Haftung für Gasversorgungsstörungen: Eine rechtsvergleichende Analyse zum deutschen und ukrainischen Recht unter Berücksichtigung russischen Rechts [1. Aufl. 2019] 978-3-658-27835-9, 978-3-658-27836-6

Natalia Ishyna setzt sich mit der Haftung für Gasversorgungsstörungen, insbesondere für Versorgungsengpässe und für die

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German Pages XXVI, 540 [556] Year 2019

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Haftung für Gasversorgungsstörungen: Eine rechtsvergleichende Analyse zum deutschen und ukrainischen Recht unter Berücksichtigung russischen Rechts [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-27835-9, 978-3-658-27836-6

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXVI
Einleitung (Natalia Ishyna)....Pages 1-3
Front Matter ....Pages 5-5
Das Gasversorgungssystem im Überblick (Natalia Ishyna)....Pages 7-41
Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem (Natalia Ishyna)....Pages 43-146
Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich (Natalia Ishyna)....Pages 147-238
Zusammenfassung (Natalia Ishyna)....Pages 239-243
Front Matter ....Pages 245-245
Das Erdgasversorgungssystem im Überblick (Natalia Ishyna)....Pages 247-293
Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem (Natalia Ishyna)....Pages 295-357
Haftungsgrundlagen (Natalia Ishyna)....Pages 359-442
Zusammenfassung (Natalia Ishyna)....Pages 443-446
Front Matter ....Pages 447-448
Energierechtliche Rahmenbedingungen (Natalia Ishyna)....Pages 449-453
Haftungsrechtliche Lösungen (Natalia Ishyna)....Pages 455-474
Back Matter ....Pages 475-540

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Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht

Natalia Ishyna

Haftung für Gasversorgungsstörungen Eine rechtsvergleichende Analyse zum deutschen und ukrainischen Recht unter Berücksichtigung russischen Rechts

Juridicum – Schriften zum ­Bürgerlichen Recht Reihe herausgegeben von Andreas Spickhoff, München, Deutschland Johannes Hager, München, Deutschland

Das Bürgerliche Recht und das Bürgerliche Gesetzbuch als seine „Basiskodifikation“ bilden die Grundlage unseres Privatrechts. Sondermaterien des Privatrechts sind in Rückbeziehung darauf auszulegen. Heute haben bestimmte Bereiche des sogenannten Sonderprivatrechts zum Teil eine Art Eigenleben entfaltet, durch das die allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts verdrängt oder jedenfalls modifiziert werden. Unionsrechtliche Einflüsse tragen zusätzlich dazu bei oder entwickeln das Bürgerliche Recht selbst weiter. Die Schriftenreihe „Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht“ möchte in diesem Sinne ein Forum für Arbeiten zum Bürgerlichen Recht in seiner ganzen Breite, Ausstrahlung und Entwicklung schaffen.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16009

Natalia Ishyna

Haftung für Gasversorgungsstörungen Eine rechtsvergleichende Analyse zum deutschen und ukrainischen Recht unter Berücksichtigung russischen Rechts

Natalia Ishyna Ludwig-Maximilians-Universität ­München München, Deutschland Zugl.: Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München, 2019

Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht ISBN 978-3-658-27836-6  (eBook) ISBN 978-3-658-27835-9 https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Die Idee einer rechtsvergleichenden Untersuchung der Haftung für Gasversorgungsstörungen ist auf Anregung von meinem geschätzten Betreuer, Herrn Professor Dr. Andreas Spickhoff, entstanden. Ihm verdanke ich nicht nur den thematischen Anstoß zu diesem Aufsatz, sondern auch die stete Förderung und Motivation bei der Umsetzung des Themas sowie die persönliche Unterstützung während meines gesamten Promotionsstudiums in München. Er hat für mich stets ein offenes Ohr und steht mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Herrn Professor Dr. Richard Giesen danke ich vielmals für die Erstellung des Zweitgutachtens. Meinen besonderen Dank möchte ich Frau Irina Rebin, Frau Julia Schlicht und Frau Kristin Ullrich für ihre zahlreichen Anregungen, Diskussionen und Ratschläge, die maßgeblich zu meinem Schaffen beigetragen haben, sowie für ihre unschätzbare Hilfe bei der Korrektur des Manuskripts aussprechen. Weiterhin bedanke ich mich herzlich bei ihnen für ihre großherzige Freundschaft. Dank schulde ich ferner all denjenigen, die mich auf dem Weg zu dieser Arbeit auf ihre Weise unterstützt haben. Zutiefst dankbar bin ich meinen Eltern, die unter anderem meinen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht haben und überhaupt in allen Lebenslagen meine wichtigste Stütze sind.

München

Natalia Ishyna

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis ...............................................................................XXI § 1 Einleitung ................................................................................................... 1 Teil I Rechtslage in Deutschland ................................................................... 5 § 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick ............................................. 7 A. Gas als leitungsgebundene Energie im Sinne des EnWG .................... 7 I. Leitungsgebundenheit der Gasversorgung ..................................... 8 II. Begrenzte Substituierbarkeit von Gas ............................................. 9 III. Speicherbarkeit von Gas ............................................................... 11 B. Rechtsgrundlagen der leitungsgebundenen Gasversorgung .............. 11 I. Unionsrechtliche Quellen............................................................... 12 1. Die erste Erdgasbinnenmarktrichtlinie von 1998 ..................... 13 2. Die sog. Beschleunigungsrichtlinie Erdgas von 2003 .............. 14 3. Die dritte Erdgasbinnenmarktrichtlinie von 2009 ..................... 16 II. Deutsche Quellen .......................................................................... 19 1. Die Energierechtsreformen von 1998, 2003 und 2005 ............ 20 a) Vom verhandelten zum regulierten Netzzugang................ 20 b) Die Auswirkungen der Liberalisierung auf die Rechtsverhältnisse zwischen Netzbetreiber, Lieferanten und Kunden ....................................................................... 22 2. Die EnWG-Novelle 2011 ......................................................... 25 3. Rechtsverordnungen ............................................................... 26 C. Marktbezogene Hintergründe leitungsgebundener Erdgasversorgung ............................................................................... 28 I. Allgemeines ................................................................................... 28 II. Beschaffungsebene ....................................................................... 29 III. Großhandelsebene ........................................................................ 30 IV. Transportebene: Fernleitung und Verteilung ................................. 31 1. Fernleitungs- und Verteilernetze als natürliche Monopole ...... 32 2. Grundsatz des Zweivertragsmodells ....................................... 32 a) Einspeise- und Ausspeisevertrag ...................................... 33 b) Konsequenzen des netzübergreifenden Zweivertragsmodells .......................................................... 34 3. Netzanschluss und Netzanschlussnutzung ............................. 35 a) Anspruch auf Netzanschluss nach § 17 EnWG ................. 35 b) Allgemeine Netzanschlusspflicht nach § 18 EnWG ........... 35

X

Inhaltsverzeichnis

c) Dogmatische Einordnung des Netzanschlussanspruchs... 36 d) Anschlussnutzungsverhältnis ............................................ 37 V. Endkundenebene .......................................................................... 39 § 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem ............................. 43 A. Aufgaben und Pflichten der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteurgesellschaften .................................................... 43 I. Erdgasförderer............................................................................... 43 1. Bergbauspezifische Pflichten .................................................. 43 2. Herstellerspezifische Pflichten ................................................. 44 a) Im Konstruktionsbereich .................................................... 46 b) Im Fabrikationsbereich ...................................................... 46 c) Im Instruktionsbereich........................................................ 47 d) Im Produktbeobachtungsbereich ....................................... 48 3. Lieferantenspezifische Pflichten .............................................. 49 II. Erdgasimporteure .......................................................................... 52 1. Aufgaben und Pflichten auf der Nachfrageseite ...................... 52 2. Aufgaben und Pflichten auf der Anbieterseite ......................... 53 a) Kaufvertragliche Pflichten .................................................. 53 b) Produkthaftungsrechtliche Pflichten .................................. 54 B. Aufgaben und Pflichten der Erdgaslieferanten .................................... 56 I. Pflichten im Haushaltskundenbereich ........................................... 57 1. Grundversorgungspflicht gemäß § 36 EnWG .......................... 57 a) Kontrahierungszwang des Grundversorgers ..................... 58 b) Leistungsbeschreibung ...................................................... 61 aa) Art der Grundversorgung, § 5 GasGVV ..................... 62 bb) Umfang der Grundversorgung, § 6 GasGVV ............. 62 (1) Pflicht zur Organisation des Transports von Erdgas ................................................................ 63 (2) Pflicht zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Erdgas ......................................................... 65 (3) Ausnahmen von der Grundversorgungspflicht, § 6 Abs. 2 S. 2 GasGVV .................................... 66 (a) Zeitliche Beschränkungen durch die Allgemeinen Preise oder Allgemeinen Bedingungen (Nr. 1) ..................................... 67 (b) Unterbrechungen des Netzanschlusses bzw. der Anschlussnutzung (Nr. 2) .............. 68 (c) Unterbrechungen wegen von außen einwirkender Umstände (Nr. 3) .................... 70

Inhaltsverzeichnis

XI

(aa) Durch höhere Gewalt ........................... 71 (bb) Durch sonstige Umstände .................... 72 c) Vom Grundversorger veranlasste Unterbrechungen, § 19 GasGVV..................................................................... 73 aa) Fristlose Einstellung der Gasbelieferung, § 19 Abs. 1 GasGVV.................................................. 74 bb) Fristgemäße Einstellung der Gasbelieferung, § 19 Abs. 2 GasGVV.................................................. 75 (1) Erfordernis der Mahnung bei Zahlungsrückständen des Kunden .................... 76 (2) Androhungs- und Ankündigungspflicht .............. 77 (3) Ausschlusstatbestand des § 19 Abs. 2 S. 2 GasGVV ............................................................. 78 d) Pflicht zur unverzüglichen Wiederherstellung der Grundversorgung......................................................... 81 e) Auskunfts- und Ermittlungspflicht nach § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV ..................................................................... 83 2. Ersatzversorgungspflicht gemäß § 38 EnWG ......................... 84 a) Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Ersatzversorgung............................................................... 85 b) Zur Rechtsnatur des Ersatzversorgungsverhältnisses ...... 86 c) Inhaltliche Ausgestaltung der Ersatzversorgungspflicht .... 87 II. Pflichten außerhalb der Grundversorgung .................................... 88 1. Belieferung von Haushaltskunden ........................................... 89 a) Notwendiger Vertragsinhalt, § 41 Abs. 1 S. 2 EnWG ........ 90 b) Abgrenzungsfragen bei der Übernahme der GasGVV-Vorgaben ............................................................ 90 c) Inhaltskontrolle standardisierter Wettbewerbsverträge...... 91 aa) Hintergründe der BGH-Leitbildrechtsprechung .......... 92 bb) Wendepunkt in der BGH-Leitbildrechtsprechung ...... 93 2. Belieferung von Nichthaushaltskunden im Rahmen vorformulierter, einheitlicher Vereinbarungen .......................... 96 3. Belieferung von Letztverbrauchern im Rahmen privatautonomer Vereinbarungen ............................................ 98 C. Aufgaben und Pflichten der Netzbetreiber .......................................... 99 I. Netzzugangspflicht, § 20 EnWG.................................................. 100 1. Inhalt und Umfang des Anspruchs auf Netzzugang .............. 100 2. Rechtsdogmatische Einordnung des Anspruchs auf Netzzugang ........................................................................... 102

XII

Inhaltsverzeichnis

3. Pflichtenkatalog des Netzbetreibers in Anbetracht der materiell-rechtlichen Ausgestaltung des Netzzugangs .......... 104 a) Leistungsbeschreibung .................................................... 105 b) Kooperationspflichten ...................................................... 108 aa) Gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit beim Netzzugang ..................................................... 108 bb) Konkretisierung durch die Kooperationsvereinbarung ....................................... 109 (1) Kein Rechtsnormcharakter .............................. 109 (2) Standardisierte Vertragsbedingungen ............. 110 cc) Rechtliche Einordnung und Durchsetzung .............. 111 (1) Gesetzliches Schuldverhältnis ......................... 112 (2) Kontrahierungszwang ...................................... 112 (3) Kein unmittelbarer Anspruch des Netzkunden . 113 c) Veröffentlichungs- und Informationspflichten................... 114 aa) Zum Inhalt der Veröffentlichungs- und Informationspflichten ................................................ 114 bb) Rechtsfolgen einer Verletzung der Veröffentlichungs- und nformationspflichten ............ 115 (1) Energierechtliche Folgen ................................. 115 (2) Zivilrechtliche Folgen ....................................... 115 II. Anschlusspflicht ........................................................................... 117 1. Leistungsbeschreibung .......................................................... 117 a) Pflicht zur technischen Umsetzung des Netzanschlusses117 b) Pflicht zur Vorhaltung des Netzanschlusses.................... 118 aa) Art des Netzanschlusses ......................................... 118 bb) Betrieb des Netzanschlusses................................... 119 2. Pflicht zur Ermöglichung einer Erdgasentnahme durch einen bestehenden Netzanschluss ........................................ 120 a) Inhalt der Pflicht zur Ermöglichung einer Anschlussnutzung............................................................ 121 aa) Ermöglichung einer jederzeitigen Anschlussnutzung .................................................... 122 bb) Ausnahmen von der Pflicht zur Ermöglichung einer Anschlussnutzung .................................................... 122 cc) Brennwert und Druck am Netzanschluss ................. 123 b) Unterbrechung der Anschlussnutzung............................. 125 aa) Vornahme betriebsnotwendiger Arbeiten ................ 126

Inhaltsverzeichnis

XIII

bb) Vermeidung eines drohenden Netzzusammenbruchs ............................................. 127 c) Pflicht zur unverzüglichen Behebung der Unterbrechung ................................................................. 128 d) Pflicht zur vorherigen Benachrichtigung .......................... 129 3. Unterbrechungsbefugnisse des Netzbetreibers nach § 24 NDAV ............................................................................. 130 a) Sperren bei „Gefahr in Verzug“ (§ 24 Abs. 1 NDAV) ....... 131 b) Sperren bei anderen Zuwiderhandlungen (§ 24 Abs. 2 NDAV) ......................................................... 132 c) Sperren „auf Zuruf“ (§ 24 Abs. 3 NDAV).......................... 133 4. Pflicht zum Entsperren .......................................................... 135 III. Verpflichtung zum Betrieb eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Gasversorgungsnetzes.............................. 136 1. Aufgaben und Systemverantwortung der Fernleitungsnetzbetreiber ...................................................... 137 a) Aufgaben beim Betrieb von Fernleitungsnetzen (§ 15 EnWG) .................................................................... 137 b) Systemverantwortung beim Betrieb von Fernleitungsnetzen (§ 16 EnWG) .................................... 138 aa) Netzbezogene Maßnahmen..................................... 139 bb) Marktbezogene Maßnahmen ................................... 139 cc) Notfallmaßnahmen................................................... 140 2. Aufgaben und Systemverantwortung des Verteilernetzbetreibers .......................................................... 142 D. Aufgaben und Pflichten der Endkunden ............................................ 143 I. Lieferbezogene Pflichten ............................................................. 143 II. Netzbezogene Pflichten............................................................... 144 1. Pflichten des Anschlussnehmers ........................................... 145 2. Pflichten des Anschlussnutzers ............................................. 146 § 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich ....................................................................................... 147 A. Der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur als Passivlegitimierter ............................................................................. 148 I. Verschuldensabhängige Haftung ................................................ 148 1. Vertragliche Haftung .............................................................. 149 a) Schuldverhältnis .............................................................. 151 b) Pflichtverletzung .............................................................. 152 c) Vertretenmüssen ............................................................. 154

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Inhaltsverzeichnis

aa) Eigenes Verschulden ............................................... 154 bb) Fremdes Verschulden .............................................. 155 cc) Verschuldensmaßstab ............................................. 157 d) Kausaler Schaden ........................................................... 160 2. Deliktische Haftung ................................................................ 161 a) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB...................................... 162 aa) Geschützte Rechte und Rechtsgüter ....................... 163 bb) Haftungsbegründendes Verhalten ........................... 166 cc) Haftungsbegründende Kausalität und Zurechnung . 169 dd) Rechtswidrigkeit ....................................................... 171 ee) Verschulden ............................................................. 172 ff) Kausaler Schaden.................................................... 173 b) Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB ................................................... 173 c) Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB .......... 175 II. Verschuldensunabhängige Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ........................................................ 176 B. Der Erdgaslieferant als Passivlegitimierter ....................................... 179 I. Verschuldensabhängige Haftung ................................................ 179 1. Vertragliche Haftung .............................................................. 180 a) Schuldverhältnis .............................................................. 180 b) Pflichtverletzung .............................................................. 181 c) Vertretenmüssen ............................................................. 183 2. Deliktische Haftung ................................................................ 186 a) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB...................................... 186 b) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB...................................... 188 c) Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB .......... 189 II. Verschuldensunabhängige Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ........................................................ 191 C. Der Netzbetreiber als Passivlegitimierter .......................................... 192 I. Verschuldensabhängige Haftung ................................................ 193 1. Vertragliche Haftung .............................................................. 193 a) Schuldverhältnis .............................................................. 195 b) Pflichtverletzung .............................................................. 197 c) Vertretenmüssen ............................................................. 201 2. Deliktische Haftung ................................................................ 203 a) Haftung nach § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG ............. 204 b) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB...................................... 206 c) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB...................................... 210

Inhaltsverzeichnis

XV

d) Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB .......... 212 II. Verschuldensunabhängige Haftung ............................................ 214 1. Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ........................... 214 a) Erdgas als Produkt .......................................................... 215 b) Die Fehlerhaftigkeit des Erdgases ................................... 216 aa) Bestimmung der berechtigten Sicherheitserwartungen in der Erdgasversorgung ... 216 bb) Versorgungsunterbrechung als Produktfehler im Sinne des § 3 Abs. 1 ProdHaftG ......................... 218 cc) Zeitpunkt des Inverkehrbringens.............................. 220 c) Hersteller im Sinne des § 4 ProdHaftG............................ 221 d) Haftungsminderung und Haftungsausschluss ................. 223 e) Unabdingbarkeit des Ersatzanspruchs ............................ 225 2. Haftung nach dem Haftpflichtgesetz ...................................... 226 3. Haftung nach dem Umwelthaftungsgesetz ............................ 228 D. Die energierechtliche Haftungsprivilegierung .................................... 228 I. Haftungsprivilegierung durch § 6 Abs. 3 GasGVV ...................... 229 II. Haftungsprivilegierung durch § 18 NDAV .................................... 230 1. Persönlicher Anwendungsbereich ......................................... 231 2. Einzelne Haftungsmodifikationen .......................................... 235 III. Haftungsprivilegierung durch § 5 GasNZV .................................. 237 § 5 Zusammenfassung................................................................................ 239 Teil II Rechtslage in der Ukraine ................................................................ 245 § 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick .................................... 247 A. Die Reform des ukrainischen Erdgassektors ab 2015 ...................... 248 I. Tarifanpassung ............................................................................ 250 II. Neue rechtliche Rahmenbedingungen für die Erdgaswirtschaft.. 253 III. Ein neues Erdgasmarktdesign..................................................... 256 IV. Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde ................ 259 V. Umstrukturierung von Naftogaz ................................................... 261 B. Rechtsgrundlagen der leitungsgebundenen Erdgasversorgung ....... 263 I. Unionsrechtliche Quellen............................................................. 264 II. Ukrainische Quellen .................................................................... 266 1. Relevante Energiegesetze .................................................... 268 2. Zivilrechtliche Regelungen zur Erdgasversorgung ................ 271 3. Anwendung wirtschaftsrechtlicher Regelungen auf die Verhältnisse im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung . 273

XVI

Inhaltsverzeichnis

C. Marktbezogene Hintergründe leitungsgebundener Erdgasversorgung ............................................................................. 275 I. Beschaffungsebene ..................................................................... 276 II. Großhandelsebene ...................................................................... 278 III. Transportebene: Fernleitung und Verteilung ............................... 281 1. Zur Umsetzung des Unbundlings .......................................... 282 2. Rechtliche Rahmenbedingungen des Netzzugangs .............. 284 3. Vertragsgestaltung im ukrainischen Entry-Exit-Modell .......... 287 IV. Endabnehmermarkt ..................................................................... 290 1. Regulierter und nichtregulierter Endabnehmermarkt ............. 291 2. Vertragslandschaft ................................................................. 292 § 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem ....................... 295 A. Aufgaben und Pflichten der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimportgesellschaften ........................................................ 295 I. Erdgasförderer............................................................................. 295 1. Bergbauspezifische Pflichten ................................................ 296 2. Herstellerspezifische Pflichten ............................................... 298 a) Sicherheitspflichten des Herstellers nach dem ukrainischen ProdHaftG................................................... 299 b) Qualitäts- und Sicherheitspflichten des Herstellers nach dem VerbrSchG ...................................................... 300 c) Informationspflichten des Herstellers............................... 302 3. Verkäufer- bzw. lieferantenspezifische Pflichten ................... 304 II. Erdgasimporteure ........................................................................ 309 1. Verkäufer- bzw. lieferantenspezifische Pflichten ................... 310 2. Produkthaftungsrechtliche und herstellerspezifische Pflichten312 B. Aufgaben und Pflichten der Erdgaslieferanten .................................. 313 I. Pflichten innerhalb der regulierten Versorgung ........................... 314 1. „Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen“ ...................... 315 a) Belieferung von Haushaltsverbrauchern.......................... 316 aa) Pflicht zur sicheren und qualitativen Versorgung mit Erdgas ................................................................ 317 bb) Ausnahmen von der Verpflichtung zur Belieferung von Haushaltsverbrauchern mit Erdgas ................... 318 (1) Vom Erdgaslieferanten veranlasste Unterbrechung der Versorgung ....................... 319 (2) Unterbrechung durch höhere Gewalt ............... 320 (3) Netzbedingte Unterbrechungen ....................... 323 b) Belieferung von Nicht-Haushaltsverbrauchern ................ 325

Inhaltsverzeichnis

XVII

aa) Belieferung von Fernwärmeerzeugern..................... 325 (1) Qualitäts- und Quantitätsanforderungen .......... 326 (2) Abgrenzung der Verantwortungsbereiche ....... 327 (3) Ausnahmen von der Verpflichtung zur Belieferung von Fernwärmeerzeugern mit Erdgas ........................................................ 329 bb) Belieferung religiöser Organisationen ...................... 330 2. „Lieferant der letzten Rettung“ ............................................... 331 a) Die Rechtsnatur des Versorgungsverhältnisses mit dem „Lieferanten der letzten Rettung“ ....................... 332 b) Inhaltliche Ausgestaltung der Versorgungspflicht des „Lieferanten der letzten Rettung“ ..................................... 333 II. Pflichten außerhalb der regulierten Versorgung .......................... 335 C. Aufgaben und Pflichten der Netzbetreiber ........................................ 337 I. Netzzugangspflicht, Art. 19 Abs. 1 ErdgasMarktG ...................... 337 1. Netzzugangspflicht des Transportnetzbetreibers .................. 338 a) Inhalt und Umfang der Netzzugangspflicht ...................... 338 b) Unterbrechung der Netznutzung...................................... 339 c) Veröffentlichungs- und Informationspflicht des Transportnetzbetreibers ............................................ 341 2. Netzzugangspflicht des Verteilernetzbetreibers .................... 342 II. Anschlusspflicht, Art. 19 Abs. 1 ErdgasMarktG ........................... 344 III. Verpflichtung zum Betrieb eines sicheren, zuverlässigen und leisungsfähigen Erdgasversorgungsnetzes .......................... 345 1. Aufgaben und Systemverantwortung des Transportnetzbetreibers ........................................................ 345 2. Aufgaben und Systemverantwortung des Verteilernetzbetreibers .......................................................... 348 IV. Kooperationspflichten .................................................................. 349 D. Aufgaben und Pflichten der Endkunden ............................................ 350 I. Lieferbezogene Pflichten ............................................................. 351 II. Netzbezogene Pflichten............................................................... 354 1. Pflichten des Anschlussnehmers ........................................... 354 2. Pflichten des Netzkunden ...................................................... 355 § 8 Haftungsgrundlagen ............................................................................. 359 A. Verhältnis zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung im ukrainischen Recht ....................................................................... 360 B. Der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur als Passivlegitimierter ............................................................................. 363

XVIII

Inhaltsverzeichnis

I.

Deliktische Haftung...................................................................... 364 1. Allgemeine deliktische Haftung (Art. 1166 Abs. 1 ZGB) ........ 366 a) Schaden („škoda“) ........................................................... 367 b) Rechtswidriges Verhalten („protypravna povedinka“) ...... 369 c) Kausalzusammenhang („pryčynnyj zv´jazok“) ................. 371 d) Verschulden („vyna“) ....................................................... 373 e) Rechtsfolgen .................................................................... 375 2. Außervertragliche Haftung für Quellen erhöhter Gefahr (Art. 1187 Abs. 2 ZGB) .......................................................... 376 a) Quelle erhöhter Gefahr .................................................... 376 b) Besitzer der Gefahrenquelle ............................................ 378 c) Kausalität ......................................................................... 379 d) Ausschluss der Ersatzpflicht ............................................ 380 e) Rechtsfolgen, Mitverschulden.......................................... 381 3. Haftung für durch Dritte verursachte Schäden (Art. 1172 ZGB) ..................................................................... 382 II. Haftung nach Art. 224 Abs. 1 WGB ............................................. 383 III. Haftung nach dem VerbrSchG .................................................... 385 1. Außervertragliche Haftung gemäß Art. 16 VerbrSchG .......... 386 2. Informationshaftung gemäß Art. 15 Abs. 7 VerbrSchG ......... 388 a) Rechtsbehelfe nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG ............................................................. 389 b) Rechtsbehelfe nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG ....... 390 IV. Haftung nach dem ProdHaftG ..................................................... 393 1. Anspruchsberechtigte Personen ........................................... 393 2. Anspruchsverpflichtete Personen .......................................... 394 3. Erdgas als Produkt im Sinne des ukrainischen ProdHaftG ... 395 4. Haftungsvoraussetzungen ..................................................... 396 a) Produktfehler ................................................................... 396 b) Schaden........................................................................... 397 c) Kausalität ......................................................................... 397 5. Haftungsausschluss .............................................................. 398 6. Rechtsfolgen .......................................................................... 399 C. Der Erdgaslieferant als Passivlegitimierter ........................................ 400 I. Vertragliche Haftung nach Art. 623 Abs. 1 ZGB .......................... 401 1. Haftungsvoraussetzungen des Art. 623 Abs. 1 ZGB ............. 404 a) Schuldverhältnis .............................................................. 405 b) Verletzung der Verbindlichkeit ......................................... 406 c) Verschulden ..................................................................... 408

Inhaltsverzeichnis

XIX

d) Kausaler Schaden ........................................................... 410 2. Rechtsfolgen .......................................................................... 412 II. Vertragliche Haftung nach Art. 224 Abs. 1 WGB......................... 412 III. Deliktische Haftung nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB.......................... 416 IV. Haftung nach dem VerbrSchG .................................................... 418 V. Haftung nach dem ProdHaftG ..................................................... 419 D. Der Netzbetreiber als Passivlegitimierter .......................................... 420 I. Haftung nach dem Vertragsrecht im ZGB ................................... 421 1. Zivilrechtliche Vertragshaftung gegenüber dem Erdgasendkunden als Anschlussnehmer .............................. 421 2. Zivilrechtliche Vertragshaftung gegenüber dem Erdgasendkunden als Netznutzer ......................................... 424 a) Haftungsverschärfung für unternehmerisch tätige Personen ......................................................................... 424 b) Verletzung von auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten gerichteter Pflichten ......................................................... 426 c) Verletzung von Schutzpflichten ....................................... 428 d) Kausaler Schaden ........................................................... 429 II. Haftung nach Art. 224 Abs. 1 WGB ............................................. 429 III. Deliktische Haftung nach dem ZGB ............................................ 431 1. Allgemeine deliktische Haftung (Art. 1166 Abs. 1 ZGB) ........ 432 2. Außervertragliche Haftung für mangelhafte Arbeitsbzw. Dienstleistung (Art. 1209 Abs. 1 S. 1 ZGB) ................... 434 3. Außervertragliche Haftung für Quellen erhöhter Gefahr (Art. 1187 Abs. 2 ZGB) .......................................................... 437 IV. Haftung nach dem VerbrSchG .................................................... 439 V. Haftung nach dem ProdHaftG ..................................................... 441 § 9 Zusammenfassung................................................................................ 443 Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse ...................... 447 § 10 Energierechtliche Rahmenbedingungen .......................................... 449 A. Auswirkungen der Liberalisierung auf Erdgasmärkten Deutschlands und der Ukraine .......................................................... 449 B. Besonderheiten der deutschen und der ukrainischen Vertragssystematik im Bereich der leitungsgebundenen Erdgasversorgung ............................................................................. 450 C. Energierechtliche Haftungsprivilegierung .......................................... 453

XX

Inhaltsverzeichnis

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen ............................................................ 455 A. Bedeutung des Konkurrenzverhältnisses zwischen der vertraglichen und außervertraglichen Haftungsordnung für die Haftungsfrage in Deutschland und in der Ukraine .................. 455 B. Vertragliche Haftungsordnung, Vertragstypeneinordnung und ihre Bedeutung für die Haftungsfrage bei Erdgasversorgungsstörungen ........................................................... 458 C. Besonderheiten der wirtschaftsrechtlichen Haftung in der ukrainischen Rechtsordnung ............................................................. 460 D. Besonderheiten der quasivertraglichen Haftung des Herstellers in der ukrainischen Rechtsordnung ................................................... 462 E. Allgemeine außervertragliche Haftungsordnung ............................... 465 I. Bedeutung der allgemeinen deliktischen Haftung bei Erdgasversorgungsstörungen................................................ 465 II. Unterschiede im Hinblick auf den deliktischen Schutzumfang .... 466 F. Besondere außervertragliche Haftungsordnung ............................... 469 I. Haftung für Quellen erhöhter Gefahr ........................................... 469 II. Produkthaftung ............................................................................ 471 Wesentliche Ergebnisse ............................................................................. 475 Literaturverzeichnis .................................................................................... 479 Anhang ......................................................................................................... 525

Abkürzungsverzeichnis Abschn. AEUV AVBGasV AVBEltV BerufWirtschG BezirkG BezVerwG BDEW BKartA BNetzA BTOGas BTOElt ČKUP Don NTU DVGW EE-Anlage EEC EFF EEG ErdkörperGB ErdgasLieferR ErdgasMarktG

EnWG

Abschnitt Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden Berufungswirtschaftsgericht (Апеляційний господарський суд) Bezirksgericht (Районний суд) Bezirksverwaltungsgericht (Окружний адміністративний суд) Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft Bundeskartellamt Bundesnetzagentur Bundestarifordnung Gas Bundestarifordnung Elektrizität Chronik der Kiewer Rechtsuniversität (Fachzeitschrift) (Часопис Київського університету права) Nationale Technische Universität Donetsk (Донецький національний технічний університет) Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches Erneuerbare Energieanlage Europäische Energiegemeinschaft Extended Fund Facility Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz) Erdkörpergesetzbuch der Ukraine (Кодекс України про надра) Regeln für die Erdgaslieferung (Правила постачання природного газу) Gesetz der Ukraine „Über den Erdgasmarkt“ (Erdgasmarktgesetz) (Закон України „Про ринок природного газу“) Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz)

XXII

GasGVV

GasNZV GOuRiG

GRM GTS ISO ITO IWF ChIRUtP

NVKhDU

KoV LLC LNG MfEKI

MfwEH

NaUOA NAV

Abkürzungsverzeichnis

Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Gasgrundversorgungsverordnung) Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (Gasnetzzugangsverordnung) Gesetz der Ukraine „Über die Gerichtsorganisation und den Status von Richtern“ (Закон України „Про судоустрій і статус суддів“) Gasverteilsystem (Газорозподільна система) Gastransportsystem (Газотранспортна система) Independent System Operator Independent Transmission Operator Internationaler Währungsfonds Chmelnyzkyj Instituts der Regionalverwaltung und des Rechts (Zeitschrift) (Хмельницький інститут регіонального управління та права) Wissenschaftsblatt der Staatlichen Universität Kherson (Науковий вісник Хмельницького державного університету) Kooperationsvereinbarung Limited Liability Company Liquified Natural Gas Ministerium für Energie und Kohleindustrie (Ukraine) (Міністерство енергетики та вугільної промисловості України) Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel (Ukraine) (Міністерство економічного розвитку і торгівлі України) Nationale Universität „Ostroger Akademie“ (Національний університет „Острозька академія“) Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung

Abkürzungsverzeichnis

NDAV

NKREKP

NKREKPG

NVMGU

NV NUBiPU

NVPtPP

NZIZVRU

OG ÖlGasG OSpezialG

OWirtschG

XXIII

Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Gasversorgung in Niederdruck Nationale Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen (Ukraine) (Національна комісія, що здійснює державне регулювання у сферах енергетики та комунальних послуг) Gesetz der Ukraine „Über die Nationale Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen“ (Закон України „Про Національну комісію, що здійснює державне регулювання у сферах енергетики та комунальних послуг“) Wissenschaftsblatt der Internationalen Humanitären Universität (Zeitschrift) (Науковий вісник Міжнародного гуманітарного університету) Wissenschaftsblatt der Nationalen Landwirtschaftlichen Universität der Ukraine (Zeitschrift) (Науковий вісник Національного університету біоресурсів і природокористування України) Wissenschaftsblatt öffentlichen und bürgerlichen Rechts (Zeitschrift) (Науковий вісник публічного та приватного права) Wissenschaftliche Zettel des Instituts für Gesetzgebung an der Verhovna Rada der Ukraine (Zeitschrift) (Наукові записки Інституту законодавства Верховної Ради України) Oberstes Gericht der Ukraine (Верховний суд Україні) Öl- und Gasgesetz der Ukraine (Закон України „Про нафту і газ“) Oberstes Spezialgericht für zivil- und strafrechtliche Sachen (Ukraine) (Вищий спеціалізований суд України з розгляду цивільних і кримінальних справ) Oberstes Wirtschaftsgericht (Ukraine) (Вищий господарський суд)

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

OU PAT

Ownership Unbundling Öffentliche Aktiengesellschaft (Публічне акціонерне товариство, ПАТ) Probleme und Perspektiven der Entwicklung des Unternehmertums (Zeitschrift) (Проблеми і перспективи розвитку підприємництва) Punkt Private Aktiengesellschaft (Приватне акціонерне товариство, ПрАТ) Rechtsblatt der Ukrainischen Bankakademie (Правовий вісник Української академії банківської справи) Reichshaftpflichtgesetz Gemeinschaftsunternehmen (Спільне підприємство, СП) Stadtbezirksgericht (Міськрайонний суд) Standardisierungsgesetz der Ukraine (Закон України „Про стандартизацію“) Strafgesetzbuch der Ukraine (Кримінальний кодекс України) Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (Stromnetzzugangsverordnung) Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung) Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Товариство з обмеженою відповідальністю, ТОВ) Transportnetzkodex (Кодекс газотранспортної системи) Unterabsatz Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Wissenschaftliche Universitäts-Notizen (Zeitschrift) (Університетські наукові записки) Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik Oberstes Arbitragegericht der Russischen Föderation (Высший Арбитражный Суд Российской Федерации) Verein Deutscher Ingenieure

PIPR

Pkt. PrAT PVUABS

RHPflG SP StadBezirkG StandardG StGB StromNZV StromVV

TOW TranspNetzK UA UdSSR UNZ USSR VAS RF VDI

Abkürzungsverzeichnis

VerbrSchG Verf VerfG VerfGE VerteilNetzK VerwGB

VHP Visnyk OIVS

Visnyk ONU VMDU VNAAU

VNULPAVK

VNULPL

VNULPURN

VV VVR

XXV

Verbraucherschutzgesetz der Ukraine (Закон України „Про захист прав споживачів“) Verfassung der Ukraine (Конституція України) Verfassungsgericht der Ukraine (Конституційний суд України) Entscheidung des Verfassungsgerichts der Ukraine (Рішення Конституційного суду України) Verteilernetzkodex (Кодекс газорозподільних систем) Gesetzbuch der Ukraine über die Verwaltungsrechtsverletzungen (Кодекс України про адміністративні правопорушення) Virtueller Handelspunkt Bulletin des Instituts für Innere Angelegenheiten Odesa (Zeitschrift) (Вісник Одеського інституту внутрішніх справ) Bulletin der Nationalen Universität Odesa (Zeitschrift) (Вісник Одеського національного університету) Bulletin der Staatlichen Universität Mariupol (Zeitung) (Вісник Маріупольського державного університету) Bulletin des Nationalen Anwaltsvereins der Ukraine (Zeitschrift) (Вісник Національної асоціації адвокатів України) Bulletin der Nationalen Politechnischen Universität Lwiw, Automatik, Messung und Steuerung (Zeitschrift) (Вісник Національного університету „Львівська політехніка", Автоматика, вимірювання та керування) Bulletin der Nationalen Politechnischen Universität Lwiw, Logistik (Zeitschrift) (Вісник Національного університету „Львівська політехніка", Логістика) Bulletin der Nationalen Politechnischen Universität Lwiw, Rechtswissenschaften (Zeitschrift) (Вісник Національного університету „Львівська політехніка", Юридичні науки) Verbändevereinbarung Bulletin des ukrainischen Parlaments (Zeitschrift) (Відомості Верховної Ради України)

XXVI

WGB WirtschG ZAT ZGB ZPGB

Abkürzungsverzeichnis

Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine (Господарський кодекс України) Wirtschaftsgericht (Господарський суд) Geschlossene Aktiengesellschaft (Закрите акціонерне товариство, ЗАТ) Zivilgesetzbuch der Ukraine (Цивільний кодекс України) Zivilprozessgesetzbuch der Ukraine (Цивільно-процесуальний кодекс України)

Vgl. im übrigen Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Aufl., Berlin 2018

§ 1 Einleitung Erdgas ist ein wichtiger fossiler Energieträger, der eine tragende Rolle in der europäischen Energieversorgung spielt und mit der Verknappung anderer fossiler Energieträger, wie beispielsweise Öl, immer bedeutender wird. Ein funktionierender Gas(binnen)markt ist dementsprechend eines der zentralen energiepolitischen Ziele in der EU und insbesondere in Deutschland. Zum Erreichen dieses Ziels sind in erster Linie die Schaffung von einheitlichen effektiven wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen sowie deren Umsetzung in den EU-Mitgliedstaaten erforderlich. Für das einwandfreie Funktionieren des Gas(binnen)marktes sind aber auch die Entwicklungen auf den Märkten in Liefer- und Transitstaaten außerhalb der EU von großer Bedeutung und geben daher ständig Anlass zu deren näheren Untersuchung, insbesondere auch in rechtsvergleichender Hinsicht. Dies ist im Besonderen auf die Abhängigkeit der EU von externen Gasquellen zurückzuführen. So wurden 2017 insgesamt 194,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die europäischen Länder, einschließlich der Türkei, aus Russland1 und nahezu die Hälfte davon – 90,8 Milliarden Kubikmeter – über die Transitleitungen der Ukraine2 transportiert, wobei Deutschland größter Abnehmer ist (und bleibt)3. Der Gasmarkt der Ukraine rückt hierbei immer mehr in den Fokus. Das große Interesse am ukrainischen Gasmarkt ist weniger mit der Rolle der Ukraine als Transitland für russische Gaslieferungen, als vielmehr mit der angestrebten Integration der ukrainischen Energiemärkte in den EU-Energiemarkt verbunden. Um ihren Verpflichtungen vor dem IWF als Mitglied in der Europäischen Energiegemeinschaft (EEC) und vor der EU im Rahmen des Assoziierungsabkommens nachkommen zu können, hat die Ukraine vielmehr bereits mit einer marktwirtschaftlichen und rechtlichen Umgestaltung ihres Gassektors begonnen. Aufgrund all des Gesagten sowie im Hinblick darauf, dass Deutschland an wichtigen Investitionsprojekten zur Energieliefersicherheit in der Ukraine, insbesondere an der Modernisierung des maroden ukrainischen GasTransitsystems aktiv beteiligt ist, ist eine rechtsvergleichende Untersuchung der Rechtslage auf dem Gas(versorgungs)markt in diesen beiden Ländern angezeigt. Während aber das rechtswissenschaftliche Schrifttum in Deutschland 1

2

3

Nach Gazprom, Delivery statistics, abgerufen unter: http://www.gazpromexport.ru/ en/statistics/ (zuletzt am 01.12.2018). Nach Naftogaz, Öl- und Gaswirtschaft der Ukraine in Zahlen, abgerufen unter: http://www.naftogaz.com/www/3/nakweb.nsf/0/74B2346ABA0CBC69C22570D80031A365 ?OpenDocument (zuletzt am 01.12.2018). S. Gazprom, Delivery statistics, abgerufen unter: http://www.gazpromexport.ru/ en/statistics/ (zuletzt am 01.12.2018).

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2

§ 1 Einleitung

und in der Ukraine sich vor allem auf Preisregulierungen sowie die genehmigungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Errichtung und den Betrieb von Leitungs- und Abgabeanlagen konzentriert, ist die Haftungsfrage im Zusammenhang mit Gasversorgungsstörungen, die bei (privaten und industriellen) Letztverbrauchern (Personen, Sach- oder Vermögens-)Schäden von enormen Ausmaßen aussetzen können, bislang ohne größere Beachtung geblieben. Ein effizienter Regulierungsrahmen allein reicht nicht aus, um einen neuen Gasmarkt für die Energiewende zu schaffen. Vielmehr ist dafür ein ausgewogenes Haftungssystem unabdingbar: Ein übermäßig hohes Haftungsniveau kann die Gefahr übermäßig hoher Sorgfaltsbemühungen der Gasmarktteilnehmer einerseits und eine unökonomisch teure Gasversorgung andererseits nach sich ziehen. Die den Akteuren auf dem Gasmarkt auferlegten Aufgaben und Funktionen können somit kaum effizient erfüllt werden. Dies gilt umso mehr, wenn man die hohen Schadensrisiken im Hinblick auf die physikalischchemischen Besonderheiten des Produkts Erdgas sowie die technischen Gegebenheiten seines Transports berücksichtigt. Zugleich muss die Haftung im Zusammenhang mit Versorgungsstörungen als hinreichender und geeigneter Anreizfaktor wirken, um dem Eintritt von Schäden bei Endkunden sinnvoll entgegenzutreten bzw. jedenfalls einem angemessenen Schadensausgleich dienen. In der vorliegenden Arbeit wird vor diesem Hintergrund der Versuch unternommen, ein umfassendes Bild über die Haftungssituation sämtlicher durch die Liberalisierungsprozesse am Gasversorgungsmarkt betroffenen Akteure – Erdgasförderer, Importeure, Lieferanten und Netzbetreiber – gegenüber sowohl privaten als auch gewerblichen und industriellen Abnehmern in Deutschland und in der Ukraine zu erstellen und im Rahmen der rechtsvergleichenden Analyse Vor- und Nachteile der nationalen Lösungsansätze sowie einen eventuellen gesetzgeberischen Handlungsbedarf aufzudecken. Um eine möglichst eingehende rechtliche Würdigung dieses Vorhabens zu gewährleisten, wird für die rechtsvergleichende Untersuchung ein funktionaler Ansatz gewählt4. Ausgangspunkt der Betrachtung bilden daher nicht die Regelungen des nationalen Rechts, sondern der zugrunde liegende wirtschaftlich-soziale Interessenkonflikt5. Im vorliegenden Fall sind dies die Haftungsbelastung der Gasmarktteilnehmer zum einen und die Schutzbedürftigkeit von Letztverbrauchern bei der Gasversorgung zum anderen. In einem ersten Schritt werden demnach marktbezogene Hintergründe der leitungsgebundenen Gasversorgung, Pflichten4

5

Näher zur funktionalen Rechtsvergleichung s. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 33. Ebenda.

§ 1 Einleitung

3

programme der als potenzielle Anspruchsgegner bei Versorgungsstörungen in Betracht kommenden Akteure sowie die verschiedenen Lösungswege zur Regelung der Haftungsfrage in Deutschland und der Ukraine ausführlich und isoliert voneinander gegenüber betroffenen Endkunden in Länderberichten dargestellt. Der Aufbau der Länderberichte trägt in erster Linie der Wertschöpfungskette im Gasversorgungsbereich Rechnung, wobei die jeweiligen methodischen Vorgehensweisen in den untersuchten Ländern zu erhalten sind. In einem zweiten Schritt werden die im Rahmen der Länderberichte ermittelten Ergebnisse der Rechtsanwendung gegenübergestellt und ausgehend von ihren Auswirkungen abschließend bewertet.

Teil I Rechtslage in Deutschland

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick Die rechtliche Gestaltung der leitungsgebundenen Erdgas- sowie Elektrizitätsversorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge6 ist vor allem durch eine enge Verflechtung von Wirtschaft, Politik und Technik auf diesem Sektor weitgehend vorgegeben und beeinflusst7. Dies gilt insbesondere für Haftungsfragen im Zusammenhang mit Schäden im Erdgasbereich, so dass eine nachfolgende Kurzdarstellung des Gasversorgungssystems für ein besseres Verständnis einer etwaigen Haftung der agierenden Akteure für Gasversorgungsstörungen angezeigt ist. Im Folgenden wird daher zunächst ein Überblick über technische und wirtschaftliche Hintergründe sowie internationale, europäische und nationale Vorgaben der Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit Gas unter besonderer Berücksichtigung der Entflechtungsregulierung gegeben. Des Weiteren wird auf zentrale Akteure sowie ihre Aufgaben, Pflichten und Verantwortung im ganzen Gasversorgungssystem eingegangen, um später alle relevanten Konstellationen zwischen den Beteiligten im Hinblick auf die Gasleiterstörungen feststellen und die jeweils in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen untersuchen zu können. A.

Gas als leitungsgebundene Energie im Sinne des EnWG

Die Gasversorgung innerhalb des deutschen Energierechts ist zunächst durch den Energiebegriff i. S. d. EnWG8 geprägt9. So wird Energie in § 3 Nr. 14 EnWG als „Elektrizität und Gas, soweit sie zur leitungsgebundenen Energieversorgung verwendet werden“, definiert. § 3 Nr. 19a EnWG konkretisiert dabei den Gasbegriff, unter welchen demnach Erdgas, Biogas, Flüssiggas, elektrolytisch erzeugter Wasserstoff sowie synthetisch erzeugtes Methan, das durch wasserelektrolytisch erzeugten Wasserstoff und anschließende Methanisierung hergestellt worden ist, fallen. Im Vordergrund steht hier allerdings der Netzcharakter, gleich ob Elektrizität oder Gas. 6

7 8

9

S. dazu BVerfG NJW 1984, 1872 (1873): „Die Energieversorgung gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge; sie ist eine Leistung, deren der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf.“; ebenfalls BVerfG NJW 1977, 1960 (1962); Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 2; Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 118 ff.; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 128 f. Ausführlich hierzu Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 5 ff. S. 3 ff. Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) v. 7.7.2005, BGBl. I S. 1970 S. 3621, das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes v. 21.7.2014, BGBl. I S. 1066 geändert wurde. Vgl. Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 100; Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 1 B Rn. 7; BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 46.

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8

I.

Teil I Rechtslage in Deutschland

Leitungsgebundenheit der Gasversorgung

Die Leitungs- bzw. Netzgebundenheit der Energie bringt gewisse Besonderheiten mit sich und hat eine unmittelbare Wirkung auf die ökonomische und rechtliche Ausgestaltung der Energiewirtschaft, insbesondere auf dem Gassektor. Für den Transport von Gas sowie Strom zwischen dem Erzeuger bzw. Förderer und dem Letztverbraucher des jeweiligen Energieträgers ist ein spezielles Übertragungs- und Verteilungssystem unbedingt erforderlich. Dies führt zur vollständigen Abhängigkeit des ganzen Energieversorgungssystems von der Netzinfrastruktur und dem jeweiligen Netzbetreiber10. Von erheblicher Bedeutung sind hierbei die Stabilität sowie die Zuverlässigkeit solcher Transportnetze, da nur eine störungsfreie und fortwährende Versorgung mit Energie dem erforderlichen Maß an Versorgungssicherheit und somit den Zielen der Regulierung der Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze entsprechen kann11. Das gesamte Gasnetz Deutschlands hat heute eine Länge von 510 000 km12 und ist sehr zuverlässig, was sich vor allem in der geringen Zahl an Gasversorgungsunterbrechungen widerspiegelt13. Das Gastransportnetz ist im Unterschied zum Stromnetz weniger stark verflochten und besteht zunächst aus Leitungen (Pipelines), die nach unterschiedlichen Druckstufen sowie Funktionen differenziert werden. Große Transportleitungen, mit denen das Gas aus anderen Ländern importiert wird14, werden mit einem Druck von bis zu 100 bar betrieben15 . Besonders wichtig ist dabei die Aufrechterhaltung des für den Gastransport über längere Entfernungen erforderlichen Hochdrucks in Fernleitungen, damit es nicht zu Leitungsstörungen kommt16. Daher werden alle 100 bis 200 Kilometer im Fernleitungsnetz sog. Verdichterstationen errichtet, die für einen stabilen Leitungsdruck und somit für eine angemessene Fließgeschwindigkeit des Gases sorgen17. Mitteldruckleitungen (100 mbar bis 1 bar) werden hauptsächlich für die Verteilung des Gases auf der regionalen Ebene 10 11 12

13 14

15

16 17

Bardt, Energieversorgung, S. 38. S. Amtl. Berg. zum EnWG 2005, BT-Drs. 15/3917, S. 48. Nach BDEW, Gasnetzentwicklung in Deutschland seit 1996, abgerufen unter: https:// www.bdew.de/internet.nsf/id/20B74458D73839D1C12579C9004D61C0/$file/GasnetzentwicklunginDeutschland1996_201329Apr2014_o_jaehrlich_Ki.pdf (zuletzt am 01.12.2018). BNetzA, Monitoringbericht 2013, Stand: Juni 2014, S. 185 f. 89 Prozent des gesamten deutschen Erdgasaufkommens basieren auf dem Import, überwiegend aus Russland (31 Prozent), Norwegen (28 Prozent) und den Niederlanden (21 Prozent). S. dazu BDEW, Energiemarkt, Sommer 2012, S. 12, abgerufen unter: http://doc s.dpaq.de/2436-energie-markt_2012d_web.pdf (zuletzt am 01.12.2018). Bei Offshore-Pipelines wie z. B. Nord Stream-Pipeline gelten jedoch andere Betriebsbedingungen. Vgl. Nord Stream AG, Nord Stream-Erweiterungsprojekt. Projektinformationsdokument (PID), März 2013, S. 24 ff.; s. auch Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 10. Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 1 D Rn. 43. Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 12.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

9

verlegt18. Durch Verteilungssysteme der Regional- und Endverteiler, sog. Niederdruckleitungen (bis zu 100 mbar), werden schließlich die Letztverbraucher mit Gas beliefert19. An Stellen der Gasübergabe an Abnehmer bzw. in Weiterverteilernetzen mit niedrigerem Druckniveau erfolgt zudem die Druckanpassung an die örtlichen Gegebenheiten mittels Druckreduzieranlagen 20 . Zum Gasversorgungsnetz i. S. d. § 3 Nr. 20 EnWG gehören neben den oben dargestellten Leitungen aller Druckstufen selbst, Verdichter- und Druckregelstationen sowie Speicheranlagen, LNG-Anlagen und eine große Anzahl von Messeinrichtungen und Durchmischungsanlagen21. An Bedeutung gewinnt langsam der Transport des Erdgases in Form von LNG (Liquified Natural Gas bzw. verflüssigtes Gas), insbesondere auf der Importebene, wenngleich die Versorgung mit Gas über konventionelle PipelineWege heutzutage eine entscheidende Rolle spielt und im Weiteren spielen wird22. Verflüssigtes Gas entsteht hierbei durch Abkühlung in speziellen Verflüssigungsanlagen, die sich grundsätzlich in der unmittelbaren Nähe der Förderstellen befinden, und wird dann mittels Tanker in das Zielland transportiert, ohne auf bestehende grenzüberschreitende Pipelines und somit auf einzelne Erdgasexporteure angewiesen zu sein. Dies würde folglich die Bezugsmöglichkeiten des Gasimportlandes deutlich erweitern und die Wettbewerbssituation auf dem Weltmarkt verbessern23. Zu beachten ist jedoch, dass das LNGGas nach seiner Entladung in speziellen Terminals im Zielland wieder in seine ursprüngliche Gasform gebracht und in das Fernleitungsnetz zum Zwecke der weiteren Belieferung von Letzverbrauchern nach dem oben dargestellten Verfahren eingespeist wird24. Hierbei kommt das Merkmal der Leitungsgebundenheit nochmals zum Ausdruck, wenngleich nur auf der nationalen Ebene. II.

Begrenzte Substituierbarkeit von Gas

Eine weitere Besonderheit des Gases, die eine unmittelbare Auswirkung auf den Gastransport und somit auf die Netzgestaltung hat, besteht darin, dass es – anders als Strom – kein vollständig homogenes Gut ist25. Je nach der 18 19 20 21 22

23

24 25

Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 19. Ebenda. Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 1 D Rn. 43. S. dazu BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 47, 58 und 100. Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 65, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Rn. 46 und 47; ebenso BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 133; vgl. Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 10. Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 65, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Rn. 47. S. BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 134. Dazu Monopolkommission, Sondergutachten Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung, BT-Drs. 16/7087, Rn. 426; wiederholt Sondergutachten

10

Teil I Rechtslage in Deutschland

durch die Herkunft bestimmten chemischen Zusammensetzung des Gases wird in Deutschland zwischen zwei verschiedenen Gasqualitäten, nämlich LGas (low caloric gas) und H-Gas (high caloric gas) unterschieden26. Demgemäß weist H-Gas Erdgas einen hohen und L-Gas einen niedrigen Brennwert auf, so dass „die beiden Qualitäten nur begrenzt substituierbar sind“ und in unterschiedlichen Marktgebieten gehandelt werden27. Der Transport von L- und H-Gas muss daher getrennt erfolgen, damit die beiden Gassorten nicht vermischt werden, auch wenn dies rein physikalisch möglich ist28. Dies bedingt folglich eine Differenzierung des gesamten Netzes in H- und L-Gasleitungsnetze29. Dementsprechend sind häusliche, gewerbliche bzw. industrielle Gasgeräte und Gasanlagen im jeweiligen Gasversorgungsgebiet auf eine bestimmte Gasqualität angewiesen. Sie wird regelmäßig in vertraglichen Vereinbarungen festgelegt, so dass ihre Änderung zu Unregelmäßigkeiten in der Gasversorgung führen kann30. In Betracht käme insoweit ggf. eine mangelhafte Gaslieferung in Gestalt einer nicht wie geschuldet erbrachten Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 434 Abs. 1 S. 1 BGB31. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Sicherung einer einheitlichen Gasqualität oft durch die Vermischung verschiedener Erdgastypen erfolgt32. Die Einhaltung einer zugesicherten Gasqualität kann gelegentlich aus technischen und/oder wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden, was in Einzelfällen eine (wirtschaftliche) Unmöglichkeit nach § 275 BGB oder eventuell nach § 313 BGB zu begründen vermag33.

26

27

28 29

30 31 32 33

Strom und Gas 2009 – Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, BTDrs. 16/14060, Rn. 111. Zu den Gasbeschaffenheiten s. DVGW, Technische Regeln Arbeitsblatt G 260 (A) Gasbeschaffenheit, März 2013. Monopolkommission, Sondergutachten Strom und Gas 2009 – Energiemärkte im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb, BT-Drs. 16/7087, Rn. 426. BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 95. Die durch den Rückgang der deutschen und niederländischen L-Gas-Produktion bedingte Umstellung von Versorgungsnetzen von L- auf H-Gas ist bereits im Gange und wird voraussichtlich bis 2030 dauern. Daraus kann geschlossen werden, dass die im Zusammenhang mit der Notwendigkeit des getrennten Transports von L- und H-Gas stehenden technischen, wirtschaftlichen bzw. rechtlichen Gegebenheiten bei der Gasversorgung in Zukunft nicht mehr relevant sein werden. Näher zur Umstellungskonzeption Höfling, energie | wasser-praxis – DVGW-Jahresrevue Nr. 12/2013, 96 (96, 98) sowie Dapper, energie | wasser-praxis – DVGW-Jahresrevue Nr. 4/2014, 92 (92). Vgl. Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 263. Vgl. Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 82. Perner/Riechmann/Schulz, Durchleitungsbedingungen für Strom und Gas, S. 59. BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 95.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

III.

11

Speicherbarkeit von Gas

Ein weiteres Charakteristikum von Gas ist seine Speicherbarkeit. Im Gegensatz zu Strom kann Gas weitgehend gespeichert werden, was eine Entkoppelung von Gasproduktion und Gasverbrauch ermöglicht und somit dem Ausgleich der saisonalen Verbrauchsschwankungen, die unter anderem wegen der langen Lieferwege entstehen, dient34. Die Gasspeicherbarkeit ist demnach von besonderer Bedeutung für die zuverlässige und bedarfsgerechte Gasversorgung, insbesondere bei Lieferunterbrechungen35. In Deutschland werden heutzutage 48 großvolumige UntertageErdgasspeicher betrieben, die etwa 20 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs als Reserve, vor allem zur Abdeckung des Winterbedarfs vorhalten können36. Gemessen an dem maximalen Arbeitsvolumen sowie der Anzahl der vorhandenen Speicheranlagen wird Deutschland nur von den USA, Russland und der Ukraine übertroffen37. Für die Gasspeicherung werden oberirdische Speicherbehälter sowie LNG-Tanks verwendet, die relativ geringe Speicherkapazitäten besitzen und daher lediglich bei kurzfristigen Nachfrageschwankungen dienlich sein können38. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch die eigene Speicherfähigkeit des Gasleitungsnetzes, die zum tagesbezogenen Lastausgleich eingesetzt werden kann. Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Gasleitungsnetzes ist es wichtig, die Ein- und Ausspeisung von Gas abzustimmen sowie die Druckkonstanz im Leitungsnetz sicherzustellen39. Hierzu sind gegebenfalls die Speicheranlagen einzusetzen und somit die Speicherbarkeit von Erdgas zu nutzen. B.

Rechtsgrundlagen der leitungsgebundenen Gasversorgung

Die rechtliche Organisation des deutschen Gasversorgungssystems ist maßgeblich geprägt von der seit den 90er Jahren in Gang gesetzten europaweiten Liberalisierungsbewegung mit der Forderung nach Schaffung eines europäischen Binnenmarktes für Energie, dessen Verwirklichung zu aktiver gesetzgeberischer Tätigkeit und somit zu einem unübersichtlichen Geflecht von speziellen energierechtlichen Regelungen sowohl auf europäischer als auch 34

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Ströbele/Pfaffenberger/Heuterkes, Energiewirtschaft, S. 173; auch Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 13. S. Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 1 D Rn. 47; Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 13. BDEW, Energiemarkt Deutschland, Sommer 2012, S. 30. BDEW, Materialsammlung Erdgas, Stand: Juli 2013, Kapitel 7. Leitungsnetz und Speichertechnologie, S. 3. Vgl. Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 13. Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 1 D Rn. 47.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

nationaler Ebene geführt hat. Der daraus resultierende Rechtsrahmen enthält hierbei eine Reihe von Sonderbestimmungen, die sich unmittelbar oder zumindest mittelbar auf Haftungsfragen bei Versorgungsstörungen auswirken. Im Folgenden wird eine kurze Übersicht der wichtigsten Rechtsquellen des europäischen und deutschen Energierechts40 gegeben, welche im Zusammenhang mit der Themenstellung der Arbeit von Bedeutung sind. I.

Unionsrechtliche Quellen

Das rechtliche Umfeld der leitungsgebundenen Gasversorgung in Deutschland ist in außerordentlichem Maße von den verbindlichen41 Vorgaben des europäischen Gesetzgebers, dessen spezifische Energiekompetenz aus Art. 194 Abs. 2 AEUV42 folgt, geprägt. Im Mittelpunkt stehen hier folgende energiepolitische Ziele der Europäischen Union: die Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarktes, die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit sowie die Förderung der Energieeffizienz, der Energieeinsparung, der erneubaren Energien und der Interkonnektion der Energienetze (Art. 194 Abs. 1 AEUV)43, die letztendlich dem Leitprinzip der Herstellung und Sicherung des liberalisierten Binnenmarktes dienen. Von erheblicher Bedeutung für die Novellierung der bundesdeutschen Energiegesetzgebung (insbesondere des EnWG) waren insbesondere drei aufgrund der binnenmarktbezogenen Rechtsetzungskompetenzen aus Art. 95 EGV (heute Art. 114 AEUV) erlassene Liberalisierungspakete für Energie.

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Näher zur Abgrenzung des Energierechts s. Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 2-10; ebenso Danner, in: Danner/Theobald, Energierecht Einführung Rn. 1-18. Zur Bindungswirkung der EU-Rechtsvorschriften vgl. Art. 288 AEUV, wonach dem nationalen Gesetzgeber ein Spielraum zumindest bei der Umsetzung einer EU-Richtlichen zugewiesen wird (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Hierzu Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, § 6 Rn. 53 ff. Die Verbindlichkeit der europarechtlichen Vorgaben im Energiesektor ergibt sich weiterhin aus der Supranationalität des Unionsrechts dem nationalen Recht gegenüber, s. Herdegen, Europarecht, § 10 Rn. 1 ff. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union v. 1.12.2009, ABl. EG Nr. C 115 v. 9.5.2008, S. 47. Vgl. mit den im Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften von 2006 formulierten Herausforderungen der europäischen Energiepolititk, Grünbuch, Eine europäische Strategie für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie, KOM(2006) 105 endg., S. 5; s. ebenso Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament, Eine Energiepolitik für Europa, KOM(2007) 1 endg., S. 3, 5.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

1.

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Die erste Erdgasbinnenmarktrichtlinie von 1998

Die erste Erdgasbinnenmarktrichtlinie (GasRL)44 trat erst 1998, ein Jahr später als die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EltRL)45, in Kraft und wies ungeachtet gewisser Abweichungen im Hinblick auf die Unterschiede zwischen den Energieträgern Erdgas und Strom eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung mit den elektrizitätsrechtlichen Bestimmungen auf46. Sie setzte dabei auf die Öffnung der nationalen Gasmärkte durch die Etablierung und Förderung von Wettbewerb (vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 GasRL). Der große Gestaltungsspielraum der nationalen Gesetzgeber (vgl. Erwägungsgrund Nr. 9 GasRL) und nicht zuletzt die zu weite Formulierung der angestrebten Richtlinienziele standen jedoch der gewünschten Entwicklung des Lieberalisierungsprozesses entgegen47. Von zentraler Bedeutung waren für die Mitgliedstaaten die Vorgaben für die Organisation des Netzzugangs (Art. 14 bis 17 GasRL), das Unbundling48 (Art. 12 bis 13 GasRL) und die Marktöffnung (Art. 18 bis 23 GasRL). Die Richtlinie enthielt darüber hinaus haftungsrelevante Regelungen zu den Verpflichtungen von Fernleitungsnetz- und Verteilernetzbetreibern (Art. 6 bis 11 GasRL) im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Gasnetze als Voraussetzung einer störungsfreien Gasversorgung, die auf der nationalen Ebene in §§ 11 ff. EnWG zum Ausdruck kommen und sogenannte Verkehrspflichten der Netzbetreiber begründen 49 . Die konkrete Gestaltung der Umsetzungsvorschriften wurde hierbei zwar dem Nationalgesetzgeber überlassen, sollte jedoch unter Berücksichtigung der europarechtlichen Forderung nach Versorgungssicherheit, Verbraucher- und Umweltschutz (vgl. Art. 3 Abs. 2 S. 1 GasRL, Erwägungsgrund Nr. 12, 30 GasRL) erfolgen. In der Erdgasbinnenmarktrichtlinie war vor allem ein diskriminierungsfreier Zugang Dritter zum Fernleitungs- und Verteilungsnetz sowie zu den LNG-Anlagen nach objektiven und transparenten Kriterien zu gewährleisten. Dadurch sollte zum einen jeder Gasversorger unabhängig von den Netzan44

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Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.06.1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, ABl. EG Nr. L 204 v. 21.07.1998, S. 1. Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.12.1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elekrtizitätsbinnenmarkt, ABl. EG Nr. L 27 v. 30.01.1997, S. 20. Schneider/Theobald/Schneider, EnWR § 2 Rn. 41. Vgl. Klag, Die Liberalisierung des Gasmarktes in Deutschland, S. 284 ff. Unter Unbundling ist hier die Trennung des Netzbetriebes von den Marktbereichen der Energiewirtschaft zu verstehen. Verkehrspflichten werden hier als Oberbegriff verwendet und umfassen sowohl deliktische als auch vertragliche Schutzpflichten. Vgl. LG Karlsruhe BeckRS 2013, 10817 Tz. 52.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

schlussverhältnissen des Endverbrauchers den Zugang zum Gasmarkt erhalten. Gleichzeitig wurde die freie Wahl des Gaslieferanten auf der Endkundenebene angestrebt. Hinsichtlich der Organisation des Netzzugangs konnten insoweit die Mitgliedstaaten nur zwischen dem Netzzugang auf Vertragsbasis (verhandelter Netzzugang) und dem System mit geregeltem Netzzugang (geregelter Netzzugang) wählen, während ihnen im Stromsektor ein weiteres Netzzugangsmodell, das sog. Alleinabnehmersystem zur Verfügung gestellt wurde50. Zudem war dem nationalen Gesetzgeber nicht verwehrt, beide Systeme nebeneinander als Kombinationslösung zu verwirklichen, Art. 14 GasRL. Ein weiterer Schwerpunkt der Richtlinie lag auf Unbundling-Vorschriften, die an vertikal integrierte Gasversorgungsunternehmen gerichtet wurden. Es ging zunächst lediglich um die Entflechtung und Transparenz der Buchführung, was durch die Führung getrennter Konten für die Erdgasfernleitungs-, -verteilungs- und -speicherungsaktivitäten integrierter Versorgungsunternehmen zu erreichen war. Dies war erforderlich, um Diskriminierungen, Quersubventionen und Wettbewerbsverzerrungen vermeiden zu können (Art. 13 Abs. 3 S. 1 GasRL), jedoch für die Beseitigung der durch die Monopolstellung vertikal integrierter Erdgasversorger auf einzelnen bzw. allen Wertschöpfungsstufen bedingten Wettbewerbshemmnisse nicht ausreichend51. 2.

Die sog. Beschleunigungsrichtlinie Erdgas von 2003

Der Liberalisierungsprozess im Gassektor ging weiter, indem die Regelungsansätze der ersten durch die Verabschiedung der sog. Beschleunigungsrichtlinie für den Binnenmarkt für Gas52 im Jahre 2003 aufgehobenen Erdgasbinnenmarktrichtlinie 98/30/EG wesentlich geändert und fortentwickelt wurden. Die neue Gas-Richtlinie 2003/55/EG ließ sich insgesamt durch eine stärkere Konkretisierung der Richtlinienziele (s. Erwägungsgrund Nr. 2 GasRL) und durch eine Verschärfung der Regulierungsvorgaben kennzeichnen53. Die für die deutsche Energiewirtschaft wichtigste Rechtsänderung betraf indes die viel diskutierte und kritisierte Entscheidung des europäischen Normgebers für das Modell des regulierten Netzzugangs auf der Grundlage veröffentlichter Tarife als allein zulässige Form der Netzzugangsorganisation auf 50

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S. Kühne/Scholtka, NJW 1998, 1902 (1903); Seeger, Die Durchleitung elektrischer Energie nach neuem Recht, S. 119. Vgl. Kommission, Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament v. 13.3.2001, KOM (2001) 125 endg., S. 6 f.; Kommission, Zweiter Benchmarkingbericht über die Vollendung des Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarktes, SEK (2003) 0448, S. 4 f., 8 f., 10 f. Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.06.2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG, ABl. EG Nr. L 176 v. 15.07.2003, S. 57. Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 1 C Rn. 16.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

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den nationalen Gasmärkten54. Nunmehr gab es keine Möglichkeit für Erdgasunternehmen und die zugelassenen Kunden, einen Netzzugang frei auszuhandeln, während ein Zugang Dritter zu Speicheranlagen sowohl reguliert als auch im Verhandlungswege zu erfolgen hatte (Art. 19 Abs. 1 S. 1 GasRL). Ergänzende Regelungen des Netzzugangs zu Erdgasfernleitungsnetzen fanden sich darüber hinaus in der – im Gegensatz zur Richtlinie in jedem Mitgliedstaat unmittelbar anwendbaren (Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV) – Ferngasnetzzugangsverordnung von 200555. Von besonderer Bedeutung für die rechtliche Ausgestaltung der Gasversorgungsverhältnisse waren auch die deutlich verschärften Entflechtungsbestimmungen, die den von anderen Wertschöpfungsstufen unabhängigen Fernleitungs- und Verteilernetzbetrieb als Voraussetzung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem vor- und nachgelagerten Gasmarkt realisieren sollten56. Für die Gasversorgungsnetzbetreiber, die zu einem vertikal integrierten Gasversorgungsunternehmen gehörten, wurde ein operationelles, informatorisches und gesellschaftsrechtliches Unbundling neu eingeführt. Es war damals von einer eigentumsrechtlichen Trennung der Transportnetze noch keine Rede, wohl nicht zuletzt aufgrund von Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit eines solchen Eingriffs in die sowohl verfassungs- als auch europarechtlich geschützte Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG, Art. 17 GRCh i. V. m. Art. 6 EUVertrag)57. Neben der näheren Konkretisierung von den Erdgasunternehmen aufzuerlegenden Verpflichtungen zur Errichtung eines wettbewerbsorientierten, sicheren und umweltfreundlichen Erdgasmarktes (s. Art. 3 GasRL) enthielt die Gas-Richtlinie 2003/55/EG vielmehr einen erweiterten Aufgabenkatalog für die Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber (Art. 8 und 12 GasRL). Neu aufgestellt wurden insofern Informations- und Veröffentlichungspflichten gegenüber Netzbenutzern, insbesondere im Hinblick auf die Anforderung an die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes (Art. 3 Abs. 3 GasRL). Der europä54

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Von deutscher Seite wurde der Ausschluss eines verhandelten Netzzugangs insbesondere im Hinblick auf die Maßstäbe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Subsidiaritätsprinzips kritisiert. S. dazu Salje, in: Baur, Aktuelle Entwicklungen im deutschen und europäischen Energiewirtschaftsrecht, S. 39 (52 f.); Kühne, in: Baur, Regulierter Wettbewerb in der Energiewirtschaft, S. 65 (75 f.); Baur/Lückenbach, Fortschreitende Regulierung der Energiewirtschaft, S. 65 ff. sowie 74 ff. Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. September 2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen, ABl. EG Nr. L 289 v. 3.11.2005, S. 1. Vgl. Ausführungen zur Notwendigkeit der Trennung monopolistischer und wettbewerblicher Wertschöpfungsstufen im Stromsektor, Dreizehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 1998/1999, BT-Drs. 14/4002, S. 67 f. Kahle, RdE 2007, 293 (294 ff.); Brunekreeft, ZfE 2008, 177 (178).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

ische Gesetzgeber ordnete jedoch keine speziellen Maßnahmen an, die die Erfüllung der den Netzbetreibern übertragenen Aufgaben sicherstellen könnten. Dies wurde den Mitgliedstaaten überlassen, Art. 7 Abs. 2 GasRL. Ein weiteres Ziel der Gas-Richtlinie von 2003 bildete der schon erwähnte Verbraucherschutz, dessen Verbesserung neben den anderen in Art. 3 GasRL festgelegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen den im Gassektor tätigen Unternehmen aufzuerlegen war. Beachtenswert waren in diesem Zusammenhang die in Art. 3 Abs. 3 und Anhang A GasRL aufgeführten sowie dem Schutz von Gasverbrauchern dienenden Mindestanforderungen an Verträge mit Anbietern von Gasdienstleistungen. Die Haftung der Energieversorger wurde dadurch freilich nicht erfasst. Zu beachten war lediglich, dass der Versorgungsvertrag mit den Erdgaskunden etwaige Entschädigungs- und Erstattungsregelungen – aber ohne weitere inhaltliche Konkretisierung – beinhalten muss, falls die vertraglich vereinbarte Leistungsqualität nicht eingehalten wird (s. Anhang A lit. a GasRL). 3.

Die dritte Erdgasbinnenmarktrichtlinie von 2009

Der bisherige in den Vorgängerrichtlinien 98/30/EG und 2003/55/EG festgelegte Rechtsrahmen konnte trotz erreichter Fortschritte58 die bestehenden Wettbewerbshemmnisse auf dem Weg zur Verwirklichung eines effizienten und diskriminierungsfrei funktionierenden Binnenmarkts für ganz Europa nicht vollständig beheben59. Um ausreichende Impulse für die Marktöffnung zu geben, waren aus Sicht der EU-Kommission weitere verschärfende Maßnahmen insbesondere im Bereich der vorgelagerten Märkte (Großhandelsebene), des Zugangs zu Infrastruktur und Informationen sowie im Bereich der Regulierung erforderlich. Mitte 2009 wurde daher die dritte Binnenmarktrichtlinie 2009/73/EG für Erdgas60 erlassen. Von den durch die Richtlinie 2009/73/EG herbeigeführten Änderungen war die Transportstufe am wesentlichsten beeinflusst. Zwecks Beseitigung der 58

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S. dazu Mitteilung der Kommission „Untersuchung der europäischen Gas- und Elektrizitätssektoren gemäß Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (Abschlussbericht)” v. 10.1.2007, KOM (2006) 851 endg., Rn. 2; Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu den Aussichten für den Erdgas- und den Elektrizitätsbinnenmarkt v. 10.1.2007, KOM (2006) 841 endg., S. 3 ff. Mitteilung der Kommission „Untersuchung der europäischen Gas- und Elektrizitätssektoren gemäß Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (Abschlussbericht)” v. 10.1.2007, KOM (2006) 851 endg., Rn. 15 ff.; ebenso Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu den Aussichten für den Erdgas- und den Elektrizitätsbinnenmarkt v. 10.1.2007, KOM (2006) 841 endg., S. 6 ff. Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211 v. 14.08.2009, S. 94.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

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gebliebenen Diskriminierungen beim Netzzugang für Dritte, die als „Hauptursachen für die tatsächlich eingetretenen und für potentielle Wettbewerbsverzerrungen”61 gennant wurden, schrieb der europäische Normsetzer nunmehr die in die Unternehmensstruktur besonders tief eingreifende Entflechtungsform einer eigentumsrechtlichen Entflechtung für die Fernleitungsnetzbetreiber vor62. Das sog. Ownership Unbundling setzt voraus, dass zum einen die Fernleitungsnetze im Eigentum der Fernleitungsnetzbetreiber stehen und zum anderen die Fernleitungsnetzbetreiber keinerlei Kontrolle seitens der Gewinnungs- bzw. Versorgungsunternehmen unterliegen dürfen, weder durch die Ausübung von Stimmrechten, noch durch Leitungsorganbestellungsrechte oder das Halten einer Mehrheitsbeteiligung (Art. 9 Abs. 1 und 2 GasRL). Eine Minderheitsbeteiligung ohne kontrollierenden Einfluss wird freilich für zulässig gehalten63. Die in Art. 9 GasRL vorgesehenen Verbote gelten auch umgekehrt für im Wettbewerbsbereich tätige Unternehmen. Hierbei schreibt die Richtlinie 2009/73/EG nicht vor, wie die eigentumsrechtliche Unternehmensentflechtung im Einzelnen in den Mitgliedstaaten vollzogen werden muss64. Da die Variante der vollständigen eigentumsrechtlichen Entflechtung, wie bereits erwähnt, einen schwerwiegenden und tiefgreifenden Eingriff in die Eigentumsfreiheit der betroffenen Unternehmen darstellt und sowohl mit den unionsrechtlichen Grundrechten als auch mit den nationalen Verfassungsordnungen kaum vereinbar ist65, hat sich der europäische Gesetzgeber für zwei weitere Alternativen des Unbundling entschieden. Nach Art. 9 Abs. 8 S. 2 GasRL können die betroffenen Unternehmen wahlweise entweder dem Modell eines unabhängigen Netzbetreibers (Independent System Operator – ISO) 61

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Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu den Aussichten für den Erdgas- und den Elektrizitätsbinnenmarkt v. 10.1.2007, KOM (2006) 841 endg., S. 11. Ob die Einführung einer eigentumsrechtlichen Entflechtung den angestrebten Wettbewerb sicherstellen kann, wurde in Deutschland bezweifelt, s. dazu Handelsblatt, Netzagentur stärkt Stromriesen den Rücken, Ausgabe v. 10.09.2007, S. 3; BKartA, Stellungnahme zum Vorschlag der EU-Kommission für ein drittes Binnenmarktpaket Strom und Gas, S. 1, 9 ff.; so auch Rummer, in: Ehrike, Aktuelle Herausforderungen des Energierechts aus deutscher und internationaler Sicht, S. 11 (16 ff.); Kühling/Pisal, RdE 2010, 161 (161 f.). Büdenbender/Rosin, RdE 2011, 197 (198 f.). Näher zu möglichen Ausgestaltungsformen des Ownership Unbundling s. Baur/Pritzsche/ Klauer, Ownership Unbundling, S. 26 ff. Die Verhältnismäßigkeit des von der EU-Kommission präferierten Ownership UnbundlingModells wurde in der deutschen Literatur überwiegend verneint. S. dazu Säcker/SchmidtPreuß, Energierecht, Einl. B. Rn. 156 ff. S. 66 f.; Baur/Pritzsche/Klauer, Ownership Unbundling, S. 75 ff.; Baur/Pritzsche/Pooschke/Fischer, Eigentumsentflechtung der Energiewirtschaft durch Europarecht, S. 43 ff.; Rummer, in: Ehrike, Aktuelle Herausforderungen des Energierechts aus deutscher und internationaler Sicht, S. 11 (21 ff.); Kahle, RdE 2007, 293 (294 ff.); Mayen/Karpenstein, RdE 2008, 33 (35 ff.); vgl. jedoch Gundel/ Germelmann, EuZW 2009, 763 (765 f.).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

oder dem Modell eines unabhängigen Fernleitungsnetzbetreibers (Independent Transmission Operator – ITO) unterstellt werden. Das ISO-Modell verlangt zwar keine zwingende Trennung von Netzeigentum und Betreibern, jedoch werden dem Fernleitungsnetzeigentümer, der weiterhin die Anforderungen der gesellschaftsrechtlichen und organisatorischen Entflechtung erfüllen muss (Art. 15 GasRL), wesentliche Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse in Bezug auf das Netz entzogen (vgl. Art. 14 Abs. 2a GasRL). Er ist verpflichtet, die vom unabhängigen Netzbetreiber beschlossenen und von der Regulierungsbehörde genehmigten Investitionen zu finanzieren sowie die Haftungsrisiken im Zusammenhang mit den Netzvermögenswerten abzusichern, Art. 14 Abs. 5 GasRL. Der ISO haftet nur für Schäden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betrieb des Netzes stehen. Im Ergebnis sind freilich gleiche Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse wie bei der Umsetzung des Full Ownership Unbundling zu beobachten, was ebenfalls der grundrechtlichen Würdigung nicht standhält66. Mit der Einführung des ITO wurde insoweit ein – von der Eingriffsintensität her etwas milderes – Mittel der Entflechtung geschaffen67. Bei dem ITOKonzept handelt es sich eher um die weitgehende Verschärfung des Legal Unbundling sowohl in personeller als auch in struktureller Hinsicht, die einen erforderlichen Grad an Unabhängigkeit und Neutralität des Netzbetreibers innerhalb des vertikal integrierten Gasversorgungsunternehmens sicherstellen sollte (vgl. Art. 17 ff. GasRL). Hervorzuheben ist insbesondere, dass im Vergleich zu den beiden oben beschriebenen Entflechtungsoptionen das ITOModell nicht nur den Eigentumsentzug am Netz im Wege einer Zwangsveräußerung bzw. Enteignung zu vermeiden ermöglicht, sondern auch den Eigentümerinteressen insoweit Rechnung trägt, als Art. 20 GasRL das Vorhandensein eines zum Teil aus Vertretern des vertikal integrierten Unternehmens bestehenden Aufsichtsorgans mit der Zuständigkeit für zentrale unternehmerische Entscheidungen – wenn auch nicht für unternehmerische Entscheidungen, die mit dem Tagesgeschäft im Zusammenhang stehen, – vorsieht68.

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S. dazu BerlKommEnR I 1/Schmidt-Preuß, Einl. B. Rn. 157; Baur/Pritzsche/Pooschke/ Fischer, Eigentumsentflechtung der Energiewirtschaft durch Europarecht, S. 43, 69; Rummer, in: Ehrike, Aktuelle Herausforderungen des Energierechts aus deutscher und internationaler Sicht, S. 11 (21 ff.); Mayen/Karpenstein, RdE 2008, 33 (37 ff.). Das ITO-Modell wird indessen als „unter den grundrechtlichen Aspekten unbedenklich” eingeschätzt, Gundel/Germelmann, EuZW 2009, 763 (766). Vgl. Schneider/Theobald/Schneider, EnWR § 2 Rn. 55; BerlKommEnR I 1/Schmidt-Preuß, Einl. B. Rn. 158; Büdenbender/Rosin, RdE 2011, 197 (200 ff.).

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

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Gleichwohl ist die Umsetzung eines Ownership Unbundling auf der Verteilernetzebene aktuell noch nicht erforderlich69. Neben den bisherigen Vorgaben zur buchhalterischen, informatorischen, operationellen sowie gesellschaftsrechtlichen Entflechtung wird dem vertikal integrierten Verteilernetzbetreiber nur noch die Verpflichtung zur eigenständigen Kommunikations- und Markenpolitik neu auferlegt70. Damit sollte nach Art. 26 Abs. 3 GasRL die Unverwechselbarkeit des Netzgeschäfts zu den Wettbewerbsbereichen gewährleistet werden. Abschließend ist zu erwähnen, dass durch die dritte ErdgasBinnenmarktrichtlinie 2009/73/EG zudem die Aufgaben der Fernleitungs- sowie Verteilernetzbetreiber deutlich ausgeweitet 71 und die Verbraucherrechte weiter gestärkt wurden72. II.

Deutsche Quellen

Die rechtliche Landschaft der leitungsgebundenen Gasversorgung Deutschlands ist im Wesentlichen (jedoch nicht ausschließlich)73 durch das EnWG und die auf seiner Grundlage ergangenen Verordnungen bestimmt. Diese sind durch eine hohe Regelungsdichte gekennzeichnet74: Sowohl die Rechtsverhältnisse als auch die gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen den Gasmarktteilnehmern werden eingehend durch staatliche Vorgaben festgelegt. Gleichwohl ist die Haftung der Gasmarktteilnehmer für Versorgungsstörungen grundsätzlich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zu beurteilen, auch wenn auf diesen Bereich zugeschnittene sektorspezifische Regelungen auf haftungsrechtliche Aspekte der Gasversorgung unmittelbar bzw. mittelbar Einfluß nehmen. Aufbauend auf den europäischen Richtlinien spiegeln das aktuelle EnWG und seine Entwicklungsgeschichte die im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Gasmarktes stehenden Vorgänge und Zielsetzungen des EU69

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BT-Drs. 17/6072, S. 54; Büdenbender/Rosin, RdE 2011, 197 (202); Scholtka/Helmes, NJW 2011, 3185 (3189). Zu weiteren Besonderheiten der Entflechtung für Verteilernetzbetreiber s. BerlKommEnR I 1/Schmidt-Preuß, Einl. B. Rn. 162 ff. Beispielsweise durch die Neuregelung der Netzausbau- und Investitionspflichten der Netzbetreiber. Etwa durch das Recht der freien Lieferantenwahl, die Verpflichtung der Netzbetreiber den Lieferantenwechsel innerhalb von drei Wochen vorzunehmen, die Einführung von intelligenten Messsystemen, das Recht der Kunden auf die Erhaltung sämtlicher sie betreffenden Verbrauchsdaten ohne Diskriminierung bezüglich der Kosten, des Aufwandes und der Dauer (vgl. Art. 3 und Anhang 1 der GasRL 2009/73/EG). Vgl. Danner, in: Danner/Theobald, Energierecht Einführung Rn. 2 f. Vgl. dazu ältere Fassungen des EnWG bis 1998, s. unter: http://www.energie verbraucher.de/de/EnWG__452/#con-12239 (zuletzt abgerufen am 01.12.2018).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Normsetzers wider. Nachstehend werden mithin nur die wichtigsten im nationalen Recht auf der Grundlage der europäischen Vorgaben gefundenen Umsetzungslösungen sowie die durch mehrfache EnWG-Novellen geschaffenen energiewirtschaftsrechtlichen Haftungsregeln aufgezeigt. 1.

Die Energierechtsreformen von 1998, 2003 und 2005

Das Jahr 1998 war der entscheidende Wendepunkt in der deutschen Energiewirtschaft. Die Energierechtsreform von 1998 hat erstmals die Abschaffung der zuvor rechtlich zulässigen und sogar erwünschten Gebietsmonopole75 eingeleitet, was nicht zuletzt durch das Verbot der in §§ 103, 103a GWB a. F. verankerten kartellrechtlichen Ausnahmeregelungen (vgl. § 13 Abs. 1, 2 EnWG 1998) ermöglicht wurde76. Angestrebt wurde dabei nach wie vor eine sichere und preisgünstige Versorgung mit Strom und Gas, die als wichtigstes Kriterium die Öffnung der Netze für jeden Petenten zu angemessenen Preisen und Bedingungen voraussetzte. Damit kam es zu ersten grundlegenden – die Schaffung von Wettbewerb im natürlichen Netzmonopol bezweckten – Transformationen beim Netzzugang Dritter zum Zwecke des Energietransports, die das gesamte System der Pflichten-, Risiko- und Haftungsverteilung zwischen den Beteiligten am Gasmarkt verändert haben77. a)

Vom verhandelten zum regulierten Netzzugang

Die Organisation der leitungsgebundenen Energieversorgung sollte zunächst weiterhin auf privatwirtschaftlicher Grundlage erfolgen, so dass sich der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der ersten Binnenmarktrichtlinie Elektrizität im Jahre 1998 für einen Netzzugang auf Vertragsbasis entschieden hat78. Mithin mussten die objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Netzzugangsmodalitäten freiwillig – möglichst ohne jegliche staatliche Interven-tion79 – von den Verbänden in Form von Verbändevereinbarungen ausge75

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Vgl. Ebel, Energielieferungsverträge, S. 12 ff.; Büdenbender, Wiss. Z. TU Dresden 56 (2007), 51; Danner, in: Danner/Theobald, Energierecht Einführung Rn. 35 f. BGH NVwZ 2003, 1140 (1141 f.). Vgl. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 76 f.; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3601 f.); näher zu Gestaltungsmöglichkeiten der Rechtsverhältnisse im Gasmarkt vor der Libralisierung s. Ebel, Energielieferungsverträge. S. Monopolkommission, Sondergutachten Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung, BT-Drs. 16/7087, Rn. 17. Der Staat hat sich dennoch seine Steuerungsposition behalten, die gegebenenfalls durch die Geltendmachung der in §§ 6 Abs. 4 und 8, 11 Abs. 2 S. 1 EnWG 2003 vorgesehenen Verordnungsermächtigungen realisiert werden konnte. Vgl. dazu Uldall-Bericht, BT-Drs. 13/9211, S. 24 f. In der Literatur ist die Entscheidung des Gesetzgebers für eine, auch wenn gesteuerte, Selbstregulierung in der Branche wohl nicht ganz zu Unrecht kritisiert worden. Im Mittelpunkt der Diskussion stand indes die wettbewerbsbehindernde Auswir-

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

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handelt werden80. Dies galt ebenfalls für den Gassektor81, obwohl entsprechende Bestimmungen zum verhandelten Gasversorgungsnetzzugang Dritter erst mit der EnWG-Novelle von 2003 in das Gesetz aufgenommen wurden82. Zugleich erfolgte die sog. „Verrechtlichung” der Verbändevereinbarungen Strom II plus und Erdgas II durch §§ 6 Abs. 1 S. 5, 6a Abs. 2 S. 5 EnWG 2003, indem die Grundsätze der guten fachlichen Praxis als Präzisierung des Diskriminierungsverbotes bei dem Zugang zu den Versorgungsnetzen gesetzlich festgelegt83 und ungeachtet aller politischer und rechtlicher Bedenken84 an die Wertmaßstäbe der Verbändevereinbarung Erdgas bzw. Strom angeknüpft wurden. Die erhoffte positive wettbewerbliche Wirkung dieser gesetzgeberischen Maßnahmen konnte sich freilich im Gasbereich sogar ins Gegenteil verkehren, weil das der VV Erdgas II zugrunde liegende transaktionsabhängige Netzzugangsmodell – anders als im Stromsektor85 – nach den Zielvorgaben des § 1 EnWG 2003 zu erheblichen Wettbewerbshemmnissen geführt hat86.

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kung der „Regellosigkeit” insbesondere vor dem Hintergrund der unzureichenden staatlichen Vorgaben für den wirksamen Wettbewerb, die die Marktmacht der einzelnen Energieversorgungsunternehmen nur gefördert hat. Vgl. Schwintowski, ZNER 1998, 9 (15), Becker, ZNER 2001, 122 (124 ff.); Schneider, Liberalisierung, S. 463 ff.; a. A. Seeger, Die Durchleitung elektrischer Energie nach neuem Recht, S. 321 ff.; selbst das Bundeskartellamt hat den staatlichen Regulierungsbedarf im Energiesektor abgelehnt, s. Bundeskartellamt, Pressemitteilung v. 11.11.2002, abgerufen unter: http://www.bundeskartellamt. de/SharedDocs/Meldung/DE/Pressemitteilungen/2002/11_11_2002_Netzzugang.html (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung, BT-Drs. 16/7087, Rn. 17; Danner, in: Danner/Theobald, Energierecht Einführung Rn. 60. Danner, in: Danner/Theobald, Energierecht Einführung Rn. 59. Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v. 20.5.2003, BGBl. I 2003, S. 686. S. dazu BT-Drs. 14/9081 v. 14.5.2002 zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung (Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts) v. 9.5.2001, BT-Drs. 14/5969; ebenso Säcker/Boesche, ZNER 2002, 183 (184). Kritisch zur Präzisierung des Begriffs der guten fachlichen Praxis mit den durch die Verbändevereinbarungen entwickelten Kriterien s. BMWA, Bericht über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen (MonitoringBericht), BT-Drs. 15/1510, S. 24 ff.; Monopolkommission, Vierzehntes Hauptgutachten 2000/2001, BT-Drs. 14/9903, Rn. 868; dies., Sondergutachten 34, Zusammenschlussvorhaben der E.ON AG mit der Gelsenberg AG und der E.ON AG mit der Bergemann GmbH, Rn. 106; BR-Drs. 460/02 (Beschluss) v. 21.06.2002, S. 3 f.; Säcker/Boesche, ZNER 2002, 183 (186 ff.); Hammerstein/Hertel, ZNER 2002, 193 (195 ff.); Boesche, ZNER 2003, 33 (34); grundsätzlich positiv bewertend Schwintowski, ZNER 2002, 205 (205 f.). Näher Schneider/Theobald/Theobald, EnWR § 1 Rn. 44 f. Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten Strom und Gas 2007: Wettbewerbsdefizite und zögerliche Regulierung, BT-Drs. 16/7087, Rn. 20; ebenso BMWA, Bericht über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen (Monitoring-Bericht), BT-Drs. 15/1510, S. 24 ff.; BKartA, Beschl. v. 22.7.2004, Az. B827/04, Rn. 30 – Mainova/Aschaffenburger VersorgungsGmbH; Schneider/Theobald/Theo-

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Vor diesem Hintergrund und vor der Notwendigkeit der Umsetzung der sog. Beschleunigungsrichtlinien Strom und Gas aus dem Jahre 2003 in nationales Recht hat der deutsche Gesetzgeber einen für die Gas- bzw. Stromversorgung entscheidenden Schritt in die Richtung „einer um Auslösung von Wettbewerbsprozessen bemühten Regulierung im Bereich der Energiewirtschaft”87 gemacht. Mit dem Zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 13.7.200588 wurden nunmehr die einheitlichen Anschlussund Netzzugangsbedingungen sowie deren Entgelte in allen Druckstufen verpflichtend vorgegeben (§§ 20 ff. EnWG), wobei die Einzelheiten (unter anderem die die Haftung berührenden Fragen) immerhin in sog. Ein- und Ausspeiseverträgen nach dem neuen transaktionsunabhängigen Netzzugangsmodell89 vereinbart werden können. Die gesetzlich festgelegten Netznutzungs- und Entflechtungsvorgaben90 haben die mit der ersten Novellierung des EnWG initiierte Trennung zwischen dem Handel mit Gas bzw. Strom und dessen Transport vollendet, was „den äußeren Rahmen der schuldrechtlichen Pflichten und privatrechtlichen Ansprüche“91 vorausbestimmt hat. b)

Die Auswirkungen der Liberalisierung auf die Rechtsverhältnisse zwischen Netzbetreiber, Lieferanten und Kunden

Wie oben bereits dargelegt, ist mit der Einführung des § 6a EnWG 2003 der spezialgesetzliche, auf dem Modell des verhandelten Netzzugangs beruhende Durchleitungstatbestand ebenfalls in den Gasbereich eingedrungen. Danach war der Gasnetzbetreiber verpflichtet, „anderen Unternehmen”92 sein Netz für Durchleitungen zur Verfügung zu stellen. Sollte dabei der Endkunde sein Gas von einem Lieferanten, der über kein eigenes Versorgungsnetz verfügt und als Wettbewerber auftritt, beziehen, entstand sogleich eine Dreipersonenbeziehung. Diese lange zuvor geforderte Trennung von Netzbetrieb und Gasvertrieb fand jedoch zunächst nur im Wettbewerbskundenbereich statt, während das

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bald, EnWR § 1 Rn. 46 f.; Hammerstein/Hertel, ZNER 2002, 193 (194); Böge, GewArch 2004, 363 (363 f.). Busche, in: Baur, Die Energiewirtschaft in der Regulierung, S. 117. Zweites Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v. 13.7.2005, BGBl. I 2005, Nr. 42, S. 1970. Näher s. Teil I § 2 C IV 2, S. 34 ff. Ausführlich zum Entflechtungsprozess in Deutschland s. Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 23 ff. Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3601). Nach dem Zweck der Norm konnten darunter wohl auch Endabnehmer subsumiert werden, ohne dass sie dabei „Unternehmensqualität” haben mussten. Vgl. dazu Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 80 f.; a. A. Horstmann, Netzzugang in der Energiewirtschaft, S. 43 f.; Büdenbender, RdE 1999, 1; Walter/v. Keussler, RdE 1999, 190 (193).

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

23

Vertragsverhältnis des Tarifkunden weiterhin zweiseitig geblieben ist. Die Gasversorgung von Tarifkunden erfolgte demgemäß nach wie vor durch ein vertikal integriertes Energieversorgungsunternehmen als Allgemeiner Versorger i. S. d. § 10 Abs. 1 EnWG 2003, der gleichzeitig die Aufgaben des Lieferanten und des Netzbetreibers erfüllte und somit grundsätzlich der einzige potenziell zum Schadensersatz für die Versorgungsstörungen Verpflichtete war. Allerdings ließ sich dem EnWG 2003 nicht entnehmen, in wessen Verantwortungsbereich – dem des Lieferanten oder dem des Endkunden – eine vertragliche Abwicklung des Transports von Erdgas durch die entsprechenden Netze lag93. Ebensowenig waren dem EnWG 2003 keinerlei Vorgaben zur inhaltlichen Gestaltung eines Netznutzungsvertrages zu entnehmen. Je nach Vertragskonstellation war dabei die haftungsrechtliche Stellung des Netzbetreibers unterschiedlich zu gewichten. Sollte der Netznutzungsvertrag zwischen dem Drittlieferanten und dem Netzbetreiber abgeschlossen werden, wovon die VV Gas wohl ausgegangen sind94, musste Letzterer für durch eine netzbetriebsbedingte Versorgungsstörung verursachte Schäden des Endkunden deliktisch unbegrenzt haften. Dies stand jedoch der Erreichung des Ziels der Versorgungspreisgünstigkeit entgegen95. Denkbar erschien indes damals die Freistellung des Netzbetreibers innerhalb der Versorgungsbeziehung von seiner Haftung aus Delikt durch die Drittwirkung haftungsausschließender bzw. -beschränkender Klauseln zwischen dem Gaslieferanten und dem Endkunden oder ggf. durch die unmittelbare Verweisung im Versorgungsvertrag (Hauptvertrag) auf die Haftungsbeschränkungen des sog. Durchleitungsvertrages zwischen dem Netzbetreiber und dem Gaslieferanten (Subvertrag)96. Dadurch wiederum konnten wirtschaftliche Nachteile des Netzbetreibers im Falle der Realisierung seines Haftungsrisikos97 ausgeglichen werden. Durch 93

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Vgl. die Lösungsansätze zur vertraglichen Abwicklung eines Netzzugangs im Elektrizitätsbereich, s. dazu Busche, in: Baur, Die Energiewirtschaft in der Regulierung, S. 117 (129); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 80 f.; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3602). S. dazu Anlage Haushaltskunden Ziff. 2 der VV Gas I, Anlage 6 Ziff. 2 sowie Anlage 8 Ziff. 2 der VV Gas II. Außerdem war die vertragliche Abwicklung der Gasdurchleitung nach dem transaktionsabhängigen Netzzugangsmodell für den Endkunden unüberschaubar und somit kaum zumutbar. Vgl. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 100 ff. Zur vertraglichen Abdingbarkeit deliktischer Haftung von Erfüllungsgehilfen s. Meyer, Der Schutz von Erfüllungsgehilfen vor deliktischer Haftung durch vertragliche Haftungsbeschränkungen, S. 35 ff., 177 ff.; vgl. OLG München GRUR-RR 2003, 56 (57 f.); kritisch zu diesem Lösungsansatz im Energiebereich Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 102; ebenfalls Hempel, ZNER 2004, 140 (146). Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 101 f.

24

Teil I Rechtslage in Deutschland

eine vertragliche Beziehung mit dem Erdgas abnehmenden Kunden als Vertragspartner war es dem Netzbetreiber hingegen möglich, die Einschränkung seiner vertraglichen und allgemeinen deliktischen Haftung im Zusammenhang mit Gasleitungsstörungen selbst auszuhandeln. In der Regel wurde dafür auf die Haftungsklausel des § 6 AVBGasV98 verwiesen bzw. diese wörtlich übernommen99, wobei hier die Besonderheiten der §§ 305 ff. BGB zu beachten waren100 . An dieser Stelle bleibt noch darauf hinzuweisen, dass der über das Netz belieferte Kunde jedenfalls auf ein unmittelbares Vertragsverhältnis mit dem jeweiligen Netzbetreiber angewiesen war, indem er einen regelmäßig auf der AVBGasV basierenden Netzanschlussvertrag bzw. einen Netzanschluss- und Netzendkundenvertrag101 als Voraussetzung für seinen Zugang zu dem unmittelbar vorgelagerten Netz abzuschließen hatte (vgl. Anlage 6 Ziff. 2.2.3 der VV Gas II)102. Zum Regelungsinhalt gehörte insbesondere die Anordnung einer Haftungsbegrenzung des betroffenen Netzbetreibers gegenüber Anschlussnehmern und Netzendkunden bei durch die Versorgungsstörungen verursachten Schäden, so dass die Diskussion über die Verteilung der Haftungsrisiken zwischen dem Netzbetreiber, dem Lieferanten und dem letztverbrauchenden Kunden im Rahmen einer Durchleitungskonstellation kaum noch eine Relevanz besaß. Mit der nächsten Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes im Jahre 2005 ist über die Vertragsbeziehungen an der leitungsgebundenen Gasversorgung beteiligter Personen zumindest im Bereich der allgemeinen Versorgung letztendlich Rechtsklarheit und -sicherheit geschafft worden103 . Durch die Aufspaltung der einheitlichen Anschluss- und Versorgungspflicht des allgemeinen Versorgers in eine Pflicht des Netzbetreibers zum Anschluss von Letztverbrauchern an das Niederspannungs- bzw. Niederdrucknetz (§ 18 98

Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden v. 21.6.1979, BGBl. I 1979, S. 676. Vgl. BGH NJW 1998, 1640 (1640 ff.), der der AVBEltV die Leitbildfunktion in Lieferverträgen mit Wettbewerbskunden zugeschrieben hat. Die Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Gassektor ergab sich aus vielfältigen Parallelen der die Gas- und Stromversorgung regelnden Vorschriften. 100 Schneider/Theobald/de Wyl/Müller-Kirchenbauer, 1. Aufl. 2003, EnWR § 13 Rn. 51 ff. 101 Zum Regelungsgegenstand des Netzanschlussvertrages und des Netzendkundenvertrages s. näher Schneider/Theobald/de Wyl/Müller-Kirchenbauer, 1. Aufl. 2003, EnWR § 13 Rn. 407 ff. 102 Allerdings war der Nichtabschluss von Netzanschluss- und Netzendkundenverträgen zwischen dem Kunden und dem Netzbetreiber kein zulässiger Netzzugangsverweigerungsgrund zu Lasten des Netzzugangspetenten, s. dazu BerlKommEnR/Boesche, 1. Aufl. 2004, § 6 EnWG Rn. 153, 271, § 6a EnWG Rn. 117. 103 Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3603); Scholtka/Baumbach, NJW 2008, 1128 (1129). 99

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

25

Abs. 1 EnWG) sowie in eine Pflicht des Lieferanten, der als Grundversorger auf dem Markt auftritt, zur Energielieferung an Haushaltskunden (§ 36 Abs. 1 EnWG) erfolgte nunmehr die endgültige Trennung der Rechtsverhältnisse zwischen Netzbetreibern, Lieferanten und Kunden104. Somit hat § 18 EnWG den um die Notwendigkeit von Anschlussnutzungsverträgen zwischen Netzbetreiber und Kunden und deren wettbewerbshindernde Wirkung entbrannten Streit105 beendet, indem der Gesetzgeber die Entstehung des Rechtsverhältnisses der Anschlussnutzung in Niederdruck kraft Gesetzes vorgesehen und seine Ausgestaltung unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen sowie der Gesetzesziele auf die abschließenden und standardisierten Regelungen der Netzanschlussverordnungen (N(D)AV) gestützt hat (vgl. § 18 Abs. 3 S. 1 EnWG). Ebenfalls Änderungen hat der in § 6a EnWG 2003 verankerte Durchleitungstatbestand erfahren. § 20 EnWG legt nun ausdrücklich fest, dass für den Netzzugang unbedingt eines Vertragsabschlusses mit dem jeweiligen Netzbetreiber notwendig ist, was eine Obliegenheit des Netzzugangspetenten begründet106 und netzzugangsberechtigt nicht mehr nur „andere Unternehmen“, sondern jedermann, d. h. sowohl Letztverbraucher als auch Lieferanten sind. Die neu geschaffene Rechtslage hat berechtigterweise eine Revision der ganzen Haftungssystematik für Leitungsstörungen hervorgerufen, die durch die einheitlichen Haftungsmaßstäbe zugunsten des Netzbetreibers (vgl. § 18 N(D)AV sowie § 25a StromNZV bzw. § 5 GasNZV) dem Grundsatz der preisgünstigen Energieversorgung Rechnung trägt und die aus den unterschiedlichen Netznutzungskonstellationen im Personendreieck resultierenden haftungsrechtlichen Differenzen nivelliert107 . 2.

