„Gesunde Verhältnisse". Deutsche und polnische Bevölkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939-1950 3879692696

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„Gesunde Verhältnisse". Deutsche und polnische Bevölkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939-1950
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Materialien und Studien zur OstmitteleuropaForschung Michael G. Esch

„Gesunde Verhältnisse". Deutsche und polnische Bevölkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939-1950 II

Verlag Herder-Institut Marburg 1998

Michael G. Esch „Gesunde Verhältnisse". Deutsche und polnische Bevölkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939-1950

MATERIALIEN UND STUDIEN ZUR OSTMITTELEUROPA-FORSCHUNG Herausgegeben vom Herder-Institut e.V.

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Michael G. Esch „Gesunde Verhältnisse". Deutsche und polnische Bevölkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939-1950

VERLAG HERDER-INSTITUT

MARBURG 1998

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Esch, Michael G.: „Gesunde Verhältnisse" : deutsche und polnische Bevölkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939 -1950 / Michael G. Esch. Herder-Institut, Marburg. - Marburg : Herder-Inst., 1998 (Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung ; 2) Zugl.: Düsseldorf, Univ., Diss. 1996 ISBN 3-87969-269-6

© 1998 by Herder-Institut, 35037 Marburg, Gisonenweg 5-7 Prihted in Germany Alle Rechte vorbehalten Redaktion: Hans-Jürgen Karp. Satz: Herder-Institut, 35037 Marburg Druck und Bindung: Druckerei Herr, 35390 Gießen ISBN 3-87969-269-6

VORWORT EINLEITUNG

VII 1

Forschungslage (6) - Quellenbasis (19) I. DIE PROTAGONISTEN

21

1. Struktur und Tätigkeit der bevölkerungspolitisch aktiven Behörden im besetzten Polen

21

2. Bevölkerungs- und Siedlungspolitik in Polen 1944-1948

47

a. Exil und Untergrund b. Polen nach dem Krieg IL DIE THEORETISCHE GRUNDLEGUNG DER BEVÖLKERUNGS- UND SIEDLUNGSPOLITIK: SANIERUNG UND MODERNISIERUNG

47 52 79

1. Zur Vorgeschichte

79

2. Das Paradigma Überbevölkerung und die Optimierung der Bevölkerungsstruktur

83

a. „Menschenökonomie", „Überbevölkerung" und Rassismus in der Siedlungsplanung im besetzten Polen b. Delegatura und Volksrepublik Polen: Beseitigung der „Überbevölkerung" durch territoriale Erweiterung 3. Gesunde Verhältnisse: Die Planung der sozioökonomischen Struktur der Kolonie und die Bereinigung des Stammgebietes a. Struktursanierung und Germanisierung in den eingegliederten Ostgebieten und im Generalgouvernement

87 103 128 128

Die Planungsentwicklung in den eingegliederten Ostgebieten (128) - Die Übertragung der Planungsparadigmen auf das Generalgouvernement (151) - Die Germanisierungsversuche im Distrikt Lublin (157) - Weitergehende Planungen für den europäischen Osten (160)

b. Struktursanierung und Polonisierung in den Nachkriegsplanungen der Delegatura 1942-1944 c. Struktursanierung und Polonisierung in den Wiedergewonnenen Gebieten 1945-1948

166 176

Überlegungen zur Betriebsgrößenverteilung (176) - Umsetzung: Praxis der Ansiedlung in den Wiedergewonnenen Gebieten (197) -Auf dem Weg zur Kollektivierung (211) -Zusammenfassende Bemerkungen (223) I I I . SEGREGATION ALS STRUKTURPOLITIK: ETHNISCHE SÄUBERUNG UND

MODERNISIERUNG

1. Die Schaffung des Staatsvolkes aus allen verfügbaren Quellen: „Rücksiedlung", Vertragsumsiedlung, Selektion

226

229

V

a. „... darf kein Tropfen deutschen Blutes verlorengehen" - Die Rekrutierung deutscher Siedler und die Kriterien der 'positiven' Selektion im besetzten Polen

229

Die Übertragung der Erfahrungen in den eingegliederten Ostgebieten auf das Generalgouvernement (246)

b. „...war kein und wird kein ethnisch einheitlicher Staat sein" - Konzepte für die Zusammensetzung der Staatsnation in Exil und Widerstand c. „... geben keine einzige polnische Seele ab" - Die Zusammensetzung der Staatsnation in Polen nach dem Krieg

252 265

Die Umsiedlung der Polen und Juden aus den westlichen Sowjetrepubliken (266) Die Eingliederung der polnischen Juden und das Pogrom in Kielce (273) - Die Zwangsumsiedlung der ukrainischen Bevölkerung 1947 (285) - Reemigration (293) - Verifizierung und Repolonisierung (299) - Reaktionen der Bevölkerung auf die Verifizierung (313) - Zusammenfassende Bemerkungen (321)

2. Die Behandlung der Unerwünschten a. Aussiedlung, Zwangsarbeit und Massenmord im nationalsozialistischen Machtbereich bis 1945

324 324

Die Aussonderung der Juden und unerwünschten Polen in den eingegliederten Ostgebieten (324) - Aussonderung und Zwangsarbeit (331) - Wirkungen des Funktionswandels des Generalgouvernements Anfang 1940 auf die Politik gegenüber Polen und Juden (340) - Die Aussonderung der „ Asozialen " und Kriminellen (359)

b. Aussonderung und Aussiedlung in Polen 1945-1950

365

Delegatura und Exil (365) - Aussiedlung und Zwangsarbeit in Polen 1945-1950: Die Verhältnisse bis zum Beginn der organisierten Aussiedlung im Frühjahr 1946 (369) - Zwangsarbeit und Zwangsaussiedlung Frühjahr 1946-1949 (399) - Zusammenfassende Bemerkungen (406) ZUSAMMENFASSUNG

409

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

418

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

421

1. Unveröffentlichte Quellen

421

2. Gedruckte Quellen und Quelleneditionen

422

Mehrfach zitierte Aufsätze aus der Publikationsreihe des BSOP (429)

3. Literatur REGISTER

VI

430 447

Vorwort Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1995/96 von der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen wurde. Dem Vorstand des Herder-Instituts danke ich für die Aufnahme der Arbeit in seine Publikationsreihe. Die Erstellung der Druckfassung begleiteten kompetent und geduldig Dr. Hans-Jürgen Karp und Eberhard Schwab. Die nötigen Archivrecherchen in Warschau wurden mir durch ein sechsmonatiges Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ermöglicht. In Warschau haben Dr. Arkadiusz Kolodziejczyk und Prof. Dr. Marfan Wojciechowski die Arbeit mit Interesse verfolgt und unterstützt. Prof. Dr. Wojciechowski sei insbesondere dafür gedankt, daß er mir die Möglichkeit eröffnete, meine Thesen im Rahmen des von ihm geleiteten Doktoranden-Kolloquiums vorzustellen, und daß er durch seine zuweilen scharfe Kritik und seinen Reichtum an Kenntnissen meinen eigenen analytischen Blick geschärft hat. Dr. Arkadiusz Kolodziejczyk ermöglichte die Durchsicht des Archiwum Stanislawa Kota des PSL und besorgte vergriffene Literatur. Wesentliche Unterstützung erhielt ich außerdem durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Archiwum Akt Nowych und des Archiwum Glównej Komisji Badania Zbrodni Przeciwko Narodowi Polskiemu, die meine umfangreichen Aktenbestellungen immer geduldig und oft engagiert erledigt haben. Innerhalb der Glówna Komisja schulde ich Frau Borodziej besonderen Dank dafür, daß sie mir die zum Teil schwer zugänglichen Publikationen der Hauptkommission zur Verfügung stellte. Ebenso sei den Mitarbeitern des Bundesarchivs Koblenz für ihr Verständnis und ihre Bereitschaft gedankt, trotz meines zuweilen plötzlichen Auftauchens die Arbeit in ihren Räumen zuzulassen. Herzlicher Dank sei denen ausgedrückt, die die Arbeit durch ihre kritischen Anmerkungen und Hinweise unterstützt haben. Dies waren bei der Konzeptionierung und in der Anfangsphase Dr. Ahlrich Meyer und Dr. Götz Aly, im weiteren Verlauf neben den bereits Genannten Ewa Domska, Kerstin Griese, Dr. Eva Hahn, Dr. Dieter Pohl, Dr. Maria Rhode, Krystyna Usarek, Yfaat Weiß, Peter Witte, Wolfgang Woelk sowie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Oberseminare von Prof. Dr. Hans Hecker, Prof. Dr. Kurt Düwell und Prof. Dr. Bernd Bonwetsch. Den Freunden und Kollegen Walter Daugsch, Frank Sparing, Pia Kambergs und meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans Hecker sei für die nie ermüdende Diskussionsbereitschaft und Unterstützung auch in den düsteren Phasen der Arbeit gedankt. Besonderen Dank dafür, daß sie immer mit Rat, Tat und dem Drängen auf Genauigkeit zur Seite stand, schulde ich der geduldigen Kollegin Dr. Ute Caumanns. Düsseldorf, den 9. Oktober 1998

VII

Einleitung Wohl kaum ein Ereignis hat die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts so stark geprägt wie die Bevölkerungsverschiebungen während des und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Jahre 1939-1950 waren besonders in Mitteleuropa geprägt durch die behördlich verordnete Verschiebung, Vertreibung und, zwischen Sommer 1941 und 1944, Vernichtung von Millionen von Menschen. Während jedoch die Zeit des Zweiten Weltkrieges in einer nicht mehr überschaubaren Anzahl von Studien sowohl aus der Perspektive der Opfer als auch der Täter in aller Welt studiert und dargestellt worden ist, blieben die Umsiedlungen der Nachkriegsjahre, abgesehen von einer Flut von Erlebnisberichten Betroffener und deren Auswertung durch politisch interessierte Kreise, in der kritischen historischen Forschung in vielerlei Hinsicht unbeachtet, zumal polnische Archive für entsprechende Themen länge Zeit verschlossen waren und nach ihrer Öffnung zunächst kaum herangezogen wurden. Die vorliegende Studie versucht einen Vergleich zwischen zwei historischen Ereignissen, die bislang in der kritischen Forschung und Öffentlichkeit zu Recht als unvergleichbar betrachtet wurden: zwischen der nationalsozialistisch-deutschen Besatzungs-, Siedlungs- und Vernichtungspolitik im besetzten Polen und der polnischen Aussiedlungs-, Umsiedlungsund Eingliederungspolitik in den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Sie begreift sich als Teil einer seit mehreren Jahren sehr fruchtbaren Diskussion jüngerer Historikerinnen und Historiker, die bevölkerungspolitische und sozioökonomische Ordnungsmodelle, Modernisierungsabsichten und Planungsimpulse als wesentlich für das Verständnis der Jahre 19331945 in der deutschen Geschichte auffaßt. Die Ausweitung dieses Forschungs- und Erklärungsansatzes auf einen Vergleich bevölkerungspolitischer Paradigmen in der deutschen Besatzungspolitik einerseits, der polnischen Politik in den ehemaligen deutschen Ostgebieten andererseits bedarf, da sich bereits die Anlage des Unternehmens der Gefahr aussetzt, als Aufrechnungsversuch deutschen gegen polnisches Unrecht mißverstanden zu werden, einer genauen Begründung und Abgrenzung. Gegenstand der folgenden Untersuchung sind sozialtechnologische und bevölkerungspolitische Planungsgänge - bezogen auf die Agrar- und Siedlungsstruktur in den jeweils neu zum Staatsterritorium geschlagenen Gebieten - aus den Jahren 1939 bis 1950 und ihre Umsetzung in behördlichem Handeln, mithin also die Ebene der „planenden Intelligenz".1 Darüber hinaus werden die Selektionsmechanismen untersucht, die die mehr oder weniger differenzierte Scheidung der Gesamtbevölkerung in ihre „erwünschten" und „unerwünschten" Segmente ermöglichen sollten. Vgl. HEIM/ALY: Ökonomie der Endlösung, S. 14 ff. und ALY/HEIM: Vordenker der Vernichtung. Zur Kritik siehe vor allem BROWNING: German Technocrats. 1

Die in der vorliegenden Studie vorrangig untersuchte agrarstrukturelle Planung macht zwar nur einen Ausschnitt aus der Gesamtheit der Neuordnungsbereiche aus, die hier wie da durch wissenschaftlich gestützte behördliche Planung erfaßt werden sollten. Gerade die Umgestaltung und, in der Logik der Planer, Sanierung der ländlichen Bevölkerungsverhältnisse wurde aber, dies wird im Verlauf der Argumentation deutlich werden, konzeptuell als Voraussetzung jedes weiteren Schrittes angesehen, und zwar sowohl von deutscher als auch von polnischer Seite. Gleichzeitig muß die Darstellung der Praxis, die den Planspielen folgte und in der die papiernen Vorlagen in mehr oder weniger großem Maße realisiert wurden, zumindest so weit berücksichtigt werden, wie sie sich in behördlichen Anordnungen, Richtlinien und Vorgaben niederschlug. Nur so ist zu vermeiden, daß die Analyse der bevölkerungspolitischen Paradigmen zwischen 1939 und 1950 ideologischen Legitimationsstrategien und akademischen Chimären aufsitzt, die mit dem tatsächlichen Vorgehen der jeweils zuständigen Behörden wenig zu tun hatten.2 Es soll also versucht werden, mit besonderem Blick auf die Agrarverhältnisse die Strukturpläne der deutschen Planer und Behörden in Polen und der polnischen im ehemaligen deutschen Osten zu rekonstruieren und zu klären, in welchem Maße diese von Modernisierungs- und Rationalisierungsabsichten abgeleitet wurden. Auf polnischer Seite wird neben den Planspielen und der Praxis des polnischen Staates zwischen 1945 und 1950 auch die Konzeptionierung einer Umsiedlungs- und Strukturpolitik im Untergrund untersucht, so daß die Darstellung im Grunde den Zeitraum 1941-1950 abdeckt. Die Hinzuziehung der Konzeptionen der Delegatura, die schon allein deshalb besondere Schwierigkeiten bereitete, weil die meisten Dokumente weder datiert noch unterzeichnet sind, war nötig, um nachzuvollziehen, inwieweit sich zum einen polnische Neuordnungsmodelle in direkter Auseinandersetzung mit der aktuell erlebten deutschen Praxis herauskristallisierten, und inwiefern sich zum anderen die Modelle und Planungen ausgewiesener Antikommunisten von denen der Kommunisten nach dem Krieg unterschieden.3 Außerdem wird der Frage nachgegangen, in welchem Verhältnis die Neuordnungsabsicht zur territorialen Erweiterung stand, ob nämlich das Restrukturierungsinteresse die Erweiterung nötig machte und in ihrem Umfang bestimmte, oder ob die aus anderen Gründen - deren Klärung nicht Aufgabe dieser Studie wäre - vorangetriebene Annexion zusätzlicher Gebiete die von anderen Stellen vorgesehene Restrukturierung einfach nur ermöglichte. Die Diskussion um die Bevölkerungsverschiebungen ist in Bezug auf die deutsche Politik der Jahre 1939-1945 durch die Veröffentlichungen Alys und Heims, in Bezug auf die So etwa der nicht völlig unberechtigte Vorwurf Dan Diners an Götz Aly und Susanne Heim. DINER: Rationalisierung und Methode, S. 363 ff. Richtig ist jedenfalls Diners Anmerkung, daß der Massenmord an den Juden „nicht monokausal zu erklären" sei. Ebenda, S. 371. Eine Auswertung von Materialien der Exilregierung in London war nur in dem Maße möglich, in dem Akten der Exilregierung veröffentlicht worden sind oder sich in polnischen Archiven finden. Folgt man der polnischen Literatur, so hat sich die Exilregierung mit Fragen, wie sie im folgenden untersucht werden sollen, ohnedies nicht befaßt. Siehe BELZYT: Zum Verfahren der nationalen Verifikation, S. 251. 2

polnische Politik nach dem Kriege durch die seit 1989 offener werdende Diskussion in Polen (wieder) aufgelebt. Vergleichende Studien gibt es bislang jedoch noch nicht. Die vorliegende Arbeit will als ein erster Versuch im Rahmen der erwähnten Diskussionen verstanden werden. Sie verzichtet auf die vollständige Rekonstruktion der vor allem im Dritten Reich „verwirrende(n) Vielfalt"4 der Äußerungen, Konzepte und Planentwürfe für eine Neuordnung Europas in zentralen Institutionen und Interessenverbänden. Statt der Makroebene, wie sie sich im Generalplan Ost ausdrückte und konkretisierte, wird, in weitgehender regionaler Beschränkung auf den „Warthegau" und den Distrikt Lublin, die mittlere Planungsebene bevorzugt analysiert. Die Analyse der polnischen Seite beschränkt sich weitgehend auf das Gebiet der „Wiedergewonnenen Gebiete". Untersucht werden, sowohl im Bereich der deutschen als auch der polnischen Siedlungs- und Bevölkerungspolitik, die konkret angestrebten Zielstrukturen unter Berücksichtigung des Maßes ihrer tatsächlichen Umsetzung. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß die zentrale, im Deutschen Reich meist europaweit verstandene Planungsdiskussion völlig außer Acht gelassen werden kann: sie wird in ihren Wechselwirkungen auf die regionale, konkrete und auf direkte Umsetzung ausgerichtete „Gestaltungsarbeit" beobachtet. Ebenso wird darauf verzichtet, die „Große Politik" darzustellen, soweit dies nicht direkt zum Verständnis der Hintergründe bestimmter Planungsentwürfe und behördlicher Vorgänge vonnöten war. Als Bevölkerungspolitik im Sinne der hier untersuchten Fragestellungen soll die Gesamtheit behördlicher Maßnahmen verstanden werden, die bestimmenden Einfluß auf quantitative und qualitative Merkmale von Bevölkerung nehmen wollen. Nach einer Definition des Präsidenten des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg, Dr. Max Wingen, ist Bevölkerungspolitik „das bewußte, zielgerichtete und möglichst explizite Einwirken auf Entwicklung und Struktur der Bevölkerung".5 Dies meint auf der innerstaatlichen Ebene etwa Geburtenförderung oder -hemmung insgesamt oder bei mehr oder weniger genau definierten Bevölkerungssegmenten, auf übergeordneter Ebene all diejenigen Maßnahmen, die auf die soziale, wirtschaftliche oder ethnische Struktur der Bevölkerung oder ihre räumliche Verteilung zielen; vor allem der letztere Aspekt wird im folgenden interessieren. Zur Unterscheidung in quantitative und qualitative Bevölkerungspolitik gehört eine weitere nach hemmenden oder vermeidenden bzw. fördernden Maßnahmen, mit anderen

EICHHOLTZ: Der „Generalplan Ost", S. 121.

Stichwort „Bevölkerungspolitik", in: MICKEL: Handlexikon zur Politikwissenschaft, S. 31-35, hier S. 31. Wingen betreibt hier zugleich den Versuch einer Rehabilitierung sowohl der Bevölkerungspolitik als solcher, die, „mit bedingt durch die negativen Erfahrungen während des Nationalsozialismus, eine erst in jüngerer Zeit sich etwas abbauende Tabuisierung" erfahren habe. Auch an der eigentlichen Zielrichtung der Eugenik kann er insoweit nichts Schlechtes finden, „als sie darauf abzielt, das in der Bevölkerung vorhandene genetische Potential vor Schäden zu bewahren und zur bestmöglichen Entfaltung auch in den nächsten Generationen zu bringen". Ebenda, S. 32. MAX WINGEN:

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Worten: die der Bevölkerungspolitik immanente Dichotomie von Auslese und Ausmerze.6 Mit der Definition von Bevölkerung als behördliches Dispositiv wird diese letzten Endes nicht mehr Ziel, sondern Mittel politischen Handelns. Um es mit den Worten Wingens auszudrücken: „Bevölkerungsstand und -entwicklung stellen keinen Eigenwert dar, wohl aber eine wichtige Voraussetzung für die Realisierung bestimmter gesellschaftspolitischer Wertsetzungen."7 Tatsächlich läßt sich der als „Volkstumspolitik" apostrophierte Komplex der Germanisierung und „Umvolkung" in den annektierten Gebieten, allgemeiner: der Vorgang der „ethnischen Bereinigung", der oft gerade für die Zeit von 1939-1945 als rein ideologisch motiviert verstanden worden ist,8 als nicht einmal ungewöhnliche Sonderform von Bevölkerungspolitik auffassen. Das Gleiche gilt für die Vertreibungs-, Aussiedlungs- und Ansiedlungspolitik Polens nach 1945. Bevölkerungsverschiebungen allergrößten Ausmaßes waren, soviel kann für das deutsche Besatzungsregime in Polen als bekannt vorausgesetzt werden, mit sozioökonomischen Restrukturierungsabsichten verknüpft, zuweilen hatten diese die Umsiedlungen erst zur Folge. Ihr inhaltlicher und methodischer Kern war die Selektion der Bevölkerung in „erwünschte" und „unerwünschte", in einem radikaleren Sinne in „wertvolle" und „unwerte" Bestandteile. Auf deutscher Seite legte erst die Durchsetzung einer leistungs- und dadurch wertbestimmten Hierarchisierung den Grundstein für Selektionsmechanismen, die zur Ausgrenzung nach unterschiedlichen Kriterien definierter Gruppen der Bevölkerung und in ihrer extremsten vorstellbaren Form zur physischen Vernichtung der „Unbrauchbaren" führten.9 Diese Kategorisierung hatte, nirgends wird dies deutlicher als im Falle der deutschen Juden, mit der Selbstdefinition der Betroffenen oft nicht das geringste zu tun; im Gegenteil zeigte sich der bevölkerungspolitische Zugriff des Staates in allererster Linie als Definitionsmacht.10 Die Notwendigkeit des wissenschaftlich-bevölkerungspolitischen Grundparadigmas für den Massenmord hat auch Detlev Peukert treffend zusammengefaßt. Der für das Begreifen der Genese des Massenmordes unabdingbare „rote Faden", so Peukert,

Diesen Gedanken hat jüngst Alfons Labisch am Beispiel der Medizin ausgeführt. LABISCH: Heilkunst als Erhaltungslehre. Vgl. auch DERS.: Homo hygienicus, S. 188-246. WINGEN: Bevölkerungspolitik, S. 34. So selbst BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, dem damit die Kategorien fehlten, um die Abweichungen vom ideologisch postulierten Ideal in der Volkstumspolitik in den gliederten Gebieten im Sinne eines sozioökonomischen Konzeptes zu analysieren. Siehe dazu weiter unten. Zu Recht hat Michael Pollak am Beispiel der „Euthanasie" den Begriff vom „Gutachten als Bedingung der Möglichkeit" geprägt. Vgl. POLLAK: Rassenwahn und Wissenschaft. Siehe hierzu MAJER: „Fremdvölkische" im Dritten Reich, bes. S. 69-84, und ADLER: Der verwaltete Mensch.. 4

„läßt sich aber nicht, so unsere These, in der traditionellen Geschichte von Judenhaß und Judenverfolgung finden, obwohl dessen Opfer in den nationalsozialistischen Tötungsbilanzen bis 1945 die weitaus größte Gruppe ausmachten. Das weltgeschichtlich Neue der „Endlösung" ergab sich vielmehr als Folge einer fatalen rassistischen Entwicklungsdynamik in den Humanwissenschaften selbst. Diese erfolgte im Paradigma der qualitativen Einteilung in 'Werte' und 'Unwerte' und der damit einhergehenden Praxis 'auslesender' und 'ausmerzender' Behandlung des „Volkskörpers"."11 Des weiteren wird daher untersucht, nach welchen Definitionsstrategien und Kriterien die Trennung der Gesamtbevölkerung in erwünschte und unerwünschte Segmente erfolgte, inwiefern sozioökonomische Strukturpläne auf die Selektionskriterien einwirkten und in welcher Form die Behandlung und prospektive Entfernung der unerwünschten Bevölkerungssegmente vorgedacht und vollzogen wurde. Dabei soll nicht zuletzt gezeigt werden, in welchem Maße jeweils zunächst die unerwünschte, aber auch die als Staatsvolk bzw. als erwünschter Zuwachs ausgemachte Bevölkerung als behördliche Verschubmasse definiert wurde. Die Untersuchung dieser Fragen erlaubt sowohl Aussagen über die Konstituierung von Umsiedlungsplänen als auch über die Rolle bevölkerungspolitischer Planung und Konzeptionierung in der Vorbereitung und Legitimierung von Gewalt gegenüber denen, deren Verbleib in einem gegebenen Territorium in den Planspielen nicht mehr vorgesehen war. Da für die Praxis der Deportation die vorherige Definition von „Erwünschten" und „Unerwünschten" unabdingbare Voraussetzung war, ermöglicht sie darüber hinaus eine analytische Gegenüberstellung deutscher und polnischer Bevölkerungspolitik. Der Vergleich der Planungsgänge und -inhalte und ihrer Umsetzung soll dazu dienen, sowohl die Parallelen als auch die Unterschiede im Vorgehen der deutschen und der polnischen Umsiedlungs- und Neuordnungsstrategen zu verstehen. Die Vergleichsebene ist im hier gewählten Untersuchungsgegenstand in, wie es scheint, selten anzutreffender Vollständigkeit und chronologischer Dichte gegeben: der deutschen Umsiedlungs-, Neuordnungsund Massenmordpolitik in den eingegliederten Ostgebieten und im Distrikt Lublin des neralgouvernements folgte die Umsiedlungs- und Neuordnungspolitik Polens in den dergewonnenen Gebieten unmittelbar. Die Nachkriegsplanungen des polnischen Untergrunds wurden sogar gleichzeitig mit der deutschen Praxis aufgestellt. In beiden Fällen war von Anfang an klar, daß es sich nicht um Gebietserweiterungen alten Stils handelte, die neben territorialem Zugewinn auch den an Menschen zum Ziele hatten, sondern Gebiete angestrebt wurden, die von ihrer Bevölkerung, zumindest der überwiegenden Mehrheit, verlassen werden mußten.

PEUKERT: Genesis der „Endlösung", bes. S. 26. Vgl. auch PINN: Die „Verwissenschaftlichung" völkischen und rassistischen Gedankenguts. Zum Verhältnis von Rassismus und Verwissenschaftlichung siehe auch MOSSE: Geschichte des Rassismus, der allerdings in der Anwendung seiner eigenen Forschungsergebnisse auf die Genesis der „Endlösung" Schwächen aufweist, indem er sich hauptsächlich auf DAWIDOWICZ: The War against the Jews bezieht. Zum Ansatz von Dawidowicz siehe KERSHAW: DerNS-Staat, S. 40 f., 165, 171.

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Es wird des weiteren untersucht, inwiefern unterschiedliche gesellschafts- und strukturpolitische Vorstellungen Auswirkungen auf die bevölkerungspolitische Planung und Praxis gehabt haben. Immerhin handelte es sich beim nationalsozialistischen Deutschland und bei der polnischen Nachkriegsrepublik zumal in ihrer Anfangsphase um zwei völlig unterschiedliche Gesellschaftsmodelle. Die Einsicht, daß diese Unterschiedlichkeit zwar Auswirkungen auf die konkrete Ausformung des sozioökonomischen Modells der agrarischen (in geringerem Maße auch der städtischen) Besiedlung der neuen Territorien hatte, nicht aber auf grundsätzliche Planungsparadigmen wie die Sanierung der agrarischen Überbevölkerung, den grundsätzlichen Wert einer Gesamtplanung menschlicher, sozialer und wirtschaftlicher Verhältnisse, die Selektion in erwünschte und unerwünschte Bevölkerungssegmente und die Reduktion sozialer und ökonomischer Phänomene auf quantitative Verhältnisse - dies gewährt am konkreten Beispiel Einblicke in gewisse Aspekte des Prinzips Bevölkerungspolitik überhaupt. Die Untersuchung von radikalisierenden Faktoren einerseits und von Faktoren, die die Brutalisierung bevölkerungspolitischen Handelns hemmten, andererseits erlaubt darüber hinaus, in beschränktem Umfang Aussagen darüber zu machen, warum das Amalgam aus territorialer Expansion, ethnischer Bereinigung und sozioökonomischer Restrukturierung im einen Falle zum Völkermord führte und im anderen nicht. Die Konzentration auf die Vorstellungen und Konzepte der Planer und Ausführenden, letztlich also auf die Täterseite, bringt es mit sich, daß, wenn nicht umständliche Umschreibungen verwendet werden, die den Text noch unverdaulicher machen würden, die Begrifflichkeit der Täter benutzt werden muß - auch deshalb, weil im Vokabular der Unmenschlichkeit Begriffe verwendet werden, deren semantischer Gehalt so eindeutig belegt ist, daß sie keine „neutralen" Synonyme besitzen. Gleichzeitig würde der Versuch, die eigene kritische Distanz zu dieser Begrifflichkeit durch Anführungszeichen zu betonen, erfahrungsgemäß zu Unübersichtlichkeit führen. Es werden daher im folgenden Begriffe wie Ausmerze und Auslese ohne eigene Hervorhebung verwendet - in der Hoffnung, daß die kritische Distanz zu den Begriffen wie auch zu den darin zum Ausdruck kommenden Vorstellungen in der Argumentation deutlich wird.

Forschungslage Die vorliegende Arbeit kann sich, vor allem was die Darstellung der Planung und Durchführung der nationalsozialistischen Besatzungs- und Bevölkerungspolitik in Polen angeht, zum Teil auf die reiche polnische Literatur stützen. Daneben bleiben einige ältere deutsche Arbeiten, vor allem die Studie Martin Broszats, der als erster eine Analyse der deutschen Besatzungspolitik in den eingegliederten Ostgebieten versuchte, unverzichtbar.12 Außer-

Nationalsozialistische Polenpolitik. An älteren, heute aufgrund der damals schmaleren Quellenbasis unbefriedigenden Arbeiten seien genannt EISENBLÄTTER: Grundlinien sowie die Studien des Instituts für Besatzungsfragen in Tübingen zu den deutschen Besetzungen im 2. BROSZAT:

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dem sind in den letzten Jahren, in längst überfälliger Rezeption polnischer Studien und Dokumenteneditionen, eine Reihe von Arbeiten erschienen, die sich ihrerseits mit dem Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Forschung, institutioneller Planung und administrati13 ver Siedlungs-, Deportations- und Vernichtungspraxis befassen. Viele dieser Arbeiten vollziehen Positionen nach, die in älteren polnischen Arbeiten der sechziger und siebziger 14 Jahre zu finden sind, untermauern und korrigieren aber darüber hinaus manche Einschätzungen und Detailfragen mit Hilfe von Dokumenten, die erst in jüngster Zeit aufgefunden 15 bzw. der historischen Analyse erschlossen wurden. Verständlicherweise hat sich die gesamte Literatur, soweit sie bevölkerungspolitische Fragestellungen berührte, vor allem auf die Genese und die Organisation der Vernichtung der Juden konzentriert, dieses in seiner Tragweite beispiellose Verbrechen wenigstens im Blick gehabt. Die vorliegende Arbeit versucht dagegen, die nationalsozialistische Bevölkerungs- und Siedlungspolitik im Gesamtzusammenhang ihrer Ziele und Mittel zu analysieren. Da der Massenmord in der vorliegenden Studie als Form nationalsozialistisch-deutscher Bevölkerungspolitik im oben dargelegten Sinn verstanden werden soll, ist eine Auseinandersetzung zumindest mit den wichtigsten neueren Arbeiten zu diesem Thema unabdingbar. Die polnische Literatur zur deutschen Besatzungspolitik ist fast unüberschaubar: die Erfahrung der fünfeinhalb Jahre deutscher Besatzung in Polen, Terror und Massenmord haben eine Flut historischer Arbeiten entstehen lassen. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Besatzungspolitik begann bereits während des Krieges, die ersten Veröffentlichungen datieren aus dem Jahr 1945. Viele dieser frühesten Arbeiten, so etwa eine Studie Jastrzebowskis über die deutsche Wirtschaftspolitik, haben für die vorliegende Studie allerdings eher Quellencharakter, da sie in erster Linie darauf zielten, die Ergebnisse deutscher Herrschaft in Polen für die Erfordernisse der Tagespolitik zu bewältigen und zu verwer ten. 1 6 So sind zuallererst die grundlegenden Werke Czesùaw Madajczyks zu nennen, der die erste und bis heute in weiten Teilen gültige Gesamtdarstellung der deutschen Besat-

Weltkrieg, Tübingen div. Weiter ist zu nennen KOEHL: RKFDV und DERS.: Towards an SSTypology. Eine Zusammenfassung der älteren Arbeiten und des aktuellen Forschungsstandes bietet ROTH: „Generalplan Ost". So übernimmt beispielsweise WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 11 f. die polnische These, deutsche Besatzungsverwaltung und RKF-Planer hätten auch gegenüber den Polen eine Politik der physischen Vernichtung vorgesehen, obwohl auch die von ihm selbst zitierten Dokumente und Planungen zu dieser Frage das Gegenteil sagen. Siehe etwa KLINGEMANN: Rassenmythos und Sozialwissenschaften; RÖSSLER/SCHLEIERMACHER: Generalplan Ost; Faschismus und Rassismus; RöSSLER: „Wissenschaft und Lebensraum". JASTRZEBOWSKI: Gospodarka niemiecka. Ähnlich KLOSINSKI: Polityka przemyslowa. Klosinski trat im Prozeß gegen Staatssekretär Josef Bühler als Gutachter auf. LUCZAK/PIASZYK/WASIEK: Przyczynki do gospodarki niemieckiej. Noch deutlicher ist dieser Aspekt bei IZDEBSKI: Niemiecka Lista Narodowa.

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zungspolitik in Polen 1 7 sowie eine bislang wenig rezipierte Gesamtanalyse der Besatzungspolitik in Europa geliefert18 und mit einer ganzen Reihe weiterer Publikationen und Quelleneditionen unschätzbare Vorarbeiten geleistet hat. 1 9 Madajczyk war auch der erste, der die bis dahin in der polnischen Historiographie fast ausschließlich von jüdischen Autoren20 aus dem Jüdischen Historischen Institut in Warschau geleistete Geschichtsschreibung über die Vernichtung der polnischen (und europäischen) Juden in den Gesamtkomplex der Besatzungspolitik in Polen einordnete.21 Außerdem sind zwei wichtige Bücher aus der Feder Czesiaw Ùuczaks zu nennen, dessen eines sich mit der deutschen Politik im Warthegau, das zweite mit einer Gesamtschau der deutschen Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik im besetzten Polen befaßt.22 Darüber hinaus existiert eine ganze Reihe brauchbarer Regionalstudien, die zwar, wie die polnische Literatur insgesamt, das Hauptgewicht meist auf die Rekonstruktion deutscher Verbrechen in Polen und den Widerstand dagegen legen, oft aber auch Hinweise auf die Intentionen des verbrecherischen Handelns enthalten23; vor allem war die Bedeutung wissenschaftlicher Vorbereitung, Begutachtung und Planung in Polen kein Tabuthema und hat Erwähnung sowohl in den genannten Gesamtdarstellungen wie

MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy. DERS. : Faszyzm i okupacje. DERS. : Zamojszczyzna; DERS.: Generalny Plan Wschodni und eine Reihe von Einzelpublikationen in polnischen historischen Zeitschriften. Zu nennen sind vor allem die frühe Gesamtdarstellung von EISENBACH: Hitlerowska polityka zaglady, der Dokumentenband Faschismus - Ghetto - Massenmord sowie die vom Zydowski Instytut Historyczny herausgegebenen Periodika Biuletyn Zydowskiego Instytutu Historycznego, Warszawa 1951 ff. und bleter far geśichte, varse 1949 ff. Die von DAWIDOWICZ: Holocaust and the Historians, S. 88-124 vertretene Behauptung, die polnische Historiographie habe den Massenmord an den Juden systematisch übersehen und sei in ihrer Gesamtheit antisemitisch geprägt, ist meines Erachtens nicht haltbar. Der nicht völlig unbegründete Vorwurf, die Vernichtung der Juden werde, wo sie überhaupt erwähnt sei, unter die Vernichtung des polnischen Volkes subsumiert, zeugt in seiner Ausschließlichkeit von der Unscharfe, mit der Dawidowicz argumentiert: weder die Überlassung als jüdisches Thema noch die, wenn auch in manchen Fällen vollständige, Einordnung in die Gesamtgeschichte der Besatzung, will sie gelten lassen. Tatsächlich weisen manche, vor allem populärwissenschaftlich orientierte Autoren sicherlich gewisse Defizite in diesem Bereich auf. Gerade den Arbeiten Madajczyks oder Czeslaw Luczaks und Jerzy Marczewskis (siehe dazu später) ist aber sicherlich nicht der Vorwurf des Antisemitismus zu machen. Zudem weist die Herausgabe zweier jüdischer historischer Zeitschriften nicht auf eine antisemitische Prädisposition des polnischen Nachkriegsstaates hin, abgesehen von der Zeit nach dem März 1968, in der die überwiegende Mehrheit der noch in Polen lebenden Juden und Jüdinnen aus dem Land vertrieben wurde. Vgl. dazu EISLER: Marzec 1968. So die Selbsteinschätzung in MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 1, S. 6. LUCZAK: Kraj Warty. So etwa SERWANSKI: Hitlerowska polityka narodowosciowa; MANKOWSKI: Miedzy Wisla, a Bugiem. 8

auch in einer Reihe wichtiger Studien gefunden.24 Die Betonung der „Pseudowissenschaftlichkeit" der deutschen Vorarbeiten hat allerdings auch dort oft den Blick für ihre Rolle in der Konstituierung des Besatzungsregimes verstellt und dafür gesorgt, daß eine Befassung mit der „inneren Entwicklungsdynamik der Humanwissenschaften" im Sinne Peukerts unterblieb. Eine bislang selbst in der polnischen Forschung wenig beachtete Studie über die Siedlungskonzeption des nationalsozialistischen Deutschland und ihre Realisierung im Warthegau, die schon wegen ihrer thematischen Eingrenzung viel genauer und oft auch analytisch schärfer als Luczak bevölkerungspolitische Aspekte der deutschen Besatzungspolitik behandelt, hat Jerzy Marczewski vom Westinstitut in Posen vorgelegt.25 Fast alle bislang publizierten Arbeiten berücksichtigen aber die wechselseitige Abhängigkeit des „positiven" Siedlungsprogrammes und der „negativen" Bevölkerungspolitik der deutschen Besatzungsbehörden allenfalls am Rande; eine Auseinandersetzung mit den Restrukturierungsplänen des nationalsozialistischen Deutschland findet meist nur da statt, wo aus den entsprechenden Planmodellen unmittelbare Rückschlüsse auf deutsche Verbrechen möglich sind. Eine systematische Analyse des Siedlungs- und Wirtschaftsmodells hingegen fehlt bislang. 26 In den jüngsten und für die vorliegende Studie wichtigsten Arbeiten, die vor allem im Umkreis der Hamburger Stiftung für Sozialforschung einerseits, der „Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik" andererseits entstanden sind, werden seit Mitte der achtziger Jahre auf unterschiedlichen methodischen Wegen Versuche unternommen, den sozial-, wirtschafts- und bevölkerungspolitischen Kern des nationalsozialistischen Herrschaftsmodells zu analysieren, indem fernab von der nach außen vorgetragenen ideologischen, oft irrationalen Legitimation des nationalsozialistischen Gesellschaftsmodells Planung und Umsetzung der tatsächlichen Praxis im Zusammenhang mit wissenschaftlichen und politischen Diskursen der damaligen Zeit untersucht werden. Die beiden erwähnten Gruppen von Historikerinnen und Historikern befinden sich dabei in einer Auseinandersetzung, die an Schärfe und polemischem Charakter nichts zu wünschen übrig läßt. So führt Roth in seiner Zusammenfassung des Forschungsstandes über den Gesamtkomplex der Ostplanung zwar an, daß sich das Wechselspiel von SS-Planung und Verwertungsinteresse in Oberschlesien zur „'Vernichtung durch Arbeit' als ökonomisches Regulativ des Bevölkerungstransfers" konkretisierte, läßt aber unerwähnt, daß dieser Komplex von Aly/

Etwa PIOTROWSKI: W shizbie rasizmu; STANISLAW TYROWICZ: Swiatlo wiedzy zdeprawowanej. Idee niemieckiej socjologii ifilozofli(1933-1945), Poznan 1970. JERZY MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja polityki kolonizacyjno-wysiedlenczej i jej realizacja w „Okręgu Warty", Poznan 1979. Außerdem JANUSZ SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenia ludności niemieckiej w dobie II wojnie światowej, Poznan 1966, der eine Zusammenfassung der einzelnen „Rücksiedlungen" bietet. Einen konzisen Überblick über die Aussiedlungen gibt WLODZIMIERZ JASTRZEBSKI: Hitlerowskie wysiedlenia z ziem polskich wcielonych do Rzeszy w latach 1939-1945, Poznan 1968. Ansätze hierzu finden sich allerdings bei MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja. 9

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Heim anhand der auch von Roth genannten Quellen weitgehend rekonstruiert wurde.27 Der dort teilweise übers Ziel hinausschießenden Analyse von Planungsdokumenten und anderen Äußerungen von Planern und Praktikern der Umsiedlung und Vernichtung steht auf der Seite Karl Heinz Roths die Suche nach „Schlüsseldokumenten" gegenüber, die in ihrer Intensität an die Suche nach dem einen Hitler-Befehl zur Ermordung der europäischen Juden erinnert.28 Dennoch verweisen beide, Aly bzw. Aly/Heim und Roth auf den, wie Peter Hüttenberger formuliert hat, polykratischen Charakter des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Wie Hüttenberger gezeigt hat, standen sich im Deutschen Reich verschiedene Interessengruppen und Entscheidungsträger mit in aller Regel nicht klar voneinander abgegrenzten Entscheidungsbefugnissen gegenüber.29 Darüber hinaus verfügten lokale Potentaten ebenso wie ambitionierte Chefs einzelner Verwaltungsabteilungen vor allem innerhalb der SS über außerordentlich große Entscheidungs- und Handlungsspielräume und konnten im Wesentlichen nach Gutdünken schalten und walten, solange sie mit ihrer Tätigkeit Erfolg hatten.30 In aller Regel hatten zentrale Richtlinien so allgemeinen Charakter, daß sie wenig mehr waren als eine Absteckung des weit gefaßten Rahmens, in dem sich die konkrete Planungs- und Verwaltungstätigkeit zu bewegen hatte. Zum Teil handelte es sogar eher um Ermächtigungen bzw. Genehmigungen, mit einer auf ein oder mehrere grob umrissene Ziele gerichtete Planung zu beginnen oder diese umzusetzen. Dies gilt sicherlich auch für Görings Auftrag an Heydrich, mit der Endlösung der Judenfrage zu beginnen. Bei Roth nun ist die letzte Begründung für die Entwicklung zum Völkermord die spezifisch nationalsozialistische Variante der kapitalistischen Verwertung von Arbeitskraft. Ebenso, wie er die Vernichtung der Geisteskranken, „Asozialen" und „Gemeinschaftsunfähigen" als „Endlösung der sozialen Frage" begreift31, entwickelt er die Genese der Judenvernichtung fast ausschließlich aus dem Zusammenhang zwischen ausgreifender Ostplanung der SS und dem Ausbau der Konzentrationslager zur Beschaffung von Sklavenar27 28

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ROTH: „Generalplan

Ost", S. 30. ALY/HEIM: Vordenker, S. 168-184. MOMMSEN: Hitlers Stellung sowie DERS.: Die Realisierung des Utopischen, bes. S. 194, wo Mommsen überzeugend darlegt, daß die „Endlösung" sehr wohl ohne einen kategorischen Führerbefehl angelaufen sein kann.Kritisch dazu KERSHAW: NS-Staat, S. 167-174 und S. 207 f. HÜTTENBERGER: Nationalsozialistische Polykratie. Vgl. auch DERS.: Die Gauleiter. Vgl. zu den Verhältnissen in den besetzten Teilen der Sowjetunion MAJER: Führerunmittelbare Sondergewalten. HÜTTENBERGER: Die Gauleiter, behandelt die „Stellvertreter des Reichs" im besetzten Osten nur am Rande. ROTH: Das Leben an seinen „Rändern". Zur Kritik siehe AYASS: „Asoziale". Siehe auch PEUKERT: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Dagegen betont DRNER: Die These von der „Endlösung der Sozialen Frage": „Nach ihrem subjektiven Selbstverständnis verstanden die Nazis die Endlösung der Sozialen Frage als eine Kernabsicht ihrer nationalsozialistischen Revolution - und zwar in dem Sinne, daß sie sich und der Welt beweisen wollten, daß eine Gesellschaft, die sich nur ein einziges Mal ihres gesamten „sozialen Ballastes" entledigt, wirtschaftlich und militärisch unschlagbar ist." (Ebenda, S. 11.)

heitern ab Mitte 1942, aus dem Übergang also zur Ökonomisierung der KZs und zur 32 „Vernichtung durch Arbeit". Sicherlich ist hier ein wichtiger Aspekt gefunden, der den Fortgang der massenhaften Vernichtung, sei es direkt von der Rampe weg, sei es nach der Vernutzung ihrer letzten Kräfte in den KZ-Betrieben, wesentlich mitbestimmte. Das Vernutzungsinteresse erklärt aber nicht den Weg von der „Reichskristallnacht" zur ersten systematischen Ermordung jüdischer Menschen in Cheùmno (Kulmhof) im Winter 1941. Hier spielten, dies wird noch gezeigt werden, andere Aspekte eine bestimmende Rolle, wobei vor allem das im Nationalsozialismus zur Frage auf Leben und Tod transformierte Leistungskriterium die Auswahl der ersten Opfer bestimmte. Während ältere Forschungen in aller Regel den Entscheidungsgang in erster Linie bei den Zentralbehörden zu rekonstruieren suchten, wird in der vorliegenden Arbeit die These verfolgt, daß die Entscheidung für die industrielle Vernichtung von Millionen von Menschen aus regional begrenzten „Maßnahmen" nach dem Vorbild der Ermordung unheilbar Kranker hervorging und sich, da sie sich an bestimmten Brennpunkten als durchführbar erwies, im Frühjahr 1942 zur Methode der „Gesamtlösung" verdichtete und daß sie im direkten Zusammenhang mit den zuvor beschriebenen Restrukturierungsplänen und den Schwierigkeiten ihrer Umsetzung stand. 33 Ganz ähnlich haben Götz Aly und Susanne Heim das Problem aufgefaßt und die negative Bevölkerungspolitik in direkten Zusammenhang mit sozioökonomischen Neuordnungsmodellen gestellt, wobei sie aber in der fast ausschließlichen Betonung ökonomischer Ordnungsmodelle als eigentlichem Kern nationalsozialistischer Neuordnung und unter weitgehender Mißachtung des eigentlichen Bevölkerungsaspektes zuweilen über das Ziel hinausschossen, indem sie das kapitalistisch verstandene Verwertungsinteresse fast völlig vom Prinzip der ethnischen Bereinigung abtrennten. 3 4 Die Determinanten von Deportation und Völkermord werden in der hier vorgeschlagenen Sichtweise zahlreicher und komplexer: die Entscheidung zum Völkermord entsteht nach der im folgenden vorgetragenen Analyse nicht mehr aus dem fanatischen, irrationalen Antisemitismus Adolf Hitlers, sondern aus einem Amalgam aus rassistischer Prädisposition und sozioökonomischer Idealplanung, in der die jüdische Bevölkerung als von vornherein nicht integrierbar zunächst rechnerisch, dann auch physisch ausgelöscht wurde. Eine weitere Schwäche des Ansatzes von Aly und Heim lag sicherlich darin, daß der Eindruck entstehen konnte, als sei - wo doch die Vernichtung der Juden in engem Zusammenhang mit ökonomischer und sozialer Sanierung analysiert wurde - der Völkermord zwangsläufig gewesen. Daß dies nicht der Fall war, sondern daß die Entscheidung zum Massenmord im Gegenteil aus der Unfähigkeit und Unmöglichkeit entstand, die ambitionierten Pläne umzusetzen, zeigt die neueste Studie Götz Alys, die kommentarlos den Grundtenor seiner bisherigen Analysen umkehrt. Aly zeigt nun, daß von Anfang an Probleme mit der Unterbringung jener Menschenmassen, die dem deutschen Ordnungseifer ROTH: „Generalplan Ost", S. 75 ff.

Vgl. Kap. IIL2.a. HEIM/ALY: Ökonomie der Endlösung; ALY/HEIM: Vordenker.

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weichen sollten, bestanden haben. War zunächst das Generalgouvernement als allgemeines Abschiebeterritorium definiert worden, stellte sich bereits im Herbst 1939 heraus, daß eine sofortige Deportation der unerwünschten Polen und Juden unmöglich war. Nach einem allgemeinen Deportationsstop in das Generalgouvernement im März 1941 und dem Überfall auf die Sowjetunion im Juli 1941 konzentrierten sich die Überlegungen auf eine Abschiebung der Juden noch weiter nach Osten. Erst nachdem sich auch diese Pläne als undurchführbar bzw. ihre Realisierung als zu langfristig herausstellten, begann, zuerst im Warthegau als dem zu dieser Zeit wichtigsten Ansiedlungsgebiet und kurz darauf in der Lubliner Region, die ebenfalls für eine Ansiedlung Deutscher vorbereitet wurde, die Ermordung der polnischen Juden.35 Im Gegensatz zur Aufnahme von Forschungen zur nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik im besetzten Osten blieb die Historiographie über die ethnische Bereinigung Ostmitteleuropas zwischen 1945 und 1950, vor allem die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den ostmittel- und osteuropäischen Staaten, über lange Jahre die fast ausschließliche Domäne der politisch interessierten Vertriebenenverbände und ihnen verbundener oder verpflichteter Institutionen. Eine Auseinandersetzung kritischer Historiker mit diesem Thema fand in aller Regel nicht statt. Kaum ein historisches Thema schien in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland, besonders aber nach dem Abschluß des Grenzvertrages zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR, in der letztere die Oder-Neiße-Grenze als endgültig anerkannte, so eindeutig von der politischen Rechten okkupiert. Diese Tendenz in der politischen Diskussion verstärkte sich noch durch den Umstand, daß viele der Fachhistoriker, die sich dieses Themenkomplexes annahmen, ihre Karriere in der Zeit des Nationalsozialismus begonnen und sie nach 1945 bruchlos fortgesetzt haben. Hier wäre etwa an Werner Conze, Hermann Aubin und andere mit dem Herder-Forschungsrat und dem Göttinger Arbeitskreis verbundene Historiker zu denken, zumindest für die fünfziger Jahre wären Theodor Schieder und Werner Marken zu erwähnen.36 Die nach den Brandtschen Ostverträgen und mit dem Generationswechsel in der „Ostforschung" und dem akademischen Fach „Osteuropäische Geschichte" einsetzende

ALY: Endlösung. Ähnlich: ROTH: Generalplan Ost. Die Darstellung der Bevölkerungspolitik der deutschen Besatzungsverwaltung konnte sich, wie sich im Nachhinein zeigte, in höherem Maße auf diese Studie Alys stützen, als in den Fußnoten zum Ausdruck kommen kann: Da die Schlußfolgerungen Alys von mir weitgehend geteilt werden, wäre die Darstellung bei ausführlicher Herleitung in weiten Teilen parallel gelaufen und im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion redundant gewesen. Ich konnte mich daher auf Aspekte beschränken, die bei Aly, da er sich auf die minutiöse chronologische Entwicklung der negativen Bevölkerungspolitik bis hin zur kumulativen Entscheidung für den Völkermord konzentriert, nicht zentral sind: auf die Frage der Definition der unerwünschten Bevölkerungsteile und die Abhängigkeit ihrer Behandlung von den deutschen Neuordnungsplänen. Zur Tätigkeit der Genannten im Dritten Reich vgl. zuletzt BURLEIGH: Germany Turns Eastwards. Zur Belastung der Osteuropa-Wissenschaften durch die Hypothek der „Ostforschung" vgl. OBERLÄNDER: Historische Osteuropaforschung im Dritten Reich. 12

Neuorientierung, wie sie nicht zuletzt in der Gründung der deutsch-polnischen Schulbuchkommission im Rahmen des Georg-Eckert-Institutes für internationale Schulbuchforschung zum Ausdruck kam, wurde außerhalb der engeren Fachdiskussion kaum wahrgenommen und führte jedenfalls kaum zu einer breiteren Beschäftigung mit diesem Themenkomplex.37 Die Identifizierung des Interesses an diesen Fragen mit der direkt betroffenen „Erlebnisgeneration" hört damit noch nicht auf und führte zusätzlich dazu, daß die Bereitschaft jüngerer und kritischer Historiker und Historikerinnen, sich der Erforschung der Vertreibung und Zwangsaussiedlung zu widmen, nicht eben groß war.38 Hinzu kam das Problem einschlägiger Sprachkenntnisse: Gilt bis heute die mangelhafte Rezeption der polnischen Sekundärliteratur bei Themen der deutschen Besatzungspolitik nicht unbedingt als Makel, ist eine Bearbeitung von Themen aus der frühen polnischen Nachkriegsgeschichte ohne Polnischkenntnisse ernsthaft nicht vorstellbar, da die polnischen Akten sonst nicht ausgewertet werden können.39 Seit den deutsch-polnischen Verträgen von 1990/91 setzte auch eine neue Erforschung der Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus Ostmitteleuropa, in unserem Zusammenhang aus den Gebieten östlich der Oder und Lausitzer Neiße ein, die zwar den ursächlichen Zusammenhang zwischen deutsch-nationalsozialistischem Imperialismus, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzungspolitik in Polen auf der einen Seite und der Abtrennung der deutschen Ostgebiete auf der anderen heraushebt und den Zwangscharakter der Aussiedlung der Deutschen zumal in der Anfangsphase gewissermaßen zu relativieren versucht,40 auf eine Analyse der innerpolnischen Motivationen für diese Bevölkerungsverschiebungen jedoch verzichtet. Das gleiche galt im wesentlichen auch für die ältere Literatur, die sich in aller Regel darauf beschränkte, anhand von Einzelfällen und Betroffenenberichten den verbrecherischen und gewalttätigen Charakter des polnischen Vor-

Dem Wunsch, diese Neuorientierung auch nach außen deutlicher zu machen, entspricht die Umbenennung der ehemaligen „Zeitschrift für Ostforschung" in „Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung". Siehe KARP/LEMBERG/WECZERKA: Von der „Zeitschrift für Ostforschung". Vgl. dazu LEMBERG: Lage und Perspektiven der Zeitgeschichtsforschung, S. 206-209. Gleichwohl ist eine Reihe von Arbeiten erschienen, die das Thema ohne jegliche polnische Akten bearbeiten. Vgl. zuletzt BECKER: Vertreibung und Aussiedlung. Becker beschränkt sich auf die Auswertung der vorhandenen Quelleneditionen, insbesondere der „Dokumentation zur Vertreibung", und beschreibt vor allem die Entwicklung der bundesdeutschen Politik bis zu den Warschauer Verträgen. So etwa BENZ: Die Vertreibung der Deutschen. Ähnlich bereits zuvor GRUBE/RICHTER: Flucht und Vertreibung. Die Feststellung der beiden Autoren, die Aussiedlung der Deutschen sei „auch eine Reaktion auf den Terror der SS-Organe und die Umsiedlung der Polen aus den am 8. Oktober 1939 annektierten 'deutschen Gauen' Westpreußen und Wartheland" gewesen, ist sicherlich. richtig, sie macht aber eine vergleichende Analyse der Ziele und Methoden dieser Umsiedlungen nicht überflüssig. 13

gehens zu belegen,41 die Ermordung von mehr als zwei Millionen Deutschen zu behaupten 4 2 und ansonsten nachzuweisen, daß erstens noch Hunderttausende Deutsche in Polen quasi gefangengehalten wurden und daß zweitens, in Abwandlung des alten Topos der polnischen Unfähigkeit zu Organisation und wirtschaftlich rationalem Handeln, die ehemals deutschen Gebiete unter polnischer Verwaltung heruntergewirtschaftet worden seien. 43 In der Darstellung bevölkerungspolitischer Paradigmen im Prozeß der Bevölkerungsbewegungen beschränkte sich ein Großteil der Literatur, nicht zuletzt, da einschlägige Quellen nicht zugänglich waren, auf knappe Paraphrasierungen polnischer Literatur.44 Dabei konnten Mißverständnisse kaum ausbleiben. So stellte etwa Ekkehard Buchhofer in einem Aufsatz aus dem Jahre 1968 fest, eine polnische Bevölkerungswissenschaft habe es in der hier behandelten Zeit praktisch nicht gegeben.45 Tatsächlich liegen bevölkerungswissenschaftliche Arbeiten zwischen 1945 und 1950 kaum in veröffentlichter Form vor 4 6 ; erst die Öffnung der polnischen Archive erwies, daß eine außerordentlich intensive Diskussion und Forschung innerhalb bestimmter Behörden stattfand. Erst in den letzten Jahren hat sich auch die kritische Geschichtswissenschaft wieder dieses Themenkomplexes angenommen. So erschien 1990 ein wichtiger Aufsatz Leszek Belzyts über die Praxis der „Verifizierung" im ehemaligen Ostpreußen; inzwischen wurde auch seine 1989 abgeschlossene Dissertation zum gleichen Thema veröffentlicht.47

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Siehe aus den seriöseren Veröffentlichungen vor allem KAPS: Tragödie Schlesiens; Vertreibung Band 1,1 und 1,2; DE ZAYAS: Anglo-Amerikaner; STROHSCHNEIDER: In ordnungsgemäßer und

humaner Weise. 42

Siehe etwa: Die deutschen Vertreibungsverluste. Dagegen beruft sich die polnische Seite auf die in der Bundesrepublik seinerzeit scharf attackierte Arbeit von WISKEMAN: Germany's Eastern Neighbours. Derzeit ist am Lehrstuhl „Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa" (Prof. Dr. Detlef Brandes) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eine Studie in Arbeit, die die bisherigen, weitgehend auf Schätzungen beruhenden „Bevölkerungsbilanzen" systematisch am Beispiel des Sudetengebietes überprüft. Klar geworden sei bereits, so Dr. Maria Rhode als Leiterin des Projektes, daß sämtliche Zahlen in Zweifel zu ziehen sind.

43

Auch hier seien in erster Linie noch als seriös zu bezeichnende Arbeiten genannt: BAHR/BREYER/ BUCHHOFER: Oberschlesien unter polnischer Verwaltung; BAHR/KÖNIG: Niederschlesien unter polnischer Verwaltung; BREYER: Ostbrandenburg unter polnischer Verwaltung; BAHR: Das nördliche Westpreußen und Danzig nach 1945; DERS.: Ostpommern unter polnischer Verwaltung.

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Vgl. BUCHHOFER: Die Bevölkerung Oberschlesiens seit 1945, in: BAHR/BREYER/BUCHHOFER:

Oberschlesien, S. 46-97, bes. S. 55-63; ERNST BAHR: Die Bevölkerung Niederschlesiens seit 1945, in: BAHR/KÖNIG: Niederschlesien, S. 29-62. 45 46

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BUCHHOFER: Entwicklung der Bevölkerungswissenschaft. Zu nennen wäre allenfalls, neben den Veröffentlichungen der Referate und Diskussionen der Rada Naukowa dla Zagadnien Ziem Odzyskanych, MICHALSKI: Struktura antropologiczna Polski. BELZYT: Zum Verfahren der nationalen Verifikation; DERS.: Miedzy Polską a Niemcami.

Gleichzeitig wurde die Frage des strukturpolitischen Interesses bei der Besiedlung der Wiedergewonnenen Gebiete auch in der polnischen Forschung oft in nur unbefriedigender Weise bearbeitet. Zwar stand der innere, kausale und letztendlich legitimierende Zusammenhang zwischen Zweitem Weltkrieg und dem Verlust der deutschen Ostgebiete in der polnischen Forschung nie in Frage 48 , eine intensivere Befassung mit den bevölkerungsund strukturpolitischen Planungsparadigmen unterblieb aber andererseits in aller Regel fast völlig. Stattdessen setzte sich eine ganze Reihe von Autoren mit großem Aufwand an Zahlenmaterial an eine Widerlegung westdeutscher Arbeiten über die „Vertreibungsverluste" 49 , sie versuchten den Nachweis zu führen, daß die Aussiedlung der Deutschen nach anfänglichen Schwierigkeiten entsprechend den Vorschriften des Potsdamer Abkommens „in ordnungsgemäßer und humaner Weise" durchgeführt worden sei 50 , oder sie hoben die führende Rolle der PPR bei Besiedlung und Agrarreform hervor, wobei organisatorische und materielle Schwierigkeiten betont wurden, ohne die Paradigmen von 51 Besiedlung, Strukturreform und Selektion genauer zu analysieren. Vor allem das Problem der Integration der sehr heterogenen Bevölkerung der neuen Gebiete hat die Aufmerksamkeit der historischen und soziologischen Forschung auf sich gezogen. 52 Alle diese Arbeiten enthalten letztlich wenig Erhellendes für die hier gewählte Themenstellung, sind aber großenteils zuverlässig in der Darstellung der Aufgabenverteilung zwischen den beteiligten Behörden und der Chronologie. Dies gilt in besonderem Maße für einige Arbeiten, die sich direkt mit dem Aufbau und der Tätigkeit der im folgenden besonders interessierenden Behörden. Hier ist an erster Stelle eine Arbeit von Mieczysùaw Jaworski zu nennen, der die Gründung und Tätigkeit, aber auch die Auflösung des Ministeriums für die Wiedergewonnenen Gebiete in den Zusammenhang der innenpolitischen Machtkämpfe stellt und die Kontinuität zwischen den bevölkerungs- und strukturpolitischen Vorstellungen, die die Tätigkeit dieses Ministeriums geleitet haben, und den Konzeptionen der Delegatura wenigstens erwähnt.53 Sie ist, wie einige weitere seit den siebziger Jahren erschienene Arbeiten, durchaus brauchbar, soweit man die häufig angewandte „sozialistische" Rhetorik überliest.

Siehe etwa: Konsekwencje polityczne; BIAÙECKI: Przesiedlenie ludnosci niemieckiej. Siehe etwa BROZEK: Losy Niemców w Polsce. ÙEMPINSKI: Przesiedlenie ludnosci niemieckiej; SKUBISZEWSKI: Wysiedlenie Niemcöw. Eine gewisse Ausnahme stellt dar: BANASIAK: Przesiedlenie Niemców. Diese „nur für den internen Gebrauch" veröffentlichte Studie enthält deutlich mehr Material, aus dem sich auf Widersprüchlichkeiten und Fehler schließen läßt, unterscheidet sich aber - was auf dem Hintergrund der Darstellung eher überraschend ist - in ihrem Ergebnis kaum von den „offiziellen" Darstellungen. KOÙOMEJCZYK: Ziemie Zachodnie; SÙABEK: Dzieje polskiej reformy rolnej; WACH: Osadnictwo i dziaùalnośc wùadzy ludowej; BRZOZA: Reformaroina; RYBICKI: Powstanie i dzialalnośc wladzy ludowej; DOMNICZAK: Proces zasiedlania; GOLCZEWSKI: Pomorze Zachodnie. KERSTEN: Nowy model terytorialny; BASINSKI: W jednym organizmie. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku. Außerdem konnten herangezogen werden DERS.: Glówne problemy; KERSTEN: Nowy model terytorialny. \'J

Ähnliches gilt für eine Reihe von Studien zu Organisation und Verlauf der Repatriierungen aus Polen und den westlichen Sowjetrepubliken.54 Insgesamt betrachtet, ist in Polen eine Reihe von Arbeiten erschienen, die sich dadurch auszeichnen, daß sie das faktographische Material weitgehend vollständig auswerten, soweit es zum gewählten Thema gehört, und die einen Großteil der Informationen enthalten, die die im folgenden vorgestellte Analyse stützen. Schwächen zeigen diese Arbeiten eher im analytischen Bereich. So hätte etwa Jan Misztal, der eine umfängliche Studie zur „Verifizierung" verfaßt hat 5 5 , seinen eigenen Hinweisen auf die sozioökonomische Prädisposition nachgehen können, die die Verifikationskommissionen zumindest über weite Strecken bestimmt zu haben scheint. Zwar weiß auch Misztal, daß allein im „Oppelner Schlesien" etwa 77000 Deutsche eingebürgert worden seien, die ökonomischen Hintergründe dieser Entwicklung jedoch bleiben weitgehend unberücksichtigt.56 In der letzten Zeit sind, nicht zuletzt im Rahmen der neueren polnischen Diskussion, wie sie im 1996 veröffentlichten Bericht Borodziejs und Hajniczs dokumentiert ist, 57 weitere Arbeiten entstanden. Erwähnenswert ist insbesondere eine neuere Studie von Piotr Madajczyk, die die Eingliederung des Oppelner Schlesien, die Verifizierung der „Autochthonen" und die Internierung der Deutschen rekonstruiert. Leider berücksichtigt Madajczyk die Arbeiten des polnischen Untergrundes überhaupt nicht, was ihm ermöglicht, die Gewalttätigkeiten der Internierungs- und Zwangsaussiedlungspraxis als spezifisch kommunistische Verbrechen zu analysieren. Madajczyk stellt auch Maßnahmen der deutschen Besatzungsverwaltung und der polnischen Verwaltung in den Wiedergewonnenen Gebieten einander gegenüber. Der so unternommene Vergleich beschränkt sich aber auf bestimmte Äußerlichkeiten wie etwa die bevorzugte Aussiedlung als gefährlieh angesehener Angehöriger örtlicher Eliten (die Ermordung der polnischen Intelligenz im Herbst 1939 unterschlägt Madajczyk in diesem Vergleich) oder das Verbot, polnisch bzw. deutsch 58 zu sprechen. Deutlich weniger Interesse fand lange Zeit die Integration jüdischer Überlebender und Repatrianten nach dem Zweiten Weltkrieg; eine Studie Michal Grynbergs über jüdische Produktionsgenossenschaften in Polen 1945-1949 beschreibt zwar die Entstehung und die Probleme dieser Genossenschaften, enthält aber wenig Informationen darüber, wieso gera59 de Niederschlesien ein Zentrum jüdischer Ansiedlung nach dem Kriege wurde. Eine KERSTEN: Repatriacja ludności polskiej. MISZTAL: Weryfikacja narodowosciowa na Ziemiach Odzyskanych sowie DERS.: Weryfikacja narodowosciowa na Sląsku Opolskim. 56 MISZTAL: Weryfikacja narodowosciowa na Ziemiach Odzyskanych, S. 338. Ebenso thematisiert Misztal ausführlich die Probleme, die den polnischen Behörden die Verifikation der durchaus unwilligen Masuren bereitete, läßt aber den Umstand unerwähnt, daß 1949 eine Zwangseinbürgerung als letztes Mittel angewendet wurde. 54 55

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BORODZIEJ/HAJNICZ: Komplex der Vertreibung. MADAJCZYK: Przyùączenie Sląska Opolskiego, S. 121. GRYNBERG: Zydowska spöldzielczos'c. Zur Repatriierung polnischer Juden HORN: Der curikker fun pojlisze jidn.

neuere Arbeit zur Geschichte der Juden in Polen bis 1950 beschränkt sich, gemäß ihrer thematischen Anlage, diesbezüglich auf einige wenige, allerdings wichtige Hinweise.60 Ein konsequent analytischer Vergleich zwischen deutschen und polnischen Siedlungsund Selektionsstrategien ist bislang nicht unternommen worden. Dabei drängt sich, setzt man schon Zweiten Weltkrieg und Vertreibungen in einen historischen Zusammenhang, ein solcher Vergleich der Paradigmen dieser in ihren Konsequenzen bis heute nachwirkenden Völkerverschiebung geradezu auf. Tatsächlich enthalten manche ältere westdeutsche Studien methodisch wenig befriedigende Analogieschlüsse, die eine Identität des deutschen und polnischen Vorgehens unterstellen, in aller Regel aber den Ansprüchen an eine tatsächlich komparatistische Untersuchung nicht entsprechen.61 So taucht etwa in der voluminösen Einleitung zum ersten Band der vom Bundesministerium der Vertriebenen herausgegebenen „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" die Massendeportation von Polen und Juden in folgender Form auf: „Zweifellos war auch die nationalsozialistische Politik nicht schuldlos daran, daß überhaupt Maßnahmen wie die der Umsiedlung und Verpflanzung millionenzähliger Volksgruppen als Mittel zur Erreichung einer politischen Neuordnung betrachtet wurden. Schon gleich nach dem deutsch-polnischen Krieg von 1939 [!] hatte sie die Aussiedlung von Polen aus Westpreußen und der früheren Provinz Posen begonnen, diese Aktion aber sehr bald, bevor sie größere Ausmaße annahm, abgebrochen."62

Najnowsze Dzieje Zydów. Vgl. etwa EKKEHARD BUCHHOFER: Die gewerbliche Wirtschaft Oberschlesiens seit 1945, in: BAHR/ BREYER/BUCHHOFER: Oberschlesien, S. 98-264, hier S. 103: „Bei einer Betrachtung der Ereignisse in Oberschlesien zwischen 1937 und 1946 fällt auf, wie sehr sich manche Maßnahmen der jeweiligen Sieger von 1939 und von 1945 ähneln. Diese Ähnlichkeit betrifft z.B. die Annexions- und Enteignungspolitik beider gegnerischer Seiten. Schon im Jahre 1944 war die Enteignung des deutschen Besitzes in Oberschlesien auf polnischer Seite beschlossene Sache." Die Beobachtung Buchhofers, dies wird im folgenden noch deutlich werden, ist durchaus nicht falsch. Problematisch ist jedoch, und dies bringt diese Arbeit in die Nähe eindeutiger Aufrechnungsversuche, daß weitere Ähnlichkeiten zwar angedeutet, nicht aber explizit untersucht werden. So vermißt man in der erwähnten Arbeit jeglichen Hinweis auf die Zwangsarbeits- und Massenmordopfer des in Oberschlesien gelegenen Lagers Auschwitz. Von einer systematischen Analyse der Ähnlichkeiten, Parallelen und Unterschiede kann hier daher nicht gesprochen werden. Vertreibung, Bd. 1,1, S. 137E. Freilich müßte gerade Theodor Schieder, Bearbeiter der Dokumentation und der hier zitierten Einleitung, dies besser gewußt haben. Eine von ihm verfaßte Denkschrift zur Umsiedlungsplanung wird noch erwähnt werden. Die Geschichtsklitterung der Historikergruppe Adolf Diestelkamp, Rudolf Laun, Peter Rassow, Hans Rothfels und Theodor Schieder ging noch weiter: In Mißachtung der tatsächlichen Verhältnisse wird über die „Rücksiedlung" der Volksdeutschen aus dem Baltikum und der Sowjetunion angeführt, „daß die umgesiedelten deutschen Volksgruppen vor dem Schicksal der Bolschewisierung bewahrt werden sollten." Ebenda, S. 138E. Überraschend richtig, wenn auch, wie die vorliegende Studie zeigen will, als ausschließliche Erklärung zu kurz greifend, ist hingegen die Feststellung, daß die im17

Hier nun wird die nationalsozialistische - und ausdrücklich nicht deutsche - imperialistische Politik in Polen als sozusagen außerhalb der eigenen Verantwortung stehendes Teufelswerk aufgefaßt, das für das deutsche Volk schon 1933-1945 in seiner Gesamtheit ein ebensolches Leid verursacht habe wie die polnische und - so könnte man hinzufügen tschechische, ungarische usw. Politik nach 1945. Schließlich werden Ausmaß und Brutalität der Deportationen schlichtweg geleugnet, die Ermordung der Juden kommt überhaupt nicht vor. Die Deutschen mochten sich so während der fünfziger Jahre in einer doppelten Opferrolle gefallen,63 während Polen schließlich nurmehr als Täter dastand. War eine solche Sichtweise angesichts einer Historiographie, die die Verantwortung an der deutschen Kriegspolitik ausschließlich dem Dämon Hitler und einigen Satrapen zuschrieb, zwar nicht verzeihlich, aber wenigstens durch Literaturstellen belegbar64, so ist dies beim heutigen Stand der Forschung sicherlich endgültig überholt. Dabei standen in eingeschränktem Umfang auch polnische Quellen in deutscher Übersetzung für eine intensivere Befassung durch den verdienstvollen, wenig rezipierten Band 1,3 der Dokumentation der Vertreibung zur Verfügung: hier stellte Martin Broszat die wichtigsten veröffentlichten polnischen Rechtsakte zur Einverleibung der ehemaligen deutschen Ostgebiete zusammen.65 Die vorliegende Studie will auch ein Beitrag sein, diese Lücke zu schließen. Schließlich seien noch einige Bemerkungen zur Forschungslage in bezug auf Exil und Widerstand angefügt. Es ist auffällig, daß weder in der polnischen noch in der übrigen Forschung zu diesem Thema die Rekonstruktion von Strukturplänen eine Rolle gespielt hat. Die westliche Forschung konzentrierte sich aus Gründen der Zugänglichkeit des einschlägigen Quellenmaterials auf das Londoner Exil und dessen territoriale Kriegsziele,66 während sich einige polnische Arbeiten sowohl mit diesem als auch mit dem in strukturpolitischer Hinsicht aktiveren Untergrund im Lande, besonders der Delegatura befaßt haben,

mensen Bevölkerungsverschiebungen „als die letzte Radikalisierung ... der Nationalstaatsidee" bezeichnet werden können. Vgl. zum Umgang mit der NS-Vergangenheit und der Erfahrung eines eher als Niederlage denn als Befreiung empfundenen Kriegsendes in den fünfziger und frühen sechziger Jahren jetzt zusammenfassend FREI: Vergangenheitspolitik. Vgl. KERSHAW: NS-Staat, S. 127-133. Zu Auseinandersetzung mit hitlerzentristischen analytischen Versuchen siehe BROSZAT: Staat Hitlers, und MOMMSEN: Hitlers Stellung, S. 85 f. Vertreibung Bd. 1,3. BRANDES: Großbritannien; TERRY: Poland's Place in Europe; WAGNER: Entstehung der OderNeiße-Linie. VIERHELLER: Polen und die Deutschland-Frage, betont die weitgehende Identität der territorialen Expansionsvorstellungen im Exil und seitens der polnischen Nachkriegsregierung. 18

ohne aber dessen bevölkerungs- und strukturpolitische Vorstellungen genauer zu thematisieren.67

Quellenbasis Wie bereits erwähnt, sind viele Aspekte der nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen weitgehend erforscht. Die vorliegende Studie konnte sich in vielen Fällen auf diese Vorarbeiten stützen. Da aber manche Fragen, vor allem was die sozioökonomische Strukturplanung angeht, erst in den letzten Jahren das Interesse der Historiographie geweckt haben, war gleichwohl ein Quellenstudium auch in dieser Hinsicht unumgänglich. Zentral sind für die vorliegende Darstellung Gutachten, Forschungen und behördliche Anordnungen, die sich mit Fragen der Umsiedlungs- und Strukturpolitik befassen und die gemäß dem spezifischen Charakter der nationalsozialistischen Administration von einer Vielzahl von Stellen stammten. Der auch auf in diesem Bereich sich manifestierende polykratische Charakter des NS-Staates führt freilich, und dies gilt nicht nur für die vorliegende Studie, zu quellenhermeneutischen Problemen. So ist etwa bei jeder Quelle zu klären, von wem sie stammt und ob sie als direkte (und kompetente) Handlungsanweisung zu verstehen war oder ob sie einen Vorstoß darstellte, der Dispositionsspielräume sichern oder erschließen sollte. Für die polnische Politik nach dem Krieg lagen die Verhältnisse insofern etwas einfacher, als seit Ende 1945 mit dem Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete (Ministerstwo Ziem Odzyskanych, MZO) eine zentrale Stelle existierte, die für die gesamte Planung der Bevölkerungs- und sozioökonomischen Struktur der Wiedergewonnenen Gebiete und ihre Umsetzung zuständig war. Bei der Bearbeitung der deutschen Besatzungspolitik konnte auf eine Reihe wichtiger in Polen erschienener Quelleneditionen zurückgegriffen werden, vor allem auf die in Posen vom Instytut Zachodni herausgegebene Reihe Documenta Occupationis (Teutonicae). Darüber hinaus wurden die Dokumente des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums und der ihm direkt angeschlossenen SS-Ansiedlungsstäbe sowie der Reichsstelle für Raumordnung, deren Planungsgutachten zum Teil maßgeblichen Einfluß auf die Umsiedlungspraxis erlangten, im Bundesarchiv Koblenz ausgewertet. In Auszügen wurden außerdem Akten der Umwandererzentralstelle, der Haupttreuhandstelle Ost und der Deutschen Umsiedlungs-Treuhandstelle im damaligen Zentralen Staatsarchiv Potsdam, heute Bundesarchiv Abt. Potsdam, hinzugezogen. Besonders ergiebig war die Recherche im ArDURACZYNSKI: Rzad polski; DERS.: Stosunki w kierownictwie; TURLEJ: Koncepcje ustrojowe. Eine Arbeit des letzten Delegaten des polnischen Untergrundstaates, KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne behandelt zwar das Büro der Westlichen Länder und die Umstände der Einbindung seiner Mitarbeiter in die polnische Praxis nach dem Kriege, läßt aber das ebenfalls nicht unwichtige Büro der Östlichen Länder, das sich mit der Vorplanung für die an die Sowjetunion angegliederten polnischen Ostgebiete befaßte, völlig unerwähnt. Ebenso GLUCK: Od ziem postulowanych. Die Memoiren Glucks enthalten einige interessante Informationen über die politische Ausrichtung des Büros der Westlichen Länder.

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chiv der Hauptkommission zur Erforschung der Hitlerverbrechen in Polen (Archiwum Gùównej Komisji Zbrodni Hitlerowskich w Polsce), heute Hauptkommission zur Erforschung der Verbrechen gegen das polnische Volk (Glowna Komisja Badania Zbrodni Przeciwko Narodowi Polskiemu) in Warschau. Hier wurden vor allem Bestände aus dem Prozeß gegen Artur Greiser, den Gauleiter im „Wartheland", der Regierung des Generalgouvernements, der Umwandererzentralstelle Litzmannstadt und ihrer Dependancen in Posen und Zamośc, des SS- und Polizeiführers im Distrikt Lublin und der von ihm eingerichteten Forschungsstelle für Ostunterkünfte durchgesehen. Einige dieser Dokumente wurden erstmals ausgewertet: Die Bestände zu den Umwandererzentralstellen und zur Forschungsstelle für Ostunterkünfte waren erst kurz zuvor vom Zentralarchiv des Innenministeriums an das Archiv der Hauptkommission übergeben und damit der Forschung zugänglich gemacht worden. Schließlich waren einige zeitgenössische Publikationen heranzuziehen, die sich in gutachterlicher oder auswertender Absicht mit den Umsiedlungen in den eingegliederten Gebieten befaßten. Naturgemäß mußte auf das Studium der Quellen zur polnischen Planung und Politik zwischen 1944 und 1950 besonderes Gewicht gelegt werden, da hier die Wissenslücken viel größer sind. Zunächst waren die Publikationen des Büros für Siedlungs- und Umsiedlungsstudien (Biuro Studiów Osadniczo-Przesiedlenczych, BSOP) auszuwerten. Zwischen 1945 und 1948 erschienen in sechs Serien unter dem Reihentitel (I.-VI.) Sesja Rady Naukowej dla Zagadnien Ziem Odzyskanych ((1.-6.) Sitzung des Wissenschaftlichen Rates für Probleme der Wiedergewonnenen Gebiete) Gutachten, Referate und Diskussionsbeiträge. Ein Großteil der nicht mehr veröffentlichten Beiträge liegt in Form von Typoskripten in den Akten des Büros vor. Daneben erschien eine Nummer der Materiaùy informacyjne BSOP, Krakow 1946, die in erster Linie Statistiken über Bevölkerungsfragen sowie eine Art Konkordanz der neuen und alten Ortsnamen der Kreisstädte enthielt. Hinzu kamen in größerem Umfang die Akten des Ministeriums für öffentliche Verwaltung, das bis Ende 1945 und ab Ende 1948 für die Wiedergewonnenen Gebiete zuständig war, und des Ministeriums für die Wiedergewonnenen Gebiete, das in der Zwischenzeit bestand, im Archiv Neuer Akten (Archiwum Akt Nowych) in Warschau. Da auch die Paradigmen des Bevölkerungstausches mit der Sowjetunion berücksichtigt werden sollten, wurden außerdem die Akten der Evakuierungsbevollmächigten für die Umsiedlung aus den und in die westlichen Sowjetrepubliken herangezogen. Was die Quellenbasis für die Darstellungen der Konzeptionen angeht, die aus dem Kreis des polnischen Untergrundes hervorgingen, konnte ich auf die kurz vor Beginn meines Archivaufenthaltes zugänglich gewordenen Bestände des ehemaligen Archives des Zentralkomitees der PZPR, damals Archiv Neuer Akten, Archiv der Polnischen Linken (AAN Archiwum Lewicy Polskiej) zurückgreifen.

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I. Die Protagonisten

1. Struktur und Tätigkeit der bevölkerungspolitisch aktiven Behörden im besetzten Polen Bevor die Planungsparadigmen, von denen sich die deutschen Besatzungsbehörden und später die polnische Verwaltung in ihrer Bevölkerungs- und Siedlungspolitik leiten ließen, analysiert und einander gegenübergestellt werden, ist ein Überblick über die hieran beteiligten Institutionen und Behörden sinnvoll. Dies um so mehr, als Studien, Gutachten und Denkschriften, speziell diejenigen, die in der Zeit von 1939-1945 auf deutscher Seite produziert wurden, oft nicht nur dazu dienten, Konzepte und Pläne für die praktische Umsetzung anzubieten. Sie waren gleichzeitig Vorstöße, mit denen ihre Verfasser oder Auftraggeber versuchten, Dispositionsspielräume im Rahmen der praktischen Bevölkerungsund Siedlungspolitik überhaupt erst zu schaffen oder aber eigene Machtpositionen, die sich im Grunde auf andere Bereiche erstreckten, auszubauen oder zu stärken. Als die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 die polnische Grenze überschritt, stand zwar fest, daß weite Teile Westpolens in das Deutsche Reich eingegliedert werden würden und für eine Besiedlung mit Deutschen zur Verfügung stehen sollten. Es war aber weder geregelt, aus welchen Bevölkerungsteilen sich diese Siedler rekrutieren sollten, noch gab es eine zentrale Institution, die berechtigt oder auch nur in der Lage gewesen wäre, die für die Zukunft vorgesehenen Bevölkerungsverschiebungen zu planen und zu organisieren oder wenigstens zu koordinieren. Zwar existierten in den ersten Wochen der Besatzung umfangreiche Vorarbeiten, aber keine konzise, in sich schlüssige Gesamtplanung. Selbst Hitler war noch am 22.8.1939 in seiner Rede auf dem Obersalzberg kaum in der Lage, eine in sich schlüssige Konzeption zu liefern.1 So kam es bereits in den ersten Wochen der deutschen Besetzung Polens zu ersten wilden und planlosen Vertreibungen der polnischen und jüdischen Bevölkerung, oft unter aktiver Mitwirkung der örtlichen „Volksdeutschen", die sich ungeliebter Nachbarn entledigen

Siehe z.B. KOEHL: RKFDV, S. 30 f.; BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 11; MARCZEWSKi: Hitlerowska koncepcja, S. 85. Anders EISENBLÄTTER: Grundlinien, der vermutet, daß hier die Grundlinien der ersten Phase der Ostpolitik präzisiert worden seien. Ihm wäre nur insofern zuzustimmen, als ein wesentlicher Grundsatz der weiteren deutschen Politik, die Vernichtung des polnischen Staates und die Dekomposition der Polen als Nation, hier angedeutet wurden; dagegen fehlte es, wie die oben angegebenen Arbeiten zu Recht betonen, an jeglichen positiven Bestimmungen der konkreten Siedlungspolitik. 21

oder schlicht bereichern wollten.2 Gleichzeitig wurden einige Grundlagen gelegt, die die Rechtlosigkeit des Vorgehens in den annektierten Gebieten von vornherein absicherten. Bereits in einer Besprechung bei Hitler am 17.10.1939, an der Himmler und Wehrmachtsvertreter teilnahmen, hatte der Reichsführer SS darauf bestanden, daß es sich bei dem nun erforderlichen Vorgehen um einen „Volkstumskampf handle, der „keine gesetzlichen Bindungen" gestatte.3 Mit dem Ende der Militärverwaltung im besetzten Polen wurde das besetzte Gebiet in zwei Teile geteilt: zum einen in die „eingegliederten Ostgebiete", die neben dem ehemaligen preußischen Teilungsgebiet weite Gebiete West- und Zentralpolens umfaßten, zum anderen in das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete. Gleichzeitig wurden die bisherigen Chefs der Zivilverwaltung in den eingegliederten Ostgebieten mit der Einrichtung der Reichsgaue Danzig-Westpreußen und Wartheland zu Reichsstatthaltern und Gauleitern der NSDAP, der zuvor schon in Danzig tätige Albert Forster im Reichsgau Danzig-Westpreußen, der ebenfalls aus Danzig kommende Arthur Greiser im neugegründeten Reichsgau Wartheland. Die restlichen annektierten Gebiete wurden auf die bereits existierenden Verwaltungseinheiten Ostpreußen und Schlesien aufgeteilt, im „Restgebiet" avancierte Dr. Hans Frank zum „Generalgouverneur". Mit der als endgültig verstandenen Eingliederung der polnischen Westgebiete war weder eine genaue Festsetzung der Grenzen verbunden noch eine tatsächliche Rechtsgleichheit der Bewohner mit denen des Deutschen Reiches. So wurde die Zollgrenze bis zum Generalgouvernement vorgeschoben, die Polizeigrenze jedoch - auf Wunsch Himmlers - entlang der Grenze von 1919 gezogen, was die eingegliederten Ostgebiete polizeirechtlich zum Ausland erklärte und eine rigide Migrationskontrolle ermöglichte.4 Diesen Sonderstatus verloren diese Gebiete erst nach dem Überfall auf die Sowjetunion auf Befehl Himmlers.5 Alle Gebietsmachthaber hatten gemäß dem „Führerprinzip in der Verwaltung" im wesentlichen freie Hand, der Verwaltungsaufbau lehnte sich weitgehend an die Verhältnisse im Reich an. Das führte dazu, daß Reichsbehörden trotz der Generalvollmachten für die Reichsstatthalter immer wieder versuchten, Einfluß auf die ihren eigenen Ressorts entsprechenden Abteilungen der Zivilverwaltungen zu bekommen bzw. zu behalten, während Ge-

Siehe hierzu MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 13; LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 117 gibt an, daß im Rahmen dieser „wilden" Aussiedlungen, die vor allem von lokalen Behörden ausgingen, zusammengezählt mit Flüchtlingen etwa 30-40.000 Menschen erfaßt wurden; LUCZAK: Kraj Warty, S. 49 f.; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 93 ff., 158, 258. Marczewski stellt fest, daß von diesen ersten Aussiedlungen vor allem Grundbesitzer, Bauern, Händler und Handwerker betroffen waren. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 24. BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 158; BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 41; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 113. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 113 f. 72

neralgouverneur und Reichsstatthalter in aller Regel versuchten, die Einspruchs- und Interventionsmöglichkeiten der klassischen Ressorts der Reichsverwaltung in engen Grenzen zu halten.6 Vor allem empfahl sich eine möglichst weitgehende Eigenständigkeit da, wo Maßnahmen erforderlich waren, die sich vom „üblichen" Instrumentarium behördlichen Handelns doch recht deutlich unterschieden. Tatsächlich hätte beispielsweise eine kollektive Einbürgerung der polnischen Bevölkerung im Sinne der zwangsweisen Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit, wie sie dem preußischen Vorbild entsprochen hätte und mit gewissen Abänderungen im Reichsgau Danzig-Westpreußen unter Forster auch praktiziert 7 wurde , die spätere Praxis der Aussiedlung und Vertreibung wenn nicht vereitelt, so doch wesentlich erschwert. Dieser Aspekt wird noch genauer zu besprechen sein. In Ermangelung einer definitiv zuständigen Zentralinstanz hielten sich gleich mehrere Behörden und halbbehördliche Einrichtungen für berufen, Initiativen zu starten. Hierzu gehörten zum einen Institutionen, die aufgrund ihrer Tätigkeitsbereiche im Reich sich für geeignet und zuständig hielten, andererseits aber auch Behörden, die sich sozusagen von außen in diesen Bereich staatlicher Verfügungsgewalt hineinzudrängen versuchten. Zunächst ist die Wehrmacht zu erwähnen, die sich von Anfang an bemühte, Planung und Gestaltung der Siedlungspolitik zu beeinflussen. In diesen Zusammenhang gehört einerseits die scharfe Kritik des Oberbefehlshabers Ost, General Blaskowitz, an der Brutalität der Vertreibungs- und Vernichtungstätigkeit der Einsatzgruppen, die letztendlich wir' kungslos blieb, außer daß sie die Einführung der Zivilverwaltung beschleunigte.8 Andererseits sind Vorstöße verschiedener Wehrmachtsabteilungen zu erwähnen, die mehr oder weniger direkten Einfluß auf siedlungspolitische und raumplanerische Entscheidungen zu nehmen versuchten, sowohl im Sinne einer Reservierung wesentlicher Teile des neugewonnenen „Lebensraumes" für die Veteranenansiedlung nach gewonnenem Krieg, als auch, bis zum Sommer 1941, zur Absicherung ausgedehnter Truppenübungsplätze im Rahmen des chimärenhaften „Ostwalles" und der Vorbereitung des Überfalles auf die Sowjetunion.

Zum Verwaltungsaufbau im besetzten Polen siehe BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik; MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy; DERS.: Faszyzm i okupacje; ÙUCZAK: Kraj Warty; EISENBLÄTTER: Grundzüge. Empfehlenswert hierzu auch die Arbeit von RYSZKA: Panstwo stanu wyjatkowego. BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 185, beschreibt Forsters Vorgehen, der von vornherein festlegte, welche Prozentsätze der polnischen Bevölkerung jeweils den diversen „eindeutschungsfähigen" Gruppen der Deutschen Volksliste zuzuordnen seien, als „groteske, aber relativ humane Prozedur". Vgl. dagegen BIRN: HSSPF, S. 194 f. Birn weist völlig zu Recht daraufhin, daß die großzügige Eindeutschungspolitik Forsters nicht etwa bedeutete, daß er in der Behandlung als gegnerisch verstandener Bevölkerungsteile etwa milder und humaner vorgegangen sei als seine Rivalen aus der SS. Ganz im Gegenteil erwies sich Forster an manchen Punkten als mindestens ebenso radikal und brutal wie diese. Zur Politik Brachts in Oberschlesien s. IzDEBSKi: Niemiecka lista narodowa; SERWANSKI: Hitlerowska polityka narodowościowa; POSPESZALSKI: Hitlerowskie „prawo" okupacyjne. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 13. Zi

In diesem Rahmen legten Vertreter des Oberkommandos des Heeres (OKH) auf einer Tagung in Litzmannstadt (Lodz) Anfang 1940 sogar eine eigene, umfassende Siedlungsplanung vor, die, wie Rolf-Dieter Müller betont hat, zu diesem Zeitpunkt radikaler und brutaler war als die Vorstellungen, die die SS äußerte.9 Praktischen Einfluß hatten diese Planungen der Wehrmacht nicht, sie sind aber insofern wichtig, als sie die Planungsarbeiten anderer Stellen, vor allem in den Büros der Dienststelle des Reichskommissarsfür die Festigung deutschen Volkstums (RKF) wesentlich beschleunigten. In unserem Zusammenhang zeigen diese Pläne, daß auch zwischen offen konkurrierenden Eliten großenteils überraschend ähnliche Vorstellungen bezüglich der Planung und Durchführung der Kolonisierung in den eingegliederten Ostgebieten verfolgt wurden. Weiter ist das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu nennen, das vom Blut-und-Boden-Ideologen Richard Walter Darre geleitet wurde. Der in Argentinien geborene Diplomlandwirt hatte den späteren Reichsfuhrer SS Heinrich Himmler bereits in den zwanziger Jahren bei den Artamanen kennengelernt; ab 1930 begann er, im Rahmen der NSDAP eine Bauernorganisation aufzubauen, im folgenden Jahr wurde er Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS (RuSHA) und am 4. April 1933 Reichsbauernführer. Am 29. Juni 1933 ernannte Hitler ihn zum Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft (RMEuL).10 Als führender Blut-und-Boden-Ideologe versuchte Darre noch vor dem Krieg, seinen Einfluß auf die Gestaltung der Siedlungsstruktur im noch zu erobernden neuen Lebensraum im Osten zu sichern. In einer Diskussion mit seinem Nachfolger als Leiter des RuSHA SS-Gruppenführer Günther Pancke - als Vertreter der SS dritter Anwärter auf die Steuerung der Siedlungspolitik - am 17. Mai 1939 diskutierten beide ihre Vorstellungen. Einig war man sich in der Einschätzung, daß zumindest ein grobmaschiges Netz von bewaffneten Wehrbauern zur dauerhaften Absicherung des neu zu erwerbenden Raumes nötig sein würde. Hauptstreitpunkt zwischen Pancke und Darre war dagegen die Betriebsgrößenstruktur. Da nur Kleinbauern ein nennenswertes natürliches Bevölkerungswachstum garantieren könnten, weil sie „im eigenen Interesse gezwungen wären, viele Kinder zu haben, da die Kinder hier als billige Arbeitskräfte nötig seien", forderte Darre eine Armee aus 200-300.000 freiwilligen SS-Recken, die nach amerikanischem Pioniermuster in die östliche Wildnis gesetzt würden und sich alles selbst aufzubauen hätten.11 Pancke war da, wie aus der gleichen Quelle hervorgeht, wesentlich realistischer. Idealisten, wie sie für die Realisierung der romantischen Vorstellungen Darres erforderlich wären, seien heutzutage schwer zu finden; darüber hinaus würde eine auf Kleinbauern basierende

Hitlers Ostkrieg, S. 14-18. Biographische Angaben aus WISTRICH: Wer war wer, S. 59 f. Das „biographische Lexikon" ist zwar in seiner Auswahl und in der Einschätzung der Protagonisten oft mangelhaft, in der Angabe biographischer Daten aber zuverlässig. Zum Verhältnis Darre-Himmler vgl. auch KOEHL: RKFDV, S. 26 f. Aktenvermerk über Besprechung zwischen Pancke und Darre am 17.5.39, gez. Pancke; wiedergegeben in MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 117 f., Dokument 1. MÜLLER:

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Agrarstruktur, die ja vor allem Subsistenzwirtschaft bedeutet hätte, den Güteraustausch mit dem Reich nicht eben erleichtern.12 Ein weiterer Streitpunkt war die Frage der Federführung für die Durchführung der Ansiedlung. Tatsächlich stand Pancke der Eignung der klassischen Verwaltung für die Siedlungspolitik mehr als skeptisch gegenüber. In einem Brief an Heydrich vom 31. März 1939 hatte er darauf bestanden, daß die Ansiedlung Aufgabe der SS sein müsse, da sie als politische Institution den anstehenden Aufgaben eher gewachsen sei und sich die Ministerialbürokratie als unfähig erwiesen habe.13 Darre gab sich aber nicht sofort geschlagen. Bereits im August 1939 legte das Stabsamt des Reichsbauernführers ein ausführliches Konzept unter dem Titel S-Planung Gebiet II. Die bäuerliche Besiedlung Pomerellens und Posens vor, und noch im Oktober des gleichen Jahres folgte ein Ergänzungsband über das Restgebiet und Oberschlesien}4 Die grundsätzliche Zuständigkeit des RMEuL für alle Angelegenheiten der Landwirtschaft führte aber, obwohl Darre" als Ideengeber weitgehend ins Abseits gestellt werden konnte, immerhin noch dazu, daß das Ministerium an der praktischen Durchführung der Ansiedlung beteiligt blieb.15 Der Antagonismus zwischen nationalsozialistischer Agrarromantik bei Darre und der eher nüchternen, technokratisch-ökonomistischen Sichtweise der „Sozialingenieure" in der SS 16 spitzte sich in der Folgezeit immer weiter zu und führte letzten Endes zur Niederlage der Agrarromantiker um Darre, der 1942 als Minister entlassen wurde. Die hier beschriebene Auseinandersetzung war für die Beteiligten um so pikanter, als Pancke Darre erst kurz zuvor als Leiter des RuSHA abgelöst hatte17 und Darre praktisch versuchte, nachdem er schon seiner Funktion enthoben worden war, wenigstens einen Teil seiner Ideen zu retten. Darre" bestand zwar noch einige Zeit lang als Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft auf seiner Zuständigkeit im Bereich der ländlichen Siedlung, tatsächlich aber begann bereits mit Kriegsbeginn der Siegeszug der SS und ihrer Abteilungen im Bereich der Siedlungspolitik. Die deutschen Truppen wurden von Abteilungen des RuSHA begleitet, am 7. Oktober 1939 wurde Himmler als Reichsführer SS zuständig für die Gesamtheit aller Maßnahmen, die mit der „Festigung deutschen Volkstums" und der „Gestaltung neuer Siedlungsgebiete" zusammenhingen.18

Ebenda. Zit. n. BUCHHEIM: Die SS, S. 84.

Veröffentlicht mit einer Einleitung von MADAJCZYK: Bodenordnung im Generalgouvernement. Es handelt sich um einen Faksimile-Abdruck des Schlußstückes des ersten Bandes der SPlanung. Siehe dazu weiter unten. Nach KOEHL: Towards an SS-Typology. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 84; HÖHNE: Orden, S. 315. IMT Dok. 686-PS; auch wiedergegeben in BUCHHEIM: Die SS, S. 182 ff. 25

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Der diesbezügliche Erlaß Hitlers war ausreichend vage formuliert, um Himmler die Möglichkeit zu geben, ihn zur schrittweisen Erweiterung seiner Kompetenzen zu nutzen.19 Himmler besaß zu dem Zeitpunkt, als er durch Hitler mit der Gesamtkoordinierung der Siedlungspolitik beauftragt wurde, noch kein positives Programm für die Durchführung der Ansiedlung.20 Stattdessen griff Himmler auf eine Denkschrift des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP unter dem Titel Die Frage der Behandlung der Bevölkerung der ehemaligen polnischen Gebiete nach rassenpolitischen Gesichtspunkten2^ von Erhard Wetzel und Gerhard Hecht zurück, die bereits Ende November die wesentlichen Grundlinien der deutschen Politik gegenüber der unterworfenen polnischen und jüdischen Bevölkerung festlegte, und nahm sie zum Ausgangspunkt seiner eigenen Arbeit.22 Das Rassenpolitische Amt blieb, auch nachdem Himmler seine Planungshoheit als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) weitgehend durchgesetzt hatte, von Bedeutung. Im Winter 1941/1942 war wiederum Wetzel der Verfasser eines Kommentars zum ersten Entwurf des Generalplans Ost, den die Abteilung III B des RSHA erstellt hatte.23 Auch der Generalplan Ost Konrad Meyers wurde von Wetzel begutachtet und daraufhin von Meyer überarbeitet.24 Mitentscheidend für seinen Siegeszug im Bereich der Siedlungspolitik war, daß Himmler als Reichsführer SS und Chef der Polizei über einen genügend ausgebauten und handlungsfähigen Apparat verfügte. Zudem hatten Polizei und SS bereits kurz nach dem Überfall wesentliche Bereiche der als Voraussetzung verstandenen „negativen Bevölkerungspolitik" für sich gesichert: Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei (Sipo), die direkt im Rücken der Wehrmacht arbeiteten, bereiteten noch im September 1939 das Terrain für die endgültige Übernahme der polnischen Westgebiete vor, indem sie alle Polen, die als Repräsentanten der Führungselite definiert werden konnten, nach vorbereiteten Listen verhafteten und großenteils erschossen.25 Der Schnellbrief Heydrichs an die Einsatzgruppen19 20 21

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MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 86; KOEHL: RKFDV, S. 32. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 15 und passim. Rassenpolitisches Amt. Reichsleitung, Die Frage der Behandlung der Bevölkerung der ligen polnischen Gebiete nach rassenpolitischen Gesichtspunkten. Im Auftrage des tischen Amtes der NSDAP bearbeitet von Dr. E. Wetzel, ... und Dr. G. Hecht, ... Berlin, den 25. November 1939, S. 9 f. BAK R 49/75. (Im Folgenden zitiert als: Wetzel/Hecht, Die Frage der Behandlung. Wiedergegeben auch in: POSPIESZALSKI: Hitlerowskie „prawo" okupacyjne, Cz. I, S. 2-28. Der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, Dr. Walter Groß, übergab die Denkschrift Anfang Dezember an Himmler. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 100; 103. Vgl. auch MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 291 ff.; WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 21. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 51; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 273. LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 26; PÄTZOLD/SCHWARZ: Tagesordnung: Judenmord, S. 31. Zur Tätigkeit der Einsatzgruppen siehe grundlegend KRAUSNICK: Hitlers Einsatzgruppen; LESZCZYNSKi: Dzialalnosc Einsatzgruppen. Zur Mitverantwortung der Wehrmacht für die Massaker der Einsatzgruppen, aber auch zur eigenen Beteiligung von Wehrmachtseinheiten an Erschie-

chefs vom 21. September 1939 zeigte darüber hinaus, daß die Polizei die Federführung beim Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung des besetzten Polen übernommen hatte. Als Voraussetzung für ein nicht näher bezeichnetes „Endziel" seien alle Juden aus den späteren eingegliederten Ostgebieten zu entfernen, wenigstens aber auf „wenige Konzentrationspunkte" zu beschränken. Ebenso sollte in „den übrigen besetzten Gebieten", also dem späteren Generalgouvernement, die jüdische Bevölkerung möglichst an Eisenbahnknotenpunkten konzentriert werden.26 Weiter heißt es: „Es ist selbstverständlich, daß die anstehenden Aufgaben von hier nicht in allen Einzelheiten festgelegt werden können. Die nachstehenden Anweisungen und Richtlinien dienen gleichzeitig dem Zwecke, die Chefs der Einsatzgruppen zu praktischen Überlegungen anzuhalten."27 Die hier durchschimmernde Vorgehensweise, allgemeine Rahmenrichtlinien vorzugeben und ansonsten die jeweiligen Ortskommandanten und sonstigen Potentaten zu eigener inhaltlicher Füllung dieser oft vagen Prämissen aufzufordern, galt nicht nur in diesem Falle, sondern stellte ein allgemeines Charakteristikum der Bevollmächtigung und Befehlsübermittlung in der deutschen Besatzungsverwaltung dar. In welchem Maße dieses Prinzip sogar in Einzelfragen beibehalten wurde, zeigt die zwischen November 1942 und April 1943 entstandene Denkschrift über die Entwicklung der Deutschen Volksliste im Warthegau. Dort heißt es über den RMdl-Erlaß vom 4. März 1941 über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ehemalige polnische und Danziger Staatsangehörige: „Man war sich aber allgemein darüber einig, daß der neue Erlaß volkspolitisch weich und auch unklar formuliert sei, daß also mit ihm nur in volkspolitischen Dingen bewanderte und gefestigte Männer arbeiten dürften."28

ßungen, siehe z.B. den Band XXXII des BGKBZHwP, Warszawa 1987. Zu den Gründen, warum sich die deutschsprachige Forschung bis in die 60er Jahre hinein mit der Tatbeteiligung der Wehrmacht, insbesondere nach dem Überfall auf die Sowjetunion, schwertat, siehe MESSERSCHMIDT: Kampf der Wehrmacht. Schnellbrief an die Chefs aller Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, 21. 9. 1939, gez. Heydrich, Abschrift. AAN ALP III P/6 Nr. 1, Bl. 1-5. Die Erwähnung eines „Endzieles" hat vor allem in der älteren Forschung dazu geführt, von einer bereits vor dem 21.9.39 gefällten Entscheidung über die Vernichtung der polnischen Juden auszugehen. Vgl. zum Beispiel ARTUR EISENBACH: Hitlerowska polityka zaglady Zydów, Warszawa 1961. Diese Auffassung wird heute allgemein abgelehnt, und auch aus dem Text des Schnellbriefes geht hervor, daß von einem echten Konzept für die künftige Judenpolitik nicht gesprochen werden kann. Schnellbrief, S. 1. Die Deutsche Volksliste in Posen. Bericht über ihre Entstehung und die Entwicklung des fahrens, o.D., wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Niemiecka Lista Narodowa, S. 19-130, hier S. 72. Als Verfasser des Berichts wird Herbert Strickner vom SD angegeben, der vom 8.11.1939 bis zum 31.10.1941 die Zweigstelle Posen der DVL leitete. Strickner selber gab in einem Verhör im Jahre 1948 gegenüber Pospieszalski an, daß weite Teile des Berichtes nicht von ihm stammen und der Text ursprünglich im März 1941 abgefaßt worden sei. Ebenda, S. 15-17. 27

Ähnlich funktionierte auch der erwähnte Erlaß, mit dem Hitler Himmler die Gesamtkoordinierung der Germanisierungspolitik - und nichts anderes war mit der „Festigung deutschen Volkstums" gemeint - übertragen hatte. Mit diesem Erlaß brach Himmler, nach einer Formulierung Rolf-Dieter Müllers, in die aktive Siedlungspolitik ein. Bereits Mitte Oktober legte er sich den Titel eines „Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums" zu, einen Titel, der im Erlaß selbst nicht vorgesehen war.29 Gleichzeitig wurde SS-Brigadeführer Ulrich Greifelt, der bis dahin für die Kontakte der SS zu Görings Vier-Jahres-PlanBehörde und für die Vorbereitung der Umsiedlung der Tiroler Deutschen zuständig gewesen war, mit der Einrichtung eines Büros Dienststelle des RKF beauftragt.30 Die stelle war zunächst nicht als ausgebauter Apparat gedacht, sondern mehr im Sinne eines übergeordneten Koordinierungsbüros. Sie bestand zunächst aus den Abteilungen: I: Planungsfragen, Vorschläge, Anregungen; II: Lenkung des Menscheneinsatzes, Aufteilung der Umsiedler auf die neuen Gebiete; III: Ausgleich von Schadensfällen; IV: Beschaffung und Verwaltung der finanziellen Mittel; V: Zentralbodenamt, Beschlagnahme und Neuverteilung des Bodens; VI: Siedlungsamt.31 Damit sicherte sich Himmler den Zugriff sowohl auf den von seinen bisherigen Bewohnern bereinigten Boden als auch die Verteilung und Kontrolle der Neusiedler. Die Auswahl der Mitarbeiter oblag Greifelt, der, wie Müller feststellt, besonders bei der Besetzung des Planungsstabes „eine glückliche Hand" bewies.32 Vor allem gelang ihm die nebenberufliche Verpflichtung des namhaften Agrarwissenschaftlers Prof. Dr. Konrad Meyer, der in der Folgezeit für einen großen Teil der grundlegenden Planungsgutachten verantwortlich zeichnete. Laut einem Organisationsplan vom 1. August 1942 bestand das Amt VI Planung in der Amtsgruppe C zu diesem Zeitpunkt neben Meyer und seinem Stellvertreter Dr. Gebert aus den Abteilungsleitern Dr. Franz Doubek33 (Bestandsaufnahme und Raumuntersuchung), Josef Umlauf (Raumplanung und Städtebau), Frank (Dorfbau) und Mäding (Landschaftspflege).34 Die gesamte Dienststelle war in drei Amtsgruppen auf-

MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 83

ff.; SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenie, S. 37. RKFDV, S. 45 f.; MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 88 f.; SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenie, S. 28, 37. SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenie, S. 38; BUCHHEIM: Die SS, S. 188. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 89. Doubek war hauptamtlich für die Publikationsstelle (PuSte) in Berlin-Dahlem tätig. Als ihm im August 1940 der Wechsel in die Planungshauptabteilung des RKF angeboten wurde, lehnte er ab. Da Greifelt und Konrad Meyer aber auf seiner Mitarbeit bestanden, einigten sich Greifelt und das RMdl (dem die PuSte unterstand) darauf, daß Doubek seine Arbeitszeit zwischen PuSte und RKF aufteilte. Siehe BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 163 f. Zit. n. RÖSSLER: Wissenschaft und Lebensraum, S. 165. Bei Rössler ist die Nummer des Amtes die IV. Ein Organisationsschema aus den Akten der Deutschen Umsiedlungs-TreuhandKOEHL:

28

geteilt, die ihrerseits die unterschiedlichen Ämter zusammenfaßten. Laut dem zitierten Organisationsschema waren dies nun: Amtsgruppe A:

Amtsgruppe B:

Amtsgruppe C:

Amt Z: Zentralamt

Amt III: Wirtschaft

Amt VI: Planung

Amt I: Umsiedlung und Volkstum

Amt IV: Landwirtschaft

Amt VII: Bauten

Amt II: Arbeitseinsatz

Amt V: Finanzverwaltung

Amt VIII: Zentralbodenamt35

Über seine Planungs- und Richtlinienkompetenz als RKF hinaus war Himmler gegenüber allen zentralen und lokalen Behörden weisungsberechtigt, soweit Belange der „Festigung deutschen Volkstums" berührt waren.36 Ein wesentliches Mittel zur Durchsetzung dieser Kompetenz des RKF mußte selbstverständlich die möglichst direkte Verankerung der Dienststelle in der Besatzungsverwaltung sein. Nach bereits im Reich geübter Praxis wurden den Gebietsmachthabern Höhere SSund Polizeiführer (HSSPF) beigeordnet, die Reichsstatthalter sollten als Beauftragte des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums fungieren. Dieser Prozeß lief freilich nicht ohne Widerstände ab. Besonders Albert Forster in Danzig-Westpreußen sperrte sich gegen die Einmischung Himmlers, zumal er seine eigenen, bereits erwähnten Vorstellungen über die Paradigmen der Germanisierungs- und Siedlungspolitik hatte. Statt seiner wurde der ihm beigegebene HSSPF Hildebrandt zum Beauftragten ernannt.37 Ähnlich wurde Frank im Generalgouvernement ein HSSPF beigeordnet, den Gouverneuren der vier Distrikte einfache SS- und Polizeiführer. Für die direkte planerische Umsetzung der allgemeinen Richtlinien, wie sie in der zentralen Dienststelle des RKF in Berlin ausgearbeitet wurden, waren im Warthegau die 55Ansiedlungsstdbe zuständig, und diesen untergeordnet die SS-Arbeitsstäbe. Die Ansiedlungsstäbe waren als Organe der HSSPF gegründet worden und genossen, wie Ruth Bettina Birn betont, „auf lokaler Ebene durch die Entscheidungsbefugnis über Hofzuweisungen und, damit zusammenhängend, alle landwirtschaftlichen Detailfragen, uneingeschränkte

Gesellschaft vom gleichen Tag ordnet aber die Planungsabteilungen als Amt VI der Amtsgruppe Czu. BAP 17.02.282, Bl. 1-6. Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, Organisation und Geschäftsverteilungsplan des Stabshauptamtes, 1. August 1942, Nur für den Dienstgebrauch. BAP 17.02.282. Erlaß ... zur Festigung deutschen Volkstums, 7. Oktober 1939. BANS 2/60. Zur Geschichte und Funktion der Höheren SS- und Polizeiführer siehe grundlegend BIRN: HSSPF. Nach Birn versuchte Forster nach der Ablösung Hildebrandts im Jahre 1943, dessen Funktion als Beauftragter des RKF zu übernehmen, allerdings erfolglos: Himmler wollte die seiner Einschätzung nach völlig verfehlte Eindeutschungspolitik Forsters nicht decken und ernannte den Hildebrandt-Nachfolger Katzmann zu seinem Beauftragten. Ebenda, S. 195 ff. 29

Macht." 38 Die konkrete Auswahl der Höfe für die Neusiedler trafen die Ansiedlungsstäbe gemeinsam mit den Bodenämtern, die als Abteilungen der Höheren SS- und Polizeiführer gleichzeitig Organe des RKF waren. 39 Mitte Oktober 1941 setzte die Planungsabteilung der SS-Ansiedlungsstäbe Posen und Litzmannstadt unter Alexander Dolezalek die weitere Schrittfolge fest. Die Ansiedlungsplanung sollte sich aus Vorplanung, Grobplanung und Generalsiedlungsplan zusammensetzen. Auch hier legte man Wert auf die Bedeutung wissenschaftlicher Vorarbeiten als Voraussetzung realitätsbezogener Planung. Wie bereits oben in der Frage der Genauigkeit von Erlassen und Planungsparadigmen angedeutet, wurde in der konkreten Planungs- und Siedlungstätigkeit dem „Einfühlungsvermögen" und der persönlichen Erfahrung besondere Bedeutung zugemessen. Das galt auch für die SS-Ansiedlungsstäbe. Die Vielzahl der Faktoren, die zu berücksichtigen waren, vor allem aber der Wille zum „schöpferischen Gestalten" verführte die Technokraten und Sozialingenieure der SS zu emphatischen Formulierungen: Nach der Auffassung Dolezaleks war „bei jeder Planungsarbeit ein Stück Kunst dabei". 40 Diese Vorstellung vom Raumplaner als Künstler ist im Grunde nur so zu verstehen, daß das für die Planung zur Verfügung stehende Gebiet zur weißen Leinwand mutierte, die nun beliebig mit Idealplänen bemalt werden konnte. Tatsächlich handelte es sich eher um eine Art Palimpsest: Vorhandene Strukturen wurden soweit irgend möglich ausgelöscht, um Raum zu schaffen für die eigenen Ordnungsvorstellungen. Es wird noch zu zeigen sein, daß die Raumplaner Nachkriegspojens das ganz ähnlich sahen. Für die Organisation der kommenden Umsiedlungsbewegungen bedeutete die Bevollmächtigung Himmlers auch, daß die Dienststelle des RKF einer ganzen Reihe von Organisationen, die ursprünglich zu anderen Zwecken gegründet worden waren und bereits weitgehend von der SS kontrolliert wurden, mehr oder weniger genau umrissene Funktionen im Rahmen der planerischen und technischen Durchführung der Aus- und Ansiedlungsbewegungen zuweisen konnte. Dies galt etwa für die Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi). Andere Organisationen - wie etwa die Ansiedlungsstäbe und die Bodenämter - wurden für genau umrissene Aufgaben im Rahmen der Bevölkerungspolitik gegründet und ihre Kompetenzen schrittweise erweitert. Die Volksdeutsche Mittelstelle, zunächst im Rahmen der NSDAP gegründet und unter SS-Obergruppenführer Werner Lorenz ab Januar 1937 dem direkten Einfluß Himmlers unterstellt, war zunächst für Kontakte zu „Volksdeutschen" im Ausland, speziell in Osteuropa zuständig und bemühte sich, großenteils erfolgreich, die deutschen Minderheiten als politische Dispositionsmasse gegen die Regierungen der dortigen Staaten zu benutzen.41 38

BIRN: HSSPF, S. 192.

39

LUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 48.

40

Plan für die künftige Arbeit, S. 3. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 144. Vgl. auch KOTOWSKI: Lojalizm czy irredenta. Zur Vorgeschichte der deutschen Organisationen in Polen siehe auch KRASUSKI: Polska i Niemcy, S. 385-395, und, trotz mindestens problematischer Begrifflichkeit, BREYER: Das Deutsche Reich

41

30

Später übernahm die VoMi die Erfassung und den Transport der „Volksdeutschen" aus dem Baltikum in die eingegliederten Ostgebiete. In einem ähnlichen Funktionswandel bereitete das 1931 gegründete Rasse- und Siedlungsamt, später Rasse- und Siedlungs-Hauptamt, ursprünglich unter Walter Darre hauptsächlich eine SS-interne Ausleseorganisation mit Option auf die Bildung einer arischen Agrararistokratie42, im Gefolge der Wehrmacht die Konfiszierung polnischen und jüdischen Eigentums vor und war ab Frühjahr 1940 für die rassische und fachliche Selektion der aus dem Osten eintreffenden Siedler zuständig.43 Daneben wurde am 11. November 1939 in Posen ein Sonderstab für Aussiedlung von Polen und Juden unter SS-Sturmbannführer Alfred Rapp, der bereits der Einsatzgruppe VI angehört hatte, gegründet und war unter anderem an der Einrichtung des Litzmannstädter Ghettos beteiligt. Gleichzeitig wurde ein Sonderstabfür die Unterbringung der Baltendeutschen unter Reichsamtsleiter Dr. Albert Derichsweiler eingerichtet.44 Am 26. März 1940 wurde der „Sonderstab für Aussiedlung" in Umwandererzentralstelle (UWZ) umbenannt.45 Die UWZ betrieb als Dienststelle des SD zum einen die Auffang- bzw. Durchgangslager für die in den eingegliederten Ostgebieten eintreffenden Siedler, war aber auch selbst mit einer Vielzahl von Initiativen planerisch aktiv. Leiter der Stelle war der Inspekteur der Sicherheitspolizei, faktisch aber wurden die Geschäfte von seinem Vertreter SS-Hauptsturmführer Rolf-Heinz Höppner geführt, der gleichzeitig Dezernent für Volkstumsfragen im Amt des Gauleiters war.46 Einer der wichtigsten und aktivsten Mitarbeiter der UWZ war SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey.' Die Bedeutung, die diese Stelle unter ihrem ambitionierten Chef erlangte, ist schon daraus zu ersehen, daß hier nicht nur federführend die Siedlungsplanung im Rahmen der vom RSHA vorgegebenen Nahpläne festgelegt wurde - und nach deren Realisierung die betreffenden Berichte aus der Feder Krumeys flössen -, sondern er auch maßgeblich an der Gestaltung der durch Erlaß Greisers vom 28. Oktober 1939 eingeführten Deutschen Volksliste beteiligt

und Polen. Die ältere, eher einseitige Position der polnischen Forschung ist dokumentiert in: Irredenta i prowokacje. HÖHNE: Orden, S. 315.

S. 83 f., 144, 191. Erfahrungsbericht über die Umsiedlung von Polen und Juden aus dem Reichsgau „Wartheland", 26. Januar 1940, gez. Rapp, S. 1. Wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnosci z ziem polskich, S. 46 F-57 F. Vgl. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. I, S. 292, 307. Rapp taucht hier fälschlich als Obersturmbannführer auf, was er zu diesem Zeitpunkt seiner eigenen Unterschrift nach noch nicht war. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 21. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 138. In einer Denkschrift vom 2. September 1941 schlug Höppner eine zentrale Organisation mit Sitz in Berlin vor, die ein einheitlich aufgebautes Netz von regionalen Dependenzen überwachen und koordinieren solle. Wiedergegeben in: MADAJCZYK: Generalny Plan Wschodni, S. 322-327. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja,

31

war. 47 Darüber hinaus ging die Anregung zur Übertragung der „Z-Hof-Aktion" auf das Umsiedlungsgebiet Zamojszczyzna im Distrikt Lublin im Jahre 1942, in der die Agrarstruktur analog wie im Warthegau noch während des Krieges den deutschen Vorstellungen 48 gemäß umgestaltet werden sollte, auf Krumey zurück. Im September 1941 wurden die Befugnisse der UWZ auf die nordöstlichen und östlichen besetzten Gebiete außerhalb des Reichsgaus Wartheland erweitert; sie sollte die zentrale Zuständigkeit über alle „Aufnahme- und Abgabegebiete" ausüben und kontrollierte damit faktisch die Gesamtheit der Bevölkerungsverschiebungen.49 Federführend blieben gleichwohl die beiden Niederlassungen im Warthegau: Die Außenstelle Zamosc im Distrikt Lublin unterstand der Stelle in Litzmannstadt, von wo aus qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter „ausgeliehen" wurden. 5 0 Die Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft (DUT) war eine weitere der Organisationen, die speziell für Teilaspekte der Siedlungspolitik gegründet wurden. Himmler hatte am 2. November 1939 mit der Deutschen Revisions- und Treuhand-A.G. Gespräche über die Modalitäten einer bereits am 3. September 1939 gegründeten Treuhand-Gesell51 schaft geführt, die genau den Anforderungen im eroberten Osten angepaßt sein sollte. Seit Herbst 1939 war der Leiter der RKF-Dienststelle, Ulrich Greifelt, gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender der DUT. 5 2 Die DUT berechnete den Wert des in der Heimat zurückgelassenen Vermögens Volksdeutscher Ansiedler und entschädigte die Leute aus geraubtem polnischem und jüdischem Eigentum. Sie stand damit, auch dies war nicht untypisch für das Vorgehen der einzelnen Interessengruppen innerhalb der NS-Elite, in Konkurrenz zur Haupttreuhandstelle Ost (HTO), einer am 1. November 1939 gegründeten Göring-Dependance. Der Streit war abzusehen und wurde vorläufig durch eine Abgrenzung der Interessenssphären beigelegt. Die HTO beschränkte sich auf nichtlandwirtschaftlichen Besitz, und Himmler erhielt nach einer Anordnung vom 16. Dezember 1939 die Ermächtigung, Beschlagnahmungen als Beauftragter der HTO durchzuführen.53 Der Streit um die Lorbeeren, die mit der Verfügungsge-

47

WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 22, führt an, daß Krumey in einer Denkschrift die Ausweitung der Deutschen Volksliste auf ganz Europa vorschlug. Zur DVL siehe vor allem die Dokumentenedition von POSPIESZALSKI: Niemiecka Lista Narodowa. 48 WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 205, führt an, daß sich Krumey 1942 als Leiter der Zweigstelle Zamośc der UWZ eingehend bei der Ostland in Posen über die Erfahrungen mit der dortigen Z-Hof-Aktion informierte. Wasser übersieht, daß Krumey selbst an der Vorbereitung dieser Aktion im Warthegau beteiligt war. Siehe hierzu im nächsten Kapitel. 49 50

MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 270. Vgl. Korrespondenz zwischen Litzmannstadt und Zamośc in AGK UWZ Litzmannstadt 157 (59).

51

WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 177; SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenie, S. 39.

52

MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 288.

53

MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 287; ÙUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 52.

32

walt über polnischen und jüdischen Besitz zu erwerben waren, schwelte aber weiter. Erst mit dem 4. April 1941 setzte Himmler seine Höheren SS- und Polizeiführer als Generalreferentenfür die Festigung deutschen Volkstums bei verschiedenen HTO-Stellen durch.54 Schließlich ist noch die am 8. September 1939 wiederum von Himmler gegründete Einwandererzentralstelle (EWZ) zu nennen, der gemeinsam mit dem RuSHA die Selektion der Siedler und ihre Verteilung auf das Siedlungsgebiet oblag.55 Daß die EWZ zunächst ihren Sitz in Gdingen gehabt hatte, auf Betreiben Greisers aber nach Litzmannstadt verlegt wurde56, zeigt nachdrücklich, wie sich das Schwergewicht der zentral organisierten deutschen Siedlungs- und Bevölkerungspolitik immer mehr auf den Warthegau konzentrierte. Dies lag nicht zuletzt daran, daß, wie Marczewski völlig zu Recht betont hat, der Reichsgau Wartheland im Grunde das einzige Gebiet war, welches für Siedlungsexperimente zur Verfügung stand. Forster im Reichsgau Danzig-Westpreußen und Koch in Ostpreußen setzten sich gegen Ansiedlungsversuche des RKF erfolgreich zur Wehr, indem sie regelmäßig argumentierten, keinen Platz für Siedler zu haben, und gleichzeitig in weitem Umfang eine „klassische" Germanisierungspolitik durch Zwangseindeutschung der polnischen Bevölkerung durchführten. Eine Ansiedlung in Oberschlesien bot hingegen aufgrund der dichten Besiedlung und des industriellen Charakters der Region keine ernsthafte Perspektive.57 Ganz anders hingegen Greiser. Er ergriff gerne die Gelegenheit, sich durch die Umgestaltung des Warthelandes zum „Mustergau" zu profilieren und arbeitete eng mit der SS zusammen. Darüber hinaus war Greiser als Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Ostsiedlung in der ReichsStiftung für deutsche Ostforschung direkt an den Planungsarbeiten beteiligt.58 Im Frühjahr 1941 regte Greiser die Gründung einer Landeskundlichen Forschungsstelle des Reichsgaues Wartheland an, die eng mit der Reichsuniversität Posen zusammenarbeitete und deren Ergebnisse direkt von der Verwaltung verwertet werden sollten.59 Über beide Institutionen ist wenig bekannt. In den Verwaltungsapparaten des Warthegaus und des Generalgouvernements waren von Anfang an Raumordnungsbehörden vorgesehen, die im Prinzip ähnlich funktionierten und ähnliche Aufgaben hatten wie ihr Vorbild im Deutschen Reich, die Reichsstelle für Raumordnung (RfR).

MARCZEWSKI:

Hitlerowska koncepcja, S. 146. Siehe auch BUCHHEIM: Rechtsstellung und Orga-

nisation. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 134; auf S. 334 nennt Marczewski irrtümlich den 8. Oktober als Gründungsdatum. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 66. LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 46. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 334. Zu „ordnender" Tätigkeit kam es gleichwohl auch hier; siehe dazu weiter unten.

SCHUSTER: Theorien, S. 332. RÖSSLER:

Wissenschaft und Lebensraum, S. 109. 33

Erste Versuche zur Gründung einer zentralen Raumplanungsbehörde datierten bereits von 1933. Damals entstand eine Reichsstelle für Siedlungsplanung, deren Aufgabe in erster Linie die Lenkung der „inneren Kolonisierung" sein sollte. Die 1934 auf Forderungen Darres hin in Reichsstelle für Raumordnung bei der Neubildung deutschen Bauerntums umbenannte Institution blieb aber unbedeutend und wurde parallel zur Gründung der RfR, die am 26. Juni 1935 erfolgte, aufgelöst.60 Als Leiter der RfR fungierte seit ihrer Gründung Hans Kerrl, der kurz darauf auch noch Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten wurde. Der Umstand, daß der im NS-Staat eher unbedeutende Minister für kirchliche Angelegenheiten Leiter der RfR war und Kerrl persönlich wenig Einfluß im NS-Apparat zugeschrieben wird, wurde in der Forschung oftmals als Grund dafür angegeben, daß die RfR praktisch kaum Bedeutung erlangt habe. So führt noch neuerdings Messerschmidt an, daß mit der Gründung der RfR zwar ihre Aufgaben im Bereich der Standortwahl für den Vierjahresplan und das Militär festgelegt, nicht aber die Frage geklärt worden sei, welche Kompetenzen sie denn zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen haben sollte.61 Rössler hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Fall so einfach nicht gelegen hat.62 Der Umstand, daß die RfR sich ihre Kompetenzen gerade im Reich in der Regel erst und immer wieder erkämpfen mußte, darf nicht zu der Annahme verleiten, sie sei im Grunde ohne Einfluß und für die Gestaltung der Besatzungspolitik im Osten irrelevant gewesen. Daß ihr selbst in der Zentrale der Macht gehörige Bedeutung zugemessen wurde, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß unmittelbar nach dem Überfall auf Polen Versuche, sie zu schließen, von ihrem Leiter Kerrl mit dem Hinweis auf ihre Wichtigkeit für den Abgleich zwischen Kriegführung und Wirtschaftserfordernissen abgewendet werden konnten.63 Befürchtungen im Jahre 1941, Träume in Trümmern, S. 128 f.; RÖSSLER: Wissenschaft und Lebensraum, S. 137 nennt einige weitere Institutionen wie das Reichssiedlungswerk (gegr. 1933), das Reichsheimstättenamt der DAF (1934, wie das vorige unter Ludowici), den Reichssiedlungskommissar (1934, Feder), Die Freie Akademie des Städtebaus (1934, Niemeyer) und die Akademie für Landesforschung und Reichsplanung (1935, Ludowici). MESSERSCHMIDT: Nationalsozialistische Raumforschung, S. 129. Rolf Messerschmidt betreibt, ebenso wie Michael Prinz und Rainer Zitelmann, im Grunde Reinwaschung wichtiger Protagonisten. So erscheint bei ihm Konrad Meyer ausschließlich als rühriger Vorläufer moderner bundesrepublikanischer Raumordnung - und scheint ihm schon von daher unverdächtig -, der sich im Grunde nur bemüht habe, der ebenso neuen wie wichtigen Disziplin der Raumordnung institutionellen Raum zu sichern. Einen Hinweis hingegen auf die Bedeutung des Umstandes, daß Meyer nebenberuflich Verfasser des Generalplans Ost war - und was dieser Plan denn etwa ausgesagt hätte -, vermißt man bei der Lektüre des Aufsatzes schmerzlich. Daß es Messerschmidt um nicht mehr als eine Ehrenrettung der Modernisierungsabsicht der nationalsozialistischen Verwaltung und ihrer wissenschaftlichen Berater geht, zeigt folgendes Zitat: „Sicherlich wirft eine Untersuchung zur Judenvernichtung ein völlig anderes Bild auf den NS als etwa eine Analyse nationalsozialistischer Verwaltungsstrukturen. Ein Teilphänomen kann nicht das Kriterium für die Gesamtbeurteilung des NS-Staates liefern." RÖSSLER: Wissenschaft und Lebensraum, S. 136, 141. Göring hatte als Vorsitzender des Ministerrates für die Reichsverteidigung auf Initiative des OKW die Stornierung der gesamten Tätigkeit der RfR für die Dauer des Krieges angeordnet. DURTH/GUTSCHOW:

34

daß der Tod Kerrls zur Schließung der RfR führen könnte, erwiesen sich als begründet, konnten jedoch ebenfalls abgewendet werden. An seiner Stelle wurde Dr. Hermann Muhs, der Kerrl auch im Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten unterstanden hatte, zum neuen Leiter der RfR ernannt. Der Ministerposten Kerrls hingegen blieb unbesetzt.64 Der Grundgedanke der Raumordnung bestand zunächst vor allem darin, daß man Fehler aus der Zeit des Ersten Weltkrieges vermeiden wollte, während dessen Verlaufs Industriestandorte gebaut worden waren, die sich nach dem Krieg als außerordentlich ungünstig plaziert erwiesen. Die Tendenz des OKW, „die militärischen den zivilen Belangen absolut überzuordnen", habe sich als fatal erwiesen: „Dies hat bereits im Weltkrieg zu Verhältnissen geführt, unter denen wir noch heute zu leiden haben. Auch auf die Verhältnisse im Zuge der Wiederaufrüstung nach der Machtübernahme [sic!], die ja gerade zur Einrichtung der RfR. geführt haben, brauche ich nur hinzuweisen."65 Ein knappes halbes Jahr später, am 16. Dezember 1935, wurde die mit der RfR verbundene Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumplanung (RAG) eingerichtet, die die Kapazitäten freier und universitärer Wissenschaftler der Raumordnung nutzbar machen sollte. Die RfR vereinigte vor allem seit Mitte 1939, nachdem sie in den ersten vier Jahren ihres Bestehens vor allem mit der Auswahl von Industriestandorten befaßt war, Siedlungsplanung mit den Aufgaben, die bis dahin die Reichsstelle zur Regelung des Landbedarfes der öffentlichen Hand bekleidet hatte. Es liegt auf der Hand, daß sich ihre Aufgaben teilweise mit denen des RKF deckten und daß es früher oder später zu einer geregelten Zusammenarbeit oder aber zu Konflikten kommen mußte. Tatsächlich galt ab der Gründung der RfR eine Meldepflicht für alle raumrelevanten Bauvorhaben, und in der Entwicklung eines idealen Siedlungsrasters lieferte die RfR, mehr noch aber die RAG 1939-1940 wichtige Vorarbeiten. Die RfR war bereits unmittelbar nach der Einrichtung der Zivilverwaltung aktiv geworden. Noch am Tag der Ernennung Greisers Kurz daraufkündigte das OKW einseitig die Zusammenarbeit mit der RfR auf (7.9.1939). Kerrl setzte sich daraufhin mit Göring (7.9.1939) und Lammers (8.9.1939) in Verbindung und verlangte eine Entscheidung Hitlers. Der wiederum stimmte der Entscheidung Görings zu (Lammers an Kerrl, 12.9.1939). Am gleichen Tag schickte Kerrl eine Denkschrift der RfR mit dem Titel „Die Einbeziehung des Weichselraumes in den großdeutschen Raum" an Lammers, in der die Option auf eine Erweiterung des großdeutschen Wirtschaftsraumes unter dem Gesichtspunkt der Wasserwirtschaft bis zum Bug und Dnestr, also über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie hinaus, formuliert wurde (Kerrl an Lammers, 12.9.1939). Am 23.9.1939 endlich konnte Lammers seinen Planungsbehörden melden, daß er nach „eingehendem Vortrag" Göring zur Rücknahme seiner Entscheidung bewegen konnte: die RfR blieb bestehen, die Generalreferenten für Raumordnung wurden gleichzeitig Verbindungsreferenten bei den Reichsverteidigungskommissaren. Alle hier erwähnten Schriftstücke finden sich in BAK R 43 11/1031, Bl. 637. Rundschreiben Lammers, 3.2.1942. BAK R 43 11/1031. Kerrl an Lammers, 8.9.1939. BAK R 43 11/1031, Bl. 6. 35

zum Reichsstatthalter im Warthegau wurden der RfR 18 Diplomgärtner aus dem Reich gemeldet, die für eine Ansiedlung zur Verfugung stünden.66 Mit ähnlichem Enthusiasmus entwickelte die RAG einen „übereifrigen Planungstourismus": Es wurde eine große Anzahl von Gutachten,. Stellungnahmen und Planungsentwürfen für die planvolle Besiedlung und Bewirtschaftung der eingegliederten Ostgebiete erstellt, meist nach ausgedehnten Reisen vor Ort. Tatsächlich versprach der Osten vor allem jungen, geistig beweglichen und ethisch unbelasteten Landes- und Städteplanern nahezu unbegrenzte Betätigungsfelder.67 Im Herbst 1940 und Winter 1940/41 wurde die RfR gemeinsam mit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Reichsnährstand und der Reichsarbeitsgemeinschaft vom RKF beauftragt, eine Sanierung der Agrarstruktur im Reich auszuarbeiten, die allerdings vor 1945 nicht mehr realisiert wurde.68 Laut einem Vermerk Isenbergs vom 25.2.1942 wurde die RAG in der letzten Kriegsphase in die „Sparte Raumordnung" im Reichsforschungsrat umgewandelt.69 Diese Eingliederung bedeutete faktisch eine Abkehr von der Bevölkerungs- und Siedlungsplanung und eine Konzentration auf direkt für die Kriegführung verwertbare Forschungen. Es scheint zwischen SS und RfR relativ wenig Reibungspunkte gegeben zu haben; zumindest sind kaum größere Konflikte aus der Anfangszeit bekannt. Und selbst in den SSAnsiedlungsstäben beispielsweise war enge Zusammenarbeit mit den Raumplanern vorgesehen: „Um schon von vornherein Konflikte zwischen ihrem wirtschaftlichen Gesichtspunkt und unserem volkspolitischen auszuschalten, muß eine engere Fühlung als bisher hergestellt werden."70 Die enge Zusammenarbeit zwischen den in der RAG organisierten Raumplanern im Reich und den stärker praktisch orientierten Planern in der RKF-Dienststelle wurde schon dadurch gesichert, daß ihre Protagonisten zum Teil identisch waren. Walter Geisler beispielsweise gehörte der RAG an und war ab Mai 1941 Prorektor der Reichsuniversität Po-

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DURTH/GUTSCHOW: Träume in Trümmern, S. 75. Ebenda, S. 76, 90. Konrad Meyer, Vermerk. Vorgang: Landbedarf für die notwendige Aussiedlung aus dem „Altreich", Berlin 3. Dezember 1940, S. 1. Faksimile in: Bevölkerungsstruktur und Massenmord, S. 29-32. Vgl. auch MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 435. Vermerk Isenberg, 25.2.1942. BAK R 113/13. Planungsabteilung der SS-Ansiedlungsstäbe Posen und Litzmannstadt, Posen, den 18.10.1941, Plan für die künftige Arbeit der Planungsabteilung, gez. Dolezaleck (sie!), S. 12. BAK R 49 Anh. 1/34, Bl. 115-128. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. I, S. 350 identifiziert einen Herrn Dolezalek als Leiter der Planungsabteilung im Büro des Beauftragten des RKF. Darüber hinaus arbeitete in der Planungsabteilung Dr. Luise Dolezalek, die aber in erster Linie für historische Überblicksartikel veranwortlich zeichnete. Siehe hierzu das nächste Kapitel.

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sen, die zum Teil direkt der SS und dem RKF zuarbeitete.71 Konrad Meyer war gleichzeitig Obmann der RAG und Mitherausgeber der RAG-Zeitschrift Raumforschung und Raumordnung, und Walter Christaller, der in der Entwicklung von Siedlungsrastern eine wichtige Rolle spielte, hielt engen Kontakt mit Meyer, der ihn trotz seiner SPD-Vergangenheit als freien Mitarbeiter für die RKF-Planungsbüros durchsetzen konnte. 72 Bruno Wasser fuhrt daher zu Recht an, daß die Reichsstelle für Raumordnung - der ja die RAG angeschlossen war - eine wichtige und nicht zu unterschätzende Rolle in der Vorbereitung von Vertreibungsaktionen, die ja die Voraussetzung der Ansiedlung waren, gespielt hat. 7 3 Darüber hinaus war die RfR wenigstens zum Teil erfolgreich bei dem Versuch, die Kontrolle über die industrielle Struktur der eingegliederten Ostgebiete zu gewinnen und war maßgeblich an den ab 1941 beginnenden Produktionsverlagerungen in den Osten beteiligt.74 Daß die Zusammenarbeit zwischen Raumplanern, Raumordnern und RKF eng war, bedeutet andererseits nicht, daß sie etwa völlig konfliktfrei abgelaufen wäre. Im Juni 1940 beschwerten sich die Landesplaner aus RfR und Reichsarbeitsgemeinschaft, daß sie dem RKF laufend ihre Arbeiten zur Verfügung stellten, sie umgekehrt aber nichts von den Ergebnissen der dortigen Tätigkeit zu sehen bekämen. Zu einer Ausschreibung über Städteplanung im Warthegau wurden RfR-Vertreter nicht eingeladen, und im Frühjahr 1941 betrieb die SS eine Verleumdungskampagne gegen Kerrl. 75 Am Beispiel der Planung in der Zamojszczyzna wird noch zu zeigen sein, daß derlei Disziplinierungsversuche und Eifersüchteleien selbst innerhalb der SS nicht unüblich waren. Schließlich waren die offiziellen, behördlichen Landesplaner in den eingegliederten Ostgebieten, die zunächst von der RfR ernannt wurden, direkt mit dem Amt des Beauftragten des RKF verbunden. Das gleiche galt weitgehend für die behördliche Raumordnung im Generalgouvernement. Eine Abteilung Raumordnung bestand bereits im Herbst 1939 im Amt des Generalgouverneurs, das mit dem 1. Dezember 1940 in Regierung des Generalgouvernements umbenannt wurde. Mit der Strukturreform der Regierung vom 16. März 1941 wurde diese in einem Staatssekretariat und zwölf Hauptabteilungen organisiert. Das Staatssekretariat beherbergte fünf Ämter, „die wegen ihrer allgemeinen und übergeordneten

PIOTROWSKI: W sùuzbie rasizmu, S. 130-136. RÖSSLER: Wissenschaft und Lebensraum, S. 103112. Zentrale Orte und ihre Folgen. Ergebnisse des Symposiums anläßlich des 10. Todestages Walter Christallers in Darmstadt, Hamburg 1979, S. 17. Siehe dort auch Angaben zur in der Tat schillernd zu nennenden Biografie Christallers. Eine Zusammenfassung der Tätigkeit Christallers im Dritten Reich bietet RÖSSLER: Wissenschaft und Lebensraum, S. 268 und passim. Vgl. auch meinen Aufsatz: „Ohne Rücksicht auf historisch Gewordenes..." Raumplanung und Raumordnung im besetzten Polen 1939-1944, in: Modelle für ein deutsches Europa. Ökonomie und Herschaft im Großwirtschaftsraum, Berlin 1992 (Beiträge Bd. 10),. S. 77-123. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 9, 14. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 62 ff. Ebenda, S. 92, 95. 37

Funktionen den Hauptabteilungen nicht eingegliedert werden sollten."76 Es handelte sich hierbei um das Personalamt, das Amt für Gesetzgebung, das Betriebsamt, das Amt für Preisbildung und das Amt für Raumordnung. Mit einem Erlaß vom 22. Juni 1942 wurde das Amt für Raumordnung in den Rang eines Hauptamtes erhoben und war neben dem Amt für Preisbildung die einzige Behörde mit vollständigem Unterbau in den Distrikten.77 Der Bericht über den Aufbau im GG betont die Wichtigkeit der Behörde. Ein Gebiet, das „so aus allen Fugen geraten ist wie der ehemalige polnische Staat", lasse sich nur in einem ausführlichen und konsequent umgesetzten Raumordnungsplan in den Griff bekommen. In diesem waren politische, wirtschaftliche und „völkische" Belange zu berücksichtigen; weiter war darauf zu achten, daß das Aufbauwerk „eine Leistung darstellt, die dem Ansehen des Reiches als neue koloniale Großmacht gerecht wird."78 Die Aufgaben entsprachen der der RfR im Reichsgebiet.79 Die Phase des „totalen Krieges" brachte eine Rückstufung. Nach dem 30. März 1943 war das Hauptamt für Raumordnung keine selbständige Dienststelle mehr, sondern wurde der Hauptabteilung Innere Verwaltung zugeordnet.80 Da auch die „städtebauliche Vorplanung" zum Aufgabenbereich der Raumordner gehörte, war der Kontakt zu den Verwaltungskadern der negativen Bevölkerungspolitik wichtig. So hielt man, zumindest im Distrikt Warschau, direkten Kontakt zum Kommissar für den jüdischen Wohnbezirk Dr. Heinz Auerswald. Dieser berichtete seit dem 1. Oktober 1941 regelmäßig über die Vorgänge im Ghetto, insbesondere über die „Umsiedlungen", am 3. März 1942 lieferte er den Raumordnern einen detaillierten Bericht ab. 81 Leiter des Amtes für Raumordnung im Distrikt Warschau war ab dem 28. Januar 1942 der Rechtsanwalt Friedrich Gollert, der sich bereits vorher als Mitarbeiter der lung Justiz und persönlicher Referent des Chefs des Amtes unentbehrlich gemacht hatte. Wann und wie sich Gollert die Kompetenz für seinen neuen Wirkungskreis angeeignet haben mag, ist unklar; daß er allerdings für diesen Posten geeignet sei, stand an maßgeblichen Stellen des Regimes Frank außer Frage. Er wurde sowohl vom Warschauer Gouverneur Ludwig Fischer als auch vom Leiter des Hauptamtes für Raumordnung Hans Julius Schepers gestützt.82 Gollert garantierte jedenfalls engste Zusammenarbeit seiner Behörde mit

SCHEPERS: Raumordnung im GG, S. 203. Ebenda. Bericht über den Aufbau im Generalgouvernement bis 1.7.1940, S. 3. BAK R 52 11/247. SCHEPERS: Raumordnung im GG, S. 207. Amtlicher Anzeiger für das Generalgouvernement 30.3.1943, Nr. 25, S. 605. BAK R 113/38. Bericht des Kommissars für den jüdischen Wohnbezirk an das Amt für Raumordnung in Warschau, 3.3.1942. AW ADW 939. In der gleichen Akte befinden sich undatierte Statistiken des ARO über die „Verteilung der Juden im Distrikt Warschau", Berichte Auerswalds über die Pelzablieferungspflicht usw. Personalakte Gollert, AW ADW 363. Weitere Angaben zur Biographie Gollerts in ESCH: „... ohne Rücksicht auf historisch Gewordenes." Leider ist unklar, wer vor Gollert das Amt für Raumordnung leitete.

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dem RKF. In einem Schreiben an das Hauptamt für Raumordnung in Krakau vom 23. Januar 1943 betonte er, daß „die Richtlinien des Reichsführers SS als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums die maßgebende Grundlage aller Planung" seien.83 Auch im Generalgouvernement galten die vorgefundenen sozialen und Siedlungsverhältnisse nicht als etwas Feststehendes, mit dem etwa zu rechnen gewesen wäre, vielmehr wurde der gesamte Osten, vor allem aber Warthegau und Generalgouvernement, als quasi ungestaltetes und von bereits bestehenden Siedlungsstrukturen unbelastetes Terrain betrachtet, auf dem sich ideale Pläne und Strukturen entwerfen und verwirklichen ließen. So schrieb Schepers 1942 in der Zeitschrift der RAG: „So sehr den Landesplaner die Aufgabe reizen mußte, an der Neuformung eines völlig durcheinandergeratenen Gebietes schöpferisch gestaltend mitzuwirken - und dies zudem frei von so vielerlei einengenden Bestimmungen -, so schwierig erwies sich bei näherem Zusehen dieses Unterfangen."84 Gemeint waren vor allem Schwierigkeiten in der Koordination von Ordnungsinteresse und Kriegserfordernissen. Diese Schwierigkeiten werden weiter unten noch interessieren. Das in den besetzten Gebieten vollständiger und früher als im Reich durchgesetzte „Führerprinzip in der Verwaltung" bedeutete, daß jeder Verwaltungschef in seinem Gebiet für alles selbst verantwortlich war. Es hing letzten Endes von ihm allein ab, welche Pläne er faßte, welche Maßnahmen er ergriff und wie radikal er vorging. Mißerfolge oder zu wenig aktives Vorgehen führten dabei rasch zur Ablösung, allzu forsches Wirtschaften - zumal in die eigene Tasche - beschwor ebenfalls nennenswerte Schwierigkeiten herauf. Ruth Bettina Birn beschreibt den Zusammenhang zwischen Führerprinzip, Konkurrenz und Radikalisierung so: „Diejenige Gruppierung, die die ideologisch radikalste Lösung anbot, wurde mit Kompetenzen honoriert, mußte dies aber durch beständige Leistung legitimieren."85 Es liegt auf der Hand, daß ambitionierte Amtschefs wie etwa Artur Greiser im Warthegau, Hans Frank im Generalgouvernement oder auch Odilo Globocnik als SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin die Notwendigkeit sahen, ihre weitreichenden und radikalen Pläne möglichst so durchzuführen, daß die Folgen ihres Tuns weitgehend vorauszusehen wären. Das heißt, je radikaler ein Gebietspotentat sein Aufgabenfeld auszuweiten gedachte, desto mehr war er angewiesen auf möglichst genaue Vorbereitung, Erfassung der bestehenden Zustände und detaillierte Planung. Die oben Genannten griffen daher auf einen mehr oder weniger ausgebauten wissenschaftlichen Beirat zurück, der neben der Wahrnehmung von Repräsentativfunktionen Gutachten, Stellungnahmen und Pläne auszuarbeiten hatte. Greiser verließ sich hier, wie oben bereits angedeutet, weitgehend auf die Planungskompetenz der Fachleute in der RKF-Dienststelle und den Ansiedlungsstäben. Darüber hinaus wurde be8J 84 85

Schreiben Gollert an HARO, 23.1.1943. AW ADW 931. SCHEPERS: Raumordnung im GG, S. 208. BIRN: HSSPF, S. 205.

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reits erwähnt, daß er auch im Rahmen der Gründung der Reichsuniversität Posen und der Arbeitsgemeinschaft für Ostsiedlung in der Reichsstiftung für deutsche Ostforschung aktiv war. Auch weitere in der Planung aktive Behörden wie etwa das Hauptamt für nung hielten die „Heranziehung von Sachverständigen zur Erstattung von Gutachten über Spezialprobleme" für „unbedingt erforderlich".86 Frank und Globocnik hingegen gründeten eigens zu diesem Zweck Einrichtungen, die bald - mit wechselndem Erfolg - den Charakter veritabler brain trusts annahmen. Es handelte sich um das Institut für deutsche Ost beit in Krakau und die Forschungsstelle für Ostunterkünfte in Lublin. Das Institut für deutsche Ostarbeit (IDO) wurde pünktlich zum Führergeburtstag am 20. April 1940 mit großem Pomp eröffnet, nachdem am 6. November 1939 fast alle Dozenten der Jagiellonischen Universität verhaftet und in Konzentrationslager deportiert worden waren.87 Das Institut diente sicherlich auch der Geltungssucht Hans Franks, der sich selbst zum Präsidenten bestimmte und eine Zeitlang Pläne einer Umformung des Instituts zur Universität verfolgte. Der wissenschaftliche Kader bestand hauptsächlich aus jungen, unverbrauchten und vor allem ambitionierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von den Universitäten und Instituten im Reich.88 Das IDO verstand sich in der Zeit seines Bestehens in Krakau - es wurde kurz vor Kriegsende nach Cham in Bayern verlegt - als „spezialisierte Verwaltungs- und Führungsakademie" und „zentraler Forschungsapparat für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Führung des Generalgouvernements"9,9 und hatte nach dem Willen seines Präsidenten Frank „ein geistiges Reservoir von Tafkraftmotiven" zu sein.90 Das Institut war in eine ganze Reihe von „Sektionen" unterteilt, die je verschiedene Fachgebiete abzudecken hatten. In unserem Zusammenhang interessieren nur die folgenden Sektionen: -

Wirtschaftswissenschaften: Leiter war der Chef der Hauptabteilung Wirtschaft in der Regierung des Generalgouvernements, Dr. Walter Emmerich. Von den Referenten in der Sektion ist Dr. Helmut Meinhold hervorzuheben, der vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel kam und eine Reihe von Aufsätzen und „nur für den Dienstgebrauch" bestimmter Denkschriften zu Fragen verfaßt hat, die direkt mit der Siedlungspolitik und

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Haushaltsplan 1942. AAN RegGG 685. GAWEDA: Uniwersytet Jagiellonski, S. 44-57. Siehe auch BATOCKI: Nazi Germany. Zur Geschichte der anstelle der geschlossenen Universität entfalteten Untergrundaktivität siehe LESSER: Leben als ob. GOGUEL: Über die Mitwirkung; BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 253-299. Bericht an das Wissenschaftsministerium, 31.7.1940, zit. n. GOGUEL: Über die Mitwirkung, Dokumentenanhang S. 98. Das Institut für Deutsche Ostarbeit, o.D. AUJ IDO 1. Es handelt sich um ein redigiertes Manuskript einer Rede Franks, vermutlich anläßlich der ersten Arbeitstagung des Instituts am 21.6.1940.

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mit Grenzfragen zu tun hatten.91 Meinhold begriff das Generalgouvernement in genau dem Sinne, wie Dolezalek und seine Kollegen das im Warthegau sahen: Das Gebiet, schrieb er 1941, befinde sich „nahe der tabula rasa".92 Meinhold und die Referenten Hans-Kraft Nonnemacher und Erika Bochdam befaßten sich in erster Linie mit Analysen der Wirtschaftsstruktur im Generalgouvernement und der jüdischen Bevölkerung im besonderen. Landeskunde: Die Sektion hatte in Dr. Hans Graul nur einen stellvertretenden Leiter.93 Graul war vor seinem Eintritt ins IDO im Amt für Raumordnung des Distrikts Krakau tätig. Sein Vorgesetzter dort war ein Dr. Muermann gewesen, der vorher eine leitende Stellung in der RfR bekleidet hatte. Die Einstellung Grauls im IDO garantierte die direkte Zusammenarbeit zwischen administrativer Raumordnung, IDO und RAG, indem er „im Institut als Beauftragter für alle Arbeiten und Fragen der Raumforschung eingebaut wurde."94 Die Sektion befaßte sich - neben Arbeiten zur Siedlungsgeographie von zweifelhaftem wissenschaftlichem und praktischem Wert - mit Studien zur Siedlungsund Infrastruktur des Generalgouvernements und mit der Erstellung einer Landeskunde sowie eines „nur für den Dienstgebrauch" bestimmten Atlasses.95 Rassen- und Volkstumsforschung: Auch diese Sektion wurde stellvertretend zunächst von Dr. Fritz Arlt, später von Dr. Anton Plügel geleitet, bis im Januar 1942 Dr. habil. Ernst Riemann gewonnen wurde.96 Im Februar 1943 wurde Riemann außerdem Referent der VoMi in Krakau für Forschungsarbeit und Bestandsaufnahme.97 Arlt hingegen

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Zur Person Meinholds, auch zu seiner steilen Nachkriegskarriere, siehe vor allem HEIM/ALY: . Berater der Macht sowie DES./DERS.: Ökonomie der Endlösung. 92 HELMUT MEINHOLD: Rezension von AUGUST LÖSCH: Die räumliche Ordnung, in: Die Burg 3 (1942), H. 3, S. 360. 93 Das Phänomen der Sektionen, die nur über „stellvertretende Leiter" verfügten, erklärte sich daraus, daß als eigentliche Leiter laut den Statuten des IDO nur Habilitierte in Frage kommen sollten. Solche standen aber nicht unbedingt zur Verfügung; ersatzweise erwartete man von den in aller Regel jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vom Referentenstatus aufwärts die möglichst baldige Habilitation. Bericht an das Wissenschaftsministerium, 31.7.1940, zit. n. GOGUEL: Über die Mitwirkung, S. 100. 94 Arbeitsbericht Muermanns an die RfR, 2. September 1940. BAK R 113/416. 95 Graul an General Hemmerich, 27.11.1943. AUJ IDO 59. Ob der Atlas fertiggestellt wurde, ist unklar; Graul war aber außerdem an der Erstellung einer ebenfalls als geheim eingestuften Kartenfolge über den Distrikt Krakau beteiligt, die vermutlich Ende 1940-Anfang 1941 eingereicht worden ist. Ein (unvollständiges) Exemplar befindet sich im WAP Krakow, LT. II (ungeordneter Bestand). 96 BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 266. 97 Dankschreiben Riemanns an den Beauftragten des RKF Weibgen, 2. Februar 1943. AGK IDO Sektion Rassen- und Volkstumsforschung 2. Vgl. auch Deutsche Forschung im Osten 3 (1943), H. 1/2, S. 54. 41

wechselte zur RKF-Dienststelle nach Kattowitz, die er faktisch leitete. 98 Enge Zusammenarbeit mit der SS pflegten auch die Referentin Elfriede Fliethmann, deren Briefwechsel mit der Wiener Anthropologin Dora Kahlich über anthropologische Aufnahmen an jüdischen Familien in Ghettos und Lagern sich an Zynismus und Menschenverachtung mit der Haltung ihrer männlichen Kollegen durchaus messen kann." Einer von diesen, Dr. Anton Plügel, befaßte sich mit rassenbiologischen Untersuchungen diverser ethnischer Gruppen, darunter des polnischen Widerstandes - zum Nachweis, daß 100 nordische Elemente hier besonders stark vertreten waren. Sein Kollege, der Referent Heinrich Gottong, war ein Schüler des „Rassen-Günther".101 Wie schon oben am Beispiel der RAG erwähnt, mußte auch das IDO ab Mitte 1942 seine ambitionierten Forschungsarbeiten zunehmend einschränken. Am 4.2.1943 wurden darüber hinaus im ganzen Reich auf Befehl Lammers' jegliche Planungsarbeiten gestoppt. 102 Das Institut für deutsche Ostarbeit wurde auf direkt „kriegswichtige" Forschungen beschränkt und erhielt einige naturwissenschaftliche Sektionen, andere wurden - zum Teil unter Protest 1 0 3 - aufgelöst oder umfunktioniert. So erhielt beispielsweise die Sektion Landeskunde die neue Aufgabe, Luftaufnahmen für die Wehrmacht auszuwerten 104 - wobei Göring als Leiter des Reichsforschungsrates dem IDO versicherte, daß die Ergebnisse der Arbeit Grauls und seines Kollegen Dr. Ernst Fugmann nach dem Kriege selbstverständlich dem 98

Biographische Angaben bei ALY/ROTH: Die restlose Erfassung, S. 71-74.

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Briefwechsel Fliethmann-Kahlich in AUJ IDO 70. AUJIDOl.Bl. 19.

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BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 267. Hans Friedrich Karl Günther, geb. 1891, gest. 1968, veröffentlichte bereits 1922 eine „Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes". 1930 wurde er auf einen eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Rassenkunde an der Universität Jena berufen. 1934 wechselte er nach Freiburg, 1939 nach Berlin. Nach 1945 war er publizistisch tätig. Noch vor der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze forderte er mit Kollegen die Auswanderung der „Rheinlandbastarde" (Kinder deutscher Frauen und schwarzer französischer Soldaten aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg), da eine Unfruchtbarmachung auf gesetzlichem Wege nicht möglich sei. HEIDRUN KAUPEN-HAAS: Die Bevölkerungsplaner im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik, in: DIES.: Griff nach der Bevölkerung, S. 103-120, hier S. 113 sowie Kurzbiographien im Anhang des zitierten Bandes, S. 170. Zu den biografischen Angaben auch WISTRICH: Wer war wer, S. 132 f.

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ÙUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 223 f. So zum Beispiel Graul in einem Brief an seine Kollegin Hildebrandt am 4.10.1944: „Oberhaupt muß ich feststellen, daß von manchen Leuten viel zu wenig Wert auf die weitere Erhaltung des Instituts gelegt wird. Manche lassen sich ihre Sektionen in einer Weise auflösen ..., daß an einen Wiederaufbau derselben so schnell gar nicht mehr gedacht werden kann. Vor allem die Auflösung des hiesigen polnischen Hilfsapparates in dieser restlosen, nicht wieder rückgängig zu machenden Art ist völlig verfehlt und schwer bedauerlich. Ich kann dazu immer nur sagen: 'Noch haben wir den Krieg nicht verloren!' Man kann heute sehr gut erkennen, ob Einer noch an den Sieg glaubt." AUJ IDO 59.

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IDO zur Verfügung stünden.105 Gleichwohl arbeitete zumindest ein Teil der Mitarbeiter der Sektion Landeskunde noch im August 1944 an der Optimierung der Agrarstruktur im Generalgouvernement.'06 Ende Juli 1941 tauchen in einer Aktennotiz Himmlers erstmals Pläne über ein deutsches „Großsiedlungsgebiet" in einer bestimmten Region im Distrikt Lublin auf107, aber erst Anfang 1942 wurde der Kreis Zamosc als „erstes deutsches Siedlungsgebiet im Generalgouvernement" festgelegt, und mit der Allgemeinen Anordnung Nr. 17 C des RKF im November des gleichen Jahres der Beginn der Umsiedlungen bestimmt.108 Der SS- und Polizeiführer im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, ist eine der zentralen Gestalten sowohl für das Verständnis der Germanisierungs- und Strukturexperimente im Generalgouvernement als auch für die Vernichtungspolitik gegen die Juden. Globocnik unterstanden im Rahmen der Durchführung der „Aktion Reinhard" die Vernichtungslager Treblinka, Sobibór und Belzec und das KZ Majdanek.109 Als die Germanisierung eines Teils des Distrikts beschlossen wurde, verfügte Globocnik längst über den wissenschaftlich-technischen Apparat, der zur Planung und Durchführung eines solchen Unternehmens nötig war. In einer Besprechung zwischen Globocnik, Hauptsturmführer Lerch, Untersturmführer Hanelt und den beiden Vertretern der Distriktsverwaltung Sauermann und Seeberg war bereits am 3. Februar 1941 beschlossen worden, „die Bildung eines Forschungsinstitutes für den Osten" anzustreben, gemeinsam mit „aktiven geistigen Gruppen".110 In einer Stabsbesprechung am 6. August 1941 wurde fest105

Brief des Reichsmarschalls an das IDO, 4.4.1944, BAK R 52 IV/27. ° Bericht Junowitsch, August 1944. AUJ IDO 59. Junowitsch war ein aus Rumänien stammender Agronom und Bodenkundler, der bereits einschlägige Erfahrungen mit agrarstrukturellen Problemen aus den Jahren 1911-1914 geltend machen konnte: „Gleichzeitig wurde von mir und anderen gleichen Mitarbeitern in den angekauften oder der Bäuerlichen Bank überlassenen Gutem die Zerschlagung der Großwirtschaften in besondere als Wirtschaftseinheiten bestehen könnende Parzellen von 15-20 ha zwecks Verkauf an die Bauern vorbereitet und durchgeführt." Lebenslauf Junowitsch. AUJ IDO 59. 107 Aktennotiz vom 30. Juli 1941, gez. Himmler, wiedergegeben in: MADAJCZYK: Zamojszczyzna, Bd. 1, S. 26 f. LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 201, kennt diese Pläne erst aus einem Bericht Müllers vom 15. Oktober 1941 an den Chef des RuSHA Hoffmann, wiedergegeben in: 10

MADAJCZYK: Zamojszczyzna, Bd. 1, S. 29 ff. 108

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RKF, Allgemeine Anordnung Nr. 17 C über die Bestimmung eines ersten Siedlungsbereichs im Generalgouvernement, 12. November 1942. AGK NTN 255, Bl. 1 f. Zur Umsiedlung in der Zamojszczyzna siehe vor allem MADAJCZYK: Zamojszczyzna Siehe auch DERS.: Polityka III Rzeszy, Bd. 1, S. 325 ff. BIRN: HSSPF, S. 182, 205; BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 68 f.; PÄTZOLD/ SCHWARZ: Tagesordnung: Judenmord, S. 61; LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 94; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 265. Notiz über Besprechung zwischen SS-Brigadeführer Globocnik, Herrn Stadthauptmann Sauermann, Herrn Seeberg, SS-Hauptstuf. Lerch und Untersturmführer Hanelt am 3.II. 1941 um 15.30 Uhr. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 14-15v. 43

gelegt, daß dieses Forschungsinstitut im Rahmen eines SS-Mannschaftshauses einzurichten sei. Die Leitung sollte Hanelt übernehmen, der gleichzeitig laut Stabsbesprechung für „die Gesamtplanung [...] der Judenbereinigung" zuständig war. 111 Im November 1941 bestand das Mannschaftshaus bereits, sein Aufgabenbereich war aber, zumal in Abgrenzung zur Arbeit der RKF-Stelle, noch nicht genau festgelegt.112 Im März 1942 war der Aufbau des Instituts im wesentlichen abgeschlossen: man verfugte über „6 junge Wissenschaftler" und einen technisch-wissenschaftlichen Hilfsapparat aus 18 Personen, davon fünf Polen. Laßmann und Hanelt, die für den Bericht verantwortlich zeichneten, betonten ausdrücklich: „Es kann nicht die Aufgabe dieses Instituts sein, als alleinige Stelle Fragen zu bearbeiten ohne Einholung von Gutachten und wissenschaftlichen Arbeitsergebnissen anderer wissenschaftlicher Einrichtungen."113 Die Zusammenarbeit mit akademischen und sonstigen wissenschaftlichen Stellen wurde also von vornherein als nötig befunden. Es ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich, daß man es für „unzweckmäßig" für den Kontakt zu universitären Kreisen hielt, wenn die SS als Namensgeberin des Institutes auftauchte.114 Man beschloß daher eine Änderung der offiziellen Bezeichnung in Forschungsstelle für Ostunterkünfte (Fostu). Hanelt und Laßmann hatten weiterhin angeführt, daß es nicht die Aufgabe ihres Institutes sein könne, „die Arbeitsergebnisse zur Durchführung zu bringen, es sei denn, daß für spezielle Ergebnisse der diesbezügliche Befehl von höherer Stelle gegeben wird."115 Die Einschränkung dürfte sich zunächst einmal auf die „Planung zur vorläufigen Regelung der Judenfrage im G.G." bezogen haben, die „mit der Evakuierung der Juden seit dem 15.111. in den Osten" ihren Abschluß gefunden habe. 116 Aber schon mit der oben erwähnten Anordnung Nr. 17 C wurde die Fostu wieder an Planung und Durchführung beteiligt. Referent Sturmmann Dr. Franz Stanglica erarbeitete bis zum Oktober 1942 eine Raumordnung für den Kreis Zamosc, in der er die gesamte Siedlungsstruktur für den Kreis festlegte und die offensichtlich gut genug war, daß „die Herren von Schauroth und Schmidt" von der RKF-

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Notiz für Brigadeführer. Betr.: Stabsbesprechung am 6.8.41 19 Uhr 30. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 11/1 lv. Lt. HILBERG: Vernichtung, S. 510 f., gab es außerdem einen speziellen „Aussiedlungsstab" unter Sturmbannführer Höfle, der auch die Deportationen aus Warschau und Biah/stok leitete. Notiz für Brigadeführer. Betr.: Besprechung am 7.XI.1941 zwischen Brigadeführer, SS-Standartenführer Hammer, SS-Sturmbannführer Maubach und SS-Obersturmführer Hanelt. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 12 f. SS-Mannschaftshaus Lublin. o.D. [März 1942], gez. Laßmann/Hanelt, S. 4. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 18-23. Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 1. Der Zeitpunkt entspricht dem Beginn der Deportationen in das Vernichtungslager Belzec. Vgl. EISENBACH: Hitlerowska polityka zaglady, S. 300; ARAD: Belzec, S. 26, 30.

Dienststelle in Berlin sie als ihre eigene Arbeit auszugeben versuchten.117 Am 2. April 1943 einigten sich Vertreter der Distriktsverwaltung mit Hanelt, Laßmann und Stanglica darauf, daß „die Raumordnung von Dr. Stanglica als endgültig anerkannt" sei. 118 Die hochfliegenden Pläne, in denen die Besiedlung der Gegend um Zamos6 nur einen ersten Schritt auf dem Weg zur Kolonisierung und Besiedlung ganz Osteuropas bis zur Krim bedeuteten, endeten kläglich: Selektion, Vertreibung und-Deportation der polnischen Bevölkerung trieben diese in die Wälder zu den Partisanen und führten letztendlich zu einem sprunghaften Anstieg der Widerstands- und Sabotageaktionen bis hin zu Angriffen auf die Volksdeutschen Siedler. Außerdem konnten die Quoten nicht erfüllt werden: In der Zeit von November 1942 bis Juli 1943 hatte man 108.000 Polen aussiedeln wollen, tatsächlich trafen die Überfallkommandos, die die Vertreibungen durchführen sollten, nur insgesamt 47 Prozent der Opfer an. Der Rest war rechtzeitig in die Wälder geflüchtet.119 Noch bevor Frank in einer Denkschrift an Hitler am 25. Mai 1943 betonte, daß be,i einer Fortführung der Umsiedlungen im bisherigen Stil das Generalgouvernement in Kürze unregierbar sei 120 , stoppte Himmler die Aktion am 17. Mai vorläufig.121 Im August 1943 wurde auf Betreiben des Stadthauptmanns die Umsiedlung wegen der „Uberbevölkeruhg" des Distrikts wieder aufgenommen, im Oktober jedoch wiederum unterbrochen.122 Daß die Verfügbarkeit wissenschaftlich erarbeiteter Planungsunterlagen nicht die Gefahr des Mißerfolgs ausschloß, zeigte sich am Beispiel Globocniks: Die Germanisierungspolitik hatte eine derart katastrophale Situation heraufbeschworen, daß er schließlich - wenn auch mit anderer Begründung - abberufen und nach Tirol versetzt wurde. Der Vormarsch der Roten Armee 1944 verhinderte dann endgültig die Wiederaufnahme der Germanisierungsaktion.

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Aktennotiz für den Brigadeführer. Betrifft: Raumordnungsplan Zamosc. Hanelt, 27. Oktober 1942. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 254. Bei derfraglichenArbeit handelt es sich vermutlich um die Studie Grundsätzliches zur Raumplanung des Zamoscer Landes. Von SS-Sturmmann Dr. Franz Stanglica, o.D. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 267-296. Der Beauftragte des RKF Dienststelle Lublin. Raumordnung des Umsiedlungsgebietes Zamosc/ Pflugstatt. Lublin, den 2. April 1943. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 214. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 1, S. 327. Frank an Hitler, 25. Mai 1943, Geheime Reichssache. BAK R 52 11/850. Vgl. hierzu MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 1, S. 171-173. Vgl. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 149; MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 178-181. Hier auch Angaben zur Rolle einzelner Widerstandsgruppen. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 162, 225. 45

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Schema der an der Siedlungsplanung beteiligten NS-Behörden und Institutionen

2. Bevölkerungs- und Siedlungspolitik in Polen 1944-1948 a. Exil und Untergrund Knapp zwei Wochen nach dem deutschen Einmarsch am 1. September 1939 floh die damalige polnische Regierung über Rumänien nach Frankreich, später nach England. Diese Flucht gab der Sowjetunion am 17. September die Möglichkeit, ihren Einmarsch in Ostpolen nicht mit dem am 23. August 1939 abgeschlossenen Ribbentrop-Molotov-Pakt über die Aufteilung Polens zu begründen, sondern eben mit dem Machtvakuum, welches in Polen entstanden sei.1 Die Exilregierung mußte, zumindest auf internationaler Ebene, als legitime Vertreterin der polnischen Nation gelten und wurde von den westlichen Staaten auch sofort 2 als solche anerkannt. Am 30. Juli 1941, nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, folgte auf Druck Churchills ein Bündnis zwischen der inzwischen in London ansässigen Regierung unter General Wladysùaw Sikorski und der Sowjetunion. Bis zum Frühjahr 1943 wurde Polen der britischen strategischen Verantwortung zugerechnet. Von diesem Zeitpunkt an beugten sich die Briten schrittweise der Argumentation der So3 wjetunion, daß sie für dieses Gebiet zuständig sei. An der Auffassung der britischen und der amerikanischen Regierung, daß das Londoner Exil als legitime Vertretung Polens anzusehen sei, änderte das aber vorläufig nichts. Die - trotz aufopfernder Bemühungen einzelner Abteilungen - überraschend schnelle Niederlage der polnischen Armee im September 1939 verlangte selbstverständlich noch während des Krieges eine Erklärung. Die Verantwortung für den polnischerseits als Fiasko begriffenen Fehlschlag suchte und fand man in den Strategien der Sanacja-Regierungen. Der Umstand, daß alle polnischen Parteien außer den Trägern der Sanacja in Exil und Untergrund vertreten sein sollten, führte auch zu einer gewissen Revision der als Irrweg empfundenen Minderheitenpolitik.4 Die Jahre 1918-1939, aber auch Erfahrungen mit dem Verhalten von Teilen der im polnischen Staat lebenden Minderheiten schienen gezeigt zu haben, daß das Konzept des Vielvölkerstaates, der sich als Nationalstaat verstand, gescheitert

DURACZYNSKI: Rzad polski, S. 17. Vgl. auch GRABOWSKI: Delegatura. Daß die polnische Exilregierung auf internationaler Ebene legitimiert war, wurde von der polnischen Geschichtsschreibung auch vor 1989 nicht in Frage gestellt. Anders sahen polnische Autoren die innenpolitische Legitimation: die Regierung sei nicht durch formell korrekte Wahlen und sowieso nur aufgrund der schon in sich nicht legalen Konstitution von 1935 an die Macht gekommen und habe von daher ohne Probleme 1943 abgesetzt werden können. Siehe TURLEJ: Koncepcje ustrojowe, S. 13-22. KERSTEN: Narodziny, S. 13 f.

DURACZYNSKI: Stosunki w kierownictwie, S. 14; KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne, S. 32 f.; TURLEJ: Koncepcje ustrojowe, S. 5 f. 47

war. Zu den „ungelösten Problemen" der Zweiten Republik gehörte, daß eine Integration der verschiedenen Minderheiten in einen als polnisch verstandenen Staat nicht einmal an5 satzweise gelungen war. Gleichwohl hielt die zunächst nach Paris, später nach London geflohene polnische Exilregierung bis zum Ende des Krieges an der Wiederherstellung der polnischen Ostgrenze von 1921 fest - und damit an einem Territorium, das in manchen 6 Gegenden mehrheitlich von Menschen nichtpolnischer Nationalität bewohnt war. Noch im September 1939 begannen auch Diskussionen um eine Revision der polnischen Westgrenze. Die polnische Exilregierung forderte eine Begradigung und Verkürzung der Grenze zu Deutschland.7 In einem Rundschreiben vom Februar 1940 konzentrierte Außenminister August Zaleski das Interesse auf Ostpreußen: Das Gebiet sei niemals integraler Bestandteil des Reiches gewesen und stelle die in Europa einzigartige Kolonie einer Großmacht inmitten ethnisch fremder Völker dar. Hitler habe durch seine „Rücksiedlung" der Baltendeutschen nach Westen unbewußt einen historischen Prozeß in Gang gesetzt, den es im Grunde durch die Aussiedlung aller Deutschen nur fortzusetzen gelte.8 Im Herbst 1942 befaßte sich die Exilregierung mit der Ausarbeitung genauerer Grenzkonzeptionen: man verlangte die Eingliederung Ostpreußens und Danzigs, wobei ein Teil dieses Gebietes an Litauen abgetreten werden sollte. Die relative Bescheidenheit der Exilregierung erklärte sich aus der internationalen Situation. Man wollte, so Stanislaw Mikolajczyk, der Nachfolger des 1943 verunglückten Sikorski, zu Roosevelt, nicht durch überzogene Forderungen im Westen und Norden die Option auf die Rückforderung der Ostgebiete gefährden, die sich 1939 die Sowjetunion einverleibt hatte. 9 Diese Selbstbeschränkung traf auf scharfe Kritik in den eigenen Reihen. So forderten verschiedene Kreise im Exil ebenso wie die Vertreter der Exilregierung im besetzten Polen bereits 1942 Gebietserweiterungen, die weit über die Pläne der Exilregierung hinausgingen; selbst die Londoner Exilpresse stellte sich offen gegen die Regierung und postulierte eine Westgrenze entlang der Oder und Neiße. 10 Forderungen dieser Art wurden von der Regierung in der Folge aus zwei Gründen abgewiesen. Zum einen, weil die Briten weitere Zugeständnisse im Westen an ein polnisches Nachgeben im Osten knüpften, zum anderen, weil man der Meinung war, daß die dann erforderlichen Bevölkerungsbewegungen die Kräfte des durch den Krieg geschädigten Polen

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Vgl. TOMASZEWSKI: Rzeczpospolita wielu narodów; DERS.: Ojczyzna; LANDAU/TOMASZEWSKI:

Nie rozwiazane problemy sowie den Sammelband Polska - Polacy - Mniejszosci narodowe. Im Vertrag von Riga vom 18.3.1921 wurde der polnisch-sowjetische Krieg von 1919-1920 beendet: Polen erhielt die westliche Ukraine und das westliche Weißrußland. PASIERB: Polska myśl polityczna, S. 75; TURLEJ: Koncepcje ustrojowe, S. 175 ff.; BRANDES: Großbritannien, S. 61 f. Brandes führt an, daß der damalige Ministerpräsident Sikorski bezweifelt habe, daß Polen alle Ostgebiete zurückerhalten werde und an eine Kompensation durch die Zuerkennung Ostpreußens in einer Art Autonomiestatus dachte. Zit. n. TURLEJ: Koncepcje ustrojowe, S. 177. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 14 f. Ebenda, S. 14-19.

übersteigen würden. Gleichzeitig war aber die Curzon-Linie als Ostgrenze Polens auf Sei11 ten der Alliierten längst beschlossene Sache. Besonders die Exilregierung, in hohem Maße aber auch der Widerstand im Lande, taten sich mit dieser „vollendeten Tatsache" außerordentlich schwer; im Grunde steckten Träume von der Wiederherstellung Polens als Reich, wie es bis ins 18. Jahrhundert existiert hatte, noch zu tief. Das Bedürfnis nach einem Polen, das im Westen vor weiteren deutschen Angriffen geschützt sei, verband sich in manchen Kreisen zudem mit einem imperialen Ordnungsanspruch für die gesamte Region zwischen Deutschland und der Sowjetunion: Der Sieg werde gemeinsam mit den Allierten erreicht, so das offizielle Blatt der Exilregierung, aber „auf dem ganzen großen geographischen Gebiet, auf dem sich im Laufe der Jahrhunderte die polnische Geschichte abgespielt hat, wird nach diesem Krieg unser Wille entscheiden, wird sich unsere Politik verwirklichen."12 Der erste Premierminister der Exilregierung, General Sikorski, vertrat gegenüber dem Jüdischen Weltkongreß in New York die Auffassung, daß im wiedererstandenen Polen das für ihn wiederum ein Vielvölkerstaat sein sollte - nach dem Krieg der Grundsatz „gleiche Rechte - gleiche Pflichten" gelten müsse. 13 Diese Position Sikorskis war nicht nur eine Absage an offen oder verdeckt diskriminierende Vorschriften und Rechtspraktiken, wie sie in der Zwischenkriegszeit vor allem gegen Juden und Ukrainer, aber auch gegen Deutsche angewendet worden waren, sondern ebenso deutlich eine Ablehnung jedweder Garantien und Spezialregelungen für nationale Minderheiten. Vom Grundsatz der Gleichheit ausdrücklich ausgenommen wurde bereits im Rundschreiben Zaleskis allein die deutsche Bevölkerung Polens, deren „feindliche Haltung gegenüber dem polnischen Staat in der Vergangenheit und augenblicklich keine Garantie der Loyalität in der Zukunft gibt." 14 Das Rundschreiben gab Anlaß zu Studien einer Gruppe von Spezialisten, die in ihren Schlußfolgerungen noch einen Schritt weiter gingen: Sie forderten auch Grenzverschiebungen in Schlesien.15 Innerhalb der polnischen Exilregierung und in ihrem Umfeld arbeiteten außerdem einige Fachleute, die sich mit einzelnen bevölkerungs- und siedlungspolitischen Fragen befaßten, wenn auch daraufhinzuweisen ist, daß die Beschäftigung mit detaillierten Nachkriegsplanungen in London relativ wenig Raum einnahm. Zu nennen ist beispielsweiZur Entwicklung der Grenzziehungskonzeptionen der Alliierten, die hier nicht näher diskutiert werden muß, vgl. BRANDES: Großbritannien; KOWALSKI: Walka diplomatyczna. Okupacja wojenna - nie niewola, in: Rzeczpospolita Polska, nr. 22, 5.4.1941, S. 1, zit. n. PASIERB: Polska myśl polityczna, S. 77. Noch weiter gingen die Theoretiker des rechten Lagers im Lande, die eine völlige Zerstörung Deutschlands und eine Großmacht Polen mit einem Einflußgebiet zwischen Schwarzem Meer, Nord- und Ostsee anstrebten. Ebenda, S. 248. Siehe hierzu auch weiter unten. PASIERB: Polska mysl polityczna, S. 79. Okölnik, gez. Zaleski, zit. n. Sprawa polska, S. 140 f. TURLEJ: Koncepcje ustrojowe, S. 178. 49

se der ehemalige Leiter des Statistischen Hauptamtes (Glówny Urząd Statystyczny, GUS) Edward Szturm de Sztrem, der, vermutlich im Auftrag des Innenministers, späteren Propagandaministers Stanislaw Kot 1 6 eine Denkschrift zur Sanierung der polnischen Agrarstruktur verfaßte. Bereits hier wurde die Frage einer nachhaltigen Sanierung der Landwirtschaft an territoriale Zugewinne im Norden gebunden. Polen - in den alten Grenzen - verfüge gar nicht über ausreichend viel Boden, um etwa durch Parzellierung des Großgrundbesitzes eine Entladung der agrarischen Überbevölkerung auf neue Bauernwirtschaften be17 werkstelligen zu können. Einige wenige Dokumente, die in den späteren Kapiteln behandelt werden sollen, stammen vom Ministerium des Aufbaus der polnischen Verwaltung {Ministerstwo Odbudowy Administracji Polskiej), das seitens der Exilregierung die Übernahme der Verwaltung nach dem Krieg vorbereiten sollte. 18 Daneben befaßte sich der Nationalrat {Rada Narodowa) mit Studien zu strukturellen Fragen. 19 Rein quantitativ konnten aber Planungsarbeiten aus einsichtigen Gründen kaum im Mittelpunkt der Tätigkeit der Londoner Exilanten stehen. Außerdem konnte man sich weitgehend auf die Tätigkeit der Vertreter im besetzten Polen selbst verlassen. Umfängliche Studien zu den deutschen Ostgebieten, die von einer Kommission zur Vorbereitung der künftigen Friedenskonferenz gesammelt und ins Englische übersetzt wurden, stammten aus dem besetzten Polen selbst.20 Schon kurz nach der Flucht der Regierung aus Polen begannen Versuche politischer Gruppen, einen organisierten Untergrund zu schaffen, der sowohl in der Lage sein sollte, Widerstand gegen die deutsche Besatzung zu leisten als auch die polnische Staatlichkeit im Untergrund fortzusetzen. Die nach anfänglichen Schwierigkeiten im Dezember 1940 eingerichtete Delegatura Rzadu na Kraj (im folgenden Delegatura), gestützt von PPS, PSL, SN und SD 2 1 , gründete 1942 in Verbindung mit einem Departament Spraw Wewnetrznych Kot war Historiker und gehörte seit 1936 zur Führung der Bauernpartei {Stronnictwo Ludowe, SL). Von 1939-1941 war er Innenminister, 1941-42 Botschafter in Moskau, 1943-44 Propagandaminister, 1945-47 Botschafter in Rom, bis er emigrierte. Vgl. KOWALSKI: Walka, S. 769 f. Kot führte ein Archiv, das sich im Besitz der Polskie Stronnictwo Ludowe befindet. Ein Teil der dort aufbewahrten Akten wurde veröffentlicht: W kraju i na emigracji. Edward Szturm de Sztrem, Uwagi w sprawie struktury agrarnej w Polsce, o.D. Archiwum prof. St. Kota 432, Bl. 28-44. Wenn man davon ausgehen darf, daß Fragen der Agrarstruktur eher in den Geschäftsbereich eines Innenministers als eines Propagandaministers gehören, wäre die Studie Szturm de Sztrems auf die Zeit vor 1942 zu datieren. Akten aus dem Bestand AAN Polski Rzad Emigracyjny - Ministerstwo Odbudowy Administracji Polskiej. Studien der Komisja Spoleczno-Gospodarcza der Rada Narodowa R.P., 1944. AAN Rzad emigracyjny 16. Den Hinweis auf diese Studien verdanke ich Herrn Prof. Dr. Detlef Brandes. Die erste Erwähnung der Delegatura findet sich in einem Brief der Komenda Gùówna Zwiazku Walki Zbrojnej an „Torwid" (= Gen. Tokarzewski): Godziemba, der Verfasser, habe von der Einrichtung der Delegatura und den Grundsätzen der Zusammenarbeit mit dem ZWZ, aus dem später die Armia Krajowa entstand, erfahren. Armia Krajowa w dokumentach, T. 1, S. 135 f. Zur Frühgeschichte der Organisierung des polnischen Untergrundes siehe KORBONSKI: Polskie 50

(Departement für Inneres) das Biuro Ziem Nowych (Büro der Neuen Länder), das die Übernahme Ostpreußens, Pommerns und des Oppelner Schlesien vorbereiten sollte. Der Historiker der Delegatura Stefan Korbonski, der selbst dem Innendepartement angehörte, schrieb dazu: „Das Büro bewältigte eine gewaltige Arbeit, indem es Übernahmepläne in jedem Bereich vorbereitete und im Untergrund einige Tausend Fachleute organisierte, die schon vorher informiert wurden, wohin sie sich auf gegebenen Befehl begeben sollten und was sie übernehmen und in Betrieb setzen sollten."22 Tatsächlich scheint das Büro auf eine Initiative der Posener SN zurückgegangen zu sein; Leopold Gluck berichtet, daß diese bereits 1940 ein Westbüro gründete, das sich weitgehend auf die nationalstaatlichen Vorstellungen Roman Dmowskis stützte und später in das Warschauer Büro einging.23 Die Planungsarbeit der Delegatura ging aber noch weiter. Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung Polens stand auch für die Delegatura zweifelsfrei fest. Sie hatte seit Anfang des Jahrhunderts mehrfach den Anlaß (bzw. ein wichtiges Argument) für politische, wirtschaftliche und militärische Interventionen des westlichen Nachbarn abgegeben und war zum Teil auch aktiv an der Unterdrückung der polnischen Bevölkerung während der NS-Okkupation beteiligt.24 Dementsprechend erforschten polnische Fachleute, die eng mit der Delegatura zusammenarbeiteten, noch während des Krieges Sozial- und Wirtschaftsstruktur der zu übernehmenden deutschen Provinzen, Möglichkeiten der Siedlung, wirtschaftliche und agrarische Potentiale sowie die Bevölkerungstruktur und -dichte im Deutschen Reich nach einer Aussiedlung der Deutschen aus Polen. Insgesamt wurden mehrere hundert Seiten wissenschaftlichen Materials unter konspirativen Bedingungen verfaßt.25 Der jüdische Widerstand war an diesen Arbeiten nicht beteiligt, vielleicht mit Ausnahme einiger Juden in den Reihen der PPS. Dafür war auch keine Gelegenheit vorhanden. Man war viel zu sehr damit beschäftigt, unter den Bedingungen strengster Ghettoisierung

Panstwo Podziemne, S. 21-48 sowie GRABOWSKI: Delegatura, S. 15-38. Vgl. auch GROSS: POlish Society; BORODZIEJ: Terror i polityka; DURACZY>JSKI: Stosunki w kierownictwie. KORBONSKI: Polskie panstwo podziemne, S. 53. GLUCK: Od ziem postulowanych, S. 20 f. Vgl. z.B. DE ZAYAS: Anglo-Amerikaner, S. 32 f. Die polnischen Originale dieser Denkschriften und Analysen lagerten bis vor wenigen Jahren im Parteiarchiv der PZPR, inzwischen wurden sie an das AAN übergeben und sind unter den Signaturen AAN ALP Delegatura 202/1-46, 47 und 48 einzusehen. Zu einem gewissen Teil, zumal was die Berechnungen der Bevölkerungsdichte im Deutschen Reich nach Abtrennung der Ostgebiete und „Rücksiedlung" der dortigen Deutschen ins verbliebene Reichsgebiet anging, waren diese Ausarbeitungen gedacht als Argumentationshilfen auf der avisierten Friedenskonferenz, die über eine Festschreibung der polnischen Ansprüche und ihre internationale Anerkennung hätte entscheiden sollen. 51

die eigene Organisation aufzubauen und überhaupt die Bedingungen für einen Kampf ge26 gen die deutschen Mörder zu schaffen. Das Ausmaß der Anstrengungen, die seitens der Delegatura im Rahmen der Erforschung der angestrebten neuen Gebiete und zur Vorbereitung und Planung ihrer Übernahme noch während des Krieges unternommen wurden, mag zunächst verwundern; in der polnischen Literatur wird dementsprechend auch angemerkt, daß es sicherlich positiv zu werten sei, daß vorbereitende Arbeiten in die behördliche Planungspraxis der Nachkriegsregierung einfließen konnten und ab 1945 kompetente Fachkräfte für die Bewirtschaftung der hinzugewonnenen Gebiete zur Verfügung standen. Gleichzeitig wird aber angemerkt, daß das „linke Lager" solche Arbeiten deshalb nicht unternahm, weil es sich auf den Kampf gegen die deutsche Okkupation konzentriert habe. 2 7 Der naheliegende Umkehrschluß, der auf London ausgerichtete Untergrund habe seine Kräfte verschwendet und den Kampf gegen die Deutschen vernachlässigt, ist schon während der Besatzungszeit ein beliebtes Argument der Linken gegen den als bürgerliche Marionette verstandenen Untergrundstaat gewesen. 28

b. Polen nach dem Krieg Im Mai 1942 konstituierte sich im Generalgouvernement die Gwardia Ludowa als linke Alternative zur Armia Krajowa und begann sofort mit Anschlägen auf deutsche Einrichtungen. 29 Kurze Zeit darauf bot Oberst Zygmunt Berling in einer Denkschrift an Stalin die Gründung einer neuen, der Exilregierung nicht verbundenen polnischen Armee an, zu der es aber - in Form der Kościuszko-Division innerhalb der Roten Armee - erst nach dem

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Eine besonders eindrucksvolle Beschreibung der Lebens- und Kampfbedingungen der Juden im besetzten Polen bietet GROSSMANN: Untergrundarmee. Chaika Grossmann gehörte zur nationalen Führung der Zydowska Organizacja Bojowa (ZOB) und lebt heute in einem Kibbuz in Israel. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 39. Jaworski fuhrt sein Lob der Delegatura und die indirekte Kritik auf der gleichen Seite an.

