Der deutsche Zollverein: Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert 9783412214791, 9783412208356

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Der deutsche Zollverein: Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert
 9783412214791, 9783412208356

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Der deutsche Zollverein Ökonomie und Nation im 19. Jahrhundert

Herausgegeben von

Hans-Werner Hahn und Marko Kreutzmann

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung:

„Das Lichten eines Hochwaldes“ Illustration aus „Fliegende Blätter“ (satirische Zeitschrift, erschienen in München), Jg. 1848, Bd. 6, Nr. 140, S. 157.

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20835-6

INHALT Vorwort ................................................................................................................ VII Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann Der Deutsche Zollverein in der Geschichte des 19. Jahrhunderts. Neue Perspektiven der Forschung........................................................................1 I. DIE GRÜNDUNG DES DEUTSCHEN ZOLLVEREINS: HANDLUNGSMOTIVE UND ALTERNATIVEN Thomas Stamm-Kuhlmann Preußen und die Gründung des Deutschen Zollvereins: Handlungsmotive und Alternativen................................................................... 33 Angelika Schuster-Fox Bayern im Deutschen Zollverein. Wirtschaftspolitische Handlungsspielräume eines deutschen Mittelstaates zwischen 1850 und 1866 .............................................................. 51 Oliver Werner Konfrontation und Kooperation. Der Mitteldeutsche Handelsverein im Gründungsprozess des Deutschen Zollvereins 1828 bis 1834 ............................................................... 75 II. DER DEUTSCHE ZOLLVEREIN IM NATIONSDISKURS DES 19. JAHRHUNDERTS Andreas Etges „Der erste Keim zu einem Bunde im Bunde.“ Der Deutsche Zollverein und die Nationalbewegung .................................... 97 Heinrich Best Der Kampf der Baumwollritter und Eisenhelden. Schutzzollkonflikte und nationale Integration im frühindustriellen Deutschland ......................................................................................................... 125 Rudolf Boch Der Deutsche Zollverein und das rheinische Wirtschaftsbürgertum im Vormärz ............................................................................................................... 139

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INHALT

III. DER DEUTSCHE ZOLLVEREIN UND DIE NATIONALISIERUNG BÜROKRATISCHER UND PARLAMENTARISCHER ELITEN Hans-Werner Hahn Der Deutsche Zollverein und die nationale Verfassungsfrage.................... 153 Henning Kästner Der Deutsche Zollverein in den parlamentarischen Debatten am Beispiel Sachsen-Weimar-Eisenachs ......................................................... 175 Marko Kreutzmann Die höheren Verwaltungsbeamten des Deutschen Zollvereins – eine nationale Funktionselite? ....................................................................... 195 IV. AUSSENWAHRNEHMUNG, KONKURRENZEN UND ALTERNATIVEN Markus Mößlang „Side by Side with Sound Commercial Principles“. Deutscher Zollverein und deutsche Nation in der Wahrnehmung britischer Diplomaten ........................................................................................ 229 Thomas J. Hagen Wirtschaftspolitische Bestrebungen Österreichs nach 1848: Alternative zum (Klein-) Deutschen Zollverein? .......................................... 255 Jürgen Müller Der Deutsche Bund und die ökonomische Nationsbildung. Die Ausschüsse und Kommissionen des Deutschen Bundes als Faktoren politischer Integration ................................................................. 283 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... 303 Personenregister.................................................................................................. 305 Autorinnen und Autoren ................................................................................... 309

VORWORT

Der vorliegende Band dokumentiert die Tagung: „Ökonomie und Nation. Der Deutsche Zollverein als Faktor der ‚kulturellen Nationsbildung’ im 19. Jahrhundert“, die am 15. und 16. Januar 2010 an der Friedrich-SchillerUniversität in Jena stattgefunden hat. Diese Tagung wiederum ging aus dem Forschungsprojekt: „Die höheren Beamten des Deutschen Zollvereins. Soziales Profil, Karrieremuster und politisch-kulturelles Selbstverständnis einer neuen Funktionselite zwischen Einzelstaat und Nation (1834–1871)“ hervor. Sowohl das Forschungsprojekt als auch die daraus entstandene Tagung und der hiermit vorgelegte Tagungsband wurden aus Mitteln der Fritz Thyssen Stiftung finanziert. Für diese umfassende Förderung danken die Herausgeber der Fritz Thyssen Stiftung ganz herzlich. Ein großer Dank geht ebenso an die Friedrich-Schiller-Universität Jena, welche für die Durchführung des genannten Forschungsprojektes und der Tagung weitere Ressourcen bereitstellte. Insgesamt war es damit möglich, einen Gegenstand wieder in den Mittelpunkt der historischen Forschung zu rücken, der angesichts der ungebrochenen Aktualität zwischenstaatlicher wirtschaftlicher und politischer Integrationsprozesse, aber auch vor dem Hintergrund neuer theoretischer und methodischer Ansätze in der Geschichtswissenschaft eine größere Beachtung zu verdienen scheint. Ein herzlicher Dank geht an dieser Stelle ebenso an die TeilnehmerInnen der Tagung und AutorInnen dieses Bandes, die aus ihrem jeweiligen Blickwinkel anregende Beiträge zu einem spezifischen Thema der Zollvereinsforschung beisteuerten. Das Gelingen der Tagung und des vorliegenden Bandes beruht aber auch auf der Unterstützung vieler Kollegen, Mitarbeiter und studentischer Hilfskräfte des Historischen Instituts in Jena. Insbesondere sei an dieser Stelle Prof. Dr. Werner Greiling und Prof. Dr. Klaus Ries für die Moderation der Vorträge und Diskussionen während der Tagung gedankt. Ebenso trug Falk Burkhardt durch seine engagierte Mithilfe zum erfolgreichen Verlauf der Tagung bei. Anke Munzert, Susann Burger und Susanne Sodan haben bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung sowie bei der Fertigstellung des Bandes auf vielfältige und unentbehrliche Weise mitgewirkt. Ein herzlicher Dank geht ebenfalls an David Schmidt, der die Abfassung des Tagungsberichtes übernahm. Jena, im Oktober 2011

Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann

DER DEUTSCHE ZOLLVEREIN IN DER GESCHICHTE DES 19. JAHRHUNDERTS Neue Perspektiven der Forschung

I. Der Begriff „Zollverein“ ist zu Beginn des Jahres 2010 immer wieder zu hören und in den Zeitungen zu lesen gewesen. Dies hing damit zusammen, dass das Ruhrgebiet in jenem Jahr als Kulturhauptstadt Europas fungierte und die zum Weltkulturerbe zählende Essener Zeche „Zollverein“ Ort der großen Eröffnungsfeier war. Warum die 1847 von Franz Haniel eröffnete Zeche aber den Namen Zollverein trug, darüber wurde in den Berichten über die Kulturhauptstadt-Veranstaltungen wenig gesagt.1 Selbst auf dem Online-Besucherportal der Zeche fand sich zum Zeitpunkt des Kulturhauptstadt-Jahres über die Zusammenhänge zwischen dem Zechennamen und dem Zollverein recht wenig. Der Zollverein, so hieß es dort, war eine Freihandelszone aus 14 deutschen Staaten und stand zum Zeitpunkt der Namensgebung für wirtschaftlichen Aufschwung und Prosperität.2 Hier gäbe es nun gleich Mehrfaches zu korrigieren. Man müsste nicht nur kritisch hinterfragen, wie es mit der Prosperität im „Krisenjahr“ 1847 eigentlich stand,3 sondern vor allem auch darauf verweisen, dass das Namensvorbild mehr war als eine Freihandelszone und dass ihm zu diesem Zeitpunkt auch mehr als 14 deutsche Staaten angehörten. Es scheint, dass das Interesse an dem 1834 begründeten Deutschen Zollverein schon einmal größer gewesen war. Während der Deutsche Zollverein im Kontext der europäischen Einigungsprozesse seit der Mitte des 1 2 3

Vgl. die Presseberichte, u.a. in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, vom 11.1.2010. Vgl. die Angaben auf der Homepage der Stiftung Zollverein (unter: http://www.zollverein.de/index.php?f_ categoryId=691; Zugriff am 5.1.2011). Zur wirtschaftlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert vgl. zusammenfassend: HansWerner Hahn, Die Industrielle Revolution in Deutschland (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 49), 3., durchgesehene und erweiterte Aufl., München 2011; FriedrichWilhelm Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands. Bd. 2: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. Jahrhundert, Paderborn 1996.

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20. Jahrhunderts eine erhebliche Konjunktur als historischer Forschungsgegenstand erfahren hatte4 und das 150. Jubiläum der Zollvereinsgründung 1984 öffentlichkeitswirksam begangen wurde, ebbte das wissenschaftliche Interesse in den darauf folgenden Jahren merklich ab.5 Ein Indiz dafür ist nicht nur die sinkende Zahl größerer Publikationen zur Zollvereinsgeschichte, sondern auch die Tatsache, dass das 175. Gründungsjubiläum des Deutschen Zollvereins im Jahr 2009 von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt vorüberging, und dies, obwohl die Problematik des Zusammenhanges zwischen wirtschaftlichen und politischen Integrationsprozessen eine ungebrochene Aktualität besitzt. Darüber hinaus ist die Geschichte des Deutschen Zollvereins alles andere als umfassend erforscht. Seit dem 20. Jahrhundert erschienen lediglich zwei Gesamtdarstellungen zur Zollvereinsgeschichte, von denen eine in ihrer ersten Auflage auf das Jahr 1939 zurückgeht und ihre letzte Auflage eben zu jenem Jubiläumsjahr 1984 erlebte, aus welchem auch die zweite knappe Gesamtdarstellung zu diesem Gegenstand stammt.6 Dabei spielte der Deutsche Zollverein nicht nur eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche und politische Entwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert. Vielmehr stellt er als Zusammenschluss souveräner Staaten zu einem gemeinsamen Zollgebiet auch eine bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts historisch einzigartige Erscheinung dar.7 Die Beschäftigung mit der Geschichte des Deutschen Zollvereins unter Einbeziehung der in den letzten drei Jahrzehnten erheblich erweiterten methodischen Ansätze der historischen Forschung erscheint daher aus mehreren Gründen geboten: Zum einen kann die Anwendung neuer methodischer Ansätze und neuer Frage4

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Vgl. zusammenfassend die Beiträge in: Helmut Berding (Hrsg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 10), Göttingen 1984 sowie Wolfram Fischer, Der deutsche Zollverein. Fallstudie einer Zollunion, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen 1972, S. 110–128. Zum 150. Zollvereinsjubiläum vgl. vor allem den Ausstellungskatalog des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz: Als die Schranken fielen: Der Deutsche Zollverein. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz zur 150. Wiederkehr der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834, Mainz 1984. Vgl. William O. Henderson, The Zollverein, London 1939 (3. Aufl. 1984); Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984. Vgl. Fischer, Zollverein (wie Anm. 4); William O. Henderson, The German Zollverein and the European Economic Community, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 137 (1981), S. 491–507; Rolf H. Dumke, Der Deutsche Zollverein als Modell ökonomischer Integration, in: Berding (Hrsg.), Integration (wie Anm. 4), S. 71–101.

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stellungen dazu beitragen, die institutionelle Entwicklung des Deutschen Zollvereins im 19. Jahrhundert präziser als bislang geschehen herauszuarbeiten.8 Denn trotz zahlreicher Studien weiß man noch immer wenig über die Arbeit der gemeinsamen Gremien und die Dynamik der zwischenstaatlichen Integration im Deutschen Zollverein. Zum anderen kann auch die Bedeutung des Zollvereins für die Geschichte des 19. Jahrhunderts insgesamt neu bestimmt werden. So spielte der Deutsche Zollverein nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern etwa auch für die Geschichte des Föderalismus, des Parlamentarismus und nicht zuletzt auch des Nationalismus und der Nationsbildung eine zentrale, bislang jedoch selten systematisch untersuchte Rolle.9 Eine Neubestimmung der institutionellen Entwicklung und der historischen Funktion des Deutschen Zollvereins im 19. Jahrhundert erscheint auch deshalb wichtig, weil dessen Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung und die Nationalstaatsgründung in der Geschichtsschreibung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ideologisch überhöht und einseitig in Entwicklungszusammenhänge eingeordnet wurde, welche in dieser Form bei der Gründung des Zollvereins nicht intendiert waren.10 Für ein differenziertes historisches Urteil genügt es jedoch nicht, bei der Revision dieser älteren Deutungen stehen zu bleiben. Vielmehr ist es an der Zeit, die Geschichte dieser wichtigen ökonomischen Institution wieder stärker in das Blickfeld der historischen Forschung zu rücken. Der vorliegende Tagungsband versteht sich daher in erster Linie als Beitrag, welcher der Beschäftigung mit dem Zollverein neue Impulse geben soll. Er erhebt keinen Anspruch auf eine erschöpfende Behandlung des Gegenstandes, sondern will anhand ausgewählter Themen und Methoden das Erkenntnispotenzial der Zollvereinsgeschichte andeuten. 8

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Zur Organisationsstruktur des Zollvereins vgl. bislang lediglich die knappen Ausführungen bei: Ernst-Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, 2. Aufl., Stuttgart 1968, S. 292 ff.; sowie bei: Frauke Schönert-Röhlk, Aufgaben des Zollvereins, in: Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg Christoph von Unruh (Hrsg.), Vom Reichsdeputationshauptschluss bis zur Auflösung des Deutschen Bundes (Deutsche Verwaltungsgeschichte; Bd. 2), Stuttgart 1983, S. 286–300. Vgl. zu den einzelnen Forschungsfeldern die unten folgenden Ausführungen mit den entsprechenden weiterführenden Literaturangaben. Vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 6), S. 6 sowie grundlegend zur älteren Forschung: Helmut Berding, Die Entstehung des Zollvereins als Problem historischer Forschung, in: ders. u.a. (Hrsg.), Vom Staat des Ancien Regime zum modernen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder zu seinem 70. Geburtstag, München 1978, S. 225–237.

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II. Die Idee zu der dem Band zugrunde liegenden Tagung ist aus einem von der Fritz Thyssen-Stiftung geförderten Forschungsprojekt hervorgegangen, das sich mit der Rolle der Beamtenschaft als Träger der zwischenstaatlichen Integration im Deutschen Zollverein beschäftigt.11 Dabei wurde die Aufmerksamkeit auch auf den engen Zusammenhang zwischen den bürokratischen Integrationsprozessen und der Nationsbildung im 19. Jahrhundert gelenkt. Beim Blick auf das politische Wirken der den Zollverein tragenden höheren Beamten zeigte sich schnell, dass die große Bedeutung des Zollvereins in den Augen vieler Zeitgenossen nicht nur in seiner finanziellen und wirtschaftlichen Funktion lag. Vielmehr spielte auch der Stellenwert des Zollvereins als institutioneller Ausgangspunkt für die national-politische Integration eine wichtige Rolle.12 Von hier aus richtet sich der Blick auf weitere zentrale Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, etwa die Geschichte des Parlamentarismus oder des Föderalismus: Zum einen war die zollpolitische Integration von Anfang an eng mit den Fragen der verfassungsmäßigen Rechte der einzelstaatlichen Landtage sowie der Forderung nach einer gesamtnationalen parlamentarischen Repräsentation verknüpft. Zum anderen festigte der Zollverein mit seiner dezentralen Organisationsstruktur eher die föderativen Strukturen, als dass er einheitsstaatlichen Tendenzen Vorschub geleistet hätte.13 11

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Die Ergebnisse dieses Projektes werden demnächst in einer umfassenden Monographie dargelegt. Vgl. erste Befunde in: Marko Kreutzmann, Bürokratische Funktionseliten und politische Integration im Deutschen Zollverein, in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 613–645. Zur Tagung: „Ökonomie und Nation. Der Deutsche Zollverein als Faktor der ‚kulturellen Nationsbildung‘ im 19. Jahrhundert“ (Jena, 15./16.1.2010) vgl. den Tagungsbericht von David Schmidt bei H-Soz-u-Kult vom 20.2.2010. (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3003). Vgl. den Beitrag von Marko Kreutzmann in diesem Band. Zum Zusammenhang von Zollverein und Parlamentarismus vgl. die Aufsätze von HansWerner Hahn und Henning Kästner in diesem Band sowie: Hans-Werner Hahn, Zwischen deutscher Handelsfreiheit und Sicherung landständischer Rechte. Der Liberalismus und die Gründung des Deutschen Zollvereins, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.), Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz (Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 9), Göttingen 1983, S. 239–271. Zur Rolle des Zollvereins im deutschen Föderalismus vgl. Elmar Wadle, Staatenbund oder Bundesstaat? Ein Versuch über die alte Frage nach den föderalen Strukturen in der deutschen Verfassungsgeschichte zwischen 1815 und 1866, in: Staatliche Vereinigung: fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte: Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 13.3. bis 15.3. 1995. Für die Vereinigung hrsg. von Wilhelm Brauneder, Berlin 1998, S. 137–170; grundlegend zum föderativen Charakter des deutschen Natio-

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Aus all diesen Gründen erscheint der Zusammenhang von Zollvereinsgründung und Nationsbildung als ein geeigneter Ausgangspunkt, um die Geschichte des Deutschen Zollvereins im 19. Jahrhundert neu zu bewerten und in einen breiteren Zusammenhang einzuordnen. Hinzu kommt, dass gerade die Nationalismusforschung am frühesten und bislang wohl auch am nachhaltigsten vom Ansatz der „Neuen Kulturgeschichte“ profitiert hat. Nach diesem Ansatz konstituiert sich Wirklichkeit erst durch die in einem bestimmten kulturellen Kontext vollzogenen Sinnzuschreibungen der einzelnen Individuen. Zentrales Anliegen ist es demnach, „die Bedeutungen, Wahrnehmungsweisen und Sinnstiftungen der zeitgenössischen Menschen in das Verstehen, Beschreiben oder Erklären“14 historischer Entwicklungen einzubeziehen. Aus dieser Perspektive heraus ergeben sich auch neue Erkenntnismöglichkeiten für die bislang vor allem mit älteren politikgeschichtlichen bzw. mit sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Methoden bearbeitete Geschichte des Deutschen Zollvereins. Bei der Erforschung von Nation und Nationalstaatsbildung ist man längst von der älteren Auffassung abgerückt, wonach Nationen natürliche, objektive Einheiten, gleichsam historische Subjekte seien. Vielmehr wird der Charakter der Nation als ein in den Wahrnehmungen und Vorstellungen der Menschen entstehendes Konstrukt betont.15 Daraus ergeben sich Fragen nach den Strukturen, sozialen Trägern und Inhalten jener Kommunikationsprozesse, welche die Vorstellung von „Nation“ generieren. Dieter Langewiesche entwickelte vor einigen Jahren den Begriff der „kulturellen Nationsbildung.“ Dieser zielte zum einen noch auf den klassischen Kulturbegriff, welcher das Kulturelle im Sinne von herausragenden geistigen und künstlerischen Leistungen von anderen Sphären wie dem Sozialen oder dem Politischen abgrenzte. „Kulturelle Nationsbildung“ meinte hier die Heran-

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nalismus: Dieter Langewiesche/Georg Schmidt (Hrsg.), Föderative Nation: Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000. Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, 4., verbesserte und ergänzte Aufl., Frankfurt a.M. 2004, S. 17. Wegweisend hierfür waren die Studien von Karl W. Deutsch und Benedict Anderson. Vgl. Karl W. Deutsch, Nationalism and Social Communication, New York 1953 (2. Aufl. Cambridge (Mass.) 1966); Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983 (zuletzt in deutscher Übersetzung mit einem Nachwort von Thomas Mergel erschienen 2005, als 2. Auflage der deutschen Neuausgabe von 1996). Zur Forschungsgeschichte vgl. zusammenfassend: Elisabeth Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 22), 2. Aufl., München 2007, S. 104–128.

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führung unterbürgerlicher Schichten an von bürgerlichen Eliten definierte Wertvorstellungen.16 Zugleich verwies der Begriff der „kulturellen Nationsbildung“ gemäß dem neueren, umfassenden Kulturbegriff auf jene kommunikativen Prozesse, welche „das Leitbild ‚Nation’ in das Denken und Fühlen vieler Menschen“ versenkten.17 Vor allem in diesem Sinne wird das Konzept der „kulturellen Nationsbildung“ im vorliegenden Band aufgegriffen. Es wird danach gefragt, wie sich die Gründung des Deutschen Zollvereins auf die Vorstellungen von „Nation“ auswirkte und das Handeln unterschiedlicher Akteure prägte. Auf die Bedeutung des Zollvereins für die Nationsbildung haben zuletzt vor allem Andreas Etges und Abigail Green hingewiesen.18 Darüber hinaus aber ist die wirtschaftliche Komponente der Nationsbildung in der kulturgeschichtlich erweiterten Nationalismusforschung eher vernachlässigt worden.19 Angesichts des Umfanges der zeitgenössischen Debatten in Presse, Parlamenten oder eigenständigen Publikationen über den Zusammenhang von Zollverein und Nation erscheint es jedoch als eine unzulässige Verkürzung, diesen Aspekt aus der historischen Bewertung des Nationsbildungsprozesses auszuklammern.20 Gleichzeitig darf man aber nicht zu ei16

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Vgl. Dieter Langewiesche, Kulturelle Nationsbildung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: ders., Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 82–102, hier bes. S. 86. Dieter Langewiesche, Die schwäbische Sängerbewegung in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts – ein Beitrag zur kulturellen Nationsbildung, in: ebd., S. 132–171, hier S. 133. Vgl. Andreas Etges, Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich, 1815–1914, Frankfurt a.M. 1999; Abigail Green, Fatherlands: state-building and nationhood in nineteenth-century Germany, Cambridge 2001, bes. S. 223–229. So Dieter Langewiesche bereits in einem Forschungsbericht von 1995: ders., Nation, Nationalismus, Nationalstaat: Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: Neue Politische Literatur 40 (1995), S. 190–236, hier S. 219; ähnlich auch ders., Nachwort zur Neuauflage. Eric J. Hobsbawms Blick auf Nationen, Nationalismus und Nationalstaaten, in: Eric Hobsbawm, Nationen und Nationalismus: Mythos und Realität seit 1780. Mit einem aktuellen Vorwort des Autors und einem Nachwort von Dieter Langewiesche. Aus dem Englischen von Udo Rennert, Frankfurt a.M. 2004, S. 225–241, hier S. 235– 236. Gleichzeitig warnt Langewiesche auch vor einer einseitigen Betonung wirtschaftlicher Faktoren, die „nur eine Ebene des Nationsbildungsprozesses“ neben anderen darstellten, „allerdings eine wichtige“ (S. 236). Vgl. zu den Diskursen bislang die Bestandsaufnahme bei: Etges, Wirtschaftsnationalismus (wie Anm. 18), sowie dessen Beitrag im vorliegenden Band. An dieser Stelle muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass zu den ökonomischen Faktoren der Nationsbildung nicht nur der Zollverein, sondern auch andere wirtschaftliche Neuerungen, wie etwa der Eisenbahnbau, zu zählen sind. In den zeitgenössischen Nationsdebatten kam der zollpolitischen Integration jedoch offensichtlich ein besonderer Stellenwert unter

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nem längst überholten, einseitigen ökonomischen Determinismus als Erklärung für die Nationsbildung zurückkehren.21 Und gerade gegenüber den älteren nationalgeschichtlichen Legenden, welche eine zwangsläufige Abfolge von der Schaffung des durch Preußen geführten Zollvereins bis zur Gründung des kleindeutsch-preußischen Kaiserreiches von 1871 konstruierten,22 erscheint es an der Zeit, eine differenzierte Bewertung der Bedeutung des Zollvereins für die Nationsbildung vorzunehmen. Dazu gehört in erster Linie, Nationsbildung in Deutschland nicht mehr einfach mit der Gründung des kleindeutsch-preußischen Kaiserreiches 1871 und deren unmittelbarer Vorgeschichte gleichzusetzen. Wenn man das Konzept von Nation als ein gedankliches Konstrukt, das von einer bestimmten Anzahl von Menschen geteilt wird, ernst nimmt, dann bedeutet Nationsbildung eben nicht einfach den „Weg zum Nationalstaat“.23 Nation und Staat waren in den seltensten Fällen deckungsgleich. Nationsvorstellungen waren zudem nicht nur einem ständigen historischen Wandel unterworfen, sondern es konnten auch verschiedene Nationsvorstellungen synchron nebeneinander existieren. So hat Abigail Green anhand der Selbstdarstellung der deutschen Staaten auf den industriellen Weltausstellungen von 1851 bis 1862 gezeigt, dass es einen breiten Konsens über die Existenz einer vor allem sprachlich definierten „großdeutschen“ Kulturnation und zugleich einer damit nicht völlig deckungsgleichen politischen Nation in Gestalt des

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den ökonomischen Entwicklungen zu, während etwa der Eisenbahnbau stärker an einzelstaatliche oder lokale Interessen geknüpft blieb. Green, Fatherlands (wie Anm. 18), spricht gar von einem „railway particularism“ (S. 249), der in erster Linie die einzelstaatlichen Identitäten gestärkt habe. So die marxistische Deutung der Nationsbildung. Vgl. aber auch funktionalistische Ansätze, welche die Nation einseitig als Resultat der Organisationsbedürfnisse der kapitalistischen Klassengesellschaft erklären. So etwa bei Heinrich August Winkler, Einleitung. Der Nationalismus und seine Funktionen, in: ders. (Hrsg.), Nationalismus, 2. Aufl., Königstein 1985, S. 5–46. So etwa bei Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III., 4. Aufl., Leipzig 1897, S. 379. So noch die Deutung bei: Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat: Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, 3. Aufl., München 1992; zum komplexen Verhältnis von Staat und Nation vgl. dagegen Dieter Langewiesche, Staatsbildung und Nationsbildung in Deutschland – ein Sonderweg? Die deutsche Nation im europäischen Vergleich, in: ders., Reich, Nation, Föderation: Deutschland und Europa, München 2008, S. 145–160, hier bes. S. 156–158; sowie: Hagen Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, 2. Aufl., München 2004; Miroslav Hroch, Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, Göttingen 2005.

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Deutschen Bundes sowie einer wirtschaftlich definierten Nation, die in Form des Zollvereins hervortrat, gab.24 Eine historische Analyse der Nationsbildung bedeutet daher vor allem, die zu einem bestimmten Zeitpunkt existierenden Nationsvorstellungen herauszuarbeiten. In Bezug auf die Rolle des Zollvereins im Nationsbildungsprozess heißt dies zum einen, dass nicht mehr nur die preußischen Staatsbeamten, sondern alle staatlichen und gesellschaftlichen Träger des Integrationsprozesses in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Lange Zeit vor dem berühmten preußischen Zollgesetz von 1818 hatten bereits die süddeutschen Staaten wie Bayern ein modernes Grenzzollsystem eingeführt und damit wichtige Impulse für eine neue Zollpolitik in Deutschland gesetzt. Der erste moderne Zollverein wurde nicht von Preußen, sondern bereits kurz zuvor, am 18. Januar 1828, zwischen Bayern und Württemberg geschlossen.25 Darüber hinaus ist der im Herbst 1828 gegründete Mitteldeutsche Handelsverein bis heute als bloßes Abwehrinstrument gegen die zollpolitische Expansion Preußens bzw. Bayerns bewertet worden. Dabei wurde jedoch übersehen, dass der Mitteldeutsche Handelsverein die Position der in ihm vereinten Staaten entscheidend stärkte und damit den Föderalismus in Deutschland maßgeblich förderte.26 Zum anderen rücken neben den staatlichen Akteuren die gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse ins Blickfeld. Wie wurden die Gründung und der Ausbau des Zollvereins innerhalb des Bildungs- und des Wirtschaftsbürgertums, in den verfassungspolitischen Diskussionen bzw. innerhalb der Parlamente wahrgenommen und inwiefern wurden sie nationalpolitisch aufgeladen?27 Und inwieweit verselbstständigten sich die innerhalb des 24

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Vgl. Abigail Green, Representing Germany? The Zollverein at the World Exhibitions, 1851–1862, in: The Journal of Modern History 75 (2003), S. 836–863, hier bes. S. 857– 860. Vgl. Helmut Berding, Die Reform des Zollwesens in Deutschland unter dem Einfluss der napoleonischen Herrschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 523–537. Zur Zollvereinspolitik der süddeutschen Staaten vgl. ausführlich Peter Burg, Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit: Vom alten Reich zum Deutschen Zollverein (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz; Bd. 136: Abteilung Universalgeschichte), Stuttgart 1989, S. 271 ff. Zur preußischen Zollvereinspolitik vgl. den Beitrag von Thomas Stamm-Kuhlmann in diesem Band; dazu: Hans-Werner Hahn, Hegemonie und Integration. Voraussetzungen und Folgen der preußischen Führungsrolle im Deutschen Zollverein, in: Berding (Hrsg.), Integration (wie Anm. 4), S. 45–70. Vgl. mit weiteren Literaturangaben den Beitrag von Oliver Werner in diesem Band. Vgl. dazu die Beiträge von Andreas Etges, Rudolf Boch, Heinrich Best, Hans-Werner Hahn und Henning Kästner im vorliegenden Band. Vgl. ausführlich neben Etges, Wirt-

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Zollvereins tätigen Akteure, also die in den Zollvereinsangelegenheiten wirkenden höheren Beamten der Mitgliedstaaten? Kam es zur Herausbildung einer gemeinsamen, vielleicht auch nationalpolitisch konnotierten Identität dieser Beamten?28 Neben den internen Kommunikationsprozessen werden auch die alternativen nationalen Integrationsangebote berücksichtigt. Nichts wäre verfehlter, als den Eindruck zu vermitteln, der Deutsche Zollverein habe das einzige nationalpolitische Integrationsangebot im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts dargestellt. Neben den eher vagen Umgrenzungen der Nation anhand von Geschichte, Sprache und Kultur stellte der Deutsche Bund trotz all seiner in den Augen des liberalen Bürgertums vorhandenen Defizite einen Anknüpfungspunkt für nationale Einheitshoffnungen dar. Und im Gegensatz zu lange Zeit gängigen Auffassungen entfaltete der Deutsche Bund gerade auf wirtschaftlichem Gebiet umfassende Aktivitäten für eine weitergehende Integration, die auch als Angebot an die nationalen Erwartungen des Bürgertums gedacht waren.29 Zudem wurde dem kleindeutsch-preußisch orientierten Zollverein spätestens seit 1850 die Alternative einer großdeutschen bzw. mitteleuropäischen Zollunion unter Einschluss bzw. Führung Österreichs gegenüber gestellt.30 Diese Alternative stieß nicht nur bei den Regierungen vieler Mittel- und Kleinstaaten aufgrund deren Vorbehalte gegenüber der preußischen Hegemonie im Zollverein auf große Sympathie. Gerade aus nationalpolitischen Überlegungen heraus gewannen die zollpolitischen Bestrebungen Österreichs in weiten Teilen der Öffentlichkeit, vor allem in den süddeutschen Staaten, eine große Attraktivität. Dem kleindeutschen Zollverein wurde bereits früh von vielen Seiten vorgeworfen, dass er eben nicht alle deut-

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schaftsnationalismus (wie Anm. 18) auch: Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980; sowie: Rudolf Boch, Grenzenloses Wachstum? Das rheinische Wirtschaftsbürgertum und seine Industrialisierungsdebatte 1814–1857, Göttingen 1991. Vgl. den Beitrag von Marko Kreutzmann in diesem Band. Vgl. grundlegend: Jürgen Müller, Der Deutsche Bund 1815–1866 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 78), München 2006 sowie ders., Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005. Vgl. den Beitrag von Thomas J. Hagen in diesem Band; sowie: Hans-Werner Hahn, Mitteleuropäische oder kleindeutsche Wirtschaftsordnung in der Epoche des Deutschen Bundes, in: Helmut Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit; Bd. 16/17), München 1990, S. 186–214.

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schen Staaten einschließe und deshalb nicht beanspruchen könne, die gesamte deutsche Nation zu repräsentieren.31 Daran wird deutlich, dass noch bis in die 1860er Jahre hinein auch auf zoll- und handelspolitischem Gebiet durchaus konkurrierende Vorstellungen national-ökonomischer Räume existierten. Schließlich gehört zur Konstruktion nationaler Identität auch die Außenwahrnehmung. In zahlreichen europäischen Staaten wurde die deutsche Zolleinigung aufmerksam beobachtet. Umgekehrt bildete für große Teile der deutschen Öffentlichkeit das Bestreben, gegenüber den anderen europäischen Staaten als eine geschlossene „Handelsnation“ aufzutreten, eine wichtige Motivation für die Gründung des Deutschen Zollvereins.32 Obwohl dieses Motiv prinzipiell gegenüber allen europäischen Nachbarstaaten galt, war es im Hinblick auf Großbritannien in besonderem Maß ausgeprägt. Von Anfang an hatte der deutsche Wirtschaftsnationalismus vor allem Großbritannien als schärfsten ökonomischen Konkurrenten, vor dem es sich mit Schutzzöllen abzusichern gelte, im Visier.33 Insbesondere Friedrich List hat hier mit seinen Schriften nachhaltig gewirkt. In der späteren Nationalgeschichtsschreibung wurde neben Österreich und Frankreich vor allem Großbritannien die Rolle eines Gegners der deutschen Zolleinigung zugeschrieben. Vor diesem Hintergrund wird im vorliegenden Sammelband exemplarisch danach gefragt, wie die Zolleinigung die Wahrnehmung wichtiger Akteure in Großbritannien veränderte.34 Wurde außerhalb Deutschlands tatsächlich, wie es der Liberale Karl Steinacker voraussagte, unter dem Begriff „Deutschland“ mehr und mehr „hauptsächlich das zollverbündete“ verstanden?35 Und inwieweit wirkte die Wahrnehmung von Außen auf die deutsche 31 32

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34 35

Vgl. Etges, Wirtschaftsnationalismus (wie Anm. 18), S. 114 ff., hier u.a. S. 120. So argumentierte der preußische Geheime Oberfinanzrat und Mitbegründer des Deutschen Zollvereins, Ludwig Kühne, in einer Schrift von 1836, dass „Deutschland erst durch diese Vereinigung in die Reihe der europäischen Handelsmächte eintrete.“ Ders., Über den deutschen Zollverein, Berlin 1836, S. 5. Vgl. Etges, Wirtschaftsnationalismus (wie Anm. 18), S. 87–89 sowie: Richard Tilly, Los von England: Probleme des Nationalismus in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, in: ders., Kapital, Staat und sozialer Protest in der deutschen Industrialisierung: gesammelte Aufsätze (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 41), Göttingen 1980, S. 179–196. Vgl. den Beitrag von Markus Mößlang in diesem Band; außerdem: John R. Davis, Britain and the German Zollverein, 1848–66, Basingstoke u.a. 1997. Karl Steinacker, Die politische und staatsrechtliche Entwickelung Deutschlands durch den Einfluß des Zollvereins, Braunschweig 1844, S. 36.

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Nationsbildung zurück? Großbritannien steht auch deshalb exemplarisch für die Außenwahrnehmung der Integrationsprozesse im Deutschen Zollverein, da es bis 1837 durch die Personalunion mit dem Königreich Hannover ja direkt mit einem Staat des Deutschen Bundes verknüpft war, der wirtschaftlich von der Zollvereinsgründung unmittelbar betroffen und noch dazu bald für einen Zollvereinsbeitritt umworben wurde.36 Dennoch verdeutlicht die Beschränkung in der Frage nach der Außenwahrnehmung auf Großbritannien bereits, dass der vorliegende Band die umrissene Fragestellung keineswegs vollständig ausleuchten kann. Es bedürfte nicht nur zahlreicher regionaler, sondern auch thematischer Erweiterungen, um ein einigermaßen vollständiges Bild zu erhalten. So wären eigene Untersuchungen etwa zur Rolle der periodischen Publizistik37 oder der Formen der symbolischen Repräsentation der Nation im Rahmen des Zollvereins, etwa auf den maßgeblich durch den Deutschen Zollverein initiierten Industrieausstellungen in Deutschland bzw. auf den seit den 1850er Jahren etablierten Weltausstellungen,38 zentrale Forschungsthemen. Diese könnten substantielle Beiträge zur Beantwortung der Frage nach den Wahrnehmungsweisen des Zollvereins liefern. Zudem wäre neben den Elitendiskursen etwa eine Untersuchung zur Thematisierung des Zollvereins in der zeitgenössischen Lyrik ein viel versprechender Ansatz.39 36

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Vgl. u.a. ders., Die Verhandlungen zwischen Hannover, Braunschweig und dem Zollverein über Hannovers Anschluß, Köln 1844; zur Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover siehe jetzt in vergleichender Perspektive: Rex Rexheuser (Hrsg.), Die Personalunionen von Sachsen-Polen 1697–1763 und Hannover-England 1714– 1837: Ein Vergleich, Wiesbaden 2005. Hierzu gibt es nur vereinzelte ältere Studien: Ernst Hammann, Die Berichterstattung der Münchener Presse über die Zollvereine (1828–1834), phil. Diss. München 1942; Bernd Bab, Die öffentliche Meinung über den deutschen Zollverein zur Zeit seiner Entstehung, phil. Diss. Berlin 1930; Friedrich Wilhelm Lange, Bismarck und die öffentliche Meinung Süddeutschlands während der Zollvereinskrise 1850 bis 1853, Gießen 1922, sowie auch: Detlef Stage, Frankfurt am Main im Zollverein: Die Handelspolitik und die öffentliche Meinung der Freien Stadt Frankfurt in den Jahren 1836 bis 1866, Frankfurt a.M. 1971; vgl. auch die Ausführungen im Beitrag von Thomas J. Hagen zur Rolle der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ während der Zollvereinskrise von 1850–1853 in diesem Band. Vgl. den wegweisenden Aufsatz von Green, Representing Germany? (wie Anm. 24); grundsätzlich zu den Industrieausstellungen in Deutschland im 19. Jahrhundert: Thomas Großbölting, „Im Reich der Arbeit“: Die Repräsentation gesellschaftlicher Ordnung in den deutschen Industrie- und Gewerbeausstellungen 1790–1914 (Ordnungssysteme; Bd. 21), München 2008. Vgl. beispielhaft zur Untersuchung der politischen Funktion von Lyrik: Ernst Weber, Lyrik der Befreiungskriege (1812–1815): Gesellschaftspolitische Meinungs- und Wil-

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Schließlich müsste, was das unmittelbare Erkenntnisinteresse des vorliegenden Bandes jedoch übersteigt, auch die bislang noch nicht systematisch erforschte transnationale Verflechtung wirtschaftlicher Räume im Zuge der Zollvereinsgründung genauer untersucht werden. Denn der Zollverein war von Anfang an keineswegs ein Projekt protektionistischer Abschottung nach außen, sondern darauf ausgerichtet, durch den Abschluss von Handelsverträgen Absatzmärkte zu erschließen. Mittels eines weit reichenden Netzes entsprechender zwischenstaatlicher Abkommen wurde der Zollverein in den europäischen und globalen Wirtschaftsraum eingebunden.40 III. Der vorliegende Band baut auf den bisherigen sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Untersuchungen zur Geschichte des Deutschen Zollvereins, die nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit den oben bereits angedeuteten ideologischen Überhöhungen der Zollvereinsgeschichte entstanden, auf. Daher wird im Folgenden ein etwas ausführlicherer Forschungsüberblick gegeben, der den Ausgangspunkt für die in den einzelnen Aufsätzen des Bandes versuchte kulturgeschichtliche Erweiterung bildet. Die Geschichtsschreibung zum Deutschen Zollverein wurde über viele Jahre von einseitigen Interpretationen geprägt, die sich unter ideologischen Prämissen zu regelrechten Mythen und Legenden auswuchsen. So galt der Zollverein auf der einen Seite als ein wichtiger Initiator der Industriellen Revolution in Deutschland. Friedrich List sprach bekanntlich von den siamesischen Zwillingen „Eisenbahnbau und Zollverein“, die Deutschlands industriellen Aufholprozess gegenüber dem Mutterland der Industrialisierung eingeleitet hätten. Spätere Wirtschaftshistoriker haben dann die vor allem Preußen zugeschriebene Herstellung eines gemeinsamen nationalen Marktes als eine wichtige staatliche Vorleistung angesehen, um die ökonomischen Verhältnisse Deutschlands grundlegend umzugestalten. Die jüngere wirtschaftshistorische Forschung hat in dieser Hinsicht viel vorsichtiger

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lensbildung durch Literatur, Stuttgart 1991, sowie den Überblick bei: Walter Hinderer, Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland, aktualisierte Neuauflage, Würzburg 2007 (Erstausgabe Stuttgart 1978). Vgl. grundlegend: Alfred Zimmermann, Geschichte der preußisch-deutschen Handelspolitik, aktenmäßig dargestellt, Oldenburg 1892; darüber hinaus existieren nur wenige Studien zu den Handelsbeziehungen des Deutschen Zollvereins; u.a. Heinrich Sydow, Die Handelsbeziehungen zwischen Belgien und dem Zollverein 1830–1885. Vertragspolitik und Warenaustausch, 2 Teile, Köln 1979.

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geurteilt.41 So hat Rolf Dumke davor gewarnt, die unmittelbar mit der Zollvereinsgründung verbundenen Wohlstandsgewinne zu überschätzen, oder darauf verwiesen, dass die Schutzwirkung der Zölle schon durch die vergleichsweise niedrigen Einfuhrtarife begrenzt bleiben musste, ja dass die relativ liberale Tarifpolitik angesichts des großen deutschen Bedarfs an Halbfertigwaren der Industrialisierung sogar mehr zugute kam als ein höherer Schutzzoll.42 Im Übrigen ist man sich inzwischen auch darin einig, dass die Gründung des Zollvereins weder bei der preußischen Regierung noch bei den Regierungen der anderen Zollvereinsstaaten auf eine bewusste staatliche Industrialisierungsstrategie zurückging.43 Aber auch wenn der Zollverein keine Initialzündung einer deutschen Industriellen Revolution war, so schuf er doch in mehrfacher Hinsicht bessere Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Strukturwandel, der schon vor 1834 in Gang gekommen war, der sich aber durch den Zollverein und seine Impulse für den Binnenhandel, den Ausbau einer staatenübergreifenden Infrastruktur und für ein besseres Investitionsklima deutlich beschleunigen sollte. All das war freilich keineswegs allein das Verdienst der preußischen Wirtschaftspolitik, die lange im Zentrum der ökonomischen Zollvereinslegende stand.44 Noch stärker war der preußische Staat aber bekanntlich mit der politischen Zollvereinslegende verknüpft. Der Deutsche Zollverein wurde von der kleindeutsch-preußischen Geschichtsschreibung zur Vorstufe des 1871 geschaffenen Deutschen Kaiserreiches verklärt. In dieser Lesart gab es von 1834 an, ja eigentlich schon seit dem preußischen Zollgesetz von 1818 einen 41

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Vgl. zur Rolle des Zollvereins für die Industrialisierung in Deutschland sowie zur entsprechenden Forschungsdiskussion: Hahn, Industrielle Revolution (wie Anm. 3), S. 22– 23; 80–81. Vgl. Rolf H. Dumke, Die wirtschaftlichen Folgen des Zollvereins, in: Werner Abelshauser/Dietmar Petzina (Hrsg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte im Industriezeitalter, Düsseldorf 1981, S. 241–273. Vgl. am Beispiel der hessischen Staaten: Hans-Werner Hahn, Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 52), Göttingen 1982, S. 145 ff. Vgl. zusammenfassend zur Bedeutung des Zollvereins für den deutschen Binnenhandel: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“: 1815–1845/49, München 1987, S. 125–139; zur Bedeutung des Zollvereins für die regionale Wirtschaftsentwicklung am Beispiel Sachsens: Hubert Kiesewetter, Die Industrialisierung Sachsens. Ein regional-vergleichendes Erklärungsmodell (Regionale Industrialisierung; Bd. 5), Stuttgart 2007, S. 118–140.

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direkten und kaum noch ernsthaft in Frage zu stellenden Weg zur Reichsgründung. Bekannt sind dabei wohl vor allem die Formulierungen Heinrich von Treitschkes aus seiner einflussreichen „Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert.“ Treitschke beschrieb hier den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Zollvereinsverträge als die „folgenschwere Neujahrsnacht des Jahres 1834, die auch den Massen das Nahen einer besseren Zeit“ verkündet habe: „Ein neues Glied, fest und unscheinbar, war eingefügt in die lange Kette der Zeiten, die den Markgrafenstaat der Hohenzollern hinaufgeführt hat zur kaiserlichen Krone. [...] aus weiter Ferne erklang schon der Schlachtendonner von Königgrätz.“45 Der Zollverein erschien dabei als alleiniges Werk der preußischen Staatsmänner und Monarchen. Den Mittel- und Kleinstaaten wurde dagegen nur allzu oft die Rolle bloß widerstrebender Akteure zugewiesen.46 Gegen eine solch einseitige Sicht erhob sich bereits unter den Zeitgenossen Widerspruch. Der bayerische Beamte Wilhelm Weber, der selbst viele Jahre am Zollverein mitgewirkt hatte, setzte in seiner erstmals 1869 publizierten Geschichte des Deutschen Zollvereins die Akzente doch etwas anders. So betonte er zwar, dass der Zollverein „zum Repräsentanten der materiellen Einheit der gesammten Nation“47 geworden sei. Dennoch hielt Weber auch nach dem Krieg zwischen Preußen und Österreich von 1866, der Gründung des Norddeutschen Bundes und der Umgestaltung des Zollvereins in eine bundesstaatliche Institution durch den Vertrag vom Juli 1867 daran fest, dass der Zollverein nicht dazu bestimmt sei, „den Übergang zu einer größeren politischen Institution zu bilden“ und „alle Bestrebungen in dieser Richtung wenig Aussicht auf dauernden Erfolg haben“ würden.48 Und der Neorankeaner Erich Brandenburg hob gegen die Interpretation der kleindeutsch-preußischen Historiker in seinem Werk über die Reichs45 46

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Treitschke, Deutsche Geschichte, Bd. 4 (wie Anm. 22). Zum Thüringer Zollverein vgl. jetzt: Hans-Werner Hahn, Thüringischer Zollverein und regionale Wirtschaftsinteressen. Erfurt als Zentralort einer neuen thüringischen Wirtschaftspolitik 1834–1848/49, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, H. 60, N.F., 7 (1999), S. 75–87. Wilhelm Weber, Der deutsche Zollverein. Geschichte seiner Entstehung und Entwickelung, Leipzig 1869 (Vorwort, ohne Paginierung). Ebd., S. 468. Zur politischen Haltung Webers vgl. den Beitrag von Angelika SchusterFox in diesem Band sowie dies. (Angelika Fox), Die wirtschaftliche Integration Bayerns in das Zweite Deutsche Kaiserreich: Studien zu den wirtschaftspolitischen Spielräumen eines deutschen Mittelstaates zwischen 1862 und 1875 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 131), München 2001.

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gründung hervor, dass „die Gründung des Zollvereins, soweit die preußische Politik dabei in Frage kommt, nicht als Eingehen auf die nationalen Wünsche und Hoffnungen betrachtet werden kann, sondern aus den wirtschaftlichen Bedürfnissen Preußens selbst erklärt werden“ müsse. Brandenburg meinte in diesem Zusammenhang, dass der Zollverein die Forderungen des Wirtschaftsbürgertums nach Schaffung eines Nationalstaates eher geschwächt als gestärkt habe und dass zudem die mit Preußen im Zollverein zusammengeschlossenen Staaten sowohl während der Unionspolitik von 1849/50 als auch während des Krieges von 1866 auf der Seite Österreichs gestanden hatten. Die ökonomische Einheit könne daher nicht als Weichenstellung für die politische Einheit betrachtet werden.49 Solche Stimmen, welche die Bedeutung des Zollvereins für die Reichsgründung zu differenzieren suchten, konnten allerdings das gängige Bild von der Zollvereinsgründung als Etappe einer glorreichen preußisch-deutschen Einigungspolitik nicht verdrängen. Eine grundlegende Revision der Zollvereinsgeschichte wurde erst durch den englischen Historiker William O. Henderson mit seiner zuerst 1939 vorgelegten Studie über den Zollverein unternommen. Doch auch die Darstellung Hendersons stützt sich fast ausschließlich auf gedruckte Quellen und die ältere nationalgeschichtliche Literatur, deren Urteile Henderson dabei oftmals unreflektiert übernimmt. So seien nach der auch in der jüngsten Auflage von 1984 enthaltenen Auffassung Hendersons und ganz im Sinne der Deutung Heinrich von Treitschkes auch diejenigen preußischen Beamten, welche an der Gründung und am Ausbau des Zollvereins beteiligt waren, zu den Gründern des Deutschen Kaiserreiches von 1871 zu zählen.50 Während nach 1945 in der Historiographie der DDR die Gründung des Zollvereins in der Nachfolge der Interpretation von Friedrich Engels als wirtschaftliche Konzession reaktionärer Kräfte an die so genannte Bourgeoisie interpretiert wurde,51 kam es in der Bundesrepublik vor allem im 49 50

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Vgl. Erich Brandenburg, Die Reichsgründung, Bd. 1, Leipzig 1916, S. 114–117, Zitat S. 114. Vgl. Henderson, Zollverein (wie Anm. 6), S. XIV: „The statesmen, who made and developed the customs union – men like Motz, Pommer Esche and Delbrück – should also be numbered among the founders of the united Germany of 1871.“ (Einleitung zur zweiten Ausgabe, ohne Paginierung). Zur Interpretation von Friedrich Engels vgl. ders., Die Rolle der Gewalt in der Geschichte, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (MEW). Bd. 21. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1962, S. 405–461, hier bes. S. 421. Vgl. im Anschluss daran die Interpretation in der DDR-Historiographie etwa bei: Karl

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Zuge der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte seit den 1960er Jahren zu einer nachhaltigen Revision älterer nationalgeschichtlicher Deutungen. Dabei wurde besonders mit Blick auf die dem preußischen Zollsystem beitretenden Mittel- und Kleinstaaten hervorgehoben, dass nicht politische, sondern ökonomische und vor allem fiskalische Motive entscheidend für den Beitritt zum Zollverein gewesen seien.52 Die meisten Mittel- und Kleinstaaten befanden sich um 1830 in einer schwierigen finanzpolitischen Situation und waren zudem von den Budgetbewilligungen ihrer Landtage abhängig. Hier bot der Anschluss an das bereits seit 1818 bewährte preußische Zollsystem eine doppelte Abhilfe.53 Je mehr jedoch der Blick auf die Entscheidungsträger in Regierung und Verwaltung sowie auf die Haltung gesellschaftlicher Akteure in den Einzelstaaten gerichtet wurde, um so deutlicher wurde die Komplexität der Motivlagen auf den verschiedenen Ebenen. Den Regierungen und Monarchen der Einzelstaaten ging es beim Zollverein zunächst einmal um finanzpolitische Sachzwänge. Hinzu kam der Versuch, über die Zollpolitik offensichtliche ökonomische Missstände zu beheben und damit, insbesondere vor dem Hintergrund der französischen Julirevolution von 1830 und ihrer Folgen, Protest- und Revolutionspotential zu kanalisieren. Auf Seiten des Wirtschaftsbürgertums standen sich Handel, Industrie und Landwirtschaft und innerhalb dieser Sektoren wiederum traditionale und moderne Produktionsweisen mit vielfach differenzierten Interessenlagen gegenüber. Und während manche liberale Politiker wie Heinrich von Gagern schon 1833 den Zollverein als einen möglichen Weg zur politischen Einheit der Deutschen nutzen wollten, stand das ausgeprägte Souveränitätsinteresse der einzelstaatlichen Monarchen und Beamten einer nationalpolitischen Instrumentalisierung des Deutschen Zollvereins entgegen.54 Selbst für Preußen schuf der Zollverein offensichtlich nicht so große wirtschaftliche und politische Vorteile, dass einfach von einer deutschlandpolitischen Instrumentalisierung des Zollvereins durch dessen weitaus größten Mitgliedstaat ausgegangen werden kann. Daher müssen zur Erklärung der nationalen Integrationswirkung des Zollvereins weiter reichende Ansät-

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Obermann, Deutschland von 1815 bis 1849. Von der Gründung des Deutschen Bundes bis zur bürgerlich-demokratischen Revolution, 3. Aufl., Berlin 1967, S. 99–101. Vgl. zusammenfassend die Beiträge bei: Berding (Hrsg.), Integration (wie Anm. 4). Vgl. Hahn, Liberalismus (wie Anm. 13) sowie den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band. Vgl. zusammenfassend: Hahn, Geschichte (wie Anm. 6).

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ze herangezogen werden. Christopher Clark betont in seiner Geschichte Preußens im Anschluss an zahlreiche Vorarbeiten, dass es weniger die unmittelbaren wirtschaftlichen und politischen Vorteile gewesen seien, welche den Deutschen Zollverein zu einem wichtigen Feld der preußischen Politik werden ließen.55 Vielmehr sieht er dessen nationalpolitische Bedeutung in der Veränderung der Wahrnehmungs- und Kommunikationsmuster: Durch die komplizierten Verhandlungen im Rahmen der Gründung und der fortlaufenden Arbeit des föderal organisierten Zollvereins hätten die preußischen Minister und Beamten gelernt, in einem gesamtdeutschen Horizont zu denken und die eigenen Interessen stärker im Ausgleich mit den kleineren und mittleren Staaten zu verfolgen.56 Diese These ließe sich auf die Minister und Beamten der anderen Mitgliedstaaten erweitern. Die Analyse der strukturellen Voraussetzungen in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Rekonstruktion der politischen Entscheidungsprozesse führten am Ende der 1980er Jahre vor allem zur Dekonstruktion älterer Deutungen. Dem Deutschen Zollverein wurde nun eine wesentlich geringere Bedeutung für die ökonomischen und politischen Wandlungsprozesse des 19. Jahrhunderts beigemessen.57 Trotz wichtiger neuer Studien zu Ein-

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In Bezug auf Preußen und das bekannte Memoire des Finanzministers Friedrich von Motz vom Juni 1829 hebt David T. Murphy vor allem sicherheitspolitische und militärstrategische Motive für die zollpolitische Einbindung der süddeutschen Staaten hervor. Vgl. David T. Murphy, Prussian aims for the Zollverein, 1828–1833, in: The Historian 53/2 (1991), S. 285–302; Auch Hans-Joachim Voth betont in seiner Untersuchung den geringen wirtschaftlichen und politischen Vorteil, den Preußen aus dem Zollverein zog. Vgl. Hans-Joachim Voth, The Prussian Zollverein and the bid for economic superiority, in: Philip G. Dwyer (Hrsg.), Modern Prussian History 1830–1947, Harlow 2001, S. 109– 125. So, im Anschluss an die oben genannten Studien: Christopher Clark, Iron Kingdom. The raise and downfall of Prussia, 1600–1947, London u.a. 2006 (deutsch: München 2007), S. 393–394: „It was here that ministers and officials learned to think in authentically German compass and to combine the pursuit of specifically Prussian benefits with the building of consensus and the mediation of interests among the other German states.“ (S. 394.) Vgl. zu Preußen auch: Hans-Werner Hahn, Wirtschaftspolitische Offensive mit deutschlandpolitischem Langzeiteffekt? Der Zollverein von 1834 in preußischer Perspektive, in: Michael Gehler u.a. (Hrsg.), Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. Jahrhundert (Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft; Beiheft 15), Stuttgart 1996, S. 95–111. Vgl. etwa bilanzierend: Hahn, Geschichte (wie Anm. 6); sowie die Urteile bei: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 6., durchgesehene Aufl., München 1993, S. 361; Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2 (wie Anm. 44).

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zelfragen der Zollvereinsgeschichte58 und der Berücksichtigung des Zollvereins im Zusammenhang mit verwandten Forschungsfeldern59 blieb eine systematische Erforschung der Geschichte dieser ersten zwischenstaatlichen Zollunion weitgehend aus. Während die Gründungsphase des Zollvereins bis 1834 aus einzelstaatlicher Perspektive noch vergleichsweise gut erforscht ist – obwohl es auch hier an eingehenden Studien gerade zu den beiden größten Mitgliedstaaten Preußen und Bayern noch immer fehlt – ist über die innere Entwicklung des Deutschen Zollvereins zwischen 1834 und 1871 noch wenig bekannt.60 Dies betrifft insbesondere die institutionelle Funktionsweise des Zollvereins sowie dessen politische Entwicklung. So folgen die vorliegenden Darstellungen zu den entscheidenden „Zollvereinskrisen“, in denen zwischen 1850 und 1853 sowie zwischen 1862 und 1864 die Existenz des Deutschen Zollvereins insgesamt auf dem Spiel stand, meist weitgehend konventionellen Erzählmustern, welche diese Krisen vor allem aus traditioneller diplomatiegeschichtlicher Perspektive als Ringen Preußens um den Erhalt des kleindeutschen Zollvereins und den Ausschluss Österreichs schildern.61 Die viel-

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Vgl. Karl-Heinz Preißer, Die Stellung Bayerns bei der Steuerharmonisierung im Deutschen Zollverein 1834–1871 (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Forschungsbeiträge; Bd. 10), Regensburg 1991. So im Zusammenhang mit der Nationalismusforschung bei: Etges, Wirtschaftsnationalismus; Green, Fatherlands (beide wie Anm. 18). Zur Gründungsgeschichte des Zollvereins existieren lediglich Studien zur Rolle einiger Mittelstaaten: Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 43); Ruth Kappel, Bemühungen des Königreichs Württemberg um eine deutsche Zollvereinigung nach 1815, Tübingen, Univ., Diss., 1991 (MS); Hans Peter Müller, Das Großherzogtum Baden und die deutsche Zolleinigung, 1819–1835/36, Frankfurt a.M. 1984. Vergleichbare moderne Studien zur Gründungsgeschichte des Zollvereins fehlen aber gerade für die beiden größten Zollvereinsstaaten Preußen und Bayern sowie etwa für das wirtschaftlich weit entwickelte Sachsen. Vgl. zu letzterem neben den Ausführungen bei Kiesewetter, Industrialisierung (wie Anm. 44) lediglich den Deutungsversuch von Richard J. Bazillion, Economic integration and political sovereignty: Saxony and the Zollverein, 1834–1877, in: Canadian Journal of History 25/2 (1990), S. 189–202, der für Sachsen von einer starken Stimulierung der wirtschaftlichen Entwicklung durch den Zollverein ausgeht. Noch immer grundlegend: Alfred Gaertner, Der Kampf um den Zollverein zwischen Österreich und Preußen von 1849 bis 1853 (Straßburger Beiträge zur neueren Geschichte; Bd. IV/1, 2), Straßburg 1911; Barbara Roloff, Die Zollvereinskrise von 1850 bis 1853, in: Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde, N.F. 20 (1938), S. 293– 363; 21 (1940), S. 1–61; Eugen Franz, Der Entscheidungskampf um die wirtschaftspolitische Führung Deutschlands (1856–1867) (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 12), München 1933, sowie die an diese Studien angelehnten Ausführungen zu den Zollvereinskrisen bei: Helmut Böhme, Deutschlands Weg zur Großmacht. Studi-

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fältigen Konflikte und Entwicklungen innerhalb der Zollvereinsstaaten bleiben dabei ebenso unberücksichtigt62 wie weiterführende analytische Fragestellungen etwa über Mechanismen der Konfliktbewältigung in zwischenstaatlichen Institutionen. Auch über die Arbeit der gemeinsamen Gremien des Zollvereins gibt es bislang keine systematische Untersuchung. Einen der wenigen Ansatzpunkte bildet die von den Herausgebern des vorliegenden Bandes gemeinsam erarbeitete Studie zu den höheren Beamten des Deutschen Zollvereins.63 Die Defizite beim gegenwärtigen Stand der Zollvereinsforschung beginnen bereits bei den Grundlagen. Da der Zollverein eine dezentral organisierte Institution war, gibt es auch keinen zentralen archivalischen Quellenbestand, aus dem man sich einen allgemeinen Überblick über die Zollvereinsgeschichte verschaffen könnte. Vielmehr ist man auf die Archive der einzelnen Mitgliedstaaten verwiesen. Daher können neue Studien zum Zollverein schon aus arbeitsökonomischen Gründen entweder nur einen regional, thematisch oder zeitlich begrenzten Fokus einnehmen oder sie bleiben weitgehend auf die älteren Darstellungen und gedruckten Quellen des 19. Jahrhunderts bezogen. Gerade die letzteren aber sind vielfach von den zeitgenössischen politischen Auseinandersetzungen um den Zollverein geprägt und bieten entsprechend selektive Einblicke in die Zollvereinsgeschichte.64 Während zu anderen wichtigen Institutionen des 19. Jahrhunderts wie dem Deutschen Bund, der von der älteren Nationalgeschichtsschreibung im Ge-

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en zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit 1848– 1881, Köln/Berlin 1966. Als Ausnahme vgl. jetzt aber Fox, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 48), welche auf die komplexen innerbayerischen Entscheidungsprozesse während der beiden Zollvereinskrisen eingeht. Zu Sachsen gibt Andreas Neemann, Landtag und Politik in der Reaktionszeit: Sachsen 1849/50–1866 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 126), Düsseldorf 2000, wertvolle, wenn auch keineswegs erschöpfende Einblicke in die innere sächsische Entwicklung während der beiden Zollvereinskrisen. Vgl. Kreutzmann, Funktionseliten (wie Anm. 11) sowie den Beitrag von Marko Kreutzmann im vorliegenden Band. Beispielhaft dafür mögen etwa die Zollvereinsgeschichte von Wilhelm Weber oder die Lebenserinnerungen des langjährigen preußischen Zollvereinsbeamten Rudolph (von) Delbrück stehen. Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 47); Rudolph von Delbrück, Lebenserinnerungen, 2 Bde., 1. und 2. Aufl., Leipzig 1905. Darüber hinaus sind die meisten der zeitgenössischen Publikationen im Kontext der Zollvereinskrisen entstanden. Vgl. etwa: Beiträge zur Beurtheilung der Zollvereins-Frage. Eine Sammlung amtlicher Aktenstücke, Berlin 1852; Die Wiener Zoll-Conferenzen. Ein getreuer Abdruck der wichtigsten Verhandlungsstücke nebst einer Vorrede, Wien 1852.

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gensatz zum Zollverein ein klares Negativ-Image zugewiesen bekam, der Zugang für die neuere Forschung durch umfangreiche Editionsprojekte geebnet wurde,65 steht eine ähnliche Erschließung der Grundlagen für eine systematische Untersuchung der Zollvereinsgeschichte noch aus.66 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Geschichte des Deutschen Zollvereins bislang kaum Eingang in neuere Forschungsfelder, wie etwa die oben bereits angedeutete, kulturgeschichtlich erweiterte Nationalismusforschung, gefunden hat. Immerhin ist der Wirtschaft und damit auch dem Zollverein als Faktor innerer Nationsbildung im Deutschland des 19. Jahrhunderts etwa in den Arbeiten von Richard Tilly, Heinrich Best, Abigail Green oder Andreas Etges breitere Aufmerksamkeit geschenkt worden.67 Für den Prozess der nationalen Rechtskodifikation hat Claudia Schöler jüngst in ihrer grundlegenden Arbeit betont, dass „bereits die Gründung des Zollvereins 1833 und die Zusammenarbeit seiner Mitglieder in den ersten zehn Jahren seines Bestehens der Diskussion über die Frage der deutschen Rechtseinheit wichtige Impulse“ gegeben haben.68 Und Harold James hat unter Hinweis auf die Schriften von Friedrich List sogar die These vertreten, dass die Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der Realpolitik zum zentralen Faktor des deutschen Nationalismus wurde, weil das Bürgertum nach seinem politischen Scheitern in der wirtschaftlichen Prosperität das beste Mittel sah, die sozialen Krisen zu überwinden und die Deutschen zu einer Nation zusammenzuführen. Die Einheit der Deutschen

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Vgl. die Editionsreihe: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Lothar Gall (bislang 4 Bde., München 1996–2003) sowie die daraus hervorgegangenen Publikationen; u.a. Müller, Der Deutsche Bund; ders., Deutscher Bund und deutsche Nation (beide wie Anm. 29); vgl. auch den Beitrag von Jürgen Müller in diesem Band. Vgl. bislang allein die umfassende Edition zur Gründungsgeschichte des Zollvereins: Wilfried von Eisenhart Rothe/Anton Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte und Begründung des Deutschen Zollvereins 1815–1834: Akten der Staaten des Deutschen Bundes und der europäischen Mächte. Eingeleitet von Hermann Oncken (Veröffentlichungen der Friedrich-List-Gesellschaft; Bde. 8–10), 3 Bde., Berlin 1934; sowie eine knappe Auswahl von Dokumenten zur Zollvereinspolitik der Mittelstaaten nach 1850: Helmut Böhme (Hrsg.), Vor 1866: Aktenstücke zur Wirtschaftspolitik der deutschen Mittelstaaten, Frankfurt a.M. 1966. Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 27); Etges, Wirtschaftsnationalismus; Green, Fatherlands (beide wie Anm. 18); Tilly, Los von England (wie Anm. 33). Claudia Schöler, Deutsche Rechtseinheit. Partikulare und nationale Gesetzgebung (1780– 1866) (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte; Bd. 22), Köln u.a. 2004, S. 152.

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– so hat das August Ludwig von Rochau ausgedrückt – wurde „eine reine Geschäftssache.“69 Trotz solcher Befunde hat der Zollverein in der Nationalismusforschung der letzten Jahrzehnte eine untergeordnete Rolle gespielt. Dabei zeigt sich sehr schnell, dass das Feld der Wirtschaft auch für einen an Deutungsmustern, Symbolen und Kommunikationsformen interessierten Forschungsansatz genügend Stoff bietet.70 Der Deutsche Zollverein spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle für die „kulturelle Nationsbildung.“ Zunächst einmal schuf er mit der gemeinsamen Institution eine Deutungssubstanz, die im Gegensatz zu eher amorphen Projektionsflächen wie der gemeinsamen Sprache ein klar abgrenzbares Substrat für politische Identitätsentwürfe bot. Dies zeigte schon der sich rasch einbürgernde Name „Deutscher Zollverein“, der in den ursprünglichen Vertragstexten des Vereins ja so zunächst gar nicht vorkam.71 Der Gegensatz zum Deutschen Bund trat in der Öffentlichkeit dadurch noch stärker hervor, dass dieser oft lediglich als Instrument der Reaktionspolitik wahrgenommen wurde, während der Zollverein trotz aller an ihm geübten Kritik nicht nur als Beitrag zur ökonomischen, sondern auch zur nationalen Integration erschien. So bezeichnete der Demokrat Jakob Venedey 1839 den Zollverein als „die größte Neuerung unserer Zeit“, die ungeachtet ganz anderer Absichten der Regierungen „nothwendig die Idee einer deutschen Einheit verbreiten helfen“ werde.72 Und Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb in seinem Gedicht „Der deutsche Zollverein“ von 1840 nach Aufzählung all der Waren, die nunmehr dem freien Verkehr zwischen den Zollvereinsstaaten unterlagen:

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Vgl. Harold James, Deutsche Identität 1770–1990, Frankfurt a.M./New York 1991 (engl. Original 1989), S. 85; August Ludwig von Rochau, Grundsätze der Realpolitik. Angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands, Teil 2, Heidelberg 1869, S. 26. Zur kulturgeschichtlichen Erweiterung der Wirtschaftsgeschichte vgl. grundlegend: Hartmut Berghoff/Jakob Vogel (Hrsg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt a.M. 2004. Vgl. dazu ausführlich: Etges, Wirtschaftsnationalismus (wie Anm. 18), S. 63, sowie den Beitrag von Andreas Etges in diesem Band. Die Zollvereinsverträge sind jetzt nachzulesen bei: Michael Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführung, Bd. 1: Gesamtdeutschland, Anhaltische Staaten und Baden, Berlin/Heidelberg 2006, S. 837 ff. Jakob Venedey, Preußen und Preußenthum, Mannheim 1839, S. 218.

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22 „Denn ihr habt ein Band gewunden Um das deutsche Vaterland, Und die Herzen hat verbunden Mehr als unser Bund dies Band.“73

Die zunehmende Verbreitung des Zollvereins in der politischen Lyrik verweist auf die Ausbildung eines Kommunikationsraumes, der sich zwischen den Zollvereinsstaaten entwickelte und sogar über deren Grenzen hinausreichte. So brachte der österreichische liberale Schriftsteller und Beamte Eduard von Bauernfeld in einem anlässlich von Lists Besuch in Wien 1844 geschriebenen Gedicht seine großen Hoffnungen auf den Zollverein wie folgt zum Ausdruck: „Drum Zollverein, dich preis ich hoch, Du bist doch ein Beginnen; Und wer den Einsatz leistet, kann doch Einmal den Trumpf gewinnen. Drum Zollverein, Du knospend Kind, Magst bald zur Blum’ aufbrechen; Und wann die Gedanken erst zollfrei sind, dann wollen wir weiter sprechen.“74

Im letzten hier zitierten Absatz seines Gedichtes drückte Bauernfeld damit auch die Skepsis aus, die in Teilen des liberalen Bürgertums gegenüber dem politischen Übergewicht des autokratisch regierten Preußens innerhalb des Zollvereins herrschte. Denn solange sich Preußen nicht selbst zum Verfassungsstaat entwickelte, blieb die Aussicht auf eine politische Einigung durch den Zollverein ambivalent. Heinrich Heine schrieb daher in seinem Gedicht „Deutschland. Ein Wintermärchen“ von 1844 über den Zollverein:

73 74

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Ausgewählte Werke in vier Bänden, hrsg. von Hans Benzmann, Bd. 2, Leipzig 1905, S. 91 f. Eduard von Bauernfeld, Zollverein (1844), in: Otto Rommel (Bearb.), Der österreichische Vormärz 1816–1847 (Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe: Politische Dichtung; Bd. 4), Leipzig 1931, S. 201–203, Zitat S. 203.

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„Er gibt die äußere Einheit uns, Die sogenannt materielle; Die geistige Einheit gibt uns die Zensur, Die wahrhaft ideelle.“75

Aber nicht nur in der politischen Lyrik, auch in Bildmedien (Karikaturen, Gedenkblättern, Plakaten zu Industrieausstellungen), in der Presse sowie in einer wachsenden Flut von selbstständigen Publikationen waren der Zollverein und die mit ihm verbundenen Folgen und Hoffnungen ein wichtiges Thema des nationalen Diskurses. Hinzu kam, dass die Zollfragen das am meisten diskutierte „nationale Thema“ der deutschen Landtage waren. Die Zollvereinspolitik stand immer wieder im Zentrum von Landtagsdebatten, weil sie anders als herkömmliche Fragen der Außenpolitik das Steuerbewilligungsrecht der Landtage berührte.76 In diesen Debatten ging es aber von Anfang an nicht nur um Tariffragen, sondern, in enger Verbindung damit, auch um weitergehende Aspekte wie politische Partizipationsrechte oder nationale Einheitshoffnungen. Im Jahr 1833 gab die Frage des Zollvereinsbeitritts Anlass zu einem ersten überregionalen Treffen von Vertretern des süddeutschen Kammerliberalismus. Im Oktober 1847 wurde auf der Versammlung süd- und westdeutscher Liberaler in Heppenheim gefordert, den Zollverein zu einem „Deutschen Verein“ mit einem gemeinsamen Parlament auszubauen.77 Aus all diesen Gründen sollte noch einmal genauer hinterfragt werden, ob und inwieweit sich durch die Debatten des Wirtschaftsbürgertums, der parlamentarischen Eliten und auch von Regierung und Bürokratie in den Zollvereinsstaaten die Denk- und Handlungsräume dieser Akteure auf den Zollverein ausrichteten, wer in dem zollvereinten Deutschland – wie der Liberale Steinacker schon 1844 schrieb – das eigentliche, das zukunftsfähige Deutschland sah.78 Dabei sind sowohl strukturelle Grundlagen als auch diskursive Muster zu hinterfragen. Darüber hinaus gilt es zu prüfen, inwieweit die Neuausrichtung der Wahrnehmungs- und Deutungsmuster auch 75

76 77 78

Vgl. Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen (1844), in: ders., Historischkritische Gesamtausgabe der Werke (Düsseldorfer Ausgabe), Bd. 4, Hamburg 1985, hier S. 94 (Caput II). Vgl. dazu mit weiteren Literaturhinweisen den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band sowie ders., Liberalismus (wie Anm. 13). Vgl. Steinacker, Entwickelung (wie Anm. 35).

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das Handeln der Akteure nachhaltig beeinflusste.79 Dazu bieten sich insbesondere die so genannten „Zollvereinskrisen“ der frühen 1850er und der frühen 1860er Jahre an, als der Zollverein angesichts der von Österreich ins Spiel gebrachten Alternative einer mitteleuropäischen Zollunion vor seiner Auflösung bzw. grundlegenden Umstrukturierung stand. Dabei konnte Österreich durch den Abschluss des weitgehenden Handelsvertrags mit dem Zollverein vom Februar 1853 durchaus einen Teilerfolg verbuchen.80 Zu fragen wäre aber in diesem Zusammenhang, inwieweit neben den vielfach bearbeiteten politischen Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Staaten und neben der skrupellosen Instrumentalisierung der Ökonomie durch Bismarck seit den 1860er Jahren81 gerade die positive Resonanz, die der Zollverein in der öffentlichen Meinung genoss, dazu beitrug, dass alternative Entwicklungen blockiert wurden. Die Relevanz der mit den Zolleinigungsbemühungen einhergehenden kommunikativen Prozesse hatte der österreichische Staatskanzler Metternich im Übrigen früh erkannt. Bereits im Juni 1833 schrieb er mit Blick auf die eben in Berlin abgeschlossenen Zollvereinsverträge an Kaiser Franz I. von Österreich, dass „die preußischen Modeschriftsteller mit besonderem Eifer“ bestrebt seien, Österreich dem Zollverein gegenüber „als Ausland ansehen zu machen“ und die „materielle Abgeschlossenheit zur politischen und moralischen zugleich zu stempeln.“82 Fast dreißig Jahre später kam der österreichische Gesandte von Handel zu dem Schluss, dass es der preußischen Regierung durch den Zollverein gelungen sei, „legitimierten Einfluss auf die deutschen Regierungen“ zu nehmen, „die Klasse der Industriellen an sich“ zu fesseln, „die deutsche Bürokratie zur Dienerin preußischer Interessen“ zu machen und mit all dem „den Drang nach deutscher Einheit auf dem politischen Gebiete in den Gemütern“ zu hegen und zu pflegen. So habe sich Preußen nach und nach alle einflussreichen Elemente in Deutschland dienstbar gemacht und Österreich zurückgedrängt.83 79 80 81

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83

Vgl. zur Methode grundlegend: Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005. Vgl. den Beitrag von Thomas J. Hagen in diesem Band. Vgl. grundlegend: Alfred Meyer, Der Zollverein und die deutsche Politik Bismarcks. Eine Studie über das Verhältnis von Wirtschaft und Politik im Zeitalter der Reichsgründung, Frankfurt a.M. u.a. 1986 (2., unveränd. Aufl., Frankfurt a.M. u.a. 1987). Metternich an Kaiser Franz I. von Österreich, Wien, Juni 1833, in: Aus Metternichs nachgelassenen Papieren. Hrsg. von Fürst Richard von Metternich-Winneburg, Bd. 5, Wien 1883, S. 502–519, hier S. 512. Bericht des österreichischen Gesandten in Württemberg, Maximilian Freiherr von Handel, Stuttgart, 12.4.1862, in: Böhme (Hrsg.), Vor 1866 (wie Anm. 66), S. 49–52, hier

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Aber nicht nur innerhalb der deutschen Staatenwelt wurde der Zollverein zunehmend als eigentlicher Repräsentant der deutschen Nation angesehen. Auch gegenüber den nichtdeutschen Staaten wurde der Zollverein zumindest in der immer wichtiger werdenden Handelsvertragspolitik zum Sprecher wichtiger deutscher Interessen. Alle internationalen Handelsverträge wurden im Namen der Zollvereinsstaaten von Preußen abgeschlossen.84 Daher muss auch nach der Veränderung der Außenwahrnehmung als Teil der „kulturellen Nationsbildung“ gefragt werden. Als der britische Parlamentsabgeordnete John Bowring 1839 nach Preußen reiste, um die Chancen für Zolltarifsenkungen zu erkunden, konstatierte er in seinem umfangreichen und weit verbreiteten Bericht an Regierung und Parlament, dass der Zollverein das Nationalgefühl der Deutschen „aus dem Gebiete der Hoffnung und der Phantasie in das der positiven und materiellen Interessen versetzt“ habe.85 Mit der Analyse der Bedeutung des Deutschen Zollvereins für die „kulturelle Nationsbildung“ verbinden sich noch weitere, für die Geschichte des 19. Jahrhunderts insgesamt bedeutsame Forschungsfragen. Der Blick auf strukturelle Voraussetzungen und Inhalte der von den Eliten aus Wirtschaftsbürgertum, Bürokratie und Parlamenten getragenen Diskurse über den Zollverein führt zur intensiv diskutierten Frage nach dem Elitenwandel im 19. Jahrhundert überhaupt.86 Hier bieten die Zoll- und Handelsfragen

84 85

86

S. 49. Ähnlich eine Denkschrift des zwischenzeitlichen hannoverschen Ministers und späteren führenden Politikers der katholischen Zentrumspartei, Ludwig Windthorst, über Preußens Stellung in Deutschland, die der österreichische Gesandte beim Deutschen Bund, Alois Freiherr von Kübeck, am 20.1.1860 an Ministerpräsident Rechberg übersandte. Windthorst betonte darin den Einfluss der preußischen Diplomatie auf die Zollvereinsstaaten, „die ihre Stützpunkte findet in den zahlreichen preußischen Zollbeamten höheren und niederen Grades, welche in den Direktivbehörden und an einzelnen Zollstationen [der anderen Zollvereinsstaaten; Ergänzung der Autoren] ihren Sitz haben.“ In: Quellen zur deutschen Politik Österreichs 1859–1866. Hrsg. von Heinrich v. Srbik, unter Mitwirkung von Oskar Schmid, Bd. 1: Juli 1859 bis November 1861, Oldenburg i.O. 1934, S. 95–100 (Zitat S. 98). Zu den hier erwähnten Zollbeamten vgl. den Beitrag von Marko Kreutzmann in diesem Band. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2 (wie Anm. 8), S. 296–297. Bericht über den deutschen Zoll-Verband an Lord Viscount Palmerston, Ihrer großbritannischen Majestät Staatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten. Von John Bowring, Berlin 1840, S. 2. Vgl. auch den Beitrag von Markus Mößlang in diesem Band. Aus der zahlreichen Literatur zum Elitenwandel im 19. Jahrhundert sei hier zusammenfassend verwiesen auf die Arbeiten des Büdinger Arbeitskreises zur Sozialgeschichte (u.a. Klaus Schwabe (Hrsg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815–1945 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit; Bd. 15; Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte; Bd. 19), Boppard am Rhein 1985), auf die Publikationen aus dem Umfeld der histori-

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einen wichtigen Ansatzpunkt, um den Prozess des Elitenwandels über die einzelstaatlichen Grenzen hinweg zu betrachten. Während für die wirtschaftsbürgerlichen Eliten bereits umfassende Forschungsergebnisse vorliegen, ist die mit der Gründung des Zollvereins einhergehende Vernetzung der bürokratischen Funktionseliten der Zollvereinsstaaten erst jüngst systematisch untersucht worden.87 Größerer Forschungsbedarf besteht weiterhin für andere zwischenstaatliche Funktionseliten, wie etwa die in den gemeinsamen Kommissionen des Deutschen Bundes tätigen Beamten.88 Der Blick auf den Deutschen Zollverein bietet die Chance, die für die Zeit von 1815 bis 1866 bisher auf die einzelstaatliche Ebene konzentrierte Erforschung von Funktionseliten zu erweitern. Es ist zu fragen, ob und inwieweit sich ein gemeinsames Selbstverständnis und eine auf überstaatliche Institutionen ausgerichtete Handlungslogik entwickelt haben.89 Ebenso gibt es bei der Frage, welchen Beitrag der Zollverein zum deutschen Konstitutionalismus geleistet hat, noch Forschungsbedarf.90 Erstens eröffnet die Analyse der Diskurse in den Parlamenten die Chance, nach dem sehr aktuellen Spannungsverhältnis zwischen einem von Regierung und Bürokratie geleiteten Integrationsprozess und den gesellschaftlichen Partizi-

87

88 89

90

schen Sozialforschung (u.a. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 27) sowie den programmatischen Band: Wilhelm Heinz Schröder/Wilhelm Weege/Martina Zech, Historische Parlamentarismus-, Eliten- und Biographieforschung. Forschung und Service am Zentrum für Historische Sozialforschung (Historical Social Research/Historische Sozialforschung; Beiheft 11), Köln 2000) sowie auf elitengeschichtliche Ansätze aus der neueren Bürgertums- und Adelsforschung (u.a. Heinz Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert (Elitenwandel in der Moderne; Bd. 1), Berlin 2000). Zum Wirtschaftsbürgertum vgl. u.a. Best, Interessenpolitik; Boch, Grenzenloses Wachstum? (beide wie Anm. 27); zu den Zollvereinsbeamten: Kreutzmann, Funktionseliten (wie Anm. 11) sowie den Aufsatz von Marko Kreutzmann im vorliegenden Band. Siehe den Beitrag von Jürgen Müller in diesem Band. Vgl. dazu die Beiträge von Jürgen Müller und Marko Kreutzmann im vorliegenden Band. Zur Erforschung der einzelstaatlichen Verwaltungseliten vgl. die Forschungsbilanz von Bernd Wunder, Prüfungsgrundsatz und Adelsprivilegien: Das Scheitern eines Elitenwandels in der deutschen Verwaltung 1806–1914, in: Erk Volkmar Heyen (Hrsg.), Verwaltungseliten in Westeuropa (19./20. Jh.) (Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte; Bd. 17), Baden-Baden 2005, S. 51–83. Vgl. dazu u.a. die Publikationen der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. U.a. Hans Peter Becht, Badischer Parlamentarismus 1819 bis 1870: ein deutsches Parlament zwischen Reform und Revolution (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Düsseldorf 2009; Hartwin Spenkuch, Das Preußische Herrenhaus: Adel und Bürgertum in der Ersten Kammer des Landtages, 1854–1918 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 110), Düsseldorf 1998.

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pationsforderungen zu fragen.91 Viele Abgeordnete fürchteten zunächst, dass das Budgetrecht des Landtages durch die regelmäßigen und zudem immer mehr ansteigenden Zolleinnahmen, die nicht der ständigen Bewilligung durch den Landtag unterlagen, unterlaufen werden würde. Hinzu kam eine allgemeine Furcht vor dem Einfluss des zunächst ja noch verfassungslosen Preußens auf die konstitutionellen Staaten Süd- und Mitteldeutschlands. Später gingen solche Befürchtungen zurück, aber es blieb das Problem, dass die gewählten Vertreter des Volkes über die einzelstaatlichen Landtage nur in sehr begrenztem Maße Einfluss auf die Tarifpolitik des Zollvereins nehmen konnten.92 Zweitens verstärkte sich bei den liberalen Abgeordneten gerade aufgrund der Defizite bei der politischen Mitsprache in den Zollvereinsangelegenheiten die Tendenz, den Fokus auf den übergeordneten nationalen Bezugspunkt zu richten. Schon im Vormärz wurde daher der Wunsch laut, über ein von allen Gliedstaaten beschicktes Zollparlament an den tarifpolitischen Entscheidungen, welche auf den Generalkonferenzen des Zollvereins durch die Fachbeamten der Einzelstaaten getroffen wurden, Anteil zu nehmen. Die im Zuge der langjährigen Diskussion um eine Reform der Zollvereinsverfassung immer wieder vorgetragene Forderung nach einem Zollvereinsparlament wurde schließlich durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck aufgegriffen und für dessen eigene politische Zielsetzung instrumentalisiert.93 Auch wenn die Wahl Eduard Simsons, der schon in der deutschen Nationalversammlung von 1848 als Parlamentspräsident gewirkt hatte und seit 1867 dieses Amt auch im Reichstag des Norddeutschen Bundes inne hatte, zum Präsidenten des Zollparlaments im April 1868 darauf hinzudeuten schien, dass das Zollparlament die Vorstufe zu einem nationalen Parlament 91

92 93

Vgl. mit Blick auf den europäischen Einigungsprozess: Maurizio Bach, Die Bürokratisierung Europas. Verwaltungseliten, Experten und politische Legitimation in Europa, Frankfurt a.M./New York 1999. Vgl. Hahn, Liberalismus (wie Anm. 13) sowie den Beitrag von Hans-Werner Hahn im vorliegenden Band. Vgl. jetzt: Michael Horn, Die süddeutschen Abgeordneten im Zollparlament und die nationale Frage 1868–1870, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 155 (2007), S. 393–425; sowie die älteren Studien: Walter Schübelin, Das Zollparlament und die Politik von Baden, Bayern und Württemberg 1866–1870, Berlin 1935; Jochen Schmidt, Bayern und das Zollparlament: Politik und Wirtschaft in den letzten Jahren vor der Reichsgründung (1866/67–1870): Zur Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter, München 1973.

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sein werde,94 begann dessen erste Sitzungsperiode in dieser Hinsicht wenig verheißungsvoll. Dennoch zählt die Geschichte des 1867 unter völlig neuen Voraussetzungen geschaffenen und nur wenige Jahre bestehenden Zollparlaments mitsamt seiner etwa 1845 einsetzenden Vorgeschichte zu den bislang noch wenig erforschten Feldern der Parlamentarismusgeschichte in Deutschland im 19. Jahrhundert. In diesem Kontext könnte auch der Zusammenhang von Zollpolitik und liberaler Parteibildung nochmals präziser umrissen werden.95 Über die bisher genannten Aspekte der „kulturellen Nationsbildung“ hinaus bietet die Geschichte des Zollvereins aber auch Anknüpfungspunkte für neuere, kulturgeschichtlich erweiterte Forschungen zur Staatsbildung. Darin wird die Herausbildung des modernen Staates und einer staatlichen Identität mit der Etablierung neuer Techniken der Wissensproduktion in Zusammenhang gebracht.96 Insbesondere die moderne Kartographie, Landesbeschreibungen oder die seit dem 18. Jahrhundert aufkommende Statistik schufen nicht nur Herrschaftswissen, sondern erzeugten auch neue Vorstellungen regionaler und nationaler Wirtschaftsräume.97 Der Deutsche Zollverein leistete damit einen bislang kaum erforschten Beitrag zur politischen Integration zwischen seinen Mitgliedern, da durch gemeinsame Handels-, Gewerbe- und Bevölkerungsstatistiken der Einzelstaaten erstmals übergreifende statistische Beschreibungen vorgelegt wurden. Der vorliegende Band kann, wie bereits angedeutet, in seinen einzelnen Beiträgen nur wenige Aspekte der hier aufgeworfenen Forschungsfragen behandeln. Und auch für diese kann im Rahmen eines Tagungsbandes kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Vielmehr geht es darum, den Forschungsgegenstand „Deutscher Zollverein“ an neue Fragestellungen, 94

95

96 97

Vgl. Gerhard Lingelbach, Martin Eduard von Simson – ein Mann adelt parlamentarische Institutionen. Zum Wirken Simsons als Präsident des preußischen Abgeordnetenhauses, des Reichstages des Norddeutschen Bundes und des Zollparlaments, in: Bernd-Rüdiger Kern/Klaus-Peter Schröder (Hrsg.), Eduard von Simson (1810–1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts, Baden-Baden 2001, S. 71–87. Vgl. grundlegend: Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988; James J. Sheehan, Der deutsche Liberalismus: Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg 1770–1914. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Siber, München 1983. Vgl. beispielhaft für das frühneuzeitliche Venedig: Achim Landwehr, Die Erschaffung Venedigs: Raum, Bevölkerung, Mythos 1570–1750, Paderborn u.a. 2007. Vgl. dazu jetzt: Michael Schneider, Wissensproduktion im Staat. Das königlich preußische statistische Bureau zwischen 1860 und 1919, Habilitationsschrift, Frankfurt a.M. 2010 (MS); sowie exemplarisch für Sachsen: Daniel Schmidt, Statistik und Staatlichkeit, Wiesbaden 2005.

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Perspektiven und methodische Ansätze heranzuführen und den weitergehenden Forschungsbedarf aufzuzeigen. Insgesamt sollen die vorliegenden Beiträge einen neuen und differenzierteren Blick auf die zwischenstaatlichen politischen Integrationsprozesse im Rahmen des Deutschen Zollvereins und vor allem auf dessen Rolle bei der „kulturellen Nationsbildung“ (Dieter Langewiesche) ermöglichen.

Thomas Stamm-Kuhlmann

PREUSSEN UND DIE GRÜNDUNG DES DEUTSCHEN ZOLLVEREINS Handlungsmotive und Alternativen

I. Thesen Ich möchte die Frage, die mir vorgelegt worden ist, unter drei Aspekten beantworten: Erstens: Wer waren die maßgeblichen Akteure der Zollvereinsgründung innerhalb Preußens? Zweitens: In welchem Sinne verfügten diese Akteure über eine „nationale“ Einstellung? Drittens: Welche funktionalen Motive veranlassten die preußische Initiative zur Gründung und zum Ausbau des Zollvereins? 1. Ich halte daran fest, dass die Gründung des Zollvereins ein Werk der preußischen liberalen Geheimräte war. Wenn wir davon ausgehen, dass die Edition von Eisenhart Rothe und Ritthaler tatsächlich einigermaßen repräsentativ den Aktenbestand ausgewertet hat, so finden wir darin die Belege, dass sich die Gründungsaktivitäten im wesentlichen auf der Ebene der selbstständig arbeitenden und mit einer hohen Eigenmotivation ausgestatteten Spitzenbeamten abgespielt haben.1 Dem widerspricht nicht, dass solche Persönlichkeiten wie Friedrich von Motz und Karl Georg Maaßen zu Ministern aufgestiegen sind, haben wir es doch beim preußischen Spätabsolutismus mit einer Epoche zu tun, in der die Minister in der Regel aus der Bürokratie genommen werden. Da ich seinerzeit bei meiner Arbeit an der Biografie des Königs besonders nach dessen Motiven gesucht habe, war ich über das gänzliche Fehlen Impuls gebender Kabinettsordern geradezu erstaunt.2 Es gibt natürlich auch eine eigene „Geheimratslegende.“ Und wir wissen heute, dass die liberale Einfärbung der hohen Bürokratie so durchgehend nicht war, dass wir es ebenso oft auch mit Reformkonservativen zu tun 1

2

Vgl. Wilfried von Eisenhart Rothe/Anton Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte und Begründung des Deutschen Zollvereins 1815–1834: Akten der Staaten des Deutschen Bundes und der europäischen Mächte. Eingeleitet von Hermann Oncken (Veröffentlichungen der Friedrich-List-Gesellschaft; Bde. 8–10), 3 Bde., Berlin 1934. Vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit: Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992.

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haben, denen aber wiederum einzelne der Motive, die man dem weltanschaulichen Liberalismus zuschreibt, nicht fremd gewesen sein müssen.3 2. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Personen wie Karl Georg Maaßen aus dem Umkreis der Hardenbergschen Personalpolitik stammen. Friedrich von Motz dagegen war Steuerdirektor im Harzdepartement des Königreichs Westfalen gewesen. Wie „national“ war die Einstellung dieser Gestalten? Zunächst einmal ist festzuhalten, wo man sie nicht findet. Man findet sie nicht unter den Propheten der völkisch eingefärbten Nationalbewegung, sie gehören nicht zu den Korrespondenzpartnern von Ernst Moritz Arndt. Sie sind – und das sei jetzt mit Absicht hervorgehoben – vorderhand und oberflächlich gesehen, nicht an der kulturellen Nation interessiert. Sie sind funktional-rationalistische Bürokraten. Daraus ergibt sich das Dritte. 3. Die Entscheidungen der 1830er Jahre lassen sich aus den Notwendigkeiten der Enklavenpolitik herleiten. Diese Notwendigkeiten wiederum sind Resultate der Zollaußengrenze von 1818, und die Zollaußengrenze von 1818 ist die notwendige Voraussetzung des einheitlichen Wirtschaftsraums, den man für eine liberale Politik des entfesselten Wettbewerbs ohne „Polster der Faulheit“, wie sich Hardenberg in der Rigaer Denkschrift ausdrückt,4 benötigt. Die mit Hardenbergs Finanzedikt von 1810 eingeleitete Reformpolitik gipfelte, das könnte man sagen, im Deutschen Zollverein von 1834. Insofern bin ich ein Anhänger nicht einer intentionalistischen, sondern einer funktionalistischen Erklärung der Zollvereinsgründung. Untergründig hängt nun aber wiederum alles mit der Entstehung der Nation zusammen. Es fragt sich nur, was man mit „Nation“ meint. Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass die Nation für den Liberalismus zunächst einmal die Überwindung der Ständegesellschaft bedeutet. So auch für Wilhelm von Humboldt, wenn er von „Nationalerziehung“ redet. Dann will er eine Schule schaffen, die die Standesschranken durchlässig macht. So auch für Hardenberg, wenn er vor dem Befreiungskrieg in Preußen eine interimistische „Nationalrepräsentation“ zusammenruft. Das soll dann heißen, dass 3

4

Vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, Restoration Prussia, 1786–1848, in: Philip G. Dwyer (Hrsg.), Modern Prussian History 1830–1947, Harlow (Essex) 2001, S. 43–65; Eric Dorn Browse, The Politics of Technological Change in Prussia. Out of the Shadow of Antiquity, 1809–1848, Princeton 1992. Georg Winter (Hrsg.), Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg. Erster Teil: Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform. Erster Band: Vom Beginn des Kampfes um die Kabinettsregierung bis zum Wiedereintritt des Ministers vom Stein (Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven; Bd. 93), Leipzig 1931, S. 302–363.

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zunächst einmal aus der preußischen Monarchie ein einheitlicher Raum geschaffen werden soll, dessen Zusammenhalt in der Repräsentation seinen Ausdruck findet. Und es ist dann schon viel erreicht, wenn es gelingt, wenigstens ein preußisches „Nationalgefühl“ zu wecken. Wir könnten zwischen den kulturellen und den funktionalen Nationsstiftern unterscheiden. Die kulturellen Nationsstifter waren sich schon im 18. Jahrhundert einig, dass die Nation nur Deutschland heißen konnte, die funktionalen waren froh, wenn sie es schafften, wenigstens Preußen oder die einzelnen großen Rheinbundstaaten als Nationen zu vereinheitlichen. Friedrich Wilhelm III. fiel ganz aus. Er hielt daran fest, dass es Deutschland gar nicht gab. „Deutschland im ganzen sei nichts, es wären wohl Österreicher, Preußen, Bayern, nirgends aber Deutsche, im kleinsten Teil der österreichischen Staaten rede man Deutsch, in einem bedeutenden der preußischen andere Sprachen,“ führte der König aus, als er sich im Herbst 1815 zur Aushandlung des zweiten Friedens mit Frankreich in Paris aufhielt.5 Eine verbindende Figur zwischen kulturellen und funktionalen Nationalisten könnte allenfalls der Freiherr vom Stein sein. Denn er entstammt derselben Finanzbürokratie wie die Zollvereinsgründer und mit dem Edikt vom 26. Dezember 1805 hatte Stein als Finanzminister schon einiges für die Abschaffung von Binnenzöllen getan.6 Doch auch bei Stein schillerte der Nationsbegriff noch längere Zeit zwischen Preußen und Deutschland.7 II. Verlauf Ich möchte im Folgenden den Verlauf der preußischen Finanzpolitik seit 1810 skizzieren. 1810 scheint mir ein passendes Ausgangsdatum, weil Hardenberg, neu zum Staatskanzler ernannt, in seinem „Edikt über die Finanzen des Staats“ vom 27. Oktober 1810 eine „gänzliche [...] Reform des Abgaben-Systems […] nach gleichen Grundsätzen für Unsere ganze Monarchie“ angekündigt hat. Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Abschaffung der Tor-Akzise genannt, wenn auch generell die im Edikt für notwendig erklärten erhöhten Abgaben „hauptsächlich von der Konsumtion und von Gegenständen des

5 6 7

Wilhelm an Caroline von Humboldt, Paris, 7. Oktober 1815, in: Anna von Sydow (Hrsg.), Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, Bd. 5, Berlin 1912, S. 96 f. Vgl. Heinz Duchhardt, Stein. Eine Biographie, Münster 2007, S. 139. Vgl. ebd., S. 145.

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Luxus“ genommen werden sollten.8 Das Edikt und seine Nachfolger geben zu verstehen, dass der Reform des Abgabensystems eine Reform der Wirtschaftsordnung insgesamt entsprechen soll, zu der Gewerbefreiheit, „Aufhebung der Bannrechte und Monopolien“,9 Abschaffung aller materiellen Lasten im Dienste des Staates wie Vorspann und Fouragelieferung, sukzessiver Verkauf der königlichen Domänen, Säkularisation der geistlichen Güter gehören sollten – kurz gesagt, die Wirtschaft sollte liberalisiert und, ohne dass das Wort fiele, auf eine Wettbewerbsordnung umgestellt werden. „Stolzer Stumpfsinn“ und „träge, unwissende Selbstzufriedenheit“ werden in der Denkschrift von Riga 1807 als Hindernisse genannt, die man beseitigen muss und kann. Ein Wettbewerb hat die Besonderheit an sich, dass er veranstaltet werden muss. Das merkten über hundert Jahre später die Ordoliberalen, als sie darüber nachdachten, weshalb der Kapitalismus in der Weltwirtschaftskrise diskreditiert worden war. Als Veranstalter und Regelsetzer verstanden sich nach 1807 die Beamten oder, genauer gesagt, die kleine Gruppe entschlossener Reformer, die sich in Hardenbergs Staatskanzleramt zusammen gefunden hatte. Zu ihrem Selbstverständnis passte es einerseits, erbarmungslos dem Untergang untauglicher Marktteilnehmer zuzusehen, andererseits waren sie bereit, mit großer Härte gegen alle jene vorzugehen, die die Autorität der staatlichen Regelsetzer in Zweifel zogen. Daher ist der Begriff des „gouvernementalen Liberalismus“ durchaus angebracht. Barbara Vogel hat 1983 bereits darauf hingewiesen: „Der Wirtschaftsliberalismus der Reformbeamten wird ausschließlich an Adam Smith, zu wenig an physiokratischem Denken geprüft. Tatsächlich verbinden sich liberales und physiokratisches Denken, z.B. im Leitsatz der Nicht-Intervention des Staates, bei vielen preußischen Beamten der Reformzeit.“10

Für die Physiokraten war es kein Problem, sich weiter eine absolutistische Regierungsform zu denken, sofern der König nur „vernünftig“ regierte, d.h.

8 9

10

Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, No. 2 (1810), S. 26. So eine Formulierung von 1811: Fernerweites Edikt über die Finanzen des Staats und das Abgaben-System. Vom 7ten September 1811. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, No. 20 (1811), S. 257. Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810–1820) (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 57), Göttingen 1983, S. 80.

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den natürlich erscheinenden Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft nichts entgegen setzte. Ferner benötigt der Wettbewerb einen Raum, innerhalb dessen er sich abspielen kann. Gibt es Regeln, müssen sie überall gleich angewendet werden und es muss überschaubar sein, wo der Geltungsbereich der Regeln aufhört. Das heißt, eine Wettbewerbsordnung ist ohne geschlossenes Wirtschaftsgebiet nicht durchsetzbar und so benötigt die liberale Wirtschaft ebenso einen fest umrissenen Raum, wie die Gesellschaft nach Überwindung der Ständeordnung einen neuen Zusammenhalt benötigt, den sie in der Nation findet. Hier liegt der tiefere Zusammenhang von Zolleinheit und Einheit der Nation begründet, denn über die Entsprechung von Errichtung der Wettbewerbsordnung und Abschaffung der Standesprivilegien sind wir uns wohl einig. Man muss sozusagen aus einer gewissen Höhe hinab sehen, um diese Tiefenstrukturen erkennen zu können, ebenso, wie man die Umrisse unter dem Wasserspiegel nicht erkennen kann, wenn man aus einem flachen Winkel über das Wasser hinweg schaut. Wenn auch die Gesetz-Sammlung der ersten Jahre von Hardenbergs Kanzlerschaft einige Bestimmungen zur Ein- und Ausfuhr enthält, so ist doch offensichtlich, dass bei den Plänen zur Abhilfe der Finanzmisere des preußischen Staates die Zölle zunächst keine Rolle gespielt haben. Sie tauchen in den Gutachten und Aktenstücken kaum auf, die vielmehr von neuen Steuern sowie inländischen und ausländischen Anleihen handeln. Tatsächlich haben allerdings die sogenannten „Kontinentalgefälle“, vor allem Zahlungen, mit denen sich Kaufleute die Lizenz zur Durchbrechung der Kontinentalsperre erkauften, ganz wesentlich dazu beigetragen, dass Preußen bis 1812 nicht zahlungsunfähig wurde.11 Mit diesen „windfall profits“ konnte man aber keine systematische und regelmäßige Finanzverwaltung aufbauen und wollte das auch nicht, da klar war, dass die Kontinentalsperre mit Napoleons Herrschaft fallen würde. Die Historiker haben ausgiebig darauf hingewiesen, dass zwischen den ideenpolitischen Verlautbarungen in den Präambeln der Edikte, die Hardenberg entworfen hat, und dem finanzpolitischen Durchwursteln im Alltag eine große Diskrepanz bestand, bis hin zu dem Vorwurf, Hardenberg habe eine Umstellung des Wirtschaftssystems auf den Liberalismus gar nicht beabsichtigt, sondern mit Phrasen lediglich gutes Wetter machen wollen. So 11

Vgl. Ernst Klein, Von der Reform zur Restauration (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin; Bd. 16), Berlin 1965, S. 47.

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fasste es beispielsweise Ernst Klein 1965 auf. Dem ist entgegenzuhalten, dass in weiten Kreisen der preußischen Gesellschaft, unter Einschluss der Kaufmannschaft, mit liberalen Phrasen gar kein gutes Wetter zu machen war, denn der Liberalismus war durchaus unpopulär. Daran hat uns wiederum Reinhart Koselleck erinnert.12 Aus unserer Gegenwartserfahrung dagegen haben wir vielleicht mehr Verständnis für die Diskrepanzen, die zwischen dem Vorsatz, die Finanzen umfassend neu zu ordnen, und der Umsetzung im Alltag entstehen. Mit der Neufestsetzung der Grenzen auf dem Wiener Kongress entstand nun für die Kaufleute und Unternehmer eine neue Lage. Die ersten zarten Pflanzen der Industrialisierung hatten überhaupt nur im Windschatten der Kontinentalsperre gedeihen können, und das Rheinland war an das französische Zollgebiet angeschlossen gewesen. Dieser Absatzmarkt war verloren, der Anschluss der rheinisch-westfälischen Provinzen an das neue Mutterland Preußen aber finanztechnisch noch nicht umgesetzt. Die Aufhebung der Kontinentalsperre wurde auch in Schlesien übel vermerkt. Fabrikanten aus Reichenbach in Schlesien klagten, das Finanzministerium würde zu viele Dispense vom grundsätzlich bestehenden Einfuhrverbot für baumwollene Stoffe erteilen, die jetzt aus Großbritannien und Indien eingeführt werden könnten. Hardenbergs Antwort, die er noch von Wien aus am 15. Mai 1815 auf eine schlesische Eingabe erteilte, ist es wert, hier zitiert zu werden, weil sie zeigt, wie grundsätzlich der Staatskanzler über die Handelsproblematik nachdachte: „Im allgemeinen schon ist es die Pflicht des Staates, ebensowohl das Interesse der Konsumenten als die Erhaltung und Erweiterung des Gewerbefleißes zu berücksichtigen. Wenn es eine sehr angenehme Pflicht ist, dem letzteren Schutz und Aufmunterung angedeihen zu lassen, so haben erstere doch ein Anrecht, zu erwarten, daß die Anordnungen des Staats ihnen einen unschuldigen und dem Gewerbefleiß selbst wohltätigen Genuß nicht verkümmern und ihnen die Möglichkeit lassen, sich die Kleidungsstücke, welche der Geschmack des Zeitalters fordert, gut und wohlfeil zu verschaffen.“

Hardenberg argumentiert also zunächst einmal von der Konsumentenseite her und hebt hervor, dass die Menschen sich in den letzten dreißig Jahren gerade deshalb an Kattunzeug gewöhnt hätten, weil es so billig sei. Und man 12

Vgl. Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 1967, S. 321–328.

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sieht, dass in Hardenbergs Meinung die Regierung sehr wohl eine Fürsorgepflicht für die Verbraucher hat. Er geht dann aber auch zu Betrachtungen über die erzieherische Wirkung des freien Wettbewerbs, oder, umgekehrt, über die schädliche Wirkung staatlicher Begünstigung über: „Wie unentbehrlich endlich der Wetteifer mit dem Auslande unseren inländischen Fabriken sei, beweist die Langsamkeit, womit noch immer im Auslande längst bekannte Verbesserungen der Fabrikation bei uns Eingang finden.“13

Es seien Fälle vorgekommen, wo aus Preußen stammende Unternehmer, sobald sie in Österreich tätig geworden seien, dort Verbesserungen der Baumwollverarbeitung eingeführt hätten, die in Preußen noch nicht heimisch seien, und das vor dem Hintergrund, dass in Preußen eine starke Begünstigung der Baumwollmanufakturen durch die Regierung stattfände, während in Österreich alles der bloßen Privatinitiative überlassen sei. Nachdem er diese zeitlosen Betrachtungen angestellt hat, verweist Hardenberg darauf, dass noch immer ein Preisvorteil von 17% für die heimische Produktion gegenüber dem Ausland bestehe, dass nicht daran gedacht sei, die heimischen Unternehmer gänzlich schutzlos zu lassen und dass ein „den neuen Verhältnissen des Preußischen Staats angemessene[r] Tarif[...]“ entworfen werden solle.14 Das Ende der Kriegswirtschaft gab dann dem Finanzminister Hans Viktor von Bülow den Anlass, beim König die Neugestaltung des Zollwesens zur Sprache zu bringen. Bülow war ein Cousin Hardenbergs. Er gehörte zu jenen niedersächsischen Adligen, die sich entschlossen hatten, im Königreich Westfalen mit den französischen Machthabern zu kollaborieren, mag es zum Teil auch nur gewesen sein, weil man glaubte, auf diese Weise möglichst viel hemmenden Einfluss auf das Reformwerk, das Napoleon dem Königreich verordnet hatte, zu nehmen. Nachdem er König Jérôme als Finanzminister gedient hatte, war Bülow in die gleiche Funktion in Preußen eingetreten. Per Immediatbericht vom 28. Dezember 1815 trug er dem König vor, dass die als Kriegsmaßnahme eingeführten Eingangszölle sich als so praktisch erwiesen hätten, dass man sie beibehalten habe. Überdies hätten sie zu einer Einnahmesteigerung geführt. Er schlage deshalb vor, zu einem 13

14

Hardenberg an die Reichenbacher Baumwollfabrikanten, Wien, den 15. Mai 1815. In: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 1), S. 26. Hier auch das vorhergehende Zitat. Ebd., S. 27 f.