Die EnWG-Novelle 2011

Im Jahre 2011 wurde das Dritte Energiebinnenmarktpaket durch die entsprechende Anpassung des EnWG 2005 in nationales Recht umgesetzt. Die für diese Arbeit relevanten Änderungen des Gesetzes betrafen insbesondere die Entflechtungsvorschriften für Verteilernetzbetreiber und Transportnetzbetreiber, die neben den ursprünglichen Entflechtungsformen des Netzbetriebs auch weitere nunmehr weitaus verschärftere Entflechtungsmaßnahmen – wie die 104

BT-Drs. 15/3917, S. 58 f. Kritisch OLG Schleswig-Holstein RdE 2002, 75 (76); LG Dortmund, 12.4.2001, et2001, 664 (665); Boesche, ZNER 2003, 33 (35); Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 157 ff.; Büdenbender, RdE 1999, 1 (6); BerlKommEnR/Boesche, 1. Aufl. 2004, § 6 EnWG Rn. 81; eher bejahend OLG Schleswig ZNER 2001, 55; Schneider/Theobald/ Schneider, EnWR § 10 Rn. 21, § 13 Rn. 131, 233. 106 Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 20 Rn. 34. 107 BR-Drs. 312/10, S. 61. 105

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Teil I Rechtslage in Deutschland

eigentumsrechtliche Entflechtung (§ 8 EnWG) und Alternativmodelle unabhängiger Systembetreiber (§ 9 EnWG) oder unabhängiger Transportnetzbetreiber (§ 10 EnWG) – für die Fernleitungsnetzbetreiber vorsehen. Auf der Verteilernetzebene hat sich der Gesetzgeber hingegen auf die gesellschaftsrechtlichorganisatorische Entflechtung mit der Verpflichtung zum getrennten Kommunikationsverhalten und Markenauftritt (§ 7a Abs. 6 EnWG) beschränkt108 . Unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten führt die Durchsetzung der Entflechtungsvorschriften im Rahmen der EnWG-Novelle 2011 zu einer neuen Haftungsrisikoverteilung innerhalb und außerhalb des Versorgungsverhältnisses. Das gilt insbesondere für unabhängige System- und Transportnetzbetreiber. Während gemäß § 8 EnWG eigentumsrechtlich entflochtene Netzgesellschaften nicht nur das zivilrechtliche Eigentum an den Vermögensgegenständen des Netzes und eine unbegrenzte Nutzung ihrer Eigentümerrechte genießen dürfen, sondern auch alle damit verbundenen Haftungsrisiken nur selbst tragen müssen, wird der ISO109 von jeglicher Haftung für Sach-, Personenund Vermögensschäden zu Lasten des Eigentümers des Transportnetzes und des vertikal integrierten Versorgungsunternehmens freigestellt, die durch das vom ISO betriebene Transportnetz verursacht werden (§ 9 Abs. 5 EnWG). In seinem Einflussbereich, der nach § 9 Abs. 3 EnWG zu bestimmen ist, haftet allerdings allein der ISO110. Beim ITO111 -Modell bleibt zwar die vertikale Integration insgesamt erhalten, jedoch werden die entsprechenden Einwirkungsmöglichkeiten dem vertikal integrierten Versorgungsunternehmen als Obergesellschaft entzogen 112 , was die Haftungsbeziehungen innerhalb und außerhalb des Konzerns weitgehend prägt. § 10b Abs. 6 EnWG schreibt dennoch klarstellend die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern des vertikal integrierten Versorgungsunternehmens für die Bereiche, auf welche sie keinen Einfluss haben dürfen und tatsächlich nicht haben, fest113. 3.

Rechtsverordnungen

Besonderes Augenmerk ist auf zahlreiche aufgrund der jeweils einschlägigen Verordnungsermächtigungen im neu konzipierten EnWG aus dem Jahre 2005 (vgl. §§ 18 Abs. 3, 24, 39 Abs. 2 EnWG) erlassene Rechtsverordnungen, die den oben beschriebenen Vertragsrahmen der regulierten Gaswirtschaft mit 108

Dazu s. BR-Drs. 343/11, S. 140 ff.; BT-Drs. 17/6072, S. 56 ff. Independent System Operator. 110 Zu Diskrepanzen gegenüber den europäischen Vorgaben s. BerlKommEnR I 1/Säcker/ Mohr, EnWG § 9 Rn. 52. 111 Independent Transmission Operator. 112 Vgl. Säcker/Mohr, N&R Beilage 2/2012, 1 (3 ff.). 113 BerlKommEnR I 1/Säcker/Mohr, EnWG § 10b Rn. 19. 109

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

27

Leben füllen, zu legen. Im Mittelpunkt der verordnungsgeberischen Tätigkeit standen hierbei als erstes die Schaffung von Rechtssicherheit durch die Anpassung der bislang geltenden allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung (AVBGasV) an die neuen Gegebenheiten und sodann der Schutz der Endkundeninteressen durch die Standardisierung der Vertragsbedingungen, nicht zuletzt wegen des in § 1 EnWG festgeschriebenen Gebots der Verbraucherfreundlichkeit im Energieversorgungssystem114. Es handelt sich insbesondere um Verordnungen für die rechtliche Ausgestaltung nun aufgespaltener Rechtsverhältnisse von Netzbetreibern, Lieferanten und Kunden auf den Gebieten des Netzanschlusses und dessen Netznutzung (NDAV)115, der Grundund Ersatzversorgung (GasGVV)116 sowie des Netzzugangs (GasNZV)117. Die neue Niederdruckanschlussverordnung und Gasgrundversorgungsverordnung beruhen grundsätzlich auf den Regelungen der abgelösten AVBGasV von 1979, enthalten allerdings wesentliche Erweiterungen und Änderungen118. Dies betrifft nicht nur Unterschiede in ihrem sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich, die Differenzierung zwischen einem vertraglichen Anschluss- und einem gesetzlichen Anschlussnutzungsverhältnis oder das Abstellen auf die Netzanschlussebene und Entnahmeebene119 , sondern auch das gesamte Haftungssystem bei typischen Versorgungsstörungen. Da wegen der Leitungsgebundenheit der Gasversorgung die Abnehmer ebenso wie die Versorger weitgehend auf die Funktionsfähigkeit der Netze angewiesen sind und die meisten Schädigungen durch Störungen im Netzbetrieb hervorgerufen werden, nimmt indes die Haftung des Netzbetreibers zu Recht eine zentrale Rolle ein. Einschlägig sind dabei § 18 NDAV, § 6 GasGVV und § 5 GasNZV, die „unabhängig von der schuldrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen im Interessendreieck zwischen Letztverbraucher, Netzbetreiber und Energielieferanten sowie der jeweiligen Ursache der Versorgungsstörung einheitliche Maßstäbe für die Haftung des Netzbetreibers“120 gewährleisten sollen. In § 18 114

BR-Drs. 367/06, S. 31 sowie 34; ebenso Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (78). Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Gasversorgung in Niederdruck (Niederdruckanschlussverordnung – NDAV) v. 01.11.2006, BGBl. I S. 2485. 116 Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Gasgrundversorgungsverordnung – GasGVV) v. 26.10.2006, BGBl. I S. 2396. 117 Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (Gasnetzzugangsverordnung – GasNZV) v. 25.7.2005, BGBl. I S. 2197. 118 de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, Einführung Rn. 4. 119 Näher dazu Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (123 f.); ebenso Groß, NJW 2007, 1030 (1032 ff.); Scholtka/Baumbach, NJW 2008, 1128 (1129 f.). 120 BR-Drs. 367/06, S. 73. 115

28

Teil I Rechtslage in Deutschland

NDAV wird erstmals eine Haftungsbeschränkung zugunsten des Netzbetreibers gegenüber Anschlussnutzern geregelt, die gemäß § 5 GasNZV ebenfalls gegenüber Netznutzern Anwendung findet. § 6 GasGVV sieht ferner die Befreiung des Grundversorgers von seiner Liefer- und Schadenersatzverpflichtung vor, wenn dem Gaskunden aus einer Unterbrechung bzw. Unregelmäßigkeiten in der Gasversorgung infolge einer Störung des Netzbetriebs Schäden entstehen. Dem deutschen Verordnungsgeber war letztendlich – unbeschadet einiger entstandener Regelungslücken121 – die Schaffung eines einheitlichen Haftungsregimes im Bereich der Grundversorgung sowie des Niederdrucks gelungen. C.

Marktbezogene Hintergründe leitungsgebundener Erdgasversorgung

In einem nächsten Schritt ist die liberalisierte Marktordnung im deutschen Gassektor, wie sie aus dem angesprochenen Rechtsrahmen resultiert, darzustellen. Die Zusammenschau der wirtschaftlichen Struktur der leitungsgebundenen Gasversorgung lässt in erster Linie die grundsätzlichen Abläufe auf den verschiedenen Wertschöpfungsstufen ebenso wie die wirtschaftlichen Akteure und ihre für die vorliegende Untersuchung zugrunde gelegten Rechtsbeziehungen deutlich werden. Daraus können darüber hinaus Verantwortungsbereiche aller entlang der Wertschöpfungskette Beteiligten und ihre etwaigen Schadensrisiken abgeleitet werden. Deshalb sollen zunächst marktbezogene Hintergründe des Gasversorgungssystems erörtert werden, bevor auf die einzelnen Haftungskonstellationen sowie die Rechte und Pflichten handelnder Personen vertieft eingegangen wird. I.

Allgemeines

Die aktuelle Gesamtstruktur der deutschen Erdgaswirtschaft ist, wie oben bereits ausgeführt, durch die Harmonisierung und Liberalisierung der europäischen Märkte für Strom und Gas bestimmt und lässt sich insgesamt in vier Wertschöpfungsstufen, nämlich Beschaffung (Produktion und Import), Großhandel, Transport (Fernleitung und Verteilung) und Einzelhandel (Vertrieb) unterteilen122.

121

S. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (80 ff.); auch Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 21 ff. (zur Abgrenzung zwischen Störungen im Netz und in der Netzanschlussnutzung), Rn. 69 ff. (zur Anwendung des § 18 NAV auf Schäden von Anschlussnehmern); Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (131); Schneider/Theobald/de Wyl/ Müller-Kirchenbauer/Thole, 2. Aufl. 2008, EnWR § 15 Rn. 81 ff. 122 S. Schiffer, Energiemarkt, S. 125 f.; vgl. auch Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 129, 144; zur kartellrechtlichen

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

II.

29

Beschaffungsebene

Die Beschaffungsebene auf dem deutschen Gasmarkt besteht aus Produktion und Import, wobei der Anteil des im Inland geförderten Erdgases am gesamten Erdgasaufkommen in Deutschland so gering ist, dass er kaum eine selbständige Bedeutung für die Erdgasversorgung hat123 . Damit erlangen die Importe aus dem Ausland eine entscheidende Bedeutung in der Erdgasbeschaffung. Im Hinblick auf die angestrebte Marktliberalisierung stellt hierbei die Produktions- und Importebene grundsätzlich einen wettbewerbsfähigen Teilbereich dar. Allerdings ist der Wettbewerb bei der Beschaffung von Erdgas wegen des unzureichenden Angebotes, bedingt vor allem durch die begrenzten einheimischen Gasreserven sowie Abhängigkeiten von einzelnen Exportstaaten und ihren oft staatseigenen Monopolunternehmen124, nur eingeschränkt möglich125. Die Produktions- bzw. Importstufe umfasst zunächst Erschließung und Förderung sowie Gasaufbereitung und Gasmischung durch aus- und inländische Produzenten126 . Sie beliefern folglich überregionale Ferngasgesellschaften mit Erdgas127 . Charakteristisch für die Importstufe ist zudem, dass bei der internationalen Beschaffung von Erdgas grundsätzlich langfristige Verträge mit einer Laufzeit von über 20 Jahren zur Absicherung von hohen Investitionen bei der Erschließung von Gaslagerstätten sowie beim Transportinfrastrukturausbau abgeschlossen werden128. Dies kann sich jedoch auf die Importeurgesellschaften, die weiterhin auf den nachgelagerten Marktstufen aktiv sind, nachteilig auswirken129 . Marktabgrenzung s. BKartA, Beschl. v. 31.1.2012, Az. B8-116/11, Rn. 66 ff. – Gazprom/VNG; BKartA, Beschl. v. 20.3.2012, Az. B8-124/11, Rn. 32 – RWE/Essent. 123 Vgl. BMWi, Energiedaten: Gesamtausgabe, Stand: Juli 2014, E23. 124 BMWi, Energie in Deutschland. Trends und Hintergründe zur Energieversorgung, Stand: Februar 2013, S. 15; vgl. Schiffer, Energiemarkt, S. 128 ff. 125 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 19; s. ebenfalls Monopolkommission, Sondergutachten 65, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Rn. 46 f. 126 BKartA, Beschl. v. 31.1.2012, Az. B8-116/11, Rn. 68 ff. – Gazprom/VNG; ebenso Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 18. 127 S. BKartA, Beschl. v. 20.3.2012, Az. B8-124/11, Rn. 32 – RWE/Essent. 128 Ströbele/Pfaffenberger/Heuterkes, Energiewirtschaft, S. 172; Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, S. 105 ff.; Schneider/ Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 162, 164. 129 Die Energiebezugsverträge auf den nachgelagerten Marktstufen unterfallen grundsätzlich zivilrechtlichen und kartellrechtlichen Laufzeitbegrenzungen und weisen im Hinblick auf die Sicherung des wirksamen Wettbewerbs eine kürzere Bindungsdauer, je nach Kundentyp und Fallkonstellation auf, so dass überregionale Ferngasgesellschaften folglich viel stärker als alle anderen Marktteilnehmer von Marktveränderungen abhängig sind. Zu Schranken für Laufzeitvereinbarungen s. BGH NJW-RR 2009, 1635 (1638 f.); OLG Düs-

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III.

Teil I Rechtslage in Deutschland

Großhandelsebene

Von zentraler Bedeutung für die Liberalisierung der Gasmärkte ist die Sicherstellung eines funktionsfähigen und liquiden Erdgashandels, der, wie im Stromsektor auch, in Groß- und Einzelhandel (Endkundenebene) aufzuteilen ist. Diese Trennung in Groß- und Einzelhandelsebene ist sowohl funktional als auch technisch bedingt. Der Großhandel auf dem deutschen Erdgasmarkt ist mehrstufig und umfasst alle Handelsgeschäfte vor der Belieferung von Endkunden. Die auf dieser Stufe agierenden Marktteilnehmer sind üblicherweise Zwischenhändler, die das Gas nicht zum eigenen Verbrauch, sondern zur Weitergabe an regionale und lokale Weiterverteiler bzw. Vertriebsgesellschaften einkaufen130. Unter den Begriff des Zwischenhändlers sind hierbei sowohl Ferngasgesellschaften mit und ohne Direktzugang zur Produktions- bzw. Importstufe als auch reine Händler und Energiedienstleister zu fassen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass solche Großverbraucher wie Industrie und Kraftwerke häufig direkt von der Großhandelsstufe beliefert werden131. Zu den wichtigen Aufgaben der Großhändler gehören die Sicherung der Gasqualität sowie die Abstimmung von Interessen zwischen den Produzenten und deren jeweiligen Abnehmern im Hinblick auf die vereinbarten Erdgasmengen132 . Das Erdgas wird überwiegend im außerbörslichen OTC-Handel (Overthe-Counter) bilateral gehandelt133. Der bilaterale Erdgashandel in Deutschland läuft insofern über die virtuellen Handelspunkte (VHP) des jeweiligen Marktgebietes, die keine geografische Anknüpfung besitzen und ausschließlich als Handelsplattform gelten, unabhängig vom physischen Gasflussweg134 . Zivilrechtlich wird ein solcher virtueller Handelspunkt als Ort des Gefahrübergangs des gehandelten Gases angesehen135 . Darüber hinaus kann der Erdgashandel alternativ über Brokerplattformen sowie über die Energiebörse EEX (European Energy Exchange AG) bzw. EGRX (European Gas Exchange GmbH) in Leipzig abgewickelt werden, was den Kreis von aktiven Handelsteilseldorf NJOZ 2008, 891, 918; OLG Düsseldorf NJOZ 2006, 4639, 4647, 4656; s. ebenso Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 173 ff.; Ströble/Pfaffenberger/ Heuterkes, Energiewirtschaft, S. 173. 130 Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 131. 131 Ebenda. 132 Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 20; Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 19. 133 BNetzA, Monitoringbericht 2013, Stand: Juni 2014, S. 212. 134 BerlKommEnR I 1/Thole, EnWG § 20 Rn. 164; Ströbele/Pfaffenberger/Heuterkes, Energiewirtschaft, S. 178. 135 Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 188.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

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nehmern erweitert und so zur Wettbewerbsentwicklung auf der Großhandelsebene beiträgt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der OTCHandel den Vertragspartnern vergleichsweise mehr Flexibilität bei der Geschäftsabwicklung anbietet, während bei Börsengeschäften die Börse selbst als Kontrahent eingeschaltet wird und der Käufer bzw. Verkäufer auf Standardverträge angewiesen ist136. Der Erdgashandel über die Börse ermöglicht jedoch im Gegensatz zum außerbörslichen Handel die Absicherung des Ausfall- und Preiserhöhungsrisikos, die durch das Clearing der Börse bzw. einer beauftragten Clearingbank erfolgt 137 . Im Großhandel ist des Weiteren zwischen kurzfristigen (Spot-) und langfristigen (Termin-)Geschäften zu unterscheiden. Darüber hinaus können Kontrakte in Abhängigkeit vom Vertragsgegenstand sowohl physisch als auch finanziell erfüllt werden. Überdies ist das Erdgas innerhalb bestimmter Marktgebiete zu kaufen bzw. zu verkaufen. In Deutschland gibt es derzeit lediglich zwei qualitätsübergreifende Marktgebiete (Gaspool und NetConnect Germany (NCG)). Ein Marktgebiet stellt eine Verknüpfung von mehreren gleichgelagerten und nachgelagerten Netzen und Teilnetzen verschiedener Netzbetreiber zum Zweck der flexiblen Nutzung von Ein- und Ausspeisekapazitäten durch die Transportkunden dar (§ 2 Nr. 10 GasNZV) und gilt als „Marktplatz für Gas und (sonstige) Hilfsdienste”138 . Die Einteilung des gesamten deutschen Erdgasmarktes in Marktgebiete wurde im Zuge der Umsetzung des neuen wettbewerbsorientierten Netzzugagsmodells vollzogen. IV.

Transportebene: Fernleitung und Verteilung

Wie aufgezeigt wurde, muss das Erdgas aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften von den Produzenten bzw. Importeuren zu den Endverbrauchern netzgebunden, d. h. über das bereits dargestellte System von Gasfernleitungen und Gasverteilernetzen unterschiedlicher Druckebenen transportiert werden. Aus wirtschaftlicher Sicht wird hierbei das gesamte Leitungsnetz als Distributionsmittel in der Belieferungskette des Gasversorgungsmarktes betrachtet139 . Der Gastransport lässt sich dabei als eigener Marktbereich identifizie-

136

BNetzA, Monitoringbericht 2013, Stand: Juni 2014, S. 212; Schneider/Theobald/de Wyl/ Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 33. Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 33. 138 BerlKommEnR I 1/Müller-Kirchenbauer/Thole/Stratmann, EnWG § 20 Rn. 229. 139 Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 97. 137

32

Teil I Rechtslage in Deutschland

ren140 , der einen unmittelbaren Einfluss auf die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen hat141. 1.

Fernleitungs- und Verteilernetze als natürliche Monopole

Da die Transport- und Verteilernetze weiterhin sogenannte natürliche Monopole darstellen142 und somit Marktzugangsbarrieren für neue Akteure sowohl auf Anbieter- als auch auf Nachfrageseite schaffen können143, auch wenn seit Beginn der Liberalisierung im Jahr 1998 auf allen Märkten und Marktstufen der deutschen Gaswirtschaft das Wettbewerbsprinzip weitgehend im Vordergrund steht, wird der Markt für Transportdienstleistungen im Gegensatz zum Gasversorgungsmarkt einer sektorspezifischen Regulierung durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) unterstellt144. Vor diesem Hintergrund ist weiterhin auf die vorrangige Anwendung des EnWG gegenüber den kartellrechtlichen Vorschriften (§§ 19, 20 und 29 GWB) im Bereich des Netzbetriebs hinzuweisen145 . Demnach erfolgt die Regulierung des Netzanschlusses, des Netzzugangs und der Netzentgelte, die ein Bestandteil der Endkundenpreise sind, ausschließlich nach §§ 11 bis 35 EnWG sowie nach den auf Grundlage dieser Normen erlassenen Rechtsverordnungen146. 2.

Grundsatz des Zweivertragsmodells

Die wichtigsten im Rahmen der geforderten Öffnung der Gasmärkte für den Wettbewerb vorgenommenen Veränderungen auf dem Transportmarkt beziehen sich indes vor allem auf den Netzzugangsbereich, der für einen effizienten und wettbewerbsfähigen Gashandel diskriminierungsfrei sein muss. Hervorzuheben ist hier, dass in Bezug auf die Vorgaben der Diskriminierungsfreiheit, der Effizienz der Zugangssystematik und der Massengeschäftstauglichkeit147 der Netzzugang im Gassektor nunmehr über das transportpfad- und transaktionsunabhängige Zweivertragsmodell erfolgt148. Während im alten als wett140

Markert, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Rn. 33; detailiert zur Gastransportmarktabgrenzung im Entgeltregulierungsrecht s. BNetzA, Beschluss v. 22.09.2008, BK4-07-104 – E.ON Gastransport GmbH, S. 24 ff. 141 Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 145. 142 BR-Drs. 343/11, S. 133; s. ebenfalls Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 26. 143 Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 133 f. 144 Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 141. 145 S. dazu die Gesetzesbegründung zu § 111 EnWG, in: BT-Drs. 15/3917, S. 75. 146 Vgl. BerlKommEnR I 1/Säcker, EnWG § 111 Rn. 2, 8 – zum Verhältnis zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Rn 18 f. – zur Beschränkung der Verdrängungswirkung des § 111 EnWG. 147 BerlKommEnR I 1/Thole, EnWG § 20 Rn. 133. 148 Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 184.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

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bewerbshindernd angesehenen Kontaktpfadmodell die Festlegung jedes einzelnen Transportpfades auf der fiktiven Transportroute zwischen dem ersten Einspeisepunkt und der Entnahmestelle beim Endkunden und insofern eine vertragliche Abbildung des physischen Gasflusses erforderlich waren149, sind nunmehr gemäß § 20 Abs. 1b S. 2 bzw. 3 EnWG i. V. m. der KoopV VIII150 nur zwei Verträge über die Einspeise- und Ausspeisekapazitäten – unabhängig von der Anzahl der durch einen Transport betroffenen Netze – für den netzübergreifenden Zugang zum gesamten Gasversorgungsnetz abzuschließen151 . Ein tragendes Element des Zweivertragskonzepts stellt folglich die Kooperationspflicht der Netzbetreiber nach § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG dar. a)

Einspeise- und Ausspeisevertrag

Einspeise- und Ausspeiseverträge kommen zwischen dem Transportkunden und dem Netzbetreiber, in dessen Netz eingespeist oder dessen Netz ausgespeist wird, zustande. Dabei ist der Abschluss beider Verträge durch einen Transportkunden nicht erforderlich152. Die Tätigkeit des Transportkunden kann sich demnach auf die Buchung von bloßen Einspeise- oder Ausspeisekapazitäten in das Marktgebiet beschränken. Bei einem reinen Gashandel müssen in Ermangelung der Notwendigkeit des Gastransportes durch das Gasversorgungsnetz demzufolge weder Einspeise- noch Ausspeiseverträge abgeschlossen werden153. Sämtliche Geschäfte der in diesem Bereich agierenden Akteure werden somit ausschließlich auf der Handelsplattform abgewickelt. Einspeise- und Ausspeiseverträge (ebenfalls als Netznutzungsverträge bezeichnet) regeln des Weiteren die Rechte des Transportkunden zur Nutzung des gesamten Gasnetzes (vom Einspeisepunkt bis zum VHP bzw. vom VHP bis zum Ausspeisepunkt beim Letzverbraucher, § 3 Abs. 3 S. 2 GasNZV) sowie die Verpflichtungen beider Vertragsparteien, die vor allem in der Vorhaltung der gebuchten Gaskapazitäten und in der Zahlung eines entsprechenden Entgeltes (vgl. §§ 3 und 4 Anlage 1 zur KoopV VIII) bestehen und durch die 149

Vertiefend dazu Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 81 f.; s. ebenfalls Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 183; zu den Mängeln des Punkt-zu-Punkt-Modells s. Monitoring-Bericht, BT-Drs. 15/1510, S. 24 ff. bzw. zur Einzelbuchungsvariante des einzelnetzbezogenen Entry-Exit-Konzeptes s. BNetzA, Beschluss v. 17.11.2006, Az.: BK7-06/074, S. 110 ff. 150 Kooperationsvereinbarung zwischen den Betreibern von in Deutschland gelegenen Gasversorgungsnetzen v. 01.10.2015, abgerufen unter: https://www.bdew.de/internet.nsf/id/A AC284865C87ADF1C1257E74002D48D9/$file/Kooperationsvereinbarung%20zwischen% 20den%20Betreibern%20von%20in%20Deutschland%20gelegenen%20Gasversorgungsnetzen.pdf (zuletzt am 01.12.2018). 151 BerlKommEnR I 1/Thole, EnWG § 20 Rn. 139 f. 152 Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 439. 153 Ebenda.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

wechselseitige Zweckbindung im Sinne des § 320 BGB gekennzeichnet sind 154 . Systemdienstleistungen 155 gehören indes zu den Nebenleistungspflichten des Netzbetreibers, soweit sie der ordnungsgemäßen Erfüllung des jeweiligen Vertrages dienen156 . Soll der Ausspeisevertrag mit dem Betreiber eines örtlichen Verteilernetzes geschlossen werden, so muss er sich gemäß § 20 Abs. 1b S. 4 EnWG nicht auf jede einzelne Entnahmestelle beziehen. Es handelt sich insofern um einen Lieferantenrahmenvertrag (bzw. Ausspeiserahmenvertrag), § 3 Abs. 4 GasNZV. Schließlich ist zu beachten, dass eine individuelle Ausgestaltung der Netzzugangsverträge nur beschränkt möglich ist157 . b)

Konsequenzen des netzübergreifenden Zweivertragsmodells

Aus dem oben beschriebenen Netzzugangssystem folgt, dass die technische Umsetzbarkeit des einzelnen Transportvorgangs auf der Vertragsebene keine Bedeutung hat158. In diesem Zusammenhang ist die Entkoppelung der technischen Verhältnisse (Transportkette) und der wirtschaftlichen Abwicklung (Lieferkette) im Bereich der Gasversorgung zu beobachten. Nach dem Zweivertragsmodell ist weiterhin keine Identität von ein- und ausgespeistem Gas erforderlich, wobei aber der gleiche Energiegehalt von den Netbetreibern gewährleistet werden muss (§ 8 Abs. 1 GasNZV)159. Darüber hinaus weisen die Transportentgelte entsprechend dem Netzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b

154

Vgl. Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 192; BerlKommEnR I 1/ Thole, EnWG § 20 Rn. 181 f. 155 Dabei ist von dem Begriff der Hilfsdiensten auszugehen, s. dazu BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 105; vgl. Theobald, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 3 Rn. 200, der weiterhin auf die alte Fassung der GasNZV mit der Aufzählung von Systemdienstleistungen im Gassektor verweist. 156 Vgl. Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 192. 157 Im Hinblick auf das in § 20 Abs. 1 S. 4 EnWG verankerte und dem effizienten Netzzugang dienende Gebot der Massengeschäftstauglichkeit der Netzzugangsregelung wird die Einheitlichkeit der Regelungen bei der Ausgestaltung der Netzzugangsverträge angestrebt (vgl. § 20 Abs. 1 S. 1, Abs. 1b S. 7 EnWG i. V. m. § 3 Abs. 3 S. 1 GasNZV). Dies kommt folglich durch die gesetzlichen Vorgaben zu den jeweiligen Vertragsinhalten, die sich vor allem aus § 3 GasNZV ergeben, zum Ausdruck. Gemäß § 3 Abs. 5 GasNZV haben die Netzbetreiber ihren Einspeise- und Ausspeiseverträgen allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde zu legen, die die Mindestangaben nach § 4 GasNZV enthalten. Diese vorformulierten Vertragsbedingungen (auf der Verteilernetzebene in Form der Standardverträge) werden in den Anlagen der KoV umfangreich zusammengefasst und als allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB betrachtet, s. dazu BerlKommEnR I 1/Thole, EnWG § 20 Rn. 171 und 173. 158 Ströbele/Pfaffenberger/Heuterkes, Energiewirtschaft, S. 179. 159 Ebenda.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

35

EnWG grundsätzlich keine Abhängigkeit von der Lage der Ein- und Ausspeisepunkte auf160 . 3.

Netzanschluss und Netzanschlussnutzung

Als technische und rechtliche Voraussetzung für den Netzzugang und somit die Belieferung der Kunden mit Gas gilt des Weiteren der in §§ 17 bis 19 EnWG geregelte Netzanschluss, unter welchem die Einrichtung und die Aufrechthaltung einer physischen Verbindung von Letztverbrauchern sowie Erzeugungs- und Speicheranlagen an ein bestimmtes Gasversorgungsnetz sowie die Verbindung von gleich- und nachgelagerten Netzen untereinander verstanden wird (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 NDAV)161 . a)

Anspruch auf Netzanschluss nach § 17 EnWG

§ 17 EnWG ist hierbei die zentrale Norm im Hinblick auf die Regulierung des Netzanschlusses. Sie statuiert eine grundsätzliche Verpflichtung der Betreiber von Energieversorgungsnetzen im Sinne des § 3 Nr. 4 EnWG, alle Interessenten, nämlich Letztverbraucher, gleich- und nachgelagerte Netzbetreiber sowie Erzeugungs- und Speicheranlagenbetreiber, an ihre Netze anzuschließen. Ein Recht auf Netzanschluss ist demgemäß auf allen Markt- sowie Druckstufen einzuräumen, was sich sowohl dem auf die Schaffung von Wettbewerb auf dem Energiemarkt eingerichteten Willen des Gesetzgebers als auch dem Begriff des Energieversorgungsnetzes nach § 3 Nr. 16 EnWG entnehmen lässt162 . Daneben kann der potenzielle Anschlussnehmer im Rahmen seines Anspruches auf Netzanschluss gemäß § 17 Abs. 1 EnWG verlangen, dass der Anschluss auf einer bestimmten von ihm ausgewählten Netzebene erfolgt163. b)

Allgemeine Netzanschlusspflicht nach § 18 EnWG

Während § 17 EnWG allgemeine Regelungen des Netzanschlusses enthält, bezieht sich § 18 EnWG als speziellere und somit vorrangige Vorschrift ledig160

Vgl. Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 4 C Rn. 86 f.; ebenso Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 341. S. BT-Drs. 15/3917, S. 58; BR-Drs. 613/04, S. 105; ebenso Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 3 B Rn. 4; Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 31; Wolf, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Rn. 7; Buntscheck, WuW 1/2006, 30 (31). 162 BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 17 Rn. 3. 163 Das Netzebenenwahlrecht des Anschlusspetenten ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 EnWG, stützt sich aber auf den Willen des Gesetzgebers sowie auf die Rechtsprechung. S. dazu BGH NJOZ 2009, 3597 (3598 f.); OLG Düsseldorf IR 2008, 231; BR-Drs. 613/04 (Beschluss), S. 12; BT-Drs. 15/5268, S. 119; BT-Drs. 15/ 4068, S. 3; ebenso Schneider/Theobald/Theobald/ Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 40; Wolf, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Rn. 14 f.; Buntscheck, WuW 1/2006, 30 (35). 161

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Teil I Rechtslage in Deutschland

lich auf Fälle des Netzanschlusses von Letztverbrauchern im Niederdruckbereich. Nach § 18 Abs. 1 S. 1 EnWG haben die Netzbetreiber in Gemeindegebieten, in denen sie Energieversorgungsnetze der allgemeinen Versorgung von Letztverbrauchern betreiben, jedermann an ihr Netz anzuschließen (sog. allgemeine Anschlusspflicht). Der Netzanschluss und dessen Nutzung müssen zu den allgemeinen Bedingungen erfolgen, die für den Gassektor in der aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 18 Abs. 3 EnWG erlassenen Niederdruckanschlussverordnung (NDAV)164 im Einzelnen ausgestaltet sind. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Regelungen in Bezug auf Leistungsstörungen, die Gegenleistungspflicht des Verbrauchers sowie die Haftung des Netzbetreibers bei Störungen der Anschlussnutzung 165 . Dadurch wird dem Kundenschutz weitgehend Rechnung getragen166 . c)

Dogmatische Einordnung des Netzanschluss-anspruchs

Vor diesem Hintergrund hat sich eine Diskussion über die Rechtsnatur des Netzanschlussanspruchs gemäß § 17 Abs. 1 EnWG entzündet. Es ist zweifelhaft, ob § 17 Abs. 1 S. 1 EnWG einen unmittelbaren Anspruch auf Netzanschluss aus gesetzlichem Schuldverhältnis oder nur einen Anspruch auf Abschluss eines Netzanschlussvertrages vorsieht. Die herrschende Meinung in der energierechtlichen Literatur geht hierbei zu Recht davon aus, dass das Rechtsverhältnis zwischen dem Netzbetreiber und dem Anschlussnehmer zur Herstellung und Vorhaltung des Netzanschlusses nach § 17 Abs. 1 sowie § 18 Abs. 1 EnWG durch Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages entsteht167 . Die Erforderlichkeit einer vertraglichen Vereinbarung für die Begründung des Netzanschlussverhältnisses ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 3 S. 2 sowie des § 18 Abs. 3 S. 2 EnWG168. Im Bereich der allgemeinen Anschlusspflicht wird diese Ansicht durch die Gesetzesmaterialien zu § 18 164

BGBl. I 2006 S. 2477. Für rechtlich zulässig wurde insofern eine entsprechende Anwendung der NDAV-Haftungsregelung in Netzanschluss- und Anschlussnutzungsverträgen höherer Druckstufen, d. h. außerhalb der allgemeinen Anschlusspflicht, erklärt. Vgl. BGH NJW 2004, 2161, 2162; BNetzA, Beschl. v. 23.8.2007, Az. BK6p-07/013; s. dazu ebenfalls Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 108 f.; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 134 f.; Faasch, Rechtsfragen des Netzanschlusses im Stromsektor nach § 17 EnWG, S. 44. 166 Vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 59. 167 Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 37; Hartmann, in: Danner/ Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 24; Salje, EnWG § 17 Rn. 11 f., 28; Faasch, Rechtsfragen des Netzanschlusses im Stromsektor nach § 17 EnWG, S. 43, 46 ff.; a. A. BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 17 Rn. 6 ff.; unbeantwortet lässt die Frage Wolf, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Rn. 11. 168 Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 37; Hartmann, in: Danner/ Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 24; Salje, EnWG § 17 Rn. 10 und 12. 165

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

37

EnWG bestätigt169 und kommt weiterhin in § 2 Abs. 2 NDAV zum Ausdruck. Zwar kann die Regelung des § 2 Abs. 2 NDAV nicht ohne Weiteres auf § 17 EnWG übertragen werden. Jedoch wäre die dogmatisch unterschiedliche Behandlung der Rechtsverhältnisse nach § 17 und § 18 EnWG kaum sinnvoll170 . Die in § 17 Abs. 1 und § 18 Abs. 1 EnWG niedergelegte Netzanschlussverpflichtung begründet sodann einen Kontrahierungszwang als Ausgleichsinstrument im Hinblick auf die Monopolstellung der Netzbetreiber171 . Schwer fällt weiterhin die vertragsrechtliche Einordnung des Netzanschlussvertrages. Betrachtet man die Herstellung des Anschlusses an das Gasversorgungsnetz als Hauptleistungsplicht eines solchen Vertrages, so ist darin ein werkvertraglicher Charakter (im Sinne von § 631 BGB) zu erkennen172 . Die gleichzeitige Verpflichtung des Netzbetreibers zur Aufrechthaltung des Anschlusses als Dauerleistung spricht hingegen eher für die Annahme eines Vertrages sui generis173, auch wenn das Bestehen eines Dauerschuldverhältnisses den Abschluss eines Werkvertrages nicht ausschließt174 . Die Relevanz dieser Aspekte wird allerdings durch die abschließende Regelung der NDAV überlagert175 . d)

Anschlussnutzungsverhältnis

Von dem im Zusammenhang mit dem Netzanschluss sowie dem Netzzugang entstehenden Rechtsverhältnis (§ 20 EnWG) ist weiterhin ein Rechtsverhältnis der Anschlussnutzung gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 EnWG zu unterscheiden, dessen Trennung infolge der Liberalisierung der leitungsgebundenen Energiewirtschaft und insbesondere der daraus resultierenden Entkopplung der Transport- und Handels- bzw. Vertriebsebene als erforderlich angesehen wurde176 . Dadurch wird insofern den Interessen des Netzbetreibers für den Fall der fehlenden Personenidentität zwischen dem Anschlussnehmer (regelmäßig der 169

BT-Drs. 15/3917, S. 58 f. Faasch, Rechtsfragen des Netzanschlusses im Stromsektor nach § 17 EnWG, S. 47; Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 17 Rn. 8; vgl. BerlKommEnR I 1/Säcker/ Boesche, EnWG § 17 Rn. 6. 171 Vgl. Sprafke, Diskriminierungsschutz durch Kontrahierungszwang, S. 157. 172 Schneider/TheobaldIde Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 47 ff.; ebenso Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 18 Rn. 29. 173 S. Schneider/TheobaldIde Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Fn. 74 zu Rn. 49; ebenfalls Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 237. 174 Vgl. MünchKomm/Busche, BGB § 631 Rn. 1, 142, 174. 175 Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 237. 176 Hinsichtlich der Notwendigkeit eines gesonderten Anschlussnutzungsverhältnisses gab es aber lange keine Einigung in der Literatur, vgl. Schneider/TheobaldIde Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 105; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 3 Rn. 1 f.; Hempel, ZNER 2004, 140 (142); Boesche, ZNER 2003, 33 (35 ff.); Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 148 ff.; Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (125 f.). 170

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Eigentümer eines Grundstücks) und dem Anschlussnutzer (häufig der drittbelieferte Letztverbraucher) Rechnung getragen177 . Gegenstand des Anschlussnutzungsverhältnisses sind die zwischen dem Netzbetreiber (§ 3 Nr. 4, 6 EnWG) und dem Anschlussnutzer entstehenden Rechte und Pflichten zur Nutzung des vom Anschlussnehmer veranlassten Netzanschlusses zur Entnahme von Gas (vgl. § 3 Abs. 1 NDAV für den Niederdruckbereich). Aus zivilrechtsdogmatischer Sicht wird dabei von einem unentgeltlichen Schuldverhältnis, das sich allein in Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, konkretisiert durch die Vorschriften der NDAV, erschöpft, ausgegangen178. Das Anschlussnutzungsverhältnis ist darüber hinaus als Dauerschuldverhältnis im Sinne des § 314 Abs. 1 BGB zu qualifizieren179 . Daneben ist darauf hinzuweisen, dass sich der deutsche Gesetzgeber systematisch für eine Begründung des Anschlussnutzungsverhältnisses im Bereich der allgemeinen Netzanschlusspflicht entschieden hat. Das Anschlussnutzungsverhältnis mit dem Letztverbraucher entsteht also nach § 3 Abs. 2 S. 1 NDAV kraft Gesetzes und kommt somit durch die tatsächliche berechtigte Entnahme von Gas aus dem Verteilernetz über den Netzanschluss automatisch (auch wenn unter gewissen Einschränkungen180 , vgl. § 3 Abs. 2 S. 1 NDAV) zustande 181 . Die Anschlussnutzungsbedingungen sind hierbei weitgehend durch die umfangreichen Regelungen der NDAV festgeschrieben, was vor allem zum Schutz der Letztverbraucherinteressen beitragen soll182 . In höheren Druckstufen wird dagegen der Abschluss eines Anschlussnutzungsvertrages verlangt, der zwar außerhalb des Anwendungsbereiches der NDAV liegt, sich jedoch in der Regel an den für das gesetzliche Schuldverhältnis der Anschlussnutzung in dieser Verordnung vorgesehenen Inhaltsbestimmungen orientiert183.

177

Vgl. Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (126); de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 3 Rn. 2; s. auch Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 246. 178 Säcker, ZNER 2002, 5 (7); Hempel, ZNER 2004, 140 (143); Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 153; s. ebenfalls Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (126). 179 Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 107. 180 Zum Zweck dieser Einschränkungen s. Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 3 Rn. 13. 181 BT-Drs. 15/3917, S. 58 f.; Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 78; Salje, EnWG § 18 Rn. 45; BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 17 Rn. 83 f.; Faasch, Rechtsfragen des Netzanschlusses im Stromsektor nach § 17 EnWG, S. 46. 182 BT-Drs. 15/3917, S. 59, ebenfalls Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 26. 183 Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 113 f.

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

V.

39

Endkundenebene

Die Belieferung von Endkunden184 mit Gas bildet einen eigenen Markt, auf dem sowohl lokale Weiterverteiler als auch regionale Vertriebsgesellschaften aktiv sind. Auf dieser Ebene betätigen sich ferner als Gaslieferanten ebenfalls Akteure der Großhandelsstufe (d. h. Gasfördergesellschaften, Ferngasgesellschaften oder Gashändler), bei welchen größere Industriekunden Gas üblicherweise direkt einkaufen185 . Dem Endkunden wird folglich eine freie und vielfältige Wahl eines Gaslieferanten infolge des Eintritts neuer Anbieter im liberalisierten Gasmarkt sowie eines rechtlichen Instruments für die Gestaltung seiner vertriebsbezogenen Rechtsverhältnisse ermöglicht. Es handelt sich dabei um eine weitere der Transportebene nachgelagerte Wertschöpfungsstufe, die durch „die unmittelbare Endkundenbeziehung“ gekennzeichnet ist186 und die einen wettbewerbsfähigen Bereich der deutschen Gasversorgung bildet187. Je nach Art des Kunden wird darüber hinaus zwischen dem Markt für Industriekunden und Haushaltskunden unterschieden, wobei eine Legaldefinition nur für die letzte Kategorie zu finden ist (§ 3 Nr. 22 EnWG). Im Mittelpunkt stehen hier als Abgrenzungskriterien der überwiegende Eigenverbrauch von Gas im Haushalt bzw. der jährliche 10.000 kWh nicht übersteigende Eigenverbrauch des jeweiligen Kunden für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke188 . Die Differenzierung zwischen Haushaltskunden und NichtHaushaltskunden189 ist nicht nur für die Marktabgrenzung im Hinblick auf die Wettbewerbsverhältnisse im Gassektor190, sondern auch für die vertragliche Regelung der Erdgaslieferung von Bedeutung. In vertragsrechtlicher Hinsicht lässt sich das gut am Beispiel der energierechtlichen Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung von Gaslieferverträgen mit Haushaltskunden – sei es innerhalb oder außerhalb der Grundver184

Verstanden wird darunter der Kunde, der die Energie (sowohl Elektrizität als auch Gas) überwiegend für den Eigenverbrauch bezieht. Im Energierecht wird dahingehend der Begriff des Letztverbrauchers nach § 3 Nr. 25 EnWG angewandt. Zu den Eigenschaften des Letzverbrauchers s. BGH NVwZ-RR 2010, 431 (432); ebenfalls Theobald, in: Danner/ Theobald, Energierecht EnWG § 3 Rn. 190 ff. 185 S. Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 132. 186 Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 1 C Rn. 10. 187 Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 141 ff. 188 Vgl. BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 104. 189 In Anlehnung an die Begrifflichkeit in der GasRL (Art. 2 Nr. 25 und 26), Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.7.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. EU Nr. L 211 v. 14.8.2009, S. 94 ff. 190 Vgl. BKartA, Beschl. v. 12.3.2007, Az. B8-62/06, S. 12 f. – RWE/SaarFerngas; Markert, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Rn. 36.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

sorgung nach § 36 EnWG – veranschaulichen. Gaslieferverträge im Rahmen der Grundversorgung sind ausschließlich mit Haushaltskunden im Sinne von § 3 Nr. 22 EnWG und nur zu den in der GasGVV191 festgelegten Allgemeinen Bedingungen und Preisen abzuschließen. Mit Rücksicht auf die Gewährung einer verbraucherfreundlichen Energieversorgung als Ziel des europäischen und deutschen Energiewirtschaftsrechts (vgl. Art. 3 Abs. 3 GasRL, § 1 Abs. 1 EnWG)192 wird dem Schutz von Haushaltskunden auch außerhalb der Grundversorgung Rechnung getragen, indem § 41 Abs. 1 EnWG auf die Grundsätze des europäischen Verbraucherschutzrechts 193 verweist und zwingende Bestandteile der Verträge zur Belieferung solcher Kunden mit Gas, auch wenn ohne nähere Inhaltsbestimmung vorsieht. Im Übrigen sind allgemeine Regelungen des BGB für die Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse außerhalb der Grundversorgung einschlägig, wobei die Vorgaben der GasGVV ebenfalls für die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Sonderabnehmerverträge 194 als Maßstab gelten (vgl. § 310 Abs. 2 S. 1 BGB)195 . Dies ermöglicht folglich dem jeweiligen Gaslieferanten, für ihn günstige Bedingungen durch die Einbeziehung der zur Regelung der Grundversorgung von Haushaltskunden erlassenen Spezialvorschriften in die AGB seiner Verträge mit Wettbewerbskunden, insbesondere Haftungsfreizeichnungen für netzbedingte Versorgungsstörungen nach § 6 Abs. 3 GasGVV (bzw. Haftungsbegrenzungen zu Gunsten des Netzbetreibers nach § 18 NDAV) als verbindlich zu vereinbaren, ohne sie

191

Verordnung über die Allgemeinen Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden mit Gas aus dem Niederdrucknetz v. 26.10.2006, BGBl. I S. 2391 ff. 192 Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 20. 193 Vgl. etwa Transparenz- und Informationsanforderungen der Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 05.04.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95 v. 21.04.1993, S. 29; zum Inhalt des Transparenzgebotes im deutschen Verbraucherrecht s. Staudinger/Coester, BGB § 307 Rn. 170 ff. 194 Als Sonderabnehmer werden Endkunden i. S. v. § 3 Nr. 25 EnWG bezeichnet, die nicht unter die Grundversorgung gem. § 36 EnWG fallen; vgl. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 137 f. 195 Das dürfte vor allem mit dem gesetzgeberischen Gedanken der Gleichbehandlung von Sonder- und Grundversorgungskunden zu begründen sein, s. dazu BT-Drs. 7/3919, S. 42; BGH NJW 1998, 1640 (1642), Tz. 2; BGH NJW 2009, 578 (579), Tz. 20; BGH NJW 2010, 993 (995), Tz. 28 f. Zur Leitbildfunktion der GVV-Bestimmungen für Energielieferverträge mit Verbrauchern s. BGH NJW 1998, 1640 (1642); BGH NJW 2009, 2662 (2664), Tz. 19; BGH NJW 2011, 50 (52), Rn. 33; BGH NJW 2011, 1342 (1344), Tz. 27; vgl. BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 13 ff., auch wenn mit der Unterscheidung zwischen echten und unechten Sonderabnehmern (je nach ihrem Abnahmeverhalten bzw. ihrer Schutzbedürftigkeit); Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 215; BeckOK/Becker, Stand: 01.11.2018, BGB § 310 Rn. 7; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/ Schäfer, AGB-Recht, BGB § 310 Rn. 99 und 102 f.; s. ebenso Büdenbender, NJW 2009, 3125 (3129).

§ 2 Das Gasversorgungssystem im Überblick

41

einer Inhaltskontrolle der §§ 308 und 309 BGB unterziehen zu müssen196. Eine Einschränkung der sog. Leitbildfunktion der GVV-Bestimmungen soll freilich der aktuellen Judikatur zufolge durch die Anwendung der richtlinienkonform197 auszulegenden Generalklausel des § 307 BGB erfolgen198 .

196

BGH NJW 1998, 1640 (1642); Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3604); Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 215; Scholtka/Baumbach, NJW 2008, 1128 (1130); Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 150 f.; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 6 Rn. 22 ff.; kritisch BeckOK/Becker, Stand: 01.11.2018, BGB § 310 Rn. 8 ff.; ebenso Ulmer/Brandner/ Hensen/Ulmer/Schäfer, AGBRecht, BGB § 310 Rn. 103 f. 197 Gemeint sind die Richtlinie 93/13/EWG (s. Fn. 106) sowie die Richtlinie 2003/55/EG (s. Fn. 102). 198 BGH NJW 2009, 2662 (2664 f.), Tz. 21; BGH NJW 2011, 50 (52), Rn. 34; EuGH BeckRS 2013, 80634; BGH BeckRS 2013, 15533; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer, AGBRecht, BGB § 310 Rn. 104 f., 107; Säcker/Mengering, BB 2013, 1859 (1859); BeckOK/Becker, Stand: 01.11.2018, BGB § 310 Rn. 8; BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 15.

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem Im Folgendnen sind nunmehr die Aufgaben und vertragliche sowie gesetzliche Pflichten der Hauptakteure (namentlich der Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteurgesellschaften, Erdgaslieferanten, Netzbetreiber, Endkunden) im Erdgasversorgungssystem Deutschlands, deren Verletzung eine zivilrechtliche Haftung des Verletzenden begründen kann, zu analysieren. A.

Aufgaben und Pflichten der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteurgesellschaften

Da Deutschland über keine ausreichenden eigenen Erdgasreserven verfügt und deshalb zu den erdgasimportierenden Nationalstaaten gehört, sind auf oberster Stufe der Wertschöpfungskette in der deutschen Gaswirtschaft sowohl Gasförderer als auch Gasimporteure tätig, wobei die letzten eine führende Rolle spielen. Die Interessen sowie Aufgaben- und Pflichtenkataloge dieser Akteure überschneiden sich zwar in hohem Maße, ihre Tätigkeiten haben dennoch unterschiedliche Schwerpunkte. I.

Erdgasförderer

Die Haupttätigkeit des Gasförderers besteht in dem Aufsuchen, Gewinnen und Aufbereiten von Erdgas zum Zweck des Verkaufs an die über- bzw. regionalen Weiterverteiler und industriellen Wettbewerbskunden. Dadurch werden verschiedene Rollen des Gasförderers definiert, die er bei der Ausführung einzelner Aktivitäten einnehmen kann. Je nach Rolle ergeben sich unterschiedliche Pflichten, die erfüllt werden müssen, und basieren auf jeweils einschlägigen Gesetzen sowie der Rechtsprechung. 1.

Bergbauspezifische Pflichten

Da das Erdgas zu den Kohlewasserstoffen und daher bergfreien Bodenschätzen im Sinne des § 3 Abs. 3 BBergG199 zählt200, ist der rechtliche Rahmen der Erdgasgewinnung in erster Linie durch die Vorschriften des nationalen sowie internationalen Berg- und Umweltschutzrechts bestimmt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Gas in konventionellen oder in unkonventionellen Lagerstätten gefördert oder gewonnen wird. In der Verantwortung der Bergbaubetreiber liegt hauptsächlich, für die ordnungsgemäße Errichtung des Betriebes, für die Sicherheit und Ordnung im Betrieb sowie für einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf zu sorgen (§ 61 Abs. 1 BBergG)201 . Konkretisiert wer199

Bundesberggesetz v. 13.08.1980, BGBl. I S. 1310. Kühne, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Rn. 9 f. 201 Weller/Kullmann, in: Kullmann, BBergG § 61 Rn. 1. 200

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_3

44

Teil I Rechtslage in Deutschland

den diese Pflichten in den von den Landesregierungen erlassenen Bergverordungen (vgl. §§ 65 ff. BBergG), die neben den einschlägigen technischen Regelwerken (etwa wie die gasfachlichen DIN- und DIN EN-Normen202 , DVGWMerk- und Arbeitsblätter203 , VDI-Richtlinien204 sowie die gesetzlichen Unfallverhütungsvorschriften) etwaige im Zusammenhang mit den Erdgas-Explorations- und Produktionsaktivitäten stehende Sorgfalts- und Verkehrspflichten inhaltlich ausfüllen205. 2.

Herstellerspezifische Pflichten

Der Erdgasförderer ist darüber hinaus als Adressat der deliktischen und sondergesetzlichen Herstellerverantwortung anzusehen und muss daher für die Sicherheit des in Verkehr zu bringenden Produkts sorgen, indem er die objektiv berechtigten Produktsicherheitserwartungen der Verkehrsbeteiligten einhält206 . Abgestellt wird demnach auf die Fehlerhaftigkeit des schadensverursachenden Produkts, der das produktbezogene Fehlverhalten des Herstellers zugrunde liegt207. Dafür spricht, dass der Fehlerbegriff des ProdHaftG dem als Hilfskonstruktion für die Beweislastverteilung zugunsten des Produktbenutzers im Rahmen des Deliktsrechts entwickelten – trotz dogmatischer Unterschiede der hier in Betracht kommenden Haftungsansätze208 – weitgehend identisch ist209 .

202

Normen des Deutschen Instituts für Normung e. V., DIN (s. unter: www.din.de). Technische Regelwerke des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e. V., DVGW (s. unter: www.dvgw.de). 204 Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure e. V., VDI (s. unter: www.vdi.de). 205 Vgl. BGH NJW 1988, 2667 (2668); BGH NJW 1991, 2021 (2022); BGH NJW 1997, 582 (583); BGH NJW-RR 2002, 525 (526); BGH NJW-RR 2005, 386 (387); Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 330 ff., 347; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der Versorgungszufuhr, S. 72 ff.; Kräber, Haftungsprobleme bei Geothermiebohrungen, S. 294 ff.; BeckOGK/Spindler, Stand: 01.07.2018, BGB § 823 Rn. 422 ff.; MünchKomm/ Wagner, BGB § 823 Rn. 443 ff., ebenfalls Rn. 357 ff.; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh II Rn. 47 ff.; Staudinger/Hager, BGB § 823 Rn. E 34. 206 MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 3; vgl. Klein, BB 1991, Heft 14, 917 (921); Oechsler, NJW 2014, 2080 (2080 f.). 207 BT-Drs. 11/2447, S. 15. Anders ist es gleichwohl bei der Haftung für Fehler anderer als Hersteller nach § 4 ProdHaftG subsumierten Beteiligten der Herstellungskette und ggf. bei Fabrikationsfehlern, s. dazu Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 3604 S. 5; ebenso MünchKomm/Wagner, ProdHaftG Einleitung, Rn. 16, 18; Schmidt-Salzer, in: SchmidtSalzer/Hollmann, EG-Richtlinie Produkthaftung Art. 1 Rn. 14; Winkelmann, Produkthaftung bei internationaler Unternehmenskooperation, S. 130 f. 208 Zur Diskussion über die dogmatische Bewertung der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz s. MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 3, ProdHaftG Einleitung Rn. 14 ff.; Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103 (1107 f.); Deutsch, VersR 1988, 1197 (1200); Graf von Westphalen, NJW 1990, 83 (83). 209 BT-Drs. 11/2447, S. 17 f.; s. ebenfalls BGH NJW 2009, 2952 (2953) Rn. 12. 203

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

45

Der Beurteilungsmaßstab für die Annahme eines fehlerhaften Produkts richtet sich dabei nach dem objektivierten Erwartungshorizont des durchschnittlichen Benutzers oder Verbrauchers innerhalb eines bestimmten Adressatenkreises des Produkts210 und wird im Einzelfall durch den Richter ermittelt211 . Hilfe bei der Feststellung der berechtigterweise zu erwartenden Produktsicherheitsstandards sollen indes dem Rechtsanwender die im ProdHaftG festgeschriebenen Kriterien der Darbietung (§ 3 Abs. 1a ProdHaftG), des ordnungsgemäßen Gebrauchs des Produkts (§ 3 Abs. 1b ProdHaftG) sowie des Zeitpunktes des Inverkehrbringens des Produkts (§ 3 Abs. 1c ProdHaftG) leisten212 . Diese Kriterien sind ebenfalls für die Konkretisierung der deliktischen Verkehrspflichten des Produktherstellers bei der Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB relevant 213 . Dies gilt umso mehr, als der Fehlerbegriff i. S. d. § 3 ProdHaftG und der i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB deckungsgleich verstanden wird214 . Gleichwohl darf der Unterschied zwischen der produkthaftungsrechtlichen und der deliktischen Haftung nicht verwischt werden215 . Aus dem oben Gesagten lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass sich die Pflichtenbereiche des Produktherstellers im Rahmen der deliktischen und sondergesetzlichen Haftung inhaltlich durchaus überschneiden. An einigen Stellen sind jedoch gewisse Unterscheide insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen sowie die Reichweite des geforderten Schutzes zu beobachten. Den Hersteller treffen dementsprechend umfangreiche Sorgfaltspflichten, die man üblicherweise – je nach der Phase des Produktherstellungsprozesses – in Konstruktions-, Instruktions-, Fabrikations- und Produktbeobachtungspflichten einteilt216 . Die sachgerechte Erfüllung der hier genannten

210

Vgl. BGH NJW 1992, 560 (561); BGH NJW 1994, 932 (933); BGH NJW 2009, 1669 (1670) Rn. 6; BGH NJW 2009, 2952 (2953) Rn. 12; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 6 ff.; Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 3604 S. 2 ff.; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 12. 211 Koch, Produkthaftung, S. 95; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 12. 212 MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 11 ff.; Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 3604 S. 10 ff. 213 So BGH NJW 2009, 2952 (2953) Rn. 12; BGH NJW 2014, 2106 (2107) Rn. 8; Soergel/ Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 11 ff.; Oechsler, NJW 2014, 2080. 214 BT-Drs. 11/2447, S. 17 f., BGH NJW 2009, 2952 (2953), s. auch MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 3; Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 48 Rn. 4. 215 Vgl. hierzu MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 3. 216 Die Produktbeobachtungspflicht wird zwar von dem ProdHaftG nicht erfasst, spielt jedoch bei der Ermittlung der darin enthaltenen Wertungen eine Rolle. So Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 3602 S. 22 f.; Koch, Produkthaftung, S. 97; vgl. Graf von Westphalen, NJW 1990, 83 (85).

46

Teil I Rechtslage in Deutschland

Pflichten ist unterdessen auf eine ordnungsgemäße Organisation und Aufsicht einzelner Produktionsvorgänge angewiesen217. a)

Im Konstruktionsbereich

Die Konstruktionspflicht des Herstellers entsteht in der dem Produktionsprozess vorgelagerten Planungs- und Entwicklungsphase und besteht in der Erstellung eines einwandfreien, d. h. dem Sicherheitsstandard gemäß dem Stand von Wissenschaft und Technik im Konstruktionszeitpunkt entsprechenden Konstruktionsplans, so dass das in Verkehr gebrachte Produkt bei seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch keine Verletzungsgefahr für die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Schutzgüter des Produktbenutzers schafft218 . Im Bereich der Erdgasförderung wird insbesondere an die die Sicherheit des Produkts Erdgas bestimmenden Eigenschaften angeknüpft 219 . Da gefördertes Erdgas eine Mischung aus Methan und verschiedenen anderen Gasen (namentlich Kohlendioxid, Stickstoff, höheren Kohlenwasserstoffen sowie giftigem und stark korrosivem Schwefelwasserstoff) darstellt, sind spezielle Aufbereitungsprozesse (insbesondere Vorwärmen, Reinigen, Verdichten, Kühlen, Trocknen) erforderlich220. Dadurch sollen etwaige gefährliche Wirkungen des Gases vermieden werden, damit das Erdgas auf die zu erwartende Qualität für den Transport und Verkauf gebracht wird und der Verbraucher ein sicheres Produkt erhält. Sollten sich die etwa durch den zu hohen Schwefelgehalt oder eine nicht ausreichende bzw. unterlassene Herausfilterung radioaktiver Stoffe eintretenden Gefahren bei dem Produktbenutzer verwirklichen, ist dem Gasproduzenten gegebenenfalls eine Pflichtverletzung vorzuwerfen. b)

Im Fabrikationsbereich

Der Hersteller ist des Weiteren für die schadenszufügenden Fehler infolge eines menschlichen und/oder technischen Versagens im Produktionsprozess selbst (sog. Fabrikationsfehler) einstandspflichtig221 . Im Rahmen der Gasversorgung wäre dies z. B. dann der Fall, wenn die vorgegebenen Grenzwerte für die Konzentration einzelner Begleitstoffe bzw. zu entfernender fester und flüs217

Näher dazu Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 64b ff. BGH NJW 1980, 1219 (1220); BGH NJW 1990, 906 (907); BGH VersR 1990, 532 (533); BGH NJW 1992, 1225 (1226); OLG Köln VersR 1993, 110 (111); OLG Schleswig NJWRR 2008, 691 (691 f.); MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 818; Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 8 f. 219 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 126; ebenso Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 98; vgl. Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 9 f., 21 f. 220 Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 8 f. 221 MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 822; Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 36 f., Kza. 3604 S. 5; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 19. 218

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

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siger Bestandteile im angestrebten Gasgemisch durch die falsche Einstellung einer Erdgas-Aufbereitungsanlage nicht eingehalten sind oder das falsche Geruchsmittel wegen der beruflichen Inkompetenz des eingesetzten Personals verwendet wird. Um die sog. Fabrikationsfehler zu vermeiden und somit Produktbenutzer und Dritte vor vom fehlerhaften Produkt ausgehenden Gefahren zu schützen, obliegt daher dem Gasförderer die Pflicht zur sachgerechten222 Organisation des gesamten Aufbereitungsprozesses, die die Qualitätskontrolle sowohl des Herstellungsablaufs als auch des fertigen Produkts – je nach der Größe der Gefahr und Effektivität der Sicherheitsvorkehrungen – umfasst223 . c)

Im Instruktionsbereich

Trotz aller möglichen und zumutbaren Sicherheitsmaßnahmen im Konstruktions- und Fabrikationsbereich lassen sich die mit der Gasnutzung einhergehenden Gefahren nicht vollständig beseitigen. Erdgas ist zwar weder giftig noch gesundheitsschädlich, jedoch entzündlich, so dass der nicht sachgerechte oder unvorsichtige Umgang mit dem Gas bestimmte Gefahren etwa wie Brandausbreitung, Explosionsgefahr, Gefahr für die Atmung (durch Bildung von Kohlenmonoxid, durch Sauerstoffverdrängung) auslösen 224 und somit schwerwiegende Schadensfolgen (Personen- und Sachschäden) verursachen kann225 . Daraus erwachsen dem Erdgasförderer Pflichten zur Warnung des Gasverbrauchers vor Gasverwendungsrisiken mit Rücksicht auf seine gefahrbringenden Eigenschaften226 bzw. seinen vorhersehbaren Fehlgebrauch ebenso wie im Rahmen der allgemeinen Zweckbestimmung liegenden Missbrauch227 und zur Aufklärung über die gefahrlose Gashandhabung228 , deren Grenzen im Rahmen allgemeinen Gefahrenwissens der jeweiligen Abnehmer222

D. h. im Rahmen der erforderlichen Sicherheit und des wirtschaftlichen Zumutbaren. Die „Ausreißer“-Fälle lösen grundsätzlich nur die sondergesetzliche Haftung nach dem ProdHaftG aus. 223 Vgl. BGH VersR 1960, 855 (856); BGH NJW 1975, 1827 (1828); BHG NJW 1984, 2148 (2150); BGH NJW 1993, 528 (529); OLG Köln NJW 2004, 521 (522); LG Stuttgart NJWRR 2012, 1169 (1170 f.); OLG Schleswig NJOZ 2013, 1366 (1366 f). 224 Merkblatt für die Feuerwehren Bayerns, Stand: 10/2004, S. 5 f. 225 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 127; ebenso Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 99. 226 BGH NJW 1987, 372 (374); BGH NJW 1998, 2905 (2907); OLG Koblenz BeckRS 2012, 07364; LG Münster BeckRS 2003, 17440, Tz. 21; s. auch Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 42b; Kullmann, NJW 2002, 30 (33). 227 BGH NJW 1972, 2217 (2221) m. Anm. Schmidt-Salzer; BGH NJW 1989, 1542 (1544); BGH NJW 1992, 560 (561); BGH NJW 1998, 2905 (2908); vgl. BGH NJW 1981, 2514 (2516); s. auch Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 42b; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 3 Rn. 69. 228 BGH NJW 1975, 1827 (1829); BGH NJW 1987, 372 (373 f.); BGH NJW 1992, 2016 (2018).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

kreise zu finden sind229 . Für die inhaltlichen und formellen Anforderungen an die Instruktionspflichten im Kontext der Produkthaftung sind zum einen Größe und Wahrscheinlichkeit der Gefahr, Rang des betroffenen Rechtsguts und Ausmaß des drohenden Schadens, zum anderen Verständnishorizont des Durchschnittsbenutzers entscheidend 230 . Da die leichte Entzündlichkeit des Erdgases erhebliche Gefahren für Leben und Gesundheit der Verbraucher darstellt, muss daher die Instruktion im Gasbereich nicht nur allgemeine Warnungen und Hinweise auf jeweilige Schutzmaßnahmen enthalten, sondern auch Funktionszusammenhänge im Hinblick auf die Entstehung etwaiger Schäden abbilden231. d)

Im Produktbeobachtungsbereich

Der Gasförderer trägt schließlich die deliktsrechtliche Produktverantwortung für die Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten auch nach dem Inverkehrbringen des aufbereiteten Erdgases. Zu erwähnen sind dabei Beobachtungsund Reaktionspflichten des Herstellers, die den bisher unentdeckt gebliebenen bzw. neu entwickelten – etwa durch die Kombinierung eines eigenen Produkts mit Zubehörteilen anderer Hersteller – Gefahren begegnen sollen232. Diese Pflichten ebenso wie Pflichten im Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsbereich beziehen sich gegebenenfalls auch auf die Produkte, die von anderen weiterverarbeitet werden 233 . Im Erdgassektor ist dies dann der Fall, wenn die Netzbetreiber, die für den Transportweg des vom Gasförderer gewonnenen Gases zum Endverbraucher zuständig sind, es durch Mischen von Gasströmen, Hinzufügung von bestimmten Stoffen bzw. Temperatur- und Druckregelung verändern234. Der Gasförderer ist allerdings nicht ohne Weiteres produktbeobachtungspflichtig. Er haftet lediglich für die Sicherheit des von ihm aufbereiteten Erdgases, wenn auch in allen Formen seiner Verwendung235 . 229

BGH NJW 1986, 1863 (1864); BGH NJW 1987, 372 (373); BGH NJW 1992, 2016 (2018). BGH VersR 1960, 342 (343); BGH NJW 1987, 1009 (1012); BGH NJW 1992, 560 (561); s. auch MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 833; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 23. 231 BGH BeckRS 1959, 31388232; BGH NJW 1992, 560 (561); ebenso Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 43 f.; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 3 Rn. 48. 232 Näher zu Produktbeobachtungspflichten des Herstellers s. MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 836 ff.; Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 51 ff.; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 25 ff. 233 Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1520 S. 56, Kza. 3250 S. 5 ff.; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 36. 234 Klein, BB 1991, 917 (921). 235 Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 3250 S. 5 f.; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 36. 230

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

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Die durch die Rechtsprechung entwickelten Produktbeobachtungspflichten finden grundsätzlich keine Anwendung im Rahmen des sondergesetzlichen Produkthaftungsrechts. Dies betrifft vor allem die Erkennbarkeit des Produktfehlers im Zeitpunkt des Inverkehrbringens236. Einzelne Pflichten aus dem Bereich der Produktbeobachtung können freilich zur Bestimmung der berechtigten Sicherheitserwartungen im Sinne des § 3 Abs. 1 ProdHaftG bzw. der Erkennbarkeit des Produktfehlers im Hinblick auf den Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG berücksichtigt werden237. 3.

Lieferantenspezifische Pflichten

Herauszustellen sind weiterhin die Aufgaben und Verpflichtungen des Erdgasförderers in seiner Eigenschaft als Gaslieferant im Sinne des § 3 Nr. 19b EnWG. § 3 Nr. 19b EnWG bietet eine eigenständige Legaldefinition für den Lieferantenbegriff und ist weit zu verstehen, so dass darunter auch (Zwischen-)Vertreiber, die Letztverbraucher nur mittelbar beliefern, erfasst sind238 . Soweit der Erdgasförderer sein Produkt Erdgas direkt oder über den Großbzw. Einzelhandel an Endverbraucher verkauft, was hauptsächlich den Zweck seiner Förderungstätigkeit darstellt, ist er demzufolge als Lieferant anzusehen. Lieferantenspezifische Pflichten des Erdgasförderers richten sich grundsätzlich nach der inhaltlichen Ausgestaltung des jeweiligen Gasbezugs- bzw. Gasliefervertrags mit seinem Kunden. Dies ergibt sich vor allem aus dem insbesondere im Sonder- und Industriekundenbereich zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Gestaltungsfreiheit239. Die Parteien bestimmen selbst ihre Aufgaben, Rechte und Pflichten, ohne dass die Einschränkungen der GasGVV hierbei eingreifen240 . Die GasGVV-Interventionen in die privatautonome Festlegung eines jeweiligen Pflichtenkatalogs sind gleichwohl dann zulässig, wenn die Verordnungsvorgaben als AGB in den Gasbezugs- bzw. Gasliefervertrag wirksam einbezogen wurden241 . Unbeschadet der Art des Kunden sowie seiner Geschäftsziele besteht die Hauptleistungspflicht des Erdgasförderers als Lieferant grundsätzlich darin, dem Kunden das Produkt Erdgas zu übergeben und das Eigentum an ihm frei

236

Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 3 Rn. 112 f. Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 3604 S. 8; Kza. 3602 S. 22 f. 238 BerlKommEnR I 1/Boesche, EnWG § 3 Rn. 97. 239 Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 6 A Rn. 15; Eder, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 41 Rn. 2. 240 Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 129; Graf von Westphalen/ Höch/Kalwa, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gaslieferverträge, Rn. 44. 241 Graf von Westphalen/Höch/Kalwa, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gaslieferverträge, Rn. 44. 237

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von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen (vgl. § 433 Abs. 1 BGB)242 . Sollte die Lieferung von Erdgas am virtuellen Handelspunkt des jeweiligen Marktgebietes (VHP) erfolgen, sind hierbei die Besonderheiten ihrer Abwicklung zu berücksichtigen. Kaufgegenstand bei Erdgaslieferverträgen am VHP ist demnach ein entsprechender Miteigentumsanteil des Einspeisers, so dass der jeweilige Lieferant dem am VHP ausspeisenden Kunden die Verschaffung eines Miteigentumsanteils, der der zu liefernden Erdgasmenge sowie der vereinbarten Erdgasqualität entspricht, schuldet243. Der genaue Inhalt und Umfang der auf das Erreichen des geschuldeten Leistungserfolges im Sinne des § 433 Abs. 1 BGB ausgerichteten Leistungspflichten des Erdgasförderers lassen sich zunächst durch konkrete Parteivereinbarung und gegebenenfalls im Wege der Auslegung ermitteln. „Eine gewisse Zäsur“ 244 stellt dabei der in § 446 BGB geregelte Übergang der Leistungs- und Gegenleistungsgefahr dar, der letztlich an den Leistungsort anknüpft und den Maßstab für die ordnungsgemäße Leistungserbringung schafft. Entscheidend ist folglich, ob der Kunde oder der Erdgasförderer für den Netztransport des zu liefernden Gases verantwortlich ist. Aus einem „reinen“ Gasbezugs- bzw. Gasliefervertrag verpflichtet sich der Lieferant – Erdgasförderer – nur zur Bereitstellung des Gases, so dass eine Holschuld vorliegt245 . Es reicht demgemäß aus, die entsprechende Gasmenge an der Produktionsstelle vorzuhalten. Sollten die Parteien aber eine Bringschuld in einem sog. All-Inklusive-Vertrag (meistens im Industriekundensegment) vereinbaren, so gehört die Organisation des Gastransports zum Pflichtenprogramm des Erdgasförderers246. Er trägt dahingehend die Gefahr der Netznutzung, die der Netzbetreiber als sein Erfüllungsgehilfe zu verantworten hat. Seiner Pflicht zur mangelfreien Leistung kommt der Gasförderer dann nach, wenn das Erdgas in der vereinbarten Menge und Qualität an einem vereinbarten Übergabe- bzw. Übernahmepunkt (an der Förderungsstelle bzw. am Einspeisepunkt im Sinne des § 3 Nr. 13b EnWG), am VHP oder an der Abnahmestelle des Kunden) bereitgestellt und übergegeben wird. Wichtig ist folglich, dass der Leistungsgegenstand Erdgas im Zeitpunkt des Gefahrübergangs über die vertraglich definierte (Soll-)Beschaffenheit verfügt. Es wird mithin hier 242

Zur Rechtsnatur des Liefervertrages s. Teil I § 4 A I 1 a), S. 151 f. Vgl. BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 149 ff.; Hübschen, RdE 2011, 46 (49 ff.). 244 MünchKomm/Westermann, BGB § 433 Rn. 47. 245 Vgl. Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3604); s. ebenfalls Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, § 3 Rn. 21 f. 246 Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3604); BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 145 f. 243

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von einem subjektiven Fehlerbegriff ausgegangen247 . Sollte der Erdgasförderer dabei gegenüber einem Kunden wie z. B. in der Gas-, Keramik- und Metallindustrie, im Bereich der Motorkraftwerke bzw. der Erzeugung von Schutzund Reaktionsgasen, der auf eine bestimmte Gasqualität angewiesen ist, eine Zusicherung der Erdgaslieferung mit besonderen Qualitätskriterien treffen248 , ist wohl eine solche Beschaffenheitsvereinbarung als Beschaffenheitsgarantie, die zu einer verschuldensunabhängigen Haftung führt, anzusehen. Die wesentlichen Merkmale der Erdgasbeschaffenheit sind dabei Brennwert (Energieinhalt), Wobbe-Index (Kennwert für die thermische Belastung beim Einsatz in Brennern), Methanzahl (Kennwert für die Klopffestigkeit beim Einsatz in Gasmotoren) sowie chemische Zusammensetzung (relevant bei der Verwendung als Grundstoff in der chemischen Industrie), deren Kenngrößen über die Zuordnung des Gases zur entsprechenden – vertraglich definierten – Qualitätsgruppe (L- bzw. H-Gas-Gruppe) entscheiden249. Als Grundlage für die Beurteilung unterschiedlicher Gasbeschaffenheit und für die vertragliche Festlegung ihrer Nenn- und Richtwerte gilt indes das DVGW-Arbeitsblatt G 260 (A)250 in der jeweiligen gültigen Fassung, selbst wenn dieses in erster Linie auf die Herstellung der Kompatibilität unterschiedlicher Gasqualitäten bei der Einspeisung in Erdgasnetze abzielt. Zur Leistungsbeschreibung gehört darüber hinaus die Vereinbarung eines Gasdrucks, der eine unmittelbare Auswirkung auf die Qualität des Gases hat. Er steht freilich dem Druck des Netzes, aus dem das Gas bezogen wird, gleich251 . Es ist daher nicht zu verkennen, dass die Festlegung des Lieferdrucks einen netzbezogenen Parameter darstellt und nur für die Bestimmung des Pflichtenprogramms des Erdgasförderers aus dem Gasbezugs- bzw. Gasliefervertrag mit der Netznutzung von Bedeutung ist. In einem desintegrierten Gasbezugs- bzw. Gasliefervertrag spiegelt die Bestimmung des Gasdrucks die technische Gegebenheit im Hinblick auf das Netznutzungs- und Netzanschlussverhältnis des Erdgaskäufers wider. Sofern die Vertragsparteien jedoch keine Vereinbarung die vertraglich geschuldete Qualität des zu liefernden Erdgases betreffend oder zumindest seinen Verwendungszweck getroffen haben, ist der genaue Inhalt der Verpflichtung des Erdgasförderers zur Lieferung des mangelfreien Erdgases unter 247

Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, § 4 Rn. 9. Vgl. EWI/BET, Analyse und wettbewerbliche Bewertung der Verbändevereinbarung Gas zum Netzzugang, Endbericht v. 09.11.2000, S. 35. 249 EWI/BET, Analyse und wettbewerbliche Bewertung der Verbändevereinbarung Gas zum Netzzugang, Endbericht v. 09.11.2000, S. 34. 250 Technische Regel – Arbeitsblatt DVGW G 260 (A) Gasbeschaffenheit, Stand: März 2013, abgerufen unter: http://www.dvgw.de/gas/gase-und-gasbeschaffenheiten/erdgasbeschaffenheit/ (zuletzt am 01.12.2018). 251 S. Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 289. 248

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Heranziehung objektiver Kriterien zu bestimmen (sog. objektiver Fehlerbegriff)252 . In einem solchen Fall schuldet der Erdgasförderer die Lieferung des Erdgases, dessen Beschaffenheit den in § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB vorgesehenen Maßstäben (gewöhnliche Verwendung, übliche Beschaffenheit, objektiv berechtigte Käufererwartung) entspricht. Ein Anhaltspunkt für die Bestimmung der gewöhnlichen Gasanwendung und somit seiner üblichen Beschaffenheit kann wiederum das oben erwähnte DGVW-Regelwerk sein. Die Leistungspflicht des Erdgasförderers beschränkt sich praktisch auf den bilanziellen Ausgleich der Gasentnahmen253 . II.

Erdgasimporteure

Zunächst ist hervorzuheben, dass den Erdgasimporteuren eine entscheidende Rolle auf dem deutschen Gasversorgungsmarkt zugewiesen ist. Dies ergibt sich aus ihrer besonderen Marktposition als primäre Versorger. Denn der Binnenbedarf an Erdgas wird größtenteils (mehr als 80 Prozent)254 durch den Import befriedigt, obwohl in Deutschland eine (allerdings unerhebliche) inländische Erdgasförderung vorhanden ist. 1.

Aufgaben und Pflichten auf der Nachfrageseite

Die Hauptaufgaben eines Erdgasimporteurs haben eine Doppelnatur. Sie bestehen zum einen in der Beschaffung von Erdgas bei ausländischen Fördergesellschaften und zum anderen im weiteren Verkauf an Händler, Lieferanten oder große Endverbraucher (meistens Industriekunden) 255 . Die Erdgasbeschaffung bildet dahingehend eine Vorbedingung für die Funktionierung der inländischen nachgelagerten Handels- und Vertriebsmärkte, so dass der Erdgasimporteur die Interessen seiner Vertragspartner – ausländischer Erdgasförderer einerseits und inländischer Erdgaskäufer andererseits – abzustimmen hat256 . Aus den von ihm wahrgenommenen Aufgaben entstehen mithin seine Pflichten. Mit Abschluss eines – regelmäßig sehr individuell ausgestalteten und ausländischem materiellem Recht unterliegenden – Vertrages über die Lieferung von Erdgas mit einem ausländischen Produzenten verpflichtet sich der Erdgasimporteur auf Käuferseite zur Abnahme einer bestimmten Erdgasmen252

MünchKomm/Westermann, BGB § 434 Rn. 24. Vgl. Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 283 f. 254 Schumacher, Vertikale Integration im Erdgasmarkt, S. 50; Panos, Energiewirtschaft, S. 20. 255 Vgl. dazu BKartA, Beschl. v. 20.03.2012, Az. B8-124/11, Rn. 32 ff.; BKartA, Beschl. v. 23.10.2014, Az. B8-69/14, Rn. 79 ff.; s. auch Schneider/Theobald/Gussone/Theobald, EnWR § 6 Rn. 206. 256 Simon, Struktur der Gasversorgung, S. 19. 253

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ge. Seine vertragliche Zahlungsverpflichtung dem Verkäufer gegenüber besteht obendrein meistens unabhängig von der tatsächlichen Erdgasabnahme bzw. der entsprechenden Nachfrage beim Drittabnehmer (d. h. Käufer des Erdgasimporteurs)257. Der Erdgasimporteur trägt insofern das Mengenrisiko. Das aus dem Ausland stammende Erdgas wird dabei an vereinbarten Grenzübergangspunkten (wie etwa Waidhaus, Mallnow oder Lubmin) in das deutsche Fernleitungsnetz eingespeist. Hier geht es in den Besitz des Erdgasimporteurs über258 . 2.

Aufgaben und Pflichten auf der Anbieterseite

Im innerdeutschen Raum betätigt sich der Erdgasimporteur hingegen auf der Anbieterseite, indem er, wie bereits geschildert259, die bei den ausländischen Produzenten eingekauften Erdgasmengen an die auf der Großhandelsebene handelnden Akteure – die über- bzw. regionalen Weiterverteiler und industriellen Wettbewerbskunden – veräußert. Dadurch begibt sich der Erdgasimporteur, ähnlich dem Erdgasförderer, in die Rechtsstellung des Gaslieferanten im Sinne des § 3 Nr. 19b EnWG. a)

Kaufvertragliche Pflichten

Der Erdgasimporteur hat zunächst die ihm obliegenden – kaufvertraglichen – Leistungs- und Nebenpflichten (vgl. §§ 433 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) zu erfüllen, indem er Gasbezugs- bzw. Gaslieferverträge mit den über- bzw. regionalen Weiterverteilern sowie industriellen Wettbewerbskunden abschließt. Hier gelten zunächst die gleichen Erwägungen, wie sie zu dem vertraglichen Pflichtenprogramm des Erdgasförderers in seiner Lieferanteneigenschaft dargelegt sind260 . Allerdings sei angemerkt, dass vertraglich im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB begründete, jedoch nicht ausdrücklich geregelte (leistungs- oder verhaltensbezogene) Nebenpflichten des Erdgasimporteurs und des Erdgasförderers, deren zu vertretende Verletzung sowohl die Mängelhaftung nach § 437 Nr. 3 BGB als auch (einfache) Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB auslösen können, im Hinblick auf ihren Inhalt Besonderheiten aufweisen. Dies lässt sich zunächst dadurch erklären, dass derartige Pflichten – etwa wie die im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Verkehrssicherungspflichten – grundsätzlich auf die Gefahrsteuerung im Zusammenhang 257

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Vertragsparteien in ihrem Vertrag über die Lieferung von Erdgas eine sog. Take-Or-Pay-Klausel vereinbaren. Dazu im einzelnen Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 191 ff. 258 Fuchs, ZaöRV 2011, 103 (108 f.). 259 S. oben Teil I § 2 C II, S. 29. 260 S. dazu Teil I § 3 A I 3, S. 49 ff.

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mit dem eingeführten Produkt ausgerichtet sind und sich deshalb auf die Anhaltspunkte und Maßstäbe des Deliktsrechts bei ihrer Begründung stützen. Entscheidend sind dabei stets die Umstände des Einzelfalls. Es handelt sich regelmäßig um Untersuchungs-261, Beratungs-262, Aufklärungs- und Informationspflichten263 . Der Erdgasimporteur hat demnach – neben seinen vertraglichen Hauptleistungspflichten – auf eine erkannte Schlechtlieferung bzw. eine etwaige Erdgasqualitätsänderung hinzuweisen ebenso wie über dadurch entstandene und dem Abnehmer nicht bekannte (was im Gasgroßkundenbereich aber kaum denkbar ist) Risiken aufzuklären264. b)

Produkthaftungsrechtliche Pflichten

Den Erdgasimporteur treffen dabei allerdings nicht nur lieferantenspezifische, sondern auch herstellerspezifische Pflichten. Dies folgt unmittelbar daraus, dass er im Rahmen der sondergesetzlichen Produkthaftung dem Erdgasförderer, d. h. dem Hersteller gemäß § 4 Abs. 2 ProdHaftG gleichgestellt wird, jedoch unter der Prämisse, dass das Erdgas aus einem Drittstaat (hier: überwiegend aus der Russischen Föderation) zu wirtschaftlichen Zwecken des Importeurs in das Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraumes eingeführt wird265 . Der Statuierung der verschuldensunabhängigen Haftung des Importeurs in § 4 Abs. 2 ProdHaftG liegen in erster Linie die dem Importeur zur Verfügung stehende Möglichkeit zur Erkennung sowie Verbeugung von potenziellen Risiken beim Einführen von Waren in den Marktstaat266 und die angestrebte Stärkung des Verbraucherschutzes 267 zugrunde. Demnach hat der Erdgasimporteur die bereits oben beschriebenen Herstellerpflichten – Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionspflicht – unter Beachtung der berechtigten Sicherheitserwartungen des Produktbenutzers als Maßstab für die Annahme der Produktfehlerfreiheit (§ 3 Abs. 1 ProdHaftG) zu erfüllen, um sich der Ver261

Vgl. BGH NJW 1977, 1055 (1056); Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 11 Rn. 27. Vgl. BGH NJW 2004, 2301 (2302); Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 11 Rn. 18; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der Versorgungszufuhr, S. 52. 263 Vgl. BGH NJW 1955, 1105 (1105 f.); BGH NJW 1971, 2267 (2268); Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 11 Rn. 22; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der Versorgungszufuhr, S. 51 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 122. 264 S. dazu Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der Versorgungszufuhr, S. 51 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 122. 265 Klein, BB 1991, 917 (921 f.); s. ebenfalls MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 4 Rn. 36. 266 Vgl. Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 62 ff. 267 Vgl. dazu BT-Drs. 11/2447, S. 20; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 4 Rn. 27. 262

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antwortung für fehlerhaftes Erdgas entziehen zu können (vgl. § 1 Abs. 2 ProdHaftG). Für die durch die Inverkehrgabe des Erdgases geschaffenen Gefahren hat der Erdgasimporteur auch deliktisch einzustehen, wobei die ihm obliegenden – speziellen – Verkehrssicherungspflichten anders als die durch die Rechtsprechung für den Hersteller entwickelten akzentuiert sind. Auf ihn werden grundsätzlich nur händlerspezifische Gefahrabwehrpflichten wie etwa Beratung über Produkteignung, Bedienungs- und Warnhinweise, Weitergabe von Herstellerhinweisen etc.268 bezogen269 . Der Erdgasimporteur ist indessen zur Sicherheitskontrolle des ihm von einem ausländischen Erdgasförderer gelieferten Erdgases verpflichtet, jedoch nur in engen Grenzen und soweit besondere Anhaltspunkte dafür bestehen270. Solche besonderen Anhaltspunkte liegen beispielsweise dann vor, wenn dem Importeur bereits einschlägige Schadensfälle im Zusammenhang mit der Fehlerhaftigkeit des vertriebenen Produktes271 bzw. Unzuverlässigkeit des Herstellers bekannt werden272 , ein Fehlerverdacht existiert273 oder eine gesteigerte Verkehrserwartung der Abnehmer (etwa wenn der Importeur über eine besondere Sach- und Fachkunde verfügt oder zu verfügen hat) erweckt wird274. Der Umfang der Untersuchungspflichten des Erdgasimporteurs kann dabei unter Umständen die weitergehende – herstellerspezifische – Überprüfung des aufbereiteten und für verschiedenste technische Applikationen nutzbaren Erdgases auf Konstruktions- sowie Fabrikationsfehler275 umfassen; er ist allerdings stets im Einzelfall zu bestimmen276 . Für den Importeur besteht vielmehr nach herrschender Ansicht eine eigen268

Dazu im Einzelnen bei Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 4 ff. BGH NJW 1980, 1219 (1220); BGH NJW 1994, 517 (519); OLG Köln NJW 2004, 521; OLG Celle NJW-RR 2006, 526 (527); s. ebenfalls Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 62; BeckOGK/Spindler, Stand: 01.07.2018, BGB § 823 Rn. 538; MünchKomm/ Wagner, BGB § 823 Rn. 792; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III, Rn. 41. 270 MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 794; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 41. 271 BGH NJW 1980, 1219; OLG Zweibrücken NJW 1987, 2684 (2685); OLG Dresden VersR 1998, 59 (60); OLG Celle NJW-RR 2006, 526 (527); Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 69; Graf von Westphalen, Jura 1983, 133 (134); Molitoris/Klindt, NJW 2008, 1203 (1205). 272 OLG Köln NJW 2004, 521; vgl. ebenfalls Schmidt-Salzer, BB 1979, 1 (5); Graf von Westphalen, Jura 1983, 133 (134). 273 BGH NJW 1980, 1219; BGH NJW 1981, 2250 (2251); BGH NJW 2004 1032 (1033); s. auch Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 30. 274 BGH NJW 1980, 1219 (1219 ff.); Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1524 S. 3 f.; Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 25 ff.; Zoller, Die nichtvertragliche Haftung des Importeurs für Produktfehler des Warenherstellers, S. 41. 275 Näher dazu Teil I § 3 A I 2 a), S. 47 f. und b), S. 48. 276 BGH NJW 1980, 1219; Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 63 und 65 ff.; BeckOGK/Spindler, Stand: 01.07.2018, BGB § 823 Rn. 538; Molitoris/Klindt, NJW 2008, 1203 (1205).

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ständige Instruktionspflicht sowie eine passive Produktbeobachtungspflicht, deren Begründung auf seine Mittlerstellung auf dem ausländischen und dem inländischen Markt zurückführt277. Im Instruktionsbereich beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht des Erdgasimporteurs nicht auf die Weitergabe von Gebrauchsanweisungen und Warnhinweisen des Erdgasförderers, insbesondere die Gefahren im Umgang mit Erdgas betreffend, sowie ihre Verständlichkeit gegenüber den inländischen Abnehmern, sondern schließt die Kontrolle der inhaltlichen Geeignetheit der Instruktion ein278. Der Erdgasimporteur muss daneben – wie dargestellt – die Pflicht zur Gefahrenerkennung (etwa durch die Sammlung und Weiterleitung von Kundenbeschwerden über Schadensfälle und Sicherheitsdefizite an den ausländischen Hersteller) sowie zur Gefahrenabwehr (etwa durch die Erteilung von Warnungen bzw. Vertriebseinstellung) über den Zeitpunkt des Erdgasimports hinaus auf sich nehmen. Dies gilt jedoch nur, soweit der Erdgasförderer seiner Produktbeobachtungspflicht nicht oder nicht in dem erforderlichen Maße nachkommt und die vorerwähnten Maßnahmen dem Importeur möglich sowie wirtschaftlich zumutbar sind 279 . Weitere auf die Bewältigung von Produktrisiken ausgerichtete Pflichten des Importeurs ergeben sich aus § 3 Abs. 1, 2, § 6 ProdSG und sind obendrein im Rahmen der deliktischen Produkthaftung zu berücksichtigen. B.

Aufgaben und Pflichten der Erdgaslieferanten

Im Folgenden sollen die Aufgaben und Pflichten der auf dem Endkundenmarkt agierenden Akteure aufgezeigt werden. Dabei geht es nur um die die Endkunden – Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG ebenso wie große Gewerbe- und Industriekunden – mit Erdgas beliefernden Erdgaslieferanten, die gleichzeitig auch die Erdgasförderer/-importeure bzw. Erdgaszwischenhändler sein können280. Die auf den mittleren Distributionsstufen tätigen Marktteilnehmer und ihre Aktivitäten werden hier nicht erörtet, da ihre Analyse nicht nur in Anbetracht der Vielfältigkeit der Handelsgeschäftsbeziehungen den Um277

BGH NJW 1994, 517 (519 f.); BGH NJW 1998, 2905 (2907 f.); OLG Stuttgart NJW-RR 1992, 670 (671); OLG Celle NJW-RR 2006, 526 (528); Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 72 ff.; Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1524 S. 17 f.; MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 794; BeckOGK/Spindler, Stand: 01.07.2018, BGB § 823 Rn. 539; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III, Rn. 41; vgl. dazu auch Zoller, Die nichtvertragliche Haftung des Importeurs für Produktfehler des Warenherstellers, S. 42, 105 f. 278 Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1524 S. 17 f.; Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 72; Zoller, Die nichtvertragliche Haftung des Importeurs für Produktfehler des Warenherstellers, S. 106 f. 279 Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 73 ff.; Zoller, Die nichtvertragliche Haftung des Importeurs für Produktfehler des Warenherstellers, S. 108 ff. 280 Ausführlich Monopolkommission, Sondergutachten 59, Energie 2011: Wettbewerb mit Licht und Schatten, Rn. 132.

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fang dieser Arbeit überschreiten würde, sondern auch wegen der Geltung der gleichen Rechtsgrundsätze wie bei der Vertragsgestaltung mit Endkunden überflüssig erscheint. Zu den vornehmlichen Aktivitäten des Erdgaslieferanten gehören mithin der Vertrieb und Verkauf des Erdgases an die Endkunden, die es für den eigenen Verbrauch kaufen (vgl. Art. 2 Nr. 27 GasRL 2009). Die einzelnen Endkunden verfügen allerdings – bezogen auf ihre Bedürfnisse – über ein unterschiedliches Nachfrageverhalten 281 . Dem trägt der deutsche Gesetzgeber Rechnung, indem er die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die entsprechende Ausgestaltung der Lieferbeziehung des Gaslieferanten mit unterschiedlichen Abnehmergruppen schafft. Dies wiederum bildet die Grundlage für die Feststellung des Pflichtenprogramms des jeweiligen Gaslieferanten. Aus diesem Grund ist in besonderem Maße eine differenzierte – je nach Art des Kunden – Darstellung der vom Gaslieferanten im Rahmen der Gasversorgung geschuldeten Pflichten geboten. Für die vorliegende Untersuchung wird somit die in der Literatur übliche Unterscheidung zwischen den Haushaltskunden und sog. Wettbewerbskunden zugrunde gelegt. I.

Pflichten im Haushaltskundenbereich

Der Pflichtenkatalog des Gaslieferanten im Bereich der Haushaltskunden ist weitgehend durch energiewirtschaftliche Sondervorschriften bestimmt, wobei der Zweck einer möglichst sicheren und verbraucherfreundlichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Erdgas (vgl. § 1 Abs. 1 EnWG) verfolgt wird282. Von zentraler Bedeutung ist hier die Ver-pflichtung des Gaslieferanten, die Grundversorgung der Haushaltskunden (§ 36 EnWG) und die Ersatzversorgung aller Letztverbraucher (§ 38 EnWG) sicherzustellen. 1.

Grundversorgungspflicht gemäß § 36 EnWG

Nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG ist der Gaslieferant verpflichtet, jeden Haushaltskunden zu den öffentlich bekannt gegebenen und im Internet veröffentlichten Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preisen in Niederdruck zu versorgen. Die Pflicht des Gaslieferanten zur Grundversorgung besteht allerdings erst dann, wenn ihm die Eigenschaft als Grundversorger zugewiesen wird und wenn ihre Erfüllung für ihn wirtschaftlich zumutbar ist (§ 36 Abs. 1 S. 2 EnWG). Der Grundversorger gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG ist folglich dasjenige Energieversorgungsunternehmen, welches die meisten Haushalts281 282

Näher dazu Schumacher, Vertikale Integration im Erdgasmarkt, S. 124. So schon BGH NJW 1969, 499 (501); BGH NJW 1971, 1255 (1258); s. ebenfalls BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 1 f. S. 2108 f.; Busche, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Rn. 7 f.; Hampel, ZNER 2004, 117 (123 f.).

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kunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert. Anzumerken ist noch an dieser Stelle, dass das aktuell geltende – durch die Trennung von Netz und Energievertrieb te283 – Energieversorgungskonzept im Gegensatz zur auf der einheitlichen Anschluss- und Versorgungspflicht des gasliefernden Unternehmens beruhenden Allgemeinen Versorgung nach altem Recht (vgl. § 10 Abs. 1 EnWG a. F.) den Netzanschluss nicht mehr umfasst. Das ist nunmehr der ausschließliche Aufgaben- und Pflichtenbereich des Netzbetreibers (vgl. § 18 EnWG), obwohl eine enge Verbindung zwischen Energieversorgung und Netzbetrieb in Anbetracht der Leitungsgebundenheit des Energiesektors beibehalten wird284 . a)

Kontrahierungszwang des Grundversorgers

Sodann ist die rechtsdogmatische Einordnung der Versorgungspflicht des Grundversorgers aus § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG zu klären. Nach wohl allgemeiner Meinung statuiert § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG einen Kontrahierungszwang des Erdgaslieferanten in seiner Rolle als Grundversorger dahingehend, mit den berechtigten Haushaltskunden Grundversorgungsverträge zu den bekannt gemachten bzw. veröffentlichten Allgemeinen Bedingungen und Preisen abzuschließen285. Dafür spricht vor allem der Wortlaut des § 36 Abs. 3 EnWG286 sowie der Wille des deutschen Gesetzgebers, wonach das Grundversorgungsverhältnis eine (privatrechtliche) vertragliche Grundlage hat287 . Der in § 36 Abs. 1 EnWG angeordnete – besondere – und durch die Geltendmachung des Belieferungsverlangens aktualisierte Rechtszwang zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages lässt sich nicht zuletzt mit der Möglichkeit des Grundversorgungskunden zur Auswahl eines jeweiligen Erdgasversorgungstyps, insbesondere im Hinblick auf Versorgungstarife sowie -umfang, und somit mit der Notwendigkeit einer vertraglichen Einigung über die Grundlage der Versorgung begründen288. Der Grundversorgungspflicht des Grund283

Dazu allgemein Teil I § 2 C IV 3 d), S. 37 f. BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 3. Vgl. BGH NJW 2009, 2667 (2669, Rz. 25); OLG Saarbrücken RdE 2006, 56 (57); OLG Frankfurt BeckRS 2008, 13781; OLG Köln BeckRS 2007, 19550; OLG München BeckRS 2009, 12852; LG Kassel NJW-RR 2007, 1651 (1652); LG Saarbrücken ZMR 2009, 689 (690); BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 39 ff.; MünchKomm/Busche, BGB Vor § 145 Rn. 15; Salje, EnWG § 36 Rn. 13; Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 3 f.; Eder, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 6 ff.; Rasbach/Baumgart/Kessel, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 2 Rn. 4; BeckOK/Eckert, Stand: 01.08.2018, BGB § 145 Rn. 14. 286 Anders aber nach altem Recht, vgl. dazu § 10 EnWG 1998. 287 Vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 66; s. ebenfalls BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 40; Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 22. 288 S. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 474. 284

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versorgers nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG entspricht sodann ein Anspruch des Haushaltskunden auf Vertragsschluss. Denkbar ist allerdings auch, dass die Vorschrift des § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG dem Grundversorgungsberechtigten einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch auf Leistung aus dem noch abzuschließenden Vertrag – Belieferung mit Erdgas – und nicht lediglich auf vertragliche Gewährung der Grundversorgung zuwendet. Dies ist insbesondere dann zuzulassen, wenn das den Rechtszwang zum Kontrahieren vermittelnde Gesetz nicht nur den Vertragsschluss, sondern in erster Linie die Erbringung bestimmter (häufig von existenzrelevanter Bedeutung) Leistungen sicherstellen will289 . Dem Normzweck des § 36 EnWG kann insoweit entnommen werden, dass die Grundversorgungspflicht vor allem auf die Sicherung der Gasversorgung der schutzbedürftigen Haushaltskunden als Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges290 gerichtet ist (vgl. Art. 3 GasRL 2009), die allein mit einem Anspruch auf Vertragsschluss nicht erreicht werden kann. So würde eine unverzügliche Durchführung der Grundversorgung bereits aus prozessualer Sicht nicht möglich sein291 . Hinzu kommt, dass das Konzept der Grundversorgung nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG auf demselben Rechtsgedanken beruht, der hinter der Vorgängerregelungen des § 10 Abs. 1 S. 1 EnWG 1998 und des § 6 Abs. 1 S. 1 EnWG 1938 stand292 , woraus sich eine Parallele zwischen der Grundversorgungspflicht nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG und der Allgemeinen Anschlusspflicht nach § 18 Abs. 1 S. 1 EnWG ziehen lässt. Die Allgemeine Anschlusspflicht des § 18 Abs. 1 S. 1 EnWG gilt dabei unmittelbar kraft Gesetzes, d. h. ohne Abschluss eines Vertrages,293 und wird daher durch die Meinungsverschiedenheiten betreffend einzelne Vertragsbedingungen nicht vereitelt294 . Zudem sind die gegenseitigen Haupt- und Nebenpflichten aus dem Netzanschlussverhältnis grundsätzlich in der NDAV sowie in den Allgemeinen Bedingungen und Preisen festgesetzt, so dass eine privatautonome Bestimmung von Details des Netzanschlusses kaum erforderlich ist und die Anschlusspflicht zunächst auch ohne Anschlussvertrag erfolgen kann. Diese Wertung ist ohne Weiteres auf das Verhältnis zwischen dem Haushaltskunden und dem Grundversorger 289

Staudinger/Bork, BGB Vorbem zu §§ 145-156 Rn. 33. BVerfG NJW 1971, 1255 (1258). 291 BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 44. 292 BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 1; vgl. Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 17 ff. 293 BT-Drs. 15/3917, S. 59. 294 Vgl. Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 18 Rn. 26; zur Grundversorgungspflicht s. Salje, EnWG § 36 Rn. 15.

290

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übertragbar. Der abzuschließende Grundversorgungsvertrag dient lediglich der Konkretisierung des Rechts auf Erdgasbelieferung und stellt insofern keine zwingende Voraussetzung für die Grundversorgung des Haushaltskunden dar295 . Daraus kann man schließen, dass sich die Leistungsverpflichtung des Grundversorgers direkt aus dem Gesetz ergibt und dem berechtigten Kunden ein unmittelbarer Anspruch auf Leistung (Erdgasbelieferung) zusteht296 . Für die Durchsetzung seines Rechts auf Grundversorgung gemäß § 36 Abs. 1 EnWG kann damit der Versorgungsinteressent sofort auf Leistung klagen297 . Sollte man demzufolge von dem in § 36 Abs. 1 EnWG angeordneten – besonderen – Kontrahierungszwang zum Abschluss eines Grundversorgungsvertrages ausgehen, so ist aus haftungsrechtlicher Sicht anzunehmen, dass mit Geltendmachung eines Belieferungsverlangens ein dem durch Eintritt in Vertragsverhandlungen vergleichbares gesetzliches Schuldverhältnis (vgl. § 311 Abs. 2 BGB) zwischen dem Gaslieferanten als Grundversorger und dem berechtigten Haushaltskunden entsteht298. Da der Inhalt dieser Sonderverbindung die Verpflichtung des Grundversorgers zur Abgabe einer auf Abschluss des Grundversorgungsvertrages gerichteten Willenserklärung beinhaltet, führt die Verweigerung bzw. Verzögerung des Vertragsabschlusses zu einer Pflichtverletzung, so dass der Grundversorgungsberechtigte den Ersatz des dadurch entstandenen Schadens (wie etwa Vertrauensschaden, Verzögerungsschaden bzw. Erfüllungsschaden) verlangen kann299. Aus dem oben genannten Schuldverhältnis erwachsen dem Grundversorger ebenfalls Pflichten zum Schutz und zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Inte295

So wohl OLG Frankfurt BeckRS 2013, 22800; AG Erfurt, Beschluss v. 30.01.2008 – 5 C 1938/07 – Rn. 13, juris; BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 41; Salje, EnWG § 36 Rn. 13; wohl auch Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 9; zur alten Rechtslage s. Büdenbender, Energierecht, Rn. 829; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 456, 583, 595. 296 LG Mönchengladbach BeckRS 2006, 04688; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 59 f.; vgl. ebenfalls Stuhlmacher/Stappert/Schoon/Jansen/Hansche/Tomala, Grundriss zum Energierecht, Kap. 9.B Rn. 107 ff.; zur alten Rechtslage s. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 407, 594 f. 297 BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 44 ff. 298 BGH NJW 1974, 1903 (1904); LG Oldenburg NJW-RR 1992, 53 (54); BerlKommEnR I 1/ Busche, EnWG § 36 Rn. 41; Heinlein/Weitenberg, in. Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 14; MünchKomm/Busche, BGB Vor § 145 Rn. 12; Staudinger/Bork, BGB Vor zu §§ 145-156 Rn. 25; Erman/Armbrüster, BGB Vor § 145 Rn. 31; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 243 f., 455 f., 585. 299 BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 41; MünchKomm/Busche, BGB Vor § 145 Rn. 12; Staudiner/Bork, BGB Vor zu §§ 145-156 Rn. 25, 36 f.; s. auch Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 243 f., 455, 585; vgl. im Hinblick auf Ersatz des Erfüllungsinteresses Erman/Armbrüster, BGB Vor § 145 Rn. 31.