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Vgl. auch KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne, passim.

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Dowödztwo Glówne GL i AL. Zbiór dokumentów z lat 1942-1944. Rozkazy, instrukcje, regulaminy, Warszawa 1967. KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne, S. 117 wirft GL und AL vor, sie hätten sich mehr mit der Infiltration der Bataliony Chlopskie als mit dem Kampf gegen die Deutschen befaßt. Der Vorwurf ist in dieser Form sicherlich unberechtigt. Tatsächlich wurde ein ähnlicher Vorwurf umgekehrt erhoben: die AL wolle anscheinend mit dem Kampf gegen die Deutschen warten, bis sich diese selbst besiegt hätten. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang sicherlich das Verhältnis der unterschiedlichen Partisanenorganisationen zum jüdischen Widerstand. Vgl. hierzu REUBEN AINSZTEIN: Jüdischer Widerstand im deutschbesetzten Osteuropa während des Zweiten Weltkrieges, Oldenburg 1993; GROSSMANN: Untergrundarmee. Vgl. auch RINGELBLUM: Stosunki polsko-zydowskie.

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Abbruch der Beziehungen zwischen Sowjetunion und Exilregierung kam. 3 0 Die Zuordnung Polens zum militärischen Aktionsgebiet der Roten Armee präjudizielle auch seine politische Ausrichtung nach dem Krieg. Am 20. Juni 1943 trat - in direktem Kontakt mit Stalin - ein „Verband polnischer Patrioten in der UdSSR" (Związek Patriotów Polskich w ZSRR; ZPP) mit einer Grundsatzerklärung ins Leben,31 nachdem sich die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der polnischen Exilregierung in London unter General Wladysùaw Sikorski zunehmend verschlechtert hatten und am 25. April 1943 von sowjetischer Seite ab32 gebrochen worden waren. Der ZPP bestand hauptsächlich aus in die Sowjetunion geflüchteten polnischen Kommunisten, soweit sie die Stalinschen Säuberungen der dreißiger Jahre überlebt hatten. Die Deklaration „O co walczymy" (Worum kämpfen wir) vom November des gleichen Jahres legte die territorialen Forderungen des ZPP fest: „Im Westen und Baltikum müssen wir die ethnografisch polnischen Gebiete wiedergewinnen, die mit Gewalt entvölkert und germanisiert wurden." 33 In der Silvesternacht 1943 gründete die Anfang 1942 entstandene PPR {Polska Partia Robotnicza, Polnische Arbeiterpartei) den Landesnationalrat (Krajowa Rada Narodowa, KRN) als neue, sicherlich weniger eindeutig als Delegatura und Exilregierung legitimierte Repräsentanz des polnischen Volkes. Dem vorausgegangen waren im Feburar 1942 Gespräche mit der Delegatura über eine Legalisierung der PPR als politischer Kraft im Untergrund; als Vertreter der PPR fungierte ab dem zweiten Gespräch Wladyslaw Gomulka. Als Haupthindernis für eine Verständigung stand die Forderung von Delegatura und AK, vor einer Anerkennung müsse sich die PPR von der Komintern lossagen, die Befehlsgewalt

KERSTEN: Narodziny, S. 18. Vgl. auch BERLING: Wspomnienia. KERSTEN: Narodziny, S. 17.

Hintergrund war vor allem die Entdeckung der Gräber polnischer Reserveoffiziere, die Ende September 1939 vom sowjetischen Geheimdienst NKWD ermordet worden waren, im Wald bei Katyn im Frühjahr 1943, die deutscherseits sofort propagandistisch ausgenutzt wurde: Amtliches Material zum Massenmord von Katyn, Berlin 1943. In der Sowjetunion erschien dagegen: Prawda o Katyniu, Moskwa 1944, mit dem hilflosen Versuch, diesen Massenmord den in dieser Hinsicht geübten Deutschen anzulasten. Die erste in Polen selbst entstandene Arbeit stammt von MADAJCZYK: Dramat katynski. Vgl. auch GRÜNBERG: Polska karta, S. 133-145. Hingegen gab es schonfrüheine reiche Literatur zum Thema im Exil. So veröffentlichte MOSZYNSKI: Lista katynska eine Liste aller vermißten Offiziere - es handelte sich um mehrere Zehntausend - in sowjetischen Lagern. Als Standardwerk galt jahrzehntelang: Zbrodnia katynska. Zu weiterer Literatur siehe JAGODZINSKI: Bibliografia Katynska. Krystyna Kersten weist darauf hin, daß die Exilregierung, entgegen sowjetischen Vorwürfen über eine Kollaboration mit den Deutschen, durchaus nicht auf die deutschen Anbiederungsversuche hereinfiel. Am 17. April 1943 erklärte sie, daß sich die Deutschen, berücksichtigt man das Ausmaß ihrer Verbrechen, nicht zur Rolle der Beschützer der Christenheit und der europäischen Zivilisation aufspielen könnten. KERSTEN: Narodziny, S. 21. O co walczymy, zit. n. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 24. 53

der Regierung und ihrer Organe und die Integrität des polnischen Territoriums in seinen Grenzen von 1922 anerkennen - sämtlich Forderungen, die für die PPR unannehmbar sein mußten. 34 Die Phase des Versuchs einer weitgehend gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen PPR und Delegatura sowie auf militärischer Ebene zwischen AK und GL endete endgültig mit dem oben erwähnten Abbruch der Beziehungen zwischen Stalin und Sikorski. 35 Die Gründung der KRN traf nicht unbedingt auf Begeisterung bei Stalin und dem ZPP. Man hatte dort eine eigene Konzeption - nach dem Vorbild der Wiedererstehung des 36 polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg - entwickelt, die damit überholt war. Dieses eigenmächtige Vorgehen der Kommunisten im besetzten Polen wirft ein bezeichnendes Licht auf die Versuche der Gruppe um Wladyslaw Gomulka, zwar mit der Rückendeckung der Sowjetunion und in Absprache mit ihr, aber soweit möglich unabhängig von ihr entsprechend der Situation im Lande vorzugehen.37 Am 20. Juli 1944 wurde in Moskau das Komitee für Nationale Befreiung {Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN) gegründet, das offiziell mit einem ersten Manifest hervortrat, das angeblich am 22. Juli in Cheùm Lubelski, der ersten befreiten Stadt westlich der Curzon-Linie, verkündet worden sei, und praktisch eine zweite polnische Regierung darstellte. Von der Konzeption her ging es hier zunächst einmal um eine Machtübernahme durch die Kommunisten ohne wesentliche Eingriffe in die politische, administrative und sozioökonomische Struktur des Landes mit einer wesentlichen Ausnahme: der Agrarstruktur. 3 8 Es kann vor dem Hintergrund der oben angedeuteten Erfahrungen in der Minderheitenpolitik, mehr noch aber auf dem Hintergrund der internationalen Situation gegen Ende des Krieges und der inzwischen üblichen Travestie des Leninschen „Selbstbestimmungsrechts der Völker", nicht verwundern, daß sich auch die polnischen Kommunisten die Forderung nach einem ethnisch einheitlichen Staatsvolk zu eigen machten. 39 Die Polnische Arbeiter-

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KERSTEN: Narodziny, S. 19 ff.

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KOWALSKI: Walka diplomatyczna, nennt als weitere Gründe die Forderung der Sowjetunion, die Delegatura aufzulösen (S. 179), die Evakuierung der polnischen Armee in der Sowjetunion, sowie die Weigerung der Sowjetunion, einer Konföderation der Tschechoslowakei mit Polen zuzustimmen (S. 229).

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KERSTEN: Narodziny, S. 40 f.

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KERSTEN: Narodziny, S. 41 fuhrt an, daß besonders Gomulka die KRN nicht zum „Synonym für die PPR" verkommen lassen wollte, sondern im Grunde die Parteien, die die Delegatura stützten, zur Zusammenarbeit zwingen wollte. Tatsächlich war er aber nicht in der Lage, sich gegen den Präsidenten der KRN, Boleslaw Bierut, der aus der Komintern kam, durchzusetzen.

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Ebenda, S. 62 f. In einem Aufsatz von 1974 verteidigte beispielsweise Krystyna Kersten die „Nationalisierung des Staates" (unarodowienie; gemeint ist die ethnische Vereinheitlichung, die Schaffung eines einheitlichen Staatsvolkes) und das Streben nach ethnischen Staatsgrenzen als historische Notwendigkeit, die im Falle Polens verspätet stattgefunden habe. KRYSTYNA KERSTEN: Nowy model

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partei proklamierte unter der Parole des Selbstbestimmungsrechtes der Völker den Verzicht auf die 1921 nach dem polnisch-russischen Krieg erworbenen Ostgebiete - und damit die Festschreibung der Demarkationslinie von 1939 als Ostgrenze - und die Entschädigung Polens für Kriegsschäden und Gebietsverluste durch territoriale Erweiterung auf Kosten Deutschlands. Die neuen Gebiete sollten es ermöglichen, alle Polen in einem nur von Polen bewohnten Staatsgebiet zusammenzufassen. In diesem Zusammenhang sind die im Herbst 1944 abgeschlossenen Verträge über einen Bevölkerungstausch zwischen Polen und der Litauischen, Ukrainischen und Weißrussischen SSR zu betrachten, da selbst unter Zugrundelegung der neuen Ostgrenze noch mehrere hunderttausend Angehörige verschiedener Minderheiten das Land bewohnten. Die Verträge bezogen sich auf jene Wojewodschaften, in denen die betreffenden Minderheiten konzentriert wohnten: Rzeszów, Lublin und Biarystok. Daneben sah der PKWN vor, daß sich Russen, Ukrainer, Ruthenen, Weißrussen und Litauer aus dem restlichen Polen um eine Entlassung aus der polnischen und die Annahme der sowjetischen Staatsangehörigkeit bemühen konnten. Eine Jüdische Frage" existierte nach Auffassung des PKWN „im volksdemokratischen Polen nicht, aber es existieren jüdische Probleme." 40 Wie diese angegangen wurden, wird im folgenden Kapitel interessieren. Der gesamte Bevölkerungsaustausch mit den westlichen Sowjetrepubliken unterstand, nach einem Dekret des PKWN vom 7. Oktober 1944, regionalen Bevollmächtigten (peùnomocnicy), denen als Generalbevollmächtigter (Generalny pelnomocnik do spraw ewakuacji) der „energische"41 PPR-Funktionär Wladyslaw Wolski übergeordnet war. Da er gleichzeitig Leiter des ebenfalls am 7. Oktober 1944 gegründeten Staatlichen Repatriierungsamtes (Pahstwowy Urząd Repatriacyjny, PUR) war 42 , dessen Aufgabe in der Organi-

terytorialny Polski a ksztaùtowanie postaw ludnosci w pierwszych latach wladzy ludowej (19441948), in: Dzieje Najnowsze 6 (1974), Nr. 2, S. 7-31. Notatka Sluzbowa, o.D. AAN MAP 753. So JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 82. Diese Einschätzung ist gewiß zutreffend: als sich Transportprobleme bei der Umsiedlung zeigten, schlug Wolski vor, die Menschen schlicht zu Fuß aus dem ehemaligen Ostpolen in die Wiedergewonnenen Gebiete loszuschicken. Ebenda, S. 50. CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 35. Die Akten des PUR befinden sich im Bestand AAN Generalny Pelnomocnik Rzadu RP do spraw repatriacji w Warszawie. Die Akten sind, wie die meisten der hier verwendeten Bestände, nicht vollständig; warum, erklärt in diesem Falle ein Blick in den Wstep do inwentarza (Einleitung zum Inventar, Manuskript). Dort heißt es: „Aus Informationen von Mitarbeitern des PUR, die in der Liquidatur der Zentralverwaltung arbeiteten, ist bekannt, daß in der Zeit, als sich die Akten im Archiv der Zentralverwaltung des PUR befanden, einige Male Mitarbeiter des MBP aus Warschau sie interessierende Akten ohne jegliche Quittierung mitnahmen. Auch übernahmen Mitarbeiter des MSZ einen Teil der Akten des Generalbevollmächtigten aus dem Archiv der Zentralverwaltung ohne Quittierung und später aus dem Staatlichen Archiv mit Quittierung. Es ist nicht bekannt, welche Menge an Akten zum MBP und zum MSZ genommen wurde." Eigene Nachforschungen im Archiwum MSZ ergaben ebenfalls keine weiteren Erkenntnisse. 55

sierung der Transporte und der Ansetzung der Repatrianten in den westlichen Gebieten bestand, kontrollierte er praktisch in der Anfangszeit die Gesamtheit der Siedlungsbewegungen. Daneben betreute das Centralny Komitet Zydów w Polsce (Zentralkomitee der Juden in Polen, CKZP) ab Herbst 1945 die Repatriierung polnischer Juden in Zusammenarbeit mit dem PUR. 4 3 Die Fristen für die Vertragsumsiedlungen waren sehr knapp gesetzt; als Ende der Umsiedlungen beispielsweise zwischen Polen und der Ukraine war der 1. Februar 1945 vorgesehen; es zeigte sich aber bald, daß diese Termine überhaupt nicht eingehalten werden konnten und mehrmals verlängert werden mußten. So dauerte beispielsweise der „Bevölkerungstausch" mit der Ukraine bis Ende 1946. 44 Tatsächlich begannen die Massenumsiedlungen erst Monate nach der Unterzeichnung der Verträge. Die andauernde Kriegstätigkeit und die Zerstörungen, die vor allem die deutschen Truppen hinterlassen hatten, verhinderten eine Ansiedlung in größerem Maßstab. Trotz der Einrichtung zentraler Institutionen waren die Bedingungen infolge der kriegsbedingten Desorganisation katastrophal. Alle polnischen Arbeiten betonen, daß Transportmittel eher theoretisch als praktisch zur Verfügung standen, daß Züge oft wochenlang im Lande umherirrten, bis sie endlich am Bestimmungsort eintrafen.45 Die Repatriierung polnischer Bevölkerung aus den abgetretenen Ostgebieten war zudem bereits untrennbar verbunden mit den territorialen Zugewinnen im Westen. Nur hier konnten diese Massen an Menschen überhaupt angesiedelt werden. Die ungeheure Bevölkerungsverschiebung war außerdem, wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, mit tiefgreifenden strukturellen Veränderungen verknüpft.46 Dort wird auch zu klären sein, wieso die repatriierte polnische Bevölkerung nicht einfach komplett dort angesetzt wurde, wo zuvor die ukrainische, weißrussische und litauische ausgesiedelt worden war. Die meisten Schwierigkeiten, mit denen schon die Zweite Republik zu kämpfen gehabt hatte, waren Folgen der 123jährigen Teilungszeit und des Umstandes, daß Gebiete, die mehr als ein Jahrhundert lang zu sehr unterschiedlichen Staaten gehört hatten, nun zu einem Ganzen zusammengefaßt worden waren. Das Hauptproblem war, auch als Schlüsselproblem für alle anderen ökonomischen Fragen, die Landfrage gewesen. Folgerichtig ging das PKWN mit einem Dekret vom 6. September 1944 in den von ihm kontrollierten Gebieten - soweit man davon bei der sofort einsetzenden Partisanentätigkeit gegen die als 47 Moskauer Marionette verstandene Regierung reden konnte - an eine umfassende Landre-

Wojewodiśer jidiser komitet in Bialistok. Sekcje far repatriacje an Centraler Komitet fun poliśer jidn, 12.4.1946. Gez. Szymon Datner. AZIH Prez. 10, Bl. 13. Wydzial Repatriacji przy CKZP, Sprawozdanie z akcji repatriacyjnej Zydów Polskich ze Zwiazku Radzieckiego, o.D. AZIH CKZP 49. Leiter des Repatriacje apteil/Wydzial repatriacyjny war I. Falk. CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 47.

JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 49 ff. und passim; CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 35. Vgl. CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 11.

Gegen den PKWN hatte sich aus den übrigen Gruppierungen des Untergrundes die dezidiert antikommunistische Organisation „Antyk" gegründet (KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne, 56

form. Nach dem Vorbild der Oktoberrevolution sprach bereits das Manifest vom 22. Juli den Bauern das Land zu und teilte den Großgrundbesitz auf. Zum Zwecke der Reform wurde ein Bodenfonds (Panstwowy Fundusz Ziemi) gegründet, der dem Ressort für Landwirtschaft und Agrarreform (Ressort Rolnictwa i Reformy Rolnej) unterstehen sollte: „Zu diesem Fonds gehören landwirtschaftliche Grundstücke von Deutschen und Volksverrätern sowie von Großgrundbesitzern, deren gesamtes Bodeneigentum 50 ha bzw. in den Gebieten, die dem Reich angegliedert waren, 100 ha übersteigt."48 Die unterschiedliche Definition des Begriffes Großgrundbesitz in Zentralpolen und in den vormaligen eingegliederten Ostgebieten weist darauf hin, daß hier eine andere Strukturpolitik als im restlichen Polen verfolgt werden sollte und eine Option auf die Aufrechterhaltung gewisser Ergebnisse deutscher bodenordnender Tätigkeit bestand. Die Landfrage war schon in der Zweiten Republik untrennbar mit dem Problem der „agrarischen Überbevölkerung" verknüpft gewesen.49 Das Komitee sah das im Grunde nicht anders. Die Logik der Landreform hieß in letzter Konsequenz Massenumsiedlung aus den am meisten „überbevölkerten" Gebieten in neu hinzugewonrmene Gebiete. Auch der PPR war klar, daß Polen in seinen Grenzen von 1921 landwirtschaftlich nutzbarer Boden angesichts der hohen landwirtschaftlichen Bevölkerungsdichte gar nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stand. Die noch in Lublin begonnene Landaufteilung konnte daher überhaupt erst nach erfolgreichem Abschluß des Krieges im nötigen Umfang in Angriff genommen werden, und zwar genau dann, wenn sich die territorialen Aspirationen des Komitees verwirklichen ließen, was die Eingliederung der deutschen Ostgebiete bis zur Oder und Neiße bedeutete. Schon im Juli 1944 hatte sich eine Delegation der KRN unter Micha! Rola-Zymierski in Moskau die Unterstützung Stalins für eine polnische Westgrenze entlang S. 120), die antisemitische und faschistische Partisanengruppe NSZ bekämpfte seit Mitte 1943 statt der Deutschen lieber Juden und Kommunisten. KERSTEN: Narodziny, S. 27 f. Die einzige Monografie über die NSZ, SIEMASZKO: Narodowe Siùy Zbrojne, klammert diese Fragen, vor allem die der autonomen Teilnahme an der Vernichtung der Juden, aus: Der Autor fuhrt an, er habe nur unter dieser Bedingung NSZ-Veteranen zur Aussage bewegen könne. Gleichzeitig bedankt er sich für eine Spende in Höhe von 1200 engl. Pfund, die er „von in Kanada und den Vereinigten Staaten lebenden Sympathisanten der NSZ" erhalten habe. Zur antisemitischen Tätigkeit der Gruppe vgl. AINSZTEIN: Jüdischer Widerstand, passim. Ainsztajn zitiert beispielsweise einen Artikel in der NSZ-Zeitschrift Szaniec (Die Schanze) vom Jannuar 1943: „Die in einem zukünftigen Polen lebenden Minderheiten können in zwei Gruppen eingeteilt werden: in fremde und verbündete Minderheiten. Zur ersten Gruppe gehören die Juden, die wir ohne jede Ausnahme loswerden müssen, weil sie ein fremdes Element darstellen, völlig fremd und völlig unassimilierbar, und die Deutschen, die als Minderheit aus Polen ganz verschwinden müssen, die wir aber als Individuen in der polnischen Nation zu akzeptieren bereit sind." Ebenda, S. 179. Vgl. auch NAZAREWICZ: Narodowe Siùy Zbrojne. Manifest Polskiego Komitetu Wyzwolenia Narodowego, 22. Juli 1944, zit. n. der dt. Übersetzung in: Vertreibung 1/3, S. 1-7. Vgl. ROSZKOWSKI: Rolnictwo i lesnictwo, S. 138-144; LANDAU/TOMASZEWSKI: Nie rozwiazane problemy, S. 412-420. 57

5

der Oder und Neiße versichert.50 Am 27. Juli 1944 wurde ein entsprechendes Abkommen zwischen Sowjetunion und PKWN geschlossen - nicht zuletzt, um letzteren ein nicht zu unterschätzendes politisches Kapital gegen Stanislaw Mikotajczyk, der zu dieser Zeit in Moskau war, in die Hand zu geben.51 Es war von daher nur folgerichtig, daß bereits in der Roten Armee polnische Verbindungsoffiziere eingebaut waren, die nach der Übergabe der befreiten Territorien durch die sowjetischen Streitkräfte an Polen eine Verwaltung aufbauen sollten. Mehr noch: Nach einer Richtlinie an die sowjetischen Ortskommandanturen vom März 1945 hatten diese die Aufgabe, eigenständig mit dem Aufbau einer polnischen Verwaltung zu beginnen, sofern noch keine bevollmächtigten Vertreter der Lubliner Regierung eingetroffen waren.52 Am wichtigsten, zumal in den ersten Monaten, war die Gewinnung der Kontrolle über die verschiedenen Migrationsbewegungen. Kaum waren die vormaligen deutschen Bewohner evakuiert oder geflohen, eigneten sich Rückkehrer und Einheimische die verlassenen Höfe, Werkstätten und Wohnungen wild an. Neben dieser spontanen Siedlungsbewegung fand im Osten der mit Litauen, Weißrußland und der Ukraine vertraglich vereinbarte Bevölkerungsaustausch statt. Bis zur Installierung von Zentralbehörden behalf man sich zunächst mit Bevollmächtigten {Pelnomocnicy), die im Grunde nach eigenem Gutdünken - in Absprache mit der sowjetischen Militärverwaltung - schalten und walten konnten53 und formal der Regierung direkt unterstellt waren. Im gleichen Sinne wurde die Territorialverwaltung in den Wiedergewonnenen Gebieten organisiert. Das gesamte Territorium wurde, soweit es nicht schon vor dem Krieg bestehenden Wojewodschaften angeschlossen wurde, in Okregi (Bezirke) aufgeteilt, denen jeweils Bezirksbevollmächtigte {Pelnomocnicy okregowi) vorstanden. Auf der unteren Ebene agierten Kreisbevollmächtigte {Pelnomocnicy obwodowf). Das Ministerium für öffentliche Verwaltung {Ministerstwo Administracji Publicznej, MAP), das bis Ende 1945 die zentrale Koordinierung und Kontrolle der Inbesitznahme der neuen Gebiete übernehmen sollte, bereitete diese Verwaltungsorganisation seit dem Frühjahr vor. In den Notwendigen Instruktionen für einen Bevollmächtigten der Regierung auf dem Gebiet Ostpreußens wurde, neben notwendigen internationalen Absicherungen, festgelegt, in welcher Form erste Verwaltungsorganisationen einzurichten seien. Darüber hinaus wurde, analog zur deutschen Praxis in den eingegliederten Ostgebieten, eine rigide rechtliche Trennung unerwünschter und erwünschter Bevölkerungsteile vorbereitet. Voraussetzung einer rechtlich abgesicherten polnischen Verwaltung Ostpreußens sei

Na piastowskim szlaku, S. 25. DE ZAYAS: Anmerkungen zur Vertreibung, S. 66 f. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 94. Zum weiteren Verhalten der Roten Armee siehe auch weiter unten. IZDEBSKI: Rewizja, S. 20. JAWORSKI:

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„die Eingliederung Ostpreußens nach Polen und die Einführung der Vorschriften, die im übrigen Gebiet des polnischen Staates gelten, für die polnischen Staatsangehörigen sowie die Verabschiedung besonderer Vorschriften für die deutsche Bevölkerung und andere Ausländer."54 Das Papier weist darüber hinaus auf ein Problem hin, das für die Anfangszeit als sehr spezifisch anzusehen ist. Man brauche nämlich rechtsgültige Vorschriften, die Ostpreußen aus den üblichen Bestimmungen über Kriegsbeute ausnähmen. Wenn nicht, sei Polen verpflichtet, alle dort lebenden Menschen, gleich welcher Nationalität, zu verpflegen, gleich55 zeitig aber auch dazu, Demontagen jeden Ausmaßes zu akzeptieren. In der Tat wird noch zu zeigen sein, daß die Beschlagnahmepraxis der Roten Armee - gleich ob als Ausgleich für die im Krieg erlittenen Zerstörungen oder zur aktuellen Versorgung der Truppen - auch später noch mit den Siedlungsinteressen der polnischen Administration kollidierte und zu Irritationen vor allem auf polnischer Seite führte. Die Gebietsbevollmächtigten wurden als direkte Vertreter der Regierung eingesetzt und hatten weitreichende Vollmachten; sie versuchten, eine gewisse Ordnung in die Migrationsund Aneignungsbewegungen zu bringen und bereiteten gleichzeitig die Aussiedlung der verbliebenen Deutschen vor. Den Bevollmächtigten beigeordnet waren Grupy Operacyjne {Operative Gruppen), die mit der Übernahme von Wirtschaftsbetrieben u.a. befaßt waren und schon vor der Einsetzung der Bevollmächtigten arbeiteten. Sie bestanden aus Vertretern der Zivilverwaltung, des Militärs, sowie „Branchenspezialisten" (specjalisci branzow/).56 Die Gruppen, so bestimmte das ihnen übergeordnete Industrieministerium, „besetzen die Schlüsselpositionen in den Wirtschaftsorganisationen und der Industrie, regeln in der ersten Phase den Zustrom von Arbeitskraft, die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihren eigenen Apparat, indem sie Kontakte zu den zuständigen übergeordneten Wirtschaftsbehörden herstellen." 57 Indem die Operativen Gruppen Gebiet und Betriebe von der Roten Armee erhalten sollten, sobald beides in polnische Verwaltung überführt wurde, füngierten sie praktisch als erste Treuhänder im industriellen Bereich - dies um so mehr, als eine Verpachtung oder Abgabe

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Konieczne instrukcje dla pelnomocnika Rządu na teren Prus Wschodnich, 10. Februar 1945, Mgr. Stanislaw Jurzyk als Inspektor MAP. AAN MAP 2418. Das Papier wurde lt. Nachschrift für den Direktor des Gesellschaftspolitischen Departements (Departament SpolecznoPolityczny) Sznek angefertigt. Die Bleistiftanmerkungen am Rand des Dokumentes weisen daraufhin, daß es in der Tat zur Vorbereitung der Aufteilung der gesamten Wiedergewonnenen Gebiete in Okregi und als Grundlage für die Tätigkeit der Bevollmächtigten genutzt worden ist.

55

Ebenda.

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Ministerstwo Przemyslu, Orientacyjna instrukcja o pracy grup operacyjnych na Ziemiach Zachodnich /lezqcych poza granicq 1939rJ, 27.3. 1945, tylko do uzytku sluzb., gez. Ing. A. Wislicki als Kierownik G.O., S. 4. AAN MAP 2471. Vgl. zu den grupy operacyjne JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 92 ff.

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Orientacyjna instrukcja, S. 1. 59

irgendwelcher „Objekte" an Privatpersonen oder -gesellschaften ausdrücklich ausgeschlos58 sen war. Gleichzeitig erhielt das Industrieministerium die Kontrolle über die gesamte Industrie einschließlich der lebensmittelverarbeitenden Betriebe. Die relative Eigenständigkeit der Operativen Gruppen endete mit der Ankunft des Bevollmächtigten. Dieser nämlich, so die Instruktion, sei „Vorgesetzter der Bevollmächtigten des Ökonomischen Komitees (Komitet Ekonomiczny) des Ministerrates und des Industrieministeriums, die er abberufen darf."59 Dem allem zu Grunde lag ein Beschluß des Ministerrats (Rada Ministröw, RM) vom 14. März 1945 über die Einrichtung einer polnischen Verwaltung. Gleichzeitig wurde ein Büro der Westgebiete beim Präsidium des Ministerrates Biuro Ziem Zachodnich przy. Prezydium Rady Ministrów) eingerichtet, das die Verwaltung und Ansiedlung vorzubereiten und zu leiten hatte. 6 0 Der Beschluß des Ministerrates sah die Aufteilung der Wiedergewonnenen Gebiete in vier Bezirke mit je einem Bevollmächtigten vor. Alexander Zawadzki nahm am 20. März 1945 die Arbeit im Bezirk Oppeln auf, Dr. Jakub Prawin zehn Tage später in Alienstein, Stanislaw Piaskowski am 8. April in Niederschlesien, Leonard Borkowicz wechselte am 16. April von der 1. Weißrussischen Front nach Posen. 61 Zwei der Bevollmächtigten waren darüber hinaus in die bereits bestehende Verwaltung eingebunden: Zawadzki war Wojewode in Schlesien, Piaskowski Vizewojewode in Kielce. 62 Der weiterhin bestehenden Unsicherheit der politischen und z.T. auch militärischen Situation in diesen Gebieten, aber auch der Notwendigkeit zu direktem Zugriff auf Repressionsmittel trug man dadurch Rechnung, daß der Delegat des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit (Ministerstwo Bezpieczenstwa Publicznego, MBP) grundsätzlich zum ersten Vertreter des Bevollmächtigten bestimmt wurde 63 , somit die Staatssicherheitsbehörde jederzeit direkten Einfluß auf alle Vorgänge in den Wiedergewonnenen Gebieten behielt. Einer der aktivsten Gebietsbevollmächtigten war sicherlich General Alexander Zawadzki, der als Wojewode auch für das schlesische Gebiet um Dabrowa Górnicza (Slask-Dabrowski) zuständig war - ein Gebiet, das aufgrund seiner ökonomischen Potenz eine Schlüsselposition innehatte. Bereits am 20. März 1945, also am Tage der Amtsübernahme, gab er

Ebenda, S. 3. Ebenda. Sprawozdanie z dzialalnosci Ministerstwa Ziem Odzyskanych w okresie od 27.XI. 1945 do 21-11949. Czqsc I Egzemplarz Nr. 32. Poufne-Tylko do uzytku wewnętrznego, S. 1-7. AGK Mikrofilm 238. Posiedzenie Rady Ministröw, 14.3.1945, Prot. Nr. 19. AAN MAP 2441, Bl. 10. Vgl. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 92; CZERNAKIEWICZ: Repatriacja, S. 183. Posiedzenie RM, 14.3.1945 und Posiedzenie RM, 8.3.1945, Prot. Nr. 16. AAN MAP 2441, Bl. 6. Posiedzenie RM, 14.3.1945. 60

ein Rundschreiben heraus, das die Starosten64 ermächtigte, einstweilige Bescheinigungen auszustellen. Diese Bescheinigungen, so legte das Rundschreiben eindeutig fest, sollten vor Aussiedlung schützen, ersetzten aber keinen Nachweis über die Zugehörigkeit zum polnischen Volk. Einen Monat später, am 24. April 1945, ordnete Zawadzki die Erfassung aller Polen und die Ausgabe einstweiliger Bescheinigungen nach den Kriterien Sprache, Her65 kunft und Verhalten an. Auch im Bereich der „negativen" Bevölkerungspolitik ging Zawadzki den Zentralbehörden voran. Bereits am 29. Januar 1945 - also noch vor seiner Legitimierung als Bevollmächtigter - verfügte er die Enteignung aller deutschen Bauernhöfe; ein entsprechendes Gesetz des PKWN folgte erst am 2. März. 6 6 Die ersten polnischen Verwaltungsbeamten im Westen begriffen sich weitgehend als Pioniere. Man habe sich, so ein Tätigkeitsbericht von 1949, einer Aufgabe gegenübergesehen, „die völlig neu war und keine historischen Vorbilder hatte". 6 7 Die gewählte Form der Verwaltung hatte, so Wladyslaw Gomulka vor dem Landesnationalrat, eine Menge von Nachteilen und wurde seiner Einschätzung nach auch zu lange aufrechterhalten.68 Vor allem schuf sie für die Wiedergewonnenen Gebiete ein Sonderrecht ähnlich dem deutschen Vorgehen in den eingegliederten Ostgebieten, dessen Auswirkungen man allerdings - im Unterschied zum deutschen Vorgehen - dadurch zu zügeln versuchte, daß auf eine Forderung der KRN vom 2. Oktober 1945 hin auf der territorialen Grundlage der Okregi und Obwody Nationalräte (Rady Narodowe) gebildet wurden 69 , die eine wenn auch eingeschränkte gesellschaftliche Kontrolle der Bevollmächtigten ermöglichten. Die Vorläufige Regierung der Nationalen Einheit (Tymczasowy Rząd Jednosci Narodowej, TRJN), die am 28. Juni 1945 aus dem PKWN, der sich inzwischen zum Rzqd Tymczasowy RP ernannt hatte, und einigen Exilpolitikern gebildet wurde - darunter Stanislaw Mikolajczyk, der das Ministerium für Landwirtschaft und Agrarreform (Ministerstwo Rolnictwa i Reformy Rolnej, MRiRR) übernahm, und Wladyslaw Kiernik -, war auf die Übernahme der Wiedergewonnenen Gebiete denkbar schlecht vorbereitet. Da man viel zu sehr vom Kampf mit den deutschen Besatzern und gleich danach mit der innerpolnischen Opposition in Anspruch genommen gewesen war, gab es keinerlei eigene Vorarbeiten, auf die sich das Komitee in den Anfangsmonaten hätte stützen können. Eilig begonnene eigene Versuche wurden bald eingestellt. Der polnische Historiker Jaworski betont, daß nach ge-

Die schlesischen Starosten entsprachen in ihrer Funktion ziemlich genau den pelnomocnicy obwodowi in den restlichen Wiedergewonnenen Gebieten. Zit. n. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 167. URBAN: Deutsche, S. 54.

Sprawozdanie z dzialalnosci MZO, S. 6. AGK Mikrofilm 238. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 58. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 111 f. Dort und im folgenden auch zur Kritik Gomulkas an der seiner Ansicht nach verfrühten Einrichtung der rady narodowe, die erst dann Sinn machten, wenn das betreffende Gebiet genügend dicht besiedelt und die betreffende rada eine ausreichende politische Reife erwarten lassen dürfe. Ebenda, S. 113 f. 61

wissen Arbeiten in einem Büro für Wirtschaftliche Forschungen {Biuro Badan Gospodarczych),10 das die Bewirtschaftung der neuen Westgebiete vorbereiten sollte, der PKWN die Arbeiten nicht fortgesetzt habe. Das mit Beschluß des Ministerrates vom 2. Februar 1945 ins Leben gerufene Büro für die westlichen Gebiete {Biuro Ziem Zachodnich) beim Präsidium des Ministerrates war zunächst wegen Mangels an Fachkräften und Unterlagen überhaupt nicht arbeitsfähig.71 Schon am 11. April 1945 wurde das Büro wieder aufgelöst; seine Kompetenzen gingen an das MAP unter Edward Ochab, später Wladyslaw Kiernik von der PPS, über. 72 Ebenso oblag nun dem MAP die Kontrolle der Territorialverwaltung: Am 20. Juni 1945 wurden die Bevollmächtigten, die vorher mit direktem Auftrag der Regierung tätig gewesen waren, vom MAP legitimiert73, im Juli 1945 erfolgte die Übergabe der Verwaltung aus den Händen der sowjetischen Ortskommandanturen an die polnische Verwaltung. Gleichzeitig wurden die Operativen Gruppen aufgelöst und ihre Kompetenzen an die Industrieabteilungen (Wydzialy Przemyslowe) in den Ämtern der Gebietsbevollmächtigten {Urzędy Peùnomocników Okręgowych) übertragen.74 Das MAP bemühte sich, die Verwaltungsform in den Wiedergewonnenen Gebieten schrittweise den Verhältnissen im restlichen Polen anzupassen. Eine Denkschrift aus der ersten Hälfte des April 1945 betonte, daß, wenn das Ziel „die Schaffung eines einheitlichen, demokratischen polnischen Staates" sei, die Verwaltungsgliederung der Wiedergewonnenen Gebiete „identisch sein muß mit dem Organisationsschema der übrigen polnischen Gebiete." 75 Zur Angleichung der Verwaltungsgliederung in den Wiedergewonnenen Gebieten kam es aber erst Monate später. Das MAP war das erste Ministerium, das eine Art zentraler Kontrolle der Siedlungsbewegungen ausüben sollte. Am 12. März 1945 schlug der Direktor des Büros der Westgebiete {Biuro Ziem Zachodnich) dem Ministerrat die Bildung eines gesonderten Generalkommissariates für die neuen Gebiete vor. Bierut lehnte diesen Vorschlag mit dem Hinweis ab, daß eine solche verwaltungsmäßige Sonderstellung der neuen Westgebiete diese von Polen abtrennen würde. Stattdessen wurde am 11. April 1945 ein Unterstaatssekretariat mit dem Titel Generalbevollmächtigter für die Wiedergewonnenen Gebiete {Generalny Pelnomocnik dla Ziem Odzyskanych) eingerichtet und mit dem PPR-Mitglied und Leiter des PUR Wladyslaw Wolski besetzt, der sich seine Aufgaben mit Aleksander Kaczocha-Jözefski (PSL) teilte. Am 23. Juni 1945 wurde Wolski zusätzlich zum Generalny Komisarz do Der ausfuhrliche Name lautete: Büro für ökonomische Forschungen bei der Hauptverwaltung des ZPP (Biuro dla Badan Gospodarczych przy Zarządzie Glównym ZPP). JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 41 ff. Dort irrtümlich Biuro Ziem Nowych. Ebenda, S. 43; KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne, S. 234. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 168. Ebenda, S. 95. Uwagi w sprawie zaadministrowania i zagospodarowania Z.O., o.D., o.U. AAN MZO 1156. Lt. Eingangsstempel gingen die Uwagi am 11.4.1945 beim MAP ein, also an dem Tag, an dem das MAP die Zuständigkeit über die Wiedergewonnenen Gebiete übernahm. 62

Spraw Akcji Przesiedlenczo-Osiedlenczej (Generalkommissar für Umsiedlung und Ansiedlung) ernannt. Wolski hatte zum Zeitpunkt seines Eintritts bereits einschlägige Erfahrungen. Er war bereits seit Herbst 1944 als Generalbevollmächtigter des PKWN für die Aussiedlung der ukrainischen Bevölkerung Südostpolens im Rahmen der Vertragsumsiedlungen zuständig gewesen.76 Am 4. und 5. Januar 1946 nahm er als Vertreter Polens an einer Beratung von Vertretern Großbritanniens und der Sowjetunion über den „Bevölkerungstausch zwischen den Zonen" - gemeint waren die Aussiedlung der Deutschen und die Rückführung der polnischen Zwangsarbeiter - teil. 7 7 Zwei Tage nach der Einrichtung des Generalbevollmächtigten für die Wiedergewonnenen Gebiete wurde das Staatliche Repatriierungsbüro PUR, das die Rückführung polnischer Staatsangehöriger aus dem Osten leitete, dem MAP eingegliedert. Ab dem 7. Mai 1945 war der PUR zusätzlich für die Repatriierung aus dem Westen zuständig.78 Darüber hinaus legte eine Anordnung des MAP vom 9. Juli 1945 fest, daß der PUR, und nur dieser, für die Ansiedlung der Polen zuständig war. 79 Bereits am 4. Juli war die Aufgabenverteilung der einzelnen Behörden festgelegt worden: - Der Landkommissar (Komisarz Ziemski) fungierte als Treuhänder allen beschlagnahmten Landbesitzes - alle deutschen Höfe sowie polnische über 100 ha - und erstellte eine Evidenz der zur Ansiedlung zur Verfügung stehenden Wirtschaften. - Der PUR führt die Ansiedlung auf den Wirtschaften durch, die ihm vom Landkommissar übergeben werden. 80 - Der Siedlungsreferent (Referent Osiedlenczy) des Starosten unterschrieb gemeinsam mit dem Vertreter des Landkommissars und des PUR das von letzterem erstellte Übereignungsprotokoll. - Das Kreisansiedlungskomitee (Powiatowy Komitet Osiedlenczy), das aus Vertretern der Verwaltung und der „autochthonen" polnischen Bevölkerung81 zusammengesetzt war und bereits vor der Einrichtung der Nationalräte die Funktion einer öffentlichen Kontrollinstanz ausüben sollte, half den Ansiedlern und überwachte den Ablauf der Ansiedlung. Die Besiedlung der von Polen zedierten Gebiete begann unmittelbar nach der Besetzung durch die Rote Armee Anfang 1945 als spontane Massenbewegung. Diese „wilde Siedlung" entsprach weder in Richtung, Ausmaß noch Struktur irgendwelchen Planvorgaben. Die ersten, die ehemals deutschen Boden in Besitz nahmen, seien „den Weg geringsten AAN GPEL 9. Sein Titel lautete Generalny Pelnomocnik PKWN do spraw ewakuacji. BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 43. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 43-46. Vgl. hierzu BANASIAK: Dziaùaùnośc osadnicza. Zit. n. Pelnomocnik Rzadu RP na Okręg Mazurski, Okólnik w sprawie koordynacji pracy B1.U.R.-U, Komisarzy Ziemskich i Starostwo, 24.7.1945. AAN MAP 2418. Zum Begriff der „Autochthonen" siehe später. 63

Widerstandes" gegangen, das Leben habe „die Gelehrten überholt". 82 Nach einem ersten Ansturm allerdings ließ die Pionierbegeisterung aufgrund katastrophaler Zustände merklich nach. Diese Zustände führten zu wachsender Kritik an der Zuständigkeit des MAP für die Siedlungspolitik; Stimmen, die eine eigene, zentral zuständige Behörde forderten, mehrten sich. Einige der neu besiedelten Kreise waren nun ihrerseits überbevölkert, andere fanden trotz flammender Appelle keine Freiwilligen. Im Mai 1945 erließ der Ministerrat daher den Beschluß, „die bisherige Aktion der Repatriierung und inneren Umsiedlung, die zum Ziele hat, polnische Bevölkerung auf den neu befreiten Gebieten anzusiedeln, muß einen Massencharakter annehmen." 83 Dies war um so dringender, als die chaotischen Verhältnisse in den Wiedergewonnenen Gebieten die dauerhafte Inbesitznahme dieser Länder gefährdeten. Neben der in allen Punkten unzureichenden Organisation der Umsiedlungs- und Ansiedlungspraxis und der prekären Sicherheitslage im Westen war es nicht zuletzt das Verhalten der Roten Armee, das dazu führte, daß vor allem Umsiedler aus Zentralpolen es oft vorzogen, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Die Situation, die die Bevollmächtigten in Schlesien vorfanden, beschrieb ein Beamter in Lodz. Er soll, da er einen aufschlußreichen Einblick in die Verhältnisse zwischen der Flucht der deutschen Behörden und der Einrichtung einer polnischen Verwaltung gibt, ausführlich zitiert werden. „Nach dem Rückzug der deutschen Armeen, die die Männer im Alter von 17-55 Jahren mitnahmen, blieben die Städte weitgehend unzerstört, an einigen Orten verblieben ganze Lebensmittellager. Nach dem Einfall der Roten Armee und nach der Entfernung von Waren, die für die Ernährung nötig waren, evtl. für die Versorgung der Armee, wurden sie zum Teil jeglicher Einrichtungen entblößt. Nach einigen Tagen des Aufenthaltes der sowjetischen Armee wurden die Städte aus nicht näher bekannten Gründen niedergebrannt. Zu den vollständig verbrannten Städten gehören z.B. Tost, Groß-Strehlitz, zu den teilweise niedergebrannten z.B. Brieg, Oppeln, Liegnitz, Neisse und andere. Charakteristisch ist, daß diese Brände nach mehrtägigem Aufenthalt der sowjetischen Truppen entstanden und nicht aufgehört haben, sondern im Gegenteil weiter andauern. [...] Anscheinend begründen die sowjetischen

Badania terenowe, AAN MZO 1653, Bl. 104-106; IRENA TURNAN: Studio socjologiczne nad skùadem ludnościowym miasta Wroclawia (Wroclaw miasto przemian spolecznych), Wrocùaw Dez. 1948; AAN GUPP 554. Der Aspekt des Faktischen, der über das Verhalten der betroffenen Bevölkerung in die Planungen eindrang, manchmal, vor allem in der Anfangsphase, allen Planvorstellungen zuwiderlief, blitzt in den Quellen immer wieder auf. Uchwala Rady Ministrów Rzadu Tymczasowego RzP z dnia ... maja 1945r. w przedmiocie wzmozenia akcji przesiedlehczej, AAN MZO 1658. 64

Truppen die Entstehung dieser Brände mit der Verursachung durch Repatrianten und andere sog. „szabrownicy".84 Mit dem Ziel der Beseitigung der angeblichen Gründe der Brände erlaubte man den Deutschen die Rückkehr in ihre ehemaligen Siedlungen; z.B. kamen in Liegnitz in den letzten Tagen 15.000 Personen an, aber das Ziel wurde nicht erreicht, da die Brände weiter andauern und schlicht Millionenwerte des nationalen Vermögens vernichten. Außerdem beginnt die zurückkehrende deutsche Bevölkerung mit szaber im gleichen Maße wie die sowjetischen Truppen und die durchreisende oder anreisende polnische Bevölkerung."85 Der Grund für das Niederbrennen ganzer Stadtteile und Städte ist weder dieser, noch anderen für diese Arbeit ausgewerteten Quellen zu entnehmen; es darf jedenfalls als sicher angenommen werden, und dies geht auch aus dem hier zitierten Schreiben hervor, daß die polnische Administration jedenfalls kein nachvollziehbares Interesse an Aktionen dieser Art haben konnte - ganz im Gegensatz zur deutschen etwa ein Jahr zuvor, als nach dem Warschauer Aufstand und der Evakuierung der restlichen Bevölkerung der polnischen Hauptstadt Straßenzug für Straßenzug gesprengt wurde.86 Auch, daß etwa Repatrianten oder gar Siedler die Brände gelegt hätten, scheint wenig wahrscheinlich, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen. Wenn auch wiederum ein vitales Interesse der Roten Armee ebenso schwer einzusehen ist, es sei denn, daß die entsprechenden Aktiven nicht berücksichtigt oder nicht gewußt - hätten, daß die betreffenden Städte nunmehr als polnische zu gelten hatten, paßt ein solches Vorgehen jedoch zu anderen schwer nachvollziehbaren Verhaltensweisen des sowjetischen Militärs.87 So beschwerte sich ein Memorial aus dem Wojewodschaftsamt Liegnitz an das MRiRR und das MAP sowie an Kiernik, daß die Ortskommandanturen in Niederschlesien trotz Befehls des Stabes der I. Ukrainischen Front die dortigen Gutshöfe (folwarki) nicht an die polnische Verwaltung übergeben wollten. Weiter geht aus Berichten von Mitarbeitern des PUR hervor, daß im Juli 1945 sowjetische Ortskommandanten an verschiedenen Orten die Ansiedlung eintreffender Polen verhinderten, zum Teil sogar bereits angesiedelte Familien

Der Begriff „szaber", „szabrownictwo" bzw. „szabrownik" (als Agens) ist nicht so einfach zu übersetzen. Wörtlich bedeutet er „Aneignung" und meint jede Art illegaler und halblegaler, meist (zusätzlich oder in erster Linie) moralisch verwerflicher, gewinnbringender Tätigkeit auf Kosten anderer. Hier meint der Begriff in erster Linie Plünderer. Brief Jözef Lubowiecki an Centrala Narodowego Banku Polskiego, Nacz. Dyr. Min. J.St. Haneman, 23. Mai 1945, Streng vertraulich. AAN MAP 2470. Zu Brieg/Brzeg wird an der Universität Breslau derzeit eine Magisterarbeit vorbereitet. Vgl. DUNIN-WASOWICZ: Warszawa, S. 357 ff. Eine kurze Zusammenfassung der deutschen Warschau-Pläne findet sich in meinem Aufsatz „Ohne Rücksicht auf historisch Gewordenes", S. 109-123. Vgl. den Bericht des Quartalsleiters von Breslau, in: Vertreibung 1,2, S. 327-336, vor allem S. 335. 65

aus ihren Wohnstätten hinauswarfen und Deutsche ansetzten.88 In einem vertraulichen Bericht an den Bevollmächtigten für die Wiedergewonnenen Gebiete Kaczocha vom 17. Juli 1945 wird angeführt, daß die Siedler von sowjetischen Soldaten ausgeraubt würden, obwohl sie von Einheiten der Milicja Obywatelska begleitet würden. Darüber hinaus sei die 89 Versorgungssituation der Siedler katastrophal, es fehle vor allem an Beförderungsmitteln. Ebenso führte ein Bericht aus Stolp vom 18. Juli an, daß der Ortskommandant der Domäne Grapitz die Ansiedlung von Polen verboten habe, laut entsprechenden Anweisungen seiner Vorgesetzten. In dem nahegelegenen Dorf Klein Gluschen habe es ein Lager für Polen gegeben, die ehemalige deutsche Wachmannschaft sei im Dorf geblieben und arbeite nun mit den Russen bei der Schikanierung polnischer Siedler zusammen.90 Parallel dazu gibt es Berichte über Überfälle polnischer Banden auf sowjetische Einrichtungen und Soldaten. 91 Gleichzeitig bewirkte die merkwürdige Taktik der Roten Armee, die mit Optionen Stalins zusammenhing, der sich die Möglichkeit offenhalten wollte, Deutsche und Polen ge92 geneinander auszuspielen , daß die deutsche Bevölkerung „zunehmend selbstbewußter" und „aggressiver" gegenüber den Polen auftrat. Diese Situation brachte zumindestens einen Ministerialbeamten dazu, sich Gedanken über „Radikalmittel" zu machen, wie man sie aus fünfeinhalb Jahren Besatzungszeit kannte: „Das Verhältnis der deutschen Bevölkerung, die immer aggressiver auftritt, bei Unterstützung durch die sowjetischen Behörden, gegenüber der polnischen Bevölkerung, läßt sich ausschließlich durch ihre Isolierung (odseparowanie) steuern, und wenn das keine Ergebnisse bringt, ihre Eliminierung (wyeliminowanie)."93

°°

89

So in Weinberg, Keischwitz, Waldau. Raporty z dnia 15. VIII. 1945 r., verschiedene Berichterstatter/-innen. Mit gleichem Bezug in der gleichen Akte Berichte vom 7.7.1945 aus Bialogröd. AAN MAP 2450. Schreiben an MAP, Unterschrift unleserlich gemacht, 17.7.1945, Vertraulich. AAN MAP 1658. Ähnliche Vorfälle, in diesem Fall durch bewaffnete sowjetische Soldaten, die von der Zwangsarbeit im Deutschen Reich zurückkehrten, in einem Schreiben des Inspektor Rejonowy Osadnictwa B. Barwik an den Leiter der PUR-Abteilung Liegnitz, 3.8.1945. AAN MAP 2470. In den Akten des Außenministeriums finden sich Beschwerden über sich häufende Überfälle sowjetischer Truppenteile auf polnische Eisenbahnen. AMSZ 6/453/30, Bl. 173 f.

90

Komisarz Ziemski an Pelnomocnik Rzadu R.P. na Obwód Sùupsk, 18.7.1945. AAN MAP 2450, Bl. 59 f.

91

AMSZ 6/455/30. Vgl. SIEBEL-AcHENBACH: Lower Silesia, S. 92. Aufschlußreich ist ein Kommentar Gomulkas vom Mai 1945: „Die Änderung des politischen Kurses der Sowjetunion in Bezug auf Deutschland sollte uns nicht verpflichten. Der Grundsatz, von dem wir uns leiten lassen sollten, ist die Säuberung des Gebietes von den Deutschen, der Aufbau eines Nationalstaates." KOCHANSKI: Protokól, S. 43.

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Hs. Vermerk, o.D. (Juli 1945), o.U. AAN MAP 2470.

Es sei an dieser Stelle der ausdrückliche Hinweis erlaubt, daß es sich hierbei um einen - im Rahmen der polnischen Administration - in seiner Konsequenz und verzweifelten Brutalität einzigartigen Gedanken handelt. Völkermord gehörte unseres Wissens nicht zum Repertoir polnischer Bevölkerungspolitik, auch wenn manche Stimmen aus Vertriebenenkreisen derlei nicht müde wurden zu behaupten.94 Hier aber geht es nicht um das Sterben in den Zwangsarbeitslagern, auf der Flucht - die sicherlich nicht zum Verantwortungsbereich der Polen gehörte - oder im Verlauf der frühen Aussiedlungen. Hier geht es möglicherweise um die systematische Auslöschung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, wenn auch in einem regional spezifizierten Bereich. In welcher Form diese „Auslöschung" gedacht war, geht aus dem Text nicht hervor: Der polnische Begriff wyeliminowanie ist einigermaßen unscharf und wurde beispielsweise im März 1946 verwendet, um die Entlassung deutscher Arbeitskräfte aus der regionalen Verwaltung zu bezeichnen.95 Ebenso bezeichnete er im April 1947 die Aussonderung ukrainischer Familien, die als politisch unsicher galten, aus den Sammeltransporten und ihre getrennte Ansiedlung.96 Dieses Dokument wird hier trotz seiner zweifelhaften Aussagekraft und trotz der Gefahr, den Eindruck zu erwecken, damit könnten die deutschen Verbrechen unter Hinweis auf polnische relativiert werden, zitiert, weil es an zwei wesentliche Fragen der vorliegenden Arbeit heranführt: - Gibt es Hinweise darauf, daß die letzte Konsequenz der Bevölkerungspolitik bei der Beseitigung unerwünschter Bevölkerungsteile deren Vernichtung ist, wenn keine andere Möglichkeit mehr offenzustehen scheint? - Wenn dem so ist, wieso kommt es in dem einen Fall dazu, in den meisten anderen nicht? Der Versuch, diese Fragen wenigstens ansatzweise zu beantworten oder zumindest zu zeigen, daß sie in dieser Form gestellt werden können, wird weiter unten unternommen werden. Wichtig ist hier zunächst nur zu zeigen, welchen Schwierigkeiten die polnische Inbesitznahme des neuen Westens gegenüberstand, zusätzlich zu den innenpolitischen Kämpfen im übrigen Polen. Gleichzeitig zeigt sich, welche Dringlichkeit das „Siedlungswerk" für seine Protagonisten besaß und wie dringend das Bestreben sein mußte, die Entfernung der deutschen Bevölkerung und die Besiedlung der hinzugewonnenen Gebiete in planmäßige Bahnen zu lenken und so zu einer endgültigen Inbesitznahme der Wiedergewonnenen Ge-

Ein besonders krasses Beispiel ist sicherlich die Erinnerungsbroschüre des Lagerarztes H. Esser über die Verhältnisse im Zwangsarbeitslager Lambinowice. Esser schildert die katastrophalen Verhältnisse und die hohe Sterblichkeit in diesem Lager und kommt zu dem Schluß, es habe sich um ein veritables „Vernichtungslager" gehandelt. Es wird auf diese Relativierung der deutschen Vernichtungspolitik noch zurückzukommen sein, ebenso darauf, wie m. E. die Rolle der Zwangsarbeitslager auf polnischer Seite in den Jahren 1944-1949 einzuschätzen ist. Siehe Kap. III.2.b.,S. 364-401. Okólnik poufhy Nr. 3,30. März 1946, gez. Czajkowski, vertraulich. AAN MZO 568, Bl. 31. Instrukcja dowództwaGO „ Wisla" dla komendanta pulkowego punktu zborczego, 23. April 1947, Geheim. Wiedergegeben in: MISILO: Akcja „Wisla", S. 164. 67

biete zu gelangen. Immerhin war auch den Polen klar, daß, zumal in der Zeit vor der Potsdamer Konferenz, ihr Besitztitel über die geforderten Gebiete (ziemie postulowane^) unsicher war. Auch wenn die Westalliierten, allen voran Churchill, der Exilregierung neben dem ohnedies geforderten Ostpreußen die Gebiete bis zur Oder-Neiße-Linie geradezu aufgedrängt hatten 98 , mußte es als fraglich erscheinen, ob Großbritannien und die USA eine entsprechende Zusage auch auf die Vorläufige Regierung ausdehnen bzw. bei einem entsprechenden außenpolitischen Kurswechsel überhaupt einhalten würden." Hinweise, daß eine rasche Politik der „vollendeten Fakten" - so Gomulka - angezeigt war, ergaben sich noch am 6. September 1946 aus einer Rede, die der amerikanische Außenminister Byrnes in Stuttgart hielt 1 0 0 - offensichtlich im Bemühen, deutsche Bündnispartner im beginnenden Kalten Krieg zu gewinnen. Auch insgesamt wurde bei Siedlern und Autochthonen das Gefühl der Rechtsunsicherheit verstärkt. Die Lösung lag für die polnische Regierung schon im Januar 1945 in der raschestmöglichen Durchführung der Aus- und Umsiedlung, selbst unter der Gefahr, daß sich zwischenzeitlich die wirtschaftliche Situation in den vom Krieg stark geschädigten Gebieten noch verschlechterte.101 Auch nach der Potsdamer Konferenz änderte sich an dieser Situation nicht viel. Man war sich in Polen nur allzu klar darüber, was die Einschränkung, daß man die umstrittenen Gebiete „bis zum Abschluß eines Friedensvertrages" zur Verwaltung erhalte, selbst wenn im gleichen Dokument die Aussiedlung der Deutschen abgesegnet worden war, bedeuten könnte. Offensichtlich wandte sich im September 1945 das MAP an den Leiter des BZZ, Antoni Wilder, um eine Einschätzung der Lage nach der Konferenz bezüglich des südlichen Ostpreußen. Wilder betonte: „Bis zum Zeitpunkt der Übereignung des Bezirks Masuren (Okręgu Mazurskiego) an uns durch den Friedensvertrag kann dieser Bezirk nicht in eine Wojewodschaft umgewandelt werden, da dies dem internationalen Recht widerspräche und unnötige Schwie102 rigkeiten und Komplikationen auf diplomatischem Gebiet ergeben könnte." Darüber hinaus forderte die Botschaft der UdSSR Anfang Oktober 1945 vom polnischen Außenministerium eine Versicherung, daß Polen gegenüber der deutschen Bevölkerung keinerlei Zwang anwende. Ob die Sowjetunion sich tatsächlich für den Ablauf der Aussied-

Vgl. GLUCK: Od Ziem Postulowanych. Siehe weiter oben. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 16 f., zitiert Äußerungen Edens gegenüber Churchill vom 1.2.1945, nach denen man nicht gedenke, der Lubliner Regierung die gleichen Zugeständnisse zu machen wie dem Exil. Vgl. auch KERSTEN: Narodziny, S. 246, wonach die britische Regierung bereits im Frühjahr 1945 Pläne hatte, die Grenze des sowjetischen Einflußbereichs möglichst weit nach Osten zu schieben. HOENSCH: Geschichte Polens, S. 302; JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 174, 230; DE ZAYAS: Anglo-Amerikaner, S. 158.

JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 36. Ebenso CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 36. Schreiben Wilders an MAP, 22. September 1945. Wiedergegeben in: Warmiacy i Mazurzy w PRL. Wybór dokumentów. Rok 1945. Przyg. d.d. Tadeusz Baryia, Olsztyn 1994, S. 86 f. 68

hingen interessierte oder nur ein Papier brauchte, um sich gegenüber den Westalliierten absichern zu können, muß unklar bleiben; jedenfalls entschloß sich das Außenministerium zur glatten Lüge: „Das Außenministerium hat die Ehre, der Botschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken mitzuteilen, daß die Übergangsregierung der Nationalen Einheit, im Sinne der in Potsdam getroffenen Beschlüsse, keinerlei Zwang anwendet zur Aussiedlung der Deutschen aus den Westgebieten, die Polen zur Verwaltung zugesprochen wurden. Nichtsdestoweniger veranlassen die schwierige materielle Lage und der Mangel an Zukunftsperspektiven viele Deutsche zur freiwilligen Ausreise in den Westen. Die Regierung Polens stellt dem keinerlei Hindernisse entgegen." 103 Die im Prinzip illegale, zumindest aber völkerrechtlich nicht ausreichend abgesicherte Umsiedlungspraxis war allerdings, und darauf muß mit allem Nachdruck verwiesen werden, beileibe kein Residuum der Kommunisten: Man war sich schon während der Besatzung sowohl im besetzten Polen als auch in London darüber im Klaren gewesen, daß die Unterstützung der Westmächte besonders in der Frage der Ostgebiete und territorialer Entschädigung auf Kosten Deutschlands nicht sonderlich verläßlich war. Es wurde daher schon in Exil und Widerstand eine Politik der vollendeten Tatsachen in Bezug auf den Westen als 104 Möglichkeit in Betracht gezogen. Auch vor diesem Hintergrund war die Bildung von Institutionen angezeigt gewesen, die eine Inbesitznahme und Kolonisierung der neuen, „postulierten Gebiete" unmittelbar und ohne Verzug in Angriff nehmen konnten. Wollte man jedoch zu einer zwar raschen, aber dennoch strukturpolitisch zielbewußten und dementsprechend planvollen Aus- und Ansiedlung kommen, war freilich eine Institution erforderlich, die in der Lage war, sämtliche mit der Siedlungspolitik verbundenen Fragen zentral und verantwortlich zu behandeln - und sich gegen Irritationen seitens der sowjetischen Besatzungsarmee zu behaupten. Diese allein zuständige Stelle für alle bevölkerungspolitischen Maßnahmen in den neuen Gebieten war ab Anfang 1946 das Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete (Ministerstwo Ziem Odzyskanych, MZO) unter dem damaligen Generalsekretär der PPR Wùa105 dysùaw Gomuùka. Vizeminister wurde der bereits erwähnte Wùadyslaw Wolski. Da die 103

Pro memoria an die Botschaft der SU, 10. November 1945. AMSZ 6/451/29, Bl. 6.

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JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 35 f. Gomulka galt in Polen auch in nichtkommunistischen Kreisen als weitgehend integre Figur, ganz im Gegensatz zum Präsidenten Boleslaw Bierut, der vor 1945 in der polnischen Politik keine Rolle gespielt hatte und als Moskauer Marionette aufgefaßt wurde. Gomulka stand darüber hinaus - als Fraktionsflihrer der „Heimatkommunisten" - für einen „polnischen Weg zum Sozialismus", der andere Wege und Modelle propagierte als die im sozialistischen Vaterland Sowjetunion für verbindlich erachteten. So wollte Gomulka eine Zusammenarbeit mit prokummunistischen sozialistischen Gruppierungen. Kurz nach der Auflösung des MZO im Jahre 1948 wurde er vom Posten des Generalsekretärs entbunden, im November 1949 der mangelnden Aufmerksamkeit während der Okkupation und der Tolerierung „feindlicher Kräfte innerhalb der Partei" angeklagt und im August 1951 verhaftet. Ein Prozeß gegen ihn fand nie statt. Im De-

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„Bewirtschaftung" des Westens und Nordens auch die Ansetzung von Umsiedlern aus den restlichen Teilen Polens einschloß, war das neue Ministerium an praktisch allen bevölkerungspolitischen Entscheidungen beteiligt. Innerhalb des Ministeriums war in erster Linie das Ansiedlungsdepartement (Departament Osiedlenczy) für die Planung und Durchführung der Ansiedlung zuständig. 106 Nicht nur in bezug auf diejenigen Bevölkerungsteile, die das Land zu verlassen hatten, sondern auch was die Planmäßigkeit der Ansiedlung anging, wurde die bisherige Praxis, 107 verbunden mit der Zuständigkeit des MAP, als höchst unbefriedigend empfunden. Neben der Betreuung der Siedler bestand daher eine wichtige Aufgabe des MZO darin, die Einhaltung der Absprachen, die man bezüglich der Aussiedlung der Deutschen mit Großbritannien und der Sowjetunion getroffen hatte, zu bewerkstelligen. Dies war um so schwieriger, als manche Wojewoden im Frühjahr über „wilde Repatriierungen" versuchten, die deutsche Bevölkerung ihrer Gebiete abzuschieben. Weitere Hindernisse bestanden darin, daß speziell die sowjetische BesatzungsVerwaltung in der späteren DDR sich zumal in der Anfangsphase immer wieder weigerte, Züge mit Ausgesiedelten anzunehmen. 108 Die Gründung eines eigenen Ministeriums mit weitreichenden Vollzugs- und Rechtssetzungskompetenzen für alle das Kolonisierungsgebiet betreffenden Fragen hatte allerdings neben methodischen auch innenpolitische Gründe. Man hatte rasch erkannt, daß die Verfügung über die Wiedergewonnenen Gebiete ein kaum zu überschätzendes politisches Kapital darstellte. Hier erwies sich die Schlüssigkeit politischer Vorgaben ebenso wie die Effektivität der Verwaltung. Das in der Anfangszeit zuständige Ministerium für Öffentliche Verwaltung unterstand aber mit Wùadysùaw Kiernik einem Minister aus der PSL. Die immer drängender mit Führungsanspruch auftretende PPR brauchte aus mehreren Gründen ein ihr verbundenes Ministerium, das alle in Frage kommenden Probleme eigenverantwortlich und in

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zember 1954 wurde Gomulka freigelassen, 1956 rehabilitiert und während des Arbeiteraufstands vom Oktober 1956 als populärster polnischer Kommunist 1. Sekretär des KC PZPR. Die anfängliche Begeisterung der polnischen Gesellschaft ließ in den Folgejahren nach, bis er Ende 1970 zurücktreten mußte und durch Edward Gierek ersetzt wurde. Zur Frühgeschichte der polnischen Kommunistischen Partei siehe einführend DAVIES: God's Playground, vol. II, S. 539545. Sprawozdanie z dzialalnosci MZO, S. 8 ff. Siehe auch Sprawozdanie z dzialalnosci departamentu osiedlenczego.

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So bemäkelte etwa Prof. Kazimierz Dobrowolski auf der ersten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates für Probleme der Wiedergewonnenen Gebiete im Juni 1945, daß zum einen eine engere Zusammenarbeit zwischen Planung und Exekutive erforderlich sei, zum anderen aber die Qualität des Exekutivapparates sehr zu wünschen übrig lasse. DOBROWOLSKI: Uwagi o osadnictwie, S. 97 ff. Eine ausführliche Beschreibung von Mißständen in einzelnen Kreisen bietet MISZTAL: Weryfikacja narodowosciowa na Ziemiach Odzyskanych, S. 121-137. Vgl. auch Kap. II.3.b.

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Handschriftlicher Vermerk vom 26.7.1946 auf einer Aufstellung „Aussiedlung der Deutschen in die SBZ 20.11.1945-15.5.1946" (in russischer Sprache). AAN MZO 523.

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weitgehender Unabhängigkeit von den übrigen Parteien bearbeiten konnte. Hier spielten innenpolitische und wahltaktische Erwägungen eine Rolle, aber auch strukturpolitische Zielvorgaben, wollte man die Option auf eine Gesamtreform der sozioökonomischen Struktur ganz Polens nicht verlieren. 109 Die oben zitierte Einschätzung paßt auch insofern in dieses Bild, als der oben positiv beurteilte PUR ja von einem PPR-Mitglied geleitet wurde. Bereits im Juni 1945 wurde das Büro für Ansiedlungs- und Umsiedlungsstudien (Biuro Studiów Osadniczo-Przesiedlenczych, BSOP) als „wissenschaftliches Forschungsorgan" gegründet. Mit der Verordnung Nr. 7 des MAP vom 19. Juli des gleichen Jahres wurde das BSOP diesem angegliedert und als wissenschaftliches Beratergremium etabliert. Mit der Gründung des MZO wurde es diesem zugeordnet. Die Aufgaben des Büros waren „1. die Sammlung und Ausarbeitung statistischer Materialien, die zur Durchführung der Siedlungs- und Umsiedlungsaktion nötig sind; 2. das Hervortreten mit Initiativen und Projekten im Bereich der Siedlungspolitik und der Siedlungsgesetzgebung; 3. andere Aufgaben, die eng mit den Siedlungs- und Umsiedlungsfragen verbunden sind." 1 1 0 Der Direktor des Büros und sämtliche Mitarbeiter sollten direkt von Vizeminister Wolski ernannt werden - letztere auf Antrag des Direktors. Dem BSOP angeschlossen war ein Wissenschaftlicher Rat für Fragen der Wiedergewonnenen Gebiete (Rada Naukowa dla Zagadnien Ziem Odzyskanych), der 108 Mitglieder hatte, die sich mit der „Lösung der demographischen, ökonomischen und soziologischen Probleme [befaßten], denen das polnische Volk infolge der Rückkehr der Westgebiete" gegenüberstand.111 Die meisten Mitglieder waren Akademiker und Delegierte der interessierten Verwaltungsinstitutionen; praktisch alle betroffenen Ministerien schickten Fachleute bzw. Referenten. Daneben wurde ein Informationsdienst über die neuen Länder im Büro des Direktors des Glówny Urząd Statystyczny (GUS) eingerichtet, dem neben dem Direktor Stefan Szulc und dem Vizedirektor K. Romaniuk Rajmund Buùawski (BSOP), Dr. Juliusz A. Wilder (BZZ) und Dr. Gorynski 112 {Urząd Generalnego Pelnomocnika dla Ziem Odzyskanych) angehörten. Der Wissenschaftliche Rat befaßte sich nicht nur mit den Wiedergewonnenen Gebieten, sondern eben-

JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 59 ff, passim. Bei CZERNAKIEWICZ: Repatriacja, klang das gleiche Argument ganz anders: es sei der PPR um den politischen Kampf mit „reaktionären Kräften, vor allem der PSL" zu tun gewesen. MAP, Zarządzenie wewnetrzne Nr 7, 19. Juli 1945. AAN MZO 1653. Abgedruckt in: I Sesja Rady Naukowej..., z.. I: Sprawozdanie ogólne, Krakow 1946, S. 1. MAP, Zarzadzenie wewnętrzne 2/47, 2.1.1947, AAN MZO 1653. Die Verordnung bestimmte die Übertragung des BSOP an das MZO. Aktenvermerk GUS, 27.8.1945. AAN MZO 1655. 71

so mit damit zusammenhängenden Fragen der Repatriierung der polnischen Bevölkerung aus dem Osten.113 Als Direktor des BSOP und Hauptmotor der Arbeit sowohl des Büros als auch des senschaftlichen Rates fungierte bis zu seinem Tode im Jahre 1948 Dr. Rajmund Bulawski, der schon für die erste Tagung die Marschrichtung festlegte: Die Hauptaufgabe, vor der die polnische Gesellschaft stehe, sei „die Schaffung einer lebenden Mauer aus dem nationalen Element an der künftigen polnisch-deutschen Grenze, die nicht den destruktiven Einflüssen des Nachbarn erliegt, die den Wiedergewonnenen Gebieten ein entschieden polnisches Antlitz gibt und die sich sowohl in Friedenszeiten als auch während Kriegswirren jeglichen feindlichen Gelüsten unseres westlichen Nachbarn entgegenstellt."114 Das BSOP war für die Ausarbeitung der Grundkonzeptionen der Bevölkerungs-, Siedlungsund Agrarpolitik verantwortlich. Es bearbeitete, vor allem im Rahmen des chen Rates, neben Ansiedlungs- und Bevölkerungsfragen alle Probleme, die mit der Administration und Bewirtschaftung der Wiedergewonnenen Gebiete zusammenhingen. Die wichtigsten Ergebnisse und alle Referate der Sitzungen des Wissenschaftlichen Rates wurden in einer Heftreihe veröffentlicht, die kurz nach dem Tode Bulawskis eingestellt wurde. 115 Hauptaufgabe des Büros war, entsprechend der Funktionszuweisung, die Sammlung von statistischem und anderem wissenschaftlichen Material für die geplanten Umsiedlungen, die Koordinierung von wissenschaftlichen Studien zu diesem Problemkreis, Zusammenarbeit mit Stellen, die an ähnlichen Problemen arbeiteten, und die Überwachung und Auswertung der Ergebnisse der Umsiedlungstätigkeit. Dazu kam die Vorbereitung und Durchführung der halbjährlichen Sitzungen des Wissenschaftlichen Rates, die das wichtigste Gremium zur wissenschaftlichen Diskussion und Koordinierung aller Arbeiten der unterschiedlichen Stellen waren. In ihrem Rahmen wurden Empfehlungen an die zuständigen Ministerien erarbeitet und verabschiedet. Gleichzeitig trat auch das BSOP selbst mit Empfehlungen an die betreffenden Instanzen heran oder wurde von diesen mit der Erstellung von Vorlagen beauftragt. Seele der Arbeit sowohl des Büros als auch des Wissenschaftlichen Rates war ohne Zweifel Rajmund Bulawski; dies zeigte sich nicht nur an den Gedenkreden nach seinem Tode, sondern auch daran, daß die Arbeit des Büros danach praktisch zum Erliegen kam.

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So schlug auf der 2. Tagung des Wissenschaftlichen Rates Henryk Kopec vor, die Repatriierung über polnische Staatsangehörige der Zweiten Republik hinaus auf alle Polen in den betreffenden Gebieten auszudehnen. KOPEC: Zjawiska demograficzne. Vgl. auch CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 34. RAJMUND BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze ziem odzyskanych, Krakow 1945 (= I Sesja, z. II), S. 3. Vgl. Kap. I.b.

Bulawski war in der polnischen bevölkerungspolitischen Diskussion kein Unbekannter. Als Mitte der dreißiger Jahre der polnische Agrarökonom Józef Poniatowski mit der These aufgetreten war, in Polen herrsche ein „Zuviel" von 8,8 Millionen Menschen, die man irgendwie loswerden müsse 1 1 6 , widersprach er vehement: Die Berechnungsgrundlagen seien fehlerhaft, die Zahl sei viel zu hoch. 1 1 7 Während des Krieges arbeitete Buùawski relativ bruchlos weiter. Unter der deutschen Besatzung bearbeitete er für die Delegatura Fragen der Umsiedlung und Ansiedlung 118 und wurde nach dem Krieg Direktor des BSOP, dessen Einrichtung er seit Februar 1945 gefordert hatte. 1 1 9 Am 17. Mai 1948 wurde das Büro per Beschluß des MZO aufgelöst, nicht zuletzt, weil sich, wie Jaworski schreibt, seit Ende 1947 „gewisse Symptome eines Wandels des Standpunktes in Beziehung auf die Realisierung des Wirtschaftsmodells für die West- und Nordgebiete" zeigten. 120 Das MZO wurde, wie der bereits zitierte Abschlußbericht betonte, „für eine Übergangszeit ins Leben gerufen, solange dies außergewöhnliche Anforderungen fordern." 121 Ende 1948, im gleichen Jahr, in dem Kommunisten und Sozialisten zur PZPR zwangsvereinigt wurden, sah man bei den linientreuen Stalinisten den Zeitpunkt gekommen, sich des zunehmend unbequemen Ministeriums zu entledigen. Nachdem wesentliche Organe wie das BSOP und der Wissenschaftliche Rat und kurz darauf weitere Organe des MZO geschlossen worden waren, wurde das Ministerium selbst per Beschluß vom 11. Januar 1949 aufgelöst.122 Die Relevanz der Arbeiten des BSOP für die behördliche Praxis muß aber damit nicht automatisch erloschen sein: Nach der Auflösung des MZO ging ein Teil der Unterlagen des Büros in die Akten des Ministeriums für Öffentliche Verwaltung (MAP) über, das die Zuständigkeiten, die es 1946 an das MZO abgegeben harte, nun wieder übernahm. An der Diskussion im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates nahmen praktisch alle wissenschaftlichen Größen Vorkriegspolens teil, soweit sie überlebt und es nicht vorgezogen hatten, außer Landes zu bleiben. Hinzu kamen neue, junge Kräfte aus den wissenschaftlichen Instituten und Behörden, die ihre Ausbildung oft unter den Bedingungen der Illegali116

PONIATOWSKI: Przeludnienie wsi.

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BUÙAWSKI: W sprawie 8 milionów. Den Hinweis auf diese Arbeit Buùawskis verdanke ich einer Rezension Witold Kulas über die drei ersten polnischen Arbeiten zur deutschen Wirtschaftspolitik in: Dzieje Najnowsze, Band 1, Heft 1, Januar-März 1947, S. 139-160, hier 159 f. Kula befaßt sich ausführlich mit der Arbeit JASTRZĘBOWSKI: Gospodarka niemiecka, in der dieser die These Poniatowskis von 1935 wieder aufgreift und feststellt, daß die Überbevölkerung durch den Krieg nicht abgenommen habe, sondern aufgrund des kleineren Territoriums Nachkriegspolens sogar „kondensiert" sei. Vgl. JASTRZĘBOWSKI: Gospodarka niemiecka, S. 388 ff. und passim.

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JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 38.

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Ebenda, S. 82.

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Zarządzenie z 15 V 1948 o rozwiazaniu BSOP, AAN MZO 49, Bl. 93. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 263 f. Siehe dazu im Folgenden.

21 122

Sprawozdanie z dzialalności MZO, S. 1. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 266. 73

tat erhalten hatten. 1 2 3 Gleichzeitig stellten die drei Institutionen MZO, BSOP und Wissenschaftlicher Rat einen wenn auch vorübergehenden Erfolg der Linie Gomulkas dar. Hier gelang zum einzigen Male nach dem Krieg eine Integration weiter Teile der polnischen Gesellschaft zu einem gemeinsamen Ziel. Dies war möglich, weil sich alle Gruppen der polnischen Eliten, bis hin zur bewaffneten Opposition im Lande, in der Frage der Besiedelung der Wiedergewonnenen Gebiete einig waren. 1 2 4 Es wurde bereits erwähnt, daß die Delegatura sich noch während des Krieges ausführlich mit der Vorbereitung der Inbesitznahme, Bewirtschaftung und Besiedlung der geforderten Gebiete befaßt hatte. Diese Vorarbeiten flössen nun ohne größere Abstriche in die Planungsarbeit und Behördenpraxis ein. Ein Jahr, nachdem in Moskau ein bis heute diskutierter Schauprozess gegen 16 Mitglieder der Delegatura wegen Landesverrats geführt wurde 1 2 5 , wurde fast die gesamte Expertenriege der Delegatura in das neuerrichtete Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete bzw. in den assoziierten Wissenschaftlichen Rat übernommen. Möglich war diese Entwicklung nicht zuletzt deswegen, weil die Delegatura ganz ähnliche Konzeptionen verfochten hatte und weil die letzte Leitung der Delegatura, wie oben erwähnt, ihre Mitglieder aufgerufen hatte, in den Punkten, wo man konzeptionell und politisch mit der aufoktroyierten Regierung einig sei, mitwirken solle. Dies galt in allererster Linie für die Wiedergewonnenen Gebiete. Die nun für eine Mitarbeit am Eingliederungswerk sozusagen freigestellten Fachleute waren durchaus willig. Parallel zur Einrichtung des Amtes des Bevollmächtigten im Bezirk Pommern {Pomorze Zachodnie) etwa fand eine Versammlung statt, in der die Posener Professoren Stefan Dąbrowski, Zygmunt Wojciechowski, Znomirowski und Kostrzewski sowie Dr. Dunin-Markiewicz ihre Mitarbeit beim Aufbau der Verwaltung anboten. 126 Im Februar 1945 bot sich Pawel Rybic-

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Es gibt in Polen eine außerordentlich reiche Literatur zur Entstehung und den Bedingungen des geheimen Unterrichts während der Okkupation. Einführend siehe in deutscher Sprache LESSER: Leben als ob; dort auch Hinweise auf die polnische Literatur. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ein Flugblatt der aus der AK hervorgegangenen Gruppe Wolności Niepodleglośc (WiN) zum Referendum vom 30.6.1946. Das Referendum verband drei voneinander unabhängige Fragen: nach der Abschaffung des 1935 eingerichteten Senats, nach der Zustimmung zur Landreform und nach der Eingliederung der Wiedergewonnenen Gebiete. In diesem Flugblatt forderte WiN auf, die Abschaffung des Senats und die Landreform abzulehnen, der Eingliederung der neuen Gebiete aber zuzustimmen. Faksimile in: 19441947. W walce o utrwaleniu wladzy ludowej w Polsce, Warszawa 1967, Abb. nach S. 32. Zur Vorgeschichte des Referendums vgl. KERSTEN: Narodziny, S. 206-251.

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Die stark überarbeiteten Protokolle dieses Prozesses wurden kurz nach dem Prozess veröffentlicht, in einer, wie der Herausgeber der Neuauflage Eugeniusz Duraczynski in seinem Vorwort betont, beispielhaft schlechten polnischen Übersetzung. Erst im April 1990 wurden die damals zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Verurteilten vom Obersten Gericht der UdSSR rehabilitiert. Siehe: Sprawozdanie Sadowe.

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Schreiben des Vertreters der polnischen Regierung bei der 1. Weißrussischen Front an Bierut, 16. April 1945. AAN MAP 2471, Bl. 8r/v. Am 6. August 1945 wandte sich Wojciechowski als Direktor des Instytut Zachodni an das MAP wegen der Organisierung der wissenschaftlichen

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ki als Fachmann für Migrationsfragen an. 1 2 7 Der ehemalige Leiter des Biuro Ziem Zachodnich der Delegatura, Czajkowski, wurde ebenso wie einer seiner alten Mitarbeiter, Wasilewski, Unterstaatssekretär im MZO unter Gomulka. 128 Darüber hinaus wurde ein „Heimatkommunist", Wùodzimierz Lechowicz, zum Direktor der wichtigsten Abteilung des MZO, der Ansiedlungsabteilung (Departament Osiedlenczy, DO) ernannt. 1 2 9 Die enge Zusammenarbeit von Kommunisten und Fachleuten der Delegatura in einem empfindlichen Bereich führte, nachdem das MZO im Januar 1949 aufgelöst worden war und Gomulka nach schrittweiser Rückstufung am 2. August 1951 gemeinsam mit seiner Ehefrau verhaftet wurde, zu reichem Material für die Vorbereitung einer Anklage gegen den ehemaligen Generalsekretär der PPR 1 3 0 , einer Anklage, die aber nie erhoben wurde. Der wissenschaftliche und eingeschränkt auch politische Pluralismus der Diskussion, wie er in diesen Jahren möglich war, war eine nicht zu unterschätzende Stärke der polnischen Bevölkerungspolitik gegenüber der deutschen einige Jahre zuvor. Die Gefahr von Irrtümern und unvorhergesehenen Ergebnissen war um einiges geringer, zumal der Gang des praktischen Vorgehens sowohl von den Ministerien als auch von den angeschlossenen wissenschaftlichen Institutionen und dem bis 1949 noch aus verschiedenen Parteien bestehenden Sejm kontrolliert wurden. Der Stolz über den Erfolg der eigenen Arbeit vermischte sich bei den Mitarbeitern mit dem Rekurs auf die Arbeit unter der Okkupation: „Die gerechte Entscheidung der Großmächte bezüglich der Rückkehr Polens auf uralte piastische Gebiete traf die Polen nicht unvorbereitet auf die Übernahme. Schon in der Zeit der Okkupation nämlich arbeiteten vorausschauendere Gedanken an Plänen zur Besiedlung und Bewirtschaftung der Westgebiete. [...] Mit der Gründung des MZO [...] werden das Studienbüro [gemeint: das BSOP] und der Wissenschaftliche Rat mit ihm organisatorisch verbunden. Von diesem Zeitpunkt an wird der Wissenschaftliche Rat ein Berater- und Gutachtergremium für die Wiedergewonnenen Gebiete darstellen. [...] Als wie wertvoll sich die Zusammenarbeit der Regierung mit der Wissenschaft erweist, mögen die ersten rühmlichen Ergebnisse der Arbeit zeigen. Die Siedlungsaktion, die in den ersten Monaten planlos war und oft den Charakter der Improvisation besaß, wird in

Vorarbeit und des Aufbaus eines Netzes kontrollierender Beobachter, die Material für die weitere Planung sammeln sollten. Schreiben Wojciechowski an MAP, 6. August 1945. AAN MAP 2450, unfol. Denkschrift Pawel Rybickis w sprawie problemu migracji ludnościpolskiej na postulowane Hernie Zachodnie, Bl. 14. Wiedergegeben in: KERSTEN/SZAROTA: Ksztaltowanie sie:, S. 133 ff. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 39. Czajkowski starb am 6. September 1947, Wasilewski wurde - womöglich nach dem Muster Alexandra Kollontaj - im Januar des gleichen Jahres von Bierut als Botschafter nach Helsinki geschickt. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 81. Notatka informacyjna dotycząca Gomuùki Wùadysùawa, wiedergegeben in: ANDRZEJ GARLICKI: Z tajnych archiwów, Warszawa 1993, S. 134-165. 75

einen organisatorischen Rahmen aufgenommen, der den Interessen der Nation und der 131 Politik des Staates entspricht." Neben den bislang erwähnten Institutionen gab es eine weitere, die wesentlichen Einfluß auf die Ansiedlungs- und Bevölkerungspolitik Polens in den Wiedergewonnenen Gebieten nahm: Das Hauptamt für Raumplanung (Gùówny Urząd Planowania Przestrzennego, GUPP), das dem Aufbauministerium (Ministerstwo Odbudowy) angegliedert war und das erste nach dem Krieg eingerichtete und funktionsfähige Planungsamt war 1 3 2 , nahm an den Beratungen des Wissenschaftlichen Rates teil, erarbeitete selbst Denkschriften und Gutachten und stellte so eine Art Bindeglied zwischen der „reinen" Wissenschaft und der behördlichen Umsetzung dar. Das Dekret über die planmässige Raumbewirtschaftung des Landes vom 14. Februar 1946 sah, unter der Federführung des GUPP, eine Landesplanung „als Grundlage einer einheitlichen und rationalen Raumbewirtschaftung der gesamten Flä133 che Polens" vor. Ein Mitarbeiter, Bolesùaw Kużmicz, stellte die Aufgaben des GUPP so dar: „Die vom Hauptamt für Raumplanung und den ihm untergeordneten Behörden niederer Instanz ausgearbeiteten Bewirtschaftungspläne umfassen inhaltlich Konzeptionen für die optimale Disposition des Gebietes und der Bevölkerung." 134 Wie schon in der Okkupationszeit fiel es wiederum den Raumplanern zu, grundlegende Richtlinien für die Verteilung der Bevölkerung im Raum, im Dienste der angesteuerten Wirtschaftsstruktur, zu erarbeiten. Wichtigste Aufgabe hierin war die Ausarbeitung eines Landesplans, dem dann von den Regionaldirektionen angefertigte Regionalpläne folgten. Wie schon die deutschen Kollegen, sah man sich in einer Pionierrolle: „Raumplanung ist per Definition Kunst. Die Schaffung eines Planes ist eine künstlerische Tätigkeit. Die Raumplanung ist außerdem eine Wissenschaft, eine Wissenschaft über die Methodik der Kunst. Gegenstand der Raumplanung sind soziale, wirtschaftliche, natürliche usw. Strukturen. Die Planung muß daher auf die Ausarbeitungen und Forschungsmethoden anderer Wissenschaften zurückgreifen. [...] Es ist möglich, daß der polnische der erste vollständige Landesplan sein wird." 1 3 5 Eine erste Fassung des Landesplanes wurde unter dem Titel „Grundlegung und Eingangskonzeption des Landesplanes" nur für den Dienstgebrauch vermutlich im Laufe des Jahres 131

Rada Naukowa dla Zagadnien Ziem Odzyskanych, o.D. (Anfang 1946), AAN MZO 1653, Bl. 29-32.

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AAN, GUPP, Wstep do inwentarza. Dekret o planowym zagospodarowaniu przestrzennym kraju z dn. 14.2.46, AAN GUPP 93.

133 134

Papier/Diskussionsbeitrag Mgr. Bolesùaw Kużmicz für die 5. oder 6. Konferenz des Wissenschaftlichen Rates. AAN MZO 1719, Bl. 162 f.

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Kazimierz Dziewonski, Problematyka planowania przestrzennego (Wyklady wygloszone we Wroclawiu 1947/48), AAN GUPP 64.

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1946, spätestens im Frühjahr 1947 vorgelegt. 136 Es folgten und begleiteten dieses Zentralstück der Aufbauplanung Studien zu den Themen Verteilung der Bevölkerung, Herstellung eines Gleichgewichtes in der Bevölkerungsstruktur zwischen alten und neuen Ländern, Aufnahmefähigkeit der hinzugewonnenen Gebiete. 1 3 7 Einer der GUPP-Mitarbeiter, Zygmunt Glinka, entwickelte sich zum Spezialisten für alle Umsiedlungsfragen und befaßte sich intensiv mit „Pioniertaten" auf diesem Gebiet. Neben französischen Arbeiten zum Urbanisierungsprozeß und seinen Einfluß auf die Bevölkerung und der Teilnahme an Kongressen in Frankreich und Großbritannien rezipierte er in breitem Umfang einschlägige deutsche Arbeiten. Er fertigte unter anderem eine ausführliche Zusammenfassung des NS-Standardwerkes „Die agrarische Überbevölkerung Polens" von Theodor Oberländer aus dem Jahre 1935 an, die pikanterweise den originalen Schlußsatz wörtlich übersetzt beibehielt: Wenn es nicht gelinge, das Problem der Überbe138 völkerung zu lösen, drohe eine soziale Umwälzung „wie in Rußland". Im Januar 1947 139 legte Glinka eine Studie zur optimalen Bevölkerungsverteilung vor. Im gleichen Jahr gab das GUPP eine Untersuchung der Deutschen Planung bezüglich Veränderungen der Agrar- und Bevölkerungsstruktur auf dem Gebiet der Wojewodschaften Posen und Pommern bei Ing. Stanisùaw Odlanicki-Poczobutt in Auftrag.140 Auf der IV. Konferenz der RNZZO referierte Henryk Barahski über Fremde Erfahrungen im Bereich der Massenumsiedlung von Bevölkerung und ging auch auf die deutsche Umsiedlungspolitik im Warthegau ein. Baranski hob vor allem „die Geschicklichkeit der Propaganda unter den Deutschen im Osten und die Kraft der Suggestion, der die seit einigen oder einigen zehn Generationen in den baltischen Staaten, in Wolhynien, der Dobrudża usw. lebenden Deutschen unterlagen. Sie verließen ihre alte Heimat unter den schweren Bedingungen einer Winterreise in der Überzeugung, daß sie bessere Lebensbedingungen als in den bisherigen Siedlungsgebieten finden würden. Die Repatriierung war daher freiwillig."141 Darüber hinaus betonte Rajmund Buùawski in der folgenden Diskussion, daß die von ihm selbst beobachtete Umsiedlung der Wolhyniendeutschen „in jeder Hinsicht ausgezeichnet" 136 137

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Zatożenia podstawowe i wstępna koncepcja Planu Krajowego, AAN GUPP 129. Insgesamt produzierte der GUPP bis 1950 mehrere hundert Denkschriften, die im bereits zitierten Bestand AAN GUPP erhalten sind. Zygmunt Glinka, Streszczenie pracy Teodora Oberländera pt. „Przeludnienie agrarne w Polsce". AAN GUPP 167. Zygmunt Glinka, Obraz orientacyjny rozmieszczenia ludności w Polsce. Stan faktyczny. Stan optymalny. Nadwyżki i niedobory, Januar 1947, AAN GUPP 164. Jerzy Odlanicki-Poczobutt, Planowanie niemieckie w dziedzinie zmian w strukture agrarnej i ludnościowej na terenie woj. poznanskiego, pomorskiego i ziem przyùączonych, AAN GUPP 580. Henryk Barahski, Obce doświadczenia w dziedzinie masowych przesiedlen ludności, in: IV Sesja RNZZO, z. II, Krakow 1947, S. 47-58, hier S. 57.

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organisiert gewesen sei; ihre Endergebnisse seien jedoch wegen der inneren Streitigkeiten und wegen der mißlungenen Integration eher unbefriedigend gewesen. 142 Daneben interessierte sich der GUPP für die Arbeiten der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, vor allem zum Thema Wasserwirtschaft. Und es findet sich in den Akten des GUPP eine polnische Übersetzung von Himmlers „Grundsätzen für die Planung und Gestaltung der Städte in den eingegliederten Ostgebieten" vom 30. Januar 1942. 143 Außerdem hielt der GUPP direkten und regen Kontakt mit ausländischen Kollegen. Die Städteplanerinnen Joanna Skup, Barbara Petz und ihr Kollege J. Kolinski nahmen an einer internationalen Konferenz über Regionalplanung in Großbritannien teil, man korrespondierte regelmäßig auch mit französischen und US-amerikanischen Institutionen.144 Im Gegensatz zur Entwicklung im Deutschen Reich 1933-1945 gab es keinerlei Versuche, den GUPP aufzulösen oder seine Kompetenzen zu verringern - ganz im Gegenteil: Hier wurden 1946 wesentliche Teile des ersten Sechs-Jahres-Plan erarbeitet. 145 Nach Abschluß der Umsiedlungstätigkeit wurde der GUPP in die am 16. Februar 1946 anstelle des Zentralen Planungsamtes (Centralny Urzqd Planowania, CUP) eingerichtete Staatliche Wirtschaftsplankommission (Panstwowa Komisja Planowania Gospodarczego) überführt.146

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Diskussionsbeitrag Buùawski, in: Ebd., S. 59. AAN GUPP 588. AAN GUPP 10 und 13. Czgsc opisowa szczegóùowego planu szescioletniego rozwoju i przebudowy gospodarczej Polski, Vertraulich. AAN GUPP 92. BUCHHOFER: Entwicklung der Bevölkerungswissenschaften, S. 299.

II. Die theoretische Grundlegung der Bevölkerungs- und Siedlungspolitik: Sanierung und Modernisierung

1. Zur Vorgeschichte Theorien, die die Struktur und vor allem die Zahl der Bevölkerung in direkte Beziehung zum Wirtschaftskreislauf setzen, gibt es schon länger. Bereits im 19. Jahrhundert wurden im Zuge von Krisenbewältigungsstrategien nach dem „Gründerkrach" einerseits und in Auseinandersetzung mit der Arbeiterbewegung andererseits Modelle für einen „organisierten Kapitalismus" entwickelt, die paternalistische Fürsorgemodelle mit modernem Industriekapitalismus verbanden und so neue Zugriffsmöglichkeiten auf alle sozioökonomischen Abläufe erforderlich machten.1 Dazu war auch ein entsprechendes theoretisches Instrumentarium nötig. Hier sind beispielsweise die deutschen Wirtschaftswissenschaftler Mombert und Wickseil zu nennen, die es für sinnvoll und möglich erklärten, ein Bevölkerungsoptimum zu errechnen, das die bestmögliche Ausnutzung aller menschlichen Ressourcen ermöglichte.2 Parallel dazu wurde die bereits im Kaiserreich begonnene Diskussion um deif Geburtenrückgang in Deutschland fortgesetzt. So veröffentlichte der Präsident des Bayerischen Statistischen Landesamtes Friedrich Burgdörfer noch 1932 ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Volk ohne Jugend". Das Schreckgespenst des langsam überalternden deutschen Volkes widersprach in der Argumentation Burgdörfers dem „Notschrei und Weckruf des Dichters" vom „Volk ohne Raum" nicht, vielmehr überlagerten sich beide Gefahren.3 Die Mittel, die Burgdörfer zur Behebung des „Geburtennotstandes" vorschlug, wirken relativ modern: Vor allem komme es auf einen „bevölkerungspolitischen Finanzausgleich" an, „in der Weise, daß ... die jetzt bestehenden wirtschaftlichen Vorteile der Kinderarmut und Kinderlosigkeit zugunsten der mit Kindern gesegneten Familien beschnitten werden."4 Dagegen meldete August Lösch vom Kieler Institut für Weltwirtschaft 1932/33 Argumente für die dynamische Berechnung eines Bevölkerungsoptimums an. Vor allem widersprach er Vgl. CARSTEN KLINGEMANN: Ein Kapitel; SCHUSTER: Theorien; CHOROVER: Zurichtung des Menschen. Chorover bietet Beispiele aus Europa und den USA.. Zur herrschaftspragmatischen „Professionalisierung" der Soziologie vgl. RAMMSTEDT: Deutsche Soziologie. Die erste Arbeit zur Rolle der Soziologie stammt allerdings aus Polen: TYROWICZ: Swiatlo wiedzy zdeprawowanej. Vgl. HEIM/ALY: Ökonomie der Endlösung; DIES./DERS.: Ein Berater der Macht. BURGDÖRFER: Volk ohne Jugend, S. XV-XVI. Ebenda, S. 87. Vgl. LENZ: Bevölkerungswissenschaft, S. 26. 79

der „klassischen" Auffassung, Bevölkerungswachstum sei gleichbedeutend mit Leistungsvermögen einer Wirtschaft. Ganz im Gegenteil machte Lösch 1932/33 die Rechnung auf: „Geburtenrückgang = verstärkte Kapitalbildung = wachsende Kaufkraft".5 Andere dachten in ähnlicher Richtung weiter. Anfang der vierziger Jahre stellte Prof. Dr. Wagemann aus Wien sein „Alternationsgesetz" vor, in dem er ausführte, daß Gesellschaften im Verlaufe ihrer wirtschaftsstrukturellen und -technischen Entwicklung verschiedene Phasen der Unter- und Überbevölkerung durchliefen, die es auszugleichen gelte. Die ideale Bevölkerungszahl sei daher immer in Relation zum Entwicklungsstand der jeweiligen Volkswirtschaft zu bestimmen. Dabei bot der nationalsozialistische Staat Korrekturmöglichkeiten, wie man sie vorher nicht gekannt hatte: „In dem Augenblick aber, in dem sich eine autoritäre Staatsführung der Dinge annähme, könne der Siedlungsausgleich weit sicherer herbeigeführt werden" als unter den Bedingungen der „freien Wirtschaft".6 Daneben gab es verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg Tendenzen, die sozialdarwinistische und ökonomistische Vorstellungen zur „Menschenökonomie" vermengten, die sich dann ihrerseits mit dem Traum vom allzeit leistungsbereiten Menschen der Rassenhygieniker verband.7 Psychiater, Ärzte und Rassenhygieniker gingen in ihrer Argumentation konkreter vor und definierten unheilbar Kranke als Belastung für den „Volkskörper", der sich folgerichtig von ihnen wie von einer Krankheit befreien müsse. Seit 1919 forderten namhafte Psychiater eine Reform des Anstaltswesens, die letztendlich auf die „Vernichtung lebensunwerten Lebens" hinauslief.8 Mit der Machtübergabe an die NSDAP wurden diese Theorien Bestandteile der offiziellen staatlichen Politik - oft genug auf Betreiben von Verwaltungsbürokraten, die entsprechende Pläne seit den zwanziger Jahren in den Schubla-

Vgl. DIECKMANN: Wirtschaftsforschung, S. 165.

Typoskript eines Berichtes über einen Vortrag Wagemanns auf der zweiten Arbeitstagung der Wiener Südosteuropa-Gesellschaft, o.D. (vermutl. 1941/42), S. 2 f. BAK R 63/174. Vgl. zur Entwicklung der Rassenhygiene und Eugenik zuerst ALY: Fortschritt. Vgl. auch WEINGART/KROLL/BAYERTZ: Rasse, Blut und Gene; LENZ: Bevölkerungswissenschaft. Vgl. auch ALY/ HEIM: Vordenker, S. 102-114. BINDING/HOCHE: Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Siehe hierzu vor allem: Die Ermordeten; KAUL: Psychiatrie im Strudel der „Euthanasie"; KLEE: „Euthanasie"; SCHMUHL: Rassenhygiene; DERS.: Reformpsychiatrie und Massenmord. Schmuhls Aufsatz ist der einzige in dem bereits zitierten Sammelband von PRINZ/ZITELMANN, dem keine apologetischen Tendenzen nachgesagt werden können, da er, wie schon aus dem Titel hervorgeht, den direkten Zusammenhang zwischen Modernisierung und Vernichtung thematisiert. Siehe auch ROTH: Das Leben an seinen „Rändern"; DÖRNER: Die These von der „Endlösung der sozialen Frage". Auch AYASS: „Asoziale", S. 219 stimmt dem im Grundsatz zu, auch wenn ihm die Thesenformulierung wegen ihrer „Affinität zu materialistischen Faschismustheorien" unbehaglich ist. Trotz dieser Empfindlichkeit stellt er fest: „Im Nationalsozialismus wurde versucht, alte soziale Probleme der Gesellschaft wie Armut, Krankheit und Kriminalität ein für allemal zu beseitigen. Gerade für die rassenhygienische Forschung und Praxis war dies ein erklärtes Ziel." 80

den bereit liegen hatten.9 Bereits am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" erlassen, das die Zwangssterilisierung von Menschen ermöglichte, die an verschiedenen als erblich geltenden Krankheiten (Schwachsinn, Schizophrenie [!], Epilepsie usw.) oder an Alkoholismus litten.10 Die sozioökonomische Zielsetzung dieses Gesetzes hat George L. Mosse treffend charakterisiert: „Bei welchen Erbkrankheiten die Sterilisation vorgenommen werden mußte, richtete sich danach, ob und inwieweit das Opfer den Anforderungen des täglichen Lebens gewachsen war, und mit welcher Wahrscheinlichkeit es die Gefahren des Krieges meistern würde. Beide Überlegungen hatten nichts mit der üblichen Definition von Krankheit zu tun, sie zielten vielmehr darauf ab, festzustellen, wie nützlich der Kranke für die Gesellschaft war."11 Die „Ausmerze"-Phantasien der Psychiater und Rassenhygieniker erforderten eine genaue Erfassung des möglicherweise betroffenen Personenkreises, gleichzeitig scheint es, als haben ihre Vorstöße das Tor zu einer umfassenden Erfassung und Kosten-Nutzen-Einschätzung der gesamten Bevölkerung öffnen helfen. So bot der Statistiker Burgdörfer, der die „Statistik schon ihrem Wesen nach der nationalsozialistischen Auffassung" nahestehen sah, 1935 seine Disziplin an, um den „Wert des Menschen" zu berechnen.12 „Vor allem aber werden alle Probleme der Volksbiologie, der Bevölkerungs- und Rassepolitik, insbesondere das Geburtenproblem und die Frage der Auswanderung, sodann die entscheidenden volkswirtschaftlichen Fragen über Wesen und Sinn des Volksvermögens, der Kapitalbildung usw. in ihrem inneren Wesen und in ihren letzten Zusammenhängen durchsichtiger, wenn sich die Statistik nicht nur mit dem toten Sachkapital, sondern auch mit dem lebenden und persönlichen Menschenkapital als dem organischen Volkskapital befaßt. Es lohnt sich daher, daß die Statistik die notwendigen Voraussetzungen für sinnvolle Berechnungen über den Geldwert des Menschen schafft."13 Es ist deutlich zu sehen, in welchem Maße soziale Verhältnisse quantifiziert, d.h. auf reine Zahlenverhältnisse reduziert wurden. Menschliche Subjektivität, persönliches oder kollek-

Dies weisen am Beispiel Hamburg nach: EBBINGHAUS/KAUPEN-HAAS/ROTH: Heilen und Vernichten. Allgemein siehe PEUKERT: Volksgenossen, S. 253 und BURLEIGH/WIPPERMANN: Racial State, wenn auch letztere die sozialordnerischen Implikationen der rassistischen und rassenhygienischen Bevölkerungspolitik allzu rasch abtun. Siehe dagegen FRIEDLANDER: Origins of Nazi Genocide. LENZ: Bevölkerungswissenschaft, S. 44 f. Lenz führt auf S. 46 an, daß 1945 dieses Gesetz wie auch andere rassistische und rassenhygienische Gesetze aufgehoben wurde, der Alliierte Kontrollrat es aber nicht „zu einem typischen Unrechtsgesetz im Rahmen des nationalsozialistischen Gedankengutes erklärte. [...] Formal unterschieden sich die Sterilisationsbestimmungen in Deutschland nicht wesentlich von den Bestimmungen in anderen Ländern." MOSSE: Geschichte des Rassismus, S. 250 mit Bezug auf SCHMIDT: Selektion in der Heilanstalt. BURGDÖRFER: Aufgaben der Statistik, Sp. 99. Ebenda, Sp. 136. Hervorhebung im Original. 81

tives Eigeninteresse hatten in dieser Sichtweise keinen Platz mehr. In einem weiteren Schritt subsumierte sich die zunächst noch theoretisch-vage gefaßte „Nützlichkeit", die ja auch Nutzen in übertragenem Sinne zumindest semantisch zuließe, unter dem zutiefst im rein Wirtschaftlichen fußenden Begriff des „Geldwertes".14 Die Bewertung des Einzelnen nach seiner Verwendbarkeit und Nützlichkeit setzte sich in der Hierarchisierung der menschlichen Rassen fort. Dem Arier als höchststehendem Wesen standen am unteren Ende der Skala Schwarze, Asiaten und Juden gegenüber. Das war zwar nicht erst seit dem Machtantritt der NSDAP - und nicht nur in Deutschland - so, aber erst ab dem Januar 1933 wurde der Rassismus in seiner antisemitischen Ausprägung offizielle Staatsideologie. Und von Anfang an wurden rassistische Ideologeme verwendet, um sozioökonomische Ordnungsvorstellungen zu transportieren. Nachdem im „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" der Grundstein für die Optimierung der Gesamtbevölkerung hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit gelegt worden war, indem die Fortpflanzung „überflüssiger Esser" per behördlich angeordneter Sterilisation unterbunden werden konnte15, folgten im September 1935 die Nürnberger Rassengesetze, die neben einer Befriedigung antisemitischer Leidenschaften die Möglichkeit brachten, die arbeitslose Akademikerklientel der Nationalsozialisten in Brot und Stellung zu bringen.16 Außerdem wurde hier erstmals in der Geschichte des Dritten Reichs eine mit ethnischen Merkmalen definierte Gruppe sozioökonomisch ausgegrenzt. Es wird noch zu zeigen sein, daß sich dieses Verfahren später umkehrte.

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Vgl. dazu ROTH/ALY: Restlose Erfassung; ROTH: Erfassung zur Vernichtung. Siehe hierzu GANSSMÜLLER: Erbgesundheitspolitik. Ganssmüller weist auch auf den ökonomischen Aspekt dieser Politik hin: „Die Bedeutung der ökonomischen Interessen ging schon bei Erlaß des Sterilisierungsgesetzes aus den Hinweisen auf die Unterstützungskosten für 'Geistesschwache, Hilfsschüler und Asoziale' hervor. Die finanziellen Belastungen, die dieser Personenkreis für die Allgemeinheit darstellte, wurden vielfach im Zusammenhang mit Arbeitsplatznot und fehlendem Geld für die Arbeitsplatzbeschaffung bis in alle Einzelheiten durchgerechnet und dargelegt. Wirtschaftliche Motive und Begründungen begleiteten in der Folge die gesamte Erbgesundheitspolitik." Ganssmüller weist im Folgenden daraufhin, daß Kriegsvorbereitungen und Krieg zu einer Verschärfung dieser Linie führten: in der Konzentration aller Kräfte auf den Krieg war für Nichverwertbare endgültig kein Platz mehr. Die Folge war der Massenmord an den unheilbar Kranken. Ebenda, S. 7 f. LENZ: Bevölkerungswissenschaften, S. 56 ff.; BARKAI: Boykott, S. 18-22, 35 ff.

2. Das Paradigma Überbevölkerung und die Optimierung der Bevölkerungsstruktur Die analytische Anwendung dieses im vorigen Abschnitt nur grob umrissenen theoretischen Instrumentariums beschränkte sich durchaus nicht nur auf das eigene Staatsgebiet. In ähnlichem Sinne argumentierte 1935 der Agrarwissenschaftler und spätere Vertriebenenminister Theodor Oberländer in Bezug auf die Bevölkerungs- und Agrarsituation in Polen. Die Wirtschaft Polens sei gekennzeichnet durch die Zersplitterung in Klein- und Kleinstbetriebe, die kaum lebensfähig seien und schon gar nicht an einem ohnehin kaum existierenden Binnenmarkt teilnehmen könnten, durch hoffnungslos veraltete Anbaumethoden und geringe Arbeitsproduktivität bei hohem Anteil reiner Subsistenzwirtschaft („geschlossene Hauswirtschaften"). Daraus resultiere Kapitalmangel, der wiederum verhindere, daß durch den Aufbau einer eigenständigen Industrie die bäuerliche Bevölkerung, die auf dem Lande keine ausreichenden Lebensbedingungen fand, in die Städte abwandern könne: „Die außerordentlich hohe agrarische Dichte verbunden mit Kapitalmangel gefährdet die an Rußland grenzende Randzone besonders stark, aus inneren Spannungen und dem Bevölkerungsdruck heraus gleich Rußland einer sozialen Umwälzung entgegenzugehen."1 Der Begriff aber, der diese Situation laut Oberländer am treffendsten beschreibe, sei der der „Übervölkerung".2 Damit begab sich Oberländer auf die gleiche Argumentationsschiene, auf der sich bereits acht Jahre vorher Kollegen bewegt hatten, denen nicht unbedingt eine Affinität zum Nationalsozialismus nachzusagen war. So schrieb im Jahre 1927 der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Dr. Paul Roth, daß Polen, vor allem in den vormals russischen und österreichischen Teilungsgebieten, „an einer außerordentlichen ZerOBERLÄNDER: Agrarische Überbevölkerung,

S. 116. FREI: Wie modern war der Nationalsozialismus? beweist einen bemerkenswerten Mangel an Kenntnis der zeitgenössischen und heutigen Literatur, wenn er das bevölkerungspolitische Theorem der „Überbevölkerung" in seiner Polemik gegen Karl Heinz Roth, Götz Aly „und seine Freunde" als widerlegten Blödsinn abtut. Tatsächlich wird im folgenden gezeigt werden, daß der Begriff der „Überbevölkerung" durchaus nicht nur im Zusammenhang mit der Propagandaparole vom „Volk ohne Raum" wirksam war, sondern in Studien aus wissenschaftlichen und behördlichen Kreisen nicht nur im nationalsozialistischen Deutschland immer wieder als Planungsparadigma auftauchte. Siehe dagegen die neuere polnische Historiographie und Nationalökonomie, die den Begriff der „Überbevölkerung" weiterhin zur Beschreibung der Bevölkerungsstrukturprobleme der Zweiten Republik verwendet. So zum Beispiel die namhaften Wirtschaftshistoriker LANDAU/TOMASZEWSKI: Nie rozwiazane problemy, S. 412-421. Auch in der Encyklopedia historii gospodarczej, S. 143 f. taucht der Begriff der „przeludnienie agrarne" rein deskriptiv auf- übrigens mit Verweis auf die Arbeiten von PONIATOWSKI und STANCZYK. Freilich wäre Frei dahingehend zuzustimmen, daß die allgemeine Akzeptanz des Paradigmas noch keine Aussage über seine Erklärungskraft und seine ausschließliche Gültigkeit trifft; es verhält sich leider so, daß auch Irrtümer und falsche Einschätzungen geschichtsmächtig sein können. 83

splitterung des Kleinbesitzes" leide. Hieraus erkläre sich die große Tendenz zur Auswanderung, die auch die Ostjuden umfasse, die „als städtisches Proletariat aus anderen Gründen materielle Not" litten.3 Der Kapitalmangel der ländlichen und zum Teil auch der städtischen Bevölkerung führe dazu, im Zusammenspiel mit dem Umstand, daß Polen nach seiner Wiedererstehung keinen entsprechenden Anteil an den Weltmärkten erlangen konnte, „daß Polen mit dieser reichen Industrie nicht so wirtschaften kann, wie es unter anderen Bedingungen möglich wäre."4 Auch polnische Ökonomen sahen das nicht anders.5 Die polnische agrar- und wirtschaftswissenschaftliche Literatur der Zweiten Republik ist reich an Arbeiten, die sich mit dem Problem der ungünstigen Agrarstruktur befaßten; der Topos „Überbevölkerung" (przeludnienie) fand Eingang in Standardwerke der Wirtschafts-6 und Bevölkerungswissenschaften.7 Schließlich gab es auch einen Autor, der als einen Vorzug des „Hitlerismus" in diesem Zusammenhang die Fähigkeit zu „wahrhaft souveränen Entscheidungen" lobte.8 Es ist wenig überraschend, daß sich im Rahmen dieser bevölkerungspolitischen Diskussion auch in Polen rassenhygienische und eugenische Tendenzen Gehör zu verschaffen wußten.9 ROTH: Die wirtschaftlichen Grundlagen, S. 298 f. Zur wirtschaftlichen Situation der Ostjuden in der Zweiten Republik siehe einführend HAUMANN: Geschichte der Ostjuden, S. 164-180; MARCUS: Social and political history. ROTH: Die wirtschaftlichen Grundlagen, S. 302 f. Als erste wiesen Götz Aly und Susanne Heim daraufhin, daß bevölkerungs- und wirtschaftswissenschaftliche Paradigmen, wie sie die Diskussion und Praxis der deutschen Herrenmenschen bestimmten, in der internationalen Forschung innerhalb und außerhalb Europas in oft identischer Form aufzufinden sind. Siehe GÖTZ ALY/SUSANNE HEIM: Einleitung, in: Bevölkerungsstruktur und Massenmord, S. 8 f. Vgl. auch CHOROVER: Die Zurichtung des Menschen; WESS: Träume der Genetik, über eugenisch-genetische Forschungen in den USA und der Sowjetunion. Über die Entstehung des modernen Rassismus aus der Verwissenschaftlichung aller menschlichen Beziehungen in der Aufklärung MOSSE: Geschichte des Rassismus. Siehe BUJAK: O naprawie; DEDERKO: Przeludnienie; TUROWSKI: Warunki, S. 42-48; LUDKIEWICZ: Podrecznik polityki agrarnej, S. 85-89 und v.a. in Zusammenfassung der bis dahin geführten Diskussion PONIATOWSKI: Przeludnienie. Eher zustimmend rezipierte er auch BURGDÖRFER: Volk ohne Jugend. Für die Position der katholischen Kirche vgl. URBAN: Na tematy. Siehe v.a. DASZYNSKA-GOLINSKA: Zagadnienia. Zofia Daszynska-Golinska war Professorin der „Freien Polnischen Universität"; breiten Raum widmet sie der „Rassenpolitik" (Polityka Rasy), was den ganzen Kanon der damals auch in Deutschland üblichen bevölkerungspolitischen Ansätze meinte: Sozialhygiene, Eugenik, Bekämpfung der Armut und des Alkoholismus durch Aussonderung. OSTROWSKI: Plan nowego ustroju, S. 83. Es hatte schon vor 1918 eine polnische eugenische Bewegung gegeben, die vor allem von dem Warschauer Arzt und Spezialisten für Hygiene und venerische Krankheiten Dr. Marek Leon Wernic betrieben und gefördert wurde. Von 1918-1928 war er Herausgeber der Zeitschrift „Zagadnienia Rasy" als Organ der „Polskie Towarzystwo Eugeniczne". Ab 1927 war Wernic Vizepräsident der Internationalen Eugenischen Gesellschaft in London. PODOLENSKI: „Polskie Towarzystwo Eugeniczne". Für den Hinweis danke ich Ute Caumanns. Vgl. hierzu auch DASZYNSKA84

In der Diskussion um die Bevölkerungsstruktur und ihre Verbesserung, die ja auch Ausdruck der Konkurrenz benachbarter Staaten um die leistungsfähigste Volkswirtschaft war, verfolgte jede Seite die Arbeiten der anderen: Der polnische Ökonom Jözef Poniatowski beispielsweise hat unter anderem auch die oben zitierte Arbeit Oberländers rezipiert. Das Buch sei, schreibt er, „nicht bar politischer Tendenzen, es zielt auf den Nachweis, daß Polen aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, mit der Überbevölkerung der Landwirtschaft fertig zu werden und nur Rettung finden kann, indem es sich auf die sich entwickelnde russische oder deutsche Industrie stützt. Man kann dem Autor aber viele treffliche Formulierungen nicht absprechen."10 Eine dieser „trefflichen Formulierungen" enthüllte überdeutlich, warum Oberländer ein lebendiges Interesse an dem von Poniatowski kritisierten Ergebnis gehabt hat: Es ging um nicht weniger als die Behauptung von Anteilen der Industrienationen auf dem Weltmarkt, die durch eine Industrialisierung Polens hätten gefährdet werden können: „Solange die Industrialisierung der Agrarländer den Absatz der Industrieländer noch nicht bedroht, kann man noch nicht von einer Überbevölkerung der Industriestaaten sprechen."11 Im Umkehrschluß ließe sich daher feststellen, daß für Oberländer eine Sanierung der Bevölkerungs- und Wirtschaftsverhältnisse in Polen also nur in einem Maße wünschenswert erscheinen konnte, wie ein saniertes und zur Industrialisierung fähiges Polen nicht zu einem ernsthaften Konkurrenten für das Deutsche Reich wurde. Das bedeutete, daß sich polnische und deutsche Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler zwar nicht in den Lösungsvorschlägen, wohl aber in der Betrachtung und Analyse des Problems selbst einig waren. In der von ihm gemeinsam mit den Agrarwissenschaftlern Dr. Stanislaw Inglot und Dr. Wincenty Stys herausgegebenen Zeitschrift „Wies i Panstwo", die der Bauernpartei (PSL) nahestand, zog der renommierte Lemberger Professor Dr. Franciszek Bujak in der November-Ausgabe des Jahres 1938 Bilanz: Die Agrarreform in Polen habe, selbst seit dem Beginn der zwangsweisen Parzellierung im Jahre 1930, „in sehr geringem Maße zur Sanierung der Agrarstruktur beigetragen". Der Bevölkerungszuwachs, der nicht in die Industrie habe ausweichen können, habe sogar zu einer weiteren Zersplitterung des Bodens in Polen geführt.12

GOLINSKA: Zagadnienia, S. 229-243 und 315-325. Es existiert bislang keinerlei Rezeption oder gar Analyse der polnischen Eugenik vor dem Kriege. Die Ansätze bei NASIEROWSKI: Stosunek srodowisk medycznych sind unbefriedigend, da der Autor lediglich die der Eugenik in ihrer nationalsozialistischen Ausprägung ablehnend gegenüberstehenden Mediziner und Medizinerinnen erwähnt.

PONIATOWSKI: Przeludnienie, S. 164, Anm. 465. OBERLÄNDER:

Agrarische Überbevölkerung, S. 94.

BUJAK: PO latach, S. 643.

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Das allen diesen Theorien und Ansätzen Gemeinsame war, daß sie - in unterschiedlichem Maße und mit einem verschieden hohen Anteil an Zynismus oder Unbekümmertheit - den Menschen nurmehr als Faktor im Wirtschaftsleben wahrnahmen und damit als Dispositionsmasse staatlichen Eingriffen und Planung auslieferten. Anders formuliert unterschieden sich einzelne Analytiker allenfalls in dem Maß, in welchem sie bereit und in der Lage waren, den subjektiven Faktor als bleibende und zu berücksichtigende Störung des Idealbildes wahrzunehmen. Indem der „Faktor Mensch" auf eine ökonomische Variable reduziert wurde, wurde die Gesamtbevölkerung in „Nützliche" und „Unnütze", in Verwertbare und Nichtverwertbare aufgeteilt. Im Nationalsozialismus entsprach, wie erwähnt, der Aussonderung und Vernichtung der „unnützen Esser" innerhalb der eigenen Bevölkerung die rassistische Hierarchisierung der Völker nach außen.13 Hier fand der germanische Herrenmensch nur wenige gleichwertige Bündnispartner, dafür um so mehr Heloten- und Sklavenvölker. Darüber hinaus war „der Jude" als derjenige Bevölkerungsteil ausgemacht, der in jedem Falle aus der „deutschen Volksgemeinschaft" auszusondern war.14 Erst diese a priori-Selektion, die zwar auch das eigene deutsche Volk weitgehend instrumentalisierte und als staatliche Dispositionsmasse verfügbar machte, vor allem aber allen anderen jegliche Bürgerrechte bis hin zum Recht auf Existenz absprach, ermöglichte ab dem 1. Septem-

Diesen Zusammenhang deutet, in umgekehrter Reihenfolge, auch Diemut Majer an, wenn sie schreibt, daß das „völkische Sonderrecht", das die Aussonderung und Entrechtung „Artfremder" erlaubte, sich auch auf „Unerwünschte" der eigenen Rasse anwenden ließ. MAJER: Grundlagen, S. 172 f. Es sei erlaubt, hier einige Gedanken Franz Neumanns zur Funktion des Antisemitismus wiederzugeben. Er schrieb 1944: „Der Antisemitismus [...] ist die Speerspitze des Terrors. Die Juden werden wie Versuchstiere benutzt, um die Methoden der Repression zu testen. Aber wahrscheinlich nur die Juden können diese Rolle einnehmen. Denn der Nationalsozialismus, der angeblich den Klassenkampf beseitigt hat, benötigt einen Feind, der durch seine bloße Existenz die antagonistischen Gruppen in dieser Gesellschaft integrieren kann. Dieser Feind darf nicht allzu schwach sein. Wäre er zu schwach, könnte er in den Augen des Volkes nicht zum obersten Feind erklärt werden. Doch darf er auch nicht zu stark sein, denn sonst würden die Nazis ja in einen ernsthaften Kampf mit einem mächtigen Gegner verwickelt. Aus diesem Grund ist auch die katholische Kirche nicht in den Rang eines obersten Feindes erhoben worden. Aber die Juden erfüllen diese Rolle geradezu großartig." NEUMANN: Behemoth, S. 582. Die innenpolitische Funktion des nationalsozialistischen Antisemitismus ist hier wenn auch nicht vollständig, so doch weitgehend zutreffend analysiert. Freilich kann diese soziologische Analyse den Massenmord an den Juden ab 1941 nicht erklären; hier kamen weitere Faktoren hinzu, die weiter unten angeführt werden sollen. Es sei nur darauf hingewiesen, daß nicht die Juden, sondern die unheilbar Kranken die ersten Opfer des systematischen Massenmordes wurden. Die hier gewonnenen Erfahrungen konnten ab Ende 1941 auf den Massenmord an den Juden im Warthegau übertragen werden. BIRN: HSSPF, S. 181, 183; vgl. auch ALY: Diskussionsbeiträge. Ähnlich argumentiert auch PEUKERT: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde, S. 246-279. Vgl. neuerdings LONGERICH: Poltik der Vernichtung, der die unmittelbar handlungsmotivierende Bedeutung des Antisemitismus für die nationalsozialistische Herrschaft wieder stärker hervorhebt. 86

ber 1939 die radikale und brutale Entfernung unerwünschter Bevölkerungsteile aus den zum „Siedlungsraum" erklärten Gebieten im Osten.15 Mit alledem verbanden sich Weltmachtansprüche des Deutschen Reiches, die in unterschiedlicher Form bereits seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erhoben worden waren.16 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die militärische Expansion des „Dritten Reiches" der Etablierung und Fundierung eines solchen Weltmachtanspruches diente. Das im Rahmen des Zweiten Weltkrieges verfolgte Ziel einer „Neuordnung Europas" meinte ein fein abgestuftes System von einverleibten, abhängigen oder hegemonial dominierten Gebieten, wobei die „rassische" Einordnung der jeweiligen nichtdeutschen Bevölkerung und die Funktionszuweisung für das von ihr bewohnte Territorium sich in aller Regel entsprachen.17

a. „Menschenökonomie", „Überbevölkerung" und Rassismus in der Siedlungsplanung im besetzten Polen Der besetzte Osten, das hieß zunächst einmal Zentral- und Westpolen, war mit der Aufteilung des Gebietes in „eingegliederte Ostgebiete" und „Generalgouvernement für die besetz-

Die Analogie zwischen den beiden Selektionsbereichen: eigene Bevölkerung - fremde Völker und der letzten Konsequenz dieser Politik - der Vernichtung der nicht Verwertbaren - deutet auch Schmuhl an: „Die Euthanasieaktion ist ein Musterbeispiel für die wissenschaftliche Begründung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der nationalsozialistischen Genozidpolitik. Hatte die Vernichtung von psychisch Kranken und geistig Behinderten einen rassenhygienischen Hintergrund ..., so fiel die Vernichtung von Juden und Slawen in das Fach der Rassenanthropologen. Bei der Vernichtung von 'Asozialen' und 'Zigeunern' mischten sich rassenhygienische und -anthropologische Motive, so daß es hier zu Kompetenzkonflikten zwischen Psychiatern und Anthropologen kam. Das gemeinsame Merkmal dieser vielfältig miteinander verflochtenen Stränge nationalsozialistischer Genozidpolitik ist die Wissenschaftlichkeit, mit der die Opfer erfaßt, ausgesondert und vernichtet wurden. Es handelte sich hier nicht... um eine 'Politisierung der Wissenschaft', sondern um eine 'Verwissenschaftlichung der Politik'." SCHMUHL: Reformpsychiatrie und Massenmord, S. 265. Ebenso FRIEDLANDER: Origins of Genocide, der zusätzlich die organisatorischen Verknüpfungen zwischen „Euthanasie" und „Endlösung" ausführlich rekonstruiert. Vgl. ULLRICH: Die nervöse Großmacht, S. 419-433 und passim mit einer Zusammenfassung der neueren Diskussion zu diesem Thema. Auch die polnische Forschung legt besonderen Wert auf den Nachweis imperialistischer Kontinuitäten vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zum Dritten Reich. Vgl. z.B. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 19-69. Vgl. dazu auch FIEDOR: Niemieckie plany. Vgl. hierzu die Dokumentenedition Europa unterm Hakenkreuz. Siehe auch MADAJCZYK: Faszyzm i okupacje. Tatsächlich entsprach die unterschiedliche rassenideologische Einordnung unterschiedlicher Völker und Nationen auch weitgehend unterschiedlicher Besatzungspraxis und Funktionszuweisung im Rahmen der „Neuordnung Europas". 1996 fand eine internationale Fachtagung des Herder-Instituts Marburg zur vergleichenden Okkupationsforschung statt, deren Referate und Diskussionen aber bislang nicht veröffentlicht worden sind. 87

ten polnischen Gebiete" als Ansiedlungsgebiet einerseits und Abschiebeterritorium bzw. Arbeitskräftereservoir andererseits ausgewiesen. Die deutsche Besatzungspolitik ging über eine Revision der Gebietsverluste von 1918 weit hinaus und vergrößerte das Reich um Gebiete, die auch vor 1918 nicht zu Preußen gehört hatten und die zweifellos mehrheitlich polnisch besiedelt waren. Auf diesem Terrain, das damit von einer Bevölkerung bewohnt wurde, die per Definition unerwünscht war, verbanden sich die Großmachtansprüche des Deutschen Reiches mit den oben kurz beschriebenen Theorien. Sozioökonomische Ordnungsmodelle und Strukturplanungen im Verbund mit einer rassistisch-biologistischen Sichtweise, wie sie seit dem Ende des Kaiserreiches an den deutschen Universitäten üblich war18, legten die Grundsteine für die spezifische deutsche Politik der „Neuordnung", wie sie sich in den Jahren nach dem Überfall auf Polen entfalten sollte. Das Bestreben, möglichst ideale soziale und ökonomische Strukturen in den „eingegliederten Ostgebieten" und später auch im weiteren „Ostraum" - zu schaffen, verband sich wiederum mit Versuchen, ungünstig strukturierte Gebiete im „Altreich" zu sanieren. Dabei stand der relativen Überbevölkerung bestimmter Gebiete im Reich die generelle Überbevölkerung des Landes und - wie das IDO 1941 ausmachte - auch der Städte in Polen gegenüber. Seit 1936 befaßten sich deutsche Raumplaner und Bevölkerungspolitiker mit der Sanierung der sogenannten „Notstandsgebiete" im Reich19, besonders in Süddeutschland. Es handelte sich um Gebiete, in denen bäuerlicher Klein- und Kleinstbesitz überwog, die als „übervölkert" galten und daher einer flächendeckenden Rationalisierung und Mechanisierung der Landwirtschaft entgegenstanden. Zudem waren sie, da sich die kleinen Höfe oft auf wenig ertragreichen Böden befanden, ein ständiger Kostenfaktor: Die Menschen dort konnten ohne staatliche Zuschüsse nicht existieren. Das erste Versuchsgebiet, in dem sich die 1935 eingerichteten Institutionen Reichsstelle für Raumordnung (RfR) und die ihr angeschlossene Reichsarbeitgemeinschaft für Raumordnung (RAG) bewähren sollten, war die Hohe Rhön in Mainfranken. Es handelte sich um eines der Gebiete, „die seit Jahrhunderten öffentliche Zuschüsse erhalten", die aber keine dauerhafte Verbesserung ihrer Situation erfahren hatten.20 Nun nahm sich vor allem die RAG dieser Angelegenheit an und verfaßte eine Reihe von Gutachten und Plänen, die in die Sanierungspolitik im Rahmen des nach dem Würzburger Gauleiter „Dr.-Hellmuth-Plan" benannten Projektes einflössen. Man stellte fest, daß mehr als 84% der dortigen Bauernhöfe „nicht lebensfähig" seien; dagegen setzte man neben einem „größeren Umlegungsverfahren" und umfangreichen Meliorationsarbeiten auf die ärztliche und erbbiologische Selektion der Bevölkerung nach „Arbeitseig-

Vgl. den Sammelband KLINGEMANN: Rassenmythos, v.a. den Aufsatz SCHUSTER: Theorien. So auch MEYER: Raumordnung, S. 110. BILSTEIN: Hellmuth-Plan, S. 46. Der zitierte Band ist ein Sonderheft der RuR und behandelt in seinen Aufsätzen alle wesentlichen Aspekte des Sanierungskonzeptes. Der Haushaltsplan für Herbst 1939 sah weitere Gelder für dieses Projekt vor: Bewilligte Anträge aus dem programm des Haushaltsjahres 1939. BAK R 113/92. 88

nung" und „Erbwert".21 Der Gesamtplan verband folgerichtig raumplanerische Ziele wie eine verbesserte Verkehrserschließung und die „Belebung des bodenständigen Gewerbes" mit der rassenhygienischen „Auslese der Tüchtigsten" und der gesteuerten „Schaffung eines bodenständigen Arbeiterstammes".22 Die Sanierung der Hohen Rhön war ein Musterprojekt für die spätere Praxis.23 Daß nämlich die Sanierungsziele nicht durch regional begrenzte Maßnahmen lösbar waren, wußte man auch bei der RAG: Die Rhön, hieß es, sei vom agrarökonomischen Standpunkt aus so „überbevölkert", daß selbst die Untergrenze von 7,5 ha, die 1933/34 für Erbhöfe festgelegt worden war24, oft nicht erreicht werden könne. Eine Sanierung der Agrarstruktur im Gebiet selbst war damit nicht zuleisten. Dennoch müsse man bestrebt sein, „die Kinderfreudigkeit der Bevölkerung nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern in jeder Weise zu fördern."25 Dieser scheinbare Widerspruch klärt sich auf, wenn man die weitere Arbeit der RAG betrachtet. Im Jahr 1939 nämlich wurden mehrere Forschungsreihen aufgenommen, die das Problem der „Notstandsgebiete" von einer neuen Seite anfaßten. Hatte der Hellmuth-Plan vor allem Meliorationsarbeiten, Flurbereinigungen und ähnliche Maßnahmen vorgesehen, zielte man nun direkt auf die Umsiedlung des „Bevölkerungsüberschusses" in den Osten. Die Ansiedlung verarmter Landbevölkerung aus dem „Altreich" im Osten, auf möglichst attraktiven und ertragreichen Böden, hatte ebenfalls bereits eine längere Geschichte. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die innerdeutsche ökonomische Entwicklung, in erster Linie also die Industrialisierung, auf den Westen und die Mitte des Reiches konzentriert, die ursprünglich reichen Ostgebiete waren zunehmend ins Hintertreffen geraten. Der Mangel an Erwerbsmöglichkeiten, verstärkt durch eine Krise, die die Absatzmöglichkeiten agrarischer Produkte stark einschränkte, hatte zu Migrationsbewegungen geführt, die bald das Etikett „Ostflucht" erhielten. Es waren nicht zuletzt Hunderttausende Landarbeiter, die systematisch für die Gruben und Zechen des Ruhrgebietes abgeworben Der Mensch, S. 74 f. SCHMIDT-KEHL: Der Mensch, S. 74; REINHART: Die soziale Betreuung. Diese „soziale Betreuung" übernahm die NSG Kraft durch Freude im Rahmen der DAF. Ein weiteres Neuordnungsexperiment, nämlich die nach Auftrag Görings von der RfR vorbereitete und durchgeführte Kultivierung des Emslandes, erwähnt auch MEYER: Raumordnung, S. 104. Dieses Beispiel deutscher Neuordnungsstrategie, das möglicherweise mit der Einrichtung der Emslandlager zusammenhing und ein frühes Exempel für die Verbindung von Neuordnung und Zwangsarbeit wäre, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Das am 25.11.1933 verkündete Erbhofgesetz sollte vor allem der Verschuldung und der Aufteilung von Bauernhöfen unter eine gewisse Grenze vorbeugen. Vgl. MARCZEWSKI: Hitlerowska polityka, S. 432. In der Zweiten Republik hatte es Diskussionen gegeben, dieses Konzept auch für Polen zu übernehmen, vor allem im rechten politischen Lager. Die Debatten zogen sich allerdings so lange hin, daß es zu konkreten Schritten in dieser Richtung nicht mehr kam. MADAJBILSTEIN: Hellmuth-Plan; SCHMIDT-KEHL:

CZYK: Faszyzacja, S. 58 f. FRÖHLICH:

Sozialaufbau. 89

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wurden. Da diese Landarbeiter nun als billige Arbeitskräfte auf den großen Gütern des Ostens fehlten, wurden sie durch Saisonarbeiter aus den russisch besetzten Teilen des ehemaligen Polen ersetzt.26 Der Anstieg des polnischsprachigen Bevölkerungsanteils rief sofort Warner vor der Gefahr einer Überfremdung auf den Plan, zumal die Situation in der preußischen Provinz Posen noch prekärer wurde. Hier gingen klein- und mittelbäuerliche Höfe von Deutschen, die aufgrund der schwieriger werdenden Lage aufgaben, an polnische Bauern über. Dem Gespenst einer auf solider agrarökonomischer Grundlage wiedererstehenden polnischen Nationalbewegung versuchte man ab 1886 mit der preußischen Ansiedlungskommission gegenzusteuern, die mit Krediten, Beihilfen und flammenden Aufrufen („Deutsche, verkauft Euer Land nicht an Polen") eine Wiederansiedlung deutscher Bauern in diesen Gebieten betrieb. Nachdem diese Maßnahme nicht die gewünschten Ergebnisse gezeigt hatte, ging man preußischerseits dazu über, in einem Ausnahmegesetz von 1904 die Neugründung bäuerlicher Wirtschaften, die den Zielen der Ansiedlungskommission widersprechen könnten, zu verbieten; 1908 wurde die Kommission zur Enteignung polnischen Besitzes bevollmächtigt27 - mit fragwürdigem Erfolg, wie sich spätestens im Großpolnischen Aufstand ab dem 27. Dezember 1918 und dem folgenden Anschluß weiter Gebiete des ehemaligen preußischen Teilungsgebietes an die junge polnische Republik am 16. Februar 1919 zeigte. Diese Probleme blieben selbstverständlich auch 1933 noch aktuell, ja sie gewannen angesichts des nationalsozialistischen Drängens auf eine Ostexpansion noch an Schärfe. Was den Nationalsozialismus jedoch von den ihm vorangegangenen politischen Organisationsformen unterschied, waren Ausmaß und Perfektion der Kontrolle des Staates und damit der Einflußmöglichkeiten der Technokratie auf alle sozial und ökonomisch relevanten Vorgänge. Bereits 1933 wurde die 1926 eingeführte Osthilfe aufgestockt und neu organisiert, bis sie 1937 als uneffektiv aufgehoben wurde.28 Bedeutender wurde, unter dem Merkwort vom „Volk ohne Raum", eine Konzeption, die die Lösung beider Probleme - der Strukturschwäche des Ostens ebenso wie der relativen Überbevölkerung bestimmter Gebiete in anderen Reichsteilen - versprach: die Erschließung neuen Siedlungsraumes an der Ostgrenze. Daneben erwartete man sich von der Einverleibung neuer Territorien die Möglichkeit, im Rahmen der Zielvorgabe einer Identität von (ethnisch begriffenem) Volk und als territoriale Einheit begriffenenem Raum Deutsche außerhalb des deutschen Staatsgebietes „heim ins Reich" umsiedeln zu können und so das Tor zur Realisierung eines ethnisch homogenen Nationalstaates aufzustoßen. Nach dem Überfall auf Polen und der Eingliederung weiter polnischer Westgebiete schien die Stunde für eine Lösung des Problems der „überschüssigen", aber doch „rassisch

Geschichte der Ausländerbeschäftigung, S. 15-33. KIENIEWICZ: Historia Polski, S. 413 f. Vgl. auch BROSZAT: Zweihundert Jahre, S. 142-172. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 65-68; BAIER: Der deutsche Osten. HERBERT:

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einwandfreien" Bevölkerung im Reich gekommen - und implizit eine Aufhebung und Umkehrung der Ostflucht möglich. Die RAG stellte sich sofort auf die neuen Aufgaben ein: Im „Kriegsforschungsprogramm" finden sich unter verschiedenen Haushaltskürzeln Gutachten zu Aussiedlungspotentialen süd- und westdeutscher Gebiete sowie zu den Möglichkeiten von Industrie- und Handwerksverlagerungen in den Osten, wurden Studien zur Aufnahmefähigkeit und über vergangene Ansiedlungsverfahren (Metz, Ansiedlungen der Bamberger in Posen) finanziert. Weitere Arbeiten befaßten sich unter anderem mit Planungen zur Infrastruktur und Industrie, mit überregionaler Verkehrsplanung und dem Netz der „zentralen Orte". Schließlich wurde eine Arbeit über die Möglichkeiten einer „Wirtschaftsharmonie Mittel- und Osteuropas" in Auftrag gegeben.29 Das „Kriegsforschungsprogramm" behandelte damit wesentliche Fragen, die für die Besatzungs- und Kolonisierungspolitik der deutschen Verwaltung in den eingegliederten Ostgebieten wesentlich waren, und wies gleichzeitig darauf hin, daß die Zerschlagung des polnischen Staates nur ein Schritt auf dem Weg zu einer Neuordnung der ökonomischen Beziehungen zwischen Deutschland und allen osteuropäischen Gebieten darstellte. Das Grundparadigma, in dem sich nun deutlicher' als zuvor Imperialismus und Ordnungsinteresse verquickten, stellte der Agrarökonom Prof. Dr. Otto E. Heuser vor: Die Besiedlung der eingegliederten Ostgebiete, so schrieb er, könne „gleichzeitig zu einer wesentlichen Besserung der ungesunden landwirtschaftlichen Verhältnisse beitragen, die sich namentlich in den südwestlichen Teilen des Reichsgebietes herausgebildet haben."30 In einer Situation, in der die Kolonisierung des Ostens im Grundsatz bereits beschlossen war, geriet die Kolonie zur lange erwarteten Voraussetzung für eine grundlegende, dauerhafte Sanierung des Stammgebietes: „Bisher konnte die Umlegung ... keine große Wirkung ausüben, da weder Landbeschaffungsmöglichkeiten für die Vergrößerung zu kleiner Betriebe bestanden, noch Möglichkeiten vorhanden waren, etwa frei werdende biologisch wertvolle Kräfte an anderer Stelle wieder in das Landleben einzugliedern. Eine Aussiedlung größeren Umfanges nach dem Ostraum würde jedoch der Reichsumlegungsordnung einen wesentlich größeren Wirkungsgrad verleihen, indem zahlreiche gute Siedlerkräfte einer befriedigenden Aufgabe zugeführt werden."31 Entsprechend der Aufspürung der „Notstandsgebiete" konzentrierten sich die Arbeiten in der RAG in Bezug auf „Siedlungspotentiale" weitgehend auf den Süden und Südwesten.

Bewilligte Anträge aus dem Kriegsprogramm, s. Anm. 20. Professor Dr. Otto E. Heuser, Institut für die Wirtschaftslehre des Landbaues, lichkeiten in Bayern im Sinne einer Siedlerreserve für den Ostraum, o.D. BAK R 164/110. Die Arbeit Heusers ist für die RAG geschrieben worden, taucht aber im oben zitierten Kriegsforschungsprogramm nicht auf. Es ist also zu vermuten, daß sie schon vorher fertig war. Heuser, Aussiedlungsmöglichkeiten, S. 13 f. 91

Diese wurden vor allem in Baden, Württemberg und Franken, daneben noch in der Rheinprovinz und Süd-Hannover aufgespürt, wo ebenfalls Gebiete mit Kleinstbetrieben zu finden waren. In Heusers Untersuchung wird - was wenig verwunderlich ist - das Gebiet, das zuvor im „Hellmuth-Plan" hatte saniert werden sollen, als besonders ungünstig herausgestellt: Mainfranken wies den höchsten Anteil an Höfen von 2-5ha Größe auf.32 Diese Höfe seien gleichzeitig mit mehr Arbeitskräften ausgestattet, als zu ihrer Bewirtschaftung nötig seien. Genau hier fand Heuser jene „Überbevölkerung", die nichts anderes als Arbeitskräfte meinte, die aufgrund der sozioökonomischen Struktur nicht ihrem Potential entsprechend verwertet wurden und deshalb als „überschüssig" galten: „Andererseits würde wiederum die Umlegung Kräfte für die Ostbesiedlung frei machen, die jetzt in unzweckmäßiger Weise mit verhältnismäßig geringem Nutzeffekt gebunden sind."33 Die von einzelnen Fachleuten erarbeiteten Ergebnisse aus dem „Kriegsforschungsprogramm" wurden im Frühjahr 1940 auf Arbeitstagungen der RAG in unterschiedlichen „Arbeitskreisen" erörtert und vertieft. So trat am 12. April 1940 ein Arbeitskreis II Umsiedlung zusammen, an dem neben den beauftragten Forschern auch Landwirtschaftsrat Kann vom Reichsnährstand teilnahm. Kann brachte wiederum die Aufgabenstellung und die Funktionszuweisung für die eingegliederten Ostgebiete auf den Punkt und zeigte, daß auch Darre als Reichsbauernführer von den gleichen Prämissen ausging: „Einmalig ist uns jetzt die Gelegenheit gegeben, durch die Neu- und Rückgewinnung der Ostgebiete innerhalb des Großdeutschen Reichs, insbesondere des Altreichs den Agrarsektor so zu gesunden, wie dies der Reichsbauernführer in der nationalsozialistischen Agrargesetzgebung festgelegt hat."34 Kann hatte offensichtlich gewisse Vorstellungen darüber, unter welchen Umständen diese Sanierung würde stattfinden müssen: Bei der „Darstellung dieses Wunschbildes", also der idealtypischen Planung der Agrarstruktur, sollten „die augenblicklich bestehenden rechtlichen, finanziellen und technischen Hemmungen außer Acht" gelassen werden.35 Im gleichen Sinne referierte der württembergische Agrarwissenschaftler Hesse: Der „Gedanke der Gewinnung von Neusiedlern für den Osten in Verbindung mit der Gesundung der Freiteilungsgebiete" sei im südwestlichen Deutschland „warm aufgenommen worden".36 Ebenda, S. 5 f., 8. Ebenda, S. 12. Arbeitstagung der RAG am 12.4.1940. Sitzung des Arbeitskreises II Umsiedlung, S. 1 f. BAK R 113/91. Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 5. Interessanterweise galt nun gerade Württemberg, wie auch Hesse ausführte, als „Musterland..., dessen Verhältnisse nur nachgeahmt werden können." Tatsächlich seien aber die Höfe relativ klein; die niedrigen Verdienstmöglichkeiten in der Landwirtschaft führten dazu, daß viele in die Industriegebiete oder ins örtliche Gewerbe abwanderten und viele Ackerflächen nicht mehr bearbeitet würden. Stattdessen sei darauf hinzuwirken, den Lebensstandard und die 92

Am 26. Oktober 1940 folgte eine Sitzung des Arbeitskreises „Zentrale Orte" der RAG, an der alle diejenigen Fachleute teilnahmen, die mit „unmittelbar vor dem Abschluß stehenden Arbeiten" beschäftigt waren.37 Ein Teil dieser Arbeiten, jene nämlich, die sich unmittelbar mit Fragen der Siedlungs- und Raumordnung in den Ostprovinzen und den gliederten Ostgebieten befaßten, wurden 1941 in einer fünf Hefte umfassenden Reihe unter dem Titel Struktur und Gestaltung der zentralen Orte des deutschen Ostens „nur für den Dienstgebrauch" veröffentlicht.38 Der Raumordner Gerhard Isenberg faßte zusammen, was von ihrer Arbeit erwartet wurde: Es gebe bei der Beurteilung der Bevölkerungsverteilung in einem gegebenen Gebiet zwei wesentliche Zahlen zu berücksichtigen, die „Volksdichte" und die „Tragfähigkeit". Ersteres meinte die tatsächliche Bevölkerung bezogen auf die Fläche, die zweite Zahl bezeichnete die „mögliche Zahl der Menschen je Quadratkilometer".39 Sei die Dichte niedriger als die „Tragfähigkeit", berechne sich durch die Differenz die „Aufnahmefähigkeit"; im umgekehrten Falle sei von Überbevölkerung zu sprechen. „Die Frage der Tragfähigkeit wird praktisch akut, wenn infolge politischer Ereignisse, bei politisch bedingten Umsiedlungsaktionen eine große Zahl von Menschen in einem Raum neu aufzunehmen ist. Man denke an das Deutsche Reich nach dem Weltkrieg, an Griechenland bei der griechisch-türkischen Umsiedlungsaktion oder an das jetzige Deutsche Reich, das die neuen zum Deutschen Reich im engeren Sinne gehörenden Ostgebiete besiedeln will und die dort ansässigen Polen einstweilen [sie!] im Generalgouvernement unterzubringen sucht."40 Eine Steigerung der „Tragfähigkeit" sei auf verschiedenen Wegen möglich: Zum einen durch die Hebung des technischen Produktionsniveaus, zum anderen durch eine Optimierung der „Sozialverfassung im weitesten Sinn". Gemeint war eine „Moral in allgemeiner und wirtschaftlicher Hinsicht", die jeden zu höchstem Arbeitseifer anhalte, ohne daß ein Heer von „Kontrolleuren und Aufsehern" erforderlich sei. Dazu kam eine genaue Durchplanung der „partiellen Tragfähigkeit" für bestimmte Berufsgruppen, vor allem die „Intelligenzberufe". Gleichzeitig seien aber noch die unterschiedlichen hohen Bedürfnisse der ein-

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Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Landwirtschaft nachhaltig zu heben und so die Landflucht aufzuheben. Gleichzeitig dachte Hesse, wie seine Kollegen, an eine Umsiedlung eines gewissen Prozentsatzes der Bevölkerung nach dem Osten. Ebenda, S. 6-8. Im gleichen Sinne wie Kann und Hesse argumentierten der Agrarwissenschaftler Metz aus Freiburg über das Oberrheingebiet, Busch aus Bonn über das Rheinland, Klute aus Gießen über Hessen. Welche Struktur und welche Gestaltung sollen die zentralen Orte des Ostens und ihre Einzugsgebiete künftig erhalten? Sitzung des Arbeitskreises „Zentrale Orte" der Reichsarbeitsgemeinschaft ftlr Raumforschung am 26.10.1940, in: RuR 4 (1940), H. 11/12, S. 503 f. Das Ergebnisprotokoll findet sich in den Akten der Arbeitstagung der RAG vom 12.4.1940 unter Arbeitskreis V, o.D. BAK R 113/91. CHRISTALLER: Die zentralen Orte; GEISLER: Welche Struktur; REISER: Ostpreußische Untersuchungen; WOLF: Der Neuaufbau; ISENBERG: Tragfähigkeit. ISENBERG: Tragfähigkeit, S. 5. Hervorhebung im Original. Ebenda, S. 5. 93

zelnen „Rassen" zu berücksichtigen: Amerikaner beispielsweise benötigten mehr Raum zur Befriedigung ihrer Bedürfhisse als Asiaten, Deutsche mehr als Polen.41 Isenberg entdeckte anhand der Zählung von 1933 im Reich neben der Landwirtschaft noch weitere Gewerbebereiche, die als mit einem Übermaß an Menschen ausgestattet gelten sollten. Für den gesamten Bereich der kleineren, für den örtlichen Bedarf produzierenden und handelnden Gewerbe gelte: „Man konnte von einer Übersetzung in allen Zweigen sprechen."42 Dies darf nicht so verstanden werden, daß Isenberg davon ausging, daß alle in den „übersetzten" Bereichen Tätigen etwa hungerten. Das Maß der Dinge war, wie eingangs ausgeführt, die ideale Besetzung jedes Gewerbebereiches mit der genau nötigen Zahl von Arbeitskräften. Nur so sollte eine optimale Ausnutzung aller vorhandenen Arbeitskräfte vorstellbar sein - und wurde, so Isenberg, im Rahmen der Aufrüstung und „durch Maßnahmen des Arbeitseinsatzes" auch aktiv angestrebt, wenn auch noch lange nicht erreicht. Der Anteil der „Nahbedarfstätigen" und „ihre Bedeutung im Rahmen des Volks- und Wirtschaftslebens [ist] doch noch außerordentlich hoch".43 Auch in Isenbergs weiteren Ausführungen kommt dieser sozioökonomische Rationalisierungsanspruch - Optimierung der Betriebsstruktur und Kontrolle des Einsatzes der Arbeitskraft - deutlich zur Sprache. Seine Studie nämlich zielte darauf, zu berechnen, „wie viele Arbeitskräfte erspart werden könnten nach einer Bereinigung der Betriebsgrößen, d.h. nach einer Auflösung der lebensunfähigen Kümmerbetriebe und der Verlegung ihres Umsatzes zu leistungsfähigen Klein- und Mittelbetrieben."44 Und im gleichen Sinne etwas später: „Die Betriebe, die nach der Berechnung [...] zu unter dem Mindestumsatz liegenden Größenklassen gehören, werden als ' u n e r w ü n s c h t ' bezeichnet."45 Allein im Handwerk, so Isenberg, könnte „mehr als eine halbe Million handwerklich Beschäftigter... gegenüber dem Stand von 1933 erspart werden".46 Eine Planung in dieser Richtung entsprach einerseits dem Idealbild einer maximalen Ausnutzung aller verfügbaren Arbeitskräfte, andererseits stellte sie die im Osten benötigten Siedlerpotentiale fest. Im November 1940 wertete Konrad Meyer als Leiter der Planungsabteilung des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) diese und eigene Untersuchungen zu einem Gesamtüberblick für Himmler aus. Dieser legte in der Anordnung Nr. 41 42 43 44 45

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Ebenda, S. 7 f. Ebenda, S. 36. Ebenda, S. 36 f. Ebenda, S. 39 f. Ebenda, S. 43. Hervorhebung im Original. Interessant ist, daß sich Isenbergs Methode insofern von der Herangehensweise vieler seiner Kollegen unterscheidet, als er bei der Festlegung „unerwünschter" Betriebe von Umsatzzahlen ausgeht und nicht von theoretischen Idealwerten über Versorgungsbedürfhisse und Bevölkerungsdichte. Ebenda, S. 47.

7/II vom 26. November 1940 die Grundsätze für die Besiedlung der Ostgebiete fest. Im Sinne der „Schaffung einer gesunden Bodenordnung" waren je nach den örtlichen und Bodenverhältnissen variable Betriebsgrößen zwischen 25 und 40ha vorgesehen.47 Tatsächlich aber sah die vorhandene Betriebsgrößenverteilung in den betreffenden Gebieten ganz anders aus. In der Wojewodschaft Poznan waren 65,4% der Wirtschaften kleiner als 15ha, in der Wojewodschaft Lodz sogar 91,7%. Deutlich günstiger lag allein die Wojewodschaft Schlesien, in der „nur" 59,1% der Höfe unter dieser Größe arbeiteten48; hier fand, wie im vorigen Kapitel bemerkt wurde, eine Ansiedlung nur in sehr geringem Umfang statt.49 Die für deutsche Rentabilitätsansprüche als unbrauchbar erachtete Betriebsgrößenverteilung bedeutete, daß deutlich mehr polnische Bauern auszusiedeln waren, als deutsche Siedler angesetzt werden sollten. Die ersten Richtlinien für die Umsiedlungen im Rahmen des ersten „Nahplans" sprachen dementsprechend davon, daß Polen und deutsche Ansiedler im Verhältnis zwei zu eins auszutauschen seien.50 Auch Meyer verknüpfte das Siedlungsinteresse mit der Struktursanierung der „Notstandsgebiete", wobei sich das ursprüngliche Paradigma umkehrte. Für die in den Planungsgrundlagen festgelegte „Siedlungszone 1. Ordnung" reiche das „Siedlerreservoir" des „Altreichs" vermutlich aus, sofern „der Aufbau im Osten zugleich eine endgültige „Bereinigung der Realteilungsgebiete im Altreich ermöglicht."51 Die so verfolgte Politik der imperialistischen Ausdehnung durch Ansiedlung bei gleichzeitiger Sanierung hin zu einer mittel- und großbäuerlichen Agrarstruktur führte nun aber dazu, daß der neue Siedlungsraum gar nicht mehr ausreichte. Bei Zugrundelegung der von Himmler vorgesehenen Betriebsgrößenverteilung, so Meyer, stünden „insgesamt rund 115.000 Stellen [...] in den eingegliederten Ostgebieten für eine Besiedlung mit Reichsdeutschen zur Verfügung."52 Diesem Angebot stehe aber „ein bedeutend höherer Landbedarf im Altreich gegenüber; dort seien zur „Schaffung einer gesunden Besitz- und Boden-

RKF, Allgemeine Anordnung Nr. 7/II vom 26. November 1940, Betr.: Grundsätze und nien für den ländlichen Aufbau in den neuen Ostgebieten. BAK R 49/158, Bl. 23-31. Siehe hierzu Kap. II.3.a. Mary Rocznik Statystyczny 1939, S. 68. Siehe Kapitel II.2.b. Fernschreiben Heydrichs vom 28.9.1939, wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnosci, S. 41 f-44 f. Vgl. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 96, 163. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 149, 203 über entsprechendes Vorgehen im Distrikt Lublin 1942/43. RKF Planungshauptabteilung, Planungsgrundlagen für den Aufbau der Ostgebiete, o.D., nur für den Dienstgebrauch, S. 1. BAK R 49/157, Bl. 1-21. Wiedergegeben in: Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik. Mitteilungen, 1 (1985), H. 4, unpag. hinter S. 52, hier S. 18. Hervorhebung im Original. HA. Planung und Boden. Vermerk. Vorgang: Landbedarf für die notwendige Aussiedlung aus dem „Altreich", Berlin-Dahlem, 3.12.1940, gez. Meyer. Wiedergegeben in: Bevölkerungsstruktur und Massenmord, S. 29-32. 95

struktur" etwa 650.000 Bauernstellen aufzulösen. Wenn auch ein Teil der so ausgemusterten Bauern für eine Neuansiedlung nicht in Frage komme, seien doch außerdem die „bauernfähigen" Söhne zu berücksichtigen. Insgesamt ergebe sich ein Bedarf von 480.000 Stellen. Meyer kam zu dem Schluß, „daß, selbst wenn in den neuen Westgebieten [gemeint sind die eingegliederten biete] 60.000km2 landwirtschaftlicher Nutzfläche nur für die Besiedlung mit Altreichsdeutschen zur Verfügung stehen würde (diese Zahl wird hier sicher nicht erreicht werden können), noch das gesamte Generalgouvernement mit seinen rund 60.000 km2 landwirtschaftlicher Nutzfläche benötigt werden würde, um eine gesunde Agrarstruktur im Altreich zu ermöglichen."53 Ein wesentlicher Faktor, der dafür sorgte, daß sich die Siedlungsfläche für die Aussiedlung der „überschüssigen" Reichsdeutschen verkleinerte, war die deutsche Wehrmacht. Bereits kurz nach dem Überfall nämlich machte diese Ansprüche geltend. Ein gehöriger Teil des nun zur Verfügung stehenden Siedlungslandes sei für die Veteranensiedlung zu reservieren.54 Es lag daher aus mehreren Gründen nahe, den verfügbaren Raum zu vergrößern; das Generalgouvernement war ja schon in dieser Notiz als Siedlungsgebiet vorgesehen. Dabei waren aber die hier angesprochenen Probleme, vor allem das der Überbevölkerung, aufgrund der oben erwähnten Struktur der ehemals russischen und österreichischen Teilgebiete, aber auch durch die Aussiedlungen der „Nicht'arbeitsfahigen", im Generalgouvernement noch größer als in den eingegliederten Ostgebieten. Die Erweiterung des „deutschen Siedlungsraumes" auf die Westgebiete der Sowjetunion, wie sie ab Sommer 1941 in den verschiedenen Fassungen des „Generalplans Ost" vollzogen wurde, war da nur noch die logische Konsequenz.55 Zu einem Zeitpunkt, als das Generalgouvernement noch in erster Linie als Abschiebeterritorium und Arbeitskräftereservoir genutzt wurde, mußte die dortige Überbevölkerung nicht berücksichtigt werden. In den Richtlinien Görings und Franks klang das so: „Im Hinblick auf die derzeitigen wehrwirtschaftlichen Bedürfnisse des Reichs kann vorerst im Generalgouvernement grundsätzlich keine Wirtschaftspolitik auf lange Sicht getrieben werden. Es ist vielmehr erforderlich, die Wirtschaft im Generalgouvernement so zu lenken, daß sie binnen kürzester Frist Leistungen vollbringt, die das Höchstmaß

Ebenda, S. 3 f. (S. 31 des Faksimile). So meldete das OKW am 16.1.1940 einen Anspruch über 45.000 ha Siedlungsland für den eigenen Bedarf an. Zur Diskussion um die Veteranensiedlung siehe grundlegend MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 25-32 und passim. Siehe hierzu ROTH: Generalplan Ost. 96

dessen darstellen, was zur sofortigen Verstärkung der Wehrkraft aus der kraft des Generalgouvernements herausgeholt werden kann."56 Das bedeutete Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, Kahlschlag in den Wäldern, Steigerung der Rohstoffgewinnung und „Ausschlachtung und Verschrottung der Betriebsstätten, die weder zu Rüstungsbetrieben gemacht, noch zu Ausweichbetrieben erklärt werden."57 Die wirtschaftsstrukturellen Probleme des Generalgouvernements deckten sich in der Sichtweise der deutschen Neuordner mit den Analysen Oberländers, der RfR und den Vorgaben der Umsiedlungsplaner im Warthegau. Rückblickend schrieb der Leiter des Hauptamtes für Raumordnung im Generalgouvernement Hans Julius Schepers, daß 89% der Betriebe unter 10 ha Land besaßen und „personell diese 'Höfe' derart übersetzt [waren], daß sie so gut wie nichts auf den Markt lieferten."58 Bereits eine Bestandsaufnahme der Abteilung Ernährung und Landwirtschaft im Amt des Generalgouverneurs vom 1. Dezember 1939 hatte festgestellt, daß die Bevölkerungsdichte im Generalgouvernement fast überall höher liege als in den eingegliederten bieten. Zusätzlich erwartete man durch die „geplante Umsiedlung von Polen und Juden aus den zum Reich gekommenen Gebieten" eine Erhöhung der Bevölkerungszahl von 12-13 auf 16 Millionen Menschen auf einer Fläche von knapp 100.000 qkm.59 Zusätzlich entdeckten, und dies nun vor allem im Generalgouvernement, deutsche Wissenschaftler eine der agrarischen mindestens vergleichbare Überbevölkerung der polnischen Städte: die „Übersetzung" des Handwerks, des Handels und weiterer Wirtschaftszweige, in ähnlicher Form, wie sie schon 1938 in Verbindung mit der Aussonderung der Juden aus der städtischen Wirtschaft in Wien behoben werden sollte.60 Die „Nationalökonomie des Generalgouvernements", wie sie in verschiedenen Aufsätzen von Hanns-Kraft Nonnenmacher und Erika Löptien, vor allem aber von Helmut Meinhold aus dem Krakauer Institut für deutsche Ostarbeit (IDO) veröffentlicht wurde,61 bot daher wenig Neues. Sie war eine Fortführung bereits bekannter, nicht zuletzt auch polnischer Ansätze. Die zuvor publizierten Arbeiten hatten sich aber auf das Gebiet des polnischen Staates bis 1939 bezogen und waren von daher nur eingeschränkt verwendbar. Zudem hatte die deutsche Vertreibungspolitik in den eingegliederten Ostgebieten an den Verhältnissen einiges geändert. Aus den Richtlinien von Hermann Göring und Hans Frank vom 25. Januar 1940 zur kriegswirtschaftlichen Ausnutzung des Generalgouvernements. Zit. n.: Die faschistische Okkupationspolitik, S. 153. Hervorhebungen im Original. Richtlinien vom 25. Januar 1940, S. 154. SCHEPERS: Raumordnung im GG, S. 209. Amt des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete, Abteilung Ernährung und Landwirtschaft, o.T., 1.12.1939, S. 2 f. AGK NTN 269. ALY/HEIM: Ökonomie der Endlösung, S. 20-30. MEINHOLD: Statistik; DERS.: Generalgouvernement; DERS.: Überbevölkerung; DERS.: Arbeiterreserven. Weitere Titel in HEIM/ALY: Berater der Macht, S. 69 f. 97

Die „Überbevölkerung" in den Städten und auf dem Land tauchte bei Meinhold zunächst einmal unter dem Begriff der „verdeckten Arbeitslosigkeit" auf. Die „Unterbeschäftigung" sollte sich in einer für Polen typischen Arbeitsorganisation verbergen, die in dem außerordentlich hohen Anteil an Kleinstbetrieben in Landwirtschaft, Handel und Handwerk äußerte. Gemessen an „den Bedingungen der internationalen Konkurrenz, heute im Hinblick auf die größtmögliche Arbeitsproduktivität im Großraum" schien ihm dies höchst unrationell.62 In der „Berechnung der überschüssigen landwirtschaftlichen Bevölkerung" stützte er sich weitgehend auf die Untersuchung Oberländers.63 Jeder zweite Mensch in der Landwirtschaft, so Meinhold, sei nichts als „toter Ballast". Gleiches galt für verschiedene städtische Gewerbebereiche.64 Den Zusammenhang zwischen agrarischer und städtischer „Überbevölkerung" definierte Meinhold so: Zum einen sei die Arbeitsproduktivität in Polen, vor allem wegen des Systems der geschlossenen Hauswirtschaften, außerordentlich niedrig. Es werde hauptsächlich arbeitsintensiv produziert, während in Mitteleuropa längst kapitalintensive Produktionsmethoden üblich seien. Darüber hinaus seien die Polen zwar arbeitsam, aber unfähig, ihre Arbeit zu organisieren, weshalb „die entsprechende Stellung des Arbeitsrahmens" am besten von deutscher Seite erfolge.65 Auf dem Lande fehle es an agrarischer Überschußproduktion, dies wiederum verursache, daß bei den Bauern keine Kapitalbildung erfolgen könne. Die daraus folgende Schwäche des inneren Marktes bedeutete niedriges Steueraufkommen, was eine staatlich gestützte Industrialisierung blockierte. Nur diese aber hätte die „Unterbeschäftigten" auffangen und der Volkswirtschaft nutzbar machen können.66 Dieses Dilemma wurde noch dadurch verstärkt, daß auch die meisten städtischen Gewerbe als „übersetzt" galten. Der Anteil des Handwerks an der Neuproduktion, bemerkte Meinholds Kollege Nonnenmacher, sei unnatürlich hoch. „In den Industriestaaten" erfülle das Handwerk in erster Linie Reparaturaufgaben; handwerkliche Neuproduktion sei nicht die Norm, sondern den kaufkräftigen Schichten vorbehalten.67

Helmut Meinhold, Die Industrialisierung des Generalgouvernements, Krakau Dezember 1941, Nur für den Dienstgebrauch (Manuskriptreihe des IDO), S. 42. BAK R 52 IV/144d. Helmut Meinhold, Die Erweiterung des Generalgouvernements nach Osten. A. Allgemeines (Manuskriptreihe des IDO, nur für den Dienstgebrauch), BAK R 52 IV/144a. Die Bedeutung der Arbeit Oberländers betont auch BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 160. Helmut Meinhold, Die Aufgaben der Sektion Wirtschaft im IDO, Januar 1941. BAK R 52 IV/144, Bl. 41. DERS.: Die nichtlandwirtschaftliche Überbevölkerung; Hans Kraft Nonnenmacher: Das Handwerk und sein Einsatz im Generalgouvernement, Krakau November 1943 (mit Zusätzen vom März 1944), Manuskript, S. 2-5. Das von mir benutzte Exemplar befindet sich in der Biblioteka Jagiellonska, Kraków. MEINHOLD: Arbeiterreserven, S. 273; 275. Meinhold, Industrialisierung, S. 41, 55, 61 und passim. Nonnenmacher, Das Handwerk und sein Einsatz im Generalgouvernement, S. 2-4 und passim. 98

Noch vor den Ausführungen Meinholds zeigte man in der Industrie- und Handelskammer Krakau, daß man auch dort bei der „Einbeziehung des Generalgouvernements in den Großraum" in entsprechender Weise zu verfahren dachte. „Übersetzungen" im Handel seien zu vermeiden, stattdessen sei „mit einem Minimum an Betrieben ein Maximum an Versorgung zu erreichen."68 Da ein sehr großer Teil der städtischen kleinen Gewerbe, und vor allem des Handels, von Juden betrieben wurde, ließ sich die Neuordnung der Wirtschaft mit der „Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben" perfekt verbinden. So schrieb der Spezialist für die Sozioökonomie des osteuropäischen Judentums Peter-Heinz Seraphim: „Diese Mengen von Juden, die heute zum großen Teil ohne produktive Beschäftigung und ohne eigene Subsistenzmittel die Städte blockieren und damit nicht nur ihre Entwicklung hemmen, sondern auch die Lösung oder Auflockerung des agrarischen Überbevölkerungsproblems hindern, ist eine schwere, die Entwicklung hemmende Belastung des Generalgouvernements. Daraus ergibt sich ein Fernziel der bevölkerungsmäßigen Bereinigung dieses Raumes, das hier nur angedeutet zu werden braucht."69 Eine Sanierung der sozioökonomischen Struktur des Generalgouvernements, wie sie der Einordnung des Gebietes in die deutsche Großraumwirtschaft vorausgehen mußte, hatte mit einigen Hindernissen zu rechnen, die man sich großenteils selbst in den Weg gelegt hatte. Zum einen war, wie erwähnt, die sowieso schon konstatierte Überbevölkerung Zentralpolens noch künstlich erhöht worden. Der Anteil „unproduktiver" Bevölkerung wurde außerdem durch die Ghettoisierung der Juden vergrößert.70 Zum anderen aber waren die Grenzen des Generalgouvernements nicht unter Berücksichtigung der nun immmer wichtiger werdenden wirtschaftlichen Gesichtspunkte festgelegt worden. Vor allem seien die Großstädte Warschau und Krakau von ihren Versorgungsgebieten abgeschnitten.71 Tatsächlich handelte es sich ja um ein „Restgebiet", das bei der Festlegung des Umfanges der eingegliederten Ostgebiete und der Demarkationslinie zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion sozusagen übriggeblieben war. Mehr noch war es den Deutschen, wie eine Exilpublikation völlig zutreffend feststellte, bei der Abgrenzung darum gegangen, „to incorporate with the Reich the richer districts of the greatest economic va-

Schreiben der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel an Unterabteilungen, 31.7.1940, S. 2. WAP Krakow IPH Kr 11/117. SERAPHIM: Judenfrage, S. 63. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Seraphim in DERS.: Wirtschaftsstruktur. Seraphim war bereits vorher als Verfasser des Standardwerkes über die osteuropäischen Juden hervorgetreten: DERS.: Judentum. Zu Biographie und Bedeutung Seraphims vgl. ALY/HEIM: Vordenker, S. 95-101 sowie BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, passim. Zur Ghettoisierung vgl. Kapitel IV.2.a., S. 335-354. Amt des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete, Abt. Ernährung und Landwirtschaft, 1.12.1939, S. 4. AGK NTN 269. 99

lue".72 Der weniger interessante und ergiebige Rest wurde zum Generalgouvernement. Die Auswahl der „besten Stücke" für die eingegliederten Ostgebiete bezog sich, wie noch genauer zu zeigen sein wird, auch auf das „Menschenmaterial". Ins Generalgouvernement sollten neben allen Juden nur solche Polen umgesiedelt werden, die als nicht verwertbar im Rahmen der „Aufbautätigkeit" galten. Der Chef der Kanzlei des Generalgouverneurs Josef Bühler drückte diesen Umstand während der Nürnberger Prozesse so aus: „Das Generalgouvernement [...] wurde von den Polizei- und Parteiorganen als Territorium behandelt, das der Unterbringung unerwünschter und lästiger Bevölkerungsteile diente, wodurch es als Müllplatz des Deutschen Reiches [...] gegolten hat. Auf dieses Territorium wurden bei der Ausmistung anderer Gebiete, insbesondere des Warthegaus, des Regierungsbezirkes Danzig-Westpreußen und auch des Regierungsbezirkes Ostpreußen Juden, Geisteskranke, Zigeuner und arbeitsunfähige Bewohner abgeschoben."73 Arbeitsfähige wurden zur Zwangsarbeit im Reich oder in den eingegliederten Ostgebieten herangezogen. Daneben sorgte zusätzlich zur Abschiebung von Juden und Zigeunern die „Aussonderung der Juden aus dem Wirtschaftsleben" im Generalgouvernement selbst für ein zusätzliches Problem. Aus einem «„Lagebericht" des Kreishauptmanns in Tarnöw für den Mai 1940 geht hervor: „Der Kreishauptmann weist auch daraufhin, daß die Lösung des Judenproblems immer dringender wird, da im Zuge der Neuordnung der Wirtschafts- und Ernährungsorganisation die Juden immer mehr aus einer Verdienstmöglichkeit ausgeschaltet werden."74 Dem Funktionswechsel des Generalgouvernements nach dem Sieg im Westen entsprachen Ansätze zu einer umfassenden Sanierung der Agrar- und Wirtschaftsstruktur auch in diesem Gebiet. Der Leiter der Abteilung Bodenordnung und Landarbeit in der Hauptabteilung Ernährung und Landwirtschaft Dr. Karl Kuchenbäcker - gleichzeitig Leiter des damtes — war der Autor einer umfänglichen „Bodenordnung" für das Generalgouvernement im Ganzen, die Anfang Mai 1941 an den Generalgouverneur Frank übergeben wurde.75 In German New Order. In der weiteren Analyse waren die Autoren jedoch von der Entwicklung überholt worden: hier wird das Generalgouvernement noch als reines Arbeitskräftereservoir und Rohstoffquelle angesehen. Wie oben gezeigt, war die Entwicklung aber inzwischen weitergegangen. Zur Diskussion um die Grenzziehung der eingegliederten Ostgebiete vgl. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 36-40; BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 159 f., 166. Niederschrift Josef Bühlers zur Ergänzung seines Verhörs durch Staatsanwalt Jerzy Sawicki am 19.2.1946 in Nürnberg betr. seine Erinnerungen an die Besprechung-bei Heydrich (Konferenz Heydrichs mit Frank, Forster, Bracht, Koch, Greiser &c. am 21.9.1939). Zit. n. PÄTZOLD/ SCHWARZ: Tagesordnung: Judenmord, S. 130. Lageberichte der Kreis- und Stadthauptleute für Mai 1940, 17.6.1940. AGK NTN 269, Bl. 150v/151r. MADAJCZYK: „Bodenordnung im Generalgouvernement", S. 109. Er weist völlig zu Recht darauf hin, daß die „Bodenordnung" ein Beweis dafür sei, daß sich nicht nur Himmler, die RKF100

dieser Schrift verband sich die wissenschaftliche Analyse der polnischen Agrar- und Wirtschaftsstruktur mit rassistischem Vorurteil. So stellte sich für Kuchenbäcker der Grund für das Ausbleiben einer Abwanderung landarmer Bauern in die städtischen Gewerbe so dar: „Im Handwerk und im Handel hatte sich der Jude breitgemacht. So gab es für die wachsende polnische Landbevölkerung nur eine Existenzmöglichkeit. Auf wenigen Fetzen Land, und seien sie auch noch so klein, ein kümmerliches Dasein aufzubauen. Damit führte die Zunahme der Landbevölkerung zu einer immer weiter fortschreitenden Bodenzersplitterung durch Erbteilung, Kleinpacht und Grundstücksverkauf."76 Betriebe unter 10 ha verfügten, stellte Kuchenbäcker fest, über mehr als 60% des Bodens. Zudem seien diese Flächen „in tausende Fetzen zerrissen".77 Auch dieser Umstand störte die deutschen Planer in erster Linie, weil er dem Grundsatz maximaler Arbeitskraftverwertung widersprach: „Der größte Teil der Arbeitskraft wird durch nutzloses Herumlaufen der Menschen 'zwischen den Feldern' verschwendet, ohne eine wirkliche Leistung zu zeitigen."78 Insgesamt sei bei gleicher Bevölkerungsdichte die landwirtschaftliche Dichte „doppelt so groß als im Reich".79 Die Aufgabe der Verwaltung sei nun, eine Sanierung dieser Verhältnisse durchzuführen und gleichzeitig „die Durchführung des Befehls des Führers an das Generalgouvernement, in großem Umfange Arbeitskräfte bereitzustellen", zu gewährleisten. Kuchenbäcker meinte darüber hinaus, daß auf diesem Wege „eine auf eigenen Strebepfeilern" - gemeint war der „Reichtum in seinem Boden und in der Arbeitskraft seiner Menschen" - basierende gewerbliche und industrielle Wirtschaft aufgebaut werden könne. 80 Einen Aufbau in gewissem Ausmaß auch im Generalgouvernement hielt Kuchenbäkker für um so nötiger, als er feststellte, daß eine einfache „Herausnahme" überschüssiger Landbevölkerung, die „monatelang im Jahr zum Faulenzen und Hungern verurteilt" sei, ohne gleichzeitige Struktursanierung dazu führen müsse, daß die Erzeugung noch weiter absinke. Ihre Arbeitskraft sei bei Aussaat und Ernte unentbehrlich.81 Die „Neuordnung"

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Planungsabteilung und Globocnik mit Plänen für eine Germanisierung des Generalgouvernementes befaßten, sondern ebenso die entsprechenden Stellen innerhalb der Regierung des Generalgouvernements. Ebenda, S. 111. Madajczyk publiziert hier das gesamte Dokument, das sich in den Akten der Regierung des GG im AGK befunden hat. Das von mir benutzte Exemplar befand sich allerdings in den Akten der Fostu in Zamosc und stammt aus dem Zentralarchiv des Innenministeriums, die Anfang der 90er Jahre an das AGK übergeben wurden. Dr. Karl Kuchenbäcker, Bodenordnung im Generalgouvernement, Geheim, S. 1. AGK SSPF Lublin 891/6. Ebenda, S. 2. Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 7. Kuchenbäcker errechnete, daß „im Laufe von 20 Jahren 1,2 Mill. vollwertige Arbeitskräfte verfügbar sein" würden. S. 19. Ebenda, S. 8. 101

bedeutete die Auflösung „aller nicht existenzfähigen schlecht bewirtschafteten landwirt schaftlichen Kleinbetriebe" und ihre Enteignung „zu Gunsten des Generalgouvernements". Die beschlagnahmten Flächen seien „zunächst an die verbleibenden polnischen bäuerlichen Betriebe zu verpachten".82 Die so sich ergebenden „Überschüsse an Menschen und an Ar beitskraft" sollten in „Wanderarbeiterkolonien" untergebracht werden, „am Rand der rein landwirtschaftlichen Wohngebiete".83

82 83

102

Ebenda, S. 14 f. Ebenda, S. 10.

b. Delegatura und Volksrepublik Polen: Beseitigung der „Überbevölkerung" durch territoriale Erweiterung Die bevölkerungspolitische Diskussion der Zweiten Republik brach in der Zeit der Besatzung nicht ab, und sie setzte sich nach der Befreiung Polens bruchlos fort. Auch im Exil machte man sich Gedanken über eine grundlegende Sanierung der sozioökonomischen Verhältnisse in Polen, und auch hier verband sich das Sanierungsinteresse mit territorialer Erweiterung. Den Zusammenhang zwischen Gebietsgewinn und Strukturreform stellte der der Exilregierung angehörende ehemalige Leiter des Hauptamtes für Statistik (Gùówny Urząd Statystyczny) Edward Szturm de Sztrem in einer Denkschrift her: „1. Die polnische Agrarwirtschaft ist belastet durch einen ungeheuren Anteil winziger Zwergwirtschaften, die überhaupt nicht autark sind, und kleiner, die teilweise nicht autark sind. 2. Der öffentliche und private Großbesitz in Polen wurde im Laufe von 20 Jahren verkleinert und kann besonders jetzt weder als großes ökonomisches Potential noch als ausreichender Landvorrat für eine radikale Verbesserung der kleinen polnischen Landwirtschaft behandelt werden.f...] 4. Die kleinen Agrarwirtschaften besitzen eine große Anzahl von Männern im arbeitsfähigen Alter, die auf diesen Wirtschaften 'überflüssig' sind. 5. Neben den Überflüssigen existiert die große Masse landwirtschaftlichen Proletariats, von dem ein Teil ebenfalls landwirtschaftliche Stellen erhalten sollte. 6. Polen besitzt nicht genügend Boden zur Befriedigung aller Bedürfnisse der Kleinbauern und Landlosen. 7. Gleichgewichtig mit der Parzellierung des Bodens muß eine Aktion zur Hebung des Austauschniveaus der kleinen Wirtschaften durchgeführt werden. 8. Der Anschluß Ostpreußens an Polen würde die Durchführung der Landreform wesentlich erleichtern."1 Die Ähnlichkeit dieser Analyse und der Lösungsvorschläge mit der Politik Greisers im Warthegau und entsprechenden Arbeiten aus der RAG bzw. dem Institut für deutsche Ostarbeit für das Generalgouvernement ist augenfällig: auch hier zielte man auf eine Vergrößerung kleiner, „nicht lebensfähiger", vom Markt ausgeschlossener Subsistenzwirtschaften und die Freisetzung „überschüssiger" Arbeitskräfte. Eine solche Agrarreform konnte, wenn entweder die Betriebszersplitterung schon zu weit gediehen war oder eine Parzellierung des Edward Szturm de Sztrem, Uwagi w sprawie struktury agrarnej w Polsce und Streszczenie uwag..., o.D. (verm. 2. Hälfte 1941), Archiwum prof. Stanislawa Kota 432, Bl. 28-44, hier Bl. 28. Ein Teil des Archivs Kots, der zunächst Minister ohne Geschäftsbereich und Mitglied des Ministerrates, später Innenminister in der Londoner Exilregierung war und der PSL angehörte, wurde unter dem Titel: W kraju i na emigracj, veröffentlicht. Das Archiv befindet sich seit 1969 in der Parteizentrale der PSL. 103

Großgrundbesitzes nicht ausreichen würde bzw. wie schon einmal 1928 aus politischen Erwägungen ausgeschlossen war2, nur auf der Grundlage zusätzlicher Territorien gedacht werden. Genau in diesem Sinne argumentierte die Delegatura. In einem voluminösen Referat, das vom Departement für die Beseitigung der Kriegsfolgen (Departament Likwidacji Skut3 ków Wojny) vermutlich im November 1942 fertiggestellt wurde , finden sich unter dem Titel Überschüsse an landwirtschaftlicher Bevölkerung in Polen ausführliche Berechnungen der landwirtschaftlichen Überbevölkerung in den einzelnen Kreisen des polnischen Staatsgebietes bis September 1939. Gleichzeitig wurde noch getrennt ausgewiesen, wie viele dieser „Überschüssigen" ethnisch als Polen zu bezeichnen seien.4 Eine auszugsweise Wiedergabe des Inhaltsverzeichnisses mag zeigen, wie ähnlich die Vorgehensweise der Delegatura derjenigen der RAG, der RKF-Planungsabteilung und vergleichbarer Stellen war: „Einleitung: Ziel. Methode, Material, allgemeiner Charakter der Arbeit und ihre regionale Begrenzung. Teil I. Landwirtschaftlicher Charakter und Agrarstruktur der östlichen Reichsgebiete. [...] Teil II. Siedlungsaufnahmefähigkeit und das Projekt der Kolonisierung des Dorfes 1. Ansiedlung ohne Veränderung der Agrarstruktur 2. Großer und kleinerer Besitz in der Kolonisierungspolitik 3. Projektierung von Wirtschaften unter 100 ha 4.Anzahl der benötigten Landbevölkerung 5. Kolonisierungspotential, landwirtschaftliche Bevölkerungsdichte in Polen und Überschuß der ländlichen Bevölkerung, ethnische Belastungen f...]" 5 Vgl. YAKOWICZ: Poland's Postwar Recovery, S. 33. Die Autorenschaft dieses Departements geht aus dem Vorwort des zwei Bände umfassenden Referates hervor. AAN ALP 202/1-46, t.l, Bl. 1 f. Nach eingelegten Anmerkungen zu dieser Arbeit stammt sie vom November 1942. Uwagi do referatu o zyciu gospodarczym wschodnich terenów Rzeszy Niemieckiej - o strukturze rolnej w swietle naszych mozliwosci i potrzeb osadniczych, 3.1.43, gez. „Kanec". AAN ALP 202/1-46, t. 2, Bl. 381-383. (Im Folgenden: Uwagi do referatu o zyciu gospodarczym). Die gleiche Datierung ergibt sich aus einem Begleitschreiben des Departament Likwidacji zu „3 weiteren Referaten des von uns /Brief I.K./4 vom November 1942/ aus dem Zyklus Obraz demograficzny i gospodarczy wschodnich terenöw Rzeszy Niemieckiej i WM. Gdanska. AAN ALP 202/1-48, Bl. 1. Das Departament Likwidacji Skutköw Wojny bereitete in erster Linie Studien vor, die der Untermauerung polnischer Ansprüche auf der erwarteten Friedenskonferenz dienen sollten. Sein Leiter war zunächst der ehemalige Minister für Industrie und Handel Antoni Olszewski, später Bronislaw Domoslawski. Siehe Korbonski, Polskie Panstwo Podziemne, S. 59. //. Zycie gospodarcze wschodnich terenów Rzeszy niemieckiej. CzęscII. Pojemnosc osadnicza i projekt kolonizacji wsi. 5. Potencjal kolonizacyjny, S. 29-34. AAN ALP 202/1-46 t. 2. (im folgenden: Pojemnosc osadnicza). Ebenda. 104

Die Arbeit kommt zum Ergebnis, daß in Polen in den Grenzen von 1939 etwa 7,5 Millionen „Überschuß" an Menschen zu zählen seien6, wovon 4 Millionen ethnisch als Polen 7 gelten sollten. Da, wie im vorigen Kapitel angedeutet wurde, die Bedenken der Exilregierung sich vor allem darum drehten, ob Polen überhaupt über ein genügend großes Reservoir an Menschen zur Besiedlung der geforderten Gebiete würde verfügen können, argumentierten die Fachleute der Delegatura mit Hilfe eines Abgleichs der Tragfähigkeit mit der berechneten „Überbevölkerung." Man ging von zwei Varianten aus: Die zuerst definierte und wünschenswertere Variante „B" umfaßte die Eingliederung Ostpreußens (ohne Klajpeda/Memel) und der Gebiete östlich der Oder und Neiße sowie das Sudetenland; Variante „A" beschränkte sich auf Ostpreußen, das Danziger Gebiet, den Regierungsbezirk Oppeln sowie Teile der Regierungsbezirke Köslin, Frankfurt/O. und Breslau.8 Zur Besiedlung dieser Gebiete seien etwa 3 bzw. 2 Millionen Menschen erforderlich, was angesichts der ethnisch polnischen Bevölkerung in den geforderten Gebieten und der ethnisch polnischen „Überschußbevölkerung" von knapp 4 Millionen „für uns keine Schwierigkeiten vom Gesichtspunkt der dazu benötigten Landbevölkerung darstellen würde." 9 Eher stelle sich das umgekehrte Problem: Die Zahl der „verfügbaren Bevölkerung [...] überschreitet sehr ernstlich die Zahl der benötigten Bevölkerung".10 Die „Aufnahmefähigkeit" der neuen Gebiete, so die Bilanz der Delegatura, lag also, was die landwirtschaftliche Bevölkerung anging, immer noch unter dem Bedarf. Wer nun noch „überschüssig" war, sollte als nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung bzw. als Stadtbevölkerung angesetzt werden. Das Programm, das hier entfaltet wurde, war gewaltig. Die Beseitigung der Überbevölkerung, die sich in der Zahl der 7,5 Millionen „Überschüssiger" ausdrückte, sollte durch die planvolle Umsiedlung von mehr als 3 Millionen Menschen von den südlichen und östlichen Teilen in den noch zu erobernden Westen, eine gesteuerte Industrialisierung und die grundlegende Sanierung der Agrarstruktur und Umerziehung und Weiterbildung der bäuerlichen Bevölkerung bewerkstelligt werden. In einem weiteren Referat unter dem Titel Materialien betreffend die Struktur und Bedeutung der Industrie und des Handwerks in den östlichen Gebieten des Reichs und auf dem Gebiet der Freien Stadt Danzig befaßte man sich mit der städtisch-industriellen Struktur der angestrebten Gebiete. 11 Eine Studie zu den sich hier ergebenden Siedlungsmöglichkeiten folgte erst später; leider sind sämtliche Seiten des Abschnitts Das Problem der Kolonisierung der Städte in den östlichen Gebieten des Reiches durch die polnische Bevölke6

Ebenda, S. 28.