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dauerhaften System von Eingangszöllen überzugehen und alle Binnenzölle und Abgaben an Provinzialgrenzen aufzuheben.15 Diese Anregung wurde mit Erlass vom 11. Juni 1816 zunächst für die östlichen Provinzen umgesetzt.16 Als eine Voraussetzung für die Abschaffung der Binnenzölle sah Bülow an, dass das Steuersystem bereits vereinheitlicht sei. Letzteres konnte für die neu erworbenen Gebiete noch nicht überall angenommen werden. Dieser Zusammenhang erinnerte aber daran, dass die umfassende Steuerreform für Preußen immer noch nicht erreicht war, und so legte Bülow schließlich dem König am 14. Januar 1817 zwei Gesetzentwürfe vor, deren einer ein umfassendes Steuer- und der andere ein umfassendes Zollsystem enthielt. Zur Begründung trug Bülow folgenden sozialpsychologischen Gedankengang vor: „Die Erfahrung hat überall bewiesen, daß Provinzen, die nach verschiedenen Gesetzen regiert wurden, leicht von dem Mutterstaate getrennt werden konnten, und daß dagegen Gleichartigkeit der Verfassungen und Gesetze die Vaterlandsliebe vermehrt und ausdauert. Die Geschichte unseres Staats in der neuesten Zeit liefert dazu den Beweis, da die nach verschiedenen Gesetzen regierten sogenannten Entschädigungsprovinzen [das wären zum Beispiel Münster oder die ehemaligen Besitzungen des kölnischen Kurfürsten] sich leicht an andere Verfassungen und Gesetze gewöhnten, in den alten Provinzen [zum Beispiel in Kleve und Mark oder in der Altmark, die an die napoleonischen Staaten Berg und Westfalen abgetreten worden waren] aber der unglücklichen Trennung ungeachtet eine unbezwingliche, bis jetzt noch nicht in jeder Rücksicht erfüllte Sehnsucht nach der Wiederkehr zu den alten Formen zurückblieb.“17

Hier legt Bülow eine Einsicht dar, die zu unserer Theorie der Nationsbildung heute gehört: Gleichförmige Normen, welcher Art auch immer, schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Nachdem er dann das bestehende verworrene System mit nicht weniger als 57 Zoll- und Akzisetarifen allein in den alten Provinzen skizziert hat, geht Bülow zu den Grundsätzen über, nach denen ein neues Finanzsystem einzurichten sein würde. Dabei ist es ihm wichtig, den Handel als Voraussetzung für Staatseinkünfte zu pflegen. Dafür aber gilt seiner Ansicht nach: 15 16 17

Bülow an Friedrich Wilhelm III., 28. Dezember 1815, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 1), S. 29 ff. Vgl. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, No 14 (1816), S. 193. Bülow an Friedrich Wilhelm III., 14. Januar 1817, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 1), S. 37.

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„So wie im Inneren des Landes zur Beförderung des Wohlstandes die Hindernisse des freien Vertriebes und Wetteifers weggeräumt werden, so ist es unstreitig auch in Beziehung auf den Verkehr mit dem Auslande dem Nationalwohlstand und der Staatsklugheit angemessen, eine gemäßigte Handelsfreiheit zu gewähren.“

Demnach sollten „freier Handelsverkehr mit dem Auslande, Einlassung fremder, ebenso die Ausfuhr eigener Erzeugnisse des Bodens und des Gewerbefleißes gestattet und jene sowohl durch die diesseitigen Länder zu verfahren als darin zu verbrauchen erlaubt sein.“ Aber genauso wie Hardenberg in seiner Antwort an die Reichenbacher Baumwollfabrikanten hob auch Bülow in seinem Immediatbericht hervor: „Damit sind jedoch zugleich Maßregeln gewonnen, um dem inländischen Gewerbefleiß Schutz, um den einheimischen Fabrikaten einen hinreichenden Vorzug zu sichern.“ Die Lage Preußens als großes Transitland in Mitteleuropa biete jedoch die Chance, sich des Zwischenhandels zu „bemächtigen“, aber dazu sei möglichst große Handelsfreiheit die Voraussetzung. Der König ordnete an, dass die beiden Gesetzentwürfe in einer besonderen Steuerkommission des Staatsrats zu erörtern seien. Damit nahm der neu eingerichtete Staatsrat mehr oder minder seine Arbeit auf. Der Kommission, die unter dem Vorsitz Wilhelms von Humboldt tagte, gehörten einige der wichtigsten Geheimräte aus Hardenbergs Schule an. Zuvor hatte der Staatsrat zur Kenntnis nehmen müssen, dass die überwiegend im Berliner Raum ansässigen Textilfabrikanten behaupteten: „Das Gerücht allein, daß die Einführung einer allgemeinen Handelsfreiheit, wiewohl gegen Abgabe, beabsichtigt werde, habe alle in Baumwolle arbeitenden Fabriken gelähmt, und sie würden sich nie wieder erholen, wenn eine solche Maßregel wirklich zur Ausführung kommen sollte.“

Die Konkurrenz der Industrie aus den neu erworbenen Provinzen sei mehr als ausreichend, um den Verbrauchern günstige Preise zu sichern, erklärten die Berliner Fabrikanten.18 Eine andere Gruppe von 70 Unternehmern, die am linken Niederrhein und damit im zeitweise französischen Teil des neuen Preußens tätig war, 18

Gutachten der Kommission des Staatsrats zur Prüfung der Beschwerden der Fabrikanten, Berlin, 3. April 1817, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 1), S. 47 ff.

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dachte dagegen wesentlich weiter. Sie beschränkte sich nicht auf Abwehrmaßnahmen, sondern verwies darauf, dass selbst ein geschlossenes preußisches Zollgebiet im Verhältnis zum französischen, dem man ehemals angehörte, noch zu klein und die Überwachung seiner Grenzen noch zu teuer sein würde. Diese rheinischen Fabrikanten wagten daher die Anregung, die auch den Wünschen von Fabrikinhabern aus Aachen und Koblenz entspreche: „Ob es bei der Lage der Staaten Ew. Majestät und bei der Lage der übrigen zum Deutschen Bunde gehörigen Staaten nicht zweckmäßig zur Belebung der deutschen Gewerbe sei, wenn alle Zölle im Innern von Deutschland aufgehoben würden und bloß Grenz- und Seezölle angelegt.“

In dieser Petition wurden unter Binnenzöllen gar keine innerpreußischen Zölle mehr verstanden. Der Begriff ist hier schon auf Zolllinien entlang der Staatsgrenzen zwischen den Mitgliedern des Deutschen Bundes verlagert – damit war man gedanklich schon einen Schritt weiter, als die Konzipienten der preußischen Finanzgesetze. Die Rheinländer schlugen vor, die Verhandlungen über solche gemeinsamen Grenz- und Seezölle durch den preußischen Gesandten beim Bundestag in Frankfurt führen zu lassen.19 In der Steuerkommission des Staatsrats gab es unterdessen heftige Debatten. Man hielt zwischen April und Juni 1818 nicht weniger als 26 Sitzungen ab, in deren Verlauf die Gesetze über die indirekten Steuern beiseite geschoben wurden und allein das eigentliche Zollgesetz übrig blieb.20 Mit dem großen Wurf in der preußischen Steuerfrage wurde es also wieder einmal nichts. Am Ende wurde der Zollgesetzentwurf Bülows dem König zur Vollziehung empfohlen. Nach der Einschätzung des Staatsrats entsprach dieser Entwurf einem Freihandelssystem. Der König hat das Zollgesetz dann am 26. Mai 1818 vollzogen. Sein erster Paragraf bestand aus dem berühmt gewordenen Satz: „Alle fremden Erzeugnisse der Natur und Kunst können im ganzen Umfange des Staats eingebracht, verbraucht und durchgeführt werden.“21 19 20 21

Die Fabrikinhaber in den Gemeinden Rheydt, Süchteln, Gladbach, Viersen und Kaldenkirchen an König Friedrich Wilhelm III., Rheydt, den 27. April 1818, in: ebd., S. 69 ff. Vgl. Wilfried von Eisenhart Rothe, Einleitung, in: ebd., S. 4 f. Gesetz über den Zoll und die Verbrauchssteuer von ausländischen Waren und über den Verkehr zwischen den Provinzen des Staats. Gegeben Berlin, den 26. Mai 1818, in: ebd., S. 71–78, hier S. 72.

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Seine berühmteste Würdigung stammt von Gustav Schmoller, aus der Festrede, die dieser am 3. August, des Stifters Geburtstag, im Jahr 1898 in der Friedrich-Wilhelms-Universität zu halten hatte. Der Einschätzung Schmollers zufolge war das Gesetz „freihändlerisch gegenüber den Tarifen aller damaligen Großstaaten, schutzzöllnerisch gegenüber denen der Kleinstaaten.“ Zu diesem Urteil gelangte der Wirtschaftshistoriker, weil England, Russland, Österreich, Frankreich und die Niederlande sich mit Zollaußenmauern umgeben hatten, an denen gemessen der preußische Zolltarif bescheiden war. Er war es aber nicht, wenn man ihn an den Bedürfnissen der Kleinstaaten maß, die von Natur aus auf Freihandel angewiesen waren, da sie ja nur wenig von ihrem eigenen Bedarf selbst erzeugen konnten.22 Die preußische Regierung hat also den Bitten ihrer eigenen Unternehmer, weiterhin Protektion zu erhalten, nur wenig nachgegeben und ist den Überlegungen der Hardenbergianer gefolgt. Rhetorisch war das schon daran zu erkennen, dass in der Präambel des Gesetzes auf die Finanzedikte von 1810 und 1811 Bezug genommen wurde. Was aber offenbar in den Überlegungen der Regierung überhaupt keine Rolle gespielt hatte, das waren die deutschen Nachbarstaaten. Dieses Versäumnis wurde von Friedrich List angeprangert, und zwar in der Petition an die Bundesversammlung, die er für den in Frankfurt gegründeten allgemeinen deutschen Handels- und Gewerbsverein entwarf. Dieser Text appellierte an gesamtdeutsche nationale Gefühle und glorifizierte das Kaufmannsbürgertum der Hansestädte als Vorläufer einer deutschen Handelsbourgeoisie. Es sind diese Reminiszenzen, die wir in den Akten der preußischen Geheimräte jener Zeit vergeblich suchen, jene Reminiszenzen, die später nicht nur aus den – gegenüber dem Zollverein bekanntlich besonders widerstrebenden – Hansestädten die Muster einer nationalen Kaufmannschaft, sondern aus der Kaiserherrlichkeit von Goslar Vorläufer des Hohenzollernkaisertums gemacht haben. Es sind diese Reminiszenzen, die man in den Schriften von Autoren wie Ernst Moritz Arndt und Friedrich Schlegel so reichlich findet, während sie dem trockenen Rationalismus der preußischen Bürokratie einfach abgehen.

22

Gustav Schmoller, Das preußische Handels- und Zollgesetz vom 26. Mai 1818 im Zusammenhang mit der Geschichte der Zeit, ihrer Kämpfe und Ideen. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität, König Friedrich Wilhelm III., am 3. August 1898, Berlin 1898, S. 50 f.

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44 List prangerte die Preußen an, indem er schrieb:

„Dieses Mautsystem hat, wir müssen es offen gestehen, uns wie ganz Deutschland in dem ersten Augenblick in die größte Bestürzung versetzt, denn es scheint bei dem ersten Anblick nicht sowohl gegen den Handel mit Frankreich und England als gegen den Handel mit Deutschland gerichtet zu sein.“

Der Sinn des preußischen Zollgesetzes könne folglich nur darin bestehen, „durch dieses Zollsystem die übrigen Staaten Deutschlands zu veranlassen, endlich einer völligen Handelsfreiheit sich zu vergleichen.“ Nur durch ein leistungsfähiges Außengrenzsystem würden deutsche Regierungen, das hatten auch schon die rheinischen Fabrikanten festgestellt, in die Lage versetzt werden, einmal mit Retorsionszöllen die anderen Nationen zu Zugeständnissen zu zwingen.23 Außenpolitische Gesichtspunkte hatten tatsächlich in den Überlegungen der Steuerkommission des Staatsrats keine Rolle gespielt, es waren auch keine Außenpolitiker in dieser Kommission vertreten. Diese Vernachlässigung der Diplomatie wurde offensichtlich, sobald das Enklavenproblem auftrat. Das Außenministerium wurde erst wachgerüttelt, als die Kaufleute des von preußischem Gebiet umgebenen thüringischen Zwergstaats Schwarzburg-Sondershausen ihren Fürsten baten, gegen die preußischen Methoden Protest einzulegen. Das königlich preußische Akziseamt zu Stollberg hatte nämlich „von mehreren daselbst durchgegangenen für sondershausensche Kaufleute bestimmten Waren jenen Zoll und Steuer gefordert“, nämlich so, als ob die Waren für das preußische Inland bestimmt gewesen wären. Diese Maßnahmen seien härter als jene, die das verflossene Königreich Westfalen sich erlaubt hätte. Der Geschäftsträger für die anhaltischen und schwarzburgischen Höfe in Berlin gab sich daher „infolge seines Auftrags die Ehre, Se. Exzellenz den Herrn Grafen von Bernstorff dringend zu ersuchen, gefälligst dahin wirken zu wollen, daß diese Beschwerde durch Zurücknahme einer Anordnung, in welche man schwarzburg-sondershausischerseits sich nie zu fügen entschlossen ist, baldmöglichst abgeholfen werde.“24 23 24

Erwin von Beckerath u.a. (Hrsg.), Friedrich List. Schriften, Reden, Briefe, Bd. 1, Berlin 1933, S. 495. L’Estocq an Bernstorff, Berlin, den 22. Januar 1819, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte, Bd. 1 (wie Anm. 1), S. 88 ff.

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Damit war der Ton für alle weiteren Verhandlungen angeschlagen. Manche der Enklaven, wie der Bruderstaat Schwarzburg-Rudolstadt, schlossen bald einen Anschlussvertrag und ließen sich in das preußische Zollgebiet inkorporieren. Andere, wie Anhalt-Köthen, führten einen jahrelangen Kampf gegen die Anmaßungen der preußischen Regierung, der alle Mittel der Diplomatie innerhalb des Deutschen Bundes, einschließlich einer Klage am Bundestag, einbegriff. Bülow ist noch vor dem Inkrafttreten des Zollgesetzes als Finanzminister abgelöst worden und hat das neu errichtete Handelsdepartement übernommen. Sein Nachfolger Wilhelm von Klewiz reichte im Zusammenhang mit einer Haushaltskrise, für die man ihm die Hauptschuld gab, 1825 den Rücktritt ein und machte den Weg frei für Friedrich von Motz, den bisherigen Regierungspräsidenten des Bezirks Erfurt und Oberpräsidenten der Provinz Sachsen, einen ausgemachten Kenner dieser Region, der gleich Bülow der Bürokratie des Königreichs Westfalen angehört hatte. Motz gelang es nicht nur binnen kürzester Zeit, von 1825 bis 1828, die Staatsfinanzen zu sanieren, er war auch der energischste Betreiber der Zolleinigung. Dabei verfuhr er gegenüber den enklavierten Zwergstaaten durchaus hart. So argumentierte Motz einmal in dem Entwurf eines Briefes, den Friedrich Wilhelm III. als königliches Handschreiben an einen deutschen Kleinfürsten senden sollte: „Daß, wenn sich die Interessen eines Staats von 30–40.000 Einwohnern mit einem von 12 Millionen im Konflikt befinden, es völlig in der Natur der Verhältnisse liegt, daß der erstere nachgebe, sobald ihm eine vollständige Entschädigung geboten wird.“

Und über den Deutschen Bund meinte er: „Sollte der Bund die aus einer übel verstandenen Souveränität hergeleiteten Anmaßungen kleinerer Staaten gegen mächtigere nicht in die gehörigen Schranken zurückweisen, so würde für diese das Bundesverhältnis bald unerträglich werden und der Bund […] allerdings in Gefahr schweben.“25

25

Hermann von Petersdorff, Friedrich von Motz. Eine Biographie, Bd. 2, Berlin 1913, S. 99.

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Hatte er es jedoch mit einem deutschen Mittelstaat zu tun, war Motz durchaus zu Entgegenkommen bereit, um die Empfindlichkeiten der auf Gleichberechtigung pochenden Regierungen nicht zu verletzen. Da inzwischen abzusehen war, dass der Deutsche Bund außerstande sein würde, den von Friedrich List im Namen deutscher Kaufleute vorgebrachten Wunsch nach Schaffung einer bundesweiten Zolleinheit zu erfüllen, hatten die süddeutschen Staaten selbst die Initiative ergriffen und waren auf dem Weg bilateraler Verhandlungen vorgegangen. Hessen-Darmstadt grenzte mit seinen linksrheinischen Besitzungen an die preußische Rheinprovinz und war unter anderem deshalb an Vereinbarungen mit Preußen interessiert. Es ließ zunächst auf diplomatischem Weg Mitteilungen darüber an Preußen ergehen und am 30. Juni 1824 kamen die hessischen Wünsche in der gemeinschaftlichen Beratung des Preußischen Staatsministeriums zur Sprache.26 Es bleibt der Eindruck, als sei die Strategie zum Umgang mit den Nachbarstaaten vornehmlich im Finanzministerium entwickelt worden.27 Nachdem sich die Möglichkeit einer separaten Vereinbarung zwischen Preußen und Hessen-Darmstadt abzeichnete, wurden die Verhandlungen zwischen dem hessischen Geheimen Staatsrat von Hofmann und Motz direkt geführt, wenn auch auf die gebührende Beteiligung des preußischen Außenministers Graf Bernstorff geachtet wurde.28 Bis hierher haben wir festzuhalten, dass die funktionale Dynamik der Herstellung des geschlossenen Zollgebiets ausreicht, um die Integrationstendenzen, die bis hierhin erkennbar sind, zu erklären. Es liegt auf der Hand, dass Enklaven unter Druck stehen, sich mit einem großen geschlossenen Zollgebiet zu arrangieren und dass angrenzende Mittelstaaten, die ihrerseits durch ihre Grenzziehung mit dem Großstaat verzahnt sind, angesogen werden. Doch ab Ende der 1820er Jahre wird immer offensichtlicher, dass nunmehr genuin machtpolitische Gesichtspunkte ins Spiel kamen. Sie waren schon hinter der hemmenden Einwirkung Metternichs auf die Zolleinigungsbemühungen im Rahmen des Deutschen Bundes zu finden gewesen. In dem Maß, in dem die Zollpolitik aus der Sachlogik der Finanzverwaltung 26 27

28

Bernstorff an König Friedrich Wilhelm III., Berlin, 13. Juli 1824, in: Eisenhart Rothe/ Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 67–74. Vgl. Denkschrift des preußischen Finanzministeriums über die Frage, wie sich Preußen bei den Bemühungen mehrerer süddeutscher Staaten, sich zu einem gemeinschaftlichen Zoll- und Handelssystem zu vereinigen, gegen seine deutschen Nachbarstaaten zu verhalten hat, Berlin, 28. Dezember 1824, in: ebd., S. 77–98. Vgl. Aus dem Tagebuch Hofmanns, 2. Januar 1828, in: ebd., S. 158–163.

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herauswuchs, nahm die Beteiligung der Außenpolitik zu. 1829 hat Motz dies anerkannt. Nachdem sich der preußisch-darmstädtische und der bayerischwürttembergische Verbund über einen Zusammenschluss einig geworden waren, ließ er sich im Juni von seinem Geheimrat Menz ein Memoire aufsetzen, das den Titel trägt: „Memoire über die hohe Wichtigkeit der von Preußen mit Bayern, Württemberg und Großherzogtum Hessen abgeschlossenen Zoll- und Handelsverträge in kommerzieller, finanzieller, politischer und militärisch-strategischer Beziehung, zur Motivierung der allerhöchsten Ratifikation unterlegt.“

Motz beginnt damit, das völlige Versagen des Deutschen Bundes hervorzuheben, wobei er den Schuldigen in Österreich erblickt. Schon mit dem jetzt realisierten Zollverein werde ein Großraum geschaffen, in dem das innere Leben wachsen könne. Nur dieses begründe das Wohl der Staaten. Durch den Zusammenschluss habe man auch das Gewicht gewonnen, bedeutende Staaten wie „Frankreich und die Niederlande, Rußland und Schweden, Nordamerika, Brasilien, Kolumbien, Mexiko, ja selbst Großbritannien“ zu Handelsverträgen zu veranlassen: „Nur im Beitritt zu dieser Verbindung also kann die Mehrzahl der mittleren und kleineren deutschen Staaten hoffen, auch auswärtigen Handel zu gewinnen und an dem großen Welthandel teilzunehmen.“29 Bis hierhin sind die Bahnen der Argumentation, wie sie schon 1817 anzutreffen waren, nicht verlassen. Nachdem dann betont wird, dass auch finanzielle Gewinne zu machen sein werden, folgt aber jetzt eine politischhistorische Betrachtung unter der Überschrift: „Politische Einheit – notwendige Folge der kommerziellen. Wenn es staatswissenschaftliche Wahrheit ist, daß Ein-, Aus- und Durchgangszölle nur die Folge politischer Trennung verschiedener Staaten sind (und das ist wahr), so muß es umgewandelt auch Wahrheit sein, daß Einigung dieser Staaten zu einem Zoll- und Handelsverbande zugleich Einigung zu einem und demselben politischen System mit sich führt. […] Denn es erscheint ganz unnatürlich, daß solche Staaten in der Politik divergierende Ansichten hegen und verfolgen

29

Memoire von Motz, Berlin, Juni 1829, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte, Bd. 3 (wie Anm. 1), S. 525–541, hier S. 532.

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sollten, deren Völker zu einem Kommerzialsystem gebunden sind und in diesem System sich wohl befinden.“30

Das Memoire geht sodann zu einer Betrachtung der Politik Friedrichs des Großen über, der ja schließlich auch schon darauf hingearbeitet habe, Bayern von Österreich zu emanzipieren. An Hand der Feldzüge Napoleons beweist es sodann, dass ein Bündnis Preußens mit Bayern die Niederlage von 1806 womöglich verhindert haben würde. In diesem Dokument werden Regierungen, die „von wahrhaft deutschem Interesse geleitet sind“31, von solchen unterschieden, die nur die Interessen ihrer größeren außerdeutschen Hauptländer verfolgten. Es schließt mit dem Satz: „In dieser auf gleichem Interesse und natürlicher Grundlage beruhenden und sich notwendig noch in der Mitte von Deutschland erweiternden Verbindung wird erst wieder ein real verbündetes, von innen und von außen wahrhaft freies Deutschland erstehen und glücklich sein“ – wozu Motz noch hinzufügte: „unter dem Schutz und Schirm von Preußen.“32

III. Schluss Bemerkenswert, dass sich der Konzipient Menz und sein noch Verstärkungen hinein redigierender Chef ausrechneten, mit dieser Argumentation den Geschmack Friedrich Wilhelms III. zu treffen, denn dieser sollte durch das Memoire motiviert werden, den Vertrag zwischen den fünf Staaten durch seine Unterschrift zu ratifizieren – womit sie insofern zumindest richtig lagen, als der König diese Ratifikation nicht verweigert hat. Vergleicht man diese Denkschrift mit dem deutschnationalen Überschwang, der in der Dankadresse der Stadt Nürnberg an König Ludwig I. wegen desselben Vertrags herrscht,33 ist noch ein Abstand zu spüren. Doch wenn auch die Nürnberger Kaufleute noch eher in nationalstaatlichen Kategorien zu denken bereit waren, so ist doch abzusehen, dass der bloße finanztechnische Funktionalismus nicht mehr ausreichen würde, um das weitere Ausgreifen der Zollintegration zu tragen.

30 31 32 33

Ebd., S. 534. Hervorhebung im Original unterstrichen. Ebd., S. 536. Ebd., S. 541. Die Magistrats- und Gemeindebevollmächtigten der Stadt Nürnberg an König Ludwig I. von Bayern, Nürnberg, den 8. August 1829, in: ebd., S. 546 ff.

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Den Zollvereinsvertrag von 1833 hat Motz, der im Juni 1830 gestorben war, nicht mehr schließen können. Sein Nachfolger Karl Georg Maaßen, ein Rheinländer, der das Zollgesetz von 1818 konzipiert hatte und anschließend Generalsteuerdirektor wurde, hat durch den Beitritt Kurhessens die wichtigste Lücke zwischen der westlichen und östlichen Hälfte Preußens schließen und schließlich die Früchte aller Bemühungen ernten können.

Angelika Schuster-Fox

BAYERN IM DEUTSCHEN ZOLLVEREIN Wirtschaftspolitische Handlungsspielräume eines deutschen Mittelstaates zwischen 1850 und 1866

Während der Ersten (1851–1853) und Zweiten Zollvereinskrise (1864–1866) musste die bayerische Regierung fundamentale wirtschaftspolitische Entscheidungen treffen, die auch die Konstellation der deutschen Staaten untereinander beeinflussten. Beide Male sprachen sich die Verantwortlichen in München für den Verbleib im Deutschen Zollverein mit allen damit verbundenen handelstechnischen wie politischen Konsequenzen aus. Dies war den bayerischen Entscheidungsträgern – den beiden Königen, den Ministern und deren Ratgebern – sehr wohl bewusst. In der Zweiten Zollvereinskrise ab 1864 akzeptierte Bayern endgültig alle Forderungen Preußens, die sich in einem kleindeutsch ausgerichteten Zollverein unter Anerkennung der preußischen Vormachtstellung und gleichzeitigem Ausschluss der Donaumonarchie manifestierten.1 Handelserleichterungen zwischen München und Wien waren nun für die Zukunft kaum mehr realisierbar. Erst nach dieser grundlegenden Richtungsentscheidung zugunsten des kleindeutschen Zollverbundes erhielt Bayern mit dem in Wirtschaftsfragen bewanderten Gustav von Schlör2 einen eigenständigen Handelsminister, obwohl das Königliche Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten bereits 1848 gegründet worden war. König Maximilian II. (1811– 1864, reg. 1848–1864), ein wirtschaftspolitisch sehr interessierter Monarch, 1

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Vgl. dazu Angelika Fox, Die wirtschaftliche Integration Bayerns in das Zweite Deutsche Kaiserreich. Studien zu den wirtschaftspolitischen Spielräumen eines deutschen Mittelstaates zwischen 1862 und 1875 (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte; Bd. 131), München 2001 sowie dies. (Angelika Schuster-Fox), Die Wirtschaftspolitik König Ludwigs II. zwischen 1864 und 1872, in: Peter Wolf u.a. (Hrsg.), Götterdämmerung. König Ludwig II. von Bayern. Aufsätze (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur; Bd. 59), Darmstadt 2011, S. 85–92. Vgl. Karl Hämmerle, Gustav von Schlör. Ein Beitrag zur bayerischen Geschichte des 19. Jahrhunderts (Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung Bayerns; Bd. 68), Leipzig/Erlangen 1926; Karl-Heinz Preißer, Gustav von Schlör – Wirtschaftspolitiker und Vordenker der deutschen Einheit, in: Oberpfälzer Heimat 34 (1990), S. 172–188.

ANGELIKA SCHUSTER-FOX

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hatte zwar mit seiner Thronbesteigung das Handelsressort ins Leben gerufen, das Amt jedoch von dem jeweiligen Außenminister – Ludwig Freiherr von der Pfordten3 (1849–1859 und 1864–1866) sowie Karl Freiherr von Schrenck-Notzing4 (1859–1864) – in Personalunion führen lassen. Das Handelsministerium wurde damit de facto von Ministerialräten mit einem Studium in Rechts- und Kameralwissenschaften geleitet, darunter Carl von Bever, Karl von Kleinschrod, Karl von Meixner und Wilhelm von Weber. König Ludwig II. (1845–1886, reg. 1864–1886) löste das Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten im Zuge der Reichsgründung zum 1. Januar 1872 auf und verteilte dessen Kompetenzen auf verschiedene Ministerien.5 I. Bayern im Zollverein – Vorläufer und erste Jahre Die Wiener Bundesakte vom 8. Juni 1815 formulierte in Artikel 19 die Möglichkeit, „bey der ersten Zusammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurth wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, so wie wegen der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Berathung zu treten.“6 Die unterschiedlichen Vorstellungen der Teilnehmer am Wiener Kongress in Bezug auf ein einheitliches Wirtschaftssystem verhinderten jedoch einen Kompromiss. Als erster deutscher Bundesstaat handelte Preußen: Mit dem Zollgesetz vom 26. Mai 1818 schloss Berlin seine geographisch getrennten

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5 6

Ludwig Frhr. von der Pfordten (1811–1880): 1848/49 sächsischer Innen- und Kultusminister; 1849–1859 und 1864–1866 bayerischer Außenminister und Ministerratsvorsitzender; 1860–1864 bayerischer Gesandter am Bundestag. Ausführlich und noch immer grundlegend, wenn auch zu positiv dargestellt: Eugen Franz, Ludwig Frhr. von der Pfordten (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 29), München 1938, zu seinen biographischen Daten S. 1–70. Darüber hinaus: Eugen Franz, Persönlichkeiten um Ludwig Frhr. v. d. Pfordten. Eine Untersuchung auf Grund neuer Quellen, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 12 (1939), S. 137–162. Karl Freiherr von Schrenck-Notzing (1806–1884): Befürworter einer katholisch-konservativen und österreichfreundlichen Politik, nicht zuletzt aus familiärer Verbundenheit mit Österreich; 1859–1866 Außenminister, Handelsminister und Ministerratsvorsitzender in Bayern, 1866–1884 Reichsrat der Krone Bayerns; 1872–1884 Zweiter Präsident der Kammer der Reichsräte; 1870/71 interimsweise bayerischer Gesandter in Wien. Siehe zum bayerischen Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten: Fox, Integration (wie Anm. 1), S. 281–300. Zitiert nach: Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978, Nr. 30, S. 84–100, bes. S. 90.

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Territorien auf der Basis eines gemäßigt freihändlerischen Systems zu einem gemeinsamen Zollgebiet mit Außenzöllen und einem einheitlichen Zolltarif („Maaßen-Tarif“) zusammen.7 Aufgrund des sich schnell abzeichnenden Erfolges der preußischen Zollmaßnahmen mussten die anderen deutschen Staaten reagieren, so dass man sich innerhalb des Deutschen Bundes intensiver mit zolltechnischen Fragen auseinandersetzte. Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau, die sächsischen Herzogtümer und die Fürstentümer Reuß und Schwarzburg sowie später noch Kurhessen einigten sich am 19. Mai 1820 auf die so genannte „Wiener Punktation“.8 Das despektierliche Verhalten Preußens während der Unterredungen hatte erst die Basis für eine Übereinkunft der deutschen Klein- und Mittelstaaten gelegt. Bayern vertrat zu diesem Zeitpunkt sogar die uneingeschränkte Handelsfreiheit im gesamten Bundesgebiet. Die erhoffte Errichtung einheitlicher Bundeszölle mit einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik scheiterte gleichwohl einerseits an der kompromisslosen Haltung Österreichs, das unter keinen Umständen sein prohibitives Zollsystem aufgeben wollte, und andererseits an den ausgeprägten Partikularinteressen der süddeutschen Einzelstaaten.9 So blieben die zoll- und handelspolitischen Vereinbarungen der „Wiener Punktation“ nur Stückwerk, zumal es Preußen gelang, durch den Abschluss eines Zollvertrages mit Hessen-Darmstadt das 7

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Wilfried von Eisenhart Rothe/Anton Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte und Begründung des Deutschen Zollvereins 1815–1834: Akten der Staaten des Deutschen Bundes und der europäischen Mächte. Eingeleitet von Hermann Oncken (Veröffentlichungen der Friedrich-List-Gesellschaft; Bde. 8–10), 3 Bde., Berlin 1934, hier Bd. 1, Nr. 14, S. 71–78: Gesetz über den Zoll und die Verbrauchssteuer von ausländischen Waren und über den Verkehr zwischen den Provinzen des Staates. Vgl. auch Hubert Kiesewetter, Preußens Strategien gegenüber Vorläufern des Deutschen Zollvereins 1815–1835, in: Hans Pohl (Hrsg.), Die Auswirkungen von Zöllen und anderen Handelshemmnissen auf Wirtschaft und Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Referate der 11. Arbeitstagung der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte vom 9.–13. April 1985 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; Beiheft 80), Stuttgart 1987, S. 147–153 (mit ausführlicher Literatur in den Fußnoten). Zur preußischen Zollpolitik: Takeo Ohnishi, Zolltarifpolitik Preußens bis zur Gründung des Deutschen Zollvereins. Ein Beitrag zur Finanz- und Außenhandelspolitik Preußens, Göttingen 1973. Vgl. auch den Beitrag von Thomas Stamm-Kuhlmann in diesem Band. Vgl. Michael Doeberl, Bayern und die wirtschaftliche Einigung Deutschlands (Abhandlungen der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse; Bd. 29/2), München 1915, S. 12–18 und S. 60, Beilage Nr. 1; Heinrich Benedikt, Der Deutsche Zollverein und Österreich, in: Der Donauraum 6 (1961), S. 25–34. Vgl. Gert Kollmer v. Oheimb-Loup, Zollverein und Innovation. Die Reaktion württembergischer Textilindustrieller auf den Deutschen Zollverein 1834–1874 (Beiträge zur deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Bd. 22), St. Katharinen 1996, S. 42.

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Abkommen zu unterlaufen.10 Die Darmstädter Zollkonferenzen, auf denen Bayern eine maßvolle Zollpolitik vertrat, endeten ebenfalls ergebnislos.11 Im Anschluss nahm lediglich Württemberg mit Bayern ernsthafte Gespräche in Angriff, nicht zuletzt da beide eine Niedrigzollpolitik favorisierten. Während sich die zwei Länder auf den Stuttgarter Konferenzen grundsätzlich einigten, war dies mit den anderen süddeutschen Regierungen, die pedantisch an ihren Sonderinteressen festhielten, nicht möglich. Zielgerichtete Verhandlungen über die seit Jahren schwelende Zollfrage führten Bayern und Württemberg jedoch erst nach dem Tod von König Maximilian I. (1756–1825, reg. 1799–1825). Die Wirtschaftspolitik seines Sohnes Ludwig I. (1786–1868, reg. 1825–1848) orientierte sich zwar an einem streng protektionistischen Kurs, aber aus Rücksicht auf die exportorientierte Rheinpfalz strebte der Monarch eine Annäherung an Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt an.12 Im Oktober 1825 legte das bayerische Finanzministerium dem Landtag einen Gesetzentwurf vor, der für gemäßigtere Zölle plädierte, um den Weg für Handelsverträge oder gar Zolleinigungen mit anderen Staaten zu ebnen.13 Im Januar 1827 begannen die abschließenden Verhandlungen mit Württemberg, die am 12. April zu einem föderalistisch orientierten Vertrag führten, der den bilateralen Handel durch gegenseitige Zollvergünstigungen erleichtern sollte.14 Am 18. Januar 1828 unterzeichneten die Regierungsvertreter der beiden Staaten das Abkommen, dem sich auch die hohenzollernschen Fürstentümer anschlossen.15 Aller10

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Vgl. Hans-Werner Hahn, Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 52), Göttingen 1982; Joachim von Eichmann, Der deutsche Zollverein von 1834– 67, Diss. Göttingen 1931. Vgl. Wilhelm von Weber, Der deutsche Zollverein. Geschichte seiner Entstehung und Entwickelung, Leipzig 1869, S. 16–33. Vgl. Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, 2. Aufl., München 1987, S. 311. Vgl. Georg Alber, Zollverwaltung und Zollerträgnisse in Bayern seit dem Jahre 1819, Diss. München 1919, S. 12. Der Vertrag wurde am 16.4.1827 ratifiziert: Regierungsblatt für das Königreich Bayern 17 (28.4.1827), S. 289–308. Reichsgesetzblatt 5 (9.2.1828), S. 51–79. Die bayerische Ratifikation des Zoll- und Handelsvertrages erfolgte am 31.1.1828. Zu den diplomatischen Verhandlungen, die dem bayerisch-württembergischen Vertrag vorausgingen, vgl. aus bayerischer Sicht: Weber, Zollverein (wie Anm. 11), S. 48–53; aus württembergischer Sicht: Ruth Kappel, Bemühungen des Königreichs Württemberg um die deutsche Zolleinigung nach 1815, Diss. Tübingen 1991. Der Zollvereinsvertrag hatte seine ideellen Vorläufer in dem Projekt einer süddeutschen Zollunion von 1795: Hermann-Joseph Busley, Bayern und die deut-

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dings musste die bayerische Regierung akzeptieren, dass die Rheinpfalz lediglich mit einigen wenigen Sondervergünstigungen im Zoll- und Handelsverkehr abgefunden wurde. Zweifellos festigte der „süddeutsche Zollverein“ die Stellung Bayerns und Württembergs als Handelspartner gegenüber Preußen: Wenige Monate nach Inkrafttreten des bayerisch-württembergischen Zollverbundes trafen sich der preußische Finanzminister Friedrich von Motz16 und der bayerische Minister Joseph Ludwig von Armansperg17 zu Beratungen über eine zollfreie bzw. zollbegünstigte Verbindung zwischen Nord und Süd. Diese mündeten am 12. Juli 1829 in einem Handelsvertrag zwischen dem bayerischwürttembergischen und dem preußisch-hessischen Zollverein, der zum 1. Januar 1830 in Kraft trat.18 Dieser Handelsvertrag führte drei Jahre später aus bayerischer Sicht fast logisch zur Gründung eines Zollvereins, dem die überwiegende Zahl der Staaten im Deutschen Bund beitrat, Österreich aber fernblieb. Das Vertragswerk vom 23. März 1833 bestand aus dem Zollvereinsvertrag zwischen Bayern und Württemberg auf der einen, Preußen, Kurhessen und dem Großherzogtum Hessen auf der anderen Seite.19 Durch den Beitritt Badens 1835 konnte München die lang erstrebte Landverbindung zwischen dem rechtsrheinischen und linksrheinischen Bayern verwirklichen und endlich die wirtschaftliche Integration der Rheinpfalz abschließen.20 Für die Donaumonarchie fiel die Gründung der deutschen Zollunion in eine Phase industriellen Aufbaus, in der die von der Regierung vertretenen prohibitiven Zölle die eigene Produktion vor dem Wettbewerb mit dem

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sche Einigung 1870/71 (Ausstellungskatalog der staatlichen Archive Bayerns; Bd. 6), München 1971, S. 10 und Nr. 55. Friedrich von Motz (1775–1830): 1825–1830 preußischer Finanzminister. Graf Joseph Ludwig von Armansperg (1787–1853): seit 1826 als bayerischer Innen- und Finanzminister und ab 1828 Außen- und Finanzminister maßgeblich an dem Zustandekommen des Deutschen Zollvereins beteiligt; 1831 Sturz des Ministers; seit 1835 in bayerischen Diensten in Griechenland: Roswitha Gräfin von Armansperg, Graf Joseph Ludwig von Armansperg. Ein Beitrag zur Regierungsgeschichte Ludwigs I. von Bayern (Miscellanea Bavarica Monacensia; Bd. 67), München 1976. Vgl. Regierungsblatt für das Königreich Bayern 31 (25.7.1829), S. 553–556. Weber, Zollverein (wie Anm. 11), S. 79, sah in diesem Handelsvertrag bereits den Vorläufer des deutschen Zollvereins. Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984. Vgl. Josef Wysocki, Süddeutsche Aspekte der räumlichen Ordnung des Zollvereins, in: Raumordnung im 19. Jahrhundert II (Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Landesplanung; Bd. 39), Hannover 1967, S. 151–178.

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Ausland schützen sollten. Insofern machte Wien zu diesem Zeitpunkt keine größeren Anstrengungen, sich dem Zollverein anzuschließen.21 II. Handelspolitische Vertreter des Königreiches Bayern bis 1866 Obwohl die zoll- und handelspolitische Frage aufgrund der preußischen Hegemoniebestrebungen für Bayern auch eine politische Komponente beinhaltete, hielten alle drei bayerischen Könige, Ludwig I., Maximilian II. und nicht zuletzt dessen Sohn Ludwig II., an der Maxime fest, auf die Generalzollkonferenzen genauso wie zu Verhandlungen mit Berlin und Wien Vertreter zu entsenden, die sich insbesondere in handels- und zolltechnischen Fragen auskannten: Auf der ersten Generalzollkonferenz des Zollvereins im Herbst 1836 wurde das Königreich von dem Königlich Bayerischen Ministerialrat Leonhard von Dresch (1786–1836) vertreten,22 1838 bis 1843 übernahm diese Aufgabe der Königlich Bayerische Generalzolladministrationsrat Carl von Bever (1798/99–1860), ab 1844 Karl von Meixner (gest. 1880). In der Anfangsphase des Zollvereins war Carl von Bever23 zweifelsohne einer der einflussreichsten Wirtschaftsfachmänner Bayerns: Nach dem Studium der Rechts- und Kameralwissenschaften stieg er schnell zum bayerischen Bevollmächtigten beim Berliner Zentralbüro des Zollvereins sowie den Generalkonferenzen auf. Seine ausgleichende Art half schon bei den Verhandlungen über die Gründung des Zollvereins manche Schwierigkeit zu überwinden und bei den oftmals verbissen geführten Beratungen eine viel versprechende Entscheidung herbeizuführen.24 Dabei ließ er sich im Wesentlichen von wirtschaftlichen und nicht von politischen Argumenten leiten. 1844 als zu preußenfreundlich entlassen, machte der kleindeutsch orientierte Bever nach der Ablösung des einflussreichen Innen- und Finanz-

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Vgl. Benedikt, Zollverein (wie Anm. 8), S. 29; Gustav Otruba, Der Deutsche Zollverein und Österreich, in: Österreich in Geschichte und Literatur 15, 3 (1971), S. 121–134, bes. S. 127: Die Hofkammer lehnte einen Handelsvertrag mit dem Zollverein ab, da „Zollbegünstigungen für Ein- und Ausfuhr nicht im Interesse Österreichs zu liegen scheinen.“ Vgl. Verhandlungen der ersten General-Conferenz in Zollvereins-Angelegenheiten, München 1836. Zu Bever vgl. Marko Kreutzmann, Bürokratische Funktionseliten und politische Integration im Deutschen Zollverein (1834–1871), in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 613–645 – dort auch die entsprechenden Quellenangaben – sowie den Beitrag von Marko Kreutzmann in diesem Band. Zu den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern in Bayern siehe ausführlicher: Fox, Integration (wie Anm. 1), S. 217–252. Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 11), S. 190.

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ministers Karl von Abel25 und der Gründung eines selbstständigen Staatsministeriums des Handels und der öffentlichen Arbeiten 1848 ein zweites Mal Karriere. Da das neue Ministerium keinen eigenen Amtschef erhielt, übernahm Bever bis zu seinem Tod 1860 als Ministerialdirektor faktisch die Geschäftsleitung, während der Staatsminister des Königlichen Hauses und des Äußern lediglich die Weisungsbefugnis behielt. Bever arbeitete für eine engere wirtschaftliche Bindung an Preußen unter Wahrung der bayerischen Interessen und der Sicherung der bayerischen Selbstständigkeit – also weitgehend im Sinne des Ministerratsvorsitzenden Ludwig Freiherr von der Pfordten. Von der Pfordten, der zunächst in Sachsen verschiedene Ministerämter innehatte, war zwei Mal mit mäßigem Erfolg leitender Minister in Bayern. Sein kompromissloses Eintreten für die Triaspolitik, bei der sich die süddeutschen Mittelstaaten als dritte Kraft im Deutschen Bund gegenüber Österreich und Preußen etablieren sollten, hatte König Maximilian veranlasst, ihn 1849 nach München zu holen.26 Im Grunde scheiterte von der Pfordten jedoch in beiden Amtsperioden, von 1849 bis 1859 und dann nochmals von 1864 bis 1866, weniger an den politischen Verhältnissen seiner Zeit als vielmehr an seinen eigenen Ansprüchen zur Durchsetzung der Trias. Bevers Kollege und Nachfolger, Karl von Meixner, war bis 1859 bayerischer Zollvereinsbevollmächtigter in Berlin und avancierte nach der Ersten Zollvereinskrise neben Wilhelm von Weber zum maßgeblichen Ansprechpartner für Preußen. Nach seinem Eintritt in das Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten 1859 war er bis zu seiner Pensionierung 1875 immer wieder in wichtigen Missionen für das Königreich unterwegs; nicht zuletzt als bayerischer Verantwortlicher während der Zweiten Zollvereinskrise. Meixner, der seine großdeutsche Gesinnung nie verheimlichte, repräsentierte das Königreich Bayern weit mehr im Sinne des seit 25

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Karl von Abel (1788–1859): ab 1837 bayerischer Innenminister, ab 1840 Innen- und Finanzminister, 1847 in Ungnaden entlassen und bis 1850 als bayerischer Gesandter in Turin. Vgl. Theodor Schieder, Die mittleren Staaten im System der großen Mächte, in: Historische Zeitschrift 232 (1981), S. 583–604, hier S. 591–595; Hubert Glaser, Zwischen Großmächten und Mittelstaaten. Über einige Konstanten der deutschen Politik Bayerns in der Ära v. d. Pfordten, in: Heinrich Lutz (Hrsg.), Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1982, S. 140–188, bes. S. 175. Siehe auch zur TriasPolitik ausführlicher: Jonas Flöter, Beust und die Reform des Deutschen Bundes 1850– 1866. Sächsisch-mittelstaatliche Koalitionspolitik im Kontext der deutschen Frage (Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 16), Köln u.a. 2001.

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1859 amtierenden, österreichfreundlichen Ministers Karl von SchrenckNotzing, als es sein Vorgänger Bever getan hatte. Freilich musste auch er sich mehr und mehr eingestehen, dass Österreich den Vorstellungen Bayerns über eine Zollabsprache nicht nachkommen konnte. Zum leitenden Fachbeamten in den Zollvereinsangelegenheiten stieg indes der Ministerialrat Wilhelm (von) Weber (1809–1879) auf, der in der bayerischen Regierungsmannschaft eine Sonderstellung inne hatte und seit 1848 für zwei Ministerien gleichzeitig arbeitete.27 Weber war anfangs Ministerialrat im Außenministerium und wechselte, mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, im Dezember 1848 zum neu errichteten Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten. Er verfasste bis 1866 nahezu alle Gutachten und Expertisen in zoll- und handelspolitischen Fragen, ohne einem Minister verantwortlich zu sein. Daneben behielt Weber seine Funktion als Mitarbeiter im Zoll- und Handelsreferat des Außenministeriums und war damit für den wirtschaftspolitischen Austausch mit Preußen und Österreich zuständig.28 Bereits als einfacher Ministerialrat, seit 1868 dann Königlicher Staatsrat im Außerordentlichen Dienst, war er „bei allen Zollvereinsregierungen bekannt und auch gerne gesehen,“29 mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Ferdinand Graf von Beust30 verband ihn sogar eine Freundschaft.31 Zwischen 1868 und 1870 hatte Weber als Bevollmächtigter zum Zollbundesrat bedeutenden Einfluss auf die bayerische Wirtschaftspolitik.

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Vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (im Folgenden: BayHStAM), MF 37551 (Personalakte): Die Vorbildung Webers ist aus diesem Akt nicht ersichtlich. Vgl. BayHStAM, MF 37551 (kgl. Dekret (Abschrift), 4.12.1848); BayHStAM, Staatsrat 7215 (Staatsrat an Ludwig II., 22.12.1867, genehmigt 24.12.1867). BayHStAM, Staatsrat 7215 (Außenministerium (im Folgenden: AM) an den Staatsrat, 9.12.1867). Friedrich Ferdinand (Graf) von Beust (1809–1886): seit 1849 sächsischer Außen- und Kultusminister, ab 1853 Außen- und Innenminister, ab 1858 auch Ministerpräsident. Oktober 1866–1867 österreichischer Außenminister, 1867–1871 Ministerpräsident; 1871– 1878 österreichischer Botschafter in London, 1878–1882 in Paris. Zu Beust siehe seine Memoiren: Friedrich Ferdinand Graf von Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten. Erinnerungen und Aufzeichnungen, 2 Bde., Stuttgart 1887. Dann: Helmut Rumpler, Die deutsche Politik des Freiherrn von Beust 1848 bis 1850. Zur Problematik mittelstaatlicher Reformpolitik im Zeitalter der Paulskirche (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; Bd. 57), Wien/Köln/Graz 1972; Flöter, Beust (wie Anm. 26). Zu seiner Zeit als österreichischer Außenminister: Heinrich Potthoff, Die deutsche Politik Beusts. Von seiner Berufung zum österreichischen Außenminister Oktober 1866 bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870/71 (Bonner Historische Studien; Bd. 31), Bonn 1968. Vgl. Flöter, Beust (wie Anm. 26), S. 83–89.

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Aufgrund seiner moderaten, realitätsbezogenen Politik vertrat er die wirtschaftlichen Interessen Bayerns in den Möglichkeiten, die auch gegen die preußischen Vorstellungen durchsetzbar waren.32 Dabei achtete er streng auf die Wahrung bayerischer Souveränitätsrechte und missbilligte „die praktische Durchführung der Hegemonie und die Benützung des Zollvereins zur Verwirklichung des kleindeutschen Bundes-Staates,“33 die nur darauf abzielten, Österreich aus dem Zollverein auszuschließen. Gleichzeitig kritisierte Weber aber auch immer wieder die kümmerlichen Zusagen Österreichs an die süddeutschen Staaten.34 Der Staatsrat begründete seine Ansichten nur selten mit politischen Argumenten, verschwieg aber seine Sympathie für eine großdeutsche Politik nicht, die in seinen persönlichen Aufzeichnungen zur Geschichte des Zollvereins von 1869 deutlich werden.35 Allerdings unterschätzte Wilhelm von Weber, genauso wie seine vorgesetzten Minister, die potente Stellung Preußens innerhalb des Zollvereins und damit die begrenzten Handlungsmöglichkeiten Bayerns.36 Während Meixner und Weber ihre großdeutsche Einstellung spätestens im Laufe der Zweiten Zollvereinskrise den tatsächlichen Spielräumen der bayerischen Politik anpassten, blieb Karl von Kleinschrod (1789–1869)37 bis zuletzt bei seiner kompromisslosen proösterreichischen Haltung. Kleinschrod war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei den entscheidenden Meilensteinen der wirtschaftlichen Integration neben Bever der einzige, der schon als bayerischer Vertreter an den Verhandlungen zur Gründung des Zollvereins 1833/34 sowie an dessen erster Verlängerung 1841 teilgenommen und auch die Erste Zollvereinskrise miterlebt hatte.38 Nach seiner 32 33 34 35 36 37

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Vgl. beispielsweise seine Haltung zum Zollgesetz: BayHStAM, MA 63252 (Weber an AM, 30.4.1869). BayHStAM, MH 11968 (AM an Maximilian II., 11.9.1862). Vgl. BayHStAM, MA 63246 (Weber an AM, Konzept, 7.1.1867 und Weber an AM, 21.1.1867). Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 11). Vgl. BayHStAM, MH 9700 bzw. MA 63254 (Abschlussbericht Webers über die Tätigkeit des Zollbundesrats, 12.6.1870). Karl von Kleinschrod: 1832 Eintritt als Ministerialrat in das bayerische Innenministerium, 1835 Wechsel in das Finanzministerium und 1849 ins Handelsministerium; 1851–1860 wiederholt in Vertretung des Ministerialdirektors Carl von Bever Leitung des Handelsministeriums. Kleinschrod ist nicht identisch mit Karl Joseph von Kleinschrod (1797– 1866), bayerischer Justizminister von 1849 bis 1854. Vgl. BayHStAM, MInn 36675 (Handelsministerium (im Folgenden: HM) an Maximilian II., 28.10.1850 und Kleinschrod an Maximilian II., 18.5.1857) sowie BayHStAM, MH 11966 (Kleinschrod an AM, 5.4.1862).

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Versetzung in den Ruhestand äußerte sich Kleinschrod grundsätzlich antipreußisch zu wirtschaftspolitischen Entscheidungen der bayerischen Regierung und beeinflusste damit den ohnehin schon unentschlossenen König Maximilian II. III. Die Erste Zollvereinskrise 1851/53 Bayern startete seit den 1840er Jahren mehrere Versuche, mit Österreich einen Zollbund zu schließen. Dies geschah ungeachtet der Tatsache, dass sich bereits nach wenigen Jahren die positive Wirkung des Zollvereins auf die heimische Wirtschaft zeigte und selbst süddeutsche Schutzzollvertreter bei aller Kritik an der Tarifpolitik Preußens nicht mehr an einer Auflösung des Zollvereins interessiert waren. Während sich jedoch Preußen, Sachsen und die Freie Stadt Frankfurt für einen weitgehenden Freihandel aussprachen, favorisierten Bayern und Württemberg aus Rücksicht auf ihre Textilindustrie einen gemäßigten Schutzzoll. Diese Haltung ließ in Österreich die Hoffnung aufkeimen, die beiden süddeutschen Staaten auf seine Seite ziehen zu können, bereits zu diesem relativ frühen Zeitpunkt blieb dies jedoch ohne Erfolg.39 Zweifelsohne zählte gerade in München die Integration der Donaumonarchie in den deutschen Zollverein zu den Hauptzielen Pfordten’scher Politik in dessen erster Amtsperiode bis 1859. Er sah Bayern in der Vermittlerrolle bei der wirtschaftlichen Annäherung zwischen dem Zollverein und Wien, eine Politik, die vor allem von Württemberg, aber auch lange Zeit von Sachsen unterstützt wurde.40 Der seit November 1848 amtierende österreichische Ministerpräsident Felix Fürst zu Schwarzenberg41 versuchte, den Einfluss Bayerns auf die Deutsche Frage für sein Land zu nutzen: „Ich überzeuge mich jeden Tag mehr, welch unberechenbaren [= kaum zu überschätzenden, Anm. d. Verf.] Einfluß Bayerns Haltung zu üben berufen sei.“42 So erwog die Regierung in Wien kurzzeitig sogar, für eine Annähe39 40 41

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Vgl. Benedikt, Zollverein (wie Anm. 8), S. 28. Franz, von der Pfordten (wie Anm. 3), S. 197. Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800–1852): Von November 1848 bis zu seinem überraschenden Tod im April 1852 österreichischer Ministerpräsident: Eduard Heller, Mitteleuropas Vorkämpfer Fürst Felix zu Schwarzenberg, Wien 1933; Stefan Lippert, Felix Fürst zu Schwarzenberg. Eine politische Biographie (Historische Mitteilungen; Beiheft 21), Stuttgart 1998. Zitiert aus einem Schreiben Schwarzenbergs an den österreichischen Gesandten in München, Graf Thun, vom Mai 1849, abgedruckt bei: Michael Doeberl, Bayern und das

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rung an Bayern die strikten Schutzzölle zu lockern. Schwarzenberg sicherte München im März 1849 zu, „binnen Jahresfrist“ mit Bayern einen „Zollund Handels-Verein“ abzuschließen, sollten bei der anstehenden Zollvereinsverlängerung die Nachteile für Bayern überwiegen.43 Diese in Aussicht gestellten Konzessionen an alle süddeutschen Staaten finden sich auch in der Politik des österreichischen Handelsministers Karl Ludwig Freiherr von Bruck.44 Seine beiden Denkschriften vom 30. Dezember 1849 und 30. Mai 1850 beinhalteten unter anderem den Plan einer mitteleuropäischen Zollunion von der Nordsee bis zum Mittelmeer.45 Die Ideen Brucks schürten indes den Widerstand Preußens. Besonders der preußische Regierungsrat Rudolph Delbrück46 hielt die Konzepte in Bezug auf die politische Vormachtstellung Preußens für gefährlich. Das offensichtlich entschiedenere Handeln Österreichs um 1850 bildete fraglos den Ausgangspunkt für eine Phase in der Entwicklung des Zollvereins, in der nicht nur die bayerische Regierung folgenschwere Entscheidungen zugunsten des Ausbaus der preußischen Hegemonie treffen musste und dies auch am Ende tat. Sowohl Wien als auch Berlin rangen mehr denn je um die Gunst Bayerns. Auf der Kasseler Zollvereinskonferenz von 1850 kokettierte von Bruck bei einer Auflösung des Zollvereins mit einem öster-

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preussische Unionsprojekt (Bayern und Deutschland), München/Berlin 1926, S. 105– 108, Zitat S. 106. Bayerische Aufzeichnung über die für Bayern nötigen Garantien und Sicherungen vom 2.4.1849, gedruckt bei: Michael Doeberl, Bayern und die deutsche Frage in der Epoche des Frankfurter Parlaments, München 1922, S. 258. Karl Ludwig Frhr. von Bruck (1798–1860): 1848–1851 österreichischer Minister für Handel und öffentliche Bauten, 1855–1860 österreichischer Finanzminister. Nach seiner Entlassung beging er Selbstmord: Richard Charmatz, Minister Freiherr von Bruck. Der Vorkämpfer Mitteleuropas. Sein Lebensgang und seine Denkschriften, Leipzig 1916. Zu den Vorstellungen Brucks über die Neugestaltung des Zollvereins: Alfred Gaertner, Der Kampf um den Zollverein zwischen Österreich und Preußen von 1849 bis 1853 (Straßburger Beiträge zur neueren Geschichte; Bd. IV/1, 2), Straßburg 1911. Die Denkschriften sind abgedruckt bei: Charmatz, Bruck (wie Anm. 44), S. 163–177 bzw. S. 177–204. Zur ersten Denkschrift Brucks vom 30.12.1849 und den Beratungen in der Frankfurter Nationalversammlung: Gaertner, Kampf (wie Anm. 44), S. 44–60. Zur zweiten Denkschrift: ebd., S. 81–98. Zum Mitteleuropa-Plan Brucks: William O. Henderson, The Zollverein, 2. Aufl., London 1959, S. 202–213. Siehe dazu auch den Beitrag von Thomas J. Hagen in diesem Band. Rudolph (von) Delbrück (1817–1903): seit 1849 leitender Beamter im preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe. Als solcher vertrat er die Hinwendung Preußens zum Freihandel. 1867 wurde er Präsident des Bundeskanzleramtes des Norddeutschen Bundes, 1871 Präsident des Reichskanzleramtes: Rudolph von Delbrück, Lebenserinnerungen 1817–1867. Mit einem Nachtrag aus dem Jahr 1870, 2 Bde., Leipzig 1905.

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reichisch-bayerischen Wirtschaftsraum bis an die Schwarzmeerküste. Die damit verbundenen Zolltarife hätten jedoch für keinen der deutschen Mittelstaaten eine annehmbare Alternative zu denen des Zollvereins mit sich gebracht. Obendrein machte Wien einen gewaltigen politischen Fehler, der es verhinderte, dass Bayern auf die großdeutsche Seite wechselte: Österreich einigte sich im kurhessischen Konflikt in der Olmützer Punktation vom November 1850 mit Preußen.47 In München empfand man die Unterzeichnung des Papiers als Vertrauensbruch der Donaumonarchie: Ludwig von der Pfordten sprach davon, Bayern habe „einen Stoß erlitten, der schwer auszugleichen sein wird.“48 Er sah das Königreich „dem Spotte unserer Feinde preisgegeben.“ Dessen ungeachtet verfolgte er weiterhin eine engere Anbindung der Donaumonarchie an den deutschen Wirtschaftsverbund. Und so hatte Wien auf der Dresdner Konferenz49 (vom 23. Dezember 1850 bis zum 15. Mai 1851), auf der es seine Aufnahme in den Zollverein endlich durchsetzen wollte, auch die bayerischen Unterhändler auf seiner Seite.50 Diese waren von König Maximilian II. angewiesen worden, die „Gemeinsamkeit der Zoll- und Handelsangelegenheiten [...] anzustreben.“51 Preußen verhinderte jedoch alle weitergehenden Verhandlungen mit Wien. Die Gereiztheit, mit der der bayerische Ministerratsvorsitzende von der Pfordten nach der Zollkonferenz in Wiesbaden 1851 auf das ablehnende Auftreten Preußens reagierte, machte die Aussichtslosigkeit deutlich, die Donaumonarchie an den Zollverein heranzuführen.52 47

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Siehe dazu auch: Andreas Kaernbach, Bismarcks Konzepte zur Reform des Deutschen Bundes. Zur Kontinuität der Politik Bismarcks und Preußens in der deutschen Frage (Schriften der Historischen Kommmission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 41), Göttingen 1991. Schreiben von der Pfordtens an den bayerischen Gesandten in Wien, Graf von Lerchenfeld, vom 11.12.1850, in: Doeberl, Unionsprojekt (wie Anm. 42), S. 163. Auch das folgende Zitat aus diesem Schreiben. Vgl. Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., Bd. 2, 4. Aufl., München/Leipzig 1892, S. 89. Eine detaillierte Übersicht über die Dresdener Konferenzen bietet u.a.: Jürgen Müller (Bearb.), Die Dresdner Konferenz und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51 (Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes; Bd. IV/1), München 1996. Siehe beispielsweise das Schreiben Schwarzenbergs an Graf Buol-Schauenstein vom 31.1.1851, bei: Heinrich Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815– 1866 (Die Deutschen und ihre Nation; Bd. 2), Berlin 1985, S. 391. Eine Zusammenfassung der Konferenzen auch bei: Busley, Bayern (wie Anm. 15), S. 54–57. Instruktion für die K. Bevollmächtigten zu den freien Konferenzen in Dresden, 20.12.1850, in: Doeberl, Unionsprojekt (wie Anm. 42), S. 167. Vgl. Jochen Schmidt, Bayern und das Zollparlament. Politik und Wirtschaft in den letzten Jahren vor der Reichsgründung 1866/67–1870. Zur Strukturanalyse Bayerns im

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Nach dem politischen Misserfolg von Olmütz entwickelte Preußen auf dem handelspolitischen Feld größere Energie und drohte Bayern wiederholt mit der Auflösung des Zollvereins. Trotzdem gelang es Österreich im Laufe des Jahres 1851 abermals, einige deutsche Mittelstaaten für sich einzunehmen. Zeitweise schienen Sachsen, Württemberg und nicht zuletzt Bayern das Ansinnen Wiens nach einer vollständigen Integration in den Zollverein zu unterstützten; eine Forderung, die Preußen von Anfang an strikt abgelehnt hatte.53 Insbesondere der österreichische Ministerpräsident Fürst zu Schwarzenberg witterte seine große Chance, Preußen eine empfindliche Niederlage im Streit um die zoll- und handelspolitische Vorherrschaft beizubringen. Berlin hatte mit dem Abschluss des preußisch-hannoverschen Zollvereinsvertrages vom September 1851, der den Ausbau des Freihandels weiter begünstigte, speziell Bayern verärgert, dessen Wirtschaftspolitik nicht auf einen weiteren Ausbau des Freihandels abzielte, sondern mehr mit dem von Österreich propagierten Schutzzollsystem sympathisierte. Deshalb lehnte der bayerische Ministerratsvorsitzende von der Pfordten den Septembervertrag ab, drohte seinerseits mit der Auflösung des Zollvereins und setzte mehr denn je auf einen mittelstaatlichen Interessenausgleich.54 Die Kündigung des Zollvereins durch Berlin im November 1851 machte schließlich alle bisherigen Überlegungen hinfällig. Trotzdem blieb Außenminister von der Pfordten bei seiner Politik: Er gedachte über eine Verlängerung des Zollvereins nur dann zu verhandeln, wenn eine aktive Beteiligung Österreichs sowie Hannovers vorgesehen war.55 König Maximilian verhielt sich weitaus zurückhaltender, so dass er Anfang 1852 alle Schritte vermieden wissen wollte, die eine mögliche Isolierung innerhalb des Zollvereins oder gar eine Auflösung desselben nach sich gezogen hätten:

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Industriezeitalter (Miscellanea Bavarica Monacensia; Bd. 46), München 1972, S. 8; Hermann von Festenberg-Packisch, Geschichte des Zollvereins mit besonderer Berücksichtigung der staatlichen Entwicklung Deutschlands, Leipzig 1869, S. 299–304; Franz, von der Pfordten (wie Anm. 3), S. 202. Bereits Ende 1850 waren zwischen Österreich und Ungarn die Zollschranken gefallen, ab 1851 existierte ein einheitlicher österreichischer Zolltarif, so dass bei einer Aufnahme der österreichischen Erblande auch Ungarn berücksichtigt werden musste. Vgl. KarlHeinz Preißer, Die Stellung Bayerns bei der Steuerharmonisierung im Deutschen Zollverein 1834–1871 (Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschungsbeiträge; Bd. 10), Regensburg 1991, S. 41, Anm. 23; Festenberg-Packisch, Geschichte (wie Anm. 52), S. 312. Vgl. Flöter, Beust (wie Anm. 26), S. 101–110. Vgl. BayHStAM, NL von der Pfordten 59 (von der Pfordten an Dalwigk, 30.10.1851).

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„Eine Zolleinigung des Zollvereins mit Österreich scheint Mir für diesen Augenblick nicht wohl ausführbar. Darum wünsche Ich, daß die Verhandlungen mit Preußen so geführt werden, daß daraus für Bayern nicht die Gefahr hervorgehe, die bisherigen Vortheile des Zollvereins zu verlieren, ohne anderseits durch den Anschluß an Österreich hinreichenden Ersatz zu erhalten.“56

Der Tod des Fürsten zu Schwarzenberg im April 1852 beendete die Phase, in der sich die süddeutschen Staaten, allen voran Bayern, Hoffnung auf eine Zollunion mit Österreich gemacht hatten.57 Die zögerliche und auch zolltechnisch konservativere Politik des neuen österreichischen Ministerpräsidenten Karl Graf von Buol-Schauenstein58 trieb die süddeutschen Staaten zurück an den Verhandlungstisch mit Preußen über die Verlängerung des Zollvereins. Dennoch wollte Bayern auch in Zukunft nicht generell auf eine Einbindung der Donaumonarchie verzichten. Im Herbst 1852 stand der Zollverein dann doch vor seiner Auflösung. Dies führte in den industriellen Kreisen Bayerns zu einer hektischen Betriebsamkeit.59 Die unterschiedliche Vorstellung der Mittelstaaten über die zukünftige Zollpolitik erlaubte zu diesem Zeitpunkt eigentlich keine Einigung mehr über eine wie auch immer geartete Einbindung der Donaumonarchie. Während Österreich und Bayern den Abbruch der Verhandlungen mit Preußen ins Auge fassten, arbeitete der sächsische Ministerpräsident Ferdinand Graf von Beust jetzt gegen dieses Ansinnen.60 Die Uneinigkeit der Mittelstaaten wurde zum Trumpf in der Hand der preußischen Regierung, die im September 1852 Verhandlungen zwischen den Zollvereinsstaaten und Österreich für die nahe Zukunft ausschloss.61 Stattdessen einigte sich Berlin mit Wien auf einen Handelsvertrag, der Beratungen mit dem Zollverein erst für 1860 festlegte: Von Österreich erneut im Stich gelassen, 56

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Handschreiben Maximilians vom 30.1.1852, in: BayHStAM, Abt. III: Geheimes Hausarchiv (im Folgenden: GHAM), Kabinettsakten Maximilian II., No. 214a. Zu den Bedenken König Maximilians auch: Franz, von der Pfordten (wie Anm. 3), S. 203–204. Vgl. Friedrich Werner, Die Zollvereinspolitik der deutschen Mittelstaaten im Frühjahr 1852. Die Darmstädter Konferenz. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Zolleinigung, Diss. Frankfurt 1934, S. 113–115. Karl Ferdinand Graf von Buol-Schauenstein (1797–1865): 1828–1851 österreichischer Gesandter u.a. in Darmstadt, Turin, Petersburg und London; 1852–1859 österreichischer Außenminister und Ministerpräsident. Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 11), S. 325–326. Vgl. Richard Frhr. von Friesen, Erinnerungen aus meinem Leben, Bd. 1, Dresden 1882, S. 350–353 und Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten (wie Anm. 30), S. 168. Vgl. Festenberg-Packisch, Geschichte (wie Anm. 52), S. 323.

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unterzeichnete Bayern am 4. April 1853 bedingungslos den Verlängerungsvertrag für den deutschen Zollverein für weitere zwölf Jahre.62 Als die österreichische Regierung 1859 den Anspruch aus dem Kontrakt von 1853 auf Verhandlungen über eine handelspolitische Annäherung an den Zollverein geltend machte, hatte sich die allgemeine wirtschaftliche Situation grundlegend geändert: Preußens Position war weiter gestärkt und die meisten Wirtschaftszweige in Bayern wollten keine Zugeständnisse mehr an den rückwärtsgewandten Schutzzoll des Nachbarlandes machen.63 Umso mehr fürchtete man in München die Kündigung des Zollvereins. Der daraus resultierenden, vorsichtig taktierenden Wirtschaftspolitik stand das offene Engagement von der Pfordtens für Österreich gegenüber,64 so dass er 1859 von Karl Freiherr von Schrenck-Notzing als Staatsminister des Königlichen Hauses, des Äußeren, des Handels und der Öffentlichen Arbeiten sowie als Vorsitzender im Ministerrat abgelöst wurde. Das Jahr 1860 verstrich, ohne dass der Zollverein in Beratungen mit Wien eingetreten wäre. Preußen hatte seit 1853 alles getan, um den Ausbau des ungehinderten Verkehrs zwischen Österreich und dem Zollverein zu verzögern und damit vor allem Bayern mehr an Preußen zu binden und von Österreich zu entfernen, so dass die Vertagung der Gespräche eigentlich keine Überraschung darstellte.65 Es war schließlich die bayerische Regierung, die Ende März 1861 Gespräche mit der Donaumonarchie einforderte.66 Dies kam nicht von ungefähr, denn kurz zuvor hatte Preußen Verhandlungen mit Frankreich über einen Handelsvertrag auf der Basis des Freihandels 62

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Vertrag wegen Fortdauer und Erweiterung des Zoll= und Handelsvereins, vom 4ten April 1853 mit Separatartikeln und Schlußprotokoll und Protokoll über die Auswechselung der Urkunden wegen Ratifikation des Vertrages, die Fortdauer und Erweiterung des Zoll- und Handelsvereins betreffend, d.d. Berlin, den 2ten Juni 1853, in: Verträge und Verhandlungen [...] über die Bildung und Ausführung des Deutschen Zoll- und Handels-Vereins: Unter Aufsicht des Central-Büreaus des Zoll-Vereins nach amtlichen Schriftstücken abgedruckt. Teil 4: 1833 bis einschließlich 1858, Berlin 1858 (ND Frankfurt a.M. 1986), S. 1–82. Siehe auch: GHAM, Kabinettsakten Maximilian II., No. 214a (von der Pfordten an Maximilian II., 26.4.1853). Vgl. Eugen Franz, Der Entscheidungskampf um die wirtschaftspolitische Führung Deutschlands (1856–1867) (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 12), München 1933, S. 29–40. Vgl. Delbrück, Lebenserinnerungen (wie Anm. 46), Bd. 2, S. 131–132. Vgl. Helmut Böhme, Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit, 1848 bis 1881, 3. Aufl., Köln 1974 (1. Aufl. 1966), S. 50. Vgl. Alfred Zimmermann, Die Handelspolitik des Deutschen Reiches vom Frankfurter Frieden bis zur Gegenwart, Berlin 1899, S. 34.

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öffentlich gemacht. Dies führte in Bayern zu der Befürchtung, eine vollständige Ausgrenzung Österreichs könnte für alle Zukunft manifestiert werden. IV. Bayern und der preußisch-französische Handelsvertrag von 1862 Die bayerische Regierung reagierte auf die Meldung eines beabsichtigten preußisch-französischen Handelsvertrages mit der Forderung nach einer „Spezialkonferenz“.67 Berlin reagierte pikiert auf diesen Vorstoß: Einerseits betrachtete man dieses Ansinnen als Einmischung in preußische Angelegenheiten, andererseits war man nicht bereit, die Verhandlungen mit Frankreich mit dem Verhältnis zu Österreich zu verknüpfen. Außenminister Alexander Freiherr von Schleinitz68 forderte Bayern auf, „solche Wünsche wegen der Handels-Verhältnisse zu Oesterreich erst später und gesondert vorzubringen, weil man bei Verhandlung zu vieler, strenge genommen nicht gerade zusammengehörender Gegenstände Gefahr liefe, gar Nichts zu Stande zu bringen.“69 Trotz dieser offenen Drohung, den Zollverein zu kündigen, hielt Bayern an der Forderung nach einer Verständigung mit Österreich vor (!) einem Vertragsabschluss mit Frankreich fest. Da aber Wien keine Alternativen bot oder bieten wollte und Preußen unzugänglich blieb, musste die bayerische Führung im Juni 1861 aus Rücksicht auf die notwendige Zolltariferneuerung einlenken und auf die beantragte Sonderkonferenz verzichten. Der geplante preußisch-französische Handelsvertrag zeitigte bei den Mittelstaaten ein unterschiedliches Echo. Infolge der apodiktischen Haltung Preußens lehnte Bayern einen zukünftigen Kontrakt dieser Art spätestens im Herbst 1861 offiziell ab.70 Dieser Meinung schlossen sich Württemberg,

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Franz, Entscheidungskampf (wie Anm. 63), S. 92–93, will dagegen von Anfang an eine Ablehnung des Handelsvertrages durch Bayern erkannt haben. Dagegen spricht, dass sich Schrenck im Juli 1862 beschwerte, Preußen wäre auf keinen der von bayerischer Seite formulierten Wünsche eingegangen: BayHStAM, MH 11967 (AM an Maximilian II., 9.7.1862). Alexander Gustav Adolf Frhr. von Schleinitz (1807–1885): 1848–1850 mit einer Unterbrechung preußischer Außenminister; 1858–1861 nochmals preußischer Außenminister, anschließend Minister des Königlichen Hauses. BayHStAM, MH 11965 (Montgelas an AM, 19.6.1861). Die folgenden beiden Zitate ebenfalls aus diesem Schreiben. Tatsächlich lehnte Preußen eine Spezialkonferenz von Anfang an ab: BayHStAM, MH 11.967 (AM an Maximilian II., 9.7.1862). Vgl. BayHStAM, MH 11965 (AM an HM, 24.9.1861). In einem eigenen Schreiben vom Juli 1862 datiert Schrenck das offizielle Schreiben an Preußen auf den 29.9.1861: BayHStAM, MH 11967 (AM an Maximilian II., 9.7.1862).

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Hessen-Darmstadt und mit Einschränkungen auch Nassau an. Gleichwohl wurde am 29. März 1862 der Zoll-, Handels- und Schifffahrtskontrakt vorläufig paraphiert71 – obwohl zu diesem Zeitpunkt nur Sachsen, Oldenburg und die thüringischen Staaten ihre Zustimmungsbereitschaft erkennen ließen – und am 2. August 1862 rechtsgültig unterzeichnet.72 Die bayerische Regierung zögerte nun mit einer definitiven Absage und damit einer Verweigerung des Freihandelssystems. Stattdessen stimmten fast alle königlichen Ratgeber und Minister für den Erhalt des Zollvereins bei gleichzeitiger Ablehnung des Handelsvertrages mit Frankreich:73 Eine Wahlmöglichkeit, die zu keinem Zeitpunkt zur Debatte stand. Während sich König Maximilian II. selbst zu keiner endgültigen Stellungnahme durchringen konnte, äußerte sich der preußische Ministerpräsident Albrecht Graf von Bernstorff74 gegenüber dem bayerischen Gesandten in Berlin, Ludwig Graf von Montgelas,75 eindeutig über den zukünftigen Handlungsspielraum der bayerischen Regierung: „An Ihrer Regierung ist es jetzt, sich zu entscheiden, ob sie mit Uns gehen wollen, oder mit Oesterreich, und letzteren Falles alle hieraus sich ergebende Consequenzen wohl in’s Auge zu fassen.“76

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Vgl. BayHStAM, MH 11965 (Telegramm Montgelas’ an AM, 29.3.1862 sowie Montgelas an AM, 30.3.1862); Staatsarchiv 3, Nr. 420, S. 170–174. Die bayerische Regierung wurde von dem vorläufigen Vertragsabschluss vollkommen überrascht: BayHStAM, MH 11967 (AM an Maximilian II., 9.7.1862). Zum preußisch-französischen Handelsvertrag vgl. Henning Rischbieter, Der Handelsvertrag mit Frankreich und die Zollvereinskrisis 1862–1864 in der öffentlichen Meinung Deutschlands, Diss. Göttingen 1953 und Walther Lotz, Die Ideen der deutschen Handelspolitik von 1860 bis 1891 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik; Bd. 50), Leipzig 1892, S. 33–71. Vgl. BayHStAM, MH 11967 (Telegramm Bibra, Berlin, 2.8.1862). Der preußischfranzösische Vertrag ist abgedruckt in: Staatsarchiv 3, Nr. 434 und 435, S. 246–307; der Schifffahrtsvertrag in: Staatsarchiv 3, Nr. 436, S. 308–319. Eine gedruckte Version befindet sich außerdem in: BayHStAM, MH 5381. Siehe beispielsweise die Gutachten Kleinschrods, in: GHAM, Kabinettsakten Maximilian II., No. 214a (Gutachten Kleinschrods, 9.6.1862) und Kabinettsakten Maximilian II., No. 26 (2. Gutachten Kleinschrods, Dezember 1862). Albrecht Graf von Bernstorff (1809–1873): 1845–1848 preußischer Gesandter in München, anschließend in Wien, 1861–1862 preußischer Außenminister, ab 1862 preußischer Gesandter in London. Ludwig de Garnerin Graf von Montgelas (1814–1892), Sohn von Maximilian von Montgelas, 1854–1858 Außerordentlicher Gesandter und Bevollmächtigter Minister in Berlin, anschließend Versetzung nach Petersburg, 16.6.1860–5.9.1867 wieder in Berlin. BayHStAM, MH 11966 (Bericht Montgelas’, Nr. 189, 14.7.1862) (Hervorhebung im Original unterstrichen).

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Trotz der unentschlossenen Haltung des Monarchen77 meldete Bayern Anfang August seine Ablehnung des mittlerweile rechtsgültigen Kontraktes zwischen Preußen und Frankreich nach Berlin, ohne allerdings die Beziehung zu Österreich zu thematisieren und obwohl ein Ausschluss Bayerns aus dem deutschen Wirtschaftsverbund zu befürchten war. Nun wäre es an Österreich gewesen, Bayern entgegenzukommen, man war aber angesichts der eigenen Wirtschaftsverhältnisse dazu kaum in der Lage. Gleichzeitig übernahm in Berlin der Taktiker Otto von BismarckSchönhausen78 (1815–1898) das politische Ruder. Er dachte nicht an einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik, eher im Gegenteil: er erhöhte als Verfechter des Freihandels den Druck auf die süddeutschen Staaten. So setzte der neue Ministerpräsident die preußische Zollvereinspolitik als Instrument für seine persönlichen Hegemonialbestrebungen ein, zumal er „die Zolleinigung [...] für eine unausführbare Utopie, wegen der Verschiedenheit der wirtschaftlichen und administrativen Zustände beider Teile“79 hielt. Im Herbst 1862 knüpfte Bismarck die Verlängerung der Zollvereinsverträge genauso wie mögliche Verhandlungen mit Österreich an die vorherige Annahme des preußisch-französischen Handelsvertrages. Seine verbalen Drohungen gegenüber Württemberg und Hessen-Darmstadt und etwas abgeschwächter auch gegenüber Bayern unterschieden sich zwar im Wortlaut, nicht aber im Inhalt. Verbunden mit dem vorhandenen Misstrauen unter den drei Südstaaten führte ihn diese Taktik nicht nur in der Zweiten Zollvereinskrise, sondern schließlich auch bei den Einheitsverhandlungen in Versailles im November 1870 zum gewünschten Erfolg.80 Der bayerische Ministerratsvorsitzende Karl von Schrenck warnte angesichts der Berliner Drohgebärden davor, sich zu betont auf die Seite Österreichs zu stellen, um innerhalb des Zollvereins nicht isoliert zu werden. So 77 78

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Siehe dazu die beiden Telegramme gegensätzlichen Inhalts des Königs: BayHStAM, MH 11967 (Telegramm Pfistermeisters, 2.8.1862 sowie Telegramm Pfistermeisters, 3.8.1862). Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, ungekürzte Ausgabe, München/Berlin 1982; ders., Die gesammelten Werke, 15 Bde., versch. Bearb., Berlin 1924– 1935. Johannes Kunisch, Bismarck und seine Zeit (Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte; N.F., Beiheft 1), Berlin 1992, S. 236–237. Siehe die Veröffentlichungen von Michael Doeberl: ders., Wirtschaftliche Einigung (wie Anm. 8); ders., Bayern und die Bismarcksche Reichsgründung (Bayern und Deutschland), München/Berlin 1925; ders., Bayern und die deutsche Frage (wie Anm. 43) und auch ders. (hrsg. von Max Spindler), Entwicklungsgeschichte Bayerns. Bd. 3: Vom Regierungsantritt König Ludwigs I. bis zum Tode König Ludwigs II. Mit einem Ausblick auf die innere Entwicklung Bayerns unter dem Prinzregenten Luitpold, München 1931.

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schlängelten sich der Monarch und seine Regierung gegen ihre Überzeugung in den kommenden Monaten durch die prekäre Situation, einerseits Preußen nicht zu verprellen und dadurch die Auflösung des Zollvereins zu riskieren, sich andererseits aber auch die Sympathien Österreichs nicht vollständig zu verscherzen. München beugte sich vordergründig immer dann dem Druck Preußens, wenn Berlin unverhohlener mit der Kündigung der Zollvereinsverträge drohte, und näherte sich Wien an, wenn dort scheinbar die Bereitschaft wuchs, Zugeständnisse bei den Schutzzolltarifen zu machen. Schließlich machte Preußen auf der XV. Generalzollkonferenz 1863 den Fortbestand des Zollvereins von der Annahme des Handelsvertrages mit Frankreich abhängig.81 Erst anschließend stellte man Beratungen mit Österreich in Aussicht. Der bayerische Vertreter Karl von Meixner wurde trotzdem auf die bisherige Verhandlungsstrategie eingeschworen82: Fortsetzung des Zollvereins auf der Basis des Verlängerungsvertrages vom April 1853, sofortige Aufnahme von Verhandlungen mit Österreich sowie Reform des Zolltarifs unter Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Donaumonarchie. Somit überrascht es nicht, dass ein „besonderes Protokoll“ vom 17. Juli 1863 das Scheitern der bayerischen Bemühungen um die Aufnahme von Beratungen über die Zoll- und Handelsverhältnisse mit Österreich offenlegte.83 Die unverrückbare Haltung der Berliner Regierung und die offensichtliche Resignation des Wiener Kabinetts veranlassten sogar den bayerischen Ministerratsvorsitzenden, seine Haltung zu überdenken. Er empfahl Anfang August 1863 seinem König Maximilian, dass „es auch im Interesse Bayerns liegen [dürfte], ihm [= Preußen, Anm. der Verf.] entgegen zu kommen, und das aufrichtige Bestreben, sowohl den Zollverein zu erhalten, als auch jede dazuführende Verständigung zu erleichtern, thatsächlich zu dokumentiren.“84 Bismarck bestand auf der Verlängerung der Zollvereinsverträge unter Anerkennung des Abkommens mit Frankreich noch vor Ablauf der Kündigungsfrist der Zollvereinsverträge zum Jahresende 1863. Die Münchner 81 82 83

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Vgl. BayHStAM, MH 9749 (kgl. Signat, 30.4.1863). Zur Generalzollkonferenz: Europäischer Geschichtskalender (hrsg. von Heinrich Schulthess) 4 (1863), S. 33. Vgl. das Schreiben Schrencks vom 18.6.1863 an alle Zollvereinsregierungen in: Staatsarchiv 9, Nr. 1990, S. 253–255. Vgl. BayHStAM, MH 9749 (Besonderes Protokoll die Zollverhältnisse in Oesterreich betr., verhandelt München, 17.7.1863). Abschrift in: BayHStAM, MH 9750. Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 11), S. 424–425. BayHStAM, MH 9750 bzw. MH 11969 (AM an Maximilian II., 3.8.1863).

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Regierung hielt trotzdem für die ab November 1863 anstehenden Berliner Konferenzen an ihrer bisherigen Politik fest: Oberste Maxime blieb, den Ausschluss Österreichs aus dem Zollverein zu verhindern. Mitte Dezember 1863 meldete Karl von Meixner jedoch aus Berlin, dass die bayerischen und die württembergischen Vertreter mit ihrer pro-österreichischen Haltung unter den Zollvereinsstaaten isoliert wären.85 Kurz darauf kündigte Preußen die Zollvereinsverträge fristgerecht zum Jahr 1865.86 Mit dieser Kündigung des bestehenden Wirtschaftsverbundes war die Taktik der bayerischen und württembergischen Regierung nicht aufgegangen, die Kündigungsfrist verstreichen zu lassen; die Politik der letzten beiden Jahre war damit endgültig gescheitert. Anfang 1864 hatte Bayern zwar in Württemberg noch einen letzten Verbündeten – dies jedoch nur noch sehr bedingt: Meixners Einschätzung, „ihre [Württembergs] Koalition mit Bayern hält [...] die Probe nicht aus, sondern wird vielmehr in dem Augenblick hinfällig, sobald sie besorgen müssen, bei dem Beharren in derselben die Fortdauer des Zollvereins in Frage zu stellen“,87 machte die missliche Lage mehr als deutlich. Deshalb wurde der bayerische Unterhändler Ende Februar 1864 angewiesen, den bisher verfochtenen Standpunkt aufzugeben, vor Annahme eines neuen Zolltarifs mit Österreich zu verhandeln.88 In dieser heiklen Situation starb am 10. März 1864 König Maximilian II. Sein Sohn Ludwig II., bis dahin wenig mit wirtschaftspolitischen Fragen befasst, nahm sich umgehend der festgefahrenen Situation an.89 Der junge 85

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BayHStAM, MH 9691 (Meixner an AM, 10.12.1863). Nach Franz, Entscheidungskampf (wie Anm. 63), S. 340, wurde die österreichische Frage erst in der letzten Sitzung vor Weihnachten am 15.12.1863 angeschnitten. Vgl. Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871. Diplomatische Aktenstücke. Hrsg. von der Historischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg. Abteilung 2: Vom Amtsantritt Bismarcks bis zum Prager Frieden. Teil 2: April 1864 bis April 1865, bearb. von Rudolf Ibbeken, Oldenburg 1935 (Bd. 5 des Gesamtwerkes) (im Folgenden zitiert als: APP), Nr. 544, S. 808–809. Im Anschluss an die Kündigung umfangreiche Zirkulardepesche Bismarcks vom 31.12.1863, in: ebd., Nr. 545, S. 809–814. Danach war die Kündigung der Zollvereinsverträge vor allem deshalb erfolgt, weil sich die Regierungen nicht auf eine gemeinsame Basis für die Verlängerung hatten einigen können. BayHStAM, MH 9692 (Meixner an AM, 13.2.1864). Vgl. APP 5 (wie Anm. 86), Nr. 547, S. 816–817. So der preußische Unterhändler Philipsborn, in: Franz, Entscheidungskampf (wie Anm. 63), S. 351. Vgl. Fox, Integration (wie Anm. 1), S. 120–144; Christof Botzenhart, „Ein Schattenkönig ohne Macht will ich nicht sein“. Die Regierungstätigkeit König Ludwigs II. von Bayern (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte; Bd. 142), München 2004, S. 64–74.

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Monarch arbeitete sich in die laufenden Beratungen über den Zolltarif als Grundlage für eine Verlängerung des Zollvereins ein. Nur zwei Monate später übernahm auch in Württemberg eine neue Generation den Thron. Nach dem Tod König Wilhelms, einem dezidierten Verfechter der Eigenstaatlichkeit und wirtschaftlichen Unabhängigkeit, folgte ihm sein Sohn Karl nach, der den Freihandel befürwortete und dementsprechend seine Verhandlungsführer wie seine Minister zu einem maßvolleren Auftreten gegenüber Preußen anhielt. Der bayerische Ministerratsvorsitzende von Schrenck hoffte derweil noch immer auf ein zollpolitisches Entgegenkommen Wiens, ungeachtet der Tatsache, dass er den Realitäten ins Auge hätte sehen müssen: Die Donaumonarchie war weniger denn je in der Lage, Bayern die gleichen wirtschaftlichen Vorteile zu bieten, wie dies der Zollverein seit nunmehr 30 Jahren vermochte. Statt das Nachbarland Bayern wenigstens moralisch bei seinen Versuchen zu unterstützen, Österreich an den Zollverein anzunähern, einigte sich die Wiener Regierung – wie bei der ersten Zollvereinskrise 1852/53 – mit Berlin, ohne sich mit der Münchner Regierung abzusprechen, und unterschrieb im April 1864 ein Papier, in dem es von einer Vereinigung mit dem Zollverein abrückte. Jetzt versuchte selbst von Schrenck, König Ludwig zu überzeugen, dass ein weiteres Hinauszögern der Entscheidung über die Annahme der preußischen Forderungen wirtschaftspolitisch nicht zu verantworten wäre,90 spielte aber die Folgen einer Zollvereinskündigung herunter und informierte Ludwig II. genauso wie schon dessen Vater falsch, wenn er behauptete, „die große Mehrzahl der industriellen Kreise, namentlich in Süddeutschland, [hätte] sich entschieden gegen den Vertrag, u[nd] dessen verderbliche Tendenzen erklärt.“91 Alles in allem half dem jungen Monarchen die indifferente Beratung Schrencks in der Zollvereinsfrage nicht weiter, so dass sich der König mit dem Gedanken trug, seinen leitenden Minister abzulösen.92 Die zukünftigen königlichen Anordnungen in der Zollvereinsfrage waren weitaus besonnener und eigenständiger, als man es auf die subjektiven Be90

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Was die Haltung Hannovers anbelangte, irrte Schrenck gewaltig: Bereits Mitte Mai musste an der bisherigen ablehnenden Haltung Hannovers stark gezweifelt werden. Dies hatte Ludwig II. erkannt: BayHStAM, MH 9693 (kgl. Signat vom 18.5.1864). BayHStAM, MH 9693 (AM an Ludwig II., 2.5.1864). Zur Beurteilung des ausführlichen Berichtes Schrencks an den neuen König: Franz, Entscheidungskampf (wie Anm. 63), S. 365–366. Ludwig II. verstand sich nicht mit Schrenck. Vgl. ebd., S. 151–152.

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richte des Ministers hin erwartet hätte. Ludwig billigte zwar zunächst eine erneute Kontaktaufnahme mit Österreich, machte aber gleichzeitig „dem abzusendenden Commissär zur gewissenhaften Aufgabe, in diser hochwichtigen Sache ja recht vorsichtig zu sein.“93 Als die letzten bayerischen Versuche, eine Einigung mit den anderen Mittelstaaten herbeizuführen, im Frühsommer 1864 scheiterten, erkannte Ludwig II. den Ernst der Lage und mahnte an, unverzüglich „den Rückzug von der bisherigen Politik, soferne es sich als unvermeidlich darstellen würde, in der wenigst empfindlichen Weise und mit thunlichst ersprießlichem Erfolge einzuleiten.“94 Schrenck wehrte sich weiter gegen eine bedingungslose Annahme der preußischen Forderungen, da er bei einem Einlenken in Wirtschaftsfragen gleichzeitig den Verlust der politischen Souveränität befürchtete. Er überschätzte indes die Bedeutung Bayerns für den deutschen Zollverein und damit auch für Preußen.95 In diesem Punkt ging er genauso fehl wie sein Vorgänger von der Pfordten in den 1850er Jahren. Mehr und mehr kam der bayerische König zu der Erkenntnis, dass er einen handelspolitischen Anschluss Bayerns an den Norden nicht mehr verhindern konnte. Deshalb widersprach er seinem Minister, erst Ende 1865 eine Entscheidung zu fällen. Als Bismarck im September 1864 ultimativ eine Entscheidung forderte, berief König Ludwig II. seinen Ministerrat ein, der nun einstimmig zur Annahme der Zollvereinsverträge und somit auch des preußisch-französischen Handelsvertrages ohne Einschränkungen riet.96 Schrenck reichte daraufhin seinen Rücktritt ein. Sein Nachfolger wurde sein Vorgänger: Ludwig Freiherr von der Pfordten.97 93 94 95

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BayHStAM, MH 9693 (kgl. Signat vom 18.5.1864). BayHStAM, MH 9693 (kgl. Signat vom 21.7.1864). „Die Bedeutung Bayerns ist so groß, daß sein Beitritt zum preußischen Zollverein für Preußen zu jeder Zeit von solcher Wichtigkeit ist, daß derselbe von Berlin aus sicherlich in keiner Weise erschwert werden würde, selbst wenn er erst im letzten Momente vor dem Ablaufe der jetzigen Vereins-Periode /:31ter Dezember 1865 :/ oder auch noch später erfolgen sollte“: BayHStAM, MH 9693 (AM an Ludwig II., 28.7.1864). Vgl. GHAM, Kabinettsakten Maximilian II., No. 26 (kgl. Signat, 19.9.1864). Am 21.9.1864 akzeptierte Minister von Schrenck das Scheitern seiner Politik und reichte seinen Rücktritt ein, auf den der König jedoch erst nach Annahme des Handelsvertrages und der Zollvereinsverlängerung einen Monat später einging: GHAM, Kabinettsakten Maximilian II., No. 26 (AM an Ludwig II., 21.9.1864). Ludwig akzeptierte das Entlassungsgesuch Schrencks erst am 4.10.1864. Böhme, Großmacht (wie Anm. 65), S. 175, Anm. 254, hält den 21.9.1864 fälschlicherweise für den Rücktrittstermin Schrencks. Bis Anfang Dezember übernahm Innenminister Max von Neumayr in Vertretung das Amt des Außenministers. Gleichzeitig kam es auch in Württemberg zu einem Ministerwechsel (Karl Eugen von Hügel gegen Karl Frhr. von Varnbüler), in Österreich trat Bernhard Graf von Rechberg zurück, an seine Stelle trat Alexander Graf von Mensdorff-Pouilly, Anton von Schmerling wurde gegen den großösterreichisch gesinnten, klerikalen Richard Graf Belcredi ausgewechselt.

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V. Schluss Der Zollvereinsvertrag von 1865 bedeutete für Bayern das Ende jeglicher eigenständiger und unabhängiger Wirtschaftspolitik und den Beginn einer wirtschaftlich kleindeutschen Einheit unter Führung Preußens und unter Ausschluss Österreichs.98 Dennoch musste das „handelspolitische Königgrätz“99 nicht unweigerlich auf eine politische Verschmelzung der deutschen Staaten hinauslaufen, auch wenn die wirtschaftliche Integration mit den ihr eigenen Zwängen nicht ohne Einfluss auf die spätere Reichsgründung war. Der deutsch-deutsche Krieg von 1866 zeigte schließlich noch einmal, dass sich die meisten deutschen Mittelstaaten von den vorhandenen wirtschaftlichen Verbindungen und auch Zwängen nicht abhalten ließen, Preußen militärisch entgegenzutreten.100 Mit der Niederlage Österreichs und dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bund trat eine neue Situation ein, die sich auf Bayern in besonderem Maße auswirkte. Unter anderem enthielt der Friedensvertrag vom 22. August 1866 ein geheimes Schutz- und Trutzbündnis zwischen Bayern und Preußen – selbst den beiden Kammern des bayerischen Landtages wurde dieses erst Mitte 1867 bekannt gemacht. Der Kriegsausgang 1866 erforderte auch eine Neuordnung des Zollvereins, der neu ausgehandelt, tief in die Verfassungsstruktur Bayerns eingriff. In der Zweiten, liberal dominierten, Kammer wurde dem neuen Vertrag mit großer Mehrheit am 22. Oktober 1867 zugestimmt. In der Kammer der Reichsräte dagegen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. Inoffizielle Verhandlungen führten schließlich zu dem Kompromiss, in der Ersten Kammer bei einem Vetorecht für Bayern (wie es auch Preußen zugestanden worden war) den Vertrag anzunehmen. Unter den Bedingungen infolge der Annahme des preußischfranzösischen Handelsvertrages und der Verlängerung des Zollvereins in den Jahren 1862 bis 1865 verliert das Jahr 1866 einiges „von der Tragik 98

99 100

Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 11), S. 449; Festenberg-Packisch, Geschichte (wie Anm. 52), S. 378–379. Franz, Entscheidungskampf (wie Anm. 63), S. 415, sieht darin bereits den Anfang der politischen Vormachtstellung Preußens in Mitteleuropa. Gleichzeitig fanden in Berlin auch Verhandlungen über die Abschaffung der Staatsmonopole statt, die aber im neuen Zollvereinsvertrag beibehalten wurden: BayHStAM, MA 77099 (Protokoll betr. die Besprechung über die Staatsmonopole, April/Mai 1865). Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 10), S. 300; nach: Benedikt, Zollverein (wie Anm. 8), S. 28–29. Wysocki, Süddeutsche Aspekte (wie Anm. 20), S. 151–178, hier S. 170, schränkt dies jedoch dahingehend ein, „daß die wirtschaftlichen Staatsräume eine grundsätzliche außenpolitische Divergenz der Vereinsstaaten nicht mehr zuließen.“

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schicksalhafter Wendung.“101 Vielmehr erscheint nach ökonomischen Gesichtspunkten die Niederlage Österreichs im deutsch-deutschen Krieg und die Auflösung des Deutschen Bundes als logischer Schlusspunkt einer Entwicklung und damit weniger als Ausgangspunkt für die kleindeutsche Einigung. Gerade für die deutschen Mittelstaaten sollte deshalb hinsichtlich von „Entscheidungsjahren“ im 19. Jahrhundert differenzierter argumentiert werden.

101

Österreichisches Komitee für die Veröffentlichung der Ministerratsprotokolle (Hrsg.), Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. V. Abteilung: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff. Bd. 4: 8.5.1862–31.10.1862. Bearb. von Horst Brettner-Messler/Klaus Koch, Wien 1986, S. XLI.

Oliver Werner

KONFRONTATION UND KOOPERATION Der Mitteldeutsche Handelsverein im Gründungsprozess des Deutschen Zollvereins 1828 bis 1834

I. Die wissenschaftliche Debatte um den Stellenwert des Deutschen Zollvereins für die deutsche Nationsbildung im 19. Jahrhundert, die sich bis Heinrich von Treitschke zurückverfolgen lässt, hat seit den 1980er-Jahren eine bemerkenswerte Wendung vollzogen.1 Neben dem engen Zusammenhang zwischen ökonomischer und politisch-staatlicher Integration sind in den vergangenen Jahren die kulturellen Faktoren der Nationsbildung in das Blickfeld der Historiker gerückt. Sehr lange konzentrierte sich die neuere Geschichtsschreibung auf den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Integration, eine Frage, die immer wieder zur Suche nach Parallelen zwischen dem Deutschen Zollverein und dem europäischen Einigungsprozess nach 1945 inspiriert hat.2 In ihrer Studie zur deutschen Nationsbildung im 19. Jahrhundert untersucht Abigail Green die Bedeutung des Zollvereins für das Zusammenwachsen der deutschen Staaten unter kulturellen Gesichtspunkten wie einer verdichteten Kommunikation und seiner symbolischen Bedeutung für den nationalen Diskurs. Der Zollverein „created an environment very favourable to further integration“.3 Ihr Ansatz passt sich gut in das vor allem von Dieter Langewiesche vertretene Konzept der „föderativen Nation“ ein, das die 1

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3

Zum Ausgangspunkt vgl. Helmut Berding, Die Entstehung des Zollvereins als Problem historischer Forschung, in: ders. u.a. (Hrsg.), Vom Staat des Ancien Regime zum modernen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder zu seinem 70. Geburtstag, München 1978, S. 225–237. So etwa William Otto Henderson, The Zollverein and the European Economic Community, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 137 (1981), S. 491–507. Siehe grundsätzlich zur entsprechenden Debatte in den 1980er-Jahren die Beiträge in: Helmut Berding (Hrsg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 10), Göttingen 1984. Abigail Green, Fatherlands. State-Building and Nationhood in Nineteenth-Century Germany, Cambridge 2001, S. 227. Vgl. Wolfram Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871, München 1995, S. 204 ff.

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Vielfältigkeit der Akteure, aber auch der Perspektiven auf die deutsche Nationsbildung hervorhebt.4 James Sheehan verwies bereits Anfang der 1980er-Jahre in einem instruktiven Aufsatz auf die Notwendigkeit einer regionalen Perspektive auf die deutsche Nationsbildung. Die Wirkung des Deutschen Zollvereins auf diese Entwicklung könne nicht allein auf der gesamtdeutschen Ebene erfasst werden, schon gar nicht in den 1830er-Jahren, „when local, regional, and transnational economic relationships almost certainly remained of much greater importance for most central Europeans“.5 Die systematische Einbeziehung der kleineren deutschen Staaten in die Untersuchung der deutschen Nationsbildung im Rahmen der europäischen Diplomatie ist auch deshalb geboten, da neue kulturgeschichtliche Fragestellungen keineswegs automatisch dazu führen, dass andere traditionelle Perspektiven der Diplomatiegeschichte wie die Konzentration auf die Großmächte ebenfalls modifiziert werden.6 Bei der Untersuchung der Gestaltung und Wirkung kommunikativer Räume – mit den deutschen Mittel- und Kleinstaaten als konstituierende Teile der föderativen deutschen Nation – kommt der Gründungsgeschichte des Deutschen Zollvereins ein besonderer Stellenwert zu. In den Jahren 1828 bis 1834 entwickelten die Staaten des Deutschen Bundes in der Konfrontation von drei konkurrierenden Zollverbänden neue diplomatische Foren und Praktiken, um die eigenen Interessen zur Geltung zu bringen. Der kurzlebigste der drei Zollverbände, der im Herbst 1828 gegründete Mitteldeutsche Handelsverein, scheint dabei auf den ersten Blick keine große Bedeutung zu haben, wenn man nach den integrativen und nationsbildenden Elementen des Deutschen Zollvereins fragt. Der Zusammenhang zwischen ökonomischer und politischer Integration ist bei ihm nur schwach 4

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6

Vgl. Dieter Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, sowie: ders., Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008. James Sheehan, What is German History? Reflections on the Role of the Nation in German History and Historiography, in: The Journal of Modern History 53 (1981), S. 1– 23. Vgl. den Sammelband von Wolfram Pyta (Hrsg.), Das europäische Mächtekonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853, Köln/Weimar/Wien 2009, dessen Plädoyers für kulturgeschichtliche Fragestellungen in der europäischen Diplomatiegeschichte perspektivisch auf die Politik der Großmächte verengt bleiben und klein- und mittelstaatliche Initiativen ausblenden; für Preußen wird das deutlich bei Jürgen Angelow, Geräuschlosigkeit als Prinzip. Preußens Außenpolitik im europäischen Mächtekonzert zwischen 1815 und 1848, in: ebd., S. 155–173.

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ausgeprägt, da er aufgrund seiner kurzen Lebensdauer keine wirtschaftlich integrierende Wirkung entfaltete. Im Gegensatz etwa zum Zollverein zwischen Bayern und Württemberg überlebte keine der vertraglichen Regelungen des Handelsvereins die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834.7 Tatsächlich aber bildete der Mitteldeutsche Handelsverein eine wichtige Plattform für die Artikulation mittel- und kleinstaatlicher Interessen in dem schwierigen Abstimmungsprozess wirtschaftlicher und territorialstrategischer Interessen. Angesichts eines gemeinsamen Misstrauens gegenüber den zollpolitischen Bestrebungen Preußens fanden Mittelstaaten wie Sachsen, Hannover, Sachsen-Weimar-Eisenach und Kurhessen, aber auch Kleinstaaten wie Hessen-Nassau, Oldenburg oder Bremen bei allen unterschiedlichen Interessen kurzzeitig zu einer gemeinsamen Politik, um die eigene Verhandlungsposition in den zollpolitischen Auseinandersetzungen zu stärken. Diese praktische Kooperation – zum ersten Mal seit dem Wiener Kongress 1815 und von den deutschen Vormächten nicht erwartet – stärkte nicht nur den Sinn vieler mittelstaatlicher Regierungen für ihre eigenen Interessen, sondern zwang darüber hinaus die preußische Regierung, die Interessen des „Dritten Deutschland“ ernst zu nehmen, wenn sie die hegemoniale Stellung Preußens bewahren wollte.8 Die Modifizierung des preußischen Vorgehens – im Zollvertrag mit Hessen-Darmstadt bereits praktiziert – wurde erst in dem Augenblick von der Mehrheit der Mittelstaaten akzeptiert, als diese es als ihr eigenes Verdienst auslegen konnten, Preußen „erzogen“ zu haben. Mit der eigenständigen Interessenartikulation von immerhin 17 deutschen Mittel- und Kleinstaaten, die Preußen und Bayern Zugeständnisse abringen konnten, bot der Handelsverein Ansätze für eine verstärkte bundesstaatliche Kooperation in der Folgezeit. Es spricht demnach einiges dafür, bei einer Betrachtung der kulturell-kommunikativen Faktoren der deutschen Nationsbildung diesen vordergründig gescheiterten Versuch einer mittelstaatlichen Interessenpolitik zu berücksichtigen. Der vorliegende Aufsatz konzentriert sich auf diese Gesichtspunkte und versteht sich als Plädoyer für eine Neubewertung des Mitteldeutschen Han7

8

Zum bayerisch-württembergischen Zollverein vgl. Peter Burg, Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom alten Reich zum Deutschen Zollverein, Stuttgart 1989, S. 307 ff. Vgl. Hans-Werner Hahn, Hegemonie und Integration. Voraussetzungen und Folgen der preußischen Führungsrolle im Deutschen Zollverein, in: Berding (Hrsg.), Integration (wie Anm. 2), S. 45–70.