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ressen des Grundversorgungsberechtigten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB300 . Zu berücksichtigen sind insbesondere vorvertragliche Aufklärungs- und Informationspflichten301 , deren Verletzung durch Verstöße gegen die Verpflichtung zur öffentlichen Bekanntgabe und Veröffentlichung der Allgemeinen Preise und Bedingungen vorstellbar erscheint. Sollten dem Haushaltskunden deswegen Schäden entstehen, ist der Grundversorger jedenfalls zum Schadensersatz verpflichtet302 . Entscheidend ist allerdings die Beurteilung im Einzelfall. Dem oben beschriebenen Konstrukt des vorvertraglichen gesetzlichen Schuldverhältnisses im Bereich der Grundversorgung gemäß § 36 Abs. 1 EnWG kann jedoch keine praktische Bedeutung beigemessen werden, wenn der Grundversorgungsvertrag bereits mit der Stellung des Antrages auf Versorgung bzw. mit der Annahme der Realofferte des Grundversorgers (vgl. § 2 Abs. 2 GasGVV) durch den Grundversorgungsberechtigten zustande kommt303. Um das durchzusetzen, muss vorher ein vollständiges verbindliches Angebot des Grundversorgers unterbreitet werden. Der Kontrahierungszwang kann zwar das Angebot des zur Grundversorgung verpflichteten Gaslieferanten nicht fingieren304 , führt jedoch dazu, dass ein allgemein angelegtes Angebot (etwa wie Anmelde- bzw. Vertragsformulare auf der Internetseite des Anbieters) bereits als Vertragsangebot im Sinne des § 145 BGB und nicht als „Invitatio ad Offerendum“ einzustufen ist305. Es ist jedenfalls erforderlich, das Kriterium der Bestimmtheit des Antrages zu erfüllen, wobei die wesentlichen Vertragspunkte zumindest bestimmbar sein müssen. Dies sollte in der Praxis keine Probleme bereiten. b)

Leistungsbeschreibung

Zur Erfüllung der Grundversorgungspflicht ist erforderlich, dass der Grundversorger die geschuldete Leistung erbringt, also in der rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Art und Weise leistet. Soweit die fällige Leistung nicht oder nicht wie geschuldet erbracht wird, hat dies für ihn haftungsrechtliche Folgen. Was der Grundversorger schuldet, ergibt sich nahezu vollständig aus dem Gesetz, selbst wenn das Grundversorgungsverhältnis vertraglicher Natur

300

BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 41. Allgemein zu Aufklärungs- oder Informationspflichten vgl. MünchKomm/Emmerich, BGB § 311 Rn. 71 f.; Staudinger/Olzen, BGB § 241 Rn. 163 ff., 437 ff. 302 Vgl. de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 2 Rn. 49 f. 303 Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 14; Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 23. 304 Staudinger/Bork, BGB Vor zu §§ 145-156 Rn. 29. 305 Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 14; Heinlein/Weitenberg, in. Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 23. 301

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ist. So sind Art und Umfang der Grundversorgung im Einzelnen in der GasGVV geregelt (vgl. §§ 5, 6 GasGVV). aa)

Art der Grundversorgung, § 5 GasGVV

§ 5 Abs. 1 S. 1 GasGVV sieht vor, dass sich die Beschaffenheit des im Rahmen der Grundversorgung zu liefernden Gases nach den technischen Gegebenheiten des jeweiligen Gasversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung, an welches die Anlage des Kunden angeschlossen ist, bestimmt. Die für das Vertragsverhältnis maßgeblichen und die Versorgungsqualität definierenden Parameter (etwa wie Brennwert mit der zulässigen Schwankungsbreite sowie Druck) sind demnach den Ergänzenden Bedingungen des Netzbetreibers zu den Allgemeinen Bedingungen für den Netzanschluss zu entnehmen (§ 5 Abs. 1 S. 2 GasGVV). Ein Leistungsbestimmungsrecht des Haushaltskunden ist mithin nicht vorgesehen. § 5 Abs. 1 GasGVV spiegelt lediglich den Grundgedanken der §§ 7, 16 Abs. 3 NDAV wider, wonach die Angewiesenheit der Erdgaslieferung auf die physischen sowie technisch-organisatorischen Vorgaben des Netzbetriebs zum Ausdruck kommt, und trägt dadurch der Trennung der Bereiche Gasvertrieb und Netzbetrieb Rechnung306 . Für die Ermittlung der Grenzen der Leistungsbeschreibung im Grundversorgungsbereich, insbesondere im Hinblick auf Druck und Brennwert des zu liefernden Erdgases, deren Überschreiten zu einer – schuldhaften – Verletzung des Grundversorgungsvertrages mit Folge eines Schadensersatzanspruchs seitens des berechtigten Erdgasabnehmers führen kann, gelten die Ausführungen zum Netzanschluss- und Netzanschlussnutzungsverhältnis und zu den daraus resultierenden Verpflichtungen des Netzbetreibers entsprechend307. Hinsichtlich einer derartigen Verantwortung des Grundversorgers ist der in § 6 Abs. 3 GasGVV verankerte Haftungsausschluss zu berücksichtigen. bb)

Umfang der Grundversorgung, § 6 GasGVV

Der Umfang der Versorgungspflicht des als Grundversorger ernannten Gaslieferanten ist in § 6 GasGVV geregelt. Die Vorschrift entspricht grundsätzlich dem bisherigen § 5 AVBGasV, wurde allerdings dem liberalisierten Gasmarkt – geprägt durch die Entflechtung von Gasvertrieb und Transport – angepasst. Dies lässt sich gut an der Aufteilung der Verantwortungsbereiche innerhalb der Grundversorgung veranschaulichen.

306 307

de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 5 Rn. 1. S. dazu Teil I § 3 C II, S. 117 ff.

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(1)

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Pflicht zur Organisation des Transports von Erdgas

Laut § 6 Abs. 1 S. 1 GasGVV ist der Grundversorger verpflichtet, die für die Durchführung der Grundversorgung erforderlichen Verträge abzuschließen und damit die Voraussetzungen für die Belieferung grundversorgungsberechtigter Haushaltskunden zu schaffen308. Daraus folgt, dass der zur Grundversorgung verpflichtete Erdgaslieferant neben der Bereitstellung auch die Organisation des Transports von Erdgas zum Haushaltskunden schuldet. Dem Kunden fehlt regelmäßig das für die Vertragsverhandlungen und -abwicklung erforderliche Fachwissen309 . Fraglich bleibt hier allerdings, ob der Grundversorger durch die Transportveranlassung bereits alles getan hat, was von seiner Seite zur Erfüllung erforderlich und geboten ist310 , oder ob ihm vielmehr die Übermittlung bis zum Erfolgsort selbst – am Ende des Netzanschlusses – obliegt, so dass seine Leistungspflicht die Qualität einer Bringschuld erlangt. Vor dem Hintergrund der Trennung von Netz und Vertrieb bietet es sich zunächst an, eine Schickschuld des zur Grundversorgung verpflichteten Erdgaslieferanten anzunehmen. Der Grundversorger würde demnach seine Grundversorgungspflicht bereits bei der Einspeisung in das Netz des Netzbetreibers erfüllen und das Transportrisiko nicht tragen müssen (vgl. § 447 Abs. 1 BGB), wobei die Sonderregeln für den Verbrauchsgüterkauf zu berücksichtigen sind311. Ein Fehlverhalten der Transportperson – des Netzbetreibers – müsste ihm daher nach § 278 BGB nicht zugerechnet werden312, es sei denn, dass die schadensverursachende Handlung in unmittelbarer Ausführung einer Weisung des Grundversorgers begangen wurde313. In Betracht käme hierbei eine unberechtigte Unterbrechung der Versorgung durch den Netzbetreiber im Rahmen des Sperrrechts des Grundversorgers, § 19 EnWG. Diese Überlegung drängt sich auf, da auch im Energierecht einer der „ehernen“ Grundsätze des Zivilrechts, impossibilium nulla est obligatio, gilt314 , so dass sich das Pflichtenprogramm des Grundversorgers auf nur die ihm 308

BR-Drs. 306/06, S. 43 und 26. Vgl. Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 139, 236 f. 310 Eine Schickschuld wird in diesem Fall begründet. 311 Erman/Grunewald, BGB § 474 Rn. 5. 312 BeckOK/Faust, Stand: 01.11.2018, BGB § 447 Rn. 25; Erman/Grunewald, BGB § 474 Rn. 11; MünchKomm/Lorenz, BGB § 474 Rn. 42; zur Stellung des Netzbetreibers im Bereich der Grundversorgung vgl. Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGBKlauselwerke, Stromlieferverträge Rn. 18; Hartmann, in: Danner/Theobald, StromGVV § 6 Rn. 20. 313 MünchKomm/Westermann, BGB § 447 Rn. 23. 314 Zu den römischrechtlichen Wurzeln näher Schermaier, Impossibilium nulla obligatio, in: Annali del Seminario giuridico dell´Università di Palermo (AUPA) 51 (2006), S. 241 ff. 309

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möglichen Maßnahmen beschränkt (§ 6 Abs. 1 S. 2 GasGVV). Während die Regelung der für die Umsetzung der Grundversorgung nach § 36 EnWG notwendigen Netznutzung im Rahmen des Möglichen liegt, ist der Grundversorger allerdings nicht in der Lage, die Belieferung oder Nichtbelieferung seiner Kunden technisch unmittelbar zu beeinflussen und vielmehr einen Netzbetreiber als „Transporteur“ von Erdgas auszuwählen bzw. seine Einschaltung zu vermeiden315. Die Gefahrtragung bis zur Abnahme von Erdgas wäre somit für den grundversorgungsverpflichteten Lieferanten unzumutbar. Unter dieser Betrachtungsweise dürfte § 6 Abs. 3 GasGVV nur eine klarstellende Funktion erfüllen. Es bestehen dennoch gewisse Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Argumentation. Dagegen spricht vor allem der Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 2 GasGVV, wonach der Grundversorger zur Lieferung von Erdgas bis zum Netzanschluss des berechtigten Haushaltskunden verpflichtet ist. Der Leistungs- und Erfolgsort sollte demnach am Ort der Gasabnahme liegen 316 . Besonderes Augenmerk ist des Weiteren auf die in § 1 Abs. 1 EnWG angelegte Zielsetzung der verbraucherfreundlichen Energieversorgung zu legen, die durch die Einordnung der Grundversorgung als Schickschuld beeinträchtigt wird. Der Haushaltskunde besitzt erstens keine Einwirkungsmöglichkeiten auf die zwischen dem Grundversorger und dem Netzbetreiber auszuhandelnden Bedingungen des Erdgastransports, während der Gaslieferant grundsätzlich über eine engere wirtschaftliche und rechtliche Verbindung mit dem Netzbetreiber sowie über entsprechende personelle, informationelle und organisatorische Kapazitäten verfügt. Das vom Kunden entnommene Erdgas ist zweitens mit demjenigen, das vom Lieferanten in das Gasnetz eingespeist wurde, im physikalischen Sinne nicht identisch317, so dass er letztlich mit einem unverhältnismäßigen Transportrisiko behaftet ist. In der energierechtlichen Literatur wird daher wohl zurecht überwiegend vertreten, dass die Transportleistung zum Zuständigkeitskreis des Grundversorgers gehört, deren Erfüllung von dem jeweiligen Netzbetreiber als Erfüllungsgehilfe übernommen wird318. Gleichwohl

315

BR-Drs. 306/06, S. 28. Zur alten Rechtslage vgl. BGH NZM 2003, 911; OLG Dresden BeckRS 2000, 03151; LG Darmstadt RdE 1994, 75. 317 Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 236 f. 318 Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht GasGVV § 6 Rn. 2, StromGVV § 6 Rn. 19; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 6 Rn. 12; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3603), Wege/Finke, ZNER 2007, 116 (120); Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 142 f.; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 236; Säcker/Bruhn, Reform des Energierechts, S. 93 f.; kritisch Horstmann/Cieslarczyk, Energiehandel, S. 479; wohl auch 316

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darf die in § 6 Abs. 1 S. 2 GasGVV festgeschriebene Grenze des Möglichen nicht unterlaufen werden. Diese Problematik wurde im Wesentlichen durch die die Haftungszurechnung nach allgemeinem Zivilrecht aufhebende Konstruktion des § 6 Abs. 3 GasGVV gelöst319 . Im Ergebnis ist allerdings festzustellen, dass die oben dargestellte Diskussion aus haftungsrechtlicher Sicht wenig bis keine praktische Relevanz hat, denn unabhängig davon, ob der Grundversorger das Transportrisiko übernommen hat oder nicht, treten für ihn im Falle von Unterbrechungen bzw. Unregelmäßigkeiten der Grundversorgung grundsätzlich die gleichen Haftungsfolgen ein. (2)

Pflicht zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Erdgas

Gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV ist der Grundversorger verpflichtet, den Erdgasbedarf des berechtigten Haushaltskunden im Rahmen des § 36 EnWG zu befriedigen und während der Vertragslaufzeit im vereinbarten Umfang jederzeit Gas zur Verfügung zu stellen. Dabei gilt es zu beachten, dass § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV keine generelle Verpflichtung zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Erdgas mit normierten Rechtfertigungsausnahmen320, sondern eine von vornherein eingeschränkte Leistungspflicht begründet321 . Diese Auffassung lässt sich vor allem dadurch rechtfertigen, dass die sog. JederzeitRegelung auf die Grenze des Möglichen und Zumutbaren, die sich zum einen aus dem oben bereits angesprochenen Rechtsgrundsatz des impossibilium nulla est obligatio und zum anderen aus dem Ziel der Preisgünstigkeit der Versorgung nach § 1 Abs. 1 EnWG ergibt, stößt322 . Indes ist die Versorgung mit Erdgas nur über das Leitungsnetz möglich, so dass sowohl der zur Grundversorgung verpflichtete Erdgaslieferant als auch der Haushaltskunde auf die technischen Möglichkeiten des Netzbetriebes angewiesen sind323 . Relevant ist hier deshalb der Beurteilungsmaßstab für die Gewährleistung der Sicherheit, der Zuverlässigkeit und der Leistungsfähigkeit der Gasversorgungsnetze, wonach gewisse Versorgungsstörungen bzw. Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 18. 319 Näher zum Haftungsausschluss nach § 6 Abs. 3 EnWG Hartmann, in: Danner/Theobald, Energieversorgung GasGVV § 6 Rn. 7, StromGVV § 6 Rn. 17 ff.; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 6 Rn. 10 ff.; Graf von Westphalen/ Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 152 ff. 320 Wohl aber Ebel, BB 1980, 477 (482 f.); Malzer, Das Recht der Energielieferungsverträge, S. 25. 321 Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 Rn. 7 ff.; Taupitz, BB 1982, 769 (770). 322 BGH NJW 1971, 2267 (2268); Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 Rn. 9 f.; Taupitz, BB 1982, 769 (770 f.). 323 Vgl. LG Köln BeckRS 2012, 09789; Taupitz, BB 1982, 769 (770).

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-unterbrechungen zulässig sind324 . Was dem Netzbetreiber als Erfüllungsgehilfen des Grundversorgers technisch nicht möglich ist, kann auch von dem Letzten als Geschäftsherrn nicht verlangt werden. Ins Blickfeld rückt weiterhin die Verweisung auf § 36 EnWG, der den Anwendungsbereich des § 6 GasGVV nochmals (vgl. § 1 Abs. 1 GasGVV) konkretisiert325. § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV erstreckt sich somit nur auf solche Fälle, in denen die Pflicht zur Grundversorgung besteht. Das heißt, die Verpflichtung zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Gas ist von vornherein mit dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Grundversorgungspflicht (§ 36 Abs. 1 S. 2 EnWG) versehen326 . § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV definiert schließlich „das Ob und den Umfang der zu erbringenden Leistung“ und ist deshalb als bloße Leistungsbeschreibung einzuordnen327. Damit werden die Grenzen der Grundversorgungspflicht nach § 36 EnWG und konsequenterweise der Verantwortung des Grundversorgers dem Haushaltskunden gegenüber festlegt. Außerhalb dieser Grenzen besteht sodann kein Anspruch auf die Gasbelieferung, dessen Nichterfüllung – etwa infolge von Versorgungsunterbrechungen – zur Vertragsverletzung und folglich zur Schadensersatzhaftung führen könnte. (3)

Ausnahmen von der Grundversorgungspflicht, § 6 Abs. 2 S. 2 GasGVV

Neben dem relativen Verständnis der Jederzeit-Regelung sind die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen von der Grundversorgungspflicht zu berücksichtigen. Der Verordnungsgeber hat in § 6 Abs. 2 S. 2 GasGVV Sondertatbestände aufgelistet, bei deren Vorliegen die Verpflichtung des Grundversorgers zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Gas entfällt. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, ob § 6 Abs. 2 S. 2 GasGVV ebenfalls als Leistungsbeschreibung oder als eine die Leistungsbeschreibung einschränkende Bestimmung, die Fälle eines nicht zu vertretenden Leistungsausfalls enthält, zu verstehen ist. Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragestellung ist von besonderer Bedeutung, insbesondere weil die jeweilige Einordnung dieser

324

S. hierzu Teil I § 3 C III, S. 136 ff. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 62. 326 de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 6 Rn. 6. 327 Allgemein zur Leistungsbeschreibung vgl. BGH NJW 2011, 3510 (3512); BGH NJW 2014, 209 (210); MünchKomm/Wurmnest, BGB § 307 Rn. 15; zur Versorgungspflicht nach altem Recht s. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 Rn. 12 S. 177; Taupitz, BB 1982, 769 (770); vgl. Ebel, BB 1980, 477 (482 f.). 325

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Vorschrift entsprechende Auswirkungen auf die Haftungsverhältnisse der an der Grundversorgung Beteiligten hat328 . Für die entsprechende Qualifizierung des § 6 Abs. 2 S. 2 GasGVV hat sich bislang in der energierechtlichen Literatur keine Einigkeit ergeben. Ausweislich der Verordnungsbegründung 329 sowie vom Wortlaut her weist § 6 Abs. 2 S. 2 GasGVV mit seinen Konkretisierungen nur darauf hin, dass die in § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV enthaltene Leistungsbeschreibung von vornherein einen bestimmten, beschränkten Inhalt hat. Beim Vorliegen der dort beschriebenen Voraussetzungen besteht die Lieferverpflichtung des Grundversorgers nicht und kann somit nicht verletzt werden330. Dies trifft allerdings kaum zu, wenn es sich um Fälle höherer Gewalt handelt. Denn höhere Gewalt stellt eine klassische Enthaftungskategorie dar, was grundsätzlich für die Einordnung als Haftungsausschluss sprechen könnte331 . Sinnvoll erscheint deshalb eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Ausnahmefälle, wie sie von Schweers vorgeschlagen wurde332 . Um die Tragfähigkeit dieser Ansicht beurteilen zu können, sollen die in § 6 Abs. 2 S. 2 GasGVV geregelten Tatbestände zunächst näher untersucht werden. (a)

Zeitliche Beschränkungen durch die Allgemeinen Preise oder Allgemeinen Bedingungen (Nr. 1)

Nach § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 GasGVV entfällt die Verpflichtung des Grundversorgers zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Erdgas, soweit die Allgemeinen Preise oder Allgemeinen Bedingungen zeitliche Beschränkungen vorsehen. Die Regelung entspricht damit inhaltlich in an den Regelungsbereich der Gasgrundversorgungsverordnung angepasster Form dem bisherigen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AVBGasV. Zu erwähnen ist, dass die in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AVB angeordnete Schranke der jederzeitigen Energielieferung sich in erster Linie auf die Vorgaben der jeweiligen Bundestarifordnung333 bezog und eher 328

Prozessrechtlich scheint die Frage aber kaum relevant zu sein, vgl. allgemein zur Beweislastverteilung Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 9 f.; wohl a. A. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 Rn. 8. 329 BR-Drs. 306/06, S. 27. 330 Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 Rn. 17 ff.; Taupitz, BB 1982, 769 (771). 331 Bejahend wohl de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/ GasGVV § 6 Rn. 6 ff.; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 6 Rn. 16; s. ebenfalls Ebel, BB 1980, 477 (482 f.); Malzer, Das Recht der Energielieferungsverträge, S. 25. 332 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 63 ff.; wohl auch Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 28 ff. 333 Im Gasbereich ist das die Bundestarifordnung Gas vom 10. Februar 1959 (BTOGas), BGBl. I 1959, S. 46.

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für den Strombereich von Relevanz war334. Denn im Gegensatz zur Bundestarifordnung Elektrizität (BTOElt) sah die im Jahre 1998 aufgehobene Bundestarifordnung Gas (BTOGas) keine zeitlichen Beschränkungen vor. Grund dafür war jedoch nicht etwa, dass solche Vereinbarungen in der Gaswirtschaft nicht denkbar sind, sondern eher die zurückhaltende Gaspreisaufsicht335. Im Zuge der Liberalisierung hat sich kaum etwas in diesem Zusammenhang für die Gasversorgung geändert. Es gibt nach wie vor keine speziellen Regelungen, denen zeitliche Beschränkungen der Versorgung entnommen werden könnten. Sollten sie allerdings in den Allgemeinen Preisen bzw. Allgemeinen Bedingungen vereinbart werden, so besteht die Verpflichtung zur Zurverfügungstellung von Gas nicht jederzeit, sondern nur innerhalb der bestimmten Lieferzeit. Da sich eine solche Abrede unmittelbar auf den Gegenstand der Hauptleistung auswirkt, ist die Einschränkung des § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 GasGVV als Leistungsbeschreibung zu qualifizieren. (b)

Unterbrechungen des Netzanschlusses bzw. der Anschlussnutzung (Nr. 2)

Die im Grundversorgungsvertrag eingegangene Lieferverpflichtung des Grundversorgers in seiner Eigenschaft als Gaslieferant besteht ferner dann nicht, wenn der Netzanschluss und die Anschlussnutzung nach den Bestimmungen der NDAV durch den Netzbetreiber unterbrochen werden, § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 GasGVV. Eine solche Unterbrechung muss zugleich rechtmäßig erfolgen. Dies ist der Fall, soweit die Voraussetzungen des § 17 oder § 24 Abs. 1, 2 und 5 NDAV vorliegen336 . Bei netzbedingten Störungen des Netzanschlusses bzw. der Netzanschlussnutzung in allen übrigen Fällen findet § 6 Abs. 3 S. 1 GasGVV Anwendung337 , wonach der Grundversorger von seiner Leistungspflicht aus § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV und soweit seiner Haftung für die Netzstörung freigestellt wird338 . Als Anhaltspunkt für beide Regelungen dient zwar die durch die Störungen im vom Netzbetreiber kontrollierten Versorgungsnetz verursachte Unmöglichkeit der Leistungserbringung durch den Grundversorger. Gleichwohl sind sie unterschiedlich zu qualifizieren. Während sich ein Haftungsausschluss aus § 6 Abs. 3 S. 1 GasGVV herleiten lässt, schränkt § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Gas334

Näher dazu Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 65; wohl auch Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 28. 335 Vgl. Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 293 ff. 336 Dies gilt ebenfalls für den Strombereich, obwohl § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StromGVV keinen ausdrücklichen Verweis auf die Vorschriften der NAV enthält. 337 Vgl. Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 6 Rn. 18. 338 BR-Drs. 306/06, S. 28 f.

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GVV die Jederzeit-Verpflichtung des Grundversorgers ein. Die Unterbrechung des Netzanschlusses und der Netzanschlussnutzung beschreibt lediglich einen konkreten Fall der Unmöglichkeit, wenn die Leistungspflicht von vornherein fehlt. Für eine solche Interpretation des in § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 GasGVV geregelten Sondertatbestandes sprechen insbesondere folgende Gründe: Erstens kann dem Grundversorger die Pflicht zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Erdgas nur dann auferlegt werden, wenn dies technisch möglich ist339 . Damit der Netzbetreiber seiner Verpflichtung nach § 11 Abs. 1 EnWG, für die Sicherheit, die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Gasversorgungsnetzes zu sorgen, ordnungsgemäß nachkommen kann, gestattet ihm der Gesetzgeber Unterbrechungen des Netzanschlusses und der Anschlussnutzung, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. §§ 17, 24 NDAV). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Nutzung des Netzanschlusses nicht jederzeit gewährleistet werden kann340 . Für die Belieferung der Haushaltskunden mit Gas gilt grundsätzlich das oben Gesagte, umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass die zentralen Leistungsverpflichtungen des Grundversorgers und des Netzbetreibers, insbesondere unter dem Blickwinkel der Leitungsgebundenheit der Gasversorgung, im Umfang korrespondieren. Zweitens bestehen sowohl der Netzanschlussvertrag als auch das Anschlussnutzungsverhältnis ausschließlich zwischen dem jeweiligen Letztverbraucher in seiner Eigenschaft als Anschlussnehmer bzw. Anschlussnutzer und dem Betreiber des Gasversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung. Etwaige Unterbrechungen des Netzanschlusses und der Netzanschlussnutzung gehören deshalb ausschließlich zur Gefahrensphäre des Haushaltskunden und liegen außerhalb des Verantwortungs- sowie Einflussbereichs des Grundversorgers341 . Es darf somit unterstellt werden, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 GasGVV nicht bezweckt hat, die Entstehung von gegen den Grundversorger gerichteten sekundären Ansprüchen zu verhindern oder zu beschränken, sondern bloß die Grenzen der originären Leistungspflichten des Grundversorgers nochmals zu verdeutlichen. Die in §§ 17, 24 NDAV aufgezeigten Unterbrechungsfälle betreffen somit den Kern des Leistungsversprechens im Rahmen der Grundversorgung nach § 36 EnWG, so dass hier von einer negativen Leistungsbeschreibung auszu339 340 341

Vgl. oben Teil I § 3 B I 1 b) bb) (2), S. 65 f. Vgl. BGH NJW 1971, 2267 (2268). Dies entspricht schließlich dem § 6 Abs. 1 S. 2 GasGVV, wonach der Grundversorger zwar die Lieferung von Erdgas bis zum Netzanschlusses des berechtigten Haushaltskunden schuldet, jedoch die Sicherung und Aufrechthaltung der Entnahmestelle – des Netzanschlusses – nicht verantwortet.

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gehen ist. Auf die Beurteilung der Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit der Anschluss- bzw. Anschlussnutzungsunterbrechungen ist jedoch an anderer Stelle vertieft einzugehen342. (c)

Unterbrechungen wegen von außen einwirkender Umstände (Nr. 3)

Die Verpflichtung des Grundversorgers zur Belieferung des Kunden entfällt, soweit und solange er an der Erzeugung, dem Bezug oder der vertragsgemäßen Lieferung von Gas durch Umstände gehindert ist, die ihm nicht zugerechnet werden können343. Unter solchen Umständen sind Ereignisse höherer Gewalt sowie sonstige Umstände, deren Beseitigung dem Grundversorger nicht möglich ist oder wirtschaftlich nicht zugemutet werden kann, zu verstehen (§ 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV). Die Einordnung des in § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV enthaltenen Vorbehaltes sollte keine Probleme bereiten, denn es geht hier um Ausschlussgründe für die primäre Leistungspflicht des Schuldners, die nicht das Bestehen der Leistungspflicht des Grundversorgers, sondern deren Erfüllung in Frage stellen. Die Regelung stellt mithin dem Grundversorger materiellrechtliche Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung, so dass sie insofern als (rechtsvernichtende) Einwendung bzw. (peremtorische) Einrede qualifiziert werden kann 344 . Es wird somit lediglich das (von vornherein eingeschränkte) Leistungsversprechen (nochmals) eingeschränkt. Der Meinung Schweers ist demnach zu folgen, der im Hinblick auf den bisherigen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AVBGasV von „speziellen Fallgruppen nicht zu vertretender Unmöglichkeit“ ausgeht345. Er wies insbesondere darauf hin, dass der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AVBGasV die auf die Lieferbeziehung von außen einwirkenden und dem Versorgungsverhältnis nicht innewohnenden Umstände erfasst hat346. Dies gilt auch für § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV347. Gleichwohl ist anzumerken, dass eine Befreiung von der primären Leistungspflicht nach § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV eine bloß klarstellende Regelung ist, da sie an den Tatbestand und Rechtsfolgen der Unmöglichkeit nach § 275 BGB anknüpft. Die in § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV genannten Umstände, insbesondere das Merkmal höherer Gewalt, beeinflussen eher den für 342

Dazu Teil I § 3 C II 2 b), S. 125 ff., Teil I § 3 C II 3, S. 130 ff. BR-Drs. 306/06, S. 27. S. dazu Medicus/Petersen, AT des BGB, Rn. 92 ff.; Wolf/Neuner, AT des Bürgerlichen Rechts, § 21 Rn. 12 ff. und 20 ff. 345 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 64. 346 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 63. 347 S. Teil I § 3 B I 1 b) bb) (3) (b), S. 68 ff. 343 344

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die Schadensersatzhaftung maßgeblichen Gesichtspunkt des Zu-VertretenHabens (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB), der für die Anwendung des § 275 BGB eigentlich irrelevant ist. (aa) Durch höhere Gewalt Der Begriff der höheren Gewalt wird in den Verordnungen des Energierechts nicht definiert. Auch ihre amtlichen Begründungen liefern keine Erläuterung, die näher erklären könnte, wie er im Sinne des § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV zu handhaben ist. Es lässt sich daher annehmen, dass die schon in der frühen deutschen Rechtsprechung anlässlich von Haftungsfällen nach dem RHPflG entwickelte Begriffsbestimmung dafür angewendet werden darf. Hierbei ist allerdings der rechtliche Rahmen zu berücksichtigen, innerhalb dessen die Bewertung der höheren Gewalt erfolgen soll. Unter höherer Gewalt im Sinne des § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV kann demnach ein außergewöhnliches, von außen einwirkendes und betriebsfremdes Ereignis, das der Erfüllung der Grundversorgungspflicht im Wege steht und das auch bei Anwendung äußerster vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt ohne Gefährdung des wirtschaftlichen Erfolgs des Unternehmens nicht vorhersehbar und abwendbar ist, verstanden werden348 . Bereits geringstes Verschulden des Grundversorgers oder seines Erfüllungsgehilfen – des Netzbetreibers – schließt die Annahme höherer Gewalt aus und damit bleibt seine Haftung auf Schadensersatz bestehen349. Des Weiteren handelt es sich hierbei um einen wertenden Begriff, der die Risiken ausschließen will, die allein einem Drittereignis zugerechnet werden können350. Das heißt, die durch Versorgungsstörungen hervorgerufenen Umstände müssen außerhalb der Risikosphäre des Gaslieferanten liegen, damit sich Letzterer auf höhere Gewalt berufen kann. Bei einem Streik ist z. B. danach zu differenzieren, in wessen Sphäre er fällt. Streiks bei Dritten, für die der Grundversorger nicht einzustehen hat, können dagegen höhere Gewalt begründen. Höhere Gewalt im Bereich der Grundversorgung liegt unter anderem auch bei Liefereinstellungen ausländischer Vorlieferanten (etwa wie aus Russland) vor351. 348

RG JW 31, 865; BGH NJW 1953, 184 zu § 1a RHPflG; BGH NJW 1955, 1225 zu § 203 BGB; BGH NJW 1967, 1131 (1135), BGH NJW 1974, 1770 (1771) zu § 22 Abs. 2 WHG; BGH NJW 1987, 1938 (1939) zu § 651j BGB; LG Münster BeckRS 2007, 12531 zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AVBEltV; s. ebenfalls Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 66; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 28. 349 BGH NJW 1973, 698 (699). 350 BGH NZV 1988, 100. 351 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 66.

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(bb) Durch sonstige Umstände Die Leistung des Grundversorgers darf ebenfalls ausbleiben, soweit sonstige leistungshindernde Umstände vorliegen, deren Beseitigung ihm nicht möglich ist oder im Sinne des § 36 Abs. 1 S. 2 EnWG wirtschaftlich nicht zugemutet werden kann. Es handelt sich hierbei um Fälle der Unmöglichkeit, die nicht unter den eng zu verstehenden Begriff der höheren Gewalt fallen und die bereits nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht zum Wegfall der primären Leistungspflicht (vgl. § 275 Abs. 1 BGB) führen. Der Begriff der sonstigen Umstände ist weitergehend als der der höheren Gewalt, wobei ein enger systematischer Zusammenhang zwischen den beiden Kategorien zu berücksichtigen ist352 , auch wenn dies erst bei der Beurteilung des Vertretenmüssens im Rahmen der Schadensersatzhaftung des Grundversorgers wegen Nichterfüllung seiner Lieferpflicht relevant ist. Besonderes Augenmerk ist weiterhin auf die wirtschaftliche Unzumutbarkeit als Leistungshindernisgrund im Sinne des § 275 BGB zu legen. Ob die Beseitigung von Versorgungsstörungen für den Grundversorger wirtschaftlich unzumutbar ist und das Ausbleiben der Leistung zulässig ist, lässt sich grundsätzlich nur im Einzelfall unter Heranziehung der an die wirtschaftliche Unzumutbarkeit nach § 36 Abs. 1 S. 2 EnWG angelegten Maßstäbe beurteilen353 . Da die Grundversorgung in Deutschland dem Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge zugerechnet wird, ist allein das Allgemeininteresse an einer sicheren – ununterbrochenen – Versorgung mit Gas für die Bewertung der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit entscheidend354 . Auf die wirtschaftliche Gesamtsituation des Grundversorgers kommt es nicht an355 . Der Ausgangspunkt einer gerechten Abwägung ist dabei der Kalkulationsrahmen der Allgemeinen Preise und Bedingungen, dem standardisierte Bezugsverhältnisse zwischen dem Grundversorger und seinem Kunden unter Berücksichtigung einer Bandbreite von Kundengruppen zugrunde liegen und der einem angemessenen Ausgleich der wirtschaftlichen Risikounterschiede zwischen den einzelnen Grundversor-

352

So schon Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 66 f.; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 29. 353 BGH RdE 1979, 153 (155); Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 74. 354 Dazu im Einzelnen BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 18 ff.; Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 75 ff. 355 BGH RBeil. 1961, 9; KG RdE 1997, 239 (244); AG Hamburg RdE 1987, 148 (149); OLG Frankfurt a. M. BeckRS 2013, 2800.

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gungskunden dient356. Wird die Grenze dieser Gruppenkalkulation überschritten, liegt eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit vor357 . Abschließend soll nochmals klargestellt werden, dass das Vorliegen der sonstigen Umstände im Sinne des § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV lediglich den Wegfall des Leistungsanspruches des Grundversorgungsberechtigten begründet. Sein Schadensersatzanspruch bleibt allerdings unberührt, es sei denn, der Grundversorger hat die Verursachung des jeweiligen Leistungshindernisses nicht zu vertreten. Erst an dieser Stelle wird relevant, ob der Letzte die wirtschaftlich zumutbare Möglichkeit der Abwendung von Versorgungsstörungen hätte358 . Das Vertretenmüssen ist dabei nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts (§§ 276, 278 BGB) zu bestimmen. c)

Vom Grundversorger veranlasste Unterbrechungen, § 19 GasGVV

Aus dem oben Gesagten lässt sich ableiten, dass der Grundversorger nicht uneingeschränkt zur Belieferung von Gas an Haushaltskunden verpflichtet ist. Die Grenzen der jederzeitigen Versorgung werden allerdings nicht nur im Hinblick auf die technische und wirtschaftliche (Einfluss-)Möglichkeit bzw. Zumutbarkeit der Leistungserbringung für den Grundversorger festgelegt. Das Ausbleiben der Leistung kann vielmehr über die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und über die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze legitimiert werden. Dies geht insbesondere aus § 19 GasGVV hervor, wonach der Grundversorger berechtigt ist, die Grundversorgung durch den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen. Das in § 19 GasGVV geregelte und an die Leistungsstörungen des Haushaltskunden anknüpfende Einstellungsrecht des grundversorgenden Gaslieferanten ist nach herrschender Meinung als Sonderfall des Leistungsverweigerungsrechts des Gläubigers nach §§ 273, 320 BGB zu betrachten, der den Besonderheiten der leitungsgebundenen Grundversorgung mit Gas Rechnung trägt 359 . Die

356

BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 19 ff.; Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 73 ff.; zum alten Recht Büdenbender, EnWG Rn. 110 f.; s. ebenfalls BR-Drs. 77/79 (amtliche Begründung zur AVBGasV) sowie BRDrs. 306/06 (amtliche Begründung zur GasGVV). 357 Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 36 Rn. 73. 358 Vgl. Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 29 f. 359 BVerfG NJW 1982, 1511 (1512); BGH NJW 1991, 2645 (2646); OLG Hamm RdE 1986, 76; OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2014, 04187; LG Lübeck BeckRS 2015, 06302; LG Osnabrück RdE 1987, 195 (197); AG Aachen GWF/Recht und Steuern 1988, 33 (34); AG Stuttgart BeckRS 2009, 21861; AG Dieburg BeckRS 2012, 22185; im Ergebnis wohl auch OLG Celle BeckRS 2012, 18587; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 1; zur alten Rechtslage Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 71; Hermann/Recknagel/Schmidt-

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Vorschrift schließt demnach das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB und die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 BGB nicht aus, sondern ordnet lediglich zusätzliche – verschärfende – Erfordernisse für die Ausübung dieses Rechts durch den Grundversorger an360 . Die allgemeinen Anforderungen der §§ 273 und 320 BGB sind entsprechend anzuwenden361. Der Verordnungstext des § 19 GasGVV entspricht zwar weitgehend der Vorgängerregelung § 33 Abs. 1 bis 3 AVBGasV a. F., wird allerdings an die Entflechtungsprozesse im Rahmen der Liberalisierung des Gasbereichs angepasst. § 19 GasGVV erfasst nunmehr keine Bestimmungen zur Unterbrechung des Anschlusses bzw. der Anschlussnutzung und bezieht sich nur auf die Gasversorgungsverhältnisse. Dabei ist die Unterscheidung zwischen der fristlosen (§ 19 Abs. 1 GasGVV) und der fristgemäßen (§ 19 Abs. 2 GasGVV) Einstellung der Grundversorgung, die auf die Schwere der Leistungsstörung des Kunden zurückführt, zu beachten. aa)

Fristlose Einstellung der Gasbelieferung, § 19 Abs. 1 GasGVV

Laut § 19 Abs. 1 GasGVV darf die Grundversorgung unter bestimmten Umständen ohne vorherige Androhung unterbrochen werden. Das ist dann der Fall, wenn der Kunde den Bestimmungen der GasGVV in nicht unerheblichem Maße schuldhaft zuwiderhandelt und die Unterbrechung erforderlich ist, um die Entnahme von Erdgas unter Umgehung, Beeinflussung oder vor Anbringung der Messeinrichtungen zu verhindern. Normzweck eines solchen Einstellungsrechts ist es also, die verordnungs- und zugleich vertragswidrige Entnahme von Erdgas durch den Grundversorgungskunden im Interesse des Grundversorgers, aber auch und insbesondere im Interesse der Gesamtheit der Abnehmer an einer sicheren Gasversorgung zu beseitigen bzw. zu vermeiden362. Eine fristlose Einstellung der Versorgung stellt für den Betroffenen eine schwerwiegende Rechtsfolge dar, vor allem weil dem Kunden keine Gelegenheit gegeben wird, sich kurz vor der Versorgungsunterbrechung auf diese einstellen zu können363 . Dies steht grundsätzlich der in § 1 Abs. 1 EnWG zum Ausdruck kommenden Zielsetzung einer verbraucherfreundlichen Versorgung

Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 18, 24; Sanders, RdE 1981, 126 (127 f.); Hempel, NJW 1989, 1652 (1652 f.). 360 Nicht zuletzt wegen der überragenden Bedeutung der Gasversorgung, vgl. AG Brandenburg BeckRS 2009, 17992. 361 Zu den Voraussetzungen der §§ 273 und 320 BGB allgemein s. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 13 Rn. 1 ff.; Looschelders, Schuldrecht AT, § 15 Rn. 1 ff. 362 Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 52. 363 Vgl. AG Castrop-Rauxel BeckRS 2013, 13576; vgl. ebenfalls BR-Drs. 306/6, S. 39.

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entgegen364. Deswegen hat der Verordnungsgeber zugunsten des Grundversorgungskunden an die Schwere der Zuwiderhandlung strenge Maßstäbe angelegt365. Eine Versorgungsunterbrechung ohne vorherige Androhung ist demnach nur dann berechtigt, wenn der jeweilige Kunde einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die GasGVV begeht und dem Lieferanten ohne die Sperrung erheblicher Schaden drohe. § 19 Abs. 1 GasGVV legt dabei abschließend fest, dass darunter lediglich solche Sachverhalte fallen, die bisher von § 33 Abs. 1 Nr. 2 AVBGasV (Verbrauch von Gas unter Umgehung, Beeinflussung oder vor Anbringung der Meßeinrichtungen) erfasst worden sind und die den unbefugten Gebrauch von Erdgas betreffen. An den Tatbestand der vertragswidrigen Inanspruchnahme des Versorgungsgutes knüpft ebenfalls die Vertragsstrafenregelung des § 10 Abs. 1 GasGVV an, die bei der Anwendung von § 19 Abs. 1 GasGVV unberührt bleibt366. Gleichwohl ist es für die Rechtfertigung der fristlosen Einstellung der Versorgung unerheblich, ob eine tatsächliche Gasentnahme bereits erfolgt ist oder erst vorbereitet wird 367. § 19 Abs. 1 GasGVV setzt sodann das Verschulden des betroffenen Grundversorgungskunden (§ 276 BGB) voraus. Einfache Fahrlässigkeit reicht aus, um das Tatbestandsmerkmal des Verschuldens bejahen zu können368 . An dieser Stelle sind gegebenenfalls die Voraussetzungen des § 278 BGB in Betracht zu ziehen. bb)

Fristgemäße Einstellung der Gasbelieferung, § 19 Abs. 2 GasGVV

Bei anderen Zuwiderhandlungen als den in § 19 Abs. 1 GasGVV aufgeführten, insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, kann die Unterbrechung der Grundversorgung hingegen nur unter der Bedingung einer vorherigen Androhung durch den Grundversorger veranlasst werden (§ 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV). Aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV ebenso wie aus dem Zusammenhang zwischen § 19 Abs. 1 GasGVV und § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV geht zunächst hervor, dass es sich hier um we364

Zur Androhungsfrist nach § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV im Hinblick auf den Verbraucherschutz s. Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Fn. 150 zu Rn. 54. 365 Vgl. de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 5. 366 Die beiden Bestimmungen entsprechen weitgehend den bisherigen §§ 23 Abs. 1, 33 Abs. 1 AVBGasV, so dass im Grundsatz auch auf die dazu bereits entwickelten Auslegungserkenntnisse zurückgegriffen werden kann. S. deshalb Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 72; Hermann/Recknagel/ Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 23 Rn. 15 ff., § 33 Rn. 39. 367 Näher dazu Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 72; Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 39. 368 So auch de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 3.

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niger schwerwiegende Vertragsverletzungen handelt. Auf die Schwere der Zuwiderhandlung des Kunden im Sinne von § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV kommt es allerdings erst bei der Auslegung des Ausschlusstatbestandes für die fristgemäße Einstellung der Gasbelieferung an (vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 GasGVV), worauf im Folgenden näher eingegangen wird. (1)

Erfordernis der Mahnung bei Zahlungsrückständen des Kunden

Eine besondere Bedeutung kommt hierbei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung durch den Haushaltskunden zu. Dies wird zum einen durch die ausdrückliche Hervorhebung dieser Fallgruppe im Text der einschlägigen Rechtsnorm und zum anderen durch die Festlegung zusätzlicher Voraussetzungen für die Einstellung der Versorgung bei Zahlungsrückständen des Kunden klargestellt. Sollte Letzterer seinen Zahlungspflichten dem Grundversorger gegenüber nicht nachkommen, ist zunächst – anders als bei anderen Vertragsverletzungen – eine Mahnung erforderlich, um sich auf § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV berufen zu können. Daran anknüpfend ist vom Schuldnerverzug im Sinne des § 286 Abs. 1 S. 1 BGB auszugehen, so dass die allgemeinen Verzugsvoraussetzungen bei einer Grundversorgungsunterbrechung wegen Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung durch den Haushaltskunden entsprechende Anwendung finden369 . Für eine wirksame Mahnung und mithin eine legitime Ausübung des Unterbrechungsrechts nach § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV muss demnach der Zahlungsanspruch des Grundversorgers fällig sein, was bei einer berechtigten Zahlungsverweigerung des Kunden zu verneinen ist370 . Wann eine Zahlungsverweigerung zulässig ist, ergibt sich insbesondere aus § 17 GasGVV. Gleichwohl ist anzumerken, dass der energierechtliche Verordnungsgeber – bewußt – keine Ausnahmen vom Mahnungserfordernis vorgesehen hat371. Eine analoge Anwendung des § 286 Abs. 2 BGB kommt damit nicht in Betracht372 . Sonst stünde dies dem verordnungsgeberischen Willen entgegen, den Grundversorgungskunden vor durch die bloße Nichtzahlung verursachten Nachteilen, insbesondere im Hinblick auf die schwerwiegenden möglichen Folgen der Mahnung im Energierecht (die Einstellung der Versorgung und nicht etwa bloß die Zinsenschuld) zu schützen. Im Übrigen ist 369

Vgl. BGH NJW 2014, 2024 (2025); OLG Köln BeckRS 2015, 09032. Für Stromlieferverträge ist hingegen die Erforderlichkeit der fälligen nicht erfüllten Forderung in § 19 Abs. 2 S. 4 bis 6 StromGVV ausdrücklich geregelt, was im Hinblick auf die Anwendung der Bestimmungen des allgemeinen Zivilrechts insofern überflüssig zu sein scheint. S. OLG Köln BeckRS 2015, 09032; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energieversorgung GasGVV § 19 Rn. 4. 371 Anders aber Hempel, NJW 1989, 1652 (1655). 372 Vgl. BGH NJW-RR 1989, 1013 (1014); Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 43. 370

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die Mahnung wegen ihrer Rechtsnatur und mangels spezieller Anforderungen auch im Gasversorgungsbereich nach den Vorschriften über Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen auszulegen373 . (2)

Androhungs- und Ankündigungspflicht

Zu den weiteren Voraussetzungen der Liefereinstellung nach § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV gehört die Androhungspflicht des Grundversorgers. Eine berechtigte Unterbrechung der Gaslieferung liegt dementsprechend dann vor, wenn sie dem Kunden vier Wochen vorher angedroht wurde. Die in § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV genannte Androhungsfrist legt den Mindestzeitraum fest, in dem der Betroffene erforderliche Maßnahmen zur Abwendung der Liefersperre ergreifen kann374. Zugleich gibt es keine zeitliche Obergrenze, ab der der Kunde nicht mehr mit einer Einstellung der Versorgung zu rechnen hätte und eine erneute Androhung erforderlich wäre. Den erforderlichen Schutz des jeweiligen Kunden bewirkt mithin seine zusätzliche Warnung durch die dreitägige Vorankündigungsfrist gemäß § 19 Abs. 3 GasGVV, nach deren Ablauf der Beginn der Unterbrechung dem Kunden gegebenenfalls abermals anzukündigen ist 375 . Bei der Versorgungsunterbrechung wegen Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung kann die Androhung vielmehr gleichzeitig – aber nicht früher376 und auch nicht, wenn sie als unverhältnismäßig gegenüber der Schwere der Zuwiderhandlung beurteilt werden muss377 – mit der Mahnung vorgenommen werden (§ 19 Abs. 2 S. 3 GasGVV). Für die Androhung der Unterbrechung der Grundversorgung ist des Weiteren gesetzlich keine besondere Form und kein besonderer Inhalt vorgesehen378 . Sie muss allerdings so formuliert werden, dass der Kunde die Gefahr der Liefersperre nach dem Anlauf der

373

BGH NJW 1967, 1800 (1802); BGH NJW 1987, 1546 (1547); allgemein dazu s. BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 286 Rn. 23 ff.; MünchKomm/Ernst, BGB § 286 Rn. 47 ff. 374 BR-Drs. 306/06, S. 39; LG Wuppertal BeckRS 2010, 14435; vgl. dazu Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 19 Rn. 20; Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 55; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 16. 375 Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 19 Rn. 20, 26 f.; Schneider/ Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 55 und 60; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVVKommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 16 sowie Rn. 31. 376 Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 44 S. 1091. 377 Dies setzt folglich voraus, dass die Voraussetzungen der Versorgungsunterbrechung bereits im Zeitpunkt der Androhung vorliegen, vgl. BR-Drs. 306/06, S. 40; ebenfalls Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 19 Rn. 19; Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 54. 378 Hempel, NJW 1989, 1652 (1654).

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Androhungsfrist ernstnimmt379 . Unter der Androhung nach § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV wird schließlich eine geschäftsähnliche Handlung, insbesondere wegen ihres spezifischen kraft Gesetzes entstandenen Bezuges auf Rechtsfolgen verstanden, so dass die entsprechenden Ausführungen zur Mahnung auch hier heranzuziehen sind380. (3)

Ausschlusstatbestand des § 19 Abs. 2 S. 2 GasGVV

Gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 StromGVV besteht schließlich kein Recht zur Unterbrechung der Versorgung, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, er werde seinen Verpflichtungen nachkommen. Im Rahmen bestehender Grundversorgungsverhältnisse dient diese Vorschrift in erster Linie der Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit381. Im Gegensatz zum früheren Recht (vgl. § 33 Abs. 2 S. 2 AVBGasV) genügt bereits eine der Ausnahmealternativen zugunsten des Kunden, um das Recht des Versorgungsunternehmens auszuschließen. Anders als nach der Vorgängerregelung in den AVBGasV ist nun ebenfalls die Darlegungs- und Beweislast zwischen dem Grundversorger und dem Grundversorgungskunden verteilt. Die Darlegung der für die Annahme einer hinreichenden Aussicht auf Vertragserfüllung maßgeblichen Umstände – und insofern auch gegebenenfalls die Beweislast – obliegt nach der ausdrücklichen Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 2 GasGVV – wie bisher – dem Kunden. Die Pflicht zur Prüfung der Zumutbarkeit einer Unterbrechung trifft dagegen im Interesse des Haushaltskunden den Grundversorger382. Dabei kommt es auf die konkreten Einwände bzw. Rügen des Kunden nicht an, was dem Grundversorger letztendlich praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Schwere der dem jeweiligen Haushaltskunden bedingt durch die Einstellung der Gasversorgung drohenden Folgen bereitet383 .

379

OLG Celle VersR 1984, 1156 (1157); LG Hannover VersR 1984, 1156; Hempel, NJW 1989, 1652 (1654 f.). 380 Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 44. 381 OLG Köln, Urteil vom 07. Mai 2015 – 7 U 127/14 –, juris; LG Braunschweig NJW 1974, 800 (800 f.); Hempel, NJW 1989, 1652 (1655). 382 BR-Drs. 306/06, S. 39. 383 BR-Drs. 306/06, S. 39; so auch Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 19 Rn. 22; auch de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 22.

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Wann die jeweilige Ausnahmealternative vorliegt, ist grundsätzlich im Einzelfall zu entscheiden 384 . Damit einhergehend sind allerdings die von Rechtsprechung und Literatur hierzu entwickelten Maßstäbe zu beachten. So liegt z. B. keine hinreichende Aussicht vor, dass der Kunde seinen Vertragsverpflichtungen nachkommt, wenn er allein die bloße Möglichkeit bzw. Gewissheit deren Erfüllung ankündigt bzw. vorträgt385 . Das heißt, er muss nachweisen können, alles in seinen Kräften Stehende tatsächlich zu unternehmen, um die Rückstände im vollen Umfang und innerhalb kurzer Zeit zurückzuführen. Das Angebot des Kunden, auf den Rückstand monatlich kleine Raten zu zahlen, reichen ebenso wie die Bezahlung seines künftigen Verbrauches nicht, um das Vorliegen der hinreichenden Aussicht auf Erfüllung der (Zahlungs-) Verpflichtungen zu bejahen 386 . Denn ansonsten würden dem betroffenen Grundversorger durch einen langfristigen Verzicht auf die Bezahlung seiner Gaslieferungen indirekt Soziallasten aufgebürdert, für welche er nicht einzustehen hat387. Unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben und der Verhältnismäßigkeit dürfen hier aber auch die gegebenenfalls vom Haushaltskunden offenzulegenden Einkommensverhältnisse als Anhaltspunkt für die Annahme bzw. die Verneinung der hinreichenden Aussicht auf die Vertragserfüllung nicht unberücksichtigt bleiben388. Ebenso wenig kommen sonstige soziale Aspekte bei der Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs des Grundversorgers in die Lebens- und Vermögensverhältnisse durch die Ausübung seines Rechts nach § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV und dem Gewicht der den Eingriff tragenden und grundsätzlich auf der Höhe des vom Haushaltskunden geschuldeten Betrages beruhenden389 Gründe in Betracht. Weder der betroffene Gaslieferant ist zu einer uneingeschränkten Gasbelieferung und somit zur Sicherstellung des lebensnotwendigen Bedarfs Einzelner verpflichtet, auch in Anbetracht des Sozialstaats384

Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 56; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 19 Rn. 23; s. auch Hempel, NJW 1989, 1652 (1655); Sanders, RdE 1981, 126 (147). 385 Vgl. LG Aachen RdE 1979, 184 (185); LG Aachen RdE 1987, 72 (74); zur alten Rechtslage s. Sanders, RdE 1981, 126 (146); Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 46; zur aktuellen Rechtslage de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 19; Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 59. 386 Vgl. AG Fulda RdE 1987, 12 (13); AG Wupertal GWF/Recht und Steuern 2006, 20 (21); AG Brandenburg BeckRS 2009, 17992; LG Aachen RdE 1987, 72 (73 f.); LG Bielefeld RdE 1989, 74 (75); anders wohl, wenn neben dem Angebot einer Ratenzahlung die laufenden Abschlagzahlungen durch den Sozialhilfeträger sichergestellt werden, so zumindest Gotzen, ZfF 2007, 248 (250). 387 LG Bielefeld RdE 1989, 74 (75). 388 Vgl. dazu LG Duisburg NZM 2007, 896 (896 f.). 389 Wohl so BR-Drs. 306/06, S. 39.

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prinzips sowie der Zugehörigkeit der Grundversorgung mit Gas zum Bereich der Daseinsvorsorge390 , noch sind die übrigen Kunden, die von ihm das Gas beziehen, als eine Art Solidargemeinschaft mit Sozialhilfeaufgaben zu betrachten391 . Die Unterstützung des sich in einer Notlage befindenden Kunden ist allein die Aufgabe des Trägers der Sozialhilfe392. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz soll nur gewährleisten, dass die Versorgungsunterbrechung als letztes Mittel zur Erreichung des Regelungszweckes – Sicherung der laufenden und der künftigen Abnahme durch den Kunden – eingesetzt wird und dass es den berechtigten Interessen der Betroffenen hinreichend Rechnung getragen wird393 . Weitgehend anerkannt war und ist, dass bei der Auslegung und Anwendung der Verhältnismäßigkeit der Grundversorgungsunterbrechung nach § 19 Abs. 2 S. 2 GasGVV die Wertungen und Normen der Grundrechte mit heranzuziehen sind, wenn auch nur mittelbar, also im Rahmen der Auslegung von ausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmalen394. Eine Einstellung der Gasversorgung stellt demgemäß eine unzumutbare Härte insbesondere dann dar, wenn hiervon die Belange von Kindern bzw. Kranken betroffen sind395. Daran anknüpfend ist ebenfalls denkbar, dass das Leistungsverweigerungsrecht nach § 19 Abs. 2 S. 1 GasGVV als Druck- und Sicherungsmittel in Form der Unterbrechung bei der Gefahr des Eintritts eines unverhältnismäßig hohen Schadens oder bei der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht zum Tragen kommt396 . Gleichwohl sind Ausmaß und Dauer der Auswirkungen der Versorgungseinstellung für den Grundversorger in Betracht zu ziehen und mit Rücksicht auf das Gebot der Gleichbehandlung und dessen Folgen einzuschätzen397.

390

BVerfG NJW 1982, 1511 (1511 f.); LG Osnabrück RdE 1987, 194 (195); LG Hildesheim BeckRS 2009, 13672; AG Oldenburg BeckRS 2008, 09417; AG Brandenburg NJOZ 2010, 225; AG Berlin NZI 2010, 444 (445); AG Ludwigslust BeckRS 2012, 03802. 391 LG Hamburg RdE 1997, 156 (157). 392 LG Aachen RdE 1989, 75; AG Wuppertal GWF 2006, 20; AG Brandenburg NJOZ 2010, 225. 393 Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 47; Sanders, RdE 1981, 126 (147). 394 LG Braunschweig NJW 1974, 800; LG Hamburg RdE 1997, 156 (157); AG Oldenburg BeckRS 2008, 09417; AG Brandenburg BeckRS 2009, 17992. 395 LG Hamburg RdE 1997, 156; AG Oldenburg (Holstein), Urteil vom 22. April 2008 – 22 C 930/07 –, juris; AG Brandenburg BeckRS 2009, 17992; AG Köln, Urteil vom 30. Juni 2011 – 210 C 430/10 –, juris; Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBVKommentar, § 33 Rn. 48, vgl. ebenfalls Rn. 62; differenzierend aber de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 25. 396 de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 19 Rn. 26. 397 Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 48 f.

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Abschließend sei hervorgehoben, dass die in § 19 Abs. 2 S. 2 GasGVV verankerten Ausschlussgründe nicht durchgreifen, wenn der betroffene Kunde die Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts bewusst oder sogar absichtlich herbeiführt und seine Stellung vertragswidrig ausnutzt 398 . Das ergibt sich aus der Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Anwendung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben sowie des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Entscheidend ist der Einzelfall. d)

Pflicht zur unverzüglichen Wiederherstellung der Grundversorgung

Die Grundversorgung von berechtigten Haushaltskunden muss wieder aufgenommen werden, sobald die Gründe für ihre vom Grundversorger nach § 19 Abs. 1 bzw. Abs. 2 GasGVV veranlasste Unterbrechung entfallen und der Kunde die Kosten der Unterbrechung und Wiederherstellung der Belieferung ersetzt hat (§ 19 Abs. 4 GasGVV). Die in § 19 Abs. 4 GasGVV normierte Verpflichtung des Grundversorgers zur Wiederaufnahme der Erdgasversorgung entspricht weitgehend dem Konzept der Leistungsverweigerungsrechte nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 273, 320 BGB, wonach der Schuldner seine Leistung nur bis zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Gegenleistung zurückzubehalten darf,399 und gilt zudem als Ausprägung seiner Pflicht zur jederzeitigen Zurverfügungstellung von Erdgas nach § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV. Daraus ergibt sich indes der lediglich klarstellende Charakter der hier einschlägigen Vorschrift. Es muss zunächst hervorgehoben werden, dass die Wiederherstellung der Grundversorgung den Wegfall solcher Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 GasGVV sowie nach §§ 273, 320 BGB verlangt, die das Einstellungsrecht des jeweiligen Erdgaslieferanten begründen und nicht bloß einschränken400 . Auf die negativen Voraussetzungen kommt es dabei hingegen nicht an. Damit die Pflicht des Grundversorgers zur Wiederaufnahme der Versorgung entstehen kann, muss dementsprechend der betroffene Kunde die Zuwiderhandlung gegen seine Pflichten – etwa durch die Begleichung der rückständigen Rechnungsbeträge – beseitigen. Sollten bis zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme weitere Ansprüche des grundversorgenden Lieferanten aus dem Grundversorgungsvertrag fällig werden, sind sie ebenfalls zu befriedigen, bevor die Grundversorgung durch den

398

Vgl. OLG Hamm RdE 1981, 199 (201 f.); näher dazu Sanders, RdE 1981, 126 (127 f.); wohl auch Hempel, NJW 1989, 1652 (1656). 399 Vgl. Sanders, RdE 1981, 126 (127 f.). 400 Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 76.

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Netzbetreiber wiederherzustellen ist 401 . Es lässt sich kaum ein plausibler Grund gegen diese Annahme nennen, insbesondere wenn man davon ausgeht, dass § 19 GasGVV – wie bereits mehrfach erwähnt – als eine spezielle Ausgestaltung des in § 320 sowie § 273 BGB niedergelegten allgemeinen Zurückbehaltungsrechts aufzufassen ist und sich deshalb nicht nur auf die synallagmatisch verknüpften Leistungspflichten, sondern auf jede Art von Leistung, soweit sie als Sicherung des Gegenanspruchs geeignet ist und die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, bezieht. Gleichwohl darf man nicht übersehen, dass beim Verlangen der Erfüllung weiterer fälliger Ansprüche die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 und Abs. 2 GasGVV unbedingt eingehalten werden müssen402. Sonst würde der Schutzgedanke des § 19 GasGVV zugunsten der Haushaltskunden403 unterlaufen404. Diese Betrachtungsweise korrespondiert wiederum mit der Primärleistungspflicht des Grundversorgers, die die Unterbrechung der Versorgung nur unter strengen Anforderungen rechtfertigt. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass das Zurückbehaltungsrecht nach § 19 Abs. 1, 2 GasGVV im Grundsatz erst durch die vollständige Erfüllung der Verpflichtungen durch den Kunden abgewendet werden kann405, es sei denn, dass Treu und Glauben (§ 242 BGB) etwas anderes erfordern. Für die Fortsetzung der Belieferung mit Gas muss der Kunde außerdem die Kosten der Unterbrechung und Wiederherstellung ersetzt haben. Die Kostenerstattungsbetragsberechnung kann auf pauschaler Grundlage erfolgen (§ 19 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 GasGVV), was dem Grundversorger seinen Bearbeitungsaufwand gering zu halten helfen und Kostensteigerungen im Bereich der Unterbrechung und Wiederherstellung entgegenwirken sollte406. Die Verordnungsverfasser haben allerdings die Möglichkeit einer Kostenpauschalierung auf nur „strukturell vergleichbare“ Fälle (etwa wenn die Entfernung des jeweils betroffenen Kunden zum Standpunkt des jeweiligen Technikers des Netzbetreibers ungefähr gleich ist) begrenzt, um die Ungleichbehandlung verschiedener Kundengruppen infolge etwaiger kostenmäßiger Unterschiede zu vermeiden407 . Weitere Anforderungen sind § 19 Abs. 4 S. 2 Hs. 2, S. 3 bis 5 GasGVV zu entnehmen. 401

Bejahend Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 77 f.; wohl auch de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/ GasGVV § 19 Rn. 37; a. A. aber LG Münster BeckRS 1989, 07645. 402 Zu Recht Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 Rn. 78. 403 Wege/Finke, ZNER 2007, 116 (121 f.). 404 Mit solcher Überlegung wohl LG Münster BeckRS 1989, 07645. 405 LSG Nordrhein-Westfalen BeckRS 2012, 67708. 406 BR-Drs. 306/06, S. 40. 407 Ebenda.

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Wenn sämtliche der oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Grundversorger die Grundversorgung durch den Netzbetreiber unverzüglich wiederherstellen zu lassen. Unverzüglich ist die Wiederaufnahme der Versorgung, wenn sie ohne schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Verzögerung erfolgt. Die gesetzliche für das gesamte Zivilrecht geltende Definition des Begriffs „unverzüglich“ nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB ist also auch im Energierecht entsprechend anzuwenden. e)

Auskunfts- und Ermittlungspflicht nach § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV

Nach § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV ist der Grundversorger als Gaslieferant seinen Kunden gegenüber zur Mitwirkung insoweit verpflichtet, indem er ihnen über die mit der Schadensverursachung durch den Netzbetreiber zusammenhängenden Tatsachen Auskunft geben muss. Der Grundversorger muss allerdings zu Auskünften aufgefordert werden, sonst besteht keine Auskunftspflicht. Die Tatsachen müssen darüber hinaus dem betroffenen Gaslieferanten nicht nur bekannt sein, sondern auch von ihm ermittelt werden, soweit es ihm zumutbar ist. Der Verordnungsgeber versucht dadurch, den wirtschaftlich schwächeren Vertragspartner bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wegen Versorgungsstörungen zu unterstützen und im Ergebnis zu verhindern, dass sie an den Nachweisschwierigkeiten scheitert408. Denn der Haushaltskunde ist grundsätzlich nicht bzw. kaum in der Lage, nachzuweisen, dass die Schadensverursachung im Verantwortungsbereich des Netzbetreibers liegt. Er ist mit den jeweiligen Prozessen und Abläufen im Netz, die seine Belieferung mit Gas ermöglichen, im Gegensatz zum Grundversorger nicht vertraut und ist deshalb auf eine Auskunft über die jeweiligen fehler- und kausalitätsnachweisenden Tatsachen angewiesen. § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV stellt sich insoweit als Ausprägung der Verpflichtung des Grundversorgers aus § 2 Abs. 3 S. 2 GasGVV dar409 . Fraglich ist, ob und in welchem Umfang der grundversorgende Erdgaslieferant für das Nichterfüllen seiner Auskunftspflicht im Sinne von § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV einzustehen ist. Die GasGVV knüpft daran keine negativen Rechtsfolgen, so dass man auf das allgemeine Zivilrecht zurückgreifen muss. Im Hinblick auf den oben genannten Normzweck des § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV darf es indes unterstellt werden, dass die Vorschrift eine selbstständig einklagbare Auskunfts- sowie Ermittlungspflicht des Grundversorgers begründet. Diese Beurteilung wird in erster Linie dadurch gerechtfertigt, dass die Einord408

S. amtliche Begründung zu § 6 AVBGasV, BR-Drs. 77/79, S. 1237, abgedruckt in: Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar. 409 de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 6 Rn. 13.

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nung der in § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV statuierten Auskunftspflicht als leistungsunabhängige Nebenpflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB oder sogar als bloße Obliegenheit410 keine ihr vom Verordnungsgeber zugedachte Wirkung entfalten würde. Diese Überlegung gilt umso mehr, als der Grundversorger selbst nur in engerem Rahmen (nur für eigenes Verschulden wie etwa bei unberechtigten Versorgungseinstellungen, die er selbst veranlasst hat) haftet und hingegen zur Auskunftserteilung ohne Weiteres in der Lage ist, während der berechtigte Kunde – wie bereits ausgeführt – entschuldbarerweise über die Störungsursachen im Netzbetrieb im Ungewissen ist. Darüber hinaus weist die haftungsrechtliche Stellung des grundversorgten Kunden gewisse Parallelen mit der des von Zwischenhändlern bedienten Endabnehmers, dem nach den Grundsätzen des allgemeinen Bürgerlichen Rechts ein Auskunftsanspruch gegen den Händler auf Benennung des Produzenten zusteht, auf411. Hätte der Gesetzgeber keinen gesetzlichen Auskunftsanspruch des Kunden zur Ermöglichung der Durchsetzung von seinen Ansprüchen gegen den Netzbetreiber in § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV vorgesehen, würde dieser dann nach dem Grundsatz von Treu und Glauben bestehen412. Es geht hier insoweit keinesfalls um eine neuartige sowohl dem BGB als auch dem ungeschriebenen sonstigen Haftungsrecht unbekannte Auskunftspflicht413. Die – teilweise aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitete – Unzumutbarkeitsgrenze sollte dabei eine (wahrscheinlich) unbillige Belastung mit der Kenntnisverschaffung sowie Auskunftserteilung ausschließen. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Durchsetzung eines solchen Auskunftsanspruchs in der Praxis äußerst problematisch sein mag. Der energierechtliche Verordnungsgeber hat die konkrete Ausgestaltung einzelner Pflichten, die ein Auskunftsanspruch des Haushaltskunden nach § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV zum Gegenstand hat, vernachlässigt, so dass sich der Inhalt der Verpflichtung des Grundversorgers zur Auskunftserteilung nur im Einzelfall ermitteln lässt. 2.

Ersatzversorgungspflicht gemäß § 38 EnWG

Erst mit dem Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahr 2005 wurde die Verpflichtung des Grundversorgers zur Ersatzversorgung gesetzlich verankert (§ 38 EnWG). § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG besagt, dass die von einem Letztverbraucher in Niederspannung bzw. -druck aus einem Energieversorgungsnetz 410

Es fehlt hier allerdings bereits am objektiven Tatbestand einer Obliegenheit. Zur Auskunftspflicht des Lieferanten s. Spickhoff, NJW 1992, 2055 (2056 f.). Vgl. Ludwig/Odenthal, § 6 Anm. 9. 413 So aber Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 6 Rn. 245 ff. 411 412

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der allgemeinen Versorgung entnommene Energie als vom nach § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG ermittelten Grundversorger geliefert gilt, soweit diese Entnahme nicht einer Lieferung bzw. einem Liefervertrag zugeordnet werden kann. Es handelt sich also um ein neues, dem alten Energierechtsregime nicht bekanntes Rechtsinstitut, das Energielieferungen ohne vertragliche Grundlage zum Regelungsgegenstand hat414 . a)

Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Ersatzversorgung

Durch die Einführung der Ersatzversorgung im Jahre 2005 hat der Gesetzgeber die Schaffung der Rechts- und insbesondere der in § 1 Abs. 1 EnWG statuierten und auf die regelmäßige und unterbrochene Befriedigung der Nachfrage nach Energie ausgerichteten Versorgungssicherheit für den Letztverbraucher beansprucht 415 . Die Erforderlichkeit des gesetzgeberischen Tätigwerdens ist zum einen auf die das Auftreten vertragsloser Energielieferungen begünstigten Liberalisierungsprozesse in der Strom- und Gaswirtschaft zurückzuführen416 . Denn die in § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG beschriebene Situation wird vor allem dadurch verursacht, dass der belieferte Energieversorger durch den Eintritt neuer Wettbewerber in den Markt insolvent wird und die Energielieferungen weiterhin laufen 417 . Zum anderen konnten die in der damaligen Rechtspraxis zum Ausgleich vertragsloser Leistungen angewandten Lösungsansätze – durch den Anspruch auf Wertersatz aus Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB)418 bzw. auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag419 – die berechtigten Interessen der liefernden Seite nicht wirklich zufrieden stellen420, wobei bereits die Identifizierung des Lieferanten, welcher vom Kunden ein Entgelt für die Lieferung beanspruchen durfte oder auf welchen der Netzbetreiber die für diese Lieferung anfallenden Konzessionsabgaben abwälzen konnte, Schwierigkeiten bereitete421 . In der Literatur wird allerdings zu Recht auf die geringe praktische Bedeutung der Ersatzversorgung hingewiesen422. Der Annahme der Ersatzversorgung im Haushaltskundenbereich steht regelmäßig das vom Gesetzgeber be414

BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 1. BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 1; Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 434 f.; Hampel, ZNER 2004, 117 (124); Groß, NJW 2007, 1030 (1033); Weigt, in: FS Baur, S. 367 (379). 416 Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 434 f. 417 Ebenda. 418 BGH NJW-RR 2004, 928 (929). 419 BGH NJW-RR 2005, 639 (640); BGH ZNER 2005, 63 (65 f.); BGH NJW-RR 2005, 1426 (1428); vgl. LG Frankfurt/Oder BeckRS 2010, 23486. 420 BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 1 f.; Salje, EnWG § 38 Rn. 2. 421 BGH BeckRS 2005, 01765; Groß, NJW 2007, 1030 (1033). 422 Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 436 f. 415

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vorzugte Konzept der Realofferte423 , wonach die Entnahme von Energie aus dem Netz durch den Kunden einen konkludenten Abschluss eines Energielieferungsvertrages begründen kann 424 , entgegen. Die Ersatzversorgung wird grundsätzlich nur in atypischen Fällen anerkannt, dann nämlich, wenn der gewählte Energielieferant des Kunden plötzlich und ohne seine Einflussmöglichkeit ausfällt425 . Als Abgrenzungskriterium gilt hierbei jedoch allein der Erklärungswert des Bezugsverhaltens des Kunden, das im Einzelfall auszulegen ist426 . Die Letztverbraucher können ebenso wenig von dem energierechtlichen Konstrukt der Ersatzversorgung profitieren, denn ihre Versorgung findet meistens in den höheren Versorgungstufen statt, wo die Regelung über die Ersatzversorgung keine Anwendung findet427 . b)

Zur Rechtsnatur des Ersatzversorgungsverhältnisses

Ausweislich der Gesetzesbegründung stellt sich die Ersatzversorgung gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG als gesetzliches Schuldverhältnis dar428 . Das heißt, dass die mit der Verpflichtung zur Ersatzversorgung korrespondierenden Ansprüche bereits kraft Gesetzes bestehen und damit von einem Vertrag unabhängig sind. In der Literatur wird jedoch vereinzelt vertreten, zwischen dem Grundversorger und dem begünstigten Kunden entstehe – nach dem wirklichen Willen des Gesetzgebers – ein vertragliches Schuldverhältnis, das kraft Gesetzes mit einem gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt zustande kommt429 . Die bei der Regelung der Ersatzversorgung angewandten Begrifflichkeiten seien ein Indiz dafür430 . Eine solche Qualifizierung des Ersatzversorgungsverhältnisses stehe ebenfalls der Verwirklichung des gesetzgeberischen Regelungsziels nicht entgegen431 . Man kann dem allerdings entgegenhalten, dass § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG lediglich solche Fälle erfasst, in denen der Grundversorger keine Kenntnis von der Beendigung der Lieferbeziehung zu dem Drittlieferanten und der fehlenden 423

BR-Drs. 306/06, S. 23. BGH NJW 1992, 171 (172); BGH NJW 2003, 3131 (3131 f.); BGH NJW-RR 2004, 928 (929); BGH NJW 2008, 966 (968); BGH NJW 2014, 3148 (3148 f.); vgl. BGH NJW 2011, 3509 (3510); BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 11; Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 47; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 2 Rn. 16. 425 Näher dazu Wege/Finke, ZNER 2007, 116 (118); Scholtka/Baumbach, NJW 2008, 1128 (1130); Thomale, ET 8/2007, 61 (62 f.); Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 436. 426 BR-Drs. 306/06, S. 23. 427 Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 436 f. 428 BR-Drs. 306/06, S. 23. 429 Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 435. 430 So ist wohl Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 435 f., zu verstehen. 431 Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 436. 424

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Neubegründung eines Anschlussliefervertrages hat und deshalb der Gasentnahme durch einen Haushaltskunden eben kein objektiver Erklärungswert einer Annahme des in der Form einer Realofferte abgegebenen Vertragsangebots zukommen kann432 . Aufgrund der Liberalisierung der Energiemärkte ist die Gasentnahme als Ausdruck des Willens zum Abschluss eines Energielieferungsvertrags nicht mehr ohne Weiteres anzunehmen433 . Sonst würde das Rechtsinstitut der Ersatzversorgung leer laufen. Es kann sich hier also keineswegs um einen durch privatautonome Willensbekundungen zustande gekommenen Vertrag handeln. Doch selbst wenn unterstellt wird, dass ein Ersatzversorgungsvertrag kraft Gesetzes begründet wird (und nicht bloß die inhaltliche Ausgestaltung des privatautonom geschlossenen Vertrags geregelt wird), treten die Wirkungen ein, weil die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und nicht weil die Parteien diese Rechtsfolgen herbeiführen wollten, so dass im Ergebnis dennoch von einem gesetzlichen Schuldverhältnis auszugehen ist. Die gesetzlich erzwungene Begründung einer Rechtsbeziehung ist schließlich mit dem (auch wenn zwingenden) Vertragsrecht nicht vereinbar. c)

Inhaltliche Ausgestaltung der Ersatzversorgungspflicht

Da § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG einen Energiebezug vom Grundversorger fingiert, orientiert sich – logischerweise – die inhaltliche Ausgestaltung des Ersatzversorgungsverhältnisses weitgehend am Grundversorgungsvertrag (§ 38 Abs. 1 S. 2 EnWG i. V. m. § 3 GasGVV). Im Hinblick auf den Inhalt der Ersatzversorgungspflicht kann daher im Detail auf die obigen Ausführungen zum Pflichtenprogramm des jeweiligen Energielieferanten im Rahmen der Grundversorgung gemäß § 36 EnWG verwiesen werden434. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass laut § 38 Abs. 1 S. 2 EnWG auf die Lieferbeziehung zwischen dem Letztverbraucher und dem ersatzversorgenden nach § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG zu ermittelnden Grundversorger nicht lediglich grundversorgungsspezifische Vorschriften, sondern alle Bestimmungen über die Energielieferung an Letztverbraucher (4. Teil des EnWG) anzuwenden sind, was wiederum für die Eigenheit dieses Rechtsinstituts spricht435. Keine Anwendung finden zugleich solche

432

Vgl. BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 14. Dies gilt insbesondere für die in Niederdruck versorgten Nicht-Haushaltskunden, die zum begünstigten Abnehmerkreis im Rahmen der Ersatzversorgung gehören. 434 S. dazu Teil I § 3 B I 1, S. 57 ff. 435 Näher dazu BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 18. 433

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Regelungen, die nach dem Sinn und Zweck der Ersatzversorgung von dem Verweis des § 38 Abs. 1 S. 2 EnWG nicht umfasst werden können436. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass der energierechtliche Gesetzgeber gewisse Abweichungen vom Leitbild der Grundversorgung bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Ersatzversorgungsverhältnisses im Gesetz zwar ausdrücklich vorsieht. Sie beschränken sich aber auf die Allgemeinen Preise der Ersatzversorgung für die Letztverbraucher, während die im Energierecht besonders geschützten Haushaltskunden durch ungünstigere – den Tarif der Grundversorgung übersteigende – Preise nach § 38 Abs. 1 S. 3 EnWG nicht benachteiligt werden dürfen. Weichen die Allgemeinen Preise der Ersatzversorgung von den für die Grundversorgung geltenden ab, müssen sie insoweit veröffentlicht werden (§ 38 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG). Im Übrigen sind die Bedingungen der Ersatzversorgung im Einklang mit den Verhältnissen bei der Grundversorgung zu gestalten437 . II.

Pflichten außerhalb der Grundversorgung

Außerhalb der regulierten Grundversorgung werden die Abnehmer – sowohl Haushaltskunden als auch andere Letztverbraucher, deren Versorgung abweichend von den Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preisen in Niederdruck im Sinne des § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG erfolgt438 – auf Grundlage der sog. Sonderabnehmerverträge439 mit Gas beliefert. Die Sonderabnehmerverträge werden im Grundsatz im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit abgeschlossen. Das Pflichtenprogramm des jeweiligen Gaslieferanten, das seine Haftung auf Erfüllung bzw. Schadenersatz legitimiert und begrenzt, bestimmt 436

So BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 18; Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 129; vgl. auch Heinlein/Weitenberg, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 38 Rn. 31. 437 BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 38 Rn. 20. 438 BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 4; Büdenbender, RdE 2011, 201 (201 f.); zur alten Rechtslage bereits Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 53. 439 Der Begriff des Sonderabnehmers geht auf die vor der Liberalisierung des Energiemarktes übliche Begrifflichkeit zurück und wird als eine negative Abgrenzung zu den grundversorgten Haushaltskunden verwendet, s. insbesondere Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 12; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 53; Herrmann/Dick, BB 2000, 885 (888). Diese Terminologie scheint allerdings längst überholt zu sein, näher dazu BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 41 Fn. 87 zu Rn. 51; Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 35; ebenfalls Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 276 f., obwohl sie heutzutage gesetzlich in § 310 Abs. 2 BGB verankert ist und sowohl in Literatur als auch in Rechtsprechung weiter Anwendung findet, s. MünchKomm/Basedow, BGB § 310 Rn. 19; BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 4 S. 2091; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 137 f.

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sich dementsprechend nach der konkreten Vereinbarung der Vertragsparteien und unterliegt den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften des BGB, insbesondere den Vorgaben für die Einbeziehung und Anwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen440. Je nach Kundengruppe441 lassen sich gleichwohl bestimmte Gestaltungstypen von Gaslieferverträgen außerhalb der Grundversorgung erkennen. Der Vertragsinhalt kann einerseits durch die Vertragspartner individuell ausgehandelt und andererseits standardisiert angeboten werden, was im Haushaltskundenbereich der Regelfall zu sein scheint442 . Die Standardisierung der Vertragsbedingungen erfolgt meistens durch die Übernahme von GasGVV-Regelungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Einer eingehenden, separaten Betrachtung bedürfen zudem die Wettbewerbsverträge, wie die Wettbewerbskundenverträge nun zu bezeichnen sind443 , mit den Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG, denn der Gesetzgeber sieht spezielle Regelungen über die Vertragsinhalte für diese Abnehmergruppe im Energierecht vor (vgl. § 41 EnWG). 1.

Belieferung von Haushaltskunden

Wie eben angedeutet wird die Vertragsfreiheit im Bereich der Gasversorgung von Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung durch die Vorgaben des § 41 EnWG eingeschränkt. Die Vorschrift schreibt – das allgemeine Vertragsrecht ergänzend bzw. konkretisierend – den zwingend notwendigen Inhalt der Gaslieferverträge mit Grundversorgungskunden (vgl. § 41 Abs. 1 S. 2 EnWG), inhaltliche Mindestanforderungen an einzelne Informationspflichten des jeweiligen Gasversorgers (vgl. § 41 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 bis 4, Abs. 3, Abs. 4 EnWG) sowie die Maßstäbe für die Abfassung vertraglicher Rechte und Pflichten der Vertragspartner (vgl. § 41 Abs. 1 S. 1 EnWG) vor. Mit dieser Regelung sollten zunächst die europäischen den Schutz von schutzbedürftigen Kunden ebenso wie den Wettbewerb im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Gas fördernden Vorgaben der GasRL 2003 umgesetzt und danach an die GasRL 2009 angepasst werden444 . Durch die Bezugnahme auf 440

BGH BeckRS 2016, 02870; BGH BeckRS 2015, 18142; BGH NJW 2011, 1342 (1343); OLG Koblenz RdE 2013, 285 (288); Eder, in: Danner/Theobald; Energierecht EnWG § 41 Rn. 2; BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 41 Rn. 53. 441 Näher Kunth/Tüngler, NJW 2005, 1313 (1314). 442 Fricke, Die gerichtliche Kontrolle von Entgelten der Energiewirtschaft, S. 267. 443 So BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 41 Fn. 87 zu Rn. 51; anders aber BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 4. 444 BT-Drs. 15/3917, S. 67; s. ebenfalls BR-Drs. 343/11 betreffend das Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftlicher Vorschriften v. 26.7.2011, BGBl. I S. 1554, 1581 f.; so auch Rasbach/Baumgart/Kessel, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 2 Rn. 9; kritisch bezüglich der Vollständigkeit und Sachrichtigkeit der Umsetzung der Richtlinienvorgaben Eder, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 41 Rn. 4.

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die EU-rechtlichen Verbraucherschutzvorschriften445 stellen sie sich als spezielle, sektorspezifische verbraucherschützende Regelungen dar, die allerdings erst beim Hinausgehen über den allgemeinen nationalen Rechtsrahmen Relevanz zeigen446. a)

Notwendiger Vertragsinhalt, § 41 Abs. 1 S. 2 EnWG

§ 41 EnWG schafft in erster Linie eine Grundlage für die transparente und verbraucherfreundliche Vertragsgestaltung außerhalb der Grundversorgung, enthält dagegen keinen eigenen Regelungsgehalt im Hinblick auf die Vertragspflichten des betroffenen Gaslieferanten, deren Darstellung für die vorliegende Untersuchung geboten ist. Die ausdrückliche Verweisung auf angebotene Wartungsdienste in § 41 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EnWG verpflichtet den Lieferanten ebenso wenig zum Angebot solcher Dienste wie jeglicher anderer Leistungen im Sinne der einschlägigen Vorschrift447. Dies gilt umso mehr, als die Wartungsdienste infolge der Entflechtung von Gasvertrieb und Netzbetrieb grundsätzlich von Netzbetreibern zu erbringen sind448. Es geht hier nur darum, dass der Kunde über sämtliche vertraglich vereinbarte Leistungen vollständig und transparent informiert ist und somit den genauen Umfang des vom Gaslieferanten abgegebenen Leistungsversprechens ohne Weiteres ermitteln kann449 . Ein Gasliefervertrag mit Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung muss weiterhin Haftungs- und Entschädigungsregelungen bei Nichteinhaltung vertraglich vereinbarter Leistungen enthalten (§ 41 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EnWG), wobei der Gesetzgeber wiederum keine Vorgaben für deren inhaltliche Ausgestaltung vorgesehen hat. Den Vertragsparteien steht es demnach frei, Haftungsregelungen privatautonom unter Wahrung der allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze auszuhandeln450 . b)

Abgrenzungsfragen bei der Übernahme der GasGVV-Vorgaben

Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Vertragsbedingungen wird allerdings regelmäßig auf die allgemeinen Bedingungen der Grundversorgung Bezug 445

Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.05.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. Nr. L 144 v. 4.6.1997, S. 19 und Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. Nr. L 95 v. 21.4.1993, S. 29. 446 BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 41 Rn. 45. 447 BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 41 Rn. 62; Eder, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 41 Rn. 7; ebenso Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 49m. 448 Ebenda. 449 So auch BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 41 Rn. 61 f. 450 S. OLG München BeckRS 2015, 16024; ebenfalls Britz/Hellermann/Hermes/Hellermann, EnWG § 41 Rn. 12.

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genommen451 . Die Vorgaben der GasGVV werden als Allgemeine Geschäftsbedingungen in Wettbewerbsverträge über die Belieferung von Haushaltskunden außerhalb der Grundversorgung zumeist wörtlich übernommen, was in erster Linie auf ihre Vereinfachungs- und höchstrichterlich zugeschriebene Leitbildfunktion (zumindest im Hinblick auf die Preisanpassungsklauseln 452 ) zurückzuführen ist453. Dadurch ist es für die Rechtsanwender äußerst schwierig, die Grundversorgungsverträge und die inhaltlich gleich gestalteten Wettbewerbsverträge mit Haushaltskunden voneinander abzugrenzen und bestimmte Rechtsfolgen ebenso wie ihre Voraussetzungen – vor dem Hintergrund der Vertragszuordnung – zu identifizieren454 . Angesichts der beschriebenen Rechtslage war es die Aufgabe der Rechtsprechung, entsprechende Abgrenzungskriterien zu entwickeln. So ist nach Auffassung des BGH die Auslegung der ausdrücklich bzw. konkludent abgegebenen Willenserklärungen nach §§ 133, 157 BGB aus Sicht eines verständigen durchschnittlichen Gasabnehmers entscheidend455 . Es ist deshalb irrelevant, wie der abgeschlossene Vertrag über die Belieferung mit Gas vom grundversorgenden Gaslieferanten zu qualifizieren und zu verstehen ist456 . c)

Inhaltskontrolle standardisierter Wettbewerbsverträge

Im Hinblick auf die uneingeschränkte Übernahme der GVV-Klauseln als AGB in die Wettbewerbsverträge mit Haushaltskunden sowie ihre oben bereits angesprochene Leitbildwirkung ist die Ermittlung der Schranken der AGBKontrolle nach §§ 307 ff. BGB außerhalb der Grundversorgung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht nur gewünscht, sondern auch naheliegend. An dieser Stelle ist wiederholt zu betonen, dass der GasGVV für die Gaslieferverhältnisse außerhalb der Grundversorgung keine Regelungsfunktion zukommt und die hier aufgeworfene Frage daher erst dann Relevanz entfaltet, wenn die normativ vorgegebenen Lieferbindungen als AGB wirksam in 451

Vgl. LG Hanau BeckRS 2013, 04331. Die Leitbildrechtsprechung bezieht sich jedoch nur auf die Vorgängerregelungen der GasGVV (AVBGasV), vgl. z.B. BGH NJW 2009, 578 (579); BGH NJW 2009, 2667 (2667 f.); BGH NJW 20010, 993 (995); BGH NJW 2011, 50 (52); OLG Frankfurt BeckRS 2009, 11421. 453 Ausführlich hierzu Büdenbender, RdE 2011, 201 (207); s. auch Uffmann, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 39 (43); Tüngler, RdE 2012, 173 (174). 454 Zutreffend Büdenbender, RdE 2011, 201 (205 ff.). 455 BGH NJW 2009, 2662 (2663); BGH BeckRS 2010, 07274; BGH NJW 2011, 50 (51); BGH NZM 2011, 331 (332); BGH NJW 2011, 2736 (2739); BGH ZNER 2015, 529 (531); s. ebenfalls BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 41 Rn. 53; Büdenbender, RdE 2011, 201 (206 und 208); Tüngler, RdE 2012, 173 (174); Weyer, N&R 2012, 72 (83). 456 Büdenbender, RdE 2011, 201 (208). 452

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die Verträge einbezogen sind und somit zum Vertragsinhalt geworden sind. Insoweit gelten die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2, 3 BGB457. aa)

Hintergründe der BGH-Leitbildrechtsprechung

Bei der Auseinandersetzung mit den Schranken der Inhaltskontrolle im Bereich der nicht regulierten Versorgung soll zunächst die Leitbildrechtsprechung des BGH einer eigenständigen Würdigung zugeführt werden. Ausweislich dieser Rechtsprechung begründete eine inhaltlich unveränderte und nicht lediglich hilfsweise erfolgte Übernahme der GVV-Klauseln in die AGB eines Wettbewerbsvertrages keine unangemessene Benachteiligung der Letztverbraucher nach § 307 Abs. 1 bzw. 2 BGB und schloss somit faktisch die Klauselkontrolle aus458 . Daran anknüpfend sollten hier die bereits oben dargestellten Erwägungen zum Pflichtenprogramm des Gaslieferanten im Rahmen der Grundversorgung nach § 36 EnWG ohne Weiteres gelten. Als Anhaltspunkt für die Annahme einer Indizwirkung und Leitbildfunktion der früheren AVBGasV sowie der aktuellen GasGVV wurde hierbei vom BGH der dem § 310 Abs. 2 BGB zugrundeliegende Gedanke der Gleichbehandlung der Grundversorgungskunden und der Wettbewerbskunden herangezogen459 . Angesichts der amtlichen Begründung zu § 310 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Gesetzgeber die Gaslieferverträge mit Verbrauchern außerhalb der Grundversorgung, deren Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit Gas abweichen, der Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 308 und 309 BGB entzogen, um die Gasabnehmer im Rahmen der nicht regulierten Versorgung keinen stärkeren – im Vergleich zu den grundversorgten Haushaltskunden – Schutz genießen zu lassen460 . Das in § 310 Abs. 2 BGB angelegte Gebot der Gleichbehandlung war zudem dahingehend zu rechtfertigen, dass die Gasabnehmer, die lediglich infolge eines Versorgerwechsels im Rahmen der Liberalisierung des deutschen Energiemarkts zu Wettbewerbskunden geworden sind, die gleiche Interessenlage sowie Schutzbedürftigkeit 457

Vgl. Tüngler, RdE 2012, 173 (174); ausführlich zur Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in den Vertrag MünchKomm/Basedow, BGB § 305 Rn. 49 ff. 458 BGH NJW 2009, 2662 (2664); BGH NJW 2010, 993 (995); BGH NJW 2011, 1342 (1344); BGH NJW 2011, 50 (52); Lange, RdE 2013, 249 (250); Tüngler, RdE 2012, 173 (176); Graf von Westphalen, NJW 2010, 2254 (2258); Büdenbender, NJW 2009, 3125 (3127); BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 13; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 1 Rn. 37; vgl. Markert, RdE 2009, 291 (292); BeckOK/Becker, Stand: 01.11.2018, BGB § 310 Rn. 7. 459 Vgl. BGH NJW 2011, 50 (52); BGH NJW 2013, 3647 (3653); dazu eingehender Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 213 ff.; ebenso BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 13; Eder, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 41 Rn. 10. 460 Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 160; vgl. ebenfalls zur alten Rechtslage BT-Drs. 7/3919, S. 42.

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wie die Grundversorgungskunden aufweisen461. Darum empfahl sich jedoch eine Differenzierung zwischen Wettbewerbskunden, je nach ihrem Abnahmeverhalten, im Hinblick auf die Anwendung der Maßstäbe der GasGVV462 , worauf noch näher einzugehen sein wird. Mit seiner Leitbildrechtsprechung hat der BGH außerdem bezweckt, eine indirekte Missbrauchskontrolle der GasGVV zu vermeiden463. Die von den Vorgaben der GasGVV inhaltlich abweichenden AGB eines Wettbewerbsvertrages sollten dagegen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterliegen, wobei die GasGVV auch hier eine Leitbildwirkung für die Wertung der Angemessenheit nach § 307 Abs. 1 oder 2 BGB entfalten konnte464 . Sie durfte allerdings wegen der normativen Natur der GVV-Klauseln sowie der Unterschiede zwischen Grundversorgungskunden und Letztverbrauchern außerhalb der regulierten Versorgung nicht pauschal angenommen werden465. Vielmehr bedurfte es einer Einzelprüfung jeder in Rede stehenden Bestimmung466 . War demnach die Inhaltskontrolle am Maßstab der GasGVV abzulehnen, musste die Leitbildfunktion nach § 307 Abs. 1, 2 BGB Vorschriften des dispositiven gesetzlichen Vertragsrechts (insbesondere des Kaufvertragsrechts) ebenso wie dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen entnommen werden467. bb)

Wendepunkt in der BGH-Leitbildrechtsprechung

Anfang 2013 kam die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache RWEVertrieb, die zu einem Wendepunkt in der jahrelangen Leitbildrechtsprechung des BGH geworden ist468 . Im Rahmen seines Beschlusses musste der EuGH bekanntlich zu einer Vorlage des BGH469 Stellung nehmen, die sich mit der

461

So ausdrücklich BT-Drs. 14/6040, S. 160. S. BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 14 f. 463 Uffmann, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 39 (45); Säcker/Mengering, BB 2013, 1859 (1859). 464 BGH NJW 2009, 2662 (2665); BGH NJW 2009, 2667 (2669); BGH BeckRS 2011, 04021; auch Tüngler, RdE 2012, 173 (176); BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 12; so bereits zur alten Rechtslage Ebel, BB 1980, 477 (478); vgl. jedoch BGH NJW 2010, 993 (995); Graf von Westphalen/Höch/Kalwa, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gaslieferverträge, Rn. 83. 465 BGH NZM 2009, 630 (632); BGH NJW 2011, 50 (52); BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 12. 466 Ebenda. 467 Ebenso Ebel, BB 1980, 477 (478); allgemein zu Maßstäben der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, 2 BGB MünchKomm/Wurmnest, BGB § 307 Rn. 31 ff., 54 ff. 468 Uffmann, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 39 (44). 469 BGH NJW 2011, 1392. 462

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Frage befasste, ob sich die Reichweite des Art. 1 Abs. 2 der RL 93/13/EWG470 auf Klauseln in Gaslieferverträgen mit Verbrauchern außerhalb der regulierten Versorgung erstreckt, wenn sie die für Tarifkunden im Rahmen der allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht (heute Grundversorgungspflicht im Sinne des § 36 EnWG) geltenden gesetzlichen Regelungen unverändert übernommen haben471. Die vom BGH seit 2009 gängige Leitbildrechtsprechung wurde also damit einer Überprüfung auf ihre Unionsrechtrechtskonformität unterworfen, die sie letztendlich nicht überstanden hat472. Am 21. März 2013 hat der EuGH entschieden, dass die RL 93/13/EWG für Klauseln allgemeiner Bedingungen in zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern geschlossenen Verträgen gilt, die eine für eine andere Vertragskategorie geltende Regel des nationalen Rechts aufgreifen und der fraglichen nationalen Regelung nicht unterliegen473. Das heißt, die Inhaltskontrolle der von Verbrauchern abgeschlossenen Wettbewerbsverträge gemäß der RL 93/13/EWG kann auch dann nicht ausgeschlossen werden, wenn die GVV-Klauseln unverändert – wörtlich – übernommen werden. Denn sie sind nur in ihrem vom Gesetzgeber bestimmten Geltungsbereich interessengerecht474 . Als Folge hat der BGH seine Leitbildrechtsprechung in Wettbewerbsverträgen endgültig aufgegeben. In seinem Urteil vom 31. Juli 2013 hat er auf seine Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts (§§ 307 Abs. 1, 310 Abs. 2 BGB) auf Grund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verwiesen und folglich § 307 Abs. 1 S. 2 BGB auch für Wettbewerbsverträge mit unverändert übernommenen GVV-Klauseln für anwendbar anerkannt, ohne dass § 310 Abs. 2 BGB und der hierin zum Ausdruck gekommene Wille des deutschen Gesetzgebers eine Einschränkung begründen könnte475. Entsprechende Erwägungen finden sich mittlerweile in der amtlichen Begründung zur Verordnung zur transparenten Ausweisung staatlich gesetzter oder regulierter Preisbestandteile in der Strom- und Gasgrundversorgung vom 22. Oktober 2014476 , die als Reaktion auf ein weiteres

470

Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Abl. Nr. L 95 S. 29. EuGH EuZW 2013, 461. 472 Ausführlich zur Geltung der RL 93/13/EWG Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 216 ff. 473 EuGH EuZW 2013, 461 (462). 474 Vgl. EuGH EuZW 2013, 461 (462); s. ebenso Uffmann, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 39 (45). 475 BGH NJW 2013, 3647 (3653) = LMK 2013, 351322 mit Anm. Markert (befürwortend). 476 BGBl. I 2014, S. 1631. 471

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Urteil des EuGH477, diesmal allerdings zu den Transparenzanforderungen an die gesetzlichen Preisanpassungsregelungen im Bereich der Grundversorgung, anzusehen ist 478 . Der Verordnungsgeber hat nochmals deutlich gemacht, dass die Vorgaben der GasGVV kein gesetzliches Leitbild im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB für die Beurteilung nachgebildeter Vertragsklauseln in Wettbewerbsverträgen außerhalb der Grundversorgung darstellen können479 . Insofern ist Klarheit zumindest über die Maßstäbe der Inhaltskontrolle im Bereich der nicht regulierten Gasversorgung entstanden, was das Leben der Gasversorger nicht unbedingt erleichtert hat480 . Im Ergebnis lässt sich schlussfolgern, dass die Vertragsklauseln in Wettbewerbsverträgen mit Haushaltskunden, die gleichzeitig Verbraucher im Sinne des § 13 BGB sind und dem Geltungsbereich der RL 93/13/EWG unterfallen, einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unabhängig davon, ob sie die Vorgaben der GasGVV unverändert übernommen haben oder abweichend von denen formuliert sind, unterliegen. Den GVV-Klauseln darf nunmehr keine Indizwirkung sowie Leitbildfunktion im weiteren Sinne im Bereich der nicht regulierten Gasversorgung zugemessen werden, wobei ihr Einfließen in die Wertung der Angemessenheit einer Klausel nach § 307 Abs. 1 bzw. 2 BGB im Einzelfall denkbar ist481 . Der hinter § 310 Abs. 2 BGB stehende Privilegierungsgedanke zugunsten des Gaslieferanten außerhalb der Grundversorgung hält somit der jüngeren EuGH- und BGH-Rechtsprechung nicht stand, was zur Folge hat, dass die vom Gesetzgeber beanspruchte Bedeutung des § 310 Abs. 2 BGB in Frage gestellt wird482 . § 302 Abs. 2 BGB ist nunmehr dahingehend zu verstehen, dass die als AGB in Wettbewerbsverträge mit Gasverbrauchern einbezogenen gesetzlichen Versorgungsbedingungen von

477

EuGH EuZW 2015, 108 (108 ff.) – Schulz ua/Technische Werke Schussental GmbH & Co. KG ua. So Uffmann, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 39 (44, 53); ebenso EuGH EuZW 2015, 108 (112 f.) mit Anm. Scholtka/Martin; wohl auch EuGH BeckRS 2014, 82231 = LMK 2014, 364601 mit Anm. Markert. 479 BR-Drs. 402/14, S. 9 f.; s. auch OLG München BeckRS 2015, 16024. 480 Auf der Rechtsfolgenseite kann hingegen bis jetzt weder die Rechtsprechung noch die Literatur eine konkrete – unionsrechtskonforme – Lösung liefern. Ausführlich dazu s. Lange, RdE 2013, 249 (249 ff.); Säcker/Mengering, BB 2013, 1859 (1859 ff.); Markert, ZMR 2014, 193 (193 ff.); Markert, ZNER 2015, 40 (40 ff.); Uffmann, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 39 (39 ff.). 481 Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB § 310 Rn. 6. 482 MünchKomm/Basedow, BGB § 310 Rn. 21c; Säcker/Mengering, BB 2013, 1859 (1859); vgl. Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 62 ff. 478

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den Verboten der §§ 308 und 309 BGB freigestellt sind, soweit sie die Transparenz- und Inhaltskontrolle nach § 307 BGB überstanden haben483. Anders stellt sich wohl die Situation dar, wenn die Gaslieferverträge außerhalb der Grundversorgung mit gewerblichen Haushaltskunden, die vom Verbraucherbegriff des § 13 BGB nicht erfasst sind, abgeschlossen werden. Denn die Indizwirkung und Leitbildfunktion der AVB(GVV)-Regelungen bei Übernahme in den Wettbewerbsvertragsbereich verwerfenden EuGH- und BGH-Rechtsprechung erstreckt sich gerade nicht auf die Versorgungsverhältnisse mit dieser Abnehmergruppe484. Da aber Gewerbekunden – wegen der gleichen oder zumindest ähnlichen Interessenlage485 – als Haushaltskunden einzuordnen und zu behandeln sind, soweit ihr jährlicher Gasverbrauch 10 000 kWh nicht übersteigt (vgl. § 3 Nr. 22 EnWG), scheint die Fortgeltung der Leitbildrechtsprechung auch in diesem Bereich kaum gerechtfertigt zu sein. Sonst käme es zu einem von dem energie- und wohl zivilrechtlichen Gesetzgeber nicht gewollten Wertungswiderspruch. Im Übrigen sind hier die Überlegungen betreffend die AGB-Inhaltskontrolle in Wettbewerbsverträgen mit Haushaltskunden als Verbraucher einschlägig. 2.