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Ebenda, S. 34.

8

Ebenda, S. 3.

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Ebenda, S. 34.

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Ebenda.

1

Zycie gospodarcze... 2. Materiaùy dotyczqce struktury i znaczenia przemysùu i rzemiosla na wschodnich terenów Rzeszy i na obszarze W.M. Gdanska. AAN ALP 202/1-46, t. 2, Bl. 136172.

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?

rung stark beschädigt; nur jeweils zwei Drittel des Textes sind erhalten, eine Auswertung ist daher einigermaßen erschwert.12 Dies ist um so bedauerlicher, als sich die Arbeit entschieden gegen eine vorher erschienene abgrenzt, in der eine „lebende Grenze" im Westen gefordert worden war, die eine ständige Option auf weitere Expansion darstellen sollte. 13 Die Arbeiten des Departements zur Siedlungskapazität der alten polnischen Gebiete blieben nicht ohne Widerspruch. Unter dem Pseudonym „Kanec" wurden verschiedene methodische und rechnerische Ungenauigkeiten angemerkt; vor allem sei die Gleichsetzung der ohnehin nur geschätzten 1,4 Millionen Polen in den deutschen Ostgebieten mit der Landbevölkerung anzuzweifeln. 860.000 Polen nämlich lebten im Oppelner Schlesien, und dort betrage die Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Bevölkerung nur 380.000. Stattdessen ging „Kanec" davon aus, daß insgesamt 700.000 der in dem gesamten Gebiet lebenden Polen in nichtlandwirtschaftlichen Berufen tätig seien. 14 Damit war selbstverständlich die Zahl der anzusiedelnden landwirtschaftlichen Bevölkerung aus den restlichen polnischen Gebieten deutlich höher anzusetzen. Vor allem aber wies „Kanec" auf den gewaltigen Unterschied im Niveau der landwirtschaftlichen Anbaumethoden hin. Gerade der Industrialisierungsprozeß in Deutschland habe die Erhöhung der Produktivität der Arbeitskraft in der Landwirtschaft erfordert und bewirkt. In Polen dagegen habe die Industrialisierung unter ganz anderen Bedingungen stattgefunden und geradezu den gegenteiligen Effekt erzeugt. Die „berüchtigte Arbeitslosigkeit im Dorf habe zwar in einem Überschuß an Arbeitskraft bestanden, der aber nicht „in jedem Augenblick bereit zur Entnahme" gewesen wäre. Eine Aufhebung der Überbevölkerung sei daher nur auf „evolutionärem Wege" möglich, durch Modernisierung der Produktionsmethoden auf dem Lande in dem Maße, wie dem Land Arbeitskräfte „zu produktiverer Beschäftigung" entzogen würden, und durch die „Anpassung der in der Landwirtschaft verbleibenden Kräfte an die Erfordernisse ergiebigerer Anstrengungen". Schließlich sei ein einfacher Austausch der deutschen gegen polnische Bauern und Landarbeiter unrealistisch. Die deutschen Bauern seien in Generationen an moderne, maschinelle Arbeitsmethoden gewöhnt worden, die den Polen noch völlig fremd seien. 15 In der dargebotenen Form jedenfalls überschätze die Studie die Abgabefähigkeit der polnischen Landwirtschaft an Siedlern gewaltig und unterschätze die Schwierigkeiten, denen man gegenüberstehen werde. Ähnliche Forderungen stellte ein Memorandum auf, das 12

[II. Zycjie gospodarcze wschodnich terenöw Rzeszy [5. Zagadjnienie skolonizowania przez ludfnosc polskq] miast na wschodnich terenöw Rzeszy, AAN ALP 202/1-48, Bl. 2-55 (im folgenden: [Zagadjnienie skolonizowania).

13

[Zagadjnienie skolonizowania, S. 1. Es handelt sich vermutlich um die mit Zarno gezeichnete Studie W sprawie rozwoju zywioiu polskiego na zachodzie. Przesunięcie granicy. AAN ALP 202/III-168, Bl. 8-48. Siehe Kap. III.l.b.

14

Uwagi do referatu o zyciu gospodarczym, S. 1. Eine Aulklärung des Pseudonyms konnte mit den zugänglichen einschlägigen Hilfsmitteln nicht bewerkstelligt werden. Auch die neuere Arbeit von GRABOWSKI: Delegatura, die erstmals eine systematische Übersicht aller Einrichtungen und Gliederungen der Delegatura liefert, erwähnt „Kanec" nicht.

15

Ebenda, S. 2.

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möglicherweise 1943 im „Ostbüro"

16

der Delegatura entstanden ist und sich mit der Um-

strukturierung des „östlichen Kleinpolen" befaßte, einem Gebiet, das mehrheitlich nicht polnisch besiedelt war. Die Bevölkerungsmehrheit stellten in diesem Gebiet Ukrainer und Juden.

17

Auch hier wurde eine ethnische Bereinigung mit sozioökonomischen Strukturplanungen und dauerhafter Eingliederung verbunden. Die Aufgabe bestehe darin, hieß es dort, das Gebiet „untrennbar mit dem polnischen Staat zu verbinden." Die Mittel, die hier anzuwenden seien, klingen zum Teil nicht unbekannt: 1. Stärkung der polnischen Bevölkerung, da diese als sicher und loyal gelten müsse; 2. die Bindung der Minderheiten an die polnische Staatlichkeit und Kultur. Auch die Mittel, die man einzusetzen gedachte, sind im wesentlichen bereits erwähnt worden. Genannt wurden unter anderem die „Translokation (przemieszczenie) des Übermaßes an Bevölkerung in andere Landesteile - in die Industrie, die Städte und Landwirtschaft im Sinne eines allgemeinstaatlichen Planes der Wirtschaft und der Bevölkerungsverteilung"; die „Entfernung des illoyalen Elements", wenn auch auf der Grundlage gerichtlicher Urteile; die „Rewindikation gestohlener Seelen" 1 8 ; die Ansiedlung von Polen aus dem Westen. 1 9 Auch Zwangsumsiedlungen waren vorgesehen: den „unverzichtbaren Bevölkerungsverschiebungen" sei aber der Charakter einer „allgemeinen, gesamtstaatlichen Aktion" zu geben, die sich nicht gegen eine bestimmte Ethnie richte. Die Vernichtung der polnischen Juden, die in vielen ostpolnischen Städtchen die Bevölkerungsmehrheit gestellt hatten, durch die Deutschen wurde in diesem Rahmen sowohl zum Problem als auch zur Chance. Zur Besiedlung der ostpolnischen Städte nämlich hieß es im Telegrammstil: „Rationeller Aufbau der Städte des Östlichen] Kleinpfplen] - Lenkung des polnischen Elements dorthin - aktuelle und wichtige Sache wegen der Auslöschung des jüdischen Elements." 2 0

Über das Ostbüro (Biuro Wschodnie) ist praktisch nichts bekannt; in den einschlägigen Monografien von KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne, und TURLEJ: Koncepcje ustrojowe, wird es nicht erwähnt. Lediglich GRABOWSKI: Delegatura, S. 61 ff. widmet dem Ostbüro zwei Seiten. Grabowskis Feststellung, daß das Büro von der SN dominiert wurde, verwundert aufgrund der im folgenden wiedergegebenen Argumentationsweisen seiner Denkschriften nicht. Lt. Maùy Rocznik Statystyczny 1939, S. 23, 25 gaben 1931 46,9% der Einwohner der Wojewodschaft Stanislawöw Ukrainisch als ihre Muttersprache an, in der Wojewodschaft Woùyn sogar 68%. Einwohner jüdischen Glaubens stellten 9,5 bzw. 10% der Gesamtbevölkerung, sie stellten aber etwa in den Wojewodschaften Woùyn und Polesie 49,1 bzw. 49,2% der städtischen Bevölkerung. Gemeint waren Polen bzw. Katholiken, die im 19. Jahrhundert im russischen Teilungsgebiet zwangsweise zur Orthodoxie konvertierten. Zur Diskussion um die „Rewindikation gestohlener Seelen", die in der Zweiten Republik vor allem, aber nicht nur, von der katholischen Kirche getragen wurde, siehe CAUMANNS: Die polnischen Jesuiten, S. 268-288. Ogólny zarys projektu odbudowy Ziemi Czerwienskiej, S. 6. AAN ALP 202/III-202. Ogólny zarys projektu odbudowy, S. 4. 107

Im Hinblick auf die auch in diesem Papier konstatierte agrarische Überbevölkerung forderte man von der Exilregierung die „Reservierung [...] der für den Bedarf des Czerwenischen Landes21 unentbehrlichen Parzellierungsgebiete im Lande oder in den angeschlossenen westlichen Gebieten." Auch im Ostbüro verknüpfte man also die „Entladung" der Überbevölkerung im Osten mit der Gewinnung zusätzlicher Gebiete im Westen.22 Wie in den deutschen Analysen erschien die sozioökonomische Struktur der jüdischen Bevölkerung als Problem. In einer zusammenfassenden Übersetzung einer deutschen Arbeit aus dem Jahre 1939, die sich mit der Bevölkerungsstruktur in den östlichen Städten befaßte, hieß es: „Wenn alle in den polnischen Städten wohnenden Juden durch Landbevölkerung ersetzt würden, d.h. eine der jüdischen an Zahl gleiche Gruppe Bevölkerung vom Land in die Städte ginge, dann würde der Prozentsatz der städtischen Bevölkerung Polens auf 30% (von derzeitigen 22) angehoben werden, und wäre damit fast auf dem Niveau unserer westlichen Wojewodschaften und der landwirtschaftlichen Gegenden Ostdeutschlands. Aber eine solche Ersetzung ist unmöglich, weil die Struktur der jüdischen Bevölkerung ungesund war, es gab von dieser Bevölkerung zuviel in Bezug auf ihre Einkünfte, woraus die große Pauperisierung des Judentums folgte."23 Noch deutlicher näherte sich das Expose für einen statistisch-geographischen Atlas, das vermutlich von Ende 1943/Anfang 1944 datiert, der deutschen Analyse der Rolle der Juden in der polnischen Volkswirtschaft. Sie seien das größte Hemmnis für die Beseitigung der landwirtschaftlichen Überbevölkerung. Außerdem seien sie, wie die Deutschen, Zugezogene. 24 Es zeigt sich, daß es im Rahmen der Delegatura von unterschiedlichen Stellen Planungen und Konzeptionen gab, die sich mit Themen wie der Nationalitätenpolitik, der Inbesitznahme der Westgebiete, der Sanierung der Agrarstruktur und ähnlichem befaßten. In allen diesen unterschiedlichen Ansätzen, behandelten sie nun die Agrar- oder die Nationalitätenstruktur, spielte die agrarische „Überbevölkerung" des Ostens und Südens eine zentrale Rolle. In allen Fällen wurde eine geregelte Umsiedlung, bei deren Durchführung die Anwendung von Zwang in aller Regel zumindest nicht ausgeschlossen wurde, ein wesentlicher Bestandteil des Lösungsansatzes, sei es, daß wie am Beispiel des Ostbüros der Delegatura gezeigt, eine wenigstens teilweise Umsiedlung ethnischer Minderheiten in die neuen Westgebiete angeregt wurde, um eine Polonisierung dieser Menschen zu erleichtern,

Gemeint ist das Gebiet der Cervenischen Burgen. Ogölny zarys projektu odbudowy, S. 8. Zusammenfassung und Analyse von Friedrich Ross, Stadtbevölkerung in Ostdeutschland und Polen. Stuttgart und Berlin 1939 (Schriften des Instituts für Osteuropäische Wirtschaft am Staatswissenschaftlichen Institut der Universität Königsberg) Paraphe J.M., S. 19. AAN ALP 202-III/166, Bl. 26-92. Spis tablic Atlasu statystyczno-geograficznego. AAN ALP 202-III/115, t. 2, Bl. 361-366. 108

sei es, daß, wie im Falle der Studien des Departements für die Beseitigung der Kriegsfolgen, gerade die Umsiedlung der ethnisch polnischen „Überschüssigen" zur Kolonisierung der Westgebiete herangezogen werden sollte. Es wird im Folgenden interessieren, daß in der polnischen Nachkriegspolitik beide Konzeptionen wieder aufgegriffen wurden. In der Delegatura funktionierte die Identifizierung der analysierten demographischen und soziostrukturellen Probleme mit bestimmten Minderheiten fast ebenso gut wie bei den deutschen Kollegen.25 Dabei ist darauf hinzuweisen, daß etwa die Feststellung gewisser Kreise der Delegatura, gerade die jüdische Bevölkerung stelle ein Hindernis auf dem Weg zu einer Sanierung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse dar, nicht dazu führte, daß ähnliche Verfahrensweisen wie die der deutschen Besatzungsmacht vorgeschlagen oder auch nur gutgeheißen worden wären. Wenn auch einige faschistische, entschieden antisemitische Gruppierungen wie etwa die NSZ den deutschen Massenmord an den Juden begrüßten und auf ihre Art zu seinem Gelingen beitrugen, ist doch zu erwähnen, daß die allgemeine Haltung der Delegatura zum Leiden der Juden unter der deutschen Besatzung sich in dem Versuch ausdrückte, so weit als möglich zu helfen: Zu diesem Zweck wurde Ende 1942 der Hilfsrat für die Juden (Rada Pomocy Zydom) gegründet, der meist unter dem Kryptonym Zegota bekannt ist. Die Tätigkeit dieser Organisation ist in einer Reihe von Publikationen gewürdigt worden. 26 Die oben angeführten Zitate weisen aber darauf hin, daß viele Aspekte des polnisch-jüdischen Verhältnisses unter deutscher Besatzung nach wie vor ungeklärt sind. Eine der ersten Arbeiten aus Nachkriegspolen, die sich mit der deutschen Wirtschaftspolitik in Polen befaßte, und die noch unter den Bedingungen der Konspiration entstanden war, schloß ebenfalls direkt an die eingangs erwähnten Thesen Józef Poniatowskis von 1935 an. Laut Wacùaw Jastrzebowski war die Grundlage der polnischen Wirtschaftsprobleme der Mangel an Arbeitsstätten im Verhältnis zur verfügbaren Arbeitskraft in der Land27 wirtschaft gewesen. Poniatowski hatte das Ausmaß der „Überbevölkerung" auf dem Lan-

GUTMAN/KRAKOWSKI: Unequal Victims, S. 58 f. haben darauf hingewiesen, daß die Exilregierung von Anfang an eine wesentlichfreundlichereHaltung gegenüber der jüdischen Minderheit angenommen habe. Beeinflußt von der Atmosphäre in den westlichen Demokratien habe man sofort begriffen, daß eine Repräsentanz der polnischen Juden im Nationalrat unverzichtbar sei. Die jüdischen Mitglieder des Nationalrates waren Dr. Ignacy Schwarzbart und Shmuel Zygielbojm. Schwarzbart habe seine Aufgabe vor allem darin gesehen, das von den meisten Parteien vertretene Programm einer Auswanderung der Juden nach dem Kriege und die Folgen der antijüdischen Gesetzgebung der Vorkriegsregierungen zu Fall zu bringen und eine Garantieerklärung über gleiche Rechte zu erreichen. Die in erster Linie auf Materialien des Yad VashemArchives gestützte Darstellung enthält leider kaum Bemerkungen zu Konzeptionen der Delegatura. Vgl. etwa BARTOSZEWSKI: Uns eint vergossenes Blut, S. 100-131; IRANEK-OSMECKI: Kto ratuje, bes. S. 137-146 und vor allem PREKEROWA: Konspiracyjna Rada. Zu Kurzbiographien einzelner Mitglieder der Zegota vgl. auch GRYNBERG: Księga sprawiedliwych. JASTRZEBOWSKI: Gospodarka niemiecka, S. 388 f. 109

de mit 8,8 Millionen angegeben; diese Zahl tauchte in Jastrzębowskis Analyse der deutschen Wirtschaftspolitik wieder auf. Ähnlich hätten die Verhältnisse in Handel, Handwerk und kleiner Industrie gelegen. Gleichzeitig sei eine tiefwirkende Rationalisierung der Arbeitsmethoden nötig. Produktionsmittel und -methoden seien hoffnungslos überaltert gewe28 sen. Die Folgen des Krieges und der Besatzung analysierte Jastrzebowski so: „Die durch den Krieg und die Besatzung verursachten Veränderungen in der Anzahl dieser Menschenmassen von vielen Millionen, die vollständigere Einfügung in den Produktions- und Konsumptionsprozess verlangen, werden die Folge von zwei Faktoren sein: Ein ihre Anzahl reduzierender Faktor sind die Bevölkerungsverluste des Landes; als ein ihre Anzahl wenigstens deutlich steigernder Faktor erweist sich die durch die Besatzungsmacht durchgeführte Liquidation und Reorganisation von Unternehmen, die die Entlassung der entsprechenden Anzahl an Arbeitern nach sich gezogen hat." 2 9 Genaue Zahlen seien nicht verfügbar - Jastrzebowski mußte seine Darstellung auf Materialien stützen, die die Zeit bis Mitte 1943 betrafen -, aber soviel lasse sich sagen: Es habe vor dem Krieg Millionen dieser Menschen gegeben, und nach dem Krieg sei das nicht anders, da die Besatzungspolitik in beiden Richtungen gewirkt habe. 3 0 Verluste habe es vor allem in den Bevölkerungsgruppen gegeben, die sich mit kleinem Handel und Handwerk befaßt hätten - hierzu gehörten vor allem die ermordeten Juden -, sowie in den Führungsschichten. Die Verluste in der ersten Gruppe seien relativ leicht zu kompensieren, da sich der „sogenannte Primitivismus" des jüdischen Handels und Handwerks nun durch modernere Formen der Arbeitsorganisation ersetzen lasse. Die Umschulung von Leuten, die vom Land in die kleineren Städte umzögen, erfordere weder viel Aufwand noch Zeit. Schwieriger sei die Ausbildung neuer wirtschaftlicher Führungskräfte sowie die Unterbringung der Millionen Zwangsarbeiter im Deutschen Reich, deren alte Arbeitsstellen in der Regel längst liquidiert worden waren.31 Diese schaffe, in Analogie zu den Verhältnissen in der Zweiten Republik, eine offene Arbeitslosigkeit im Gegensatz zur „verdeckten" aus der Überbevölkerung. Die Situation nach dem Kriege stelle sich, so Jastrzębowski, daher eben nicht als vorteilhafter dar, im Gegenteil: Das Problem sei gerade schärfer geworden, da es nun „in kondensierter Form" auftauche. Optimismus sei nur unter der Bedingung angebracht, „daß eine ausreichend große Zahl polnischer Bauern seine zersplitterten und überbevölkerten Höfe verlassen kann, um sich in den neuen westlichen Bezirken der Republik 32 anzusiedeln."

28 29 30 31 32

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Ebenda, S. 388 f. Ebenda, S. 389. Ebenda. Ebenda, S. 390 f. Ebenda, S. 406.

Jastrzębowskis Angaben blieben nicht ohne Widerspruch. In einer Rezension aus dem gleichen Jahr kritisierte Witold Kula gerade den Teil der Ausführungen Jastrzębowskis, der sich mit der Situation nach dem Kriege befaßte. Zum einen bezweifelte Kula, daß die Veröffentlichung von Einschätzungen, die im Jahre 1943 getroffen worden seien, 1946 noch sinnvoll sei. Zum anderen seien die Thesen Poniatowskis, auf die sich Jastrzębowski stützte, zwar nach wie vor populär; so habe sich etwa kurz zuvor der Präses des Zentralen Planungsamtes Bobrowski auf Poniatowski berufen. Sie seien jedoch trotzdem falsch.33 Bereits 1936 habe Rajmund Bulawski nachgewiesen, daß die Angaben Poniatowskis auf Mißverständnissen und schlichten Fehlern beruhten.34 Bulawski sei aufgrund korrigierter Schätzungen auf etwas über 4 Millionen gekommen, eine weitere Studie aus dem Institut für soziale Wirtschaft (Instytut Gospodarstwa Spolecznego) habe noch niedrigere Zahlen genannt 35 - was natürlich auch ein grundsätzliches Einvernehmen über die Existenz der Überbevölkerung bedeutete. Völlig unklar aber sei, und hier gebe es nicht einmal ansatzweise statistisches Material, auf das sich Schätzungen stützen könnten, wie es denn nach dem Krieg mit der Überbevölkerung bestellt sei, ob die Zerstörungen der Besatzungsmacht die Anzahl der Arbeitsstätten oder der Arbeitskräfte in stärkerem Maße verringert hätten oder, wie Jastrzębowski annahm, in gleichem Maße. Hier seien weitere Forschungen erforderlich. Gleichzeitig sei die Frage der Aufnahmefähigkeit der Wiedergewonnenen Gebiete im Verhältnis zur verbliebenen „Überbevölkerung" zu beantworten. Die amtliche Schätzung, die von Minister Hilary Minc verbreitet worden sei, laute, daß „wir noch eine Million Hände aus der Landwirtschaft in die Industrie übertragen müssen." 36 Selbst in die Kriegsverbrecherprozesse wirkten Überlegungen zur aktuellen Situation Polens nach dem Kriege hinein: Die Analyse der deutschen Besatzungspolitik im Bereich der Wirtschaft schloß in aller Regel mit einer Beschreibung der desolaten Situation, wie sie nun vorlag, und mit einem Vergleich der strukturellen Veränderungen, die die Deutschen im Vergleich zur Vorkriegssituation willentlich oder unwillentlich verursacht hatten. Ein Beispiel ist das Gutachten Tadeusz Klosinskis im Prozeß gegen Bühler. Kùosinki war der 37 Autor einer Arbeit zur Industriepolitik der Besatzungsbehörden. Es war dies eine der ersten Arbeiten zur deutschen Wirtschaftspolitik im besetzten Polen, die tatsächlich nach dem Krieg entstanden waren und nicht schon während des Krieges. Im Rahmen des Bühler-Prozesses kam Klosinski auch auf das Problem der „Überbevölkerung" Polens zu sprechen, und in welcher Weise dieses durch die Besatzungspolitik der Deutschen beeinflußt worden sei. Auch er ging, wie Kula und Buùawski, von einem „ZuKULA: Zycie gospodareze, S. 159 f. BULAWSKI: W sprawie. LANDAU/STRZELECKI/PANSKI: Bezrobocie.

KULA: Zycie gospodareze, S. 160. KLOSINSKI: Polityka przemyslowa. Klosinski war zum Zeitpunkt des Prozesses 28 Jahre alt, Assistent an der Jagiellonischen Universität in Krakau und Berater der Warschauer Industrie- und Handelskammer. 111

viel" von 4-5 Millionen Menschen vor 1939 aus. 38 Seine Analyse des Problems unterschied sich nicht wesentlich von der seiner deutschen Kollegen: „Der Kampf mit der landwirtschaftlichen Überbevölkerung, dem größten Mangel unserer Wirtschaftsstruktur Polens [sie!] von vor 1939, einem Erbe der Wirtschaftspolitik der Teilungsmächte, konnte auf zwei sich gegenseitig ergänzenden Wegen durchgeführt werden. Der erste, das ist die Industrialisierung des Landes, und dadurch die Schaffung neuer Beschäftigungsquellen, der zweite - das ist die Parzellierung des größeren Besitzes, was weniger neue Beschäftigungsquellen gründen würde, als den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit in der Verteilung des gesellschaftlichen Einkommens verwirklichen würde, und zwar vor allem durch die Mündigerklärung39 zersplitterter Wirtschaften, die ihren Besitzern ein selbständiges Dasein auf einem gewissen zivilisatorischen Niveau ermöglichen würde."40 Die deutschen Besatzungsbehörden, so Klosinski, hätten weder das eine noch das andere im Generalgouvernement vorgesehen. Statt einer neuen Parzellierung seien alte, in der Zeit der Zweiten Republik aufgeteilte Betriebe wieder hergestellt worden; Rationalisierungsmaßnahmen im Jahre 1943 hätten eine große Zahl kleiner Betriebe geschlossen, ohne aber neue Arbeitsstellen zu schaffen. Dies seien Beispiele, daß die Politik der Deutschen nicht, wie es eigentlich hätte sein müssen, dem Wohle der betroffenen Bevölkerung diente. Stattdessen habe der Wirtschaftspublizist Herbert Kraft vorgeschlagen, arbeitsintensive Produktionsabschnitte aus dem Reich ins Generalgouvernement zu verlegen, falls" es möglich sei, Preis- und Lohnniveau deutlich unter dem des Reiches zu halten.41 Tatsächlich berührte Klosinski einen wichtigen Punkt, der manche Unterschiede zwischen der deutschen und der polnischen Planung, wie sie im folgenden Abschnitt behandelt werden, trotz identischer analytischer Paradigmen erklärt. Konstitutives Element der Überbevölkerung waren, in der deutschen wie der polnischen Analyse, in erster Linie Polen und Juden. Da das Ziel der deutschen Politik die Kolonisierung der Gebiete vor allem mit bäuerlichen Siedlern war, konnte eine gesteuerte Industrialisierung nur Funktion dieser Siedlungspolitik sowie der Funktionsverteilung im „Großdeutschen Wirtschaftsraum" sein, soweit sie nicht der Expansion deutscher Firmen diente.42 Von daher verbot sich die Entwicklung von Industrie 38 39

40 41

42

112

Abschrift des Prozeßprotokolles, AGK NTN 354, S. 187-204. In der Abschrift ist der etwas deplaziert wirkende Begriff „Mündigerklärung" (upelnoletnienie) mit einem von Hand beigefügten Fragezeichen versehen; gemeint ist sicherlich die Vergrößerung der Kleinbetriebe auf wirtschaftliche Größe (upelnorolnienie). Abschrift des Prozeßprotokolles, S. 192. Ebenda, S. 194. Herbert Kraft war nicht der einzige, der zu solchen Ideen fand; vgl. Meinhold, Industrialisierung. Vgl. Fernschreiben Georg v. Schnitzlers, Leiter des Kaufmännischen Ausschusses der IG Farbenindustrie AG an den Direktor Kurt Krüger, 7. September 1939, über Ansprüche des Konzerns auf polnische Farbstoftabriken. Wiedergegeben in: Die faschistische Okkupationspolitik, S. 112 f. Dieser Vorstoß wurde zunächst abgewiesen, ab Ende November stimmte die zuständige HTO der Übernahme der größten polnischen Chemiewerke zu. OMGUS: Ermittlungen gegen

über ein bestimmtes Maß hinaus. Die polnische und jüdische Bevölkerung, die als Trägerin des Phänomens „Überbevölkerung" ausgemacht war, stellte in diesem Konzept einen zweifachen Störfaktor dar. Sie fortzuschaffen, und zwar möglichst in ihrer Gesamtheit, war die Voraussetzung für die Realisierung des deutschen „Aufbaus". Dagegen stellte sich das Problem für die polnischen Planer umgekehrt. Ihnen ging es gerade um den Verbleib der Polen und, wie später noch besprochen wird, der überlebenden polnischen Juden und um die Errichtung einer leistungsfähigen Volkswirtschaft mit diesen Menschen. Störfaktor, aber nicht konstituierender Bestandteil der „Überbevölkerung", waren nun die deutschen Bewohner der Gebiete, die für eine Bereinigung der demographischen Verhältnisse benötigt wurden. In der Planungspraxis bedeutete dies, daß in der deutschen Planung die „überschüssige" polnische Bevölkerung zum Deportationsproblem wurde, während sie in den Entwürfen der polnischen Kollegen das Siedlerpotential für den Westen darstellte. Die von Kula geforderten Forschungen, ohne die eine „Schlußbilanz" der Besatzung und eine „Eröffnungsbilanz des Wiedergeborenen Polen" nicht möglich sei, wurden in der Folgezeit vor allem in zwei Institutionen in Angriff genommen: Im Hauptamt für Raumplanung (GUPP) und im Büro für Siedlungs- und Umsiedlungsstudien (BSOP) bzw. dem Wissenschaftlichen Rat für Probleme der Wiedergewonnenen Gebiete unter dem bereits erwähnten Rajmund Buùawski. Bereits in der Eröffnungsansprache der ersten Sitzung des Wissenschaftlichen Rates am 30. Juli 1945 wies Minister Wladysùaw Kiernik auf die Bedeutung dieses Problems für die künftige Politik hin. Zu den wichtigsten Aufgaben der Regierung gehöre „die gebührende Durchführung der Umsiedlungsaktion, die Aussiedlung des Bevölkerungsüberschusses aus den überbevölkerten Gebieten des Staates, besonders der land43 wirtschaftlichen Bevölkerung." Eine erste Einschätzung des Ausmaßes der agrarischen Überbevölkerung und einen Versuch ihrer Lokalisierung unternahmen zuerst mit Stanislaw Pietkiewicz und Michaù Orlicz zwei Mitarbeiter des BSOP. Die beiden Agrarwissenschaftler stellten, auf Empfehlung Buùawskis und unter Ausnutzung des von ihm erarbeiteten Materials, genaue Tabellen über die quantitative Bevölkerungsstruktur der „kolonisierten" und „kolonisierenden", d.h. der Bevölkerung abgebenden Kreise auf. Sie teilten die einzelnen Gebiete einander bereits nach einem regionalen Schlüssel zu, mit dem jedem „überbevölkerten" Gebiet ein be-

die LG. Farben, S. 219-227. Zur Expansion Hamburger und Bremer Unternehmen im Zusammenhang mit der kombinierten Arisierung und Zusammenlegung kleiner Betriebe vgl. HEM/ALY: Ökonomie der „Endlösung", S. 32 f. Das Prinzip der Ostexpansion reichsdeutscher Unternehmen wurde auch im Kleinen verfolgt: Laut den Grundsätzen für die Raumordnung und Planung im Generalgouvernement. Hrsg. von der Regierung des GGs, Staatssekretariat, Amt für Raumordnung, Krakau, 11. März 1942, S. 10. AAN RzadGG 1/402 war für den Ausbau der Gasund Zementindustrie die Heranziehung deutscher Zweigniederlassungen vorgesehen. Przemówienie Ministra Administracji Publicznej Dra Wladyslawa Kiernika, in: I Sesja RNZZO, z. 1, S. 12-15, hier S. 13. 113

stimmter Teil der Wiedergewonnenen Gebiete zugewiesen wurde, und unterschieden zwischen der allgemeinen landwirtschaftlichen und der innerhalb dieser „entbehrlichen" (zbędna) Bevölkerung.44 Tatsächlich war ja zu berücksichtigen, daß der Anteil an landwirtschaftlicher Bevölkerung in den einzelnen Wojewodschaften und damit auch der Grad der Überbevölkerung sehr stark differenziert war. Pietkiewicz und Orlicz versuchten erstmals, in einem Gesamtplan diese empfindliche Lücke aufzufüllen, die in der „Überbevölkerung" konstituierten Siedlerpotentiale kreisweise zu berechnen und ihnen gleichzeitig die Regionen zuzuweisen, in die die Umsiedlung erfolgen sollte. Das Ausmaß der agrarischen Überbevölkerung errechneten die Autoren nach der Betriebsgrößenverteilung: „Weil Wirtschaften, die im Hauptberuf betrieben werden, aber weniger als 5 ha umfassen, vergrößert werden sollten, wurde als entbehrlich diejenige Anzahl von Familien angenommen, die nach der Gründung vollwertiger Wirtschaften aus den zersplitterten und Kleinbetrieben ohne Land bleiben würden." 45 Insgesamt fanden sie 491.400 „überflüssige" Familien in den „alten Ländern", zu denen noch 210.000 Familien kamen, die aus dem Osten repatriiert wurden. 46 Abgezogen wurden hingegen weißrussische und ukrainische Familien, die „zur Repatriierung in die UdSSR bestimmt" waren. Für 103.500 dieser Familien sei kein Platz in den Wiedergewonnenen Gebieten vorhanden, was aber keinen Grund zur Beunruhigung darstelle. Ausgenommen von der Zuweisung des „Menschenmaterials"47 aus dem Osten waren Stettin und Usedom-Wollin „im Zusammenhang mit einem Projekt militärischer Siedlung".48 Ähnlich analysierte Henryk Kopec die demographische Situation Polens nach dem Krieg. Nachdem der Verlust der Ostgebiete „durch die Wiedergewinnung Schlesiens, der Lausitz, Pommerellens und Ostpreußens gerächt [sie!]" worden sei, verblieben gerade die am dichtesten besiedelten Gebiete des ehemaligen Staatsgebietes bei Polen, die am dünnsten besiedelten gingen an die Sowjetunion. Damit habe Polen das Gebiet verloren, das „schon vor dem letzten bewaffneten Konflikt sein natürliches Terrain für eine demographische Expansion aus den zentralen und westlichen Wojewodschaften war". 4 9 Gleichzeitig sei damit ein Gebiet verlorengegangen, dessen niedrige ökonomische Entwicklungsstufe auch eine wirtschaftliche Expansion ermöglicht hätte. Nun besäßen die Wiedergewonnenen Gebiete als neues Kolonisationsgebiet einen deutlichen Entwicklungsvorsprung gegenüber den restlichen Landesteilen. Selbst ohne den „Abfluß" von zwei Dritteln der Bevölkerung wären sie das wichtigste Ziel innerer Migrationen geworden, so

PIETKIEWICZ/ORLICZ: Plan regionalny, hier: Tabellen S. 34-50. Ebenda, S. 20. 46 Ebenda, Tabelle 2, S. 49. 47 Ebenda, S. 13. 48 Ebenda, S. 17. 44

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KOPEC: Zjawiska demograficzne, S. 52 f. Bei der Jahreszahl auf dem Deckblatt (1946) handelt es sich um einen Druckfehler: die Konferenz fand 1945 statt.

aber stelle sich die Frage, wer die dort entstandenen Bevölkerungslücken ausfüllen solle. Wie seine Kollegen fand auch Kopec diese Siedler im „Überschuß der bei Polen verbliebenen Gebiete", den Repatrianten aus dem Osten50, weiter im jährlichen natürlichen Bevölkerungszuwachs und der Rückwanderung der Wirtschaftsemigranten aus der Zwischenkriegszeit.51 Koped folgte in seiner Berechnung Poniatowski und gab, abzüglich geschätzter Verluste während der Okkupation, knapp 4 Millionen als Maß der landwirtschaftlichen Überbevölkerung - also die Hälfte des Betrages, den Poniatowski für ein wesentlich größeres polnisches Staatsgebiet angegeben hatte.52 Insgesamt aber kam er zu dem Ergebnis, daß die Bevölkerungsdichte Polens bei Zugrundelegung des aktuellen Territoriums eher zu gering sei. Die Kollegen Stys und Olszewicz bezweifelten in der folgenden Diskussion, daß Kopec's Berechnungen auf ausreichend soliden Grundlagen fußten. Besonders, was die bei ihm als „demographischer Druck" bezeichnete Überbevölkerung angehe, seien Zweifel angebracht.53 Darüber hinaus spielte die Analyse der landwirtschaftlichen oder städtischen Überbevölkerung in den Referaten und Diskussionen des Wissenschaftlichen Rates eine eher untergeordnete Rolle, zumal sich die Sichtweise mit der territorialen Erweiterung quasi umkehrte und nun die Frage zu klären war, ob denn überhaupt genügend Siedler zur Bewirtschaftung der Wiedergewonnenen Gebiete zur Verfügung stehen würden.54 Hier spielte zum einen eine Rolle, innerhalb welcher Zeiträume die grundsätzlich vorhandenen „Siedlerpotentiale" überhaupt mobilisiert werden könnten, ohne die landwirtschaftliche Produktion in den alten Landesteilen nachhaltig zu schädigen, zum anderen, daß neben dem platten Land auch die Städte zu besiedeln waren. Das Problem der Bevölkerungsstruktur in den östlichen und südlichen Wojewodschaften hingegen war allen bekannt, und man ging sofort an die konkrete Arbeit, nämlich die Diskussion des von Pietkiewicz und Orlicz vorgestellten Regionalplans für die Umsiedlung sowie der Grundsätze der ländlichen und städtischen Ansiedlung. Dies war um so nötiger, als, wie Vizeminister Wladyskw Wolski als Generalbevollmächtigter für die Wiedergewonnenen Gebiete betonte, der Wissenschaftliche Rat ein halbes Jahr zu spät einberufen worden sei. Die Ansiedlung habe längst begonnen, und zwar unter organisatorischen Bedingungen, die jeder Beschreibung spotteten. Die Zum Bevölkerungstausch mit der Sowjetunion siehe Kap. III.I.e., S. 262-269. KOPEC: Zjawiska demograficzne, S. 56. Ebenda, S. 58. II Sesja, z. I, S. 70-73. Diese Paradigmenumkehrung war bereits zuvor in der behördlichen Praxis zu beobachten gewesen: In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Ministerrates bat der Bevollmächtigte für die Saat- und Ernteaktion Eugeniusz Lenkiewicz zu beschließen: „Das Ministerium für Öffentliche Verwaltung verpflichtet sich zur Umsiedlung von 580 Tausend Menschen /als unabdingbares Minimum zur Einbringung der Ernte/ aus den überbevölkerten Gebieten in die postulierten Wojewodschaften /Koszalin, Legnica, Gdansk, Olsztyn/ in der Zeit bis zum 1. Juli 1945 ..." Schreiben Lenkiewicz an den Vorsitzenden des Ministerrates, 30. Juni 1945, S. 1. AAN MAP 2450, Bl. 52-56. 115

Siedler würde ohne Betreuung in Gebiete geschickt, in denen es noch nicht einmal eine polnische Verwaltung gebe, das Staatliche Repatriierungsamt (PUR) als für die technische Durchführung zuständige Behörde sei seinen Aufgaben praktisch nicht gewachsen, da es an Fahrzeugen und Material fehle. Jetzt komme es darauf an, den Kreisen in Zentralpolen Ansiedlungskreise im Westen und Norden zuzuweisen und die gesamte Aktion in geordnete Bahnen zu lenken. 55 Ebenso betonten sämtliche Redner in der allgemeinen Diskussion, darunter so hochkarätige Namen wie die Professoren Edward Romer, Franciszek Bujak und 56 Zygmunt Wojciechowski, daß höchste Eile vonnöten sei. Der Agrarwissenschaftler Wincenty Stys" erwähnte einen wichtigen Aspekt, der zu dieser Eile führte. Auf der bevorstehenden Friedenskonferenz, sagte er, könne es „zu einem diplomatischen Kampf um die staatliche Zugehörigkeit der Westgebiete • kommen. Daher ist es richtig, daß sowohl die Regierung als auch unsere Gesellschaft vollendete Tatsachen schaffen, d.h. diese Gebiete so schnell wie möglich kolonisieren 57 wollen." Auf der zweiten Konferenz, die im Dezember 1945 stattfand, brachte Zbigniew Milobedzki das Problem auf den Punkt: Während die Umsiedlung aus den östlichen Landesteilen einen „halb freiwilligen, halb zwangsweisen Charakter" trage, sei die Übersiedlung aus den übrigen Teilen des alten Polen rein freiwillig und trage alles andere als einen massenhaften Charakter. Insgesamt seien bis Dezember 1945 1,6 Millionen Menschen in den Wiedergewonnenen Gebieten angesiedelt worden 58 , davon 430.000 Repatrianten. Diese Anzahl, warnte Milobędzki, sei „zu klein, um die wiedergewonnenen Gebiete angemessen zu be59 wirtschaften." Gleichzeitig war implizit eine Bereinigung der Überbevölkerung in den alten Landesteilen so nicht zu machen. Milobedzki schlug vor, die Frage der Kriegsentschädigungen durch Übergabe ehemals deutschen Besitzes zu lösen und so die Entschädigung an eine Übersiedlung in die Wiedergewonnenen Gebiete zu binden. Eine entsprechende Verordnung sei unabhängig davon erforderlich, ob sie vor dem Abschluß eines 60 Friedensvertrages mit internationalem Recht in Übereinstimmung stehe. Auf der gleichen Konferenz führte Prof. Józef Szaflarski vom Instytut Baltycki in schroffem Gegensatz zu Kopec aus, daß die Wiedergewonnnen Gebiete „unter dem Gesichtspunkt der Aufnahmefähigkeit landwirtschaftlicher Bevölkerung begrenzt" seien. Mehr als dreieinhalb Millionen seien dort nicht unterzubringen. Selbst die Parzellierung des gesamten Großgrundbesitzes

55

Przemówienie Wiceministra Administracji Publicznej Wladyslawa Wolskiego, in: I Sesja RNZZO, z. 1, S. 40-48.

56

Dyskusja ogólna, in: I Sesja RNZZO, z. 1, S. 17-39.

57

Ebenda, S. 19.

58

Vgl. Kap. III.l.c. undIII.2.b.

59

MILOBEDZKI: Zagadnienie osadnictwa, S. 75 f.

60

Ebenda, S. 78.

116

könne diese Zahl nicht erhöhen.61 Szaflarski berechnete die Aufnahmefähigkeit der einzelnen Regionen entsprechend der Betriebsgrößenverteilung und Bodenqualitäten und berücksichtigte gleichzeitig den vermuteten Anteil autochthoner (tubylcza) polnischer Bevölkerung. So seien, bei einer maximalen landwirtschaftlichen Bevölkerungsdichte von 40 Menschen je km2, in Ostpreußen allenfalls einige Zehntausend unterzubringen. Hingegen könne das westliche Pommerellen wegen des Fehlens autochthon polnischer Bevölkerung und des hohen Anteils an Großgrundbesitz etwa eine Viertelmillion polnischer Siedler aufnehmen. Gerade wegen der Unterschiede in der Aufnahmefähigkeit, aber auch in Berücksichtigung der Landflucht vor dem Kriege sei eine wissenschaftliche Planung der Ansiedlung unabdingbar: „In den oben erwähnten Gebieten ist auf ihre landwirtschaftliche Struktur zu achten, und in breitem Umfang sind sämtliche zugänglichen Möglichkeiten bei der Planung der Größe der Betriebe zu berücksichtigen, keinerlei Einrichtungen großflächiger Wirtschaft zu schaffen, sondern eher gesunde Wirtschaften."62 Die hier angeführten Zitate zeigen die Bandbreite, in der das komplexe Problem Überbevölkerung-Siedlerpotential bzw. Aufhahmefähigkeit-minimale Besiedelung zwischen zwei Polen oszillierte. Der Grund für die Differenzen der einzelnen Analytiker und Planer lag in oft unausgesprochenen, weil als bekannt vorausgesetzten Unterschieden in der vorgeschlagenen idealen sozioökonomischen Struktur, die man für die Wiedergewonnenen Gebiete, aber auch für die alten Landesteile erreichen wollte. Im folgenden Abschnitt wird darauf zurückzukommen sein. Interessant ist darüber hinaus, daß beispielsweise Szaflarski, und hier unterschied er sich von seinen deutschen Vorgängern, das Problem der kombinierten Land- und Ostflucht nicht mit rassistischen Ideologemen erklärte, sondern in Kategorien der sozioökonomischen Struktur. Würde diese nicht entsprechend den Erfordernissen der polnischen Nationalökonomie restrukturiert, wäre die Folge auch bei Ersetzung der deutschen Bauern durch polnische die gleiche wie zuvor. Die grundlegende Arbeit, die die Diskussion im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates bestimmten sollte und von daher auch in die Behördenpraxis einging, stammte vom geistigen Vater sowohl des BSOP als auch des Wissenschaftlichen Rates Rajmund Bulawski. Seine Studie Probleme der Ansiedlung und Umsiedlung in den Wiedergewonnenen bieten wurde, wie eine Vorbemerkung ausweist, „den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Rates [...] vor der Tagung übergeben, um den Beratungen einen gewissen Rahmen zu geben und die Sitzung von längeren Referaten zu entlasten."63 Auch Bulawski war der Meinung, daß erst der Besitz der neuen Gebiete es ermögliche, „viele der wirtschaftlichen und sozialen Übel, die uns quälten, zu beseitigen".64

SZAFLARSKI: Zagadnienie odptywu ludnosci, S. 133. Ebenda, S. 135. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, vor S. 1. Ebenda, S. 4. 117

„Wie Berechnungen gezeigt haben, kann selbst die radikalste Landreform unsere Überbevölkerung in der Landwirtschaft nur zum Teil entladen. Genau darin muß man einen der Hauptgründe für die sich vor dem Krieg in der polnischen Gesellschaft verstärkenden Stimmen sehen, die die Zuerkennung von überseeischen Kolonien für uns forderten. Heute, wo wir im Westen weite ehemals deutsche Gebiete erhalten sollen, wäre es unverzeihlich, wenn wir diese in der Geschichte einzigartige Gelegenheit nicht nützten, um im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Besiedlung dieser Gebiete die Agrarstruktur in den alten Gebieten Polens zu gesunden."65 Eine weitere frühe Arbeit, die sich mit der Berechnung der agrarischen Überbevölkerung und der Feststellung der idealen Betriebsgröße und Bevölkerungsdichte beschäftigte, stammte von dem Geographen Dr. Alfred Jahn. Er analysierte die existierende wie die bestmögliche Agrarstruktur am Beispiel der Wojewodschaft Lublin und übertrug die so erhaltenen Ergebnisse auf ganz Polen in den Grenzen von 1945.66 Jahn bezog sich auf die bereits mehrfach erwähnten Vorarbeiten Poniatowskis und Bulawskis, wobei auch er sich wie Kula - eher an Bulawski anschloß.67 Vor allem wandte sich Jahn dagegen, westeuropäische Verhältnisse einfach auf Polen zu übertragen: „Die Arbeit unseres Bauern ist, auf dem Hintergrund der schwachen Mechanisierung und dem kompletten Mangel an Elektrifizierung des Dorfes, entsprechend dem schlechten Stand unserer Verkehrswege und der großen Verzögerung der Ernten, weniger ergiebig als die Arbeit eines Bauern Westeuropas."68 Jahns Auffassung ähnelte damit der oben zitierten Kritik von „Kanec" an den Ausarbeitungen der Delegatura. Die spezifische Struktur Polens sollte in höherem Maße berücksichtigt werden, eine ausschließliche Orientierung an den Verhältnissen westlicher, „entwickelter" Länder, wie sie ja auch bei den deutschen Strukturplanern anzutreffen war, galt unter den nun geltenden Prämissen als wenig sinnvoll. Da die polnische Landwirtschaft nun einmal extensiv arbeite, müsse auch die Bevölkerungsdichte in Polen höher sein. Ein Mangel der Arbeit Jahns im Hinblick auf eine direkte behördlich-planerische Verwendung lag allerdings sicherlich darin, daß sie nur eine kleine Region genauer behandelte und die so gewonnenen Verhältnisse auf das gesamte polnische Gebiet hochrechnete. In einer weiteren Studie für den Wissenschaftlichen Rat vervollständigte Jahn seine Analyse Ebenda, S. 13. Doc. Dr. Alfred Jahn, Pojemnosc ludnosciowa obszaräw rolniczych w Polsce. o.D. [etwa Mitte 1946]. AAN GUPP 174. In seiner Autobiografie: Z Kleparowa w swiat szeroki, Wroclaw u.a. 1991, in der sich der ebenfalls dem Lemberger Kreis angehörende Geograph als in der Wolle gefärbter Antikommunist zu beweisen sucht, erwähnt er seine im folgenden beschriebene Tätigkeit im Rahmen der Siedlungsplanung mit keinem Wort. Jahn kennt auch die Arbeit OBERLÄNDER: Agrarische Überbevölkerung, und schreibt, er verfalle dem selben Fehler wie Poniatowski, indem er die Zahl der landwirtschaftlich Tätigen je ha viel zu hoch ansetzte. Jahn, Pojemnosc ludnosciowa, 3. Jahn, Pojemnosc ludnosciowa, S. 4.

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und berechnete das Maß der Überbevölkerung in allen alten Wojewodschaften. Für ihn galt - wie für seine Kollegen -, daß die „am stärksten überbevölkerten Gegenden in Polen", die Wojewodschaften Krakau, Rzeszöw und Kielce, „sich dank der Rückkehr der westlichen Gebiete zu Polen in Sichtweite einer Gesundung ihrer mangelhaften Bevölkerungsstruktur" befänden. Umgekehrt ermögliche dieses Potential im Bereich der Landwirtschaft ohne 69 Schwierigkeiten, die ausgesiedelten Deutschen im Verhältnis eins zu eins zu ersetzen. Schwieriger stelle sich das Problem der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerungssegmente dar. Hier sei, neben der Umsiedlung von Stadtbewohnern aus den zerstörten östlichen Gebieten, die Mobilisierung von „potentiellen Reserven" nötig, die Jahns Kollege Pawel Rybicki auf eine weitere Million Menschen schätzte, die sich zu drei Vierteln nach wie vor von der Landwirtschaft ernährten, aber „in angemessener Weise und zur angemessenen Zeit nutzbar gemacht und aktiviert werden" könnten. 70 Gemeint waren zum einen Bauern, die zur Umorientierung auf nichtlandwirtschaftliche, städtische Berufe tendierten sowie die nachwachsende Generation.71 Darüber hinaus aber stellte Rybicki, ganz wie seine deutschen Kollegen, eine Überbevölkerung der Städte fest. Sie sei vor dem Kriege sichtbar geworden in der „offenen" und „verdeckten" Arbeitslosigkeit („Ausfüllung unterschiedlicher Ersatz- und Hilfsfunktionen durch Arbeitskräfte, die zu selbständiger Arbeit fähig waren, verspätete Aufnahme der Berufstätigkeit durch junge Jahrgänge"), in der Verzögerung sozialen Aufstiegs und der Blockade des Zuzugs in die Städte. Gerade die unzureichende Entwicklung der städtischen Gewerbe und der Industrie habe ja die Überbevölkerung immer wieder verstärkt, da die Söhne und Töchter der Bauern nicht in die Städte ausweichen konnten. Diese junge Generation stelle das Hauptkontingent der „potentiellen Reserve" für die Besiedlung der Städte. 72 Die verfügbare Zahl an jungen Menschen katholischen Bekenntnisses - gemeint waren junge Polinnen und Polen - bezifferte Rybicki mit über eine Million.73 Daneben müsse man sich um die „Reemigration" polnischer Arbeiter aus den westeuropäischen Staaten, die in den Jahrzehnten vor dem Krieg nach dort ausgewandert seien, bemühen. 74 Gerade sie, stellte Wincenty Styś in der folgenden Diskussion fest, bildeten wegen ihrer in aller Regel industriellen und handwerklichen Berufsstruktur ein un75 schätzbares Potential für die neuen Westgebiete. Um die Erwähnung der Juden, die von

Rada naukawa dla Zagadnien Ziem Odzyskanych i jej dorobek. Częsc I. Zaludnienie ziem odzyskanych, 1948, S. 10. AAN MZO 1677, unfol. Die Studie selbst, die den Titel Obszar przeludnienia rolniczego w Polsce jako zródlo osadnictwa dla kolonizacji ziem odzyskanych trug, konnte nicht aufgefunden werden; ihr Inhalt geht aber aus einer Zusammenfassung in dem hier zitierten Dokument hervor. RNZZO ijej dorobek, S.U. RYBICKI: Mozliwosci zaludnienia, S. 18.

Ebenda, S. 30 ff. Ebenda, S. 36. Ebenda, S. 37 f. I Sesja RNZZO, Heft V, S. 45. 119

seinen Vorgängern ja als Hauptfaktor dieser Probleme definiert worden waren, drückte sich Rybicki, daß er sie meinte, scheint aber aus der folgenden Formulierung hervorzugehen: „Welches die Gründe dieser Enge waren - hier wirkte nicht nur die allgemeine Wirtschaftskrise - das müssen wir hier nicht besprechen."76 Es zeigt sich, daß, auch was die „Überbevölkerung der Städte" anging, sich die Analyse der polnischen Fachleute von der ihrer deutschen Kollegen, die sich ja ihrerseits unter anderem auf polnische Arbeiten gestützt hatten, nicht in wesentlichen Punkten unterschied. Die Schlüsse, die Rybicki aus der deutschen Praxis zog, waren jedoch andere. Die „ungeheure, außergewöhnliche Einbuße an von den Deutschen vernichteter jüdischer Bevölkerung" übersetzte sich in Rybickis Analyse nicht nur in eine „Einbuße an Reserven (aktuellen wie potentiellen)", die nun der gelenkten Migration fehlten, sondern reiße auch empfindliche Lücken in die Wirtschaftskraft des Landes. Eine gleichzeitige Bereinigung der Übersetzung der Bereiche, in denen jüdische Gewerbe überwogen hatten, sah gleichwohl auch Rybicki vor. Es sei anzunehmen, daß „die Ersetzung der jüdischen Bevölkerung, die verschwunden ist, in den für das wirtschaftliche Leben unentbehrlichen Ausmaßen durch deutlich kleinere Gruppen polnischer industrieller und handeltreibender Bevölkerung vollendet werden kann."77 In seinem Referat für die erste Konferenz des Wissenschaftlichen Rates lieferte Rybicki darüber hinaus eine griffige Formulierung des bereits mehrfach angesprochenen und auch in der deutschen Planung aufzufindenden Paradigmenwechsels von der Beseitigung der Überbevölkerung zum Bedarf an Siedlungspotential. Wenn man zu einer gelenkten, organisierten Migrationsbewegung schreiten wolle, reichten die klassischen Erklärungsmuster wie demographische und wirtschaftliche Bedingungen zur Beschreibung der Ausgangssituation nicht mehr aus. „Die Migrationsbewegung aus dem Überschußgebiet in das aufnahmefähige Gebiet nimmt nämlich in Abhängigkeit davon, durch welches der beiden Gebiete sie organisiert wird, unterschiedliche Gestalt an. Daß die Migration sich vollziehe, daran sind gewöhnlich beide Gebiete interessiert: Für das erste ist wichtig, die vorhandenen Bevölkerungsüberschüsse in andere Gebiete zu verschieben, für das andere Gebiet ist wichtig, einen Zufluß neuer Bevölkerung zu gewinnen."78 Dabei seien die Interessen der beiden Gebiete aber durchaus nicht deckungsgleich. Dem Abgabegebiet nämlich gehe es in erster Linie darum,

RYBICKI: Mo2liwoSci zaludnienia,

Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 14. 120

S. 21 f.

„in ihrem wirtschaftlichen Organismus überflüssige Bevölkerung loszuwerden, z.B. Landlose oder Kleinbauern, für die es kein Land gibt, oder Arbeiter und Angestellte, für die es keinen Platz in den aktiven Werkstätten gibt." 79 Das Aufnahmegebiet aber verlange nicht einfach nach Menschen, sondern nach solchen, „an denen es in der Wirtschaft des gegebenen Gebietes mangelt und derer es tatsächlich bedarf." Im Endeffekt gehe es um „die Q u a l i t ä t des menschlichen Elementes", das verschoben werde. Gerade, wenn es sich um die Entladung überschüssiger Bevölkerung handle, könne man annehmen, daß „unter diesen Migranten ein großer Anteil schwacher und verhältnismäßig minderwertiger Elemente" sich befinden werde; die stärkeren und wertvolleren blieben in aller Regel am Ort und setzten sich durch. 80 Dagegen sei eine Organisation im Sinne von Anwerbung durch das Aufnahmegebiet und seine Möglichkeiten eher in der Lage, „begabte, leistungsfähige, eine gewisse berufliche Qualifikation aufweisende Leute" zu liefern. Nötig sei, und dies wird in den folgenden Abschnitten noch zur Sprache kommen, eine gewisse Selektion. Viele der Diskussionsteilnehmer, so etwa der renommierte Demograph Prof. Eugeniusz Romer, betonten gleichwohl die Prädominanz der landwirtschaftlichen Siedlung vor der städtischen. Zum einen seien die Städte ohnedies zerstört, so daß sich die benötigte Zahl an Stadtbewohnern etwa halbiere. Darüberhinaus betonte Romer, daß die Verstädterung bäuerlicher Bevölkerung ein längerfristiger Prozeß sei. Man habe gesehen, „wie die Ukrainer Lemberg und Brzezany verstopft" hätten. 81 Im übrigen bestand in der behördlichen Praxis an der Reihenfolge landwirtschaftliche - städtische Ansiedlung kein Zweifel. Alle hier erwähnten Arbeiten und Diskussionsbeiträge aus dem Jahre 1945 mußten insofern spekulative Züge tragen, als sie sich auf Zahlenmaterial stützten, das aus der letzten polnischen Volkszählung von 1931 stammte. Genaue Ergebnisse waren so freilich nicht zu erhalten. Zunächst einmal war festzustellen, wie viele Menschen denn überhaupt noch in Polen lebten; einer ersten Einschätzung diente die „summarische Zusammenstellung der Bevölkerung" nach einer Zählung am 14. Februar 1946. Bereits das Lubliner Komitee hatte mit den Vorbereitungen für eine Volkszählung für den Dezember 1944 begonnen, allerdings stellte sich bereits im Oktober 1944 heraus, daß das Ressort für Öffentliche Sicherheit der Auffassung war, daß Erfassung und Evidenz der Bevölkerung in jedem Falle in seinen Bereich fallen würde. Zudem wäre eine Volkszählung für das gesamte polnische Gebiet zu diesem Zeitpunkt ohnehin kaum durchführbar gewesen.82

7y 80 81 82

Ebenda, S. 15. Ebenda, S. 16. I Sesja RNZZO, Heft V. S. 50 f. Bericht des Wojewoden in Biaùystok, Dr. Sztachelski, an PKWN, Ressort Administracji Publicznej, 2.11.1944, über eine Konferenz am 24.10.1944. AAN PKWN VII-17. 121

9

Erst die Zählung vom Februar 1946 gab einigermaßen genaue Zahlen über die Gesamt83 bevölkerung und deren ethnische Gliederung. Sie wurde aber schon bald als unbefriedigend empfunden. Wie Kazimierz Romaniuk, wohl ein Mitarbeiter des GUS, für den Wissenschaftlichen Rat schrieb, habe sich der Zeitraum, der der Zählung unmittelbar folgte, „durch außergewöhnlich intensive Bevölkerungsveränderungen ausgezeichnet".84 Die Aufgabe einer neuen Zählung müsse sein, neben der Feststellung der Bevölkerungsverhältnisse in den Wiedergewonnenen Gebieten „die Möglichkeit von Bevölkerungsreserven festzustellen, die durch die übrigen Territorien Polens repräsentiert werden". 85 Die Feststellung des Ausmaßes und der geographischen Verteilung der „überschüssigen" Bevölkerung als Siedlerpotential für den Westen und Norden fand aber nunmehr nicht mehr im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates, sondern im mit der gesamtstaatlichen Raumplanung betrauten GUPP statt. Eine genaue und systematische Befassung mit der Berechnung und Lokalisierung der Überbevölkerung leistete Zygmunt Glinka. Bereits im Dezember 1945 hatte er eine erste Studie zur „Aufnahmefähigkeit des polnischen Dorfes" vorgelegt.86 Grundlage war neben älteren Statistiken eine von ihm selbst erstellte Bodenkarte, die allerdings auf scharfe Kritik gestoßen war. 87 Glinka konnte sich darüber hinaus auf Vorarbeiten des Büros für die Westgebiete (Biuro Ziem Zachodnich) stützen,88 das inzwischen aufgelöst worden war, sowie auf die bereits zitierten Arbeiten aus dem Wissenschaftlichen Rat. Das Ziel der gesamten Planungsarbeit beschrieb er so: „Eine geeignete quantitative Gesamtplanung (rozplanowanie ilosciowe) der Besiedlung des Dorfes stützt sich auf den Grundsatz, daß landwirtschaftliche Arbeitsstätten ge-

Allerdings waren besonders die Zahlen über die Deutschen um bis zu 15% zu niedrig. Vgl. BANASIAK: Przesiedlenie Niemcöw, S. 104 f. Siehe auch Kap. III.2.b., S. 364-394. Kazimierz Romaniuk, Program skróconego spisu ludnosci 1947/48 a potrzeby zaludnienia i zagospodarowania ziem odzyskanych, S. 1. AAN MZO 1709. Es handelt sich um ein Referat, das offensichtlich zur Veröffentlichung in der Reihe der Sesje naukowe Rady Naukowej... vorgesehen war, die aber vor ihrem Abschluß eingestellt wurde. Romaniuk, Program skröconego spisu ludnosci, S. 2. Zygmunt Glinka, Próba rozwiązania zagadnienia chlonnosci ludnosciowej wsi polskiej, Dezember 1945. Nur für den Dienstgebrauch. AAN GUPP 501. Mit der Kritik an seiner Arbeit setzte sich Glinka ausführlich und im Versuch, die Verwendbarkeit seiner Arbeit trotz ihrer Fehler nachzuweisen, auseinander: Notatka w zwiqzku z uwagami R.D.P.P. Lublin o pracy mej p.t. „Chlonnosc ludnosciowa terenówwiejskich", gez. Zygmunt Glinka, 24.X.1946. AAN GUPP 163. Darüber hinaus findet sich in den Akten des GUPP eine weitere Studie Glinkas, Uwagi dotyczące pracy doc. dr. Alfreda Jahna p.t. „Pqjemnosc ludnosciowa obszarów rolniczych w Polsce ", Warszawa November 1946. AAN GUPP 168, in der er eine ihm zum Zeitpunkt der Abfassung seiner ersten Studie nicht bekannte Arbeit Jahns auswertete. Kritik und Gegenkritik führten zur Neuabfassung der Studie Glinkas. Die Neufassung wird weiter unten behandelt. Glinka, Próbarozwiązania, S. 2 f. 122

schaffen und geschützt werden müssen, die so organisiert sind, daß sie nicht nur die auf ihnen arbeitenden Bauern ernähren können, sondern darüber hinaus einen Überschuß an Agrar- und Viehprodukten ergeben, der für die Versorgung der Städte und Industriestätten bestimmt ist - und unter günstigen Bedingungen auch für den Export, der so wichtig ist für die Zahlungsbilanz des Staates." 89 Entscheidend, so Glinka, sei die Feststellung der idealen Betriebsgröße für den als Grundlage festgesetzten Familienbetrieb. In einer Studie vom 1. Juli 1946 verglich er die „räumliche Verteilung und funktionale Zusammensetzung der Bevölkerung" in einer Idealplanung für das Jahr 1950 mit dem derzeitigen Stand nach der Zählung vom 14. Februar. Danach war in allen „alten" Wojewodschaften immer noch die absolute Zahl der Landbevölkerung zu senken. 90 Erst ein grundlegender Strukturwandel der polnischen Volkswirtschaft sichere die „schnelle Evolution, die ein für alle Mal das Gespenst der landwirtschaftlichen Überbevölkerung ohne die Notwendigkeit einer Umarbeitung des Planes für die Agrarstruktur beseitigt."91 Glinka unterschied zwischen langfristiger Planung, die einstweilen eher theoretisch bleiben müsse, und den „Erfordernissen des Augenblicks", der schnelles und entschiedenes Handeln nötig mache. Gemeint war zum einen die bereits erwähnte Unsicherheit des Status der Wiedergewonnenen Gebiete, gleichzeitig aber auch „die Tatsache der Existenz besonders starker landwirtschaftlicher Überbevölkerung in einigen Gegenden". Gleichzeitig fand Glinka aber auch Vorteile in diesem Handlungszwang: wissenschaftliche Vorarbeit und praktische Maßnahme könnten sich gegenseitig ergänzen, vor allem sei eine laufende Überprüfung der entstehenden Theorie an der Praxis möglich.92 Zu ähnlichen Ergebnissen waren, wie Glinka anmerkte, im Rahmen des BSOP Stanislaw Pietkiewicz und Michaù Orlicz gekommen, die alle diejenigen Menschen als überschüssig definierten, die über eine durchschnittliche agrarische Bevölkerungsdichte von 80 Menschen je km 2 hinausgingen.93 Das entsprach den Verhältnissen von 1931, als die ländliche Bevölkerungsdichte Polens im Durchschnitt etwa 76 Personen je km 2 betragen hatte. 9 4 In einer ebenfalls „nur für den internen Gebrauch" bestimmten Studie Einschätzung der Überschüsse und Defizite an landwirtschaftlicher Bevölkerung in Polen vom November 1946 zog Glinka die lange erwartete Bilanz, indem er gleichzeitig Studien und kritische Anmerkungen anderer Autoren auswertete.

Ebenda, S. 8. Rozmieszczenie przestrzenne i uklad funkcjonalny ludnosci ziem polskich wedlug przewidywan na rok 1950. Opr.: Zygmunt Glinka. Warszawa, 1.7.1946. AAN GUPP 166. Glinka, Próbarozwiazania, S. 36. Ebenda, S. 9 f. PIETKIEWICZ/ORUCZ: Plan regionalny, S. 20. Berechnung landwirtschaftliche Bevölkerung auf Agrarfläche insgesamt nach: Maly Rocznik Statystyczny 1939. Zum gleichen Ergebnis kam PONIATOWSKI: Przeludnienie wsi, S. 51. 123

Glinka verglich die tatsächliche Dichte der Agrarbevölkerung mit „einer gewissen Norm, die als Optimum angesehen wird" auf der Basis der „summarischen" Volkszählung.95 Da diese nur die Anzahl, nicht aber den Beruf erfaßt hatte, setzte er die nichtstädtische Bevölkerung nach der deutschen Zählung von 1939 in Beziehung zu den Ergebnissen von 1946 und schätzte von da aus den Anteil der landwirtschaftlichen Berufszugehörigen. Er ging von der Feststellung aus, daß zwischen 1931 und 1946 die absolute Zahl der ländlichen Bevölkerung in allen alten Wojewodschaften, soweit sie noch zu Polen gehörten, mit Ausnahme Warschaus um 7,8 bis 14,8% gesunken war.96 Der Grund, daß gerade Bialystok und Lublin so große Teile an Bevölkerung verloren hätten, so Glinka, liege darin, daß gerade diese Wojewodschaften größere Verluste durch den „Abfluß eines Teils der Bevölkerung nach Osten" zu erleiden hatten.97 Ein Faktor, den man als Grund für diese Bevölkerungsabnahme eher erwartet hätte - die Vertreibungs- und Vernichtungspolitik der Deutschen - wird bei Glinka nur erwähnt, um den Ausgleich in der Wojewodschaft Warszawa zu erklären. Hier wirke die systematische Zerstörung durch die Besatzungsbehörden, die die Menschen schlicht aufs platte Land deportiert hatten.98 Auch an anderer Stelle wurde auf den Einfluß der Kriegszerstörungen hingewiesen. Ebenfalls für das GUPP untersuchte Jözef Zaremba von der Regionaldirektion für planung {Regionalna Dyrekcja Planowania Przestrzennego, RDPP) in Breslau 1946 die Bevölkerungsdichte „auf dem Hintergrund der Regionen der Zerstörung". Gemessen an der Aufnahmefähigkeit der einzelnen Kreise in,der Wojewodschaft Wroclaw mußten die Kreise, die im Norden des Gebietes lagen und noch von der Verbrannte-Erde-Politüf der deutschen Wehrmacht erfaßt oder im Verlaufe der Kriegshandlungen durch die Rote Armee zerstört worden waren, bis Januar 1946 als unterbevölkert gelten.99 In dem Maße aber, in dem die deutschen Bewohner ausgesiedelt worden seien, „unterlag der überbevölkerte und nichtzerstörte Süden einer teilweisen Entladung".100 Interessant ist, daß auch einige Regionen in den Wiedergewonnenen Gebieten als überbevölkert galten. Dies ist wenigstens teilweise der bereits erwähnten wilden Ansiedlung zuzuschreiben. Zaremba führte an, daß die Bevölkerung des Gebietes um „mehr als 300.000" in der Zeit von Januar bis zum 15. Mai 1946 angestiegen sei. Das bedeutete, daß fast 400.000 Polen anstelle von „mehr als 97.000 Deutschen" ins Gebiet gekommen waren.101

95 Zygmunt Glinka, Ocena nadwyzek i niedoborów ludnosci rolniczej w Polsce w 1946 r. wa, Listopad 1946r. Oben gestempelt: Tylko do uzytku wewnettznego. AAN GUPP 165. 96 Glinka, Ocena nadwyzek i niedoborów, S. 8. 97 Ebenda, S. 9. 98 Ebenda, S. 9. 99 Józef Zaremba, Przewyzki i niedobory ludnosci polskiej na tle regionów zniszczen, o.D., S. 2, 5. AAN GUPP 180. 100 Zaremba, Przewyzki i niedobory, S. 6. 101 Ebenda, S. 6. 124

Das Grundtheorem Überbevölkerung spielte aber nicht nur in den Entwürfen ambitionierter Planer am Schreibtisch eine Rolle; die Überlegungen der Planer gingen in die Behördenpraxis ein und blieben über Jahre in den administrativen Maßnahmen präsent. Noch im Regionalplan für 1949, der, nach der Auflösung des MZO, wieder vom anfänglich zuständigen Ministerium für Öffentliche Verwaltung (MAP) bearbeitet wurde, hieß es: „Das Ministerium für Öffentliche Verwaltung meint [...] in Berücksichtigung der Überbevölkerung in einigen Kreisen der Alten Länder, daß die Umsiedlungsaktion die Ermöglichung eines rationalen Umbaus der Agrarstruktur auch in Zukunft berücksichtigen sollte." 102 Ebenso spielte die Beseitigung der agrarischen Überbevölkerung im 1948 aufgestellten Sechs-Jahres-Plan eine prominente Rolle. Unter den Aufgaben, die im Rahmen dieses Planes gelöst werden sollten, fand sich als fünfter Punkt: „Verschiebung eines Teils der Überschüsse an landwirtschaftlicher Bevölkerung aus den Gebieten mit landwirtschaftlicher Überbevölkerung in Gebiete, die unzureichend mit landwirtschaftlicher Bevölkerung gesättigt sind." 1 0 3 Es ist in diesem Kapitel gezeigt worden, daß bevölkerungsökonomische Paradigmen, vor allem das der relativen „Überbevölkerung", eine bestimmende Rolle in den Planungen sowohl der deutschen Besatzungsbehörden als auch im polnischen Exil und in der Volksrepublik Polen spielten. In allen diesen Fällen wurde die tatsächlich vorhandene Bevölkerung in ihrer räumlichen Verteilung und Struktur an Zahlenverhältnissen gemessen, die als ideal errechnet oder durch Vergleich gewonnen wurden und die mehr oder weniger viele zusätzliche Faktoren wie - im Falle der landwirtschaftlichen Bevölkerungsdichte - Bodenqualität und Entwicklung der Produktionsmethoden berücksichtigten. Im Falle der deutschen Besatzungspolitik konnte gezeigt werden, daß sich sofort mit dem Überfall auf Polen Stimmen zu Wort meldeten, die für eine Verbindung von kolonialer Besiedelung und innerer Sanierung eintraten und damit ein doppelt sinnvolles Siedlerpotential zur Verfügung stellen wollten. Wirksam wurde das Theorem der „Überbevölkerung" auch, wie zunächst nur angedeutet wurde, in der konkreten Siedlungspolitik in den eingegliederten Ostgebieten insofern, als mit der Vertreibung der polnischen und jüdischen Bevölkerung und der Ansiedlung Deutscher ein grundlegender Umbau der sozioökonomischen und räumlichen Struktur aller Gewerbebereiche, also nicht nur der Landwirtschaft, untrennbar verbunden war. In der Vorbereitung weiterer Gebietserweiterungen, wie sie im Rahmen des Generalplans Ost vorgesehen waren, erschien das Paradigma „Überbevölkerung" wiederum als Antrieb für großangelegte Umsiedlungs- und Strukturplanungen. Es wurde angedeutet, daß diese Planungen um so leichter zu motivieren und durchzusetzen waren, als sich im Falle aller be-

MAP DO, Zarządzenie do planu regionalnego na rok 1949, 7.2.1949, gez. Mgr. M. Swiatycki. AAN MAP 1140a. Częsc opisowa szczegóùowego planu szescioletniego rozwoju i przebudowy gospodarczej Polski, o.D., vertraulich, S. 10. AAN GUPP 92.

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setzten Gebiete ethnisch definierte und von vornherein stigmatisierte Gruppen ausmachen ließen, die quasi die eigentlichen Träger des Übels „Überbevölkerung" wurden: Polen und Juden. Das Ziel der Strukturplanung für die eingegliederten Ostgebiete war, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird, die Schaffung einer „gesunden", gemischt agrarisch-industriellen, ausgesprochen mittel- und großbäuerlichen Wirtschaftsbasis. Ganz ähnlich verlief der Planungsgang, was die Feststellung und Diagnostizierung der „Überbevölkerung" anging, auf polnischer Seite. Wesentliche Unterschiede bestanden in der sozioökonomischen Ausrichtung. Dieser Aspekt wird, wie der gesamte Komplex der sozioökonomischen Strukturplanung, im folgenden noch genauer zu besprechen sein. Eine weitere Parallele zwischen deutscher und polnischer Diagnostik bestand darin, daß auch im Falle Polens Überbevölkerung und ethnische Minderheit insofern zur Deckung gebracht wurden, als die Aussiedlung der letzteren die Beschäftigung der überschüssigen eigenen Bevölkerung ermöglichte, die sich so auf die frei werdenden Stellen setzen ließ. In welchem Maße für die polnischen Planungstechnokraten die „Überbevölkerung" Antrieb und Richtschnur war und wie sich auch hier „Überschüssige" mit ethnisch Unerwünschten deckten, zeigte neben der Aussiedlung der Deutschen die „Akcja Wisla" im Sommer 1947, wie später noch genauer zu erörtern sein wird. Offiziell als Bekämpfung der ukrainischen extrem-nationalistischen Partisanenorganisation UPA begründet, diente die Zwangsumsiedlung tausender ukrainischer Familien aus der Wojewodschaft Rzeszöw gleichzeitig anderen Zielen. In einem Schreiben an das Wojewodschaftsamt Krakau vom 2. Juli 1947 lud das MRiRR zu einer Konferenz in Zakopane am 14. und 15. Juli zur Besprechung von „Fragen, die verbunden sind mit der Aufhebung der Walddienstbarkeiten und der Vergrößerung [upelnorolnienie, wörtlich etwa „das zu vollständigen Wirtschaften Machen", M.E.] der zersplitterten und kleinen Wirtschaften im Zusammenhang mit der augenblicklich stattfindenden Umsiedlungs- und Ansiedlungsaktion auf ehemals ukrainischen Wirtschaften."104 Die ukrainischen Familien füllten Lücken in der Besiedlung der Wiedergewonnenen biete, die dadurch entstanden waren, daß viele der polnischen Siedler das Gebiet wegen der heiklen Sicherheitslage wieder verlassen hatten.105 Gleichzeitig ermöglichte die Zwangsumsiedlung eine grundlegende Strukturreform der Agrarwirtschaft in den betreffenden Gebieten, die als in besonderem Maße „überbevölkert" galten. Jegliche Maßnahmen waren vorher sowohl an der Tätigkeit der UPA als auch am aktiven und passiven Widerstand der ukrainischen Zivilbevölkerung gescheitert.106 Und nicht nur hier, sondern ebenso in den Schreiben MRiRR an Urzad Wojewödzki Krakowski, 2.7.1947. AAN MAP 781. Die gesamte Akte war - wie alle Akten im Zusammenhang mit der Zwangsumsiedlung der Ukrainer - als „geheim" eingestuft. Siehe unten Kapitel III.3.C. Einen Zusammenhang zwischen Zwangsumsiedlung und Sanierungskonzept deutet auch CHOJNOWSKA: Operacja Wisla, S. 13, an, führt diesen Gedanken aber nicht weiter aus: „Nicht ohne 126

neuen Westgebieten ließ sich auf freiwilligem Wege nicht zu bereinigende Überbevölkerung vortrefflich mit ethnischer Bereinigung verbinden. So hieß es in einem Bericht an das Amt des Regierungsbevollmächtigten in Biaùogród vom 7. Juli 1945: „Die Siedlungsaktion wurde erschwert durch die Überbevölkerung der Dörfer mit dem deutschen Element, wodurch polnische Familien auf deutschen Höfen angesiedelt wur107 den und gemeinsam wohnten." Daß diese Gleichsetzung vollzogen wurde, weist auf den eingangs erwähnten legitimatorisch und technisch im Herrschaftssinne ja durchaus sinnvollen Argumentationszusammenhang hin, der sich zwischen Ordnungsinteresse und ethnischer Säuberung herstellen ließ. Indem die „überflüssige" Bevölkerung möglichst weitgehend mit „Fremdvölkischen", Minderheiten oder sonst ethnisch oder sozial leicht stigmatisierbaren Menschen gleichgesetzt wurde, sank die Gefahr von Störungen in der Durchsetzung der Umsiedlungen, da ja die als Staatsvolk oder „Volksgemeinschaft" definierte Bevölkerung davon wenig betroffen war.

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Bedeutung war auch ein vorhandenes Programm zur Entladung der überbevölkerten Gebiete und zur Verbesserung der Agrarstruktur." Auszug aus Berichten an den Urzad Pemomocnika Rza_du R.P., Referat Osiedlenczy, 7.7.1945. AAN MAP 2450. 127

3. Gesunde Verhältnisse: Die Planung der sozioökonomischen Struktur der Kolonie und die Bereinigung des Stammgebietes „Die Entscheidung der Frage der Nationalität des platten Landes hängt auf die Dauer nicht von der Abkunft der besitzenden Schichten, sondern von der Frage ab, welcher Nationalität das Landproletariat angehört. Wir werden im Osten denationalisiert, und das ist keineswegs eine bloße Nationalitätensorge, sondern das bedeutet: es wird unser Kulturniveau, der Nahrungsstand der Landbevölkerung und ihre Bedürfhisse herabgedrückt auf das Niveau einer tieferen, östlicheren Kulturstufe." (Max Weber, 1893)1

a. Struktursanierung und Germanisierung in den eingegliederten Ostgebieten und im Generalgouvernement

Die Planungsentwicklung in den eingegliederten Ostgebieten Eine der ersten konkreten Blaupausen für die Ansiedlung Deutscher in den planerisch als unbewohnt betrachteten eingegliederten Ostgebieten war die auf Anregung Darres von der Abteilung für Siedlungsplanung im Stabsamt des Reichsbauernführers verfaßte S-Planung (vermutlich: Siedlungs-Planung) vom August 1939. Die Studie krankte zwar daran, daß sie sich auf Gebiete bezog, die noch gar nicht verfügbar waren - sie behandelte mit Pommern und der Wojewodschaft Posen den nördlichen Teil des ehemaligen preußischen Teilungsgebietes - und deren genaue Abgrenzung noch nicht feststand. Sie zeigt aber die Richtung, in die während dieser frühen Phase gedacht und geplant wurde, sowie das Ausmaß und die Präzision der Vorarbeiten auf den mittleren Planungsetagen zu einer Zeit, als auf höchster politischer Ebene noch keine detaillierten Entscheidungen gefallen waren.2 Die „Zielstrukturen für den Raum Westpommern und Posen" wiesen aus, daß infolge der Agrarreform, die die polnische Regierung nach 1921 durchgeführt hatte, kleine Betriebe in unerwünscht hohem Maße vorhanden waren. Gleichzeitig war der Anteil an Großgrundbesitz von 100 bis 1000 ha trotz der Parzellierung vieler Güter nach wie vor überpro-

Die ländliche Arbeitsverfassung, zit. n. FLEMMING: Landarbeit, S. 264. Projekt osadnictwa (im folgenden entsprechend dem Titel der Quelle zitiert als SPlanung). Madajczyk weist darauf hin, daß die Vorarbeiten noch weit früher begonnen haben müssen. Ebenda, S. 103. MAX WEBER:

MADAJCZYK:

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portional hoch.3 Die Siedler sollten in erster Linie durch die Parzellierung des Großgrundbesitzes mit Land versorgt werden. Aus dem Bestand an Klein- und „Splitterbesitz" ergab sich die „Zusammenlegungsfläche", aus der zusätzlich „bäuerliche Höfe zu bilden" seien. Auf diese Weise kamen 460.000 ha „Siedlungsfläche" aus Parzellierungsland und 130.000 ha Zusammenlegungsfläche zustande, die „der Bodenordnungsarbeit unterworfen werden" sollten.4 Die auf der Basis einer agrarökonomischen Umstrukturierung projektierte Germanisierung sollte sich nach den Vorstellungen der Agrarplaner in mehreren Teilschritten vollziehen. Das erste Etappenziel war, „die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche in deutschen Besitz" zu bekommen, wobei in einigen Kreisen die Übereignung der Güter von mehr als 100 ha Fläche ausreichen sollte, in anderen schon Betriebsgrößen ab 20 ha betroffen gewesen wären. Da bereits ein Drittel des Bodens deutschen Eignern gehörte, war die Neuansetzung von zunächst nur 21.702 Familien vorgesehen.5 Im zweiten Schritt sollten, diesmal nur noch auf der Grundlage von Übernahmen und Zusammenlegungen, 50% der „selbständigen" Betriebe über 10 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche mit 42.561 deutschen Familien besetzt werden.6 Für die Behandlung der polnischen Eigentümer dieser Höfe ergaben sich mehrere Möglichkeiten: „Hand in Hand mit der deutschen Durchdringung muß die Auflockerung der geschlossenen polnischen Siedlungsgebiete vor sich gehen. Zunächst handelt es sich dabei in erster Linie um die Verringerung der Zahl der selbständigen Bauern und Landwirte. Es ergeben sich folgende Möglichkeiten: 1.) Ausweisung unerwünschter Elemente, 2.) Ableitung in die industrielle und gewerbliche Wirtschaft, 3.) Aussiedlung und Ansiedlung geeigneter Familien in deutsche Gebiete als Pächter oder Landarbeiter."7 Der Maßnahmenkatalog, den die Planer des Reichsbauernführers hier unterbreiteten, wirkt gemessen an der späteren Praxis recht bescheiden. Tatsächlich handelte es sich einerseits um eine in Umfang und Rigorosität stark ausgeweitete Weiterentwicklung der Enteignungsund Siedlungstätigkeit, wie sie die Preußische Ansiedlungskommission auch betrieben hatte. Gleichzeitig aber sind fast alle Elemente der späteren Besatzungspraxis bereits angelegt. Die Ausweisung unerwünschter Elemente wurde später nur in weit größerem Umfang und weitaus brutaler vorgenommen, als sie hier gemeint war, und die „Ansiedlung geeigneter Familien als Landarbeiter" darf als eine Vorahnung der späteren „Fahndung nach

S-Planung,S. 107-110. Ebenda, S. 110 f. Ebenda, S. 117 f. Ebenda, S. 129. Ebenda, S. 138.

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deutschem Blut" verstanden werden.8 Zudem wurde bereits hier der Brückenschlag zwischen Germanisierung und „gesunder" Betriebsgrößenverteilung festgelegt. Gleichwohl konnte der unter Darre vorgelegte Entwurf den weit ausgreifenden Plänen und der Geschwindigkeit der Umsetzung, wie sie bald für nötig erachtet wurden, nicht gerecht werden. Nicht zuletzt fiel Darres Plan angesichts der Radikalität, in die sich die Planungen nach dem Überfall auf Polen hineinsteigerten, rasch in die Bedeutungslosigkeit. Das Tempo, mit dem sich die Planentwürfe nach der Etablierung der Besatzungsverwaltung gegenseitig zu überholen trachteten, hing, wie Rolf-Dieter Müller gezeigt hat, eng mit den inneren Machtkämpfen um Planungshoheit und Dispositionsspielräume innerhalb der Siedlungspolitik zusammen. Ihre Entwicklung muß hier nicht im Einzelnen rekonstruiert werden9, zumal die Planungsentwürfe sich hinsichtlich ihrer Zielsetzung und der vorgeschlagenen Methoden überraschend ähnlich sind. Bereits am 30. Oktober 1939 sicherte sich Himmler mit der Anordnung l/II der SS und Polizei den Zugriff auf die negative Bevölkerungspolitik, d.h. die Definition und Behandlung der unerwünschten Bevölkerungssegmente. In einem Schnellbrief an die zuständigen Höheren SS- und Polizeiführer, das RSHA und die Volksdeutsche Mittelstelle bestimmte er die Aussiedlung aller Juden und darüber hinaus der „Kongreßpolen" aus dem Gau DanzigWestpreußen und einer „noch vorzuschlagende(n) Anzahl besonders feindlicher polnischer Bevölkerung" aus den übrigen eingegliederten Ostgebieten}® Die Anordnung machte deutlich, daß man sich mit einem schrittweisen, vergleichsweise bedächtigen Vorgehen, wie es von der Planungsabteilung des Reichsbauernführers vorgeschlagen worden war, nicht zufrieden geben würde. Ein verbindliches positives struktur- und siedlungspolitisches Programm gab es zu diesem Zeitpunkt jedoch immer noch nicht. Ein solches fehlte auch noch am 8. November 1939, als die Höheren SS- und Polizeiführer Krüger (für das ralgouvernement), Hildebrandt (für Danzig-Westpreußen), Koppe (für den Reichsgau Posen), von dem Bach-Zelewski (für Schlesien) und Redieß (für Ostpreußen) sowie Streckenbach als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und Becker für die Ordnungspolizei bei Generalgouverneur Hans Frank zu einer Konferenz über die nun anstehenden Umsiedlungen zusammenkamen. Das Thema der Konferenz wies darauf hin, daß die Zwangsaussiedlung ganzer Bevölkerungssegmente sich als unabdingbare Voraussetzung für das noch nicht näher bezeichnete „deutsche Aufbauwerk", in diesem Falle die Ansiedlung der „Volksdeutschen" aus dem Baltikum, Wolhynien und dem Generalgouvernement, durchgesetzt hatte. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, daß Bruno Streckenbach, „mit der Zentralplanung der Ansiedlung bezw. Evakuierung im Ostraum", also beider Aspekte der Umsiedlungs-

Siehe dazu Kap. III. La. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 11-48 und 83-104. Anordnung l/II vom 30. Oktober 1939, gez. Himmler, wiedergegeben in: SKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnosci, S. 7 f-9 f. 130

DATNER/GUMKOW-

politik, beauftragt worden war.11 Nach einem „dem Reichsführer SS bereits vorgelegten Plan" sollte eine Million Menschen bis Ende Februar 1940 ins Generalgouvernement abgeschoben werden; der „verbleibende Rest der Polen" sollte anschließend daraufhin untersucht werden, „ob sie als Polen oder als Volksdeutsche bezw. als noch erwünschte Polen zu bewerten sind".12 Diese „Zentralplanung" meinte, soviel geht aus dem Besprechungsprotokoll hervor, in erster Linie die technische Durchführung der Bevölkerungsverschiebungen, nicht aber die Anpassung von Deportation und Ansiedlung an ein vorgegebenes Siedlungsprogramm. Während also die Grundlinien der praktischen negativen Bevölkerungspolitik - Selektion und Deportation - bereits feststanden und umgesetzt wurden, stand ein eigentliches Siedlungsprogramm noch aus. Die Umsiedlung der deutschen Minderheiten aus dem Baltikum und den sowjetisch besetzten Gebieten ins besetzte Polen13, besonders der Baltendeutschen, war zudem in Eile beschlossen und durchgepeitscht worden. Es gibt neben der mangelnden Vorbereitung der Ansiedlung dieser Menschen Hinweise, daß eine „Rücksiedlung" dieser politisch lange Zeit überaus nützlichen Minderheiten in den osteuropäischen Staaten zunächst gar kein Bestandteil des noch vagen Siedlungsprogramms war; jedenfalls war die Eingliederung dieser deutschen Minderheiten in den bislang aufgefundenen Planungsgutachten und Denkschriften vor November 1939 überhaupt nicht berücksichtigt worden. Es wurde darüber hinaus bereits erwähnt, daß seitens der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung Siedlerpotentiale für den Ostraum eher im „Altreich" gesucht wurden. Auch die bald darauf eingerichtete Planungshauptabteilung des RKF konzentrierte sich, wie noch ausgeführt werden wird, auf die Verknüpfung der Koloniahsierung im Osten mit der Sanierung im Westen und Süden, und nicht auf die Planeinbindung der „Rücksiedlung". Noch am 4. Mai 1940 ordnete Himmler während eines Besuches in Litzmannstadt an, daß „die späteren deutschen Dörfer höchstens mit ein Viertel Wolhyniendeutschen besiedelt werden dürfen. Die restlichen drei Viertel werden nach dem Kriege mit Reichsdeutschen aufgefüllt."14 In einer Rede vom 13. Dezember 1939 vor dem Volksdeutschen Klub in Berlin hatte Ulrich Greifelt schon zuvor ausgeführt, daß eine Ansiedlung von „Menschen, die schon bisher

Niederschrift über die am 8.11.1939 stattgefundene Besprechung beim Generalgouverneur Polen in Krakau. Thema: Unterbringung und Ansiedlung der Volksdeutschen aus den Baltenländern, Wolhynien pp; Evakuierung der Juden und Kongreßpolen aus dem „Altreich" und den Reichsgauen Danzig, Posen sowie Ost-Oberschlesien und Süd-Ostpreußen, wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/ LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnosci, S. 11 f-14 f. Auch wiedergegeben in LUCZAK: Wysiedlenia ludnosci polskiej, S. 3 ff. Niederschrift über die Besprechung vom 8. November 1939, S. 12 f-14 f. Vgl. auch Kap. III.2.a. Siehe hierzu Kap. III. La. Vermerk Dr. Fähndrich, 7. Mai 1940, zit. n.: DER REICHSFÜHRER SS: Der Menscheneinsatz, S. 29.

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unter fremdem Volkstum gelebt und gearbeitet hätten", ebenso wie eine Ansiedlung Reichsdeutscher erforderlich sei.15 Sofern ein erzwungener ParadigmenWechsel vorlag, gelang er den SS-Planern nach außen jedenfalls mühelos: Die Rücksiedlung der Balten-, Galizien- und Wolhyniendeutschen, war sie auch zunächst aus anderen Gründen begonnen worden,16 sollte nun, soviel geht aus der Formulierung Greifelts hervor, Siedler bereitstellen, die in der Auseinandersetzung mit Slawen und anderen „minderwertigen" Rassen erfahren waren. Besonders die baltischen Barone galten, wie Sobczak betont hat, als „ideales Herrenvolk".17 Einen weiteren Aspekt rückte Alexander Dolezalek in den Vordergrund. „Zur Aufsiedlung der angegliederten Ostgebiete fehlt es zwar nicht an Menschen an sich, sondern an Menschen, die bereit sind, auf Sandboden zu siedeln, als Industrie- und Landarbeiter, als unselbständige Handwerker im Osten tätig zu sein. Diese Siedler können daher nicht aus dem Altreich, sondern nur aus dem weiten Osten kommen. Für den Deutschen aus dem Generalgouvernement, aus Ost-Wolhynien, von der Wolga usw. bedeutet die Umsiedlung in den Warthegau einen kulturellen und völkischen Aufstieg, für den Reichsdeutschen würde es bis auf weiteres einen Abstieg bedeuten."18 Mit dem vom Leiter der Planungsabteilung des SS-Ansiedlungsstabes Dolezalek festgestellten „Aufstieg" war nicht nur gemeint, daß die im barbarischen Osten beheimateten Volksdeutschen nun wieder im Deutschen Reich leben konnten. Vorrangig war, daß grundsätzlich mit der Ansiedlung im Warthegau eine Verbesserung der ökonomischen Grundsituation verbunden sein sollte: größere Höfe, bessere Böden, schönere Unterkünfte.19 Dies Aktennotiz über die Ausführungen von SS-Brigadeführer Greifelt über die Volksdeutsche Rückwanderung und Umsiedlung am 13. Dezember 1939, zit. n. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 124 f. Während die „Volksdeutsche" Minderheit in Polen als Begründung für den deutschen Überfall herhalten mußte, geriet die „Rücksiedlung" der „Baltendeutschen", zunächst als Druckmittel gegen die baltischen Staaten und die Sowjetunion eingesetzt, zunehmend zu einer scheinbaren Realisierung des Programmes der Zusammenfassung aller Deutschen in einem Staatsgebiet. Tatsächlich wurden solche „Rücksiedlungen" aber nur da vorgenommen, wo die „Volksdeutschen" keinen anderen Zwecken mehr dienen konnten. VgL SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenia, S. 30 f. Vgl. auch BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 95; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 87. Siehe zum Folgenden auch die neue, sehr detailreiche Untersuchung von ALY: Endlösung, bes. S. 38 ff., 43-46 und passim. SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenia, S. 30 f. Die Greifeltsche Einschätzung der Baltendeutschen darf aber nicht dazu führen, anzunehmen, daß alle „Volksdeutschen" tatsächlich von ihrer neuen Rolle unbedingt begeistert gewesen wären und daß nicht letztendlich auch sie von den deutschen Behörden instrumentalisiert wurden. Vgl. dazu jetzt ALY: Endlösung, S. 39 f., 45. Eine entsprechende Andeutung auch bei SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenie, S. 27. Um eine differenzierte Darstellung der Haltung der Deutschen im besetzten Polen insgesamt bemüht sich LUCZAK: Niemcy.

Entwurf zum Ansiedlungsplan Generalgouvernement, gez. Dolezalek, 19.8.1941. BAK R 49 Anh. 1/34. So z.B. Dolezalek in einem Vermerk vom 27.11.1940. BAK R 49 Anh. 1/36. Vgl. auch BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 92. 132

war nur zu erreichen, indem, wie bereits erwähnt wurde und im folgenden Kapitel ausgeführt werden wird, polnische Bauern massenhaft vertrieben wurden. Es stellte sich bald heraus, daß die Verwendbarkeit mancher deutscher „Volksgruppen" aus dem Osten für die Pionierarbeit im „neuen deutschen Osten" sehr eingeschränkt war. In einem Aktenvermerk vom 14. Dezember 1939 aus der Einwandererzentralstelle Nordost in Posen ist sogar zu lesen, daß eine sofortige Ansiedlung der Wolhynien- und Galiziendeutschen gar nicht geplant war; vorgesehen sei auf mündliche Anordnung Himmlers lediglich eine meldepolizeiliche Erfassung. Diese Menschen sollten „sofort nach Ankunft entlaust und sofort nach Beobachtungslagern im Altreich abtransportiert" werden. Erst nachdem die entsprechenden Lager im „Altreich" voll sein würden, war eine Unterbringung in den Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle vorgesehen; die „heimgeholten" Volksdeutschen sollten, so wurde ausdrücklich angeordnet, „dort längere Zeit verbleiben".20 Offensichtlich standen einer Ansiedlung im östlichen Vorposten bei diesen Leuten größere Bedenken entgegen, als dies bei den gleichzeitig „rückgesiedelten" Baltendeutschen der Fall war, und offensichtlich existierte noch kein Verfahren und ebenso keine Planung über die Verteilung dieser Menschen. Hinzu kam ein weiterer Punkt. Die Durchsetzung des Anspruchs der SS, und besonders Himmlers als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, erforderte einen möglichst raschen Beginn der Germanisierung. Eine Besiedlung der neuen Gebiete mit Reichsdeutschen, wie sie in den Planungen der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung und der RKF-Dienststelle vorgesehen war, konnte aber, wie sich bald herausstellte, während des Krieges nicht in Frage kommen. Dagegen sprachen neben den im vorigen Kapitel erwähnten Vorbehalten der Wehrmacht bezüglich einer breiten Reservierung von Boden für eine spätere Veteranensiedlung auch rein technische Probleme. So hatte Greifelt bereits am 13. Dezember 1939 betont, daß eine Ansiedlung Reichsdeutscher sich in erster Linie aus Frontsoldaten rekrutieren sollte und schon von daher erst nach dem „Endsieg" beginnen konnte.21 Einstweilen lag das Hauptgewicht von Planung und Praxis eindeutig auf der Seite der Aussonderung und Deportation der Unerwünschten. In einem Fernschreiben vom 28. November 1939 kündigte Reinhard Heydrich einen „Räumungsplan", bestehend aus „Nahplan" und „Fernplan" an. Der „Nahplan", der nur für den Warthegau als Ansiedlungsregion für die Baltendeutschen galt, bezog sich zwar als direkte Voraussetzung für die Unterbrin-

Aktenvermerk betr. Organisation und personelle Fragen bei der Erfassung der Wolhynien- und Galiziendeutschen, 14. Dezember 1939, gez. Dr. Sandberger als Leiter der EWZ Nordost in Posen. AGK RuS Lodz 167/1, Bl. 1-3. Vgl. auch ALY: Endlösung, S. 166-177. Aktennotiz über die Ausführungen von SS-BrF Greifelt über die „ Volksdeutsche Rückwanderung und Umsiedlung" am 13. Dezember 1939, wiedergegeben in: MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 124 f.

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gung der Umsiedler aus dem Osten auf die Ansiedlung, legte aber wiederum keine Pläne für deren Verteilung vor.22 Am 16. und 17. Januar 1940 fand in Lodz eine „Besprechung betr. Planungen der Wehrmacht im neuen Ostraum statt", in der die Vertreter des OKH die RKF-Planer mit einer breit angelegten, aggressiven Siedlungsplanung überraschten.23 Neben der Einrichtung einer „Ostsicherungszone", in deren Bereich „keine Einsiedlung" erfolgen dürfe, schlug der OKH-Vertreter Major Hartwieg einen Ring von 50 km um eine Reihe von geplanten militärischen Anlagen vor, innerhalb dessen vornehmlich Volksdeutsche, Jedenfalls keine Juden und Polen" angesiedelt werden sollten.24 Dies war ein ernstzunehmender Vorstoß, der die primären Siedlungszonen, über die man sich in der RKF-Dienststelle noch gar nicht genau klar war, in wesentlichem Ausmaß präjudizielle. Mehr noch schob der Verlauf der Linie, an der sich die „Ostsicherungszone" orientierte, den Siedlungsbereich weit in das gouvernement hinein. Gleichzeitig orientierte sich Hartwieg in der Festlegung des Siedlerpotentials an den Vorgaben der Raumplaner und Agrarökonomen im Reich. Da „die aus Rußland und den Baltenländern Rückgeführten" für eine Besiedlung der Umgebungen militärischer Anlagen kaum ausreichen würden, wollte man nicht nur auf „etwa 400.000" reichsdeutsche Familien zurückgreifen, deren Umsiedlung ohnedies beabsichtigt sei. Zusätzlich sollten solche Familien herangezogen werden, „die zwar eine genügende Ackernahrung haben, aber auf so kärglichem Boden leben, daß sie sich durchs Leben hungern müssen".25 Dieser Vorstoß aus der deutschen Wehrmacht blieb ohne große praktische Konsequenzen, wenn auch Himmler zunächst den Befehl gab, die Transporte mit den baltendeutschen Umsiedlern gemäß den Wehrmachtsangaben zu dirigieren, und sich in der Folgezeit eine für beide Seiten ersprießliche Zusammenarbeit entwickelte. Er beschleunigte aber vor alTelegramm Heydrich an HSSPF in Krakau, Breslau, Posen und Danzig, 28. November 1939, wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnosci, S. 15 f-17 f. Ein Bericht des HSSPF Koppe vom 26. Januar 1940 über die Umsetzung des 1. Nahplanes fuhrt an: „Die Verteilung der Kontingente erfolgte unter Zugrundelegung von Bevölkerungsstrukturforschungen und der Planung für die Baltenansiedlung." Diese Forschungen und Planungen mußten aber großenteils erst noch erstellt werden. Zit. n.: Faschismus-Ghetto-Massenmord, S. 48 f. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 16 ff. Bericht über die am 16 .u. 17.1.1940 in Lodsch stattgehabte Besprechung betr. Planungen der Wehrmacht im neuen Ostraum. BAK R 52 III 250, Bl. 6-12v. Auch wiedergegeben in MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 125-129. Neben Vertretern der einzelnen Wehrmachtsteile und -einrichtungen nahmen Dr. Gebert als Stabsleiter des RKF, Petri, Frank und Jüttner als weitere SS-Funktionäre sowie eine Reihe von Vertretern der Regierung des Generalgouvernements, darunter Dr. Hans Julius Schepers als Leiter der Abteilung Raumordnung, sowie zwei Planer aus Königsberg teil. Bericht über die Besprechung vom 16./17. Januar 1940, S. 4. Leider ist nicht angegeben, wer den „Hinweis auf die beabsichtigte Umsiedlung von reichsdeutschen Bauern, die keine volle Ackernahrung besitzen", gemacht hat. Es dürfte sich aber entweder um Gebert vom RKF oder Schepers gehandelt haben, der auch als Vertreter der Reichsstelle für Raumordnung fungierte. 134

lern die Konzeptionierung und Planung innerhalb der SS, die nun, wollte sie die Option auf die Germanisierung der neuen Ostgebiete unter ihrer Regie nicht aufgeben, in Zugzwang war. Darüber hinaus legte sie den Grundstein für eine Arbeitsteilung bei der Deportation der Juden und Vernutzung ihrer Arbeitskraft durch die SS im Dienste der Wehrmacht26, die für das spätere Vorgehen, die Selektion an der Rampe, zum Vorbild wurde.27 Die RKF-Planungsabteilung reagierte rasch. Bereits im April/Mai 1940 legte Konrad Meyer als Leiter der Planungshauptabteilung des RKF mit den bereits zitierten Planungsgrundlagenfür den Aufbau der Ostgebiete einen ersten Generalplan für die Besiedlung und die Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur der eingegliederten Ostgebiete vor. Auch Meyer ging davon aus, „daß die gesamte jüdische Bevölkerung dieses Gebietes von rund 560.000 bereits evakuiert ist bezw. noch im Laufe dieses Winters das Gebiet verläßt" und daß ein wesentlicher Teil der polnischen Bevölkerung ebenfalls deportiert werden würde.28 Meyer schlug wie schon die S-Planung ein Vorgehen in mehreren Schritten vor. Als erstes sollte der „Status von 1914" und damit ein deutscher Anteil von 50% an der Gesamtbevölkerung erreicht werden. Dazu waren 3,4 Millionen Deutsche anzusetzen, die gleiche Anzahl Polen abzuschieben. Da deutsche Siedler aber in rein agrarischen Gebieten „aus rassischen Gründen" eher zur Landflucht, die Polen zur Überbevölkerung neigten, müsse, wenn eine Bevölkerungsdichte von 100 Einwohnern je km2 aufrechterhalten werden sollte, „das Ostgebiet aufgebaut werden als ein gemischt agrarisch-industrielles Gebiet mit einer ähnlichen Sozialstruktur, wie sie beispielsweise die gesündesten Gebiete Bayerns und unsere Nordwestprovinz Hannover besitzen."29 Zu dem gleichen Ergebnis war auch Isenberg in seiner oben zitierten Denkschrift Die Tragfähigkeit des deutschen Ostens gekommen: „Für die neuen Ostgebiete müßte ein gegenüber Ostpreußen und Pommern erheblich höherer Industrialisierungsgrad erstrebt werden, der etwa bei 30 bis 40 Fernbedarfstätigen je 1000 Einwohner liegen könnte."30 Noch im April 1943 kam ein „Schlußbericht über die wirtschaftliche, zumal industrielle Struktur" des „neuen deutschen Ostraums" des Instituts für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware in Nürnberg im wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen. Gemes-

MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 21 f. Vgl. ROTH: Generalplan Ost, S. 35-40. RKF Planungshauptabteilung, Planungsgrundlagen für den Aufbau der Ostgebiete, o.D., nur für den Dienstgebrauch, S. 1. BAK R 49/157, Bl. 1-21. Wiedergegeben in: Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik. Mitteilungen, 1 (1985), H. 4, unfol. hinter S. 52. Planungsgrundlagen, S. 2. Hervorhebung im Original. ISENBERG: Tragfähigkeit, S. 30. Der Begriff „Fernbedarfstätige" meint den größten Teil der verarbeitenden Industrie, der sowohl die direkte Umgebung, als auch weit entfernte Absatzgebiete beliefere. Ebenda, S. 24. 135

sen an der Marktfähigkeit und den europäischen Standards bezüglich der Ausstattung der Landwirtschaft „ergebe sich die schwierige Situation, daß es auf dem flachen Lande 1,2 bis 2,2 Millionen Männer im Alter von 18-60 Jahren oder, die zugehörigen Familien eingerechnet, etwa 5 bis 8,8 Millionen Menschen zuviel gebe."31 Die Schlußfolgerungen entsprachen damit bis hin zu den Zahlenangaben dem, was bereits 1930 Józef Poniatowski und andere polnische Ökonomen über die Probleme der polni* sehen Nationalökonomie geschrieben hatten.32 Auch die Lösungsvorschläge waren im Kern dieselben. Das Nürnberger Institut, das von dem renommierten Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Erich Schäfer geleitet wurde, betonte zwar, daß die so - auf der Grundlage von Angaben des polnischen Landwirtschaftsministeriums von vor 1939 - beschriebenen Verhältnisse „der geschichtlichen Vergangenheit angehören", eine weitere Entwicklung der regionalen Industrie aber unabdingbar sei. Dabei könne man durchaus in breitem Umfang auf die polnische Bevölkerung trotz ihrem „Mangel an eigenem Ordnungssinn und an der Fähigkeit zum selbständigen wirtschaftlichen Tun" wegen „ihrer Genügsamkeit und ihrer Arbeitsfähigkeit" zurückgegriffen werden.33 Gleichwohl blieb die ländliche Absiedlung zunächst vorrangig. Erst im Januar 1942 erließ Himmler Richtlinien für die Planung und Gestaltung der Städte in den eingegliederten Ostgebieten, in denen er die gesteuerte Industrialisierung des Ostens zum einen mit der Sanierung allzu konzentrierter Ballungsräume im Westen, zum anderen mit der Verhinderung einer neuerlichen Ostflucht in Beziehung setzte.34 Man ging von folgender idealer Berufsstruktur aus: je 35% Landwirtschaft bzw. Handwerk und Industrie, 15% Handel und Verkehr, 7% Öffentliche Dienste. Ausgehend von der vorgefundenen Situation - wobei die nach wie vor vorhandene polnische Bevölkerung „ausschließlich auf den Domänen und den bis zur Aufsiedlung in Großbetriebsform vorübergehend bewirtschafteten Betrieben beschäftigt werden" sollte35 - seien 200.000 deutsche Bauernfamilien neu anzusiedeln.36 Den Gesamtbedarf an „landwirtschaftlichen Berufszugehörigen deutscher Abstammung" bezifferte das Papier auf 1,46 Mio., ein deutlicher Indikator dafür, daß die deutschen Planer von der Notwendigkeit ausgingen, die Höfe

Die Wirtschaft des neuen deutschen Ostraumes. Schlußbericht über die wirtschaftliche, zumal industrielle Struktur und über die Markt- und Betriebsverhältnisse unter Hinzufügung des ermittelten Zahlenmaterials. Vorgelegt vom Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware. Stadt der Reichsparteitage Nürnberg, April 1943, wiedergegeben in: ROTH: Ende eines Mythos, S. 86 f. Siehe oben Kap. II. 1., S. 79-82. Ebenda, S. 91. Allgemeine Anordnung Nr. 13/11 vom 13.1.1942. BAK R 49/158, Bl. 39-54. Ebenda, S. 10. Ebenda, S. 4.

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zumindest zu einem bedeutenden Teil mit abhängiger Arbeit zu bewirtschaften.37 Die Größe einer bäuerlichen Familienwirtschaft (Hufe) sollte zwischen 20 und 30 ha liegen, daneben waren Großhöfe (Wehrbauernhöfe) zwischen 50 und 200 ha sowie Parzellen und Kleinstellen vorgesehen. Die Betriebsgrößenstruktur stellte man sich folgendermaßen vor:

In Oberschlesien verfuhr man nach einem ähnlichen Prinzip. In seinem Schlußbericht über die Galizienaktion vom 6. Juni 1941 führte der Chefplaner der RKF-Stelle in Kattowitz Fritz Arlt aus: „Der Beskidenkreis Saybusch ist ein Gebirgskreis mit sehr starker Realteilung, etwa 95% aller vorhandenen Betriebe sind unter 1ha groß, und agrarisch vollkommen überbevölkert. [...] Es wurden [...] Betriebsgrößen zwischen 8 und 20 ha geschaffen."39 Trotz der aktuellen Konzentration auf die Verknüpfung von „Rücksiedlung" und Restrukturierung behielt die Option auf die spätere Bereinigung der Agrarstruktur des Reiches jedoch Priorität. Aus einem Plan mit dem Titel Bodenbilanz der neuen Ostgebiete vom 5. November 1940 geht hervor, daß von den 5,88 Millionen ha in den eingegliederten Ostgebieten 2.791.000 ha für Reichsdeutsche vorgesehen waren; der verbleibende Rest war mit Umsiedlern aus dem Osten zu besetzen.40 Eine der wichtigsten Aufgaben der Planungsgrundlagen bestand darin, in den eingegliederten Ostgebieten eine zeitliche und funktionale Hierarchie von „Siedlungszonen" festzulegen. Als „Siedlungszone 1. Ordnung" legte Meyer einen „Wall deutschen Volks-

Dies betonte eine handschriftliche Marginalie in den Planungsgrundlagen. Das Problem der „fremdvölkischen Landarbeiter" führte zu zwei Denkschriften Himmlers: einer ersten vom 24.6. 1940, in der er auf der Ersetzung auch der polnischen Landarbeiter durch Deutsche bestand, und der oft zitierten Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten vom November 1940, in der er die polnische Bevölkerung zum „führerlosen Arbeitsvolk" definierte. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Planungsgrundlagen, S. 14. Schlußbericht über die Galizienaktion an Gauleiter [Bracht], 6. Juni 1941, wiedergegeben in: DLUGOBORSKI: Polozenie ludności, S. 187-192. Bodenbilanz der neuen Ostgebiete, wiedergegeben in: Bevölkerungsstruktur und Massenmord, S. 33. 137

rums" entlang der Grenze zum Generalgouvernement fest, um die Polen, die von einer Deportation vorläufig verschont bleiben sollten, „vom Hinterland endgültig" abzutrennen. Gleichzeitig waren in Ost-West-Richtung verlaufende „Volkstumsbrücken" vorgesehen, die die polnische Bevölkerung in „Inseln" abschnürten. Dazu kam die deutsche Besiedlung des Hinterlandes der größeren Städte.41 Sieht man einmal von der blumigen Begrifflichkeit ab, erweist sich das hier vorgestellte Siedlungskonzept als durchaus effektiv wirkende Verteilungsoptimierung eines zunächst nur begrenzt verfügbaren Siedlerpotentials. Entlang der wichtigsten Zentren und Verkehrswege sowie an der Grenze ließen sich auf diese Weise sozial und infrastrukturell gefestigte Siedlungskerne schaffen. Die ohnedies unerwünschte polnische Bevölkerung wurde in Restgebiete, die vorläufig von minderem Interesse waren, abgeschoben - ohne Zugang zu Kommunikationswegen und den übrigen Segnungen der großdeutschen Wirtschaft. Auch bei Meyer stand, dies wurde im vorigen Abschnitt bereits erwähnt, die Schaffung einer „gesunden Boden- und Besitzordnung" an erster Stelle. „Lebensfähigen Bauern" sollten „geeignete größere Besitzformen für das volks- und wehrpolitische Führertum" beigesellt werden, ohne „zur Schaffung einer Oberschicht im Sinne einer Kaste von Großgrundbesitzern mit volksfremder Landarbeiterunterschicht" zu führen. Zur Verhinderung einer neuerlichen Landflucht seien „Aufstiegsmöglichkeiten" für das „deutsche bodenständige Landarbeitertum" unabdingbar, daneben war mit Landbesitz ausgestattetes dörfliches Handwerk vorgesehen.42 Das Siedlerpotential suchte und fand Meyer in allererster Linie bei reichsdeutschen Bauernfamilien aus den „Sanierungsgebieten" für die Erstbesiedlung und in den zweiten und weiteren Bauernsöhnen, die wegen der Unteilbarkeit der „Erbhöfe" landlos blieben, für die weitere „Durchdringung".43 Erst Ende Juni äußerte sich Himmler selbst, nachdem er Studien über die Ansiedlung von Landarbeitern vor 1933 und die nachfolgende Landflucht ausgewertet hatte. Der Reichsführer SS wandte sich entschieden gegen eine dauerhafte Verwendung polnischer Landarbeiter und verlangte eine Germanisierung auch der Städte. Er schlug die schrittweise Aussiedlung der gesamten polnischen Bevölkerung, bis dahin „die Errichtung von Städten, Dörfern und Siedlungen, den Bau von Straßen und die Durchführung von Meliorationen" mit polnischen Zwangsarbeitern vor.44

Planungsgrundlagen, S. 6. Ebenda, S. 10 ff., 14. Ebenda, S. 18, 1. Schreiben Himmlers vom 24.6.1940, wiedergegeben in: Mitteilungen 1 (1985), H. 4, unfol. nach S. 52. Nach einer handschriftlichen Marginalie („Der Führer sagte, daß es Punkt für Punkt richtig wäre.") legte Himmler seine kurze Denkschrift Hitler zur Genehmigung vor. Das hier durchscheinende Verfahren: Ausarbeitung von Richtlinien durch interessierte und ambitionierte Stellen, danach Vorlage bei Hitler, der durch sein placet die ausgearbeiteten Vorschläge allgemein verbindlich machte, wird im Verlauf der Argumentation noch öfters begegnen und läßt einige Rückschlüsse über die Genese der Siedlungs-, aber auch der Vernichtungspolitik zu. 138

Parallel zur behördlichen Planung arbeiteten Wissenschaftler an den Universitäten und Hochschulen des Reiches, etwa in Königsberg, in der gleichen Richtung. So wurde am Wirtschaftsgeographischen Institut der Handelshochschule Königsberg auf Anregung der RAG eine Arbeitsgruppe unter der Leitung Prof. Erwin Scheus gegründet, die sich mit Gutachten zur Aufnahmefähigkeit der Ostgebiete befaßte. Die Schlüsse für eine ideale Agrarstruktur, die in den Studierzimmern der Königsberger Wirtschaftsgeographen gezogen wurden, waren mit den Planungsparadigmen Meyers identisch. So schrieb Georg Blohm, Direktor der Abteilung Wirtschaftslehre an der TH Danzig und späterer Leiter der Reichsuniversität Posen45, in seinem Beitrag zu einem von Scheu herausgegebenen Sammelband „Vorschläge für die ländliche Besiedlung des neuen deutschen Ostraumes": „Im allgemeinen ist die Zahl der Arbeiterstellen und der bäuerlichen Parzellenbetriebe in fast allen Dörfern unerwünscht hoch. Auch in den polnischen Bauerndörfern wird es naturgemäß erforderlich sein, die durchschnittliche Betriebsgröße der bäuerlichen Familienbetriebe auf 15 bis 20 bis 25 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche entsprechend den gegebenen Bodenverhältnissen zu erhöhen, und darüber hinaus sind in jeder größeren Gemeinde auch ein oder einige Mittel- oder Großbauernbetriebe zu schaffen."46 Mochte die akademische und behördliche Planung noch so detaillierte Entwürfe idealer Sozial- und Agrarverhältnisse erstellen, die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Die große Eile, die bei der „Ansetzung" der ersten Umsiedler herrschte, hatte längst dazu geführt, daß vom postulierten Grundsatz der zentralen Planung des „Menscheneinsatzes" - die ja bei Beginn der Umsiedlungen noch gar nicht verbindlich vorlag - in der Praxis nicht viel übrig blieb. Zwar hatte Ulrich Greifelt als Stabsleiter der RKF-Dienststelle am 1. März 1940 die Verteilung von 18.000 Familien aus Wolhynien, Galizien und dem Narew-Gebiet auf zehn Kreise des Warthegaus entsprechend einem Vorschlag Koppes geregelt.47 Tatsächlich scheint aber nicht immer danach verfahren worden zu sein. Am 18. April 1940 meldete Untersturmführer Hübener vom Amt für örtliche und berufliche Unterbringung beim HSSPF Warthe, daß nun, nachdem „der erste Ansturm nachgelassen" habe, ein planvolleres Vorgehen möglich sei als bisher: „Die Verteilung bezw. Unterbringung in den einzelnen Kreisen und Städten, die bisher eine rein theoretische war, kann von nun an als eine praktische vor sich gehen."48 Nur ging man in diesem Fall umgekehrt vor. Es waren nicht mehr die einzelnen Hauptleute, die „Bedarfslisten" erstellten. Stattdessen übermittelte Hübener seinerseits Listen „der ein-

Zur Reichsuninversität Posen und zur Rolle Blohms und des Geographen Walter Geisler vgl. PIOTROWSKI: W shizbie rasizmu. BLOHM: Bereinigung, S. 87. RF-SS, Schreiben an RSHA III ES, VoMi und HSSPF Warthe, 1. März 1940, gez. Greifelt. BAP 17.02.336, unfol. HSSPF Warthe, Rundschreiben, gez. Hübener, 18. April 1940. AGK Amtskommissar RawitschLand 876/172, Bl. 58-60. 139

satzfähigen Berufstätigen, die für einen Einsatz im Warthegau zur Verfügung stehen." Das bedeutete aber nicht, daß die Behörden im Warthegau das Interesse an „einsatzfähigen" Arbeitskräften verloren hätten. So forderte ein Rundschreiben des Posener Regierungspräsidenten Dr. Böttcher vom 24. Oktober 1940 die Landräte und den Oberbürgermeister Posens wiederum auf, schnellstmöglich Bedarfslisten aufzustellen. Unter den Bessarabiendeutschen, deren Umsiedlung gerade angelaufen war, befinde sich „ein hoher Anteil wertvoller Handwerker", und Böttcher wollte „einen möglichst großen Teil dieser Handwerker für meinen Regierungsbezirk" sichern.49 Auch die „Ansetzung" solcher Volksdeutscher aus nichtlandwirtschaftlichen Berufen war selbstverständlich mit der „Evakuierung" genannten Deportation polnischer Familien verbunden, die ihrerseits nach Eignung zur „Wiedereindeutschung" selektiert wurden.50 Die den Planungsgrundlagen folgenden Studien51 und Diskussionen52 flössen erst mit den Grundsätzen und Richtlinien für den ländlichen Aufbau in den neuen Ostgebieten vom 26. November 1940 in einer verbindlichen Planungsrichtlinie zusammen. Die Grundsätze und Richtlinien lehnten sich inhaltlich wie formal weitgehend an die Planungsgrundlagen an. Grundlage der projektierten „gesunden Bodenordnung" müsse die „Normalbauernstelle (Hufe)" als „bäuerliche Familienwirtschaft" sein. Ihr Umfang müsse, abweichend vom vorigen Entwurf und dem Gutachten Blohms, 25-40 ha betragen. Böden minderer Güte, die noch größere Wirtschaften erforderlich machen würden, sollten aufgeforstet werden. Daneben seien kleinere Stellen für Spezialbetriebe und Landarbeiter als „soziale Aufstiegsformen zum Vollbauern" sowie größere Wirtschaften zur „Seßhaftmachung und Schaffung eines neuen bodenständigen Führertums" einzurichten.53 Die Agrarstruktur war entschieden mittelbäuerlich: „Die bäuerliche Familienwirtschaft muß eine Bodenfläche umfassen, die für eine kinderreiche Familie eine gesicherte Lebensgrundlage bietet und deren Arbeitsverfassung vorwiegend durch die familieneigenen Kräfte unter Ergänzung durch Gesinde bestimmt wird. Sie muß ferner einen Arbeitsertrag gewährleisten, der der bäuerlichen Familie ei-

Der Regierungs-Präsident, Schnellbrief, 24. Oktober 1940, gez. Dr. Böttcher. AGK Amtskommissar Rawitsch-Land 876/172, Bl. 100. Rundschreiben Greifelt an die HSSPF, 31. Juli 1940. AGK RuS Lodz 167/3, Bl. 1 f. Hier sind neben den im vorigen Abschnitt erwähnten Arbeiten aus der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumordnung Berichte der Publikationsstelle Berlin-Dahlem zu nennen. Zur Rolle der „PuSte" vgl. oben und BURLEIGH: Germany Turns Eastwards. So erwähnt der Landesplaner in Breslau, Dipl.-Ing. Ziegler eine „Sitzung der Professoren" im November 1940. Weiter führt er an, daß Himmler und Greifelt (letzterer am 4. November) die Planungsabteilung Zieglers besucht hatten. Schreiben Ziegler an Jarmer (RfR) vom 12. November 1940. BAK R 113/362, Bl. 71 f. Allgemeine Anordnung Nr. 7/II des RKF vom 26. November 1940, Betr.: Grundsätze und Richtlinien für den ländlichen Aufbau in den neuen Ostgebieten, gez. H. Himmler. BAK R 49/158, Bl. 23-31 (im folgenden: Grundsätze und Richtlinien). 140

ne volle Teilnahme am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit anderen Bereichen der Volksgemeinschaft gewährleistet."54 Weiter lieferten auch die - vermutlich ebenfalls von Meyer entworfenen - Grundsätze und Richtlinien eine prozentuale Festlegung des Verhältnisses der Betriebsgrößenklassen untereinander. Wichtig sei vor allem, daß „die Betriebsgrößenmischung bei gesunder Lebensordnung die größtmögliche Zahl von deutschen Menschen an den Boden bindet". Das Schwergewicht müsse daher auf den Familienbetrieben liegen; sie sollten 50-60% der Betriebe mit einem entsprechenden Anteil an der Gesamtfläche ausmachen.55 Die in der Planungshauptabteilung festgelegten Richtlinien stellten also den Ansiedlungsstäben, soviel geht aus den hier angeführten Zitaten hervor, mehrere Aufgaben zugleich. Erstens war erforderlich, innerhalb möglichst kurzer Zeit den Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung wesentlich zu erhöhen. Eine arrondierte Betriebsgrößenverteilung, die den Siedlern die besten Böden und die schönsten Höfe sicherte, diente der Sicherung eines dauerhaft guten Auskommens, das sowohl eine neuerliche Land- oder Ostflucht vermeiden sollte56 als auch die Superiorität der Deutschen gegenüber den auf kleinere Höfe mit schlechteren Böden abgeschobenen polnischen Bauern festschrieb. Zweitens wurde die Konzentration auf relativ üppig bemessene Familienwirtschaft als Förderung der Fruchtbarkeit dieser bäuerlichen Familien verstanden. Gerade bei Wirtschaften der genannten Größen erwartete man Familien mit mindestens vier Kindern.57 Schließlich sorgte eine sinnvolle Verteilung des Siedlerpotentials bei gleichzeitiger sozialer Stratifikation zwischen Herrenmenschen und Sklavenvolk auf miteinander verbundene Siedlungszonen für die Dauerhaftigkeit der Ansiedlung in „fremdvölkischer Umgebung".

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57

Ebenda, S. 1 f. Ebenda, S. 3 f. Bereits der /. Kurzbericht des siedlungswissenschaftlichen Referats beim HSSPF Posen (gez. Dr. Luise Dolezalek, ohne Datum, vermutlich Ende 1941/ Anfang 1942) trug den Titel Die Sesshaftigkeit der von der preußischen Ansiedlungskommission angesetzten Siedler nach ihrer stammlichen Herkunft und stellte fest, daß die hohe Zahl derer, die ihre von der Ansiedlungskommission eingerichteten Höfe wieder verlassen hatten (60,5%), nicht allein dem wirtschaftlichen Druck seitens der Polen geschuldet sei, sondern einer allgemeinen Ost- und LandfluchtBewegung nach 1918. „In der Bekämpfung dieser schlimmsten Feindin unserer Siedlungsarbeit", stellte Dolezalek fest, „haben auch wir den schwersten Teil der Arbeit noch vor uns." BAKR49Anh. 1/9, Bl. 3-5. So bereits Wetzel/Hecht, Die Frage der Behandlung, S. 27, 29: Ein bedeutender Anteil des verfügbaren Bodens sollte für den bäuerlichen Nachwuchs freigehalten werden, um einen Anreiz fllr Kinderreichtum zu schaffen. Bereits in der im vorigen Kapitel zitierten Besprechung Darrös mit Pancke am 17. Mai 1939 hatte ersterer daraufhingewiesen, daß der Kinderreichtum bei Familienbetrieben erfahrungsgemäß größer sei als bei Großbauernhöfen. Zit. n. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 117. Im November 1941 schließlich forderte Himmler eine „Siedlersatzung", die die Geburt von vier oder sechs Kindern, davon mindestens zwei Söhnen, als Voraussetzung für die Übereignung der bewirtschafteten Höfe festschrieb. ROTH: Generalplan Ost, S. 66. 141

Diese Planungsvorgaben waren der Rahmen, in dem sich in der Folgezeit die Arbeit der SS-Ansiedlungsstäbe abspielte. Die'erste konkrete Planungsumsetzung des Primats einer Bereinigung der Bodenordnung vom 27. November 1940, erlassen im Zusammenhang mit der inneren Umsiedlung der Volksdeutschen im Warthegau, konkretisierte die Agrarstrukturpläne der RKF-Planungsabteilung und machte gleichzeitig die Grenzen ihrer Umsetzung deutlich. Der Leiter der Planungsabteilung des SS-Ansiedlungsstabes Posen, Alexander Dolezalek, beschränkte die „Neuordnung", soweit sie noch während des Krieges begonnen werden sollte, auf die „Besitzvergrößerung der nicht lebensfähigen Volksdeutschen Kleinbetriebe" sowie die Umsiedlung weiterer einheimischer Volksdeutscher von Wiederaufforstungsflächen und „aus den Wehrmachtsgebieten". Gleichzeitig war die Ansetzung und Verteilung der „Rückwanderer" inzwischen nach den Prämissen der RKF-Planer vorgenommen worden: „Die Volksdeutschen Jungbauern sind also insofern gegenüber den Rückwanderern benachteiligt, als unter diesen in Einzelfällen auch zweite bis dritte Bauernsöhne einen eigenen Hof an der unteren Grenze der Ackernahrung erhalten haben."58 Dieser planerische Rückzug gegenüber den Vorgaben sowohl der Planungsgrundlagen als auch implizit der Grundsätze und Richtlinien hing eng mit den Schwierigkeiten zusammen, mit denen die gleichzeitig erfolgende Deportation der Polen und Juden zu kämpfen hatte. Bereits der am 28. September 1939 verkündete „1. Nahplan" mit einem Deportationsrahmen von 80.000 Polen und Juden für 40.000 Baltendeutsche59 war ein vorläufiger Kompromiß gegenüber dem ursprünglichen Plan Streckenbachs, so rasch wie möglich mehr als eine Million Menschen abzuschieben. Der gleichzeitig angekündigte „Fernplan", der die Gesamtheit der ersten großen Deportationswelle einleiten sollte, ließ auf sich warten. Stattdessen behalf man sich mit einer nicht mehr abreißenden Folge von „Nah-" und „Zwischenplänen", die immer wieder eingeschränkt werden mußten und selbst in eingeschränktem Umfang zunehmend unrealisierbar wurden.60 Entscheidend war, daß sich die Behörden des Generalgouvernements, unterstützt durch Wehrmachtsstellen, bald erfolgreich gegen die Rolle „ihres" Territoriums als Abschiebereservat wehrten. Bereits ab Frühjahr 1940 stockten die Transporte, im November 1940 sperrte die Reichsbahn alle Deportations- und Umsiedlungszüge mit dem Hinweis auf Truppenverschiebungen nach dem Osten.61 Außerdem

Planungsabteilung, Vermerk vom 27. November 1940, gez. Dolezalek, S. 1. BAK R 49 Anh. 1/36, Bl. 17-19. Telegramm Heydrich vom 28. November 1939, siehe Anm. 21. ROTH: Generalplan Ost, S. 25 erwähnt die Vorstellung eines ersten „Fernplanes" durch Generalgouverneur Frank am 19. Januar 1940. Eine genaue Rekonstruktion der aufeinanderfolgenden Pläne und ihrer Umsetzung gibt ALY: Endlösung. Die vorliegende Darstellung kann daher weitgehend auf die eigene Rekonstruktion des chronologischen Ablaufs verzichten und sich auf diese beiden Arbeiten stützen. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 97; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 194; ALY: Endlösung, S. 233. Siehe auch Kap. III.2.a. 142

machte sich, je länger der Krieg dauerte und je maßloser seine territorialen Ziele wurden, zunächst in der Landwirtschaft, in zunehmendem Maße aber auch in der Industrie ein Mangel an Arbeitskräften bemerkbar62, der eine Aussiedlung vordem „überschüssiger" Bevölkerung in den Osten schwer begründbar machen mußte. Hinzu kam noch, daß die Bevölkerungsneuordner besonders im Warthegau in der Frage der Ansiedlung schon mit den immer neuen Gruppen von Volksdeutschen, die aus Ost- und Südosteuropa herbeitransportiert wurden63, nicht Schritt halten konnten. Der Aufenthalt der Menschen, denen rasche Ansiedlung auf guten Böden versprochen worden war, in den „Durchgangslagern" verlängerte sich auf Monate, zum Teil auf Jahre.64 Spätestens am 25. September 1940 wurde die Sanierung der Agrarverhältnisse im „Altreich" auf die Zeit nach dem Krieg verschoben.65 Der oben zitierte Vermerk Dolezaleks vom 27. November trug den neuen Verhältnissen bereits Rechnung. Er war aber nicht die letzte Kapitulation deutschen Aufbaueifers vor der Macht des Faktischen. Schon im März 1941 mußten die RKF-Umsiedler eingestehen, daß die Wochen- und monatelang in den Durchgangslagern wartenden „Rücksiedler", soweit sie überhaupt angesiedelt werden konnten und nicht entgegen den Versprechungen der SS-Planer im „Altreich" angesetzt wurden, nur Höfe mit einer Nutzfläche zwischen 13 und 15 ha erhalten hatten.66 In Oberschlesien galt das gleiche: Trotz mehrfacher Versuche, die Ansiedlungspraxis „an das planerische Wunschbild" anzupassen, mußte im November 1943 eine Judenpolitik, S. 103. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 27, fuhrt bereits die „Rücksiedlung" der Volksdeutschen auf einen Arbeitermangel im Reich zurück. Das ist sicherlich nicht richtig interpretiert: Tatsächlich ging man zunächst davon aus, daß sich der Bedarf der deutschen Kriegswirtschaft an Arbeitskräften aus der polnischen Bevölkerung decken lassen würde - deshalb gerade war das Generalgouvernement zum Arbeitskräftereservoir deklariert worden. Hinzu kam, daß man von Herbst 1939 bis Sommer 1941 von einem raschen Kriegsende ausging und so eine „Zweckentfremdung" wertvollen „Siedlermaterials" durch nichts begründbar gewesen wäre. Vgl. etwa SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenia, S. 168; zur Frage der Dekkung des Arbeiterbedarfs aus den unterworfenen Polen siehe HERBERT: Geschichte der Ausländerbeschäftigung, S. 124-130; SEEBER: Zwangsarbeiter. Daß ein Teil der „Rücksiedler" in der Tat im „Altreich" angesetzt wurde, war ein eher unerwünschter Effekt. Vgl. ALY: Endlösung, S. 163-166 und passim. Zur Abfolge der Rücksiedlungswellen siehe detailreich und grundlegend SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenia. Auf die Bedeutung der selbstgeschaffenen Zwänge und Hindernisse der deutschen Siedlungspolitik für deren Entwicklung und Paradigmenwechsel verweist in beeindruckendem Detailreichtum neuerdings ALY: Endlösung. Siehe auch weiter unten. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 435. Im gleichen Sinne MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 87, der anführt, daß die Verschiebung der Ansiedlung Reichsdeutscher auf die Nachkriegszeit einen empfindlichen Dämpfer für Himmlers Ambitionen darstellte. Hingegen geben PÄTZOLD/ SCHWARZ: Tagesordnung: Judenmord, S. 124 ff., eine Aktennotiz über einen Vortrag Greifelts vom 13. Dezember 1939 wieder, in dem dieser ausgeführt habe, daß für eine Ansiedlung im Warthegau aus dem Reich in erster Linie Frontsoldaten vorgesehen seien, deren Ansetzung aber natürlich erst nach dem Krieg erfolgen könne. Siehe auch weiter oben. ALY: Endlösung, S. 246. POHL:

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Kommission aus RKF-Beauftragtem, Gaustabsamtsleiter, Bauernschaften, der Oberschlesischen Landgesellschaft und der Reichsgesellschaft für Landbewirtschaftung zur „Beseitigung der gröbsten Mängel und Herstellung lebensfähiger Existenzen" zusammentreten. Vor allem hatte man dort, im Gegensatz zum Vorgehen im Warthegau, auf eine Selektion der Siedler vor der Ansiedlung verzichtet. Geplant war nun eine umfassende Überprüfung der Höfe, der „fachlichen Eignung des Siedlers" und ihrer Ausstattung mit lebendem und totem Inventar.67 Ganz anders sah die Bilanz der Ansiedlung der Baltendeutschen aus. Nach einer Aufstellung des RKF hatten diese Umsiedler folgende Betriebsgrößen erhalten: 1167 Betriebe von einer Größe bis 25 ha 535

bis 125 ha

191

bis 250 ha

53

bis 375 ha

23

bis 500 ha 68

Diese Aufstellung zeigt, daß, obwohl die Baltendeutschen als städtisch geprägt galten, eine nicht unbedeutende Anzahl auf zum Teil riesigen Gütern angesiedelt wurde. Darüber hinaus ist ersichtlich, daß bei der Vergabe polnischen Eigentums an die Volksdeutschen „Rücksiedler" hinsichtlich der Betriebsgrößenverteilung im Wesentlichen entsprechend den Vorgaben der RKF-Planer vorgegangen wurde.69 Ein weiteres Problem, möglicherweise sogar die zweite Kernfrage, an der die Siedlungskonzeption gelingen oder scheitern konnte, war die sogenannte „Güteraufsiedlung". Bereits die S-Planung hatte, wie oben ausgeführt, den Landvorrat für die Ansiedlung Deutscher in allererster Linie aus der Parzellierung des Großgrundbesitzes schöpfen wollen.70 Tatsächlich kam es nicht dazu. In einer Besprechung Dolezaleks mit Gauleiter Greiser am 4. Februar 1941 hatte sich herausgestellt, daß Greiser sich unter Berufung auf Göring als Vierjahresplan-Beauftragten gegen eine Auflösung der ertragreichen, für die Versorgung

67

68

69 70

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Betr.: Landwirtschaftliche Siedlung. Verhandlungsniederschrift über die Besprechung am 25. 10. 1943 auf der Dienststelle des Beauftragten des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums, 3. November 1943, Paraphe Dr. Bu. AGK HSSPF Südost 865/5, Bl. 30-31. Bei der neuerlichen Selektion der Siedler war die „Zubilligung einer Bewährungsfrist" vorgesehen. Der Menscheneinsatz, S. 107. Die dort gegebene Statistik fuhrt an, daß die baltischen Bauern in ihren Heimatgebieten 86 241 ha Land besessen hatten und mit 136 333 ha polnischen Bodens entschädigt worden waren. Vgl. auch SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenia, S. 164. Vgl. Kap. II.2. Ähnliche Planungen seitens der Volkstumsreferenten im RMdl erwähnt BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 24. Merkwüdigerweise erwähnt ALY: Endlösung, diesen Aspekt überhaupt nicht, obwohl er sich ja gerade mit den Hindernissen für die Umsiedlungspolitik befaßt. Vgl. hingegen MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 397-401.

des Reiches und der Wehrmacht71 benötigten Großbetriebe sperrte. Dolezalek wiederum störte sich vor allem daran, daß die Beibehaltung der Güter dazu führe, daß beispielsweise „in dem Dorf Immenreuth, Posen-Land, 5 Deutschen auf dem Gute 438 polnische Landarbeiter einschließlich Familie entgegenstehen". Dolezalek war sich zwar mit Greiser einig, daß „im Augenblick gewiß keine Experimente gemacht werden" dürften; es stehe aber fest, daß „der Bauer mehr produziert als der Großgrundbesitz auf der gleichen Oberfläche".72 Dolezalek wußte offensichtlich nicht, daß dieser Zug einstweilen abgefahren war. Bereits am 30. Januar 1941 hatte Krumey an Eichmann berichtet, daß für die Ansiedlung der Bessarabiendeutschen „nicht, wie zunächst vorgesehen, größere Güter aufgeteilt, sondern Kleinund Kleinstbetriebe zusammengelegt werden sollen".73 Auch in zwei „Kurzberichten" des „Siedlungswissenschaftlichen Referates" beim HSSPF Warthe unter Dr. Luise Dolezalek, beide vom April 1942, die sich mit der „Güteraufsiedlung" befaßten, blieb kein Zweifel, daß eine Parzellierung des Großgrundbesitzes frühestens nach dem Endsieg begonnen werden konnte. Frau Dolezalek hielt aber die Option auf Parzellierung offen. Nicht nur stünden Großgrundbesitz und Landflucht „nachweislich in einer erschreckenden Wechselwirkung". Darüber hinaus behinderten große Güter als vorherrschende Wirtschaftsform auch die Entwicklung der Gewerbe und der Städte. Vor allem aber helfe die „Gutsaufsiedlung" bei der Verdrängung der polnischen Landarbeiter.74 Trotzdem war auch der siedlungswissenschaftlichen Referentin klar, daß zumindest in einer Übergangszeit von einer fremdvölkischen Umgebung auszugehen sein würde. Sie schlug daher vor, und dies wird weiter unten im Vergleich mit der polnischen Siedlungsplanung nochmals interessieren, die Parzellierung als „Gruppensiedlung" durchzuführen:

Es wurde bereits erwähnt, daß die Wehrmacht nicht nur von Versorgungsinteressen geleitet wurde. Eine Auflösung der großen Güter kam aus ihrer Sicht schon deshalb nicht in Frage, weil ein großer Teil ihres Führungskaders auf diese als Belohnung für im Kriege geleistete Dienste optierte. Vgl. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 34. Vermerk, 12.2.1941, gez. Dolezalek. BAK R 49 Anh. 1/34, Bl. 43-47. Hingegen hatten Wetzel und Hecht in Die Frage der Behandlung, S. 22 f., darauf bestanden, daß „wir zur Erschließung dieser Reichsgebiete dringend diese polnischen Landarbeitermassen als Arbeitskräfte brauchen", obwohl sie den „rassisch schlechtesten Teil" der polnischen Bevölkerung stellten. Auch die RKF-Umsiedler schlössen sich schließlich dieser Sichtweise an. Während seiner Inauguration als Chef des Gauamtes für Volkstumspolitik Ende März 1943 erklärte UWZ-Vizechef Rolf Heinz Höppner, daß lediglich darauf zu achten sei, die polnischen Landarbeiter nicht seßhaft zu machen. Die Aufgaben des Gauamtes für Volkstumsfragen im Reichsgau Wartheland, Rede Höppners auf der Arbeitstagung des Gauamtes für Volkstumspolitik am 20. und 21. März 1943, wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Niemiecka lista narodowa, S. 241-300, hier S. 293. Fernschreiben Krumey an Eichmann über eine Besprechung mit Koppe, 30. Januar 1941, wiedergegeben in: LUCZAK: Wysiedlenia ludnosci polskiej, S. 84 f. Siedlungswissenschaftliches Referat, DC. Kurzbericht. Fortsetzung von Kurzbericht VII „Einige Erfahrungen über Güteraufsiedlung. Teil II. Wirtschaftlicher, bevölkerungspolitischer und volkspolitischer Erfolg, 30. April 1942, gez. Dr. Luise Dolezalek, S. 1 f. BAK R 49 Anh. 1/9, Bl. 57-60. 145

„Unter Gruppensiedlung versteht man gemeinhin Siedlung einer schon vor der Ansiedlung fest zusammengeschlossenen, stammlich, mundartlich und konfessionell oder weltanschaulich-politisch (Artamanen) einheitlichen Gruppe, die die bei der Siedlung notwendigen Arbeiten wenigstens im Anfang gemeinsam verrichtet. Beim Dorfbau in Mecklenburg z.B. stellte jede Familie ca. drei Monate lang je eine männliche Arbeitskraft usw. Der Siedlungsträger [...] hat es dann jeweils nur mit dem Führer dieser Gruppe zu tun. Solche Gruppensiedlung hat sich vor allem bei schwierigen Siedlungsbedingungen bewährt."75 Obwohl die Grundsätze der „Gruppensiedlung" weitgehend in den Kanon der Planungsparadigmen eingingen76, kam es unter der deutschen Besatzungsverwaltung nicht mehr zu einer Parzellierung des Großgrundbesitzes. Dafür wurde mit um so größerer Intensität die Zusammenlegung polnischer Kleinbetriebe betrieben. In einer Denkschrift vom 24. Januar 1942 führte der Leiter der Planungsabteilung des Ansiedlungsstabes Litzmannstadt Schelpmeyer aus, wie er sich den Beginn der Sanierung der Betriebsgrößenverhältnisse trotz Deportations- und Ansiedlungsstopps dachte. In den 15 Kreisen, für die er zuständig sei, betrage die durchschnittliche Hofgröße nur 3-4 ha. Die polnischen Kleinbetriebe - die besseren, größeren Höfe waren schon an „Rückwanderer" vergeben worden - seien „außerordentlich rückständig", die Bewirtschaftung „stark vernachlässigt". Die Bodenerträge seien unterdurchschnittlich. Solche Verhältnisse seien „bei der augenblicklichen Ernährungslage des deutschen Volkes einfach unhaltbar".77 Damit war eine Zusammenlegung aus zwei Gründen unabdingbar. Zum einen sollte die Ertragsleistung der Betriebe im Warthegau gesteigert werden, zum anderen diente die Bereinigung der Vorbereitung späterer Ansiedlung von Frontsoldaten. Die auf 15 ha gebrachten Höfe sollten bis dahin „weiter unter der Oberleitung der Ostland von den aus der Masse auszusuchenden besseren polnischen] Kleinbauern unter Aufsicht der Bezirkslandwirte in besonders straffer Form bewirtschaftet werden, und zwar unter Einschaltung des Ansiedlungsstabes und der Arbeitsstäbe."78

Siedlungswissenschaftliches Referat, VII Kurzbericht. Einige Erfahrungen über Güteraufsiedlung, 27. April 1942, gez. Dr. Luise Dolezalek, S. 3. BAK R 49 Anh. 1/9, Bl. 32-36. Auch diese Idee läßt sich bereits auf die Wetzel/Hecht-Denkschrift Die Frage der Behandlung, S. 28, zurückführen. 76 So fertigte die Planungsabteilung des Ansiedlungsstabes Litzmannstadt in der zweiten Hälfte des Jahres einige Schaubildchen an, die die räumliche Verteilung einzelner Umsiedlergruppen im Warthegau illustrieren. BAK R 49 Anh. 1/36, Bl. 41. 77 SS-Ansiedlungsstab Abt. I-Planung, Denkschrift Übersicht über die Siedlungs- und Wirtschaftsverhältnisse im Bezirk des Ansiedlungsstabes Litzmannstadt unter besonderer Berücksichtigung der noch vorhandenen polnischen Kleinbetriebe, 24. Januar 1942, gez. Schelpmeyer, S. 2 f. BAK R 49 Anh. 1/36, Bl. 55-66. Übersicht über die Siedlungs- und Wirtschaftsverhältnisse, S. 3 f. 146

Weniger als eine Woche später schob Schelpmeyer Erläuterungen zur Denkschrift über die Besiedlung polnischer Kleinbetriebe nach. Die Aktion, die die „straffe Erfassung des gesamten polnischen Kleinbesitzes" zum Zweck habe, diene sowohl der „Freimachung von Arbeitskräften" als auch der Ansiedlung von Frontsoldaten.79 Die Anregungen Schelpmeyers wurden bald aufgegriffen. Bereits am 7. Juni 1942 meldete der Leiter der Außenstelle Kempen der UWZ Litzmannstadt, Hauptsturmführer Michalsen, daß nach Rücksprache mit dem Leiter des Arbeitsstabes Kaiisch die „Z-Hof-Aktion" genannte Zusammenlegung polnischer Kleinbetriebe in seinem Bereich sofort nach der Heuernte beginnen solle. 80 Die von der UWZ Litzmannstadt ausgearbeitete, als geheim eingestufte Arbeitsanweisung für die Z-Hof-Aktion 1942 betonte den Zusammenhang von Siedlungsplanung und Versorgungsinteressen: „Als Vorarbeit für die weitere Ansiedlungstätigkeit und aus ernährungswirtschaftlichen Gründen ist die Beseitigung des polnischen landwirtschaftlichen Zwergbesitzes vorgesehen. Sie soll erfolgen: 1. durch Vergrößerung der bereits vorhandenen deutschen Bauernhöfe, wobei gleichzeitig eine Flurbereinigung zur Durchführung kommen soll. 2. durch Landzulagen an bestimmte OSTLAND-Güter, die ohne Vermehrung der Zugkräfte weitere Landflächen in Bewirtschaftung nehmen können. 3. durch Zusammenlegung mehrerer polnischer Kleinbetriebe zu sogenannten ZHöfen."81 Dieses Vorantreiben der Strukturbereinigung in der Landwirtschaft, das ja zu einer massenhaften Verdrängung polnischer Bauern führen mußte, forderte, auch wenn diese „Aktion" ursächlich mit dem Bedarf an polnischen Zwangsarbeitern zusammenhing, neue Lösungen wenigstens für diejenigen, die für einen Arbeitseinsatz im Reich als nicht geeignet ausgemustert wurden. Da eine Abschiebung ins Generalgouvernement nicht mehr in Frage kam, sollten diese Menschen „im Sammeltreck durch die Polizei nach dem im Amts-

Erläuterungen zur Denkschrift über die Besiedlung der poln. Kleinbetriebe, 30. Januar 1942, gez. Schelpmeyer. Schreiben UWZ Posen, Außenstelle Kempen an UWZ Litzmannstadt, 7. Juni 1942, gez. Michalsen (?). AGK UWZ Litzmannstadt 139 (45), Bl. 39. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 233 ff., betont den Zusammenhang mit Forderungen des Reichsarbeitsministeriums vom März 1942, mehrere Zehntausend polnische Zwangsarbeiter zu stellen. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 166, erwähnt nur die Z-Hof-Aktion im Distrikt Lublin (siehe weiter unten), nicht die im Warthegau. Umgekehrt WASSER: Himmlers Raumordnung, S. 45, 167, der hier auch noch fälschlich angibt, der Beginn sei in der Zamojszczyzna gemacht worden. Dagegen führt Wasser auf S. 201 richtig an, daß die Idee aus dem Warthegau stammte. Auf S. 205 findet sich eine weitere Ungenauigkeit, da Wasser nur die Tätigkeit des UWZ-Fachmannes Krumey in der Zamojszczyzna kennt, nicht aber seine vorherige Tätigkeit in Litzmannstadt. Arbeitsanweisung für die Z-Hof-Aktion, o.U., o.D., S. 1. AGK UWZ Litzmannstadt 139, Bl. 1 f. 147

bezirk Waldwasser vorgesehenen Polenreservat" deportiert werden. 82 Auch diese Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch. Bereits 1943 wurden die „Polenreservate" wegen des gestiegenen Bedarfs an Arbeitskräften wieder aufgelöst.83 Auch denen, die der Weiterführung des eigenen, um zusätzliches Land vergrößerten Hofes für würdig befunden wurden, ging es nicht wesentlich besser. Ihnen wurde nach der Beschlagnahme durch den Arbeitsstab mitgeteilt, „daß sie mit sofortiger Wirkung nicht mehr Besitzer und Nutznießer, sondern Angestellte bezw. Arbeiter der OSTLAND sind und über ihren bisherigen Besitz nicht mehr verfügen dürfen." 84 Im Unterschied zu den Vorschlägen Schelpmeyers, der die Z-Hof-Aktion ausdrücklich als Vorbereitung der Veteranensiedlung nach dem Krieg hatte verstanden wissen wollen, war nun eine „Besetzung der Z-Höfe mit deutschen Ansiedlern" durch den SS-Arbeitsstab in Absprache mit der Ostland vorgesehen. Auch in diesem Fall klafften Planung und Durchführung auseinander. Im Mai 1942 berichtete der SD-Abschnitt, zu dem die UWZ Litzmannstadt gehörte, über den Beginn der „Beseitigung des polnischen Klein- und Zwergbesitzes". Wieder einmal machte übertriebene Eile nach chaotischen Anfängen eine Aussetzung für mehrere Wochen erforderlich. Die Aktion habe im März begonnen, bevor die Vorarbeiten abgeschlossen gewesen seien; dementsprechend habe „dieselbe teilweise einen stark improvisierten Charakter" getragen. Die vorgegebenen Kontingente an Zwangsarbeitern, die aus den zunächst bearbeiteten vier Kreisen „herauszuziehen" waren, wurden nicht einmal annähernd erreicht, und selbst von denen, die ins Reich deportiert wurden, kämen viele als „nicht einsatzfähig" wieder zurück. Viele Pannen hätten nach Meinung der SDBerichterstatter vermieden werden können, wäre die „Maßnahme" erst nach Beendigung der Frühjahrsbestellung begonnen worden. Wenigstens in zwei Kreisen habe die Aktion nach Angaben der beteiligten Stellen befriedigende Ergebnisse erbracht: „Im Kreise Schieratz seien aus 18.000 Kleinbetrieben etwa 3.000 Zeithöfe [!] mit einer Durchschnittsgröße von 15 ha geschaffen worden." 85

Ebenda, S. 3. Tatsächlich ging diese Praxis auf eine Denkschrift eines Mitarbeiters des Ansiedlungsstabes Süd, Butschek, zurück. Dieser schlug in Die Möglichkeiten der Siedlung 1941 etwa im Dezember 1940 angesichts der wachsenden Probleme mit der Deportation unerwünschter Polen und Juden ins Generalgouvernement vor, die arbeitsfähigen Polen in „Reservatgebiete" in der Umgebung der Industriezentren zusammenzupferchen, die Unproduktiven in Trecks abzuschieben. Wiedergegeben in: Bevölkerungsstruktur und Massenmord, S. 34-38, hier S. 35. Siehe auch MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 223-244. S. 228 führt Marczewski an, daß Greiser die UWZ bereits im Mai 1941 anwies, geeignete Plätze für solche Reservate zu suchen. LUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 125. Arbeitsanweisung für die Z-Hof-Aktion, S. 3. SD-Abschnitt Litzmannstadt. Meldung aus dem Abschnittsgebiet, 11. Mai 1942. AGK UWZ Litzmannstadt 134, Bl. 1-3. Als Grund für den überstürzten Beginn der Aktion wurde „der große Mangel an Arbeitskräften im Reich" angegeben. 148

Die genauen Zusammenhänge und die Ergebnisse der „Z-Hof-Aktion" des Jahres 1942 beleuchtet der „Abschlußbericht" der UWZ für das Jahr 1942, verfaßt von Krumey. Danach mußte der Beginn der Umlegungen vorverlegt werden, weil „der Warthegau ab Anfang März 1942 kurzfristig 40.000 Arbeitskräfte, es konnten auch Familien sein, für das Altreich zu stellen hatte". Insgesamt seien 155.230 Polen und Polinnen „ausgesiedelt" worden, davon wurden 38.168 als zur Zwangsarbeit geeignet aussortiert. Das Zahlenverhältnis zwischen „Verdrängten" und zur Zwangsarbeit Deportierten macht nochmals deutlich, welches Interesse die Tatkraft der UWZ-Umsiedler beflügelte. 130.000 Kleinbetriebe seien zu 19.876 Z-Hof-Betrieben mit einer Durchschnittsgröße von 15,5 ha zusammengelegt worden; dadurch sei auch „ein Mehrfaches an Getreide, Hackfrüchten, Milch, Eiern usw. erzielt" worden. So stieg, durch die nun mögliche „straffere Erfassung" die Milchablieferung gegenüber dem Vorjahr um 84%, die Brotgetreideablieferung sogar um 410%. 86 Den Erfahrungen mit der Ansiedlung der „rückgesiedelten" deutschen Minderheiten aus dem Osten und Südosten und mit der „Z-Hof-Aktion", die, wie aus diesen Berichten hervorgeht, durchaus ein Erfolg war, folgte am 28. Mai 1943 eine bis ins letzte durchkonzipierte Planung der Sozial- und Wirtschaftsstruktur im Warthegau vom Schreibtisch eines Herrn Vogel aus. 87 Die Ergänzungen zu den Planungsgrundsätzen für den Dorfumbau im Reichsgau Wartheland bezogen sich auf die bereits zitierten Anordnungen des RKF und führten sie im Detail, bis hin zur Festlegung der Größe der „Gemeinschaftsbauten", der Winkelmaße für die Flächenbegrenzung und der Besetzung der einzelnen Handwerksbetriebe weiter. Neben den Bodenverhältnissen war nun auch „der Einfluß der vorhandenen Siedler" zu berücksichtigen, ein Faktor, dem in der Planung vorher wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Bereits die „landwirtschaftlichen Fähigkeiten" der bereits angesetzten Siedler entschieden weitgehend über die zu wählende Betriebsgrößenverteilung. Allerdings sollten selbst hier gewisse Korrekturen möglich sein: „Wo sich indessen Korrekturen in der Zusammensetzung und in der Landzuteilung für die Umsiedler als unbedingt notwendig erweisen, darf vor Änderungen und Umsetzungen nicht zurückgeschreckt werden."88 Die Ergänzungen bestimmten die Betriebsgrößenverteilung entsprechend den Empfehlungen der Grundsätze und Richtlinien und berechneten die Anzahl der mit anzusiedelnden

Abschlußbericht über die Arbeit der Umwandererzentralstelle im Rahmen des erweiterten 3. Nahplanes (Ansetzung der Reste der Umsiedlergruppen, Besserstellung der Volksdeutschen und Landzulagen) im Reichsgau Wartheland für das Jahr 1942, 31. Dezember 1942, gez. Krumey, S. 5 f. AGKNTN 13, Bl. 125-139. Möglicherweise handelt es sich um den Wirtschafts- und Siedlungsgeographen Prof. Walter Vogel. Vgl. RöSSLER: Wissenschaft und Lebensraum, S. 77, 120. Der Reichsstatthalter des Reichsgaues Wartheland. Beauftragter des RKF, Ergänzungen zu den Planungsgrundsätzen für den Dorfumbau im Reichsgau Wartheland, 28. Mai 1943, gez. Vogel, S. la. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 376-383. 149

Landarbeiterfamilien für die einzelnen Kategorien. So seien die „Aufstiegshöfe" mit 10-20 ha Boden als „reine Familienbetriebe" vorgesehen. Für Hufen von 25-30 ha hingegen sei eine, für „Betriebe an der oberen Grenze" mit bis zu 40 ha zwei Landarbeiterfamilien einzuplanen. Bei noch größeren Betrieben galt als Maßstab ,je eine Landarbeiterfamilie für 15 ha". Die Aufteilung der Gemarkung sollte so erfolgen, daß sowohl eine jederzeitige Aufstockung der kleineren Betriebe auf „Hufengröße" möglich sei und gleichzeitig bei der Zuteilung der einzelnen Flächen „Rücksicht auf die Maschinenbearbeitung" gewahrt wurde. 89 Sowohl Landarbeiter als auch Forstarbeiter waren, entsprechend den Planungen Meyers, durch Landzuteilungen von zwei bis fünf Hektar an die Gemeinde zu binden. Das Gleiche galt für Gastwirt, Schmied, Lehrer, Verwalter und den für die Betreuung der landwirtschaftlichen Maschinen zuständigen Schlepperführer.90 Vogel lieferte zudem genau differenzierte Musterberechnungen der Betriebsgrößenverteilung für zwei Gemeindeflächen von 1150 bzw. 1800 ha, die hier auszugsweise wiedergegeben werden sollen.91 „Verfügungsland der Gemeinde (f. Landzulage) ca. 11% 6 Aufstiegsstellen je 15 ha 11 Hufen je20 ha 5 Hufen je30 ha 3 Hufen je35 ha 2 Doppelhufen je 50 ha 1 Großhof 1 Gastwirt 1 Schmied 2 Straßenmeister je 1 ha 4 Kleinstellen (Lehrer, Leiter der Genossenschaftsanlagen, 2 Schlepperführer je 1/4 ha) Landarbeiter (wie folgt errechnet) 5 Hufen zu 30 ha = 5 Landarbeiter 3 Hufen zu 35 ha = 6 Landarbeiter 2 Doppelhufen zu 50 ha = 8 Landarbeiter 25 Landarbeiter je 1-2 ha rd. insgesamt 61 Familien

= = = = = = = = = =

100 ha 90 ha 220 ha 150 ha 105 ha 100 ha 125 ha 5 ha 2 ha 2 ha

=

1 ha

50 ha = 950 ha" 92

Die hier vorgestellte Agrarstruktur, die auf der umfassenden Zusammenlegung polnischer Ackerflächen und einer vollständigen Neuordnung der gesamten Agrar- und Siedlungsver-

Ergänzungen zu den Planungsgrundsätzen, S. 2. 90

Ebenda, S. 3/3a.

91

Ebenda, S. 3a-4a.

92

Ebenda, S. 4.

150

hältnisse beruhte, kam trotz weitgehender Identität mit den Planungen der RKFDienststelle im übrigen ohne jegliche Rhetorik vom Wehrbauern aus. Ebenso wie die Grundsätze und Richtlinien versuchte sie, ein Modell für eine alle natürlichen Gegebenheiten optimal ausnutzende Aufteilung des verfügbaren Bodens und eine ausreichende Versorgung mit landwirtschaftlichen Nebengewerben u.a. zu berechnen.

Die Übertragung der Planungsparadigmen auf das Generalgouvernement Ab September 1942 wurde die Zusammenlegung polnischer Kleinbetriebe zu arrondierten mittelständischen Familienwirtschaften für deutsche Siedler zu einem der fruchtbarsten Felder der Zusammenarbeit zwischen der UWZ Litzmannstadt und dem SS- und Polizeiführer in Lublin, Odilo Globocnik. Am 11. September berichtete Krumey an seinen Vorgesetzten SS-Standartenführer Dr. Hans Ehlich, daß Globocnik eine Zusammenarbeit mit der UWZ für die ab dem 15. Oktober geplanten Umsiedlungen wolle. 93 Bereits am 23. September legte von Mohrenschildt, der Leiter der RKF-Dienststelle in Lublin, die Aufgaben der UWZ fest: „Die UWZ hat auf Grund der Unterlagen der Eignungsprüfer die Ansiedlung vorzunehmen und die Polen rassisch II auf ungefähr 1500 bis 2000 Z-Höfen mit je 15 bis 20 ha. in denselben Hauptdörfern, wo Deutsche angesetzt werden, anzusetzen." 94 Inzwischen hatte die Germanisierung der Zamojszczyzna, dem Gebiet um das ostpolnische Renaissancestädtchen Zamośc, als Auftakt der Realisierung des Generalplan Ost, begonnen. Auch im östlichen Generalgouvernement wurde die gewaltsame Germanisierung mit einer Struktursanierung verbunden, bei der man auf die Erfahrungen der Fachleute aus dem Warthegau zurückgriff. Dies schien um so leichter, als sich die Betreffenden von selbst um Kontakt bemühten. Am 11. September 1942 bat Krumey in einem Fernschreiben an Ehlich, an einer Vorbesprechung über die Umsiedlungen im Distrikt Lublin teilnehmen zu dürfen, da Globocnik an einer Zusammenarbeit mit der UWZ Litzmannstadt interessiert sei. 95 Am folgenden Tag lud ihn Ehlich ein. Der Termin für die geplante Besprechung mußte allerdings auf den 24. September verschoben werden, da, wie Ehlich Krumey mitteilte, Adolf Eichmann ebenfalls teilnehmen wolle. 96 Krumey war allerdings nicht der einzige, auf des93

94

95 96

Fernschreiben Krumey an Ehlich, 11. September 1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159 (57), unfol. Aufgabe der Umwandererzentralstelle, 23. September 1942, gez. v. Mohrenschildt. AGK UWZ Litzmannstadt 159 (57), unfol. Die Formulierung „Polen rassisch II" bezieht sich auf die Selektion der einheimischen Bevölkerung. Vgl. Kap. III. 1 .a. Fernschreiben Krumey an Ehlich, 11.9.1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159 (57). Telegramm Ehlich an Krumey, 12.9.1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159 (57). Außerdem wurde Krumey zu einer Besprechung am 3.10.1942 bei Globocnik eingeladen. Telegramm Globocnik an Krumey, ebenda. 151

sen Know-how man nicht verzichten wollte. Auch der Leiter des Hauptlandamtes im neralgouvernement, Dr. Karl Kuchenbäcker, war als Beauftragter des RKF in die Vorbereitungen einbezogen.97 Krumey übernahm selbst die Leitung der „Zweigstelle Zamosc". Schon am 20. Oktober lieferte er einen ersten Lagebericht, in dem er die Rolle der polnischen Bauern genauer faßte. Die Z-Höfe sollten „mit ausgewählten polnischen Betriebsführern, sofern deutsche Ansiedler nicht vorhanden sind" besetzt werden. Hinzu kam, als neue Aufgabe, die Umsiedlung der Ukrainer, die in Absprache mit dem Leiter der Abteilung Bevölkerungswesen und Fürsorge bei der Regierung des Generalgouvernements und dem Vorsitzenden des Ukrainischen Ausschusses Dr. Kubieschew ins Reichskommissariat Ukraine transportiert werden sollten.98 Zu dieser „Bereinigung der Volkstumsgrenzen" kam es nicht. Stattdessen wurden auf Anweisung des RSHA, das die Einweisung der Ukrainer „in ihr endgültiges Stammgebiet" für „verfrüht" hielt99, die aus dem Germanisierungsgebiet ausgesiedelten ukrainischen Familien im Kreis Hrubieszöw innerhalb des Distrikts Lublin angesiedelt, bei gleichzeitiger Vertreibung der dort ansässigen Polen.100 Die Umsiedlung im Osten des Distrikts Lublin, die in ihrer Orientierung an der Ostgrenze des perspektivisch insgesamt zu germanisierenden Generalgouvernements dem Vorbild des Warthegaus folgte, ging von einer Betriebsgrößenverteilung aus, die sich von der im Warthegau geplanten nicht wesentlich unterschied.101 Ziel der „Raumordnung", die SS-Sturmmann Dr. Franz Stanglica vermutlich im Oktober 1942, jedenfalls aber noch vor dem formellen Beginn der Umsiedlungen im November 1942 vorlegte, war die „Erhöhung der landwirtschaftlichen Bodennutzung". Betriebe „unter dem Existenzminimum" seien „auszuschalten, da sie die Fortentwicklung nicht garantieren." Großindustrien - die es im Gebiet gar nicht gab, deren Entwicklung aber offensichtlich wie schon im Warthegau grundsätzlich vorgesehen war102 97

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So jedenfalls zeichnete Kuchenbäcker in einem Schreiben vom 5.11.1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159(57). Schreiben Krumey an Ehlich und Eichmann, Lagebericht über den Stand der im vernement im Zuge der Ansetzung von Umsiedlern im Distrikt Lublin und Räumung von penübungsplätzen im Distrikt Radom und Lemberg geplanten Evakuierung von Polen, 20. Oktober 1942. AGK UWZ Litzmannstadt 157, Bl. 45-46v. Fernschreiben Krumey an RKF Zamosc, v. Mohrenschildt, 5.11.1942, geheim. AGK UWZ Litzmannstadt 159, unfol. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 166; WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 66, 143; MANKOWSKI: Miedzy Wisla, a Bugiem, S. 265. Vgl. auch die Dokumentenedition MADAJCZYK: Zamojszczyzna, die im zweiten Teil eine Reihe von Zeugenaussagen Betroffener über den Ablauf der Deportationen enthält. Die oben zitierten Ergänzungen zu den Planungsgrundsätzen befanden sich in den Unterlagen der Forschungsstelle für Ostunterkünfte. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß Hitler im Oktober 1942 den Bug zur „Fertigungsgrenze" erklärte und damit die Industrialisierung des Generalgouvernements, wie sie Helmut Meinhold und andere seit Sommer 1941 vorgeschlagen hatten, zuließ. Bericht August Heinrichsbauer (Leiter des Südosteuropa-Instituts Wien) an Baidur von Schirach, 21. Oktober 1942.

seien „weitgehendst zu dezentralisieren". Hinzu kam wiederum der Bedarf an Zwangsarbeitern im Reich, wie aus der Ankündigung der Umsiedlungsvorhaben durch den Höheren SS- und Polizeiführer Krüger auf einer Gouverneursbesprechung im August 1942 hervorgeht: „Nach den Besiedlungsplänen des Hauptlandamtes für den Distrikt Lublin ist beabsichtigt, jedem reichsdeutschen, Volksdeutschen oder polnischen Bauern einen Besitz von 30-50 ha zuzuweisen, die Klein- und Kleinstbetriebe jedoch, die die unrentabelsten sind, und von denen im Distrikt Lublin etwa 160.000 zwischen 2 - 5 ha vorhanden sind, durch planvolle Aufteilung des Grund und Bodens verschwinden zu lassen. Auf diese Weise würde eine große Anzahl von Arbeitskräften zur Abschiebung ins Reich frei werden." 103 Der Aufgabenkatalog, den Stanglica federführend übernommen hatte, war recht umfangreich und machte nochmals deutlich, was sich die deutschen Fachleute unter „totaler Planung" vorstellten: „Die Raumplanung hat daher festzulegen: die Größe der Siedlungen, die Siedlungsstruktur, die Zahl der anzusetzenden Menschen, die landwirtschaftlichen Betriebsgrößen, die Verteilung der Siedlungen im Raum, die Lage der Siedlungen, die Verteilung der Berufe in den einzelnen Siedlungen, die Festsetzung der Siedlungsgrößen nach dem Verhältnis von Dorf, Hauptdorf, Kreisstadt, Gauhauptstadt, die künftigen Verwaltungsgrenzen, die Ansatzpunkte für Industrie, Handwerk und Handel, die Ordnung des Verkehrs, die Anlage von Straßen, Eisenbahnen, Reichsautobahnen, Entwässerung von Moor- und Sumpfflächen, Regulierung der Wasserläufe, die Aufforstungsgebiete, die Anlage von Weideflächen, von Obstbau, die Gebiete für landwirtschaftliche Edelprodukte."104 Dieser planerische Rundumschlag stand den Ambitionen der Kollegen in den derten Ostgebieten in nichts nach, im Gegenteil. Immerhin war im nun neu zu ordnenden Gebiet eine einheimische, als deutsch apostrophierbare Bevölkerung kaum mehr vorhanden - sie war ja zweieinhalb Jahre zuvor Richtung Westen umgesiedelt worden -, was wiederum bedeutete, daß noch weniger Rücksichten auf bestehende Verhältnisse genommen werden mußten als in den vorher von den deutschen Aufbauplanungen erfaßten Regionen. So stellte Stanglica selbst fest, er habe sich von Richtlinien „möglichst wenig leiten lassen. Sie waren mir nur maßgebend, um meine Erwägungen in maßvolle[n] Grenzen zu halten."105

BAK R 62/206. Vgl. dazu ESCH: Ohne Rücksicht auf historisch Gewordenes, S. 102-105; HEIM/ALY: Die Ökonomie der „Endlösung", S. 33-36, DIES./DERS.: Vordenker, S. 120 Auszug aus der Niederschrift der 1. Gouverneursbesprechung am 3. August 1942. AGK NTN 256, Bl. 161 f. Grundsätzliches zur Raumplanung des Zamoscer Landes. Von SS-Sturmmann Dr. Franz Stanglica, o.D. (etwa Oktober 1942), S. 11. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 267-295. Grundsätzliches zur Raumplanung, S. 28. 153

ii

Zudem hatte die seit dem Frühjahr 1941 bereitstehende Fostu, abgesehen von der Berliner RKF-Zentrale, keinerlei Konkurrenz, die ihr das Planungsmonopol aller siedlungsrelevanten Aspekte hätte streitig machen können. In der Zusammenarbeit mit der Dahlemer RKF-Dienststelle kam es allerdings zu bereits erwähnten Irritationen, als zwei Mitarbeiter der Zentrale Stanglicas Raumordnungsskizze als eigene Arbeit ausgeben wollten.106 Die Planungsparadigmen, die Stanglica ansetzte, waren mit denen im Warthegau weitgehend identisch. Maßstab waren wiederum „die Verhältnisse im Reich", was die Größe der Dörfer und Kreise, die projektierte Sozialstruktur, berufliche Gliederung und Verkehrserschließung anging. Hingegen setzte Stanglica die Bevölkerungsdichte mit 30 Menschen je km2 für die ländliche und 60 für die Gesamtbevölkerung niedriger an als die Kollegen in den eingegliederten Ostgebieten}®1 Die Betriebsgrößenverteilung war feiner abgestuft. Je Dorfbereich sah Stanglica folgende Struktur vor: „1 Großhufe zu 125 ha 1 Wirtschaftshufe zu 2 ha 10 Hufen zu 50 ha 8 Hufen zu 30 ha 5 Hufen zu 20 ha 20 Landarbeiterhufen zu 2 ha 4 Hufen (2 deutsche Maschinenführer und 2 deutsche Handwerker) zu je 2 ha

= 125 ha 1 ha = 500 ha = 240 ha = 100 ha = 40 ha =

8 ha" 108

Die Betriebsgrößenstruktur war damit noch eindeutiger mittelständisch-großbäuerlich ausgerichtet als die vergleichbaren Planungen für den Warthegau. Dies wird daran deutlich, wie Stanglica die Vergrößerung der Betriebe - bei Vorherrschen fruchtbarer Lößböden im landwirtschaftlich genutzten Teil des Kreises Zamosc - über das in den eingegliederten Ostgebieten zugrundegelegte Maß hinaus begründete: „Die große Zahl der Hufen von über 50 ha wurde gewählt in der Erwägung, daß der Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen in den neu zu besiedelnden Ostgebieten nach dem Kriege besonders gesteigert werden muß, um mit möglichst wenig Menschen und vor allem mit möglichst wenigen fremdvölkischen Hilfsarbeitern die großen landwirtschaftlichen Flächen des Ostens nutzbar zu machen."109 Die Rationalisierungsabsichten waren, wie sich an diesem Beispiel zeigt, weniger als im Warthegau von der Notwendigkeit überlagert, gleichzeitig möglichst viele Menschen anzusiedeln und möglichst viel Land für eine nach dem Krieg einsetzende Veteranensiedlung zu reservieren. Außerdem paßte sich die geplante Umsiedlung nahtlos in die veränderte Funktionszuweisung für das Generalgouvernement ein, das nun als landwirtschaftliches Über106

Siehe Kap. I.I., S. 44 f.

107

Grundsätzliches zur Raumplanung, S. 17.

108

Ebenda, S. 17 f.

109

Ebenda, S. 18.

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schußgebiet ausgebaut werden sollte.110 Die Standardgröße der Höfe, wie Stanglica sie sich vorstellte, war von einer mittelbäuerlichen Familie längst nicht mehr zu bewirtschaften und machte sowohl den Einsatz modernster, rationeller Bewirtschaftungsmethoden wie auch die Ansetzung von Landarbeitern, die ihrerseits durch Bodenbesitz gebunden wurden, erforderlich. Zwar war dies auch im Warthegau vorgesehen gewesen, galt dort aber als nachrangig gegenüber der Ansiedlung selbständiger Bauern. Wie in den eingegliederten Ostgebieten war die Zusammenlegung des polnischen Klein- und Splitterbesitzes unabdingbare Voraussetzung für die Ansiedlung deutscher Bauernfamilien. 60% der polnischen Betriebe verfugten über weniger als 10 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.111 Stanglica stützte sich offensichtlich, auch wenn er dies an keiner Stelle explizit erwähnt, neben den Arbeiten aus der RKF-Planungsabteilung und nachgeordneter Stellen auf die mehr als ein Jahr zuvor fertiggestellte Studie zur Bodenordnung im Generalgouvernement von Dr. Karl Kuchenbäcker, mit der dieser, nach der Einbeziehung des ments in den großdeutschen Wirtschaftsraum, eine Restrukturierung der Landwirtschaft hatte einleiten wollen.112 Die Zahlen, mit denen Stanglica die Betriebsgrößenverteilung in der Zamojszczyzna beschrieb, standen bereits bei Kuchenbäcker: 60% der Höfe besäßen unter 10 ha Boden, und selbst diese Fläche sei in aller Regel in eine „Unzahl weit verstreuter Parzellen" zersplittert. Die landwirtschaftliche Bevölkerungsdichte liege mehr als doppelt so hoch wie im Reichsdurchschnitt.113 Die „Neuordnung", die Kuchenbäcker vorgeschlagen hatte, diente jedoch im Gegensatz zu Stanglicas Planung für die Zamojszczyzna, nicht der sofortigen Germanisierung, sondern wie schon die Z-Hof-Aktion im Warthegau dem doppelten Zweck, „in großem Umfange Arbeitskräfte bereitzustellen" und mit gesteigerter Erzeugung „eine auf eigenen Strebepfeilern aufbauende gewerbliche und industrielle Wirtschaft" zu entwickeln.114 Kuchenbäcker betonte, daß die „Bodenordnung" unabdingbare Voraussetzung der Versorgung des Reichs mit Zwangsarbeitern sei: „Obgleich nun ein großer Teil der Landbevölkerung monatelang im Jahr zum Faulenzen und Hungern verurteilt ist, ist er doch nicht so ohne weiteres entbehrlich. Seine Arbeitskraft wird zumindesten in der Bestellungs- und Erntezeit voll beansprucht. Die Befriedigung des Kräftebedarfes zu diesen Zeiten (Arbeitsspitzen) machen eine Heraus110

BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 282. Ähnlich beispielsweise in der Raumplanung der Regierung des Generalgouvernements: Grundsätze für die Raumordnung und Planung im neralgouvernement. Hrsg. von der Regierung des Generalgouvernements, Staatssekretariat, Amt für Raumordnung, Krakau, 26.3.42, S. 5. AAN Reg. GG 1/402, wenn auch hier in erster Linie an eine gesteuerte Industrialisierung und eine Brückenfunktion in die eigentliche Kornkammer Ukraine gedacht war.

111

Grundsätzliches zur Raumplanung, S. 19. Siehe oben Kap. II.2.a. Bodenordnung im Generalgouvernement, S. 1 ff. Ebenda, S. 7.

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nähme solcher Kräfte aus dem derzeitigen Gefüge ohne Bodenordnung unmöglich. Würde man trotzdem dazu übergehen, und durch unorganische Eingriffe und Polizeiaktionen wahllos Kräfte aus dem Gefüge herausreißen, so würde die Erzeugung auf dem Boden, so niedrig sie auch heute ist, noch weiter absinken."115 Es zeigt sich, daß die Bodenordnung Kuchenbäckers nicht nur ein Rationalisierungkonzept war, sondern gleichzeitig eine in ein rationelles Konzept gekleidete Flucht nach vorne. Es ist daran zu erinnern, daß deutsche Polizei und Arbeitsverwaltung in ihrem Versuch, die angeforderten Kontingente an polnischen Zwangsarbeitern an das Reich zu liefern, inzwischen zu willkürlichen Straßenrazzien und regelrechten Menschenjagden übergegangen waren.116 Argumentativ griff Kuchenbäcker dabei auf polnische Vorbilder zurück. Wie im vorigen Abschnitt ausgeführt wurde, erklärten auch polnische Autoren der Zweiten Republik die von ihnen festgestellte agrarische Überbevölkerung als nicht unmittelbar verfügbar, da ihre Arbeitskraft zwar höchst unrationell eingesetzt werde, zur Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktion in ihrer existierenden Struktur aber unabdingbar nötig sei. Hier wie dort verband sich die „Freisetzung" dieser „verdeckten Arbeitslosigkeit" mit der Notwendigkeit einer grundlegenden Restrukturierung. Kuchenbäcker nahm, wie vor ihm Meyer und nach ihm Stanglica, die mitteldeutschen Verhältnisse als Maßstab, da es sich um ein Gebiet handele, das „in seiner Wirtschaftskraft und in der Gesamtleistung als gesund angesprochen werden kann". Bereits Kuchenbäcker setzte die Standardbetriebsgrößen höher an als dies in den eingegliederten Ostgebieten vorgesehen war. Die größte „Breitenausdehnung" seiner „Strukturpyramide" lag bei den Höfen mit 50 bis 100 sowie 100 bis 300 ha Nutzfläche. Das bedeutete, wie bereits erwähnt, die Auflösung von nicht «weniger als 700.000 polnischen Betrieben.117 Das Projekt hatte - wie nicht anders üblich - titanische Ausmaße; Kuchenbäcker selbst legte seine Realisierung auf 20 Jahre aus. In einem jährlichen Pensum von 200.000 ha sollten alle „nicht existenzfähigen schlecht bewirtschafteten landwirtschaftlichen Kleinbetriebe" liquidiert werden. Die betroffenen Bauern sollten, ausgestattet mit Wohnhaus und Garten, einen „Stock von Wanderarbeitern" stellen, die auch „außerhalb der Landwirtschaft des Generalgouvernements jederzeit einsatzbereit sind". Die Vorstellung, diese Menschen „in besonderen Wohnbezirken" getrennt von der übrigen landwirtschaftlichen Bevölkerung unterzubringen, ging sicherlich auf die „Polenreservate" im Warthegau zurück.118 Eine wenn auch zunächst eingeschränkte Option auf spätere Germanisierung hielt auch Kuchenbäcker offen. Die enteigneten Flächen sollten an

Ebenda, S. 8. Siehe etwa ein Fragment des Diensttagebuchs von Hans Frank vom 9. Mai 1940, wiedergegeben in: LUCZAK: Polozenie polskich robotników, S. 62. Vgl. SEEBER: Zwangsarbeiter; HERBERT: Geschichte der Ausländerbeschäftigung, bes. S. 142 über die Brutalisierung der Rekrutierung in ganz Europa; LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 142-147. Eine breite Auswahl von Dokumenten bietet KONIECZNY/SZURGACZ: Praca przymusowa. Bodenordnung im Generalgouvernement, S. 9 f. Siehe dazu oben Kap. II.3.a., S. 147-150 sowie Kap. IlO.a., S. 335-354. 156

die verbleibenden polnischen Bauern verpachtet werden, bis die geplanten „Großhöfe" eingerichtet seien, die zunächst „liegenschaftsmäßig" verwaltet und später an deutsche Bauern verpachtet werden könnten. Während des Umlegungsverfahrens wollte Kuchenbäcker die Bodenbestellung in Abwandlung der Parzellierungsgenossenschaften im Warthegau „kollektivistisch" durchführen lassen.119

Die Germanisierungsversuche im Distrikt Lublin Während die Bodenordnung im Generalgouvernement anscheinend über die Vorbereitungen im von Kuchenbäcker geleiteten Hauptlandamt nicht hinauskam,120 gingen, wie oben gezeigt, ihre wesentlichen Paradigmen in die Siedlungsplanung im Kreis Zamosc ein. Das ambitionierte Projekt endete, aus Gründen, die bereits angeführt wurden, in einem Fiasko. Die polnischen Bauern, die ausgesiedelt werden sollten, flohen massenhaft in die Wälder und verstärkten die Reihen des Untergrunds; im Frühjahr 1944 meldete Gouverneur Richard Wendler, daß die Situation in den Kreisen Zamosc und Hrubieszöw unkontrollierbar geworden sei und eine Machtübernahme durch die Ukrainer unmittelbar bevorstehe.121 Aber nicht nur der Widerstand der Bevölkerung, auch bereits vertraute Unzulänglichkeiten in der Umsetzung der Planvorgaben führten zum Scheitern der „Neuordnung"; so meldete Globocnik am 9. November 1942, daß von den zweieinhalb Wochen zuvor gemeldeten „zusammen 3.596 Herdstellen" tatsächlich „nur 1.404 Herdstellen verfügbar" seien. Wie aus dem folgenden hervorgeht, meinte Globocnik in diesem Falle nicht die Höfe für die Ansiedler, sondern die vorgesehenen Familien selbst. Denn nicht nur die Gestellung von zusammengelegten Höfen blieb hinter den Plänen zurück, auch die Siedler selbst, die „vom Stabshauptamt schriftlich versprochen worden" waren, ließen auf sich warten.122 Am 26. Februar 1943 rief Globocnik alle beteiligten Planer und Funktionäre zu einer Bestandsaufnahme und Bilanz zusammen, die unter dem direkten Eindruck der Ereignisse bei „Stahlingrad" stand, wo „erhebliche Mengen verloren gegangen" seien, die zu Materialengpässen bei der Ansiedlung und Versorgung führten.123 Der Kriegsverlauf, die Schwierigkeiten im Gelände, aber auch die wachsenden Widerstände in der Zivilverwaltung, hat9 120 121

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Bodenordnung im Generalgouvernement,^. 13-16. MADAJCZYK: „Bodenordnung im Generalgouvernement", S. 110 f. Schreiben Wendler an Himmler, 3.5.1944, wiedergegeben in: MADAJCZYK: Zamojszczyzna, Bd. 2, S. 313 f. Vgl. auch Schreiben Wendler an Sporrenberg, 26.4.1944, wiedergegeben in: Ebenda, S. 307 f. Femschreiben Globocnik an Krüger, 9. November 1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159, Bl. 124r/v. Dienstbesprechung am 26.2.1943 beim Beauftragten des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei Globocnik, 4. März 1943, gez. Lerch, S. 7. AGK UWZ Litzmannstadt 160, Bl. 44-50v. 157

ten bei den Umsiedlungsstrategen längst zur Herausbildung einer Belagerungsmentalität geführt: Man habe „allein auf weiter Welt gestanden und trotzdem diese Aufgabe meistern müssen". Die übergeordnete Zuständigkeit der RKF-Dienststellen habe bei anderen Behörden „nicht immer eine reine Freude ausgelöst", sei aber unabdingbar, um „das deutsche Volk in eine bessere Zukunft zu führen". „Wer da nicht mit will, muß es sein lassen und selbst sehen, wie er wieder den Anschluß findet. Man hat versucht, unsere Arbeit schlecht zu machen, aber doch nie schlagende richtige Beweise dafür erbringen können. Auf jeden Fall muß es unsere Pflicht sein, immer eine geschlossene und entschlossene Arbeitsleistung zu zeigen. Es ist gewiß schwer, mit verhältnismäßig geringen und nicht immer geeigneten Kräften durchzukommen, manches wird vielleicht auch einmal vorbeigelingen, es muß aber alles versucht werden, mit dem mindesten Durchschnitt an Menschen über alle Schwierigkeiten hinwegzukommen. Gegen alle aufkommenden Gerüchte hat der Gruppenführer entschieden Stellung genommen und festgestellt, daß es auch ohne Hilfe anderer Stellen gehen muß." 124 Die Germanisierung im Distrikt Lublin, die Globocnik seit Anfang 1940 betrieben und mit der Einrichtung der Fostu vorbereitet hatte und die im Herbst 1942 endlich begonnen werden sollte, wurde zum Fallstrick. Das ambitionierte, radikale Projekt brachte mit seiner Genehmigung und Ingangsetzung durch Himmler einen ungeheuren Erfolgsdruck für Globocnik und seine Mannschaft, dem diese trotz zunehmender Brutalisierung der Umsiedlungspraxis immer weniger gerecht werden konnten. Da aber Globocniks Schicksal längst an seine ehrgeizigen Pläne gebunden war, kam ein Rückzug für ihn gar nicht in Frage; stattdessen sollte während der Vorbereitung der Umsiedlungen im Kreis Tomaszöw nach außen hin „allen, auch den eigenen Leuten gesagt [werden], der RFSS hat die weitere Ansiedlung verboten".125 Gleichzeitig hatte man, wie bereits im Warthegau, die Erwartungen deutlich zurückgeschraubt. In Abweichung von der ursprünglichen Planung ging Chefplaner Dr. Stanglica inzwischen von 1500 Höfen „mit je 16 ha. pro Familie" aus. 126 Stanglica erhielt den Auftrag, gemeinsam mit Obersturmführer Bareuther einen Plan für die weitere Tätigkeit auszuarbeiten, der sich offensichtlich nicht erhalten hat. Am 16. März legte Stanglica eigenverantwortlich einen Entwurf über die Aufgaben und Organisation eines Bodenamtes vor. Das Bodenamt sollte hauptverantwortlich „1.) Bestandsaufnahme 2.) Raum- und 124 125

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Dienstbesprechung am 26.2.1943, S. 1 f. Ebenda, S. 4. SS-Hauptsturmfuhrer Kirsch schlug sogar höchst ungewöhnliche Maßnahmen zur Verschleierung der Umsiedlungsplanung vor: er empfahl, „ein Flugblatt drucken und verteilen zu lassen, welches scheinbar von der W.B. [= Widerstandsbewegung] stammt, und in dem verbreitet wird, daß eine weitere Ansiedlung aus Angst vor den Ereignissen an der Ostfront abgesagt wurde." Kreislandwirt Kettner hatte bereits, „um die Polen in Sicherheit zu wiegen, von sich aus eine Viehzählung angeordnet". Ebenda, S. 5.

