i publicznej, aby w ten sposób pozyskać slawofonicznych Górnoślązaków dla idei narodu niemieckiego. Również po polskiej stronie granicy można zauważyć zmiany strategii unaradawiania stosowane przez władze wojewódzkie. Presja polonizacyjna wobec polsko- i niemieckojęzycznych Górnoślązaków utrzymywała się na umiarkowanym poziomie w czasie rządów chrześcijańskich demokratów na czele z Wojciechem Korfantym. Jednak kiedy po przewrocie majowym w 1926 roku stery polityczne w Katowicach przejął Michał Grażyński, zostały wytyczone nowe cele polityczne, a jednym z najważniejszych z nich stało się znaczące przyspieszenie procesów unaradawiania w województwie. Podobnie jak w niemieckiej części Górnego Śląska po roku 1933 chodziło o forsowanie obiektywnie rozumianej przynależności narodowej i nie wzdragano się przy tym przed użyciem siły. Mimo szeroko zakrojonych i wielopłaszczyznowych działań polskich i niemieckich polityków i aktywistów, mających na celu przedstawienie pogranicznego regionu jako czysto polskiego bądź czysto niemieckiego i zintegrowanie miejscowych mieszkańców w ramach danej wspólnoty narodowej, sukces tych działań okazał się nad wyraz ograniczony. Szczególnie dzięki analizie mikrohistorycznej lokalnych światów przeżywanych została zauważona ogromna doza zachowawczości dużej części społeczeństwa górnośląskiego wobec intensywnie propagowanej mobilizacji narodowo-politycznej. Obok strategii unaradawiania rozpowszechnianych przez elity polityczne i obok etnicznych nacjonalizmów zorganizowanych mniejszości narodowych istniała najwyraźniej codzienna, mało upolityczniona i niechętna do walki narodowej rzeczywistość. Dla dużej części Górnoślązaków używane na codzień słowiańskie dialekty czy też specyficzna forma języka niemieckiego nie stanowiły wyznacznika obiektywnej przynależności narodowej lub politycznej. Mimo znaczącej polaryzacji postaw narodowo-politycznych w okresie kampanii plebiscytowej po obu stronach granicy zdołała utrzymać się codzienna kultura nie znająca żadnych uprzedzeń wobec któregoś z tych dwóch systemów językowych. Język odgrywał tylko w jednej sferze życia niepoślednią i wyeksponowaną rolę, mianowicie w kontekście praktyk religijnych. W czasie kościelnych rytuałów nie używano przy tym miejscowych dialektów, lecz polski lub niemiecki standard językowy. Mimo ogromnych przeszkód ze strony władz polskich po 1926 roku w polskiej części Górnego Śląska i ze strony władz niemieckich po 1933 roku w niemieckiej

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części regionu języki mniejszościowe były używane w nabożeństwach kościelnych aż do czasu na krótko przed wybuchem II wojny światowej. Taki stan rzeczy był możliwy, ponieważ świadomość przynależności grupowej opierała się na Górnym Śląsku przede wszystkim na tradycjach, które były postrzegane jako związane od zawsze z katolicyzmem i uświęcone przez pokolenia przodków, a do tego osadzone w miejscowych parafiach. Ten fenomen utrzymał się mimo intensywnych procesów unaradawiania i upolityczniania w pierwszych latach po wojnie i okazał się niezwykle trwałym nawet w czasie rządów wywierających ogromną presję asymilacyjną po 1926 roku w Polsce, czy po 1933 roku w Niemczech. Jednakże nie można przemilczeć faktu, że wpływ języka jako elementu określającego świadomość narodową danego człowieka, ale też jako potencjalnej przyczyny konfliktów narodowych wzrósł w okresie międzywojennym. Szczególnie część młodych Górnoślązaków, których procesy socjalizacji społecznej przebiegały już w państwach narodowych i przez nie zarządzanym szkolnictwie w latach 20–tych, a zwłaszcza 30–tych, była gotowa traktować język jako obiektywny i decydujący wyznacznik świadomości narodowej. Mimo to nie możemy mówić o linearnym wzroście utożsamiania się młodzieży z konkretnym narodem, również ten model myślenia i działania był nacechowany przerwami i niepowodzeniami. Na podstawie materiałów źródłowych można stwierdzić, że polska bądź niemiecka świadomość narodowa nie stanowiła dla znacznej większości slawofonicznych Górnoślązaków wartości pierwotnej i niezmiennej. Ten aspekt tożsamości postrzegany był jako ideologia, którą się czasem wspiera, a czasem zupełnie odrzuca. Wydaje się przy tym, że dla większości tych ludzi naród nie stanowił wartości samej w sobie, a okazywanie związków z nim nacechowane było pragmatycznymi motywacjami, które pozwalały osiągnąć dzięki temu jakieś zyski lub uniknąć nieprzyjemności. Zaprowadzenie ideologii narodowej jako powszechnego i nadrzędnego wzoru myślenia mieszkańców stało się jednak najważniejszym celem polityki państw narodowych, kształtowanej w tej kwestii szczególnie w drugiej połowie lat 30–tych w sposób bezwzględny. Odpowiedzialnymi za tę politykę byli częściowo miejscowi Górnoślązacy, z jednej strony granicy przede wszystkim w szeregach związków byłych powstańców, po drugiej stronie natomiast jako członkowie i sympatycy NSDAP. Ale też w tych przypadkach zaangażowania narodowo-politycznego nie można wykluczyć, że pragmatyczne motywy odgrywały ważną rolę, a idea narodowa była postrzegana przez część tych osób jako płaszczyzna, na którą projektowali swoje pragnienia w zależności od sytuacji życiowej. Najważniejsze funkcje w strukturach nacjonalistycznie działającej władzy państwowej sprawowały jednakże osoby, które z reguły nie pochodziły z Górnego Śląska, miały jasno ukształtowaną świadomość narodową i często były przepełnione poczuciem pełnienia misji cywilizacyjno-narodowej na rubieżach państwa. Wraz z nimi przybywał odmienny wobec miejscowych obyczajów, bardziej krytyczny stosunek do Kościoła katolickiego. Wszystkie te czynniki przyczyniły się do tego, że w przededniu II wojny światowej ostatni bastion subiektywnego przypisywania ję-