Belieferung von Nichthaushaltskunden im Rahmen vorformulierter, einheitlicher Vereinbarungen

Im Interesse eines möglichst reibungslosen, schnellen und günstigen Geschäftsablaufs sind die Vertragsbedingungen in Gaslieferverträgen mit Nichthaushaltskunden – genauso wie mit Haushaltskunden – häufig vorformuliert und überdies nicht selten mit den GVV-Klauseln sogar identisch ausgestaltet. Daher besteht auch hier die Frage der Inhaltskontrolle und ihrer Maßstäbe. Auf die Prüfung einzelner Klauseln in den AGB der Wettbewerbsverträge mit Nichthaushaltskunden ist aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit – schon vor dem Hintergrund der Komplexität der Materie – zu verzichten. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage muss dem Spezialschrifttum vorbehalten sein486 . An dieser Stelle soll geprüft werden, ob die sog. Leitbildrechtsprechung des BGH auch für Erdgasabnehmer, die weder Verbraucher im Sinne des § 13 BGB noch Haushaltskunden sind487, gilt. Dies ist insbesondere mit Blick auf 483

Eher irreführend BeckOK/Becker, Stand: 01.11.2018, BGB § 310 Rn. 8. S. MünchKomm/Basedow, BGB § 310 Rn. 21 c. 485 Vgl. Theobald, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 3 Rn. 192 f. 486 Ausführlich hierzu s. Graf von Westphalen/Kalwa, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gaslieferverträge, Rn. 45 ff.; Rasbach/Baumgart/Wunsch, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 8B Rn. 166 ff.; Rasbach/Baumgart/Hertel, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 8C Rn. 274 ff.; zum alten Recht vgl. Ebel, Energielieferungsverträge, S. 171 ff.; Ebel, BB 1980, 477 (477 ff.). 487 Im Regelfall handelt es hier um größere Gewerbe- und Industriekunden. 484

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die Einbeziehung einer § 6 Abs. 3 GasGVV entsprechenden Haftungsregelung in (All-Inclusive-)Wettbewerbsverträge relevant. In der Literatur bestehen allerdings diesbezüglich nach wie vor erhebliche Zweifel488. Als Hauptargument wird zu Recht angeführt, dass die Nichthaushaltskunden bereits von vornherein keinen Anspruch auf die Grundversorgung haben und somit nicht in den Anwendungsbereich der GasGVV fallen 489 . Die unterschiedliche rechtliche Stellung und Behandlung von Industrie- und Grundversorgungskunden ergeben sich dabei in erster Linie aus einem Vergleich zwischen unterschiedlichen Versorgungsbedürfnissen beider Abnehmergruppen. Eine Indizwirkung für die Angemessenheit der GVV-Klauseln im Nichthaushaltskundenbereich kann aus dem Grund nicht angenommen werden, dass § 310 Abs. 2 BGB, dem diese Wertung zugrunde liegt, keine unmittelbare Anwendung auf die Versorgungsverhältnisse mit Unternehmen als Kunden findet. Gegenüber solchen Letztverbrauchern gilt § 310 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach die AGB in Gaslieferverträgen mit ihnen von der Inhaltskontrolle nach §§ 308 und 309 BGB freigestellt werden und nur an § 307 BGB zu messen sind490 . Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings die Indizwirkung der Klauselverbote in §§ 308, 309 BGB im kaufmännischen Verkehr, soweit das vergleichbare Bedürfnis nach einer Inhaltskontrolle bejaht wird491. Sollte die Wertung des § 310 Abs. 2 BGB doch auf industrielle Wettbewerbskunden übertragen werden können, ist die AGBInhaltskontrolle am Maßstab der GasGVV schon wegen der jüngeren Rechtsprechung des EuGH und des BGH betreffend die Wettbewerbsverträge mit Verbrauchern abzulehnen492 . Eine mittelbare Wirkung der GasGVV-Vorgaben für die Beurteilung der Sachgerechtigkeit der AGB in Gaslieferverträgen mit größeren Gewerbe- und Industriekunden nach § 307 BGB scheint dennoch vorstellbar zu sein493. Dies wäre dann unter dem Vorbehalt vergleichbarer Sachverhalte im Einzelfall 488

Grün/Ostendorf, BB 2014, 259 (261 ff.); BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 15; wohl auch MünchKomm/Basedow, BGB § 310 Rn. 23 f.; Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 152 ff.; zur alten Rechtslage s. Schmidt-Salzer, BB 1980, 1701 (1708); Ebel, BB 1980, 477 (488); vgl. aber Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 263. 489 So Grün/Ostendorf, BB 2014, 259 (262); BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 15; vgl. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 6 Rn. 328 ff.; Graf von Westphalen/Höch/Kalwa, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gaslieferverträge, Rn. 42. 490 Der Vorschlag einer teleologischen Reduktion von § 310 Abs. 2 S. 1 BGB im Hinblick auf die Ablehnung einer Leitbildfunktion der GasGVV gegenüber Nichtshaushaltskunden erscheint mithin entbehrlich, s. dazu BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 15. 491 Näher dazu MünchKomm/Basedow, BGB § 310 Rn. 7 f.; Staudinger/Schlosser, BGB § 310 Rn. 12. 492 Grün/Ostendorf, BB 2014, 259 (262). 493 So bereits Ebel, BB 1980, 477 (478).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

möglich. Anderenfalls sind die durch die Rechtsprechung für Verbraucher entwickelten Prüfungskriterien heranzuziehen, jedoch unter Berücksichtigung branchenspezifischer Besonderheiten des Geschäftsverkehrs zwischen Unternehmen494. Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls im Ergebnis eine der GasGVV nachgebildete Regelung zur Reduzierung des Haftungsrisikos seitens des Lieferanten wie im Bereich der Grundversorgung nicht beanstandet werden495. 3.

Belieferung von Letztverbrauchern im Rahmen privatautonomer Vereinbarungen

Einer strengen gesetzlichen Überprüfung, welcher die AGB unterliegen, müssen die Individualvereinbarungen nicht standhalten. Sie unterstehen lediglich der Vertragskontrolle nach allgemeinen BGB-Regeln (§§ 134, 138, 242 BGB). Hier entfällt die Diskussion um eine Indizwirkung der GasGVV also vollständig. Eine Individualvereinbarung liegt dann vor, wenn die Vertragsbedingungen – zumindest teilweise – von den Parteien gemeinsam ausgehandelt sind496 . Jede Partei muss in Vertragsverhandlungen die Möglichkeit haben, auf die Gestaltung des Vertragsinhalts Einfluss zu nehmen. Anknüpfend an die Spezifika der im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu untersuchenden Branche bedeutet das, dass die Kunden, die Individualverträge über die Belieferung mit Gas abschließen, in der Regel eine starke Marktposition bekleiden, was ihnen ermöglicht, ihre berechtigten wirtschaftlichen Interessen beim Aushandeln der Vertragsbedingungen durchzusetzen 497 . Solche Kunden sind überwiegend große Industrieabnehmer, die einen sehr hohen jährlichen Energieverbrauch sowie sehr hohe Energiekosten haben und damit für die Energieversorger besonders interessant sind (z. B. Gastronomie, Maschinenbau, Industrieanlagen etc.). Daher wird in erster Linie die Preisgestaltung in Individualverträgen mit jeweiligen Gasabnehmern verhandelt498. Die großen Industriekunden sind allerdings auch auf ein hohes Maß an Versorgungssicherheit angewiesen, die möglichst störungsfreie Energielieferung voraussetzt und für das reibungslose Betriebsfunktionieren unentbehrlich ist. Diese und andere branchenspezifische Besonderheiten bestimmen im Ergebnis weitgehend den Inhalt eines Individu-

494

Vgl. Rasbach/Baumgart/Hertel, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 8 C Rn. 368 f. S. Eder, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 41 Rn. 12; Rasbach/Baumgart/Hertel, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 8 C Rn. 365. 496 Palandt/Grüneberg, BGB § 305 Rn. 20. 497 Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 14; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 55. 498 S. Rasbach/Baumgart/Ilse, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 8 C Rn. 13. 495

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alvertrages über die Belieferung mit Gas und somit das Pflichtenprogramm des jeweiligen Gaslieferanten. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Pflichten, die sich je nach der Vertragsgestaltung (integrierte bzw. desintegrierte Gaslieferverträge, Vollversorgungsverträge bzw. Bandlieferverträge etc.) unterscheiden können, bleibt den Vertragspartnern überlassen. Da aber die Individualverträge ebenso wie die standardisierten Wettbewerbs- und Grundversorgungsverträge auf die leitungsgebundene Belieferung mit Gas ausgerichtet sind, ist es durchaus logisch, dass die Individualvereinbarungen in der Gaswirtschaft auf den identischen bzw. vergleichbaren Grundsätzen wie die GasGVV beruhen 499 . Die GVV-Klauseln können vielmehr als Individualabreden in den Vertragstext aufgenommen werden, wobei sie im Einzelnen auszuhandeln sind, um die Voraussetzung für eine individuell vereinbarte Vertragsbedingung zu erfüllen500. C.

Aufgaben und Pflichten der Netzbetreiber

Die energiewirtschaftliche Branche ist dadurch gekennzeichnet, dass umfassende Netzinfrastrukturen für die Durchführung des Geschäftsbetriebs erforderlich sind. Der Netzbetrieb ist somit die wesentliche Wertschöpfungsstufe in diesem Sektor, deren nähere und eigenständige Betrachtung insbesondere in rechtlicher Hinsicht für die vorliegende Untersuchung geboten ist. Dies gilt umso mehr, wenn man die im Zuge der Entflechtung von Netz und Vertrieb nach §§ 6 ff. EnWG entstandene und nun geltende Pflichten- und Haftungszuordnung zwischen an der Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit Gas beteiligten Akteuren berücksichtigt. Im Folgenden sollen demnach die wesentlichen – vertraglichen sowie gesetzlichen – Pflichten der Netzbetreiber, deren Verletzung haftungsrechtliche Konsequenzen zukommen kann, eingehend dargestellt werden. Dabei ist zu beachten, dass die in der Literatur und Rechtsprechung übliche Unterscheidung zwischen Haushalts- und Wettbewerbskunden, die vor allem durch eine hohe und fortschreitende Regulierungsdichte im Haushaltskundenbereich bedingt ist, ebenfalls für die Rechtsverhältnisse im Netzbetriebsbereich gilt. Besondere Aufmerksamkeit wird deshalb wiederum den energierechtlichen – diesmal allerdings netzbezogenen – Rahmenbedingungen gewidmet. Bevor auf den konkreten Pflichtenkreis des Netzbetreibers je nach Rechtsverhältnis näher eingegangen wird, sind zunächst jedoch noch seine grundlegenden Aufgaben zu definieren. Der Erdgastransport vom Erdgasfeld 499

Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 59; Graf von Westphalen/Höch/Kalwa, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gaslieferverträge, Rn. 42. 500 Witzstrock, VersR 2002, 1457 (1461).

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bzw. von der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland (falls das zu befördernde Erdgas aus ausländischen Quellen stammt) bis zum Letztkunden setzt hauptsächlich voraus, dass der Netzbetreiber die gleiche Menge und Qualität sicherstellt und sowohl bei Entnahme als auch bei Einspeisung einen konstanten Druck im System einhält501. Dafür muss er obendrein bei Bedarf den Einsatz von Ausgleichs- und Regelenergie gewährleisten können502. Auf die Erfüllung dieser Ausgaben sind insbesondere die auf den Netzbetreiber in §§ 11 ff. EnWG auferlegten Verpflichtungen ausgerichtet. I.

Netzzugangspflicht, § 20 EnWG

Die Kernpflicht des Netzbetreibers im liberalisierten und wettbewerbsfähigen Erdgasmarkt Deutschlands besteht darin, jedermann diskriminierungsfrei Netzzugang zu gewähren (§ 20 Abs. 1 S. 1 EnWG). Der genaue Inhalt und der Umfang der in § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG vorgegebenen Netzzugangspflicht lassen sich allerdings nicht ohne Weiteres bestimmen und sind daher auslegungsbedürftig. Im Folgenden wird darauf näher eingegangen. In der Literatur kommt es außerdem wieder zum Streit darüber, wie der Anspruch auf Netzzugang rechtlich einzuordnen ist, so dass die einzelnen Auffassungen im Überblick darzulegen sind. Letztlich müssen die im vorliegenden Kontext relevanten Verpflichtungen des Netzbetreibers in Anbetracht der materiell-rechtlichen Ausgestaltung des Netzzugangs zusammengestellt und analysiert werden. 1.

Inhalt und Umfang des Anspruchs auf Netzzugang

In einem ersten Schritt muss der Begriff des Netzzugangs erläutert werden. Der Netzzugang im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG bedeutet die Möglichkeit, die Energieversorgungsnetze unabhängig von der Druck- und Versorgungsstufe 503 für die Belieferung der vereinbarten Entnahmestelle zu nutzen 504 . Dies erfolgt, indem der Netzzugangsberechtigte vorhandene Netzbzw. Einspeise- und Ausspeisekapazitäten bucht (vgl. § 20 Abs. 1b EnWG). Ihm werden somit die netzbezogenen Eigentümer- bzw. Betreiberbefugnisse505 ebenso wenig wie der Ausbau des jeweiligen Netzes506 geschuldet. Die 501

Schumacher, Vertikale Integration im Erdgasmarkt, S. 90. S. näher Panos, Energiewirtschaft, S. 493 f. Vgl. OLG Dresden ZNER 2001, 168 (169); Büdenbender, RdE 1999, 1 (1 f.); Giermann, RdE 2000, 222 (224). 504 OLG Düsseldorf EnWZ 2013, 132 (135); BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 26; Britz/Hellermann/Hermes/Britz, EnWG § 20 Rn. 9; Salje, EnWG Vor §§ 20-28a Rn. 1; Holznagel/Schumacher, ZNER 2006, 218 (221); Burchard, in: Schwarze, Der Netzzugang für Dritte im Wirtschaftsrecht, S. 191 (204); Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 32. 505 BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 26; Salje, EnWG § 20 Rn. 1; Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 32.

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Vorhaltung der gebuchten – festen oder unterbrechbaren – Kapazitäten am vereinbarten Einspeise- bzw. Ausspeisepunkt bildet demnach den Kern der von dem Netzbetreiber im Rahmen seiner Netzzugangspflicht zu erbringenden Leistungen (vgl. § 3 Nr. 1a, Nr. 13a EnWG). Die Reichweite des Anspruches auf Netzzugang nach § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG umfasst dabei alle Vorgänge und Maßnahmen im Netzbetrieb, die für die Abwicklung des Transports von Erdgas erforderlich sind507 . Es handelt sich in erster Linie um die Herstellung der technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Ermöglichung der Ein- und Ausspeisung von Erdgas508 . Dazu gehören ferner zugangsrelevante Nebenleistungen wie etwa umfangreiche Systemdienstleistungen (die Netzsteuerung, die Störungsbeseitigung, die Versorgungswiederaufnahme etc.), ohne die die Erbringung der Hauptleistung a priori nicht möglich ist, sowie Mess- und Abrechnungsdienstleistungen (die Ab- und Auslesung der Messeinrichtung, die Weitergabe der zur Abrechnung benötigten Daten etc.), ohne die die auf die Abschaffung der Marktzutrittshindernisse gerichtete Zielsetzung des § 20 EnWG nicht erreichbar ist509 . Diese Verpflichtungen der Netzbetreiber sind aber zum größten Teil bereits recht detailliert in §§ 11 bis 16a EnWG geregelt und entfalten ihre Wirkung ebenfalls im Netzanschluss- sowie Anschlussnutzungsbereich. Sie werden schon deshalb einer eigenständigen Erörterung und Würdigung zugeführt510 . Der Pflichtenkatalog des den Netzzugang einräumenden Netzbetreibers beinhaltet außerdem die Verpflichtung zur Kooperation mit anderen Netzbetreibern (vgl. § 20 Abs. 1b S. 5 bis 8, 10 bis 11 EnWG), damit der Zugangsberechtigte den Zugang zu dem gesamten deutschen Gasnetz bekommen und den Transport des Erdgases über mehrere, durch Netzkopplungspunkte miteinander verbun-

506

Britz/Hellermann/Hermes/Britz, EnWG § 20 Rn. 9. Vgl. OLG Dresden ZNER 2001, 168 (169); LG Leipzig RdE 2002, 24 (25); Busche, OLGNL 2001, 86 (87); Büdenbender, RdE 2001, 149 (151); Britz/Hellermann/Hermes/Britz, EnWG § 20 Rn. 9. 508 OLG Dresden BeckRS 2001, 30205067; Busche, OLG-NL 2001, 86 (87); vgl. dazu noch BKartA, Beschl. v. 8.10.2003, Az. B11-12/03, 2.2.2 a) S. 18 (Anspruch auf Netzzugang nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB a. F.); Höppner, Netzveränderungen im Zugangskonzept, S. 344. 509 Vgl. OLG Dresden BeckRS 2001, 30205067; LG Leipzig RdE 2002, 24 (25); Busche, OLG-NL 2001, 86 (87); Frank/Ziller, RdE 2002, 91 (96); vgl. ebenfalls BNetzA, Beschl. v. 27.06.2007, Az. BK4a-07-002/R, 3.1. S. 24 f.; Höppner, Netzveränderungen im Zugangskonzept, S. 344, der Parallelen aus Zugangsstreitigkeiten im Telekommunikationsrecht zieht. 510 S. dazu unten Teil I § 3 C III, S. 136 ff. 507

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Teil I Rechtslage in Deutschland

dene Netze abwickeln kann 511 . Dies entspricht letztendlich dem in § 20 Abs. 1b EnWG verankerten Gasnetzzugangsmodell. 2.

Rechtsdogmatische Einordnung des Anspruchs auf Netzzugang

Sowohl in der Vergangenheit als auch heute ist die rechtsdogmatische Einordnung des Anspruches auf Netzzugang Gegenstand der Diskussion. Bereits unter der Geltung der §§ 6 Abs. 1, 6a Abs. 1 EnWG a. F. war umstritten, ob ein unmittelbarer gesetzlicher Anspruch auf Zugang zu den Netzen besteht512 oder ob die hier einschlägigen Vorschriften zunächst einen Kontrahierungszwang des Netzbetreibers zum Abschluss eines Netznutzungsvertrages begründen513. Da man sich damals – sowohl im Strombereich (1998) als auch im Gasbereich (2003) – entschied, den Netzzugang nach dem Verhandlungsprinzip zu gewähren, wurde obendrein vereinzelt vertreten, dass dem Netzzugangspetenten lediglich die Aufnahme von Vertragsverhandlungen durch den Netzbetreiber geschuldet wird514. Die Auffassung entsprach weder dem Wortlaut der § 6 Abs. 1 und § 6a Abs. 1 EnWG a. F. noch dem gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift515 . Im Lichte des Übergangs vom verhandelten zum regulierten Netzzugang erscheint die dieser Ansicht zugrunde liegende Argumentation heute keinesfalls tragfähig516 und daher nicht diskussionsrelevant. Die Einordnung des Anspruchs aus § 6a Abs. 1 EnWG a. F. als Kontrahierungszwang lag allerdings dem Wesen des vom damaligen Gesetzgeber bewusst ausgewählten Systems des verhandelten Netzzugangs nahe517. Der Transport von Erdgas war auf Grund der Verträge zu regeln (vgl. § 6a Abs. 8 511

Ebrecht, Netzzugang, S. 43; Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 32; Britz/Hellermann/Hermes/Arndt, EnWG § 20 Rn. 140; Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 112. 512 OLG Dresden ZNER 2001, 168 (169) mit zustimmender Anm. v. Büdenbender, RdE 2001, 149 (150); OLG Dresden BeckRS 2001, 30205067; LG Potsdam RdE 2000, 203 (205); LG Mainz RdE 2005, 18 (19) mit wohl zustimmender Anmerkung von Ulshöfer, 20 (20 f.); LG Leipzig RdE 2005, 114 (115); wohl auch LG Magdeburg RdE 2000, 206 (207); Ungemach/Weber, RdE 1999, 131 (131 f.); Walter/von Keussler, RdE 1999, 190 (192); Büdenbender, JZ 1999, 62 (69); Holtorf/Horstmann, RdE 2002, 264 (265); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 79 f.; Boesche, Die zivilrechtsdogmatische Struktur des Anspruchs auf Zugang zu Energieversorgungsnetzen, S. 98 ff.; im Ergebnis wohl auch Säcker/Boesche, ZNER 2002, 183 (190 ff.). 513 OLG Brandenburg RdE 2003, 19 (20); LG Hannover RdE 2002, 290 (292); LG NürnbergFürth RdE 2003, 245 (246); Kühne, RdE 2000, 1 (2); Frank/Ziller, RdE 2002, 91 (93 ff.); Giermann, RdE 2000, 222 (230); wohl auch Becker, ZNER 2001, 172 (172 f.). 514 Vgl. betreffend den Netzzugang im Strombereich Lukes, BB 1998, 1217 (1219); SchulteBeckhausen, RdE 1999, 51 (55). 515 S. Bericht des BT-Wirtschaftsausschusses, BT-Drs. 13/9211, S. 24; vgl. aber BT-Drs. 14/ 5969, S. 9. 516 Vgl. Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 189. 517 Frank/Ziller, RdE 2002, 91 (94 f.).

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EnWG), wobei sich die Vertragsparteien über die Bedingungen des Netzzugangs – insbesondere die essentialia negotii – einigen mussten518 . Gesetzlich festgeschrieben wurden nur die Maßstäbe für den Inhalt eines Netznutzungsvertrages. Die vertragliche Regelung der Einzelheiten vor Aufnahme des Erdgastransports sollte vielmehr dem Interesse des Netzzugangspetenten dienen, denn die Netznutzungsverträge stellen hochkomplexe Vertragsverhältnisse dar519 . Bereits aus diesem Grund sollte der Netzzugang nach § 6a Abs. 1 EnWG a. F. unbedingt den Abschluss eines Netznutzungsvertrages voraussetzen. Als wettbewerbsförderndes Mittel wurden dabei das bereits im Rahmen der rechtlichen Behandlung der Grundversorgungspflicht gemäß § 36 Abs. 1 EnWG dargestellte Konstrukt des vorvertraglichen Schuldverhältnisses und ein durch das Risiko einer aus diesem Schuldverhältnis wegen Verschuldens bei Vertragsschluss resultierenden Schadenersatzpflicht entstandener erheblicher Druck angesehen520. Die wohl überwiegende Meinung ging allerdings davon aus, dass §§ 6 Abs. 1, 6a Abs. 1 EnWG a. F. einen gesetzlichen Anspruch auf Zugang zu den Netzen des jeweiligen Netzbetreibers begründen. Der Zugangsberechtigte sollte danach seinen Netzzugangsanspruch unmittelbar – unabhängig von der vertraglichen Vereinbarung – kraft Gesetzes verwirklichen können, damit die Bestrebungen der Legislatur im Hinblick auf die Etablierung des Wettbewerbs sowie die Eröffnung der dem Netzbereich vor- und nachgelagerten Energiemärkte nicht ins Leere gehen521 . Im Übrigen kann auf die Argumentation betreffend die rechtsdogmatische Einordnung der in § 36 Abs. 1 EnWG normierten Grundversorgungspflicht verwiesen werden. Die Annahme eines unmittelbaren gesetzlichen Anspruchs auf Zugang zu den Gasnetzen vermag heute noch mehr zu überzeugen, insbesondere wenn man auf die zum regulierten Netzzugang nach § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG geführten Entwicklungsprozesse sowie Beweggründe in der deutschen Energiewirtschaft zurückblickt522. Die herrschende Lehre523 sowie die Rechtsprechung524 518

Kühne, RdE 2000, 1 (2); Frank/Ziller, RdE 2002, 91 (93, 96). OLG Brandenburg RdE 2003, 19 (20). 520 Kühne, RdE 2000, 1 (2). 521 Büdenbender, RdE 2001, 149 (150 f.); s. ebenfalls BT-Drs. 15/3917, S. 46. 522 S. zu Erfahrungen mit dem verhandelten Netzzugang BMWA, Bericht über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen (Monitoring-Bericht), BT-Drs. 15/1510, S. 23 ff.; s. ebenfalls Tätigkeitsbericht 2005 bis 2007 der BNetzA für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, BT-Drs. 16/ 9000, S. 10 ff.; Gesetzesentwurf, BT-Drs. 15/3917, S. 1 ff. 523 BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 11; Salje, EnWG § 20 Rn. 10; Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 51, 56; Britz/Hellermann/Hermes/Arndt, EnWG § 20 Rn. 10; Kment/Kment, EnWG § 20 Rn. 4; Schneider/Theobald/ Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 92; Theobald/Theobald, Grundzüge des Ener519

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Teil I Rechtslage in Deutschland

stellen dabei nach wie vor auf die Ermöglichung eines schnellen Rechtsschutzes des Zugangsberechtigten zum Zwecke der Eröffnung von Versorgungswettbewerb ab. Das Argument einer zwingend notwendigen vertraglichen Einigung bezüglich Details des Netzzugangs kann ebenfalls nicht mehr – zumindest nicht in dem ehemals bedeutenden Maß – greifen525 . Der Netzzugang erfolgt zwar wie bisher auf vertraglicher Grundlage, die Haupt- und Nebenleistungspflichten der Vertragsparteien ergeben sich jedoch weitgehend aus dem EnWG sowie der Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV), so dass nur eine leistungsausfüllende einseitige Willenserklärung mit rechtsgestaltender Wirkung für das Zustandekommen des das Recht auf Netzzugang begründenden gesetzlichen Schuldverhältnisses erforderlich ist526 . Dies gilt umso mehr, wenn man die Veröffentlichungspflichten der Netzbetreiber (§ 20 Abs. 1 S. 1, 2 EnWG) sowie die Festlegungsbefugnis der Regulierungsbehörde (§ 50 GasNZV) berücksichtigt. Die hier dargestellte und vertretene Auffassung lässt sich des Weiteren durch vergleichbare Beispiele der Abnahmepflicht von Strom aus erneuerbaren Energien (vgl. § 7 Abs. 1 EEG)527 oder des Notwegerechts (vgl. § 917 BGB) bekräftigen528 . Somit ist zu schlussfolgern, dass § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG einen unmittelbaren und zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Netzzugang begründet. Die haftungsrechtlichen Aspekte des dadurch entstandenen Schuldverhältnisses unterliegen hierbei den allgemeinen Regelungen des Schuldrechts (§§ 241 ff. BGB) sowie gegebenenfalls denen des Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB). 3.

Pflichtenkatalog des Netzbetreibers in Anbetracht der materiell-rechtlichen Ausgestaltung des Netzzugangs

Die Grundlage für die konkrete Ausgestaltung eines Netzzugangsverhältnisses im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG sind die in § 20 Abs. 1b EnWG vorgeschriebenen Netznutzungsverträge sowie die Vorgaben der gemäß § 24 EnWG erlassenen GasNZV. In der Verordnung werden insbesondere die Abwicklung und die vertragliche Ausgestaltung des Netzzugangs, die Kooperagiewirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2008, S. 219 ff.; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 195 ff.; vgl. aber Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht, Kap. 3 D Rn. 63 f.; Huber/Storr, RdE 2007, 1 (3); Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 168 f. 524 OLG München ZNER 2011, 84 (85); OLG Hamburg BeckRS 2014, 16421; LG Kiel BeckRS 2006, 07992; vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2013, 07739. 525 Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 198. 526 Vgl. BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 62. 527 Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG) v. 21.07.2014, BGBl. I S. 1066. 528 Ausführlich hierzu Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 191 ff.; ebenfalls BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 63.

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tion zwischen den Netzbetreibern, der Lieferantenwechsel und die Veröffentlichungs- und Informationspflichten geregelt. Da der Netznutzungsvertrag als zivilrechtlicher Vertrag angesehen wird, sind zudem die allgemeinen Vorgaben des BGB, unter anderem die Vorschriften zur AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB, anzuwenden. Im Folgenden werden die einzelnen hier relevanten Verpflichtungen des Netzbetreibers im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Netzzugangs nach dem transaktionsunabhängigen Entry-Exit-Modell dargelegt. a)

Leistungsbeschreibung

Die Hauptleistungspflichten des zur Abwicklung des Netzzugangs verpflichteten Netzbetreibers bestehen darin, zum einen die von Transportkunden am benannten Einspeisepunkt bereitgestellte Gasmenge zu übernehmen und in seinem Netz am virtuellen Handelspunkt für den Transportkunden zur Übergabe bereitzustellen (Einspeisevertrag, vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 GasNZV i. V. m. § 3 Anlage 1, § 3 Anlage 2 zur KoopV VIII) und zum anderen die vom Transportkunden am virtuellen Handelspunkt angestellte Gasmenge zu übernehmen und zeitgleich sowie wärmeäquivalent am vereinbarten Ausspeisepunkt an seinen Transportkunden zu übergeben (Ausspeisevertrag, vgl. § 8 Abs. 1 S. 1 GasNZV i. V. m. § 4 Anlage 1, § 4 Anlage 2 zur KoopV VIII). Auf der Verteilerebene ist hingegen gemäß § 20 Abs. 1b S. 4 EnWG, § 3 Abs. 4 GasNZV nicht erforderlich, dass sich der Ausspeisevertrag auf bestimmte Entnahmestellen bezieht. Der Transportkunde und der jeweilige Verteilernetzbetreiber müssen somit nicht für jeden Entnahmepunkt einen separaten Ausspeisevertrag abschließen. Es reicht aus, wenn ein sog. – die Bedingungen des Zugangs zum Verteilernetz ungeachtet der Anzahl der vom Transportkunden tatsächlich gebuchten Ausspeisepunkte regelnder529 – Lieferantenrahmenvertrag zwischen den genannten Akteuren zustande kommt. Die einzelnen Ausspeisepunkte werden auf einer Kundenliste als Anhang zu einem Lieferantenrahmenvertrag angegeben530 . Aufgrund des oben Ausgeführten sowie unter Berücksichtigung des im Gassektor etablierten Zweivertragsmodells ergibt sich zudem, dass die Transportkunden ihre Einspeise- und Ausspeisekapazitäten unabhängig voneinander buchen und nutzen können.

529 530

Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 190. Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 512; Neveling, in: Danner/ Theobald, Energierecht EnWG § 20 Abs. 1b Rn. 67; Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 190 f.

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Bei alledem ist der betroffene Netzbetreiber nicht verpflichtet, die Nämlichkeit531 des Gases bei der Ausspeisung sicherzustellen (§ 8 Abs. 1 S. 2 GasNZV). Dies lässt sich, wie bereits im Hinblick auf das Pflichtenprogramm des Gaslieferanten angemerkt, auf die technischen Gegebenheiten der leitungsgebundenen Gasversorgung zurückführen. Die Übernahme und Übergabe der Gasmengen erfolgt grundsätzlich in einem einheitlichen Gasfluss, in welchem unterschiedliche Gasmengen, auch anderer Einspeisenden, vermischt werden (vgl. § 4 Abs. 4 Anlage 1, § 4 Abs. 4 Anlage 2 zur KoopV VIII). Man kann sodann nicht feststellen, von wem das zu entnehmende Gas ursprünglich eingespeist wurde. Dem Netzbetreiber obliegt demnach, lediglich die vertraglich geschuldete Gasmenge und nicht das mit dem eigespeisten Gas identische, am virtuellen Handelspunkt bzw. an der jeweiligen Entnahmestelle verfügbar zu halten. Der Netzbetreiber ist zudem dafür verantwortlich, dass das Gas am bestimmten Ausspeisepunkt den Spezifikationen der technischen Regeln der DVGW für die Gasanwendung sowie -abrechnung entspricht (vgl. §§ 20, 21 Anlage 1, §§ 14, 15 Anlage 2, § 3 Anlage 3 zur KoopV VIII). Die DVGWRegeln stellen in erster Linie die qualitäts- und sicherheitstechnisch ordnungsgemäße Beschaffenheit des Gases, die für seine gefahrlose Anwendung erforderlich ist, fest532 . Sollten sie durch den Netzbetreiber nicht eingehalten werden, ist das Vorliegen eines Mangels im Sinne von § 633 Abs. 2 BGB und somit eine analoge Anwendung des Gewährleistungsrechts durchaus denkbar. Dazu muss ein Netznutzungsvertrag als Vertrag sui generis533 werkvertragliche Elemente enthalten und der werkvertragliche Teil betroffen sein534 . Es stellt sich folglich die Frage, ob die Verpflichtung des Ausspeisenetzbetreibers zur Übergabe der den technischen Anforderungen im Hinblick auf die Gasbeschaffenheit oder der Druckspezifikation entsprechenden Erdgasmengen am Ausspeisepunkt einen werkvertraglichen – erfolgsorientierten – Charakter aufweist. Die geschuldete Werkleistung, welche die Heranziehung der im Hinblick auf die Gewährleistung beim Werkvertrag maßgeblichen Vorschriften begründen würde, könnte in der Vorbereitung der vereinbarten Gasmenge, insbesondere durch die Sicherstellung bzw. Wiederherstellung der erforderlichen Gasbeschaffenheit, für die Ausspeisung liegen535. Dies gilt umso mehr, wenn 531

Der Begriff der Nämlichkeit des Gases wird hier in Anlehnung an die GasNZV-Terminologie verwendet. Die Nämlichkeit des Gases wäre dann gegeben, wenn das eingespeiste und das ausgespeiste Erdgas stofflich identisch sind (dieselben Erdgasmoleküle). 532 Vgl. Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 73; Marburger, Regeln, S. 500. 533 Frank/Ziller, RdE 2002, 91 (100 f.). 534 BeckOK/Voit, Stand: 01.11.2018, BGB § 633 Rn. 2. 535 Vgl. Frank/Ziller, RdE 2002, 91 (99 f.).

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man die Einhaltung der technischen Regeln vertraglich – auch stillschweigend – vereinbart, was im Netzzugangsbereich grundsätzlich der Fall ist. Anderenfalls stellte das DVGW-Regelwerk lediglich den Anhaltspunkt für die Sachmangelbeurteilung dar. Die Nichteinhaltung dieser Anforderungen würde sodann keinen Sachmangel begründen, soweit die Standsicherheit auf anderem Wege erreicht wird. Lässt sich die analoge Anwendung der werkvertraglichen Vorschriften auf die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Einhaltung von Gasbeschaffenheit oder Druckspezifikation nicht begründen, ist bei der Verletzung dieser Pflicht eine Schlechtleistung des Netzbetreibers im Sinne von § 281 BGB zu bejahen 536 . Da jedoch eine solche Schlechtleistung durch Nacherfüllung wegen der Besonderheiten der Gaswirtschaft in der Regel nicht behoben werden kann, werden auch hier die Vorschriften über die Unmöglichkeit gelten537. Die Verpflichtung des jeweiligen Netzbetreibers zur Übergabe von Erdgas bestimmter Gasbeschaffenheit und laut Druckspezifikation am Ausspeisepunkt steht gemäß § 320 BGB im Gegenseitigkeitsverhältnis zur verordnungsrechtlich festgelegten Verpflichtung des Transportkunden, sicherzustellen, dass das von ihm zur Einspeisung anstehende Gas den allgemein anerkannten Regeln der Technik im Sinne des § 49 Abs. 2 und 3 EnWG entspricht und mit den auf der Internetseite des Netzbetreibers veröffentlichten Eigenschaften des sich im aufnehmenden Netz befindlichen Gases kompatibel ist (§ 19 Abs. 1 GasNZV). Kommt der Transportkunde seiner Verpflichtung nicht nach, hat der Netzbetreiber ihm ein die Anforderungen von § 21 Abs. 1 EnWG erfüllendes Angebot zur Herstellung der notwendigen Kompatibilität zu unterbreiten, jedoch stets unter dem Vorbehalt der technischen Möglichkeiten und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Die Einhaltung einer bestimmten Gasbeschaffenheit ist obendrein für die Aufrechthaltung des gesamten Gasnetzes erforderlich, was letztendlich die Ein- und Ausspeisung ermöglicht. Somit gehört diese Verpflichtung des Netzbetreibers ebenfalls zu sog. Systemdienstleistungen, die nach §§ 11 ff. EnWG im Zuständigkeitsbereich des Netzbetreibers liegen und für einen sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Betrieb des Gasversorgungsnetzes zu erfüllen sind. Dieser Systemdienstleistung kommt außerdem besondere Bedeutung im Rahmen der allgemeinen Verpflichtung zur technischen Sicherheit beim Netzbetrieb nach § 49 Abs. 1 EnWG zu, soweit sich die Abweichungen von den vertraglich und gesetzlich festgeschriebenen technischen Anforde536

Vgl. zur Anschlussnutzung Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 82. 537 Looschelders, Schuldrecht AT, § 22 Rn. 17.

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rungen betreffend die Gasbeschaffenheit oder die Druckspezifikation auf die Sicherheit der Allgemeinheit auswirkt538 . b)

Kooperationspflichten

Eine der wichtigsten gesetzgeberischen Entscheidungen für das Funktionieren der liberalisierten Gaswirtschaft war, die Netzbetreiber zur Zusammenarbeit zu verpflichten. Denn die Kooperation zwischen unterschiedlichen Netzbetreibern ist zum einen angesichts der technisch-physikalischen Organisation der Netze sowie der aufgespaltenen Eigentumsverhältnisse an ihnen bzw. deren Teile im Interesse der Allgemeinheit zwingend notwendig und zum anderen im Hinblick auf die Ziele des neuen Energierechts regulierungspolitisch bedingt 539 . Je nach Vorgang im Energieversorgungsnetz hat indes der deutsche Gesetzgeber zahlreiche Zusammenarbeitspflichten der Netzbetreiber durch das EnWG und die Netzzugangsverordnungen gesetzlich verankert540 . aa)

Gesetzliche Verpflichtung zur Zusammenarbeit beim Netzzugang

Die in erster Linie normierte, aber auch praktische Zusammenarbeit der Netzbetreiber gilt als Grundlage insbesondere für die Gewährung des Netzzugangs nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Zweivertragsmodell541 . § 20 Abs. 1 S. 3 EnWG enthält mithin eine generalklauselartige Kooperationspflicht für den Netzzugangsbereich, die zum einen die gesetzlichen Anforderungen an die Verpflichtung der Netzbetreiber zur diskriminierungsfreien Zurverfügungstellung ihrer Netze an Dritte für den Gastransport konkretisiert und zum anderen einen abstraktgenerellen Maßstab für die Mitwirkung der Netzbetreiber beim Netzzugang definiert542 . Danach haben alle Netzbetreiber in dem Umfang zusammenzuarbeiten, der erforderlich ist, um einen effizienten Netzzugang sicherzustellen. Näher konkretisiert wird diese allgemein formulierte Kooperationsverpflichtung in § 20 Abs. 1b S. 5 bis 8 EnWG, wobei die Regelung der Einzelheiten dennoch in den Händen der Netzbetreiber bleibt (vgl. § 8 Abs. 6 GasNZV)543 . § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG ist zwar wiederum generalklauselartig formuliert, gibt jedoch weitere Anforderungen an die Zusammenarbeit unter Betreibern der Gasversorgungsnetze zum Zwecke der Gewährung eines effizien538

Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 117. Britz, ZNER 2006, 91 (91 ff.). 540 Britz/Hellermann/Hermes/Britz, EnWG § 20 Rn. 27 f.; Britz, ZNER 2006, 91. 541 BT-Drs. 15/3917, S. 59. 542 Britz, ZNER 2006, 91 (94). 543 Zum gesetzlichen Auftrag zur Konkretisierung der Zusammenarbeitspflichten s. Britz, ZNER 2006, 91 (94); Britz/Hellermann/Hermes/Britz, EnWG § 20 Rn. 30 f., 98; Neveling, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 20 Abs. 1b Rn. 70. 539

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ten Netzzugangs vor. Die Kooperation hat demnach so zu erfolgen, dass der Transport von Gas über mehrere Netzkopplungsstellen von miteinander verbundenen Netzen aufgrund nur eines Einspeise- und eines Ausspeisevertrages abgewickelt werden kann. Um dieser Zusammenarbeitsverpflichtung nachkommen zu können, ist gemeinsames Handeln der Netzbetreiber insbesondere bei der Berechnung und dem Angebot von Kapazitäten, der Erbringung von Systemdienstleistungen, der Kosten- oder Entgeltwälzung, der Entwicklung einheitlicher Vertragsstandards für den Netzzugang erforderlich (§ 20 Abs. 1b S. 6 bis 8 EnWG). Diese Verpflichtung findet allerdings ihre Grenzen in den technischen Möglichkeiten (z. B. bei unterschiedlichen Gasqualitäten, wenn die Anpassung nicht möglich ist) und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit (z. B. bei dem Ausbau des Netzes). Im Übrigen besitzen die Netzbetreiber einen inhaltlichen Spielraum für die Ausgestaltung ihrer Zusammenarbeit. bb) Konkretisierung durch die Kooperationsvereinbarung Die konkreten Bedingungen und Voraussetzungen der Zusammenarbeit unter den Gasversorgungsnetzbetreibern für die Verwirklichung des netzübergreifenden Gastransports sind in der sog. Kooperationsvereinbarung geregelt. Die erste Kooperationsvereinbarung544 wurde durch die BNetzA akzeptiert und am 19. Juli 2006 durch 20 Netzbetreiber unterzeichnet. Seitdem wurde sie aber mehrmals – grundsätzlich als Reaktion auf die entsprechenden Gesetzesänderungen – verändert. Die Anzahl der Beitritte ist ebenfalls gestiegen und beträgt derzeit 780 Betreiber von in Deutschland gelegenen Gasversorgungsnetzen545 . (1)

Kein Rechtsnormcharakter

Die Kooperationsvereinbarung zwischen den Netzbetreibern gilt als Mittel des vom Gesetzgeber wegen der staatlichen Wissensgrenzen in technischen und wirtschaftlichen Fragen der Gastransportabwicklung bevorzugten Konzepts der Selbstregulierung546 und hat die gegenseitige Lenkung ihres Verhaltens zum Gegenstand547 . Es handelt sich hierbei um einen schuldrechtlichen multilateralen Vertrag548 , in welchem wechselseitige vertragliche Rechte und Pflich544

Detailliert dazu Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 58 ff.; Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 178 ff.; Merk, Recht der gaswirtschaftlichen Netzregulierung, S. 395 ff. 545 BDEW, Beitrittsliste, abgerufen unter: https://www.bdew.de (zuletzt am 01.12.2018). 546 Britz, ZNER 2006, 91 (95). 547 S. zum Gegenstand der Kooperationsvereinbarung Merk, Recht der gaswirtschaftlichen Netzregulierung, S. 382 f. 548 BNetzA, Beschluss v. 17.11.2006, Az. BK7-06-074, S. 3; Thole/Böhnk, IR 2012, 220 (222).

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ten der Netzbetreiber aller Stufen zwecks Erfüllung der ihnen in § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG auferlegten Kooperationspflicht festgeschrieben sind. Er ist Ausdruck kollektiver Privatautonomie und wird nur zwischen den an dem Abschluss des Vertrages Beteiligten begründet. Den Regelungen der Kooperationsvereinbarung wird auch keine Eigenschaft von Rechtsnormen verliehen, auch wenn dies im Bereich der Energiewirtschaft durchaus vorstellbar wäre549 . Dafür fehlt ein entsprechender Geltungsbefehl des Gesetzgebers. Die verordnungsrechtliche Anordnung des Beitritts zur Kooperationsvereinbarung gemäß § 8 Abs. 6 GasNZV ändert daran ebenfalls nichts. (2)

Standardisierte Vertragsbedingungen

Von besonderer – auch praktischer – Bedeutung für die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse zwischen Transportkunden und Netzbetreibern sind die in den Anlagen zu der Kooperationsvereinbarung enthaltenen standardisierten Geschäftsbedingungen für verschiedene Verträge (insbesondere Ein- und Ausspeisevertrag, Lieferantenrahmenvertrag etc.), die für die Organisation des Gastransports durch das Gesamtnetz erforderlich sind. Diese vorformulierten Vertragsbedingungen werden in Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtung zur Entwicklung gemeinsamer Vertragsstandards für den diskriminierungsfreien Netzzugang aus § 20 Abs. 1b S. 7 EnWG durch die Netzbetreiber erarbeitet und sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 1 BGB zu qualifizieren550. Dies ergibt sich daraus, dass zum einen die Kooperationsvereinbarung und ihre Anlagen keine unmittelbare Wirkung gegenüber den Transportkunden wegen des fehlenden Rechtsnormcharakters entfalten und zum anderen sie für eine Vielzahl von Verträgen verwendet werden sollen (vgl. dazu § 2 Ziff. 1 KoopV VIII). Die standardisierten Geschäftsbedingungen der Kooperationsvereinbarung unterliegen deshalb der allgemeinen zivilrechtlichen (Inhalts-)Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB, wenngleich ihre Billigung durch die zuständige Regulierungsbehörde erfolgt551 . Die Überprüfung gemäß §§ 307 ff. BGB ist allerdings gehindert, soweit sie sog. deklaratorische Klauseln darstellen und auf die Festlegungen der Regulierungsbehörde nach § 29 Abs. 1 EnWG i. V. m. § 50 GasNZV lediglich verweisen, die ohnehin auf die Netznutzungsverträge anzuwenden wären552. Denn die Festlegungen der 549

Britz, ZNER 2006, 91 (93). So auch Thole/Böhnk, IR 2012, 220 (222); BerlKommEnR I 1/Thole, EnWG § 20 Rn. 171. 551 Vgl. Rasbach/Baumgart/Raach/Rasbach, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 5 Rn. 20; s. ebenfalls BeckOK/Schmidt, Stand: 01.11.2018, BGB § 307 Rn. 7; Palandt/ Grüneberg, BGB Überbl v § 305 Rn. 19; MünchKomm/Wurmnest, BGB §§ 305 ff. Rn. 17. 552 Rasbach/Baumgart/Raach/Rasbach, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 5 Rn. 20; dazu auch MünchKomm/Wurmnest, BGB § 307 Rn. 6. 550

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Regulierungsbehörde haben die Funktion einer Verordnung und sind somit als Rechtsvorschrift im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB anzusehen553. Die standardisierten Geschäftsbedingungen der Kooperationsvereinbarung müssen obendrein den Anforderungen des § 4 GasNZV entsprechen, der die Mindestangaben für die AGB der Ein- bzw. Ausspeiseverträge auflistet, ohne sie inhaltlich näher auszugestalten. Nach § 2 Ziff. 1 KoopV VIII, der sich auf den Inhalt des unmittelbar geltenden § 20 Abs. 1b S. 7 EnWG bezieht, sind die Netzbetreiber zur einheitlichen Anwendung der von ihnen erarbeiteten gemeinsamen Vertragsstandards den Transportkunden gegenüber verpflichtet, nicht zuletzt wegen des von ihnen zu beachtenden Diskriminierungsverbots554 , so dass Individualvereinbarungen zwischen den Beteiligten oder zumindest eine individuelle Ausgestaltung einzelner Vertragsbestimmungen kaum möglich sind555 . Das Aushandeln ergänzender Geschäftsbedingungen ist zwar zulässig, jedoch auch nur in den in der Kooperationsvereinbarung aufgeführten Fällen (vgl. § 2 Ziff. 3 KoopV VIII). Den Netzbetreibern wird dadurch ihre Handlungs- und Verhandlungsfreiheit weitgehend genommen. Dennoch gibt dieser Umstand dem betroffenen Netzbetreiber kein Zugangsverweigerungsrecht nach § 20 Abs. 2 EnWG, falls er keine vertragliche Einigung mit dem Netzzugangspetenten erreichen sollte556 . Zum einen hängt der Rechtsanspruch des Transportkunden auf Nutzung des Netzes nicht vom Vertragsabschluss ab557 und zum anderen muss die Gewährung des Netzzuganges dem Netzbetreiber selbst unmöglich bzw. unzumutbar sein, damit sich Letzterer auf einen Verweigerungsgrund aus § 20 Abs. 2 EnWG berufen kann558. Dies gilt, auch wenn das Angebot des Netzbetreibers unter Vorbehalt angenommen worden ist. cc)

Rechtliche Einordnung und Durchsetzung

Einer rechtlichen Darstellung und Erörterung für die vorliegende Untersuchung bedürfen überdies die rechtliche Einordnung sowie die Durchsetzung der Kooperationspflichten im Netznutzungsbereich. Denn die Erörterungen über die Verantwortung der Netzbetreiber für Gasleiterstörungen wegen mangelhafter

553

S. Palandt/Grüneberg, BGB § 307 Rn. 50 ff. Vgl. BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 45. 555 Thole/Böhnk, IR 2012, 220 (222); BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 178. 556 Anders aber Thole/Böhnk, IR 2012, 220 (223). 557 BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 242. 558 Bereits zur alten Rechtslage OLG Dresden OLG-NL 2001, 79 (83); allgemein zu Netzzugangsverweigerungsgründen des Netzbetreibers BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 220 ff. 554

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Kooperation beim Netzzugang sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis setzen Klarheit darüber voraus. (1)

Gesetzliches Schuldverhältnis

Die herrschende Meinung in der Literatur 559 und in der Rechtsprechung 560 geht davon aus, dass die in § 20 Abs. 1b S. 5 bis 8 EnWG verankerten Verpflichtungen zur Zusammenarbeit ein gesetzliches Schuldverhältnis begründen. Der Gesetzgeber stattet demnach den einzelnen Netzbetreiber mit einem gesetzlichen Recht aus, die Erbringung der Kooperationsleistung, falls sie für die Gewährung des Netzzugangs nach den Vorgaben aus § 20 Abs. 1b EnWG erforderlich ist, von jedem anderen Netzbetreiber einzufordern, ohne dass eine rechtsgeschäftliche Einigung der Beteiligten vorliegen muss561 . Der betroffene Netzbetreiber kann also den nicht kooperierenden Netzbetreiber unmittelbar in Anspruch nehmen und ihn zu entsprechenden Mitwirkungshandlungen zwingen, was dem Sinn und Zweck des Zweivertragsmodells im Netzzugangsbereich entspricht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 1b EnWG. (2)

Kontrahierungszwang

Da ein diskriminierungsfreier, effizienter und massengeschäftstauglicher Netzzugang nur bei einer nachhaltigen und stabilen Zusammenarbeit zwischen beteiligten Netzbetreibern zu erreichen ist, ordnet § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG zusätzlich einen Kontrahierungszwang an562. Das heißt, jeder Netzbetreiber hat einer Verpflichtung zum Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages zur Regelung der Einzelheiten der für die Gewährung der Netznutzung im Sinne des § 20 Abs. 1b EnWG erforderlichen Zusammenarbeit nachzukommen, die aber erst auf Anforderung durch den Vertragsinteressenten aktiviert wird563 . Dadurch soll das Verbindlichkeitserfordernis laut § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG erfüllt werden. Bekräftigt wird diese Auffassung durch die Verpflichtung zum Abschluss einer Kooperationsvereinbarung in § 8 Abs. 6 S. 1 GasNZV564 . Der 559

Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 113 f.; Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 175 f.; Neveling, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 20 Abs. 1b Rn. 71; Salje, EnWG § 20 Rn. 37; Britz, ZNER 2006, 91 (94); vgl. dazu Säcker, RdE 2009, 305 (308). 560 LG Kiel BeckRS 2006, 07992. 561 Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 114. 562 Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 114 ff.; Neveling, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 20 Abs. 1b Rn. 80; Thole/Böhnk, IR 2012, 220 (222). 563 So Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 242. 564 Thole/Böhnk, IR 2012, 220 (221 f.); Merk, Recht der gaswirtschaftlichen Netzregulierung, S. 390 f.; zur Lage vor Schaffung des § 8 Abs. 6 GasNZV vgl. Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1 b EnWG, S. 115.

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fehlende Beitritt zur Kooperationsvereinbarung stellt sodann einen Verstoß gegen die gesetzlich vorgeschriebene Kooperationspflicht der Netzbetreiber dar, wobei ein sog. Rechtmäßigkeitsvorbehalt im Sinne von § 150 Abs. 2 BGB zulässig wäre565 . (3)

Kein unmittelbarer Anspruch des Netzkunden

Daran anschließend stellt sich die Frage nach der Durchsetzung der Zusammenarbeitspflicht der Netzbetreiber aus § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG durch ihre Transportkunden. Naheliegend dürfte hier ein unmittelbarer zivilrechtlicher Anspruch des Transportkunden auf Erfüllung der Zusammenarbeitspflicht gegenüber den betroffenen Netzbetreibern sein, denn die Netznutzung erfordert notwendig ein Zusammenwirken aller Netzbetreiber und kann von einem Schuldner allein nicht erbracht werden. Dies könnte sodann auf eine gemeinschaftliche Schuld hindeuten, was die Rechtsprechung im Ergebnis auch annimmt566. Der Anspruch aus § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG steht allerdings nur den Netzbetreibern zu und richtet sich gleichzeitig nur gegen die Netzbetreiber. Gegenüber dem Transportkunden ist dagegen lediglich der Einspeise- bzw. Ausspeisenetzbetreiber aus einem entsprechenden nach § 20 Abs. 1b S. 2 oder 3 EnWG abgeschlossenen Vertrag verpflichtet, so dass eine gemeinschaftliche Schuld abzulehnen ist567. Das Bestehen eines Vertrages zugunsten Dritter zwischen den Netzbetreibern, aus welchem sich ein eigener Erfüllungsanspruch des Transportkunden auf das Kooperationsverhalten des untätigen Netzbetreibers ergeben könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich568. Da aber der jeweilige Netzbetreiber dem Transportkunden den Zugang zum gesamten Netz schuldet (vgl. § 20 Abs. 1, Abs. 1b EnWG), kann Letzterer seinen Vertragspartner zur Einforderung der Kooperation mit anderen betroffenen Netzbetreibern für die Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht – die Gewährung des Netzzugangs – aus § 20 Abs. 1b S. 2 oder 3 EnWG zwingen und somit mittelbar die Erfüllung der Zusammenarbeitspflicht durch diese nach § 20 Abs. 1b S. 5 EnWG durchsetzen569 . Der Transportkunde hat zudem die Möglichkeit, gegen einen die Kooperation verweigernden und dadurch die Gewährung des Netzzugangs auf der Grundlage des Zweivertragsmodells beeinträchtigenden Netzbetreiber über den Beseitigungs- und Unterlassungsan-

565

Thole/Böhnk, IR 2012, 220 (222). LG Kiel BeckRS 2006, 07992. Vgl. Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 117. 568 Überzeugend Merk, Recht der gaswirtschaftlichen Netzregulierung, S. 383 ff. 569 Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 117; kritisierend auch Neveling, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 20 Abs. 1b Rn. 73.

566

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spruch gemäß § 32 Abs. 1 EnWG570 oder durch die Einleitung eines besonderen Missbrauchsverfahrens nach § 31 EnWG571 vorzugehen. c)

Veröffentlichungs- und Informationspflichten

Man darf an dieser Stelle auch die Veröffentlichungs- und Informationspflichten der Netzbetreiber nicht unerwähnt lassen. Denn die Einhaltung dieser gesetzlich vorgeschriebenen Verhaltenspflichten stellt eine unabdingbare Voraussetzung für einen effizienten – diskriminierungsfreien – Netzzugang dar und deren Unterlassen kann (nachteilige) haftungsrechtliche Konsequenzen auslösen. aa)

Zum Inhalt der Veröffentlichungs- und Informationspflichten

Eine umfassende Veröffentlichungspflicht ist in § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG statuiert. Danach müssen die Betreiber von Gasversorgungsnetzen ihre Netzzugangsbedingungen, Musterverträge, Konzessionsabgaben und Entgelte, die in erster Linie für Transparenz und Massentauglichkeit der Netznutzungsregelung sorgen sollen, veröffentlichen. Bei der Umsetzung der an sie gerichteten Veröffentlichungspflichten ist immer zu berücksichtigen, dass die für die Netznutzung notwendigen Informationen den Transportkunden möglichst leicht zugänglich sind572 . Dies ist dadurch zu erreichen, dass die Veröffentlichungen der den Veröffentlichungspflichten unterliegenden Daten im Internet – und zwar auf der Homepage des jeweiligen Netzbetreibers (vgl. § 40 Abs. 1 GasNZV) – erfolgen. Die Vorschrift enthält sonst keine Vorgaben für die Art und Weise sowie den Umfang der Veröffentlichung573 . Die in § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG verankerte Veröffentlichungsverpflichtung wird jedoch in § 40 GasNZV näher ausgestaltet, der die wichtigsten zu veröffentlichenden netzbezogenen und netznutzungsrelevanten Angaben vorschreibt. § 40 GasNZV entstand durch die Novellierung der GasNZV im Jahre 2010 und wurde an die Verschärfungen der Transparenzanforderungen und Veröffentlichungspflichten für Betreiber von Fernleitungsnetzen in Art. 18 ErdgasZVO 2009574 angepasst575 , 570

Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 117 ff. Brodt, Das Gasnetzzugangsmodell des § 20 Abs. 1b EnWG, S. 119; Neveling, in: Danner/ Theobald, Energierecht EnWG § 20 Abs. 1b Rn. 72, 152 ff. 572 BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 44. 573 Im Zweifel kann dabei der durch die BNetzA im Jahr 2008 erarbeitete Leitfaden für die Internet-Veröffentlichungspflichten der Stromnetzbetreiber analog herangezogen werden (http://www.bundesnetzagentur.de), wenngleich er nur einen Empfehlungscharakter hat und keine Rechtswirkung entfaltet. 574 Verordnung (EG) Nr. 715/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.07.2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005, ABl. EU Nr. L 211 v. 14.08.2009, S. 36. 571

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obwohl die nationalen Vorschriften weiter gefasst sind und die Fernleitungssowie Verteilernetzebene betreffen. Sollten die Netzzugangspetenten für die Geltendmachung ihres Netzzugangsanspruches weitere – nicht veröffentlichte – Informationen brauchen, haben die Netzbetreiber ihnen diese nach § 20 Abs. 1 S. 4 EnWG zur Verfügung zu stellen. Wann die Erteilung solcher Informationen dem Erforderlichkeitskriterium entspricht, ist im Einzelfall zu entscheiden576. bb)

Rechtsfolgen einer Verletzung der Veröffentlichungs- und Informationspflichten

Fraglich ist, ob und in welchem Umfang die Netzbetreiber für die Verletzung ihrer Veröffentlichungs- und Informationspflichten im Bereich der Netznutzung einzustehen haben. (1)

Energierechtliche Folgen

Das Unterlassen der den Netzbetreibern im Rahmen des Netzzugangs nach § 20 EnWG gesetzlich auferlegten Veröffentlichungs- und Informationspflichten kann zunächst den Tatbestand eines Missbrauchs der Marktstellung nach § 30 Abs. 1 S. 1 EnWG erfüllen, so dass die Maßnahmen nach § 31 i. V. m. § 30 Abs. 1 S. 1 EnWG greifen577. Die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung dieser Verpflichtungen nach § 20 Abs. 1 S. 1 und S. 4 EnWG stellt somit eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 EnWG dar, die mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro sanktioniert werden kann. (2)

Zivilrechtliche Folgen

Daneben erscheint die Herleitung eines Schadensersatzanspruches des Transportkunden aus den Schadensersatznormen des Schuldrechts durchaus denkbar. Zunächst kommen Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 3, 282 i. V. m. § 241 Abs. 2 oder §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB in Betracht, soweit die Nicht- oder Schlechterfüllung der gesetzlich geregelten Veröffentlichungs- und Informationspflichten beim Transportkunden einen Schaden verursacht (etwa weil er seinen Netzzugangsanspruch nicht verwirklichen kann)578 . Die Pflichtverletzung des Netzbetreibers muss hierbei für den Schaden kausal gewesen sein, was dem Beweis gegebenenfalls nur schwer zugänglich sein mag. Man darf allerdings nicht übersehen, dass dem Rechtsschutzziel der Informationspflicht nach § 20 Abs. 1 S. 4 EnWG am ehesten die 575

S. dazu Merk, Recht der gaswirtschaftlichen Netzregulierung, S. 213. Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 200. 577 BerlKommEnR I 1/Säcker/Boesche, EnWG § 20 Rn. 54. 578 Vgl. Olbricht, Netzzugang in der deutschen Gaswirtschaft, S. 199 f. 576

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Verfolgung eines Anspruches auf Informationserteilung entspricht, denn bei der Geltendmachung seines Netzzugangsanspruches ist der Netzzugangspetent regelmäßig auf bestimmte – für den konkret gewünschten Netzzugang unabdingbare und ihm nicht bekannte – Angaben angewiesen. Der Zweck der Informationspflicht erschöpft sich indes grundsätzlich bereits mit Vertragsschluss bzw. Entstehung des gesetzlichen Schuldverhältnisses, dessen Gegenstand die Gewährung der Netznutzung ist579 . Von besonderer Bedeutung ist weiterhin, ob § 20 Abs. 1 S. 1 und S. 4 EnWG ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellen und somit eine Schadensersatzpflicht des jeweiligen Netzbetreibers nach § 823 Abs. 2 BGB gegenüber seinem Transportkunden begründen können. Das in Bezug genommene Gesetz muss hierfür den Schutz eines anderen bezwecken (vgl. § 823 Abs. 2 S. 1 BGB), wobei es nicht lediglich auf den Schutz der Allgemeinheit, sondern – zumindest reflexhaft – auch auf den Schutz von Individualinteressen gezielt werden soll580. An dieser Stelle ist sodann eine differenzierte Betrachtung der Veröffentlichungspflicht nach § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG und der Informationspflicht nach § 20 Abs. 1 S. 4 EnWG geboten, weil diese – auch wenn nur teilweise – unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen. Während nach der Gesetzesbegründung § 20 Abs. 1 S. 4 EnWG die Wahrnehmung des Netzzugangsanspruches nach § 20 EnWG in effizienter Form durch einzelne Transportkunden schützen soll581 und somit ohne große Bedenken die Qualität eines Schutzgesetzes im Sinne der Haftungsnorm des § 823 Abs. 2 BGB innehaben kann, ist primärer Zweck der Veröffentlichungspflicht nach § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG die Förderung der Markttransparenz und Marktintegrität für die Sicherstellung des Wettbewerbs im Erdgassektor. Die Individualinteressen des einzelnen Transportkunden, die zur Vorbereitung und Abwicklung eines konkret gewünschten Gastransports sowie zur Abschätzung des damit verbundenen Risikos benötigte Information erhalten und somit eine informierte Netzzugangsentscheidung vornehmen zu können582 , werden mithin nur im Sinne eines Reflexes dieser Wirkung geschützt, was jedoch – wie bereits oben erwähnt – zur Ablehnung des Schutzgesetzcharakters des § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG nicht ausreicht. Einzelnen Netzzugangspetenten können daher wohl Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB zugesprochen werden. Unter engen Voraussetzungen kann darüber hinaus eine Scha-

579

Zum Zweck der Informationspflicht s. BT-Drs. 15/3917, S. 59. Palandt/Sprau, BGB § 823 Rn. 58; vgl. auch MünchKomm/Wagner, § 823 BGB Rn. 498. 581 BT-Drs. 15/3917, S. 59. 582 Vgl. BR-Drs. 312/10, S. 100. 580

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

117

densersatzpflicht wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB in Betracht kommen. II.

Anschlusspflicht

Zu den zentralen Verpflichtungen der Netzbetreiber gehört seit der Liberalisierung des Energiewirtschaftssektors die Verpflichtung zum Netzanschluss nach §§ 17, 18 EnWG, dessen Gewährung eine unabdingbare Vorstufe für den in § 20 EnWG geregelten Netzzugang ist583 . Nachdem die Grundlagen des Anspruches auf Netzanschluss (§ 17 EnWG) und der allgemeinen Anschlusspflicht (§ 18 EnWG) oben aufgearbeitet wurden, sollen im Folgenden die haftungsrechtlich relevanten Aspekte ihrer inhaltlichen Gestaltung in diesem Abschnitt der Untersuchung näher eingegangen werden. 1.

Leistungsbeschreibung

Mittelpunkt eines Pflichtenbündels des Netzbetreibers in einem Netzanschlussvertrages ist – unabhängig von der Netzdruckebene – die Gewährung des Netzanschlusses. Darunter ist sowohl der Anschluss der Gasanlage an das jeweilige Gasleitungsnetz über den Netzanschluss als auch dessen weiteren Betrieb zu verstehen (vgl. § 2 Abs. 1 NDAV). a)

Pflicht zur technischen Umsetzung des Netzanschlusses

Die Gewährung des Netzanschlusses umfasst zunächst die eigentliche Errichtung des Anschlusses an das jeweilige Gasversorgungsnetz durch den Netzbetreiber584. Der Netzbetreiber ist verpflichtet, bei der technischen Umsetzung des Anschlusses aktiv mitzuwirken sowie die Anschlussmaßnahmen selbst oder durch einen Erfüllungsgehilfen durchzuführen und nicht bloß sie zu dulden585 . Im Rahmen der allgemeinen Anschlusspflicht nach § 18 EnWG wird die Verpflichtung zur eigentlichen Herstellung des Netzanschlusses bereits durch § 6 NDAV bestätigt, der die Vorgaben für die Herstellung des Anschlusses durch den Netzbetreiber und die Berücksichtigung der Interessen des Netzanschlussnehmers enthält586. Aus § 17 EnWG ergibt sich nichts anderes, wofür in erster Linie der Wortsinn dieser Norm sowie der Wortlaut des § 33 583

S. Teil I § 2 C IV 3, S. 35 f. So Salje, EnWG § 17 Rn. 30; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 74 f., § 6 KraftNAV Rn. 29 f.; BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 18 Rn. 27. 585 Salje, EnWG § 17 Rn. 30; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 74 f., § 6 KraftNAV Rn. 29 f.; BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 18 Rn. 27; a. A. Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 17 Rn. 19a; Kment/Gerstner, EnWG § 17 Rn. 42; Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 39; Klees, Energiewirtschaftsrecht, Rn. 124. 586 OVG Münster BeckRS 2016, 44102. 584

118

Teil I Rechtslage in Deutschland

Abs. 7 S. 3 GasNZV sprechen587. Der Netzanschlussnehmer muss zwar die Kosten des Anschlusses tragen588 , die Verantwortung für das störungsfreie Funktionieren des Netzes, dessen Bestandteil der Anschluss ist, obliegt jedoch dem Netzbetreiber589. Auch eine systematische Betrachtung macht deutlich, dass § 17 EnWG den Netzbetreiber zur eigentlichen Errichtung des Anschlusses verpflichtet. Ein Recht des Netzanschlussnehmers, die Verbindung seiner Anlage mit dem Netz von einem Dritten ausführen zu lassen, muss ausdrücklich im Gesetz geregelt sein, wie dies § 10 Abs. 1 EEG sowie § 6 Abs. 4 KraftNAV zeigen590 . b)

Pflicht zur Vorhaltung des Netzanschlusses

Die Verpflichtung zur Vorhaltung des Netzanschlusses trifft den Netzbetreiber bereits aus Gründen einer sicheren und störungsfreien Versorgung gemäß § 1 Abs. 1 EnWG und steht vielmehr im Einklang mit dessen Systemdienstleistungen nach §§ 11 ff. EnWG591 . Letztlich gehört der Netzanschluss zu den Betriebsanlagen des Netzbetreibers und liegt somit in seinem Verantwortungsbereich (vgl. § 8 Abs. 1 NDAV). Der Anschlussnehmer ist demnach für die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit seiner an das Gasversorgungsnetz angeschlossenen Anlage verantwortlich 592 . Die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Vorhaltung des Netzanschlusses ist hierbei dahingehend auszulegen, dass der Netzbetreiber im Rahmen seiner Netzanschlusspflicht nach §§ 17, 18 EnWG die Verbindung zwischen Netz- und Kundenanlage unterhalten muss, und zwar so, dass während der Vertragslaufzeit die vereinbarte und bei der Anschlusserrichtung hergestellte Art des Netzanschlusses sichergestellt wird sowie die vertraglich bestimmten Netzanschlusskapazitäten vorgehalten werden. aa)

Art des Netzanschlusses

Im Rahmen seiner Netzanschlusspflicht verpflichtet sich der Netzbetreiber zur Errichtung und Vorhaltung einer bestimmten – vertraglich bzw. verordnungsrechtlich festgelegten – Art des Netzanschlusses. Dem Netzbetreiber steht dabei ein Bestimmungsrecht zu593 , welches als Leistungsbestimmungsrecht im

587

Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 74; Hartmann/ BlumenthalBarby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 6 Rn. 6. 588 Argumentiert von Kment/Gerstner, EnWG § 17 Rn. 42. 589 OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 00234. 590 Vgl. Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 75. 591 Vgl. Salje, EnWG § 17 Rn. 32. 592 BerlKommEnR I 1/Bruhn, EnWG § 18 Rn. 27. 593 Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 17 Rn. 87.

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

119

Sinne des § 315 Abs. 1 BGB eingestuft werden kann594 und sich grundsätzlich bereits in der Festlegung des Brennwertes und Druckes sowie der Gasart bei der Herstellung des Netzanschlusses erschöpft (vgl. § 19a EnWG, § 7 Abs. 2 NDAV)595. Der daraus ergebende Spielraum des Netzbetreibers darf allerdings die in § 315 Abs. 1 BGB vorgeschriebene und in energierechtlichen Normen konkretisierte Grenze des billigen Ermessens nicht überschreiten596. Zu berücksichtigen sind insbesondere die berechtigten Belange des Netzanschlussnehmers. Bedingung ist, dass dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist. Als Maßstab des technisch Möglichen sind insofern die anerkannten Regeln der Technik heranzuziehen (vgl. § 6 Abs. 2 NDAV). Auf der Niederdruckebene ist § 7 NDAV von besonderer Bedeutung, der den Brennwert und Druck sowie die Gasart regelt. Die Vorschrift definiert die Grenzen der nach einem Netzanschlussvertrag zu erbringenden Leistungspflichten, deren Überschreiten erst zur Vertragsverletzung führt. Aus technisch-physikalischen Gründen sowie im Hinblick auf die Besonderheiten des deutschen Erdgasmarktes wird demnach dem Netzbetreiber ein gewisser Schwankungsspielraum eingeräumt. Gemäß § 7 Abs. 1 NDAV ist insbesondere eine Schwankungsbreite im Brennwert, die sich aus den Erzeugungs- und Bezugsverhältnissen ergibt, zulässig. Das Abstellen auf die jeweiligen Erzeugungs- und Bezugsverhältnisse (Ist-Stand) entbindet den Netzbetreiber von der Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik im Rahmen des Zumutbaren dennoch nicht597 . Darüber hinaus steht dem Netzbetreiber in besonderen Fällen ein Recht zur Änderung des Brennwerts und Drucks sowie der Gasart während der Laufzeit des Netzanschlussvertrages zu (§ 7 Abs. 2 NDAV). Die Änderungen müssen hierbei aus technischen und wirtschaftlichen Gründen zwingend notwendig sein. Ob ein solcher besonderer Fall vorliegt, ist einzelfallbezogen und eng auszulegen. bb)

Betrieb des Netzanschlusses

Die Vorhaltung des einmalig errichteten Netzanschlusses stellt eine Dauerleistungspflicht des Netzbetreibers mit einer konstanten Wirkungskraft dar598 und besteht in über einen längeren Zeitraum sich erstreckenden, wiederkehrenden Einzelpflichten. Die konkreten Einzelpflichten können in erster Linie aus 594

Palandt/Grüneberg, BGB § 315 Rn. 4 und 8. Vgl. Palandt/Grüneberg, BGB § 315 Rn. 11; MünchKomm/Würdinger, BGB § 315 Rn. 35; Staudinger/Rieble, BGB § 315 Rn. 277 f. 596 Vgl. BGH NZM 2005, 556 (557); zur alten Rechtslage Hermann/Recknagel/SchmidtSalzer/Recknagel, AVBV-Kommentar, § 10 AVBV Rn. 8. 597 So bereits zur alten Rechtslage Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 4 AVBGasV Rn. 73. 598 Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 47. 595

120

Teil I Rechtslage in Deutschland

§§ 11 ff. EnWG, die die Aufgaben und Systemverantwortung der Netzbetreiber beim Betrieb von Energieversorgungsnetzen regeln, hergeleitet werden. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 EnWG ist der Netzbetreiber zum Betrieb eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Energieversorgungsnetzes verpflichtet, dessen Bestandteil der Netzanschluss ist und auf dessen Funktionsfähigkeit sich sein ordnungsgemäßes Funktionieren auswirkt, und somit seinen Beitrag zur Versorgungssicherheit leistet599 . Für den Netzanschluss in Niederdruck hat aber der Verordnungsgeber den Inhalt der Vorhaltungspflicht des Netzbetreibers definiert. Demnach schuldet Letzterer dem Anschlussnehmer im Rahmen seiner Netzanschlusspflicht nach § 18 EnWG die Unterhaltung, Erneuerung, Änderung, Abtrennung und Beseitigung des jeweiligen Netzanschlusses (vgl. § 8 Abs. 1 S. 3 NDAV). Damit der Netzbetreiber seinen Verpflichtungen zum störungsfreien und sicheren Betrieb des Netzanschlusses nachkommen kann, muss der Netzanschluss zugänglich und vor Beschädigung geschützt sein (§ 8 Abs. 1 S. 4 NDAV). Das liegt allerdings in der Verantwortungssphäre des Netzanschlussnehmers600. Nach § 8 Abs. 1 S. 5 NDAV darf er des Weiteren keine Einwirkungen jeglicher Art vornehmen oder vornehmen lassen. Die Verletzung dieser Verpflichtungen durch den Netzanschlussnehmer kann gegebenenfalls die Haftung des Netzbetreibers im Zusammenhang mit seiner Netzanschlusspflicht einschränken oder sogar ausschließen601. 2.

Pflicht zur Ermöglichung einer Erdgasentnahme durch einen bestehenden Netzanschluss

Von der Pflicht des Netzbetreibers zur Herstellung und Vorhaltung des Netzanschlusses ist darüber hinaus die Pflicht zur Ermöglichung der Nutzung dieses Anschlusses zwecks der Entnahme von Erdgas durch den Abnehmer abzuleiten (§ 18 Abs. 1 EnWG). Die Verpflichtung zur Gewährung der Anschlussnutzung ist zwar Bestandteil der allgemeinen Anschlusspflicht nach § 18 EnWG602, der nur gilt, solange die Anschlusspflicht besteht (vgl. § 26 Abs. 2 NDAV)603, beruht gleichwohl auf einem – vom Netzanschlussverhältnis separaten – eigenständigen Anschlussnutzungsverhältnis, welches in Niederdruck als gesetzliches Schuldverhältnis (§ 3 Abs. 2 NDAV) ausgestaltet ist und in 599

Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 8 Rn. 2, 6. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 8 Rn. 16. 601 Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 8 Rn. 19. 602 Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 173. 603 Sie entfällt immer mit der Beendigung des Anschlussvertrages, auch ohne Zutun des Anschlussnutzers gegen oder ohne dessen Willen. 600

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

121

Mittel- sowie Hochdruck durch Rechtsgeschäft entsteht. Dementsprechend wird die nähere Regelung der Anschlussnutzung in Mittel- und Hochdruck, wo grundsätzlich der Prinzip der Privatautonomie herrscht, den Vertragsparteien selbst überlassen und in Niederdruck weitgehend durch die NDAV vorgeschrieben. Da die Vorgaben der NDAV, wie oben ausgeführt, häufig auch außerhalb ihres Anwendungsbereichs eine Leitbildwirkung haben604 , wird im Folgenden bei der Ermittlung des genauen Inhalts der Pflicht zur Ermöglichung einer Anschlussnutzung, deren Grenzen und Ausnahmen auf die verordnungsrechtlichen Bestimmungen konzentriert. a)

Inhalt der Pflicht zur Ermöglichung einer Anschlussnutzung

Inhalt der Anschlussnutzung ist nach § 3 Abs. 1 S. 1 NDAV die Einräumung der Möglichkeit, einen bestehenden Netzanschluss zur Entnahme von Gas zu nutzen605. In § 3 Abs. 1 S. 2 und 3 NDAV wird vielmehr ausdrücklich verdeutlicht, dass dieses Recht weder die Belieferung des Anschlussnutzers mit Erdgas noch den Zugang zu den Gasversorgungsnetzen im Sinne des § 20 EnWG umfasst606. Diese klarstellende Regelung sollte wohl insbesondere eine inhaltliche Gleichstellung und als Folge eine einheitliche rechtliche Behandlung des Netznutzungsvertrages und des Anschlussnutzungsvertrages in der jüngeren Rechtsprechung und Literatur beenden607. Im Gegensatz zum Netznutzungsvertrag begründet das den §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 BGB entsprechende und durch eine Rechtshandlung entstehende Anschlussnutzungsverhältnis keinen – entgeltlichen 608 – Leistungsaustausch. Seinen allgemeinen Inhalt bilden nach herrschender Meinung allein die Schutz-, Obhuts- und Rücksichtnahmepflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB609 , die auf die Abwehr von Eingriffen in den Rechtskreis (in die körper-

604

Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (132). BR-Drs. 367/06, S. 37. Vgl. schon Teil I § 2 C IV 3 d), S. 37 f. 607 S. dazu Hempel, ZNER 2004, 140 (143). 608 Für die Gewährleistung der dauerhaften Anschlussnutzung wird der jeweilige Netzbetreiber über die Netzentgelte mittelbar vergütet, vgl. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (80). 609 Boesche, Die zivilrechtsdogmatische Struktur des Anspruchs auf Zugang zu Energieversorgungsnetzen, S. 263; Hempel, ZNER 2004, 140 (143, 147); Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 153, 176, 238; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 3 Rn. 9; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 106, 108; anders wohl Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 78 ff., die die sich aus dem Netzanschlussnutzungsverhältnis nach § 3 Abs. 1 S. 3 NDAV ergebenden Pflichten des Netzbetreibers als primäre Leistungspflichten betrachtet, ohne allerdings die Rechtsnatur des einschlägigen Schuldverhätnisses näher behandet zu haben. 605 606

122

Teil I Rechtslage in Deutschland

liche Integrität, andere Rechtsgüter, aber auch bloße Vermögensinteressen) des anderen Teils – hier des Anschlussnutzers – gerichtet sind610 . aa)

Ermöglichung einer jederzeitigen Anschlussnutzung

Die zentrale Vorschrift zur Regelung der Netzanschlussnutzung im Erdgasbereich ist § 16 NDAV. So definiert § 16 Abs. 1 S. 1 NDAV zunächst den Umfang der Pflicht des Netzbetreibers zur Ermöglichung der Anschlussnutzung, außerhalb dessen der Netzbetreiber von vornherein keine Gewährung der Anschlussnutzung schuldet. Danach ist der Netzbetreiber verpflichtet, dem Anschlussnutzer in dem im Netzanschlussverhältnis vorgesehenen Umfang die Nutzung des Netzanschlusses jederzeit zu ermöglichen. Dagegen, dass sich der Umfang der Nutzung des Netzanschlusses nach den durch den Netzbetreiber gemäß dem Netzanschlussvertrag vorzuhaltenden Kapazitäten richtet, bestehen keine Bedenken. Dies ergibt sich bereits aus der Unterordnung der Verpflichtung des Netzbetreibers zur Ermöglichung der Anschlussnutzung unter seine Anschlusspflicht und bedarf keiner normativen Festlegung durch das Gesetz oder die Verordnung. Betreffend die Verpflichtung zur Ermöglichung einer jederzeitigen Anschlussnutzung ist lediglich zu erwähnen, dass hier nichts anderes als bei der Jederzeit-Pflicht im Grundversorgungsbereich nach § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV gilt611 . § 16 Abs. 1 S. 1 NDAV entspricht – auch wenn in angepasster Form – vollkommen dem bisherigen § 5 Abs. 1 S. 1 AVBGasV und stellt somit die Schwesternorm des § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV dar. bb)

Ausnahmen von der Pflicht zur Ermöglichung einer Anschlussnutzung

Nach § 16 Abs. 1 S. 2 NDAV entfällt die in § 16 Abs. 1 S. 1 NDAV verankerte Verpflichtung des Netzbetreibers zur Ermöglichung einer jederzeitigen Anschlussnutzung, soweit und solange der Netzbetreiber hieran durch höhere Gewalt oder sonstige Umstände, deren Beseitigung ihm im Sinne des § 18 Abs. 1 S. 2 EnWG aus wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden kann, gehindert ist. Es handelt sich hierbei um den Netzbetreiber von seiner Verpflichtung aus dem Anschlussnutzungsverhältnis befreiende und nicht bzw. nur mit völlig unverhältnismäßigem Aufwand zu überwindende Hinderungsgründe, die die vom Netzbetreiber nicht zu verantwortende Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB begründen. Da die Ausschlusstatbestände des § 16 Abs. 1 S. 2 NDAV mit denen des § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 GasGVV im Rahmen der Grundversorgungspflicht weitgehend identisch sind, kann auf ihre nähere 610

MünchKomm/Ernst, BGB Einl. §§ 241-432 Rn. 46; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts, S. 177. 611 S. hierzu Teil I § 3 B I 1 b) bb) (2), S. 65 f.

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

123

Analyse an dieser Stelle verzichtet werden. Denn die im Hinblick auf die Unterbrechungen der Grundversorgung wegen von außen einwirkender Umstände angestellten Erwägungen612 greifen auch hier. cc)

Brennwert und Druck am Netzanschluss

Um die Entstehung von Schäden sowie Einschränkungen der Nutzung des Netzanschlusses, die wegen Unregelmäßigkeiten in der Anschlussnutzung bei Anschlussnutzern entstehen können, nicht zuzulassen und dadurch deren Integrationsinteressen zu erhalten, hat der Verordnungsgeber den Netzbetreiber in Niederdruck verpflichtet, Brennwert und Druck am Netzanschluss möglichst gleichbleibend zu halten (vgl. § 16 Abs. 2 S. 1 NDAV)613. Die Regelung trägt der haftungsrechtlichen Sphärenabgrenzung zwischen Grundversorger- und Netzbetreiberverantwortung einerseits und zwischen Netzbetreiber- und Anschlussnutzerverantwortung andererseits Rechnung. Somit steht sie im Einklang mit § 5 GasGVV. Man darf hierbei nicht verkennen, dass § 16 Abs. 2 S. 1 NDAV die Konstanz von Brennwert und Druck am Anschluss regelt und sich mithin ausschließlich auf die Unregelmäßigkeiten in der Anschlussnutzung bezieht. Das heißt, dass Sachverhalte, denen Anschlussnutzungsunterbrechungen zugrunde liegen, dadurch unberührt bleiben614. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang lediglich die in § 16 Abs. 1 S. 1 NDAV vorgegebenen und die Kontinuität der Anschlussnutzung betreffenden Grenzen, die ihrerseits zugleich die Existenz der Verpflichtung zur Gleichbleibendhaltung von Brennwert und Druck bestimmen. § 16 Abs. 2 S. 1 NDAV schränkt allerdings den dem Netzbetreiber gemäß § 7 Abs. 1 i. V. m. § 16 Abs. 3 NDAV gewährten Spielraum für Brennwert- und Druckschwankungen ein, so dass beim Auftreten der Schwankungen gegebenenfalls eine Pflichtverletzung nach § 16 Abs. 2 S. 1 NDAV angenommen werden kann, auch wenn die äußeren Grenzen zulässiger Schwankungen im Zeitpunkt des Schadenfalles eingehalten wurden615 . Die Verpflichtung, Brennwert und Druck möglichst gleichbleibend zu halten, gilt – genauso wie die Verpflichtung zur jederzeitigen Ermöglichung der Anschlussnutzung – nicht uneingeschränkt, sondern nur, soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist. Dieser Vorbehalt folgt bereits unmit612

S. dazu Teil I § 3 B I 1 b) bb) (3) (c), S. 70 ff. Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (126); Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (79 f.). 614 Bereits zur alten Rechtslage Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBVKommentar, § 4 AVBGasV Rn. 74, § 4 AVBEltV Rn. 17. 615 So zum alten Recht Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 4 AVBGasV Rn. 74, § 4 AVBEltV Rn. 17 ff.; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 32 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 61. 613

124

Teil I Rechtslage in Deutschland

telbar aus dem Wortlaut der Norm, der durch den Rechtsbegriff „möglichst“ die rechtlichen Grenzen der Verpflichtung zur Brennwert- und Druckkonstanthaltung festlegt616 . Die Einforderung von technisch unmöglich sowie wirtschaftlich unzumutbar zu erfüllenden Pflichten würde jedenfalls dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widersprechen und somit einen rechtswidrigen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen darstellen. Es handelt sich hier um eine energierechtsspezifische Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Der Begriff der technischen Möglichkeit findet weder im EnWG noch in der NDAV eine Konkretisierung. Anzunehmen ist allerdings, dass sich die technische Möglichkeit, Brennwert und Druck gleich bleibend zu halten, nach dem Maßstab der (allgemein) anerkannten Regeln der Technik richtet 617 . Denn die anerkannten Regeln der Technik und nicht der weitergehende Stand der Technik618 gelten im Energieversorgungsrecht als Mindestanforderungen an die technische Sicherheit in den Energieversorgungsnetzen (vgl. §§ 19, 49 EnWG, § 6 Abs. 2 NDAV) und die Verpflichtung des Netzbetreibers zur konstanten Haltung von Brennwert und Druck hat eine Gefahrenabwehrfunktion. Es ist nicht einsichtig, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber andere Maßstäbe ansetzen wollte. Eine technische Möglichkeit im Sinne von § 16 NDAV setzt mithin voraus, dass die konstante Haltung von Brennwert und Druck praktisch umsetzbar ist. Es reicht nicht aus, wenn die technischen Voraussetzungen dafür wissenschaftlich geklärt und als geeignet befunden seien619 . § 16 Abs. 2 S. 2 NDAV enthält eine weitere Grenze zulässiger Schwankungstoleranzen im Gasversorgungsbereich620 . Der Netzbetreiber muss demnach einen einwandfreien Betrieb allgemein üblicher Verbrauchsgeräte gewährleisten. Ist dies nicht erfüllt, liegt eine Vertragsverletzung vor. Das Überschreiten des für einen störungsfreien Betrieb der betroffenen Verbrauchsgeräte festgelegten Toleranzbereiches der Sicherheitsnormen kann also gegebenenfalls zur Haftung des Netzbetreibers im Rahmen des § 18 NDAV führen621 . Die darüber hinausgehenden Sicherheitsvorkehrungen liegen gleichwohl im Verantwortungsbereich jedes einzelnen Anschlussnutzers (§ 16 616

de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 16 Rn. 13; vgl. auch Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 4 AVBGasV Rn. 74, § 4 AVBEltV Rn. 16. 617 Anders wohl de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 16 Rn. 13. 618 Näher zum Verhältnis der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Stand der Technik s. Marburger, Regeln, S. 162 f.; Seibel, NJW 2013, 3000 (3003). 619 Vgl. Marburger, Regeln, S. 145. 620 Anders aber Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 4 AVBGasV Rn. 74, § 4 AVBEltV Rn. 21 ff. 621 Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 16 Rn. 12.

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

125

Abs. 2 S. 3 NDAV), was schließlich mit der Zielsetzung des EnWG übereinstimmt622. b)

Unterbrechung der Anschlussnutzung

Einer rechtlichen Erörterung für die vorliegende Untersuchung bedarf – aus haftungsrechtlicher Sicht – überdies § 17 NDAV, der eine ausdrückliche Regelung der Befugnis des Netzbetreibers zu einer Unterbrechung der Anschlussnutzung enthält und der seine Wirkung ebenfalls auf das Lieferungsverhältnis im Rahmen der Grundversorgung nach § 36 EnWG entfaltet623. Identisch zu § 6 Abs. 2 GasGVV definiert der Verordnungsgeber dadurch die Grenzen der Anschlussnutzungspflicht. Das heißt, die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Ermöglichung einer jederzeitigen Anschlussnutzung im Sinne des § 16 Abs. 1 S. 1 NDAV ist von vornherein durch die Fälle der zulässigen Unterbrechung eingeschränkt. Sind alle der in § 17 Abs. 1 S. 1 NDAV gelisteten Tatbestandsmerkmale erfüllt, so kann dem Netzbetreiber keine Pflichtverletzung aus dem Anschlussnutzungsverhältnis vorgeworfen werden, es sei denn, dass die Notwendigkeit durch ein schuldhaftes Verhalten des Netzbetreibers verursacht wurde624. Diese rechtliche Beurteilung des Rechts des Netzbetreibers zur Unterbrechung der Anschlussnutzung steht indes mit seiner Pflicht zur Gewährung eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Netzes gemäß §§ 11 ff. EnWG in Einklang625. Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 NDAV darf der Netzbetreiber die Anschlussnutzung dann unterbrechen, wenn dies zur Vornahme betriebsnotwendiger Arbeiten oder zur Vermeidung eines drohenden Netzzusammenbruchs erforderlich ist. Eine der wichtigsten Voraussetzungen des dem Netzbetreiber eingeräumten Unterbrechungsrechts ist indes das für das Verhältnismäßigkeitsprinzip relevante Kriterium der Erforderlichkeit, welches Ausfluss des Prinzips des geringstmöglichen Eingriffs in die Rechte der Bürger ist626. Diese Einschränkung

622

Vgl. LG Kiel BeckRS 2010, 27104; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 16 Rn. 13. 623 S. dazu Teil I § 3 B I 1 b) bb) (3) (b), S. 68 f. 624 Die Wertung des BGH BeckRS 2016, 10118 im Hinblick auf das Einspeiseschuldverhältnis im Rahmen des EEG kann auch auf das Verhältnis zwischen dem Netzbetreiber und dem Anschlussnutzer im Rahmen des EnWG übertragen werden. Zur alten Rechtslage Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBEltV Rn. 2, 22; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 67; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 39; anders wohl BGH NJW 1971, 2267 (2267 f.). 625 Vgl. dazu BGH BeckRS 2016, 10118. 626 BGH NJW 1971, 2267 (2268); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 17 Rn. 10; s. ebenfalls Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-

126

Teil I Rechtslage in Deutschland

soll einerseits dem Schutz einer sicheren – unterbrechungsfreien – leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Gas dienen und andererseits einen etwaigen Monopolmissbrauch der Netzbetreiber verhindern627, so dass daran strenge Anforderungen zu stellen sind628. Zu berücksichtigen sind hierbei in erster Linie die berechtigten Belange der Anschlussnutzer629 . Der Netzbetreiber muss demnach alles Erforderliche tun, um die Unterbrechung der Anschlussnutzung möglichst kurz zu halten und technisch mögliche sowie ihm zumutbare Maßnahmen zur Überbrückung zu ergreifen, soweit der Anschlussnutzer diese nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte erwarten darf630. Im Folgenden ist auf einzelne in § 17 Abs. 1 S. 1 NDAV niedergelegte Unterbrechungstatbestände und ihre Merkmale näher einzugehen. aa)

Vornahme betriebsnotwendiger Arbeiten

Wie oben bereits dargelegt, ist die Unterbrechung der Anschlussnutzung durch den Netzbetreiber zunächst einmal immer dann zulässig, wenn betriebsnotwendige Arbeiten im Leitungsnetz durchgeführt werden müssen. Es handelt sich hier sowohl um Wartungs- und Reparaturarbeiten als auch um technische Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen631 . Neben dem Kriterium der Erforderlichkeit wird bei diesem Tatbestand zusätzlich die Betriebsnotwendigkeit der vorzunehmenden Arbeiten verlangt. Ob die Voraussetzung der Betriebsnotwendigkeit in einem konkreten Fall erfüllt ist, ist – ebenso wie im Hinblick auf den Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs – objektiv zu entscheiden632. Dies ist wohl dann gegeben, wenn das Versorgungsnetz nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert und nicht mehr dem jeweiligen Stand der Technik entspricht633. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass auch die Wertungen im Rahmen der Systemverantwortung des Netzbetreibers nach § 16a EnWG in die Bewertung der Betriebsnotwendigkeit der vorzunehmenden ArSalzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBEltV Rn. 22; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 39; Ebel, BB 1980, 477 (482). Vgl. BGH NJW 1971, 2267 (2267 f.); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 17 Rn. 10. 628 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 68; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 39. 629 Vgl. BGH BeckRS 2016, 10118; so bereits zum alten Recht Hermann/Recknagel/ Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBEltV Rn. 22 ff. 630 Vgl. BGH BeckRS 2016, 10118. 631 BGH NJW 1971, 2267 (2268); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 17 Rn. 9. 632 de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 17 Rn. 4; früher ebenfalls Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 68. 633 Vgl. BGH NJW 1971, 2267 (2268). 627

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

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beiten einfließen634. Sollte sich der Netzbetreiber in einem Streitfall auf die Betriebsnotwendigkeit der von ihm durchgeführten Arbeiten berufen, hat er ebenfalls die Umstände, aus denen sich die Betriebsnotwendigkeit ergibt, im Rahmen seiner Pflicht zur Ermöglichung einer Anschlussnutzung nach § 16 Abs. 1 S. 1 NDAV darzulegen und zu beweisen635. Eine solche Beweislastumkehr würde bereits nach dem Grundsatz der Beweisverteilung nach Gefahrenbereichen in Betracht kommen636, denn der zuverlässige und ordnungsgemäße Betrieb des Versorgungsnetzes, einschließlich des Netzanschlusses liegt im Herrschafts- und Organisationsbereich des Netzbetreibers. Eine andere Lösung führte an dieser Stelle zu einem Widerspruch mit dem energierechtlichen Ziel einer verbraucherfreundlichen leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Gas. bb)

Vermeidung eines drohenden Netzzusammenbruchs

Der Netzbetreiber ist überdies im Falle eines drohenden Netzzusammenbruchs zur Unterbrechung der Anschlussnutzung berechtigt (§ 17 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 NDAV). Entsprechend dem Grundsatz der Erforderlichkeit darf das Unterbrechungsrecht allerdings nur dann ausgeübt werden, wenn keine andere – mildere – Maßnahme zur Verhinderung eines Netzzusammenbruchs infrage kommt und konkrete Indizien für die Annahme einer Netzzusammenbruchsgefahr vorliegen637 . Die Unterbrechung der Anschlussnutzung muss demzufolge immer Ultima Ratio bleiben. Ein weniger einschneidendes Mittel wäre dann wohl eine Druckabsenkung im Anschluss, was auf den ersten Blick mit der Verpflichtung des Netzbetreibers zur Brennwert- und Druckkonstanthaltung (§ 16 Abs. 2 S. 1 NDAV) kollidiert638 . In diesem Fall muss eine der in Betracht kommenden – weniger wichtigen – Pflichten zurücktreten. Diese ist durch eine Interessenabwägung zu bestimmen, wobei die Belange der Versorgungssicherheit im gesamten Gasnetz stets im Range vorgehen werden. Bei näherer Betrachtung ist dennoch festzustellen, dass das Vorliegen einer Pflichtenkollision nicht angenommen werden kann. Denn in der Situation eines unmittelbar drohenden Netzzusammenbruchs wäre die Grenze des Möglichen nach § 16 634

Vgl. de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 17 Rn. 4. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 68; a. A. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBEltV Rn. 84. 636 Allgemein zur Beweisverteilung nach Gefahrenbereichen s. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 14 f. 637 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 68; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 39. 638 S. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 68 Fn. 268; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 39. 635

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Abs. 2 S. 1 NDAV, außerhalb derer keine Verpflichtung zur Gleichbleibendhaltung mehr besteht, ohnehin überschritten. Die konstante Haltung von Brennwert und Druck am Netzanschluss darf nicht zum Zusammenbruch des gesamten Versorgungsnetzes führen. Sind die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 NDAV erfüllt, so handelt der Netzbetreiber rechtmäßig. Wie ausgeführt gilt dies allerdings nur, solange er die Gefahr des Netzzusammenbruchs nicht selbst ausgelöst hat. Er muss vielmehr seinen allgemeinen auf die Abwendung vorhersehbarer Netzzusammenbrüche und die Gewährleistung der Sicherheit im Gasversorgungsnetz ausgerichteten Organisationspflichten nachkommen639 . Anderenfalls ist die Unterbrechung der Anschlussnutzung als unberechtigt anzusehen. c)

Pflicht zur unverzüglichen Behebung der Unterbrechung

Die Kehrseite des Unterbrechungsrechts des Netzbetreibers aus § 17 Abs. 1 S. 1 NDAV ist seine Pflicht zur unverzüglichen Behebung der Unterbrechung oder Unregelmäßigkeit (vgl. § 17 Abs. 1 S. 2 NDAV). Die Pflicht entsteht immer dann, wenn die Voraussetzungen für die zulässige Unterbrechung oder Unregelmäßigkeit am jeweiligen Netzanschluss entfallen. Die Behebung solcher Unterbrechung oder Unregelmäßigkeit muss indes unverzüglich erfolgen. Der Begriff „unverzüglich“ ist hier – ebenso wie im Rahmen der Grundversorgung – nach § 121 BGB auszulegen640. Für die Bestimmung des Umfangs der Behebungspflicht des Netzbetreibers ist wiederum das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen. Die Behebung der Unterbrechung und Unregelmäßigkeit lässt sich demnach nicht durchsetzen, wenn sie unverhältnismäßig große Aufwendungen erfordert641. Zu beachten ist, dass die Pflicht des Netzbetreibers zur unverzüglichen Behebung der Unterbrechung oder Unregelmäßigkeit nach § 17 Abs. 1 S. 2 NDAV nicht selbständig einklagbar ist, dass diese Norm aber lediglich klarstellenden Charakter hat642. Sobald alle die Unterbrechung und Unregelmäßigkeit in der Anschlussnutzung berechtigenden Voraussetzungen entfallen, muss der Netzbetreiber die Ermöglichung der Anschlussnutzung bereits im Rahmen seiner Pflicht aus § 16 Abs. 1 S. 1 NDAV sicherstellen. Andernfalls würde er nicht mehr rechtmäßig handeln und sich somit haftungsrechtlichen Folgen 639

So bereits zur alten Rechtslage Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBGasV Rn. 93 f. S. 198, § 5 AVBEltV Rn. 28 f., 37. 640 Näher dazu Teil I § 3 B I 1 d), S. 81 ff. 641 Vgl. Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 40. 642 Zutreffend Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBGasV Rn. 93 f., § 5 AVBEltV Rn. 30 und 44 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 69; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 40; vgl. ebenfalls Teil I § 3 B I 1 d), S. 81 ff.

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

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aussetzen. Sollte man allerdings einen Schaden schlecht oder nicht beweisen können, wäre eine selbständige Behebungspflicht sinnvoll. d)

Pflicht zur vorherigen Benachrichtigung

Etwas anderes gilt hingegen für die Benachrichtigungspflicht des Netzbetreibers, die ihn im Zusammenhang mit seinem Unterbrechungsrecht nach § 17 Abs. 1 NDAV trifft. Beabsichtigt der Netzbetreiber eine Unterbrechung der Anschlussnutzung im Sinne des § 17 Abs. 1 NDAV, so muss er gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 NDAV den Anschlussnutzer rechtzeitig und in geeigneter Weise unterrichten. Darin ist die Normierung einer selbstständigen Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB zu sehen, deren Verletzung unter bestimmten Umständen eine Schadensersatzhaftung des Netzbetreibers aus dem Anschlussnutzungsverhältnis auslösen kann643 . Der Inhalt dieser Pflicht ist in erster Linie auf die Vornahme der erforderlichen Vorkehrungen zur Abwendung eines drohenden Schadens durch den Anschlussnutzer und nicht auf die Zulässigkeit der Unterbrechung in der Netzanschlussnutzung ausgerichtet. Dafür spricht nicht zuletzt die historische sowie systematische Auslegung der hier einschlägigen Norm644. Dementsprechend ist die Benachrichtigungspflicht des Netzbetreibers gemäß § 17 Abs. 2 NDAV als auf das sog. Erhaltungs- und Integritätsinteresse zielende Verkehrspflicht (vertragliche Schutz- und deliktische Sorgfaltspflicht) zu qualifizieren. § 17 Abs. 2 S. 2 NDAV enthält eine abschließende Aufzählung der Ausnahmetatbestände, bei denen die Pflicht des Netzbetreibers zur Benachrichtigung ausgeschlossen ist 645 . Demnach entfällt die Benachrichtigungspflicht, wenn ihre Erfüllung ohne Verschulden des Netzbetreibers nicht rechtzeitig möglich ist (§ 17 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 NDAV) bzw. die Beseitigung der Unterbrechung verzögern wird (§ 17 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 NDAV). Damit stellt der Verordnungsgeber klar, dass die Schadensbehebung, d. h. die schnellmöglichste Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Benachrichtigung im Range vorgeht646 , und bringt erneut den Daseinsvorsorge-Charakter der Gasversorgung zum Ausdruck. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die 643

BGH NJW 1971, 2267 (2268); Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 43 ff.; a. A. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBGasV Rn. 93 f., § 5 AVBEltV Rn. 46 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 69; wohl auch Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 17 Rn. 19. 644 Näher dazu Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 43 ff. 645 Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 111 und 153. 646 de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 17 Rn. 15; zur alten Rechtslage Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, § 5 AVBGasV Rn. 93 f., § 5 AVBEltV Rn. 77; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 43.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Benachrichtigungspflicht des Netzbetreibers nach § 17 Abs. 2 NDAV nicht von der Dauer der beabsichtigten Unterbrechung der Anschlussnutzung abhängt647. 3.

Unterbrechungsbefugnisse des Netzbetreibers nach § 24 NDAV

Sollten der Netzanschlussnehmer und/oder der Anschlussnutzer ihre Verbindlichkeiten dem Netzbetreiber gegenüber aus einem Netzanschlussvertrag und/oder einem Anschlussnutzungsverhältnis nicht erfüllen, kann sich Letzterer auf seine Leistungsverweigerungsrechte nach §§ 273, 320 BGB berufen und gegebenenfalls seinen Anspruch gegen den Gläubiger sichern. Mit Hilfe solcher Leistungsverweigerungsrechte übt er Druck auf den Anschlussnehmer bzw. den Anschlussnutzer aus, indem er den Anschluss sperrt oder die Anschlussnutzung unterbricht, solange der eine oder der andere all seinen zu diesem Zeitpunkt fälligen Verpflichtungen nicht nachkommt. Im Niederdruckbereich muss man allerdings zusätzliche in § 24 NDAV festgelegte Voraussetzungen für die ihm nach den allgemeinen Vorschriften des BGB zustehenden Leistungsverweigerungsrechte berücksichtigen. § 24 NDAV regelt die auf die Person des Netzanschlussnehmers oder des Anschlussnutzers zurückführenden Unterbrechungsgründe und legt die Bedingungen für das Ausüben des Sperr- bzw. des Unterbrechungsrechts durch den Netzbetreiber fest648. Die Vorschrift entspricht in an das Netzanschlussund Anschlussnutzungsverhältnis angepasster Form dem bisherigen § 33 AVBGasV, der sich auf die rechtliche Einheit des Anschluss- und Versorgungsverhältnisses zwischen Energieversorgungsunternehmen und Kunde erstreckte649, und enthält die gleichen Unterbrechungsgründe wie im Rahmen der GasGVV (s. § 19 GasGVV) mit Ausnahme der Unterbrechung der Anschlussnutzung zur Verhinderung der weiteren Energieentnahme durch den Kunden auf Anweisung von Lieferanten („Sperren auf Zuruf“, § 24 Abs. 3 NDAV)650. Vor diesem Hintergrund gelten weitgehend die vorstehenden Ausführungen zur Einstellung der Grundversorgung nach § 19 GasGVV auch für die eigene Berechtigung des Netzbetreibers zur Sperrung des Netzanschlusses und/oder zur Unterbrechung der Anschlussnutzung nach § 24 NDAV651 . Im Folgenden werden daher die einzelnen in § 24 NDAV geregelten Unterbrechungsgründe nur kurz dargestellt und vor allem die Besonderheiten der netzbezogenen Regelung behandelt. 647

Anders ist das allerdings im Stromsektor (vgl. § 17 Abs. 2 S. 2 NAV). Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (129). BR-Drs. 367/06, S. 62, 71. 650 So bereits Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (128). 651 S. dazu Teil I § 3 B I 1 c), S. 73 ff. 648 649

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

a)

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Sperren bei „Gefahr in Verzug“ (§ 24 Abs. 1 NDAV)

Nach § 24 Abs. 1 S. 1 NDAV steht dem Netzbetreiber ein Sperrrecht im Hinblick auf den Netzanschluss und die Anschlussnutzung zu, wenn der Anschlussnehmer oder Anschlussnutzer den Bestimmungen der NDAV zuwiderhandelt und dadurch Gefahren für Personen oder Sachen von erheblichem Wert unmittelbar bevorstehen (Nr. 1), die Anschlussnutzung unter Umgehung, Beeinflussung oder vor Anbringung der Messeinrichtungen erfolgt (Nr. 2) bzw. Störungen oder störende Rückwirkungen auf Einrichtungen des Netzbetreibers oder Dritter entstehen (Nr. 3). Die Sperrung ist allerdings erst dann zulässig, wenn sie für die Überwindung der in § 24 Abs. 1 S. 1 NDAV abschließend genannten Folgen der Zuwiderhandlungen des Netzanschlussnehmers erforderlich ist. Erst wenn die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 S. 1 NDAV vorliegen, darf der Netzbetreiber sein Sperrecht sofort und ohne vorherige Androhung ausüben. Zur Erfüllung des Tatbestandes nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 NDAV genügt bereits eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer der genannten Folgen652. Das Sperrecht des Netzbetreibers nach § 24 Abs. 1 NDAV bezieht sich ausschließlich auf die schwerwiegenden zur Beeinträchtigung der Sicherheit der Erdgasversorgung sowie Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter führenden Verordnungs- bzw. Vertragsverletzungen, so dass keine Interessenabwägung notwendig ist653. Etwas anderes gilt allerdings für den Unterbrechungstatbestand des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NDAV, wonach der Wert der gefährdeten Sache im Vergleich zu den aus der Unterbrechung resultierenden Nachteilen erheblich sein muss, damit der Netzbetreiber den Anschluss sperren oder die Anschlussnutzung unterbrechen darf654. Im Gegensatz zum Unterbrechungsrecht des Grundversorgers nach § 19 Abs. 1 GasGVV wird hier kein Verschulden für die Haftung verlangt655, was schließlich im Einklang mit dem Schutzzweck des § 24 Abs. 1 NDAV steht. Denn die Vorschrift dient zunächst der Versorgungssicherstellung im Erdgasbereich und erst dann dem Schutz berechtigter Belange des jeweiligen Netzbetreibers656 . 652

Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 17; vgl. zur alten Rechtslage Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 AVBV Rn. 37 f. 653 So bereits zum alten Recht Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 AVBV Rn. 37; vgl. aber de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 24 Rn. 11; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 14. 654 de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 24 Rn. 11. 655 Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 17; vgl. Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Hermann, AVBV-Kommentar, § 33 AVBV Rn. 37. 656 Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 217.