Siedlungsplanung 3.) Feststellung und Festlegung der auf Grund der Planung nach der Siedlung sich ergebenden Verhältnisse" übernehmen; gemeint war im Grunde eine Erweiterung der Abteilung Raumplanung in der Fostu}21 Parallel dazu bemühte man sich nun um eine Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden. Die Raumordnungspläne Stanglicas wurden nun mit Vertretern der Distriktsverwaltung abgestimmt und gemeinsam abgesegnet. 128 Weitere Reformversuche unter Krumey, die parallel zu den „Pazifizierungsaktionen" unternommen wurden und eine Wiederansiedlung der vertriebenen Polen unter Mitwirkung eines polnischen Ausschusses vorschlugen, „an dessen Lauterkeit und der gut polnischen Einstellung der einzelnen Mitglieder auch die Gegenpropaganda nichts Nachteiliges vorzubringen hat", 1 2 9 retteten nichts mehr. Stattdessen griff man im Rahmen der „Werwolf-Aktionen nochmals zum Mittel der polizeilichen Gewaltausübung. Dabei war den Vorschlägen Krumeys gewiß keine übertriebene Menschenfreundlichkeit zu unterstellen gewesen. Krumey dachte, wie aus drei Vermerken vom 11. und 12. Mai hervorgeht, in erster Linie an eine Unterbringung der Polen „in ehemals vorwiegend jüdischen Wohnbezirken" in Belzycze, Konska Wola und Luköw. 1 3 0 Im Herbst 1943 schließlich folgte das end-

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Entwurf über die Aufgaben und Organisation eines Bodenamtes, 16. März 1943, gez. Stanglica. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 384-387.

° Raumordnung des UmSiedlungsgebietes Zamosc/Pflugstatt, 2. April 1943, o.U. Danach besprachen Regierungsrat Dr. Hesse und Dipl. Ing Kieppich vom Amt des Chefs des Distrikts Lublin den Raumordnungsplan Stanglicas mit ihm selbst, Laßmann und Hanelt. Die Planung sei danach „als endgültig anerkannt worden". AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 214-225.

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Erläuterungen zum Grundsätzlichen über die Aus- bezw. die Ansiedlung der Polen unter Mitwirkung eines polnischen Ausschusses, geheim, Entwurf, 9. Mai 1943, Paraphe Krumey, S. 1. AGK UWZ Litzmannstadt 160, Bl. 119r/v. Gleichzeitig empfahl Krumey, von einer „Großaktion gegen Banden, wobei auch andere als Schuldige betroffen werden könnten", abzusehen. Ebenso Grundsätzliches über die Aus- bezw. Ansiedlung der Polen, die im Zuge der Ansetzung der deutschen Umsiedler aus dem Kreise Zamosc entfernt werden müssen, geheim, Entwurf, 9. Mai 1943. AGK UWZ Litzmannstadt 160, Bl. 116 f. Tatsächlich kam es, zumal auch Hans Frank im Sommer 1943 versuchte, seine „neue Polenpolitik" salonfähig zu machen, zu einem Zusammentreffen zwischen dem Lubliner Gouverneur Wendler und der Rada Gtöwna Opiekuncza, dem polnischen Hauptausschuß. Zu Resultaten führten diese verspäteten und halbherzigen Versuche einer Einbindung der polnischen Gesellschaft in den deutschen Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion nicht mehr. Vgl. MANKOWSKI: Miedzy Wisla a Bugiem, S. 352 ff.

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Zwei Vermerke betr. Erkundung über Wohnräume für Polen in ehemals vorwiegend jüdischen Wohnbezirken, 11. Mai 1943, ein weiterer mit gleichem Betreff vom 12. Mai 1943, gez. Oberscharführer bzw. Hauptscharfuhrer, Paraphe Ri. Es handelte sich bei den genannten Orten zum großen Teil um Städtchen, deren Bevölkerungsmehrheit jüdisch war. Der Berichterstatter stellte fest, daß die ehemals jüdischen Wohnungen „in einem unsagbar schlechten Zustand seien und daß es dort von Ungeziefer nur so wimmele" (Vermerk über Konska Wola) oder daß „die im Judenviertel befindlichen Häuser zum größten Teil zum bewohnen unbrauchbar seien und abgerissen würden" (Vermerk über Belzycze). AGK UWZ Litzmannstadt 160, Bl. 141-143. 159

gültige Aus: Globocnik wurde nach Triest abberufen, Krüger als HSSPF des vernements durch Koppe ersetzt; die Umsiedlungen wurden weitgehend eingestellt.131

Weitergehende Planungen für den europäischen Osten Abstriche in der Praxis, wie sie sowohl in den eingegliederten Ostgebieten als auch unter veränderten Vorzeichen im Generalgouvernement erforderlich waren, führten bis Ende 1943 nicht dazu, daß die kolonisatorischen Ambitionen oder der ausgreifende Neuordr nungseifer abgekühlt wären, im Gegenteil. Die einmal festgelegten und allgemein akzeptierten Paradigmen Germanisierung durch Umsiedlung, Neuordnung der Agrar- und Sozialstruktur und gleichzeitige Sanierung der „Notstandsgebiete" blieben bestehen und wurden in einer wahren Flut von Entwürfen, Gutachten und Studien inhaltlich wie territorial immer weiter ausgebaut. Die Unfähigkeit, die ausgearbeiteten Pläne in der Praxis auch umzusetzen, sei sie nun durch Inkonsistenzen in der Umsetzung oder durch äußere Sachzwänge verursacht gewesen, führte nicht zu einer Rücknahme der Planvorgaben, sondern zu ihrer Erweiterung.132 Dies galt für die SS-Planer ebenso wie für ihre Kollegen in der stellefür Raumordnung. Am 13. November 1940 legten Abteilungsleiter Köster und Koreferent Isenberg die Richtlinien für das Forschungsprogramm 1941 vor, zu einem Zeitpunkt also, als^die umfassende Neuordnung bereits auf die Zeit nach dem Krieg verschoben worden war. Nach wie vor gingen Bevölkerungs- und Siedlungsplaner aber davon aus, in absehbarer Zeit mit der Umsiedlung reichsdeutscher Bauern aus den Notstandsgebieten, aber auch von Handwerkern und Gewerbetreibenden beginnen zu können. Tatsächlich wurde bereits probeweise mit deren Anwerbung begonnen. Die Wehrmacht führte Umfragen über die Bereitschaft durch, sich nach dem Sieg im Osten niederzulassen, außerdem nahmen verschiedene Stellen im „Altreich" Bewerbungen um Höfe und Gewerbebetriebe entgegen.133 Am 20. Mai 1941 sollte eine interministerielle Besprechung die verschiedenen Ostbewerbungsverfahren

Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 82; MANKOWSKI: Miedzy Wisla, a Bugiem, S. 329 f., weist darauf hin, daß Himmler auch nach der Abberufung Globocniks die Hoffnung auf eine Weiterfuhrung der Umsiedlungen nicht aufgab: Unter den Anweisungen, die er im Juli 1943 Globocniks Nachfolger Sporrenberg auf den Weg gab, sei auch die „vollständige Germanisierung des Distrikts Lublin bis Ende 1944" inbegriffen gewesen. Detailliert in ALY: Endlösung. MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 29-37. Müller fuhrt an, daß bis Anfang 1942 allein 10.000 Bewerbungen um die Übernahme von Handelsbetrieben bei der Haupttreuhandstelle Ost vorlagen. Darüber hinaus bestand bei höheren Offizieren ein bisweilen aggressiv vorgetragenes Begehren nach ausgedehnten Landgeschenken im Osten für ihre Dienste im Krieg. Zu einer zahlenmäßig eher beschränkten Ansiedlung von Kriegsinvaliden, die hauptsächlich propagandistische Bedeutung hatte, kam es erst 1943 im Warthegau. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. I, S. 352; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 404. BROSZAT:

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koordinieren.134 Gleichzeitig wurden, solange der Krieg noch dauern sollte, kurzfristiger verfügbare Siedlerpotentiale erschlossen. Noch im Sommer 1941 begann die Anwerbung holländischer und dänischer Bauern zur Siedlung im fast täglich größer werdenden Ostraum.135 Parallel dazu veröffentlichten Haupttreuhandstelle Ost und RKF mit prominenter Beteiligung eine elfbändige Reihe von Werbebroschüren unter dem Reihentitel „Die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten in den eingegliederten Ostgebieten des Deutschen Reiches", die sich vor allem an Gewerbetreibende aus Industrie, Handwerk und Handel richtete.136 Daß die anvisierten Zielstrukturen nur unter Einsatz massivster Gewaltmittel erreicht werden konnten, war auch den Akademikern der Reichsarbeitsgemeinschaft klar: „Hier sind kühne Entschlüsse notwendig und der Mut, die Verhältnisse so zu gestalten, daß wir zu einer gesunden, häuerlichen Besitzordnung kommen. Es muß bei der Darstellung dieses Wunschbildes davon ausgegangen werden, die augenblicklich be-

MÜLLER: Hitlers Ostkrieg, S. 63 f. Offensichtlich war die Hoffnung auf den baldigen Endsieg auch in der deutschen Bevölkerung durchaus verbreitet: Müller betont, daß sich im Juli 1941 die Anzahl der Bewerbungen zur Siedlung im Osten verdreifachte. Ebenda, S. 66. SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenie, S. 196 f.; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 407 und passim; BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 298. Alle diese Autoren interpretieren den Zugriff auf nichtdeutsche „Germanen" als notwendig wegen des kompletten Mißerfolgs der Anwerbung reichsdeutscher Siedlungswilliger. Mir scheint diese Interpretation angesichts der nach wie vor überfüllten Umsiedlerlager und der oben zitierten Ausführungen Müllers nicht haltbar. Eher ist anzunehmen, daß hier ein Siedlerpotential gefunden wurde, das rascher verfügbar war und dessen Umsiedlung während des Krieges weniger Turbulenzen in der kriegswirtschaftlichen Produktion verursachen würde. Hinzu kam, daß die Erweiterung des projektierten Siedlungsraumes nun die Mobilisierung weiterer „Reserven" nötig machte. Zum Vorgehen der Reichsbehörden in den Niederlanden und die Verbindung der Aussiedlungen dort mit Struktursanierungen seitens niederländischer Planer siehe Koos BOSMA: Die Verbindung von Ost- und Westkolonisation, in: RösSLER/SCHLEIERMACHER: Generalplan Ost, S. 198-214. Die Reihe wurde eröffnet durch eine Broschüre von WALTER GEISLER: Deutscher! Der Osten ruft Dich!, Amsterdam u.a. 1941. Geisler fungierte auch als Herausgeber der Gesamtreihe. Neben Broschüren wie etwa OTTO DRÖSCHER/HERMANN THOMSEN: Die Weichsel/Danzig als Handels-und Wirtschaftsplatz (Band 3), WALTER LORENZ: Die handwerkliche Ansiedlung im Reichsgau Danzig-Westpreußen (Band 5), ULRICH SCHADE/CARL DOUTINE: Das Handwerk im Reichsgau Wartheland (Band 8) oder wiederum SCHADE: Industrie und Handel im Reichsgau Wartheland (Band 9) erschienen auch einige Hefte, die sich an potentielle bäuerliche Siedler wandten: Der bereits erwähnte Geograph GEORG BLOHM steuerte ein Heft unter dem Titel: Siedlung und Landwirtschaft im Reichsgau Danzig-Westpreußen, Amsterdam u.a. 1941 bei (Band 4). Der Leiter der RKF-Zentrale in Oberschlesien, FRITZ ARLT, lieferte: Siedlung und Landwirtschaft in den eingegliederten Gebieten Oberschlesiens, Amsterdam u.a. 1942 (Band 10). 161

stehenden rechtlichen, finanziellen und technischen Hemmungen außer Acht zu lassen."137 Da man aber, was die Ansiedlung Reichsdeutscher im Osten anging, zumindest zunächst vom Prinzip der Freiwilligkeit ausgehen mußte - „Die große Umsiedlung nach dem Osten muß nach Möglichkeit auf freiwilliger Grundlage beruhen"138 - und außerdem schon bei der Selektion der Rücksiedler aus der Sowjetunion hohe Ansprüche an die berufliche und „volkstumsmäßige" Qualifikation gestellt wurden, drängte sich die Frage auf, wie denn die Bauern, vor allem aber städtische Gewerbetreibende in den Osten zu locken seien. Freilich mußte, im Sinne der oben bereits erwähnten Erwägungen, die Attraktivität eines Umzuges in den Osten so weit als möglich gesteigert werden. Im Rahmen von Untersuchungen über die „Tragfähigkeit", mit anderen Worten den Siedlerbedarf der eingegliederten Ostgebiete, sollte geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen „die Löhne im Osten höher sein" könnten als im „Altreich".139 Gleichzeitig sollten begonnene Studien über das „Siedlungsgefüge" und „Sonderfragen, die sich bei der Neuordnung der Lebensgrundlagen des Landvolks im Altreich ergeben", untersucht werden. Daß die RfR- und RAG-Planer die Option auf die Neuordnung im „Altreich" mithilfe der „Siedlungsfläche" eingegliederte Ostgebiete nicht aufgegeben hatten, sondern ihre Umsetzung für die nächste Zeit erwarteten, geht auch aus den neu definierten Arbeitsgebieten hervor. So wollte man ein „technisches Minimum der landwirtschaftlichen Bevölkerung und biologisches Optimum" errechnen sowie Kosten und Nutzen von Industrieballungen abwägen. Es sollten „Grundlagen der Siedlungslenkung" erstellt werden sowie „Vorarbeiten zum europäischen Energie- und Raumordnungsproblem".140 Der Meyersche Generalplan Ost vom Juni 1942 ging in größerer Ausführlichkeit als vermutlich die vorangegangene und die folgenden Fassungen nicht nur auf die rein quantitativen, sondern ebenso auf die strukturellen Planungsaspekte ein. Dabei zeigte sich, daß die von Anfang an geltenden Paradigmen nach wie vor vertreten, gleichzeitig aber inzwischen gesammelte Erfahrungen ausgewertet wurden. So wurden Selektionskriterien, die in der UWZ bei der Ansetzung der Volksdeutschen „Rücksiedler" entwickelt und vervoll-

Arbeitstagung der RAG am 12.4.1940. Sitzung des Arbeitskreises II Umsiedlung. BA R 113/91, S. 3. Sitzung des Arbeitskreises II Umsiedlung, S. 4; Hervorhebung vom Verf. Im gleichen Sinne argumentierte der Württemberger Geograph Hesse: „Bei Durchfuhrung der Aussiedlung [aus Württemberg in den Osten] ist in erster Linie an freiwillige Meldungen gedacht; Zwang soll nach Möglichkeit vermieden werden, aber andererseits ist das Ziel so entscheidungsvoll, daß eine halbe Maßnahme nicht getroffen werden darf." Ebenda, S. 8 f. Anlage zum Schreiben Köster/Isenberg an den Obmann der RAG Prof. Dr. Ritterbusch, 13. November 1940. BAK R 113/94, unfol. Anlage zum Schreiben an Ritterbusch, Paraphe (verm. Köster) 12. November 1940. BAK R 113/94. 162

kommnet worden waren, für verbindlich erklärt.141 Die „ausschließliche Verfügungsgewalt über den gesamten zu Siedlungszwecken anfallenden Grund und Boden" sollte dem RKF zufallen, der damit das Monopol über die praktische Siedlungstätigkeit besaß. Die Erfahrungen in den eingegliederten Ostgebieten hätten gezeigt, daß die Dichotomie von RKFZuständigkeit und Territorialverwaltung allzu oft zu Kompromissen „unter wesentlichen sachlichen Opfern" geführt habe. 142 Der diesmal ungeschmälerte Zugriff auf Siedlungstempo, räumliche Verteilung und Struktur sollte aber nicht mit der einmal erfolgten Ansiedlung enden: „Die Ansetzung der Siedler erfolgt durch Belehnung in der Form des Zeitlehens, das in ein Erblehen und schließlich in Eigentum besonderen Rechts übergeht."143 Hinter dem Rückgriff auf mittelalterliche Benennungsstrategien verbarg sich ein fein abgestufter Bewährungszwang sowohl in Bezug auf die ökonomische Leistung als auch hinsichtlich der Familienplanung.144 Jede Siedlerfamilie sollte einen voll eingerichteten, mit Geräten und Vieh ausgestatteten Hof erhalten, finanziert „möglichst aus der dem Reich in den neuen Ostgebieten angefallenen Wertmasse", also dem Eigentum der vertriebenen und ermordeten vormaligen Besitzer. Der neue Siedler ging, im Austausch für Güter, die das Reich nichts gekostet hatten, langfristige Verpflichtungen ein: „Er hat dafür als Gegenleistung eine Siedlungsschuld abzutragen, deren Gesamthöhe auf Grund der Ertragsfähigkeit des Hofes und einer Vierkinderfamilie festgelegt und grundsätzlich innerhalb einer Generation (33 Jahre) abgedeckt wird. Die auf diese Siedlungsschuld erfolgenden Tilgungsbeträge sind der Ertragsentwicklung der Höfe und der Kinderzahl nach hierfür noch auszuarbeitenden Sonderbestimmungen anzupassen."145 Entsprechend sollte die Besiedlung der Städte erfolgen. Auch dort müsse der Erwerb von Grundstücken für Gewerbe und Eigenheime „grundsätzlich ohne Kapitalanzahlung möglich sein". Wie auf dem Lande die Schaffung eines „gesunden Bauerntums" oberstes Ziel blieb, sei bei der Zulassung von Handels- und Handwerksbetrieben „eine zahlenmäßige Beschränkung anzustreben, um eine Übersetzung dieser Berufe zu verhindern".146 Der ralplan Ost übernahm die Paradigmen, die in den zweieinhalb Jahren zuvor zunächst beim 141

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„Für die Siedler gelten die Grundsätze der Neubauernauslese unter Berücksichtigung der Erfahrungen, die von der SS bei der rassischen und erbbiologischen Auslese gemacht sind." plan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaues, vorgelegt von SS-Oberführer Professor Dr. Konrad Meyer, Berlin-Dahlem, Juni 1942, S. 2. BAK R 49/157a. Ebenda, S. 17 f. Ebenda, S. 2. Das zeigt sich vor allem an der als erste Stufe vorgesehenen Form des „Zeitlehens" auf 7 Jahre: „Dadurch ist dem Reich die Möglichkeit offengelassen, Erblehen dort zu verweigern, wo sich Familien für die Ostaufgabe nicht geeignet erweisen." Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 5 f. Ebenda, S. 15 f. 163

Reichsbauernführer und der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumordnung, später dann federführend durch den Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums entwickelt und diskutiert worden waren. Er war der letzte Versuch, die strukturpolitischen Prämissen, die mit der gesamten Praxis der Bevölkerungsverschiebungen verbunden waren, in einem planerischen Gesamtentwurf zu retten, indem der territoriale Rahmen, auf den er sich bezog, gegenüber früheren Entwürfen nochmals erweitert wurde. Die weiteren Entwürfe des Generalplans Ost sowie der Generalsiedlungsplan141 beschränkten sich im wesentlichen auf Korrekturen der Zahlen, des Siedlungsraumes sowie vor allem der gesetzten Fristen, die auf wiederholte Intervention Himmlers immer wieder verkürzt wurden.148 Auf ihre Darstellung und Analyse kann an dieser Stelle daher verzichtet werden. Es soll dagegen noch erwähnt werden, daß 1944/45 der Umsiedlungs- und Ansiedlungsapparat nochmals aktiviert wurde, wenn auch nicht im Rahmen einer Bevölkerungsverschiebung, die der ursprünglichen Planung entsprochen hätte. Die „Rücknahme der Front" hatte die Ansiedlung von 7500 „Rußlanddeutschen" im Distrikt Galizien erforderlich gemacht: Sie wurden eilig und „zunächst ohne Durchschleusung durch die EWZ" vor allem in Lemberg und einigen kleineren Städten untergebracht. Auf eine Selektion auch dieser Menschen sollte gleichwohl nicht verzichtet werden. Das sie betreffende Rundschreiben vom 14. April 1944 betonte, daß diese Durchschleusung inzwischen erfolgt sei und an alle die „Kennkarte für deutsche Volkszugehörige" habe ausgegeben werden können, da „die völkisch schwächeren Rußlanddeutschen sofort nach Eintreffen in das Reich überstellt worden" waren.149 Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, wie eng die Einzelziele Sanierung der sozioökonomischen Struktur, Germanisierung des Ostens und imperialistische Expansion miteinander verbunden waren und einander bedingten. Die Restrukturierung der Agrarstruktur im „Altreich" funktionierte dabei als Motor der ethnischen Expansion, während gleichzeitig die Sanierung der Verhältnisse in der Kolonie dazu diente, den hinzugewonnenen „Siedlungsboden" durch attraktive wirtschaftliche und soziokulturelle Lebensbedingungen auf Dauer zu sichern. Die mit unglaublicher Brutalität vorangetriebene militärische Eroberung immer neuer Gebiete im Osten diente einerseits der Sicherung von „Lebensraum" auf Generationen hinaus, gleichzeitig sollte die noch während des Krieges beginnende Umsiedlung und teilweise Ausrottung150 der nichtdeutschen Bevölkerung die Einverleibung der riesigen Gebiete verewigen. Der folgende Abschnitt wird zeigen, daß eine enge Verknüpfung zwischen Restrukturierung und Polonisierung bei territorialer ErDispositionen und Berechnungsgrundlagen zum Generalsiedlungsplan, 29. Oktober 1942 und 23. Dezember 1942, wiedergegeben in RÖSSLER/SCHLEIERMACHER: Generalplan Ost, S. 96-117. ROTH: Generalplan Ost, S. 41; 69.

RKF/VoMi, [Rundschreiben Nr. 54/44, 14.4.1944, o.U.] Zuordnung lt. BegleitschreibenVoMi Sudetenland an HSSPF Breslau, z. Hd. Sturmbannführer Riediger, 14.4.1944, Unterschrift unleserlich. S. 3. AGK SSPF Südost 865/2, Bl. 10-23. Siehe dazu Kap. III.2.a. 164

Weiterung auch in der polnischen Planung nachweisbar ist. Inwiefern sich das Fehlen impe rialistischer Ambitionen auf die Planungsebene auswirkte, wird am Ende der Untersuchung zu klären sein.

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b. Struktursanierung und Polonisierung in den Nachkriegsplanungen der Delegatura 7942-1944 Es gibt nur wenige Arbeiten der Delegatura, die sich mit der konkreten Siedlungsplanung sowohl in den alten polnischen Gebieten als auch in seinen westlichen und nördlichen Erweiterungen befaßt haben.1 Auch das Exil beschränkte sich auf allgemein gehaltene Erklärungen. So verlautete am 24. Februar 1942 seitens der Regierung, daß nach dem Kriege ein Bodenreformprogramm durchgeführt werden sollte, innerhalb dessen mittelgroße bäuerliche Familienbetriebe mit 5-10 ha Grundfläche geschaffen werden sollten. Einen Schritt weiter ging das ebenfalls 1942 entstandene Programm Volkspolens, das eine entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes, die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der Großbetriebe mit mehr als 50 Arbeitern vorsah.2 Darüber hinaus scheint eine detailliertere strukturpolitische Planung seitens des Exils nicht stattgefunden zu haben. Es ist daher nötig, sich auf Hinweise zu beschränken, die einigen bisher aufgefundenen Dokumenten zu c~' ' -iien «ird. Bemerkungen zu den agrar- und bevölkerungsstrukturellen Vorstellungen des polnischen Untergrundes können sich hingegen in erster Linie auf die bereits zitierten umfänglichen Analysen der Verhältnisse in den „geforderten Gebieten" stützen. Diese liefern, wie die entsprechenden deutschen Gutachten auch, zunächst einmal eine detaillierte Analyse der vorhandenen Betriebsgrößenverteilung in den einzelnen Regionen. Deren Situation stellte sich anders dar als die der eingegliederten Ostgebiete in den Augen der deutschen Analytiker. So machten Wirtschaften unter 5 ha zwar 40,7% der Gesamtzahl der Betriebe aus, besaßen aber nur 4,5% des Bodens.3 Dagegen besitze der Großgrundbesitz „in dem gesamten Gebiet dominierende Bedeutung". In Ostpreußen besäßen Güter mit mehr als 100 ha Fläche insgesamt 47% des gesamten Bodens, in manchen Gegenden noch mehr, in Pommern belege der Großgrundbesitz 54,7% der Fläche, im Regierungsbezirk Frankfurt sogar 50-70%. Nur in bestimmten Gebieten Schlesiens falle sein Anteil auf unter die Hälfte bis auf 30%.4 Nachdem die grundsätzliche Entscheidung, diese Gebiete besiedeln zu wollen, gefallen war, gab es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: entweder ein schlichter BevölkerungsausVgl. auch TURLEJ: Koncepcje ustrojowe, S. 91, der betont, daß „das Kabinett Sikorski niemals ein innenpolitisches Programm in dem Sinne erarbeitete, wie das später die Linke tat". Das gleiche galt für Fragen der Nationalitätenpolitik und der demokratischen Rechte. Ebenda, S. 100 f. Tatsächlich war die Delegatura in diesen Bereichen deutlich aktiver, aber auch sie entwickelte kein konzises Siedlungsprogramm. KLESSMANN: Programm Volkspolens; vgl. auch BRANDES: Großbritannien, S. 166 f. Zycie gospodarcze wschodnich terenów Rzeszy niemieckiej. 1. Struktura rolna terenöw Rzeszy w swietle naszych mozliwosci i potrzeb osadniczych, S. 10 ff. (im folgenden: Struktura rolna) AAN ALP 202/1-46, Bl. 83-135. Struktura rolna, S. 98.

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tausch „ohne Veränderung der Wirtschaftsstruktur" oder Umsiedlung, verbunden mit einer Restrukturierung gemäß dem „den örtlichen Bedingungen angemessensten Agrarprogramm". Eine endgültige Entscheidung „vor der faktischen Übernahme" sei zwar schwierig, auf gewisse gutachterliche Vorschläge glaubte man gleichwohl nicht verzichten zu dürfen.5 Die Festlegung der Betriebsgrößenverteilung als Grundfaktor der Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur war, gemäß der Aufgabe dieser umfänglichen Analysen, sowohl eine Funktion des Siedlerpotentials als auch des angestrebten sozioökonomischen Modells für den Gesamtstaat. Entsprechend gab es selbst bei einer umfassenden Restrukturierung zwei Möglichkeiten, die beide auch in der deutschen „Neuordnung" eine Rolle gespielt hatten: erstens die in jedem Falle vorzunehmende „Zusammenlegung (komasacja) des Kleinbesitzes", zweitens die zusätzliche Parzellierung des Großgrundbesitzes, die aber den Nachteil habe, daß sofort wesentlich größere Siedlerzahlen erforderlich seien, was „über unsere Kräfte zum augenblicklichen Zeitpunkt ginge". Die Fachleute der Delegatura sprachen damit lange vor Beginn der Ansiedlung ein Problem an, dem sich die deutschen Planer erst gestellt hatten, als die Umsiedlungen längst im Gange waren. „Die Verwirklichung dieser Aufgaben sollte sichern: die schnellstmögliche Umgestaltung des ethnischen (narodowy) Gesichts der eingegliederten Gebiete (ziem wcielonych), die Begrenzung der möglichen schädlichen ökonomischen Folgen auf ein Minimum, und sie ergäbe einen ernstzunehmenden Landvorrat in den einstweilen belassenen Gütern, deren spätere schrittweise Parzellierung Bevölkerungsprobleme liquidieren würde."6 Auch die Delegatura ging von einer perspektivischen „Durchdringung" des Gebietes mit polnischen Siedlern aus; der wesentliche Unterschied zur deutschen Planung war nicht, daß von Anfang an eine flächendeckende Siedlung vorgesehen war statt einer Beschränkung auf gewisse „Siedlungszonen", sondern daß der vorgesehene Landvorrat eben nicht, wie im Warthegau und später im Generalplan Ost, mit deutschen Landarbeitern besiedelt bleiben sollte. Was die Besiedlung der kleineren Wirtschaften anging, orientierte sich der Autor der Studie an den mittleren Größen der Betriebe in den einzelnen Gegenden, die er so korrigierte, daß sich die Anzahl der nötigen Siedler verringerte. „Diese Tendenz resultiert aus dem sparsamen, vorsichtigen Wirtschaften mit unserem Kolonisierungsmaterial." Das Hauptgewicht sollte künftig auf Höfen mit 10-20 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche liegen. Die weitere Planung sei einfach. Es sei nur noch die Fläche der Gebiete durch die mittlere Größe der Wirtschaften zu teilen und davon auszugehen, daß durchschnittlich sechs Personen auf jedem Hof lebten (Familie mit Gesinde), und die Zahl der benötigten Siedlerfamilien errechnete sich von selbst. Die Studie berechnete einen Gesamtumfang von 356.440 Wirtschaften, die von mehr als 2,1 Millionen Menschen zu besiedeln waren. Zusammen mit

Pojemnosc osadnicza, S. 20. (Vgl. Kap. III.2.a., Anm. 4). Ebenda, S. 22.

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„der Anzahl der Bevölkerung, die zum normalen Funktionieren der großen Wirtschaften (über 100 ha) nötig" sei, ergab sich die Notwendigkeit, drei Millionen landwirtschaftliche Siedler zu beschaffen. Die Verteilung der Betriebsgrößen paßte sich der vorhandenen Agrarstruktur an. So waren Betriebe mit 10 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche nur im Regierungsbezirk Oppeln geplant, der den höchsten Anteil an Betrieben unter 10 ha aufwies. Im Bezirk Danzig hingegen sah die Studie nur Höfe mit 20 ha vor. Eine Parzellierung des Großgrundbesitzes in 15 und 20 ha große Einzelwirtschaften sollte zusätzlich Raum für vier Millionen Menschen schaffen können. Die „allgemein bekannte Tatsache der Überbevölkerung des polnischen Dorfes" wurde im Siedlungskalkül zum „in hohem Maße begünstigenden Umstand".7 Der bereits zitierte Kommentar von „Kanec" faßte das Ergebnis zusammen: Bei einer Überbevölkerung von 7,5 Millionen Menschen, von denen vier Millionen Polen seien, verfüge das Land über „die Bevölkerung für die Ziele der Kolonisierung bei am weitesten gehenden Plänen im Überfluß".8 Eine weitere bereits erwähnte, leider zum Teil zerstörte Studie befaßte sich mit der Migration in die Städte und ihrer Steuerung. Da die Frage, wie viele Menschen vom Land in die Städte zu leiten seien, davon abhänge, wie viele auf dem Lande bleiben sollten9, enthält sie Bemerkungen sowohl über die ländliche Bevölkerungsstruktur als auch über die städtische. Obwohl die Auswertung dieses Dokumentes, wie bereits erwähnt, durch den außerordentlich schlechten Erhaltungszustand des Originals erschwert ist, soll eine Rekonstruktion ihrer wesentlichen Inhalte versucht werden, zumal es sich hier um die einzige erhaltene konsequente Entwicklung eines Siedlungsprogrammes durch die Delegatura zu handeln scheint. Wesentlich zum Verständnis der vorauszuplanenden Schritte und zur Legitimation des polnischen Anspruches sei, so die Studie, daß eine Siedlungsbewegung in die Westgebiete einen historischen Prozeß fortsetze, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert mit der Umkehrung der Migrationsrichtung vom Osten in den Westen begonnen habe. Man müsse nur „in bewußtem politischem Handeln im Grenzgebiet die Prozesse der Emigration und Immigration hervorrufen und beschleunigen, die den historischen Bedingungen und dem spontanen Streben der Bevölkerung entsprechen".10 Nach deutschen Berechnungen hätten die „geforderten Gebiete" infolge von Migrationsprozessen mehr als drei Millionen Menschen verloren, und nur die nationalsozialistische Politik der Ostfluchtvermeidung und künstlichen Ansiedlung habe verhindert, daß es noch mehr gewesen seien. Gleichzeitig habe die massenhafte Migration in den polnischen We-

Ebenda, S. 23-28. Uwagi do referatu, S. 1. (Vgl. Kap. II.2.a., Anm. 3.) Die Kritik, die „Kanec" an bestimmten Berechnungsmethoden der Studie übte, kann hier außer Acht bleiben. [Zagadjnienie skolonizowania, S. 20. (Vgl. Kap. II.2.a., Anm. 12). Ebenda, S. 3.

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sten und aus Polen heraus in den zwanziger und dreißiger Jahren gezeigt, daß Polen eines Kolonisierungsgebietes bedurft habe. Gleichzeitig sei bei der Beurteilung der Gebiete, „die nach 1918 beim Reich blieben", zu berücksichtigen, daß drei Kategorien von Menschen dort lebten: Deutsche, Polen und eine dritte Gruppe, die slawischer Herkunft, aber seit unterschiedlich langer Zeit germanisiert sei. Die Möglichkeit ihrer „Rückkehr zum Polentum" stehe noch nicht fest.1' Kern des Restrukturierungsprogramms, das hier vorgestellt wurde, war eine Strukturreform, die bei der Landwirtschaft beginnen mußte und unter anderem von der Notwendigkeit ausging, einen bestimmten Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung in nichtlandwirtschaftliche Berufe bzw. in die Städte zu verschieben, einen weiteren Teil mit größeren Höfen oder überhaupt mit Land auszustatten. Beim ersten Problem sollten „in der gegenwärtigen Periode zwei aussschlaggebende Momente" helfen: die Reduzierung des Großgrundbesitzes zugunsten bäuerlicher Wirtschaften und die Ersetzung der alten Bewirtschaftungsformen, vor allem der Gutshöfe durch industrialisierte Bewirtschaftungsmethoden. Beides reduziere die notwendige Anzahl an Landarbeitern, deren genauer Bestand aber größer angenommen werden müsse als der aktuelle Bedarf. Es sei weiter eine „menschliche Reserve" aufrechtzuerhalten; ob diese in arbeitslosen Landarbeitern oder in schlecht bezahlten Saisonarbeitern bestehe, sei gleichgültig. Wichtig sei aber vor allem, die Frage zu klären, „ob wir weiterhin bei der maximalen Ausnutzung der Aufnahmefähigkeit der Agrargebiete bleiben werden, oder ob wir in die Richtung einer gleichmäßigeren Verteilung der Bevölkerung auf Landwirtschaft und nichtlandwirtschaftliche Berufe gehen werden".12 Im zweiten Falle stellten die durch die Strukturreform „überflüssig (zbqdni) gewordenen Landarbeiter das hauptsächliche Urbanisierungspotential vom Lande". Dies scheint für um so einfacher gehalten worden zu sein, als „bis in die jüngste Zeit der Zufluß in Polen gebremst wurde durch die Struktur der wirtschaftlichen und ethnischen Verhältnisse". Wer damit gemeint war, geht daraus hervor, daß die Studie „den Zustrom von Landarbeitern vor allem in die Industrie, teilweise auch in Handwerk und Handel" vorsah - Bereiche, die traditionell vor allem von der jüdischen Bevölkerung ausgefüllt waren. An anderer Stelle wurde die Studie deutlicher: Die vorgesehenen Strukturwandlungen beträfen „nicht im gleichen Maße bestimmte ethnische Gruppen". Man rechnete „mit dem Verschwinden der deutschen und jüdischen Gruppe".13 Auch an anderer Stelle betonte die Studie, daß es unter den Gründen für die „Enge" der Städte, ihre faktische „Überbevölkerung" neben allgemeinen weltwirtschaftlichen Faktoren zwei gegeben habe, von denen man „als eigentümlich für die polnischen Verhältnisse sprechen" könne: „die Frage der jüdischen Minderheit" und die geopolitische Lage Polens. Vor allem hätten die Juden aufgrund ihrer „anormalen

Ebenda, S. 4 f. Ebenda, S. 20. Ebenda, S. 21. 169

Wirtschaftsstruktur" ein „Hindernis für den Zufluß und die Entwicklung der polnischen Bevölkerung in den nichtlandwirtschaftlichen Berufen" gebildet. Auch das zweite „Entwicklungshindernis", die Westgrenze, müsse und werde fallen, aber schon in der allernächsten Zeit „verbreitern sich die sozioökonomischen Möglichkeiten der städtischen Zentren für die polnische Bevölkerung".14 Die Studie führte an, daß von 1,9 Millionen Kleinbetrieben in Polen im Jahre 1931 auszugehen sei; davon gehörten 1,1 Millionen katholischen Familien, die weitgehend mit ethnisch polnischen Familien gleichgesetzt wurden. Ein großer Teil der landarmen Bauern werde ohnedies danach streben, durch die Übernahme neuer Wirtschaften oder Vergrößerung der alten die eigene Situation zu verbessern. Dieses individuelle Moment war mit dem sozialpolitischen Interesse zu verbinden, das „die Bewahrung der bäuerlichen Schicht befiehlt, der Schicht mit der stärksten Bindung an das Land". Das bedeutete, daß die Studie einen Transfer von Landeigentümern in die Städte eher ablehnte, wenigstens aber die Polonisierung des Bodens als Voraussetzung für den dauerhaften Besitz neuer Gebiete ansah. Um zu verhindern, daß Landbevölkerung in unerwünscht hohem Maße in die Städte abwanderte, müsse die Ansiedlung besonders der Landlosen nach dem Kriege besonders rasch vorangetrieben werden.15 Potentiale für eine Besiedlung und Bewirtschaftung der Städte fand man in der Masse der Arbeitslosen vor dem Krieg16 sowie in der „Reemigration" aus Westeuropa, also der Rückwanderung von Polen, die zwischen 1919 und 1939 auf der Suche nach ausreichendem Auskommen Polen in Richtung Westen verlassen hatten.17 Als Gesamtsumme aller Menschen, die als „'Überschüsse' aus dem Vorkriegsstand, oder eigentlich als in ihm steckende Kräfte für die Entwicklung und die Expansion für die Nachkriegsaufgaben zur Disposition stehen könnten", ergab sich die Zahl von fünf bis sechs Millionen; berücksichtigt wurde ausschließlich „die ethnisch polnische Bevölkerung".18 Der Autor der Kolonisierungsfragen ging von der Notwendigkeit aus, primäre und sekundäre Siedlungszonen, „Zonen der künftigen Einwanderung" festzulegen. Diese Notwendigkeit entstand daraus, daß selbst bei einem nur begrenzt verfügbaren bzw. nicht sofort ausreichenden Siedlerpotential der Anspruch auf das gesamte Gebiet aufrechterhalten werden müsse, „nicht vom historischen, geographischen und geopolitischen, sondern auch vom demographischen Standpunkt aus". Als erste Zone machte die Studie die Regierungsbezirke AUenstein, Marienwerder, Danzig und Köslin sowie bestimmte Kreise in den Bezirken Königsberg19, Gumbinnen und die „Grenzmark Danzig-Westpreußen" aus. Diese Zone sei 14 15 16 17 18 19

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Ebenda, S. 32. Ebenda, S. 22 ff. Ebenso S. 29. Ebenda, S. 33-37. Ebenda, S. 37-40. Ebenda, S. 41. Königsberg Stadt gehörte nicht zu dieser „ersten Zone", sondern hatte einen Sonderstatus, dessen Gestalt aber wegen der starken Beschädigung des Textes nicht rekonstruiert werden kann.

so festgelegt, daß sie „faktisch in allen geforderten Gebieten größere oder kleinere Teile enthält". Über die Folge der restlichen Regionen entscheide ihre Verbindung zu den Staatsgrenzen sowie ihre ethnische Struktur.20 Die Ähnlichkeiten mit der oben beschriebenen „Siedlungszone 1. Ordnung" im Warthegau21 ist in der Tat verblüffend, sie hielt sich aber enger als die deutsche Planung an die tatsächlichen ethnischen Verhältnisse. So umfaßte erst die „dritte Zone" ein Gebiet, das als „ethnisch nicht polnisch", mit nur „entfernten historischen Verbindungen zum Polentum" eingestuft wurde. Für Ostpreußen, dessen Eingliederung nach Polen „am ehesten unstrittig" sei, setzte die Studie voraus, daß „das deutsche Element es vollständig verlassen muß". Immerhin seien diese Menschen ohnedies nur mithilfe eines reaktionären politischen Systems dort festgehalten worden. Die Immigration nach Ostpreußen, das ja nun einmal im Norden lag, helfe aber nicht bei der Ausweitung des polnischen Siedlungsgebietes nach Westen.22 Genaue Aussagen über das mögliche Ausmaß des Transfers von Landbevölkerung in die westlichen Städte seien schwer zu treffen, zumal nicht bekannt sei, welche Gebiete einer ländlichen Besiedlung geöffnet würden. Die allgemeinen Prämissen, die als sicher ausgemacht galten, erlaubten aber gewisse vorsichtige Schätzungen: ganz oben auf der Liste stand „das Streben nach der Ersetzung der zersplitterten und kleinen (nichtautarken) bäuerlichen Wirtschaften durch mittlere und gröfßere] Wirtschaften" sowie die „Einführung des Grundsatzes der Unteilbarkeit", und damit faktisch eine Übernahme der Prinzipien des Erbhofgesetzes.23 Die hier vorgestellte Analyse der „sog. Überbevölkerung" glich sich der im vorigen Kapitel beschriebenen von „Kanec" an: Der „Bevölkerungsüberschuß" sei, unter Berücksichtigung der „Eigenheiten der Agrarstruktur", eher ein potentieller als ein aktueller Wert; die Mobilisierbarkeit dieser Menschen für eine Kolonisierung oder Urbanisierung sei langfristig zu begreifen und abhängig vom Tempo einer Restrukturierung der Landwirtschaft in den alten Gebieten.24 Auch dies entsprach im wesentlichen dem, was RAG und RKF zwei Jahre zuvor berechnet hatten und was in der Z-Hof-Aktion zum gleichen Zeitpunkt als Polizeiaktion realisiert wurde. Eine Restrukturierung der Landwirtschaft könne in drei Richtungen erfolgen: Verbesserung der sozialen und ökonomischen Position der Landbevölkerung ohne Berufswechsel, Landvergabe und Transfer in nichtlandwirtschaftliche Berufe. Letztere aber dürfe nicht zu einer Landflucht führen, weswegen als Urbanisierungspotential in erster Linie Landarbeiter

Anscheinend war aber eine Besiedelung der Stadt mit Polen erst an fünfter Stelle geplant. [Zagadjnienie skolonizowania, S. 13. Ebenda, S. 5 ff. Die folgenden 5 Siedlungszonen sind nur teilweise zu entziffern; ihre Rekonstruktion erscheint aber auch nicht als wesentlich. Siehe oben S. 104 und 146. [Zagadjnienie skolonizowania, S. 10 f. Ebenda, S. 18. Ebenso S. 24: der nötige Abfluß der nicht erbberechtigten Söhne und Töchter in die Städte müsse dann ermöglicht werden. Ebenda, S. 18. 171

und Kinder über den Erstgeborenen und die Erstgeborene hinaus, nicht aber selbständige Bauern vorgesehen waren. Insgesamt sei ein Transfer von 2,15 bis 2,75 Millionen Menschen in städtische Gewerbe möglich, abhängig von der Form der Agrarstruktur und der Größe der neu zu kolonisierenden Gebiete.25 Wie die bereits besprochenen deutschen Planungen ging die Studie von einer im wesentlichen auf Freiwilligkeit basierenden Migration nach Westen aus. Die Besiedlung wurde als eine zwar durch die Bereitstellung entsprechender Gebiete und entsprechender Bedingungen dorthin gelenkte, letzten Endes aber spontane und freiwillige Migrationsbewegung gedacht, die keinerlei Zwang erforderte. Jedenfalls ist durchgängig nur von individuellen und kollektiven Migrationsbewegungen die Rede, deren Richtungen aus Vorkriegstraditionen bestimmt werden. Es ist zu vermuten, daß eine solche Darstellung nicht zuletzt als Argumentationshilfe für die Exilregierung gedacht war, die den Besitz der „geforderten Gebiete" ja zunächst einmal durchsetzen mußte. Von einer durchorganisierten, zielgerichteten und zwangsweisen Siedlungsbewegung, besonders vom Land in die Städte, ist in den lesbaren Teilen des 50-seitigen Papiers nirgends die Rede, sieht man von einer ebenfalls nicht eindeutig interpretierbaren Stelle ab, in der es um Menschen geht, die „wandern können und müssen".26 Das Gleiche galt aber auch für die parallel durchgeführte Germanisierungspolitik, zumindest was die Ansiedlung Reichsdeutscher anging: Auch in den deutschen Quellen galt die Zwangsmigration des Staatsvolkes als eher ungünstig.27 Dementsprechend war das gesamte Restrukturierungsprogramm auf mehrere Jahrzehnte angelegt.28 Die „Emigration" der deutschen Bevölkerung, auch aus dem Vorkriegsterritorium, durfte als selbstverständlich gelten.29 Inwiefern aber eine sofortige, restlose Aussiedlung der Deutschen aus den „geforderten Gebieten" vorgesehen war, ist nicht eindeutig zu klären. Die wiederholte Betonung des Umstandes, daß das errechnete Siedlerpotential nicht

Ebenda, S. 28. Ebenda, S. 16. Eine Interpretation als Zwangsmigration wäre an dieser Stelle vermutlich zu weit gegriffen, sicherlich aber ging es um staatlich kontrollierte Migrationsbewegungen, denn weiter heißt es dort: „Man kann freilich nicht von vornherein voraussehen und umschreiben, wie viele Menschen in der modernen und beweglichen Gesellschaft den Arbeitsplatz wechseln werden und im Zusammenhang mit diesen Veränderungen auch den bisher eingenommenen Wohnsitz, aber man kann Gruppen aus der Bevölkerung benennen, für die ein solcher Wechsel in jedem Falle ein aktuelles Problem sein wird." An anderer Stelle: „Damit sich unter günstigen [Bedingungen] [diese Bewegungen] tatsächlich vollziehen, bedarf es auch der [bewußten] menschlichen [Tätigkeit]. In menschlichen Gesellschaften, und besonders in [...] und komplizierten modernen Gesellschaften [dieses Typs] bedarf es des Zusammenwirkens zweier Faktoren: der individuellen menschlichen Bestrebungen und der Entscheidungen der das gemeinsame Leben bestimmenden Führung." Ebenda, S. 17. Siehe den vorigen Abschnitt. [Zagadjnienie skolonizowania, S. 29. Ebenda, S. 45 f. 172

sofort verfügbar sein werde, sondern erst im Laufe von 15 Jahren30, scheint daraufhinzuweisen, daß ähnlich wie im Warthegau in den „Zonen" zwei bis fünf ein gewisser Prozentsatz deutscher Bevölkerung vorläufig verbleiben sollte, bis die Abdrängung auch dieser Menschen nach Deutschland durch die nachwachsende polnische Bevölkerung möglich würde. Andere Papiere aus der Delegatura sprachen da eine deutlichere Sprache. Eine weitere Studie, die, obwohl nicht zur Veröffentlichung bestimmt, mit Tarntitel und Tarnbezeichnungen arbeitete - für die „geforderten Gebiete" im Westen und Norden wurde die Bezeichnung „Ukraina" bzw. „Teren U" gewählt31 - stellte ein völlig anderes Programm vor, das hier kurz skizziert werden soll, vor allem weil es in mancherlei Beziehung gewisse Aspekte der Nachkriegspolitik andeutet, die von den bisher besprochenen deutlich abweichen. Die Studie enthielt ausführliche und interessante Überlegungen zur Soziologie der Kolonisierung und Überlegungen zur allgemeinen Wirtschaftsstruktur, nicht aber genauere Ausführungen zur Bevölkerungs- und Siedlungsstruktur in dem Sinne, wie dies die bislang behandelten Entwürfe behandelt hatten. Gleichwohl soll sie nicht unerwähnt bleiben, weil die Grundlegung der Wirtschaftsstruktur, die das eigentliche Thema der Studie darstellt, Folgen für die konkrete Bevölkerungs- und Siedlungspolitik hätte haben müssen. Die Studie ging davon aus, daß als Siedlungspotential für das „Kolonisierungsgebiet" vor allem der natürliche Bevölkerungsüberschuß, also die nachwachsenden Generationen zur Verfügung stehen würden. Daneben waren, wie in den oben zitierten Studien auch, Umsiedlungen der „Überschüsse" in das „U"-Gebiet vorgesehen. Da ein soziales Gefälle bezüglich sozialer Aufstiegschancen zwischen der einheimischen Bevölkerung polnischer Herkunft und der „kolonisierenden Gruppe" bestehen würde, war eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen: In „extremen Fällen" könne die „Aussiedlung von Mitgliedern der Gruppe m erforderlich" sein - gemeint waren solche Teile der einheimischen Bevölkerung (ludnosc miejscowä), die sich der Eingliederung und Kolonisierung widersetzen würden. Einzelnen Abkömmlingen der „Autochthonen" sollten Aufstiegschancen in der örtlichen und überregionalen Verwaltung eingeräumt werden, um die bei Beginn der Kolonisierung als einheitliche Gruppe konstituierte einheimische Bevölkerung in kleinere Segmente zer-

So abschließend ebenda, S. 51. Der Einschätzung der PZPR-Archivare, die diese Auflösung handschriftlich auf dem Titelblatt vermerkt haben, ist zuzustimmen; so heißt es etwa über das in Frage stehende Gebiet, daß es sich um eine landwirtschaftlich bestimmte Region handle; der Industrialisierungsgrad und der eigene Export industrieller Produkte sei eher schwach. „Das bedeutet jedoch nicht, daß nicht deutliche Unterschiede im Industrialisierungsgrad zu den übrigen polnischen Gebieten bestünden. Im Gegenteil, die Industrialisierung, gemessen an der Menge der Produkte und des installierten Produktionsapparates auf 1 Arbeiter war höher als in Polen." Realizacja programu przesiedlenia Polakówna wschódw mysl „ Mein Kampf". Szkic z dziedziny polityki kolonizacyjnej, o.U., o.D. (1942), S. 2. AAN ALP 202/III-166, Bl. 306-337. Die Autorenschaft ist nicht zu klären. Von der wirtschaftspolitischen Programmatik her handelt es sich um eine recht eklektizistische Mischung aus planwirtschaftlichen, genossenschaftlichen und staatsdirigistischen Vorstellungen, die auf eine minoritäre Position im rechten Lager hinweisen könnte. 173

legen zu können. Die eigentliche Kolonisierung sollte „in zwei Wellen" vorgenommen werden. „Eine von ihnen, von niedrigerem kulturellem und zivilisatorischem Niveau, würde sofort in die entsprechenden m-Berufsgruppen eindringen, die zweite jedoch würde die eigentliche Gruppe K [die kolonisierende Gruppe, grupa kolonizująca] als Elite gegenüber der vorigen darstellen."32 Dabei war daran gedacht, vor allem beruflich und kulturell leistungsfähige Menschen anzusetzen und die Führungsschicht in nur minimalem Ausmaß aus dem „Beamtenelement" zusammenzusetzen. Die Implikationen dieses Programmes sind deutlich: Ausgewählte Fachleute sollten, abgesichert durch staatliche Unterstützung, die Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Kultur und Verwaltung übernehmen, eine Auslese der einheimischen Bevölkerung sich dieser Führungsgruppe anschließen können. Gleichzeitig sollte eine weitgehende Vermischung von Kolonisatoren und Kolonisierten - um nichts anderes handelte es sich ja bei der „Gruppe m" - durch gemeinsame Arbeit in den verschiedensten Wirtschaftsbereichen ermöglicht werden, um Widerstände gegen die Eingliederung möglichst rasch und vollständig abzubauen und Konflikte zwischen den beiden Gruppen möglichst niedrig zu halten. Schon an dieser Stelle zeigt sich, daß das hier vorgestellte Kolonisierungsprogramm in allererster Linie auf die städtischen Gewerbe abzielte. Eine Vermischung zwischen den beiden Gruppen auf der Ebene von individuell wirtschaftenden Bauernhöfen ist schwer vorstellbar. Daß das so ist, zeigt sich auch an der Behandlung der landwirtschaftlichen Siedlung. Eine Restrukturierung der Betriebsgrößenverteilung, wie sie in den oben zitierten Studien vorgesehen war, wurde hier entschieden abgelehnt. „Es ist daher die bisherige Aufteilung der Gebiete in Wirtschaftsgruppen beizubehalten - sie nämlich ermöglichte das heutige hohe Niveau der Produktion und die Mechanisierung der Bearbeitung."33 Dies sollte sowohl für Einzelwirtschaften als auch weitgehend für mittel- und großbäuerliche Höfe gelten; letztere waren so umzugestalten, daß hauptsächlich Viehwirtschaft34 betrieben werde. Eine Parzellierung sollte, in nicht genau bestimmtem Umfang, sowohl Einzelwirtschaften als auch Vorwerke (chutory) von 30-50 ha Umfang ergeben. Restrukturierungsabsichten verstecken sich hier eher in der Arbeitsorganisation: „Grundsätzlich sollte der Vereinheitlichungsprozeß zu einer gewissen Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion in Gebieten intensiverer kapitalistischer Produktion, wie U, fuhren. Dieser Prozeß ist natürlich;'seine Bekämpfung und die Forcierung

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Realizacja programu przesiedlenia Polaków, S. 8 f. Ebenda, S. 3. Die Bedeutung, die in manchen Studien, aber auch in den folgenden Diskussionen der Viehwirtschaft, und hierin vor allem der Zucht von Hornvieh zugemessen wurde, ergab sich aus der Requirierungspraxis der deutschen Wehrmacht, aber auch aus strukturellen Problemen der polnischen Landwirtschaft. Vgl. den Diskussionsbeitrag S. Hartmans, in: II Sesja, z. 2, S. 49 f.

weiterer Intensivierung würde zur Aufgabe der Produktion in den inländischen Gebieten, die schlechter bewirtschaftet sind, führen."35 Eine so definierte, planvolle Rückentwicklung der weitgehend mechanisierten, intensiv betriebenen Landwirtschaft sollte also verhindern, daß die weniger rationell wirtschaftenden Teile Nachkriegspolens endgültig den Anschluß an die Entwicklung verloren; außerdem erhöhte die Extensivierung den Bedarf an Arbeitskräften und damit die „Aufnahmefähigkeit" der landwirtschaftlichen Wirtschaftssektoren. Gleichzeitig aber tat sich ein weiterer Vorteil auf: „Daher also wäre der Prozeß der Extensivierung der Landwirtschaft und die planvolle Bewaldung eines Teils der landwirtschaftlichen Nutzfläche eine zielgerichtete Korrektur der Wirtschaftsstruktur des Gebietes U. Indem er die Rentabilität der landwirtschaftlichen Produktion senkte und die Anzahl der Arbeitsstellen verringerte, würde er zu einem Prozeß der Urbanisierung und Industrialisierung des Gebietes führen."36 Die Kolonisierung geriet damit, anders als bei den bislang behandelten Entwürfen, zur Funktion der Entwicklung der eher städtischen Gewerbe, deren Rationalisierung und Sanierung ebenfalls vorgesehen war. So sollte beispielsweise der Handelssektor auf der Basis „des unentbehrlichen Minimums an Unternehmen des Großhandels" organisiert werden, von dem aus ein Netz abhängiger, steuerbarer Filialen aufgebaut werden würde. Alle weiteren Wirtschaftsbereiche und ihre Produktionspalette sollten „durch die Erteilung von Richtlinien und konkreten Aufträgen" gesteuert werden. „So verlangen die Kolonisationsaufgaben in Industrie und Handel eine Rationalisierung der Wirtschaftsstruktur!" Für die Industrie waren „Zwangsverbände" vorgesehen, die eine Kontrolle der Produktion und Distribution ermöglichen sollten.37 Weitere Studien, die sich detailliert etwa mit der Siedlungsstruktur und der Bevölkerungszusammensetzung in den Kolonisierungsgebieten und der Restrukturierung der „alten Länder" befaßt hätten, hat die Delegatura soweit bekannt nicht produziert - aus verständlichen Gründen, war doch zum Zeitpunkt der eigentlichen Tätigkeit des Untergrundstaates nicht klar, ob und in welchem Umfang entsprechende Gebiete Polen zugesprochen werden würden bzw. in welchem Umfang die „Schaffung vollendeter Tatsachen", die, wie eingangs erwähnt, auch seitens der Delegatura und des Exils erwogen wurde38, zu Erfolgen führen würde. Zudem wäre zu diesem Zeitpunkt eine detaillierte Strukturplanung gegenüber der Notwendigkeit, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen anzusiedeln - und die bisherigen Bewohner je nach Selektionskriterium auszusiedeln oder einzugliedern - sicherlich zurückgetreten.

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Realizacja programu przesiedlenia Polaków, S. 20. Ebenda. Ebenda, S. 5. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 35 f. Vgl. BRANDES: Großbritannien, S. 107 über derartige Überlegungen in der Exilregierung, S. 244 im Generalstab der polnischen Armee. 175

c. Struktursanierung und Polonisierung in den Wiedergewonnenen Gebieten 1945-1948

Überlegungen zur Betriebsgrößenverteilung In genau dieser Situation befand sich ab Anfang 1945 das Lubliner Komitee. Da es von den Westalliierten nicht anerkannt wurde, war eine international akzeptierte Eingliederung der „geforderten Gebiete" fraglich, die „Schaffung vollendeter Tatsachen" stand damit tatsächlich auf der Tagesordnung. Zudem führte der Mangel an effizienten Verwaltungskadern in der Anfangszeit dazu, daß Migrationsbewegungen in die neuen Gebiete völlig unkontrolliert und planlos verliefen. Diese Phase der „wilden Siedlung" charakterisierte eine Studie aus dem GUPP von 1946/47 so: „In der ersten Phase des Aufbaus der polnischen Verwaltung in den Wiedergewonnenen Gebieten geschah dies hier einfach in der Art, daß Interessenten für eine Wirtschaft, also kleine und landlose Bauern aus 'Altpolen' in den Westgebieten ankamen, sich verlassene Wirtschaften auswählten und sie übernahmen. Erst später - auf Antrag - bestätigten die Behörden die vollendeten Tatsachen durch Verleihung eines Eigentumstitels. Lediglich die Repatrianten von hinter der Curzon-Linie wurden im Rahmen einer planmäßigen, vom PUR durchgeführten Aktion angesiedelt."1 Ebenso beurteilte die Breslauer Soziologin Irena Turnan Ende 1948 die Anfangsphase. Fast unmittelbar nach Abschluß der Kampfhandlungen sei ein „heterogenes Bevölkerungselement" von Osten nach Westen gewandert und habe sich neue Unterkünfte und Höfe gesucht. Zwar seien Gutachten und Studien vorhanden gewesen, die versuchten, die Überbe-

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H. Mreta (Muela?), Stosunek autochtonów do osadników na terenie gromady Kleszczyzna pow. Zùotów, S. 28. AAN GUPP 464. Es haben sich keine genaueren Angaben über den Umfang dieser „wilden Siedlung" erhalten. Laut einem Artikel aus dem PUR begann „die polnische Bevölkerung aus den überbevölkerten oder zerstörten Gebieten in einer unorganisierten und spontanen Aktion in die baltischen und schlesischen Bezirke abzuwandern". Akcja osadnicza Pafistw. Urzedu Repatriacyjnego, in: Biuletyn Informacyjny Panstwowego Urzędu Repatriacyjnego, 1. Jg. H. 1/2, November/Dezember 1945, S. 5 ff., hier S. 5. AAN MZO 684, Bl. 82-106. Inwieweit es sich um die Beschreibung von Tatsachen oder eine demographische Legitimation zur Einnahme der Gebiete handelte, die etwa den enormen Bevölkerungsdruck und das genuine Bedürfnis der polnischen Bevölkerung nach diesen Gebieten illustrieren sollte, ist hier nicht zu klären; vor allem fehlt es an Zahlenmaterial, das den Umfang dieser „wilden Siedlung" erhellen könnte. Einen Eindruck vermittelt ein Bericht des Vertreters der polnischen Regierung bei der 1. Weißrussischen Front an Bierut über die Verhältnisse in Westpommern: „Polnische Bevölkerung uneinheitlich. Ein Teil des zugezogenen Elementes sucht nur leichte Bereicherung. Es gibt aber auch sehr schöne Beispiele aufopfernder Pionierarbeit bei der Organisierung der Verwaltung, Sicherung des Vermögens usw." Schreiben an Bierut, 16. April 1945, o.U. AAN MAP 2471, Bl. 8r/v.

völkerung der alten Wojewodschaften genau zu lokalisieren und ihr je neue Siedlungsregionen zuzuweisen, eine Umsetzung habe aber zu Beginn praktisch nicht stattgefunden. Turnan fand poetische Worte zur Beschreibung der Unzulänglichkeiten der ersten Ansiedlungs versuche: „Trotz gewisser Projekte [zur Regulierung der Migrationsbewegungen, M.G.E.] erinnerte der Beginn der massenhaften Umsiedlungen in seinen allgemeinsten Umrissen der Bewegung von Wasser, das vor allem in den Aushöhlungen und Unebenheiten des Geländes sich verläuft. Das Leben kam den Berechnungen der Gelehrten zuvor."2 Die ersten Berechnungen stammten aus den Reihen des Ministeriums für Landwirtschaft und Agrarreform (Ministerstwo Rolnictwa i Reform Rolnych, MRiRR). In einer vermutlich von Anfang 1945 stammenden programmatischen Ausarbeitung wurde die Besiedlung der Wiedergewonnenen Gebiete (tereny odzyskane) „eng mit dem Plan der Umgestaltung der Agrarstruktur der übrigen Wojewodschaften" verbunden. Mangels genauer Zahlen behalf man sich auch hier mit Schätzungen aufgrund der Angaben von 1931. Das MRiRR rechnete mit Verlusten von drei Millionen Menschen infolge des Krieges und der Besatzung in den „übrigen Wojewodschaften" sowie mit 3,2 Millionen Menschen „von hinter dem Bug, die repatriiert werden sollten".3 Die angestrebte Bevölkerungsstruktur der neuen Gebiete sollte sich grundsätzlich je zur Hälfte aus Repatrianten und Umsiedlern „aus den überbevölkerten Gebieten" zusammensetzen. Dabei ging das MRiRR überraschenderweise davon aus, daß eine Lösung des Problems der agrarischen Überbevölkerung selbst mit Hilfe ländlicher Siedlung in den neuen Gebieten nicht zu lösen sei: Dort stünden nur 600.000 Höfe zur Verfügung. Für mehr als eine halbe Million Kleinbetriebe fehle es an Land, sie sollten daher aufgelöst, ihre Betreiber in städtische Gewerbe überführt werden. Dies sei um so einfacher, als die Grenzverschiebung nach Westen „auch unsere Wirtschaftsstruktur in industrielle Richtung verschiebt". Folgerichtig war eine Ansiedlung landloser Bauern auf selbständigen Höfen in diesem Entwurf ausdrücklich nicht vorgesehen.4 Das Neuordnungsprogramm ging davon aus, daß alle Höfe, die weniger als 10 ha Land zur Verfügung hätten, auf eine Größe von 10-12 ha mittlerer Bodenqualität aus Parzellierungsland aufzustocken seien. Dafür werde 1 Mio. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche benötigt, weitere 1,35 Mio. ha sollten als Landvorrat bleiben. Auf Höfen, die 10-100 ha

Irena Turnan, Studio socjologiczne nad skladem ludnosciowym miasta Wroclawia (Wroclaw miasto przemian spolecznych), Warszawa, Dezember 1948. AAN GUPP 554. Ähnlich auch Einschätzungen des BSOP, Badania terenowe i prace statystyczne. AAN MZO 1653, vorgesehen zur Veröffentlichung in IV. Sesja... Przebudowa ustroju rolnego w Polsce, o.D., o.U., S. 1 ff. AAN MRiRR 1714, Bl. 1-12. Das Dokument erwähnt, daß Polen aus den ehemaligen Ostgebieten repatriiert werden sollen, es ist also jedenfalls vor dem Abschluß der Vertragsumsiedlungen entstanden. Vgl. Kap. III.2.b. Eine Datierung vor der Unterzeichnung der entsprechenden Verträge ist unwahrscheinlich, da das Jahr 1945 in einer Tabelle auftaucht. Przebudowa ustroju rolnego, S. 6 f.

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zählten, seien je zwei Familien auf einem Hof anzusetzen. Was die Umsiedlung aus den alten Landesteilen anging, so hänge diese neben technischen Vorbereitungen „von entsprechender Propaganda ab, soweit die Ansiedlung freiwilligen Charakter haben soll"; anson5 sten sei „Umsiedlungszwang" einzuführen. Am 12. Juni 1945 schließlich verpflichtete der Ministerrat das MAP, bis zum 1. August 1945 - also innerhalb von knapp sechs Wochen 1,85 Mio. Umsiedler „aus den in den Grenzen von 1939 liegenden Gebieten" in die Wiedergewonnenen Gebiete zu schaffen.6 Gleichzeitig fand die Ansiedlung der „Repatrianten" genannten Umsiedler aus den an die Sowjetunion abgetretenen Ostgebieten statt. Verschiedene Stellen waren sich über die Unzulänglichkeiten des anfänglichen Ablaufs der Ansiedlung in den Wiedergewonnenen Gebieten im Klaren.7 Ein Bericht an das MRiRR vom September 1945 beklagte, daß weder Verwaltung noch PUR wüßten, wie viele Siedler tatsächlich in den Wiedergewonnenen Gebieten seien; das PUR befasse sich nur mit der Ansiedlung, führe aber keine Evidenz. Dazu komme, daß „ein bedeutender Teil der Siedler" das Gebiet „wegen der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen und der Sicherheit" wieder verlasse. Die Zahl dieser „Abreisenden" betrage laut Informationen aus dem Gebiet „sogar bis zu 50% der vom PUR angegebenen Zahl". 8 Wohl am schärfsten formulierte der KRN-Abgeordnete Jan Pietronski die Verhältnisse im Kreis Marienburg (Malbork): „Repatriierung und Siedlung beleidigen sämtliche elementaren Grundsätze und Forderungen der Menschlichkeit. Die Siedler des Kreises sind zu 80% Repatrianten, die hier in schrecklich jämmerlichem Zustand ankommen. [...] Diese Leute, die bis zu 11 Wochen in unbedeckten Waggons fahren, kommen hier voller Bitterkeit an. Niemand nimmt sich ihrer - wie übrigens des ganzen Kreises - an. Weder die verzweifelten noch die fordernden Stimmen haben in der Wojewodschaft irgendwelche Folgen, was in den Siedlern den Gedanken hervorruft, daß diese Gebiete weder polnisch sind noch bleiben, weswegen sie überlegen, spätestens mit dem Frühjahr in die Gebiete Zentralpolens zu 9 fliehen." Verhältnisse wie diese stellten nicht nur in Frage, ob es tatsächlich gelingen würde, die Wiedergewonnenen Gebiete dauerhaft polnisch zu besiedeln, sie mußten auch bei ausländischen Beobachtern den Eindruck erwecken, daß Polen nicht in der Lage war, die ungeheuren Siedlungsbewegungen in geeigneter Weise durchzuführen, und den Gedanken aufwerfen, die Entscheidungen von Potsdam rückgängig zu machen. Daher galt Eile noch in der

Ebenda, S. 8 f. Uchwaùa Rady Ministrów Rządu Tymczasowego Rzeczypospolitej Polskiej z dnia 12 czerwca 1945 roku wprzedmiocie wzmozenia akcji presiedlenczej, S. 1. AAN MAP 2441, Bl. 35-38. Vgl. dazu auch Jaworski, Napiastowskim szlaku, S. 49 ff.; 179 ff. Biuro Pemomocnika Akcji Siewnej w Poznaniu, Opis stosunków rolniczych na ziemi lubuskiej, September 1945, S. 8 ff AAN MRiRR 1745. Jan Pietronski, posel do KRN, Malbork, Sprawozdanie Nr. 1, 20.11.1945. AAN KRN 420. 178

ersten Zeit nach der Potsdamer Konferenz als geboten. Der Vorsitzende des Umsiedlungskomitees in Zielonka10 beispielsweise, ein Ottokar Brzezinski, drückte dies so aus: „Auf der Potsdamer Konferenz erreichte Polen einen großen politischen Sieg. Aber dieser Sieg wird erst dann ein vollständiger werden, wenn sich alle Dörfer und Städte im Westen und an der Ostsee mit Polen bevölkern [...] Wir haben ein großes Wirtschaftsexamen vor der ganzen Welt zu bestehen, und dies in rekordmäßig kurzer Frist, das heißt bis zur Friedenskonferenz, die vermutlich schon im Jahre 1946 zusammentreten wird."11 Zu den politischen Erwägungen gesellte sich ein weiterer Faktor, der ebenfalls zur Beschleunigung antrieb: das Problem der Einbringung der Ernte, die zur Versorgung der gesamten Bevölkerung schließlich unabdingbar war.12 In einem Gutachten des GUPP hieß es dementsprechend zum Thema der „wilden Ansiedlung": „In der Zwischenzeit zwingt der Umstand, daß 85% der deutschen Bevölkerung der geschlagenen deutschen Armee nach Westen folgen, ihre Höfe und anderen Arbeitsstätten verlassen und ohne jede Betreuung lassen, zur schnellen, wenn auch unorganisierten Besiedlung {zaludnienie) und sofortigen Bewirtschaftung des Gebietes, ohne Rücksicht auf unter diesen Bedingungen unvermeidliche Unzulänglichkeiten und Fehler, wenn dieses Gebiet nicht in allernächster Zeit ein Land des Hungers und der Leere werden soll."13 Verschiedene solcher Unzulänglichkeiten, die im folgenden noch besprochen werden, ließen noch im April 1947, nicht zuletzt angesichts von Äußerungen von sehen Byrnes' und Marshalls, Befürchtungen aufkommen.14 Um welchen der sieben Orte dieses Namens es sich handelt, konnte nicht geklärt werden. Da Umsiedlungskomitees in erster Linie in den Gebieten bestanden, in denen Siedler für die dergewonnenen Gebiete angeworben werden sollten, handelt es sich möglicherweise um Zielonka bei Warschau. Memorial w sprawie usprawnienia akcji przesiedlenczej na tereny poniemieckie, 9. August 1945, gez. Ottokar Brzezinski (?). AAN MAP 2450, Bl. 86 ff. So schrieb etwa der Leiter der Siedlungsabteilung beim Bevollmächtigten für den Bezirk Pommerellen Jan Cybinski im April 1945 an Wolski: „Die drängendste Sache auf dem Gebiet Pommerellens ist die Siedlungsfrage. Laut den Berechnungen wird man hier 2.500.000 Polen ansiedeln müssen, von denen mindestens 1.000.000 (eine Million) sich längstens bis zum 15.VII.1945 auf dem Gebiet befinden müssen, sonst geht die Ernte verloren." Schreiben Cybulski an Wolski, 30. April 1945. AAN MAP 2450, unfol. Zasady osadnictwa Ziem Zachodnich, o.D., o.U. (vermutlich erstes Quartal 1945), AAN GUPP 462. Es ist möglich, daß es sich hier um eine Studie aus dem Büro der Westlichen Länder der Delegatura handelt, die an das GUPP übergeben wurde. So bezeichnete etwa Dobrowolski die Situation in den Wiedergewonnenen Gebieten auf der Sitzung der Kommission fllr städtische Siedlung auf der 4. Konferenz des Wissenschaftlichen tes am 23. April 1947 unter ausdrücklichem Hinweis auf Byrnes und Marshall als gefährlich. AAN MZO 1703, Bl. 92 f. 179

Die von Turnan erwähnten Projekte einer planvollen Umsiedlung „überschüssiger Bevölkerung" in die neuen, zur Kolonisierung freigegebenen Gebiete stammten in der Anfangszeit vor allem aus dem BSOP sowie den im Wissenschaftlichen Rat zusammentreffenden wissenschaftlichen und Planungsinstitutionen. Hier ist an erster Stelle das bereits erwähnte auf der ersten Sitzung des Wissenschaftlichen Rates vorgestellte Projekt einer Regionalisierung der Migrationsbewegungen von Stanislaw Pietkiewicz und Michal Orlicz zu nennen.15 Das erste konzise Siedlungsprogramm jedoch stammte vom Gründer des BSOP und Initiator des Wissenschaftlichen Rates Rajmund Bulawski. Bulawski ging von einem Bevölkerungsaustausch im Verhältnis eins zu eins aus. Das neu hinzugewonnene Gebiet sei vor dem Krieg von 83/4 Mio. Menschen bewohnt worden; davon sei die Anzahl der „einheimischen polnischen Bevölkerung" abzuziehen, die aber sicherlich eine Million nicht überschreiten werde. Die „Siedlungsmöglichkeiten" der gewonnenen Gebiete umfaßten somit l \ Millionen Menschen. Diese grundsätzliche, theoretische Aufnahmefähigkeit könne aber angesichts der Kriegsschäden in der Anfangszeit nicht ausgenutzt werden. Durch die Parzellierung der Gutshöfe wachse sie aber andererseits wieder.16 Die Siedlungsbewegung habe in Umfang und Form wenig mit dem zu tun, was man bisher kennengelernt habe: „Das, was wir jetzt im Westen zu vollbringen haben, ist eher die geschlossene Verschiebung eines großen Teiles des polnischen Volkes in Gebiete, die, soweit sie es noch nicht sind, so doch von der sie bislang bewohnenden Bevölkerung befreit werden, geboten aus allgemein nationalen und staatlichen Gründen und Interessen, und erst an zweiter Stelle zur Befriedigung gewisser persönlicher Wünsche der Immigranten."17 Die aktuellen Aufgaben der Ansiedlung wirken vertraut. An der künftigen deutsch-polnischen Grenze sei eine „lebende Mauer" aus polnischen Siedlern zu errichten, die sich den „destruktiven Einflüssen des Nachbarn" nicht unterwerfe und dem Gebiet ein „entschieden polnisches Antlitz" gebe. Auch Bulawski verband, wie bereits im vorangegangenen Abschnitt angedeutet wurde, die Polonisierung der Gebiete untrennbar mit einer Sanierung der Agrarstruktur in den alten Landesteilen. Neben Repatrianten aus dem Osten, die nur ausnahmsweise in den dergewonnenen Gebieten angesiedelt werden sollten, da nach erlebten Demoralisierungen

Vgl. Kap. II.2.b. Problemy osadniczo-przesiedlencze, S. 1. Mit einer genauen Bilanz der Kriegsschäden befaßte man sich erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1946. So verfaßte Józef Zaremba von der Regionalen Raumplanungsdirektion (Regionalna Dyrekcja Planowania Przestrzennego, RDPP) in Breslau eine Studie zur Aufnahmefähigkeit Niederschlesiens „auf dem Hintergrund der Region der Zerstörungen". Danach hatten vor allem die Städte gelitten: Breslau sei zu 64% zerstört, Glogau zu 88%, Liegnitz beispielsweise aber nur zu 26%. Józef Zaremba, Przewyzki i niedobory ludnosci polskiej na tle regionu zniszczen, o.D. (nach August 1946), S. 7. AAN MZO 793, Bl. 92-109. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, S. 2. BULAWSKI:

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von ihnen kein rechter Pioniergeist zu erwarten sei, und Reemigranten aus dem Westen, die den Vorzug aufwiesen, durch die Zwangsarbeit im Reich an deutsche Wirtschaftsmethoden gewöhnt zu sein, sollten in allererster Linie Bevölkerungsüberschüsse aus den überbevölkerten südlichen Wojewodschaften das „Menschenmaterial" für die neuen Westgebiete stellen. Die Größe der neuen Wirtschaften sei genau zu erwägen. Bauern, die bislang 3-5 ha bewirtschaftet hätten, seien kaum in der Lage, plötzlich 30 oder 50 ha zu bestellen. Stattdessen seien „rationale Proportionen zwischen altem und neuem Hof zu wahren. Besitzer von Höfen bis 5 ha sollten das Recht erhalten, 5-20 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche zu erwerben, solche von Höfen zwischen 5 und 20 ha Betriebe zwischen 20 und 50 ha und 18 so fort. Wirtschaften über 100 ha waren nicht vorgesehen. Das entsprach den Vorgaben des Dekrets über die Landreform vom 6. September 1944, nach denen in den alten Landesteilen aller Bodenbesitz über 50 ha, in den (alten) Wojewodschaften Posen, Schlesien und Pommern über 100 ha, in den staatlichen Landfonds übernommen werden sollte. 19 Die in den alten Landesteilen zurückgelassenen Höfe sollten arrondiert und zu „eigenständigen Wirtschaften" zusammengelegt werden. 20 Entsprechendes galt für die Höfe, die im Zuge der Vertragsumsiedlungen in die westlichen Sowjetrepubliken freigeworden waren. In einer Verordnung bestimmte Stanislaw Mikolajczyk, der als einziges Mitglied der Londoner Exilregierung in die Vorläufige Regierung der Nationalen Einheit eingetreten war, den PUR in Zusammenarbeit mit den Kreislandämtern als für die Auswahl und Verteilung der Höfe an Umsiedler bzw. Kleinbauern zuständig, die von den ausgesiedelten Ukrainern, Weißrussen und Litauern verlassen worden waren. 21 Während also die Umsiedlung aus den alten Wojewodschaften mit einer umfassenden Sanierung der Agrarstruktur verbunden wurde, sollte die Betriebsgrößenverteilung der Wiedergewonnenen Gebiete in wesentlichen Zügen erhalten bleiben. Nach der Aufstellung Bulawskis besaßen Betriebe zwischen 5 und 50 ha Gesamtfläche 51% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Zersplitterte und Kleinstbetriebe, die in der „am stärksten überbevölkerten Wojewodschaft Krakau" mehr als die Hälfte der Gesamtzahl der Höfe stellten, spielten in den neuen Gebieten hingegen keine größere Rolle. 22 Ebenso zeigte der Rekurs auf ehemalige Zwangsarbeiter, die, soweit dies nicht der Zuordnung der Siedlungsregionen widerspreche, am Aufenthaltsort bevorzugt mit landwirtschaftlichen Betrieben ausgestattet

Ebenda, S. 10-14. Dekret des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung vom 6. September 1944 über die Durchführung der Bodenreform, wiedergegeben in: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung, Bd. 1/3, S. 26-31. Vgl. auch BUÙAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, S. 18. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, S. 25 f. Die Überwindung von Entscheidungsproblemen bei den Umsiedlungskandidaten wollte Bulawski bewerkstelligen, indem die verlassenen Höfe vorzugsweise an Verwandte der Umsiedler übergeben würden, um den Abschied leichter zu machen. Zarządzenie Nr. 9, gez. St. Mikolajczyk als MRiRR, o.D. (Sept. 1945) AAN GPR 45, Bl. 5 f. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, Tabelle S. 15 f. 181

werden sollten, daß Bulawski an der ohnedies als „grundsätzlich gesund" geltenden Agrarstruktur des Kolonisierungsgebietes nicht viel ändern wollte.23 Zwar sei möglicherweise hier und da eine Zusammenlegung kleinerer Betriebe zu „eigenständigen bäuerlichen Wirtschaften" angezeigt, in der Regel aber sollten solche Stellen nebenberuflich betrieben werden, etwa durch Lehrer, Handwerker oder Gartenbaubetriebe in der Nähe der Städte. Einen Ansturm auf Wirtschaften an der jeweiligen Obergrenze, der sozialpolitisch kaum erwünscht war, wollte Bulawski durch eine stark progressive Besteuerung verhindern.24 Gleichwohl war auf diese Weise die Umsiedlung in den Westen mit einem wahrnehmbaren sozialen Aufstieg verbunden. Komplexer war das Problem der großbäuerlichen Wirtschaften. Hier sei zwar die Ausnutzung der Arbeitskraft optimal und somit garantierten diese die effizienteste Wirtschaftsweise, dafür aber binde der großbäuerliche Betrieb gemessen an der Fläche am wenigsten Menschen, verringere also die Aufnahmefähigkeit der Gebiete. Dennoch seien die sozioökonomischen Vorteile, vor allem im Zusammenhang mit der Versorgung der städtischen Märkte, im Prinzip höher zu bewerten; ein gewisser Prozentsatz der Großbetriebe solle daher erhalten bleiben und stelle einen „notwendigen Bestandteil unserer Agrarstruktur" dar. Sie ermöglichten einen höheren Grad an Mechanisierung der Landarbeit, da sie größere Kapitalmengen zur Verfügung hätten. Sie hülfen auch bei der Schaffung einer „beruflichen Elite", indem die Kinder zum Besuch landwirtschaftlicher Schulen freigestellt werden könnten. Bulawski ging auch grundsätzlich davon aus, daß eine Übergabe ehemals deutscher Höfe nur an Familien erfolgen dürfe; die Hofgröße sollte von der Zahl der vorhandenen Kinder abhängig sein.25 Schließlich aber seien die Großbauernwirtschaften als „Landreservoir" für spätere Generationen anzusehen. Eine Aufteilung zum jetzigen Zeitpunkt könne nur in Frage kommen, wenn sich herausstelle, daß der übrige Boden für die Unterbringung des „Bevölkerungsüberschusses" nicht ausreiche. Dagegen stand die Parzellierung der Rittergüter für Bulawski außer Frage; ohne die Aufteilung der Gutshöfe sei es unmöglich, „unsere landwirtschaftliche Überbevölkerung abfließen zu lassen und unsere Agrarstruktur zu gesunden".26 Die Parzellierung erschien so wichtig, daß sie im Endeffekt noch vor der Übernahme mittel- und großbäuerlicher Wirtschaften rangierte. Letztere sollten, soweit sie nicht im Austausch gegen in den überbevölkerten Wojewodschaften verlassene Wirtschaften übergeben würden, gemäß ihrem Wert und keinesfalls in Raten bezahlt werden, um genügend landlose Interessenten für eine Parzellierung zu behalten.27 Für die Behandlung der Gutsbetriebe schlug Bulawski mehrere Varianten vor. Bei den im Bezirk Oppeln und in Masuren häufig anzutreffenden Betrieben, deren Arbeiterschaft li

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Ebenda, S. 20: „... denn wir nehmen die existierende bäuerliche Betriebsgrößenverteilung als Grundlage des Siedlungsplanes." Ebenda, S. 17 f. Ebenda, S. 28. Ebenda, S. 35. Ebenda, S. 18-21.

ausschließlich oder mehrheitlich aus Polen bestehe, solle „der Grundsatz angenommen werden, daß sie in das Eigentum ihrer bisherigen Belegschaften übergehen". Damit sei eine eingearbeitete und motivierte Gruppe von Bauern vorhanden, denen zudem noch das Gefühl der Minderwertigkeit, das ihnen jahrzehntelang von deutscher Seite eingeimpft worden sei, genommen würde. Außerdem liege der politische Vorteil auf der Hand. Bis zur endgültigen Aufteilung sollten diese Betriebe als „Parzellierungsgenossenschaften" oder „Siedlungsgenossenschaften" geführt werden, die die Parzellierung selbst durchzuführen hätten.28 Das Ziel seien aber allemal „individuelle Bauernwirtschaften", die in das Eigentum der Siedler übergehen sollten, da nur diese „die größte nationale und bevölkerungsmäßige Sicherheit" garantierten.29 Zahlreicher seien aber Gutshöfe, deren bisherige Belegschaft in erster Linie oder vollständig aus deutschen Arbeitern bestanden habe. Hier nun schlug Bulawski vor, sie für etwa drei Jahre durch staatliche Verwalter bewirtschaften zu lassen, und erst danach zu parzellieren. Die Belegschaft sei aus landlosen Bauern und Landarbeitern zu bilden, die sich um eine eigene Wirtschaft bemühen wollten und quasi zur Probe angesiedelt würden. Vor allem sei an potentielle Bauern zu denken, die nicht über genügend Kapital für die Übernahme eines Hofes verfügten. Eine Bildung von Parzellierungsgenossenschaften könne auch hier erwogen werden.30 Schließlich sei ein nicht genauer bestimmter Teil der Güter in staatlicher Hand zu belassen: zur Einrichtung von Saatgutbetrieben, für Experimentalwirtschaften, Viehhaltung, Spezialkulturen und so fort.31 Die Kontrolle des Staates über die Verwendung und Struktur des neuen Siedlungslandes sollte, abgesehen von der Selbstorganisation der Genossenschaften, möglichst vollständig sein. Zwar war eine Übergabe ehemals deutscher Höfe in das Eigentum der Neusiedler vorgesehen, dieses aber nach den Maßgaben des Dekrets über die Landreform beschränkt. Ein Verkauf oder eine Aufteilung der zugeteilten Höfe sollte ausgeschlossen sein. Ebenso sollten Flächen, die mittel- oder langfristig für die Regulierung von Städten, den Bau von Arbeitersiedlungen und ähnliches vorgesehen sein könnten, nicht übereignet, sondern verpachtet werden. Gleichzeitig kritisierte Bulawski die Maßgabe, daß neugebildete Wirtschaften eine Gesamtfläche von 5 ha nicht überschreiten dürften. Dies sei vielmehr „das Minimum einer autarken bäuerlichen Wirtschaft". Bei einer - offensichtlich für möglich Ebenda, S. 37 ff. Interessanterweise beruft sich Bulawski auf Vorbilder aus preußischer Zeit: So habe Ludwig Bernhard 1907 von Parzellierungsgenossenschaften berichtet, die auf Anregung des Direktors der Thorner Landgenossenschaft Kalkstein zusammengetreten seien. Tatsächlich spielte das Genossenschaftswesen vor allem im Handel schon vor dem Krieg, ja sogar schon vor der Neuerstehung des polnischen Staates 1918 eine große Rolle. Vgl. Janusz Kalinski: Handel wewnetrzny, in: Problemy gospodarcze, S. 151-184, hier S. 156. Bulawski führt Beispiele von Landgenossenschaften vor allem in der Provinz Posen an, die dort auch Mittel der Selbstbehauptung gegen die Germanisierungspolitik und wirtschaftliche Niederhaltung seitens des preußischen Staates gewesen seien. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlehcze, S. 47. Ebenda, S. 53 f. Ebenda, S. 57 f. 183

gehaltenen - weiteren Verringerung der Betriebsgröße werde „eine Gesundung der landwirtschaftlichen Verhältnisse, die mithilfe dieser Reform beabsichtigt ist, illusorisch".32 Gleichwohl lehnte Bulawski eine Ausweitung der Unteilbarkeit auf Wirtschaften zwischen 20 und 100 ha, wie sie in den Wiedergewonnenen Gebieten vorherrschend seien, nach Vorbild der deutschen Erbhöfe ab. 3 3 Die Bedingungen in Polen seien völlig anders als in Deutschland, die Verhältnisse noch fließend. Das Problem der Überbevölkerung des Dorfes sei dort unbekannt, eher sei eine Landflucht zu beobachten gewesen. Mit der Einführung der Erbhöfe habe man dort versucht, wenigstens einen unbedingt notwendigen Teil der Bauern an das Land zu binden; derlei sei aber in Polen gar nicht nötig. Im Gegenteil sei davon auszugehen, daß die nichtlandwirtschaftlichen Gewerbe gar nicht in der Lage sein würden, den Bevölkerungsüberschuß aufzunehmen; ein erheblicher Teil der nachwachsenden Generation werde auf Beschäftigung in der Landwirtschaft angewiesen bleiben. Dies aber mache die Möglichkeit zur Aufteilung des elterlichen Besitzes nötig, zumal, wenn man den Trend zur Zwei- und Dreikinderfamilie aufhalten wolle. Stattdessen wollte Bulawski eine staatliche Kontrolle über die Aufteilung der bäuerlichen Höfe installieren und sie an die Zustimmung der Siedlungsbehörden binden. 34 Eine ähnliche Position zur Frage des Großgrundbesitzes wie auch der allgemeinen Agrarstruktur in den Wiedergewonnenen Gebieten vertrat, ebenfalls im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates, der bereits erwähnte Józef Szaflarski. Eine Übernahme der Güter in staatliche oder halbstaatliche Bewirtschaftung vermindere die Aufnahmefähigkeit und könne unvorteilhafte Folgen haben. Ziel sei „die starke, geschlossene und vollständige Beherrschung dieses Gebietes und die Beseitigung aller Ursachen, die dieses Ziel bedrohen könnten." 35 Hinzu komme, daß eine Beibehaltung der bisherigen Betriebsgrößenstruktur bedeute, daß das Gebiet wie schon vor dem Krieg Abwanderungsgebiet bleibe und wenn überhaupt nur ein verschwindend geringes Bevölkerungswachstum aufweisen könne. 36 Dies bedeutete eine Gefahr, die man in umgekehrter Richtung bereits kannte. Da die „Repatriierung" der Deutschen die Bevölkerungsdichte „auf der anderen Seite von Oder und Neiße" deutlich anheben werde, sei zu fürchten, daß „wir wieder mit einem Bevölkerungsunterschied über die Grenzen hinweg zu tun haben, der wesentlich stärker sein wird als zuvor, und bei dem wir die schwächere Seite sein könnten, was für uns aus unterschiedlichsten Gründen eine unvorteilhafte Situation wäre." 3 7

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Ebenda, S. 22. Ebenso STYS: Zagadnienie niepodzielności. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, S. 22 ff. SZAFLARSKI: Zagadnienie odpùywu ludnosci, S. 133. Ebenda. Szaflarski stützte sich in erster Linie auf Studien aus dem Preußischen Statistischen Landesamt aus dem 19. Jahrhundert. Ebenda, S. 136 f.

Gemeint war im Grunde ein „Bevölkerungsdruck", wie ihn deutsche Wissenschaftler und Politiker seit dem Ende des 19. Jahrhunderts konstatiert hatten, und der sich nun umzukehren drohte. Ähnlich hatte Bulawski auf dieses Problem Bezug genommen: Die Bevölkerungsdichte auf dieser Seite der Grenze müsse groß genug sein, um „ein ausreichendes Gegengewicht gegen den Bevölkerungsdruck, der sich wahrscheinlich auf der deutschen Seite" infolge der Massenaussiedlungen bilden werde. Aber er hatte gefragt, ob eine „Infiltration des deutschen Elementes" nicht schon durch eine definierte politische Grenze vereitelt werden könne. Sicherlich sei aufgrund der Erfahrungen des vergangenen Krieges „auf eine lange Zeit so weit wie möglich vorgeschobene Vorsicht beim Einlassen eines deutschen Elementes nach Polen" angezeigt.38 Prof. Jan Czekanowski beschwichtigte: Hitler sei es nicht gelungen, den Drang der deutschen Landbevölkerung in die Städte aufzuheben, trotz diverser Zwangsmittel. Auch die Anhebung oder wenigstens Aufrechterhaltung der Geburtenrate der bäuerlichen Bevölkerung sei gescheitert. Hinzu komme ein weiterer, bereits von den deutschen Planern mit umgekehrter Schlußfolgerung hervorgehobener Aspekt: „Unsere Repatrianten aus dem Osten werden gegenüber den deutschen Bauern in der Überzahl sein, begründet durch ihren niedrigen Lebensstandard."39 Ein weiteres Argument dafür, daß eine „deutsche Gefahr" im Sinne von Bevölkerungsdruck an der Grenze nicht bestehe, jedenfalls nicht zur Schaffung vor allem kleiner Wirtschaften verleiten dürfe, führte Prof. Kazimierz Dobrowolski an. Das Denken „in Kategorien eines geschlossenen, dichten Walles kleiner bäuerlicher Wirtschaften als Verteidigung gegen den germanischen Ansturm" gehöre angesichts der im vergangenen Krieg vorgeführten Techniken der Vergangenheit an.40 Eine intensivere Diskussion der optimalen Betriebsgrößenverteilung fand erst auf der zweiten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates statt. Den Reigen eröffnete Henryk Kopec, als er vorschlug, die Standardgröße der Familienwirtschaft in ganz Polen auf 10 ha festzulegen und alle Wirtschaften, die weniger als 10 oder mehr als 50 ha umfaßten, aufzulösen.41 Das bedeutete, im Gegensatz zu den Vorschlägen Bulawskis, eine vollständige Restrukturierung der Landwirtschaft in den alten Landesteilen und den Wiedergewonnenen Gebieten. Wincenty Stys, Mitherausgeber der von Franciszek Bujak gegründeten PSLnahen Zeitschrift Wies i Panstwo vor dem Krieg, versuchte auf der gleichen Konferenz eine systematische Planung der Agrarstruktur. Auch er ging davon aus, daß die Hauptaufgabe in der „Besiedlung der wiedergewonnenen Gebiete mit dem polnischen Element und dem Hinausdrängen des deutschen Elementes" bestehen müsse.42 j

°

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BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze,

S. 35 f.

II Sesja, z. I, S. 138. Ebenda, S. 141. KOPEC: Zjawiska demograficzne, S. 57. STYS: Zagadnienie ustroju rolnego, S. 7. 185

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Stys" fand zwei widerstreitende Konzeptionen: einerseits das bereits beschriebene Programm Bulawskis, der die Beibehaltung der mittel- und großbäuerlichen Struktur vorgeschlagen habe, in Übereinstimmung mit den Meinungen Bujaks und anderer Wissenschaftler; auf der anderen Seite stehe die derzeitige Praxis der Regierung, bestätigt durch Äußerungen Wolskis, die eher die Gutsbetriebe in staatlicher Verwaltung erhalte und die Ansiedlung überschüssiger Bevölkerung auf die Parzellierung der mittleren und großbäuerlichen Betriebe stützen wolle, was unübersehbare strukturelle Unterschiede zwischen neuen und alten Gebieten festschreibe. Beide Konzeptionen seien ungenügend, da sie den Zufluß der Bevölkerung aus den alten Ländern hemmten und somit „die Chancen einer gründlichen Reform ihrer Agrarstruktur verkleinerten". Außerdem sei der Anteil der landwirtschaftlichen an der Gesamtbevölkerung gegenüber den deutschen Verhältnissen deutlich zu erhöhen, und schließlich litten beide Konzeptionen daran, daß sie einen wesentlichen Teil der landwirtschaftlichen Produktion auf abhängige Arbeit stützten. Dafür gebe es aber gar kein Potential. Arbeiter würden in erster Linie in den Städten, Häfen, bei der Umgestaltung der Kommunikationswege usw. gebraucht. Auf der anderen Seite vermutete Stys, daß es „Liebhaber für Wirtschaften, die größer sind als 30 ha" kaum geben werde. Sie seien mit hohen Abgaben belastet, und es drohten Landarbeiterstreiks.43 Vor allem widersprach Stys der oft gehörten Einschätzung, Kleinbetriebe seien nicht imstande, marktrelevante Überschüsse zu erwirtschaften. Berechnungen der landwirtschaftlichen Forschungsanstalten in Pulawy erwiesen das Gegenteil. Tatsächlich sei der Geldwert der Überschüsse auf dem Markt bei Kleinbetrieben (2-3 ha) doppelt so hoch wie bei Höfen zwischen 30 und 50 ha, was damit zu erklären sei, daß vor allem tierische und Veredelungsprodukte, Getreide und Kartoffeln erst in zweiter Linie produziert bzw. verkauft würden.44 Stys" erledigte auch die Argumentation eines Verfechters des Großbetriebes, Jan Stecki, mit Gründen, die im Hinblick auf die deutsche Praxis in den ten Ostgebieten nicht ohne Interesse sind. Stecki hatte angeführt, daß es nicht um den Marktwert, sondern die Ernährung, also die produzierten Kalorien gehe, die in erster Linie von Großbetrieben geliefert würden. „Das Argument Steckis wäre unter folgenden Bedingungen überzeugend: 1. müßte er beweisen, daß der Großbesitz wesentlich mehr Getreide und Kartoffeln aus der Flächeneinheit erzeugt; 2. müßte ein Zustand wirtschaftlicher Isolation existieren, bei dem das Volk tatsächlich zur Befriedigung seines Bedarfs an Getreide und Kartoffeln aus eigener Produktion verurteilt wäre; 3. müßte sich zeigen, daß die Mengen an pflanzlichen Produkten, die die bäuerlichen Wirtschaften umsetzen können, tatsächlich nicht

STYS: Zagadnienie ustroju rolnego, S. 14 f. Neben strukturellen Argumenten sei die Erhöhung der Bevölkerungsdichte eine Notwendigkeit, da ein Rückgang „den Deutschen sofort das Argument für eine Aktion zur Revision der Friedensverträge gäbe". Ebenda, S. 8 ff. 186

zur Bedarfsdeckung ausreichen - denn selbst die kleinsten Landbetriebe bringen pflanzliche Produkte auf den Markt."45 Hinzu kamen soziostrukturelle Erwägungen. Die Planung der Agrarstruktur solle, so Stys, nach polnischem, nicht nach deutschem Prinzip erfolgen. Dieses laute, daß das Land dem gehöre, der es bebaue: „Als Bauernvolk verwerfen wir den Drang des „Herrenvolkes" (Herrenvolku): eine Wirtschaft mit Hilfe fremder Mietlinge oder schlicht von Sklaven."46 Die agrarsozialistische Konzeption des PSL-nahen Stys verband sich mit dem verständlichen Zorn über jegliche Vorgehensweisen, die in irgendeiner Weise allzu große Ähnlichkeit mit dem haben konnten, was man sechs Jahre lang erduldet hatte. Gleichwohl darf darauf hingewiesen werden, daß in der Himmlerschen Planung eine Verwendung polnischer Zwangsarbeiter und Arbeitssklaven im regionalen Rahmen anfangs ein Versuch war, aus der Not eine Tugend zu machen.47 Es bleibt aber der wesentliche Unterschied bestehen, daß Stys" wortreich einforderte, daß die neu zu besiedelnden Höfe ohne andere als gelegentliche nachbarliche Hilfe von den Mitgliedern der bäuerlichen Eignerfamilie zu bewirtschaften seien. Auf dieser Grundlage war eine allzu großzügige Bemessung der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausgeschlossen. Faktisch näherte sich Stys in einigen Punkten dem Programm Bulawskis an. Auch er sah eine Hofgröße von 5-20 ha als vorteilhaft an. Betriebe mit dieser Fläche sollten keinesfalls aufgeteilt werden, zumal der „Löwenanteil der Wirtschaften dieser Gruppe weniger als 15 ha Fläche hat". Von den Höfen zwischen 20 und 50 ha sollten so viele bis zu einer Größe von 30 ha bestehen bleiben, wie sich Interessenten fanden. Diese Ausnahmen sollten aber nicht mehr als 30% der Anzahl der Wirtschaften dieser Größe ausmachen. Betriebe mit mehr als 50 ha Grundfläche sollten sämtlich zu Einzelhöfen mit einer Richtgröße um 15 ha aufgeteilt werden, einschließlich des größeren Teils der Gutsbetriebe.48 Die vorgeschlagene Betriebsgrößenverteilung zeigt Tabelle 1. Anhand dieser Betriebsgrößenverteilung kam Stys" auf mindestens 2,9 Millionen Menschen, die unmittelbar von der Landwirtschaft leben würden bzw. als Siedler zu mobilisieren waren. Hinzu kämen 33.000 Landarbeiter auf den staatlichen Gütern, 54.000 in den Forstbetrieben und 3.000 in der Wasserwirtschaft. Ging man von einer durchschnittlichen Kinderzahl von drei aus, betrage die anzustrebende reine landwirtschaftliche Bevölkerung 3,2 Mio. und liege damit nur unwesentlich unter den Vorkriegszahlen. Davon waren nun wiederum diejenigen Bevölkerungsseg-

Ebenda, S. 11. Darüber hinaus stellte Stys" heraus, daß der große Abstand zwischen den Erträgen großer und kleiner Betriebe zu einem hohen Prozentsatz dadurch zustandekomme, daß nur der Ertrag auf die landwirtschaftliche Nutzfläche, nicht aber auf die Gesamtfläche der Güter berechnet werde, und darüber hinaus die Güter in aller Regel über die besten Böden verfügten. Ebenda, S. 16. Siehe oben und Kapitel III.2.a., S. 327-335. STYS: Zagadnienie ustroju rolnego, S. 18. 187

mente zu subtrahieren, die sich als „Autochthone" definieren ließen: unter der Landbevölkerung die Masuren, Kaschuben und Schlesien49 Tab. 1: Betriebsgrößenverteilung bei Wincenty Stys-

* = Betriebe von 50 bis über 100 ha Dagegen sei der Umfang des Siedlungspotentials außerordentlich schwer festzustellen, da keine ausreichenden statistischen Daten zur Verfügung stünden. Auch die Vorkriegsstatistik sei unbefriedigend, da sie nur nach Bekenntnis, nicht nach Nationalität oder nationalem Selbstverständnis gefragt habe. Stys" ging aus von 1-1,5 Millionen Repatrianten aus dem Osten; etwa 2 Mio. müßten daher aus den Polen verbliebenen alten Gebieten kommen. Deren Reserve aus der landwirtschaftlichen Überbevölkerung lasse sich mit etwa 3,6 Mio: beziffern. Dabei sei aber zu berücksichtigen, daß „wenigstens teilweise die ermordete jüdische Bevölkerung" zu ersetzen sei: 1,5 Mio. Landbewohner seien an die Städte der alten Länder „abzugeben". Ebenso seien die westlichen Städte nicht allein aus städtischen Umsiedlern zu füllen. Übrig blieben nur etwa 0,6 bis 1,1 Mio. für die neuen landwirtschaftlichen Gebiete, wo aber 2 Mio. gebraucht würden. Tatsächlich habe Polen daher keinen Bevölkerungsüberschuß, sondern im Gegenteil zu wenig Menschen.51 Aus völlig anderen Gründen und in anderem Ausmaß war also einem ähnlichen Problem zu begegnen, wie es schon die deutschen Planer beschäftigt hatte: dem Problem der begrenzten Verfügbarkeit von Siedlern für ein Gebiet, dessen Grenzen an anderer Stelle und in ihrem genauen Verlaufaus anderen als strukturpolitischen Erwägungen heraus festgeschrieben worden waren. Die bisherige Siedlungspolitik sei, so Stys, in mehreren Punkten falsch, da sie „allzu prasserisch das Menschenmaterial" verschwende. Die obere Grenze von 10 ha für neue Siedlungen sei unter diesem Gesichtspunkt völlig verfehlt. Auch die gleichzeitig erfolgende

Ebenda, S. 23 ff. Nach den Tabellen ebenda, S. 21. Ebenda, S. 25-28. 188

Parzellierung von Gütern, Groß- und Mittelbetrieben sei sofort zu stoppen. Stattdessen empfahl Stys eine Reihenfolge von Schritten sozusagen von oben nach unten: ,,a) Übernahme, Sicherung und Inbetriebnahme der existierenden Wirtschaften und die vollständige Entfernung der Deutschen von ihnen, b) Parzellierung der Gutshöfe, dieser besonders von den Bauern gehaßten Wirtschaftsform, c) Parzellierung des vorgesehenen Teiles der Wirtschaften der Gruppe 50-100 ha, d) Parzellierung des vorgesehenen Teiles der Wirtschaften der Gruppe 20-50 ha. Zum nächsten Stadium ist erst dann überzugehen, wenn das vorige abgeschlossen ist."52 Auch Stys ging, trotz der Einwände Dobrowolskis auf der ersten Konferenz des schaftlichen Rates, von der Notwendigkeit aus, „einen starken, geschlossenen bäuerlichen Wall"53 in den Wiedergewonnenen Gebieten zu schaffen, unabhängig von der Struktur der städtischen Besiedelung. Da viele Bauern im vergangenen Krieg von „Grenzunternehmen" abgeschreckt worden seien, müsse der Anreiz „die Hoffnung auf Wohlstand" sein. Wie seinerzeit bei der Anwerbung reichsdeutscher Siedler zählte man bei den noch weniger als die SS-Technokraten von ideologisch-romantischen Pioniervorstellungen belasteten polnischen Planern weniger auf selbstlosen Idealismus als auf die Zugkraft sozialer Aufstiegsmöglichkeiten. Dazu sei das Privateigentum am Boden unabdingbar und entspreche sowohl der Verfassung als auch dem Dekret über die Landreform.54 Auf die Richtigkeit dieses Konzeptes verwies auch Koreferent Prof. Stefan Schmidt. Die Aussicht auf Verbesserung der eigenen Lage habe „wenigstens bisher vielen wertvollen Bevölkerungselementen befohlen, sich der Emigration in den Westen zu enthalten" (gemeint ist Westeuropa); darüber hinaus seien aber auch „Nichtfachleute, typische Nichtstuer, die sich mit Befriedigung der Arbeit der Deutschen bedienen", zu finden, die die übernommenen Wirtschaften verließen, sobald nur die ehemaligen Besitzer ausgesiedelt würden.55 Der Agrarökonom Schmidt wandte sich gegen Stys's Überlegung, daß eine Eingliederung der neuen Gebiete die schnellstmögliche Ansiedlung möglichst vieler Menschen erfordere. Wichtiger sei die wirtschaftliche Beherrschung dieser Länder. Dabei befehle das schlechte Ansehen der polnischen Wirtschaftskraft im Ausland die Anpassung der polnischen Wirtschaftsstruktur an das Weltniveau, also eine nachholende Mechanisierung und Rationalisierung der Produktionsmethoden. Da angesichts der fortschreitenden technischen Entwicklung und der zunehmenden Verflechtung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen die Grenzen der Staaten zunehmend an Bedeutung verlören, sei eine Anpassung der polnischen Verhältnisse an westeuropäische Standards wichtiger als die Anpassung der

Ebenda, S. 28. Ebenso FRANCISZEK BUJAK in seinem Diskussionsbeitrag, in: II Sesja, z. 2, S. 58 ff. STYS: Zagadnienie ustroju rolnego, S. 29 f. SCHMIDT: Zagadnienie ustroju rolnego, S. 31. 189

neuen Gebiete an die alten. Eine Anpassung der gesamtpolnischen Wirtschaftsstruktur hatte danach weitreichende Folgen auch für die Agrarstruktur: „Wenn die Kriegsplanwirtschaft fortgesetzt werden sollte, dann wäre die Konsequenz im Agrarsektor, daß als Sektoren dieser Wirtschaft Erbhöfe (Erbhofów), Kolchosen und Gutswirtschaften aufrechterhalten werden, wobei sie strenger Kontrolle untergeordnet werden, da sie geeignet sind zur Regulierung der Produktion und die Greifbarkeit von Vorräten garantieren."56 Tatsächlich sei die Parzellierung der Gutshöfe überhaupt nur dann möglich, wenn entweder eine Rückkehr zum Prinzip der freien Konkurrenz vorgesehen sei oder, im Rahmen einer Planwirtschaft, sie durch Erbhöfe oder Kolchosen ersetzt würden. Bereits vor dem Krieg habe sich aber in Dänemark und Großbritannien gezeigt, daß sowohl der Gutshof als auch der bäuerliche Betrieb als Wirtschaftsformen der Vergangenheit angehörten. Die Tendenz gehe zur von einer Familie maschinell bearbeiteten Farmwirtschaft.57 Eine möglicherweise erforderliche zentralistische Regulierung der Produktion könne aber nicht, wie Stys das vorschlug, mit dem Geldwert des Marktbeitrages bäuerlicher Wirtschaften rechnen, sondern müsse, wie Stecki vorgeführt hatte, die produzierten Kalorien als Maß nehmen. Dann aber seien, wie nicht zuletzt die Kriegsvorbereitungen der Deutschen vorgeführt hätten, Großbetriebe von 100-200 ha in der Tat weit ertragreicher als bäuerliche Familienwirtschaften.58 Faktisch bedeutete das nichts anderes, als daß Schmidt, ohne es ausdrücklich zu sagen, entsprechend dem Vorgehen der Deutschen im Warthegau, die Wiedergewonnenen Gebiete als durchrationalisierte Kornkammer Polens sowie zur Weiterentwicklung der Viehwirtschaft zu verwenden dachte, ohne sich über die bevölkerungspolitischen Konsequenzen, die ja auch die deutschen Planer bereits beschäftigt hatten, genauer zu äußern. Tatsächlich beschränkte er sich darauf, eine weitreichende Arbeitsteilung vor allem mit Blick auf landwirtschaftliche Nebengewerbe wie Handel, Transport vorzuschlagen. In diesem Sinne ziele die bisher betriebene Agrarreform vielleicht auf eine Gesundung der Agrarstruktur,, bewirke aber faktisch ihre strukturelle Rückbildung. Schmidt schlug nun vor, statt der zentralen die westlichen Wojewodschaften Pommern und Posen als Modell für die neuen Gebiete zu wählen. Gerade diese wiesen „die gesündeste Berufsstruktur" auf, ihre Agrarstruktur sei der im Westen am ähnlichsten. Praktisch sollte dies bedeuten, daß Betriebe bis zu einer Fläche von 100 ha übernommen und nur die Gutsbetriebe parzelliert würden. Dies entsprach im übrigen, wie Butawski in der folgenden Diskussion betonte, der Praxis, die sich auf eine Übertragung der Vorschriften des Dekrets über die Landreform auf die Wiedergewonnenen 59 Gebiete stützte und diese wie die westlichen Wojewodschaften behandelte. Zur Besied-

Ebenda, S. 33. Ebenda, S. 37. Ebenda, S. 33 f. Diskussionsbeitrag BUÙAWSKI, in: II Sesja, z. 2, S. 41-48, hier S. 41. 190

hing schlug Schmidt eine zweistufige BevölkerungsVerschiebung vor. Nachdem Stys befurchtet hatte, daß für großbäuerliche Betriebe sich gar nicht genug Interessenten finden ließen, sollten diese von Bauern aus der Posener Gegend übernommen werden, deren alte Höfe vom Bevölkerungsüberschuß aus dem Süden besiedelt würden.60 Der Anthropologe Jan Czekanowski brachte ein weiteres Argument für größer bemessene Wirtschaften. Nach russischen Statistiken aus dem späten 19. Jahrhundert hätten Gebiete mit zersplittertem und Kleinbesitz nur verhärmte Rekruten geliefert; Kreise mit größerer Durchschnittsgröße der Wirtschaften hätten „in physischer und vermutlich auch in geistiger Hinsicht besser entwickeltes Material geliefert".61 Immerhin unterstellte Czekanowski damit keine rassische oder erbliche Prädisposition, sondern sozioökonomische Ursachen. Bulawski betonte die Parallelität seiner Konzeption mit den Bemerkungen Schmidts. Eine Beibehaltung der großbäuerlichen Betriebe mit 50-100 ha Grundfläche, die ohnedies nur 9,8% der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmachten, hätte nur minimalen Einfluß auf die Bevölkerungsdichte, so daß auch dieses Argument Styä's entfalle. „Zu den Argumenten, die für die Großbauernwirtschaften sprechen, kann man noch hinzufügen, daß, sobald als Ziel der Reform die Entstehung einer starken, auf gesunde Grundlagen gestützten Bauernschicht angesehen wird - und der Standpunkt der Regierung läßt in dieser Hinsicht keinerlei Zweifel übrig - , man den Bauern auch nicht die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs in ihrem Beruf nehmen darf."^Die Verbindung agrarsozialistischer Prinzipien, wie sie Stys wortreich und geradezu antitechnokratisch vertreten hatte, mit der Verteidigung großbäuerlicher, auf abhängige Arbeit angewiesener Betriebe gelang Bulawski durch eine sinnreiche Unterscheidung zwischen diesen und den Gutshöfen: „Auf den Gutsbetrieben nimmt der Besitzer selbst keinen Anteil an der Arbeit auf dem Feld, er ist eher nur Disponent fremder Arbeit, die bäuerliche Wirtschaft jedoch ist hauptsächlich auf die physische Arbeit des Eigentümers und seiner Familienmitglieder gestützt."63 Bulawski stützte seine These mit der Bemerkung, daß auch kleinste Betriebe nicht ohne abhängige Arbeiter auskämen, daß sich die Unterschiede nur im Prozentsatz der Abhängigkeit von Landarbeitern äußerten. Als Bauernwirtschaften sollten demnach solche Höfe bezeichnet werden, „in denen die Familienkräfte über die fremden überwiegen". Die Grenze liege bei 100 ha. 64 Das Hauptargument Bulawskis war aber wiederum die Notwendigkeit,

SCHMIDT: Zagadnienie ustroju rolnego, S. 38 f. Diskussionsbeitrag PROF. J. CZEKANOWSKI, in: II Sesja, z. 2, S. 60 ff., hier S. 61. Diskussionsbeitrag BULAWSKI, S. 43. Hervorhebung im Original. Ebenda, S. 43 f. Ebenda, S. 44 f. Da dies bereits bei Höfen von 50-100 ha nicht mehr der Fall war - das Verhältnis betrug hier 42 zu 58 - war eine weitere Umdeutung erforderlich: tatsächlich zeige ein Ver-

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„daß wir mit der Zeit zweimal so viel Bevölkerung in die Städte leiten müssen wie auf das 65 Land". Tatsächlich stellte sich diese Forderung den Polen ja viel dringender als den deutschen Planern, die das Primat der landwirtschaftlichen Siedlung schon deshalb länger aufrechterhalten konnten, 66 weil ein hoher Prozentsatz polnischer Bevölkerung wenigstens mittelfristig als „Helotenvolk" im Lande verbleiben sollte. Bereits im August 1945 intervenierte mit dem GUPP eine Planungsbehörde, die noch wesentlich besser legitimiert war als das hauptsächlich aus Fachleuten der Delegatura bestehende BSOP und der die alte Garde der Agrar- und Bevölkerungs- und Sozialwissenschaftler versammelnde Wissenschaftliche Rat67, in dem jedoch der GUPP vertreten war. Zudem befand sich der GUPP als Planungsbehörde noch näher an der eigentlichen Exekutive als BSOP und Wissenschaftlicher Rat. Die erste bekannte Studie zum Thema der „besten" Betriebsgröße stammte von Wiktor Schramm. Bei ihm hieß es: „Landwirtschaften sind sehr unterschiedlicher Größe und Typs. Auf ihre Gestaltung hat eine Reihe unterschiedlicher Faktoren Einfluß genommen. Unter dem Druck unterschiedlicher Einflüsse gestalten sie sich ständig um, ändern Charakter und Größe. Natürliche Bedingungen, [...] Bedingungen der historischen Entwicklung, wirtschaftliche und soziale Beziehungen, demografische Momente (Bevölkerungsdichte), rechtliche und kulturelle Beziehungen usw. usf. [...] Die einen [Ursachen] sind grundlegend und mehr oder weniger unabhängig vom Menschen, andere seinem Willen und normierenden Druck untergeordnet."68

gleich mit der höheren und der niedrigeren Gruppe, daß die Großbauernhöfe deutlich nach den kleineren Wirtschaften tendierten. 65 66

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Ebenda, S. 47. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß die ländliche Siedlung nicht auch in den Wiedergewonnenen Gebieten einen zentralen Stellenwert hätte einnehmen müssen. In einem Erläuterungspapier von Anfang April 1945 aus dem MAP hieß es: „Drei der eingerichteten Bezirke (okręgi) haben landwirtschaftlichen Charakter, und nur einer, allerdings der größte, industrielllandwirtschaftlichen. Daher sind die landwirtschaftlichen Fragen in den W.G. vorrangig." Uwagi w sprawie zaadministrowania i zagospodarowania Z.O., Eingangsstempel 11. April 1945, o.U. AAN MZO 1156, unfol. Ebenso geht aus der Verteilung der Kredite, die in die Wiedergewonnenen Gebiete flössen, die Bedeutung der landwirtschaftlichen Siedlung hervor. Nach einem Vermerk des Siedlungsdepartements vom 8. April 1946 waren in den Monaten August 1945 bis März 1946 220 Millionen zloty geflossen, von denen 160 Millionen an die Landwirtschaft gingen. Für die restlichen Monate des Jahres waren 6-700 Millionen veranschlagt sowie 1,3 Milliarden allein für den landwirtschaftlichen Wohnungsbau. AAN MZO 793, Bl. 211 f. Von den 108 nichtbehördlichen Mitgliedern des Wissenschaftlichen Rates waren 50 Professoren, die sich bereits vor dem Krieg habilitiert haben mußten. Czlonkowie Rudy Naukowej dla Zagadnien Ziem Odzyskanych, o.D. (venu. 1947). AAN MZO 1714. Wiktor Schramm, Mierniki „najlepszej" wielkosci gospodarstwa, Sierpien 1945, S. 1. AAN GUPP 122.

Auch er betonte den Zusammenhang zwischen Agrarstruktur und der allgemeinen sozioökonomischen Struktur und postulierte die im Grunde willkürliche Veränderbarkeit einiger bestimmender Faktoren. Besonders rege in der Diskussion um die ideale Betriebsgrößenverteilung war der bereits erwähnte Zygmunt Glinka, ohne allerdings viel Neues den oben zitierten Diskussionen hinzuzufügen. Vor allem lehnte Glinka die im Wissenschaftlichen Rat oft vorgeschlagene Grundgröße für Familienbetriebe von 5-20 ha ab. Ein Hof von 20 ha beispielsweise sei für eine fünfköpfige Familie kaum zu bewirtschaften. Außerdem wäre der Wandel in der Berufsstruktur zu groß und abrupt. Die Landbevölkerung hätte dann nur noch 50% statt wie bisher 70% der Gesamtbevölkerung ausgemacht.69 Glinka modifizierte daher die Zahlen leicht nach unten und schlug in vier Bodengüteklassen Betriebsgrößen zwischen 4 und 18 ha vor. Daneben sollte die weitere Betriebsgrößenstruktur der im restlichen Polen entsprechen: Familienwirtschaften sollten 85% des bebaubaren Bodens ausmachen, „mittlere Farmerwirtschaften" 10%, Großgüter 5%. 7 0 Der Unterschied zu den RKF-Planungen ist augenfällig. Glinka und seine Kollegen gingen wie schon Wincenty Stys von einer Betriebsgröße aus, die von einer Familie ohne abhängige Arbeit bewirtschaftet werden sollte. Im Hinblick auf die Gesamtstruktur hingegen ist das Vorgehen parallel. In beiden Fällen war, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, in den kolonisierbaren Gebieten die bereinigte Berufs- und Agrarstruktur des Stammlandes zugrundezulegen. Lag die Orientierung an den „gesündesten Gebieten Bayerns..." 71 im Interesse der gewaltsamen Einpassung der eingegliederten Ostgebiete in den Großdeutschen Wirtschaftsraum, wollte Glinka durch die Berücksichtigung der vorhandenen Berufsstruktur einem „allzu gewaltsamen Sprung" vorbeugen.72 Tatsächlich ließ aber Glinka die Zügel schießen, wo er, in Berücksichtigung „rein sachlicher Gesichtspunkte fern von politischen Prämissen", über eine wirklich ideale Agrarstruktur räsonierte; hier näherte er sich strukturellen Vorstellungen seiner deutschen Vorgänger an. Die Privatinitiative sei soweit möglich zu fördern, vor allem sollten die Großgüter nicht aufgelöst, sondern statt von der staatlichen Bürokratie von fachlichen Verbänden, der territorialen Selbstverwaltung oder universitär-akademischen Stellen betrieben

Glinka, Próba rozwiązania, S. 10 f. Tatsächlich stellte sich 1931 und 1950 das Verhältnis wie folgt dar: 1931 lebten 60,0% der Gesamtbevölkerung von der Landwirtschaft, 63,8% der Erwerbstätigen waren hier beschäftigt. Für 1950 lauten die Zahlen 47,1% und 53,3%. Rocznik Statystyczny 1956, S. 39 ff. Glinka, Próbarozwiązania, S. 13. Glinka erwähnt mehrfach „Anlagen zum vorliegenden Elaborat", in denen er die Ergebnisse seiner Arbeit in Zahlen ausdrückte; vermutlich ist die in einer eigenen Akte abgelegte Studie Chlonnosc ludnosciowa polskich terenów wiejskich. Szkic orientacyjny, o.D. AAN GUPP 500 gemeint. Die Studie enthält die gleichen Angaben wie die hier beschriebenen, nur mit größerem Aufwand an grob regional differenzierten Tabellen. Siehe oben Kap. II.3.a., S. 134 ff. Glinka, Próbarozwiązania, S. 11. 193

werden. Bestimmte Betriebe sollten „ausgezeichneten Fachleuten" verpachtet werden, mittelbäuerliche Betriebe seien stärker zu betonen - was im Groben den Positionen Bulawskis, Schmidts und anderer entsprach.73 Sie nämlich ermöglichten erst eine „etwas höhere Intensität" und eine „rationellere Ausnutzung der Arbeitskräfte" bei durchschnittlich dreimal so großer Fläche - womit Glinka bei der Größe der Himmlerschen „Hufen" angelangt war.74 Mit dessen Vorstellungen befaßte sich Glinka direkt: Amtliche Berechnungen aus dem Jahre 1942, schrieb er, seien von einem Anteil von 35 Personen ländlicher Bevölkerung auf einen km2 der Gesamtfläche ausgegangen, bei einer allgemeinen Bevölkerungsdichte von 85 je km2. Der GUPP jedoch gehe von einer ländlichen Bevölkerung von 43 und einer allgemeinen Bevölkerungsdichte von 77 Personen je km2 aus. Das bedeutete einen höheren Anteil landwirtschaftlicher Bevölkerung bei insgesamt niedrigerer Bevölkerungsdichte. Insgesamt waren aber Himmlers und Glinkas Vorstellungen, wie auch letzterem auffiel, im wesentlichen „konvergent" (zbiezny). Weil Deutschland deutlich höher industrialisiert sei, falle auch der Anteil der städtischen Bevölkerung im deutschen Plan höher aus und sei „für das augenblickliche Stadium der Regulierungsarbeiten in Polen noch unerreichbar".75 Das von Glinka vorgeschlagene Verhältnis von 56 : 44 zwischen Landund Stadtbevölkerung konnte in dieser Logik nur sein, was eben vorläufig erreichbar war. Weitere Veränderungen waren durchaus vorgesehen; vor allem seien Vorkehrungen zu treffen, um „den gesamten natürlichen Bevölkerungszuwachs in städtisch-industrielle Beschäftigungen" leiten zu können.76 Der Kern der Auseinandersetzung lag in der Funktionszuweisung für die nenen Gebiete. Dr. Pawel Rybicki faßte das Problem griffig zusammen: „In der Diskussion reiben sich zwei Konzeptionen, die weit über das Problem der Agrarstruktur selbst hinausgehen. Es geht darum, was die neuen Gebiete in unserem nationalen und staatlichen Organismus werden sollen. Die eine Konzeption sieht in den wiedergewonnenen Gebieten Möglichkeiten zur Realisierung einer neuen sozioökonomischen Struktur; sie sieht in ihnen ein Terrain, von dem belebende Einflüsse auf die alten Gebiete ausgehen sollten, um sie schrittweise umzugestalten und an den Westen anzunähern. Die zweite Konzeption will die Struktur der alten Länder mit gewissen Verbesserungen auf die neuen Länder übertragen - und die Fakten der jetzigen Art der Besiedelung entsprechen dieser zweiten Konzeption (soweit sich diese Prozesse überhaupt auf irgendeine bewußte Konzeption beziehen). Persönlich bin ich Befürworter der ersten Konzeption, und ich denke, daß wir aus dem großen historischen Wandel

15 74 75 76

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Ebenda, S. 14. Ebenda, S. 18. Ebenda, S. 34 f. Ebenda, S. 36.

profitieren sollten, um durch die eigene Bewirtschaftung der westlichen Gebiete auf die Veränderung unserer anachronistischen Wirtschafts- und Sozialstruktur zu wirken."77 Wie die deutschen Behörden im Warthegau, die das Gebiet zum „Mustergau" machen wollten und in dem neue Paradigmen für Planungspraxis und Behördenstruktur ausprobiert wurden, die sukzessive auf das „Altreich" übertragen werden sollten, galt vielen polnischen Planern, soviel wird aus der hier zitierten Diskussion deutlich, das neu hinzugewonnene Territorium als Chance, eine ideale Agrar- und Sozialstruktur zu schaffen, die auf die alten Landesteile ausstrahlen sollte.78 Diese Diskussion war um so weniger müßig, als die Umsiedlungsbewegungen zwar längst begonnen hatten und weitgehend durch die in den Wiedergewonnenen Gebieten noch gar nicht geltenden Vorschriften präjudiziell waren, eine konzise Siedlungsplanung aber tatsächlich noch fehlte. Zudem wurden die in dieser Form vollendeten Fakten nicht unbedingt als feststehend angesehen: Eine innere Umsiedlung auch erst kurz zuvor angesetzter Bauern innerhalb der Wiedergewonnenen Gebiete war weder in der Planung noch in der behördlichen Praxis ein Tabuthema.79 Es zeigt sich, daß die Mehrzahl der Planer, was Tragweite, Tiefenwirkung und Rücksichtslosigkeit ihrer Vorschläge und Ideen anging, weit über das hinausging, was in der Behördenpraxis realisiert wurde - ein Aspekt, der vermuten läßt, daß die Planungsebene sowohl in der deutschen Besatzungsverwaltung als auch in der polnischen Nachkriegspolitik einen eindeutig radikalisierenden Faktor darstellte. Wo Idealbilder geplant wurden, die sich nicht der Notwendigkeit unterzogen, reale Strukturen als feststehend zu berücksichtigen, sondern die auf eine optimale Ausnutzung der natürlichen Gegebenheiten durch die Anpassung disponibler Faktoren wie Betriebsgrößenverteilung, Bevölkerungsstruktur usw. zielten, mußten subjektive und politische ebenso wie moralische und rechtliche Faktoren zweitrangig werden. Die Planer selbst sahen dies nicht anders: auf die Kritik, die Wincenty Stys" gegen Glinkas Umsiedlungsplanung angebracht hatte (es handle sich um „ein ex-

Diskussionsbeitrag DR. P. RYBICKI, in: II Sesja, z. 2, S. 56 ff, hier S. 58. So auch SCHRAMM: Uwagi o zagadnieniu struktury rolnej, S. 96: „In diesen Gebieten sollte und wird ein anderer, 'neuer' Typ des Menschen-Bodenbewirtschafters geschaffen werden. Dazu zwingt die Wirklichkeit im Hinblick auf die Probleme der sich entwickelnden Technik und in der Erfassung soziologisch-demographischer Probleme." So wies in der hier zitierten Diskussion Emil Ehrlich auf die Notwendigkeit hin, in bestimmten Gegenden Siedler, die versehentlich auf Höfen von Autochthonen angesetzt wurden, die für Deutsche gehalten und „in die für Deutsche bestimmten Lager" eingewiesen wurden, nochmals umzusiedeln. Diskussionsbeitrag E. EHRLICH, in: II Sesja, z. 2, S. 62 f. Eine Instruktion des Wojewodschafts-Landamtes vom Oktober 1945 legte eine Prioritätenliste flir die Siedler fest, die jedenfalls am Ort würden bleiben dürfen. Dies waren zuallererst die „Repatrianten von hinter dem Bug", Siedlerfamilien, Handwerker, Hochqualifizierte und solche Bauern, die bereits mit der Bestellung begonnen hätten. Auszusiedeln seien hingegen vorzugsweise „einzelne Siedler, die 'wild' aus unterschiedlichen Gegenden des Landes angekommen" seien. Uzupetnienie instrukcji w sprawie regulacji osadnictwa, 25. Oktober 1945, gez. Pawel Schmidt. AAN MRiRR 1744, Bl. 171 ff. 195

tremes Beispiel einer vom Leben abgetrennten Planung"), antwortete dieser, daß es seine Aufgabe nicht sei, „nebensächliche, politische Aspekte" zu berücksichtigen, sondern einzig die Anzahl der Menschen zu berechnen, nach deren Umsiedlung „die Erscheinungen der agrarischen Überbevölkerung verschwinden würden". 80 Noch deutlicher formulierte eine Denkschrift für den GUPP dieses Phänomen: „Tatsächlich übernehmen wir, obwohl man schwerlich die Wiedergewonnenen Gebiete als tabula rasa beschreiben kann, diese Gebiete gleichwohl unter solchen Bedingungen, daß das, was wir heute auf diese tabula schreiben, sich ohne Zweifel über lange Jahre, wenn nicht Jahrhunderte, nicht vollständig wegwischen läßt." 81 Hier liegt der Grund, warum selbst bei der Anwerbung des „Siedlerpotentials" oder „Menschenmaterials" für die Kolonisierungsgebiete auf beiden Seiten Zwangsmittel wenigstens nicht ausgeschlossen wurden und die faktische Entrechtung und zunächst rechnerische, dann tatsächliche Entfernung der unerwünschten Bevölkerungsteile in der Regel keinerlei moralische Bedenken verursachte. Gleichwohl ist festzuhalten, daß anscheinend ältere Akademiker wie Stys, Bulawski und andere im Gegensatz zu den jungen, ambitionierten Planern in der RKF-Zentrale und auch im Gegensatz etwa zu Zygmunt Glinka weit eher in der Lage waren, ihre Idealstrukturen unter Berücksichtigung der Subjektivität ihrer Objekte, nämlich der Siedlerfamilien, zu entwerfen. Daß dies nicht für alle älteren Herren galt, wird im folgenden Kapitel noch deutlich werden. Es kann nicht verwundern, daß die Diskussion um die ideale Siedlungsstruktur in den Wiedergewonnenen Gebieten sich bis in das Jahr 1948 hineinzog. Vor der endgültigen Aussiedlung aller Deutschen galten die Verhältnisse in den Wiedergewonnenen Gebieten nicht als feststehend, was in manchen Punkten Planern und Behörden gehörige Kopfschmerzen verursachte. Dabei scheinen wesentliche Weichen bereits Mitte 1946 gestellt worden zu sein. Auf der dritten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates, die im Juni 1946 stattfand, erläuterte Vizeminister Wolski, daß man im Ministerium von etwas anderen Voraussetzungen ausgehe: Die Regierung ziele darauf, in einer „erste Etappe" durch die Ansiedlung landwirtschaftlicher Bevölkerung die Bewirtschaftung der neuen Gebiete zu sichern, um in einer zweiten Etappe „einen Teil von ihr für Industrie und Städte herauszuziehen". 8 2 Dies präjudizielle freilich die Bevorzugung kleinerer Wirtschaften.

Notatka w sprawie uwag prof. dr. Stysia z Wrocùawùa o „ Chlonnosci ludnosciowej terenów wiejskich", 12. November 1946, gez. Zygmunt Glinka, S. 1. AAN GUPP 172. Jan Antoni Wilder, O racjonalnq, politykę gospodarczą na ziemiach odzyskanych. Artykul dyskusyjny, o.D., S. 1. AAN GUPP 458. Zusammenfassung des Schlußwortes Wolskis in: III Sesja, z. II, S. 113. 196

Umsetzung:

Praxis der Ansiedlung

in den Wiedergewonnenen

Gebieten

Die hier ausführlich zitierten Beispiele zeigen, um welche Kernpunkte die Diskussion über die Agrarstruktur der Wiedergewonnenen Gebiete oszillierte. Sie machen deutlich, in welchem Maße die Frage der ländlichen Siedlung und besonders der Betriebsgrößenverteilung, die in der vorliegenden Studie als ein Hauptindikator für die Planung der sozioökonomischen und der Bevölkerungsstruktur angesehen wird, in dialektischem Verhältnis zu allgemeinen strukturpolitischen Aspekten, zur Struktur der Gesamtwirtschaft, zur Frage der Funktionszuweisung für das Kolonisierungsgebiet und die alten Landesteile sowie zur allgemeinen politischen Ausrichtung stand. Hierin unterschied sich die deutsche Planung nicht von der polnischen. Dagegen ist die Vielfältigkeit der Diskussion in Polen ab 1945 im Gegensatz zur vorangegangenen deutschen auffällig. Hier trafen tatsächlich widerstreitende Konzeptionen aufeinander, die oft zunächst einmal ohne Rücksicht auf ihre politische Durchsetzungsfähigkeit erörtert wurden. Es ist daher in der Folge zu zeigen, wie sich aus der Dialektik von außenpolitischem Kalkül und strukturpolitischem Interesse eine praktische Siedlungskonzeption entwickelte. Unzufriedenheit mit den anfänglichen Prinzipien der Ansiedlung polnischer Bauern in den Wiedergewonnenen Gebieten wurde, wie erwähnt, von verschiedenen Seiten geäußert. Leider ist nicht bekannt, inwieweit überhaupt strukturpolitische Gedanken über allgemeinste Vorstellungen hinaus hinter der frühen Umsiedlungspraxis gestanden haben, es ist dies aber, angesichts der bereits beschriebenen chaotischen Verhältnisse und der entgegengesetzten Berichte, die bereits oben zitiert wurden, eher zu bezweifeln. Im wesentlichen gingen die Umsiedler offensichtlich von dem bereits erwähnten Dekret über die Landreform aus, das für neu eingerichtete Betriebe eine maximale Fläche von 10 ha vorschrieb. Ende Juli 1945 bemühte sich der Bevollmächtigte für den Bezirk Masuren, Dr. J. Prawin, die Ansiedlungstätigkeit der PUR mit den Tätigkeitsbereichen der Landkommissare und der Starosten zu koordinieren. Prawin folgte den Vorgaben des Dekrets über die Landreform. Polnische Betriebe, die nicht größer als 100 ha seien, könnten einstweilen beibehalten werden, neue Wirtschaften für Umsiedler und Repatrianten seien in einer Größe von 7-10 ha vorzubereiten. Höfe mit bis zu 20 ha seien ebenfalls zu vergeben, soweit sichergestellt sei, „daß sie mit den eigenen Kräften der Familie bearbeitet werden". 83 Analog schrieb etwa das Projekt einer Verordnung für Prawins Bezirk vor, daß im Sinne einer „Normalisierung der Siedlungsbedingungen" die Nutzfläche von neugebildeten Höfen von 7 auf 10 ha erhöht werden solle; offensichtlich hatte man sich bislang eher an der Untergrenze orientiert. Siedler, die bereits mehr Land erhalten hätten, sollten alles, was über die Normgröße hinausging, zunächst zur Pacht erhalten.84 Dem entsprach auch das Projekt ei-

Rundschreiben Prawin an die Starosten, 24. Juli 1945. AAN MAP 2418, Bl. 11 f. Projekt rozporządzenia Peinomocnika Rzadu Rzeczypospolitej Polskiej o normalizacji warunków osiedlania się ludnosci na okręgu mazurskim, o.D. (vor Juni 1946). AAN MAP 2418, Bl. 1.

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nes Dekretes aus dem Ministerium für öffentliche Verwaltung, das ebenfalls vermutlich von Mitte 1945 stammt und die Größe der Höfe nach dem Dekret vom 6.9.1944 regelte. 85 Schon im Mai 1945 veröffentlichte der Ministerrat einen Beschluß über die Umsiedlungszahlen. Insgesamt seien „in einem zweimonatigen Zeitraum" 500.000 Repatrianten aus dem Osten, 150.000 aus dem Westen und 1,5 Millionen Umsiedler aus Zentralpolen, insgesamt 1,85 Millionen Siedler „aus dem eigentlichen Polen" in den Wiedergewonnenen Gebieten anzusiedeln. Der Beschluß enthält genaue Angaben über den technischen Ablauf der Umsiedlung, aber fast nichts über die Siedlungsstruktur. Es wurde nur bestimmt, daß alle beweglichen und unbeweglichen Güter, die deutschen juristischen Personen, Mitgliedern der Gestapo, der SS, Polizei, SA oder des Arbeitsdienstes gehörten, konfisziert werden sollten und ihr Verkauf den Wiederaufbau des Landes zu finanzieren hätte. 86 Obwohl eine kollektive Enteignung der deutschen Staatsangehörigen, soweit sie nicht als Autochthone im Lande würden bleiben können, zwar bereits vorgesehen war, wurde diese aber, wohl nicht zuletzt aus außenpolitischen Rücksichten, vor der Potsdamer Konferenz noch nicht vollzogen. Ebenso wurden offensichtlich, zumindest in Pommern, zunächst nur Deutsche ausgesiedelt, die nach 1939 angesiedelt worden waren. 87 Die Ansetzung der ersten polnischen Siedler erfolgte, darauf wurde bereits verwiesen, „wild", als spontane, unorganisierte Aneignung, über die sich in den Akten fast nichts erhalten hat. Eine grobe Charakterisierung ist einer Denkschrift des Kielcer Wojewoden Major Wiślicz-Iwańczyk zu entnehmen..Danach zerfielen die „auf eigene Faust" sich ansiedelnden Menschen in zwei Gruppen: Die einen verfügten über gewisse Mittel, die dazu führten, daß sie „klarkommen und sich gut einrichten", die anderen kämen ohne dergleichen, strapazierten ihre Kräfte in der falschen Richtung über Gebühr und kehrten bald enttäuscht nach Hause zurück. Das gleiche gelte aber auch für Siedler, die über die Transporte

Projekt dekretu o nadanie warsztatów ... i gospodarstw rolnych na Ziemiach Odzyskanych, o.D. (1945). AAN MAP 2446, unfol. Uchwala Rady Ministrów Rządu Tmyczasowego Rzeczypospolitej Polskiej w sprawie zasiedlenia Ziem Odzyskanych, Mai 1945, zit. n. ŚNIADECKI: Ksztaùtowanie się, S. 143-149. Die von Śniadecki herausgegebene Dokumentensammlung enthält unschätzbares und vielfältiges Material, wenn auch die Kommentierung einiger Dokumente wenigstens tendenziös ist. So bedeutet Śniadecki in einer Anmerkung zum Begriff „eigentliches Polen" {wùaściwa Polska): „Tak w tekście, powinno być: z rejonów centralnej Polski." Daß dies nicht sein kann, hätte eine einfache Addition gezeigt: die Zahl der Umsiedler, die hier unter diesen Begriff fällt, begreift sowohl die aus Zentralpolen als auch die aus den verlorenen Ostgebieten. Gleichwohl zeigen solche Beispiele, wie auch ein Vergleich der wiedergegebenen Dokumente mit den Originalen, daß Śniadecki die Akten zuverlässig wiedergibt. Fragment sprawozdania naczelnika Obwodowego Oddziaùu Informacji i Propagandy w Sùawnie, na temat akcji osiedleńczej, November 1945. Zit. n. ŚNIADECKI: Ksztaùtowanie się spoùeczności polskiej, S. 157 f. 198

des PUR angekommen seien; gerade diese verbreiteten nun „im Lande für die Ansiedlung schädliche Propaganda".88 Die ab dem Frühjahr 1945 tätigen Bevollmächtigten in den vier Gebieten (Okregi), in die die Wiedergewonnenen Gebiete aufgeteilt waren, versuchten zunächst, eine Kontrolle über die Migrationsbewegungen zu erlangen.89 Das MAP befaßte sich schon im Februar 1945 mit dem Problem und versuchte, die Ausreise aus den Wiedergewonnen Gebieten generell an Passierscheine zu binden und so die Tätigkeit von Leuten einzuschränken, die sich in erster Linie auf der Suche nach schnellem Gewinn dorthin begaben.90 Gleichzeitig bereitete Wolski als Generalbevollmächtigter die Einführung eines „vorläufigen Personalausweises" vor, der für alle obligatorisch sein sollte, die das 16. Lebensjahr vollendet hatten. Dieser Ausweis sollte sowohl an Neusiedler als auch an diejenigen ausgegeben werden, die „ihre Treue zum polnischen Volk beweisen".91 Ein weiteres Verordnungsprojekt, das vermutlich ebenfalls vom Frühjahr 1946 stammt, machte Einreise und Ausreise genehmigungspflichtig und drohte bei illegalem „Grenzübertritt" [!] Verhaftung und Zwangsarbeit an. 92 Im Sommer 1945 folgte die Einführung eines polizeilich-standesamtlichen Meldeverfahrens in den Bezirken. Rechtsgrundlage waren nicht etwa Anordnungen, Erlasse oder Dekrete der neuen Regierung oder ihrer Organe, sondern, wie beispielsweise im Bezirk Niederschlesien, Rechtstitel aus der Zeit der Zweiten Republik. Danach wurde auf der Grundlage eines polnischen Meldegesetzes aus den zwanziger Jahren eine allgemeine Meldepflicht für alle eingeführt, die sich länger als drei Tage an einem Ort innerhalb des Bezirkes aufhielten.93 Diese Vorschriften änderten die zum Teil katastrophale Lage aber nicht sofort. WisliczIwahczyk führte aus, daß die Registrierung in den Heimatgemeinden mangelhaft sei, eine „Auslese" finde überhaupt nicht statt, was dazu führe, daß Leute in die Wiedergewonnenen Gebiete kämen, die von Landwirtschaft aber auch gar nichts verstünden. Zudem funktionierte die Kommunikation zwischen den regionalen Stellen des PUR nicht. Die Aufnahme-

Memorial w sprawie akcji osiedlenczej i repatriacyjnej, o.D. (Juli 1945), gez. Mjr WisliczIwanczyk, S. 1 f. AAN MAP 2490, Bl. 79-82. BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 27, deutet an, daß die Kontrolle der Migrationsbewegungen, vor allem der Aussiedlung der Deutschen, bis Juli 1945 in den Händen der sowjetischen Militärkommandanturen lag. Okolnik w sprawie kontroli ruchu ludnosci na Ziemiach Odzyskanych an die Bevollmächtigten. Projekt. 25. Februar 1945. AAN MAP 2415, Bl. 75. Rozporzadzenie Pelnomocnika Generalnego dla Ziem Odzyskanych, o.D. (verm. Februar 1946), o.U. AAN MAP 2415, Bl. 76. Rozporzadzenie Pelnomocnika Generalnego dla Ziem Odzyskanych o zezwoleniach na wjazd i wyjazd na obszar Ziem Odzyskanych, o.D., o.U. AAN MAP 2415, Bl. 92 f. Zarzadzenie Pelnomocnika Rzadu R.P. na Okreg Administracyjny Dolnego Slaska z dn. 9.8. 1945 w sprawie ewidencji i kontroli ruchu ludnosci polskiej, gez. Mgr. Szymczyk. AAN MAP 2416, Bl. 108. 199

stellen besäßen keinerlei genaue Daten über die Aufnahmefähigkeit ihrer Gebiete. Oft seien weder Unterkünfte noch Versorgung vorbereitet.94 Ebenso erhob das bereits zitierte Memorial Ottokar Brzezinskis eine Reihe von Vorwürfen gegen den PUR. Dieses verliere das Interesse an den Siedlern, sobald diese am Bestimmungsort angelangt seien, eine Versorgung dieser Menschen dort finde nicht statt, ebensowenig eine Registrierung, so daß auch der PUR keine Vorstellungen darüber habe, wie viele Siedler denn nun eigentlich angesetzt worden seien. Hinzu komme, daß sich viele der Umsiedler als im Grunde ungeeignet erwiesen. „Also wird dieses überwiegend unvorbereitete und zum eigenständigen Wirtschaften unfähige Element in das entvölkerte Gebiet geworfen, ohne jegliche soziale und wirtschaftliche Einrichtungen, ohne Schultheißen und Gemeindeverwaltungen, ohne Posten des Sicherheitsdienstes, ohne Geschäfte, Post, Lehrer und Pfarrer, stattdessen oft beansprucht oder heimgesucht durch sowjetische Militärs, deren Verhalten und Vorgehen 95 gegenüber der schutzlosen Bevölkerung selten ohne Tadel ist." Rechtliche Grundlage der bald einsetzenden organisierten Bevölkerungsverschiebungen aus den „überbevölkerten" und den im Osten abgetretenen Gebieten war zunächst einmal eine - bislang nicht aufgefundene - Verordnung des MAP vom 23. April 1945, die den Beginnn der Umsiedlungen befahl. Der Inhalt der Verordnung ergibt sich aus einem Schreiben des Wojewodschafts-Landamtes in Lodz an die Landkommissare: Zuständig für die praktische Umsiedlung war der PUR, der auch die Zuweisung der Siedler in die einzelnen neuen Wohnorte vornahm. In den Abgabekreisen wurden Umsiedlungskomitees (Komitety Przesiedlencze) eingerichtet, die die Planung und Koordinierung der Umsiedlung von dort aus leiteten. Die „Umsiedlung einer möglichst großen Anzahl des polnischen Elementes als einziger Herren in die wiedergewonnenen Territorien" mache rasches Handeln erforderlich. „Aufgabe dieses Komitees neben Planung und Propaganda ist die Fortsetzung der Umsiedlungsbewegung durch die Registrierung der sich zur Ansiedlung meldenden sowohl ländlichen Bevölkerung, als auch der aus anderen Berufen, und außerdem hauptsächlich die Umsiedlung der Bevölkerung, die bislang keine Existenzmöglichkeit auf dem Ge-

Wiśùicz-Iwanczyk, Memorial w sprawie akcji osadniczej i repatriacyjnej, S. 2. Brzeziriski, Memorial w sprawie usprawnienia akcji przesiedlenczej, S. 1. Das oft beschriebene feindselige Verhalten sowjetischer Militärangehöriger gegenüber polnischen Siedlern darf nicht dazu verfuhren, anzunehmen, das sowjetische Militär habe sich auf Zerstörung und Drangsalierung beschränkt und ansonsten die Hände in den Schoß gelegt. In einem Bericht des Vertreters der polnischen Regierung beim Kommando der 1. Weißrussischen Front wird erwähnt, daß sowjetische Soldaten die Aussaat auf 150.000 ha im Nordwesten des Gebietes organisierten und teilweise selbst, teilweise mit Hilfe deutscher Zwangsarbeiter durchführten. Schreiben an Boleslaw Bierut, 16.4.1945, o.U. AAN MAP 2471, Bl. 8r/v.

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biet des Kreises oder der ausgegliederten Städte hat, wobei es jedoch die Umsiedlung 96 krimineller und antistaatlicher Elemente verhindert." In der Absicht, die anzusiedelnde Bevölkerung zu selektieren, waren sich Behörden und Planer des Wissenschaftlichen Rates völlig einig. Auch Bulawski betonte in seinem voluminösen Referat für die erste Konferenz des Wissenschaftlichen Rates, daß „Personen, die dem Alkoholismus huldigen, Kriminelle und asoziale Typen" in den neuen Gebieten völlig unerwünscht seien. 97 Die bereits erwähnten organisatorischen Probleme führten zu nachhaltigen Irritationen beim „Siedlermaterial". Vor allem angesichts der fatalen Sicherheitslage - auf das ambivalente Verhalten der Roten Armee wurde bereits verwiesen, hinzu kamen marodierende Banden - meldeten sich zusehends weniger Umsiedlungswillige98, viele kehrten von den eben erst übernommenen Höfen in ihre Heimatorte zurück. 99 Solche Unzulänglichkeiten spielten in der Selbstdarstellung des PUR eine geringere Rolle. Im ersten Heft des „Informationsbulletin" des PUR von Ende 1945 hieß es, daß sich das Amt zu Beginn der Umsiedlungen noch im Stadium des Aufbaus befunden habe und das Hauptziel in der Zuweisung neuer Höfe und Unterkünfte an die Repatrianten aus dem Osten bestanden habe; „dagegen waren wir weit entfernt vom Gedanken an einen staatlichen Siedlungsplan und selbst von einer geordneten Aktion". Dies habe sich erst mit der Befreiung weiterer Gebiete durch die Rote Armee geändert. Vor allem aber habe man ohne 100 gesetzliche Grundlagen arbeiten müssen. Der PUR verband die Einverleibung zusätzlicher zur Kolonisierung geeigneter Gebiete rückhaltlos mit den Erfordernissen der Bevölkerungsverteilung. Aus Osteuropa sollten 2,5 Millionen, aus dem Westen 2 Millionen Polen untergebracht werden, was in dem im Osten deutlich verkleinerten Staatsgebiet gar nicht möglich gewesen wäre. Die Übernahme der Wiedergewonnenen Gebiete in polnische Verwaltung sei „der richtige Weg" gewesen, zumal so auch, im Rahmen einer „planmäßigen Besiedelung", eine Lösung des Problems der „Überbevölkerung der zentralen Wojewodschaften Polens" möglich geworden sei. Diese in Tabelle 2 wiedergebenene Erfolgsbilanz - bei der zu berücksichtigen ist, daß bis zu 50% der hier aufgeführten polnischen Bauern die Wiedergewonnenen Gebiete bereits wieder verlassen hatten - diente nicht allein zur Legitimierung des PUR gegenüber Kritikern, sondern ebenso einer Absage an die deutsche Legende von der Unfähigkeit des

Wojewódzki Urzad Ziemski in Lódż an die Landkommissare, 11. Juni 1945, gez. St. Rychlowski, S. 1. AAN MRiRR 1746, Bl. 23-27. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, S. 28. Siehe z.B. Sprawozdanie Obwodowego Oddzialu Informacji i Propagandy w Walczu, dotyczace akcji przesiedlenczej, 27. November 1945. AAN MZO 714, Bl. 188, wiedergegeben in: SNIADECKI: Ksztaltowanie się spolecznosci polskiej, S. 156 f. Siehe weiter oben. Akcja osadnicza PUR, S. 5 f. 201

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polnischen Volkes zu konziser, effektiver Organisation. Das Deutsche Reich, vermeldete man stolz, habe im Verlauf von elf Monaten nicht einmal 400.000 Deutsche umsiedeln können. Im Vergleich dazu finde die Tätigkeit des PUR „kein Vorbild in der Geschichte". 1 0 1 Tatsächlich waren die Schwierigkeiten, mit denen man zu kämpfen hatte, ungeheuer. Sowohl in den alten Landesteilen als auch in den neuen Gebieten waren viele Gebäude zerstört, ebenso ein Großteil der Produktionsanlagen. Das gleiche galt für die Verkehrswege; Beförderungsmittel waren außerordentlich knapp und wurden gleichzeitig für die Umsiedlung der Polen und die Aussiedlung der Deutschen benötigt, ohne daß eine tatsächliche Koordinierung erfolgt wäre.

Daß die deutsche Bevölkerung in vielen Gebieten ihre Wohnungen selbständig verlassen hatte, verbesserte die Situation nicht unbedingt. Dort hatten entweder die Bewohner ihr Hab und Gut mitgenommen oder Plünderer ausgeräumt, was noch zu finden war. Hinzu kamen die bereits erwähnten, sich gegenseitig überlagernden „wilden" Migrationsbewegungen von Polen und Deutschen, die beide in die Wiedergewonnenen Gebiete drängten. Die Gleichzeitigkeit dieser Bewegungen brachte den bereits zitierten Kielcer Wojewoden Wiślicz-Iwanczyk auf den Gedanken, man müsse die knappen Beförderungsmittel besser nutzen, indem die Repatriierung aus dem Westen mit der Aussiedlung der Deutschen direkt gekoppelt werde; am besten „muß man beide Sachen verbinden, in einer Hand vereinigen". Die gesamte Siedlungsbewegung sei von den Wiedergewonnenen Gebieten aus zu organisieren, nicht von den alten Landesteilen. Auch sonst sei eine zentrale Koordinierung erfor-

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Ebenda, S. 7.

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Akcja osadnicza PUR, S. 6.

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derlich, die zuständigen Stellen zeichneten sich allgemein durch „völlige Uninteressiertheit an dieser Aktion" - gemeint ist die Repatriierung aus dem Westen - aus. 103 Ende September 1945 schickte Wolski seinen Stellvertreter Jözef Dubiel in die Kreise Brieg (Brzeg), Breslau und Liegnitz (Legnica), um die wiederholten Vorwürfe über die Unzulänglichkeit der Umsiedlungspraxis zu prüfen. Dubiel stellte fest, daß diese „inzwischen in wesentlichem Maße beseitigt worden" seien. Zwar habe es noch Fälle gegeben, daß Repatrianten mitten im Wald ausgesetzt wurden, dies war aber nicht den örtlichen Siedlungsbehörden anzulasten. Offensichtlich hatte die Rote Armee Züge auf der Strecke angehalten und für Truppentransporte beschlagnahmt. Hingegen sei die Sicherheitslage zwar besser, aber immer noch „weit entfernt vom normalen Stand". Gleichwohl seien bislang 19 648 Siedler im Kreis Brieg angesetzt worden, der Bedarf an Siedlern sei dort einstweilen gedeckt. Es gebe dort noch 15 000 Deutsche, die gesamte Landbevölkerung sei damit fast auf dem Stand von vor dem Kriege. Der ausführliche Bericht deutet an, wie aufmerksam die Siedler verfolgten, was sie von der internationalen Entwicklung erfahren konnten. Als Begründung, warum der nördliche Teil des Kreises sehr dicht, der südliche hingegen kaum mit Polen besiedelt sei, führt Dubiel an: „Neben Gründen technisch-transportmäßiger Natur wurde dieser Umstand auch durch gewisse politische Momente bewirkt. Unter den Siedlern im Gebiet des Kreises Brieg herrscht die Meinung, daß man nicht auf dem linken Oderufer siedeln soll (die Oder fließt durch den Kreis Brieg), weil die Zuerkennung dieser Gebiete an Polen noch überhaupt nicht sicher ist."104 Die „Unfähigkeit zur rationellen Verteilung" sei, so die Vertreter des örtlichen PUR, dem Mangel an Transportmitteln zu schulden. Hinzu komme, daß fünf komplette Dörfer von der Roten Armee besetzt seien und selbst die Durchfahrt nicht gestattet werde. Dubiel selbst kam zu einem anderen Schluß. Die Hauptschuld liege sicherlich bei der örtlichen Verwaltung, die „extreme Unfähigkeit gezeigt" habe. Sie habe weder die Plünderung des Kreises verhindert, noch sei es ihr gelungen, die im Kreis vorhandenen Fabriken in Gang zu setzen. Der Starost Koziorowski zeige „oft unbegründete Fügsamkeit gegenüber jeglichen, oft fälschlichen Forderungen niederer sowjetischer Behörden" und schiebe gegenüber den polnischen Siedlern alle Schuld an Unzulänglichkeiten auf diese. 105 Ähnlich sah, was die AusMemoriai w sprawie osadniczej i repatriacyjnej, S. 4. WiSlicz-Iwanczyk bezieht sich auf die Verhältnisse in Schlesien. Bericht Dubiels an Wolski, 1. Oktober 1945, S. 3. AAN MAP 2450, Bl. 130-140. Ebenda, S. 3 f. Ähnlich analysierte Wislicz-Iwanczyk die Schuldverteilung: „Man darf nicht verhehlen, daß sich auch Überfälle ereignen, vor allem auf Frauen seitens sowjetischer Marodeure und Rekonvaleszenten aus den Spitälern, die übrigens durch die zuständigen sowjetischen Behörden geahndet werden. [...] Zweifellos aber tragen in bedeutendem Maße unsere im Westen tätigen Beamten die Schuld, die 'amtieren', wobei sie vergessen, daß Ausnahmebedingungen [herrschen] und daß es unangemessen ist, daß unsere Stellen in dem Gebiet ihre Amtsstunden pünktlich um 3 Uhr nachmittags beenden." Memorial w sprawie akcji osiedlenczej i cyjnej, S. 3. 203

stattung mit Transportmitteln, Geld und Nahrung, aber auch die Verbesserung der Sicherheitslage anging, die Situation in Breslau und Liegnitz aus. 106 Wichtigstes Problem im gesamten Gebiet bleibe aber die Aussiedlung der Deutschen.107 Am 4. Januar 1946 stellte Wladyslaw Gomulka vor dem Landesnationalrat als Minister für die Wiedergewonnenen Gebiete und Vizepremier sein Programm vor. Auch er betonte, daß die Eingliederung und Polonisierung der neuen Gebiete die „unverzichtbare Bedingung für den Umbau unserer Wirtschaftsstruktur und die Sicherung einer gesunden Entwicklung für Polen" sei - und außerdem „die Dauerhaftigkeit der Sicherheit Polens" garantierte. Gleichzeitig band er den Besitz der neuen Gebiete an die dauerhafte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion.108 Dem kurz zuvor ernannten Minister stellten sich zwei Hauptprobleme. Neben der Wiederaufnahme der Aussiedlung der Deutschen, die wegen der Weigerung der Westalliierten, entsprechende Transportmittel zu stellen, unterbrochen sei, stehe die „planmäßige Ansiedlung" von Polen an erster Stelle. Mithilfe der dem MZO untergeordneten Behörden werde ein Plan erarbeitet, der „es erlaubt, die noch bis zum heutigen Tag spontane Ansiedlungsaktion in gewissem Maße aufzulösen". Gleichzeitig werde so eine - von verschiedenen Stellen ja längst postulierte - Koordinierung und Synchronisierung der Ansiedlung mit Repatriierung und innerer Umsiedlung möglich.109 Gomulka erwartete für Winter 1945/46 und das folgende Frühjahr 800.000 Repatrianten aus dem Osten; insgesamt wolle man im laufenden Jahr 2,5 bis 3 Millionen Menschen in den Wiedergewonnenen bieten aufnehmen und „davon wenigstens zwei Drittel auf landwirtschaftlichen Betrieben ansiedeln." Parallel dazu sah Gomulka die „Inbetriebnahme der Industrie" vor.110 Festzuhalten bleibt aber, daß sich an der personellen Zuständigkeit nicht viel geändert hatte. Der zuvor als Generalbevollmächtigter für die Wiedergewonnenen Gebiete zuständige Wladyslaw Wolski blieb als Vizeminister im Metier und erledigte bis zum Schluß die eigentliche Arbeit. Nur hatte er nun, als Herr über einen kompletten Ministerialapparat und unter der schützenden Hand des Vizepremiers Gomulka, wesentlich mehr Durchsetzungskraft. Das neue Ministerium begann wiederum mit einer Erfassung des Ist-Zustandes: Die dritte Verordnung des MZO beinhaltete einen Fragebogen, mittels dessen „die Siedlungs-

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Bericht Dubiels an Wolski, S. 5 f. Siehe dazu den folgenden Abschnitt. Rede Gomulkas am 3. Sitzungstag der KRN, Abschrift aus dem Protokoll, hs. Datum 4. Januar 1946, S. 2. AAN MZO 793, Bl. 55-69. Über das Verhältnis zur Sowjetunion heißt es dort: „Wenn ich über unsere westlichen Grenzen spreche, als Bedingung der Sicherheit und der Entwicklung Polens, will ich noch den Leuten des gestrigen Tages sagen, daß ihre offene oder verdeckte Tätigkeit, die gegen die Sowjetunion gerichtet ist, ihre offene oder verdeckte Pflege oder Forsetzung einer Politik des alten antisowjetischen Komplexes auch ein Infragestellen der Sicherheit Polens und der Unantastbarkeit seiner Grenzen an der Oder und Lausitzer Neiße ist." Rede Gomulkas am 4.1.1946, S. 10/3 f. Ebenda, S. 11/1 f.

kapazität" der Wiedergewonnenen Gebiete festgestellt werden sollte. Für Nichtablieferung bis zum 20. Januar wurden .„harte Konsequenzen" angedroht. 111 Mitte März 1946 berief Vizeminister Wolski eine Konferenz der Leiter der Siedlungsabteilungen bei den Bezirksbevollmächtigten, die vor allem einer zusammenfassenden Bestandsaufnahme sowohl der Ansiedlung und Aufnahmefähigkeit als auch dem Fortgang der Aussiedlung der Deutschen 112 gewidmet sein sollte. Unmittelbar nach der Einberufung dieser Konferenz, die für Mitte April vorgesehen war, beschlossen MZO und MAP die Einrichtung von Siedlungsabteilungen und -referaten in den mittleren und unteren Verwaltungsbehörden.113 Die Aufgaben dieser Abteilungen und Referate entsprachen faktisch denen der SS-Ansiedlungsstäbe, nur daß es sich hier um Exekutivorgane der allgemeinen Verwaltung und nicht einer Parteiorganisation bzw. der Polizei handelte. Den Siedlüngsabteilungen unterstand „die Planung der Verteilung ankommender Siedler im Gelände, abhängig von ihrer beruflichen Qualifikation und den Möglichkeiten und dem Bedarf des Gebietes"; nach Vermittlung des PUR hatten sie den Neusiedlern „ehemals deutsche Wirtschaften", Gewerbeobjekte und Wohnungen zuzuweisen. Sie sollten für die Koordinierung der Ansiedlung mit der Aussiedlung sorgen. Darüber hinaus waren sie für die Betreuung und Versorgung der Siedlerfamilien zuständig und sollten eigeninitiativ mit Anträgen tätig werden, sobald grundsätzliche Bedürfnisse nicht befriedigt wurden. Darüber hinaus hatten sie die bisher erfolgte Ansiedlung „unter dem Gesichtspunkt der Legalität und Zweckmäßigkeit" zu prüfen, unabhängig davon, welche Behörde die Zuteilung vorgenommen habe - was nichts anderes bedeutete, als daß die neu geschaffenen oder entstandenen Bevölkerungsstrukturen nicht als feststehend betrachtet wurden und nun nachträglich einem Plan angepaßt werden konnten. Schließlich sollten sie eine allgemeine Erfassung der bereits angesiedelten Familien durchführen, die 114 die Regelung der Eigentumsfragen vorbereiten sollte. Schließlich erließ das MZO am 12. April allgemeine Richtlinien für die Übereignung der Höfe an die Siedler. Die schwierige Situation in den Wiedergewonnenen Gebieten führte dazu, daß Rechtstitel weit gedehnt wurden. Auch wenn die Übernahme eines Betriebes formwidrig gewesen sei, solle dies die Legalität des Besitzes nicht berühren, wenn „der Siedler jegliche andere Möglichkeiten des Besitzes des Objektes besitzt", also zu dem Personenkreis gehörte, der nach

Zarzadzenie Nr. 3, Abschrift, 9. Januar 1946, gez. i.V. J. Wasilewski. AAN MZO 660, unfol. Rundschreiben Wolskis, 15. März 1946. AAN MZO 662, Bl. 6 f. Ob ein Protokoll dieser Konferenz existiert, ließ sich bislang nicht klären; in den Akten konnte es jedenfalls nicht aufgefunden werden. Zarzadzenie Ministrów Ziem Odzyskanych i Administracji w sprawie utworzenia Wydzialów i Referatów Osiedlenczych w urzedach wladz administracji ogólnej I i II instancji na obszarze ziem odzyskanych, 29. März 1946. AAN MZO 660, Bl. 31 f. Tymczasowy podzial czynnosci, Anlage zu Zarzadzenie w sprawie utworzenia Wydziaùów i Referatów Osiedlenczych, S. 1 ff. AAN MZO 660, Bl. 33-39.

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Herkunft und fachlicher Eignung zum Erwerb der Wirtschaft grundsätzlich berechtigt war.115 Eine erste Vorschrift, die die Frage der Ansiedlung und der Betriebsgrößenverteilung vorläufig regelte, erließ Wolski am 15. Juli 1946, während bereits die Vorbereitung eines entsprechenden Gesetzes angelaufen war. Danach sollten die „Ansiedlungsbetriebe" 7-15 ha Fläche umfassen, abhängig von natürlichen und ökonomischen Bedingungen. Gartenbaubetriebe sollten nicht mehr als 5 ha besitzen dürfen, vorhandene Saatgutbetriebe und Baumschulen jedoch bis zu 20 ha. Hinzu kamen Parzellen von 2 bzw. 3 ha, die von ländlichen Gewerbetreibenden bearbeitet werden sollten. Das Rundschreiben stellte ausdrücklich fest, daß „die bisherige Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe, die in großem Ausmaß Ergebnis der grundlegenden Erfordernisse des Terrains ist, erhalten werden sollte". Insbesondere solle das Verhältnis der Agrarbetriebe zu den landwirtschaftlichen Nebengewerben gewahrt bleiben. Darüber hinaus seien auch Betriebe unter 7 ha beizubehalten, selbst wenn sie nicht alle Familienmitglieder beschäftigen könnten, „da in jedem Gebiet die Sicherung einer gewissen Reserve an Händen zur abhängigen Arbeit in der Industrie nötig" sei. 116 Erst mit dem „Dekret über die Agrarstruktur und Ansiedlung auf dem Gebiet der Wiedergewonnenen Gebiete und der ehemaligen Freien Stadt Danzig" vom 25. Juli 1946 verfügten die Umsiedlungspraktiker über eine juristische Norm, die die Ansiedlung intern legitimierte und ihren Fortgang regelte. Danach stellten alle landwirtschaftlichen Nutzflächen, die nicht im Besitz physischer Personen waren, den „Landvorrat" dar, der in staatlichen Besitz überging und aus dem vorhandene Kleinbetriebe aufgestockt oder neue Betriebe gegründet werden sollten. Nicht mehr als 10% dieses Landvorrates sollten unterschiedlichen staatlichen und militärischen Zwecken vorbehalten bleiben.117 Die Grundfläche neugegründeter Betriebe sollte, unter Berücksichtigung klimatischer, ökonomischer und der Bodenverhältnisse, 7-15 ha betragen; Viehwirtschaften sollten bis 20 ha Grundfläche besitzen dürfen, bereits bestehende Höfe unter 7 ha „im bisherigen Umfang" vergeben werden.118 Das Dekret folgte damit im Grundsatz Vorschlägen aus dem Wissenschaftlichen Ratn9 und korrigierte die bisherige Vergabepraxis, deren Obergrenze bei 10 ha gelegen hatte, nach oben.

Ogólnezasady przeprowadzenia akcji wetyfikacyjnej odnosnie posiadania obiektów majatkowych na ZO, 12. April 1946. AAN MZO 662, Bl. 10 f. MZO Departament Osiedlenczy, Okölnik Nr. 82, 15. Juli 1946, gez. Wolski, S. 6 f. AAN MZO 661, Bl. 216-227. Dekret o ustroju rolnym i osadnictwie na obszarze Ziem Odzyskanych i byiego Wolnego Miasta Gdanska, 25. Juli 1946, Art. 1,7. AAN MZO 650, Bl. 72-81. Dekret o ustroju rolnym, Art. 9. Das BSOP formulierte das so: „Die Konzeptionen des Wissenschaftlichen Rates blieben nicht ohne Einfluß auf den Inhalt des Gesetzes über die Agrarstruktur und die Siedlung in den Wiedergewonnenen Gebieten, das in Form eines Regierungsdekretes am 6.9.1946 [gemeint: 206

Das Dekret bestimmte, daß zum Erwerb dieser Betriebe polnische Staatsbürger berechtigt seien, die „im Rahmen der Ansiedlungsaktion, die durch die staatlichen Behörden geleitet wird", in die Wiedergewonnenen Gebiete gekommen seien; eine weitere Voraussetzung war die fachliche Qualifikation. Schließlich legte das Dokument eine Hierarchie des Erwerbs fest. Als erste seien demobilisierte Soldaten und Partisanen zu versorgen120, letztere nur, soweit sie nicht „gegen das Demokratische Polen" gekämpft hatten. Gemeint waren diejenigen Teile der Untergrundarmee AK sowie NSZ und ähnliche Gruppierungen, die nach der Installierung des PKWN gleich weitergekämpft hatten.121 Die zweite Gruppe stellten Funktionäre des Sicherheitsdienstes, die „in Verteidigung der demokratischen Grundsätze der Verfassung des Polnischen Staates Invaliden" geworden seien; nach ihnen kamen Witwen und Waisen von Soldaten, Partisanen u.a. Als vierte Gruppe wurden die Repatrianten aus dem Osten aufgeführt, und erst als letzte die „Eigentümer kleiner und zersplitterter Wirtschaften" aus den alten Landesteilen.122 Wie in der Siedlungspolitik der deutschen Besatzungsbehörden auch, trat die Strukturpolitik hinter der Verpflichtung des Staates gegenüber Veteranen und Zwangsumsiedlern zurück. Der Leiter der Allgemeinen Abteilung (Wydzial Ogólny) im MZO Adam Stelmach hatte in einer Projektbegründung über die Aufgaben des neuen Dekretes betont, daß das Dekret über die Landreform, das ja, wie oben gezeigt, bis zu diesem Zeitpunkt als Richtlinie für die Ansiedlung in den Wiedergewonnenen Gebieten verwendet worden war, als rechtliche Grundlage für die besonderen Verhältnisse dort unbefriedigend sei; vor allem regele es gar nicht alle anstehenden Fragen. Ziel der Landreform sei bisher eine „Verbesserung der existierenden Agrarstruktur" gewesen, wobei im Grundsatz „in weitem Umfang der bisherige Stand erhalten" geblieben sei. Eine Neugründung „lebensfähiger, eigenständiger Wirtschaften" anstelle kleiner Betriebe und eine „Entladung der Bevölkerungsüberschüsse" sei in nur sehr beschränktem Maße möglich gewesen. Die Möglichkeiten in den Wiedergewonnenen Gebieten hingegen stellten sich ganz anders dar:

25.7.1946; der Verfasser verwechselt das Datum mit dem des Dekrets über die Landreform von 1944] erlassen wurde." Prace Rady Naukowej dla Zagadnien Ziem Odzyskanych w zakresie osadnictwa wiejskiego, o.D., o.U. AAN MZO 1653, Bl. 112 ff. Es ist wenig überraschend, daß die Veteranen vornehmlich in den westlichen Grenzgebieten angesetzt werden sollten. Der Wissenschaftliche Rat hatte vorgeschlagen, die Hälfte der Siedlerstellen im Grenzgebiet für Veteranen und sonstige militärische Siedler zu reservieren. Rada naukowa dla Zagadnien Ziem Odzyskanych i jej dorobek, S. 56. AAN MZO 1677. Nach einem Aktenvermerk aus der Abteilung militärische Siedlung im MZO vom 10. Juni 1947 gab es 120 000 bereits angesiedelte Familien demobilisierter Soldaten, weitere standen zur Ansiedlung bereit. AAN MZO 793. Vgl. SUCHOROWSKA: Rozbi6 wieZenie ÜB, eine Sammlung von Zeitzeugenberichten. Eine historisch-kritische Bearbeitung des polnischen antikommunistischen Widerstandes nach 1945 steht noch aus. Dekret o ustroju rolnym, Art. 18. 207

„Im Gegensatz dazu strebt das vorliegende Dekret, indem es die breiteren Möglichkeiten, die in den Wiedergewonnenen] G[ebieten] existieren, ausnutzt, nach der Gründung einer neuen Agrarstruktur dort, die soweit möglich an das Ideal im Lichte der neuesten sozioökonomischen Anschauungen angenähert ist." 1 2 3 Damit hatte sich die technokratischere Alternative durchgesetzt. Das Dekret regle die Frage der Besitzverhältnisse eindeutig. „Der Boden wird in privates individuelles Eigentum übergeben"; auch insofern unterschieden sich die Vorstellungen der amtlichen Umsiedlungspraktiker, obschon Kommunisten, zu diesem Zeitpunkt nicht von denen der wissenschaftlichen Vorplanung im Wissenschaftlichen Rat. Tatsächlich aber wurde das Dekret den Hoffnungen der Umsiedler und Neuordner nur sehr eingeschränkt gerecht. 124 Wie Rechtsreferent Mscisùaw Modzelewski bereits zu einem Entwurf des Justizministeriums angemerkt hatte - die endgültige Fassung unterschied sich hiervon offensichtlich nicht wesentlich -, sagte der Gesetzestext „nichts über die Agrarstruktur in den Wiedergewonnenen Gebieten". Die wenigen überhaupt mit dem Wirtschaftsmodell sich befassenden Artikel seien viel zu allgemein gehalten, die Rechte der autochthonen (polnischen) Bevölkerung blieben ungeklärt, es fehle eine bei polnischen grundlegenden Rechtsetzungen übliche deklarative Präambel. 1 2 5 Ohne Zweifel mußten viele Artikel als Arbeitsgrundlage unbefriedigend erscheinen. Mitautor Stelmach erläuterte nach der Verabschiedung des Dekrets, der „komplizierte Charakter der normierten Fragen" bewirke, daß der Gesetzestext nur „elementare Grundsätze" regle und „ihre genaue Gestaltung zahlreichen Durchführungsvorschriften" - Stelmach sprach von elf Verordnungen und zwei Anordnungen - überlasse, von denen die wichtigsten bereits in Arbeit seien. 1 2 6 Mit einem Rundschreiben vom 27. Januar 1947 regelte das Siedlungsdepartement desMZO zunächst die landwirtschaftliche Bevölkerungsdichte in den Wiedergewonnenen Gebieten. Als Grundlage nahm die Autorin - das Dokument ist zwar von Wolski unterzeichnet, nach den Paraphen unter den angefügten Tabellen wird es aber vermutlich von der

Uzasadnienie do projektu dekretu o osadnictwie rolnym na Ziemiach Odzyskanych, 18. Mai 1946, Paraphe St. (Stelmach), S. 1. AAN MZO 649, Bl. 78-80. So hatte etwa Wiktor Schramm auf der dritten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates kritisiert, daß die geplante Anpassung der Agrarstruktur der neuen Landesteile an die alten die Möglichkeiten der Wiedergewonnenen Gebiete verschenke; im Endeffekt zielte das Dekret in seiner Endfassung eher auf eine solche Anpassung, wenn auch hauptsächlich an die direkt benachbarten Wojewodschaften. SCHRAMM: Uwagi o zagadnieniu struktury rolnej, S. 83. Redakcja wstepna. Ogólne uwagi do projektu dekretu o ustroju rolnym i osadnictwie na obszarze Z.O. i b. W.M. Gdanska w brzmieniu ustalonymprzez Komisje Praw'niczq Ministerstwa Sprawiedliwosci w dniach 21.6.-6.7.1946, 7.-10. Juli 1946, gez. Modz. AAN MZO 649, Bl. 218 f. (Fragment). Hervorhebung im Original. Dekret o ustroju rolnym i osadnictwie na obszarze Ziem Odzyskanych i b. Wolnego Miasta Gdanska. Referat na zjazd we Wroclawiu, o.D., Paraphe ST., S. 1. AAN MZO 651, Bl. 4-16. (Im folgenden: Stelmach, Referat).

208

Siedlungsreferentin Gabriela Kfobukowska127 ausgearbeitet worden sein - die Vorkriegsdichte der landwirtschaftlichen Bevölkerung von 40 Menschen je 100 ha Nutzfläche; das Dekret über die Agrarstruktur verlange aber, da Betriebe mit nur 7-15 ha vorgesehen seien, eine Erhöhung der Dichte auf 52 Menschen je 100 ha (1 km2), „d.h. so viele, wie im Mittel zu deutschen Zeiten auf Wirtschaften von 5 bis 20 ha waren". Das bedeutete eine Annäherung der minimalen Siedlungsdichte an die Vorstellungen Bulawskis. Diese Zahl sei aber erst „schrittweise im Maße der Intensivierung der landwirtschaftlichen Betriebe" zu erreichen. Das Rundschreiben versuchte eine Restrukturierung der bislang bereits erfolgten Ansiedlungen, indem zunächst einmal die erforderliche Anzahl landwirtschaftlicher Bevölkerung für die einzelnen Kreise festgelegt, mit der vorhandenen Zahl verglichen und daraus die Zahl der „Überzähligen" bzw. der noch Anzusiedelnden bestimmt wurde.128 Die Ergebnisse Klobukowskas entsprachen dem, was bereits oben über den Verlauf der frühen Siedlungsbewegung gesagt wurde. In Schlesien wurde ein „Überschuß" von 442 279 Menschen festgestellt, in der Wojewodschaft Breslau waren 49 891 Menschen als „überschüssig" ausgemacht. In allen anderen neuen Wojewodschaften zusammen fehlte es noch an fast 730 000 Menschen.129 Parallel dazu stellte Zygmunt Glinka ebenfalls im Januar eine Studie fertig, die den Stand der „Überbevölkerung" und des „Bevölkerungsmangels" nach dem Stand von 1946 einander gegenüberstellte.130 Ende März übersandte Kazimierz Dziewonski, Leiter des GUPP, die Ergebnisse Glinkas an das MZO. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte, die hier vorgesehen war, lag bei 52,5 Menschen je km2 und entsprach weitgehend den Werten, von denen auch das Ministerium ausging. Der wesentliche Unterschied zwischen dem MZO-Plan und dem des GUPP lag indessen, so Dziewonski, woanders: Während das MZO „überall mit einer festgelegten starren Norm für die Dichte" operiere, habe man selbst sich bemüht, „alle greifbaren regionalen Unterschiede zu berücksichtigen".131 Daß gerade die Wojewodschaften Allenstein und Stettin besonders schwach besiedelt waren, war freilich auch den Umsiedlungsstrategen des MZO nicht verborgen geblieben. Im März 1947 beschloß das Siedlungsdepartement für das laufende Jahr die Umsiedlung 127

Nach einer Liste der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Siedlungsdepartements vom 1. November 1946. AAN MZO 681, Bl. 59. 128 Schreiben des MZO „betr. Ansiedlungsaktion in den-W.G.", 29. Januar 1947, gez. Wolski, S. 1. AAN MZO 661, unfol. Lt. Verteiler ging das Schreiben an einige Ministerien, die Ansiedlungsabteilungen der Wojewoden, das Zentrale Planungsamt, die Staatliche Landverwaltung und die Verwaltung der Bäuerlichen Selbsthilfe. In ähnlicher Form hatte Zygmunt Glinka am 1. Juli 1946 eine Studie eingereicht, in der er die Bevölkerungsdichte und Berufsstruktur in den einzelnen Wojewodschaften für 1931, 1946 und prospektiv 1950 berechnet hatte. Zygmunt Glinka, Wykaz zaludnienia ziem polskich 1931, 1946, 1950. AAN GUPP 173. 129 Schreiben vom 27. Januar 1947, Anhang Tabelle Minimalna chionnosc rolnicza na Ziemiach Odzyskanych, Paraphe Klob/WH. 130 Vgl. Kap. II.2.b., S. 79 ff. 131 Schreiben Dziewonski an MZO DO, 25. März 1946. AAN MZO 793, Bl. 268. 209

von 39 000 Familien vor allem in die genannten Gebiete. Gleichzeitig vereinfachte sich die Situation: Ende April konnte die Repatriierung aus dem Osten als offiziell abgeschlossen angesehen werden, und mit einer Verordnung vom 27. April wurden sämtliche noch zu vergebenden landwirtschaftlichen Flächen für Umsiedler aus den alten Landesteilen bestimmt. 132 Nach wie vor galt aber die Planmäßigkeit der Ansiedlung und Bewirtschaftung der neuen Gebiete als mangelhaft; zumindest startete noch im Dezember 1947 ein Posener Geograph einen erneuten Vorstoß, die bisherige Besiedelung der Wiedergewonnenen Gebiete „durch das Stadium der tatsächlich und vollständig planmäßigen Aktion der Verwaltung dieses Raums" zu ersetzen. 133 Auf der fünften Konferenz des Wissenschaftlichen Rates zog Mścisùaw Olechnowicz Bilanz: Der Rat habe auf seiner zweiten Konferenz vorgeschlagen, die Anzahl der Agrarbetriebe um 31% von 460.000 auf 604.000 durch die Aufteilung von Betrieben mit mehr als 20 ha Fläche zu erhöhen. Gleichzeitig sollte die Zahl der Betriebe unter 5 ha verringert werden. Viele Repatrianten seien nun gerade auf solchen kleinen Parzellen angesiedelt worden, in der Gewißheit, daß die „Regulierung der ehemals deutschen Grundstücke die bisher auf dem Land existierende Agrarstruktur ändern wird": die Parzellen sollten durch Aufteilung benachbarter Güter zu „selbständigen Wirtschaften" vergrößert werden. 134 Tatsächlich sah die Praxis bis dahin, wie Tabelle 3 zeigt, ganz anders aus.

Tab. 3: Betriebsgrößenverteilung im Kreis Dzierzoniow (Reichenbach)

Olechnowicz stellte fest, daß gerade das Gegenteil der Fall war: die Siedler seien gerade auf solchen Höfen angesetzt worden, die in deutscher Zeit nebenberuflich von Handwerkern, Lehrern usw. betrieben worden waren. So sei eine neue Gruppe von landlosen Bauern entstanden, die auf Landzuteilung warteten. 135 Ähnlich seien großbäuerliche Be136 triebe im Kreis Stettin nicht an Siedler übergeben worden. Am 17. Mai 1947 hatten

i i l

Sprawozdanie z dziaialnosci Departamentu Osiedlenczego za okres od powstania Ministerstwa Ziem Odzyskanych (13.XI.1945) do 31.XII. 1948, wiedergegeben in: Materiafy i Studia z Najnowszej Historii Polski, Bd. 1, Warszawa 1963, S. 119-181, hier S. 130.

133

Zalozenie generalne dla Z.O., Dezember 1947, Unterschrift unlesbar. AAN MZO 793, Bl. 264267.

34

Mścisùaw Olechnowicz, Drugi rok osadnictwa na Ziemiach Odzyskanych, o.D. (Referat zur 5. Konferenz am 28. Juni 1947), S. 9 ff. AAN MZO 1708, Bl. 264-283.

135

Olechnowicz, Drugi rok osadnictwa, S. 12.

136

Ebenda, S. 14.

210

MZO und MRiRR bestimmt, daß Betriebe unter 7 ha bestehen bleiben sollten, sofern die dort lebenden Familien ihren Unterhalt noch aus nichtlandwirtschaftlicher Tätigkeit fänden. Diese Vorschrift, so Olechnowicz, sei sicherlich als Ausnahme von der Regel gemeint gewesen; stattdessen hätten aber die Siedlungsbehörden, da sie „den eigentlichen Schlüssel bei der Festlegung der Struktur der projektierten Wirtschaften" nicht gefunden hätten, die Ausnahme zur Regel gemacht: Zwei Fünftel der Betriebe in den Wiedergewonnenen bieten lägen unter 7 ha. 137 Offensichtlich änderten Interventionen des MZO diese Situation: Laut dem Abschlußbericht des Siedlungsdepartements von Anfang 1949, der von völlig veränderten politischen und sozioökonomischen Prämissen ausging, hätten die Siedlungsbehörden in den Kreisverwaltungen, unter dem Einfluß „einer Aktion entschieden klassenmäßig feindlicher Elemente", die Normen über die Betriebsgröße in aller Regel an der Obergrenze orientiert, oft sogar überschritten. Offensichtlich hatte die der Übereignung der landwirtschaftlichen Betriebe vorausgehende „Regulierungsaktion" dazu geführt, daß sämtliche Höfe einer Revision unterzogen und wo nötig vergrößert worden waren. Die Folge sei gewesen, daß „falsche Konzeptionen, was die gesellschaftliche Rolle und den Charakter der gegründeten Wirtschaften" angehe, sich hätten durchsetzen können:138 Inzwischen war die Zwangsvereinigung von PPS und PPR vollzogen und der Weg für einen „Sozialismus von oben" frei.

Auf dem Weg zur Kollektivierung Tatsächlich mehrten sich in der zweiten Jahreshälfte 1948 Tendenzen im Ministerium, die auf eine Kollektivierung zielten. Es stehe außer Zweifel, schrieb M. Swiatycki, inzwischen Vizedirektor des Siedlungsdepartements, daß „im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden Klassenkampf im Dorf die „Stärkung unserer Position" ein „zentrales strategisches Problem" sei. Der Übergang von der individuellen zur „höheren, im Ergebnis eines tiefgreifenden revolutionären Prozesses sogar kollektiven" Wirtschaftsform könne zwar zum „zeitweisen Fall der Produktion" führen. Das Gegenmittel aber sei eine „maximale Verstärkung des staatlichen Sektors auf dem Lande, die maximale Unabhängigkeit der Arbeiterklasse im Bereich der Versorgung vom Angebot der ländlichen Kleinhandelswirt" schaff'.139 Der Hebel für diese neuerliche Restrukturierung war in erster Linie die Verfügungsgewalt über die ehemaligen Güter, die nun zu Staatlichen Landwirtschaften (Panstwowe Gospodarstwa Rolne, PGR) umgestaltet wurden. In einem Thesenpapier des Siedlungsdepartements vom Herbst 1948 klang das so:

137

Ebenda, S. 16 f. Sprawozdanie z dzialalnosci DO, S. 133. 13 " Notatka M. Swiatyckiego vice-dyrektora Departamentu Osiedlehczego Ministerstwa Ziem Odzyskanych dla Wydzialu Rolnego Komitetu Centrainego Polskiej Partii Robotniczej, o.D. AAN MZO 793, Bl. 330-334. 138

211

„Die staatliche Agrarwirtschaft in den Wiedergewonnenen Gebieten wird zweifellos einen wichtigen Stützpunkt für die Umgestaltung der Kleine-Waren-Wirtschaft in die sozialistische Wirtschaft darstellen, und dies sowohl durch die Vorführung [...] der Überlegenheit großer Landwirtschaft an konkreten Beispielen wie auch durch konkrete Hilfe, die den individuellen Wirtschaften auf ihrem Weg zu kollektiven Formen der Bewirtschaftung auf dem Lande erteilt wird. In dieser Hinsicht befinden sich die Wiedergewonnenen Gebiete in einer besseren Situation als die Alten Länder, die die so wichtige Basis der staatlichen Agrarwirtschaft nicht haben."140 Einen zweiten Ansatzpunkt fanden die Kollektivierer in einer Siedlungskonzeption, die ursprünglich zu ganz anderen Zwecken begonnen worden war. Man hatte sich mit der Entscheidung, individuelle Familienwirtschaften nicht nur einzurichten, sondern sie auch den auf ihnen wirtschaftenden Familien zu übereignen, außerordentlich schwer getan;141 zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Dekrets über die Agrarstruktur dauerte die Ansiedlung polnischer Bauernfamilien bereits mehr als ein Jahr, und die Rechtsunsicherheit der Besitztitel hatte bis dahin kaum dazu führen können, neue „Siedlerpotentiale"'zur Umsiedlung zu bewegen oder bereits angesiedelte Familien zum Verbleib unter oft schwierigen Bedingungen anzuhalten.142 Hinzu kam, daß die Nichtregelung der Stellung der Autochthonen, die ja als einheimische Bevölkerungsbasis ausgemacht waren, zu katastrophalen Mißständen (und Mißbräuchen seitens lokaler Behörden) geführt hatte, die in manchen Gegenden bis in die Mitte des Jahres 1946 fortbestanden.143 Das Tor zur Regelung der Eigentumsfrage in den Wiedergewonnenen Gebieten hatte Gomulka erst sechs Monate zuvor aufgestoßen. Auf dem 1. Parteitag der PPR Anfang Dezember 1945 hatte er den „polnischen Weg zum Sozialismus" proklamiert und die Anerkennung des Privateigentums und der parlamentarischen Demokratie verteidigt.144 Schon zuvor, Anfang Mai des glei-

140

141

142

Tezy do referatu o akcji osiedlenczej na ziemiach odzyskanych, o.D. (nach September 1948) o.U. AAN MZO 793, Bl. 310-319. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 211, führt an, daß die Höfe bis Herbst 1946 nur in „übergangsweise Treuhand" übergeben wurden und die Siedlerfamilien sich verpflichten mußten, den Hof auf Anforderung jederzeit wieder zu verlassen. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 131. Auch im Wissenschaftlichen Rat fand eine intensive Diskussion zu Eigentumsfragen statt: anläßlich zweier Dekrete über die Form und den Umfang der Übereignung ländlicher und städtischer Immobilien an Siedler diskutierte die Kommission für städtische Siedlung am 23. April 1947. Zum einen stellte man fest, daß die ministeriellen Entscheidungen „sich sogar von den Thesen der Beschlüsse, die im Wissenschaftlichen Rat angenommen wurden beziehungsweise durch die Kommission", entfernten. Diskussionsbeitrag Dr. Siedlecki. AAN MZO 1703, Bl. 64. Interessant ist, daß bereits hier unterschiedliche Eigentumsformen diskutiert wurden. So schlug etwa Bulawski vor, aus finanziellen Gründen die Eigentumsrechte von Rückkehrern, vor allem von Juden und Verifizierten zu beschränken und ihnen auf drei Jahre keine Entschädigung zuzugestehen. Ebenda, Bl. 81.