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zyka i przynależności państwowej, czyli Kościół katolicki, został zmuszony do znacznych ustępstw i zniósł nabożeństwa w języku mniejszości. Na podstawie analizy procesji Bożego Ciała i innych kościelnych uroczystości odbywających się w sferze publicznej, poza murami kościołów zostało zauważone, że dla orędowników nacjonalizmu wspólny śpiew jako modlitwa i środek komunikacji z Bogiem miał znacznie mniejsze znaczenie niż prestiż i uznanie społeczne. To stwierdzenie rzuca dodatkowe światło na najwyraźniej mało idealistyczne motywacje działań tych rzeczników polityki unaradawiania. Póki władzę państwową i kościelną łączyły wspólne interesy, niezmiernie rzadko dochodziło do ekscesów na tle narodowym podczas katolickich procesji. Ten stan rzeczy uległ zmianie po objęciu urzędu wojewody przez Michała Grażyńskiego we wrześniu 1926 roku. Ta cezura polityczna miała wpływ na kościelne uroczystości w miejscach publicznych, częstotliwość występowania konfliktów zwiększyła się znacznie od jesieni 1926 roku. Rzuca się przy tym w oczy, że w województwie śląskim do sporów mających swoje źródło w nacjonalistycznych działaniach dochodziło w pierwszej linii w środowisku miejskim. Wspólnoty wiejskie natomiast były liczebnie zdominowane przez miejscową ludność slawofoniczną, która w przeciwieństwie do mieszkańców uprzemysłowionych gmin miejskich wykazywała znaczny stopień społecznej koherencji w obrębie wspólnoty lokalnej. Z tego powodu nie udało się tam zaszczepić idei abstrakcyjnego, wyobrażonego narodu, bądź nastąpiło to z wyraźnym opóźnieniem. Po przejęciu władzy w Rzeszy w 1933 roku NSDAP musiała w prowincji górnośląskiej dopiero starać się o umocnienie swojej pozycji, zanim przypuściła bezwzględny i systematyczny atak na pozycję Kościoła katolickiego i języka polskiego w sferze publicznej. Większość lokalnych aktywistów narodowego socjalizmu wciąż porozumiewało się w słowiańskich dialektach, a nie po niemiecku, i poczuwało się do głebokiej więzi z lokalną parafią katolicką. W tym konserwatywno-wiejskim świecie więzi rodzinne na przykład odgrywały ważniejszą rolę niż polityczna lojalność. Z tego powodu NSDAP przedsięwzięła w latach 30–tych zdecydowane środki w celu wywołania presji na postawy i zachowania, które w regionach jednorodnych etnicznie były zupełnie nieznane. W tym kontekście narodowi socjaliści postrzegali nie bez racji katolickie procesje cieszące się wśród Górnoślązaków wielką estymą jako ostoję jeszcze nie zglajchszaltowanej przez nich sfery publicznej. Zgodnie z tym starali się wyrugować te mocno zakotwiczone tradycje. Naturalnym przeciwnikiem tego typu polityki stał się kler parafialny, który szczególnie we wspólnotach wiejskich wciąż posiadał znaczny wpływ na postawy społeczne i poniekąd polityczne mieszkańców. W perspektywie porównawczej prowincji górnośląskiej z województwem śląskim pokazały się na różnych poziomach badań lustrzane odbicia panujących tam stosunków społecznych. W polskiej części regionu wywierano polityczne naciski na kościelny świat przeżywany w pierwszej linii w uprzemysłowionych gminach miejskich, które stosunkowo licznie zamieszkiwali świadomi narodowo Polacy i Niemcy. Konflikt narodowy był tam zatem fenomenem występującym w kontekście miej-

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skim. Natomiast w niemieckiej części Górnego Śląska spory o tym charakterze koncentrowały sie na terenach wiejskich, ponieważ tamtejsze miasta były w znacznej mierze niemieckojęzyczne i tak dalece związane z niemiecką kulturą, że monopol języka niemieckiego w sferze publicznej nie podlegał żadnej dyskusji. Ludność slawofoniczna zamieszkiwała podobnie jak we wschodniej części regionu przede wszystkim przestrzeń niezurbanizowaną i wypełniała uroczystości religijne polskojęzycznymi pieśniami i modlitwami. Zwalczanie języka mniejszości jako języka praktyk religijnych zaczęło się na systematyczną skalę dopiero po 1926 względnie 1933 roku, w polskiej części Górnego Śląska przede wszystkim w miastach, w niemieckiej natomiast na wsi. Wprawdzie obóz sanacji nie dążył w przeciwieństwie do narodowych socjalistów do całkowitej eliminacji Kościoła katolickiego z życia publicznego, ale starał się mimo to o jak największe podporządkowanie działań Kościoła swoim narodowo-politycznym celom. Z tego powodu dochodziło do lokalnych konfliktów z proboszczami niechcącymi uczestniczyć w polityce unaradawiania. Autorytet przedstawicieli Kościoła był wtedy wystawiany na próbę i kwestionowany przez miejscowych rzeczników etniczno-językowego nacjonalizmu. Większość Górnoślązaków nie brała aktywnie udziału w akcjach otwarcie nadszarpujących autorytet Kościoła i w dużej części przeciwstawiała się praktykom mającym na celu zachwianie tradycyjnego katolickiego porządku w ich parafiach. Na przykładzie jednej z osad przemysłowych po polskiej stronie granicy (Bielszowice) została pokazana powściągliwość, a wręcz odrzucenie przez tamtejszych mieszkańców narzucanej im polityki unaradawiania. Chociaż ta część Górnego Śląska była silnie uprzemysłowiona i procesy modernizacji społecznej postępowały tam od drugiej połowy XIX wieku w bardzo szybkim tempie, to ideologia narodowa nie potrafiła jednak się silnie zakorzenić na tym obszarze. Uważane za fenomen przednowoczesny poczucie przynależności grupowej poprzez więzi lokalne i wyznaniowe występowało znacznie częściej niż wzory myślenia zdominowane przez kryteria etniczne i językowe, mimo że okres międzywojenny określa się powszechnie mianem epoki nacjonalizmu. Konflikt między tymi dwoma światopoglądami zaognił się w sposób zdecydowany w okresie kampanii plebiscytowej, a stał się jeszcze intensywniejszy po puczu majowym sanacji w 1926 roku. W przypadku Bielszowic stali na przeciwko siebie proboszcz i przedstawiciele administracji komunalnej i szkolnej. Zwycięzcą tego konfliktu okazała się w końcowym efekcie lokalna władza świecka, ale jeszcze długo po odwołaniu proboszcza z parafii w 1929 roku bardzo wielu mieszkańców Bielszowic nie skierowało swoich wzorów myślenia i działania na tory polsko-narodowe. Z ich perspektywy ideologia narodowa zdyskredytowała się poprzez powtarzające się ekscesy w przestrzeni kościelnej. Wielu Bielszowiczan wciąż decydowało o swoich poglądach narodowo-politycznych w zależności od sytuacji i nierzadko kierowało się przy tym oportunizmem. W obu częściach Górnego Śląska występowało specyficzne przymiotnikowe, a nie rzeczownikowe użycie terminów „Polak“ i „Niemiec“. W ten sposób oba określenia można było stopniować. W materiałach źródłowych znajdujemy takie sfor-