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b)

Teil I Rechtslage in Deutschland

Sperren bei anderen Zuwiderhandlungen (§ 24 Abs. 2 NDAV)

Bei allen anderen Zuwiderhandlungen des Netzanschlussnehmers oder Anschlussnutzers, insbesondere bei Verletzung bestehender Zahlungsverpflichtungen, ist der Netzbetreiber ebenfalls berechtigt, den Anschluss und die Anschlussnutzung zu unterbrechen, indes unter verschärften Voraussetzungen (§ 24 Abs. 2 NDAV), deren Nichterfüllung unter gewissen Umständen zur Haftung des Netzbetreibers führen kann657 . Die Sperrvoraussetzungen des § 24 Abs. 2 NDAV sind mit denen aus § 19 Abs. 2 GasGVV identisch und müssen deshalb an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Die betreffend § 19 Abs. 2 GasGVV vorgenommen Ausführungen gelten für § 24 Abs. 2 NDAV entsprechend. Gleichwohl ist zu erwähnen, dass die Sperrrandrohung vier Wochen vor dem Unterbrechungstermin sowohl gegenüber dem Anschlussnehmer als auch dem Anschlussnutzer ausgesprochen werden soll, auch wenn das Sperrecht des Netzbetreibers lediglich gegen den Anschlussnehmer wegen seines Zahlungsverzuges oder einer anderen Zuwiderhandlung geltend gemacht wird und der Letzte mit dem Anschlussnutzer nicht identisch ist658 . Denn die Unterbrechung des Netzanschlusses verhindert auch seine Nutzung und somit die Erdgasentnahme, obwohl der Anschlussnutzer nicht gegen die Verordnung verstoßen hat, und die Vorankündigungsfrist von drei Werktagen gemäß § 24 Abs. 4 NDAV genügt nicht, damit er sich auf die Unterbindung der Energieentnahme einstellen kann. Dies gilt umso mehr, wenn der Anschlussnutzer diese mittelbaren Folgen einer Unterbrechung des Netzanschlusses dulden muss659 . Der Wortlaut der Vorschrift lässt keine andere Deutung zu. Die Vorankündigungspflicht besteht hingegen nur dem Anschlussnutzer gegenüber, wodurch der Verordnungsgeber wohl versucht hat, der abhängigen Position des Anschlussnutzers sowie den Folgen einer Anschlusssperrung auf die Anschlussnutzung Rechnung zu tragen. Ferner muss man darauf hinweisen, dass der Unterbrechungstatbestand des § 24 Abs. 2 NDAV nur die Verletzung von (Zahlungs-)Verpflichtungen aus dem Netzanschlussvertrag oder dem Anschlussnutzungsverhältnis betrifft660 . Die Verletzung von Verpflichtungen gegenüber dem grundversorgenden Liefe657

Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 24. So auch Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 23; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 24 Rn. 14; vgl. aber Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (129). 659 Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (129). 660 Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 218 f.; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 27. 658

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

133

ranten aus einem Belieferungsverhältnis stellt indes keinen Sperr- bzw. Unterbrechungsgrund nach § 24 Abs. 2 NDAV dar. Sonst wäre § 24 Abs. 3 NDAV überflüssig. Vielmehr würde eine andere Auffassung der Einstufung des § 24 NDAV als Konkretisierung des allgemeinen Zurückbehaltungsrechts nach §§ 273, 320 BGB entgegenstehen 661 . Genauso wenig erstreckt sich § 24 Abs. 2 NDAV auf das Netznutzungsverhältnis zwischen dem Netzbetreiber und dem Transportkunden, der regelmäßig als Energielieferant agiert. Zum einen lässt dies der Anwendungsbereich der NDAV (s. § 1 NDAV) nicht zu und zum anderen wird der Transport des Erdgases durch das Gasversorgungsnetz, einschließlich die Entrichtung der Netzzugangsentgelte, grundsätzlich durch den Energielieferanten, insbesondere im Bereich der in Niederdruck erfolgten Grundversorgung organisiert, so dass der Anschlussnehmer sowie der Anschlussnutzer für die Nichterfüllung von Verpflichtungen innerhalb des Netznutzungsvertrages nicht einzustehen sind662. Die Sperrung des Netzanschlusses bzw. die Unterbrechung der Anschlussnutzung würden dennoch einen Unterbrechungsgrund im Netznutzungsbereich darstellen und somit einen Haftungsausschluss zugunsten des den Transport des Erdgases geschuldeten Netzbetreibers begründen (vgl. § 7 Anlage 3 der KoopV VIII). c)

Sperren „auf Zuruf“ (§ 24 Abs. 3 NDAV)

Schließlich hat der deutsche Verordnungsgeber dem Netzbetreiber ein Sperrrecht auf Anweisung des Lieferanten des Netzanschlussnutzers eingeräumt (vgl. § 24 Abs. 3 NDAV). Diese Regelung ist auf die Trennung von Netz und Vertrieb zurückzuführen und gilt als Ausprägung der spezifischen Organisation der Energieversorgung663 . Das Sperrrecht des Netzbetreibers gemäß § 24 Abs. 3 NDAV bezieht sich hierbei – aus einsichtigen Gründen664 – lediglich auf die Anschlussnutzung. Der Netzbetreiber ist grundsätzlich frei zu entscheiden, ob er sein Sperrrecht gemäß § 24 NDAV ausübt oder gegebenenfalls andere ihm in der kon661

Zutreffend Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 27; vgl. OLG München BeckRS 2011, 02903. 662 Überzeugend Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 219. 663 Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (130). 664 Der Energielieferant will die Energieentnahme durch seinen Kunden unterbinden, wobei ihre Ermöglichung der Gegenstand gerade eines Anschlussnutzungsverhältnisses und nicht eines Netzanschlussvertrages ist. Ein Belieferungsvertrag, dessen Verletzung zur Unterbrechung der Versorgung berechtigen kann, wird darüber hinaus zwischen dem Energielieferanten und dem Anschlussnutzer, der nicht unbedingt gleichzeitig Anschlussnehmer ist, abgeschlossen. Bei der Sperrung eines Netzanschlusses auf Anweisung des Lieferanten würde demnach gegen die „falsche“ Person vorgegangen, obwohl das verfolgte Ziel im Ergebnis – auch wenn nur mittelbar – erreicht wird.

134

Teil I Rechtslage in Deutschland

kreten Situation zustehende Rechte für die Beseitigung und Beendigung der Folgen der Zuwiderhandlung seines Kunden gegen die Bestimmungen der NDAV geltend macht665 . Das heißt, dass der Netzbetreiber sein Sperrrecht nach § 24 NDAV nach eigenem Ermessen und im Anwendungsbereich der Verordnung auszuüben hat. Schon dem Wortlaut nach wird man dies schlussfolgern müssen. Etwas anderes gilt, wenn der Netzbetreiber und der Gaslieferant eine entsprechende Bestimmung vertraglich vereinbaren und dadurch ein vertraglicher Anspruch des Gaslieferanten auf Unterbrechung der Anschlussnutzung entsteht. Die Entscheidungsfreiheit des Netzbetreibers wird hierbei allerdings durch das Verbot der Diskriminierung eingeschränkt666 . Gleichwohl ergibt der Zusammenhang zwischen § 24 NDAV und § 19 GasGVV, dass im Bereich der Grundversorgung im Sinne des § 36 EnWG der Netzbetreiber bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 NDAV zur Unterbrechung der Anschlussnutzung auf Anweisung des Energielieferanten nicht nur bloß berechtigt, sondern auch verpflichtet ist667 . So enthält § 19 Abs. 2 GasGVV eine ausdrückliche Verweisung auf § 24 Abs. 3 NDAV, unter Einhaltung dessen Voraussetzungen der Grundversorger den zuständigen Netzbetreiber mit der Unterbrechung des Grundversorgung beauftragen kann668 . Zu beachten ist ferner, dass § 19 Abs. 1 GasGVV zwar nicht auf die NDAV verweist. Jedoch lässt sich aus der grammatikalischen und systematischen Auslegung herleiten, dass der Grundversorger die Unterbrechung der Anschlussnutzung ebenfalls verlangen kann, um den unbefugten Gebrauch von Erdgas zu verhindern. Ansonsten würde dem Grundversorger jede Möglichkeit genommen, seine berechtigten Interessen zu schützen, und § 19 Abs. 1 und 2 GasGVV würde ins Leere laufen669, was vom Verordnungsgeber gewiss nicht gewünscht ist. Die einschlägigen Rechtsverordnungen haben zwar unterschiedliche Anwendungsbereiche, regeln jedoch die aufeinander angewiesenen Bestandteile eines Versorgungsprozesses. Damit wird deutlich, dass ihre Bestimmungen ohnehin nicht isoliert angewandt werden können.

665

Vgl. BGH NZI 2015, 731 (732 f.) mit Anm. Elspas/Hörner. OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2014, 04187; LG Wiesbaden BeckRS 2014, 05122; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 29. 667 OLG Celle NJOZ 2013, 1092 (1093); Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 19 Rn. 11; vgl. BGH NZI 2015, 731 (732 f.) mit Anm. Elspas/Hörner, der die grundsätzliche Verpflichtung des Netzbetreibers zur Unterbrechung der Anschlussnutzung auch eines Wettbewerbskunden auf Verlangen seines Lieferanten anerkennt; wohl auch AG Meldorf BeckRS 2011, 25278. 668 Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (130). 669 Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (130); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 29. 666

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

135

Die Unterbrechung der Anschlussnutzung durch den Netzbetreiber kann des Weiteren vom Lieferanten – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grundversorgung – erst dann verlangt werden, wenn alle in § 24 Abs. 3 NDAV genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Energielieferant muss demnach zur Unterbrechung der Versorgung gegenüber dem Anschlussnutzer vertraglich berechtigt sein670 , das Vorliegen der Unterbrechungsvoraussetzungen gegenüber dem Netzbetreiber glaubhaft versichern und den Netzbetreiber von sämtlichen Schadensersatzansprüchen freistellen. Diese Ausgestaltung des § 24 Abs. 3 NDAV soll einerseits den Schutz des Anschlussnutzers vor unberechtigten Unterbrechungen der Anschlussnutzung und andererseits den Schutz des Netzbetreibers vor Haftungsfolgen unberechtigter – durch den Gaslieferanten fehlerhaft veranlasster – Unterbrechungen der Anschlussnutzung gewährleisten671 . Die Freistellungszusage, die der Netzbetreiber vom Lieferanten verlangen kann, ist umfassend und erstreckt sich auf alle denkbaren zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche bei fehlender Berechtigung des Lieferanten zur Unterbrechung, auch solche, die gegebenenfalls betroffenen dritten Anschlussnutzern zustehen672 . Diese Verantwortlichkeitsfreistellung bezieht sich auf das Innenverhältnis des Erdgaslieferanten zu dem Netzbetreiber, der zwar dem vollen Ausgleich des Schadens beim Geschädigten im Außenverhältnis ausgesetzt ist, danach jedoch gegen den Lieferanten aus der Freistellungszusage Regress nehmen kann. 4.

Pflicht zum Entsperren

Sobald die Unterbrechungsgründe entfallen und die Kosten für Sperren und Entsperren ersetzt worden sind, ist der Netzbetreiber nach § 24 Abs. 5 NDAV zur unverzüglichen Entsperrung des Netzanschlusses und/oder der Wiederherstellung der Anschlussnutzung verpflichtet. Der Tatbestand des § 24 Abs. 5 NDAV ist praktisch identisch mit dem des § 19 Abs. 4 GasGVV, so dass auch hier grundsätzlich das zu § 19 Abs. 4 GasGVV Ausgeführte gilt673 . Es ist jedoch zu beachten, dass der Schuldner selbst nach § 24 Abs. 5 NDAV neben dem Anschlussnehmer oder Anschlussnutzer der Erdgaslieferant sein kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Netzbetreiber die Anschlussnutzung auf Anweisung des Lieferanten gemäß § 24 Abs. 3 NDAV unterbricht. Die Sperrung muss zudem aufgehoben werden, wenn an der gesperrten Ent-

670

Näher dazu Teil I § 3 B I 1 c), S. 73 ff. BR-Drs. 367/06, S. 63. 672 Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 34. 673 S. Teil I § 3 B I 1 d), S. 81 ff. 671

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Teil I Rechtslage in Deutschland

nahmestelle ein anderer Anschlussnutzer Erdgas entnehmen will674. Es handelt sich hier um ein neues Anschlussnutzungsverhältnis, welches durch das Fehlverhalten des alten Anschlussnehmers bzw. Anschlussnutzers nicht belastet sein darf. III.

Verpflichtung zum Betrieb eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Gasversorgungsnetzes

Die Gewährleistung eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Netzbetriebs ist für die Versorgungssicherheit, die eine zentrale Zielsetzung des deutschen Energiewirtschaftsrechts darstellt, von grundlegender Bedeutung. Im EnWG675 werden deshalb zahlreiche auf die Versorgungssicherstellung auf der Ebene der Energieverteilung ausgerichtete Aufgaben und Pflichten der Betreiber von Energieversorgungsnetzen recht detailliert geregelt, wenngleich sie bereits als Sorgfaltspflichten aus vertraglichen oder als Verkehrssicherungspflichten aus deliktischen Sonderbeziehungen resultieren können. Einschlägig sind in erster Linie die Vorschriften des ersten Abschnitts des dritten Teils des EnWG über den Netzbetrieb (§§ 11 bis 16a). Im Mittelpunkt steht hierbei § 11 EnWG, der in Abs. 1 S. 1 alle Betreiber von Energieversorgungsnetzen – unabhängig von der Netzebene – verpflichtet, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energieversorgungsnetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht676 auszubauen. Durch die Merkmale der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit hat der deutsche Gesetzgeber einen bestimmten Qualitätsstandard der Energieversorgungsnetze festgelegt, den die Netzbetreiber bei der Erfüllung ihrer Betriebs-, Wartungs- und Ausbaupflichten sowie ihrer Energietransportfunktion einhalten müssen677. Die Verpflichtungen der Netzbetreiber nach § 11 Abs. 1 EnWG bestehen allerdings nur, soweit es wirtschaftlich zumutbar ist. In den folgenden Paragraphen werden die allgemeinen Anforderungen des § 11 EnWG je nach Netzebene im jeweiligen Energiesektor näher konkretisiert (vgl. § 11 Abs. 1 S. 2 EnWG). Im Gasbereich gelten insofern §§ 15 bis 16a EnWG, aus welchen sich die sektorspezifischen Pflichten der Netzbetreiber, deren Verletzung gegebenenfalls ihre Haftung auslösen kann, ableiten. Im

674

Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (131); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 24 Rn. 41. 675 Im Zuge der Novellierung des EnWG zum Zwecke der Umsetzung europäischer Vorgaben, s. BR-Drs. 613/04, S. 1, 100. 676 Näher zur Schranke der Bedarfsgerechtigkeit s. BerlKommEnR I 1/König, EnWG § 11 Rn. 33 ff. 677 Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 11 Rn. 11.

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

137

Folgenden wird daher auf die einzelnen Aufgaben und die sog. Systemverantwortung der Betreiber von Gasversorgungsnetzen kurz eingegangen. 1.

Aufgaben und Systemverantwortung der Fernleitungsnetzbetreiber

Die Pflichten und Aufgaben der Fernleitungsnetzbetreiber sind im Hinblick auf die Funktion von Fernleitungsnetzen für das Gasversorgungssystem in § 15 EnWG sowie in § 16 EnWG geregelt. Während § 15 EnWG eine allgemeine Aufgabenbeschreibung der Betreiber von Fernleitungsnetzen sowohl in marktbezogener als auch in technisch organisatorischer Hinsicht enthält, präzisiert § 16 EnWG wiederum diese bei der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems der Gasversorgung und nimmt die Fernleitungsnetzbetreiber ausdrücklich in die Pflicht, wobei ihnen bestimmte Einwirkungsbefugnisse anderen Marktteilnehmern gegenüber eingeräumt worden sind678 . Demnach ist eine separate Darstellung der Aufgaben der Betreiber von Fernleitungsnetzen nach § 15 EnWG und der sog. Systemverantwortung nach § 16 EnWG geboten. a)

Aufgaben beim Betrieb von Fernleitungsnetzen (§ 15 EnWG)

Im Mittelpunkt des § 15 EnWG steht die Transportfunktion der Betreiber von Fernleitungsnetzen und ihre Wahrnehmung. Vor diesem Hintergrund wird den Netzbetreibern zuerst die Aufgabe übertragen, den Gastransport zu regeln (§ 15 Abs. 1 EnWG), was ihre grundsätzliche Bereitschaft zur gegenseitigen Zusammenarbeit voraussetzt. Die Regelung des Gastransports muss hierbei die Verwirklichung des Zweivertragsmodells nach § 20 Abs. 1b EnWG ermöglichen und den Austausch mit anderen – nationalen und internationalen – Verbundnetzen, insbesondere durch die Bereitstellung von Ausgleichsenergie berücksichtigen679 . Die Regelungsaufgabe der Fernleitungsnetzbetreiber bezieht sich ausschließlich auf die Gasversorgungsnetze und ist in räumlicher Hinsicht durch die Bilanzzone im Sinne des § 3 Nr. 10b EnWG begrenzt680. Nach § 15 Abs. 1 EnWG muss der Netzbetrieb ferner so geregelt und gesteuert werden, dass das im Markt verfügbare Erdgas störungsfrei transportiert wird. Dies soll zu einem sicheren und zuverlässigen Gasversorgungssystem im jeweiligen Netz und damit zu einer sicheren Energieversorgung entsprechend den übergeordneten Zielen der §§ 1 und 2 EnWG beitragen. Zu 678

Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 15 Rn. 6; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 44. 679 BT-Drs. 15/3917, S. 56 f.; Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 15 Rn. 6; Kment/ Tüngler, EnWG § 15 Rn. 14; BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 15 Rn. 17; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 43. 680 Überzeugend Theobald, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 15 Rn. 9 ff.; ebenfalls Kment/Tüngler, EnWG § 15 Rn. 13.

138

Teil I Rechtslage in Deutschland

berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang die Bestimmungen des § 15 Abs. 3 EnWG, in denen die Ausbaupflicht der Netzbetreiber gemäß § 11 Abs. 1 EnWG nochmals zum Ausdruck kommt. Der Sicherheit der Fernleitungsnetze dient schließlich die Informationspflicht ihrer Betreiber (§ 15 Abs. 2 EnWG). Es handelt sich dabei um die Informationen, die für den Transport und die Speicherung von Erdgas in einer mit dem sicheren und effizienten Betrieb des Verbundnetzes zu vereinbarenden Weise erforderlich sind. b)

Systemverantwortung beim Betrieb von Fernleitungsnetzen (§ 16 EnWG)

Wie bereits oben erwähnt sind die Betreiber von Fernleitungsnetzen für die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems in ihren Netzen verantwortlich (§ 16 EnWG). Der Grund für die Verantwortungsdelegation liegt ausweislich der Gesetzesbegründung darin, dass diese zum einen über den besten Überblick verfügen, um Störungen des Systems bereits im Vorfeld zu erkennen, und zum anderen die erforderlichen technischen Einwirkungsmöglichkeiten zur ihrer wirksamen Unterbindung besitzen681 . Daraus resultiert folglich die Verpflichtung der Netzbetreiber zur Vorbeugung potenzieller Störungen sowie zur Begrenzung des Ausfallschadens im Störungsfall682. Damit die Fernleitungsnetzbetreiber ihren Verpflichtungen nachkommen können, hat der deutsche Gesetzgeber ihnen ein nach der Eingriffsintensität abgestuftes System von Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Beseitigung der Störung zur Verfügung gestellt683 . Es handelt sich dabei um die gesetzlichen Maßnahmen im Netz und gegenüber Netznutzern auf Erzeuger- und Verbraucherseite, die nach einer bestimmten Reihenfolge684 und ausschließlich beim Vorliegen einer konkreten Gefährdung oder Störung des Gasversorgungssystems685 zu ergreifen sind. Wann eine solche Gefährdung vorliegt, wird mangels einer eigenen Legaldefinition in § 16 EnWG durch Zurückgreifen auf die des § 13 Abs. 3 EnWG sowie auf den allgemeinen ordnungsrechtlichen Ge-

681

Vgl. entsprechend zu § 13 EnWG Begründung BT-Drs. 15/3917, S. 56 f. Vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 57. Bews, IR 2013, 194 (195). 684 BT-Drs. 15/3917, S. 57; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 44; Theobald, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 16 Rn. 4; Kment/Tüngler, EnWG § 16 Rn. 13; Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (183 f.); de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (68); wohl nur teilweise BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 16 Rn. 7 ff.; a. A. Britz/Hellermann/Hermes/ Bourwieg, EnWG, § 16 Rn. 7. 685 Bews, IR 2013, 194 (195); vgl. auch Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (181 f.); de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (67). 682 683

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

139

fahrenbegriff ausgelegt 686 . Man unterscheidet insbesondere zwischen netz(Nr. 1) und marktbezogenen (Nr. 2) Instrumenten sowie – nur in Ausnahmefällen anzuwendenden – Notfallmaßnahmen (Abs. 2), auf die im Folgenden jeweils kurz eingegangen wird. aa)

Netzbezogene Maßnahmen

Liegen die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 EnWG vor, ist der jeweilige Netzbetreiber berechtigt und verpflichtet, zunächst netzbezogene Maßnahmen innerhalb seines Fernleitungsnetzes durchzuführen. Netzbezogene Maßnahmen im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EnWG betreffen ausschließlich den technischen Netzbetrieb und sind durch ihre grundsätzlich fehlende Außenwirkung gekennzeichnet687 . Insofern stellen sie zweifellos den geringsten Eingriff in die Rechte der Netznutzer dar und dürfen daher den anderen gesetzlich vorgesehenen Vorkehrungen im Rang vorgehen688 . Zu den netzbezogenen Maßnahmen gehören insbesondere temporäre Druckerhöhungen/-verringerungen im Rahmen der technischen Bandbreiten, der Einsatz von interner Regelenergie oder das Schließen/Öffnen von Rohrleitungen etc.689 . bb)

Marktbezogene Maßnahmen

Sodann haben die Fernleitungsnetzbetreiber die sog. marktbezogenen Maßnahmen zu ergreifen. Hierzu gehören nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG der Einsatz von Ausgleichsleistungen sowie vertragliche Regelungen über eine Abschaltung und den Einsatz von Speichern. Die Aufzählung in § 16 Abs. 1 Nr. 2 EnWG ist dabei nicht abschließend, was sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt690 und kann mangels einer konkreten Definition einer marktbezogenen Maßnahme in der Praxis Probleme bereiten691. Andere als die in der Regelung bezeichneten Maßnahmen sind jedenfalls dann zulässig, wenn und soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 Abs. 1 EnWG erfüllt sind. Darüber hinaus müssen sie hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität sowie ihrer Inhalte den gesetzlich angeführten vergleichbar sein. Im Vergleich zu den netzbezogenen Maßnahmen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EnWG entfalten die vom § 16 Abs.1 Nr. 2 EnWG erfassten Vorkehrungen eine 686

Näher dazu Bews, IR 2013, 194 (195); Theobald, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 16 Rn. 6. 687 Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 16 Rn. 6; s. auch zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 EnWG Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (181 f.); de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (67). 688 de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (67). 689 Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 16 Rn. 6. 690 BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 16 Rn. 7. 691 Thole/Dietzel, EnWZ 2013, 543 (545).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

unmittelbare Außenwirkung gegenüber den Netznutzern. Da sie aber grundsätzlich auf entsprechenden Vereinbarungen beruhen, wird die Bestimmungsmöglichkeit der Betroffenen erhöht und somit die Intensität der Eingriffe in Rechte Dritter seitens der Netzbetreiber erheblich minimiert692. An dieser Stelle ist zu berücksichtigen, dass diese Vereinbarungen unter anderem haftungsrechtliche Folgen von marktbezogenen Maßnahmen regeln (z. B. die Haftung des Anschlussnutzers bei Zuwiderhandlungen gegen die Unterbrechungsaufforderung des jeweiligen Netzbetreibers)693 . cc)

Notfallmaßnahmen

Als letzes – schwerwiegendes – Mittel zur Beseitigung der konkreten Gefährdung oder Störung des Gasversorgungssystems hat der deutsche Gesetzgeber die Durchführung von Notfallmaßnahmen vorgesehen (vgl. § 16 Abs. 2 S. 1 EnWG). Die Maßnahmen nach § 16 Abs. 2 S. 1 EnWG dürfen in der Regel erst dann angewendet werden, wenn die dem Fernleitungsnetzbetreiber gemäß § 16 Abs. 1 EnWG zur Verfügung stehenden netz- und marktbezogenen Vorkehrungen ausgeschöpft sind. Dies gilt allerdings nicht, wenn der jeweilige Netzbetreiber nach sorgfältiger Bewertung der entstandenen Situation erkennt, dass der Eintritt der Störung nur durch die Notfallmaßnahmen zu beseitigen ist 694 . Bei der Auswahl der einzusetzenden Störungsbeseitigungsmaßnahmen im Sinne des § 16 Abs. 2 S. 1 EnWG ist des Weiteren das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu beachten695 . Die Notfallmaßnahmen bestehen darin, die Gaseinspeisungen, Gastransporte und Gasausspeisungen im jeweiligen Netz den Erfordernissen eines sicheren und zuverlässigen Netzbetriebs anzupassen oder diese Anpassung von den betroffenen Netznutzern zu verlangen. Damit der Netzbetreiber die Notfallmaßnahmen treffen kann, muss nicht nur eine konkrete Gefährdung oder Störung der Netzsicherheit vorliegen. Es muss dabei vielmehr um einen Ausnahmefall, wie etwa einen drohenden Netzzusammenbruch gehen696 . Im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit sind die Regelungen der Rechtsfolgen von Notfallmaßnahmen von besonderer Bedeutung. So schreibt § 16 Abs. 3 S. 1 EnWG vor, dass im Falle von Anpassungen nach § 16 Abs. 2 S. 1 EnWG alle hiervon jeweils betroffenen – vertraglichen sowie 692

Vgl. de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (68); Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (184); Altrock/Vollprecht, ZNER 2011, 231 (232). 693 Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (184); Thole/Dietzel, EnWZ 2013, 543 (543 ff.). 694 Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 16 Rn. 9; vgl. auch Weise/Hartmann/ Wöldeke, RdE 2012, 181 (184). 695 BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 16 Rn. 10. 696 BT-Drs. 15/3917, S. 57.

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

141

gesetzlichen – Leistungspflichten ruhen, solange die Gefährdung bzw. Störung des Gasversorgungssystems besteht. Von dieser Leistungsbefreiung, die einen speziellen energierechtlichen Tatbestand der Leistungsstörung außerhalb der §§ 320 ff. BGB darstellt697, sind nur die Pflichten der Netzbetreiber erfasst698 . Die Regelung des § 16 Abs. 3 S. 1 EnWG erstreckt sich weder ausdrücklich auf andere Marktakteure, die von einer Notfallmaßnahme betroffen sein können, noch folgt das aus ihrer Auslegung. Zumindest ist nicht ersichtlich, dass für die Regelung des Schicksals der Gegenleistungspflicht bei der Durchführung von Anpassungen gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 EnWG die Schaffung von Sonderregeln erforderlich wäre. Die Leistungsbefreiung der Netznutzer ergibt sich hier bereits aus dem allgemeinen Schuldrecht der Leistungsstörungen699 . Der energierechtliche Gesetzgeber hat zudem die Haftung der Betreiber von Fernleitungsnetzen für Vermögensschäden in § 16 Abs. 3 S. 2 EnWG ausdrücklich ausgeschlossen. Ausweislich der Begründung zum Energiewirtschaftsgesetz soll der Haftungsausschluss des § 16 Abs. 3 S. 2 den Anreiz zum Untätigbleiben in Notsituationen seitens der Netzbetreiber wegen unübersehbarer Haftungsrisiken bei eingreifenden Notfallmaßnahmen möglichst gering halten700 . Die Haftung der Fernleitungsnetzbetreiber im Zusammenhang mit der Durchführung von Anpassungsmaßnahmen nach § 16 Abs. 2 S. 1 EnWG könnte darüber hinaus gemäß § 11 Abs. 2 S. 3 EnWG vollständig ausgeschlossen werden. Der Gesetzgeber hat jedoch von den Ermächtigungen des § 11 Abs. 2 EnWG bisher nur im Umfang der Haftungsbeschränkungen des § 18 NDAV Gebrauch gemacht. Zweifelhaft dürfte an dieser Stelle sein, ob die spezielle energierechtliche Haftungsfreistellung für Vermögensschäden nach § 16 Abs. 3 S. 2 EnWG grundsätzliche praktische Bedeutung hat701. Beim Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 Abs. 2 EnWG scheidet sowohl eine vertragliche als auch eine deliktische Haftung mangels der rechtswidrigen und schuldhaften Handlung des Netzbetreibers von vornherein aus. Bei reinen Vermögensschäden ist die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB ohnedies – unabhängig von etwaigen Haftungsauschlüssen – ausgeschlossen. In der Literatur wird gleichwohl 697

BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 16 Rn. 11. BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 16 Rn. 11; de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (69); eine andere Auslegung ist nach Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (186) ebenfalls vertretbar. 699 BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 16 Rn. 11. 700 BT-Drs. 15/3917, S. 57. 701 Zutreffend Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (187); Theobald, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 16 Rn. 10; s. auch BR-Drs. 367/06, S. 54. 698

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Teil I Rechtslage in Deutschland

vertreten, dass die Haftungsfreistellung für Vermögensschäden gemäß § 16 Abs. 3 S. 2 EnWG für die Gefährdungshaftung der Netzbetreiber nach § 2 HaftPflG von Relevanz sein könnte702. Dies würde dem Sinn und Zweck der Vorschrift laut der amtlichen Gesetzesbegründung entsprechen. 2.

Aufgaben und Systemverantwortung des Verteilernetzbetreibers

Der Pflichtenkatalog der Betreiber von Gasverteilernetzen ergibt sich aus § 16a EnWG, wonach sie die den §§ 15, 16 Abs. 1 bis 4 EnWG entsprechenden Verpflichtungen treffen. Dies gilt, soweit der jeweilige Gasverteilernetzbetreiber für die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Gasversorgung in ihrem Netz verantwortlich ist (§ 16a S. 1 EnWG). Vorausgesetzt wird mithin, dass er sich im konkreten Einzelfall in einer mit dem Fernleitungsnetzbetreiber vergleichbaren Lage befindet und die Regelung seines Netzes eigenständig vornimmt703 . Hinsichtlich der einzelnen – aus dem Verweis in § 16a S. 1 EnWG resultierten – Verpflichtungen der Verteilernetzbetreiber kann demzufolge weitgehend auf die obigen Ausführungen zu den Aufgaben und der Systemverantwortung der Fernleitungsnetzbetreiber verwiesen werden. Hinzuweisen bleibt auf die in § 14b EnWG verankerte Konkretisierung der den Gasverteilernetzbetreibern nach §§ 16 Abs. 1 Nr. 2, 16a EnWG zugewiesenen marktbezogenen Maßnahmen zur Gewährleistung der Systemverantwortung, die als Reaktion auf den Versorgungsengpass im Februar 2012 entstanden ist704. Nach § 14b EnWG können die Gasverteilernetzbetreiber mit den Letztverbrauchern vertragliche Abschaltvereinbarungen zum Zwecke der Entlastung der vorgelagerten Netzebene abschließen und Letzteren dafür reduzierte Netzentgelte anbieten705 . Damit trägt die Vorschrift der Zwischenposition des Gasverteilernetzbetreibers einerseits als Vertragspartner in einem Anschlussnutzungsverhältnis und andererseits als nachgelagerter Kooperationspartner im Rahmen eines technisch sicheren Netzbetriebs Rechnung. Im Übrigen gelten auch hier die allgemeinen Erwägungen zu den marktbezogenen Maßnahmen der Betreiber von Fernleitungs- und Verteilernetzen.

702

Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (187). BT-Drs. 15/3917, S. 57. 704 BT-Drs. 17/11705, S. 52 f.; BNetzA, Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/12 v. 03.05.2012, abrufbar unter: http://www.bundesnetzagentur.de/DE/Allgemeines/Presse/Mediathek/Berichte/berichtenode.html (zuletzt am 01.12.2018); Däuper, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 14b Rn. 1; BerlKommEnR I 1/Thole, EnWG § 14b Rn. 2. 705 Ausführlich zur Problematik der Auslegung und Anwendung von § 14b EnWG in der Praxis s. Thole/Dietzel, EnWZ 2013, 543 (543 ff.). 703

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

D.

143

Aufgaben und Pflichten der Endkunden

Die Endkunden stellen die letzte Gruppe der Hauptakteure auf dem deutschen Erdgasmarkt dar und verfügen über einen umfangreichen Aufgaben- und Pflichtenkatalog, der allerdings weniger komplex als derjenige der Erdgasförderer, Erdgaslieferanten sowie Netzbetreiber ist. Da der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung auf der vertraglichen und gesetzlichen Haftung bei Schäden, die von der Anbieter- sowie Transporteurseite zu verantworten sind, liegt und die Aufgaben und Pflichten der Endkunden erst dann eine Relevanz erlangen, wenn ihre Verletzung (zulässige) Versorgungsunterbrechungen verursacht oder gegebenenfalls die Frage nach der Mitverantwortlichkeit bei der Versorgung und beim Transport von Erdgas aufwirft, werden sie nachfolgend nur am Rande dargestellt. Im Hinblick auf die Rechtsverhältnisse, in welche die Endkunden mit den anderen Marktbeteiligten zum Zwecke der eigenen Versorgung mit Erdgas eintreten, wird grundsätzlich zwischen lieferbezogenen und netzbezogenen Pflichten unterschieden. Die Aufteilung der Verpflichtungen von Endkunden in die beiden gerade genannten Gruppen ist einerseits durch die branchenspezifische Besonderheit der Leitungsgebundenheit der Erdgasversorgung und andererseits die Liberalisierung des Erdgasmarktes bedingt. Gleichwohl sei hier nicht verkannt, dass die Endkunden über ein teilweise sehr unterschiedliches Nachfrageverhalten verfügen, was im Ergebnis zur unterschiedlichen Pflichtenlage in einem bestimmten Versorgungsfall führen kann. I.

Lieferbezogene Pflichten

Die Verpflichtungen des Endkunden im Zusammenhang mit seiner Belieferung mit Erdgas resultieren aus dem jeweiligen Erdgaslieferverhältnis und werden durch seine jeweilige inhaltliche Ausgestaltung bestimmt. Ungeachtet der Vielzahl konkreter Ausgestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Heterogenität des Nachfrageverhaltens innerhalb der Konsumentengruppe ist hier die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Pflichtenlage des Endkunden im Rahmen der Grundversorgung im Sinne von § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG zu richten. Dies liegt zum einen daran, dass der Pflichtenkatalog des grundversorgten Abnehmers in seiner Eigenschaft als Haushaltskunde durch die Bestimmungen der GasGVV weitgehend definiert ist und dementsperechend für alle Haushaltskunden einheitlich gilt, und zum anderen daran, dass er regelmäßig im Wettberwerbskundenbereich aufgrund der vertraglichen Einbeziehung der GasGVV oder als Auslegungsvorbild Anwendung findet706. 706

So bereits zur bisherigen Rechtslage Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 58 f.

144

Teil I Rechtslage in Deutschland

Zu den lieferbezogenen Hauptpflichten des grundversorgten Kunden zählen mithin die Deckung seines gesamten leitungsgebundenen Gasbedarf aus den Gaslieferungen des Grundversorgers (§ 4 S. 1 GasGVV) und darauf aufbauend die Zahlung des fälligen vertraglich vereinbarten Grundversorgungstarifs (§§ 5 Abs. 2 bis 3, 17 Abs. 1 GasGVV, § 433 Abs. 2 BGB). Im Gegensatz zu dem außerhalb der Grundversorgung belieferten Wettbewerbskunden ist es dem Haushaltskunden zwecks Planungs- und Kalkulationssicherheit des jeweiligen Grundversorgers nicht gestattet, für die Dauer des Grundversorgungsvertrages seinen Bedarf auf einen Mindest- bzw. Teilbedarf zu beschränken, es sei denn, die (teilweise) Gasbedarfsdeckung erfolgt durch die Eigenanlagen zur Nutzung regenerativer Energiequellen (§ 4 S. 2 GasGVV, § 37 Abs. 1 S. 3 EnWG), was einen Beitrag zur Umweltschutzförderung im Rahmen der Erdgasversorgung nach § 1 Abs. 1 EnWG leisten soll707 . Der auf den vereinbarten Bedarf bezogenen Bedarfsdeckungspflicht kommt im Grundversorgungsbereich für Kalkulation und Abwicklung des Liefergeschäfts eine entscheidende Rolle zu. Die GasGVV sieht weiterhin ein Bündel von Neben- und Verhaltenspflichten vor, welche die grundversorgten Endkunden im Rahmen ihrer Belieferung mit Erdgas zu befolgen haben. Zu nennen sind in erster Linie Mitteilungspflichten (§§ 2, 7 GasGVV) und Duldungspflichten (§ 9 GasGVV). Von besonderer Bedeutung ist die Erfüllung der Mitteilungspflicht des Kunden nach § 2 Abs. 3 GasGVV beim Vertragsschluss durch Annahme der Realofferte. Denn der jeweilige Lieferant hat in einer solchen Situation ein besonders schützenswertes rechtliches Interesse daran, unaufgefordert und unverzüglich darüber in Kenntnis gesetzt zu werden, wer sein Kunde ist708. Die Verletzung der Verpflichtung zur Mitteilung aller für den Vertragsschluss notwendigen Daten kann unter Umständen die Haftung aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründen. Schließlich sind zahlreiche Zahlungsobliegenheiten (§§ 10, 13, 14, 15 GasGVV), die Verhaltensanforderungen von geringerer Intensität darstellen und deren Unterlassen Grundversorgungskunden nicht schadensersatzpflichtig macht, zu beachten. II.

Netzbezogene Pflichten

Die netzbezogenen Pflichten treffen den Endkunden in seiner Eigenschaft als Anschlussnehmer und/oder Anschlussnutzer und beruhen auf einem Netzanschlussvertrag und/oder Anschlussnutzungsverhältnis. Zwar stellt die An707

Vgl. Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht GasGVV § 4 Rn. 2, StromGVV § 4 Rn. 8. 708 OLG Nürnberg NJW-RR 2014, 1492 (1494).

§ 3 Akteure im deutschen Erdgasversorgungssystem

145

schlussnutzung einen integralen Bestandteil der Netzanschlusspflicht des Netzbetreibers dar. Auch überschneidet sich der Inhalt des Netzanschlussverhältnisses regelmäßig – zumindest teilweise – mit dem Netzanschlussnutzungsverhältnis709 . Dennoch ist die Pflichtenlage des Anschlussnehmers und des Anschlussnutzers an dieser Stelle differenzierend darzustellen. Dies lässt sich insbesondere auf die Tatsache zurückführen, dass es sich hierbei um zwei eigenständige Rechtsverhältnisse mit unterschiedlichen Regelungsgegenständen handelt. Zudem ist nicht zu verkennen, dass den Pflichten aus dem Netzanschlussvertrag unmittelbar nur der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks, auf dem der Netzanschluss zu belegen ist, bzw. der sonst Verfügungsbefugte unterworfen werden kann, während sich die Pflichten aus dem Anschlussnutzungsverhältnis auf jeden, der über einen Anschluss Erdgas aus dem Netz entnimmt, unter anderem Mieter und Pächter, erstrecken710. Im Folgenden wird überwiegend auf die netzbezogenen Pflichten der Endkunden aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis auf der Basis der auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 18 Abs. 3 EnWG ergangenen NDAV eingegangen. Hier greifen die gleichen Überlegungen wie in Bezug auf die oben dargestellten lieferbezogenen Pflichten der Endkunden. 1.

Pflichten des Anschlussnehmers

Das Netzanschlussverhältnis begründet gegenseitige Rechte und Pflichten für die beteiligten Parteien, d. h. Netzbetreiber und Anschlussnehmer, im Zusammenhang mit der einmaligen Herstellung des Netzanschlusses sowie seinem weiteren Betrieb. Während der jeweilige Netzbetreiber im Rahmen seiner Netzanschlusspflicht zur erstmaligen physischen Anbindung der Kundenanlage an sein Netz sowie zur laufenden Aufrechthaltung des Anschlusses verpflichtet ist, liegt die Gegenleistung des Anschlussnehmers in der Erstattung entstandener Anschlusskosten. Für den Niederdruckbereich hat der Verordnungsgeber die Frage des für die Herstellung und Erweiterung des Netzanschlusses zu entrichtenden Entgeltes in § 9 NDAV näher geregelt. Demnach kann der Netzbetreiber wahlweise entweder nach tatsächlichem Aufwand abrechenen (§ 9 Abs. 1 S. 1 NDAV) oder eine Pauschale auf der Grundlage der durchschnittlich für vergleichbare Fälle entstehenden Kosten erheben (§ 9 Abs. 1 S. 2 NDAV). Über die eigentlichen Anschlusskosten hinaus wird dem Anschlussnehmer die Verpflichtung zur Deckung der bei wirtschaftlich effizienter Betriebsführung notwendigen Kosten für die Erstellung oder Verstärkung 709

Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 173 ff. 710 Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 18 Rn. 28.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

der örtlichen Verteileranlagen auferlegt (§ 11 NDAV). Der sogenannte Baukostenzuschuss kann allerdings vom Anschlussnehmer nur teilweise verlangt werden, da dadurch die Netz- und Ausbaukosten, die grundsätzlich über die kostenorientiert gebildeten und die Netznutzer belastenden Netzzugangsentgelte erfasst werden, finanziert werden711 . Der Anschlussnehmer muss ferner umfangreichen Nebenpflichten nachkommen. Sie lassen sich in folgende Gruppen unterteilen: Informations- und Mitteilungspflichten (§§ 4, 8 NDAV), Sorgfaltspflichten (§§ 8, 13, 19, 22 NDAV), Duldungspflichten (§§ 10, 12, 21 NDAV), Mitwirkungspflichten (§ 8 NDAV), Pflicht zur Kostenerstattung (§ 14 NDAV) sowie Bereitstellung von Zählerplätzen (§ 22 NDAV)712. Durch die Statuierung dieser Verpflichtungen wird nicht nur der grundlegenden Verantwortungsverteilung zwischen dem Netzbetreiber und dem Anschlussnehmer bei Herstellung und Betrieb des jeweiligen Anschlusses, sondern auch dem Interesse der Versorgungssicherstellung gedient713 . 2.

Pflichten des Anschlussnutzers

Für den Bereich der Anschlussnutzung als Ermöglichung der Entnahme von Energie über den Anschluss wird durch die NDAV kein eigenständiges Entgelt vorgesehen. Die Anschlussnutzung wird vielmehr über die nach § 21 EnWG für die Energielieferung zu entrichtenden Netzzugangsentgelte abgegolten, was sich durch den sachlichen Zusammenhang mit der Netznutzung, die ihrerseits als unabdingbare Voraussetzung für die Durchführung des Energieliefervertrages gilt, begründen lässt714. Es bestehen also keine Zahlungspflichten des Netzanschlussnutzers aus der NDAV gegenüber dem Netzbetreiber, deren Verletzung die Berechtigung des Letzten zur Sperrung der Energieentnahme nach § 24 Abs. 2 S. 1 NDAV begründen könnte. Bei Nichterfüllung von Zahlungspflichten des Anschlussnehmers wird der Anschlussnutzer dennoch eine Unterbrechung dulden müssen, was wiederum auf die Untrennbarkeit der Anschlussnutzung vom Netzanschluss zurückzuführen715 . Im Übrigen erwachsen ihm aus dem Anschlussnutzungsverhältnis weitgehend die gleichen Pflichten wie dem Anschlussnehmer aus dem Netzanschlussverhältnis (vgl. § 16 Abs. 3 NDAV). 711

BR-Drs. 367/06, S. 44 ff., 68 f.; Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (126). Vgl. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 59. 713 Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 196 ff. 714 Näher dazu s. Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 274. 715 Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (129). 712

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich Eine sichere Versorgung der Allgemeinheit mit Erdgas als eines der zentralen energiepolitischen Ziele in Deutschland erfordert, dass jeder daran beteiligte Akteur seine ihm vertraglich und gesetzlich auferlegten – oben beschriebenen – Pflichten befolgt. Falls dies nicht der Fall sein sollte, können Versorgungsstörungen entstehen, die der ordnungsgemäßen Vornahme der Gewinnung von Erdgas zur Belieferung von Kunden, des Vertriebs von Erdgas an Kunden und des Betriebs eines Erdgasversorgungsnetzes (vgl. § 3 Nr. 36 EnWG) im Weg stehen716 und gegebenenfalls haftungsrechtlich zu sanktionieren sind. Da infolge einer Versorgungsstörung gerade Endkunden im Sinne des § 3 Nr. 25 EnWG in besonderem Maße (Personen-, Sach- und/oder Vermögens-)Schäden ausgesetzt sind und eine ausführliche Behandlung der zahlreich – in erster Linie wegen der Liberalisierung des Erdgasmarktes – denkbaren Haftungskonstellationen den Rahmen der vorliegenden Untersuchung überschreiten würde, wird im Folgenden nur auf zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen, die Endkunden Schadensersatz im Falle einer Schädigung durch eine Störung der Erdgasversorgung gewähren, näher eingegangen. Die öffentlich-rechtliche Haftung hat insbesondere aus Sicht des Endkunden als Hauptanspruchsteller im Rahmen dieser Arbeit keine Bedeutung, so dass von ihrer rechtlichen Beurteilung abgesehen wird. Zu untersuchen ist demnach sowohl die vertragliche als auch die gesetzliche Normalhaftung des jeweiligen Ersatzpflichtigen717. Im Anschluss wird auf deren Modifikation durch die speziellen energierechtlichen – liefer- und netzbezogenen – Verordnungen eingegangen. Als mögliche Ersatzpflichtige bei Schäden, die ein Endkunde wegen einer Störung der Erdgasversorgung erleidet, kommen hauptsächlich Erdgasförderer, Erdgasimporteure, Lieferanten sowie Netzbetreiber in Betracht. Unbeschadet einer Vielzahl von Akteuren, die von einem Endkunden in Anspruch genommen werden können, bildet die Haftung des Netzbetreibers einen herausragenden Schwerpunkt der Untersuchung. Dies ist grundsätzlich darauf zurückzuführen, dass die unmittelbaren Ursachen für die typischen Versorgungsstörungen (Unterbrechungen und Un-

716

Vgl. zum Begriff der Versorgungsstörung ausführlich Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (16). 717 Vgl. Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 1.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_4

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Teil I Rechtslage in Deutschland

regelmäßigkeiten) nach wie vor im Betrieb des Energieversorgungsnetzes liegen718 . A.

Der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur als Passivlegitimierter

Ausgehend von der Position des jeweiligen Ersatzpflichtigen innerhalb der Wertschöpfungskette sind zunächst mögliche Schadensersatzansprüche des betroffenen – hier normalerweise gewerblichen oder industriellen – Endkunden gegen den Erdgasförderer sowie den Erdgasimporteur zu prüfen. In Betracht kommt dabei in erster Linie die vertragliche Haftung auf Schadensersatz, da zwischen dem Gewerbe- bzw. Industriekunden und dem Erdgasförderer bzw. dem Erdgasimporteur nicht selten eine vertragliche Beziehung über die Lieferung von Erdgas besteht und die durch sie begründeten Pflichten (schuldhaft) nicht eingehalten werden können. Betrachtet man die im vorhergehenden Abschnitt näher dargestellten Aufgaben- und Pflichtenkataloge dieser Akteure, kann man feststellen, dass sich ihre Verpflichtung zum Schadensersatz regelmäßig auch aus dem Recht der unerlaubten Handlung sowie aus einem Gefährdungshaftungstatbestand, insbesondere nach dem Produkthaftungsgesetz, ergeben wird. Schadensersatz kann grundsätzlich durch den jeweiligen Endkunden geltend gemacht werden, sofern der Schaden durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vom Schädiger – Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur – in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit verursacht wurde. Bei der gesetzlichen Gefährdungshaftung kommt es allerdings auf ein Verschulden nicht an. Daran anknüpfend wird nachfolgend eine Unterscheidung der Anspruchsgrundlagen zwischen verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung vorgenommen werden. Dies soll eine bessere Übersichtlichkeit der möglichen Schadensersatzansprüche des Endkunden gewährleisten. I.

Verschuldensabhängige Haftung

Eine verschuldensabhängige Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs für Schäden aus Erdgasversorgungsstörungen kommt nach den §§ 280 ff. BGB und §§ 823 ff. BGB in Betracht. Haftungsansprüche des gewerblichen bzw. industriellen Endkunden können dabei auf der einen wie der anderen Anspruchsgrundlage beruhen und nebeneinander bestehen, so dass eine echte Anspruchskonkurrenz vorliegt719. Ebenfalls an dieser Stelle 718 719

BR-Drs. 367/06, S. 56. BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 62; Soergel/Spickhoff, BGB Vor § 823 Rn. 73; Staudinger/Hager, BGB Vor § 823 Rn. 38.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

149

bleibt festzuhalten, dass eine vertragliche Anspruchsbegründung im Rahmen der Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs für diese Gruppe potenzieller Kläger günstiger ist. Während das Recht der unerlaubten Handlung das Integritätsinteresse jeder Person unabhängig vom Parteiwillen schützt, verfügt die Geltendmachung vertraglicher Ansprüche nicht nur über Vorteile der strengeren Haftung für das Verhalten Dritter gemäß § 278 BGB sowie der Verschuldensvermutung in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, sondern gewährt dem jeweiligen Anspruchsteller auch Ausgleich von bloßen Vermögensschäden. 1.

Vertragliche Haftung

Die Voraussetzungen für eine vertragliche Haftung ergeben sich aus § 280 Abs. 1 BGB. Hierzu gehören ein (vertragliches oder gesetzliches) Schuldverhältnis, eine (objektive) Pflichtverletzung, ein Vertretenmüssen des Schuldners und ein kausaler Schaden. Je nach Art des Schadensersatzes und Vertragstyp müssen zusätzliche (tatbestandliche) Voraussetzungen der §§ 281 ff. BGB sowie Sonderregelungen des speziellen Leistungsstörungsrechts beachtet werden720. Das Schuldverhältnis zwischen dem Erdgasförderer bzw. dem Erdgasimporteur und dem Erdgaskunden wird typischerweise der Vertrag über die Lieferung von Erdgas sein. In das System des BGB ist dieser nach aktueller Rechtslage im Erdgasbereich ohne Weiteres als Kaufvertrag einzuordnen721 . Im Kaufrecht besteht zwar ein gewisses Sonderregime für die Mängelhaftung des Verkäufers. Dieses hat jedoch für potenzielle Anspruchsteller bei Erdgasversorgungsstörungen kaum Konsequenzen (bis auf die Verjährungsfristen): Zum einen wird bei Versorgungsstörungen seitens des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs die Pflichtverletzung grundsätzlich in der Nichtleistung 720

BeckOGK/Riehm, Stand: 01.09.2018, BGB § 280 Rn. 1, 112, 198; s. auch Baur/Salje/ Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 23. 721 BGH BeckRS 2016, 06316; OLG Koblenz BeckRS 2012, 21353; OLG Hamm BeckRS 2009, 15973; LG Stuttgart BeckRS 2012, 18892; BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 20; MünchKomm/Westermann, BGB § 433 Rn. 13; Erman/Grunewald, BGB, § 433 Rn. 11; Palandt/Weidenkaff, BGB § 433 Rn. 8, BGB § 453 Rn. 6; Schneider/Theobald/de Wyl/Essig, EnWR § 11 Rn. 76; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2008, S. 148 ff.; Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 23; schon vor dem Inkrafttreten des EnWG 2005 war die herrschende Meinung für die Einordnung eines Energielieferungsvertrages als Kaufvertrag BGH, VersR 1972, 153; BGH BeckRS 1978, 30385176; BGH NJW 1983, 1777 (1777 f.); BGH RdE 1994, 70 (72); Staudinger/ Köhler, 13. Bea. 1995, BGB § 433 Rn. 41; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 40 ff.; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 479 ff.; Ebel, Energielieferungsverträge, S. 2 f., 170; Bydlinski, in: Wünsch, Festschrift für Hermann Hämmerle, S. 31 (38).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

aufgrund von Unmöglichkeit (etwa in der Unterbrechung der Erdgasversorgung), d. h. außerhalb des kaufvertraglichen Gewährleistungsrechts, liegen, so dass allein die Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts anzuwenden sind722. Zum anderen kommt der Vorrang für den Nacherfüllungsanspruch nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB nicht zum Tragen, sollte – wenn auch eher in Ausnahmefällen723 – eine mangelhafte Leistungsebringung durch den Erdgasförderer bzw. den Erdgasimporteur (etwa bei der Lieferung einer anderen Erdgasart als die, die für das Vertragsverhältnis bestimmt wird)724 gegeben sein. Da eine solche Pflichtverletzung in Anbetracht der vorstehend beschriebenen Besonderheiten der (technischen) Organisation der Erdgasversorgung regelmäßig nachträglich vollumfänglich nicht behoben werden kann, ist die Nacherfüllung nicht mehr möglich725 . Es ist dabei stets von einer (qualitativen) Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB auszugehen 726 . Vielmehr schreibt § 437 Nr. 3 BGB kein zusätzliches Erfordernis vor, er verweist bloß auf § 280 BGB (i. V. m. §§ 281 ff. BGB)727. Nach alledem bleibt festzuhalten, dass sich für die Prüfung der hier zu behandelnden Ansprüche des Erdgaskunden im Endergebnis keine Abweichungen vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht ergeben. Da bei der Verletzung energierechtlicher – lieferungsbezogener – Leistungspflichten des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs regelmäßig eine (Teil-)Unmöglichkeit nach § 283 BGB vorliegt, richtet sich der Anspruch des Erdgaskunden auf Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 3 i. V. m. 283 BGB. Die Vorschrift des § 283 BGB verlangt freilich keine weiteren Tatbestandsvoraussetzungen. Im Falle der Unmöglichkeit ist das Erfordernis einer Mahnung oder Fristsetzung gegenüber dem Schuldner, etwa für die Wahrung des Rechts zur zweiten Andienung, sinnlos728. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass bei Schäden, die bereits vor dem endgültigen Ausbleiben der Leistung eintreten und im Rahmen der Erdgasversorgung durchaus denkbar sind, ohnehin nur § 280 Abs. 1 BGB zur Anwendung 722

Looschelders, Schuldecht BT, § 2 Rn. 29; Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, § 3 Rn. 31. 723 Beispielsweise wenn ein All-Inclusive-Vertrag mit dem Wettbewerbskunden geschlossen wird und der Lieferant sein Haftungsrisiko im Hinblick auf die Zurechnung des Verschuldens des jeweiligen Netzbetreibers (ähnlich der Regelung des § 6 Abs. 3 GasGVV) nicht begrenzt. 724 Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 23. 725 Zu Ausnahmen vom Prinzip des Vorrangs der Nacherfüllung im Kaufrecht s. AnwK-BGB/ Büdenbender, § 437 Rn. 17 f. 726 Vgl. Lorenz, NJW 2002, 2497 (2500 f.). 727 BeckOGK/Höpfner, Stand: 15.09.2018, § 437 Rn. 2. 728 AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 Rn. 52.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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kommt729, werden nachfolgend nur die oben genannten allgemeinen Haftungsvoraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB angesprochen. a)

Schuldverhältnis

Die rechtliche – auf dem Inhalt der Leistungspflicht basierende730 – Qualifikation des Vertrages bei Erdgaslieferungen an die Endkunden (auf der Mittelund Hochdruckebene) als Kaufvertrag ist insbesondere seit der Liberalisierung des Erdgasmarktes und der Novellierung des EnWG nicht (mehr) zu bedenken. Die zuvor geführte Diskussion um die Einordnung dieses Vertragsverhältnisses unter einen der im BGB geregelten Vertragstypen gilt nunmehr als abschließend geklärt und braucht hier nicht dargestellt zu werden. Die zeitliche Einordnung des Erdgaslieferungsvertrages als Schuldverhältnis weist allerdings einige Besonderheiten, die bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch den Endkunden zu berücksichtigen sind, auf. Bei dem Erdgaslieferungsvertrag handelt es sich in der Regel um ein Dauerschuldverhältnis (Sukzessivlieferungsvertrag) mit zeitlich aufgespaltenen Teilleistungen des Lieferanten, deren Umfang sich nach dem Bedarf des Abnehmers richtet oder von Anfang an bestimmt ist, wobei die zu liefernde Gesamtmenge nicht von vornherein feststehen muss731 . Anderenfalls ist von einem gewöhnlichen teil- oder ratenweise zu erfüllenden Kaufvertrag auszugehen732 . In diesem Fall verpflichtet sich der jeweilige Lieferant (hier: der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur) zur Lieferung einer bestimmten Anzahl von Teilmengen Erdgas, die er nachholen kann, sollte eine Unterbrechung auftreten733 . Der Bedarfszeitpunkt und Abfragezeitpunkt fallen dabei, wie etwa beim Aufladen einer Speicherheizung, auseinander734 .

729

Lorenz, NJW 2002, 2497 (2500 f.). S. dazu Teil I § 3 A I 3, S. 49 ff. 731 BGH NJW 1981, 2195 (2196); BGH NJW 2006, 765 (765); OLG Koblenz BeckRS 2012, 21353; BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 20; Busche, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Kap. 6 Rn. 9; Schneider/Theobald/de Wyl/Essig/ Holtmeier, EnWR § 10 Rn. 110; BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 114 f.; BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 314 Rn. 6; BeckOK/Sutschet, Stand: 01.11.2018, BGB § 241 Rn. 28; Palandt/Grüneberg, BGB Überbl. v. § 311 Rn. 27, 30; Rasbach/Baumgart/Raabe/Vorndran, Vertragshandbuch Gaswirtschaft, Kap. 8 Rn. 48 f.; Reinholz, RdE 1999, 64 (73 ff.); Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 234 f., 237. 732 BeckOK/Sutschet, Stand: 01.11.2018, BGB § 241 Rn. 28. 733 Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 93; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 47. 734 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 115. 730

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Der Erdgaslieferungsvertrag als Dauerschuldverhältnis wird des Weiteren als absolutes Fixgeschäft charakterisiert735 . Dies deshalb, weil die Lieferung von Erdgas zum Zeitpunkt der Anforderung durch den Kunden erfolgen muss. Zu einem späteren Zeitpunkt hat sie für den Endkunden keinen wirtschaftlichen Sinn mehr. Die nicht rechtzeitige (nicht am Bedarfszeitpunkt erbrachte) Lieferung von Erdgas stellt mithin keinen Verzug, sondern eine (Teil-)Unmöglichkeit dar736 . b)

Pflichtverletzung

Der Erdgaslieferungsvertrag ist – wie eingangs bereits ausgeführt – ein kaufrechtlicher Vertrag, dessen Zweck in der Herbeiführung eines Erfolges liegt. Zur Feststellung einer Pflichtverletzung durch den Erdgasförderer (bzw. den Erdgasimporteur) genügt mithin das Zurückbleiben hinter dem geschuldeten Erfolg737. Hieraus ergibt sich, dass der Erdgasförderer (bzw. der Erdgasimporteur) eine Pflichtverletzung begeht, wenn er das Erdgas gar nicht, verspätet oder mangelhaft liefert, es sei denn, er handelt innerhalb der Leistungsbeschreibung. Sollten die Vertragsparteien angesichts der Leitungsgebundenheit der Erdgasversorgung nach dem Beispiel des Grundversorgungsbereichs für bestimmte Fälle die Belieferung einschränken und/oder einen gewissen (Druck-)Schwankungsbereich vertraglich vereinbaren, wobei grundsätzlich die netzbezogenen Parameter widergespiegelt werden, wird man eine objektive Pflichtverletzung bei in einer solchen Vereinbarung vorgesehenen – zulässigen – Unterbrechungen und Unregelmäßigkeiten wohl regelmäßig ablehnen müssen. Die hersteller- und importeuerspezifischen Pflichten haben an dieser Stelle keine Bedeutung, jedoch bei der Prüfung, ob der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur die Mangelhaftigkeit des gelieferten Erdgases zu vertreten hat738. Sollte der betroffene Endkunde den Ersatz eines Äquivalenzschadens verlangen, wird die Pflichtverletzung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs regelmäßig im endgültigen Ausbleiben der (mangelfreien) Leistung aufgrund nachträglicher Unmöglichkeit bestehen. Ausgehend von der rechtli735

BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG Vor § 36 Rn. 21 S. 2104; BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 117; Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 82 ff.; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 155 ff.; Reinholz, RdE 1999, 64 (74). 736 BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 117; Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 155 ff.; vgl. auch Grigoleit, in: Wandt, Festschrift für Egon Lorenz zum 80. Geburtstag, S. 795 (799). 737 BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 280 Rn. 12; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 Rn. 29 ff.; Lorenz, NJW 2005, 1889 (1890). 738 Schmidt-Räntsch, in: Kullmann/Pfister Kza. 1400 S. 3.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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chen Einordnung des Erdgaslieferungsvertrages als Dauerschuldverhältnis und absolutes Fixgeschäft – wie eingangs bereits ausgeführt – kann die im Abfragezeitpunkt ausbleibende Erdgaslieferung nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden, so dass eine teilweise dauernde Unmöglichkeit anzunehmen ist739 . Dies gilt entsprechend auch für den Fall, wenn der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur das mangelhafte Erdgas liefert. Die Verpflichtung zur mangelfreien Leistung aus § 433 Abs. 1 S. 2 BGB kann somit zu dem Abfragezeitpunkt nicht (nach)erfüllt werden. Es ist mithin von der irreparrablen Schlechtleistung, an welche die Vorschriften über die (qualitative) Unmöglichkeit unmittelbar anwendbar sind, auszugehen. Bei der Verletzung von (nicht selbstständig einklagbaren) Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht ein Erfolg, an dem die Pflichterfüllung zu messen wäre, sondern ein sorgsames – auf den Erhalt der Rechtsgüter gerichtetes und die Vertragspartner vor Begleitschäden bewahrendes – Verhalten geschuldet wird740 . Es handelt sich dabei insbesondere um Untersuchungs-, Kontroll-, Beratungs-, Aufklärungs- sowie Hinweispflichten der Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteuers, die durch weitere aus den besonderen Umständen des Einzelfalls abzuleitende Pflichten ergänzt und/bzw. konkretisiert werden. Ihr Inhalt und ihre Intensität bestimmen sich nach dem Maß der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) 741 , welches den für die deliktischen Verkehrssicherungspflichten des Herstellers sowie des Importeurs entwickelten Grundsätzen im Wesentlichen entspricht742. Es ist daher zwischen den Pflichten des Erdgasförderers und des Erdgasimporteurs zu differenzieren. Im Hinblick auf die Rechtsnatur des Erdgaslieferungsvertrages darf weiterhin nicht verkannt werden, dass die Intensität der geschuldeten Schutzpflichten zunimmt, wenn das in Betracht kommende Schuldverhältnis eine länger andauernde Bindung aufweist743 . Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Schutzpflichten bereits durch die Anbahnung von Vertragsverhandlungen entstehen und auch über das Ver739

Hack, Energie-Contracting, Rn. 253 ff.; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, Fn. 221 S. 82; Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 237; vgl. auch Grigoleit, in: Wandt, Festschrift für Egon Lorenz zum 80. Geburtstag, S. 795 (799); so bereits vor der Entflechtung Reinholz, RdE 1999, 64 (74); Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 93 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 115; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 47. 740 Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, Rn. 329. 741 Medicus/Lorenz, SchuldR I AT, Rn. 328. 742 S. dazu Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 11 Rn. 1 ff.; vgl. bereits zur alten Rechtslage Bolliger, Die Haftung des Importeurs für fehlerhafte Produkte in rechtsvergleichender Sicht, S. 78 f. 743 Jauernig/Mansel, BGB § 241 Rn. 10.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

tragsende hinaus wirken744. Es kommt also hierbei auf den konkreten Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht an. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass auch Dritte wie etwa die Angestellten des industriellen oder gewerblichen Abnehmers, die selbst nicht Vertragspartei sind, in den Schutzbereich der Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB mit einbezogen werden (in Form des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte oder aber über § 311 Abs. 3 BGB) und bei der Verletzung dieser Pflichten durch den Schuldner einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB (gegebenenfalls i. V. m. § 278 BGB) haben können. c)

Vertretenmüssen

Sollte eine objektive Pflichtverletzung durch den Erdgasförderer (bzw. den Erdgasimporteur) vorliegen und der Vorwurf ihrer – mit der schon festgestellten Pflichtwidrigkeit indizierten – Rechtswidrigkeit im Falle eines ausnahmsweise vorliegenden Rechtfertigungsgrundes nicht entfallen745 , muss der Letzte vielmehr darüber hinaus diese Pflichtverletzung im Sinne von §§ 276 bis 278 BGB zu vertreten haben (vgl. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB), damit ihn die Schadensersatzhaftung nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB trifft. aa)

Eigenes Verschulden

Der Erdgasförderer sowie der Erdgasimporteuer haften in erster Linie für eigenes Verschulden bei der Ausführung ihrer Liefertätigkeiten. An dieser Stelle ist gleichwohl zu berücksichtigen, dass diese Akteure – genauso wie die im Bereich der Grundversorgung agierenden Erdgaslieferanten und die Netzbetreiber – regelmäßig als juristische Personen des Privatrechts oder aber auch des öffentlichen Rechts im Rechtsverkehr auftreten und durch ihre Organe im Außenverhältnis handeln746. Ein zum Schadensersatz dem mit dem Erdgas belieferten Endkunden gegenüber verpflichtendes Organhandeln wird ihnen dabei gemäß §§ 31, 89 BGB als eigenes zugerechnet, so dass es auf eine sorgfältige Auswahl der Organmitglieder als Entlastungsgrund nicht ankommt747. Für den Erdgasförderer bzw. den Erdgasimporteur in ihrer Eigenschaft als Lieferanten ist dies insbesondere dann relevant, wenn es sich um einen vertragli744

MünchKomm/Ernst, BGB § 280 Rn. 106 f.; BeckOK BGB/Sutschet, Stand: 01.11.2018, § 241 Rn. 99; Hk-BGB/Schulze, § 241 Rn. 4; Looschelders, Schuldrecht AT, § 22 Rn. 20; Medicus/Lorenz, SchuldR I AT, Rn. 5; Bodewig, Jura 2005, 505 (505 ff.). 745 Zum Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit s. Spickhoff, JuS 2016, 865 (866). 746 Vgl. im Hinblick auf den Netzbetrieb Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 83 f.; auch Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 62. 747 Vgl. LG Berlin BeckRS 2012, 04628; MünchKomm/Grundmann, § 278 BGB Rn. 10; Palandt/Ellenberger, § 31 BGB Rn. 1 S. 38; AnwK-BGB/Heidel/Lochner, § 31 Rn. 1; so auch Filthaut, HPflG § 12 Rn. 17 ff., 156.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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chen Haftungsausschluss oder eine formularmäßige Haftungsbeschränkung gegenüber Dritten handelt. Da die Organhaftung als Eigenhaftung ausgestaltet ist und § 278 S. 2 BGB durch § 31 BGB verdrängt wird, ist hierbei zwingend die Grenze des § 276 Abs. 3 BGB oder entsprechend die des § 309 Nr. 7 BGB einzuhalten748 . Zu den Organen, für welche die betroffene juristische Person nach § 31 BGB einzustehen hat, gehören ihr Vorstand, ein Mitglied ihres Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter. Es handelt sich hierbei grundsätzlich um die leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsrechts, die mit herausgehobenen eigenverantwortlichen und die juristische Person nach außen repräsentierenden Tätigkeiten betraut sind749. Sollte der Erdgasförderer (bzw. der Erdgasimporteur) nicht unabhängig agieren, sondern in eine Konzernverbindung eingebettet sein, wird ihm ebenfalls das Verhalten des in seine Geschäftsleitung durch die beherrschende Gesellschaft entsandten Organmitgliedes ohne Weiteres zugerechnet750. Die eine Haftung der juristischen Person begründende Handlung muss schließlich durch das jeweilige Organ in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangen sein751. bb)

Fremdes Verschulden

Der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur haben allerdings nicht nur für das eigene Verschulden einzustehen. Soweit sie sich zur Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten aus dem Erdgaslieferungsvertrag Dritter bedienen, wird ihnen deren Verschulden gemäß § 278 S. 1 BGB zugerechnet. Es handelt sich hier um ihre Erfüllungsgehilfen, worunter alle (Hilfs-)Personen fallen, die mit Wissen und Wollen des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs bei der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten tätig werden752 . Entscheidend sind dabei allein die tatsächlichen Gegebenheiten, wohingegen weder das Weisungsrecht noch die (wirksame) rechtliche Beziehung zwischen dem Erfüllungsgehilfen und dem Geschäftsherrn im Innenverhältnis von Bedeutung sind753 . Für die 748

MünchKomm/Leuschner, BGB § 31 Rn. 28; BeckOK/Schöpflin, Stand: 01.11.2018, BGB § 31 Rn. 26. 749 Vgl. BGH NJW 1998, 1640 (1644); LG Berlin BeckRS 2012, 04628; Soergel/Hadding, BGB § 31 Rn. 10; Palandt/Ellenberger, BGB § 31 Rn. 6; s. auch MünchKomm/Leuschner, BGB § 31 Rn. 12 ff. 750 Näher dazu s. Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 603 ff., 980 f. 751 BeckOK/Schöpflin, Stand: 01.11.2018, BGB § 31 Rn. 17. 752 Vgl. BGH NJW 1954, 1193; BGH NJW 1987, 1323 (1326); BGH NJW 1996, 452; BeckOK/ Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 278 Rn. 11; MünchKomm/Wurmnest, BGB § 309 Nr. 7 Rn. 21. 753 BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 278 Rn. 11; Palandt/Grüneberg, BGB § 278 Rn. 7; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 278 Rn. 4; MünchKomm/Grundmann, BGB § 278 Rn. 43.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Zurechnung nach § 278 S. 1 BGB muss der Erfüllungsgehilfe weiterhin innerhalb des Pflichtenkreises des Schuldners gehandelt haben, so dass ein innerer Zusammenhang zwischen Pflichtenerfüllung und schuldhafter Gehilfenhandlung festgestellt wird754. Eine nur bei Gelegenheit der Erfüllung vorgenommene Handlung, was im Erdgasbereich ohnehin schwer vorstellbar ist, reicht hingegen nicht aus755 . Als Erfüllungsgehilfen des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs kommen in erster Linie ihre (einfachen) Angestellten (unselbständige Erfüllungsgehilfen) sowie ihre Dienstleister – eingeschaltete, nicht abhängige Fremdunternehmer – (selbständige Erfüllungsgehilfen) in Betracht756 . In konzernrechtlichen Zusammenhängen können daneben sowohl die Tochtergesellschaft als auch die Muttergesellschaft die Stellung eines Erfüllungsgehilfen besitzen, soweit die oben angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass der Vorlieferant (zumeist der ausländische Erdgasförderer), von dem der Erdgasimporteur in seiner Eigenschaft als Lieferant zur Weiterleitung seinerseits das Erdgas bezieht, grundsätzlich kein Erfüllungsgehilfe im Sinne des § 278 BGB ist757 . Etwas anderes gilt nur, wenn der jeweilige Erdgasimporteur sich seines Vorlieferanten bei der Erfüllung seiner aus dem Erdgaslieferungsvertrag mit dem (industriellen oder gewerblichen) Kunden erwachsenden Verpflichtungen bedient, wobei die Förderung des Erdgases in den Pflichtenkreis des Erdgasimporteurs als Lieferanten nicht einbezogen ist758. Ein für die Praxis relevanter Fall der Haftung für fremdes Verschulden ist etwa, dass der Erdgasförder bzw. der Erdgasimporteur einen integrierten Erdgasliefervertrag (sog. All-Inclusive-Vertrag), der auch die Netznutzung umfasst, mit seinem Kunden abschließt und deshalb einen Netzbetreiber für die technische Umsetzung der Erdgaslieferung im eigenen Interesse

754

BGH NJW 1960, 669 (670); BGH NJW 1993, 1704 (1705); BGH NJW 2001, 3190 (3191); OLG Frankfurt GWF/Recht und Steuern 1997, 29 (30); Palandt/Grüneberg, § 278 BGB Rn. 20 S. 376; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 278 Rn. 8; vgl. aber Picker, AcP 183 (1983), 369 (486 ff.); Erman/Westermann, BGB § 278 Rn. 39 f. 755 Vgl. BGH NJW 1985, 2258; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 278 Rn. 8; MünchKomm/Grundmann, BGB § 278 Rn. 47. 756 Vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 23324; OLG Frankfurt RdE 1999, 201 (202); s. auch Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 137; Jauernig/Stadler, BGB § 278 Rn. 7; MünchKomm/Wurmnest, BGB § 309 Nr. 7 Rn. 21. 757 Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 9 Rn. 6; Jauernig/Stadler, BGB § 278 Rn. 16; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 278 Rn. 15; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 137. 758 Vgl. Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 9 Rn. 6; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 137.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

157

einschaltet759. Der Netzbetreiber ist insoweit als Erfüllungsgehilfe des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs anzusehen. Das im Grundversorgungsbereich geltende Argument, dass die Erfüllungsgehilfeneigenschaft des Netzbetreibers angesichts seines natürlichen Monopols auf dem Energieversorgungsmarkt verneint werden soll760 , greift in einer solchen Fallkonstellation nicht ein. Denn im Vergleich zum Grundversorger ist der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur zur Organisation des Erdgastransports zu dem jeweiligen Kunden gesetzlich nicht verpflichtet, so dass die Einschaltung des Netzbetreibers vermeidbar ist761. Da der betroffene Geschäftsherr – der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur in ihrer Lieferanteneigenschaft – das schuldhafte Handeln seines Erfüllungsgehilfen wie sein eigenes vertreten muss, ist bei der Beurteilung des Verhaltens des Letzten der für den Schuldner geltende Sorgfaltsmaßstab anzuwenden762 . Das heißt, dass etwaige Haftungserleichterungen, die mittels Individualvereinbarung oder durch AGB in einem Erdgaslieferungsvertrag zwischen dem Erdgasförderer bzw. dem Erdgasimporteur und dem jeweiligen Industrie- bzw. Gewerbekunden bestimmt sind, auch im Rahmen des § 278 BGB zu beachten sind763 . cc)

Verschuldensmaßstab

§ 276 Abs. 1 BGB, basierend auf dem Verschuldensprinzip, stellt fest, dass der Erdgaslieferant – der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur – grundsätzlich sein schuldhaftes – vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten bezogen auf die objektive Pflicht- bzw. Rechtswidrigkeit zu verantworten hat. Die Bewertung eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens des betroffenen Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs erfolgt anhand folgender Kriterien: das Wissen bzw. die Erkennbarkeit zum einen und das Wollen bzw. die Vermeidbarkeit als intellektuelles und voluntatives Element zum anderen764 . 759

Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (26); Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3603 f.); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 137; Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 12 f.; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 6 Rn. 19; vgl. Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 18. 760 S. Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht StromGVV § 6 Rn. 19; Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 18. 761 Vgl. BGH NJW 2001, 396 (398); BGH NZM 2009, 274; MünchKomm/Grundmann, BGB § 278 Rn. 45 Fn. 205. 762 Staudinger/Caspers, BGB § 278 Rn. 62; Jauernig/Stadler, BGB § 278 Rn. 13. 763 Looschelders, Schuldrecht AT, § 23 Rn. 40; Jauernig/Stadler, BGB § 278 Rn. 13. 764 S. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 336 und 371; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 94 ff.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Zur Erkennung und Vermeidung von Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB ist hierbei die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, die an einem objektiv-typisierten Maßstab gemessen werden muss, anzuwenden 765 . Daran anschließend kommt es bei der Bestimmung fahrlässigen Handelns auf die von einem besonnenen und umsichtigen Angehörigen des betroffenen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation zu erwartende Sorgfalt an766 . Bei einer in diesem Sinne vorhersehbaren Gefahr der Pflichtverletzung ist somit der Schuldner – der Erdgasförderer-Lieferant bzw. der Erdgasimporteur-Lieferant – gehalten, zur Vermeidung dasjenige zu unternehmen, was aus Sicht eines ordentlichen Erdgaslieferanten industrieller und gewerblicher Endkunden ausreichend und unter Berücksichtigung des Risikoausmaßes noch wirtschaftlich zumutbar ist767 . Entscheidend ist insoweit der berufsgruppenspezifische Sorgfaltsmaßstab (§ 276 Abs. 2 BGB)768 . Zu unterscheiden sind dabei Fähigkeiten, Umsicht und Sorgfalt, die von dem Erdgasförderer und dem Erdgasimporteur in der Rolle der Lieferanten bei der Belieferung ihrer Kunden typischerweise verlangt werden. Für den industrielle und gewerbliche Endkunden beliefernden Erdgasimporteur sind – ungeachtet seiner besonderen Verantwortung für die Produktsicherheit im Vergleich zu einem einfachen Vertriebshändler769 – geringere Sorgfaltsanforderungen zu stellen als an einen Erdgasförderer-Lieferanten770. So darf sich der Erdgasimporteur grundsätzlich darauf verlassen, dass das von einem spezialisierten Fachunternehmen mit internationalem Ruf wie etwa Gazprom oder Gazprom Export bezogene Erdgas in konstruktiver und fertigungstechnischer

765

BGH NJW 1994, 2232 (2233); BGH NJW-RR 1996, 981; BGH NJW 2003, 2022 (2024); Palandt/Grüneberg, BGB § 276 Rn. 15; MünchKomm/Grundmann, BGB § 276 Rn. 54 f.; BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 276 Rn. 20; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 276 Rn. 13; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 137; s. dazu auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 401, 403 ff. 766 BGH NJW 1994, 2232 (2233); BGH NJW 2003, 2022 (2024); BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 276 Rn. 21; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 276 Rn. 14; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 404 ff.; Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 279. 767 Die sog. Kosten-Nutzen-Relation kann hier angewandt werden. Vgl. aus dem Netzbetriebbereich LG Hagen BeckRS 2012, 10456; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 85 f.; s. auch MünchKomm/Grundmann, BGB § 276 Rn. 61. 768 Vgl. BGH VersR 1978, 737; Plum, VersR 1982, 307 (307 ff.). 769 Vgl. BGH NJW 1980, 1219 (1220); BGH NJW 1987, 1009 (1010); Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 26 Rn. 61; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1524 S. 16 ff. 770 Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 26 Rn. 60; Kullmann, in: Kullmann/ Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1524 S. 15.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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Hinsicht einwandfrei sind771 . Bestehen allerdings Bedenken im Hinblick auf die Qualität z. B. des aus Russland importierten Erdgases, weil sie z. B. beim Transit durch die Ukraine bereits mehrfach geändert wurde, muss die Kontrolle durch den Importeur entsprechend intensiver und sorgfältiger durchgeführt werden772. Die durch den das Erdgas liefernden Förderer bzw. den Importeur anzuwende Sorgfalt ergibt sich regelmäßig aus den technischen Normen und Regelwerken der Verbände, wie den DIN-Normen, den VDE-Regeln, den DVGWArbeitsblättern, wenngleich sie auch oder ausschließlich den Netzbetrieb betreffen, sollte der Netzbetreiber als Erfüllungsgehilfe auftreten773. Etwas anderes gilt gleichwohl, wenn im Einzelfall durch Gesetz774 oder durch den Erdgaslieferungsvertrag eine mildere oder strengere (z. B. verschuldensunabhängige) Haftung bestimmt ist 775 . Für individual-vertragliche Haftungsverschärfungen sind dabei im Einklang mit dem Prinzip der Privatautonomie die Übernahme einer Garantie oder die Übernahme eines Beschaffungsrisikos zu nennen (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB). Dazu wird sich der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur allerdings kaum freiwillig entschließen. Sollte der Erdgaslieferungsvertrag die (direkten sowie indirekten) Angaben von technischen Erdgaswerten enthalten, wird es normalerweise nur um eine bloße Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB, deren Verstoß lediglich eine verschuldensabhängige Haftung begründen kann, gehen 776 . Eine Beschaffungsgarantie kann aber wohl dann angenommen werden, wenn die Einhaltung bestimmter Erdgasparameter für den belieferten Kunden von besonderer Bedeutung ist777 . Die Übernahme eines Beschaffungsrisikos liegt grundsätzlich vor bei der marktbezogenen Gattungsschuld, welche bei der Erdgaslieferung angenommen werden kann. Angesichts der Besonderheiten der leitungsgebundenen 771

S. Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, in: Graf von Westphalen, § 26 Rn. 64; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1524 S. 16 f. Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, in: Graf von Westphalen, § 26 Rn. 64. 773 Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 279. 774 In Betracht würden hierbei die Vorgaben des Produktsicherheitsgesetzes (Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt v. 8.11.2011, BGBl. I S. 2178) kommen. 775 Schmidt-Räntsch, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1400 S. 100, 102. 776 Vgl. BGH NJW 1968, 2238 (2239 f.); BGH NJW 1972, 1706 (1708); BGH NJW 1983, 2192 (2193); im Bereich der Wasserversorgung AG Bad Neuenahr-Ahrweiler, GWF/Recht und Steuern 2005, 41 (41 f.); allgemein dazu Looschelders, Schuldrecht AT, § 23 Rn. 27; zum Strombereich s. Hack, Energie-Contracting, Rn. 273; zur alten Rechtslage s. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 116 f.; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 49; Hermann/Recknagel/ Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, Vorbemerkung vor § 6 Rn. 25. 777 S. Teil I § 3 A I 3, S. 49. 772

160

Teil I Rechtslage in Deutschland

Erdgasversorgung ist gleichwohl stets von einer Beschränkung einer solchen Gattungsschuld auf das jeweilige Leitungsnetz auszugehen, so dass der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur im Rahmen eines All-Inclusive-Erdgaslieferungsvertrages nicht gehalten sind, das eingetretene Leistungshindernis infolge einer (unverschuldeten) Netzunterbrechung zu überwinden778 . Tritt der Erdgasförderer als Schuldner der Ware auf, wird die Gattung (das Erdgas), aus der zu leisten ist, zusätzlich dadurch eingegrenzt, dass die Leistung nur aus einem bestimmen Vorrat geschuldet ist779. Im Falle des Erdgasimports ist eine Beschränkung auf das Erdgas eines bestimmten ausländischen Förderers denkbar, sollte der Erdgasimporteur das Erdgas nur von einer Quelle beziehen und sich auf dem Markt nicht eindecken können, wenn sein Vertragspartner nicht liefert. Wäre allerdings der Ausfall der Lieferung seitens des ausländischen Erdgasförderers vorhersehbar780, könnte man von dem Erdgasimporteur nach Treu und Glauben erwarten, dass er – unter Berücksichtigung der Grenze seines Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren – die Erdgasspeicher einsetzt, um kurz- und auch mittelfristige Lieferengpässe bei den Gasimporten auszugleichen781. d)

Kausaler Schaden

Hat der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur eine ihm aus dem Erdgaslieferungsvertrag erwachsende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung ebenfalls zu vertreten, ist er seinem Kunden zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Der Schaden muss ferner in einem kausalen Zusammenhang mit dem haftungsbegründenden Verhalten des Schädigers stehen und dem letzten zugerechnet werden können782. Durch die Gewährung des Schadensersatzes wird sowohl das positive als auch das negative Interesse des das Erdgas beziehenden Kunden geschützt. Der dem Kunden entstandenen Schaden ist nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln und dem Erdgasförderer bzw. dem Erdgasimporteur zuzurechnen. Demnach muss der geschädigte Kunde grundsätzlich so gestellt werden, wie er in seiner Rechtsgüterwelt wirtschaftlich

778

Vgl. Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 95 f. Jauernig/Berger, BGB § 243 Rn. 8; BeckOK/Sutschet, Stand: 01.11.2018, BGB § 243 Rn. 8. 780 Als Beispiel könnten hier wiederholt auftretende Erdgasstreitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine (2005/2006, 2007/2008, 2008/2009, 2014) gelten. 781 Näher dazu Graf von Westphalen/Kalwa, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Gaslieferverträge, Rn. 3. 782 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 776; s. auch Looschelders, Schuldrecht AT, § 45 Rn. 1. 779

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

161

ohne das haftungsbegründende Ereignis stünde (vgl. § 249 Abs. 1 BGB)783 . Nach §§ 249 ff. BGB werden Personen-, Sach- sowie Vermögensschäden ersetzt. In Betracht kommt zudem ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 253 BGB, der allerdings an dieser Stelle kaum Relevanz besitzt. In den meisten Fällen wird es sich hier um aus den unmittelbaren Schäden an den verletzten Rechtsgütern resultierenden Folgeschäden infolge einer Unregelmäßigkeit oder Unterbrechung bei der Belieferung mit Erdgas (insbesondere in Form des entgangenen Gewinns oder Produktionsausfalls, der Reparatur- oder Ersatzkosten) handeln784 . 2.

Deliktische Haftung

Bei einer Störung der Erdgasversorgung785 stehen dem geschädigten – gewerblichen bzw. industriellen – Kunden im Bereich der Verschuldenshaftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs neben vertraglichen auch gesetzliche Schadensersatzansprüche aus dem allgemeinen Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) zu, soweit die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Das Sonderdeliktsrecht des EnWG (§ 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG) findet in der in diesem Abschnitt behandelten Konstellation keine Anwendung. Vertragliche und gesetzliche Ansprüche schließen sich dabei nicht von vornherein gegenseitig aus, sondern stehen zueinander in Anspruchskonkurrenz und kommen daher selbstständig nebeneinander zur Anwendung786 . Die an dieser Stelle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen sind § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB sowie § 831 BGB. Von besonderer Bedeutung ist die deliktische Haftung gleichwohl insbesondere dort, wo keine vertragliche Rechtsbeziehung zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten besteht. Denkbar ist dies beispielsweise bei im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs aufgetretenen Schäden an Rechtsgütern von Angestellten des jeweiligen das Erdgas beziehenden gewerblichen bzw. industriellen Kunden oder unbeteiligten Dritten, die allerdings außerhalb des Schwerpunktes der vorliegenden Arbeit liegen. Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung können ferner auf der Mittel- oder Niederdruckebene belieferten Wettbewerbskunden sowie Haushaltskunden als potenziellen Geschädigten infolge einer durch den 783

BGH NJW 1983, 444 (445); BGH NJW 1988, 1837 (1838 f.); BGH NJW 2015, 1373 (1374); AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 249 Rn. 6; MünchKomm/Oetker, BGB § 249 Rn. 18; s. auch BeckOK/Flume, Stand: 01.08.2018, BGB § 249 Rn. 39. 784 Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (28 f.). 785 An dieser Stelle ist darunter sowohl die Gewinnung als auch die Lieferung des Erdgases zu verstehen (vgl. § 3 Nr. 36 EnWG). 786 So ablehnend die Annahme eines einzigen materiellrechtlichen Anspruchs nach der neuen Lehre (Anspruchsnormenkonkurrenz) Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, Rn. 398.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Erdgasförderer bzw. den Erdgasimporteur verursachten Versorgungsstörung zustehen. In einer solchen Fallkonstellation wird es ebenfalls an einer eigenständigen vertraglichen Beziehung fehlen. Bei näherem Hinsehen muss jedoch festgestellt werden, dass der Erdgasförderer sowie der Erdgasimporteur durch die Ergasabnehmer in Mittel- und Niederdruck nur ausnahmsweise in Anspruch genommen werden können. Die Gründe dafür liegen in erster Linie in der Besonderheit des Produktes Erdgas. Zum einen ist es infolge des Durchmischens des aus mehreren Quellen eingespeisten Erdgases kaum möglich zu ermitteln, wessen Erdgas den Schaden eingerichtet hat. Zum anderen wird das Erdgas mehrfach und erheblich im Netz transformiert, bis es übergabefähig den Netzanschluss des jeweiligen Abnehmers erreicht, so dass das rechtswidrige Verhalten des Netzbetreibers für den Schaden zumeist mitursächlich ist und die gesamtschuldnerische Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs und des Netzbetreibers oder sogar die zur Einstandspflicht des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs führende Ursachenkette durch den Netzbetreiber unterbrochen wird787. Für den – als juristische Person organisierten – Gewerbe- bzw. Industriekunden des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs könnten deliktische Ansprüche allerdings auch relevant sein, und zwar in Konstellationen, in denen die vertragliche Haftung der Letzten durch Individualabrede oder AGB ausgeschlossen bzw. abgemildert worden ist 788 . Gleichwohl darf man hier nicht verkennen, dass solche Haftungsfreizeichnungen oder -beschränkungen zugleich die deliktische Haftung betreffen können789. Vor diesem Hintegrund sowie angesichts der Ersatzfähigkeit von bloßen Vermögensschäden, der Beweislastumkehr und der strengeren Haftung für Dritte ist festzustellen, dass die Geltendmachung von vertraglichen Schadensersatzansprüchen für den geschädigten gewerblichen oder industriellen Erdgaskunden mehr Vorteile aufweist790. a)

Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Als zentrale Vorschrift des außervertraglichen Haftungsrechts der unerlaubten Handlungen gilt § 823 BGB, der zwei selbständige Anpruchsgrundlagen (Abs. 1 und Abs. 2) umfasst791 . Während § 823 Abs. 2 BGB an die Verletzung einer konkreten Pflicht anknüpft, wird im § 823 Abs. 1 BGB vom verletzten 787

Näher dazu s. Teil I § 4 A I 2 a) cc), S. 169 ff. BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 90. Näher dazu s. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 619 ff. 790 Vgl. Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3604); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 122 f. 791 Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 1; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 1. 788 789

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Recht bzw. Rechtsgut ausgegangen 792 . Für die Schadensersatzpflicht des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs gemäß § 823 Abs. 1 BGB ist es demnach erforderlich, dass ein der in der Norm aufgezählten Rechte und Rechtsgüter durch ein positives Tun oder durch ein Unterlassen adäquat kausal und objektiv zurechenbar verletzt und dadurch ein kausaler Schaden beim Kunden in rechtswidriger Weise schuldhaft hervorgerufen wird793 . aa)

Geschützte Rechte und Rechtsgüter

Unter den in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgütern sind bei der Erdgasversorgung von Industrie- und Gewerbekunden das Eigentum sowie ein sonstiges Recht, namentlich das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, von besonderer Bedeutung794. Irrelevant sind hingegen dabei die in erster Linie für den Haushaltskundenbereich bedeutsamen Verletzungen des Lebens, des Körpers, der Gesundheit sowie der Freiheit. Es wird deshalb darauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Eine Verletzung des im Sinne des Sachenrechts zu verstehenden Eigentums795 des Erdgaskunden wird primär durch eine nachteilige Einwirkung auf die Sachsubstanz796 oder eine Beeinträchtigung der in § 903 S. 1 BGB genannten Befugnisse des Eigentümers797 infolge einer durch den Erdgasförderer bzw. den Erdgasimporteur hervorgerufenenen Versorgungsstörung oder einer Pflichtverletzung verursacht798. Es ist insbesondere dann der Fall, wenn dadurch die Anlagen, Maschinen oder sonstige Produktionshilfen des industriellen oder gewerblichen Kunden (z. B. Hochöfen in der Schwarzmetallurgie, Glühöfen in den Gießereien und Schmieden, Schmelzöfen in der Glas- und 792

S. Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 26 sowie 296 f.; BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 15; Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 1; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 2. 793 Deutsch, Deliktsrecht, Rn. 13 ff.; Spickhoff, NJW 2016, 865; Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 2. 794 Zur Entwicklung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb grundlegend RG, Urteil vom 27. Februar 1904 – I 418/03 –, RGZ 58, 24, 28 ff., juris; BGH NJW 1952, 660 (661); BGH NJW 1959, 479 (480 f.); s. auch Caemmerer, in: FS Dt. Juristentag Bd. II S. 49 (49 ff.); allerdings kritisch hierzu Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II, § 81 II 2 S. 545, § 81 IV S. 560 ff. 795 Deutsch, Deliktsrecht, Rn. 245. 796 BGH NJW 1964, 720 (722); BGH NJW 1975, 1512 (1513); vgl. OLG Hamm NJW 1973, 1755. 797 Vgl. BGH NJW-RR 1990, 1172 (1173); BGH NJW 1994, 517 (518); BGH VersR 1995, 348 (349). 798 Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 245; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 124; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 57; Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 115 ff.; Taupitz, VersR 1982, 315; vgl. auch Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 94.

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Keramikindustrie etc.) zerstört oder beschädigt werden799 . Eine Eigentumsverletzung kann aber auch bei Schäden an den in der Bearbeitung befindlichen Produkten vorliegen800. Ausreichend sind in diesem Zusammenhang jegliche Änderungen in der äußeren Gestalt, der chemischen Beschaffenheit oder des Aggregatzustandes der Sache – sowohl des Rohmaterials als auch des Endprodukts – im Zeitpunkt der Einwirkung 801 . Reine Vermögensschäden, die durch den Stillstand des Betriebs des belieferten Kunden und somit den Ausfall eines künftigen Verdienstes entstehen, werden hingegen nicht ersetzt802. In (ganz wenigen) Ausnahmefällen könnte man allerdings an dieser Stelle eine Eingentumsverletzung infolge einer Störung der (Nutzungs-)Funktion einer erdgasabhängigen Betriebsanlage bzw. -maschine durch den Ausfall der Erdgaszufuhr annehmen, soweit die durch die Rechtsprechung und das Schrifttum entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von bloßen Vermögensschäden (Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Funktion, zwingende Gebundenheit an die die Funktionsunfähigkeit der Sache herbeiführenden Umwelt, Intensität und Dauer der Beeinträchtigung, Überschreiten eines anerkannten und objektiv erwartenden Maßes) in jedem konkreten Fall vorliegen803 . In Betracht kommt darüber hinaus die zu verschuldensabhängigem Schadensersatz führende Einstandspflicht des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen Eingriffs in das Recht am Unternehmen (früher Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) des betroffenen Kunden als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB im Falle des (zeitweiligen) durch die Erdgasversorgungsstörung hervorgerufenen Betriebsstillstandes. Bei unbefangener Betrachtung würde man an dieser Stelle eine Parallele zu den sogennanten Stromkabelfällen ziehen und als Folge den Schadensersatz wegen einer Verletzung des Rechts 799

Vgl. BGH NJW 1971, 2267; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 57; Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 115. Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 115. 801 Ausführlich dazu Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 115 ff. am Beispiel von OLG Hamm NJW 1973, 760 (760 f.); auch Isenbeck, NJW 1973, 1755 (1755 f.); Schmid, NJW 1973, 2276. 802 Vgl. BGH NJW 1964, 720 (722); BGH NJW 1968, 1279 (1280); BGH NJW 1976, 1740 (1741); Taupitz, VersR 1982, 315; Isenbeck, NJW 1973, 1755 (1755 f.); Schmid, NJW 1973, 2276; Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, Vorbem. vor § 6 Rn. 70; s. auch Hack, Energie-Contracting, Rn. 289. 803 Vgl. BGH NJW 1968, 1279 (1280); BGH NJW 1971, 886 (888); BGH NJW 1998, 1942 (1943); BGH NJW 2015, 1174 (1175); ausführlich dazu Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 117 ff.; BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 128 ff.; MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 236 ff.; Staudinger/Hager, BGB § 823 Rn. B89 ff. 800

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am Unternehmen mangels der Betriebsbezogenheit eines solchen Eingriffs regelmäßig ablehnen müssen804. Es entspricht herrschender Auffassung, dass die Energielieferung über ein Netz keine wesenseigentümliche Eigenheit des Unternehmens, worauf das Merkmal der Betriebsbezogenheit abstellt, sondern lediglich ein von diesem ohne Weiteres ablösbares Recht darstellt805 . Gleichwohl kann diese Argumentation in der hier behandelnden Konstellation nicht überzeugen. Zum einen ist das Erfordernis der Betriebsbezogenheit als allgemeingültiges Kriterium für die sachgerechte Eingrenzung des Schutzumfangs des Rechts am Unternehmen – wie zutreffend Taupitz anmerkt – nicht tauglich806 . Die Begründung der Ablösbarkeit des Rechts auf die Energielieferung durch die Einstufung der rechtlichen Beziehungen eines Versorgungsunternehmens zu einem Wettbewerbskunden (Industrie- oder Gewerbekunde) und zu einem sonstigen Abnehmer (Haushaltskunde) als gleichartig, so dass das energieabhängige Unternehmen deshalb nicht anders betroffen sein kann als eine Vielzahl anderer Personen807, erweckt zumindest Bedenken808 . Denn der erdgasabhängige industrielle oder gewerbliche Kunde wird zumeist in seiner unternehmerischen Entfaltung sowie in seinem gesamten Funktionieren wegen Unterbrechung der Erdgaszufuhr viel stärker beeinträchtigt als der Haushaltskunde 809 . Erforderlich ist somit hierbei eine wertende Betrachtung der Erdgasunterbrechungsfälle im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des von den betroffenen Abnehmern gewerblich genutzten Vermögens 810 . Zum anderen geht es in den Stromkabelfällen um einen Dritten (regelmäßig Bauunternehmen), dessen schädigenden Handlungen eine unübersichtliche Anzahl von Energieabnehmern betreffen können und keine Zielgerichtetheit gegenüber einem konkreten – beeinträchtigten – Unternehmer haben, sondern gleichsam durch Zufall gerade in seinen unternehmerischen Tätigkeitskreis eingreifen, während der den Betriebsstillstand durch die Unterbrechung der Erdgaszufuhr verursachende Erdgasförderer (bzw. der Erdgasimporteur) nicht selten ein 804

Vgl. BGH NJW 1959, 479 (480); BGH NJW 1968, 1279 (1280); BGH NJW 1977, 2208 (2209). Taupitz, VersR 1982, 315; Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (22); MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 323; AnwKBGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 262 f.; Palandt/Sprau, BGB § 823 Rn. 135; Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 21 Rn. 137; vgl. aber BGH NJW 1992, 41 (42). 806 Zur Kritik am Erfordernis der Betriebsbezogenheit (im Hinblick auf die Stromkabelfälle) s. Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 158 ff. 807 Vgl. BGH NJW 1977, 2208 (2209); MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 323; so auch Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 21 Rn. 137. 808 Überzeugend Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 163 f.; s. Auch Staudinger/Hager, BGB § 823 Rn. D13. 809 Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 163 f. 810 Vgl. Taupitz, Haftung für Energieleiterstörungen durch Dritte, S. 195 ff. 805

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(unmittelbarer) Vertragspartner des jeweiligen Geschädigten ist und das Schadensrisiko im Zusammenhang mit seiner Nicht- oder Schlechtleistung viel besser als ein Dritter einschätzen und beherrschen kann. In der vorliegenden Fallkonstellation ist mithin von unmittelbaren Schäden, die Folgen einer von dem Geschädigten selbst – und nicht von einem Dritten – erlittenen Rechts(guts)verletzung sind, auszugehen811. bb)

Haftungsbegründendes Verhalten

Soll der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur für die zuvor festgestellte Rechts- bzw. Rechtgsgutverletzung zur Verantwortung gezogen werden, muss sie auf einem haftungsrechtlich relevanten Verhalten des Schädigers beruhen. Ein solches Verhalten kann dabei sowohl in einem positiven Tun als auch in einem (pflichtwidrigen) Unterlassen bestehen, wobei die Einordnung in die jeweilige Kategorie, insbesondere bei Fahrlässigkeitsdelikten, für die Rechtsanwender ohnehin mitunter große Schwierigkeiten bereitet812 , gleichwohl „relativ befriedigend“ unter dem Gesichtspunkt der Gefahrvergrößerung vorgenommen werden dürfte813 . Für die vorliegend zu behandelnde Fallkonstellation hat die Unterscheidung von Tun und Unterlassen aber keine entscheidende Bedeutung, denn bei der rechtlichen Bewertung des schadensauslösenden Verhaltens des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs wird man überwiegend auf seine Pflichtwidrigkeit, zumal im Rahmen der deliktischen Produkthaftung814, abstellen müssen, was in beiden Fällen im Endergebnis zur selben – haftungsrechtlichen – Folge führen wird. Pflichtwidrig (und zugleich rechtswidrig) ist das Verhalten des Anspruchsgegners, mithin des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs, welches gegen seine Pflicht zum Handeln (oder aber zum Unterlassen) zur Verhütung der Rechts(guts)verletzung verstößt815 . Der Schädiger muss allerdings dabei zur Schadensabwendung tatsächlich in der Lage sein816 . Eine solche Handlungspflicht (bzw. Unterlassungspflicht) kann sich – nicht zwingend – aus den Verkehrspflichten ergeben. Demnach haben sowohl der Erdgasförderer als auch der Erdgasimporteur, die durch die Lieferung des (fehlerhaften) Erdgases, die Zuweniglieferung oder die Nichtlieferung eine Gefahr für andere schaffen oder unterhalten, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren817 811

Vgl. Kötz/Wagner, DeliktsR, Rn. 432. Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 17. 813 Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 40; s. auch Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 46. 814 So Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 22 Rn. 4, § 23 Rn. 4 f. 815 S. Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 38 sowie 334. 816 Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 114; Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 56. 817 Näher zur Ermittlung des Inhalts und Umfangs der Verkehrspflicht s. Kötz/Wagner, DeliktsR, Rn. 183 ff.; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1515 S. 7 ff. 812

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dafür Sorgen zu tragen, dass die Gefahr unter Kontrolle gehalten sowie ihre Verwirklichung möglichst verhindert wird818 . Bei der Inverkehrgabe des (fehlerhaften) Erdgases können durch die Rechtsprechung speziell für den Hersteller (herstellerspezifische) sowie den Importeur (importeurspezifische) entwickelte und konkretisierte Verkehrs- und Verkehrssicherungspflichten im Rahmen der allgemeinen Gefahrabwendungspflicht verletzt werden. Auf den Erdgasförderer kommen mithin im Hinblick auf die deliktische Produkthaftung einerseits die Pflicht zur Vermeidung von Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- ebenso wie Produktbeobachtungsfehlern und andererseits die allgemeine Organisationspflicht zu819 . Angesichts der Händlerfunktion des Importeurs wird von ihm dagegen die Erfüllung grundsätzlich nur händlerspezifischer Gefahrabwendungspflichten verlangt. Da aber der Importeur eine besondere Stellung innerhalb der Vertriebskette innehat, haben die Lehre und die Rechtsprechung strengere Anforderungen hinsichtlich der von ihm zu beachtenden Verkehrspflichten (insbesondere Untersuchungs- und Kontrollpflichten) auferlegt820. Die Verletzung einer entsprechenden deliktischen Pflicht ist in haftungsrechtlicher Hinsicht ebenfalls bei mittelbaren Verletzungshandlungen, bei welchen der Verletzungserfolg eine durch Zwischenursachen vermittelte entfernte Folge eines Verhaltens ist, vorauszusetzen821 . Dies ist dann der Fall, wenn der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur durch ein Fehlverhalten nur eine Gefahr schafft und die eigentliche Rechts(guts)verletzung dann aber vom Geschädigten selbst, von einem Dritten oder von einer Naturgewalt herbeigeführt wird. Die Verkehrspflichten haben dabei neben einer haftungsbegründenden auch eine haftungsbegrenzende Wirkung, so dass erst die Verletzung einer Verkehrspflicht zur Zurechnung der späteren Rechts(guts)verletzung sowie zur Widerrechtlichkeit der Handlung führen kann822. Inhaltlich sind die an dieser Stelle in Betracht kommenden deliktischen Verkehrspflichten und die vertraglichen Schutzpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, deren Verletzung zu einer (deliktischen oder entsprechend vertraglichen) Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs führt, deckungsgleich 823 , zumindest insoweit die Letzten dem Schutz der in § 823 818

Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 330; Jauernig/Teichmann, BGB § 823 Rn. 35. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 125 ff.; vgl. Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 278; näher zu einzelnen Pflichten s. Teil 1 § 3 A I, S. 43 ff. 820 Ausführlich zu einzelnen Pflichten des Erdgasimporteurs s. Teil I § 3 A II, S. 52 ff. 821 Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 50; Staudinger/Hager, BGB § 823 Rn. E3. 822 Ebenda. 823 Vgl. OLG Düsseldorf VersR 2012, 732 (732 f.); MünchKomm/Wagner, BGB Vor § 823 Rn. 68, BGB § 823 Rn. 313; MünchKomm/Ernst, BGB § 280 Rn. 106 und 108; BeckOK/ 819

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Abs. 1 BGB aufgeführten Rechte und Rechtsgüter Dritter und/oder des Vertragspartners, die mit der Gefahr in Berührung kommen können, dienen. Zu diesem Ergebnis kommt man insbesondere dann, wenn man als gemeinsamen Anknüpfungspunkt für die Haftung des jeweiligen Vertragsschuldners sowie des deliktisch Handelnden eine Verletzung der absolut geschützten Rechte und Güter, die durch einen Verstoß gegen die der Schädigerseite obliegende Sorgfalt verursacht ist, mithin ein pflicht- und rechtswidriges Handeln oder Unterlassen, durch das die Verletzung entstanden ist, ansieht. Dies gilt umso mehr, als die Verkehrspflichten als Konkretisierung des allgemeinen Sorgfaltsgebotes des § 276 Abs. 2 BGB verstanden werden824 . Für den Geschädigten bedeutet diese Gleichstellung vertraglicher Schutzpflichten und deliktischer Verkehrspflichten, dass die Verletzung einer Verkehrspflicht automatisch auch die Vertragshaftung seines Schädigers auslöst825 . Bei der Ermittlung des Umfangs und des Ausmaßes von deliktischen Verkehrspflichten des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs sind nicht zuletzt die vertraglich festgelegten – zulässigen – lieferantenbezogenen Schwankungstoleranzen sowie Unterbrechungsrechte zu beachten 826 . Eine generelle Wertungsübertragung vom vertraglichen Pflichtenkatalog auf die deliktischen Anspruchsgründe ist zwar in Anbetracht der freien Anspruchskonkurrenz zwischen Delikts- und Vertragshaftung nicht zulässig. Die Einwirkung des Vertrags- auf das Deliktsrecht ist jedoch nicht per se ausgeschlossen, sondern gilt ausnahmsweise dort, wo vertragliche Beziehungen zwischen den Parteien bestehen und sofern eine Aushöhlung der vertraglichen durch die allgemeine deliktische Regelung zu vermeiden ist827. Im Erdgasversorgungsbereich liegt es allerdings insoweit nahe, das deliktische Pflichtenprogramm an den vertraglich bestimmten Maßstab anzupassen, als auf die darin befindlichen Wertungen, nämlich das technisch Mögliche und wirtschaftlich ZumutbaSutschet, Stand: 01.11.2018, BGB § 241 Rn. 92; s. auch BeckOK/Sutschet, Stand: 01.11.2018, BGB § 311 Rn. 52. Vgl. BGH NJW 2010, 1967; BGH NJW 2006, 610 (611); BGH NJW 1985, 620; MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 394; Kötz/Wagner, DeliktsR, Rn. 124 ff.; so wohl auch Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 23 Rn. 10 ff.; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1515 S. 7; anders aber BGH NJW 1994, 2232 (2232 f.); BGH NJW 1986, 2757 (2758); Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 107; Deutsch, Deliktsrecht, Rn. 330 ff.; Larenz/Canaris, Schuldecht BT II 2, § 75 II 3d S. 369 f., § 76 III 3 S. 407. 825 MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 394. 826 Vgl. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 127 f.; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 58 f.; Hermann/Recknagel/ Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, Vorbem. vor § 6 Rn. 23, 71; wohl auch Taupitz, BB 1982, 769 (772). 827 AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 68 ff.; BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 64.