3 Yg] c j a z u 144

212

MISZTAL: Weryfikacja,

S. 104-137, mit einer Reihe von Einzelfallbeschreibungen. HOENSCH: Geschichte Polens, S. 301.

chen Jahres, hatte ein Abgeordneter der PPR Edward Bertold, dem Vorgänger Mikoùajczyks als Landwirtschaftsminister, vorgeworfen, die nötige Propaganda gegen Gerüchte über eine Kollektivierung bislang unterlassen zu haben; die PPR habe „niemals die Parole der Kollektivierung aufgestellt und hat in ihrem Programm kein Postulat für die Kollekti145 vierung". Der Programmpunkt „Das Land den Bauern", der ja schon im ersten Manifest des PKWN zu lesen gewesen war, galt aber zunächst nur in den alten Landesteilen. Ob es aber Fraktionen innerhalb der Regierung bzw. der PPR gab, die die Besiedlung der Wiedergewonnenen Gebiete bereits zu diesem Zeitpunkt als Möglichkeit ansahen, die Agrarstruktur und vor allem die Besitzverhältnisse so zu gestalten, daß einer folgenden Kollektivierung möglichst wenige strukturelle und rechtliche Hindernisse im Wege standen, ist schwer festzustellen. Jedenfalls wurden sie vor dem Beginn der Stalinisierung, der sich etwa mit dem Zeitraum von der Vereinigung von PPR und PPS zur „Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei" (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza) bis zur Herabstufung und späteren Verhaftung Gomulkas gleichsetzen läßt, im Rahmen der Koalitionsregierung nicht wirksam. Stelmach hatte ausgeführt, daß mit dem Dekret über die Agrarstruktur das gesamte Territorium der neuen Gebiete zum Landvorrat für die Siedlung erklärt werde, mit Ausnahme der Städte, der Wälder und der Höfe mit polnischen Eigentümern bis zu einer Größe von 100 ha, was den Bestimmungen des Dekrets über die Landreform vom September 1944 für die westlichen Wojewodschaften entsprach. Das bedeutete, zumal zwischen autochthonem 146 Besitz und dem inzwischen Zugewanderter nicht unterschieden wurde , daß - sofern die bis dahin unsicheren Besitztitel der Neusiedler bestätigt würden - ein gehöriger Teil des Landes im Besitz solcher großbäuerlicher Betriebe geblieben wäre - Bulawski hatte gezeigt, daß die Hälfte des Bodens in den Wiedergewonnenen Gebieten zu Betrieben dieser Größenordnung gehörte. Die Parzellierung des Großgrundbesitzes über 100 ha stand außer Frage. Das demokratische Polen könne nicht fortsetzen, was „Ausgeburt von Grund auf andersartiger ideologischer, politischer und wirtschaftlicher Grundsätze" sei, wenn auch „der Grundsatz der Kontinuierung zweifellos das Plus aufweist, daß sie außer der Instandsetzung der Kriegszerstörungen keine kolossalen Anstrengungen erfordert, wie sie mit dem Umbau der vorgefundenen Struktur verbunden sind". 1 4 7 Mit dieser Frage befaßten sich auch BSOP und der Wissenschaftliche Rat. Bereits in der Ersten Konferenz des Rates wies Eugeniusz Garbacik darauf hin, daß solche vorläufigen Besiedlungsformen in Italien, Rumänien, England und Rußland nach dem Ersten Weltkrieg mit Erfolg ausprobiert worden 148 seien. Garbacik wählte die Bezeichnung „Siedlungsgenossenschaft" nicht ohne Hinter-

Sprawozdanie stenograficzne z posiedzen KRN, 3.-6. Mai 1945. Zit. n.: Wizje gospodarki socjalistycznej, S. 88-94, hier S. 91. Stelmach, Referat, S. 2 f. Ebenda, S. 4. GARBACIK: Spóldzielnie osadnicze, S. 77. 213

gedanken: Ihre Aufgaben sollten wesentlich weiter reichen, als nur die Aufteilung ehemals deutscher Güter zu ermöglichen: „Sie sollte das Wirtschaften ihrer Mitglieder erleichtern durch gemeinsamen Einkauf und gemeinsame Nutzung der Maschinen, [...] durch die Leitung von landwirtschaftlichen Veredelungsbetrieben wie Mühlen, Brennereien usw., und schließlich durch gemeinsame Feld- und Viehwirtschaft wenigstens im Anfangsstadium ihres Bestehens." 1 4 9 Darüber hinaus erlaube es die genossenschaftliche Siedlung, die angesetzten bäuerlichen Familien von Beginn an in eine organisatorische Selbstverwaltung einzubinden, die ihnen die Lösung der vielfältigen Probleme auch dann ermögliche, wenn kompetente Verwaltungskader nicht zur Verfügung stünden. Schließlich gestatte diese Siedlungsform, die Ansiedlung in geschlossenen Gruppen nach Herkunftsorten zu realisieren. 150 Ähnliche Vorstellungen hatte bereits Buiawski geäußert. Auf der zweiten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates schob Jakub Holowiecki eine „wirtschaftliche Begründung für die genossenschaftliche Bewirtschaftung der ehemals deutschen Güter" nach. Der Autor bezog sich in erster Linie auf praktische Fragen. Krieg und Besatzung hätten dazu geführt, daß das nötige lebende Inventar nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehe, um jeden einzelnen Betrieb mit dem Nötigen auszustatten. Darüber hinaus sei die Beseitigung der Kriegsschäden an Wohn- und Wirtschaftsgebäuden in der Gruppe leichter und rascher zu bewerkstelligen. Hinzu komme, daß eine „genaue berufliche Selektion" unter den Repatrianten schwer durchzuführen sei; immer wären unter diesen auch Menschen, die zu einer selbständigen Wirtschaft im individuellen Betrieb gar nicht in der Lage seien. Eine mehrjährige Übergangszeit in einer Genossenschaft könne das ändern. 151 Hoùowiecki betonte, niemand solle befürchten, daß, wer in eine solche Genossenschaft eintrete, „aufhört, individueller Eigentümer der Wirtschaft zu sein". Der Landerwerb sollte nach dieser Vorstellung nicht durch die Genossenschaft, sondern durch ihre einzelnen Mitglieder erfolgen. 152

149

Ebenda, S. 79.

150

Die Reaktionen der Kollegen waren fast durchweg positiv; vgl. Diskussionsbeiträge von Siedlecki, Zieleniewski, Klapkowski, Bujak, Styś und anderen; nur ein einziger Teilnehmer, Stanislaw Antoniewski, hielt die Einführung der Genossenschaften für eine „zusätzliche Erschwerung" der Siedlungsaktion und hielt sie allenfalls als Experiment für geeignet. Diskussonsbeiträge in: I Sesja, z. IV, S. 94-111.

151

HOLOWIECKI: Gospodarcze uzasadnienie, bes. S. 76. Außerdem legte Eugeniusz Garbacik einen Entwurf für die innere Verfassung der Siedlungsgenossenschaften vor. GARBACIK: Tezy. Das Statut wurde in einer durch die Kommission für ländliche Siedlung überarbeiteten Fassung am 7. März 1946 fertiggestellt. II Sesja, z. II, S. 111.

152

HOLOWIECKI: Gospodarcze uzasadnienie, S. 79. Der oben zitierte Runderlaß Nr. 82 vom 15. Juli 1946, S. 11, übernahm diesen Gedanken: Man müsse dem Siedler „die Überzeugung eintrichtern", daß ihm schneller geholfen werden könne, „wenn er sich selbst organisiert und wenn die

214

Das Mißtrauen, das gewisse stalinistisch orientierte Kreise innerhalb der Regierung gegenüber der Tätigkeit des Wissenschaftlichen Rates hegen mochten153, änderte nichts daran, daß viele Anregungen des Rates in die Behördenpraxis eingingen, wenn auch unter Umständen die Vorschläge des Rates bis zur Unkenntlichkeit transformiert wurden. Das galt nicht zuletzt für das Genossenschaftsprojekt, das eine Möglichkeit bot, eine Parzellierung im Sinne der projektierten Agrarstruktur durchzuführen, ohne staatliche Gelder auszugeben, die es gar nicht gab. Gleichzeitig ermöglichte die genossenschaftliche Bearbeitung eine Umschulung von Bauern, die mit modernen Bearbeitungs- und Wirtschaftsmethoden nicht vertraut waren. „Davon, wie wertvoll die Zusammenarbeit der Regierung mit der Wissenschaft ist, mögen die bisherigen rühmlichen Arbeitsergebnisse zeigen. Die in den ersten Monaten planlose, oft den Charakter der Improvisation tragende Siedlungsaktion wurde in einen organisatorischen Rahmen gestellt, der den Interessen des Volkes und der Politik des Staates entspricht. Zerbrochen wurde die Skepsis der Ungläubigen, die Sicherheit unterstützt, daß wir uns fähig und rasch auf den uns per Gesetz übergebenen Gebieten häuslich einrichten. [...] Wir wissen, daß die Agrarstruktur Vorkriegspolens fehlerhaft war und ihre Gesundung viele Schwierigkeiten aufwarf. Das polnische Dorf war überbevölkert, vor allem in den südlichen Kreisen, und der Landvorrat aus freiwillig parzelliertem Großgrundbesitz - in Bezug auf unseren Bedarf - allzu schmal. Da wir neuen Raum für die Bauern erlangt haben, möchten wir die Überschüsse an ländlicher Bevölkerung auf bäuerliche Wirtschaften in den westlichen Gebieten versetzen. Es gibt ihrer jedoch zu wenige für unsere Umsiedler und Repatrianten, da fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche Gutshöfe einnehmen. [...] Diese Schwierigkeiten wurden jedoch überwunden, indem der Wissenschaftliche Rat das Projekt der Siedlungs-Parzellierungsgenossenschaften ausarbeitete. Solche Genossenschaften erlauben die kollektive Führung des landwirtschaftli-

die Siedler repräsentierenden Organisationen die Zuteilung von Hilfsleistungen in die eigenen Hände werden nehmen können". Daß BSOP und Wissenschaftlicher Rat nicht unbedingt die ungeteilte Zuneigung aller Mitglieder der herrschenden Elite besaßen, zeigte sich nicht zuletzt daran, daß nach dem Tode Bulawskis die Herausgabe der Hefte aus den Konferenzen des Wissenschaftlichen Rates eingestellt wurde und daß bald nach der Auflösung des MZO auch das BSOP seine Daseinsberechtigung verloren hatte. Zumindest in einem Falle wurde die Arbeit des Wissenschaftlichen Rates dadurch erschwert, daß kurz vor einer Sitzung einer der Referenten, Prof. Starmach, verhaftet wurde. Bulawski scheint wenig überrascht gewesen zu sein; er wies lediglich darauf hin, daß „die Abwesenheit Prof. Starmachs auf der Sitzung der Kommission die notwendige Bearbeitung dieses Problems erschweren würde". Gemeint war die Ansiedlung und Ausbildung von Fischern an der Küste. Schreiben Bulawski an Wolski, 8. Oktober 1946, vertraulich. AAN MZO 1706, Bl. 52 f. Siehe oben Kap. I.2.b. 215

chen Betriebes bis zu der Zeit, in der jeder Siedler die Bedingungen für eine in154 dividuelle Wirtschaft erreicht." Die Gründung von Siedlungs- bzw. Parzellierungsgenossenschaften zielte damit letztendlich, wie auch die Gesetzgebung der Jahre 1946 und 1947, auf die Einrichtung individueller, privater Betriebe, nicht auf eine Kollektivierung oder Sozialisierung. Den gleichen Gedanken hatte, wie oben angeführt wurde, Luise Dolezalek vom Siedlungswissenschaftlichen 155 Referat beim SS-Ansiedlungsstab Posen aufgebracht. Bereits im Oktober 1947 wurde auf einer Konferenz des BSOP zur Frage der genossenschaftlichen Siedlung deutlich, daß der Paradigmenwechsel, den Garbacik durch seine Namensgebung bereits angedeutet hatte, inzwischen vollzogen wurde. Prof. Tadeusz Klapkowski erklärte den übrigen Teilnehmern, neben Garbacik waren dies Styś Inglot, Schmidt und einige weitere Akademiker, daß sich inzwischen die Siedlungsgenossenschaften zu Produktionsgenossenschaften entwickelt hätten 1 5 6 ; damit schien sich ein polnischer Weg zu einer sozialistischen Landwirtschaft ohne Zwangskollektivierung abzuzeichnen. Ab Herbst 1947 änderte sich jedoch das politische Klima. Die Selbstverwaltungsorgane, die an der Umsiedlung und Ansiedlung beteiligt waren, wurden geschlossen, die Umwandlung der Parzellierungs- in Produktionsgenossenschaften beschlossen. Der Großgrundbesitz wurde endgültig in staatliches Eigentum überführt und zu „Staatlichen Agrarbetrieben" umgewandelt.157 Der 1949 ausgearbeitete und am 21. Juli 1950 verabschiedete „Sechs-Jahres-Plan", der eine umfassende Modernisierung und Industrialisierung Polens vorbereiten sollte, sah eine Steigerung der industriellen Produktion um 158%, der landwirtschaftlichen um 50% in der Zeit 1950-1955 vor. Das Schwergewicht lag auf der Stahlerzeugung: hier war eine Steigerung auf 4600% vorgesehen. Tatsächlich fiel bereits 1951 die landwirtschaftliche Produktion um 7,5%, was zum Entschluß beitrug, die Entwicklung durch zwangsweise Kollektivierung voranzutreiben.158 Im hier interessierenden Zeitraum wurde aber, trotz des zunehmenden Drängens auf die „sozialistische Umgestaltung", die Ansiedlung nach den Kriterien, die zuvor das MZO in teilweiser Zusammenarbeit mit Wissenschaftlichem Rat, BSOP und GUPP entwickelt hatte, durchaus weiterverfolgt. In einer Aufstellung vom Frühjahr 1949 jedenfalls wurden weiterhin Berechnungen über freie, nichtregulierte Betriebe angestellt, an denen die noch verbliebene Aufnahmefähigkeit der Gebiete gemessen wurde. Auch im Sechs-Jahres-Plan sel-

Papier o.D. (Anfang 1946), o.U., S. 2. AAN MZO 1653, Bl. 29-32. Siehe oben Kap. II.3.a., S. 144 f. Sprawozdanie ze wstepnej konferencji odbyùej w BSOP w Krakowie w dniu 14. pazdziernika I947r. poswięconej zagadnieniom osadnictwa spóùdzielczo-osiedlenczego. AAN MZO 1653, Bl. 139-143. Noch in der Diskussion über Garbaciks Einfuhrungsreferat hatte Klapkowski eine deutliche Trennung zwischen „Siedlungsgenossenschaften" und „agrarischen Produktionsgenossenschaften" (spóùdzielnie rolniczowytwórcze) ziehen wollen. Diskussionsbeitrag in: I Sesja, z. IV, S. 90 f. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 207 f. ALBERT: Najnowsza historia Polski, S. 653-657. 216

ber war von Zwangskollektivierung nicht die Rede, wohl aber von einer Umgestaltung der wirtschaftlichen Verkehrsformen. Im „beschreibenden Teil" des Plans, der wenigstens teilweise im GUPP ausgearbeitet worden ist, ist als Aufgabe unter anderem genannt: „Der Umbau der Klassenstruktur und die Verringerung von Disproportionen zwischen wirtschaftlich aktiven, industrialisierten Gebieten, die starke Ansammlungen der Arbeiterklasse besitzen, und zurückgezogenen und vernachlässigten Regionen." 159 Dazu gehöre nicht zuletzt eine „gleichmäßigere Verteilung der Produktivkräfte durch zielgerechte Lokalisierung der Industriebetriebe usw.", also eine weitgehende Dezentralisierung der Produktion (deglomeracja), die neben anderen Vorteilen ermögliche, die Rohstoffe und „Arbeitskräftepotentiale der bislang vernachlässigten Gebiete" auszunutzen. Und schließlich spielte auch die „Umsiedlung eines Teils der Überschüsse an landwirtschaftlicher Bevölkerung aus den Gebieten der landwirtschaftlichen Überbevölkerung" in Gebiete, die „unzureichend mit landwirtschaftlicher Bevölkerung gesättigt" seien, weiterhin eine 160 Rolle. Darüber hinaus hätte sich mit der Dezentralisierung der industriellen und gewerblichen Produktion eine weitere Grundbedingung erfüllen lassen, die bereits in der Zweiten Republik als eine Voraussetzung für die Beseitigung der „Überbevölkerung" gegolten hatte: die wenigstens teilweise Industrialisierung der Agrargebiete, die eine Abwanderung landloser Bauern in städtische Gewerbe ermöglicht hätte. Der Sechs-Jahres-Plan war damit, zumindest im hier zitierten „beschreibenden Teil" durchaus kein rein ideologisches Machwerk, sondern ein durchaus modern wirkender Regionalentwicklungsplan und der Versuch einer nachholenden Industrialisierung auf staatsdirigistischer Basis, einer Entwicklung Polens „vom Agrarland zum industriell-agrarischen Land". 1 6 1 Als solcher hatte er deutliche Ähnlichkeiten zum Ansiedlungskonzept Konrad Meyers, der zur Vermeidung einer neuerlichen Ostflucht ebenfalls die Schaffung gemischter agrarisch-industrieller Gebiete vorgesehen hatte. Und er war, soweit er auf agrarstrukturelle Paradigmen einging, eine im Grunde konsequente Fortsetzung der bisherigen Siedlungspolitik im Rahmen eines landesweiten Wirtschaftspianes. Eine Kollektivierung war auch hier noch nicht vorgesehen: „Kleine städtische Siedlungen werden aktiviert, und ihr soziales Profil wird verändert auf dem Wege der Unterbringung von landwirtschaftlichen Veredelungsbetrieben, Teilen der kleinen Industrie und Filialen des vergesellschafteten Handels, der das Dorf mit Industriegütern versorgt.

Częscopisowa szczególowego plann szescioletniego rozwoju i przebudowy gospodarczej Polski. Rozdzial III. Rozmieszczenie sil wytwórczych i urzadzeh uslugowych, o.D. o.U., S. 9. AAN GUPP 92. Częsc opisowa, S. 9 f. Ebenda, S. 50. Eine intelligente Einschätzung des polnischen Entwicklungsmodells bietet DAMUS: Die polnische Wirtschafts- und Gesellschaftskrise. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch BRUS: Wirtschaftsplanung. 217

Auf diese Weise werden im ganzen Land die Bande zwischen der Arbeiterklasse und den kleinen und mittleren Bauern enger geknüpft, und das Dorf erhält bessere Versorgung." 1 6 2 In den „vernachlässigten Gebieten", gemeint waren in erster Linie die südlichen und südöstlichen Wojewodschaften, sollten „arbeitsintensive (pracochtonne) Betriebe der kleinen Industrie" dort untergebracht werden, wo sie „mit dem Auftreten eines Übermaßes an Bevölkerungsreserven verbunden" werden könnten. 1 6 3 Die allgemeine Industrialisierung sollte landwirtschaftliche Maschinen bereitstellen, die eine Rationalisierung der Produktionsmethoden und die „Ersetzung der weniger produktiven menschlichen Arbeitskraft durch die ergiebigere mechanische Kraft" ermöglichen sollte. Gedacht war vor allem an eine Förderung der Genossenschaften. Darüber hinaus sollten dadurch ländliche Arbeitskräfte freigesetzt werden, die in „die planmäßige Besiedlung der nördlichen und westlichen, bislang landwirtschaftlich nicht ausreichend besiedelten Gebiete" fließen konnten. 1 6 4 Dieses Entwicklungsmodell unterschied sich insofern von den Vorschlägen der Wirtschaftsplaner etwa des IDO für eine Industrialisierung des Generalgouvernements165 oder der Fostu für das „Neuordnungsgebiet" in der Zamojszczyzna, als hier nicht fremdvölkische Sklavenarbeit unabdingbare Voraussetzung war. Einige Vorarbeiten zum Sechs-Jahres-Plan zeigen, warum die Restrukturierungskonzepte im Grunde bruchlos weitergeführt wurden: K.L. Toeplitz betonte, daß die Berufsstruktur der alten Landesteile nach Abschluß der ,,großen Nachkriegsmigrationen" nur „unwesentliche Verschiebungen" aufweisen könne. Der Anteil landwirtschaftlich Tätiger werde um 50% liegen, nur der Anteil der industriell und im Dienstleistungssektor Beschäftigten werde gestiegen sein. 1 6 6 Die Restrukturierungspläne blieben damit weiter aktuell. Leider enthält der Plan, der ja immerhin „in der Konsequenz [die] Bevölkerungsstruktur umgestaltet" 1 6 7 , keine Angaben darüber, wie man sich diese neue Phase der Optimierung der Bevölkerungsverteilung vorgestellt hat.

162

Częscopisowa, S. 11.

163

Ebenda, S. 21.

164

Ebenda, S. 31 f. Zu den Entwicklungsmodellen Meinholds und anderer vgl. HEIM/ALY: Ökonomie der Endlösung.

165

166

K.L. Toeplitz, Zagadniena ludnosciowe, S. 8 f. Die Studie gehört zu einer Reihe von Papieren, die unter dem Sammelbegriff „Zalozenia podstawowe" abgelegt sind und offensichtlich Vorarbeiten zum Sechs-Jahres-Plan darstellen. Die Autoren der einzelnen Papiere geben Aufschluß über den Autorenkreis der Częsc opisowa; es handelt sich neben Toeplitz um Eugeniusz Ziolkowski, Zygmunt Glinka, Wanda Lipinska, J. Kostrowicki und andere.

167

Częscopisowa, S. 50 ff.

218

Tab. 4: Freie Wirtschaften in den einzelnen Wojewodschaften im März 1949168

Tabelle 4 zeigt, daß die Aufnahmefähigkeit noch März 1949 in den Wojewodschaften Alienstein und Stettin am größten war, was im Umkehrschluß bedeutete, daß die Schwierigkeiten, willige Siedler für diese Gegenden zu finden, noch längst nicht überwunden waren. Wichtig erscheint auch ein Blick auf die durchschnittliche Betriebsgröße, die freilich nicht mit der Durchschnittsgröße der selbständigen bäuerlichen Betriebe verwechselt werden darf. Da die Flächenzahlen nicht differenziert sind, mußten selbständige, hauptberuflich betriebene Höfe und nebenberuflich betriebene Parzellen, die nach dem Dekret über die Agrarstruktur 2-3 ha umfassen sollten, zusammengerechnet werden. Gleichwohl fällt auf, daß die Planung für 1949 sich offensichtlich nach wie vor an den im Dekret vorgesehenen Betriebsgrößen orientierte. Nimmt man als Durchschnittsgröße der Parzellen 2,3 ha an und zieht entsprechend deren vermutliche Flächensumme von der Gesamtfläche ab, ergeben sich als Schätzwerte für die durchschnittliche „selbständige" Wirtschaft in der Wojewodschaft Breslau immerhin statt 4,9 mindestens 8 ha, für Allenstein statt 11,77 sogar 14 ha. 169 Zur Entscheidung für den stalinistischen Weg mag beigetragen haben, daß sich die wietergehenden Restrukturierungshoffhungen, die mit den Siedlungsgenossenschaften verbunden waren, nicht recht erfüllten. Im Jahre 1950 wurden gerade einmal 0,8% der landwirtschaftlichen Nutzfläche genossenschaftlich bewirtschaftet. Hinzu kam, daß trotz Landreform, Kolonisierung und Umsiedlung auch im Jahre 1950 noch bäuerliche Betriebe mit weniger als 5 ha Nutzfläche mehr als 57% der Gesamtzahl der Höfe in Polen ausmachten,

Chionnosc osadnicza rolna w gromadach nieregulowanych. Stan na dzien 1 marca 1949 r., o.D. AAN MAP 1142, Bl. 4 und eigene Berechnung (Durchschnittsgröße). Zur Berechnung: als Durchschnittsgröße für Parzellen wurden 2,3 ha angenommen, was sicherlich viel zu hoch gegriffen ist; dieser Wert wurde mit der Zahl der Parzellen multipliziert und das Ergebnis von der Gesamtfläche abgezogen, um den Mindestwert der Fläche der selbständigen Betriebe zu erhalten. Diese wurde durch die Zahl der Betriebe dividiert. 219

wenn auch 68,2% der Bodenfläche von Höfen mit 5 bis 20 ha bearbeitet wurden. 170 Zum Vergleich: Im Jahre 1931 stellten Betriebe unter 5 ha 64,2% aller Höfe. Tab. 5: Betriebsgrößenverteilung in den einzelnen Wojewodschaften im Jahre 1956171

Tabelle 5 zeigt, daß die oben angegebenen Zahlen regional außerordentlich stark differierten: in den Wojewodschaften, die sich ganz oder zu einem bedeutenden Teil auf dem neuen Territorium befinden, war im Jahre 1956 - d.h. zum Ende der Kollektivierung - der Anteil kleiner Höfe allgemein niedriger als in den alten „Überbevölkerungs"-Gebieten im Süden und Südosten. Obwohl zu berücksichtigen ist, daß hier nur der Anteil der einzelnen Betriebsgrößen an der Gesamtzahl angegeben werden kann - Angaben für die Flächenverteilung sind nicht zu erhalten - und daß zumindest in den Wiedergewonnenen Gebieten die Strukturvorgaben der Restrukturierungsplanung - vor allem in der Wojewodschaft Allenstein - weitgehend verwirklicht wurden, bleibt es überraschend, daß in den alten Problem-

170

JEZIERSKI/PETZ: Historia gospodarcza, S. 208 f.

171

Nach: Maùy Rocznik Statystyczny 1956, S. 150. Gemeint sind ausschließlich die privaten Betriebe.

220

gebieten die überwältigende Mehrheit der bäuerlichen Betriebe nach wie vor über nur 5 ha Boden oder weniger verfugte. Inwieweit eine bewußte Politik, die perspektivisch die späteren Kollektivierungsversuche bereits im Blick hatte, zu diesem Stand geführt hatte, oder ob der Hintergedanke eher darin bestanden haben mag, ein dauerhaftes Potential an künftigen Fabrikarbeitern in einer zahlreichen Gruppe kleinbäuerlicher Produzenten aufrechtzuerhalten, ob schließlich Unzulänglichkeiten in der Durchführung oder falsche Einschätzungen der „Aufnahmefähigkeit" verursachend gewesen sind, diese Frage ist aufgrund der für diese Arbeit benutzten Akten kaum zu beantworten. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß mit der weitgehend abgeschlossenen Aussiedlung der Deutschen und ihrer Ersetzung durch polnische Familien 1949/50 weite Regierungskreise das Interesse an agrarstrukturellen Fragen weitgehend verloren, zumal nachdem die Entscheidung für die Zwangskollektivierung gefallen war. Hinzu kommt, daß die Folgen der Kollektivierung ihren Teil zur Betriebsgrößenverteilung der individuellen Wirtschaften beigetragen haben werden. Dies um so mehr, als weite Teile der von BSOP, Wissenschaftlichem Rat, MZO und GUPP betriebenen Struktur- und Neuordnungspläne gar nicht mehr umgesetzt worden sind. Wenn auch die genauen Zusammenhänge zwischen Siedlungspolitik und Zwangskollektivierung sicherlich noch genauerer Forschungen bedürfen, läßt sich doch soviel an dieser Stelle festhalten: Ein enger Zusammenhang zwischen der höchst zögerlichen Rezeption der Restrukturierungspläne und der Option auf eine Kollektivierung der Landwirtschaft, zumindest aber eine rasche Urbanisierung eines Teils der gerade erst angesiedelten bäuerlichen Bevölkerung, ist durchaus nicht unwahrscheinlich. Auf der dritten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates hatte Wincenty Stys" am Beispiel der Frage der Unteilbarkeit der bäuerlichen Wirtschaften in den Wiedergewonnen Gebieten diese Beziehungen so ausgedrückt: „Die Einstellung zu dieser Frage ist in großem Maße abhängig davon, was wir für das Hauptziel der Agrarpolitik im Bereich der Agrarstruktur halten. Es geht darum, ob wir diese Struktur auf individuelle bäuerliche Wirtschaften stützen wollen, ob wir früher oder später zur Kollektivierung führen wollen. Den Befürwortern der individuellen Wirtschaft muß daran gelegen sein, daß die landwirtschaftlichen Betriebe starke, gesunde und dauerhafte Arbeitsstätten sind. Aus diesem Grund sprechen sie sich in aller Regel in entschiedener Weise für die Unteilbarkeit der Betriebe aus. Anders ist es mit den Befürwortern der Kollektivierung. [...] Die Kollektivierung ist keine politisch einfache Aufgabe, und in ihrem Interesse läge eine Ausgangsstruktur, bei der die Bauern ohne übermäßiges Bedauern oder Widerstand sich von ihren Wirtschaften trennen würden. Der arme Bauer, der wenig Land hat, und das in einer Zersplitterung (w szachownicy), die eine rationelle Bewirtschaftung unmöglich macht, ist ein deutlich besseres Material für ein Mitglied des Kollektivs als der vermögende Wirtschafter, der einige zehn Hektar Land in geschlossener Fläche, vernünftige Gebäude und Maschinen besitzt."172

STYS: Zagadnienie niepodzielnosci, S. 59. 221

Die Restrukturierung der sozioökonomischen Beziehungen in der Landwirtschaft hatte damit bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt eine Sozialisierung der Landwirtschaft, nicht aber notwendigerweise eine Zwangskollektivierung im Blick. Eine Orientierung neu errichteter Betriebe an der Untergrenze „lebensfähiger" Höfe konnte sowohl eine Folge von Schwierigkeiten in der Umsetzung gefaßter Beschlüsse sein als auch eine sozusagen bewußte Unterlassung, die die Chancen auf eine später erfolgende Kollektivierung erhöhte. In der Zeit des Bestehens des BSOP, des Wissenschaftlichen Rates und vor allem des Ministeriums für die Wiedergewonnenen Gebiete unter Gomulka und Wolski dachte man, soviel läßt sich sagen, eher an eine natürliche, von den bäuerlichen Familien im wesentlichen aus eigenem Antrieb geförderte Entwicklung hin zur genossenschaftlich oder kollektiv betriebenen Landwirtschaft, nicht an eine Festschreibung der Großgüterwirtschaft unter staatsdirigistischem Mandat, wie es in der Kollektivierungsphase durchgesetzt werden sollte. Staatliche Interventionen gab es gleichwohl: Ein gewichtiges Argument für eine Orientierung auf die Genossenschaft war die höchst unterschiedliche Ausstattung individueller und sozialisierter Betriebe mit Maschinen, Geräten und Krediten. 173 Tab. 6: Anteile der Besitzformen im Jahre 1956 in Prozent174

Nach Berechnungen des Siedlungsdepartements des MZO sah die Verteilung des Bodens in den Wiedergewonnenen Gebieten Ende 1948 folgendermaßen aus. Von den insgesamt 5,5 Mio. ha entfielen 3,6 Mio. ha auf Siedler, 1,1 Mio. auf „Staatliche Landimmobili-

Dies vor allem nach Verabschiedung des Sechs-Jahres-Plans, der ausdrücklich die „Umgestaltung der Struktur der Wirtschaften (Gründung von Produktionsgenossenschaften)" vorsah. Częsc opisowa, S. 28. Vgl. ALBERT: Najnowsza historia Polski, S. 596 f. Nach: Rocznik Starystyczny 1956, S. 143.

222

en" (Panstwowe Nieruchomosci Ziemskie).175 Daß ein so gewichtiger staatlicher Sektor eine nicht zu unterschätzende Grundlage für eine insgesamt staatlich dirigierte Landwirtschaft sein konnte und sollte, liegt auf der Hand. Daß die Zwangskollektivierung am Widerstand der polnischen Bauern scheiterte und ab 1956 eine Agrarpolitik einsetzte, die das Privateigentum an Land akzeptierte, ändert nichts daran, daß die Strukturpolitik in den Wiedergewonnenen Gebieten als Vorbild für eine entsprechende Umgestaltung ganz Polens gemeint war. Ein Blick auf die regionale Verteilung der PGR im Jahre 1955 spricht eine deutliche Sprache bezüglich der Bedeutung der Kolonie für die Strukturpolitik der PZPR. Es fällt auf, daß Produktionsgenossenschaften und Staatliche Agrarwirtschaften in den alten Ländern keine Rolle spielten. Hier wären zur Einrichtung entsprechender Betriebe Zwangsmaßnahmen erforderlich gewesen, die in der Phase der Konsolidierung der Volksrepublik als gegen die eigene Basis gerichtet nicht in Frage kamen und auf die man nach dem Scheitern der Zwangskollektivierung verzichtete. Daß gerade die Wojewodschaft Rzeszöw als einzige aus den Alten Ländern über einen nennenswerten Prozentsatz an PGRBetrieben verfügte, erklärt sich aus der Tatsache, daß genau hier im Frühjahr 1947 die große Zwangsumsiedlung der ukrainischen Bevölkerung in die westlichen und nördlichen Gebiete stattfand.176

Zusammenfassende Bemerkungen Das vorangegangene Kapitel hat deutlich gemacht, daß die Erweiterung des Territoriums als doppelte Möglichkeit zur sozioökonomischen Sanierung begriffen wurde: Zum einen sollten sich Strukturprobleme in den alten Territorien durch Umsiedlung in neue Gebiete lösen lassen, zum anderen bot der Kolonisierungsprozeß selbst die Chance, eine ideale Struktur aufzubauen, die wiederum auf die alten Gebiete zurückwirken konnte. Sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Diskussion spielte die „agrarische Überbevölkerung" eine wesentliche Rolle - und zwar nicht nur als nach außen gewendete Legitimationsstrategie, sondern, wie sich in der Konzeptionierung der Siedlungspolitik insgesamt zeigte, auch als Handlungsmotivation und Planungsparadigma. Es konnte gezeigt werden, daß der Begriff „Überbevölkerung"/„przeludnienie" als analytisches Kriterium sowohl in der polnischen als auch in der deutschen bevölkerungs- und wirtschaftspolitischen Diskussion seit Beginn der 30er Jahre präsent und allgemein akzeptiert war. Dies zeigte sich nicht zuletzt daran, daß als „Siedlerpotential" in beiden Fällen in erster Linie „überschüssige" Bevölkerung aus den alten Gebieten vorgesehen war. Gerade auf deutscher Seite darf der Umstand, daß es zu einer systematischen Ansiedlung aus dem „Altreich" nicht gekommen ist, nicht darüber hinwegtäuschen, daß die schrittweise Ausweitung des „Germanisierungs-

Sprawozdanie z dzialalnosci DO, S. 132. Vgl. dazu Kap. III.I.e., S. 281-289. 223

gebietes" gerade dadurch motiviert war, daß anders nicht genug Raum für die Massen an „überflüssiger Bevölkerung", die man für das „Altreich" errechnet hatte, zu schaffen war. Freilich waren die Voraussetzungen, insbesondere die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, höchst unterschiedlich: Das Deutsche Reich stellte ein leistungsfähiges, weitgehend industrialisiertes Land dar, wohingegen die Zweite Republik mit wirtschaftlichen Strukturproblemen zu kämpfen hatte, die sowohl aus der unterschiedlichen Geschichte der drei ehemaligen Teilungsgebiete als auch aus den Schwierigkeiten entstanden waren, einen Platz in der Weltwirtschaft zu finden. In der deutschen, ab 1933 der nationalsozialistischen Diskussion verband sich der Begriff „Überbevölkerung" jedoch mit rassenhygienischen und rassistischen Vorstellungen, die in der polnischen Diskussion, zumal nach 1945, zwar zuweilen aufblitzten, im Grunde aber marginal waren. Eine größere Rolle spielten sie sicherlich, soweit die schmale Quellenbasis diesen Schluß zuläßt, in der Londoner Exilregierung. In allen Fällen war der Wunsch zu erkennen, Abwanderung zu vermeiden: Die deutsche Diskussion kreiste um die „Ostflucht" ebenso wie die polnische um die Erwerbsemigration der Zwischenkriegszeit. Der Charakter dieser beiden Bewegungen wurde aber unterschiedlich aufgefaßt: Spielten auf deutscher Seite Ängste vor einem Verlust der Vormachtstellung im Osten - und damit auch des Weltmachtanspruchs - eine entscheidende Rolle, fehlten solche Ideen in Polen, abgesehen von Kreisen der extremen Rechten im Untergrund, fast völlig. Ein wesentlicher Unterschied war demzufolge auch in dem grundsätzlichen Charakter der Gebietserweiterungen und der damit verbundenen Zielvorstellungen zu suchen: Handelte es sich bei der Annexion der ehemaligen preußischen Ostprovinzen durch Polen um einen Versuch, neben einer Absicherung gegenüber dem westlichen Nachbarn, durch Gebietserweiterung und Bevölkerungsverschiebungen eine strukturell sanierte, leistungsfähige und stabile Wirtschaftsordnung aufzubauen, waren die deutschen Gebietsansprüche im Prinzip grenzenlos und in ihrem Charakter imperialistisch. Die Verbindung von Großmachtanspruch, Sanierungsinteresse und Rassismus und Rassenhygiene einerseits mit dem Festhalten an kapitalitischen Wirtschaftsprinzipien andererseits hatte gleichzeitig auch Auswirkungen auf die Gestalt der Sanierungskonzepte: Die deutschen Planer gingen von einer mittelbäuerlichen Betriebsgrößenstruktur aus, die ohne abhängige Arbeit - genauer ohne den mittelfristigen Einsatz „fremdvölkischer" Arbeitskräfte in untergeodneten Stellungen - gar nicht zu denken waren. Selbst ohne den Rückgriff auf „Helotenvölker" bedurfte die „neue Ordnung" einer (deutschen) Landarbeiterklasse, die hier als Bewährungsmöglichkeit für spätere „Vollbauern" gesehen wurde. Nach 1945 setzte sich zunächst ein ener an sozialistischen Forderungen orientiertes Modell durch, das die einzelnen Betriebsgrößen danach bemaß, wieviel Land von einer bäuerlichen Familie ohne abhängige Arbeitskräfte zu bewirtschaften sei. Die polnischen Planer näherten sich, was die Betriebsgrößenverteilung, nicht aber was den Einsatz „fremder" Arbeitskräfte anging, an deutsche Konzepte da an, wo sie entweder von einem ähnlichen Wirtschaftsmodell - nämlich einer kapitalistisch organisierten, mehr oder weniger durch staatliche Interventionen regulierten Marktwirtschaft - ausgingen; dies galt insbesondere für die älteren Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates, aber auch in einigen Gut224

achten Zygmunt Glinkas. Nicht erst die überraschende Nähe der Vorstellungen Glinkas zu den Ordnungsmodellen des RKF macht deutlich, daß es sich bei der „sozialistischen Umgestaltung" im wesentlichen um ein staatsdirigistisches Wirtschaftsmodell handelte, dessen wirtschaftliche Verkehrsformen sich organisatorisch, nicht aber prinzipiell vom abgelehnten kapitalistischen System unterschieden. Hinzu kam, verstärkt ab 1947, daß die „tabula rasa" in den Wiedergewonnenen ten als Chance für weitere Vorstöße in Richtung auf eine grundsätzliche Umgestaltung der wirtschaftlichen Struktur genutzt wurde: Die nach Vorbild der Sovchosen gestalteten PGR ließen sich in den neuen West- und Nordgebieten - ebenso wie genossenschaftliche Wirtschaftsformen - weitaus leichter durchsetzen als in den alten Gebieten, in denen in höherem Maße bereits bestehende Strukturen und Verhältnisse zu berücksichtigen waren. Das hier sichtbar werdende Moment, die weitgehend freie Gestaltbarkeit der Kolonie erstens zur Schaffung idealer Verhältnisse und diese dann zweitens als Blaupause für eine Umgestaltung strukturschwacher Regionen in den alten Gebieten zu nutzen, fällt auch bei der deutschen Planung auf: Zwar wurden Bevölkerungs-, Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur im Warthegau am Vorbild als musterhaft betrachteter Regionen im „Altreich" orientiert, dies änderte aber nichts daran, daß der Warthegau umgekehrt zum anderen als Modell für die weitergehende Sanierung der „Notstandsgebiete" dienen konnte und sollte. Voraussetzung für alle diese Pläne - auf deutscher wie auf polnischer Seite - war aber die Möglichkeit, Struktur, Verteilung, Zahl und Qualität von Bevölkerung den Plänen anpassen zu können. Dieser Aspekt wird im folgenden Kapitel besprochen.

225

III. Segregation als Strukturpolitik: ethnische Säuberung und Modernisierung Am erfolgreichsten haben jene Staaten assimiliert, deren Staatsnationalismus und Staatspatriotismus unvölkisch, im Sinne unseres Denkens sogar antivölkisch, zumeist auch antirassisch war. 1

Während in der Frage der sozioökonomischen Struktur der ländlichen Besiedlung weitgehende Identität in der grundsätzlichen Herangehensweise an die neuen Gebiete und ihre Rolle bei der Umgestaltung des gesamten Territoriums festgestellt werden konnte und die Unterschiede in der konkreten Planung der soziökonomischen Struktur lagen, bestanden in der Frage der Funktion der territorialen Ausrichtung grundsätzlichere Unterschiede. Diese Unterschiede wirkten sich, dies soll im folgenden gezeigt werden, zum Teil in durchaus bezeichnender Weise auf den Umgang mit dem Problem der prospektiven Bevölkerungszusammensetzung aus, wobei überraschende Parallelen gleichzeitig bestehen blieben. Dies zu zeigen, ist Aufgabe des folgenden Kapitels. Die Grundlinien des deutschen Programms im besetzten Polen hatte bereits Hitler festgelegt: Es gehe, hatte er immer wieder betont, um eine Germanisierung des Bodens, nicht, 2

wie es etwa in der preußischen Polenpolitik der Fall gewesen war, der Menschen. Das bedeutete die Verdrängung aller, die nicht zum Staatsvolk gehören sollten, und die Ansetzung einwandfreier Siedler an ihrer Stelle. Es bedeutete in der Praxis die Definition der unterworfenen „fremdvölkischen" Bevölkerung zum Sklaven- und Helotenvolk. Das nationalsozialistische Ordnungskonzept für den Osten war darüber hinaus ein imperialistisches Konzept, das weit über den im Herbst 1939 erreichten Stand hinausging und das mit Hilfe der Neuordnung von Wirtschafts- und Bevölkerungsbeziehungen in ganz Europa den Status Deutschlands als Weltmacht ein für alle mal sichern sollte. Dagegen war das Ziel der polnischen Nachkriegsregierung, ebenso aber der Exilregierung, die Schaffung eines polniRechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten. Im juristischen Teil als Vorlage für den nationalitätenrechtlichen Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht. Abgeschlossen im Januar 1940, S. 13. Dok. 661-PS, IMT Bd. XXVI", S. 206-242. Tatsächlich finden sich entsprechende Gedanken bereits in HITLER: Mein Kampf, S. 428 ff. Vgl. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 317; ZABOROWSKI: Generalplan Ost. Vgl. dazu aus der neueren Literatur BECKER: Weltmacht oder Untergang; EICHHOLTZ: Expansionsprogramm; FIEDOR: Niemieckie plany. Über die unterschiedlichen Funktionszuweisungen für die einzelnen besetzten und assoziierten Länder siehe MADAJCZYK: Faszyzm i okupacje, und die beiden Bände: Modelle für ein deutsches Europa und: Besatzung und Bündnis. 226

sehen Staates, der für absehbare Zeit von den imperialistischen Zumutungen des westlichen Nachbarn verschont bleiben würde. Dieses Ziel verband sich mit dem Versuch einer ethnischen Bereinigung, die sich in ihrem Grundprinzip von der deutschen Zielvorstellung in vielen Punkten wenig unterschied. Die Forderung nach einem Polen, das kein Vielvölkerstaat mehr sein sollte, sondern sich als ethnisch bereinigter Nationalstaat gestalte, eine Forderung, die in der Zeit der Zweiten Republik eher ins Arsenal der Rechten gehört hatte, war schon zu Beginn der Herrschaft des PKWN aus dem Munde und der Feder altgedienter Stalinisten zu vernehmen. Die Parole selbst findet sich bei dem ersten Bevollmächtigten für das eingegliederte Niederschlesien und späteren Wojewoden und Sekretär des Zentralkomitees der PZPR General Aleksander Zawadzki. Anfang-1946 schrieb er: „Die allgemeine Auffassung der 'Sache der Nationalitäten' bedeutet in unserer Praxis Entdeutschung (odniemezenie) sowie Rehabilitierung [d.h. der in die Deutsche VolksliA

ste Eingeschriebenen] und Verifizierung , oder - Repolonisierung - im Sinne der Beschlüsse der Regierung der Republik, daß wir einen polnischen Nationalstaat, und keinen Nationalitätenstaat bauen wollen." Eine Grafik aus dem Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete verglich die ethnische Struktur der polnischen Bevölkerung 1931 und 1950 und stellte mit Befriedigung fest, daß nichtpolnische Minderheiten nurmehr knapp 1% des Staatsvolkes gegenüber mehr als einem Drittel 1931 ausmachten. Zur gleichen Zeit erklärte Wtadyslaw Gomulka vor dem Landesnationalrat: „Der grundsätzliche Gesichtspunkt [bei der Aussiedlung der Deutschen], das ist der Bau des Nationalstaates. Wir wollen in unserem Land nicht das feindliche und uns fremde deutsche Element haben. Die Erfahrung des letzten Krieges hat gezeigt, wie schädlich für Polen diese Handvoll Deutscher war, die in unserem Lande lebte. Der Grundsatz des Aufbaus ethnisch einheitlicher Staaten wird auch in anderen Ländern an7

gewandt." Die Polnische Arbeiterpartei (PPR) hatte bereits im November 1943 unter der Parole der ethnischen Grenzziehung den Verzicht auf die 1921 nach dem polnisch-russischen Krieg erworbenen Ostgebiete proklamiert - und damit die Festschreibung der Demarkationslinie von 1939 als Ostgrenze - und die Entschädigung Polens für Kriegsschäden und Gebietsverluste durch territoriale Erweiterung auf Kosten Deutschlands angekündigt. Diese neuen

Siehe hierzu Kap. III.I.e., S. 295-317. Zagadnienie narodowoäciowe, S. 2. Narodowosci, o.D. AAN MAP 753, Bl. 8. Nach der Volkszählung von 1931 gaben 68,9% der Bevölkerung polnisch als Muttersprache an, 64,8% waren römisch-katholisch. Maly Rocznik Statystyczny 1939, S. 22-26. Abschrift aus dem Protokoll des 3. Sitzungstages der KRN, 10/2. AAN MZO 793, Bl. 55-69. ZAWADZKI:

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Gebiete sollten ermöglichen, alle Polen in einem nur von Polen bewohnten Staatsgebiet zu sammenzufassen. Weltmachtphantasien bestanden hingegen nicht.

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1. Die Schaffung des Staatsvolkes aus allen verfügbaren Quellen: „Rücksiedlung", Vertragsumsiedlung, Selektion a. „... darf kein Tropfen deutschen Blutes verlorengehen" - Die Rekrutierung deutscher Sied/er und die Kriterien der positiven' Selektion im besetzten Polen Die grundsätzliche Aufgabe der deutschen Besatzungsverwaltung in den eingegliederten Ostgebieten hatten Wetzel und Hecht 1939 so formuliert: „Das Ziel der deutschen Politik in den neuen Reichsgebieten muß die Schaffung einer rassisch und damit geistig-seelisch wie völkisch-politisch einheitlichen deutschen Bevölkerung sein. Hieraus ergibt sich, daß alle nicht eindeutschbaren Elemente rücksichtslos beseitigt werden müssen. Das Vorhandensein einer fachlichen und leistungsmäßigen Bewährung wird vielfach die Antwort auf die Frage geben, ob ein erwünschter Bevölkerungszuwachs vorliegt oder nicht."8 Das Problem einer ethnischen Stratifizieruhg löste sich damit auf in einer Einordnung einzelner Familien im Sinne ihrer Verwertbarkeit und Nützlichkeit in der nationalsozialistischen Leistungsgesellschaft. Dies wird daran deutlich, daß „Asoziale", „Erbkranke", „we.gen eines Verbrechens gegen das deutsche Volk und das Deutsche Reich Vorbestrafte" und „Gewohnheitsverbrecher" ausdrücklich ausgeschlossen waren. Die Selektion der einheimischen Bevölkerung diente damit letztendlich sowohl der Terrainvorbereitung für die Ansiedlung als auch der Aufrechterhaltung der noch vagen Strukturpläne angesichts unumgänglicher Kompromisse: Soweit eine direkte Kolonisierung der annektierten Gebiete noch vor Abschluß des Krieges stattfinden und die „Eingliederung" endgültig und unumkehrbar machen sollte, war eine tabula rasa, wie sie von verschiedenen Planern immer wieder heraufbeschworen wurde, gar nicht realisierbar. Militär- und wirtschaftspolitisch blieb es unumgänglich, bestimmte Produktionsbereiche, vor allem die Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit, in Gang zu halten - nicht zuletzt zur Versorgung der Wehrmacht und der zuneh-

Wetzel/Hecht, Die Frage der Behandlung, S. 16. Anordnung des Gauleiters und Reichsstatthalters zur Durchführung der Wiedereindeutschungsaktion des Jahres 1941, Danzig, den 14. Dezember 1940. gez. Albert Forster. BAK R 49/76, Bl. 3-22, hier S. 9. Vgl. DURTH/GUTSCHOW: Träume in Trümmern, S. 77; BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 284, 296; ebenso bereits in anderem Zusammenhang JASTRZEBOWSKI: Gospodarka niemiecka, S. 45, der die Nichtberücksichtigung vorhandener Strukturen als charakteristisch für das deutsche Vorgehen, dem der „schaffende Wille" als absoluter Wert zugrunde gelegen habe, ansieht. Vgl. hierzu auch ULRICH HERBERT: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, Bonn 21996.

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mend in die Kriegsproduktion eingebundenen Bevölkerung im „Altreich". Die Selektionspraxis schien aber gleichzeitig insofern widersprüchlich, als die mit dem Urteil „wiedereindeutschungsfähig" eingeordneten polnischen Familien und Einzelpersonen so bald als möglich zur Germanisierung ins Reich deportiert werden sollten und von daher in den gegliederten Ostgebieten als Siedlerpotential auf längere Sicht gar nicht zur Verfügung standen, auch wenn es zur tatsächlichen Umsiedlung dieser Menschen nur in eingeschränktem Maße gekommen ist. Die Betonung der politischen und charakterlichen Eignung der Siedler war letzten Endes nur folgerichtig: Zur aggressiven Kolonisierung der annektierten Gebiete, in der jegliche Fraternisierung der Herrenschicht mit der vorläufig oder auf Dauer verbleibenden Helotenbevölkerung vermieden werden sollte, waren Menschen nötig, die von ihrer „rassischen" Überlegenheit überzeugt waren. Unter der einheimischen Bevölkerung traf dies sicherlich auf einschlägig organisierte Aktivisten und einen Teil der übrigen „Volksdeutschen", nicht aber auf das Gros der „Wiedereindeutschungsfähigen" zu, denen ihre „volkstumsmäßige Zugehörigkeit" erst beizubringen war. Am Ende führte dieser Widerspruch dazu, daß in bestimmten Gebieten die Einordnung als nicht germanisierbar, aber leistungsfähig eher als Schutz vor Deportation gelten mußte als die Beehrung mit der deutschen Staatsangehörigkeit auf Widerruf. Vor allem war festzustellen, welche Personengruppen als Basis einer vollständigen Germanisierung der eben erst annektierten Gebiete gelten durften, welche als von deutscher Herkunft, aber politisch oder kulturell unsicher gelten mußten, und welche Polen als „erwünschter Zuwachs" assimiliert werden sollten. Die am 28. Oktober 1939 von Gauleiter Greiser für Posen eingerichtete Deutsche Volksliste (DVL) diente zuerst nur der Neuorganisation und Einordnung der „Volksdeutschen" in zwei Gruppen im Sinne des Führererlas12 ses vom 8. Oktober. Hintergrund war, laut einem rückblickenden Bericht des Leiters der DVL in Posen Herbert Strickner, die Ungültigerklärung der von den deutschen Organisationen in Polen ausgegebenen „Volkstumsausweise"; die neue Einteilung sollte nach entsprechender Überprüfung in zwei Gruppen erfolgen, von denen die erste alle diejenigen aufnehmen sollte, „die sich bisher aktiv in Volksdeutschen Parteien und Vereinen bewährt hatten", die zweite die übrigen „Volksdeutschen", deren „Abstammung" zweifelsfrei war, 13

die „aber sich nicht offen als deutsch bekannt hatten". Vgl. EICHHOLTZ: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft; HERBST: Der totale Krieg; LUCZAK: Polityka ludnosciowa; JASTRZEBOWSKI: Gospodarka niemiecka. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete, 8. Oktober 1939, §6: „(1) Die Bewohner deutschen oder artverwandten Blutes der eingegliederten Gebiete werden deutsche Staatsangehörige nach Maßgabe näherer Vorschriften. (2) Die Volksdeutschen dieser Gebiete werden Reichsbürger nach Maßgabe des Reichsbürgergesetzes." RGBl. 1939 I, S. 2042 f. Auch wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Hitlerowskie „prawo" okupacyjne,t. 1, S. 84-88. Die „Deutsche Volksliste" in Posen. Bericht über ihre Entstehung und die Entwicklung des Verfahrens, wiedergegeben in POSPIESZALSKI: Niemiecka Lista Narodowa, S. 19-130. Lt. Pospieszalski, S. 15-18, ist die Autorenschaft des Leiters der Zweigstelle Posen der DVL, Her-

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Laut der Verordung Greisers vom 28. Oktober, die von Regierungsrat Dr. Albert Karl Coulon verfaßt worden war, erfolgte die Einschreibung in die DVL nur auf Antrag. Über die Aufnahme entschied eine Kommission, die aus Volksdeutschen, SD und Parteivertretern bestand. „Juden, jüdischen Mischlingen und biologisch Minderwertigen" war die Aufnahme von vornherein verwehrt. Grundlage für die Festlegung der Kontingente in die beiden Gruppen war eine „Geheime Volkszählung", die 1934-1937 von deutschen Organisationen durchgeführt worden war. Am 11. November 1939 wurden'beim HSSPF in Posen zwei Sonderstäbe eingerichtet, von denen der eine unter Reichsamtsleiter Dr. Derichsweiler für die „Unterbringung der Baltendeutschen", der andere unter Sturmbannführer Rapp als Führer des SD-Leitab17 Schnitts Posen für die Aussiedlung der Juden und Polen zuständig war. Da der Sonderstab unter Rapp bei der Erfassung zur Aussiedlung vermeiden mußte, potentielle DVLKandidaten abzuschieben, finden sich in seinem Erfahrungsbericht auch Anmerkungen über die Definition dieser Gruppe. Solange verbindliche Anweisungen aus dem Reich noch nicht vorlagen, entschied man sich für folgende Vorgehensweise: Die Feststellung der eigentlichen „Volksdeutschen" habe keine Schwierigkeiten bereitet, da „unmittelbar mit der Arbeitsaufnahme der SD-Einsatzkommandos an die Sammlung der notwendigen Unterlagen herangegangen worden war." Kriterium war das kulturelle und nationale Selbstverständnis, als „Bekenntnis zum Deutschtum" reichte aus, „daß die Familie bewußt deutsch geblieben war". Mitgliedschaft in deutschen Organisationen, aktiver Einsatz oder wenigstens ein Schulbesuch der Kinder in deutschen Schulen wurden nicht verlangt. Die Einstufung der „Deutschstämmigen" hingegen sei, so Rapp, wesentlich schwieriger gewesen, zumal sich gezeigt habe, daß viele der Kandidaten „Träger der großpolnischen, deutschfeindlichen Arbeit waren". Darüber hinaus sei die Beherrschung der deutschen Sprache kein sicheres Indiz, da „fast im ganzen Bereich des Warthegaues die deutsche Sprache beherrscht wird".

bert Strickner, gesichert. Die zitierte Denkschrift ist lt. Pospieszalski zwischen November 1942 und April 1943 entstanden. Vgl. auch BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 115 f. Die „Deutsche Volksliste" in Posen, S. 46. Ebenda, S. 53 f. Strickner führt an, daß parallel am 25.11.1939 ein Erlaß des RMdl erschien, der die Frage der Verleihung der Staatsangehörigkeit wesentlich liberaler handhabte und „eine weder in völkischer noch in biologischer Beziehung tragbare Lösung brachte". Streitpunkt war die Frage der jüdischen „Mischlinge". Vgl. ADAM: Zur Entstehung, S. 22. Zu den Definitionsstrategien vgl. allgemein HILBERG, Vernichtung, S. 69-84, bes. S. 75 f. Die „Deutsche Volksliste" in Posen, S. 57. HSSPF Posen als Beauftragter des RKF, Erfahrungsbericht über die Umsiedlung von Polen und Juden aus dem Reichsgau „ Wartheland", 26. Januar 1940, gez. Rapp, S. 1. AGK NTN 13 Bl. 35-46. Wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnoSci, S. 46 f-57 f. Erfahrungsbericht über die Umsiedlung, S. 8 f. 231

Die bereits zitierte Denkschrift des Rassenpolitischen Amtes, die am 25. November 1939 fertiggestellt war, ging einen wichtigen Schritt weiter und schuf somit die Voraussetzung, die DVL zu einem wirkungsvollen Selektionsinstrument für die gesamte Bevölkerung des Warthegaus zu formen. Wetzel und Hecht entdeckten „deutsch-polnische Zwischenschichten", die „ganz oder teilweise deutscher Abstammung" seien, bei den strengen Kriterien der DVL aber nicht aufgenommen werden könnten. Sie schlugen vor, eine „Sondergruppe" zu schaffen und „ihre zukünftige völlige Eindeutschung (zu) versuchen", indem man sie ins „Altreich" deportierte. Eingeschlossen waren solche „Deutschblütigen", die als polonisiert gelten mußten - sich selbst also eher als Polen bezeichneten. Dagegen seien „charakterlich geringwertig erscheinende Personen... auf jeden Fall den auszuweisenden Personen zuzurechnen". Die Verbindung rassistischer mit sozioökonomischen Kriterien wurde an der Frage dieser „Zwischenschichten" deutlich: „Hierunter haben auch solche Schichten zu fallen, die als gemeinschaftsunfähig, als asozial, bezeichnet werden oder deren geringe Lebensbewährung auf eine Häufung leistungsschwacher Anlagen hinweist." Genauso ging man in der DVL vor. Strickner betonte: „Die Zweigstelle Posen sah von ihren ersten Tagen an die Deutsche Volksliste mit als eine Gelegenheit dazu an, biologisch unerwünschte, asoziale und kriminelle Personen, die sich nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten L.l, von der deutschen Volks21 gemeinschaft fernzuhalten." Die Aufsplitterung der Bevölkerung der eingegliederten Ostgebiete erfolgte parallel zueinander auf zwei Wegen. Der Selektion im Einzelfall, die Wetzel und Hecht im eingangs angeführten Zitat gemeint hatten, entsprach die Dekomposition im Großen, d.h. die Abtrennung und Privilegierung bzw. Eindeutschung bestimmter ethnisch oder regional eingrenzbarer Bevölkerungsteile mit mehr oder weniger stark ausgeprägter eigener kultureller oder sprachlicher Identität. Bereits die Wetzel-Hecht-Denkschrift hatte bestimmte Gruppen ausgemacht, gegenüber denen eine „Sonderbehandlung" angezeigt sein sollte. Es handelte sich um Kaschuben, Masuren, „Wasserpolen" und „Slonsaken". Eine Ausnahmestellung dieser Menschen hatte bereits die Volksdeutsche Mittelstelle in ihren Richtlinien vom 8. Septem22 ber 1939 empfohlen, ohne genauere Angaben über die Verfahrensweise zu machen. Wetzel und Hecht hatten festgestellt, daß die polnische Bevölkerung „nennenswerte ehemals slawisierte deutsche Schichten" enthalte und „vielfach sogar eindeutig politisch auf Seiten der Deutschen" gestanden habe. Die Heraushebung dieser Bevölkerungssegmente aus der übrigen polnischen Bevölkerung sollte aber keine Gleichstellung mit den „Volksdeutschen" bedeuten: Wetzel/Hecht, Die Frage der Behandlung. Ebenda, S. 10. Die „Deutsche Volksliste" in Posen, S. 114 f. BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 206 f.

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„Eine Gleichsetzung mit den Deutschen vor allem im Hinblick auf politische Rechte (z.B. Mitgliedschaft in der NSDAP usw.) ist nicht generell zu treffen. Wohl aber bestehen gegen die Freiheit in wirtschaftlicher und in gewissem Sinne auch kultureller Betätigung keine Bedenken. Erbhofbauern und Stammhandwerker können nur Deutsche werden." Insbesondere sollten die Kaschuben von den Segnungen des Erbhofgesetzes ausgeschlossen bleiben, da man „eine kaschubische Volkstumspolitik und Volkssicherung" befürchtete. Immerhin handelte es sich bei ihnen wie auch bei den Masuren um Slawen, die schon in preußischer Zeit zu Einordnungsproblemen geführt hatten. Sie sollten jedoch von der Vertreibung der polnischen und jüdischen Bevölkerung ausgenommen werden. Wie den größten Teil der Gedanken zur „Behandlung der Fremdvölkischen" flössen auch diese Vorstellungen Wetzeis und Hechts in Himmlers eigenes Programm ein; Kaschuben und Masuren wurden von der Aussiedlung ausgenommen. Himmler wandte sich aber gegen die Definition als eigenständiges „Volkstum": Beide hätten sich „deutschfreundlich verhalten" und seien „mit dem deutschen Volke vermischt". Durch diese Sonderstellung solle aber nicht bewirkt werden, „daß hierdurch eine Kaschuben- oder Masurenfrage aufgerollt wird". Man wollte sich die Möglichkeit offenhalten, „nach einer rassi24 sehen Überprüfung auch gänzlich minderwertige Kaschuben usw. abzuschieben." Eine rechtliche Grundlage erhielt die Absonderung der oben erwähnten Bevölkerungsgruppen jedoch erst mit den „Durchführungsbestimmungen zur Deutschen Volksliste" vom 13. März 1941. Dort war von ,,größere[n] Bevölkerungsgruppen mit nichtdeutscher Haussprache, deren völkische Einordnung nicht klar bestimmbar ist", die Rede. Da diese Menschen angeblich „tatmäßig und kulturell zum Deutschtum" hinneigten, waren sie für die DVL25 Gruppe 3 vorgesehen. Gauleiter Forster, der für das Gebiet zuständig war, in dem die Kaschuben lebten, hatte das allerdings ganz anders gesehen: In einer Denkschrift vom August 1940 bezeichnete er die Kaschuben als „minderwertig". Ähnlich hatte ein Gutachten des RMdl vom November 1939 die Kaschuben als „faul" und „initiativlos" bezeichnet. Forster ging es anscheinend vor allem darum, daß eine generelle Privilegierung der Kaschuben nicht in Frage kam. Die Selektionskriterien, die auf Volksdeutsche, Polen, selbst auf die „Kongreßpolen" angewandt wurden, die erst nach 1918 zugezogen waren und nach

Wetzel/Hecht, Die Frage der Behandlung, S. 24 f. Vermerk über Besprechung am 30. Januar 1940, S. 4. Wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/ LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnosci, S. 66 f-75 f. Die Besprechung fand bei Heydrich statt; es nahmen neben den HSSPF der eingegliederten Ostgebiete und den SSPF des ments unter anderem Greifelt und Creutz vom RKF, Vertreter der Distrikts-Chefs, der VoMi, der HTO und des RSHA teil. Grundsätze und Ausführungsbestimmungen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ehemalige polnische und Danziger Staatsangehörige vom 13. März 1941. Wiedergegeben in: DLUGOBORSKI: Potozenie ludnosci, S. 38-49, hier S. 44. Zit. n. BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 208 f. 233

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dem Heydrich-Schnellbrief vom 21. September 1939 sämtlich ausgesiedelt werden sollten, waren auch auf die Kaschuben anzuwenden. Vor allem aber richtete sich Forster, wie bereits erwähnt, gegen die auch in diesem Falle von Himmler vorgesehene abgestufte Staatsangehörigkeit. Etwas anders verlief die Einverleibung der „Wasserpolen" und „Schlonsaken" in Schlesien. In einer Probeerfassung der Bevölkerung, während der Nationalitätsausweise mit Fingerabdruck als Identitätsbeweis ausgegeben wurden, erklärten sich 97% der Bewohner des Gaues Schlesien als Deutsche - laut Czesùaw Ùuczak ein Ergebnis massiven Zwanges, teil28 weise auch schlichter Fälschung. Ein Bericht des Landrats in Pless vom 10. Oktober 1940 bestätigt diese Einschätzung nur eingeschränkt. Dort heißt es: „Bei der Erfassung der Einwohner haben sich 96,1% der Bevölkerung zum deutschen Volkstum bekannt. Diese Zahl beweist schon allein, daß wahrheitsgetreue Angaben über die Zusammensetzung der Bevölkerung durch die Einwohnererfassung nicht erzielt worden sind. In einigen Gemeinden hat auch offensichtlich ein gewisser Druck dazu beigetragen, unentschiedene Elemente zum Bekenntnis zum deutschen Volkstum zu veranlassen; in den meisten Fällen waren ganz einfach Zweckmäßigkeitserwägungen 29 der Anlaß zu dem 'Bekenntnis'." Daß es in vielen Fällen das ureigenste Bestreben der einheimischen Bevölkerung war, in ihrer angestammten Umgebung leben und arbeiten zu können, womöglich die eigene Position zu verbessern, und dies ohne Rücksicht auf ihnen letzten Endes aufgestülpte Vorstellungen von „Nationalität", „Volkstum" und „Rasse", blitzt in der polnischen Forschung aus einsichtigen Gründen allenfalls auf, wenn beispielsweise Madajczyk anführt, daß Teile der polnischen Bevölkerung Oberschlesiens sich durch ein kaum entwickeltes Nationalbewußtsein ausgezeichnet hätten. Wie wenig auch sonst die Einordnung in diese oder jene „Volksgruppe" mit Selbsteinschätzung zu tun hatte, machte das oben erwähnte Gutachten des Reichsinnenministers deutlich: Wer auf eine eigene masurische Identität pochte, sollte ausgesiedelt werden. Die Erweiterung der Deutschen Volksliste auf polonisierte „Deutschblütige" und Polen, die einen „erwünschten Bevölkerungszuwachs" darstellten", erfolgte im Mai des Jahres 1940. In der DVL wurde eine Gruppe C für diejenigen „Volksdeutschen" eingerichtet, die „weitgehend ins Polentum abgeglitten, aber deutschstämmig" seien, sowie für Deutsche, die sich aus wirtschaftlichen Gründen „als Polen ausgegeben hatten". Gleichzeitig sollten

MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 398 ff. (Dt. Fassung S. 481 ff.) ÙUCZAK: Polityka ludnoSciowa, S. 173. Der Landrat des Kreises Pless an den RP in Kattowitz, 10. Oktober 1940. Wiedergegeben in: DLUGOBORSKI: Polozenie ludnosci, S. 25 f. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 427 (dt. Fassung S. 502). Ebenso IZDEBSKI: Niemiecka ListaNarodowa, S. 25, auf den sich Madajczyk beruft. Zit. n. BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 208 f.

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Polen, die mit DVL-Angehörigen der Gruppen A und B verheiratet waren, aufgenommen 32 werden. Am 24. Januar 1941 schließlich wurde eine weitere Gruppe D für „Deutschstämmige" eingerichtet, „die im Polentum untergegangen sind, aber dem Deutschtum zurück33 gewonnen werden sollen." Damit waren alle Vorgaben, die Wetzel und Hecht zur Selektion der polnischen und deutschen Bevölkerung angeregt hatten, juristische Realität geworden. Die Frage der Staatsangehörigkeit oder Reichsbürgerschaft blieb aber vorläufig ungeklärt. So erhielten Personen, die in die Gruppe D eingestuft wurden, nur eine Bescheinigung, daß eine spätere Einbürgerung vorbehalten sei. Himmler legte als Obergrenze die Aufnahme von 620.000 Personen in die DVL fest, tatsächlich waren es am Ende fast doppelt so viele. Parallel wurde die bisherige Aufgliederung in A-D durch die identisch definierten Gruppen 1-4 ersetzt. Die meisten der Betroffenen wurden in die Gruppen 3 und 4 eingetragen und sollten zunächst am Ort verbleiben. Eine systematische Selektion ordnete Himmler nachträglich am 23. Oktober 1940 an; er wählte zur „Überprüfung der in Oberschlesien ansässigen Slonsaken und Goralen" einen ungewöhnlichen Weg. In diesem Falle nämlich sollte, und dies zeigt den experimentellen Charakter dieser Selektion, die Beurteilung der Familien anhand einer Begutachtung der Kinder in den Schulen erfolgen: „1. Schlecht beurteilte Kinder geben einen Anhaltspunkt für die Negativität der Eltern; diese Bevölkerung ist zu evakuieren. 2. Gut beurteilte Kinder geben Anlaß, nunmehr die Eltern in charakterlicher Hinsicht zu prüfen. Asoziale Elemente (Diebe, Tagesdiebe und sonstige Straffälle) können trotz der37 guten Kinder nicht verbleiben und müssen evakuiert werden." Die Ergebnisse der Erfassung und Einschreibung in die DVL waren langfristig unbefriedigend. Es zeigte sich rasch, daß viele Schlesier ihr „Bekenntnis" von deutsch in polnisch abänderten, nachdem die Gefahr der Einziehung in die Wehrmacht drohte. Möglicherweise in diesem Zusammenhang wurde in einer Besprechung im Mai 1941 zwischen Gauleiter

Die „Deutsche Volksliste" in Posen, S. 66 f. Ebenda, S. 68. Ebenda, S. 69. LUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 173. Bei den „Göralen" handelt es sich um die Bevölkerung des polnischen Teiles der Hohen Tatra. Zu den in polnischen Kreisen eher Heiterkeit erregenden Versuchen, diese Bergbevölkerung zu einem eigenständigen „Volkstum" zu stilisieren, siehe vor allem MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 1, S. 457-463. RF-SS an den Beauftragten des RKF Kattowitz, 23. Oktober 1940. Wiedergegeben in: DtUGOBORSKI: Polozenie ludnosci, S. 26 f. Schreiben SD-Abschnitt Kattowitz an Regierung Kattowitz, z.Hd. RP Springorum, 2. Mai 1941 sowie SD-Abschnitt Kattowitz, Entwurf zu den internen Richtlinien des Gauleiters zur Durchführung der Volksliste im Gau Oberschlesien, 8. Mai 1941 von Dr. Fritz Arlt als Leiter des RKF-Büros, wiedergegeben in: DLUGOBORSKI: Polozenie ludnosci, S. 61-64. 235

Bracht und Himmler beschlossen, die in Gruppe 4 Eingeschriebenen möglichst sofort, Gruppe 3 - die über eine Million Menschen umfaßte - baldigst ins „Altreich" zur Germani39 sierung zu deportieren. Unsicherheiten und Streitigkeiten in der Behandlung der „Wiedereindeutschungsfahigen" zogen sich bis Anfang 1942 hin. Erst am 3 1 . Januar jenes Jahres erhielten Kaschuben, Masuren, „Wasserpolen" und „Slonsaken", die, soweit sie als „erwünscht" galten, in die 40

DVL-Gruppe 3 eingeschrieben worden waren, die Staatsangehörigkeit auf Widerruf. Diese Maßnahme zielte in erster Linie auf die oberschlesischen „Wasserpolen", die als 41 Berg- und Hüttenarbeiter unentbehrlich waren. Im Oktober 1942 gmg Gauleiter Fritz Bracht, im Unterschied zu seiner bisherigen Politik, polnische Bergarbeiterfamilien im Lande zu halten. , einen Schritt weiter. In einem Schreiben an Bormann forderte er die Aussiedlung der gesamten polnischen und jüdischen Bevölkerung und schätzte den Bedarf an deutschen Kolonisten auf allein 300.000 Familien für Industrie und Bergbau. Dazu kam es jedoch nicht, da wirtschafts- und militärpolitische Argumente wie auch der Kriegsverlauf dagegen sprachen. Im März 1943 übersandte die DVL-Stelle in Kattowitz unter dem Betreff „Grundsätzliche Fragen der Deutschen Volksliste" Erläuterungen, wer in die DVL aufzunehmen sei und wer nicht. Dort hieß es, daß „der Oberschlesier" in die DVL aufzu39 MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 426 (dt. Fassung S. 500). Ebenda, S. 427 ff., eine Wiedergabe der Diskussion innerhalb der polnischen Historiographie zum Thema der Ziele und Wirkungen der deutschen Segregationspolitik in Schlesien. Dieser Teil fehlt in der deutschen Fassung. Siehe auch SERWANSKI: Hitlerowska polityka narodowosciowa, S. 8 ff., 255 ff. Serwanski betont vor allem den Gegensatz zwischen der Vorgehensweise Brachts und Forsters einerseits, Greisers andererseits. Gerade in Oberschlesien sei die Nationalitätenpolitik maßgeblich von der Wehrmacht bestimmt gewesen. Die Bedeutung der wirtschaftspolitischen Erfordernisse übersieht Serwanski. Dagegen vermutet LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 176, Bracht und Forster hätten Hitler durch besonders rasche Germanisierung beeindrucken wollen. Tatsächlich ist eher davon auszugehen, daß, zumal angesichts der wenig detaillierten Anweisungen aus Berlin, die einzelnen Gauleiter auf jeweils eigene Weise und angepaßt an die örtlichen Verhältnisse vorgingen. Da sowohl Bracht als auch Forster über Gebiete herrschten, die großenteils altes preußisches Gebiet und nur zu einem geringen Teil annektiertes polnisches Territorium waren, lag eine parallele Vorgehensweise nahe. 40

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Zweite Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 31. Januar 1942, RGBl. 1942 I, S. 51 f. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 119. Die Aufrechterhaltung der industriellen Förderung und Produktion hatte bereits zu Beginn der deutschen Okkupation zu Abstrichen an der Umsiedlungspraxis geführt; so wurde in einer Besprechung mit von dem Bach vermutlich im RuSHA festgelegt: „Das Industriegebiet muß zunächst von den Evakuierungsmaßnahmen aus wirtschaftlichen Gründen vollkommen ausgespart werden." Aktenvermerk, o.U., 27.11.1939. Wiedergegeben in: DLUGOBORSKI: Polozenie ludnosci, S. 138 f. Siehe auch ALY/HEIM: Vordenker der Vernichtung, S. 171. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 425 f. Daß Madajczyk das Scheitern der Pläne Brachts ausschließlich auf die Niederlage Deutschlands bezieht, wirkt angesichts des frühen Zeitpunktes etwas zu weit gegriffen.

nehmen sei, wenn er nicht „so starke Bindungen zum Polentum eingegangen ist, daß er als im Polentum aufgegangen angesehen werden muß". Als Ausschlußgrund galt die Teilnah44

me an den polnischen Aufständen. Interessant ist, daß an dieser Stelle nicht mehr „rassische" und soziale Kriterien, sondern das Verhalten und die kulturell-politische Eigendefinition berücksichtigt werden sollten. Bereits im Juni 1940 gab es Überlegungen, das DVL-Verfahren auf die gesamten gegliederten Ostgebiete zu übertragen. Eine dementsprechende Anordnung wurde für den Gau Danzig-Westpreußen mit Datum vom 14. Dezember 1940 entworfen. Ausgehend von den Daten der Volkszählung von 1939 berechnete Wilhelm Löbsack, Gauamtsleiter und Generalreferent für Volkstumsfragen, gemeinsam „mit den Wissenschaftlern Dr. Krannhals 46 und Prof. Keyser", die die Kreise auswählten , daß etwa 30.000 Familien für eine Eindeutschung, die nun bereits als „Wiedereindeutschung" bezeichnet wurde, in Frage kom47 men müßten. Die Kriterien vermischten wiederum rassistische mit sozioökonomischen bzw. eugenischen Argumenten. Einerseits hieß es: „Nur solche Personen bzw. Familien werden für die Eindeutschung vorgesehen, die in ihrem Erscheinungsbild von unseren deutschen Volksgenossen nicht unterschieden 48 werden können und rassisch in unseren Volkskörper hineinpassen." Gleichzeitig aber wurde diese rein nach persönlichem Empfinden des Gutachters oder Sachbearbeiters zu beurteilende „rassische Prüfung" auf solideren Boden gestellt. Ein Hilfsmittel für die Einordnung in den „Volkskörper" war nämlich „die Prüfung der fachlichen Bewährung und Leistung" der Familie und „Sippe". Spätestens an dieser Stelle wurde deutlich, wie untrennbar sich rassistische Prämissen und soziokulturelle Vorurteile miteinander vermischt hatten: „Man wird aus den in der ganzen Sippe auftretenden typisch deutschen Fähigkeiten und Begabungen mittelbar auch auf das Vorhandensein eines deutschen Blutseinflusses innerhalb der Familie schließen können. (z.B. technische Begabung, Gefühl für Pflege und Ordnung technischer Hilfsmittel in Haus und Hof.) In diesem Zusammenhang sei

Schreiben an die Regierungspräsidenten Kattowitz und Oppeln, März 1943, wiedergegeben in: DLUGOBORSKI: Potozenie ludnosci, S. 107 ff. ALY/ROTH: Die restlose Erfassung, S. 24-27. Dr. Hans von Krannhals arbeitete eng mit Prof. H.F.K. Günther, dem Autoren der Kleinen Rassenkunde des deutschen Volkes, 1922, und weltweit ersten Professor für Rassenkunde (Jena 1930) zusammen und bereiste im Dezember gemeinam mit ihm den Gau Danzig-Westpreußen. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 1, S. 401 f. Prof. Erich Keyser, Historiker, arbeitete mit der Publikationsstelle Berlin-Dahlem zusammen. Vgl. BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 194 f., 239 ff. Anordnung ... zur Durchführung der Wiedereindeutschungsaktion. Vgl. auch MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 1, S. 400. Anordnung... zur Durchführung der Wiedereindeutschungsaktion, S. 3. 237

auch auf die Notwendigkeit hingewiesen, die persönliche und häusliche Sauberkeit entsprechend zu bewerten." Die Einordnung in die DVL-Gruppen war im Warthegau Aufgabe der Polizei, ab dem Juli 1940 der UWZ, die eine Abteilung des Sicherheitsdienstes war , im Gau Danzig-Westpreußen der NSDAP-Kreisleiter, was um so einfacher schien, als die Kreisleiter gleichzeitig auch die Landräte stellten. Das Fehlen einer einheitlichen Regelung ermöglichte krasse regionale Unterschiede. Während im Warthegau, wie erwähnt, recht rigide Auswahlkriterien angewandt wurden, beschränkte sich in Danzig-Westpreußen, wie Broszat festgestellt hat, die Aussonderung darauf, „diejenigen Personen, die man in den einzelnen Kreisen aus volkspolitischen, nicht zuletzt aber auch aus wirtschaftlich-sozialen u.a. Gründen als unerwünscht ansah, deren Grund und Boden, Gewerbebetriebe usw. man für Umsiedler, einheimische Volksdeutsche oder Danziger Treuhänder beanspruchte, entweder durch Abschiebung ins Generalgouvernement, Einweisung ins Lager oder auf andere Weise loszuwerden, die übrige 52 Bevölkerung aber in ihrer überwiegenden Mehrheit in die DVL aufzunehmen." Darüber hinaus lehnte Forster, wie schon im Falle der Kaschuben, die Einführung der abgestuften Staatsbürgerschaft nach dem DVL-Modell ab, da er Schwierigkeiten in Eigentumsfragen befürchtete. Das so beschriebene Verständnis von Volkstumspolitik, wie es Gauleiter Forster und Volkstumsreferent Löbsack vertraten, stieß aber nicht nur in den SSPlanungsabteilungen auf Widerstand. Schwierigkeiten bereiteten vor allem die Objekt» der Einbürgerungsversuche. Das zeigte sich vor allem nach der formellen Einführung der DVL im Gau Danzig-Westpreußen am 21. Mai 1941: Ein Appell an die polnische Bevölkerung zur Einschreibung stieß auf wenig Resonanz, am 22. Februar des Folgejahres ordnete Forster die zwangsweise Einschreibung und Einbürgerung an. Dagegen lehnte Koch in Ostpreußen ebenso wie Greiser die massenhafte Zwangseinbürgerung ab, übte aber Druck auf „Volksdeutsche" in Mischehen sowie auf Masuren aus, die sich der Einschreibung möglichst zu entziehen versuchten. Ähnlich war Bracht in Oberschlesien vorgegangen, solange die dortige Industrie auf die polnischen Arbeiter nicht verzichten konnte. Das bedeutete aber nicht, daß Greiser etwa den Grundsatz der Freiwilligkeit der Einschreibung, wie er zu Beginn der Tätigkeit der DVL bestanden hatte, grundsätzlich hätte einhalten wollen. Ab einem deutschen „Blutsanteil" von 50% - definiert nach der „Volkszugehörigkeit" der Groß-

Ebenda, S. 8. Und nicht, wie MARCZEWSKI: Hitlerowska polityka, S. 249, und WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 72-132, v.a. S. 112, anführen, erst ab dem 12. September. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 114, 121 f. Ebenda, S. 122. LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 118, 174, 177 f.; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 242. LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 186. 238

eitern analog zur Definition der Juden nach den Nürnberger Gesetzen - war auch im Warthegau die Einschreibung in die DVL obligatorisch. Der Zwang wurde aber hier nicht auf ganze Gruppen, sondern auf Einzelpersonen ausgeübt. Der Unterschied zwischen dem Vorgehen Forsters und der parallelen Tätigkeit Greisers lag in erster Linie darin, daß, wie Madajczyk schreibt, Forster den Kreis der „Wiedereindeutschungsfähigen" wesentlich weiter faßte, als Himmler und nach ihm Greiser das vorsahen, sowie daß Forster den gesamten Komplex der Nationalitätenpolitik für Aufgabe der Partei und nicht der SS und Polizei hielt. Wie weitgehend sich aber Forsters Vorstellungen im Grunde mit denen der Dienststelle des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) deckten, zeigen etwa die Erläuterungen und Betrachtungen zur Anlage einer Minderheitenkartei aus der RKF-Dienststelle, die die gleichen Kriterien, wie sie oben am Beispiel der Anordnung Forsters behandelt wurden, auf die Ausländer im gesamten Großdeutschen Reich übertragen wollte. Dort hieß es: „Wir wissen, daß wir auf dem Wege der Um- und Ansiedlung die Möglichkeit haben, unerwünschte Elemente zu beseitigen und so eine volkspolitische Flurbereinigung vor57 nehmen zu können." Auch hier war eine Aufnahme und Assimilierung ausgewählter Nichtdeutscher ausdrücklich vorgesehen: „Wir wissen [...], daß in den Minderheiten rassisch wertvolle Elemente vorhanden sind, die die Erbmasse und das Blut unseres Volkes ergänzen, die zumindest von gleicher Art und gleicher Güte wie der Durchschnitt unseres Volkes sind. [...] Wir gewinnen so an 58 Zahl und verlieren nichts an Güte." Damit waren drei große Gruppen eingeteilt: erstens die aktiven, im „Volkstumskampf bewährten Deutschen in den eingegliederten Ostgebieten zusammen mit jenen Deutschen, die auch vor 1939 sich als solche verstanden hatten, zweitens „abgesunkene" Deutsche und assimilierbare Polen, drittens der gesamte Rest, der langfristig auszusiedeln war. Sozioökonomisch bedeutete diese Trennung die Aufteilung in die Gruppe der erwiesen Leistungsfähigen, die Gruppe derer, die sich bewähren mußten, und die Gruppe der Nichtverwertbaren Hitlerowska koncepcja, S. 383. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 126. Vor allem, als sich ab 1942 Fälle häuften, in denen einzelne Personen ihre DVL-Ausweise wieder zurückgeben wollten, wurde diesen wie allen denen, die die Antragstellung zur Einschreibung verweigerten, die Einweisung in ein KZ angedroht. 1944 beschloß Himmler schließlich, alle, die sich weigerten, den DVL-Ausweis anzunehmen, erschießen zu lassen. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 402. Ebenso BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 114 f. Erläuterungen und Betrachtungen zur Anlage einer Minderheitenkartei, o.D. (vermutlich 1940) o.U., S. 5. BAK R 49/74. Inwiefern diese Minderheitenkartei in entsprechende Überlegungen der Publikationsstelle in Berlin-Dahlem über die Einrichtung einer „Volkstumskartei" einflössen, ist unklar. Siehe BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 185. Erläuterungen und Betrachtungen, S. 6. MARCZEWSKI:

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und Unerwünschten. Staatsrechtlich regelte der bereits erwähnte Erlaß des RKF vom 12. September 1940 die gestaffelte Staatsangehörigkeit. Gleichzeitig wurde die DVL „fllr den inneren Dienstbetrieb" auf vier Gruppen, bezeichnet mit den Ziffern 1-4, erweitert: Zu den „alten" Gruppen, von denen die ersten beiden wie bisher die Reichsbürgerschaft, die dritte die Staatsangehörigkeit bedeutete59, kamen als vierte Gruppe die „Renegaten", definiert als „Deutschstämmige, die politisch im Polentum aufgegangen" seien. Zudem nahm der Erlaß Abschied vom bis dahin aufrechterhaltenen Prinzip der Freiwilligkeit der Antragstellung. Für die Gruppe 4 galt: „Bei denjenigen, die eine Wiedereindeutschung ablehnen, sind sicherheitspolizeiliche Maßnahmen zu ergreifen." Ganz ähnliche Selektionskriterien wurden im Zusammenhang mit der „Rücksiedlung" der „Volksdeutschen" aus dem Osten und Südosten angewandt : Für die Bearbeitung der „Einbürgerungsanträge" der Umsiedler aus dem Osten war die Einwandererzentralstelle (EWZ) zuständig, die zu diesem Zweck die Lager der VoMi im „Altreich" und „in und um Lodsch" nutzte. Die zuvor mit Versprechungen unterschiedlichster Art in den Warthegau gelockten Menschen wurden dort zunächst einmal von „Fliegenden Kommissionen", die die Lager bereisten, selektiert. Nach den im November 1940 erlassenen „Richtlinien für die Sachbearbeitung der Einbürgerungsanträge" Volksdeutscher aus Rumänien, die es in entsprechender Form für die anderen Umsiedlergruppen gab, bestand die „Durchschleusung" seitens der EWZ, die auch für die eigentliche Einbürgerung zuständig war, aus drei „Etappen": Entgegennahme, Begutachtung und Prüfung. Bereits bei der Antragsaufnahme sollten „offensichtliche Widersprüche" auf einer entsprechenden Laufkarte vermerkt werden; die eigentliche Beurteilung der Antragsteller war Aufgabe eines „Volkstumssachverständigen",

Die Unterscheidung zwischen „Staatsangehörigkeit" und „Reichsbürgerschaft" war mit dem Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, einem der „Nürnberger Gesetze", eingeführt worden. Sie diente ursprünglich vor allem dazu, die deutschen Juden, die ja die Staatsangehörigkeit des Deutschen Reiches besaßen, aus dem Staatsvolk ausgliedern zu können, ohne aber den Begriff der Staatsangehörigkeit selbst in Frage stellen zu müssen. Es hieß dort, Staatsangehöriger sei, „wer dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört und ihm dafür besonders verpflichtet ist". Vgl. RGBl. 1935 I, S. 1146; MAJER: „Fremdvölkische" im Dritten Reich, S. 83; DIES.: Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems, bes. S. 170-184; ADAM: Zur Entstehung und Auswirkung. Erlaß des RKF vom 12.9.1940, zit. n. IZDEBSKI: Niemiecka lista narodowa, S. 136-139. Siehe auch WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 112; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 249. Ebenso die Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941, §2, RGBl. 1941,1, S. 118 f. Zur „Rücksiedlung" vgl. SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenie, der die einzelnen Umsiedlungsphasen rekonstruiert hat, und ALY: Endlösung. Aktenvermerk Dr. Sandberger, wie Anm. 13. Siehe auch MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 121, 134, 350-354; WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 27; LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 119. 240

der sich einen Berater aus dem Kreis der Umsiedler wählte. richteten sich nach ähnlichen Kriterien wie die DVL: „Wertungsgruppe Wertungsgruppe „ „ „

Die „Wertungsgruppen"

1: aktiver Kämpfer für das deutsche Volkstum 2: Mitläufer auf deutscher Seite 3: Indefferente [sie!] 4: Mitläufer bei rumänischen Parteien 64 5: aktive Betätigung gegen deutsche Interessen (Renegaten)".

Die „Durchschleusung" war analog zur Selektion der einheimischen Bevölkerung ein mehrstufiges Verfahren, das nach „rassischen", beruflichen, sozialen und politischen Merkmalen unterschied. Dabei hatte sich der Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes Otto Pancke den wichtigsten Teil, die „rassische" Einordnung, gesichert. Die Feinselektion erfolgte, nach Etablierung des Verfahrens, nach den Kürzeln laM/1 bis IV3c. Daneben war die Feststellung der Unbescholtenheit, eine ärztliche Untersuchung sowie eine Einordnung nach dem Berufsbild durch Vertreter der Arbeitsämter vorgesehen. Als Voraussetzung galt, daß die Untersuchten „die deutsche Sprache einwandfrei" beherrschten; nur in Fällen, wo die rein deutsche Abstammung zweifelsfrei feststand, konnte „in geeigneten Fällen über geringe Mängel der Sprache hinweggesehen werden". Die angenommenen Bewerber waren von einer Einordnung nach größtmöglichem Nutzen nicht ausgenommen: Am 3. Januar 1940 forderte Scheve vom „Amt für Balteneinsatz" beim HSSPF Warthe alle Kreishauptleute auf, „genaue Anforderungslisten nach Berufen" aufzustellen und einzureichen. Ahnlich war bei den Umsiedlern aus Rumänien in bestimmten Zweifelsfällen, besonders, „wenn es sich um reine fremde Volkszugehörige handelt, die den Wertungsgruppen I und II angehören und den intellektuellen Berufen zuzurechnen sind", neben dem allgemeinen Eindruck die „berufliche Verwertbarkeit" des Bewerbers zu berücksichtigen. Alle diese Untersuchungen zusammen führten zur Einordnung in drei Gruppen: die „OFälle", die wie ursprünglich vorgesehen in den eingegliederten Ostgebieten angesiedelt werden sollten, die „A-Fälle", die ins „Altreich" kamen und die „G-Fälle", die ins General-

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Richtlinien für die Sachbearbeitung der Einbürgerungsanträge, 7.11.1940, o.U., S. 2 f. BAP 17.02.336. Ebenda, S. 3. BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 174, über Verhandlungen Reches von der onsstelle mit Pancke am 13. November 1939. Ebenda, S. 179. Der Sonderbeauftragte des RMdl bei der EWZ, Richtlinien für die Einbürgerung der Umsiedler aus Bessarabien, Bukowina und Dobrudscha, 7. November 1940, gez. Ministerialrat Buckart. BAP 17.02.336. Rundschreiben an alle Stadt- und Landkreise des Warthegaus, 3.1.1940, gez. Scheve. AGK Amtskommissar Rawitsch-Land 876/172 Bl. 12. Richtlinien für die Sachbearbeitung der Einbürgerungsanträge, S. 6.

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gouvernement abzuschieben waren , wenn nicht durch die Arbeitsämter festgestellt wurde, daß es sich um Ausübende eines „Mangelberufes" handelte. In diesem Falle sollten die Betreffenden in eine „nicht vorübergehende" Arbeitsstelle überwiesen werden. Die Aushändigung eines Ausweises war in diesen Fällen nicht vorgesehen ; manche der bis dahin umworbenen „Volksdeutschen" wurden damit faktisch zu Zwangsarbeitern mit außerordentlich prekärer Rechtssituation. Am 18. Februar 1941 vereinbarten RKF und DUT, auch die „einsatzfähigen Umsiedler mit roten A-Karten" in „unselbständige Arbeitsplätze" zu bringen, ohne Rücksicht darauf, ob „der Umsiedler im Herkunftsland einen selbständigen oder einen unselbständigen Arbeitsplatz hatte". Eine Verpflichtung auf ein Jahr galt als obligatorisch, es sollte aber diesen Leuten parallel möglich bleiben, „sich ein Vermögensob72 jekt auszuwählen und zu erwerben". Hinzu kamen noch S-Fälle, die für eine Ansiedlung 73 nicht geeignet oder vorgesehen waren und an die Gestapo übergeben werden sollten. Gleichzeitig wurden bereits in den Auffang- und Durchgangslagern zumindest bei den Umsiedlungen nach Verträgen mit der Sowjetunion die eintreffenden psychisch Kranken abgetrennt und in Heilanstalten untergebracht, deren polnische Patientinnen und Patienten man vorher erschossen hatte. In einer späteren Phase wurden die so „freigemachten" Anstalten 74 teilweise als Durchgangslager verwendet. Die Anordnung Nr. 17/11 des RKF vom 9. Mai 1940 leitete die flächendeckende Selektion der Teile der polnischen Bevölkerung ein, die sich nicht ausdrücklich als deutsch erklärte. Eine „Auslese der rassisch wertvollsten, nordisch bestimmten Familien" sollte in 75 * ausgewählten Betrieben des Altreichs untergebracht werden. Ein folgendes Rundschreiben vom 3. Juli 1940 regelte das Verfahren für die Betriebsauswahl genauer. Danach war die Selektion Aufgabe der RuS-Führer in der Umwandererzentralstelle. Daneben waren die Höheren SS- und Polizeiführer für die Meldung der Betriebe, die Arbeitsämter gemeinsam mit den RuS-Führern für die Zuweisung der „eindeutschungsfähigen Polen" in die einzelnen Regionen, die Reichsarbeitsverwaltung für den Transport, Betriebsführer und Reichsnährstand für die Unterbringung in Unterkünften, die Inspekteure der Sicherheitspolizei

Ebenda, S. 4. Leiter der EWZ, Anordnung Nr. 103, 2. November 1940, gez. Tschierschky, S. 4. BAP 17.02.336. Besprechung mit SS-Oberführer Hin[t]ze am 18. Februar 1941 betreffend Zusammenarbeit zwischen Reichskommissar und D.U.T. bei dem Einsatz der A-Fälle, 18. Februar 1941, gez. Dr. Kulemann. BAP 17.02.336. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 27; BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 179. SOBCZAK: Hitlerowskie przesiedlenia, S. 228, führt im Zusammenhang mit der Umsiedlung der Deutschen aus dem Generalgouvernement eine Kategorie S-Fälle Städter an. ALY: Endlösung, S. 114 ff., 187-192. Zur Ermordung der Geisteskranken siehe weiter unten. Anordnung 17/11, RKF, 9. Mai 1940, gez. Himmler, S. 1. Diese Anordnung forderte zunächst nur die Benennung geeigneter Betriebe. BAK R 49/73, Bl. 1 f.

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und des SD für die Überwachung zuständig. Eine Einschaltung des Rassenpolitischen Amtes konnte Himmler auf Anraten des RuSHA-Leiters Pancke verhindern; Pancke hatte bemängelt, daß es sich um Leute handle, die „meist einseitig wissenschaftlich ausgebildete Akademiker" ohne praktische Erfahrungen, bezüglich der theoretischen Fundierung den ei77

genen Leuten aber überlegen seien. Möglicherweise wollte sich Pancke wie schon in der Auseinandersetzung mit Darre die Möglichkeit zu einem weniger ideologisch belasteten, pragmatischen Handeln sichern. Daß es ausdrücklich um polnische Familien ging, zeigt nochmals die Anweisung des Chefs des Rassenamtes im RuSHA SS-Brigadefuhrer Hofmann vom 23. Mai 1940, Polen, die im Rahmen des Bevölkerungstausches mit der Sowjetunion an den Übergangsstellen zwischen deutsch und sowjetisch besetztem Polen einträfen, zu untersuchen und „Sippen, die im Sinne der Auslesearbeit bei den evakuierten Stellen als für das Altreich geeignet erscheinen", zu erfassen und an die UWZ Litzmannstadt zu übergeben. Den gleichen Gedanken äußerte ein vertraulicher Bericht des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 5. Juli 1941, in dem nach wie vor von „rassisch wertvollen und eindeutschungsfähigen nichtdeutschen Familien" die Rede war. Zumal im ersten Falle ist offensichtlich, daß die deutschen Bevölkerungsplaner auf niemanden verzichten wollten, der" als „erwünschter Bevölkerungszuwachs" am „deutschen Aufbauwerk" teilnehmen konnte. Mit der 'positiven' Selektion im Sinne einer Auslese Erwünschter korrespondierte eine 'negative' Selektion der Ausmerze: Neben der Feststellung von Personen, die „nach ihrem rassischen Gesamtbild" als „rückdeutschungsfähige Polen" gelten durften, sollten nach dem Abschiebestopp ins Generalgouvernement vom März 1941 auch die festgestellt werden, die „bei Wiederaufnahme der Evakuierungen zuerst ausgesiedelt werden müssen". Gemeint waren neben der jüdischen Bevölkerung „rassisch besonders schlechte..., Asoziale, nicht Arbeitsfähige, Kranke". Im Herbst 1941 versuchte die Umwandererzentralstelle unter Federführung Rolf Heinz Höppners und Hermann Krumeys, in einer Probeerfassung Kriterien für die „Wiedereindeutschung" im Rahmen der DVL zu entwickeln. Die Bewohner des Schreiben RKF an die HSSPF, Vorgang: Einsatz von eindeutschungsfähigen Polen, 3. Juli 1940, gez. Greifelt, S. 3 f. BAK R 49/73, Bl. 3-6. Schreiben Pancke an Himmler, 25. Mai 1940, betr.: Zusammenarbeit mit dem Rassenpolitischen Amt. AGK RuS Lodz 167/1, Bl. 32 f. Stattdessen sollte das RaPo-Amt auf die Schulung „aller Volksteile im „Altreich" und den Ostgebieten" beschränkt bleiben. Der Chef des RuSHA an SS-Untersturmführer Künzel, Amt für Aussiedlung, 23.5.1940. AGK RuS Ùódż 167/1, Bl. 19. Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 5. Juli 1941, gez. Zschitzsch. BAK R 49/73, Bl. 46. In dem Erlaß ging es um die sofortige Aufnahme der Kinder der entsprechenden Familien in deutsche Volksschulen und ihre besondere Förderung. Schreiben o.U. (Höppner) an Greiser, 9.10.41, zit. n. POSPIESZALSKI: Niemiecka lista narodowa, S. 202 f. Im nachfolgend abgedruckten Arbeitsplan für die probeweise Erfassung der Polen im Kreise Wollstein vom 14. Dezember 1941, den offensichtlich Krumey verfaßt hat, findet sich die Formulierung wörtlich wieder. Ebenda, S. 203-206.

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Kreises Wollstein sollten in folgende Gruppen unterteilt werden: 1. WiedereindeutschungsFälle; 2. sofort zu Evakuierende: rassisch besonders Unerwünschte (v.a. „Asiaten"), Asoziale, Arbeitsunfähige, Kranke; 3. den gesamten Rest. Die Ergebnisse dieser Probeerfassung flössen in die Vorbereitungen des Generalplan Ost ein: Ein Exemplar des Berichts Höppners ging an Ehlich im Reichssicherheitshauptamt, der gerade an der verlorengegangenen ersten Fassung arbeitete. Die Aktion erbrachte reiches statistisches Material und die Einordnung der Bevölkerung in vier Gruppen: besonders Geeignete, Geeignete, nicht Geeignete und Ungeeignete „mit außereuropäischem Blutseinschlag". Parallel wurden wiederum „Asoziale", Arbeitsunfähige und unheilbar Kranke erfaßt. Die Erfassung ergab folgende Ergebnisse: Als „eindeutschungsfähig" galten 7,1% der Bewohner in den untersuchten Amtsbezirken der Kreise Wollstein, Schroda (Sroda) und Litzmannstadt Land. Diese Zahl war eine Enttäuschung; man war von einer Gesamtquote von einer halben Million Assimilierbarer - entsprechend mehr als 10% der Bevölkerung ausgegangen, der Prozentsatz für die untersuchten Gebiete wies aber auf eine deutlich niedrigere Zahl. 72,8% waren für die UWZ- und RuSHA-Prüfer „ohne Interesse", 6,5% galten als rassisch gefährlich. 9,5% wurden als „Asoziale" eingestuft. Krumey tröstete sich damit, daß vermutlich „im Nordwesten des Warthegaues ein höherer Hundertsatz Eindeut83 schungsfähiger anfällt". Die als „rückdeutschungsfähig" eingestuften Polen wurden, nach einer Aufnahme durch das Arbeitsamt, die der „rassischen" Beurteilung durch die RuSHAVertreter folgte, entsprechend ihrer Erwerbstätigkeit eingestuft; beide Ergebnisse flössen in die endgültige Beurteilung ein. Die Vertreter des Arbeitsamtes nahmen die Erfassung der 84 Berufe nach der sehr detaillierten Arbeitseinsatzstatistik vor ; der Sinn dieser Erfassung bestand darin, „auf weite Sicht zu disponieren, welche Berufsgruppen und in welcher Zahl entsprechende Arbeitskräfte etwa nach Kriegsende usw. heranzuziehen sind, um die 'Deutschwerdung' des Warthegaus zu erreichen, ohne daß im Aufbau selbst Störungen zu befürchten sind."85 Für die weitere Arbeit hatten die UWZ-Erfasser damit einen „Durchschleusungsvorgang" entwickelt, der die rasche Erfassung und Selektion einer großen Gruppe von Menschen durch mobile Kommandos in relativ kurzer Zeit ermöglichte: Innerhalb von 45 Tagen wa-

UWZ Litzmannstadt, Vorläufiger Abschlußbericht über die Probeerfassung der polnischen Bevölkerung im Warthegau im gesamten Kreise Wollstein und in je einem Amtsbezirk des Kreises Schroda (Amtsbezirk Schroda-Land) und in Litzmannstadt-Land (Amtsbezirk Königsbach), o.D., o.U., wiedergegeben in: Pospieszalski, Niemiecka Lista Narodowa, S. 206-236. Vgl. auch MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 249 ff., 272. Vorläufiger Abschlußbericht, Anlage 3 1 . Ebenda, S. 207. Ebenda, Anlagen 3 4 und 5. Ebenda, S. 209.

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ren 12912 Familien mit 44782 Mitgliedern „durchgeschleust" worden. Das Verfahren blieb für die nächste Zeit verbindlich. Praktisch beteiligt waren neben der UWZ der zuständige Landrat, das RuSHA und das Landesarbeitsamt. Ein Erlaß des Reichsinnenministeriums vom 13. März 1941 regelte das DVL-Verfahren schließlich einheitlich. Darin wurde auch festgelegt, daß die Gruppe 3 neu zu untersuchen war, diesmal durch das Rasse- und Siedlungs-Hauptamt (RuSHA). Dieses dehnte seine 87

Tätigkeit eigenständig auf die Gruppe 4 und unentschiedene Fälle aus. Grundsätzlich sollten, entgegen den ursprünglichen Anordnungen der DVL, nur ganze Familien überprüft werden, da „die Familie ein geschlossenes Glied der Gemeinschaft" sei; tatsächlich wäre das Auseinanderreißen der erwachsenen Familienmitglieder der nachhaltigen „Wiedereindeutschung" in der Regel sicherlich abträglich gewesen. Die Untersuchung ergab in der Gruppe 3 der DVL 1186 „Herde" (Familien), die „rassisch als untragbar" eingestuft wurden und aus der DVL wie aus dem Warthegau zu entfernen waren. Die Aufnahme von „rein polenstämmigen Personen" sei gleichfalls unmöglich; gleichzeitig wurde aber einschränkend bestimmt, daß „Personen, die den für den Warthegau geforderten Deutschstämmigkeitsnachweis nicht erbringen können, die aber in rassischer Hinsicht einen erwünschten Bevölkerungszuwachs darstellen" , auf jeden Fall aufzunehmen seien. Wiederum sollte in Zweifelsfällen neben „dem rassischen Erscheinungsbild die Haltung und Leistung dieser Personen" bewertet werden: „Die Leistung ist ebenso Ausdruck des deutschen Menschen." Am 12. Dezember 1942 bestimmte eine weitere Anordnung Greifelts, daß Einzelpersonen und Familien, die bereits im „Altreich" eingesetzt waren, wieder auszusondern waren, wenn sie erbkrank oder arbeitsunfähig seien oder ihr „innerer Wert nicht der äußerlichen rassischen Wertung entspricht" oder wenn „das geistige Niveau der Kinder weit unter dem Durchschnitt" liege. Den Bewährungscharakter der „Wiedereindeutschung" betonte schließlich auch ein Schreiben des RKF-Mitarbeiters Hintze an den Reichsinnenminister vom 9. Januar 1943, in dem er ausführte: „Die Aufnahme in das Wiedereindeutschungsverfahren ist weder mit einer sofortigen Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit noch mit einer Aufnahme in die deutsche Volksgemeinschaft verbunden. Die wiedereindeutschungsfähigen Personen bleiben Ebenda, S. 210. RuSHA Außenstelle Litzmannstadt, Bericht über die Eignungsuntersuchungen in der DVL im Reichsgau Wartheland, 29. Mai 1942. Vertraulich. AGK RuS Lodz 167/1, Bl. 65-80. In der Akte fehlen die letzten Seiten. Die Paraphe „Dr. Sie" meint, nach S. 4 des Dokumentes, den SS-Oberscharführer und Assessor Dr. Sieder. Bericht über die Eignungsuntersuchungen, S. 11 f. Ebenda, S. 15. Ebenda. Eine treffende Analyse und Bewertung der rassenpsychologischen Selektion, wie sie außer im Rahmen der DVL auch an polnischen Zwangsarbeitern im Reich vorgenommen wurden, bietet HAMANN: Erwünscht und unerwünscht. Schreiben Greifelt an die HSSPF u.a., 12. Dezember 1942, S. 2. BAK R 49/73, Bl. 142-143v. 245

formell zunächst Schutzangehörige des Deutschen Reiches. Sie haben eine Zeit der Bewährung durchzumachen, während welcher sie durch die Höheren SS- und Polizei92 führer genau beobachtet und laufend überprüft werden." Konsequenterweise war dem „erwünschten Bevölkerungszuwachs" bis zum Zeitpunkt der Einbürgerung der Eintritt in die NSDAP oder eine ihrer „Gliederungen" verwehrt. Das Prinzip, Assimilierbare ins „Altreich" zu schaffen, um sie dort in der deutschen Umgebung durch gezielte Steuerung umzuerziehen, wurde hingegen im Frühjahr 1942 im Rahmen der weit ausgreifenden Ostsiedlungspläne des „Generalplan Ost" aufgegeben. Laut der Stellungnahme Wetzeis zum Entwurf des RSHA hatten die Planer „die Tendenz [...], die eindeutschungsfähigen Fremdvölkischen in das Altreich abzuschieben, aufgegeben. Es wird ausdrücklich [...] erwähnt, daß die Fremdvölkischen, die 94 nicht ausgesiedelt werden sollen, im Ostraum als Bevölkerung verbleiben." Dieser taktische Wechsel hing sicherlich damit zusammen, daß bei einer Siedlungsstrategie, die auf mehr als 30 Jahre angelegt war, und für deren Duchsetzung zunächst einmal nicht genug Siedlerfamilien zur Verfügung standen, der Rückgriff auf im deutschen Sinne verwertbare Einheimische zur Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktion unverzichtbar war, zumal wenn eine rasche Aussiedlung der unerwünschten Bevölkerung nicht zum völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch führen sollte.

Die Übertragung der Erfahrungen in den eingegliederten Ostgebieten auf das Generalgouvernement Die im wesentlichen gleichen Selektionskriterien wurden im Generalgouvernement, insbesondere im Distrikt Lublin angewendet. Am 3. August 1942 hatte Krüger den Beginn der Ansiedlung Deutscher in den Kreisen Zamośc und Lublin angekündigt , am 6. Oktober war Himmler in Krakau. Während seines Aufenthaltes ordnete er die Ansiedlung der Bessarabien- und Bosniendeutschen, der Slowenen und Lothringer im Distrikt Lublin an. Die Ansiedlung von 17.000 Menschen sollte noch vor Weihnachten des gleichen Jahres abgeschlossen sein. Dagegen waren Deutsche aus Transnistrien auf Vorschlag Konrad

Schreiben Hintze an den Reichsminister des Inneren, 9.1.1943, S. 2. BAK R 49/73, Bl. 144145v. Ebenda. Stellungnahme und Gedanken zum Generalplan Ost des Reichsführers SS, 27. April 1942, gez. Wetzel, zit. n. MADAJCZYK: Generalny Plan Wschodni, S. 82-110, hier S. 82. Auch wiedergegeben in: OPITZ: Europastrategien, S. 868-894. Auszug aus der Niederschrift der 1. Gouverneursbesprechung am 3. August 1942. AGK NTN 256, Bl. 161 f. 246

Meyers „für die Krim vorgesehen". begonnen.

Damit hatte die Umsetzung des „Generalplan Ost"

Mit der Anordnung Nr. 17/11 vom 12. November 1942 bestimmte Himmler die „Kreishauptmannschaft Zamosc" zum „ersten deutschen Siedlungsbereich im Generalgouvernement", nachdem SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik spätestens seit Frühjahr 1941 auf eine Germanisierung seines Machtbereiches hingearbeitet hatte; der Beginn der Umsiedlungen war bereits Anfang 1942 zwischen Globocnik und Himmler vereinbart worden. Das Gebiet sollte „die neue gesicherte Heimat" für Umsiedler aus Bosnien, der inzwischen besetzten Sowjetunion und aus dem übrigen Generalgouvernement werden, soweit sicherheitspolizeiliche oder wirtschaftliche Notlagen das ratsam machten. Zugleich wurde Globocnik zum Staatssekretär für das Sicherheitswesen ernannt und damit direkt in die den SSPlänen bislang widerspenstige Regierung des Distriktes eingebaut. Für die „Erfassung, Untersuchung und Einbürgerung" der Umsiedler war wiederum die EWZ zuständig, die zu diesem Zweck eine Zweigstelle in Lublin eröffnete. Kurz darauf richtete Krumey eine Zweigstelle der UWZ Litzmannstadt in Zamosc ein, die die Selektion und Umsiedlung der vertriebenen Polinnen und Polen durchzuführen hatte. Die Einordnung der Deportierten erfolgte, wie schon zuvor, nach den RuSHA-,,Wertungsgruppen" I bis IV; die Gruppen I und II sollten zum größeren Teil nach Litzmannstadt zur „Eindeutschung bzw. Feinmusterung" transportiert werden, ein kleinerer Teil war für die „Besetzung der durch Zusammenlegung kleiner und größerer polnischer Betriebe entstehenden sogenannten 'Z-Höfe'" im Gebiet selbst vorgesehen. Darüber hinaus hatte Himmler bereits während seines Besuches in Krakau am 6. Oktober 1942 bestimmt, daß für Kinder bis zu zehn Jahren „sogenannte Kindererziehungslager geschaffen" werden sollten, in denen die ihren Eltern Entrissenen einer „Feinmusterung" unterzogen werden sollten. Das „als wertvoll festgestellte Material" sollte ins Reich deportiert werden. Dem Leiter der RSHA-Abteilung IV B 4 Müller war bei dem Gedanken an eine getrennte Selektion polnischer Kinder nicht recht wohl: In einem Blitzfernschreiben an Himmler vom 31. Oktober 1942 riet er zu einem Verzicht, allerdings weniger aus moralischen Gründen. Die Altersgrenze für Kinder sei heraufzusetzen, „da Kinder unter 14 Jahren nicht in Arbeit in das Altreich vermittelt werden können". Dazu kam die Sorge vor der Stimmung der ausgesiedelten Bevölkerung: „Nach Auffassung aller beteiligten Stellen - wie auch des Höheren SS- und Polizeiführers, SS-Obergruppenführer Krüger, und des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und Fernschreiben Günther, RSHAIV B 4, an Krumey, 6.10.1942, Abschrift vom 10.10.1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159, Bl. 25 f. Siehe Kap. I.I., S. 43 ff. Allgemeine Anordnung Nr. 17 C, 12. November 1942. AGK NTN 255, Bl. 1 f. Ebenda. Blitzfernschreiben Müller, RSHA IV B 4, an Himmler, 31. Oktober 1942, geheim. AGK NTN 255, Bl. 8 f. Über das Schicksal der Gruppen III und IV siehe den übernächsten Abschnitt. Fernschreiben Günther an Krumey, vgl. Anm. 116. 247

des SD - würde eine Überführung der Kinder in Erziehungslager zu einer außerordentlichen Verstärkung des polnischen Widerstandswillens im allgemeinen und zu einer verstärkten Tätigkeit der polnischen Widerstandsbewegung im besonderen fuhren. (Es wird ohnedies nur eine geringe Zahl der Polenkinder, deren Eltern III und IV eingestuft 102 werden, für eindeutschungsfähig befunden werden.)" Müller setzte sich jedoch nicht durch, zumal eine ähnliche Praxis bereits bei der Durchfor103 stung polnischer Waisenhäuser im Warthegau angewendet worden war. Die „E-Prüfer" (Eignungsprüfer), die das Rasse- und Siedlungshauptamt

der UWZ-

Stelle in Zamosc zur Verfügung stellte, sahen sich zusätzlich Schwierigkeiten ganz anderer Art gegenüber: zwischen dem 13. November und dem 5. Dezember 1942 konnten nur insgesamt 3395 Menschen „geschleust" werden, da, wie der „Tätigkeitsbericht Nr. 1" feststellte, „mit Ausnahme des ersten Tages mitunter bis zu 80% der Auszusiedelnden geflohen wa104 ren". Daran änderte sich auch im weiteren Verlauf zunächst nichts wesentliches, auch wenn im vierten Tätigkeitsbericht vom 27. Dezember gemeldet wurde: „Die %zahl [sie!] der Flüchtigen hat sich langsam auf 70 v.H. gesenkt. Dies entspricht früher schon gemachten Erfahrungen, nämlich daß die Bevölkerung der Evakuierung gegenüber langsam gleichgültig wird." Noch im Berichtszeitraum 21. Mai bis 10. Juni 1943 waren die Ergebnisse von „Evakuierung" und „Durschschleusung" eher dürftig. Die „E-Prüfer" erfaßten in diesem Zeitraum an „normalen" Auszusiedelnden gerade einmal 272 Personen. Erst als die Jagd auf „Banditen und banditenfreundliche Bevölkerung" in den Wäldern um Bilgoraj eröffnet wurde, stiegen die Zahlen geradezu sprunghaft an. Zwischen dem 28. Juni und dem 2. Juli wurden 3717 Personen selektiert. Davon wurden fünf in die RuS-Wertungsgruppe II eingestuft, die Restlichen zu j e etwa der Hälfte in die Gruppen III und IV. Eine ausführliche Selektion in

102 103

Blitzfernschreiben Müller an Himmler, 31. Oktober 1942. Zur Selektion polnischer Kinder vgl. LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 85 ff., 182-185. Bruno Wasser führt an, daß allein im Zamoścer Gebiet 4453 Kinder als „wiedereindeutschungsfahig" eingestuft und ins „Altreich" deportiert wurden. Das Schicksal der überwiegenden Mehrheit dieser Kinder ist bis heute ungeklärt. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 137 f., 221. MANKOWSKI: Miedzy Wisla, a Bugiem, S. 327, auf den sich Wasser beruft, spricht sogar von „mindestens 4454 Kindern". Dagegen läßt LILIENTHAL: Lebensborn, die Eindeutschung von Kindern im Zuge der Umsiedlungen in der Zamojszcyzna unerwähnt. Siehe zur Rolle der SSUnterorganisation „Lebensborn e.V." beim Raub und der Verteilung polnischer, tschechischer und slowenischer Kinder LILIENTHAL: Der Lebensborn, S. 207-225.

104 RuS-Stelle Zamosc, Tätigkeitsbericht Nr. 1, 6.12.1942. AGK RuSHA Litzmannstadt 167/48, Bl. 1 f. Dieser und alle folgenden Tätigkeitsberichte sind nicht unterzeichnete Durchschläge; sie wurden vermutlich, wie aus dem Text und einer Paraphe im Tätigkeitsbericht Nr. 24 hervorgeht, von SS-Obersturmführer Rihl gezeichnet.

105 RuS-Stelle Zamosc, Tätigkeitsbericht Nr. 4 Teil I, 27.12.1942. AGK RuSHA Litzmannstadt 167/48, Bl. 2.

248

der Gruppe IV fand nicht mehr statt, alle Betroffenen sollten „nach Schema 'Sauckel' unbesehen zum Arbeitseinsatz in das Altreich überstellt" werden. Stattdessen hatte Krumey, entgegen Bestrebungen der RuS-Prüfer, die diese Unterscheidung komplett aufgeben wollten, angeordnet, daß „Her-Fälle" und „für Sonderaufgaben brauchbare IVer-Fälle" 107 nach wie vor „ausgelesen" werden sollten. Offensichtlich gab Krumey kurz darauf nach: Am Ende des gleichen Monats stellte der Tätigkeitsbericht Nr. 24 fest, daß seit dem 4. Juli nur noch die Wiedereindeutschungsfähigen aus der Masse der Deportierten „ausgesucht und nach Litzmannstadt verbracht" würden. Die Deportationsbilanz hatte sich inzwischen deutlich verbessert: Allein vom 4. bis zum 14. Juli wurden 14165 „Evakuierte" registriert. Insgesamt wurden zwischen dem 4. und dem 26. Juli 28199 Menschen aus ihren Wohnungen und von ihren Höfen getrieben. Davon waren 82 als „Wiedereindeutschungsfähige 108 ausgesucht" worden. Der Anstieg der Erfolgszahlen bedeutete aber kein Nachlassen des polnischen Widerstandes. Die erhöhten Deportationskontingente hatten sich letztendlich nur dadurch erzielen lassen, daß nun, im Zuge der „Bandenbekämpfung", ganze Landstriche mit militärischen Mitteln und ohne Vorwarnung geräumt wurden. Auch die weitere Brutalisierung in der Aktion „Werwolf, in der bald das „Befriedung" genannte Vernichtungsinteresse überwog, rettete die ambitionierte Siedlungsplanung nicht mehr. Noch im Sommer 1943 wurde die Umsiedlung abgebrochen, die angesiedelten Volksdeutschen zu Selbstschutzbataillionen zusammengefaßt. Im Oktober 1943 schlug Greifelt eine interessante neue Variante zur Ansiedlung vor, die Deportationen polnischer Bauernfamilien einstweilen überflüssig werden ließ: Um die angesiedelten „Volksdeutschen" überhaupt im Osten behalten zu können, sollten sie im zu Ostpreußen gerechneten Regierungsbezirk Zichenau gruppenweise auf Gütern angesetzt werden. Später sollte eine Parzellierung zu einzelnen Herdstellen folgen. Ähnliche Versuche hatte man bereits im Sommer 1942 im Warthegau unternommen; sie waren bei den Siedlern, wie aus einer Notiz Suadicanis vom Ansiedlungsstab Litzmannstadt hervorgeht, auf wenig Gegenliebe gestoßen:

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Gemeint ist der 21. März 1942 ernannte Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel. 107 RuS-Stelle Zamosc, Tätigkeitsbericht Nr. 23, 4.8.1943. AGK RuSHA Litzmannstadt 167/48, Bl. 42r/v. 108

RuS-Stelle Zamosc, Tätigkeitsbericht Nr. 24, 20.7.1943. AGK RuSHA Litzmannstadt 167/48, Bl. 44r/v. Der Bericht vermerkt außerdem, daß SS-Rottenführer Laser Rihl ersetzte, da dieser nach Litzmannstadt zurückversetzt wurde.

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LUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 131; WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 95. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 225. Erste „Selbstschutz"-Bataillone wurden bereits kurz nach dem Einmarsch in Polen formiert und zeichneten sich, zumal in den eingegliederten Ostgebieten, durch, zum Teil ohne Befehl ausgeführte Exekutionen von Polen und Juden aus. Vgl. BIRN: HSSPF, S. 166, 186 f., zum Selbstschutz im Distrikt Lublin MANKOWSKI: Miedzy Wisla, a Bugiem, S. 107 f., und JANSEN/WEIBBECKER: Der Volksdeutsche Selbstschutz, S. 177 f. Danach galt insbesondere der Lubliner Selbstschutz als „Mordbande des SS- und Polizeiführers".

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17

„Der Vertreter des Ansiedlungsstabes Prag erklärte, daß man über diese Zeit hinaus die Leute nicht hätte halten können und daß sie vollkommen stur darauf beständen, „ihr Eigenes" haben zu wollen, ohne jede Einsicht, daß der vorübergehende Zustand der gemeinsamen Bewirtschaftung für sie selber von Vorteil wäre." Noch bei der letzten Umsiedlung in den Warthegau, der Evakuierung der Schwarzmeerdeutschen im Januar 1944, die nach der „Zurücklegung der Fronten im Osten" nötig wurde 112 , mochte man auf eine Selektion der Flüchtlinge, deren große Aufgabe als Basis der Germanisierung der Krim sich einstweilen erledigt hatte, nicht verzichten. Da das auch im Reichskommissariat Ukraine eingeführte „Volkslistenverfahren" bei den wenigsten abgeschlossen sei, solle die „Durchschleusung" einschließlich „Entseuchung und röntgenologische Untersuchung", letzteres sicherlich im Zusammenhang mit der Aussonderung Tuberkulosekranker, durch die EWZ „nach deren Ansetzung vorgenommen" werden.113 Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die abgestufte Selektion der gesamten Bevölkerung, sowohl der einheimischen als auch der „Rückwanderer", die zur Ansiedlung in den eingegliederten Ostgebieten angeworben worden waren, das grundlegende Paradigma der deutschen Bevölkerungspolitik darstellte. Neben der „Auslese" assimilierbar erscheinender „Fremdvölkischer" stand die Selektion der Volksdeutschen aus Osteuropa und dem Generalgouvernement. Daß diese Assimilationspolitik gegenüber den Auserwählten als „Wiedereindeutschung" bezeichnet wurde - ein Begriff, der in den internen, als geheim eingestuften Schriftstücken fast überhaupt "nicht auftaucht und durch das eher den Tatsachen entsprechende „Eindeutschung" ersetzt wurde -, muß als Mischung aus Zynismus und dem Zwang zu Euphemismen verstanden werden, wie er allenthalben in der nationalsozialistischen Sprache aufzufinden ist. Ähnliches gilt für die „rassische" Selektion, die, wie gezeigt wurde, im Grunde nichts anderes war als eine Mischung aus der Bewertung der „Le114 benstüchtigkeit", die als alleiniges Merkmal des nordischen Menschen definiert wurde und dem Einfühlungsvermögen der „Eignungsprüfer". Anders ausgedrückt zeigte der Umstand, daß durch Erfolg und selbstbewußtes Auftreten vermittelte Leistungsfähigkeit und Verwertbarkeit in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft zu wesentlichen Kriterien dafür wurden, in welchem Maße die „Rassenideologie" ein Konglomerat von psychologischen und sozioökonomischen Kriterien und von Vorurteilen war. Wie rigide das Leistungskriterium durchgesetzt werden sollte, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß eine „Ausmerze" Untüchtiger auch unter den zum Teil mit großem Pomp empfangenen „Rücksied-

Vermerk Suadicani, 12. Mai 1942, S. 3. BAK R 49 Anh. 1/35. Anordnung Greisers vom 11. Januar 1944, S. 1. BAK R 49 Anh. 1/10, Bl. 1-5. Anordnung Greiser vom 17. Januar 1944. BAK R 49 Anh. 1/10, Bl. 15-16. Diese Einsicht widerspricht dem rassistischen Charakter des nationalsozialistischen Staates keineswegs: Die höhere Leistungsfähigkeit des „höherstehenden Blutes" galt als ausgemacht, so daß umgekehrt die Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft Indikator für die rassistische Einordnung abgeben konnte. Das gleiche galt in Bezug auf die Beurteilung des „Erbwertes" bei Angehörigen des eigenen Volkes. Es wird hierauf noch zurückzukommen sein. 250

lern" stattfand. An dieser Stelle ist auf die oben erwähnte These von der „Endlösung der sozialen Frage" hinzuweisen, die vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Praxis im Rahmen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" und der Kranken115

morde in der „Aktion T4" entwickelt und diskutiert wurde. Übertragen auf den Bereich der vorliegenden Studie ließe sich formulieren, daß die Germanisierung der annektierten polnischen Gebiete in einer Weise betrieben werden sollte, die die spätere Ausmerze „Untüchtiger" von vornherein überflüssig machte, indem nur die als ausreichend leistungsfähig Beurteilten überhaupt in die Gruppe der Erwünschten aufgenommen wurden. Diesem Konzept widersprach vor allem, daß ein Großteil der bereits vorhandenen Bevölkerung, also Polen und Juden, zunächst zu entfernen waren. Die Konsequenzen werden im folgenden Abschnitt besprochen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, daß zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmaß alle Gebietspotentaten den Grundsatz der Freiwilligkeit gegenüber denen aufgaben, deren Wert für die Volksgemeinschaft erwiesen oder zu vermuten war: In den Gauen Danzig-Westpreußen und Schlesien wurde Zwang ausgeübt, um ganze Gruppen von Polen in die Deutsche Volksliste zu bringen, im Warthegau und in Ostpreußen wenigstens in Einzelfällen. Darüber hinaus sollten, im Zuge der Dekomposition der polnischen Bevölkerung, verschiedene Bevölkerungsgruppen, wie etwa die „Wasserpolen", „Schlonsaken" und Kaschuben, als privilegierte und zur Eindeutschung ausgewiesene Minderheiten herausgetrennt werden. Es gab also unterschiedliche Motivationen für die persönliche Entscheidung, sich in die DVL einschreiben zu lassen. Dieser Schritt konnte aus dem Bewußtsein kultureller Identität oder aus dem Wunsch heraus erfolgen, lieber der privilegierten Schicht anzugehören als dem „Untermenschentum". Andere beantragten aus dem nachvollziehbaren Interesse heraus, auf dem eigenen Besitz oder in der angestammten Heimat bleiben zu können, die Aufnahme in die DVL. Hinzu kamen solche, die zwangsweise eingeschrieben wurden. Nicht zuletzt die Unterschiedlichkeit dieser Motivationen hatte weitreichende Folgen für die Politik der polnischen Nachkriegsregierung.

Die These von der „Endlösung der sozialen Frage"; ROTH: Das Leben an seinen Rändern. Siehe auch oben Kap. II. 1., S. 79-83. DÖRNER:

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b. „...war kein und wird kein ethnisch einheitlicher Staat sein" Konzepte für die Zusammensetzung der Staatsnation in Exil und Widerstand Die „Beseitigung der Folgen der Deutschen Volksliste" beschäftigte bereits zu einem frühen Zeitpunkt wissenschaftliche Institutionen und Behörden und führte in der behördlichen Praxis zum Verfahren der „Rehabilitierung" derer, die glaubhaft machen konnten oder soll2 ten, daß sie zwangsweise in die DVL eingeschrieben worden waren. Die Frage des Umganges mit polnischen Staatsangehörigen, die freiwillig oder zwangsweise zu den Erwünschten gerechnet worden waren - und sich damit mehr oder weniger eindeutig des „Verrats" an ihrer Zugehörigkeit zum polnischen Staat schuldig gemacht hatten -, betraf aber zunächst ausschließlich Gebiete, die vor 1939 bereits polnisch gewesen waren. Darüber hinaus aber stellte sich die Frage, wie denn mit der - von deutschen wie polnischen Bevölkerungsplanern - teilweise als ethnisch polnisch betrachteten Bevölkerung der ehemaligen preußischen Ostprovinzen und mit Kaschuben und Masuren zu verfahren sei. Hinzu kamen weitere Probleme im weltweiten Maßstab. Die Umsiedlungs- und Deportationspolitik des nationalsozialistischen Deutschland hatte zur Dislokation von weit über 20 Millionen Menschen geführt, denen nach dem Krieg die Rückkehr in die Heimat ermöglicht werden mußte; dieses Problem beschäftigte einige der späteren Alliierten bereits 1939. 1943 wurde unter anderem für die organisierte Repatriierung der „displaced persons" die United Nations Relief and Reconstruction Administration (UNRRA) gegründet, der mit Jan Kwapinski auch ein Vertreter der polnischen Exilregierung angehörte. Wie schon im Falle des Einverständnisses der Westalliierten zur Übernahme der Wiedergewonnenen Gebiete bewirkte die Etablierung des Polnischen Komitees der nationalen Befreiung (PKWN) auch in der Frage der Repatriierung polnischer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus dem Westen eine Abkühlung auf Seiten der UNRRA, zumal Exilkreise auf einen Stop der Repatriierung drängten. Exil und Untergrund im Lande hielten, dies wurde bereits ausgeführt, bis kurz vor Kriegsende an der Zugehörigkeit der am 17. September 1939 von der UdSSR besetzten Gebiete zu Polen fest. Noch im Juni 1944 stellte der Nationalitätenrat (Rada Narodowosciowa) der Delegatura fest:

So der Titel eines Aufsatzes von BODA-KREZEL: Likwidacja skutków niemieckiej listy narodowej. Siehe dazu weiter unten, S. 295-310. Vgl. zu diesem Aspekt, der hier nicht weiter ausgeführt werden kann, KERSTEN: Repatriacja, S. 67-89. Vgl. oben Kap. LI., S. 78 ff. KERSTEN: Repatriacja, S. 85. 252

„Polen war kein und wird kein ethnisch (narodowościowo) einheitlicher Staat sein." Das bedeutete, daß Nachkriegspolen in Exil und Widerstand wiederum als Vielvölkerstaat gedacht wurde. Diese Grundforderung warf die Frage nach der Organisierung des Zusammenlebens der unterschiedlichen Ethnien auf. Wie aber bereits Sikorski angedeutet hatte, sollte diesmal den Polen eindeutig die Rolle des kulturell und politisch führenden Staatsvolkes gesichert werden. In einem vermutlich relativ früh zu datierenden Thesenpapier zum „östlichen Kleinpolen" stellten die vier Parteien, die den Untergrund maßgeblich trugen, ihre Positionen zur ukrainischen Frage vor. Die Gebiete, die am 17. September 1939 von der Roten Armee besetzt worden waren, seien „eine unentbehrliche Vervollständigung im Hinblick auf die Erdölindustrie, die potentiellen Energiequellen der karpatischen Flüsse und die landwirtschaftliche Produktion". Darüber hinaus gehöre „die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung des östlichen Kleinpolen [...] im Gegensatz zur UdSSR zur westeuropäischen zivilisatorischen Gemeinschaft infolge der jahrhundertelangen gemeinsamen historischen Entwicklung." Das einzige Argument der Gegner, so die vier Parteien, bestehe im „sog. ukrainischen Problem". Tatsächlich habe sich, in einem historischen Prozeß, der Parallelen auf der ganzen Welt finde, ein ukrainischer, meist „entschieden antipolnischer" Nationalismus herausgebildet, der nach einem eigenen, unabhängigen Staat strebe. Klar war zunächst einmal - und dies galt für alle beteiligten Gruppen - daß es nicht mehr, wie noch zu Zeiten der Zweiten Republik, Absprachen und Abkommen zwischen Regierung und Minderheiten geben würde; auch eine Autonomie der Ukrainer in Galizien war ausgeschlossen. Die Position des

Problem Narodowosciowy. Tezy gùówne, o.D. AAN ALP 202/XVI-3, Bl. 22. Die Urheberschaft und die Datierung ergeben sich aus Erwähnungen entsprechender Referate und Thesen für den Nationalitätenrat der Regierung der Nationalen Einheit (Rzad Jednosci Narodowej, RJN), der im Januar 1944 eingerichtet wurde. Darüber hinaus wird in der Quelle „das Fiasko mit den Abteilungen Plechavicius'" als kurz zuvor stattgefunden erwähnt. Laut MADAJCZYK: Faszyzm i okupacje, Bd. 2, S. 346, 351, war Pawel Plechavicius ein litauischer Kollaborateur, der später auf die Seite der deutschen Gegner überging. BRZOZOWSKI: Litwa-Wilno, S. 89 ff.: Gen. Pawel Plechaviöius übernahm Mitte 1943 das Kommando über 15000 litauische Soldaten, die das Terrain von polnischen Partisanen säubern sollten. Im Juni 1944 wurden die Truppen in die Wilnaer Region gebracht; sie erlitten eine katastrophale Niederlage gegen die Partisanen. Es folgte die Auflösung der Abteilungen durch die Deutschen. Vgl. Kap. 1.1., S. 47-54. Die sogenannten Lemberger Vier (Czwórka Lwowska) bestanden aus der Polnischen Sozialistischen Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS), der Bauernpartei (Stronnictwo Ludowe, SL), den Nationalisten (Stronnnictwo Narodowe, SN) und der „Partei der Arbeit", einer Abspaltung der Christdemokraten (Stronnictwo Pracy, SP). Auf eine relativ frühe Datierung weist der Umstand, daß es sich um ein Diskussionspapier handelt, in dem der Abgleich der Positionen der einzelnen Parteien noch nicht stattgefunden hatte. Thesen zum östlichen Kleinpolen seitens einer Kommission der vier großen Parteien, o.T., o.D., AAN ALP Delegatura 202/11-70, Bl. 26-30, hier Bl. 27. 253

Untergrundes im Lande entsprach insoweit dem, was Sikorski vor dem Jüdischen Weltkongreß erörtert hatte. Man war sich einig, daß alle „Bürger des polnischen Staates, die zu seinem Schaden gewirkt haben, Morde und Raub begangen haben, zu Pogromen gegen die polnische Bevölkerung aufgerufen, unmittelbar oder mittelbar die Besatzer begünstigt oder ihnen geholfen haben" , nach dem Krieg „innerhalb möglichst kurzer Zeit" und „mit aller Schärfe" zur Verantwortung zu ziehen seien. Klar war außerdem, daß der Teil der Bevölkerung, der nicht bereit sein würde, sich polonisieren zu lassen, möglichst aus dem Land zu entfernen sei. Uneinigkeit herrschte lediglich über die Art dieser Entfernung: Während National- und Christdemokraten im Hinblick auf die Notwendigkeit guter Beziehungen zur Sowjetunion vorschlugen, entweder mit ihr oder einer noch einzurichtenden unabhängigen Ukraine Verträge über die Zwangsaussiedlung der gesamten ukrainischen Bevölkerung und Repatriierung der Polen aus den Gebieten dort abzuschließen, wollten Sozialisten und Bauernpartei die Ukrainer lieber vor die Alternative Polonisierung oder freiwillige Ausreise stellen. Es war in diesem Falle nicht nur reine Menschenfreundlichkeit, die Sozialisten und Bauernpartei zum Postulat der Freiwilligkeit trieb, sondern die Ansicht, Zwangsparolen seien ein Argument für die Sowjetunion zur Annexion der betreffenden Gebiete und führten nur zu bewaffnetem Widerstand; Vertragsumsiedlungen kämen allenfalls bei einem Kompromiß 12 über die künftige Ostgrenze in Frage. Interessant ist weiter, wie sich die Rechte innerhalb der Delegatura eine Lösung des „ukrainischen Problems" für den Fall vorstellte, daß ein Vertrag mit der Ukraine oder der Sowjetunion nicht zustande komme: „In dem Falle, daß der Abschluß eines polnisch-russischen Vertrages über den Bevölkerungsaustausch nicht möglich ist oder keine ausreichenden Resultate bringt, sollte die polnische Politik innerhalb eines möglichst kurzen Zeitraums zu einem solchen zahlenmäßigen Verhältnis der polnischen Bevölkerung zur nichtpolnischen auf dem gesamten Territorium der südöstlichen] Gebiete führen, daß in bestirnten Wojewodschaften, Kreisen und Gemeinden das polnische Element wenigstens 75% der Gesamtheit der Bevölkerung ausmacht, und zwar durch: a/ Umsiedlung der nichtpolnischen, besonders der ukrainischen ländlichen Bevölkerung in Gebiete des mittleren und westlichen Polen sowie dort die planmäßige Verteilung mit dem Ziele der Vergrößerung der Höfe (upelnorolnienie) der Kleinbauern und der Beschäftigung der Landlosen; b/ Umsiedlung und planvolle Verteilung der nichtpolnischen, besonders der ukrainischen städtischen Bevölkerung in Städten, Kleinstädten und Industriegebieten des mittleren und westlichen Polen und ihre Beschäftigung gemäß ihren Berufen;

Thesen Zum östlichen Kleinpolen, Bl. 28. Ebenda, Bl. 29 f. Ebenda, Bl. 30. 254

c/ Unterstützung der Emigration der ukrainischen Bevölkerung außerhalb der Grenzen Polens mit der Einschränkung, daß die polnische Politik sich einer geschlossenen ukrainischen Ansiedlung auf dem Gebiete der Tschechei entgegenstellen sollte, mit dem Ziel, die Möglichkeit einer Irredenta zu vermeiden; dl eine planvolle und in jeder Hinsicht zielgerichtete polnische Kolonisierung der südöstlichen] Gebiete und im Besonderen durch Ansiedlung der kleinbäuerlichen und landlosen polnischen ländlichen Bevölkerung aus den westlichen und zentralen Wojewodschaften auf dem Land, das von der umgesiedelten nichtpolnischen Bevölkerung verlassen wurde sowie aus der aus Gründen nationaler und staatlicher Natur gerechtfer13 tigten Parzellierung des Großgrundbesitzes." Die Grundlinien der hier vorgeschlagenen Politik sind oben schon mehrfach erwähnt worden: Da man auf die ukrainische Bevölkerung, soweit sie sich nicht durch ihr Verhalten während der Okkupation schuldig gemacht hatte, zur Auffüllung des Staatsvolkes nicht verzichten wollte, eine Autonomie oder gar Eigenstaatlichkeit dieser Menschen überhaupt nicht in Frage kam, sollte das Problem der endgültigen Eingliederung durch Zwangsumsiedlung gelöst werden. Es liegt auf der Hand, daß die Umsiedlung in polnisch besiedelte Zentral- und Westwojewodschaften der Assimilierung der Ukrainer in polnischer Umgebung dienen sollte. Es ist zwar nicht ausdrücklich von einer Einschränkung der Freizügigkeit die Rede, sie war aber, zumindest auf Zeit, eine Voraussetzung dieses Programms. Gleichzeitig war die Zwangsumsiedlung als Terrainbereinigung für eine umfassende Sanierung der Agrarstruktur vorgesehen. Ein wichtiger Unterschied etwa zur „Wiedereindeutschung" lag jedoch darin, daß eine Selektion der betroffenen Bevölkerung nach Eignung zur Polonisierung - zumindest zu diesem Zeitpunkt - nicht vorgesehen war. Diese mußte schon deshalb als unangebracht gelten, weil man in den Ukrainern „slawische Brüder" sehen wollte. Die Sozialisten und vermutlich auch die Bauernpartei wollten von derlei Bereinigungsstrategien zu diesem Zeitpunkt nichts wissen: Nach ihrem Vorschlag sollte der polnische Staat allen Ukrainern „die Gesamtheit der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bürgerrechte sichern", ihnen sollte wie allen anderen Staatsangehörigen „volle Beteiligung an den Vorteilen, die aus der Agrarreform und der Industrialisierung folgen", garantiert werden. Es bleibt anzumerken, daß es in der Delegatura Stimmen gab, die anmahnten, daß man an der antipolnischen Haltung der Ukrainer selbst schuld sei: In einem Thesenpapier aus dem Politischen Verständigungskomitee (Polityczny Komitet Porozumiewawczy, PKP), dem die vier großen Parteien angehörten, hieß es Anfang 1942 oder 1943, daß Polen seine Verpflichtung vom 15. März 1923, eine Selbstverwaltung in Ostgalizien einzurichten, nicht erfüllt habe. Man habe deutsche Schulen zugelassen, ukrainische aber in utraquistische

Ebenda, Bl. 30 f. Ebenda, Bl. 31. 255

umgewandelt. Auch ein weiteres Papier aus dem Ostbüro (ßiuro Wschodnie) ließ Einsicht erkennen: Nicht umsonst habe man der katholischen Kirche freie Hand gelassen bei der Umwandlung ukrainischer in utraquistische Schulen, nicht umsonst sei man auch staatlicherseits scharf gegen ukrainische kulturelle und religiöse Autonomie vorgegangen. Überhaupt seien nationale Antagonismen Ausdruck des „Kampfes ums Dasein"; es reiche aus, die ökonomischen Bedingungen der betroffenen Gebiete zu verbessern und so die Grundlage für eine Annäherung zu schaffen. Gleichwohl waren auch in diesem Papier Umsiedlungen vorgesehen: Die Landwirtschaft sollte auf „neuzeitliches, westeuropäisches Niveau" gehoben werden, was wiederum eine Einbindung der „überflüssigen Arbeitskräfte (zbędnych rąk do pracy)", also eine Bereinigung der ländlichen Überbevölkerung bedeutete. Die ermordete jüdische Bevölkerung, die vor allem in den Städten gelebt hatte, sollte „durch die Zuführung des polnischen Elementes" ersetzt werden - was umgekehrt bedeutete, daß man die ukrainische Bevölkerung aus den gleichen Städten lieber heraushalten wollte. Um das Gebiet „untrennbar" mit Polen zu verbinden, müsse man, trotz aller Rhetorik vom Verständnis für die antipolnische Haltung der Ukrainer, „auf die Erreichung des maximalen Prozentsatzes an für den Staat sicherer, also polnischer Bevölkerung im Östlichen] Kleinp[olen] zielen. Ideal wäre das Erreichen von 50% Polen, wir müssen wenigstens zum Erreichen von 35-40% streben, weil schon ein 17 solcher Prozentsatz den weiteren Assimilierungsprozeß deutlich erleichtern wird." Das scheint zu bedeuten, daß man im Ostbüro auf die eigene, kulturelle und zivilisatorische Superiorität zählte: Schon ein wahrnehmbarer, leicht minoritärer Anteil an zivilisierter polnischer Bevölkerung wäre geeignet, die anscheinend als zurückgeblieben angesehene ukrainische Bevölkerung zu majorisieren und zu assimilieren. Dazu paßte, daß die Sowjetunion im Grunde als asiatische - mit pejorativem Beigeschmack - Diktatur begriffen wurde. Eine gewisse Ähnlichkeit mit deutschen Vorstellungen vom germanischen Kulturträgertum im Osten liegt auf der Hand: Offensichtlich hatten auch die Intellektuellen im Untergrund das Modell eines Kulturgefälles von West nach Ost gleichzeitig mit „Vormauer"Mythen aus der Zeit des osmanischen Einfalles in Europa, vor allem aber den polnischrussischen bzw. polnisch-sowjetischen Gegensatz seit Ende des 18. Jahrhunderts verinner-

Thesenpapier, o.T., Marginalie PKP 15.11. AAN ALP 202/III-202, Bl. 69 f. Die Erwähnung einer möglichen Grenze an der Oder und des deutschen Protektorats über die Ukraine verweisen auf ein Datum nach Sommer 1941. Das Papier wird aber vermutlich nicht später als 1943 entstanden sein, weil der PKP im März 1943 umbenannt wurde. Ogólny zarys projektu odbudowy Ziemi Czerwienskiej. AAN ALP 202/IH-202, Bl. 121-127. Laut TORZECKI: Polska mysl polityczna, S. 374, ist vermutlich Dr. Wladyslaw Swirski, ein einflußreicher Lemberger Intellektueller, Autor dieser Studie. Torzecki bietet insgesamt eine gute Zusammenfassung der Konzeptionen in Exil und Untergrund, unterschlägt aber viele weniger erfreuliche Details wie etwa die oben erwähnten Vorschläge zur Zwangsumsiedlung und Zwangspolonisierung. Ogólny zarys, S. 6. 256

licht. Anklänge an eine polnische Mission im Osten sind sicherlich vorhanden, wenn sie auch nicht jene brutalen Formen annahmen wie im täglich erlebten Besatzungsregime. Die vorgeschlagenen Mittel wurden bereits im vorigen Kapitel erwähnt: „Verschiebung des Bevölkerungsüberschusses" in andere Gebiete „im Sinne eines gesamtstaatlichen Wirtschafts- und Bevölkerungsverteilungsplanes", „Entfernung illoyaler Elemente auf der Grundlage von Gerichtsurteilen für Verbrechen gegen den Staat und seine Bürger", „Rewindikation gestohlener Seelen", d.h. Repolonisierung linierter bzw. griechisch-katholischer Polen, Verhinderung der Abwanderung von Polen nach dem Westen bei gleichzeitiger Förderung der Auswanderung der Minderheiten. Dementsprechend sollten die ersten Aufgaben der Territorialbehörden die „Normierung des Lebens des Gebietes im Bereich der Sicherheit, der Bevölkerungsveränderungen [...] unter dem Blickwinkel der vorher erwähnten Bedürfnisse des Staates" sein sowie die „Stärkung des Besitzstandes des polnischen Elementes". Ein weiterer, ebenfalls ungenannter Autor ging in seinen Schlußfolgerungen noch weiter. Eine Studie vom Sommer 1943 zum „Ostproblem in der polnischen Politik" formulierte eine Expansion Polens sowohl in Richtung auf das Baltikum als auch auf das Schwarze Meer - und damit eine Restitution des polnischen Staates „in seinen eigentlichen Grenzen" aus dem 18. Jahrhundert. Nur so sei es möglich, daß Polen „die führende Rolle in Mitteleuropa" spiele. Gleichzeitig schlug die Studie, die sicherlich aus dem äußersten rechten Winkel der Nationalen Partei (Stronnictwo Narodowe, SN) stammt, eine Umsiedlung größerer Bevölkerungsteile in erster Linie im Sinne einer ethnischen Homogenisierung vor: „Das endgültige Ziel dieser Politik muß die Deckung der politischen Grenzen des Staates mit den Grenzen der Mehrheit der polnischen Bevölkerung sein. Wir denken nicht, daß das im 20. Jahrhundert unmöglich wäre, obwohl zweifellos der Prozeß der Polonisierung schwieriger sein würde, als dies im 18. oder 19. Jahrhundert der Fall war. Eine entsprechende Umsiedlungs-, Kultur-, Schul-, Militär- und Wirtschaftspolitik jedoch, die dieses Element mit dem polnischen Staat, seiner Kultur und Zivilisation verbindet, muß Resultate bringen, aber nur, wenn wir nicht experimentieren wie in den Jahren 1920-1939."19 Die hier formulierte Position hat sich innerhalb der Delegatura nicht durchsetzen können; sie ist aber, als konsequente Fortsetzung der oben skizzierten Konzeptionen und als weiteste - bewußte oder unbewußte - Annäherung an das nationalsozialistische Konzept der „Bereinigung der Volkstumsgrenzen" interessant: Die Studie geht von einem ethnisch weitgehend homogenen Staatsvolk aus, das sich, um Stärke und Sicherheit gegenüber den beiden mächtigen Nachbarn zu gewinnen, ausdehnen müsse, da es sonst „in der historiEbenda, S. 6 f. Problem wschodni w polityce polskiej /pisane w bvietniu 1942 r. poprawione latent 1943 r./, S. 27 f. AAN ALP 202/III-202 Bl. 227-238. Die Zuordnung zur Stronnictwo Narodowe ergibt sich aus der Berufung auf Roman Dmowski, den Gründer und Cheftheoretiker der Nationaldemokratie vor dem Krieg.

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sehen Perspektive zur Rolle eines kleinen Volkes" verdammt sei. Eine Assimilierung nicht näher bestimmter Teile der nichtpolnischen Bevölkerung war vorgesehen, eine wie auch immer geartete Aussonderung Nichtassimilierbarer und Unerwünschter unausgesprochene Voraussetzung. Auch in dieser Studie ist ausdrücklich von einer „Polonisierung unserer 20 südöstlichen Gebiete" die Rede, nicht der Bewohner. 21 Die am 6. Juni 1944 verabschiedeten Resolutionen des Nationalitätenrates waren vor dem Hintergrund der hier skizzierten Bevölkerungspolitik, die zwangsweise Bevölkerungsverschiebungen sowohl als Motor einer Modernisierung der Landwirtschaft als auch im Dienste einer Aufhebung der Minderheitenproblematik vorsah, nicht zufällig streng vertraulich. Dies galt um so mehr, als auch gegenüber anderen ethnischen Gruppen, die sich aus Sicht der Polen während der Okkupation nicht gerade mit Ruhm bedeckt hatten, eine harte Gangart vorgesehen war. Ein internes Thesenpapier vom Mai 1944 verlangte, die Litauer in ihr „Stammgebiet" um Kaunas/Memel abzuschieben, diesem Territorium aber nicht sofortige Unabhängigkeit zuzugestehen. Gedacht war an ein kulturell autonomes Gebiet unter polnischer Kuratel: „Litauen kann auch nicht die volle und sofortige Souveränität zurückerhalten. Das Verhalten des litauischen Volkes in der Zeit der Okkupation, das völlige Fehlen irgendeines Gefühls für die eigene historische Rolle, der extreme Opportunismus und die [unleserlich] der Politik, sich mit den Deutschen zu solidarisieren, das Verhalten gegenüber Polen und Juden beweisen die völlige Unreife [dieses] Volkes zu eigenständiger Existenz, die nur eine ständige [Quelle] unablässiger Unruhe in diesem Teil Europas wä«22 re. Stattdessen sei eine gründliche Umerziehung wie bei den Deutschen erforderlich. Auch nach der Verleihung der Unabhängigkeit müsse Polen zum eigenen Schutz Einfluß auf die litauische Außenpolitik behalten. Diese Position war innerhalb der Delegatura und der Regierung der Nationalen Einheit sicherlich nicht minoritär, konnte sich aber angesichts der

Problem wschodni w polityce polskiej, S. 28. Der Nationalitätenrat (Rada Narodowosciowa) wird in der bislang erschienenen Literatur über den polnischen Untergrundstaat nicht erwähnt; einzige Ausnahme ist die bereits mehrfach zitierte neuere, im Stile einer Behördengeschichte gehaltene Darstellung von GRABOWSKI: Delegatura, S. 126, der die Existenz des Rates und einige seiner Mitglieder erwähnt. Auch in der vorliegenden Arbeit ist eine vollständige Rekonstruktion nicht möglich, nicht zuletzt, weil sich die aufgefundenen Akten aus dieser Institution dadurch auszeichnen, daß sie in aller Regel kein Datum tragen und - wenn überhaupt - mit Pseudonymen und Kryptonymen unterzeichnet sind, die in keinem der einschlägigen Hilfsmittel aufgeklärt oder wenigstens verzeichnet sind. Selbst nach dem Kompendium Grabowskis ist eine Aufklärung nicht möglich, da er ebenfalls nur drei Kryptonyme zuordnet. Auch das auf acht Bände angelegte Werk von KUNERT: Slownik biograficzny, muß, wegen seiner Unvollständigkeit und seiner Eingrenzung auf Warschau, meist den Dienst versagen. Tezy w sprawie litewskiej na Rade Narodowosciową. Streng vertraulich, o.D. (Vermutlich Juni 1944). AAN ALP 202/XVI-3, Bl. 23 f. 258

weltpolitischen Lage nicht mehr durchsetzen: Der sich abzeichnende Konflikt mit der Sowjetunion über den Besitz der ostpolnischen Gebiete machte die Suche nach Bündnispartnern erforderlich. In den auf einer Sitzung des Nationalitätenrates am 9. Juni 1944 angenommenen Thesen zum „Nationalitätenproblem" wurde einerseits betont, daß „das polnische Volk (naród) alle historische, politische, kulturelle und moralische Berechtigung hat, die neue politische Idee" zur Schaffung eines „starken politischen Organismus" im Bereich „unseres Lebensraumes" und zur Gestaltung der Beziehungen der verschiedenen Völker 23 untereinander „auszuarbeiten, zu verkünden und zu realisieren". Eine zur gleichen Zeit 24 25 verabschiedete Resolution, deren Text am 26. Mai 1944 „Rawicki" an „Doùęga" und „Muszynski" übersandte, wies demgegenüber auf aktuell nötige Vorsichten hin: „Das litauische, weißrussische und ukrainische Volk {naród) sind natürliche Verbündete Polens in seinem Konflikt mit Rußland. Diese höhere Wahrheit sollte die Gesamtheit der polnischen Politik in Bezug auf diese Völker beseelen. Man muß durch eine entsprechende Politik alles zerbrechen, was uns von diesen Völkern trennt." Das bedeutete aber nicht, daß die oben zitierten Positionen aus dem Biuro Wschodnie minoritär gewesen wären. Das Ergebnisprotokoll „Rawickis" wies ausdrücklich aus, daß „meiner Meinung nach in der ersten Phase der Propaganda die Warnungen" an die Adresse der Litauer „keinen amtlichen Charakter tragen sollten, weil nicht bekannt ist, welchen Wi28 •• derhall sie in der litauischen Gesellschaft finden werden". Äußerungen über das „natürliche" Band zwischen Litauern, Weißrussen, Ukrainern und Polen sind damit eher veränderten tagespolitischen Paradigmen, in diesem Fall der Suche nach Bündnispartnern gegen die Sowjetunion, als einem tatsächlichen Paradigmenwechsel in der Nationalitätenpolitik zuzuschreiben. Zudem traf die Unterstützung der Eigenstaatlichkeit der genannten Völker noch keine Entscheidung über den Umgang mit den Minderheiten im Lande, zumal ja die Option auf die Ostgrenze von 1921 - und damit auf eine nach Millionen zählende nichtpolnische Bevölkerung - weiter aufrechterhalten wurde. 23 24

Problem narodowosciowy. Tezy glówne, o.U., o.D. (Mai 1944). AAN ALP 202/XVI-3, Bl. 22. Pseudonym von Piotr Jarocki, der stellvertretender Leiter des Ostbüros der Delegatura und im Herbst 1943 Leiter der Ostsektion des Departements für Information und Presse war. GRABOWSKI: Delegatura, S. 61, 105.

25

Pseudonym von Stanislaw Kauzik. KORBONSKI: W imieniu, S. 51. Kauzik leitete das Departament Informacji i Prasy in der Delegatura; er gehörte der Stronnictwo Pracy an und galt als „graue Eminenz" innerhalb des Untergrundstaates. MAZUR: Biuro Informacji, S. 39. Ebenso FRISZKE: O ksztaùt niepodleglej, S. 513 f. 26 Pseudonym von Leopold Rutowski. GRABOWSKI: Delegatura, passim. Rutowski war Leiter des Departements für Inneres. 27 Problem narodowosciowy w Polsce na tle zagadnieh polityki wschodniej. Projekt rezolucji. Zwei Begleitvermerke von „Rawicki" tragen das Datum 26.5.(1944). AAN ALP 202/XVI-3, Bl. 15. 28 Ergebnisprotokoll über die Sitzung der Rada Narodowosciowa am 9. Juni 1944, gez. „Rawicki". AAN ALP 202/XVI-3, Bl. 16. 259

Die Delegatura hatte sich - nach der Überlieferung zu urteilen - mit noch größerer Intensität der Frage der ethnischen Struktur in den westlichen und nördlichen Gebiete zugewandt, die dem polnischen Nachkriegsterritorium einverleibt werden sollten. Die bereits erwähnten Denkschriften und Analysen29 versuchten, alle wesentlichen demographischen, kulturellen, historischen und wirtschaftlichen Aspekte zu behandeln und sowohl Material für die Übernahme der geforderten Gebiete als auch Begründungen für Polens Anspruch darauf zu liefern. Vor allem habe die Erfahrung des Krieges gezeigt, daß „in der Organisation des Staates das Rechnen auf ein friedliches internationales Zu30 sammenleben nicht die Oberhand gewinnen darf'. Während aber die Frage der Politik gegenüber den im Osten lebenden Minderheiten Differenzen auslöste, vor allem in der Frage, ob und wie sie mehr oder weniger weitgehend assimiliert oder ausgesiedelt werden sollten, war man sich in der Frage des Schicksals der deutschen Bevölkerung völlig einig: Sie war sowohl aus Polen als auch aus den über das 31 polnische Vorkriegterritorium hinaus beanspruchten Gebieten restlos auszusiedeln. Gleichzeitig stand aber außer Frage, daß sich unter den im Westen und Norden lebenden Menschen auch Polen deutscher Staatsangehörigkeit befänden. Zu diesem Thema verfaßten Fachleute der Delegatura, in erster Linie aus dem von Wùadysùaw Czajkowski geleiteten Büro der Westlichen Gebiete (Biuro Ziem Zachodnich), umfängliche Analysen. Das 1942 eingerichtete Büro orientierte sich zunächst an den in London aufgestellten Forderungen: Man befaßte sich mit Ostpreußen, Westpommern und dem Oppelner Schlesien. Es ging dabei in erster Linie um eine historisch-soziologische Einschätzung des Potentials an einheimischer polnischer Bevölkerung, auf die man im Prozeß der Kolonisierung würde zurückgreifen, und die eine gewisse Kontinuität der Bewirtschaftung würde herstellen können. Außerdem war die Existenz einer von ihrer Herkunft her polnischen Bevölkerung in den Gebieten, deren Besitz ja unter anderem auch historisch begründet werden sollte, ein nicht zu unterschätzendes Argument zur Stützung der polnischen Ansprüche. Obwohl also festzustehen schien, daß in den Jahrhunderten des „ständigen Kampfes zwischen dem polnischen und deutschen Element" im Grenzgebiet letzteres den „ethnischen Sieg" davongetragen hatte, gebe es Spuren des ehemals polnischen Charakters der fraglichen Gebiete. Mehr noch habe sich die Migrationsrichtung seit der Industrialisierung PreußenDeutschlands sogar umgekehrt und zu einer Stärkung des polnischen Bevölkerungsanteils

Vgl. oben Kap. I.2.a, S. 47-52. Biuro Ziem Zachodnich, Wytyczne programu politycznego w odniesieniu do ziem nowych, o.D., S. 1. AAN ALP 202/III-168, Bl. 152-164.

Vgl. dazu Kap. III.2.b. KORBONSKI: Polskie Panstwo Podziemne, S. 51. Vgl. auch Kap. I.2.a.

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geführt.

Dieser Prozeß, heißt es dort weiter, sei einhergegangen mit ökonomischen Fort-

schritten der Polen, die „auch (wie das heute in gewissem Maße zutreffend die deutsche Wissenschaft, z.B. H J . Seraphim feststellt) das Ergebnis einer bewußten, als nationaler Kampf aufgenommenen 34

und durchgeführten wirtschaftlichen Tätigkeit waren."

Die Ähnlichkeit dieser Formulierungen mit dem nationalsozialistischen Topos vom verbissen geführten „Volkstumskampf zwischen Polen und Deutschen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Autor hier eine Aktivität im Sinne hatte, mit der sich die polnische Nation unter der Fremdherrschaft dreier Mächte zu rekonstituieren, ihre Identität zu bewah35 ren und verlorene ökonomische Positionen zurückzugewinnen suchte. Gleichwohl sind die Kategorien, in denen dieser ungleiche „ K a m p f beschrieben wurde, identisch: Hier wie dort wurden die Auseinandersetzungen nicht als die eindeutig definierter und benennbarer Gruppen, sondern als Kampf der „Völker" - einer im Sinne Max Webers abstrakten, theoretischen Kategorie - aufgefaßt. Nahezu identisch mit dem deutschen Vorgehen ist außerdem

die Einschätzung, daß eine Lösung nur in der Polonisierung der Gebiete, nicht der

Menschen liegen könne. Zur Frage des Verlaufs der polnisch-deutschen Grenze nach dem Krieg heißt es: „Es zeigt sich, daß es hier nicht nur. um eine Korrektur der bisherigen Grenze gehen darf, die durch geopolitische und strategische Gesichtspunkte bestimmt ist. Die Veränderung der Grenze, vorgenommen in der Situation des polnisch-deutschen Grenzgebietes, wird immer etwas mehr sein: ein Mittel und Element des Kampfes des polnischen Elements um die Polonisierung der Gebiete, die infolge des germanischen Ansturms teilweise oder völlig ihre Verbindung mit dem Polentum verloren haben."

W sprawie rozwoju zywiolu polskiego na zachodzie. Przesunięcie granicy, o.D. (Mitte 1943), gez. „Zarno", S. 6 f. AAN ALP 202/III-168, Bl. 8-48, hier Bl. 13 f. Format und Satzspiegel der Studie weisen darauf hin, daß die Arbeit im Biuro Ziem Nowych entstanden ist. Die Studie erwähnt auf S. 30 eine weitere Arbeit, die „besonders dem Problem der Migration der polnischen Bevölkerung in die neuen Städte im Westen" gewidmet sei. W sprawie rozwoju, S. 11. Prof. Dr. Hans Jürgen Seraphim, Direktor des Osteuropa-Instituts in Breslau und Herausgeber der „Ostraumberichte", forderte im Oktober 1942, wie viele seiner Kollegen, den Umbau der landwirtschaftlichen Struktur im europäischen Osten. Vgl. PioTROWSKI: W sluzbie rasizmu, S. 117-121, über Seraphims Vorstellungen bezüglich des besetzten Polen. Seraphims Hauptinteresse lag allerdings weiter östlich: Er war einer der führenden Spezialisten für Fragen der sowjetischen Wirtschaft. Am 14. September 1942 nahm er an einer Konferenz der RAG über die Organisation der wissenschaftlichen „Rußland-Arbeit" teil. Protokoll der Besprechung über die Russland-Arbeit am 14. September 1942, AUJ IDO 61, unfol. Zur Lage der polnischen Bevölkerung in der Zeit der Teilungen im allgemeinen und zu den Auseinandersetzungen in der Provinz Posen, in der sich die Konflikte gegen Ende des 19. Jahrhunderts zuspitzten, siehe einführend KIENIEWICZ: Historia Polski; BROSZAT: Zweihundert Jahre. Wsprawie rozwoju, S. 23.

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Gerade der Umstand aber, daß diese Grenze traditionell fließend gewesen sei, habe dazu geführt, daß es Bevölkerungsgruppen gebe, die „noch kein endgültig herauskristallisiertes Nationalbewußtsein besitzen": „Ihren Kern stellt alte polnische Bevölkerung, die im Laufe der Jahrhunderte der Germanisierung unterlag, teilweise sogar die deutsche Sprache und deutsche Sitten annahm, sich aber nicht vollständig mit der bodenständigen deutschen Bevölkerung vereinigt und nicht völlig gewisse traditionelle Bindungen an das Polentum verloren hat." Diese Menschen gelte es zu gewinnen, und dies sei am Besten möglich, indem man ihnen den „Kontakt mit dem polnischen Leben" ermögliche, um eine „endgültige Evolution" in der einen oder der anderen Richtung zu provozieren. Dies werde sicherlich nicht bei allen germanisierten Polen gelingen; vor allem bei jenen, die seit langem assimiliert und der deutschen Bevölkerung auf vielerlei Art verbunden seien, müsse ein Erfolg eher unwahrscheinlich bleiben. Gleichwohl sei davon auszugehen, daß es über die derzeitige ethnographische Situation hinaus im Grenzgebiet ein „potentielles Polentum" gebe. Dieser Umstand habe vor allem Bedeutung für die Polonisierung solcher Gebiete, die augenblicklich einen dezidiert deutschen Charakter trügen - wie etwa Schlesien und Pommern. „Gleichzeitig ist das Problem der Polonisierung der erwähnten Gebiete keine Frage des Abzugs der gesamten sie augenblicklich bewohnenden städtischen und ländlichen Bevölkerung und des Zuzugs neuer Bevölkerung. Es ist, wenigstens teilweise, die Frage einer gewissen Selektion in der örtlichen Gesellschaft und der Gewinnung der Gruppen aus ihr, die schrittweise 'sich repolonisieren' und in der polnischen Gesellschaft aufgehen könnten." Es ist überraschend, wie bei völliger Freiheit von rassenideologischen Allgemeinplätzen der sozialtechnologische Kern der hier projektierten Bevölkerungsstruktur weitgehend identisch war mit dem, was zur gleichen Zeit im Warthegau und in den RuSHA- und RKFBüros in Berlin bezüglich der Selektion für die DVL gedacht, geplant und durchexerziert wurde. Hier wie dort ging man von der Prämisse aus, daß eine in der gegnerischen Ethnie „aufgegangene" Gruppe von Menschen, die dem eigenen „Volkstum" bzw. „Volk" (naröd) entstamme, dem eigenen Staatsvolk „zurückgewonnen" werden konnte. Diesem Ziel diente eine Selektion, deren wesentliches Auslesekriterium die Beurteilung sein sollte, inwiefern eine vollkommene Assimilierung zum wertvollen Bestandteil des Staatsvolkes möglich sein würde. Anders aber als die RKF-Planer ging der Autor der Studie davon aus, daß die Besiedlung der neuen Gebiete nicht Folge einer „künstlichen Umsiedlungsaktion" sein würde, sondern eine zwar kanalisierte, im Kern aber „spontane Migrationsbewegung", die „dem natürlichen Kräfteverhältnis in der jetzigen historischen Phase" entspreche. Nicht nur hier mutierte die längst vorgesehene Zwangsaussiedlung der Deutschen zur „Beschleunigung" eines ohnedies ablaufenden historischen Prozesses. Die Bedeutung des Faktors „Bevöl-

Ebenda. Ebenda, S. 24. 262

kerung" wird noch deutlicher, wo die Studie betont, daß die neue Grenze zwischen Deutschland und Polen nicht allein aufgrund geographischer, politischer oder strategischer Erwägungen gezogen werden sollte, sondern mindestens unter Berücksichtigung „der Möglichkeiten der Expansion des polnischen Elementes und der Perspektive der Erweiterung des polnischen ethnischen Gebietes". Gemeint war nicht weniger als die Möglichkeit, die ethnische Grenze bis nach Brandenburg hinein vorzuschieben, ohne alle diese Ge40

biete notwendigerweise dem polnischen Staatsgebiet einzuverleiben , also polnische Siedlungskerne jenseits der eigentlichen Westgrenze aufzubauen. Die faktische Ausdehnung des polnischen Staates aber habe keinen imperialistischen Charakter, „weil weder in den Zielen noch in den Bedürfnissen des polnischen Staates im Westen begründet liegt, was das Wesen des Imperialismus ist - die Herrschaft über fremde Völker (ludy)"41 Die Polonisierung dieser Gebiete, die „Selektion der zur Vereinigung mit der polnischen Gesellschaft geeigneten und ungeeigneten Elemente" und vor allem die Migrationsbewegungen waren in dieser Konzeption auf Jahrzehnte angelegt - auf eine Zeitspanne also, die, wie sich bald herausstellen sollte, nicht zur Verfügung stand. Wenn diese Studie, obwohl ihre Autorenschaft einstweilen nicht zu klären ist - sicher ist nur, daß sie aus dem Kreis der Delegatura stammt und etwa aus der Mitte des Jahres 43

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1943 datiert , und daß ihre Ergebnisse auf Kritik in den eigenen Reihen stießen -, hier in dieser Breite wiedergegeben und diskutiert wurde, so hat dies mehrere Gründe. Zum einen entwickelt sie die Grundlinien der für die Nachkriegszeit geplanten BevölkerungsVerschiebungen in unmittelbarer, wenn auch nicht ausdrücklicher Auseinandersetzung mit der täglich erlebten deutschen Praxis der Zwangsumsiedlung und des Massenmordes, zum anderen sind in ihr, wie im folgenden gezeigt wird, wesentliche Paradigmen angelegt, die in der Planung und Politik der polnischen Nachkriegsregierung diskutiert und wirksam wurden. Hinzu kommt, daß sich die Ausführungen „Zarnos" in manchen Punkten nicht grundlegend von den Grundsatzerklärungen des Büros der Neuen Länder unterscheiden. So zählte zu den „Direktiven zum politischen Programm in Bezug auf die Neuen Gebiete" über die ersten Aufgaben der polnischen Tätigkeit - „selbst vor dem formalrechtlichen Akt der Eingliederung":

Ebenda, S. 25 f. Ebenda, S. 35. Ebenda, S. 41. Ebenda, S. 30. Auf der ersten Seite der Studie heißt es, daß der Krieg nun fast vier Jahre dauere. In der weiter oben zitierten Studie Zagadnienie skolonizowania przez ludnoscpolskąmiast na wschodnich terenów Rzeszy gehen die Autoren scharf ablehnend auf das Konzept der „fließenden Grenze" ein. 263

„1. die Erfassung der örtlichen Bevölkerung polnischer Nationalität und der Bevölkerung, die in Zukunft die Zugehörigkeit oder die Neigung zum Polentum nachweisen kann; 2. die Unterordnung von Personen unklaren nationalen Charakters, die die polnische Staatsangehörigkeit erwerben wollen, unter ein besonderes Regiment und eine Observierung mit dem Ziel angemessener Filtrierung dieses Elementes und ihre Formung im Geist des Polentums; 3. die Segregierung und Klassifizierung der entschieden deutschen Bevölkerung nach dem Kriterium größerer oder minderer Befürchtungen bei ihrem vorläufigen oder ständigen Verbleib in den Gebieten, die unter polnische Herrschaft gelangt sind und dem Polnischen Staat eingegliedert werden sollen. Diese Klassifizierung ist in zwei Richtungen durchzuführen: a/ bezüglich der Schädlichkeit oder Unschädlichkeit in politischer Hinsicht und bezüglich der Staatssicherheit, b/ in Bezug auf ihre Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit für die Aufrechterhaltung - in strengen Grenzen der Unentbehrlichkeit - des Betriebs des wirtschaftlichen Lebens; 4. zwangsweise Vertreibung (wyrugowanie) der gefährlichen und entbehrlichen deutschen Bevölkerung auf dem Wege a/ sei es der möglichst schnellen Deportation hinter den neuen polnisch-deutschen Grenzkordon auf eine Weise, die technisch auf den deutschen Methoden gründet, b/ sei es, soweit Bedarf, der Organisierung von Zwangsarbeitsbrigaden aus der Bevölkerung dieser Kategorie, die außerhalb der ständigen Wohnorte kaserniert werden, und ihrer Beschäftigung bei öffentlichen Arbeiten des Wiederaufbaus nach dem Krieg vor allem im Hinterland des Staatsgebietes in den Vorkriegsgrenzen; in dem Maß, in dem die Zwangsarbeitsbrigaden aufgelöst werden, würden diese Elemente ebenfalls hinter den polnisch-deutschen Grenzkordon deportiert werden." Das Programm von Selektion, Deportation und Zwangsarbeit, wie es unter der Leitung Czajkowskis formuliert wurde, liest sich in beinahe allen wesentlichen Punkten wie eine genaue Kopie des deutschen Vorgehens gegen die polnische Bevölkerung. Zunächst sollten alle jene erfaßt werden, die sich als Polen verstanden. Als nächstes sollte die übrige Bevölkerung nach Assimilierbarkeit und Verwendbarkeit in der polnischen Gesellschaft selektiert werden. Schließlich sollten die Unerwünschten danach eingeteilt werden, wie dringend ihre Entfernung aus der Gesamtbevölkerung für erforderlich gehalten wurde, gleichzeitig war ihre Eignung zur Zwangsarbeit zu prüfen. Die Praxis der gewaltsamen Vertreibung und der Zwangsarbeit im Rahmen des Aufbauwerkes, dies ist in aller Deutlichkeit festzuhalten, war kein Charakteristikum des Vorgehens von Kommunisten und Nationalsozialisten. Die Autoren dieser Studie verstanden sich, wie die gesamte Trägerschaft der Delegatura, in Abgrenzung zu beiden als Demokraten im parlamentarischen Sinne des

Biuro Ziem Zachodnich, Wytyczne programu politycznego w odniesieniu do Ziem Nowych, o.D., S. 8. AAN ALP 202/III-168, Bl. 152-168. Vgl. den folgenden Abschnitt.

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Wortes. Wie die unerwünschten Bevölkerungssegmente definiert wurden, und wie diese krassen Abweichungen von dem, was auch im Untergrundstaat als Recht und als moralisch vertretbar gehalten wurde, motiviert werden konnten, wird im nächsten Abschnitt be handelt. Wesentlich bleibt hier festzuhalten, daß sich für den Westen, so unscharf das Bild der bevölkerungspolitischen Konzepte für die ostpolnischen Gebiete war, recht eindeutig feststellen läßt: Die Bevölkerung Westpolens einschließlich der „Neuen Gebiete" sollte polnisch sein. Der ethnisch einheitliche Charakter der Bevölkerung schloß aber nicht aus, daß ausgewählte Segmente der einheimischen Bevölkerung im Staatsvolk würden aufgehen können. Weitere Schlüsse, etwa, inwiefern ähnlich wie beim deutschen Vorgehen sozial psychologische und ökonomische Momente als Selektionskriterien vorgesehen waren, las sen sich nicht ziehen, da solche Überlegungen nicht überliefert sind. Wichtig ist aber, fest zuhalten, daß die hier vorgestellte Konzeption aus dem Büro für die Westlichen Gebiete in vielerlei Hinsicht eine Blaupause für das Vorgehen der Nachkriegsregierung abgab.

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c. „... geben keine einzige polnische Seele ab" - Die Zusammensetzung der Staatsnation in Polen nach dem Krieg

Die Umsiedlung der Polen und Juden aus den westlichen bliken Bereits zu Beginn seiner Tätigkeit als Bevollmächtigter für Oberschlesien hatte General Alexander Zawadzki erklärt: „Wir wollen keinen einzigen Deutschen, und wir geben keine einzige polnische Seele ab. Damit war aber noch nicht geklärt, wer als Pole und Polin, wer als Deutsche oder Deut48

scher gelten sollte. Auf den anfänglichen Mangel an verbindlichen zentralstaatlichen Regelungen wurde bereits hingewiesen. Die säuberliche territoriale Trennung der Polen von den Deutschen war dabei nur einer unter mehreren Aspekten in der Schaffung eines ethnisch einheitlichen Staatsvolkes. Gleichzeitig äußerte sich hier vermittelt auch der Anspruch, die gesamte Bevölkerung des fraglichen Gebietes nach ethnischen Gesichtspunkten zu untersuchen und erst danach das weitere Schicksal der Betreffenden festzulegen. Interessant ist darüber hinaus, daß Zawadzki den Begriff „Seele" benutzt, wo Greiser oder Himmler an ähnlicher Stelle eher von „Blut" gesprochen haben. Der Unterschied in der ideologischen Auffassung von ethnisch-nationaler Zugehörigkeit, über den noch ausführlicher zu sprechen sein wird, scheint also bis in tagespolitische Parolen hinein gewirkt zu haben. Ähnliche Fragen stellten sich, und dieses Problem ist chronologisch zuerst zu behandeln, in Bezug auf die ethnische Bereinigung entlang der neuen polnischen Ostgrenze. Die Orientierung an der nach dem Ersten Weltkrieg diskutierten Curzon-Linie diente zwar auf sowjetischer Seite sicherlich in erster Linie der territorialen Erweiterung und der Revision des Friedens von Riga nach dem polnisch-sowjetischen Krieg von 1920-1921. Zusätzlich aber sollte die neue Grenzziehung sich an den ethnischen Gegebenheiten orientieren und durch einen rasch durchgeführten Bevölkerungstausch spätere Streitigkeiten ein für alle mal ausschließen: Da auf beiden Seiten der Grenze teilweise bis tief ins Hinterland .

. .

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hmem nach wie vor zahlenmäßig nicht unbedeutende Minderheiten existierten , konnte Zit. n. IZDEBSKI: Rewizja, S. 20. BODA-KREZEL: Likwidacja, S. 23. Der von der Exilregierung herausgegebene Maly Rocznik Statystyczny Polski, S. 9, schätzte, daß am 31. August 1939 Polen etwa 39,9% der Bevölkerung in den von der Sowjetunion besetzten ostpolnischen Gebieten ausmachte. Dieses Verhältnis wird sich durch die Deportationen der Zeit bis zum deutschen Überfall und durch die deutsche „Volkstumspolitik" sowie schließlich durch Massaker ukrainischer und litauischer Nationalisten an der polnischen Bevölkerung weiter zuungunsten der Polen verschoben haben. Vgl. dazu: Deportacje i przemieszczenia; GROSS: Und wehe, du hoffst, S. 176 ff. 266

von einer echten Anpassung der staatlichen an die ethnischen Grenzen ohnedies nicht gesprochen werden; eine solche Anpassung war letzten Endes nur auf dem umgekehrten Wege möglich: indem die ethnischen Grenzen den politischen möglichst weitgehend angepaßt wurden. Diesem Ziel dienten die Repatriierung genannten Umsiedlungen, die im September 1944, also noch vor Kriegsende, vertraglich zwischen dem polnischen Staat, vertreten durch den PKWN, einerseits und der ukrainischen, litauischen und weißrussischen Sowjetrepublik andererseits vereinbart wurden. Hinzu kam im Juli 1945 ein Vertrag zwischen Polen und der UdSSR über die Repatriierung von Polen aus den übrigen Gebieten der Sowjetunion. Dabei ging es in erster Linie um Menschen, die in der Zeit der sowjetischen Besatzung Ostpolens nach Zentralrußland und Sibirien deportiert worden waren , ein Um52 stand, der von der polnischen Forschung vor 1989 nicht thematisiert wurde. Bereits in der Frühphase der Verhandlungen tauchte im PKWN die Frage auf, wer denn überhaupt das Recht auf Ausreise aus den Sowjetrepubliken haben sollte: Die Berufung auf den Besitz der polnischen Staatsangehörigkeit vor dem 17. September 1939 konnte auf dem Hintergrund der ethnischen Struktur dieser Gebiete nicht befriedigen, da in diesem Falle eine massenhafte Einreise von unzufriedenen Nichtpolen zu befürchten gewesen wäre. Man löste das Problem durch die bereits in der Zweiten Republik übliche Trennung von „Staatsangehörigkeit" (obywatelstwo) und „Nationalität" (narodowosc), wobei auch die jüdische Bevölkerung als eigenständige Nationalität galt. Die „Vereinbarung zwiVereinbarung zwischen Modzenski und Wyszynskij, 6. Juli 1945. AAN Generalny Peùnomocnik Rządu d/s Repatriacji (im folgenden GPR) 1, Bl. 16-18. Vgl. hierzu zuerst GROSS: Und wehe, du hoffst, S. 177 f. Danach wurden schätzungsweise 1.250.000 Polen weiter in den Osten gebracht, davon etwa 900.000 zwangsweise. Die Arbeit Gross' stützt sich auf Einschätzungen und Studien aus Exilkreisen und auf Materialien der ehemaligen polnischen Botschaft in der UdSSR, sowjetische Archive waren damals nicht zugänglich. Auch sonst ist das Schicksal Ostpolens in erster Linie vom polnischen Exil thematisiert worden. Eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Londoner und des Pariser Exils die in ihrem Wert sehr heterogen sind - kann hier nicht unternommen werden, wäre aber im Sinne einer Analyse des Geschichtsbildes und Politikverständnisses dieser beiden Gruppen und seines Einflusses auf die polnische öffentliche Meinung im Lande interessant. An grundlegender Literatur sei daher hier nur genannt: GARLINSKI: Polska; POBÓG-MALINOWSKI: Najnowsza historia; GRUDZINSKA-GROSS/GROSS: W czterdziestym. Seit 1989 hat es eine Flut von Publikationen gegeben, die die sowjetische Eingliederungspolitik vor allem auf der Basis von Zeugenaussagen und Berichten behandeln; meist handelt es sich um Neuauflagen der oben angegebenen und ähnlicher Bücher, die vordem nur in illegalen Drucken erhältlich waren. Eine Zusammenfassung des Kenntnisstandes bietet: Deportacje i przemieszczenia. Vgl. selbst CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 31. Die mit einem Vorwort des bekannten Historikers Franciszek Ryszka zusätzlich aufgewertete Arbeit ist, von den hier 1987 noch für nötig gehaltenen Vorsichten abgesehen, eine der ersten, die eine kritischere Aufarbeitung des Bevölkerungstausches im Osten versuchte. CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 33.

Vgl. HAUMANN: Geschichte der Ostjuden, S. 173; LICHTEN: Notes on the Assimilation, S. 123 f.; MENDELSOHN: Zydzi, S. 53-56. 267

sehen dem PKWN und der Regierung der Weißrussischen Sozialistischen Räterepublik" vom 9. September 1944 legte fest, daß „alle Staatsangehörigen weißrussischer, ukrainischer, russischer und ruthenischer Nationalität", die sich auf polnischem Territorium befanden, das Recht auf Ausreise nach Weißrußland erhalten sollten, wie auch in umgekehrter Richtung „alle Polen und Juden, die vor dem 17. September 1939 polnische Staatsangehörige waren". Hier zeigte sich bereits ein grundsätzliches Problem: Während sich die Menschen, die aus dem Osten in das neue polnische Staatsgebiet umgesiedelt werden sollten, als polnische Staatsangehörige polnischer und jüdischer Nationalität definieren ließen, mußte es in umgekehrter Richtung um eine Aus- und Neueinbürgerung gehen. Damit war die Situation derer, die aus Polen in die Ukraine oder nach Weißrußland emigrierten bzw. emigrieren sollten, rechtlich der der deutschen „Rücksiedler" vergleichbar, nicht aber der der Polen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit. Bemerkenswert ist auch, daß die Tauschsiedlung nicht auf Polen oder Juden ausgedehnt wurde, die vor dem September 1939 litauische, weißrussische oder ukrainische Staatsangehörige gewesen waren. Der Verzicht auf eine Ausweitung führte, zusammen mit dem Umstand, daß gerade in Litauen und Weißrußland ein, wie sich Jaworski ausgedrückt hat, „heißer Nationalismus" unter den Polen fehlte, dazu, daß dort bis heute nennenswerte polnische Minderheiten leben. Die Meldung zur Umsiedlung sollte auf beiden Seiten ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgen, die Umsiedlung selbst nur dann stattfinden dürfen, wenn die zuständige Seite mit der Aufnahme der Betreffenden einverstanden war: „Die Evakuierung betrifft nur diejenigen der im ersten Absatz erwähnten Personen, die den Wunsch geäußert haben, evakuiert zu werden und über deren Aufnahme das Einverständnis der Regierung der Weißrussischen S.S.R. und des PKWN ausgesprochen ist. Die Evakuierung ist freiwillig, und deshalb darf Zwang nicht angewendet werden, we57 der unmittelbar noch mittelbar." Der unmittelbar folgende Absatz legte des weiteren fest, daß eine Zwangsunterbringung auf Kolchosen ausgeschlossen war und die Umsiedler auf Wunsch auf Wirtschaften untergeUkùad pomiedzy Polskim Komitetem Wyzwolenia Narodowego a Rządem Bialoruskiej Socjalistycznej Republiki Rad dot. ewakuaeji obywateli polskich z terytorium B.S.R.R. i ludnosci Bialoruskiej z terytorium Polski, 9. September 1944, unterzeichnet von Osöbka-Morawski und Ponomarenko. AAN Rejonowy przedstawiciel Rzadu RP d/s Ewakuaeji Ludnosci Litewskiej i Bialoruskiej z Polski 1219/1. Der Text der am gleichen Tage zwischen Osöbka-Morawski und Chruścev unterzeichneten Vereinbarung über den Bevölkerungstausch mit der Ukraine ist mit dem hier zitierten identisch. AAN Glówny Pelnomocnik d/s Ewakuaeji Ludnosci Ukrainskiej z Polski w Lublinie 397/1. Ebenso der Text der Vereinbarung mit Litauen, unterzeichnet von Osöbka-Morawski und Gedvilas am 22. September 1944. AAN Glöwny Pelnomocnik d/s Ewakuaeji w Wilnie 1. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 139 f., führt an, daß aus der Ukraine 91% der gemeldeten Polen evakuiert wurden, aus den beiden anderen Republiken weniger als die Hälfte. Ukùadpomiedzy PKWN a Rządem BSRR, Art. I. 268

bracht werden sollten, die mindestens so groß wie der zurückgelassene Hof, aber nicht größer als 15 ha sein durften. Darüber hinaus sollten landlose Bauern auf Wunsch Boden im Rahmen der Agrarreform erhalten. Hinsichtlich der Freiwilligkeit der Ausreise ist eine gewisse Vorsicht angebracht: Czerniakiewicz hat zu Recht darauf hingewiesen, daß der „Geist" der Vereinbarungen ebenso wie der Druck der Situation die Entscheidung zur Aus58

reise faktisch obligatorisch machten. So sah man das auch in internen Diskussionen: Auf der ersten Sitzung der „Reemigrationskommission" des Wissenschaftlichen Rates am 19. Mai 1946 bezogen sich einige Redner mit dem Begriff „Zwangsumsiedlung" auf die Repatriierung aus dem Osten. Das Problem der Organisierung von Erfassung, Genehmigung und Transport wurde durch die Ernennung von Bevollmächtigten gelöst. Generalbevollmächtigter für Angelegenheiten der Evakuierung der polnischen Bevölkerung (Generalny Pelnomocnik do spraw ewakuacji ludnosci polskiej) mit Sitz in Lublin war Wùadysùaw Wolski. Ihm unterstanden Hauptbevollmächtigte (Glówni Pelnomocnicy) in Luck, Wilna und Baranowicze, die die Aussiedlung der Polen aus der Ukraine, Litauen und Weißrußland eigenverantwortlich und in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden leiteten. Unter diesen gab es Gebietsbevollmächtigte (Rejonowi Pelnomocnicy), die für die Erfassung der Ausreisewilligen in den einzelnen Kreisen zuständig waren. Das zugelassene Gepäck betrug 2 Tonnen je Familie, verboten waren Geld, Edelmetalle,. Kunstschätze, Waffen, Fotos, Karten und Pläne sowie Möbel bei Transport mit Zug oder LKW. Zurückgelassenes Eigentum sollte geschätzt und verrechnet werden. Die Termine, die für den Abschluß des Bevölkerungstauschs angesetzt waren, erwiesen sich rasch als viel zu knapp. Wie verschiedene Mitglieder des Wissenschaftlichen Rates für Probleme der Wiedergewonnenen Gebiete im August und im Dezember 1945 gefordert hatten , mußten in allen Fällen Verlängerungen der Fristen vereinbart werden. Tatsächlich dauerte der kurzfristig geplante Bevölkerungstausch bis 1947, im Falle der Ukraine sogar bis 1948. Das lag zum einen an schlichten organisatorischen Problemen wie dem Mangel an geeigneten Transportmitteln während des Vormarsches der Roten Armee nach Westen, zum anderen aber auch an unterschiedlichen Paradigmen, die zum Teil zu ernsten Problemen zwischen den sozialistischen Partnern führten. So vermerkte Wladyslaw Wolski:

CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 33.