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mułowania jak np. „jeszcze gorsi Polacy“ albo „więksi Niemcy“. Jednakże wspólnoty narodowe nie dopuszczają do gradacji określeń swoich członków, nie można być przykładowo mniejszym albo większym Polakiem, czyli być mniej lub bardziej zaangażowanym w polskość, ponieważ albo jest się Polakiem albo nim się nie jest. Ale właśnie na Górnym Śląsku można zauważyć, że miejscowa ludność nie odczuwała tego w ten sposób. Górnoślązacy mogli być czasem zaangażowanymi „wielkimi“ Polakami, ale w obliczu różnych okoliczności odwracać się od polskości. Subiektywnie odczuwana przynależność do narodu przypominała zatem raczej przejściowe wsparcie opcji politycznej, którą można było porzucić i zmienić na inną. Większość Górnoślązaków widziała jedynie w katolicyzmie niepodwarzalną i pierwszorzędną wartość ich świata przeżywanego. Ich codzienne związki z Kościołem, nacechowane bezpośrednim i stałym kontaktem ze wspólnotą wiernych i jej kapłanem w „swojej“ parafii, odróżniały miejscowych od polskiej ludności napływowej i stanowiły ważny element odgraniczający obie te grupy. Polscy przybysze byli postrzegani przez miejscowych Górnoślązaków jako zbyt krytycznie nastawieni do Kościoła i niewystarczająco pobożni. To znowuż umacniało między Górnoślązakami poczucie grupowej przynależności opartej na lokalnych, uświęconych zwyczajem tradycjach katolickiej miejscowej parafii. Do typowego repertuaru wzorów myślenia tych lokalnych grup należało bezgraniczne uznanie autorytetu Kościoła i jego przedstawicieli w parafii. Tak ukształtowane poczucie więzi grupowej zostało poddane ogromnej presji w ramach polityki narodowej jednorodności. Skuteczność tej polityki zależała w dużej mierze od postawy miejscowego proboszcza. Przykładowo w Bielszowicach dopiero działalność propolskiego księdza (od roku 1929) pozwoliła rozpowszechnić większy szacunek dla polskiej ideologii narodowej. Ostateczny rezultat wspólnych działań koalicji władzy duchownej i świeckiej w propagowaniu konkretnych postaw narodowo-politycznych pozostaje jednakże sprawą otwartą, szczególnie w obliczu krótkiego okresu do 1939 roku, w którym miała ona miejsce. Podobne zjawiska można było zaobserwować po drugiej stronie granicy we wsi Bierdzany. Mieszkańcy zarówno polskich Bielszowic jak i niemieckich Bierdzan wykazywali wyraźnie zauważalne analogie postaw wobec presji asymilacyjnej i zachowywali się wobec niej bardzo elastycznie. Polityczna oferta nacjonalizmu polskiego bądź niemieckiego była przyjmowana jedynie w określonych okresach czasu i pod pewnymi warunkami. Potwierdzają to wyniki wyborów politycznych oraz dane spisów powszechnych. Górnoślązacy potrafili umiejętnie dopasowywać się do sytuacji społeczno-politycznej i pozostawali zazwyczaj lojalni wobec zmieniających się rządzących. Ich trwałą cechą był codzienny pragmatyzm oraz szczere przywiązanie do Kościoła katolickiego i jego przedstawicieli w lokalnej parafii. Pojęcie Heimatu obejmowało prawdopodobnie naturalnie odbierane skrzyżowanie miejscowej lokalnej ojczyzny z miejscową parafią katolicką. Świadome poczucie przynależności do ponadgranicznej, regionalnej, a nie tylko lokalnie zdefiniowanej grupy wszystkich miejscowych Górnoślązaków pojawiało się