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re, auch im Deliktsrecht ankommt828. Innerhalb der vertraglich zulässigen Versorgungsschwankungen und -unterbrechungen stellen Versorgungsstörungen seitens des jeweiligen Lieferanten kein pflichtwidriges und somit rechtswidriges Verhalten im Rahmen der deliktischen Haftung dar. Dies ist ein Risikobereich des – gewerblichen bzw. industriellen – Kunden als Abnehmer. cc)

Haftungsbegründende Kausalität und Zurechnung

Für die deliktische Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs ist des Weiteren ein zurechenbarer Ursachenzusammenhang zwischen der Rechts- oder Rechtsgutsverletzung und der Verletzunghandlung erforderlich. Ebenso wie im Vertragsrecht gelten dabei die allgemeinen Zurechnungsregeln829 . Im Falle der Verkehrspflichtverletzung (durch Unterlassen) darf gleichwohl als Besonderheit nur die Verhaltensweise für eine Haftungsbegründung hinzugedacht werden, zu welcher der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur verpflichtet gewesen wären830 , wodurch der meist unabsehbare Personenkreis derer, die wenigstens die objektive Möglichkeit der Verletzungserfolgsabwendung haben, angemessen beschränkt wird 831 . Liegt der im Zusammenhang mit der Verletzung der Verkehrspflicht eingetretene Schaden weiterhin im persönlichen und sachlichen Schutzbereich der verletzten Pflicht, greift der Anschein der Kausalität zwischen der Rechtsgutsverletzung und der Pflichtverletzung zugunsten des Geschädigten832 . Vor diesem Hintergrund ist der Verletzungserfolg dem Schädiger dann zuzurechnen, wenn der Letzte eine Verkehrspflicht verletzt hat und die Beeinträchtigung des geschützten Rechts bzw. Rechtsguts im Schutzbereich der einschlägigen Verkehrspflicht liegt – also ihre hinreichende Folge darstellt. Bei alledem werden die Anforderungen sowohl der Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang als auch der Lehre vom Schutzzweck der Haftungsnorm bereits – inzident – bei der Prüfung des Bestehens sowie der Verletzung der Verkehrspflicht, die nach wohl herrschender Meinung im Rahmen der Verlet-

828

Vgl. BGH NJW 1971, 2267 (2268); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 127 f.; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 58 f.; Hermann/Recknagel/Schmidt-Salzer/Schmidt-Salzer, AVBV-Kommentar, Vorbem. vor § 6 Rn. 23. 829 Im Einzelnen s. Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 50 ff.; Kötz/Wagner, DeliktsR, Rn. 191 ff. 830 BGH NJW 1961, 868 (870); BGH NJW 1962, 484; BGH NJW 1987, 2671 (2671 f.); Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 20; ähnlich Soergel/Krause, BGB § 823 Anh. II Rn. 15; MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 71 sowie 452 ff.; Erman/Schiemann, BGB § 823 Rn. 76. 831 Vgl. Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 44. 832 Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 359 und 57.

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zungshandlung erfolgt833 , erörtet, so dass eine erneute Prüfung bei der haftungsbegründenden Kausalität entbehrlich ist834 . Im Rahmen der haftungsbegründenden Ursächlichkeit des schädigenden Verhaltens des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs für die Rechtsgutsverletzung ist zudem die technische Seite der Organisation der Erdgasversorgung zu berücksichtigen. Da sie immer nur mittels spezieller den Transport von Erdgas vom Ort der Förderung bis hin zur Verbrauchsstelle gewährleistender Leitungen erfolgt, ist durchaus denkbar, dass sich das (schadenstiftende) Fehlverhalten des jeweiligen Erdgasförderers bzw. des jeweiligen Erdgasimporteurs ohne Weiteres durch die Verwirklichung von Gefahren im Netzbetrieb niederschlagen kann835. In diesem Falle ändert dies zunächst grundsätzlich nichts an der Zurechnung der Rechtsgutsverletzung zu Lasten des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs, insbesondere wenn die ausgelöste Kausalkette ohne Eingriffe des Netzbetreibers weiterläuft836 . Sollte aber der Netzbetreiber den entstandenen Schaden bei dem betroffenen Abnehmer mitverursachen, z. B. durch das Nichtnachkommen seiner netzbetriebsspezifischen Pflichten, werden alle Beteiligten im Allgemeinen als Gesamtschuldner nach den §§ 830, 840 BGB haften, so dass der Geschädigte wahlweise einen oder beide Schädiger in Anspruch nehmen kann. Der Netzbetreiber könnte dennoch durch sein Fehlverhalten die vom Erdgasförderer bzw. vom Erdgasimporteur ausgelöste Kausalkette unterbrechen, soweit dadurch eine neue – offensichtliche – Gefahr geschaffen worden wäre837 . Ein Beispiel dafür wäre, wenn er das eingespeiste mangelhafte Erdgas auf dem Weg zum Ausspeisepunkt derart – fehlerhaft – verändert hätte, dass der Schaden des Erdgasabnehmers ohnehin eingetreten wäre, selbst wenn der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur das mangelfreie Erdgas geliefert hätte. Die Frage nach dem Zurechnungszusammenhang kann sich ferner im Falle einer Verletzung der Pflicht zur (rechtzeitigen) Information der Erdgasabnehmer bei (zulässigen) lieferbezogenen Unterbrechungen bzw. Unregelmäßigkeiten der Versorgung zum Zwecke der Gefahrabwendung stellen. Zweifelhaft ist der Zurechnungszusammenhang zwischen Rechtsgutsverletzung und Pflichtverletzung insbesondere dann, wenn der gleiche Erfolg (Rechtsgutsver833

MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 391; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh. II Rn. 15; Erman/Schiemann, BGB § 823 Rn. 76; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 127; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 75 II 3 c) S. 368 f. 834 Vgl. Kötz/Wagner, DeliktsR, Rn. 193 ff. 835 Vgl. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 126. 836 S. dazu Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1525 S. 11 f. und 14 f. 837 Vgl. BGH VersR 1971, 964 (965).

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letzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB bei dem Erdgaskunden) von dem Erdgasförderer bzw. dem Erdgasimporteur auch bei ihrem rechtmäßigen Verhalten herbeigeführt worden wäre. In diesem Fall könnte dann der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens geltend gemacht werden838. dd)

Rechtswidrigkeit

Bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit ist nach der heute herrschenden Meinung stets zwischen der Lehre von der erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeit und der Lehre vom Verhaltensunrecht zu differenzieren839. Liegt eine unmittelbar zur Rechtsgutsverletzung führende Verletzungshandlung vor, so gilt die Lehre vom Erfolgsunrecht, wonach die Rechtswidrigkeit durch die Erfüllung des objektiven Deliktstatbestandes indiziert wird840 . Dogmatisch wird dabei auf die Verletzung einer auf die Schutzwürdigkeit von absoluten subjektiven Rechten und Rechtsgütern im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zurückführende Pflicht zur Vermeidung eines unmittelbar bevorstehenden bzw. drohenden Verletzungserfolgs, die – von Rechts wegen – zu unterlassen ist, mithin nicht auf den Eintritt des Verletzungserfolgs als solchen, abgestellt841 . In Fällen einer mittelbaren Verletzungshandlung oder eines bloßen Unterlassens geht es zwar ebenfalls um die Verletzung einer (gesonderten) Verhaltenspflicht – einer Gefahrvermeidungspflicht –, die allerdings nicht schon aus dem drohenden Erfolg und nicht von jeder vom Schädiger verursachten Gefahr abgeleitet werden kann 842 . Demnach ist das nur im mittelbaren Zusammenhang mit der Rechts- bzw. Rechtsgutsverletzung stehende Verhalten erst dann als rechtswidrig anzusehen, wenn gegen eine solche Verhaltenspflicht verstoßen worden ist. Da die Verletzung der bestimmten Verhaltenspflicht dabei grundsätzlich auf der Tatbestandsebene geprüft und somit bereits zuvor festgestellt

838

Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 22 Rn. 33. Grundlegend Caemmerer, in: FS Dt. Juristentag Bd. II S. 49 (77 f.); Larenz, in: FS Dölle, Bd. I S. 169 (193); Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 237; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 75 II 3 b) S. 365 ff.; Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 18; Spickhoff, JuS 2016, 865 (870); MünchKomm/Wagner, § 823 BGB Rn. 7; BeckOGK/Spindler, Stand: 01.07.2018, BGB § 823 Rn. 78; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 101; auch Grigoleit/Riem, BGB SchuldR IV, Rn. 115 f. 840 Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 18; kritisch zur Lehre von der erfolgsbezogenen Rechtswidrigkeit MünchKomm/Wagner, § 823 BGB Rn. 19. 841 Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 13; Spickhoff, JuS 2016, 865 (869); Henckel, ProzR u. materielles Recht 1970, 274 (276); Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 75 II 3 b) S. 366 f.; vgl. auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 237. 842 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 75 II 3 b) S. 366 f.; Spickhoff, JuS 2016, 865 (870). 839

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Teil I Rechtslage in Deutschland

wird, wird auch bei mittelbaren Verletzungshandlungen sowie Unterlassungen die Rechtswidrigkeit indiziert843 . ee)

Verschulden

Genauso wie die oben erörterte vertragliche Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs setzt § 823 Abs. 1 BGB, dem ebenfalls das Verschuldensprinzip zugrunde liegt, das Verschulden des Schädigers voraus. Im Rahmen der hier zu untersuchenden Fallkonstellation wird es regelmäßig darum gehen, ob dem konkreten Erdgasförderer bzw. dem konkreten Erdgasimporteur Fahrlässigkeit nach § 276 Abs. 2 BGB zu Last gelegt werden kann. Für die Beurteilung dieser Frage gelten die allgemeinen Grundsätze. Bei der Verschuldensprüfung ist allerdings die bisher ausgeführte Differenzierung der erfolgsbezogenen und der verhaltensbezogenen Unrechtskonzeption zu beachten. Erfolgt die Rechtsgutsverletzung unmittelbar, macht „der hintanzuhaltende Erfolg“844 Gegenstand des Verschuldens aus, so dass die Verletzung einer Verhaltenspflicht durch den Erdgasförderer bzw. den Erdgasimporteur vollständig auf der Ebene des Verschuldens zu prüfen ist845 . Bei Unterlassungen und mittelbaren Verletzungsweisen, auf welche es im Rahmen der deliktischen Haftung des das Erdgas fördernden oder importierenden Lieferanten grundsätzlich ankommt und an welche als maßgebliche Verletzungshandlung erst dann angeknüpft werden kann, wenn das Bestehen einer entsprechenden Verkehrspflicht – bereits im Tatbestand – bejaht wurde846 , fallen dagegen die Verkehrspflichtverletzung und das Verschulden weitgehend zusammen847. Auch die von Deutsch geprägte Unterscheidung zwischen äußerer Sorgfalt (als Sorgfalt im Höchstmaß848) und innerer Sorgfalt (als einem objektiv-typisierenden Maßstab unterworfene Erkenntnis der Norm, ihrer Tatbestandsmerkmale und der sie ausfüllenden Tatumstände849), die das Festhalten am dreistufigen Deliktsaufbau durch die Zuordnung der inneren Sorgfalt zum Verschulden erlauben sollte, kann – im Zweifel – nicht weiterhelfen850.

843

Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 75 II 3 b) S. 368 f.; Jauernig/Teichmann, BGB § 823 Rn. 50. Spickhoff, NJW 2002, 2530 (2535). 845 Spickhoff, JuS 2016, 865 (872). 846 BeckOGK/Spindler, Stand: 01.07.2018, BGB § 823 Rn. 23; Mertens, VersR 1980, 397 (397 ff.). 847 Spickhoff, JuS 2016, 865 (871 f.); Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 28 Rn. 1 ff. 848 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 385. 849 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 388. 850 S. Spickhoff, JuS 2016, 865 (871 f.); Spickhoff, NJW 2002, 2530 (2535 f.); Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 28 Rn. 24. 844

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Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich der Verschuldensvorwurf auf den gesamten objektiven Tatbestand, einschließlich der Rechtswidrigkeit 851 erstrecken muss852 . Auf den Schaden und die haftungsausfüllende Kausalität ist er dagegen nicht zu beziehen. ff)

Kausaler Schaden

Wie im Abschnitt zur vertraglichen Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs bereits erörtert ist nur der beim Geschädigten entstandene Schaden zu ersetzten, welcher kausal auf der Rechts- bzw. Rechtsgutsverletzung beruht. Umfasst sind demnach auch (alle) Folgeschäden, die zwar nicht an dem Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB selbst, sondern lediglich aus der ersten Rechtsgutsverletzung entstehen853. Für die Ausgleichung des geltend gemachten Schadens durch den Schädiger muss allerdings auch noch ein Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und bei dem Geschädigten eingetretenem Schaden gegeben sein, denn es wäre „Übermaß“854 , sollte bereits die Verletzung einer Pflicht zum Ersatz sämtlicher Folgen des Verstoßes verpflichten. Eine sachgerechte Begrenzung zurechenbarer Schadensfolgen wird insbesondere durch die Anwendung des Normzweckgedankens, welcher die im Zusammenhang mit dem Eingriff in das Rechtsgut des Geschädigten verwirklichten allgemeinen Lebensrisiken ausgrenzt und dem Schädiger die Erstattung nur der realisierten fortwirkenden Schadensrisiken der Erstschädigung auferlegt, ermöglicht 855 . Insoweit sind hier jedoch keine Besonderheiten gegenüber sonstigen Schadensfällen außerhalb des Erdgasversorgungsbereichs ersichtlich. b)

Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB

Eine deliktische Haftung des Erdgasförders bzw. des Erdgasimporteurs auf Schadensersatz bei Versorgungsstörungen kann sich weiterhin unter dem Gesichtspunkt der Schutzgesetzhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB ergeben. § 823 Abs. 2 BGB dient zugunsten der von einem gesetzlichen Verbot Geschützten neben dem Schutz ihrer einzelnen (absoluten) Rechtsgüter auch ihrer zivilrechtlichen Absicherung gegen primäre Vermögensschäden. Eine solche Erweiterung des Schutzbereiches ist insbesondere dadurch möglich, dass der Deliktstatbestand des § 823 Abs. 2 BGB häufig an die Verletzung einer kon851

Kritisch MünchKomm/Wagner, § 823 BGB Rn. 48. Jauernig/Teichmann, BGB § 823 Rn. 58; Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 84. S. Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1525 S. 12 f. 854 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 297. 855 Kötz/Wagner, DeliktsR, Rn. 214 ff.; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 166. 852 853

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kreten Pflicht anknüpft, während der des § 823 Abs. 1 BGB vom verletzten Recht oder Rechtsgut ausgeht856. Für die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB müsste der jeweilige Erdgaslieferant einen Schaden durch einen sowohl rechtswidrigen als auch schuldhaften Verstoß gegen ein Schutzgesetz bei seinem Kunden verursacht haben. Als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB gilt dabei gemäß Art. 2 EGBGB jede Rechtsnorm im materiellen Sinn857. Darunter fallen somit neben einfachen Gesetzen auch Rechtsverordnungen sowie das Recht der Europäischen Union858. Im Bereich der Gasversorgung ist hierbei hauptsächlich an die Vorschriften des EnWG und die auf dessen Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen zu denken. Da aber die in Betracht kommenden (nämlich §§ 36, 38, 40 bis 42, 53a EnWG)859 lieferbezogenen energiewirtschaftlichen Regelungen den Schutz nur der Haushaltskunden im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG und nicht sämtlicher – unter anderem industrieller und gewerblicher – Erdgaskunden zum Ziel haben, wird eine deliktische Haftung des Erdgasförderers sowie des Erdgasimporteurs wegen Verletzung dieser Rechtsnormen nach § 823 Abs. 2 BGB mangels Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs ausscheiden. Im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen wegen Versorgungsstörungen im Erdgasbereich können aber §§ 222, 229, 303 StGB als Schutzgesetze relevant sein, denn ihre Verstöße führen gegebenenfalls zu einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB860. Keine Schutzgesetze sind jedenfalls die im Bereich der Erdgasversorgung zahlreich erstellten technischen Regeln, Richtlinien und Empfehlungen der Verbände (wie zum Beispiel DIN-Normen und DVGW-Arbeitsblätter)861. Es fehlt hierbei von vornherein an der Schutzgesetzqualität im Sinne des Art. 2 EGBGB, denn die diese Normen schaffenden Verbände haben keine staatli-

856

Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 297; Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 77 I 1c S. 431 f. BeckOGK/Spindler, Stand: 01.07.2018, BGB § 823 Rn. 147; Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 18; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 526. 858 Staudinger/Merten, EGBGB Art. 2 Rn. 75. 859 Nach Gutsch, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1601 S. 12; auch Schneider/TheobaldIde Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 103. 860 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, Fn. 547 S. 128. 861 BGH NJW 1998, 2814 (2815); Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (23 f.); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, Fn. 547 S. 129; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 59; vgl. auch Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 98 f. 857

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

175

che Rechtssetzungskompetenz 862 . Das Gleiche betrifft auch jegliche Verkehrspflichten. Sie werden nicht als Schutzgesetze angesehen863. c)

Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB

Hat sich der jeweilige Erdgaslieferant einer anderen Person zur Versorgung seiner industriellen und gewerblichen Kunden mit Erdgas bedient, muss er für diese haften, falls sie dabei die Rechtsgüter eines Dritten rechtswidrig verletzt (§ 831 Abs. 1 S. 1 BGB). In diesem Fall haftet der Erdgaslieferant als Geschäftsherr nach § 823 Abs. 1 S. 1 BGB für eigenes Fehlverhalten im Hinblick auf eine tatbestandliche und rechtwidrige unerlaubte Handlung seines Verrichtungsgehilfen, sofern er sein laut § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zunächst vermutetes Verschulden bei der Auswahl, Anleitung, Überwachung sowie Ausstattung des Gehilfen, die vermutete Verletzung einer entsprechenden Verkehrspflicht, nicht widerlegen kann864 . Der Sorgfaltsmaßstab dieser Verkehrspflicht richtet sich nach der zu verrichtenden Tätigkeit, so dass daran höhere – berufsgruppenspezifische – Ansprüche zu stellen sind865. Zu beachten ist ferner, dass die mögliche Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs die Eigenhaftung des einen die Haftungstatbestände der §§ 823 ff. BGB erfüllenden Gehilfen nicht ausschließt866. Mithin wird im Außenverhältnis eine unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung des Erdgaslieferanten und seines Verrichtungsgehilfen im Sinne des § 840 Abs. 1 BGB gegenüber dem geschädigten Kunden begründet, während im Innenverhältnis die Hilfsperson allein haftet (§ 840 Abs. 2 BGB)867 , wobei Modifikationen bei arbeitsvertraglicher Beziehung zwischen dem Gehilfen und dem Geschäftsherrn im Wege des innerbetrieblichen Schadensausgleichs868 bzw. durch die – umstrittene – analoge Anwendung des § 831 BGB im Rahmen des § 254 BGB869 möglich sind. Als Verrichtungsgehilfe ist jede Person zu qualifizieren, die bei der Ausführung der ihr übertragenen Tätigkeit vom Geschäftsherrn abhängig und an 862

AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 527. BGH NJW 1987, 2671 (2672); Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 89 ff.; Larenz/ Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 76 III 2b S. 405; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh. II Rn. 14; vgl. aber Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 106; Deutsch, JuS 1967, 152 (157); Mertens, VersR 1980, 397 (399). 864 OLG Köln BeckRS 2004, 15999; OLG Hamm NJW-RR 2004, 1095 (1096); Soergel/Krause, BGB § 831 Rn. 1; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 831 Rn. 1. 865 MünchKomm/Wagner, § 831 BGB Rn. 39. 866 AnwK-BGB/Katzenmeier, § 831 Rn. 10. 867 Ebenda. 868 Staudinger/Bernau, BGB § 831 Rn. 15; Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 457. 869 BGH NJW 2007, 506 (507); BGH NJW 2012, 2425 (2426); Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 460; MünchKomm/Wagner, § 831 BGB Rn. 10. 863

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Teil I Rechtslage in Deutschland

seine Weisungen gebunden ist. Die Voraussetzung der Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit ist dann erfüllt, wenn der Erdgaslieferant als Geschäftsherr die Tätigkeit seines Gehilfen beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang regeln kann870 . Unter den Begriff des Verrichtungsgehilfen können demnach vor allem Arbeitnehmer des jeweiligen Erdgasversorgungsunternehmens871 , die problemlos zum Herrschaftsbereich des Geschäftsherrn zugeordnet werden872, sowie von ihm eingeschaltete weisungsunterworfene Unternehmen subsumiert werden873 . Fraglich ist allerdings, ob auch der Netzbetreiber als Verrichtungsgehilfe des industrielle und gewerbliche Kunden beliefernden Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs anzusehen ist, sollte es um eine All-Inclusive-Belieferung gehen. Der Erdgaslieferant bedient sich dabei zwar des Netzbetreibers für den Transport des Erdgases und kann die Unterbrechung der Versorgung seiner Kunden durch den Netzbetreiber in den (vertraglich) bestimmten Fällen veranlassen, ist aber hinsichtlich seiner netzspezifischen Tätigkeit frei, wird somit selbstverantwortlich tätig und hat sich nicht an die Vorgaben seines Beauftragten, sondern an die ihm obliegenden berufsrechtlichen Pflichten zu halten874. Der Netzbetreiber ist darüber hinaus nicht in den organisatorischen Betrieb des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs eingegliedert, so dass es an einem Abhängigkeitsverhältnis fehlt875. Vor diesem Hintergrund kann daher seine Zuordnung als Verrichtungsgehilfe des jeweiligen Erdgaslieferanten nicht erfolgen876. II.

Verschuldensunabhängige Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz

Des Weiteren stellt sich die Frage, ob neben Ansprüchen industrieller und gewerblicher Erdgaskunden aus Vertrag und Delikt auch Ansprüche aus in Spezialgesetzen geregelter verschuldensunabhängiger (Gefährdungs-) Haftung geltend gemacht werden können. Es handelt sich hierbei insbesondere um 870

MünchKomm/Wagner, § 831 BGB Rn. 14; Soergel/Krause, BGB § 831 Rn. 18 f. Keine Verrichtungsgehilfeneigenschaft besitzen allerdings leitende Mitarbeiter, die Organfunktion im Sinne des § 31 BGB ausüben und die juristische Person auf diese Weise repräsentieren. In diesen Fällen greift die Organhaftung ein. S. dazu ausführlich Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 134 ff. 872 Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II 2, § 79 III 2a S. 478; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 831 Rn. 15. 873 BGH NJW-RR 1992, 533. 874 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 130. 875 Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (24): 876 So bereits Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (24); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 130. 871

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

177

Ansprüche aus § 1 Abs. 1 ProdHaftG, wonach den Hersteller eine Schadensersatzpflicht trifft, wenn durch das Inverkehrbringen eines fehlerhaften Produktes jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird. In der in diesem Abschnitt zu behandelnden und die Erdgasversorgung durch einen Erdgasförderer bzw. einen Erdgasimporteur abbildenden Fallkonstellation müsste allerdings grundsätzlich eine verschuldensunabhängige Haftung aus dem ProdHaftG abgelehnt werden. Dies ist bereits darauf zurückzuführen, dass einerseits die Kunden des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs typischerweise als juristische Personen, die keinen Personenschaden877 erleiden können, organisiert sind und andererseits § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG Sachschäden nur im Bereich des privaten Ge- oder Verbrauchs, also nicht im – wie hier – relevanten beruflichen, freiberuflichen oder gewerblichen Bereich, erfasst878 . Trotz der zum Teil vertretenen Auffassung, dass die Erdgasförderer und die Nicht-EU-Erdgasimporteure als Hauptadressaten der Haftung nach dem ProdHaftG gelten879, erlangt die Produkthaftung dieser Akteure auch gegenüber durch die Zwischenhändler belieferten Kleingewerbebetreibenden sowie Haushaltskunden kaum Bedeutung. Da das Erdgas immer von mehreren Förder- und Importunternehmen ins Verbundnetz eingespeist und dort physikalisch durchgemischt wird, wird in der Praxis nur schwer, wenn überhaupt, festzustellen sein, wessen Erdgas die Versorgungsstörung verursacht hat880. Es wäre hier zwar zu überlegen, ob vielleicht § 830 Abs. 1 S. 2 BGB dem geschädigten Gaskunden in der geschilderten Konstellation Hilfe leisten kann. Denn die Vorschrift enthält die Kausalitätsvermutung gerade für den Fall, dass ein Geschädigter einer Mehrzahl möglicher Schädiger gegenüber steht und sich nicht nachweisen lässt, wer von diesen Schädigern die Schadensursache 877

Unter Personenschäden im Sinne des ProdHaftG sind im Gegensatz zu Sachschäden alle durch ein fehlerhaftes Produkt verursachten Körper- und Gesundheitsverletzungen, also auch im nichtprivaten Bereich zu verstehen, so dass eine Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs aus dem ProdHaftG nicht nur gegenüber Endverbrauchern, sondern auch gegenüber gewerblichen Käufern und unbeteiligten Dritten unter Umständen hergeleitet werden kann. Diese Haftung ist aber nicht der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung oder zumindest dieses Abschnittes. S. dazu BT-Drs. 11/2447, S. 13; Graf von Westphalen, NJW 1990, 83; BeckOGK/Seibl, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 1 Rn. 27; Pfister, in: Kullmann/Pfister Kza. 3602 S. 1; Soergel/Krause, ProdHaftG § 1 Rn. 2. 878 BT-Drs. 11/2447, S. 13; Graf von Westphalen, NJW 1990, 83; BeckOGK/Seibl, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 1 Rn. 28; Pfister, in: Kullmann/Pfister Kza. 3602 S. 1; Soergel/ Krause, ProdHaftG § 1 Rn. 2. 879 Vgl. Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3605); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 141; Klein, BB 1991, 917 (921). 880 So betreffend die Stromversorgung Witzstrock, VersR 2002, 1457 (1460).

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Teil I Rechtslage in Deutschland

gesetzt hat881 . Eine analoge Anwendung des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB auf die Produkthaftung ist ebenfalls allgemein anerkannt882 . Obwohl die haftungsbegründende Kausalität nicht festzustellen sein darf, müssen alle sonstigen Haftungsvoraussetzungen allerdings erfüllt werden883 . Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus ProdHaftG durch den geschädigten Gaskunden bedeutet dies, dass er den (objektiven) Fehlernachweis gegenüber jedem der als möglicher Schädiger in Betracht kommenden Beteiligten zu erbringen hat, damit die gesetzliche Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB zu seinen Gunsten eingreifen kann884 . Bleibt jedoch unklar, ob das eingespeiste Erdgas eines Förder- und Importunternehmens überhaupt ursächlich geworden ist, scheidet die Anwendung des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB aus885 . Gerade davon wird man im Regelfall im Bereich der Gasversorgung auszugehen haben. Der durch das fehlerhafte Erdgas geschädigte Letztverbraucher wird sich daher in erster Linie an seinen unmittelbaren Lieferanten gemäß § 4 Abs. 3 ProdHaftG wenden886 . Schließlich hat die aktuelle Rechtsprechung die Haftung des das Erdgas auf die Anforderungen der Kunden transformierenden Netzbetreibers als Hersteller nach dem ProdHaftG in den Vordergrund gestellt, nicht zuletzt indem man – nicht unumstritten im Schrifttum887 – die Besonderheiten des Produktes Energie im Rahmen der Fehlerfindung gemäß § 3 ProdHaftG unberücksichtigt lässt sowie sein Inverkehrbringen frühestens auf die Belieferung des konkreten Netzanschlusses des Verbrauchers bezieht und nicht bereits auf ihre Einspeisung ins Netz abstellt888 . Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll zu sein, auf die einzelnen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des § 1 Abs. 1 ProdHaftG erst bei der Prüfung etwaiger Haftungskonstellationen auf der Ebene des Netzbetriebes einzugehen.

881

MünchKomm/Wagner, BGB § 830 Rn. 78. BGH NJW 1994, 932 (934); Eberl-Borges, AcP 196, 491 (538); Schlechtriem, VersR 1986, 1033 (1034); Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 5 Rn. 8, § 4 Rn. 45; Erman/ Schiemann, ProdHaftG § 5 Rn. 2; s. auch Winkelmann, Produkthaftung bei Unternehmenskooperation, S. 74 ff.; vgl. MünchKomm/Wagner, BGB § 830 Rn. 50; BeckOGK/ Spindler, Stand: 01.08.2018, BGB § 830 Rn. 37; Palandt/Sprau, BGB § 830 Rn. 13. 883 BGH VersR 1968, 493 (494); BGH NJW 1994, 932 (934); MünchKomm/Wagner, BGB § 830 Rn. 57; Palandt/Sprau, BGB § 830 Rn. 7. 884 BGH NJW 1994, 932 (934); vgl. auch Winkelmann, Produkthaftung bei Unternehmenskooperation, S. 76 ff. 885 Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 5 Rn. 8, § 3 Rn. 47. 886 Zur Produkthaftung des Gaslieferanten s. Teil I § 4 B II, S. 191 ff. 887 S. näher dazu Teil I § 4 C II 1, S. 214 ff. 888 Erstmals über die produkthaftungsrechtliche Verantwortung einer Verteilernetzbetreiberin für Überspannungsschäden an elektrischen Geräten BGH NJW 2014, 2106 (2109). 882

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

B.

179

Der Erdgaslieferant als Passivlegitimierter

Bei Schäden, die die Erdgasendkunden in Mittel- und Niederdruck wegen Versorgungsstörungen, insbesondere in Form von Unregelmäßigkeiten und Unterbrechungen in der Belieferung, erleiden, ist in erster Linie an privatrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den auf dem Distributionsmarkt agierenden und diese Kunden beliefernden Erdgaslieferanten zu denken. Für die Einstandspflicht eines solchen Erdgaslieferanten gilt im Wesentlichen das zur Haftung des schädigenden Erdgasförderers sowie Erdgasimporteurs oben Ausgeführte: Sie ist vom Dualismus zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung gekennzeichnet, wobei in besonderen Situationen auch Regelungen aus dem ProdHaftG zur Anwendung gelangen können. Es sind lediglich einige Besonderheiten im Zusammenhang mit den unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die entsprechende – je nach Nachfrageverhalten – Ausgestaltung der Belieferungsbeziehung zwischen dem Erdgaslieferanten und unterschiedlichen Abnehmergruppen sowie mit der Stellung des Erdgaslieferanten in der Wertschöpfungskette im Erdgasbereich zu beachten, welche im Folgenden – ebenfalls differenzierend zwischen verschuldensabhängiger und verschuldensunabhängiger Haftung – aufgezeigt werden. I.

Verschuldensabhängige Haftung

Genauso wie im Rahmen der Erdgasversorgung unmittelbar durch den Erdgasförderer oder den Erdgasimporteur steht die Verschuldenshaftung des die (Wettbewerbs-, Ersatzversorgungs- sowie Grundversorgungs-)Kunden in Mittel- und überwiegend Niederdruck versorgenden Erdgaslieferanten im Falle von Versorgungsstörungen im Vordergrund. Sie basiert auch auf dieser – letzten – Wertschöpfungsstufe in aller Regel auf Ansprüchen aus §§ 280 ff. BGB und §§ 823 ff. BGB, wobei es gleichgültig ist, ob die Belieferung mit Erdgas innerhalb oder außerhalb der Grundversorgung im Sinne des § 36 EnWG erfolgt. Unterschiede bestehen in erster Linie im Hinblick auf den Umfang und Inhalt des geschuldeten Pflichtenprogramms sowie insbesondere auf den an das Verhalten des Erdgaslieferanten anzulegenden Verschuldensmaßstab. Denn der Lieferant tritt nicht als Hersteller, sondern als Händler auf. Darüber hinaus soll an dieser Stelle auf die Einstandspflicht des Erdgaslieferanten in seiner Eigenschaft als Grundversorger (aus Vertrag sowie unerlaubter Handlung) näher eingegangen werden, da gerade der Grundversorgungsbereich von den Eingriffen seitens des deutschen Gesetzgebers am weitgehendsten betroffen ist und dies eine Wirkung in haftungsrechtlicher Hinsicht entfalten hat. Die Fragen zu spezifisch energierechtlichen Haftungsbegrenzungen bzw.

180

Teil I Rechtslage in Deutschland

-ausschlüssen sollen im Anschluss an die Erörterungen zu Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich einheitlich analysiert werden. 1.

Vertragliche Haftung

Hinsichtlich einer möglichen Vertragshaftung des Erdgaslieferanten, der nicht zugleich Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur ist, gelten im Wesentlichen die gleichen Überlegungen, die auch für vertragliche Ansprüche auf Schadensersatz gegen die genannten Akteure zutreffen. Vertragliche Haftungsansprüche des Letztverbrauchers richten sich somit auch in den an dieser Stelle ins Auge gefassten Konstellationen grundsätzlich nach den Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (§§ 280 ff. BGB). Zur Begründung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Erdgaslieferanten ist demgemäß jede von ihm nach §§ 241 Abs. 2, 276 bis 278 BGB zu vertretende Verletzung seiner Leistungs-, Nebenleistungs- sowie sonstiger Schutzpflichten aus einem Wettbewerbs-, Grundversorgungsvertrag oder einem gesetzlichen Schuldverhältnis im Rahmen der Ersatzversorgung nach § 38 EnWG relevant. Zu denken ist hierbei vor allem an einen (einfachen) Schadensersatz wegen Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB sowie an einen Schadensersatz statt der (Teil-)Leistung nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB (ggf. i. V. m. § 437 Nr. 3 BGB)889. Ein Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens ist überdies möglich. Die anwendbare Normenkette wäre in diesem Fall §§ 280 Abs. 1, 2 i. V. m. 286 BGB (ggf. i. V. m. § 437 Nr. 3 BGB)890 . a)

Schuldverhältnis

Für die Geltendmachung jeder der obigen Anspruchsgrundlagen muss ein wirksames Schuldverhältnis vorliegen. Nach § 311 Abs. 1 BGB ist dafür grundsätzlich ein Vertrag – ein Grundversorgungsvertrag innerhalb der Grundversorgung nach § 36 EnWG sowie ein Wettbewerbsvertrag außerhalb der Grundversorgung – erforderlich. Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 1 und/oder § 241 Abs. 2 BGB, bei welchem die Haftung sich nach vertragsrechtlichen Grundsätzen richtet, kann allerdings ebenfalls durch das Gesetz begründet werden. Das Ersatzversorgungsverhältnis gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG ist danach als Schuldverhältnis im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB anzusehen. Im Rahmen der Grundversorgung ist an dieser Stelle der in § 36 Abs. 1 EnWG normierte besondere Kontrahierungszwang des jeweiligen Erdgasliefe889 890

Näher zur Abgrenzung der verschiedenen Schadensarten s. Lorenz, NJW 2002, 2497. Hack, Energie-Contracting, Rn. 274.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

181

ranten in seiner Eigenschaft als Grundversorger zu berücksichtigen. Sollte mit der Geltendmachung eines Belieferungsverlangens durch den Grundversorgungsberechtigten – ausgehend vom Einzelfall und unter Berücksichigung eines gesetzlich festgelegten Zwangs zum Vertragsschluss – nicht bereits ein Grundversorgungsvertrag zustande kommen, ist dabei zumindest eine gesetzliche – dem vertragsähnlichen Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB vergleichbare – schadensersatzbewehrte Sonderverbindung zwischen dem Grundversorger und seinem Kunden anzunehmen891 . Im Gegensatz zum vorvertraglichen Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB, welches lediglich Schutzpflichten im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB begründet, stellt der Anspruch des gesetzlich Begünstigten auf Grundversorgung sowie Abschluss des Grundversorgungsvertrages den Kern dieser mit der Stellung des Antrages auf Belieferung mit Erdgas entstandenen Sonderverbindung dar. Demzufolge stehen dem den Vertragsabschluss mit dem Grundversorger berechtigt begehrenden Kunden neben seinen Primäransprüchen auch Sekundäransprüche wie etwa auf Ersatz des Verzögerungsschadens (gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB) 892 sowie auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB)893 zu, wobei die zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 bzw. des § 281 BGB vorliegen müssen. Verlangt werden kann darüber hinaus der Ersatz des im Vertrauen auf die Gesetzestreue des Erdgaslieferanten erlittenen Schadens894. b)

Pflichtverletzung

Eine Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 S. 1 BGB liegt in der hier behandelten Fallkonstellation – ebenso wie bei der Erdgasversorgung durch den Erdgasförderer sowie durch den Erdgasimporteur – vor, wenn der Erdgaslieferant in seiner Händlereigenschaft objektiv hinter seinem – im Rahmen der Wettbewerbsversorgung – von den Parteien (individual-) vertraglich vereinbarten bzw. – im Rahmen der Grundversorgung – durch das Gesetz vorgegebenen Pflichtenprogramm zurückbleibt. Dabei gilt es besonders auf die Grenzen des jeweiligen Pflichtenkreises, außerhalb derer keine Pflichtverletzung mangels bestehender und fälliger Pflichten angenommen werden kann, zu achten 895 . Insofern hat der energiewirtschaftliche Verordnungsgeber spezielle 891

S. näher dazu Teil I § 3 B I 1 a), S. 58 ff. Staudinger/Bork, BGB Vorbem zu §§ 145-156 Rn. 31; Soergel/Wolf, BGB Vor § 145 Rn. 51; zum allgemeinen Kontrahierungszwang Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 244 und 588. 893 Erman/Armbrüster, BGB Vor § 145 Rn. 31; ablehnend aber im Hinblick auf den allgemeinen Kontrahierungszwang Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 244. 894 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 456. 895 Vgl. BeckOGK/Tüngler, Stand 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 278. 892

182

Teil I Rechtslage in Deutschland

Sachverhalte für die Grundversorgung geregelt, in welchen der Anspruch des berechtigten Haushaltskunden auf die Versorgung mit Erdgas nicht gilt und damit die Unmöglickeit der Leistung wegen fehlender Leistungspflicht nicht eintreten kann896 . Es handelt sich namentlich um die in § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 2 GasGVV aufgelisteten Ausnahmen von der Grundversorgungspflicht des § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG, die bloß die Grenzen der Leistungsbeschreibung in § 36 Abs. 1 EnWG sowie § 6 Abs. 2 S. 1 GasGVV näher präzisieren. In diesen Fällen führt die Versorgungsunterbrechung nicht zur Schadenersatzhaftung, denn die Voraussetzung einer Pflichtverletzung wird nicht erfüllt. Das gleiche betrifft ebenfalls die Pflicht zur Einhaltung einer bestimmten Erdgasbeschaffenheit, die gemäß § 5 Abs. 1 GasGVV ihre Grenze in der Lieferung des Erdgases mit den in den Ergänzenden Bedingungen des Netzbetreibers zu den Allgemeinen Bedingungen für den Netzanschluss definierten Parametern findet897. Alles, was darüber hinausgeht, wird nicht geschuldet und demnach nicht verantwortet. Im Übrigen ist stets von einem Fall der Unmöglichkeit mit entsprechenden Folgen auszugehen898. Bei der Prüfung der Pflichtverletzung ist des Weiteren – insbesondere im Kaufrecht – der Leistungsgefahrübergang, worunter der Zeitpunkt, an dem die Gefahr des Unterganges oder der Verschlechterung der (Kauf-)Sache auf den Abnehmer übergeht, verstanden wird899, zu berücksichtigen. Denn der Untergang bzw. die Verschlechterung des Leistungsgegenstandes können nach dem Zeitpunkt des Gefahrüberganges keine Pflichtverletzung in Form der Nicht- oder Schlechtleistung mehr begründen und somit keine Schadensersatzrechte des Kunden auslösen 900 , außer wenn die Handlungsweise des Verkäufers pflichtwidrig war901. Da die Versorgungsstörungen zumeist durch den Netzbetreiber verursacht werden, spielt die Ermittlung, wer – Erdgaslieferant oder Erdgaskunde – das Transportrisiko bei der Erdgasversorgung trägt, in haftungsrechtlicher Hinsicht eine ganz eintscheidende Rolle. Im Bereich der Wettbewerbsversorgung hängt dies vom abgeschlossenen Belieferungsvertrag ab und ist daher im Einzelfall zu bestimmen, wobei in der Regel ein integrierter Vertrag abgeschlossen wird, mit dem sich der Erdgaslieferant zur Bereitstellung und dem Transport des Erdgases verpflichtet. Für die Grundversorgung hat der Gesetzgeber dem grundversorgungsverpflichteten Lieferanten die Gefahrtragung bis zur Abnahme des Erdgases am Kundennetzanschluss 896

Näher dazu Teil I § 3 B I 1 b) bb) (3), S. 66 ff. S. Teil I § 3 B I 1 b) aa), S. 62. Vgl. Teil I § 3 B I 1 b) bb) (3) (c), S. 70 ff. 899 Vgl. Emmerich, Schuldrecht BT, § 3 Rn. 12 f. 900 Vgl. BeckOGK/Tröger, Stand: 15.07.2018, BGB § 446 Rn. 53 ff. 901 MünchKomm/Westermann, BGB § 446 Rn. 11. 897 898

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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dagegen zwingend aufgebürdet (vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 GasGVV)902. Unerheblich ist dabei, ob die Versorgungsstörung durch den Erdgaslieferanten selbst oder seinen Erfüllungsgehilfen erfolgt903. Im Zusammenhang mit den Nebenpflichten wird man hier zweckmäßigerweise zwischen solchen Pflichten unterscheiden (müssen), die den kaufvertraglich geschuldeten Erfolg zugunsten des Abnehmers sichern und solchen, die dem Schutz der Rechtsgüter, Rechte und Intreressen dienen – sog. Schutzpflichten. Dies ist insoweit relevant, als bei den im Rahmen der Erdgasversorgung erfolgsbezogenen Nebenleistungspflichten bereits das Ausbleiben der Leistung die Pflichtverletzung ausmacht, während es bei den verhaltensbezogenen Nebenpflichten des Nachweises eines objektiv pflichtwidrigen Verhaltens des Schuldners bedarf904. Als Beispiel seien an dieser Stelle die Informationspflichten aus § 40 Abs. 1 und 2 EnWG gegenüber den Letztverbrauchern im Sinne des § 3 Nr. 25 EnWG als Nebenleistungspflichten905 und die lediglich den Grundversorger treffenden Auskunfts- und Ermittlungspflicht nach § 6 Abs. 3 S. 3 GasGVV als Schutzpflichten906 genannt. c)

Vertretenmüssen

Unterschiede zur Haftung für Versorgungsstörungen auf der Ebene des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs zeigen sich aber insbesondere bei der Frage, ob der die Endkunden in Nieder- sowie Mitteldruck mit Erdgas beliefernde Lieferant die als Maßstab bei der Bestimmung fahrlässigen Handels dienende Sorgfalt eingehalten hat, die im Verkehr für erforderlich angesehen wird, um die Pflichtverletzung zu vermeiden (§ 276 Abs. 2 BGB). Denn das Maß der erforderlichen Sorgfalt ist zwar im deutschen Zivilrecht objektiviert, wird jedoch anhand der im jeweiligen – hier fachhandelsspezifischen – Verkehrskreis geltenden Standards konkretisiert907. Demnach ist zwischen den Sorgfaltsanforderungen an den Erdgaslieferanten als Endverkäufer und den Erdgasförderer bzw. den Erdgasimporteur als Erstverkäufer im Hinblick auf ihren Inhalt und ihre Schärfe zu differenzieren. Bei einer mangelhaften Erdgaslieferung durch den bloßen Verkäufer darf indes ein Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (zu vertretende Unkenntnis) grundsätzlich nicht 902

S. Teil I § 3 B I 1 b) bb) (1), S. 63 ff. Hier können unter Umständen die verordnungsrechtlich definierten Haftungseinschränkungen/ Haftungsausschlüsse greifen. S. dazu Teil I § 4 D, S. 228 ff. 904 MünchKomm/Ernst, BGB § 280 Rn. 14; AnwK-BGB/Dauner-Lieb, § 276 Rn. 7; s. auch Grigoleit, in: Heldrich, Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, S. 275 (278). 905 Näher dazu Alexander, WRP 2012, 660 (667). 906 S. Teil I § 3 B I 1 e), S. 83 f. 907 MünchKomm/Grundmann, BGB § 276 Rn. 55 ff. 903

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Teil I Rechtslage in Deutschland

angenommen werden, wenn er keine eigenen Untersuchungen bezüglich einer etwaigen Mangelhaftigkeit des angelieferten Erdgases durchzuführen hat. Während den Erdgasförderer die Pflicht zu einer Ausgangskontrolle des Erdgases auf Mangelfreiheit trifft, ist der Erdgaslieferant in seiner Eigenschaft als Endverkäufer dazu nicht verpflichtet908, es sei denn, dass besondere Anhaltspunkte für die erhöhten Anforderungen an die Sorgfalt des Erdgaslieferanten als (Fach-)Händler hinzutreten909 . Für das Verschulden des Erdgasförderers sowie des Erdgaslieferanten hat der Erdgaslieferant auf der Vertriebsebene gemäß § 278 BGB ebenfalls nicht einzustehen910. Denn nur die Verschaffung, nicht die Produktion der Verkaufssache zählt zu seinem Pflichtenkreis911 . Es ist allerdings durchaus denkbar, dass der seine Kunden über den Netzanschluss beliefernde Erdgaslieferant die Anwendung verkehrserforderlicher Sorgfalt im Hinblick auf die Produktion im Rahmen eines Grundversorgungsvertrages bzw. eines integrierten Vertrages schuldet, sollte das von ihm bezogene Erdgas in die jeweilige (Mittel- oder Nieder-)Druckstufe über eine Druck-Regel-Anlage durch den dazu verpflichteten Netzbetreiber umgewandelt werden. Diese Überlegung führt zur jüngsten – in der energierechtlichen und auch produkthaftungsrechtlichen Literatur sehr umstrittenen912 – Rechtsprechung zur produkthaftungsrechtlichen Verantwortung des (örtlichen) Netzbetreibers für Überspannungsschäden im Strombereich zurück913. In seiner Entscheidung hat der BGH in der Transformation in Niederspannung für die Netzanschlüsse von Letztverbrauchern eine wesentliche (sicherheitsrelevante) Veränderung des Produktes Elektrizität gesehen, indem das Endprodukt hergestellt wird914. Dieser Gedanke kann ohne Weiteres auch auf den Erdgasbereich übertragen werden915. Demnach tritt der die Kunden im Rahmen der Grundversorgung oder aufgrund eines integrierten Versorgungsvertrages außerhalb der Grundversorgung beliefernde Erdgaslieferant als Her908

MünchKomm/Westermann, BGB § 437 Rn. 29; AnwK-BGB/Büdenbender, § 437 Rn. 65; BeckOK/Faust, Stand: 01.11.2018, BGB § 437 Rn. 103; Schmidt-Räntsch, in: Kullmann/ Pfister Kza. 1400 S. 100 f.; Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 9 Rn. 26. 909 Näher dazu s. Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 26 Rn. 22 ff.; Schmidt-Räntsch, in: Kullmann/Pfister Kza. 1400 S. 100 f.; BeckOK/Faust, Stand: 01.11.2018, BGB § 437 Rn. 103. 910 BeckOK/Faust, Stand: 01.11.2018, BGB § 437 Rn. 99. 911 BT-Drs. 14/6040, S. 210. 912 Oechsler, NJW 2014, 2080 (2080 ff.); Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (281 ff.); Klindt, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 33 (33 ff.); Kluge, InTeR 2015, 67 (67 ff.). 913 BGH NJW 2014, 2106 (2107 ff.). 914 BGH NJW 2014, 2106 (2108); zum Herstellerbegriff s. ebenfalls OLG Düsseldorf, NJWRR 2001, 458 (458); Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 49 Rn. 9; Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 3605 S. 3 ff. 915 So auch Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (155).

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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steller auf, wenn er das Produkt Erdgas vom Netzbetreiber umwandeln, d. h. das Endprodukt produzieren lässt, und ist zu sorgfältiger Produktion verpflichtet916 . Ein solcher Erdgaslieferant haftet dann für Fehler bei der Umwandlung sowohl für eigenes Verschulden als auch für Verschulden des von ihm beauftragten Netzbetreibers nach § 278 BGB. Der Sorgfaltsmaßstab ist dabei stets an den Schuldner, nicht an seinen Erfüllungsgehilfen anzulegen917 , so dass die in § 18 NDAV für Netzbetreiber in Niederdruck bei Versorgungsstörungen vorgesehene Beschränkung auf qualifiziertes Verschulden nicht eingreifen wird. Geht man davon aus, dass die Durchleitung des Erdgases von der Druck-Regel-Anlage bis zum Hausanschluss des jeweiligen Kunden nicht zum Herstellungsprozess gehört 918 , wobei die Durchleitung des Erdgases durch das Versorgungsnetz in Einzelschritte nur schwerlich aufgeteilt werden kann, muss er sich das Verhalten des Netzbetreibers gemäß § 278 BGB zurechnen lassen, da er sich in diesem Fall des Netzbetreibers als bloßen Durchleiters zur Erfüllung eigener (Lieferungs-)Verpflichtungen bedient919 . Es bietet sich hierbei an, den anzulegenden Sorgfaltsmaßstab – ausnahmsweise – an dem für den ordentlichen Netzbetreiber geltenden zu orientieren. Denn der Netzbetreiber als Erfüllungsgehilfe ist ein „besserer Experte als im Schuldnerverkehrskreis zu erwarten“920 ist. Von besonderer Bedeutung ist daher der im Zeitpunkt der Störung vorhandene Stand von Wissenschaft und Technik, welcher in den Regelwerken der Verbände abgebildet wird. Bei dem aufgezeigten Sorgfaltsmaßstab werden in der entsprechenden Fallkonstellation weitreichende Haftungsfolgen auf den Erdgaslieferanten zukommen, anders als im Deliktsrecht, wo die Aufteilung des Bereiches der Produktherstellung und -verteilung in Verantwortungskreise nach der herstellenden Funktion erfolgt. Diese Lösung erscheint allerdings nicht sach- und interessengerecht, insbesondere innerhalb der Grundversorgung, bei welcher der grundversorgende Erdgaslieferant zur Übergabe des Erdgases am Hausanschluss des Haushaltskunden, einschließlich zur Netznutzung, gesetzlich verpflichtet ist und sich einen Netzbetreiber für seine Durchleitung nicht frei auswählen kann. Darauf hat der Gesetzgeber zu Recht mit § 6 Abs. 3 GasGVV reagiert, indem er den Erdgaslieferanten als Grundversorger von seiner Leistungspflicht und – wie sich im Wege der historisch-systematischen Auslegung

916

Vgl. BeckOK/Faust, Stand: 01.11.2018, BGB § 437 Rn. 101. MünchKomm/Grundmann, BGB § 278 Rn. 50. Vgl. Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (285). 919 Vgl. BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 281 f. 920 Vgl. MünchKomm/Grundmann, BGB § 278 Rn. 50. 917

918

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ergibt – Haftung bei Netzstörungen befreit921 . Außerhalb der Grundversorgung gilt die Vorschrift nicht. 2.

Deliktische Haftung

Ansprüche des das Erdgas in Mittel- oder Niederdruck beziehenden Kunden auf Schadensersatz können sich ebenfalls aus Delikt ergeben. Dafür muss der Erdgaslieferant ein Recht oder Rechtsgut gemäß § 823 Abs. 1 BGB, ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB oder seine Sorgfaltspflichten bei Auswahl, Anleitung oder Überwachung eines Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB verletzt haben. Da die Versorgungsstörungen, die zum Schadenseintritt bei einem Erdgasabnehmer in Mittel- bzw. Niederdruck führen, im Regelfall durch den Netzbetreiber verursacht werden, wird man kaum eine Haftung des am Ende der Wertschöpfungskette stehenden Erdgaslieferanten nach §§ 823 ff. BGB bejahen können922 . Nachfolgend sind daher die einzelnen Anspruchsgrundlagen nur kurz zu behandeln. a)

Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Wird ein Rechtsgut des das Erdgas von einem Händler beziehenden Kunden im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB infolge einer Versorgungsstörung verletzt923 , wird sich stets die Frage nach dem Haftungsgrund, d. h. nach der Verletzung einer Gefahrabwendungspflicht durch den Erdgaslieferanten, stellen. Im Hinblick auf die Betrachtung der Umwandlung des anzuliefernden Erdgases auf eine andere Druckebene als Herstellungsprozess ist hierbei an die Verletzung nicht nur händlerspezifischer (wie Untersuchungs- und Instruktionspflichten), sondern auch herstellerspezifischer Verkehrspflichten (wie Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- und Produktbeobachtungspflichten) zu denken. Darauf könnte insbesondere der Umstand, dass der Lieferant die Umwandlung des Erdgases durch den Netzbetreiber für die Versorgung seiner Kunden unter eigenem Namen vornehmen lässt und sich dadurch als Hersteller ausgibt, hindeuten. Nach herrschender Meinung darf allerdings derjenige, der bloß die Fertigung einer Sache von einem autonom arbeitenden Hersteller veranlasst und dabei auf den Herstellungsprozess keinen Einfluss hat, deliktsrechtlich

921

Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3603 f.). So auch Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 276. 923 Wie etwa Personenschäden durch Explosionen oder Erstickungen, Sachschäden durch Abweichungen der Brennwertigkeit oder Verschmutzungen des Erdgases etc. Vgl. OLG Düsseldorf VersR 1993, 110 (111); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 126 ff.; Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 276.

922

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nicht als Hersteller behandelt werden924 . Für den Erdgaslieferanten bedeutet das, dass er seinen Kunden lediglich Informationen und – zumindest passive – Produktbeobachtung schuldet, falls es zur Gefahrenabwehr erforderlich wird925 . Eine deliktische Haftung des Erdgaslieferanten in seiner rechtlichen Stellung als Grundversorger nach § 823 Abs. 1 BGB kann darüber hinaus bei von ihm veranlassten unberechtigten Sperrungen der Erdgasversorgung von Haushaltskunden entstehen 926 . Wie oben bereits aufgezeigt wurde, erlaubt § 19 GasGVV dem Grundversorger, die Grundversorgung durch den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen, wobei die bestimmten – verschärften – Sperrvoraussetzungen erfüllt werden müssen. Wenn aber die in § 19 GasGVV aufgezählten Gründe zur Einstellung der Erdgasbelieferung nicht vorliegen und der Grundversorger dessen ungeachtet die Unterbrechung der Versorgung seines Kunden anordnet, handelt er pflichtwidrig, da nach der GasGVV seine Leistungspflicht gegeben war. In solchen Fällen muss der Grundversorger auf seine Anweisung an den Netzbetreiber zur Versorgungsunterbrechung verzichten, da mit der naheliegenden Gefahr zu rechnen ist, dass die Erdgaskunden infolge der Versorgungsunterbrechung in ihren geschützten Rechtsgütern verletzt werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der angewiesene Netzbetreiber sich das Vorliegen der Voraussetzungen für die Unterbrechung der Anschlussnutzung glaubhaft versichern lassen muss (vgl. § 24 Abs. 3 NDAV). Tut er es allerdings nicht, so macht er sich selbst deliktsrechtlich verantwortlich gegenüber dem Erdgaskunden. In diesem Fall haften der Erdgaslieferant und der Netzbetreiber als Gesamtschuldner (§§ 830, 840 Abs. 1, 426 BGB). Der Erdgaskunde kann sich somit sowohl an seinen Lieferanten als auch an den die unberechtigte Sperrung vorgenommenen Netzbetreiber wegen des ganzen Schadensersatzes wenden (§ 421 BGB). Dies gilt auch dann, zumindest im Außenverhältnis, wenn der Grundversorger den jeweiligen Netzbetreiber von allen Schadensersatzansprüchen aus einer unberechtigten Versorgungsunterbrechung auf seine Anweisung gemäß § 24 Abs. 3 NDAV freistellt927 . Sonst würde eine solche Freistellung zu Lasten des betroffenen Erd-

924

BGH NJW 1987, 372 (373); BGH NJW 1994, 517 (519); Foerste, NJW 1994, 909 (910); Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 25 Rn. 15; Kullmann, in: Kullmann/ Pfister Kza. 1524 S. 11 ff.; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 39; so wohl auch Schneider/Theobald/Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 278. 925 Vgl. BGH NJW 1987, 372 (373); Kullmann, in: Kullmann/Pfister Kza. 1524 S. 12 ff.; Soergel/Krause, BGB § 823 Anh III Rn. 39. 926 S. Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 14 Rn. 62. 927 AnwK-BGB/Völzmann-Stickelbrock, § 421 Rn. 9.

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gaskunden gelten, was unzulässig ist. Sie wirkt allein im Innenverhältnis der Gesamtschuldner zueinander (vgl. § 426 Abs. 1 S. 1 BGB)928 . b)

Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB

Der geschädigte Erdgaskunde kann seinen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch weiterhin auf die Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB stützen. Dafür muss der Erdgaslieferant in zurechenbarer Weise ein Schutzgesetz verletzt haben. Im Energiebereich kommt hier insbesondere § 36 EnWG in Betracht929, welcher die Grundversorgungspflicht des die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefernden Erdgaslieferanten statuiert. In der Rechtsprechung finden sich keine Aussagen zur Einordnung der Rechtsnorm als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Für die Annahme eines Schutzgesetzes spricht zunächst der individualschützende Charakter des § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG. Die Rechtsnorm verpflichtet den Grundversorger, ausschließlich die schutzbedürftigen Haushaltskunden nach § 3 Nr. 22 EnWG zu den bekannt gemachten Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preisen in Niederspannung oder – wie hier – Niederdruck zu versorgen. Somit erschöpft sich das in § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG enthaltene Gebot nicht nur „in der Intention eines Schutzes von Allgemeinwohlund Staatsinteressen“ 930 , sondern bezweckt den Schutz eines bestimmten Personenkreises, nämlich der Haushaltskunden931 . Für die Haftung des Grundversorgers aus § 823 Abs. 2 BGB müssen darüber hinaus der Schaden und die Art der Schadensentstehung im sachlichen Schutzbereich der Regelung liegen932. Sollte der grundversorgungsberechtigte Erdgaskunde wegen der schuldhaften Verletzung der Grundversorgungspflicht durch den verpflichteten Erdgaslieferanten diskriminiert werden und einen (Vermögens-)Schaden erleiden, ist wohl die Zugehörigkeit des entstandenen Schadens zum Schutzbereich der hier in Betracht gezogenen Regelung zu bejahen. Denn der begünstigte Haushaltskunde soll nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG gerade vor einem Missbrauch der wirtschaftlichen Macht928

AnwK-BGB/Völzmann-Stickelbrock, § 426 Rn. 8. Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 103; Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 112; BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 43; zu § 10 EnWG 1998 Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 128. 930 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 155. 931 Vgl. zur alten Rechtslage Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 128; Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 59. 932 Soergel/Spickhoff, BGB § 823 Rn. 249 ff.; Erman/Schiemann, BGB § 823 Rn. 157; s. auch Staudinger/Hager, BGB § 823 Rn. G 26 ff. 929

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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stellung der Energieversorgungsunternehmen sowie dadurch resultierenden Schäden geschützt werden933 . Damit die Einstandpflicht des grundversorgenden Erdgaslieferanten entsteht, muss der Verstoß gegen die als Schutzgesetz zu qualifizierende Vorschrift schuldhaft erfolgen. Der energierechtliche Gesetzgeber hat dabei keine konkrete Verschuldensform vorgesehen, so dass für die Haftung des Schädigers nach § 823 Abs. 2 S. 2 BGB i. V. m. § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG sowohl Vorsatz, als auch Fahrlässigkeit ausreichen würden. Der Schluss auf einen subjektiven Schuldvorwurf wird hier vielmehr bereits aus der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes ergeben. Denn § 36 Abs. 1 S. 1 und 2 EnWG bestimmt das geforderte Verhalten so konkret, dass eine Indizwirkung im Hinblick auf das Verschulden möglich ist934 . In der Literatur werden außerdem §§ 38, 40 bis 42, 53a i. V. m. § 95 EnWG als Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB angesehen935 . Eine umfassende Bewertung jeder einzelnen Regelung ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit allerdings nicht möglich. Deshalb wird an dieser Stelle davon ausgegangen, dass die genannten energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften den Schutzgesetzcharakter haben und dem betroffenen berechtigten Erdgaskunden einen Schadensersatzanspruch im Falle der schuldhaften Verletzung einer dieser Rechtsnormen durch den (grundversorgenden) Erdgaslieferanten zusteht, zumindest solange nicht das Gegenteil bewiesen wurde. c)

Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB

Der Erdgaslieferant innerhalb sowie außerhalb der Grundversorgung ebenso wie der die Kunden mit Erdgas beliefernde Erdgasförderer bzw. -importeur haften für ein deliktisches Verhalten ihrer Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB. Dabei müssen die – üblichen – Zurechnungsvoraussetzungen des § 831 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegen, wie sie bereits in einem vorangegangenen Abschnitt936 ausführlich beschrieben sind, ohne dass irgendwelche – energiewirtschaftsrechtlichen – Besonderheiten eingreifen 937 . Um Wiederholungen zu vermeiden, sollte daher hier lediglich auf den Personenkreis der möglichen Verrichtungsgehilfen, welcher im Hinblick auf die rechtliche sowie wirtschaftliche Stellung eines solchen Erdgaslieferanten sowie auf die von ihm im Rah-

933

S. BerlKommEnR I 1/Busche, EnWG § 36 Rn. 1. Vgl. BGH NJW 1992, 1039 (1042). Gutsch, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 1601 S. 12; auch Schneider/ Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 103. 936 Teil I § 4 A I 2 c), S. 175 f. 937 Anders als nach dem alten Recht, vgl. § 6 Abs. 1 S. 2 AVBGasV. 934 935

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Teil I Rechtslage in Deutschland

men der Erdgasversorgung übernommenen Aufgaben einer Begrenzung bedarf, näher eingegangen werden. Als Verrichtungsgehilfen des Erdgaslieferanten sind ohne Weiteres seine Arbeitnehmer anzusehen, sofern sie keine leitende Funktion im Betrieb ihres Geschäftsherrn wahrnehmen938 . Sie nehmen bestimmte Tätigkeiten für ihren Arbeitgeber vor und sind stets von seinen Weisungen sowie seinem Willen abhängig, so dass der Erdgaslieferant als Geschäftsherr ihre Tätigkeit jederzeit beschränken, entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann939 . Der Verrichtungsgehilfeneigenschaft der Arbeitnehmer steht jedoch nicht entgegen, wenn sie auch eine gewisse Selbständigkeit bei der Ausführung der Verrichtung genießen können940. Anders stellt sich die Situation im Hinblick auf Erdgasförderer sowie Erdgasimporteure als Vorlieferanten des auf der Vertriebsebene agierenden Erdgaslieferanten dar. Sie sind nicht ohne Weiteres als Erfüllungsgehilfen und erst recht nicht als Verrichtungsgehilfen im Verhältnis zum das Erdgas von ihnen beziehenden Letztversorger anzusehen, weil sie regelmäßig nur ihre eigenen Verpflichtungen erfüllen und nicht deren Verpflichtungen gegenüber dem Erdgaslieferanten in seiner Eigenschaft als Käufer. Zudem handelt es sich um selbständige Fremdunternehmer, die weisungsunabhängig sind. Es fehlt hier von vornherein an der für die Annahme einer Verrichtungseigenschaft erforderlichen Einflussmöglichkeit seitens des Erdgaslieferanten. Fraglich ist weiterhin, ob dem Erdgaslieferanten ein rechtswidriges Verhalten des Netzbetreibers nach § 831 BGB zugerechnet werden kann. Bei einem desintegrierten Vertrag zwischen dem Erdgaslieferanten und dem Erdgaskunden wird man dies verneinen müssen. Denn die Lieferung des Erdgases durch die Versorgungsleitungen ist ausschließlich Aufgabe des Kunden, so dass die Vertragspflicht seines Vertragspartners sich bereits in dem bilanziellen Ausgleich seiner Entnahmen erschöpft und er allein das Untergangsrisiko trägt941 . Bei einem integrierten Versorgungsvertrag gehört der Transport des bestellten Erdgases bis zum Netzanschluss des Kunden jedoch zum Pflichtenprogramm des Erdgaslieferanten, welcher zur Erfüllung seiner Verpflichtung einen (Verteil-)Netzbetreiber einsetzt. In diesem Fall ist der Netzbetreiber zwar im Interesse des Erdgaslieferanten tätig, die Einflussmöglichkeiten des Letzten auf die Versorgungssicherheit sind allerdings nicht vorhanden. Vor diesem Hintergrund ist die Haftung des Erdgaslieferanten für unerlaubte 938

AnwK-BGB/Katzenmeier, § 831 Rn. 16; Erman/Schiemann, BGB § 831 Rn. 7. Vgl. BGH NJW 1966, 1807 (1808). Filthaut, HPflG § 12 Rn. 96. 941 Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 276; s. auch Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 19. 939 940

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Handlungen des von ihm beauftragten Netzbetreibers gemäß § 831 BGB mangels eines Abhängigkeitsverhältnisses abzulehnen 942 . Dies entspricht schließlich der neuen Systematik von Netzbetrieb und Energiebelieferung sowie dem neuen Haftungssystem des energiewirtschaftsrechtlichen Gesetzgebers. II.

Verschuldensunabhängige Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz

Für mögliche Schäden aus Versorgungsstörungen, namentlich Druckschwankungen943, ist ferner eine verschuldensunabhängige Haftung des Erdgaslieferanten in seiner Eigenschaft als Vertriebshändler aufgrund des ProdHaftG denkbar. Dies wäre etwa dann möglich, wenn der jeweilige Erdgaslieferant eine Sonderstellung als sog. Quasi-Hersteller gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG eingenommen hätte. Danach haftet derjenige, der im Rechtsverkehr als Hersteller des Produkts auftritt, ohne es selbst hergestellt zu haben, wie ein tatsächlicher Hersteller für Personen- und Sachschäden im Sinne des § 1 Abs. 1 ProdHaftG944. Der Rechtsschein der verschuldensunabhängigen Produktverantwortung wird dabei insbesondere durch das Anbringen eigenen Namens bzw. eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens auf ein fremdes Produkt sowie ihre Verwendung bei seinem Anbieten vermittelt945 . Der Erdgaslieferant liefert zwar das Produkt Erdgas normalerweise unter seiner Marke, kann jedoch damit kaum den Eindruck erwecken, er sei selbst der Erdgasförderer946 . Die Erdgasversorgung von Haushalts- sowie Wettbewerbskunden unter eigenem Namen wird regelmäßig lediglich auf eine Händlereigenschaft hindeuten, so dass die Gefährdungshaftung des Erdgaslieferanten als Quasi-Hersteller abgelehnt werden muss. Zu beachten ist aber, dass der geschädigte Erdgaskunde einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Lieferanten auch auf § 4 Abs. 3 ProdHaftG stützen könnte. Nach § 4 Abs. 3 ProdHaftG macht sich der jeweilige Lieferant schadensersatzpflichtig, wenn es ihm nicht gelingt, den tatsächlichen Hersteller bzw. den Vorlieferanten gegenüber dem Geschädigten trotz seiner entsprechenden Aufforderung bekannt zu geben bzw. diesem rechtzeitig (innerhalb eines Monats) mitzuteilen. Da der konkrete Erdgasförderer bzw. Erd942

So auch Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (24). 943 Vgl. Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 47 Rn. 26; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3605). 944 BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 755, ProdHaftG § 4 Rn. 14 ff. 945 BGH NJW 2005, 2695 (2696); Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 4 Rn. 59 ff.; Graf von Westphalen, NJW 1990, 83 (89). 946 S. im Hinblick auf das Produkt Strom Oechsler, NJW 2014, 2080 (2081).

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gasimporteur durch die Vermischung von unterschiedlichen Gasströmen kaum feststellbar ist, könnte man – zumindest nach der alten Rechtslage – davon ausgehen, dass bei Schäden infolge einer Versorgungsstörung stets der Erdgaslieferant laut § 4 Abs. 3 ProdHaftG haften würde947 . Vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Erdgaswirtschaft und der Tatsache, dass Versorgungsstörungen zumeist durch Fehler im Netzbetrieb verursacht werden und der Erdgaslieferant dabei auf die Netzsicherheit keinen Einfluss nehmen kann, hat die Rechtsprechung allerdings den verantwortlichen Netzbetreiber ausdrücklich als primären Hersteller nach dem ProdHaftG in Betracht gezogen 948 . Demzufolge wird der in Betracht kommende Erdgaslieferant in der Regel seine Bennenungspflicht im Sinne von § 4 Abs. 3 S. 1 ProdHaftG erfüllen und sich somit der ihm drohten verschuldensunabhängigen Produktverantwortung entziehen können949. Diese Lösung steht jedenfalls dem Herstellerbegriff im Sinne des § 4 ProdHaftG sowie dem Haftungsregime des ProdHaftG nicht entgegen, indem die Haftung für fehlerhafte Produkte vorrangig den Hersteller, also denjenigen, der in eigener Verantwortung an dem Herstellungsprozess beteiligt war, trifft950 . Der Netzbetreiber ist – unter Umständen – zwar der Erfüllungsgehilfe des Erdgaslieferanten, handelt aber selbständig und unabhängig im Gegensatz zu Mitarbeitern des Erdgaslieferanten, was seine Herstellereigenschaft begründet951 . Dies scheint wohl auch im Sinne des energiewirtschaftsrechtlichen Gesetzgebers zu sein (vgl. § 6 GasGVV). C.

Der Netzbetreiber als Passivlegitimierter

Vor dem Hintergrund der Entflechtung von Energielieferung und Netzbetrieb und des Umstandes, dass Unterbrechungen bzw. Unregelmäßigkeiten in der Energiebelieferung infolge der netztechnischen Gegebenheiten in aller Regel Folge einer Störung des Netzberiebs oder des Netzanschlusses sind952, wird der Netzbetreiber als Anspruchsgegner in Haftungsfällen wegen Versorgungsstörungen in den Vordergrund gerückt953 . Dem Wettbewerbs- und Haushaltskunden stehen nunmehr zahlreiche Ansprüche – aus Vertrag, Anschlussnut947

Witzstrock, VersR 2002, 1457 (1460). Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 162; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3605); vgl. auch BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2017, ProdHaftG § 4 Rn. 7; zu Recht zweifelhaft im Hinblick auf die verwirrende Qualifizierung des Netzbetreibers als Lieferanten der Energie Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (281 f.). 949 Davon wohl ausgehend BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 288. 950 BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2017, ProdHaftG § 4 Rn. 14. 951 S. BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2017, ProdHaftG § 4 Rn. 16 ff. 952 BR-Drs. 306/06, S. 28. 953 Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 25. 948

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zungsverhältnis, unerlaubter Handlung sowie verschuldensunabhängiger gesetzlicher Gefährdungshaftung – auf Schadensersatz wegen Versagens des Netzes bzw. des Netzanschlusses grundsätzlich allein gegen den Netzbetreiber zu, was zur – teilweise unzureichenden954 – Reaktion des energiewirtschaftsrechtlichen Gesetzgebers in Form von Haftungsbeschränkungen sowie Entschädigungsobergrenzen der §§ 18 NDAV, 5 GasNZV geführt hat955 . Die einzelnen Ansprüche werden im Folgenden nach dem oben bereits zur Haftung des (auch fördernden und importierenden) Erdgaslieferanten angewendeten Prüfungsschema untersucht. I.

Verschuldensabhängige Haftung

Erleidet der Wettbewerbs- bzw. Haushaltskunde Personen-, Sach- und/oder Vermögensschäden aufgrund von netzseitigen Versorgungsstörungen, trifft den Netzbetreiber zunächst die verschuldensabhängige Haftung aus Vertrag und aus Delikt. Wie im Rahmen der Haftung des Erdgaslieferanten für lieferbezogene Versorgungsstörungen kann die Einstandspflicht des Netzbetreibers in diesen Fällen nur dann begründet werden, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§§ 823, 280 Abs. 1, 276 BGB). Zugunsten der Erdgaskunden ist dabei aber die Verschuldensvermutung des § 18 Abs. 1 NDAV zu berücksichtigen, die wegen der negativen Formulierung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ihre verschärfende Wirkung lediglich in Bezug auf die deliktische Haftung des Netzbetreibers entfaltet956 . Die Schadensersatzhaftung des Netzbetreibers ist regelmäßig nach dem allgemeinen – vertraglichen und deliktischen – Haftungsrecht zu beurteilen. Bei schuldhaften Verstößen gegen die Vorschriften der Abschnitte 2 und 3 des dritten Teils des EnWG, §§ 17 bis 28a, kommt darüber hinaus die sog. sonderdeliktische Haftung nach § 32 Abs. 3, 1 EnWG, in Betracht957. Nicht zu verkennen ist dabei, dass die energiewirtschaftsrechtliche Haftungsnorm die deliktischen Regelungen des BGB in ihrem Anwendungsbereich verdrängt. 1.

Vertragliche Haftung

Der durch die netzbetriebsbedingten Versorgungsstörungen betroffene Erdgaskunde kann gegenüber den jeweiligen Netzbertreiber als Schädiger zunächst vertragliche Schadensersatzansprüche – wie im Bereich der Erdgasbelieferung – nach den §§ 280 ff. BGB geltend machen. Dem geschädigten Erdgaskunden wird grundsätzlich ein Anspruch auf Schadensersatz wegen 954

S. näher Teil I § 4 C II, S. 214 ff. Dazu s. Teil I § 4 D II, S. 230 ff. und III, S. 237 f. 956 Vgl. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (80); Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (131). 957 Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (21). 955

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Pflichtverletzung aus § 280 Abs. 1 BGB zustehen, zumindest soweit der ihm durch die Störungen im Netzbetrieb entstandene Schaden auch durch die nachträgliche Nachbesserung oder Wiederherstellung nicht beseitigt werden kann958 , was allerdings einen Regelfall in der Energiewirtschaft darstellt959 . Des Weiteren können Schadensersatz statt der Leistung nach § 280 Abs. 1, 3 i. V. m. §§ 281 ff. BGB sowie Ersatz von Verzögerungsschäden nach § 280 Abs. 1, 2 i. V. m. § 286 BGB verlangt werden, auch wenn nur noch in Ausnahmefällen960 . Zudem darf man hier nicht außer Acht lassen, dass die an dieser Stelle in Betracht kommenden haftungsrelevanten Netzverträge im Schwerpunkt werkvertragliche Elemente aufweisen961 . Für die vertragliche Schadensersatzhaftung des Netzbetreibers sind daher gegebenenfalls auch die speziellen – das allgemeine Leistungsstörungsrecht modifizierenden – Gewährleistungsvorschriften der §§ 634 bis 638 BGB zu berücksichtigen. Eine maßgebliche Bedeutung hat dies insbesondere beim Verlangen des Schadensersatzes statt der Leistung bei behebbaren Mängeln, wenn der Ersatzanspruch erst an die Stelle der Nacherfüllung tritt (vgl. §§ 634 Nr. 1, 2, 635, 636 BGB)962 . Im Gegensatz zu kaufrechtlichen Mangelgewährleistungsregelungen ist der betroffene Kunde in der in diesem Abschnitt aufgeworfenen Fallkostellation nach §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 BGB vielmehr berechtigt, nach erfolglosem Ablauf einer von ihm zur Nacherfüllung bestimmten angemessenen Frist den Mangel auch selbst zu beseitigen oder durch einen Dritten beseitigen zu lassen und Ersatz der dazu erforderlichen Aufwendungen zu verlangen. Dieser Rechtsbehelf des Erdgaskunden scheint jedoch lediglich bei der mangelhaften Herstellung des Netzanschlusses relevant zu sein. In übrigen – eher theoretisch – denkbaren Fällen des Verlangens des Schadensersatzes statt der Leistung sind die Leistungserbringung sowie ihre Nacherfüllung wegen Unmöglichkeit regelmäßig ausgeschlossen, so dass ein solcher Anspruch des jeweiligen Kunden sich nach den allgemeinen Voraussetzungen der §§ 280 Abs. 1, 3 i. V. m. 283 BGB richten wird. Deshalb sind im Follgenden auch nur die Grundelemente der Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB, allerdings im netzbetriebsbezogenen Kontext, näher zu behandeln. 958

Jauernig/Stadler, BGB § 280 Rn. 4. Vgl. BGH EnWZ 2016, 419 (420); OLG Braunschweig BeckRS 2014, 11556; OLG Hamm BeckRS 2011, 15549; LG Münster BeckRS 2015, 12344; LG Halle (Saale) Urteil vom 16. März 2012 – 2 S 263/11 –, juris; LG Bielefeld Urteil vom 20. Juni 2012 – 8 O 19/12 –, juris. 960 Vgl. LG Kiel BeckRS 2010, 27014. 961 S. Teil I § 3 C I 3 a), S. 105 ff.; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 49 Fn. 74. 962 Looschelders, Schuldrecht BT, § 32 Rn. 693. 959

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

a)

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Schuldverhältnis

Damit der durch die netzbetriebsbezogene Versorgungsstörung geschädigte Erdgaskunde einen Anspruch auf Ersatz seines dadurch entstandenen Schadens gegen den Netzbetreiber geltend machen kann, ist zunächst ein haftungsrelevantes Schuldverhältnis zu identifizieren. In Betracht kommen hierbei sämtliche Netzverträge, insbesondere Netzanschluss-, Anschlussnutzungs-, Netznutzungs- sowie Lieferantenrahmenverträge. Beachtet werden muss allerdings, dass das Verlangen des Schadensersatzes aus einem (separaten) Netznutzungsvertrag nur durch den Wettbewerbskunden, d. h. außerhalb der Grundversorgung nach § 36 EnWG möglich ist. Denn die Belieferung des Grundversorgungskunden erfolgt immer im Rahmen eines All-Inclusive-Vertrages, dass der Grundversorger die Organisation des Netzzugangs zu übernehmen und die geschuldete Erdgasmenge am Ausspeisepunkt seines Kunden zu übergeben hat. Eine vertragliche Haftung des Netzbetreibers gegenüber dem Grundversorgungskunden ist deshalb lediglich bei (Schutz- )Pflichtverletzungen aus einem Anschlussnutzungsvertrag/-verhältnis und einem Netzanschlussvertrag, jedoch soweit der Letzte die Eigenschaft des Anschlussnutzers und gleichzeitig die des Anschlussnehmers besitzt963, sowie aus einem zwischen dem entsprechenden Lieferanten und dem Netzbetreiber bestehenden Lieferantenrahmenvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte964 denkbar. Gleichwohl ist für einen unmittelbaren Anspruch des Kunden aus dem Lieferantenrahmenvertrag nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (Leistungsnähe, Gläubigerinteresse, Erkennbarkeit von Leistungsnähe und Gläubigerinteresse, Schutzbedürftigkeit des Dritten) entscheidend, ob man zwischen Störungen der Netznutzung und Anschlussnutzung unterscheidet965 . Ansonsten ist die Schutzbedürftigkeit des Erdgaskunden, in dem Sinne, dass ihm kein inhaltsgleicher vertraglicher Anspruch gegen den Netzbetreiber oder einen Dritten – außer dem aus dem Lieferantenrahmenvertrag – zustehe, nicht gegeben966. Hier sei noch einmal hervorgehoben, dass eine vertragliche Schadensersatzhaftung des Netzbetreibers aus dem Anschlussnutzungsverhältnis nach 963

Dazu bereits Teil I § 3 C, S. 99 ff. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 22; s. auch Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (25 f.). 965 Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 22; so auch Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (25 f.); dazu näher s. Teil I § 4 C I 1 b), S. 197 ff. 966 Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 24. 964

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Teil I Rechtslage in Deutschland

§ 3 Abs. 1 S. 3 NDAV ausschließlich gegenüber dem berechtigten Anschlussnutzer begründet werden kann. Der jeweilige Erdgaskunde ist nach § 3 Abs. 2 NDAV zur Nutzung des Netzanschlusses zur Entnahme von Gas in Niederdruck berechtigt, wenn er im Zeitpunkt der erstmaligen Entnahme einen Erdgasliefervertrag mit dem Lieferanten hat bzw. die Voraussetzungen einer Ersatzversorgung nach § 38 EnWG vorliegen (Nr. 1) und wenn ihm oder seinem Lieferanten ein Recht auf Netzzugang nach § 20 EnWG zusteht (Nr. 2). Wird der Anschluss durch einen Dritten, der in einem gewissen Näheverhältnis zu dem (berechtigten) Anschlussnutzer steht, genutzt, so ist der drittbegünstigende Charakter des Netzanschlussnutzungsverhältnisses zugunsten des tatsächlichen Anschlussnutzers anzunehmen967 . Für die Abgrenzung des Kreises der Personen, die den bestimmungsgemäßen Kontakt mit dem Gefahrenbereich des Anschlussnutzungsverhältnisses haben und demnach von dessen Schutzbereich erfasst sind968 , scheint es wegen der vergleichbaren Ausgangslage sinnvoll, die im Mietrecht geltenden Überlegungen heranzuziehen969 . Gegenüber Dritten, die in den Schutzbereich des Anschlussnutzungsverhältnisses nicht einbezogen sind, haftet der Netzbetreiber unter Umständen nur deliktisch (§§ 823 ff. BGB)970. Bei der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche aus dem Anschlussnutzungsverhältnis nach § 3 Abs. 1 S. 3 NDAV dürfen seine Natur und sein Inhalt nicht außer Acht gelassen werden. Folgt man der herrschenden Meinung, dass das auf den Netznutzungsvertrag zwischen dem Erdgaslieferanten und dem Netzbetreiber abzustellende Anschlussnutzungsverhältnis in Niederdruck keine primären Leistungsrechte und -pflichten, sondern lediglich die gegenseitigen Schutzrechte und -pflichten des berechtigten Erdgasabnehmers und des zuständigen Netzbetreibers begründet971, so kann der Ersatz von nur sog. Integritätsschäden bei der Verletzung der Pflichten aus diesem Schuldverhältnis verlangt werden. Der Anspruch des geschädigten Kunden ist daher (allein) nach § 280 Abs. 1 BGB zu beurteilen972 . Man könnte sich hier jedoch auch überlegen, ob vielleicht der Netznutzungsvertrag des Erdgaslieferanten mit dem Netzbetreiber als Vertrag zugunsten Dritter – des Erdgaskunden – (§§ 328 BGB) anzusehen ist, so dass dem 967

Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 59. Looschelders, Schuldrecht AT, § 9 Rn. 9. 969 BGH NJW 1068, 885 (887); vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 59. 970 Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 60; so wohl auch Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (80 f.). 971 Dazu bereits unter Teil I § 2 C IV 3 d), S. 37 f.; § 3 C II 2 a), S. 121 ff. 972 Anders Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 78 ff., jedoch ohne eingehende Begründung. 968

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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nicht an diesem Vertrag beteiligten Erdgasabnehmer ein unmittelbarer Leistungsanspruch (auf die ordnungsgemäße Lieferung des Erdgases im Wege der Netznutzung) zusteht. Sollte die Drittbegünstigung des Netznutzungsvertrages im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB angenommen werden, dürfte der betroffene Kunde im Falle der Vertragsverletzung durch den Netzbetreiber nur Ansprüche auf Ersatz des Integritätsinteresses (§ 280 Abs. 1 BGB) und des Verzugsschadens (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB) geltend machen973 . Die Geltendmachung des Anspruches auf Schadensersatz statt der Leistung nach § 280 Abs. 1, 3, 281 ff. BGB wird von der herrschenden Meinung abgelehnt974 . Jedenfalls wird die Qualifizierung des Netznutzungsvertrages zwischen dem Erdgaslieferanten (vor allem in seiner Eigenschaft als Grundversorger) und dem Netzbetreiber bereits daran scheitern, dass der Vertrag primär auf die Erfüllung der Lieferverpflichtung des Erdgasversorgers ausgerichtet ist975. Der Netzbetreiber wird lediglich verpflichtet, an den jeweiligen Abnehmer zu leisten. Im Zweifel handelt es sich um einen unechten Vertrag zugunsten Dritter. Nicht zuletzt ist an dieser Stelle zu beachten, dass für den Anspruch auf Netzzugang nach § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG976 sowie den Anspruch auf Netzanschluss nach §§ 17 und 18 EnWG977 ein Kontrahierungszwang besteht. Dies führt dazu, dass bereits die Stellung des Antrages des jeweils berechtigten Kunden auf Netzzugang/-nutzung oder auf Netzanschluss eine Sonderverbingung zwischen ihm und dem verpflichteten Netzbetreiber bergündet. Aus dieser Sonderverbindung können sich gegebenenfalls Schadensersatzansprüche des Netznutzungs- bzw. des Netzanschlusspetenten ergeben978. Darin kann man eine Parallelität zur haftungsrechtlichen Stellung des den Antrag auf Grundversorgung im Sinne von § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG gestellten Kunden erblicken979. Es gelten daher auch hier die gleichen Überlegungen, die im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche des Erdgaskunden beim Nichtnachkommen der Grundversorgungspflicht durch den zuständigen Erdgaslieferanten angestellt wurden. b)

Pflichtverletzung

Anschließend ist eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB zu ermitteln. Dies sollte dem den Netzbetreiber in Anspruch nehmenden Erdgas973

Looschelders, Schuldrecht AT, § 51 Rn. 15. Ebenda. 975 Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 182 f. 976 S. Teil I § 3 C I 2, S. 102 ff. 977 S. Teil I § 2 C IV 3 c), S. 36 f.; § 3 C II, S. 117 ff. 978 Vgl. Kühne, RdE 2000, 1 (2). 979 Teil I § 4 B I 1 a), S. 180 f. 974

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Teil I Rechtslage in Deutschland

kunden sowohl in Niederdruck als auch in Hoch- und Mitteldruck weitgehend problemlos gelingen. Denn es genügt für die Annahme der Pflichtverletzung, wenn der Netzbetreiber (nur) eine der Pflichten, die sich aus dem Netznutzungsvertrag, dem Netzanschlussvertrag und/oder dem Anschlussnutzungsvertrag/-verhältnis ergeben, nicht nachkommt980 . Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Leistungs-, Nebenleistungs- oder Schutzpflichten handelt. Die meisten netzbetriebsbezogenen Pflichten, insbesondere in Niederdruck, sind vielmehr durch das EnWG sowie die hierauf ergangenen Rechtsverordnungen (GasNZV, NDAV) kodifiziert. Bei der Beurteilung des Verhaltens des zuständigen Netzbetreibers, ob es vom vertraglich geschuldeten Pflichtenprogramm abweicht, kommt es entscheidend auf den konkreten Inhalt und Umfang der jeweiligen Verpflichtung an. Denn über die durch die Vertragsparteien vereinbarten bzw. durch das Gesetz oder die Rechtsverordnung gesetzten Grenzen hinaus bestehen keine Pflichten, die verletzt werden könnten. So ist der Betreiber des Erdgasversorgungsnetzes zur Gewährung des Netzzugangs (vgl. § 20 Abs. 2 S. 1 EnWG) ebenso wie des Netzanschlusses (vgl. §§ 17 Abs. 2 S. 1, 18 Abs. 1 S. 2 EnWG) von vornherein nicht verpflichtet, soweit es ihm aus betriebsbedingten oder sonstigen wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Auch entfällt die Pflicht zur Ermöglichung der Netzanschlussnutzung im Niederdruckbereich, wenn der Kunde besondere Anforderungen an die Anschlussnutzungsqualität, die über die durch § 16 NDAV festgelegten Grenzen hinausgehen, stellt981 . In diesem Fall fällt der Schaden in den Verantwortungsbereich des Kunden und die Haftung des Netzbetreibers scheidet von vornherein aus982 . Weitere Einschränkungen der Netzanschlusssowie der Anschlussnutzungspflicht in Niederdruck ergeben sich aus den §§ 17, 24 NDAV. Demnach darf keine Pflichtverletzung angenommen werden, wenn die Tatbestandsmerkmale dieser Regelungen erfüllt sind983. Bei Versorgungsstörungen kann im Zweifel stets darauf abgestellt, dass die Pflichtverletzung in der Störung der Netzstabilität (einschließlich die Netzanschlussstabilität) liegt. Eine entsprechende Pflicht, für die Sicherheit, die Zuverlässigkeit und die Leistungsfähigkeit der Energienetze durch ihren diskriminierungsfreien Betrieb, ihre bedarfsgerechte Wartung, Optimierung und Verstärkung sowie ihren Ausbau zu sorgen, lässt sich bereits aus dem Wesen 980

Zum Überblick der wichtigsten netzbetriebsbezogenen Pflichten s. Teil I § 3 C, S. 99 ff. S. hierzu Teil I § 3 C II 2, S. 120 ff. Vgl. hierzu die Rechtsprechung im Strombereich LG Halle (Saale) GWF/Recht und Steuern 2013, 24 (25); LG Kiel BeckRS 2010, 27014; LG Frankfurt/Oder RdE 2002, 322 (322 f.); LG Kassel RdE 1990, 147 (147 ff.). 983 Näher dazu Teil I § 3 C II, S. 117 ff.

981 982

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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der Netznutzungs-, Netzanschluss- sowie Anschlussnutzungspflicht des Netzbetreibers ungeachtet der Druckebene ableiten und ist ausdrücklich in § 11 Abs. 1 EnWG statuiert984. Konkretisiert wird diese Pflicht durch die Sicherheitsanforderungen des auf Basis des § 11 Abs. 1a EnWG erstellten ITSicherheitskatalogs985, die einen Mindeststandard an IT-Sicherheit des Netzbetriebs bestimmen 986 , sowie durch die allgemein anerkannten Regeln der Technik gemäß § 49 Abs. 1 S. 2 EnWG987. Die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik wird dabei nach § 49 Abs. 2 EnWG zugunsten des Netzbetreibers vermutet, wenn bei Anlagen zur Erzeugung, Fortleitung und Abgabe von Gas die technischen Regeln der DVGW (z. B. Arbeitsblatt GW 1200, Arbeitsblatt G 463, Arbeitsblatt G 466-1, DIN EN 1594, DIN 18012 etc.) eingehalten worden sind. Erfüllt der Netzbetreiber solche Sicherheitsanforderungen, wird dessen Pflichtverletzung normalerweise ausscheiden988 . Eine weitere Präzisierung der Pflicht des Netzbetreibers zu einem sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Netzbetrieb nach § 11 Abs. 1 EnWG erfolgt durch die Rechtsprechung. So geht z. B. eine nicht anlassbezogene regelmäßige Kontroll- und Wartungspflicht bei erdverlegten Betriebsmitteln objektiv über den vom Netzbetreiber geschuldeten Standard hinaus 989 . Diese Entscheidung beruht vor allem auf dem gesetzlich vorgegebenen Effzienzgebot990 . Das Verlangen einer regelmäßigen Überprüfung bedeutete eine unverhältnismäßige Erhöhung der Netzkosten im Vergleich zu seltenen Schäden im

984

Zur Reichweite des Pflichtenprogramms des Netzbetreibers nach § 11 Abs. 1 EnWG s. OLG Hamm RdE 2013, 179 (179 f.) m. Anm. Hartmann/Bartsch; s. auch LG Karlsruhe IR 2013, 211 (211 ff.) mit Anm. Hartmann/Bartsch; LG Bielefeld BeckRS 2013, 09383. 985 Stand: August 2015, abgerufen unter: https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/ElektrizitaetundGas/Unternehmen_Institutionen/Versorgungssicherheit/IT_Sicherheit/IT _Sicherheit.html (zuletzt am 01.12.2018). 986 Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (153); de Wyl/Weise/Bartsch, VW 2014, 180 (181 f.). 987 Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (153); zur Konkretisierung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht durch technische Regeln im Rahmen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB vgl. MünchKomm/Wagner, BGB § 823 Rn. 446 ff. 988 Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (153); s. auch BeckOGK/Riehm, Stand: 01.09.2018, BGB § 280 Rn. 17; vgl. Marburger, VersR 1983, 597. 989 OLG Hamm IR 2013, 179 (179 f.) mit Anm. Hartmann/Bartsch; s. auch LG Karlsruhe IR 2013, 211 (211 ff.) mit Anm. Hartmann/Bartsch; LG Bielefeld BeckRS 2013, 09383; LG Halle (Saale) GWF/Recht und Steuern 2013, 24 (24 f.); LG Hagen (Westfalen) BeckRS 2012, 10455; vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 39 und Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 86 f.; vgl. aber AG Wuppertal RdE 2001, 79 (80), das den Umfang der Kontroll- und Wartungspflicht des Netzbetreibers im Rahmen des Vertretenmüssens anspricht. 990 OLG Hamm IR 2013, 179 (179 f.) mit Anm. Hartmann/Bartsch.

200

Teil I Rechtslage in Deutschland

diesem Bereich991 . Keine Pflichtverletzung kann obendrein angenommen werden, wenn der Netzbetreiber im Hinblick auf seine Freileitungen die Errichtungsnormen eingehalten und ein sachverständiger Gutachter keine Instandhaltungs- und Wartungsmängel feststellen kann992 . Anders ist es allerdings, wenn der zum Betrieb einer Überwachungstechnik erforderliche Computer nicht dauerhaft im Unternehmen installiert war 993 .Diese Verhaltenspflichten des Netzbetreibers stellen die ordnungsgemäße Erfüllung bzw. Durchführung des Netznutzungs-, des Netzanschluss- sowie des Anschlussnutzungsvertrags/-verhältnisses sicher und sind indes als vertragswesentlich im Sinne des AGB-Rechts (vgl. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB) anzusehen, was insbesondere für formularmäßige Haftungsfreizeichnungen von Bedeutung ist994 . Damit der jeweilige Fernleitungs- bzw. Verteilernetzbetreiber seine Verpflichtung zur Gewährleistung der Systemstabilität nachkommen kann, stehen ihm ferner die (netz- und marktbezogenen) Maßnahmen in den §§ 16, 16a EnWG zur Verfügung. Lässt sich eine Gefährdung bzw. Störung durch diese Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig beseitigen und wird indes zu Notfallmaßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG gegriffen, so ruhen gemäß §§ 16 Abs. 3 S. 1, 16a S. 1 EnWG alle (vertraglichen und gesetzlichen) hiervon jeweils betroffenen Leistungspflichten des Netzbetreibers, allerdings nur für den Zeitraum der Anpassungsmaßnahme995 . § 16 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 16 Abs. 3 S. 1 EnWG enthält somit eine weitere Einschränkung des Pflichtenprogramms des Netzbetreibers aus dem Netznutzungs-, dem Netzanschluss- sowie dem Anschlussnutzungsvertrag/-verhältnis, so dass beim Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen für Anpassungsmaßnahmen nach § 16 Abs. 2 EnWG keine Pflichtverletzung durch den zuständigen Netzbetreiber und somit keine Haftung des Netzbetreibers für die entstandenen Schäden nach den §§ 280 ff. BGB bejaht werden können. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die zum Greifen der Notfallmaßnahmen des § 16 Abs. 2 EnWG führende Situation von dem Netzbetreiber selbst – schuldhaft – verursacht wurde996 . Vor diesem Hintergrund sowie im Hinblick auf die Rechtsnatur des Netzanschlussnutzungsverhältnisses (in Niederdruck) scheint es sinnvoll zu sein, nicht zwischen Störungen der Netznutzung und Störungen der Anschlussnut991

Vgl. LG Hagen (Westfalen) BeckRS 2012, 10455. LG Münster IR 2007, 184 (184 f.) mit Anm. Finke. 993 BGH NJW-RR 1999, 360; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 86. 994 Vgl. Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 91 f. 995 Zu Maßnahmen im Strombereich Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (186); de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (69). 996 de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (69). 992

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zung zu unterscheiden. Vielmehr spricht dafür der Umstand, dass die Ermittlung des konkreten Ortes der Störung wegen der technischen Komplexität und Verbundenheit der Netze, deren Bestandteile auch Anschlüsse der Erdgasabnehmer sind, kaum möglich ist997 . In der Literatur wird daher zu Recht vorgeschlagen, die Anspruchsgrundlage sowie die verletzte Pflicht bei netzbetriebsbezogenen Störungen nach dem Geschädigten (Netznutzer bzw. Anschlussnutzer) zu bestimmen998. c)

Vertretenmüssen

Die Begründung der vertraglichen Haftung des Netzbetreibers hängt schließlich davon ab, ob das nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutete Vertretenmüssen gegeben ist. Der in Anspruch genommene Netzbetreiber hat grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB), wobei fast ausschließlich von seinem fahrlässigen Verhalten ausgegangen werden kann. Es besteht insoweit kein Unterschied zum Erdgasvertriebsbereich. Gleichwohl ergeben sich einige Besonderheiten bei der Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die nach dem Urteil des besonnenen und gewissenhaften Netzbetreibers zu beachten ist. In der Praxis kann sich insbesondere die dogmatisch grundlegende Unterscheidung zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Verschulden bei der Verletzung von (verhaltensbezogenen) Nebenpflichten als schwierig erweisen999 . Die Bewertung der Pflichtwidrigkeit stellt allein auf ein objektives Fehlverhalten ab, ohne die Umstände der konkreten Situation und den Verkehrskreis individuell zu würdigen 1000 . Die Fahrlässigkeit des Netzbetreibers darf demnach mit einem Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen im Sinne von § 11 Abs. 1a EnWG bzw. gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik im Netzbetriebsbereich gemäß § 49 Abs. 1 EnWG nicht gleichgesetzt werden, auch wenn sich dieser Maßstab weitgehend mit demjenigen der verkehrserforderlichen Sorgfalt nach § 276 Abs. 2 BGB überschneidet1001 . Den persönlichen Verschuldensvorwurf des Netzbetreibers kann indes grundsätzlich nur durch die Darlegung eines schuldlosen Tatsachen- oder Rechtsirrtums ausgeschlossen werden1002 . Der Netzbetreiber kann beispielsweise im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung vorbringen, dass er bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt nicht er997

Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 21. Ebenda. 999 Staudinger/Löwisch, BGB § 276 Rn. 6; BeckOGK/Riehm, Stand: 01.09.2018, BGB § 280 Rn. 17; vgl. z. B. LG Karlsruhe IR 2013, 211 (211 ff.) mit Anm. Hartmann/Bartsch, welches die Pflichtwidrigkeit und das Verschulden nicht klar differenziert. 1000 Vgl. BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 280 Rn. 12. 1001 S. BeckOGK/Riehm, Stand: 01.09.2018, BGB § 280 Rn. 329. 1002 Ebenda. 998

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kennen konnte und nicht hätte wissen müssen, dass ein untererdiges Betriebsmittel Materialfehler hatte und schadhaft war1003 . Des Weiteren darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bei Vermögensschäden, die der Anschlussnutzer durch die Unterbrechung bzw. Unregelmäßigkeit der Anschlussnutzung erleidet, das Gesetz den dem Netzbetreiber auferlegten Sorgfaltsmaßstab selbst einschränkt. Nach § 18 Abs. 1 S. 2 NDAV ist die Haftung für solche Schäden auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begrenzt. Diese gesetzliche Einschränkung des Sorgfaltsmaßstabs gilt über den Verweis in § 5 GasNZV auch im Rahmen des Netznutzungsverhältnisses. Nach § 16 Abs. 1 S. 2 NDAV fehlt obendrein das Verschulden des Netzbetreibers bei Störungen in der Anschlussnutzung, soweit und solange sie durch höhere Gewalt oder sonstige Umstände, deren Beseitigung ihm im Sinne des § 18 Abs. 1 S. 2 EnWG aus wirtschaftlichen Gründen und trotz größter Sorgfalt nicht zugemutet werden kann, verursacht sind1004 . Da es sich hier um im deutschen Zivilrecht allgemein anerkannte Entschuldigungsgründe handelt, hat die Regelung des § 16 Abs. 1 S. 2 NDAV bloß deklaratorischen Charakter. Auch im Netzbetriebsbereich ist die Haftung für eigenes vertragswidriges Verhalten des Anspruchsgegners Ausgangspunkt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Netzbetreiber als juristische Person organisiert ist und ausschließlich durch seine Organe handeln kann1005 . Eigenes Handeln des Netzbetreibers ist somit im Handeln seiner Organen gemäß §§ 31, 89 BGB zu sehen1006 . Nach § 278 BGB hat er zudem das Verschulden seiner gesetzlichen Vertreter sowie das Verschulden von Erfüllungsgehilfen zu vertreten. Ob die handelnde Person die Eigenschaft des Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 BGB innehat und ihr Fehlverhalten dem Netzbetreiber zugerechnet werden kann, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ermitteln. Als Erfüllungsgehilfen des Netzbetreibers können dabei in erster Linie die (nichtleitenden) Angestellten des Netzbetreibers sowie die beispielsweise mit der Wartung/dem Ausbau des Netzes oder der Errichtung des Netzanschlusses beauftragten Fremdunternehmen und deren Mitarbeiter angesehen werden1007 . Ein anderer – oben eingeschalteter bzw. nachgelagerter – Netzbetrei1003 1004 1005

1006

1007

Vgl. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 39. LG Münster IR 2007, 184 (185); AG Ahaus ZNER 2007, 78 (79). Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 83 f.; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 18 Rn. 29; Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (102). MünchKomm/Grundmann, § 278 BGB Rn. 10; s. auch Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 83 f.; de Wyl/Eder/ Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 18 Rn. 29. BGH NJW 2004, 2161 (2162); OLG Bamberg RdE 2004, 200; LG Nürnberg-Fürth RdE 1991, 190 (192); LG Hannover RdE 1989, 289; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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ber ist jedoch nicht Erfüllungsgehilfe des nach dem jeweiligen Vertrag verpflichteten Netzbetreibers1008 . Jeder – vor- bzw. nachgelagerte – Netzbetreiber ist lediglich für seinen eigenen Netzbereich verantwortlich und kommt eigenen – netzbetriebsbezogenen – Verpflichtungen nach, er wird mithin nicht in die Erfüllung der Pflicht des betroffenen Netzbetreibers eingeschaltet1009 . Dies erschwert allerdings den Weg des geschädigten Erdgaskunden zur Geltendmachung des Schadensersatzes, wogegen der deutsche Rechtsverordnungsgeber mit § 18 Abs. 3 S. 5 NDAV zugunsten der Anschlussnutzer in Niederdruck, die zumeist Verbraucher sind, reagiert hat. § 18 Abs. 3 S. 5 NDAV wäre insofern ein weiteres Argument, dass die Verantwortung des betroffenen Netzbetreibers für das Verschulden des vorgelagerten Netzbetreibers gesetzgeberisch auch nicht gewollt gewesen ist. An dieser Stelle soll noch erwähnt werden, dass nach § 18 Abs. 1 NDAV das Verschulden (bei Vermögensschäden das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, bei Sachschäden Vorsatz oder Fahrlässigkeit) zu Lasten des Netzbetreibers widerleglich vermutet wird1010 . § 18 Abs. 1 NDAV umfasst anders als seine Vorgängervorschrift (§ 6 AVBGasV) keine widerlegliche Vermutung hinsichtlich der objektiven Pflichtverletzung1011 . Im Bereich der vertraglichen Haftung des Netzbetreibers hat daher diese Regelung keine eigenständige Bedeutung. Denn sein Verschulden wird bereits nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, der grundsätzlich für alle Schuldverhältnisse, auch in der Energiewirtschaft, gilt, vermutet1012 . 2.