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delsvereins. Nach der Schilderung der Ausgangslage im Frühjahr 1828 mit den ganz verschiedenen Impulsen zur Bildung eines mittelstaatlichen Handelsvereins und der preußischen Reaktion im Sommer 1828 konzentriert sich die Darstellung auf die eigentlichen Gründungsverhandlungen im August und September 1828. Es wird deutlich werden, dass sowohl die Gesandten der beteiligten Staaten als auch die übrigen deutschen Regierungen mit dem vorläufigen Gelingen des mittelstaatlichen Projekts vor neue diplomatische Herausforderungen gestellt wurden. Die damit verbundenen Lernprozesse erweiterten in den Folgejahren die Formen der Interessenartikulation und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Deutschen Bund. Dieser Kooperationsimpuls wirkte weit über das förmliche Scheitern des Mitteldeutschen Handelsvereins hinaus. II. Nach dem Aufschub der auf dem Wiener Kongress 1815 in Aussicht gestellten Zollverhandlungen und mehreren vergeblichen Anläufen süddeutscher Staaten zur Bildung von Zollunionen in den 1820er-Jahren veränderte sich im Frühjahr 1828 die zollpolitische Lage im Deutschen Bund grundlegend.9 Mit der Gründung des bayerisch-württembergischen und des preußischhessen-darmstädtischen Zollvereins im Januar bzw. Februar 1828 entstanden zwei staatenübergreifende Zollgebiete mit expansivem Anspruch. Beide Vereine verfolgten das Ziel, die übrigen Staaten Mittel- und Nordwestdeutschlands jeweils für sich als Mitglieder zu gewinnen. Die Bildung beider Vereine war nicht zuletzt deshalb möglich geworden, weil ihre jeweiligen Vormächte Preußen und Bayern von einer bisher angestrebten strikten Hegemonialstellung innerhalb der neuen Verbände abgerückt waren. Bayern verzichtete Ende 1827 zögerlich auf Vorrechte gegenüber Württemberg, um den Eindruck „administrativer Mediatisierung des benachbarten Königreichs“ zu vermeiden,10 und Preußen schloss mit Hes-

9 10

Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 32 ff. Der bayerische Staatsminister von Zentner an König Ludwig I. von Bayern, 30.12.1827, in: Wilfried von Eisenhart Rothe/Anton Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte und Begründung des Deutschen Zollvereins 1815–1834: Akten der Staaten des Deutschen Bundes und der europäischen Mächte. Eingeleitet von Hermann Oncken (Veröffentlichungen der Friedrich-List-Gesellschaft; Bde. 8–10), 3 Bde., Berlin 1934, hier Bd. 1, S. 548.

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sen-Darmstadt im Februar 1828 einen Vertrag ab, der auf einer vollen Gleichberechtigung beider Vertragspartner basierte.11 Trotz der neuen Qualität der diplomatischen Offensiven setzten die Verträge die meisten Staaten im Zentrum des Deutschen Bundes der Gefahr aus, von Zollgrenzen eingeschlossen zu werden. Insbesondere im Königreich Sachsen wurde diese Gefahr unmittelbar erkannt.12 Aber selbst für Länder wie Hannover oder Kurhessen, die eifrig von Preußen und Bayern umworben wurden, war kaum abschätzbar, ob nicht insbesondere die preußische Vereinsgründung zu einer langfristigen Lähmung des deutschen Handels durch willkürliche Handelsabgaben führen könnte. Die Reaktionen der betroffenen Staaten blieben einem Wahrnehmungsmuster verhaftet, das sich seit 1815 verfestigt hatte und gegenüber Preußen – in geringerem Maße auch gegenüber Bayern – von einem schier unüberwindbaren Misstrauen bestimmt wurde. Umgekehrt ließen die Versuche des preußischen Finanzministers Friedrich von Motz, einige Staaten zum Beitritt in den norddeutschen Verein zu überreden, eine deutliche Geringschätzung der mittleren Bundesstaaten erkennen, die es in mehreren Anläufen bisher nicht vermocht hatten, ihre Interessen aufeinander abzustimmen.13 Indes äußerten sich auch jetzt ganz unterschiedliche Stimmen, die eine gemeinsame Reaktion auf das preußische Vorgehen forderten, und die zeitliche Nähe der Initiativen in Frankfurt, Bremen, Sachsen und Hannover lässt keine Rückschlüsse auf ein gemeinsames Konzept zu, wohl aber auf eine gemeinsam wahrgenommene Gefahr, der es zu begegnen galt.14 Allerdings setzte mit der ersten Korrespondenz Ende Februar 1828 ein intensiver Austausch zwischen den norddeutschen Mittel- und Kleinstaaten ein, der sich relativ schnell auf eine wechselseitige, verbindliche Versicherung konzentrierte, dem preußischen Zollsystem nicht beizutreten.15 11 12

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14 15

Vgl. Lawrence J. Baack, Christian Bernstorff and Prussia. Diplomacy and Reform Conservatism 1818–1832, New Brunswick (New Jersey) 1980, S. 122 ff. Vgl. Olivier Podevins, Die sächsische Außenpolitik nach dem Wiener Kongress 1815– 1828. Handlungsmöglichkeiten einer deutschen Mittelmacht im Deutschen Bund, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 70 (1999), S. 79–104, besonders S. 101 ff. Vgl. Hermann von Petersdorff, Friedrich von Motz. Eine Biographie, Bd. 2, Berlin 1913, S. 129 ff. Petersdorff unterstellt freilich den von Preußen kontaktierten Regierungen, sie hätten nicht erkannt, „welche Wohltaten ihnen dargeboten“ worden seien (ebd., S. 129). Vgl. Richard Schwemer, Geschichte der Freien Stadt Frankfurt a.M. (1814–1866), Bd. 2, Frankfurt a.M. 1912, S. 296 ff. So bereits der Frankfurter Bürgermeister Johann Thomas an den Bremer Bürgermeister Johann Smidt am 29.2.1828, vgl. Schwemer, Geschichte (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 750.

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Die kommunikative Struktur dieses Austausches entsprach dabei erst einmal ganz den Gepflogenheiten des Deutschen Bundes. Vertreter kleinerer Staaten wandten sich an benachbarte größere Staaten und baten um Rat oder Beistand, während die größten der beteiligten Länder – die Königreiche Sachsen und Hannover – versuchten, die verschiedenen Impulse zu bündeln und ihren eigenen Interessen gemäß einzusetzen. So gelang es Hannover für einige Wochen, parallel die beiden Optionen offen zu halten, mit der preußischen Regierung zu verhandeln oder sich gegen das preußische Zollsystem zu vereinigen.16 Die sächsische Regierung setzte unter maßgeblicher Beteiligung ihres Bundestagsgesandten Bernhard August von Lindenau ihre dynastischen und persönlichen Beziehungen im sächsisch-thüringischen Raum ein, um in alle Richtungen machtvoll und nachdrücklich auftreten zu können.17 Den Brüdern Hans-Georg und Anton von Carlowitz – der erste in Dresdner, der zweite in Coburg-Gothaer Diensten – gelang es, dass ihre Regierungen mit Sachsen-Weimar-Eisenach bereits Ende März 1828 in Oberschöna eine Vereinbarung unterzeichneten.18 Die Regierungen verpflichteten sich, „keinem auswärtigen Zollsystem beizutreten“ und stattdessen einen Handelsverein zu bilden, der seinen Mitgliedern „gegenseitig einen möglichst freien und ausgebreiteten Handel“ verschaffen sollte.19 Damit hatten die mächtigsten Staaten des sächsisch-thüringischen Raumes die Federführung übernommen und den inhaltlichen Rahmen markiert. Der Vertreter aus Weimar, Christian Schweitzer, hatte der Vereinbarung zugestimmt, äußerte allerdings nachträglich Bedenken, ob die Dresdner Regierung mit offenen Karten spielte.20 Hans-Georg von Carlowitz berichtete nach Dresden, dass vor allem der Verlauf der Handelswege von Frankfurt am Main nach Leipzig umstritten blieb. Es sei „allerdings dringend nötig“, den Straßen „eine solche Richtung zu geben, dass sie das preußische 16 17 18

19 20

Vgl. Gunhild Bartels, Preußen im Urteil Hannovers 1815–1851, Hildesheim 1960, S. 64 f. Vgl. Ingeborg Titz-Matuszak, Bernhard August von Lindenau (1779–1854). Eine politische Biographie, Weimar 2000, S. 93 ff. Vgl. Otto Eduard Schmidt, Drei Brüder Carlowitz. Carl Adolf, Hans Georg u. Anton von Carlowitz, Lebensbilder und Briefe aus dem Zeitalter der Romantik, der Freiheitskriege und der Verfassungskämpfe (1770–1840), Leipzig 1933, S. 236 ff. Sächsisch-thüringische Punktation von Oberschöna vom 26.3.1828, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 369. Vgl. den Bericht Schweitzers vom 1.4.1828, in: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Abt. E (Handel), Nr. 39, Bl. 4 ff.

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Gebiet nicht mehr berühren.“21 Das konnte aus königlich sächsischer Sicht leicht gefordert werden, während aber gerade Weimar durch seine territoriale Struktur auf preußisches Wohlwollen angewiesen blieb.22 Entscheidend für ein Gelingen des Vereinsprojekts war aber die Haltung der kurhessischen Regierung, da nur mit Kurhessen eine territoriale Verbindung aller interessierten Staaten möglich war.23 Im April 1828 gaben sich daher in Kassel die Gesandten die Klinke in die Hand, um den Kurfürsten, der trotz seines anti-preußischen Affekts zögerlich blieb, für eine Beteiligung zu gewinnen. Ausschlaggebend war offenkundig der Besuch des sächsischen Gesandten Lindenau, der die österreichische Bereitschaft signalisierte, einer dem Kurfürsten am Herzen liegenden Neugruppierung des Bundesheeres zuzustimmen.24 Mit dem noch immer unter deutlichen Vorbehalten erklärten Beitritt Kurhessens zur Punktation von Oberschöna Ende April waren schließlich alle Voraussetzungen geschaffen, um mit einem geschlossenen Vereinsgebiet vor allem die preußischen Bestrebungen wirksam eindämmen zu können.25 Allerdings blieb unter den beteiligten Regierungen die Haltung gegenüber dem Königreich Preußen weiter umstritten. Während kleinere Staaten wie Frankfurt und Bremen mit dem Verein keineswegs eine Provokation der Berliner Regierung anstrebten, waren insbesondere Sachsen und einige thüringische Staaten sowie mit Einschränkungen Hannover bereit, eine Konfrontation mit den beiden Zollvereinen in Nord- und Süddeutschland zu riskieren, um die eigene Position zu verbessern. Zugleich blieb strittig, ob einzelne Staaten auch ohne Rücksprache mit den übrigen Vereinsmitglie21 22

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Carlowitz an Detlev von Einsiedel, 30.8.1828, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 387. Vgl. Oliver Werner, Grenzenlose Kleinstaatlichkeit? Der Weg des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach in den Deutschen Zollverein 1834, in: 48. Jahrestagung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten der Bundesrepublik Deutschland. Tagungsband, Weimar 2006, S. 23–31. Vgl. Hans-Werner Hahn, Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 52), Göttingen 1982, S. 90 ff. Vgl. den Bericht Lindenaus an den sächsischen Minister von Einsiedel vom 22.4.1828, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 419. Lindenau hatte zuvor mit dem österreichischen Militärbevollmächtigten am Bundestag, General von Langenau, verhandelt; vgl. Langenau an Metternich, 28.4.1828, in: Haus-, Hofund Staatsarchiv Wien, Staatskanzlei Deutsche Akten Nr. 157, Bl. 244 f. Vgl. Protokoll des kurhessischen Ministerrats vom 23.4.1828, in: Eisenhart Rothe/ Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 419.

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dern zollpolitische Strafmaßnahmen, sogenannte Retorsionen, gegen andere Staaten erlassen durften. Gleiches galt für bilaterale Handelsverträge. Insbesondere die Kasseler Regierung, aber auch Hannover pochten auf ihre Souveränität, die sie durch Konsultationspflichten nicht eingeschränkt sehen wollten. Um das Projekt nicht an diesen Fragen scheitern zu lassen, enthielt auch die nächste Vereinbarung, die Frankfurter Deklaration vom 21. Mai 1828, keine offen gegen Preußen gerichteten Äußerungen. Bestimmend blieben die abgrenzenden Bestimmungen – man wollte keinem anderen Zollverband beitreten und die Durchgangszölle nicht erhöhen –, mit denen das zukünftige Verhalten der Mitgliedsstaaten nicht zu sehr gebunden wurde. Für Mitte August wurden Verhandlungen über die Bildung eines Vereins in Kassel anberaumt.26 Schon zu diesem Zeitpunkt wertete das Projekt trotz der hannoverschen und sächsischen Dominanz die kleineren Staaten deutlich auf. Die Bürgermeister Thomas (Frankfurt) und Smidt (Bremen) etwa konnten den britischen Gesandten beim Bundestag, Henry Addington, für das Projekt gewinnen und auf diese Weise den Druck auf die hannoverschen Gesandten erhöhen, sich auf die Verhandlungen in Kassel einzulassen.27 Der schwierige Konsens zwischen den Königreichen Hannover und Sachsen bildete nun die Basis für die weitere Entwicklung. Beide Regierungen bezweckten mit dem geplanten Verein eine Herausforderung Preußens. Aber während Sachsen, und hier vor allem Bernhard August von Lindenau, sich eine Stärkung der eigenen Positionen erhoffte, um in einem zweiten Schritt in ernste Verhandlungen mit Berlin eintreten zu können,28 wollte Hannover eine echte Begrenzung der preußischen Zollexpansion erreichen, um den eigenen Handel, vor allem auch die Einnahmen aus dem Transit-

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Entwurf einer Deklaration über den Handelsverein von Ende April 1828, in: ebd., S. 422, sowie das Protokoll der Frankfurter Verhandlungen vom 21.5.1828, in: ebd., S. 428. Vgl. die Korrespondenz zwischen Thomas, Smidt und Addington vom Sommer 1828 im Devon Record Office Exeter, 152 M/Box 33/3 („Frankfort 1828–1829“). Addington berichtete nach London ausführlich über die zollpolitische Entwicklung in Deutschland; Sabine Freitag/Peter Wende (Hrsg.), British Envoys to Germany 1816– 1866. Bd. 1 (1816–1829), Cambridge u.a. 2000, S. 45 ff. Vgl. Hubert Kiesewetter, Industrialisierung und Landwirtschaft. Sachsens Stellung im regionalen Industrialisierungsprozess Deutschlands im 19. Jahrhundert, Köln/Wien 1988, S. 140 f.

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handel, nicht zu gefährden.29 Beide Staaten strebten auf die Schaffung des Vereins hin, ihr Konsens musste im Augenblick seiner Gründung enden. Nicht zuletzt, weil in der Frankfurter Deklaration die implizite antipreußische Spitze des geplanten Vereins nicht ausformuliert wurde, konnten ihr bis zum Sommer 1828 insgesamt siebzehn deutsche Staaten beitreten. Von der Nordseeküste über Hessen bis in den sächsisch-thüringischen Raum entstand damit eine lose Interessengemeinschaft, die territorial den nord- und den süddeutschen Zollverein blockieren konnte, ihre Nagelprobe aber erst noch zu bestehen hatte. III. Die mitteldeutschen Pläne und Verhandlungen wurden der preußischen Regierung über mehrere Kanäle bekannt. Dabei ist bemerkenswert, dass die unterschiedlichen Berichterstatter, darunter die in Karlsruhe bzw. in Darmstadt tätigen preußischen Gesandten Friedrich von Otterstedt und Mortimer von Maltzan, sehr früh die anti-preußische Stoßrichtung des Vereinsprojekts betonten und in scharfem Tonfall berichteten. So sandte Otterstedt bereits Mitte April 1828 einen ausführlichen Bericht „über den sogenannten neutralen Verein“ nach Berlin und verwies auf Lindenau „als die für die Bildung jenes Vereins wirksamste Person.“30 Maltzan hob hervor, dass das Projekt „vom kaiserlich österreichischen Hof auf das bestimmteste und offenste begünstigt“ werde.31 Die meisten Berichte spiegelten eine Anschauung wider, nach der es sich bei den mittelstaatlichen Verhandlungen nur um eine Verschwörung handeln konnte. Der preußische Finanzminister Friedrich von Motz übernahm diese Auffassung bereitwillig. In mehreren Schreiben an Außenminister Christian von Bernstorff unterstrich er, dass „dieser Verein weniger ein allgemeines Zollsystem intendiert, vielmehr hauptsächlich zur Absicht hat, einer weiteren Verbreitung unseres Zollsystems entgegenzutreten.“ Würde 29

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Vgl. Hilde Arning, Hannovers Stellung zum Zollverein, Hannover 1930, S. 25 ff.; vgl. auch Bernd Kappelhoff, Der Handel in den Küstenregionen des Königreichs Hannover, in: Karl Heinrich Kaufhold/Markus A. Denzel (Hrsg.), Der Handel im Kurfürstentum/ Königreich Hannover (1780–1850). Gegenstand und Methode, Stuttgart 2000, S. 181–212. Geheimes preußisches Staatsarchiv, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Nr. 3449, Bl. 8. Otterstedts Depesche vom 20.4.1828 ist ein ausführlicher Bericht des badischen Bundestagsgesandten Friedrich von Blittersdorf beigefügt. Maltzan an König Friedrich Wilhelm III., 20.4.1828, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 3, S. 32.

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das Projekt verwirklicht werden, so sei „Preußen in der Lage, sein Zollsystem für abgeschlossen zu halten“ und sollte sich weigern, „diesen neutralen Verein seiner Absicht gemäß unter imponierenden Bedingungen aufzunehmen.“32 Der Verein, so Motz im Juni 1828, beabsichtige „nur eine Paralysierung […] der inneren Staatskraft Preußens in einem ihrer wichtigsten Zweige“. Diese „feindliche Tendenz“ müsse die preußische Regierung „zu sehr ernster Erwägung aller Mittel veranlassen, welche die innere Verwaltung uns darbietet, ihr zu begegnen und sie möglichst unschädlich zu machen.“33 Den Ansatzpunkt für eine konfrontative Gegenstrategie sah Motz in der Umlenkung des Transitverkehrs, sodass den Vereinsstaaten wichtige Zolleinnahmen entzogen würden. Der Finanzminister blieb in der Folge darauf bedacht, sämtliche Informationen über die Verhandlungen und Vereinbarungen der Mittelstaaten in Erfahrung zu bringen. Seine Befürchtung, der geplante Handelsverein könne auf eine Eindämmung der preußischen Zollpolitik abzielen, bestimmte dabei seine Wahrnehmung. Außenminister von Bernstorff hingegen riet zu Gelassenheit und ließ sich von den dramatisierenden Schreiben des Finanzministers nicht aus der Ruhe bringen.34 Zugleich setzte er aber die Aktivitäten des Finanzministers ein, indem er etwa dem hannoverschen Minister Ludwig von Ompteda gegenüber vertraulich bemerkte, Motz „sei mit der Ausführung seiner Projekte oft zu rasch, verfahre dabei oft sehr willkürlich und eigenmächtig und bekümmere sich namentlich bei Verhältnissen mit Auswärtigen oft zu wenig um das auswärtige Departement.“35 Wenige Wochen später instruierte das preußische Außenministerium seine Gesandten mit einem moderaten Papier, in dem geradezu verständnisvoll „Furcht und Misstrauen“ als Ursachen der mitteldeutschen Vereinspläne genannt wurden. Der Verein wäre indes zu schwach, um der preußischen Monarchie etwas anhaben zu können.36 Der Botschaft in Wien wurde zeitgleich „das österreichische Interesse“ an

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Innenminister Friedrich von Schuckmann und Motz an das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, 22.5.1828, in: ebd., S. 33. Motz an Bernstorff, 26.6.1828, in: ebd., S. 45. Vgl. Baack, Bernstorff (wie Anm. 11), S. 129 f. Ompteda an Kabinettsminister Friedrich von Bremer, 20.7.1828, in: Eisenhart Rothe/ Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 3, S. 42. Das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an die Gesandten zu Wien, München, Karlsruhe, Darmstadt, Brüssel, London, Kopenhagen, Hamburg und Dresden, 14.8.1828, in: ebd., S. 48.

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dem Verein nahe gelegt, da die österreichischen Diplomaten „so zusammenstimmend gewirkt und zum Teil ganz offen gehandelt“ hätten.37 Das klang weniger nach einem Zerwürfnis zwischen Motz und Bernstorff als vielmehr nach einer Doppelstrategie des preußischen Außenministers. Tatsächlich sandte die preußische Regierung im Sommer 1828 widersprüchliche Signale an die mitteldeutschen Staaten, nach denen zwar eine Kooperation prinzipiell nicht ausgeschlossen schien, die aber dennoch an die willkürliche Politik Preußens erinnerten, vor der sich die Unterzeichner der Frankfurter Deklaration gerade schützen wollten. IV. Die Männer, die sich ab Mitte August 1828 in Kassel versammelten, um über die Gründung und Ausgestaltung des neuen Vereins zu verhandeln, waren alles andere als österreichische Marionetten. Einige von ihnen hatten ausgeprägte diplomatische oder bundespolitische Erfahrungen, allen voran der Bremer Johann Smidt und der hannoversche Gesandte August von Grote. Als Gruppe repräsentierten sie die verschiedenen Strategien und Perspektiven des klein- und mittelstaatlichen Deutschlands: Während Politiker wie Smidt und der Frankfurter Bürgermeister Thomas für eine aktive Bundespolitik eintraten, befürworteten etwa die Gebrüder Carlowitz aus Sachsen und Coburg-Gotha einen selbstbewussten Kurs gegenüber den größeren Mächten im Deutschen Bund. Mit Gesandten wie dem Braunschweiger August von Amsberg, dem Oldenburger Carl Suden sowie Grote bestand zudem trotz der starken sächsischen Initiative eine gewichtige norddeutsche Fraktion, die um die besonderen Erfordernisse und Schwierigkeiten der Küstenregion wusste.38 Die Verhandlungen begannen am 18. August 1828, auch wenn noch einige Gesandte fehlten, mit der Erläuterung der königlich-sächsischen Instruktion durch Hans-Georg von Carlowitz. Sie war allen Regierungen vor Beginn der Kasseler Konferenzen zugestellt worden und wurde von den 37 38

Das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an den preußischen Legationssekretär in Wien, von Brockhausen, 14.8.1828, in: ebd., S. 54. Vgl. die lithografierten Protokolle der Kasseler Verhandlungen 1828 und 1829, die in fast allen Archiven der beteiligten Staaten verfügbar sind. Aus ihnen gehen die Positionen der einzelnen Gesandten und der Verlauf der Verhandlungen hervor. Hier und im Folgenden werden sie nach den Akten des Thüringischen Staatsarchivs Altenburg zitiert, Bestand Geheimes Archiv, Loc. 97 Nr. 5 (1828) und Loc. 97 Nr. 6 (1829). Auf Einzelbelege wird aus Platzgründen verzichtet.

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sächsisch-thüringischen Vertretern stillschweigend als gegebener Ausgangspunkt angenommen. Das war geschickt, da ein gemeinsames Auftreten des Königreichs Sachsen mit Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-CoburgGotha alle anwesenden Vertreter auf die sächsische Linie festlegte. Carlowitz konstruierte eine inhaltliche Kontinuität von der Oberschönaer Punktation im März über die Frankfurter Deklaration im Mai bis zur Instruktion aus Dresden und behauptete auf diese Weise eine fast natürliche Dominanz der sächsischen Position für den geplanten Handelsverein. Diese ließ sich indes nur bis zur Anreise des hannoverschen Gesandten am 24. August aufrechterhalten. August von Grote stellte alle sächsischen Festlegungen wieder zur Disposition. Für ihn waren eine pauschale Verringerung der vereinsinternen Transitzölle sowie die Freiheit, weiter gegen Preußen Zollstrafmaßnahmen durchzuführen, nicht akzeptabel. Damit würden sämtliche Mitgliedsstaaten für die Politik einzelner Staaten in Haftung genommen. Darüber hinaus forderte er für die Küstenstaaten das Recht, mit Nichtmitgliedern des Vereins weiter separate Verträge abschließen zu können. Das eigentlich gegen Preußen gerichtete Verbot solcher Verträge dürfe nicht für außerdeutsche Handelspartner gelten, da sonst die Wirtschaftsbeziehungen in Mitleidenschaft gezogen würden.39 Damit lagen die gegensätzlichen Positionen vom Frühjahr 1828 wieder offen. War schon der diplomatische Austausch über die Gründungsinitiative des neuen Vereins im Frühjahr und Sommer 1828 von Kommunikationsmustern des Deutschen Bundes geprägt gewesen, so wiederholten sich in den Kasseler Verhandlungen föderale Verhaltensmuster des Bundes. Hannover und Sachsen, die sich im Bund von den Großmächten Österreich und Preußen dominiert sahen, verfielen während der Verhandlungen ihrerseits in die Rolle von Vormächten, die die kleineren Mitgliedsstaaten in Abhängigkeit bringen und in eigene Strategien einbinden wollten. Darauf reagierten Staaten wie Sachsen-Weimar oder Bremen im Rückgriff auf die eigenen Bundeserfahrungen, indem sie ihre Zustimmung relativierten oder an Bedingungen knüpften, die ihnen im Konfliktfall Freiräume offen hielten. Auf diese Weise profitierten selbst die kleinsten beteiligten Staaten von der Kontroverse zwischen den beiden Königreichen. Während etwa Johann Smidt die rechtliche Gleichstellung aller Kaufleute der Vereinsstaaten im 39

Ausführlich stellte Grote die Verhandlungen in seinen Berichten nach Hannover vom 25.8. und 2.9.1828 dar, vgl. Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 459 ff. und S. 475 ff.

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Sinne des für Juden restriktiven Bremer Zuzugsrechts aufweichen konnte,40 erreichte der Gesandte der reußischen Fürstentümer, Gustav Adolph von Strauch, von der sächsischen Regierung Zugeständnisse bei den Abgaben reußischer Händler für die Leipziger Messe.41 Ein weiteres Verhaltensmuster bestand darin, die Klärung von Detailfragen des Handelsvereins auf die Zeit nach der Unterzeichnung bzw. Ratifizierung des Vertrags zu verschieben. So wurde zwar die primäre Zielsetzung erreicht, nach der schon die faktische Vereinsgründung ein achtbarer Erfolg sei. Zugleich aber wurde der Erfolg des Handelsvereins auf seine Gründung begrenzt, da der Vertragsrahmen zu allgemein blieb und in der Folge substanzielle Einigungen nur erzielt werden konnten, solange der fragile Konsens der Vereinsmitglieder nicht angetastet wurde. Zentrale Fragen wie das Ausmaß der gegenseitig zu gewährenden Handelserleichterungen blieben umstritten, sodass der schließlich am 24. September 1828 unterzeichnete Kasseler Vertrag nur einen gegen die beiden anderen Zollvereine gerichteten Minimalkonsens darstellte. Die Signatarstaaten verpflichteten sich unter anderem, bis Ende 1834 „einseitig, d.h. ohne ausdrückliche Beistimmung des ganzen Vereins, mit keinem auswärtigen, in dem Vereine nicht begriffenen Staate in einen Zoll- oder Mautverband zu treten“ (Artikel 4). Handelsstraßen sollten „vorzugsweise durch die Staaten des Vereins geführt, dabei jedoch möglichst abgekürzt und die zu diesem Zweck erforderlichen neuen Bauten ohne Verzug unternommen werden“ (Artikel 5).42 Allein die Unterzeichnung des Vertrags nahmen die übrigen deutschen und einige europäische Staaten mit Überraschung zur Kenntnis. Auch in der öffentlichen Debatte in Deutschland wurde besonders hervorgehoben, dass der Vertrag überhaupt zustande gekommen war.43 Es handelte sich um einen außerhalb der Institutionen des Deutschen Bundes völlig frei ausgehandelten Vertrag zwischen insgesamt 17 Mitgliedern, denen von vielen Seiten eine solche Leistung zuvor nicht zugetraut worden war.

40 41 42 43

Vgl. Oliver Werner, Johann Smidt und die Bildung des Mitteldeutschen Handelsvereins 1828/29, in: Bremisches Jahrbuch 87 (2008), S. 201–210, bes. S. 207 f. Vgl. Strauchs fünfter Bericht von den Kasseler Verhandlungen, 18.9.1828, in: Thüringisches Staatsarchiv Greiz, Bestand a. Rep. Gera – Zusätze, Nr. 1292, Bl. 147 f. Kasseler Vertrag vom 24.9.1828, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 2, S. 499 ff. Vgl. etwa Friedrich August Rüder, Erwartungen vom mitteldeutschen Handelsvereine und dem Casseler Congreß, Ilmenau 1828.

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Allerdings war der Konsens des Handelsvereins nicht sehr belastbar, wie sich schon bei den Nachfolgeverhandlungen über die genaue Führung der neuen Handelsstraßen im Oktober und November 1828 herausstellte.44 Die Verhandlungen über den Bau einer Vereinsstraße von Leipzig über Frankfurt nach Bremen zogen sich hin, da vor allem im thüringischen Raum jeder einen für das eigene Territorium möglichst günstigen Verlauf beanspruchte und die Baukosten auf andere Staaten abwälzen wollte. Zugleich zwang die preußische Politik die Mitgliedsstaaten, die eigenen Interessen und Positionen immer wieder neu zu überdenken, sodass die divergierenden Vorstellungen über den Sinn und das Ziel des Mitteldeutschen Handelsvereins in den Vordergrund traten. In Fragen gemeinsam zu senkender Durchgangsabgaben und der Freiheit einzelner Mitgliedsstaaten, auf eventuelle zollpolitische Reaktionen Preußens ihrerseits ohne Zustimmung der übrigen Vereinsmitglieder Gegenmaßnahmen zu ergreifen, konnten in der Folge nur vage oder gar keine wirksamen Vereinbarungen getroffen werden.45 V. Nach dem ersten Schrecken über den tatsächlich zustande gekommenen Handelsverein hatte sich die preußische Regierung rasch besonnen und eine diplomatische Strategie entwickelt, deren Kern die Ablehnung von Verhandlungen mit dem Verein als Ganzes bildete.46 Das mochte auf den ersten Blick anmuten, als ob Berlin die Realitäten nicht erkennen wollte. Tatsächlich aber begann die preußische Regierung, mit einzelnen thüringischen Vereinsstaaten über den Bau von Durchgangsstraßen zu verhandeln, wobei sie an Straßenprojekte anknüpfte, die bereits vor den mitteldeutschen Verhandlungen zwischen Preußen und diesen Staaten angestanden hatten. Das betraf etwa Sachsen-Meiningen, dessen Regierung ein lebhaftes Interesse daran hatte, zwei Teile seines Territoriums mittels einer Straße durch preußisches Gebiet (Kreis Ziegenrück) zu verbinden. Die meiningische Anfrage

44 45 46

Vgl. Paul Thimme, Straßenbau und Straßenpolitik in Deutschland zur Zeit der Gründung des Zollvereins 1825–1833, Stuttgart 1931, S. 22 ff. Vgl. die Unterlagen über die Straßenverhandlungen in: Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Bestand Geheimes Ministerium, Nr. 3913. Vgl. Petersdorff, Motz (wie Anm. 13), Bd. 2, S. 175 ff.

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vom März 1828 wies Berlin im folgenden September schroff ab47 und reagierte auf Nachfragen erst im Januar 1829 konzilianter, indem es Meiningen bestätigte, dass „Erschwerungen des Verkehrs überhaupt nicht in dem liberalen Handels- und Zollsysteme der preußischen Regierung“ angelegt seien.48 Am selben Tag teilte das preußische Außenministerium auch dem Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha mit, dass dem Bau einer dessen Landesteile verbindenden Straße durch das preußische Schleusingen nichts im Wege stehe, wenn man eine Befreiung von Durchgangsabgaben für die gesamte Wegstrecke durch das Herzogtum erreichen könnte.49 Obschon Berlin mit diesen Schreiben an frühere Verhandlungen anknüpfte, so kam doch in den versöhnlichen Angeboten eine neue Haltung der preußischen Regierung zum Ausdruck, die in Meiningen und CoburgGotha aufmerksam registriert wurde. Zum ersten Mal schien Preußen auf Augenhöhe verhandeln zu wollen und die Interessen selbst der kleineren Staaten ernst zu nehmen. Dass gerade Finanzminister von Motz aus seiner Zeit als Erfurter Regierungspräsident bestens mit den verwickelten territorialen Verhältnissen in Thüringen vertraut war, mochte diesen Eindruck noch unterstreichen.50 Indes erhöhte sich der Druck auf den Mitteldeutschen Handelsverein noch aus einer anderen Richtung: Die Regierungen von Preußen und Bayern hatten frühzeitig die Herausforderung durch den dritten Verein erkannt und unter Vermittlung des Verlegers Friedrich von Cotta bereits im Herbst 1828 begonnen, ihre zollpolitischen Interessen zu koordinieren.51 Am 27. Mai 1829 wurde zwischen dem preußisch-hessischen und dem süddeutschen Zollverein ein Handelsvertrag vereinbart, der eine Angleichung der Tarife vorsah und den Zusammenschluss zu einem einheitlichen Zollgebiet anstrebte.52 Diese Einigung war die wichtigste Voraussetzung für die Grün47

48 49 50 51 52

Vgl. Das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an das meiningische Ministerium, 4.9.1828, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 3, S. 57. Das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an das meiningische Ministerium, 8.1.1829, in: ebd., S. 70. Vgl. Das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an das coburgische Ministerium, 8.1.1829, in: ebd., S. 70 ff. Vgl. Petersdorff, Motz (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 137 ff. Vgl. Hermann Oncken, Einführung, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 1, S. LXXII ff. Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Württemberg und Hessen vom 27. Mai 1829, in: ebd., Bd. 3, S. 501 ff.

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dung des Deutschen Zollvereins 1834 und wäre ohne die Herausforderung durch den Mitteldeutschen Handelsverein langwieriger verlaufen. Anfang Juli 1829 schloss Preußen mit Sachsen-Meiningen und SachsenCoburg-Gotha Verträge über eine zollfreie Chausseeführung durch den thüringischen Raum ab. Auf diese Weise entstand eine direkte Handelsverbindung zwischen den beiden Zollvereinen, sodass der Mitteldeutsche Handelsverein den Warenverkehr zwischen Preußen und Süddeutschland nicht mehr blockieren konnte. VI. Nach dem Scheitern der zollpolitischen Eindämmung Preußens erreichten die Mitglieder des Handelsvereins trotz einiger Ansätze bei der Vereinheitlichung von Maßen, Währungen und Gewichten keine gemeinsame Handelspolitik mehr. Die im Juli 1829 beginnenden erneuten Verhandlungen in Kassel, die ursprünglich auf den Ausbau des Vertragswerks abzielen sollten, verliefen zäh und standen von Beginn an unter dem Eindruck der Vereinbarungen Meiningens und Coburg-Gothas mit Preußen, die nicht offengelegt wurden. Für einige der Gesandten waren die beiden Herzogtümer „als abgefallen zu betrachten.“53 Der am 11. Oktober 1829 schließlich doch unterzeichnete Zusatzvertrag enthielt neben der formalen Verlängerung des Handelsvereins nur noch Ausnahmeregelungen, mit denen die ursprünglichen Vereinbarungen untergraben wurden.54 Auch in der Lähmung, die den Handelsverein damit bereits nach einem knappen Jahr befallen hatte, konnten die Mitgliedsstaaten noch immer von seiner schieren Existenz profitieren. Sachsen und Hannover blieben, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, an einem einheitlichen Erscheinungsbild der mitteldeutschen „Front“ interessiert. Nur so glaubte man sich der preußischen Regierung nähern zu können, ohne in eventuellen Verhandlungen das Gesicht zu verlieren. Zugleich konnte sich das Königreich Sachsen in der europäischen Diplomatie wieder als ernst zu nehmender Gesprächs-

53 54

So Johann Smidt in einem Bericht vom 3.8.1829, in: Staatsarchiv Bremen, Bestand Zölle, 2–Ss.4.d.2.a.19., unpaginiert. Der Kasseler Supplementarvertrag vom 11.10.1829, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 3, S. 127 ff.

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partner etablieren.55 Als Kulisse blieb der Handelsverein ein wichtiges diplomatisches Pfand der beiden mitteldeutschen Vormächte. Das erhöhte im Umkehrschluss aber die Abhängigkeit der Regierungen in Dresden und Hannover von der Kooperationsbereitschaft der kleineren und kleinsten Vereinsstaaten. Den thüringischen Staaten, aber auch Bremen, das noch 1828 gemeinsam mit den übrigen Hansestädten einen Handelsund Schifffahrtsvertrag mit Preußen abgeschlossen hatte,56 war es möglich, die eigene Hinwendung zu anderen deutschen Staaten zu kaschieren, ohne dass der mitteldeutsche Rückhalt völlig wegbrach. Auch diese Konstellation, so wenig sie zu fruchtbaren vertraglichen Vereinbarungen innerhalb des Handelsvereins führte, wertete die Position der beteiligten Kleinstaaten auf, deren Interessen von Preußen weiterhin ernst genommen werden mussten. Der Handelsverein wurde aber nicht nur dadurch geschwächt, dass seine Mitglieder keine größeren Verpflichtungen zu seinen Gunsten mehr eingehen wollten. Die Unruhen der Julirevolution im Sommer 1830 betrafen ganz überwiegend Mitgliedsstaaten des Handelsvereins.57 Die neu eingesetzten Regierungen – im Königreich Sachsen wurde Bernhard August von Lindenau leitender Kabinettsminister – unterzogen die jeweilige Zollpolitik einer gründlichen Revision. Ob etwa im Falle Sachsens aber tatsächlich von einer „Wende“ in der Zollpolitik gesprochen werden kann, ist indes zweifelhaft.58 Aus Lindenaus Perspektive hatte der Mitteldeutsche Handelsverein vor allem die sächsische Verhandlungsposition gegenüber Preußen verbessern sollen, und als der Verein dies nicht mehr vermochte, suchte Lindenau nach neuen Kommunikationswegen. Dass er die – vorerst verdeckte – direkte Annäherung an Preußen ab Dezember 1830 innenpolitisch durch Gespräche mit sächsischen Händlern und Gewerbetreibenden absicherte, charakterisiert Lindenau 55 56

57

58

Vgl. Olivier Podevins, La France et la Tierce Allemagne à l’exemple de la Saxe entre 1814 et 1866, Friedberg 2001, S. 110 ff. Handels- und Schifffahrts-Vertrag zwischen den Senaten der Freien und Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg und Seiner Majestät, dem Könige von Preußen, vom 4.10.1828, in: National Archives Kew, Bestand Foreign Office, FO 33/64 (Hamburg 1828), Bl. 209 ff. Vgl. Hans-Gerhard Husung, Protest und Repression im Vormärz. Norddeutschland zwischen Restauration und Revolution, Göttingen 1983, sowie Hans-Werner Hahn/ Helmut Berding, Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49(Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 14), 10., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 2010, S. 430 ff. So allerdings Kiesewetter, Industrialisierung (wie Anm. 28), S. 154.

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als einen modernen Staatsmann, der die sächsische Politik der 1830er-Jahre maßgeblich prägte.59 Deutlicher ist der Bruch in der kurhessischen Zollpolitik auszumachen. Nach Absetzung des exzentrischen Kurfürsten war es der Regierung in Kassel zum ersten Mal möglich, die vorzügliche territorialstrategische Lage des Landes in vollem Umfang diplomatisch einzusetzen.60 Die Verhandlungen mit Berlin über den Beitritt Kurhessens zum preußischen Zollsystem gingen zügig voran und mündeten im August 1831 in einen für Kassel äußerst vorteilhaften Vertrag.61 Zuvor hatte sich bereits Sachsen-WeimarEisenach vertraglich zum Übertritt in das Zollgebiet der östlichen preußischen Provinzen verpflichtet.62 Auch wenn der kurhessische „Abfall“ vom Mitteldeutschen Handelsverein von den übrigen Vereinsmitgliedern noch mit einer Klage vor dem Deutschen Bundestag, die schließlich im Sande verlief, pariert wurde, gehört diese Phase streng genommen schon nicht mehr zur Geschichte des Handelsvereins. Die meisten Mitgliedsstaaten hatten ihre wirtschaftlichen und zollpolitischen Interessen in einem Maße in die Verhandlungen mit Preußen einfließen lassen können, wie es kaum jemand in der konfrontativen Situation wenige Jahre zuvor hätte vorhersehen können. Als politisches Instrument hatte der Mitteldeutsche Handelsverein das Spektrum mittel- und kleinstaatlicher Interessenartikulation wesentlich erweitert und die deutschen Regierungen um eine entscheidende diplomatische Kooperationserfahrung reicher gemacht. VII. Die wirtschaftlichen Resultate des Mitteldeutschen Handelsvereins blieben aber verständlicherweise „recht dürftig“.63 Seine politische Bedeutung war indes höher. Indem der Verein Preußen und Bayern 1829 zu einem raschen Übereinkommen bewegte, wurde er zum Katalysator der deutschen Zolleinigung. Zugleich ermöglichte er wirtschaftlich aufsteigenden Staaten wie Sachsen eine selbstbewusste Verhandlungsposition gegenüber Preußen. 59 60 61

62 63

Vgl. Titz-Matuszak, Lindenau (wie Anm. 17), S. 105 ff. Vgl. Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 23), S. 97 ff. Vgl. Vertrag zwischen Kurhessen und dem Preußisch-Hessischen Zollverein vom 25.8.1831, in: Eisenhart Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 10), Bd. 3, S. 168 ff. Vgl. Vertrag zwischen Preußen und Sachsen-Weimar vom 11.2.1831, in: ebd., S. 161 ff. Hahn, Geschichte (wie Anm. 9), S. 50.

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Abigail Green hebt in ihrer Studie über das Verhältnis von partikularer und nationaler Identität in den Königreichen Hannover, Sachsen und Württemberg im 19. Jahrhundert die Kooperationserfahrungen eines „national cadre of customs officials“ im Deutschen Zollverein nach 1834 hervor.64 Tatsächlich lassen sich die diplomatischen Erfahrungen aber weder zeitlich noch inhaltlich trennen. Die Entwicklung von der Konfrontation dreier zollpolitischer Vereine im Jahr 1828 zur gemeinsamen, gleichberechtigten Aushandlung ganz unterschiedlicher wirtschaftlicher und handelspolitischer Interessen in den folgenden Jahren gehört deshalb zum Erfahrungshorizont des Föderalismus im Deutschen Bund der 1830er Jahre. Trotz seines raschen Scheiterns entfaltete der Mitteldeutsche Handelsverein in der deutschen Zoll- und Bundespolitik eine Wirkung, die über seine faktische Existenz hinausreichte und mit dazu beitrug, die Mittel- und Kleinstaaten diplomatisch aufzuwerten. Die Erfahrungen von Kooperation und Interessendurchsetzung innerhalb des Handelsvereins prägten das Selbstbewusstsein der Kleinstaaten insbesondere des thüringischen Raums. Die preußische Politik, mit Staaten wie Sachsen und Kurhessen, aber auch mit den thüringischen Herzogtümern in gleichrangige Verhandlungen zu treten, musste bei allen schon vorhandenen Ansätzen innerhalb der Berliner Regierung von den Mittel- und Kleinstaaten selbst durchgesetzt werden. Nur auf diese Weise konnte der Deutsche Zollverein einen Grad an Gleichberechtigung erreichen, der seinen Erfolg jenseits ökonomischer Parameter erklärt. Die damit verbundene, generelle Aufwertung mittel- und kleinstaatlicher Interessen auf der Bundesebene wirkte auf die Einzelstaaten zurück. In den Auseinandersetzungen der Jahre 1828 bis 1831 gelang es vielen deutschen Ländern, die eigenen ökonomischen Interessen und ihre territorialstrategische Stellung zoll- und bundespolitisch wirksamer zur Geltung zu bringen. Damit erreichte die „politische Kultur“ des Deutschen Bundes einen neuen Stand der Kooperation und der Interessenberücksichtigung. Neben seiner Katalysatorfunktion im Gründungsprozess des Deutschen Zollvereins wirkte der Mitteldeutsche Handelsverein schließlich auch als Beispiel für die erfolgreiche Aushandlung und Durchsetzung der Interessen von 17 Bundesstaaten außerhalb der Institutionen des Deutschen Bundes. Er erweiterte damit die wahrnehmbare Bandbreite diplomatischer Möglich-

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Green, Fatherlands (wie Anm. 3), S. 227.

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keiten. Diese bundespolitische Nachwirkung des Handelsvereins war Teil der deutschen Nationsbildung.

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„DER ERSTE KEIM ZU EINEM BUNDE IM BUNDE“ Der Deutsche Zollverein und die Nationalbewegung

I. „1. Ein Passagier, der neben mir stand, Bemerkte, ich hätte, Jetzt vor mir den preußischen Zollverein, Die große Douanenkette. 2. ‚Der Zollverein’ – bemerkte er – ‚Wird unser Volkstum begründen, Er wird das zersplitterte Vaterland Zu einem Ganzen verbinden. 3. Er gibt die äußere Einheit uns, Die sogenannt materielle; Die geistige Einheit gibt uns die Zensur, Die wahrhaft ideelle – 4. Sie gibt die innere Einheit uns, Die Einheit im Denken und Sinnen; Ein einiges Deutschland tut uns not, Einig nach außen und innen.’“1

Der im Pariser Exil lebende Heinrich Heine warf im 1844 erschienenen „Wintermärchen“ einen kritisch-ironischen Blick auf den Deutschen Zollverein. Doch seine Zeilen treffen einen Kern: die Hoffnung vieler Deutscher im Vormärz, der Zollverein könne die nationale Einheit voranbringen, aber gleichzeitig auch die Forderung, diese Einheit müsse auch die politische Freiheit befördern. Ursprünglich vor allem aus fiskalischen Gründen geschaffen, knüpften sich an den 1834 gegründeten Zollverein schon bald viele Hoffnungen auf die Herbeiführung der deutschen Nationaleinheit. Die innerhalb des Handelsbundes funktionierende wirtschaftliche Zusammenar1

Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Leipzig 1980 (1844), Caput II.

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beit deutscher Staaten wurde angesichts der als Stagnation oder gar als Rückschritt empfundenen Politik des Deutschen Bundes in ihren ökonomischen und nationalen Folgen überhöht. Der dem Zollverein zugeschriebene wirtschaftliche Aufschwung, sein Fortbestehen trotz Krisen, Vertragsaufkündigungen, Gegengründungen und der Revolution, ja sein konstantes Wachstum durch den Beitritt weiterer deutscher Staaten trugen erheblich zu seiner Stilisierung als positives nationales Gegenbild und Einheitssymbol bei. Zwar führt keine direkte Linie vom Zollverein zur Gründung eines deutschen Nationalstaates, aber die von Metternich bereits 1831 geäußerte Befürchtung, dass mit dem Zollverein „der erste Keim zu einem Bunde im Bunde“ entstehe, sollte sich bewahrheiten.2 Der deutsche Nationalökonom Friedrich List schrieb 1827 zu Recht, dass die „Idee der Nationalökonomie“ zusammen mit „der Idee der Nationen“ entstand.3 Kurz nach 1800 deuteten sich im ökonomischen Bereich Begriffsverschiebungen an. „Nation“ und „Volk“ wurden immer enger mit der Theorie und Praxis der Wirtschaft verknüpft. Im Zusammenhang mit der auf dem Wiener Kongress versuchten politischen Lösung der „deutschen Frage“ setzte auch die Diskussion über die ökonomische Einheit der deutschen Staaten ein. Diese Einheit erschien mit dem Ende der Kontinentalsperre dringend geboten. Deutsche Gewerbe konnten oft nicht mit den englischen konkurrieren, weshalb der Ruf nach Zollschutz lauter wurde.4 Vielleicht noch problematischer waren die vielen Binnenzollgrenzen. Nachdem am Ende des 18. Jahrhunderts die deutschen Territorien durch fast 1800 Zolllinien geteilt gewesen waren, hatten Zollreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowie die napoleonischen Gebietsreformen die Zahl 2

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Metternich an Kaiser Franz I., 11. Juni 1831, in: Wilfried von Eisenhart-Rothe/Anton Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte und Begründung des Deutschen Zollvereins 1815– 1834. Akten der Staaten des Deutschen Bundes und der europäischen Mächte. Eingeleitet von Hermann Oncken (Veröffentlichungen der Friedrich-List-Gesellschaft; Bde. 8– 10), 3 Bde., Berlin 1934, hier Bd. 3, S. 164. Zu Nation und Wirtschaft in Deutschland im 19. Jahrhundert vgl. ausführlich Andreas Etges, Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich, 1815–1914, Frankfurt a.M. 1999, S. 43–135, 217–239. Friedrich List, Outlines of American Political Economy (1827), in: Friedrich List, Werke, Bd. 2, Berlin 1933, S. 104. Z.B. in: Ueber Englands Einfluß auf Deutsche Fabriken, Berlin 1816, S. 11. Die Fabrikinhaber in den Gemeinden Rheydt, Süchteln, Gladbach, Viersen und Kaldenkirchen an König Friedrich Wilhelm III., 27. April 1817, in: Eisenhart-Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 69. Vgl. Hans-Joachim Hamann, Nationalökonomie und Öffentlichkeit im Rheinland und in Westfalen vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis 1830, Diss. Heidelberg 1967, S. 255 f.

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auf immerhin 38 gesenkt. Artikel 19 der Bundesakte vom 8. Juni 1815 sah die baldige Aufnahme von Beratungen über Handel, Verkehr und Schifffahrt zwischen den Staaten des Deutschen Bundes vor. Zu den entschiedensten Vertretern einer deutschen Einigung im wirtschaftlichen Bereich zählte Görres’ „Rheinischer Merkur“. Deutschland solle, forderte sein Herausgeber, auch auf dem Gebiet von Handel und Gewerbe „nur ein Staat“ und „nur ein Volk“ sein. Der Frankfurter Rat Johannes Heinrich Poppe schlug vor, dass die Fürsten, wie auf der politischen Ebene bereits geschehen, nun wirtschaftlich ebenfalls als „ein gemeinsamer Staat“ auftreten sollten. Doch die Bundesversammlung blieb weitgehend untätig.5 Anders als die borussische Geschichtslegende behauptete, war das von der preußischen Regierung am 26. Mai 1818 verabschiedete neue Zollgesetz nicht der geplante erste Schritt zum Zollverein und einer durch ihn zu erreichenden deutschen Nationaleinheit. Ihm lagen allein innerpreußische Motive zu Grunde. Doch die am 1. Januar 1819 in Kraft getretene Erhöhung der Zölle an den Außengrenzen – bei gleichzeitiger Aufhebung der Binnenzollgrenzen – löste eine lebhafte öffentliche Debatte über eine einheitliche deutsche Handelspolitik aus.6 So sprach sich der badische Finanzpolitiker Carl Friedrich Nebenius im April 1819 in einer vertraulichen Denkschrift an den badischen Landtag für ein gesamtdeutsches Zollsystem als „Vereinigungsmittel“ der deutschen Staaten aus.7 Auf dieser Linie lag auch der von einer Reihe von Kaufleuten auf der Frankfurter Ostermesse im April 1819 gegründete „Deutsche Handels- und Gewerbs-Verein“ (DHGV), die erste organisierte Interessenvertretung wirtschaftlicher Art im Deutschen Bund. Der Tübinger Staatswissenschaftsprofessor Friedrich List war sein Geschäftsführer.8 In Eingaben an die Bundes5

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Joseph Görres, Teutschlands Ansprüche, in: Rheinischer Merkur, Nr. 76 (23. Juni 1814). Johannes Heinrich Poppe, Deutschland auf der höchst möglichen Stufe seines Kunstfleißes und seiner Industrie überhaupt. Vorschläge, Wünsche und Hoffnungen zur Vermehrung des deutschen Wohlstandes, Frankfurt a.M. 1816, S. 7, 38. Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 10–17, 32. Ausführlich mit den wichtigsten Quellen: Eisenhart-Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 3–6, 23–82. Vgl. auch Arnold H. Price, The Evolution of the Zollverein. A Study of the Ideas and Institutions Leading to German Economic Unification between 1815 and 1833, Ann Arbor 1949, S. 108–119. C. F. Nebenius, Denkschrift von 1819, abgedruckt in: ders., Denkschrift für den Beitritt Badens zu dem zwischen Preußen, Bayern, Würtemberg, den beiden Hessen und mehren andern deutschen Staaten abgeschlossenen Zollverein, Karlsruhe 1833, Anhang, S. 15. Vgl. Geschichte des DHGV, in: Zollvereinsblatt, Nr. 8 (24. Februar 1846), S. 114–126, Nr. 9 (3. März 1846), S. 131–135; William O. Henderson, Friedrich List. Economist and

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versammlung verlangte der DHGV die Aufhebung der Zölle zwischen den Staaten des Deutschen Bundes. Das erflehe „die Stimme der ganzen deutschen Nation.“ Nachdem Deutschland durch die Bundesakte politisch eins geworden sei, müsse jetzt die „national-ökonomistische“ Einheit folgen. Zölle an den Grenzen des Bundes könnten die deutschen Stämme mit einem „Bruderbande […] umschlingen.“9 Es war dann erneut die preußische Regierung, die einige Jahre später Bewegung in die Frage der nationalen Wirtschaftseinheit brachte, als 1828 eine Zollunion mit Hessen-Darmstadt geschlossen wurde. Diesmal gab es durchaus machtpolitische Überlegungen von preußischen Regierungsmitgliedern im Zusammenhang mit einem Handelsverein, wie die geheime Denkschrift des preußischen Finanzministers Motz vom Juni 1829 belegt. Noch wichtiger als den „unvolkstümlichen Handelskrieg“ der deutschen Staaten untereinander zu beenden, erschien ihm die politische Dimension. Wenn Zölle die Folge politischer Trennung seien, „muss es umgewandt auch Wahrheit sein, dass Einigung dieser Staaten zu einem Zoll- und Handelsverbande zugleich Einigung zu einem und demselben politischen System mit sich führt,“ folgerte Motz.10 Die Macht des Handels, eine große Gruppe von Menschen zu verbinden, wurde in vielen Schriften der Zeit hervorgehoben. Dieses nationale Band könne die Deutschen fester verbinden als eine durch Waffen aufrechterhaltene Einigung. Den Grund dafür sah der Autor „B. W.“, hinter dem sich wohl ein hessischer Nationalliberaler verbarg, darin, dass die Deutschen ein Volk mit einem materiellen Interesse bildeten. Der Staat habe die Aufgabe, durch Zölle „wie bei der Pockenimpfung“ dort Patriotismus einzuimp-

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Visionary, 1789–1846, London 1983, S. 31–51; Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980, S. 81–86. Der Deutsche Handels- und Gewerbsverein an die Bundesversammlung, 14. April 1819, in: Eisenhart-Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 320–324. Organ für den deutschen Handels- und Fabrikanten-Stand, 10./24. Juli 1819; 2. Okt. 1819; 2. Jan. 1820, S. 1–4; 5./12. März 1820, S. 40–50. Memoire von Motz, Juni 1829, in: Eisenhart-Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 525–541, hier S. 527, 534, 541. Vgl. Heinrich von Treitschke, Aus den Papieren des Staatsministers von Motz, in: Preußische Jahrbücher 39 (1877), S. 398–422. Stefan Hartmann (Hrsg.), Als die Schranken fielen. Der Deutsche Zollverein, Berlin 1984, S. 14, sieht damit sogar „die Weichen für eine deutsche Zolleinigung unter der Vorherrschaft Preußens […] gestellt.“ Vgl. aber richtig Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49, 2. Aufl., München 1989, S. 130.

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fen, wo man ihn noch nicht kenne. Auch Schutzzollgegner wie der herzoglich braunschweigische Ober-Legationsrat Philipp von Amsberg hielten das politische Band allein für zu schwach, um Deutschland auf Dauer zusammenzuhalten. Es müsse durch die Nationalität und die Einbeziehung der „materiellen Interessen“ ergänzt werden, die beide im Volk wurzelten. Durch Handelsverträge und Schutzzölle solle ein „geschlossenes BinnenDeutschland“ geschaffen werden, so Johann Georg Reinwald. Andere wie der Nürnberger Bürgermeister Johannes Scharrer verglichen Deutschland mit einem Körper, durch dessen Arterien der Handel und Verkehr fließe; dagegen schnürten Zollbarrieren dem nationalen Leib die Adern zu und unterbanden so den lebensnotwendigen Blutkreislauf. Nur bei wirtschaftlicher Vereinigung, so auch ein „Mitglied der kurhessischen Ständeversammlung“, könne „der naturgemäße, zur Erhaltung eines kräftigen Lebens unerlässliche, Umlauf der Säfte in dem deutschen Staatenkörper erhalten werden.“11 Die weit verbreitete Meinung, dass ein enges Handelsbündnis für die politische Zusammenarbeit von Staaten nicht folgenlos bleiben könne, teilte auch Metternich. Wenn der Zollverein weiter wachse, werde Österreich irgendwann handelspolitisch isoliert und von den anderen deutschen Regierungen „als Ausland betrachtet“, warnte der österreichische Staatskanzler. Wirtschaftlich und politisch hielt er deshalb den Verein für eine Bedrohung Österreichs. Um dieser Entwicklung zu begegnen, regte er eine gesamtdeutsche Zollunion an. Auf diese Weise könnte die „öffentliche Meinung“ gewonnen werden, die viele Missstände auf die Tatsache zurückführe, dass Deutschland weiter von Zolllinien durchschnitten sei. Metternich scheiterte mit seinen Vorstellungen aber am Widerstand von Kaiser, Hofkammer und großen Teilen der Industrie. Seine Befürchtung, dass hier „der erste Keim zu einem Bunde im Bunde“ entstehe, sollte sich jedoch bewahrheiten.12 11

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B.W., Teutschlands politisches und moralisches Interesse, in: Heinrich Karl Hofmann (Hrsg.), Beiträge zur Erörterung vaterländischer Angelegenheiten, Darmstadt 1831, S. 224–290, hier S. 234, 261; Philipp August von Amsberg, Ueber die Einigung der Handels-Interessen Deutschlands, Braunschweig 1831, S. 7 f., 27; Johann Georg Reinwald, Kurze Betrachtungen über Deutschlands Einigung in seinen Merkantilinteressen, Mainz 1830, S. 33; Johannes Scharrer, Bemerkungen über den deutschen Zollverein und über die Wirkungen hoher Zölle in nationaloekonomischer Sicht, Nürnberg 1828, S. 6; Was soll und was kann Deutschland in Beziehung auf seine Zoll- und Mauthverhältnisse? Von einem Mitgliede der kurhessischen Ständeversammlung, Kassel 1830, S. 1, 12, 34. Metternich an Kaiser Franz I., 11. Juni 1831, in: Eisenhart-Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 2), Bd. 3, S. 164 f.; Bericht an Franz I., Juni 1833, in: Aus Metternichs nachgelassenen Papieren, hrsg. v. Fürst Richard von Metternich-Winneburg,

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II. Mittlerweile ist unstrittig, dass die Gründung des Zollvereins und der weitere Beitritt von Mittel- und Kleinstaaten hauptsächlich aus fiskalischen und innenpolitischen Erwägungen geschahen.13 Treitschkes berühmte Schilderung der Neujahrsnacht 1834, als die Schlagbäume zwischen vielen deutschen Staaten fielen und aus dem Nebel bereits die Umrisse des kleindeutschen Nationalstaates hervortraten, ist ein Teil der borussischen Geschichtslegende.14 Doch den Regierungsstellen war bewusst, dass der Zollverein angesichts der als Stillstand oder Rückschritt empfundenen Politik der Bundesversammlung bald einen nationalen Symbolwert erhielt, der von seinen Gründern nicht beabsichtigt worden war. In den Parlamenten und in der öffentlichen Debatte wurde der neue Handelsbund unter drei Gesichtspunkten diskutiert: seinen erhofften oder befürchteten konstitutionellen, ökonomischen und nationalen Auswirkungen.15 Die konstitutionellen Bedenken richteten sich trotz der unübersehbaren Zugeständnisse in der Frage der Organisation des Handelsbundes gegen Preußen. Kritiker sprachen bevorzugt vom preußischen Zollverein, Befürworter hingegen vom deutschen. Mit dem Freiburger Professor und badischen Abgeordneten Karl von Rotteck beharrte der hessen-darmstädtische Liberale Wilhelm Schulz darauf, dass die Einheit nur gleichzeitig mit der Freiheit verwirklicht werden dürfe, weshalb die politische der wirtschaftlichen Einigung vorangehen müsse.16

13

14

15 16

Bd. 5, Wien 1885, S. 502–519. Vgl. auch Geschäftsträger R. von Kast an Metternich, 28. April 1836, in: Gesandtschaftsberichte aus München 1814–1838. Abt. II: Die Berichte der österreichischen Gesandten, hrsg. v. Anton Chroust, Bd. 2, München 1950, S. 625 f. Vgl. Price, Evolution (wie Anm. 6), S. 254 f.; Hans-Werner Hahn, Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 52), Göttingen 1982, S. 108 f., 145, 149 f. Die zentrale Bedeutung fiskalischer Motive beim Zollvereinsbeitritt hat Dumke überzeugend herausgearbeitet: Rolf Horst Dumke, The Political Economy of German Unification: Tariffs, Trade and Politics of the Zollverein Era, Ph. D. diss. Madison 1976. Heinrich von Treitschke, Die Anfänge des deutschen Zollvereins, in: Preußische Jahrbücher 30 (1872), S. 648–697, hier S. 667, 694; ders., Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Teil 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III., Leipzig 1927, S. 370. Vgl. auch die Aufsätze von Hans-Werner Hahn und Henning Kästner in diesem Band. Vgl. Wilhelm Schulz, Deutschlands Einheit durch Nationalrepräsentation, Stuttgart 1832, S. 66–72, 95 f., 315; Karl von Rotteck, Vortrag über den Anschluß Badens an den preußischen Zollverein (1. Juli 1835 in der badischen Ständekammer), in: ders., Gesammelte und nachgelassene Schriften, Bd. 3, Pforzheim 1841, S. 321–339, hier S. 337 f.; Ueber das Anschließen an den preußischen Zollverband in politischer Hinsicht, in: Das Vater-

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Aus ökonomischen Erwägungen und weil der im Entstehen befindliche Handelsverein von überragender Bedeutung für die Zukunft eines geeinten deutschen Vaterlandes sei, rieten Nebenius, Heinrich von Gagern und viele andere Liberale den deutschen Mittelstaaten dringend zum Beitritt. Kein anderes Bindungsmittel, so der Berliner Historiker und Staatswissenschaftler Friedrich von Raumer, sei „umfassender, segensreicher, wirksamer als die so glorreich unternommene Vereinigung Deutschlands in einen großen, verbrüderten Handelsstaat.“17 Solche Äußerungen spiegeln die wachsenden Zweifel an der Reformfähigkeit des Deutschen Bundes oder gar an seiner nationalen Bindekraft wider, an die am Anfang der 1840er Jahre nur noch eine Minderheit der Nationalbewegung glaubte. Er wurde zunehmend als Hort der Stagnation betrachtet.18 Im Gegensatz zum Bund fand der als „fortschrittlich“ angesehene Zollverein immer größere öffentliche Zustimmung. Trotz aller Unzulänglichkeit und der Tatsache, dass nicht alle deutschen Staaten Mitglied waren, galt er besonders beim liberalen Bürgertum als Ersatz für die fehlende politische Einigung oder zumindest als erster Schritt dahin. Die wirtschaftlichen Erfolge des Handelsbundes waren zwar wichtig, doch für die Liberalnationalen stand eindeutig seine nationalintegrative Wirkung im Vordergrund. So war der Zollverein für Arnold Duckwitz, den Kaufmann und späteren Präsidenten der Bremer Bürgerschaft, weit mehr als eine Kooperation verschiedener deutscher Staaten auf dem Gebiet des Handels:

17

18

land. Blätter für Proposition und Opposition (25. April 1832), S. 129–131. Vgl. Manfred Meyer, Freiheit und Macht. Studien zum Nationalismus süddeutscher, insbesondere badischer Liberaler 1830–1848, Frankfurt a.M. 1994, S. 122–128; Hans P. Müller, Das Großherzogtum Baden und die deutsche Zolleinigung 1819–1835/36, Frankfurt a.M. 1984, S. 164–183, 248–261. Friedrich von Raumer, Ueber den Anschluß Sachsens an die deutschen Zoll- und Handelsvereine, in: ders., Vermischte Schriften, Bd. 1, Leipzig 1852 (urspr. 1833), S. 294– 316, hier S. 298. Vgl. auch: Nebenius, Denkschrift für den Beitritt, 1833 (wie Anm. 7); F. L. Runde, Auch ein Wort über Sachsens Anschluß an den Preußischen Zollverband, als Beleuchtung der jüngst von mehrern Kaufleuten dargestellten Schattenseite dieser Anschliesung, aufgenommen aus dem Standpuncte der sächsischen Landwirthe, Freiberg 1833; Heinrich von Gagern, Auszug aus seiner Rede im hessen-darmstädtischen Landtag, 3. Oktober 1833, in: Paul Wentzcke/Wolfgang Klötzer (Bearb.), Deutscher Liberalismus im Vormärz. Heinrich von Gagern: Briefe und Reden 1815–1848, Göttingen 1959, S. 121–128. Vgl. zu den durchaus vorhandenen Entwicklungspotenzialen des Deutschen Bundes den Aufsatz von Jürgen Müller in diesem Band.

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„Den wahrhaften Vaterlandsfreund muss es erfreuen, dass nunmehr die seit Jahrhunderten ersehnte deutsche Einigung des deutschen Volkes auf dem rechten Boden Wurzel gefasst hat, nämlich auf dem eines gemeinsamen Interesses in den Angelegenheiten der materiellen Wohlfahrt, denn gerade hierdurch und wohl nur hierdurch wird der Deutsche erfahren, dass er ein Gesamtvaterland hat. Er wird dieses lieben, weil es in seiner Gesamtheit ihn und sein irdisches Wohl schirmt und schützt, er wird dasselbe verteidigen, weil er nicht mehr bloß aus Sprache und Geschichte seine Verbrüderung mit den übrigen deutschen Völkerschaften erlernt, sondern weil er sie täglich erfährt.“19

Auch für andere war die deutsche Nation von einer Idee zu etwas materiell Greifbarem, von einer Vorstellung zu einer Realität, geworden. Anders als der Deutsche Bund, der sich lediglich um die äußere Form Deutschlands kümmere, habe der Zollverein das Nationalgefühl gestärkt und beruhe mehr als jede andere nationale Schöpfung auf der Zustimmung des Volkes, so Karl Steinacker 1844. Die mögliche Ablösung des Bundes durch den Zollverein bedeutete für den Präsidenten der braunschweigischen Ständeversammlung, dass das deutsche Volk eine andere politische Gestalt annähme: „Der Zollverein ist nun einmal vorzugsweise und tatsächlich die Heimat der Idee der Einheit geworden […]. Man wird sich immer mehr daran gewöhnen, namentlich im Auslande, unter Deutschland hauptsächlich das zollverbündete zu verstehen.“ Die Deutschen, schrieb List im Zollvereinsblatt, wollten eine „handgreifliche Nationalität.“ Der Zollverein schien genau das zu verkörpern. Er habe, erklärte 1842 Gustav Höfken, „die Idee des deutschen Volksthums aus dem Gebiete der Hoffnung und Phantasie in das der Wirklichkeit versetzt, die Idee der Nationaleinheit in lebendige Formen gegossen und verkörpert.“20 Über die ökonomischen Wirkungen hinaus wurden neue Verkehrswege, vermehrter Handel untereinander und der Zollschutz besonders zur Förderung der Industrie als „Kitt“, „Band“, „Bindeglied“ und „Zement“ der Na19

20

Arnold Duckwitz, Anschluss an den deutschen Zollverein (1834), in: Im Kampf für eine deutsche Wirtschaftsordnung. Wirtschaftspolitische Aufsätze, hrsg. von Adolf Krieger, Bremen 1942, S. 11–14, Zitat S. 11. Während der Revolution von 1848/49 war Duckwitz kurzzeitig Handelsminister in Frankfurt. Karl Steinacker, Die politische und staatsrechtliche Entwickelung Deutschlands durch den Einfluß des deutschen Zollvereins mit Bemerkungen über des Dr. Faber politische Predigten, Braunschweig 1844, S. 36; [Friedrich List], Die politisch-ökonomische Nationaleinheit der Deutschen, T. 2, in: Zollvereinsblatt, Nr. 48, 2. Dezember 1844, S. 957– 964, hier S. 960; Gustav Höfken, Der deutsche Zollverein in seiner Fortbildung, Stuttgart 1842, S. 533.

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tion betrachtet, die noch stärker und effektiver seien als die militärischen, kulturellen oder politischen Bänder. Mit Blick auf Freiheit und Fortschritt hielt die nach rechtlicher, sozialer und materieller Freiheit strebende nationale Bewegung häufig sogar den Bau einer neuen Verkehrsverbindung oder den Abschluss eines Handelsvertrages für bedeutender als einen Wahlsieg oder einen Abstimmungserfolg im Parlament, so Karl Biedermann.21 Konsequenter als andere vor ihm setzte Friedrich List im ökonomischen Bereich auf die Macht des Nationalismus. Schon bald nach seiner Rückkehr aus Amerika am Anfang der 1830er Jahre war er als Förderer des Eisenbahnbaus aktiv geworden. Der um Ostern 1841 erschienene erste und einzige Teil seines Hauptwerkes über „Das nationale System der politischen Ökonomie“ behandelte vor allem die Handelspolitik und den Zollverein. List entwarf darin ein nationales Entwicklungsprogramm, das der auf einer niedrigeren Stufe als England stehenden deutschen Nation zu wirtschaftlicher und politischer Ebenbürtigkeit verhelfen sollte. Gezielte Infrastrukturpolitik, Förderung von neuen Industrien sowie ein übergangsweise durch Zölle geschützter Binnenmarkt sollten Deutschland zu einer starken und unabhängigen Nation machen. Der seiner Meinung nach rein theoretischen und kosmopolitischen Lehre von Adam Smith wollte List mit seinem Werk eine historisch-politische und damit eine nationale Ökonomie entgegensetzen. „Nur aus der Einheit der materiellen Interessen erwächst die geistige und 21

Karl Biedermann, Die Fortschritte des nationalen Prinzips in Deutschland, in: Hans Fenske (Hrsg.), Vormärz und Revolution 1840–1849 (Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert; Bd. 4), Darmstadt 1976, S. 54–64, hier S. 62. Vgl. für die Jahre bis 1848 u.a.: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Der deutsche Zollverein (24. Februar 1840), in: ders., Werke, Teil 2, Berlin 1900, S. 19; Theodor Rohmer, Deutschlands Beruf in der Gegenwart und Zukunft, Zürich 1841, S. 57; P. A. Pfizer, Gedanken über Recht, Staat und Kirche, Bd. 2, Stuttgart 1842, S. 237 f.; Paul Sick, Übersichtliche Geschichte der Entstehung des großen deutschen Zollvereins, Diss. Tübingen 1843, S. 59; Ueber das gegenseitige Verhältniß der deutschen Staaten hinsichtlich der Verbindungsmittel, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 6 (1843) H. 2, S. 323–353, hier S. 314; Franz Klefeker, Die Politik des deutschen Zollvereins in bezug auf Schifffahrt, Handel und Fischerei, und die Hansestädte, Hamburg 1843, S. 56; Ernst von Bülow-Cummerow, Die europäischen Staaten nach ihren innern und äußern politischen Verhältnissen, Altona 1845, S. VIII, 233; Hermann Beckerath an Ludolf Camphausen, 16. Juni 1846, in: Joseph Hansen (Hrsg.), Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850, Bd. 2/Teil 1 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; Bd. 36), S. 59–61, hier S. 60; Die Aufgabe der Hansestädte gegenüber dem deutschen Zollverein, so wie in Bezug auf eine gemeinsame deutsche Handelspolitik. Commissions-Bericht an die vaterstädtische Section der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe, Hamburg 1847, S. 280 f.

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nur aus beiden die Nationalkraft,“ so List im „Nationalen System“ und stellte damit drei Ebenen der Nationsbildung gleichberechtigt nebeneinander. Lists unmittelbare Wirkung ist nicht nur von seinen Anhängern übertrieben worden. Obwohl der Einfluss auf die damalige Handels- und Wirtschaftspolitik gering war, sollte man jedoch das große öffentliche Echo auf das „Nationale System“ nicht unterschätzen. Das zeigen die zahlreichen Gegenschriften, die sich sehr an ihm orientierende Flugschriftenliteratur der 1840er Jahre und später die handelspolitischen Petitionen an die Paulskirche.22 Dass der Zollverein schon innerhalb weniger Jahre die Hoffnungen vieler Nationalisten beflügelte und außer der wirtschaftlichen eine vielleicht noch größere nationale Bedeutung gewonnen hatte, war auch das zentrale Ergebnis von John Bowrings berühmtem Bericht über den Zollverein an den britischen Außenminister Lord Palmerston aus dem Jahre 1840: Zunächst sei es den beteiligten Staaten um Handelserleichterungen gegangen. Doch mittlerweile sei der überaus populäre Zollverein zu einem Zeichen der nationalen Einheit geworden. Allgemein werde der Zollverein für den ersten Schritt zur „Germanisierung“ des Volkes, zu seiner politischen Nationalität gehalten: „Tatsächlich hat der Zollverein den Gedanken der deutschen Nationalität aus der Sphäre der Hoffnung und Phantasie in die Regionen positiver und materieller Interessen gebracht.“23 Man könnte u.a. mit dem Verweis auf Berger/Luckmann argumentieren, dass sich die Frage nach „Realität“, nach „Wirklichkeit“ immer nur als Frage der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ stellt. Keineswegs soll hier eine „Wirklichkeit“ einer „irrealen“ Welt der Ideen gegenübergestellt werden. Doch darf deshalb nicht übersehen werden, dass die Zeitgenossen eine solche Unterscheidung durchaus machten und dass diese nicht ohne Einfluss auf ihre Ideen und ihr Handeln blieb. Für viele manifestierte 22

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Friedrich List, Das nationale System der politischen Ökonomie, Berlin (Ost) 1982 (1841), S. 426. Wortgleich bei Gustav Höfken, Der deutsche Zollverein in seiner Fortbildung, Stuttgart 1842, S. 520. Zu List vgl. Henderson, List (wie Anm. 8); Keith Tribe, Friedrich List and the Critique of „Cosmopolitical Economy“, in: The Manchester School of Economics and Social Studies 56 (1988), S. 17–36; Hans Besters (Hrsg.), Die Bedeutung Friedrich Lists in Vergangenheit und Gegenwart, Baden-Baden 1990. John Bowring, Report on the Prussian Commercial Union, London 1840, S. 1, 7. Vgl. Samuel Laing, Notes of a Traveller on the Political State of France, Prussia, Switzerland, Italy and Other Parts of Europe, London 1842, S. 161; Ludwig von Kossuth, Ungarns Anschluß an den deutschen Zollverband, Leipzig 1842, S. 14; L. von Tegoborski, Über die Finanzen, den Staatscredit, die Staatsschuld, die finanziellen Hilfsquellen und das Steuersystem Österreichs, nebst einigen Vergleichungen zwischen diesem Lande, Preußen und Frankreich, Bd. 1, Wien 1845 (frz. 1844), S. 104.

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sich die „Nation“ im Zollverein und im wachsenden nationalen Austausch von Waren und Ideen. Im wirtschaftlichen Bereich wurde sie im Gegensatz zu einer rein sprachlich-kulturellen Gemeinschaft als „handgreiflich“ beschrieben. Damit war die „Nation“ nicht nur in Abgrenzung nach außen, sondern auch als Gemeinschaft nach innen zumindest vermittelt „erfahrbar.“24 Doch nicht alle innerhalb der liberalen Nationalbewegung betrachteten die nationalen Auswirkungen des Zollvereins positiv. Man kritisierte vor allem die preußische Dominanz, die undemokratische Organisation und die fehlende nationale Basis des Handelsbundes. Weil das Volk keine Mitsprache habe, sei er kein Nationalverein, und das eigentliche Ziel, die Einigung Deutschlands auf demokratischer Grundlage, noch weit entfernt. Wer werde, fragte der badische Abgeordnete Paul Achatius Pfizer, für den Zollverein in einen Krieg ziehen? Die ausführlichste und klügste Auseinandersetzung mit denjenigen, die vom Zollverein die deutsche Einheit erwarteten, waren die sogenannten „Dachpredigten“, die der Hannoveraner Staatsrat Gustav Zimmermann unter dem Pseudonym Dr. Faber veröffentlichte. „Faber“ hielt den Zollverein für ein ungeeignetes politisches Band, denn weder sei er auf die deutsche Nationalität gebaut, noch umfasse er das historische Deutschland. Zwar sei der Glaube weit verbreitet, die Gründer des Zollvereins hätten die deutsche Einheit im Blick gehabt, doch das Hauptziel sei in Wahrheit „ein gemeinsames Band der deutschen Länder in und durch Preußen“ gewesen. Außerdem sei der Handelsbund nicht demokratisch organisiert, habe keine Volksvertretung und schwäche als „Staat im Staate“ den Bund. Weil er nicht ganz Deutschland umfasse und weil Preußen Österreich nicht dabei haben wolle, berge der Verein die Gefahr der Spaltung.25 Karl Marx spottete in seiner „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, dass „die Deutschtümelei […] aus dem Menschen in die Materie gefahren [ist], und so sahen sich eines Morgens unsere Baumwollritter und Eisenhelden in Patrioten verwandelt.“ Doch weil sie nur nackte Interessenideologie 24

25

Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt a.M. 1997 (engl. 1966). Den Wandel des Nationalismus „von einem bloßen Deutungs- und Argumentationsmuster […] zu einer Erfahrung breiter Kreise der Bevölkerung”, in der die Nation zu einem „Erlebnis” wurde, betont auch Jörg Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen Nationalismus 1770–1840, Frankfurt a.M. 1998, S. 457, für den frühen deutschen Nationalismus. Politische Predigten, gehalten im Jahre 1843 auf verschiedenen Dächern der Hauptstadt ***, hrsg. v. G. Faber [Autor: Gustav Zimmermann], Leipzig 1843, S. 55, 357; Pfizer, Gedanken (wie Anm. 21), Bd. 2, S. 238.

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am Werk sahen und weil sie „materielle Interessen“ mit egoistischen gleichsetzten, unterschätzten Marx und auch Friedrich Engels die Macht der Nationsidee.26 Denn für die wirtschaftlichen Nationalisten im Vormärz folgte die angestrebte wirtschaftliche Einigung Deutschlands in erster Linie sprachlich-kulturellen und nicht ökonomischen Kriterien. Es gab keinen Primat der Wirtschaft. Der wirtschaftliche Nationalismus im Vormärz wurde mehr von liberalen Abgeordneten, Publizisten und Beamten getragen als von der Bourgeoisie. Für diesen Zeitraum wäre eine Trennung in „echte“ nationale Motive politischer und kultureller Art und solche, die lediglich als Verkleidung der Interessen des Wirtschaftsbürgertums dienten, eine nachträgliche und künstliche. Die Forderung nach einer nationalen Wirtschaft wurde in der Regel mit der nach politischer Einheit und Freiheit verbunden.27 Dass von einem Primat einseitiger ökonomischer Interessen nicht die Rede sein kann, zeigte sich auch bei der Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847, zu welcher der rheinische Industrielle David Hansemann führende süddeutsche und preußische Liberale eingeladen hatte. Hansemann war überzeugt, dass Deutschland durch eine materielle Vereinigung politisch untrennbar zusammenwachsen werde. Andere warnten davor, die Einheit ohne konstitutionelle Verfassung anzustreben. Das wurde aber nicht als Widerspruch angesehen. Nach Aussage Karl Mathys stimmte man schließlich überein, dass die deutsche Einheit „nur durch die Freiheit und mit derselben“ zu verwirklichen sei. Die wirtschaftliche Einheit wurde als geeigneter Ausgangspunkt und Weg dahin betrachtet, und die öffentliche Meinung sollte dafür gewonnen werden, den Zollverein zu einem „deutschen Vereine“ auszubauen. Auf den Deutschen Bund setzte kaum noch einer der Anwesenden.28

26

27 28

Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Deutsch-Französische Jahrbücher (1844), Leipzig 1981, S. 150–165, hier S. 155; Friedrich Engels, Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie, in: ebd., S. 166–195. Vgl. auch die Beiträge von Rudolf Boch und Heinrich Best in diesem Band. Die ausführlichste Schilderung ist Karl Mathy, Bericht über die Heppenheimer Tagung am 10. Oktober 1847, in: Fenske (Hrsg.), Vormärz (wie Anm. 21), S. 239–243, hier S. 241 f. Vgl. auch Friedrich Daniel Bassermann, Denkwürdigkeiten (1811–1855), Frankfurt a.M. 1926, S. 13–16; David Hansemann, Das Preußische und Deutsche Verfassungswerk, Berlin 1850, S. 73; Heinrich von Gagern, Heppenheimer Niederschrift, in: Wentzcke/Klötzer (Bearb.), Deutscher Liberalismus (wie Anm. 17), S. 400. Vgl. Roland Hoede, Die Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847, Frankfurt a.M. 1997.

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III. Die „Nationalisierung“ der „Wirtschaft“ und die allmähliche „Ökonomisierung“ der Politik erhielten theoretisch und praktisch im Vormärz und in der Revolution von 1848/49 einen weiteren Schub. Nicht nur die Anhänger von Friedrich List, sondern fast ausnahmslos alle wichtigen deutschen Ökonomen und Wirtschaftspublizisten akzeptierten jetzt die „Nation“ als die entscheidende wirtschaftliche Einheit. Anhänger aller handelspolitischen Ausrichtungen wurden nicht müde, die Notwendigkeit eines gemeinsamen deutschen Zollsystems zu betonen und Opfer für seine Verwirklichung zu verlangen. Aber nur in Bezug auf das Fernziel war die Handelspolitik tatsächlich einer der „Harmoniebereiche“ der Revolution, wie Dieter Langewiesche argumentiert hat. Denn die Auseinandersetzung über den Weg dahin und über die handelspolitische Ausrichtung einer künftigen deutschen Wirtschaftsnation wurde mindestens ebenso erbittert geführt wie in den Jahren zuvor, doch diesmal unter weit größerer öffentlicher Beteiligung.29 Am 24. Mai beschloss die Nationalversammlung in der Paulskirche die Einrichtung eines „Ausschusses für Arbeiter-, Handels- und Zollverhältnisse.“ Die Aufgabe des „Ausschuss für Volkswirtschaft“ oder „Volkswirtschaftlicher Ausschuss“ (VWA) genannten Gremiums erläuterte sein Vorsitzender dem Plenum am 3. Juni: Eine nur politische Verbindung sei leicht zerstörbar, so von Rönne, weshalb die materiellen Interessen der deutschen Staaten eng aneinandergeknüpft werden müssten. Kurze Zeit später drängten auch Höfken und andere darauf, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen eine baldige Entscheidung bezüglich der künftigen deutschen Handelspolitik zu treffen. Auch die deutsche Einheit werde dadurch erleichtert, „ja vielleicht allein ermöglicht.“30 Außer den Fragen, ob ein zollvereintes Deutschland schutzzöllnerisch oder freihändlerisch ausgerichtet sein sollte und ob diese Einigung schon 29

30

Dieter Langewiesche, Die deutsche Revolution von 1848/49 und die vorrevolutionäre Gesellschaft: Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: Archiv für Sozialgeschichte 21 (1981), S. 458–498, hier S. 491. v. Rönne, in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, hrsg. v. Franz Wigard, Bd. 1, Leipzig 1848/49, S. 195; Antrag Höfken, 5. Juni 1848, in: Verhandlungen der deutschen verfassungsgebenden Reichsversammlung zu Frankfurt am Main, hrsg. v. Konrad Dietrich Haßler, 1848/49/ND Vaduz 1984, Zitat S. 102. Vgl. einleitend zum VWA: Werner Conze/Wolfgang Zorn (Hrsg.), Die Protokolle des Volkswirtschaftlichen Ausschusses der deutschen Nationalversammlung 1848/49, Boppard a. Rh. 1992, S. 1–42. Kurzbiographien seiner Mitglieder in: ebd., S. 311–328.

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vor der politischen anzustreben sei, bildete das mit diesen Punkten eng zusammenhängende Problem der Zolleinigung mit Österreich das dritte handelspolitische Thema in der Paulskirche. Diese Themen spielten allerdings nur eine Nebenrolle in den Debatten der Nationalversammlung. Um die Jahreswende 1848/49 stand die Frage der deutschen Zolleinigung jedoch kurzzeitig im Zentrum, was nicht zuletzt auf die enorme außerparlamentarische Mobilisierung zurückzuführen ist.31 Nach neuen Berechnungen waren ca. 14 Prozent aller eingegangenen Petitionen handelspolitischer Art. Diese 3775 Petitionen, von denen sich etwa 90 Prozent für Schutzzölle aussprachen, wurden von annähernd 400.000 Menschen unterschrieben. Neun von zehn handelspolitischen Petitionen – die meisten gingen um die Jahreswende 1848/49 ein – waren vorformulierte Sammelpetitionen, für die in mindestens zwei Orten Unterschriften gesammelt worden waren. Diese Massenmobilisierung wurde teilweise durch Interessenverbände gesteuert.32 Der wichtigste Verband auf dem wirtschaftlichen und handelspolitischen Gebiet war der am 1. September 1848 in Frankfurt gegründete, schutzzöllnerisch orientierte „Allgemeine deutsche Verein zum Schutze der vaterländischen Arbeit“ (ADV), der vor allem auch durch Massenpetitionen Einfluss zu nehmen suchte.33 Trotz aller handelspolitischen Differenzen galt vielen die wirtschaftliche Einigung als Komplement der politischen Einheit Deutschlands. Nach Meinung anderer konnte diese nur Bestand haben oder überhaupt erst erreicht werden, wenn die Deutschen zumindest wirtschaftlich eine Nation geworden waren.34 Aus der Sicht des Präsidenten der Berliner Kaufmannschaft, 31

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33 34

Grundlegend zur Debatte über die nationale Wirtschaft in der Paulskirche: Best, Interessenpolitik (wie Anm. 8). Vgl. A. Finger, Die Schutzzollfrage 1848/49 und der Allgemeine deutsche Verein zum Schutze der vaterländischen Arbeit, Diss. Gießen 1937. Der VWA erhielt Petitionen aus 2563 Orten; bezieht man die mitpetitionierenden Orte ein, wächst die Zahl auf etwa 7250. Vgl. Heinrich Best, Struktur und Wandel kollektiven politischen Handelns: Die handelspolitische Petitionsbewegung 1848/49, in: Heinrich Volkmann/Jürgen Bergmann (Hrsg.), Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, Opladen 1984, S. 169–197; Best, Interessenpolitik (wie Anm. 8), S. 125–150; Werner Conze, Allgemeine Einleitung, in: ders./Zorn (Hrsg.), Protokolle (wie Anm. 30), S. 1–18. Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 8), S. 218–227, 233–240, 304–318; Finger, Schutzzollfrage (wie Anm. 31), S. 56–94. Vgl. Bemerkungen, betreffend die Vorbereitungen zur Herstellung einer einheitlichen Deutschen Handels- und Zoll-Verfassung, Frankfurt a.M., Mai 1848, S. 1; [Wilhelm Erdmann Florian von Thielau], Ueber gemeinsame materielle Interessen im deutschen Bundesstaate, insbesondere bei Abgaben vom Verkehr und Verkehrsmitteln, Frankfurt a.M., Aug. 1848, S. 5, 22; [Adolph Helfferich], Kann bei einer einheitlichen deutschen

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Heinrich Konrad Carls, war die deutsche Einheit mit Ausnahme vom sprachlichen und geistigen Bereich nirgends besser vorbereitet als im ökonomischen Bereich. Mit der Einigung der „reellen Interessen“ könne, so das Mitglied des VWA, eine dauerhafte Basis für die deutsche Einheit gelegt werden.35 Im VWA unterlag Mitte November der Antrag, ein besonderes Gesetz über die Einführung der Zolleinheit einzubringen, mit einer Stimme. Damit waren die Bemühungen innerhalb des VWA gescheitert, ungeachtet der politischen Situation die wirtschaftliche Einheit per Gesetzverfahren anzustreben.36 Zuvor waren schon andere Versuche, die Nationalversammlung zu konkreten Entscheidungen in dieser Frage zu bewegen, vergeblich geblieben. Mitglieder des VWA hatten die Notwendigkeit eines „Zoll-Provisoriums“ damit begründet, „dem Volke eine materielle Gabe darzubieten, in welcher es seiner großen Mehrzahl nach die tüchtigste Begründung und den besten Anfang der Einheit Deutschlands erblicken kann.“ Auf materieller Ebene könne man sich der Unterstützung des Volkes sicher sein, weshalb man hier „Vorarbeiten“ für die politische Einheit leisten sollte. Bei der Debatte über die deutsche Reichsverfassung Mitte Oktober wurde dann mit klarer Mehrheit Paragraph 33 angenommen, der das künftige deutsche Reich zu einem „Zoll- und Handelsgebiet […], umgeben von gemeinschaftlicher Zollinie, mit Wegfall aller Binnenzölle“ erklärte. Außerdeutsche Länder konnten ebenfalls ins Zollgebiet aufgenommen werden.37 Um den außerparlamentarischen Druck zu steigern, setzte der ADV auf Massenpetitionen. Zur Unterstützung seines Anfang 1849 vorgestellten eigenen „Zoll-Tarif für

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Handels- und Zollverfassung Hamburg aus der deutschen Zolllinie ausgeschlossen bleiben?, Frankfurt a.M., Sep. 1848, S. 50; Der deutsche Zoll- und Handelsverein, auf den allgemeinen Wohlstand habende Principien gegründet; mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse Hamburgs, Hamburg 1848, S. 3. H. C. Carl, Beiträge zu einer Erörterung der Frage über Differential- und Schutzzölle, den Herren Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft gewidmet von ihrem Vorsteher, Berlin 1848, S. 5, 31. Vgl. Conze/Zorn (Hrsg.), Protokolle (wie Anm. 30), S. 142–144, 165–185. Vgl. auch Finger, Schutzzollfrage (wie Anm. 31), S. 31–37. Antrag v. Reden, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GStAPK), Rep. 151 Pr. Finanzministerium III I. HA, Bd. 3, [S. 280–282], hier S. 281. Ausschussbericht über die deutsche Reichsverfassung, 19. Oktober 1848, in: Wigard (Hrsg.), Stenographischer Bericht (wie Anm. 30), Bd. 4 (1848), S. 2717–2738, hier S. 2734. Debatte über § 33–39 (Zoll- und Steuerfragen), in: ebd., Bd. 5 (1848), S. 3483– 3499.

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Deutschland“ sammelte der Verein bis zum Ende der Petitionswelle im März hunderttausende von Unterschriften.38 Es spricht viel dafür, die massenhafte Beteiligung an Petitionen handelspolitischer Art zu einem Zeitpunkt, als die Revolution selbst in den Augen vieler Zeitgenossen schon dem Scheitern entgegenging, auch damit zu erklären, dass die Schaffung der wirtschaftlichen Einheit in den Augen der Petenten zumindest ein Revolutionsziel verwirklicht hätte. Entsprechend groß war die Sorge über das künftige Schicksal des Zollvereins. In einer Erklärung des ADV vom Oktober 1849 wurde die Befürchtung ausgesprochen, dass nun auch das materielle Band des Zollvereins, der „vor wenigen Jahren noch allen Vaterlandsfreunden als der einzige Rettungsanker der Nationaleinheit erschien“, zerreißen könne. Doch folgte aus der politischen Niederlage nicht zwangsläufig das Ende der wirtschaftlichen Einigungshoffnungen. Verfassungen, Dynastien und der Deutsche Bund seien von der Flut der Revolution weggeschwemmt worden, schrieb rückblickend der österreichische Gesandte in Württemberg, Maximilian Freiherr von Handel, während der kaum geschwächte Zollverein bewiesen habe, „welch fester Kitt in der Verschmelzung der materiellen Interessen zu finden ist.“ Viele Liberale setzten ihre Hoffnungen erneut auf den Handelsbund und damit auf den Weg vom nationalen Markt zum nationalen Staat.39 Doch weil die Frage der „deutschen“ Wirtschaftsordnung nicht unabhängig von der politischen Ordnung und den geforderten Reformen beantwortet werden konnte und dem Streben nach einem geeinten, demokratischen und mächtigen deutschen Nationalstaat untergeordnet war, wurden die Diskussion über Wirtschaft und Nation zwischen 1849 und 1865 zunehmend in das Korsett des Dualismus gezwungen.

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Zoll-Tarif für Deutschland. Vorgeschlagen vom Allgemeinen deutschen Vereine zum Schutze der vaterländischen Arbeit, Frankfurt a.M., Jan. 1849. Die Petitionen in: Bundesarchiv Frankfurt, DB 58 Reichsministerium des Handels. Vgl. mit ausführlichen qualitativen und quantitativen Analysen der handelspolitischen Petitionen Best, Interessenpolitik (wie Anm. 8), S. 131–209, 291–304. Best, Struktur (wie Anm. 32), S. 176, schätzt die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung auf 40–50 Prozent; an Petitionen auf 20–25 Prozent! ADV-Erklärung, in: Augsburger Allgemeine Zeitung, 26. Okt. 1849 (Beilage), S. 4647 f.; Bericht des österreichischen Gesandten in Württemberg Maximilian Freiherr von Handel, 12. Apr. 1862, in: Helmut Böhme (Hrsg.), Vor 1866. Aktenstücke zur Wirtschaftspolitik der deutschen Mittelstaaten, Frankfurt a.M. 1966, S. 49–52, hier S. 49.

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IV. Nach der Revolution ging zunächst von Seiten Österreichs Bewegung in der Frage der Zolleinigung aus, was vor allem am neuen Handelsminister Karl Ludwig von Bruck lag. Ebenso wie Ministerpräsident Schwarzenberg war er der Überzeugung, dass die handelspolitische Frage untrennbar von der politischen war.40 Ende 1849 erschien eine Denkschrift Brucks, deren Ziel es war, „ein festes unlösbares Band um alle deutschen Staaten zu schlingen.“ In einer weiteren Denkschrift Ende Mai 1850 argumentierte er: „Ein deutscher politischer Verein muss in unserer Zeit auch zum Zollverein werden und umgekehrt.“ Die Schlussbetrachtung zu den gesammelt veröffentlichten Texten bezeichnete die wirtschaftliche Ebene als „wahrhaft fruchtbaren Boden der deutschen Einigung“, durch die allein eine politische Einheit erreicht und dauerhaft befestigt werden könne. Diese Position stoße in der „öffentlichen Meinung“, wo der gemeinsame Zollverein „als eine politische Notwendigkeit“ erscheine, auf große Zustimmung.41 Das traf besonders auf die wirtschaftsnationalistischen und großdeutschen Kreise zu. Der Erhalt des Zollvereins – ob mit oder ohne Zugehörigkeit Österreichs – hatte oberste Priorität, weil an ihm die bereits errungene deutsche Einheit abzulesen sei und weil er für den meistversprechenden oder sogar einzigen Weg zur Einheit der deutschen Nation gehalten wurde. Was auf politischem Wege in Frankfurt nicht durchgesetzt werden konnte, werde, das war die Überzeugung, durch die Macht der materiellen Interessen erreicht. Trotz seines Unbehagens in Bezug auf Preußen plädierte der bayerische Hofrat von Kerstorf sowohl für die wirtschaftliche Einbindung Österreichs, als auch für den Erhalt des Zollvereins. Dazu gebe es keine Alternative. Die handelspolitische Einheit Deutschlands beschrieb er als 40

41

Vgl. Schwarzenberg an Kübeck, 1. Juli 1850, in: Adolf Beer, Die österreichische Handelspolitik im neunzehnten Jahrhundert, Wien 1891, S. 542 f. Der von List beeinflusste Bruck war einer der Begründer der österreichischen Handelsschifffahrt und ein großer Förderer von Eisenbahnen. Zu Bruck vgl. Richard Charmatz, Minister Freiherr von Bruck. Der Vorkämpfer Mitteleuropas, Leipzig 1916. Zu den österreichischen Zolleinigungsplänen und der Diskussion bis 1853 vgl. Alfred Gaertner, Der Kampf um den Zollverein zwischen Österreich und Preußen von 1849 bis 1853, Straßburg 1911; Beer, Handelspolitik (wie oben), S. 83–135; Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 13), S. 256–276; sowie den Beitrag von Thomas J. Hagen in diesem Band. Denkschrift des kaiserlich österreichischen Handelsministers über die Anbahnung der österreichisch-deutschen Zoll- und Handelseinigung, 30. Dezember 1849, in: Charmatz, Bruck (wie Anm. 40), S. 163–177, hier S. 177; Denkschrift, 30. Mai 1850, in: ebd., S. 177–204, hier S. 181; Schlußbetrachtung, S. 230–241, hier S. 230 f., 235.

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eine „Vorbedingung und vielleicht auf lange Zeiten einzig möglichen Ausdruck einer großen deutschen Nation.“42 Der Tübinger Universitätsbibliothekar Karl Klüpfel, der sich insgesamt skeptisch in Bezug auf den Weg von der wirtschaftlichen zur politischen Einigung zeigte, schrieb dem Handelsbund zu, dass er zumindest teilweise die deutsche Einheit verwirklicht habe: Er habe viele daran gewöhnt, „Deutschland wenigstens unter dem Titel Zollverein als ein Ganzes zu denken.“ Damit implizierte Klüpfel, dass all jene „deutschen“ Staaten, die dem gemeinsamen Wirtschaftsverband nicht angehörten, künftig in der Öffentlichkeit nicht mehr unbedingt zu „Deutschland“ zählen könnten.43 Im Laufe des Jahres 1851 wendete sich das Blatt gegen Österreich, das bei den Dresdner Ministerkonferenzen vom Dezember 1850 bis Mai 1851 mit seinem Versuch scheiterte, den Eintritt des Gesamtstaates in den Bund durchzusetzen. Der Rücktritt Brucks setzte dann den Schlusspunkt unter die handels- und deutschlandpolitische Offensive Österreichs. Mit dem am 7. September 1851 abgeschlossenen Zollvertrag mit Hannover, dem Mitte November die Kündigung der Zollvereinsverträge folgte, gelang der preußischen Regierung der entscheidende Schlag. Preußen bot eine zwölfjährige Verlängerung der Zollvereinsverträge auf der Grundlage des sogenannten Septembervertrags an und wollte sich erst nach ihrem Abschluss auf Verhandlungen mit Österreich einlassen. Der Abschluss eines Handelsvertrags mit Österreich am 19. Februar 1853, der Verhandlungen über eine Zollunion ab 1860 in Aussicht stellte, machte nicht nur den Weg frei für die am 42

43

v. Kerstorf, Denkschrift über die Fortsetzung des deutschen Zoll- und HandelsVereines, Augsburg 1851, S. 4. Vgl. auch Denkschrift, die Zoll- und Handelsverhältnisse Deutschlands betreffend, Dresden 31. Dez. 1851, in: GStAPK, Rep. 151 Pr. Finanzministerium III I. HA, Nr. 6003, Bd. 3, [S. 5–8]; Vereinsblatt für deutsche Arbeit, (3. Nov. 1849), S. 151–153; (2. Feb. 1850), S. 59; Augsburger Allgemeine Zeitung 27. Nov. 1849 (Beilage); [Toegel], Die österreichisch-deutsche Zolleinigung, in: Augsburger Allgemeine Zeitung, 2. Nov. 1849 (Beilage), S. 4754 f.; Arnold Duckwitz, Die wirtschaftliche Einigung Deutschlands, handschriftliches Promemoria, Nov. 1850, in: Krieger (Hrsg.), Wirtschaftsordnung (wie Anm. 19), S. 68–70; J. C. Glaser, Die Handelspolitik Deutschlands und Oesterreichs nach ihren Grundlagen und in ihrem Verhältniß zu einander mit Bezug auf die vorgeschlagene Handels- und Zoll-Einigung zwischen Oesterreich und Deutschland, Berlin 1850; [Gustav Höfken], Deutschlands Zoll- und Handelseinigung mit Hinblick auf die österreichische Zollreform und die Dresdener Conferenzen, Regensburg 1851. Karl Klüpfel, Die deutschen Einheitsbestrebungen in ihrem geschichtlichen Zusammenhang dargestellt, Leipzig 1853, S. 447. Auf die große Bedeutung des Zollvereins als nationalem Hoffnungsträger nach 1848 verweist auch Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 13), S. 254 f.

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4. April erfolgende Verlängerung der Zollvereinsverträge, er bedeutete zugleich das vorläufige Ende der öffentlichen Diskussion über die nationale Wirtschafts- und Handelspolitik. Das zeigt erneut, wie eng die Debatte über Wirtschaft und Nation in den Jahren nach 1849 mit dem Erhalt des Zollvereins und dem Dualismus zusammenhing. Bis Mitte 1857 erschienen praktisch keine Streitschriften oder Aufsätze mehr zu diesen Themen. Ähnliches lässt sich für die nationale Debatte allgemein sagen. Der Hauptgrund liegt in der Tatsache, dass die nach der Niederschlagung der Revolution einsetzende Reaktion – trotz der Aufhebung der Zensur – die Opposition durch die repressive Kontrolle der gedruckten Meinung fast mundtod machte. Und dazu gehörten in der Regel auch diejenigen, die eine gesamtdeutsche Wirtschaft forderten.44 Aus wirtschaftsnationalistischer Sicht waren durchaus wichtige Erfolge erzielt worden, wenn auch das ursprünglich in der Nationalversammlung anvisierte Ziel zunächst aufgeschoben war. Der Zollverein war nicht nur verlängert, sondern auch um Hannover erweitert worden. Mit Österreich gab es einen Handelsvertrag, der für die 1860er Jahre zumindest auf dem Papier eine mögliche gesamtdeutsche Wirtschaftsnation und damit weiterhin die Chance auf eine großdeutsche Einigung in Aussicht stellte. Rückblickend bemerkte die „Vierteljahrsschrift“, das deutsche Volk habe den Vertrag als Mittel verstanden, über die „friedliche, aber unwiderstehliche Gewalt der materiellen Interessen den centrifugalen Hang des politischen Lebens der deutschen Nation zurück[zu]zwingen […] auf die Bahn der Einigung.“ Gemeinsame „Sprache und Race“ seien durch „die Leichtigkeit des wirklichen Verkehrs und die organische Verknüpfung der volkswirtschaftlichen Interessen“ ergänzt worden, um das Ziel einer deutschen Nation anzuvisieren.45 Der Glaube an die einigende Wirkung der Wirtschaft und des Zollvereins lebte fort, doch in den späten fünfziger Jahren wuchs allmählich die Skepsis, ob der Zollverein den Weg zur politischen Einheit weisen könne. Für die „Vierteljahrsschrift“ war er mittlerweile ein „stagnierender Sumpf.“ 44 45

Vgl. Wolfram Siemann, Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1849–1871, Frankfurt a.M. 1990, S. 196. Die Wiener Zollconferenzen, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 21 (1858) H. 3, S. 255–333, hier S. 264. Die Relativierung der Niederlage nicht zuletzt wegen der Zollvereinserfolge auch bei Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, S. 222, 225, und bei: Hagen Schulze, Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 1985, S. 98. Schulze sieht Deutschland seit 1849 „auf dem Weg zur Wirtschaftsnation“. Ebd., S. 95.