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w materiale źródłowym dosyć rzadko. Do niewielkiej grupy osób artykułujących takie ponadlokalne, ale nienarodowe poczucie wspólnoty należeli niektórzy księża. Ogromna większość kleru górnośląskiego zachowywała się przy tym apolitycznie i poświęcała się tylko i wyłącznie zadaniom duszpasterskim. Obok tego istniał typ księdza bardziej nowoczesnego, mającego wyraźny zmysł polityczny i – w przeciwieństwie do księży-posłów przed rokiem 1914 – zdolnego kwestionować oficjalną linię Kościoła. Narodowo-polityczny patriotyzm takich kapłanów mógł im przysłaniać powinności, jakim musieli sprostać w swoich wielojęzycznych parafiach. Oznaczało to często, że nie byli oni postrzegani przez wszystkich parafian – niezależnie od języka, etniczności czy pozycji społecznej tychże osób – jako neutralni partnerzy godni pełnego zaufania. Jawnie polityczne i jednostronne postawy tego typu znajdowały się jednoznacznie w mniejszości. Na tle postaw narodowo-politycznych kleru daje się zauważyć pewną różnicę pokoleniową. Czysto apolitycznemu duszpasterstwu oddani byli w pierwszej linii ci księża, którzy skończyli wrocławskie studium teologiczne jeszcze pod koniec XIX wieku. Natomiast wśród księży, których młodość i towarzysząca jej socjalizacja społeczna miały miejsce w ostatnim dziesięcioleciu przed wybuchem I wojny światowej, pojawiało się więcej jednostek chcących udzielać się politycznie niezależnie od hierarchii kościelnej i wykorzystujących przy tym autorytet Kościoła do forsowania procesów unaradawiania. Na pierwszy rzut oka ta pokoleniowa zmiana warty nie gwarantowała jednakże linearnego, niczym niezakłóconego sukcesu idei narodowej. Unaradawianie Górnoślązaków nie było w żadnym przypadku kwestią czasu. Jeśli nawet większość kleru górnośląskiego zaangażowała się politycznie w okresie kampanii plebiscytowej po stronie jednej lub drugiej nacji, to nie można powiedzieć o okresie międzywojennym, że skutki upolitycznienia i przyjmowania narodowych wzorów myślenia były nieodwracalne. Duża część kleru parafialnego powróciła po 1921 roku do swojej apolitycznej działalności duszpasterskiej i nie tolerowała dalszej mobilizacji politycznej w swoich parafiach. To zjawisko jest godne szczególnej uwagi, ponieważ mamy tutaj do czynienia z grupą osób wykształconych, horyzontalnie i wertykalnie mobilnych, krótko mówiąc nowoczesnych i myślących w stosunkowo szerokich horyzontach. Dodatkowo księża zajmowali eksponowane stanowiska w stowarzyszeniach społecznych czy też redagowali i wydawali prasę, co również jest uważane za oznakę nowoczesnych wzorów działania. Zbiór tych czynników powodował, że miejscowy kler katolicki stanowił najliczniejszą i najważniejszą warstwę inteligencji wywodzącej się z Górnego Śląska i działającej w swoim regionie. Mimo tych wszystkich oznak nowoczesności większość miejscowych księży nie przyjęła oferty narodowo-politycznej lub uczyniła to jedynie w pewnym okresie czasu, powracając następnie do postaw nienarodowych i apolitycznych. Teza ta wprowadza pewne zamieszanie wśród znanych teorii modernizacji społecznej, które argumentują, że świadomemu uczestnictwu w wysokiej kulturze – zwłaszcza w środowisku uprzemysłowionym, zurbanizowanym i politycznie już zmobilizowanym, czyli takim jak

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duża część górnośląskiego obszaru plebiscytowego – towarzyszy przyjęcie i przyswojenie sobie narodowych wzorów myślenia, wieńczących w tym momencie nieodwracalne procesy nowoczesności. Postrzegany w literaturze jako naturalny związek modernizacji z rozpowszechnieniem świadomości narodowej, opisany w klasyczny już sposób przez Eugena Webera w 1976 roku na przykładzie francuskiego chłopstwa, nie nadaje się jednak do opisu zjawisk występujących na Górnym Śląsku w latach 20–tych i 30–tych XX wieku. Większość slawofonicznej, miejscowej inteligencji – wydawałoby się idealny materiał na narodowych patriotów opisanych przez Miroslava Hrocha – była indyferentna wobec idei narodowej i nie angażowała się w misyjną politykę unaradawiania. Postawy katolickich, górnośląskich parafian potwierdzają natomiast tezę podkreślającą rewitalizację religii w „drugim wieku konfesyjnym“. Wiele wskazuje na to, że spoistość lokalnych parafii nie została rozsadzona przez procesy unowocześniania i unaradawiania, a nawet możliwe, że wzrosła po okresie masowej mobilizacji narodowo-politycznej w latach 1919–1921. Taki wynik przedstawionych tu badań sprowadza historię mieszkańców Górnego Śląska na nowe tory jej odczytywania. Wydaje się mianowicie, że nietyle konflikt narodowo-polityczny między Polską a Niemcami kształtował świadomość Górnoślązaków w okresie międzywojennym, lecz głęboki spór o klerykalny albo antyklerykalny charakter ich świata przeżywanego. Zgodnie z tą sugestią naprzeciwko siebie stały dwa zasadniczo odmienne światopoglądy, a nie orędownicy zwaśnionych między sobą, ale w swojej strukturze takich samych wzorów ideologii narodowych. Na zakończenie warto podkreślić, że praca pokazała konkretne formy codziennych praktyk, zachowań i doświadczeń, w ramach których tożsamość grupowa jest przez jednostki definiowana, modyfikowana albo też odrzucana. Poprzez porównawcze przedstawienie rubieży dwóch państw narodowych, zamieszkiwanych przez mieszkańców heterogenicznych etnicznie, ale homogenicznych wyznaniowo, badania naszkicowały hierarchię i wzajemne stosunki między różnymi formami przynależności grupowej w jednym z europejskich obszarów granicznych. Poprzez mikrohistoryczną analizę codziennych postaw mieszkańców Górnego Śląska, regionu będącego w latach 20–tych i 30–tych XX wieku terenem konfliktu polsko-niemieckiego, zostały ukazane specyficznie nowoczesne zjawiska, jak np. unaradawianie, upolitycznianie czy sekularyzacja, w konfrontacji z fenomenami uchodzącymi za przednowoczesne, jak przykładowo lokalne, regionalne lub wyznaniowe poczucie przynależności grupowej. W ten sposób praca ta jest nowym wkładem do badań nad nacjonalizmami oraz pozycjonuje się w ramach historiografii polskiej i niemieckiej.

Abkürzungsverzeichnis AAKat AAN AAWr AL APKat APOp BDO CAW LandOpp NB OP PAAA PZZ RAŚ RegOpp UWŚl VVHO ZOKZ ZPŚl

Archiwum Archidiecezjalne w Katowicach [Erzdiözesanarchiv Kattowitz] Archiwum Akt Nowych w Warszawie [Archiv der Neuen Akten in Warschau] Archiwum Archidiecezjalne we Wrocławiu [Erzdiözesanarchiv Breslau] Akta Lokalne [Lokale Akten] Archiwum Państwowe w Katowicach [Staatsarchiv Kattowitz] Archiwum Państwowe w Opolu [Staatsarchiv Oppeln] Bund Deutscher Osten Centralne Archiwum Wojskowe w Warszawie [Zentrales Militärarchiv in Warschau] Landratsamt Oppeln Nachlass Bertram Oberpräsidium der Provinz Oberschlesien Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Polski Związek Zachodni [Polnischer Westverband] Ruch Autonomii Śląska [Bewegung für die Autonomie Schlesiens] Regierung Oppeln Urząd Wojewódzki Śląski [Schlesisches Wojewodschaftsamt] Vereinigte Verbände Heimattreuer Oberschlesier Związek Obrony Kresów Zachodnich [Verband zur Verteidigung der Westmarken] Związek Powstańców Śląskich [Verband der Schlesischen Aufständischen]