Deliktische Haftung

Bei der Verletzung von Rechtsgütern außerhalb oder unabhängig von bestehenden – netzbetriebsbezogenen – Vertragsverhältnissen greift die Haftung wegen unerlaubter Handlung (Delikt). Die Einstandspflicht des Netzbetreibers für Personen- und Sachschäden infolge einer rechtswidrigen und schuldhaften

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Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 84 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 137 f.; Schneider/Theobald/Theobald/Zenke/Dessau, EnWR § 15 Rn. 67; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 63; Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (102); so bereits zur alten RechtslageTaupitz, BB 1982, 769 (772 f.). OLG Braunschweig BeckRS 2014, 11557; OLG Braunschweig BeckRS 2014, 11556; s. auch de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (70); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 62. OLG Braunschweig BeckRS 2014, 11557; OLG Braunschweig BeckRS 2014, 11556; s. auch de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (70); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 62. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (80). Vgl. OLG Braunschweig BeckRS 2014, 11556; Ehring, EnWZ 2017, 262 (264). LG Bielefeld BeckRS 2013, 09383.

204

Teil I Rechtslage in Deutschland

Netzstörung kann sich hierbei sowohl aus § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG als auch aus den §§ 823 ff. BGB ergeben. Nachfolgend werden die einschlägigen Anspruchsgrundlagen im Einzelnen dargestellt. a)

Haftung nach § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG

Bei Versorgungsstörungen könnte der Erdgaskunde den zuständigen Netzbetreiber zur Schadenshaftung nach der (deliktischen)1013 Sonderregelung des § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG heranziehen1014 . § 32 EnWG gewährt sämtlichen von einem objektiven Verstoß gegen das Regulierungsrecht im Bereich der Energiewirtschaft (dritt-)betroffenen Marktteilnehmern, auch Letztverbrauchern1015 , eigene zivilrechtliche Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz und verfolgt in erster Linie das Ziel, den Wettbewerb zu schützen und zu fördern 1016 . Für einen Schadensersatzanspruch aus § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG muss der Netzbetreiber als Schädiger nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift gegen eine seiner Verpflichtungen aus den Abschnitten 2 und 3 des Teils 3 des EnWG (§§ 17 bis 28a), einer darauf gestützten Rechtsverordnung (wie etwa NDAV, GasNZV, GasNEV) oder einer auf dieser Grundlage ergangenen Entscheidung der Regulierungsbehörde verstoßen haben (vgl. § 32 Abs. 1 S. 1 EnWG). Es handelt sich hierbei in erster Linie um die Netzanschlusspflicht nach §§ 17 und 18 EnWG sowie die Netzzugangspflicht nach §§ 20 ff. EnWG1017 . Sollte der verpflichtete Netzbetreiber die Errichtung des Anschlusses verzögern, die Anschluss- oder Netznutzung unterbrechen bzw. die Netznutzung zu diskriminierenden Bedingungen oder Entgelten ermöglichen, ist eine anspruchsbegründende Handlung im Sinne von § 32 Abs. 1 EnWG anzunehmen1018 . Die Versorgungsstörungen infolge der Verletzung seiner in den §§ 11 bis 16a EnWG aufgelisteten Pflichten zur Gewährleistung eines sicheren und zuverlässigen Netzes sind dagegen durch den Tatbestand des § 32 Abs. 1 EnWG nicht erfasst1019 , scheinen aber in der Paxis der Regelfall zu sein1020 . Bei einem Fehlverhalten des Netz1013

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1017 1018 1019 1020

Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 1 sowie 11. Vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 63; Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (21); Thole, RdE 2013, 53 (53 ff.); Risse/Haller/Schilling, NVwZ 2012, 592 (593 f.). BT-Drs. 15/3917, S. 63; s. auch Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 13. Säcker, AöR 130 (2005), 180 (183); Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, S. 632. Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (21). Vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 00234; LG Hannover IR 2012, 158 (158 f.). BerlKommEnR I 1/Weyer, EnWG § 32 Rn. 6. Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (21).

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

205

betreibers hinsichtlich Netzausbau und Systemverantwortung stehen mithin seinem Kunden nur Schadensersatzansprüche nach den Regelungen des allgemeinen Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) zu. Schadensersatzansprüche auf der Grundlage von § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG folgen dem allgemeinem Grundsatz, nach welchem der Anspruchsteller sämtliche anspruchsbegründenden Voraussetzungen zu beweisen hat, anders als im Rahmen der vertraglichen Haftung nach §§ 280 ff. BGB1021 . Der Verschuldensmaßstab richtet sich allerdings dabei wie der der vertraglichen Haftung nach § 276 BGB, so dass der Netzbetreiber die Normverletzung im Sinne von § 32 Abs. 1 EnWG vorsätzlich oder fahrlässig begangen haben muss1022 . Der Netzbetreiber handelt jedenfalls nicht schuldhaft, wenn allgemeine (Zufall und höhere Gewalt) oder besondere (vgl. §§ 17, 24 NDAV) Haftungsausschlussgründe vorliegen. Fahrlässigkeit kann gleichwohl nicht ausgeschlossen werden, wenn der Netzbetreiber seine Kunden über die bevorstehende und vorhersehbare Verzögerungen bzw. Unterbrechungen des Netzanschlusses bzw. der Netznutzung nicht rechtzeitig benachrichtigt oder eine Fehleinschätzung hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit trifft1023 . Bei der Bestimmung des vom Netzbetreiber einzuhaltenden Sorgfaltsmaßstabes im Rahmen der Haftung nach § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG sind zudem die Vorschriften des TransmissionsCode, des DistributionCode, des MeteringCode sowie entsprechende Regelwerke des DVGW in ihrer gültigen Fassung zu berücksichtigen (vgl. §§ 19 Abs. 3 i. V. m. 49 Abs. 2 bis 4 EnWG), zumindest soweit es um die Planung, den Bau und den Betrieb von Netzanschlüssen geht1024 . Von besonderer Bedeutung sind ferner die sondergesetzliche Einschränkung des haftungsbegründenden Verschuldensmaßstabes gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 und 2 NDAV sowie die Verschuldensvermutungen gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 NDAV, die bei der Beurteilung des Schadensersatzanspuches des geschädigten Netz(anschluss)kunden in Niederdruck sowie – über den Verweis in § 5 GasNZV – in anderen Netzebenen auf der Grundlage von § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG nicht übersehen werden dürfen1025 . Schließlich ist

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1023 1024

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Vgl. Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 15. Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 17. Vgl. Hinsch, ZNER 2009, 333 (339). BT-Drs. 15/3917, S. 58; Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 19 Rn. 4 f. Schiller, Staatliche Gewährleistungsverantwortung und die Sicherstellung von Anschluss und Versorgung im Bereich der Energiewirtschaft, S. 233.

206

Teil I Rechtslage in Deutschland

darauf hinzuweisen, dass der Netzbetreiber nach § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG nur für eigenes schuldhaftes und zurechenbares Verhalten haftet1026 . Wenn die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG, einschließlich der (haftungsausfüllenden) adäquaten Kausalität zwischen dem Schaden und dem Normverstoß, erfüllt sind, kann der geschädigte Erdgaskunde gemäß §§ 249 ff. BGB den Ersatz grundsätzlich aller ihm aufgrund der Pflichtverletzung entstandenen Schäden, verlangen. Die spezielle Haftungsnorm des § 32 EnWG enthält keine Beschränkung auf eine bestimmte Schadensart und erlaubt sowohl den Ersatz von Personen- und Sachschäden als auch – im Gegensatz zu § 823 Abs. 1 BGB – den Ersatz von (reinen) Vermögensschäden. Im Wege der Auslegung des § 32 EnWG ergibt sich nichts anderes. Ersetzt verlangt werden kann also auch entgangener Gewinn1027 . Um die prozessuale Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs gemäß § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG für den Anspruchsteller zu erleichtern, sieht § 32 Abs. 4 EnWG die Bindung des Zivilgerichts an regulierungsbehördliche Entscheidungen gemäß §§ 30 Abs. 2, 31, 33, 65 oder 95 EnWG vor1028 . Die Bindungswirkung des § 32 Abs. 4 EnWG gilt jedoch nur im Hinblick auf den Verstoß gegen die in § 32 Abs. 1 EnWG genannten Vorschriften1029 . b)

Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Gesetzliche Schadensersatzansprüche bei netzbetriebsbezogenen Versorgungsstörungen werden allerdings zumeist auf die Haftungsgrundnorm des allgemeinen Deliktsrechts, § 823 Abs. 1 BGB, gestützt (werden müssen). Denn die absolut geschützten Rechtsgüter im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB werden im Regelfall durch die auf das Unterlassen der Verpflichtungen des Netzbetreibers nach §§ 11 ff. EnWG zurückgeführte Versorgungsstörung verletzt1030 , so dass die Haftung nach § 32 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 EnWG von Anfang an ausscheiden wird. Sollte die Anwendbarkeit des § 32 EnWG bejaht werden, sind die energiewirtschaftsgesetzliche Haftungsnorm und die §§ 823 ff. BGB nebeneinander anzuwenden1031 . § 32 EnWG sperrt die Haftung 1026

1027 1028 1029 1030

1031

Dazu näher Thole, RdE 2013, 53 (56); s. auch Risse/Haller/Schilling, NVwZ 2012, 592 (597). BerlKommEnR I 1/Weyer, EnWG § 32 Rn. 17. BerlKommEnR I 1/Weyer, EnWG § 32 Rn. 21. BT-Drs. 15/3917, S. 64. Vgl. OLG Hamm IR 2013, 179 (179 f.) mit Anm. Hartmann/Bartsch; LG Karlsruhe IR 2013, 211 (212); LG Hagen BeckRS 2010, 16390; AG Plettenberg IR 2010, 42; AG Ahaus ZNER 2007, 78 (79); Thole, RdE 2013, 53 (57); Peters, Rechtsschutz Dritter im Rahmen des EnWG, S. 227; Geber, Die Netzanbindung von Offshore-Anlagen im europäischen Supergrid, S. 268;

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

207

wegen unerlaubter Handlung nach §§ 823 ff. BGB nicht, sondern ergänzt sie lediglich. Auch die Voraussetzungen einer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB liegen regelmäßig vor und lassen sich recht problemlos begründen. Zur Schadensersatzpflicht des Netzbetreibers werden normalerweise Personen- sowie Eigentumsverletzungen führen. Im Grundsatz gilt hierbei nichts anderes als für die deliktische Haftung des Erdgaslieferanten1032 . Über das Rechtsgut des Eigentums sind mithin bei netzbetriebsbezogenen Versorgungsstörungen nicht nur Sachbeschädigungen bzw. -zerstörungen, sondern auch Schäden an den in der Bearbeitung befindlichen Produkten sowie an den erdgasabhängigen Betriebsanlagen bzw. -maschinen infolge einer Störung ihrer (Nutzungs-)Funktion erfasst. Im Rahmen der deliktischen Haftung des Netzbetreibers kann gegebenenfalls auch die Beeinträchtigung des Rechts am Unternehmen als Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung beachtliche Verletzung eines sonstigen Rechts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen1033 . Es ist nicht erkennbar, warum hierbei die Überlegungen zum deliktischen Rechtsgüterschutz des § 823 Abs. 1 BGB im Bereich der Erdgaslieferung nicht greifen sollten1034 . Bei der deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB für Schäden im Zusammenhang mit netzbetriebsbezogenen Versorgungsstörungen wird die Verletzung von geschützten Rechtspositionen grundsätzlich durch ein (pflichtwidriges) Unterlassen der Gefahrabwendung verursacht1035 . Demnach wird hier – ebenso wie auf der Erdgasvertriebsstufe – auf die Verletzung einer Verkehrs(sicherungs)pflicht abgestellt1036 . Man darf dabei allerdings nicht verkennen, dass auf Verkehrspflichten mittelbare Rechtsgutsverletzungen zurückzu-

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wohl auch Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (21); Wiederholt/Bode/Reuter, NVwZ 2012, 1207 (1208); Risse/Haller/Schilling, NVwZ 2012, 592 (597). S. Teil I § 4 A I 2 a) aa), S. 163 ff. S. dazu Schwintowski, EWeRK 2012, 131 (132 f.), der allerdings auf die subsidiäre Natur des Rechts am Unternehmen hinweist; s. auch Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 26. Teil I § 4 A I 2 a) aa), S. 163 ff.; Schwintowski, EWeRK 2012, 131 (132 f.); vgl. aber Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 95; Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (22); Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 96. Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 95 f.; Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (22 f.); Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 97 ff.; wohl auch de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (69); Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014152 (153); zur alten Rechtslage s. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 125 ff.; wohl auch Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 58. Erman/Schiemann, BGB § 823 Rn. 77; Palandt/Sprau, BGB § 823 Rn. 45; AnwK-BGB/ Katzenmeier, § 823 Rn. 125.

208

Teil I Rechtslage in Deutschland

führen sind1037 . Welche Verkehrspflichten zur Abwehr der durch den Betrieb einer Erdgasversorgungsleitung geschaffenen und beibehaltenen Gefahr erforderlich und dem Verkehrspflichtigen – dem Netzbetreiber – zumutbar sind sowie welchen deliktischen Sorgfaltsmaßstab der Netzbetreiber einzuhalten hat, ergibt sich weitgehend aus dem EnWG. In Betracht kommen in erster Linie die §§ 11 ff. EnWG, die den Netzbetreiber zum Betrieb eines sicheren und zuverlässigen Netzes verpflichten, sowie § 49 EnWG, wonach der Netzbetreiber die technische Sicherheit gewährleisten muss1038 . Diese Pflichten und damit auch der vom Verkehrspflichtigen einzuhaltende deliktische Sorgfaltsmaßstab werden hierbei durch technische (DVGW-)Regelwerke konkretisiert, deren Einhaltung die Vermutung der §§ 11a, 49 Abs. 2 EnWG greifen und einen Sorgfaltspflichtverstoß entfallen lässt1039 . Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Regelungen der §§ 11 ff., 49 EnWG (sowie die der NDAV und der GasNZV)1040 auch bei der Prüfung der Frage der Rechtswidrigkeit der Handlung des jeweiligen Netzbetreibers Relevanz erlangen. Denn sie bestimmen neben dem Umfang und Inhalt von Verkehrspflichten des Netzbetreibers die zulässigen Grenzen für sein Verhalten und verpflichten den betroffenen Erdgaskunden zur Duldung seines Eingriffs in den gesetzlich jeweils genannten Fällen. So kann z. B. keine Tatbestandsmäßigkeit angenommen werden, soweit der Netzbetreiber im Rahmen des § 16 Abs. 2 EnWG oder gegebenenfalls i. V. m. § 16a Abs. 1 EnWG handelt1041 . Der Netzbetreiber kann sich jedoch selbst dann nicht vollständig von den ihm obliegenden Verkehrspflichten befreien, wenn es sich um einen Fall der zulässigen Unterbrechung bzw. Unregelmäßigkeit im Netz(anschluss) handelt oder der zum Schaden führende Umstand nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt. Er könnte immer noch seine Verkehrspflichten in Form von Informations-, Benachrichtigungs- bzw. Hinweispflichten verletzt haben 1042 . Auch 1037 1038 1039

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Ebenda. Näher dazu Teil I § 3 C III, S. 136 ff. Vgl. LG Essen NJW 2007, 3787 (3789); Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (153); s. auch de Wyl/Wagner/Bartsch, VW 2015, 204 (206 f.). So auch Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 97; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 102. Vgl. BGH NJW 1971, 2267 (2268); de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (69 f.), die außerdem zutreffend auf die Probleme im Zusammenhang mit dem Fehlen konkreter rechtlicher Maßstäbe für die Durchführung der Anpassungsmaßnahmen nach §§ 16, 16a EnWG hinweisen. Vgl. BGH NJW 1971, 2267 (2268); OLG Hamm IR 2013, 179 (179 f.) mit Anm. Hartmann/Bartsch; LG Hagen BeckRS 2012, 10455; LG Karlsruhe IR 2013, 211 (212); LG Stuttgart RdE 1996, 244 (245); LG Kassel RdE 1991, 69; AG Plettenberg IR 2010, 42; AG Luckenwalde RdE 2002, 110 (111); Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 96.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

209

wenn der Netzbetreiber einen Dritten (z. B. Tiefbauunternehmen) mit Wartungs- oder Reparaturarbeiten beauftragt, bleibt er weiterhin Adressat von Verkehrspflichten. In diesem Fall treffen ihn allerdings nur Überwachungs-, Kontroll- und Hinweispflichten als Ausprägung der allgemeinen Organisationspflicht des Geschäftsherrn1043 . Anzumerken ist an dieser Stelle, dass sich die Anforderungen an diese Pflichten von der Kompetenz des von ihm Beauftragten im Einzelfall bestimmen 1044 . Beim Bestehen besonderer Anhaltspunkte bleibt aber der Netzbetreiber zum Eingreifen verpflichtet. Unter Berücksichtigung der jungeren Rechtsprechung zur Haftung des Netzbetreibers nach dem ProdHaftG ist darüber hinaus festzustellen, dass der Netzbetreiber zahlreiche Verkehrspflichten des Endprodukt-Herstellers (Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- sowie Beobachtungspflichten) während der Produktverarbeitung zu erfüllen hat1045 . Für die deliktische Einstandspflicht des Netzbetreibers muss stets ein Verschulden bejaht werden. Die Nichtbeachtung der äußeren Sorgfalt wird sich – wie im Rahmen der deliktischen Haftung des Erdgaslieferanten – aus der objektiven Verletzung einer Verkehrspflicht ergeben1046 . Die Verletzung einer Verkehrspflicht durch den Netzbetreiber liegt also bereits dann vor, wenn gegen eine technische Regel verstoßen wurde, wobei die Vermutungsregeln der §§ 11a, 49 Abs. 2 EnWG zu beachten sind. Die Nichtbeachtung der inneren Sorgfalt wird dabei indiziert oder ist – zumindest – durch die Anwendung der Rechtsfigur des zugunsten des Geschädigten geltenden Anscheinsbeweises – anzunehmen1047 . Bei der Prüfung des die deliktische Haftung des Netzbetreibers nach § 823 Abs. 1 BGB begründenden Verschuldens sind außerdem die Einschränkungen des § 18 Abs. 1 S. 1 und 2 NDAV sowie die Vermutungen des § 18 Abs. 1 S. 1 NDAV anzuwenden, es sei denn, der Geschädigte ist der Anschlussnehmer bzw. -nutzer in höheren Druckstufen1048 . Hier gilt im Grundsatz nichts anderes wie für die Haftung des Netzbetreibers nach §§ 280 ff. BGB.

1043 1044 1045

1046 1047 1048

Palandt/Sprau, BGB § 823 Rn. 52, 55; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 148. Palandt/Sprau, BGB § 823 Rn. 52. Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 97 ff.; s. auch Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 125 ff. Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 337. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 391 f. Vgl. BNetzA, Veröffentlichung zur Haftungsregelung in Netzanschluss- und Anschlussnutzungsverträgen oberhalb der Niederspannung, Az.: BK6p-07-013; Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (154).

210

c)

Teil I Rechtslage in Deutschland

Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB

Der Netzbetreiber kann weiterhin dem Netzkunden nach § 823 Abs. 2 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein. Dafür muss er infolge der netzbetriebsbezogenen Störung der Erdgasversorgung gegen eine den Schutz eines anderen bezweckende Regelung verstoßen haben. Im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung kommt den energiewirtschaftlichen Rechtsnormen an dieser Stelle besondere Bedeutung zu. Entscheidend ist dabei, dass die in Betracht kommenden – energiewirtschaftlichen – Regelungen Schutzgesetzqualität im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB besitzen. Zu denken ist hierbei zunächst an die Vorschriften der Abschnitte 2 und 3 des EnWG, §§ 17 bis 28a 1049 . Die Schutzgesetzeigenschaft der §§ 17 ff. EnWG geht bereits aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 S. 3 EnWG hervor, so dass im Einzelfall nur noch die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs geprüft werden muss1050 . Zweck der genannten Gesetze ist es, die diskriminierungsfreie Netznutzung durch alle Netzkunden generell zu gewährleisten1051 . Um einen Verstoß des in Anspruch Genommenen gegen eine der Vorschriften der Abschnitte 2 sowie 3 des EnWG bejahen zu können, muss er sich nicht gezielt gegen den konkret Betroffenen richten (vgl. § 32 Abs. 1 S. 3 EnWG). Für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB genügt indes jeder Verstoß gegen §§ 17 ff. EnWG1052 . Darüber hinaus können §§ 11 ff. und 49 EnWG als Schutzgesetze angesehen werden 1053 . Damit diesen Rechtsnormen Schutzgesetzqualität zugesprochen werden kann, müssen sie allerdings zumindest neben dem Schutz der Allgemeinheit auch Individualschutz verfolgen. In den §§ 11 ff. sowie 49 EnWG steht die Gewährleistung eines sicheren und zuverlässigen Netzbetriebs bzw. der (technischen) Energieversorgungssicherheit im Vordergrund. Normzweck ist mithin in erster Linie der Schutz der Allgemeinheit vor den aus den netztechnisch bedingten Versorgungsstörungen resultierenden Gefahren1054 . § 11 Abs. 1 EnWG könnte aber auch einem gezielten Individualschutz

1049

1050 1051 1052 1053 1054

AG Düsseldorf Grundeigentum 2011, 343 (344); Salje, EnWG § 32 Rn. 20; Peters, Rechtsschutz Dritter im Rahmen des EnWG, S. 228; wohl auch Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 103; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 98; Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 26. BT-Drs. 15/3917, S. 63; Salje, EnWG (2006), § 32 Rn. 20 S. 753. Salje, EnWG § 32 Rn. 23. Ebenda. Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (24). S. Theobald, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 11 Rn. 40; Hartmann/Weise, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 13 Rn. 54; Salje, EnWG § 49 Rn. 26; de

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

211

dienen. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass ein Individualschutzzweck des § 11 Abs. 1 EnWG im diskriminierungsfreien Betrieb der Energieversorgungsnetze liege1055 . Die an der Energieversorgung Beteiligten dürfen demnach nicht durch unberechtigte Abschaltungen diskriminiert werden und dadurch (Vermögens-)Schäden erleiden1056 . Die einschlägige Rechtsnorm mag sich somit zum Vorteil bestimmter Personengruppen (beispielsweise Betreiber der EE-Anlagen) auswirken, was für ihre Einordnung als Schutzgesetz spricht. § 49 EnWG enthält hingegen lediglich die Verkehrspflichten im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, die die Gefahrvermeidung und die Gefahrabwendung zum Zweck haben und dem § 823 Abs. 2 BGB nicht zuzuordnen sind. Als für den Erdgassektor relevantes Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB wird weiterhin § 53a EnWG anerkannt1057 . Die Vorschrift bezweckt ausdrücklich den Schutz eines anderen, nämlich des einzelnen Haushaltskunden gemäß § 3 Nr. 22 EnWG, und hat daher – zweifellos – individualschützenden Charakter. Der Schutzbereich dieses Schutzgesetzes bezieht sich nach § 53a S. 1 EnWG auf die Unterbrechung der Erdgasversorgung unter Missachtung der Schutzbedürftigkeit von schutzwürdigen Kunden. Die Schutzgesetzqualität des § 53a EnWG lässt sich also problemlos ermitteln. Fraglich ist jedoch, ob der Netzbetreiber nach § 53a EnWG passivlegitimiert werden kann. Denn nach dem Wortlaut der Norm ist das die Haushaltskunden beliefernde Gasversorgungsunternehmen zur sicheren Gasversorgung verpflichtet, was auf den Lieferanten als alleinigen Adressaten hindeutet. Gleichwohl umfasst der Begriff des Energieversorgungsunternehmens gemäß § 3 Nr. 18 EnWG sowohl Lieferanten als auch Netzbetreiber. Für ein weites Verständnis des § 53a EnWG spricht zudem die systematische, teleologische sowie grammatische Auslegung1058 . Beim Verstoß gegen die Pflichten aus § 53a EnWG kann also der betroffene Haushaltskunde vom zuständigen Netzbetreiber den Schadensersatz gestützt auf § 823 Abs. 2 BGB verlangen. Der geschädigte Erdgaskunde kann indes den jeweiligen Netzbetreiber aufgrund des § 823 Abs. 2 BGB nur dann in Anspruch nehmen, wenn, ebenfalls wie bei § 823 Abs. 1 BGB, Rechtswidrigkeit und Verschulden in Bezug

1055 1056 1057

1058

Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (71); vgl. auch Britz/Hellermann/Hermes/Bourwieg, EnWG § 11 Rn. 12. Schwintowski, EWeRK 2012, 131 (133). Ebenda. Däuper, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 53a Rn. 20; BerlKommEnR I 1/ Hohaus, EnWG § 53a Rn. 20; Thole/Dietzel, EnWZ 2013, 543 (546). Näher dazu Däuper, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 53a Rn. 11 ff.; Thole/ Dietzel, EnWZ 2013, 543.

212

Teil I Rechtslage in Deutschland

auf den Verstoß gegen das Schutzgesetz vorliegen1059 . Die Rechtswidrigkeit wird bereits durch die Verletzung des Schutzgesetzes indiziert. Bei der Ermittlung des Verschuldens wird gemeinhin die Verschuldensform des Schutzgesetzes herangezogen1060 . Entsprechend den Umständen des Einzelfalls sind hierbei die Verschuldensanforderungen des § 18 NDAV i. V. m. § 5 GasNZV anzuwenden. Dafür muss der Anwendungsbereich der NDAV bzw. der GasNZV eröffnet werden. Im Hinblick auf den Verschuldensmaßstab gibt es allerdings keine Besonderheiten. Es gilt also der im Zivilrecht herrschende objektive Fahrlässigkeitsmaßstab nach § 276 Abs. 2 BGB, bei dessen Konkretisierung aber wiederum die energiewirtschaftlichen Grundsätze zu berücksichtigen sind. d)

Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB

Im Rahmen der verschuldensabhängigen Haftung kann schließlich ein Schadensersatzanspruch gegen den Netzbetreiber nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB entstehen. Dafür müssen die Voraussetzungen des § 831 BGB vorliegen. Es geht hierbei in erster Linie darum herauszufinden, welche vom Netzbetreiber mit netzbetriebsbezogenen Aufgaben beauftragten Personen als seine Verrichtungsgehilfen gelten. Unstreitig haftet der Netzbetreiber für den Schaden, den seine Mitarbeiter sowie von ihm eingeschaltete und von seinen Weisungen abhängige Fremdunternehmen (z. B. Handwerker) in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügen1061 . Seine Haftung aus § 831 Abs. 1 BGB entfällt aber, wenn die eingeschalteten Personen ihre Leistungen selbstständig und weisungsunabhängig, aufgrund eigener Sachkunde und Erfahrung, erbringen und somit nicht als Verrichtungsgehilfen des Netzbetreibers im Sinne des § 823 Abs. 1 S. 1 BGB angesehen werden können1062 . Vor diesem Hintergrund hat der zuständige Netzbetreiber für einen von einem Tiefbauunternehmen 1063 bzw. von einem vorgelagerten Netzbetreiber 1064 1059

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1062 1063

1064

Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 152 f.; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 531 f.; Palandt/Sprau, BGB § 823 Rn. 60 f. Schulze/Staudinger, BGB § 823 Rn. 153; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 823 Rn. 534; Palandt/Sprau, BGB § 823 Rn. 61. Vgl. AG Ahaus BeckRS 2006, 15212; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 63; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 104; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 99. Palandt/Sprau, BGB § 831 Rn. 5. Vgl. OLG Frankfurt BeckRS 1994, 07617; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber bei Störungen der Anschlussnutzung, S. 99. Vgl. BGH NJW 2014, 2183; OLG Braunschweig BeckRS 2014, 11556; Oechsler, NJW 2014, 2080 (2081); Kluge, InTeR 2015, 67 (68); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 62.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

213

rechtswidrig verursachten Schaden nicht einzustehen. Die genannten Hilfspersonen handeln gemeinhin eigenverantwortlich und sind daher im Schadensfall stets direkt in Anspruch zu nehmen. Fraglich ist allerdings, ob vielleicht der nachgelagerte Netzbetreiber als Verrichtungsgehilfe des Fernleitungsnetzbetreibers gemäß § 831 Abs. 1 BGB angesehen werden kann. Im Schrifttum wird dies anknüpfend an die Delegation der Durchführung von Anpassungsmaßnahmen nach den Vorgaben des vorgelagerten Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetzbetreibers im Rahmen seiner Systemverantwortung an den nachgelagerten Verteilernetzbetreiber gemäß § 13 Abs. 2 S. 1 EnWG (für den Strombereich) sowie § 16 Abs. 2 S. 1 EnWG (für den Gasbereich) bejaht 1065 . Allein die Tatsache, dass sich der nachgelagerte Verteilernetzbetreiber vorbehält, dem die Maßnahmen tatsächlich durchführenden Netzbetreiber Weisungen zu erteilen, spricht noch nicht für die Verrichtungsgehilfeneigenschaft des Letzten1066 . Der aufgeforderte Verteilernetzbetreiber erfüllt dabei eigene Pflichten zur Sicherstellung der Netzstabilität nach §§ 11 ff. EnWG. Der Verantwortungsbereich des Verteilernetzbetreibers umfasst sowohl die Gewährleistung der Sicherheit in seinem eigenen Verteilernetz als auch die Mitwirkung an Notfallmaßnahmen des vorgelagerten (Verteiler- bzw. Fernleitungs-)Netzbetreibers1067 , was allerdings nicht ausdrücklich in § 16a EnWG geregelt wird (vgl. dazu § 14 Abs. 1c EnWG für den Stromsektor), sondern erst durch die systematische Auslegung der Norm zu ermitteln ist1068 . Liegen die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB vor, hat der Netzbetreiber allerdings noch die Möglichlichkeit, sich von der deliktischen Haftung durch die Widerlegung der Verschuldensvermutung oder der Ursächlichkeitsvermutung zu befreien (§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB). Der in Anspruch Genommene muss danach nachweisen, dass er seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Auswahl, Instruktion und Überwachung der bestellen Person nachgekommen ist oder dass der Schaden auch bei der Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entstanden wäre. Im Hinblick auf die Anforderungen und das Maß an Auswahl, Instruktion und Überwachung des Verrichtungsgehilfen im Bereich des Netzbetriebs wird es auf die Umstände des Einzellfalls, insbesondere auf die bekannten und erkannten Gefahrenpotenziale im Netz sowie den Schwierigkeitsgrad der übernommenen Aufgabe, ankommen. Zu beachten sind dabei vielmehr die Verschuldensver1065

1066 1067 1068

Im Hinblick auf den Strombereich s. Hartmann/Weise, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 13 Rn. 79. Vgl. BGH VersR 1953, 358 (359). Vgl. Weise/Hartmann/Wöldeke, RdE 2012, 181 (182 f.). BerlKommEnR I 1/Barbknecht, EnWG § 16a Rn. 3 und 7.

214

Teil I Rechtslage in Deutschland

mutungen und -beschränkungen sowie die Exkulpationsregelungen des EnWG. II.

Verschuldensunabhängige Haftung

Im Rahmen der Gefährdungshaftung kann den Netzbetreiber eine Schadensersatzpflicht im Zusammenhang mit Unterbrechungen bzw. Unregelmäßigkeiten im Netz bzw. im Netzanschluss nach § 1 ProdHaftG, § 2 HaftPflG sowie nach § 1 UmweltHaftG treffen. 1.

Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz

Wie bereits oben erwähnt wurde, hat der BGH mit seinem Urteil vom 25. Februar 20141069 der produkthaftungsrechtlichen Verantwortung in der Energiebranche Bedeutung verliehen und den Netzbetreiber praktisch zum Haupthaftungsadressaten des ProdHaftG gemacht1070 . Es wurde höchstrichterlich entschieden, dass der Verteilernetzbetreiber verschuldensunabhängig für Überspannungsschäden an Elektrogeräten von Privatpersonen gemäß § 1 Abs. 1 ProdHaftG haftet. Die Entscheidung bezieht sich zwar ausschließlich auf den Strombereich, die Ausführungen zu den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen können jedoch – wegen der bestehenden Parallelen in der technischen sowie rechtlichen Organisation der Elektrizitäts- und Erdgasbranche – auch bei der Prüfung der Produkthaftung des an der Versorgung mit Erdgas beteiligten Netzbetreibers – angewendet werden. Dieses BGH-Urteil wird in der Literatur teilweise als Einzelfallentscheidung, die keine sog. präjudizierende Wirkung besitzt, angesehen1071 . Gleichwohl darf man die Folgewirkung der erwähnten Entscheidung auf die Haftungslandschaft für Betreiber von Versorgungsleitungen nicht unterschätzen1072 , auch wenn die Entscheidungsgründe des BGH nicht ohne Weiteres auf andere Sachverhalte übertragen werden können1073 . Auf dem Gebiet des Netzbetriebs ist vor diesem Hintergrund zumindest eine Neubewertung der Haftungsrisiken notwendig1074 . Nach § 1 Abs. 1 ProdHaftG haftet der Hersteller im Sinne des § 4 ProdHaftG für Schäden, die durch den Fehler eines Produktes verursacht worden sind. Vorausgesetzt wird also haftungsbegründende Kausalität zwi1069 1070 1071 1072

1073

1074

BGH NJW 2014, 2106 (2106 ff.). So auch BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 288. Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281. Kluge, InTeR 2015, 67 (68 f.); Scholtka/Pietrowicz, Phi 2014, 108; Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (155); Modest, EWeRK 2014, 237 (239). Blumenthal-Barby/Eisenschmidt, IR 2014, 109; vgl. z. B. die Anwendung des durch den BGH ausgelegten Begriffs des Inverkehrbringens in verschiedenen Fallkonstellationen de Wyl/Rieke, IR 2015, 5. So bereits Zabel, BB 2014, 1300; Modest, EWeRK 2014, 237 (239).

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

215

schen Produktfehler und Rechtsgutsverletzung 1075 . Zu beachten ist dabei, dass der Schutzbereich dieser Norm sich nur auf die Verletzung absoluter in Abs. 1 S. 1 enumerativ und abschließend aufgelisteter Rechtsgüter erstreckt1076 . Bei Sachbeschädigungen darf man zudem die Einschränkung des § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG nicht außer Acht lassen. Danach kann der Hersteller nur dann zum Schadensersatz verpflichtet werden, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist. Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass der Netzbetreiber nach § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG nicht für die Beschädigung beruflich, gewerblich oder landwirtschaftlich genutzter Sachen seiner Kunden einzustehen hat 1077 . Als anspruchsberechtigt wird daher grundsätzlich nur der Haushaltskunde angesehen. Im Folgenden wird auf die Voraussetzungen der Haftung nach dem ProdHaftG im Einzelnen und unter Berücksichtungen der Besonderheiten der Erdgasversorgung eingegangen. a)

Erdgas als Produkt

Für einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG muss zunächst ein Produkt nach § 2 Abs. 1 ProdHaftG vorliegen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung handelt es sich hierbei um das durchzuleitende Erdgas. Nach wie vor ruft seine Einstufung als Produkt im Sinne von § 2 Abs. 1 ProdHaftG – im Gegensatz zur Elektrizität, deren Einordnung als Produkt im Schrifttum lebhaft diskutiert wurde – keine Zweifel hervor1078 . Das gelieferte Erdgas besitzt anknüpfend an seine Beherrschbarkeit die Sachqualität nach § 90 BGB, d. h. stellt einen körperlichen Gegenstand dar und ist beweglich. Dies gilt zumindest, solange es sich in Versorgungsleitungen befindet und seine räumliche Abgrenzbarkeit gegeben ist1079 . 1075

1076

1077 1078

1079

BeckOGK/Seibl, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 1 Rn. 25; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 1 Rn. 1. BeckOGK/Seibl, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 1 Rn. 26; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 1 Rn. 2; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 1 Rn. 5; Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 45 Rn. 12 ff. Oechsler, NJW 2014, 2080. BT-Drs. 11/2447, S. 16; Klein, BB 1991, 917 (918); Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (154 f.); Blumenthal-Barby/Eisenschmidt, IR 2014, 109 (110); Modest, EWeRK 2014, 237 (239); Kluge, InTeR 2015, 67 (68 f.); Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 90; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3603 S. 3; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 2 Rn. 48; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 2 Rn. 3; BeckOGK/Rebin, Stand: 01.05.2018, ProdHaftG § 2 Rn. 24. MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 2 Rn. 3.

216

b)

Teil I Rechtslage in Deutschland

Die Fehlerhaftigkeit des Erdgases

Eine weitere – zentrale1080 und zugleich vielfältig diskutierte – Voraussetzung für eine sondergesetzliche Produkthaftung des Netzbetreibers ist das Vorliegen eines Produktfehlers. Das gelieferte Produkt „Erdgas“ muss fehlerhaft im Sinne des § 3 ProdHaftG sein. Nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG ist dies der Fall, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Der produkthaftungsrechtliche Fehlerbegriff deckt sich dabei weitgehend mit dem für § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Fehlerkonzept, indem auch im Rahmen der Haftung nach dem ProdHaftG auf den objektiven Maßstab für die Sicherheitserwartungen des ordentlichen Produktbenutzers abgestellt wird1081 . In Konstellationen im Erdgassektor ist mithin die Fehlerhaftigkeit des Erdgases im Sinne von § 3 ProdHaftG immer dann anzunehmen, wenn der Sicherheitsstandard des gelieferten Energieträgers nicht den unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit von Sicherheitsmaßnahmen für den Hersteller – hier den Netzbetreiber – zu ermittelnden Sicherheitserwartungen 1082 des durchschnittlichen Haushaltskunden entspricht. aa)

Bestimmung der berechtigten Sicherheitserwartungen in der Erdgasversorgung

Die berechtigten Sicherheitserwartungen des in Niederdruck an das Versorgungsnetz angeschlossenen Kunden an das Produkt „Erdgas“ sind maßgebend nach den jeweils einschägigen energiewirtschaftsrechtlichen Regelungen, insbesondere nach § 16 Abs. 2 NDAV zu beurteilen1083 . Gemäß § 16 Abs. 2 NDAV hat der Netzbetreiber Brennwert und Druck möglichst gleichbleibend zu halten (S. 1), so dass allgemein übliche Gasgeräte einwandfrei betrieben werden können (S. 2). Der aktuellen BGH-Rechtsprechung folgend weisen Schäden an allgemein üblichen Verbrauchsgeräten infolge einer Versorgungsunregelmäßigkeit auf einen Verstoß gegen die berechtigten Sicherheitserwartungen des Kunden und mithin auf den Produktfehler hin, wobei es keine Rolle spielt, ob die redundante Auslegung des Versorgungsnetzes des 1080 1081

1082

1083

BeckOGK/Goehl, Stand: 01.09.2018, ProdHaftG § 3 Rn. 1. BT-Drs. 11/2447, S. 17 f.; BGH NJW 2009, 2952 (2953); BGH NJW 2009, 1669 (1670); BGH NJW 2014, 2106 (2107); Graf von Westphalen, NJW 1990, 83 (87); MünchKomm/ Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 3; BeckOGK/Goehl, Stand: 01.09.2018, ProdHaftG § 3 Rn. 11. Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 3 Rn. 87a; BeckOGK/Goehl, Stand: 01.09.2018, ProdHaftG § 3 Rn. 31. Vgl. BGH NJW 2014, 2106 (2107); Klein, BB 1991, 917 (920); Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3604); Oechsler, NJW 2014, 2080; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 92; kritisch aber Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (284 f.).

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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schädigenden Netzbetreibers dem Stand der Technik entspricht und die Anforderungen an die ausreichende Versorgungsqualität erfüllt, denn bei der Produkthaftung ist ausschließlich auf den Produktfehler und nicht auf etwaige Fehler im Produktionsvorgang selbst oder in den diesem nachfolgenden Prozessen abzustellen1084 . In der Literatur wird allerdings zu Recht bezweifelt, ob § 16 NAV/NDAV einen passenden Maßstab für die berechtigten Sicherheitserwartungen des Erdgaskunden im Rahmen des ProdHaftG darstellen kann und dass das Verhalten des zuständigen Netzbetreibers – im Hinblick auf die Besonderheiten der leitungsgebundenen Energieversorgung – zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit des jeweiligen Energieträgers nicht herangezogen werden darf1085 . Die Festlegung zulässiger Schwankungstoleranzen in § 16 Abs. 2 S. 2 NDAV dient in erster Linie der Konkretisierung der in § 16 Abs. 2 S. 1 NDAV statuierten Verpflichtung des Netzbetreibers zur möglichst gleichbleibenden Haltung von Brennwert und Druck im Rahmen des Anschlussnutzungsverhältnisses, die auch bei der Wahrung der in seinem Verantwortungsbereich liegenden Netzstabilität erforderlich ist, und gilt bei dem Schaden an einem üblichen Verbrauchsgerät als Vermutung der Pflichtverletzung zugunsten des betroffenen Anschlussnutzers. Ein Korrektiv erfolgt hierbei – im Rahmen der vertraglichen und deliktischen Haftung des Netzbetreibers – durch das Erfordernis des Verschuldens, dessen Maßstab auf die Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren beim Netzbetrieb zurückzuführen ist, um eine im Hinblick auf die technische und rechtliche Organisation der leitungsgebundenen Energieversorgung untragbare und damit unerwünschte Haftungsausuferung zu verhindern. Bei der verschuldensunabhängigen Produkthaftung fehlt es aber am Erfordernis des Verschuldens als Haftungskorrektiv, so dass entsprechende Grenzen im Bereich des Fehlers zu ziehen sind. Das einwandfreie Betreiben allgemein üblicher Gasgeräte kann nicht ohne Weiteres als vom Netzbetreiber geschuldetes und von seinem Kunden berechtigterweise zu erwartendes Maß an Sicherheit im Netz angesehen werden1086 , schon allein deswegen, weil dies eine völlige Fehlerfreiheit des Produktes bedeuten würde1087 , die man allerdings nicht verlangt werden darf1088 , insbesondere unter Berücksichtigung der Natur des Produktes „Erdgas“ sowie

1084 1085 1086

1087 1088

BGH NJW 2014, 2106 (2107). Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (283 ff.); Kluge, InTeR 2015, 67 (70 ff.). Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (284 f.); so aber Klein, BB 1991, 917 (920); Oechsler, NJW 2014, 2080 (2080 f.). Modest, EWeRK 2014, 237 (238). MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 3 Rn. 5.

218

Teil I Rechtslage in Deutschland

der Beherrschbarkeit des Leitungssystems 1089 . Dies gilt umso mehr, wenn man die Ausdehnung des Produktionsprozesses bis zum Netzanschluss des Erdgaskunden in Betracht zieht1090 . Bei der Bestimmung der berechtigten Sicherheitserwartung des Kunden im Erdgasversogungsbereich darf indes der Sicherheitsstandard, welcher dem Netzbetreiber im Rahmen seiner Systemverantwortung abverlangt wird, nicht außer Acht gelassen werden. Das Abstellen auf den für das Betreiben der Versorgungsnetze geltenden Sicherheitsstandard würde zwar die allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie das Herstellerverhalten in die Bestimmung der Fehlerhaftigkeit einfließen lassen, dies steht auch dem Haftungskonzept des ProdHaftG nicht entgegen1091 . Durch die Einbeziehung der Verhaltenselemente in die Fehlerdefinition im Bereich der Energiewirtschaft würde man ebenfalls in den Fällen, in welchen die Spannungs- bzw. Druckschwankungen auf besondere Umstände wie etwa höhere Gewalt zurückzuführen sind, zu einem dogmatisch konsequenten Ergebnis kommen können1092 . Da die verschuldensunabhängige Produkthaftung im deutschen Rechtssystem einen unionsrechtlichen Hintergrund hat, wäre eine Entscheidung durch den EuGH für die Auslegung des Fehlerbegriffs im Rahmen der Produkthaftung des Netzbetreibers äußerst hilfsreich und wünschenswert1093 . bb)

Versorgungsunterbrechung als Produktfehler im Sinne des § 3 Abs. 1 ProdHaftG

Ungeachtet der Diskussionen um den passenden Maßstab für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit des jeweiligen Energieträgers im Sinne des § 3 Abs. 1 ProdHaftG wird im Schrifttum nicht bezweifelt, dass die Spannungs- bzw. Druckschwankungen den typischen Produktfehler darstellen 1094 . Anders ist dies hingegen bei der Nichtlieferung von Erdgas infolge einer Versorgungsunterbrechung. In der Literatur findet sich zwar die Ansicht, dass auch die Versorgungsunterbrechung unter § 3 Abs. 1 ProdHaftG fällt, denn der betroffene Erdgaskunde dürfte beim Ausbleiben der Energielieferung Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs wie im Falle der Versorgungsunregelmäßigkeit er1089

1090 1091

1092 1093 1094

Vgl. OGH RdW 1997, 531 (532); Klindt, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 33 (35). BGH NJW 2014, 2106 (2108). Vgl. BGH NJW 2009, 1696 (1696 ff.); BGH NJW 2009, 2952; Kluge, InTeR 2015, 67 (72 f.). Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (284); wohl auch Kluge, InTeR 2015, 67 (70). Klindt, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 33 (36 f.). Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 2 Rn. 45; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 2 Rn. 3; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3603 S. 3; BeckOGK/ Rebin, Stand: 01.05.2018, ProdHaftG § 2 Rn. 23.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

219

leiden, also in seinem Integritätsinteresse verletzt sein1095 . Der liegt wohl der gleiche Gedanke zugrunde wie bei der (bloßen) Funktionslosigkeit eines Produktes. Sollte das jeweilige Produkt dazu dienen, den Benutzer vor Schäden an seinen Rechtsgütern zu bewahren, kann hier das Vorliegen eines Fehlers im Sinne des § 3 Abs.1 ProdHaftG angenommen werden1096 . Die überwiegende Meinung lehnt jedenfalls das Vorliegen eines Fehlers nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG bei Versorgungsunterbrechungen mit dem an den Wortlaut des § 1 Abs. 1 ProdHaftG anknüpfenden Argument ab, dass das ProdHaftG vor Schädigungen an den in dieser Norm aufgezählten Rechtsgütern des Anspruchsberechtigten gerade durch die Berührung mit einem fehlerhaften (bzw. wirkungslosen) Produkt und nicht infolge seines Ausbleibens schützt1097 . Es fehlt nämlich an einem Produkt. Die Unterbrechung der Energieversorgung wird insofern als Frage des Gewährleistungsrechts betrachtet, denn in erster Linie scheint dadurch das Äquivalenzinteresse, welches aus dem Schutzbereich des ProdHaftG ausgeschlossen ist, betroffen zu sein1098 . Dies überzeugt allerdings nur teilweise. Denn es lässt sich jedenfalls nicht ganz nachvollziehen, warum das Erdgas mit einem zu hohen Druck und das Erdgas mit einem zu geringen bzw. fehlenden Druck, jeweils auf dem gleichen technischen Fehler beruhend, produkthaftungsrechtlich unterschiedlich zu behandeln sind1099 . In den beiden Fällen werden vielmehr die berechtigten Sicherheitserwartungen des Gasabnehmers gleichermaßen enttäuscht. Der Energiekunde darf gerade erwarten, dass seine Belieferung mit Gas bzw. Strom ununterbrochen erfolgt und dadurch ein drohender Schaden an seinem Rechtsgut vermieden bzw. minimiert wird1100 , auch wenn es eine absolute Ununterbrochenheit der Versorgung bereits wegen der Natur des Produktes „Energie“ sowie wegen der 1095

1096

1097

1098

1099 1100

Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 47 Rn. 26; Kullmann, in: Kullmann/ Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3603 S. 3; Ehring, EnWZ 2017, 114 (117); Lorenz, ZHR 1987, 1 (18). Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 48 Rn. 65; Kullmann, in: Kullmann/ Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3604 S. 26; BeckOGK/Goehl, Stand: 01.09.2018, ProdHaftG § 3 Rn. 19. OLG Zweibrücken GWF/Rechte und Steuern 1996, 18; BeckOGK/Tüngler, Stand 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 286; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 2 Rn. 45; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 2 Rn. 3; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3603 S. 3; BeckOGK/Rebin, Stand: 01.05.2018, ProdHaftG § 2 Rn. 23; Klein, BB 1991, 917 (921); Deutsch, VersR 1992, 521 (525); Oechsler, NJW 2014, 2080; de Wyl/Riecke, IR 2015, 5 (6); vgl. aber Honsell, JuS 1995, 211; Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 47 Rn. 26. Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 1 Rn. 9, § 2 Rn. 45; Oechsler, NJW 2014, 2080 (2081). Ehring, EnWZ 2017, 114 (117). So wohl Lenz/Lenz, Produkthaftung, § 3 Rn. 299; Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 47 Rn. 26.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

technischen Organisation des Leitungssystems nicht geben kann. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass die Kundenanlagen regelmäßig erkennen können, wenn das Gas nicht mit dem korrekten Druck ankommt, und sich auf Störung stellen werden. Als Folge wird kein Gas ausgespeist, wie wenn der Druck komplett ausfällt. cc)

Zeitpunkt des Inverkehrbringens

Bei der Bestimmung der berechtigten Sicherheitserwartungen kommt es zudem auf den Zeitpunkt an, in dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde (§ 3 Abs. 1 lit. c ProdHaftG). Der Netzbetreiber als Hersteller haftet demnach nur dann, wenn das gelieferte Erdgas im Zeitpunkt seines Inverkehrbringens fehlerhaft war. Da der Begriff des Inverkehrsbringens sowohl im ProdHaftG als auch in der europäischen RL 85/374/EWG1101 nicht definiert ist, bleibt seine Ausfüllung der Rechtsprechung sowie der Rechtswissenschaft überlassen. Nach der EuGH-Rechtsprechung ist das Produkt als in den Verkehr gebracht anzusehen, wenn es den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird1102 . Der BGH stützt sich in seiner Entscheidung zur Haftung des Netzbetreibers nach dem ProdHaftG für Überspannungsschäden auf die Definition des EuGH und dehnt dabei den (produkthaftungsrechtlichen) Verantwortungsbereich des Netzbetreibers bis hin zum Anschluss des jeweiligen Energiekunden aus1103 , was zu lebhaften Diskussionen im Schrifttum geführt hat1104 . Es klingt zwar logisch, dass der eigentliche Herstellungsprozess mit der Umwandlung der Energie in eine andere Druck- bzw. Spannungsebene und ihrer Einspeisung und das Niederspannungs- bzw. Niederdrucknetz des Anschlussnutzers beendet und das Produkt „Energie“ nach Verlassen der Umwandlungsstation bereits gebrauchsfähig ist1105 . Der Hersteller muss nicht für Fehler, die nach Abschluss des Herstellungsprozesses, d. h. auf dem Weg zum jeweiligen Benutzer entstehen, haften1106 . Gleichwohl darf man nicht verkennen, dass sowohl die Elektrizität als auch das Erdgas auf die Besonderhei1101

1102 1103 1104

1105

1106

Richtlinie 85/374/EWG des Rates v. 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. EG L 210, S. 29 ff. EuGH NJW 2006, 825 (826). BGH NJW 2014, 2106 (2108 f.). Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (285); Kluge, InTeR 2015, 67 (69 f.); zur Auslegung des Begriffs des Inverkehrsbringens in verschiedenen Fallkonstellationen im Energiebereich s. de Wyl/Rieke, IR 2015, 5 (5 ff.). So ist zumindest die Argumentation des Revisionsklägers in BGH NJW 2014, 2106 (2108 f.); vgl. auch OGH RdW 1997, 531 (532). Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (285).

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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ten der Energieversorgung zurückführend erst beim Passieren der Hausanschlusssicherung des Anschlussnutzers in den allgemeinen (freien) Verkehr gelangen1107 . Bis dahin behält der Netzbetreiber die Kontrolle sowie den Einfluss auf den zu liefernden Energieträger und hat für seine Qualität und Eigenschaft am Netzanschluss nach den Bestimmungen der NDAV einzustehen1108 . In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zu Recht kritisch hinterfragt, ob man den Zeitpunkt des Inverkehrbringens in Anlehnung an die besondere – energiewirtschaftsrechtliche – Verantwortung des Netzbetreibers für das Netz im Allgemeinen und für den Netzanschluss im Besonderen begründen darf1109 . Dagegen spricht insbesondere, dass die energiewirtschaftlichen Pflichten des Netzbetreibers zur Einhaltung der Qualität des Stroms bzw. des Erdgases am Netzanschluss unabhängig davon bestehen, ob er die Umwandlung vornimmt oder nicht. Es handelt sich hier wohl eher um Verpflichtungen des Netzbetreibers als (reinen) Beförderer und nicht des Netzbetreibers als Hersteller1110 . Dies entspricht schließlich auch dem in der Literatur weitgehend herrschenden Werktorprinzip1111 . c)

Hersteller im Sinne des § 4 ProdHaftG

Zu fragen ist weiterhin, ob und wann der Netzbetreiber als Hersteller im Sinne des § 4 ProdHaftG, welcher die „großzügige Fixierung der Herstellereigenschaft“1112 zum Zwecke eines möglichst weitreichenden Verbraucherschutzes aufweist, anzusehen ist. Passivilegitimiert sind nach § 4 ProdHaftG sowohl der tatsächliche Endprodukt-, Grundstoff- und Teilprodukthersteller (Abs. 1 S. 1) als auch der Quasi-Hersteller (Abs. 1 S. 2), der Importeur (Abs. 2) sowie – unter bestimmten Umständen – sogar der bloße Lieferant (Abs. 3). Keine Herstellereigenschaft in produkthaftungsrechtlicher Hinsicht besitzen allerdings Akteure, die lediglich Dienstleistungen in Bezug auf das schadenstiftende Produkt erbringen1113 . Denkbar ist, den Netzbetreiber als Endprodukthersteller nach § 3 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG zu qualifizieren. Dies lässt sich hauptsächlich durch das Abstellen auf den Begriff des Endprodukts ermitteln. Sollte man unter dem End1107

1108 1109 1110 1111

1112 1113

Klein, BB 1991, 917 (922 f.); Oechsler, NJW 2014, 2080 (2082); de Wyl/Rieke, IR 2015, 5 (6). Oechsler, NJW 2014, 2080 (2082); de Wyl/Rieke, IR 2015, 5 (6). Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (285); vgl. Oechsler, NJW 2014, 2080 (2082). Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (285); s. auch OGH RdW 1997, 531 (532). Kluge, InTeR 2015, 67 (69 f.); näher dazu MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 1 Rn. 24; Soergel/Krause, ProdHaftG § 1 Rn. 9; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 1 Rn. 50; BeckOGK/Seibl, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 1 Rn. 76. BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2018, ProdHaftG § 4 Rn. 3. MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 4 Rn. 10.

222

Teil I Rechtslage in Deutschland

produkt eine bewegliche Sache verstehen, die durch den Benutzer ohne weitere Veränderung bestimmungsgemäß verwendet werden kann1114 und dieses Verständnis des Endprodukts auf den Energiesektor übertragen, so ist ohne Weiteres die Herstellereigenschaft des Netzbetreibers anzunehmen, wenn er die Umwandlung von Hoch- bzw. Mittel- auf Niederdruck bzw. -spannung vornimmt1115 . Infolge der Umwandlung entsteht zwar kein neues Produkt, das bereits existierende Produkt (Erdgas bzw. Strom) wird jedoch dadurch wesentlich – sicherheitsrelevant1116 – verändert. Denn das Erdgas von Hoch- bzw. Mitteldruck kann vom Kunden in Niederdruck erst nach seiner Umwandlung „sicher“ genutzt werden1117 . Aus der oben angeführten Überlegung folgt, dass der Netzbetreiber, der an dem zu liefernden Erdgas keine Veränderungen im Hinblick auf seinen Brennwert bzw. Druck vornimmt und es bloß weiterleitet, kein Hersteller im Sinne des § 4 ProdHaftG ist1118 . In diesem Fall ist er nicht am Herstellungsprozess beteiligt, sondern tritt nur als (reiner) Dienstleister auf. Fraglich ist allerdings, ob ein solcher Netzbetreiber möglicherweise nach § 4 Abs. 3 ProdHaftG subsidiär haftet, wenn der Hersteller des Erdgases nicht festgestellt und nicht binnen Monatsfrist benannt werden kann, was wegen der technischen Komplexität des Versorgungssystems auch durchaus vorstellbar ist. Dazu muss er jedenfalls als Lieferant qualifiziert werden1119 . Als Lieferant nach § 4 Abs. 3 ProdHaftG gilt jeder, der das Produkt vertreibt, ohne bereits selbst nach § 4 Abs. 1 oder 2 ProdHaftG Hersteller zu sein, wobei es genügt, wenn es mit wirtschaftlicher Ziel- und Zweckrichtung in den Verkehr gebracht worden ist1120 . Darunter zu subsumieren ist wohl aber nicht der (vor- bzw. nachgelagerte) Netzbetreiber, sondern der Grundversorger nach § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG 1121 . Dies ergibt sich bereits aus den Begriffsbestimmungen in § 3 1114 1115

1116

1117

1118

1119 1120 1121

BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2018, ProdHaftG § 4 Rn. 6. BGH NJW 2014, 2106 (2107 f.); Klein, BB 1991, 917 (921 f.); Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3605); Oechsler, NJW 2014, 2080 (2081); Modest, EWeRK 2014, 237 (238); Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281; Kluge, InTeR 2015, 67 (69); Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 141; Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 274; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 4 Rn. 17; BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2018, ProdHaftG § 4 Rn. 7. OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 458 (458 f.); Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 49 Rn. 9; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 4 Rn. 17; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 4 Rn. 12. Vgl. BGH NJW 2014, 2106 (2107 f.); Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281; Kluge, InTeR 2015, 67 (69); BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2018, ProdHaftG § 4 Rn. 7. Klein, BB 1991, 917 (921); Oechsler, NJW 2014, 2080 (2081); Modest, EWeRK 2014, 237 (238); Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281. So Oechsler, NJW 2014, 2080 (2081). BeckOGK/Spickhoff, Stand: 01.12.2018, ProdHaftG § 4 Rn. 47. Vgl. Kermel/Klindt/Wende, RdE 2015, 281 (281 f.).

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

223

EnWG. So ist der Netzbetreiber gemäß § 3 Nr. 27 i. V. m. Nrn. 2 bis 7, 10 EnWG jeder Betreiber von Fernleitungs- bzw. Gasverteilernetzen, der die Aufgabe der Fernleitung oder der Verteilung von Erdgas wahrnimmt und für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau eines Netzes verantwortlich ist. Infolge der Liberalisierung des Energiemarktes gehört der Erdgasvertrieb ausschließlich zum Aufgabenkreis des Gaslieferanten im Sinne des § 3 Nr. 19b EnWG. Im Falle der Nichtfeststellbarkeit des Herstellers wird daher in erster Linie der Grundversorger und nicht der Netzbetreiber, der das Erdgas bloß (unverändert) weiterleitet, als Hersteller nach § 4 Abs. 3 ProdHaftG fingiert. d)

Haftungsminderung und Haftungsausschluss

Im Rahmen der Produkthaftung stehen dem Hersteller die in § 1 Abs. 2 und 3 ProdHaftG abschließend aufgezählten Entlastungsmöglichkeiten zur Verfügung. Diese Ausschlüsse der Ersatzpflicht des Herstellers stellen ihrer Natur nach rechtshindernde Einwendungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ProdHaftG) sowie rechtsvernichtende Einwendungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4, 5 sowie Abs. 3 ProdHaftG) dar1122 . Bei der Prüfung der Produkthaftung des Netzbetreibers sind insbesondere die Ausschlussgründe des § 1 Abs. 2 Nr. 1, 2 sowie 5 ProdHaftG zu berücksichtigen. Die Haftungsausschlüsse nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ProdHaftG beziehen sich auf die Voraussetzung des Haftungsgrundes selbst, nämlich auf das Inverkehrbringen des Produktes. Danach haftet der Hersteller nicht, wenn er das fehlerbehaftete Produkt nicht in Verkehr gebracht hat oder nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den schadensverursachenden Fehler zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch den Hersteller noch nicht aufwies. Die Bestimmung des Zeitpunktes des Inverkehrsbringens des Erdgases ist damit für die Begründung der Schadensersatzpflicht des Netzbetreibers von besonderer Bedeutung. Insoweit ist auf die obigen Ausführungen zur Fehlerhaftigkeit des gelieferten Erdgases zu verweisen. Die Haftung des Herstellers entfällt zudem gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG, wenn der Produktfehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt seines durch den Hersteller erfolgten Inverkehrbringens nicht erkannt werden konnte. § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG greift erst dann ein, wenn vorher die Fehlerhaftigkeit des Produktes im Sinne des § 3 Abs. 1 ProdHaftG festgestellt wurde, und stellt allein auf den Erkenntnisstand zum

1122

Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 1 Rn. 40; BeckOGK/Seibl, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 1 Rn. 71.

224

Teil I Rechtslage in Deutschland

Zeitpunkt des Inverkehrbringens ab1123 . Das Kriterium der Gefahrvermeidbarkeit ist im Rahmen der Einwendung nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ohne Belang1124 . Für den Netzbetreiber bedeutet dies, dass er sich von der Produkthaftung durch die Anwendung des Ausschlussgrundes in § 1 Abs. 1 ProdHaftG regelmäßig nicht entlasten könnte, insbesondere wenn man vom bis zum Netzanschluss ausgedehnten Zeitpunkt des Inverkehrbringens ausgeht und schadenauslösende Brennwert- bzw. Druckschwankungen erst nach der Einspeisung des bereits umgewandelten Erdgases entstehen1125 . Denn die technische Komplexität sowie die enge Vermaschung der Versorgungsnetze führen zu einer hohen Fehleranfälligkeit, die für den Netzbetreiber grundsätzlich auch erkennbar ist. Im Bereich des Netzbetriebs spielt aber gerade aus diesem Grund das Gefahrvermeidungselement eine besondere Rolle und ist daher – wie oben bereits erwähnt – bei der Bestimmung der berechtigten Sicherheitserwartungen des Erdgaskunden zu berücksichtigen1126 . Bei der Haftung des Netzbetreibers nach dem ProdHaftG ist des Weiteren § 6 ProdHaftG von Relevanz. Die produkthaftungsrechtliche Regelung modifiziert die Haftungshöhe, indem die Ersatzpflicht des Herstellers gemindert wird, wenn bei der Entstehung des Schadens der Geschädigte schuldhaft mitgewirkt hat (§ 6 Abs. 1 ProdHaftG). Verwiesen wird dabei auf § 254 BGB, so dass bei der Bestimmung des Umfangs des Schadensersatzes auf die dort entwickelten Grundsätze zurückzugreifen ist1127 . Unter Mitverschulden im Sinne des § 6 Abs. 1 ProdHaftG ist demnach der Verstoß gegen die im Eigeninteresse liegenden Sorgfaltsobliegenheiten zu verstehen1128 . In Betracht kommen hierbei vor allem netzbezogene Verpflichtungen des Anschlussnehmers- bzw. nutzers, wie sie sich aus den enegiewirtschaftlichen Rechtsnormen (EnWG, NDAV) ableiten lassen1129 . Verletzt der betroffene Erdgaskunde seine Pflichten, deren Erfüllung ihn vor Schaden bewahren soll, so wird sein Anspruch gegen den Netzbetreiber entsprechend gekürzt.

1123 1124

1125 1126 1127 1128

1129

Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 1 Rn. 123. BGH NJW 1995, 2162 (2163); BGH NJW 2009, 2952 (2955); OLG Frankfurt NJW 1995, 2498 (2499); Foerste, JZ 1995, 1063; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3602 S. 20; Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen, § 46 Rn. 75; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 1 Rn. 123; BeckOGK/Seibl, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 1 Rn. 120; vgl. aber Palandt/Sprau, ProdHaftG § 1 Rn. 21. Vgl. BGH NJW 2014, 2106 (2107 f.); Kluge, InTeR 2015, 67 (71). Kluge, InTeR 2015, 67 (71). Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 6 Rn. 7; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 6 Rn. 2. MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 6 Rn. 3; BeckOGK/Schäfer, Stand: 01.08.2018, ProdHaftG § 6 Rn. 6. Dazu näher Teil I § 3 D II, S. 144 ff.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

e)

225

Unabdingbarkeit des Ersatzanspruchs

Im Hinblick auf die BGH-Entscheidung zur Produkthaftung des Netzbetreibers bei Überspannungsschäden im Strombereich wird in der Literatur rege diskutiert, ob die energiewirtschaftsrechtliche Haftungsbeschränkung des § 18 NAV/NDAV auf Ansprüche aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG übertragen werden kann. Diese Frage stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund des Ausschlusses von Haftungsfreizeichnungen gemäß § 14 ProdHaftG, welcher auch für die Erdgas- sowie Stromversorgungsfälle gilt. § 14 ProdHaftG lässt zwar die Haftungsbeschränkungen konkurrierender Ansprüche unberührt, diese wirken aber auch nicht im Rahmen der Haftung nach dem ProdHaftG1130 . Nach der wohl überwiegenden Meinung findet die Haftungsregelung aus § 18 NDAV/NAV wegen § 14 ProdHaftG auf die Ansprüche aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG gegen den Netzbetreiber als Hersteller keine Anwendung1131 . Dafür spricht vor allem der Wortlaut des § 18 NDAV/NAV, wonach diese Haftungsregelung (nur) für (verschuldensabhängige) Ansprüche aus Vertrag, Anschlussnutzungsverhältnis sowie unerlaubter Handlung anzuwenden ist. Davon ist wohl auch der energiewirtschaftsrechtliche Gesetzgeber ausgegangen. Ausweislich der Verordnungsbegründung lässt die Vorschrift des § 18 NDAV/NAV die Haftung des Netzbetreibers sowie eines dritten Unternehmens nach dem ProdHaftG und aus anderen Rechtsvorschriften unberührt1132 . Teilweise wird allerdings die Auffassung vertreten, dass § 18 NDAV/NAV eine gesetzliche Haftungsbegrenzung darstellt, die von § 14 ProdHaftG nicht betroffen ist1133 . Selbst wenn man diese Argumentation annehmen würde, obwohl sie vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens zweifelhaft erscheint, müsse man die Anwendung der energiewirtschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung auf die Haftung des Netzbetreibers aus § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG auf der Grundlage der Normenhierarchie ablehnen. Sonst würde eine Verordnung ein Gesetz einschränken1134 . Dagegen spricht schließlich das Erfordernis 1130

1131

1132 1133 1134

BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, ProdHaftG § 14 Rn. 1; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 14 ProdHaftG Rn. 2; BeckOGK/Schäfer, Stand: 01.08.2018, ProdHaftG § 14 Rn. 12. BGH NJW 2014, 2106 (2109); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 78; Kullmann, in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kza. 3611 S. 3; Staudinger/Oechsler, ProdHaftG § 2 Rn. 47; MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 14 Rn. 5; AnwK-BGB/Katzenmeier, § 14 ProdHaftG Rn. 2; BeckOGK/ Schäfer, Stand: 01.08.2018, ProdHaftG § 14 Rn. 12; AnwK-BGB/Katzenmeier, ProdHaftG § 14 Rn. 2; Klein, BB 1991, 917 (924); Oechsler, NJW 2014, 2080 (2082); Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (158); Linderkamp/Helmes/Lohse, VersR 2014, 1050 (1056); Modest, EWeRK 2014, 237 (238); wohl auch Produkthaftungshandbuch/ Graf von Westphalen, § 47 Rn. 26. BR-Drs. 367/06, S. 60; darauf gestützt auch BGH NJW 2014, 2106 (2109). Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3605). Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 78.

226

Teil I Rechtslage in Deutschland

der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen ProdHaftG. Die Haftungsbeschränkung im Rahmen der Produkthaftung sei nach der ProdHaftRL nur in wenigen Ausnahmefällen möglich1135 . Berücksichtigt man ein erhebliches Haftungspotenzial für den Netzbetreiber infolge der Anerkennung seiner Herstellereigenschaft im Sinne von § 4 ProdHaftG und durch die Unabdingbarkeit der Haftung gemäß § 14 ProdHaftG, scheint das erzielte Ergebnis insofern weder sachgerecht noch rechtspolitisch erwünscht zu sein1136 . Dies gilt umso mehr, wenn auf die Besonderheiten der leitungsgebundenen Energieversorgung bei der Prüfung der produkthaftungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale, insbesondere auf der Produktfehlerebene (nicht hinlänglich) keine Rücksicht genommen wird1137 . Die grundlegenden Wertungen des Energierechts werden anderenfalls zugunsten der produkthaftungsrechtlichen aufgegeben. 2.

Haftung nach dem Haftpflichtgesetz

Verschuldensunabhängig könnte der Netzbetreiber, dessen Zuordnung unter den Begriff des Inhabers der Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 HaftPflG keine Schwierigkeiten bereitet, auf welche im Rahmen der vorliegenden Arbeit näher eingegangen werden müsste1138 , weiterhin nach § 2 Abs. 1 S. 1 HaftPflG für Personen- und Sachschäden infolge einer schädigenden Wirkung von Erdgas, die von Anlagen zu seiner Fortleitung oder Abgabe ausgeht1139 , haften1140 . Es handelt sich dabei um die sog. Wirkungshaftung. Die Haftung nach dem HaftPflG lässt sich aber auch dann begründen, wenn der entstandene Schaden auf das bloße Vorhandensein einer solchen Anlage zurückzuführen ist und die Anlage im Zeitpunkt der Schadensverursachung nicht ordnungsmäßig funktioniert hat (§ 2 Abs. 1 S. 2 HaftPflG)1141 . In diesem Fall liegt die sog. Zustandshaftung vor. Wann sich die Anlage in ordnungsmäßigem Zustand befindet, ergibt sich aus dem Gesetz. So stellt § 2 Abs. 1 S. 3 HaftPflG fest, dass eine Anlage ordnungsmäßig ist, solange sie den anerkannten Regeln der Technik entspricht und unversehrt ist. Für Fälle aus dem Erdgassektor ist dabei auf die

1135 1136 1137 1138 1139

1140 1141

Oechsler, NJW 2014, 2080 (2082). Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (158). de Wyl/Rieke, IR 2015, 5 (7). Näher zum Begriff des Inhabers der Anlage s. Filthaut, HaftPflG § 2 Rn. 43 ff. Z. B. durch Explosionen infolge Undichtigkeiten oder Gewalteinwirkungen auf Gasleitungen, s. Filthaut, NJW 1983, 2687 (2688). BeckOGK/Tüngler, Stand: 15.04.2018, BGB § 433 Rn. 290. Z. B. durch das Einstürzen einer baufälligen Gasleitung.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

227

einschlägigen technischen Regelwerke von DVGW abzustellen1142 . Die Vermutungsregelungen der §§ 11 Abs. 1a, 49 Abs. 2 EnWG greifen insofern entsprechend ein1143 . Bei Versorgungsstörungen, die im Vordergrund dieser Untersuchung stehen, dürfte die Haftung des Netzbetreibers nach dem HaftPflG allerdings nur in Fällen von Brennwert- bzw. Druckschwankungen von Relevanz sein1144 . Denn der Anwendungsbereich des HaftPflG wird nicht eröffnet, sollte die Zufuhr von Erdgas nicht mehr erfolgen bzw. unterbrochen werden1145 . Es fehlt dabei nämlich an einer schädigenden Wirkung von Erdgas1146 . Der Inhaber der Anlage haftet nach § 2 Abs. 1 S. 1 HaftPflG ausschließlich für die Wirkungen, die gerade durch die Leitung oder Abgabe entstehen und die für diese Funktion der Anlage typischen Gefahren verkörpern1147 . Bleibt die Funktion der Anlage aus, entfällt mithin die verschuldensunabhängige Haftung des Netzbetreibers1148 . Bei Brennwert- bzw. Druckschwankungen ist hingegen die adäquate und funktionsgemäße Verursachung von nach § 2 Abs. 1 HaftPflG zu ersetzenden Schäden grundsätzlich gegeben. Im Rahmen der Haftung des Netzbetreibers nach dem HaftPflG sind die Haftungsausschlüsse in § 2 Abs. 3 HaftPflG besonders zu beachten. Es besteht demnach kein Schadensersatzanspruch aus § 2 Abs. 1 HaftPflG, wenn Erdgasverbrauchsgeräte beschädigt wurden, Schäden innerhalb eines Gebäudes entstanden sind, allerdings soweit sie auf eine darin befindliche Anlage zurückzuführen sind, oder Schäden durch höhere Gewalt verursacht wurden. Somit wird die Gefährdungshaftung des Netzbetreibers nach dem HaftPflG, insbesondere dem Haushaltskunden gegenüber, regelmäßig ausscheiden, wenn nicht schon deswegen, weil der Tatbestand der sondergesetzlichen Haftung nach § 2 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 HaftPflG nicht erfüllt ist, dann spätestens durch die Anwendung der Haftungsausschlüsse nach § 2 Abs. 3 HaftPflG. Dazu hat der Inhaber der Anlage noch die Möglichkeit, den Aus1142

1143 1144

1145

1146 1147 1148

Filthaut, HaftPflG § 2 Rn. 36; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 88; Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (154); de Wyl/Wagner/Bartsch, VW 2015, 204 (206). Bartsch/vom Wege, EnWZ 2014, 152 (154). So auch Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601 (3605); de Wyl/Hartmann/Weise, EnWZ 2013, 66 (70); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 74; wohl auch Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 88; vgl. Baur/Salje/Schmidt-Preuß/Ackermann/Petzold, Regulierung in der Energiewirtschaft, Kap. 66 Rn. 31. Filthaut, HaftPflG § 2 Rn. 23; Filthaut, NJW 1983, 2687 (2688 f.); de Wyl/Hartmann/ Weise, EnWZ 2013, 66 (70). Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 74. BGH NJW-RR 2010, 1467; Filthaut, NJW 1983, 2687 (2688). Vgl. BGH NVwZ 2007, 1221; BGH NJW-RR 2010, 1467.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

schluss bzw. die Beschränkung seiner Haftung mit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen oder einem Kaufmann im Rahmen eines zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehörenden Vertrages zu vereinbaren (§ 7 S. 2 HaftPflG). Denkbar ist hier darüber hinaus die Anwendung der §§ 16 Abs. 3 S. 2, 16a S. 1 EnWG, die die Haftung des Netzbetreibers für (durch die Schadenszufügung im Sinne des § 2 Abs. 1 HaftPflG entstandene) Vermögensschäden bei der Durchführung von Anpassungsmaßnahmen im Rahmen seiner Systemverantwortung ausschließen1149 . Daraus ergibt sich, dass der Netzbetreiber als Inhaber der Anlage nur in Ausnahmefällen nach dem HaftPflG haften wird. 3.

Haftung nach dem Umwelthaftungsgesetz

Schließlich kommt eine Haftung des Netzbetreibers nach dem UmweltHaftG in Betracht1150 . Als Anspruchsgrundlage gilt dabei § 1 UmweltHaftG, der eine anlagenbezogene Gefährdungshaftung für Personen- und Sachschäden infolge einer Umwelteinwirkung (Emission) im Sinne des § 3 Abs. 1 UmweltHaftG begründet. Die Einstandspflicht des Anlageninhabers bezieht sich nur auf Schäden an in § 1 UmweltHaftG genannten schutzfähigen Rechtsgütern durch Umwelteinwirkungen, die von seiner Anlage ausgehen1151 . Die emittierende Anlage muss vielmehr dem im Anhang 1 zum UmweltHaftG befindlichen abschließenden Anlagenkatalog zuzuordnen sein1152 . Die Gasversorgungsleitungen im Sinne des EnWG sind jedoch in dieser Anlagenliste nicht aufgeführt. Allein aus diesem Grund scheidet die verschuldensunabhängige Haftung des Netzbetreibers nach § 1 UmweltHaftG aus. D.

Die energierechtliche Haftungsprivilegierung

Anknüpfend an die vorherigen allgemeinen Ausführungen zur grundsätzlichen Haftung der Akteure der deutschen Energiewirtschaft für Versorgungsstörungen geht es im Folgenden darum, einen Überblick über die hauptsächlichen energierechtlichen Haftungsregelungen zu verschaffen. Es handelt sich hierbei insbesondere um § 6 Abs. 3 GasGVV, § 18 NDAV sowie § 5 GasNZV, die keine haftungsbegründenden Normen darstellen, sondern die Normalhaftung der 1149 1150

1151

1152

Hartmann/Weise/Wöldeke, RdE 2012, 181 (187). So Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 73; anders Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 161. Landmann/Rohmer/Rehbinder, UmweltHaftG § 1 Rn. 6; Soergel/Spickhoff/Riedhammer, UmweltHaftG § 1 Rn. 1; Staudinger/Kohler, UmweltHaftG § 1 Rn. 37; Hager, NJW 1991, 134 (135). Landmann/Rohmer/Rehbinder, UmweltHaftG § 3 Rn. 30; s. auch Soergel/Spickhoff/ Riedhammer, UmweltHaftG § 3 Rn. 11.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

229

im Rahmen der vorliegenden Untersuchung in Betracht kommenden Passivlegitimierten aus Vertrag sowie Delikt in wesentlicher Hinsicht modifizieren, sollte sie vom Geltungsbereich der jeweiligen Vorschrift erfasst werden, und damit einem erheblichen Haftungspotenzial im Bereich der Erdgasversorgung Rechnung tragen. Die verschuldensunabhängige Haftung nach dem ProdHaftG bleibt allerdings von den genannten Vorschriften unberührt1153 . § 6 Abs. 3 GasGVV, § 18 NDAV sowie § 5 GasNZV ersetzen die – einzige – Haftungsregelung des § 6 AVBGasV, die auf alle Haftungsfälle im Verhältnis des Kunden zum vertikal integrierten Erdgasversorgungsunternehmen anzuwenden war, und gelten als Ausdruck der liberalisierten Versorgung, der eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Netzbetreiber, dem Lieferanten und dem Kunden zugrundeliegt1154 . I.

Haftungsprivilegierung durch § 6 Abs. 3 GasGVV

Der aufgrund der ausdrücklichen Ermächtigung des § 11 Abs. 3 EnWG erlassene § 6 Abs. 3 GasGVV macht einen wesentlichen Bestandteil der geltenden energierechtlichen Haftungssystematik aus und bezieht sich auf die haftungsrechtlichen Gesichtspunkte im Bereich der Grund- sowie Ersatzversorgung1155 . Diese spezielle energierechtliche Regelung begründet einen Haftungsausschluss zugunsten des Grundversorgers1156 , indem er kraft Verordnung von seiner Lieferverpflichtung und damit (Schadens-)Haftung bei einer Unregelmäßigkeit oder Unterbrechung der Erdgasversorgung infolge einer Störung des Netzbetriebes sowie des Netzanschlusses befreit wird, es sei denn, er selbst veranlasst unberechtigt die Versorgungsunterbrechung (vgl. § 6 Abs. 3 S. 2 GasGVV). Dadurch wird durchaus sachgerecht die Geltung des Zurechnungsgrundsatzes des § 278 BGB in den Grundversorgungsfällen verhindert1157 . Andernfalls würde das aktuelle energiewirtschaftsgesetzliche Konzept der (horizontalen) Verantwortungsverteilung in der liberalisierten Energiewirtschaft, wonach bei netzbetriebsbezogenen Versorgungsstörungen grundsätzlich allein der Netzbetreiber schadensersatzpflichtig ist, ins Leere gehen. Weitere Haftungsausschlüsse bzw. -beschränkungen, etwa für den Fall einer vom Grundversorger veranlassten unberechtigten Versorgungssperrung, sind nicht 1153 1154 1155

1156

1157

BR-Drs. 367/06, S. 60; s. auch Teil I § 4 C II 1 e), S. 225 f. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 19. Zum Anwendungsbereich der Gas-/StromGVV s. de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV- / GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 1 Rn. 1; Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (124). Schneider/Theobald/de Wyl/Soetebeer, EnWR § 11 Rn. 268; Graf von Westphalen/ Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 74b f. de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, StromGVV/GasGVV § 6 Rn. 12; Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (103).

230

Teil I Rechtslage in Deutschland

vorgesehen, so dass dabei seine Schadensersatzpflicht nur nach den Grundsätzen des allgemeinen Zivilrechts zu bestimmen ist. Auf die Belieferungsverhältnisse außerhalb der Grund- sowie Ersatzversorgung findet indes § 6 Abs. 3 GasGVV keine Anwendung. Dem Erdgaslieferanten steht es aber frei, eine Haftungsfreistellung für (auch von ihm unberechtigt veranlassten) Störungen im Netzbetrieb in einem (integrierten) Wettbewerbsvertrag mit seinem Kunden privatautonom oder als AGB-Klausel zu vereinbaren. Bei vorformulierten einheitlichen Wettbewerbsverträgen sind das AGB-Recht des BGB und seine Grenzen zwingend anzuwenden. Von besonderer Bedeutung ist dabei § 310 Abs. 2 BGB, wonach die Klauseln, auch im Hinblick auf die Haftung des Lieferanten, die zum Nachteil des Kunden von den allgemeinen Bedingungen für die Grund- und Ersatzversorgung von Haushaltskunden mit Gas abweichen, nicht der Kontrolle nach §§ 308 und 309 BGB unterliegen. Eine – uneingeschränkte – Inhaltskontrolle nach § 307 BGB bleibt allerdings erforderlich, auch dann, wenn die Vorgaben der GasGVV in die AGB-Klauseln des Wettbewerbsvertrages unverändert übernommen wurden. Seit der jüngeren BGH-Rechtsprechung1158 wird den GVV-Klauseln keine sich aus der Leitbildfunktion ergebende Indizwirkung außerhalb der Gasversorgung mehr zugemessen1159 . Gleichwohl sind die Wertungen der GVV bei der Prüfung zur Angemessenheit der jeweiligen Klausel nach § 307 Abs. 1 bzw. 2 BGB im Einzelfall und je nach Abnehmergruppe zu beachten1160 . II.

Haftungsprivilegierung durch § 18 NDAV

Die nach dem allgemeinen Haftungsrecht bestehende Haftung des Netzbetreibers für Versorgungsstörungen als typische Betriebsrisiken1161 wird durch das Haftungssystem des § 18 NDAV modifiziert, wobei, wie bereits oben erwähnt, Schadensersatzansprüche aus dem ProdHaftG dem Anwendungsbereich dieser Norm nicht unterliegen und uneingeschränkt geltend gemacht werden können1162 . § 18 Abs. 1 NDAV stellt widerlegbare Verschuldensvermutungen für Sach- und Vermögensschäden, die ein Anschlussnutzer durch Unterbrechung oder durch Unregelmäßigkeiten in der Anschlussnutzung erleidet und für die der Netzbetreiber aus Vertrag, Anschlussnutzungsverhältnis oder unerlaubter Handlung haftet, zu Lasten des Netzbetreibers auf. § 18 Abs. 2 1158

1159 1160 1161

1162

BGH NJW 2009, 2662 (2665); BGH NJW 2009, 2667 (2669); BGH BeckRS 2011, 04021. Zur Leitbildfunktion der GVV s. Teil I § 3 B II 1 c), S. 91 ff. Vgl. Teil I § 3 B II 2, S. 96 ff. Bereits nach altem Recht BGH NJW 2004, 2161 (2161 f.); OLG Saarbrücken NZM 2002, 578 (579). BR-Drs. 367/06, S. 60; s. auch Teil I § 4 C II 1 e), S. 225 f.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

231

NDAV regelt weiterhin die Haftungsausschlüsse und -begrenzungen. Die dort enthaltenen Haftungshöchstgrenzen sind von der Art des Schadens sowie vom Grad des Verschuldens abhängig. Eine normierte Haftungsprivilegierung ist nach geltender Rechtslage von besonderer Relevanz für den Netzbetreiber, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass er nach der Entflechtung der vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen grundsätzlich als alleiniger Anspruchsgegner des Erdgaskunden bei netzseitigen Störungen in der Energieversorgung gilt. § 18 NDAV ist der Regelung des § 6 AVBGasV nachgebildet, jedoch mit entsprechenden (nicht unerheblichen) Anpassungen an die derzeit bestehenden energiewirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen, und korrespondiert insofern mit dem Haftungsausschluss aus § 6 Abs. 3 GasGVV1163 . In Bezug auf die Geltung der Haftungsbeschränkungen des § 18 NDAV gegenüber Anschlussnutzern, die nicht in den Anwendungsbereich der NDAV fallen, kann auf die Erwägungen zur Haftungsprivilegierung grundversorgender Erdgaslieferanten durch § 6 Abs. 3 GasGVV verwiesen werden. 1.

Persönlicher Anwendungsbereich

§ 18 NDAV gilt nur für Fälle des gestörten Erdgasbezuges über den Netzanschluss in Niederdruck, was sich aus dem Anwendungsbereich der NDAV ergibt1164 . Das heißt, dass sich die Haftungsprivilegierung des § 18 NDAV nicht auf die Haftung des Netzbetreibers gegenüber des Netznutzers nach §§ 20 ff. EnWG erstreckt. Nach dem Wortlaut der hier einschlägigen Rechtsnorm ergibt sich vielmehr, dass sie lediglich bei Unterbrechungen bzw. Unregelmäßigkeiten in der Anschlussnutzung anwendbar ist. Daraus lässt sich allerdings nicht erkennen, ob sich auch der Dritte, der das Erdgas entnimmt, ohne einen Liefervertrag abgeschlossen zu haben, und damit nicht unter den Begriff des Anschlussnutzers nach §§ 1 Abs. 3, 3 Abs. 2 NDAV fällt, die Haftungsmodifizierung nach § 18 NDAV entgegengehalten lassen muss. Es handelt sich dabei um schuldrechtliche sowie deliktische Schadensersatzansprüche der Besucher, Familienangehörigen, Untermieter oder Mitbewohner. In der Literatur wird zu Recht ohne Weiteres die Anwendung des § 18 NDAV auf Schadensersatzansprüche eines solchen Dritten, die er – gegebenenfalls – aus dem Anschlussnutzungsverhältnis nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geltend macht, bejaht 1165 . Nach dem 1163 1164

1165

Vgl. BR-Drs. 367/06, S. 54 ff. Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (123 f.); de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVVKommentar, N(D)AV § 1 Rn. 15 ff. Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 154 f.; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 160.

232

Teil I Rechtslage in Deutschland

Konzept des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wirken die gegenüber dem Gläubiger geltenden normierten Haftungsausschlüsse sowie -beschränkungen auch zu Lasten des Dritten, denn dem Dritten sollen nicht mehr Rechte zustehen als den Vertragsparteien (vgl. § 334 BGB)1166 . Die herrschende Meinung geht gleichwohl weiter und stellt – vom Billigkeitsgebot ausgehend – darauf ab, dass sich der zu ersetzende Schaden im Rahmen eines Anschlussnutzungsverhältnisses realisieren muss1167 . Darunter ist sowohl der Schaden des rechtlichen Anschlussnutzers im Sinne von §§ 1 Abs. 3, 3 Abs. 2 NDAV als auch der Schaden des den Anschluss tatsächlich nutzenden – (zugangs-)berechtigten – Dritten zu subsumieren. Für die Einbezogenheit der tatsächlichen Anschlussnutzung durch einen solchen Dritten in das Anschlussnutzungsverhältnis des § 3 Abs. 2 NDAV spricht insbesondere die Begründung zu dieser Rechtsnorm, wonach sein Verhalten dem Erdgaskunden als rechtlichem Anschlussnutzer zugerechnet wird1168 . Das Gleiche gilt auch für den Bereich der Grundversorgung, wo Energieentnahmen durch Dritte an einer Entnahmestelle, für die bereits ein Liefervertrag mit dem Kunden besteht, diesem Kunden zugerechnet werden1169 . Daraus kann wohl die nach der Verordnungsermächtigung in § 18 Abs. 3 EnWG erforderliche Anknüpfung an das Bestehen eines Anschlussnutzungsverhältnisses gemäß § 3 Abs. 2 NDAV bzw. eines Liefervetrages nach § 2 Abs. 2 GasGVV abgeleitet werden1170 . Demnach lässt die Auslegung kaum Zweifel daran, dass die Regelung des § 18 NDAV auch auf deliktische Schadensersatzansprüche im Rahmen der dem eigentlichen Anschlussnutzer zugerechneten Anschlussnutzung anzuwenden ist1171 . Eine ergänzende Auslegung des § 18 NDAV im Hinblick auf seinen personellen Anwendungsbereich erscheint darüber hinaus im Rahmen einer unberechtigten Anschlussnutzung erforderlich. Die Anschlussnutzung ist unberechtigt, wenn kein gesetzliches Anschlussnutzungsverhältnis nach § 3 Abs. 2 NDAV entsteht bzw. sie in den Schutzzweck des Anschlussnutzungsverhältnisses nicht einbezogen wird1172 . Als Beispiel dafür kann insbesondere der 1166 1167

1168 1169 1170

1171 1172

Palandt/Grüneberg, BGB § 328 Rn. 20. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (80 f.); Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (131); de Wyl/ Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 1 Rn. 15 ff.; Schneider/Theobald/ de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 87; wohl a. A. Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 160. BR-Drs. 367/06, S. 37 f. Schneider/Theobald/de Wyl, EnWR § 14 Rn. 46; Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (81). Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (81); Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 87. Vgl. Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 160. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 59 f.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

233

Fall eines Schwarzbezugs von Erdgas genannt werden. Treten während der unberechtigten Anschlussnutzung Unregelmäßigkeiten bzw. Unterbrechungen ein, so können sich daraus zwar keine schuldrechtlichen Schadensersatzansprüche gegen den Netzbetreiber ergeben, alle deliktischen Schadensersatzansprüche eines solchen – unberechtigten – Anschlussnutzers bleiben jedoch vorbehalten, was der Verordnungsgeber wohl übersehen hat1173 . Durch eine eng am Wortlaut des § 18 NDAV orientierte Auslegung lässt sich nur eine unbeschränkte Haftung des Netzbetreibers wegen Verkehrsicherungspflichtverletzung gegenüber dem unberechtigten Anschlussnutzer ermitteln. Dieses Ergebnis widerspreche aber dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die den Netzbetreiber vor unüberschaubaren Kostenrisiken schützen und damit die Sicherstellung der energiewirtschaftsrechtlichen Ziele nach § 1 EnWG unterstützen soll1174 . Es ist des Weiteren zu bezweifeln, dass der Verordnungsgeber den unberechtigten dritten Anschlussnutzer deliktisch besser stellen wollte als den eigentlichen Anschlussnutzer im Sinne von §§ 1 Abs. 3, 3 Abs. 2 NDAV. Durch die sich aus dem Wortlaut resultierende Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 18 NDAV auf den Anschlussnutzer stellt sich außerdem die Frage, ob der Netzbetreiber auch gegenüber dem Anschlussnehmer, der nicht zugleich Anschlussnutzer ist, gemäß § 18 NDAV haftungsrechtlich privilegiert werden kann. Diese Einschränkung wird in der Literatur einstimmig für ein redaktionelles Versehen des Verordnungsgebers gehalten, denn eine sich daraus ergebende uneingeschränkte Haftung des Netzbetreibers gegenüber dem reinen Anschlussnehmer, der genauso wie der rechtliche Anschlussnutzer Schäden infolge Unterbrechungen sowie Unregelmäßigkeiten im Netz bzw. im Netzanschluss erleiden kann, würde insbesondere den Wertungen des Art. 3 GG sowie dem Sinn und Zweck der Haftungsprivilegierung des § 18 NDAV widersprechen1175 . Es gelten hier jedenfalls dieselben Erwägungen wie im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 18 NDAV auf Ansprüche des berechtigten Dritten als Anschlussnutzer. Auch auf der Netzbetreiberseite ist eine erweiterte Anwendung der Haftungsprivilegierung des § 18 NDAV anerkannt. Neben dem Netzbetreiber, an dessen Netz der Anschlussnutzer direkt angeschlossen ist, und dem dritten 1173

1174

1175

BR-Drs. 367/06, S. 54; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 60. BR-Drs. 367/06, S. 54 f.; Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (31). Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (81 f.); Eder/Ahnis, ZNER 2007, 123 (131); de Wyl/Eder/ Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 18 Rn. 27 f.; Schneider/Theobald/de Wyl/Thole/Bartsch, EnWR § 16 Rn. 83 ff.; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/ Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 9 ff.; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 158 f.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

Netzbetreiber, der das vorgelagerte Netz betreibt, erstreckt sich § 18 NDAV auf ihre Arbeitnehmer sowie auf Personen, die sonstige Tätigkeiten des Netzbetriebs im Sinne von § 7a Abs. 2 Nr. 2 EnWG1176 ausüben und zugleich in anderen Teilen des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens im Sinne von § 3 Nr. 38 EnWG tätig sind, als ihre Erfüllungs- und/oder Verrichtungsgehilfen1177 . Eine wortgetreue Auslegung des § 18 NDAV würde an dieser Stelle zu unsinnigen Ergebnissen führen, die mit dem Zweck der Vorschrift nicht vereinbar wären. Denn der schädigende Arbeitnehmer, an welchen sich der geschädigte Kunde bei netzbetrienbsbezogenen Unterbrechungen bzw. Unregelmäßigkeiten in der Erdgasversorgung unmittelbar wenden kann und welcher in diesem Fall uneingeschränkt haften würde, sollte § 18 NDAV auf die Ansprüche gegen ihn nicht anwendbar sein, könnte grundsätzlich im Rahmen des sog. innerbetrieblichen Schadensausgleichs1178 einen – vollen – Regressanspruch gegenüber seinem Arbeitgeber – dem Netzbetreiber – geltend machen, und die energiewirtschaftsrechtliche Haftungsprivilegierung im Bereich des Netzbetriebs liefe damit ins Leere1179 . Für die in anderen Teilen des Energieversorgungsunternehmens tätigen Personen, die die sonstigen Tätigkeiten des Netzbetriebs als Dienstleistung erbringen, greift dem Grunde nach dieselbe Argumentation ein. Den Besonderheiten der leitungsgebundenen Energieversorgung, die zur Begründung des energiewirtschaftsrechtlichen Haftungssystems nach § 18 NDAV herangezogen worden sind, trägt auch die gesetzlich anerkannte Möglichkeit zum Einsatz sog. Shared Services auf Verteilnetzebene, die in einer mit dem Netzbetreiber verbundenen (Schwester-) Gesellschaft angesiedelt werden können, Rechnung1180 . Im Fall einer unbeschränkten Haftung der Servicegesellschaft sowie der gemeinsamen Muttergesellschaft – wiederum über die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs – hätte diese Möglichkeit keine Vorteile mehr1181 . Der Netzbe1176

1177

1178

1179

1180 1181

Zur Auslegung der sonstigen Tätigkeiten des Netzbetriebs gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 2 EnWG s. Schneider/Theobald/de Wyl/Finke, EnWR § 4 Rn. 169. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (102); Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 161 ff.; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 64 ff.; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 18 Rn. 30 f.; Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (31). Zur Haftungsverteilung im Rahmen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs s. MünchKomm/Henssler, § 619a BGB Rn. 32 ff. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (102); Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 161 f.; Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 64; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 18 Rn. 31; Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (31). Schneider/Theobald/de Wyl/Finke, EnWR § 4 Rn. 174. So wohl Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 65.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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treiber wäre dadurch insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, auch wenn nur mittelbar, betroffen1182 . Eine analoge Anwendung von § 18 NDAV auf die mit den Netzaufgaben beauftragten Drittunternehmen, die mit dem Netzbetreiber gesellschaftsrechtlich nicht verbunden sind, wurde hingegen zu Recht wegen einer wohl zu weitgehenden Ausdehnung des Adressatenkreises der Haftungsprivilegierung nach § 18 NDAV abgelehnt1183 . 2.

Einzelne Haftungsmodifikationen

Das Haftungssystem des § 18 NDAV modifiziert die allgemeine vertrags- und deliktsrechtliche Haftung des Netzbetreibers für netzseitige Versorgungsstörungen dahingehend, dass je nach Art des eingetretenen Schadens und dann noch je nach Verschuldensgrad Haftungsausschlüsse sowie -begrenzungen zugunsten des Netzbetreibers eingreifen. Darüber hinaus ist dabei zwischen Begrenzungen von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem letztversorgenden Netzbetreiber und dem dritten Netzbetreiber (vgl. § 3 Nr. 27 EnWG) zu differenzieren. Der Höhe nach wird die Haftung durch Individual- und Globallimits beschränkt1184 . Zunächst ist zu beachten, dass sich die Haftungsmodifikationen nach § 18 NDAV nur auf die Haftung des Netzbetreibers für Sach- und Vermögensschäden beziehen. Personenschäden, die der Anschlussnutzer aufgrund einer unberechtigten Unterbrechung oder Unregelmäßigkeit in der Anschlussnutzung erleidet, hat der Netzbetreiber gleichwohl unbeschränkt nach den Grundsätzen des allgemeinen Haftungsrechts zu verantworten. Dies ist von der handelnden Person unabhängig. Bei Sachschäden greift die volle Haftung des Netzbetreibers nur bei seinem vorsätzlichen Handeln. In disem Fall wird sie durch § 18 NDAV nicht eingeschränkt. Für Ansprüche auf den Ersatz leicht fahrlässig verursachter Sachschäden gilt das Einzelkundenlimit von 5.000 Euro gemäß § 18 Abs. 2 S. 1 NDAV1185 . Das bedeutet, dass jeder einzelne geschädigte Anschlussnutzer Schadensersatz nur bis zu dem Höchstbetrag von 5.000 Euro verlangen kann. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang vertreten, dass in das Einzelkundenlimit auch Schäden von in den Schutzbereich des Anschlussnutzungsverhältnisses fallenden Dritten im Sinne einer Schadenseinheit einzubeziehen

1182 1183

1184 1185

Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 162 f. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 66; de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 18 Rn. 31; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 163 f.; a. A. Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77 (103). Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 167 f. Vgl. die Vorgängerregelung des § 6 Abs. 2 S. 1 AVBGasV.