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Karl Mathy hielt den Handelsbund für zu brüchig, um als festes Fundament der Einheit dienen zu können. Dass der Zollverein große nationale Hoffnungen geweckt, sie bislang aber nicht erfüllt habe, meinte auch der Bremer Publizist und Nationalökonom Wilhelm Kiesselbach. Nachdem die Liberalen die Zolleinigung zunächst abgelehnt hätten, sei die einigende Kraft des deutschen Handelsbundes später von ihnen überschätzt und als Ausgangspunkt der staatlichen Einheit betrachtet worden. Nun sei es an der Zeit, sich diese Fehleinschätzung einzugestehen.46 Immer vehementer wurde nun die Reform und Demokratisierung des Zollvereins verlangt. Darin zeigt sich erneut, dass er weniger ein Instrument des Wirtschaftsbürgertums zur Realisierung seiner Profitinteressen als vielmehr ein Instrument der Nationalbewegung zur Realisierung ihrer liberaldemokratischen und nationalen Interessen sowie zur Überwindung des durch den Dualismus gelähmten Deutschen Bundes war. Der Zollverein sei „ein dem Particularismus abgewonnener Sieg“, der sich immer mehr zu einer „politischen Körperschaft“ entwickeln musste, befand der ehemalige Vorsitzende der Hamburger Kommerzdeputation F. H. Geffcken. Doch das große Problem sei seine Konstituierung durch einzelstaatliche Verträge, deren Auslaufen immer wieder Krisen auslöse. Vor allem mangele es ihm an einer Volksvertretung. Erforderlich sei deshalb eine Bundesreform, die den wirtschaftlichen mit dem politischen Bund vereine. Der Zollverein könne dann wie in der Vergangenheit „der Nagel am Sarge der gegenwärtigen Verfassung des deutschen Bundes“ sein, schrieb Mathy, der 1860 seinen Glauben an die einheitsstiftende Kraft des Handelsbundes wiedergewonnen hatte. Doch nicht eine Reform des Zollvereins oder seine nationalisierende Wirkung prägten die folgenden Jahre, sondern die preußische Kündigung der Zollvereinsverträge im Dezember 1863, die im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Handelsvertrag mit Frankreich stand.47 46

47

Vgl. Rechtsphilosophische Zeitgedanken über politische Bedeutung der Nationalität, historisches Recht, Autonomie und Polizeistaat, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 24 (1861), H. 1, S. 288–389, 341; Karl Mathy, Deutsche Interessen und deutsche Politik, in: Preußische Jahrbücher 2 (1858), S. 1–7; Wilhelm Kiesselbach, Handelspolitische Betrachtungen aus der Gegenwart, Teil 2, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 22 (1859), H. 1, S. 92–117, hier S. 97; ders., Die modernen Berufsklassen und die nationalstaatliche Einigung Deutschlands, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 23 (1860), H. 2, S. 93–145, hier S. 109, 111–113. Vgl. auch Anton von Gablenz, Die deutsche Einheit nach des Königs Worten aufgefasst, Breslau [1861], S. 5; Die Stellung der Industrie im heutigen Wirthschaftsleben, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 25 (1862), H. 2, S. 88–126, bes. S. 94, 118. F. H. Geffcken, Die Zukunft des Zollvereins, in: Preußische Jahrbücher 4 (1859), S. 397–421, hier S. 397, 402; Karl Mathy, Die Zukunft des Zollvereins, in: Die Grenzbo-

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Um seine deutschlandpolitischen Ziele zu verfolgen und die „Befreiung aus dem Netze der Bundesverträge“ zu erreichen, sollte Preußen nach Meinung des im September 1862 zum Ministerpräsidenten ernannten Otto von Bismarck den wirtschaftlichen und politischen Hebel beim Zollverein ansetzen. Dazu dienten der Ende März 1862 paraphierte Handelsvertrag mit Frankreich und die anstehende Erneuerung der 1865 auslaufenden Zollvereinsverträge.48 Die Auseinandersetzung um den preußisch-französischen Handelsvertrag ging nicht in einem Dualismusstreit auf. Während die preußische Regierung vor allem auf Machtgewinn aus war, hingen die nationalen Hoffnungen anderer immer noch am Zollverein und der Möglichkeit, durch die wirtschaftliche Einheit zur politischen zu gelangen, denn, so stellte eine Flugschrift klar: „Deutschlands Zolleinigung […] war bisher Deutschland.“49 Seine antiösterreichische Tendenz und die Gefahr der Spaltung des Zollvereins waren Hauptkritikpunkte am Handelsvertrag. Deutschlands Handelspolitik

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ten 19, H. 4 (1860), S. 1–11, 41–53, hier S. 50, 53. Vgl. W. A. Lette, Der volkswirtschaftliche Kongreß und der Zollverein, Berlin 1862, S. 8 f., 20; Ludwig Frauer, Die Reform des Zollvereins und die deutsche Zukunft. Zur Versöhnung von Nord und Süd, Braunschweig 1862, S. 39–47, 62, 64, 69, 142 f., 152. Weil er die Chancen für ein Bundesreformprojekt als äußerst gering einschätzte, hatte der Präsident des Deutschen Handelstages, Hansemann, bereits 1861 einen Entwurf für die Reorganisation des Zollvereins vorgestellt, als „Äquivalent“, eine Art „Abschlägzahlung“ für die nach Einheit verlangenden Deutschen. Hansemann, zitiert nach Roland Zeise, Die Rolle des Zollvereins in den politischen Konzeptionen der deutschen Bourgeoisie von 1859–1866, in: Helmut Bleiber (Hrsg.), Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzungen in Deutschland 1789–1871, Berlin 1977, S. 433–455, hier S. 442. Promemoria Bismarcks v. 25. Dez. 1862, in: Die auswärtige Politik Preußens. Hrsg. von der Historischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg. Abteilung 2: Vom Amtsantritt Bismarcks bis zum Prager Frieden. Bd. 3, bearb. von Rudolf Ibbeken, Oldenburg 1932, S. 136–140, hier S. 137 f. Zum Handelsvertrag und der Zollvereinskrise vgl. Helmut Böhme, Deutschlands Weg zur Großmacht: Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit 1848–1881, Köln 1966, S. 91– 183; Beer, Handelspolitik (wie Anm. 40), S. 206–309; Alfred Meyer, Der Zollverein und die deutsche Politik Bismarcks. Eine Studie über das Verhältnis von Wirtschaft und Politik im Zeitalter der Reichsgründung, Frankfurt a.M. 1986 (Diss. Freiburg 1958), S. 103– 175; Hahn, Geschichte (wie Anm. 5), S. 165–180; außerdem: Rudolph von Delbrück, Lebenserinnerungen, Bd. 2, Leipzig 1905, S. 199–368. H. H., Die Zukunft des deutschen Zollvereins, München 1862, S. 4. Vgl. Jahresberichte der Handelskammern für 1862, S. 84 (Handelskammer Elberfeld/Barmen). Das preußische Vorgehen befürworteten u.a. der Hamburger Freihandelsverein, der Hamburger Professor Ludwig Aegidi, der Präsident der Zweiten nassauischen Kammer und neue Vorsitzende des Kongresses der Volkswirte, Karl Braun, Heinrich von Gagern sowie der Linksliberale Heinrich Bernhard Oppenheim mit seinen seit Oktober 1861 in Berlin erscheinenden „Deutschen Jahrbüchern für Politik und Literatur.“

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solle anders als bei dem zum Freihandel tendierenden Handelsvertrag auf ewig „Nationale Gesinnung und Schutz der Arbeit“ auf ihre Fahne schreiben, forderte etwa ein anonymer „Nicht-Industrieller“ aus Elberfeld. Schwerer wiege aber die Bedrohung des Zollvereins, der den Weg zur „politischen Nationalität“ gebahnt und das deutsche Volk „germanisiert“ habe. Er sei weit wichtiger als der Handelsvertrag, denn „wie […] wäre ohne eine handels-politische Einigung, die politische nur denkbar?“ Im Auftrag des „Comités der Gegner des Vertrags“ verfasste Carl Deffner im März 1863 ebenfalls eine kritische Stellungnahme. Verträge mit dem Ausland müssten nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in Bezug auf ihre politischen Folgen untersucht werden, denn die nationale Frage sei die wichtigste. Der zur Diskussion stehende Handelsvertrag gefährde nun aber ausgerechnet den Zollverein, der „in praktisch anschaulicher Weise“ die Idee eines geeinten Vaterlandes beim deutschen Volk „verbreitet und unbezwinglich“ gemacht habe. Man halte ihn für den „zähesten Kitt für das politische Zusammengehen.“ Weil er die dauernde handelspolitische und damit die politische Abtrennung Österreichs bedeute, sei der Handelsvertrag nicht im nationalen Interesse.50 Deutliche Worte gegen das preußische Vorgehen fand auch der fast siebenhundert Seiten lange „Bericht der volkswirtschaftlichen Commission“ der Württemberger Abgeordnetenkammer, den Moritz Mohl verfasst hatte. Sowohl aus wirtschaftlichen wie aus nationalen Gründen gab es für die volkswirtschaftliche Kommission nur ein klares Nein zum Handelsvertrag.51 50

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Der Handels-Vertrag zwischen Frankreich und dem Zollverein. Ein Beitrag zur Lösung der handelspolitischen Wirren von einem Nicht-Industriellen, Elberfeld 1862, S. 66 f., 72, 101; Carl Deffner, Der französisch-preußische Handelsvertrag, Stuttgart 1863, S. 5 f. Vgl. auch Schäffle, Der preußisch-französische Handelsvertrag, volkswirthschaftlich und politisch betrachtet, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 25 (1862), H. 2, S. 254–378; Karl Arnd, Die deutsche Bundesreform und der deutsch-französische Handelsvertrag, Frankfurt 1863; Joseph Haller, Handelsvertrag und Zollverein, zugleich Beantwortung der Frage: Kann Preußen den Zollverein sprengen?, München, April 1863. Vgl. Henning Rischbieter, Der Handelsvertrag mit Frankreich und die Zollvereinskrisis (1862–1864) in der öffentlichen Meinung Deutschlands, Diss. Göttingen 1952. [Moritz Mohl], Bericht der volkswirtschaftlichen Commission der württembergischen Kammer der Abgeordneten über den preußisch-französischen Handelsvertrag und über die im Zusammenhang damit abgeschlossenen weiteren Verträge, Stuttgart 1863, S. 10 f., 640, 654 f., 673. Vgl. auch: Die Zolleinigung mit Oesterreich, in: Deutsche Vierteljahrsschrift 25 (1862), H. 4, S. 296–376; Der französisch-preußische Handelsvertrag. Ein Mahnruf an alle Freunde des Vaterlandes, insbesondere an die Mitglieder der deutschen Ständekammern, Leipzig 1862; Oesterreich’s Eintritt in den deutschen Zollverein. Eine Stimme aus Mittel-Deutschland für die Einigung mit Oesterreich im Interesse Deutschlands, Döbeln 1862; Der preußisch-französische Handelsvertrag und die Zolleinigungs-

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Die nationalen Vereine vertraten besonders in der Österreich-Frage unterschiedliche Positionen, doch es herrschte allgemein die Übereinstimmung, dass die handelspolitische und die Bundesreformfrage gemeinsam gelöst werden müssten. Für den „Reformverein“ lag in der Zolleinigung auch „der Kern der Frage von der deutschen Bundesreform.“ Nur auf der „Interesseneinheit“ der deutschen Staaten lasse sich erfolgreich die politische Einheit errichten.52 Der „Nationalverein“ bezog keine eindeutig propreußische Position. Zwar begrüßte er den Handelsvertrag zunächst, doch bei der Diskussion der deutschen Zolleinigungspläne in der „Wochenschrift“ wurden beide Großmächte kritisiert. Der Zollverein, den die „Nation selber als Basis einer politischen Neugestaltung“ betrachte, müsse zunächst aufgelöst und dann, erweitert um eine Volksvertretung und das Mehrheitsprinzip, neu organisiert werden. Löse man den Deutschen Bund ebenfalls auf, könnten beide gemeinsam zu einem Bundesstaat werden. Auch im „Nationalverein“ wurde nicht streng zwischen „wirtschaftlichen“ und „politischen“ Fragen unterschieden. Einer ökonomischen Einigung, so die Überzeugung, werde die politische automatisch folgen und umgekehrt. Engere ökonomische Verbindungen zwischen den deutschen Staaten seien deshalb mehr als „die augenblickliche Befriedigung eines speziellen dringenden nationalen Bedürfnisses“, sie stellten einen machtvollen „Hebel“ für die Einigung, einen starken „Kitt für die zerstreuten Glieder der Nation“ dar.53 Im Oktober 1862, beim 2. Deutschen Handelstag in München, stand das Thema ebenfalls auf der Tagesordnung. Die nationale und einigende Kraft der materiellen Interessen als „Kitt des Bundes“ sowie die Tatsache, dass

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vorschläge Österreichs, gewürdigt von treuen Freunden des Zollvereins, ihres engeren Vaterlandes Baden und des großen deutschen Gesammtvaterlandes, Freiburg 1862; [A. E. Wollheim da Fonseca], Einige politische Betrachtungen, angestellt bei Gelegenheit eines unpolitischen Handelsvertrags, Leipzig 1862. Wochenblatt des Deutschen Reformvereins (19. Juni 1864), S. 193. Vgl. Willy Real, Zur Geschichte der Bundesreformbestrebungen in den Jahren 1859–1862, in: Kurt Stephenson u.a. (Hrsg.), Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Bd. 4, Heidelberg 1963, S. 152– 258, bes. S. 240–249. Wochenschrift Nr. 105 (2. Mai 1862), S. 856–858; Nr. 121–124 (22. Aug.–12. Sep. 1862), S. 1002–1004, 1010–1012, 1026–1028, 1035–1037, Zitat S. 1003; Nr. 126 (26. Sep. 1862), S. 1060 f.; Nr. 200 (25. Feb. 1864), S. 1694 f.; Nr. 216 (16. Juni 1864), S. 1826 f.; (29. Nov. 1861), S. 681 f., 687 f., Zitat S. 682. Zur handelspolitischen Debatte im Nationalverein vgl. Andreas Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein 1859–1867. Vorstands- und Ausschussprotokolle (Veröffentlichung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien), Düsseldorf 1995, S. 259–272.

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sich im Zollverein „zum ersten und einzigen Male eine deutsche Einheit“ gezeigt habe, wurden wiederholt beschworen – mit antiösterreichischer Stoßrichtung: Nur das „reine“ Deutschland solle den Zollverein bilden, sonst höre dieser auf, ein deutscher zu sein. Alle wünschten sich, „die deutsche Zolleinigung, und nur die deutsche Zolleinigung“, so Otto Michaelis. Deshalb dürften nur die deutschen Teile Österreichs beitreten. Damit stellte der Mitherausgeber des Organs des Kongresses deutscher Volkswirte ebenfalls „nationale“ vor ökonomische Erwägungen. Denkbar knapp, mit 96 zu 100 Stimmen, unterlagen schließlich diejenigen, die einem Abschluss des Handelsvertrages erst nach Verhandlungen über die gesamtdeutsche Zolleinigung zustimmen wollten.54 Im Laufe des Jahres 1864 erklärten die Vereinsstaaten ihre Zustimmung zu den neuen Zollvereinsverträgen und erteilten damit auch dem preußischfranzösischen Handelsvertrag ihren Segen. Nachdem wenige Wochen zuvor Österreich lediglich noch einen Handelsvertrag mit dem Zollverein zu verschlechterten Bedingungen erhalten hatte, wurde der deutsche Handelsbund schließlich am 16. Mai 1865 um zwölf Jahre verlängert. Obwohl sie damit indirekt Stellung gegen Österreich bezogen, hatte nicht zuletzt die immer größere wirtschaftliche und fiskalische Abhängigkeit der Mittelstaaten diese in Richtung Preußen gedrängt.55 Das preußische Kriegsziel von 1866 war nicht die nationale Einigung, sondern „Großpreußen“ gewesen. Doch mit dem Prager Frieden im August 1866 wurde ein großer Schritt zur „Lösung“ der „deutschen Frage“ getan: Kaiser Franz Joseph I. erklärte sein Einverständnis mit der Auflösung des Deutschen Bundes und einer Neugestaltung Deutschlands ohne Österreich. „Deutschland war“, so hat es Heinrich Lutz treffend beschrieben, „semantisch und staatsrechtlich zu einer Sache außerhalb Österreichs geworden.“56 54

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Verhandlungen des Zweiten deutschen Handelstages zu München, vom 14. bis 18. Oktober 1862, Berlin 1862, S. 17, 23, 31, 35 f., 38–42, 48 f., 79; Der Deutsche Handelstag 1861–1911, Bd. 1, Berlin 1911, S. 361–375. Vgl. Biefang (Hrsg.), Nationalverein (wie Anm. 53), S. 265–272. Zu den Mittelstaaten und ihrer wachsenden Abhängigkeit vgl. Wolfgang Zorn, Die wirtschaftliche Integration Kleindeutschlands in den 1860er Jahren und die Reichsgründung, in: Historische Zeitschrift 216 (1973), S. 304–334; Hans-Werner Hahn, Die deutschen Mittelstaaten und der preußisch-französische Handelsvertrag 1862, in: Raymond Poidevin/Heinz-Otto Sieburg (Hrsg.), Aspects des relations franco-allemandes à l'epoque du Second Empire 1815–1866, Metz 1982, S. 105–122. Heinrich Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815–1866 (Siedler Deutsche Geschichte; Bd. 8/Die Deutschen und ihre Nation; Bd. 2), Berlin 1985, S. 471.

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Selbst während und gleich nach den kriegerischen Auseinandersetzungen war für viele die einheitsfördernde Bedeutung des Zollvereins noch nicht passé. Dieser war nicht nur erhalten worden, sondern hatte selbst während des Krieges seine Funktionstüchtigkeit erwiesen. Die sich auf dem Schlachtfeld gegenüberstehenden Mitgliedsstaaten – Hannover, Sachsen, die süddeutschen und die hessischen Staaten kämpften auf Seiten Österreichs – hielten sich an die Verträge und überwiesen ihre Beiträge weiterhin an das Berliner Zentral-Rechnungs-Büro. Der Zollverein hatte erneut, auch als nationales Symbol, eine gefährliche Krise fast unbeschadet überstanden.57 Die neuen Zollvereinsverträge wurden im Juli 1867 abgeschlossen. Zwei nach dem Mehrheitsprinzip funktionierende Gremien, ein Zollbundesrat mit Vertretern der Mitgliedsstaaten sowie ein Zollparlament aus 297 Vertretern des Norddeutschen Bundes und 85 süddeutschen Abgeordneten entstanden neu. Wie der Zollverein zuvor, wurde das Zollparlament vor allem in den Augen der Nationalliberalen zum Ausgangspunkt der immer noch unerreichten politischen Einigung Deutschlands. Der von der Verfassung nicht gelieferte Kitt seien die „materiellen Interessen“, schrieb der „Zollverein“. Erneut werde die Wirtschaft der Politik den Weg bereiten: Wie aus dem Zollverein der Norddeutsche Bund hervorgegangen sei, werde sich der neue Zollverein als „Embryo […] des wirklich und wahrhaftig einigen deutschen Vaterlandes“ erweisen. Die Nationalliberalen scheiterten jedoch mit einem Antrag im Zollparlament, durch den Zollverein eine „vollständige Einigung des ganzen Deutschen Vaterlandes in friedlicher und gedeihlicher Weise“ zu erreichen. Dennoch blieben viele optimistisch. Laut den „Preußischen Jahrbüchern“ war das deutsche Einheitsstreben in dem Glauben auf das Zollparlament gerichtet, „auf dem friedlichen Wege parlamentarischer Entwickelung das Werk der Einheit zu vollenden.“ Das gelang jedoch nicht.58

57

58

Vgl. auch: Der Zollverein: Zeitschrift für Handel und Gewerbe; zugl. Organ des Handels- und Gewerbevereins für Rheinland und Westfalen. Elberfeld, 1865–1868, Nr. 52 (29. Dez. 1866). Der Zollverein, Nr. 7 (16. Feb. 1867); Nr. 29 (20. Juli 1867). W. Wehrenpfennig, Die erste Session des Zollparlaments, in: Preußische Jahrbücher 21 (1868), S. 698–709, hier S. 698, 700. Vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 5), S. 181–188.

122

ANDREAS ETGES

V. Immer wieder wurden der handelspolitischen Frage und dem Zollverein die entscheidende Rolle bei der Schaffung der deutschen Einheit und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs zugeschrieben. Dieser Mythos des direkten Weges von der Wirtschafts- zur Staatsnation ist besonders eng mit Heinrich von Treitschke verbunden, der damit die von Preußen vollzogene Reichsgründung rühmte und als historisch folgerichtig rechtfertigte. Für den österreichischen Historiker Heinrich Benedikt ging die deutsche Einheit „aus dem Zollverein hervor“; die österreichische Niederlage sei durch die handelspolitischen Fakten bereits vor 1866 entschieden gewesen. Der Primat der Wirtschaft ist auch die Hauptthese von Böhmes Studie, in welcher der militärische Sieg Preußens die schon vorher feststehende kleindeutschpreußische Reichsgründung lediglich bestätigte.59 Doch es gab weder 1866 noch 1870/71 einen ökonomischen Zwang zu Kleindeutschland. Das bedeutet nicht, dass die entstehende kleindeutsche Wirtschaftsnation und der Zollverein ohne Auswirkungen auf die politische Entwicklung geblieben wären. Unter Deutschland werde immer mehr das zollverbündete Gebiet verstanden, war bereits im Vormärz zu lesen. Die zunehmende öffentliche Identifikation des Zollvereins mit „Deutschland“ bedeutete, dass sich diejenigen, die dieser Form der deutschen Einheit fernblieben, nicht nur zolltechnisch isolierten. Das zeigte sich deutlich an Österreich, wo Metternich bereits 1831 vor der Entstehung eines „Bundes im Bunde“ gewarnt hatte. Während der Handelsbund durch seine tatsächlichen und die ihm zugeschriebenen Wirkungen die Herausbildung des kleindeutschen Nationalstaats in hohem Maße förderte und auf gewisse Weise einen neuen Partikularismus verhinderte, wurde eine bundesstaatliche Lösung immer unwahrscheinlicher. Das wirtschaftliche Zusammenwachsen schuf eine Art „interner Logik“ (Kiesewetter), die schließlich die deutschen Staaten mit Ausnahme Österreichs drängte, die Lösung der nationalen Frage im Sinne Preußens zu akzeptieren.60 59

60

Gegen Treitschke bereits Oncken, Einführung, in: Eisenhart-Rothe/Ritthaler (Bearb.), Vorgeschichte (wie Anm. 2), S. 72, Anm. 69, 95 f. Heinrich Benedikt, Der Deutsche Zollverein und Österreich, in: Der Donauraum 6 (1961), S. 25–34, hier S. 25, 28 f. Hubert Kiesewetter, Economic Preconditions for Germany’s Nation-Building in the Nineteenth Century, in: Hagen Schulze (Hrsg.), Nation-Building in Central Europe, Lemington Spa 1987, S. 81–105, hier S. 103. Zur begrenzten „Einigungskraft“ der „Wirtschaft“ und zur Offenheit der deutschen Frage bis mindestens 1866 vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3 (wie Anm. 45), S. 251, 333–335. Die Zollvereinsverträge blieben

„DER ERSTE KEIM ZU EINEM BUNDE IM BUNDE“

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Es wäre aber falsch, der wirtschaftlichen Ebene den Primat bei der inneren und äußeren Nationsbildung in Deutschland zuzubilligen. Die Entscheidung über die Zugehörigkeit zum deutschen Nationalstaat und damit letztlich auch zur deutschen „Nation“ fiel auf dem Schlachtfeld. Und erst mit der vollzogenen politischen Einigung – unter Ausschluss Österreichs – bestimmte die Reichsverfassung in Artikel 33: „Deutschland bildet ein Zollund Handelsgebiet, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze.“

1871 in Kraft, waren jetzt aber staatsrechtlicher Natur. Erst 1888 traten Hamburg und Bremen bei, während Luxemburg bis 1919 dazugehörte.

Heinrich Best

DER KAMPF DER BAUMWOLLRITTER UND EISENHELDEN Schutzzollkonflikte und nationale Integration im frühindustriellen Deutschland

I. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins setzte ein Prozess der wirtschaftlichen Integration Deutschlands ein, der weithin als ein der politischen Integration und Staatsbildung auf dem Territorium des künftigen kleindeutschen Reiches fördernd vorauslaufender Vorgang beschrieben wird.1 Weit weniger verbreitet ist die Wahrnehmung, dass die Formierung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes von einem Kampf der Interessen und Ideologien um die Handelspolitik des Zollvereins und eines künftig geeinten Deutschlands begleitet war, der die Kontrahenten in regional scharf getrennte Lager spaltete. Zugleich entfaltete dieser Konflikt massenmobilisierende Wirkung und führte die deutsche Öffentlichkeit in einen in den wirtschaftlich und politisch fortgeschrittenen Gesellschaften des Westens leidenschaftlich geführten Streit um die Intervention der Staaten in den Außenwirtschaftsbeziehungen ein. In dieser Auseinandersetzung kam im Deutschland des Jahres 1848 zum ersten Mal das volle Repertoire moderner Interessenpolitik in einer unvermutet entwickelten, und – im Hinblick auf die Massenmobilisierung – erstaunlich erfolgreichen Weise zum Einsatz.2 Wie der junge Marx in der Einleitung seiner „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ bemerkte, wurde im Zuge dieser Entwicklung auch die deutsche Öffentlichkeit von einem lediglich „kritischen Zerfall mit der philosophischen Spiegelung moderner Staatszustände“ mit Nachdruck auf die „moderne politisch-soziale Wirklichkeit“ verwiesen:

1 2

Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, insbesondere S. 181–193. Vgl. Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980.

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HEINRICH BEST

„Das Verhältnis der Industrie, überhaupt der Welt des Reichtums, zu der politischen Welt ist ein Hauptproblem der modernen Zeit – unter welcher Form fängt dies Problem an die Deutschen zu beschäftigen? Unter der Form der Schutzzölle, des Prohibitivsystems, der Nationalökonomie. Die Deutschtümelei ist aus dem Menschen in die Materie gefahren, und so sahen sich eines Morgens unsere Baumwollritter und Eisenhelden in Patrioten verwandelt.“3

Wie konnte es geschehen, dass ein wirtschaftspolitisches Instrument, das im Werkzeugkasten der heutigen Ökonomen und Politiker weit unten liegt, in der zeitgenössischen ökonomischen Theorie und politischen Praxis eine solche eminente Bedeutung erhielt? II. Die moderne Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen nennt drei Gruppen von Gründen zur Rechtfertigung zollpolitischer Maßnahmen: – Strukturveränderungen im Bereich der Produktion und Konsumtion; – Wirkung auf die Ausnutzung der heimischen Ressourcen und die Zahlungsbilanz; – Veränderung der Einkommensverteilung zwischen Privaten sowie zwischen Privaten und Staat.4 Die beiden zuerst genannten Gründe bilden den Kern der Argumente für Schutzzölle, der erste ist zentral in Friedrich Lists Konzept des industriellen Erziehungszolls. Aber es waren nicht die auf Veränderungen der Produktions- und Konsumtionsstrukturen zielenden Effekte handelspolitischer Maßnahmen, sondern ihre verteilungspolitischen Implikationen, die sie in den 1840er Jahren zu einem zugleich hochkontroversen und massenmobilisierenden Thema machten. Hier war wiederum nicht die Übertragung privater Einkommen auf die zollerhebende Regierung, also der Fiskalzoll, sondern die Übertragung von Realeinkommen von Ausländern auf die Wirtschaftssubjekte des zollerhebenden Landes und die Veränderung der Realeinkommensverteilung unter diesen Wirtschaftssubjekten selbst von zentraler Bedeutung. Unter der Parole „Schutz der vaterländischen Arbeit“ entfalteten vor allem diese erwarteten Effekte außenhandelspolitischer Restriktio3 4

Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 1, Berlin (Ost) 1956, S. 382. Vgl. John Black, Zollargumente, in: Klaus Rose (Hrsg.), Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 3. Aufl., Köln 1971, S. 355 f.; Stephen P. Magee, International Trade and Distortion in Factor Markets, New York 1976.

DER KAMPF DER BAUMWOLLRITTER UND EISENHELDEN

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nen eine starke nationalintegrative und massenmobilisierende Wirkung, während sie zugleich scharfe Konflikte zwischen Wirtschaftssektoren, Wirtschaftsregionen und Produktionsstufen induzierten. Die politischen und sozialen Wirkungen des Konfliktes zwischen Schutzzöllnern und Freihändlern, in dem sich untrennbar Interessenstandpunkte und Wirtschaftsdoktrinen durchmischten, waren also höchst widersprüchlich. Er stellte die gesamte Vielfalt und den breiten Spannungsbogen sozioökonomischer und regionaler Interessenlagen im Handlungsraum des vormärzlichen Deutschland in das Licht der Öffentlichkeit. In den Jahren 1848/49 wurde er dann in einem buchstäblichen Sinne auf die Tagesordnung der „embryonischen Institutionen“ des sich in Frankfurt provisorisch etablierenden Bundesstaats gesetzt.5 Mit der Schutzzolldebatte der 1840er Jahre wurde auch in Deutschland ein Konflikt virulent, den Stein Rokkan als Spaltung zwischen den Interessen der Grundbesitzer und der industriellen Unternehmer zu den fundamentalen Spannungslinien zählte, die im Prozess der industriellen Revolution aufbrachen.6 Diese Debatte stand in engem Bezug zu den handelspolitischen Kontroversen, die sich seit den 1820er Jahren in Frankreich, Großbritannien und den USA entwickelt hatten. Das Werk von Adam Smith, David Ricardo, Frédéric Bastiat und Jean Baptiste Say auf freihändlerischer, von Alexander Hamilton, Mathew Carey und Daniel Raymond auf schutzzöllnerischer Seite bildeten ein den Atlantik überspannendes Inspirationsfeld für die deutsche Debatte, die allerdings zwei Besonderheiten aufwies: Zum einen fehlte in Deutschland der konsolidierte Gesamtstaat mit einem entwickelten und einheitlichen Binnenmarkt, der die Voraussetzung für die Etablierung eines Schutzzollsystems ist, wenn es seine erwünschten Wirkungen entfalten und zum Kern eines „Nationalen Systems der Politischen Ökonomie“ werden soll – um den Titel von Friedrich Lists Hauptwerk zu zitieren. Der Deutsche Zollverein, der ja bis Ende der 1840er Jahre noch nicht auf große Teile Norddeutschlands ausgedehnt war und niemals die österreichischen Gebiete des Deutschen Bundes umfassen sollte, war Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner territorialen Gestalt nur ein Torso. Zugleich fehlte ihm jede institutionalisierte Form wirtschaftlicher Interessenvermittlung.7 Die Zollvereinskongresse, die über die gemeinsamen Zolltarife entschieden, 5 6

7

Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 2), S. 241–279. Vgl. Stein Rokkan, Staat, Nation und Demokratie in Europa. Die Theorie Stein Rokkans aus seinen gesammelten Werken rekonstruiert und eingeleitet von Peter Flora, Frankfurt a.M. 2000, S. 366–385. Vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 1), S. 79–87.

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waren der Form nach reine Beamtenkonferenzen, ohne Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit oder Zugang der Interessenten. Da das im Zollverein dominante Preußen bis 1848 über keine gesamtstaatliche Repräsentation verfügte, war auch eine indirekte Einflussnahme über die einzelstaatlichen Parlamente nur in Süddeutschland wirksam. Die preußischen Provinziallandtage besaßen hier keine Kompetenz. Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass insbesondere die Schutzzollbewegung eng mit dem Ziel der nationalen Einheit Deutschlands und der Ausbildung einer gesamtstaatlichen Repräsentation mit entwickelten Partizipationsrechten und öffentlicher Meinungsfreiheit verbunden war. Friedrich List zählte sie in seinem „Nationalen System der politischen Ökonomie“ ausdrücklich zu den Produktivkräften.8 Für Deutschland charakteristische wirtschaftsnationalistische und sozialprotektionistische Akzente erhielt die Schutzzolldebatte durch Einflüsse des deutschen Idealismus und der politischen Romantik. Für den deutschen Idealismus war die Vorstellung einer Welt ungleicher, in Spannung und Kampf stehender Staaten und einer sozialen Fürsorgepflicht des Staates charakteristisch.9 Johann Gottlieb Fichtes „Geschlossener Handelsstaat“ und sozialkonservative Vorstellungen des politischen Romantikers Adam Müller hatten z.B. Vorlagen für Gustav von Gülichs 1845 in Jena veröffentlichtes Konzept eines auf Autarkie und Konservierung vorindustrieller Zustände zielenden Systems der Abschottung Deutschlands vom internationalen Wirtschaftsaustausch gebildet. Der Glaube an die Wirksamkeit außenhandelspolitischer Interventionen wird durch die Spannweite zwischen den Konzepten Lists und Gülichs evident. Sie reichte von der Forcierung industrieller Entwicklung bis zu deren Blockierung. Hier kann nicht systematisch die Frage erörtert werden, ob diese außenhandelspolitischen Eingriffe wirklich zielführend gewesen wären – die neuere wirtschaftshistorische Forschung betont eher die wachstumsinduzierenden Wirkungen der britischen Konkurrenz und spricht geradezu von einem Export der industriellen Revolution durch England.10 Es ist jedoch evident, 8 9

10

Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 2), S. 22–30. Vgl. Hajo Holborn, Der deutsche Idealismus in sozialgeschichtlicher Beleuchtung, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, 3. Aufl., Köln 1970, S. 85–108; Best, Interessenpolitik (wie Anm. 2), S. 26–30. Vgl. ebd., S. 67–80; Richard Hugh Tilly, Los von England: Probleme des Nationalismus in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 124 (1968), S. 179–196; Hans-Werner Hahn, Zwischen Fortschritt und Krisen.

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dass Schutzzollargumente und wirtschaftliche Wirklichkeit im Zollverein weit auseinanderklafften. Das gilt vor allem für den „Schutz der vaterländischen Arbeit“, d.h. einen arbeitskostenorientierten Schutzzoll, denn der Zolltarif des Zollvereins war bereits in hohem Maß an den Lohnkosten orientiert. Fertigwaren und landwirtschaftliche Produkte genossen hohe, z.T. prohibitive Zollsätze. Auch erzielte der Zollverein in den 1840er Jahren wachsende Exportüberschüsse für Fertigwaren. Die weitgehend ungeschützte Halbfertigproduktion hatte dagegen relativ geringe Arbeitskosten (ca. 9% der Gesamtkosten) und einen geringen Anteil an der Arbeitsbevölkerung (2%).11 Insofern war der „Schutz der vaterländischen Arbeit“ ein wirtschaftsnationalistisches Ideologem mit einer schwachen Begründung in den realen Verteilungswirkungen von Schutzzöllen. Vor allem ging es bei der Parole vom „Schutz der vaterländischen Arbeit“ wohl um Interessenaggregation und -mobilisierung. Tatsächlich bildete die Handelspolitik den wichtigsten Sammelpunkt der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehenden Interessenorganisationen des deutschen Wirtschaftsbürgertums. Diese wurden in ihrer Gründungsphase – und hier beschreibe ich eine Sequenz – vor Aufgaben der Definition, Akkommodation, Aggregation, Artikulation, Mobilisierung und Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gestellt, die durch parastaatliche Korporationen nicht erfüllt werden konnten. In der Bewältigung dieser Aufgaben entwickelten sich interessenpolitische Netzwerke, entstanden freie Interessenorganisationen, Medien der Öffentlichkeitsbeeinflussung und Wirtschaftsideologien mit erheblicher Öffentlichkeitswirkung, die das verbreitete und noch in Hans-Ulrich Wehlers Gesellschaftsgeschichte kolportierte Bild einer bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts stummen, schwachen und fragmentierten deutschen Bourgeoisie nachhaltig in Frage stellen.12 III. Die Anfänge der Formierung nichtkorporativer wirtschaftlicher Interessenorganisationen in Deutschland wurden – wenn man das landwirtschaftliche Vereinswesen ausklammert – lange Zeit auf die Phase nach der Revolution

11 12

Die vierziger Jahre des 19.Jahrhunderts als Durchbruchphase der deutschen Industrialisierung (Schriften des Historischen Kollegs: Vorträge; Bd. 38), München 1995. Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 2), S. 67–80, hier bes. S. 72. Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“: 1815–1845/49, München 1987, S. 208, 766.

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von 1848/49 datiert. James Sheehan sprach für die Jahre vor 1848 geradezu von einer „Gesellschaft ohne Parteien und Interessengruppen.“13 Während das Verbandswesen als „wesentlicher Ausdruck der politisch-ökonomischen Strukturverhältnisse“ entwickelter Industriegesellschaften bewertet wurde, sei in den vor- und frühindustriellen Phasen des 19. Jahrhunderts der geringe Bedarf organisierter Interessenartikulation durch korporative Organisationsformen, in erster Linie die Handelskammern und die kaufmännischen Korporationen, gedeckt worden.14 Der Eintritt der Interessenorganisationen in den Prozess der politischen Willensbildung wurde zum Teil erst auf den Zeitpunkt der Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts, das heißt in Deutschland auf die Jahre nach 1871, angesetzt. Noch in Wehlers Gesellschaftsgeschichte kommen der Schutzzollkonflikt der 1840er Jahre und die Frühgeschichte freier wirtschaftlicher Verbandsbildung nicht vor.15 Diese Sicht ignoriert jedoch den Kenntnisstand, den in Ansätzen bereits die Listforschung Anfang der 1930er Jahre über Entstehungsbedingungen, Organisationsformen, Rekrutierungsbasis, politische Einflussmöglichkeiten und Ideologien wirtschaftlicher Interessenorganisationen in Deutschland erreicht hatte.16 Ein Beispiel ist der „Deutsche Handels- und Gewerbsverein“, der über eine feste Organisationsstruktur mit einem hauptamtlichen Geschäftsführer verfügte und über mehrere Jahre hinweg wirkte. Seine Gründung während der Frankfurter Ostermesse 1819 markiert den Beginn freier wirtschaftlicher Interessenorganisation in Deutschland. Das Programm des „Deutschen Handels- und Gewerbsvereins“, der sich schon im Frühsommer in „Verein deutscher Kaufleute und Fabrikanten“ umbenannte, war im Wesentlichen von seinem Mitgründer und Geschäftsführer Friedrich List in Petitionen, Eingaben und Streitschriften formuliert worden. Es forderte die Beseitigung der innerdeutschen Zolllinien und die damit verbundene Einrichtung eines auf Retorsionen beruhenden Zollsystems gegenüber fremden Nationen. Bereits für den ersten deutschen Wirtschaftsver13

14 15 16

James Sheehan, Liberalismus und Gesellschaft in Deutschland 1815–1848, in: Lothar Gall (Hrsg.), Liberalismus, Köln 1976, S. 208–231; vgl. auch Hartmut Kaelble, Industrielle Interessenverbände vor 1914, in: Walter Ruegg/Otto Neuloh (Hrsg.), Zur soziologischen Theorie und Analyse des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1971, S. 162–180. Hans-Peter Ullmann, Interessenverbände in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988, S. 22–31. Wehler, Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2 (wie Anm. 12), insbes. S. 125–139. Vgl. hierzu insbesondere den Apparat der monumentalen Gesamtausgabe: Friedrich List, Schriften/Reden/Briefe, hrsg. von Erwin v. Beckerath u.a., 10 Bde., Berlin 1929– 1935. Vgl. auch William Otto Henderson, Friedrich List, Economist and Visionary 1789–1846, London 1983.

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band des 19. Jahrhunderts wurde damit die Außenhandelspolitik zum Gründungsanstoß und Hauptgegenstand interessenpolitischer Einwirkung. Dem „Verein deutscher Kaufleute und Fabrikanten“ gelang es in kurzer Zeit, ein Netz von 112 Korrespondenten in 78 deutschen und 10 schweizerischen Städten aufzubauen, die für die Akquisition von Spenden und Abonnenten sorgten und Informationen an den Vorstand weitergaben. Der Schwerpunkt interessenpolitischer Aktivitäten lag bei der Beeinflussung der diplomatischen Verhandlungen über eine wirtschaftliche Neuordnung Deutschlands, die unter Hinweis auf Artikel 19 der Bundesakte, der eine gemeinsame Ordnung von Handel und Verkehr für das Bundesgebiet verheißen hatte, ab Sommer 1819 in Wien in Gang kamen. Bis zum ergebnislosen Abbruch dieser Verhandlungen im Herbst 1820 war der erste Interessenverband deutscher Kaufleute und Fabrikanten ein politischer Faktor von beträchtlicher Bedeutung, der, wenn auch ohne offizielle Anerkennung, eine selbstbewusste Politik zugunsten der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder betrieb. Zugleich barg er ein Element des Fortschritts für die politische Entwicklung insgesamt. Die familiären und geschäftlichen Verbindungen der Großkaufleute, Verleger und Fabrikanten, die den Verein trugen, sorgten für ein Kommunikationsnetz des interessenpolitisch engagierten Bürgertums über ganz Deutschland. Vor allem waren es aber die großen Messen, während derer die notwendigen direkten Kontakte zur Mitgliederwerbung und Spendensammlung geknüpft werden konnten. Sie wurden in den 1840er Jahren erneut zu Foren wirtschaftlicher Interessenorganisation.17 Der „Deutsche Handels- und Gewerbsverein“ war dabei ein legendäres Vorbild: Noch im Mai 1848 wurde während der Leipziger Messe eine Neugründung unter gleichem Namen versucht. Aber erst der im September 1848 in Frankfurt gegründete „Allgemeine deutsche Verein zum Schutze vaterländischer Arbeit“ erreichte und übertraf mit der Massenmobilisierung handwerklicher, bäuerlicher und proletarischer Schichten in den Jahren 1848/49 die Öffentlichkeitswirkung seines Vorgängers. In den fast 30 Jahren zwischen beiden Vereinsgründungen, vor allem seit Beginn der 1840er Jahre, kam es jedoch zu mindestens sechs Verbandsgründungen zollvereinsländischer Fabrikanten, die vor allem in Süddeutschland in der Gestalt regionaler Fabrikantenvereine Erfolg und dauernden Bestand hatten. Der „Württembergische Fabrikantenverein“ bildete bis zum Tod Lists im Jahr 1846 die materielle 17

Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 2), S. 81–105.

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Basis seiner wirtschaftspolitischen Arbeit und der Herausgabe des „Zollvereinsblatts.“ Während es der Schutzzollbewegung seit Beginn der 1840er Jahre gelungen war, in der Form der Industrie- und Fabrikantenvereine mehrere Ansätze einer verbandsähnlichen Interessenorganisation zu entwickeln, lassen sich die Anfänge der Freihandelsvereine lediglich bis zum Ende des Jahres 1846 zurückverfolgen: Im Dezember dieses Jahres kam es auf Initiative von John Prince-Smith, einem an die preußische Ostseeküste emigrierten Engländer, in der Berliner Börse zu zwei Zusammenkünften von „industriellen und kommerziellen Notabilitäten und Gelehrten“, auf denen die Gründung eines „Deutschen Freihandelsvereins“ beschlossen wurde. Der Aufschwung der deutschen Freihandelsbewegung fiel mit einer Krise der Schutzzollbewegung zusammen, die durch das vorläufige Scheitern der Bemühungen sowohl um eine nationale Interessenorganisation als auch um eine Revision der Garnzölle gekennzeichnet war und ihren dramatischen Ausdruck im Selbstmord Lists (1846) fand. Auf der anderen Seite hatte die Freihandelsbewegung durch die Aufhebung der britischen Kornzölle weite internationale Publizität und eine Verbesserung ihrer ideologischen Ausgangsstellung erreicht. Die Europareise des Organisators der „Anti-Corn Law League“, Richard Cobden, die mit einem triumphalen Bankett in Hamburg endete, sorgte für zusätzlichen Auftrieb.18 Cobdens Freihandelsorganisation wurde in den am Englandhandel orientierten agrarexportierenden Regionen Nord(ost)deutschlands zum bewunderten Vorbild. Rückschauend kann festgehalten werden, dass sich in den Jahren zwischen 1841 und 1848 die organisatorischen Kerne der Freihandels- und Schutzzollbewegung formierten. Es bildete sich ein Fundus verbandspolitischer Erfahrungen und persönlicher Kontakte, der in den Jahren 1848/49 den schnellen Aufbau leistungsfähiger Interessenorganisationen auf nationaler Ebene ermöglichte. Zudem gelang es Freihandels- wie Schutzzollbewegung, eine Reihe von Zeitungen zu Plattformen ihrer interessenpolitischen Agitation zu machen und auf diesem Weg manche Unzulänglichkeiten und Rückschläge vormärzlicher Verbandspolitik teilweise zu kompensieren. Die Märzrevolution von 1848, der Zusammentritt der Frankfurter Nationalversammlung und die Errichtung der Provisorischen Reichszentralgewalt veränderten die Bedingungen wirtschaftlicher Interessenpolitik in Deutschland grundlegend. Das Ziel der Schaffung eines deutschen Natio18

Vgl. ebd., S. 102–105.

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nalstaats mit einem einheitlichen Marktgebiet schien greifbar nahe zu sein. Während die deutsche Wirtschaftseinheit ein Ziel war, das Freihändler und Schutzzöllner verband, wurde die von einem geeinten Deutschland zu betreibende Handelspolitik zum Anstoß eines fundamentalen und militant ausgetragenen Konfliktes.19 Nachdem sich die kaufmännischen Interessenvertreter bereits am 18. August 1848 im „Verein von Abgeordneten des Handelsstandes“ zusammengeschlossen hatten, wurde am 1. September 1848 mit dem „Allgemeinen deutschen Verein zum Schutze der vaterländischen Arbeit“ (ADV) auch eine Industriellenorganisation gegründet.20 Vorausgegangen waren informelle Gespräche, an denen sich außer bayerischen und württembergischen Spinnerei- und Webereibesitzern auch „rheinische Eisenhüttenleute“ beteiligt hatten. Der Einladung dieser Industriellen folgend, trat kurz nach der Eröffnung der Frankfurter Herbstmesse im Gasthof „Schwan“ die Gründungsversammlung zusammen. Die Teilnahme war auf dezidierte Anhänger der Schutzzollpolitik beschränkt; die beiden freihändlerischen Beobachter, der Publizist Benedikt Altvater und der Frankfurter Kaufmann Moritz Ellissen, wurden mit Eklat aus dem Saal gewiesen. Die erhaltene Liste der 64 Unterzeichner des Gründungsaufrufs lässt erkennen, dass der ADV personell an die vormärzlichen Ansätze industrieller Verbandsarbeit anknüpfte und die verschiedenen regionalen Fabrikantenund Gewerbevereine durch prominente Mitglieder vertreten waren. So beteiligten sich mit Bernhard Eisenstuck und Heinrich Böcking die ehemaligen Vorsitzenden eines 1843 gegründeten „Allgemeinen deutschen Industrievereins“, die dort zugleich als Repräsentanten der sächsischen Baumwoll- und der rheinischen Eisenindustrie aufgetreten waren; Friedrich Diergardt spielte ebenso wie Quirin Croon eine führende Rolle im „Rheinisch-westfälischen Gewerbeverein“, beide hatten als Interessenvertreter der rheinischen Textilindustrie an den Beratungen des Berliner Handelsamtes teilgenommen; der Bankier und Textilfabrikant Johann Georg Dörtenbach aus Calw war Vorstandsmitglied des „Württembergischen Fabrikantenvereins“ und hatte zu den Organisatoren der „Versammlung deutscher Gewerbetreibender“ vom September 1844 gehört; der Augsburger Industrielle Carl Forster hatte sich bereits als „Korrespondent“ am „Verein Deutscher Kaufleute und Fabrikanten“ beteiligt; Carl Maximilian Lossen war prominentes Mitglied des „Nassauischen Gewerbevereins“ und zugleich Sprecher der Eisenindustriel19 20

Vgl. ebd., S. 216–218, 284–291. Vgl. ebd., S. 218–223.

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len seines Landes; Louis Vetter-Koechlin hatte den „Verein der BaumwollFabrikanten des Zollvereins“ und gemeinsam mit Louis von Haber den „Badischen Industrieverein“ gegründet. Mit Theodor Tögel, dem Nachfolger Lists als Redakteur des „Zollvereinsblatts“ und dem Freiherrn von Cotta, Verleger Lists und Herausgeber der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“, gehörten auch die beiden führenden Publizisten der Schutzzollbewegung zu den Gründern des ADV. Insgesamt 24 der 64 Unterzeichner des Aufrufs hatten an den Versammlungen der zollvereinsländischen Baumwollfabrikanten im September 1841, des „Badischen Industrievereins“ im Juni 1845 und des „Rheinisch-westfälischen Gewerbevereins“ im Mai 1848 teilgenommen oder waren als Sprecher auf den „Versammlungen deutscher Gewerbetreibender“ aufgetreten. Das tatsächliche Potential verbandspolitischer Erfahrungen und Verbindungen, über das die Gründer des ADV verfügten, war jedoch mit Sicherheit weit größer, da von den „Versammlungen deutscher Gewerbetreibender“, den interessenpolitischen Zusammenschlüssen der Eisenindustriellen, dem „Nassauischen Gewerbe-“ und dem „Württembergischen Fabrikantenverein“ keine Mitglieder- oder Teilnehmerverzeichnisse überliefert sind. Als gesichert kann jedoch gelten, dass die Gründung des ADV von der interessenpolitischen Führungsgruppe des industriellen Bürgertums, die sich im Vormärz herausgebildet hatte, betrieben wurde. Unter dieser Voraussetzung überrascht es nicht, dass von den 53 Unterzeichnern des Gründungsaufrufs, für die Berufs- und Branchenzugehörigkeit ermittelt werden konnten, 38 (= 72%) der Montan- (14) oder der Textilindustrie (24) zugehörten. Vierzehn (= 22%) der Unterzeichner des Gründungsaufrufs waren Mitglieder des Frankfurter Parlaments oder rückten im Laufe der folgenden Monate in die Nationalversammlung nach. Das zeigt, dass auch auf Seiten der Industriellen die personelle Verflechtung zwischen Nationalversammlung und Interessenverband eng war, ohne dass Parlamentarier allerdings wie im Fall des gegnerischen „Clubs zur Beförderung der Grundsätze der Handelsfreiheit“ den Organisationskern gebildet hätten.21 Schutzzoll war tendenziell, wie die wenigen namentlichen Abstimmungen der Nationalversammlung zum Thema ausweisen, ein „linker“ Topos. Von den insgesamt 19 Mitgliedern des ADV in der Frankfurter Nationalversammlung gehörten 13 zur Linken oder zum Linken Centrum. Der Chemnitzer Kattundruckereibesitzer Bernhard Eisenstuck, der zu den Protagonisten der vormärzli21

Vgl. ebd., Tab. 4.3.1. – Tab. 4.3.4., S. 313–318.

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chen Schutzzollbewegung und den Gründern des ADV zählte, war einer der prominentesten Führer der parlamentarischen Linken.22 Die Schwerpunkte des regionalen Einzugsgebietes lagen mit 81% der Unterzeichner in West- und Süddeutschland. Während die gewerblichen Zentren der preußischen Provinzen Sachsen und Brandenburg nicht vertreten waren, kamen aus Rheinpreußen, Württemberg und Baden, den Hochburgen industrieller Interessenpolitik im Vormärz, allein 32 (= 58%) der 55 Gründungsmitglieder, deren Herkunft bekannt ist. Nur zehn Teilnehmer kamen aus Sachsen, Schlesien oder Thüringen. Die Gebiete nördlich einer Linie, die etwa von Münster bis Breslau reichte, waren überhaupt nicht, Österreich wurde nur durch drei Gründungsmitglieder vertreten. Insofern war der Anspruch des ADV, als „Allgemeiner deutscher Verein“ die gewerblichen Interessen des „Gesamtvaterlandes“ zu repräsentieren, reichlich hoch gegriffen. Zu vermuten ist, dass neben dem unterschiedlichen Stand verbandspolitischer Erfahrungen auch in diesem Fall das beschränkte Einzugsgebiet der Frankfurter Messe regionale Verzerrungen bewirkte. Die disparitätische Vertretung der verschiedenen Gewerberegionen, die bereits im Vormärz die Ansätze nationaler Verbandsgründungen der Industriellen belastet hatte, war jedenfalls auch für den ADV kennzeichnend. Es fällt auf, dass das regionale Einzugsgebiet seiner Gründungsversammlung annähernd dem Kernbereich der späteren schutzzöllnerischen Petitionsbewegung entspricht; ein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen verbandspolitischen Aktivitäten und interessenpolitischen Mobilisierungserfolgen. In den Wochen nach der Gründungsversammlung wurde die Forderung nach einem arbeitskostenorientierten Schutzzollsystem für das gesamte Bundesgebiet zum programmatischen Kern des ADV. Lists Konzept des industriellen Erziehungszolls wurde damit zugunsten einer Linie aufgegeben, die den ADV zum Kristallisationskern einer gruppenübergreifenden und im allgemeinen Sinne protektionistischen Sammlungspolitik bestimmte. Ein formeller Beschluss der ersten Generalversammlung bekräftigte diese neue agitatorische Leitlinie: „Das Gewicht der Massen“ sollte künftig den Forderungen Nachdruck verleihen und Schutzzollforderungen nicht „bloß [als] die Sache einer Klasse der Bevölkerung, sondern [als] eine durchaus nationale und das ganze Volk umfassende“ legitimieren.23 Mit diesem Ziel 22 23

Vgl. Heinrich Best/Wilhelm Weege, Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, 1. Aufl., Düsseldorf 1996, S. 133 f. Zitiert nach: Best, Interessenpolitik (wie Anm. 2), S. 226.

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wurde eine in der deutschen Verbandsgeschichte beispiellose interessenpolitische Massenmobilisierung betrieben. Die physisch umfangreichste, aber auch in ihrem wissenschaftlichen Gewicht bedeutendste Hinterlassenschaft des deutschen Schutzzollkonflikts sind die rund 3.800 handelspolitischen Petitionen mit etwa 400.000 Unterschriften, die vom Mai 1848 mit einem Höhepunkt im Winter 1848/49 bis zum März 1849 an die Nationalversammlung und ihren Volkswirtschaftlichen Ausschuss gesandt worden waren. Dies sind mehr als 10% aller an die Nationalversammlung gerichteten Petitionen, die damit einen der wichtigsten Topoi der Petitionsbewegung in den Revolutionsjahren überhaupt bildeten. Die Auseinandersetzung um Staatsintervention vs. Marktfreiheit, auf die sich der Schutzzollkonflikt reduzieren lässt, hatte also bereits damals massenbewegende Wirkung. Und bereits damals war die Position des Interventionismus, die Erwartung an einen Arbeit und Einkommen sichernden Staat, die weitaus populärere Variante. Die Befürworter protektionistischer Forderungen stellten mit 372.000 Unterschriften 93% der handelspolitischen Massenbewegung. Freihändlerische Eingaben brachten es dagegen nur auf 20.000 Unterschriften. Die handelspolitische Petitionsbewegung war im Wesentlichen das Ergebnis auf nationaler und regionaler Ebene zentral ansetzender Organisationsleistungen: Rund 90% aller Petitionen waren Sammelpetitionen mit vorformulierten Texten, von denen wiederum rund 90% vom ADV in Umlauf gebracht worden waren. Der Erfolg schutzzöllnerischer Massenmobilisierung beruhte auf einer weit über die Kerninteressenten hinausreichenden Sammlungspolitik. An rund 44% der schutzzöllnerischen Petitionen waren selbstständige Handwerker, an 34% waren Weinund Tabakbauern, an 30% gewerbliche Arbeiter, an 20% Landwirte, aber nur an 16% Fabrikanten und an 12% Kaufleute beteiligt.24 Der deutschen Freihandelsbewegung gelang es dagegen kaum, über ihren Interessentenkern bei Gutsbesitzern und Kaufleuten hinauszureichen. Regional waren Schutzzoll- wie Freihandelsbewegung auf klar abgegrenzte Kernbereiche beschränkt: Der Freihandelsbewegung gelang es nur in Mecklenburg, einen 24

Vgl. ebd., S. 121–208; ders., Organisationsbedingungen und Kommunikationsstrukturen politischer Partizipation im frühindustriellen Deutschland, in: Peter Steinbach (Hrsg.), Probleme politischer Partizipation im Modernisierungsprozess, Stuttgart 1982, S. 114– 134; ders., Struktur und Wandel kollektiven politischen Handelns: Die handelspolitische Petitionsbewegung 1848/49, in: Heinrich Volkmann/Jürgen Bergmann (Hrsg.), Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, Opladen 1984, S. 169–197.

DER KAMPF DER BAUMWOLLRITTER UND EISENHELDEN

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flächendeckenden Mobilisierungserfolg zu erzielen, während die Schutzzöllner in West-, Mittel- und Süddeutschland (hier ohne Österreich und Altbayern) einen Mobilisierungsgrad von mehr als 1% der Gesamtbevölkerung erreichten. Diese Entwicklungen lassen erkennen, dass die wirtschaftlichen Interessenorganisationen in den Jahren 1848/49 zwar auf vormärzliche Führungsgruppen und Organisationskerne zurückgreifen konnten, dass sie aber unter den grundlegend veränderten Bedingungen des nachmärzlichen Deutschlands den personellen und institutionellen Rahmen sprengten. Mit der Frankfurter Nationalversammlung und dem Reichsministerium des Handels standen einer organisierten interessenpolitischen Einflussnahme zum ersten Mal zentrale und – wie es zunächst schien – entscheidungsmächtige Adressaten gegenüber.25 Die gleichzeitige Verwirklichung der Presse-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit und des Petitionsrechts machten eine breite Mobilisierung der Massen für interessenpolitische Zwecke möglich und sinnvoll. Die veränderten politischen Rahmenbedingungen bewirkten auch einen Wandel der Arbeitsweise und der Organisationsformen der handelspolitischen Interessenverbände in Richtung auf eine Zentralisierung, Professionalisierung und kontinuierliche Präsenz der Verbandsführungen. Während die freihändlerische Seite diesen Maximen nur unvollkommen zu folgen vermochte und sich in mehrere parallele Organisationsansätze aufsplitterte, gelang es dem ADV, sie weitgehend zu verwirklichen. Die Entstehung der konkurrierenden handelspolitischen Verbandsorganisationen war ein komplementärer Prozess. Es ist unverkennbar, dass der Hinweis auf die organisatorischen Erfolge des Gegners eine ressourcenmobilisierende Funktion hatte. Zusätzlich deutet ein zeitlicher Zusammenhang darauf hin, dass die interessenpolitischen Vorstöße der einen Seite jeweils einen verbandspolitischen Entwicklungsschub auf der anderen Seite auslösten. In der Komplementarität der freihändlerischen und schutzzöllnerischen Petitionsbewegungen hatte dieser Ablauf eine Parallele. Damit vertiefte sich nach dem gescheiterten Versuch einer Zusammenarbeit im „Verein für deutsche Zolleinigung“ die interessenpolitische Spaltung des deutschen Wirtschaftsbürgertums. Ein schutzzöllnerisch-industrielles und ein freihändlerisch-kaufmännisches Lager standen sich spätestens seit September 1848 unversöhnlich gegenüber.26 25 26

Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 2), S. 241–279. Vgl. ebd., S. 218, 278 f.

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V. Der Schutzzollkonflikt bildete damit ein schwerwiegendes Hindernis für die vielfach erhoffte Herstellung der deutschen Wirtschaftseinheit im Zuge, ja notfalls sogar im Vorlauf der politischen Einheit. Die ursprünglich für Herbst und Winter 1848/49 avisierten Verhandlungen des Volkswirtschaftlichen Ausschusses über einen gesamtdeutschen Zolltarif wurden ausgesetzt und angesichts der ohnehin schwer problembelasteten Debatten über die Reichsverfassung und das Wahlgesetz zurückgestellt.27 Im Volkswirtschaftlichen Ausschuss blockierten sich eine in unterschiedlichen Regionen verankerte schutzzöllnerische Linke und eine freihändlerische Rechte wechselseitig. Insofern behinderte der Schutzzollkonflikt die staatliche und die Marktintegration Deutschlands. Andererseits entfaltete vor allem die schutzzöllnerische Sammlungsbewegung sozialintegrative Wirkungen und förderte die „Nationalisierung der Massen“.28 Die Idee eines die materiellen Interessen seiner Arbeitsbevölkerung machtvoll nach außen durchsetzenden Nationalstaats hatte eine klassenübergreifende und massenmobilisierende Attraktion. Sie verkleidete Partialinteressen als vaterländische Anliegen und Bourgeois als Citoyens. Einer mit fast schon provokantem Selbstbewusstsein auftretenden industriellen Bourgeoisie Deutschlands bot die Parole vom Schutz der nationalen Arbeit eine Grundlage für ihren Anspruch, legitime Vertreterin des wirtschaftlichen Gesamtinteresses der Nation und speziell „ihrer“ Arbeiter zu sein. Im Hinblick auf die Mobilisierung und Nationalisierung der Massen war der Schutzzollkonflikt tatsächlich ein Anschlusspunkt an die „moderne politisch-soziale Wirklichkeit“ (Karl Marx),29 auch wenn er paradoxerweise zugleich ein Hindernis für andere Modernisierungsleistungen im Bereich der staatlichen und Marktintegration Deutschlands bildete. Man mag in dieser widersprüchlichen Konstellation die Wegmarke eines deutschen Sonderwegs erkennen. Ausdruck einer Schwäche der deutschen Bourgeoisie war sie gewiss nicht.

27 28

29

Vgl. ebd., S. 265–279. Vgl. Georg L. Mosse, Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen in Deutschland von den Napoleonischen Kriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt a.M. 1976. Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, zitiert nach: Marx/Engels, Werke, Bd. 1 (wie Anm. 3), S. 382.

Rudolf Boch

DER DEUTSCHE ZOLLVEREIN UND DAS RHEINISCHE WIRTSCHAFTSBÜRGERTUM IM VORMÄRZ

I. Eine Auswertung der zeitgenössischen „Selbstverständigungsorgane“ des rheinischen Wirtschaftsbürgertums, des „Rheinisch-Westfälischen Anzeiger“, des „Hermann“ und des in Köln erscheinenden „Allgemeinen Organ für Handel und Gewerbe“, lässt die Schlussfolgerung zu, dass sich in dieser regionalen Elite mit der bevorstehenden Gründung des Deutschen Zollvereins fast durchweg Hoffnungen auf eine sich verstetigende ökonomische Prosperität verbanden.1 Doch öffnete der Zollverein nicht nur den wirtschaftlichen Erwartungshorizont eines sich zumindest der innerdeutschen Konkurrenz gewachsen oder überlegen fühlenden Wirtschaftsbürgertums. Er wurde auch als Projektionsrahmen für industrie- und sozialpolitische Ordnungsvorstellungen bzw. Zukunftsentwürfe genutzt, gab es damals doch seit geraumer Zeit im Rheinland eine lebhafte Debatte über den einzuschlagenden Entwicklungspfad von Gewerbe und Industrie.2 Das Wiederanknüpfen an die alten transatlantischen Handelsströme, die bis in die 1790er Jahre ein erhebliches Wachstum für die großen rheinischen Exportgewerbe ermöglicht hatten, war durch den Konkurs der 1821 gegründeten „Rheinisch-Westindischen Kompagnie“ im Jahr 1832 spektakulär gescheitert. Die Zukunftsentwürfe einiger schreibfreudiger Besitzer mechanischer Baumwollspinnereien der Region, die letztlich unter dem Schutz hoher Zölle den englischen Industrialisierungsweg imitieren wollten, stießen dagegen auf anhaltende Skepsis der einflussreichen Verlegerkaufleute weitgehend auf Handarbeit beruhender Großgewerbe. Bei diesen Verlegerkaufleuten waren Vorstellungen von einem spezifischen „deutschen Weg“ der 1

2

Rheinisch-Westfälischer Anzeiger 1798–1847 (Institut für Zeitungsforschung Dortmund); Hermann 1814–1834 (Universitätsbibliothek Düsseldorf und Institut für Zeitungsforschung Dortmund); Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe 1834–1849 (Universitätsbibliothek Köln). Vgl. Rudolf Boch, Grenzenloses Wachstum? Das rheinische Wirtschaftsbürgertum und seine Industrialisierungsdebatte 1814–1857, Göttingen 1991, hier v.a. Kap. 2–4. Der vorliegende Aufsatz beruht weitgehend auf dieser Studie.

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gewerblichen Entwicklung unter dem Schutz des zukünftigen Zollvereins durchaus verbreitet. Trotz Unterschieden im Einzelnen lässt sich doch das in jenen Jahren gängige Credo dieser Strömung herauskristallisieren: Großbritannien sollten die – in einer besonderen historischen Konstellation entstandenen und nur in dieser überlebensfähigen – Industrien der spezialisierten Massenproduktion von Halbfertigwaren getrost überlassen werden. Deutschland sollte sich hingegen auf die Fortentwicklung der arbeitsintensiven, aber weniger Kapital erfordernden verarbeitenden Gewerbe konzentrieren. Als entscheidende Voraussetzung dafür galt ein durch Retorsionszölle geschützter, großer Binnenmarkt als Basis für die Konkurrenzfähigkeit auch auf auswärtigen Märkten. Nur zur Weiterverarbeitung bestimmte Halbfertigwaren und Rohstoffe sollten von Zöllen befreit sein. Man schloss für diesen bescheidenen Entwicklungspfad eine fabrikmäßige Fertigung nicht grundsätzlich aus, doch sollte sie nicht auf eine Massenproduktion mit „Maschinen im Großen“ ausgelegt sein. Über die zukünftige gewerblich-industrielle Entwicklung und den möglichen Einfluss der Zollpolitik wurde in den „Selbstverständigungsorganen“ offen und ausdauernd diskutiert, nicht jedoch über die denkbaren politischen Implikationen des Zollvereins in Hinsicht auf Nationsbildung oder gar Nationalstaat. Entsprechende Erwartungshaltungen lassen sich in den Beiträgen allenfalls unterschwellig finden. Das war sicherlich der drohenden Zensur geschuldet, aber wohl auch der, ein Jahrzehnt später von rheinischen Liberalen beklagten, politischen Indifferenz des Wirtschaftsbürgertums der 1830er Jahre.3 Als Protagonist der skizzierten Strömung in den durchweg noch auf Handarbeit beruhenden Großgewerben trat Johannes Schuchard (1782– 1855) hervor – und Schuchard war nicht Irgendwer. Selber Inhaber eines großen Verlagsgeschäfts für Siamosenweberei in Barmen fungierte er bereits 1820 als Korrespondent des von Friedrich List (1789–1846) geführten, kurzlebigen „Deutschen Handels- und Gewerbsvereins“, war von 1826 bis 1843 Vertreter Barmens im Rheinischen Provinziallandtag, Gründungsmitglied der Handelskammer Elberfeld-Barmen und verfügte bei politisch konservativer Grundeinstellung über beste Kontakte zur preußischen Regierung. Überregional bekannt wurde er schließlich als Initiator der preußischen Kinderschutzgesetzgebung von 1837. Schuchard fasste die Erwar3

Vgl. grundsätzlich auch die Beiträge von Heinrich Best und Andreas Etges in diesem Band.

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tungshaltung vieler Verlegerkaufleute an den Zollverein in einem Satz zusammen, als er in seinem progammatischen Artikel im „RheinischWestfälischen Anzeiger“ 1835 schrieb: „Deutschlands Wohlstand wird, ohne England in allen seinen großartigen, kostbaren Unternehmungen zu folgen, immer allgemeiner verbreitet werden durch den ruhigen, ungestörten inneren Verkehr von 25 Millionen Bewohnern, deren Betriebsamkeit verhältnismäßig verteilt ist bei Ackerbau, Gewerbe und Fabriken.“4

Schuchard knüpfte an eine begrenzte, nur mäßig wachsende Warenproduktion in einem zollgeschützten Binnenmarkt die Hoffnung auf eine – teils durch die schlagartige Vergrößerung der Zahl der Verbraucher, teils durch legislative Maßnahmen eingeleitete – drastische Verringerung der Konkurrenz der Unternehmer sowie der von ihnen beschäftigten Arbeiter untereinander. Im Vorfeld der Gründung des Zollvereins schrieb er 1833 im „Rheinisch-Westfälischen Anzeiger“: „Zwanzig Millionen Menschen in einem Zollverband vereinigt, dem Ausland nur aufgrund der Reziprozität zugänglich […]. Wenn die Zölle im Inneren abgeschafft sind, dann ist dem deutschen Gewerbefleiß ein weites Feld geöffnet auf dem der Ausländer den Kampf nicht bestehen kann. Alle selbst verderbende, gehässige Rivalität wird aufhören. Dann muß das Grundübel – das Elend der arbeitenden Klassen – zuerst behoben, ihr Schicksal verbessert werden.“5

Die von Schuchard gehegte Hoffnung auf eine den Konkurrenzdruck mindernde Wirkung des zukünftigen Zollvereins wurde von nicht wenigen Verlegerkaufleuten geteilt, kaum jedoch die Sorge um das sehr niedrige Lohnniveau der „arbeitenden Klassen.“ Vielmehr wurde dieses in Beiträgen für die wirtschaftsbürgerlichen „Selbstverständigungsorgane“ häufig als Vorteil im europäischen Wettbewerb bewertet. Doch zeigte sich in den Zeitschriftenartikeln Schuchards erstmals eine gedankliche Verknüpfung der Zollpolitik bzw. der Ausgestaltung des Zollvereins mit der Lösung der „sozialen Frage“, die seit 1830 allmählich in das Bewusstsein der „gebildeten Stände“ drang. Diese Verknüpfung konstituierte in der zweiten Hälfte der 1840er Jahre dann eine sozialreformerische Fraktion innerhalb jener breiten Schutz4 5

Rheinisch-Westfälischer Anzeiger, Jahrgang 1835, S. 1385. Ebd., Jahrgang 1833, S. 620.

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zollbewegung im Wirtschaftsbürgertum, die eine einschneidende Revision der Zollpolitik im Zollverein oder nach dem März 1848 im zukünftigen Nationalstaat auf ihre Fahnen geschrieben hatte.6 Hatte die bevorstehende Gründung des Zollvereins in den etablierten Gewerben des Rheinlandes mehr oder minder hoch gesteckte ökonomische und vereinzelt gar sozialpolitische Erwartungen geweckt, so folgte dem Inkrafttreten der vereinsländischen Außenhandelszölle 1834 zunächst eine gewisse Ernüchterung, wurde letztlich doch das preußische Zollsystem von 1818 als Kompromisslösung zwischen Freihandel und sektoralem Zollschutz fortgeführt. Mit diesem Kompromiss hatten vor allem die Verleger der textilen Fertigwarenproduktion von einfachen und schweren Stoffen freilich in der Vergangenheit ganz gut leben können, da der Zollschutz durch die üblichen Gewichtszölle bei sinkenden Großhandelspreisen im Laufe der Zeit deutlich größer geworden war. Durch einige Jahre guter Konjunktur nach seiner Gründung wuchs das Ansehen des Zollvereins in allen Teilen des rheinischen Wirtschaftsbürgertums schließlich erkennbar an. Die zahlreichen Verleger der Textilweberei bauten ihre Absatzorganisation vor allem in Süd- und Südwestdeutschland rasch aus. Selbst die rheinpreußische Bergwerksdirektion forcierte den Transport zollfreier Ruhrkohle bis nach Mannheim und an den Oberrhein. Sogar die notorisch investitionsscheuen rheinischen Spinnereibesitzer investierten, offenbar beflügelt von dem großen, zollfreien Binnenmarkt, endlich in moderne Anlagen – auch ohne Schutzzölle auf importiertes Baumwollgarn. Dabei nutzten sie häufiger als lange Zeit angenommen die großzügig gehandhabte Regelung, komplette Sätze moderner Textilmaschinen und Dampfmaschinen aus dem westlichen Ausland zollfrei einzuführen.7 Erst 6

7

Zum bedeutendsten Protagonisten der auf Sozialreform setzenden Schutzzöllner der späten 1840er Jahre wurde der Chemnitzer Unternehmer Bernhard Eisenstuck (1805– 1871), eine Generation jünger als Johannes Schuchard. Eisenstuck propagierte als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und ihres Volkswirtschaftlichen Ausschusses offensiv den industriellen Entwicklungspfad Frankreichs als Vorbild für die deutsche Industrialisierung. Von einem, dem Vorbild folgenden, teilweise prohibitiven Schutzzollsystem erwartete er eine lohnerhöhende Wirkung in den Gewerben. Weiterführende Informationen in: Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 262 f., 389 f. sowie eine Kurzbiographie, S. 403. Vgl. ebd., S. 138. Zur zollfreien Einfuhr moderner Spinnereimaschinen vgl. Frank Hoffmann, Gründung und Aufbau der Baumwollspinnerei Hammerstein im Wuppertal (1835–1839), in: Dietmar Petzina/Jürgen Reulecke (Hrsg.), Bevölkerung, Wirtschaft, Gesellschaft seit der Industrialisierung. Festschrift Wolfgang Köllmann, Dortmund 1990, S. 133–159.

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mit dem Rückgang der Konjunktur seit 1837 wurde auch der Blick auf den Zollverein wieder kritischer. II. Im Zentrum der wirtschaftsbürgerlichen Aufmerksamkeit und der Debatten in den Zeitschriften des Rheinlandes stand zunächst aber nicht mehr der Zollverein, sondern der Eisenbahnbau und eine eventuelle staatliche Beteiligung wie beim benachbarten Vorbild Belgien. Neben der Erschließung der Steinkohlereviere der Grafschaft Mark wurde die Umgehung der holländischen Häfen seit 1835 das erklärte Ziel der aus dem Boden sprießenden Eisenbahnkomitees. Statt des natürlichen Rheinstromes sollte ein „eiserner Rhein“ das Rheinland mit dem belgischen Antwerpen verbinden. So sollte mittelfristig auch die holländische Regierung zu einem günstigen Handelsund Transitvertrag gezwungen werden – wobei freilich implizit gegenüber dem Zollverein der Vorwurf erhoben wurde, in dieser Angelegenheit zu versagen.8 Eine Welle der Empörung über eine inkompetente „Beamtenherrschaft“ löste in der Rheinprovinz dann der Handelsvertrag mit Holland vom Januar 1839 aus. Aus Sicht vieler rheinischer Wirtschaftsbürger enthüllte der Vertrag eine erschreckende Ahnungslosigkeit der bei diesem Vertragsabschluss offenbar federführenden preußischen Beamten in speziellen, aber wichtigen zollpolitischen Fragen. Freilich entluden sich in dieser Auseinandersetzung auch die seit 1815 aufgestauten, latenten Aggressionen gegen die Rolle Hollands im Zwischenhandel mit Kolonialprodukten und rheinischen Gewerbeerzeugnissen.9 Doch selbst der langjährige Spitzenbeamte in der Wirtschaftsadministration Preußens, Rudolph Delbrück (1817–1903), schrieb noch in seinen Lebenserinnerungen: „Wie es möglich war, einen solchen Vertrag zu schließen, ist mir stets ein Rätsel gewesen.“10 Erst im deutschniederländischen Handelsvertrag von 1851 sah das rheinische Wirtschaftsbürgertum seine Interessen genügend berücksichtigt.11 Daher blieb während der gesamten 1840er Jahre in den Augen der Rheinländer die zu große Konzessionsbereitschaft des Zollvereins, oder besser der Berliner Bürokratie, gegenüber Holland ein „Dauerbrenner“ rheinischer Kritik. Übrigens ist 8 9 10 11

Vgl. Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 138 f. Vgl. ebd., S. 178. Rudolph von Delbrück, Lebenserinnerungen (1817–1867), Bd. 1, Leipzig 1905, S. 148. Vgl. ebd., S. 242 f.

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dieser als völlig unzureichend empfundene Handelsvertrag eines von vielen Beispielen dafür, dass man seitens des rheinischen Wirtschaftsbürgertums selten den Zollverein als Gesamtheit kritisierte, sondern vielmehr die offenbar als absolut dominant empfundene Berliner Politik innerhalb des Zollvereins. Bei aller Bürokratiekritik war den führenden Repräsentanten des rheinischen Wirtschaftsbürgertums freilich bewusst, dass nicht unbedeutende Teile des Beamtenapparats bereit waren, sich für einen Vorrang industrieller Interessen einzusetzen. Aber das anhaltende Übergewicht der konservativen Spitzenbeamten, die erst seit der Revolution von 1848/49 durch eine neue Generation von wirtschaftsnahen Staatsdienern, für die Namen wie Otto Camphausen (1812–1869) oder Delbrück stehen,12 ausgewechselt wurden und vor allem die bis 1848 anhaltende gegenseitige Blockierung der divergierenden Fraktionen in den Staatsorganen verstärkten die allgemeine Verunsicherung des Wirtschaftsbürgertums gegenüber dem preußischen Staat. Die zögernde Haltung des preußischen Staates zum Eisenbahnbau, die in krassem Gegensatz zu den hochgesteckten Erwartungen der lokalen Eisenbahnkomitees stand, aber auch die angestrebte Deregulierung des Bergbaus, der unter dem als wachstumshemmend beurteilten staatlichen Direktionsprinzip stand sowie schließlich die als archaisch empfundene Geld- und Bankpolitik Preußens wurden zu zentralen Konfrontationspunkten zwischen Wirtschaftsbürgertum und Staat.13 Die Kritik an der Zollpolitik – und somit auch am Zollverein –, die durch die schlechte Konjunkturlage an der Wende von den 1830er Jahren zu den 1840er Jahren entfacht wurde, bekam im Kampf um wirtschaftsbürgerliche Interessen zwar einiges Gewicht und errang auch symbolische Bedeutung. Sie wurde aber, im Gegensatz zur nachnapoleonischen Epoche bis zur Gründung des Zollvereins, – das muss zur Relativierung hervorgehoben werden – zu einem Konfrontationspunkt mit dem Staat und seiner Wirtschaftspolitik unter anderen. 12

13

Otto Camphausen (seit 1896 von), hochrangiger Beamter im preußischen Handels- bzw. Finanzministerium, 1869–1878 preußischer Finanzminister; Rudolph Delbrück (seit 1896 von), seit 1849 als leitender Beamter im preußischen Handelsministerium maßgeblich an der Zollvereinspolitik beteiligt. 1867 wurde er als Präsident des Bundes-, seit 1871 des Reichskanzleramtes Organisator der Reichsverwaltung. Vgl. zu Delbrück auch den Beitrag von Marko Kreutzmann in diesem Band, mit weiterführenden Literaturhinweisen. Vgl. Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 178 ff.

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III. Freilich unterstützten prominente rheinische Wirtschaftsbürger, deren Engagement sich nicht allein auf ihre speziellen materiellen Interessen reduzieren lässt, seit den frühen 1840er Jahren auch eine zollvereinsweite Kampagne gegen die – für die ehrgeizigen Industrialisierungspläne als zu niedrig erachteten – Zölle, denn bekanntlich war die Tarifpolitik des Zollvereins, wie vor geraumer Zeit Hans-Werner Hahn noch einmal betont hat, „keineswegs ganz auf eine möglichst rasche Industrialisierung abgestimmt.“14 Im Zentrum dieser Kampagne standen im Rheinland die Provinziallandtage von 1841 und 1843, die so genannten „Eisernen Landtage“, die unter anderem eine drastische Zollerhöhung für Roh- und Stabeisen einforderten. Die Provinziallandtage von 1841 und 1843 waren auch insofern bemerkenswert, als erstmals ein großer Teil der Verlegerkaufleute der exportorientierten verarbeitenden Textilgewerbe mit ins Boot der Schutzzollbefürworter geholt werden konnte. Seit 1843 sahen sich mithin die Spitzenbeamten Preußens und des Zollvereins erstmals einer relativ geschlossenen Front der gewerblichen Wirtschaft gegenüber, hatte sich doch bei den Verlegern der großen verarbeitenden Textilgewerbe, die zuvor mit den Grundzügen der Zollpolitik einigermaßen zufrieden waren, seit Anfang der 1840er Jahre eine allgemeine Krisenstimmung ausgebreitet, die sie für Vorstöße in Richtung auf eine breitgefächerte Schutzzollpolitik, die unter anderem auch den Import ausländischer Fertigwaren drosseln sollte, empfänglich machte. Der Hintergrund war, dass die Textilausfuhren des Zollvereins wie auch der Rheinprovinz seit der Mitte der 1830er Jahre beständig, wenn auch nicht dramatisch, zurückgegangen waren. 1842 lagen sie – bezogen auf den Zollverein – immerhin um 27 Prozent unter denen des Jahres 1836. Neben konjunkturellen Einflüssen wurde die vom Zollverein folgenlos zur Kenntnis genommene Hochzollpolitik verschiedener europäischer Staaten dafür verantwortlich gemacht. Bei vielen Unternehmern dieser Branche führte diese Entwicklung zu einer skeptischen Beurteilung der künftigen Chancen des rheinischen Fertigwarenexports und zu einer Aufwertung der Bedeutung des Binnenmarktes. Man begann eine Erhöhung des Zolltarifs zu fordern, vor allem für feine und qualitativ hochwertige Textilien, deren Import nur vergleichsweise gering durch Zollabgaben belastet war.15 14 15

Hans-Werner Hahn, Die Industrielle Revolution in Deutschland (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 49), München 1998, S. 81. Vgl. Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), Kap. 5.3: Der Provinziallandtag von 1843 als Epochenscheide, S. 153 ff.

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Es war diese Entwicklung, die die Verleger der verarbeitenden Gewerbe und die Unternehmer der Halbfertigwarenproduktion einander näher brachte. Die von den an hohen Garnzöllen interessierten Spinnereibesitzern stets propagierten Rückzölle, als Kompensation für die erhöhten Garnkosten der noch auf absehbare Zeit von importiertem Garn abhängigen Exportgewerbe gedacht, stießen plötzlich auf breite Zustimmung. Während sie zuvor von den verarbeitenden Gewerben als ein viel zu kompliziertes zollpolitisches Instrument abgelehnt worden waren, hoffte man nun in diesen Kreisen, sie zu staatlichen Ausfuhrprämien ausbauen zu können. Die nachlassende Ausfuhr von textilen Fertigwaren erwies sich zwar als ein nur vorübergehendes Phänomen, die verarbeitenden Gewerbe verblieben aber bis in die Revolutionsjahre 1848/49 im Lager der Schutzzollbefürworter. In den scheinbar nicht enden wollenden Krisenjahren der zweiten Hälfte der 1840er Jahre setzten viele Verleger, Färbereibesitzer usw. sogar noch verstärkt ihre Hoffnungen auf den „Schutz der nationalen Arbeit“ und den Aufbau einer „nationalen Gesamtindustrie“, in der auch zollgeschützte mechanische Spinnereien ihren Platz haben sollten. Es war aber nicht nur die Annäherung der materiellen Interessen, die führende Verleger die Partei der Spinnereibesitzer und unbedingten Schutzzollbefürworter ergreifen ließ. Viele teilten jetzt auch das „ideelle“ Interesse an einer vom Ausland zunehmend unabhängigen, forcierten Industrieentwicklung.16 Der Bankier und Seidengroßhändler August von der Heydt (1801–1874) – ab 1849 für fast zwei Jahrzehnte preußischer Handels- bzw. Finanzminister – formulierte als Referent für Wirtschaftsfragen des Provinziallandtages 1843 die Unzufriedenheit mit dem bisherigen Industrialisierungstempo und der angeblich ein schnelleres Wachstum hemmenden Zollpolitik der Vereinsstaaten in für ihn ungewohnt scharfen Worten: „Nun ja, zurückgeschritten sind wir im allgemeinen nicht, doch nicht Dank unserer Politik, sondern ungeachtet unserer Politik. Aber stehen denn diese Fortschritte im Verhältnis mit den Fortschritten anderer Staaten? […] Welche Ergebnisse aber hätten erreicht werden können, wenn unsere Industrie ebenso geschützt worden wäre, wie in anderen Staaten?“17 16 17

Vgl. ebd., Kap. 5: „Nationale Gesamtindustrie“ und beschleunigte Industrialisierung durch Schutzzölle werden mehrheitsfähig, S. 138 ff. Verhandlungen des 7. Rheinischen Provinziallandtags 1843, Koblenz 1843, S. 532. Vgl. auch Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 158. Zur Person August von der Heydt vgl. die Kurzbiographie ebd., S. 405 f.

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Nun ist in der historischen Forschung strittig, ob höhere Zölle auf die vornehmlich aus England gelieferten preiswerten Halbfertigprodukte oder auf westeuropäische Fertigwaren tatsächlich das Tempo der deutschen Industrialisierung beschleunigt hätten. Nur Rainer Fremdling konnte bisher überzeugend darlegen, dass zumindest die 1844 eingeführte Zollerhöhung für Eisen um 25 Prozent nicht unerheblich zum Aufbau eines schwerindustriellen Führungssektors beitrug.18 Dennoch kann man die Zollforderungen nicht nur nach ihrem materiellen Nutzen oder ihren Folgewirkungen beurteilen, sondern sie bekamen, wie schon anfangs erwähnt, eine zunehmend symbolische Bedeutung. Auch in ihnen drückte sich das Verlangen nach einer irgendwie aktiven staatlichen Industriepolitik und nach Anerkennung des Vorrangs industrieller Interessen, zumindest aber deren Gleichberechtigung in der Gesellschaft aus. So ist auch die zeitgleiche Forderung nach einem eigenständigen Ministerium für Handel und Gewerbe in Preußen zu interpretieren. IV. Bis zur Jahrhundertmitte blieb jedoch der Zollverein gegenüber einer forcierten Industrieentwicklung und den damit verbundenen Ansprüchen des Wirtschaftsbürgertums ebenso skeptisch wie die Regierungen der meisten Vereinsstaaten. Er suchte weiterhin, wie Heinrich Best es vor längerer Zeit treffend formuliert hat, einen mittleren Kurs zwischen einer nicht gewollten „überhasteten industriellen Entwicklung“ und einer „machtpolitisch unerwünschten produktionstechnischen Stagnation.“19 Dieser „mittlere Kurs“ fand aber im Wirtschaftsbürgertum immer weniger Unterstützung. Deshalb hielt auch die wirtschaftsbürgerliche Kritik an der Zollpolitik und einer als prekär empfundenen „Beamtenherrschaft“ an – trotz der Zollerhöhung für Roh- und Stabeisen ab dem 1. September 1844. Sie war nach Meinung mancher rheinischer Wirtschaftsbürger ohnehin nur durch den Einfluss der adligen Hüttenwerksbesitzer Schlesiens auf Friedrich Wilhelm IV. und führende Ministerialbeamte zustande gekommen und durch den zeitgleichen 18

19

Vgl. Rainer Fremdling, Technologischer Wandel und internationaler Handel im 18. und 19. Jahrhundert. Die Eisenindustrie in Großbritannien, Belgien, Frankreich und Deutschland, Berlin 1986, S. 234–371. Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980, S. 40.

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Handelsvertrag mit Belgien, der eine Zollreduktion von 50 Prozent für belgisches Stab- und Roheisen vorsah, in ihrer Wirkung auf das Rheinland verwässert worden.20 So forderten dann auch der Rheinische Provinziallandtag von 1845 sowie zahlreiche rheinische Handelskammern die Hinzuziehung von sachkundigen Unternehmern und ständischen Deputierten sämtlicher Zollvereinsstaaten zu den Zollvereinskonferenzen des Jahres 1846 in Berlin. Der Kammerpräsident Carl Hecker (1795–1873) kommentierte im Jahresbericht der Handelskammer Elberfeld-Barmen für 1845: „Wenn durch Abänderungen im Tarife, welche in diesen Versammlungen beraten werden, Handel und Gewerbe wirksam gefördert werden sollen, so muss den Beschlüssen derselben notwendig die genaueste Prüfung aller industriellen Verhältnisse zum Grunde liegen [...]. Eine solche Prüfung setzt aber die vollständige Kenntnis dieser Verhältnisse voraus, welche Beamten – wie bewandert sie in allen sonstigen Disziplinen der Staatswirtschaftslehre auch sein mögen – unmöglich innewohnen, sondern nur bei denen gefunden werden kann, welche inmitten jener Verhältnisse aufgewachsen und mit denselben im praktischen Leben vertraut geworden sind.“21

Der Aachener Wollhändler und Bankier David Hansemann (1790–1864), 1848/49 zunächst Finanzminister, dann Ministerpräsident in Berlin, gab der schwelenden Kritik am „Beamtenabsolutismus“ des Vormärz eine dezidiert allgemeinpolitische Wendung. Für Hansemann und andere Wortführer des so genannten Rheinischen Liberalismus hing eine beschleunigte Industrieentwicklung eng mit der vollständigen Gewährung bürgerlicher Freiheiten in einem deutschen Verfassungsstaat mit Pressefreiheit und parlamentarischer Regierungsform zusammen. Darin sah man das eigentliche Geheimnis des ökonomischen Erfolgs Englands. „Anders ist es in Deutschland“, schrieb Hansemann 1843. „Seine größten Interessen, die des Handels und der Industrie, werden nicht öffentlich verhandelt und festgesetzt.“22 Der Rheini-

20 21

22

Vgl. Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 165 f. Jahresbericht der Handelskammer Elberfeld-Barmen für 1845, S. 11, in: RheinischWestfälisches Wirtschaftsarchiv Köln (1-16-7). Zu Carl Hecker eine Kurzbiographie in: Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 405. David Hansemann, Über die gewerblichen Verhältnisse von Aachen und Burtscheid am Schlusse des Jahres 1843, Aalen 1845, S. 36. Eine Kurzbiographie David Hansemanns in Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 403 f. Vgl. auch ders., David Hanse-

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sche Liberalismus als politischer Ausdruck wirtschaftsbürgerlicher Interessen zeigte sich fest davon überzeugt, dass erfolgreiche Lösungen ökonomischer Fragen und Probleme nur durch eine breite öffentliche Debatte in Presse und Parlament gefunden werden könnten und nicht durch einsame, häufig zufällige Entscheidungen einer sich nicht selten widersprechenden „vielregierenden Bürokratie“ – so ein zeitgenössischer Ausdruck.23 Hansemanns Antrag auf dem Provinziallandtag von 1845, Abgeordnete aus den einzelstaatlichen Parlamenten an den Entscheidungsprozessen des Zollvereins zu beteiligen, schloss daher mit dem Fazit, „dass das Beamtentum nicht der großen Aufgabe gewachsen“ sei, „die gewerblichen Interessen von 28 Millionen Menschen allein zu leiten und dass es dringend notwendig“ werde, „eine Teilnahme des Volkes an dieser Leitung anzuordnen.“24 Im Oktober 1847 wurde das Ziel eines konstitutionellen Zollvereinsausbaus auch im so genannten Heppenheimer Programm, das Hansemann gemeinsam mit bekannten Liberalen aus Südwestdeutschland formulierte, auf die politische Tagesordnung gesetzt. Diese Zusammenarbeit ist ein Indiz dafür, dass der Zollverein nicht mehr nur die ökonomische Integration von Staaten des Deutschen Bundes, sondern auch die Integration regionaler politischer Eliten beförderte. Nun richteten sich deren nationale Hoffnungen nicht mehr unterschwellig, sondern ganz offensichtlich auf den Zollverein. Sollte das angestrebte Zollparlament doch nicht nur eine bessere Ausgestaltung der Zollpolitik ermöglichen, sondern auch die Ausbildung der politischen Nation beflügeln. Der in Heppenheim propagierte konstitutionelle Ausbau des Zollvereins erzielte aber in den turbulenten Monaten des Winters 1847/48 nicht mehr die gewünschte Resonanz. Das war vermutlich auch dem Verlust an öffentlichem Ansehen geschuldet, den der Zollverein in den krisenhaften 1840er Jahren erlitten hatte. Nicht zuletzt hatte er sich im Hungerjahr 1847 als unfähig erwiesen, koordinierte Maßregeln der Vereinsstaaten zur Gewährleistung einer gesicherten Lebensmittelversorgung durchzusetzen.25 Die März-

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mann: Das Kind der Industrie, in: Sabine Freitag (Hrsg.), Die Achtundvierziger. Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49, München 1998, S. 171–184. Vgl. dazu: Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), Kap. 6.1: Bürgerliche Machtbeteiligung und bürgerliche Freiheiten als Voraussetzungen erfolgreicher Industrialisierung und gesellschaftlicher Stabilität, S. 177 ff. David Hansemann, Das preußische und deutsche Verfassungswerk. Mit Rücksicht auf mein politisches Wirken, Berlin 1850, S. 69. Vgl. auch den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band. Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 136 f.

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revolution 1848 und die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung ließen den Plan zur konstitutionellen Aufwertung des Zollvereins rasch in Vergessenheit geraten. In Frankfurt schienen sich dem rheinischen Wirtschaftsbürgertum ganz andere Möglichkeiten für die Gründung eines Nationalstaates und eine stärker auf ihre – seit 1843 recht einheitlichen – Interessen ausgerichtete Wirtschafts- und Zollpolitik zu ergeben. Vor allem eröffnete sich erstmals die Chance einer vollständigen Parlamentarisierung der gesellschaftlichen Entscheidungsfindung, so dass die negative Erfahrung mit einer sich selber blockierenden und widersprechenden Bürokratie für die Zukunft ausgeschlossen schien. Hansemann und andere rheinische Liberale hatten schon seit Mitte der 1840er Jahre die Vorteile eines möglichst voll entwickelten parlamentarischen Systems betont, das im Gegensatz zur Bürokratie Preußens und anderer Vereinsstaaten die Geschlossenheit der politischen und wirtschaftspolitischen Ansichten in der dann jeweils regierenden Partei notwendig befördere. Der Viersener Jungmillionär Gustav Mevissen (1815–1899) – seit den 1850er Jahren einer der führenden Unternehmer und Bankiers der Rheinprovinz – hatte dieses Credo auf dem Vereinigten Landtag von 1847 auf den Punkt gebracht: „In den Ländern, wo die Industrie am weitesten fortgeschritten ist, hat der Ministerpräsident stets ein festes politisches und ein festes industrielles System; dieses System ist dem Gesamtministerium aufgedrückt, an dessen Spitze er steht. Heterogene Elemente finden sich nicht an der Spitze von Ministerien, heterogene Elemente, die dem augenblicklichen System widersprechen, stehen in der Opposition der Kammer […]. Ich werde mit Freuden den Tag begrüßen […], wo nicht mehr, wie es leider seit Jahren nur zu oft der Fall gewesen sein mag, ganz heterogene Richtungen sich selbständig an der Spitze verschiedener Verwaltungszweige befinden.“26

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Der erste Vereinigte Landtag in Berlin 1847, Bd. 3 (Stenographische Berichte), hrsg. v. Erich Blaich, Berlin 1847/ND Vaduz 1977, S. 1017. Eine Kurzbiographie Gustav Mevissens in: Boch, Grenzenloses Wachstum? (wie Anm. 2), S. 408.

Hans-Werner Hahn

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I. Einführung Von seiner Gründung an standen nicht nur die wirtschaftlichen und die nationalen Folgen des Deutschen Zollvereins, sondern auch seine vielfältigen Auswirkungen auf die verfassungspolitischen Entwicklungen in Deutschland im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Zum einen besaß die Mehrzahl der Zollvereinsstaaten zwar eine Verfassung, zugleich aber wurde der staatenbündisch organisierte Zollverein1 von einer Macht geführt, die trotz eines königlichen Versprechens dem eigenen Volk die Verfassung nach wie vor verweigerte. Zum anderen erfolgte die Gründung des Zollvereins zu einem Zeitpunkt, als der Ruf nach einer deutschen „Nationalrepräsentation“ immer lauter wurde.2 Hinzu kam, dass die vom Zollverein begünstigte wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung jene gesellschaftlichen Kräfte stärken musste, die innerhalb der einzelnen Staaten, aber auch zunehmend auf der gesamtdeutschen Ebene auf eine verfassungsmäßig abgesicherte politische Mitwirkung drängten. In seiner 1846 verfassten Schrift „Über den Wert und die Bedingungen einer Allianz zwischen Großbritannien und Deutschland“ schrieb Friedrich List, dass „Deutschland unter dem Schutz des Zollvereins die physischen Elemente einer neuen konstitutionellen Freiheit gesammelt“ habe. Diese bestanden für List im „Aufkommen und Wachstum einer gewissen Menge unabhängiger Vermögen, die, durch den freien Willen und die Tatkraft von Einzelpersonen erworben, einer genügend großen Zahl jene Unabhängigkeit der Meinung und des Charakters sichern, durch die allein die Worte der Verfassungen, die den verschiedenen Teilen unsrer deutschen Nation gegeben sind und vielleicht noch gegeben werden, Wahrheit und Wirklichkeit 1

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Zur Organisation des Zollvereins vgl. Ernst-Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, 2. Aufl., Stuttgart 1968, S. 292 ff. Vgl. Elisabeth Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 22), 2. Aufl., München 2007, S. 19 ff.

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werden können.“3 Während List die „deutsche Freiheit“ des Alten Reiches als eine durch die feudalen Verhältnisse „verfälschte Freiheit“ bezeichnete, hoffte er auf die wirtschaftlichen Folgen des Zollvereins, die auch in Deutschland jenes starke Bürgertum hervorbringen würden, das moderne Verfassungsverhältnisse durchsetzen und in diesen die Interessen der Nation zum Ausdruck bringen könnte.4 Lists Ausführungen unterstreichen die enge Verbindung der nationalund verfassungspolitischen Aspekte des Zollvereins. Die mit der Gründung und Entwicklung des Zollvereins verbundenen Verfassungsfragen wurden aus zwei Gründen ein wichtiger Beitrag zur inneren Nationsbildung. Zum einen führte die Gründung des Zollvereins zu umfassenden verfassungspolitischen Debatten, weil sie mit dem Steuerbewilligungsrecht entscheidende Befugnisse der konstitutionellen Landtage berührte. Zum anderen wurden diese Debatten über Kontroll- und Mitbestimmungsrechte der einzelstaatlichen Landtage schon bald nach der Zollvereinsgründung auf eine neue, nationale Ebene ausgedehnt. Da die Zollgesetzgebung über einzelstaatliche Parlamente kaum noch zu beeinflussen war, verstärkte dies die Forderung nach Mitsprache über ein Zollparlament und intensivierte auf diese Weise den Kampf des Bürgertums um eine nationale Repräsentation. Im Folgenden soll dieser Beitrag des Zollvereins zur nationalen Verfassungsfrage genauer analysiert werden. II. Der Zollverein in den verfassungspolitischen Debatten der deutschen Einzelstaaten Dass der Zollverein trotz aller Begrenzungen auf materielle Fragen und trotz aller Unzulänglichkeiten seiner Organisation das Streben des deutschen Bürgertums nach Freiheit und Einheit begünstigen würde, hatte der hessendarmstädtische Liberale Heinrich von Gagern bereits 1833 betont. Auf einem Treffen süddeutscher Liberaler in Langenbrücken hielt er süddeutschen Gesinnungsgenossen, die schon aus verfassungspolitischen Gründen den Beitritt ihres Landes zum Zollverein ablehnten, entgegen, „dass die Erhal3

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Friedrich List, Über den Wert und die Bedingungen einer Allianz zwischen Großbritannien und Deutschland, 1846, in: Friedrich List, Schriften, Reden, Briefe. Bd. 9, hrsg. v. Erwin von Beckerath u.a., Berlin 1935, S. 153. Zum Zusammenhang von liberaler Verfassungsordnung und wirtschaftlichem Wohlstand bei List vgl. auch William O. Henderson, Friedrich List. Eine historische Biographie des Gründers des Deutschen Zollvereins und des ersten Visionärs eines vereinten Europa, Düsseldorf 1984, S. 202.

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tung unsrer konstitutionellen ständischen Gerechtsame nicht Zweck an sich, sondern nur Mittel zum Zweck sei, dass ein großer Gedanke in seiner Ausführung alle ihm etwa sich anhängenden kleinen Rücksichten überwinden und diese sich ihm beugen müssten“.5 Hier kam Gagerns an anderer Stelle formulierte optimistische Einschätzung zum Ausdruck, „die Freiheit werde sich schon Bahn brechen, wenn nur die Einheit da ist.“6 Dennoch bedeutete diese Grundhaltung nicht, dass Heinrich von Gagern als Abgeordneter des hessen-darmstädtischen Landtages auf seine politischen Kontrollrechte völlig verzichten wollte. Wenige Tage nach dem Treffen von Langenbrücken hob er im Darmstädter Landtag hervor, dass die öffentliche Zustimmung für die Weiterentwicklung der deutschen Wirtschaftseinheit außerordentlich wichtig sei und die „Fortdauer und Zunahme dieses öffentlichen Vertrauens“ eng mit einer „wohl controllierten Finanzverwaltung“ verbunden sei, „wie sie die Repräsentativverfassung allein mit sich bringt und welche von dieser Repräsentativverfassung unzertrennlich ist“.7 Gagern und seine Gesinnungsgenossen verlangten von der eigenen Regierung, dass dem Landtag alle Originale der Abrechnungen aus dem Zollverein mit Preußen vorgelegt werden sollten, weil nur so das Steuerbewilligungsrecht des Parlaments gewährleistet werden könnte. Am Ende kamen sowohl die Darmstädter Regierung als auch Preußen den Wünschen des Landtages nach. Das Beispiel zeigt, dass der Zollverein durch das Steuerbewilligungsrecht der Kammern viel enger als der Deutsche Bund mit dem einzelstaatlichen Verfassungsleben verbunden war. Die Festlegung von Zöllen bedurfte wie die der direkten Steuern in den Verfassungsstaaten der Zustimmung der Landtage. Wenn sich die Regierung dazu entschloss, mit anderen Staaten eine Zollunion einzugehen, so tangierte der entsprechende Vertrag das Steuerbewilligungsrecht des Parlaments und musste daher diesem zur Zustimmung vorgelegt werden. Das Gleiche galt für alle späteren Änderungen von Zolltarifen, die innerhalb des Zollvereins beschlossen oder durch Handelsverträge mit außerhalb stehenden Staaten vereinbart wurden. Zollvereinspolitik war somit in zahlreichen Mitgliedsstaaten von Anfang an nicht 5

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Heinrich von Gagern über das Treffen von Langenbrücken, Altersaufzeichnung, in: Paul Wentzcke/Wolfgang Klötzer (Bearb.), Deutscher Liberalismus im Vormärz. Heinrich von Gagern. Briefe und Reden 1815–1848, Göttingen 1959, S. 115 f. Heinrich an Hans Christoph von Gagern, Brief vom 13. Juli 1832, in: ebd., S. 100. Verhandlungen der 2. Kammer der Landstände des Großherzogthums Hessen, 5. Landtag 1832/33, Beilagen, Bd. III, Beilage 480, S. 607.

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nur eine Angelegenheit der Regierungen, sondern auch Sache der Landtage. Deshalb spielte die Frage, wie sich ein Zollverein mit Preußen auf die Stellung und Arbeit der Landtage auswirken würde, gerade in den süddeutschen Staaten mit ihren seit 1830 wieder sehr selbstbewusst auftretenden Landtagen bei den Debatten über den Zollvereinsbeitritt des jeweiligen Staates eine sehr große Rolle.8 In diesem Zusammenhang wurden zum einen grundsätzliche Bedenken gegen eine Zollunion mit einem mächtigen nichtkonstitutionellen Staat vorgebracht. Kritiker wie der Darmstädter Demokrat Wilhelm Schulz fürchteten nicht nur, dass die Tarifgestaltung des Zollvereins allzu sehr an den spezifischen Interessen der Hegemonialmacht ausgerichtet werde. Sie verwiesen vor allem darauf, dass dieser, von den „wechselnden Launen der Fürsten“ abhängige Verein nicht „auf die wahren Bedürfnisse der Nation gegründet“ und sein Bestand deshalb nicht „durch eine gesicherte politische Existenz verbürgt“ sei.9 Zum anderen wurde darüber diskutiert, dass die Zölle, sobald sie „Gemeingut der Vereinsstaaten“ waren und „eine feste Position im Budget“ bildeten, einer „direkten ständischen Bewilligung entrückt“ und nur noch die direkten Steuern der regelmäßigen ständischen Bewilligung unterworfen seien.10 So begründete der württembergische Liberale Albert Schott im August 1833 seine Skepsis gegenüber einem Zollvereinsbeitritt seines Landes mit den Worten: „Der Hauptstein des Anstoßes ist für mich immer, dass wir mit diesem Anschluß für eine lange Reihe von Jahren unser Steuerverwilligungsrecht aufgeben.“11 Der lange schwankende Schott stimmte zwar schließlich dem Zollvereinsvertrag zu, andere prominente württembergische Liberale wie Ludwig Uhland, Paul Pfizer und Friedrich Römer gehörten jedoch gerade wegen ihrer verfassungsrechtlichen Bedenken zur ablehnenden Landtagsminorität. 8

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Ausführlich hierzu: Hans-Werner Hahn, Zwischen deutscher Handelsfreiheit und Sicherung landständischer Rechte. Der Liberalismus und die Gründung des Deutschen Zollvereins, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.), Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz (Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 9), Göttingen 1983, S. 239–271. Wilhelm Schulz, Deutschlands Einheit durch Nationalrepräsentation, Stuttgart 1832, S. 96. Karl Mathy, Betrachtungen über den Beitritt Badens zu dem deutschen Zollverein, Karlsruhe 1834, S. 10. Albert Schott an Heinrich von Gagern, Brief vom 12. August 1833, in: Wentzcke/ Klötzer (Bearb.), Deutscher Liberalismus (wie Anm. 5), S. 121. Diese Bedenken wurden auch in den Verhandlungen des württembergischen Landtags über den Beitrittsvertrag zum Zollverein laut. Vgl. Ruth Kappel, Bemühungen des Königreichs Württemberg um eine deutsche Zolleinigung nach 1815, phil. Diss., Tübingen 1991, S. 493 ff.

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Auch im benachbarten Großherzogtum Baden, das erst 1835 den Beitrittsvertrag aushandelte, begründeten führende Liberale wie Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker ihre ablehnende Haltung mit politischen Bedenken. Nach den Erfahrungen mit der Repressionspolitik des Deutschen Bundes, der nach 1830 unter Führung Österreichs und Preußens den politischen Aufbruch im deutschen Südwesten gestoppt und Baden zur Rücknahme seines freiheitlichen Pressegesetzes gezwungen hatte, fürchteten Rotteck und Welcker vom Zollverein mit Preußen weitere Einschränkungen der im eigenen Staat erkämpften Rechte.12 Welcker wollte sich nicht damit abfinden, „dass unsere politische Gesetzgebung jetzt in Berlin und Wien, unsere ökonomische und Handelsgesetzgebung in Berlin zu Stande kommt.“13 Und Rotteck wollte einer grundsätzlich befürworteten deutschen Zolleinigung nur dann zustimmen, wenn sie anders beschaffen wäre, einer „echt vaterländischen Idee eines auf Freiheit basierten deutschen Zollvereins“ entspräche und dem „wahren Nationalwohl oder dem allgemeinen Interesse die nötigen Garantien darböte.“ Eine Zolleinigung, die landständische Rechte nicht genügend achte, nur ungedrucktes und kein bedrucktes Papier frei aus dem Süden in den Norden lasse und von einem absolutistisch regierten Preußen geführt würde, sei zu verwerfen. Wörtlich hieß es: „Nein, lasst sie uns verschmähen, diese vorgespielte Einheit, deren Grundlage bloß die gemeinschaftliche, nicht eigentlich einer deutschen Volkswirtschaft, sondern vielmehr einer Bewirtschaftung der deutschen Nation und eine ins Große gehende Finanzoperation der Regierung ist. Laßt sie uns verschmähen und der Nation zeigen, dass unser Sinn und unser Streben nach etwas Höherem und Edlerem, als daraufhin geht, von Preußen ins Schlepptau genommen zu werden, und dass wir die Hoffnung nicht verloren haben, jenes höhere Ziel einst noch zu erreichen.“14

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Zur politischen Situation in Baden vgl. Hans-Peter Becht, Badischer Parlamentarismus 1819 bis 1870. Ein deutsches Parlament zwischen Reform und Revolution (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Düsseldorf 2009, S. 374 ff., speziell zum „Zollvereinslandtag“ S. 423 ff. Zitiert nach: Hans Peter Müller, Das Großherzogtum Baden und die deutsche Zolleinigung 1819–1835/36, Frankfurt a.M. 1984, S. 235. Zitiert nach: Leonhard Müller, Badische Landtagsgeschichte (1819–1840), Bd. 4, Berlin 1900, S. 42 f.