Quellen- und Literaturverzeichnis a) Archivalische Quellen: Archiwum Akt Nowych w Warszawie: Zespół 482: Konsulat Generalny RP w Opolu Zespół 1385: Urząd Wojewódzki Śląski Archiwum Archidiecezjalne w Katowicach: Zespół Akta Lokalne: Bielszowice Bronów Czerwionka Janów Józefowiec Koszęcin Królewska Huta – św. Barbara – św. Jadwiga – św. Józef – św. Maria Magdalena – św. Antoni Leszczyny Lipiny Orzesze Pszczyna Radoszowy Roździeń-Szopienice Rydułtowy Siemianowice Świętochłowice – św. Piotr i Paweł Wełnowiec Zespół Exeat Archiwum Archidiecezjalne we Wrocławiu: Zespół 25. Kardynał Adolf Bertram: I A 25 b. 113 sprawa polskich nabożeństw 1939, Wagner-Bertram I A 25 c. duchowieństwo a NSDAP I A 25 d. 40 niemiecki i polski język w nabożeństwach 1933–1939 I A 25 e. 50 nabożeństwa w języku polskim na Górnym Śląsku w 1931 I A 25 e. 64, 66 sprawy polskie na Górnym Śląsku

284 I A 25 g. 58 I A 25 h. 48 I A 25 i. 8 I A 25 p. 49 I A 25 p. 51 I A 25 s. 78 I A 25 t. I A 25 v. 24 I A 25 z. 24

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agitacja polska proboszcza Koziołka agitacja duchowieństwa przeciwko Niemcom 1920–21 agitacja antyniemiecka duchowieństwa zawieszenie polskich nabożeństw w 1939 polska nacjonalistyczna agitacja święcenie niedzieli a NSDAP sprawy rozdziału Kościoła od państwa nauka religii w języku polskim polska agitacja na Górnym Śląsku

Archiwum Państwowe w Katowicach: Zespół 27. Urząd Wojewódzki Śląski: Wydział Prezydialny I: 13. Prezydent RP na Śląsku, ministrowie, depesze hołdownicze, programy pobytu 1922–1938 14. Imieniny Józefa Piłsudskiego – materiały propagandowe, sprawozdania, imienne listy życzeń, noty hołdownicze 1927–1932 18. Powrót Górnego Śląska do macierzy, obchody rocznic powstań śląskich i plebiscytu – 1922, 1927–37 22. Obchody odzyskania niepodległości. Materiały propagandowe. Sprawozdania, prasa 1928–30, 1937 88. Kuria diecezjalna. Stanowisko narodowe i polityczne duchownych. Raporty, doniesienia 1922–39 Wydział Społeczno-polityczny IV: 561–580. Tygodniowe sprawozdania sytuacyjne wydziału bezpieczeństwa publicznego 1927–1939 Wydział Administracyjny VI: 1775. Kościół katolicki w Bielszowicach – zarząd kościelny 1776. Kościół katolicki w Bielszowicach – zarząd kościelny 1778. Kościół katolicki i parafia w Bielszowicach – Patronat 1779. Kościół katolicki w Bielszowicach Zespół 40. Dyrekcja Policji w Katowicach: 176. Akta dt. Kościoła Rzymsko-katolickiego Archiwum Państwowe w Opolu: Zespół 1. Oberpräsidium der Provinz Oberschlesien: 16. Beflaggung anläßlich des Reichspräsidentenbesuchs 1928 17. Besuch des Reichspräsidenten 1928 34. Erinnerungsfeiern an die oberschlesische Volksabstimmung 1924–30 35. Erinnerungsfeiern an die oberschlesische Volksabstimmung 1931–34 36. Erinnerungsfeiern an die oberschlesische Volksabstimmung 1930–36 45. Verfassungsfeiern 1930–31 65. Die polnische Minderheit in Deutschland 1923–37 66. Die polnische Minderheit in Deutschland 1923–37 67. Die polnische Minderheit in Deutschland 1923–37

Quellen- und Literaturverzeichnis

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68. Die polnische Minderheit in Deutschland 1923–37 69. Die polnische Minderheit in Deutschland 1923–37 75. Polnische Bewegung in Oberschlesien 1931–35 76. Polnische Bewegung im Kreis und Stadt Gleiwitz 1924–30 77. Polnische Bewegung im Kreis Guttentag 1924–30 78. Polnische Bewegung im Kreis Neustadt 1930–1935 79. Polnische Bewegung im Landkreis Oppeln 1923–37 80. Polnische Bewegung im Landkreis Oppeln 1923–37 83. Die Sprachenfrage in OS 1922–1934 84. Die Sprachenfrage in OS 1922–1934 85. Gottesdienstliche Versorgung der Minderheit 1931–37 86. Gottesdienstliche Versorgung der Minderheit 1931–37 178. Pilgerfahrten nach Polen 1931–37 180. Polnische Nationalfeiern 181. Polnische Nationalfeiern 185. Feier der polnischen Nationalfeste durch die polnische Minderheit in Deutschland 1931–37 650. Kranzniederlegung in Kempa Kreis Oppeln und NSDAP 1934 664. Propaganda gegen die polnischen Gottesdienste in Radoschau 1934 Zespół 2. Landratsamt Oppeln: 85. Nationale Angelegenheiten 1936–38 94. Polnische Angelegenheiten 1922–38 95. Polnische Angelegenheiten 1922–38 96. Polnische Angelegenheiten 1922–38 97. Polnische Angelegenheiten 1922–38 98. Polnische Angelegenheiten 1922–38 99. Polnische Angelegenheiten 1922–38 100. Polnische Angelegenheiten 1922–38 101. Polnische Angelegenheiten 1922–38 113. Wallfahrten nach Polen 1936–40 166. Feier der Verfassung 11.8.1922 167. Abstimmungsfeier 1931–33 174. Kirche und Staat 1935–37 176. Genehmigung von Prozessionen 1938–39 566. Heilighaltung der Sonn- und Feiertage 1921–34 567. Heilighaltung der Sonn- und Feiertage 1921–34 Zespół 1191. Regierung Oppeln: Allgemeine Abteilung I: 1739. Maßnahmen gegen kath. Pfarrer 1934–38 1859. Polenpropaganda 1923–29 1860. Polenpropaganda 1929–30 1861. Polenpropaganda 1930–31 1913. Erteilung von Genehmigungen zu Versammlungen und Umzügen und entsprechende Beschwerden 1931–1933 1914. Versammlungen und Aufzüge 1932–34 1927. Akta polityczne dotyczące polskości 1938–41 1931. Akta dotyczące mniejszości polskiej 1929–39