So Prof. Kazimierz Dobrowolski und MZO-Vertreter Nagórski in Protokoll der ersten Sitzung der Reemigrationskommission, o.D. (19. Mai 1946 nach dem Bericht von der dritten Sitzung), o.U. (lt. S. 23 protokollierte ein Herr Tabor die Sitzung), S. 7, 11. AAN MZO 1687, Bl. 18-57. II Sesja, z. I, S. 70-72. Vgl. CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 131-160. 269

„Die litauische Seite verweigert die demokratische Selbstbestimmung der Nationalität sowie das Mitnehmen von Familienmitgliedern anderer Nationalität." Das Problem der Mischehen nämlich war - am Beispiel des Bevölkerungstauschs mit der Ukraine - im Prinzip so gelöst worden, daß „die Frau dem Mann folgt". Tatsächlich aber scheint es, als wenn Vorstellungen von der Überlegenheit der polnischen Kultur und Zivilisation auch diesen polnischen Behörden nicht völlig fern lagen: War der Mann Pole, die Frau Ukrainerin, galten beide als Polen. Im umgekehrten Falle sollte, wenn „der Mann durch die Frau polonisiert wurde" und „sich als Pole betrachtet", ebenfalls beide aufgenommen werden bzw. am Ort bleiben. Eine Selektion mit ausführlichen, abgestuften Kriterien, wie sie die deutschen Bevölkerungsplaner der UWZ in den eingegliederten Ostgebieten und dem Generalgouvernement durchgeführt hatten, war damit nicht verbunden: Im Oktober 1945 beschwerte sich der polnische Evakuierungsbeauftragte in Stanislawöw, Marian Bik, daß die Zentrale in Luck zwar festgelegt habe, daß jeder Ukrainer, der gemischten Familien in Polen angehörte und die Ukraine verlassen wollte, darauf zu prüfen seien, „ob er das verdient, welche Nationalität er hat, wie er sich zur polnischen Staatlichkeit stellt, wie er seine Kinder erzieht etc.", daß es aber keine Institution gebe, „die zur Sammlung 64 glaubwürdigen Materials in dieser Richtung geeignet" wäre. Hinzu kam, daß die PKWNUmsiedler Unterbringungsprobleme hatten: Am 8. Januar 1945 bat Dr. Pakowski aus dem Büro des Generalbevollmächtigten, „im Hinblick auf die klimatischen Verhältnisse sowie die Überbevölkerung der befreiten Gebiete die Aussendung von Transporten mit städtischer Bevölkerung anzuhalten, bis weitere Gebiete erworben sind, die sich zur Ansiedlung eignen." Damit war deutlich geworden, daß die ethnische Bereinigung auf der Verfügbarkeit von Gebieten fußte, die man noch gar nicht besaß, weil sie von der Roten Armee noch nicht übergeben worden waren; diese Übergabe erfolgte erst im Februar 1945. Die Notwendigkeit, neue Gebiete im Westen und Norden zu erschließen, war um so dringender, als die Tauschsiedlung genutzt werden sollte, um eine Sanierung der Agrarverhältnisse, sprich

Vermerk Wolski, Fragment, o.D. AAN GPR 1, Bl. 7. Weitere Dokumente zu diesem Problem konnten bislang nicht aufgefunden werden. Allerdings bemerkte Dr. W. Skrzywan auf der 2. Konferenz des Wissenschaftlichen Rates, daß es den Litauern darum gehe, „auf diesem Gebiet die größtmögliche Anzahl katholischer Bevölkerung zu behalten". II Sesja, Heft I, S. 71. Schreiben Rogalski, Resort Spraw Zagranicznych an den Generalbevollmächtigten in Luck, 3.11.1944. AAN Generalny Pelnomocnik d/s Ewakuacji Ludnosci Ukraihskiej (im folgenden GPELU) 9, Bl. 186. Referat w sprawie niecierpiqcego zwloki usuniecia niedomagan w pracy Rej. Przedstawiciela Rządu Rzeczyp. Polskiej dla spraw ewakuacji w Stanislawowie, 14. Oktober 1945. AAN GPR 9, Bl. 215-223. Schreiben Dr. Pakowski an den Vertreter des Bevollmächtigten in Luck, 8. Januar 1945. AAN GPELU 9, Bl. 173. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 27.

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eine deutliche Herabsetzung der „agrarischen Überbevölkerung" herbeizuführen. Dem entsprach von Intention und Inhalt her schon das Dekret über die Landreform vom 6. September 1944, in dem es hieß, daß sich die Agrarverfassung in Polen „auf lebenskräftige, gesunde und produktionsfähige Wirtschaften" stützen müsse. Neben dem Großgrundbesitz und ehemals deutschen und kirchlichen Betrieben sollten alle Flächen hier einfließen, „die aus irgendeinem Rechtsgrund im Eigentum des Staates stehen". Genau dies war nach dem Text der Vereinbarungen bei den zurückgelassenen Grundstücken der Umsiedler der Fall. Interessanterweise bezogen sich die erwähnten Unterbringungsprobleme jedoch weniger auf die ländliche Bevölkerung. In einem Schreiben vom 1. Dezember 1944 genehmigte Wolski die Erhöhung der ersten Transporte aus der Ukraine auf 4000 Menschen, mahnte aber dringend an, den Grundsatz zu befolgen, daß Stadtbewohner nur dann aufzunehmen seien, „wenn sie Belege vorweisen, daß sie hier Familie oder nahestehende Personen ha69 ben", die sie in den ostpolnischen Städten unterbringen würden. Daran hatte sich auch nach dem Jahreswechsel nichts geändert: Am 9. Februar 1945 gab der Hauptbevollmächtigte für die Evakuierung der polnischen Bevölkerung den weiteren Aufiiahmeplan an den Bevollmächtigten in Luck Stanislaw Pizlo. Danach seien im laufenden Monat 7500 Familien zu „schicken", „ausschließlich Bauern. Keine einzige Familie aus der Stadt." Inzwischen war aber der Weg in den neuen Westen freigeworden. Damit stand die Repatriierung auch der städtischen Bevölkerung unmittelbar bevor: „Bereitet Euch auf eine massenhafte Repatriierung in die westlichen Gebiete im März vor. Es muß eine breite Registrierungsaktion entwickelt werden, in erster Linie in Lemberg. Seid bereit, im März allein aus Lemberg bis zu 30.000 Leute zu schicken." Gerade in der Tauschsiedlung zwischen Polen und der Ukraine tauchte ein zusätzliches, unerwartetes Problem auf, das den Abschluß weiter hinauszögerte. Es zeigte sich nämlich, daß die ukrainische Regierung die Ausreise polnischer Staatsangehöriger aus unbekannten Gründen mehr oder weniger systematisch sabotierte. Im Winter 1944/45 fanden Massenverhaftungen statt, vor allem Angehörige der polnischen Intelligenz, aber auch Handwerker und Arbeiter, die sich zur Ausreise gemeldet hatten, wurden vermutlich in Arbeitslager

Vermerk des Politischen Departements für das Selbstverwaltungsdepartement, 3. Februar 1950. AAN MAP 780, Bl. 57. Die Übernahme betraf zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Immobilien der griechisch-katholischen oder unierten Kirche, deren Mitglieder ja größtenteils in die Ukrainische Sowjetrepublik umgesiedelt worden seien. Dekret des Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung über die Durchführung der Bodenreform vom 6. September 1944, wiedergegeben in: Vertreibung 1,3, S. 26-31, hier S. 27. Schreiben Wolski an Stanislaw Pizlo als Bevollmächtigten in Luck, 1. Dezember 1944. AAN GPELU9, Bl. 195 f. Schreiben Pelnomocnik Gùówny Rzadu Tymczasowego RP d/s ewakuacji ludnosci polskiej (Wolski) an Kpt. Pizlo, 9. Februar 1945. GPELU 9, Bl. 144. Hervorhebung im Original. Schreiben Wolski an Pizlo, 9. Februar 1945. 271

weiter östlich verschleppt. Darüberhinaus werde die Landbevölkerung eingeschüchtert, 72 damit sie sich registrieren lasse. Eine Klärung erfolgte, wie aus dem oben zitierten Schreiben Wolskis vom 9. Februar 1945 hervorgeht, nach dem Beginn der „massenhaften" 73 Repatriierung. Schließlich muß noch ein weiterer bremsender Faktor, den der PKWN neben anderen für die Fristverlängerungen anführte, erwähnt werden: Die „Londoner Agitation" nämlich, die Option auf diese Gebiete durch den Verbleib der polnischen Bevölkerung aufrechtzuerhalten, habe gewisse Erfolge gezeitigt. Tatsächlich spielte der „Verlust der Ostgebiete" eine große Rolle in der Auseinandersetzung zwischen PKWN und londonorientierter Opposition. Der von Mikoiajczyk in Moskau ausgesprochene Verzicht war in weiten Kreisen des Untergrundes abgelehnt worden , und es setzte rasch eine breite Propaganda zu diesem Thema ein. Über ihren tatsächlichen Einfluß kann allerdings, da die für diese Arbeit ausgewerteten Akten nur wenig Hinweise darauf enthalten, nur spekuliert werden. Immerhin schickte Pizlo am 27. November 1944 drei Briefe an Wolski, in denen er erwähnte, daß der Aufbau seiner Stelle „auf große Schwierigkeiten stieß, die hauptsächlich durch die negative Haltung der polnischen Intelligenz zu den Angelegenheiten der Evakuierung" verursacht würden. Auch bei der ländlichen Bevölkerung blieb „der erwartete Reichtum an Menschenmaterial" aus, da in den betreffenden Gemeinden keine Außenstellen organisiert werden konnten. Die mangelnde Vorbereitung auf polnischer Seite hatte sich bereits auf einer Konferenz zwischen polnischen und ukrainischen Umsiedlern am 15. November in Lemberg (Lwöw, ukr. Lviv) gezeigt: Während die ukrainischen Offiziellen „mit gut vorbereitetem Berichtsmaterial" auftraten, kannten die polnischen regionalen Bevollmächtigten nicht einmal den Text der am 9. September unterzeichneten Vereinbarung. Auch was die Lebensbedingungen der potentiellen Umsiedler anging, lieferte Pizlo einen ernüchternden Bericht: Die Zusammenarbeit mit dem PUR funktionierte nicht, ebenso fehlte es an polnischen Vertretern, die die Umsiedler an der polnisch-ukrainischen Grenze empfangen und weitergeleitet hätten. Zudem scheinen die ukrainischen Behörden sich wenig darum gekümmert zu haben, wie die Menschen, die sich zur Ausreise gemeldet hatten, bis dahin verpflegt und untergebracht werden könnten; Pizlo sprach von Obdachlosen, die

Bericht Krawinski, o.D. AAN GPELU 9, Bl. 55-60. Schreiben Wolski an Pizlo, 9. Februar 1945. CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 33. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 51. Schreiben Pizlo an Wolski, geheim, 27. November 1944. AAN GPELU 9, Bl. 187 f. Weiteren Aufschluß könnten Akten aus dem Ministerium flir Innere Sicherheit (Ministerstwo Bezpieczenstwa Publicznego) geben, dieflirdie vorliegende Arbeit aber nicht ausgewertet werden konnten. So auch CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 39, vor allem über die polnische Intelligenz in Lemberg. Sprawozdanie z konferencji we Lwowie, 27. November 1944, geheim. Von den beiden Paraphen ist die Pizlos identifizierbar. AAN GPELU 9, Bl. 189. 272

nichts zu essen hätten. Weiter stellte Pizlo fest, daß die Landbevölkerung in bestimmten Gegenden um sofortigen Abtransport geradezu „bettle", da sie von ukrainischen Banden bedrängt werde; außerdem lasse sich „ein Wandel in der Stimmung der städtischen Bevölkerung in Richtung Umsiedlung spüren". Der Grund sei, daß trotz der gegenteiligen Zusage Chruścevs, des damaligen ukrainischen Ministerpräsidenten, die „Mobilisierung zu Arbeiten", sprich zur Zwangsarbeit, unter der polnischen Bevölkerung weitergehe. Wolskis Antwort war scharf: „Ich verstehe den Satz nicht: 'Wir sind nicht in der Lage, auf diese Fragen (die von den Evakuierten gestellt werden) zu antworten, und auf der anderen Seite ist wegen des Beginns der Umsiedlungsaktion die Belassung der Bevölkerung in beklagenswerten Bedingungen ohne ein Stückchen Brot und ohne Dach über dem Kopf schlicht eine Barbarei.' Worum geht es? Wer läßt sie dort? Und durch wen werden diese Menschen so behandelt? Das ist in der Tat Barbarei! Man muß sie sofort losschicken. Diese oder jene Antwort ändert nichts an ihrer Situation - man muß ihnen andere Bedingungen schaf79 fen, und darum arbeitet Ihr da, um diese Obdachlosen an erster Stelle loszuschicken." Auf der anderen Seite kündigte Wolski an, man werde zukünftig verhindern, daß die Ukrainer, die in östlicher Richtung über die Grenze geschafft wurden, „massenhaft alle ihre Sachen ausführen"; offensichtlich ging es darum, daß Möbel und ähnliche Gegenstände zurückgelassen werden sollten, die zur Ausstattung der aus der Ukraine kommenden Polen dienen konnten. Auch in diesem Schreiben, also Anfang Dezember 1944, ist davon die Rede, daß „wir grundsätzlich darauf abzielen, das Hauptkontingent in die westlichen Gebiete Polens zu lenken".

Die Eingliederung der polnischen Juden und das Pogrom in Kielce Der Umstand, daß ausdrücklich polnische Staatsbürger polnischer und jüdischer Nationalität das Recht zur Ausreise erhielten, mag auf dem Hintergrund der geplanten ethnischen Homogenisierung zunächst überraschen. Die neue Regierung, an der ja auch jüdische sozialistische Organisationen beteiligt waren, bemühte sich, die sogenannte Jüdische Frage" ein für alle mal und mit deutlich anderen Mitteln zu lösen. Ein Aktenvermerk aus dem MAP von Ende 1945 betonte: „Im volksdemokratischen Polen gibt es keine jüdische Frage, aber es gibt jüdische Probleme, mit denen sich die Nationalitätenabteilung des Polit. Dep. des MAP befaßt." Wie bereits erwähnt, galt das Judentum weniger als Bekenntnis, sondern als Nationalität, der die polnische Staatsbürgerschaft ohne Einschränkungen zustand. Gleichzeitig sollte Schreiben Pizlo an Wolski, geheim, 27.11.1944. GPELU 9, Bl. 190 ff. Schreiben Wolski an Pizlo, 1.12.1944. AAN GPELU 9, Bl. 195r/v. Ebenda. Aktenvermerk, o.D. (Ende 1945), o.U. AAN MAP 753, Bl. 1 f.

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aber eine Restitution der autonomen jüdischen Gemeinden, der Kehillot, ausgeschlossen sein - im gleichen Sinne, wie bereits Sikorski und die Delegatura Autonomiestatuten und Sonderrechte für Minderheiten abgelehnt hatten. Die Stellung des PKWN gegenüber der jüdischen Bevölkerung war damit eine grundlegend andere als gegenüber allen anderen nationalen Minderheiten, die ja im Zuge des Bevölkerungsaustausches beseitigt werden sollten. Dies hing mit mehreren Umständen zusammen: Jüdische Polen waren am Aufbau einer sozialistischen Ordnung im Nachkriegspolen maßgeblich beteiligt - ein Umstand, der sofort den Vorwand für antisemitische Ausschreitungen abgeben sollte und auch später in der polnischen Innenpolitik immer wieder eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Das Interesse der jüdischen Organisationen an einer Beteiligung am Neuaufbau wiederum liegt auf der Hand: Hier schien sich erstmals eine Möglichkeit zu eröffnen, der jüdischen Bevölkerung auf Dauer ein Leben frei von Diskriminierung und Angst garantieren zu können. Dazu wird in den Reihen der restlichen, „rein" polnischen sozialistischen Organisationen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bestanden haben, wie es Jahrzehnte später der Christ Wladyslaw Bartoszewski mit 84 dem Satz „Uns eint vergossenes Blut" ausdrückte. Das sahen nicht alle Teile der befreiten polnischen Gesellschaft so: In einem als streng geheim klassifizierten Bericht vom 29. September 1945 an das MBP berichtete der Leiter der Gesellschaftspolitischen Abteilung im Politischen Departement (DP) des MAP, F. Stolinski, von zahlreichen Überfällen auf Juden im Zeitraum März bis August 1945. Allein im März 1945 waren danach 117 „Juden beiderlei Geschlechts" angegriffen worden, 108 wurden getötet. Die Angaben für April 1945 geben zum Teil Aufschluß über die Motive der Täter. Meist handelte es sich um Raubüberfälle, teilweise um Morde an Juden, die ihren 85 •• Vorkriegsbesitz zurückforderten. Ahnlich sah das Verhältnis in den folgenden Monaten aus: Ein Großteil der Überfälle, elf von 30 im Zeitraum von April bis August, waren

DOBROSZYCKI: Jewish Community in Poland, bes. S. 12 f. Leider verfallt Dobroszycki in einen bei israelischen und amerikanischen Forschern und Forscherinnen häufigen Fehler und spürt Antisemitismus der polnischen Nachkriegsregierung da auf, wo er nicht war. So ist die erwähnte Bemerkung des Außenministers Rzymowski gegenüber Dr. Kaiman Stein vom Jüdischen Weltkongreß, daß man ausländischen Juden nicht den Erwerb von Eigentum in Polen gestatten werde, im Zusammenhang mit den Versuchen Polens zu sehen, ausländisches Kapital im Allgemeinen aus der Wirtschaftsstruktur des Landes herauszuhalten. Ebenda, S. 11. Auch ist das Verbot der Restituierung der Kehillot nicht im Sinne einer Herausdrängung der Juden aus Polen zu sehen, sondern im Sinne ihrer (zwangsweisen oder freiwilligen) Assimilierung. Siehe dazu weiter unten. Vgl. etwa EISLER: Marzec 1968, über antisemitische Tendenzen in der PZPR und die Vorgeschichte der großenteils erzwungenen Auswanderung von über 100 000 Juden aus Polen; über antisemitische Kampagnen gegen Mitglieder des KOR 1981: Antisemitismus im heutigen Polen. BARTOSZEWSKI: Uns eint vergossenes Blut. MAP DP (F. Stolihski) an MBP, 29.IX.1945, streng geheim: Występki przeciwko ludnosci zydowskiej, przewidziane w art.art.154, 164 i 240 K.K. AAN MAP 786, Bl. 17-21.

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schlichte Raubmorde, die nach der Einschätzung des DP nicht einmal antisemitischen Hintergrund hatten. Anders schon sieht es mit den Überfällen „auf dem Hintergrund der Rückgabe von während der Okkupation den Juden geraubten Dingen" aus. Das Vorgehen der Deutschen, enteigneten jüdischen Besitz, soweit er nicht völlig aufgelöst wurde, katholischen Polen zu übereignen, führte nicht nur in diesem Falle zu ernsthaften Schwierigkeiten: Die von den deutschen Besatzungsbehörden eingesetzten Besitzer hatten durchaus nicht vor, ihre Erwerbungen wieder aufzugeben. Stolinski trennte von diesen die übrigen 14 Überfälle als „Folge der Hitlerpropaganda, die während der Okkupationszeit unsere Gesell87

schaft mit dem Gift des Rassenhasses verseucht hat." Noch deutlicher war der antisemitische Charakter der Überfälle, die von Abteilungen der Nationalen Streikräfte {Narodowe Sily Zbrojne, NSZ) auf Züge mit Repatrianten aus dem Osten verübt wurden: Die polnischen Faschisten, deren Ehrenrettung als Antikommunisten noch vor wenigen Jahren in Polen diskutiert wurde , sortierten Jüdinnen und Juden aus den Insassen der Züge aus und erschossen sie. Dieser scharfe Antisemitismus, der sich gewalttätiger Ausdruck verschaffte, als das jemals in der Zeit vor der Okkupation der Fall gewesen war, und der vor dem Hintergrund der deutschen Ausrottungspolitik kaum verständlich erscheint, war, nach Einschätzung mancher polnischer Autoren, schon während der Okkupation etwa ebenso verbreitet wie die entgegengesetzte Haltung: die aktive, das eigene Leben einsetzende Hilfe. Aleksander Hertz schrieb dazu: „Die Juden verschwanden aus Polen durch ihre Vernichtung, durch ihre bestialische Ausrottung als große menschliche Gemeinschaft. Es geschah dies in Polen, und obwohl es durch die deutschen Eindringlinge vollbracht wurde, weckte es nicht in allen Polen das Gefühl des Entsetzens, des Schreckens oder wenigstens des Mitleids. Das muß klar Im Brief werden zwei Überfalle „auf dem Hintergrund der erneuten Einnahme des Besitzes" und weitere zwei wegen „Übernahme von Immobilien-Häusern" genannt. Bereits während der Okkupation erschienen Flugblätter, die, vor allem nach dem Besuch Mikolajczyks in Moskau, wieder einmal „die Juden" für das Übel, das Polen widerfahre, verantwortlich machten. So verzeichnete die Delegatura einen Artikel in der Untergrundzeitschrift Warszawski Glos Narodowy, in dem es hieß, daß „'Polen' jüdischer Herkunft" gleichzeitig Konfidenten der Gestapo seien und „für die Kommune" arbeiteten. Vor allem aber richtete man sich gegen die „dicken Fische" in England und Amerika. AAN ALP 202/III-115, Bl. 74. Gegen Ende 1944 erschien eine Flugschrift unter dem Titel Co tojest P.K. W.N, in der einige Funktionäre, wie etwa der Vorsitzende des PKWN Osöbka-Morawski und der Kommandierende der polnischen Abteilungen der Roten Armee Zygmunt Beding als Juden „geoutet" wurden. Darüber hinaus wurde mit den Ängsten polnischer Kriegsgewinnler gespielt: es hieß dort: „Die ersten Offiziere der Berling-Armee, die sich in einigen Kreisstädten zeigten, waren Juden, die gekommen waren, um zu sehen, ob ihre Häuser noch unangetastet stehen ..." AAN ALP 202/III115,B1.403-404a. Vgl. PIOTR LIPINSKI: NSZ - proces poszlakowy, in: Gazeta Wyborcza vom 24725. April 1993, S. 11-13. ADELSON: W Polsce zwanej Ludowa, S. 393. 275

gesagt werden. Für viele Polen war die Vernichtung des polnischen Judentums ein ungeheurer psychischer Schock. Für viele andere jedoch war das, was Hitler gemacht hatte, die „Lösung der jüdischen Frage". Und der Satz, daß „Hitler für uns die schmutzige 90 Arbeit gemacht hat", war in Polen keine vereinzelte Erscheinung." Hertz wies daraufhin, daß der Schock für die polnischen Juden ungeheuer war - schon allein die deutschen Verbrechen weckten in Vielen das Gefühl, auf einem Friedhof zu leben; 91 sie zogen es vor, zu emigrieren, oder erst gar nicht nach Polen zurückzukehren. Noch größer mag das Entsetzen für diejenigen gewesen sein, die sich trotz alledem entschieden, im Lande zu bleiben und an dessen Aufbau teilzunehmen. Ihre Erwartungen, mit dem Ende des Terrorregimes habe auch die letzte Stunde des Antisemitismus in Polen geschlagen, wurden blutig enttäuscht. Es kann daher gar nicht verwundern, daß der jüdische Bevölkerungsteil, wie die rechtsgerichteten Untergrundorganisationen nicht müde wurden zu betonen, im Sicherheitsapparat der entstehenden Volksrepublik überrepräsentiert war. Der Eintritt in die Reihen der Sicherheitskräfte, vor allem des MBP und seiner Exekutivorgane, wird dem dringenden Bedürfnis nach persönlicher Sicherheit zuzuschreiben sein. Dies um so mehr, als ja auch in Moskau und später Lublin bekannt war, daß manche Untergrundorganisationen nicht nur gegen die deutschen Truppen sondern auch gegen Juden vorgingen. Gleichzeitig wird von manchen neueren (und bekehrten älteren) polnischen Autoren angeführt, daß die polnische Marionettenregierung die Juden bewußt vorgeschickt habe,

HERTZ: Zydzi, S. 25.

Ebenda, S. 25. So auch neuerdings die Arbeit KÖNISEDER/WETZEL: Lebensmut, S. 47-55. Dort auch eine Erwähnung der Pogrome 1945/46. Das betraf, wie oben ausgeführt, nicht nur explizit antisemitische Gruppierungen wie die NSZ oder die UPA oder deutsche Gründungen wie „Miecz i Plug", sondern ebenso einige Abteilungen der Armia Krajowa in den Gegenden um Biaùystok und Wilno. Vgl. AJNSZTEIN: Jüdischer Widerstand, S. 204. Aufschlußreich ist auch ein Brief des Gebiets-Oberinspektors Werner in Wilna vom 14. März 1944: „Der litauische Polizeikommandant hatte 2 Bauernburschen verhaftet, die mit Banditen in Verbindung stehen. Gestern zeigte er mir ein persönliches Schreiben des Kommandeurs der polnischen Partisanenbewegung, die Gefangenen sofort freizulassen, da er ihn sonst leider liquidieren müsse. Man findet sich bald nicht mehr durch. Die polnischen Partisanen greifen uns nicht an, sondern kämpfen gegen Sowjets und jüdische Banden. Sie haben es sogar fertiggebracht, einem Kameraden von mir Geleitschutz anzubieten." AAN ALP 214/1-4, Bl. 35. Zur Politik der polnischen Nachkriegsregierung, Juden den Zugang zu Machtpositionen zu erleichtern, vgl. auch ADELSON: W Polsce zwanej Ludowa S. 393 f. Der Autor betont, daß trotz aller Propaganda die Sympathien für einen Kommunismus, „wie ihn bis 1948 die PPR repräsentierte, unter den Juden verschwindend" gewesen seien. Vgl. zum Antisemitismus in einigen Gruppen des polnischen Untergrunds und Teilen der polnischen Gesellschaft während und nach der Besatzung RINGELBLUM: Stosunki polsko-zydowskie; WEJN: Anti-jidische tetikejt. Wejn stellt fest, daß die antisemitische Tätigkeit des „Antyk", eines Zusammenschlußes antikommunistischer Gruppen, wesentlich zur Isolierung der Juden innerhalb der polnischen Gesellschaft beigetragen habe; gleichzeitig solle nicht vergessen werden, daß „ehrliche Menschen" unter den Polen wesentlichen Anteil an der Rettung polnischer Juden gehabt haben. Siehe auch neuerdings FRIEDRICH: Widerstandsmythos. 276

um den Volkszorn von sich abzulenken. Und schließlich seien inszenierte Pogrome zur Ausschaltung der innenpolitischen Opposition verwendet worden, in diesem Fall zur Vorbereitung des Referendums vom 30. Juni. Den Anlaß für das Pogrom von Kielce gaben, nach spätmittelalterlichem Vorbild, Gerüchte von Ritualmorden an kleinen Kindern. Laut dem Protokoll des Majors Kazimierz Konieczny vom 5. Juni 1946 meldete sich am Vortage um 8 Uhr morgens ein gewisser Walenty Blaszczyk mit seinem kleinen Sohn bei der Bürgermiliz (Milicja Obywatelska, MO). Der Sohn behauptete, er sei einige Tage zuvor von einer jüdischen Familie in deren Wohnung festgehalten worden. Der wachhabende Offizier schickte sofort eine Patrouille los, die vor Ort, am Hause ul. Planty 7, auf eine wütende Menschenmenge traf, die bereits in das Haus eindrang, plünderte und die Bewohner mißhandelte. Die hierher abkommandierte Miliz schritt nicht nur nicht - ebensowenig wie bereits anwesende Einheiten - gegen die Gewalttätigkeiten ein, sondern beteiligte sich noch daran. Die Forderung des Funktionärs des Sicherheitsdienstes (Urząd Bezpieczenstwa, ÜB) Wladysùaw Sobczynski-Spychaj, sofort die Miliz zurückzuziehen, wurde vom Stellvertretenden Milizleiter Major Kazimierz Gwiazdowicz abgelehnt. Sobczynski-Spychaj begründete seine Forderung mit dem politischen Charakter des Vorfalles. Seine Einschätzung bestätigte sich bald: In das antisemitische Pogrom mischten sich bald gegen die Regierung gerichtete Parolen. Dies führte dazu, daß man die Armee hinzuzog, die, angetreten mit 100 Mann, die Menge zerstreute. In der Zwischenzeit waren sieben Juden ermordet und etwa zwölf verletzt. Die Straße wurde eine Zeitlang von Soldaten aus der Milizschule abgesperrt, die dann aber, obwohl der Mob immer noch anwuchs, ihre Posten verließen. Gleichzeitig traf die Nachricht ein, daß ein Anschlag auf das Spital vorbereitet werde, in dem die Verwundeten behandelt wurden. Während Konieczny zum Spital eilte, verließen Arbeiter aus der Hütte „Ludwików" ihre Werkstätten; das Morden ging weiter. Später entwickelte sich eine Art Kundgebung, in der neben Anti-Regierungs-Parolen auch Sympathiebezeugungen für die Sanacja und General Wùadysùaw Anders zu hören waren. Konieczny berichtete, daß auch Gwiazdowicz an dieser Kundgebung teilnahm und dem Redner hinterher die Hand schüttelte. Auch diese Versammlung konnte erst gegen 16 Uhr durch die Armee aufgelöst werden. Die Bilanz dieses Tages war blutig: 60 Juden konnten gerettet werden; 34 Juden und zwei Katholiken wurden getötet, 44 Juden schwer verletzt. Danach stellte sich heraus, daß der Mann, der den Jungen drei Tage lang festgehalten hatte, in Wirklichkeit Antoni Poworski hieß und Katholik war.

Eine weitere Version sieht zionistische Kreise als Drahtzieher mit dem Ziel, sowohl die britische Mandatsregierung zur Meinungsänderung als auch die polnischen Juden zur Ausreise zu zwingen. Siehe SZAYNOK/WRONA: Pogrom kielecki, S. 77. Eine Auswertung aller zugänglichen Quellen in SZAYNOK: Pogrom Zydów. Szaynok kommt zu dem Schluß, daß eine Provokation seitens der Regierung nicht ausgeschlossen werden kann, viele Fragen aber ungeklärt bleiben. Meldunek do Z-cy D-cy OW VI do spraw Polityczno-Wychowawczych, mjr Kazimierz Konieczny, 1946, lipiec 5, zit. n. SZAYNOK/WRONA: Pogrom kielecki, S. 80 ff. Ob es sich tatsäch-

277

Im Pogrom von Kielce verbanden sich mittelalterliche mit modernen Mustern. Die Augenzeugin Rachela [!] Grunglas aus Breslau sagte aus: „Am 4.7.1946 befand ich mich im Eilzug, der von Breslau nach Kielce fuhr. Etwa um 1 Uhr 30 am Nachmittag, etwa 40 km von Kielce entfernt, bemerkte ich an einem Bahnhof, dessen Name mir nicht bekannt ist, eine Person in Militäruniform, die auf die Frage eines Passagiers, der mit mir im gleichen Abteil fuhr, warum geschossen werde, antwortete: „Wir erschießen Juden". An diesem Bahnhof stieg eine Person in Zivil in den Zug und erzählte, daß im Zug eine Suche nach Juden stattfinde, und rief die Passagiere auf, im Zug fahrende Juden zu erkennen und am Bahnhof auszuliefern. Als der Zug wieder fuhr, teilte einer der Passagiere den Übrigen mit, daß zwei Juden aus dem Zug erschossen wurden. Die Leichen dieser Juden habe ich gesehen, wie sie auf dem Bahnhof lagen. Danach fuhr der Zug nach Kielce, und als ich aus dem Bahnhof in die Stadt ging, bemerkte ich eine Gruppe von Personen, die Militäruniformen anhatten und Karabiner trugen, und diese Gruppen suchten Personen, die wie Juden aussahen. Zu einer Person gingen sie in meiner Gegenwart, verlangten von ihm Dokumente, als er verneinte, daß er Jude sei, und als sie diesen Umstand festgestellt hatten, begannen sie, ihn ins Gesicht und auf den Kopf zu schlagen, danach zogen sie ihn auf die Seite, wo ich einen Schuß gehört habe. Danach begab ich mich in Kielce auf die ul. Planty, wo sich unter der Nr. 7 ein „Kibbuz" befindet, in dem sich meine Kusine Beila Certner aufhalten sollte. Vor dem Gebäude bemerkte ich zwei Lastautos sowie das Gebäude von mit Karabinern "bewaffnetem Militär umstellt. Als ich durch die Absperrung gehen wollte, wurde ich nicht durchgelassen, und auf die Frage, was hier vorgehe, erhielt ich die Antwort: „wir suchen" oder „wir töten" Juden, ihr habt Euch hier nicht herumzutreiben, sonst werdet ihr auch sterben. Die Soldaten, die das Gebäude umstellten, befahlen uns, in die benachbarte Konditorei zu gehen, um abzuwarten, weil sie mich nicht als Jüdin erkannten, und daher begab ich mich zur Konditorei, wo mir auf meine Frage geantwortet wurde, daß die Juden 12 polnische Kinder getötet hätten, was ein Junge erzählte, der sich als einziger im Keller gerettet hätte. Außerdem haben die Juden einen Offizier und sein Kind getötet, das man 95

im Keller gefunden hatte, und deshalb sucht das Militär ebenfalls Juden und schießt." Die hier ausführlich zitierte Zeugenaussage Rachela Grunglas' - sie berichtet weiter von Selektionen am Kartenschalter des Bahnhofs - zeigt ein eindeutiges Muster: Aus dem Ritualmord-Vorwurf wird im Laufe der Ereignisse, während sich der bewafmete Mob zunehmend in einen Blutrausch steigert, die Ermordung von 13 Kindern, und eines Offiziers. Iniich so verhielt, wird von den beiden Herausgebern angezweifelt; jedenfalls gebe es hierfür ebensowenig Beweise wie für die Anfangsversion. Protokoll der Vernehmung Rachela Grunglas', 5.7.1946, Abschrift. AAN MAP 786. Von der Ermordung von vermutlich 30 Juden auf der Eisenbahnstrecke Kielce-Cz^stochowa berichten auch SZAYNOK/WRONA: Pogrom kielecki, S. 104, Anm. 23.

wiefern dieses Gerücht überhaupt von Soldaten stammte oder den Soldaten von den Zuschauern angedichtet wurde, bleibt unklar. Deutlich wird aber die breite Beteiligung der Soldaten an den Morden. Die nachfolgende Analyse der Ereignisse durch Instruktoren der PPR, die sich danach für elf Tage in Kielce aufhielten, war vernichtend. Miliz und Armee hatten sich an den Pogromen beteiligt, und von einem Ende des Antisemitismus konnte keine Rede sein: „Antisemitismus größeren Ausmaßes äußert sich bei einer ziemlich zahlreichen Gruppe des Kleinbürgertums: Ladeninhaber, Handwerker, Hauseigentümer und kleine Händler. Der Antisemitismus ist bei diesen Gruppen traditionell. Es lohnt sich, festzuhalten, daß die Mehrzahl der Häuser in Kielce einmal Juden gehörte. Die neuen Besitzer dieser Häuser, Läden, Wohnungen, Werkstätten oder sogar ehemals jüdischer Möbel fürchten sich vor der Rückkehr der Juden zu ihrem Eigentum." Eine solche „Gefahr" bestand durchaus. Am 11. März 1946 hatte Abteilungsleiter Kazimierz Fromm aus dem Departement für die religiösen Bekenntnisse dem Departement III Selbstverwaltung mitgeteilt, daß gegen eine Übertragung ehemals jüdischen Besitzes an das Zentralkomitee der Polnischen Juden (Centralny Komitet Zydów Polskich, CKZP) keinerlei Einwände bestünden, solange es sich nicht um Eigentum handelte, das ausschließlich 98 dem kultischen Gebrauch diente. Viele Arbeiter dagegen mache das Unverständnis für die wahren Gründe der miserablen Versorgungslage empfänglich für „feindliche Propaganda". Der Unmut entlade sich an sichtbaren und scheinbaren Ungerechtigkeiten: dem Machtmißbrauch seitens gewisser PPR-Funktionäre, dem Umstand, daß manche der jüdischen Polen nicht arbeiteten, und so weiter. Besonders empfänglich - und oft führend in antisemitischer Propaganda - seien die Eisenbahner, die auf die Heimkunft ihrer Familien warteten, aber immer nur Transporte mit Juden aus dem Osten sähen. Ebenso spiele die 99 Kirche eine nicht zu unterschätzende Rolle bei antisemitischer Hetze. Auf der anderen Seite bemängelten die Instruktoren, daß die Juden selbst sich von der polnischen Gesellschaft isolierten, anstatt sich ihr einzugliedern - ein Verhalten, das ebenso verständlich wie schädlich gewesen sein wird. Hinzu komme, daß es manchmal den Anschein habe, daß Machtmißbrauch in Partei- und Staatsapparat genau dann nicht verfolgt werde, wenn der Täter Jude sei. Unter den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation - Verstärkung der Aufklärungs- und Propagandaarbeit, Ausschaltung und Bestrafung von Ungerechtigkeiten bei Polen und Juden, Säuberung der Stadtverwaltung und der Miliz, Entsendung von Instruktoren zur Stärkung der in Kielce eher unterentwickelten Parteistruktur - ist eine für unseren Zusammenhang besonders bedeutsam: die Forderung, „gemeinsam Sprawozdanie brygady instruktorów z pobytu w województwie kieleckim w czasie od 4 - 75 lipca 1946. Zit. n. ebenda, S. 82-87. Kazimierz Fromm an Departament III Samorządowy, 11. März 1946. AAN MAP 788. Zum Kielcer Pogrom und zur Rolle der katholischen Kirche vgl. auch die beiden großen Dokumentenbände von MEDUCKI: Antyzydowskie wydarzenia. Sprawozdanie brygady instruktorów, S. 83 ff. 279

mit den jüdischen Genossen die Produktivierung der Juden in der polnischen Gesellschaft" voranzutreiben. Die Vorbereitungen für die „Produktivierung der jüdischen Bevölkerung" (produktywizacja ludnosci zydowskiej) begannen bereits mehr als ein Jahr zuvor. Im März 1945 hatte sich das Politische Departement des MAP an das Zentralkomitee der polnischen Juden mit der Bitte um Informationen gewandt. Man interessierte sich für die gesamte Anzahl der in Polen lebenden Juden, ihre Berufsstruktur, die Betreuung von Kindern, die Anzahl bereits bestehender Genossenschaften, welche Auslandshilfe in Anspruch genommen werde und so .. 102 weiter. Die Produktivierung bedeutete im Grunde nichts anderes als eine umfassende Umerziehung der gesamten noch in Polen verbliebenen ostjüdischen Bevölkerung und ihre Anpassung an die polnischen Wirtschaftsverhältnisse und Verkehrsformen. Gerade die osteuropäischen Juden zeichneten sich ja durch eine höchst eigenständige und im Umfeld der sich modernisierenden ostmitteleuropäischen Gesellschaften fremd und manchmal beunruhigend wirkende Kultur aus, die freilich erst in der Auseinandersetzung mit der nichtjüdischen Umwelt, oft in Reibung an ihr entstanden war. Diese Kultur, die mit einer spezifischen Wirtschaftsweise und einem spezifischen Berufsspektrum verbunden war, stand in der Optik der polnischen Regierenden, aber auch der jüdischen Organisationen selbst, einer vollständigen Eingliederung entgegen. Der Preis für die endliche Gleichberechtigung der polnischen Juden in ihrem Heimatland sollte die Aufgabe von Teilen ihrer Identität sein. Anscheinend war schon recht früh ausgemacht, daß eine Ansiedlung der überlebenden Juden und Jüdinnen aus den deutschen Konzentrationslagern, aber auch der jüdischen Repatrianten aus dem Osten in den alten Landesteilen schwierig werden würde; eine Rückgabe alter Vermögenswerte stieß, wie gezeigt, auf den gewalttätigen Unwillen der neuen Besitzer. Ende Juni 1945 meldete das Jüdische Wojewodschaftskomitee in Niederschlesien, daß sich dort etwa 7.000 junge Jüdinnen und Juden, ehemalige Zwangsarbeiter in Fabriken und Landwirtschaft, befänden. Einige seien in ihre alten Heimatorte zurückgekehrt, hätten dort aber „keinen Frieden in ihren Städten" gefunden und kehrten nun dorthin zurück, „wo die Mehrheit ihrer Genossen geblieben ist: in das Gebiet, wo sie arbeiteten und die Gräber ihrer ermordeten Nächsten liegen". Diese jungen Leute hätten sofort nach der Niederlage Deutschlands die Fabriken übernommen und

Ebenda, S. 87. Daneben bereitete man ein „Dekret o zwalczaniu antysemitizmu" vor, in dem für antisemitisch motivierte Gewalttaten an Juden, Beleidigungen, Drohungen, Anstachelungen zu Pogromen etc. Strafen von drei Jahren bis zur Todesstrafe vorgesehen waren. (Text laut AAN MAP 786, Bl. 56 ff.) Referent dla Spraw Mniejszosci Zydowskiej M. Rubinstein an Centralny Komitet Zydów Polskich, 15. März 1945. AAN MAP 786, Bl. 4. Vgl. etwa RAPHAEL MAHLER: Hasidism and the Jewish Enlightenment. Their Confrontation in Galicia and Poland in the First Half of the Nineteenth Century, Philadelphia u.a. 1985. 280

„laut und mutig ihr Polentum bekundet [...] Das Recht auf Staatsangehörigkeit haben sie 104

mit ihrem Blut und ihrer Arbeit bezahlt". Augenblicklich seien Fabriken und hochentwickelte Agrarbetriebe in der Hand von deutschen Facharbeitern (fachowcy), es sei aber ohne Schwierigkeiten möglich, dort in dem Maße, wie Arbeitsplätze „von den Deutschen befreit werden", etwa 20.000 Juden zu beschäftigen. Das Komitee forderte daher, „die städtische und ländliche Ansiedlung der Juden in Niederschlesien in den allgemeinen Repatriierungsplan einzufügen und ihnen die den Repatrianten zustehenden Privilegien zuzuerkennen". Die Kontrolle und Betreuung sollte im Prinzip beim Jüdischen Komitee liegen, gleichzeitig sollte aber Juden mit entsprechender Qualifikation „die Übernahme von Posten in der kommunalen und staatlichen Verwaltung ermöglicht" werden. Man dachte, was die ländliche Siedlung anging, an die Zurverfügungstellung „geschlossener Gebiete (ganzer Dörfchen, Siedlungen)", was wiederum eine gewisse Isolierung festschrieb, andererseits aber mehr als verständlich war. Immerhin handelte es sich um Menschen, die ein Grauen durchlebt hatten, das allenfalls mit Leidensgenossen zu verarbeiten, aber Außenstehenden kaum vermittelbar war. Eine Atmosphäre von Freundschaft und gegenseitigem Verständnis, meinte das Komitee, könne, da die meisten Familienangehörigen dieser Menschen ermordet worden seien, „nur in einer homogenen Gemeinschaft realisiert" werden. Damit war aber keine Wiederherstellung des ostjüdischen Schtetls in Niederschlesien gemeint. Gleichzeitig nämlich forderte das Komitee, „die soziale Umschichtung und Produktivierung der Juden" durch Kurse und Umschulungseinrichtungen zu ermöglichen. Das MAP stimmte zu. Ein undatierter Bericht der Repatriierungsabteilung des Zentralkomitees führt an, daß in Absprache und Zusammenarbeit mit dem Verband Polnischer Patrioten, der von Juli 1945 bis Juli 1946 die Repatriierung von Moskau aus betreute, entschieden wurde, jüdische Repatrianten „hauptsächlich nach Niederschlesien zu leiten, wo im umfriedeten (ogrodzona) Polen ein jüdisches Zentrum zu entstehen begann". Es stellte sich bald heraus, daß die ursprünglich angenommene Zahl von 60-70.000 jüdischen Repatrianten bei weitem überschritten werden würde. Daher wurden zunächst 20.000, später weitere 30.000 Repatrianten nach Stettin geleitet, wo sich zu diesem Zeitpunkt erst 200 Polen befanden und eine Aufnahme einer solchen Masse von Menschen nicht vorbereitet war. Allerdings habe der Stettiner Wojewo-

Memorial w sprawie osadnictwa Zydówna terenie Dolnego Sląska an den MAP, 23. Juni 1945, gez. J. Rosenberg, J. Ejsenberg, J. Egit, S. Schönberg. AZIH CKZP 34, Bl. 12-14. Memorial w sprawie osadnictwa Zydöw. Aus Bl. 14v. geht hervor, daß das CKZP diese Forderungen noch am gleichen Tag übernahm. Am 14. Juli 1945 empfahl der ZPP die Planung der Ansiedlung in Absprache mit dem PUR. Der ZPP lieferte Listen der jüdischen Umsiedler und empfahl, zunächst gemäß einer Liste 200 „Vertreter aller Parteien von der Orthodoxie bis zur extremen Linken einschließlich, darunter: Funktionäre der Genossenschaften, des Joint, des ORT, Journalisten, Literaten, Rabbiner, Lehrer usw." umzusiedeln. Schreiben Zarzad Gùówny ZPP an CKZP, 14. Juli 1945, gez. Leo Finkelstein, Dr. D. Sfard, Bernhard Mark. AZIH CKZP 51, Bl. 1 f. 281

107 de „großes Interesse" an den jüdischen Repatrianten gezeigt. Dies mag nicht zuletzt damit zusammengehangen haben, daß, wie es im Präliminarbudget des CKZP hieß, die polnischen Juden, die den Krieg in der Sowjetunion überlebt hatten, „in allen Branchen der Industrie beschäftigt waren" und sich daher viele „so weit qualifizierten, daß sie mit ihrer Fachkenntnis und ihrem Arbeitseifer als Beispiel dienen können". Einerseits war die Übernahme der Betreuung jüdischer Repatrianten durch jüdische Komitees sicherlich insofern gefährlich, als wiederum eine Sonderposition festgeschrieben wurde, zumal aus dem oben zitierten Präliminarbudget hervorgeht, daß die Versorgung und Unterbringung dieser Menschen recht gut, möglicherweise besser organisiert war als die der polnischen nichtjüdischen Umsiedler. Anscheinend sah man diese Gefahr auch auf Seiten des Zentralkomitees, zumindest wurde noch auf einer Konferenz des niederschlesischen Komitees mit dem PUR am 20. Februar 1946 diese Sonderrolle begründet: „Bürger Mgr. Rostal eröffnet die Konferenz und stellt die spezifische Lage der jüdischen Repatrianten dar. Es sind Leute, die auf die Friedhöfe ihrer Familien und Häuser 109 zurückkehren und nirgendwo Wärme nach langjährigem Umherirren finden." In der Folgezeit wurde das Jüdische rungsahteilung,

Wojewodschaftskomitee,

genauer seine

Repatriie-

zum „verlängerten Arm des PUR für jüdische Angelegenheiten".

Das

Komitee, hieß es, verfüge über „einigermaßen bedeutende Fonds", die im Wesentlichen von ausländischen jüdischen Hilfsorganisationen kommen sollten.

Tatsächlich flössen

die ausländischen Gelder zunächst nicht in der Menge, wie man das erwartet hatte. Am 12. März 1946 meldete der CKZP, daß sich das Komitee „in katastrophaler Lage" befinde; bereits im Januar habe man daher beim Vorsitzenden des Ministerrates um Hilfe gebeten.

107 108

Sprawozdanie z dzialalnosci Wydzialu Repatriacji CKZP, o.D. o.U., S. 1 ff. AZIH CKZP 9, Bl. 12-19. CKZP, Wytyczne i preliminarz budzetowy dla celów repatriacji, 8. Februar 1946, o.U. AZIH CKZP 2, Bl. 3-9. ADELSON: W Polsce zwanej Ludowet, S. 397, fuhrt dagegen an, daß die Auswahl Stettins als Ansiedlungsort ein Fehler gewesen sei: Bis zu diesem Zeitpunkt sei Stettin nur Durchgangslager für ausgesiedelte Deutsche gewesen. Es habe dort keinerlei jüdische Einrichtungen gegeben, ein Jüdisches Wojewodschaftskomitee sei erst Anfang 1946 entstanden. Die Repatrianten seien völlig auf sich gestellt gewesen, auch vom PUR sei kaum Hilfe gekommen. Leider gibt er keine Quellenangabe.

109 Protokói konferencji W.K.Z. z dyrektorem Bl. U.R-u ob. Krysą z driia 20.11.1946, gez. E. Haber, E. Rostal. AZIH CKZP 31, Bl. 42. 110 Diese Arbeitsteilung wurde vorbildhaft für die Repatriierung in den übrigen Wojewodschaften. So meldete der Historiker Dr. Szymon Datner vom Wojewodschaftskomitee in Biaùystok am 8. März 1946, daß im vergangenen Oktober eine Repatriierungsabteilung gegründet worden und ihr Leiter als Beamter des PUR übernommen worden sei. Schreiben Datner an Central komitet fun poilische jidn, 8. März 1946. AZIH CKZP 10, Bl. 13.

111 Protokóù konferencji. 282

112

Gleichzeitig habe man beim PUR 50 Millionen zl. beantragt sowie 50 Wohnbaracken. In einem Memorial vom 12. April wiederholte das Zentralkomitee seine Forderungen; inzwischen lag auch ein Verteilungsplan vor. Von den erwarteten 109.500 Jüdinnen und Juden sollten 70.000 nach Niederschlesien, 20.000 nach Pommern, 10.000 nach Lodz gebracht und die übrigen auf die Wojewodschaften Krakau, Oberschlesien, Warschau, Lublin, Kielce, Przemysl, Bydgoszcz und Biarystok verteilt werden. Nach einem Bericht über die Repatriierungsaktion lagen die Zahlen im Endeffekt noch etwas höher; die Finanzierung der Ansiedlung gelang durch Aufwendungen der Regierung und hauptsächlich 114 durch Spenden ausländischer Organisationen, vor allem des Joint Distribution Comitee. Am 14. Januar 1946 war die Zentralverwaltung des ORT in Polen als zentrale Stelle für die berufliche Umerziehung gegründet worden. Der ORT war eine internationale Organisation mit Sitz in der Schweiz , die sich, wie das Protokoll der ersten Konferenz der polnischen Filiale betonte, seit 66 Jahren um die Produktivierung „der breiten jüdischen Massen und ihre Einführung in Handwerk und Landwirtschaft" bemühte. Offensichtlich sah man die im Laufe der Jahrhunderte den jüdischen Bevölkerungen Osteuropas aufgezwungene und inzwischen eigentümlich gewordene Wirtschaftsweise (Kleinsthandel, vorwiegend städtische Bevölkerung, hohe Arbeitslosigkeit) als hemmend für eine Integration der Juden in die Gesellschaften an, in denen sie lebten. Diese Sichtweise war selbstverständlich keine Domäne der Antisemiten; vielmehr kamen Forderungen nach einer Umerziehung auch von jüdischen Organisationen und Einzelpersönlichkeiten, die sich eine Assimilierung der Juden zum Ziel gesetzt hatten. Einer der Referenten des „Ersten Freien Kongresses des ORT", Gründungsmitglied Dr. Muszkat, setzte dieses Programm in ein direktes Verhältnis zum Pogrom in Kielce. Darüber hinaus stellte er fest: „Der Aufbau des jüdischen Lebens in Polen ist untrennbar verbunden mit der Tätigkeit des ORT, die in die Richtung der ökonomischen Assimilierung, der Anpassung der Ju117 den an die Wirtschaft des Landes gehen sollte." 112

Schreiben Wydzial Repatriacji CKZP an Prezydium Rady Ministrów, 12. März [1946], gez. S. Zelicki, E. Sommerstein. AZIH CKZP 11, Bl. 30 f. 113 Memorial des Wydzial Repatriacji an Wolski, 12. April [1946]. AZIH CKZP 11, Bl. 10 f. 114 Wydzial Repatriacyjny przy CKZP, Sprawozdanie z akcji repatriacyjnej Zydów Polskich ze Związku Radzieckiego, o.D. o.U. AZIH CKZP 49, Bl. 1-7. Zur Rolle des Joint siehe etwa Adelson, W Polsce zwanej Ludową, S. 450-453. Danach stammten im Jahre 1947 81,7% des Gesamtbudgets des CKZP vom Joint. Adelson unterstreicht, daß ein Wiederaufbau jüdischen Lebens in Polen ohne diese amerikanische Organisation nicht denkbar gewesen wäre. 115 Der volle polnische Titel lautete: Organisation für die Entwicklung der industriellen, handwerklichen und landwirtschaftlichen Produktion unter der jüdischen Bevölkerung in Polen (Organizacja rozwoju twórczosciprzemyslowej, rzemieslniczej i rolniczej wsród ludnosci zydowskiej w Polsce). 116 I. Wolny ZjazdDelegatówORTu w Polsce, W-wa J2.-13.J1.1946. Protokól. AAN MAP 792. 117 I. Wolny Zjazd ORTu, S. 7. Hervorhebung von mir. Als gelungene Anpassung der jüdischen Sozialstruktur an die Markt- und Wirtschaftsbedürfhisse Nachkriegspolens beschreibt auch 283

Das sahen, wie Muszkat ausführte, durchaus nicht alle Zeitgenossen so. Im Ausland versuchten jüdische Gruppen, die Geldmittel für die polnische Unterorganisation zu streichen, da „die Juden anscheinend kein Existenzrecht in Polen haben" (Zydzi nie mają jakoby racji bytu w Polsce), was als Reaktion auf die Krakauer und Kielcer Pogrome und ähnliche Vorfälle nicht unverständlich war, aber auch mit den Bestrebungen zionistischer Organisationen zu tun hatte, deren Interesse sich eher auf eine Besiedlung Palästinas mit Holocaust-Überlebenden richtete. Auch einige der jüdischen Komitees in Polen widersetzten sich der Arbeit der Umerzieher. Die jüdischen Kommunisten hingegen transformierten die Umerziehung zum Gegenbeweis gegen all jene Antisemiten, die von genetisch bedingter jüdischer Wirtschaftsweise fabuliert hatten. In einer Resolution der PPR-Zelle im Zentralkomitee der Juden vom 17. November 1946 hieß es: „Die jüdische Bevölkerung in den Wiedergewonnenen Gebieten hat sich in ihrer Mehrheit in die produktive Arbeit zum Wohl des Neuen Demokratischen Polen'eingefügt. Etwa 50% der arbeitenden Juden sind in grundlegenden Bereichen der staatlichen Industrie und in Arbeitsgenossenschaften beschäftigt. Der Unglaube einiger Elemente, die nicht glaubten, daß in der jetzigen Zeit die Juden sich in die großen Fabriken, Bergwerke und Betriebe einfügen können, daß sie nur in den von ihnen bis 1939 besetzten Bereichen beschäftigt werden müssen, haben eine schändliche Niederlage (sromotną klęske) erlitten. Tausende Juden arbeiten jetzt gemeinsam mit polnischen Arbeitern in allen Bereichen des ökonomischen Lebens der 119 Wiedergewonnenen Gebiete." Andere jüdische Organisationen, vor allem der CKZP, gründeten Genossenschaften, Schulen und Lehrwerkstätten. Daneben war er, und dies begründete wiederum einen gewissen Sonderstatus der jüdischen Bevölkerung, der ihre Isolierung innerhalb Polens möglicherweise mit verstärken half, für die Repatriierung polnischer Juden aus dem Osten zuständig. Die Sonderrolle, die die Juden auch nach dem Kriege auszeichnete, sollte auf dem Wege der Produktivierung schrittweise aufgehoben werden. Das bedeutete gleichzeitig, im Guten wie im Schlechten, daß ein Verbleib von Juden in Polen an ihre vollständige Assimilierung, an ein Ende der - ebenfalls im Guten wie im Schlechten - eigenständigen Kultur und Wirtschaftsweise, wie sie bis 1939 existiert hatte, gebunden war. Nach Angaben des Zentralkomitees der Polnischen Juden lebten am 13. Januar 1946 noch 86.060 Juden im Land. Im Zuge des Bevölkerungstausches mit den westlichen Sowjetrepubliken waren insgesamt 136.500 jüdische Frauen und Männer zurückgekommen; nach Angaben des CKZP waren es sogar mehr als 139.000. Gleichzeitig verließen aber wahrscheinlich mehr als

GRYNBERG: Zydowska spöldzielnia pracy, die Ergebnisse von Produktivierung und Genossenschaftsbewegung.

/. Wolny Zjazd ORTu, S. 8. Rezolucja. Zjazd Delegatów Wydziaùów Produktywizacji Ziem Odzyskanych odbyty 17.11.1946. AZIH Komisja specjalna 1, o.Bl.

284

50.000 aus Gründen, die aus dem bisher Gesagten hervorgehen, das Land in Richtung We120 sten.

Die Zwangsumsiedlung

der ukrainischen

Bevölkerung

1947

Eine weitere Gruppe, deren Behandlung den Bevölkerungsplanern gewisse Schwierigkeiten verursachte, war die ukrainische Minderheit. Ebenso, wie zu Beginn des Bevölkerungstausches polnische Intellektuelle in den ehemaligen Ostgebieten der Umsiedlung mindestens passiven Widerstand entgegensetzten, stieß die ethnische Bereinigung entlang der polnischsowjetischen Grenze auf der Seite der polnischen Ukrainer nicht unbedingt auf Begeisterung. Die UPA als bewaffnete Organisation des extremen ukrainischen Nationalismus störte den Ablauf der Umsiedlungen, die inzwischen längst den Charakter von Zwangsdeportationen angenommen hatten, empfindlich durch Anschläge auf die Schienenwege. In der Folge überlagerten sich zwei anscheinend weitgehend voneinander unabhängige Aktionen: die oben erwähnte mehr oder minder freiwillige Umsiedlung nach dem polnisch-ukrainischen Abkommen und die Zwangsdeportation ganzer ukrainischer Dörfer durch die polnische Armee im Zuge der Bandenbekämpfung. bietsvertreter für Evakuierungsangelegenheiten

So berichtete Tadeusz Wisniowski, Gein der Region Sanok, daß im März 1946

die immer noch andauernde Aussiedlung sogar unterbrochen wurde, da das polnische Verkehrsministerium unter diesen Bedingungen nicht länger bereit war, Waggons und Lokoi 122 motiven zur Verfügung zu stellen. Hintergrund war die Zerstörung mehrerer Brücken durch die UPA. Deren Aktionen führten dazu, daß ausreisebereite ukrainische Familien zum Teil seit mehreren Tagen auf den Verladestationen warten mußten, da die Züge nicht 123 fahren konnten. Viele kehrten bald in ihre Dörfer zurück und „bewirken, daß die der

120 Zahlen nach ADELSON: W Polsce zwanej Ludową S. 398 f. Der Widerspruch zwischen diesen Angaben und denen von CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 102 f., 130, 154 f., die wesentlich niedriger liegen (54.594, zit. bei Adelson S. 388), der aber nur die Berichte des PUR benutzt hat, und den Angaben des CKZP, der von 139.500 Repatriierten sprach, kann hier nicht geklärt werden. 121

122 123

MISILO: Akcja „Wisla", S. 15. Vorausgegangen war ein Ersuchen um militärische Hilfe seitens des ukrainischen Umsiedlungsbeauftragten, der anführte, die ukrainischen Familien würden sicherlich gerne ausreisen, nur die UPA verhindere das. Schreiben Tadeusz Wisniowski an Gùówny Przedstawiciel dla Spraw Ewakuacji (Józef Bednarz), 16. März 1946. AAN GPR 9, Bl. 60. Ähnliche Verhältnisse berichtete bereits im Oktober 1945 der Gebietsvertreter in Stanislawöw, Marfan Bik: Referat w sprawie niecierpiacego zwloki usunigcia niedomagan w pracy Rej. Pelnomocnika Rządu Rzeczyp. Polskiej dla spraw ewakuacji w Stanislawowie, o.D. (Eingangsstempel beim Hauptbevollmächtigten Bednarz 14. Oktober 1945). AAN GPR 9, Bl. 215-223, führt an, daß Alte, Kranke und Kinder noch im Spätherbst in offenen Waggons transportiert würden, wenn sie nicht ohne ein Dach über dem Kopf zum Teil wochenlang an den Bahnhöfen warten müßten.

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Evakuierung gegenüber feindlich eingestellte ukrainische Bevölkerung immer neue Wege sucht, um nur ja nicht auszureisen". Gleichzeitig trafen an den Sammelpunkten Familien ein, die von der polnischen Armee vertrieben worden waren: „In einem Fall transportierte die Armee, als sie ein Dorf aussiedelte, 103 Familien auf 52 Fuhrwerken nach Sanok. Unter diesen Ukrainern waren nur Frauen und Kinder (mit wenigen Ausnahmen Männer), die Männer flohen in den Wald. Von diesen 103 schreiben sich gerade neun Familien zur Ausreise ein, der Rest wollte nicht einmal den Na124 men angeben und kehrte nach einigen Tagen nach Hause zurück." Die polnischen Umsiedlungsstrategen stießen bei dem Versuch, die Bevölkerungsprobleme im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet durch Umsiedlung und Bevölkerungstausch zu lösen, auf ähnliche Probleme wie ihre deutschen Vorgänger in der Zamojszczyzna. Die Umsiedlungen, auch wenn sie im Falle Polens zunächst auf freiwilliger Basis abliefen, verstärkten die Aktivität des Widerstandes. Der sprunghaft ansteigenden Handlungsbereitschaft der Partisanen aus der Heimatarmee (Armia Krajowa) und ihr verbundener Gruppen durch die Zwangsumsiedlungen in der Region um Zamosc entsprach nach dem Kriege die UPA als Organisation des zuvor von den deutschen Besatzungsbehörden mindestens geför125 derten extremen, antisemitischen und antipolnischen ukrainischen Nationalismus. In der Folge verbanden sich Bandenbekämpfung und Umsiedlung, wobei, wie aus dem oben angeführten Zitat hervorgeht, die polnische Armee bis zu diesem Zeitpunkt offensichtlich weniger mörderisch und rücksichtslos vorging als die SS- und Polizeibatallione im Jahre 1943. Statt der Selektion der Unerwünschten in nicht Verwertbare, die schlicht „verdrängt" wurden, und Arbeitsfähige, die in die großen KZ Auschwitz und Majdanek deportiert wurden, wählte die polnische Regierung einen anderen Weg. Der Bevölkerungstausch besonders mit der Ukraine war nach seinem offiziellen Abschluß weit von der angestrebten Vollständigkeit entfernt. Mehrere Tausend ukrainische

Schreiben Wisniowski an Bednarz, 6. März 1946. Zumindest in der Endphase des Krieges kam es zu einer direkten Zusammenarbeit zwischen Besatzern und UPA: Laut einem geheimen Schreiben des Gouverneurs des Distrikts Krakau an den Leiter des Füchtlings- und Räumungsstabes Craushaar vom 5. September 1944 hatte die 168. Division der UPA „ein autonomes Gebiet zugewiesen". AGK II 899, Bl. 7. Tatsächlich war die deutsche Politik gegenüber der ukrainischen Bevölkerung je nach Sichtweise widersprüchlich oder flexibel: Auf der einen Seite wurden im Verlaufe des Krieges 2 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen aus dem „Reichskommissariat Ukraine" zur Zwangsabeit ins „Altreich" deportiert, andererseits wurden im Distrikt Lublin ukrainische Wachmannschaften in den Vernichtungslagern Sobibör und Belzec eingesetzt. 35% der Ukrainer waren zur „Wiedereindeutschung" vorgesehen. WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 52, 98; MADAJCZYK: Besteht ein Synchronismus, S. 849; DERS.: Polityka III Rzeszy Bd. I, S. 464-479; BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 165 ff. Eine systematische Untersuchung der deutschen Politik gegenüber der ukrainischen Bevölkerung fehlt bislang. Für Ostgalizien wird diese Lücke teilweise von POHL: Nationalsozialistische Judenverfolgung, gefüllt. Die bislang einzige Gesamtdarstellung für die „besetzten Ostgebiete" in der Sowjetunion ist DALLIN: Deutsche Herrschaft, S. 117-178. 286

Familien blieben im Lande. Auch die Diversionstätigkeit der UPA hörte nicht auf. Die polnische Regierung hatte nun mit einer Frage fertigzuwerden, mit der sich auch schon die Delegatura befaßt hatte: mit der dauerhaften Existenz einer ukrainischen Minderheit im Lande. Die Ukrainer seien, so der Hauptvertreter der polnischen Regierung für Evakuierungsangelegenheiten Jözef Bednarz im Februar 1947, „in der Zeit der deutschen Okkupation eine privilegierte Nation" gewesen. Daß sich diese Nation „seine [d.h. des Okkupanten] Ideologie zu eigen gemacht" habe, zeige sich deutlich durch die Zusammenarbeit der Deutschen mit der UPA. Ein „ukrainisches Problem" gebe es nicht mehr, die „übriggebliebenen wenigen Einheiten an Ukrainern" versuchten nun, statt sich zu rehabilitieren, ihre Vergangenheit durch Änderung des Bekenntnisses - die meisten Ukrainer gehörten der orthodoxen oder unierten Kirche an -, durch Berufung auf Vorfahren, Loyalitätserklärungen und ähnliches zu vertuschen.126 Tatsächlich waren die Verhältnisse außerordentlich verwickelt. Unter den Mitgliedern der ukrainischen Komitees, die von den deutschen Besatzern in einer Art Scheinautonomie eingerichtet worden waren, befanden sich, wie Bednarz ausführte, sowohl Ukrainer als auch Polen, die sich Sicherheit und Privilegien versprochen hatten. Es gab außerdem sowohl katholische Ukrainer als auch „rechtgläubige" Polen; letztere wurden, „entsprechend der lokalen Auffassung", als Ukrainer behandelt. Vertreter aller dieser Gruppen forderten nun die Rückgabe oder Übereignung „ehemals ukrainischen Eigentums", also der von den Umsiedlern zurückgelassenen Höfe. Bednarz schlug ein fein differenziertes Umgehen mit diesen Anträgen vor. Polen, die sich in der Zeit der Okkupation als Ukrainer ausgegeben hätten, seien - entsprechend den rechtlichen Vorschriften über Verrat am polnischen Volk - zur Verantwortung zu ziehen. Anträge von Altenteilern, Verwandten ehemaliger Zwangsarbeiter u.a. seien von Gerichten oder per Gesetz eingesetzten Stellen zu bearbeiten. Rückkehrer aus der Ukrainischen Sowjetrepublik seien „auf administrativem Wege für illegalen Grenzübertritt zur Verantwortung zu ziehen und der Regierung der USSR zu übergeben". Über Personen, die sich zur Ausreise eingeschrieben und danach bis zum Ende der Umsiedlungen versteckt gehalten hätten, müsse die Regierung entscheiden. Inzwischen war aber die Entscheidung für eine Zwangsumsiedlung der Widerspenstigen in der Aktion „Wisla" längst gefallen.

Unbetitelte Denkschrift von Jozef Bednarz, bei Wolski eingegangen am 22. Februar 1947. AAN GPR9,B1. 41-44. Gemeint ist das Dekret über den Ausschluß feindlicher Elemente aus dem polnischen Volk vom 28. Februar 1945, wiedergegeben in: Vertreibung 1,3, S. 34-39, unter der inzwischen veralteten Begrifflichkeit „Ausschluß feindlicher Elemente aus der polnischen Volksgemeinschaft. Siehe dazu auch Kap. III.3.C Denkschrift Bednarz'. 287

Am 17. April 1947 ernannte Wolski Jözef Bednarz zum Beauftragten für die Umsiedlung der ukrainischen Deportierten in die Wiedergewonnenen

Gebiete

; eine Aussiedlung

in die Ukraine kam aufgrund des offiziellen Endes der Vertragsumsiedlung nicht in Frage.

Aus dem frühen Zeitpunkt der Ernennung von Bednarz geht hervor, daß die Depor-

tation wiederum mit der Restrukturierung verbunden werden sollte und das MZO im Vorfeld über die Zwangsumsiedlungspläne informiert war und sie mit vorbereitete.

So

stammte der „Evakuierungsplan", der die Organisation der Umsiedlung regelte und die Zuständigkeiten sowie die Ausstattung mit Lebensmitteln festlegte, aus dem Siedlungsdepar132 tement. Am 2. Juli 1947 begann die Ansiedlung der ukrainischen Familien, die mitsamt ihrem gesamten Hausrat und lebenden Inventar deportiert wurden, in den

Wiedergewonne-

nen Gebieten. Die Aufteilung dieser Menschen ist aufschlußreich: Nach einem Bericht Stelmachs über die ersten Wochen nach dem 2. Juli 1947, nach dem bereits 19 198 Familien (83 810 Personen) umgesiedelt worden seien, sollten weitere 5 000 Familien nach folgendem Schlüssel folgen: 2 000 nach Allenstein, 2 000 nach Stettin, 200 nach Bialystok 133 und 800 nach Danzig. Dieses Muster konkretisierte sich angesichts der Gesamtergebnisse. Mit 40,6% nahm die Wojewodschaft Allenstein den weitaus größten Teil der Zwangsumgesiedelten auf, mit 22,3% folgte Köslin. Die Wojewodschaften Stettin und Breslau erhielten j e über 10% der Familien, der Rest verteilte sich auf Grünberg, Oppeln, Posen, 134 Danzig und Bialystok. Im August 1948 stellte das BSOP eine Reihe von Korrespondentenberichten zusammen, die über die Reaktionen in den Ansiedlungsgebieten informierten. Allgemein scheint Begeisterung über den Bevölkerungszuwachs aus dem Südosten nicht 129

130 131

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134

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Wolski an Starosten, 17. April 1947. AAN GPR 9, Bl. 12. Bednarz war bereits zuvor Generalvertreter der polnischen Regierung für die Umsiedlung in Lublin gewesen. Lt. einem Schreiben Wolskis vom 10. Feburar 1947 wurde der Urząd Gùównego Przedstawiciela do spraw ewakuacji ludnosci ukrainskiej aufgelöst, Bednarz aber im Amte belassen. Ebenda, Bl. 25. Vereinbarung Bednarz' und seines ukrainischen Kollegen RomaScenko vom 26. Juni 1946. AAN GPR 6, Bl. 320. Zumindest'das Siedlungsdepartement wurde jedoch erst kurz vorher informiert: nach einem Aktenvermerk Swiatyckis vom 28. Juli 1948 wurde „die Mitarbeit des Siedlungsdepartements des M.Z.O. bei der Ausführung der Aktion „W" auf plötzliche Weise entschieden". AAN MZO 784, Bl. 185 ff. Plan ewakuacyjny, Geheim. o.D., gez. J. Pietkiewicz. AAN MZO 784, Bl. 23-27. Sprawozdanie z akcji „ W" na dzien 2 lipca 1947r., gez. Stelmach. AAN 784, Bl. 68. Ausführliche Listen der Anzahl der Deportierten aus den einzelnen Gemeinden bietet MISILO: Akcja „Wisla", S. 405-426. Ähnlich hatte der „Evakuierungsplan" festgelegt, daß 5.000 bäuerliche und 1.500 städtische Familien in die Wojewodschaft Allenstein, 7500 bzw. 2500 nach Stettin gebracht werden könnten. Plan ewakuacyjny, S. 3. Die Anmerkung, daß eine Aufnahme von noch mehr Familien nicht möglich sei, weist auf mehreres hin: zum einen, daß eines der Ziele der Aktion tatsächlich in einer Auffüllung der Lücken in der Besiedlung zu suchen ist, zum anderen, daß umgekehrt natürlich die geringe Bevölkerungsdichte dort eine Beschränkung des „Zuzugs" ukrainischer Familien erforderlich machte. Berechnung nach MISILO: Akcja „Wisla", S. 443 ff.

recht aufgekommen zu sein; sozialer und kultureller Dünkel werden hier eine große Rolle gespielt haben. Ein Bericht aus dem Kreis Lubliniec machte dies besonders deutlich: „Wir wollen keine Siedler aus dem Kreis Czestochowa und keine Analphabeten. Siedler aus Częstochowa sind ein unsicheres Element, sie lieben das leichte Leben und sind nicht imstande, fremdes Eigentum zu achten. Die Repatrianten können als Analphabeten nicht zur Repolonisierung des Gebietes beitragen. Wir brauchen gut aufgeklärte Intelligenz." Andere Korrespondenten bemängelten, daß so viele ukrainische Familien in manche Kreise gebracht worden seien, daß sie nun schon „50% der bisherigen polnischen Bevölkerung" ausmachten. Hier intervenierte auch das MBP. Man habe keine Einwände gegen eine Ansiedlung dieser Menschen in einer Entfernung von mehr als 50 km von der Grenze und mehr als 30 km von den Wojewodschaftshauptstädten; der Anteil der Ukrainer in einer Gemeinde dürfe aber keinesfalls 10% übersteigen. Eine vertrauliche Anordnung des Siedlungsdepartements vom 31. Juli folgte diesen Vorgaben in allen Punkten; zusätzlich wurde bestimmt, daß, sofern „individuelle Betriebe" nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stünden, eine Parzellierung von Gütern erfolgen solle, die nicht größer seien als 200 ha. Die Umsiedler, hieß es weiter, hätten „Anrecht auf jegliche Hilfe, und sogar Vorrang bei dieser Hilfe vor Baukrediten, Krediten für die Saataktion, Versorgung usw." Im MBP ging man schließlich noch einen Schritt weiter. Die Zwangsumgesiedelten wurden, je nach politischer Vorbelastung und fachlicher Eignung, in die Kategorien A-C eingeteilt und für die einzelnen Kategorien Höchstanteile für einzelne Gemeinden festgelegt. Bereits der erwähnte „Evakuierungsplan" ging davon aus, daß diese Menschen unterschiedlich behandelt werden müßten: Jedenfalls wurde festgelegt, daß den Leitern der Transporte aus den Durchgangslagern, die dem PUR unterstanden, Umschläge ausgehändigt werden sollten, von denen einer Informationen enthielt, „ob die sich im Transport beEine findenden Familien gruppenweise angesiedelt werden können oder nur einzeln". Instruktion über die genaue Abgrenzung der drei Kategorien konnte bislang nicht aufgefunden werden, die wesentlichen Grundsätze lassen sich gleichwohl rekonstruieren. Grundsätzlich sollte je Gemeinde nur je eine Familie der Kategorien A und B angesiedelt werden, was bedeutet, daß die betreffenden Familien als besonders gefährlich galten. Die entspre135

Bericht aus dem Kreis Lubliniec, Juni 1947. AAN MZO 784, Bl. 31. Bericht aus dem Kreis Braniewo, Juni 1947. AAN MZO 784, Bl. 33. 137 Abschrift des Chiörogramms Nr. 1556, Radkiewicz (MBP) an MZO, o.D.; Eingangsstempel 26. Juli (1947). AAN MZO 784, Bl. 214. 138 Rundschreiben des MZO DO, vertraulich, 31. Juli 1947. AAN MZO 784, Bl. 224. Wiedergegeben auch in MISILO: Akcja „Wisla", S. 381 f. Wie aus dem gleichlautenden Projekt des Schreibens hervorgeht, wurde es von Pietkiewicz unterzeichnet. In dieser Fassung fehlte der Absatz über die bevorzugte Hilfeleistung für die Umsiedler und wurde offensichtlich auf Betreiben Pietkiewiczs zugefügt. AAN MZO 784, Bl. 213 f. 136

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Plan ewakuacyjny, S. 2. 289

chenden Informationen stellten, nach einer Instruktion der „Operationsgruppe", die Vertreter des Sicherheitsbüros (Urząd Bezpieczenstwa, UB) in den einzelnen Sammelpunkten zusammen, in denen die Umgesiedelten vor ihrem Abtransport nach Westen und Norden festgehalten wurden. Der Unterschied zwischen den als „A" oder „B" klassifizierten bestand lediglich darin, ob die „Verdachtsmomente" vom UB oder vom Militär anhand mehr oder weniger gesicherter Materialien festgestellt worden waren. Unter „C" fielen Personen, die sich in den Augen des Umsiedlungskommandos verdächtig verhielten: „Die Zeichen A, B oder C informieren den Kommandanten des Verladepunktes über das Menschenmaterial, das ihm vom Kommandanten des Regimentspunktes geschickt worden ist. Ein Fehlen der Signatur in den Bemerkungen der Liste Nr. 1 wird ein siche140 res Element bezeichnen." Das Vorgehen der polnischen Umsiedlungspraktiker erinnerte an das ihrer deutschen Vorgänger. Die ukrainischen Familien wurden in den Durchgangslagern selektiert und zu dementsprechenden Transporten zusammengestellt. Ein Bericht vom Oktober 1947 stellte klar, daß wiederum große Unterschiede zwischen Vorschriften und Praxis klafften. Tatsächlich seien die örtlichen Behörden oft gar nicht informiert gewesen und hätten sich zum Teil darauf beschränkt, die Umsiedler in die Kategorien „Schädliche" und „Unschädliche" einzuteilen. Nach der unterschiedlichen Farbe der Durchlaufzettel für die drei Kategorien nann|e sich die ganze Prozedur „Farbansiedlung" (osadnictwo kolorowe). Die Lage der Zwangsumgesiedelten war jedoch nicht gerade rosig: Nach einem Schreiben des Allensteiner Wojewoden Jaśkiewicz mußten die ukrainischen Familien auf den „schlechtesten und sehr stark zerstörten Wirtschaften" angesetzt werden, da alle besseren Plätze bereits belegt waren. Finanzielle und materielle Hilfe mit einem Gesamtbetrag von über 230 Mio: 143 zl. sei dringend erforderlich. Hinzu kam, wie aus einem geheimen Bericht an den Gene-

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Instrukcja dowództwa GO „ Wisla" dla komendanta puùkowego punktu zborczego, Geheim, 23. April 1947, gez. Sidzinski und Chilihski. Wiedergegeben in: MISILO, Akcja „Wisla", S. 163 f. „Liste Nr. 1" bezeichnete die Liste der Einzelpersonen und Familien, die in einem Transport umgesiedelt wurden.

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Schreiben H. Torunczyk an Dubiel, 27. Oktober 1947, S. 2 f. AAN MZO 784, Bl. 40-43. Ebenso Schreiben MZO an Wojewoden, geheim, 10. November 1947, Unterschrift unleserlich. AAN MZO 784, Bl. 8 ff. Dort heißt es, offensichtlich über Familien der Kategorien A und B: „Unterbringung der Familien der Umsiedler aus Transporten von schädlicher Einstellung in einer Anzahl von nicht mehr als einer Familie aus jedem Transport in eine Gemeinde". 142 Sprawozdanie z kontroli akcji „ W" w pow. Koczuchów, geheim, 23. September 1947, gez. Ludwik Konarski. Ebenso Sprawozdanie z kontroli akcji „ W" w powiecie legnickim, 20. September 1947, gez. Józef Kalamarz. AAN MZO 784, Bl. 20 f. Daß die Forderung nach Selektion vom MBP stammte, geht aus dem Abschlußbericht des Inspektionsdepartements an den neuen Vizeminister im MZO Jözef Dubiel hervor. Selektionsprotokolle finden sich in AAN MZO 785-788. 143 290

Schreiben Wojewoda Olsztyhski an Pietkiewicz, 14. Juli 1947, gez. W. Jaskiewicz. AAN MZO 784, Bl. 210 f.

ralstabschef hervorgeht, daß die Situation sich künftig eher verschlimmern werde. Bedingt durch den Umsiedlungstermin sei es zur Aussaat zu spät gewesen, wegen Mangels an Zugkräften lägen ohnedies viele Felder brach. Die Lebensmittelrationen für die Neusiedler seien unzureichend, es gebe zu wenig Geld, und die örtlichen Behörden zeigten wenig Initiative. Schließlich erwies sich, daß eine Umsetzung des vorgeschriebenen Höchstanteils an ukrainischen Umsiedlern nicht einzuhalten war. Am Ende betrug deren Anteil in man145 chen Kreisen 16 bis 20% der Gesamtbevölkerung. Noch deutlicher wurde dies in einem Dienstvermerk im Siedlungsdepartement. Danach machten umgesiedelte Ukrainer und Ukrainierinnen in der Wojewodschaft Breslau 5,9% der Bevölkerung aus, in Danzig 4,7%, in Posen 3,7%, in Alienstein 11,5% und in Stettin 8,2%. 146 Die Umsiedlung war damit nicht unbedingt abgeschlossen. Am 11. November 1947 teilte das Siedlungsdepartement mit, daß das MBP „zur Regulierung des Sättigungsgrades (stopnia nasycenid) des Gebietes 147 mit dem Element aus der Aktion 'W'" berechtigt sei. In ihren dunkelsten Momenten schwangen sich die Formulierungskünste polnischer Technokraten, was die Quantifizierung und Reduktion von Menschen auf „Material", „Sättigungsgrade" und dergleichen „wissenschaftliche" Formulierungen angeht, zu Höhen auf, die von ihren deutschen Kollegen schon als Startpunkt verwendet worden waren. Die neuerliche Umsiedlung konnte „auf Anordnung der Sicherheitsbehörden" oder „aus eigener Initiative" erfolgen. Gleichzeitig wurden aber, per Anordnung vom 10. November 1948, nach einer Konferenz im Siedlungsdepartement die „Grenzen der Nichtansiedlung 148

wesentlich gemildert". Erwähnenswert ist schließlich, daß noch im Januar 1950 32 ukra149 inische Familien „im Rahmen der Aktion ' W " umgesiedelt werden sollten. Wie eng die Zwangsumsiedlung auch in den südöstlichen Gebieten mit Restrukturierungsplänen verbunden war, zeigt ein Schreiben des Rzeszower Wojewoden J. Mirek vom 13. Mai 1947. Im Rahmen der Umsiedlungsaktion sei die Sicherheit der betreffenden Gebiete garantiert, wie auch ihre „Freigabe für die polnische Ansiedlung": „Die zur Ansiedlung übernommenen Dörfer entsprechen jeglichen Ansiedlungsbedingungen, es gibt Wohn- und Wirtschaftsgebäude, kleine Wirtschafts- und Haushaltsgegenstände, Strohvorräte und zum Teil sogar Korn sowie Kartoffeln, in der Mehrzahl bestellte oder zur Frühjahrsaussaat vorbereitete Felder, eventuell Hackfrüchte. Die SicherBericht Switelski und Lasota an Generalstabschef, geheim, 12. August 1947. AAN MZO 784, Bl. 221 f. Schreiben Brandstetter (Szef Il-go Oddziaùu Glównego Zarzadu Polityczno-Wychowawczego), 30. August 1947. AAN MZO 784, Bl. 23. Notatka Sluzbowa, o.D., gez. L. Stanislawski. AAN MZO 784, Bl. 177. Schreiben Bukowski (Departament Likwidacyjny) an Okręgowe Urzędy Likwidacyjne, geheim, 29. November 1947. AAN MZO 784, Bl. 13. Notatka sluzbowa, 28. Juli 1948, gez. Swiatycki. AAN MZO 784, Bl. 185 ff. MAP DO an Siedlungsabteilung im Wojewodschaftsamt Stettin, 12. Januar 1950, geheim, gez. Swiatycki. AAN MAP 781, Bl. 98. 291

heit wird garantiert durch ein dichtes Netz von Posten der Bürgermiliz (Milicja Obywatelska) und dort stationierte militärische Abteilungen. Die Frühlingszeit, und insbesondere die große Zahl an Wiesen und Weiden gibt die Möglichkeit zum sofortigen Beginn einer rationellen Landwirtschaft durch umsiedelnde polnische Siedler." Und weiter: „Die Ansiedlungsaktion in den ehemals ukrainischen Gebieten kann - angesichts ihrer Ausmaße - großen Einfluß auf die Umgestaltung der Agrarstruktur des Dorfes der Wojewodschaft Rzeszów ausüben, und daher richten die Landbehörden, die sich dessen bewußt sind, ihren gesamten administrativen und technischen Apparat auf die Umsiedlungs- und Ansiedlungstätigkeit, womit sie planmäßig ihre hauptsächliche und grundsätzliche Aufgabe der rationellen Umgestaltung der Agrarstruktur des polnischen Dorfes realisieren." Die entvölkerten Dörfer sollten „im Rahmen einer rationellen Regulierung" neu besiedelt werden; Umsiedler sollten neben einem Wohnhaus 5 ha Boden mittlerer Qualität erhalten eine Menge Land in einem Gebiet, in dem fast 50% der Betriebe weniger als die Hälfte besaßen. In ähnlicher Deutlichkeit stellte sich diese Dualität von Bandenbekämpfung und Struktursanierung in der Wojewodschaft Krakau dar. Die dortige Minderheit der Lemken wurde erst auf Drängen des Krakauer und Rzeszower Wojewoden in die Zwangsumsiedlung einbezogen. Auch hier war die Annahme anzutreffen, die Lemken bildeten eine „bequeme Basis für ukrainische Banden", als weiteres Argument kamen aber Umstrukturierungspläne für die Region hinzu: „Der auf diese Weise erzielte Landvorrat in diesen Gemeinden wurde für Ziele der Agrarreform zur Lösung zweier Probleme bestimmt. Das erste Problem stellt die Gefahr der Auslöschung der Tatra-Wälder infolge der übergroßen Anzahl von Schafen dar, die dort auf Grund von Servitutsrechten ihrer Eigentümer weiden. Das zweite ist der geplante Ausbau Szczawnicas als Erholungsort." Die „Akcja W" diente damit einer Reihe von Zielen: Zum einen diente sie zweifellos der endgültigen Beseitigung eines ständig weiter schwelenden Unruheherdes, indem den ukrainischen Nationalisten schlicht dadurch der Boden entzogen wurde, daß ihre eigentliche Le-

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Schreiben Wojewoda Rzeszowski an Starosten, 13. Mai 1947, gez. Bronislaw Brzuski für J. Mirek, S. 1. AAN MZO 784, Bl. 192-195. 151 Mirek an Starosten, S. 1. 152 153

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Maùy Rocznik Statystyczny 1939, S. 68. Schreiben Wojewode Rzeszów an MAP Departament Polityczny, 7. Juni 1947, vertraulich. AAN MAP 781, Bl. 5; Schreiben Woj. Krakau an MAP DP, 3. Juli 1947, vertraulich, gez. Marian Rubinski; Schreiben Woj. Krakau, 14. Juli 1947, Unterschrift unleserlich. AAN MAP 781, Bl. 6 f. Schreiben Róza Maria Grik (Naczelnik Wydzialu Spoleczno-Politycznego im Wojewodschaftsamt) an MAP DP, 25. Mai 1949, vertraulich. AAN MAP 781, Bl. 25 f.

gitimation, nämlich die Existenz einer geschlossenen ukrainischen Bevölkerung im Südosten, beseitigt wurde. Daß dabei individuelle 'Schuld' im Sinne von Unterstützung oder wenigstens Sympathie für die UPA keinerlei Rolle spielte, verstand sich von selbst. Zum anderen konnten so Lücken in der Besiedlung der neuen Gebiete geschlossen werden. Vor allem für den Nordosten waren Siedler schwer zu finden, viele derer, die dort waren, wollten wieder fort. Gleichzeitig ließ sich eine bis dahin bestehende Modernisierungsblockade forträumen. Anscheinend sorgte der - teilweise durch Zwangsmittel der UPA erzwungene ethnische Zusammenhalt der Ukrainer, die in Gegenden lebten, wo auch die agrarische Überbevölkerung groß war, für eine Infragestellung des gesamten Sanierungskonzeptes. Die Tätigkeit der UPA und die faktische Unmöglichkeit, diese Menschen durch Abschiebung in die Ukraine loszuwerden, taten ein Übriges. Da sich nun die Ukrainer - nicht zuletzt aufgrund des Verhaltens vieler Landsleute während der Okkupation - leicht als zweitklassige Bestandteile des polnischen Volkes definieren ließen, wurden sie zur behördlichen Verschubmasse. Ihre Zwangsumsiedlung füllte Lücken in der Besiedlung der wonnenen Gebiete, vor allem aber machte sie den Raum frei für einen weiteren Schritt zur Sanierung der südöstlichen Agrarregionen.

Reemigration Schließlich ist die Reemigration zu erwähnen. Hier ging es neben der Repatriierung polnischer Zwangsarbeiter, die in der Zeit der Okkupation ins Reich deportiert worden waren, um Auswanderer aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten in den Westen, insbesondere ins Ruhrgebiet und in die elsässischen Bergbaugebiete gezogen waren. Während aber die "Rücksiedlung" Volksdeutscher Minderheiten in Osteuropa zum einen der sofortigen Verfügbarkeit von Siedlergruppen geschuldet war und zum anderen aus der Position der europäischen Hegemonialmacht heraus angeordnet werden konnte - ähnlichen Charakter hatte allenfalls die Vertragsumsiedlung zwischen Polen und den östlichen Nachbarn - , warf die Anwerbung von im westlichen Ausland lebenden Polen völlig andere Probleme auf. Diese Menschen waren in erster Linie im Zusammenhang mit dem industriellen Sektor erforderlich. So schreibt etwa Jaworski: „Es war dies das meistbegehrte Element, sowohl vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus als auch vom sozialen. Die überwiegende Mehrheit waren Bergleute aus den Gru-

Nach der im Wissenschaftlichen Rat üblichen Terminologie, die hier übernommen wurde, galten als Repatrianten nur die, die infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen das Land verlassen hatten bzw. verlassen mußten - einschließlich der Umsiedler aus den ehemaligen Ostgebieten, für die dies ja im Grunde gar nicht galt. Eventuelle Rückkehrer, die meist aus wirtschaftlichen Gründen in den Westen ausgesiedelt waren, wurden als Reemigranten bezeichnet. Vgl. OLSZEWICZ: Sprawa reemigracji, S. 145. 293

ben Frankreichs, Belgiens und Deutschlands (Westfalens) sowie qualifizierte Industriearbeiter." Dieser Zusammenhang läßt sich auch den Quellen entnehmen: Nachdem Pawel Rybicki auf der ersten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates die polnische Emigration als Potential für die Siedlung in nichtlandwirtschaftlichen Berufen ausgemacht hatte und Dobrowolski die polnischen Auswanderer in Europa und Übersee als „eines der wertvollsten Siedlungselemente" definiert hatte, da sie bereits „in sozialer Hinsicht sehr wichtige Selektions158 prozesse durchlaufen" hätten , wurde auf der zweiten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates eine Reemigrationskommission gegründet, die sich mit diesen Fragen zu befassen hatte. Ein einleitendes Referat hielt Bolesùaw Olszewicz; er stellte fest, daß obwohl genaue Daten nicht zur Verfügung stünden, von mindestens sechs, höchstens knapp acht Millionen Polen auszugehen sei, die außerhalb des Landes lebten. Aus „einer Reihe von Aussagen kompetenter Personen" könne man ableiten, „daß die Regierung nach der Gewinnung dieser Leute für das Land streben wird". Olszewicz war sich darüber im klaren, daß ein Appell an Emotionen und patriotische Gefühle kaum in der Lage sein würde, Ausländer polnischer Abstammung in ein Land zu locken, dessen Zukunft einigermaßen unsicher zu sein schien. „Daher müßte man sich bereits jetzt der wirtschaftlichen und finanziellen Seite dieser Frage annehmen und vor allem die Sicherung und Bewahrung der durch die Reemigranten in der Fremde erworbenen Güter im Auge haben." Auf der ersten Sitzung, die Anfang 1946 stattfand, machte Skowron die Bedeutung der Reemigration für Polen deutlich: „Die Diskussion im Rahmen des Wissenschaftlichen Rates hat gezeigt, daß wir einen gewaltigen Bedarf an Elementen für die Arbeit haben, daß uns allgemein Leute fehlen, Fachleute und agile Leute. Also sollten wir diese Lücken mit Reemigranten füllen, und zwar mit Reemigranten aus europäischen Ländern, hauptsächlich Frankreich, Belgien, wo es kein Interessse daran gibt, diese Milieus länger aufrechtzuerhalten. Heute hat sich die Situation geändert - im Augenblick haben diese Leute nichts zu tun, und im Lande werden sie gebraucht -, es geht nur darum, ob sie zurückkehren wollen." Vor allem seien für sie entsprechende Bedingungen im Lande zu schaffen: Keine Propaganda, die nicht „durch irgendwelche attraktiven Faktoren gestützt wird", könne positive Ergebnisse bringen. Dafür sei unbedingt erforderlich, die Situation dieser Menschen zu JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 142. 157 RYBICKI: Mozliwości zaludnienia, S. 36 f. 158 DOBROWOLSKI: Uwagi o osadnictwie, S. 106. 159 OLSZEWICZ: Sprawa reemigracji, S. 160. Ebenda, S. 162. Protokoll der ersten Sitzung der Reemigrationskommission, o.D., S. 6. AAN MZO 1687, Bl. 18294 57. 160

kennen, um ihnen anbieten zu können, was sie tatsächlich ins Land locken würde; Skowron führte an, daß es etwa in Frankreich vor dem Krieg eine Reihe von alten Bergleuten gegeben habe, die von einem Altersruhesitz auf eigenem Hof in Polen träumten. Damals seien diese Möglichkeiten begrenzt gewesen, heute sehe das anders aus. Dobrowolski dämpfte die großen Erwartungen: Diejenigen Polen, die schon seit Generationen im Ausland lebten, hätten sich dort völlig eingefügt und würden kaum danach streben, nach Polen zurückzukehren. Das gleiche stellte er für den größeren Teil derer fest, die während des Ersten Weltkrieges zwangsweise in die Bergwerke Deutschlands, Frankreichs und Belgiens gebracht worden seien. Auch sie seien längst integriert und würden „nicht freiwillig reemigrieren". Als dritte Gruppe erwähnte er Flüchtlinge aus der Zeit 1939-1945, die über die ganze Welt zerstreut und großenteils in polnischen Militärabteilungen gebunden seien; sie bezeichneten jedoch „einen politischen Aspekt, den im Moment niemand antastet". Daher seien intakte landwirtschaftliche und industrielle Betriebe in erster Linie für Reemigranten zu sichern statt für Umsiedler aus den alten Landesteilen oder „die zwangsumgesiedelte Bevölkerung aus den östlichen Gebieten", da er keine Möglichkeit sehe, Reemigranten zu gewinnen, „wenn die besseren Plätze nicht von ihnen eingenommen würden". Czeslaw Pilichowski, einer der führenden Köpfe des PZZ, wies auf ein weiteres Problem hin. Die Reemigration machte internationale Abkommen nötig, da es sich ja immerhin um Bürger fremder Staaten handelte. Besonders die Frage des Eigentumstransfers stieß bei den beteiligten Ländern auf wenig Gegenliebe. Nach den Ausführungen Dobrowolskis auf der ersten Sitzung des Wissenschaftlichen Rates war eine bevorzugte Behandlung der Reemigranten auch bevölkerungspolitisch sinnvoll. Abgesehen von „kleinen Gruppen von Psychopathen" und einigen Verbrechern zeichne sich die große Mehrheit der Auswanderer „durch physische Gesundheit, psychische Energie, dauerhafte Arbeitsamkeit und häufig organisatorische Fähigkeiten" aus. Diese Leute hätten sich, durch den Selektionseffekt der ausschließlich auf eigene Kräfte gestellten Existenz, mit großer Energie technische Fertigkeiten angeeignet. Ansatzpunkte für eine Rückkehrpropaganda fand Dobrowolski damals in dem Gefühl des Ausgeschlossenseins, das Fremde im Ausland oft befalle, zumal wenn dort eine Tendenz zur ethnischen Vereinheitlichung bestehe. Das Hauptpotential fand Dobrowolski in polnischen Bergarbeitern aus dem Ruhrgebiet, von denen etwa Hunderttausend nach dem Ersten Weltkrieg nach Frankreich und Belgien ausgewandert seien, sowie den Polen in Deutschland, die insgesamt in einem Verband organisiert gewesen seien. Nun stellte Dobrowolski fest, daß nach Mitteilung von Bekannten gerade in Frankreich starke Tendenzen festzustellen gewesen seien, nach Polen zu gehen - Dobrowolski sprach von 70-80%. Inzwischen habe sich diese Tendenz nach kritischen Berichten von Gewerkschaftsvertretern aus den Wiedergewonnenen Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 7. Ebenda, S. 14. DOBROWOLSKI: Uwagi o

osadnictwie, S. 106 ff. 295

Gebieten zwar abgeschwächt, hier sei aber bei entsprechender Propaganda „reiche Frucht" möglich. Besonders stark sei der Drang zur Rückkehr auch im Rheinland und in Westfa,

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len. Nagörski wies als Vertreter des MZO auf weitere Probleme hin. Natürlich sei es wünschenswert, potentiellen Reemigranten übernahmebereite Betriebe zu sichern, nur existierten solche kaum. Eine Reservierung für „die Welle von Reemigranten", von denen niemand wisse, ob sie tatsächlich eintreffen werde, komme aber nicht in Frage. Darüber hinaus mußte Nagörski die Wissenschaftler darauf hinweisen, daß die Propaganda „ehrlich sein muß" - man habe da viele Fehler gemacht und Leute mit Versprechungen angelockt, die dann wochenlang in Transportzügen festgesessen hätten. Dobrowolski insistierte gleichwohl: Was die Zwangsumsiedler aus dem Osten und die Siedler aus „den Stammgebieten" angehe, bestünden keine Befürchtungen über deren Verbleib im Lande, wohl aber bezüglich der Reemigranten, die „biologisch und kulturell die wichtigste" Gruppe darstelle. Durch solche Gruppen sei die amerikanische Gesellschaft entstanden, die sich aus den dynamischsten und psychisch besten Elementen zusammensetze. Im weiteren Verlauf der Diskussion, nachdem wieder einmal zur Sprache gekommen war, daß angesichts der internationalen Lage - inzwischen sei in England selbst die Labour Party in das Lager der Gegner Polens geraten - große Eile und die Schaffung vollendeter Fakten „im Blitztempo erforderlich sei", griff Dobrowolski auf gefährliche Vorbilder zurück: „Die Deutschen haben das größte Umsiedlungswerk vollbracht; es war dies der Plan der Zusammenziehung der deutschen Bevölkerung aus den außerdeutschen Gebieten mit dem Ziel der Besiedelung Polens; es war dies eine Aktion im Blitztempo." Dobrowolski zeigte sich vor allem davon beeindruckt, mit welcher Konsequenz und mit wie wenig Rücksicht auf die betroffenen Menschen dieses „Werk" durchgeführt wurde: „Man hat sie kaserniert, in Lagern zusammengefaßt, sortiert, und die wirtschaftliche Be170 tätigung kam später." Wenn man sich nicht zu einem solchen „großen Akt" entschließen könne, werde man diese Leute verlieren. Auch Pilichowski zeigte sich einem solchen Vorgehen gegenüber nicht abgeneigt, erklärte aber, daß „man nicht weiß, wie man dieses Problem lösen soll". Pawel Rybicki, Stefan Schmidt und andere waren von der Kompetenz Dobrowolskis so weit über-

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Protokoll der ersten Sitzung der Reemigrationskommission, S. 8 f. Ebenda, S. 11 f. Ebenda, S. 12 f. Ebenda, S. 21. Ebenda. Ebenda, S. 26.

zeugt, daß er als Referent für eine geschlossene Sitzung über das Gesamtproblem benannt , 172 wurde. Auf der zweiten Sitzung der Kommission, die für den 15. Juni 1946 festgesetzt worden 173 war, hielt Magister Wlodzimierz Glowacki ein zusätzliches Referat über die Bedeutung der Reemigranten in der Siedlungsaktion sowie die bisherigen Erfolge in dieser Richtung. Neben bereits bekannten Argumenten hörten die Wissenschaftler nun, daß auch aus Rücksicht auf internationale Bevölkerungsprobleme die Reemigration nötig sei. Nationale Minderheiten würden „immer ein Element der Zwietracht zwischen den Nationen" darstellen, da es keine Regierung gebe, die nicht versuchen würde, diese Minderheiten politisch auszunutzen. Hinzu komme, daß „die Notwendigkeit der Verminderung des demographischen Druckes" auf deutscher Seite zu territorialen Revisionsforderungen oder wirtschaftlichen Konzessionen führen müsse, wenn man nicht etwa diesen Druck „durch den Rückzug der 174 Minderheiten" verringere. Auch Glowacki hob, allerdings in anderem Zusammenhang, die sozioökonomische Bedeutung der Reemigration hervor: „Die Ausrottung der Juden hat dem Volk die Schicht genommen, die eine ungeheure Rolle in der nationalen Ökonomie gespielt hat. Zwar erlauben die sozialen Reformen, die Polen schon nach dem Krieg durchgeführt hat, ein wirtschaftlich weniger schmerzliches Empfinden dieses Verlustes, aber dieser ist unbezweifelbar und von welchem Element und innerhalb welcher Zeit er wieder ausgefüllt werden kann, wird von der Rationalisierung (usprawnienie) der Organisation des wirtschaftlichen Lebens des Landes und seiner Hebung auf ein höheres Niveau des Wohlstandes abhängen. Es ist offensichtlich, daß der Verlust der jüdischen Bevölkerung Polen ebenso ungeheures Wissenskapital wie wirtschaftliche Erfahrung genommen hat." Der Aufbau und der Betrieb der Industrie erfordere aber Menschen, die berufliche Qualifikationen besäßen; solche seien nicht sofort zu erwerben. Hier wären, aus Gründen, wie sie oben bereits erwähnt wurden, die Reemigranten geradezu unentbehrlich. Glowacki schlug jedoch eine vorherige Selektion vor. Polen, die sich so weit assimiliert hätten, daß sie sich selbst als Deutsche verstünden, ließen sich nicht mehr repolonisieren. Eine Auswahl sollte Ebenda, S. 31, 33. Das Referat Dobrowolskis ist nicht erhalten, wohl aber eine Inhaltsangabe; offensichtlich schlug er eine „psychophysische Selektion (Nordische, Mediterrane)" sowie eine Selektion nach Disziplin, Intellektualität, Sparsamkeit und Vermögen vor. Sprawozdanie z II posiedzenia Komisji Reemigracyjnej Rady Naukowej dla Zagadnien Ziem Odzyskanych z dnia 15 VI 1946, S. 4. AAN MZO 1687, Bl. 1-11. Laut Sprawozdanie z II posiedzenia war Glowacki Mitglied der Polnischen Konsularischen Kommission in Berlin. Wlodzimierz Glowacki, Znaczenie reemigrantów Polakówz Niemiec w akcji osadniczo-przesiedlenczej na Ziemiach Odzyskanych oraz obecny stan przygotowan do akcji reemigracyjnej, überarbeitete Fassung eines Referates für die Reemigrationskommission, S. 3. AAN MZO 1687, Bl. 58-73. Diese neuen Gesichtspunkte fielen auch den Kommissionsmitgliedern auf. Sprawozdanie z II posiedzenia, S. 1. Glowacki, Znaczenie reemigrantów, S. 3. 297

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deshalb nach drei Kriterien vorgehen: Herkunft, Sprachkenntnis und Haltung zum Polentum gemäß dem Gesetz über die polnische Staatsangehörigeit vom 20. Januar 1920. Gùowacki empfahl, zum Transport die Züge zu nutzen, die auf der Rückfahrt nach der Aussiedlung der Deutschen sonst leer wären. Entsprechend seiner Einschätzung der Repolonisierbarkeit unterschiedlicher Gruppen innerhalb der Polen in Deutschland war die Registrierung zur Ausreise nach Polen rein freiwillig; die Selektion erfolgte seit dem 2. April unter denen, die sich selbst gemeldet hatten. Problematisch seien jedoch „gewisse Anstrengungen der Londoner Kreise", die sich bemühten, die Reemigration möglichst hin179

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auszuzögern, wo nicht zu verhindern. Tatsächlich waren die Ergebnisse eher mager. Die ökonomische Bedeutung der Reemigration wurde auch an anderer Stelle deutlich. Eine Studie des Ingenieurs T. Gede für die fünfte Konferenz des Wissenschaftlichen Rates befaßte sich unter anderem mit dem Problem der „Polonisierung der Industrie der Wiedergewonnenen Gebiete". Bis Januar 1946 hätten in einer ersten Phase 266 Industriebetriebe der alten Länder 22000 Fachleute an die 373 neuen Betriebe abgegeben; zu diesem Zeit181

punkt arbeiteten dort 57.065 Polen neben 55.270 Deutschen. Die zweite Phase war gekennzeichnet durch den Versuch, doppelt so viele polnische wie deutsche Arbeiter zu beschäftigen. Die polnischen Fachkräfte sollten sich hauptsächlich aus Repatrianten rekrutieren und waren erst entsprechend auszubilden. Eine dritte Phase erhöhte nochmals die Zahl polnischer Beschäftigter. Das Hauptproblem bestand darin, daß „eine bedeutende Anzahl der Industriearbeiter der Wiedergewonnenen Gebiete zum ersten Mal mit Arbeit in der In182 dustrie in Berührung kam"; nach einer Aufstellung über den Stand am 1. November 1946 waren nur 18,6% der Industriebeschäftigten Autochthone, 6,1% Repatrianten aus dem Westen und 2,4% Reemigranten, also Leute, bei denen eine gewisse Erfahrung mit industriellen Arbeitsmethoden vorausgesetzt werden konnte. Das macht deutlich, welch große Bedeutung eine möglichst massenhafte Anwerbung bereits ausgebildeter Industriearbeiter aus dem Westen - andere Potentiale standen ja gar nicht zur Verfügung - für die Aufrechterhaltung der industriellen Produktion haben mußte. Gleichzeitig zeigt es, daß den flammenden Appellen, die die polnische Regierung an die „westfalczycy" und andere pol-

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Ebenda, S. 6. Ebenda, S. 10 f. Ebenda, S. 6 u. passim. Ebenso Sprawozdanie z II posiedzenia, S. 1. Glowacki, Znaczenie reemigrantów, S. 16. Sprawozdanie z II posiedzenia, S. 3. Zum Problem der deutschen Facharbeiter vgl. weiter unten. Tadeusz Gede, Odbudowa przemyslu na ziemiach odzyskanych, S. 18 ff. AAN MZO 1700, Bl. 27-50.

nischstämmige Gruppen im Westen richtete, kein besonders großer Erfolg beschieden

Verifizierung und Repolonisierung Während es bislang hauptsächlich um Bevölkerungsegmente ging, die zwar zum Teil nichtpolnischer Nationalität waren, aber die polnische Staatsangehörigkeit vor 1939 besessen hatten, stellten sich mit der Übernahme der Wiedergewonnenen Gebiete ganz andere Probleme. Wenn auch ein - hier in seiner Höhe nicht zu diskutierender - Teil der vormali184 gen Bevölkerung die Gebiete im Zuge von Evakuierung und Flucht verlassen hatte , stand außer Zweifel, daß die neuen Territorien mehrheitlich deutsch besiedelt waren. Angesichts der Strukturpläne, die im vorigen Kapitel beschrieben wurden, und angesichts der Definition und danach möglichen Entfernung der „Unerwünschten", die im folgenden Abschnitt thematisiert werden soll, wird klar, daß gerade darin ja der Wert dieser Gebiete lag. Die polnische Nachkriegsplanung ging aber ebensowenig wie die deutsche Besatzungsverwaltung von einem tatsächlich vollständigen Bevölkerungsaustausch aus: Zur Legitimierung der territorialen Ansprüche, aber auch im Sinne einer gewissen Kontinuität des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens galt es in beiden Fällen, Bevölkerungssegmente auszumachen, zu definieren und letztendlich aus der Gesamtheit der vorhandenen Bevölkerung auszusondern, die als Basis, sozusagen als gesellschaftliches Skelett für die Besiedelung der neuen Gebiete zur Verfügung stehen sollte. Was in der deutschen Kolonisierungspolitik die „Volksdeutschen" waren, waren auf polnischer Seite die „Autochthonen". Die Existenz manifester oder latenter polnischer Minderheiten im bisherigen Ostdeutschland, die als zur eigenen, ethnisch begriffenen Nation gerechnet werden konnten, hatte ja nicht nur den Vorteil, daß sich so der Besitz der neuen Gebiete als legitim nachweisen ließ, sondern nebenbei den Vorzug, daß damit eine Gruppe von Menschen zur Verfügung stand, die mit den örtlichen Verhältnissen gut vertraut war. Bereits im Vorfeld war ausgemacht, daß mindestens eine Million einheimischer Polen in den Wiedergewonnenen Gebieten lebten ; diese galt es nun ausfindig zu machen.

JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 142, gibt an, daß 1946 20.373 Reemigranten aus Frankreich, 19794 aus Deutschland, 2402 aus Belgien zurückgekehrt seien; die Volkszählung von 1950 habe ergeben, daß etwa 205.000 Reemigranten in Polen lebten. Letztere Angabe ist vermutlich überhöht, wenn auch sicherlich zwischen 1946 und 1950 von einer gewissen Zahl weiterer Rückkehrer auszugehen ist; Jaworski gibt auch keine Quelle für diese Zahl an. Laut einer Mitteilung Prof. Dr. Marian Wojciechowskis waren beispielsweise die Verluste, die die polnische Lehrerschaft durch die Weigerung, nach Polen zurückzukehren, erlitten hat, größer als die durch die deutsche Pressions- und Ausrottungspolitik. Vgl. MEISSNER: Ewakuacja.

Ein Bericht aus dem MZO aus dem Jahre 1948 sprach davon, daß lt. der Volkszählung von 1939 von 1,3 bis 1,4 Millionen Polen in den Wiedergewonnenen Gebieten auszugehen gewesen sei. Sprawozdanie z dziatalnosci Wydzialu Spoùeczno-Politycznego na rok 1948, S. 1. AAN 299

Nach in der Wojewodschaft Schlesien entwickelten theoretischen Grundsätzen sollten das Verhalten unter der deutschen Besatzung und die kulturelle Identität der Antragsteller für die Frage der Verleihung der polnischen Staatsangehörigkeit den Ausschlag geben. Andere polnische Planer mochten, trotz der denkbar schlechten Erfahrungen mit dem Rassenparadigma der Deutschen, auf eine ethnisch-"rassische" Stratifizierung der eigenen Bevölkerung nicht völlig verzichten. Dies galt schon für Teile der Delegatura. Die Liste der Karten eines nicht aufzufindenden statistisch-geographischen Atlas führte unter der Nummer 11 eine Karte zur „Rassischen Struktur der Bevölkerung" (Sklad rasowy ludnosci), nach der drei Viertel der polnischen Bevölkerung zum „nordischen und laponoidalen Typ" gehörten. Den nordischen Charakter verdankten die Deutschen hiernach gerade dem Umstand, „daß sie die slawische Bevölkerung germanisierten". Offensichtlich aber war den zuständigen Stellen innerhalb der Delegatura bei diesem Versuch, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, doch unwohl. Im hier zitierten Dokument wurde der gesamte Absatz von Hand gestrichen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam Jan Czekanowski, der schon vor dem Krieg als Rassenanthropologe hervorgetreten war, als Fachmann auch von deutschen Rassenforschern und Planern rezipiert wurde und ab 1945 im Wissenschaftlichen Rat tätig war. Auf seine anthropologischen Anmerkungen zur Frage der Betriebsgrößenverteilung wurde bereits hingewiesen. Vermutlich von 1948 stammte eine Studie über „anthropologische Aspekte der Agrarreform, Repatriierung und Migration" für den GUPP, in der er hauptsächlich den Versuch unternahm, den Einfluß der Betriebsgröße in der Landwirtschaft als Maßstab der allgemeinen wirtschaftlichen Lebensumstände auf die Körpergröße zu bestimmen, nebenbei aber noch Belege dafür anführte, daß die polnische Bevölkerung selbst in internen Einschätzungen deutscher Rassenforscher in weit höherem Maße über das verfüge, was man 190 dort als Merkmale der „nordischen Rasse" bezeichnete, als die Deutschen. 1949 veröffentlichte Ireneusz Michalski eine Studie zur Struktur der polnischen Bevölkerung, deren Ausführungen sich auf anthropologische Aufhahmen an Soldaten unmittelbar vor dem Krieg stützten und die sich in ihrer Methodik von Schädelvermessungen und anatomischen

MZO 68A, Bl. 24-27. Ebenso Uchwaùy Kongresu Polaków-Autochtonów z ZO w Warszawie 9 XI1946 oraz Konferencji Programowej Bl.Z.Z. dla spraw spoiecznego dzialania na ZO i dla ZO w Poznaniu 4 i 5 XII1946, Poznan 1946. AAN MZO 68A. Siehe vor allem IZDEBSKI: Rewizja pojecia narodowosci. 187 Spis tablic Atlasu statystyczno-geograficznego, o.D. (sicherlich vor Mitte 1941; siehe übernächsten Abschnitt), o.U. AAN ALP Delegatura 202/III-115, Bl. 361-369. 188 So z.B. bei WALTER FOHL: Die Bevölkerung des Generalgouvernements, in: DU PREL: Das Ge-

neralgouvernement, S. 37 ff. Vgl. Kapitel II.2.C, S. 189. 190 Jan Czekanowski, Antropologiczne aspekty reformy rolnej, repatriacji emigracji, o.D., bes. S. 12. AAN GUPP 90.

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Verhältnisberechnungen kaum vom Vorgehen deutscher Rassenforscher unterschied. Verfahrensvorschläge dieser Art blieben allerdings in der Praxis eher marginal, waren möglicherweise auch in erster Linie dazu verfaßt worden, um den Mythos von der Superiorität der Deutschen als „Rasse" ad absurdum zu fuhren. Daß diese Methode durchaus problematisch ist, ändert nichts an dem Umstand, daß das Rassenparadigma in der polnischen Planung und administrativen Praxis keine wesentliche Rolle spielte. Es weist aber darauf hin, daß sich die deutsche rassistische Bevölkerungspolitik durchaus auf dem allgemeinen Niveau der internationalen Diskussion bewegte. Das Problem der Selektion der autochthonen Bevölkerung stellte sich bald als die dringlichste aller Bevölkerungsfragen heraus, zumal die Lage dieser Leute alles andere als angenehm war. Da in der ersten Zeit nach der Übernahme der Wiedergewonnenen Gebiete keinerlei Richtlinien über eine besondere Behandlung dieser „Deutschen polnischer Herkunft" vorlagen, wurden sie anscheinend häufig als Deutsche behandelt. Das bedeutete, daß sie ebenso wie diese von ihren Höfen entfernt und in Durchgangslager gesteckt wurden, wo sie auf die Ausweisung warteten. Selbst danach war ihre Lage nicht unbedingt besser: „Ich möchte aber, daß die zuständigen Behörden gut die Verfassung eines Menschen begreifen, der als Bürger zweiter Klasse behandelt wird und keinerlei Rechte besitzt. Solche Bürger sind alle die, die einen Antrag auf Verifizierung gestellt haben und die Verifizierung bislang nicht erhalten haben. Einen solchen Bürger wirft man aus der Wohnung, steckt ihn in ein Lager für Deutsche, vergibt in der Zwischenzeit seine Wohnung. Einige Tage später wird ein solcher Bürger freigelassen, aber er besitzt nichts mehr als das, was er an sich trägt." Die polnischen Bevölkerungsplaner, aber auch die polnischen Siedler in den wonnenen Gebieten taten sich sichtlich schwerer mit der Einordnung ihrer germanisierten Brüder und Schwestern, als dies vorher bei der deutschen Besatzungsverwaltung gegenüber den „Volksdeutschen" der Fall gewesen war. Im Grunde kann dieser Umstand auch nicht verwundern. Während es eine Vielzahl von Organisationen der deutschen Minderheit in der Zweiten Republik gegeben hatte, die allesamt seit der Weimarer Republik rege Kontakte mit den deutschen Regierungen gepflegt hatten und zumal nach ihrer Gleichschaltung durch die nationalsozialistische Regierung als verläßlich und leicht kontrollierbar gelten durften, gab es ein vergleichbares Berufspolentum in den ehemaligen preußischen Ostprovinzen in nur geringem Umfang. Abgesehen vom Polnischen Westverband {Polski Zwiazek

MICHALSKI: Struktura antropologiczna. Von rassistischen Ausfällen einzelner Wojewoden wird in Kap. III.2.b., S. 376 ff., die Rede sein. Auszug aus einem Bericht der Delegatura Powiatowego Zarzqdu Przemysiu Metalowego Bytom (Beuthen), o.D. (um Jahreswechsel 1945/46). AAN MZO 68, Bl. 6. Eine der Aufgaben der Gesellschaftspolitischen Abteilung des Departements für Öffentliche Verwaltung im MZO war darüber hinaus die „Befreiung aus Arbeitslagern". AAN MZO 486, Bl. 1 f. Dort auch Monatsberichte der Abteilung. Vgl. auch MISZTAL: Weryfikacja, S. 133 f. 301

Zachodni, PZZ) und dem Verband der Polen in Deutschland (Zwiqzek Polaköw w Niemczech, ZPwN) gab es kaum ein organisiertes Polentum, eine Irredenta existierte in diesen Gebieten in der Zwischenkriegszeit überhaupt nicht. Es existierte somit keine den deutschen Organisationen der Zwischenkriegszeit vergleichbare Infrastruktur, die sofort in die Politik von Aussiedlung und Ansiedlung hätte eingebunden werden können. Und selbst wenn sie in stärkerem Maße, als bislang bekannt geworden ist 195 , existiert hätte, wäre sie doch in den zwölf Jahren der NS-Herrschaft weitgehend zerstört worden. Es war wiederum Rajmund Bulawski, der als erster eine systematische Definition der möglicherweise erwünschten Bevölkerungssegmente versuchte. Vorbild auf dem Feld der Praxis war das Oppelner Schlesien, wo sich „ein beträchtlicher Prozentsatz an Familien befindet, die, zweifellos polnischer Herkunft, im Laufe der Jahrhunderte der Germanisierung unterlagen und die heute in den Schoß der polnischen Nation zurückkehren möchten". Ähnliche Probleme bestünden aber auch in anderen Teilen der Wiedergewonnenen Gebiete. Dabei gehe es gewiß nicht darum, daß man befürchte, nicht genügend Siedler in die neuen Gebiete bringen zu können, sondern um den Willen „zur Vergrößerung des zahlenmäßigen Standes des polnischen Volkes um das in vieler Hinsicht wertvolle westliche Element". Darüber hinaus seien die Kriegsverluste so ungeheuer, daß man auf die zusätzlichen Arbeitskräfte nicht verzichten könne. Obwohl er also der Frage der germanisierten Polen positiv gegenüberstehe, empfahl Bulawski „weitgehende Vorsicht": „Ein Fehler wäre - meiner Meinung nach - ihr [d.h. dieser Gruppe] sofort die Rechte der polnischen Nation zuzuerkennen, so wie das einige wollen." Zum einen seien diese Leute ein Sicherheitsrisiko, da sie ja nun einmal aus dem Wechsel der Nationalität Vorteile gezogen hätten. Außerdem führe eine generelle Anerkennung von Aufhahmeanträgen dazu, „daß sich unsere Siedlungsmöglichkeiten im Westen sehr verkürzen würden". Das Gebiet reiche kaum aus, um die ländliche Überbevölkerung aufzunehmen, zusätzlich seien aber Hunderttausende Repatrianten mit Land zu versorgen. Das mindeste sei da, den Deutschen, die „unter dem Deckmantel polnischer Herkunft" ihr Eigentum retten wollten, diese Möglichkeit zu nehmen. Bulawski schlug vor, die Aufnahme in das

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Der Polnische Westverband wurde 1934 gegründet als Nachfolger des 1921 gegründeten Verbandes zum Schutz der westlichen Grenzgebiete (Zwiqzek Obrony Kresöw Zachodnich). Nach 1939 arbeitete ein Teil seiner Mitglieder in der Delegatura. Im November 1944 wurde der Verband in Lublin reaktiviert. Wichtige Mitglieder, die in der polnischen Nachkriegspolitik eine Rolle spielten, waren Zygmunt Wojciechowski, Józef Dubiel und Czestaw Pilichowski. Stownik historii Polski, Warszawa 61973, S. 350. Der Verband der Polen in Deutschland wurde am 27. August 1922 in Berlin gegründet und besaß Abteilungen in Berlin, Oppeln, Allenstein und Flatow. Ebenda, S. 585 f. Zum Organisationsgrad und der Tätigkeit der polnischen Bevölkerung im Deutschen Reich bis 1939 siehe neuerdings die ausgezeichnete, alltagsgeschichtlich angelegte Studie von NIENDORF: Minderheiten an der Grenze. BULAWSKI: Problem Niemcöw, S. 78 f. Ebenda, S. 79.

polnische Staatsvolk ausschließlich auf ausdrücklichen Antrag zu genehmigen und von Anfang an klarzustellen, daß selbst ein bewilligter Antrag nicht bedeute, „daß die betreffenden Personen von irgendwelchen Restriktionen befreit werden". Dies sollte vor allem bedeuten, daß sie „wie andere Deutsche" ihren Besitz verlieren müßten. Keine Bedenken äußerte Bulawski gegenüber der Aufnahme von landwirtschaftlichen und Industriearbeitern, die ohnedies dringend benötigt würden, sowie niederen Beamten bei Post, Eisenbahn usw. Je gesellschaftlich avancierter jedoch die Schicht sei, aus der die Antragsteller kämen, desto größere Vorsicht sei angebracht. Während einer „Übergangszeit' sollten diese Menschen keine Staatsbürgerrechte erhalten, also „wie andere Ausländer" weder das aktive noch passive Wahlrecht, kein Recht auf Eigentumserwerb und keine Freizügigkeit. Gerade die letzte Einschränkung sei sicherlich schmerzlich, aber gleichwohl sei sie unabdingbar, „wenn wir es nicht dazu kommen lassen wollen, daß im Westen geschlossene deutsche Agglomerationen entstehen". Gleichzeitig sei aber „alles zu vermeiden, was sie gegen die polnische Gesellschaft einnehmen und den Prozeß ihrer Polonisierung erschweren könnte". Gemeint war die Gleichstellung bezüglich der Arbeitsbedingungen und die Aufnahme in polnische kulturelle und soziale 198

Institutionen. Als primäres Selektionskriterium schlug Bulawski die Sprache vor. In Zweifelsfällen sei zu prüfen, inwieweit die Kinder der betreffenden Familien polnisch sprächen, vor allem, in welcher Sprache sie beteten. Hinzu komme das Kriterium, das auch Izdebski favorisierte: das individuelle Verhalten während der Herrschaft des Hitlerregimes. Gleichzeitig zwinge der Druck, der auf die polnische Bevölkerung ausgeübt worden sei und sie gezwungen habe, ihr Polentum zu verleugnen, solche Menschen zu berücksichtigen, die zwar jegliche Kenntnis der polnischen Sprache verloren hätten, aber niemals an „irgendgearteten antipolnischen Aktionen teilgenommen" hätten. Wichtig sei hier der Nachweis polnischer Abstammung, der auf der Grundlage der Arbeiten der Deutschen erfolgen könne: „Bekanntlich wurden die von der Hitlerregierung angeordneten genealogischen Nachweise im Grundsatz abgeschlossen, daher sollte die Beibringung solcher Beweise nicht auf größere Schwierigkeiten stoßen." Eine Feststellung des „Maßes der Nationalitätenvermischung bei einer gegebenen Person" - wie es die Deutschen mit der Feststellung des prozentualen Anteils „deutschen Blutes" ja betrieben hatten - sei überflüssig. Es reiche aus, „daß sie in einer der letzten Generationen polnische Vorfahren besitzt". Bulawski setzte sich wortreich von jeglichem Vorwurf des Rassismus, den ihm in der Diskussion Dr. Zieleniewski und Prof. Zabko-Potopowicz vorgehalten hatten, ab: „Der Wert dieser finsteren Theorien wurde ausreichend beurteilt durch die Katastrophe, die das deutsche Volk getroffen hat. Ich sehe aber keinerlei Hindernisse, um in unserem

Ebenda, S. 80 f. Ebenda, S. 83. 303

Interesse ein Instrument zu nutzen, das die deutsche Pseudowissenschaft in die Hände einer verbrecherischen Regierung gegeben hat zur Unterdrückung fremder Völker, vor allem des polnischen Volkes, und dies um so mehr, als die Berufung auf Blutsbande mit dem polnischen Volk bei den interessierten Personen volles Verständnis und innere Bestätigung findet." Zudem sei die Erfassung der ethnischen Zugehörigkeit bei Volkszählungen in den USA, Kanada und in der Zwischenkriegszeit in einigen europäischen Staaten üblich gewesen. Im Endeffekt aber übernahm Bulawski in abgeschwächter Form Paradigmen der deutschen „Wiedereindeutschungs"-Politik, die, wie sich am deutlichsten an der Frage der Landarbeiter zeigte, auch in diesem Falle mit sozioökonomischen Paradigmen vermischt waren. Letztendlich war auch diese Frage mit Problemen der Agrarstruktur der neuen Gebiete verbunden. Es ist bereits erwähnt worden, daß Rajmund Bulawski eine Beibehaltung und 201 Übernahme der großbäuerlichen Wirtschaften favorisierte. Auch Bulawski wollte, wie seine deutschen Vorgänger, diese größeren Wirtschaften kinderreichen Familien vorbehalten; dennoch sei ein Bedarf an Landarbeitern abzusehen. Er fand eine interessante Lösung für dieses Problem: „Diese Angelegenheit ließe sich mit Hilfe des Arbeiterelements polnischer Herkunft lösen, das der Germanisierung unterlag und dem unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit gegeben wird, in den Schoß des polnischen Volkes zurückzukehren. Es fällt schwer, Personen, die sich ihr ganzes Leben hindurch zur deutschen Nationalität bekannt haben, und erst jetzt bei sich eine gewisse Verbindung mit dem polnischen Volk entdecken, sofort als vollberechtigte polnische Staatsangehörige zu behandeln und zu Verleihungen [von Boden] auf gleicher Ebene mit polnischen Arbeitern zuzulassen." Diese Menschen sollten einen längeren „Prozeß der Repolonisierung" durchlaufen und sich „als würdig erweisen, die volle polnische Staatsbürgerschaft zu erhalten." Vorzuziehen sei jedoch ihre Umsiedlung in „alte polnische Gebiete" zum Zweck rascher Assimilierung. Im Klartext bedeutete dies: Unsichere Kandidaten waren zunächst einmal als Landarbeiter und Staatsangehörige zweiter Kategorie auf polnisch gewordenen Großbauernhöfen anzusetzen, 200

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Ebenda, S. 84. Zieleniewski hatte in einem leidenschaftlichen Plädoyer daraufhingewiesen, daß die Anthropologie längst erwiesen habe, daß es keine anthropologisch nachweisbaren Unterschiede zwischen Deutschen und Polen gebe und daß viele der Diskussionteilnehmer irgendwann einmal Deutsche unter ihren Vorfahren finden könnten. Dadurch würden sie aber sicherlich keine schlechteren Polen. Diskussionsbeitrag ZIELENIEWSKI, in: I Sesja, z. III, S. 88 f. Bulawski antwortete mit der nicht ganz richtigen Argumentation, er schlage nichts anderes vor, als was nach dem Ersten Weltkrieg „schon im großen Maßstab andere Völker getan haben, wobei sie sich überhaupt nicht auf die Theorie des Rassismus beriefen, die damals unbekannt war". BULAWSKI: Problem Niemców, S. 85. Vgl. Kap. II.3.C, S. 180 ff. BULAWSKI: Problemy osadniczo-przesiedlencze, S. 20.

mit der Möglichkeit, nach entsprechender Bewährung später volle Rechte und eigenes Land zu erhalten. Die Ähnlichkeit mit dem deutschen Vorgehen ist evident. Vergleichbare Konzepte bezogen sich auf Umsiedler aus dem Osten und „Wiedereindeutschungsfähige", und auch im Generalplan Ost waren Bewährungsfristen vorgesehen. Im Gegensatz dazu machte sich Zygmunt Wojciechowski, wie im Übrigen insgesamt der Polnische Westverband, dem er angehörte, zum Anwalt der „Autochthonen": Wenn man jemanden als Polen anerkenne, könne man ihn nicht hinterher disqualifizieren, „weil sich dann ein Komplex der Minderwertigkeit bildet, der nach einigen Jahren diese Menschen gegen uns wenden kann". Stattdessen sei einfach klarzustellen, daß wer sich als Pole zu erkennen gebe, eben keine deutschen Zeitungen und Bücher mehr besitze und seine Kinder in polnische Schulen schicke. Vor allem seien die Männer polnischer Herkunft aus den Lagern zu befreien, die dort als Kriegsgefangene säßen: die meisten hatten in der deut203 sehen Wehrmacht gedient. Im gleichen Tonfall sang Eugeniusz Romer das Loblied des nationalbewußten polnischen Schlesiers. Dort seien „nach jenem Krieg" - gemeint ist der Erste Weltkrieg - polnische Bücher in Auflagen von mehr als 30.000 Exemplaren erschienen, während die Auflagenhöhe in der Zweiten Republik meist 3.000 nicht überschritten habe. Auch eine Aufnahme von „einigen hunderttausend Unsicheren" sei - bei gegebener Vorsicht - möglich. Nur sollten „notorische Deutsche ohne Pardon" ausgesiedelt wer, 204 den. Am 22. März 1945 hatte der schlesische Wojewode Alexander Zawadzki eine Verordnung erlassen, nach der den Einwohnern der Kreise Beuthen, Gleiwitz, Kreuzburg, Rosenberg und Strelitz sowie der Städte Beuthen, Gleiwitz und Zabrze auf Antrag vorläufige Bescheinigungen über ihre polnische Nationalität ausgestellt werden sollten. Auswahlkriterium war der zweifelsfreie Nachweis polnischer Abkunft. Als Nachweise wurden anerkannt: Bescheinigungen polnischer Organisationen über die Mitgliedschaft und Bescheinigungen von drei Personen, die entweder Mitglieder des ZPwN oder Nachbarn sein mußten, an deren polnischer Nationalität keine Zweifel bestanden. Am 24. Oktober folgte eine Anordnung, nach der Repatrianten und Siedler als einzige und uneingeschränkte Besitzer auf vormals deutsche Betriebe gesetzt werden sollten, „unabhängig davon, ob der gegebene deutsche Eigentümer emigriert ist oder noch anwesend". Repatrianten und Siedler, die auf verlassenen Betrieben angesiedelt wurden, deren Besitzer zurückkehrten und danach verifiziert wurden, konnten dort bleiben; die zurückgekehrten, nun ehemaligen Besitzer sollten entschädigt werden. Wer aber „vorläufig" auf Höfen angesiedelt worden war, deren Besitzer später verifiziert wurden, sollte vom PUR einen neuen Wohnort zugewiesen bekom-

Diskussionsbeitrag WOJCIECHOWSKI, in: I Sesja, z. III, S. 89. Diskussionsbeiträg ROMER, in: I Sesja, z. III, S. 90. MISZTAL: Weryfikacja, S. 208. Leider war eine Auswertung der Akten des WAP Katowice, auf die sich Misztal bezieht, wie auch anderer Regionalarchive aus Zeitgründen nicht möglich. Die vorliegende Darstellung muß sich daher, was regionale Aspekte angeht, weitgehend auf veröffentlichtes Material beschränken. 305

men. Mitglieder der Gestapo und der NSDAP seien grundsätzlich zu enteignen und in Lagern festzusetzen, bei letzteren waren Ausnahmen nach Entscheidung der litischen Abteilung des Wojewodschaftsamtes möglich. Zawadzki schrieb somit für die Ansiedlung auf vormals deutschen Betrieben praktisch eine Priorität der Umsiedler fest. Über diese erste Phase ist ansonsten wenig bekannt, und auch die für diese Arbeit durchgesehenen Akten enthielten nichts Erhellendes. Der Historiker der Verifizierung Jan Misztal schreibt, daß die Starosten in dieser Zeit keinerlei Berichte verfaßt haben. Damit bleibt auch einstweilen unklar, wie die groben Kriterien, die Zawadzki in seiner Anordnung festgelegt hatte, in den zuständigen Kommissionen inhaltlich ausgelegt und gefüllt wurden. Dies ist um so bedauerlicher, als die Aufnahmekriterien - und das sollte sich bis zum 207 Staatsbürgerschaftsgesetz von 1950 nicht ändern - so vage formuliert waren , daß eine sorgfältige Selektion nach möglicherweise informellen Kriterien, die mit der Herkunft der Petenten nur wenig zu tun haben mochten, ebenso im Rahmen des Erlaubten lag wie eine 'strenge' Auswahl nach der Abstammung. Einen Hinweis gibt Misztal: Am 20. Dezember 1945 wurde auf einer Präsidiumssitzung des Wojewodschaftsnationalrates (WRN) unter Teilnahme der Gesellschaftspolitischen Abteilung des Wojewodschaftsamtes, des UB und der Zentralen Verwaltung der Kohleindustrie (Centralny Zarzad Przemyslu Weglowego) eine Kommission gegründet, die das Recht haben sollte, Polen, die in den unterschiedlichen Arbeitslagern einsaßen, zu verifizieren und freizulassen. Als Kriterien galten die Kenntnis der polnischen Sprache, das Verhalten der Familie in der Frage der Nationalität und die berufliche Qualifikation. Daß es hierbei weniger um Gerechtigkeit als um die dauerhafte Eingliederung dringend benötigter Bergleute ging, deren Einbürgerung moralisch noch vertretbar war, zeigt sich daran, daß die Direktoren der Bergwerke die Gebühr von 10 zl, die ab Januar 1946 für Rehabilitierung und Verifizierung zu zahlen war, ihren Arbeitern direkt vom Lohn abzog und gesammelt an die WRN überwies. Sicher ist, daß es bedeutende regionale Unterschiede gegeben haben muß, sowohl was den Kreis der potentiellen polnischen Staatsbürger als auch ihre Definition durch die zuständigen Behörden angeht. Am günstigsten schien die Situation in Oberschlesien und in Ostpreußen. So wurden polnische Schlesier, die in deutschen KZs interniert gewesen waren, am 19. Mai 1945 feierlich als „erste Staatsbürger" ihrer Wohnorte aufgenommen. Ähnlich verfuhr man in Alienstein, wo 110 aktiven Masuren und Ermländern feierlich die polnische Staatsangehörigkeit verliehen wurde, während in Niederschlesien, wo man von

Anordnung Zawadzkis vom 24. Oktober 1945, zit. n. MISZTAL: Weryfikacja, S. 149 ff. Das gleiche galt, wie Misztal betont hat, im Grunde auch für die oben zitierte Verordnung vom 24. Oktober 1945. MISZTAL: Weryfikacja, S. 151. Ebenda, S. 166 ff. S. 171, nennt Misztal als „grundlegende Funktionen" der Befreiung von Kriegsgefangenen: „Sie verbreiterte den Kreis der einheimischen Polen (miejscowych Polaków), die die Chance zur Rückkehr in den Schoß des Vaterlandes hatten, und sie wirkte positiv auf die Familien der Befreiten und auf die Umgebung, aus der sie kamen." 306

den Vorschriften des Staatsbürgergesetzes von 1920 ausging , Anfang 1946 erst vier 210 Familien eingebürgert worden waren. Wenn auch Feierlichkeiten dieser Art in erster Linie propagandistischen Charakter trugen, zeigen sie doch auch, daß zum einen ein Kreis von Personen vorhanden war, der - persönlich oder als ethnische Gruppe - populär genug war, um für solche Veranstaltungen in Frage zu kommen, und daß ein nennenswertes Bevölkerungssegment vorhanden war, das man mit derart betriebener Werbung ansprechen zu können glaubte. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, daß die Feierlichkeiten in Schlesien und Allenstein unterschiedlich zu beurteilen sind; darauf weist nicht nur die auffallende Differenz in der Zahl der so Geehrten hin. Während nämlich in Oberschlesien, wie sich nicht zuletzt in den Aufständen 1919-1921 gezeigt hatte, ein polnisches Nationalbewußtsein existierte und sich die slawisch-schlesische Bevölkerung, obwohl sie sich in erster Linie regional identifizierte, oft als polnisch begriff, war dies bei den Masuren und Ermländern in Ostpreußen nur in wesentlich geringerem Ausmaß der Fall. Eine Untersuchung Christoph Kleßmanns hat gezeigt, daß es Ende des 19. Jahrhunderts langwierige Auseinandersetzungen zwischen polnischen und masurischen Einwanderern im Ruhrgebiet gegeben hat, weil letztere sich kulturell und religiös eher als Deutsche verstanden, während erstere 211 sie für polnische Organisationen vereinnahmen wollten. Als am 8. Juni 1945 ein Ansiedlungskomitee unter Leitung des Gebietsbevollmächtigten Prawin für den Bezirk Masuren gegründet wurde, kam auch das Problem der „Autochthonen" zur Sprache. Hier ging es vor allem um die masurische und ermländische Bevölkerung, die in der Ansiedlung „dank der Kenntnis der örtlichen Verhältnisse wesentliche Dienste leisten" sollte. Darüber hinaus hoffte man, durch ihre Einbindung in die Kolonisierung „ihre Entfremdung zu durchbrechen, sie mit der hinzukommenden Bevölkerung zu verbinden und durch die Mitarbeit in den Komitees für das Wohl der gemeinsamen Sache 212 zu gewinnen". Tatsächlich war die Lage der Masuren besonders schwierig: zwar waren sie, was den örtlichen Dialekt anging, sprachlich den Polen verwandt, waren aber in der überwiegenden Mehrheit evangelisch, was dazu führte, daß etwa im Kreis Ketrzyn

Siehe oben Kap. III. 1. MISZTAL: Weryfikacja, S. 192 ff.

Vgl. KLESSMANN: Polnische Bergarbeiter. Es entsteht - bei aller Vorsicht angesichts der schmalen empirischen Basis dieser Überlegungen - der Eindruck, daß „Nationalbewußtsein" in erster Linie von Intellektuellen und Funktionseliten - Journalisten, Lehrern, Klerikern etc. - getragen und von der „Masse" der gemeinten Bevölkerung nur dann geteilt wurde, wenn es sich mit den tatsächlichen Bedürfnissen in Einklang bringen ließ bzw. deren Befriedigung nützlich zu sein schien. Diese Einschätzung bestätigt für den Kreis Flatow 1900-1939 jetzt NIENDORF: Minderheiten. Anders sieht das, aus einsichtigen Gründen, die polnische Forschung; so vertritt noch MISZTAL: Weryfikacja, S. 209 und passim, die These von der ethnisch polnischen Zugehörigkeit der Masuren, die aber, selbst wenn man davon ausginge, daß eine solche Zugehörigkeit existiert, für die Selbsteinschätzung recht wenig Bedeutung hatte. Protokóù posiedzenia organizacyjnego Wojewódzkiego Komitetu Osiedlenczego na Okręg Mazurski, 8. Juni 1945, o.U. AAN MAP 2418, Bl. 3 ff.

307

(Rastenburg) ultrakatholische untere Behörden die masurische Bevölkerung verjagten, weil 213 *• nicht Pole sein könne, wer nicht Katholik sei. Ahnlich desolat war die Lage des erwünschten Bevölkerungszuwachses in den übrigen Bezirken. Hinzu kamen zehntausende Kriegsgefangene polnischer Herkunft; der Erste Kongreß der Autochthonen und der Westverband sprachen Ende 1946 von 350.000 Polen, die „versehentlich" in sowjetische Zwangsarbeitslager deportiert worden seien. Am 6. Juli 1946 ersuchte Czajkowski das MBP um die Möglichkeit, Lagerhäftlinge zu verifizieren. Elf Tage darauf antwortete Andrzejewski aus dem MBP, daß die in Frage kommenden Häftlinge aus dem Lager Zlotowo dieser Tage entlassen würden, um die Verifizierung am Wohnort durchfuhren zu können; nicht nur in diesem Lager hatte das MBP kein Interesse an Besuchen Außenstehen217 der. Von da ab bemühte sich die Gesellschaftspolitische Abteilung im MZO um die Freilassung Autochthoner aus Zwangsarbeits- und Durchgangslagern. Am 20. Juni 1945 regelte ein Rundschreiben des MAP den Kreis der Antragsberechtigten auf Verifizierung. Sie mußten am 31. August 1939 ihren Wohnort in den 1945 von Polen übernommenen Gebieten gehabt, ihre „polnische Nationalität bewahrt haben" und durften nicht Mitglieder der NSDAP gewesen sein. Die Verifizierung erfolgte ausschließlich auf Antrag der Betroffenen. Am 10. Juli 1945 wurde der Kreis, möglicherweise auf Betreiben des CKZP, erweitert auf Personen, die aufgrund ihrer Nationalität oder wegen einer Mischehe verfolgt worden seien, besonders auf Juden und sogar Deutsche mit jüdischen Ehepartnern. Diese Erweiterungen bedeuteten im Grunde ein Eindringen moralischer und humanitärer Erwägungen in das technokratische Konzept der Selektion. Eine einheitliche Regelung bereitete jedoch erst ein Rundschreiben Czajkowskis vom 20. März 1946 vor. Danach waren das Oppelner Schlesien, die Lausitz, die Wojewodschaft Pomorze (Pommerellen) und der Verwaltungsbezirk Masuren von der Repatriierung der Deutschen ausgenommen, „im Hinblick auf den hohen Anteil polnischer autochthoner Bevölkerung und die noch nicht abgeschlossene Verifizierung dieser Bevölkerung". Inzwischen hatte zwar die Verifizierung längst begonnen, eine Festlegung von Kriterien für die Selektion fehlte aber noch; bis dahin sollten einige Hinweise gegeben werden: „Als dem Polnischen Volk zugehörige Person ist anzusehen eine Person polnischer Herkunft oder [eine Person], die Verbindung mit dem Polnischen Volk zeigt. [...] Im Hinblick auf das in vielen unerweckte Bewußtsein der polnischen Herkunft ist die Auf213

Aktenvermerk Wolski, 8. Februar 1946. AAN MZO 68, Bl. 8.

214 215

Uchwaùy kongresu Polaków-Autochtonów, S. 48. Schreiben Czajkowski an MBP, 6. Juli 1946. AAN MZO 497, Bl. 16. Schreiben MBP Gabinet Ministra an Czajkowski, 17. Juli 1946, streng geheim, gez. Andrzejewski. AAN MZO 497, Bl. 17.

217 Zur Frage der Lager vgl. unten Kap. III.3.b. 218 Sprawozdanie na miesiąc wrzesien 1946 r., 5. Oktober 1946. Ebenso Bericht für November 1946, o.D., gez. Fikel. AAN MZO 486, Bl. 11, 14. 2 1 9

308

MISZTAL: Weryfikacja, S. 210.

merksamkeit auf den Klang der Familiennamen, oft entstellt, und Verwandschaftsver220 bindungen mit Polen zu richten." Hinweise seien die Beteiligung an polnischen Organisationen, die Teilnahme „am Kampf um das Polentum" oder etwa die Solidarisierung mit Polen bei Gefahr für die eigene Sicherheit. Die Belastung eines Familienmitgliedes sollte nicht zu einer Ablehnung der ganzen Familie führen; stattdessen sei nur das betreffende Mitglied dem Sicherheitsdienst zu übergeben. In der Frage des Rechtsstatus der „Autochthonen" schlug sich Czajkowski eindeutig auf die Seite Wojciechowskis und des PZZ. Wer als zum polnischen Volk zugehörig anerkannt werde, solle die gleichen Eigentumsrechte genießen, wie sie polnischen Staats221 angehörigen zustünden. Damit überließ Czajkowski die Selektionskriterien wiederum faktisch den lokalen und regionalen Kommissionen. Am 6. April 1946 meldete Waclaw Majewski die Fertigstellung einer Broschüre, die die Selektionskriterien einstweilen regeln 222 sollte ; diese Broschüre konnte bislang nicht aufgefunden werden. Vermutlich war sie inhaltlich weitgehend identisch mit der „Verordnung des MZO vom 6. April 1946 betreffend die Feststellung der polnischen nationalen Zugehörigkeit von Personen, die auf dem 223 Territorium der Wiedergewonnenen Gebiete wohnhaft sind". Dort wurde vor allem die mögliche Form des Zugehörigkeitsnachweises entsprechend dem vorangegangenen Rundschreiben Czajkowskis geregelt. Die Verordnung zog den Kreis der potentiellen Kandida224

ten und Kandidatinnen allerdings noch weiter: Die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP und ihren Nebenorganisationen stelle „nicht grundsätzlich eine Grundlage für die Ablehnung" dar, da oft Zwang zum Eintritt ausgeübt worden sei. Der Grundsatz, daß die Ablehnung eines Familienmitgliedes nicht seine Familie betreffe, blieb bestehen. Am 28. April 1946 folgte ein formelles „Gesetz über die polnische Staatsangehörigkeit", das die Aufnahme der „Autochthonen" regelte. Danach hatte jede Person, die „ihre polnische Nationalität vor einer Verifizierungskommission bewiesen hat", das Recht auf Anerkennung

220

Okólnik MZO w sprawie stosunku do polskiej ludnosci autochtonicznej w czasie repatriacyjnej Niemcöw z granic panstwa, vertraulich, 20. März 1946, gez. Czajkowski. Wiedergegeben in: SNIADECKI: Ksztaltowanie sie. spolecznosci polskiej, S. 207 ff. Vgl. auch MISZTAL: Weryfikacja, S.212.

22

Okólnik MZO w sprawie stosunku do polskiej ludnosci autochtonicznej, S. 208. Der Wortlaut dieser Vorschriften findet sich etwa wieder in einem Rundschreiben Zygmunt Moczynskis von der Gesellschaftspolitischen Abteilung des Danziger Wojewodschaftsamtes vom 5. April 1946 an die Starosten. AAN MZO 497, Bl. 50r/v.

222

Vermerk Waclaw Majewski, 6. April 1946. AAN MZO 497, Bl. 2.

223

Zarządzenie MZO w sprawie stwierdzenia polskiej przynaleznosci narodowej osób zamieszkafych na obszarze Ziem Odzyskanych, 6. April 1946, gez. Czajkowski. Wiedergegeben in: MISZTAL: Weryfikacja, S. 351-357. Deutsche Übersetzung in: Vertreibung 1,3, S. 158-165. 224 So auch BROSZAT: Vorbemerkung, in: Vertreibung 1,3, S. XIX. 225

Zarządzenie MZO w sprawie stwierdzenia polskiej przynaleznosci narodowej, S. 352 f. 309

als polnischer Staatsangehöriger. Das Gesetz war außerordentlich kurz und enthielt keinerlei Angaben über Selektionskriterien. Es wurde jedoch, wie Czajkowski acht Wochen später erläuterte, ein „Automatismus" zwischen Verifizierung und Verleihung der Staatsan227

gehörigkeit hergestellt , der die Voraussetzung für die rechtliche Gleichstellung und (Re)-Polonisierung schuf und sich deutlich vom deutschen Konzept der abgestuften Staatsangehörigkeit unterschied. Damit hatte sich ein Phänomen, das bereits eingangs erwähnt wurde, noch deutlicher herauskristallisiert: Durch die Aufweichung der Selektionskriterien wurde der Kreis der potentiellen Polinnen und Polen so weit gefaßt, daß im Grunde nur aktiv organisierte Deutsche und NS-Verbrecher ausgeschlossen waren, denen individuelle Schuld nachweisbar war. Letztendlich blieb es den Verifizierungskommissionen überlassen zu entscheiden, wer als erwünschter bzw. „wertvoller" Bevölkerungszuwachs sollte bleiben können. Der Umstand, daß eine Aufnahme überhaupt nur auf Antrag der Betreffenden möglich war, schloß auf der einen Seite Deutsche mit offensivem Nationalbewußtsein weitgehend aus und ermöglichte auf der anderen, da ja ein vitales politisches und wirtschaftliches Interesse am Bleiben einer möglichst großen Gruppe bestand, über die Antragsprüfung die Aussonderung derer, auf die man lieber verzichten wollte. Damit war die Aufnahme von Familien und Einzelpersonen, die sich im Grunde als Deutsche verstanden, sich aber im Sinne der polnischen Gesetze nichts hatten zu schulden kommen lassen, eben gerade nicht ausgeschlossen. Über irgendwelche Vorfahren mit polnisch klingenden Familiennamen wird die Mehrheit der Altansässigen in den meisten Gegenden verfügt haben. Das Verifizierungsverfahren rechnete also im Grunde damit, daß unabhängig von nationalistischen Parolen und ähnlichen Zumutungen die meisten Menschen in allererster Linie daran interessiert waren, dort bleiben zu können, wo sie seit Jahren, womöglich Generationen gelebt hatten, ihre materielle Situation so weit als möglich zu verbessern und sich, was ihr „nationales Bekenntnis" angeht, nach dem richteten, was von außen an sie herangetragen wurde, sobald es nicht mehr anders ging. Die polnischen Bevölkerungsplaner vertrauten auf die mittel- und langfristige Wirkung ihrer „Repolonisierung", die bei Bulawski, der der Verläßlichkeit der „Autochthonen" ja ohnedies mißtrauisch gegenüberstand, sicherlich nicht zufällig noch „Polonisierung" hieß.

Ustawa z dnia 28 hvietnia 1946 r. o obywatelstwie panstwa polskiego osób narodowosci polskiej i zamieszkatych na obszarze Ziem Odzyskanych, Art. I. Wiedergegeben in: MlSZTAL: Weryfikacja, S. 361 f. Deutsche Übersetzung in: Vertreibung 1,3, S. 197. Schreiben Czajkowski an das Außenministerium (Ministerstwo Spraw Zagranicznych, MSZ), 26. Juni 1946. AAN MZO 497, Bl. 14. Im Grunde war dies auch den Behörden klar, die immer wieder davon sprachen, daß es sich ja um Menschen handele, die seit Jahrhunderten germanisiert worden seien und denen ihre Verbindung zu Polen erst einmal beizubringen war.

310

Eine Woche später klärte ein Schreiben des Danziger Wojewoden und Bevollmächtigten für Pommerellen die Starosten und Stadtpräsidenten über den Sinn der neuen Verordnung auf: „In Berücksichtigung der ungenügenden Klarheit der Verifizierungskriterien stelle ich fest, daß die Verifizierung im Gegensatz zur Rehabilitierung ein rein ordnungsrechtlicher Akt ist, der das Element polnischer Herkunft vom deutschen Element selektiert. In der Folgezeit wurden Informationsveranstaltungen durchgeführt, die Starosten und Vertretern sämtlicher Verwaltungsbereiche, „den U.B. und die M.O. nicht ausschließend", Sinn und Form der Verifizierung näherbringen sollten. Ein Bericht Miroslaw Dybowskis über eine Inspektionsreise für die Verifizierungskommission der Wojewodschaft Danzig erwähnte weitere Probleme. Die Rote Armee hatte sich zur eigenen Versorgung Güter gesichert, die mit deutschen Zwangsarbeitern betrieben wurden. Außerdem waren ganze Ortschaften aus der polnischen Verwaltung herausgenommen und für die Ansiedlung und Verifizierung gesperrt. Auch hier sollten, nach entsprechender Kontaktaufnahme mit „kompetenten sowjetischen Behörden" Kommissionen zugelassen werden, die masurische und ermländische Flüchtlinge aus Ostpreußen von dort befreien und rücksiedeln sollten. Die Selektion berief sich in dieser frühen Phase nach außen ausschließlich auf ethnische Kriterien. Es wurde, wie schon im „Wiedereindeutschungs"-Verfahren, wenn auch mit geringeren Ansprüchen an das 'Maß' der Abstammung, die Existenz polnischer Vorfahren festgestellt; Kriterien der eigenen Zuordnung und des Verhaltens kamen erst mit der Verordnung vom 6. April 1945 zur Anwendung. Das solidarische Verhalten Polen gegenüber in der Zeit der Unterdrückung galt alternativ zur „inneren Haltung", die sich im Gebrauch 231 der polnischen Sprache äußern mochte. Der Danziger Wojewode legte - was Rückschlüsse auf die bis dahin angewandte Praxis zuläßt - zudem fest, daß die Aberkennung der erfolgten Verifizierung nicht als Strafe verwendet werden dürfe und daß Straffällige den Gerichten zu übergeben seien. Ausdrücklich hätten „weder das Gericht noch der Staatsanwalt noch das Sicherheitsamt noch die Miliz oder irgendwelche anderen Verwaltungsbehörden" das Recht, die Verifizierung aufzuheben oder für ungültig zu erklären. Zwar ist auch an anderen Stellen nachzulesen, daß man, was die Umsiedlung aus den alten Lan-

229 Okólnik, 13. April 1946, gez. St. Zralek. AAN MZO 497, Bl. 92r/v. Zur Rehabilitierung siehe oben Kap. III. La. 230 Sprawozdanie z inspekcji dokonanej w dniach 16., 17., 18. i 19. kwietnia br. w powiatach Stupsk, Sùawno, Miastko i Bytów z polecenia Wojewody Gdanskiego jako Przewodniczacego Wojewódzkiej Komisji Weryfikacyjnej w sprawie stwierdzenia stanu akcji weryfikacyjnej i potozenia ludnosci zweryfikowanej na terenie wspomnianych wyzej 4-ch powiatów województwa gdanskiego, o.D., gez. Miroslaw Dybowski, S. 1 f. AAN MZO 68, Bl. 29-32. 231 232

Zarzadzenie MZO w sprawie stwierdzenia polskiej przynaleznosci narodowe, S. 352. Okölnik, 13. April 1946. 311

desteilen anging, auf „kriminelle und asoziale Elemente" verzichten wollte. Deren Ausschluß aus der Kolonisierung der Wiedergewonnenen Gebiete bedeutete aber nicht, wie in der deutschen Kolonisierungspraxis, ihre „Ausmerze" aus dem Staatsvolk. Die Verifizierungskommissionen sollten aus einem Vertreter der Verwaltung als Leiter, zwei Vertretern des örtlichen Nationalrates bzw. der Parteien, je einem Vertreter des Verbandes der Polnischen Lehrerschaft, des PZZ, der Bäuerlichen Selbsthilfe, der Gewerkschaften und „3-5 Vertretern der örtlichen polnischen Bevölkerung - aktiven Polen" bestehen. 2 3 4 Damit wurden alle wesentlichen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Organe, die zur damaligen Zeit bestanden, in den Auswahlprozeß eingebunden. Gleichzeitig wird deutlich, daß allenfalls nachbarliche Animositäten, nicht aber rassistische, rassenbiologische oder rassenpsychologische Kriterien diesen Prozeß beeinflussen konnten. Gleichzeitig konnte so größerer Druck auf eine Selektion nach dem Kriterium der Klassenzugehörigkeit ausgeübt werden. So verband etwa auf der ersten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates der Referent Wùadysùaw Skowron die Aspekte ethnische Bereinigung und Aufbau einer neuen sozioökonomischen Ordnung: „Die Bevölkerungsbewegungen der strukturellen Gruppe haben die Umgestaltung des polnischen Staates in einen Staat mit von der Nationalität her einheitlichem Antlitz zum Ziel, und gleichzeitig zielen sie über eine neue räumliche Verteilung, die berufliche Umschichtung und die Regulierung der Grundlagen des materiellen Daseins verschiedener Bevölkerungsschichten auf die Schaffung eines neuen sozioökonomischen und politischen staatlichen Organismus, der zum Überleben und zu weiterer Entwicklung fähig ist." 2 3 5 Ließen sich diese Äußerungen noch als grundsätzliche nationalökonomische Strukturüberlegungen werten, bei denen zu vermuten ist, daß soziale Merkmale ein Auswahlkriterium gewesen sein mochten, war dieser Aspekt - freilich in einem wenigstens teilweise anderen Sinne als in der deutschen Praxis der vorangegangenen Jahre - in der Tätigkeit des MZO deutlicher wahrzunehmen. So spielten zwar nicht vorrangig Faktoren der beruflichen Eignung und ökonomischen Bewährung, wohl aber der Klassenzugehörigkeit spätestens ab 1948 in die Verifizierung hinein. Anfang 1949 berichtete die Gesellschaftspolitische Abteilung im MZO über das Problem der Behandlung von Mischehen, daß neben eventuell vorhandenen Kindern, der Zeit des Zusammenlebens und der politischen Einstellung auch die

Organizacja przesiedlenia ludn[osci] na ziemie nowoodzyskarte, o.D., o.U. [2. Hälfte 1945]. AAN MZO 1685, Bl. 9 f.: „Wer soll [in die neuen Gebiete] ausreisen? Jeder, der den Willen zur Ausreise erklärt. Nicht zugelassen zur Ausreise sind lediglich kriminelle und antistaatliche Elemente." Zarzqdzenie MZO w sprawie stwierdzenia polskiej przynaleznosci narodowe, S. 355. WLADYSLAW SKOWRON: Powojenne ruchy migracyjne w Polsce, in: 1 Sesja, z. 3, S. 1-10, hier S. 5. 312

„klassenmäßige Herkunft" in Rechnung gestellt worden sei. Eine genauere Analyse wird dadurch erschwert, daß, wie bereits erwähnt, entsprechend detaillierte Instruktionen offensichtlich nicht vorlagen und die Verifizierungskommissionen keine Berichte verfaßt haben, aus denen nähere Einzelheiten hervorgehen könnten. Ein Hinweis darauf, daß in gewissem Maße Faktoren berücksichtigt worden sein mögen, die nichts mit der Abstammung der Beurteilten zu tun hatten, findet sich im Arbeitsbericht der Gesellschaftspolitischen Abteilung vom 1. Oktober 1948. Diese Abteilung hatte unter anderem strittige Fälle, in denen die Verifizierungskommissionen zu keinem eindeutigen Ergebnis kamen, zu entscheiden: „Die Entscheidung des Ministeriums stützt sich auf die formalrechtliche, soziale und politische Beurteilung der in den Akten des gegebenen Falles enthaltenen Fakten, unter Berücksichtigung der allgemeinen politischen Atmosphäre des gegebenen Zeitraumes, der spezifischen örtlichen Bedingungen und der Klassenmomente in jedem gegebenen Fall." 2 3 7 Darüber hinaus sei bei der Bearbeitung der Anträge „das Fehlen praktischer Möglichkeiten der Umsiedlung gewisser (polnischer, aber aus politischen Gründen in den Wiedergewonnenen Gebieten unerwünschter) Elemente ins polnische Hinterland" berücksichtigt worden. Das bedeutete: Wer sich, obwohl rechtlich seine Einbürgerung angezeigt gewesen wäre, als politisch untragbar erwies, konnte schlicht zum Deutschen erklärt und ausgewiesen werden. Ein Hinweis auf die zumindest informelle Existenz sozioökonomischer Kriterien bei negativer wie positiver Selektion findet sich schließlich in einer neueren Arbeit zur Geschichte der Deutschen in Niederschlesien: Beata Ociepka weist ausdrücklich darauf hin, daß spätestens im Frühjahr 1946 die Verifizierungskommission in Ghiszyce, Kreis Walbrzych, eine Reihe von Kriterien festlegte, die Bewerber für die polnische Staatsangehörigkeit qualifizierten. Dazu gehörte neben „slawischer Herkunft" und der Haltung zum polnischen Volk während der Okkupation die Beurteilung „ist unentbehrliche Fachkraft" (jest niezb^dnym fachowcem).

Reaktionen der Bevölkerung auf die Verifizierung Die Integration der „Autochthonen" blieb, auch nachdem das Selektionsverfahren rechtlich normiert war, schwierig. Vor allem die berühmte Rede Byrnes', aber auch die offensichtlichen Unzulänglichkeiten der polnischen Verwaltung führten dazu, daß die Situation in den Wiedergewonnenen Gebieten weiterhin „gefährlich" war und sich manche Autochthone Sprawozdanie z dzialalnosci Wydziaùu Spoùeczno-Politycznego na rok 1948, o.D. o.U., S. 3. AAN MZO 486, Bl. 24-26. Ebenso Sprawozdanie z dzialalnosci MZO, S. 23. Daß in beschränktem Umfang auch berufliche Qualifikationen in der Behandlung der unerwünschten Bevölkerungssegmente eine Rolle spielten, wird in Kap. III.3.b. besprochen. Wydziaù SpoI[eczno]-Polit[yczny], Sprawy narodowosciowe, 1. Oktober 1948, Unterschrift unleserlich, S. 1; 3. AAN MZO 486, Bl. 39-43. OCIEPKA: Niemcy na Dolnym Sląsku, S. 21 f.; 53. 313

21

sagten, „unterm Deutschen" sei es besser gewesen.

239

Nicht zuletzt die abwartende Haltung

vieler Kandidaten und Kandidatinnen für die polnische Staatsbürgerschaft sorgte dafür, daß keine Rede davon sein konnte, den in der Verordnung vom 6. April auf den 1. Juli 1946 festgesetzten Ausschlußtermin für die Antragstellung einhalten zu können. Der oben zitierte Bericht Dybowskis aus vier Kreisen vom April 1946 teilte mit, daß in einem der Kreise, in dem laut Preußischer Statistik von 1910 8000 Kaschuben gelebt hätten, diese „nicht in der Ziffer von 1700 Verifizierten lokalisiert werden" könnten. Darüber hinaus sei festzustellen, daß die Kinder der Verifizierten oft nicht die (polnische) Schule besuch240 Stattdessen rief ein Rundschreiben des Departements für Öffentliche Verwaltung

ten.

des MZO auf zum „Kampf um die Seele jener Polen, die im Nichtbewußtsein ihrer polnischen nationalen Zugehörigkeit stecken". Die meisten bislang aufgetretenen Unzulänglichkeiten, Mißbräuche und Mißerfolge erklärte man damit, daß die zuständigen Verwaltungskader zum einen „das Problem nicht begreifen", zum anderen keinerlei Berichte verfaßten, 241 die Interventionen seitens des Ministeriums erlaubt hätten. Am 22. Juni 1946 lud der Wojewodę Z. Robel im Allensteiner Rathaus zu einer Konferenz, die mit der Suche nach einer „wirksamen und für den polnischen Staat und das polnische Volk vorteilhaften Lösung" befaßt war, und an der Vertreter der Schulen, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Organisationen teilnahmen. Die Lage beschrieb Robel als katastrophal. Trotz aller Anstrengungen bezüglich der Repolonisierung werde die „autochthone Bevölkerung" nach wie vor von lokalen Behörden mißhandelt und von polnischen Banden regelmäßig überfallen und ausgeraubt. Die Folge sei, daß die Ergebnisse der Repolonisierung und Verifizierung „erschreckend" genannt werden müßten. Viele zögen es vor, sich als Deutsche zu bezeichnen und über die Oder auszureisen, auch aus Kreisen, in denen „zu deutschen Zeiten das Polentum stark dagestanden hat" {gdzie staùa mocno polskość za czasów niemieckich).

Vizewojewode Rejminiak führte an, das Hauptproblem liege 242 Tatsächlich hatten bereits manche Beobachter fest-

in einer „falschen Siedlungspolitik".

239 So berichtete etwa am 16. November 1946 der Allensteiner Wojewodę an Wolski, daß im Zusammenhang mit der Rede Byrnes' 90% der „Autochthonen" ihre Kinder nicht mehr zur (polnischen) Schule schickten, da sie die Rückgabe der Gebiete an Deutschland erwarteten. Schreiben Wojewoda Olsztyński an Wolski, 16. November 1946. AAN MZO 68, Bl. 90. Ebenso schätzte Dobrowolski auf der vierten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates die Situation ein. AAN MZO 1703, Bl. 92. Das Bonmot „Unterm Deutschen war's besser" bezieht sich auf Machtmißbrauch und Rechtsbeugung seitens lokaler Behörden und entstammt dem bereits zitierten Bericht Mretas, Stosunek autochtonów do osadników na terenie gromady Kleszczyna pow. Zùotów, S. 28. AAN GUPP 464. 240

241 242

314

Dybowski, Sprawozdanie z inspekcji, S. 3 f. Die Angabe bezieht sich auf den Kreis Bytów (Bütow). Pismo okólne, dringend, 28. Mai 1946, gez. Czajkowski. AAN MZO 497, Bl. 12 f. Sprawozdanie z konferencji Kierowników Urzędów niezespolonych, przedstawicieli partii, organizacji spoùecznych oraz dziaùaczy miejscowych w sprawie skutecznego i pomyślnego dla Państwa i Narodu Polskiego rozwiązania problemu polskiej ludności autochtonicznej, odbytej w dniu 22 czerwca 1946 r. w sali konferencyjnej ratusza, zwoùanej przez Wydziaù Organizacyjny

gestellt, daß oft Höfe von „Autochthonen" an Siedler vergeben worden seien, so daß die Frage auftauchte, ob nun eine Rückgabe der betreffenden Betriebe an die ursprünglichen Besitzer erfolgen oder diese mit anderen Höfen, die in der Regel in schlechtem Zustand 243

waren, entschädigt werden sollten. Das Dekret über die Agrarstruktur vom 6. September 1946 entschied diese Frage wie zuvor das MZO eher im Sinne der Neusiedler. Laut Artikel 41 und 42 wurden Höfe, die sich nicht im Besitz ihrer ursprünglichen Besitzer befanden, dem staatlichen Landvorrat beigefügt; soweit ihre vormaligen Besitzer verifizierte 244

Polen waren, sollten sie durch kostenlose Zuteilung von Parzellen entschädigt werden. An erster Stelle stand aber, wie schon in der Frage der Anwerbung von Siedlern aus den alten Landesteilen, das Problem der Sicherheit und des Machtmißbrauchs seitens der Sicherheitsorgane. So forderte PPS-Sekretär Kretkowski die harte Bestrafung der Kommandanten von Abteilungen des UB und der MO für „die Verübung von strafwürdigen Taten ihrer untergebenen Funktionäre". Außerdem sollten alle beteiligten Beamten im Umgang mit den „Autochthonen" geschult werden. Dies schien auch nötig zu sein: Przygorski, Vertreter der Polnischen Presseagentur, berichtete, daß etwa in Wartenburg die Miliz Ermländer verhaftet und zur unbezahlten Straßenreinigung gezwungen habe. Auch andere Redner berichteten, daß die „Autochthonen" als „Bürger zweiter Klasse behandelt werden", selbst Aktivisten „werden nicht als vollwertige Polen angesehen". Besonders schlimm, so der PPR-Sekretär Kalinowski, seien die Mißhandlungen und Ungerechtigkeiten in der Phase der „wilden Siedlung" gewesen. Auch er forderte harte Bestrafung von Übergriffen seitens der Sicherheitsorgane. Der Direktor der Konsumgenossenschaft Spolem Wilamowski-Korolewicz schlug schließlich eine grundsätzlich umgekehrte Verfahrensweise vor: Man solle den Masuren und Ermländern „von vornherein" die polnische Staatsangehörigkeit verleihen, die Kommissionen sollten sich darauf beschränken, die Deutschen auszusondern. Zum gleichen Ergebnis kam der Starost Pozny-Wozniak, der „ein längeres Elaborat ablas". Als Deutsche sollten nur die „Anerkennung" finden, „die ihre deutsche Herkunft beweisen". Allen anderen wollte er die polnische Staatsbürgerschaft zuerkennen. Der eigentliche Sinn der Verifizierung, nämlich einem bestimmten Bevölkerungssegment Schutz vor der Aussiedlung und Eingliederung in das Staatsvolk zu ermöglichen, kehrte sich damit freilich zu einer negativen Selektion um, die die Beweislast den Ausreisewilligen überließ. Folgerichtig war bei Pozny-Wozniak von Freiwilligkeit nicht mehr die Rede. Ganz oben in seinem Vorschlagskatalog stand der „sofortige Verzicht auf jegliche plebiszitären Formen in Beziehung auf die Masuren". Gleichzeitig sollte die Ansiedlung von Familien aus der benachbarten Wojewodschaft Warschau sofort als „auf jeden Fall über die Maßen schädlii Wydzial Spoùeczno-Polityczny Urzędu Wojewódzkiego Olsztynskiego, vertraulich, o.D., gez. G. Leyding-Mielecki, S. 1ff.AAN MZO 68, Bl. 52-58. MISZTAL: Weryfikacja, S. 152.

Dekret o ustroju rolnym, Art. 41 f. Vgl. auch MISZTAL: Weryfikacja, S. 153 f.

Sprawozdanie z konferencji Kierowników..., S. 4 f.

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ches Unternehmen" eingestellt werden. Ein weiterer Redner schlug zusätzlich vor, die 246 Möglichkeit zu schaffen, Verbrecher und Plünderer aus dem Gebiet zu entfernen. Bereits im Juli reagierte Robel mit einer „Spezialaktion". Eigens aufgestellte Stäbe (ekipy) unter Leitung des PZZ sollten innerhalb eines Monats alle Kreise aufsuchen, die nichtverifizierten Masuren „zur Stellung der Anträge bewegen", sich über die Situation dieser Menschen und ihnen angetanes Unrecht informieren und sofort selbständig oder über die Starosten die nötigen Schritte zur Verbesserung der Situation unternehmen. Für den ersten Bedarf wurden 50 Waggons mit Kleidung und 2,2 to Gemüsekonserven zur Verfügung gestellt. 247 Zwei Monate später berichtete der Minister für Öffentliche Verwaltung Kiernik an den Warschauer Wojewoden, „asoziale Elemente" aus den Kreisen Maków, Przasnyk und Ostroùęka überfielen masurische Höfe und stählen, was nur beweglich sei; oft würden die Gebäude völlig zerstört. Faktisch würden diese Leute noch durch die den Masuren gegenüber feindliche Haltung der unteren Verwaltungskader unterstützt. Vorfälle dieser Art 248 schadeten der Verifizierung und nützten der deutschen Propaganda , zumal oft gerade verifizierte Masuren überfallen würden. Kiernik empfahl Aufklärungsarbeit und Bestrafung von Leuten, bei denen gestohlene Materialien gefunden wurden. Im Oktober 1946 konnte die Gesellschaftspolitische Abteilung melden, daß sich „das Verhältnis der autochthonen Bevölkerung zu Behörden und Verordnungen täglich verbessert". Dennoch war ein Drittel der Kandidatinnen und Kandidaten immer noch nicht verifiziert. Dagegen sei bereits ein neuer Konfliktstoff entstanden. Hintergrund war die Entscheidung, Siedler und Repatrianten, die auf Höfen von „Autochthonen" angesiedelt wurden, 250 nun doch nochmals umzusetzen. Dieses Vorgehen wurde auch im Wissenschaftlichen

246 Ebenda, S. 6 f. 247 Plan organizacyjny akcji specjalnej dla weryfikacji, o.D. (Ende Juni/Anfang Juli 1946), o.U., S. 1. AAN MZO 497, Bl. 122-125. Es darf darauf hingewiesen werden, daß die Namen der Mitglieder dieser Stäbe deutlich machten, daß eine Identifizierung der ethnischen Zugehörigkeit anhand der Familiennamen einigermaßen schwierig war: neben Namen wie Maikowski, Sawikki, Gornik, Szczech tauchen auch solche wie Hahn, Böhm, Lippert und Neugebauer auf. Wohlgemerkt: hier handelte es sich um aktive Polen und Polinnen. 248 Gemeint ist vor allem die Tätigkeit des Verbandes der Ermländer und Masuren {Związek Warmiaków i Mazurów) in Berlin, der zum Verlassen Polens aufforderte. Erwähnung auch mehrfach in Sprawozdanie z konferencji Kierowników. 249 Schreiben Kiernik an den Warschauer Wojewoden, vertraulich, 31. August 1946, gez. Kiernik. Lt. einem nachrichtlichen Schreiben an das MZO wurde ein analoges Schreiben nach Bialystok geschickt. AAN MZO 68, Bl. 85 f. 250 Sprawozdanie miesieczne Wydzialu Spoùeczno-Politycznego za m-c pazdziemik 1946 r., geheim, o.D., gez. Mgr. W. Jezewski. AAN MZO 486, Bl. 65-68. Diese Entscheidung fiel mit einer Verordnung des MZO vom 1. Juli 1946, die die Rückgabe strittiger Höfe an die einheimische Bevölkerung vorsah. Akterivermerk für Gomulka, o.D., Unterschrift unleserlich, S. 2. AAN MZO 497, Bl. 33-39. 316

Rat in anderem Zusammenhang vom bereits zitierten Holowiecki besprochen. Da im Zuge der Verifizierung die angesetzten Repatrianten wieder von diesen Höfen entfernt werden müßten, gleichzeitig aber keine Höfe mehr zur Verfügung standen, die zur Übergabe an Siedlerfamilien geeignet gewesen wären, sei man zur Parzellierung der Güter übergegan251 gen. Der Bericht Jezewskis machte nochmals deutlich, warum die Verifizierung besonders der Masuren so schwierig war: „Ein Teil der bereits verifizierten Bevölkerung will die erwähnten Ausweise nicht annehmen, indem sie feststellen, daß sie Masuren sind, aber deutscher Abstammung, oder indem sie erklären, daß sie zu deutscher Zeit geboren sind und nicht sicher sind, ob diese Deutschen nicht in das Land zurückkehren und in Beziehung auf sie nicht Konsequenzen ziehen werden. Andere sagen, daß, wenn sie ihr geraubtes Eigentum zurückbekommen, sie auch Polen sein können, aber es gibt auch solche, die sich kategorisch wei252

gern, weil sie sich als Deutsche fühlen."

Im Grunde bedeutete dies nichts anderes, als daß unter diesen Menschen sicherlich eine Gruppe existierte, die ein in der einen oder anderen Richtung ausgeprägtes Nationalbewußtsein besaß; einer großen Zahl scheinen derlei Vorstellungen letztlich aber fremd gewesen zu sein. 2 5 3 Ähnliches galt im Grunde auch für viele Schlesier. Versteckt in nationalpolnischer Rethorik stellte Zawadzki auf der 7. Sitzung des Landesnationalrates

fest, das

Problem in Schlesien sei, „ wenn Polen kommt, dann sind die Schlesier Polen, und wenn 254 die Deutschen kommen - dann sind sie Deutsche". Diese Menschen verstanden sich in 255 erster Linie als Schlesier oder Masuren und waren zuallererst an dem interessiert , was sie tatsächlich anging: daran, auf ihrem Besitz oder mit ihrer Arbeit möglichst unbehelligt und sicher leben zu können. Daß von nationalem Eifer getriebene Bevölkerungsplaner angesichts solcher Realitäten Schwierigkeiten mit der Umsetzung ihrer hehren Ziele haben

251 HOLOWIECKI: Gospodarcze uzasadnienie, S. 71 f. 252 Sprawozdanie miesięczne WSP za m-c pazdziernik 1946 r., S. 1. 253 Ygj BELZYT: Miedzy Polska_ a Niemcami, S. 187, der insgesamt davon ausgeht, die überwiegende Mehrheit der Masuren und Ermländer hätten sich als Deutsche verstanden, aber auch Fälle zitiert, in denen sich ein Teil der Betroffenen eben als Masuren oder Ermländer verstanden. Zweifelhaft bleibt angesichts der Verweigerung der Verifizierung, bei der insgesamt unzureichenden und problematischen Quellenbasis, inwiefern dieses Selbstverständnis auch handlungsbestimmend war, d.h. also etwa die sich als Deutsche verstehenden Masuren zu einem frühen Zeitpunkt selbst eher auf eine Ausreise bzw. Aussiedlung optiert hätten. 254 Sprawozdanie Stenograficzne z posiedzen Krajowej Rady Narodowej w dn. 3, 4, 5 i 6 maja 1945, Warszawa 1945, S. 66. 255 So auch KRASUSKI: Polska i Niemcy, S. 395.

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würden, mußten bereits - und dies vor allem bei Schlesiern, Masuren und Kaschuben - die deutschen Vorgänger erfahren. Am 2. November 1946 war endgültig deutlich geworden, daß die Ergebnisse der frei257

willigen Verifizierung trotz des offiziellen Abschlusses insgesamt weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren. In manchen Gegenden habe sich kaum jemand aus der berechtigten Gruppe zur Verifizierung angemeldet. Das galt vor allem in Ostpreußen, aber auch in einigen schlesischen Kreisen und in Westpommern. Da man aber auf diesen Bevölkerungszuwachs nicht verzichten konnte und wollte, schrieb Wolski nun die Erfassung der auszusiedelnden Deutschen in namentlichen Listen für die betreffenden Kreise vor; Autochthone, die „sich bislang nicht der Verifizierungsprozedur unterzogen haben", sollten demnach von der Aussiedlung ausgenommen werden. Die Festlegung der so anvisierten Gruppe der „Authothonen" sollte durch Sonderkommissionen unter Beteiligung bereits Ve258

rifizierter erfolgen. Faktisch schien dies ein Ende des Rechtes auf Selbsteinschätzung zu bedeuten, nicht aber sofort auch eine Einführung von Zwangseinbürgerung, wie sie in Schlesien und Westpreußen im Rahmen der DVL erfolgt war. Tatsächlich ging es im Runderlaß vom 2. November eher darum, die potentiellen Kandidaten von der in größerem, besser organisiertem Umfang wieder aufgenommenen Aussiedlung der Deutschen auszunehmen und die Option auf ihre Eingliederung so lange als möglich aufrechtzuerhalten. Aus einem Aktenvermerk aus dem MZO, der vermutlich von Dezember 1946 stammt, geht hervor, daß man nun alle Reserven mobilisierte. Vom 26. bis 28. November konferierten zwei Abgesandte des MZO mit dem Wojewodschaftsamt, den Sicherheitskräften und dem örtlichen Militär, um „die gehörigen Konsequenzen aus den Materialien zu ziehen, die durch den PZZ und die Inspektoren des Ministeriums gesammelt wurden". Parallel fand am 27. November ein „Kongreß der polnischen Autochthonen" in Allenstein statt. All diese Maßnahmen führten jedoch nur zu einer „gewissen Verbesserung" der Lage. Das weitere Vorgehen entsprach den Vorschlägen, die auf der oben erwähnten Konferenz vom 22. Juni gemacht worden waren: Druck auf den Wojewoden, den man in Warschau offensichtlich für zu wenig motiviert hielt, und die Sicherheitsorgane ÜB und MO, Ausdehnung

256

Zum Selbstverständnis der Schlesier vgl. völlig richtig DAVES: God's Playground, Bd. I, S. 28. Daß sich diese Erkenntnis auch in der polnischen Literatur allmählich durchsetzt, zeigt Lis: Ludnośc rodzima, S. 22. Vgl. auch die in dieser Hinsicht richtungweisende, bereits erwähnte Arbeit von NIENDORF: Minderheiten. 257 Sprawozdanie miesięczne WSP za m-c pazdziernik 1946 r., S. 1.: „Nach Abschluß der Verifizierungsaktion (akcji weryfikacyjnej) der autochthonen Bevölkerung wurde begonnen, vorläufige Bescheinigungen der polnischen nationalen Zugehörigkeit auszugeben." 258 259 260

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Okólnik Nr. 5, vertraulich, 2. November 1946, gez. Wolski. AAN MZO 497, Bl. 27. Wiedergegeben in: MISZTAL: Weryfikacja, S. 362 f. Vgl. Kap. HI.2.b., S. 394-401. Aktenvermerk für Gomuùka, o.D., Unterschrift unleserlich, S. 2 ff. AAN MZO 497, Bl. 33-39.

der Hilfsleistungen an die „Autochthonen" und der Propaganda sowie Stop der Umsiedlung aus den benachbarten Wojewodschaften Warschau und Biarystok. Bereits im November 1946 war in Posen ein „Kongreß der autochthonen Polen" zusammengetreten, der gleichzeitig als Programmkonferenz des PZZ fungierte. In diesem Rahmen schmiedete eine Nationalitätenkommission Zwangsparolen: „Eine bedeutende Zahl der Bevölkerung polnischer Herkunft hat sich in bestimmten Bezirken noch nicht der Verifizierung unterzogen. Es ist die polnische Herkunft dieser Bevölkerung festzustellen und nach der Überprüfung die Verifizierung von Amts wegen durchzufuhren. In keinem Fall darf diese Bevölkerung ausgesiedelt werden." Gleichzeitig seien „deutsche Siedler, ehemalige polnische Staatsbürger" ausfindig zu machen, die während der Okkupation „auf den ersten Ruf das Volksdeutschentum (volksdeutschowstwo) angenommen haben". Die gleichzeitig tagende Ökonomische Kommission verlangte die Aufnahme von Autochthonen in ÜB und MO und die einschränkungslose Respektierung von Privateigentum, zumal dann, wenn der Besitzer sich außer Landes befinde - gemeint waren selbstverständlich Besitzer, die Anspruch auf die polnische Staatsangehörigkeit würden anmelden können. Darüber hinaus seien Siedler und Repatrianten, die auf Höfen von Autochthonen säßen, sofort umzusiedeln. Am 20. Februar 1947 verbot Czajkowski nochmals und ausführlich jegliche diskriminierende Behandlung verifizierter Autochthoner , am 24. März erneuerte ein Rundschreiben Dubiels „mit Rücksicht auf den sich nähernden Termin des Beginns der Repatri-. ierung der Deutschen" die Aufforderung, nicht verifizierte Polen aus den Transporten herauszunehmen. In der Folgezeit änderte sich die Situation. Nun beantragten zunehmend Deutsche die Verleihung der polnischen Staatsangehörigkeit nach den Vorschriften des Gesetzes vom 20. Januar 1920, um so der Aussiedlung zu entgehen. Mit dem Runderlaß Nr. 47 vom 7. Juli 1947 untersagte Dubiel die Ausgabe von Bescheinigungen, die die Antragstellung bestätigten und erklärte kategorisch, daß solche Anträge nicht vor Aussiedlung schützten. Eine Ausnahme waren aus Deutschland zurückkehrende Familienangehörige verifizierter Familien, die ebenfalls den Verifizierungsprozeß zu durchlaufen hatten. Die Lage blieb weiterhin prekär. Im August 1947 kam es zu Unruhen in Kosel, die zur erneuten Selektion bereits verifizierter „Autochthoner" führte. Nach einem Bericht des Po261 Ebenda, S. 4 f. 262 Uchwaùy kongresu Polaków-Autochtonów, S. 34. 263 Ebenda, S. 37. 264 Pismo okólne an die Wojewoden in den Wiedergewonnenen Gebieten, vertraulich, 20. Februar 1947, gez. Czajkowski. AAN MZO 497, Bl. 47 f. 265 Pismo okölne an die Wojewoden der Wiedergewonnenen Gebiete, vertraulich, dringend, 24. März 1947, gez. Dubiel. AAN MZO 497, Bl. 50. 266 Okölnik Nr. 47 an die Wojewoden der Wiedergewonnenen Gebiete, 7. Juli 1947, gez. Dubiel. AAN MZO 497, Bl. 67. 319

litkommissars in der polnischen Armee Edward Brandstetter wurden daraufhin 60 deutsche Familien entdeckt, die vom Koseier Starosten auf Kosten der polnischen Siedler gefördert worden waren, nun aber ausgesiedelt wurden. Erst auf der fünften Konferenz des senschaftlichen Rates konnte Direktor Ehrlich melden, daß die Integration Fortschritte machte; man habe LKWs mit „Autochthonen" aus Oppeln und Ratibor nach Krakau gebracht. Den Effekt beschrieb Ehrlich so: „Was für einen tollen Eindruck machte auf sie der Wawel. Sie konnten einfach nicht glauben, daß Krakau eine Stadt im europäischen Maßstab ist. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß Krakau nicht nur nicht hinter ihre Städte nicht zurückfällt, sondern sie in einigen Bereichen sogar übertrifft - das rief einen schlicht sensationellen Eindruck bei allen hervor." Die Ausführungen Ehrlichs deuten an, wie tief Vorstellungen von der grundsätzlichen Überlegenheit der Deutschen und ihrer Kultur auch bei Polen verwurzelt waren und wie wichtig der Nachweis sein mußte, daß das so nicht stimmte. Nebenbei sei bemerkt, daß Ehrlich diesen Nachweis auf der gleichen Linie zu führen suchte wie die Delegatura: über die Zugehörigkeit Polens zu Westeuropa. Was jedoch in Schlesien durch Schulungskurse und Exkursionen gelingen mochte, gestaltete sich gegenüber den Masuren und Ermländern weit schwieriger. Nach einem Bericht vom 6. Oktober 1948 verweigerten die „Autochthonen" in der Wojewodschaft Allenstein mehrheitlich immer noch die Registrierung, vor allem auf dem Hintergrund schlechter materieller Bedingungen und der nach wie vor feindli269 chen Haltung der Siedler und der unteren Verwaltungsebenenen. Bereits im Februar hatte der Aliensteiner Wojewode eine härtere Gangart vorgeschlagen, die aber offensichtlich entweder nicht durchgeführt wurde oder nicht die gewünschten Resultate brachte. In einem Verordnungsprojekt war vorgesehen, daß die Verifizierung in jedem Falle bis zum Jahresende abgeschlossen sein sollte. „Wenn eine in dieser Weise überlegte, gut organisierte und durchgeführte Propagandaaktion für die Verifizierung nicht die geforderten Folgen bis zum 31.3.48 bringt, wird gegen die am stärksten Widerstrebenden unter den Nichtverifizierten empfohlen, repressive Mittel anzuwenden. Nach Ablauf dieses Termins werden die Gemeindeverwaltungen 1-2 Kandidaten aus dem Ort, in dem eine größere Anzahl Nichtverifizierter 270 wohnt, zur Aussiedlung auswählen." Im Notfall solle der Wojewode die Aussiedlung aller Nichtverifizierten anordnen können. Dazu kam es jedoch nicht: Selbst die Androhung von Repressalien brachte keine Ergebnis-

Schreiben Wojsko Polskie, Glówna Zarzad Polityczno-Wychowawczy an MZO DAP, geheim, erstes von 2 Exemplaren, 3. Oktober 1947, gez. Edward Brandstetter. AAN MZO 497, Bl. 217. Protokoll der Plenarsitzung am 25. Juni 1947, S. 14. AAN MZO 1687. Bericht der Gesellschaftspolitischen Abteilung des Departements für Öffentliche Verwaltung für das 3. Quartal 1948, 6. Oktober 1948. AAN MZO 486, BI. 32-38. Wojewoda Olsztynski, Projekt, vertraulich, 8. Februar 1948. AAN MZO 497, Bl. 154 f. 320

se, zumal sich herausstellte, daß ein wachsender Prozentsatz derer, die sich nicht verifizieren ließen, inzwischen selbst ausreisen wollte. Der Nachfolger Prawins, Mieczyslaw Moczar, vorher Chef der Staatssicherheit in Lodz, griff daher zu schärferen Mitteln. Im Rahmen der „Großen Verifikation" im Februar und März 1949 wurden 19 000 Masuren und 271 Masurmnen zwangsweise verifiziert. Als im März 1950 „nach zweijähriger Pause" Transporte mit Deutschen in Richtung auf die ein Jahr zuvor gegründete DDR Polen verlassen sollten, hofften manche Ermländer und Masuren auf ihre Deportation. Da sich eine „Ausreisepsychose (psychoza wyjazdu)" auch bei bereits Verifizierten bemerkbar machte und dazu führte, daß ein Teil der Bevölkerung „seine persönlichen Sachen zusammenpackt, Vieh und Geflügel erschlägt, und zwar als Verpflegung für die Reise", sagte Moczar die Transporte kurzerhand ab.