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Ebenso wie Heinrich von Gagern brachte auch der rheinpreußische Liberale David Hansemann für diese Haltung wenig Verständnis auf.15 Der Aachener Unternehmer hielt den süddeutschen Sorgen wegen des Verlustes verfassungspolitischer Rechte 1834 entgegen: „Gerade dass Preußen keinen Anstand nimmt, freien, folglich lebhafteren Verkehr mit konstitutionellen Staaten zu eröffnen, ist großartig. Ist das konstitutionelle System unter den neuen Verhältnissen zweckmäßig, ist es geeignet, das Glück der Völker und eine gute Regierung zu begründen, so wird der Sinn für dasselbe durch jenen lebhafteren Verkehr in Preußen befördert.“16

Die ersten Jahre des neuen Zollvereins sollten aber zeigen, dass solche Hoffnungen verfrüht waren und dass die Sorge süddeutscher Liberaler wegen der Einschränkung ihrer politischen Handlungsspielräume alles andere als unbegründet war. Preußen suchte in den letzten Regierungsjahren König Friedrich Wilhelms III. den engen Schulterschluss mit den beiden anderen Hauptmächten der Heiligen Allianz, Russland und Österreich, und unterdrückte gemeinsam mit Metternich innerhalb des Deutschen Bundes alle neuen freiheitlichen Regungen.17 Und in den deutschen Verfassungsstaaten sorgte nicht nur die repressive Bundespolitik dafür, dass der Aufbruch der liberalen Kräfte gestoppt und die Stellung der konservativen Regierungen gestärkt wurde. Auch die Existenz des Zollvereins, dem die meisten Verfassungsstaaten angehörten, trug zunächst einmal dazu bei, das politische Gewicht des Liberalismus zu mindern. Inwieweit die wirtschaftlichen Erfolge des Deutschen Zollvereins die Stellung der Regierungen festigten, ist angesichts ihres kontrovers beurteilten Ausmaßes schwer einzuschätzen. Fest steht aber, dass die fiskalischen Erfolge des Zollvereins den Regierungen der Verfassungsstaaten auch einen großen politischen Vorteil brachten.18 Für die Mittel- und Kleinstaaten des 15

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Zur Haltung des rheinischen Wirtschaftsbürgertums zum Deutschen Zollverein vgl. den Beitrag von Rudolf Boch in diesem Band sowie ausführlich: ders., Grenzenloses Wachstum? Das rheinische Wirtschaftsbürgertum und seine Industrialisierungsdebatte 1814– 1857, Göttingen 1991. David Hansemann, Preußen und Frankreich. Staatswirthschaftlich und politisch unter vorzüglicher Berücksichtigung der Rheinprovinz, 2. Aufl., Leipzig 1834, S. 279. Zur Bundespolitik vgl. Jürgen Müller, Der Deutsche Bund 1815–1866 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 78), München 2006, S. 12 ff. Zu diesen Zusammenhängen vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 96 ff.; ferner: Rolf H. Dumke, The Political Economy of

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Zollvereins wurden die Zölle seit ihrem Vereinsbeitritt zu der am kräftigsten ansteigenden Einnahmequelle. In Baden hatte der Anteil der Zölle am Einnahmebudget 1830 noch bei 8% gelegen, wenige Jahre nach dem Zollvereinsbeitritt betrug er das Doppelte. Diese Gewinne aus dem Zollverein, die vor allem aus eingesparten Verwaltungskosten, aber auch aus den höheren Zöllen auf Kolonialwaren resultierten, versetzten die Regierungen in die Lage, die direkten Steuern zum Teil deutlich zu senken. Damit aber verminderte sich ihre Abhängigkeit von den Landtagen, deren wichtigste politische Waffe ja das Steuerbewilligungsrecht war. Hinzu kam, dass die aus dem Zollverein aufgrund von mehrjährigen Staatsverträgen fließenden Einnahmen einer direkten Mitsprache der Landtage entzogen waren. Die Landtage leisteten dieser Entwicklung zum Teil auch dadurch Vorschub, dass sie angesichts der komplizierten Organisation des Zollvereins, die schon auf Regierungsebene meist lange Verhandlungen voraussetzte, ihren Regierungen Vollmachten gaben, um im Zollverein anfallende, das Steuerbewilligungsrecht berührende Beschlüsse auch ohne vorherige landständische Zustimmung in Kraft zu setzen. Begründet wurde diese Haltung mit dem allgemeinen Interesse an einem funktionierenden Zollverein. Die Abgeordneten mussten aber dann meist schnell erkennen, dass die Regierungen ein solches Entgegenkommen ausnutzten, um die Landtage möglichst ganz aus den Geschäften des Zollvereins herauszudrängen.19 Dies galt in besonderem Maße für das Kurfürstentum Hessen, wo die Ständeversammlung im Zuge der Zollvereinsgründung der Regierung zunächst weit reichende Vollmachten gegeben hatte. Als aber die Regierung einen immer stärker gegen die politischen Mitspracherechte des Landtags gerichteten, innenpolitischen Konfliktkurs einschlug und den politischen Machtansprüchen der liberalen Landtagsmehrheit hart entgegentrat,20 scheuten die Liberalen auch in der Zollvereinspolitik nicht davor zurück, ihre eigenen Rechte auszuschöpfen. Man betonte, dass die Landtagsmehrheit nur in der besonderen Situation der Zollvereinsgründung mit ihren komplizier-

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German Economic Unification: Tariffs, Trade and Politics of the Zollverein Era, phil. Diss., Wisconsin-Madison 1976, S. 57: „To the extent that the Zollverein provided a politically costless revenue to the petty princes, it was an instrument of reaction.“ Vgl. ausführlich zu diesen Prozessen: Hans-Werner Hahn, Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 52), Göttingen 1982, S. 239 ff. Vgl. hierzu Ewald Grothe, Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt. Das Kurfürstentum Hessen in der ersten Ära Hassenpflug 1830–1847, Berlin 1996, S. 189 ff.

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ten zwischenstaatlichen Verhandlungen der Regierung entgegengekommen sei, dass aber eine dauerhafte Einschränkung des Steuerbewilligungsrechts, also des „eigentlichen Wesens der ständischen Verfassung“, auf nichts anderes hinauslaufe, als dass die Ständeversammlung eigentlich „die traurige Verpflichtung hätte, nicht länger den Fortbestand“ des Zollvereins zu dulden.21 Da die meisten Abgeordneten den Deutschen Zollverein aber keineswegs gefährden wollten, billigten sie zwar am Ende den Beschluss, dass die Regierung innerhalb des Zollvereins der Änderung einzelner Zollsätze auch ohne vorherige landständische Genehmigung zustimmen könne. Dabei wurde jedoch zugleich festgelegt, dass bei allen Verkündigungen in den Gesetzessammlungen die landständische Zustimmung erwähnt werden sollte. Faktisch bedeutete dies, dass der Landtag kaum Einfluss auf die Gestaltung des Zollvereinstarifs und andere Absprachen der Zollvereinsstaaten nehmen konnte, obwohl all diese Regelungen das Steuerbewilligungsrecht tangierten. In den anderen Verfassungsstaaten des Zollvereins lagen die Dinge ganz ähnlich. Die Landtage konnten zwar die Vereinsabrechnungen einsehen und gegenüber der Regierung tarifpolitische Wünsche äußern, einen unmittelbaren Einfluss auf die zollpolitischen Entscheidungen hatten sie aber nicht. Im Übrigen hielt, wie von manchem liberalen Zollvereinsgegner vor 1833 befürchtet, auch Preußen als Hegemonialmacht des Deutschen Zollvereins die Regierungen der Verfassungsstaaten dazu an, den Einfluss der Landtage auf die Zollvereinsgeschäfte strikt zu begrenzen. Man betonte in diesem Zusammenhang zwar während der Verhandlungen über die Verlängerung des Zollvereins im Jahr 1841, dass es der preußischen Regierung nicht um die Beseitigung landständischer Rechte in anderen Verfassungsstaaten gehe, sondern nur um die Ausräumung von Hindernissen, „welche sich wegen Ausübung des ständischen Mitwirkungsrechtes in diesem oder jenem Vereinsstaate beim Abschluss von Handelsverträgen oder in Bezug auf die Verkündung und Vollziehung des Vereinszolltarifs erhoben haben.“22 Aber auch der Hinweis auf die notwendige Handlungsfähigkeit des Zollvereins konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein wichtiger Bereich der Staatsfinanzen der unmittelbaren Einwirkung einzelstaatlicher Parlamente 21 22

Verhandlungen des Kurhessischen Landtags, 2. Landtag, Bd. 2, Protokoll 43 vom 27. Juni 1837, S. 30. Zitiert nach: Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 19), S. 244.

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entzogen war. Manche Liberale nahmen diese Praxis zunächst deshalb in Kauf, weil sie die wirtschaftlichen Folgen des Zollvereins positiv einschätzten und vor allem die mit dem Deutschen Zollverein eingeleitete wirtschaftliche Einigung als Antrieb der nationalen Integration ansahen.23 Man konnte somit wie Karl Steinacker die Ansicht vertreten, dass eine Institution, die „auf der selbstbewußten Zustimmung des deutschen Volkes“ beruhe, nicht „zur Zerstörung der Volksrechte führen“ werde.24 Damit aber waren die unbestreitbaren verfassungspolitischen Defizite des Zollvereins nicht aus der Welt, zumal sich auch die Hoffnungen, dass der Zollverein Preußens Weg in den Verfassungsstaat beschleunigen werde, als verfrüht erwiesen. III. Der Deutsche Zollverein und die Nationalisierung der Verfassungsdiskussion Als Mitte der vierziger Jahre die liberale Opposition überall in Deutschland erstarkte und die Reformforderungen lauter wurden, nahm auch die Kritik an den unzureichenden Mitsprachemöglichkeiten in der Zollvereinspolitik deutlich zu. Im April 1847 forderte ein Abgeordneter des nassauischen Landtags nachdrücklich, die Verhandlungen der Generalkonferenz des Zollvereins künftig dem Landtag mitzuteilen: „Bei dem großen Einfluß, welchen die Beschlüsse der Zollconferenz sowohl auf die Finanzen unseres Landes als seine Industrie ausüben, scheint es mir gerechtfertigt, [die Regierung zu ersuchen,] in Zukunft die Verhandlungen der Zollconferenzen der Versammlung mitzutheilen, damit dieselbe die laufenden Grundsätze, welche bei Regulierung der Zolleinkünfte in Anwendung kommen, kennen lerne.“25

August Hergenhahn, der Führer der liberalen Landtagsopposition, fügte hinzu: „Ich halte das ausgesprochene Verlangen um so mehr für gerechtfer23

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Vgl. C. F. Wurm, Zur Geschichte des deutschen Zollvereins, Jena 1841, S. 39; O. E. C. Grisebach, Zollverein, Souveränität und ständische Rechte. 1844, 1862 und demnächst, Hannover 1864. Karl Steinacker, Die politische und staatsrechtliche Entwickelung Deutschlands durch den Einfluß des deutschen Zollvereins mit Bemerkungen über des Dr. Faber politische Predigten, Braunschweig 1844, S. 110. Verhandlungen der Landes-Deputierten-Versammlung des Herzogthums Nassau von dem Jahre 1847, Wiesbaden 1847, Prot. Nr. 7 vom 24. April 1847, S. 93. Zu den Generalkonferenzen des Deutschen Zollvereins vgl. den Beitrag von Marko Kreutzmann in diesem Band.

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tigt, da die Verfassung vorschreibt, daß auch die indirekten Abgaben von den Landständen zu verwilligen seyen.“26 Zuvor hatten im Großherzogtum Hessen schon die Debatten über die ersten Handelsverträge, die Preußen für den Zollverein mit auswärtigen Staaten abschloss, sehr deutlich gemacht, dass die liberalen Abgeordneten des Landtags in den Zollfragen auf ihrer Mitsprache beharren wollten. In den Auseinandersetzungen um den umstrittenen Handelsvertrag mit Holland wiesen sie 1839 das Argument der Regierung zurück, dass ein einzelner Landtag das Gesamtinteresse des Zollvereins nicht beurteilen könnte und verlangten, dass alle Handelsverträge mit ausländischen Staaten künftig der landständischen Zustimmung bedurften. Es war freilich bezeichnend, dass die eigene Regierung beim 1844 abgeschlossenen Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und Belgien den Landtag wieder einmal überging. Begründet wurde dies damit, dass in diesem Falle ein besonderer Zeitdruck bestanden habe, um Belgien von einer Annäherung an Frankreich abzuhalten. Da die Landtagsmehrheit dieses Argument akzeptierte und außerdem den materiellen Gehalt des Vertrages positiv bewertete, entband sie die Regierung wegen der Überschreitung gesetzlicher Kompetenzen in diesem Fall von weiterer Verantwortlichkeit.27 Aber auch die hessen-darmstädtischen Liberalen wollten sich nicht auf Dauer mit den Hinweisen auf die Sachzwänge des Deutschen Zollvereins von einer Mitsprache in den Zoll- und Handelsfragen ausschließen lassen. 1842 begründete der liberale Mainzer Advokat Glaubrech die eigenen Mitwirkungsansprüche mit den Sätzen: „Ich will an unsern Finanzmännern alle Talente und sonstigen Kenntnisse recht gerne anerkennen, allein ich glaube nicht, daß sie beim Abschluß von Zoll- und Handelsverträgen gewandten Kaufleuten die Spitze zu bieten vermögen. Dies hat man auch in anderen Staaten längst begriffen; darum sehen wir in den größten Staaten die ausgezeichneten Männer vom Handelsstande an der Spitze der Finanzverwaltung stehen.“28

Während in England, Frankreich und Belgien nationale Parlamente über Tariffragen und Handelsverträge entschieden, gab es in Deutschland im 26 27 28

Verhandlungen der Landes-Deputierten-Versammlung (wie Anm. 25). Hierzu ausführlich: Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 19), S. 196 ff. Verhandlungen der 2. Kammer der Landstände des Großherzogthums Hessen, 9. Landtag 1841/42, Prot. 44 vom 28. April 1842, S. 39.

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Vormärz zwar eine heftige öffentliche Debatte über Vor- und Nachteile von Schutzzoll oder Freihandel.29 Die handelspolitischen Entscheidungen trafen am Ende aber allein die Regierungen. Der Leipziger Liberale Karl Biedermann hielt der preußischen Regierung 1842 zwar zugute, dass sie zumindest bei den materiellen Interessen der Nation wichtige Zugeständnisse gemacht habe und inzwischen sogar „die rückhaltloseste Kritik über die von ihr verfolgte Handelspolitik nicht nur gestattet, sondern auch beachtet.“30 Die gleichfalls ausgesprochene Erwartung, dass damit der wichtige Bereich der materiellen Interessen bereits unter die Kontrolle der öffentlichen Meinung gestellt war, wurde von den meisten liberalen Gesinnungsgenossen kaum geteilt. Im Gegenteil, gerade Mitte der vierziger Jahre wuchs überall in Deutschland, besonders aber in Preußen die Kritik an einer unkontrolliert agierenden Staatsbürokratie. Die preußische Bürokratie hatte das Ausbleiben einer Verfassung lange Zeit mit Erfolgen ihres wirtschaftlichen Modernisierungskurses rechtfertigen können. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts reichten diese Erfolge aber nicht mehr aus, um die wachsenden Probleme der Gesellschaft zu lösen.31 Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik und Furcht vor zunehmenden Sozialprotesten veranlassten die bürgerlichen Führungsschichten wie David Hansemann oder Gustav Mevissen, ihr Drängen auf eine preußische Verfassung zu verstärken. Die vor allem im Rheinland, aber auch in anderen preußischen Provinzen aufkommenden Forderungen nach einer konstitutionellen Umgestaltung des preußischen Staates32 schufen nach Ansicht vieler Liberaler auch bessere Voraussetzungen, um die mit dem Zollverein begonnene Integration zu vertiefen und die verfassungspolitischen Defizite innerhalb des Vereins zu mindern. Man hoffte, dass mit einem konstitutionell regierten Preußen energischere Schritte unternommen werden könnten, um den Zollverein handlungsfähiger zu machen und zu29

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Vgl. ausführlich hierzu: Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/ 49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980. Karl Biedermann, Die Fortschritte des nationalen Prinzips in Deutschland, 1842, in: Hans Fenske (Hrsg.), Vormärz und Revolution 1840–1849 (Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert; Bd. 4), Darmstadt 1976, S. 59. Vgl. hierzu: Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung 1791–1848, 2. Aufl., Stuttgart 1975, S. 337 ff. Vgl. Herbert Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848 (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Düsseldorf 1984, 521 ff.

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gleich unmittelbare Mitsprachemöglichkeiten für das Bürgertum zu eröffnen. Der Braunschweiger Liberale Karl Steinacker bekräftigte einerseits das Recht der Bürger, an Entscheidungen über Steuern und Staatsfinanzen beteiligt zu sein, hob aber im Hinblick auf die Entscheidungsprozesse im Deutschen Zollverein hervor, dass die Kontrolle über die einzelstaatlichen Landtage entweder die Handlungsmöglichkeiten des Zollvereins hemme oder wegen der oft schnellen „Unterordnung unter eine relative Notwendigkeit“ letztlich ineffizient sei. Deshalb bekräftigte er in dem von Friedrich List herausgegebenen Zollvereinsblatt 1845 die Forderung „nach einem vollkommeneren, dem verfassungsmäßigen Prinzip entsprechenden Organismus des Zollvereins.“33 Im gleichen Jahr forderte David Hansemann auf dem rheinischen Provinziallandtag, dass bei den Festlegungen der Zolltarife eine Vertretung der einzelstaatlichen Parlamente einbezogen werden sollte. Solange dies noch nicht möglich sei, sollten wenigstens auf den regelmäßigen, bislang nur von Bevollmächtigten der Vereinsstaaten beschickten Generalkonferenzen des Zollvereins künftig Gewerbe- und Handeltreibende aus allen Staaten des Vereins zugezogen werden.34 Hansemann und der seinen Antrag unterstützende Provinziallandtag hofften darauf, dass ein aus Vertretern der einzelstaatlichen Landtage bestehendes Zollparlament nicht nur die handelspolitischen Entscheidungen der Regierungen positiv beeinflussen und leichter einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden tarifpolitischen Interessen herbeiführen könnte, sondern sahen in einem solchen Organ auch ein geeignetes Mittel, um den einheits- und verfassungspolitischen Forderungen des Bürgertums näher zu kommen. Während solche Pläne bei den Zollvereinsregierungen auf entschiedene Ablehnung stießen, fanden sie in Teilen der liberalen Öffentlichkeit große Unterstützung. Im Mai 1847 bezeichnete das in Heidelberg neu erscheinende Organ des gemäßigten Liberalismus, die „Deutsche Zeitung“,35 den Zollverein als „Ausgangspunkt einer deutschen Volkspolitik“ und verschaffte den Plänen David Hansemanns eine noch größere Resonanz.36 33 34

35 36

Zollvereinsblatt, Bd. 3 (1845), S. 53. Vgl. Kurt Düwell, David Hansemann als rheinpreußischer Liberaler in Heppenheim 1847, in: Schieder (Hrsg.), Liberalismus (wie Anm. 8), S. 304. Vgl. auch den Beitrag von Rudolf Boch in diesem Band. Vgl. Ulrike von Hirschhausen, Liberalismus und Nation. Die Deutsche Zeitung 1847– 1850, Düsseldorf 1998. Zitiert nach: Fenske (Hrsg.), Vormärz (wie Anm. 30), S. 211.

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Als sich dann im Oktober 1847 18 führende west- und südwestdeutsche Liberale im hessischen Heppenheim trafen, um über ein gemeinsames Aktionsprogramm zu beraten, fand Hansemann bei wichtigen Vertretern des südwestdeutschen Liberalismus Unterstützung für sein Konzept. Karl Mathy aus Baden, August Hergenhahn aus Nassau und Heinrich von Gagern teilten die Auffassung, dass vom Deutschen Bund nach allen bisherigen Erfahrungen wenig zu erwarten sei und dass deshalb „das Ziel der Einigung Deutschlands zu einer deutschen Politik“ wohl eher erreicht werde, „wenn man die öffentliche Meinung für die Ausbildung des Zollvereins zu einem deutschen Vereine gewinne.“37 Schon sechs Jahre zuvor hatte Hoffmann von Fallersleben in seinem Zollvereinsgedicht betont, dass jenes Band, das der Zollverein „um das deutsche Vaterland“ gewunden habe, die Herzen mehr verbinde als der Deutsche Bund.38 Auch in der öffentlichen Meinung stand der Zollverein viel positiver da als der Bund. Während die Politik des letzteren im Vormärz mit Repression und Stagnation verbunden wurde, hatte der Zollverein einen „nationalen Symbolwert“ erhalten, der von den Regierungen seiner Gliedstaaten nicht beabsichtigt worden war.39 Dennoch wiesen andere Teilnehmer der Heppenheimer Versammlung, allen voran der Mannheimer Verleger Friedrich Daniel Bassermann, darauf hin, dass man angesichts der großdeutschen und preußenskeptischen Stimmen im deutschen Süden den propagandistischen Erfolg eines Zollvereinsausbaus nicht überschätzen sollte. Am Ende einigte sich die Versammlung auf den Kompromiss, „vorzugsweise auf die Ausbildung des Zollvereins und eine Vertretung seiner Bevölkerung im Zollkongreß durch Notable hinzuwirken, aber auch keine andere Gelegenheit, welche Zeit und Ereignisse bringen mögen, unbenutzt zu lassen, um die Idee der deutschen Einheit zu stärken.“40 Die Diskussionen, die in den Jahren vor der Revolution von 1848/49 über ein Zollparlament geführt wurden, belegen sehr klar, dass der Deutsche Zollverein wenige Jahre nach seiner Gründung neben der wirtschaftli37

38 39 40

Bericht über die Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847, in: Joseph Hansen (Hrsg.), Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830–1850, Bd. 2, Bonn 1942, Nr. 178, S. 351. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Ausgewählte Werke in vier Bänden, hrsg. v. H. Benzmann, Bd. 2, Leipzig o. J., S. 91 f. Andreas Etges, Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich (1815– 1914), Frankfurt a.M. 1999, S. 61. Bericht über die Heppenheimer Versammlung vom 10. Oktober 1847, in: Hansen (Hrsg.), Rheinische Briefe, Bd. 2 (wie Anm. 37), Nr. 178, S. 352.

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chen Entwicklung auch die einheits- und verfassungspolitischen Bestrebungen des Bürgertums beförderte. Die vom Zollverein in Gang gesetzten Entwicklungen entsprachen im Grunde ganz der Mentalität des vormärzlichen Bürgertums, das in seiner großen Mehrheit einen revolutionären Weg ablehnte und gemeinsam mit Reformkräften der Staatsbürokratie seine Ziele zu verwirklichen suchte. Mit dem Ausbruch der Revolution von 1848/49 verschwanden die Zollparlamentspläne zunächst einmal aus der öffentlichen Diskussion, da unter den neuen politischen Verhältnissen der evolutionäre Weg über ein Zollparlament gar nicht mehr nötig erschien, sondern mit der vom Volk gewählten Nationalversammlung die großen einheits- und verfassungspolitischen Ziele direkt angesteuert werden konnten.41 IV. Die Zollparlamentsidee im nationalen Verfassungsdiskurs von 1850 bis 1868 Nach dem Scheitern der großen Ziele der Revolution von 1848/49 schrieb David Hansemann zwar, dass Deutschland bei einer Verwirklichung seiner Reformpläne „nicht die Katastrophen des Jahres 1848 erfahren“ hätte und über ein Zollparlament „im Wege der Reform politisch fortgeschritten wäre.“42 Unter den neuen politischen Bedingungen des im wiederhergestellten Deutschen Bund durchgesetzten Reaktionssystems war freilich eine Wiederaufnahme der Zollparlamentspläne weder opportun noch chancenreich. Zunächst einmal kam es aus der Sicht der Liberalen darauf an, ein Auseinanderfallen des Zollvereins, dessen innere Entwicklung zu Beginn der 1850er Jahre immer mehr vom neu entfachten preußisch-österreichischen Dualismus bestimmt wurde, zu verhindern. Während Österreich unter seinem neuen Ministerpräsidenten Schwarzenberg nun mit Macht darauf drängte, durch eine Beteiligung am zollpolitischen Integrationsprozess die preußische Führungsrolle in den wirtschaftlichen Fragen Deutschlands zu egalisieren,43 wollte Preußen gerade nach dem politischen Prestigeverlust, den es mit der Olmützer Punktation erlitten hatte, die im Vormärz errungene handelspolitische Führung nicht preisgeben. Als es die österreichischen Wünsche brüsk abwies und die anstehende 41

42 43

Zur Revolution vgl. jetzt zusammenfassend: Hans-Werner Hahn/Helmut Berding, Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 14), 10., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 2010, S. 529 ff. David Hansemann, Das preußische und deutsche Verfassungswerk, Berlin 1850, S. 75 f. Vgl. den Beitrag von Thomas J. Hagen in diesem Band.

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Verlängerung der Zollvereinsverträge an die Bedingung band, dass die bisherigen Vereinsstaaten den zwischen Preußen und dem Königreich Hannover ausgehandelten Beitrittsvertrag zu akzeptieren hatten, geriet der Zollverein in seine erste große Existenzkrise.44 Zeitweise drohten die süddeutschen Vereinsstaaten damit, den Zollverein mit Preußen aufzugeben und eine separate Zollunion mit Österreich einzugehen. In dieser Situation setzten sich die meisten noch in den Landtagen verbliebenen Liberalen und Demokraten entschieden für den Erhalt des Zollvereins ein. Er entsprach ihrer Ansicht nach nicht nur den materiellen Interessen ihrer Staaten, sondern wurde ausdrücklich auch mit dem Argument verteidigt, dass man nicht das letzte verbliebene nationale Band zerreißen dürfe.45 Im April 1853 konnte der nun um Hannover und Oldenburg erweiterte Zollverein auf der alten rechtlichen Grundlage um weitere zwölf Jahre verlängert werden. Möglich wurde dies durch einen Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und Österreich. In diesem wurde letzterem eine besondere Stellung gegenüber dem Zollverein eingeräumt und zugleich von preußischer Seite versprochen, mit Wien zu einem späteren Zeitpunkt über einen Beitritt zu verhandeln. An einen organisatorischen Ausbau des Zollvereins im Sinne der Zollparlamentspläne war in dieser Situation nicht zu denken. Dies wäre am Widerstand der Vereinsstaaten und ihrer konservativen Regierungen schon deshalb gescheitert, weil eine institutionalisierte Mitsprache des Bürgertums nicht dem Geist des Reaktionssystems entsprochen hätte. Auf der anderen Seite aber wuchs mit dem starken wirtschaftlichen Aufschwung der 1850er Jahre innerhalb Deutschlands der wirtschaftliche Regelungsbedarf, dem der Deutsche Bund bis dahin nur unzureichend Rechnung getragen hatte, den er aber im Zuge der neuen Bundesreformbestrebungen seit 1855 gezielt aufzugreifen versuchte.46 In der allmählich wieder an Bedeutung gewinnenden öffentlichen Meinung wurde freilich beklagt, dass man dabei dem deutschen Volk eine „aktive Teilnahme“ an der „Leitung seiner gemeinsamen Angelegenheiten“ verweigere.47 In mehreren süddeut44

45 46 47

Vgl. Helmut Böhme, Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit 1848–1881, 2. Aufl., Köln 1972, S. 19 ff.; Hahn, Geschichte (wie Anm. 18), S. 140 ff. Vgl. Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 19), S. 266. Vgl. dazu den Beitrag von Jürgen Müller in diesem Band sowie ausführlich: ders., Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005, S. 391 ff. Antrag der Abgeordneten Martin Mohr und Ludwig Cretzschmer im großherzoglich hessischen Landtag vom 30. Juli 1855, in: Peter Fleck/Eckhardt G. Franz (Hrsg.), Die

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schen Landtagen wurde daher die Regierung ersucht, auf der Bundesebene eine zeitgemäße Repräsentation des Volkes zu schaffen. Das Bürgertum wollte sich auf Dauer nicht mit wirtschaftlichen Erfolgen zufrieden geben, sondern gerade aufgrund seiner wachsenden ökonomischen und gesellschaftlichen Macht an der nationalen Politik beteiligt sein. Wie sehr gerade die wirtschaftlichen Entwicklungen und Bedürfnisse dieses Streben beförderten, zeigte der im September 1858 in Gotha gegründete „Kongreß deutscher Volkswirte.“ Der von liberalen Politikern geschaffene Verband sollte einen Zentralpunkt für alle wirtschaftlichen Bestrebungen bilden und war nach den Worten Karl Brauns, des Vorsitzenden der jährlichen Versammlungen, „damit der Repräsentant der großen gemeinsamen volkswirtschaftlichen Interessen des deutschen Reiches oder, da wir für jetzt leider noch nicht so sagen können, der Interessen der deutschen Nation.“48 Aus der Sicht des wieder erstarkenden politischen Bürgertums konnten die Interessen der Nation auf Dauer zwar nur durch ein nationales Parlament wirkungsvoll vertreten werden, wie es mit der deutschen Nationalversammlung von 1848/49 bereits kurzzeitig existiert hatte. Dennoch kam auch die Zollparlamentsidee in den neu entfachten Debatten über die politische Ordnung Deutschlands noch einmal ins Spiel. Dies war zum einen auf die schwerfälligen Entscheidungsprozesse im staatenbündisch organisierten Zollverein, zum anderen aber vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass der von Preußen geführte Zollverein von vielen kleindeutsch orientierten Liberalen nach wie vor als wichtiger Ansatzpunkt einer nationalen Politik angesehen wurde. Bestärkt wurden diese Kräfte durch die „Neue Ära“ in Preußen, die Prinzregent Wilhelm im November 1858 mit dem Satz eingeleitet hatte, dass Preußen „moralische Eroberungen“ anstreben müsse „durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie der Zollverband es ist, der indes einer Reform wird unterworfen werden müssen.“49

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nachrevolutionären Landtage des Großherzogtums Hessen 1849–1856. Reden aus den parlamentarischen Debatten, Darmstadt 2008, S. 364. Zitiert nach: Andreas Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland 1857–1868. Nationale Organisation und Eliten, Düsseldorf 1994, S. 49. Vgl. ferner Volker Hentschel, Die deutschen Freihändler und der Volkswirtschaftliche Kongreß 1858 bis 1885, Stuttgart 1975. Ansprache des Prinzregenten an das Preußische Staatsministerium vom 8. November 1858, in: Hans Fenske (Hrsg.), Der Weg zur Reichsgründung 1850–1870, Darmstadt 1977, S. 136.

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Die Zollvereinsreform und die damit verbundenen Zollparlamentspläne wurden zu Beginn der 1860er Jahre noch einmal zu einem wichtigen Thema im öffentlichen Meinungsstreit. Als Präsident des neu gegründeten Deutschen Handelstags, der Vertretung der Handelskammern, griff David Hansemann seine alten Zollparlamentspläne wieder auf. Gemeinsam mit anderen altliberalen Politikern sah Hansemann in einem reorganisierten Zollverein einen geeigneten Ansatzpunkt für eine gesamtdeutsche Reformpolitik. Der Zollverein sollte künftig von einer zehnköpfigen Zentralbehörde unter ständigem Vorsitz Preußens geführt werden, die nach dem Mehrheitsprinzip entschied und der eine Volksvertretung zur Seite gestellt werden sollte. Letztere sollte sich aus zwei Kammern zusammensetzen, wobei die erste durch Delegierte der Länderparlamente, die zweite aber durch die direkte Wahl des Volkes beschickt werden sollte. Hansemann wollte auf diese Weise eine evolutionäre Alternative zum Programm des 1859 gegründeten Nationalvereins bieten, dessen weiter gehende nationalpolitische Ziele aus Sicht des Altliberalen nur auf revolutionärem Wege zu erreichen waren.50 In der Tat gingen die politischen Vorstellungen, die innerhalb des Nationalvereins entwickelt wurden, weit über ein Zollparlament hinaus. Kernziel war die vollständige politische Einheit mit einem direkt gewählten nationalen Parlament, wie es 1848/49 schon einmal existiert hatte. Dennoch wurde auch innerhalb des Nationalvereins und in dem eng mit ihm verflochtenen „Kongreß deutscher Volkswirte“ zu Beginn der 1860er Jahre noch einmal über Zollvereinsreform und Zollparlament diskutiert. Gefördert wurde diese Debatte durch den 1862 zwischen Preußen und Frankreich abgeschlossenen Handelsvertrag, der sowohl wegen seiner wirtschaftlichen als auch aufgrund seiner politischen Folgen heftige öffentliche Diskussionen hervorrief. Umstritten war zum einen die freihändlerische Ausrichtung des Vertrages, zum anderen wurde von den Gegnern kritisiert, dass der Handelsvertrag das besondere Verhältnis zwischen dem Zollverein und Österreich beende und damit von Preußen zur Durchsetzung einer kleindeutschen Einigungspolitik genutzt werde. Preußen machte die anstehende Verlängerung der Zollvereinsverträge davon abhängig, dass die übrigen Vereinsstaaten den im Handelsvertrag mit Frankreich festgelegten 50

Vgl. Biefang, Politisches Bürgertum (wie Anm. 48), S. 261. Vgl. auch Roland Zeise, Die Rolle des Zollvereins in den politischen Konzeptionen der deutschen Bourgeoisie von 1859–1866, in: Helmut Bleiber (Hrsg.), Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland 1789–1871, Berlin (Ost) 1977, S. 433–455.

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Grundsätzen zustimmten und löste damit eine zweite große Zollvereinskrise aus.51 Der Streit um den Handelsvertrag und die Verlängerung des Zollvereins zeigte nach Ansicht Karl Brauns, wie dringend der Zollverein einer anderen Organisation und vor allem einer institutionell abgesicherten Mitsprache des Volkes bedurfte. Er kritisierte in diesem Zusammenhang das „liberum veto“, mit dem jeder Mitgliedsstaat des Zollvereins notwendige Veränderungen blockieren konnte und forderte Mehrheitsentscheidungen der Vereinsregierungen, die aber zugleich durch ein Zollparlament legitimiert werden müssten. Für Braun reichte es nicht mehr aus, dass sich die Regierungen bei ihren handelspolitischen Entscheidungen von „Sachverständigen“ der Wirtschaft beraten ließen oder dass die Handelsfragen in öffentlichen Versammlungen und in der Presse diskutiert wurden. Er forderte vor dem „Kongreß deutscher Volkswirte“ 1862 ein Zollparlament als „centrale Volksvertretung für volkswirthschaftliche Dinge“, weil die einzelstaatlichen Landtage nicht die Macht hätten, die wichtigen handelspolitischen Entscheidungen zu beeinflussen und außerdem aufgrund ihrer Stellung ohnehin dazu neigten, die Dinge zunächst einmal aus der einzelstaatlichen Perspektive zu beurteilen. Notwendig sei aber eine „gemeinsame Volksvertretung, die gleichzeitig auf alle Regierungen auf einmal und mit gleichem Gewicht“ einwirke.52 Brauns lange Rede, die Erfolge und Defizite des Zollvereins nüchtern bilanzierte, zeigte noch einmal sehr klar, wie die mit dem Zollverein begonnene handelspolitische Integration die Diskussionen über die verfassungsmäßigen Rechte und die Mitsprache des Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten verstärkt hatte. Braun machte in seinem Plädoyer für ein Zollparlament allerdings auch deutlich, dass in der neuen politischen Situation ein „bloßes Zollparlament“ nur ein „provisorischer Notbehelf“, eine kleine „Abschlagszahlung“ auf ein „wirkliches Reichsparlament“ sein könne.53 Die Mehrheit des Volkswirtekongresses und des Nationalvereins ließ sich von Brauns Werben für ein Zollparlament aber nicht voll überzeugen. Aus ihrer Sicht kam es nämlich nun darauf an, den Primat der Politik durchzusetzen 51

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Vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 18), S. 165 ff.; ausführlich: Böhme, Großmacht (wie Anm. 44), S. 91 ff.; Eugen Franz, Der Entscheidungskampf um die wirtschaftspolitische Führung Deutschlands (1856–1867), München 1933. Die Verhandlungen des 5. Kongresses deutscher Volkswirte zu Weimar, am 8., 9., 10. und 11. September 1862. Stenographischer Bericht, hrsg. vom Büro des Kongresses, Weimar 1862, S. 69. Ebd., S. 18.

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und alle Kraft auf den „politischen Bundesstaat“ zu richten, also eine deutsche Zentralgewalt und ein deutsches Parlament zu verlangen.54 Am Ende musste sich Braun mit dem Kompromiss zufrieden geben, dass die Versammlung angesichts der Zollvereinskrise „die alsbaldige Errichtung einer gemeinsamen Centralbehörde und Volksvertretung auch für die volkswirtschaftlichen Angelegenheiten“ für geboten ansah.55 Damit wurde die Reorganisation der Zollvereinsverfassung nur zu einem „Anhängsel einer politischen Einheit.“56 Im Übrigen zeigten Verlauf und Ausgang der zweiten großen Zollvereinskrise, dass eine Zollvereinsreform, wie sie auch von Bismarck mehrfach ins Spiel gebracht wurde,57 unter den politischen Verhältnissen des Deutschen Bundes nicht durchzusetzen war. Die handelspolitisch ohnehin stark unter Druck gesetzten Mittelstaaten hätten einen solchen Eingriff in ihre Souveränitätsrechte nicht akzeptiert. Deshalb wurde der Zollverein 1865 noch einmal auf der alten Rechtsgrundlage verlängert. Zu einem Zollparlament kam es erst 1868, nachdem der Krieg von 1866 ganz neue politische Konstellationen geschaffen hatte. Zwischen dem Norddeutschen Bund, der als Bundesstaat ein einheitliches Zollgebiet und die ausschließliche Gesetzgebung über Zoll- und Handelsfragen besaß, und den vier süddeutschen Staaten wurde 1867 ein neuer Zollvereinsvertrag geschlossen. Auch der Zollverein erhielt nun eine bundesstaatliche Struktur. Die Gesetzgebung des Vereins lag künftig in den Händen des Zollbundesrates, der die bisherige Generalkonferenz ersetzte und in dem Preußen den Vorsitz führte, sowie beim neuen Zollparlament. Dieses setzte sich aus den Abgeordneten des Norddeutschen Reichstages und 85 süddeutschen Abgeordneten zusam54 55 56 57

Vgl. ausführlich zu den Debatten und den Strategien: Biefang, Politisches Bürgertum (wie Anm. 48), S. 259 ff. Verhandlungen des 5. Kongresses deutscher Volkswirte (wie Anm. 52), S. 75. Biefang, Politisches Bürgertum (wie Anm. 48), S. 266. Bismarck hatte schon im März 1858 als preußischer Bundestagsgesandter die komplizierten Entscheidungsstrukturen im Zollverein kritisiert, in dem „neben den 28 Regierungen noch einige 50 ständische Körperschaften, geleitet von sehr partikulären Interessen, ein liberum veto ausüben“ würden. Wenn er in diesem Zusammenhang nun eine „Art Zollparlament“ vorschlug, dann hatte er dabei aber weniger die verfassungsgemäße Mitsprache des Volkes im Auge, sondern die schnellere Durchsetzung der von Preußen vorbereiteten tarifpolitischen Entscheidungen. Heinrich von Poschinger (Hrsg.), Preußen im Bundestag, Bd. 4, Leipzig 1884, S. 298 f. Zur Bedeutung des Zollvereins für die Politik Bismarcks vgl. Alfred Meyer, Der Zollverein und die deutsche Politik Bismarcks. Eine Studie über das Verhältnis von Wirtschaft und Politik im Zeitalter der Reichsgründung, Frankfurt a.M. 1986.

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men, die nach dem allgemeinen Männerwahlrecht direkt in dieses Parlament gewählt wurden.58 Bismarck und die kleindeutsch gesinnten Liberalen hofften darauf, dass das Zollparlament trotz seiner auf die Handels- und Steuerfragen begrenzten Kompetenzen zu einem Motor der weiteren Einheitspolitik werden könnte und die vollständige politische Integration des Südens in einen deutschen Einheitsstaat beschleunigen würde. Wie sehr die kleindeutsch gesinnten Liberalen die nationale Bedeutung des Zollparlaments betonten und es als Vorstufe eines nationalen „Vollparlaments“ ansahen, zeigte auch ihre Forderung, dass bei den Wahlen der süddeutschen Abgeordneten das passive Wahlrecht jedem Angehörigen eines Zollvereinsstaates zustehen sollte, der nach den Gesetzen seines Staates wählbar sei.59 Demgegenüber wollten die Regierungen und die Gegner einer forcierten kleindeutschen Einigungspolitik das passive Wahlrecht auf Wahlberechtigte der süddeutschen Staaten beschränken. Die Zollparlamentswahlen selbst unterstrichen, wie skeptisch große Teile der süddeutschen Bevölkerung einer kleindeutschen Einigungspolitik weiterhin gegenüberstanden.60 Die Wahlerfolge der Preußengegner unterschiedlicher politischer Couleur enttäuschten die überschwänglichen Hoffnungen, mit denen die kleindeutschen Liberalen das Zollparlament begrüßt hatten, und auch die erste Sitzungsperiode des im April 1868 eröffneten Zollparlaments begann in dieser Hinsicht wenig verheißungsvoll. Als die nationalliberale Fraktion den Antrag stellte, mit Hilfe des Zollparlaments möglichst rasch eine „vollständige Einigung des ganzen Deutschen Vaterlandes in friedlicher und gedeihlicher Weise“ herbeizuführen,61 wurde dies mit 186 gegen 150 Stimmen abgelehnt. Die Mehrheit wollte den Wirkungskreis des Parlaments auf die Aufgaben begrenzen, die ihm in der Ordnung des Zollvereins zugesprochen worden waren, den freilich auch die Gegner der Nati58

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Zur rechtlichen Struktur des neuen Zollvereins vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 3: Bismarck und das Reich, 2. Aufl., Stuttgart 1970, S. 629 ff. Zur hessen-darmstädtischen Debatte über das Wahlrecht vgl. Manfred Köhler/Christof Dipper (Hrsg.), Einheit vor Freiheit? Die hessischen Landtage in der Zeit der Reichseinigung 1862–1875, Darmstadt 2010, S. 748 ff. Vgl. jetzt: Michael Horn, Die süddeutschen Abgeordneten im Zollparlament und die nationale Frage 1868–1870, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 155 (2007), S. 393–425. Zu Bayern: Jochen Schmidt, Bayern und das Zollparlament. Politik und Wirtschaft in den letzten Jahren vor der Reichsgründung (1866/67–1870), München 1973. Zitiert nach: ebd., S. 199.

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onalliberalen nicht in Frage stellten. Aber auch wenn die großen Hoffnungen auf die politische Integrationskraft des Zollparlaments am Ende nicht erfüllt wurden und die Reichseinigung durch militärische und politische Mittel erreicht wurde, so zeigten doch Vorgeschichte, Zustandekommen und Existenz dieses Parlaments, wie sehr der Zollverein auch die verfassungspolitische Entwicklung beeinflusste und wie sehr er die Forderungen des Bürgertums nach gesamtdeutscher Repräsentation und politischer Mitsprache beförderte. V. Fazit Die Gründung des Deutschen Zollvereins führte zunächst zu Diskussionen über die verfassungsmäßigen Rechte der einzelstaatlichen Landtage, die aber zunehmend über die Grenzen dieser Einzelstaaten hinweg geführt wurden und den Blick der Parlamentarier auf die gesamtnationale Ebene hin erweiterten. Seit Mitte der 1840er Jahre wurde der Zollverein von wichtigen Vertretern des liberalen Bürgertums als organisatorische Grundlage einer gesamtnationalen Verfassungsgebung angesehen. Der Deutsche Bund mit seiner Präsidialmacht Österreich schien in den Augen einflussreicher Liberaler wie David Hansemann dafür nicht mehr in Frage zu kommen und eine nationale Verfassungsgebung auf revolutionärem Weg lehnte ein Großteil des liberalen Bürgertums ohnehin ab. Zugleich schien gerade die zentrale Bedeutung der zoll- und handelspolitischen Fragen eine die einzelstaatlichen Grenzen überschreitende parlamentarische Vertretung beim Zollverein notwendig zu machen. Der Deutsche Zollverein wurde damit immer mehr als politischer Rahmen für eine nationale Verfassung angesehen. Auch nach dem Scheitern der großen Ziele der Revolution von 1848/49 bildete der Zollverein nach Auffassung vieler Liberaler die einzig verbleibende Grundlage für eine verfassungspolitische Reorganisation auf nationaler Ebene. Die zollpolitischen Offensiven Österreichs stießen zwar bei den Regierungen und in der Öffentlichkeit der meisten Mittel- und Kleinstaaten aufgrund von (national-)politischen Sympathien auf breite Resonanz; gleichzeitig wurde der wirtschaftlich und finanziell so erfolgreiche Zollverein jedoch von keinem seiner Mitglieder ernsthaft in Frage gestellt. Seit Beginn der 1860er Jahre wurde die Idee eines Zollparlamentes als erster Schritt zur Verwirklichung der national- und verfassungspolitischen Forderungen des liberalen Bürgertums erneut aufgegriffen. Zugleich suchte auch der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck nach dem Krieg gegen Österreich von 1866 die Zollparlamentsidee für seine eigenen deutsch-

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landpolitischen Pläne zu nutzen. Nach dem auch von vielen Liberalen heftig kritisierten „Bruderkrieg“ sowie den Annexionen deutscher Mittel- und Kleinstaaten durch Preußen konnte das Zollparlament jedoch zunächst keine durchschlagende nationalpolitische Einigungskraft entfalten. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 die verfassungspolitischen Debatten nicht nur in den Einzelstaaten intensivierte, sondern auch dazu beitrug, dass diese Diskussionen zunehmend über die einzelstaatliche Ebene hinweg geführt wurden. Mit alldem hat der mit dem Zollverein begonnene wirtschaftliche Einigungsprozess auch den (national-)verfassungspolitischen Debatten wichtige Impulse gegeben und die Idee eines nationalen Parlamentes als politische Klammer der Nation nachhaltig gefördert.

Henning Kästner

DER DEUTSCHE ZOLLVEREIN IN DEN PARLAMENTARISCHEN DEBATTEN AM BEISPIEL SACHSEN-WEIMAR-EISENACHS

I. Einleitung „Der Zollverein ist nun einmal vorzugsweise und tatsächlich die Heimat der Idee der Einheit geworden, und in seiner Mitte wird sie sich mit immer größerer Kraft entwickeln.“1

Diese von dem norddeutschen Liberalen Karl Steinacker im Jahr 1844 geschriebenen Worte führen direkt zu der hier zur Diskussion gestellten Frage, ob und inwieweit sich die Wahrnehmung Deutschlands als politische Einheit auf das Gebiet des Zollvereins verlagerte. Wenn man sich dieser Frage stellen möchte, ist es unerlässlich, die dazu gehörigen parlamentarischen Debatten innerhalb Deutschlands anzuschauen. Denn mit Inkrafttreten des Zollvereins entbrannte in fast allen deutschen Landtagen eine intensive Diskussion über die Auswirkungen des Vereins auf den gesamtstaatlichen Integrationsprozess und die Entscheidungs- und Aushandlungsfunktionen der einzelstaatlichen Interessenvertretungen.2 Beschleunigend wirkte hierbei, dass die Landtage zu Beginn der 1830er Jahre verstärkt aus dem Schatten der Regierungen heraustraten und ihre bisherige Rolle als Regierungsapparate ablegten.3 In diesem Zusammenhang stand auch eine ansteigende Partiku1

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Karl Steinacker, Die politische und staatsrechtliche Entwickelung Deutschlands durch den Einfluss des deutschen Zollvereins mit Bemerkungen über des Dr. Faber politische Predigten, Braunschweig 1844, S. 34. Vgl. den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band sowie: ders., Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 52), Göttingen 1982, S. 225 ff. Vgl. auch Eckhart G. Franz/Peter Fleck (Hrsg.), Der Landtag des Großherzogtums Hessen 1820–1848. Reden aus den parlamentarischen Reform-Debatten des Vormärzes (Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen; Bd. 18), Darmstadt 1998, S. 430–458; Volker Eichler (Bearb.), Nassauische Parlamentsdebatten. Bd. 1: Restauration und Vormärz 1818–1847 (Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen; Bd. 1), Wiesbaden 1985, S. 261–281. Vgl. Hartwig Brandt, Über Konstitutionalismus in Deutschland. Eine Skizze, in: Jürgen Kocka/Hans-Jürgen Puhle/Klaus Tenfelde (Hrsg.), Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat. Festschrift für Gerhard A. Ritter zum 65. Geburtstag, München

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larisierung der Landtage in verschiedene Interessenssphären, die der Diskussion ein breiteres Fundament verlieh.4 Dennoch fehlt es bisher an einer flächendeckenden Betrachtung der Parlamentsdebatten in Deutschland im Hinblick auf die zollpolitischen Entwicklungen während des Vormärz. Zu stark hatten sich die Ansichten der älteren Forschung etabliert, wonach die Entstehung des Zollvereins allein der Staatsbürokratie, besonders der preußischen, anzurechnen wäre, deren „Intentionen teils [in] deutschpatriotischen, teils in antikonstitutionell-reaktionären Motive[n]“ begründet gewesen seien.5 Mit der Einsicht, dass der Zollverein nicht der Beginn einer glorreichen preußischen Geschichte hin zum kleindeutschen Nationalstaat von 1871 war, lösten sich die Perspektiven aus den historiographisch festgefügten Bahnen und eröffneten neue Interpretationsspielräume.6 Damit rückten neben den bürokratischen Akteuren andere gesellschaftliche Triebkräfte in den Mittelpunkt der Betrachtung. Hierbei war es gerade die liberale Bewegung, der eine erhöhte Aufmerksamkeit zukam.7 Die hier vorliegende Betrachtung macht es sich hingegen nicht zur Aufgabe, die Rolle des Liberalismus im Formierungsprozess des Zollvereins nachzuzeichnen. Sie fragt vielmehr, wie schon oben angedeutet, nach der Wahrnehmung der Parlamentarier in dem Kleinstaat Sachsen-Weimar-Eisenach gegenüber dem Zollverein als Substitut zur fehlenden nationalpolitischen Einigung nach 1815. An dieser Stelle bleibt es jedoch nicht aus, einige theoretische und methodische Vorüberlegungen anzustellen. Durch die kulturalistische Wende und das in den letzten Jahren verstärkt proklamierte Konzept einer „Neuen Kulturgeschichte des Politischen“8 rückten Zugriffe auf historische Ereig-

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u.a. 1994, S. 261–276, hier S. 266. Zum Thema Frühparlamentarismus allgemein siehe aktuell: Hans-Christof Kraus, Grundzüge des deutschen Parlamentarismus vor 1848, in: Parliaments, Estates and Representation 30 (2010), S. 57–79. Zum allgemeinen Stand der Forschung siehe Elisabeth Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815–1871 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 22), 2., um einen Nachtrag erw. Aufl., München 2007, S. 90 ff. Hans-Werner Hahn, Zwischen deutscher Handelsfreiheit und Sicherung landständischer Rechte. Der Liberalismus und die Gründung des Deutschen Zollvereins, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.), Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz (Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 9), Göttingen 1983, S. 239–271, hier S. 240. Vgl. Marko Kreutzmann, Bürokratische Funktionseliten und politische Integration im Deutschen Zollverein (1834–1871), in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 613–645, hier S. 613 f. Vgl. Hahn, Liberalismus (wie Anm. 5). Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: dies. (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (Zeitschrift für historische

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nisse in den Vordergrund, die, ausgehend von einem konstruktivistischen Geschichtsverständnis, politisches Handeln wesentlich durch symbolische Kommunikation, sei es bewusst oder unbewusst, und durch wechselseitige Wahrnehmung rekonstruieren.9 Symbolische Kommunikation wird hiernach als verbaler und non-verbaler Akt der Wirklichkeitskonstruktion verstanden. Klammert man an dieser Stelle den non-verbalen Kommunikationsakt aus, konzentriert sich die Betrachtung auf die sprachliche Konstitution politischer Handlungsspielräume und Wirklichkeiten. Es ist daher zu fragen, wie der Zollverein als neue politische Institution kommuniziert und damit zugleich als ein neuer politischer Handlungsspielraum konstruiert wurde. Im Wesentlichen kann man mit Hilfe von Sprechakt- und Diskursanalysen diesem Problem nachkommen,10 indem einerseits Sprache als symbolische Handlung begriffen wird und andererseits mentale Strukturen, im Folgenden verstanden als kollektive Wahrnehmungsstrukturen des Landtages, die durch Sprache generiert sind, entschlüsselt werden. Über die Entschlüsselung mentaler Strukturen lassen sich wiederum Handlungsspielräume einzelner Akteure und Gruppen offen legen, was im Hinblick auf die Erforschung des Zollvereins den Vorteil bietet, dass man den bisher nur wenig beachteten Akteuren eine neue Rolle zuweisen kann und sie aus ihrem bisher zu eng gefassten Handlungsspielraum heraushebt. Anhand explizierter Äußerungen und Aussagen innerhalb des Landtages soll die Konstitution des Zollvereins als neue nationalpolitische Handlungsebene herausgestellt werden. Hierbei wird der vorliegende Aufsatz die Aussagen herausfiltern, die Grenzen und Zuständigkeiten des Landtages gegenüber dem Zollverein thematisieren und die implizit und explizit den Zollverein als Integrationsmotor zur nationalen Einigung begreifen. Im Unterschied zu Willibald Steinmetz, der Parlamentsdebatten um 1800 noch als „sprachlichen Kleinkrieg“ bezeichnete und der Rede einen erheblichen Einfluss auf den folgenden Entscheidungsprozess beimisst,11 soll der

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Forschung; Beiheft 35), Berlin 2005, S. 9–27; Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 574–606. Vgl. Andreas Biefang, Die andere Seite der Macht. Reichstag und Öffentlichkeit im „System Bismarck“ 1871–1890 (Parlament und Öffentlichkeit; Bd. 1), Düsseldorf 2009, S. 16. Vgl. Thomas Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, Düsseldorf 2002, S. 22 ff. Willibald Steinmetz, „Das Sagbare und das Machbare“. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume. England 1780–1867, Stuttgart 1993, S. 29.

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symbolischen Funktion der Debatten eine weitaus höhere Bedeutung zugestanden werden. Zwar dienten auf der einen Seite die Parlamentsdebatten in Sachsen-Weimar-Eisenach noch immer dazu, den politischen Entscheidungsprozess zu beeinflussen. Andererseits, und dies hängt eng mit der Professionalisierung der parlamentarischen Arbeit zusammen, sollten sie bereits getroffene Entscheidungen nach außen darstellen. Denn schon in den frühen Parlamenten verlagerten sich bestimmte Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse allmählich in die Hinterzimmer der politischen Arenen. Die Ausschüsse und die ab den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts entstehenden Fraktionen wurden zu Foren der politischen Meinungsbildung. Wenngleich dieser Prozess erst im Kaiserreich und endgültig in der Weimarer Republik vollends erkennbar wurde,12 begannen doch die Vorläufer dieses parlamentarischen Transformationsprozesses schon in den frühen deutschen Parlamenten. Dieser Prozess kann jedoch nicht in allen Staaten gleichermaßen beobachtet werden und ist eng mit dem Charakter des jeweiligen Landtages verknüpft. Es wird zu überprüfen sein, wie sich dieser Prozess in den Zollvereinsdebatten niederschlug. Denn auf der einen Seite verzichteten einige einzelstaatliche Parlamente in Bezug auf die Zollvereinsfrage auf die volle Ausschöpfung ihrer Mitwirkungsrechte und nahmen somit eine nach außen hin wirkende Rolle des Legitimationsstifters bereits durch die von der Regierung getroffene Entscheidung ein, auf der anderen Seite versuchte z.B. die liberale Kammeropposition in Kurhessen und Baden aktiv in den Aushandlungsprozess einzugreifen, aus Furcht, der Zollverein könne auf lange Sicht die Mitsprachekompetenzen der Landtage beschneiden.13 II. Die parlamentarischen Debatten zur Zollpolitik Sachsen-Weimar-Eisenachs vor der Gründung des Zollvereins Um den genannten Fragen nachgehen zu können, ist es nötig, zu Beginn einen kurzen Abriss der zollpolitischen Entwicklung Sachsen-WeimarEisenachs zu geben. Denn die Auffassung zum Zollverein im Weimarer Landtag war eng an die zollpolitischen Entwicklungen im Vorfeld der Zollvereinsgründung geknüpft und beeinflusste in hohem Maße Standpunkte und Wahrnehmungen der Abgeordneten. 12 13

Vgl. Mergel, Kultur (wie Anm. 10), S. 23. Vgl. den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band.

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Sachsen-Weimar-Eisenach war durch seine territoriale Zersplitterung in vielfacher Hinsicht nach 1815 zollpolitisch isoliert. So konnte es aufgrund seiner Größe wenig Einfluss auf die Politik des Deutschen Bundes nehmen, der in den Jahren nach 1815 selbst die großen Hoffnungen auf eine deutsche Zoll- und Wirtschaftseinheit nicht erfüllte.14 Darüber hinaus war das kleine Großherzogtum besonders stark vom zollpolitischen Alleingang Preußens betroffen. Das preußische Zollgesetz vom 26. Mai 181815 schuf neue Grundlagen, zum einen für die zollpolitischen Rahmenbedingungen im gesamten Deutschen Bund,16 zum anderen aber besonders für die Wirtschaftsentwicklung der thüringischen Staaten,17 war doch durch das preußische Zollsystem einer der größten Absatzmärkte für Produkte aus SachsenWeimar-Eisenach verschlossen worden.18 Obwohl aus fiskal- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten ein schneller Anschluss Sachsen-Weimar-Eisenachs an Preußen durchaus Vorteile geboten hätte, blieb dieser zunächst aus.19 Einerseits verhinderten die nach der Gründung des Deutschen Bundes gewachsenen Souveränitätsansprüche Carl Augusts einen Beitritt zum preußischen Zollsystem. Zum anderen setzte die Weimarer Staatsführung schon seit der Rheinbundzeit auf eine allmähliche Liberalisierung der Handelsmärkte. Schon am 30. Januar 1811 erließ Carl August ein Publicandum „zur tunlichsten Erweiterung der

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Vgl. Hans-Werner Hahn, Mitteleuropäische oder kleindeutsche Wirtschaftsordnung in der Epoche des Deutschen Bundes, in: Helmut Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit; Bd. 16/17), München 1990, S. 188 ff. Einen ausführlichen Einblick in die Entstehung des Zollgesetzes bietet Takeo Ohnishi, Zolltarifpolitik Preußens bis zur Gründung des Deutschen Zollvereins. Ein Beitrag zur Finanz- und Außenhandelspolitik Preußens, Göttingen 1973; zur älteren Forschung siehe Wilhelm Treue, Wirtschaftszustände und Wirtschaftspolitik in Preußen 1815–1835, Stuttgart 1937. Vgl. Helmut Berding/Hans-Werner Hahn, Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 14), 10., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 2010, S. 186; ebenso Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49, 2. Aufl., München 1987, S. 126. Vgl. Falk Burkhardt, Gewerbe, Industrie und Industrialisierung im 19. Jahrhundert in den thüringischen Residenzen, in: Konrad Scheurmann/Jördis Frank (Hrsg.), Neu entdeckt: Thüringen – Land der Residenzen, Essays, Mainz 2004, S. 425–443, hier S. 431. Vgl. Hans Patze, Die Zollpolitik der thüringischen Staaten von 1815 bis 1833, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 40 (1953), S. 28–58, hier S. 31 f. Allein die nördlichen Ämter des Großherzogtums traten 1823 dem preußischen Zollsystem bei.

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Freiheit der Gewerbe und des Handels.“20 Hierdurch wurde eine Reihe von Ein- und Ausfuhrverboten aufgehoben sowie der freie Verkehr inländischer Handwerker grundsätzlich erlaubt. Auch nach 1815 hielt die Staatsleitung am angestrebten wirtschaftspolitischen Kurs fest. So vermerkte die Landesdirektion, dass an der Freiheit des Gewerbes, wie sie 1811 in SachsenWeimar angedacht war, der weimarische Staat festhalten müsse, weil „allen deutschen Landen, wenn mit vereinten Kräften der Zweck, deutsche Handels- und Gewerbsfreiheit herzustellen, beliebt und endlich gewollt würde, eine solche Maasregel zum Seegen aller Deutschen gereichen und der allenfallsige Ausfall an Staatseinkünften auf andere und bessere Weise gedeckt werden könne.“21

Ganz im Sinne der Freihandelslehre sollte die „gegenseitige Konkurrenz auch ohne Zutun der staatlichen Behörden den stärksten Ansporn für die Unternehmungslust“22 bilden.23 Zwar unterstützten die Abgeordneten des 1818/19 tagenden Landtages die Regierung hinsichtlich der Liberalisierung des inländischen Marktes, auf ein einheitliches Vorgehen in Fragen der Zollpolitik konnten sie sich jedoch nicht einigen. Eine Motion des bäuerlichen Abgeordneten Johann Adam Marschall vom Jahr 1819, mit der Forderung, geeignete Maßnahmen zur Milderung der Nachteile, die durch das preußische Zollgesetz verursacht wurden, einzuführen, schob der Landtag mit der Begründung an die Regierung ab, Zollfragen lägen nicht im Kompetenzbereich des Parlaments.24 Weniger das fehlende Interesse an einer deutschlandweiten Einigung in der Zollfrage, als vielmehr der Glaube der Abgeordneten, die Regierung könne eine schnellere Lösung herbeiführen, war es, der den Landtag zu

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Siehe Weimarisches Wochenblatt Nr. 14 vom 19. Februar 1811, S. 53–54. Bericht der Landesdirektion, den Antrag des Landtags auf Abänderung des Publikandums wegen der Gewerbsfreiheit vom 30.1.1811 betr., 24.10.1818, in: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW), B 5431, Bl. 16r–29r. Fritz Hartung, Das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach unter der Regierung Carl Augusts 1775–1828, Weimar 1923, S. 468. Zur Schutzzoll- und Freihandelsdebatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts siehe Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980, S. 16 ff. Siehe Protokoll der 30. Sitzung, 9.1.1819, in: ThHStAW, Landtag Sachsen-WeimarEisenach, Nr. 71, Bl. 258r–263r.

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dieser Entscheidung trieb.25 Dass die durch das preußische Zollgesetz verstärkten fiskalischen und wirtschaftlichen Probleme einer Lösung bedurften, war aber durchaus auch Carl August bewusst. Hier kamen dem Großherzog die zollpolitischen Einheitsbestrebungen im Süden Deutschlands entgegen.26 Durch den wachsenden Druck aus Preußen und die auf Bundesebene wenig beachteten Handelsinteressen der Klein- und Mittelstaaten gewann die Ambition der süddeutschen Staaten zu einer engeren zollpolitischen Kooperation des dritten Deutschlands immer mehr an Bedeutung. In der Wiener Punktation vom 19. Mai 1820, der auch die ernestinischen Staaten beigetreten waren, erfuhren diese Bestrebungen ihre erste konkrete Ausgestaltung.27 Der Anschluss Sachsen-Weimar-Eisenachs an die Wiener Punktation ist nicht zuletzt auf den Versuch zurückzuführen, den wachsenden Unmut über die drückenden Zollschranken innerhalb des Wirtschaftsbürgertums zu dämpfen.28 Die zwischen 1820 und 1825 in Darmstadt weiter geführten Verhandlungen der süd- und mitteldeutschen Staaten scheiterten letztendlich an einem Konglomerat aus politischen, wirtschaftlichen und fiskalischen Interessengegensätzen.29 Während der Darmstädter Verhandlungen sah man sich in den thüringischen Staaten genötigt, einen zollpolitischen Zusammenschluss anzustreben, wenn es überhaupt zu einer Einigung der süd- und mitteldeutschen Staaten kommen und die Interessen der Ernestiner nicht gänzlich zwischen den größeren Staaten des Deutschen Bundes aufgerieben werden sollten.30 Das Mittel dazu sollte der Arnstädter Vertrag sein, dessen Ziel es weniger war, ein drittes System zwischen den süddeutschen Staaten und Preußen zu schaffen. Vielmehr sollte ein geschlossener thüringischer Wirtschaftsraum entstehen, der den Anschluss an ein größeres Zollsystem erleichtern konnte.31 Aber auch dieser Versuch sollte am Ende aufgrund partikularstaatlicher Interessengegensätze scheitern. 25 26

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Siehe hierzu auch die Entwicklungen im hessischen Raum: Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 2), S. 61. Ausführlich dazu siehe Peter Burg, Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom alten Reich zum deutschen Zollverein (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz; Bd. 136), Wiesbaden 1989, S. 274 ff. Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 33. Vgl. Patze, Zollpolitik (wie Anm. 18), S. 34 f. Vgl. Burg, Trias (wie Anm. 26), S. 297 ff.; Hahn, Geschichte (wie Anm. 27), S. 37 f. Vgl. Friedrich Facius, Politische Geschichte von 1828 bis 1945, in: Hans Patze/Walter Schlesinger (Hrsg.), Geschichte Thüringens. Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, Teil 2 (Mitteldeutsche Forschungen; Bd. 48/5/2), Köln/Wien 1978, S. 19 f. Vgl. ebd., S. 20.

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So schwierig die Verhandlungen unter den Regierungen waren, so uneinig war man sich auch im Weimarer Landtag über die künftige zollpolitische Strategie des Großherzogtums. Dissens bestand in der Frage, ob ein Anschluss Sachsen-Weimar-Eisenachs an Preußen die bessere Entscheidung darstelle, oder ob die Kooperation mit dem Süden die bessere Alternative war. Hingegen entwickelte sich ein allgemeiner Konsens darüber, dass eine nationale Einigung zunächst über den Weg einer handelspolitischen Einigung führen müsse.32 Heinrich Luden verwies in seiner am 26. April 1823 gehaltenen Rede zum Arnstädter Vertrag darauf, dass der Wohlstand der Staatsbürger nur aus der Kooperation aller Kräfte im Volke hervorgehen könne. Eine solche Kooperation sei aber nicht möglich „ohne einen freieren Verkehr des Volkes mit sich selbst. Darum sei es für Deutschlands Wohlstand und Gedeihen ohne Zweifel das wünschenswerteste, daß alle Schranken durchbrochen würden, welche im Inneren Deutschlands bestehen und die deutschen Staaten, Glieder des deutschen Volkes, auseinander halten.“33 Ein zollpolitischer Zusammenschluss war für Luden aber nur mit Preußen möglich. War doch die hohe Bedeutung des preußischen Absatzmarktes für den Kleinstaat Sachsen-Weimar-Eisenach,34 aber auch für andere deutsche Klein- und Mittelstaaten, aufgrund der tiefen territorialen Durchdringung dieser Staaten durch preußische Gebiete nicht von der Hand zu weisen.35 Warum der Anschluss an Preußen unumgänglich sein werde, begründete Luden folgendermaßen: „Allerdings ständen wir durch unsere Verfassung den süddeutschen Staaten näher als dem Königreich Preußen, aber wir ständen ihnen auch nur näher in konstitutioneller Hinsicht, und dieses Verhältnis sei teils für den Zweck dieser Verbindung weniger wichtig, teils müßte man doch auch für Preußen eingestehen, daß wenigstens die Verwaltung in konstitutioneller Weise geschehe. Und sähe man hiervon hinweg, so weise alles auf Preußen.“36

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Siehe Protokolle der vertraulichen Sitzungen, 26. und 28.4.1823, in: ThHStAW, Landtag Sachsen-Weimar-Eisenach, Nr. 89, Bl. 29r–36v, Bl. 37r–42v. Rede Heinrich Ludens vor dem Landtag, 26.4.1823, in: ebd., Bl. 35r. Vgl. Kurt Wildenhayn, Der Thüringische Zoll- und Steuerverein. Sein Wesen und seine Bedeutung in völkerrechtlicher u. staatsrechtlicher Hinsicht, Ellerich am Harz 1927, S. 4. Vgl. Hans-Werner Hahn, Thüringischer Zollverein und regionale Wirtschaftsinteressen. Erfurt als Zentralort einer neuen thüringischen Wirtschaftspolitik 1834–1848/49, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 60 (1999), S. 75–87, hier S. 77. Wie Anm. 33, Bl. 35v.

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Darüber hinaus hegte Luden ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Darmstädter Verein, der seiner Meinung nach niemals die Festigkeit eines preußisch geführten erreichen könne. Aus diesen Überlegungen heraus stimmte Luden auch gegen den Beitritt zum Arnstädter Vertrag, der seiner Ansicht nach in staatswirtschaftlicher und nationaler Hinsicht wenig vorteilhaft wirkte und die partikulare Zersplitterung nur weiter fördere. Nicht allein aus ökonomischen Überlegungen heraus setzte sich Luden für eine Annäherung an Preußen ein. Vielmehr ist seine Position vor dem Hintergrund der national-liberalen Bewegung innerhalb Thüringens im Kontext der Befreiungskriege zu verstehen.37 Dabei waren die aus seiner tiefen antinapoleonischen Haltung heraus entwickelten Vorstellungen zur nationalen Einheit Deutschlands38 immer eng mit seiner Bewunderung gegenüber Preußen als „Befreier der deutschen Nation“ verknüpft.39 Breite Zustimmung erlangte Luden in der Frage des Beitritts zum Arnstädter Vertrag. Derweil blieben aber die Meinungen über einen Anschluss an Preußen innerhalb des Landtages geteilt. Zu groß war insbesondere die Befürchtung der Abgeordneten aus dem Neustädter und Eisenacher Kreis, dass ein Anschluss an Preußen wirtschaftliche Nachteile bringen würde.40 Am Ende stimmte der Landtag nur für einen formellen Beitritt zum Arnstädter Vertrag. Der Verein sollte lediglich dazu dienen, „den Weg sicherer zu bahnen, [um] mit größeren Staaten eine Handelsverbindung zu ermöglichen – demnach wohl nur als Mittel zu einem fernern Zweck zu betrachten seyn.“41 Deutlich betonte aber der Landtag in seiner Erklärungsschrift vom 28. April 1824, dass eine baldmöglichste Erfüllung des Artikels 19 der deutschen Bundesakte von Seiten der Regierung angestrebt werden müsse. Offen ließ man hingegen eine Positionierung gegenüber Preußen oder Süddeutschland. 37 38

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Grundlegend dazu: Klaus Ries, Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007, S. 192 ff. Vgl. Klaus Ries, Zwischen Wissenschaft, Staat und Gesellschaft. Heinrich Luden als politischer Professor der Universität Jena, in: Hans-Werner Hahn/Werner Greiling/ Klaus Ries (Hrsg.), Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Rudolstadt/Jena 2001, S. 27–53. Siehe Heinrich Luden, Ueber Preußens Wiederherstellung im Jahre 1813, in: Nemesis, Bd. 1, Nr. 4 (1814), S. 466–476; die Bewunderung gegenüber Preußen legte Luden zeit seines Lebens nicht ab, vgl. Heinrich Luden, Rückblicke in mein Leben, Jena 1847, S. 133–221. Siehe Protokoll der vertraulichen Sitzung, 28.4.1823, in: ThHStAW, Landtag SachsenWeimar-Eisenach, Nr. 89, Bl. 37r–42v. Erklärungsschrift des Landtages, 28.4.1823, in: ebd., Nr. 88, Bl. 1160.

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Nachdem die Debatten zum Arnstädter Vertrag abgeschlossen waren, verebbten langsam die zollpolitischen Diskussionen im Weimarer Landtag. Die Gründe dafür lagen zum einen in der Tagungsfrequenz des Landtages, der in jeweils präsenten Diskussionsphasen zum Mitteldeutschen Handelsverein nicht tagte. Zum anderen aber lag dies auch an der konsequenten Enthaltungsstrategie der Regierung gegenüber der Ständeversammlung, die bis zur Gründung des Deutschen Zollvereins dem Landtag keine zollpolitisch relevanten Entscheidungen zur Verhandlung beigab. Daneben verbreitete sich eine tiefe Resignation gegenüber den zollpolitischen Entwicklungen in Deutschland. Die lange erhoffte Erfüllung des Artikels 19 der Deutschen Bundesakte war nicht in Sicht und die Ergebnisse der Verhandlungen zum Mitteldeutschen Handelsverein blieben hinter den Erwartungen zurück. Exemplarisch für die Stimmung unter den Abgeordneten ist eine in der letzten Sitzung des fünften ordentlichen Landtages am 31. März 1829 gehaltene Rede des Neustädter Abgeordneten Carl Hering.42 In dieser beklagte er den weiteren Rückgang der Manufakturen und pries den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen der Fabriken an, die durch die Kasseler Konvention jedoch keinerlei Schutz erfahren hätten, und weiterhin durch Zölle, Gefälle und Abgaben innerhalb der Vereinsstaaten Schaden nähmen. III. Wahrnehmungen zum Deutschen Zollverein im Weimarer Landtag während der Gründungsphase Die bis zu Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts noch vereinzelt geführten Debatten zur zollpolitischen Integration Sachsen-Weimar-Eisenachs erhielten ihren endgültigen Durchbruch durch die Gründung des Zollvereins. Nachdem am 10. Mai 1833 der Thüringische Zollverein gegründet wurde und anschließend dem deutschen Zollverein beitrat,43 ließ Großherzog Carl Friedrich für Dezember des gleichen Jahres einen außerordentlichen Landtag einberufen.44 Die Aufgabe des Landtages war es aber nicht, die Staatsverträge zu ratifizieren. Vielmehr hatten die Abgeordneten in den kommenden Verhandlungen die Frage zu klären, durch welche Steuern die Staatsbedürfnisse in den Jahren 1834 und 1835, also bis zum nächsten ordentlichen Landtag, gedeckt werden sollten. Der Landtag hatte dem42 43 44

Rede Carl Herings vor dem Landtag, 31.3.1829, in: ebd., Nr. 104, Bl. 352r–366r. Vgl. Wildenhayn, Zoll- und Steuerverein (wie Anm. 34). Schreiben des Staatsministeriums an den Landtag, o.D., in: ThHStAW, Landtag und Landschaft, Nr. 155a, Bl. 23r.

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nach seine steuerrechtliche Aufgabe zu erfüllen, eine nachgestellte Ratifizierung der Zollverträge durch den Landtag war von Seiten der Regierung nicht angedacht. In der vom Staatsminister Carl Wilhelm von Fritsch gehaltenen Eröffnungsrede wurde die dem Landtag zugedachte funktional-steuerrechtliche Aufgabe nochmals betont: „Hochgeehrteste Abgeordnete! Mit dem freudigsten Gefühle begrüßen wir Sie an dem heutigen Tage, wo Ihnen verkündigt werden konnte, daß das Ziel erreicht ist, welches seit 1815 unverrückt das Augenmerk der Großherzoglichen Staatsregierung gewesen ist. Entfesselt ist nun der innere Verkehr von Russland bis zu Frankreichs Grenzen, vom Fuße der Alpen bis zur Ostsee; keine Zolllinien sperren die Straßen; dem Handel und dem Gewerbe ist die Freyheit wieder gegeben. Die Segnungen dieses neuen, durch feierliche Verträge gesicherten, Zustandes im Großherzogthume zu verbreiten, hier und da hervortretende Ungleichheiten nach Billigkeit auszugleichen, das System der Abgaben und der Verwaltung vereinfachend zu verbessern, dieß ist die Aufgabe des gegenwärtigen außerordentlich versammelten Landtages.“45

Lenkt man den Blick auf die Formulierung, dass der Landtag diesen „neuen, durch feierliche Verträge gesicherten, Zustand[...] im Großherzogthume ... verbreiten“ sollte, wird darüber hinaus ersichtlich, dass der Landtag für die Öffentlichkeit als Legitimationsstifter fungieren sollte, obwohl ihm formalrechtlich eine nachträgliche Ratifizierung der Verträge von Seiten der Staatsregierung nicht zugesprochen wurde. Man berief sich dabei auf die Verhandlungen im Jahr 1819, bei denen der Landtag die Ratifizierung von Staatsverträgen der Regierung überlassen hatte.46 Dieser Umstand wurde durchaus kritisch von einigen Abgeordneten aufgenommen. Carl Friedrich Wirth, zweiter Gehilfe im Vorstand, bemerkte hierzu, dass der damalige Landtag nicht berechtigt gewesen sei, einen derartigen Kompetenzverlust zu beschließen.47 Dietrich Georg Kieser, Universitätsprofessor aus Jena, äußerte sich wie folgt:

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Eröffnungsrede des Staatsministers Carl Wilhelm von Fritsch, 1.12.1833, in: Verhandlungen des zu Weimar am 1. Dezember 1833 eröffneten und am 22. Dezember 1833 beendigten außerordentlichen Landtags im Großherzogthume Sachsen-Weimar-Eisenach, Weimar 1833, Eröffnungssitzung, 1.12.1833, S. 2. Siehe Anm. 24. Siehe Protokoll der 7. Sitzung, 10.12.1833, in: ThHStAW, Landtag Sachsen-WeimarEisenach, Nr. 116, Bl. 37r–77r.

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„Ich kann mein Bedauern nicht unterdrücken, dass der Landtag von 1819 die reale Ausübung des vorzüglichsten der verfassungsmäßigen Rechte, im Verein mit der Staatsregierung neue Gesetze zu sanktionieren, beraubt und uns nur formelle Ausübung desselben überlassen hat.“48

Der Landtag nutzte hingegen diesen Umstand nicht, um den Konfrontationskurs mit der Staatsregierung zu forcieren, war doch der Zollverein in den Augen aller Abgeordneten ein großer Gewinn. So führte Kieser fort: „Es ist ein Glück für uns, dass die Verhältnisse des Zollvertrages von der Art sind, dass sie uns nicht in die Nothwendigkeit versetzen, jene eingreifende und die verfassungsmäßigen Rechte des gegenwärtigen Landtags beeinträchtigende Zustimmung als verfassungswidrig [zu] verwerfen, indem dann Verwirrungen und Zerwürfnisse entstehen könnten deren unabfehlbare, aber wenigstens nicht erfreuliche, Folgen ihren Grund in jenem unzeitigen eingegebenen Eifer haben würden.“49

Auch der Landmarschall Georg Riedesel, der lange Arm des Staatsministeriums im Landtag, untermauerte diese Ansicht, indem er darauf hinwies, dass man in Bayern eine ähnliche Vorgehensweise bevorzugte, weil man „zur Förderung des grossen Ganzen die Nothwendigkeit davon erkannte.“ Mit Blick auf andere Vereinsstaaten war dies, wie schon anfangs erwähnt, jedoch keine Besonderheit. In vielen Staaten erkannten die Abgeordneten in der Regel an, dass im Hinblick auf die komplizierten Organisationsstrukturen des Zollvereins, die allein schon unter den Regierungen lange Verhandlungen hervorriefen, eine Einschaltung einer weiteren Zwischeninstanz die ganze Organisation noch schwerfälliger machen müsse.50 Zweifelsohne hätte der Weimarer Landtag auch nicht die Mittel besessen, um in dieser Frage einen Konflikt mit der Staatsregierung einzugehen, bedenkt man, dass die repressive Politik des Deutschen Bundes nach 1830, welche versuchte, die Handlungsspielräume der Landtage drastisch einzuengen und den Regierungen

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Siehe ebd., Bl. 39r. Siehe ebd., Bl. 40r. Vgl. Hahn, Wirtschaftliche Integration, S. 240. Vgl. auch Franz/Fleck (Hrsg.), Landtag, S. 432; Eichler (Bearb.), Parlamentsdebatten (alle wie Anm. 2), S. 265.

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neue Unterdrückungsinstrumente beigab,51 auch in Sachsen-Weimar-Eisenach ihre Spuren hinterließ.52 In einen ähnlichen Zwiespalt geriet der Landtag 1835, nachdem eine Erhöhung des Salzpreises aufgrund des Beitritts Badens zum Zollverein verhandelt werden sollte. Der Salzpreis war in Sachsen-Weimar-Eisenach im Vergleich zu den meisten Mitgliedsstaaten und insbesondere gegenüber Preußen gering, so dass gerade in den Staaten, die einen höheren Salzpreis besaßen, der Wunsch nach Angleichung im gesamten Vereinsgebiet ausgesprochen wurde.53 In Bezug auf die Erhöhung des Salzpreises 1835 berief man sich auf den Artikel 10 des Separatvertrages mit Baden. Danach verpflichteten „sich die contrahirenden Staaten und das Ghz. Baden, die ersteren zu gleich im Verhältniß zu einander selbst, ihre Bemühungen dahin zu richten, dass in sämmtlichen Vereins Staaten ein möglichst gleicher Salzdebit-Preis herzustellen [sein] werde.“54 Gefordert wurde eine Erhöhung auf 3 ½ Kreuzer pro Pfund. Eine Erhöhung des Salzpreises war insbesondere für einen stark ländlich geprägten Wirtschaftsraum wie Sachsen-WeimarEisenach von großem Nachteil, waren doch die Bauern von dem Kauf von Nutzsalz für ihr Vieh besonders abhängig.55 Zwar sah der Landtag der Salzpreiserhöhung mit großer Besorgnis entgegen, konnte sich aber zunächst nicht endgültig dagegen aussprechen. Riedesel machte nach dem einführenden Vortrag durch den Abgeordneten Friedrich von Müller, der am Ende den Vorschlag unterbreitete, die geforderte Erhöhung auf 3 ½ Kreuzer pro Pfund als Maximalforderung zu determinieren und die Mehrbelastung der Untertanen durch eine Senkung der Grundeinkommenssteuer auszugleichen, deutlich, dass die Salzsteuer unter allen Steuern die empfindlichste sei. Im Hinblick auf das große Ganze der Zollvereinigung betrachtet, müsse es 51 52

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Einen Überblick bietet Jürgen Müller, Der Deutsche Bund 1815–1866 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 78), München 2006, S. 12 ff. Vgl. hierzu Gerhard Müller, Heinrich Luden als Parlamentarier. Ein Beitrag zur frühen Parlamentsgeschichte Sachsen-Weimar-Eisenachs 1816–1832 (Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen; Heft 10), Weimar 1998, S. 134 ff. Ausführlich dazu Josef Wysocki, Das staatliche Salzmonopol im Deutschen Zollverein. Zur Frage der Behandlung von Finanzmonopolen in einem gemeinsamen Markt, Diss., Mainz 1966. Siehe Protokoll der vertraulichen Sitzung, 30.1.1836, in: ThHStAW, Landtag SachsenWeimar-Eisenach, Nr. 127, Bl. 99r–110v. Zur wirtschaftlichen Lage des Großherzogtums siehe Hans Eberhardt, Goethes Umwelt. Forschungen zur gesellschaftlichen Struktur Thüringens, Weimar 1951.

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„mehr als alles andere wünschenswerth erscheinen, dass die Hauptzwecke vollständiger Verkehrsfreiheit möglichst bald und vollständig erreicht werden und denselben von keiner Seite [...] entgegengetreten werde. Sind diese Hauptzwecke aber nicht anders als durch eine Steigerung des Salzpreises zu erreichen, so wird es gewiß das Nöthigste sein, im Voraus der Mehrheit beyzustimmen.“56

Einige Abgeordnete bekräftigten daraufhin nochmals ihr Bedauern über die Erhöhung des Salzpreises und unterstrichen die Minimalforderung Müllers. Der Abgeordnete Georg Friedrich Carl Büttner forderte darüber hinaus, dass „die Betrübenden Folgen und Nachtheile einer noch mehr erhöhten Salzsteuer im Ghz. gründlich dargestellt werden, und vielleicht ist dann doch die Hoffnung vorhanden, dass andere Staaten sich [an]schließen und dass endlich die Gesamtheit zu einem [...] Satz sich vereinigen“57 werde. Relativiert wurde diese Forderung durch Riedesel, der schlichtweg darauf hinwies, dass man doch einem kleinen Staat wie Sachsen-Weimar-Eisenach nicht ein allzu großes Gewicht in den zollpolitischen Aushandlungsprozessen einräumen werde. Daraufhin erwiderte Müller, dass die Stellungnahmen des Landtages nicht durch die geringe Größe des Staates beeinflusst werden dürften. Die Stimme eines kleinen Staates, so Müller, sei nicht ohne bedeutenden Einfluss, wenn sie sich auf „wohldurchdachte und allgemein auszusprechende Gründe“ stütze. „Die Macht einer richtigen Idee“, so Müller weiter, „wenn die öffentliche Meinung sie unterstützt, ist größer, als man oft glaubt, und macht sich früher oder später folgenweise Bahn!“58 Am Ende nahm der Landtag allerdings zähneknirschend die geforderte Erhöhung mit der Begründung an, dass „die Zwecke der großen Zollvereinigung möglichst bald vollständig erreicht werden könnten und zu dem Ende von keiner Seite [...] Hindernisse entgegen gestellt werden möchten.“59 Diesem Wunsche müssen alle anderen Wünsche untergeordnet bleiben. Hingegen blieb der Landtag bei seiner Forderung, die Erhöhung auf 3 ½ Kreuzer als maximale auszusprechen. Schaut man nochmals auf die Debatte in Sachsen-Weimar-Eisenach und fragt, warum der Landtag mit der Kompetenzverlagerung und den Steuererhöhungen einverstanden war, lässt sich eine explizite Begründung in einer 56 57 58 59

Siehe Protokoll der vertraulichen Sitzung, 30.1.1836, in: ThHStAW, Landtag SachsenWeimar-Eisenach, Nr. 127, Bl. 109v. Siehe ebd., Bl. 108v. Ebd., Bl. 110r. Siehe Erklärungsschrift des Landtages, 31.1.1836, in: ebd., Bl. 139r–139v.

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längeren, von Dietrich Georg Kieser am Ende des außerordentlichen Landtags gehaltenen Rede finden.60 Eine Rede, die allein symbolische Bedeutung besaß, da sie in der letzten Sitzung des außerordentlichen Landtags gehalten wurde und das Abschiedsdekret dem Landtag schon vorlag, somit also eine Beeinflussung zollpolitischer Fragen von Seiten des Landtages nicht mehr möglich gewesen wäre. Darüber hinaus ist der Vortrag in den öffentlichen Landtagsprotokollen abgedruckt worden, in welchen ursprünglich Fragen zur Zollpolitik, da es sich um Verträge mit anderen Staaten handelte, nicht abgedruckt werden sollten. Damit ist anzunehmen, dass die Veröffentlichung der Rede allein der Legitimation des Zollvereins gegenüber der Öffentlichkeit galt, was, wie schon angesprochen, der eigentlichen Aufgabe dieses außerordentlichen Landtages entsprach. Neben der Legitimationsfrage wird in der Rede aber auch vollends die Wahrnehmung gegenüber dem Zollverein deutlich. So bezeichnete Kieser zunächst den Zollverein als ein für Deutschland auf Jahrhunderte hinauswirkendes Ereignis, welches in dieser Form in der Geschichte noch nicht vorgekommen sei. Der neugebildete Zollverein sei in Beziehung auf das Verhältnis der vereinten Staaten zueinander, also in politischer Beziehung, eine Einheit der Interessen und hiermit der vaterländischen deutschen Gesinnung. Der Zollverein schließe die Einzelstaaten wirtschaftlich und politisch zusammen und integriere die sich bis dahin fremd fühlenden Einwohner: „Die geografische Scheidung Deutschlands im Norden und Süden, gebildet durch die Deutschland von Osten nach Westen durchschneidende Gebirgskette des Erz- und Fichtelgebirges, des Thüringischen Walds, der Röhn, des Vogelgebirges und des Westerwaldes, verschwindet, indem der Norddeutsche dem Süddeutschen, das Wohl des gesammten Vaterlandes vor Augen habend, über die Bergkette hinüber brüderlich einträchtig die Hand reicht. So können wir mit Recht hoffen, daß im Laufe der nächsten Decennien sich die mannigfaltigsten und großartigsten Verschmelzungen in einer größeren organischen Einheit in Deutschland gestalten werden.“

Durch ein gleiches Abgabensystem werde sich ein freier Handel entfalten, der den partikularstaatlichen Charakter Deutschlands, der der „Einheit 60

Rede Georg Kiesers vor dem Landtag, in: Verhandlungen des [...] außerordentlichen Landtags im Großherzogthume Sachsen-Weimar-Eisenach (wie Anm. 45), 16. Sitzung, 22.12.1833, S. 64–70. Daraus auch die folgenden Zitate.

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Deutschlands und dem einigen vaterländischen Sinne, gleich hemmender Schlagbäume“, entgegengestanden habe, beseitige. Der große deutsche Zollverein werde, nach Ansicht Kiesers, die fehlende nationalstaatliche Einigung endlich, durch die „Gleichheit der Münze, so wie die noch schwieriger einzuführende Gleichheit des Maßes und Gewichtes, Gleichheit der Gesetzgebung, der Innungsverhältnisse, der Militäreinrichtungen usw. überwinden.“ Hervorzuheben ist an dieser Stelle die Aussage, dass über die Einführung gleicher Münzen und gleicher Maße, welche allesamt wirtschaftliche Integrationsfaktoren darstellen, eine Gleichheit der Gesetzgebung und Militäreinrichtungen herbeigeführt werde. Deutlich wird von Kieser die Analogie von wirtschaftlicher und politischer Einheit herausgestellt. Werde es darüber hinaus gelingen, so Kieser, die bis dahin noch nicht in den Zollverein integrierten Staaten aufzunehmen, könne eine innere Kraft in Deutschland entstehen, die allen von außen kommenden Konflikten widersteht. Kieser vergleicht die durch den Zollverein wachsende Einigung Deutschlands mit der nationalen Einheitsbewegung von 1813, durch die die Befreiung Deutschlands von napoleonischer Hegemonie gelungen sei. „Eintracht macht stark“, so der Tenor der Kieserschen Rede. Diese Ansichten widersprachen jedoch nicht dem Souveränitätsanspruch der Kleinstaaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die durchaus ihre Existenzberechtigung gegenüber Angriffen aus dem republikanischen Lager rechtfertigen mussten. Gerade der Hinweis auf die Bildung einer organischen Einheit Deutschlands durch den Zollverein unterstreicht die Forderung der Kleinstaaten nach einem festeren bundesstaatlichen Zusammenschluss, dessen Instrumentarium von nun ab der Zollverein darstellen konnte.61 Abschließend verliert Kieser noch einige bedeutende Worte zur Rolle Preußens im Zollverein: „Möge daher der Preußische Staat, wie er im Jahr 1813 voranging und auch in der gegenwärtigen Zeit, nicht ohne materielle Opfer, aber großsinnig, das Krystallisations-Centrum des neuen Baues bildet, auch in der Zukunft in gleichem vaterländischen Geiste, die kleineren Staaten als integrirende Theile eines größeren Ganzen betrachtend, fortwirken.“

61

Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 6., durchgesehene Aufl., München 1993, S. 361.

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Eine nationalstaatliche Einigung könne, so Kieser, also nicht ohne Preußen geschehen. Der Prozess der Anlehnung an Preußen ist durchaus bemerkenswert, vergleicht man die Stellungnahmen der Abgeordneten gegenüber Preußen in den 1820er Jahren. Blieben große Teile der süddeutschen Liberalen bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einem unter preußischer Führung stehenden Zollverein, hegte man in Weimar zumindest keine offensichtlichen Befürchtungen, die Hegemonie Preußens würde etwaige Souveränitätsansprüche einzelstaatlicher Interessenvertretungen negieren. Auch in anderen Klein- und Mittelstaaten und insbesondere im hessischen Raum betrachtete man Preußen verstärkt als wirtschaftliche und politische Führungsmacht.62 Von einer unreflektierten Projizierung der Ansichten Kiesers und wohl auch der anderen Mitglieder des Landtages auf andere Ständeversammlungen des Deutschen Bundes sollte indes abgesehen werden. Die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in einem kleinen Staat wie SachsenWeimar-Eisenach funktionierten unter anderen Rahmenbedingungen. Die daraus resultierenden Ambitionen gegenüber dem Zollverein sind somit nicht in jedem Fall mit Entwicklungen in anderen Staaten gleichzusetzen. Hinzu kommt, dass, ähnlich wie Luden, Kieser eine besondere Affinität zu Preußen besaß. Als Wachtmeister und Feldarzt nahm er zunächst bei einem studentischen Freikorps mit den weimarischen Truppen an den Freiheitskriegen teil, um nach der Schlacht bei Waterloo in die preußische Armee einzutreten.63 Als Organisator verschiedener Kriegerfeste in Thüringen während des Vormärz machte er immer wieder deutlich, welche Bedeutung den Freiheitskriegen und damit auch Preußen im Hinblick auf die „Einheit Deutschlands“ zugesprochen werden müsse.64 Die Rede Kiesers zeigt aber dennoch, wie stark ein kleiner Staat die wirtschaftliche Einigung Deutschlands herbeisehnte. Die Orientierung der Ab62

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Vgl. Reinhart Koselleck, Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, in: Otto Brunner u.a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 660 f. Siehe auch Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 2), S. 246 ff. Vgl. Johannes Günther, Lebensskizzen der Professoren der Universität Jena seit 1558 bis 1858, Jena 1858, S. 143–144; Walter Brednow, Dietrich Georg Kieser. Sein Leben und Werk, Wiesbaden 1970. Vgl. Marko Kreutzmann, Thüringische Kriegervereine im Vormärz und ihre Bedeutung für die innere Nationsbildung. Ein Beitrag zur Analyse politischer Kultur in kleinstaatlicher Perspektive, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 57 (2003), S. 127–167.

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geordneten an Preußen war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Preußen in wirtschaftsgeographischer und politischer Hinsicht die bessere Alternative darstellte. Aufgrund seines großen Absatzmarktes, seiner gut ausgebauten Infrastruktur und seiner finanziell sehr ergiebigen Zollpolitik konnte es im handelspolitischen Einigungsprozess Funktionen ausfüllen, zu denen kleine und mittlere Staaten nicht in der Lage waren.65 Des Weiteren bedurften die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen zu Beginn der 1830er Jahre einer schnellen Lösung der Zoll- und Handelsfrage. Eine Bestätigung des eingeschlagenen Kurses fanden die Abgeordneten in den folgenden Jahren durch die fiskalischen und ökonomischen Erfolge des Vereins. Die Steuereinnahmen Sachsen-Weimar-Eisenachs stiegen nach dem Beitritt um mehr als das Doppelte, was zum einen sowohl die wirtschaftliche als auch die innenpolitische Stabilität des kleinen Staates erheblich stärkte. Zum anderen hatte die Weimarer Staatsregierung nicht versucht, Beschlüsse des Zollvereins, welche die Steuerbewilligungsrechte des Landtages tangierten, den Abgeordneten vorzuenthalten. Diesbezüglich legte das Staatsministerium dem 1838 tagenden Landtag den Beschluss der Dresdner Generalkonferenz vor, nach welchem die Besteuerung von Runkelrübenfabrikationen im gesamten Vereinsgebiet eingeführt werden sollte. Wobei jedoch die Regierung dem Landtag gleichzeitig deutlich machte, dass „bei dieser und bei ähnlichen Fragen das besondere Interesse der einzelnen Staaten nothwendig dem Interesse der Mehrheit der Staaten im Vereine und vorzüglich der größeren Staaten in demselben nachgesetzt werden müsse[...], wenn das Fortbestehen eines solchen Vereins überhaupt möglich bleiben soll.“66 Ohne formal die landständische Mitwirkung zu beschneiden, setzte die Regierung auf das schon 1835 geäußerte Interesse der Abgeordneten, die Fortsetzung des Zollvereins nicht zu gefährden. Funktionieren konnte dies, weil sich gerade innerhalb der Weimarer Ständeversammlung frühzeitig eine Identifikation mit dem Zollverein als ein unverzichtbares ökonomisches Instrument und möglicher Motor der nationalen Einigung Bahn brach. Die Wahrnehmung des Zollvereins als institutioneller und kultureller Faktor der ersehnten Nationsbildung wurde auch nach der Gründungsphase immer wieder artikuliert. So wurde beispielsweise in der Vorrede des 1843 von dem 65 66

Vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 27), S. 44. Propositionsschrift, 25.11.1838, in: Landtagsverhandlungen Sachsen-Weimar-Eisenach 1838/39, 2. Abteilung, Schriftenwechsel, S. 2–17, hier S. 10.

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an den Zollverhandlungen von 1833 beteiligten Unternehmer und Verleger Bernhard Friedrich Voigt herausgegebenen „Neuen Nekrolog der Deutschen“ der gegenseitige Bezug von nationalen Einheitsbestrebungen und Zollverein aufs Engste hergestellt. Die Kulturnation Deutschland, hier als „Deutsche Tendenz“ beschrieben, sei „in unserem Volks- und Staatsleben seit einiger Zeit im Zunehmen“, was durch „die neusten Ereignisse, Institutionen und Bestrebungen begünstigt wird.“ Dass der Zollverein im Folgenden an erster Stelle genannt wurde, zeigt die intensiv wahrgenommene nationalpolitische Wirkung des Zollvereins.67 1844 charakterisierte der Rittergutsbesitzer und Fabrikant Gustav Eduard Hagenbruch in seinem Referat im Rahmen zu verhandelnder Zollvereinsangelegenheiten den Zollverein als „Grundpfeiler deutscher Kraft und Einheit.“68 Gleichwohl ist zu bemerken, dass die Identifikation mit dem Zollverein innerhalb der norddeutschen Staaten, aufgrund ihrer Nähe zu Preußen, wesentlich stärker ausfiel als in den süddeutschen Staaten.69 Die überaus positive Einschätzung der Weimarer Deputierten gegenüber dem Zollverein entspricht grundsätzlich der im deutschen Bürgertum gehegten Hoffnung, der Zollverein könne langfristig die ökonomische und politische Zersplitterung der deutschen Staatenwelt überwinden. IV. Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Weimarer Deputierten die Gründung des Zollvereins, so wie er ausgestaltet wurde, lange herbeisehnten. Nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile waren es, die diese Meinung prägten. Gerade die Hoffnung, dass mit der Gründung des Zollvereins die nationale Einigung Deutschlands gefördert werden könne, ließ den Zollverein unter den Abgeordneten als bahnbrechendes Ereignis erscheinen. Vor diesem Hintergrund nahmen es die Abgeordneten auch in Kauf, dass etwaige Kompetenzen des Landtages abgetreten wurden, um letztendlich die Entstehung und Fortwirkung des Zollvereins nicht zu gefährden. Es waren nicht zuletzt auch die für viele Weimarer Abgeordnete enttäuschenden Ergebnisse der Zollentwicklungen in den 1820er Jahren, die dem Landtag zu 67 68 69

N.N., Vorrede, in: Bernhard Friedrich Voigt (Hrsg.), Neuer Nekrolog der Deutschen. Neunzehnter Jahrgang (1841). Erster Theil, Weimar 1843, S. VII. Rede des Abgeordneten Hagenbruch vor dem Landtag, 16.3.1844, in: Landtagsverhandlungen Sachsen-Weimar-Eisenach 1844, 22. Sitzung, 16.3.1844, S. 131. Vgl. Hahn, Wirtschaftliche Integration (wie Anm. 2), S. 246.

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HENNING KÄSTNER

dem Entschluss verhalfen, Preußen als Kristallisationspunkt innerhalb des Zollvereins zu akzeptieren. Es konnte gezeigt werden, dass der Zollverein nicht nur positiv wahrgenommen, sondern auch regelmäßig kommuniziert wurde. Erst durch diese permanente Kommunikationsleistung konstruierten die Abgeordneten den Zollverein als legitime und wünschenswerte Institution. So war es möglich, die parlamentarischen Entscheidungsprozesse nach innen und außen zu rechtfertigen.

Marko Kreutzmann

DIE HÖHEREN VERWALTUNGSBEAMTEN DES DEUTSCHEN ZOLLVEREINS – EINE NATIONALE FUNKTIONSELITE?

I. Einführung Der folgende Beitrag geht der Frage nach, inwieweit der Deutsche Zollverein durch die Schaffung interner bürokratischer Netzwerke die Entstehung einer nationalen Funktionselite begünstigte und auf diese Weise einen Beitrag zur „kulturellen Nationsbildung“ leistete.1 Dabei stehen die Strukturen der bürokratischen Vernetzung zwischen den Zollvereinsstaaten ebenso im Mittelpunkt der Betrachtung wie das soziale Profil und das politische Handeln der in den Gremien des Zollvereins tätigen Beamten. Insbesondere aber soll die Frage geklärt werden, inwieweit die Verwaltungselite des Deutschen Zollvereins ein Selbstverständnis als „nationale“ Funktionselite entwickelte. Spielte das Konzept der Nation in ihrem Denken und Handeln eine Rolle, und wenn ja, was waren die wesentlichen Inhalte dieses Konzeptes? Gab es ein gemeinsames nationalpolitisches Programm oder gar ein koordiniertes Handeln dieser Beamten? Und schließlich: Welche Kommunikationswege nutzten sie, um ihre nationalpolitischen Vorstellungen zu verbreiten und durchzusetzen? Den höheren Verwaltungsbeamten des Deutschen Zollvereins kommt in diesem Zusammenhang deshalb eine besondere Relevanz zu, weil sie innerhalb des Untersuchungszeitraums eine der wenigen, auf gesamtnationaler Ebene vernetzten Eliten überhaupt darstellten. Die politischen Strukturen in Deutschland zwischen 1815 und 1866 boten kaum Ansatzpunkte für die Herausbildung nationaler Eliten. Das föderative politische System des Deutschen Bundes verfügte nur über eine geringe Zahl gemeinsamer Institutionen.2 Die Konstituierung bürokratischer Funktionseliten blieb meist auf die 1

2

Vgl. Dieter Langewiesche, Kulturelle Nationsbildung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, in: ders., Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000, S. 82–102. Zum Konzept der „kulturellen Nationsbildung“ vgl. auch die Ausführungen im einleitenden Beitrag von Hans-Werner Hahn/Marko Kreutzmann zu dem vorliegenden Band. Vgl. den Beitrag von Jürgen Müller in diesem Band sowie ders., Der Deutsche Bund 1815–1866 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 78), München 2006.

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MARKO KREUTZMANN

Ebene der Einzelstaaten beschränkt.3 Ebenso nahm die Entstehung parlamentarischer, wirtschaftlicher oder wissenschaftlich-kultureller Eliten zumeist von den souveränen Bundesstaaten bzw. von regionalen Zentren ihren Ausgang.4 Insbesondere durch das expandierende Vereinswesen kam es zwar zu einer beachtlichen Vernetzung auf zwischenstaatlicher Ebene, doch blieben die nationalen Vereinsorganisationen trotz ihrer insgesamt nicht zu unterschätzenden Bedeutung von einem unmittelbaren politischen Einfluss ausgeschlossen.5 Auch der 1834 begründete Deutsche Zollverein war nach streng föderativen Grundsätzen organisiert worden. Die Immediatmitglieder des Zollvereins behielten eine unabhängige – wenngleich nach preußischem Vorbild zu organisierende – Zollverwaltung.6 Dennoch wurden diese eigenständigen Zollverwaltungen der Mitgliedstaaten durch eine Reihe gemeinsamer Institutionen miteinander vernetzt. An der Spitze standen die Generalkonferenzen als zentrales Beratungs- und Beschlussfassungsorgan des Deutschen Zollvereins. Zu diesen Konferenzen entsandte jeder Einzelstaat jeweils einen 3

4

5

6

Vgl. den Forschungsüberblick bei: Bernd Wunder, Prüfungsgrundsatz und Adelsprivilegien: das Scheitern eines Elitenwandels in der deutschen Verwaltung 1806–1914, in: Erk Volkmar Heyen (Hrsg.), Verwaltungseliten in Westeuropa (19./20. Jh.) (Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte; Bd. 17), Baden-Baden 2005, S. 51–83; sowie als neueres Fallbeispiel: Dietmar Grypa, Der diplomatische Dienst des Königreichs Preußen (1815–1866). Institutioneller Aufbau und soziale Zusammensetzung (Quellen und Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte; Bd. 37), Berlin 2008. Vgl. u.a. Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49: handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980; ders., Die Männer von Bildung und Besitz: Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 90), Düsseldorf 1990. Vgl. u.a. Dieter Düding, Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1808–1847): Bedeutung und Funktion der Turner- und Sängervereine für die deutsche Nationalbewegung, München 1984; Andreas Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland 1857–1868: nationale Organisationen und Eliten (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 102), Düsseldorf 1994. Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984, S. 79– 82; Frauke Schönert-Röhlk, Aufgaben des Zollvereins, in: Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg Christoph von Unruh (Hrsg.), Vom Reichsdeputationshauptschluss bis zur Auflösung des Deutschen Bundes (Deutsche Verwaltungsgeschichte; Bd. 2), Stuttgart 1983, S. 286–300. Immediatmitglieder waren alle Zollvereinsmitglieder, die dem Zollverein mit weitgehend gleichen Rechten und Pflichten unmittelbar angehörten. Zahlreiche kleine Staaten waren dagegen durch den Anschluss an das Zollgebiet eines größeren Nachbarstaates nur indirekt Mitglieder des Zollvereins (z.B. die anhaltischen Herzogtümer durch deren Anschluss an das preußische Zollgebiet).