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Anhang

1932. Politische Lageberichte (polnische Minderheit) 1935–36 1933. Monatsberichte polnische Minderheit 1934–37 2004. Maßnahmen gegen katholische Geistliche 1934–35 2005. Maßnahmen gegen katholische Verbände und Vereine 1933–35 2006. Erzpriester Woitok 1937 2096. Muttersprache und Volkstum in OS 1937 2111. Polensachen Beuthen 1935–37 2112. Polensachen Cosel 1935–38 2113. Polensachen Gleiwitz 1935–40 2114. Polensachen Groß Strehlitz 1935–39 2117. Polensachen Ratibor 1935–39 12193. Polnische Gottesdienste 1936–1938 Abteilung II: 97. Sprachliche kirchliche Angelegenheiten, Kreis Gleiwitz 1934 492. Kirchliche Angelegenheiten der Siedlung Schirokau 1930–33 Archiwum Parafii NMP w Hajdukach Wielkich: 80. Wybory, materiały propagandowe, akcja wyborcza 1922–47 86. Materiały dt. uczczenia pamięci Marszałka Piłsudskiego Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde: Reichskanzlei 43–I: 368 (Gebietsabtretungen – Oberschlesien) 369 (Gebietsabtretungen – Oberschlesien) 370 (Gebietsabtretungen – Oberschlesien) Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik – Die Kabinette Brüning, Bd. 2 [http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0020/bru/bru2p/index.html] Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes: Abteilung II – Deutsches Generalkonsulat Kattowitz Abteilung IV – Polen: 31153. Innere Politik: deutsche Propaganda in Oberschlesien 1921–1924 31170. Deutschtum im Polnisch-Oberschlesien 1928–1930 82835. Feiern aus Anlaß der Abstimmung 1931–1933 82898. Innere Politik: Stimmungsberichte 1921–1933 82899. Innere Politik: Stimmungsberichte 1921–1933 Abteilung IVa – Polen (Geheimakten): 30726. Polenbewegung in Deutschland 1924–1936 62240. Katholische Angelegenheiten Oberschlesiens 82981. Deutschtum in Oberschlesien 1921–1935 104029. Religions- und Kirchenwesen in Oberschlesien 1936–1937 104035. Deutschtum in Oberschlesien 1936–1939 104051. Kulturelle und politische Propaganda in Oberschlesien 104053. Nationalsozialismus in Oberschlesien 1936–1938

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Personenregister1

Adamski, Stanisław 144, 158, 161, 170, 176 Alexander, Manfred 18f., 37, 43, 251 Aulich, Artur 95 Beck, Max Emil 67f. Bertram, Adolf 32, 52, 103–105, 109, 122f., 135, 137, 142f., 158f., 185f., 197, 202, 259 Bieniasz, Stanisław 16 Bieniek, Juliusz 211 Bilski, Mieczysław 73 Bismarck, Otto von 44–46, 228 Bitta, Joseph 73 Bjork, James E. 25f., 46f., 52 Blaschke, Olaf 26 Bogedain, Bernhard 41 Brandys, Paweł 134, 188 Bromboszcz, Teofil 127, 175, 208–212, 214f. Broy, Johann 90 Brubaker, Rogers 5, 61, 106 Brückner, Helmuth 70 Brüning, Heinrich 66, 248 Brzoza, Michał 228 Buhl, Franz 92f., 159 Buschmann, Franz 210, 223, 225–229, 231–233, 235–240, 244, 257 Chałasiński, Józef 33 Czaja, Paweł 149, 169f. Czapliński, Marek 15 Czempiel, Józef 99, 149, 211 Dmowski, Roman 49 Domin* 189–192 Drozdek, Paweł 144 Dudek, Paweł 146, 177–179 1

Ernst, Paul 137 Frick, Wilhelm 104 Gallus, Józef 165 Garnier, Hubertus 252, 256 Gąska, Walter 128–131, 149 Gdyk, Ludwik 78 Gediga, Paul 101 Gladisch, Jan 123f. Gratza* 189 Grażyński, Michał 77–81, 83, 87, 122, 131, 144, 147, 165, 180, 204, 206, 215, 224, 232, 238, 265, 267f., 275, 277 Gröger, Paul 187–190 Halaczek, Emanuel 134 Haubold-Stolle, Juliane 17, 58, 60, 69, 71, 79f., 86 Heß, Rudolf 104 Hitler, Adolf 71f., 83, 91, 104, 196f., 246, 258, 274 Hitze, Guido 15, 44, 52, 108, 197 Hlond, August 119f., 126, 128, 135, 208, 226, 228 Hohenlohe, Graf von 129–131 Hroch, Miroslav 43f., 271, 281 Jaglo, Josef 182–186, 210 Jerczyński, Dariusz 16 Kałuża, Wendelin 178 Kampka, Josef 139 Kamusella, Tomasz 17 Kaschny, Adolf 66 Kasperlik, Wilhelm 178 Klimek* 93f.

Mit einem * sind all jene Personen gekennzeichnet, deren Vornamen sich entweder gar nicht oder nur in der Form von Kürzeln ermitteln ließen.