Zusammenfassende Bemerkungen Wie das vorige Kapitel deutlich gemacht hat, bestanden auf allgemeiner Ebene im Bereich der „positiven" Selektion eine Reihe von Parallelitäten zwischen dem deutschen Vorgehen in den eingegliederten Ostgebieten und dem polnischen in den Wiedergewonnenen Gebieten. In beiden Fällen rekrutierten sich die „Siedlerpotentiale" aus drei Quellen: -

dem Teil der einheimischen Bevölkerung, der im Verlauf eines Auswahlverfahrens dem Staatsvolk eingegliedert werden sollte - den „Volksdeutschen" auf der einen, den „Autochthonen" auf der anderen Seite;

-

der Bevölkerung benachbarter Länder bzw. Territorien, die ethnisch zum Staatsvolk gerechnet werden konnte oder sollte - also den „Rücksiedlern" auf deutscher, den „Repatrianten" auf polnischer Seite;

-

der „überschüssigen", aber als sozial, wirtschaftlich oder „rassisch" wertvoll angesehenen Bevölkerung des alten Territoriums.

Zur Vervollständigung ließen sich auf polnischer Seite die „Reemigranten" anführen, also polnische Emigranten, die sich seit Ende des 19. Jahrhunderts entschlossen hatten, Polen auf der Suche nach besseren Erwerbsmöglichkeiten zu verlassen und nun zur Rückkehr nach Polen angeworben wurden. Ihnen ließen sich auf deutscher Seite - dieser Aspekt wurde, da er keinerlei praktische Wirksamkeit erlangte, hier nicht bearbeitet - Versuche gegenüber stellen, deutsche Emigranten in Übersee zur „Rückkehr" in die „neuen Ostgebiete" anzuwerben. In beiden Fällen spielten wirtschaftliche, soziale und politische Erwägungen letztere insbesondere bei „Volksdeutschen" und „Autochthonen" - eine Rolle, hinzu kamen auf deutscher Seite jedoch rassenbiologische und rassenpsychologische Erwägungen. Diese

BELZYT: Verifikation, S. 262. Ausführlicher jetzt DERS.: Miedzy Polską a Niemcami, S. 162171. Wojewoda Olsztynski an MAP DP, 25. März 1950, gez. M. Moczar, geheim. AAN MAP 761, Bl. 42-42a. 321

drückten sich in gleichsam objektivierten Kriterien aus, nach denen die betreffenden Bevölkerungssegmente selektiert wurden; ähnliche Überlegungen gab es zwar bei einzelnen polnischen Planern, sie wurden aber nicht wirksam. Gerade dies hatte aber auch Einfluß auf das konkrete Verfahren. Die Unterschiede in der Zusammensetzung zwischen den Verifizierungskommissionen und den Komitees, die die Aufnahme in die Deutsche Volksliste regelten, und erst recht dem „Durchschleusungsverfahren" hatten m.E. sowohl funktionale als auch strukturelle Gründe: Zum einen machte die eingeschränkt pluralistische Verfassung Nachkriegspolens eine stärkere Berücksichtigung gesellschaftlich relevanter Organisationen notwendig. Zum anderen aber scheint die Abwesenheit der Arbeitsverwaltung und der Polizeibehörden daraufhinzuweisen, daß sicherheitspolizeiliche und ökonomische Rücksichten hier eine geringere Rolle spielten als vor 1945. Inwiefern solche Erwägungen überhaupt in die Diskussion einflössen, ist den untersuchten Akten nicht zu entnehmen. Es wurde gezeigt, daß die Festlegung der Selektionskriterien noch wesentlich vager und unbestimmter blieb als in den entsprechenden deutschen zentralen Richtlinien und den über die Anträge entscheidenden Kommissionen große Spielräume blieben. Während auf der Ebene der Praktiker in der deutschen Besatzungsverwaltung, also der Ansiedlungsstäbe, der DVL-Prüfer und der wandererzentralstelle ein detailliertes Selektionsinstrumentarium entwickelt wurde, das die Einordnung nach charakterlicher, beruflicher und politischer Eignung erlaubte, fehlte dergleichen in Polen nach dem Krieg anscheinend völlig. Das einzige echte Kriterium, neben der in sich etwas nebulös bleibenden „Klassenzugehörigkeit", war das Verhalten gegenüber Polen während der Zeit des Nationalsozialismus. Freilich ist zu berücksichtigen, daß die Verifizierungskommissionen keine Berichte hinterlassen haben, die Rückschlüsse darauf zuließen, wie und nach welchen Kriterien im Einzelfall entschieden wurde. Sicher ist aber, daß das Leistungskriterium, das in der deutschen Selektionspraxis eine so wichtige Rolle spielte, in vergleichweise geringem Maße auf die Vergabe bzw. Übereignung von Höfen an polnische Siedler Einfluß hatte. Was die Selektion der „autochthonen" Bevölkerung der neuen Gebiete angeht, scheint eine „Auslese der Tüchtigsten" nicht ausdrücklich vorgesehen gewesen zu sein. Zumindest finden sich keine Richtlinien, die in diese Richtung deuten würden - sieht man einmal davon ab, daß die als polnisch definierbare Bevölkerung in den Wiedergewonnenen Gebieten den Planern insgesamt als „wertvoll" galt. Im Übrigen wäre ein dem deutschen paralleles Vorgehen einer Einverleibung ökonomisch leistungsfähiger Bevölkerungssegmente, die sich ganz ohne Zweifel als Deutsche verstanden, wenig sinnvoll gewesen, wenn man die Ausgangsvoraussetzungen bedenkt, von denen sich die polnische Verifizierung leiten ließ. Zum einen mußten die Erfahrungen der vergangenen Jahre eine möglichst vollständige Entfernung des „deutschen Elementes" angeraten sein lassen. Eine sich als solche verstehende deutsche Minderheit, die Ansatzpunkt für Desorganisations- und Revisionsstrategien oder Annexionen bieten konnte, sollte es in Polen nicht mehr geben. Schließlich begründete sich das Streben nach dem ethnisch homogenen Nationalstaat nicht allein aus eher abstrakten Modernitätsgedanken, sondern auch aus den leidvollen Erfahrungen, die man mit dem deutschen Nachbarn gemacht hatte. Von 322

diesem Prinzip wichen jedoch die Behörden in Masuren ab: Zumindest hier läßt sich, im Rahmen der „Großen Verifizierung", von Zwangseinbürgerung sprechen. Das polnische Selektionsverfahren war darüber hinaus offener als das deutsche. Das Fehlen scheinbar wissenschaftlich abgesicherter Schemata, wie sie im RuSHA ausgearbei tet worden waren, öffnete einerseits die Tür zu Beliebigkeit und Willkür, andererseits aber auch die Möglichkeit, nach gewissermaßen menschlicheren Gesichtspunkten zu verfahren.

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2. Die Behandlung der Unerwünschten a. Aussiedlung, Zwangsarbeit und Massenmord im sozialistischen Machtbereich bis 1945 „Damit erhält die Gesamtzahl der für die Abschiebung in Frage kommenden Personen eine biologische, eine politische und eine soziale Komponente"1 Es ist bereits wiederholt zur Sprache gekommen, daß die „Entfernung" als unerwünscht definierter Bevölkerungssegmente die Voraussetzung für die Neuordnung der Bevölkerungsverhältnisse in den neuen Gebieten gewesen ist. Umgekehrt machte die Neuordnungsabsicht, die zumindest in der Zeit ihrer Planung von den Verhältnissen in den alten Gebieten ausging und vor allem ihre Restrukturierung im Sinn hatte, die (zwangsweise) Umsiedlung von Millionen von Menschen überhaupt erst erforderlich. Hierin unterschieden sich deutsches und polnisches Neuordnungs- und Umsiedlungskonzept nicht wesentlich. Es scheint daher angebracht, abschließend einige Ausführungen über die Eingrenzung und Behandlung dieser unerwünschten Bevölkerungssegmente folgen zu lassen.

Die Aussonderung der Juden und unerwünschten Polen in den gliederten Ostgebieten Gemäß der antisemitischen Prädisposition des nationalsozialistischen deutschen Staates waren die Juden das erste Bevölkerungssegment, dessen möglichst restlose Entfernung beschlossen wurde. Der militante Antisemitismus definierte die Gruppe der Opfer, während die Restrukturierungspläne den Handlungsbedarf schufen. Die erste bevölkerungspolitisch relevante Anweisung für die deutschen Besatzungsbehörden, der berüchtigte Schnellbrief Heydrichs vom 21. September 1939, legte die „Konzentrierung der Juden vom Lande in die größeren Städte" als „mit Beschleunigung durchzuführen" fest.2 Die Geschwindigkeit, die Heydrich forderte, weist ebenso wie die Beto-

Schreiben HSSPF Warme an RSHA, 18 Dezember 1939, Betr.: Abschiebung von Juden und Polen aus dem Warthegau. Erfahrungen aus dem bisherigen Ablauf der Aktion und Planung für die künftigen Transporte. Wiedergegeben in: LUCZAK: Wysiedlenia ludnosci polskiej, S. 19-27, hier S. 23. Schnellbrief Heydrichs an Chefs der Einsatzgruppen, 21. September 1939. AAN ALP 213/1-3. Wiedergegeben in: Faschismus-Ghetto-Massenmord, S. 37-41, hier S. 37. Zum folgenden vgl. auch ALY: Endlösung, der den Zusammenhang zwischen den Neuordnungsplänen, den wech324

nung der Verschiebung der jüdischen Bevölkerung vom Land in die Stadt darauf hin, daß der Hintergrund in der bevorstehenden Ansiedlungspolitik zu suchen ist. Die Konkurrenz der unterschiedlichen Stellen, die versuchten, Kontrolle über die Siedlungspolitik zu gewinnen, entschied sich so zugunsten der Stelle, die als erste handlungsfähig war.3 Im Grundsatz war ja die Siedlungspolitik, wie sie sich in der Folge entfalten sollte, an die Entfernung des überwiegenden Teils der in den besetzten polnischen Gebieten lebenden Menschen gebunden: worauf es den deutschen Neuordnern ankam, war nicht die Vermehrung des Bestandes an Untertanen, sondern die Verfügbarkeit von Land. Das besetzte Polen war, wie Aly und andere betont haben, das erste Gebiet, in dem die nationalsozialistischen Neuordner auf verarmte jüdische Massen trafen.4 Die Juden, die vor allem in den mittel- und ostpolnischen Gebieten lebten, entsprachen kaum dem Bild vom reichen jüdischen Kapitalisten, das man in den Jahren zuvor zur Ausschaltung jüdischer Unternehmer und Freiberufler entworfen hatte. Eher glich die jüdische Lebensweise im Osten der der Ärmsten im Reich, die schon vorher hatten beseitigt werden sollen5; die Ostjuden waren somit im Blick der deutschen Besatzungsbehörden gleich zweifach stigmatisiert. Die zum großen Teil proletarisierten und eine eigenständige Kultur vertretenden jüdischen Massen wurden rasch als bevölkerungspolitisches Problem ausgemacht. In einer Denkschrift vom Oktober 1939 stellte Theodor Schieder fest, daß die notwendigen „Bevölkerungsverschiebungen allergrößten Ausmaßes" nur dann zu realisieren seien, wenn neben einer landwirtschaftlichen Intensivierung die „Herauslösung des Judentums aus den polnischen Städten" gelinge.6 Ähnlich hatte Theodor Oberländer das polnische Judentum als bevölkerungs- und wirtschaftspolitischen Störfaktor definiert. Noch deutlicher wurde der Wirtschaftswissenschaftler Peter Heinz Seraphim im Herbst 1940: „Diese Mengen von Juden, die heute zum großen Teil ohne produktive Beschäftigung und ohne eigene Subsistenzmittel die Städte blockieren und damit nicht nur ihre Entwicklung hemmen, sondern auch die Lösung oder Auflockerung des agrarischen Überbevölkerungsproblems hindern, ist eine schwere, die Entwicklung hemmende Belastung des Generalgouvernements. Daraus ergibt sich ein Fernziel der bevölkerungsmäßigen Bereinigung dieses Raumes, das hier nur angedeutet zu werden braucht." Wenn Seraphim die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements, die sich zum Zeitpunkt der Abfassung des hier zitierten Aufsatzes noch einer gewissen Bewegungsfreiheit

selnden Aussiedlungskonzeptionen und dem Massenmord an den Juden detailliert und überzeugend dargestellt hat. Vgl. auch oben Kap. II.3.a. Vgl. Kap. 1.1. ALY/HEIM: Vordenker, S. 91 ff.

Siehe dazu den folgenden Abschnitt. Schieder, Aufzeichnung über Siedlungs- und Volkstumsfragen, S. 87, 90. Siehe oben Kap. II.2.a., S. 83 ff. Vgl. auch HEIM/ALY: Ökonomie der Endlösung, S. 41 f. SERAPHIM: Die Judenfrage im Generalgouvernement, S. 63.

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erfreute, als bevölkerungspolitischen Störfaktor wegen ihrer angeblichen volkswirtschaftlichen Wertlosigkeit ausmachte, mußte dies für die Planer in den eingegliederten ten, wo die jüdische Bevölkerung bereits an jeglicher eigenständiger gewerblicher Tätigkeit gehindert war, um so mehr gelten. Die erste Anordnung Himmlers als RKF vom 30. Oktober 1939 präzisierte die Festlegung der als erstes zu entfernenden bzw. zu verschiebenden Bevölkerungsteile. Aus den eingegliederten Ostgebieten seien als erster Schritt alle Juden abzuschieben, aus der Provinz Danzig-Westpreußen zusätzlich „alle Kongreßpolen", aus den übrigen Gebieten „eine noch vorzuschlagende Anzahl besonders feindlicher polnischer Bevölkerung".9 Die Deportation der polnischen Bevölkerung war direkte Funktion der Ansiedlung, gleichzeitig aber auch Terrainsicherung. Genauso sah das der Chef der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber in Posen. Bei der „Evakuierung" der polnischen Bevölkerung, so ein Bericht vom 1. November 1939, werde mit der „Herausnahme der sogenannten Intelligenz" begonnen: „In die dadurch freigemachten Wohnungen werden die endgültig in Posen verbleibenden Baltendeutschen angesetzt."10 Während sich Heydrich noch Mühe gegeben hatte, eine an den Haaren herbeigezogene Begründung für die Zwangsumsiedlung der Juden gleich mitzuliefern - es sei anzugeben, „daß sich Juden maßgeblichst an den Franktireurüberfällen und Plünderungsaktionen beteiligt" hätten - , tauchte derlei in Himmlers Anordnung gar nicht mehr auf. Für alle Ende Oktober zur Aussiedlung bestimmten Polen und Juden wurden Aufnahmedistrikte im neralgouvernement festgelegt.12 Am 8. November 1939 schließlich stellte SS-Brigadeführer Streckenbach auf einer bereits erwähnten Besprechung den ersten Umsiedlungsplan vor, der sich in die vier Teilaspekte „Evakuierung der Juden und Polen aus dem Altreich" bzw. aus den eingegliederten Ostgebieten, „Rückführung und Ansiedlung der Volksdeutschen aus dem Generalgouvernement" und Umsiedlung der deutschen Minderheiten aus dem Baltikum, der Ukraine und Wolhynien aufgliederte. Als auf jeden Fall zu entfernendes Bevölkerungssegment waren wiederum neben den Juden die „Kongreßpolen" aufgeführt; die übrige polnische Bevölkerung sollte, gemäß den Vorschlägen Wetzeis und Hechts und den Anordnungen Himmlers, „anschließend durch Kommissionen untersucht werden, ob sie als Polen oder als Volksdeutsche bezw. als noch erwünschte Polen zu bewerten sind."13 Streckenbach führte aus, daß bis Februar 1941 „rund 1.000.000 Juden und Polen zu evakuieren" seien, davon allein 400.000 aus Westpreußen. Die Zahl der Auszu-

Anordnung I/II, 30. Oktober 1939, gez. Himmler. Zit. n. Faschismus-Ghetto-Massenmord, S. 42 f. Siehe oben Kap. II.3.a. Fragment eines Berichts des Chefs der Zivilverwaltung beim Militärbefehlshaber Posen, 1. November 1939, wiedergegeben in: LUCZAK: Wysiedlenia ludnosci polskiej, S. 2 f. Schnellbrief Heydrichs, S. 38 (siehe oben Anm. 2). Anordnung I/II, S. 43. Niederschrift über die am 8.11.1939 stattgefundene Besprechung beim Generalgouverneur Polen in Krakau (Vgl. Kap. II.3., Anm. 11). 326

siedelnden ging weit über die Zahl der sofort verfügbaren Neusiedler hinaus. Streckenbach erwartete an „rückwandernden Volksdeutschen" etwa 150 000. Damit war der Kreis der Abzuschiebenden nochmals erweitert worden. Nach einem Rundschreiben Koppes, der an der Besprechung teilgenommen hatte, vom 12. November waren nun neben den Juden „alle Polen abzuschieben, die entweder zur Intelligenz gehören oder aber auf Grund ihrer nationalpolnischen Einstellung eine Gefahr für die Durchsetzung und Festigung des Deutschtums darstellen können."14 „Kriminelle Elemente" seien diesen gleichzustellen. Gleichzeitig wurde erstmals ein zeitlich und quantitativ genauer eingegrenztes Deportationskontingent festgelegt. Zwischen dem 15. November 1939 und dem 28. Februar 1940 seien „zunächst 200.000 Polen und 100.000 Juden" auszusiedeln.15 Im Rahmen dieser als „Erstaktion" angekündigten Massendeportation sollten „aus den Landkreisen alle Juden, außerdem aus den kleinsten Kreisen mindestens 2.000 Polen, aus den größeren eine entsprechend höhere Zahl" abgeschoben werden.16 Die Aussiedlung von 300.000 Menschen diente offensichtlich in erster Linie dazu, durch eine deutliche Reduktion der Bevölkerung Planungsspielräume zu gewinnen; welche Siedlerpotentiale zur Verfügung stehen würden, war nämlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar.17 Daß nur ein Drittel der Deportierten Juden sein sollten, verwundert nur, wenn man von einer zuallererst antisemitischen Ausrichtung der gesamten deutschen Politik im besetzten Polen ausgeht. Hier wird deutlich, daß die Aussiedlung, die in der Definition des am dringendsten zu entfernenden Bevölkerungssegmentes von einer Mischung aus rassistischem und sicherheitspolizeilichem Kalkül ausging, sich in der Umsetzung von den Erfordernissen der künftigen Siedlungspolitik leiten ließ. Koppe schrieb, daß „der Gesichtspunkt der Schaffung von Wohn- und Arbeitsplätzen für die einwandernden Reichsund Volksdeutschen" vorrangig sei. Die jüdische Bevölkerung der eingegliederten gebiete war jedoch entschieden städtisch geprägt18, ihre Deportation half daher bei der Platzbeschaffung für deutsche bäuerliche Siedler nur eingeschränkt. Mit im Vordergrund

Rundschreiben Koppes, 12. November 1939, zit. n. Faschismus-Ghetto-Massenmord, S. 43-46. Vgl. dazu ALY: Endlösung, S. 65, 68, der hieraus schließt, daß Koppe einen Rückzug gegenüber der Anordnung Himmlers vom 30. Oktober formuliert, da die Anweisungen Himmlers faktisch eine Deportation von 1 Million Menschen gefordert hätten. Diese Interpretation ist falsch: Koppe bezieht sich ausschließlich auf die Aussiedlung aus dem Warthegau, während die Zahl von einer Million sich auf die gesamten eingegliederten Ostgebiete bezieht; hätte Aly die von Koppe genannte Zahl mit den Angaben Streckenbachs vom 8. November verglichen, in denen davon die Rede ist, daß allein aus Westpreußen 400.000 Menschen zu deportieren seien, wäre er auf 700.000 für Warthegau und Westpreußen gekommen. Rundschreiben Koppe, S. 44. Siehe oben Kap. III. La. Nach dem Mary Rocznik Statystyczny 1939, S. 24, lebten in der Wojewodschaft Posen von etwa 50.000 Jüdinnen und Juden 88,6% in der Stadt, in Pommern von 33.600 etwa 90%, in der Wojewodschaft Lodz von 382.300 89,5%. 327

stand zu diesem Zeitpunkt, was die Deportation polnischer städtischer Bevölkerung anging, der Versuch, die politische und kulturelle Elite zu entfernen: „Die Säuberung und Sicherung des Bereiches ist mit allen Konsequenzen erst dann erreicht, wenn die geistig führende Schicht, die gesamte Intelligenz sowie alle politischen und kriminellen Elemente entfernt sind." 19 Vier Tage später schob Rapp, einer der Mitarbeiter Koppes und einen Monat später Leiter des Sonderstabes für die Aussiedlung von Juden und Polen, nähere Erläuterungen nach: „Objektive Merkmale wie akademische Bildung oder hohe Berufsstellung" seien als Anhaltspunkte zu verwenden; ausschlaggebend sei jedoch, ,jeden Polen zu evakuieren, der auf Grund seines geistigen Könnens, seines politischen Einflusses oder seiner wirtschaftlichen Macht Hemmnis für die Durchsetzung des Deutschtums" sein könne. Die Dringlichkeit der Abschiebung sei „nach dem Grad der Gefährlichkeit zu bestimmen"; wirtschaftliche Erwägungen sollten nur die Reihenfolge der Transporte beeinflussen. Zusätzlich zur Erfassung und Aussonderung der Intelligenz sahen die Ausfuhrungsbestimmungen die „Erfassung der reichs- und deutschfeindlichen Polen" vor, wobei das Verhalten vor dem Überfall maßgeblich sei: „Späteren Loyalitätserklärungen ist kein Gewicht beizulegen." Rapp lieferte eine Liste von 23 polnischen Organisationen, „deren Mitglieder für die Abschiebung unbedingt in Frage kommen". Dazu gehörten neben dem Polnischen Westverband und verschiedenen Reservisten- und Aufständischenorganisationen die Polnische Sozialistische Partei und die rechtsnationalistischen Parteien SN und OZN sowie Lehrerverbände und Pfadfinder.20 Dagegen sollten „Arbeiter der Faust, kleine Angestellte und Beamte", die keine Nationalpolen oder kriminell vorbelastet waren, „von der Evakuierung ausgeschlossen" bleiben, da sie „als Arbeitskräfte dringend benötigt werden". 21 Da aber auch solche Polen als gefährlich eingestuft werden konnten, die als Arbeitskräfte eingesetzt waren, schalteten sich die Arbeitsämter ein. Am 9. Januar 1940 teilte das Posener Landesarbeitsamt seinen Filialen mit, daß alle Betriebe „sämtliche ihnen unabkömmlich erscheinenden Arbeitskräfte mittels einer vorgeschriebenen Karteikarte" „einzureichen" [!] hätten. Die Karten wurden vom SD überprüft, bei denen, die „für eine Evakuierung in Aussicht genommen sind", habe das zuständige Arbeitsamt „gewissenhaft zu überprüfen, ob die Arbeitskraft tatsächlich unabkömmlich ist". Im entgegengesetzten Fall habe der „Betriebsführer" für die Beschaffung und Anlernung einer Ersatzkraft zu sorgen. 22 Der Einschüchte-

Rundschreiben Koppes, S. 44. Zur Ausschaltung der Intelligenz in den ersten Wochen der Besatzung vgl. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 25 f., 31 und passim; LUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 68-76; EISENBLÄTTER: Grundzüge, S. 158-175; KLESSMANN: Selbstbehauptung, S. 43-47. HSSPF Posen, Ausfuhrungsbestimmungen zum Erlaß vom 12. November, geheim, 16. November 1939, gez. Rapp, wiedergegeben in: LUCZAK: Wysiedlenia ludności polskiej, S. 6 ff. Rundschreiben Koppes, S. 45. Schreiben Reichsstatthalter der Arbeit - Landesarbeitsamt an Leiter der AÄ Gnesen, Hohensalza, Kalisch, Leslau, Lodsch, Posen, 9. Januar 1940, gez. Kendzia. AGK NTN 36, Bl. 515 f. 328

rung derer, die dann noch übrigblieben, diente zusätzlich unverhohlener Terror: Massenverhaftungen, Massenerschießungen und Hinrichtungen auf offener Straße in den ersten Wochen der deutschen Besatzung.23 Die Verwendung des Generalgouvernements als Abschiebeterritorium schuf jedoch bald neue Probleme. Die Erhöhung der Bevölkerungsdichte im „Restgebiet", anders ausgedrückt die künstliche Steigerung der Überbevölkerung durch die Deportation hunderttausender Menschen, lag ursprünglich durchaus im Rahmen des deutschen Kalküls: Hitler hatte auf Vorhaltungen Franks, die deportierten Massen würden zu wirtschaftlichem Chaos, zu Versorgungsschwierigkeiten, möglicherweise zu Epidemien führen, geantwortet, daß ihn 24 das nicht interessiere. Noch im Oktober 1940 definierte Hitler das Generalgouvernement als „polnisches Reservat, ein großes polnisches Arbeitslager".25 Das Problem einer künstlich gesteigerten Überbevölkerung war bereits in der WetzelHecht-Denkschrift „Die Frage der Behandlung der Bevölkerung der ehemaligen polnischen Gebiete nach rassenpolitischen Gesichtspunkten" vom November 1939 thematisiert worden. Da eine Abschiebung des Teils der polnischen Bevölkerung, der „nicht assimilierbar erscheint", aus den eingegliederten Ostgebieten notwendig sei - was nach den Berechnungen der beiden Autoren Wetzel und Hecht die Zwangsumsiedlung von fast 6,4 Millionen Menschen bedeutete -, würde die ohnehin schon hohe Bevölkerungsdichte im Generalgouvernement auf 185 Menschen je km 2 ansteigen. Selbst nach Abzug der „Volksdeutschen" und „Eindeutschungsfähigen" bleibe eine hohe Dichte von 176 Einwohnern je 2 km . Ein Problem sei das aber nicht; die in der Entstehung begriffene deutsche Industrie brauche sicherlich Arbeitskräfte. Außerdem hatte man bereits gewisse Vorstellungen über die Gestaltung der Lebensbedingungen der Polen: „Hinzu kommt, daß durch eine besondere Gestaltung der Lebensweise der Bewohner dieses Restgebietes [...] auch die Gefahren einer Überbevölkerung verhindert werden können." 28 Was damit gemeint war, erläuterten die beiden Doktoren in einem eigenen Abschnitt: die kulturelle Entmündigung und politische Entrechtung der Polen und Juden, wahlweise die Ausspielung von Juden und Polen gegeneinander zum Zweck besserer Kontrolle, die mit der scheinbaren Privilegierung des jüdischen Bevölkerungsteiles durch die Einrichtung der

Vgl. KRAUSNICK: Einsatzgruppen, S. 35-88; LESZCZYNSKI: Dzialalnoäc Einsatzgruppen. Eine Reihe von Berichten und Notizen über Verhaftungen und Erschießungen auch bei LUCZAK: Potozenie ludności polskiej, S. 1-14. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 197. Ebenda, S. 109. Wetzel/Hecht, Die Frage der Behandlung, S. 13; siehe Kap. I.I., Anm. 21. Ebenda, S. 25 f. Ebenda, S. 26. 329

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Judenräte realisiert wurde. Gleichzeitig seien „alle Maßnahmen, die der Geburtenbeschränkung dienen, [...] zu dulden oder zu fördern."30 Gerade dieser letzte Vorschlag ist allerdings nicht als Beitrag zur Begrenzung der Überbevölkerung mit dem Ziel einer Verbesserung der sozialen Situation der polnischen und jüdischen Bevölkerung mißzuverstehen. Allenfalls ging es darum, die Bevölkerung des Generalgouvernements so rasch und nachhaltig wie möglich zu vermindern, um die Gefahr eines neuerlichen „Bevölkerungsdrucks" an der Ostgrenze des Reiches zu vermeiden. Im Prinzip zielte die deutsche Politik auf eine Atomisierung der polnischen Gesamtbevölkerung in handhabbare Segmente. Zunächst erfolgte eine ethnisch-rassistisch begründete Trennung in Volksdeutsche, Polen und Juden. Ebenso wie bald darauf in der DVL eine Feinselektion der insgesamt privilegierten Volksdeutschen vorgenommen wurde,31 erfolgte eine erste Differenzierung innerhalb der polnischen Bevölkerung - nicht aber der jüdischen, die in ihrer Gesamtheit ausgesondert wurde. Zwei Gruppen der polnischen Bevölkerung machten die SS-Neuordnungsstrategen als neben den Juden auf jeden Fall zu entfernen aus: zum einen jene Schicht, von der sie organisatorische und leitende Funktionen in einer eventuellen Widerstandsbewegung erwarteten, zum anderen „asoziale und kriminelle Elemente". Gemäß dem Prinzip der parallelen negativen und positiven Auslese sollten in Lodz drei Lager eingerichtet werden: ein „Durchschleusungslager für die rassische und gesundheitliche Untersuchung" und zwei „Übergangslager" für die Deportation ins Reich oder in das Generalgouvernement. Die Aussonderung der kulturellen und politischen Elite erschien um so dringender, als man sich der Traditionen der polnischen Nation durchaus bewußt war:

So auch das Gutachten Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik, S. 9, das die Isolierung der Juden von den Polen mit dem Versuch verbinden wollte, beide gegeneinander auszuspielen. Die Rolle der Judenräte ist in der Forschung sehr kontrovers diskutiert worden, Einigkeit besteht auch heute noch nicht. HILBERG: Vernichtung, S. 1110 ff., erklärt die Tätigkeit der Judenräte und die Möglichkeit ihrer Funktionalisierung im Rahmen der „Endlösung" aus traditionellen jüdischen Verhaltensmustern gegenüber feindlichen staatlichen Behörden. Dagegen hat ARENDT: Eichmann in Jerusalem, S. 153 und passim, die „Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes" beklagt. Vgl. auch POHL: Judenpolitik, S. 69, der richtig feststellt, daß die Judenräte „zwangsläufig Erfüllungsgehilfen der Besatzungsbehörden" waren, und TRUNK: Judenrat. Wetzel/Hecht, Die Frage der Behandlung, S. 32-34. Siehe oben Kap. II.1. und II.3.a. Stellungnahme zu der Behandlung angeblich Volksdeutscher im Rahmen der im Reichsgau Wartheland durchgeführten Evakuierungen, 20. April 1940, gez. Rapp. Wiedergegeben in: SZULC: Wysiedlanie ludnosci polskiej, S. 64 ff. Runderlaß des Inspekteurs der Sicherheitspolizei und des SD, 1. April 1940, gez. Rapp. Wiedergegeben in: SZULC: Wysiedlanie ludnosci polskiej, S. 66-70. 330

„Hinsichtlich der Aufrechterhaltung eigenständigen Volkstums ohne den Besitz eines volkseigenen Staates, auch als Volk in der Emigration, haben die Polen - noch vor den Tschechen - die größten Erfahrungen."34 Übrig blieb die Masse der polnischen Bevölkerung, die vorläufig als Heloten und Arbeits35 sklaven sollten bleiben können bzw. müssen. In den „Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen" vom Mai 1940 führte Himmler aus, daß an irgendwelche kulturellen Aktivitäten oder Veranstaltungen für Polen nicht zu denken sei. Das gleiche galt für jegliche Bildungseinrichtungen, soziale Leistungen usw. 36 Während aber zu diesem Zeitpunkt noch davon auszugehen ist, daß ein Großteil der Polinnen und Polen, die nicht ausgesiedelt wurden, entweder an ihren alten Arbeitsplätzen verblieben oder ihren Beruf zwar unter schlechteren Bedingungen und unter deutscher Kontrolle, aber arbeitstechnisch wie gewohnt ausführen konnte, wurde die Schraube gegen die jüdische Bevölkerung stärker angezogen. Bereits im September 1939, im Generalgouvernement am 26. Oktober des gleichen Jahres, wurde der Arbeitszwang für die gesamte jüdische Bevölkerung ohne jegliche Altersbegrenzung eingeführt.37

Aussonderung und Zwangsarbeit Wie die Ausstattung deutscher Siedler mit Land an die ersatzlose Enteignung und Deportation polnischer Bauernfamilien gebunden war, fußte der deutsche „Aufbau" von Siedlungen und Infrastruktur auf der Zwangsarbeit von Menschen, die nicht sofort deportiert werden konnten oder sollten. Die Bedeutung, die die polnische Arbeitskraft, die im Laufe des Krieges in immer umfangreicherem Maßstab als Zwangsarbeit im Reichsgebiet ausgebeutet wurde, im Rahmen der deutschen Gesamtwirtschaft haben sollte, wurde schon zu Beginn der Besatzung deutlich. Zu den ersten Behörden, die in den besetzten polnischen Gebieten eingerichtet wurden, gehörten die Arbeitsämter, die sofort mit großangelegten Anwer-

Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten. Im juristischen Teil Vorlage für den nationalitätenrechtlichen Ausschuß der Akademie für deutsches Recht, geheim, Januar 1940, o.U., S. 3. Dok. 661-PS, IMT Bd. XXVI, S. 206-242, hier S. 208. Vgl. dazu SEEBER: Zwangsarbeiter; HERBERT: Geschichte der Ausländerbeschäftigung. Heinrich Himmler, Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten, 15. Mai 1940, wiedergegeben in: OPITZ: Europastrategien, S. 653 ff. Zur Kultur- und Bildungspolitik in den eingegliederten Ostgebieten und im Generalgouvernement siehe KLESSMANN: Selbstbehauptung, S. 48 und passim; MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 2, S. 119 f., 127-141, 143 f.; LUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 30. Zur schulischen und universitären Ausbildung im Untergrund, die im wesentlichen auf das Generalgouvernement beschränkt war, da hier für Polen eine relativ höhere Bewegungsfreiheit bestand, vgl. neben Kleßmann auch LUCZAK: Losy polskiej nauki; WYKA: Zycie na niby; Alma mater w podziemiu; BANASIEWICZ: Polityka naukowa. Letztere ist eine der wenigen Arbeiten, die sich mit den Verhältnissen in den eingegliederten Ostgebieten befassen. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 203. HOLBERG: Vernichtung, S. 261. 331

bungen von Landarbeitern begannen. Bereits im Oktober 1939 waren zudem bereits mehr als 200.000 polnische Kriegsgefangene in der deutschen Landwirtschaft eingesetzt.38 Gleichzeitig mit der Anordnung des Arbeitszwanges für Juden am 26. Oktober 1939 wurde die öffentliche Arbeitspflicht aller „polnischen Bewohner des Generalgouvernements" im Alter zwischen 18 und 60 Jahren angeordnet.39 Am 25. Januar 1940 befahl Hans Frank als Beauftragter für den Vierjahresplan die weitgehende Ausbeutung aller mobilisierbarer Ressourcen des Generalgouvernements, darunter „Bereitstellung und Transport von mindestens einer Million Land- und Industriearbeitern und -arbeiterinnen ins Reich". Drei Viertel waren für den „Einsatz" in der Landwirtschaft vorgesehen, davon die Hälfte Frauen. Zusätzlich sollte die Verlegung von Wehrmachtsaufträgen aus dem Reich in das Generalgouvernement weitere Arbeitskräfte nutzbar machen. 40 Die Dringlichkeit des Arbeitskräftebedarfs erlaubte keine Rücksicht auf persönliche Belange. Die Anwerbung seitens der Arbeitsverwaltung beschränkte sich auf die Erfassung der Arbeitslosen und ihre Verpflichtung zur Arbeitsaufnahme im Reich. Gleichwohl gab es zu diesem Zeitpunkt, zumal im Generalgouvernement, noch Möglichkeiten, sich der Verschickung nach Westen zu entziehen nicht zuletzt dadurch, daß man sich der Registrierung als arbeitslos entzog. Trotz wiederholter Aufrufe und Ermahnungen42 waren die Ergebnisse eher dürftig. So berichtete der Gouverneur des Distriktes Warschau, Ludwig Fischer, man habe im Februar und März 1940 gerade einmal 19.216 Arbeitskräfte ins Reich „verschickt". Schuld sei der „innere Widerstand der polnischen Landbevölkerung", verstärkt durch feindliche Propaganda.

38 HERBERT: Ausländereinsatz, S. 18 f. In welchem Maße polnische Arbeiterinnen und Arbeiter bereits in der Zeit der Weimarer Republik als wirtschaftspolitische Verschubmasse betrachtet und behandelt wurden, behandelt KAHRS: Verstaatlichung der polnischen Arbeitsmigration. Die bislang beste Arbeit zum System der Zwangsarbeit in der Zeit des Zweiten Weltkrieges bietet HERBERT: Fremdarbeiter. Zur Vorgeschichte und zu weiterwirkenden Kontinuitäten DERS.: Geschichte der Ausländerbeschäftigung. 39 Verordnung über die Einführung der Arbeitspflicht für die polnische Bevölkerung des Generalgouvernements, 26. Oktober 1939, gez. Frank. Wiedergegeben in: KONIECZNY/SZURGACZ: Praca przymusowa Polaków, S. 320. 40 Richtlinien Franks an den Leiter der Dienststelle für den Vierjahresplan Generalmajor Bürmann, Streng vertraulich, 25. Januar 1940, S. 2 f. Dok. 1375-PS, IMT Bd. XXVII, S. 200-206. 41 HERBERT: Ausländereinsatz, S. 20. 42 Siehe z.B. Ogloszenie urzędu pracy w Lublinie dla Polaków, dotyczqce zglaszania siq do pracy w Niemczech, 24. Januar 1940, wiedergegeben in: Maria Wardzynska, Deportacje na roboty przymusowe z Generalnego Gubernatorstwa 1939-1945, Warszawa 1991 (= GKBZHwP-IPN Nr. 109), S. 44. Weitere Beispiele in LUCZAK: Polozenie polskich robotników przymusowych, S. 12 f. 43 Fragment eines Berichts Fischers an die Regierung des Generalgouvernements, 10. April 1940, zit. n. WARDZYNSKA: Deportacje na roboty przymusowe, S. 7 f. Eine weitgehend vollständige Ausgabe der Fischer-Berichte, leider nur in polnischer Sprache, liegt vor: Raporty Ludwiga Fischera Gubernatora Dystryktu Warszawskiego 1939-1944, Warszawa 1987. Die erhaltenen Ori-

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Was im übrigen für das als Arbeitskräftereservoir ausgewiesene Generalgouvernement galt, war den Umsiedlungsstrategen in den eingegliederten Ostgebieten billig. Die Aussiedlung polnischer Familien, die der deutschen Besiedlung zu weichen hatten, verband sich, nachdem die oben angeführten besonders unerwünschten Gruppen entfernt waren, mit einer Selektion, die die Verwendbarkeit zum zwangsweisen Arbeitseinsatz feststellte. Die Deportation zur Zwangsarbeit in der reichsdeutschen Landwirtschaft diente dabei gleichzeitig drei Zielen: Neben der Befriedigung des Arbeitskräftebedarfs reduzierte der Arbeitseinsatz die Anzahl der polnischen Bevölkerung und ihren Bevölkerungszuwachs; der „Ansatz größerer polnischer Arbeitsheere im Altreich (auch Rübenmädchen und Melkerinnen)" lasse zudem eine „Ausschaltung aus dem Fortpflanzungsprozeß" erwarten. Eine Beschränkung der Reproduktion und der Bevölkerungszahl insgesamt sei um so nötiger angesichts der negativen Ergebnisse der preußischen Polenpolitik: Die Zahl der Polen habe sich damals ebenso vergrößert wie ihr Anteil am Bodenbesitz. „Vegetatives, ungebildetes, aber bodengebundenes und bodennehmendes Volkstum erwies sich als stärker als ein starker, gut verwalteter Staat."45 Die Einstellung, die die Autoren dieses Gutachtens - und nicht nur sie - gegenüber Polen als Volk wie Nation vertraten, drückten sie in der schlichten Wendung aus, daß „Polen der asozialste Staat Europas war", und betonten die Eignung des „zeugungsfreudigen, unvorstellbar bedürfnislosen Volkstum[s] zur billigen Arbeitskraft", stellten jedoch gleichzeitig fest, daß es nicht möglich sei, „ein Volk von der Größe und Tradition des polnischen zu vernichten". Mit Vernichtung, darauf ist eigens hinzuweisen, ist zu diesem Zeitpunkt sicherlich nicht die unmittelbare, systematische Ermordung gemeint, wie sie bald darauf gegenüber der jüdischen Bevölkerung angewandt wurde; es ist davon auszugehen, daß hier eher an eine Reduktion bzw. Auslöschung der Polen als Volk im übertragenen Sinne mit Hilfe „klassischer" bevölkerungs- und kulturpolitischer Methoden und weniger an eine Ermordung als Individuen gedacht war.47 Im Gegensatz zu den Verhältnissen im Generalgouvernement wurde in den derten Ostgebieten kein genereller Arbeitszwang eingeführt. Dies war auch gar nicht sinnvoll. Immerhin ging man ja davon aus, die polnische Bevölkerung, zumindest ihre nicht im Interesse des deutschen „Aufbaus" beschäftigten Teile, baldestmöglich loswerden zu können. Wohl gab es nach einer Verordnung vom 31. August 1940 Versuche mit Zwangsarbeiginale werden im Archiv der Hauptkommission zur Erforschung der Hitlerverbrechen in Polen (AGK) aufbewahrt. Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik, S. 12. Ebenso S. 8; vgl. Kap. IH.2.a., Anm. 34. Ebenda, S. 15. Ebenda, S. 3, 19. Eine systematische Analyse nationalsozialistischer Kraftwörter wie „Vernichtung", „Endlösung" etc. fehlt bislang; sie wäre sicherlich eine ebenso unangenehme wie verdienstvolle Aufgabe für einen linguistisch versierten Historiker. Als früher, nicht fortgesetzter Versuch darf gelten KLEMPERER: LTI.

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terkolonnen im Wegebau, die aber anscheinend rasch abgebrochen wurden: „Da augenblicklich wenig Arbeitslose vorhanden sind, würde sich eine weitere Beibehaltung der Gemeinschaftsarbeit nicht lohnen." Die Arbeitsleistung sei gering gewesen - wenig verwunderlich, da diese Arbeiten unentgeltlich waren und lediglich „Minderbemittelte [...] als Entgelt Brot zugeteilt" bekamen. 48 Stattdessen ordneten die Abteilung Arbeit beim Reichsstatthalter, der Reichstreuhänder der Arbeit, der Landesbauernftlhrer und der Vertreter der Ostland im Warthegau am 2. April 1941 eine „Auskämmaktion" an, in der entbehrliche Arbeitskräfte in landwirtschaftlichen Betrieben festgestellt und zur Zwangsarbeit ins Reich deportiert werden sollten. 49 Die Zwangsarbeit von Polinnen und Polen nahm im Laufe des Krieges immer größere Ausmaße an. Ulrich Herbert schreibt, daß gegen Ende des Krieges 1,7 Millionen polnischer Zwangsarbeiter im Reich tätig waren. Insgesamt 'beschäftigte' das Reich im August 1944 mehr als 7,6 Millionen Menschen aus Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, der Sowjetunion, Polen und dem „Protektorat".50 Die Umstände der Heranziehung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen zur deutschen industriellen und landwirtschaftlichen Produktion deuten darauf hin, in welchem Maße Sklavenarbeit konstitutive Bedingung für die Aufrechterhaltung der deutschen Nationalökonomie im Kriege war. Hinzu kam ab dem Frühjahr 1940 die Selektion hübscher Polinnen, die zuerst mit jeder Beschreibung spottenden Mitteln zwangssterilisiert und danach zur Prostitution in reichsdeutschen Bordellen gezwungen wurden.51 Schreiben des Landrates in Leslau (Wloclawek) an RP Hohensalza, 23. Oktober 1940, o.U., wiedergegeben in: LUCZAK: Polozenie ludnosci polskiej, S. 241 f. Rundschreiben Nr. 385, betr.: Abgabe von polnischen Arbeitskräften für die Landwirtschaft des übrigen Reichsgebietes, 2. April 1941, gez. Kendzia, Rueppel, Naujoks. Wiedergegeben in: LUCZAK: Polozenie ludności polskiej, S. 243 f. HERBERT: Ausländereinsatz, S. 13; Tabelle S. 17. Ein Dienstmädchen beschrieb die Prozedur in einem Brief vom März 1940 so: „Last Tuesday I received the order to report at the Labour Bureau (Arbeitsamt). There were aboutfivehundred girls in all. We were compelled to strip and to remain naked as the lord created us. A doctor first examined our lungs; then he inserted from below a long tube. Through that tube he thrust a long pin, and some long, narrow scissors, white hot. He cut several times; the blood flowed and I fainted. He performed that Operation on all the young girls there. It was a crime. I was ill for three days. On Friday they sent word that I was ready to go away; and next Tuesday a whole transport is to be sent to Germany, but no one knows exactly where." German New Order, S. 111 f. Es wird geschätzt, daß 16.080 Polinnen zwangssterilisiert wurden. LUCZAK: Polska i Polacy; S. 684. Hinzu kamen in den Kriegswochen mehr oder weniger systematische Massenvergewaltigungen durch deutsche Soldaten. Ebenda, S. 103-110. Dieser Aspekt der Kriegführung, der im Zusammenhang mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien eine Zeitlang die Öffentlichkeit beschäftigt hat (BENARD/SCHLAFFER: Vor unseren Augen), ist ansonsten noch viel zu wenig erforscht; auch in der vorliegenden Arbeit muß diese Lücke bleiben, da die Erhebung von Material im Rahmen des hier gewählten Themas nicht möglich war: es gibt keine offiziellen Befehle oder Richtlinien zur massenhaft oder individuell betriebenen Vergewaltigung als Kriegsbeute betrachteter Frauen. In den letzten Monaten kam eine gewisse Diskussion in Gang,

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Auch die Lage der übrigen polnischen Arbeiterinnen und Arbeiter, waren sie nun zu Zwangsarbeit deportiert worden oder in Betrieben innerhalb der eingegliederten Ostgebiete oder im Generalgouvernement beschäftigt, war alles andere als rosig. Die Anordnung über die arbeitsrechtliche Behandlung der polnischen Beschäftigten vom 5. Oktober 1941 hatte Polinnen und Polen bereits aus einer ganzen Reihe von sozialen Versorgungsleistungen ausgeschlossen. So blieb etwa eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ausgeschlossen, soweit es sich nicht um „unverschuldeten Betriebsunfall" handelte. Ebenso entfielen fast alle Zusatzzahlungen und -Zulagen. Die Anordnung galt laut §17 Abs. 1 ausdrücklich auch in den eingegliederten Ostgebieten?2 Die Neuordner in Posen waren unzufrieden. Auf einer Tagung der „Reichstreuhänder der Arbeit" am 9. Oktober 1941 bemängelte Kendzia vom Amt des Gauleiters Greiser, die Anordnung vom 5. Oktober sei zu mild. Er habe Zuschläge überhaupt erst ab der 61. Wochenarbeitsstunde vorgesehen, die „Sozialausgleichsabgabe" von 15% - die auch Polen zu zahlen hatten, obgleich sie nicht leistungsberechtigt waren53 - hatte er auf 30% erhöht. Greiser erklärte daraufhin die Reichsanordnung, der „von uns aus widersprochen" worden sei, für ungültig im Gebiet des Reichsgaus Wartheland.54 Interessant sind die Ausführungen Greisers über das Problem der polnischen Arbeitskräfte, die er am liebsten ganz losgeworden wäre: „Natürlich muß in erster Linie der Krieg gewonnen werden. Deshalb sei er z.B. froh, daß er 200-300.000 Juden im Gau habe. Die könnten viele Arbeiten machen, die sonst nicht zu leisten wären."55 Die Funktionszuweisung ist hier eindeutig und angesichts der fast genau zwei Monate später einsetzenden Vernichtung zunächst überraschend. Die jüdische Bevölkerung stellte das Potential an Sklavenarbeitern, der eigentliche „Volkstumskampf fand zwischen Deutschen und Polen statt. Der Umstand, daß Greiser zu diesem Zeitpunkt in den Polen die größere Gefahr sah, erklärt sich aber m.E. daraus, daß das Schicksal der Juden im Grunde bereits besiegelt war. Durch ihre Ghettoisierung und die Erwartung einer in Kürze bevorstehenden Deportation schienen sie für die Umsiedlungspläne kein Hindernis mehr darzustellen; ihre Gefährlichkeit, davon wird noch zu sprechen sein, entstand nun neu aus den Lebensbedingungen, die in den Ghettos herrschten.

die sich aber in erster Linie mit den Vergewaltigungen durch sowjetische und sonstige alliierte Soldaten an deutschen Frauen befaßt; das Bild des hehren deutschen Landsers bleibt wenigstens in dieser Beziehung einstweilen ungetrübt. So noch bei SANDER/JAHR: Befreier und Befreite. Die beste Gesamtdarstellung zum Komplex Zwangssterilisation ist BOCK: Zwangssterilisation. Wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Hitlerowskie „prawo" okupacyjne, T. I, S. 268-274. Zum ähnlichen Vorgehen im Generalgouvernement vgl. KIRCHBERGER: Stellung der Juden, S. 127 ff. Bericht über die Tagung der Reichstreuhänder der Arbeit der Ostgebiete in Posen am 9. Oktober 1941, 10. Oktober 1941, gez. Kendzia, wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Hitlerowskie „prawo" okupacyjne, T. I, S. 274-280, hier S. 275. Bericht über die Tagung der Reichstreuhänder der Arbeit, S. 280. 335

Was die weitere Herabstufung polnischer Arbeitskräfte in Bezug auf ihre Entlohnung und Versorgung anging, setzte sich Greiser offensichtlich erst im Februar 1942 durch. Ab da galt für polnische Beschäftigte in privaten Betrieben, daß ihr Lohn in aller Regel 80% des üblichen Lohnes nicht überschreiten sollte. Bei „Vorliegen überdurchschnittlicher Arbeitsleistungen" waren bis zu 90% möglich, gleichzeitig konnte der Arbeitgeber den Lohn weiter kürzen, wenn die „Leistung ohne Rücksicht auf die vorliegenden Gründe unterdurchschnittlich ist". Die „Minderentlohnung" war dem Arbeitsamt lediglich zu melden; dieses konnte innerhalb von 14 Tagen Widerspruch einlegen. Der Umgang mit der unterworfenen Bevölkerung war, sowohl was die Selektion zur Aussiedlung als auch die Einbindung möglichst aller menschlichen Ressourcen in den „Arbeitseinsatz" anging, die rücksichtslose und konsequente Umsetzung der oben beschriebenen „Ökonomisierung des Menschen"57 im größten Maßstab. So wie die deutsche Kriegführung zunehmend von der Sklavenarbeit der „Fremdvölkischen" abhing, galt das Gleiche für den deutschen „Aufbau" in den eingegliederten Ostgebieten und dem nement. Und je deutlicher wurde, daß der Plan einer Abschiebung der jüdischen und polnischen Bevölkerung dieser Gebiete scheiterte, radikalisierte sich zudem die Anwendung dieses Konzeptes zuerst in Bezug auf die Juden. In welchem Maße die Aussonderung der Juden in direktem Zusammenhang mit der Neuordnung in den eingegliederten Ostgebieten jene zur entpersonalisierten Verschubmasse transformierte, zeigt der bereits zitierte Bericht Koppes über die Umsetzung des 1. Nahplanes vom 26. Januar 1940. Grundsätzlich sei jedem Landkreis ein Transport mit 1000 Personen zugewiesen worden. Größere Landkreise und Städte sowie „solche mit einer hohen Zahl jüdischer Einwohner bekamen entsprechend mehr Transportzüge zugeteilt".59 Das bedeutete, daß als Verschubmasse, die den Baltendeutschen - um deren Verteilung es hier ging - Platz machen mußte, zu diesem Zeitpunkt an hervorgehobener Stelle die Juden definiert wurden, während aus der polnischen Bevölkerung nur ein genau umrissenes Segment abgeschoben werden sollte.60 Der übrige Teil der Bevölkerung verblieb einstweilen und stand für wechselnde Arbeitsaufgaben zur Verfügung: zum einen im betreffenden Gebiet selbst, zusätzlich aber auch im Rahmen von „Arbeitseinsatz im Reich". Auch hierbei verzichteten die deutschen Neuordner nicht auf eine perspektivische positive Selektion, die bereits auf die „Wiedereindeutschung" hinwies. „Rassisch gute Elemente könnten im

Erste Ergänzungsanordnung über die arbeitsrechtliche Behandlung der polnischen tigten im Reichsgau Wartheland in der Neufassung vom 15. Februar 1942, 15. Februar 1942, gez. Jäger. Wiedergegeben in: LUCZAK: Polozenie ludnosci polskiej, S. 253-256. Vgl. oben Kap. II.l.,S. 79-83. Eine Rekonstruktion der „Nahpläne" erscheint in unserem Zusammenhang nicht sinnvoll, zumal erschöpfende Analysen vorliegen. Vgl. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, und vor allem ALY: Endlösung. Bericht Koppes, 26. Januar 1940, zit. n.: Faschismus-Ghetto-Massenmord, S. 49. Vgl. dazu auch ALY: Endlösung, S. 81, 96.

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Reichsgebiet belassen werden." Damit hatte sich aber auch gezeigt, daß sowohl in Bezug auf die jüdische als auch die polnische Bevölkerung die ursprüngliche Konzeption Himmlers, die eingegliederten Ostgebiete möglichst sofort von jeglicher nichtdeutscher Bevölkerung zu befreien, einstweilen gescheitert war. Die Verhältnisse, unter denen die „Evakuierungen" abliefen, waren katastrophal: Die Zielorte der Züge wurden wenn überhaupt nur unzureichend bestimmt, der Transport erfolgte mitten im Winter „in überbelegten und ungeheizten Viehwaggons unter Unterlassung der nötigsten Verpflegung".62 In einer Tagung „wegen der Juden- und Polenevakuierung" unter Leitung Adolf Eichmanns am 4. Januar 1940 wurde man noch deutlicher: „Die Leute mußten bis zu 8 Tagen in verschlossenen Eisenbahnwagen sitzen ohne ihre Notdurft verrichten zu können. Außerdem sind bei einem Transport während der großen Kälte 100 Erfrierungen vorgekommen."63 Zudem beklagten die Behörden des Generalgouvernements die hohe Zahl an „zum Arbeitseinsatz untauglichen Personen".64 Die Hinzuziehung Eichmanns kündigte einen organisatorischen Wechsel an. Zwar war das RSHA von Anfang an für die Deportationen zuständig gewesen, die Planung lag aber weitgehend in den Händen der örtlichen SS- und Polizeiführer bzw. des Sonderstabes für die Aussiedlung der Polen und Juden unter Alfred Rapp.65 Am 30. Januar 1940 faßte Heydrich die Unzulänglichkeiten der bisherigen Umsiedlungsvorgänge zusammen und kündigte eine Reorganisation an. Er erklärte, daß die Beschwerden der Behörden des vernements nicht zuletzt darauf zurückzuführen seien, daß „die ursprünglich festgesetzten Ziffern nicht eingehalten, sondern überschritten worden sind". Nun sei zentrale Lenkung erforderlich. „Mit Errichtung des Referates IV D 4 zwecks zentraler Steuerung der Räumungsaufgaben fallen die geltend gemachten Bedenken fort."66 Das neue Referat, das mit Adolf Eichmann besetzt wurde, sollte zunächst einmal Zahlenmaterial sammeln und einen Aussiedlungsplan - zweckgebunden an die Ansiedlung der Wolhyniendeutschen - erstellen. Damit war die Zentralisierung der Planung und Durchführung der gesamten Aussiedlung in einer Hand vollzogen. Gleichzeitig zeugte die Beschränkung der AussiedÄußerungen des Chefs des RSHA, Heydrich, und des HSSPF im Generalgouvernement, Krüger, auf einer Konferenz in Berlin, die sich mit der Frage der Deportation der polnischen und jüdischen Bevölkerung aus dem Warthegau ins Generalgouvernement beschäftigte, 30. Januar 1940, zit. n.: Faschismus-Ghetto-Massenmord, S. 50 ff., hier S. 51. Auszug aus dem Januar-Bericht des Chefs des Distrikts Krakau, Wächter, 19. Februar 1940, zit. n.: Faschismus-Ghetto-Massenmord, S. 52 f. Vermerk über Besprechung bei Eichmann, 8. Januar 1940, Unterschrift unleserlich. Wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnoäci, S. 37 f-39 f. Auszug aus dem Januar-Bericht des Chefs des Distrikts Krakau. Vgl. Kap. 1.1., S. 31 f. Vermerk über Besprechung am 30. Januar 1940, o.U., S. 1. Wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnoSci, S. 66 f-75 f. 337

lungsplanung auf den unmittelbaren Bedarf für die Unterbringung der „Rücksiedler" von den wachsenden Problemen, unerwünschte Bevölkerungssegmente loszuwerden.67 Der Höhere SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement Krüger brachte ungewollt eine neue Möglichkeit ins Spiel. Der Bau des „Ostwalles" und diverser Truppenübungsplätze fordere die Aussiedlung von 100.000 bis 200.000 Menschen; Heydrich witterte sofort die Möglichkeit, „mehrere 100.000 Juden in Zwangsarbeitslagern zusammenzufassen, deren Familien dann den übrigen im Gouvernement bereits befindlichen jüdischen Familien zugeteilt werden könnten".68 Dazu kam es nicht - vor allem wohl, weil die Wehrmachtsvertreter auf der eingangs erwähnten Besprechung am 16. und 17. Januar bereits klargestellt hatten, daß „möglichst 50 km im Umkreis militärischer Anlagen nur Volksdeutsche - jedenfalls keine Juden und Polen - anzusiedeln" seien.69 Der rasche und vermutlich unüberlegte Vorstoß Heydrichs machte nochmals deutlich, daß die „Evakuierung" der jüdischen Bevölkerung nach wie vor als Voraussetzung der gesamten Restrukturierungs- und Umsiedlungspolitik betrachtet wurde und man, angesichts zunehmender Schwierigkeiten, nach jedem Strohhalm griff, der eine deutliche Reduzierung der Bevölkerung, deren erste Opfer die Juden sein sollten, bringen konnte. Die unterschiedlichen Verfahren, die gegen Juden und Polen angewandt wurden, zeigten sich beispielsweise an den Umständen der Einrichtung des Ghettos in Lodz. Am 7. März 1940 telegrafierte SS-Obersturmführer Rudolf Barth, Vertreter Rapps in Lodz:70 „im laufe der nacht zwei aktionen durchgeführt. 1.) wurden 500 polnische und jüdische familien in den abendstunden evakuiert. - 2.) wurde im morgengrauen ein randgebiet des Ghettos umstellt, die dort wohnenden polen wurden festgenommen, nach ueberpruefung durch kripo und stapo zum teil den Standgerichten zugeführt, zum teil von den staedtischen behoerden ihren neuen Wohngebieten im polenviertel zugeleitet, der rest dieser personen wird am 4.3. durch uns evakuiert werden, in das gesamte durch diese aktion geraeumte Wohngebiet werden am montag dem 4.3. Juden aus dem Stadtzentrum eingewiesen werden, sodass ein erheblicher Wohnraum zur einweisung von balten entsteht."71 Der hier vollständig zitierte Text des Telegramms zeigt mehrerlei. Zum einen ist ersichtlich, daß die Umsiedlungsstrategen sehr weitgehend entsprechend den Vorstellungen des oben zitierten Gutachtens Schieders72 vorgingen, die dieser für das Generalgouvernement

So auch SAFRIAN: Eichmann, S. 87-104, bes. S. 89 ff.; ALY: Endlösung, S. 90 f. Besprechung vom 30. Januar 1940, S. 6 f. Bericht über die am 16. und 17. Januar 1940 in Lodsch durchgeführte Besprechung über nungen der Wehrmacht im neuen Ostraum, S. 4. Vgl. Kap.II.l. Zur Rolle Barths vgl. ALY: Endlösung, S. 86 f., 220. Telegramm Barth an Rapp, 7. März 1940. Wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnosci, S. 78 f. Vgl. oben S. 321 f.

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formuliert hatte: Die jüdische Bevölkerung wurde ghettoisiert, ihre Wohnungen den Umsiedlern zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig wurden die Juden so aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben der Stadt liquidiert. Die kriminalpolizeiliche Überprüfung der Polen, die zunächst einmal ohne Angabe von Gründen in einer Razzia festgenommen wurden und die folgende standrechtliche Erschießung eines Teiles dieser Menschen wirkte wie eine Schlechterstellung der polnischen gegenüber der jüdischen Bevölkerung, gegen die solche Maßnahmen nicht angewandt wurden. Das entsprach sinngemäß den Vorschlägen Wetzeis und Hechts, Polen und Juden möglichst gegeneinander auszuspielen. Darüber hinaus ist zu sehen, wie die Probleme, die man selbst geschaffen hatte, zu einer Brutalisierung des Vorgehens gegenüber den unerwünschten Bevölkerungsteilen führte. Dem Vorgehen Barths sprachen übergeordnete Stellen offensichtlich Modellcharakter zu. Am 8. März, also einen Tag nach dem Telegramm Barths an Rapp, teilte Eichmann mit, daß er nach Lodz fahren wollte, und bat Rapp um eine Koordinierung des Termins. Spätestens im Dezember 1940 wurde offensichtlich, daß das ursprüngliche Neuordnungskonzept trotz aller Anstrengungen und trotz der ohnedies zunehmenden Brutalisierung gescheitert war. Anzeichen hatte es indes schon sehr früh gegeben. Bereits das Gutachten zur „Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten" hatte unter Berufung auf Theodor Oberländer und im gleichen Sinne wie Schieder im Januar 1940 ausgeführt, daß das Generalgouvernement „bei Durchführung kostspieliger und z.T. langfristiger Maßnahmen zur Hebung der landwirtschaftlichen Produktion bestenfalls 1-1,5 Mill. Umsiedler aufnehmen" könne. Allenfalls sei der Platz „knapp" ausreichend, um „die Juden aus dem befreiten Osten" und einen Teil der jüdischen Bevölkerung des übrigen Reichsgebiets, polnische Intelligenz, Unternehmer und Landbevölkerung aufzunehmen, „soweit sie Platz machen muß, um die siedlungsmäßige Einkreisung polnischen Volksbodens im Reichsosten durch Streifen deutscher Siedlungen durchzuführen".74 Konkrete Anzeichen, daß selbst dies nicht gelingen sollte, hatte es seit der ersten Unterbrechung der Deportationen im März 1940 gegeben. Interessant ist, daß diese Unterbrechung deshalb für nötig erachtet wurde, weil die Deportation der Stettiner Juden in das gouvernement so brutal verlaufen war, daß sie „zur allseitigen Verlegenheit in der ausländischen Presse kommentiert wurde".75 Ähnliche Reaktionen auf die beschriebene „Aktion" vom 4. März in Lodz scheint es nicht gegeben zu haben. Nach dem Sieg im Westen wurden solche Rücksichten aber ohnedies nicht mehr für nötig gehalten.

Aktenvermerk für SS-Sturmbannfllhrer Rapp, 8. März 1940, gez. SS-Obersturmführer Kurz. Wiedergegeben in: DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlanie ludnoSci, S. 79 f. Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik, S. 6 f. HILBERG: Vernichtung, S. 216. 339

Wirkungen des Funktionswandels des Generalgouvernements 1940 auf die Politik gegenüber Polen und Juden

Anfang

Die neue Situation bewirkte eine neue Funktionszuweisung für das Generalgouvernement: War es zu Beginn des Krieges ein „Restgebiet" gewesen, über dessen Rolle einstweilen nicht entschieden wurde, kam, wie oben gezeigt, im Herbst 1939 der Gedanke auf, das Gebiet als Abschiebeterritorium und Arbeitskräftereservoir zu nutzen.7 Die Offenheit, mit der diese Funktionszuweisung erfolgt war, führte dazu, daß allenthalben Landräte und andere subordinierte Stellen mit eigenverantwortlichen, nicht koordinierten Deportationen, sogenannten „wilden Aussiedlungen" begannen, die die Lage zusätzlich chaotisierten, möglicherweise aber die Monopolisierung aller Siedlungsbewegungen durch die SS beschleu77

nigten. In diesem Zusammenhang stand auch eine versuchsweise Deportation österreichischer Juden nach Nisko am San, mit der Adolf Eichmann, damals Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung" in Wien, versuchte, die stockende Entfernung dieser Menschen aus dem Großdeutschen Reich wieder in Gang zu bringen. Obwohl die Deportationen rasch abgebrochen wurden, konzentrierten sich Bevölkerungs-, Siedlungs- und Deportationsstrategen in der Folgezeit auf die Suche nach Möglichkeiten der Abschiebung der jüdischen Bevölkerung des Reiches einschließlich der eingegliederten Ostgebiete in ein Gebiet im Osten.78 Als „Judenreservaf' wurde zuerst der Distrikt Lublin festgelegt.79 Bereits im Januar 1940 jedoch suchte man nach anderen Möglichkeiten. Der Raum, den man übernommen hatte, verfügte zwar über den Vorteil, daß der Bevölkerungsanteil, dem gegenüber gewisse Rücksichten erforderlich waren, eher klein war. Gleichwohl war dieses Gebiet ja nicht menschenleer, was es im Idealfall aber hätte sein müssen. Da das gouvernement seinerseits bereits als überbevölkert galt, kam die Idee auf, zunächst einmal die gesamte jüdische Bevölkerung „etwa nach Madagaskar" auszusiedeln.80 MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja,

S. 86 f. BIRN: HSSPF, S. 190; LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 117, 126, 154 f., 168 f., 228. Danach klagte die UWZ Litzmannstadt noch 1942 über „wilde" Aussiedlungen und Vertreibungen. SAFRIAN: Eichmann, S. 68; 72-81. BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 68; MARCZEWSKI: Hitlerowska polityka, S. 209; SAFRIAN: Eichmann, S. 91; LUCZAK: Polityka ludnosciowa, S. 26 weist daraufhin, daß das gleiche Gebiet später zur „Heimstätte für Deutsche" umgedeutet wurde. Ich werde darauf noch zurückkommen. ROTH: Generalplan Ost, S. 32 f. datiert die Einrichtung des „Reichsghettos" auf den 29. September 1939. Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik, S. 7. Der „Madagaskar-Plan" kam nach dem Sieg in Frankreich auf, stellte sich aber bald als ebenfalls undurchführbar heraus. Vgl. ALY: Endlösung, 101; Eisenbach, Hitlerowska polityka, S. 175 ff., zu den internationalen Verhandlungen im Zusammenhang mit dem „Madagaskar-Plan"; SIJES: Studies, S. 53 ff., und EISENBACH: Hitlerowska polityka, S. 122-128 zur Vorgeschichte des Madagaskar-Planes in der Zwischenkriegszeit; HILBERG: Vernichtung, S. 417, stellt fest, daß der Madagaskar-Plan der letzte größere Versuch gewesen sei, die „Judenfrage" durch Auswanderung zu lösen; dies ist nicht ganz richtig. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion kamen nochmals ähnliche, wenn auch brutalisierte Pläne ei340

Die Aussiedlung aller Juden und zunächst jeweils so vieler Polen, wie flir die Ansiedlung Deutscher erforderlich waren, stieß auf zunehmende Transportschwierigkeiten und Widerstände seitens der Verwaltung des Generalgouvernements und der Wehrmacht. Während nun die jüdische Bevölkerung übergangsweise in Ghettos zusammengepfercht wurde - das Ghetto in Lodz wurde im Februar 1940 eingerichtet und am 30. April 1940 geschlossen, das Warschauer Ghetto folgte im Herbst - , bereitete die Vertreibung der polnischen Bevölkerung größere Schwierigkeiten. Im Dezember 1940 hatte Hans Butschek vom Ansiedlungsstab Süd in seinem Gutachten „Die Möglichkeiten der Siedlung 1941" vorgeschlagen, die „fremdländischen Arbeiter" in „Reservatsgebieten" um Industriebetriebe bzw. geplante Industrieagglomerationen herum zu konzentrieren. Obwohl Butschek noch davon ausging, wenigstens die unproduktive Bevölkerung nach Osten abschieben zu können, kündigte sich hier eine neue Möglichkeit an, Menschen loszuwerden, die im Rahmen der deutschen Siedlungspolitik störten. Man ging sofort an die konkretere Planung, und das hieß nicht zuletzt an die Festlegung der Paradigmen für die Selektion der verbliebenen polnischen Bevölkerung: Die Polen sollten in arbeitsfähige und nicht arbeitsfähige Familien getrennt werden; „produktive polnische Familien" sollten in die „Reservatgebiete" umgesiedelt werden, die seitens der „interessierten Industrie" in Oberschlesien für einen größeren Ausbau vorgesehen waren, unproduktive sollten weiterhin ins Generalgouvernement abgeschoben werden.8 Ab dem Frühjahr 1941 wurden die polnischen Familien, die der An-

ner Vertreibung in den Osten auf: die Juden sollten „in großen Arbeitskolonnen straßenbauend" nach Osten getrieben und durch unmenschliche Arbeitsbedingungen vernichtet werden. Vgl. ALY: Endlösung, S. 268-273. SCHEFFLER: Das Ghetto Lodz, S. 13. Vgl. auch HILBERG: Vernichtung, S. 217. Den „vorläufigen Charakter" der Ghettoisierung betonen auch SAFRIAN: Eichmann, S. 91, und ALY: Endlösung, S. 131. Die Möglichkeiten der Siedlung 1941. Der Beauftragte des RFSS als RKF. SS-Ansiedlungsstab Süd, BA R49 R 49/Anhang 111/26., wiedergegeben auch in: Bevölkerungsstruktur und Massenmord, S. 34-38, hier S. 35 f. Als Autor wird hier Hans Butschek angegeben. Die SS-Ansiedlungsstäbe sind sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Forschung kaum beachtet worden, was um so bedauerlicher ist, als es immerhin sie waren, die die allgemeinen Richtlinien aus der Berliner RKF-Zentrale in konkrete Handlungsanweisungen umsetzten. So legte der Leiter der Planungsabteilung des Ansiedlungsstabes Posen Dolezalek im November 1940 die genauen Modalitäten für die Sanierung der Volksdeutschen Höfe bzw. die Neuansetzung von Jungbauern fest, und die Planungsabteilung des Ansiedlungsstabes Litzmannstadt bestimmte im Juli die Parzellengrößen für Landarbeiterstellen nach den bisher gemachten Erfahrungen neu. (Vermerk betr. Umsiedlung der Volksdeutschen, Posen, den 27.11.1940 und Vermerk betr. „Bewegliche" Betriebsgrößen, Litzmannstadt, den 2.7.1941, beide BA R 49 Anh. 1/36.) Zudem scheint der Ansiedlungsstab Süd Urheber der „Polenreservate" gewesen zu sein, in die von ihren Höfen vertriebene Polen abgeschoben wurden. Madajczyk erwähnt immerhin Dolezalek als Leiter der Planungsabteilung des Beauftragten des RKF für das Wartheland und vermerkt, daß dieser die Ansiedlung in zwei Phasen aufteilte: zuerst die Vergrößerung Volksdeutscher Höfe, danach die Ansiedlung von Jungbauern nach dem Kriege. Madajczyk nennt zwar seine Quelle nicht, bezieht sich aber offensichtlich auf die oben zitierten Schriftstücke. MADAJCZYK: Polityka 341

Setzung der Volksdeutschen Siedler weichen sollten, in einer „Verdrängung" genannten Aktion in zuvor festgelegte „Polenreservate" mit Böden minderer Qualität abgeschoben. Auch Greiser sah hier offensichtlich eine Chance zur Lösung seiner Unterbringungsprobleme: Bereits im Mai 1941 meldete er als Beauftragter des RKF, daß die Ansiedlungsstäbe nach Möglichkeiten zur Einrichtung weiterer „Reservate" suchten. Tatsächlich wurde aber der größere Teil dieser Menschen ohne jegliche Betreuung oder Zuweisung neuer Wohnorte schlicht vertrieben.84 Nochmals aufgegriffen wurde die Idee der Reservatsbildung im Zusammenhang mit der „Z-Hof-Aktion" im Sommer 1942. Zu den Gutachtern gehörte der Königsberger Geograph Georg Blohm, inzwischen Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Arbeitslehre des Landbaus an der Reichsuniversität Posen. Die Einrichtung dieser „Reservate" für Bauernfamilien, die von ihren Höfen vertrieben wurden, könne, so Blohm, „naturgemäß nur auf den ärmsten Böden erfolgen, wenn die Aktion eine nennenswerte Einsparung in dem Verbrauch an Nahrungsmitteln herbeifuhren soll". Blohm sah voraus, daß unter diesen Bedingungen „naturgemäß die Ernährung und Beschäftigung der großen Mengen zusätzlicher Menschen, die jetzt in diese Reservate gebracht werden sollen, absolut ungenügend" sein werde. Blohm schlug vor, die Arbeitsfähigen auszusondern und nur Frauen, Kinder und arbeitsunfähige Männer in diese Gebiete zu pferchen und ihnen gewisse Anleitungen zum Gemüse-, Gewürz- und Arzneipflanzenanbau zu geben, „soweit die Böden derartige Kulturen zulassen". Die Abschiebung Arbeitsunfähiger in Gebiete, die keine Subsistenzmittel boten, nahm den möglichen, in vielen Fällen sogar wahrscheinlichen Tod dieser Menschen durch Verhungern und Krankheiten in Kauf, möglicherweise rechnete man sogar damit. Es handelte sich ja um Menschen, die für die Deutschen keinen Wert darstellten und jedenfalls keine Kosten verursachen durften. Dieses Vorgehen fand seine Entsprechung in der Selektion einer viel zahlreicheren Gruppe, gegen die man noch wesentlich brutaler vorging. Inzwischen hatte die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung begonnen.

III Rzeszy, S. 350. Über seine Person ist wenig bekannt. Zur Tätigkeit Dolezaleks siehe auch ALY: Endlösung, passim, der ebenfalls die Akten der Ansiedlungsstäbe ausgewertet hat. BIRN: HSSPF, S. 191; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 223-232. Marczewski fuhrt an, daß die Idee der Einrichtung solcher „Reservate" vermutlich von Krumey stammte. Wie oben gezeigt, ist dies wahrscheinlich nicht der Fall. Schreiben RP Posen an Landräte, 4.2.1942. Zit. n. DATNER/GUMKOWSKI/LESZCZYNSKI: Wysiedlenia ludnosci polskiej, S. 101. Bemerkungen zur Durchführung der Z-Aktion und zur Schaffung von Polen-Reservaten, 10. Juli 1942, gez. Blohm. Seine „Bemerkungen" schickte Blohm am gleichen Tage an Krumey mit der Bemerkung, es würde ihn „sehr interessieren, später einmal wieder die Entwicklung im Reservat und die Aufwärtsentwicklung in den Z-Höfen zu beobachten". Wiedergegeben in: STOCH: Polenreservate, S. 162 f. Zur Tätigkeit Blohms in Posen siehe PIOTROWSKI: W sluzbie rasizmu, S. 141-145. 342

Schon vor dem endgültigen Deportationsstopp im März 1941 hatte sich die Funktion des Ghettos in Lodz grundlegend geändert: War es zunächst aufgrund einer Zusage Hans Franks, die Umsiedlung der dort zusammengepferchten Menschen bis Oktober 1940 zu ermöglichen, als Übergangsmaßnahme eingerichtet worden, wurde es nun zum Zwangsarbeitslager für die Rüstungsindustrie umfunktioniert.86 Die direkte Verknüpfung von Neuordnung und Aussonderung läßt sich auch hier rekonstruieren. Lodz sei das „zentrale Bollwerk im Ostraum", so Gottfried Feder, Professor an der TU Berlin und Leiter der dortigen Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung - nicht zuletzt wegen seiner zahlenmäßig bedeutenden deutschen Bevölkerung. Gerade hier zeigte sich aber, wie sich die ursprüngliche Chance, die „fremdvölkische Bevölkerung" gegen Überschüssige im „Altreich" und „Rücksiedler" aus dem Osten austauschen zu können, in ein Problem umkehrte, weil die Umsetzung den Planzielen nicht nachkam: „Aber gerade volkstumsmäßig bietet Lodz große Schwierigkeiten. Neben den 300.000 Deutschen hat es sehr viele Juden, die jetzt in ein Ghetto gedrängt wurden, da die Aussiedlung im Augenblick schwierig ist. Die Gefahr der Übervölkerung ist groß." 8 7 Wie Aly gezeigt hat, stellte sich bereits auf einer Besprechung am 31. Juli 1940, an der Koppe, Krüger, Streckenbach, Greiser und Frank teilnahmen, heraus, daß man sich gegenseitig blockierte. Schon die „Übernahme" von 250.000 Juden aus dem Warthegau erklärten Frank und Streckenbach angesichts einer Anhebung der Bevölkerungsdichte von 104 auf 136 Menschen je km 2 für unmöglich. An eine Deportation hunderttausender Polen war ebenfalls so lange nicht zu denken, wie nicht im Generalgouvernement, wie Aly schreibt, „für 'Entlastung' auf Kosten der jüdischen Minderheit gesorgt wurde". 8 8 Nach dem leichten Sieg im Westen im Juni 1940 vollzog sich in Bezug auf die ökonomische Funktion des Gebietes, wie bereits erwähnt, in mehreren sich überlagernden Schritten ein Paradigmenwechsel: War es vorher außer dem bereits Angeführten um die sofortige Verfügbarkeit möglichst vieler Zwangsarbeiter für die durch die Kriegswirtschaft an Arbeitskräftemangel leidende Landwirtschaft gegangen, sollte nun das Generalgouvernement zu einem integralen, leistungsfähigen Bestandteil des „Großdeutschen Wirtschaftsraumes" werden. Die grundsätzliche Entscheidung, das Generalgouvernement in den deutschen „Siedlungsraum" einzubeziehen, fiel in diesem Zeitraum. Parallel dazu unternahm die „Regierung des Generalgouvernements" ihrerseits alle Anstrengungen, um die Eingliederung und Umgestaltung des Gebietes zu einem wertvollen Bestandteil des Reiches

SCHEFFLER: Das Ghetto Lodz, S. 14. Arbeitstagung der RAG am 12. April 1940. Arbeitkreis V. Welche Struktur und welche Gestaltung sollen die zentralen Orte des Ostens und ihre Einzugsgebiete künftig erhalten? BAK R 113/94, unfol. ALY: Endlösung, S. 163-167. Zur Periodisierung der Besatzungspolitik vgl. v.a. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 560-563; LUCZAK: Polityka ludnóściowa, S. 32-35; BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 164 f.

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sinnvoll und möglich erscheinen zu lassen. Der „Bericht über den Aufbau im Generalgouvernement bis 1. 7. 1940", dessen Abfassung mit dem erwähnten Funktionswandel zusammenhängen dürfte, betonte nun, das Gebiet gehöre „zu Mitteleuropa wie Schlesien oder Brandenburg". Die Spezialisten aus der Abteilung für Raumordnung betonten die historische und ökonomische Bedeutung des „Weichselraumes" als Brücke in den weiteren Osten.90 Aber auch in der Überbevölkerung und der geringen Industrialisierung sahen die Raumplaner Ansatzpunkte für eine Neuordnung: „Bei einer planvollen Lenkung der Siedlungsbewegung [...] und bei einer Umstellung der extensiven, zurückgebliebenen Arbeitsweise und Arbeitsauffassung des Polen können [...] zweifellos Millionen von Arbeitskräften in einer für das Land, wie besonders auch für das Großdeutsche Reich nützlichen Weise in produktive Leistung umgesetzt werden."91 Der Zusammenhang ist offensichtlich: Die „Regierung des Generalgouvernements" versuchte den Spagat zwischen der Hitlerschen Anweisung, das „Restgebiet" sowohl als Abschiebeterritorium als auch als Arbeitskräftereservoir nutzen zu wollen, einerseits und dem eigenen Interesse an einer Änderung der eigenen Funktion von einer Verwaltung selbst produzierten Chaos' hin zur „Aufbauarbeit" andererseits, die jedoch sicherlich nicht eine Verbesserung der Lebensumstände für die Bevölkerungsmehrheit bedeuten mußte. Der Hinweis, daß die Bevölkerungsdichte im Generalgouvernement „wesentlich höher [sei] als die Tragfähigkeit des Generalgouvernementsraumes im gegenwärtigen Zustand", deutete an, daß eine Restrukturierung der Gesamtwirtschaft Abhilfe schaffen könnte: „Eine Befriedung dieses Raumes muß in erster Linie in einer weitgehenden Ausschöpfung der Eigenmöglichkeiten des Generalgouvernements, d.h. in einer Industrialisierung mit gewissen kolonialen Vorzeichen gesehen werden." Erforderlich sei „Hand in Hand mit der industriellen eine vollständige landwirtschaftliche Umformung". In Vorwegnahme noch ausstehender Entscheidungen erstellte die Abteilung Raumordnung eine „Industriekarte", die „unter Berücksichtigung wehrpolitischer Gesichtspunkte" Standorte industrieller Produktion vorschlug. „Grundsatz der Planung muß hierbei neben den bereits genannten Gesichtspunkten sein, die mit einer Industrialisierung verbundene Hebung des Lebensstandards so zu steuern, daß zwei Zwecke erreicht werden: a) Befriedung, b) Erhaltung des Menschen-Reservoirs Generalgouvernement für das Reich.

Bericht über den Aufbau im Generalgouvernement bis 1.7.1940, o.D., o.U., S. 1. BAK R 52 11/247. Ebenda, S. 2. Ebenda, S. 23.

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Eine Befriedung läßt sich bloß dann erreichen, wenn die Erhöhung des Lebensstandards auf eine Stufe gebracht wird, die etwa die Mitte hält zwischen den Verhältnissen der Gebiete ostwärts der Generalgouvernementsgrenze und den Gebieten des Reiches."93 Gleichzeitig ging man die „Übersetzung" der Landwirtschaft an. Es lasse sich im Zuge der Behebung der „Landarbeiternot des Reiches in stärkstem Maße dieses Reservoir ausschöpfen". Gleichwohl blieben einige hunderttausend Menschen übrig, die in der Landwirtschaft keinen Platz finden würden „und deshalb von anderen Wirtschaftssparten aufgenommen werden müssen". Ebenso verlangten die Umsiedlungspläne selbst eine gesteuerte Industrialisierung: nur so sei Platz für die „Evakuierten" zu schaffen. Ein zusätzliches Problem stellten die Juden: „Ihre Ausschaltung aus dem freien Wirtschaftsleben stellt die Planung wiederum vor besondere Probleme, wenn nicht nach Beendigung des Krieges eine Gesamtlösung der Judenfrage durch Auswanderung eintritt."94 Die Definition der jüdischen Bevölkerung als Störfaktor blieb bestehen und kehrte gleichzeitig den Blickwinkel um. War die vorrangig vorzunehmende Entfernung der Juden aus den eingegliederten Ostgebieten, die erst durch die völlige Entrechtung dieser Menschen und den Kunstgriff möglich geworden war, ihnen menschliche Qualität überhaupt abzusprechen, zuerst eine Chance zur Verringerung der Bevölkerungsdichte des Kolonisierungs- und Siedlungsgebietes, wurde sie nun im Abschiebeterritorium und Arbeitskräftereservoir Generalgouvernement zum Problem, sofern dieses auf Dauer aufrechterhalten werden sollte. Dazu kam noch, daß eine Neudefinition des Generalgouvernements in einem erweiterten Großdeutschen Wirtschaftsraum, wie sie einige Zeit später erfolgte, dieses Problem noch vergrößerte. In einem Gespräch mit Hitler am 17. März 1941 erreichte Frank eine dauerhafte Neuorientierung der Politik gegenüber dem Generalgouvernement, nachdem schon zwei Tage zuvor durch den Chef der Gestapo Brigadeführer Heinrich Müller ein sofortiger Abschiebestopp „bis auf weiteres" verordnet worden war. Nun waren neue Ideen gefragt, wie man die in den eingegliederten Ostgebieten unerwünschte Bevölkerung loswerden könnte.96 Zusätzlich waren aber nun weitere zwei Millionen Juden - die im ralgouvernement - vorhanden, die irgendwo unterzubringen waren. Das Problem wurde

Ebenda, S. 26. Ebenda, S. 27. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 196 f. Vgl. auch BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 97 ff. Anders interpretiert BIRN: HSSPF, S. 201, den Abschiebestopp: Frank sei es allein darum gegangen, die Umsiedlungen in einem organisatorisch geordneteren Rahmen ablaufen zu lassen, um die Verwaltbarkeit seines Gebietes zu sichern. Diese Interpretation greift sicherlich zu kurz, da sie unter anderem die Klagen Franks darüber unberücksichtigt läßt, daß es in erster Linie Arbeitsunfähige seien, die in sein Gebiet abgeschoben würden. Den Zusammenhang zwischen Abschiebestopp und der Suche nach neuen „Lösungen", die zuletzt in der Massenvernichtung endeten, betont neuerdings auch SAFRIAN: Eichmann und seine Gehilfen, S. 78 ff. 345

um so drängender, je weiter die Planungen für eine Restrukturierung des gesamten besetzten polnischen Gebietes voranschritten.97 So legte etwa Helmut Meinhold, Wirtschaftswissenschaftler am Krakauer „Institut für deutsche Ostarbeif' im Sommer und Herbst 1941 eine Reihe von Gutachten und Studien vor, die Konstitutionsbedingungen für ein restrukturiertes, in eine europäische Gesamtwirtschaft eingebettetes Generalgouvernement mit der Option auf die „riesigen Räume des Ostens" vorstellten. Voraussetzung war immer, daß „die Bevölkerungsdichte im Generalgouvernement [...] herabgesetzt" werde. Opfer dieser Restrukturierung mußten zuallererst die polnischen Juden sein. Grundlegend für die Umsetzung der gigantischen Neuordnungsplanungen war die Möglichkeit, Millionen von Menschen, für die in der projektierten ethnischen, sozialen und ökonomischen Bevölkerungsstruktur kein Platz mehr sein sollte, auf welche Weise auch immer loszuwerden. Die immer neuen Eroberungskriege wirkten dabei direkt auf die Siedlungsplanung zurück. Zum einen wollten die SS-Bevölkerungsplaner nach dem Überfall auf die Sowjetunion und die anfänglichen raschen Erfolge davon ausgehen, daß eine Lösung der immer drängender werdenden Deportationsprobleme durch die Verfügbarkeit immenser Räume im weiteren Osten möglich wurde, da nun die Abschiebung sowohl der Juden als auch der Polen realistisch zu werden schien. So schlug Höppner noch am 2. September 1941 eine beschleunigte Aussiedlung aller Unerwünschten für das in Kürze erwartete Kriegsende vor." Andererseits aber potenzierte die gleichzeitig weiter nach Osten ausgreifende Siedlungsplanung die aktuellen Schwierigkeiten, indem die Zahl der unerwünschten polnischen, jüdischen und nun auch noch russischen Bevölkerung sich mit dem potentiellen „Siedlungsraum" vervielfachte.100 Obwohl sich die Hoffnung auf einen raschen Sieg bald verflüchtigte, nach der Kriegsentwicklung im Jahre 1942 sogar das Warten auf den „Endsieg" sich nüchternen Beobachtern als trügerisch erweisen mußte, blieb die immer weiter ausgreifende Siedlungs- und Deportationsplanung davon unberührt. Die erste, verschollene Fassung des „Generalplans Ost" aus dem RSHA vom 15. Juli 1941 ging davon aus, daß von grob geschätzten 45 Millionen „Fremdvölkischen" 31 Millionen nach Sibirien abgeschoben werden sollten - die jüdische Bevölkerung war hier be-

Vgl. dazu ALY: Endlösung, S. 268 ff.;

ROTH: Generalplan

Ost. Siehe auch oben Kap. II.2.a.

Meinhold, Industrialisierung, S. 161 (siehe oben Kap. II.2.a., Anm. 62). Vgl. dazu ALY/HEIM: Vordenker der Vernichtung, S. 110 ff., 238, 247 und passim, sowie HEIM/ALY: Berater der Macht, besonders S. 26-55. ROTH: Generalplan Ost, S. 39. Die Rolle der Endsiegerwartung für die Planung im Rahmen des „Generalplan Ost" betonte zuerst MADAJCZYK: Besteht ein Synchronismus, S. 846. ALY: Endlösung, S. 301; S. 178 zeigt Aly, daß der gleiche Effekt bereits beim Funktionswandel des Generalgouvernements Anfang 1940 eingetreten war. Die Deportationsplanungen von 1941 sahen, so Aly, keine Umsiedlung im üblichen Sinne vor, sondern eine Vertreibung, während derer der Tod des größeren Teils der vertriebenen Menschen vorgesehen war. Vgl. auch ROTH: Generalplan Ost, S. 43. Siehe auch weiter oben. 346

reits abgezogen. Die mit höherem wissenschaftlichen Aufwand verfaßte folgende Version aus der Feder Konrad Meyers gab genaue Aufstellungen über die erforderlichen Siedlerzahlen für die einzelnen Gebiete. Hier nun wurde die Rücksiedlung der 1940 in die Auffanglager der UWZ „umgesiedelten" Litauendeutschen ins Baltikum, die den selbstgeschaffenen Siedlungsdruck in den eingegliederten Ostgebieten mildern sollte, Teil einer ausgeweiteten Strategie. Westlitauen war im Meyerschen „Generalplan Ost" vom Juni 1942 als eine der zuerst zu besiedelnden „Siedlungsmarken" festgelegt.102 Die sich immer wieder zerschlagenden Hoffnungen auf eine sich in absehbarer Zeit eröffnende Möglichkeit, die jüdische Bevölkerung der eingegliederten Ostgebiete - und ihnen folgend unerwünschte Polen, Russen, Ukrainer und so fort - deportieren zu können, wirkten, da gleichzeitig an eine Revision der Restrukturierungs- und Umsiedlungskonzeption nicht gedacht wurde, im Verein mit der zunehmend katastrophalen Situation in den Ghettos in Richtung einer weiteren Radikalisierung der deutschen Politik gegenüber den Unerwünschten. Ein Großteil der Menschen im Ghetto Litzmannstadt war ohne Beschäftigung, die durch die nicht abreißenden Deportationen in das Ghetto hinein verursachten sanitären und hygienischen Verhältnisse wurden zunehmend als Gefahr für die Gesundheit der gesamten Bevölkerung betrachtet.103 Eine wichtige Rolle spielte dabei eine Arbeitstagung der Abteilung Gesundheitswesen in Bad Krynica Mitte Oktober 1941, an der neben den Mitarbeitern der Gesundheitsabteilungen der Regierung des Generalgouvernementes und der Distrikte Vertreter des Militärs, der Polizei und der SS teilnahmen. Der Leiter der Abteilung Gesundheitswesen in der Regierung Frank, Dr. Jost Walbaum, faßte das Problem so auf: Der „enge Kontakt [der Juden] mit der Zivilbevölkerung" mache es unmöglich, „die Seuchen auszuschalten".104 Medizinalrat Dr. Buurmann, stellvertretender Leiter der Abteilung Gesundheitswesen im Generalgouvernement, führte aus, daß die Fleckfiebergefa,u in allererster Linie in den Ghettos zu suchen sei: „Die Verbreitung sei einwandfrei auf das disziplinlose Verhalten der Juden, das besonders in dem Herumvagabundieren zum Ausdruck kommt, festgestellt [sie!]." Zum gleichen Ergebnis kam der Leiter des Staatlichen Hygienischen Instituts in Warschau, Prof. Dr. Robert Kudicke. Vor allem enttäuschte Kudicke Hoffnungen, mit strengerer Gh'ettoisierung des Problems Herr werden zu können; stattdessen empfahl er die Bereitstellung von Seife, Heizmaterial und Mitteln gegen den Läusebefall.105 Mit Blick auf das Warschauer Ghetto betonte er: „Ich halte es nicht für möglich, einen so großen Seuchenherd, der dazu noch mittendrin in einer engbewohnten

101

ROTH: Generalplan Ost, S. 41.

102

Generalplan Ost. Rechtliche, und räumliche Grundlagen des Ostaufbaues, vorgelegt von SS-Oberfuhrer Professor Dr. Konrad Meyer, Berlin-Dahlem, Juni 1942, S. 72. BAK R 49/157a. 103 BROWNING: Genocide and Public Health. Siehe auch KLODZINSKI: Konferencja. 104 Arbeitstagung der Abteilung Gesundheitswesen i.d. Regierung des Generalgouvernements in Bad Krynica vom 13.-16. Oktober 1941, Bl. 8 f. AGK NTN 377. 105 Ebenda, Bl. 11-14. 347

Stadt liegt, einfach abzuriegeln". Tatsächlich sei, zumal man nicht wisse, „wie lange wir die Juden hier noch haben müssen", eine Beseitigung der Seuchengefahr nur dann möglich, wenn die Ursache der Flucht aus dem Ghetto beseitigt werde, und das sei eben die mangelhafte Versorgung.107 Walbaum machte in seiner Antwort auf die Ausführungen Kudikkes deutlich, daß an derlei nicht zu denken sei: „Natürlich wäre es das beste und einfachste, den Leuten ausreichende Ernährungsmöglichkeiten zu geben, das geht aber nicht, das hängt eben mit der Ernährungs- und Kriegslage im allgemeinen zusammen. Deshalb wurde jetzt die Maßnahme des Erschießens angewandt, wenn man einen Juden außerhalb des Ghettos ohne besondere Erlaubnis antrifft. Man muß sich, ich kann es in diesem Kreise offen aussprechen, darüber klar sein, es gibt nur zwei Wege, wir verurteilen die Juden im Ghetto zum Hungertode oder wir erschießen sie. Wenn auch der Endeffekt derselbe ist, das andere wirkt abschrekkender. Wir können aber nicht anders, denn wir haben einzig und allein die Aufgabe dafür zu sorgen, daß das deutsche Volk von diesem Parasiten nicht infiziert und gefährdet wird und dafür muß uns jedes Mittel recht sein. (Beifall, Klatschen)."108 Die Angst vor Seuchen hatte schon im Warthegau im Juli 1941 dazu geführt, daß ein Zwangsarbeitslager mit einem Fassungsvermögen von 300.000 Menschen „in möglichster Nähe der Kohlenmagistrale" für alle Juden des Warthegaus errichtet werden sollte, das in seiner Funktion dem Ghetto Litzmannstadt durchaus ähnlich war. Laut einem Vermerk Höppners war die Einrichtung einer Reihe von Werkstätten vorgesehen, die direkt der Rüstungsproduktion und der Restrukturierung zuarbeiten sollten. Zusätzlich könnten „arbeitsfähige Juden [...] nach Bedarf zu Arbeitskommandos zusammengestellt und aus dem Lager herausgezogen werden". Hinzu kam aber das Problem der nicht Arbeitsfähigen. Laut einem Vermerk Höppners an Eichmann ging die Verwaltungsspitze im Warthegau davon aus, daß „die Juden, nicht mehr sämtlich ernährt werden können. Es ist ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen. Auf jeden Fall wäre dies angenehmer, als sie verhungern zu lassen."109 Der Anblick Tausender verhungernder Menschen sollte dem deutschen Herrenmenschen erspart bleiben; die prophylaktische Ermordung galt als vergleichsweise sauber und enthob die Besatzungsverwaltung gleichzeitig der Pflicht, etwa an eine verbesserte Versorgung dieser Menschen zu denken. Die Handlungsmotivation scheint dabei der bei der Ermordung der unheilbar Kranken sehr ähnlich gewesen zu sein. Menschen, die in keiner Weise mehr verwertbar waren, sollten beseitigt werden, damit sie nicht - was der leistungsbetonten nationalsozialistischen Gesellschaftsorganisation widersprochen hätte - dem „Volks-

Ebenda, Bl. 16 f. Ebenda, Bl. 19. Vgl. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 2, S. 223. Ebenda, Bl. 20. Vermerk, 16. Juli 1941, gez. Höppner. AGKNTN 36, Bl. 568. 348

körper" zur Last fielen. In seinem Begleitschreiben zum oben zitierten Vermerk an Eichmann schrieb Höppner, „die Dinge" klängen „teilweise phantastisch, wären aber meiner Ansicht nach durchaus durchzuführen".111 Christopher Browning führt an, daß ein direkter Zusammenhang zwischen dieser Notiz und dem Beginn des Massenmordes in Kulmhof am 8. Dezember 1941 bislang nicht nachgewiesen werden konnte.112 Wichtig aber bleibt, daß im Zusammenhang mit den selbstgeschaffenen Engpässen in der Siedlungspolitik, vor allem mit der Unmöglichkeit, die jüdische Bevölkerung abzuschieben, der Gedanke der Ermordung eines großen Teiles dieser Menschen aufgebracht wurde. Freilich waren die ethischen Hemmschwellen bereits lange zuvor abgebaut worden. Die Ermordnung der psychisch Kranken wurde schon im Spätherbst 1939 in Polen fortgesetzt113, und die Erschießungen von Juden und Polen, die parallel stattfanden, zeugen ihrerseits davon, daß den Opfern längst die Qualität, Menschen zu sein, abgesprochen worden war. Noch deutlicher wurde die Brutalisierung der Bevölkerungspolitik am Vorgehen der Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion. 114

Zu den Parallelen zwischen Kranken- und Judenmord in Bezug auf Motivation und Planung siehe neuerdings FRIEDLANDER: Origins of Nazi Genocide. Die Praxis der Menschenversuche und der Ausplünderung der Leichen Ermordeter in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern erscheint in diesem Zusammenhang als letzte Konsequenz dieses Leistungs- und Verwertungsgedankens. Man vergleiche die ausführlichen Berechnungen Globocniks über die Sachwerte, die die „Aktion Reinhard" erbracht habe: Abgelieferte Werte aus der Aktion Reinhard, o.D. (1943), gez. Globocnik; Wertmäßige Aufstellung der bis zum 3.2.1943 zur Ablieferung gelangten densachen, 27. Februar 1943, gez. Wippern. Dok. 4024-PS, IMT Bd. XXXIV, S. 58-63. Ebenso der „Katzmann-Bericht" vom 30. Juni 1943 an HSSPF Krüger. Dok. 018-L, IMT Bd. XXXVII, S. 391-431. Vgl. auch KAISER: Monopolprofit. Zu den Menschenversuchen in den Konzentrationslagern siehe zuerst MITSCHERLICH/MIELKE: Medizin ohne Menschlichkeit und STERKOWICZ: Zbrodnie. Schreiben Höppner an Eichmann, 16. Juli 1941. AGK NTN 36, Bl. 567. BROWNING: Fateful Months, S. 4. KLEE: „Euthanasie" im NS-Staat, S. 95-98; DERS.: Dokumente zur „Euthanasie", S. 69-81; RIESS: Anfänge der Vernichtung. Vgl. KRAUSNICK: Einsatzgruppen. Der berühmte „Kommissarbefehl" wirft nach wie vor einige Fragen auf; so scheint es möglich, daß die Einsatzgruppen entweder auf mündlichen Befehl hin oder aber eigenverantwortlich den Befehl, Kommissare und jüdische Männer im wehrfähigen Alter zu töten, auf Frauen, Kinder und Greise ausdehnten. So auch ALY: Endlösung, S. 332 f. Zur bisherigen Diskussion siehe HELMUT KRAUSNICK: Hitler und die Befehle an die Einsatzgruppen im Sommer 1941, und ALFRED STREIM: Zur Eröffnung des allgemeinen Judenvernichtungsbefehls gegenüber den Einsatzgruppen, sowie die anschließende Diskussion in: JÄKKEL/ROHWER: Der Mord an den Juden, S. 88-124. Wenn Streim anfuhrt, daß „über die Existenz eines mündlich erteilten 'Führerbefehls' keine Zweifel bestehen" (S. 107), ist dagegen zu halten, daß ein solcher Befehl durchaus nach bereits vollendeten Tatsachen erfolgt sein kann. Die Dissertation von OGORRECK: Die Einsatzgruppen und die „Genesis der Endlösung", weist nach, daß der Kommissarbefehl sich zunächst auf männliche, „wehrfähige" Juden bezog und damit ledig349

Vermutlich im Herbst 1941 beantragte Greiser die Verlegung des Sonderkommandos Lange, das bereits im Reich und in den eingegliederten Ostgebieten die Ermordung der unheilbar Kranken durchgerührt hatte - die ihrerseits im besetzten Polen in direktem Zusammenhang mit der „Rücksiedlung" der Baltendeutschen stand - in den Warthegau 115 , wo Anfang November 1941 das erste Vernichtungslager in einem kleinen Palais nahe der Ortschaft Kulmhof (Cheùmno) eingerichtet wurde und am 8. Dezember seine „Arbeit" aufnahm. Ein Brief Greisers an Himmler vom 1. Mai 1942 erhärtet die Vermutung, daß der Impuls zum Massenmord an den Juden von den Umsiedlungs- und Neuordnungsstrategen im Warthegau ausging,und daß nicht ein vorher gegebener zentraler Befehl zugrunde lag, sondern eine Bitte um Genehmigung seitens subordinierter Stellen. In seinem Schreiben an Himmler spricht Greiser ausdrücklich über die „von Ihnen im Einvernehmen mit dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Obergruppenführer Heydrich, genehmigte Aktion der Sonderbehandlung von 100.000 Juden". 1 1 6 Es liegt nun der Gedanke nahe, auch den Beginn der Massenvernichtung im Distrikt Lublin als zunächst regionale Lösung aufzufassen, die bald darauf in eine globale „Endlösung" einmündete. Tatsächlich gibt es einige weitere, indirekte Hinweise auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Entscheidung für den Distrikt Lublin als erstes deutsches Siedlungsgebiet und der Einrichtung der Vernichtungslager Belzec und Sobibör. Zum einen ist zu berücksichtigen, daß Himmler bereits im Juli 1941 die Stadt Lublin und den Kreis

lieh eine Erweiterung der Tätigkeit der „Einsatzgruppen" im Herbst 1939 darstellte, die der rassenideologischen Gleichsetzung von Judentum und Bolschewismus geschuldet war. Erst Mitte August wurde der Mordbefehl auf alle Juden, also auch Frauen, Kinder und Greise, ausgedehnt. Siehe die Aussage Koppes in Nürnberg, wiedergegeben in: Nationalsozialistische Massentötungen, S. 111 ff. Vgl. auch MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 217, 247; BIRN: HSSPF, S. 181; ALY: Endlösung, S. 328, 361 f. Vgl. dagegen ROTH: „Generalplan Ost", S. 38, der die Einrichtung des Vernichtungslagers Chehnno für eine selbstverantwortliche Tat der Einsatzgruppen hält, die mit der Entscheidung zur Vernichtung der Juden im Warthegau aber gar nichts zu tun hatten. Die Aufgaben der „Einsatzgruppen" in den Eingegliederten Ostgebieten beschreibt KRAUSNICK: Einsatzgruppen, S. 51-65, richtig als Liquidierung der polnischen Führungsschicht und Erschießungen von Juden, die in erster Linie der Einschüchterung dienten. BROWNING: Fateful Months, S. 3, führt an, daß bereits die Ermordung der polnischen Geisteskranken auf Betreiben Greisers erfolgt war. Ähnlich zeigt RIESS: Die Anfänge der Vernichtung, S. 43-46, 54, 68 f., an, die Initiative zum Krankenmord in Pommern und Danzig-Westpreußen sei von den Gauleitern Schwede und Forster sowie dem Hygieniker Prof. Dr. Albert Großmann (Danzig) ausgegangen. Ebenfalls von einer Initiative Greisers geht aus KERSHAW: Improved Genocide, S. 67 f., 71-75. Schreiben Greiser an Himmler, zit. n. MITSCHERLICH/MIELKE: Medizin ohne Menschlichkeit, S. 230. Hervorhebung M.G.E. Den direkten Zusammenhang mit der Umsiedlungspolitik belegt ALY: Endlösung, S. 362, zusätzlich mit dem Argument, daß der Vernichtung zuerst die jüdische Bevölkerung derjenigen östlichen Landstädtchen zum Opfer fiel, die für eine Volksdeutsche Besiedlung vorgesehen waren. 350

Zamośc in streng geheimer Weisung zum deutschen Siedlungsgebiet erklärt hatte - und damit einen Teil des Gebietes, das bis dahin als „Judenreservat" genutzt worden war. Wie aus den Unterlagen der Fostu hervorgeht, begann die Planung unmittelbar danach. Auf einer Stabsbesprechung am 6. August 1941 legte Globocnik fest, daß der Leiter der Fostu, Obersturmführer Hanelt, „die Gesamtplanung der SS- und Polizeistützpunkte, der Judenbereinigung, den wissenschaftlichen Einsatz im Rahmen des SS-Mannschaftshauses theoretisch zu erarbeiten" 118 habe. Da die „SS- und Polizeistützpunkte" als Basis der späteren flächendeckenden Besiedlung durch Deutsche gedacht waren, wurde die Entfernung der jüdischen Bevölkerung aus dem Siedlungsgebiet als konstitutive Bedingung gewertet. Freilich ist damit noch keine Aussage darüber möglich, in welcher Form diese Entfernung im Sommer 1941 gedacht wurde. Von einem Informationsfluß zwischen Warthegau und Lublin ist zwar grundsätzlich auszugehen, es ist aber völlig unklar, ob dieser etwa direkt über Rolf-Heinz Höppner oder indirekt über Adolf Eichmann zustande gekommen sein mag. 1 1 9 Auffällig ist gleichwohl, daß der Höppner-Vermerk vom 16. Juli und damit aus der gleichen Zeit wie die Entscheidung Himmlers stammte, die Germanisierung des Generalgouvernements im Distrikt Lublin zu beginnen. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Der Bau des ersten Vernichtungslagers im Generalgouvernement, Belzec, begann am 1. November 1941 und wurde wiederum von Euthanasie-Spezialisten geleitet. Am 28. November 1941 protokollierte Eichmann eine Besprechung zwischen Heydrich und Krüger, in der „die zentrale Bearbeitung der Judenangelegenheiten im Generalgouvernement" beschlossen wurde; man hatte sich diesbezüglich gegen Frank durchzusetzen, der offenbar eigene Pläne hatte. 1 2 0 Mit der Wannseekonferenz

BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 165. Notiz für Brigadeführer, betr.: Stabsbesprechung am 6.8.1941 19 30 , 9. August 1941, Paraphe Hanelt, S. 1. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 1 lr/v. Allgemein scheint der Informationsfluß zwischen verschiedenen, auch konkurrierenden Stellen der deutschen Besatzungsverwaltung sehr gut über informelle Kanäle funktioniert zu haben. So stellte ein Vertreter der Fostu, möglicherweise Stanglica, bei seinem Besuch der „Verwaltungsakademie des Generalgouvernements" überrascht fest, daß „die Siedlungspläne des SS-Brigadeführers und Generalmajor der Polizei Globocnik [...] in weiten Kreisen der Beamtenschaft bekannt" seien, zum Teil sogar in Einzelheiten. Bericht über die Verwaltungs-Akademie des Generalgouvernements in Krakau vom 5.-9. Juli 1942, 18. Juli 1942, o.U., S. 6. AGHK SSPF Lublin 891/6, Bl. 135-141. Vermerk Eichmann 1 XII 41 über Rücksprache zw. Heydrich und Krüger am 28 XI 41 betr. „Endlösung der Judenfrage", wiedergegeben in: PÄTZOLD/SCHWARZ: Tagesordnung: Judenmord, S. 90. Daß Eichmann erwähnt, Frank versuche offensichtlich, die Lösung der Judenfrage in seine Hand zu bekommen, widerspricht der hier vorgeschlagenen Interpretation nicht - im Gegenteil. Es ist durchaus vorstellbar, daß gerade die Kämpfe um Dispositionsspielräume wie in vielen anderen Fällen auch radikalisierend wirkten und daß in diesem Falle die Gefahr, Dispositionsspielräume an Frank zu verlieren, in der SS die Bereitschaft förderte, das im Warthegau und im Distrikt Lublin eingeleitete Verfahren auf das gesamte Generalgouvernement und Europa auszudehnen. Gegen die hier vorgestellte Interpretation könnte angeführt werden, daß bereits 351

am 20. Januar 1942 wurde die Zentralisierung beim RSHA durchgesetzt. Offensichtlich hatte sich auch die Regierung des Generalgouvernements, für die Staatssekretär Bühler an der Konferenz teilnahm, der Zuständigkeit Heydrichs unterworfen. Bühler bat nun, mit der Endlösung im Generalgouvernement zu beginnen: „Die Juden müßten so schnell wie möglich aus dem Gebiet des Generalgouvernements entfernt werden, weil gerade hier der Jude als Seuchenträger eine eminente Gefahr bedeutet und er zum anderen durch fortgesetzten Schleichhandel die wirtschaftliche Struktur des Landes dauernd in Unordnung bringt. Von den in Frage kommenden etwa 2\ Millionen Juden sei überdies die Mehrzahl der Fälle arbeitsunfähig."121 Auch dieser Vorstoß Bühlers zu einem Zeitpunkt, als die Vernichtung im Warthegau und im Distrikt Lublin bereits begonnen hatte, weist m.E. darauf hin, daß der Massenmord an den europäischen Juden von regionalen Stellen ausging, die sich Rückendeckung in Berlin besorgt hatten. Auf die Koordinierungsfunktion der Konferenz weist hin, daß der ursprünglich vorgesehene Termin mit der Abfassung des „Generalplans Ost" und der Systematisierung der Zwangsarbeit zusammenfällt.122 Darüber hinaus gibt es im Protokoll der Wannsee-Konferenz einen weiteren Hinweis auf den hier vermuteten Entscheidungsgang. Es heißt dort: „III. Anstelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten. Diese Aktionen sind jedoch lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung sind."123 Damit können nur die bereits angelaufenen Massenmorde im Warthegau und im Umsiedlungsgebiet des Distrikts Lublin gemeint sein. Dies würde bedeuten, daß die Initiative von den Gebietspotentaten Greiser/Höppner bzw. Globocnik - der ja seinerseits eng mit Höppner zusammenarbeitete - ausging, die sich eigenverantwortlich an Himmler oder Hitler wandten, um die Genehmigung zum Massenmord, verübt an den arbeitsunfähigen Jüdinnen und Juden, nachsuchten und sie auch erhielten.124 Im März 1942 wurde die Abteilung Be-

121 122 123

am 21. Oktober 1941 seitens Franks ein Verbot zur Neuerrichtung von Ghettos erging und eine nicht näher bezeichnete „Endlösung" als unmittelbar bevorstehend gewertet wurde. ALY: Endlösung, S. 360. Besprechungsprotokoll, Geheime Reichssache, zit. n. PÄTZOLD/SCHWARZ: Tagesordnung: Judenmord, S. 102-112, hier S. 111. POHL: Judenpolitik, S. 103, 123.

Besprechungsprotokoll, S. 105, Hervorhebung M.E. 124 Dagegen sieht etwa ALY: Endlösung, S. 329-332, die Initiative fast ausschließlich auf der Seite der „Euthanasie"-Spezialisten. Dazu ist zu bemerken, daß diese Sichtweise der hier vorgeschlagenen nicht widerspricht: Ich bin wie Aly der Meinung, daß Höppner mit seinem Vorschlag nicht die Ermordung aller Juden im Sinn hatte, sondern „nur" der arbeitsunfähigen und „nur" im 352

völkerungswesen und Fürsorge in der Regierung des Generalgouvernements direkt eingeschaltet, auch hier bezog sich der Vernichtungsbefehl zunächst einmal auf die Arbeitsunfähigen. 1 2 5 Gleichzeitig erhielt das neu eingerichtete Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt unter Oswald Pohl statt des bis dahin zuständigen RSHA das alleinige Ausbeutungsrecht für die Arbeitssklaven in den zahlreichen Konzentrationslagern.126 Für alle, die als arbeitsfähig galten und zu konkret vorliegenden Arbeits- oder Produktionsaufgaben benötigt wurden - und dies zeigt, wie weit die „Ökonomisierung des Menschen" und die grundsätzliche 127 Vernichtungsbereitschaft gegenüber den „Unbrauchbaren" inzwischen gingen - war die

Warthegau. (Ebenda, S. 328) Der Sichtweise, daß es zeitgleich Tendenzen gab, eine der „Euthanasie" und der bald einsetzenden Praxis im Warthegau entsprechende „Endlösung" durchzusetzen, soll mit den hier angestellten Überlegungen nicht widersprochen werden. Mit den oben erwähnten Bemerkungen Heydrichs über die Zentralisierung des Zugriffs auf die „Judenfrage" und die Ermächtigung durch Göring am 31. Juli 1941 - die im übrigen auch eher eine Genehmigung als ein Befehl war (vgl. KERSHAW: Improved Genocide, S. 61) - scheint mir der Grundstein für eine Ausweitung regionaler „Lösungen" auf eine „Gesamtlösung" gelegt worden zu sein. Die regionalen Vernichtungsimpulse konnten in einer Situation, in der systematischer Massenmord längst kein Tabuthema mehr darstellte, ohne weiteres als Motor und Experimente für die „Endlösung" dienen, um so mehr, als sie eine rasche und preiswerte „Lösung" für seit langem drängende, wenn auch selbstgeschaffene „Probleme" anboten. Dagegen ist ALY: Endlösung, S. 274, zu widersprechen, wenn er meint, daß die Aussiedlungsrhetorik auf der WannseeKonferenz als „der nun schon verschleiernd gemeinte Widerschein zuvor entwickelter Absicht" der Vernichtung aller europäischen Juden zu verstehen sei. Dem scheint mir das oben angeführte Zitat zu widersprechen, das die direkte physische Vernichtung zu diesem Zeitpunkt noch als genehmigungspflichtig ansah. In regional begrenzten „Aktionen" sollten so Erfahrungen gesammelt werden für die bald darauf einsetzende „Gesamtlösung". Die ausgezeichnete Arbeit von POHL: Nationalsozialistische Judenverfolgung, verweist ebenfalls, indem er nachweist, daß der von ihm untersuchte Distrikt aus der Vorgehensweise der „Endlösung" im Generalgouvernement herausfiel, auf die Bedeutung der regionalen Initiative. Dies geht auch aus einem Vermerk des Referenten Reuter von der Abt. Bevölkerungswesen und Fürsorge im Distrikt Lublin vom 17. März 1942 hervor. Dort heißt es als Ergebnis einer Besprechung mit Hauptsturmführer Höfle: „Es wäre zweckmäßig, die in den Distrikt Lublin kommenden Judentransporte schon auf der Abgangsstation in arbeitsfähige und nichtarbeitsfähige Juden zu teilen. Wenn diese Auseinanderhaltung auf der Abgangsstation nicht möglich ist, müßte man evtl. dazu übergehen, den Transport in Lublin nach den obengenannten Gesichtspunkten zu trennen. 2.) Nichteinsatzfähige Juden kommen sämtlichst nach Belzec, der äußersten Grenzstation im Kreis Zamosz /Zamośc. 3.) Hstuf. Höfle ist daran, ein großes Lager zu bauen, in welchem die einsatzfähigen Juden nach ihren Berufen karteimäßig erfasst und von dort angefordert werden können." Vermerk Reuter, 17. März 1942. AGK M 706, unfol. Vgl. ARAD: Belzec, S. 44 f. Vgl. auch FLEMING: Hitler und die Endlösung, S. 104. 126

BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 69 f. Zur Organisation und Entstehung des Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes s. BUCHHEIM: Die SS - Das Herrschaftsinstrument, hier S. 208 f.

127

Der Unterschied zwischen Vernichtungsbereitschaft, Vernichtungswillen und Vernichtungsentschluß wird meines Erachtens vor allem in der „intentionalitischen" Literatur oft übersehen. Tatsächlich lassen sich ausreichend Belege für die grundsätzliche Bereitschaft Hitlers, Himm353

Vernichtung durch Arbeit vorgesehen, sei es im Rahmen der „straßenbauenden Arbeitskolonnen" oder in den großen Konzentrationslagern Majdanek und Auschwitz. 1 2 8 Parallel zur Wannsee-Konferenz wurde mit dem Bau der Vernichtungslager Sobibór und Treblinka begonnen. 1 2 9 Die Vermutung liegt nahe, daß der Bau zweier weiterer reiner Vernichtungslager nötig wurde, weil sich zeigte, daß die „Kapazität" der ursprünglichen Einrichtungen dem Bedarf nicht mehr würde gerecht werden können. Währenddessen plante die Fostu bereits die letztgültige Verwertung der Ermordeten. Im März 1942 wurde die „Planung zur vorläufigen Regelung der Judenfrage im G.G." für abgeschlossen erklärt: „Diese Arbeit fand den Abschluß mit der Evakuierung der Juden seit dem 15. III. nach Osten." Dies war der erste Tag, an dem Transporte mit Jüdinnen und Juden im Vernichtungslager Belzec eintrafen. Aber man plante sofort weiter: Nun wollte man untersuchen, ob „Möglichkeiten der Verwertung von anfallendem Lumpenmaterial zur Herstellung von neuen Textilwaren und Vorbereitungen für die Planung einer diesbezüglichen Industrie" bestünden. " Damit, und mit der Verwertung der Leichen in den KZ-Betrieben, erreichte die Ökonomisierung des Menschen ihren letztmöglichen Tiefpunkt. Nachdem der Gedanke einer systematischen Ermordung nicht verwertbarer Menschen einmal gefaßt war, wurde der Kreis der potentiellen Opfer rasch erweitert. Greiser betrieb erfolglos - die Ausweitung der Vernichtung auf polnische Tuberkulosekranke 131 , Koppe und Höppner deuteten ein „anderes Vorgehen" gegenüber „Asozialen" an. 1 3 2 Parallel dazu griff man, da eine Abschiebung der unerwünschten polnischen Bevölkerung angesichts des lers, Goebbels und weiterer NS-Funktionäre bereits vor 1933, vor allem aber zwischen 1933 und 1939 finden, sie sagen aber über einen bereits früh gehegten Plan nichts aus. Vielmehr ist die Bereitschaft zur Vernichtung der Unerwünschten selbstverständlich die Voraussetzung für den Entschluß, ersetzt ihn aber nicht. Zur Psychogenese der Vernichtungsbereitschaft bei den für die Genese des Massenmordes besonders wichtigen SS-Intellektuellen siehe jetzt HERBERT: Best. 128 BROSZAT: Konzentrationslager, S. 109. 129 ALY: Endlösung, S. 359; ARAD: Belzec, S. 30, 37. 130 SS-Mannschaftshaus Lublin, o.D. (nach 18. März 1942), gez. Laßmann, Hanelt, S. 1. AGK SSPF Lublin 891/6, Bl. 18-23. 131 Im bereits zitierten Brief an Himmler vom 1. Mai 1942. Am 18. November des Jahres teilte der Leiter des Hauptamtes für Volksgesundheit der NSDAP Greiser mit, daß „der Führer, nachdem er schon vor längerer Zeit die Aktion in den Irrenanstalten abgestoppt hat, im Augenblick eine 'Sonder-Behandlung' der aussichtslos Kranken politisch nicht für zweckmäßig oder tragbar hält" und schlug stattdessen vor, über die Bildung eines Reservates oder die Vergrößerung der Behandlungskapazitäten nachzudenken. Zit. n. MITSCHERLICH/MIELKE: Medizin ohne Menschlichkeit, S. 231-234. MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 246 ff. Meines Wissens war Marczewski der erste Historiker, der die Regionalität der Entscheidung zum Massenmord richtig erkannt hat, wenn auch an dieser Stelle nur in Bezug auf „Asoziale" und TB-Kranke, die von regionalen Stellen, hier Koppe und Greiser, bei Himmler beantragt wurde. Marczewski datiert die Erweiterung auf TBKranke allerdings fälschlich in das Jahr 1941. 354

Kriegsverlaufes auf absehbare Zeit immer unwahrscheinlicher wurde und eine direkte Vernichtung der Polen nicht zur Debatte stand, zu langfristigeren Maßnahmen. So wurde am 1. Mai 1943 das Heiratsalter für Polen auf 28, für Polinnen auf 25 Jahre heraufgesetzt, um die Geburtenziffer zu senken. Für Zwangsarbeiter aus dem Generalgouvernement erließ Himmler am 1. September 1943 ein generelles Eheverbot. 133 Die polnische Forschung hat - in der Folge Luczaks und Madajczyks - diese Formen negativer Bevölkerungspolitik gemeinsam mit dem allgegenwärtigen Terror durch öffentliche Hinrichtungen, Verhängung von Todesstrafen für kleinste Vergehen, als „mittelbare und unmittelbare Vernichtung" des polnischen Volkes analysiert. 134 Diese Interpretation ist nicht unproblematisch. Sicherlich ging etwa Artur Greiser noch im März 1943 davon aus, daß eine Entfernung aller Polen ebenso nötig wie durchführbar sei. Voraussetzung allerdings sei, daß „uns genügend Kräfte aus dem Altreich zur Verfügung stehen, so daß der Gau alle fremdvölkischen Arbeitskräfte entbehren kann". 1 3 5 Auch steht außer Zweifel, daß, wie oben erwähnt, eine direkte Vernichtung polnischer Tuberkulosekranker zumindest erwogen wurde und daß im Rahmen der Zwangsumsiedlungen in der Zamojszczyzna diejenigen der Vernichtung durch Arbeit zugeführt wurden, deren Entfernung aus rassenbiologischen und sozioökonomischen Gründen geboten sein sollte. Gleichwohl besteht ein grundlegender Unterschied zum Massenmord an der jüdischen Bevölkerung: Wenn auch der industriell organisierte Massenmord als regional abgegrenzte Maßnahme begann, mündete er doch bald ein in die Vernichtung einer ganzen, nunmehr ausschließlich als Jüdische Rasse" definierten Bevölkerung. Vorstellungen einer systematischen Ausrottung der Polen mit Mitteln, wie sie gegenüber den Juden angewandt worden waren, tauchen in den Quellen nicht auf. Hingegen lassen sich Belegstellen finden, die daraufhinwiesen, daß gegenüber der Mehrheit der polnischen Bevölkerung, also denen gegenüber, die nicht zusätzlich mit dem Makel eines „außereuropäischen Blutseinschlages", der „Asozialität" oder einer kriminellen Vergangenheit behaftet waren, „Radikalmittel" dieser Art ausdrücklich ausgeschlossen wurden. So führte etwa der Berater des Warschauer Gouverneurs Fischer, der Rechtsanwalt Dr. Friedrich Gollert, in einem Gutachten vom 29. März 1943 aus, wie er sich das künftige Schicksal der Bevölke-

MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 153, 372 f.; LUCZAK: Polityka ludnościowa, S. 203 ff. Siehe dort S. 207 Tabelle zur Entwicklung der Geburtenrate. Zuerst: Hitlerowski plan walki. Siehe auch LUCZAK: Polityka ludnosaowa, S. 203, 207 und passim; MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 371; MADAJCZYK: La guerre. In der Folge auch WASSER: Himmlers Raumplanung, S. 12, 52. Wasser verbannt Belegstellen, die das Gegenteil bezeugen, ohne inhaltliche Auswertung in die Fußnoten. MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, S. 369 f., spricht von Vernichtungsmaßnahmen und subsumiert alle Aktionen, die auf die direkte Vernichtung polnischer Staatsangehöriger zielten - also auch die Vernichtung der polnischen Juden und Zigeuner - unter Maßnahmen gegen die polnische Nation (naród), was ihm seitens DAWIDOWICZ: Holocaust and the Historians, S. 119-122 den Vorwurf des Antisemitismus eingetragen hat. Arbeitstagung des Gauamtes für Volkstumsfragen am 20. und 21. 3. 1943 in Posen, S. 249. Wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Niemiecka Lista Narodowa, S. 241-300. 355

rung des Generalgouvernements vorstellte. Eine Germanisierung von 15 Millionen Polen komme nicht in Frage, auch eine „zweite Lösung", die darin bestünde, „diese 15 Millionen durch eine Radikalkur auszumerzen", sei „abzulehnen". Dabei waren solche Praktiken dem Autor der Studie nicht grundsätzlich fremd: „Gewiß kann es vor der Geschichte gerechtfertigt erscheinen, einmal aus biologischen Gründen zu derartigen Radikalmaßnahmen zu schreiten, wie es beispielsweise gegenüber dem Judentum notwendig gewesen ist. Aber ein fremdes Volkstum von 15 Millionen einfach auf diese Weise zu beseitigen, ist einer Kulturnation unwürdig." Gollert sah die Selektion in drei Gruppen vor, die im wesentlichen den bis dahin angewandten bevölkerungspolitischen Auslesekriterien entsprachen: in solche, die als „eindeutschungsfähig" gelten könnten, in die, die „arbeitspolitisch wertvoll" seien, und schließlich diejenigen, „die in keiner Weise für deutsche Interessen in Frage kommen und die deshalb aus dem Weichselraum zu entfernen" seien. „Zur restlichen dritten Kategorie von etwa 2-3 Millionen gehören alle diejenigen, die für uns Deutsche ohne jeden Wert sind. Das sind nicht nur die polnischen Fanatiker, die natürlich restlos ausgemerzt werden müssen, sondern es sind weiter alle asozialen Elemente, alle Kranken und sonstigen Personen, die auch arbeitsmäßig für unsere Interessen nicht in Frage kommen. Gegenüber dieser dritten Kategorie, die zahlenmäßig erheblich kleiner als die beiden anderen Kategorien ist, werden Radikalmittel nicht zu vermeiden sein."137 Ähnliche Überlegungen werden auch in einer Rede deutlich, die Höppner, der die Idee einer raschen Tötung Tausender arbeitsunfähiger Juden an Eichmann übermittelt hatte, am 20. März 1941 auf der bereits zitierten Arbeitstagung des Gauamtes für Volkstumsfragen hielt. Immerhin erbringe die Arbeit der polnischen Bevölkerung „zufriedenstellende Ergebnisse", die große Masse sei „in keiner Weise eine politische Gefahr". Tatsächlich bedeutete Höppner seinem Publikum, daß man ohne polnische Arbeitskräfte gar nicht mehr auskommen könne: „Da wir nicht wissen, wie lange der Krieg dauert, müssen wir dafür sorgen, daß die notwendige Zahl von polnischen Fachkräften herangebildet wird. Im übrigen wird eine bestimmte Zahl von Fachkräften gerade in der Industrie und etwa im Bauhandwerk auch nach dem Kriege gebraucht, um den Aufbau so durchzuführen, daß wirklich deutsche Menschen hierher kommen. Die Gefahr liegt darin, daß die Polen, je sozial gesunder, je wirtschaftlich tüchtiger sie sind, um so eher in Versuchung geraten und umso

Grundsätzliche Bemerkungen zur Polenpolitik im Generalgouvernement, 29. März 1943, gez. Gollert, S. 4. AW ADW 4. Wiedergegeben unter dem Titel: Bevölkerungspolitik im besetzten Polen, in: Bevölkerungsstruktur und Massenmord, S. 151. Hervorhebung im Original. Gollert, Grundsätzliche Bemerkungen, S. 6.

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eher auch dazu im Stande sind, der deutschen Führung einen Widerstand entgegenzusetzen. Diese Gefahr muß im Augenblick in Kauf genommen werden." Gegenüber den Erfordernissen der Kriegswirtschaft traten nicht nur rassenbiologische, sondern letztendlich sogar sicherheitspolizeiliche Belange zurück; an eine Vernichtung der polnischen Bevölkerung als Ganzes oder selbst in größeren Teilen war unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Den Erwägungen Gollerts entsprachen die langfristigen „Lösungsmöglichkeiten" bei Höppner. Grundsätzlich gebe es fünf mögliche Wege, von denen ein „Ausgleich im Sinne der Versöhnung" ebenso wenig in Frage komme wie eine Assimilierung. Ebenso habe die „Behandlung als sklavenartige Arbeiter", wie sie ja tatsächlich stattfand, „mit der nationalsozialistischen Auffassung vom Adel der Arbeit nichts gemeinsam". Das war auch Höppner klar, als er feststellte, daß die „Sklaventheorie [...] wohl überhaupt die gefährlichste" sei. Knapp äußerte sich Höppner zum Gedanken des Massenmordes: „Die Frage der Vernichtung liegt dem Deutschen nicht"13 - denkwürdige Worte aus dem Munde eines der Verantwortlichen für den Völkermord an den Juden. Da an die von Höppner favorisierte „Verdrängung der Polen aus diesem Raum" praktisch nicht zu denken war, muß offen bleiben, ob man sich eines Tages nicht doch noch mit der „Frage der Vernichtung" befaßt hätte, die dem Deutschen nicht liege. Eine Beurteilung dieser Andeutungen - zu mehr kam es bis Kriegsende nicht mehr - ist um so schwieriger, als die nationalsozialistische Begrifflichkeit bewußt unscharf war. Wenn im Falle der jüdischen Bevölkerung „Evakuierung" und „Umsiedlung nach Osten" die Deportation in die Vernichtungslager bedeuteten, mußte dies in Bezug auf die polnische Bevölkerung nicht unbedingt auch der Fall gewesen sein. Hinzu kommt, daß offensichtlich der deutsche Blick „den Juden" schon lange nicht mehr als menschliches Wesen ansah, während dies gegenüber den Polen nicht in diesem Maße der Fall war und die Hemmschwelle dementsprechend höher lag. Daß gleichwohl die Planung gegenüber der unerwünschten polnischen Bevölkerung nicht etwa von humanitären Gesichtspunkten bestimmt war, zeigt wiederum die Praxis der Umsiedler im Zamoäöer Bezirk, wo, obschon kein ausgewiesenes Abschiebeterritorium zur Verfügung stand, polnische Bauernfamilien von ihren Höfen vertrieben wurden. Am 15. August 1942 teilte Globocnik seinem Stab lapidar mit: „Etwa 400.000 Polen müssen evakuiert werden. Das ist der erste Siedlungsplan von Lublin." Die bereits oben erwähnte Verwertung der Hinterlassenschaften ermordeter Juden wurde nun zum integralen Bestandteil der Ansiedlung Deutscher. Ein SS-HauptsturmfÜhrer Obermeyer habe „sämtliche Stoffe von der Judenaktion und auch die fertigen, gut erhaltenen Kleider säubern, horten und umarbeiten zu lassen und für den Verkauf vorzubereiten."140 Damit wurde die Die Aufgaben des Gauamtes für Volkstumsfragen im Reichsgau Wartheland, o.D., o.U. Wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Niemiecka Lista Narodowa, S. 254-300. Die Aufgaben des Gauamtes für Volkstumsfragen, S. 291. Notiz. Betrifft: Besprechung am 15.8.1942 abends mit dem Brigadefuhrer, 18. August 1942, gez. Hanelt, vertraulich. AGK SSPF Lublin 891/5, Bl. 147r/v.

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Vernichtung der Juden des Distriktes im doppelten Sinne zur Vorgeschichte der Ansiedlung. Mit einem Fernschreiben vom 4. Oktober konkretisierte sich der Ablauf der Umsiedlungen. Bis Frühjahr 1943 seien 140.000 Polen auszusiedeln, vor Weihnachten 1942 sei Platz für 2.500 Ansiedlerfamilien zu schaffen.141 Das Junktim zwischen Vernichtung der Juden und Aussiedlung der Polen verdeutlicht nochmals ein Schnellbrief Müllers von der 142 Abteilung IV B 4 an den Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel: „Die Gruppe der bisher nicht in Erscheinung getretenen Polen beabsichtige ich, soweit sie arbeitseinsatzfähig sind, ohne Anhang in das Reich, insbesondere nach Berlin, zu transportieren, wo sie dem Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg für die von höchster Stelle gewünschte Ablösung der noch in Rüstungsbetrieben beschäftigten Juden zur 143 Verfügung gestellt werden." Erst am 14. November 1942 folgten genauere Richtlinien über die Selektion der auszusiedelnden Polen. Nach dem Vorbild der „Probeerfassung" im Kreis Wollstein wurden vier „Wertungsgruppen" eingerichtet. Die Gruppen I und II waren dem RuSHA Litzmannstadt „zur Feinmusterung bezw. späteren Eindeutschung" zu überstellen. ,,2.) Die arbeitsfähigen Angehörigen der Wertungsgruppe III im Alter von 14-60 Jahren sind zum Arbeitseinsatz in das Reich, zunächst nach Berlin abzubefördern, während die arbeitsfähigen Angehörigen der Wertungsgruppe IV (einschl. IV f) im Alter von 14 bis 60 Jahren für das Arbeitslager Auschwitz vorgesehen sind 3.) Die Kinder bis zu 14 Jahren sowie die über 60 Jahre alten oder kranken, gebrechlichen und arbeitsunfähigen Polen der Wertungsgruppen III und IV sind abzusondern und gemeinsam in sogenannten „Rentendörfern" unterzubringen." 144 Die Aussiedlung aus dem Kolonisierungsgebiet um Zamośc" verband damit wiederum Ausbeutungs- und Entfernungskalkül miteinander. Die Selektion der vertriebenen Polinnen und Polen stellte Arbeitssklaven für den Aufbau und Betrieb der Fabriken im oberschlesischen Industrierevier145, aber auch im deutschen Siedlungsgebiet selbst. Parallel zur Entschei-

141

Schreiben Krumey an Ehlich und Eichmann, 20. Oktober 1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159, Bl. 45-46v.

142

Vgl. SEEBER: Zwangsarbeiter, S. 65 ff.; BROSZAT: Der Staat Hitlers, S. 377 ff., sowie zuletzt NAASNER: Neue Machtzentren. Schnellbrief Müller an Sauckel, 26. Oktober 1942, geheim. Eine Kopie des Schreibens schickte Eichmann noch am gleichen Tag an Krumey. AGK UWZ Litzmannstadt 159, Bl. 52 und 53r/v. Richtlinien für die Durchfuhrung der im Zuge der Ansetzung von Volksdeutschen im Generalgouvernement erforderlichen Evakuierung von Polen, geheim, 14. November 1942, gez. Müller (RSHAIV B 4). AGK UWZ Litzmannstadt 159, Bl. 140 ff. Hervorhebung im Original. Über die Funktion des KZ Auschwitz vgl. ALY/HEIM: Vordenker, S. 168-184. Zur „Vernichtung durch Arbeit" vgl. MIROSLAV KARNY: „Vernichtung durch Arbeit". Sterblichkeit in den Konzentrationslagern, in: Sozialpolitik und Judenvernichtung, S. 133-158 und ALFRED KONIECZNY: Die Zwangsarbeit der Juden in Schlesien im Rahmen der „Organisation Schmelt", ebenda, S. 91-110.

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düng für Lublin befahl Himmler am 20. oder 21. Juli 1941 den Ausbau des bisherigen Kriegsgefangenenlagers Lublin (Majdanek) zum größten Zwangsarbeitslager, in dem bald wie auch in Auschwitz Gaskammern zur Vernichtung der „Arbeitsunfähigen" - größtenteils Juden und Zigeuner - eingerichtet wurden. 1 4 6 Die Unterbrechung des „Neuordnungswerkes" nach den katastrophalen Ergebnissen im Herbst 1942 führte zu einer Umorientierung. Unter dem Datum vom 9. Mai 1943 produzierte die UWZ-Zweigstelle Zamośc, die Krumey unterstand, eine Reihe von geheimen Entwürfen, die auf eine Einbindung prominenter Polen im Rahmen eines „polnischen Komitees" hinarbeiten wollten, das die Aussiedlungen federführend leiten sollte. Die radikale taktische Abkehr von der bisherigen Terrorpolitik stand im Zusammenhang mit Plänen zu einer „neuen Polenpolitik" und der Einrichtung eines polnischen Distriktes in einem verwaltungsmäßig neu aufgeteilten Generalgouvernement, die aber nicht mehr wirksam wurden. 1 4 7

Die Aussonderung der „Asozialen" und Kriminellen Ebenso, wie sich in der Auslese des erwünschten Bevölkerungszuwachses rassistisches Vorurteil und sozioökonomisches Kalkül mischten, waren wie schon zuvor im Reich neben politisch als gefährlich eingestuften Menschen diejenigen von Deportation, Internierung und später Massenmord betroffen, die als „gemeinschaftsfremd", „asozial" oder schlicht arbeitsunfähig galten. 1 4 8 Schon im Windschatten der „Baltenaktion" gingen regionale Stellen eigeninitiativ an eine „Ausmerze" der sozial Unerwünschten. Am 5. März 1940 bat der Oberbürgermeister der „Gauhauptstadt Posen" HSSPF Koppe um die Genehmigung, „die asozialen polnischen Familien, die in Unterständen, Erdlöchern, Wohnwagen und sonstigen selbstgefertigten Elendsbuden hausen", räumen zu dürfen. Aus beiliegenden „Zusammenstellungen" des Amtes für Aussiedlung - der späteren UWZ - ergibt sich, daß es zu dieser Zeit 18 wilde Siedlungen und Laubenpieperkolonien sowie 13 Siedlungen bzw. Häuser gab, die von der Fürsorge oder dem Jugendamt verwaltet wurden. 1 4 9 Am 5. Juni 1940 regte

JÓZEF MARSZAÙEK: Geneza i budowa obozu, in: Majdanek, S. 39-58, und CZESÙAW RAJCA: Eks-

terminacja bezpośrednia, ebenda, S. 253-276, hier S. 264. Der Befehl zum Baubeginn erfolgte zwei Monate später, die Vergasungen begannen Mitte 1942. Die Verbindung des Lagerbaus mit den Umsiedlungsplänen betont auch TADEUSZ MENCEL: Konzentrationslager Lublin. Allgemeine Charakteristik, in: Ebenda, S. 498-508. Vgl. dazu BROSZAT: Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 168-172. Vgl. zum Vorgehen im Reich PEUKERT: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde, vor allem seine „Dreizehn Thesen zur Erfahrung des Nationalsozialismus als Krankengeschichte der Moderne", ebenda, S. 289-296. OB der Gauhauptstadt Posen, 5. März 1940, Unterschrift unleserlich, an HSSPF. AGK UWZ Posen 153, Bl. 1 ff. Insgesamt lebten dort 9369 Menschen. Laut handschriftlicher Notiz waren bereits zwei der wilden Siedlungen geräumt worden. 359

Höppners Vertreter Strickner in einem Brief an das RSHA die Erfassung Erbkranker, Krimineller und Asozialer durch das Rassenpolitische Amt mit Hilfe der Gerichte, des Gesundheitsdienstes und des Sozialdienstes an. Es folgten Heiratsbeschränkungen. Am 5. Dezember 1940 erläuterte Greisers Vertreter Dr. August Jäger die Anwendung des Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetzes in gewissen Grenzen auch auf nicht als Volksdeutsche anerkannte Personengruppen. Hier handle es sich „nicht um rassische und erbpflegerische Maßnahmen für den polnischen Volksteil, sondern um Maßnahmen der Abwehr gesundheitlicher, sozialer und krimineller Bedrohung der deutschen Bevölkerung".150 Gemeint waren neben polnisch-jüdischen Mischehen solche Ehen, bei denen „asozialer oder krimineller Nachwuchs" zu erwarten sei sowie Ehen, „von denen der eine oder beide Partner offensichtliche körperliche oder geistige Gebrechen aufweisen, da zu erwarten ist, daß diese Ehen und aus ihnen hervorgehender Nachwuchs gesundheitlich und sozial belastend wirken."151 In ähnlichem Sinn bestimmte Albert Forster im Rahmen der „Eindeutschungsaktion" im Gau Danzig-Westpreußen, daß neben Mitgliedern polnischer politischer Organisationen „1. Asoziale, 2. Erbkranke, 3. wegen eines Verbrechens gegen das deutsche Volk und das Deutsche Reich Vorbestrafte, 4. Gewohnheitsverbrecher" von der Einschreibung in die DVL ausgeschlossen sein sollten.152 Am 26. Februar 1941 begann Höppner mit der namentlichen Erfassung „Asozialer" und Tuberkulosekranker.153 Spätestens seit dem Sommer 1941 betrieb das RSHA die Internierung der „Berufsverbrecher" aus dem vernement, die im Rahmen der Verschickung zum „Arbeitseinsatz" im Reich aufgegriffen wurden, in Konzentrationslagern. Wie aus einem Schreiben des Reichsinnenministers an Generalgouverneur Frank hervorging, war dies nicht so einfach, da der betreffende Runderlaß zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" im Generalgouvernement nicht galt. Das Ministerium schlug nun vor, statt einer Erweiterung auf das Gebiet des gouvernements eine „auf die Verhältnisse des GG zugeschnittene Verordnung" zu erlassen, die die Internierung „bis zur Schaffung von Konzentrationslagern im Generalgouvernement in dem Konzentrationslager Auschwitz und anderen bereits bestehenden Lagern außerhalb des Generalgouvernements" erlaubte.154

150 151 152 153 154

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Schreiben Jäger an den Regierungspräsidenten in Posen, 5. Dezember 1940. AGK NTN 16, Bl. 7 ff. Schreiben Jäger an RP Posen, S. 3. Anordnung des Gauleiters und Reichsstatthalters zur Durchführung der Eindeutschungsaktion, Entwurf, o.D., gez. Forster, S. 9. BAK R 49/76 MARCZEWSKI: Hitlerowska koncepcja, S. 245 f. Schreiben Innenministerium an Frank (abschriftlich), 5. Juli 1941, gez. Werner. AGK NTN 324, Bl. 3-5.

Was sich hier zunächst gegen die polnische Bevölkerung richtete, wurde in ähnlicher Art auf diejenigen angewandt, die als im Prinzip zum Staatsvolk gehörig hätten empfunden werden müssen. Auch im Rahmen der DVL wurden Selektionskriterien, die bereits im Reich zur Internierung bestimmter Gruppen der Unterschichten geführt hatten155, bei der Einordnung der Volksdeutschen angewandt. Der Strickner-Bericht führte an, daß man das DVL-Verfahren als Gelegenheit wahrnahm, „biologisch unerwünschte, asoziale und kriminelle Personen, die sich nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten", aber gleichwohl nach „rassischen" Kriterien dazu gehört hätten, auszusondern. Ein aktives Deutschtum sei bei dem betreffenden Personenkreis ohnehin nicht vorgekommen.15 Die so Ausgesonderten waren damit gemeinsam mit den entsprechend eingestuften Polinnen und Polen für die Zwangsaussiedlung ins Generalgouvernement vorgemerkt.157 Die Berufungskommissionen jedoch entschieden, bemängelte Strickner, oft gegen die Selektionsergebnisse und schrieben auch den so inkriminierten Personenkreis in die DVL ein, vornehmlich in die Gruppe 4. 158 Auf diesem Hintergrund wird auch eine Anordnung des RKF vom 16. Februar 1942 verständlich, nach der „asoziale und sonstige erbbiologisch minderwertige Personen" von der Umsiedlung ins „Altreich" im Rahmen der „Wiedereindeutschung" ausgenommen seien. Auch nachdem ab Mitte 1942 eine Erfassung „Asozialer" durch die Arbeitsämter erfolgte,159 stellte man weiterhin Handlungsbedarf fest. Am 12. Dezember 1942 wies Greifelt die Höheren SS- und Polizeiführer an, eine neuerliche Überprüfung vorzunehmen: „Obwohl bei der Auswahl [...] mit größter Vorsicht verfahren wird und alle Dienststellen erbkranke, kriminell belastete und aus besonderen Gründen unerwünschte Elemente von vornherein auszumerzen bestrebt sind, so wurden doch im Laufe der Zeit eine Reihe von Familien festgestellt, deren Ausschließung aus dem Wiedereindeutschungsverfahren geboten erscheint."160 Gemeint waren wiederum „Erbkranke", Arbeitsunfähige, die, soweit sie nicht Einzelgänger seien, nur mit Einverständnis der Familie ausgesondert werden sollten, sowie „Familien, deren innerer Wert nicht der äußerlichen rassischen Wertung entspricht, z.B. wenn es sich um arbeitsscheue und asoziale Elemente handelt, wenn das geistige Ni155

156

158 159 160

Vgl. AYASS: Asoziale...; KARL HEINZ ROTH: Ein Mustergau gegen die Armen, Leistungsschwachen und „Gemeinschaftsunfahigen", in: EBBINGHAUS/KAUPEN-HAAS/ROTH: Heilen und Vernichten, S. 7-17; „Abgabe asozialer Justizgefangener an die Polizei" - eine unbekannte Vernichtungsaktion der Justiz, ebenda, S. 21-25. Die Deutsche Volksliste, S. 114 f. HSSPF Warthe (Koppe), Stellungnahme zu der Behandlung angeblich Volksdeutscher men der im Reichsgau Wartheland durchgeführten Evakuierungen, 20.4.1940. AGK NTN 13. Die Stellungnahme enthält auch Zahlen über die Zwangsaussiedlungen ab dem 1. Dezember 1939. Die Deutsche Volksliste, S. 115. Bericht über die Tagung der Kreisbeauftragten des RaPo-Amtes 19.-21.6.1942. AGK NTN 252. Schreiben Greifelt an HSSPF, 12. Februar 1942. BAK R 49/73. 361

veau der Kinder weit unter dem Durchschnitt liegt oder die Haushaltsführung der Familie unsauber ist." 161 Stattdessen sollten sie, da die Möglichkeit einer Abschiebung ins Generalgouvernement seit März 1941 nicht mehr bestand, durch die zuständigen Staatspolizeistellen in die Konzentrationslager eingeliefert werden.162 Eine „Vorschlagsliste zur Aussiedlung von asozialen Polen aus dem Stadtgebiet Eichenbrück" des SD Litzmannstadt vom 19. Februar 1942 gibt einen Einblick in die Kriterien, die bei der Aussonderung der Unverwertbaren einsetzten. Die meisten Familien und Einzelpersonen werden als „invalid", „arbeitsscheu", „vollkommen verblödet", „hysterisch", „alt, geistesschwach", vor allem aber immer wieder als nicht arbeitsfähig bzw. unterstützungsbedürftig bezeichnet. Das Ende der Aussiedlungen in das Generalgouvernement veränderte die Funktion der Selektion, die nun die Vernichtung dieser Menschen vorbereitete. War es den Umsiedlern vorher darum zu tun gewesen, die Bevölkerungssegmente festzulegen, die zuerst auszusiedeln waren, wurden nun diejenigen erfaßt, die auch unter veränderten Paradigmen und im Hinblick auf ein längeres Verbleiben einer großen Zahl Polen auf jeden Fall aufweiche Weise auch immer zu entfernen waren. Der Abschiebestopp beschleunigte eine umfassende Ökonomisierung der polnischen Bevölkerung insofern, als sich, offenbar zuerst in Oberschlesien, interessierte Industriekreise mit ihrer Forderung nach Einbindung der arbeitsfähigen Polen in die Produktion durchsetzen konnten: Hier war nun eine Selektion derjenigen durch die Arbeitsämter zur „Ausmerze" vorgesehen, „die keinesfalls in einen die Kriegswirtschaft betreffenden Arbeitsprozeß eingebaut werden können und ebenfalls Asoziale und Kranke". 164 Im Februar 1943 schließlich regte HSSPF Krüger eine „Sonderaktion zur Erfassung asozialer Elemente" im Generalgouvernement an, parallel dazu schlugen „Vorschläge zur Bekämpfung der unsicheren Elemente" die Vernichtung Asozialer, Obdachloser und von Unterstützern der Partisanen im Kriegsfall vor.165

161

Ebenda.

162

Anordnung des RKF vom 16.2.1942. AAN ALP 214/XV, Bl. 83-89. Vgl. auch BURLEIGH: Germany Turns Eastwards, S. 185. Das Problem der Behandlung der Asozialen ist in der deutschen Forschung erst in den letzten Jahren in den Arbeiten aus den „Beiträgen zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik" des Hamburger Instituts für Sozialforschung und neuerdings AYASS: Asoziale, ausführlicher thematisiert worden. In der polnischen Forschung ist das Thema kaum angefaßt worden; stattdessen wurde betont, daß die „Asozialen" und „Verbrecher" wenigstens im Generalgouvernement natürliche Bündnispartner der deutschen Besatzer gewesen seien. Siehe z.B. SZAROTA: Okupowanej Warszawy dzien powszedni, S. 204-212, der sich um eine differenziertere Darstellung bemüht. Die von ihm eingangs zitierten Äußerungen von Zeitzeugen, sämtlich aus dem gehobenen Bürgertum, zeigen die Quelle solcher Einschätzungen: sozialen Dünkel. Vorschlagsliste zur Aussiedlung von asozialen Polen aus dem Stadtgebiet Eichenbrück, 19. Februar 1942, o.U. AGK UWZ Litzmannstadt 104, unfol. Butschek, Die Möglichkeiten der Siedlung, S. 34 (siehe oben Kap. III.2.a., Anm. 82).

165

362

MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 2, S. 262.

Ab wann genau die Aussonderung der nicht Verwertbaren mit der „Endlösung" der Judenfrage durch Massenmord konvergierte, ist nicht eindeutig festzustellen. Noch im Dezember 1941, im Arbeitsplan für die „probeweise Erfassung der Polen im Kreise Wollstein", ging man von einer „Wiederaufnahme der Evakuierungen" aus und erfaßte „Asoziale, unheilbar Kranke und Polen mit außereuropäischem Blutseinschlag", um sie als erste aussiedeln zu können. Das „Vorliegen von Asozialismus" wurde nach bewährten Kriterien geprüft: „Arbeitsscheu", kriminelle Vorbelastung, Auftreten unheilbarer ansteckender Krankheiten.167 Da die ursprüngliche Absicht, sich zunächst in den eingegliederten Ostgebieten von jeglicher jüdischer und polnischer Bevölkerung zu entledigen, gescheitert war, solange kein ausreichend aufnahmefähiges Abschiebeterritorium zur Verfügung stand, wurden, da nun einmal von einem längerfristigen Verbleib der Polen auszugehen war, die rigiden nationalsozialistischen Kriterien Leistungsfähigkeit und Pflicht zur Gesundheit auch auf Bevölkerungsteile angewandt, an denen ohnedies nur als Arbeitssklaven Interesse bestand. Die Aussonderung derer, die in diesem Kalkül nicht verwertbar waren, war in diesem Herrschaftsdenken letztendlich nur konsequent. Am 18. September 1942 ordnete Himmler an: „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsjustizministers. Zunächst sollen die übelsten asozialen Elemente unter letzteren ausgeliefert werden." Ähnliche Mittel wurden bald darauf bei der Germanisierung des Distrikts Lublin angewendet. Bei der Aussiedlung der polnischen Bauernfamilien wurden die Deportierten nach Eignung zum Arbeitseinsatz selektiert. Inzwischen war aber die Radikalisierung der Selektion weiter vorangeschritten. Die Vernichtung der Juden hatte längst begonnen, die riesigen Zwangsarbeitslager Auschwitz und Majdanek waren mit Gaskammern ausgestattet worden, in denen jene getötet wurden, die entweder von Anfang an für den Tod bestimmt worden waren oder deren Kraft nicht mehr ausreichte. Am 6. November 1942 teilte Günther vom RSHA, Abteilung IV B 4, Obersturmführer Schöngarth in Lublin die Aufteilung der vier Selektionsgruppen mit: Die Gruppen I und II sollten ins „Altreich" zur „Wiedereindeutschung" deportiert werden, in die Gruppe III Eingestufte zwischen 14 und 60 Jahren waren als Ersatz für jüdische Rüstungsarbeiter bestimmt. Alle Jüngeren und Älteren sollten

Arbeitsplan für die probeweise Erfassung der Polen im Kreise Wollstein, 15. Dezember 1941, Paraphe Krumey. Wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Niemiecka Lista Narodowa, S. 203-206, hier S. 204. Arbeitsplan, S. 205. Desgleichen der Vorläufige Abschlußbericht über die Probeerfassung der polnischen Bevölkerung im Warthegau, wiedergegeben in: POSPIESZALSKI: Niemiecka Lista Narodowa, S. 206-212, hier S. 207. Besprechung mit Reichsführer SS Himmler am 18. Juli 1942, Dokument Nr. 654-PS, Abschrift. AGK NTN 324, Bl. 40-42. Auch wiedergegeben in: IMT, Bd. 26, S. 200-203. 363

in Rentendörfer abgeschoben werden. Die als arbeitsfähig Beurteilten der Gruppe IV waren für den Einsatz im KZ Auschwitz bestimmt - zur Vernichtung durch Arbeit.

169

364

Schreiben Günther an Schöngarth, 6. November 1942. AGK UWZ Litzmannstadt 159.

b. Aussonderung und Aussiedlung in Polen

1945-1950

Delegatura und Exil Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß auch die nur fragmentarisch zu rekonstruierenden Neuordnungs- und Aufbaupläne der Delegatura mit der Notwendigkeit der Entfernung bestimmter Bevölkerungssegmente rechneten.1 Bereits in der ersten Aufstellung polnischer Nachkriegsziele durch Zaleski im Jahre 1940, als es noch ausschließlich um den Anschluß Ostpreußens an Polen ging, war davon die Rede, daß die Minderheitenpolitik der polnischen Regierung auf den Grundsätzen des Liberalismus und der Toleranz aufgebaut sein werde - außer gegenüber der deutschen Bevölkerung, deren „feindliche Einstellung zum polnischen Staat in der Vergangenheit und gegenwärtig keinerlei Garantie für Loyalität in der Zukunft gibt". Das im August 1941 veröffentlichte „Programm Volkspolens" forderte die Aussiedlung aller nach 1795 in Polen angesiedelten Deutschen sowie aller derjenigen, die sich in der Zeit der Okkupation in die DVL einschreiben ließen.3 Die Reichweite dieser Ausweisungspläne hatte damit gewisse Ähnlichkeiten mit den oben erwähnten Vorschlägen der Planungsgruppe Darrös.4 Wie dort der Zustand ab 1918 als nicht akzeptabel angesehen wurde und so den Hebel für eine erste Bevölkerungsreduktion bot, galt dies hier für alle Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur nach der letzten Teilung Polens, deren Folgen zumindest im Bereich der ethnischen Struktur rückgängig gemacht werden sollten. Die Legitimation der Aussiedlung floß so nicht aus einer individuellen rassischen, sozioökonomischen oder sonstigen Selektion der Individuen, sondern aus der Revision eines als Unrecht aufgefaßten historischen Ereignisses: hier der Teilungen, dort des Versailler Vertrages. Gleichzeitig unterschied sich dieses Modell deutlich von der Rigorosität und (zumindest geplanten) Totalität der Bevölkerungsverschiebungen, wie sie im besetzten Polen seit fast zwei Jahren praktiziert wurden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß hier das polnische Vorkriegsterritorium gemeint war und eine Aussage über die deutsche Bevölkerung des erweiterten Territoriums nicht getroffen wurde. Nicht zuletzt, weil gegenüber diesen Menschen eine vergleichbare Argumentation kaum möglich war - man hätte schon in das Jahr 1000 zurückgehen müssen -, blieb die historische Legitimation der Aussiedlung nach dem hier vorgestellten Muster in den Verhandlungen um die polnische Westgrenze und die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus den neuen Gebieten ohne größere Bedeutung, wenn sie auch als Argument stets angeführt wurde („plastische Gebiete"). Wichtiger war der Rekurs auf die deutsche Besatzungspraxis in den besetzten polnischen Gebie-

Vgl. oben Kap. II.2.b., S.. Rundschreiben Zaleskis vom Februar 1940. Zit. n. Turlej, Koncepcje ustrojowe, S. 177. KLESSMANN: Programm Volkspolens, S. 111. Vgl. Kap. II.2.a„ S. 127 ff. 365

ten. Gegen Ende 1941 war in einer Denkschrift der Delegatura für die Exilregierung in London zu lesen: „Fertige Muster, wie mit diesem Ziel zur Regelung des Problems vorzugehen ist, haben gerade die Deutschen selbst während des gegenwärtigen Krieges geliefert, und dies nicht nur mit ihren Verordnungen in Beziehung auf die polnische Bevölkerung auf dem Territorium des polnischen Staates, sondern ebenso in Beziehung auf die deutsche Bevölkerung, selbst die, die schon lange ansässig ist [...] Die Deutschen haben das volle moralische Recht geliefert, ihrer Nation gegenüber die gleichen Maßnahmen zu ergreifen, die sie selbst angewandt haben." Die Entfernung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung aus den Gebieten, die Polen eine strategisch definierte Grenze, eine ökonomisch verbesserte Situation und nicht zuletzt ein Kolonisierungsgebiet für die in den alten Gebieten „überschüssige" Bevölkerung sichern sollten, war implizit und explizit die Voraussetzung dafür, daß Polen den Wert dieser Gebiete überhaupt nutzen konnte. Das galt in den Reihen der Delegatura wie für die Exilregierung und die westlichen Alliierten. So komplex und widersprüchlich die Entwicklung der Grenzziehungsvorschläge auch war, die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung derjenigen Gebiete, die Polen zugesprochen werden sollten, stand jeweils außer Frage. Im Dezember 1942 legte Premierminister Sikorski eine Denkschrift vor, die eine polnische Grenze entsprechend einer Verteidigungslinie entlang Pommern und Schlesien forderte und die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung für nötig erklärte.6 Bald darauf gelang Winston Churchill die Rechtfertigung der Deportationspläne, die der Atlantik-Charta mit ihrem Verbot von Grenzverschiebungen ohne Befragung der betroffenen Bevölkerung diametral entgegenstanden, unter dem Hinweis auf das Prinzip des „unconditional surrender". Damit könne die betreffende Nation die entsprechenden Bestimmungen nicht in Anspruch nehmen.7 Im Laufe des Jahres 1942 erarbeitete das Büro der Westlichen Gebiete* seine „Grundsätze des politischen Programms in Bezug auf die neuen Gebiete". Neben der raschestmöglichen Aufrichtung einer arbeitsfähigen polnischen Verwaltung bereitete das Büro auch das Terrain für eine Deportation der einheimischen Bevölkerung vor: „Unsere Prämisse muß die unverzügliche, möglichst starke, radikale und rücksichtslose Einleitung einer planmäßigen Aktion der Entdeutschung sein, im Einklang mit der Aus-

Uwagi i projekty wniosków do traktatu pokoju między Polską a Niemcami, Ende 1941. Zit. n. BANASIAK: Przesiedlenie Niemcöw, S. 13 f. SEBEL-ACHENBACH: Lower Silesia, S. 33. Vgl. auch BRANDES: Großbritannien, S. 106 ff.

SIEBEL-ACHENBACH: Lower Silesia, S. 40. Auch die Exilregierung bemühte sich um einen Abgleich mit der Atlantik-Charta, indem sie sich auf Artikel 8 berief, der die Entwaffnung der Nationen vorsah, die andere bedrohten. BRANDES: Großbritannien, S. 405. Siehe oben, S. 256. 366

gangsvoraussetzung, daß wir auf dem Wege der vollendeten Tatsachen einzig nach den Gebieten streben, die wir dauerhaft mit dem polnischen Staat vereinigen wollen."9 Dies bedeutete aber nicht, darauf wurde bereits hingewiesen10, daß damit notwendigerweise eine Zwangsaussiedlung aller Deutschen gemeint oder auch nur impliziert gewesen wäre: Zumindest die PPS, aber auch einige der oben zitierten Denkschriften gingen eher davon aus, daß es ausreichen werde, die Nazis auszusiedeln, dem Rest die Ausreise zu erleichtern und die, die bleiben wollten, im Lande zu verteilen, um sie assimilieren zu können - eine Konzeption, die, wie etwa Jaworski meinte, „das Problem des Nationalbewußtseins verkannte". Man könnte hinzufügen, daß sie in sich widersprüchlich war. Die Besiedlung der neuen Gebiete, wie groß sie auch immer sein mochten, durch den Transfer der „Überbevölkerung" in den alten Gebieten verlangte eine Reduktion der vorhandenen Bevölkerung in einem Maße, die durch die Aussiedlung aktiver Nazis kaum zu erreichen gewesen wäre. Deutlicher war in seinen Äußerungen Vizepremier Mikotajczyk, der im Februar 1942 erklärte, daß in Polen kein Platz mehr für auch nur einen Deutschen sein werde. Der Anschluß der westlichen Gebiete mache nur dann Sinn, wenn innerhalb von längstens zwei Jahren alle Deutschen aus den angeschlossenen Gebieten ausgesiedelt würden.12 Neben der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung, die seit den Vorschlägen Beneäs zum allgemein akzeptierten Repertoir der Nachkriegsplanung gehörte13, floß das Ergebnis der deutschen Vernichtungspolitik gegen die polnischen Juden in die Strukturplanungen ein. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß eine „Schwächung" des jüdischen Elementes in den ostpolnischen Städten durch gezielte Ansiedlung von Polen und Polinnen im Rahmen der Delegatura diskutiert wurde. Es wurde auch erwähnt, daß Pläne, die auf eine Schwächung und Entfernung jüdischer Bevölkerungsteile zielten oder sie zumindest als Voraussetzung der weiteren Arbeit begriffen, nicht in eine Linie zu stellen sind mit der deutschen Vernichtungspolitik seit Herbst 1941. Die Entfernung bestimmter Bevölkerungssegmente durch freiwillige, forcierte oder zwangsweise Auswanderung etwa unterscheidet sich für ihre Opfer wesentlich von der Ermordung in Gaswagen, Gaskammern oder Massenerschießungen. Freilich soll damit nicht der ethnischen Bereinigung durch Umsiedlung das Wort geredet werden, wie es neuerdings selbst aus gemeinhin als linksliberal apostrophierten Kreisen zu hören ist.14 Gleichwohl sollte nicht verschwiegen werden, daß während im Rahmen der Zegota Juden gerettet wurden, an anderer Stelle innerhalb des UntergrundWytyczne programu politycznego w odniesieniu do ziem nowych. Zit. n. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 29 f. Vgl. S. 170. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 34. Ebenda, S. 35. BRANDES: Großbritannien, S. 63,109-117; DE ZAYAS: Anglo-Amerikaner, S. 36-39, 55-58. Vgl. etwa Eberhard Rondholz in: die tageszeitung vom 30. August 1995 und die Erwiderungen von Götz Aly vom 2. September 1995 sowie Freimut Duwe vom 5. September 1995, jeweils S. 10. 367

Staates Strukturbereinigungen auf dem Rücken der gleichen Juden geplant wurden. Daß die Einschätzung, die Vernichtung der polnischen Juden durch die Deutschen sei ein strukturpolitischer Aktivposten, kein entlegenes Minderheitenvotum war, soll mit einem Zitat aus einer Studie zur Rolle der Städte in Ostpolen belegt werden, die aus dem Ostbüro der Delegatura stammt. Dort heißt es: „Neben dem niedrigen Prozentsatz städtischer Bevölkerung zeichneten sich die Ostgebiete auch durch eine hochgradig anormale Bevölkerungsstruktur aus, in der ein sehr hoher Anteil jüdischer Bevölkerung [...] dominierte. Die jüdische Bevölkerung, die in so großen Ansammlungen lebte und eine entscheidende Rolle im Wirtschaftsleben spielte, riß den größten Teil der Vorteile an sich, die die Konzentration der wirtschaftlichen Interessen der Region in den Städten mit sich bringt."15 Eine ähnliche Analyse sprach aus einem weiteren, ebenfalls aus der Delegatura stammenden Dokument: „Die Bedeutung des gegenwärtigen, oder besser des bevorstehenden historischen Moments für die Bevölkerungs- und sozialen Verhältnisse Polens besteht darin, daß beide langfristigen Hindernisse, die die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Bevölkerung hemmen, aufhören bzw. aufhören werden zu existieren. Auf der jüdischen Seite steht die ökonomische Schwächung des jüdischen Elementes und vor allem sein natürlicher Abgang (ubytek)."16 Selbst wenn man davon ausgeht, daß dem Autor dieser Studien die Massenvernichtung noch unbekannt gewesen wäre - dies würde schon für die erste auf einen sehr frühen Zeitpunkt schließen lassen, der, betrachtet man allein die Entwicklung der territorialen Forderungen17, nicht begründbar wäre - wirkt die Feststellung vom „natürlichen Abgang" der jüdischen Bevölkerung mindestens zynisch. Dies darf freilich nicht zu der Annahme führen, die Konzeption der Delegatura habe eine ähnliche Politik gegenüber den Juden vorgesehen, wie sie von den Deutschen praktiziert wurde; dergleichen läßt sich den Quellen nicht entnehmen. Wohl aber läßt sich feststellen, daß wenigstens Teile der Delegatura durchaus der Meinung waren, daß die deutsche Ghettoisierungs- und Vernichtungspolitik die Voraussetzungen für die Restrukturierung Polens nach dem Kriege verbesserte und daß ihre Beurteilung der Jüdischen Frage" sich von der deutscher Planer im analytischen Zugriff nur wenig unterschied.18 Hinzu kam, daß zumindest die eher rechtsgerichteten Parteien des

Zagadnienie miast na Ziemiach Wschodnich, o.U., o.D., S. 3. AAN ALP 202/III-203, Bl. 70-89. [Zagadnienie skolonizowania, S. 32. Vgl. Kap. I.2.a. Gegen eine Datierung vor der zweiten Jahreshälfte 1942 spricht schließlich, daß es heißt: „Wahrscheinlich wird der Rückgang der jüdischen Bevölkerung trotz allem nicht vollständig sein, es ist jedoch schwierig, die Größe der Gruppen zu umschreiben, die übrigbleiben und man kann die Frage ihres Verbleibs in Polen nicht im Voraus entscheiden." Ein weiteres Zitat, das aber nicht vollständig ist, macht dies noch deutlicher: „Unter den Verlusten und Veränderungen drängt sich der Rückgang der jüdischen Bevölkerung an die erste Stelle, die in städtischen Berufen beschäftigt war, vor allem aber in Industrie und Handel. Dieser 368

Untergrundes SN und SP sowie eine Nachfolgeorganisation der Sanacja wortreich die Aussiedlung der Deutschen und Juden nach dem Krieg forderten.

Aussiedlung und Zwangsarbeit in Polen 1945-1950: Die Verhältnisse bis zum Beginn der organisierten Aussiedlung im Frühjahr 1946 Der erste Schritt hin zum ethnisch einheitlichen Nationalstaat war die Bereinigung der ethnischen Struktur in den alten Gebieten. Nach dem Gesetz „über den Ausschluß feindlicher Elemente aus dem polnischen Volk" erfolgte die bereits beschriebene20 Rehabilitierung bzw. Aussonderung der „polnischen Staatsangehörigen deutscher Nationalität" in den Gebieten, die bereits 1939 zu Polen gehört hatten und in denen die „Deutsche Volksliste" angewendet worden war. Im folgenden soll nun auf die Definition und Behandlung der deutschen oder als deutsch apostrophierten Bevölkerung in den neu hinzugekommenen Gebieten eingegangen werden. Auf der ersten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates, die parallel zur Potsdamer Konferenz stattfand21, legte Wladyslaw Wolski, Vizeminister für Öffentliche Verwaltung und Generalbevollmächtigter für die Wiedergewonnenen Gebiete, nochmals die Marschrichtung der polnischen Politik dar: „Es wird bei uns keine ethnischen Minderheiten geben. Wir sind zur Konzeption eines Nationalstaates übergegangen, ausgehend von der Annahme, daß ethnische Minderheiten im Endeffekt nur eine fünfte Kolonne im Lande abgeben würden. Deshalb schaffen wir die Deutschen hinter unsere Grenzen. Wir haben in der letzten Zeit bereits etwa 1,5 Millionen Deutsche ausgesiedelt und siedeln weiter aus. Es stimmt, daß dies in einigen Fällen mit Verlusten für die nationale Ökonomie geschah. Aber wichtig ist, daß wir sie heute entfernen können, und niemand weiß, ob wir das morgen werden tun können."22 Rückgang öffnet auf den derzeitigen Gebieten des Staates viele Werkstätten und Arbeitsstätten des handwerklichen und Handelsbereichs] für die polnische Bevölkerung und verlangt ..." [Zagadnienie skolonizowania, S. 43 f. Der Rest ist nur etwa zur Hälfte zu entziffern; offensichtlich geht es um die Notwendigkeit, diese Übernahme so schnell als möglich durchzufuhren. Gleichzeitig müsse ein „gewisser Überschuß an jüdischen Werkstätten" schon dadurch ausgeglichen werden, daß nun polnische Betriebe einen größeren Markt betreuen könnten. Genauso sah das eine weitere, bereits zitierte, ebenfalls undatierte Studie: „Vor uns stehen ungeheure Aufgaben. Es wird um die Übernahme nichtpolnischer Handelsbetriebe gehen (davon eine ernstzunehmende Anzahl Betriebe jüdischer Herkunft)." Dzial spoleczno-gospodarczy, S. 29. Vgl. Kap. Il.l.b. 19

BRANDES: Großbritannien, S. 243.

20

Vgl. oben S. 224ff.;248 ff.

21

Die erste Konferenz des Wissenschaftlichen Rates tagte vom 30. Juli bis zum 1. August 1945, die Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis zum 2. August. 22

Przemówienie Administracji Publicznej Wladyslawa Wolskiego, in: I Sesja, z. 1, S. 40-48, hier S.44. 369

Damit rangierte die Entfernung der unerwünschten Bevölkerungssegmente eindeutig an allererster Stelle. Die „Entdeutschung" der Wiedergewonnenen Gebiete, wie dies in der legatare/ ausgedrückt worden war, mußte aus einer ganzen Reihe von Gründen mit größter Energie vorangetrieben werden, noch bevor ein international akzeptierter Besitztitel über die fraglichen Territorien bestand. Zum einen diente die einseitige Abschiebung eben dazu, diesen Titel durchsetzen zu können, zum anderen der Vorbereitung der Ansiedlung, die ebenfalls bereits im Gange war. Die Notwendigkeit, den polnischen Bevölkerungsanteil relativ wie absolut so weit als möglich noch vor den abschließenden internationalen Konferenzen zu erhöhen und gleichzeitig die deutsche Bevölkerung zu dezimieren, war letztendlich eine Funktion der internationalen Situation, in der die Westalliierten den Zugriff auf die von Polen angestrebten Gebiete offen ließen. Das war auch den Planern klar. So betonte Kazimierz Dobrowolski: „Unsere Hingabe und unsere Energie müssen den höchsten Nachdruck erreichen, wir sollten uns nämlich bewußt machen, daß im Falle der Niederlage in der Siedlungskampagne wir ein Volk mit kleinem Lebensraum werden (o malej arenie zyciowej), zur jahrhundertelangen Verschickung der Bevölkerungsüberschüsse in fremde Länder verurteilt, ein politisch schwaches Volk, und, was am wichtigsten ist, bedroht von scher Revanche. Die Entfernung der deutschen Bevölkerung begann unmittelbar nach der Besetzung der Wiedergewonnenen Gebiete durch die Rote Armee im Februar 1945.24 Die Folgen, die

DOBROWOLSKI: Uwagi o

osadnietwie, S. 96. Hervorhebung im Original. Die von mir gewählte Begrifflichkeit unterscheidet zwischen der Phase der Vertreibung, die von der Besetzung der späteren Wiedergewonnenen Gebiete bis zum Beginn der mehr oder weniger organisierten Aussiedlung nach der Potsdamer Konferenz, bis zur Einigung auf einen Aussiedlungsplan im November 1945 datiert werden soll, und der Phase der organisierten, mit den Alliierten abgestimmten Aussiedlung bis Anfang 1950, wobei sich die damit unterschiedenen Methoden der Entfernung unerwünschter Bevölkerungssegmente zwischen Mai und November 1945 überschneiden. Die Vertreibung selbst läßt sich wiederum in die Phasen der „wilden Vertreibung" bis Frühjar 1945 und der vom polnischen Militär durchgeführten Abschiebung, in der die Deportierten bis zur neuen polnischen Westgrenze transportiert wurden, aufteilen. Ich folge damit weder der üblichen bundesdeutschen Terminologie, die den Gesamtprozeß der Bevölkerungsverschiebung als Vertreibung bezeichnen möchte, wodurch aber die grundsätzlichen konzeptuellen und technischen Unterschiede zwischen der frühen Politik der „vollendeten Fakten" und der in zunehmendem Maße geregelten, in abnehmendem Maße gewalttätigen Aussiedlungspolitik verwischt werden, noch der polnischen. So unterscheidet etwa Czerniakiewicz zwischen der Phase der Flucht, den ersten Aussiedlungen im Sommer 1945 und der Umsiedlung nach den Potsdamer Beschlüssen. Czerniakiewicz übersieht dabei, daß parallel zu Flucht und Evakuierung massenhafte Vertreibungen stattgefunden haben, die so in der Periodisierung völlig unerwähnt bleiben. Vgl. CZERNIAKIEWICZ: Repatriacja, S. 29; BANASIAK: Przesiedlenie, S. 8 ff. Hier fehlt meist der Hinweis auf die Unterschiedlichkeit der Verfahrensweise vor und nach der Übernahme der Vertreibung durch das Militär. Vgl. dagegen DE ZAYAS: Die Anglo-Amerikaner, S. 123 f., der den zeitlichen Rahmen genauso zieht, aber zum einen nicht zwischen Evakuierung und Flucht differenziert und auch die Phase der organisierten Aussiedlung 1946-1949 als Ver370

dies für die dort lebenden Deutschen hatte, variierten offensichtlich von Region zu Region sehr stark, abhängig von der Persönlichkeit und den Absichten der regional zuständigen Militär- und zivilen Behörden, vor allem der Bevollmächtigten?^ Leider ist eine genaue Analyse der Frühphase der Vertreibungen im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, da die regionalen Archive nicht ausgewertet werden konnten, militärische Archive nicht zugänglich waren und sich in den Akten der zentralen Ministerien nur sporadische Hinweise auf die Verhältnisse in den Wiedergewonnenen Gebieten vor dem Sommer 1945 finden. Dennoch sollen einige Bemerkungen nicht unterbleiben, soweit sie sich aus den Akten, der neueren Literatur und vor allem den wichtigen Regionalstudien Sebastian SiebelAchenbachs und Beata Ociepkas über Schlesien ziehen lassen. Vergleichbare Studien über die übrigen Teile der Wiedergewonnenen Gebiete liegen bislang nicht vor. Die Aussiedlung der a priori als unerwünscht ausgemachten Bevölkerung begann, analog zur „wilden Siedlung" und ähnlich wie die deutsche Praxis 1939, als im wesentlichen unorganisierte, von lokalen Stellen „geplante" und durchgeführte „wilde" Vertreibung unter katastrophalen Umständen und weitgehend ohne Zugriff zentraler Stellen. Über die frühe Phase informiert ein nachträglicher Bericht Dr. Phicinskis vom Posener Wojewodschaftsamt vom 1. März 1946: „Die Aktion der Aussiedlung der Deutschen begann unmittelbar nach der Verschiebung der Frontlinie auf das Gebiet hinter der Oder. Sowjetisches und polnisches Militär siedelte ganze Dörfer und Städte aus, oft das zurückgelassene Vermögen plündernd. Mit dem Frühling nahm diese Aktion größere Ausmaße an. Zahlenmäßig läßt sie sich nicht fassen. Als in den Westgebieten die ersten polnischen Behörden zu entstehen begannen, schlössen sich der vom sowjetischen und polnischen Militär durchgeführten Aktion die Sicherheitsämter (urzedy bezpieczenstwa), die Bürgermilizen und teilweise die Verwaltungsbehörden an. Koordinierung gab es da keine. Die Herkunft der ausgesiedelten Deutschen wurde damals nicht untersucht, man gab sich nicht einmal die Mühe, vorgelegte Dokumente zu prüfen." 27 Ein nicht unwesentlicher Unterschied zur deutschen Praxis bestand allein darin, daß die In28 itiative zunächst fast ausschließlich von militärischen Stellen ausging, während fünfein-

treibung bezeichnet. Neuere Aufschlüsse verspricht eine in Vorbereitung befindliche Habilitation von Dr. Bernadetta Nitschke, Zielona Góra. So auch URBAN: Deutsche in Polen, S. 58. Dies lag nicht zuletzt an den zerstörten Kommunikationswegen: Briefe aus den Wiedergewonnenen Gebieten an die Zentralbehörden in Lublin bzw. Warschau waren, wie sich aus einem Vergleich von Datum und Eingangsstempel vieler Berichte und sonstigen Schriftwechsel ergibt, bis über einen Monat unterwegs. Schreiben Pùucinski an.MAP DP, 1. März 1946, Vertraulich. AAN MAP 761, Bl. 65 f. Dies geht auch aus den als historische Quelle zumal im für diese Arbeit gewählten Argumentationsrahmen freilich problematischen Erlebnisberichten hervor, die in den fünfziger Jahren in eindeutiger politischer Absicht veröffentlicht wurden. Die wichtigste Edition dieser Erlebnisbe371

halb Jahre zuvor zivile Stellen die treibenden Kräfte gewesen waren. Die weitgehende Einflußlosigkeit zentraler Behörden bedeutet freilich nicht unbedingt, daß ein solches Vorgehen unerwünscht gewesen wäre. Im Mai 1945 führte Gomuika auf einer bereits zitierten Sitzung des Zentralkomitees aus, man müsse den Deutschen solche Bedingungen schaffen, daß sie schon von sich aus ausreisen wollten.29 Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Unsicherheit des Zugriffs auf das Erweiterungsgebiet im Westen und Norden der polnischen Regierung eine Politik der „vollendeten Fakten" sinnvoll erscheinen ließ. In diesem Zusammenhang war - gemäß der Behauptung Stalins, die deutsche Bevölkerung habe die betreffenden Gebiete ohnedies verlassen und diese seien praktisch menschenleer30 - angezeigt, eine Rückkehr der Evakuierten und Geflohenen möglichst zu verhindern und von denen, die aus unterschiedlichen Gründen geblieben waren, möglichst viele noch vor der erwarteten Friedenskonferenz auszusiedeln. Schon das Verhalten der Roten Armee trug dazu bei, Fluchtgedanken auch bei denen hervorzurufen, die - zum großen Teil sicherlich, weil sie der Meinung waren, daß sie sich nichts hatten zuschulden kommen lassen - geblieben waren. Nach der Befreiung des KZ Majdanek hatte die Führung der Roten Armee Besuche des Lagers für Soldaten organisiert und diesen das ganze Ausmaß der deutschen Barbarei vorgeführt. Dies und die Erfahrungen, die viele der Rotarmisten mit der deutschen Besatzung in ihrem eigenen Land gemacht hatten, trugen dazu bei, daß die Ankündigung, daß

richte ist sicherlich die mehrbändige Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa, herausgegeben vom bereits in anderem Zusammenhang erwähnten Theodor Schieder in Zusammenarbeit mit Werner Conze, Adolf Diestelkamp, Rudolf Laun und Hans Rothfels. Vertreibung Bd. 1,1 und 1,2. Vgl. ebenso KAPS: Tragödie Schlesiens, v.a. Berichte Nr. 2, 3 und passim. Es darf darauf hingewiesen werden, daß in den meisten dieser Berichte über das Treiben „entmenschter Soldaten" Grausamkeit und Chaos zum Teil ausdrücklich, zum Teil implizit dem russischen oder mongolischen Charakter der Täter zugeschrieben wird. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Auflösung ethischer Grandsätze und die Verrohung aller Verhaltensweisen im Krieg als alltäglich und den kriegführenden Parteien konstitutiv angesehen werden darf. KOCHANSKI: Protoköl obrad KC PPR, S. 42. Aufzeichnung über die fünfte Sitzung der Regierungschefs, 21, Juli 1945, 17.05 Uhr, in: Die Potsdamer (Berliner) Konferenz, S. 93-105, hier S. 100-103. URBAN: Deutsche in Polen, S. 53. Vgl. auch die in Kap. I.I., S. 68, zitierte Bestätigung der polnischen Regierung an das sowjetische Außenministerium, daß bei der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung keinerlei Zwang angewendet werde. Beides zusammengenommen weist darauf hin, als wie unsicher sowohl die sowjetische als auch die polnische Regierung den polnischen Anspruch auf die nen Gebiete und die Aussiedlung der Deutschen zu diesem Zeitpunkt einschätzen mußten: daß Erklärungen wie die Stalins gelogen waren, werden auch die Westalliierten wenn nicht gewußt, so doch geahnt haben. Die unkommentierte Entgegennahme solcher Lügen diente sicherlich der - auch nachträglichen - Absicherung der Westalliierten wie die polnische Erklärung der Absicherung der Sowjetunion. Zumal im Zusammenhang mit Überlegungen Stalins im März/April 1945, Deutschland als potentiellen Verbündeten gegen den Westen zu gewinnen, zeigte sich, daß auch die „befreundete" Sowjetunion ein eher unsicherer Bündnispartner war. Vgl. SIEBELACHENBACH: Lower Silesia, S. 92. 372

Plünderung und Vergewaltigung straffrei bleiben würden, auf außerordentlich fruchtbaren Boden fielen.31 Ähnlich hatten bereits das Lubliner Manifest und in seiner Folge Verlautbarungen von Wojewoden und Bevollmächtigten den Aspekt der Rache an den Deutschen für erlittenes Unrecht allzu deutlich hervorgehoben,32 als daß entsprechende Gelegenheiten nicht wahrgenommen worden wären. In einer Denkschrift aus dem MAP, die vermutlich vom April 1945 datiert und mögliche Grundlinien der polnischen Politik in den wonnenen Gebieten formulieren will, heißt es: „In den ersten Tagen der Besetzung der Wiedergewonnen] Gfebiete] durch die Armee entstanden die besten Bedingungen für die Entfernung des unerwünschten Elementes. Wahrscheinlich werden weiter Fälle eintreten, in denen die Anwendung kollektiver Repressionsmittel nötig wird. Unter solchen Bedingungen kommen viele Personen um. Es geht darum, möglichst frühzeitig die Personen polnischer Herkunft zu klassifizieren, um sie als nächstes an Stellen unterzubringen, die nicht von der Aktion der kollektiven Repression erfaßt werden, um sie also biologisch zu schützen und sie dann möglichst früh in die Aufbauarbeit einzubeziehen."33 Die Interpretation dieses Zitats hat mit äußerster Vorsicht zu erfolgen, um voreiligen Interpretationen in Richtung auf eine Vernichtungsabsicht der polnischen Planer und Verwaltungsbürokraten gegenüber der deutschen Bevölkerung entgegenzutreten, und es ist m.E. hilfreich, sich zunächst einmal klarzumachen, um welche Art von Dokument es sich hier handelt. Die „Bemerkungen zur Verwaltung und Bewirtschaftung der Wiedergewonnenen Gebiete" versuchten eine erste Positionsbestimmung und eine Formulierung grundsätzlicher Richtlinien für die polnische Politik in den neuen Gebieten. Sie sind jedenfalls vor dem 11. April 1945 verfaßt, was aus dem Eingangsstempel am oberen Rand hervorgeht, ihr Verfasser ist nicht genannt. Vermutlich hängen sie direkt mit einem Entwurf für ein „Dekret über die Reslawisierung" zusammen, der sich in der gleichen Akte unmittelbar davor befindet und mit „Generalbevollmächtigter" bezeichnet ist. Es liegt nahe, davon auszugehen, daß hiermit der Generalbevollmächtigte für die Wiedergewonnenen Gebiete Edward Ochab gemeint ist. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß der Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland noch nicht beendet war und die Verhältnisse nicht zuletzt

Ebenda, S. 64 f. So hieß es etwa: „Durch ganz Polen geht ihr Marsch, um Rache an den Deutschen zu üben..." Manifest des PKWN, 22. Juli 1944. Wiedergegeben in: Vertreibung Bd. 1,3, S. 1-7. Ähnlich diente später der Vorwurf an die ukrainische Bevölkerung, während der Okkupation „ein privilegiertes Volk" gewesen zu sein, der Legitimation ihrer Zwangsumsiedlung im Rahmen der „Aktion Wisla". Unbetitelte Denkschrift, o.D., Eingangsstempel 22. Februar 1947, gez. Jözef Bednarz, S. 1. AAN GPR 9, Bl. 41-44. Vgl. Kap. III.2.C Ebenso rief Zawadzki auf einer Sitzung der WRN am 8. Juni 1945 aus: „Die Deutschen ermordeten Millionen Polen, erstickten Menschen in Gaskammern, verbrannten sie in Öfen, vergruben sie lebend in der Erde. Wir sagen ihnen nur: Raus aus unserem Land, raus aus unseren Städten und Dörfern." Uwagi w sprawie zaadministrowania i zagospodarowania Z.O., o.D. (Eingangsstempel 11. April 1945), o.U., S. 7. AAN MZO 1156, Bl. 1-8. 373

aufgrund der Spezifika des deutschen Rückzuges völlig chaotisch waren. Die polnischen Zentralbehörden hatten, wenn überhaupt, so nur geringen und zeitlich verzögerten Einfluß auf das, was in den 300 km entfernten Gebieten geschah, und sicherlich keinen Einfluß auf das Vorgehen der Roten Armee. Das Interesse des Autors dieser Denkschrift gilt darüber hinaus überhaupt nicht den Deutschen, sondern im Gegenteil jenen, die als potentieller erwünschter Bevölkerungszuwachs ausgemacht waren: denen, die später als „Autochthone" bezeichnet wurden. Dem entspricht die Definition der drei Gruppen, in die der erwähnte Entwurf die Bevölkerung aufteilen wollte. Das nicht realisierte „Dekret über die Reslawisierung der Wiedergewonnenen Gebiete" sollte erstmals Bestimmungen über die Selektion und Behandlung der Bevölkerung der Wiedergewonnenen Gebiete enthalten. Die erste Gruppe stellten Polen, „die das volle nationale Bewußtsein besitzen", die zweite bestand aus jenen, die zwar nicht polnisch oder westslawisch sprachen, sich aber „aus eigenem Willen dem Prozeß der Degermanisierung unterziehen wollen". Die dritte Gruppe stellten alle übrigen 34 - was eine ausschließlich negative Definition der unerwünschten Bevölkerung als derjenigen bedeutete, die eben nicht als erwünscht ausgesondert werden sollte. Diese Einordnung darf, im Zusammenhang mit dem oben angeführten Zitat, sicherlich insoweit als zynisch bezeichnet werden, als ein Handlungsbedarf zu diesem Zeitpunkt nur in Bezug auf den anvisierten Bevölkerungszuwachs gesehen wurde, während der Autor den Tod von Menschen in ungenannter Zahl mindestens billigend in Kauf nahm. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß er den Begriff „Repressivmaßnahmen", die im übrigen parallel zu Aussiedlungen erwähnt werden, benutzt, was darauf hinweisen kann - aber nicht muß -, daß nach nicht nur deutschem Vorbild als Vergeltung für Sabotageaktionen und Anschläge hinter der Front ganze Dörfer geräumt wurden. 35 Eine systematische Massenmordpolitik

Projekt. Dekret o reslawizacji z.o., o.D. (Eingangsstempel MAP vom 11. April 1945), o.U. (Pelnomocnik Generalny, also Wolski), Art. 6. AAN MZO 1165, Bl. 9 ff. Der Zusammenhang zwischen den Uwagi w sprawie zaadministrowania und dem Dekretsentwurf ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß in ersteren eine „Kategorie III" erwähnt wird, die der im Dekret entspricht. Im gleichen Sinne argumentierte auch der PZZ in einer Denkschrift vom 19. Februar 1945, in der es heißt, daß „ein brennender Bedarf der Vereinheitlichung der Aktion des Schutzes des polnischen Elementes auf dem Gebiet, das von der Tätigkeit der verbündeten Armeen erfaßt wird", bestehe. Wiedergegeben in: Warmiacy i Mazurzy w PRL, S. 4 ff. Uwagi w sprawie zaadministrowania, S. 7. Daß solche Befürchtungen tatsächlich bestanden haben, äußerte etwa Prof. Romer auf der ersten Konferenz des Wissenschaftlichen Rates: „Wir müssen darauf vorbereitet sein, daß dort in den Wäldern Nachtgespenster deutscher Heeresbestände sind und sein werden." Diskussionsbeitrag Romer, in: I Sesja, z. 1, S. 17. Eine systematische Analyse der teilweise sicherlich chimärenhaften deutschen Untergrundaktivität hinter der Front in der Endphase des Zweiten Weltkrieges und danach fehlt bislang - möglicherweise nicht zuletzt deshalb, weil einer der Väter des Konzeptes einer deutschen „Partisanentätigkeit", Reinhard Gehlen, Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost" und nach dem Krieg Gründer des Bundesnachrichtendienstes war. Ein polnischer Aufsatz zu diesem Thema, RYSZARD TRYC: Podziemie hitlerowskie i jego antypolska dzialalnośc na Ziemiach Zachodnich i Pólnocnych, in: 1944-1947, S. 135-157, ist unbefriedigend, da jegliche Nachweise über die Organisationstruktur des deutschen Untergrundes fehlen. Darüber hinaus enthält der Aufsatz schlichten Unsinn: so

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seitens der polnischen Behörden gegen die deutsche Bevölkerung geht aus dem hier Zitierten jedoch nicht hervor. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, wie sich der Autor die weitere Entfernung der deutschen Bevölkerung vorstellte. Es ist die Rede von „Isolierungslagern" sowie davon, daß die ideale Lösung darin bestehe, „solche Bedingungen zu schaffen, die eine eigenständige Emigration des deutschen Elementes bewirken würden". Gemeint war damit „eine Politik der starken Hand, indem man Terror anwendet und gleichzeitig die Ausreise aus den Wiedergewonnenen] G[ebieten] erleichtert, indem man günstige Verkehrsbedingungen für Emigranten schafft", was den Vorstellungen Gomulkas vom Mai 1945 und der Politik der Deutschen gegenüber den Juden bis zum Novemberpogrom 1938 entsprach. Nur wenn die Politik der Sowjetunion darauf ausgerichtet sei, möglichst viele Deutsche als Zwangsarbeiter für eigene Ziele auszubeuten, sei die Organisierung von Lagern vorzuziehen.36 Die jedenfalls festzustellende Gleichgültigkeit gegenüber Menschen, die sich im Sinne einer Kollektivschuldthese mit der deutschen Terror- und Mordpraxis im besetzten Polen identifizieren ließen und so zur behördlichen Verschubmasse ohne jegliche eigene Handlungsmöglichkeiten wurden, wird kein Einzelfall gewesen sein. Die Erfahrungen aus fünfeinhalb Jahren deutschen „Aufbaus" dienten beispielsweise beim Bevollmächtigten für Niederschlesien, Stanislaw Piaskowski, zur Begründung für Aussiedlung und Zwangsarbeit: „Die deutschen Hitleristen haben der ganzen Welt bewiesen, daß ihr Zusammenleben mit irgendeinem anderen Volk in einem Territorium unmöglich ist, also muß die verbliebene deutsche Bevölkerung in den wiedergewonnenen Gebieten diese verlassen; bis dahin müssen die Deutschen mit ihrer Arbeit zum Aufbau der Industriebetriebe beitragen, die durch sie oder durch ihre Schuld in Kriegshandlungen zerstört wurden, Frühlingssaaten und das Ansetzen der Kartoffeln durchführen, um der polnischen Bevölkerung das Dasein zu sichern, die kommen wird, um diese Gebiete einzunehmen, aus denen vor Jahrhunderten die Germanen mit Feuer und Schwert unsere westslawischen Brüder vertrieben haben." 3 7 Daß durch eine Politik gegen alle, die einer bestimmten Ethnie zugeordnet wurden, welche mit den deutschen Verbrechen in Polen identifiziert wurde, jedoch kaum die eigentlichen 38 Täter getroffen wurden , dürfte selbstverständlich sein. Sie diente in erster Linie der

hält Tryc etwa die von den Nationalsozialisten verfolgten und übrigens fast ausschließlich in Köln tätigen Edelweißpiraten für eine der einschlägigen Organisationen. Zu den Edelweißpiraten vgl. THEILEN: Edelweißpiraten.