DIE HÖHEREN VERWALTUNGSBEAMTEN DES DEUTSCHEN ZOLLVEREINS

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weisungsgebundenen Bevollmächtigten. Neben den Generalkonferenzen gab es ein System gegenseitiger Verwaltungskontrolle, durch das der vertragsgemäße Ablauf der einzelstaatlichen Zollerhebung und -verwaltung sichergestellt werden sollte. Zu diesem Zweck wurden sogenannte Zollvereinsbevollmächtigte wechselseitig in die zentralen Zollbehörden der Mitgliedstaaten, also in die dem Finanzministerium untergeordneten Zolldirektionen, entsandt. Lediglich im größten Zollvereinsstaat Preußen gab es statt einer zentralen Zolldirektion mehrere Provinzialbehörden, die Provinzialsteuerdirektionen, zu denen die Bevollmächtigten anderer Zollvereinsmitglieder abgeordnet wurden.7 Darüber hinaus wurden sogenannte Stationskontrolleure an die lokalen Haupt- und Nebenzollämter sowie an die Hauptund Nebensteuerämter der Mitgliedstaaten entsandt. Diese drei Gruppen der Generalkonferenzbevollmächtigten, der Zollvereinsbevollmächtigten und der Stationskontrolleure bilden die Untersuchungsgruppe der höheren Verwaltungsbeamten des Deutschen Zollvereins.8 Dienstrechtlich blieben sie zwar an die Einzelstaaten gebunden, doch wurden die Zollvereinsbevollmächtigten und die Stationskontrolleure in den nach gemeinsamen Grundsätzen erlassenen Dienstinstruktionen ausdrücklich auf das Interesse des gesamten Zollvereins verpflichtet.9 Die Abordnung als Bevollmächtigter zu den Generalkonferenzen bildete zwar kein Amt, sondern war ein weisungsgebundenes Mandat. Doch entwickelten sich die Generalkonferenzen im Laufe der Jahre immer mehr zu einer gemeinsamen Fachbehörde des Deutschen Zollvereins. In die folgende Analyse werden die Beamten jener Zollvereinsstaaten einbezogen, die aufgrund ihrer vertragsrechtlichen Stellung zur Entsendung von Generalkonferenzbevollmächtigten, Zollvereinsbevollmächtigten und 7 8

9

Die preußische Generalsteuerdirektion dagegen bildete eine Abteilung des Finanzministeriums. Vgl. Schönert-Röhlk, Aufgaben (wie Anm. 6). Der vorliegende Aufsatz beruht auf einer umfassenden Untersuchung der genannten Beamten im Rahmen des von der Fritz Thyssen Stiftung von 2007 bis 2011 geförderten Forschungsprojektes: „Die höheren Beamten des Deutschen Zollvereins: Soziales Profil, Karrieremuster und politisch-kulturelles Selbstverständnis einer neuen Funktionselite zwischen Einzelstaat und Nation (1834–1871).“ Die Ergebnisse dieses Projektes werden demnächst in einer umfassenden Monographie dargelegt. Vgl. erste Befunde in: Marko Kreutzmann, Bürokratische Funktionseliten und politische Integration im Deutschen Zollverein (1834–1871), in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 613–645. Vgl. Hauptprotokoll der Vollzugskommission in München vom 14.2.1834, in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeitraume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handelsvereins, Bd. 1, Berlin 1845, S. 253–284, hier S. 274–275.

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MARKO KREUTZMANN

Stationskontrolleuren berechtigt waren und gleichzeitig besonders früh – also durch einen Zollvereinsbeitritt bis spätestens 1836 – in den zwischenstaatlichen Integrationsprozess eingebunden wurden. Dies betraf neben Preußen, Bayern, Württemberg, Baden und Sachsen auch die beiden hessischen Staaten Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel, das Herzogtum Nassau sowie den Thüringer Zoll- und Handelsverein. Den letzteren beiden Zollvereinsmitgliedern war die Entsendung von Zollvereinsbevollmächtigten und Stationskontrolleuren allerdings nur unter der Voraussetzung gestattet, dass zuerst andere Zollvereinsstaaten entsprechende Kontrollbeamte in ihre Verwaltungen entsandten – ein Fall, der in der Praxis jedoch nie eintrat.10 Der Untersuchungszeitraum reicht von der Begründung des Deutschen Zollvereins im Jahr 1834 bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871. Damit sollen keineswegs ältere nationalgeschichtliche Deutungen wieder eingeführt werden. Vielmehr sind dafür institutionengeschichtliche Motive ausschlaggebend. Zwar wurde mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 ein großer Teil der bisherigen Zollvereinsstaaten einer zentralen Zollgesetzgebung und -verwaltung unterstellt und die neuen Zollvereinsverträge zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg und Baden vom Juli 1867 verwandelten die staatenbündische in eine bundesstaatliche Struktur des Zollvereins. Doch blieb das System wechselseitiger Verwaltungskontrolle zwischen den verbleibenden Vertragspartnern bestehen. Erst mit der Reichsverfassung von 1871 wurde der Zollverein in eine zentrale staatliche Institution überführt. Das noch immer fortbestehende System der Verwaltungskontrolle verlor endgültig seinen bisherigen Charakter als Kontrollinstanz zwischen unabhängigen und souveränen Staaten und fungierte nun als Aufsichtsorgan des Reiches über die Einzelstaaten.11 Im Rahmen der so eingegrenzten Untersuchungsgruppe wurden 244 Beamte ermittelt, die im Zeitraum von 1834 bis 1871 die Funktion eines Gene10

11

Zu Thüringen vgl. Hans-Werner Hahn, Thüringischer Zollverein und regionale Wirtschaftsinteressen. Erfurt als Zentralort einer neuen thüringischen Wirtschaftspolitik 1834–1848/49, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 60, N.F., 7 (1999), S. 75–87; zu Nassau: ders., Wirtschaftliche Integration im 19. Jahrhundert. Die hessischen Staaten und der Deutsche Zollverein (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 52), Göttingen 1982, S. 127 ff. Vgl. den Text des Zollvereinsvertrages von 1867 in: Michael Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806–1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführung, Bd. 1, Berlin/ Heidelberg 2006, S. 1008–1028., hier bes. S. 1025.

DIE HÖHEREN VERWALTUNGSBEAMTEN DES DEUTSCHEN ZOLLVEREINS

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ralkonferenzbevollmächtigten, eines Zollvereinsbevollmächtigten oder eines Stationskontrolleurs versehen hatten.12 Darunter befanden sich insgesamt 42 Generalkonferenzbevollmächtigte, 47 Zollvereinsbevollmächtigte und 171 Stationskontrolleure.13 Es handelt sich somit um eine zahlenmäßig kleine Gruppe, der aber aufgrund ihrer herausgehobenen amtlichen Funktionen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukam. Im Folgenden wird zunächst eine Analyse der strukturellen Verflechtungen in der höheren Zollvereinsverwaltung vorgenommen. Im Anschluss daran werden die nationalpolitischen Konzeptionen der Beamten untersucht. II. Institutionelle Vernetzung Die Generalkonferenz des Deutschen Zollvereins sollte nach dem Wortlaut der Verträge jährlich einberufen werden. In der Praxis etablierte sich jedoch ein Turnus von etwa zwei bis drei Jahren. Allerdings nahmen die jeweiligen Konferenzen selbst allein einen Tagungszeitraum von rund sechs Monaten ein. Hinzu kam die Arbeitszeit für die Vor- und Nachbereitung. Das heißt, dass die zu den Konferenzen abgeordneten Bevollmächtigten in einen recht kontinuierlichen gemeinsamen Arbeitsprozess integriert waren.14 Hinzu kam, dass die meisten der Bevollmächtigten, bei denen es sich in der Regel um die jeweiligen Zolldirektoren oder höhere Beamte aus den Finanzministerien der Mitgliedstaaten handelte, nicht nur einmal, sondern über eine ganze Reihe von Jahren zu den gemeinsamen Konferenzen abgeordnet wurden.15 Zwischen 1836 und 1863 wurden von den untersuchten Staaten insgesamt 42 Bevollmächtigte zu den Generalkonferenzen entsandt. Zwei Drittel dieser Beamten absolvierten mindestens zwei, und mehr als ein Vier12

13

14

15

Berücksichtigt werden dabei auch jene Beamte, die eine entsprechende Funktion bereits vor 1834 angetreten hatten bzw. noch nach 1871 ausübten. Entscheidend ist, dass der Zeitraum der Diensttätigkeit auch in die Jahre zwischen 1834 und 1871 fällt. Grundlage für die Erhebung bilden die Staatshandbücher der Einzelstaaten sowie die Protokolle der Generalkonferenzen des Zollvereins. Vgl. Verhandlungen der General-Konferenz in Zollvereins-Angelegenheiten, 15 Bde., verschiedene Orte, 1836–1863. Die Summe der jeweils in den einzelnen Gruppen vertretenen Beamten übersteigt die Gesamtzahl der hier untersuchten Beamten deshalb, weil einzelne Beamte im Lauf ihrer Dienstzeit mehrere dieser Funktionen gleichzeitig oder nacheinander versahen. Vgl. zum Verlauf der einzelnen Konferenzen neben den oben genannten Verhandlungsprotokollen auch den Überblick bei Wilhelm Weber, Der deutsche Zollverein. Geschichte seiner Entstehung und Entwickelung, Leipzig 1869 (2. Aufl. Leipzig 1871; Neudruck: Glashütten 1972). Vgl. zu den Generalkonferenzbevollmächtigten: Kreutzmann, Bürokratische Funktionseliten (wie Anm. 8).

MARKO KREUTZMANN

200

tel der Beamten mindestens fünf der insgesamt fünfzehn Generalkonferenzen des Deutschen Zollvereins. Anzahl der von den Bevollmächtigten jeweils absolvierten Generalkonferenzen Anzahl absolvierte Generalkonferenzen

1

2–4

5–10

Anzahl Bevollmächtigte

14

16

12

Zumindest auf den ersten Generalkonferenzen herrschte eine einvernehmliche, vom Bestreben nach gemeinsamer Sacharbeit geprägte Atmosphäre. Als in den 1840er Jahren die tarif- und fiskalpolitischen Konflikte zwischen den Zollvereinsstaaten zunahmen, trug das inzwischen entstandene Vertrauen zwischen den langjährigen Generalkonferenzbevollmächtigten entscheidend dazu bei, die bestehenden Differenzen zu überwinden und die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Institution aufrechtzuerhalten. Dadurch entstand ein Gemeinschaftsgefühl unter den beteiligten Beamten, das Bewusstsein, gemeinsam für Interessen zu wirken, welche über die Grenzen der jeweiligen Einzelstaaten hinausgingen.16 Auch die Tatsache, dass die Generalkonferenzen in jedem Jahr in der Hauptstadt eines anderen Zollvereinsstaates stattfanden,17 erweiterte den Horizont der Beamten über die Grenzen der Einzelstaaten hinaus. Während die Generalkonferenzbevollmächtigten jeweils nur für die Dauer ihres Mandates im gemeinsamen Gremium tätig waren, waren die Zollvereinsbevollmächtigten und die Stationskontrolleure kontinuierlich in die von ihnen versehenen Ämter eingebunden. Von den insgesamt 47 Zollvereinsbevollmächtigten18 erreichten allein sechs Beamte eine Dienstzeit zwischen 21 und 33 Jahren. 14 weitere Beamte waren zwischen 11 und 20 Jahren im Vereinsdienst tätig, während zehn Beamte auf eine Tätigkeit von sechs bis zehn Jahren zurückblicken konnten. Die Zollvereinsbevollmächtigten wiesen damit eine recht hohe personelle Kontinuität auf. Dagegen blieb diese Tätigkeit für die übrigen 17 Beamten unter ihnen mit einer Dauer von unter sechs Jahren eher eine vorübergehende Episode. 16

17 18

Vgl. die Darstellung bei Weber, Zollverein (wie Anm. 14), S. 148; sowie die Memoiren des langjährigen Leiters der preußischen Zollvereinspolitik, Rudolph Delbrück: ders., Lebenserinnerungen 1817–1867, 2 Bde., Leipzig 1905, hier Bd. 1, S. 311. Abgesehen von den Generalkonferenzen 1839 und 1840, die beide in Berlin stattfanden. Darunter befanden sich 10 Beamte, die nach 1871 als Reichsbevollmächtigte für Zölle und Steuern wirkten. Auch diese Dienstzeit ist in den obigen Berechnungen mit berücksichtigt.

DIE HÖHEREN VERWALTUNGSBEAMTEN DES DEUTSCHEN ZOLLVEREINS

201

Dienstjahre der Zollvereinsbevollmächtigten Jahresgruppen

1–5

6–10

11–15

16–20

21–25

26–33

Anzahl Beamte

17

10

6

8

3

3

Eine etwas größere Streuung findet sich bei der Anzahl der Dienstjahre der Stationskontrolleure. Von den insgesamt 171 Beamten, welche diese Funktion im Untersuchungszeitraum versahen,19 wechselten mehr als ein Drittel nach fünf und ein weiteres gutes Drittel nach spätestens 10 Jahren in eine andere Dienststellung. In der Regel übernahmen sie die Funktion des Leiters eines lokalen Haupt- oder Nebenzollamtes mit dem Titel eines Oberzollinspektors. Immerhin gab es auch eine Gruppe von insgesamt 28 Beamten, welche 16 Jahre und länger in der Funktion eines Stationskontrolleurs tätig waren. Davon erreichten 9 Beamte einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren, waren also praktisch während der gesamten Zeit der Existenz des Deutschen Zollvereins in diesem Amt tätig. Während also die Funktion eines Stationskontrolleurs in der Regel eine bloße Durchgangsstation auf dem Berufsweg der betreffenden Beamten bildete, gab es auch eine Kerngruppe von Stationskontrolleuren, welche dieses Amt dauerhaft versahen. Dienstjahre der Stationskontrolleure Jahresgruppen

1–5

Anzahl Beamte

63

6–10 11–15 16–20 21–25 26–30 31–35 36–38 66

14

9

4

6

6

3

Die obigen Tabellen zeigen eine recht hohe personelle Kontinuität unter den hier untersuchten höheren Verwaltungsbeamten des Deutschen Zollvereins, insbesondere in den Spitzengruppen der Generalkonferenzbevollmächtigten und der Zollvereinsbevollmächtigten. Dabei kann angenommen werden, dass eine längere Tätigkeit im Dienste des Zollvereins die individuelle Identifikation mit jener Institution stärkte, welche den Rahmen für den eigenen beruflichen und damit auch sozialen Aufstieg bildete. In Bezug auf die regionale Herkunft der untersuchten Beamten ergibt sich eine quantitative Verteilung, die etwa der territorialen Größe und dem damit einhergehenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss der einzelnen Zollvereinsstaaten entspricht. Diese regionale Streuung verstärkt sich von der Gruppe der 19

Darunter befanden sich wiederum 23 Beamte, welche nach 1871 dieselbe Funktion in der Eigenschaft eines Reichsbeamten versahen. Diese Dienstzeit ist in den obigen Berechnungen ebenfalls mit berücksichtigt.

202

MARKO KREUTZMANN

Generalkonferenzbevollmächtigten20 absteigend zu den Zollvereinsbevollmächtigten und Stationskontrolleuren, da die Anzahl der jeweils entsandten Beamten in den letzteren beiden Gruppen eng mit der territorialen Größe und den sich daraus ergebenden Grenzberührungen mit anderen Mitgliedstaaten zusammenhing.21 Die Übersicht der regionalen Herkunft der im untersuchten Zeitraum insgesamt abgeordneten höheren Verwaltungsbeamten des Deutschen Zollvereins muss nach der Anzahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils tätigen Beamten differenziert werden. Auch hier ergibt sich ein ähnliches Bild. Auf den Generalkonferenzen war jeweils nur ein Beamter der einzelnen Mitgliedstaaten vertreten. Unter den Zollvereinsbevollmächtigten stellte Preußen stets die größte Zahl, da es Zollvereinsbevollmächtigte bei den Zolldirektionen fast aller Immediatmitglieder unterhielt. Die Ausnahmen waren Württemberg und Hessen-Darmstadt, die gegenseitig Zollvereinsbevollmächtigte in ihre Verwaltungen entsandten. Umgekehrt besaßen alle anderen Immediatmitglieder jeweils einen bis drei Zollvereinsbevollmächtigte bei preußischen Zollbehörden. In ähnlicher Weise stellt sich auch die Verteilung der Stationskontrolleure dar. Während Preußen in allen Immediatstaaten dergleichen Beamte unterhielt, entsandten fast alle dieser Staaten Stationskontrolleure nach Preußen bzw. in die an den eigenen Grenzen gelegenen Staaten, insofern hier ein erhöhtes Interesse an der Kontrolle der lokalen Zollerhebung und -verwaltung bestand.22 III. ‚Nation’ als handlungsleitendes Konzept (1815–1849)? Trotz der dezentralen Verwaltungsorganisation des Deutschen Zollvereins kann man damit von der Herausbildung einer zwischenstaatlichen bürokratischen Funktionselite sprechen. Die Frage bleibt jedoch, ob das Konzept 20

21

22

Von den insgesamt 42 Generalkonferenzbevollmächtigten kamen aus Preußen und Sachsen jeweils 7, aus Baden 6, aus Nassau 5, aus den beiden hessischen Staaten und aus Württemberg jeweils 4, aus Bayern 3 und aus dem Thüringer Zoll- und Handelsverein 2 Bevollmächtigte. Von den insgesamt 47 Zollvereinsbevollmächtigten kamen aus Preußen 18, Bayern 11, Sachsen 7, Württemberg 4, Baden und Hessen-Darmstadt jeweils 3 und aus HessenKassel 1. Die 171 Stationskontrolleure verteilten sich wie folgt: Preußen 67, Bayern 49, Sachsen 21, Baden 11, Württemberg und Hessen-Darmstadt je 9 und Hessen-Kassel 5. Diese Angaben gründen sich auf den Überblick, welchen die Verhandlungsprotokolle der Generalkonferenz für die Jahre 1841 und 1854 bieten. Vgl. Verhandlungen der Vierten General-Konferenz in Zollvereins-Angelegenheiten, Berlin 1841, Beilagen, S. 60–61 (Beilage VI/B); Verhandlungen der Zehnten General-Konferenz in Zollvereins-Angelegenheiten, Berlin 1854, Beilagen, S. 343–344 (Beilage XXI/B).

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der ‚Nation’ im Denken und Handeln dieser Beamten eine prägende Rolle gespielt hat. Festzuhalten ist dabei zunächst, dass es keine formale Verpflichtung der Verwaltungselite des Zollvereins auf die Nation gegeben hat. In den Verträgen und Dienstinstruktionen wurde zwar bestimmt, dass die Beamten den Interessen des gesamten Zollvereins, und nicht nur der jeweiligen Mitgliedstaaten, verpflichtet sein sollten.23 Doch ein Bezug zur Nation wurde dabei nicht hergestellt. Die Bezeichnung der neu geschaffenen Institution als ‚deutscher’ Zollverein war nicht vertraglich festgelegt worden, sondern hatte sich bereits kurze Zeit nach Gründung des Zollvereins im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert – durchaus mit nationalpolitischer Absicht und in klarer Absetzung von der von den Zollvereinskritikern bevorzugten Bezeichnung als ‚preußischer’ Zollverein.24 Wenn es also keine zentrale nationalpolitische Agenda der höheren Zollvereinsbeamten gegeben hat, dann bleibt zur Klärung der aufgeworfenen Fragen nur der Blick auf einzelne herausragende Vertreter der hier untersuchten Funktionselite. Dabei wird den öffentlichen Stellungnahmen als Teil des sich intensivierenden nationspolitischen Diskurses besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Denn mit seiner Gründung wurde der Deutsche Zollverein, unabhängig von den Intensionen der Regierungen, in Teilen der Gesellschaft bald zum Hoffnungsträger für nationalpolitische Ziele. Mehr noch, an den Zollverein knüpften sich bald auch übersteigerte Visionen der künftigen Machtstellung einer politisch erst noch zu konstituierenden Nation. In den Parlamenten, in Vereinen oder in der Presse kam ein lebhafter Diskurs in Gang, welcher nach dem gescheiterten Aufbruch im Gefolge der französischen Julirevolution von 1830, anknüpfend an die Gründung des Zollvereins, die nationale Frage wieder auf die politische Tagesordnung setzte.25 Eine explizite nationalpolitische Handlungsmotivation lässt sich jedoch zunächst weder bei den höheren Zollvereinsbeamten aus Preußen, noch bei denjenigen aus den Mittelstaaten, sondern vielmehr bei Vertretern der Kleinstaaten feststellen. Insbesondere tritt hier der in den Diensten des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach stehende Geheime Legationsrat Ottokar Thon (1792–1842) hervor. Thon war maßgeblich an den Ver23 24 25

Vgl. Anm. 9. Vgl. den Beitrag von Andreas Etges in diesem Band. Vgl. ebd. sowie ausführlich: ders., Wirtschaftsnationalismus. USA und Deutschland im Vergleich, 1815–1914, Frankfurt a.M. 1999.

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handlungen über den Beitritt der thüringischen Kleinstaaten zum Deutschen Zollverein beteiligt.26 Darüber hinaus vertrat er die im Thüringer Zoll- und Handelsverein zusammengeschlossenen Kleinstaaten bis 1842 auf allen Generalkonferenzen des Deutschen Zollvereins. Innerhalb des Weimarer Finanzministeriums führte Thon das Referat über die Zollvereinsangelegenheiten.27 Gleichzeitig gehörte Thon zu jenen gesellschaftlichen Kräften, die nachhaltig für eine stärkere nationale Einigung der deutschen Staaten unter liberalen Vorzeichen – also vor allem auf verfassungsmäßiger Grundlage – eintraten. Thon war der Spross einer weit verzweigten Beamtenfamilie aus der thüringischen Stadt Eisenach. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Jena und Heidelberg hatte er sich im Frühjahr 1813 den preußischen Freiwilligen angeschlossen und am Befreiungskrieg gegen Napoleon teilgenommen. Danach wurde er Adjutant des Weimarer Herzogs Carl August und begleitete diesen im Herbst 1814 auf den Wiener Kongress. Aus seinen zahlreichen überlieferten Briefen geht hervor, dass sich Thon weitergehende Fortschritte in national- und verfassungspolitischer Richtung wünschte, als sie sich während der zähen Verhandlungen abzuzeichnen begannen.28 Schließlich verfasste Thon eine ausführliche, an die anwesenden preußischen Vertreter gerichtete Denkschrift, in der er seine nationalpolitischen Vorstellungen formulierte.29 Danach sollte Preußen die deutschen Staaten unter Ausschluss Österreichs politisch einigen. Dies war jedoch keine konzeptionelle Vorwegnahme der preußisch-kleindeutschen Reichsgründung „von oben“ im Jahr 1871, wie es die spätere Nationalgeschichtsschreibung nahe gelegt hat.30 Ganz im Gegenteil, Thon setzte nicht etwa aus machtstaatlichen Erwägungen auf Preußen. Vielmehr erschien ihm die nationalstaatliche Einigung Deutschlands als konsequenter Schlusspunkt der 1806 eingeleiteten innenpolitischen Reformen Preußens, die den Forderungen des liberalen Bürgertums weit

26 27

28 29 30

Vgl. Hans Patze, Die Zollpolitik der thüringischen Staaten von 1815–1833, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 40 (1953), S. 28–58. Vgl. zu Ottokar Thon: Heinz-Jürgen Thon, Geschichte der Familie Thon. Von den Anfängen in Sachsen-Eisenach bis zum Neubeginn in Bayern, Hausen (Oberfranken) 2006 (Selbstverlag), S. 75–77. Vgl. [Therese Böhlau], Ottokar Thon. Ein Lebensbild, Weimar 1895, S. 102 ff. Vgl. den Abdruck der Denkschrift in: ebd., S. 327–341. So Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Erster Teil: Bis zum zweiten Pariser Frieden, 6. Aufl., Leipzig 1897, S. 682.

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entgegen gekommen waren.31 Aufgrund dieser Hoffnungen wechselte Thon wieder in den preußischen Staatsdienst und arbeitete unter den später maßgeblich an der Gründung des Deutschen Zollvereins beteiligten preußischen Beamten, dem Erfurter Regierungspräsidenten Friedrich von Motz und dem Regierungsrat Ludwig Kühne. Nachdem sich jedoch die Restaurationspolitik endgültig in Preußen durchgesetzt hatte, kehrte Thon in den Weimarer Staatsdienst zurück. In den frühen 1830er Jahren nahm er als Fachbeamter an den Zollvereinsverhandlungen in Berlin teil.32 Seine liberal-nationalen Vorstellungen hatte er keineswegs aufgegeben. Vielmehr erhoffte er sich im Kontext der französischen Julirevolution von 1830, dass Preußen wieder an die liberale Reformpolitik von 1806 und die nationalpolitischen Bestrebungen anknüpfen werde.33 Diese liberal-nationale Grundhaltung, die im Einklang mit der damaligen Politik der Weimarer Regierung stand,34 setzte sich auch nach dem frühen Tod Ottokar Thons im Jahr 1842 bei dessen Bruder und Nachfolger als Generalkonferenzbevollmächtigten des Thüringer Zoll- und Handelsvereins, Gustav Thon (1805–1882),35 fort. Gustav Thon, der die Funktion eines Bevollmächtigten bis zur letzten Generalkonferenz im Jahr 1863 ausübte, hatte eine ähnliche Sozialisation wie sein Bruder Ottokar durchlaufen. In Bezug auf den Zollverein setzte er auf eine enge, wenn auch nicht bedingungslose Anlehnung an Preußen. Während der Verhandlungen über die Fortdauer und Erweiterung des Deutschen Zollvereins in Berlin im Jahr 1852 schrieb er, dass diese Frage „für das Wohl oder Wehe des deutschen Vaterlandes von der tief eingreifendsten Bedeutung“ sei.36 31 32 33

34

35 36

Vgl. [Böhlau], Ottokar Thon (wie Anm. 28), bes. S. 121. Vgl. Patze, Zollpolitik (wie Anm. 26), S. 40, 49–51. In einem Schreiben an seine Frau vom 28.6.1831 bekräftigte Thon, dass Preußens „bis jetzt größte Zeit“ die Reformjahre von 1807 bis 1814 gewesen seien. Preußens Aufgabe sei es nun, sich wie früher „an die Spitze der neuern Bildung, des neuen politischen wie sittlichen Lebens im Norden und vorzugsweise in Deutschland zu stellen; Deutschland nicht durch materielles Umsichgreifen, sondern durch Gewinnung der Meinungen der Regierungen und des Volks unter sich zu einem Ganzen zu einigen und seine politische Wiedergeburt zu bewirken.“ [Böhlau], Ottokar Thon (wie Anm. 28), S. 258. Vgl. Klaus Ries, Kultur als Politik. Das „Ereignis Weimar-Jena“ und die Möglichkeiten und Grenzen einer „Kulturgeschichte des Politischen“, in: Historische Zeitschrift 285 (2007), S. 303–354. Vgl. zur Person: Thon, Geschichte (wie Anm. 27), S. 77–79. Bericht Gustav Thons von den Zollvereinsverhandlungen in Berlin an das Ministerium des Fürstentums Reuß j.L. in Gera, Berlin, 21.7.1852, in: Thüringisches Staatsarchiv Greiz, Ministerium Gera, Nr. 799, Bl. 183–185, hier Bl. 185.

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Eine deutlich geringere Rolle spielte die ‚Nation‘ als Handlungsmotiv zunächst bei den höheren Zollvereinsbeamten aus Preußen. Die maßgeblich an der Gründung des Deutschen Zollvereins beteiligten preußischen Beamten – die Finanzminister Friedrich von Motz und Karl Georg Maaßen sowie der Geheime Oberfinanzrat Ludwig Kühne – waren in der Verwaltung der napoleonischen Modellstaaten Berg und Westfalen geschult worden und dann unter dem preußischen Reformminister Karl August von Hardenberg tätig gewesen.37 Ihnen eignete eine etatistische, auf den Einzelstaat bezogene Perspektive an. Zugleich wirkten die auch über die Universität in Königsberg verbreiteten wirtschaftsliberalen Ideen eines Adam Smith im Denken dieser Beamten fort. Im Gegensatz zu den neueren nationalökonomischen Theorien war hier nicht die umfassende Entwicklung der wirtschaftlichen Kräfte der Nation, sondern die freie Entfaltung der ökonomischen Potentiale in einer auf Arbeitsteilung und freiem Handel basierenden Weltwirtschaft das Handlungsziel.38 Macht- oder gar nationalpolitische Überlegungen spielten bei der Einführung des neuen preußischen Zollgesetzes im Jahr 1818 keine Rolle.39 Auch die konzeptionellen Überlegungen des Finanzministers Friedrich von Motz aus dem Jahr 1829, welche die politischen Vorteile einer Zolleinigung Preußens mit den mittleren und kleinen deutschen Staaten betonten, zielten wohl eher auf die Begünstigung politischer Bündniskonstellationen als auf eine langfristige nationale Einigungspolitik.40 Nach dem Tode Friedrich von Motz’ und seines Nachfolgers als Finanzminister, Karl Georg Maaßen, war der Geheime Oberfinanzrat Ludwig Kühne (1786–1864) seit 1834 der maßgebliche preußische Zollvereinsbeamte. Kühne hatte unter der Leitung von Motz und Maaßen nicht nur als Fachbeamter an den Verhandlungen über die Gründung des Deutschen Zollvereins teilgenommen, sondern er vertrat 37

38

39 40

Vgl. Helmut Berding, Loyalitätskonflikte unter napoleonischer Herrschaft. Die Situation der Staatsdiener im Königreich Westfalen, in: Dieter Albrecht/Karl Otmar Freiherr von Aretin/Winfried Schulze (Hrsg.), Europa im Umbruch 1750–1850, München 1995, S. 241–256, hier bes. S. 252; ders., Die Reform des Zollwesens in Deutschland unter dem Einfluss der napoleonischen Herrschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 523–537, hier bes. S. 535. Vgl. Richard Sturn, Adam Smith (1723–1790), in: Heinz D. Kurz (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens. Von Adam Smith bis Alfred Marshall, Bd. 1, München 2008, S. 68–88; allerdings besaß auch der Wirtschaftsliberalismus durchaus Affinitäten zum Nationalismus. Vgl. Etges, Wirtschaftsnationalismus (wie Anm. 25), S. 32–35, 78–87. Vgl. den Beitrag von Thomas Stamm-Kuhlmann in diesem Band. Vgl. David T. Murphy, Prussian aims for the Zollverein, 1828–1833, in: The Historian 53 (1991), S. 285–302.

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Preußen 1836 auch auf der ersten Generalkonferenz des Zollvereins und leitete seit 1842 als Generalsteuerdirektor die preußische Zollverwaltung.41 Schon bald musste er den Zollverein gegen Kritiker u.a. aus der preußischen Regierung und Verwaltung verteidigen. Dabei trat Kühne mit mehreren Publikationen hervor. Nationalpolitische Argumente spielten hier eine untergeordnete Rolle. In einer 1833 erstmals veröffentlichten Abhandlung ging Kühne vor allem auf die fiskalischen und wirtschaftlichen Aspekte des Zollvereins ein. Zu Beginn bemerkte er lediglich in ironischer Distanz, dass darüber, dass der Zollverein „von segensreichen Folgen sey, daß Größeres noch dadurch vorbereitet werde, Deutschland erst durch diese Vereinigung in die Reihe der europäischen Handelsmächte eintrete“, bereits genug geschrieben worden sei.42 Immerhin führte die Schrift die Bezeichnung „deutscher Zollverein“ im Titel und Kühne betonte darin gegenüber den Zollvereinskritikern, dass „an ein Wiederaufleben solcher Zollabsperrungen zwischen den einzelnen deutschen Ländern, als noch vor zehn Jahren bestanden, niemals zu denken“ sei.43 Ähnlich argumentierte eine zweite Schrift Kühnes, die in zweiter Auflage im Jahr 1846 erschien und den Zollverein wiederum gegen die interne Kritik aus der preußischen Bürokratie und Verwaltung verteidigte.44 Diese Schrift richtete sich zugleich gegen die immer lauter werdenden Schutzzollforderungen, die in engem Zusammenhang mit nationalpolitischen Argumentationsmustern standen.45 Dagegen wandten sich neben Kühne auch einflussreiche Zollvereinsbeamte aus anderen Staaten. Hierbei ist vor allem der hessen-darmstädtische Oberfinanzrat Heinrich Ludwig Biersack (1789–1862) zu nennen.46 Biersack stellt ein weiteres wichtiges Glied im Netzwerk der höheren Zollvereinsbeamtenschaft aus den ersten Jahren des Zollvereins dar. Er war für das Großherzogtum Hessen-Darmstadt führend 41 42

43 44 45 46

Vgl. Stephan Skalweit, Ludwig Kühne, in: NDB, Bd. 13, Berlin 1982, S. 201; Karl Wippermann, Ludwig Kühne, in: ADB, Bd. 17, Leipzig 1883, S. 347–353. Ludwig Kühne, Über den deutschen Zollverein, Berlin 1836, S. 5 (zuerst publiziert in: Historisch-politische Zeitschrift, hrsg. von Leopold Ranke, Bd. 2/H. 1 (1833), S. 503– 537). Ebd., S. 60. Ludwig Kühne, Der Deutsche Zollverein während der Jahre 1834 bis 1845, 2., vermehrte Aufl., Berlin 1846. Vgl. auch den Beitrag von Heinrich Best in diesem Band. Vgl. Hans-Werner Hahn, Heinrich Ludwig Biersack und die wirtschaftliche Einigung Deutschlands. Zur Rolle eines hessen-darmstädtischen Finanzbeamten im Deutschen Zollverein, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, N.F., 41 (1983), S. 95–132.

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an der Begründung des Zollvereins beteiligt gewesen. Dabei hatte er sich großes Vertrauen in der preußischen Regierung und Verwaltung erworben. Auf Betreiben Preußens erhielt Biersack im Jahre 1836 die von den Vereinsstaaten gemeinsam besetzte Stelle eines Zolldirektors der freien Stadt Frankfurt am Main. Zugleich vertrat er das Großherzogtum Hessen-Darmstadt in den Jahren 1836, 1840/41 und 1850/51 auf den Generalkonferenzen des Zollvereins. Im Jahr 1843, auf dem Höhepunkt des Streites um Schutzzoll oder Freihandel im Zollverein, erschien eine Abhandlung Biersacks „Über Schutzzölle.“ Darin bekannte er sich gleich zu Beginn klar zu einem „kosmopolitischen Standpunkte“, nach dem „solche Schutzmaßregeln jedenfalls als verwerflich, unbeschränkte Freiheit des Verkehrs“ dagegen als ein „den materiellen Samt-Interessen der Nationen durchaus entsprechendes Prinzip“ galten.47 Auch hier standen also die liberal-kosmopolitischen Wirtschaftstheorien noch vor den neueren nationalökonomischen Grundsätzen. Allerdings zeichnete sich während der von einem Aufwallen der Nationalbewegung gekennzeichneten 1840er Jahre ein gewisser Wandel des Stellenwerts der ‚Nation’ in der wirtschaftspolitischen Argumentation Biersacks ab.48 Die Forderung nach der Einführung von so genannten Differenzialzöllen hatte inzwischen enormen Auftrieb gewonnen. Damit waren Zollerhöhungen oder auch -senkungen gegenüber dritten Staaten gemeint, um diese entweder durch Druck oder Konzessionen zu vorteilhaften Handelsvereinbarungen mit dem Deutschen Zollverein zu bewegen. In diesem Zusammenhang veröffentlichte Biersack 1847 wiederum eine Denkschrift, in der er ebenso konsequent wie einst gegen die allgemeinen Schutzzölle auch gegen die Einführung von Differenzialzöllen Stellung nahm. Dennoch bezog er nationalpolitische Argumentationsmuster der Schutzzollbefürworter ein und gestand zu, dass die Einführung solcher Zölle dann zulässig sei, wenn dritte Staaten Gesetze erließen, die sich speziell gegen die Industrie oder den

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48

[Heinrich Ludwig Biersack], Ueber Schutzzölle und andere, gegen das Ausland gerichtete, Schutzmaßregeln zur Förderung der inländischen Industrie, sowie ueber Consumtionssteuern von ausländischen Waaren. Nebst der Handelsbilanz des deutschen Zollvereins von den Jahren 1837–1841, Darmstadt 1843 (anonym publiziert), S. 4. Vgl. zum Aufschwung des Nationalismus im Zuge der Rheinkrise seit 1840: Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866. Bürgerwelt und starker Staat, 4. Aufl., München 1987, S. 311–313.

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Handel des Zollvereins richteten. Denn in einem solchen Fall handele es sich um eine „Verletzung unserer Nationalehre.“49 Dann aber habe der Zollverein „die Pflicht, unbekümmert um das Interesse anderer Länder, alle Maßregeln zu ergreifen, welche, nach reiflichster Erwägung aller in Betracht kommenden Momente, geeignet erscheinen, das Gemeinwohl der Vereinslande wahrhaft zu fördern.“ „Ein Deutscher“, der aus Rücksicht auf andere Länder von solchen Maßregeln abriete, „würde eine große Schwäche und einen bedauerlichen Mangel an Patriotismus beurkunden. Ja es dürfte unter Umständen nicht zu weit gegangen werden, wenn eine solche Handlungsweise als: Verrath am Vaterlande – bezeichnet würde.“50 Das wirtschaftliche Interesse des Zollvereins wurde hier mit dem wirtschaftlichen Interesse der Nation bzw. des „Vaterlandes“ gleichgesetzt. Damit fiel auch die Abgrenzung von wirtschaftlicher und nationaler Gemeinschaft zusammen. Dennoch betonte Biersack zugleich, dass man sich von dem in Deutschland „neuerwachten Nationalgefühl“ nicht „vom Pfade der Klugheit und Besonnenheit ableiten lassen“ und „Maßregeln das Wort“ reden dürfe, „die durchaus nicht dem wahren Interesse der Vereinslande entsprechen würden.“51 Die Konzessionen, die Biersack in seiner Schrift an nationalpolitische Erwägungen machte, dürften daher eher eine taktische Funktion gehabt haben, um zur Vermittlung der gegensätzlichen Standpunkte beizutragen. Insgesamt erwies sich Biersack jedoch als resistent gegenüber wirtschaftsnationalen Forderungen. Die Errichtung einer nationalen Handelsflotte durch den Zollverein und die deutschen Nordseeküstenstaaten würde sich nach seinen kühlen handelspolitischen Überlegungen wirtschaftlich nicht auszahlen, sondern eher zu einer Verteuerung der Importe führen. Die Chance, als eine eigenständige Seemacht aufzutreten, habe Deutschland historisch bereits mit dem Untergang der Hanse und der Trennung der Niederlande vom Reichsverband verpasst.52 Eine gewisse Nationalisierung seines wirtschaftspolitischen Denkens tritt bei Biersack dennoch hervor, wenn er betont, dass Holland und Belgien dem Deutschen Zollverein allein deshalb nicht beitreten könnten, da sie „keine Bestandtheile von Deutschland“ seien. Dagegen 49 50 51 52

[Heinrich Ludwig Biersack], Ueber Differenzialzölle im Verhältniß des deutschen Zollvereins zu andern Ländern, Frankfurt a.M. 1847, S. 20. Ebd., S. 22–23. Ebd., S. 22–23 (Fußnote). Vgl. ebd., S. 47 (Fußnote). Zu den Diskussionen um die Errichtung einer nationalen Handelsflotte vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 4), S. 110–114.

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bestärkte er die Hoffnung, dass zumindest die deutschen Nordseestaaten dem Zollverein bald angehören würden.53 Mit dieser Sichtweise standen Beamte wie Biersack oder Kühne jedoch zunehmend im Gegensatz zu jenem Teil der Bürokratie, der sich den Schutzzollforderungen nicht verschloss. Im 1844 geschaffenen preußischen Handelsamt wurden Pläne für ein Differenzialzollsystem sowie eine nationale Schifffahrtspolitik erwogen.54 Unterstützt wurden die Pläne durch den Ministerialdirektor im Außenministerium, Robert Freiherr von Patow (1804 –1890),55 der Preußen 1846 auch auf der Generalkonferenz des Zollvereins vertrat. In einer entsprechenden Denkschrift führte er aus, dass Preußen durch eine solche Initiative die „Leitung der öffentlichen Meinung“ in Deutschland übernehmen und einen Beitrag „zur Hebung des deutschen Nationalgefühls“ leisten könne.56 Und ein 1847 von dem früheren preußischen Zollvereinsbevollmächtigten in Braunschweig und zu dieser Zeit im preußischen Außenministerium tätigen Karl von Kamptz (1808–1870) ausgearbeiteter Vorschlag für einen deutschen Schifffahrts- und Handelsverein zielte darauf ab, „das Prinzip der nationalen Einheit Deutschlands nicht nur in den gegenseitigen Beziehungen der Vereinsstaaten untereinander geltend zu machen, sondern auch in deren Beziehungen zu anderen Staaten zur Anerkennung zu bringen.“57 Allerdings blieben einflussreiche Zollvereinsbeamte wie Biersack gegenüber derartigen nationalpolitischen Instrumentalisierungen der Zoll- und Handelspolitik eher skeptisch. Im Auftrag des Senates der freien Stadt Frankfurt arbeitete Biersack eine Stellungnahme zu dem preußischen Vorschlag eines deutschen Schifffahrts- und Handelsvereins aus. Darin wiederholte er seine bereits früher formulierte Kritik an der im öffentlichen Meinungsstreit immer mehr hervortretenden Tendenz, „die Ansichten über die Differenzial-Zollfragen als Maaßstab für den geringeren oder höheren Grad von patriotischer Gesinnung des Mannes anzunehmen.“ Gleichzeitig benannte Biersack klar die inneren Widersprüche des von Preußen vorgelegten 53 54

55 56 57

[Biersack], Ueber Differenzialzölle (wie Anm. 49), S. 83. Biersack wendet sich in seiner Schrift ausdrücklich gegen entsprechende Pläne des Präsidenten des preußischen Handelsamtes, Friedrich Ludwig von Rönne. Vgl. ebd., S. 86 ff. Vgl. Hermann von Petersdorff, Erasmus Robert Freiherr von Patow, in: ADB, Bd. 52, Leipzig 1906, S. 760–766. Zitiert nach: Best, Interessenpolitik (wie Anm. 4), S. 112–113. Zitiert nach: ebd.

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Planes. So sei vor allem aufgrund staatsrechtlicher Probleme kaum eine Lösung für die Frage in Sicht, welche Gebiete denn dem projektierten Verein angehören sollten. Deshalb könne auf der Grundlage des preußischen Planes allenfalls „von der Erzielung einer mehrfach bedeutend modificirten deutschen Einheit die Rede sein.“58 Einen kräftigen Schub erhielt die Nationalisierung der Zoll- und Handelspolitik durch die Revolution von 1848/49.59 Während der Revolution trat die Schaffung eines Nationalstaates auf die Tagesordnung. In der seit Mai 1848 in Frankfurt am Main tagenden Nationalversammlung setzte sich das Konzept eines föderalen Bundesstaates mit monarchischer Spitze durch. Während der Verfassungsberatungen wurde auch über die Regelung der Zoll- und Handelsverhältnisse debattiert.60 Der volkswirtschaftliche Ausschuss61 der Nationalversammlung berief im Juli 1848 eine Kommission von Sachverständigen der deutschen Einzelstaaten, welche die Arbeit des Ausschusses durch Gutachten unterstützen sollten.62 Die Mitglieder dieses Gremiums kamen aus allen deutschen Staaten, einschließlich der Nordseestaaten und Österreich.63 Allerdings erklärte der österreichische Kommissar Karl von Geringer bereits im August 1848, dass eine Beteiligung Österreichs an der „Verschmelzung Deutschlands zu einem Handelskörper“ aus politischen und wirtschaftlichen Gründen vorerst nicht erfolgen könne. In der Folge zog er sich von den Beratungen mehr und mehr zurück und wurde im Dezember 1848 von seiner Regierung ersatzlos abberufen.64 58

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Vgl. Denkschrift, betreffend die Vorschläge für Errichtung eines deutschen Schifffahrtsund Handelsvereins, verfasst von Heinrich Ludwig Biersack, 18.10.1847, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin (im Folgenden: GStAPK), I. HA Rep. 120 Ministerium für Handel und Gewerbe, C XIII 1, Nr. 4, Bd. 3, Bl. 248–275, Zitate Bl. 259v und 266. Vgl. allgemein zur Revolution: Dieter Dowe/Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hrsg.), Europa 1848. Revolution und Reform, Bonn 1998. Vgl. grundlegend: Hans-Werner Hahn, Die sozioökonomische Ordnung der Nation, in: Christoph Dipper/Ulrich Speck (Hrsg.), 1848. Revolution in Deutschland, Frankfurt a.M. 1998, S. 366–380; Best, Interessenpolitik (wie Anm. 4). So die in Literatur und Quellen verbreitete Bezeichnung. Offizieller Titel: Ausschuss für Arbeiter-, Gewerbe- und Handelsverhältnisse. Vgl. dazu ausführlich: Best, Interessenpolitik (wie Anm. 4), S. 250–259; Weber, Zollverein (wie Anm. 14), S. 237; Delbrück, Lebenserinnerungen (wie Anm. 16), Bd. 1, S. 221. Die einzelnen Bevollmächtigten sind genannt in: Werner Conze/Wolfgang Zorn (Hrsg.), Die Protokolle des Volkswirtschaftlichen Ausschusses der Deutschen Nationalversammlung 1848/49: mit ausgewählten Petitionen. Bearb. von Rüdiger Moldenhauer, Boppard am Rhein 1992, S. 112–113. Zitat nach: Best, Interessenpolitik (wie Anm. 4), S. 260.

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Die anwesenden Kommissare aus den Staaten des Deutschen Zollvereins waren zumeist mit den hier untersuchten höheren Zollvereinsbeamten identisch und nutzten ihre Zusammenkunft in Frankfurt zugleich zur Durchführung einer außerordentlichen Generalkonferenz des Deutschen Zollvereins.65 Als Präsident der Versammlung fungierte der bereits erwähnte hessen-darmstädtische Oberfinanzrat und Frankfurter Zolldirektor Heinrich Ludwig Biersack.66 Trotz erheblicher Kompetenzkonflikte mit dem volkswirtschaftlichen Ausschuss67 gestalteten die Zollkommissare die nationale Zolleinheit in enger Zusammenarbeit mit dem Reichshandelsministerium nachhaltig mit. Dabei unterstützten sie im Wesentlichen die weitgehenden Vorschläge einer Vereinheitlichung der Zölle und indirekten Steuern.68 Dies betraf vor allem die Einführung gemeinschaftlicher Produktions- und Verbrauchssteuern. Lediglich die Kommissare der drei süddeutschen Staaten Bayern, Baden und Württemberg sprachen sich dagegen aus. Die Mehrheit der Kommissare machte jedoch geltend, dass das „Prinzip völliger, auch durch innere Steuerverhältnisse nicht gehemmter Freiheit des Verkehrs zwischen den Staaten des Reichs“ unbedingt gewahrt werden solle.69 Die fachlichen Kompetenzen und politischen Erfahrungen der höheren Zollvereinsbeamten förderten und prägten die Gestaltung der nationalen Zoll- und Handelseinheit gleichermaßen. Dabei diente das föderative Modell des Zollvereins bei der Einrichtung der Zoll- und Steuerverwaltung in der vom Reichshandelsministerium ausgearbeiteten Reichs-Zollakte als unmittelbares Vorbild. Zwar besaß das Reich nach der Verfassung die Kompetenz über die Zollgesetzgebung und -verwaltung, dennoch wurde die eigenständige Zollverwaltung der Einzelstaaten beibehalten. Deren Durchführung nach gemeinsamen Bestimmungen sollte, wiederum nach dem direkten Vorbild des Zollvereins, durch die Entsendung von Kontrollbeamten in die einzelstaatlichen Zollbehörden sichergestellt werden. Schließlich sollte sogar 65 66 67 68

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Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 14), S. 238. Vgl. Hahn, Biersack (wie Anm. 46), S. 112–114. Dazu besonders Best, Interessenpolitik (wie Anm. 4), S. 253–259. Vgl. zu den Diskussionen dieses Gremiums bezüglich der Zoll- und Handelsverhältnisse des neu zu schaffenden Reiches ausführlich: Karl-Heinz Preißer, Die Stellung Bayerns bei der Steuerharmonisierung im Deutschen Zollverein 1834–1871 (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Forschungsbeiträge; Bd. 10), Regensburg 1991, S. 138–159. Erklärung der Regierungs-Kommissaire über den Entwurf der Reichsverfassung Art. VII (Frankfurt a.M., 10.11.1848), in: Die Resultate der Berathungen der RegierungsKommissaire in Frankfurt a.M. 1848/49 zur Herstellung der Zoll-Einheit im Deutschen Reiche, Halle 1851, S. 2–5, hier S. 3.

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die Institution der Generalkonferenz fortgeführt werden, indem die oberste Reichszollbehörde jährlich eine Konferenz von Bevollmächtigten aus den deutschen Einzelstaaten berief, die über alle anstehenden zoll- und steuerpolitischen Fragen beraten sollten.70 Die Zollkommissare traten zwar als Vertreter einzelstaatlicher Interessen auf. Dies zeigt sich etwa in den Diskussionen über die Abschaffung der Flussschifffahrtsabgaben bzw. über die Aufhebung der Durchgangszölle, in denen keine Einigung mit dem volkswirtschaftlichen Ausschuss bzw. mit dem Reichshandelsministerium erzielt werden konnte.71 Dennoch lässt sich nicht verkennen, dass die Arbeit dieser Kommissare den nationalen Einigungsprozess in den Jahren 1848 und 1849 förderte. Zugleich erweiterte der Versuch einer revolutionären politischen Neugestaltung den Horizont der Zollvereinsbeamten endgültig auf die gesamtnationale Ebene hin. So veröffentlichte der hessen-darmstädtische Kommissar Biersack eine im Dezember 1849 abgeschlossene Abhandlung über das Steuerwesen, in der er in einem eigenen Abschnitt auch auf „das Besteuerungswesen in einem Bundesstaate“ einging, da er die „Umwandlung des deutschen Staatenbundes in einen Bundesstaat“ auf der Grundlage der Paulskirchenverfassung offenbar noch immer für realisierbar hielt.72 IV. Höhere Zollvereinsbeamte und Nation 1850–1884 Nach dem Scheitern der nationalpolitischen Einigungsversuche im Zuge der Revolution von 1848/49 und der sich daran anschließenden preußischen Unionspolitik bzw. der österreichischen Pläne für eine großdeutsche Lösung gerieten die Zoll- und Handelsfragen in den 1850er und in den 1860er Jahren immer mehr in den Sog der machtpolitischen Konflikte zwischen Preußen und Österreich, die sich unauflöslich mit der nationalen Frage vermischten.73 Österreich startete seit 1849 mehrere zollpolitische Offensiven,

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71 72 73

Vgl. Entwurf einer Reichs-Zollakte (1849), in: Die Resultate der Berathungen (wie Anm. 69), S. 78–94; sowie die Erklärung der Regierungskommissare über den Entwurf der Reichs-Zollakte (Frankfurt a.M., 15.5.1849), in: ebd., S. 11–67, zur Verwaltungsorganisation bes. S. 23–35, 40–43. Vgl. Best, Interessenpolitik (wie Anm. 4), S. 254–256. Vgl. Heinrich Ludwig Biersack, Ueber Besteuerung, ihre Grundsätze und ihre Ausführung, Frankfurt a.M. 1850, Zitat S. 214. Vgl. Hans-Werner Hahn, Die Dresdener Konferenz: Chance eines handelspolitischen Neubeginns in Deutschland?, in: Jonas Flöter/Günther Wartenberg (Hrsg.), Die Dresdener Konferenz 1850/51. Föderalisierung des Deutschen Bundes versus Machtinteres-

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deren Ziel die Schaffung einer mitteleuropäischen Zollunion unter Einbeziehung sämtlicher Staaten des Deutschen Bundes war.74 Damit wurde der von Preußen dominierte Deutsche Zollverein in Frage gestellt. Während sich vor allem die süddeutschen Staaten den österreichischen Plänen gegenüber als aufgeschlossen zeigten, gingen Preußen und einige seiner norddeutschen Zollverbündeten auf einen Konfrontationskurs. In der Öffentlichkeit wurden die zollpolitischen Auseinandersetzungen auch als nationalpolitische Fragen aufgefasst.75 In den so genannten „Zollvereinskrisen“ der frühen 1850er und 1860er Jahre traten die höheren Zollvereinsbeamten sowohl gegenüber den fremden als auch gegenüber den eigenen Regierungen nachhaltig für den Erhalt des vom Auseinanderbrechen bedrohten Zollvereins ein. So etwa der hessen-darmstädtische Oberfinanzrat Biersack, dessen Regierung die österreichischen Pläne unterstützte. Seine Vertrautheit mit Preußen ging so weit, dass er die preußische Regierung aus erster Hand über die internen Diskussionen in der hessen-darmstädtischen Regierung unterrichtete. Darüber hinaus präsentierte er der preußischen Regierung 1852 eine vertrauliche Denkschrift, welche die institutionelle Fortentwicklung des Zollvereins durch die Einrichtung einer Zentralbehörde und die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in bestimmten Fragen befürwortete.76 Allerdings tritt in den internen wie in den öffentlichen Stellungnahmen Biersacks aus jenen Jahren die ‚Nation’ als Handlungsziel hinter den wirtschafts- und finanzpolitischen Überlegungen zurück.77 Deutlicher werden nationalpolitische Argumentationen dagegen bei dem kurhessischen Ober-Berg- und Salzwerksdirektor Theodor Schwedes (1788–

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sen der Einzelstaaten (Schriften zur sächsischen Landesgeschichte; Bd. 4), Leipzig 2002, S. 219–238. Vgl. den Beitrag von Thomas J. Hagen in diesem Band. Vgl. am Beispiel Sachsens: Andreas Neemann, Landtag und Politik in der Reaktionszeit: Sachsen 1849/50–1866 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; Bd. 126), Düsseldorf 2000, S. 400–429. Vgl. Hahn, Biersack (wie Anm. 46), S. 121–122. Vgl. auch den Bericht des preußischen Ministerresidenten in Darmstadt, Canitz, vom 24.3.1852, über ein Memoire, das Biersack dem Darmstädter Finanzminister Schenck zur Zollvereinsfrage vorgelegt habe. In diesem Memoire heißt es am Ende, es müsse „jeden Patrioten mit Trauer erfüllen, daß wir in Deutschland dahin haben kommen können, an die Möglichkeit“ einer Auflösung des Zollvereins „auch nur denken zu müssen.“ In: GStAPK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium III, Nr. 6061, Bl. 318–320, Zitat Bl. 320.

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1882).78 Schwedes war für das Kurfürstentum Hessen an den Zollvereinsverhandlungen der 1830er Jahre beteiligt und hatte enge Kontakte zu preußischen Beamten geknüpft. Er vertrat das Kurfürstentum Hessen in den Jahren 1840 bis 1843 auf den Generalkonferenzen des Deutschen Zollvereins. Nachdem er 1848 zum Finanzminister berufen worden war, überwarf er sich mit dem reaktionären Kurfürsten und wurde 1850 von seinen Staatsämtern entbunden. Dennoch trat er entgegen dem Standpunkt seiner Regierung publizistisch für den Erhalt des Zollvereins unter Ausschluss Österreichs ein. In einer 1852 veröffentlichten Schrift definierte er „Deutschland“ als aus „einem großen Staate (Preußen) und mehreren mittelgroßen und vielen kleinen Staaten“ bestehend.79 Dem wurde „Österreich“ als eine eigenständige Größe gegenübergestellt. Halte man eine Zollvereinigung „Deutschlands“ mit Österreich für möglich, müsse man aus dieser Perspektive nach der Auffassung von Schwedes „ebenso gut eine Zollvereinigung mit Frankreich“ für ausführbar halten.80 Selbst im zweitgrößten Zollvereinsstaat Bayern, der die mittelstaatliche Opposition gegen Preußen anführte, traten viele der höheren Zollvereinsbeamten für den Erhalt des Zollvereins ohne Österreich ein. Eine wichtige Rolle spielte hier Karl Bever (1798/99–1860), der als Fachbeamter an den Zollvereinsverhandlungen der 1830er Jahre teilgenommen hatte, dann zum bayerischen Zollvereinsbevollmächtigten in Berlin und schließlich zum Leiter der bayerischen Zollverwaltung aufgestiegen war. Von 1838 bis 1843 hatte er Bayern zudem auf den Generalkonferenzen des Deutschen Zollvereins vertreten.81 Aufgrund seiner vermittelnden Haltung zwischen den Zollvereinsstaaten sowie seiner engen Verbindungen zu preußischen Beamten war 78

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Vgl. zur Person: Auguste Schwedes, Theodor Schwedes. Leben und Wirken eines kurhessischen Staatsmannes von 1788 bis 1882. Nach Briefen und Aufzeichnungen zusammengestellt, Wiesbaden 1899. [Theodor Schwedes], Über den deutsch-österreichischen Zoll- und Handelsverein, Göttingen 1852, S. 11 (anonym gedruckt). Ebd., S. 24. Zum Verhältnis Österreichs zur deutschen Nationsbildung vgl. Dieter Langewiesche, Deutschland und Österreich: Nationswerdung und Staatsbildung in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert, in: ders., Nation (wie Anm. 1), S. 172–189. Zur Person Bevers vgl. Otto-Karl Tröger, Die Bayerische Vertretung beim Deutschen Zollverein (1834–1871), in: Konrad Ackermann/Alois Schmid (Hrsg.), Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte; Bd. 139), München 2003, S. 527–540, hier S. 530– 531. Vgl. zu Bever und den übrigen bayerischen Zollvereinsbeamten sowie deren Rolle in den Zollvereinskrisen der 1850er und 1860er Jahre auch den Beitrag von Angelika Schuster-Fox in diesem Band, mit weiterführenden Literaturangaben.

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Bever bei der bayerischen Regierung in die Kritik geraten und wurde 1845 von allen leitenden Funktionen in der Zollverwaltung entbunden.82 Während der Revolution von 1848/49 wurde Bever jedoch nicht nur im fränkischen Stadtprozelten nach dem badischen Liberalen Friedrich Daniel Bassermann zum stellvertretenden Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung gewählt.83 Vielmehr gelangte er auch wieder in hohe staatliche Ämter. Bever wurde Ministerialdirektor im neu geschaffenen Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten und übte weiterhin einen wichtigen, wenngleich nicht mehr entscheidenden Einfluss auf die bayerische Zollvereinspolitik aus. Bereits im Dezember 1848 hatte er eine ausführliche Denkschrift für den neuen bayerischen König Maximilian II. verfasst, in der er eine Neuausrichtung der bayerischen Zollvereinspolitik forderte. Statt der Verfolgung von Sonderinteressen solle Bayern wieder die Rolle des Vermittlers zwischen den Zollvereinsstaaten übernehmen. Zudem sprach sich Bever nachdrücklich gegen die Aufnahme Österreichs in den Deutschen Zollverein aus.84 Wenn Bever auch selbst nicht mehr an entscheidender Stelle für die bayerische Zollvereinspolitik wirkte, so waren seine maßgeblichen Nachfolger doch persönlich und politisch eng mit ihm verbunden. Karl Meixner (gest. 1880),85 der Bever als Zollvereinsbevollmächtigter, Generalkonferenzbevollmächtigter und schließlich als Generalzolladministrator nachfolgte, war am Anfang seines beruflichen Aufstieges durch Bever gefördert worden. Zugleich stand auch er den Interessen des Zollvereins näher als der bloßen Verfolgung bayerischer Sonderwünsche gegenüber den anderen Zollvereinsstaaten.86 Ähnliches lässt sich für Wilhelm Weber (1809–1879) zeigen, der als Ministerialrat im Außen- und im Handelsministerium für die bayerische Zollvereinspolitik tätig war und Bayern seit 1868 im neu geschaffenen Bundesrat 82

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Vgl. Heinz Gollwitzer, Ein Staatsmann des Vormärz: Karl von Abel (1788–1859). Beamtenaristokratie – monarchisches Prinzip – politischer Katholizismus (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 50), Göttingen 1993, S. 480–481. Vgl. die Personalakte Bevers, in: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (im Folgenden: BayHStAM), Abt. II, M Inn, Nr. 36634 (unpaginiert). Bever an Maximilian II., München, 6.12.1848, in: BayHStAM, Abt. III (GHAM), Kabinettsakten König Maximilians II., Nr. 214 (unpag.). Vgl. Gollwitzer, Abel (wie Anm. 82). Vgl. zur Person: Tröger, Vertretung (wie Anm. 81), S. 533; BayHStAM, Abt. II, Zollakten, Nr. 8848. So die Einschätzung des preußischen Zollvereinsbevollmächtigten Reuter in München in einem Schreiben vom 18.4.1852, in: GStAPK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium III, Nr. 6062, Bl. 38–43, hier Bl. 40v–43.

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des Zollvereins vertrat. In seiner weit verbreiteten Geschichte des Deutschen Zollvereins betonte Weber nicht nur dessen nationalpolitische Dimension, sondern hob auch das Wirken Bayerns und insbesondere Karl Bevers positiv hervor.87 Auch unter den höheren Zollvereinsbeamten anderer Staaten lässt sich eine Nationalisierung ihrer Denk- und Handlungsmuster feststellen. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist der sächsische Zollvereinsbevollmächtigte Albert Wilhelm Ludwig von Hake (1800–1876). Hake schlug nach seiner militärischen Ausbildung eine Laufbahn in der sächsischen Zollverwaltung ein und wurde 1850 zum Vize-Zoll- und Steuerdirektor befördert. Seit 1856 bis zu seinem Ruhestand 1870 war er sächsischer Zollvereinsbevollmächtigter in Preußen, zuerst bei der Provinzialsteuerdirektion in Magdeburg, später in Breslau. Im Jahr 1858 schlug der Magdeburger Provinzialsteuerdirektor von Jordan die Verleihung eines preußischen Ordens an Hake vor, da sich dieser als Dresdner Vize-Zolldirektor während der Zollvereinskrise der 1850er Jahre entgegen der Haltung seiner Regierung für den Fortbestand des Zollvereins eingesetzt habe. Aufgrund einer solchen „deutsch-patriotischen Haltung“ habe ihn bereits der preußische Zollvereinsbevollmächtigte in Dresden, Regierungsrat Wilke, für die Verleihung eines preußischen Ordens vorgeschlagen.88 Dabei war es keineswegs so, dass Preußen eine konsequente nationale Einigungspolitik durch den Zollverein betrieb. Im Gegenteil schien während der Zollvereinskrise der 1850er Jahre die Option einer Auflösung des Zollvereins bzw. eines bloßen Zusammenschlusses mit dem Königreich Hannover zumindest für den leitenden Minister Otto von Manteuffel eine realistische Alternative.89 Auch hier wirkten vor allem die höheren Zollvereinsbe87

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Vgl. Weber, Zollverein (wie Anm. 14), Vorwort: Der Deutsche Zollverein sei seit seiner Gründung „zum Repräsentanten der materiellen Einheit der gesammten Nation“ und seit 1867 in neuer Gestalt zu einem „Theil der politischen Institutionen Deutschlands“ geworden. Schreiben des Provinzialsteuerdirektors von Jordan an den Finanzminister von Patow, Magdeburg, 14.12.1858, in: GStAPK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium III, Nr. 7045 (unpaginiert). Hake erhielt schließlich den Roter-Adler-Orden 3. Klasse. Zur sächsischen Haltung in der Zollvereinskrise vgl. Neemann, Landtag (wie Anm. 75). In einem Schreiben Manteuffels an den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Buol vom 6.6.1852 heißt es: „Wir legen auf die Fortdauer des Zollvereins in unserem eigenen Interesse einen sehr geringen Werth.“ Dabei führte er finanzielle und wirtschaftliche Vorteile sowie die im Falle einer Auflösung des Zollvereins wiedergewonnene tarifpolitische Autonomie als Beleg für seine Haltung an. In: Heinrich von Poschinger (Hrsg.), Preußens auswärtige Politik 1850–1858. Unveröffentlichte Dokumente aus dem Nach-

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amten für den Erhalt der gemeinsamen Institution. Unter ihnen ist insbesondere der leitende Beamte im Handelsministerium, Rudolph Delbrück (1817–1903), zu nennen, der die preußische Zollvereinspolitik nach 1850 maßgeblich beeinflusste.90 In seinen viele Jahre nach der Reichsgründung verfassten Lebenserinnerungen schrieb Delbrück noch mit Blick auf den nationalen Einigungsversuch in der Revolution von 1848/49: „Für Deutschland, als abstrakten Begriff, konnte ich mich nicht begeistern, und, wenn ich den Begriff konkret fassen wollte, kam ich nur zu einer Hegemonie Preußens über einen Teil dessen, was völkerrechtlich Deutschland hieß, wie solche im Zollverein, freilich sehr unvollkommen, vorgebildet war.“91 Ein nationalpolitisches Handlungsmotiv sprach sich Delbrück also rückblickend selbst ab. Vielmehr sei es ihm um den Ausbau der preußischen Hegemonie über einen Teil der deutschen Staaten gegangen. Dabei gelang es ihm zunächst, die österreichischen Initiativen für eine mitteleuropäische Zollunion auf der Kasseler Generalkonferenz von 1850 und der Dresdner Konferenz von 1850/51 abzuwehren.92 Auch nach dem Abschluss des Zollund Handelsvertrages zwischen dem Zollverein und Österreich vom Februar 1853 bemühte sich Delbrück, die Bestrebungen Österreichs nach einer zollpolitischen Annäherung zu neutralisieren. Unterstützt wurde er dabei durch seinen ehemaligen Mentor und Zollvereinspionier Ludwig Kühne. Dieser war inzwischen aus dem Staatsdienst entlassen worden und hatte seit 1849 in den verschiedenen Häusern des preußischen Parlamentes auf Seiten der gemäßigten Liberalen Opposition gegen die altkonservativen Kräfte betrieben.93 Darüber hinaus trat Kühne bei den innerpreußischen Konflikten um die Zoll- und Handelsfrage publizistisch hervor. Im gemäßigt konservativen „Preußischen Wochenblatt“94 veröffentlichte er im Frühjahr 1852 mehrere

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lasse des Ministerpräsidenten Otto Freiherrn von Manteuffel. Bd. 1: Von Olmütz bis zur Errichtung des zweiten französischen Kaiserreichs, Berlin 1902, S. 410–412, hier bes. S. 411. Zu Delbrück vgl. Rudolf Morsey, Rudolph Delbrück, in: Lothar Gall/Ulrich Lappenküper (Hrsg.), Bismarcks Mitarbeiter, Paderborn 2009, S. 69–89. Delbrück, Lebenserinnerungen, Bd. 1 (wie Anm. 16), S. 212; zum Verlauf der Krise vgl. allgemein: Hahn, Geschichte (wie Anm. 6), S. 140–151. Vgl. Hahn, Dresdener Konferenz (wie Anm. 73). Vgl. Günther Grünthal, Parlamentarismus in Preußen 1848/49–1857/58. Preußischer Konstitutionalismus – Parlament und Regierung in der Reaktionsära (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Düsseldorf 1982, hier bes. S. 360–361. Vgl. zur „Wochenblattpartei“: Michael Behnen, Das Preußische Wochenblatt (1851– 1861): nationalkonservative Publizistik gegen Ständestaat und Polizeistaat (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft; Bd. 43), Göttingen 1971.

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Artikel, die später separat gedruckt wurden. Darin verteidigte Kühne den Abschluss des umstrittenen, maßgeblich durch Delbrück durchgesetzten Zollvereinsvertrages zwischen Preußen und Hannover vom September 1851 und sprach sich zugleich gegen weiterführende Zollunionsprojekte Österreichs aus. Dabei spielten nationalpolitische Argumente gegenüber den wirtschafts- und finanzpolitischen Überlegungen vordergründig keine Rolle. Dennoch bürgerte sich auch in dieser Schrift der Brauch ein, die Zollvereinsstaaten kurzerhand mit „Deutschland“ zu bezeichnen und ihnen Österreich als eigenen Staat gegenüber zu stellen. Insbesondere durch sein über lange Jahre aufrecht erhaltenes Prohibitiv- und Schutzzollsystem sei Österreich „für den Verkehr der anderen deutschen Staaten ein völliges Fremdland“ geworden.95 Ein solches Ineinanderfallen von wirtschaftlicher und politischer Raumwahrnehmung findet sich auch auf den unteren Ebenen der höheren Zollvereinsbeamten. So plädierte der über viele Jahre im Großherzogtum Baden stationierte preußische Stationskontrolleur Villaret für ein konsequentes Festhalten Preußens an seiner Politik. Nach eigener Aussage habe Villaret während seiner Tätigkeit „die einzelnen Stadien der Bildung des Vereins erlebt“ und gesehen, „wie dadurch Vorurtheile aller Art beseitigt wurden.“ Dadurch sei er zu der Überzeugung gelangt, dass „die Beförderung des materiellen Wohles, das beste Mittel zur Einigung der verschiedenen Volksstämme ist.“96 Jedoch musste die Tätigkeit für den Zollverein nicht zwangsläufig zu einer Nationalisierung des Selbstverständnisses führen. So sah sich der langjährige preußische Stationskontrolleur in Bayern, Mutzel, vor allem als „ein guter echter Preuße“ und kritisierte die unentschlossene Haltung der preußischen Regierung in der Zollvereinskrise vor allem deshalb, weil dadurch „unser Vaterland Preußen“ die allgemeine Achtung in der Öffentlichkeit verloren habe.97 Eine noch engere Verknüpfung des Zollvereins mit den nationalpolitischen Fragen ergab sich in den 1860er Jahren. Der preußische Ministerprä95 96

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[Ludwig Kühne], Zur handelspolitischen Frage. Aufsätze aus dem „Preußischen Wochenblatt“ besonders abgedruckt, Berlin 1852, S. 27 (anonym gedruckt). Bericht des preußischen Stationskontrolleurs Villaret in Kehl an den preußischen Zollvereinsbevollmächtigten von Schierstedt in Karlsruhe, Kehl, 24.11.1851, in: GStAPK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium III, Nr. 6061, Bl. 153–153v, hier 153v. Schreiben des preußischen Stationskontrolleurs Mutzel an den preußischen Zollvereinsbevollmächtigten Reuter in München, Regensburg, 11.9.1852, in: GStAPK, I. HA Rep. 151 Finanzministerium III, Nr. 6063, Bl. 258–259.

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sident Bismarck spannte nach den militärischen Erfolgen über Dänemark und Österreich den Zollverein seit 1866 für seine politischen Ziele ein.98 Er griff dafür parallel zur Konstituierung des Norddeutschen Bundes die seit längerer Zeit diskutierten Konzepte einer Zentralisierung der Zollvereinsverwaltung sowie der Einrichtung eines Zollvereinsparlaments auf.99 Durch die neuen Zollvereinsverträge zwischen dem Norddeutschen Bund und den souveränen Staaten Bayern, Württemberg und Baden sowie Hessen-Darmstadt für seine südlichen Landesteile vom Juli 1867 wurden der Bundesrat des Zollvereins sowie ein Zollvereinsparlament geschaffen. Die Zollverwaltung blieb zwar weiterhin bei den Einzelstaaten, doch wurde zumindest das System der Kontrollbeamten in die Kompetenz des Norddeutschen Bundes gezogen. Die Zollvereinsbevollmächtigten und die Stationskontrolleure, die bislang Beamte der Einzelstaaten waren, wurden nun Beamte des Norddeutschen Bundes und seit 1871 Beamte des Deutschen Kaiserreiches.100 Diese neue Dienststellung musste auch dazu beitragen, ihren Blick immer mehr auf die gesamtnationale Ebene hin auszurichten. Ein Beispiel dafür ist der bayerische Oberzollrat Otto Freiherr von Aufseß (1825–1903). Dieser war seit 1858 Stationskontrolleur in Preußen und in Frankfurt am Main und ab 1865 Oberzollrat in der Generalzolladministration in München. Seit 1868 fungierte er als Zollvereinsbevollmächtigter bei den preußischen Provinzialsteuerdirektionen in Königsberg und Danzig. Im Jahr 1873 wurde er Reichsbevollmächtigter in Elsaß-Lothringen, 1879 ging er als Reichsbevollmächtigter nach Preußen mit Wohnsitz in Berlin. Bereits 1873 hatte Aufseß eine Abhandlung über die Zölle und Verbrauchssteuern des Deutschen Reiches veröffentlicht. Darin sprach er die Ansicht aus, dass der Deutsche Zollverein das Resultat des „Einigungstriebes“ in Deutschland und zugleich der „Leitfaden für die politische Einigung“ gewesen sei. Der Zollverein, so Aufseß, bildete „die Wurzel, aus der sich die politische Organisation Deutschlands entwickelte.“101

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Vgl. Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt a.M. 1980, bes. S. 411– 412. Vgl. den Beitrag von Hans-Werner Hahn in diesem Band. Vgl. den neuen Zollvereinsvertrag von 1867 bei: Kotulla, Verfassungsrecht (wie Anm. 11). Otto Freiherr von Aufseß, Die Zölle und Verbrauchssteuern und die vertragsmäßigen auswärtigen Handelsbeziehungen des Deutschen Reiches. Vom Standpunkte der Volkswirtschaft und Verwaltung historisch-dogmatisch dargestellt, Leipzig 1873, S. III.

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Mit der Neuorganisation des Zollvereins seit 1867 entfiel die langjährige Institution der Generalkonferenz. Dennoch brachten zahlreiche Beamte, die in diesem Gremium die Zollvereinspolitik über viele Jahre mitbestimmt hatten, ihr Fachwissen in den neuen Institutionen des Zollbundesrates und des Zollparlaments ein.102 Im Zollparlament traten die hier vertretenen früheren Zollvereinsbeamten in den großen politischen Debatten nicht entscheidend hervor. Dennoch leisteten sie nützliche Beiträge zur Sacharbeit. In den bald aufbrechenden nationalpolitischen Konflikten positionierten sie sich zudem recht unterschiedlich. Den nationalliberalen Abgeordneten des Zollparlamentes ging es im Kern darum, die Kompetenz dieses Parlamentes über die Zoll- und Handelsfragen hinaus zu erweitern und es so zum „Vollparlament“ zu machen. Gleich zu Beginn der ersten Sitzungsperiode wurde ein Antrag auf Abfassung einer entsprechenden Adresse an den preußischen König eingebracht. In der Abstimmung votierten jeweils drei der insgesamt sechs im Zollparlament vertretenen höheren Zollvereinsbeamten für bzw. gegen diesen Antrag.103 Gegen den Adressantrag hatte auch der württembergische Obersteuerrat Wilhelm August Vayhinger (1803–1877), der sein Land in den Jahren 1843 und 1845 auf der Generalkonferenz des Zollvereins vertreten hatte und im Stuttgarter Steuerkollegium Referent für Zollsachen war, gestimmt.104 Im Zollparlament gehörte er sowohl der gegen eine kleindeutsch-preußische

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Folgende frühere Zollvereinsbeamte waren vertreten: Im Zollbundesrat: Georg von Berr; Georg Gerbig (beide Bayern); Ludwig Ewald (Hessen-Darmstadt); Rudolph Delbrück; Friedrich Leopold Henning (beide Preußen); Julius Hans von Thümmel (Sachsen). Im Zollparlament: Johann Michael Diepolder; Karl Meixner; Ferdinand Soyer (alle Bayern); August Fabricius (Hessen-Darmstadt); Robert von Patow (Preußen); Wilhelm August Vayhinger (Württemberg). Zur personalen Zusammensetzung des Zollbundesrates vgl. Heinrich von Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat, 5 Bde., Stuttgart/ Leipzig 1897–1901 (hier Bde. 1–2, Stuttgart/Leipzig 1897). Vgl. grundlegend: Michael Horn, Die süddeutschen Abgeordneten im Zollparlament und die nationale Frage 1868–1870, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 155 (2007), S. 393–425, hier bes. S. 410 ff. In der Abstimmung vom 7.5.1868 über die Frage, ob man gegen den Adressantrag zur einfachen Tagesordnung übergehen solle, stimmten von den früheren Zollvereinsbeamten mit Ja: Diepolder, Meixner (beide Bayern) und Vayhinger (Württemberg) und mit Nein: Soyer (Bayern), Fabricius (HessenDarmstadt) und Freiherr von Patow (Preußen). Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des durch die allerhöchste Verordnung vom 13. April 1868 einberufenen Deutschen Zoll-Parlaments, Berlin 1868, S. 106–107. Vgl. Helge Dvorak, Vayhinger (Vaihinger), Wilhelm August Christian, in: ders. (Bearb.), Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Bd. 1: Politiker/Teilband 6: T– Z, Heidelberg 2005, S. 114–115.

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Nationalstaatsbildung gerichteten „Süddeutschen Fraktion“ als auch der Gruppe der schutzzöllnerisch gesinnten Abgeordneten an. In letzterer Eigenschaft sprach er sich gegen den 1868 abgeschlossenen Handelsvertrag mit Österreich aus, da dieser seiner Ansicht nach den Schutzbedürfnissen der Industrie in den Zollvereinsstaaten nicht entsprach. Dabei führte er auch nationalpolitische Argumente an. Eine durch Schutzzölle gestärkte Industrie sei seiner Ansicht nach die Voraussetzung für die „Machtvollkommenheit der Deutschen Nation, so weit sie von dem Deutschen Zollverein repräsentiert wird.“105 In der Ansicht Vayhingers fielen die „Deutsche Nation“ und das Zollvereinsgebiet also weitgehend zusammen. Ähnliches ließe sich ebenso bei anderen früheren Zollvereinsbeamten im Zollparlament feststellen, etwa bei August Fabricius (1825–1890).106 Dieser war in der Zoll- und Steuerverwaltung des Großherzogtums Hessen-Darmstadt aufgestiegen und 1868 zum Zollvereinsbevollmächtigten im nunmehr preußischen Hannover ernannt worden. Im Zollparlament hatte Fabricius für die Annahme der auf die Schaffung eines Vollparlamentes gerichteten Adresse gestimmt. Im Frühjahr 1870 unterstützte er den Antrag, die Vereinheitlichung der Münzverhältnisse nicht nur für den Norddeutschen Bund, sondern auch für die süddeutschen Staaten vorzubereiten. Denn seiner Ansicht nach wurde bereits mit der Gründung des Deutschen Zollvereins die „Münzangelegenheit in Verbindung mit den Zolleinrichtungen als eine gemeinsame Deutsche Angelegenheit aufgefaßt.“107 Die ökonomische und rechtliche Integration des neu zu schaffenden Nationalstaates wurde seit 1866 im Zusammenspiel von nationalem Parlament, Bundesrat und Regierung vorangetrieben. In der letzteren trat Rudolph Delbrück als leitender Fachbeamter hervor. Der langjährige maßgebliche preußische Fachbeamte für die Zollvereinspolitik war aufgrund seines ökonomischen Fachwissens im Lauf der 1860er Jahre zu einem unverzichtbaren Mitarbeiter des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck gewor105 106 107

Rede des Abgeordneten Wilhelm August Vayhinger im Zollparlament (9. Sitzung vom 9.5.1868), in: Stenographische Berichte (wie Anm. 103), S. 141–146, hier S. 145. Vgl. zur Person: F., E., Fabricius, August Karl, in: ADB, Bd. 55, Leipzig 1910, S. 747– 753. Rede des Abgeordneten August Fabricius im Zollparlament (11. Sitzung, 5.5.1870), in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des durch die allerhöchste Verordnung vom 8. April 1870 einberufenen Deutschen Zoll-Parlaments, Berlin 1870, S. 180– 181, hier S. 180.

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den. Darum wurde er von Bismarck 1866 durch seine Ernennung zum Präsidenten des Bundeskanzleramtes an die Spitze der Bundesverwaltung berufen.108 Delbrück arbeitete von hier aus eng mit der liberalen Reichstagsmehrheit zusammen. Außerdem nahm er in Vertretung Bismarcks den Vorsitz im Zollbundesrat wahr. In seinen Funktionen trug Delbrück maßgeblich dazu bei, dass der neu zu schaffende Nationalstaat zumindest im Bereich seiner Wirtschafts- und Rechtsordnung den liberalen Forderungen entgegen kam.109 Dabei konnte er nach eigenen Angaben bei der Gestaltung der Zoll- und Steuerverfassung auf die oben erwähnten Arbeiten der 1848/49 in Frankfurt tätigen einzelstaatlichen Zollkommissare zurückgreifen.110 Im Herbst 1870 führte Delbrück die Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten zur Gründung des Kaiserreiches.111 Auch danach stand er als Präsident des Reichskanzleramtes an der Spitze der Verwaltung. Gleichzeitig geriet er im Laufe der 1870er Jahre durch seine wirtschaftsliberale Haltung in immer stärkeren Gegensatz zu Bismarck. Als Bismarck seit Mitte der 1870er Jahre sowohl innenpolitisch von seiner Zusammenarbeit mit der liberalen Reichstagsmehrheit abrückte als auch wirtschaftspolitisch stärker auf staatliche Interventionen und Schutzzölle setzte, wurden Delbrück und dessen enge Vertraute aus ihren amtlichen Funktionen verdrängt.112 Zu jener Zeit waren Rudolph Delbrück und mit ihm die einer liberalen Wirtschaftspolitik verpflichteten Zollvereinsbeamten bereits Teil eines liberalen Nationalmythos und Gegenstand des Deutungskampfes um die Nationalstaatsgründung von 1871 geworden. Der bedeutendste Wortführer einer wirtschaftlich-liberalen Umdeutung der Reichsgründung war der Linksliberale Karl Braun. Dieser war seit 1849 Abgeordneter und seit 1858 Präsident der nassauischen Zweiten Kammer und wurde im Jahr 1859 Vorsitzender des 1858 gegründeten, freihändlerisch orientierten Kongresses deutscher Volkswirte. Seit 1867 war Braun Abgeordneter im Reichstag des Norddeutschen Bundes bzw. seit 1871 des Deutschen Kaiserreiches. Zunächst ein 108 109

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Vgl. Morsey, Delbrück (wie Anm. 90), S. 76. Vgl. Gall, Bismarck (wie Anm. 98), S. 394–395; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Zweiter Band: Machtstaat vor der Demokratie. 3., durchgesehene Aufl., München 1995, S. 44–48, 360. Vgl. Delbrück, Lebenserinnerungen, Bd. 1 (wie Anm. 16), S. 221. Vgl. Morsey, Delbrück (wie Anm. 90), S. 77–78. Delbrück selbst trat bereits 1876 als Präsident des Reichskanzleramtes zurück und übernahm ein Mandat im Reichstag, wo er gegen die Schutzzölle auftrat. Vgl. Poschinger, Bismarck, Bd. 3 (wie Anm. 102), S. 175–186.

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nationalliberaler Anhänger der kleindeutschen Einigung durch Bismarck, wechselte Braun 1880 in die Liberale Vereinigung und 1884 in die neu entstandene Deutsch-Freisinnige Partei.113 Für Braun war der Deutsche Zollverein ein Beitrag zur inneren Nationsbildung, der sich von der offiziell hervorgehobenen, militärisch-obrigkeitsstaatlichen Komponente deutlich abhob: „Während Bismarck die Waffen führte, führte Delbrück unermüdlich die Kelle zum Ausbau des deutschen Staatsgebäudes.“114 Die früheren Beamten des Zollvereins wie Kühne oder Delbrück verdienten es, wegen ihrer Verdienste für die Nationalstaatsgründung mehr „gefeiert zu werden als manche Tagescelebritäten und mindestens ebenso viel wie die Feldherren und Kriegshelden, welchen letzteren wir heutzutage einen legitimen, aber vielleicht etwas übertriebenen oder zu exclusiven Kultus widmen.“115 Aus der offiziellen Erinnerungskultur wurde der Zollverein zu seinem 50. Gründungsjubiläum im Jahr 1884 gestrichen. Auf eine Anfrage des preußischen Staatsministeriums, ob dieser Gedenktag „eher als finanzgeschichtliches Datum oder als Anbahnung des deutschen Reichs zu feiern“ sei, ordnete Bismarck an, das Jubiläum „nur seitens der beteiligten Finanzverwaltungen“ zu begehen.116 In Reaktion auf die am 1. Januar 1884 erfolgende, stille offizielle Feier des Zollvereinsjubiläums in den Räumen des preußischen Finanzministeriums, betonte der oben erwähnte Karl Braun in einem Zeitschriftenartikel, dass der Zollverein auch „die politische Einigung [...] vorbereitet und den Uebergang zum norddeutschen Bund und zum deutschen Reiche gebildet“ habe. Zugleich kritisierte er, dass man bei der offizi113

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Vgl. zu Karl Braun (1822–1893): Friedrich Dernburg, Braun, Karl, in: ADB, Bd. 55, Leipzig 1910, S. 454–459; Winfried Seelig, Von Nassau zum Deutschen Reich. Die ideologische und politische Entwicklung von Karl Braun 1822–1871, Wiesbaden 1980. Karl Braun, Von Preußen durch den Zollverein ins Deutsche Reich (Geschrieben am 1. Mai 1876), in: ders., Zeitgenossen. Erzählungen, Charakteristiken und Kritiken. Gesammelte Feuilletons, Bd. 1, Braunschweig 1877, S. 282–319, hier S. 294. Karl Braun, Die Männer des Zollvereins. Vortrag, gehalten in der Fest-Sitzung der Volkswirthschaftlichen Gesellschaft in Berlin am 26. März 1881, Berlin 1881, S. 6. Zur Bedeutung von Krieg und Militär in der Erinnerungskultur des Kaiserreiches vgl. Jakob Vogel, Nationen im Gleichschritt. Der Kult der ‚Nation in Waffen‘ in Deutschland und Frankreich 1871–1914 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 118), Göttingen 1997; Frank Becker, Bilder von Krieg und Nation: Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913, München 2001. Vgl. die Beratungen im preußischen Staatsministerium vom 23.10 und 29.10.1883, in: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38. Bd. 7: 8. Januar 1879 bis 19. März 1890. Bearb. v. Hartwin Spenkuch (Acta Borussica. Neue Folge, 1. Reihe/ Bd. 7), Hildesheim/Zürich/New York 1999, S. 135–136.

DIE HÖHEREN VERWALTUNGSBEAMTEN DES DEUTSCHEN ZOLLVEREINS

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ellen Feier derjenigen Männer nicht gedacht habe, die wie Motz, Maaßen, Kühne oder Delbrück „den Zollverein aufgerichtet und großgezogen und ihn wider seine zahlreichen Feinde vertheidigt und beschützt haben.“117 V. Schlussfolgerung Der Deutsche Zollverein verfügte nicht über eine zentrale Verwaltungsorganisation. Dennoch begünstigten die gemeinsamen Institutionen der Mitgliedstaaten die Herausbildung einer zwischenstaatlichen Funktionselite. Die strukturelle Analyse zeigt, dass zahlreiche höhere Beamte über viele Jahre hinweg in den gemeinsamen Gremien des Zollvereins tätig waren. Darüber hinaus gab es ein weit verzweigtes personales Netzwerk unter diesen Beamten. Dies beförderte eine wachsende Identifikation der mit den Zollangelegenheiten befassten Verwaltungselite mit dem Zollverein insgesamt. Dabei lösten sich die höheren Zollvereinsbeamten zunehmend von der bloßen Vertretung der Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten, denen sie dienstrechtlich noch zugeordnet waren. Die Verpflichtung der Beamten auf die Interessen des Gesamtzollvereins bedeutete jedoch keine Ausrichtung auf das Leitbild der Nation. Es gab kein gemeinsames, offizielles oder informelles Handlungsprogramm, welches den Beamten ein inhaltlich klar definiertes Nationskonzept vorgegeben hätte. Ein Blick auf konzeptionelle Äußerungen und politisches Handeln herausragender Vertreter der hier untersuchten Verwaltungselite zeigt zudem, dass diese zumindest bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts stärker der liberalen Wirtschaftstheorie eines Adam Smith verpflichtet blieb und sich dagegen von den mit nationalen Denkmustern eng verbundenen Schutzzollforderungen weitgehend distanzierte. Spätestens seit den 1840er Jahren lässt sich jedoch unter dem Einfluss eines gesamtgesellschaftlich wachsenden Nationalbewusstseins eine erste Öffnung der Denkmuster dieser Beamten feststellen. Einen erheblichen Schub erhielt dieser Wandel während der Revolution von 1848/49, als wichtige Vertreter der untersuchten Funktionselite an der Ausarbeitung der Zoll- und Steuerverfassung des zu schaffenden Nationalstaates beteiligt waren. Wirtschaftliche und (national)politische Raumvorstellungen flossen zunehmend ineinander. Die Nationalisierung der Denkund Handlungsmuster wurde dann durch die macht- und nationalpoliti117

Karl Braun, Zum Zollvereins-Jubiläum, in: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Jg. 25, Nr. 6, Berlin, 9.2.1884, S. 84–86.

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MARKO KREUTZMANN

schen Entwicklungen der 1850er und 1860er Jahre weiter vorangetrieben, ohne jedoch dominierend zu werden. An der kleindeutsch-preußischen Reichsgründung von 1866 bis 1871 waren einzelne der hier untersuchten Beamten an zentralen Positionen in Verwaltung und Parlament beteiligt. Nach 1871 gingen die preußischen höheren Zollvereinsbeamten wie Ludwig Kühne oder Rudolph Delbrück in einen linksliberalen Nationalmythos ein, der sich von der militärisch-obrigkeitsstaatlichen Traditionsbildung abzusetzen versuchte.

Markus Mößlang

„SIDE BY SIDE WITH SOUND COMMERCIAL PRINCIPLES“ Deutscher Zollverein und deutsche Nation in der Wahrnehmung britischer Diplomaten

I. „Der Handels-Verein ist in der That die Verkörperung eines, wenn auch nicht ganz allgemein, doch weit und breit in Deutschland verbreiteten Gefühles – das der National-Einheit. Er hat Wunder gethan im Niederreißen kleinlicher und localer Vorurtheile und hat den Grund gelegt, worauf zweifelsohne eine künftige Gesetzgebung sich erheben wird, welche die gemeinsamen Interessen des deutschen Volkes vertritt.“1

In den einleitenden Bemerkungen von John Bowrings „Report on the Prussian Commercial Union“, der im Jahr 1840 beiden Häusern des britischen Parlaments vorgelegt und in der hier zitierten Übersetzung auch in Deutschland veröffentlicht wurde, nimmt die einheitsstiftende Dimension des Deutschen Zollvereins eine zentrale Rolle ein. „Dr. Bowring [war] der Erste“, so hieß es 1847 in einer von der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe herausgegebenen Schrift, „der seinen Landsleuten die nationale Seite des deutschen Zollvereins und die wahre Quelle seiner Popularität in Deutschland zur Anschauung brachte.“2 Dass gerade dem Freihändler, Parlamentsabgeordneten und Konsul John Bowring die Rolle eines Kronzeugen für den Zusammenhang von Ökonomie und Nation zugeschrieben wurde, ist bemerkenswert, weil sein Name für die deutschen Zeitgenossen untrennbar mit der britischen Ablehnung der deutschen Zolltarife und der Erweiterung des Zollvereins in Norddeutschland 1

2

Bericht über den deutschen Zoll-Verband an Lord Viscount Palmerston, Ihrer großbritannischen Majestät Staatssecretair der auswärtigen Angelegenheiten. Von John Bowring, Berlin 1840, S. 1; englisches Original: Report on the Prussian Commercial Union Addressed to the Right Hon. Lord Viscount Palmerston, Her Majesty’s Secretary of State for Foreign Affairs. By John Bowring, London 1840 [Parliamentary Papers; HC 225]. Die Aufgabe der Hansestädte gegenüber dem deutschen Zollverein. CommissionsBericht an die Vaterstädtische Section der Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe, Hamburg 1847, S. 223.

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MARKUS MÖßLANG

verbunden war. Nicht zufällig ist er die am häufigsten erwähnte lebende Person in Friedrich Lists Hauptwerk „Das nationale System der Politischen Ökonomie.“3 Auch in der innerbritischen Diskussion nimmt John Bowring eine Schlüsselposition ein.4 So dokumentiert seine Bestandsaufnahme des Jahres 1839, dass sich Großbritannien nach anfänglicher Ablehnung mit der Existenz des Zollvereins arrangiert hatte. Die von der deutschen Frühindustrialisierung induzierte Nachfrage nach britischen Gütern ließ die überzogenen Befürchtungen vor einer zweiten Kontinentalsperre weitgehend verstummen. Aus Bowrings Report geht hervor, dass die Warenausfuhr nach Deutschland nicht nur nicht gesunken war, die Schaffung eines einheitlichen Absatzmarktes war auch mit Vorteilen für Großbritannien verbunden.5 Bei aller Kritik an dessen protektionistischen Tendenzen lehnte Bowring den Zollverein keineswegs ab, sondern verknüpfte ihn argumentativ mit der innerbritischen Diskussion um die Abschaffung der Corn Laws. Dem entsprach das Festhalten am traditionellen Bild eines von der Landwirtschaft geprägten Deutschlands: Die Corn Laws von 1815 hätten in Deutschland zu künstlichem industriellen Wachstum und Protektionismus geführt, der Zollverein sei somit die Antwort auf die Einfuhrzölle Großbritanniens. In sichtlicher Verkennung der fiskalischen Interessen der Zollvereinsstaaten erwarteten Bowring und die britische Free-Trade-Bewegung, dass dem Fall britischer Einfuhrzölle auch der Abbau der deutschen Außenzölle folgen würde. Diese vom missionarischen Glauben an den Freihandel durchzogene britische Binnenperspektive, dies hat John R. Davis in seiner grundlegenden Studie „Britain and the German Zollverein“ herausgearbeitet, prägte die

3

4

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Vgl. David Todd, John Bowring and the Global Dissemination of Free Trade, in: The Historical Journal 51 (2008), S. 373–397, hier S. 385. Zur Mission Bowrings vgl. ebd., S. 384 und William O. Henderson, The Zollverein, 2. Aufl., London 1959, S. 132–133. Vgl. Lucy Brown, The Board of Trade and the Free-Trade Movement 1830–42, Oxford 1958, S. 106–115; John R. Davis, Britain and the German Zollverein, 1848–66, Basingstoke 1997, S. 2, 45–47. Zu den britischen Reaktionen auf die Gründung und Frühphase des Zollvereins vgl. Brown, Board of Trade (wie Anm. 4), S. 95–115; Günther Heydemann, Konstitution gegen Revolution. Die britische Deutschland- und Italienpolitik 1815–1845, Göttingen 1995, S. 251–266; Frank Lorenz Müller, Britain and the German Question. Perceptions of Nationalism and Political Reform, 1830–63, Basingstoke 2002, S. 32–47. Zu den ökonomischen Zusammenhängen vgl. Rolf Horst Dumke, Anglo-deutscher Handel und Frühindustrialisierung in Deutschland 1822–1865, in: Geschichte und Gesellschaft 5 (1979), S. 175–200.

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britische Zollvereinspolitik nachhaltig.6 Die Freihandelsdoktrin war dafür mitverantwortlich, dass man die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands einerseits unterschätzte und, nach Aufhebung der Corn Laws (1846) und der Navigation Acts (1849), von einer aktiven Handelspolitik Abstand nahm. Eine Änderung trat erst ein, als mit der Unterzeichnung des Cobden-ChevalierVertrages von 1860 eine Phase begann, die von Peter Marsh als „First Common Market“ bezeichnet wird – dazu gehörten nicht zuletzt auch die Handelsverträge des Zollvereins mit Frankreich und Großbritannien.7 Aber auch jetzt zeigte man sich wie in einem Leitartikel der Times vom 25. Oktober 1864 darüber verwundert, dass sich freihändlerische Prinzipien in Deutschland bislang nicht ‚von selbst‘ durchgesetzt hätten: „It seems strange that German statesmen did not arrive at the conclusion that if Free Trade was beneficial between Prussia, Bavaria, and Hanover, it must be beneficial between Prussia and Great Britain or France.”8 Ein solches Interpretationsschema war auch in John Bowrings Report angelegt. Als neugeschaffene Freihandelszone verkörperte der Zollverein im Kleinen das, was man sich von der allgemeinen Durchsetzung des Free Trade im Großen erwartete: „In der That hat der Zoll-Verein das Gefühl deutschen Volksthums aus dem Gebiete der Hoffnung und der Phantasie in das der positiven und materiellen Interessen versetzt, und so wie er wirklich das Nationalgefühl Deutschlands darstellt, wird er, unter aufgeklärter Leitung, ein Werkzeug werden, nicht nur zur Beförderung des Friedens und der Wohlfahrt der ihn bildenden Staaten, sondern auch zur Ausdehnung ihrer freundschaftlichen Verbindungen mit der ganzen Welt.“9

Für britische Freihändler hatten der Deutsche Zollverein und britische Wirtschaftsinteressen nicht nur dieselbe Stoßrichtung, auch die deutsche Nationsbildung fügte sich in diese Sicht. Dies erklärt zumindest teilweise, warum ihr in den einleitenden Bemerkungen von John Bowrings Bericht 6

7 8 9

Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), passim. Vgl. allgemein: Anthony Howe, Free Trade and Global Order: The Rise and Fall of a Victorian Vision, in: Duncan Bell (Hrsg.), Victorian Visions of Global Order. Empire and International Relations in NineteenthCentury Political Thought, Cambridge 2007, S. 26–46. Vgl. Peter T. Marsh, Bargaining on Europe. Britain and the First Common Market, 1860–1892, New Haven/London 1999. The Times, 25.10.1864. Bericht über den deutschen Zoll-Verband (wie Anm. 1), S. 2.

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MARKUS MÖßLANG

eine wichtige Rolle zukommt. Vor dem Hintergrund der von deutschen Zeitgenossen weithin geteilten Auffassung einer britischen Gegnerschaft zum Zollverein, die sich – wie später von der borussischen Geschichtsschreibung kolportiert – auch im britischen Umgang mit dem deutschen Nationalprojekt niedergeschlagen habe,10 mutet es fast ironisch an, dass die positive Bewertung der einheitsstiftenden Dimension des Zollvereins ökonomisch determiniert und an die innerbritische Diskussion rückgebunden war. Auch bei weiteren Vertretern aus der Riege britischer Freihändler tritt diese spezifische Diskursrealität bei ihrer Wahrnehmung von Zollverein und deutscher Nationsbildung deutlich hervor; so etwa bei Richard Cobden, der 1838 unter dem Eindruck einer Deutschlandreise rhetorisch fragte, „what shall prevent this entire family of one common language, & possessing perfect freedom of intercourse, from merging into one nation?“11 Gleichwohl waren derartige Beobachtungen eher eine Ausnahmeerscheinung der späten 1830er und frühen 1840er Jahre. Im Allgemeinen zeichnete sich der Umgang britischer Handelspolitiker mit dem Zollverein durch ihren unpolitischen Charakter aus.12 Angesichts der unilateralen Ausrichtung britischer Free-Trade-Politik interessierte die nationale Dimension des Zollvereins wenn überhaupt nur am Rande bzw. dann wenn sie sich, wie im Falle John Bowrings, argumentativ einbinden ließ. Aber auch für die genuin politischen Kommentatoren, allen voran Journalisten und Diplomaten, waren Zollverein und deutsche Nation keineswegs die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Unter den 996 Artikeln der Londoner Times, in denen zwischen 1841 und 1866 der Begriff „Zollverein“ erwähnt wird, finden sich nur eine Handvoll substantieller Berichte, in denen im weiteren Sinne der Themenkomplex 10

11

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Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 4 f.; Charles E. McClelland, The German Historians and England: A Study in Nineteenth-Century Views, Cambridge 1971, S. 121, 181 f.; Richard Tilly, Los von England. Probleme des Nationalismus in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 124 (1968), S. 179– 196. Siehe auch die entsprechenden Abschnitte zum Zollverein in Bd. 4 (1889) und 5 (1894) von Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, 5 Bde., Leipzig 1879–1894. Richard Cobden an Frederick Cobden, Dresden, 11.9.1838; zitiert nach: Anthony Howe (Hrsg.), The Letters of Richard Cobden. Volume I: 1815–1847, Oxford 2007, S. 138. Vgl. John R. Davis, Richard Cobden, the German States and the Zollverein, in: Acta Oeconomica Pragensia 16 (2008), S. 15–30. Siehe auch John MacGregors Bericht aus dem Jahr 1842: Commercial Tariffs and Regulations of the Several States of Europe and America, together with the Commercial Treaties between England and Foreign Countries. Teil 5, London 1842 [Parliamentary Papers; 005], bes. S. 3–5. Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), passim.

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Zollverein und Nation behandelt wird.13 Wie in einem Leitartikel vom 25. September 1843 registrierte man zwar den „strong national character“ des Zollvereins, im Sinne einer europaweiten Durchsetzung des Free-TradePrinzips sah man aber zugleich die Notwendigkeit „to separate the political objects of the Zollverein from its commercial effects.“14 Prozesse der Nationsbildung standen vor diesem Hintergrund in der Berichterstattung zum Zollverein zurück. Auch in den Depeschen der in Deutschland stationierten Gesandten an das Londoner Außenministerium, die im Zuge des Londoner Editionsprojekts „British Envoys to Germany“ für die Jahre 1816 bis 1866 systematisch ausgewertet wurden und im Mittelpunkt meiner weiteren Ausführungen stehen sollen, ist das spezifisch britische Interesse am Deutschen Zollverein15 unverkennbar.16 Im Vergleich zu den punktuellen Bestandsaufnahmen britischer Ökonomen und der sehr heterogenen – und zumeist anonymen – Presseberichterstattung hat der Außenblick der Gesandten allerdings grundlegende analytische Vorteile, wenn es darum geht, die „Wahrnehmungen und Sinnzuweisungen der Zeitgenossen“17 zu rekonstruieren. So handelt es sich bei den britischen Diplomaten um geschulte Beobachter mit zum Teil jahrzehntelanger Deutschlanderfahrung, die ihnen zu oftmals differenzierten Einschätzungen verhalf.18 Ihr diplomatischer Status hat aber noch einen 13

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18

Volltextsuche nach „Zollverein“ in der elektronischen Datenbank The Times Digital Archive [Zugriff am 25.10.2010]. Zur Behandlung des Zollvereins in der britischen Presse vgl. Martin Vogt, Das vormärzliche Deutschland im Urteil englischer Zeitungen, Zeitschriften und Bücher (l830–1847), Diss. phil., Göttingen 1963, S. 157–220. The Times, 25.9.1843. In den Gesandtenberichten finden sich neben den neutralen Begriffen „Zollverein“, „Customs Union“, „Commercial Union“ oder „Commercial League“ die Bezeichnungen „Prussian Union“, „Prussian Customs Union“ und „Prussian Commercial League“ sowie „German League“, „German Commercial League“ und „German Customs Union“. Zwar lässt sich in einer Reihe von Fällen die Verwendung der jeweiligen Begriffe stimmig in den Kontext der Depesche einordnen, im Allgemeinen ist die Semantik aber uneindeutig. Vgl. die vom Verfasser dieses Beitrags mit herausgegebene Editionsreihe: British Envoys to Germany, 1816–1866 (Camden Fifth Series; 15, 21, 28 u. 37), Cambridge 2000–2010. So die Ankündigung der diesem Sammelband zugrunde liegenden Tagung [http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=12877; 25.10.2009]. Grundlegend zur Rolle von Wahrnehmungen in den internationalen Beziehungen: Gottfried Niedhart, Selektive Wahrnehmung und politisches Handeln: Internationale Beziehungen im Perzeptionsparadigma, in: Wilfried Loth/Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München 2000, S. 141–157. Eine Auflistung von britischen Diplomaten mit langer Dienstzeit in Deutschland findet sich in: Müller, Britain and the German Question (wie Anm. 5), S. 210 f. Für weitere

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weiteren Vorzug. Aus der Funktion als Repräsentanten britischer Politik lässt sich die Standortgebundenheit ihrer Berichte vergleichsweise trennscharf herausarbeiten. Neben den politischen und institutionellen Vorgaben durch das Foreign Office betrifft dies auch ideologische und soziale Prägungen, die die Diplomaten, bei allen individuellen Unterschieden, als „Träger von Perzeptionen“19 einte. Im Falle der Gesandtenberichte können die (notwendigerweise selektiven) Wahrnehmungen Deutschlands aber nicht nur an Interessen und Wahrnehmungsmuster ihrer Verfasser rückgebunden werden, ihr besonderer Wert liegt auch darin, dass sie als serielle Quelle längerfristige Entwicklungen abbilden. Wie Gottfried Niedhart in seinem programmatischen Aufsatz zum ‚Perzeptionsparadigma‘ in den internationalen Beziehungen bemerkt, erlauben gerade „Langzeitstudien genauere Aussagen über die Art der Interdependenz von Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu machen.“20 Zuletzt hat die Berichterstattung britischer Diplomaten aus Deutschland einen weiteren Vorzug: Britische Diplomaten waren in der Epoche des Deutschen Bundes an insgesamt acht Standorten in Deutschland stationiert. Neben Preußen, Sachsen, Württemberg und Bayern als Gründungsmitglieder des Zollvereins waren dies das 1851 in den Zollverein aufgenommene Hannover sowie Österreich, die Hansestadt Hamburg und Frankfurt am Main als Sitz des Deutschen Bundestages. Der simultane Blick auf Deutschland erlaubt es, den britischen Wahrnehmungen geographisch differenziert nachzugehen. Gerade in Hinblick auf die Frage nach der Konstruktion eines politischen Raumes durch den Zollverein hat der multiperspektivische Zugriff somit einen spezifischen Quellenwert, der über die Frage der Außenwahrnehmung hinausgeht. II. Dass der britische Außenminister Palmerston im Jahr 1839 den Fachmann John Bowring und nicht einen der offiziellen Gesandten beauftragt hatte, Informationen für das Parlament einzuholen, lag auch daran, dass diese für

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Angaben zur Stationierung der britischen Diplomaten vgl. Stanley Thomas Bindoff u.a. (Hrsg.), British Diplomatic Representatives, 1789–1852 (Camden Third Series; 50), London 1934, und The Foreign Office List and Diplomatic and Consular Yearbook, London 1852 ff.; allgemein zum diplomatischen Dienst Großbritanniens vgl. Raymond A. Jones, The British Diplomatic Service, 1815–1914, Gerrards Cross 1983. Niedhart, Selektive Wahrnehmung (wie Anm. 17), S. 147. Ebd., S. 150.