302

Anhang

Klinik, August 189–193 Knosała, Józef 210 Knosalla* 152f. Kokott, Vinzent 194 Koncki, Tadeusz 73 Konda, Arthur 199 Kopp, Georg 210 Korfanty, Wojciech 45, 60, 73, 82f., 85, 211, 224, 238, 265, 275 Koszyk, Szymon 112 Krollik, Paweł 157 Kubina, Teodor 109 Kubis, Josef 122 Kubis, Józef 126f., 175 Kubis, Tomasz 194 Kudziełko, Ernest 144 Kulig, Józef 206–215 Külz, Wilhelm 60–63 Kunisch* 122 Kwiatkowski, Eugeniusz 78 Kynast, Robert 194 Labiński, Maksymilian 178 Langewiesche, Dieter 20 Lapa* 95 Lepiarczyk* 182f. Ligoń, Juliusz 165 Lis, Michał 13 Lisiecki, Arkadiusz 131, 176, 221f., 224, 228, 236 Łoziński, Zygmunt 100 Lukaschek, Hans 66, 73 Macierzyński, Paweł 172 Mainka* 182 Mainka, Henryk 199 Malkusch, Josef 194 Malorny* 136, 152 Matuschka, Michael Graf 249, 255f. Melzer, Johann 103 Merckel, Theodor von 40 Miarka, Karol 165 Michatz, Paweł 101, 147, 155f. Mrocheń, Jan 112 Muschalik, Wincenty 164

Namysł* 223 Niedziela, Józef 211, 240f. Niendorf, Mathias 29, 31 Niesporek, Josef 189, 191–193 Okoniewski, Stanisław 221 Olesch, Reinhold 37 Otrząsek* 209 Paderewski, Ignacy 76 Pant, Eduard 83 Pater, Mieczysław 14 Piaskowski, Walenty 172 Pillawa, Gottfried 104, 210, 246f., 249, 251–256, 259 Piłsudski, Józef 76, 78, 82f., 100 Pius XI., Papst 185 Pogrzeba* (aus Biadacz) 201f. Pogrzeba* (aus Zelasno) 136 Pogrzeba, Franz 124f. Popek, Ferdynand 134 Proske, Alfons 55f., 58, 64f., 68, 73, 86, 186 Reichel, Franz 251 Reiff, Alois 167 Rogier* 199 Rogmann, Heinz 117–119 Romer, Jan 78f. Rösner, Hans 163 Rust* 190, 193, 200 Rymer, Józef 73 Salwiczek* 191 Schmidt, Paul 124f. Scholtyssek, Wojciech 145 Scholz, Wilhelm 132–134 Schultis, Antoni 73 Schulz, Jerzy 126 Severing, Carl 60, 62f., 66, 69, 248 Sowa, Alojzy 200f. Sowa, Emanuel 164 Stasch, Johann 250 Swora, Anna 251 Szafraniec, Jan 209, 212, 214

Personenregister

Szczepański, Aleksander 76 Szeja, Józef 178 Szeptycki, Stanisław 89 Szramek, Emil 52 Ther, Philipp 17f., 48, 231 Traba, Robert 25 Ulitzka, Carl 15, 60, 103, 152, 161, 196f. Urbanek, Kurt 59f., 65 Vogel, Rudolf 47, 107 Wagner, Josef 141f., 150 Walloschek, Joachim 197f.

Wanatowicz, Maria Wanda 13f. Weber, Eugen 271, 281 Weber, Max 49 Witolla, Hans 92–94, 96, 193 Włoczka, Franciszek 214 Woitok, Richard 136f., 210 Wojciech, Ludwik 167f., 210 Wolny, Konstanty 73 Wuttke, Heinrich 41 Wyrwoł, Jerzy 199 Zientek, Józef 171–173, 175 Zylla* 182f.

303

Ortsregister

Alt Schalkowitz (poln. Stare Siołkowice) 210, 250 Altendorf (poln. Stara Wieś) 151, 196– 198 Berlin 32, 54, 59, 74, 94, 137, 198, 240, 250 Beuthen O.S. (poln. Bytom) 32, 42, 57, 59f., 64, 66, 69, 76, 86f., 111, 118, 163, 181, 195, 248 Biadacz 201 Bielschowitz (poln. Bielszowice) 36, 217– 244, 247–250, 255, 257, 260–262, 268–270, 278f. Bielszowice → Bielschowitz Bierdzan (poln. Bierdzany) 36, 103, 217, 244–262, 270, 279 Bierdzany → Bierdzan Bierkowice → Birkowitz Birkowitz (poln. Bierkowice) 136, 152 Bismarckhütte (poln. Hajduki Wielkie) 99 Boguschütz (poln. Boguszyce) 90, 184, 197f. Boguszyce → Boguschütz Bolko 158f. Breslau (poln. Wrocław) 14f., 32f., 36, 41, 52, 63, 70, 103f., 109, 121–125, 128, 135, 137, 139f., 143–145, 150, 158, 170, 178, 181, 183f., 197, 200, 204, 207, 210–212, 222, 235, 237, 240, 249, 251f., 258f., 271 Brinitz (poln. Brynica) 67 Brynica → Brinitz Bytom → Beuthen O.S. Chorzów → Königshütte Cosel (poln. Koźle, heute KędzierzynKoźle) 187–189, 202 Czarnowanz (poln. Czarnowąsy) 198f.

Czarnowąsy → Czarnowanz Czerwionka 148f. Częstochowa → Tschenstochau Dąb → Domb Deutsch Piekar (poln. Piekary Śląskie) 221 Dobrodzień → Guttentag Dobrzeń Wielki → Groß Döbern Domb (poln. Dąb) 145 Dziergowice → Oderwalde Dziergowitz → Oderwalde Ellgoth (poln. Ligota) 210 Ellguth-Zabrze (poln. Ligota Zabrska) 181–186 Gleiwitz (poln. Gliwice) 42, 67, 70, 86, 95, 111, 118, 122, 141, 181–185, 194f., 210f. Gliwice → Gleiwitz Głogówek → Oberglogau Groschowitz (poln. Groszowice) 158f. Groß Döbern (poln. Dobrzeń Wielki) 153, 198 Groß Rauden (poln. Rudy) 143 Groß Strehlitz (poln. Strzelce Opolskie) 67, 104, 115, 118, 187, 225 Groszowice → Groschowitz Grudschütz (poln. Grudzice) 92, 112, 159 Grudzice → Grudschütz Guttentag (poln. Dobrodzień) 67, 123 Hajduki Wielkie → Bismarckhütte Halbendorf (poln. Półwieś) 93 Himmelwitz (poln. Jemielnica) 225 Hindenburg O.S. (poln. Zabrze) 95, 111, 181, 195, 217f. Hohenlohehütte (poln. Wełnowiec) 101, 126