Uwagi w sprawie zaadministrowania, S. 8. Zarządzenie Nr. 1, 2. April 1945, gez. Stanislaw Piaskowski. AAN MAP 2416, Bl. 1 ff. Dies ist auch manchem'polnischen Autoren klar. So betont beispielsweise BANASIAK: Przesiedlenie Niemcöw, S. 30, daß viele im Bewußtsein der eigenen Schuld und aus Furcht vor Strafe geflohen seien. Was im zulässigen Umkehrschluß bedeutet, daß diejenigen, die entweder geblieben waren oder nach Abschluß der Kriegshandlungen zurückkehrten, davon ausgingen, daß 375

Feindbilddefinition und der innenpolitischen Legitimation der Aussonderung dieser Menschen - zu der es freilich ohne die fünfeinhalb Jahre Besatzungszeit nicht gekommen wäre. Zumal in der Anfangszeit ließen sich so Übergriffe und Gewalttaten verteidigen, die letztlich nichts anderes waren als das typische Verhalten entsprechend konditionierter Soldaten im Moment des Zusammenbruchs jeglicher gesellschaftlicher Ordnung. Mit der Ernennung der Bevollmächtigten sollte sich dies zum Teil ändern. Die Militärverwaltung wurde durch eine Sonderverwaltung ersetzt, die die unmittelbare Eingliederung der Gebiete in das polnische Staatsgebiet vorbereiten sollte. Und so wie der Übergang von der Militär- zur Zivilverwaltung in den eingegliederten Ostgebieten eine verstärkte Entfesselung des Terrors auf einer anderen Ebene einleitete, bedeutete umgekehrt der gleiche Vorgang in den Wiedergewonnenen Gebieten einen schrittweisen, für die Opfer sicherlich weiterhin quälenden Prozeß der „Normalisierung". Den Bevollmächtigten war ihre Rolle durchaus klar. Piaskowski etwa beschrieb seine Aufgabe in seiner ersten Anordnung vom 2. April 1945 so: „Meine Hauptaufgabe ist die Vorbereitung dieses Gebietes für die Aufnahme der polnischen Ansiedlung und die Gewährleistung von Sicherheit und den Bedingungen für eine freie Entwicklung für die polnische Bevölkerung, die in diese Gebiete einströmen wird." 39 Hier ist von einer Fürsorgepflicht gegenüber der unerwünschten und perspektivisch zu entfernenden Bevölkerung nicht die Rede. Im Gegenteil war es vorgesehen, die Absonderung der deutschen, unerwünschten von der neu anzusiedelnden polnischen Bevölkerung sofort auch rechtlich festzuschreiben. In den „Notwendigen Instruktionen für den Regierungsbevollmächtigten für das Gebiet Ostpreußens" zählt zu den Aufgaben ausdrücklich die Einführung der polnischen Rechtsnormen für polnische Staatsangehörige und die „Verabschiedung (Aufstellung) abweichender Vorschriften für die deutsche Bevölkerung und andere 40 Ausländer". Die formalrechtliche Separierung fiel um so leichter, als man sich ja in der Rolle des Trägers eines längst überfälligen historischen Umschwungs begriff: „Ihr müßt Euch klarmachen, daß die Arbeit sehr schwer und verantwortungsvoll gegenüber dem Staat und dem Volk sein wird; wir fahren als Pioniere des Polentums, als Rächer für [...] jahrhundertelanges Unrecht, das durch deutsche Hände den slawischen Völkern und Stämmen angetan wurde." 41

sie nichts zu befürchten hätten, da sie nach eigener Einschätzung sich nichts hatten zuschulden kommen lassen. Pelnomocnik Rzadu RP, Zarzadzenie Nr. 1, 2.4.1945, gez. Mgr. Stanislaw Piaskowski. AAN MAP 2416. Konieczm instruckje dla peùnomocnika Rzadu na teren Prus Wschodnich, 10. Februar 1945, gez. Stanislaw Jurzyk als Inspektor MAP. AAN MAP 2418, Bl. 6 f. Wiedergegeben in Warmiacy i Mazurzy w PRL, S. 3 f. Zarzadzenie Nr 7, S. 1. 376

Daß das Heraufbeschwören der Rächerrolle bei den Protagonisten in der polnischen Verwaltung der neuen Westgebiete kaum geeignet war, das Verhalten gegenüber den Deutschen in geordneten und humanen Bahnen zu halten, liegt auf der Hand. Thomas Urban hat völlig zu Recht betont: „Eine Aussiedlung in 'geordneter und humaner Weise' wäre in dem psychischen Klima nach dem Krieg allerdings auch kaum vorstellbar gewesen, hatten doch die Polen ein Jahrfünft deutschen Besatzungsterrors hinter sich, während dessen mehrere Millionen ihrer Landsleute gewaltsam zu Tode gekommen waren."42 Gleichzeitig aber verbot nun Piaskowski ausdrücklich „die Anwendung gedankenloser oder überflüssiger Grausamkeit".43 Wie diese Einschränkung in der Praxis verstanden wurde, läßt sich kaum rekonstruieren; sie ließ jedenfalls Raum genug für persönliche Interpretation. Die Einsetzung der Bevollmächtigten, auch dies ist an der oben zitierten ersten Anordnung Piaskowskis zu sehen, markierte einen Paradigmenwechsel. Die rigorose Vertreibung von Teilen der ursprünglichen Bevölkerung der Gebiete mußte zu einem Zeitpunkt, der durch die Installierung einer regulären Verwaltung charakterisiert ist, dem vorläufigen Einsatz der unerwünschten Bevölkerungssegmente in Form von Zwangsarbeit bis zu ihrer Aussiedlung weichen - nun nicht mehr allein für die Zwecke der Roten Armee. Die Aussiedlung war wie in der deutschen Besatzungspraxis eine Funktion der Ansiedlung, allerdings stellten sich in großen Teilen der Wiedergewonnenen Gebiete die Probleme umgekehrt wie in den eingegliederten Ostgebieten. Hatte hier das Hauptproblem darin bestanden, Unerwünschte loszuwerden, bestand die größte Schwierigkeit dort nun darin, so rasch wie möglich Siedler in die neuen, durch Evakuierung, Flucht und Vertreibung bereits teilweise entvölkerten Gebiete zu bringen. So meldete der Bevollmächtigte für Pommern, Jan Cybinski, am 30. April 1945 an Wolski: „Die dringendste Angelegenheit auf dem Gebiet Pommerns ist die Frage der Ansiedlung. Nach Berechnungen werden hier 2.500.000 Polen siedeln müssen, von denen mindestens 1.000.000 /eine Million/ sich bis zum 15.7.1945 in diesem Gebiet befinden' muß, sonst geht die Ernte verloren."44 Die Notwendigkeit, die landwirtschaftlichen Potentiale der neuen Gebiete angesichts der Kriegsverwüstungen im ganzen Lande für die Ernährung der Bevölkerung auszunutzen, mußte den Gedanken nahelegen, die verbliebene Bevölkerung nicht einfach weiter zu vertreiben, sondern ihre Arbeitskraft so lange auszunutzen, bis polnische Siedler in ausreichendem Maße in diese Gebiete gebracht werden konnten. Die Ausgangsvoraussetzungen waren höchst unterschiedlich. So meldete etwa Henryk Szafranski, der als Instruktor des Zentralkomitees der PPR nach Pommern geschickt worden war, daß in den ehemaligen Regierungsbezirken Stettin, Köslin und Frankfurt/Oder nur noch etwa 10-15% der Bevöl-

URBAN: Deutsche in Polen, S. 56. Zarzqdzenie Nr. 1, S. 1. Schreiben Cybinski an Wolski, 30. April 1945. AAN MAP 2450, unfol.

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kerung vorhanden seien; hauptsächlich handle es sich um Bauern und Arbeiter. Männer zwischen 16 und 60 Jahren seien „in Lagern gruppiert (grupowani)", Frauen und Kinder „werden zu Saatarbeiten benutzt". Polen gebe es auch: Es handle sich in erster Linie um ehemalige Zwangsarbeiter, aus denen die Militärbehörden Milizen und Verwaltungsfunktionäre zusammenstellten.45 Es ist anzunehmen, daß diesen Menschen Rachegefühle ge46 genüber der verbliebenen deutschen Bevölkerung nicht fremd waren. Dagegen war in Nieder- und Oberschlesien der größte Teil der Bevölkerung noch da, nicht zuletzt, weil Gauleiter Fritz Bracht jegliche Evakuierung untersagt hatte. 47 Die Potsdamer Konferenz mit ihrer schwammigen Festlegung des polnischen Rechtstitels auf die Wiedergewonnenen Gebiete änderte an der Situation vorläufig nichts. Noch am 11. September 1945 war in einem Runderlaß Prawins für den Bezirk Masuren zu lesen: „Mehrfach haben Deklarationen der Hauptmächte auf den von ihnen abgehaltenen Konferenzen klargestellt, daß die neugewonnenen Gebiete Polen ohne den ethnischen Ballast (bez balastu narodowego), den die deutsche Minderheit repräsentiert, übergeben werden. Die Verwaltungsbehörden werden zur organisierten Umsiedlung schreiten; das derzeitige massive Abwandern der deutschen Bevölkerung, die freiwillig nach Westen

Fragment eines Berichts Szafranskis, 27. April 1945. Zit. n. SNIADECKI: Ksztaltowanie si?, S. 99 ff. Von einem empfindlichen Mangel an Menschen sprechen viele der hier wiedergegebenen Berichte. Vgl. auch KAPS: Tragödie Schlesiens, S. 30. Der Einfluß persönlicher Erfahrungen von Zwangsarbeitern, aber auch von sowjetischen und polnischen Soldaten, die die Folgen der deutschen „verbrannte-Erde"-Politik in den ehemals besetzten Gebieten der Sowjetunion und die barbarischen Verhältnisse in den Konzentrationslagern aus eigener Anschauung kannten, auf ihr Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung ist bislang nicht erforscht worden und wirft freilich quellenmäßige Probleme auf, zumal sich die ehemals sowjetischen Archive, die Material etwa in Form von Kommandanturberichten, Briefen und ähnlichem Material enthalten könnten, inzwischen wieder schließen. Einzelne Arbeiten über den jüdischen Lagerkommandanten Solomon Morel sind so lange problematisch, als eine systematische Bearbeitung dieses Problems nicht erfolgt ist und die Thematisierung den mitunter nicht unberechtigten Vorwurf des Aufrechnenwollens hervorrufen muß. Zur Diskussion um die Arbeit Sacks, die mir nicht zugänglich war, und zu den Vorfällen im Lager Swietochlowice siehe HELGA HIRSCH: Die Rache des Kommandanten, in: Die Zeit Nr. 49, 2. Dezember 1994, S. 20-23. Eine neuere Arbeit der gleichen Autorin: Die Rache der Opfer. Deutsche in polnischen Lagern 1944-1950, Berlin 1998, ist zumal wegen des journalistischen Zugriffs nicht in der Lage, diese Lücke zu füllen. Genauer sind, allerdings in regionaler Beschränkung auf Schlesien, die Ausführungen bei MADAJCZYK: Przylaczenie Sląska Opolskiego, S. 237-293. Völlig unverständlich bleibt, wieso Madajczyk behauptet, nationalsozialistische und kommunistische Lager hätten der „Auslöschung der Opfer" gedient, nachdem er zuvor richtig feststellte, daß Repression und Gewalt kein integraler Bestandteil der polnischen Lager gewesen sind. Ebenda, S. 239. Vgl. MEISSNER: Ewakuacja, S. 132; KAPS: Tragödie Schlesiens, S. 28. Zum ähnlich katastrophalen Vorgehen Kochs in Ostpreußen vgl. HÖHNE: Orden, S. 569 f. 378

ausreist, ist mit Anerkennung zu begrüßen als Beweis, daß sie sich dessen bewußt ist, daß es für sie in Polen keinen Platz gibt." 48 Auch Prawin wußte, wie ebenso der Leiter des BZZ, Juliusz Antoni Wilder, daß es nach wie vor keinen nach dem Völkerrecht gültigen Rechtstitel auf die neuen Gebiete gab; da aber, aus den bereits genannten Gründen, trotzdem und gerade deshalb die Entfernung der deutschen Bevölkerung aus diesem Gebiet vorrangig sein mußte, gleichzeitig aber „wilde Aussiedlungen" und Abschiebungen wie in der Zeit vor der Konferenz nicht mehr möglich schienen, griff man nun auf die bereits von Gomulka im Mai 1945 erwähnten Lösungen zurück. Prawin ordnete an: „Im Interesse des Bezirks Masuren liegt vor allem, möglichst schnell jegliche belastende Elemente, die nur eine Last für die übrige Bevölkerung darstellen, loszuwerden. Die deutsche Bevölkerung, die für ihr Brot nicht arbeiten kann, soll zur Last für ihre Landsleute werden. Zur Realisierung des Obigen mögen die Bürger Starosten: 1) die deutsche Bevölkerung mit der Notwendigkeit bekannt machen, aus dem Gebiet des Bezirks auszureisen; 2) die Ausreiseaktion durch die Ausstellung von Passierscheinen unterstützen; 3) durch die Umsetzung des Rechts auf Rache und von Normen, wie sie von den Deutschen in der Zeit der Okkupation gegen die Polen angewandt wurden, Bedingungen schaffen, unter denen die Ausreise aus dem Gebiet des Bezirks für sie eine Wohltat sein wird." 49 Brutalität und Willkür behielten auch nach der frühen Phase der Vertreibungen vor allem seitens sowjetischer Truppenteile solche Ausmaße, daß die polnischen Behörden intervenierten. Noch am 14. Januar 1946 beschwerte sich Gomulka über von Rotarmisten begangene Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde, die inzwischen vor allem an „Autochthonen" verübt würden. 50 Unklar bleibt, ob sich Gomulka deshalb einschaltete, weil Menschen betroffen waren, die doch erwünschter Bevölkerungszuwachs werden sollten, oder, was ebenso wahrscheinlich ist, die Erwähnung der „Autochthonen" der Intervention zusätzliche Dringlichkeit geben sollte. Den Zentralbehörden mußte wenn nicht aus moralisch-ethischen, so aus politischen Gründen an einer Normalisierung der Verhältnisse gelegen sein - angesichts der alliierten Überwachung der Aussiedlung und der mißtrauischen Beobachtung der Verhältnisse in Polen durch den Westen. Hinzu kam, daß - mit der Ausnahme der deutschen Besatzungsverwaltung, die über w°ite Strecken einem permanenten Ausnahmezustand vergleichbar war - kein Staat ein Interesse an über längere Dauer un51 kontrollierbaren und rechtlosen Gebieten haben kann. Das wird um so deutlicher daran, Okólnik Nr. 126 Pelnomocnika RząduRP na OkręgMazurski w sprawie wysiedlenia Niemców, AAN MAP 157, Bl. 28 f. Wiedergegeben in: Warmiacy i Mazurzy w PRL, S. 83 f. Okólnik w sprawie wysiedlenia Niemców, S. 83. MISZTAL: Weryfikacja, S. 123 f.; URBAN: Deutsche in Polen, S. 70.

Es wäre noch zu bemerken, daß die eingegliederten Ostgebiete, noch deutlicher aber das Generalgouvernement insofern eine Sonderstellung eingenommen haben, als etwa die Polizeigrenze trotz formeller Eingliederung entlang der alten Reichsgrenze verlief, was diese Gebiete aus bestimmten Rechtsstandards des „Altreichs" ausschloß. Vgl. Kap. 1.1. 379

daß aus anderen Gründen Gomulka bereits im Mai 1945 auf einer Sitzung des Zentralkomitees der PPR fragte, ob es nicht sinnvoll sei, sich an die Führung der Roten Armee um „schärfere Mittel in Bezug auf Marodeure" zu wenden.5 An vielen Orten scheint nach den Gewaltexzessen der ersten Wochen folgendes weitere Verfahren üblich gewesen zu sein: Deutsche Familien wurden in einigen Häusern außerhalb der Ortskerne untergebracht, allenfalls „Familien, die sich als Kommunisten ausgaben, 53 blieben am Ort in ihren eigenen Wohnungen". Gleichzeitig wurden Tausende in Zwangsarbeitslager in die Sowjetunion deportiert bzw. in entsprechende Lager in der Umgegend eingewiesen. Sowohl polnische als auch sowjetische Behörden benutzten in aller Regel ehemals deutsche Lager. Hinzu kamen einzelne polnische Hofbesitzer, Unternehmer und Siedler, die die Gelegenheit nutzten, auf eigene Rechnung Zwangsarbeiter einzusetzen. Die „Zusammendrängung" deutscher Einwohner auf einzelnen Höfen bzw. in einzelnen Wohnungen war ein Versuch, mit der Ansiedlung polnischer Familien fortfahren zu können, obwohl die „wilde Aussiedlung" nach der Potsdamer Konferenz nicht mehr opportun war und die organisierte Aussiedlung noch nicht eingesetzt hatte. Am 2. Juli 1945, also 15 Tage vor dem Beginn der Potsdamer Konferenz, ergriff der Wojewode des Oppelner Schlesien die Initiative. Zawadzki verbot „Personen deutscher Nationalität ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit" formell den Aufenthalt in der alten Wojewodschaft Schlesien: „Diese Personen sind verpflichtet, sich auf das Gebiet Deutschlands zu begeben." 55 Bereits fünf Monate zuvor hatte er die Enteignung der deutschen Bauernhöfe verfugt, noch bevor er als Bevollmächtigter legitimiert war und ein entsprechendes Gesetz der Regierung vorlag. 56 Die Verordnung Zawadzkis war im Grunde eine pauschale Ausweisungsverfügung. Die Organisation der Ausreise, ihr genauer Zeitpunkt und ihre Form blieben den einzelnen Menschen bzw. Familien überlassen, die natürlich andererseits so ausreichend Zeit hatten, ihre Angelegenheiten zu ordnen. Ein solches Vorgehen war besonders leicht in diesem Ge-

KOCHANSKI: Protokól obrad KC PPR, S. 42. Fragment eines Berichts des Starosten in Sùawno, Mai 1945. Zit. n. SNIADECKI: Ksztaùtowanie się spoleczności polskiej, S. 103 f. Darauf verweist etwa die Klage Dobrowolskis auf einer Sitzung der Reemigrationskommission: „... ich weiß positiv, daß die landwirtschaftlichen Betriebe in der Nähe der Sudeten nicht zerstört wurden und faktisch von Deutschen geführt werden, obwohl sich dort theoretisch polnische Wirte befinden, aber den Meldungen zufolge sind das nur zu 50% Bauern, und der Rest hat mit der Landwirtschaft nichts zu tun." Protokoll, o.T., o.U., o.D. AAN MZO 1687, fol. 18-57, hier: Bl. 13 (fol. 31). Die hier protokollierte Sitzung fand vermutlich im Frühjahr 1946, jedenfalls vor der III. Sitzung des Wissenschaftlichen Rates im Juni 1946, statt. Zarzqdzenie Wojewody Sląsko-Dąbrowskiego o zakazie zamieszkiwania osób narodowosci niemieckiej na obszarze Województwa Sląsko-Dąbrowskiego i o rejestracji na wyjazd. AAN ALP 423/X-l. Vgl. Kap. I.2.b., S. 60 f. 380

biet möglich. Der Prozentsatz derer, die als „Autochthone" anerkannt werden sollten, lag ja im Oppelner Schlesien aus bereits besprochenen Gründen besonders hoch. 5 7 Ähnlich waren polnische Behörden in Niederschlesien vorgegangen. Am 15. Mai teilte der Kattowitzer Bischof Adamski dem stellvertretenden Generalvikar des Kardinalerzbischofs Dr. Bertram in Breslau mit, je eher die Deutschen freiwillig nach Westen gingen, desto besser für sie. 5 8 Die ersten Ausweisungen waren somit im Wortsinne Vertreibungen. Ab dem Frühsommer 1945 wurde der deutschen Bevölkerung an vielen Orten mitgeteilt, daß sie das Land zu verlassen habe, in aller Regel binnen 24 Stunden. 59 Auf einer Sitzung der WRN vom 8. und 9. Juni 1945 stellte Zawadzki sein Konzept vor. Er habe eine Anordnung erlassen, nach der deutsche Bauernfamilien von ihren Höfen zu entfernen seien, sobald polnische Repatrianten oder Siedler einträfen. Deutsche, die sich irgendwelchen Anordnungen widersetzten, seien zu internieren.60 Am 28. Juni erließ Zawadzki eine entsprechende vertrauliche Verfügung: „Ausnahmslos die Deutschen von den landwirtschaftlichen Betrieben entfernen und über die Oder und Neiße schicken oder in ganzen Familien in Sicherheitsverwahrungsorten (miejsca odosobnienia, gemeint sind Lager, M.E.) festsetzen zum Zeitpunkt des Erscheinens des Repatrianten oder Siedlers, die auf diesen Betrieben anzusiedeln 61 sind." Gleichzeitig sollten „Deutsche aus Behörden- und repräsentativen Vierteln in besondere abgeteilte Viertel und Häuserblocks" umgesiedelt werden. Alle gesunden Männer waren zur Internierung in Arbeitslagern vorgesehen.62 Am 25. Juni 1945 legte der Leiter des Büros der Westlichen Gebiete, Dr. Juliusz Antoni Wilder, dem Minister für Öffentliche Verwaltung Wolski eine Denkschrift zur Rechtsstellung der Deutschen im erweiterten Polen vor. Wilder schlug vor, die „Frage der deutschen Nationalität" in Form von Dekreten und Vorschriften zu lösen, die „ausschließlich Personen deutscher Nationalität betreffen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen". Die konkreten Maßnahmen, die Wilder im folgenden ausbreitete, sind in anderem Zusammenhang bekannt. Die Denkschrift verlangte die rigorose Einschränkung der Bewegungsfreiheit und ein Verbot des Arbeitsplatzwechsels, die Einführung spezieller Ausweise und Arbeitspapiere und „den ausnahmslosen (bezwzglqdny) Befehl, spezielle äußere Zeichen zu tragen, mit dem Ziel der Kontrolle über Personen deutscher Nationalität". Darüber hinaus sollten Deutsche von den Leistungen des sozialen Netzes außer der Krankenversicherung

Vgl. Kap. III.I.e., S. 295-310. KAPS: Tragödie Schlesiens, S. 38 f. Anordnung Ochabs vom 25. Juni 1945; vgl. KAPS: Tragödie Schlesiens, S. 40. Wyciąg z protokolu posiedzenia Wojewódzkiej Rady Narodowej w dniu 8 i 9 czerwca 1945 r., S. 6. AAN ALP 423/X-3, Bl. 160-166. Verordnung Zawadzkis vom 28. Juni 1945. Zit. n. NOWAK: Cien Lambinowic, S. 59 ff. Ebenda, S. 60. 381

ausgeschlossen werden. Darüber hinaus sah Wilder Arbeitszwang für Deutsche von 14 bis 65 Jahren vor, Akkordarbeit, Urlaub in Höhe von sechs Tagen nach einem Jahr, von neun Tagen nach zwei Jahren Arbeit. Die Entlohnung sollte sich an den niedrigsten Sätzen der jeweiligen Branche orientieren, Deputate waren ausgeschlossen. Darüber hinaus sah die Denkschrift eine progressive Besteuerung zwischen 25 und 50% vor. Für die Übertretung jeglicher Vorschriften und Einschränkungen sah Wilder Haftstrafen vor.63 Im Grunde handelte es sich um eine in manchen Punkten abgemilderte Version des deutschen Vorgehens gegenüber jüdischen und polnischen Zwangsarbeitern vor dem Sommer 1941. Das erwähnte „spezielle äußere Zeichen" entspricht selbstverständlich dem Judenstern, ebenso ähneln die Bewegungsbeschränkungen, die Entfernung aus den Stadtkernen und der Arbeitszwang dem deutschen Vorgehen im besetzten Polen. Das gleiche ließe sich von den besonderen Entlohnungsbedingungen sagen. Es darf angenommen werden, daß es sich um ein nicht untypisches Beispiel jener „Rachetendenzen" handelt, die der Vertreter Polens bei der I. Weißrussischen Front einen Monat zuvor besonders bei Vertretern der Intelligenz in den neuen Gebieten festgestellt hatte.64 Das MAP folgte dieser Linie nur zum Teil. In einer ersten zentralen Verordnung des Generalbevollmächtigten für die Wiedergewonnenen Gebiete Edward Ochab wurden am gleichen Tag, an dem Wilder seine Vorschläge einreichte, erste Richtlinien für die Aussiedlung der Deutschen festgelegt. Ochab verbot die Aussiedlung von Deutschen, die als Fachkräfte in der unteren Verwaltung und der Industrie beschäftigt seien und nicht durch Polen ersetzt werden könnten, sowie jegliche „planlose und eigenmächtige Aussiedlung". Deutsche, die nicht sofort ausgewiesen werden könnten, sollten auf Gutshöfen zu Erntearbeiten eingesetzt werden. Den Ausgewiesenen sei die Mitnahme von soviel Gepäck zu erlauben, wie sie tragen könnten. Ochab waren die Bedingungen, unter denen die „eigenmächtige Aussiedlung" bis dahin abgelaufen war, offensichtlich gut bekannt: „Jegliche Taten, die dem Recht und unserem Gefühl der nationalen Ehre widersprechen, wie Raub, Willkür, Quälen ausgesiedelter Personen, sind mit aller Härte zu verfolgen, und die Schuldigen den Gerichten zu übergeben."65 Was die äußere Kennzeichnung der deutschen Bevölkerung anging, stand Wilder nicht allein da. Am 14. Januar 1946 meldete der Präsident des Wojewodschafts-Nationalrates {Wojewödzka Rada Narodowa, WRN) dem Warschauer Landes-Nationalrat:

Memorial w sprawie sytuacji prawnej niemców na obszarze Rzeczypospolitej Polskiej, O.D., o.U. (Lt. Begleitschreiben Wilder an Wolski 28. Juni 1945). AAN MAP 2471, Bl. 19-21. Bericht des Bevollmächtigten der Regierung beim Stab der I. Weißrussischen Front an Bierut, 16. April 1945. AAN MAP 2471, Bl. 8 f. Es handelt sich vermutlich um Borkowicz, der später als Bevollmächtigter in Posen eingesetzt wurde. Anordnung an die Bevollmächtigten, 25. Juni 1945, gez. Edward Ochab. AAN MAP 2471, Bl. 10 f. Aus dem oben zitierten Bericht Plucinskis an das MAP geht hervor, daß die Anordnung beispielsweise in Posen erst zwei Monate später, durch ein Schreiben des Wojewoden an den zuständigen General &wierczewski vom 21. August 1945, die zuständigen Stellen erreichte.

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„Die WRN steht auf dem Standpunkt, daß alle Deutschen, die das Gebiet der Wojewodschaft Posen bewohnen, ein äußeres Abzeichen tragen sollten, das ihre Nationalität ausweist. Auf diese Weise könnte man antistaatlicher Arbeit der Deutschen zuvorkommen bzw. sie ihnen erschweren, ebenso das Eingehen von Handelsbeziehungen mit Polen, die Benutzung staatlicher Verkehrsmittel usw." 6 6 Der Warschauer Rat leitete das Schreiben weiter an das Politische Departement des MAP. Dieses antwortete Ende März, „daß die Kennzeichnung der deutschen Bevölkerung wie auch die Gründung geschlossener Wohnbezirke für sie als unvereinbar mit dem Geist eines demokratischen Staates mit dem Runderlaß des MAP vom 22.11.1945 untersagt wurde." 6 7 Der Hintergrund dieses bislang nicht aufgefundenen Runderlasses war eine Verordnung des Bevollmächtigten in Breslau, der allen Deutschen das Tragen weißer Armbinden befohlen hatte. Das Politische Departement des MAP bat unter dem 10. November 1945 „mit Rücksicht darauf, daß eine Verordnung dieser Art sich nicht mit dem Geist eines demokratischen Staates verträgt und der ausländischen Meinung eine Grundlage für ungerechtfertigte Kommentierung der in Polen herrschenden Verhältnisse gibt [...], um die Übersendung genauer Aufklärung."68 Mit den gleichen Argumenten intervenierte das Departement im Falle des Wojewoden in Lodz, der Meldekarten in zwei farblich unterschiedenen Versionen ausgab: weiße für Polen, gelbe für Deutsche, Zigeuner und Juden. 6 9 Der Lödzer Wojewode war nicht der einzige, der sich mit den Deutschen auch gleich zumindest der Zigeuner entledigen wollte: Ende 1945 stoppte Andrzej Grabowski, Direktor des Politischen Departements, einen Runderlaß Nr. 98 „in der Sache der Bekämpfung der Zigeuner". Der Erlaß sei „in Inhalt und Geist unvereinbar mit den grundlegenden bindenden Gesetzen und den bei uns gelten-

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Schreiben des Präsidenten des Wojewodschafts-Nationalrates {Wojewödzka Rada Narodowa, WRN) an WRN Warschau, 14. Januar 1946. AAN MAP 757, Bl. 2. DP MAP an Urzad Wojewódzki Warschau, 30. März 1946. AAN MAP 757, Bl. 3.

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DP MAP an Peùnomocnik Rzqdu RP na okreg, Dolnego Sląska, 10. November 1945. AAN MAP 757, Bl. 1. Ganz anders hatte übrigens der BevollmächtigtefllrWaidenburg (Walbrzych) dieses Problem gesehen: In seiner ersten Anordnung vom 28. Mai 1945 hieß es: „Polnische Staatsangehörige und Angehörige anderer verbündeter Staaten dürfen Armbinden oder andere Abzeichen mit den Nationalfarben des eigenen Staates tragen. Die deutsche Bevölkerung hat kein Recht, irgendwelche nationalen Abzeichen zu tragen." Zarzadzenie Nr. 1, 28. Mai 1945, gez. Eugeniusz Szewczyk. AAN MAP 2416, Bl. 5.

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DP MAP an UW L6dz,.o.D. (Ende 1945). AAN MAP 753, Bl. 9. Vgl. auch MADAJCZYK: Przylaczenie Slaska Opolskiego, S. 66, der ebenfalls das Schreiben des MAP anführt, aber aus nicht einsichtigen Gründen nur vermutet, daß das Ministerium gegen diese Praxis intervenierte. 383

den Rechtsvorschriften und kollidiert mit dem demokratischen Charakter unserer Republik". Bereits verübtes Unrecht, Beschlagnahmungen usw. seien rückgängig zu machen.7 Diese Vorfälle zeigen, daß es in der mittleren Verwaltungsebene zumindest einiger der neuen und alten Gebiete Kader gab, die sich von ähnlichen rassistischen Paradigmen leiten ließen wie ihre deutschen Kollegen. Kann man im Falle diskriminierender Vorschriften gegen Deutsche, wie sie oben erwähnt wurden, verständlichen, wenn auch nicht alles rechtfertigenden Zorn anführen, gilt dies für das Vorgehen des Ùódzer Wojewoden gegen Juden und Zigeuner und des Posener Kollegen gegen Zigeuner sicherlich nicht. Diese Menschen konnten beim besten Willen nicht zu jener Nation gerechnet werden, die mit den Trägern der fast sechsjährigen Besatzungszeit identifiziert wurde. Darüber hinaus ist zu bemerken, daß sowohl das Prinzip der Bevollmächtigten als auch die beschleunigte Einrichtung der Nationalräte auf allen Verwaltungsebenen, die auf eine Einbindung gesellschaftlicher Gruppen in den Verwaltungsaufbau abzielte und weitgehend sozialistischen Grundgedanken entsprach, ungeahnte Gefahren nach sich zogen, solange die Verhältnisse noch im Fluß waren. Tatsächlich sperrte sich besonders das ab Anfang 1946 zuständige MZO gegen eine Einrichtung dieser Räte mit der vollen Verantwortlichkeit, die für sie eigentlich vorgesehen war. Gomuùka erklärte 1946, zumindest im Gebiet der Wiedergewonnenen Gebiete sollten Räte auf Wojewodschafts- und Kreisebene erst dann eingerichtet werden, wenn „die Besiedlung der Gebiete dafür ausreichend ist". Dagegen sollte die Übernahme der vorgesehenen Befugnisse von den Bevollmächtigten erst „mit dem Maße der Reife {dojrzalosci) des Rates" erfolgen. Wichtig und in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen scheint allerdings die Tatsache, daß die Zentralbehörden bei diesen Vorfällen intervenierten und sie stoppten, während die rassistische Ausgrenzung in der Zeit der deutschen Besatzung zum Behördenalltag gehörte und konstitutives Element der Tätigkeit aller Verwaltungsebenen war. Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, daß, wie auch schon aus den oben angeführten Zitaten hervorgeht, eine Regulierung der Verhältnisse und des Ablaufs der Aussiedlungen letztendlich eine Frage des politischen Überlebens war. Auf der Potsdamer Konferenz hatten zwar die Westalliierten einer territorialen Erweiterung Polens nach Westen und Norden 72 und einer Umsiedlung der deutschen Bevölkerung im Grundsatz zugestimmt ; diese Zu-

schreiben Grabowski an den Posener Wojewoden, o.D. Der erwähnte Erlaß, der vom 24. November 1945 stammen soll, konnte von mir nicht aufgefunden werden. Uwagi Wl. Gomuùki w sprawie kompetencji rad narodowych, zit. n. JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 113. Die ältere deutsche Interpretation, es sei nur die deutsche Bevölkerung des polnischen Territoriums in den Grenzen von 1939 gemeint gewesen, ist von der polnischen und einem Teil der amerikanischen Forschung nicht zu Unrecht als Unsinn bezeichnet worden. Vgl. etwa KAPS: Tragödie Schlesiens, S. 7; Vertreibung, Bd. 1,1, S. 143 E. Siehe dagegen BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 24 f. Dort auch weitere Literatur. Tatsächlich ist die Formulierung im Text des Protokolls so schwammig gehalten, daß eine derartige Interpretationsmöglichkeit seitens der Verfasser beabsichtigt war. Die in den Jahren zuvor stattgefundenen Diskussionen insbesondere 384

Stimmung war aber in eine juristische Formel gekleidet worden, die einen jederzeitigen Rückzug möglich machte. In dieser Situation wurde ein per Verordnung vom 4. September 1945 eingeführtes Prinzip der Registrierung zur freiwilligen Ausreise als ungenügend empfunden. Bereits 25 Tage später verfugte der Posener Wojewodę die Aussiedlung aller Deutschen.73 Zahlen über die frühen Phasen der Aussiedlung und freiwilligen Ausreise sind kaum überliefert. Als Illustration der Verhältnisse soll ein Bericht Aleksander Zawadzkis vom 30. September 1946 an die WRN herangezogen werden. Danach wurden zwischen August und Dezember 1945 90.154 Deutsche aus Schlesien ausgesiedelt, davon 23,4% Männer. Dagegen reisten in der gleichen Zeit nur 15.008 Deutsche freiwillig und individuell aus. 7 4 Der August 1945 und damit die Zeit nach der Potsdamer Konferenz bezeichnete nicht nur in Schlesien den Beginn der massenhaften Aussiedlung deutscher Bevölkerung. Am zehnten des Monats erließ der Danziger Vizewojewode Anatol vertrauliche „Verbindliche Instruktionen für die Aussiedlungsaktionen", die die Festlegung der Aussiedlungsprioritäten den Starosten und Stadtpräsidenten in Zusammenarbeit mit den Aussiedlungskommissionen überließ und „Exzesse und Übergriffe gegenüber den Ausgesiedelten" ausdrücklich untersagte. Abweichend von der Praxis bei freiwilliger Ausreise war nur die Mitnahme persönlicher Sachen als Handgepäck erlaubt; Mittellose sollten mit zwei Kilogramm Brot ausgestattet werden. 75 Obgleich die organisierte Aussiedlung höhere Quantitäten deutscher Bevölkerung entfernen konnte als die individuelle Ausreise, waren die Ergebnisse weiterhin unbefriedigend. So hieß es etwa noch in einem bereits zitierten Bericht Dubiels an Wolski vom 1. Oktober 1945: „Wenn die Ansiedlungsaktion die geforderten Resultate bringen soll, müssen die Deutschen in dieser oder einer anderen Form aus den wiedergewonnenen Gebieten entfernt werden. In Niederschlesien herrscht derzeit die allgemeine Meinung, daß infolge der Potsdamer Beschlüsse die Deutschen nicht ausgesiedelt werden. Jegliche „Zusammen-

zwischen britischer und polnischer Exilregierung konnten aber über die Art, wie Polen diese Beschlüsse interpretieren mußte, keinerlei Zweifel lassen. Das bereits zitierte Schreiben Plucinskis an das MAP DP vom 1. März 1946 erwähnt eine solche Verordnung, die seitens des Generalbevollmächtigten am 4. September 1945 erlassen worden sei. Es hätten sich in der Wojewodschaft Posen 70 000 zur Ausreise gemeldet. Am 29. September folgte die erwähnte Verordnung, die „auch Personen deutscher Nationalität umfasste, die sich zur freiwilligen Ausreise meldeten". Przemówienie wygùoszone na posiedzeniu Wojewódzkiej Rady Narodowej 30 września 1946 r., S. 4. AAN ALP 423/X-5, BI. 57-86. Zawadzki merkte an, daß die Zahlen über die individuelle Ausreise ungenau seien, da viele ohne die vorgeschriebenen „Passierscheine" (przepustki) übergesiedelt seien. Instrukcje obowiązujące przy akcjach wysiedleńczych, 10. August 1945, gez. Anatol. AAN MAP 2417, BI. 1. 385

drängung" der Deutschen auf dem gleichen Hof oder in der gleichen Wohnung ist auf die Dauer schädlich. Das schafft auf beiden Seiten ungesunde Erwartungshaltungen. Der Siedler wird niemals glauben, daß die wiedergewonnenen Gebiete auf immer unsere sind, solange der Deutsche darauf sitzt. Der Vizewojewode Szymczyk, den ich in dieser Angelegenheit befragte, versicherte, daß eine planmäßige, systematische Aussiedlung der Deutschen in den nächsten Tagen beginnen wird. Davon ist bisher nichts 76 zu sehen." Hinzu kam, daß die Bedingungen, unter denen die unregelmäßig abgehenden Transporte stattfanden, nach wie vor nur als katastrophal bezeichnet werden konnten. Selbst Züge mit Repatrianten standen oft, da schlecht koordiniert, wochenlang mitten auf der Strecke, ohne jegliche Versorgung.77 Die Sterblichkeit unter den in den Waggons eingepferchten Menschen war ungeheuer. Am 15. Dezember 1945 wandte sich das Außenministerium an Wùadysùaw Kiernik: Die Instruktionen des Ministers würden offensichtlich „von den ihm untergebenen Organen" nicht ausgeführt. In den Wochen zuvor sei es mehrfach vorgekommen, daß „am Bestimmungsort Waggons mit Leichen ankamen, anstatt mit lebenden Menschen". Vorfälle dieser Art würden „sofort von uns feindlichen (niechętne) ausländischen Kreisen aufgegriffen" und bedrohten die Aussiedlung der Deutschen insgesamt.78 Zeitlich parallel zu den oben erwähnten Interventionen des MAP wurde am 20. November 1945 ein Umsiedlungsplan zwischen der polnischen Regierung und den Alliierten vereinbart, der von einer Gesamtzahl von zweieinhalb Millionen Menschen ausging, die aus Polen auszusiedeln und in der sowjetischen und britischen Zone unterzubringen waren. Der sowjetische Botschafter in Warschau, V. Lebedev, informierte die polnische Regierung über die Absprachen.80 Damit schien ein wesentliches Hindernis für die geregelte Aussiedlung der Deutschen schließlich beseitigt, und das Ende 1945 eingerichtete MZO bemühte sich nun, einen zentralen Zugriff auf sämtliche Migrationsbewegungen zu erlangen und durchzusetzen. Dazu war selbstverständlich die möglichst genaue Kenntnis der Bevölkerungsverhältnisse in den Aussiedlungsgebieten, vor allem der Zahl der Auszusiedelnden unabdingbar. Die „summarische" Volkszählung, die im Januar 1946 beschlos-

Bericht Dubiels an Wolski, S. 11; vgl. Kap. II.3.C, Anm. 104. Sprawozdanie Nr. 1, 20. November 1945, gez. Jan Pietronski. AAN KRN 420. Vgl. auch JAWORSKI: Na piastowskim szlaku, S. 49 ff. Schreiben des Außenministeriums an Kiernik, 15. Dezember 1945, geheim, sehr dringend. Eine Kopie des Schreibens ging am gleichen Tag an Gomulka. AAN MZO 73, Bl. 7 f. Merkwürdigerweise wurde das Schreiben laut Briefkopf in der „Ostabteilung" (Wydziaù Wschodni) vorbereitet, die sich normalerweise mit den Beziehungen in den fernen Osten befaßte. Recherchen im Archiwum MSZ ergaben keinerlei Aufschlüsse darüber, woher diese Informationen stammten, um wie viele Züge es sich handelte, und ob es überhaupt um Züge mit deutschen Zwangsausgesiedelten ging. BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 26. Schreiben Lebedev an Außenminister Zymowski, 27. November 1945. AAN MZO 73, Bl. 4 ff. 386

sen und am 14. Februar 1946 „im Rekordtempo" durchgeführt wurde , sollte diese Lücke schließen. Tab. 7a: Anzahl der auszusiedelnden Deutschen Anfang 1946

Pommern

1 302 868

Danzig

303 524

Ostoberschlesien

275 920

Niederschlesien

106 082

Masuren

99 503

Posen

28 039

Bromberg

26 459

Biaùystok

4 319

Die Ergebnisse dieser Zählung wiesen aus, daß tiefgreifende Veränderungen der Bevölkerungsstruktur stattgefunden hatten, noch bevor die „geregelte" Aussiedlung in Zusammenarbeit der Alliierten begonnen hatte. In allen Gebieten außer Niederschlesien war die polnische Bevölkerung in der Mehrheit, von der ursprünglich etwa acht Millionen zählenden deutschen Bevölkerung waren nach Evakuierung, Flucht, Vertreibung, Ausreise und Abschiebung noch gut zwei Millionen allein in den neuen Gebieten. Der zahlenmäßige Stand derer, die nach den Vereinbarungen vom 20. November noch auszusiedeln waren, entsprach damit weitgehend den Zahlen, von denen der alliierte Umsiedlungsplan ausging. Erste Ergebnisse lagen erst im März vor; die oben wiedergegebene Tabelle 7a, so ist zu vermuten, enthält diese ersten Zahlen. Das Endergebnis kam im Oktober 83 , was den Aussagewert der so erhaltenen Zahlen angesichts der im Sommer 1946 aufgenommenen Massenaussiedlung fraglich machen mußte. Einige Planer, so etwa Rajmund Bulawski, hielten die Ergebnisse der Zählung sogar für völlig wertlos: Die Zahlen unterschieden sich nicht von denen, die aus den Melderegistern hervorgingen. Von diesen aber wisse man, daß sie fehlerhaft seien, da Viele in den Städten zwei bis drei Personen zusätzlich anmeldeten, um höhere Lebensmittelzuteilungen zu bekommen. Dagegen habe die deutsche Zählung von 1943

81

Diskussionsbeitrag Rajmund Bulawskis auf der V. Konferenz des Wissenschaftlichen Rates. AAN MZO 1709, Bl. 143 ff. " Ogólnailoścniemcówdo wysiedlenia z terenu ziem odzyskanych, o.D. (Anfang 1946). AAN MZO 524, Bl. 7. 83 Diesem Problem stellte sich auch ein Referat Kazimierz Romaniuks, Program skröconego spisu ludnosci 1947/48 a potrzeby zaludnienia i zagospodarowania ziem odzyskanych für den Wissenschaftlichen Rat. AAN MZO 1709, Bl. 115-124. 387

auf dem Lande eine Panik unter den Polen hervorgerufen, die massenhaft geflohen seien, um sich der Registrierung zu entziehen, da die Registrierung Deportation zu Zwangsarbeit bedeutete. Die gleiche Stimmung habe auch bei der aktuellen Zählung vorgeherrscht.84 Hinzu kam, daß Deutsche, die sich versteckt hielten, ebensowenig erfaßt wurden wie Deutsche, die für die Rote Armee arbeiteten.85 Gleichwohl war mit diesen Zahlen zu arbeiten; andere standen nicht zur Verfügung. Tab. 7b: Ergebnisse der summarischen Volkszählung vom 14. Februar 1946'

Trotz der nun festgelegten Modalitäten verzögerte sich der Beginn der „geregelten" Aussiedlung noch mehrfach, da vor allem die britischen Behörden, die die ersten Kontingente abnehmen sollten, den Beginn der Transporte immer wieder absagten. Als Begründung wurde in der Regel angeführt, daß die Situation im besetzten Deutschland eine Aufnahme von Flüchtlingsmassen nicht zulasse.87 Am 23. Januar 1946 berichtete der Bromberger Wojewode Wojciech Wojewoda an das MAP, daß man „unter Berücksichtigung der Postulate der Potsdamer Konferenz über die planmäßige und humanitäre Aussiedlung der Deutschen einzig das System der freiwilligen Ausreise angewandt" habe. Die Ergebnisse seien jedoch unbefriedigend, „in einer ganzen Reihe von Orten fordert die Bevölkerung [...] die Säuberung Polens von dem unerwünschDiskussionsbeitrag BULAWSKIS, wie Kap. I.2.b., Anm. 142. BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 103. Wyniki powszechnego sumarycznego spisu ludnosci z dnia 14.11.1946 roku dla Ziem Odzyskanych, o.U., o.D., streng vertraulich. Nur für den Dienstgebrauch. AAN MZO 1655, Bl. 56. Leicht abweichende Zahlen bei BANASIAK: Przesiedlenie Niemcöw, S. 106. DE ZAYAS: Die Anglo-Amerikaner, S. 112-115, 127. 388

ten Element". Wojewoda bat um Richtlinien gemäß einem allgemeinen Plan. Dieser bestand längst in der Vereinbarung mit den Alliierten und einer als geheim und sehr dringend eingestuften Verordnung des MZO vom 15. Januar 1946, die sich auf den alliierten Umsiedlungsplan bezog. Danach sollten täglich 6000 Menschen in die britische Besatzungszone umgesiedelt werden. Polen war fite den Transport bis zu vereinbarten Sammelpunkten zuständig, ab da übernahmen die britischen Militärbehörden den weiteren Transport. Die Bevollmächtigten leiteten die gesamte Aktion, das PUR sollte die technische Seite übernehmen. Wieder wurde daraufhingewiesen, daß „das Verhältnis zur repatriierten Bevölkerung in der Zeit der Aktion einwandfrei sein sollte und jegliche Eigenmächtigkeit seitens der die Aktion durchführenden Organe sofort und scharf bestraft werden sollte". Um Plünderungen und Diebstählen vorzubeugen, seien polnische Siedler möglichst noch vor Aussiedlung der betreffenden Deutschen auf die „deutschen Objekte" zu bringen. Zusätzlich wurde die Einrichtung von Sammelpunkten angeordnet, in denen Verifizierungskommissionen Anträge von Menschen untersuchen sollten, die ihre polnische Herkunft reklamierten.89 Noch im gleichen Monat erließ das MZO verbindliche Richtlinien zur Aussiedlung, die zum Teil der zitierten Anordnung vom 15. Januar 1946 entsprachen, nun aber die Aussiedlungsprozedur insgesamt regelten. Die Gesamtleitung einschließlich Planung und Finanzierung war dem Ministerium vorbehalten, dem die ausführenden Wojewoden direkt verantwortlich waren. Zur Überwachung sollte ein Hauptdelegat (Glówny Delegat MZO) eingesetzt werden, der dem Leiter des Siedlungsdepartements berichtspflichtig war. Die technische Seite verblieb beim PUR.90 Am 31. Januar 1946 ernannte Wolski Jözef Jaroszek zum Hauptdelegaten des MZO mit Weisungsbefugnis an andere Behörden bezüglich aller Angelegenheiten der Aussiedlung der Deutschen. Mit der Installierung paralleler schriftlicher, telegrafischer und telefonischer Berichte Jaroszeks sollten Mißstände rasch bekannt und ebenso rasch beseitigt werden.91 Die in einer Ministerialkonferenz am 23. Januar 1946 diskutierte Reihenfolge für die Entfernung der Deutschen verband bevölkerungspolitisches und ökonomisches Kalkül, wenn auch anscheinend die Ausbeutung der ethnisch unerwünschten Arbeitskraft nicht im gleichen Maße wie in der deutschen Besatzungsverwaltung den Fortgang der Deportationen selbst bestimmte. Ziel der Konferenz war die „Festlegung der Reihenfolge der Aussiedlung der Deutschen" und die Feststellung der Zahl an Deutschen, die zeitweise unent-

Schreiben Wojciech Wojewoda an MAP DP, 23. Januar 1946, Vertraulich. AAN MAP 761, Bl. 45. Zarzadzenie, 15. Januar 1946, gez. Wasilewski, geheim, sehr dringend, S. 1. AAN MAP 758, Bl. 12 f. Instrukcja dla wladz administracyjnych o repatriacji ludnosci niemieckiej z granic Panstwa Polskiego, o.U., o.D. (vor 30. Januar 1946), S. 1. AAN MZO 73, Bl. 44-47 (im folgenden: strukcja o repatriacji). BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 49. 389

behrlich" seien, sowie eines Zeitplanes der Ersetzung der Fachleute (fachowcy) durch Polen. 9 2 Als erste sollten „nichtarbeitende Deutsche und das lästige Element (z.B. Kriegsflüchtlinge aus anderen Gebieten)" entfernt werden sowie Deutsche, die bei Privatunternehmen beschäftigt waren. Es sollten die folgen, die von bereits an polnische Siedler vergebenen Betrieben stammten, danach nichtqualifizierte Arbeiter in staatlichen und kommunalen Betrieben, schließlich der Rest. Die Aussiedlung Kranker und Alter sollte „nach Möglichkeit" in Sanitätszügen, der Transport von Waisenkindern und Heiminsassen erst im Sommer erfolgen. Die Benachrichtigung über die Deportation sollte 24 Stunden im Voraus erteilt werden, um den Betreffenden die Möglichkeit zum Packen und zur Vorbereitung von Lebensmitteln für 14 Tage zu geben. An Gepäck sollte insgesamt nur soviel gestattet sein, wie die Betreffenden selbst tragen konnten. Die örtliche deutsche Bevölkerung habe Eisenöfchen zur Beheizung der Waggons abzugeben.93 Der Transport von den Wohnorten zu den Sammellagern wurde von der Bürgermiliz durchgeführt, eventueller Widerstand war, sofern nötig, unter Hinzuziehung der Armee zu brechen. Daß tatsächlich eine geregelte und vergleichsweise humane Durchführung geplant war, geht aus näheren Durchführungsbestimmungen Piaskowskis für Niederschlesien hervor: Die Bezirksbevollmächtigten sollten die örtlichen Propagandaämter hinzuziehen, welche Informationsmaterial und Fotos zusammenzustellen hatten, „die das humanitäre Verhalten der polnischen Behörden zur repatriierten deutschen Bevölkerung illustrieren".95 Tatsächlich sah die Realität oft genug anders aus. Nach dem bereits mehrfach zitierten Bericht Phicihskis war die Haltung der polnischen Bevölkerung gegenüber Deutschen und solchen, die man für Deutsche hielt, bisweilen so feindlich und aggressiv, daß selbst ehemalige „Volksdeutsche", die sich um Rehabilitierung bemühten, vor Abschluß des Verfahrens flohen und „sehr häufig illegal die Grenzen des Staates überschreiten". Phicinski meldete, daß die eigentliche Aussiedlung „humanitär durchgeführt wurde". 96 Hinzu kamen im ersten Halbjahr 1946 Flucht, individuelle Ausreise und Aussiedlungen, die nicht mit den Alliierten abgestimmt waren. Laut Banasiak trafen in der Zeit vom 1. Januar bis zum 15. Juli 1946 mehr als 298.000 Menschen außerhalb der regulären Transporte in der sowjetischen Besatzungszone ein.

Protokóù konferencji miqdzyministerialnej na dzien 23 146, 23. Januar 1946, Unterschrift unleserlich, S. 1. AAN MZO 568, Bl. 2-11. Instrukcja o repatriacji, S. 2 f. Letztere Vorschrift hob der Bevollmächtigte für Niederschlesien Piaskowski für sein Gebiet auf, da die Eisenbahndirektion dies übernommen habe. Schreiben Piaskowski an die Bezirksbevollmächtigten, 30. Januar 1946, geheim. AAN MZO 73, Bl. 42 f. Instrukcja o repatriacji, S. 4. Schreiben Piaskowski an Bezirksbevollmächtigte, S. 2. Daß hiermit eine versteckte Aufforderung zur Vorbereitung spezieller Situationen, in denen solche Fotografien entstehen könnten, gemeint ist, darf als unwahrscheinlich gelten: auch Piaskowski wies nochmals „mit Nachdruck" daraufhin, daß Gewalttaten gegenüber den Aussiedlern streng bestraft würden. Schreiben Phicinski an MAP DP, 1. März 1946, vertraulich, S. 2. AAN MAP 761, Bl. 65 f. BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 144. 390

Die mit den Alliierten abgestimmte Aussiedlung begann Ende Januar 1946 zunächst in die britische, ab Juli 1946 in die sowjetische Zone und lief mit Unterbrechungen durch den Winter und aufgrund von Problemen mit der Bereitstellung von Transportmitteln bis Ende 1949. Die Koordinierung der polnischen und alliierten Behörden oblag der Polnischen Militärmission (Polska Misja Wojskowa, PMW) 9 8 in Berlin, deren Leiter der bereits als Bevollmächtigter für Masuren erwähnte Prawin wurde. Am 23. Februar meldete der Bevollmächtigte in Stettin, Leonard Borkowicz, daß der erste Transport seit dem 20. Februar bereitstehe, aber nicht abgehen könne, da wegen eines Versäumnisses der PMW in Berlin die sowjetischen Militärbehörden den bereitgestellten Zug zurückhielten. Die britische Delegation befinde sich vor Ort und „drückte volle Zufriedenheit mit dem bisherigen Ablauf der Aktion aus". Kurz darauf setzten die Westalliierten durch, daß die Mitnahme von Bargeld Beschränkungen unterworfen werden sollte. Bis zum 1. Februar sei man, meldete Prawin, davon ausgegangen, daß die Ausfuhr von Reichsmark unbeschränkt möglich sei. Nun fürchteten aber die Alliierten eine Inflation und bäten um eine Beschränkung. Prawin habe 1000 RM vorgeschlagen, die amerikanischen Besatzungsbehörden verlangten jedoch einen Höchstsatz von 200 RM. 1 0 0 Bald nach dem Beginn der Transporte stellte sich heraus, daß man die Rechnung ohne die Betroffenen gemacht hatte. Neben solchen „Unerwünschten", die sich von sich aus um Ausreise bemühten, gab es auch zahlreiche Familien, die zur Deportation vorgesehen waren, sich dieser aber nach Möglichkeit entzogen. Die Notwendigkeit der Regulierung, des zentralen Zugriffs auf die Aussiedlung führte gleichzeitig dazu, daß nach der Abstimmung eines Umsiedlungsplanes weitere Fluchtbewegungen aus dem Lande heraus als störend gelten mußten. Ein Runderlaß vom 16. Mai 1946 band jegliche Ortswechsel von Deutschen an Sondergenehmigungen, die nur ausgestellt werden durften, „soweit keine Befürchtung besteht, daß der Antragsteller die Absicht hat, sich zu verbergen". Auch im Falle der Genehmigung seien die Vorschriften über die Kontrolle der Bevölkerungsevidenz und -bewegungen zu beachten. Personen, die ohne Genehmigung außerhalb des Meldeortes aufgegriffen würden, seien festzusetzen und an den Wohnort zu überstellen. 101 Die Zentralisie-

Die Polnischen Militärmissionen, von denen es verschiedene mit genau umgrenzten Aufgabenbereichen gab, bestanden in der ersten Zeit parallel zu den Verbindungsoffizieren, die von der Londoner Exilregierung legitimiert waren. Sie wurden in den verschiedenen Besatzungszonen zu unterschiedlichen Zeiten akkreditiert, so in der Britischen Zone am 15. Dezember 1945. Für die Amerikanische Zone bestimmte Verteidigungsminister Michal Rola-Zymierski am 15. November 1946, daß die Befugnisse der Verbindungsoffiziere von den PMW übernommen werden sollten. Die hier gemeinte PMW beim Alliierten Kontrollrat in Berlin bestand von Dezember 1945 bis zur Auflösung des Rates am 20. März 1948. GONDEK: Polskie Misje Wojskowe, S. 2629. Leider behandelt Gondek die Tätigkeit der PMW im Rahmen der Aussiedlung der Deutschen nicht. Siehe auch EUGENIUSZ STAnczYKiEWicz: Przedmowa, ebenda, S. 5-22, hier S. 11 f. Schreiben Borkowicz an Gomulka, 23. Februar 1946. AAN MZO 73, Bl. 21. Schreiben Prawin an Gomulka, 1. Februar 1946. AAN MZO 73, Bl. 17 ff. Okólnik Nr. 4, 16. Mai 1946, gez. Gomuùka, vertraulich. AAN MZO 73, Bl. 75 f. 391

rang aller zwangsweisen und freiwilligen Migrationsbewegungen führte schließlich im Juni 1947 dahin, daß individuelle Ausreiseanträge überhaupt nicht mehr genehmigt wurden. Antragsteller sollten auf die kollektive Aussiedlung verwiesen werden. Obwohl eine gewisse alliierte Kontrolle stattfand - zwar wurden Kommissionen des Internationalen Roten Kreuzes in Polen in der ersten Zeit nicht zugelassen, es gab aber pol103 nisch-britische Ärztekommissionen an den Sammelpunkten - kam es zu einer ganzen 104 Reihe von Zwischenfällen und Unregelmäßigkeiten, ja Grausamkeiten , die allerdings nicht immer der Böswilligkeit polnischer Behörden, sondern zu einem gehörigen Teil ihrer Überforderung angesichts der katastrophalen, chaotischen Situation anzurechnen sind. Daß es auch zahlreiche Fälle von Machtmißbrauch und Gewalttätigkeit gegeben hat, davon zeugt nicht zuletzt das Ostinato der nachdrücklichen Bekräftigungen, Machtmißbrauch, Plünderung und Gewalt würden streng bestraft. Folgt man dem vertraulichen Bericht Phicinskis, so hatten sich jedoch die Bedingungen, unter denen die Entfernung der Deutschen stattfand, gerade in der Wojewodschaft Posen, deren Wojewode, wie oben beschrieben wurde, sich durch offen rassistische Tendenzen ausgezeichnet hatte, inzwischen durchaus geändert: „Die Aussiedlungsaktion wurde auf humanitäre Weise durchgeführt. Den Transporten mit Ausgesiedelten wurde Sanitätspersonal mitgegeben, das mit Medikamenten versorgt wurde. Die Ausreisenden wurden mit Lebensmitteln versorgt." 105 Selbst wenn auf dem Hintergrund der oben erwähnten Vorstöße der WRN gewisse Zweifel, daran angebracht sind, daß die Aussiedlung der Deutschen immer und überall auf „humanitäre Weise" durchgeführt wurde, zeigt der Bericht Pùucinskis, daß es offensichtlich wenigstens den Warschauer Zentralbehörden mit der geregelten, Härten möglichst vermeidenden und möglichst wenig an deutsche Vorbilder erinnernden Aussiedlungspraxis ernst war. Es darf bemerkt werden, daß die Aussiedlung in einigen Wojewodschaften gemäß den Forderungen der Alliierten über den Winter unterbrochen wurde 1 0 6 ; später wurde diese Praxis allgemein üblich. Derlei Rücksichten hatten, wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, die deutschen Umsiedlungsstrategen gerade nicht genommen. Die polnischen Bevölkerungsneuordner waren, was die Reduzierung unerwünschter Bevölkerungssegmente anging, wesentlich erfolgreicher als ihre deutschen Vorgänger. Das lag sicherlich nicht zuletzt daran, daß mit der sowjetischen Besatzungszone bereits in den ersten Monaten ein aufnahmefähiges Abschiebeterritorium zur Verfügung stand. Zwar war das ehemalige Deutsche Reich bald darauf vollständig besetzt und in unterschiedliche Zo-

102 103 104

MAP DP an UW Warschau, 26. Juni 1947, geheim. AAN MAP 761, Bl. 140. Gewisse Ausnahmen in dringenden Fällen sollten jedoch zulässig sein. Siehe weiter unten. Vgl. DE ZAYAS: Die Anglo-Amerikaner, S. 137 f. Ebenda, S. 136-139, enthält eine Reihe von Fallbeispielen; ebenso Vertreibung Bd. 1,1 und 2.

105

Schreiben Phicinski an MAP DP, S. 2.

106

Ebenda. Vgl. DE ZAYAS: Die Anglo-Amerikaner, S. 123.

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nen aufgeteilt, es bestand aber zu keinem Zeitpunkt ein Zweifel daran, daß diese vier Zonen von deutscher Bevölkerung besiedelt waren und bleiben würden. In den Wiedergewonnenen Gebieten jedoch mußte die bereits im Februar 1945 einsetzende Vertreibung, Flucht und Aussiedlung zu einem spürbaren Mangel an Arbeitskräften führen, zumal solange diese Gebiete nicht polnisch besiedelt waren. Hierin wird der Grund dafür zu suchen sein, daß sowohl sowjetische als auch polnische Behörden rasch dazu übergingen, das in der verbliebenen deutschen Bevölkerung liegende Potential für die eigenen Zwecke zu nutzen. Die Ausnutzung der Arbeitskraft der im Prinzip ja unerwünschten Bevölkerungssegmente bis zu ihrer Aussiedlung erfolgte im wesentlichen auf drei Arten: zum einen als Zwangsarbeit in dafür eingerichteten bzw. von den deutschen Besatzern übernommenen Lagern, zum anderen in individuellen Arbeitsverträgen und schließlich in Form der fachowcy. Es wurde bereits erwähnt, daß zuerst die Rote Armee Deutsche in Zwangsarbeitslagern zusammenfaßte und zum Betrieb beschlagnahmter Betriebe und Gutshöfe einsetzte.107 Ebenso verfuhren, parallel zur Phase der „wilden" Vertreibungen, polnische Stellen und Einzelpersonen. Wenn auch eine systematische Analyse des Systems der Zwangsarbeitslager hier nicht erfolgen soll, da eine solche auf der Grundlage der für diese Arbeit herangezogenen Quellen aus bereits erwähnten Gründen nicht möglich ist und im übrigen über den Rahmen der hier gewählten Problemstellung hinausginge, sind einige Bemerkungen unverzichtbar. Auch im Bereich der Zwangsarbeit scheint Aleksander Zawadzki eine Pionierrolle gespielt zu haben. In einer zweiten Rede, die er ebenfalls am 8. Juni 1945 vor der WRN hielt, erklärte er: „Alle menschlichen und mechanischen Kräfte hier und in den Kreisen, alle Möglichkeiten, über die die industrialisierten Teile und Kreise unserer Wojewodschaft verfügen, müssen wir für die Ernteaktion nutzen. Danach müssen wir für diese Arbeit die Deutschen benutzen, sowohl die, die sich in den Lagern aufhalten, als auch die, die sich noch hier und dort herumtreiben - und schließlich unsere Landsleute, die aus Deutschland zurückkehren. Ich habe eine neue Verordnung herausgegeben, die die Starosten unserer Kreise berechtigt, die Leute festzuhalten, /ausdrücklich für die Zeit der Ernteaktion/, die heute massenhaft aus Deutschland, von der Zwangsarbeit, zurückkehren, *und sie zur Ernteaktion zu leiten*. Ich habe diese Verordnung mit dem Gedanken erlassen, daß es sicherlich keinen Zwang braucht, der auf eine bedauerliche Weise auf diese Leute wirken könnte, sondern mit der Intention, daß sie selbst, wenn ihnen die Sache entsprechend dargestellt wird, für die paar Wochen hier bleiben werden."108

Zur Systematik der Lager siehe neuerdings auch NOWAK: Cien Lambinowic, S. 58-61. Rede Zawadzkis, 8. Juni 1945, handschriftlich überarbeitetes Protokoll, S. 1. AAN ALP 423/X3, Bl. 167-175. Die Sternchen *...* bezeichnen handschriftliche Einfügungen, die Schägstriche /.../ Streichungen. 393

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Knapp drei Wochen später ordnete Zawadzki die Internierung aller arbeitsfähigen deutschen Männer in Zwangsarbeitslagern an. 1 0 9 Es ist leicht ersichtlich, wie und warum die Anwendung von Zwangsarbeit in breitem Ausmaß für nötig gehalten wurde. Evakuierung, Flucht und Vertreibungen hatten dazu geführt, daß zu wenig Arbeitskräfte für die Einbringung der Ernte zur Verfügung standen. Die Internierungen und Deportationen durch die Rote Armee werden das ihre dazu beigetragen haben, daß Zawadzki im Juni 1945 sogar erwog, mindestens Druck auf die aus dem Reich heimkehrenden polnischen Zwangsarbeiter auszuüben, deren vomehmlichstes Interesse trotz aller nationalen Rhetorik sicherlich in der Rückkehr nach Hause und der Suche nach ihren Familienangehörigen bestanden haben wird. Das Prinzip Zwangsarbeit dehnte sich offensichtlich rasch auf alle Wojewodschaften aus. Am 17. September 1945 erläuterte Andrzej Grabowski dem Wojewodschaftsamt Warschau: „Das DP des MAP erklärt, daß grundsätzlich die Ausnutzung deutscher Arbeitskraft für Feldarbeit vernünftig und zielgerecht ist, jedoch mit der Einschränkung, daß die individuelle Zuteilung deutscher Arbeiter an einzelne Betriebswirte unzulässig ist. Diese Arbeiter sollten in Gruppen unter der Leitung spezieller Überwacher arbeiten, deren Aufgabe wäre, über den Ablauf der Arbeit zu wachen, über die Verproviantierung und die angemessene Behandlung der Arbeiter, und keinerlei Abweichungen, die sich nicht mit der Würde eines kultivierten Volkes vertragen, zuzulassen." 110 Diese Anweisungen blieben, soweit es die Arbeitslager betraf, fromme Wünsche. Bekannt sind die Verhältnisse im Lager Lamsdorf (Ùambinowice), wo durch Hunger, Krankheiten, Erschießungen und Folter fast 6.500 Menschen umgekommen sein sollen. 111 Ähnlich katastrophale Verhältnisse bestanden im Arbeitslager Zimne Wody in der Nähe von Bromberg (Bydgoszcz). In den Akten des MZO findet sich ein in diesem Zusammenhang wichtiger Schriftwechsel. Laut Bericht des Wojewodschaftsamtes in Bromberg hatte das MBP am 27. März 1945 eine Liste von im Lager gestorbenen Personen übermittelt mit der Bitte, diese beim ursprünglich zuständigen Standesamt nachträglich zu registrieren. Das Woje112 wodschaftsamt genehmigte dieses Verfahren , aber das Standesamt weigerte sich:

Siehe oben, S. 376. Schreiben Grabowski an UW Warschau, 17. September 1945. AAN MAP 764, Bl. 1. NOWAK: Cien Lambinowic, S. 12, 19, 145 ff., zweifelt diese Zahl mit teilweise guten Gründen als überhöht an. Eine detaillierte Diskussion seiner Argumente im Rahmen der vorliegenden Studie erscheint wenig sinnvoll. Zur älteren polnischen Position und zur Vorgeschichte des Lagers im besetzten Polen siehe PILICHOWSKI: Kaznia hitlerowska Lamsdorf, und: Hitlerowskie obozyjenieckie. UW Pomorski,13. Dezember 1945, gez. Golebiowski als Leiter der Allgemeinen Abteilung, geheim. AAN MAP 764, Bl. 86. Das Schreiben wurde anscheinend erst im MAP handschriftlich klassifiziert. 394

„Nach intensiven Überlegungen ist das Standesamt zu der Überzeugung gelangt, daß die Einschreibung einer so großen Anzahl von Menschen, die in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen im hiesigen Arbeitslager Zimne Wody umgekommen sind, mit Angabe der Gründe des Ablebens usw. in die Register ein ungünstiges Licht auf die Entwicklung der Verhältnisse werfen könnte, die in polnischen Lagern nach der Befreiung vom Joch der Okkupation herrschten." 113 Die Begründung beschwor einerseits die Furcht vor späteren Untersuchungen durch internationale Kommissionen, andererseits das Vorbild der deutschen Besatzer. Aus „Prestigegründen" sei es untunlich, den Tod von Deutschen zu registrieren, die „hier in den polnischen Gebieten kein Existenzrecht" besäßen, die dem polnischen Volk so viel Leid angetan und nach ihrem Morden die Spuren so weit verwischt hätten, daß „heute Tausende Familien ermordeter Polen nicht wissen, wo sich diese Opfer befinden". Man solle sich auf den Standpunkt stellen, daß die Deutschen auch auf der Flucht hätten sterben können. 1 1 4 Die erhaltenen Todesanzeigen, auf die sich der Schriftwechsel bezog, betrafen größtenteils ältere Menschen von mehr als 60 Jahren, die eines natürlichen Todes gestorben seien. 1 1 5 Ohne das Leiden der Menschen, die in diesen Lagern lebten und zum Teil starben, herabwürdigen zu wollen, ist eines festzuhalten. So schrecklich die Verhältnisse in der Zeit der frühen Vertreibungen und in den Zwangsarbeitslagern waren, ein Vergleich der polnischen Arbeitslager mit den Vernichtungslagern Kulmhof, Belzec, Sobibör und Treblinka oder selbst den kombinierten Vernichtungs- und Arbeitslagern Auschwitz und Majdanek, wie er etwa im Untertitel der posthumen Ausgaben des Berichtes Heinz Essers gezogen wird 1 1 6 , diskreditiert eher den Autor als die polnischen und jüdischen Täter. Zum einen ist davon auszugehen, daß das Gesundheitswesen in der ersten Hälfte des Jahres 1945 zusammengebrochen war und Seuchen und Epidemien nicht nur deutsche Zwangsarbeiter und sonstige Internierte betrafen. 117 Zum anderen ist der Charakter der Morde an deutschen Internierten zu berücksichtigen. Es handelte sich um Taten einzelner Kommandanten und Wachleute, die zu einem Teil ihrerseits in deutschen Konzentrationslagern gesessen hatten und nun die Gelegenheit nutzten, sich an Menschen zu rächen, die sie mit den deutschen Verbrechen Schreiben Standesamt an Wojewodschaftsamt Pommern, gez. Krenc, 4. Dezember 1945, streng vertraulich. AAN MAP 764, Bl. 87r/v. Schreiben Standesamt an Wojewodschaftsamt, S. 1. AAN MAP 764, Bl. 112-174. ESSER: Hölle von Lamsdorf. Lt. NOWAK: Cien Ùambinowic, S. 11 f., stammt dieser Titel nicht von Esser, der die erste Ausgabe seiner Broschüre im Jahre 1949 „Die ostdeutsche Tragödie Die Hölle von Lamsdorf' betitelt habe. Leider konnte eine entsprechende Ausgabe bislang nicht nachgewiesen werden. In den Akten des MZO befindet sich eine Statistik epidemischer Krankheiten in den Wiedergewonnenen Gebieten für März 1946. Danach erkrankten in dieser Zeit 2072 Menschen an Bauchtyphus, wovon 138 starben. Es gab 604 Fälle von Tuberkulose, davon 116 mit tödlichem Ausgang. Weiter wurden Fleckfieber, Ruhr, Scharlach, Diphterie (493 Fälle, 23 Tote) und eine Reihe weiterer Infektionskrankheiten erfaßt. AAN MZO 67a, Bl. 26. 395

identifizierten.118 Solomon Morel, der Kommandant des berüchtigten Lagers in Swietochlowice, war zwar selbst der Ghettoisierung entgangen, hatte aber seine Familie durch Aktionen der Deutschen und der NSZ verloren. 119 Was das Lager Lamsdorf angeht, hat Nowak darauf hingewiesen, daß der Kommandant Czesùaw Gęborski zum Zeitpunkt seiner Einsetzung gerade einmal 20 Jahre alt war; wie viele andere hatte er deutsche Gründlichkeit in einem Arbeitslager in Schlesien erlebt. Auf die Praxis in den Wiedergewonnenen Gebieten, entlassene polnische Zwangsarbeiter zur Bildung der Bürgermilizen zu verwenden, wurde bereits hingewiesen. Freilich muß bemerkt werden, daß für die zuständigen Behörden von vornherein klar gewesen sein muß, welche Folgen die Ernennung junger ehemaliger Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge für die Internierten haben mußte. Hinzu kam, 121 daß in aller Regel befreite deutsche Lager weiterbenutzt wurden. Schließlich ist zu be118

Diesen Aspekt betonen auch HIRSCH: Die Rache der Opfer, passim, und MADAJCZYK: Przylaczenie Slaska Opolskiego, S. 239, ohne diese Einsicht aber analytisch auszuwerten. Hilfreicher für die weitere Diskussion sind die Erkenntnisse bei NIENDORF: Minderheiten an der Grenze, S. 351-392, insbes. S. 374 ff., über den Zulauf zum „Volksdeutschen Selbstschutz" im Herbst 1939 und die Gewaltbereitschaft seiner Angehörigen. Niendorf führt überzeugend aus, daß die Bereitschaft zur Gewalt und zum Töten nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, daß relativ jungen Menschen, die charakterlich nicht sonderlich gefestigt waren, Macht über Leben und Tod von Menschen gegeben wurde, die einer anderen sozialen Schicht - in diesem Fall einer höheren - angehörten. Ebenso betont POHL: Nationalsozialistische Judenverfolgung, S. 406, die Bedeutung der Charakterstruktur für das Verhalten der Täter. Entsprechende Untersuchungen für die Mannschaften und Kommandanten der polnischen Lager fehlen bislang noch.

119

HIRSCH: Die Rache des Kommandanten, S. 21.

120

NOWAK: Cien Lambinowic, S. 66. Das Bedürfnis, die nun unterworfene deutsche Bevölkerung mit dem zu konfrontieren, was in ihrem Namen und ohne Widerstand von ihrer Seite angerichtet worden war, und sich gegenüber den ehemaligen Herrenmenschen auch in Kleinigkeiten als Angehöriger des Volkes auszuweisen, das letztendlich doch obsiegt hatte, kommt auch in der Wahl des Platzes für das Arbeitslager zum Ausdruck: Geborski bestimmte selbst denjenigen Teil des vormaligen Kriegsgefangenenlagers, in dem die Gefangenen aus dem Warschauer Aufstand interniert worden waren, als Zwangsarbeitslager für die deutschen Internierten. Ebenda, S. 68. In ähnlichem Zusammenhang ist m.E. die Weiterverwendung des KZ Auschwitz in den ersten Monaten nach dem Krieg zu begreifen, wie auch die Hinrichtung des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß auf dem Lagergelände. Siehe weiter unten. 121

Im Herbst 1945 kam es in diesem Zusammenhang zu einer Intervention des polnischen Außenministeriums wegen der Zustände im Lager Auschwitz: „Lange Monate hindurch hielten die dortigen sowjetischen Behörden auf dem Gelände des Lagers deutsche Gefangene fest. Einige Baracken wurden auseinandergenommen und zum Heizen verwendet. Auf diese Weise wurde eine Menge Aufschriften in allen europäischen Sprachen vernichtet, die die Martyriologie der Opfer von Auschwitz illustrieren, sowie ein Teil der geretteten Krematoriumseinrichtungen. Nach der Entfernung der deutschen Gefangenen vom Gelände des Lagers wurden die Verhältnisse nicht besser. Auf dem Gelände von Auschwitz verbleibt weiterhin eine russische Armeeeinheit in der Stärke von 300-400 Leuten. Polnische Gerichtsbehörden, Vertreter der Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter werden entweder überhaupt nicht auf das Lagergelände gelassen, oder es werden ihnen jegliche Schwierigkeiten bereitet. Das Gelände des Lagers, das ein Tempel der Verehrung der Opfer des Hitlerismus werden sollte, wurde ein Gelände für die 396

rücksichtigen, daß die Vernichtung der Juden wie die der Asozialen und psychisch Kranken in den Jahren 1939-1944 auf die systematische Ermordung ganzer Bevölkerungssegmente zielte. Auch nur ansatzweise ähnliche Überlegungen sind in den polnischen Akten nicht zu finden - mit einer einzigen Ausnahme, die bereits zitiert wurde 1 2 2 , und die ebenfalls keinen Hinweis darauf enthält, daß eine systematische Ausrottung aller Deutschen zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich vorgesehen gewesen wäre. Erst am 10. Mai 1946 erließ das MZO allgemein verbindliche geheime Richtlinien über die Behandlung deutscher Arbeitskräfte in den Wiedergewonnenen Gebieten. Danach sollte die Arbeitszeit 60 Stunden wöchentlich und - täglich! - „höchstens 14 Stunden in der Landwirtschaft", zwölf Stunden in der Industrie betragen, wobei Pausen und Wartezeiten nicht mitgerechnet werden durften. Der Lohn sollte die gleiche Höhe wie der für polnische Arbeitskräfte betragen, allerdings waren „25% des Einkommens für Zwecke des Wiederaufbaus des Landes und der sozialen Fürsorge" abzuführen. Gleichzeitig waren die Deutschen vom System der polnischen Sozialversicherung, vom Wahlrecht in den Betrieben und von der Übernahme leitender oder verantwortlicher Stellungen ausgeschlossen.123 Sie waren aber, wie aus der Zweckbestimmung der Abzüge hervorgeht, im Gegensatz zu den polnischen und jüdischen Zwangsarbeitern im deutsch besetzten Polen, nicht jeglicher Sozialleistungen beraubt. So sah die „Instruktion" vor, daß bei einer Erwerbsunfähigkeit ab 50% „eine Unterstützung in Höhe von 75% der Mindestrente für Versicherte polnischer Nationalität" bis zum Zeitpunkt der Aussiedlung gezahlt werden sollte. 1 2 4 Anders wurde mit denen verfahren, denen die polnische Staatsangehörigkeit wegen ihres Verhaltens unter der deutschen Besatzung aberkannt worden war. Wie aus einem Brief des Wojewodschaftsamtes in Kattowitz vom November 1949 hervorgeht, galt dann ein genereller Lohnabzug von 50%. 1 2 5 In der Landwirtschaft wurden Zwangsarbeiter vor allem auf den staatlichen Gütern, den PGR eingesetzt, einige aber auch polnischen Siedlern als Knechte und Mägde zugeteilt. 126

Tätigkeit verbrecherischer Elemente. Extra zu diesem Zweck organisierte Gruppen der örtlichen Bevölkerung dringen in das Gelände des Lagers ein, öffnen die Gräber der Ermordeten, zerwühlen die menschlichen Überreste und zerschlagen auf der Suche nach Kostbarkeiten die Schädel, reißen goldene Zähne heraus usw." Note des Außenministeriums an den sowjetischen Botschafter, 20. Oktober 1945, o.U., geheim. AMSZ 6/453/30, Bl. 147 f. 122

Vgl. Kap. I.2.D., S. 67.

123

124 125

Instrukcja, o.U., o.D., geheim. Die „Instruktion" wurde am 10. Mai 1946 durch das Siedlungsdepartement an die zuständigen Stellen verschickt. AAN MZO 659, Bl. 20 ff. Instrukcja, S. 2. UW Sląsk-Dąbrowski an MAP, 5. November 1949, Unterschrift unleserlich. AAN MAP 764, Bl. 58. Das Wojewodschaftsamt bat um die Aufhebung des Lohnabzuges in einem Sonderfall, da der Betreffende, ein Rudolf Gotwort, sonst seine Familie nicht ernähren könne. Dies geht aus einem Schreiben der Repatriantin Helena Sudnik an das MAP vom 28. Mai 1948 hervor, in dem zu lesen steht, daß ein „Volksdeutscher" namens Kurt Nowak ihr am 1. August 1946 zugeteilt worden sei. Am 19. Oktober 1948 sei er zur Aussiedlung abgeholt worden, es sei 397

Anders lagen die Verhältnisse bei den „fachowcy". Hierbei handelte es sich um hochqualifizierte Arbeiter, die benötigt wurden, um die Kontinuität der industriellen Produktion sicherzustellen. Nach einer Anordnung vom 26. Januar 1946 richtete das MZO Bescheinigungen, sogenannte „Reklamationen" in drei Stufen ein, die privilegierte Behandlung und Schutz vor Aussiedlung sicherten. Die Anordnung sah weiße Bescheinigungen für deutsche Facharbeiter in Industrie und kommunalen Betrieben vor, die aus Mangel an qualifizierten polnischen Arbeitern am Ort unersetzbar waren. Hier waren die beschäftigenden Institutionen angehalten, raschestmöglich für Ersatz zu sorgen. Blaue Bescheinigungen erhielten Arbeiter, für deren Ersatz polnische Kräfte im ganzen Land nicht zur Verfügung standen oder die Berufe ausübten, die es im übrigen Polen gar nicht gab. Rote Bescheinigungen galten ausschließlich für „ausgezeichnete Spezialisten, die von der Repatriierung ausge127 schlossen werden". Das MZO behielt sich vor, Reihenfolge und Zeitpunkt der Aussiedlung der Menschen der ersten beiden Kategorien festzulegen. Mitte 1946 wurde ein eigenes Büro eingerichtet, das für die Ausgabe der „Reklamationsbescheinigungen" zuständig war und nur für drei Monate bestehen sollte. Tatsächlich 128 bestand es noch 1949. Wie nötig diese Fachkräfte gerade zur Aufrechterhaltung der industriellen und Bergbaubetriebe in Niederschlesien waren, geht aus den Kriterien hervor, nach denen die Verifizierungskommission in Ghiszyca ihre Entscheidungen fällte. Neben den oben erwähnten ethnisch-psychologischen Kriterien reichte die Charakterisierung als „unentbehrliche Fachkraft" zur Verleihung der polnischen Staatsangehörigkeit aus. 1 2 9 Im Herbst 1947, nach dem offiziellen Abschluß der Aussiedlung, folgte eine Reform des Systems der „Fachleute": Die bisherige Abstufung von Bescheinigungen wurde durch grüne, vom MZO ausgegebene und rosafarbene der Wojewodschaftsämter für Deutsche, die bei der Roten Armee arbeiteten, ersetzt. 130 Ein Runderlaß vom 10. Juni 1948 legte fest, daß eine Aussiedlung dieser Arbeitskräfte nur bei Zustimmung der Betriebsleiter erfolgen durfte. 131 Ein Jahr später teilte das Ministerium für Bergbau und Energie (Ministerstwo Górnictwa i Energii) dem MAP mit, daß Inhaber von grünen Bescheinigungen, die sich also freiwillig zur Arbeit im Bergbau- und Energiesektor verpflichtet hätten, die gleichen Rechte und Leistungen erhielten wie ihre polnischen Kollegen. Neue Bescheinigungen sollten nicht mehr ausgegeben, verlorengegangene nicht ersetzt werden.

aber gar kein Transport abgegangen. Tatsächlich befinde sich Nowak auf einem der staatlichen Güter im Kreis Gnesen. AAN MAP 764, Bl. 27. 127 Runderlaß des MZO DO, gez. Wolski, 26. Januar 1946, geheim. AAN MAP 758, Bl. 2r/v. 128

Organizacja Biura Gùównego Delegata do Spraw Repatriacji Niemców, o.D. (1949), o.U. AAN MZ0 518, unfol.

129

OCIEPKA: Niemcy, S. 53.

130

Ebenda, S. 23; PASIERB: Migracja, S. 122 f.

131

Rundschreiben MZO an die Wojewoden, 10. Juni 1948, gez. Dubiel. AAN MAP 761, Bl. 18.

132

Schreiben Ministerstwo Górnictwa i Energii an MAP, 24. Juni 1949. AAN MAP 764, Bl. 43.

398

Die bevorzugte Behandlung dieser Arbeitskräfte, die zwar Bescheinigungen vom MZO erhielten, ansonsten aber vom MBP überwacht wurden, rief bald Unmut bei manchen ihrer polnischen Kollegen hervor: „Außerordentlich schlechten Eindruck machte in der Gesellschaft der vom MBP herausgegebene Tarif für die Arbeit der Deutschen. Wenn wir schon die Tatsache außer Acht lassen, daß viele hochqualifizierte polnische Arbeitskräfte im Augenblick deutlich weniger verdienen, als der Tarif für Deutsche vorsieht [...], so erhält ein [polnischer] Arbeiter weder Verpflegung noch Kleidung. Unter diesen Bedingungen fühlt sich die polnische Bevölkerung, die in der Okkupationszeit ihr Polentum bewahrt hat, zu Recht falsch behandelt nicht deshalb, weil für die Deutschen zuviel bezahlt würde, sondern aus dem Grunde, daß sie selbst im Vergleich zu den Unterdrückern (ciemiezyciele) zu wenig verdient."133

Zwangsarbeit und Zwangsaussiedlung Frühjahr

1946-1949

Mit der Wiederaufnahme der nun Repatriierung genannten Aussiedlung im Frühjahr 1946 fanden die Deportationen in direkter Koordinierung mit den Alliierten statt. Auf der Basis der Volkszählung vom 14. Februar 1946 verschaffte man sich nun erstmals einen detaillierten Überblick über die Zahl und Verteilung der Deutschen, die von der Umsiedlung erfaßt werden sollten. Die Vereinbarung von Plänen, Absprachen und Modalitäten auf zentraler Ebene bedeutete indes nicht, daß entsprechende Anordnungen der Warschauer Behörden auch in den Aussiedlungsgebieten selbst befolgt worden wären. So hatte beispielsweise die britische Militärverwaltung darauf gedrängt, daß die Verschickung Kranker erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollte.134 Eine entsprechende Vereinbarung wurde am 14. Februar 1946 getroffen, und unter dem 14. April 1946 teilte das Allgemeine Departement des MZO dem Gesundheitsministerium mit, daß eine Aussiedlung von Kranken derzeit nicht in Frage komme. Die Aussiedlung von 200 psychisch Kranken aus schlesischen Anstalten solle dann vorrangig behandelt werden.135 Ein weiteres Schreiben zum gleichen Gegenstand ging am Tag zuvor von Lechowicz als Direktor des Siedlungsdepartements an den Leiter des derkommissariats für die Bekämmpfung der Epidemien. Auch hier wurde betont, daß die Aussiedlung Kranker mit Spezialzügen zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen müsse. Zwar gebe es Fälle, in denen Kranke, „ihren schlechten Gesundheitszustand tarnend", sich an den Sammelpunkten zur Ausreise meldeten, es würden aber alle Deutschen desinfiziert und von

UW Poznan an MAP, gez. Dabrowski, 25. Februar 1947, vertraulich. AAN MAP 764, Bl. 4. Dabrowski übermittelte einen Auszug aus einem Bericht des Starosten in Szubin vom Januar 1947. DE ZAYAS: Die Anglo-Amerikaner, S. 138. Schreiben MZO DO an Ministerstwo Zdrowia, 14. April 1946, geheim. AAN MZO 532, Bl. 1. 399

polnisch-englischen Ärztekommissionen untersucht. Hinzu kam ein Verbot der Aussiedlung von Waisen und verlassenen Kindern. Am 2. März 1946 bat Abteilungsleiterin Niemcowa vom Erziehungsministerium, ein Verbot jeglicher Deportationen aus Kinderheimen zu erlassen, bis die entsprechenden Einrichtungen durch die Kuratorien zur Aus137 siedlung freigegeben würden. Verschiedene regionale und örtliche Behörden hielten sich jedoch nicht an diese Verbote. 138 Nur einen Monat später mußte Wolski dem Danziger Wojewoden telegrafisch die weitere Verschickung psychisch Kranker mit den Aus139 siedlerzügen verbieten. Nicht alle Wojewoden verfuhren in dieser Weise. Der zuständige Abteilungsleiter in Kattowitz etwa hatte in seinem als geheim klassifizierten Bericht über die Zahl von Pflegefällen betont: „Bettlägerige Personen, Krüppel und altersschwache Greise sollten mit Sanitätszügen oder -autos abtransportiert werden, Waisen und Kinder dagegen sollte man der Betreuung durch erfahrene Leute anvertrauen." 140 Daß die mit den Alliierten vereinbarte und von den Zentralbehörden verordnete Rücksichtnahme auf nicht oder nur eingeschränkt transportfähige Menschen einem Kalkül widersprach, das den Verbleib Deutscher in den Grenzen Polens nur übergangsweise und nur so lange gestatten wollte, als eine Ausnutzung der Arbeitskraft dieser Menschen möglich war, fiel auch einigen regionalen Behörden auf. So betonte beispielsweise ein Schreiben des Leiters der Gesundheitsabteilung im Ùódzer Wojewodschaftsamt vom 26. März, daß es im Kreis Sieradz 136 psychisch Kranke gebe, die weder individuell noch mit den Sammeltransporten ausgesiedelt werden könnten und „deren Behandlung die staatlichen Kredite belastet"; darüber hinaus gebe es weitere Kranke und Krüppel, „die man auch nicht an die Arbeitslager überweisen kann". 1 4 1 Am 15. Juni 1946 trafen sich Vertreter des MZO, des Gesundheits-, Bildungs- und Arbeitsministeriums zu einer Konferenz über die Aussiedlung von Kranken, Alten, Krüppeln und Waisen. Die bereits erwähnte Abteilungsleiterin Niemcowa teilte mit, daß „das Bil-

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Schreiben MZO DO an Ministerstwo Zdrowia. Naczelny Nadzyczajny Komisariat do Walki z Epidemiami, 13. April 1946, gez. Lechowicz. Der Hintergrund war wohl die Sorge des Kommissariatsleiters über das Ausbrechen von Epidemien in den Sammelpunkten. AAN MZO 532, Bl. 14.

137

138

139 140

400

Schreiben Ministerstwo Oswiaty an MAP, 2. März 1946, gez. Niemcowa. AAN MAP 760, Bl. 1. Schreiben UW Slask-Dabrowski an MZO DO, gez. Dr. Malodobry, 12. April 1946, geheim. AAN MZO 532, Bl. 11. Telegramm Wolski an den Wojewoden in Danzig, 12. Mai 1946 und Telegramm Sowinski an Wolski, o.D. AAN MZO 532, Bl. 28 f. Schreiben UW Slask-Dabrowski an MZO DO. Ebenso Schreiben Malodobrys an MZO DO vom 7. Mai 1946, geheim, sehr dringend. AAN MZO 532, Bl. 12. Schreiben Dr. med. Stanislaw Brynski an das Gesundheitsministerium, 26. März 1946. AAN MZO 532, Bl. 6.

dungsministerium die Selektion der Kinder" durchführte. So seien bereits in 51 Heimen unter 1161 Kindern 358 „germanisierte Kinder polnischer Herkunft", 23 tschechische und je ein slowakisches und litauisches Kind gefunden worden. 1 4 2 Noch im Februar 1947 schlug der PZZ, der bereits entsprechende Listen erstellt hatte, vor, Kinder aus deutsch143 polnischen Mischehen „abhängig vom Grad ihres Polentums" im Lande zu lassen. Der PZZ zeichnete sich nochmals durch besondere Bemühungen um jungen Bevölkerungszuwachs aus. Am 9. Oktober 1947 kritisierten Stanislaw Pienkowski und Czeslaw Pilichowski, daß in einer Instruktion des MZO als deutsche Kinder die anzusehen seien, „deren Eltern Staatsangehörige des ehem[aligen] Deutschen Reiches deutscher Nationalität waren oder sind". Damit seien auch solche Kinder auszusiedeln, deren Eltern umgekommen seien, und die nun bei polnischen Familien „in rein polnischer Umgebung aufwachsend kein Gefühl der Zugehörigkeit zum deutschen Volk besitzen und die deutsche Sprache nicht beherrschen". Solche Kinder, die zwischen 1939 und 1946 geboren seien, sollten bleiben können, soweit die Pflegeeltern sie behalten wollten und die Kinder sich voll akklimatisiert hätten. Der zuständige Sachbearbeiter notierte handschriftlich am 16. Oktober, der Vorschlag sei richtig. 144 Freilich unterschied sich die Aufnahme deutscher Waisenkinder, soweit sie in dieser Form stattfand, insofern von der deutschen Selektionspraxis in polnischen Waisenhäusern, als eben eine Selektion a priori nicht stattfand. Stattdessen wurden hier ja wenigstens theoretisch Kinder „eingebürgert", die - unter welchen Umständen auch immer - zu polnischen Familien gekommen waren und sich eingelebt hatten. Im Jahre 1948, das genaue Datum ist unklar, sicherlich stammt das Dokument aus der Zeit nach der Auflösung des MZO, beschloß das MAP eine zentrale Regelung der Rechtsstellung und Behandlung der noch in Polen lebenden Deutschen. Die „Operation Swallow" genannte Umsiedlung in die britische und sowjetische Zone war abgeschlossen, aber es lebten noch etwa 130.000 Deutsche in Polen. 1 4 5 Die zentrale Regelung, die nur als Entwurf vorliegt, sollte gleichzeitig das Ende der Sonderverwaltung der Wiedergewonnenen Gebiete einleiten. Die bisherigen Erfahrungen hätten gezeigt, daß „alle mit diesem Problem verbundenen Angelegenheiten grundsätzlich in einheitlicher Weise im Gebiet des ganzen

Notatka z konferencji odbytej dnia 15.VI.b.r. w biurze Gùównego Delegata Ministerstwa Ziem Odzyskanych do Spraw Repatriacji Niemców, o.D., gez. Wactaw Majewski, S. 1. AAN MZO 532, Bl. 37 f. Majewski war der Vertreter Jaroszeks als Hauptdelegat für die Repatriierung der Deutschen. In der gleichen Akte findet sich eine Aufstellung niederschlesischer Kinderheime mit der Anzahl der jeweils „zur Ausreise qualifizierten" Kinder. AAN MZO 532, Bl. 58 ff. 143

Schreiben Pilichowski an MAP, 12. Februar 1947. AAN MAP 760, B1.4. Schreiben Pilichowski/Pienkiewicz an MAP, MZO und Ministerstwo Opieki Spolecznej, 9. Oktober 1947. AAN MAP 760, Bl. 12. Nach ider Tabelle Stan ludnosci niemieckiej na Ziemiach Odzyskanych, o.D. AAN MAP 1161, B1.5.

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Landes erledigt werden sollten", wobei regionale Sonderregelungen in begründeten Fällen möglich blieben.146 Grundsätzlich seien Personen deutscher Nationalität unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit als „sich zeitweilig in Polen aufhaltende Ausländer" zu behandeln. Eine Unterbringung in Lagern und Gefängnissen sei zu vermeiden, möglichst sollten diese Menschen in öffentlichen Betrieben, auf staatlichen Gütern usw. „nach dem Grundsatz der Freiwilligkeit und nach den allgemein geltenden Bedingungen von Arbeitsverträgen" beschäftigt werden. Die Heranziehung zu unbezahlter Arbeit oder die Überstellung an verschiedene Behörden und Organe sei grundsätzlich „unzulässig". Die Versorgung in Krankenhäusern solle nach den gleichen Grundsätzen wie bei anderen Ausländern erfolgen, was bedeutete, daß die Familien der Erkrankten für die Behandlung aufzukommen hätten, sofern sie dazu in der Lage seien. Zahlungsunfähigkeit dürfe jedoch kein Grund sein, eine Behandlung abzulehnen. Das gleiche gelte für Arbeitsunfähige.147 Dieser Runderlaß markierte einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Behandlung der prinzipiell weiterhin unerwünschten Bevölkerungssegmente, deren prospektive Eingliederung mit diesen neuen Regelungen aber vorbereitet wurde. Eheschließungen zwischen deutschen Frauen und Polen sollten nicht erschwert werden, außer wenn die Männer „Leute mit bekannten deutschen Sympathien" oder ehemalige Volksdeutsche seien.148 In gleicher Weise verfügte das Wojewodschaftsamt Lodz das Ende der Zwangsarbeit. Das polnische Rechtssystem kenne das Prinzip der Zwangsarbeit nicht, daher „müssen alle dieser Zwangsarbeit Unterworfenen von ihr befreit werden".149 Die Position der polnischen Regierung gegenüber diesen Menschen normalisierte sich, gleichwohl blieben aber noch mindestens bis Mitte 1949 einige der Arbeitslager bestehen.150 Inwiefern die Forderung des zitierten Erlasses, daß eine Internierung nur nach gerichtlichem Urteil statthaft sei, befolgt wurde, kann hier nicht geklärt 146

Rundschreiben MAP an alle Wojewoden, o.U., (Januar) 1948, S.l. AAN MAP 757, Bl. 34-38. Es handelt sich um einen nicht unterzeichneten Durchschlag; die Unterschrift des Ministers Wolski war vorgesehen. Der Erlaß ist jedenfalls vor dem 23. Januar 1948 verfaßt worden: ein weiter unten zitierter Runderlaß über die Registrierung der Deutschen wird erwähnt, ein Erlaß des Wojewodschaftsamtes Lodz, der sich auf beide stützen muß, stammt vom 23. Januar 1948. Rundschreiben MAP an alle Wojewoden, S. 1 f.

148

Ebenda, S. 2.

149

Runderlaß UW Lodz an die Starosten, 23. Januar 1948, gez. Zenon Krynski. AAN MAP 761, Bl. 24-28. Es ist unklar, ob der Runderlaß Krynskis dem oben zitierten Entwurf vorausging oder auf ihn folgte, was wohl wahrscheinlicher ist. Ein Schreiben des Priesters Dr. Jan Szeruda an Bischof Otto Diskelius vom 6. Juni 1949 zeugt davon, daß noch bis zum Sommer jenes Jahres Arbeitslager bestanden und „demnächst aufgelöst" werden sollten. AAN MAP 758, Bl. 100. Am. 14. Mai 1949 schrieb der evangelische Bischof von Berlin, Dr. Richard Kammel, an den Chef der Politischen Abteilung der PMW Dr. Muller: „Auch sonst haben sich die Verhältnisse im Lager Potulice nicht viel geändert. In besonderem wird der grausame Wasserkeller, auf den ich in meiner Eingabe vom 7. Januar bereits hingewiesen habe, immer noch als Strafmaßnahme angewandt." AAN MAP 758, Bl. 99. Vgl. auch DE ZAYAS: Die Anglo-Amerikaner, S. 141.

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werden. Nach einem Dienstvermerk des MAP DP vom 31. Januar 1949 bestanden zu diesem Zeitpunkt noch Lager in Jaworzno, Gleiwitz, Potulice, Sikawa, Warschau und LesznoGronów mit Nebenlagern; die meisten dieser Lager waren Kriegsgefangenenlager und un151 terlagen damit anderen Prinzipien. Inspektor Kosmala führte an, daß die Internierten mehrheitlich alte und gebrechliche Menschen seien. Deren Internierung entspreche aber gerade nicht dem Zweck der Lager. Hinzu komme, daß „80% der zur Disposition verbleibenden Personen" sich fast völlig frei außerhalb des Lagers aufhielten. Damit hätten diese ihre 152 Existenzberechtigung verloren. Ebenso hatten sich inzwischen die Modalitäten der Ausreise geändert. Seit dem Ende der Aussiedlungen im Herbst 1947 war eine Zuzugsgenehmigung der betreffenden Besatzungsbehörden für die Übersiedlung erforderlich, da die organisierte Aussiedlung offiziell als beendet angesehen wurde. 1 5 3 Es zeigte sich, daß die Zählung vom Februar 1946 gemäß den Erwartungen Buùawskis zu niedrige Zahlen geliefert hatte, zumal neben der deutschen Bevölkerung aus den Wiedergewonnenen Gebieten ja auch diejenigen aus den alten Gebieten ausgesiedelt werden sollten, die als „ehemalige polnische Staatsangehörige deutscher Nationalität" angesehen wurden. Tatsächlich betrug die Zahl der im Rahmen der offiziellen, mit den Alliierten abgestimmten Aussiedlung entfernten Deutschen 2.170.886 Menschen bis Ende 1947. Die Neuregelung des Status quo bedeutete jedoch nicht, daß die Option auf die Entfernung aller Deutschen aus Polen aufgegeben worden wäre. Parallel zur Aufhebung der Zwangsarbeit außerhalb der noch bestehenden Arbeitslager verfügte das Wojewodschaftsamt Lodz die Erfassung aller noch verbliebenen Deutschen und die Ausgabe von Bescheinigungen mit Daumenabdruck. Die so erstellten Karten sollten nach fünf Gruppen sortiert werden: Reichsdeutschen, solchen, die vor dem 1. September 1939 zugezogen waren und „durch ihr Verhalten dauernd ihre deutsche nationale Besonderheit hervorgehoben und bewiesen haben", solchen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten, polnischen Staatsangehörigen, denen die Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, und schließlich den Balten-, Rumänien- und sonstigen Volksdeutschen Umsiedlern aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Erfassung sei auch zu nutzen, um den Charakter der Arbeitsverhältnisse der Betreffenden zu untersuchen und in Fällen des Abweichens von der Norm „ausnahmslos den Abschluß eines anständigen Arbeitsvertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer 154 zu veranlassen". Die Einstufung hatte damit nun keinen funktionalen, sozioökonomi-

Notatka sùuzbowa dla Ob. Ministra w sprawie Komisji Miedzyministerialnej dla spraw b. volksdeutsch'y, znajdujacych sie w obozach pracy, 31. Januar 1949, grz. T. Kosmala. AAN MAP 766, Bl. 212 ff. Danach verhörte die Kommission mehr als 32 000 Internierte. Zu den Kriegsgefangenenlagern vgl. Boss: Die deutschen Kriegsgefangenen. Notatka sùuzbowa, S. 3. BANASIAK: Przesiedlertie Niemców, S. 183; OCIEPKA: Niemcy, S. 23 f.

Runderlaß des UW Lodz vom 23. Januar 1946, S. 3 f. Der Erlaß des Wojewodschaftsamtes bezieht sich auf einen nur in Abschrift ohne Datum aufgefundenen vertraulichen Runderlaß des

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sehen Charakter mehr, sondern einen ausschließlich historischen. Im Grunde handelte es sich um eine Art spezieller Ausländerkartei, die eine rigidere Evidenz und Kontrolle der deutschen Bevölkerung ermöglichte. Im Februar 1948 teilte das Außenministerium dem MZO mit, daß gegen eine individuelle Ausreise Deutscher in die sowjetische Zone, „deren weiterer Aufenthalt in Polen nicht im Interesse der polnischen Wirtschaft notwendig" sei, keine Bedenken bestünden.155 Wenige Monate später folgten letzte Massenumsiedlungen. Hauptdelegat Jaroszek meldete den Wojewoden, daß Absprachen mit der Sowjetischen Militärverwaltung über 27 Transporte mit je bis zu 1500 Menschen getroffen worden seien. Sieben dieser Transporte sollten aus der Wojewodschaft Breslau, weitere sieben aus Stettin abgehen. Auch hier zeigte sich, daß sich der Umgang mit den Unerwünschten durchaus gewandelt hatte: Jaroszek schrieb die Begleitung durch drei Soldaten sowie durch Sanitätspersonal bis zum Zielort vor und betonte, daß der Transport bis zu den Sammelpunkten, für den die Bürgermilizen zuständig waren, „nur am Tag, niemals in der Nacht" stattfinden solle. Die auszusiedelnden Familien seien 24 Stunden im Voraus zu benachrichtigen. Der Transport von Kranken und Schwangeren bis sechs Wochen vor und nach der Entbindung war verboten.156 Ausgenommen waren, wie bereits erwähnt, alle „Fachleute", die grüne oder rosafarbene Reklamationsbescheinigungen besaßen. Diese neue Phase endete am 30. Oktober, es folgte eine neuerliche Erfassung der noch vorhandenen Deutschen, diesmal wieder mit sozioökonomischer Klassifizierung nach Deutschen mit grünen oder rosafarbenen „Reklamationen" sowie nicht arbeitenden. Besonderes Gewicht legte man nun darauf, vor allem im westlichen Grenzgebiet nur noch das „in der Industrie unentbehrliche Minimum" an Facharbeitern zu belassen. Der Anteil der Deutschen an der Bevölkerung der Wiedergewonnenen Gebiete war im Vergleich zum Februar 1946 von 43% auf 1,4% am 1. Januar 1949 gesunken.158 Die weitgehende Aufhebung von Beschränkungen und diskriminierenden Vorschriften stieß bei manchen regionalen Behörden nicht unbedingt auf Gegenliebe. Der Starost W. Kolodziejczyk berichtete im Juli 1949 über die „hochmütige Haltung und Selbstsicherheit", die auf enge Kontakte mit Personen und Stellen im Westen hinweise. Die deutsche Bevölkerung des Kreises sei illoyal, daher sei sie vollständig auszusiedeln. Bis dahin schlug Kolodziejczyk Aufhebung der Freizügigkeit und Wiedereinführung der Zwangsarbeit vor.

MAP, der die Erfassung aller Deutschen anordnete. Da der Erlaß des Wojewodschaftsamtes inhaltlich identisch, aber umfangreicher und genauer in seinen Formulierungen ist und vor allem ein genaues Datum zeigt, wird er hier zitiert. Vgl. Runderlaß MAP an die Wojewoden, 1948, o.U. AAN MAP 761, Bl. 39-39a. Der Erlaß des MAP unterschied nur drei Gruppen. BANASIAK: Przesiedlenie Niemców, S. 183. Schreiben Jaroszeks an die Wojewoden der Wiedergewonnenen Gebiete, 9. Juni 1948, geheim, S. 1 f. AAN MAP 761, Bl. 14-17. Schreiben Unterstaatssekretär Dubiel an das Verteidigungsministerium (Ministerstwo Obrony Narodowej), November 1948, streng geheim. AAN MZO 73, Bl. 152 f. Nach der Tabelle Stan ludnosci niemieckiej na Ziemiach Odzyskanych. 404

Vor allem sollten deutsche Arbeitskräften den sie bevorzugt beschäftigenden reichen Bauern entzogen werden. 1 5 9 Ganz anders beurteilte der Stettiner Wojewode Wlodzimierz Migon das Verhalten der Deutschen in seinem Gebiet. Wer von den deutschen Arbeitern Erfahrungen in der Landwirtschaft habe, arbeite gut und befolge die Vorschriften; Probleme gebe es allemal nur mit denen, die vor 1945 nicht auf dem Feld gearbeitet hätten. Manche Familien, die schon seit 1920 auf den betreffenden Gütern tätig seien, hätten sogar einen Antrag auf Verleihung der polnischen Staatsbürgerschaft gestellt. 160 Die sich immer weiter durchsetzende Normalisierung des Verhältnisses des polnischen Staates zu seiner deutschen Bevölkerung bedeutete auch am Ende des hier untersuchten Zeitraumes nicht, daß Zwischenfälle völlig ausgeblieben wären: Noch im Oktober 1949 zeichneten sich manche regionalen Stellen, und hierbei vor allem die aus ehemaligen Internierten und Zwangsarbeitern bestehenden Milizen und Sicherheitsbüros, durch ein „Vorgehen wie die Gestapo" aus. Aussiedlungen würden mit vorgehaltener Waffe durchgeführt und ohne daß die Vorschriften über rechtzeitige Benachrichtigung der Deportierten befolgt würden. 161 Die letzte der hier Erwähnung findenden Aussiedlungsaktionen, die im Februar 1950 begann, diente bereits hauptsächlich der Familienzusammenführung. Auch bei dieser Aktion war die Ausreise von „in der staatlichen Industrie beschäftigten Spezialisten" an die Zustimmung der Betriebsleiter gebunden. Inzwischen war neben persönlichen Sachen auch die Mitnahme von „unentbehrlichen Gegenständen zur Einrichtung am Ansiedlungsort" wie Stühlen, Bett, Tisch und Schrank gestattet. 162 Auch hier kam es wieder zu Unregelmäßigkeiten. Am 25. April 1950 berichtete das Wojewodschaftsamt Danzig, daß deutsche Internierte über Stettin ausgesiedelt worden seien, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, ihre Sachen mitzunehmen. Im Falle einer Erna Frank, die angab, von einem Milizionär verge-

Starosta Powiatowa Wrzesinski an UW Poznan, 19. Juli 1949, gez. W. Kolodziejczyk, vertraulich. AAN MAP 761, 73-73a. Wojewode Stettin an MAP DP, 16. November 1949, gez. Wlodzimierz Migon, geheim. AAN MAP 761, Bl. 104,105a. Das Schreiben bezog sich auf zwei Beschwerden aus Westdeutschland über schlechte bzw. nicht den Anordnungen entsprechende Behandlung ihrer Angehörigen in Polen. Vgl. Schreiben MSZ an MAP, 22. Oktober 1949, gez. M. Wierna, geheim. AAN MAP 761, Bl. 100, 102 f. Migon schreibt über die Wohnverhältnisse: „Wenn es um die Wohnbedingungen geht, so haben die deutschen Arbeiter schlechtere, weil sie ihren Aufenthalt in Polen als zeitweilig auffassen und keinerlei Möbel haben - außer Bettzeug -, Bündel und Koffer abhängig vom Vermögen stellen ihr bewegliches Eigentum dar. Die Polen hingegen haben sich eingerichtet, fühlen sich als ständige Bewohner, und schon dadurch haben ihre Wohnungen ein anderes Aussehen." Ein entsprechender Briefwechsel über einen Vorfall in Koùo im Oktober 1949 in AAN MAP 761, Bl. 75-97. Am 14. März 1950 meldete das MBP, daß „geeignete Schritte unternommen" worden seien, daß sich Vorfälle dieser Art nicht mehr wiederholen könnten. Runderlaß MAP an die Wojewoden, 4. Februar 1950, gez. Wolski, vertraulich. AAN MAP 758, Bl. 132r/v. 405

waltigt worden zu sein, lag die Vermutung nahe, daß sie „mit dem Ziel, sie vor der gerichtlichen Untersuchung zu entfernen", in den Transport geschafft worden sei. 163 Das Gesetz vom 8. Januar 1951 beendete die Existenz eines Bevölkerungssegmentes zweiter Ordnung, das sich rechtlich vor allem dadurch auszeichnete, daß diese Menschen nicht die Staatsangehörigkeit des Landes besaßen, in dem sie sich befanden. Laut dem Artikel 3 dieses Gesetzes konnte die zuständige Behörde Personen als Staatsangehörige anerkennen, die zwar weder bereits polnische Staatsbürger waren noch als Repatrianten galten oder verifiziert worden waren, wenn sie „mindestens seit dem 9. Mai 1945 in Polen wohnen" und nicht als Ausländer behandelt worden waren. Dies bezog sich in erster Linie auf die „Autochthonen".164 Zwar schloß Artikel 4 Abs. 3 Deutsche, die nicht mit Polen oder Polinnen verheiratet waren, nochmals ausdrücklich aus. Art. 10, der die Verleihung „auf Ansuchen" regelte, bot aber eine Lücke. Auch hier sah die Realität anders aus. Laut den Forschungen Beata Ociepkas interpretierten viele Kreisverwaltungen das neue Gesetz trotz einer Anordnung des Ministerrates vom 6. Juni 1952 als Möglichkeit der Zwangseinbürge-

Zusammenfassende Bemerkungen Die polnische Politik gegenüber der deutschen Bevölkerung unterschied sich, wie gezeigt wurde, trotz vieler struktureller Ähnlichkeiten und Parallelen bis ins Detail in mehrerlei Hinsicht von der deutschen Politik gegenüber den Polen und Juden. Diese Unterschiede lassen sich zunächst einmal auf zwei wesentliche Punkte zurückführen: Erstens wurde die deutsche Bevölkerung nicht als rassisch minderwertig definiert, auch wenn Rekurse auf rassistische Vorurteile bei untergeordneten Behörden vorkamen. Selbst dann aber betonten sie im Heraufbeschwören des „Dranges nach Osten" die „Gefährlichkeit" und „Aggressivität" der Deutschen, nicht aber eine unterstellte „rassische" Minderwertigkeit. Das bedeutet, daß diesen Menschen, so groß der Haß gegen sie aus einsichtigen Gründen gewesen ist, niemals ihre grundsätzliche Qualität als Menschen abgesprochen wurde. Zweitens war von Beginn an klar, daß eine restlose Aussiedlung der Deutschen aus Polen angestrebt werden würde, wohingegen die deutsche Besatzungspolitik von einem längerfristigen Bestand an „fremdvölkischen" Sklavenarbeitern ausging. Das bedeutete, daß eine dauerhafte Reservatsbildung, wie sie etwa in Form des Generalgouvernements versucht worden war, zu keinem Zeitpunkt erwogen wurde. Das bedeutete weiterhin, daß eine abgestufte Staatsangehörigkeit, wie sie zunächst im Warthegau, später im ganzen besetzten Polen sowohl auf „Volksdeutsche" als auch auf Polen angewendet wurde, nicht existierte. Die vorläufige Nichtzugehörigkeit zum Staatsvolk, die die deutsche Bevölkerung bis zu ihrer Aussiedlung UW Gdansk WSP an MAP DP, 25. April 1950, gez. J. Cybulski, geheim. AAN MAP 761, Bl. 2. Gesetz über die polnische Staatsangehörigkeit, 8. Januar 1951. Wiedergegeben in: Vertreibung Bd. 1,3, S. 497-500. OCIEPKA: Niemcy, S. 29, 57 f. 406

zu Untertanen zweiter Kategorie machte, und auch der Schwebezustand der „Autochthonen" bis zu ihrer Verifizierung sind nicht vergleichbar mit der verordneten Staatenlosigkeit, die die polnischen Juden zu absolut rechtlosen Geschöpfen ohne menschliche Attribute definierte, und auch nicht mit der auf Dauer angelegten „Schutzangehörigkeit", die die polnische Bevölkerung zum Arbeitsvolk ohne eigene Dispositionsspielräume degradierte. Das neuerliche Auftauchen deutscher Minderheiten in Westpolen ändert nichts daran, daß mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz vom Januar 1951, wenn auch zum Teil zwangsweise, jegliche Unklarheiten und graduellen Unterschiede beseitigt wurden. Indem alle diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt ihren ständigen Wohnsitz in der Volksrepublik Polen hatten, zu vollberechtigten Staatsbürgern erklärt wurden und der Erwerb der Staatsangehörigkeit anders als in der zuvor gegründeten Bundesrepublik Deutschland vom Herkunftsprinzip abgekoppelt wurde, legte das Gesetz den Grundstein für eine vollständige Eingliederung derer, die sich entschieden hatten oder entscheiden mußten, im Lande zu bleiben, in das Staatsvolk. Zwar hatten auch die Vorschriften der DVL eine vollständige Eingliederung „wiedereindeutschungsfähiger" Polen vorgesehen, aber dies erst nach einem langwierigen, mehrstufigen Bewährungsprozeß. Weitere Unterschiede liegen zum einen darin, daß im Gegensatz zur deutschen (und sowjetischen) Besatzungspolitik in Polen ein Teil des deutsch besiedelten Gebietes unangetastet blieb und die polnischen Gebietsforderungen ab 1943 in ihrem Umfang definiert waren. Dies war in der deutschen Erweiterung nach Osten nicht der Fall. Gerade der Umstand, daß im Kriegsverlauf die Grenze des prospektiven „deutschen Siedlungsraumes" immer weiter nach Osten verschoben wurde, sorgte dafür, daß die Zahl derer, die als unerwünschte Bevölkerungssegmente entfernt werden sollten, immer größer und die Abschiebung dieser Millionen von Menschen territorial wie organisatorisch immer schwieriger wurde. Dagegen waren Ziel und Ausmaß der Abschiebung auf polnischer Seite ebenso klar definiert wie in ihrem Umfang begrenzt. Hinzu kam, daß durch Evakuierung und Flucht vor dem Beginn der Vertreibung und Aussiedlung sich das „Problem" der unerwünschten Bevölkerung in weiten Teilen der Wiedergewonnenen Gebiete deutlich reduziert, wenn auch nicht aufgehoben hatte. Die polnischen Bevölkerungsplaner standen so aus ökonomischen wie außenpolitischen Gründen ähnlich wie die Deutschen vor dem neuen Problem, in möglichst kurzer Zeit eine ausreichende Zahl an Siedlern in die Kolonisierungsgebiete zu bringen. Das Fehlen der rassistischen Prädisposition wie auch des imperialistischen Impetus in der polnischen Bevölkerungsverschiebung bestimmte schließlich den Charakter der Gewaltausübung. Nach der in der polnischen Forschung zur Besatzungspolitik üblichen Terminologie erfolgte Gewaltanwendung gegenüber den Unerwünschten in mehreren, einander ablösenden und überlagernden Formen. Nach Äußerungen Gomulkas und einer Analyse Pospieszalskis unterscheidet etwa Czeslaw Madajczyk zwischen Terror als Präventiv-

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maßnähme, als Vernichtung und als System der Besatzungsverwaltung.166 Der polnische Terror gegen die deutsche Bevölkerung der Wiedergewonnenen Gebiete hatte dagegen andere Funktionen. Zum einen trug er über weite Strecken den Charakter der Rache, in der die, die unter fünfeinhalb Jahren Besatzung gelitten hatten, ihre Wut unspezifisch an jenen abreagierten, die gerade greifbar waren. Er wurde, zumal in der ersten Zeit nach der Besetzung der fraglichen Gebiete, sicherlich dazu genutzt, Fluchtbewegungen zu fördern bzw. hervorzurufen. Er war aber, zumindest ab dem Zeitpunkt der Übernahme durch die polnische Verwaltung, kein dem Herrschaftsystem immanentes, konstitutives Mittel. Vor allem aber diente er, ähnlich dem Terror der ersten Wochen deutscher Besatzung in Polen, der Einschüchterung, nicht aber der physischen Vernichtung der unerwünschten Bevölkerung. Ebenso fehlt es in der polnischen Politik nach dem Kriege an einer so tödlich konsequenten „Ökonomisierung des Menschen", wie sie in der deutschen Politik bereits in den dreißiger Jahren angelegt war und zu Beginn der vierziger Jahre bis ins Letzte realisiert wurde. Das zeigt sich nicht zuletzt am unterschiedlichen Umgang mit den Nichtverwertbaren, vor allem den psychisch und unheilbar Kranken. Hinzu kommt, daß der polnische Terror, selbst wenn er zunächst flächendeckend war, niemals systematisch gewesen ist. Ebenso ist zu beobachten, daß die Anwendung des Prinzips Zwangsarbeit als übergangsweise gedacht und durchgeführt wurde, wohingegen sie auf deutscher Seite im Verlaufe des Krieges zunehmend zum konstitutiven Element der Nationalökonomie wurde. Wenn auch für die Opfer das Ergebnis ähnlich leidvoll gewesen sein mag: die polnische Bevölkerungspolitik gegen die deutsche Bevölkerung in den Wiedergewonnenen Gebieten nahm selbst in der Zeit vor dem Beginn der organisierten Aussiedlung im Frühjahr 1946 niemals die Formen an, die die deutsche Politik gegen die polnische und zumal die jüdische Bevölkerung in den eingegliederten Ostgebieten und im Generalgouvernement hatte: die der Entfernung der Juden und des größten Teils der Slawen aus Europa.

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MADAJCZYK: Polityka III Rzeszy, Bd. 2, S. 235 f. Vgl. auch RYSZKA: Panstwo stanu wyjatkowego.

Zusammenfassung Die vorliegende Studie hat gezeigt, daß territoriale Erweiterung sowohl im Falle der deutschen Besatzungspolitik in Polen als auch im Falle der polnischen Annexion der ehemaligen deutschen Ostgebiete als eine Chance gesehen wurde, sozioökonomische Strukturprobleme durch Umsiedlung zu lösen. Der genaue Umfang der Zugewinne an Kolonisierungsgebieten wurde zwar in beiden Fällen sicherlich nicht - oder wenigstens nicht in erster Linie - von strukturpolitischen Berechnungen bestimmt, die Strukturplanung setzte aber gleichwohl bereits ein, bevor die zu kolonisierenden Gebiete überhaupt verfügbar waren. Hinzu kamen Planungsimpulse, die sich bis dahin nur auf das „alte" Territorium bezogen hatten und dort an einem toten Punkt angekommen waren und die nun, im erweiterten territorialen Rahmen, neue Handlungs- und Planungsspielräume nutzen sollten. Hier wie dort wurde die seit den dreißiger Jahren in Polen wie im Deutschen Reich intensiv erforschte und diskutierte „agrarische Überbevölkerung" zu dem zentralen Planungs- und Handlungsparadigma überhaupt. Gemeint war letztendlich eine sozioökonomische Strukturreform in solchen Gebieten, in denen Betriebszersplitterung und Erbteilung einen modernen Standards entsprechenden Einsatz der vorhandenen Arbeitskräfte nicht ermöglichten und in unterschiedlichem Ausmaß eine ökonomische Weiterentwicklung der betreffenden Regionen oder der gesamten Nationalökonomie zu blockieren schienen. Dies war ohne Zweifel in der Zweiten Republik in wesentlich höherem Ausmaß der Fall als im hochindustrialisierten Dritten Reich. Während hier für „überschüssige" Arbeitskräfte auf dem Lande die Möglichkeit bestand, in städtische Gewerbe auszuweichen, war dies dort in nur sehr geringem Umfang möglich. Gerade diese Ausweichmöglichkeit im Reich wurde aber insofern ein zusätzliches Motiv für die Aussiedlung der „agrarischen Überbevölkerung" in die annektierten Gebiete, als man auf diese Weise hoffte, der allgemeinen Landflucht entgegensteuern und die Geburtenrate steigern zu können. Daß es in fünfeinhalb Jahren deutscher Besatzung nicht zu einer Ansetzung reichsdeutscher Bauern in den gliederten Ostgebieten und noch weniger im Generalgouvernement gekommen ist, ändert nichts daran, daß die Umsiedlungsplanungen gerade deshalb in immer weitere Gebiete ausgriffen, weil sie den Zufluß dieser während des Krieges nicht mobilisierbaren Menschen in ihre Berechnungen einbezogen. Diese unterschiedlichen Ausgangslagen, aber auch Unterschiede in der angestrebten sozioökonomischen Struktur insgesamt bewirkten gewichtige Unterschiede in den Zielstrukturen für die jeweiligen Kolonisierungsgebiete. Die deutsche Planung sah eine entschieden mittelständisch-großbäuerliche Agrarstruktur vor, die sowohl dem Selbstbild als überlegenes Herrenvolk als auch dem als nationalökonomisch optimal angesehenen Wirtschaftsmodell entsprach. Eine Betriebsgröße von mindestens 20 ha sollte die Produktion von Überschüssen und die Teilnahme an regionalen und überregionalen Märkten sowohl für Agrarals auch Industrieprodukte sichern. Eine solche Agrarstruktur verlangte sowohl eine weitgehende Modernisierung der Anbaumethoden bis hin zur Mechanisierung als auch die Existenz einer Landarbeiterschaft. Die Ähnlichkeit einer Reihe von Planungsentwürfen aus 409

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Widerstand, Wissenschaftlichem Rat und Hauptamt für Raumordnung (GUPP) weist zusätzlich darauf hin, daß in den konkreten Planspielen die Darrösche Agrarromantik kaum eine bestimmende Rolle spielte, sondern reaktionäre Leitbilder mit modernen sozialtechnologischen Theorien kombiniert wurden. Die der deutschen Planung ähnliche Modernisierungsvariante, die auf eine Übernahme der als rationeller eingestuften Agrarstruktur der neuen Westgebiete Polens als Muster für eine Anpassung des ganzen Landes an westliche Standards zielte, konnte sich, wie gezeigt, nicht durchsetzen. Dagegen wurden in Polen mit 7-15 ha an kleinbäuerliche Familienbetriebe gedacht, die ohnefremdeArbeitskräfte auskommen sollten. Zum einen wurde so der sozialistische Anspruch eingelöst, daß das Land denen gehören sollte, die es bearbeiten, zum anderen blieb die Option auf eine schrittweise Sozialisierung der Bodenbearbeitung erhalten. Hinzu kam, daß die Urbanisierung zumindest eines Teiles der ländlichen Bevölkerung in Polen nach dem Kriege gerade erwünscht war. Hier liegt ein weiterer Unterschied, der seine Wurzeln in der gesamtgesellschaftlichen Konzeption des polnischen Staates nach dem Kriege hat: Mit einem in welchem Maße auch immer eingelösten sozialistischen Anspruch hätte sich ein Landproletariat, wie es in den Planungen für die eingegliederten Ostgebiete sowohl während als auch nach dem Kriege immer wieder eine Rolle spielte, kaum vertragen. Auf deutsch-nationalsozialistischer Seite sah dies freilich ganz anders aus. Nicht nur war von vornherein ein Landarbeiterstand vorgesehen, er ließ sich auch, nach anfänglichen Widerständen Himmlers, als vor allem aus „fremdvölkischen" Sklavenarbeitern rekrutiert denken. Ein deutsches Landarbeitertum galt den Planern in der RKF-Dienststelle im Grunde nur als Reservoir für neue „Vollbauern"; da die geplante Betriebsgrößenstruktur abhängige Arbeitskräfte zumindest in den Zeiten erhöhten Arbeitsaufkommens aber unabdingbar machte, lag die Perpetuierung der Ausnutzung von zu Menschen zweiter Klasse degradierten „Fremdvölkischen" letztlich in der angestrebten Struktur selbst begründet. Dies war in Polen nach dem Krieg nicht der Fall. Zwar wurde auch hier, zumal in den Jahren 1945-1947, Zwangsarbeit in großem Stil eingesetzt, das Prinzip der Sklavenarbeit war aber von Anfang an als Übergangslösung gedacht und übrigens ideologisch anders begründet. Die Bedeutung, die die territoriale Erweiterung Polens nach Westen und Norden hatte, hat Sebastian Siebel-Achenbach in seiner Beurteilung der Kriegsziele der polnischen Kommunisten 1943 auf einen treffenden Begriff gebracht: „What was intended was nothing less than a socio-economic revolution which would bring Poland into line with the Soviet Union and help modernise the State."1 Wenn auch Siebel-Achenbach meiner Ansicht nach die Bedeutung des Schulterschlusses mit der Sowjetunion, der im hier behandelten Zeitraum vor allem außenpolitisch orientiert war, für die polnische Struktur- und Innenpolitik überbetont - so ist ihm, was die Rolle der Besiedlung der Wiedergewonnenen Gebiete angeht, nur zuzustimmen. Der Umstand, daß SIEBEL-ACHENBACH: Lower Silesia, S.

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46.

der Rechtstitel über die Wiedergewonnenen Gebiete in Potsdam ziemlich unsicher formuliert worden war, mußte Polen der UdSSR schon deshalb näher bringen, als sie die einzige Großmacht zu sein schien, unter deren Schutz ein dauerhafter Besitz dieser Gebiete garantiert war. Dies galt um so mehr, als die Besiedlung weder nur der Unterbringung der Menschen diente, die aus den verlorenen polnischen Ostgebieten ausgesiedelt wurden, noch in erster Linie Prestigecharakter besaß. Hier ging es unter anderem um eine sozioökonomische Restrukturierung, die allgemein als unabdingbare Voraussetzung für eine gedeihliche Weiterentwicklung der polnischen Nationalökonomie angesehen wurde. Nicht zuletzt wurden durch die Restrukturierung der „überbevölkerten" Gebiete Polens materielle wie menschliche Potentiale freigesetzt, die für eine Industrialisierung genutzt werden konnten und genutzt wurden. Dies sahen nicht nur die Kommunisten so. In dieser Hinsicht unterschieden sich die in der Delegatura und, in geringerem Umfang, in der Exilregierung entwickelten Positionen zur Entschädigung durch territorialen Zugewinn in nichts von dem, was nach dem Kriege umgesetzt wurde. Die Entwicklung des Paradigmas „Überbevölkerung" in der deutschen Besatzungspolitik ist dagegen etwas verwickelter, und dies aus zwei Gründen. Zum einen war, aus sozioökonomischen Gründen, vor allem aber aus Gründen der Kriegsführung, die „Bereinigung" der als fehlerhaft und reformbedürftig attestierten Betriebsstruktur der „Notstandsgebiete" im Reich nicht so dringend, als daß sie noch während des Krieges hätte durchgeführt werden müssen; stattdessen wurde kurzfristiger verfügbares „Menschenmaterial", das seine außenpolitisch nutzbare Position ohnedies verloren hatte, in die neuen Gebiete gebracht: die deutschen Minderheiten aus dem Baltikum und der Sowjetunion. Gleichwohl spielte, wie bereits erwähnt, die für die Zeit nach dem Krieg vorgesehene Umsiedlung der „überschüssigen" Bevölkerung aus dem „Altreich" noch in der Abfassung des Generalplans Ost, der den „deutschen Siedlungsraum" bis an die Krim ausweitete, eine wichtige Rolle als Handlungsmotivation wie auch als Berechnungsgrundlage. Hinzu kam aber, daß die neu hinzugewonnenen Gebiete ihrerseits als überbevölkert gelten mußten, und dies in viel höherem Maße als in den „Notstandsgebieten" oder gar im Reich insgesamt. Das analytische Paradigma „Überbevölkerung" bekam zusätzliche Bedeutung, je weiter nach Osten die Umsiedlungsplanungen auf deutscher Seite ausgriffen. Da die Bevölkerungs- und Agrarstruktur im Kolonisierungsgebiet als unzureichend betrachtet wurde, konzentrierte sich die deutsche Planung auf eine Sanierung der neuen Gebiete selbst. Da agrarische „Überbevölkerung" für die neuen Gebiete diagnostiziert wurde, setzte eine Struktursanierung ein, die mit wesentlich größerer Rücksichtslosigkeit als im Reich vorgehen konnte, da die „Überschüssigen" als „Fremdvölkische" doppelt unerwünscht waren. Die Restrukturierung der Landwirtschaft, in gewissem Grade auch der städtischen Gewerbe und der Industrie, erlangte schließlich sogar Priorität vor der Besetzung der sanierten Betriebe mit Deutschen. Hier wirkte sich nicht zuletzt aus, daß die errechneten „Siedlerpotentiale", zumal wenn sie aus der Nationalökonomie des Stammgebietes entnommen werden sollten, gar nicht ad hoc, und schon gar nicht unter den Bedingungen des „totalen Krieges", verfügbar waren.

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Dies traf freilich in ähnlicher Form auch auf die polnische Strukturplanung nach dem Krieg zu. Auch hier zeigte sich bald nach Beginn der Besiedlung der neuen Gebiete, und dies in viel größerem Ausmaß als zuvor während der deutschen Umsiedlungen, daß zwar die „Repatrianten" aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten sofort verfügbar waren, nicht aber jene Bauernfamilien aus den südlichen und südöstlichen Landesteilen, deren Umsetzung nach Westen der Sanierung der alten Gebiete dienen sollte. Hier ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß, abgesehen von Niederschlesien, die vormalige Bevölkerung die nun annektierten Gebiete zu einem großen Teil bereits verlassen hatte, was die Mobilisierung der „überschüssigen" Bevölkerung für die Kolonisierung nur noch drängender machte. Gleichzeitig schuf die Flucht der deutschen Bevölkerung vor der heranrückenden Front und vor den Gewalttaten der siegreichen Armee im Frühjahr 1945 willkommene Handlungsspielräume, die die deutsche Politik erst selbst hatte schaffen müssen. Große Ähnlichkeiten bestanden auch auf der grundsätzlichen Ebene in der projektierten Zusammensetzung der erwünschten Bevölkerung, sowohl was die Neusiedler anging als auch den Teil der einheimischen Bevölkerung, der in die „Neuordnung" einbezogen werden sollte. In beiden Fällen gingen Planer und Behörden von einer gemischten Bevölkerungszusammensetzung aus, in der Umsiedler aus verlorengegangenen bzw. nicht zum Staatsgebiet gehörenden Gebieten, „Überschüssige" aus den „überbevölkerten" Regionen und Einheimische in einem bestimmten Mischungsverhältnis leben sollten. Sowohl deutsche als auch polnische Planer entwickelten Selektionskriterien, nach denen eine Eingliederung von Angehörigen einer anderen als der eigenen Nationalität möglich sein sollte. Dies bezog sich nicht nur auf fremde Staatsangehörige, die ethnisch zur eigenen Nation gezählt wurden und sich zumindest zum Teil auch so verstanden, sondern auch auf solche Menschen, für die dies ohne Zweifel nicht galt. Für jene letzteren entwickelten die deutschen Behörden einen recht differenzierten Merkmalskatalog, dessen hauptsächliches Ziel die Auslese der Leistungsfähigsten unter der polnischen Bevölkerung war. Auf polnischer Seite fehlte ein ähnlich fein abgestimmtes Selektionsinstrumentarium; da das Konzept „Staatsangehörigkeit" nicht, wie im Falle der deutschen Praxis, rassistisch-biologistisch sondern soziologisch aufgefaßt wurde, war dies auch gar nicht nötig. Daß im einen wie im anderen Fall es zu zwangsweisen Einbürgerungen kam, widerspricht dem nicht. Hier spielten in beiden Fällen sowohl politische Erwägungen eine Rolle, die einen gewissen Bestand an einheimischer Bevölkerung, die als dem eigenen Staatsvolk zugehörig definiert werden konnte, zur Legitimierung des Besitzes der neuen Gebiete nötig machten, als auch aktuelle ökonomische Erfordernisse, die die theoretische Grundlegung der Bevölkerungspolitik überlagerten. Die rassistisch-biologistische Ausrichtung der deutschen Politik der Jahre 1939-1945 förderte insofern die Durchsetzung des Leistungsgedankens in der Beurteilung der Eingliederbarkeit einzelner Personen bzw. Familien, als die rassistische Hierarchisierung ja gerade versuchte, Aussagen über die genetisch-ethnische Vorbestimmung von individuellen und kollektiven Merkmalen wie Leistungsfähigkeit und Verwendbarkeit in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und des sozialen Lebens zu treffen. Nicht zuletzt deshalb bezogen 412

sich die Mechanismen von Auslese und Ausmerze sowohl auf ethnische Gruppen als auch auf Einzelne. Das Leistungskriterium wiederum forderte in einem weiteren Schritt, Kandidaten, über deren Eignung keine sichere Aussage a priori getroffen werden konnte, zuerst einmal in einen Bewährungsprozeß zu schicken, während dessen sich die Betreffenden durch Leistung und Wohlverhalten ihre Aufnahme in das deutsche Staatsvolk zu verdienen hatten. Daß eine der „Staatsangehörigkeit auf Widerruf vergleichbare juristische Konstruktion auf polnischer Seite fehlt, stützt diese Interpretation und weist auch darauf hin, daß die polnische Selektion der Bevölkerung in den Wiedergewonnenen Gebieten nach Unerwünschten und Erwünschten eben nicht nach rassistischen, sondern in erster Linie nach (ebenfalls fragwürdigen) sozioökonomischen Kriterien erfolgte. Sowohl den deutschen als auch den polnischen Planern erschien die Kolonie als Möglichkeit, auf der Grundlage einer tabula rasa ideale Verhältnisse zu schaffen, die auf das Stammgebiet zurückwirken sollten. Diese Vorstellungen waren aber auf deutscher Seite wesentlich detaillierter entwickelt als auf polnischer, und sie hatten einen anderen Charakter: Ein Ausschluß minder Leistungsfähiger von vornherein, der sich in wesentlichen Punkten an Kriterien der „rassischen" und „eugenischen" Optimierung orientierte, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts international diskutiert und 1933-1939 im Deutschen Reich durchgesetzt worden waren, sollte die ideale Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur bis auf die Ebene der Bevölkerung hinab schaffen. Eine solche totale Planung, deren Gestalt freilich Rückschlüsse auf den Charakter der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik im „Altreich" zuließe, hat es in Polen nicht gegeben. Wie gezeigt, gab es zwar sowohl in Exil und Widerstand als auch unter den Planern im Wissenschaftlichen Rat in abgeschwächter Form Denkansätze und bei lokalen Behörden Vorstöße, die gewisse Ähnlichkeiten mit den in der deutschen Politik wirksamen rassistischen und eugenischen Paradigmen aufwiesen, sie wurden aber entweder als unvereinbar mit dem „demokratischen Charakter" des Staates abgelehnt oder aufgrund der nötigen Eile bei der Besiedlung und der begrenzten staatlichen Zugriffsmöglichkeiten nicht realisiert.2 Detaillierte Vorschläge in diesem Sinne fehlen völlig - was dazu führen muß, dem polnischen Staat der hier behandelten Jahre den Charakter eines „totalitären Staates" abzusprechen. Pointiert ließe sich formulieren: Dem nationalsozialistischen deutschen Regime ging es um eine Beseitigung der Armut durch den Ausschluß bzw. die Beseitigung der Armen. Dem Sozialismus/Kommunismus ging es um die Beseitigung der Armut durch die Verbesserung der ökonomischen Ausgangsposition der Armen. Da die sozialistische Idee Merkmale der minderen Leistungsfähigkeit als sozial bedingt und damit erworben ansah - dieses Moment erscheint selbst beim Rassenanthropologen Czekanowski -, der Nationalsozialismus diese aber als ererbt und damit unverän-

Dies bedeutet jedoch nicht, daß etwa eugenische Gedanken kommunistischen Autoren grundsätzlichfremdwären. Siehe etwa über die Diskussion in der Sowjetunion in den dreißiger Jahren WESS: Träume der Genetik. Konzepte dieser Art haben sich aber in der hier betrachteten Zeit nicht gefunden. 413

derbar postulierte, war der selektive Zugriff bei letzterem wesentlich rigider als bei der ersteren. Was für das grundsätzliche Konzept der Auslese galt, ließ sich analog in der Entfernung der unerwünschten Bevölkerungssegmente aus den Kolonisierungsgebieten feststellen. In allen hier untersuchten Konzeptionen wie auch in der Praxis war die zwangsweise Aussiedlung der Mehrheit der einheimischen Bevölkerung stillschweigende oder ausdrückliche Voraussetzung der Restrukturierung. Die Annexion neuer Territorien, die geographisch an die alten Gebiete anschlössen, diente der Translokation von Bevölkerungsteilen, die im Rahmen der Gesamtwirtschaft als unzureichend beschäftigt und damit praktisch unter Wert eingesetzt galten. Idealerweise hätten solche Gebiete keine Bevölkerung beherbergen dürfen. Der Umstand, daß sich in beiden Fällen Millionen von Menschen als unerwünscht definieren ließen und ein weitgehender Konsens über ihre Entfernung - übrigens ohne großen argumentatorischen Aufwand - herstellbar war, schaffte hier die nötigen Handlungsspielräume. Die Definition der Unerwünschten beruhte aber nicht nur auf unterschiedlichen gesellschaftlich-politischen Konzepten, sondern darüber hinaus auch auf unterschiedlichen Argumentationsstrategien. Dies blieb nicht ohne Wirkung darauf, wie die Unerwünschten eingegrenzt und aufweiche Weise sie letztendlich entfernt wurden. Gemeinsam war polnischer und deutscher Bevölkerungspolitik, daß die gesamte Bevölkerung, in größerem Umfang aber ihre zu entfernenden Segmente, zur behördlichen Verschubmasse definiert wurden. Hier wie dort wurde auch bezüglich der Neusiedler aus dem alten Staatsgebiet die Anwendung von Zwang wenigstens nicht ausgeschlossen, war aber wenig erwünscht. Deutlicher galt dies für die Unerwünschten. Solange ihre vollständige Entfernung nicht möglich war bzw. ihre Arbeitskraft benötigt wurde, hatten sie als Zwangsarbeitskräfte im Lande zu bleiben. Während aber das System der Zwangsarbeit in der deutschen Kriegswirtschaft in dem Maße ausgebaut wurde, wie die Schwierigkeiten zunahmen, die einander widersprechenden Aufgaben Rekrutierung neuer Soldaten und Intensivierung oder wenigstens Aufrechterhaltung der Produktion zu lösen, konnte es in Polen nach dem Kriege schrittweise abgeschafft werden. Hier spielt sicherlich nicht nur eine Rolle, daß eine Kriegswirtschaft als Kommandowirtschaft leichter zu Zwangsmitteln greift als eine Friedenswirtschaft, selbst wenn sie sich als staatsdirigistisch versteht. Wichtiger scheint der teilweise damit zusammenhängende Umstand gewesen zu sein, daß auch allgemein die deutsche Politik immer weiter brutalisiert und radikalisiert wurde, während in der polnischen gerade das Umgekehrte zu beobachten ist. An keinem anderen Beispiel wird dieses Phänomen deutlicher als bei der deutschen Politik gegenüber den polnischen Juden: Ihre Entfernung aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben galt der nationalsozialistischen Besatzungsverwaltung und Führung schon aus rassenideologischen Erwägungen als unverzichtbar. Mochte aber, wie dies Franz Neumann betont hat, die Diskriminierung der deutschen Juden 1933-1938 in erster Linie der innenpolitischen Konsolidierung durch ein handhabbares und wohlfeiles Feindbild gedient haben, kamen angesichts der polnischen Juden weitere Faktoren hinzu. Vor allem erwiesen sich die Juden - in einer Mischung aus antisemitischem Blick und Rezeption polni414

scher wirtschaftswissenschaftlicher Literatur - als Hemmnis für die soziale, ökonomische und „volkstumsmäßige" Umgestaltung zunächst der eingegliederten Ostgebiete. Da diese deutsch besiedelt werden sollten, war für Juden hier kein Platz mehr; eine Deportation in das als Abschiebeterritorium angesehene Generalgouvernement war die logische Konsequenz. In dem Maße, in dem aber das Generalgouvernement seinerseits als Bestandteil zunächst des „Großdeutschen Wirtschaftsraumes", dann auch - seit Frühjahr 1941 - des deutschen Siedlungsgebietes ausgebaut werden sollte, schwanden die Möglichkeiten, diese Menschen durch Abschiebung und Deportation loszuwerden. Der Überfall auf die Sowjetunion verknüpfte sich einerseits mit der Hoffnung darauf, daß die immensen osteuropäischen und asiatischen Räume neue „territoriale Lösungen" eröffnen würden, andererseits bereitete der „Kommissarbefehl", insbesondere seine Ausweitung im August 1941, den Boden für den Massenmord. Gleiches galt für die Erfahrungen, die man mit der Ermordung der psychisch Kranken bereits 1939 gemacht hatte. Es ist in diesem Zusammenhang bedeutsam, daß Initiativen zur systematischen Ermordung gerade in den beiden wichtigsten „Siedlungsgebieten" lanciert wurden: im Warthegau im Juli 1941, und kurz darauf im Distrikt Lublin. Das deutsche Konzept bestand zudem in einer Mischung aus „ethnischer Bereinigung" und sozioökonomischer Restrukturierung, in der eine rassistische Hierarchie der Ethnien und Bevölkerungsgruppen in feiner Abstimmung diejenigen festlegte, die zu fördern waren, diejenigen, die vorläufig würden bleiben können und diejenigen, die in jedem Fall und schnellstmöglich zu entfernen waren. Die polnischen Juden, zusammen mit Zigeunern, den psychisch Kranken und den „Asozialen", wurden jedenfalls zu dieser letzten Kategorie gezählt. Während die deutsche Bevölkerungspolitik im besetzten Polen im systematischen und wohlorganisierten Massenmord kulminierte, gab es derlei in Polen nach 1945 nicht. Das Studium der Quellen zur polnischen Planung der Jahre 1945-1949 zeigt, daß hier niemals anders als in der deutschen Besatzungsverwaltung - in Erwägung gezogen wurde, Millionen von Menschen, für die im eigenen Territorium kein Platz war, verhungern zu lassen oder „mit einem schnellwirkenden Mittel" zu ermorden. Gewalttaten gegen die unerwünschte einheimische Bevölkerung hatten keinen systematischen, geplanten und behördlich durchorganisierten Charakter, sondern waren Ausdruck von Haß und Rache. Auch unterschied sich die praktische Durchführung der Aussiedlung der Deutschen zumindest in der zentral koordinierten Durchführung 1946-1950 in wesentlichen Punkten von der Ghettoisierung der Juden, der Abschiebung von Polen in „Reservate", der überfallartigen Aussiedlung ganzer polnischer Dörfer im Morgengrauen und den Straßenrazzien zur Rekrutierung von Zwangsarbeitern, die zum alltäglichen Arsenal deutscher Neuordnungspolitik im besetzten Polen gehörten. Diese Unterschiede sind nun, wenn von einer zumindest weitgehenden Identität der Planungsparadigmen ausgegangen wird, erklärungsbedürftig und geben gleichzeitig Material an die Hand, das für eine Analyse der Grundlagen deutscher Umsiedlungs- und Mordpolitik im besetzten Polen nutzbar gemacht werden kann. Es ist nämlich die Frage zu stellen, welche Faktoren die Einbeziehung ethischer oder politischer Be-

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denken zur Abschwächung der in den Planspielen angelegten Brutalisierung zuließen oder bewirkten, und warum sie dies in dem einen Fall taten und in dem anderen nicht. Daß der Nachweis über die Relevanz der von den Schreibtischtätern aufgestellten Idealplanungen für die deutsche Besatzungspolitik wesentlich leichter gelingen muß als für die polnische Kolonisierungs- und Restrukturierungspolitik ab Anfang 1945, hat gewichtige Gründe und weist auf einen bemerkenswerten strukturellen Unterschied zwischen den beiden Planungsgängen. Während nämlich in der nationalsozialistischen bevölkerungs- und strukturpolitischen Neuordnung spätestens ab dem Zeitpunkt, zu dem Himmlers SS- und Polizeiapparat das Monopol für Bevölkerungsverschiebungen übernommen hatte, die Institutionen, die die Planung formulierten, identisch waren mit denen, die die Richtlinien erließen, nach denen alle „Maßnahmen" im Gelände auszurichten waren und denen, die diese Maßnahmen umsetzten, war dies in Polen nicht der Fall. Das wichtigste gutachterliche Gremium Nachkriegspolens, was strukturelle Fragen der Besiedelung der Wiedergewonnenen Gebiete anging, war zunächst dem Ministerium für Öffentliche Verwaltung und nach dessen Einrichtung dem Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete über das BSOP organisatorisch verbunden und sicherlich ihm auch inhaltlich verpflichtet; es bestand aber in erster Linie aus Akademikern, die nur sehr eingeschränkt in die Behördenapparate eingebunden waren, die mit der Umsetzung der einzelnen Pläne befaßt waren. Zwar arbeiteten Akademiker - gemeint sind hier solche Wissenschaftler, die tatsächlich an den Hochschulen beschäftigt waren - beispielsweise in der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumordnung in einer ähnlichen Funktion wie etwa der Wissenschaftliche Rat, aber es existierte keine polnische Einrichtung, die der Planungshauptabteilung des Reichskommissars für die stigung deutschen Volkstums vergleichbar gewesen wäre. Ein weiteres Beispiel wäre die Forschungsstelle für Ostunterkünfte in Lublin. Die von SS-Sturmmann Dr. Franz Stanglica ausgearbeiteten „Raumordnungsskizzen" erhielten durch die Unterschrift des SS- und Polizeiführers Odilo Globocnik Befehlscharakter. Dagegen war etwa die Rezeption der Arbeiten und Referate aus dem Wissenschaftlichen Rat für die beteiligten Behörden völlig freiwillig. Die dort vorgestellten und diskutierten Thesen und Vorschläge wurden von den ebenfalls anwesenden Behördenvertretern aufgenommen, transformiert und in die eigene Praxis integriert, ohne daß direkte Übernahmen im Einzelnen nachweisbar wären. Mehr noch durchliefen selbst Rechtsetzungsprojekte wie etwa das Dekret über die Agrarstruktur und die Siedlung in den Wiedergewonnenen Gebieten nach ihrer Vorformulierung durch die Fachleute des MZO weitere Stufen, in denen juristische und politische Erwägungen und Vorbehalte Berücksichtigung fanden. Die unterschiedliche Distanz, die Planungsentwürfe bis zur Realisierung zu überwinden hatten, äußerte sich nicht zuletzt eben in dem Maße, in dem Interventionen anderer als der fachlich zuständigen Stellen vorgesehen waren und Wirkungen zeigten. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des erwähnten Dekretes. Von den Restrukturierungsplänen, wie sie im BSOP und im Wissenschaftlichen Rat vorgedacht und im Siedlungsdepartement des MZO in juristische Formen gegossen worden waren, blieb nach vielfältiger Überarbeitung nicht mehr sehr viel übrig. In Polen bestand außerdem zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, die Neuord-

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nungspraxis zuerst des MAP, später des MZO auch scharfer Kritik zu unterziehen, während Einsprüche gegen die deutsche Besatzungspraxis, wie nicht zuletzt das Beispiel FrankHimmler zeigt, in aller Regel nur wenig Aussicht auf Berücksichtigung oder gar Wirkung hatte. Dies galt um so mehr, als eine im eigentlichen Sinne politische Instanz weder im Deutschen Reich noch in den annektierten Gebieten existierte, die ein Forum einer wie auch immer eingeschränkt öffentlichen Diskussion hätte sein können. Dagegen wirkte ein als „politischer Faktor" zu bezeichnendes Korrektiv für die polnische Politik sowohl durch die Abhängigkeit von den Westmächten und der Sowjetunion als auch durch die Existenz des Sejm und einer wenn auch zunehmend eingeschränkten kritischen Öffentlichkeit. Hinzu kam, daß radikalisierende Vorstöße der mittleren Planungs- und Verwaltungsebene von den zuständigen Ministerialstellen abgeblockt werden konnten und wurden.

417

Abkürzungsverzeichnis AAN AAN ALP

Archiwum Akt Nowych [Archiv Neuer Akten, Warschau] Archiwum Akt Nowych, Oddziai Archiwum Lewicy Polskiej [Abt. Archiv der Polnischen Linken] AGK Archiwum Glöwnej Komisji Badania Zbrodni Przeciwko Narodowi Polskiemu [Archiv der Hauptkommission zur Erforschung der Verbrechen gegen das Polnische Volk] AK Armia Krajowa [Landesarmee] AL Armia Ludowa [Volksarmee] ARO Amt für Raumordnung AUJ Archiwum Uniwersytetu Jagiellohskiego [Archiv der Jagiellonischen Universität, Krakau] AW Archiwum m.st. Warszawy [Archiv der Hauptstadt Warschau] AZIH Archiwum Zydowskiego Instytutu Historycznego [Archiv des Jüdischen Historischen Instituts, Warschau] BAK Bundesarchiv Koblenz BAP Bundesarchiv Abt. Potsdam Beiträge Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik (Zeitschrift, Berlin) BGKBZHwP Biuletyn Glöwnej Komisji Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce (Zeitschrift, Warszawa; seit 1991 Biuletyn Glöwnej Komisji Badania Zbrodni Przeciwko Narodowi Polskiemu) BSOP Biuro Studiöw Osadniczo-Przesiedlenczych [Büro für Siedlungs- und Umsiedlungsstudien] BZZ Biuro Ziem Zachodnich [Büro der Westlichen Gebiete] BZIH Biuletyn Zydowskiego Instytutu Historycznego (Zeitschrift) CKZP Centralny Komitet Zydöw w Polsce [Zentralkomitee der Juden in Polen] DO Departament Osiedlenczy [Siedlungsdepartement] D.O. Documenta Occupationis (Teutonicae) DAF Deutsche Arbeitsfront DAP Departament Administracji Publicznej [Departement für öffentliche Verwaltung] Delegatura Delegatura Rzadu na Kraj [Delegatur der Regierung für das Land] DFO Deutsche Forschung im Osten (Zeitschrift) DUT Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft DVL Deutsche Volksliste EWZ Einwandererzentralstelle

Fostu GG GKBZHwP

GL GUPP GUS HARO HSSPF HTO IDO KRN MAP MBP MO MON MRiRR MZO NSZ OB OKH OKW PKWN PPR PPS PRL PSL PUR PZPR

Forschungsstelle für Ostunterkünfte Generalgouvernement Gtöwna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce [Hauptkommission zur Erforschung der Hitlerverbrechen in Polen; seit 1991: Gtöwna Komisja Badania Zbrodni Przeciwko Narodowi Polskiemu - Instytut Pami?ci Narodowej [Hauptkommission zur Erforschung der Verbrechen gegen das polnische Volk - Institut des Nationalen Gedächtnisses]] Gwardia Ludowa [Volksgarde] Glöwny Urza_d Planowania Przestrzennego [Hauptamt für Raumplanung] Glöwny Urzad Statystyczny [Statistisches Hauptamt] Hauptamt für Raumordnung Höherer SS- und Polizeiführer Haupttreuhandstelle Ost Institut für Deutsche Ostarbeit Krajowa Rada Narodowa [Landesnationalrat] Ministerstwo Administracji Publicznej [Ministerium für öffentliche Verwaltung] Ministerstwo Bezpieczenstwa Publicznego [Ministerium für öffentliche Sicherheit] Milicja Obywatelska [Bürgermiliz] Ministerstwo Obrony Narodowej [Ministerium der nationalen Verteidigung] Ministerstwo Rolnictwa i Reform Rolnych [Ministerium für Landwirtschaft und Landreformen] Ministerstwo Ziem Odzyskanych [Ministerium der Wiedergewonnenen Gebiete] Narodowe Sily Zbrojne [Nationale Bewaffnete Kräfte] Oberbürgermeister Oberkommando des Heeres Oberkommando der Wehrmacht Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego [Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung] Polska Partia Robotnicza [Polnische Arbeiterpartei] Polska Partia Socjalistyczna [Polnische Sozialistische Partei] Polska Rzeczpospolita Ludowa [Volksrepublik Polen] Polskie Stronictwo Ludowe [Polnische Bauernpartei] Panstwowy Urza_d Repatriacyjny [Staatliches Repatriierungsamt] Polska Zjednoczona Partia Robotnicza [Polnische Vereinigte Arbeiterpartei] 419

PZZ RAG RaPo-Amt RDPP RF-SS RfR RJN RKF RM RMdl RMEuL RNZZO RP RSHA RuR RuSHA SD SL SN SP SSPF SSR TRJN ÜB UPA UWZ VoMi WRN WSP z. ZO ZPP ZWZ ZOB

Polski Zwiazek Zachodni [Polnischer Westverband] Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung Rassenpolitisches Amt der NSDAP Regionalna Dyrekcja Planowania Przestrzennego [Regionaldirektion für Raumplanung] Reichsführer SS Reichsstelle für Raumordnung Rzad JednoSci Narodowej [Regierung der Nationalen Einheit] Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums Rada Ministröw (Ministerrat) Reichsminister des Inneren Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Rada Naukowa dla Zagadnien Ziem Odzyskanych [Wissenschaftlicher Rat für Fragen der Wiedergewonnenen Gebiete] Rzeczpospolita Polska [Republik Polen] Reichssicherheitshauptamt Raumforschung und Raumordnung (Zeitschrift) Rasse- und Siedlungshauptamt Sicherheitsdienst Stronnictwo Ludowe [Bauernpartei] Stronnictwo Narodowe [Nationale Partei] Stronnictwo Pracy [Partei der Arbeit] SS- und Polizeiführer Sozialistische Sowjetrepublik Tymczasowy Rzad JednoSci Narodowej [Vorläufige Regierung der Nationalen Einheit] Urzad Bezpieczehstwa [Sicherheitsbüro] Ukrainska Powstancza Armia [Ukrainische Aufständische Armee] Umwandererzentralstelle Volksdeutsche Mittelstelle Wojewödzka Rada Narodowa [Wojewodschafts-Nationalrat] Wydziai Spoleczno-Polityczny [Gesellschaftspolitische Abteilung] zeszyt [Heft] Ziemie Odzyskane [Wiedergewonnene Gebiete] Zwiazek Patriotöw Polskich [Verband Polnischer Patrioten] Zwiazek Walki Zbrojnej [Verband des Bewaffneten Kampfes] Zydowska Organizacja Bojowa [Jüdische Kampforganisation]

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421

Archiwum Ministerstwa Spraw Zagranicznych: 6 Wydzial Wschodni Archiwum Panstwowe m.st. Warszawy: ADW

Amt des Gouverneurs des Distrikts Warschau

Archiwum Stanislawa Kota, Warszawa Bundesarchiv, Koblenz: R 43 II R 49 R 49 Anh. I R 52 II R 52IV R 113 R 164

Reichskanzlei Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums SS-Ansiedlungsstäbe Regierung des Generalgouvernements, Kanzlei des Generalgouverneurs Institut für deutsche Ostarbeit Reichsstelle für Raumordnung Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung

Bundesarchiv, Potsdam: 17.02 Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft

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422

Ansiedlungs- und Umsiedlungsaktion], Warszawa 1946. Zeszyt II: Problemy osadnictwa rolniczego [Probleme der landwirtschaftlichen Siedlung], Warszawa 1946. Zeszyt III: Problemy osadnictwa nierolniczego [Probleme der nichtlandwirtschaftlichen Siedlung], Warszawa 1946. III Sesja RNZZO 16 - 19 VI 1946 r., hrsg. vom BSOP: Zeszyt II: Problemy osadnictwa rolniczego [Probleme der landwirtschaftlichen Siedlung], Krakow 1947. Zeszyt III: Problemy osadnictwa nierolniczego [Probleme der nichtlandwirtschaftlichen Siedlung], Krakow 1947. Zeszyt IV: Problemy regionalne osadnictwa rolniczego [Regionale Probleme der landwirtschaftlichen Siedlung], Krakow 1947. IV Sesja RNZZO 18 - 21 XII 1946, hrsg. vom BSOP: Zeszyt I: Morze i Odra [Das Meer und die Oder], Krakow 1947.

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Register Adamski 381

Bühler, Josef 7; 100; 111; 352

Anatol 385 Anders, Wladyslaw 277

Bujak, Franciszek 84 f.; 116; 185 f.; 189; 214; 423

Antoniewski, Stanislaw 214

Bukowski 291

Blaszczyk, Walenty 277

Burgdörfer, Friedrich 79; 81; 84; 423

Bach(-Zelewski), Erich von dem 13C; 236

Butschek, Hans 148; 341; 362

Baranski 77

Byrnes, James F. 68; 179; 313; 314

Baranski, Henryk 77

Christaller, Walter 37; 423

Barth, Rudolf 338; 339

Churchill, Walter 47; 68; 366

Barwik,B. 66

Craushaar 286

Bednarz, Jözef 285-288; 373

Cybinski, Jan 179; 377

Berling, Zygmunt 52 f.; 275; 423

Cybulski,J. 179; 406

Bertold,. Edward 213

Czajkowski, Wladyslaw 67; 75; 260; 308-310; 314; 319

Bertram 381 Bierut, Boleslaw 54; 62; 74 f.; 176; 200; 382 Bik, Marfan 270; 285 Blaskowitz, Johannes 23 Blohm 139; 161; 342 Blohm, Georg 139; 342; 423; 428 Blohm. Georg 140 Bochdam, Erika (Löptien-) 41; 97 Borkowicz, Leonard 60; 382; 391

Czekanowski, Jan 185; 191; 300; 413 Czerniakiewicz 269 Dajjrowski, Stefan 74; 399 Darre, Walter 24 f.; 31; 92; 130; 243; 423 Datner, Szymon 56; 282; 423 Dietrich 434 Dobrowolski, Kazimierz 70; 179; 185; 269; 294-296; 297; 314; 370; 380; 429

Böttcher 140

Dolezalek, Alexander 341

30; 36; 132; 142-145;

Bracht, Fritz 23; 100; 137; 236; 238; 378

Dolezalek, Luise 36; 141; 145 f.; 216

Brandstetter, Edward 291; 320

Doubek, Franz 28

Brzezinski, Ottokar 179; 200

Dubiel, Jözef 203; 290; 302; 319; 385; 404

Bulawski, Rajmund 71-73; 77 f.; 111; 113 117; 118; 180-186; 190 f.; 194; 196; 201 209; 213-215; 302-304; 310; 387; 403; 423 429

Dybowski, Miroslaw 311; 314

Buchhofer 14; 17; 78

Ehlich,Hans 151 f.; 244; 358

Buckart 241

Ehrlich 195; 320

Dziewonski, Kazimierz 76; 209 Egit, J. 281

447

Eichmann, Adolf 145; 151 f.; 337; 339 f.; 348351; 356; 358

Göring, Hermann 10; 28; 34; 42; 96; 97; 144; 353

Ejsenberg, J. 281

Göring. Hermann 32

Emmerich, Walter 40

Gottong, Heinrich 42

Esser, Heinz 67; 395

Grabowski, Andrzej 383; 384; 394

Falk,I. 56

Graul, Hans 41; 42

Fischer, Ludwig 38; 332; 355

Greifelt, Ulrich 28; 32; 131-133; 139 f.; 233;

Fliethmann, Elfriede 42 Fohl, Walter 300 Forster, Albert 22 f.; 29; 100; 229; 233; 236; 238 f.; 350; 360

243; 245; 249; 361 Greiser, Artur 20; 22; 31; 33; 35; 39; 100; 103; 144 f.; 148; 230; 231; 238 f.; 243; 250; 266; 335 f.; 342; 343; 350; 352; 354 f.; 360

Frank 28; 134

Grik, Róza Maria 292

Frank, Erna 405

Gross 266; 267

Frank, Hans 22; 29; 38-40; 45; 96; 97; 100; 130; 142; 156; 159; 329; 332; 343; 345; 347; 351; 360; 417

Groß, Walter 26 Grunglas, Rachela 278

Friedrich 108

Günther, Hans Friedrich Karl 42; 237

Fromm, Kazimierz 279

Haber, E. 282

Fugmann, Ernst 42

Hanelt 43; 44; 45; 159; 351; 357

Glowacki, Wlodzimierz 297; 298

Haneman, J. St. 65

Garbacik 213; 216; 429

Hartwieg, Wilhelm 134

Geben 28; 134 Geborski, Czeslaw 396

Hecht, Gerhard 26; 141; 145 f.; 229; 232; 233; 235; 326; 329 f.

Gede, Tadeusz 298

Heinrichsbauer, August 152

Geisler, Walter 36; 139; 161; 424

Hellmuth, Otto 88 f.; 92; 423

Glinka, Zygmunt 77; 122-124; 193; 196; 209; 218

Hesse 92; 159; 162

Globocnik, Odilo 39; 43; 101; 151; 157 f.; 160; 247; 349; 351 f.; 357; 416

Heydrich, Reinhard 10; 25-27; 100; 133; 134; 142; 233 f.; 324; 326; 337 f.; 350-352

Golebiowski 394

Hildebrandt, Richard 29; 42; 130

Gollert, Friedrich 38; 39; 355; 356; 357

Himmler 24; 43; 100; 130; 138; 140; 141; 157; 160; 239; 242; 247; 248; 326; 331; 350; 354; 363

Gomulka, Wladyslaw 53 f.; 61; 66; 69; 74 f.; 204; 212; 222; 227; 316; 318; 372; 375; 379 f.; 386; 391; 407

448

Günther, Hans 24; 247; 363; 364

Heuser, Otto E. 91 f.

Himmler, Heinrich 22; 24-26; 28-33; 43; 45; 78; 94 f.; 130 f.; 133 f.; 136; 138; 158; 164; 187; 194; 233-236; 239; 243; 246 f.; 266;

326; 331; 337; 350-352; 355; 359; 363; 410; 416; 417

Kiernik, Wladyslaw 61 f.; 65; 70; 113; 316; 386

Hintze 245; 246

Kieppich 159

Hitler, Adolf 10 f.; 18; 21 f.; 24; 26; 28; 45; 48; 138; 185; 226; 236; 276; 329; 345; 349; 352 f.; 424

Kolodziejczyk, W. 404 f.

Hoffmann 43 Hofmann 243 Höppner, Rolf Heinz 31; 145; 243; 346; 348 f.; 351 f.; 354; 356 f.; 360 Hübener 139

Kolinski 78 Konarski, Ludwik 290 Konieczny, Kazimierz 277 Kopec, Henryk 72; 114-116; 185; 429 Koppe, Wilhelm 130; 134; 139; 145; 160; 327 f.; 336; 343; 354; 359; 361

Inglot, Stanislaw 85; 216

Korbonski, Stefan 260; 439

Isenberg, Gerhard 36; 93 f.; 135; 160; 162; 424

Kosmala 403

Jahn, Alfred 118 f.; 122; 437

Köster 160; 162

Jaskiewicz 290

Kostrowicki, J. 218

Jarmer 140

Kostrzewski 74

Jarocki, Piotr 259

Kot, Stanislaw 50

Jaroszek, Jözef 389; 401; 404

Kraft, Herbert 112

Jastrzebowski, Waclaw 7; 73; 109; 110; 111; 229; 230; 437

Krannhals 237

Jastzebowski, Waclaw 110 Jezewski 316 f.

19; 50-52; 62; 104; 259;

Krawinski 272 Krenc 395

Junowitsch 43

Krüger, Friedrich Wilhelm 130; 153; 157; 160; 246; 247; 337; 338; 343; 349; 351; 362

Jurzyk, Stanislaw 59; 376

Krüger, Kurt 112

Klapkowski 216 Klobukowska, Gabriela 209

Krumey, Hermann 31 f.; 145; 147; 149; 151 f.; 159; 243 f.; 247; 249; 342; 358 f.; 363

Klosinski, Tadeusz 7; 111 f.; 438

Krynski, Zenon 402

Kaczocha (-Jözefski), Aleksander 62; 66

Kuchenbäcker, Karl 100 f.; 152; 155-157

Kahlich, Dora 42

Kudicke, Robert 347

Kalamarz, Jözef 290

Kulemann 242

Kalinowski 315

Künzel 243

Kanec 104; 106; 168; 171

Kuzmicz, Boleslaw 76

Kauzik, Stanislaw 259

Laßmann 44 f.; 159; 354

Kendzia 328; 334; 335

Lebedev, V.l. 386

Keyser, Erich 237

Lechowicz, Wlodzimierz 75; 399; 400; 439 449

Lenkiewicz, Eugeniusz 115

Switelski 291

Lerch 43; 157

Olechnowicz, Mscislaw 210

Lipinska, Wanda 218

Olszewicz, Boleslaw 115; 293; 294; 429

Löbsack, Wilhelm 237 f.

Orlicz, Micha! 113-115; 123; 180; 429

Lorenz, Werner 30

Pùucinski 371; 382; 385; 390; 392

Lösch, August 41; 79; 425

Pakowski 270

Lubowiecki, Jözef 65

Pancke, Otto 24; 25; 141; 241; 243

Maùodobry 400

Piaskowski, Stanislaw 60; 375; 376; 377; 390

Mäding 28

Pienkiewicz 401

Majewski, Waclaw 309; 401

Pienkowski 401

Mark, Bernhard 281

Pietkiewicz, J. 288; 290

Meinhold, Helmut 40 f.; 97; 98; 112; 346; 425;

Pietkiewicz, Stanislaw 113-115; 123; 180; 289;

426 Metz 91; 93 Meyer, Konrad 26; 28; 34; 36 f.; 88 f.; 94-96; 135; 137 f.; 141; 156; 163; 347; 426

429 Pilichowski, Czeslaw

295 f.; 302; 394; 401;

442 Pizùo, Stanislaw 271; 272; 273

Miùobędzki 116; 429

Plechavicius, Pawel 253

Migon, Wlodzimierz 405

Pohl, Oswald 353

Mikolajczyk, Stanislaw 48; 58; 61; 181; 213;

Poniatowski, Jözef 73; 83; 84; 85; 109; 111;

272; 275; 367

115; 118; 123; 136; 426

Mirek, J. 291 f.

Ponomarenko 268

Moczar, Mieczyslaw 321

Prawin, Jakub 60; 197; 307; 321; 378; 379; 391

ModzeAski 267

Przygorski 315

Morel, Solomon 378; 396

Radkiewicz, Stanislaw 289

Muermann 41

Rapp, Alfred 31; 231; 328; 330; 337-339

Müller, Heinrich 43; 247 f.; 345; 358

Rawicki, Piotr 259

Muszkat 283 f.

Reiser, Dietrich 427

Niemcowa 400

Riemann, Ernst 41

Nonnenmacher, Hans Kraft 97 f.

Rihl, Laser 248; 249

Oberländer, Theodor 77; 83; 85; 97 f.; 118;

Ritterbusch, Paul 162

325; 339; 426

Robel,Z. 314; 316

Ochab (-Morawski), Edward 62; 373; 382

Rogalski 270

Ociepka 313; 398; 403; 406; 442

Romaniuk 71; 122

Odlanicki-Poczobutt, Stanislaw 77

Romer, Eugeniusz 116; 121; 305; 374

Swiatycki,M. 125; 211; 291 450

Roosevelt, Theodore D. 48

Stanglica, Franz 44 f.; 152-156; 158 f.; 351

Rosenberg, J. 281

Stanislawski, L. 291

Rostal 282

Starmach 215

Roth, Paul 83; 84; 427

Stecki, Jan 186; 190

Rubinski, Marfan 292

Stelmach, Adam 207; 208; 213; 288

Rubinstein, M. 280

Stelmach, St. 208

Rutowski, Leopold 259

Stolihski 274

Rybicki, Pawel

Stolinski, F. 274; 275

15; 75; 119; 120; 194; 195;

294; 296; 427; 429; 444

Streckenbach, Bruno 130; 142; 326; 327; 343

Sauckel, Fritz 249; 358

Strickner, Herbert 27; 230; 231; 232; 360; 361

Sawicki, Jerzy 100

Styś Wincenty 85; 115 f.; 119; 184-191; 193;

Sawicki, Kazimierz 427

195 f.; 214; 216; 221; 429

Schäfer, Erich 136

Suadicani 249; 250

Schauroth 44

Szaflarski, Jözef 116; 117; 184; 429

Schelpmeyer 146; 147; 148

Szewczyk, Eugeniusz 383

Schepers, Hans Julius 38; 39; 97; 134; 427

Sznek 59

Scheu, Erwin K. 139; 423

Szturm de Sztrem, Edward 50; 103

Scheve 241

Szymczyk 199; 386

Schieder, Theodor 12; 17; 325; 338 f.; 372

Toeplitz, K.L. 218

Schmidt 44

Tomaszewski 48; 57; 83

Schmidt, Pawel 195

Torunczyk, H. 290

Schmidt, Stefan 189; 190; 191; 194; 216; 296;

Tschierschky 242

429

Umlauf, Josef 28

Schönberg, S. 281

Vogel 149; 150

Schramm, Wiktor 192; 195; 208; 429

Wagemann,

Seraphim, Hans J. 261

Walbaum, Jost 347

Seraphim, Peter Heinz 99; 325; 427

Wasilewski, J. 75; 205; 389

Sikorski, Wladyslaw 47; 48; 49; 53; 54; 166;

Weibgen 41

253; 254; 274; 366 Skowron, Wladyslaw 294 f.; 312 Skrzywan, W. 270 Skup, Joanna 78 Sommerstein, E. 283 Stalin, Jossif V. 52; 53; 54; 57; 66; 372

80

Wendler, Richard 157; 159 Werner 276; 360 Wetzel 141 Wetzel, Erhard

26; 145 f.; 229; 232 f.; 235;

246; 326; 329 f. Wierna,M. 405

451

Wilder, Juliusz Antoni 68; 71; 196; 379; 381; 382 Wisniowski, Tadeusz 285 f. Wojciechowski, Zygmunt 74; 116; 302; 305; 309 Wojewoda, Wojciech 388 f. Wolf, Paul 428 Wolski, Wladyslaw 55; 62; 69; 71; 115; 179; 196; 199; 203-209; 215; 222; 269-273; 283; 287 f.; 308; 314; 318; 369; 374; 377; 381 f.; 385 f.; 389; 398; 400; 402; 405 Zaremba, Jözef 124; 180 Zawadzki, Alexander 60 f.; 227; 266; 305 f.; 317; 373; 380 f.; 385; 393 f.; 421; 428; 443 Zelicki, S. 283 Ziolkowski, Eugeniusz 218 Znomirowski 74 Zralek, St. 311

452

Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung Herausgegeben vom Herder-Institut e.V.

Bandl

Stefan Garsztecki

Das Deutschlandbild in der offiziellen, der katholischen und der oppositionellen Publizistik Polens 1970-1989. Feindbild kontra Annäherung ISBN 3-87969-254-8 XII, 310 S. 1997 DM 64,Dieser erste Band einer neuen Reihe befaßt sich vor allem mit der Frage, inwieweit das Deutschlandbild, wie es in der zweiten Hälfte der sozialistischen Ära verschiedene Segmente der polnischen Publizistik zeichneten, auch von innenpolitischen Opportunitätserwägungen bestimmt wurde. Zu diesem Zweck werden zunächst die durch die Geschichte geprägten gemeinsamen Stereotypen isoliert, um sodann anhand vergleichender Analyse von Texten aus den drei genannten Quellen den unterschiedlichen Umgang damit aufzuzeigen. Auch in Korrelation zum jeweiligen tagespolitischen Umfeld gelingt so der Nachweis, daß die Kommunisten mit Hilfe der von ihnen gelenkten Medien die vorhandenen Stereotypen durch geeignete Akzentuierung und Auffrischung zur Legitimation ihres Führungsanspruches und der Anlehnung an die Sowjetunion instrumentalisierten. Das Buch ist nicht nur ein interessanter Beitrag zur politikwissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Beurteilung der letzten zwei Jahrzehnte der Einparteienherrschaft in Polen. Im Prozeß der Öffnung der Europäischen Gemeinschaft nach Osten hilft es auch, Problemfelder der bei diesem Vorhaben wichtigen deutsch-polnischen Beziehungen zu identifizieren und Wege zu ihrer Beseitigung anzuregen.

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Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas Herausgegeben vom Herder-Institut e.V.

Band 2

Johann Georg Eisen (1717-1779) Ausgewählte Schriften. Deutsche Volksaufklärung und Leibeigenschaft im Russischen Reiche Herausgegeben von Roger Bartlett und Erich Donnert ISBN 3-87969-266-1 31 Abb., XI, 723 S., Dezember 1998 DM 123,Über den aus Franken stammenden und in den Ostseeprovinzen des Russischen Reiches wirkenden Pastor Johann Georg Eisen sind in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten historische und biographische Studien erschienen, die die Bedeutung dieses evangelischen Pfarrers in der Zeit der Aufklärung in Est-, Liv- und Kurland und im ganzen Russischen Reich untersucht haben. Was seine Schriften, Werke und Briefe angeht, blieb die Forschung bislang weitgehend auf die Originaldrucke des 18. Jahrhunderts und auf verschiedene Handschriftensammlungen angewiesen. Diese empfindliche Lücke wird nun durch die vorliegende Edition im wesentlichen geschlossen. Es handelt sich um ein Gemeinschaftswerk zweier ausgewiesener Fachleute: Erich Donnert aus Halle/Saale, emeritierter Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Halle, und Roger Bartlett aus London, Professor für Osteuropäische Geschichte an der dortigen Universität (Reader in Russian History at the School of Slavonic and East European Studies). Von Roger Bartlett stammt die umfangreiche Einleitung (S. 1-107), in der er anhand neuer Archivmaterialien den Lebensweg Eisens als Seelsorger, Theologe und Volksaufklärer und seine Verbindungen innerhalb des baltischen Raumes sowie nach Petersburg und Moskau und nach Deutschland darstellt. Sodann (S.109-678) folgt die Edition der größeren Werke (u.a. „Eines- Livländischen Patrioten Beschreibung der Leibeigenschaft", „Lehrbegriff der drei verschiedenen Verfassungen", der „Beweis, daß diejenige Verfassung des Bauern [...]", „Die Blatterimpfung", „Unterricht von der allgemeinen Kräuter- und Wurzeltrocknung", „Gartenbuch", „Das Christenthum", „Der Philanthrop") und der kleineren Schriften sowie von insgesamt 103 Briefen Eisens. Die vorliegende Quellenedition ermöglicht gründliche Einsichten in Eisens Überlegungen zur Leibeigenschaft und zur Ausgestaltung der Verfassung des Russischen Reiches, einem der „großen" Themen der damaligen Philosophie. Sie beleuchtet weiterhin seine praktische und gemeinnützige Tätigkeit, seine Vorstellung von Christentum, sein Selbstverständnis und sein tagtägliches Wirken als evangelischer Pfarrer in der Zeit der Aufklärung. Umfangreich bearbeitete Personen-, Orts- und Sachregister erschließen den Inhalt der Einleitung und der edierten Schriften. Quellen- und Literaturverzeichnis sowie zwei Karten von Estund Livland und vom Kirchspiel Torma, seinem Wirkungsort als Pfarrer, runden den Band ab.

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Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas Herausgegeben vom Herder-Institut e.V.

Band 3

Leszek Belzyt

Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815-1914 Die preußische Sprachenstatistik in Bearbeitung und Kommentar ISBN 3-87969-267-X XXIV, 508 S. Dezember 1998 DM 63,-Die vorliegende Edition ist die erste Arbeit, die alle statistischen Angaben zur Sprache der Bevölkerung aus dem Zeitraum von 1815 bis 1914 für den gesamten preußischen Staat in einem Werk zusammenstellt. Zur besseren Übersicht sind die Zahlen - anders als in amtlichen Tabellen - nach Kreisen geordnet worden. Dies erleichtert den Zugang zum Datenmaterial und ermöglicht gleichzeitig den Blick auf die Entwicklung innerhalb einzelner Verwaltungseinheiten. Den Zusammenstellungen sind konfessionelle Angaben beigefügt, die als Vergleichsmaterial dienen und die die Tendenzen der demographischen Änderungen zusätzlich veranschaulichen. Im einleitenden Teil der Publikation wird außerdem der Versuch unternommen, die geschichtliche Entwicklung der preußischen Sprachenstatistik und ihrer Methoden darzustellen. Der Autor, der ein kritisches Herangehen an die Quellen postuliert und eine differenzierte Methode zur Bewertung der Zahlen anbietet, entwirft aufgrund der gewonnenen Ergebnisse ein breites Spektrum der nationalen Minderheiten in Preußen. Das Buch stellt nicht nur für Forscher, die sich mit der Nationalitätenfrage in Preußen beschäftigen, eine wichtige Informationsquelle dar, sondern liefert auch ganz allgemein für die Demographie und die Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts grundlegendes Material.

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Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung Herausgegeben vom Herder-Institut e.V. Band 7

Agrarwirtschaft und ländlicher Raum Ostmitteleuropas in der Transformation Herausgegeben von Ekkehard Buchhofer und Wolfgang Quaisser ISBN 3-87969-268-8

VIII, 264 S. 1998

DM 59,--

In der Landwirtschaft Ostmitteleuropas kumulieren sich heute Probleme eines in dieser Region nur' zurückgestauten, allgemeinen Strukturwandels, der auch für andere Länder relevant ist, mit spezifischen Transformationsproblemen hinsichtlich Unternehmens- und Eigentumsformen, Marktsteuerung etc. Hinzu treten, wegen des von den meisten betreffenden Ländern angestrebten EU-Beitritts, gesonderte Anpassungserfordernisse des Europäischen Agrarmarktes. Dabei hat das in diesem Raum bis 1989 verbindliche sozialistische Wirtschaftssystem dort keineswegs einheitliche Bedingungen hinterlassen, wie auch die nationalen Transformationsziele im Agrarbereich, abgesehen von seiner Eingliederung in den marktwirtschaftlichen Kontext, im Detail durchaus divergieren und außerdem während der vergangenen fünf Jahre bereits gewisse Verschiebungen erfahren haben. Die elf Beiträge dieses Bandes bemühen sich, die spezifischen Problemlagen für die baltischen Länder, Polen, Tschechien , die Slowakei und Ungarn zu analysieren und in übergreifender Form Perspektiven, insbesondere auch im Hinblick auf die europäische Integration, abzuleiten. Sie sind Ergebnis einer von der Fachkommission Wirtschafts- und Sozialwissenschaften im Herder-Forschungsrat, dem HerderInstitut und dem Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (Halle) veranstalteten internationalen Fachtagung.

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