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wirtschaftliche Fragen nicht ausgebildet und qualifiziert waren. Klassendünkel und die strikte Trennung zwischen konsularischem und diplomatischem Dienst sorgten zudem dafür, dass traditionelle Diplomaten oftmals wenig geneigt waren, sich mit den ‚Niederungen‘ der Ökonomie detailliert zu befassen. Auch das Londoner Außenministerium hielt sich hier weitgehend zurück und überließ Fragen der Handelsbeziehungen dem Board of Trade. Erst mit der in den 1850er Jahren einsetzenden Reform des diplomatischen Dienstes wurden ökonomische Kenntnisse allmählich Bestandteil des Anforderungsprofils für britische Diplomaten.21 Es wäre allerdings verfehlt, die Auswirkungen solcher institutionellen Faktoren und individueller Dispositionen auf die Wahrnehmung des Zollvereins überzubewerten. Tatsächlich gehören in der Epoche des Deutschen Bundes Zollpolitik und Zollverein zu den am meisten behandelten Themen der offiziellen Korrespondenz mit dem Foreign Office. Die Bandbreite entspricht dabei dem Auftrag „to inform Us of all such occurrences of moment which shall come to your knowledge”, mit dem britische Diplomaten in Deutschland seit 1815 ausgestattet wurden.22 Was in den Gesandtenberichten aus Berlin, Wien, Dresden, München, Stuttgart, Hamburg, Hannover und vom Bundestag in Frankfurt allerdings fehlt, sind substantielle ökonomische Analysen, die es erlaubt hätten, die britische Zollvereinspolitik auf eine solidere Grundlage zu stellen und damit u.a. auch auf den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands vorzubereiten. Zumindest bis 1857, als die Botschafts- und Legationssekretäre aller britischen Vertretungen von Außenminister Clarendon dazu angehalten wurden, Halbjahresberichte über Wirtschaft und Handel ihrer jeweiligen Gastländer zu verfassen, war die Beschaffung wirtschaftlich relevanter Informationen weitgehend der Eigeninitiative der Diplomaten überlassen.23 In vielen Fällen begnügten sie sich damit, gelegentlich eine aus der deutschen Presse entnommene Statistik zusammenzufassen bzw. im Original nach London zu senden. Dem ent21

22 23

Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 18–29; Zara Steiner, Elitism and Foreign Policy. The Foreign Office before the Great War, in: Brian J. C. McKercher/David J. Moss (Hrsg.), Shadow and Substance in British Foreign Policy, 1895–1939, Edmonton 1984, S. 19–55, hier S. 33 f.; allg. zur ökonomischen Dimension britischer Außenpolitik: Desmond C.M. Platt, Finance, Trade, and Politics in British Foreign Policy, 1815–1914, Oxford 1968. The National Archives, Kew [im Folgenden: TNA], FO 244/44: Instructions for George Henry Rose, 10.9.1815. Vgl. Reports by Her Majesty’s secretaries of embassy and legation, on the manufactures and commerce of the countries in which they reside, London 1858 [Parliamentary Papers; 2444], S. i–ii. Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 25 f.

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sprach, dass die Mehrzahl der Diplomaten, soweit dies anhand der Auswertung ihrer Korrespondenz nachzuvollziehen ist, mit den Verwaltungseliten des Zollvereins, wenn überhaupt, nur sporadisch Kontakt hatte. Der bevollmächtigte Minister in München, John Milbanke, kannte etwa den bayerischen Generaladministrator der Zölle, Karl von Bever, nur vom Hörensagen.24 Sieht man einmal von der Lektüre überregionaler Tageszeitungen ab, war die Informationsbeschaffung von den Gesprächspartnern im jeweiligen lokalen Umfeld bestimmt.25 So denn wirtschaftliche Belange überhaupt in den Wahrnehmungshorizont britischer Gesandter gelangten bzw. von diesen als berichtenswert erachtet wurden, lag es vor diesem Hintergrund nahe, sich vor allem mit dem jeweiligen Gastland zu befassen. In den Schilderungen aus der Zeit der deutschen Frühindustrialisierung treten die wirtschaftlichen Unterschiede der einzelnen Regionen und Länder des Deutschen Bundes deutlich hervor, etwa wenn Francis Forbes 1835 feststellt: „The Exports from Saxony to Bavaria are great and consist principally of manufactured Goods, while the latter Kingdom has nothing to give in return but Beer.“26 In den 1850er Jahren hatte sich daran nur wenig geändert. Hinsichtlich Sachsens erkannte Forbes, daß seine Industrie und Manufakturen enorme Fortschritte – „immense Strides“ – gemacht hätten und beobachtete „the daily extension of the principles of Free Trade in this part of Germany.”27 Bayern dagegen, so hieß es 1860, „will long retain it’s [sic] present agricultural character.”28 Für das britische Interesse ist es kennzeichnend, dass der wirtschaftliche Entwicklungsstand insbesondere dann thematisiert wurde, wenn er zollpolitische Implikationen hatte. Dies gilt für die protektionistisch ausgerichteten süddeutschen Staaten im Umfeld der Auseinandersetzungen um die Einfuhrzölle in den 1840er und den Handels24 25

26 27

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Vgl. TNA, FO 9/89: Milbanke an Aberdeen, Nr. 5, München, 16.2.1845. Zum lebensweltlichen Zusammenhang diplomatischer Praxis an den britischen Missionen in Deutschland vgl. Markus Mößlang, Gestaltungsraum und lokale Lebenswelt: Britische Diplomaten an ihren deutschen Standorten, 1815–1914, in: Hillard von Thiessen/ Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln 2010, S. 199–215. TNA, FO 68/38: Forbes an Wellington, Nr. 3, Dresden, 17.1.1835. TNA, FO 68/87: Forbes an Clarendon, Nr. 25, Dresden, 4.5.1853; FO 68/84: Forbes an Malmesbury, Nr. 36, Dresden, 23.9.1852. In diesem Zusammenhang ist auch ein Bericht vom September 1832 von Interesse: „The Commercial and Manufacturing Interests in this Kingdom are directly opposed in their wishes respecting free trade, and the latter which is the most powerful is strongly adverse to the importation of foreign articles of Commerce.“ FO 68/35: Barnard an Palmerston, Nr. 37, Dresden, 29.9.1832. TNA, FO 9/144: Milbanke an Russell, Nr. 38, München, 25.4.1860.

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vertrag mit Frankreich in den 1860er Jahren ebenso wie für das freihändlerisch ausgerichtete Hamburg oder Hannover, wo die Diskussionen um einen Beitritt zum Deutschen Zollverein das wirtschaftliche Gefälle innerhalb des Deutschen Bundes offen zu Tage treten ließen.29 Hier belegen die Diplomatenberichte die Existenz partikularer Interessen und „petty provincial prejudices”.30 Dabei ist es auffällig, dass der Begriff „Nation“ auch in einzelstaatlichen Zusammenhängen Verwendung fand. Insbesondere die wirtschaftlichen Interessen Bayerns und Württembergs wurden von den britischen Gesandten noch bis weit in die 1860er Jahre hinein als „national“ bezeichnet.31 Dass württembergische Industrielle auf der Great London Exposition von 1862, der dritten Weltausstellung, eigenständig „and not generally as Germans“32 ausgestellt sein wollten, fügte sich in die Beschreibung partikulärer Tendenzen innerhalb des Zollvereins. Einschätzungen, dass die protektionistisch ausgerichteten Staaten auf einen liberaleren Kurs einschwenken würden, finden sich in den Depeschen nur selten. Vereinzelt ließen sich die britischen Diplomaten allerdings von der Politik ihrer eigenen Regierung zu entsprechenden Prognosen verleiten. Im Frühsommer 1846, unmittelbar nach der Aufhebung der Corn Laws, schrieb etwa George Hamilton aus Berlin: „We may congratulate ourselves that Bavaria, formerly the most ultra of the protectionist States of the Zoll Verein is inclined to shew [sic] the example of a more liberal Commercial Policy.”33 Dass der Gesandte in München diese Erwartung keineswegs teilte, 29

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Vgl. u.a. TNA, FO 34/37: Edgcumbe an Aberdeen, Nr. 7, Hannover, 17.2.1842; FO 8/89: Milbanke an Aberdeen, Nr. 27, München, 15.6.1846; FO 33/118: Hodges an Palmerston, Hamburg, 2.2.1849; FO 82/115: Gordon an Russell, Nr. 167, Stuttgart, 13.10.1864. Zur Rolle Englands in den Zollvereinsdiskussionen Hamburgs vgl. Anne D. Petersen, Die Engländer in Hamburg 1814 bis 1914. Ein Beitrag zur Hamburgischen Geschichte, Hamburg 1993, S. 89–117. TNA, 64/539: Morier an Buchanan, 30.1.1863, zitiert nach Scott W. Murray, Liberal Diplomacy and German Unification: The Early Career of Robert Morier, Westport 2000, S. 154. Vgl. u.a. TNA, FO 82/108: Baillie an Russell, Nr. 6, Stuttgart, 27.1.1863. Entsprechendes lässt sich für die 1830er und 1840er Jahre auch für Preußen feststellen. Der Gesandtschaftssekretär George Hamilton spricht z.B. von der „Prussian Nation“ und „Germany in general“. FO 64/222: Hamilton an Palmerston, Nr. 22, Berlin, 13.11.1839. TNA, FO 82/100: Gordon an Russell, Nr. 136, Stuttgart, 28.10.1861. Vgl. Abigail Green, Representing Germany? The Zollverein at the World Exhibitions, 1851–1862, in: The Journal of Modern History 75 (2003), S. 836–863. TNA, FO 64/264: Hamilton an Aberdeen, Nr. 6, Berlin, 3.6.1846. 1839 und 1841 hatte William Russell, ebenfalls aus Berlin, die Aufhebung der Corn Laws gefordert, um die Handelsinteressen Großbritanniens zu wahren. Vgl. TNA, FO 64/222: Russell an Pal-

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ist bezeichnend für die Standortgebundenheit der jeweiligen Wahrnehmungen.34 Bei allen handelspolitischen Divergenzen und ökonomischen Disparitäten registrierten britische Diplomaten gleichwohl, dass das Gros der Zollvereinsstaaten von ihrer Mitgliedschaft profitierte. Baden, Bayern, Sachsen und Württemberg, so lassen die Depeschen an das Foreign Office keinen Zweifel, waren allesamt Nutznießer der Zolleinigung: „Whatever complaints may be made […] the smaller States are undoubtedly indebted to this Union for the introduction of a System of Order into their Finances, to which they were previously entirely strangers, and in a pecuniary point of view they have profited largely.”35

Während des Tarifstreits der 1840er Jahre, vor allem aber als man Anfang der 1850er und 1860er Jahre die beiden großen Zollvereinskrisen verfolgte, wurde die Gefahr des Auseinanderbrechens des Zollvereins aus wirtschaftlichen Gründen entsprechend gering eingeschätzt. 1862 schrieb Henry Howard aus Hannover: „It seems almost impossible to believe, and I cannot bring myself to do so, that nearly thirty years having elapsed since the customs barriers, which formerly separated the different States of Germany and which impeded free Commerce and circulation, were removed, those barriers can again be reestablished.”36

Der Zollverein wurde damit als ‚Band‘ zwischen den deutschen Staaten gesehen, die ansonsten wenig gemein hätten „but the name of Germany.“37 Diese Meinung findet sich auch in einer der wenigen Depeschen, die sich –

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merston, Nr. 98, Berlin, 18.9.1839; FO 64/233: Russell an Aberdeen, Nr. 4, Berlin, 10.11.1841. Vgl. TNA, FO 9/92: Milbanke an Palmerston, Nr. 21, München, 20.11.1846. TNA, FO 9/89: Milbanke an Aberdeen, Nr. 27, München, 15.6.1845. Vgl. auch FO 68/38: Forbes an Palmerston, Nr. 13, Dresden, 23.6.1835; TNA, FO 68/84: Forbes an Malmesbury, Nr. 26, Dresden, 16.7.1852; TNA, FO 82/34: Shee an Palmerston, Nr. 2, Stuttgart, 5.1.1838. TNA, FO 34/128: Howard an Russell, Nr. 164, Hannover, 19.7.1862. Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 160; für die 1840er Jahre vgl. FO 30/82: Kuper an Aberdeen, Nr. 5, Frankfurt, 29.4.1843: „The principle of Union is the redeeming point of system in the minds of Germans of all classes, even of those who are loud in their complaints of the Tariff.“ Für die 1850er Jahre vgl. FO 82/68: Malet an Palmerston, Nr. 40, Stuttgart, 16.10.1851 (siehe Anm. 77). TNA, FO 30/179: Malet an Clarendon, Nr. 14, Frankfurt, 26.2.1857.

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im Zusammenhang mit einer ausführlichen Analyse von Gustav Diezels „Die Bildung einer nationalen Partei in Deutschland“ (Gotha 1855) – näher mit dem Phänomen des „national spirit” befasste: „I have now passed nearly Twenty seven years in Germany and certainly we owe to Prussia by the Zoll-verein [sic], the greatest step that has yet been made towards bringing about a Diminution of the Dislike which existed between Countries joining each other, and speaking the same language, but it is only a Diminution.”38

Skeptischer – und letztlich auch typischer für die Sicht der britischen Gesandten – war John Milbanke in München. Angesichts der prekären Haushaltslage der kleineren Königreiche, die trotz aller finanziellen Vorteile ihrer Zollvereinsmitgliedschaft eingetreten sei, schrieb er im Dezember 1846: „To my mind ‚German Unity‘, about which so much has been written and said of late years, is an impracticable Chimera. I see in none of these Countries any of the Elements of frankness or internal Concord indispensable to the carrying out of such an idea.”39

Lord Palmerston, der, drei Monate bevor ihn Milbankes Bericht erreichte, dem Zollverein eine gewichtige Rolle bei der Herausbildung einer „unity of national feeling“40 beigemessen hatte, wurde damit von seinem Gesandten in München auf den Boden föderaler Befindlichkeiten zurückgeholt. Besonders groß waren die Zweifel der Diplomaten in Bezug auf die Hansestadt Hamburg und – zumindest bis 1851/52 – auf das Königreich Hannover. Mit Blick auf die liberalen Zollbestimmungen wie auch die traditionell guten Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien waren die britischen Repräsentanten von den Bemühungen zur Erweiterung des Zollvereins alles andere als angetan: Die Integration Norddeutschlands in den Zollverein würde wenig mehr als nationale Eitelkeit befriedigen, ihre Befürworter seien „would[-]be promoters of the Unity of Germany.“41 38 39 40 41

TNA, FO 68/95: Forbes an Clarendon, Nr. 40, Dresden, 14.10.1855. TNA, FO 9/92: Milbanke an Palmerston, Nr. 26, München, 16.12.1846. Memorandum für Königin Victoria, 8.9.1846, zitiert nach: Müller, Britain and the German Question (wie Anm. 5), S. 39. TNA, FO 64/266: Howard an Palmerston, Nr. 13, Berlin, 7.10.1846; FO 30/95: FoxStrangways an Palmerston, Nr. 72, Frankfurt, 9.11.1846. Siehe auch FO 64/239: Howard an Canning, [ohne Nummer], Berlin, 16.9.1842.

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Bei manchen Beobachtungen zum Verhältnis von Nation und Zollverein zeigt sich aber auch, dass das britische Interesse weniger den integrativen Wirkungen des Zollvereins galt, als der Stellung Deutschlands zu seinen europäischen Nachbarn. Im Oktober 1847 stellte der Berliner Gesandtschaftssekretär Howard fest: „The German Zollverein with all its defects has without doubt had a great influence in raising the national feeling in Germany and rendering the several German States less accessible to Foreign influence than they formerly were.“42

In Kategorien eines deutschen Nationalstaates dachte Henry Howard dabei nicht. Der Zollverein wurde, wie auch der Deutsche Bund im Ganzen, vielmehr als systemstabilisierendes Element der europäischen Ordnung interpretiert.43 „To these two Institutions“, bemerkte Ralph Milbanke noch 1854 über Zollverein und Bund, „most of the minor States are perfectly aware, that they have in latter times principally owed their individual Safety, as well as their prosperity.”44 Dieser Konnex zwischen Wohlstand und Stabilität durchzieht die diplomatische Berichterstattung spätestens seit den 1830er Jahren, als die Gründung des Zollvereins als Reform von oben begrüßt wurde. Wie von anderen liberalen Reformen erwartete man auch vom Zollverein einen antirevolutionären Effekt.45 Noch 1863, als man den Deutschen Bund kaum mehr für reformierbar hielt und sich die britische Außenpolitik längst von der Wiener Ordnung verabschiedet hatte, warnte Alfred Bonar aus München vor dem Auseinanderbrechen des Zollvereins als „the inevitable disruption also of the Germanic Confederation“46 – eine Auffassung, mit der auch der Berliner Korrespondent der Times übereinstimmte,

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TNA, FO 64/277: Howard an Palmerston, Berlin, 14.10.1847. Vgl. auch FO 64/229: Russell an Palmerston, Nr. 57, Berlin, 18.11.1840. Vgl. allgemein: Anselm Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß zur Pariser Konferenz. England, die deutsche Frage und das Mächtesystem 1815–1866, Göttingen 1991, S. 41–72; Wolf D. Gruner, Großbritannien und die Staaten des Deutschen Bundes im Vormärz, in: Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.), Die ungleichen Partner. Deutsch-britische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1999, S. 44–64. TNA, FO 9/122: Milbanke an Clarendon, Nr. 62, München, 20.10.1854. Vgl. Gabriele Metzler, Großbritannien – Weltmacht in Europa. Handelspolitik im Wandel des europäischen Staatensystems 1856 bis 1871, Berlin 1997, S. 58–62; Müller, Britain and the German Question, S. 35–39; Heydemann, Konstitution gegen Revolution (beide wie Anm. 5), S. 262 f. TNA, FO 9/160: Bonar an Russell, Nr. 19, München, 30.6.1863.

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wenn er schrieb: „The dissolution of the Zollverein is the revolution of Germany.“47 Bezüge zum Nationalismus finden sich in den funktionalen Verortungen Deutschlands im europäischen Mächtekonzert vor allem in Phasen, in denen nationale Aufbruchsstimmung und liberale Politik zusammenfielen – insbesondere im Umfeld der Orientkrise und nach dem Thronantritt Friedrich Wilhelms IV. im Jahre 1840 sowie zu Beginn der 1848er Revolution, als man die für überfällig erachteten Reformen durch die Märzministerien begrüßte.48 In beiden Fällen fand auch der Zollverein Eingang in diesen Interpretationszusammenhang. Die Bemühungen zur weiteren Integration der Zollvereinsstaaten seien, so etwa William Fox-Strangways im Dezember 1840, „in unison with the patriotick [sic] ideas which the circumstances of the times have lately called forth.”49 Im März 1848 wiederum zeigte sich Lord Palmerston offen für „any arrangement which would tend to strengthen Germany by more closely uniting and consolidating the separate States of which it is composed.”50 Wie ein Rückblick auf die Frühphase der Revolution zeigt, zählte man dazu auch gesellschaftliche Veränderungen: „The question of German Unity”, so John Duncan Bligh in Hannover, „was now made to go hand in hand with that of liberty; a question which had been long fomented under the mask of the Zoll Verein.”51 Allerdings stellte sich im Zuge der Radikalisierung der revolutionären Ereignisse und spätestens mit der aus britischer Sicht untragbaren Schleswig-Holstein-Politik der Paulskirchenversammlung allgemeine Ernüchterung über das deutsche Einheitsprojekt ein.52 In diesem Zusammenhang ist es stimmig, dass Alexander Malet in einer Depesche vom Dezember 1848 erneut auf die divergierenden handelspolitischen Interessen innerhalb der Zollvereinsstaaten abhob, die – 47 48

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The Times, 18.8.1863. Vgl. Müller, Britain and the German Question (wie Anm. 5), S. 41–55 u. 58––64; Günther Gillessen, Lord Palmerston und die Einigung Deutschlands. Die englische Politik von der Paulskirche bis zu den Dresdener Konferenzen (1848–1851), Lübeck 1961, S. 7–44. TNA, FO 30/76, Fox-Strangways an Palmerston, Nr. 20, Frankfurt, 18.12.1840. Vgl. auch: FO 64/239, Howard an Canning, [ohne Nummer], Berlin, 16.9.1842 und FO 34/43: Bligh an Aberdeen, Nr. 9, Hannover, 14.3.1844. TNA, FO 30/105: Palmerston an Fox-Strangways, Nr. 1, Foreign Office, 25.3.1848 [Entwurf]. TNA, FO 34/54: Bligh an Palmerston, Nr. 76, Hannover, 10.8.1848. Zur britischen Zollvereinspolitik 1848/49 vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 51–61. Vgl. Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß (wie Anm. 43), S. 72–87; Müller, Britain and the German Question (wie Anm. 5), S. 64–88; William J. Orr, British Diplomacy and the German Problem, 1848–1850, in: Albion 10 (1978), S. 209–236, hier S. 211–218.

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„in the present crisis of German affairs“ – auf dem Weg zur Einheit größere Hindernisse aufwürfen, als irgendeiner der vielen anderen Gründe, die ihrer Verwirklichung entgegenstünden.53 Auch John Duncan Bligh stimmte mit dieser Sicht überein: „German Unity has not been the least advanced; but on the contrary the difficulty of reconciling conflicting interests, and of amalgamating the different parts into one great whole have become more apparent.”54 Nach dem Scheitern der Erfurter Union sprach er vom „phantom of Unity.“55 Das Fehlschlagen des nationalen Projektes prägte die britischen Wahrnehmungen bis zum Ende des Deutschen Bundes. Die Gesandten sprachen nicht nur von der Deutschen Einheit als „phantasmagoric impossibility“, das Nationalgefühl sei auch nur allzuoft ein Vorwand für Revolution.56 Zu einem guten Teil selbst Augenzeugen der revolutionären Ereignisse, stimmten sie überein, dass sich die Lage in Deutschland nur an der Oberfläche beruhigt hätte – man befürchtete „the outburst of that smouldering Teutonic flame which shewed [sic] itself so fiercely in 1848“ und „a revival of the scenes of tumult and disorder of that epoch.“57 Im Misstrauen gegenüber dem „cry for German unity“58 findet sich zumindest eine Teilerklärung dafür, warum nach 1848 der grundsätzlich positiv bewertete Zollverein und die nationale Bewegung für britische Diplomaten in unterschiedlichen Wahrnehmungszusammenhängen standen. III. Wie die diplomatische Korrespondenz im Allgemeinen verdeutlicht die Berichterstattung zum Deutschen Zollverein, dass Politik in Deutschland vor allem auch am Grad ihrer (ökonomischen) Liberalität gemessen wurde. Positive Einschätzungen des Zollvereins, die bisweilen auch zukünftige Entwicklungen antizipierten, sind dabei nicht nur vergleichsweise selten, sondern auch stark von individuellen Interpretationen einzelner Gesandter geprägt. Ungleich eindeutiger war dagegen die Linie, wenn britische Han53 54 55 56 57 58

TNA, FO 82/55: Malet an Palmerston, Nr. 65, Stuttgart, 29.12.1848. TNA, FO 34/57: Bligh an Palmerston, Nr. 38, Hannover, 6.9.1849. TNA, FO 34/61: Bligh an Palmerston, Nr. 110, Hannover, 15.11.1850. TNA, FO 82/88: Jerningham an Malmesbury, Nr. 24, Stuttgart, 28.7.1858; FO 68/95: Forbes an Clarendon, Nr. 40, Dresden, 14.10.1855. TNA, FO 82/83: Jerningham an Clarendon, Confidential, Nr. 24, Stuttgart, 25.10.1856; FO 30/188: Malet an Russell, Nr. 72, Frankfurt, 2.11.1859. TNA, FO 7/569: Loftus an Malmesbury, Nr. 409, Wien, 12.5.1859.

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delsinteressen gefährdet schienen, es also galt, einen Grundpfeiler der British interests zu verteidigen.59 Nach den Befürchtungen in der Gründungsphase des Zollvereins und dem Unverständnis über die Eisenzölle von 1844 sowie den zollpolitischen Kurs der Frankfurter Nationalversammlung stießen ab Frühjahr 1850 auch die zollpolitischen Avancen Österreichs auf unverblümte Ablehnung.60 Das Bruck’sche Mitteleuropa-Projekt – von Generalkonsul Ward als erneuter Versuch einer „Continental Blockade“61 bewertet – wie auch Schwarzenbergs Plan einer österreichischen Zollunion mit dem Zollverein standen den britischen Großmachtinteressen diametral entgegen.62 Es bestünde kaum ein Zweifel, so Francis Forbes aus Dresden, dass es das Ziel Österreichs sei, britischen Handel und Waren auszuschließen. Forbes’ Ergänzung, es handele sich dabei um einen „favourite plan of the late Prince Schwarzenberg, who thought it the only way of making War on England,“63 verweist auf den politisch-wirtschaftlichen „Fundamentalkonflikt”64 zwischen Österreich und Großbritannien. Zugleich fügt sich diese Bemerkung aber auch in die Reihe von Beschreibungen anglophober Tendenzen, die man in Deutschland beobachtete. Beispiele wie die Flüchtlingsfrage zu Beginn der 1850er Jahre und die Affäre um den am Bonner Hauptbahnhof verhafteten Captain MacDonald 1860/61 zeigen, dass antibritische Ressentiments eng an konkrete Vorfälle und Ereignisse gebunden waren.65 Eine klare Ausnahme ist im diachronen Vergleich die diplomatische Berichterstattung zur deutschen Schutzzollbewegung. Spätestens seit 1843, mit der Gründung des Zollvereinsblatts durch Friedrich List („the originator of all this Abuse“66), dokumentierten Gesandtenberichte regelmäßig die anti59

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Zu den British interests vgl. Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 58–62; Klaus Hildebrand, No intervention. Die Pax Britannica und Preußen 1865/66–1869/70. Eine Untersuchung zur englischen Weltpolitik im 19. Jahrhundert, München 1997, S. 53–65. Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 56–61, 75–85. Zu den Eisenzöllen vgl. die Sammlung einschlägiger Berichte in: Copies and Extracts of Despatches from her Majesty’s Ministers abroad, having reference to the recent Modifications of the Tariff of the German Customs Union, London 1843 [Parliamentary Papers; HC 445]. TNA, FO 299/4: Ward an Palmerston, Nr. 28, Leipzig, 30.11.1850. Vgl. Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß (wie Anm. 43), S. 134–147. TNA, FO 68/84: Forbes an Malmesbury, Nr. 36, Dresden, 23.9.1852. Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß (wie Anm. 43), S. 185. Vgl. Bernard Porter, The Refugee-Question in Mid-Victorian Politics, Cambridge 1979; Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 112 f.; Christoph J. Franzen, Die MacDonald-Affäre und das britisch-preußische Verhältnis zur Zeit der Neuen Ära (1860/61), Siegburg 2001. TNA, FO 68/64: Forbes an Palmerston, Nr. 11, Dresden, 4.4.1847; vgl. u.a.: FO 64/ 239: Westmorland an Aberdeen, Nr. 24, Berlin, 17.8.1842; FO 82/42: Wellesley an Aberdeen, Nr. 7, Stuttgart, 23.1.1843. Bemerkenswert ist der Leserbrief eines in Dresden

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britische Ausrichtung deutscher Protektionisten.67 Sei es nun aus eigener Überzeugung oder als Zugeständnis an den Adressaten in der Heimat, bezogen sich die Diplomaten seit den 1850er Jahren dabei immer stärker auf die Free-Trade-Doktrin. Beispielhaft ist hier eine der zahlreichen Schilderungen über die zollpolitischen Diskussionen in den deutschen Landtagen. So berichtete John Milbanke im August 1859 aus der zweiten Kammer Bayerns von den „usual invectives against the grasping Commercial policy of England, who is on all occasions accused of seeking to destroy the Commercial development of all other states by means of a fictitious system of Free Trade.”68 Britischen Beobachtern musste eine derartige Geringschätzung Großbritanniens schon allein deswegen aufstoßen, weil sie mit dem Fortschrittsoptimismus und der Strahlkraft der ‚eigenen‘ Grundsätze nur schwer in Einklang zu bringen waren. Veränderungen auf der zollpolitischen Landkarte Deutschlands, so war John Duncan Bligh, der Gesandte in Hannover zu Beginn der 1850er Jahre, überzeugt, „can hardly be in a retrograde direction, with our example before men’s eyes, which would seem, in these, as well as in other, Matters, sooner or later, to draw the whole World, however unwillingly, towards it.”69 Aus der Sicht Blighs waren die Rollen in Deutschland klar verteilt: Auf der einen Seite Österreich, dessen Pläne das europäische Gleichgewicht stören und überdies ein „revival of a Continental System“ mit sich bringen würden, und auf der anderen Seite Preußen „as the leading Power of the Zollverein“ sowie Norddeutschland und Hannover „as the most liberally disposed portion of Germany.“70 1852, als die erste Zollvereinskrise um den Septembervertrag Preußens mit Hannover und die Rolle Österreichs in vollem Gange war, brachte Lord Bloomfield diese zollpolitische Zweiteilung auf den Punkt: „The North under the Banner of Free Trade and the South under those of Protection and higher duties.”71

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ansässigen Engländers in der Daily Mail vom 7.5.1846: „And the key to all those rhodomontades on English selfishness, tyranny, bigotry, and inferiority, may be found in two words, ‘List and the Zollverein!’“ Vgl. Tilly, Los von England (wie Anm. 10) sowie Karl W. Hardach, Anglomanie und Anglophobie während der Industriellen Revolution in Deutschland, in: Schmollers Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 91 (1971), S. 153–181; Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 48–51, 172 f. TNA, FO 9/141: Milbanke an Russell, Nr. 76, München, 22.8.1859. TNA, FO 34/63: Bligh an Palmerston, Nr. 13, Hannover, 24.1.1851. Ebd. [Hervorhebung im Original unterstrichen]. TNA, FO 64/342: Bloomfield an Malmesbury, Nr. 148, Berlin, 18.6.1852. Zur britischen Haltung in der ersten Zollvereinskrise vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 75–97; Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß (wie Anm. 43), S. 173–185. Trotz klarer Präfe-

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Die Berichterstattung zum lange umstrittenen Beitritt Hannovers macht aber auch deutlich, dass die preußische Zollvereinspolitik von den britischen Gesandten nicht per se unterstützt wurde. Vielmehr wurden die Erweiterung des Zollvereins und damit die Festigung der Stellung Preußens vor allem in Abgrenzung zu den protektionistischen Alternativen befürwortet. Ein Novum war die Zuschreibung der Führungsrolle an Preußen allerdings nicht. Bereits im Umfeld der Zollvereinsgründung prognostizierten britische Diplomaten einen wachsenden politischen Einfluss. Die Korrespondenz des seit 1830 beim Deutschen Bundestag akkreditierten Gesandten Thomas Cartwright, der schon im Dezember 1832 die politischen Implikationen einer weitergehenden Zolleinigung offenlegte, zeigt, dass es sich hierbei keineswegs um punktuelle Beobachtungen handelte.72 Auch im Gründungsjahr des Zollvereins wies er auf die Rolle Preußens hin, „which must accrue to her from the preponderating position she has now assumed.“73 Und wiederum zwei Jahre später kam Cartwright, nachdem er in einer ausführlichen Depesche an Lord Palmerston die unterschiedlichen Sphären (zukünftiger) preußischer Einflussnahme abgeklopft hatte, zu dem Ergebnis: „I therefore, My Lord, cannot but think that the Customs Union gives the real Power in Germany to Prussia.“74 Neben zahlreichen relativierenden Berichten, die vor allem auf Partikularinteressen und antipreußische Ressentiments in den Mittelstaaten abhoben, lassen sich vergleichbare Beobachtungen auch aus der Feder anderer Diplomaten finden.75 Im Vergleich zu den 1830er und 1840er Jahren unterscheidet sich aber die Korrespondenz der frühen 1850er Jahre in einem zentralen Punkt: Die Diplomaten bezogen sich nun weniger

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renzen verhielt sich das Londoner Außenministerium in der Zollvereinskrise weithin passiv. Hier zeigte sich das von der Free-Trade-Doktrin verstärkte Prinzip der Nichtintervention. Vgl. TNA, FO 30/40: Cartwright an Palmerston, Frankfurt, Nr. 166, 29.12.1832. Vgl. Müller, Britain and the German Question, S. 36–38; Heydemann, Konstitution gegen Revolution (beide wie Anm. 5), S. 253–266; allgemein: Hans-Werner Hahn, Hegemonie und Integration. Voraussetzungen und Folgen der preußischen Führungsrolle im Deutschen Zollverein, in: Helmut Berding (Hrsg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 10), Göttingen 1984, S. 45–70. TNA, FO 30/59: Cartwright an Wellington, Nr. 135, Frankfurt, 1.12.1834. TNA, FO 30/61: Cartwright an Palmerston, Nr. 36, Frankfurt, 14.5.1836. Vgl. u.a.: TNA, FO 9/66: Erskine an Palmerston, Nr. 1, München, 11.1.1833; FO 82/29: Russel an Wellington, Nr. 8, Stuttgart, 12.3.1835; FO 68/40: Forbes an Palmerston, Nr. 13, Dresden, 10.4.1836; FO 64/216: Hamilton an Palmerston, Nr. 31, Berlin, 8.8.1838; FO 34/39: Bligh an Aberdeen, Nr. 11, Hannover, 30.3.1843; FO 34/61: Bligh an Palmerston, Nr. 110, Hannover, 15.11.1850.

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auf die hegemoniale Stellung Preußens innerhalb des Zollvereins, vielmehr stand die deutsche Frage als Ganzes auf dem Spiel. In seiner Depesche vom 16. September 1851, also eine Woche nach Abschluss des Septembervertrages, schrieb Lord Cowley über die politischen Implikationen der zollpolitischen Auseinandersetzungen: „With regard to Prussia it can hardly be necessary to draw Your Lordship´s attention to the political advantages likely to accrue to her from the conclusion of this convention. If she makes use of them, her influence in Germany need fear no rival, for that influence will be based on the strongest of all foundations, the material interest of the nation. She is now, or rather will be, in a position to treat again on equal terms with Austria, and on ground which Austria herself has chosen. If no untoward event occurs to raise a more dangerous feud, the rivalry of the two great German Powers will find an active field of enterprise in the preparation of their commercial views, and it can hardly be doubted that, let which party may obtain the victory, it will be that which advocates offering the freest system and most unrestricted development to the resources of the nation.”76

Die in die Hunderte gehenden Depeschen zur Zollvereinskrise, die zwischen 1851 und 1853 nach London geschickt wurden, lassen am akuten britischen Interesse an einer Lösung im Sinne der eigenen handelspolitischen Ziele keinen Zweifel. Der Großteil der Diplomaten vertrat die Auffassung, dass das protektionistische und proösterreichische Lager innerhalb der Zollvereinsstaaten letztlich zurückstehen würde.77 Wie John Duncan Bligh waren sie allerdings auch davon überzeugt, „that without concert between the two Great German Powers no Unity of Germany […] could be effected, and that, on the contrary, dangers to both might probably ensue.”78 76

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TNA, FO 30/151: Cowley an Palmerston, Nr. 265, Frankfurt, 16.9.1851. FO 64/343: Bloomfield an Malmesbury, Nr. 207, Berlin, 6.8.1852: „It is now clear […] that the Question has resolved itself into a struggle for Supremacy between the two Great German Powers.“ Vgl. allgemein: Hahn, Hegemonie und Integration (wie Anm. 72), S. 61– 63. Siehe FO 82/68: Malet an Palmerston, Nr. 40, Stuttgart, 16.10.1851: „They dislike Prussia, they are anti liberals, they are protectionists, but when you ask them how they would like to see a paper circulation of six Kreutzer notes, they have little to say in favour of a connexion which would entail such a contingency.“ Vgl. auch FO 30/156: Cowley an Granville, Nr. 2, Frankfurt, 14.2.1852. TNA, FO 34/64: Bligh an Palmerston, Nr. 70, Hannover, 13.6.1851. Vgl. auch: FO 68/84: Forbes an Malmesbury, Nr. 34, Dresden, 13.9.1852: „[…] a complication which may end in an internal war.“

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Noch deutlicher wurde Francis Forbes: „I must frankly say, that after so many years passed in Germany, I have never seen a moment, where more is at stake, and less present prospect of an arrangement.”79 Mit entsprechender Erleichterung nahmen die Diplomaten die Beilegung des Konflikts im Frühjahr 1853 zur Kenntnis. Preußische Ambitionen schwanden jetzt zwar nicht vollständig aus dem Blick, dafür sorgte allein Otto von Bismarck als Bundestagsgesandter in Frankfurt in seinen regelmäßigen Gesprächen mit Alexander Malet.80 Für die nächsten drei Jahre absorbierte allerdings der Krimkrieg die britische Aufmerksamkeit.81 Die 1854 von den Mittelstaaten abgehaltene Bamberger Konferenz und der Generalverdacht der Russophilie, der wankende Neutralitätskurs der preußischen Regierung in der Außenpolitik sowie ihre reaktionäre Politik im Inneren ließen dabei für eine positive Sicht auf die Zollvereinsstaaten nur wenig Platz. Österreich dagegen, so urteilte zumindest der Wiener Gesandte George Hamilton Seymour im Juni 1856, sei besser als sein Ruf. Sir Seymour schloss dabei ausdrücklich auch zollpolitische Fragen mit ein: „With regard to the Tariff I can only say that I shall be much disappointed if in a short time the Austrian commercial system be not at least as liberal as that of the ‘Zollverein’.”82 Zwar sahen auch andere Diplomaten den Schlüssel zu Österreichs deutschlandpolitischer Rolle in einem veränderten wirtschaftspolitischen Kurs, Seymours Projektion speiste sich aber eher aus der traditionellen Führungsrolle Österreichs („She is the Planet round which the minor States of the Confederation revolve.“) als aus tatsächlich wahrgenommenen Reformbemühungen.83

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TNA, FO 68/84: Forbes an Malmesbury, Nr. 36, Dresden, 23.9.1852. Vgl. etwa TNA, FO 30/167: Malet an Clarendon, Nr. 22, Frankfurt, 25.4.1854. Siehe auch: Veit Valentin, Bismarcks Reichsgründung im Urteil englischer Diplomaten, Amsterdam 1937, S. 73–133. Vgl. Doering-Manteuffel, Vom Wiener Kongreß (wie Anm. 43), S. 187–279; Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 120–124. Siehe auch die umfangreiche Sammlung einschlägiger britischer Gesandtenberichte aus Deutschland in: Winfried Baumgart (Hrsg.), Akten zur Geschichte des Krimkriegs. Serie III. Englische Akten zur Geschichte des Krimkriegs, 4 Bde., München 1988–2005. TNA, FO 7/486: Seymour an Clarendon, Nr. 391, Wien, 5.6.1856 [Hervorhebung im Original unterstrichen]. Siehe auch: FO 7/539: Seymour an Clarendon, Nr. 124, Wien, 10.2.1858. TNA, FO 7/510: Seymour an Clarendon, Nr. 72, Wien, 28.1.1857. Vgl. FO 30/156: Malet an Malmesbury, Nr. 4, Frankfurt, 23.3.1852; FO 30/187: Malet an Russell, Nr. 35, Frankfurt, 28.7.1859.

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Tendenziell umgekehrt verhielt es sich mit Preußen, das in den 1850er Jahren den wirtschaftlichen Abstand zu Österreich, aber auch zu den kleineren Zollvereinsstaaten weiter ausbauen konnte.84 Hier rückten seit Herbst 1858 mit dem Regentschaftsantritt Wilhelms die Erwartungen an Preußen als „the leading liberal power“ erneut in den Vordergrund der diplomatischen Reportage.85 In das positive Preußenbild flossen neben dem wiederbelebten preußischen Konstitutionalismus und dessen Vorbildfunktion für Deutschland auch religiöse und, infolge der Heirat des preußischen Thronfolgers mit Prinzessin Victoria, dynastische Erwägungen. Darüber hinaus resultierte der Wunsch nach dem stärkeren Gewicht Preußens aus der Tatsache, dass sich Österreich aus britischer Sicht durch seine Haltung in der italienischen Frage ins Abseits manövriert hatte. Von Preußen erwartete man nicht zuletzt deeskalierende Wirkung auf die im Zuge des Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieges erstarkte nationale Bewegung.86 Die preußische Vormachtstellung innerhalb des Zollvereins, so geht aus einer Depesche Alexander Malets hervor, galt es jetzt zu nutzen: „The Customs Union is in the nature of a political Bond which Prussia has hitherto turned to considerable account, and from which she will strain every effort to exclude Austria.“87 Aber auch konkretere britische Handelsinteressen rückten mit der Neuen Ära erneut in das Blickfeld der Diplomaten. Nur wenige Wochen vor dem Antritt Wilhelms als preußischer Regent verknüpfte George Jerningham, der britische Gesandte in Stuttgart, die überfällige Entscheidung über die Zukunft der preußischen Monarchie mit der 1853 lediglich vertagten Frage eines österreichischen Beitritts zum Zollverein:

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Zur wirtschaftlichen Führungsrolle Preußens und ihren hegemonialen Implikationen vgl. u.a. Hahn, Hegemonie und Integration (wie Anm. 72), S. 64–70. TNA, FO 64/354: Bloomfield an Clarendon, Nr. 163, Berlin, 22.4.1853. Vgl. Müller, Britain and the German Question (wie Anm. 5), S. 163–170. Die im Umfeld des italienischen Unabhängigkeitskrieges erstarkte nationale Bewegung eröffnete für Preußen die Möglichkeit, so Loftus im Mai 1859 aus Berlin, sich an die Spitze Deutschlands zu stellen: „Prussia may now lead and control the movement. If She fails to do so she will be later dragged in its wake.“ TNA, FO 7/569: Loftus an Malmesbury, Nr. 409, Wien, 12.5.1859. Vgl. Müller, Britain and the German Question (wie Anm. 5), S. 170–182. Zur Italienischen Frage und ihren Implikationen für die britische Deutschlandpolitik vgl. Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 99–121. TNA, FO 30/187: Malet an Russell, Nr. 35, Frankfurt, 28.7.1859. Vgl. FO 64/531: Morier, Memorandum on the Treaty of the 2nd of August 1862, Berlin, 18.12.1862.

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„Your Lordship is aware that the discussion of the said Question at Frankfort is to be opened in 1860, & that it may last till 1866. It is perhaps not too much to say that the Lot of Germany, as regards her internal & most vital relations, will be fixed in those five years.“88

Sieht man einmal von der Schleswig-Holstein-Frage und dem DeutschDänischen Krieg 1864 ab, prognostizierte Jerningham zielsicher den Hauptfokus der in Deutschland stationierten Diplomaten.89 Vor allem zwei Gesichtspunkte sind hier verantwortlich zu machen: Erstens verknüpften die in den innerdeutschen Diskurs eingebundenen Gesandten die Zukunft des Zollvereins – ungleich stärker als dies im Londoner Außenministerium oder im Board of Trade der Fall war – mit der nunmehr ebenfalls wieder akut gewordenen Frage der Bundesreform. Bis zum gescheiterten Fürstentag im August 1863, als auch die aufgeschlossensten unter den Diplomaten die Ausweglosigkeit aller Reformbemühungen konstatieren mussten, stießen die Initiativen Österreichs oder aus den Reihen der Würzburger Koalition schon angesichts ihrer zollpolitischen Implikationen auf wenig Gegenliebe.90 Zweitens waren britische Diplomaten seit dem Cobden-Chevalier-Vertrag von 1860, spätestens seit der Paraphierung des preußisch-französischen Handelsvertrags im März 1862, in ihrem Tagesgeschäft immer stärker in die freihändlerischen Ziele der britischen Außenpolitik eingebunden. Vom Board of Trade wurden nun vermehrt Analysen eingefordert und es galt zudem die anvisierten eigenen Verträge mit dem Zollverein wie auch mit Österreich vorzubereiten.91 Ob die auffällige Zunahme zollpolitischer Berichte zumindest teilweise auch eine Reaktion auf die innerbritische Kritik am ökonomischen Unver88 89

90

91

TNA, FO 82/88: Jerningham an Malmesbury, Nr. 38, Stuttgart, 23.9.1858. Zur Schleswig-Holstein-Krise vgl. Keith A.P. Sandiford, Great Britain and the Schleswig-Holstein Question 1848–1864: A Study in Diplomacy, Politics, and Public Opinion, Toronto/Buffalo 1975; Valentin, Bismarcks Reichsgründung (wie Anm. 80), S. 172–246. Vgl. TNA, FO 64/531: Morier, Memorandum on the Treaty of the 2nd of August 1862, Berlin, 18.12.1862; Müller, Britain and the German Question (wie Anm. 5), S. 182–200; Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 169–176; Murray, Liberal Diplomacy (wie Anm. 30), S. 140. Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 148–168; Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 183–195; Murray, Liberal Diplomacy (wie Anm. 30), S. 139–165. Knappe Überblicke zum Freihandelssystem der 1860er Jahre: Marsh, Bargaining on Europe (wie Anm. 7), S. 8–61; Cornelius Torp, Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860–1914 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 168), Göttingen 2005, S. 121–146.

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mögen des diplomatischen Dienstes war, lässt sich aus der Korrespondenz selbst nicht ablesen.92 Immerhin zeigte sich aber jetzt auch unter den Diplomaten die Bereitschaft, „politische Probleme zu ökonomisieren.“93 Beispielhaft ist hier etwa George John Robert Gordon, ein Vertreter der alten Schule, der gegenüber einer Ausweitung diplomatischer Pflichten äußerst skeptisch eingestellt war. Im April 1862 schrieb er mit Blick auf den preußisch-französischen Handelsvertrag: „[T]he question of the acceptance of this Treaty by the Zollverein is now the one of the first importance in Germany and throws that of the Reform of the Federal Constitution, the so called German question into the background, inasmuch as it involves the most weighty considerations of a material, as well as of a political character.”94

Die Auffassung, dass die beiden deutschen Großmächte einen politischen Kampf unter „commercial colours”95 führten, ging, wie während der ersten Zollvereinskrise, mit einer klaren Rollenzuweisung einher. In Abkehr von ihrer ansonsten abwägenden Berichterstattung ergriffen die britischen Diplomaten nun auch regelmäßig Partei. So stellte etwa der Legationssekretär Julian Fane im September 1862, kurz vor der Berufung Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten, fest: „Prussia, in a word, is, and will remain, the exponent of the principles of political liberty and commercial freedom in the Confederation.“96 Die sich in Preußen seit längerem abzeichnende Rückkehr zu einer reaktionären Verfassungspolitik irritierte auch Robert Morier nicht, als er am Ende eines langen Memorandums über den 92

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96

Zur innerbritischen Kritik vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 27–35; Murray, Liberal Diplomacy (wie Anm. 30), S. 156–160 u. S. 167 f. In den Jahren 1861 und 1864 befassten sich – u.a. mit Blick auf die britische Zollvereinspolitik – parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit der Frage der wirtschaftlichen Kompetenz britischer Diplomaten. Vgl. Report from the Select Committee on Diplomatic Service, London 1861 [Parliamentary Papers; 459]; Report from Select Committee on Trade with Foreign Nations, London 1864 [Parliamentary Papers; 493]. Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 182. TNA, FO 82/104: Gordon an Russell, Nr. 58, Stuttgart, 30.4.1862. Zur Haltung gegenüber handelspolitischen Aufgaben siehe Gordons Memorandum vom 23.11.1860, in: Report from the Select Committee 1861 (wie Anm. 92), Anhang, S. 448–451. Vgl. Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 27–28. „Austria and Prussia are fighting a political battle under commercial colours, and I hope it will end in a reduction of Tariffs on both sides.“ TNA, PRO 30/22/41: Bloomfield an Russell, Wien, 4.12.1862, zitiert nach: Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 183. TNA, FO 7/637: Fane an Russell, Nr. 163, Wien, 11.9.1862.

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preußisch-französischen Vertrag auf mögliche politische Folgen der Zollvereinskrise einging. Morier, wie Fane ein Vertreter der jüngeren Diplomatengeneration, setzte die Zollfrage in direkten Bezug zu den beiden Polen in der deutschen Frage: die preußische Zollvereinspolitik und die kleindeutsche Bewegung einerseits und die österreichischen Pläne und die großdeutsche Partei andererseits. Auf welcher Seite Morier selbst stand, daran ließ er im abschließenden Satz des Memorandums keinen Zweifel: „How much of political arrière pensée there may be in the motives of the two powers it is not my purpose to enquire; but this much is certain, that whatever may be the political objects of Prussia in the matter they run side by side with sound commercial principles whereas the exact converse is the case as regards Austria.”97

Wie Robert Morier dachte das Gros der britischen Gesandten zunehmend in solchen kleindeutschen Bahnen. Allerdings waren sie über den Rückhalt preußischer Politik in den Zollvereinsstaaten uneins.98 Dies lag zum einen am anti-preußischen Reflex der deutschen Klein- und Mittelstaaten, dem man – im Gegensatz zu den ebenfalls vermerkten antifranzösischen Ressentiments – angesichts territorialer Ambitionen Preußens einiges Verständnis entgegenbrachte. Zum anderen betonten die Diplomaten, vor allem in der Berichterstattung aus Süddeutschland und im Umfeld des DeutschDänischen Krieges, protektionistische Tendenzen. Die Schleswig-HolsteinBegeisterung, so George John Robert Gordon im Juni 1864, würde von den Gegnern des preußisch-französischen Handelsvertrags instrumentalisiert. Mit besonderer Sorge registrierte er dabei, dass erneut der Ruf nach dem Boykott britischer Waren laut geworden war.99 Aber auch gegenläufige Tendenzen wurden registriert: „Everyday gives fresh proofs of the manner in which the liberal principles of the treaty have penetrated into the mass of 97

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99

TNA, FO 64/531: Morier, Memorandum on the Treaty of the 2nd of August 1862, Berlin, 18.12.1862. Zu Moriers Standpunkt vgl. Murray, Liberal Diplomacy (wie Anm. 30), S. 150–156. Vgl. u.a. TNA, FO 82/103: Gordon an Russell, Nr. 17, Stuttgart, 11.2.1862; FO 33/176: Ward an Russell, Nr. 34, Hamburg, 18.4.1862; FO 9/153: Bonar an Russell, Nr. 41, München, 30.4.1862; FO 82/104: Gordon an Russell, Nr. 69, Stuttgart, 23.5.1862; und Nr. 89, Stuttgart, 30.6.1862; TNA, FO 82/108: Baillie an Russell, Nr. 6, Stuttgart, 27.1.1863; FO 34/144: Howard an Russell, Nr. 186, Hannover, 28.5.1864; FO 64/538: Morier an Buchanan, 30.12.1862. Vgl. TNA, FO 82/113: Gordon an Russell, Nr. 101, Stuttgart, 1.6.1864; FO 34/144: Howard an Russell, Nr. 176, Hannover, 13.5.1864.

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the population.“100 Auffallender Weise teilten gerade überzeugte Freihändler und ökonomisch versierte Beobachter solche positiven Einschätzungen. Die Parallelen zur optimistischen und universalistischen Sicht John Bowrings sind hier unverkennbar. Letztlich geeint waren die Diplomaten in der Bewertung des Ausgangs des Zollvereinskonflikts. Durch die Verknüpfung der Zukunft des Zollvereins mit dem preußisch-französischen Handelsvertrag, so der Berliner Botschafter Lord Napier im November 1865, habe Bismarck Deutschland einen großen Dienst erwiesen – und damit indirekt auch England und „the cause of Free Trade in general.”101 Mit der Meistbegünstigungsklausel, die im Handelsvertrag zwischen Großbritannien und dem Zollverein am 30. Mai 1865 vereinbart worden war, hatte man das handelspolitische Ziel erreicht.102 Auch mit Blick auf Österreich, mit dem Großbritannien im Dezember 1865 ebenfalls einen Handelsvertrag abgeschlossen hatte, zeigte sich, dass die Entwicklung in Deutschland mit den Interessen Großbritanniens weitgehend kongruent verlief. Nicht nur, dass man Österreichs zukünftige Rolle eher in Südosteuropa sah, durch die zollpolitische Isolation innerhalb Deutschlands würde es, so Robert Morier, „nolens volens“103 in Richtung Freihandel gezogen. Es ist vor diesem Hintergrund auffällig, dass die britischen Diplomaten die deutschlandpolitischen Konsequenzen der überstandenen Krise – also die von ihnen in früheren Depeschen antizipierte Vorentscheidung der deutschen Frage zugunsten Preußens – wenn überhaupt nur beiläufig thematisierten.104 Dies war weniger Resultat eines Wahrnehmungsdilemmas, das sich aus der anti-nationalen Grundhaltung der universalistischen Free-Trade-Idee ergab.105 Auch die Tatsache, dass man im Vorfeld des deutsch-deutschen Krieges immer weniger Zeit für allgemeine Reflektionen fand, bietet nur eine Teilerklärung. In den Berichten aus den 100 101 102 103

104 105

TNA, PRO 64/359: Morier an Buchanan, 30.1.1863; zitiert nach: Murray, Liberal Diplomacy (wie Anm. 30), S. 154. TNA, FO 64/578: Napier an Clarendon, 25.11.1865. Vgl. Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 241–244; Davis, Britain (wie Anm. 4), S. 159–168. Morier an Russell, 19.11.1864, zitiert nach: Rosslyn Wester-Wemyss (Hrsg.), Memoirs and Letters of the Rt. Hon. Sir Robert Morier, G.B.C., 1826–1876, 2 Bde., hier Bd. 1, London 1911, S. 416 (Hervorhebung im Original). Zum Handelsvertrag und den vorangegangenen Verhandlungen vgl. Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 192–195, 244–250; Murray, Liberal Diplomacy (wie Anm. 30), S. 167–187. Vgl. TNA, FO 64/578: Napier an Clarendon, 25.11.1865. Vgl. Murray, Liberal Diplomacy (wie Anm. 30), S. 99 f.

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deutschen Staaten spiegelt sich vielmehr auch, dass die deutsche Frage nach der Lösung einer ihrer prominentesten Konfliktfelder für die Pax Britannica von eher untergeordneter Bedeutung war.106 * Karl Steinackers Vorhersage aus dem Jahr 1844, man werde „sich immer mehr daran gewöhnen, namentlich im Auslande, unter Deutschland hauptsächlich das Zollverbündete zu verstehen,“107 trifft für die britischen Gesandten auch in der Endphase des Deutschen Bundes nur mit Abstrichen zu. Zwar liefen im Gegensatz zur Zeit des Vormärz, als man Deutschland – unter Einschluss Österreichs – als geschlossenen geographischen Raum wahrgenommen hatte,108 die kleindeutsche Option und das „ökonomischrealpolitische Interesse Englands am Zollverein“109 in die gleiche Richtung. Die Kategorie der Nation bzw. die politisch-kulturelle Integrationskraft des Zollvereins hatte bei der Konstruktion britischer Raumvorstellungen aber nur eine geringe Bedeutung. Zuletzt ist es bemerkenswert, dass auch die identitätsstiftenden Rückkoppelungen der britischen Zollvereinspolitik in Deutschland – für Schutzzöllner wie Freihändler – in der diplomatischen Korrespondenz nicht reflektiert werden. Einen Hinweis auf diese Rolle Englands im innerdeutschen Diskurs gibt Gustav Höfken in seiner 1842 erschienenen Abhandlung „Der deutsche Zollverein in seiner Fortbildung.“ Höfken bewertet hier John Bowrings Würdigung der „National-Einheit“, die zu Beginn des vorliegenden Beitrages zitiert wurde: „Der offene Feind ist oft ebenso nützlich als der schmeichelnde Freund gefährlich. […] Sich zwar als Freund darstellend, führt indes Hr. Bowring, vorab Engländer, eine gerade, von dieser richtigen Würdigung geschliffene Waffe in seinem Berichte wie in allen seinen Reden gegen das Interesse, gegen die Abrundung

106 107 108

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Vgl. Metzler, Großbritannien (wie Anm. 45), S. 250–255; Hildebrand, Pax Britannica (wie Anm. 59), S. 114–142. Karl Steinacker, Die politische und staatsrechtliche Entwickelung Deutschlands durch den Einfluß des deutschen Zollvereins, Braunschweig 1844, S. 36. Mit Blick auf die verschiedenen kontinentalen Absatzmärkte für britische Waren unterschied man so etwa „Germany“ und „other Nations“ Vgl. u.a. FO 9/66: Erskine an Palmerston, Nr. 1, München, 11.1.1833; FO 64/221: Russell an Palmerston, Nr. 16, Berlin, 12.2.1839; FO 64/264: Hamilton an Aberdeen, Nr. 6, Berlin, 3.6.1846. Anselm Doering-Manteuffel, Großbritannien und die Transformation des europäischen Staatensystems 1850–1871, in: Peter Krüger (Hrsg.), Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, München 1996, S. 153–170, hier S. 168.

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und Entwickelung des Zollvereines.“110 Dass die von John Bowring mitgeprägte britische Handelspolitik die nationalen Ambitionen Preußens in ein positives Licht rückte, war für Höfken nicht vorstellbar.

110

Gustav Höfken, Der deutsche Zollverein in seiner Fortbildung, Stuttgart 1842, S. 31–32. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Höfken Formulierungen aus Bowrings Report im eigenen Sinne und ohne Angabe der Herkunft verwendet. Vgl. ebd., S. 533.

Thomas J. Hagen

WIRTSCHAFTSPOLITISCHE BESTREBUNGEN ÖSTERREICHS NACH 1848 Alternative zum (Klein-) Deutschen Zollverein?*

I. Einleitung Es lässt sich kaum übersehen, dass die nach 1871 einsetzende „preußischkleindeutsch“ geprägte Geschichtsschreibung zumindest in Bezug auf die Deutung der geschichtlichen Entwicklung zwischen dem Wiener Kongress und der Bismarckschen Reichsgründung in Teilen bis heute nachwirkt. Aus dem Blickwinkel eines starken Nationalstaats heraus, der als einzig tragende Grundlage für die Volkswohlfahrt glorifiziert wurde, ist es Historikern wie Heinrich von Sybel, Johann Gustav Droysen oder Heinrich von Treitschke gelungen, den „deutschen Beruf“ Preußens im Vorfeld der Reichsgründung als zwangsläufig und alternativlos ins rechte Licht zu rücken.1 Alle anderen – dem Nationalismus zuwiderlaufende – Alternativen, wie sie zwischen der 1848er-Revolution und dem Ende des Deutschen Bundes 1866 vor allem von Vordenkern aus dem Vielvölkerstaat Österreich propagiert worden waren, erscheinen dabei als fehlerhaft, unzeitgemäß und sogar als nicht durchführbar. Konföderale und supranationale Projekte, wie der Mitteleuropaplan des zwischen 1848 und 1852 amtierenden österreichischen Ministerpräsidenten Schwarzenberg,2 wurden als von vornherein zum Scheitern verurteilt angesehen. Die wenigen Hinweise zu politischen Gegenkonzepten 1

2

*

Vgl. Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. vornehmlich nach den preußischen Staatsacten, 7 Bde., München (mehrere Auflagen) 1889–1901; Johann Gustav Droysen, Geschichte der preußischen Politik, 5 Teile, Leipzig 1855–1886; Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 5 Bde., Leipzig 1879–1894, dessen fünfter und letzter Band mit dem Jahr 1848 endet, womit er freilich die Umstände des daraufhin einsetzenden Kampfes beider deutscher Großmächte um die Vorherrschaft in Deutschland ausklammert. Zu Schwarzenberg vgl. Stefan Lippert, Felix Fürst zu Schwarzenberg. Eine politische Biographie, Stuttgart 1998. Bei diesem Aufsatz handelt es sich gleichzeitig um einen Werkstattbericht des Verfassers zu seiner Dissertation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg mit dem Arbeitstitel: „Das ‚Brucksche Mitteleuropa’ 1849–1867. Die praktischen Erfolge der Wiener Politik zur Schaffung einer mitteleuropäischen Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion.“

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im Vorfeld der Schaffung des Deutsches Reiches, die mittlerweile in Handbüchern auftauchen, leiden vor allem noch unter dem bisher kaum entkräfteten Argument, dass eine Alternative schon allein aus finanz- und wirtschaftspolitischen Gründen undenkbar gewesen wäre. Tatsächlich scheint es auf den ersten Blick so, als hätten die sehr unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Entwicklungen im Deutschen Zollverein und in einem Großteil der Habsburgermonarchie eine Verschmelzung der Interessen auf Dauer unmöglich gemacht. Insofern kann es auch nicht verwundern, dass die Argumentation einer im nachhinein konstruierten preußisch-reichsdeutschen „Zwangsläufigkeit“ selbst bei kritischer Hinterfragung der Wirkungsweise des Zollvereins als nationsbildendes Element in der Historiografie lange Zeit relativ wenig Widerspruch fand. Umso mehr empfiehlt es sich, die tatsächliche wirtschafts-, währungs- und verkehrspolitische Situation Mitteleuropas in den Jahren vor der militärisch erzwungenen Auflösung des Deutschen Bundes etwas näher zu betrachten. II. Die Wiener Mitteleuropapläne – Ausgangslage, Gründe und Anspruch Vor allem durch die beginnende Industrielle Revolution, die im vormärzlichen Mitteleuropa von selektiver Arbeitsteilung im Produktionsprozess und von vermehrten Betriebskonzentrationen begleitet wurde, wuchs in der Wirtschaft das Begehren nach einer Ausdehnung der Märkte. Insbesondere der Handel forderte die Aufhebung der bisherigen Zoll- und Handelsbeschränkungen, welche die länderübergreifende Vermarktung vieler Produkte erschwerten oder gar unmöglich machten. Das bisherige fiskalpolitische Prinzip bei der Erhebung der Zölle erschien vielen als wirtschaftsfeindlich. Gleiches galt für die Besteuerung der Kommunikationsmittel oder die Erhebung hoher Wegzölle.3 Vor allem die enormen Fortschritte beim Bau von Eisenbahnen und das vermehrte Aufkommen von Dampfschifffahrtslinien rief förmlich nach einem nie zuvor da gewesenen Austausch von Gütern – auch und vor allem über die Grenzen der kleingliedrigen Staatenwelt Mitteleuropas hinweg. Ein erster bedeutender Schritt war 1833 mit der Gründung des Deutschen Zollvereins4 getan worden. Für die beteiligten Volkswirt3

4

Hierzu und zur allgemeinen Wirtschaftspolitik der Staaten im Deutschen Bund vgl. Uwe Müller, Infrastrukturpolitik in der Industrialisierung. Der Chausseebau in der preußischen Provinz Sachsen und dem Herzogtum Braunschweig vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, Berlin 2000, S. 79 und 199 ff. Zur Entstehung des Deutschen Zollvereins vgl. bes. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984.

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schaften ergaben sich hierdurch viele Vorteile, da für die meisten Güter nur mehr beim Handelsverkehr mit Drittstaaten Zölle beziehungsweise Steuern erhoben wurden. Andererseits errichtete der Zollverein aber neue Grenzen zwischen den Vereinsstaaten einerseits und den übrigen Gebieten Mitteleuropas andererseits, welche sich der preußisch geführten „Zollerhebungsgemeinschaft“ nicht anschließen zu können glaubten.5 Zudem schien sich in der zollvereinsländischen Öffentlichkeit ein politischer Integrationsprozess im nationalen Sinne anzubahnen, der nicht nur in Wien und hier insbesondere von Staatskanzler Metternich mit Argusaugen betrachtet wurde. Spätestens seit der 1848er-Revolution wurde dann nicht mehr nur in der Öffentlichkeit, sondern vermehrt auch in der Politik nach Wegen gesucht, wie man den entstandenen volkswirtschaftlichen Bedürfnissen größerer Teile Mitteleuropas gerecht werden konnte. Hinzu trat aber auch der Gedanke der Paulskirche, einen deutschen Nationalstaat zu gründen. Durch die gleichzeitige wirtschaftliche Einigung versprachen sich viele den ersehnten Aufschwung in Industrie und Handel und letztlich mehr Prosperität. Preußen, das mit seiner bisherigen Zollvereinspolitik von diesem Ziel ohnehin nicht allzu weit entfernt schien, plante im Verlaufe der Geschehnisse in Frankfurt, diese geistige Zeitströmung für seine eigenen Vormachtpläne in Deutschland auszunutzen. Mit dem Radowitzschen Plan zur Gründung einer (klein-) deutschen Union unter Führung des preußischen Königs fand die Berliner Regierung nicht wenige Anhänger insbesondere im Norden des Deutschen Bundes.6 Demgegenüber stand die österreichische Regierung unter Zugzwang, wollte sie die bisherigen Macht- und Gleichgewichtsstrukturen, wie sie der Wiener Kongress geschaffen hatte, nicht kampflos preisgeben. So bedrohten nicht nur die Pläne der Paulskirche, sondern auch die (nationale) Unionspolitik Preußens die Existenz des Vielvölkerstaates, was durch die vom Nationalismus getragenen revolutionären und militärischen Ereignisse in Ungarn und in Italien noch verstärkt wurde.7 5

6

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Hierzu und zu den Einheitsdefiziten im Zollverein selbst vgl. Elmar Wadle, Der Zollverein und die deutsche Rechtseinheit, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 102 (CXV. Bd. der Zeitschrift für Rechtsgeschichte), Germanistische Abt. (1985), S. 110 ff. Vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Der Ordnungszwang des Staatensystems: Zu den Mitteleuropa-Konzepten in der österreichisch-preußischen Rivalität 1849–1851, in: Adolf M. Birke/Günther Heydemann (Hrsg.), Die Herausforderung des europäischen Staatensystems. Nationale Ideologie und staatliches Interesse zwischen Restauration und Imperialismus, Göttingen/Zürich 1989, S. 126 ff. Sowohl Ungarn als auch Lombardo-Venetien waren aufgrund der dort vorherrschenden separatistischen bzw. nationalistischen Kräfte 1848 von Österreich abgefallen.

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Mit dem Verlauf der revolutionären Ereignisse von 1848 und den anschließenden Bestrebungen Preußens, sein Zollvereinsprimat unter Ausschluss Österreichs auf die politischen Strukturen „Kleindeutschlands“ auszudehnen, wurden die Versäumnisse Wiens bei der wirtschaftlichen Integration Mitteleuropas offensichtlich. Mit seiner bisherigen Hochschutzzollpolitik und zahlreichen Ein- und Ausfuhrverboten hatte sich der Habsburgerstaat immer mehr von den übrigen deutschen Bundesstaaten isoliert.8 Als Alternative zu den nationalstaatlichen Bestrebungen in Frankfurt, Berlin, Turin und Pest legte nun die Schwarzenbergregierung in Wien ein neues Konzept zur Schaffung eines supranationalen „Mitteleuropäischen Staatenbundes“ vor, nicht zuletzt, um die ins Wanken geratene Stellung der Habsburgermonarchie wieder zu festigen. Diese von Schwarzenberg geplante föderale Staatengemeinschaft sollte unter dem Präsidium Habsburgs sowohl den bisherigen Deutschen Bund als auch die außerhalb davon gelegenen Gebiete Preußens und Österreichs einschließen.9 Damit sollte einerseits den ökonomischen und somit liberalen Bedürfnissen der Zeit nachgekommen werden, andererseits der eigene Staatsbestand gesichert und die bisherige Vormachtstellung erneuert beziehungsweise ausgebaut werden. Außerdem versprach sich die Wiener Regierung davon auf lange Sicht die Lösung der innerstaatlichen Nationalitätenkonflikte, da der neue Bund ganz selbstverständlich neben den deutschsprachigen auch die anderen Völkerschaften Mitteleuropas umfassen sollte. Hierzu zählten die polnischsprachigen Gebiete Preußens ebenso wie die unter dem Zepter Habsburgs vereinten Völker Böhmens (Tschechen), Galiziens (Polen und Ukrainer), Ungarns (Slowaken, Kroaten, Serben, Slowenen, Rumänen und Ungarn) und LombardoVenetiens (Italiener). Darüber hinaus plante Schwarzenberg längerfristig auch große Teile Nord- und Mittelitaliens zu integrieren, um das Primat Wiens über die Halbinsel auf Dauer zu stabilisieren. Dieser „Mitteleuropäische Staatenbund“, wie er Schwarzenberg vorschwebte, hätte somit von der Nordsee bis zur unteren Donau und vom Po bis ins Baltikum gereicht.10 8

9

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Vgl. Klaus Koch, Österreich und der Deutsche Zollverein (1848–1871), in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VI/1: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen, Wien 1989, S. 537 ff. Vgl. Lippert, Schwarzenberg (wie Anm. 2), S. 267 ff. sowie Helmut Rumpler, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie (Österreichische Geschichte 1804–1914; hrsg. von Herwig Wolfram), Wien 1997, S. 310 f. Hierzu und zum Folgenden vgl. auch Hans-Werner Hahn, Mitteleuropäische oder kleindeutsche Wirtschaftsordnung in der Epoche des Deutschen Bundes, in: Helmut

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Dem Ganzen sollte die Verschmelzung der wirtschaftlichen Interessen Zentraleuropas vorausgehen, was Wien unter anderem durch den zoll- und handelspolitischen Zusammenschluss der bisher getrennten Gebiete zu erreichen hoffte.11 Gemäß den Ideen des österreichischen Handelsministers Karl Ludwig von Bruck12 sollte den deutschen Staaten als „Konzession“ für den Beitritt zum geplanten politischen Staatenbund die Gründung einer Zoll- und Handelsunion angeboten werden. Hierfür erklärte sich Österreich bereit, auf seine bisherige Prohibitionspolitik zu verzichten und die innerstaatliche Zollgrenze zu Ungarn aufzuheben. Zur Erreichung dieses Ziels nahm die österreichische Führung nicht nur große Opfer bei den Staatseinnahmen in Kauf, auch der langsam aufkommenden, an staatlichen Schutz gewöhnten Industrie wurde die Öffnung der Zollgrenzen gegenüber dem Zollverein zugemutet.13 Den industriell teils weiter fortgeschrittenen deutschen Zollvereinsstaaten hätte sich dabei ein neues Absatzgebiet eröffnet, welches aufgrund seiner im Vergleich geringeren industriellen Entwicklung mit vielen Produkten des Zollvereins kaum konkurrieren konnte. Außerdem standen den deutschen Staaten weitere handelspolitische Vorteile in Aussicht, da Österreich mit einem breiten Netz an Handelsstützpunkten und Konsulaten in der sogenannten Levante aufwarten konnte.

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Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation, Wien/München 1990, S. 186–214. Zu den wichtigsten Gebieten, welche Wien zollpolitisch zusammenschließen wollte, gehörten der Deutsche Zollverein, der norddeutsche Steuerverein, die Hansestädte sowie Österreich einschließlich Ungarns. Vgl. hierzu Helmut Böhme, Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit 1848–1881, 2. Aufl., Köln 1972; für die Zeit von 1848 bis 1860 vgl. auch Harm-Hinrich Brandt, Der österreichische Neoabsolutismus: Staatsfinanzen und Politik 1848–1860, 2 Bde., Göttingen 1978. Bruck gehörte der österreichischen Regierung von 1848 bis 1851 als Handelsminister und von 1855 bis 1860 als Finanzminister an, außerdem war er Regierungsbevollmächtigter bei den Berliner Verhandlungen zum Abschluss des preußisch-österreichischen Zoll- und Handelsvertrags vom Februar 1853. Bis heute grundlegend geblieben die Biografien bei Richard Charmatz, Minister Freiherr von Bruck. Der Vorkämpfer Mitteleuropas, Leipzig 1916 sowie fragmentarisch bei Wolf-Dieter Burgstaller, Das österreichische Handelsministerium unter Karl Ludwig Freiherr von Bruck und der Kampf um die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung im deutschen Raum, Diss., Graz 1969. Vgl. hierzu Werner Drobesch, Die ökonomischen Aspekte der Bruck-Schwarzenbergschen „Mitteleuropa“-Idee. Eine wirtschaftlich-politische Vision im Spiegel der Wirtschaftsdaten, in: Richard G. Plaschka/Horst Haselsteiner/Anna M. Drabek (Hrsg.), Mitteleuropa – Idee, Wissenschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1997, S. 19–42.

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Mit den Wiener Plänen zum Bau des Suezkanals und dem Betrieb der größten Dampfschifffahrtsgesellschaft im Mittelmeer14 versprach die neue deutsch-österreichische Zollunion bis weit in den Orient hinein eine wichtige Handelsmacht zu werden. Zur Vernetzung des geplanten Zoll- und Handelsgebiets selbst plante Bruck nicht nur die Zollbefreiung von Agrarprodukten, Rohstoffen und den meisten Halbfabrikaten sowie eine drastische Zollermäßigung für die meisten Industrieerzeugnisse. Vielmehr sollte auch die freie Durchfuhr gestattet und „eine durchgreifende wechselseitige Erleichterung in der Grenzbewachung“15 vereinbart werden. Außerdem regte Bruck die Regelung der Flussschifffahrt und der gemeinsamen Post-, Eisenbahn-, Telegrafen- und Dampfschifffahrtslinien an. Über „ein gemeinsames Münz-, Maß- und Gewichtssystem und über eine übereinstimmende Gesetzgebung in allen Handels-, Gewerbe- und Schifffahrtsangelegenheiten“ sollte – um den Vertragsabschluss zu beschleunigen – „unabhängig von den Verhandlungen über die Zoll- und Handelsfrage“16 verhandelt werden. Der preußisch-österreichische Dualismus und die internationale politische Lage führten schließlich dazu, dass es zunächst weder zu einem deutschen Nationalstaat unter der Führung Preußens und dem Ausschluss Österreichs noch zu einem groß angelegten mitteleuropäischen Staatenbund kam.17 Stattdessen begnügten sich die Regierungen Mitteleuropas, die Verfassung des bisherigen Deutschen Bundes wieder in Kraft zu setzen – als kleinsten gemeinsamen Nenner sozusagen. Weder Preußen noch Österreich gaben jedoch ihre ursprünglichen Ziele auf. Während sich Berlin zwischen 1851 und 1866 jedoch hauptsächlich darauf beschränkte, die Pläne Wiens zur Schaffung eines „Mitteleuropäischen Staatenbundes“ zu boykottieren, betrieb die österreichische Regierung die wirtschafts- und verkehrspolitische Einigung Zentraleuropas als Vorstufe zur politischen. Hierfür war zuallererst die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes geplant, um die 14

15

16 17

Der „Österreichische Lloyd Triest“ umfasste um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Flotte von mehr als 60 Dampfschiffen und besaß zahlreiche Stützpunkte an der östlichen Mittelmeerküste. Er galt damit noch vor der französischen und britischen als die größte Dampfschifffahrtsgesellschaft im ganzen Mittelmeer und als eine der größten weltweit. Vgl. Dieter Winkler/Georg Pawlik, Der Österreichische Lloyd 1836 bis heute, 2. Aufl., Graz 1989. Carl Ludwig von Bruck, Denkschrift des kaiserlich österreichischen Handelsministers über die Anbahnung der österreichisch-deutschen Zoll- und Handelseinigung vom 30. Dezember 1849, abgedruckt bei: Charmatz, Bruck (wie Anm. 12), S. 163–177, hier S. 171. Ebd., S. 171 f. Vgl. Böhme, Deutschlands Weg (wie Anm. 11).

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Grundlagen für die mittelfristige Angleichung der volkswirtschaftlich betrachtet recht unterschiedlich entwickelten Gebiete zu befördern. Wie im Folgenden kurz aufgezeigt werden soll, gelang es dem politischen und ministerialbürokratischen Zirkel um den aus Elberfeld stammenden österreichischen Staatsmann Bruck tatsächlich in hohem Maße, ein ganz Mitteleuropa umfassendes und föderal strukturiertes Wirtschaftsgebiet zu schaffen. Unabhängig von dessen politischer Beurteilung durch nationalliberale Kreise oder durch kompromisslos dem Freihandel anhängende Zeitgenossen18 – von der „preußisch-kleindeutsch“ geprägten Historiografie gar nicht zu reden – sollte sich zumindest faktisch eine Alternative zum bisherigen (Klein-) Deutschen Zollverein eröffnen. Ausdruck fand dieses System im Abschluss zahlreicher bi- und multilateraler Verträge sowie in der Bildung und Förderung unterschiedlichster staatlicher und teilweise privatrechtlicher Verbünde. Dies erstaunt umso mehr, als es gegen die ursprünglichen Pläne Brucks, welche in mehreren Denkschriften zwischen 1849 und 1850 publiziert und auch öffentlich diskutiert wurden,19 unzählige Widerstände handels- und vor allem machtpolitischer Natur gab. Offensichtlich verfügten die Konzepte, welche sich nachweislich auf die Ideen Friedrich Lists20 stützten und teils auch schon von Metternich angestoßen worden waren, über solch eine Anziehungskraft, dass es äußerst schwer fiel, diesen zu widerstehen. Nur so ist zu erklären, wie sich zwischen dem Amtsantritt Brucks als österreichischer Handelsminister 1848 und dessen Freitod im Jahre 1860 die handels-, währungs- und verkehrspolitische Landkarte Mitteleuropas in weiten Teilen zu einem einheitlichen Wirtschafts- und Verkehrsraum entwickeln konnte. III. Greifbare Ergebnisse auf wirtschafts- und verkehrspolitischer Ebene Welche dem Organisationssystem des Zollvereins oftmals nicht unähnliche „Produkte“ waren es aber nun, die den Verfasser dazu veranlassen, nicht nur vom Entstehen eines gemeinsamen mitteleuropäischen Wirtschaftskör18

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Zum Streit um das bessere handels- und zollpolitische Prinzip (Freihandel oder Schutzzoll) und dessen politische Instrumentalisierung vgl. Heinrich Best, Interessenpolitik und nationale Integration 1848/49. Handelspolitische Konflikte im frühindustriellen Deutschland (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 37), Göttingen 1980. Die Bruckschen Denkschriften an die deutschen Regierungen sind vollständig abgedruckt bei: Charmatz, Bruck (wie Anm. 12). Zu List vgl. William Otto Henderson, Friedrich List. Der erste Visionär eines vereinten Europas. Eine historische Biographie, Reutlingen 1989.

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pers, sondern gar von einer möglichen Alternative zum kleindeutschen Zollverein zu sprechen? Um das von Bruck angewandte Prinzip verstehen zu können, bedarf es zunächst einmal einer anderen als der im Nachhinein oftmals angewandten nationalstaatlich-formalistischen Betrachtungsweise. Begründbar erscheint dies nicht nur mit einer postmodernen Sicht der Dinge, sondern auch mit der bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum vorherrschenden Idee eines „föderativen Nationalismus.“21 So legte die traditionell vorherrschende konföderale Struktur im Staats- und Wirtschaftswesen Zentraleuropas nicht nur aus Sicht Brucks den Versuch nahe, ein auf Abkommen und Konventionen basierendes System aufzubauen; ein System, das den Bedürfnissen der Zeit trotz fehlender national- oder zentralstaatlicher Perspektive nachkommen konnte. Einer der ersten Erfolge dieser Art war die Einführung der „Allgemeinen Deutschen Wechselordnung“, welche bereits auf einem 1847 in Leipzig abgehaltenen Delegiertenkongress der deutschen Staaten ausgehandelt worden war. Durch die Übernahme ins Landesrecht fast aller Bundesstaaten und auch Gesamtösterreichs konnte bereits zu Anfang der 1850er-Jahre auf einem der wichtigsten Felder im länderübergreifenden Handel Rechtssicherheit geschaffen werden.22 Zu den von Bruck initiierten und durchgesetzten Projekten gehörte dann insbesondere das mit dem Abschluss eines preußisch-österreichischen Staatsvertrags 185323 („Februarvertrag“) geschaffene gemeinsame mitteleu21

22 23

Vgl. hierzu Dieter Langewiesche, Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation. Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: ders./Georg Schmidt (Hrsg.), Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000, S. 215–242. Vgl. Levin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts. Erster Band, enthaltend: die geschichtlich-literarische Einleitung u. die Grundlehren, 2. Aufl., Stuttgart 1875, S. 64 ff. Dem Vertrag waren verschiedene Verhandlungen und Entwürfe vorausgegangen, wobei denjenigen der „Dresdener Ministerialkonferenz“ von 1850/51 eine herausragende Rolle zukommt; dies nicht zuletzt, da der Dresdener „Entwurf einer Übereinkunft zwischen den deutschen Bundesstaaten zur Beförderung des Handels und Verkehrs“ vom 25. April 1851 nicht nur weitgehende Übereinstimmung mit dem Vertrag von 1853 aufwies, sondern auch bei den meisten beteiligten Staatsregierungen Zustimmung gefunden hatte. Der Entwurf ist abgedruckt in: Jürgen Müller (Bearb.), Die Dresdener Konferenz und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51 (Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes; Abt. III/1), München 1996, Nr. 83b, S. 468 ff.; vgl. hierzu auch Hans-Werner Hahn, Die Dresdener Konferenz – Chance eines handelspolitischen Neubeginns in Deutschland?, in: Jonas Flöter/Günther Wartenberg (Hrsg.), Die Dresdener Konferenz 1850/51. Föderalisierung des Deutschen Bundes versus Machtinteressen der Einzelstaaten (Schriften zur sächsischen Landesgeschichte; Bd. 4), Leipzig 2002, S. 219–

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ropäische Handels- und Zollvertragsgebiet. Diese auf dem Prinzip des gemäßigten Schutzzolls basierende Vorstufe zum gemeinsamen Binnenmarkt umfasste nicht nur die Staaten des Deutschen Zollvereins einschließlich Luxemburgs und der Staaten des bisherigen norddeutschen Steuervereins.24 Auch die gesamte – der inneren Zollgrenzen entledigte – Habsburgermonarchie und Liechtenstein sowie die oberitalienischen Herzogtümer Parma und Modena waren Teil dieser Wirtschaftszone.25 In der späteren Literatur wurde der Vertrag vom Februar 1853 oftmals als bloßer Handelsvertrag bezeichnet, der den Ausschluss Österreichs aus dem Deutschen Zollverein besiegelt hätte.26 Tatsächlich aber ging das Abkommen mit seinen zahlreichen handels- und verkehrspolitischen Vereinbarungen weit über ein übliches Handelsvertragsverhältnis hinaus. Dies räumten selbst Mitglieder des preußischen Landtags ein, wo die Idee eines von Österreich geführten Mitteleuropa in der Regel auf wenig Gegenliebe stieß. So war man sich im dortigen Abgeordnetenhaus durchaus im Klaren darüber, dass durch die „Herstellung ausschließlicher Handelsbeziehungen“ mit dem Februarvertrag die „materiellen Interessen des Zollvereins mit denen Oesterreichs so eng [...] verknüpft wurden, daß eine Lösung des Zollvereins aus diesen [...] Banden schwer und eine spätere Zolleinigung, wenn solche den Interessen Oesterreichs genehm wäre, vorbereitet wurde.“27 Unter anderem wurde im Februarvertrag die freie Ein-, Aus- und Durchfuhr von Waren vereinbart sowie der Zollsatz für viele Produkte auf ein

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27

238; sowie Peter Burg, „Schätzbare Materialien“. Ergebnisse und Folgen der Dresdener Konferenz – eine Bilanz, in: ebd., S. 305–321, hier S. 311. Zum Hannover-Oldenburgischen Steuerverein vgl. Hilde Arning, Hannovers Stellung zum Zollverein, Diss., Göttingen/Hannover 1930. Die Herzogtümer Modena und Parma hatten am 9. August 1852 eine Zollunion mit Österreich vereinbart. Liechtenstein war per Staatsvertrag vom 5. Juni 1852 dem österreichischen Zollgebiet beigetreten. Vgl. Ugo Cova, Österreich(-Ungarn) und Italien, in: Wandruszka/Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie (wie Anm. 8), S. 630–686, hier S. 648 ff.; vgl. auch Carl von Czoernig, Österreichs Neugestaltung 1848–1858, Stuttgart/Augsburg 1858, S. 148 ff. sowie Brandt, Neoabsolutismus (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 493 ff. Beispiele hierfür sind zu finden bei: Koch, Österreich und der Deutsche Zollverein (wie Anm. 8), S. 546 oder bei David F. Good, Der wirtschaftliche Aufstieg des Habsburgerreiches 1850–1914, Wien/Köln/Graz 1986, S. 77. Den „Commissionsbericht, betreffend den Zoll- und Handelsvertrag mit Oesterreich (Drucksache Nr. 192 von 1853) des preußischen Abgeordnetenhauses“ zitierend: Hermann von Festenberg-Packisch, Geschichte des Zollvereins mit besonderer Berücksichtigung der staatlichen Entwickelung Deutschlands, Leipzig 1869, S. 332.

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Minimum gesenkt.28 Ein großer Teil der Handelsgegenstände innerhalb des gemeinsamen Marktes wurde ganz vom Zoll befreit. Hinzu kamen die gegenseitige Meistbegünstigung im internationalen Verkehr und zahlreiche andere Begünstigungen für die Staatsangehörigen des jeweils anderen Vertragspartners. Hierzu zählte die Gleichstellung der beiderseitigen Fuhr- und Schifffahrtsunternehmer ebenso wie die steuerfreie Zulassung von Handelsreisenden. Als ein Zeichen der Wirtschaftseinheit vereinbarten die Vertragsstaaten für all ihre Angehörigen den gegenseitigen konsularischen Schutz im Ausland. Dies sollte auch deren internationalen Handel fördern.29 Die norddeutschen Hansestädte und Triest fungierten dann spätestens seit Abschaffung der verbliebenen Durchfuhrzölle (1861/62) als „Quasi-Freihäfen“ des Wirtschaftsgebiets. Wenngleich das Abkommen von 1853 zunächst nur zum Teil ein gemeinsames Zoll- und Handelsgebiet schuf – die Aufnahme Österreichs als Vollmitglied in den Deutschen Zollverein unterblieb – war es für die weitere Entwicklung hin zu einheitlichen Handels- und Verkehrsstrukturen doch von großer Bedeutung. Mit dem Übereinkommen war es nicht nur gelungen, das drohende Auseinanderbrechen des Deutschen Zollvereins zu verhindern, sondern diesen sogar noch um die deutschen Nordseestaaten zu vergrößern.30 Bei der Frage, inwieweit es sich bei dem Gebilde der Zoll- und Handelseinigung von 1853 tatsächlich um einen integrierenden Wirtschafts-

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Zu den Vertragsinhalten vgl. Preußisch-Österreichischer Zoll- und Handelsvertrag vom 19. Februar 1853, in: Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das Kaiserthum Oesterreich (ÖRGBl) 1853, 20.10., Nr. 207, S. 1086 ff. sowie summarisch Czoernig, Österreichs Neugestaltung (wie Anm. 25), S. 151 ff. Zum Umfang des konsularischen Schutzes nichtösterreichischer „Schutzgenossen“ durch habsburgische Konsulate im Ausland vgl. Joseph Piskur, Oesterreichs Consularwesen, Wien 1862, S. 65 ff. Vor der preußisch-österreichischen Einigung bestanden ernsthafte Absichten, beim Scheitern der Zollvereinsverhandlungen einen schutzzöllnerisch ausgerichteten süddeutsch-österreichischen Zollverein zu gründen. Auch Hannover war unter den gegebenen Umständen wieder von seiner im September 1851 gemachten vertraglichen Zusage, dem Zollverein beizutreten, abgerückt, vgl. Böhme, Deutschlands Weg (wie Anm. 11), S. 29 ff., sowie Thomas Kletecka/Anatol Schmied-Kowarzik, Einleitung zu: dies. (Bearb.), Die Protokolle des Österreichischen Ministerrates 1848–1867. Herausgegeben vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut. II. Abteilung: Das Ministerium Schwarzenberg, Bd. 3: 1.5.1850–30.9.1850, Wien 2006, S. IX–XXIX, hier S. XXIV ff. Die Pläne Brucks, notfalls einen österreichisch-süddeutschen Zollverein mit Bayern, Sachsen und Württemberg zu bilden, gehen aus dem Protokoll der Österreichischen Ministerratssitzung vom 28. Juni 1850 hervor. Vgl. MR v. 28.6.1850/II., in: Die Protokolle des Österreichischen Ministerrates, Abt. II, Bd. 3 (wie oben), S. 109 f.

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raum handelte, lässt sich freilich anführen, dass mit der vereinbarten „Zwischenzolllinie“ für Industrieprodukte und der unterbliebenen Aufnahme Österreichs als stimmberechtigtes Mitglied in den Deutschen Zollverein kein wirklicher gemeinsamer Wirtschaftskörper, wie ihn der Zollverein selbst darstellte, entstanden sei. Dem könnte allerdings erstens entgegnet werden, dass auch der Zollverein mit seinen diversen Übergangszöllen, Vorzugszahlungen und unterschiedlichen Mitgliedsrechten keineswegs ein homogener Wirtschaftsraum war.31 Vergleicht man die eigentlichen Zollvereinsverträge mit dem Februarvertrag näher, so fällt auf, dass die allermeisten Paragrafen praktisch übereinstimmen – die Zollerhebungsgemeinschaft freilich, und hier bestand letztlich auch der „politische“ Knackpunkt, ausgenommen.32 Zweitens stand Österreich durch seinen Einfluss auf die süddeutschen Zollvereinsmitglieder und die gewährte Meistbegünstigungsklausel auch faktisch nicht mehr außerhalb des Deutschen Zollvereins. Dies wurde nicht nur in Teilen der deutschen Politik und Öffentlichkeit so gesehen. Die Wiener Regierung selbst beurteilte die Lage in diesem Sinne.33 Besondere Bedeutung erhielt der Februarvertrag durch die darin enthaltenen Zielsetzungen zur Vereinheitlichung von Münz-, Maß- und Gewichtssystem, die ebenso richtungsweisend waren, wie die zur technischen Anpassung der 31

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Vgl. hierzu ausführlich Wadle, Zollverein (wie Anm. 5), S. 110 ff. sowie Hans-Werner Hahn, Wirtschaftspolitische Offensive mit deutschlandpolitischem Langzeiteffekt? Der Zollverein von 1834 in preußischer Perspektive, in: Michael Gehler (Hrsg.), Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung, Stuttgart 1996, S. 95–111, hier S. 104. Dass der Februarvertrag zu einem integralen Bestandteil des Vertragskonstrukts „Deutscher Zollverein“ geworden war, zeigt auch der Inhalt von Artikel 41 des ZollvereinsVerlängerungsvertrags vom 4. April 1853. Demgemäß traten in „Folge der Erneuerung der Zollvereins-Verträge […] die daran betheiligten Deutschen Staaten […] dem zwischen Preussen und Oesterreich abgeschlossenen Handels- und Zollvertrage vom 19. Februar 1853 […] förmlich bei“ und zwar „dergestalt, dass dessen sämmtliche Bestimmungen“ auch auf die vertragsschließenden Zollvereinsstaaten „Anwendung finden“ würden. Vgl. Artikel 41 des Vertrages über die Erneuerung des Zollvereins vom 4. April 1853, abgedruckt bei: Otto Hübner (Hrsg.), Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik, Zweiter Jahrgang, Leipzig 1854, S. 316. So vertrat der Österreichische Ministerrat die Meinung, dass nur vor 1854 „noch eine von dem übrigen Deutschland abgetrennte Zoll- und Handelspolitik“ bestanden hätte und eine eventuelle Auflösung des Februarvertragsverhältnisses zumindest „die partielle Lostrennung Österreichs vom Zollverein“ zur Folge haben würde, MR v. 23.4.1862 (Protokoll I)/I, in: Die Protokolle des Österreichischen Ministerrates 1848–1867. Herausgegeben vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut. V. Abteilung: Die Ministerien Erzherzog Rainer und Mensdorff, Bd. 3: 5.11.1861–6.5.1862, bearb. von Stefan Malfèr, Wien 1985, S. 408.

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Verkehrsmittel oder die zur Erleichterung der gegenseitigen Beziehungen in Handel und Gewerbe. Wie der Abschluss des Wiener Münzvertrags zwischen den deutschen Zollvereinsstaaten, Österreich und Liechtenstein (1857) belegt, blieben die im Februarvertrag ausgesprochenen Ziele zur Vereinheitlichung der mitteleuropäischen Handelsverhältnisse nicht ohne Folgen. Trotz einiger unbestreitbarer Schwächen war durch den Wiener Münzvertrag von 1857 und die Einführung einer gemeinsamen Münze, dem Vereinstaler, zumindest ein einheitliches Handelswährungsgebiet in Mitteleuropa entstanden.34 Mit Mecklenburg und indirekt auch mit Lauenburg und Hamburg schlossen sich dem neuen Münzsystem sogar einige Staaten an, die dem DeutschÖsterreichischen Zoll- und Handelsvertragsgebiet gar nicht angehörten. Mit dem aus dem Februarvertrag von 1853 übernommenen Münz- und Papiergeldkartell wurden Maßstäbe gesetzt, welche es Wert schienen, selbst nach 1866/67 fortgeschrieben zu werden. Überdies etablierte sich mit dem allgemein anerkannten Zollzentner und Zollpfund eine gemeinschaftliche Gewichtseinheit, welche im gesamten Handelsgebiet beim Fern- und Großhandel ebenso Anwendung fand, wie im Zoll-, Münz-, Post-, Binnenschifffahrts- und Eisenbahnwesen.35 Die von Bayern 1856 auf Bundesebene angestoßene Ausarbeitung eines „Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs“ gelangte dann mit maßgeblicher Unterstützung Wiens bis 1861 zum Abschluss.36 Mit dem bis Mitte der 1860er-Jahre von fast allen deutschen Staaten einschließlich der Habsburgermonarchie37 eingeführten Handelskodex 34

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Vgl. Herbert Rittmann, Deutsche Geldgeschichte 1484–1914, München/Stuttgart 1975, S. 719 ff. sowie neuerdings auch Wilhelm Zich, Der Wiener Münzvertrag vom 24. Januar 1857 und Carl Ludwig von Bruck, Diss., Wien 2009, S. 96 ff. Die Einführung des metrischen Maß- und Gewichtssystems stand dann aufgrund abgeschlossener Bundeskommissionsverhandlungen Anfang 1866 real in Aussicht, vgl. u.a. Victor Wang, Die Vereinheitlichung von Maß und Gewicht in Deutschland im 19. Jahrhundert. Analyse des metrologischen Wandels im Großherzogtum Baden und anderen deutschen Staaten 1806 bis 1871, St. Katharinen 2000, S. 69 ff. Zum Zustandekommen des „ADHGB“ gegen den anfänglichen Widerstand Preußens vgl. Helmut Rumpler, Das „Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch“ als Element der Bundesreform im Vorfeld der Krise von 1866, in: ders. (Hrsg.), Deutscher Bund (wie Anm. 10), S. 215–234; vgl. grundsätzlich auch den Beitrag von Jürgen Müller in diesem Band sowie: ders., Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866, Göttingen 2005, S. 418 ff. Lediglich in Ungarn wurde erst 1875 ein dem „ADHGB“ nachempfundenes Handelsgesetz eingeführt, vgl. Werner Ogris, Die Rechtsentwicklung in Cisleithanien 1848–1918, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. II: Verwaltung und Rechtswesen, Wien 1975, S. 605, Anm. 6.

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entstand lange vor dem BGB oder HGB auf dem Handelssektor Transparenz und Rechtssicherheit. Österreich ging schließlich 1860 mit der Schaffung der Gewerbefreiheit und der faktischen Beseitigung alter Zunftrechte den übrigen deutschen Bundesstaaten auf diesem Gebiet voran. Mit wenigen Ausnahmen passten bis zur Mitte des Jahrzehnts auch letztere ihre Gewerbeordnungen dem liberalen österreichischen Gesetz an.38 Umgekehrt fand die Habsburgermonarchie mit der Neuordnung ihres Pass- und Fremdenverkehrswesens (1857) und dem Beitritt zum bereits Ende 1850 gegründeten Deutschen Passkartenverein (1859) den Anschluss an die dort herrschenden bürgerlichen Reiseerleichterungen.39 Auch auf den Sektoren zwischenstaatliche Kommunikation und Transportwesen erzielten die Verfechter der Mitteleuropaidee bahnbrechende Erfolge. Durch die dem Februarvertrag vorausgegangene Gründung eines Deutsch-Österreichischen Telegraphenvereins40 (1850) und die Fortentwicklung des bereits 1847 ins Leben gerufenen Vereins deutscher EisenbahnVerwaltungen41 wurde dem technischen Fortschritt Rechnung getragen. Der Telegraphenverein, dem sich neben den Niederlanden indirekt auch Teile Norditaliens anschlossen, sorgte für gleiche technische und administrative Voraussetzungen. Hierdurch wurde ein zwischenstaatlicher Nachrichtenaustausch auf diesem Gebiet überhaupt erst möglich. Demgegenüber förderte der Eisenbahnverein, welcher als privatrechtliche Organisation zeitweise mehr als 70 unabhängige staatliche und private Bahngesellschaften umfasste, mit seinen regelmäßigen Konferenzen und der Ausarbeitung gemeinsamer 38

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Vgl. H. A. Mascher, Das Deutsche Gewerbewesen von der frühesten Zeit bis auf die Gegenwart, Potsdam 1866, S. 585 ff. sowie Andreas Baryli, Konzessionssystem contra Gewerbefreiheit. Zur Diskussion der österreichischen Gewerberechtsreform 1835–1860, Frankfurt a.M. 1984. Zur Reform des österreichischen Passwesens vgl. insbesondere Hannelore Burger, Passwesen und Staatsbürgerschaft, S. 22 ff. sowie Andrea Geselle, Bewegung und ihre Kontrolle in Lombardo-Venetien, S. 470 ff., beide in: Waltraud Heindl/Edith Saurer (Hrsg.), Grenze und Staat. Paßwesen, Staatsbürgerschaft, Heimatrecht und Fremdengesetzgebung in der österreichischen Monarchie 1750–1867, Wien/Köln/Weimar 2000. Vgl. Josef Reindl, Der Deutsch-Österreichische Telegraphenverein und die Entwicklung des deutschen Telegraphenwesens 1850–1871. Eine Fallstudie zur administrativtechnischen Kooperation deutscher Staaten vor der Gründung des Deutschen Reiches (Münchner Studien zur neueren und neuesten Geschichte; Bd. 2), Frankfurt a.M. u.a. 1993. Zum Verein deutscher Eisenbahn-Verwaltungen vgl. das Standardwerk von W. F. Carl Schmeidler, Geschichte des Deutschen Eisenbahnwesens, Leipzig 1871 sowie Verein Mitteleuropäischer Eisenbahnverwaltungen (Hrsg.), Vereins-Handbuch. Herausgegeben anläßlich des 90jährigen Bestehens des Vereins, Berlin 1936.

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Bau- und Betriebsreglements maßgeblich den Ausbau und das Zusammenwachsen des mitteleuropäischen Eisenbahnnetzes. Einen weiteren Schritt zur Integration Mitteleuropas im Kommunikationsund Verkehrswesen stellte die Gründung der mitteleuropäischen Postvereine dar. Auf Initiative Brucks gründeten im April 1850 Österreich, Preußen und Bayern den Deutsch-Österreichischen Postverein.42 Dieser schuf ab Juli 1850 ein gemeinsames Postgebiet, das durch seine fortschrittlichen Normen die Kommunikation breiter Volksmassen ermöglichte. Insbesondere im volkswirtschaftlichen Sinne wirkte der Postverein belebend und integrativ. Ihm gehörten mit Ausnahme Lauenburgs und Limburgs alle Gebiete des Deutschen Bundes sowie die außerhalb davon gelegenen Provinzen Preußens und Österreichs an. Dem Ausland gegenüber trat die von Österreich dominierte Postunion, deren Statuten durch regelmäßige Vereinskonferenzen fortentwickelt wurden, als Vertragsgemeinschaft auf. Bereits Metternich hatte die Gründung eines Postvereins als „großdeutsches“ Gegengewicht zum (preußischen) Zollverein geplant. In Bezug auf den von Wien propagierten Staatenbund stellte diese Postgemeinschaft durch ihren Gebietsumfang eines der vollständigsten Gebilde dar, das die Mitteleuropapolitik Brucks geschaffen hat; zudem war sie auch das populärste. Diesem Vorläufer des Weltpostvereins stand seit 1851 der Österreichisch-Italienische Postverein43 zur Seite, der die Normen des deutsch-österreichischen Pendants übernahm und außer Sardinien und dem Königreich beider Sizilien alle Staaten der Apenninenhalbinsel umfasste. Damit war es Bruck zumindest auf dem zur damaligen Zeit überaus wichtigen Post- und Kommunikationssektor gelungen, einen Großteil Italiens in sein Mitteleuropaprojekt zu integrieren. Vertragsrechtlich waren beide Postvereine durch ein einheitliches Tarifsystem verbunden, wobei Österreich gewissermaßen als „Scharnier“ fungierte. Neben der Vernetzung des österreichischen Eisenbahnnetzes mit dem der übrigen deutschen Bundesstaaten44 gelang es auch, im Bereich der mit42

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Vgl. u.a. Claudia Helbok, Zur Geschichte des deutsch-österreichischen Postvereins, in: Reichspostministerium (Hrsg.), Deutsche Postgeschichte 1943/I, Berlin/Leipzig 1943 sowie Karin Amtmann, Post und Politik in Bayern von 1808 bis 1850. Der Weg der königlich-bayerischen Staatspost in den Deutsch-Österreichischen Postverein, München 2006. Vgl. Helbok, Postvereins (wie Anm. 42), S. 72 f. In mehreren bilateralen Verträgen vereinbarte die Habsburgermonarchie die Verbindung ihrer Eisenbahnlinien mit denjenigen Bayerns, Sachsens und Preußens, was bis 1862 mit acht Anschlüssen (Szakowa, Oderberg, Reichenberg, Bodenbach, Furth im Wald, Passau, Salzburg, Kufstein) auch in die Realität umgesetzt worden war. Zur staatlichen Ei-

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teleuropäischen Binnenschifffahrt den Ausbau moderner Verkehrswege voranzutreiben. Außer der Schaffung von mehrstaatlichen FlussschifffahrtsRegimen auf Donau (1851/57) und Po (1849) brachte die Fortentwicklung der vom Wiener Kongress initiierten „Schifffahrtsakten“ im Elbe- und Rhein-Main-Gebiet bis Mitte der 1860er-Jahre dort die faktische (Handels-) Verkehrsfreiheit.45 Jenseits des Denkens in nationalstaatlich-formalistischen Strukturen ergibt sich unter Berücksichtigung der vorgenannten wirtschafts- und verkehrspolitischen Abkommen und Gemeinschaften ein verblüffendes und bis heute wenig beachtetes Gesamtgebilde. Durch andere Formen der Assoziation hatte sich ein „System abgestufter (wirtschafts- und verkehrspolitischer) Integrationsdichte“46 entwickeln können. Trotz dessen Unvollkommenheit und einiger Defizite muss die Entstehung dieses Systems umso mehr als Erfolg der Wiener Mitteleuropapolitik gewertet werden, als dass es gegen vielschichtige macht- und nationalpolitische Widerstände47 zustande kam

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senbahnpolitik Österreichs zwischen 1849 und 1855 und zur Entwicklung hin zum (staatlich konzessionierten) privaten Eisenbahnwesen nach 1855 vgl. ausführlich Brandt, Neoabsolutismus (wie Anm. 11), Bd. 1, S. 315 ff. und 351 ff. Vgl. Czoernig, Österreichs Neugestaltung (wie Anm. 25), S. 242; Kurt Fischer, Eine Studie über die Elbschiffahrt in den letzten 100 Jahren unter spezieller Berücksichtigung der Frage der Erhebung von Schiffahrtsabgaben, Jena 1907; Giovanni Angaroni, La commissione fluviale internazionale del Po, in: Studi economico-giuridici XLII (herausgegeben von der Facoltà di Giurisprudenza des Istituto di Scienze giuridiche, economiche e politiche della Università di Cagliari), Padova 1962; Christian Henrich-Franke, Europäische Verkehrsintegration im 19. und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: ders./Cornelius Neutsch/Guido Thiemeyer (Hrsg.), Internationalismus und Europäische Integration im Vergleich. Fallstudien zu Währungen, Landwirtschaft, Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Baden-Baden 2007, S. 133 ff. Harm-Hinrich Brandt, Deutsche Geschichte 1850–1870. Entscheidung über die Nation, Stuttgart 1999, S. 18. Neben dem preußisch-österreichischen Dualismus waren hierfür auch (klein-) staatliche Egoismen und nationalistische Tendenzen verantwortlich, die – wie in Deutschland, Ungarn oder Italien – einen starken Nationalstaat dem föderativen und vermeintlich schwachen Vielvölkergebilde vorzogen. Außerdem dürfen die Widerstände jener Zeit gegen ein in sich geschlossenes, ganz Mitteleuropa umfassendes Wirtschaftsgebiet nicht unterschätzt werden. Diesen Widerstand organisierten vor allem die jeweiligen (wirtschafts-) politischen Gegner, die zumeist aus den unversöhnlichen Lagern der Schutzzöllner (Österreich und Süddeutschland) oder Freihändler (Preußen und Norddeutschland) hervortraten. Auch die internationalen Widerstände – insbesondere Englands und Frankreichs – gegen ein wirtschaftlich dominierendes Siebzig-Millionen-Reich in der Mitte Europas waren nicht gering. Vor allem die Instrumentalisierung der von unterschiedlichen Strömungen unterstützten Freihandelsidee zeigt, dass dabei nicht nur (volks-) wirtschaftliche, sondern auch politische Interessen maßgebend waren. Zu dieser Thematik vgl. auch Best, Interessenpolitik (wie Anm. 18).