Ortsregister

Janow (poln. Janów) 146, 149, 176, 178f. Janów → Janow Jellowa (poln. Jełowa) 247 Jełowa → Jellowa Jemielnica → Himmelwitz Jędrysek → Jendryssek Jendryssek (poln. Jędrysek) 144 Josephsdorf (poln. Józefowiec) 126, 147, 149, 154, 157, 235 Józefowiec → Josephsdorf Katowice → Kattowitz Kattowitz (poln. Katowice) 3f., 14, 32f., 36f., 42, 50, 64, 74–76, 78, 82, 86f., 90, 98f., 101, 109, 119, 121, 126, 128f., 131, 133–135, 144–147, 149, 158, 161, 165, 169–171, 176–178, 204, 208, 210, 213–215, 218, 221, 224–226, 233, 236–238, 240f., 252, 255, 275 Kędzierzyn-Koźle → Cosel Klein Althammer (poln. Stara Kuźnia) 122, 202 Klein Schimnitz (poln. Zimnice Małe) 96 Königshütte (poln. Królewska Huta, heute Chorzów) 51, 90, 127, 149, 165–167, 169, 174 Koschentin (poln. Koszęcin) 128f., 131, 149 Koszęcin → Koschentin Koźle → Cosel Królewska Huta → Königshütte Laband (poln. Łabędy) 195 Łabędy → Laband Laurahütte (poln. Siemianowice Śląskie) 132–134 Leschczin (poln. Leszczyny) 101 Leszczyny → Leschczin Ligota → Ellgoth Ligota Zabrska → Ellguth-Zabrze Lipine (poln. Lipiny) 100f., 109, 157f., 163f. Lipiny → Lipine

305

Lubliniec → Lublinitz Lublinitz (poln. Lubliniec) 128 Łubniany → Lugnian Luboschütz (poln. Luboszyce) 199–201 Luboszyce → Luboschütz Lugnian (poln. Łubniany) 124, 247 Michałkowice → Michalkowitz Michalkowitz (poln. Michałkowice) 134 Mysłowice → Myslowitz Myslowitz (poln. Mysłowice) 99, 175 Naklo (poln. Nakło) 144 Nakło → Naklo Neustadt O.S. (poln. Prudnik) 137 Oberglogau (poln. Głogówek) 211 Oderwalde (ehem. Dziergowitz, poln. Dziergowice) 187–189, 191f., 200 Olesno → Rosenberg Opole → Oppeln Oppeln (poln. Opole) 1, 3f., 10, 13, 22, 32, 36f., 41f., 46, 55, 59, 62f., 72, 75, 89, 92f., 96, 103f., 112, 115, 118, 124f., 135f., 139, 152, 158, 181, 183f., 186f., 190f., 195, 197–199, 202, 210f., 217, 240, 244, 249f., 253, 255, 260, 263, 273 Ornontowice → Ornontowitz Ornontowitz (poln. Ornontowice) 208f., 211f. Orzesche (poln. Orzesze) 88, 102, 204– 215 Orzesze → Orzesche Ostropa → Ostroppa Ostroppa (poln. Ostropa) 95 Pelplin 221 Petersdorf (poln. Szobiszowice) 211 Piaski 219 Piekary Śląskie → Deutsch Piekar Pilchowice → Pilchowitz Pilchowitz (poln. Pilchowice) 194 Pleß (poln. Pszczyna) 102, 205, 212 Pniaki → Redendorf

306

Anhang

Półwieś → Halbendorf Prudnik → Neustadt O.S. Pszczyna → Pleß Racibórz → Ratibor Raschau (poln. Raszowa) 94 Raszowa → Raschau Ratibor (poln. Racibórz) 103, 118, 129, 139, 141, 143, 151, 161, 170, 195f., 198 Redendorf (poln. Pniaki) 219 Richtersdorf (poln. Wójtowa Wieś) 95 Rosdzin-Schoppinitz (poln. Roździeń-Szopienice) 171, 173–175 Rosenberg (poln. Olesno) 91, 118 Rosnochau (poln. Rozkochów) 137f. Roßberg (poln. Rozbark) 195 Rozbark → Roßberg Roździeń-Szopienice → Rosdzin-Schoppinitz Rozkochów → Rosnochau Ruda (poln. Ruda, heute Ruda Śląska) 218 Ruda Ślaska→ Ruda Rudnau (poln. Rudno) 141 Rudno → Rudnau Rudy → Groß Rauden Rybnik 74, 101f., 148 Rydultau (poln. Rydułtowy) 102 Rydułtowy → Rydultau Sandowitz (poln. Żędowice) 187 Schwientochlowitz (poln. Świętochłowice) 163 Siemianowice Śląskie → Laurahütte Solarnia 188f. Stara Kuźnia → Klein Althammer

Stara Wieś → Altendorf Stare Siołkowice → Alt Schalkowitz Strzelce Opolskie → Groß Strehlitz Sudół → Sudoll Sudoll (poln. Sudół) 139f. Świętochłowice → Schwientochlowitz Szobiszowice → Petersdorf Tarnowitz (poln. Tarnowskie Góry) 74, 120, 144 Tarnowskie Góry → Tarnowitz Tost (poln. Toszek) 118, 141, 194 Toszek → Tost Tschenstochau (poln. Częstochowa) 97 Turawa 252 Warschau (poln. Warszawa) 32, 54, 60, 72–74, 76, 78, 83, 88, 94, 165, 198 Warszawa → Warschau Wełnowiec → Hohenlohehütte Woinowitz (poln. Wojnowice) 103, 141 Wojnowice → Woinowitz Wójtowa Wieś → Richtersdorf Wrocław → Breslau Zabelkau (poln. Zabełków) 129 Zabełków → Zabelkau Zaborze 195, 219 Zabrze → Hindenburg O.S. Zalenze (poln. Załęże) 126, 172, 175 Załęże → Zalenze Żędowice → Sandowitz Zelasno (poln. Żelazna) 135–138, 152, 154 Żelazna → Zelasno Zimnice Małe → Klein Schimnitz