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und mannigfaltige ökonomische und kulturelle Unterschiede überbrücken musste. Sowohl durch die seit 1849/50 verwirklichten Projekte als auch durch die im Rahmen der Vereinbarungen von 1853 und später entstandenen Verbünde und Rechtsstrukturen muss also von einer viel engeren Beziehung zwischen den einzelnen Wirtschaftsräumen gesprochen werden, als dies nach 1871 oftmals behauptet wurde. Wenngleich industrielle Interessen auch hier eine wichtige Rolle spielten, waren es dann aber weniger zwingende finanz- oder wirtschaftspolitische Gründe, die zum Ende des groß angelegten Mitteleuropaprojekts führten. Vielmehr handelte es sich um bewusst herbeigeführte machtpolitische und militärische Auseinandersetzungen, die teils ebenso vom Nationalismus wie vom politischen Kalkül einzelner Staatsmänner getragen wurden.48 Soweit es den nationalen Interessen nicht widersprach, bestanden die Grundprinzipien der wirtschaftspolitischen Mitteleuropaidee aber auch nach 1866 weiter; einige, wie sie beispielsweise beim Post-, Telegrafen- oder Eisenbahnwesen vorherrschten, fanden sogar über Mitteleuropa hinaus Anwendung. Ob es sich dabei um eine realistische Alternative zum immer mehr als nationalen „Hoffnungsträger“ stilisierten kleindeutschen Zollverein handelte, oder doch nur um den verzweifelten Versuch Wiens, die eigene politische Machtposition zu konservieren, kann kontrovers diskutiert werden. Faktisch belegbar erscheint aufgrund neuerer Forschungen jedoch, dass die entstandenen Strukturen durchaus lebensfähig und in vielerlei Hinsicht sogar äußerst fortschrittlich waren. Dieses reelle Bild muss freilich in der zeitgenössischen Publizistik noch lange nicht so gesehen worden sein, weshalb sich hier auch ein kurzer Blick auf die sogenannte „Öffentliche Meinung“ empfiehlt.

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Im von Turin provozierten Krieg zwischen Österreich und Frankreich/Sardinien um die Lombardei gingen im Zuge der Gründung des Königreichs Italien zunächst die italienischen Gebiete für Brucks Mitteleuropa verloren (1859/60). Ein den deutschen Zollvereinsstaaten von Preußen aufgezwungener Freihandelsvertrag mit Frankreich drängte dann Österreich zollpolitisch aus der Gemeinschaft mit dem Zollverein (1865). Bei Königgrätz und Sedan entschieden schließlich die Waffengänge Bismarcks endgültig zugunsten eines von Preußen dominierten Nationalstaates.

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IV. Wahrnehmung in der Öffentlichkeit Tatsächlich erscheint die Frage begründet, ob trotz aller realen Erfolge der Wiener Mitteleuropapolitik das System von unterschiedlichen Verbünden und Vertragsnetzen auch in der zeitgenössischen Öffentlichkeit als „Mitteleuropa-Ganzes“ gesehen werden konnte; dies umso mehr, als dass die einzelnen Projekte auf den ersten Blick ohne direkt erkennbaren inneren Zusammenhang erscheinen mochten. Bei der Beantwortung dieser Frage spielt es weniger eine Rolle, wie die Mitteleuropagegner die Erfolge beurteilten, ob sie deren Bedeutung herunterspielten oder einfach als praktische Selbstverständlichkeit ignorierten. Vielmehr kommt es darauf an, inwieweit es denjenigen Bevölkerungskreisen, welche neutral oder der Bruckschen Idee gegenüber aufgeschlossenen waren, möglich war, die einzelnen konföderalen und supranationalen Konstruktionen als Teile und Entwicklungsschritte des entstehenden „Mitteleuropa“ wahrzunehmen. Nur so lässt sich wohl einer Antwort auf die Frage näherkommen, in welchem Maß das Projekt als echte Alternative zum „kleindeutschen“ Wirtschaftsraum betrachtet wurde; einem Wirtschaftsraum, der sich bisher im Zollverein artikulierte und teils im nationalen Sinne instrumentalisiert wurde. Es erübrigt sich, ausführlich auf die Problematik bei der Wiedergabe der sogenannten öffentlichen oder vielmehr veröffentlichten Meinung durch die Presse in den Jahren nach 1848/49 einzugehen. Dies ist bereits in genügendem Umfang geschehen.49 Hier soll auch nicht der Irrtum begangen werden, die tatsächlichen Ansichten des Volkes durch die oftmals der Zensur oder der direkten politischen Einflussnahme ausgesetzten Blätter als repräsentativ zu deuten. Dennoch darf das Medium Zeitung als eigentliches, die öffentliche Meinung beeinflussendes oder widerspiegelndes Massenmedium, wie es sich spätestens seit der 1848er-Revolution etabliert hatte,50 bei der Betrachtung des Bruckschen Mitteleuropaprojekts nicht außer Acht gelassen werden. 49

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Zur Pressepolitik und Zensur im Deutschen Bund allgemein vgl. Richard Kohnen, Pressepolitik des Deutschen Bundes. Methoden staatlicher Pressepolitik nach der Revolution von 1848, Tübingen 1995, S. 15 ff. Die Problematik, welche mit der Betrachtung der öffentlichen Meinung durch die Presse verbunden ist, am Beispiel Sachsens aufzeigend vgl. Herbert Jordan, Die öffentliche Meinung in Sachsen 1864–66, Kamenz 1918, S. 4 ff. Vgl. hierzu und zur Zeitung als Forschungsproblem Heinz-Dietrich Fischer, Die Zeitung als Forschungsproblem, in: ders. (Hrsg.), Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, München/Bochum 1972, S. 11 ff.; vgl. auch die übrigen Beiträge in diesem Band.

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Dies scheint umso mehr angezeigt, als dass sich das allgemeine Interesse an politischen, aber auch an volkswirtschaftlichen Nachrichten und Informationen, wie es sich vor allem durch die gewaltige Zunahme des internationalen Zeitungsversands belegen lässt,51 trotz Zensur und Verboten nicht mehr aufhalten ließ. Nicht zuletzt die Art und Weise, wie streng die reaktionären Regierungen mit der Presse in den Jahren nach der Revolution umgingen, macht die Bedeutung dieses Mediums und den Wert, welchen man nun der öffentlichen Meinung beimaß, deutlich. Dabei waren es vor allem überregionale Zeitungen und periodische Zeitschriften, welche das Bild der Mitteleuropaidee zu prägen geeignet waren. Auch vom österreichischen Handelsminister Bruck war von Anfang an erkannt worden, welch wichtige Rolle die öffentliche Meinung für den Erfolg oder Misserfolg des anvisierten Mitteleuropaprojekts spielte. Den „Wert der öffentlichen Meinung“ für die (wirtschafts-) politischen Ziele der österreichischen Regierung hatte Bruck bereits in einem Vortrag an den Kaiser vom 8. Oktober 1849 hervorgehoben, um gleichzeitig die Notwendigkeit einer aktiven Pressepolitik zu betonen.52 Wie einer der engsten Mitarbeiter Brucks im Handelsministerium, Gustaf Höfken, meinte, galt es, die öffentliche Meinung nicht bloß über den „großdeutschen Handelsbund aufzuklären“, sondern vielmehr für denselben „zu erwärmen, nicht am wenigsten in Österreich selbst.“53 Neben der von Bruck 1849 als ministerielles Organ gegründeten „Austria“ kam für die Wiener „Öffentlichkeitsarbeit“ auch das „Journal des Oesterreichischen Lloyd“,54 welches bereits 1848 von Triest nach Wien übergesiedelt war, in Betracht. Seit Februar 1855 fungierte dann die „Oesterreichische Zeitung“, welche unter der Ägide von Brucks Privat-

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Allein in Preußen, wo bereits 1850 rund 29,9 Millionen Zeitungen durch die Post befördert wurden, erhöhte sich diese Zahl bis 1865 auf rund 81 Millionen. Vgl. Cornelius Neutsch, Der Beitrag der Post zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Integration in Deutschland während der Zeit des Deutschen Bundes, in: Eckart Schremmer (Hrsg.), Wirtschaftliche und soziale Integration in historischer Sicht, Stuttgart 1996, S. 145. Vgl. Elisabet Kreutner, Bruck und die deutsche Zoll- und Handelseinigung im Spiegel der Wiener Presse von 1848–1853, Diss., Wien 1944, S. 9. Gustaf Höfken, Gedenkbücher, 5. Bd., 1. Buch, in: Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (im Folgenden: ÖStA, HHStA), Nachlass Höfken, Karton 2, Tagebücher. Der Verlagsort des „Journal des Oesterreichischen Lloyd“ war im September 1848 von Triest nach Wien verlegt worden. Zur Entstehung des Journals und dessen Entwicklung unter maßgeblicher Beteiligung Karl Ludwig von Brucks vgl. Burgstaller, Bruck (wie Anm. 12), S. 141 f.

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sekretär Isidor Heller beziehungsweise dessen Vertrauensmann Rafael Basch stand, als Sprachrohr der Mitteleuropapolitik.55 Neben diesen Blättern mit eher bescheidener Auflage und beschränktem Verbreitungskreis – eine Ausnahme machte hier lediglich die in Handelskreisen beliebte „Austria“ – sollte vor allem einer in Bayern erscheinenden Zeitung die besondere Rolle eines „Mitteleuropaorgans“ zukommen. In der Tat war es der Wiener Regierung gelungen, die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ (AZ) für eine positive Darstellung ihres Projekts zu gewinnen. Diese Zeitung war der Sache Brucks nicht nur besonders „zugethan“, sie eröffnete vielmehr Höfkens Artikeln, wie dieser selbst meinte, „bereitwillig ihre Spalten.“56 Alleine in den Jahren 1850 bis 1852 weist das „Register der Beiträger“ der Allgemeinen Zeitung fast 140 Artikel auf, welche aus der Hand Höfkens stammten57 und zumeist österreich- beziehungsweise mitteleuropafreundliche Aspekte thematisierten. Aufgrund ihrer überaus großen Verbreitung – zeitweise zählte das überregionale Blatt mehr als 11.000 Abonnenten – muss der AZ ein bedeutender Einfluss auf die mitteleuropäische Öffentlichkeit zugebilligt werden.58 Nicht umsonst hatte bereits Heinrich Heine das Ansehen der Augsburger Allgemeinen gelobt und ihr bescheinigt, dass sie aufgrund „ihres unerhört großen Absatzes [...] ihre weltberühmte Autorität so sehr“ verdiene und man sie daher „wohl die Allgemeine Zeitung von Europa nennen dürfte.“59 Mit ihrem „großdeutsch“ und pro österreichisch gesinnten Verleger Georg von Cotta und dem Chefredakteur Gustav Kolb betrachtete es die Zei55

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Vgl. Lothar Höbelt, Die deutsche Presselandschaft, in: Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. VIII: Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. 2. Teilband: Die Presse als Faktor der politischen Mobilisierung, Wien 2006, S. 1819–1894, hier S. 1822 ff. Zur „ministeriellen“ Presse in Österreich allgemein vgl. Kohnen, Pressepolitik (wie Anm. 49), S. 168 ff. Gustaf Höfken, Gedenkbücher, 5. Band, 1. Buch, in: ÖStA, HHStA, Nachlass Höfken, Karton 2, Tagebücher. Vgl. Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ 1798–1866. Nach dem Redaktionsexemplar im Cotta-Archiv (Stiftung der „Stuttgarter Zeitung“), Register der Beiträger/Mitteiler, Teil 3: 1850–1866. Im Auftrag des Deutschen Literaturarchivs bearb. von Bernhard Fischer, München 2005, S. 209. Die AZ wurde nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern auch in Frankreich – unter anderem von Napoleon III. –, England, Italien, im Mittelmeerraum und selbst in den Vereinigten Staaten gelesen. Vgl. Christian Padrutt, Allgemeine Zeitung (1798– 1929), in: Fischer (Hrsg.), Deutsche Zeitungen (wie Anm. 50), S. 131–144, hier S. 142; vgl. auch Bernhard Fischer, Einleitung zu: ders. (Bearb.), Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ (wie Anm. 57), S. 7 ff., insbes. S. 10. Zitiert nach: Padrutt, Allgemeine Zeitung (wie Anm. 58), S. 140.

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tung als ihre wichtigste Aufgabe, die „geistige Versöhnung“60 zwischen Österreich und Deutschland zu fördern. Unter dieser Direktive setzte sich die AZ nicht nur mit dem politisch-kulturellen Leben und den verschiedenen Nationalitäten des Habsburgerreichs intensiv auseinander, sondern auch mit dessen Entwicklung im Handels-, Gewerbe- und Industriewesen.61 Hauptthemen waren insbesondere staatliche und zwischenstaatliche (Wirtschafts-) Rechtsverhältnisse ebenso wie die Institutionalisierung wirtschafts- und verkehrspolitischer Teilbereiche Mitteleuropas. Neben Bruck und seinen Ministerialbeamten pflegten auch andere Teile der Wiener Regierung den Kontakt zur AZ ausgiebig; dies obwohl das Blatt aufgrund seiner positiven Haltung dem liberalen Konstitutionalismus gegenüber auch in Österreich mitunter argwöhnisch betrachtet wurde.62 Um nun wenigstens einen fragmentarischen Einblick in die Art und Weise, wie die Mitteleuropaidee Brucks publizistisch vorbereitet und in die Öffentlichkeit kolportiert wurde, zu erhalten, sollen im Folgenden einige Schlaglichter aus der AZ näher beleuchtet werden. Bereits die vorbereitenden Maßnahmen zur deutsch-österreichischen Zoll- und Handelseinigung fanden frühzeitig Anklang in der einschlägigen Presse. So brachte die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ bereits Mitte Juni 1850 in großen Lettern die eilige Nachricht, dass am 1. Oktober die „ungarisch-österreichische Zwischen-Zolllinie“ aufgehoben werde, wodurch eines der „Haupthindernisse der angestrebten großen [deutsch-österreichischen] Zolleinigung“63 wegfalle. Nun endlich, so die AZ, sei der „österreichische Gewerbs- und Handelsverkehr [...] ein solidarisches Ganzes geworden.“64 Seien „nur erst die materiellen Interessen“ Ungarns und des übrigen Österreich „innig verwachsen“, würde auch „der Separatismus, der in Ungarn so verheerende Wirkungen“ nach sich gezogen habe, die „Spitze seines Stachels verlieren.“65 Mit dem Aufheben der ungarischen Zollgrenze sei nicht nur der „naturmäßige vorbereitende Schritt zur Reform des österreichischen

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Cotta in einem Brief an Kolb vom 6. Mai 1851, zitiert nach: Fischer, Einleitung (wie Anm. 58), S. 7. Vgl. ebd., S. 8 ff. Vgl. ebd. Neben Höfken schrieb beispielsweise auch der Sektionschef im österreichischen Finanzministerium, Karl von Hock, zahlreiche Beiträge für die AZ. Vgl. Fischer (Bearb.), Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ (wie Anm. 57), S. 208 f. AZ vom 13. Juni 1850, Nr. 164, S. 2615. AZ vom 17. Juni 1850, Nr. 168, S. 2676. Ebd.

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Zollsystems selbst“66 getan worden. Vielmehr verbände sich mit dieser Maßregel, welche die „schönsten Donaulande durch Oesterreich Deutschland“ zuführen würde, die Absicht Wiens, den „erstrebten Zollanschluß [auch] mit den deutschen Staaten“67 herbeizuführen. Diese Maßnahme sei ein deutlicher Beweis dafür, dass sich Österreich „überall mit wohlüberdachten kräftigen Schritten auf die große Zoll- und Handelseinigung“68 vorbereite. Dass die Einigungsbestrebungen nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile für alle Seiten mit sich brächten, bescheinigte die AZ bereits kurz nachdem der neue (gemäßigt schutzzöllnerische) österreichische Zolltarif bekannt gemacht worden war.69 Den definitiven Abschluss des Februarvertrages nahm die Augsburger Allgemeine dann mit der „lebhaftesten Theilnahme und der freudigsten Befriedigung“70 zur Kenntnis, was besonders im Leitartikel der Ausgabe vom 25. Februar 1853 unter dem Titel „Der Berliner Vertrag“ zum Ausdruck kam.71 Endlich, so die AZ, habe der „große Gedanke deutscher Einheit“ auf einem der wichtigsten Gebiete „durch den Zoll- und Handelsvertrag seine praktische Lösung gefunden.“72 Das Übereinkommen biete „durch positive Bestimmungen“ eine Bürgschaft dafür, dass dasjenige, was durch die „deutsche Bundesacte in Aussicht gestellt“ und auf den „Dresdener Conferenzen (1851) von neuem angeregt“73 worden sei, nun endlich verwirklicht werde. Ferner stand für den Verfasser des Artikels fest, dass die zwischen Österreich und Preußen vertraglich getroffenen Verabredungen naturgemäß nicht nur zur „Handelseinigung führen“74 müssten. Das Abkommen umfasse vielmehr die „Gesammtheit der materiellen Interessen Deutschlands“,75 wodurch sich letztlich auch die ideellen und politischen Bindungen immer fester gestalten würden. Mit dem Februarvertrag, so das Augsburger Blatt, erhalte Deutschland in „Beziehung auf See- und Fluß66

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AZ vom 20. Juni 1850, Nr. 171, Beilage, S. 2728 f., hier S. 2728. Dieser Artikel, welcher mit „Die Aufhebung der ungarischen Zollschranken und ihre Bedeutung für Deutschland“ überschrieben ist, entstammt offensichtlich der Feder Höfkens. Vgl. Fischer (Bearb.), Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ (wie Anm. 57), S. 209. AZ vom 20. Juni 1850, Nr. 171, Beilage, S. 2728. Ebd. Vgl. AZ vom 11. Dezember 1851, Nr. 345, S. 5508. AZ vom 25. Februar 1853, Nr. 56, S. 881. Vgl. den Artikel „Der Berliner Vertrag“, in: ebd., S. 881 f. Ebd., S. 881. Ebd. Ebd. Ebd.

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schifffahrt, auf Münz- und Consulatwesen einen homogenen Charakter“, wodurch es sich auf Dauer seiner „politischen Homogenität bewusst“76 werde. In Anspielung auf die vorhergehenden bi- und multilateralen Verhandlungen meinte die AZ, dass der Vertrag nicht nur das Werk Österreichs und Preußens allein, „sondern der deutschen Regierungen überhaupt“77 gewesen sei. Somit entsteht für den Leser nicht nur ein Bild vom gemeinschaftlichen Zoll- und Handelskörper, der von den beiderseitigen Wirtschaftsinteressen aller deutschen und österreichischen Zollunionsstaaten geprägt zu sein scheint. Die Betonung, die das Blatt auf die zusätzlichen Vereinbarungen im Verkehrs- und Währungswesen sowie im Bereich der konsularischen Vertretung nach außen legte, suggerierte (möglicherweise zurecht) sogar das Entstehen einer vollständigeren Einheit zwischen den Vertragsstaaten, als dies im bisherigen Deutschen Zollverein der Fall war. Freilich setzte die AZ hierbei voraus, dass die bei Ablauf des Februarvertrages in Aussicht gestellte völlige zollpolitische Verschmelzung aller beteiligten Staaten auch tatsächlich erfolgen würde. Ein weiteres, in den Augen vieler als epochal erscheinendes, Ereignis trat mit der Gründung des Deutsch-Österreichischen Postvereins ein. Naturgemäß musste dies auch in der Presse entsprechenden Widerhall finden. Dabei registrierten die Medien, dass der neuen Postunion, die bekanntlich schon von Metternich als politisches Gegengewicht zum preußisch dominierten Zollverein geplant worden war,78 größeres Gewicht zukam, als es die reinen wirtschaftlichen Vorteile der Postkunden erahnen ließen. So meinte die AZ, dass dem Postverein mit seinen niedrigeren Portosätzen weit größere Wirkung zugebilligt werden müsse, als dem „besonders in jetziger Zeit“ zu einem wahrhaften Bedürfnis gewordenen „leichteren Austausch der Gedanken und Empfindungen.“79 In Wirklichkeit, so das Augsburger Blatt im Juli 1850, stünden diese „Wünsche und Bedürfnisse Einzelner […] zum großen Ganzen nur in sehr mittelbarer Beziehung“, da „die gegenseitige Annäherung und Einigung überhaupt […] der allgemeine Wunsch, das allgemeine Bedürfniß aller deutschen Volksstämme“80 sei. Durch den DeutschÖsterreichischen Postverein sei zu dieser Einheit soeben ein „wichtiger

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Ebd. Ebd., S. 882. Vgl. Helbok, Postvereins (wie Anm. 42), S. 58 f. AZ vom 7. Juli 1850, Nr. 188, S. 3005. Ebd.

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Schritt gethan“81 worden. Zum Ausdruck käme dies durch die gleichzeitige Anbahnung einer „schon längst dringend gewünschte[n] Einigung“82 über Maße und Gewichte, da nunmehr im ganzen Vereinsgebiet die geographische Meile als Postmeile und das Zollpfund als Postgewicht anerkannt worden seien. Die Postunion – so die AZ – sei eine „unerlässliche Vorbedingung“ für die „baldige Begründung eines großdeutschen Zoll- und Handelsvereins“, der „nun ebenfalls bald ins Leben treten“ müsse.83 Auch der Österreichisch-Italienische Postverein fand in der Bewertung des Augsburger Blattes zu Brucks Mitteleuropapolitik Niederschlag. Dabei stellte ein Artikel im Dezember 1850 die Verbindung beider Vertragsgebiete durch die Vermittlung Österreichs heraus. Außerdem lobte die AZ Wiens liberale Haltung, da Österreich die Vorteile aus dem Vertrag mit den italienischen Staaten auch den deutschen Vereinspartnern zukommen lasse.84 In ähnlicher Form hob die Allgemeine Zeitung die Verdienste Österreichs um die Herstellung eines länderübergreifenden Telegrafennetzes hervor. So titelte die AZ im April 1851, dass das österreichische Telegrafenwesen nicht nur „alle europäischen Staaten überflügelt“85 habe. Vielmehr gebe Wien in diesem Bereich für die „Staaten Mitteleuropa’s den Anstoß und die Richtung“ vor, was darin zum Ausdruck komme, dass Österreich in den Staatsverträgen mit den Nachbarstaaten „stets die Initiative ergriffen“86 habe. Hierdurch sei der „telegraphische Verkehr nicht bloß bis zu den Landesgränzen, sondern über ganz Mitteleuropa ausgedehnt“87 worden. Durch den deutsch-österreichischen Telegrafenvertrag sei es möglich, die „Correspondenz unter gleichem Tarif“88 nach allen Staaten zu leiten. Auch dem Handel entstünden große Vorteile, da die Kursnotierungen von Hamburg, Frankfurt, Berlin, Wien, Triest und Mailand neuerdings schon „eine Stunde nach Schluß der Börse in allen diesen Hauptplätzen veröffentlicht“89 werden könnten. Dieses „großartige, ja welthistorische Resultat“ verdanke man „hauptsächlich dem unermüdeten Eifer der österreichischen Regierung.“90 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. AZ vom 24. Dezember 1850, Nr. 358, S. 5717. AZ vom 27. April 1851, Nr. 117, Beilage, S. 1870. Ebd. Ebd., S. 1869. Ebd. Ebd. Ebd.

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Dass neben dem Postverein dem Telegrafenverein eine wichtige Bedeutung beigemessen wurde, kommt in der regelmäßigen (wohlwollenden) Berichterstattung der AZ über die Arbeit der Telegrafenvereinskonferenzen zum Ausdruck.91 Nicht nur im Zoll- und Verkehrsbereich, sondern auch im Währungs- und Wirtschaftsrechtssektor gab es für das „Mitteleuropaorgan“ weitere willkommene Anlässe, die Einigungserfolge zu zelebrieren. Schon wenige Tage nach Unterzeichnung des Wiener Münzvertrags bemerkte das Augsburger Blatt eindringlich, dass dessen große „Bedeutung nicht zu verkennen“92 sei. Sich auf die Eröffnungsrede des österreichischen Finanzministers Bruck, welcher die Münzkonferenz am 9. Dezember 1856 in Wien persönlich eröffnet hatte, berufend, betonte die Augsburger Allgemeine Zeitung, dass es sich bei der Münzeinigung um ein außerordentliches Ereignis handle, besonders „wenn man bedenke wie schwierig die Lösung der gestellten Aufgabe war.“93 Umso mehr sei die Nachricht vom definitiven Abschluss des Wiener Münzvertrages durch die Bevollmächtigten sämtlicher beteiligter Regierungen, so die AZ, „allwärts in Deutschland mit lebhafter Freude begrüßt“94 worden. Trotz der aufgetretenen Schwierigkeiten, die im Laufe der Verhandlungen beseitigt werden mussten, handle es sich nicht bloß um einen materiellen, sondern vielmehr um einen moralischen „Erfolg von großem Belang“; dies insbesondere deshalb, weil der Kontrakt auf eine „so ehrenvolle und erfreuliche Weise“95 zustande gekommen sei. Hierzu könne man Deutschland nur beglückwünschen und auch das Ausland, so die AZ, müsse nun ernstlich zur Kenntnis nehmen, „daß das deutsche Einigungsstreben auf wirthschaftlichem Gebiete denn doch eine moralische Macht zu entwickeln“96 beginne. Einem Machtfaktor, so der Artikel weiter, welchem sich auch der „widerspänstig[st]e Particularismus [...] im Interesse der Gesammtheit“ beugen müsse und dies auch ohne „erst durch materiellen Zwang und Kampf“97 dazu genötigt worden zu sein. Unverkennbar entsteht hier das Bild eines dem Ausland gegenüber als wirtschaftliche Ein91

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Ein Beispiel hierfür findet sich im Bericht über die im Herbst 1853 in Berlin stattgefundene Konferenz, welche die Revision des Vereinsvertrages und die Ausarbeitung einer allgemeinen Dienstinstruktion zum Inhalt hatte. Vgl. AZ vom 13. September 1853, Nr. 256, S. 4083. AZ vom 28. Januar 1857, Nr. 28, S. 436. AZ vom 8. Februar 1857, Nr. 39, S. 609. AZ vom 9. Februar 1857, Nr. 40, S. 626. Ebd. Ebd. Ebd.

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heit auftretenden mitteleuropäischen Gesamtkörpers; eines Körpers, der durchaus im Stande ist, sich auf freiwilliger Basis zu gründen und fortzuentwickeln. Auch auf etwaige, als solche empfundene Einheitsdefizite des Münzvertrags geht die AZ ein. Obwohl die „Verschmelzung der Landeswährungen“ der beteiligten Staaten „weder bezweckt noch erreicht worden“ sei, finde doch eine „wesentliche Annäherung der [...] Systeme“98 statt. Außerdem werde mit der Ausprägung von „Vereins-Silbermünzen und der gemeinsamen Gold- und Handelsmünzen“, welche vorzüglich „zur Erleichterung des gegenseitigen Verkehrs“ berufen seien, eine dauerhafte „gemeinsame Grundlage der Münzverfassungen“99 geschaffen. Der Wiener Münzvertrag, der ein „wesentlicher Schritt der volkswirthschaftlichen Einigung Deutschlands“100 sei, würde zudem Schritte auf anderen Gebieten zu diesem Ziel erleichtern. Jedenfalls, so die AZ, seien die Unterhändler der Münzkonferenz zu beglückwünschen, das Einigungswerk, welches immerhin eine „Bevölkerung von mehr als 70 Millionen Menschen“101 umfasse, zu Stande gebracht zu haben. Dies gelte vor allem für die österreichische Delegation, die für ihr Land große Opfer in Kauf genommen habe, ohne dabei einen eigenen Vorteil gesucht zu haben, welcher nicht zugleich ein „Vortheil für alle mitvertragenden Staaten zu werden verspreche.“102 An diesem Beispiel lässt sich – ebenso wie bei den weiter oben angeführten – deutlich erkennen, dass das Augsburger Blatt nicht nur versuchte, einzelne Projekte in den Gesamtzusammenhang der Mitteleuropaidee zu stellen, sondern auch die treibende Kraft hinter diesen Einigungsbestrebungen, nämlich Österreich, anerkennend herauszustellen. Selbst nach der ersten Hochphase des Mitteleuropaprojekts in den 50erJahren, welche durch die Wirtschaftskrise nach 1857 und die Niederlage Österreichs im italienischen Krieg von 1859 beendet worden war, stellte die Allgemeine Zeitung die Wiener Einigungsbemühungen weiter in den Mittelpunkt ihrer Nachrichten. Nachdem die Nürnberger Bundeskommission zur Ausarbeitung des „Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs“ den Ab98 99 100

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AZ vom 28. Januar 1857, Nr. 28, S. 436. Ebd. AZ vom 13. Februar 1857, Nr. 44, S. 690. Der Artikel zitiert sinngemäß aus der Abschlussrede des Stellvertreters des in Italien abwesenden österreichischen Finanzministers Bruck auf der Schlusssitzung der Wiener Münzkonferenz vom 24. Januar 1857. Ebd. AZ vom 13. Februar 1857, Nr. 44, S. 690.

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schluss eines definitiven Entwurfs bekannt gegeben hatte, war sich die AZ sicher, „daß diese erfreuliche Thatsache in allen Theilen Deutschlands mit gleicher Befriedigung aufgenommen“ werden würde; dies zumal in einer Zeit, „welche nicht eben reich“ sei an Ereignissen, die dem „nationalen Bewußtseyn wohlthun.“103 Was der „Handelsstand so sehnlich begehrte, [nämlich] eine für ganz Deutschland geltende und von der Einwirkung einer willkürlichen Particulargesetzgebung unabhängige rechtliche Basis“,104 sei nunmehr endlich erreicht worden. Unzweifelhaft, so die AZ, werde dieses Werk dem zwischenstaatlichen Handel „zum größten Segen gereichen“, da es „alle Schranken seiner freien Bewegung durch Begründung eines großen gemeinsamen Rechtsgebiets“105 beseitige. Insbesondere der (österreichische) Kommissionspräsident von Raule und der preußische Bevollmächtigte Heimsöth hätten sich um das Zustandekommen „dieses großen nationalen einheitlichen Werkes“106 verdient gemacht, womit die AZ belegte, dass der Deutsche Bund sehr wohl zu Fortschritten fähig sei, sofern sich beide deutsche Großmächte zu einmütigem Handeln bereit fänden. Wenngleich die Gesamtheit der Einigungserfolge im volkswirtschaftlichen Bereich für Deutschland und Österreich auch später immer wieder hervorgehoben wurde, lässt sich bei der Argumentationslinie der AZ doch spätestens seit Mitte der 1850er-Jahre eine gewisse Verschiebung feststellen. So tritt bei der Bewertung der Projekte nach und nach immer mehr das politische Moment eines (groß-) deutsch-nationalen Paradigmas in den Vordergrund der Diskussion. Offenbar sah es die Redaktion der AZ als ratsam an, die national-liberalen Kräfte innerhalb des Bundes einschließlich Österreichs – einer besonderen Zielleserschaft des Blattes – durch die Betonung des Einheitsgedankens im nationalen Sinne für das Wiener Mitteleuropaprojekt zu gewinnen. Dessen ungeachtet konnte sich jeder aufmerksame Leser sein eigenes Bild von der wirtschafts- und verkehrspolitischen Wirklichkeit in Mitteleuropa machen, was – wie obige Beispiele belegen – auch zu dem einer weit fortgeschrittenen konföderalen und supranationalen Alternative zum (Klein-) Deutschen Zollverein führen konnte.

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AZ vom 13. Februar 1861, Nr. 44, S. 701. Ebd. Ebd. AZ vom 15. Februar 1861, Nr. 46, S. 739.

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V. Fazit Letztlich bleibt festzustellen, dass es der Wiener Mitteleuropapolitik durch unterschiedlichste Initiativen nicht nur gelungen war, bis in die 1860er-Jahre einen viel umfassenderen Wirtschafts- und Verkehrsraum zu schaffen oder anzubahnen, als dies im Nachhinein oftmals behauptet wurde. Mit Hilfe der von Wien beeinflussten „großdeutsch“ gesinnten Presse hatte die – für das Projekt zugängliche – Öffentlichkeit davon auch Kenntnis nehmen können. Wie die Öffnung Österreich-Ungarns nach 1867 zum Freihandel beziehungsweise die Rückkehr der europäischen Staaten zum Schutzzoll in den 1870er-Jahren belegen, waren die handelspolitischen Paradigmen auch kein zwingender Grund für Trennung oder Einheit. Insofern könnte tatsächlich von einer echten Alternative zum kleindeutschen Zollverein als Vorstufe der politischen Gestaltung Deutschlands gesprochen werden. Letzten Endes erwies sich aber die Nationalstaatsidee als die stärkere – jedenfalls bis zur Gründung der EWG.

Jürgen Müller

DER DEUTSCHE BUND UND DIE ÖKONOMISCHE NATIONSBILDUNG Die Ausschüsse und Kommissionen des Deutschen Bundes als Faktoren politischer Integration*

I. Deutscher Zollverein und Deutscher Bund – Modell und Anti-Modell nationaler ökonomischer Integration Wenn von Ökonomie und Nation im Hinblick auf das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts die Rede ist, dann steht in der historischen Forschung seit jeher der Deutsche Zollverein im Mittelpunkt. Zwar ist die ältere These, wonach der Zollverein von Anfang an ein von Preußen bewusst zur kleindeutschen Nationsbildung eingesetztes Instrument gewesen sei, schon lange widerlegt worden. Dennoch gilt der Zollverein zu Recht als die wichtigste ökonomische Institution in Deutschland, dessen innere Organisation und wirtschaftspolitische Maßnahmen einen über das rein Ökonomische hinausreichenden beträchtlichen Einfluss auf die politische Entwicklung in Deutschland entfalteten.1 Während der Deutsche Zollverein somit als mobilisierendes Element im deutschen Nationsbildungsprozess allgemein anerkannt ist, hat die historische Forschung dem Deutschen Bund in dieser Hinsicht fast einmütig ein eklatantes Versagen bescheinigt.2 Der Erfolgsgeschichte des Zollvereins * 1

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Der Beitrag stellt lediglich einen knappen Problemaufriss dar. Eine systematische Untersuchung der Wirtschaftspolitik des Deutschen Bundes ist immer noch ein Desiderat. Vgl. Hans-Werner Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984. Vgl. zusammenfassend jetzt: ders./Helmut Berding, Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte; Bd. 14), 10., völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 2010, S. 458 f.; zum Zollverein ferner: William O. Henderson, The Zollverein, 3. Aufl., London 1968; Frauke Schönert-Röhlk, Aufgaben des Zollvereins, in: Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Stuttgart 1983, S. 286–300. Zur Entwicklung der Forschung über den Deutschen Bund siehe Jürgen Müller, Der Deutsche Bund 1815–1866 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 78), München 2006, S. 51–88. Eine umfassende, alle politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Aspekte berücksichtigende, moderne Gesamtdarstellung der Bundesgeschichte fehlt bisher. In den letzten Jahren sind immerhin einige knappe Überblicksdarstellungen erschienen: Jürgen Angelow, Der Deutsche Bund (Geschichte kompakt),

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JÜRGEN MÜLLER

gerade auf wirtschaftlichem (und auf rechtlichem3) Gebiet hat, so scheint es, der Bund überhaupt nichts entgegenzusetzen. Es erschien der bisherigen Forschung weitgehend überflüssig, der Frage nach den ökonomischen Aktivitäten des Deutschen Bundes überhaupt intensiver nachzugehen. Von der Frankfurter Bundesversammlung, so der allgemeine Konsens, gingen keine wirtschaftspolitischen Maßnahmen aus, die, ähnlich wie die Zollvereinspolitik, zu einer stärkeren Integration der politisch wie ökonomisch sehr disparaten deutschen Staatenlandschaft führten. Im Gegensatz zum Zollverein leistete der Deutsche Bund für die „sozioökonomische Ordnung der Nation“,4 die seit den frühen 1820er Jahren auf der politischen Tagesordnung stand, angeblich keinen signifikanten Beitrag. Nun ist nicht zu bestreiten, dass der Deutsche Bund in dieser Hinsicht während des Vormärz in der Tat kaum substantielle Fortschritte erreichte, und diese Resultatlosigkeit trug gewiss erheblich zum Ansehen des Zollvereins bei, der nicht nur das wirtschaftspolitische Vakuum so überaus erfolgreich ausfüllen, sondern darüber hinaus auch zum Vehikel nationaler Einheitshoffnungen und -bestrebungen werden konnte. So hat die Konzentration auf den Deutschen Zollverein als „Modell ökonomischer Integration“5 dazu beigetragen, den Deutschen Bund als wirtschaftspolitisch handlungsunfähiges Anti-Modell zu profilieren. Und dieses Verdikt ist mindestens ebenso vernichtend wie die im Rückblick offenkundige Erfolglosigkeit des Deutschen Bundes im Hinblick auf die politische Einigung der deutschen Nation. Der Bund, so scheint es, verhinderte nicht nur den politischen Zusammenschluss der Deutschen in einem modernen Nationalstaat; er erwies

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5

Darmstadt 2003; Wolf D. Gruner, Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2011 (im Druck). – Die schon 1989 von Fritz Fellner angemahnte „historiographische Neubewertung“ des Deutschen Bundes hat sich trotz einer gewissen Belebung des Forschungsinteresses bislang noch nicht allgemein durchsetzen können; Fritz Fellner, Perspektiven für eine historiographische Neubewertung des Deutschen Bundes, in: Helmut Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit; Bd. 16/17), Wien 1990, S. 21–30. Vgl. Elmar Wadle, Der Zollverein und die deutsche Rechtseinheit, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 102 (1985), S. 99–129. Hans-Werner Hahn, Die sozioökonomische Ordnung der Nation, in: Christof Dipper/ Ulrich Speck (Hrsg.), 1848. Revolution in Deutschland, Frankfurt a.M./Leipzig 1998, S. 366–381. Rolf H. Dumke, Der Deutsche Zollverein als Modell ökonomischer Integration, in: Helmut Berding (Hrsg.), Wirtschaftliche und politische Integration in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (Geschichte und Gesellschaft; Sonderheft 10), Göttingen 1984, S. 71–101.

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sich darüber hinaus auch als eine ökonomische Entwicklungsbremse und war damit in einer Zeit beschleunigten wirtschaftlichen, technischen und kommerziellen Fortschritts eine auf Dauer unhaltbare politische Ordnung in Deutschland. Eine solche antithetische Betrachtungsweise argumentiert indessen möglicherweise allzu einseitig vom bekannten Ergebnis her – dem Erfolg auf der einen und dem Misserfolg auf der anderen Seite – und übersieht dabei manche historischen Kontingenzen. Zu diesen Kontingenzen gehört es, dass der durchschlagende ökonomische Erfolg des Zollvereins keineswegs von vornherein feststand, ebenso wenig wie seine institutionelle Dauerhaftigkeit. Es sei hier nur an die diversen Zollvereinskrisen erinnert, bei denen, wie insbesondere zwischen 1849 und 1853, eine Sprengung des Zollvereins durchaus eine reale Möglichkeit darstellte.6 Andererseits war auch der wirtschafts- und nationalpolitische Misserfolg des Deutschen Bundes keineswegs vorherbestimmt. Im Gegenteil ließ die föderative Konstruktion des Bundes, wie sie 1815 festgeschrieben wurde, grundsätzlich alle Möglichkeiten einer weiteren Integration der deutschen Staaten in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht offen. In den Verhandlungen, die zwischen 1813 und 1815 über die Gestaltung der neuen politischen Ordnung in Deutschland geführt worden waren, war der nationalintegrative Anspruch an das „föderative Band“ vielfach formuliert worden.7 6

7

Vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 1), S. 140–151; Barbara Roloff, Die Zollvereinskrise 1850–1853, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, N. F. 20 (1938), S. 293–363; N. F. 21 (1940), S. 1–61. Siehe dazu die Edition: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Lothar Gall. Abt. I: Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813– 1830. Bd. 1: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813–1815, bearb. von Eckhardt Treichel, 2 Teilbde., München 2000. – Dieses 1988 von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften initiierte Editionsprojekt hat das Ziel, erstmals auf breiter Grundlage die gesamte Bundespolitik zu dokumentieren. Neben dem genannten Band über die Gründungsphase sind bisher erschienen: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Abt. II: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1830–1848. Bd. 1: Reformpläne und Repressionspolitik 1830–1834, bearb. von Ralf Zerback, München 2003. Abt. III: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850 –1866. Bd. 1: Die Dresdener Konferenz und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51, bearb. von Jürgen Müller, München 1996; Bd. 2: Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851–1858, bearb. von Jürgen Müller, München 1998. Ein weiterer Band der Abt. III befindet sich derzeit im Druck: Bd. 3: Der Deutsche Bund in der nationalen Herausforderung 1859–1862, bearb. von Jürgen Müller. Voraussichtlich München 2012. – Zum Editionsprojekt siehe: Jürgen Müller/Eckhardt Treichel, Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Ein Forschungsprojekt der Historischen Kom-

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Kein Geringerer als der österreichische Bundespräsidialgesandte, Johann Rudolf Graf von Buol-Schauenstein, bekräftigte in der Eröffnungssitzung der Bundesversammlung in Frankfurt am 5. November 1816 die nationale Aufgabe des Bundes.8 Wenige Tage später, am 11. November 1816, rief der Bundespräsidialgesandte die Bundesversammlung dazu auf, nunmehr an die Arbeit zu gehen und „das Gebäude des großen National-Bundes“ zu vollenden. Dabei sprach er konkret unter anderem die sich aus Artikel 18 und 19 der Bundesakte ergebenden Zielvorgaben an, nämlich die Herstellung bürgerlicher Rechtsgleichheit in Deutschland und die Vereinheitlichung des Handels- und Verkehrswesens. Um diese und andere Bundesmaßnahmen auf den Weg zu bringen, schlug Buol-Schauenstein die Einrichtung „beständiger Ausschüsse“ vor, um entsprechende allgemeine Bundesbeschlüsse vorzubereiten.9 Schon bald wurden entsprechende Bundestagsausschüsse eingerichtet, so zum Beispiel die Kommission für die Regelung des freien Verkehrs von Lebensmitteln zwischen den deutschen Staaten vom 19. Mai 1817, mit der die Bundesversammlung auf die Hungerkrise von 1816/17 reagierte, ohne dass es allerdings zu einer bundeseinheitlichen Regelung kam.10 Zur Vorbereitung allgemeiner Gesetze nach Maßgabe von Artikel 18d der Bundesakte wurden im Jahr 1818 die Kommission für die Regelung des Büchernachdruckrechts und die Kommission für die Regelung der Pressefreiheit eingesetzt.11 Um die Tätigkeit der Ausschüsse, die bis 1848 als „BundestagsKommissionen“ bezeichnet wurden, auf eine reguläre Grundlage zu stellen, beschloss die Bundesversammlung am 29. April 1819 eine eigene Geschäftsordnung. Darin wurden der Wahlmodus für die Kommissionsmitglieder (durch Stimmenmehrheit im Engeren Rat der Bundesversammlung),

8 9 10 11

mission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: Jahrbuch der historischen Forschung. Berichtsjahr 2000. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, München 2001, S. 27–37; dies., Quellenfundus zur föderativen Tradition Deutschlands. Ein neuer Blick auf die Geschichte des Deutschen Bundes in Edition und Darstellung, in: Akademie aktuell 2/2008, S. 47–49. Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1816, S. 5–9. Ebd., S. 36–42, Zitate S. 37 und 41. Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1817, S. 342–344; vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 1), S. 17. Vgl. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1818, § 159 und § 236.

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die Größe der Kommissionen (5 Mitglieder) und die Art der Geschäftsbehandlung innerhalb der Kommissionen festgelegt.12 Der Deutsche Bund verfügte somit sowohl über die politischen Zielvorgaben als auch über die organisatorischen Strukturen, um nationale Integrationsmaßnahmen im wirtschaftlichen Bereich durchzuführen. Allerdings hat sich die historische Forschung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit der konkreten Arbeit der Bundestagsausschüsse und der von diesen nach Bedarf hinzugezogenen Sachverständigenkommissionen lange Zeit nicht systematisch befasst.13 Es ist somit relativ wenig bekannt, wie intensiv auf Bundesebene über Integrationsmaßnahmen vor allem auch im wirtschaftlichen, wirtschaftspolitischen und wirtschaftsrechtlichen Bereich verhandelt wurde. Diese Bemühungen setzten mit der Gründung des Bundes und der Etablierung seiner Institutionen in den Jahren 1815 bis 1819 ein, und sie wurden während der gesamten Lebensdauer des Deutschen Bundes immer wieder neu aufgenommen und fortgeführt. Die Hochzeiten der Verhandlungen 12

13

Vgl. Heinrich Zoepfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, mit besonderer Rücksicht auf das Allgemeine Staatsrecht und auf die neuesten Zeitverhältnisse, 2 Bde., 5. Aufl., Leipzig 1863 (ND Frankfurt a.M. 1975), Bd. 1, S. 330; Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1819, Beilagen zum Protokoll der 14. Sitzung vom 22. April 1819, nach S. 175 (unpaginiert): Vortrag der mit der Ausarbeitung der Geschäftsordnung beauftragten Kommission vom 20. April 1819 sowie „Entwurf zu einer Geschäftsordnung in Betreff der Commissionen“; ebd., S. 193: Bundesbeschluss vom 29. April 1819; Druck der Geschäftsordnung in: Corpus Juris Confoederationis Germanicae oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes. Nach officiellen Quellen hrsg. von Philipp Anton Guido von Meyer. Ergänzt und bis auf die neueste Zeit fortgeführt von Heinrich Zoepfl, 3 Bde., 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1858– 1865, Bd. 2, S. 80–82. Die ansonsten außerordentlich detaillierte Deutsche Verfassungsgeschichte von Ernst Rudolf Huber übergeht die Tätigkeit der Ausschüsse und Kommissionen fast völlig; vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, 2. Aufl., Stuttgart 1990; Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, 3. Aufl., Stuttgart 1988; Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., Stuttgart 1988. – Auch das im Erscheinen befindliche „Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte“, das mit einem erweiterten Verfassungsbegriff arbeitet und somit auch die konkrete Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung berücksichtigt, kann sich für die Zeit bis 1848 im Hinblick auf den Deutschen Bund nicht auf entsprechende Vorarbeiten stützen; siehe den Beitrag von Edgar Liebmann, Der Deutsche Bund, in: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, hrsg. von Peter Brandt u.a. Bd. 2: 1815– 1847, Bonn 2011 (in Vorbereitung). – Für die letzte Phase der Bundespolitik von 1850 bis 1866 hat Jürgen Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation 1850–1866 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 71), Göttingen 2005, die Beratungen und Ergebnisse der Bundestagsausschüsse und Sachverständigenkommissionen rekapituliert.

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über ökonomische Einigungsmaßnahmen im Bund lagen in den Jahren von 1817 bis 1821, in der Zeit zwischen 1830 bis 1834 und schließlich in der letzten Phase des Bundes von 1851 bis 1866. Die beiden letztgenannten Zeiträume liegen parallel zur Anfangsphase des Zollvereins und zur Phase seiner Expansion. Schon von daher wird klar, dass zwischen dem Deutschen Zollverein und dem Deutschen Bund ein starkes Konkurrenzverhältnis bestand. Die Maßnahmen des Bundes sind aber nicht ausschließlich in Konkurrenz und Opposition zur Zollvereinspolitik zu sehen. Die Herbeiführung einer allgemeinen deutschen Zoll- und Handelsunion war zwar ein wichtiges, aber bei weitem nicht das einzige Ziel der wirtschaftspolitischen Integrationsbemühungen auf Bundesebene. Diese Integrationsabsichten reichten nicht nur geographisch viel weiter als das Programm des Zollvereins, sondern auch im Hinblick auf die Gegenstände, die in Angriff genommen wurden. Wenn auch nicht in den Ergebnissen, so doch vom politischen Ansatz her waren die nationalen Integrationsprojekte des Deutschen Bundes auf wirtschaftspolitischem Gebiet viel umfassender und vielfältiger. Es kann in diesem Beitrag kein auch nur annähernd vollständiger Überblick über diese Initiativen des Bundes gegeben werden, weil entsprechende Vorarbeiten für lange Phasen der Bundesgeschichte schlichtweg fehlen. Stattdessen sollen im Folgenden zunächst die Gremien vorgestellt werden, mit denen der Bund seine Pläne verwirklichen wollte, also die Bundestagsausschüsse und Sachverständigenkommissionen. Damit verbunden sind einige quantitative Bemerkungen zur Struktur und Kontinuität der bürokratisch-administrativen Eliten in den Ausschüssen und Kommissionen sowie einige prosopographische Fallbeispiele (II.). Im Anschluss daran werden die wichtigsten wirtschaftspolitischen Integrationsprojekte des Deutschen Bundes und ihre Ergebnisse und Folgen knapp skizziert, wobei besonders auf die nationalpolitische Begründung für diese Vorhaben eingegangen wird (III.). Abschließend sollen einige Thesen zur Rolle des Deutschen Bundes, speziell seiner Ausschüsse und Kommissionen, im Hinblick auf die wirtschaftliche Integration Deutschlands formuliert werden (IV.).

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II. Die Bundestagsausschüsse und Sachverständigenkommissionen Das Kommissionswesen des Deutschen Bundes war sehr vielgestaltig. Schon 1819, als die Geschäftsordnung für die Bundeskommissionen beraten und beschlossen wurde, war von sechs verschiedenen Formen die Rede, wobei das Kriterium die inhaltliche Tätigkeit der Kommissionen war.14 Für eine systematische Differenzierung ist es jedoch erforderlich zu unterscheiden zwischen permanenten und nicht-permanenten Kommissionen sowie zwischen solchen Kommissionen, die aus der Mitte der Bundesversammlung gewählt und mit konkreten Aufträgen versehen wurden, und solchen Kommissionen, die mit Experten aus den Einzelstaaten besetzt wurden. Zwischen diesen beiden Kriterien gab es keine Kongruenz, denn es gab ständige und nichtständige Kommissionen von Bundesgesandten ebenso wie ständige und nichtständige Expertenkommissionen.15 Die Unterscheidung wird zusätzlich erschwert durch den Umstand, dass alle diese Gremien im Vormärz als Kommissionen bezeichnet wurden. Erst seit 1851 war für die aus der Mitte der Bundesversammlung gewählten und mit bestimmten Reformprojekten beauftragten Kommissionen die Bezeichnung „Ausschuss“ üblich. Ein systematischer Überblick über die zahllosen Kommissionen des Deutschen Bundes und ihre Arbeit existiert bisher nicht, und somit ist auch die „beträchtliche reformpolitische Substanz“ des Deutschen Bundes, die sich in der Tätigkeit seiner Ausschüsse und Kommissionen materialisierte,

14 15

Vgl. Vortrag vom 20. April 1819 (wie Anm. 12). Die wichtigste permanente Expertenkommission war die 1819 eingerichtete Bundesmilitärkommission, eine aus Offizieren der Einzelstaaten gebildete „militärisch-technische Beratungsbehörde“, die im Laufe der Zeit immer größeren Einfluss auf die Militärpolitik des Bundes erlangte; vgl. Wolfgang Keul, Die Bundesmilitärkommission (1819–1866) als politisches Gremium. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Bundes (Europäische Hochschulschriften; Reihe III, Bd. 96), Frankfurt a.M./Bern/Las Vegas 1977, Zitat S. 33. – Bei den nicht dauerhaften Expertenkommissionen erlangte besonders die nach den Karlsbader Beschlüssen geschaffene Mainzer Zentraluntersuchungskommission, die bis 1827 die liberalen und nationalen Bestrebungen verfolgte, traurige Berühmtheit; Eberhard Weber, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission, Karlsruhe 1970; Eberhard Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974. – Unter den zahllosen Bundestagskommissionen gab es auch solche, die nicht für bestimmte Projekte eingesetzt wurden, sondern als ständige Gremien fest institutionalisiert wurden. Hier ist in erster Linie die Reklamationskommission zu nennen, die für die Eingaben von Privatpersonen, Gruppen und Korporationen an den Deutschen Bund zuständig war.

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bisher kaum gewürdigt worden.16 Ob sich in den Kommissionen „Kristallisationspunkte zentraler Staatsgewalt“ ausbildeten,17 kann wegen der mangelnden Vorarbeiten kaum verifiziert werden. Doch scheint es auf der anderen Seite voreilig, in den Ausschüssen und Kommissionen lediglich ephemere, wenig effektive Institutionen zu sehen, in denen sich zwar ein allgemeiner Reformwille artikulierte, die aber letztlich kaum konkrete Reformerfolge vorweisen konnten. Dass die Bundestagsausschüsse und Kommissionen durchaus eine Rolle im rechts- und wirtschaftspolitischen Integrationsprozess der deutschen Nation spielten, soll im Folgenden anhand einiger bislang kaum thematisierter Aspekte der Zusammensetzung und Wirkungsweise dieser Gremien aufgezeigt werden. Zu unterscheiden ist zunächst zwischen zwei Typen von Gremien. Es gab zum einen die Bundestagsausschüsse, also jene vor 1848 auch als Kommissionen bezeichneten Gremien, die aus fünf Bundestagsgesandten bestanden, welche von der Bundesversammlung gewählt wurden. In der Frühzeit des Deutschen Bundes wurde die Ausschussarbeit in starkem Maße von einigen mittel- und kleinstaatlichen Gesandten bestimmt, die ein sehr großes Interesse am inneren Ausbau des Bundes durch allgemeine gesetzliche Regelungen hatten. Besonders aktiv waren hier die Bundestagsgesandten von Mecklenburg-Schwerin (Plessen), Hannover (Martens), Württemberg (Wangenheim), Oldenburg (Berg), Lübeck (Hach) und Bremen (Smidt).18 Dies änderte sich nach der Revolution von 1848/49 grundlegend. In den Bundestagsausschüssen der 1850er und 1860er Jahre waren zwar nach wie vor auch Gesandte aus Mittel- und Kleinstaaten vertreten, doch gehörten den wichtigeren Ausschüssen nun immer die Bundesgesandten von Österreich und Preußen an, die einen bestimmenden Einfluss auf den Gang der Verhand-

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18

Wolfram Siemann, Wandel der Politik – Wandel der Staatsgewalt. Der Deutsche Bund in der Spannung zwischen „Gesammt-Macht“ und „völkerrechtlichem Verein“, in: Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund (wie Anm. 2), S. 59–73, hier S. 63 f. – Siemann listet für das Jahr 1865 insgesamt 33 Kommissionen auf, davon waren 26 „aktualitätsbedingte Gremien“ und vier Kommissionen mit „Dauerfunktionen“, ebd. – Hinweise zu Bundeskommissionen und ihren hinterlassenen Aktenbeständen bei Rüdiger Moldenhauer, Aktenbestand und Geschäftsverfahren der Deutschen Bundesversammlung (1816– 1866), in: Archivalische Zeitschrift 74 (1978), S. 35–76, hier S. 49 ff. So die These von Siemann, Wandel (wie Anm. 16), S. 63; siehe auch ders., Vom Staatenbund zum Nationalstaat. Deutschland 1806–1871 (Neue Deutsche Geschichte; Bd. 7), München 1995, S. 325 f. Ich danke Eckhardt Treichel (Frankfurt am Main) für den Hinweis auf diesen Sachverhalt.

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lungen nahmen, was teilweise zu einer gegenseitigen Blockade der Großmächte und damit zum Stillstand der Ausschusstätigkeit führte. In den Bundestagsausschüssen wurde von Anfang an ein geeignetes Mittel zur Regelung wirtschaftspolitischer Fragen gesehen. Die Erfüllung des Artikels 19 der Bundesakte sollte schon in den ersten Jahren nach 1816 „einen der Hauptgegenstände“ der Tätigkeit der Bundesversammlung bilden.19 Die hier in Aussicht gestellte Regelung „des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten“ wurde seit 1819 auch nachdrücklich in der deutschen Öffentlichkeit als ein dringendes Bedürfnis diskutiert, wobei – unter dem Eindruck des preußischen Zollgesetzes von 1818 – die Frage der Zolleinigung in den Mittelpunkt rückte.20 Der Wortführer des 1819 gegründeten Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbsvereins, Friedrich List,21 forderte vehement die Beseitigung der innerdeutschen Zölle und setzte damit die deutschen Regierungen und die Bundesversammlung unter Zugzwang. Vor dem Hintergrund dieser Debatte wurde schließlich auf der Wiener Ministerialkonferenz von 1820, die allgemein als Veranstaltung zur reaktionären Fortbildung der Bundesverfassung im Sinne des monarchischen Prinzips wahrgenommen wird, unter anderem ein Anstoß zur Beratung über handelspolitische Fragen auf Bundesebene gegeben. Unmittelbar nach der Wiener Konferenz stellte die österreichische Regierung in der Bundesversammlung den Antrag, eine fünfköpfige Kommission einzusetzen, „welcher die nähere Berathung der auf den freien Handel Bezug habenden Gegenstände zu übertragen wäre“.22 Konkret sollte es dabei um „zweckmässige Zollverhältnisse“ gehen, wobei als Ziel der möglichst ungehinderte freie Warenverkehr innerhalb der Grenzen des Deutschen Bundes angestrebt 19 20

21

22

Erklärung des österreichischen Präsidialgesandten in der Bundestagssitzung vom 22. Juni 1820, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1820, S. 43. Siehe dazu Hahn, Geschichte (wie Anm. 1), S. 20 ff.; ders., Mitteleuropäische oder kleindeutsche Wirtschaftsordnung in der Epoche des Deutschen Bundes, in: Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund (wie Anm. 2), S. 186–214, hier S. 189 ff.; Peter Burg, Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit. Vom Alten Reich zum Deutschen Zollverein (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte; Bd. 136), Stuttgart 1989, S. 274 ff.; Heinrich Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815–1866 (Siedler Deutsche Geschichte; Bd. 8/Die Deutschen und ihre Nation; Bd. 2), Berlin 1985, S. 70 ff. Zu List siehe William O. Henderson, Friedrich List. Eine historische Biographie des Gründers des Deutschen Zollvereins und des ersten Visionärs eines vereinten Europa, Düsseldorf/Wien 1984. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1820, S. 228 f.

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wurde. Der österreichische Antrag fand einhellige Zustimmung, und es wurden unverzüglich die Bundestagsgesandten von Österreich, Preußen, Bayern, Dänemark und der vier freien Städte in die entsprechende Kommission gewählt. Über die Verhandlungen dieser Kommission ist bislang allerdings nichts Näheres bekannt. Dies ist um so bedauerlicher, als die „Kommission für die Erfüllung des Artikels 19 der Bundesakte“ niemals förmlich aufgelöst wurde und somit bis zur Revolution von 1848 weiterexistierte.23 Besser als über die Kommission von 1820 sind wir über das Nachfolgegremium, den Handelspolitischen Ausschuss, informiert, der nach der Wiederherstellung des Deutschen Bundes im Juli 1851 eingerichtet wurde. Dieser Ausschuss, dem die Gesandten von Österreich, Preußen, Bayern, Hannover, Württemberg, der großherzoglich und herzoglich sächsischen Häuser und der freien Städte angehörten, blieb bis 1866 permanent bestehen. Er vermochte zwar nicht die von vielen Bundesstaaten angestrebte deutsche Handels- und Zolleinigung herbeizuführen, doch er wurde federführend bei der wichtigsten Rechtskodifikation in der Zeit des Deutschen Bundes, dem 1855/56 initiierten und 1861 abgeschlossenen Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch.24 Neben dem Handelspolitischen Ausschuss gab es nach 1850 weitere Ausschüsse für spezielle wirtschaftlich relevante Materien wie etwa den Plan einer allgemeinen deutschen Wechselordnung, den Schutz von wissenschaftlichen und literarischen Werken gegen unbefugten Nachdruck oder den Ausschuss zur Ausarbeitung von Vorschlägen für allgemeine Normen hinsichtlich der Heimatverhältnisse.25 Eine vollständige Übersicht der Bundesausschüsse, die sich mit wirtschaftspolitischen Themen befassten, liegt bisher nicht vor. Das dazu in den Protokollen der Deutschen Bundesversammlung enthaltene reichhaltige Material harrt noch der Auswertung, die wahrscheinlich das gängige Bild von der Untätigkeit der Bundesversammlung im Hinblick auf die ökonomische Integration Deutschlands korrigieren könnte. Beraten wurde offenbar 23

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Aus den Protokollen der Deutschen Bundesversammlung 1848, S. 99, geht hervor, dass ein Antrag zur Einführung eines Dezimalsystems für Münzen, Maße und Gewichte an die Kommission überwiesen wurde. Zu den Kodifikationsprojekten des Deutschen Bundes als Elementen einer deutschen Nationalgesetzgebung siehe auch: Claudia Schöler, Deutsche Rechtseinheit. Partikulare und nationale Gesetzgebung (1780–1866) (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte; Bd. 22), Köln/Weimar/Wien 2004. Siehe dazu im einzelnen Müller, Deutscher Bund (wie Anm. 13), S. 391 ff.

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in den Kommissionen des Bundes ausgiebig, und es kamen zahllose Anträge, Gutachten und Vorlagen zustande. Ein markantes Defizit bestand hingegen in der Entscheidung über und der Durchführung von bundeseinheitlichen Maßnahmen. Der wesentliche Grund dafür war die Tatsache, dass die Bundesausschüsse eminent politische Gremien waren. Die ihnen angehörenden Gesandten vertraten nicht übergeordnete Nationalinteressen, sondern die Interessen der einzelstaatlichen Regierungen. Das machte es auch so schwer, im Bund sachlich berechtigte, aber politisch problematische wirtschaftspolitische Maßnahmen durchzusetzen. Die Ergebnislosigkeit vieler Bundeskommissionen war somit eine unmittelbare Folge der machtpolitischen Rivalität der Einzelstaaten, insbesondere der beiden deutschen Großmächte Österreich und Preußen. Etwas anders war die Lage bei dem zweiten Gremientypus, der bei bundespolitischen Maßnahmen und ganz besonders bei wirtschaftspolitischen Einigungsbestrebungen eine wichtige Rolle spielte. Dies waren die sogenannten Sachverständigenkommissionen, in denen nicht, wie in den Ausschüssen der Bundesversammlung, politische Interessen aufeinandertrafen, sondern wirtschaftlicher und technischer Sachverstand zusammengeführt wurde. In die Sachverständigenkommissionen, die von den Bundesausschüssen zur Beratung und Ausarbeitung von bestimmten Gesetzentwürfen einberufen wurden, entsandten die Einzelstaaten kompetente Verwaltungsbeamte, Techniker, Wissenschaftler, Kaufleute, Unternehmer oder sonstige durch ihren Beruf qualifizierte Experten. So nahm an den Beratungen über das Seerecht, die von 1858 bis 1860 in Hamburg geführt wurden, für die Hansestadt Hamburg unter anderem ein Schiffskapitän teil. Die Sachverständigenkommissionen waren in der Regel viel größer als die Bundesausschüsse. Die größeren Staaten entsandten oft mehrere Sachverständige in eine Kommission, und es waren an den Kommissionen nicht nur die Staaten beteiligt, die im entsprechenden Bundesausschuss saßen, sondern auch Vertreter anderer Staaten. In der größten und wichtigsten Sachverständigenkommission der 1850er Jahre, der Kommission zur Ausarbeitung eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs für die deutschen Bundesstaaten, saßen im Laufe der vierjährigen Verhandlungen insgesamt 55 Experten aus 22 deutschen Staaten. Insgesamt gab es zwischen 1851 und 1866 acht Sachverständigenkommissionen für diverse wirtschaftspolitische und wirtschaftsrechtliche Integrationsvorhaben. Ihnen gehörten alles in allem 104 verschiedene Personen an, darunter etliche, die mehrfach in verschiedenen Sachverständigenkommissionen tätig waren. Diese Konzentration tech-

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nisch-ökonomischen Sachverstands in Gremien, die in unmittelbarem Auftrag des Deutschen Bundes über weitreichende und umfassende Integrationsgesetze berieten, ist in ihrer Bedeutung bisher nicht angemessen gewürdigt worden. Das berufliche und gesellschaftliche Spektrum der Experten war außerordentlich breit. In den Sachverständigenkommissionen versammelte sich nicht nur die hohe Spezialbürokratie der Einzelstaaten, sondern es waren hier auch große Bereiche der wirtschaftlich Tätigen repräsentiert. Eine genaue prosopographische Analyse der Sachverständigen könnte neue Erkenntnisse über die sozialen und politischen Netzwerke liefern, die sich teilweise im Rahmen der bundespolitischen Initiativen herausbildeten. Sie würde darüber hinaus die ökonomische Wissensvernetzung abbilden, die sich keineswegs auf den Rahmen des Deutschen Zollvereins beschränkte, sondern alle Staaten des Deutschen Bundes einbezog und von der Rückkoppelungseffekte auf den bundespolitischen Politikprozess ausgingen, die von den Regierungen nicht vorhergesehen und in manchen Fällen auch nicht sehr erwünscht waren. Denn die Sachverständigen waren, anders als die weisungsgebundenen Diplomaten in den Bundesausschüssen, nicht ausschließlich Vertreter der österreichischen, preußischen oder bayerischen Politik, sondern in gleichem Maße auch Repräsentanten der deutschen Gesellschaft. Als solche propagierten sie die Harmonisierung und Standardisierung der ökonomisch-technischen Normen und gesetzlichen Regelungen, mit deren Vorbereitung sie durch die Bundesausschüsse beauftragt wurden, auch außerhalb der Sachverständigenkommissionen, indem sie sich in der Tagespresse, in wissenschaftlichen Schriften, in Reden auf Interessenverbandstagungen sowie mitunter auch als Abgeordnete in den einzelstaatlichen Parlamenten für bestimmte wirtschaftspolitische und wirtschaftsrechtliche Maßnahmen einsetzten. Die Beamten, Kaufleute, Fabrikanten, Techniker und Wissenschaftler in den Sachverständigenkommissionen waren in ihren jeweiligen Herkunftsstaaten, aber teilweise auch darüber hinaus durch gesellige Vereine, Interessenverbände, Gewerbevereine, Handelskammern, geschäftliche Beziehungen sowie auch durch verwandtschaftliche Verhältnisse intensiv und breit vernetzt. Um dies zu veranschaulichen, sei kurz auf drei Personen näher eingegangen. Die erste ist der sächsische Geheime Rat und Direktor im

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Innenministerium Albert Christian Weinlig (1812–1873).26 Weinlig gehörte im Jahr 1851 der Sachverständigenkommission zur Ausarbeitung einer „Übereinkunft der deutschen Bundesstaaten zur Beförderung des Handels und Verkehrs“ an, und er vertrat von 1861 an Sachsen in der Sachverständigenkommission für das Maß- und Gewichtssystem sowie in der Sachverständigenkommission für das Patentrecht. Schon in den 1840er Jahren hatte Weinlig öffentlich ein deutsches Patentgesetz gefordert, 1849 war er kurzzeitig sächsischer Innenminister gewesen. Neben seinen vielen politischen Ämtern war Weinlig zeitweise als Herausgeber von Fachzeitschriften und als Universitätsdozent tätig. Gesellschaftlich war er als Spross einer prominenten Dresdener Familie sowie als Mitglied mehrerer industrieller und naturwissenschaftlicher Gesellschaften, als zeitweiliger Landtagsabgeordneter und schließlich durch die wiederholten auswärtigen Missionen im Auftrag der sächsischen Regierung außerordentlich breit vernetzt. Das zweite Beispiel ist der hamburgische Justizbeamte Georg Repsold (1804–1885), der die Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg in den Sachverständigenkommissionen für die Einführung gleicher Maße und Gewichte vertrat. Georg Repsold war ein Sohn von Johann Georg Repsold (1770–1830), dem Feinmechaniker und Begründer der bekannten Werkstatt für astronomische Instrumente und Ausrüster der Hamburger Sternwarte. Nach dem Tod des Vaters führte Georg Repsold zusammen mit seinem Bruder Adolf die renommierte Werkstatt fort. Die Familie Repsold gehörte zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Elite Hamburgs und hatte durch ihre nationalen und internationalen Geschäftskontakte weitreichende Verbindungen.27 Ein weiterer herausragender Sachverständiger war Karl Karmarsch (1803–1879), der wie Repsold in den Sachverständigenkommissionen für die 26

27

Neben dem knappen Eintrag in der ADB, Bd. 41, Leipzig 1896, S. 508–510, siehe vor allem: Paul Domsch, Albert Christian Weinlig. Ein Lebensbild nach Familienpapieren und Akten, Chemnitz 1912; Karl Bräuer, Albert Christian Weinlig. 9. April 1812 bis 19. Januar 1873. Ein deutscher Volkswirt und Staatsmann des 19. Jahrhunderts, in: Erich Dittrich (Hrsg.), Lebensbilder sächsischer Wirtschaftsführer (Sächsische Lebensbilder; Bd. 3), Leipzig 1941, S. 363–421; Friedrich Naumann, Gewerbeprivilegien und Erfinderschutz im Königreich Sachsen bis zum Jahre 1877, in: Rudolf Boch (Hrsg.), Patentschutz und Innovation in Geschichte und Gegenwart (Studien zur Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Bd. 11), Frankfurt a.M. 1999, S. 51–69. Vgl. Hamburgische Biographie. Personenlexikon. Bd. 2, hrsg. von Franklin Kopitzsch/ Dirk Brietzke, Göttingen 2003, S. 339; Jochen Schramm, Sterne über Hamburg. Die Geschichte der Astronomie in Hamburg, 2. Aufl., Hamburg 2010.

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Einführung gleicher Maße und Gewichte im Deutschen Bund saß und dort das Königreich Hannover vertrat. Karmarsch war Direktor der polytechnischen Schule in Hannover und hatte bereits 1837 mit dem „Grundriß der mechanischen Technologie“ ein Handbuch veröffentlicht, das zahlreiche Auflagen erlebte und zu einem Standardwerk nicht nur in Deutschland wurde. Das internationale Renommee Karmarschs dokumentierte sich in seiner Funktion als Preisrichter bei den Weltausstellungen in London 1851 und Paris 1867 sowie in seiner Mitgliedschaft in der Schwedischen Akademie der Wissenschaften (1863). Daneben amtierte Karmarsch von 1845 bis 1855 als Vizepräsident des Gewerbevereins für das Königreich Hannover, den er 1834 mitbegründet hatte. Im Jahr 1869 belohnte ihn die preußische Regierung für seine Verdienste mit der Ernennung zum Geheimen Regierungsrat, aber auch in seiner Geburtsstadt Wien genoss Karmarsch hohes Ansehen.28 Wie zahlreiche andere Mitglieder der Sachverständigenkommissionen des Deutschen Bundes gehörte Karmarsch mithin zu den national und international renommiertesten Experten auf seinem Gebiet. Die Kommissionen, von denen man bislang kaum Notiz genommen hat, waren also weit mehr als bloß bürokratische und wenig effektive Instrumente einer aussichtslosen Bundespolitik. Sie bildeten ein Sammelbecken eines geographisch, sozial und politisch breit gefächerten administrativen und wirtschaftsbürgerlichen Expertentums, das unter der Oberfläche der machtpolitischen Paralyse im Deutschen Bund eine rege Tätigkeit entfaltete, die eine dezidiert nationale Perspektive im Hinblick auf einen einheitlichen Rechts- und Wirtschaftsraum in Deutschland hatte. Überdies verfügten die Experten in vielen Fällen über internationale Kontakte und Erfahrungen. Ihre Kenntnis der außerdeutschen ökonomischen Verhältnisse, technischen Entwicklungen und wissenschaftlichen Forschungen und der daraus für die deutsche Wirtschaft erwachsenden Herausforderungen spielte sicherlich eine Rolle bei ihrem 28

Vgl. Bernd Thiele, Karl Karmarsch (1803–1879), in: Gerhard Banse (Hrsg.), Biographien bedeutender Techniker, Ingenieure und Technikwissenschaftler, Berlin 1983, S. 142– 148; Hansjürgen Gubrecht/Helmut Gubrecht, Karl Karmarsch. Der erste Direktor der Polytechnischen Schule Hannover, in: Die Geschichte der Chemie an der Technischen Hochschule und Universität Hannover, Hannover 1999, S. 16–29; ADB, Bd. 15, Leipzig 1882, S. 400–409. – Zur außerordentlich vielgestaltigen Tätigkeit Karmarschs siehe auch seine Erinnerungen: Karl Karmarsch, Ein Lebensbild, gezeichnet nach dessen hinterlassenen „Erinnerungen aus meinem Leben“. Mit Ergänzungen hrsg. v. Egbert Hoyer, Hannover 1880. – Zur Tätigkeit in der Sachverständigenkommission siehe Rita Seidel, Karl Karmarsch und die Einführung des metrischen Systems in Deutschland. Eine Ausstellung zur Geschichte der Universität Hannover, Hannover 1987.

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Einsatz für die Normierung und Harmonisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Deutschen Bund. Zieht man ferner in Betracht, dass in den Sachverständigenkommissionen teilweise die gleichen Experten saßen, die auch im Zollverein aktiv waren und die kürzlich als wichtige bürokratische Funktionselite im politischen Integrationsprozess identifiziert wurden,29 so müssen auch die Bundeskommissionen stärker als bisher geschehen als Sammelbecken und Diskussionsforen einer nationalökonomisch-technischen Modernisierungselite gesehen werden. Diese Modernisierungselite kam teilweise aus der Ministerialbürokratie der deutschen Einzelstaaten oder pflegte enge berufliche Kontakte zu dieser und hatte insofern nicht unerheblichen politischen Einfluss. Ihr nationalpolitisches Reformpotential, das im Deutschen Bund nur sehr eingeschränkt zum Tragen kam, führte im Deutschen Zollverein und ab 1866/67 dann im Norddeutschen Bund sowie im Deutschen Reich nach 1871 zu vielfältigen und umfassenden wirtschaftspolitischen Vereinheitlichungsmaßnahmen. Die partielle personelle Kontinuität und Identität zwischen den Gremien des Zollvereins, des Deutschen Bundes, des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches stellt überdies ein bislang noch kaum erforschtes Kapitel der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert dar. Dessen systematische Aufarbeitung scheint dazu geeignet, ein exakteres Verständnis vom Prozess der Nationsbildung und damit auch von der Rolle des Deutschen Bundes zu entwickeln. III. Die wirtschaftspolitischen Integrationsprojekte des Bundes Die deutsche Handels- und Zolleinheit war schon bei der Gründung des Deutschen Bundes ein wichtiges Thema. Und es war ein Mitglied der preußischen Delegation auf dem Wiener Kongress, nämlich Wilhelm von Humboldt, der die wirtschaftliche Integration der Nation im Deutschen Bund propagierte. Humboldt schlug unter anderem die Gründung einer „Deutschen Handels- und Finanzbehörde“ vor, welche die Handelspolitik koordinieren sollte.30 Dazu kam es zwar nicht, aber in der 1815 verabschiedeten Bundesakte wurde im Artikel 19 in Aussicht gestellt, „bey der ersten Zu29 30

Marko Kreutzmann, Bürokratische Funktionseliten und politische Integration im Deutschen Zollverein (1834–1871), in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 613–645. Denkschrift Humboldts über die künftige Verfassung Deutschlands, Dezember 1813, in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Abt. I, Bd. 1 (wie Anm. 7), S. 72–88, hier S. 88.

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sammenkunft der Bundesversammlung in Frankfurth wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, so wie wegen der Schiffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Berathung zu treten.“31 Und in der Tat wurden ab 1817 mehrere Bundeskommissionen beauftragt, handels-, zoll- und verkehrspolitische Einigungsmaßnahmen vorzubereiten. Diese Verhandlungen verliefen allerdings 1821 ergebnislos im Sande.32 Neue Initiativen zur deutschen Handelseinigung auf Bundesebene gab es dann nach 1830,33 doch auch diese Ansätze wurden von der neuerlichen reaktionären Wende der Bundespolitik nach dem Hambacher Fest 1832 zunichte gemacht. Aber auch in den Jahren der Reaktion wurden immer wieder Stimmen laut, die auf eine bundeseinheitliche Gesetzgebung im wirtschaftspolitischen Bereich drängten. Eine solche Gesetzgebung galt als das „festeste Band, das die Menschen umschlingt, den National-Geist am sichersten entwickelt und begründet, und das gehörig ausbildet, was man Nation und Nationell nennt“, wie es der großherzoglich hessische Hofgerichtspräsident Ludwig Minnigerode, einer der zahlreichen liberalen Reformbeamten in Deutschland, im Jahr 1836 formulierte.34 Diese Auffassung war schon im Vormärz weit verbreitet. Auf Bundesebene konnte sie sich unter den Bedingungen des reaktionären Systems bis 1848 jedoch nicht wirklich durchsetzen. Erst im Zuge der Wiedererrichtung des Bundes nach dem Scheitern der Revolution rückte die wirtschaftliche Integration als nationale Aufgabe immer mehr ins Zentrum der inneren Bundespolitik. Auf der Dresdener Konferenz von 1850/51 brachten die süddeutschen Mittelstaaten und Österreich eine allgemeine Zoll- und Handelsunion für das Bundesgebiet zur Sprache, doch scheiterte der Plan am Widerstand Preußens, das auf keinen Fall seine wirtschaftspolitische Hegemonie im Zollverein aufgeben wollte.35 31 32

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35

Artikel 19 der Bundesakte, in: ebd., S. 1517. Vgl. dazu relativ ausführlich Leopold Friedrich Ilse, Geschichte der deutschen Bundesversammlung, insbesondere ihres Verhaltens zu den deutschen National-Interessen, 3 Bde., Marburg 1861/62, hier Bd. 1, S. 189–214, 407–457. Vgl. das Kapitel „Wirtschaftseinheit“ in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Abt. II, Bd. 1 (wie Anm. 7), S. 75–124. Ludwig Minnigerode, Bemerkungen über den Stand der Gesetzgebung und Jurisprudenz in Deutschland, Darmstadt 1836, S. 30. Zu dieser und ähnlichen Aussagen siehe Schöler, Deutsche Rechtseinheit (wie Anm. 24), S. 152–160. Vgl. dazu Hans-Werner Hahn, Die Dresdener Konferenz. Chance eines handelspolitischen Neubeginns in Deutschland?, in: Jonas Flöter/Günther Wartenberg (Hrsg.), Die

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Während Preußen den Zollverein in den folgenden Jahren weiter ausbaute und dabei die Einbeziehung Österreichs hartnäckig verweigerte,36 initiierte der Bund auf Betreiben der Mittelstaaten, allen voran Bayern, Sachsen und Württemberg, eine Reihe von wirtschaftlichen Einigungsmaßnahmen. Vor allem seit 1856 wurde in Bundesausschüssen und Sachverständigenkommissionen nahezu pausenlos darüber verhandelt. Die wichtigsten dieser Vorhaben waren: – die Schaffung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs – die Vereinbarung einer allgemeinen deutschen Wechselordnung – die Vereinheitlichung der Maß- und Gewichtssysteme in Deutschland – die Herbeiführung einer einheitlichen Patentgesetzgebung – die Einführung eines allgemeinen Urheberrechtsschutzes – die Ausarbeitung eines allgemeinen Schuldrechts. Das waren sehr weitreichende und entsprechend komplizierte Projekte, die auch im Rahmen des Zollvereins noch nicht alle gelöst waren und teilweise nie gelöst wurden. Die bundespolitischen Bemühungen trafen ebenfalls auf große Schwierigkeiten, die in fast allen Fällen einen endgültigen Abschluss verhinderten. Gleichwohl konnte der Deutsche Bund durchaus einige Ergebnisse erzielen. Der größte Erfolg war sicherlich das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861, das bis 1866 in nahezu allen Bundesstaaten in Kraft gesetzt wurde.37 Gerade auch in Preußen, das sich sonst der wirtschaftlichen Integration auf Bundesebene strikt verweigerte, wurde es als „eine der Nation würdige Deutsche That“ gepriesen,38 selbst im Herrenhaus würdigte man

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38

Dresdener Konferenz 1850/51. Föderalisierung des Deutschen Bundes versus Machtinteressen der Einzelstaaten (Schriften zur sächsischen Landesgeschichte; Bd. 4), Leipzig 2002, S. 219–238; ferner Müller, Deutscher Bund (wie Anm. 13), S. 405–411, sowie die Dokumente in: Quellen zur Geschichte d. Deutschen Bundes, Abt. III, Bd. 1 (wie Anm. 7). Vgl. Hahn, Geschichte (wie Anm. 1), S. 140 ff. Vgl. Helmut Rumpler, Das „Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch“ als Element der Bundesreform im Vorfeld der Krise von 1866, in: ders. (Hrsg.), Deutscher Bund (wie Anm. 2), S. 215–234; Müller, Deutscher Bund (wie Anm. 13), S. 412–418; ausführliche Darstellung des Handelsrechts: Lewin Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, 2 Bde., Erlangen 1864; ders., Der Abschluß und die Einführung des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 5 (1862), S. 204–227, 515–584 sowie 6 (1863), S. 41–64, 388–412. Rede von Franz Peter Reichensperger im preußischen Abgeordnetenhaus, 31. Mai 1861, in: Werner Schubert (Hrsg.), Verhandlungen über die Entwürfe eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches und eines Einführungs-Gesetzes zu demselben in beiden Häusern des preußischen Landtages im Jahre 1861, Frankfurt a.M. 1986 (ND der Ausgabe Berlin 1861), S. 593 f.

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das Handelsgesetzbuch als Schritt zur Einigung Deutschlands.39 Das umfangreiche, 911 Artikel umfassende Gesetzeswerk40 überdauerte das Ende des Deutschen Bundes um mehrere Jahrzehnte: Im Deutschen Reich blieb es bis 1897 in Kraft, in Österreich sogar bis 1918. Zu den Erfolgen der Bundespolitik kann man auch die Einführung eines neuen Maß- und Gewichtssystems in Deutschland zählen. Initiativen zur Vereinheitlichung der Maß- und Gewichtseinheiten in Deutschland hatte es schon im Vormärz gegeben. So hatte der Kaufmann W. E. H. Weibezahn aus Fischbeck in Kurhessen im Dezember 1841 eine Eingabe an die Reklamationskommission der Bundesversammlung gerichtet, in der die Einführung eines Dezimalsystems vorgeschlagen wurde. Die Reklamationskommission stellte daraufhin am 15. Januar 1842 fest, „daß die Annahme eines gemeinschaftlichen, für alle Bundesstaaten geltenden Münzfußes und die Einführung gleichen Maaßes und Gewichtes zu den größten Wohlthaten zu zählen seyn würde, welche dem Handel und Verkehr unsers gemeinsamen Deutschen Vaterlandes zu Theil werden könnten.“41 Es dauerte dann allerdings noch zwei Jahrzehnte, bis der Bund die Angelegenheit ernsthaft in Angriff nahm. Zwischen 1861 und 1865 erarbeitete eine Bundeskommission eine revolutionär neue Maß- und Gewichtsordnung, die auf dem Meter und dem Dezimalsystem beruhte.42 Die Bundesversammlung nahm diese Ordnung am 22. Februar 1866 einstimmig an.43 Der Deutsche Bund bewies damit seine Handlungsfähigkeit in einer eminent wichtigen wirtschaftspolitischen Materie, denn gerade in den 1860er Jahren entwickelte sich das metrische Maß- und Gewichtssystem rasch zum internationalen Standard auf dem europäischen und amerikanischen Kontinent.44 Zur Ausführung kam 39 40

41 42

43 44

Siehe ebd., S. 595 ff. Vollständiger Druck des Handelsgesetzbuchs in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1861, Beilage zu § 132, 16. Sitzung vom 8. Mai 1861, S. 215–380. Siehe auch: Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen HandelsgesetzBuches. Eingeleitet und neu hrsg. von Werner Schubert, 11 Bde., Frankfurt a.M. 1984 (ND der Ausgaben Nürnberg 1857–1861 bzw. 1858–1863). Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1841, S. 552; 1842, S. 52 f. Vgl. Protokolle der Commission für Einführung gleichen Maßes und Gewichtes in den deutschen Bundesstaaten, Frankfurt a.M. [1865], Separatdruck, in: Bundesarchiv Koblenz, DB 1/301. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung 1866, § 55, S. 54. Martin H. Geyer, One Language for the World. The Metric System, International Coinage, Gold Standard, and the Rise of Internationalism, 1850–1900, in: ders./Johannes Paulmann (Hrsg.), The Mechanics of Internationalism. Culture, Society, and Politics from the 1840s to the First World War, Oxford 2000, S. 55–92, hier S. 67.

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der Bundesbeschluss von 1866 allerdings wegen der Auflösung des Bundes nicht mehr, doch wurde der Bundesentwurf fast unverändert in die Maßund Gewichtsordnung des Norddeutschen Bundes von 1868 und in das nachfolgende Reichsgesetz von 1871 übernommen. Die Einführung des metrischen Systems in Deutschland war ein nicht unwesentlicher Beitrag zum großen Erfolg der deutschen Industrie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als die Exporte deutscher Waren sprunghaft zunahmen. Ähnliche inhaltliche Kontinuitäten gab es bei einigen anderen Gegenständen, die im Bund verhandelt, aber noch nicht zur praktischen Ausführung gebracht worden waren, wie etwa das Patentrecht,45 das Urheberrecht,46 das Schuldrecht47 oder die Zivilprozessordnung.48 Die schnelle und relativ reibungslose wirtschaftliche und rechtliche Harmonisierung im Deutschen Reich von 1871 profitierte demnach nicht unwesentlich von den Vorarbeiten in der Zeit des Deutschen Bundes. In der Rechtsgeschichte ist das wiederholt festgestellt worden, doch im allgemeinen Geschichtsbild, das die starke Polarität zwischen Deutschem Bund und deutscher Nation bzw. Deutschem Reich betont, sind diese Zusammenhänge weitgehend ignoriert worden.

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Entwurf eines Patentgesetzes für die deutschen Bundes-Staaten, Druck, in: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, DB 1/323. Vgl. dazu die zahlreichen Arbeiten von Elmar Wadle, u.a.: ders. (Hrsg.), Historische Studien zum Urheberrecht in Europa. Entwicklungslinien und Grundfragen (Schriftenreihe zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; Bd. 10), Berlin 1993; ders., Art. „Patent, gewerblich“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 1533–1539; ferner: Johann Wehr, Die Anfänge des Patentwesens in Deutschland, München 1936; Wilhelm Treue, Die Entwicklung des Patentwesens im 19. Jahrhundert in Preußen und im Deutschen Reich, in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation im 19. Jahrhundert. Bd. 4: Eigentum und industrielle Entwicklung, Wettbewerbsordnung und Wettbewerbsrecht, Frankfurt a.M. 1979, S. 163–182. Protokolle der von der hohen deutschen Bundesversammlung durch Beschluß vom 16. Juli 1863 einberufenen Commission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines für sämtliche deutsche Bundesstaaten gemeinsamen Gesetzes zum Schutze des Urheberrechts an den Werken der Literatur und Kunst gegen Nachdruck, sowie gegen unbefugte Nachbildung und Aufführung, Frankfurt a.M. [1864], in: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, DB 1/307, auch gedruckt in: Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht 120 (1992), S. 177–299 und 121 (1993), S. 71–291. Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen deutschen Obligationenrechtes. Eingeleitet und neu hrsg. von Werner Schubert, 6 Bde., Frankfurt a.M. 1984 (ND der Ausgabe Dresden 1863–1866). Protocolle der Commission zur Berathung einer allgemeinen Civilprozeßordnung für die deutschen Bundesstaaten. Eingeleitet und neu hrsg. von Werner Schubert, 18 Bde., Frankfurt a.M. 1985 (ND der Ausgabe Hannover 1862–1866).

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IV. Thesen zur Rolle des Deutschen Bundes bei der ökonomischen Nationsbildung Die vorstehenden Betrachtungen zur bislang kaum näher untersuchten Rolle der Ausschüsse und Kommissionen des Deutschen Bundes im Hinblick auf die politische Integration Deutschlands vor allem in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht seien abschließend in folgenden drei kurzen Thesen zusammengefasst: 1. Der Deutsche Bund nahm während der gesamten Zeit seines Bestehens rechts- und wirtschaftspolitische Integrationsprojekte in Angriff, die mit nationalen Argumenten begründet wurden. Mit der Vorbereitung dieser Projekte wurde eine große Zahl von Ausschüssen der Bundesversammlung und Sachverständigenkommissionen aus einzelstaatlichen Experten beauftragt, die teilweise über mehrere Jahre hinweg berieten und eine Reihe von detaillierten Gesetzentwürfen vorlegten. 2. In den Sachverständigenkommissionen des Bundes versammelte sich ein breit gefächertes ökonomisch-technisches Expertentum, das politisch, sozial und kulturell intensiv vernetzt war und von daher eine bislang kaum beachtete gesellschaftliche Wirkung gehabt haben dürfte. Die vom Deutschen Bund herangezogenen Sachverständigen waren in vielen Fällen gleichzeitig in den Zollvereinsgremien beziehungsweise nach dem Ende des Deutschen Bundes in den Gesetzgebungsausschüssen des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches aktiv. 3. Der Deutsche Bund erzielte einige beachtliche Erfolge bei der wirtschaftsrechtlichen Harmonisierung Deutschlands. Seine umfangreichen Vorarbeiten erleichterten darüber hinaus die rasche Durchführung der inneren Nationsbildung im Deutschen Reich nach 1871 erheblich. Insofern kann der Deutsche Bund nicht als bloßes Anti-Modell zum Deutschen Zollverein mit seinem unbestreitbar großen Beitrag zur ökonomischen Nationsbildung gesehen werden.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ADB ADV AM AZ BayHStAM DHGV GHAM GStAPK HM MS ND NDB ÖStA, HHStA ThHStAW TNA VWA

Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde., Leipzig 1875–1912 Allgemeiner deutscher Verein zum Schutze der vaterländischen Arbeit Außenministerium Allgemeine Zeitung (Augsburg) Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Deutscher Handels- und Gewerbs-Verein Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Geheimes Hausarchiv Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin Handelsministerium Manuskript Neudruck Neue Deutsche Biographie, bislang 24 Bde., Berlin 1953–2010 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar The National Archives, Kew Volkswirtschaftlicher Ausschuss

PERSONENREGISTER Aufgeführt werden alle im Haupttext und in den Fußnoten namentlich genannten Personen. Nicht in das Personenregister aufgenommen werden gegenwärtige Historiker, auf die nur im Rahmen der aktuellen Forschungsdiskussion verwiesen wird. Außerdem bleiben jene Personen ausgenommen, die ausschließlich als Bestandteil von bibliographischen Informationen und Quellenangaben genannt werden. Kursive Ziffern verweisen auf die Nennung der Person lediglich in den Fußnoten der angegebenen Seite.

Abel, Karl von 57 Addington, Henry 82 Aegidi, Ludwig 117 Altvater, Benedikt 133 Amsberg, August Philipp Christian Theodor von 85, 101 Armansperg, Joseph Ludwig von 55 Arndt, Ernst Moritz 34, 43 Aufseß, Otto Freiherr von 220 Basch, Rafael 273 Bassermann, Friedrich Daniel 165, 216 Bastiat, Frédéric 127 Bauernfeld, Eduard von 22 Belcredi, Richard Graf 72 Berg, Günther Heinrich von 290 Bernstorff, Albrecht Graf von 67 Bernstorff, Christian Graf von 44, 46, 83–85 Berr, Georg von 221 Beust, Ferdinand Graf von 58, 64 Bever, Karl (von) 52, 56–59, 215–217, 236 Biedermann, Karl 105, 163 Biersack, Heinrich Ludwig 207–210, 212–214 Bismarck, Otto von 24, 27, 68, 69, 72, 117, 171–173, 220, 222–224, 247, 250, 252, 255, 270 Bligh, John Duncan 241, 242, 244, 246 Blittersdorf, Friedrich von 83 Bloomfield, Lord John Arthur Douglas 244, 246, 250 Böcking, Heinrich 133 Bonaparte, Jérôme, König von Westfalen 39

Bonar, Alfred 240 Bowring, John 25, 106, 229–232, 234, 252–254 Brandenburg, Erich 14, 15 Braun, Karl 117, 168, 170, 171, 223, 224 Bruck, Karl Ludwig Freiherr von 61, 113, 114, 243, 259–262, 264, 268, 270, 271–274, 277, 278, 279 Bülow, Hans Viktor von 39–42, 45 Buol-Schauenstein, Johann Rudolf Graf von 286 Buol-Schauenstein, Karl Graf von 64 Büttner, Georg Friedrich Carl 188 Camphausen, Otto 144 Canitz und Dallwitz, Carl Wilhelm Ernst Helmut Freiherr von 214 Carey, Mathew 127 Carl, Heinrich Konrad 111 Carl August, (Groß-)Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 179, 181, 204 Carl Friedrich, Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach 184 Carlowitz, Anton von 80, 85 Carlowitz, Hans-Georg von 80, 85, 86 Cartwright, Thomas 245 Chevalier, Michel 231, 249 Clarendon, George William Frederick Villiers, 4th Earl of Clarendon 235 Cobden, Richard 132, 231, 232, 249 Cotta von Cottendorf, Johann Friedrich Freiherr von 89 Cotta von Cottendorf Georg Freiherr von 134, 273 Cowley, siehe: Wellesley, Henry Richard Charles

306 Cretzschmer, Ludwig 167 Croon, Quirin 133 Deffner, Carl 118 Delbrück, Rudolph (von) 15, 19, 61, 143, 144, 200, 218, 219, 221, 222–226 Diepolder, Johann Michael 221 Diergardt, Friedrich 133 Diezel, Gustav 239 Dörtenbach, Johann Georg 133 Dresch, Leonhard (von) 56 Droysen, Johann Gustav 255 Duckwitz, Arnold 103, 104 Eisenstuck, Bernhard 133, 134, 142 Ellissen, Moritz 133 Engels, Friedrich 15, 108 Ewald, Ludwig 221 Fabricius, August 221, 222 Fallersleben, Heinrich Hoffmann von 21, 165 Fane, Julian 250, 251 Fichte, Johann Gottlieb 128 Forbes, Francis 236, 243, 247 Forster, Carl 133 Fox-Strangways, William 241 Franz, bis 1806 als Franz II. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, ab 1804 als Franz I. (auch) Kaiser von Österreich 24 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 120 Friedrich II., König von Preußen 48 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 35, 43, 45, 48, 158 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 147, 241 Fritsch, Carl Wilhelm Freiherr von 185 Gagern, Heinrich Freiherr von 16, 103, 117, 154, 155, 158, 165 Geffcken, F. Heinrich 116 Gerbig, Georg 221

PERSONENREGISTER

Geringer, Karl von 211 Glaubrech, Johann Joseph Christian Friedrich 162 Görres, Joseph 99 Gordon, George John Robert 250, 251 Grote, August von 85, 86 Gülich, Gustav von 128 Haber, Louis von 134 Hach, Johann Friedrich 290 Hagenbruch, Gustav Eduard 193 Hake, Albert Wilhelm Ludwig von 217 Hamilton, Alexander 127 Hamilton, Sir George Baillie 237 Handel, Maximilian Freiherr von 24, 112 Haniel, Franz 1 Hansemann, David 108, 117, 148–150, 158, 163–166, 169, 173 Hardenberg, Karl August von 34–39, 41, 43, 206 Hecker, Carl 148 Heimsöth, Johann Heinrich 280 Heine, Heinrich 22, 97, 273 Heller, Isidor 273 Henning, Friedrich Leopold 221 Hergenhahn, August 161, 165 Hering, Carl 184 Heydt, August von der 146 Hock, Karl von 274 Höfken, Gustav 104, 109, 253, 254, 272, 273 Hofmann, August Conrad von 46 Howard, Henry 238, 240 Hügel, Karl Eugen von 72 Humboldt, Wilhelm von 34, 41, 297 Jerningham, George 248, 249 Jordan, Ludwig Alexander von 217 Kamptz, Karl von 210 Karl I., König von Württemberg 71 Karmarsch, Karl 295, 296 Kerstorf, Friedrich Ferdinand von 113

PERSONENREGISTER

Kieser, Dietrich Georg 185, 186, 189–191 Kiesselbach, Wilhelm 116 Kleinschrod, Karl von 52, 59, 60, 67 Kleinschrod, Karl Joseph von 59 Klewiz, Wilhelm von 45 Klüpfel, Karl 114 Kolb, Gustav 273 Kübeck, Alois Freiherr von 25 Kühne, Ludwig 10, 205–207, 210, 218, 219, 224–226 Langenau, Friedrich Karl Gustav Freiherr von 81 Lindenau, Bernhard August v. 80–83, 91 List, Friedrich 10, 12, 20, 22, 43, 44, 46, 98, 99, 104–106, 109, 113, 126–128, 130–132, 134, 135, 140, 153, 154, 164, 230, 243, 261, 291 Lossen, Carl Maximilian 133 Luden, Heinrich 182, 183, 191 Ludwig I., König von Bayern 48, 54, 56 Ludwig II., König v. Bayern 52, 56, 70–72 Maaßen, Karl Georg 33, 34, 49, 53, 206, 225 MacDonald, George Varnham 243 MacGregor, John 232 Malet, Alexander 241, 247, 248 Maltzan, Mortimer von 83 Manteuffel, Otto von 217 Marschall, Johann Adam 180 Martens, Georg Friedrich (von) 290 Marx, Karl 7, 107, 108, 125, 138 Mathy, Karl 108, 116, 165 Maximilian I., König von Bayern 54 Maximilian II., König von Bayern 51, 56, 57, 60, 62, 63, 67, 69, 70, 216 Meixner, Karl (von) 52, 56, 57, 59, 69, 70, 216, 221 Mensdorff-Pouilly, Alexander Graf v. 72 Menz (preußischer Beamter) 47, 48 Metternich, Clemens Lothar Wenzel Fürst von 24, 46, 98, 101, 122, 158, 257, 261, 268, 276

307 Mevissen, Gustav 150, 163 Michaelis, Otto 120 Milbanke, John 236, 239, 244 Milbanke, Ralph 240 Minnigerode, Ludwig 298 Mohl, Moritz 118 Mohr, Martin 167 Montgelas, Ludwig Graf von 67 Morier, Robert 250–252 Motz, Friedrich von 15, 17, 33, 34, 45– 49, 55, 79, 83–85, 89, 100, 205, 206, 225 Müller, Adam 128 Müller, Friedrich von 187, 188 Mutzel, Carl Adolph 219 Napier, Lord Francis 252 Napoleon I., Kaiser der Franzosen 37, 39, 40, 48, 98, 144, 183, 190, 204, 206 Napoleon III., Kaiser der Franzosen 273 Nebenius, Carl Friedrich 99, 103 Neumayr, Max von 72 Ompteda, Ludwig von 84 Oppenheim, Heinrich Bernhard 117 Otterstedt, Friedrich von 83 Palmerston, Henry John Temple Viscount 106, 234, 239, 241, 245 Patow, Robert Freiherr von 210, 221 Pfizer, Paul Achatius 107, 156 Pfordten, Ludwig Freiherr von der 52, 57, 60, 62, 63, 65, 72 Philipsborn, Max (von) 70 Plessen, Leopold Engelke Hartwig von 290 Pommer-Esche, Johann Friedrich von 15 Poppe, Johannes Heinrich 99 Prince-Smith, John 132 Radowitz, Joseph Maria von 257 Raule, Franz Ritter von 280 Raumer, Friedrich von 103 Raymond, Daniel 127

PERSONENREGISTER

308 Rechberg und Rothenlöwen, Bernhard Graf von 25, 72 Reinwald, Johann Georg 101 Repsold, Adolf 295 Repsold, Georg 295 Repsold, Johann Georg 295 Reuter, Ludwig 216, 219 Ricardo, David 127 Riedesel, Georg Freiherr von 186–188 Rochau, August Ludwig von 21 Römer, Friedrich 156 Rönne, Friedrich Ludwig von 109, 210 Rotteck, Karl von 102, 157 Russell, William 237 Say, Jean Baptiste 127 Scharrer, Johannes 101 Schenck zu Schweinsberg, Friedrich Freiherr von 214 Schlegel, Friedrich 43 Schleinitz, Alexander Freiherr von 66 Schlör, Gustav von 51 Schmerling, Anton von 72 Schmoller, Gustav 43 Schott, Albert 156 Schrenck-Notzing, Karl Freiherr von 52, 58, 65, 66, 68, 69, 71, 72 Schuchard, Johannes 140, 141, 142 Schulz, Wilhelm 102, 156 Schwarzenberg, Felix Fürst zu 60, 61, 63, 64, 113, 166, 243, 255, 258 Schwedes, Theodor 214, 215 Schweitzer, Christian Wilhelm 80 Seymour, Sir George Hamilton 247 Simson, Martin Eduard von 27 Smidt, Johann 82, 85, 86, 290 Smith, Adam 36, 105, 127, 206, 225 Soyer, Ferdinand 221 Stein, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum 35 Steinacker, Karl 10, 23, 104, 161, 164, 175, 253 Strauch, Gustav Adolph von 87

Suden, Carl 85 Sybel, Heinrich von 255 Thomas, Johann 79, 82, 85 Thon, Gustav 205 Thon, Ottokar 203–205 Thümmel, Julius Hans von 221 Tögel, Theodor 134 Treitschke, Heinrich von 14, 15, 75, 102, 122, 255 Uhland, Ludwig 156 Varnbüler, Karl Freiherr von 72 Vayhinger, Wilhelm August 221, 222 Venedey, Jakob 21 Vetter-Koechlin, Louis 134 Victoria, Kronprinzessin v. Preußen 248 Villaret (preußischer Beamter) 219 Voigt, Bernhard Friedrich 193 Wangenheim, Karl August Frhr. von 290 Ward, John 243 Weber, Wilhelm (von) 14, 19, 52, 57–59, 216, 217 Weibezahn, W. E. H. 300 Weinlig, Albert Christian 295 Welcker, Karl Theodor 157 Wellesley, Henry Richard Charles (second Baron Cowley seit 1847, first Earl Cowley seit 1857) 246 Wilhelm I., König von Preußen und Deutscher Kaiser 168, 248 Wilhelm I., König von Württemberg 71 Wilhelm II., Kurfürst von Hessen-Kassel 81, 92 Wilke, Eduard 217 Windthorst, Ludwig 25 Wirth, Carl Friedrich 185 Zimmermann, Gustav 107

AUTORINNEN UND AUTOREN Prof. Dr. Heinrich Best, Inhaber des Lehrstuhls für Methoden der empirischen Sozialforschung und Sozialstrukturanalyse am Institut für Soziologie der Friedrich-SchillerUniversität Jena. Prof. Dr. Rudolf Boch, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Institut für Europäische Geschichte der Technischen Universität Chemnitz. Prof. Dr. Andreas Etges, Vertretung der Professur für Nordamerikanische Geschichte an der Abteilung Geschichte des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Dr. Thomas J. Hagen, Freier Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs in Wien (2011 Abschluss des Dissertationsprojektes: „Das ‚Brucksche Mitteleuropa’ 1849–1867. Die praktischen Erfolge der Wiener Politik zur Schaffung einer mitteleuropäischen Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion“). Prof. Dr. Hans-Werner Hahn, Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Henning Kästner, Doktorand am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Dissertationsprojekt: „Kleinstaatlicher Parlamentarismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Weimarer Landtag 1817–1848“). Dr. Marko Kreutzmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Dr. Markus Mößlang, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Historical Institute London. Prof. Dr. Jürgen Müller, apl. Professor am Historischen Seminar der Johann-WolfgangGoethe-Universität in Frankfurt am Main. Dr. Angelika Schuster-Fox, Wissenschaftliche Angestellte am Bayerischen Nationalmuseum in München sowie Betreuung des Missionsmuseums der Erzabtei St. Ottilien/Lkr. Landsberg am Lech. Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. Dr. Oliver Werner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der FriedrichSchiller-Universität Jena (aktuelles Habilitationsprojekt: „Der Mitteldeutsche Handelsverein 1828–1834. Anatomie einer zollpolitischen Initiative“).

Marko kreutzMann

zwischen ständischer und bürgerlicher lebenswelt adel in sachsen-weiMar-eisenach 1770 bis 1830 ( Veröffentlichungen der historischen koMMission für thüringen, kleine reihe, band 23)

Anknüpfend an aktuelle Forschungen zur Geschichte des europäischen Adels in der Moderne stellt die vorliegende Studie die Frage nach Beständigkeit und Wandel des Adels im Raum Weimar- Jena in der Zeit des Überganges von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Am Beispiel der freiherrlichen Familien von Ziegesar und von Fritsch wird aus sozial- und kulturhistorischer Perspektive die Lebenswelt des Adels rekonstruiert. Dabei wird auch untersucht, inwieweit die Zeit der Weimarer Klassik um 1800, verstanden als eine besondere geistige und kulturelle Konstellation von europäischer Ausstrahlungskraft, den Wandel des Adels in spezifischer Weise prägte. Im Vergleich mit anderen Adelslandschaften wird deutlich, dass der Adel in SachsenWeimar-Eisenach im frühen 19. Jahrhundert stärker als bisher angenommen an der Herausbildung »bürgerlicher« Werte und Lebensformen beteiligt war. 2008. IX, 502 S. Gb. 155 X 230 mm. ISbN 978-3-412-20031-2

böhlau verlag, ursulaplatz 1, 50668 köln. t : + 49(0)221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

Dirk AlvermAnn irmfrieD GArbe (HG.)

ernst moritz ArnDt Anstösse unD WirkunGen ( veröffentlicHunGen Der HistoriscHen kommission für Pommern. reiHe v: forscHunGen, bAnD 46)

Ernst Moritz Arndt (1769–1860) war einer der wirkmächtigen politischen Publizisten im Kontext der antinapoleonischen Kriege. Sein Werk, lange Zeit Bestandteil der deutschen Nationalliteratur, wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder Gegenstand kontroverser Auseinandersetzung. Der vorliegende Band will die Konturen des Arndtschen Werkes und seiner Rezeption sichtbar machen, indem er das differenzierte Arndt-Bild der historischen Lesergemeinden im Kaiserreich, der Weimarer Republik, der NS-Zeit, der Bundesrepublik sowie der DDR herausarbeitet. Er enthält außerdem eine Dokumentation der meisten in Arndts Todesjahr publizierten Nachrufe. 2011. 386 S. Gb. 170 x 240 mm. ISbN 978-3-412-20763-2

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