236

Teil I Rechtslage in Deutschland

sind1186 . Dies ist aber nicht ganz überzeugend, denn die Rechtsstellung des – rechtlichen – Anschlussnutzers wird nicht unerheblich verschlechtert, was bereits mit den Grundsätzen des Vetrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht vereinbar wäre1187 . Für grob fahrlässige Sachschäden haftet der Netzbetreiber im Einzelfall unbegrenzt. Das Gleiche betrifft auch den dritten Netzbetreiber im Sinne des § 3 Nr. 27 EnWG (vgl. § 18 Abs. 3 S. 1 NDAV). Es bestehen allerdings Unterschiede im Hinblick auf die handelnde Person in den Höchstgrenzen der Haftung pro Schadensereignis für sowohl einfach als auch grob fahrlässig verursachte Sachschäden. Die Höhe des zu gewährenden Schadensersatzes im Rahmen der Haftung des letztversorgenden Netzbetreibers bestimmt sich beispielsweise je nach der Zahl der an sein Netz angeschlossenen Anschlussnutzer im Zeitpunkt des Schadensereignisses und ist auf 2,5 Mio. Euro bis 40 Mio. Euro gemäß § 18 Abs. 2 S. 2 NDAV begrenzt. Die Globallimits für den dritten Netzbetreiber, der eigene Anschlussnutzer hat, betragen das Dreifache des Höchstbetrages, für den er nach § 18 Abs. 2 S. 2 NDAV eigenen Anschlussnutzern gegenüber haftet (§ 18 Abs. 3 S. 2 NDAV). Hat ein solcher Netzbetreiber keine eigenen an sein Netz angeschlossenen Anschlussnutzer, so ist seine Haftung gemäß § 18 Abs. 3 S. 3 NDAV insgesamt auf 200 Mio. Euro beschränkt. An dieser Stelle ist schließlich zu berücksichtigen, dass unter Sachschäden Schäden unmittelbar an Gegenständen des Anschlussnutzers ebenso wie daraus resultierende Sachfolgeschäden (sog. unechte Vermögensschäden) zu subsumieren sind1188 . Wie oben bereits dargestellt betrifft das Haftungssystem des § 18 NDAV auch die Haftung des – letztversorgenden und dritten – Netzbetreibers für Vermögensschäden. Vermögensschäden sind dabei wohl – mangels einer näheren Definition in § 18 NDAV und ausweislich der Begründung zur einschlägigen Vorschrift – im versicherungsrechtlichen Sinne auszulegen1189 . Hiervon können daher nur sog. reine Vermögensschäden umfasst werden, die nicht auf Personen- bzw. Sachschäden zurückzuführen sind1190 . Für solche Vermögensschäden haftet der Netzbetreiber in vollem Umfang, wenn sie vorsätzlich verursacht worden sind. Für einfach fahrlässig verursachte Vermögensschä1186

1187 1188

1189 1190

Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 168; zum alten Recht Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 167. So zur alten Rechtslage Klein, Die Haftung der Versorgungsunternehmen, S. 121. Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 167; s. auch Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, S. 163; vgl. de Wyl/Eder/Hartmann, N(D)AV-/GVV-Kommentar, N(D)AV § 18 Rn. 9; so wohl auch Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 32. S. dazu BR-Drs. 367/06, S. 55. Vgl. Veith/Gräfe/Gebert/Schanz, Der Versicherungsprozess, § 15 Rn. 54; in energiewirtschaftsrechtlicher Hinsicht Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 168.

§ 4 Haftungsgrundlagen bei Versorgungsstörungen im Erdgasbereich

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den wird allerdings seine Haftung gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NDAV gänzlich ausgeschlossen. Lediglich bei grob fahrlässig verursachten Vermögensschäden haftet der Netzbetreiber beschränkt. Nach § 18 Abs. 4 S. 1 NDAV greift hierbei zunächst das Einzelkundenlimit von jeweils 5.000 Euro ein. Dies gilt unabhängig von der handelnden Person. Für insgesamt je Schadensereignis entstandene Vermögensschäden ist die Haftung des Netzbetreibers auf 20 Prozent der in § 18 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 2 und 3 NDAV genannten Höchstbeträge begrenzt. An dieser Stelle ist wichtig anzumerken, dass die Vermögensschäden in den zu den für Sachschäden festgelegten Globallimits mit enthalten sind1191 . Ein weiterer wichitiger Bestandteil des Haftungssystems des § 18 NDAV ist die bereits oben erwähnte und in Abs. 1 dieser Vorschrift ausdrücklich normierte Verschuldensvermutung für Sach- und Vermögensschäden zu Lasten des Netzbetreibers. Dabei wird von einer zusätzlichen Verschärfung der Haftung des Netzbetreibers gesprochen 1192 . Es darf gleichwohl nicht verkannt werden, dass die Beweilastumkehr des vorgängigen § 6 AVBGasV zu demselben Ergebnis geführt hat wie die aktuelle widerlegbare Verschuldensvermutung des § 18 Abs. 1 NDAV1193 . Der Netzbetreiber muss sich nach wie vor für jeden infolge einer Versorgungsunterbrechung bzw. -unregelmäßigkeit entstandenen Schaden aktiv entlasten1194 . Die energiewirtschaftsrechtliche Verschuldensvermutung ist zudem nur für deliktische Ansprüche des geschädigten Anschlussnutzers relevant, denn im Rahmen der schuldrechtlichen Haftung des Netzbetreibers wird ohnehin die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB eingreifen1195 . III.

Haftungsprivilegierung durch § 5 GasNZV

Auch bei Störungen der Netznutzung wird die normale Haftung des Netzbetreibers zu seinen Gunsten modifiziert. § 5 GasNZV enthält eine Verweisung auf § 18 NDAV, der auf das haftungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Netzbetreiber und dem Netznutzer entsprechend anzuwenden ist. Dadurch wird sichergestellt, dass unabhängig von der schuldrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen im Interessendreieck zwischen Letzverbraucher, Netzbe-

1191

1192

1193 1194 1195

Graf von Westphalen/Schöne, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Stromlieferverträge, Rn. 74; Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 171. Stenneken/Thomale, N&R 2007, 51 (56); Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 36. Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, Fn. 636 S. 165. Hartmann/Blumenthal-Barby, in: Danner/Theobald, Energierecht NAV § 18 Rn. 36. So auch Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, Fn. 639 S. 165.

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Teil I Rechtslage in Deutschland

treiber und Energielieferant sowie der jeweiligen Ursache der Versorgungsstörung einheitliche Maßstäbe für die Haftung des Netzbetreibers gelten1196 . Aus der Verweisung in § 5 GasNZV folgt, dass die im obigen Abschnitt dargestellten Haftungsausschlüsse und -begrenzungen sowie die (widerlegbare) Verschuldensvermutung mit einer Umkehr der Beweislast gemäß § 18 NDAV in alle Netznutzungskonstellationen innerhalb des Anwendungsbereichs der GasNZV eingreifen. Im Hinblick auf einzelne Haftungsmodifikationen gegenüber den Netznutzern ist demnach ohne Weiteres das oben zur Haftungsprivilegierung des § 18 NDAV gegenüber den Anschlussnutzern Gesagte heranzuziehen. Zu erwähnen ist hier nur noch, dass § 18 NDAV über § 5 GasNZV (auch) im Netzzugangsbereich direkt anwendbar ist, ohne dass eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Beteiligten notwendig wäre, da die Regelungen der GasNZV ebenso wie die der NDAV bzw. der GasGVV eine gesetzesgleiche Wirkung entfalten und daher verbindlich sowohl für Netzbetreiber als auch für Netznutzer sind1197 .

1196 1197

BR-Drs. 367/06, S. 73. Hartmann, in: Danner/Theobald, Energierecht EnWG § 20 Rn. 67.

§ 5 Zusammenfassung Ausgelöst durch die Energiewende und die Folgen der Erdgasmarktliberalisierung hat das deutsche System der leitungsgebundenen Erdgasversorgung fundamentale Veränderungen erfahren. Entscheidend war die Trennung des Netzbetriebes vom Erdgasvertrieb, die sich sowohl in organisatorischer als auch in (haftungs-)rechtlicher Hinsicht ausgewirkt hat. Der Erdgashandel bzw. -vertrieb erfolgt seitdem losgelöst von der Systemführung der Versorgungsnetze und die Versorgungsnetze stehen allen Erdgaslieferanten für die Durchführung ihres Erdgases offen. Die Verantwortlichkeiten in der Technik, im Netzbetrieb und im Erdgasvertrieb mussten dementsprechend neu geregelt werden ebenso wie die Zusammenarbeit der einzelnen – nunmehr zahlreichen – an der Versorgung beteiligten Akteure. Signifikant modifiziert wurde insbesondere die rechtliche Landschaft auf dem Gebiet der allgemeinen Versorgung. Für die Umsetzung der europäischen sowie nationalen Entflechtungsvorgaben hat der deutsche Gesetzgeber die zusammengefasste Anschluss- und Versorgungspflicht des allgemeinen Versorgers nach altem Recht bis 2005 in eine Pflicht des Netzbetreibers zum Anschluss von Letztverbrauchern an das Niederdruck- bzw. Niederspannungsnetz (§ 18 Abs. 1 EnWG) sowie in eine Pflicht des Lieferanten, der als Grundversorger auf dem Markt auftritt, zur Energielieferung an Haushaltskunden (§ 36 Abs. 1 EnWG) aufgeteilt und damit ein Dreiecksverhältnis zwischen dem Netzbetreiber, dem Lieferanten und dem Kunden geschaffen. Unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten hat dies zu einer neuen Haftungsrisikoverteilung innerhalb und außerhalb des Versorgungsverhältnisses geführt. Die Teilnehmer im liberalisierten Erdgasmarkt dürfen nicht nur die Vorteile im Zuge der Öffnung der vormals geschlossenen Versorgungsgebiete genießen, sondern müssen auch alle mit ihren Geschäftsbereichen verbundenen Haftungsrisiken selbst tragen. Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen der Erdgasversorgung grundsätzlich zwischen der Haftung für lieferungsbezogene Versorgungsstörungen und der für netzbetriebsbezogene Versorgungsstörungen zu unterscheiden. Als Hauptanspruchsteller gilt im Rahmen der Haftung für (lieferungsbezogene sowie netzbetriebsbezogene) Versorgungsstörungen der Erdgas(end)kunde (Industrie-, Gewerbe- oder Haushaltskunde), der das Erdgas für den eigenen Verbrauch kauft (vgl. § 3 Nr. 25 EnWG). Denn gerade der Endkunde ist infolge einer Erdgasversorgungsstörung in besonderem Maße der Gefahr von (Personen-, Sach- und/oder Vermögens-)Schäden ausgesetzt. Als passivlegitimiert sind dahingegend der Lieferant (einschließlich Erdgasför© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_5

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derer sowie -importeur) einerseits und der Netzbetreiber andererseits zu nennen. Ihre Haftung für Versorgungsstörungen richtet sich unbeschadet einer Vielzahl von denkbaren Haftungskonstellationen – je nach Art des Kunden, je nach Ausgestaltung des Versorgungsverhältnisses oder je nach Ursache des Schadens – in aller Regel nach dem allgemeinen Haftungsrecht. Die Einstandspflicht sowohl des Lieferanten als auch des Netzbetreibers ist dabei vom Dualismus zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung gekennzeichnet. In besonderen Situationen können auch die Regelungen zur Gefährdungshaftung zur Anwendung gelangen. Die vertragliche Haftung auf Schadensersatz basiert regelmäßig auf einem Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. Denn bei Versorgungsstörungen kommt in den überwiegenden Fällen zu Schäden, die bereits endgültig entstanden sind und durch eine (gedachte) (Nach-)Erfüllung (Ersatzlieferung oder Nachbesserung) nicht mehr beseitigt werden können. Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung wegen Nichterbringung oder (unbehebbarer) Schlechtleistung (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB ggf. i. V. m. § 437 Nr. 3 BGB bzw. § 634 Nr. 4 BGB) sowie auf Ersatz des Verzögerungsschadens (§§ 280 Abs. 1, 2 i. V. m. 286 BGB) spielen im Bereich der Erdgasversorgung kaum eine Rolle. Sollte ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung bzw. auf Ersatz des Verzögerungsschadens aber dennoch in Betracht kommen, so ist hierbei im Regelfall von einer Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB auszugehen. Denn sowohl bei Lieferungsverträgen – innerhalb und außerhalb der Grundversorgung nach § 36 EnWG – als auch bei Netzverträgen als maßgeblichen Schuldverhältnissen handelt es sich grundsätzlich um ein absolutes Fixgeschäft, so dass eine Unterbrechung bzw. Unregelmäßigkeit in der Erdgasversorgung zur Unmöglichkeit führt, wobei eine Mahnung oder Fristsetzung gegenüber dem jeweiligen Schuldner zwecks der Wahrung des Rechts zur zweiten Andienung nicht mehr nötig ist. Die vertragliche Haftung entsteht, wenn der jeweilige an der Erdgasversorgung beteiligte Akteur das ihm vertraglich auferlegte Pflichtenprogramm nicht befolgt. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Aufgaben und Pflichten des Erdgaslieferanten im Rahmen der Grundversorgung sowie des Netzbetreibers im Rahmen des Netzanschluss- bzw. Anschlussnutzungsverhältnisses in Niederdruck aus Verbraucherschutzgesichtspunkten bzw. zwecks eines gerechten Interessenausgleichs zwischen den Vertragsparteien gesetzlich festgeschrieben sind. Liegt die Ursache für einen Personen-, Sach- bzw. Vermögensschaden in der Unterbrechung oder Unregelmäßigkeit der Erdgasversorgung, so hat demnach der jeweilige Anspruchsgegner (Grundversorger bzw. Verteilernetzbetreiber in Niederdruck) vermutlich gegen seine Pflicht aus der

§ 5 Zusammenfassung

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GasGVV oder der NDAV verstoßen. Die Vorgaben der jeweils geltenden Verordnung sind insofern als Grundlage für die Bewertung eines Verhaltens als pflichtwidrig oder pflichtgemäß im Rahmen der Erdgasversorgung anzusehen. Außerhalb des Anwendungsbereichs der GasGVV bzw. der NDAV sind die Vertragsparteien zwar frei, die Bedingungen der Erdgasbelieferung bzw. der Anschlussnutzung auszuhandeln. Da aber die Vorgaben der GasGVV bzw. der NDAV häufig in die AGB-Klauseln der Wettbewerbsverträge oder der Netzverträge in höheren Druckebenen unverändert übernommen werden, sind die Wertungen dieser Verordnungen – im Einzelfall und je nach Abnehmergruppe – bei der Prüfung zur Angemessenheit der jeweiligen Klausel, insbesondere Haftungsausschluss- bzw. Haftungsbegrenzungsklauseln, nach § 307 Abs. 1 bzw. 2 BGB zu beachten. Seit der jüngeren BGH-Rechtsprechung wird allerdings den GVV-/NDAV-Klauseln keine sich aus der Leitbildungsfunktion ergebende Indizwirkung außerhalb der Gasversorgung mehr zugemessen. Der durch eine Versorgungsstörung geschädigte Erdgaskunde kann zudem gegebenenfalls den Ersatz seiner Schäden aus dem allgemeinen Deliktsrecht (§§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 sowie 831 BGB) verlangen. Es wurde jedoch aufgezeigt, dass der Erdgaslieferant sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grundversorgung nur ausnahmsweise in Anspruch genommen werden kann. Denn bis das zu liefernde Erdgas übergabefähig den Netzanschluss des jeweiligen Abnehmers erreicht, wird es mehrfach und erheblich im Netz durchgemischt bzw. transformiert. Die Versorgungsstörungen, die zum Schadenseintritt bei einem Erdgasabnehmer führen, sind demnach im Regelfall durch den Netzbetreiber verursacht worden. Der Netzbetreiber ist bei Versorgungsstörungen auf der Netzbetriebsseite zur Verantwortung zu ziehen, sollte er den Schaden schuldhaft verursacht oder einen Verrichtungsgehilfen, welcher die Rechtsgutverletzung rechtswidrig herbeigeführt hat, nicht sorgfältig ausgewählt und überwacht haben. Die deliktische Haftung des Netzbetreibers wird durch die Verletzung seiner Verkehrspflichten begründet. Die Verkehrspflichten, die zur Abwehr der durch den Betrieb einer Erdgasversorgungsleitung geschaffenen und beibehaltenen Gefahr erforderlich und dem Verkehrspflichtigen – dem Netzbetreiber – zumutbar sind, sowie der deliktische Sorgfaltsmaßstab, welcher der Netzbetreiber einzuhalten hat, ergeben sich weitgehend aus dem EnWG und finden ihre Grenzen im wirtschaftlich Zumutbaren und technisch Möglichen. Von besonderer Relevanz sind dabei die §§ 11 ff. EnWG, die den Netzbetreiber zum Betrieb eines sicheren und zuverlässigen Netzes verpflichten, und § 49 EnWG, wonach der Netzbetreiber die technische Sicherheit gewährleisten muss. Die genannten Pflichten und damit auch der vom Verkehrspflichtigen einzuhaltende

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Teil I Rechtslage in Deutschland

deliktische Sorgfaltsmaßstab werden durch technische (DVGW-)Regelwerke konkretisiert, deren Einhaltung die Vermutung des §§ 11a, 49 Abs. 2 EnWG greifen und einen Sorgfaltspflichtverstoß entfallen lässt. Zu § 823 Abs. 2 BGB wurden die für die lieferungs- und netzbetriebsbezogene Tätigkeit haftungsrelevanten Schutzgesetze aufgezeigt. Neben Regelungen aus dem StGB sind insbesondere Vorschriften aus dem EnWG samt der zugehörigen Verordnungen von Bedeutung. Ein Anspruch auf Schadensersatz für Versorgungsstörungen kann aber auch direkt aus dem EnWG hergeleitet werden. Es handelt sich hier um die Sonderregelung des § 32 Abs. 3, 1 EnWG, die eine Schadenshaftung des Netzbetreibers beim Verstoß gegen eine seiner Verpflichtungen aus den Abschnitten 2 und 3 des Teils 3 des EnWG (§§ 17 bis 28a), einer darauf gestützten Rechtsverordnung (wie etwa NDAV, GasNZV, GasNEV) oder einer auf dieser Grundlage ergangenen Entscheidung der Regulierungsbehörde begründet. In der Praxis scheinen gleichwohl die durch den Tatbestand des § 32 Abs. 1 EnWG nicht erfassten Versorgungsstörungen infolge der Verletzung der in den §§ 11 bis 16a EnWG aufgelisteten Pflichten zur Gewährleistung eines sicheren und zuverlässigen Netzes durch den Netzbetreiber der Regelfall zu sein, so dass der energiewirtschaftrechtlichen Anspruchsgrundlage des § 32 Abs. 3, 1 EnWG im Hinblick auf Schadensersatzansprüche des geschädigten Erdgaskunden weniger Relevanz zukommt. Eine verschuldensunabhängige Haftung kann besonders im Zusammenhang mit netzbetriebsbezogenen Versorgungsstörungen relevant werden. Die jüngste Rechtsprechung des BGH zur produkthaftungsrechtlichen Verantwortung in der Energiebranche hat den Netzbetreiber praktisch zum Haupthaftungsadressaten des ProdHaftG gemacht, indem anerkannt wurde, dass die Umwandlung der Energie in eine andere Druck- bzw. Spannungsebene durch den Netzbetreiber einen Herstellungsprozess darstellt und sich der produkthaftungsrechtliche Verantwortungsbereich des Netzbetreibers bis hin zum Anschluss des jeweiligen Energiekunden erstreckt. Erst im Falle der Nichtfeststellbarkeit des Herstellers ist eine Haftung des Erdgaslieferanten nach dem ProdHaftG denkbar. Es wurde schließlich aufgezeigt, dass die bestehenden Haftungsverpflichtungen des Grundversorgers im Sinne von § 36 Abs. 1 EnWG sowie des Netzbetreibers im Rahmen der Anschluss- sowie der Netznutzung für Versorgungsstörungen durch die speziellen energiewirtschaftsrechtlichen Haftungsregelungen, die einerseits den technischen sowie organisatorischen Besonderheiten der leitungsgebundenen Erdgasversorgung nach der Entflechtung der vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen Rechnung tragen

§ 5 Zusammenfassung

243

und andererseits der Abschwächung des damit verbundenen hohen Haftungsrisikos dienen, erheblich modifiziert sind. Für die Haftungsfälle im Bereich der Grund- bzw. Ersatzversorgung gilt § 6 Abs. 3 GasGVV, der den Erdgaslieferanten von seiner Lieferverpflichtung und damit Schadenshaftung bei einer Unregelmäßigkeit oder Unterbrechung der Erdgasversorgung infolge einer Störung des Netzbetriebes sowie des Netzanschlusses befreit, es sei denn, er selbst veranlasst unberechtigt die Versorgungsunterbrechung. Als Folge trifft die haftungsrechtliche Verantwortung für Versorgungsstörungen grundsätzlich allein den Netzbetreiber. Der deutsche Gesetzgeber hat darauf unter Berücksichtigung der Ziele der Energiewirtschaft in § 1 EnWG mit dem Haftungssystem des § 18 NDAV sowie des § 5 GasNZV reagiert. § 18 NDAV modifiziert die allgemeine vertrags- und deliktsrechtliche Haftung des Netzbetreibers für netzseitige Versorgungsstörungen in der Anschlussnutzung in Niederdruck dahingehend, dass je nach Art des eingetretenen Schadens und dann noch je nach Verschuldensgrad Haftungsausschlüsse sowie -begrenzungen zu seinen Gunsten eingreifen. Bei Störungen der Netznutzung gilt § 18 NDAV durch die Verweisung in § 5 GasNZV entsprechend. Dadurch soll sichergestellt werden, dass unabhängig von der schuldrechtlichen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen im Interessendreieck zwischen Letzverbraucher, Netzbetreiber und Energielieferant sowie der jeweiligen Ursache der Versorgungsstörung einheitliche Maßstäbe für die Haftung des Netzbetreibers gelten.

Teil II Rechtslage in der Ukraine

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick Die ukrainische Erdgaswirtschaft befindet sich aktuell in einem tiefgreifenden Reformprozess, ausgelöst durch die Annexion der Krim und den militärischen Konflikt in der Ostukraine einerseits und durch die Bedingungen internationaler Geldgeber und Finanziers andererseits1198 . Um ihren Verpflichtungen vor dem IWF durch den Abschluss einer „Staff-Level“-Vereinbarung über ein neues „Extended Fund Facility (EFF)“-Programm1199 als Mitglied in der Europäischen Energiegemeinschaft 1200 und vor der Europäischen Union im Rahmen des Assoziierungsabkommens1201 nachkommen zu können, muss die Ukraine die notwendigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für einen liberalisierten und unionsrechtskonform umgestalteten Erdgasmarkt schaffen. Das Endziel ist die Integration in den Erdgasmarkt der EU – auch wenn in langfristiger Perspektive. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass die Ukraine künftig mehr auf Erdgas aus der EU setzen will, um dadurch ihre Abhängigkeit von Russland im Erdgasbereich (schnellstmöglich) zu verringern und die Sicherheit der Versorgung der Bevölkerung und Allgemeinheit mit Erdgas zu gewährleisten1202 . Die Ukraine steht erst am Anfang eines langen Reformweges zu einem wettbewerbsfähigen und gut funktionierenden Erdgasmarkt und hat noch viele Herausforderungen zu bewältigen. Die wichtigsten für die Öffnung des Erdgassektors notwendigen Voraussetzungen wurden allerdings geschaffen. Grundlegend verändert haben sich insbesondere die gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für die Marktteilnehmer, deren Rechtsbeziehungen untereinander im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung neu geregelt sowie deren Aufgaben- und Verantwortungsbereiche neu verteilt wer1198 1199

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Zachmann, Ukraine-Analysen Nr. 177, 12.12.2016, 2 (2). IMF, Press Release No. 15/51, February 12, 2015, abgerufen unter: http://www.imf.org/ external/np/sec/pr/2015/pr1551.htm (zuletzt am 01.12.2018). S. dazu Vertrag zur Gründung der Energiegemeinschaft vom 25.10.2005, ABl. L 198 v. 20.7.2006, S. 18 bis 37; Protocol concerning the accession of Ukraine to the Treaty establishing the Energy Comminity of 24.09.2010, abgerufen unter: https://www.energycommunity.org/portal/page/portal/ENC_HOME/DOCUMENTS?library.category=394 (zuletzt am 01.12.2018); Memorandum of understanding on establishing an implementation partnership between the Ministry of Energy and Coal Industry of Ukraine and the Secretariat of the Energy Community of 07.02.2014, abgerufen unter: http://enref.org/wpcontent/uploads/2015/01/Memorandum-of-Understanding.pdf (zuletzt am 01.12.2018). Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits vom 21.03.2014, OJ L 161 v. 29.05.2014, S. 3 bis 2137. Vgl. Proekt Energetyčnoji strategiji Ukrajiny na period do 2035 roku [Entwurf der Energiestrategie der Ukraine bis 2035], abgerufen unter: http://mpe.kmu.gov.ua/minugol/ control/uk/doccatalog/list?currDir=50358 (zuletzt am 01.12.2018).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_6

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

den. Diese Veränderungen haben Auswirkungen auch auf Rechtsfolgenseite bei Versorgungsstörungen. Als notwendige Basis sind aber zunächst zum einen die Erdgassektorreform, insbesondere erzielte Erfolge und weitere geplante – teilweise dringend notwendige – Maßnahmen, sowie zum anderen die für die ukrainische Erdgaswirtschaft relevanten Rechtsgrundlagen darzustellen, bevor auf für die an der Erdgasversorgung beteiligten Akteure relevante Haftungsfragen im Einzelnen eingegangen wird. Dabei ist die in den zwei Reformjahren etablierte Erdgasmarktordnung zu berücksichtigen. Im Blick auf die Fragestellung dieser Untersuchung erscheinen dabei grundsätzliche Abläufe und die beteiligten Akteure sowie ihre Tätigkeitsbereiche auf den verschiedenen Wertschöpfungsstufen als besonders interessant. A.

Die Reform des ukrainischen Erdgassektors ab 2015

Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahre 1991 blieb die ukrainische Erdgaswirtschaft für Jahrzehnte stark von russischen Erdgaslieferungen (unter anderem aufgrund des hohen Erdgasverbrauchs) abhängig. Bis 2014 lagen die Importe aus Russland bei ca. 92 Prozent der gesamten Importe der Ukraine1203 , was vom Nachbarland als Druckmittel für eigene geostrategische Zwecke eingesetzt wurde. Die Abhängigkeit von Russland, aber auch die Korrumpierung des politischen Systems und der damit verbundene Mangel an politischer Veränderungsbereitschaft bzw. der politische Wille zur Beibehaltung einiger Merkmale der sowjetischen Zentralverwaltungswirtschaft (wie etwa staatliche Regulierung von Erdgaspreisen und Marktzugang, Intransparenz sowie Monopolisierung des Erdgassektors entlang der gesamten Wertschöpfungskette) verhinderten die Entstehung eines wettbewerbsfähigen Erdgasmarktes und die Durchführung einer dafür unbedingt erforderlichen durchgreifenden Reform1204 . Seit der Aufnahme von Verhandlungen über ein weitreichendes Assoziierungsabkommen mit der EU im September 2008 und dem Beitritt zum Vertrag zur Gründung der Energiegemeinschaft im Dezember 2009 wurden zwar grundlegende Reformen in Bezug auf die Öffnung des Erdgasmarktes und die Erdgastarifpolitik angekündigt und – aktiv – diskutiert, da sie ein wichtiger Teil des internationalen Pflichtenprogramms der Ukraine im

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Vgl. statistische Daten des ukrainischen Staatskonzerns Naftogaz, abgerufen unter: http://naftogaz-europe.com/article/ru/NaturalGasSuppliestoUkraine (zuletzt am 01.12.2018). Näher dazu s. Pleines, in: Simon, Die neue Ukraine. Gesellschaft – Wirtschaft – Politik (1991-2001), S. 225 (225 ff.); Malygina, Ukraine-Analysen Nr. 73, 27.04.2010, 2 (4 ff.); Malygina, Ukraine-Analysen Nr. 94, 13.09.2011, 18 (19 ff.); Malygina, Ukraine-Analysen Nr. 112, 12.02.2013, 2 (4 ff.); Pleines, Ukraine-Analysen Nr. 134, 10.06.2014, 2 (2 ff.).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

249

Erdgasbereich waren (und auch heute noch sind). Doch ihre Umsetzung kam bis zur „Revolution der Würde“1205 im Februar 2014 nur stockend voran1206 . Erst mit dem Regierungswechsel 2014 kam neuer Schwung in den Reformprozess in der Ukraine, wobei Reformen auch tatsächlich verwirklicht werden. Die – prowestliche – Regierung unter Präsident Poroschenko war allerdings ohnehin zum Handeln gezwungen. Der starke Druck seitens der ukrainischen Bevölkerung wegen der tiefen Wirtschaftskrise und des Krieges in der Ostukraine einerseits und seitens der europäischen und internationalen Gesellschaft vor dem Hintergrund weiterer – überlebenswichtiger – Hilfskredite andererseits ließ ihr kaum eine Wahl; ein glaubwürdiges Reformprogramm musste vorgelegt werden. In der Folge wurden in den Jahren 2015 und 2016 wohl mehr Veränderungen im Erdgassektor angegangen als in den rund 20 Jahren der ukrainischen Unabhängigkeit zuvor, wenngleich der Reformprozess momentan stagniert – nicht zuletzt wegen des Widerstandes der alten oligarchischen Eliten1207 . Die erdgaswirtschaftlichen Reformen, zu welchen sich die Ukraine verpflichtet hat und welche den ukrainischen Erdgasmarkt auf die Integration in den europäischen Erdgasmarkt vorbereiten sollen, umfassen verschiedene komplexe Themenbereiche und orientieren sich am dritten Legislativpaket der EU zur Liberalisierung des Binnenmarktes für Strom und Gas mit Schwerpunkt auf dem Unbundling1208 . Im Wesentlichen handelt es sich um die Anpassung der Erdgastarife sowie die Einführung eines Tarifsystems für Ein- und Ausspeisepunkte für den Erdgastransport, die Schaffung kunden- und wettbewerbsorientierter Rahmenbedingungen für den Erdgasmarkt der Ukraine, die Entwicklung und die nachträgliche Implementierung eines neuen Gasmarktdesigns, die Sicherstellung der Unabhängigkeit der nationalen Aufsichts- und Regulierungsbehörde (Regulierer) sowie die Umstrukturierung und die finanzielle Stabilisierung des staatlichen vertikal integrierten Konzerns Naftogaz, 1205

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Der Begriff (Революція Гідності) hat sich in der Ukraine für die Proteste, die im Februar 2014 zum Sturz des kleptokratisch-autoritären Regimes des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch führten, durchgesetzt. Vgl. Chow/Elkind, The Washington Quarterly 2009 (32:1), 77 (86 ff.); DiXi Group, Zakon pro rynok gazu v Ukrajini: čy vidpovidaje vin jevropejs´kym pravylam [Gesetz über den Gasmarkt in der Ukraine: entspricht es den europäischen Anforderungen], 2010, abgerufen unter: http://ua-energy.org/upload/files/GasLegislationAnalysis_1.pdf (zuletzt am 01.12.2018); DiXi Group, Analityčna zapyska ščodo stanu realizaciji Zakonu „Pro zasady funkcionuvannja rynku pryrodnogo gazu“ [Analytischer Bericht über den Stand der Umsetzung des Gesetzes „Über die Grundsätze des Funktionierens des Erdgasmarktes”], 2012, abgerufen unter: http://ua-energy.org/upload/files/Gas%20market%20analysis _final.pdf (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Sushchenko/Hychka/Garlytska, Ukraine-Analysen Nr. 190, 25.10.2017, 9 (9 f.). Zum dritten EU-Energiepaket s. Teil I § 2 B I 3, S. 16 ff.

250

Teil II Rechtslage in der Ukraine

welcher nach dem Vorbild der russischen Gasholdinggesellschaft Gazprom gestaltet worden ist und in allen Bereichen des Erdgasgeschäfts tätitg ist1209 . Nachfolgend wird auf die ausgeführten Reformpunkte im Einzelnen näher eingegangen. I.

Tarifanpassung

Eine der wichtigsten Bedingungen für die Freigabe eines IWF-Kredits im Rahmen des vom IWF-Direktorium im Februar 2015 bewilligten Vier-JahresProgramms war die Anhebung von Erdgastarifen bzw. ihre Anpassung an das Marktniveau. Die Überlegung dahinter ist einfach: Zum einen sollen die kostendeckenden Preise die finanzielle Lage von Naftogaz verbessern, was sich wiederum auf den Staatshaushalt stabilisierend auswirken dürfte1210 , und zum anderen Anreize für die privaten Haushalte zur Energieeinsparung und -effizienz schaffen1211 . Im IWF-Programm wurden gestaffelte Tarifsteigerungen für Privathaushalte zwischen 20 und 56 Prozent pro Jahr für Erdgas und Fernwärme bis einschließlich 2017 festgeschrieben. Im ersten Schritt hat der nationale Regulierer, die Nationale Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen (ukrainische Abkürzung: NKREKP), am 03. März 2015 eine – massive – Erhöhung der Tarife für Privatkunden von mindestens 1,089 Hrywnja für ein Kubikmeter auf mindestens 3,60 Hrywnja für ein Kubikmeter in der Heizsaison (vom 01. Oktober bis 30. April) oder auf mindestens 7,188 Hrywnja für ein Kubikmeter außerhalb der Heizsaison (vom 01. Mai bis 30. September) beschlossen1212 . Dies bedeutet einen Preisanstieg um ca. 230 Prozent in der 1209

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In Anlehnung an Zachmann, Newsletter der Deutschen Beratergruppe, Ausgabe 78, April 2015, 1 (1 f.); s. auch Plan zahodiv ščodo reformuvannja gazovogo sektoru, rozporjadžennja KMU v. 25.03.2015 No. 375-p [Maßnahmenplan zur Umsetzung von Reformvorhaben im Erdgassektor, Beschluss des KMU], abgerufen unter: http://zakon4.rada. gov.ua/laws/show/375-2015-%D1%80#n9 (zuletzt am 01.12.2018). 2014 lag das staatliche Defizit mit Naftogaz Verlusten bei 11,6 Prozent des BIP, davon entfielen 5,7 Prozent auf Naftogaz, laut FMU, Rezultaty dijal´nosti Ministerstva finansiv Ukrajiny za pivroku 2015 [Ergebnisse der Tätigkeit des Finanzministeriums der Ukraine im ersten Halbjahr 2015], abgerufen unter: http://www.minfin.gov.ua/news/view/rezultatidijalnosti-ministerstva-finansiv-ukraini-za-pivroku?category=borg&subcategory=aspektiro boti (zuletzt am 01.12.2018). Zachmann, Policy Paper [PP/03/2016], S. 15 ff. Postanova Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 583 vid 03.03.2015 „Pro vstanovlennja rozdribnych cin na pryrodnyj gaz, ščo vykorystovujet´sja dlja potreb naselennja” [Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen „Über die Festlegung der Erdgaspreise für Haushaltskunden”], ab gerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/z0242-15 (zuletzt am 01.12.2018); Postanova Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky № 420 vid 03.04.2014 „Pro vstanovlennja rozdribnych cin na pryrodnyj gaz, ščo

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

251

Heizsaison und einen Preisanstieg um ca. 560 Prozent außerhalb der Heizsaison. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes „Über den Erdgasmarkt“ (Erdgasmarktgesetz bzw. ErdgasMarktG)1213 am 01. Oktober 2015 wurden allerdings der ukrainischen Regulierungsbehörde ihre Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse für die Festlegung der Erdgaspreise für die privaten Haushalte entzogen. Das neue Gesetz hat regulierte Endkundenpreise abgeschafft und die wettbewerbliche Preisbildung für Erdgas als Grundsatz des Funktionierens des Großhandels- und Endabnehmermarktes der Ukraine festgeschrieben. Die Preise sollen danach durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Für die Gewährleistung des öffentlichen Interesses bei der leitungsgebundenen Erdgasversorgung darf allerdings der Staat in die wettbewerblichen Strukturen des Endabnehmermarktes durch die sog. Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen eingreifen (vgl. Art. 11 ErdgasMarktG). Die Erdgaslieferanten mit speziellen Verpflichtungen können dabei einem Kontrahierungszwang und einer preislichen Regulierung unterliegen. Um eine nachhaltige Versorgung der privaten Haushalte bei stabilen Preisen abzusichern, die auf Grund der mit dem Übergang vom monopolistischen Markt zum voll ausgebildeten Wettbewerb verbundenen Ungewissheiten und Unsicherheiten als gefährdet angesehen wurde, hat die ukrainische Regierung von der ihr in Art. 11 ErdgasMarktG erteilten Ermächtigung Gebrauch gemacht und bereits im Oktober 2015 eine Verordnung über die Auferlegung von besonderen Verpflichtungen für die Erdgaslieferanten1214 erlassen, welche unter anderem die Erdgaspreise für Endkunden bestimmte. So wurde der Stufentarif ab dem 01. Mai 2016 aufgehoben und ein einheitlicher an den Gasimportpreis an dem deutschen Gashub NCG (NetConnect Germany) gekoppelter Grenzpreis für Erdgas für Verbraucher in Höhe von 6,879 Hrywnja

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vykorystovujet´sja dlja potreb naselennja” [Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Energiebereich „Über die Festlegung der Erdgaspreise für Haushaltskunden”], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/z0388-14? test=XX7MfyrCSgkyLzcIZi/AHL1eHI4rIs-80msh8Ie6 (zuletzt am 01.12.2018). Zakon Ukrajiny „Pro rynok pryrodnogo gazu“ [Gesetz der Ukraine „Über den Erdgasmarkt“] vom 09.04.2015 Nr. 329-VIII, zuletzt geändert am 22.09.2016, WWR, 2015, Nr. 27, Pos. 234, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/main/329-19 (zuletzt am 01.12.2018). Postanova Kabinetu Ministriv Ukrajiny vid 1 žovtnja 2015 № 758 „Pro zatverdžennja Položennja pro pokladennja special´nych obov´jazkiv na sub´jektiv rynku pryrodnogo gazu dlja zabezpečennja zagal´nosuspil´nych interesiv u procesi funkcionuvannja rynku pryrodnogo gazu (vidnosyny u perechidnyj period)“ [Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine „Zur Bestätigung der Verordnung über die Auferlegung von besonderen Verpflichtungen für die Subjekte des Erdgasmarktes zur Gewährleistung des öffentlichen Interesses bei dem Funktionieren des Erdgasmarktes (Verhältnisse in der Übergangsphase)“], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/758-2015-%D0%BF (zuletzt am 01.12.2018).

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

für ein Kubikmeter für das Lieferjahr 2016/2017 eingeführt. Wegen des weiterhin fehlenden fairen Wettbewerbs auf der Vertriebsstufe (sowie im Großhandelsmarkt) im Erdgassektor musste statt der geplanten Deregulierung Anfang 2017 eine weitere Regulierung von Erdgaspreisen für die Endkunden erfolgen; diesmal jedoch hat die ukrainische Regierung (nur) einen Verkaufspreis von Naftogaz an die Endkundenlieferanten mit besonderen Verpflichtungen i. S. d. Art. 11 ErdgasMarktG und deren höchstmöglichen Aufschlag (max. 2,5 Prozent) für das Lieferjahr 2017/2018 festgeschrieben1215 . Der von den privaten Haushalten ab dem 01. April 2017 zu zahlende Erdgaspreis berechnet sich nach der in der novellierten Fassung der genannten Verordnung verankerten Formel und beträgt nun 5,065 Hrywnja für ein Kubikmeter (zuzüglich Entgelte für den Transport und die Verteilung von Erdgas)1216 . Vor dem geschilderten Hintergrund lässt sich feststellen, dass sich die Haushaltstarife seit 2014 mehr als versechsfacht haben, was zwar das Tarifdefizit von Naftogaz eliminieren mag, jedoch massive soziale Auswirkungen auf die ukrainische Bevölkerung hat. Soziale Beihilfen zur Unterstützung von einkommensschwachen Haushalten im Bereich der leitungsgebundenen Erdgasversorgung seitens des Staates werden dadurch relevanter als je zuvor und müssen daher umso mehr mit den laufenden Transformationsprozessen in Einklang gebracht werden (beispielsweise durch die Monetarisierung von Sozialleistungen)1217 . Die Entgelte für Transport- und Verteilungsdienstleistungen, die im Rahmen eines natürlichen Monopols angeboten werden, werden von der NKREKP für den Zeitraum von einem Jahr bestimmt und richten sich nach den mit Unterstützung europäischer und internationaler Energieexperten für den jeweiligen Bereich entwickelten methodischen Richtlinien. Am 28. März 2017 hat die Behörde die neu geschaffenen Erdgastransporttarife an Einspeise- und Ausspeisepunkten angekündigt und die Abschaffung der privilegierten Sonderstel1215

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Postanova Kabinetu Ministriv Ukrajiny vid 22 bereznja 2017 № 187 „Pro zatverdžennja Položennja pro pokladennja special´nych obov´jazkiv na sub´jektiv rynku pryrodnogo gazu dlja zabezpečennja zagal´nosuspil´nych interesiv u procesi funkcionuvannja rynku pryrodnogo gazu“ [Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine „Zur Bestätigung der Verordnung über die Auferlegung von besonderen Verpflichtungen für die Subjekte des Erdgasmarktes zur Gewährleistung des öffentlichen Interesses bei dem Funktionieren des Erdgasmarktes“], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/187-2017%D0%BF (zuletzt am 01.12.2018). Zur Berechnung des zu zahlenden Erdgastarifs s. https://104.ua/ua/gas-and-money/ how-costs/id/tarifi-dlja-riznih-kategorij-spozhivachiv-7315 (zuletzt am 01.12.2018). Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Herausbildung fairen Wettberwerbs auf dem Endkundenmarkt s. Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 4; Golovnev, in: BIZNES Censor, Beitrag v. 20.01.17, 09:15, abgerufen unter: http://biz.censor.net.ua/ resonance/3019051/pochemu_v_aprele_rynok_gaza_dlya_naseleniya_ne_zarabotaet (zuletzt am 01.12.2018).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

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lung der lokalen Erdgasförderer beschlossen1218 , was wohl seitens westlicher Beobachter positiv bewertet wird1219 . Der Einspeisetarif ist für alle Einspeisepunkte des Gastransportsystems (GTS) einheitlich geregelt, während der Ausspeisetarif je nach dem Ausspeisepunkt (insgesamt 44) erhoben werden soll. Unmittelbar darauf wurde gleichwohl die Entscheidung des Regulierers in Bezug auf das Ausspeiseentgelt aufgehoben 1220 . Neben den Einspeise- und Ausspeisetarifen hat die NKREKP die Tarife für Gasverteilungsdienstleistungen auf ihrer Webseite bekanntgegeben und damit die Trennung der Erdgastransporttarife vom Preis für Erdgas als Ware endgültig vollgezogen1221 . Die entsprechenden Beschlüsse der Behörde wurden jedoch ebenfalls eine Woche später außer Karft gesetzt1222 . All dies führt zu rechtlichen Unklarheiten und Unsicherheiten bei der Anwendung der neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen auf dem ukrainischen Erdgasmarkt und sorgt für zusätzliche Hindernisse auf dem Weg zur vollen Umsetzung der Entflechtung des Netzbetriebes von den Marktbereichen der Erdgaswirtschaft. II.

Neue rechtliche Rahmenbedingungen für die Erdgaswirtschaft

Mit der Verabschiedung eines Erdgasmarktgesetzes am 09. April 2015 hat die Ukraine ihren ersten wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur liberalisierten Erdgaswirtschaft erreicht, indem die Versorgung mit diesem Energieträger auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Das Gesetz hat das Ziel, die ukrainische 1218

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Postanova Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 348 vid 28.03.2017 „Pro vstanovlennja taryfiv na poslugy transportuvannja pryrodnogo gazu dlja spožyvačiv Ukrajiny dlja točok vychodu i točok vchodu dlja PAT „Ukrtransgaz” [Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen „Über die Festlegung der Tarife für Gastransportdienstleistungen für Endabnehmer der Ukraine an den Ein- und Ausspeisepunkten der PAT „Ukrtransgaz”], abgerufen unter: http://www.nerc. gov.ua/index.php?id=24355 (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 5 f. Postanova Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 494 vid 10.04.2017 „Pro skasuvannja dejakych postanov Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug” [Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen „Über die Aufhebung einiger Beschlüsse der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen”], abgerufen unter: http://www.nerc. gov.ua/?id=24871 (zuletzt am 01.12.2018). NKREKP, Tarife für Gasverteilung, abgerufen unter: http://www.nerc.gov.ua/?id=16447 (zuletzt am 01.12.2018). S. o. Fn. 1218, S. 255. Nach einem neuen Memorandum mit dem IWF müssen die Tarife für die Gasverteilungsdienstleistungen (auf Basis Anschlusskapazität) bis Ende August 2017 bestimmt und ausgesondert sein, abgerufen unter: https://dt.ua/ECONOMICS/ minfin-oprilyudniv-povniy-tekst-memorandumu-z-mvf-238670_.html (zuletzt am 01.12.2018).

254

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Gesetzgebung im Erdgasbereich mit dem dritten Energiepaket der EU in Übereinstimmung zu bringen, was grundsätzlich gelungen ist1223 , und die Entwicklung eines wirksamen, unverfälschten und chancengleichen Wettbewerbs auf dem Erdgasmarkt der Ukraine als Voraussetzung für die Integration in den europäischen Binnenmarkt für Erdgas sicherzustellen. Damit verbunden ist die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Erdgassektor bei gleichzeitiger Sicherheit der Versorgung und des Schutzes der Verbraucher im Wege der staatlichen Regulierung. Ein entscheidender Schritt war insofern, die Trennung des Netzbetriebs von vor- und nachgelagerten Marktstufen (Förderung und Großhandel sowie Vertrieb), die Ausgestaltung des (diskriminierungsfreien) Zugangs zu den nationalen Gasversorgungsnetzen als Entry-Exit-System sowie die separate Regulierung der Netzentgelte gesetzlich zu verankern. Der ukrainische Gesetzgeber hat vielmehr – entsprechend dem EU-Recht – die Zuständigkeit für die Festlegung von Bedingungen für den Netzanschluss und -zugang sowie die Aufsicht über ihre Einhaltung ausschließlich der nationalen Regulierungsbehörde zugewiesen. Damit wurde damit der Regierung untersagt, hierauf Einfluss zu nehmen. Diese Maßnahmen sollen in erster Linie gewährleisten, dass mehrere Erdgaslieferanten ein Netz zu gleichen Bedingungen zur Belieferung ihrer Kunden nutzen können und sich gegenseitig Konkurrenz machen, was für die sichere und preisgünstige Erdgasversorgung unerlässlich ist. Dadurch kann folglich das Vertrauen in den Markt gefestigt und eine entscheidende Voraussetzung für marktgetriebene Investitionen geschaffen werden. Die Entflechtung hat obendrein noch zum Ziel, die Effizienz des Betriebs von Erdgasversorgungsnetzen durch optimale Ressourcenallokation und den im Wettbewerb entstehenden Innovationsdruck zu steigern. Dies gilt umso mehr, wenn man den erheblichen und dringenden Modernisierungsbedarf der ukrainischen Erdgastransport- und Erdgasverteilersysteme berücksichtigt1224 . In der Praxis bleiben allerdings noch weitere Herausforderungen bestehen, die möglichst

1223

1224

Energy Community, Gas Sector Reform Implementation Plan: 2 years after, S. 2, abgerufen unter: https://www.energy-community.org/portal/page/portal/ENC_HOME/DOCS/ 4612393/4BB88EA5B81A2A78E053C92FA8C0593F.pdf (zuletzt am 01.12.2018). Näher dazu Unigovs´kyj, Upravlinnja gazorozpodil´nymy systemamy. Jak zbalansuvaty interesy? [Verwaltung der Gasverteilersysteme. Wie können die Interessen gehörig ausgeglichen werden?], April 2017, S. 11; VoxUkraine/Kazda, Čomu ukrajins´ki gazorozpodil´ni mereži potrebujut´ mužnosti ta grošej [Warum bedürfen die ukrainischen Gasverteilernetze Mut und Geld], Beitrag v. 05. Februar 2016, abgerufen unter: https://voxukraine. org/uk/funds-and-firm-actions-to-reanimate-ukraines-gas-distribution-system-ua/ (zuletzt am 01.12.2018); Fedorovyč, PIPR 2014, No. 2 (2), 41 (42 ff.); Goral´, Naukovyj visnyk IFNTUNG 2011, No. 2 (28), 56 (57 ff.).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

255

schnell gelöst werden müssen, damit das Unbundling auch wirksam und nicht nur auf dem Papier erfolgen kann1225 . Das Versorgungsverhältnis zwischen dem Erdgaskunden und dem Lieferanten soll – unabhängig von ihrer Rechtsform – nach dem neuen Erdgasmarktgesetz auf vertraglicher Grundlage mit einer freien Preisbildung erfolgen und ist zivilrechtlich auszugestalten. Der Erdgaskunde ist dabei in seiner Wahl des Erdgaslieferanten frei, wenngleich dies in der Praxis immer noch nicht der Fall sei1226 . Auch der Netzbetreiber erbringt seine Erdgastransport- sowie Erdgasverteilungsdienstleistungen auf privatrechtlicher Vertragsbasis, wobei in seine Handlungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Regulierungsinstrumenten eingegriffen wird. Dies bedeutet in haftungsrechtlicher Hinsicht, dass bei Versorgungsstörungen die zivilrechtlichen Haftungsnormen unmittelbar angewendet werden können. Das Erdgasmarktgesetz bildet jedoch nicht den gesamten Ordnungsrahmen für die Erdgaswirtschaft ab. Vielmehr ist er durch eine ganze Reihe weiterer Gesetze und Verordnung definiert. In den letzten zwei Jahren hat die Ukraine mit Unterstützung externer Berater und internationaler Geldgeber zahlreiche Ergänzungen oder Änderungen bestehender Rechtsakte1227 vorgenommen sowie mehr als 50 neue Verordnungen und Durchführungsbestimmungen eingeführt, die die Umsetzung der Liberalisierung des Erdgasmarktes auch praktisch ermöglichen1228 . Es handelt sich hierbei um Netzkodizes, Standardverträge, Bewilligungsvoraussetzungen, Methoden der Preiskalkulation, Vergleichs- und Überprüfungsverfahren, Berichtsformulare und Complianceprogramme. Die Regelungsdichte in der ukrainischen Erdgaswirtschaft kann daher schon jetzt als relativ hoch bezeichnet werden. Der Transformationsprozess ist jedoch noch nicht abgeschlossen; es werden weitere gesetzgeberische Schritte folgen1229 . 1225 1226 1227

1228 1229

Dazu s. Teil II § 6 C, S. 275 ff. Energy Community, Gas Sector Reform Implementation Plan: 2 years after, S. 3. Der normative Rechtsakt (normatyvno-pravovyj akt) ist die grundlegende Rechtsquelle in der ukrainischen Rechtsordnung. Eine Legaldefinition ist jedoch bislang nicht vorhanden. Diese Aufgabe bleibt der ukrainischen Rechtswissenschaft überlassen. So wird unter dem Normativakt ein Rechtsakt verstanden, der im vorgesehenen Verfahren von dem zuständigen Organ erlassen worden ist, Verhaltensregeln (Normen) enthält, die für einen unbestimmten Pesonenkreis gelten, für eine vielfache Anwendung bestimmt sind und die die Regelung gesellschaftlicher Beziehungen oder die Änderung oder Beendigung bestehender Rechtsbeziehungen bezwecken. Vgl. Kozjubra, Staats- und Rechtstheorie der Ukraine, Kyiv 2015, S. 153 ff. Zachmann, Ukraine-Analysen Nr. 177, 12.12.2016, 2 (5). Proekt Zakonu pro osoblyvosti peredači v orendu pryjednanych gazorozpodil´nych merež z kontrol´noju častkoju deržavnoji ta/čy komunal´noji vlasnosti № 4263 vid 18.03.2016 [Entwurf eines Gesetzes über die Besonderheiten der Verpachtung der ver-

256

III.

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Ein neues Erdgasmarktdesign

Vor dem Hintergrund der vor kurzem geänderten und sich aktuell weiter ändernden allgemeinen Rahmenbedingungen im Erdgassektor soll eine neue, sich von der alten – durch die starke Monopolisierung und ineffiziente Regulierung gekennzeichneten – erheblich unterscheidende Marktstruktur entstehen. Angestrebt wird der Aufbau der folgenden wettbewerblichen, transparenten und liquiden Gasmärkte: Großhandelsmarkt, Regelenergiemarkt, Einzelhandelsmarkt sowie Markt für internationale Gastransportkapazitäten1230 . Diese Märkte müssen miteinander verbunden sein und sich parallel entwickeln, damit die Gasversorgungssicherheit, die im Hinblick auf die Entflechtung das komplexe Zusammenspiel verschiedener Marktakteure voraussetzt, gewährleistet werden kann. Der Großhandelsmarkt nach dem neuen Design soll eine breite und nachhaltige Diversifikation der Bezugsquellen für Gas und eine Vielfalt der Marktteilnehmer (Erdgasförderer, Importeure, Lieferanten, Händler, (industrielle) Verbraucher) aufweisen 1231 . Diese ist vor allem durch den diskriminierungsfreien Zugang zum ukrainischen Pipelinesystem sowie die Abschwächung der Dominanz des Monopolisten Naftogaz auf dem Erdgasmarkt (beispielsweise durch die Durchführung eines Gas Release Programms) zu erreichen1232 . Dies soll wiederum die Marktbeteiligten zwingen, selbst das notwen-

1230 1231

1232

bundenen Gasverteilernetze mit staatlichem und/oder kommunalem Mehrheitsanteil], abgerufen unter: http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511=58443 (zuletzt am 01.12.2018); Proekt Zakonu pro vnesennja zmin do dejakych zakonodavčych aktiv Ukrajiny ščodo jich pryvedennja u vidpovidnist´ z Zakonom Ukrajiny „Pro rynok pryrodnogo gazu“ № 5289 vid 19.10.2016 [Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung einiger Rechtsakte der Ukraine an das Gesetz der Ukraine „Über den Erdgasmarkt”], abgerufen unter: http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511=60296 (zuletzt am 01.12.2018); Proekt Zakonu pro vnesennja zmin do Zakonu Ukrajiny „Pro rynok pryrodnogo gazu“ (ščodo vidokremlennja dijal´nosti sub´jektiv pryrodnych monopolij vid dijal´nosti na sumižnych rynkach) № 6265 vid 31.03.2017 [Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes der Ukraine „Über den Erdgasmarkt” (in Bezug auf die Trennung der natürlichen Monopolbereiche von vor- und nachgelagerten Marktstufen)], abgerufen unter: http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511=61472 (zuletzt am 01.12.2018); Proekt Zakonu pro vnesennja zminy do statti 37 Zakonu Ukrajiny „Pro rynok pryrodnogo gazu“ ščodo osoblyvostej vykorystannja gazorozpodil´nych system, vlasnykom jakych je deržava, abo jich skladovych № 6314 vid 06.04.2017 [Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Art. 37 des Gesetzes der Ukraine „Über den Erdgasmarkt” in Bezug auf die Besonderheiten des Betriebs der Gasverteilernetze, die sich im Staatseigentum befinden, oder ihrer Teile], abgerufen unter: http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/ zweb2/webproc4_1?pf3511=61536 (zuletzt am 01.12.2018). Zachmann, Newsletter der Deutschen Beratergruppe, Ausgabe 101, März 2017, 1. S. Proekt Energetyčnoji strategiji Ukrajiny na period do 2035 roku [Entwurf der Energiestrategie der Ukraine bis 2035]. Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 3.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

257

dige Know-How in Bezug auf Gasbeschaffung bzw. Gashandel auszubauen. Aus neuen Beschaffungs- bzw. Handelsmöglichkeiten werden sich darüber hinaus neue Möglichkeiten der Preisbildung ergeben1233 . Gleichwohl müssen hier zunächst auch die Rahmenbedingungen für börslichen und außerbörslichen (Gas-)Handel revidiert bzw. optimiert werden1234 . Im Hinblick auf die langfristige Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit durch die Diversifikation der Gasbezüge (und Transportwege) wird in wissenschaftlichen Kreisen und bei den politischen Entscheidungsträgern die Schaffung eines Handelsplatzes für den Erdgas-Großhandel mit Spot- und Terminmarkt-Mechanismen in der Ukraine intensiv diskutiert1235 . Eine solche Handelsplattform könnte als physicher Gashub an der Speicherstation BilcheVolytsko-Uherske im Westen der Ukraine eingerichtet werden und sollte Gashandelsfirmen zum Kauf und Verkauf von Erdgas dienen1236 . Ein Beispiel dafür ist der Henry Hub im amerikanischen Bundesstaat Louisiana. Solange allerdings das Endziel des Reformprozesses die vollständige Liberalisierung der Erdgaswirtschaft nicht erreicht wird, ist die Realisierung des Projektes Gashub in der Ukraine nicht möglich. Das neue Erdgasmarktkonzept sieht des Weiteren die Schaffung eines Regel- und Ausgleichsenergiemarktes, welcher für die Gewährleistung einer sicheren Erdgasversorgung insbesondere durch die Erhöhung der Liquidität und Flexibilität des Erdgasmarktes von besonderer Bedeutung ist, vor. Die Marktteilnehmer müssen kurzfristige Mehr- und Mindermengen zu wettbewerblichen Preisen kaufen und verkaufen können. Die NKREKP beschäftigt sich aktuell mit der Erarbeitung eines Grundmodells der Ausgleichsleistungsund Bilanzierungsregeln mit einer Gruppe von Marktteilnehmern im Rahmen einer Arbeitsgruppe, um insbesondere den Übergang zur Tagesbilanzierung entsprechend dem Transportnetzkodex1237 sowie der EU-Verordnung zur Fest1233

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Für die Entwicklung der Preissignale in der Übergangsphase, wenn der Markt noch nicht ausreichend funktioniert, wird vorgeschlagen, Naftogaz zum sog. Market Making (für einen begrenzten Zeitraum) zu verpflichten. So Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 9. Es fehlen insbesondere Regelungen für eine Standardisierung des (Gas-)Handels an der Börse sowie Markttransparenz. Lyulchak, VNULPL 2013, 105 (105 ff.); Kulich, Ukrainian Gas Hub – a chance for Europe, Policy Paper DiXi Group, S. 12 ff.; Zachmann, Policy Briefung Series [PB/20/2016], S. 16 ff.; s. auch Proekt Energetyčnoji strategiji Ukrajiny na period do 2035 roku [Entwurf der Energiestrategie der Ukraine bis 2035]. Kulich, Ukrainian Gas Hub – a chance for Europe, Policy Paper DiXi Group, S. 13. Kodeks gazotransportnoji systemy, zatverdğeno postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug vid 30.09.2015 № 2493 [Transportnetzkodex (TranspNetzK), genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und

258

Teil II Rechtslage in der Ukraine

legung eines Netzkodex für die Gasbilanzierung in Fernleitungsnetzen1238 zu ermöglichen. Die dafür erforderliche Software wurde von Ukrtransgaz – dem für den Gastransport zuständigen Tochterunternehmen vom ukrainischen Energiekonzern Naftogas – bei einer ungarischen IT-Firma „IP Systems“ im Januar 2017 erworben1239 . Im nächsten Schritt wird das Geschäftsmodell einer Handelsplattform für Regelenergie entworfen und umgesetzt1240 . Nach dem neuen Modell soll auch ein wettbewerblicher, sich durch Angebotsvielfalt zugunsten der Erdgaskunden auszeichnender Erdgaseinzelhandelsmarkt entstehen. Die Erdgaskunden müssen die Möglichkeit haben, ihren Erdgaslieferanten frei zu wählen bzw. einfach und problemlos zu wechseln. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, einen transparenten und diskriminierungsfreien Zugang zum Verteilnetz nicht nur rechtlich festzulegen, sondern auch tatsächlich durchzusetzen. Danach sind insbesondere die Sicherstellung der (faktischen) Unabhängigkeit der Gasverteilernetzwerke von den regionalen Versorgungsunternehmen sowie die Änderung des bestehenden Systems sozialer Beihilfen erforderlich1241 . Solange allerdings diese Voraussetzugen nicht erfüllt sind, gilt das Konzept der Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen, was erhebliche Gefahren für Verfälschungen des Wettbewerbs auf dem Endabnehmermarkt birgt. Die Liberalisierung des ukrainischen Erdgassektors setzt schließlich die Herausbildung eines liquiden Handels für grenzüberschreitende Transportkapazität voraus. Dies sollte vor allem das mit der Verabschiedung des neuen Erdgasmarktgesetzes eingeführte Entry-Exit-System ermöglichen. Abschn. IX Pkt. 2 Abs. 4 TranspNetzK schreibt ferner vor, dass an Grenzen zu anderen Staaten bis zu 90 Prozent der technischen Kapazität eines Einspeise- bzw. Ausspeisepunkts auf Jahresbasis (mindestens 10 Prozent auf Quartals- und der Rest auf Monats- oder Day-ahead-Basis) in einem transparenten und diskrimierungsfreien Verfahren (nach dem Prinzip der zeitlichen Reihenfolge der Anfragen oder gegebenenfalls im Wege der Versteigerung entsprechend dem ENTSOG-Auktionskalender) vergeben werden dürfen. Zur Vermeidung von

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Kommunaldienstleistungen], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/ z1378-15/page (zuletzt am 01.12.2018). Verordnung (EU) Nr. 312/2014 der Kommission vom 26. März 2014 zur Festlegung eines Netzkodex für die Gasbilanzierung in Fernleitungsnetzen, OJ L91, 27.3.2014, p. 1535. Die Details können dem Ausschreibungsportal ProZorro (https://prozorro.gov.ua/tender/ UA-2016-11-18-000528-c) entnommen werden. So Oleksandr Stremoukh, Leiter Kommerzielles Dispatching bei Ukrtransgaz, am 20.03.2017 im Rahmen des Informationsprojekts „Energetische Freiheit“, abgerufen unter: http://utg.ua/utg/media/news/2017/03/es-2-2017.html (zuletzt am 01.12.2018). Zachmann, Newsletter der Deutschen Beratergruppe, Ausgabe 101, März 2017, 1 (2).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

259

Kapazitätshortung und Anreizung der Netznutzer zum bedarfsgerechten Buchen von Kapazität ist außerdem ein „Use-it-or-lose-it“-Mechanismus umzusetzen1242 . Gleichwohl bleibt der Zugang zu grenzüberschreitenden Gastransportkapazitäten durch bestehende langfristige Verträge mit Gazprom erschwert1243 . Das neue Erdgasmarktdesign basiert auf entflochtenen Marktrollen. Das heißt, dass die Marktteilnehmer nun im Ausgangspunkt nach ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen handeln müssen. Zugleich kann Gasversorgungssicherheit nur durch deren Zusammenspiel nachhaltig und volkswirtschaftlich effizient gewährleistet werden. Denn die Aufgaben und Verantwortlichkeiten für eine sichere Versorgung sind im Zuge der Marktöffnung entlang der gesamten Wertschöpfungskette gegenüber den vernetzt agierenden Akteuren verteilt und definiert. Anzumerken ist hier jedoch, dass die Tätigkeiten einzelner Marktteilnehmer im Rahmen der Gasversorgung mit unterschiedlichen Risiken verbunden sind. Während die Gaslieferanten als Bindeglied zwischen den verschiedenen Marktrollen die Verantwortung dafür tragen, dass ausreichend Erdgas zur Belieferung der Verbraucher in den Markt eingebracht wird, haben die Netzbetreiber eine störungsfreie Durchleitung des Erdgases zu gewährleisten. IV.

Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde

Unabdingbare Voraussetzung für die Wirksamkeit der Reformen auf dem Erdgasmarkt ist die finanzielle und politische Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörde. Sie muss die ihr zugewiesenen Befugnisse unparteiisch und transparent ausüben, um den angestrebten Wettbewerb auf dem Erdgasmarkt zu entwickeln bzw. zu fördern und dem (potenziellen) Machtmissbrauch einzelner Akteure wirksam entgegenzutreten. Aus diesem Grund wurde ein neues Gesetz über die Energieregulierungsbehörde – die Nationale Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen – in der Ukraine im Oktober 2016 beschlossen1244 , wenngleich mit erheblicher Verspätung1245 , welches ihre Selbständigkeit sicherstellt und ihre Aufgaben festlegt. 1242 1243

1244

1245

Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 10. Von besonderer Bedeutung ist daher das Urteil eines Stockholmer Schiedsgerichtshofs vom März 2018 zu den seit 2009 geltenden Verträgen mit Gazprom. Zakon Ukrajiny „Pro Nacional´nu komisiju, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug“ [Gesetz der Ukraine „Über die Nationale Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen“ (NKREKPG)] vom 22.09.2016 Nr. 1540-VIII, WWR, 2016, Nr. 51, Pos. 833, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/1540-19 (zuletzt am 01.12.2018). Energy Community, Gas Sector Reform Implementation Plan: 2 years after, S. 14.

260

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Die Unabhängigkeit der NKREKP wird nach neuer Rechtslage in erster Linie dadurch gewährleistet, dass ihre Mitglieder in offenem Wettbewerb von einer Kommission ausgewählt werden, von deren fünf Mitgliedern zwei vom Präsidenten, zwei vom Parlament und eins von der Regierung bestimmt werden (Art. 8 NKREKPG) und diese bei der Wahrnehmung ihrer Funktionen sowie Befugnisse keine (direkten oder indirekten) Weisungen von Regierungsstellen bzw. anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen einholen oder entgegennehmen (Art. 5 NKREKPG). Die daraus resultierenden weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume der Regulierungsbehörde widersprechen den Anforderungen des nationalen Staatsorganisationsrechts nicht und werden als verfassungsrechtlich konform erachtet1246 . Ihr werden ferner separate Haushaltsmittel zugewiesen, so dass sie den zugewiesenen Haushalt eigenverantwortlich ausführen kann und über eine für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessene personelle und finanzielle Ressourcenausstattung verfügt (Art. 11 NKREKPG). Es wird dafür ein Sonderfonds eingerichtet, der sich aus Beiträgen der Marktteilnehmer zusammensetzt, für die die Regulierungsbehörde zuständig ist (Art. 13 NKREKPG). Die praktische Umsetzung des neuen Gesetzes erweist sich allerdings als schwierig und schleppend. Ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen in diesem Bereich scheint die Befürchtungen ukrainischer sowie westlicher Beobachter zunächst zu bestätigen1247 . Trotz der monatelangen Verzögerungen hat der Präsident zwar einen Personalwechsel-Plan angekündigt und ist damit seiner Verpflichtung gemäß den Übergangsbestimmungen im NKREKPGesetz nachgekommen1248 . Nachdem die ersten zwei Mitglieder der NKREKP am 25. Mai 2017 abberufen wurden, erfolgte jedoch noch keine Neubesetzung. Denn die Einrichtung der Auswahlkommission wird durch das ukrainische Parlament blockiert, weil es seine Mitglieder weiterhin nicht ernennt. Als Folge kann die Beschlussfähigkeit der Regulierungsbehörde in Frage gestellt werden. Denn die NKREKP ist nur dann beschlussfähig und kann ver1246

1247

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Beschluss des Verfassungsgerichts der Ukraine v. 04.04.2017 Nr. 4-y/2017; abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/v004u710-17 (zuletzt am 01.12.2018). DiXi Group, Novyj energetyčnyj reguljator [Neuer Energieregulator], S. 18 ff., abgerufen unter: www.dixigroup.org/storage/files/2016-12-05/web_regulator.pdf (zuletzt am 01.12.2018). Ukaz Prezydenta Ukrajiny „Pro zatverdğennja planu rotaziji Golovy ta členiv Nacional´noji komisiju, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug“ [Erlaß des Präsidenten der Ukraine „Über die Bestätigung des Plans zur Abberufung des Vorsitzenden sowie der Mitglieder der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen“] vom 23.03.2017 Nr. 78/2017, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/78/2017 (zuletzt am 01.12.2018).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

261

pflichtende Beschlüsse verabschieden, wenn die Mehrheit der in Art. 7 Abs. 1 NKREKPG vorgesehenen Zahl der Mitglieder anwesend ist (vgl. Art. 14 Abs. 3 NKREKPG). Ob sich auch die Gefahren im Zusammenhang mit der Gewährleistung der finanziellen Eigenständigkeit der Behörde realisieren, bleibt noch abzuwarten. Jedenfalls sind verschiedene Maßnahmen eingeleitet worden, um mögliche Hindernisse seitens des Parlaments bei seiner (jährlichen) Zustimmung zum Haushalt der NKREKP zu verhindern bzw. zu minimieren. So werden sowohl der Haushaltsplan als auch der Haushaltsvollzug öffentlich bekannt gegeben und diskutiert. Außerdem wurde ein Verfahren für die Beitragsberechnung von betroffenen Marktteilnehmern festgelegt und auf der Webseite der NKREKP veröffentlicht1249 . Wie zuvor dargelegt, kann die Regulierungsbehörde die ihr durch Gesetz auferlegten Aufgaben nur dann wirksam bewältigen, wenn ihre personelle, funktionale sowie fiskale Selbständigkeit gegeben ist. Sie hat in erster Linie dafür zu sorgen, dass das Erdgasmarktgesetz sowie seine Verordnungen eingehalten werden. Vor diesem Hintergrund gewährleistet die NKREKP die Schaffung der Voraussetzungen für die Gründung und Entwicklung der Energiemärkte, die Umsetzung der Preispolitik im Bereich der Energiewirtschaft, den Schutz der Verbraucherrechte im Bereich der Energiewirtschaft, die internationale Integration der ukrainischen Energiemärkte ebenso wie die Förderung von Investitionen und Wettbewerb im Bereich der Energiewirtschaft (Art. 3 Abs. 3 NKREKPG). V.

Umstrukturierung von Naftogaz

Einer der anspruchsvollsten und wichtigsten Reformschritte für die ukrainische Erdgasbranche ist die Restrukturierung des monopolistischen Staatsunternehmens Naftogaz. Diese Maßnahme ist nicht nur für die Umsetzung des neuen Erdgasmarktgesetzes und die Entwicklung eines wettbewerblich funktionierenden Erdgasmarktes, sondern auch im Hinblick auf die Bekämpfung der politischen Korruption (neben der Reform des Beschaffungswesens) entscheidend1250 . Auch die wirtschaftliche Lage von Naftogaz soll sich dadurch verbessern. 1249

1250

Postanova Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 491 vid 06.04.2017 „Pro zatverdğennja Porjadku rozrachunku ta vstanovlennja stavky vneskiv na reguljuvannja” [Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen „Über die Bestätigung des Verfahrens für die Berechnung sowie Festlegung des Beitragssatzes für die Regulierung”], abgerufen unter: http://www.nerc.gov.ua/ ?id=24642 (zuletzt am 01.12.2018). Zachmann, Ukraine-Analysen Nr. 177, 12.12.2016, 2 (5).

262

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Am 01. Juli 2016 hat das Ministerkabinett der Ukraine nach eingehender Beratung mit der Energiegemeinschaft einem Plan zur Restrukturierung von Naftogaz zugestimmt1251 . Im Einklang mit den regulatorischen Vorschriften der Energiegemeinschaft und dem dritten Energiepaket der EU wurde entschieden, das Modell des Ownership Unbundling (OU) – die zwangsweise Herauslösung der Geschäftsbereiche Erdgastransport und -lagerung aus dem Konzernverbund des vertikal integrierten Unternehmens – umzusetzen (Art. 23 ErdgasMarktG). Um sicherzustellen, dass die Gastransportnetze ebenso wie die (unterirdischen) Gasspeicher auf der einen und die Wettbewerbsbereiche Gasgewinnung und Vertrieb auf der anderen Seite nicht in einer Hand liegen, sieht der Plan der ukrainischen Regierung die Gründung der zwei neuen staatseigenen Kapitalgesellschaften „Hauptgasleitungen der Ukraine“ (Magistralni gazoprovody Ukrajiny) und „Unterirdische Gasspeicher der Ukraine“ (Pidzemni gazoshowyšča Ukrajiny) sowie die Übertragung der Vermögenswerte von Ukrtransgaz, der Tochtergsellschaft von Naftogaz, an diese vor. Die Kontrolle über die neuen Unternehmen wird durch das Ministerium für Energie und Kohleindustrie (MfEKI) sowie weitere staatliche Stellen ausgeübt. Die Übertragung der Vermögenswerte von Ukrtransgaz ist gleichwohl zulässig, sobald eine Frist von 30 Tagen nach der rechtskräftigen Beilegung der Schiedsverfahren von Naftogaz und Gazprom verstrichen ist. Die PAT Hauptgasleitungen der Ukraine soll dann innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten der Schiedssprüche eine Gastransportnetze-Konzession bei der zuständigen Regulierungsbehörde beantragen. Die Privatisierung der Aktiva steht momentan (noch) nicht auf der Agenda, obwohl dies die von den externen Experten empfohlene Option für den ukrainischen Gassektor wäre1252 . Naftogaz und ihre Förderungs- und Handelsbereiche sollen weiterhin dem Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel (MfwEH) unterstellt bleiben. Derzeit sind lediglich die buchhalterische und die funktionale Entflechtung gegeben. Die weitere Umsetzung des Entflechtungsplans bringt eine Reihe von politischen und praktischen Problemen, insbesondere wegen Spannungen zwischen den Beteiligten zutage, so dass es zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen kommt. So hat Naftogaz zwar bereits Mitte September 2016 die Kontrolle über ihre Tochtergesellschaften abgegeben. Die Aufsicht über Ukrtrans1251

1252

Postanova Kabinetu Ministriv Ukrajiny „Pro vidokremlennja dijanosti z transportuvannja ta zberigannja (zakačuvannja, vidboru) pryrodnogo gazu“ vid 01.07.2016 № 496 [Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine „Über die Trennung der Geschäftsbereiche Erdgastransport und -lagerung (Einspeisung, Ausspeisung)”], abgerufen unter: http://www.kmu.gov.ua/control/uk/cardnpd%3Fdocid%3D249240258 (zuletzt am 01.12.2018). Zachmann, Policy Paper [PP/05/2015], S. 15.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

263

gaz hat jedoch anstelle des MfEKI entgegen den Anforderungen der Energiegemeinschaft und des dritten EU-Energiepakets das MfwEH, welches auch Naftogaz überwacht1253 , auszuüben. Es wurde zudem ein neuer Aufsichtsrat als Garantie der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ausgewählt. Drei Mitglieder des Aufsichtsorgans kommen aus der westlichen Erdgasbranche, was die Vertrauensverhältnisse mit internationalen Partnern verbessern sollte. Die jüngsten Entwicklungen im ukrainischen Erdgasbereich wie der Rücktritt der Naftogaz-Aufsichtsratschefin, Julia Kowaliw, im April 2017 sowie die Erhöhung der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats von fünf auf sieben1254 , die in der Ukraine als Versuch der Regierung, wieder mehr Einfluss auf die Prozesse innerhalb von Naftogaz zu gewinnen, angesehen wird1255 , tragen dazu jedoch kaum bei und sind für die internationalen Beobachter und Investoren eher besorgniserregend. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass laut Kowaliw aktuell verschiedene Wege über eine weitere Entwicklung von Naftogaz diskutiert werden und es keinen Konsens über die Reform gemäß dem Anfangsplan gibt1256 . B.

Rechtsgrundlagen der leitungsgebundenen Erdgasversorgung

Das geltende ukrainische Energierecht ist völkerrechtlichen und in besonderer Weise europarechtlichen Einflüssen stark ausgesetzt. Das internationale und europäische Energierecht als Handlungsebene der Energieversorgungssicherheit verfügt über einen vielfältigen und umfangreichen Regelungskomplex. Es wird daher an dieser Stelle analysiert, welche europarechtliche Vorgaben und Wertungen, auf welche sich der ukrainische Gesetzgeber bei der Entwicklung der (neuen) erdgaswirtschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen orientiert hat, für die Ukraine verbindlich sind. 1253

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1255

1256

Postanova Kabinetu Ministriv Ukrajiny „Dejaki pytannja vdoskonalennja korporatyvnogo upravlinnja publičnogo akzionernogo tovarystva „Nazional´na akzionerna kompanija „Naftogaz Ukrajiny“ vid 05.12.2015 № 1002 [Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine „Zu einigen Fragen der Verbesserung der korporativen Führung der öffentlichen Aktiengesellschaft „Nationale Aktiengesellschaft „Naftogaz der Ukraine”], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/1002-2015-%D0%BF (zuletzt am 01.12.2018). Postanova Kabinetu Ministriv Ukrajiny „Pytannja formuvannja nagljadovoji rady publičnogo akzionernogo tovarystva „Nazional´na akzionerna kompanija „Naftogaz Ukrajiny“ vid 29.03.2017 № 232 [Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine „Zu Fragen der Bildung eines Aufsichtsrats der öffentlichen Aktiengesellschaft “Nationale Aktiengesellschaft „Naftogaz der Ukraine”], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/ laws/show/232-2017-%D0%BF (zuletzt am 13.10.2018). So Rjasnyj, Ekonomična pravda, Beitrag v. 29.03.2017, abgerufen unter: https://www.epravda.com.ua/publications/2017/03/29/623229/ (zuletzt am 01.12.2018). Ukrinform, Beitrag v. 14.04.2017, abgerufen unter: https://www.ukrinform.de/rubricsonstiges/2211807-naftogazaufsichtsratschefin-kowaliw-zuruckgetreten.html (zuletzt am 01.12.2018).

264

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Ferner gilt zu beachten, dass auf nationaler Ebene die Rechtsbeziehungen und Prozesse im Hinblick auf die leitungsgebundene Erdgasversorgung in speziellen, schwerpunktmäßig die Erdgaswirtschaft betreffenden Gesetzen, die wiederum durch zahlreiche untergesetzliche Regelungen – Durchführungsvorschriften – präzisiert und vervollständigt werden, weitgehend geregelt, aber auch in einzelnen Bestimmungen der Zivil- und Wirtschaftsgesetzgebung ausdrücklich berücksichtigt sind. Darüber hinaus enthalten das Strafgesetzbuch1257 sowie das Gesetzbuch der Verwaltungsrechtsverletzungen1258 spezielle Vorschriften zur straf- und verwaltungsrechtlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung in der Ukraine (Art. 292 StGB, Artt. 101, 103 VerwGB), so dass die an der Versorgung Beteiligten neben zivilrechtlichen Konsequenzen auch strafrechtliche und öffentlich-rechtliche Folgen fürchten müssen. I.

Unionsrechtliche Quellen

Die Ukraine wird aus Sicht der EU als Drittstaat angesehen. Der Status wird sämtlichen Ländern verliehen, die dem Kreis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht angehören. Das bedeutet, dass weder das (primäre sowie sekundäre) Unionsrecht noch die Rechtsprechung des EuGH unmittelbare Wirkung und Verbindlichkeit für die bzw. in der Ukraine entfalten. Daran hat sich auch mit der (vollständigen) Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU am 27. Juni 20141259 bei einem Gipfel in Brüssel nichts geändert. Denn das rund 1200 Seiten umfassende Vertragswerk stellt einen klassischen völkerrechtlichen Vertrag dar, welcher nur dadurch seine Geltung in der innerstaatlichen Rechtsordnung erlangt, dass ein nationaler (Transformations-)Akt ihm diese Geltung zuspricht. Es ist kein Rechtsakt, welcher von der EU auf der Grundlage ihrer autonomen Rechtsetzungskompetenz erlassen wurde (wie bei Verordnungen und Richtlinien). Nach Art. 9 der Verfassung der Ukraine1260 i. V. m. Art. 9 des Gesetzes 1257

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Kryminal´nyj kodeks Ukrajiny [Strafgesetzbuch der Ukraine, StGB] vom 05.04.2001 Nr. 2341-III, zuletzt geändert am 18.05.2017, WWR, 2003, Nr. 18, Nr. 19-20, Nr. 21-22, Pos. 144, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/2341-14 (zuletzt am 01.12.2018). Kodeks Ukrajiny pro administratyvni pravoporušennja [Gesetzbuch der Ukraine über die Verwaltungsrechtsverletzungen, VerwGB] vom 07.12.1984 Nr. 8073-X, zuletzt geändert am 16.05.2017, WWR, 1984, Anhang zur Nr. 51, Pos. 1122, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/80731-10 (zuletzt am 01.12.2018). Am 21. März 2014 wurde lediglich der sog. politische Teil des Abkommens unterzeichnet. Der ausstehende wirtschaftliche Teil, der vor allem die Regelungen für ein Freihandelsabkommen enthält, wurde erst am 27. Juni 2014 unterzeichnet. Konstytucija Ukrajiny [Verfassung der Ukraine], Gesetz vom 28.06.1996 Nr. 254к/96-BP, zuletzt geändert am 02.06.2016, WWR, 1996, Nr. 30, Pos. 141, abgerufen unter:

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

265

über völkerrechtliche Verträge1261 wird ein völkerrechtlicher Vertrag durch ein Zustimmungsgesetz der Legislative, Werchowna Rada, zu diesem in ukrainisches Recht aufgenommen. Soweit Vertragsgesetz und völkerrechtlicher Vertrag in Kraft sind, erlangen die entsprechenden Normen in der Ukraine Geltung; sie gehen hierbei den (einfachen) Nationalgesetzen vor1262 . Das Assoziierungsabkommen, welches die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU bildet, wurde am 16. September 2014 von den Parlamenten in Kiew und Straßburg ratifiziert1263 und ist zum Jahresbeginn 2016 vorläufig in Kraft getreten1264 . Zu den daraus resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Ukraine gehört insbesondere – trotz fehlender Beteiligung an der EUEntscheidungsfindung und dem Rechtsetzungsverfahren – eine Angleichung ihrer Rechtsvorschriften an den acquis communautaire der EU in ausgewählten Bereichen, unter anderem im Energiesektor. Die im Abkommen enthaltenen Angleichungsklauseln bestimmen dabei den Umfang und den Gehalt des zu übernehmenden Unionsrechts. Im Übrigen ist die Ukraine frei, über die Übernahme des europäischen Rechts ohne zugrunde liegende Rechtspflicht zu entscheiden. In Art. 341 des Assoziierungsabkommens in Verbindung mit Anhang XXVII-2 findet sich eine Auflistung der im Erdgassektor umzusetzenden Rechtsakte der EU mit präzigen Umsetzungsfristen. Danach muss die Ukraine die Richtlinien und Verordnungen des zweiten EU-Energiepakets für den Erdgasbereich implementiert haben. Das Assoziierungsabkommen trägt überdies dem Umstand Rechnung, dass die Ukraine als Mitglied der Europäischen Energiegemeinschaft ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag

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1264

http://zakon5.rada.gov.ua/laws/show/254%D0%BA/96-%D0%B2%D1%80/page (zuletzt am 01.12.2018). Zakon Ukrajiny „Pro mižnarodni dogovory Ukrajiny“ [Gesetz der Ukraine „Über völkerrechtliche Verträge der Ukraine“] vom 29.06.2004 Nr. 1906-IV, zuletzt geändert am 05.06.2014, WWR, 2004, Nr. 50, Pos. 540, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/ laws/show/1906-15 (zuletzt am 01.12.2018). Völkerrechtliche Verträge stehen allerdings nicht über der Verfassung der Ukraine. Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die der ukrainischen Verfassung zuwiderlaufen, ist erst nach ihrer entsprechenden Anpassung möglich (Art. 9 Verf). S. dazu Zabokrytskyy, VNULPURN 2015, 69 (71 f.). Zakon Ukrajiny „Pro ratyfikaciju Ugody pro asociaciju miž Ukrajiniju, z odnijeji storony, ta Jevropejs´kym Sojuzom, Jevropejs´kym spivtovarystvom z atomnoji energiji i jichnimy deržavamy-členamy, z inšoji storony“ [Gesetz der Ukraine „Über die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine einerseits und der Europäischen Union, der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits“] vom 16.09.2014 Nr. 1678-VII, WWR, 2014, Nr. 40, Pos. 2021, abgerufen unter: http://zakon4.rada.gov.ua/laws/show/1678-18/paran2#n2 (zuletzt am 01.12.2018). Die vorläufige Anwendung des Abkommens bis zu dessen endgültigem Inkrafttreten ist auf die Angelegenheiten beschränkt, die in die Zuständigkeit der EU fallen.

266

Teil II Rechtslage in der Ukraine

zur Gründung der Energiegemeinschaft von 2005 zu erfüllen hat, und gibt bei seiner Umsetzung im den Erdgassektor betreffenden Teil der Annahme von Rechtsvorschriften oder anderen Akten, die im Einklang mit dem Vertrag zur Gründung der Energiegemeinschaft stehen oder auf den in der EU für diesen Bereich geltenden Rechtsvorschriften basieren, den Vorrang (Art. 278 Abs. 2). Da die Energiegemeinschaft das dritte EU-Energiebinnenmarktpaket, das wesentliche Neuerungen in den Bereichen Netzentflechtung, Regulierungsbehörden und Binnenmarktgovernance enthält und mit dem das zweite Paket geändert wurde, im Oktober 2011 übernommen hat1265 , sind vor dem soeben geschilderten Hintergrund die gegenwärtig geltenden Regelungen des energiespezifischen acquis communautaire in die ukrainische Energiegesetzgebung anzunehmen. Die von der Ukraine im Erdgasbereich umzusetzenden Vorschriften des dritten Binnenmarktpakets der EU sind mithin die Richtlinie 2009/73/EG für Erdgasbinnenmarkt, die Verordnung (EG) 715/2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen sowie die Verordnung (EG) 713/2009 zur Gründung von Agenturen für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden. Für die im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu behandelnden (Haftungs-)Fragen sind die Vorgaben der Gasbinnenmarktrichtlinie 2009/73/EG, die die Prinzipien und Regeln eines effizienten Funktionierens des Erdgas(binnen)marktes, von grundlegender Bedeutung. Auf den Regelungsgehalt sowie die Reichweite der Richtlinie von 2009 wurde bereits eingegangen1266 . II.

Ukrainische Quellen

Für eine genaue Erfassung der ukrainischen Regelungen zur Erdgasversorgung, die in verschiedenen (gesetzlichen und untergesetzlichen) Rechtsakten zu finden sind, müssen die Strukturprinzipien und die Eigenarten der ukrainischen Rechtsordnung berücksichtigt werden. Zunächst ist festzustellen, dass das ukrainische Recht wie das deutsche Recht oder aber auch das russische Recht1267 hierarchisch aufgebaut ist1268 . An der Spitze der Normenhierarchie

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Entscheidung Nr. D/2011/02/MC-EnC zur Umsetzung der Richtlinie 2009/72/EG, Richtlinie 2009/73/EG, Verordnung (EG) Nr. 714/2009 und Verordnung (EG) Nr. 715/2009 zur Änderung der Artikel 11 und 59 des Vertrages, abgerufen unter: https://www.energycommunity.org/portal/page/portal/ENC_HOME/ENERGY_COMMUNITY/Legal/Decisions (zuletzt am 01.12.2018). S. dazu Teil I § 2 B I 3, S. 16 ff. Arzinger/Galander, Russisches Wirtschaftsrecht, S. 2. Näher dazu Schreiben des Justizministeriums der Ukraine zur Anwendung normativer Rechtsakte im Falle einer Kollision zwischen untergesetzlichen Akten v. 30.01.2009

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

267

steht die Verfassung der Ukraine (Art. 8 Abs. 2 S. 1 Verf); Gesetze und andere normative Rechtsakte müssen im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorschriften stehen (Art. 8 Abs. 2 S. 2 Verf). Im Rang unter der Verfassung der Ukraine sind die von der Werchowna Rada auf Grundlage der Art. 92 ff. Verf. erlassenen Gesetze angesiedelt. An dieser Stelle ist die besondere Funktion des ZGB in der zivilrechtlichen Normenpyramide zu beachten. Nach Art. 4 Abs. 2 UA 1, 2 ZGB ist das ZGB ein zentrales Regelwerk der ukrainischen Zivilrechtsordnung. Andere – zivilrechtliche – Gesetze dürfen der Verfassung und dem ZGB nicht widersprechen. Daraus ergibt sich eine vorherrschende Stellung des ZGB gegenüber allen anderen Rechtsakten im Bereich des Zivilrechts1269 . Das bedeutet, dass die Bestimmungen des ZGB bei der Auslegung und Anwendung anderer zivilrechtlicher Gesetze, auch im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung, Beachtung finden müssen1270 . Der Gedanke dahinter ist, Widersprüche zwischen dem ZGB und den zivilrechtlichen Sondergesetzen zu vermeiden und hierdurch eine größtmögliche Rechtssicherheit zu gewährleisten1271 . Ein entsprechender Vorrang des ZGB ist auch in der verwandten russischen (Zivil-)Rechtsordnung anerkannt und gilt als Abkehr von der sowjetischen Rechtstradition1272 . Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass bei der Anwendung und Auslegung von Rechtsnormen die Verfügungen des Obersten Gerichts der Ukraine eine wichtige Rolle einnehmen. Um seine Funktion zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu erfüllen, darf das Oberste Gericht die (streitentscheidenden) Rechtsnormen auslegen und ihren Sinn ermitteln (vgl. Art. 36 Abs. 2 Nr. 6 GOuRiG1273 ). Deartige Schlussfolgerungen zur Anwendung der bestimmten Vorschrift sind gemäß Art. 13 Abs. 5 und 6 GOuRiG für alle Subjekte mit Machtbefugnissen verbindlich und von anderen (untergeordneten) Gerichten zu beachten. Das jeweilige (untergeordnete) Gericht darf allerdings von der einschlägigen Verfügung des Obersten Gerichts abweichen, soweit es

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1272 1273

Nr. H-35267-18, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/v3526323-09 (zuletzt am 01.12.2018). Sibiljov, Visnyk ChIRUtP 4/2004, 56 (57); Janovytska/Kučer, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht], S. 17; Borysova, Cyvil´ne pravo [Zivilrecht], Kharkiv, Bd. 1, S. 36 ff.; Majdanyk, Cyvil´ne pravo. Zagal´na častyna [Zivilrecht. AT], S. 115 f. Majdanyk, Cyvil´ne pravo. Zagal´na častyna [Zivilrecht. AT] 2012, S. 115 f. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Kuznjecova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 1, Art. 4 S. 18. Solotych, ZGB der RF – Erster Teil, S. 19 ff. Zakon Ukrajiny „Pro sudoustrij i status suddiv“ [Gesetz der Ukraine „Über die Gerichtsorganisation und den Status von Richtern“ – GOuRiG] vom 02.06.2016 Nr. 1402-VIII, WWR, 2016, Nr. 31, Pos. 545, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/ 1402-19 (zuletzt am 01.12.2018).

268

Teil II Rechtslage in der Ukraine

seine Entscheidung entsprechend begründet. Nicht zuletzt dieser Umstand spricht dafür, dass es sich hier um keine Rechtsschaffung durch Präzedenzfälle handelt, wie dies dem Common Law bekannt ist, sondern lediglich um die Konkretisierung des Regelungsgehalts der jeweiligen Norm zur einheitlichen Rechtsanwendung1274 . 1.

Relevante Energiegesetze

Die Grundsätze der Organisation des Erdgasmarktes finden ihre rechtliche Grundlage im Erdgasmarktgesetz von 2015. Art. 3 ErdgasMarktG legt fest, dass die Funktionsweise des Erdgasmarktes in der Ukraine auf freiem und fairem Wettbewerb, hohem Grad an Verbraucherschutz in Bezug auf Erdgas, insbesondere Versorgungssicherheit durch die Diversifizierung der Bezugsquellen, freiem Erdgashandel und Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer (unabhängig von ihrem Herkunftsland), freier Wahl des Erdgaslieferanten, Deregulierung und Nichteinmischung des ukrainischen Staates in den Erdgasmarkt, nichtdiskriminierendem Zugang zu den Gastransport- und Gasverteilersystemen, Speicheranlagen, LNG-Anlagen, Verantwortung der Marktteilnehmer für die Verletzung von Marktverhaltensregeln sowie Vertragsbedingungen beruht. Der Geltungsbereich des Gesetzes umfasst die Belieferung mit Erdgas (Artt. 12 ff. ErdgasMarktG), die Lagerung (Artt. 44 ff. ErdgasMarktG), den Transport (Art. 19 ff. ErdgasMarktG) und die Verteilung von Erdgas (Artt. 37 ff. ErdgasMarktG), die Lizenzierung (Art. 9 ErdgasMarktG) und die staatliche Regulierung auf dem Erdgasmarkt (Art. 4 ErdgasMarktG). Aus dem Gesetz ergibt sich allerdings nicht, in welchem Verhältnis die Marktteilnehmer – Netzbetreiber, Lieferant und Verbraucher – zueinander stehen. (Rechts-)Klarheit darüber verschaffen die untergesetzlichen Rechtsakte, die durch die Regulierungsbehörde im Bereich Energie und andere Akteure verabschiedet werden und die eine detaillierte Ausgestaltung der zwischen den einzelnen Erdgasmarktteilnehmern bei der Erdgaslieferung an (industrielle und private) Endabnehmer sowie beim Erdgastransport bzw. -verteilung durch die ukrainischen Versorgungsnetze entstehenden Rechtsverhältnisse bieten. Zu nennen sind hier insbesondere Regeln für die Erdgaslieferung1275 , die Verordnung über die Auferlegung von besonderen Verpflichtungen für die Subjek1274

1275

So bereits zur alten Rechtslage Romanjuk/Bejcun, Pravo Ukrajiny 2012, Nr. 11-12, 122 (126 ff.). Pravyla postačannja pryrodnogo gazu, zatverdženni Postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 2496 vid 30.09.2015 [Regeln für die Erdgaslieferung, genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen (ErdgasLieferR)], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov. ua/laws/show/z1382-15#n12 (zuletzt am 01.12.2018).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

269

te des Erdgasmarktes zur Gewährleistung des öffentlichen Interesses für das Funktionieren des Erdgasmarktes1276 , der Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher1277 , der Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung1278 , der Verteilernetzkodex1279 , der Standardvertrag über die Verteilung des Erdgases1280 , der Transportnetzkodex und der Standardvertrag über den Transport des Erdgases 1281 . Den angeführten Rechtsakten kann indes entnommen werden, dass eine vertragliche Abwicklung des Transports von Erdgas durch örtliche Gasverteilernetze im Verantwortungsbereich des Endkunden liegt. Denn für seine Erdgasversorgung muss der Verbraucher i. S. d. ErdgasMarktG neben dem Erdgasliefervertrag mit dem Lieferanten einen – nunmehr separaten1282 – 1276 1277

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Fn. 1215, S. 252. Typovyj dogovir postačannja pryrodnogo gazu pobutovym spožyvačam, zatverdženyj Postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 2500 vid 30.09.2015 [Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher, genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/z1386-15 (zuletzt am 01.12.2018). Typovyj dogovir postačannja pryrodnogo gazu postačal´nykom „ostann´oji nadiji“, zatverdženyj Postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 2501 vid 30.09.2015 [Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung, genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/ laws/show/z1387-15 (zuletzt am 01.12.2018). Kodeks gazorozpodil´noji systemy, zatverdğenyj postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 2494 vid 30.09.2015 [Verteilernetzkodex (VerteilNetzK), genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/z1379-15 (zuletzt am 01.12.2018). Typovyj dogovir rozpodilu pryrodnogo gazu, zatverdženyj Postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 2498 vid 30.09.2015 [Standardvertrag über die Verteilung des Erdgases, genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen], abgerufen unter: http://zakon2.rada. gov.ua/laws/show/z1384-15 (zuletzt am 01.12.2018). Typovyj dogovir transportuvannja pryrodnogo gazu, zatverdženyj Postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 2497 vid 30.09.2015 [Standardvertrag über den Transport des Erdgases, genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/z1383-15 (zuletzt am 01.12.2018). Zunächst (kurz vor der Reform von 2015) wurde eine dreiseitige (Standard-)Vereinbarung, bei welcher zwei an sich selbständige Verträge – Vertrag über die Lieferung von Erdgas und Vertrag über die Verteilung von Erdgas – zu einem Gesamtvertrag zusammengefasst wurden, als rechtliche Grundlage für die Erdgasversorgung der Bevölkerung

270

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Erdgasverteilungsvertrag mit dem Netzbetreiber, welcher eine staatliche Genehmigung (bzw. Lizenz) für die Verteilung von Erdgas besitzt, abgeschlossen haben. Die Organisation des Transports von Erdgas durch die Gastransportnetze gehört dabei grundsätzlich zum Pflichtenprogramm des Lieferanten. Sollte der Verbraucher aber unmittelbar an das Gastransportsystem angeschlossen sein, geht (auch) er einen Erdgastransportvertrag mit dem zum Transport von Erdgas zugelassenen Netzbetreiber ein. Daraus folgt, dass die Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung zwischen Netzbetreiber, Lieferanten und letztverbrauchenden Kunden aufgeteilt werden. Als potenzielle Anspruchsgegner von Schadensersatzansprüchen des Erdgaskunden bei Versorgungsstörungen kommen demnach sowohl der Lieferant als auch der Netzbetreiber in Betracht. Der ukrainische Energiegesetzgeber hat kein spezielles Haftungsregime für die Rechtsbeziehungen im Interessendreieck zwischen Letztverbraucher, Netzbetreiber und Erdgaslieferanten vorgesehen und lediglich auf die Normen des allgemeinen Haftungsrechts verwiesen. Er scheint dabei verkannt zu haben, dass der Netzbetreiber – angesichts der üblichen Ursachen für Versorgungsstörungen – eine (wesentlich) schlechtere haftungsrechtliche Rechtsstellung als der Lieferant hat und seine Haftungslasten nicht ohne Weiteres kompensieren kann. Das Erdgasmarktgesetz und die aufgrund der dort vorgesehenen Ermächtigungen ergangenen Durchführungsvorschriften bilden ein nationales Legislativpaket zur Liberalisierung des Erdgasmarktes und zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben in der Ukraine. Es stellt eine absolute Neuheit in der ukrainischen Energiegesetzgebung – und vielleicht sogar in der ganzen ukrainischen Rechtsordnung – sowohl in konzeptioneller als auch in inhaltlicher Hinsicht dar1283 .

1283

festgelegt. S. dazu Typovyj dogovir na postačannja pryrodnogo gazu za reguljovanym taryfom, zatverdženyj Postanovoju Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug № 35 vid 22.01.2015 [Standardvertrag über die Erdgaslieferung zu regulierten Preisen, genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/z017215#n13 (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Vysnovok Golovnogo naukovo-ekspertnogo upravlinnja na proekt Zakonu Ukrajiny „Pro rynok pryrodnogo gazu“ № 2250 vid 26.02.2015 [Beschlussempfehlung des Oberen Gutachterausschusses des Apparates der Werchowna Rada der Ukraine zum Entwurf des Erdgasmarktgesetzes], abgerufen unter: http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/zweb2/ webproc34?id=&pf3511=54205&pf35401=332152 (zuletzt am 01.12.2018).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

2.

271

Zivilrechtliche Regelungen zur Erdgasversorgung

Relevante Bestimmungen bezüglich der Erdgasversorgung finden sich ferner in Art. 714 des Zivilgesetzbuchs der Ukraine (ZGB)1284 . Art. 714 ZGB regelt den Vertrag über die Versorgung mit Energie und anderen Ressourcen durch das angeschlossene Netz und bestätigt damit seine Wichtigkeit und Üblichkeit im Verkehrsleben. Darunter fallen alle Verhältnisse, die bei der Versorgung der Verbraucher (Abonnenten) mit Energie und anderen Ressourcen entstehen und durch das Merkmal der Leitungsgebundenheit gekennzeichnet sind. Welche Energieträger der Energie, die den Gegenstand des in Art. 714 ZGB normierten Energieversorgungsvertrags bildet, zuzuordnen sind, wird durch den ukrainischen Gesetzgeber nicht näher bestimmt. Abgestellt wird dabei allein auf den im Vordergrund stehenden Aspekt der Versorgung. Dies lässt annehmen, dass die Energie i. S. d. Art. 714 Abs. 1 ZGB weit auszulegen ist und dass der Begriff alle Energieträger, auch Erdgas, umfasst, wenn sie zur leitungsgebundenen Energieversorgung verwendet werden 1285 . Die Rechtsbeziehungen, im Rahmen derer der Verbraucher – natürliche oder juristische Person – mit Erdgas durch das angeschlossene Netz versorgt wird, sind demnach von den Bestimmungen des Art. 714 ZGB erfasst. Es bleibt vor diesem Hintergrund festzuhalten, dass der Erdgasversorgungsvertrag eine Unterart des Energieversorgungsvertrags darstellt 1286 , welcher im ukrainischen ZGB wiederum als eine selbständige Art des Kaufvertrags behandelt wird1287 . Die Anwendung des Art. 714 ZGB wirft jedoch im Hinblick auf das nach dem geltenden Rechtsrahmen für den Erdgassektor gespaltene Erdgasversorgungsverhältnis Fragen auf. Denn während die Regeln der neu geschaffenen speziellen Energiegesetze die (endgültige) Trennung der Rechtsbeziehung zwischen Verbraucher/Lieferanten und Verbraucher/Netzbetreiber vorsehen, bleibt die in Rede stehende Vorschrift, bei deren Schaffung der ukrainische Gesetzgeber von den damals geltenden energierechtlichen Rahmenbe-

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Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny [Zivilgesetzbuch der Ukraine, ZGB] vom 16.01.2003 Nr. 435IV, zuletzt geändert am 05.04.2017, WWR, 2003, Nr. 40-44, Pos. 356, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/main/435-15 (zuletzt am 01.12.2018). Dzera/Kuznjecova/Luc´/Luc´, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. II, Art. 714 S. 324 f.; vgl. Kryvoručko, Visegrad Journal on Human Rights 1/1 2016, 115 (117 ff.). Anders aber Kryvoručko, Visegrad Journal on Human Rights 1/1 2016, 115 (117 ff.), die unter den in Art. 714 ZGB geregelten Vertragstyp lediglich Verträge über die Strom- und Wärmeversorgung subsumiert. Serbova, Pravo i suspil´stvo 2009, Nr. 3, 41 (41 ff.); Vavgenchuk, Jurydyčnyj visnyk 1 (18) 2011, 54 (54 f.).

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

dingungen für die Energieversorgung1288 und deshalb wohl von einem einheitlichen – monokausalen – Versorgungsverhältnis ausgegangen ist1289 , von der vor zwei Jahren begonnen Energiereform (ebenso wie von sämtlichen seit der Verabschiedung des ZGB im Jahre 2003 unternommenen Reformversuchen im Energiesektor1290 ) ungeändert. Insoweit ist unklar, wie Art. 714 ZGB sich zu dem neuen System von Vertragstypen im ukrainischen Energierecht verhält. Ausgehend vom Gegenstand des im ZGB kodifizierten Energieversorgungsvertrags lässt sich lediglich der Vertrag über die Lieferung von Erdgas i. S. d. neuen Energiegesetzgebung unter Art. 714 ZGB subsumieren. Nach Art. 714 Abs. 1 ZGB wird der Versorger verpflichtet, dem Verbraucher (Abonnenten) die Energie zu übergeben, und der Verbraucher muss die abgenommene Energie fristgerecht bezahlen, was auch dem Wesen und dem Inhalt des Lieferverhältnisses zwischen dem Lieferanten und dem Verbraucher gemäß Art. 12 ErdgasMarktG entspricht. Der Vertrag ist insofern in erster Linie 1288

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S. dazu Pravyla nadannja naselennju poslug z gazopostačannja, zatverdženni Postanovoju Kabinetu Ministriv Ukrajiny № 2246 vid 09.12.1999 [Regeln über die Gasversorgung der Bevölkerung, genehmigt durch Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine] in der Fassung v. 14.04.2004, derzeit außer Kraft, abgerufen unter: http://zakon3.rada. gov.ua/laws/show/2246-99-%D0%BF/ed20040414 (zuletzt am 01.12.2018); Typovyj dogovir pro nadannja naselennju poslug z gazopostačannja, zatverdženyj Postanovoju Kabinetu Ministriv Ukrajiny № 938 vid 05.07.2006 [Standardvertrag über die Gasversorgung der Bevölkerung, genehmigt durch Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine], derzeit außer Kraft, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/938-2006%D0%BF/ed20060705 (zuletzt am 01.12.2018); vgl. aber Porjadok zabezpečennja galuzej nacional´noji ekonomiky ta naselennja pryrodnym gazom, zatverdženni Postanovoju Kabinetu Ministriv Ukrajiny № 1729 vid 27.12.2001 [Verfahren zur Erdgasversorgung der Branchen der Nationalwirtschaft sowie der Bevölkerung, genehmigt durch Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine], derzeit außer Kraft, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/ 1729-2001-%D0%BF/ed20011227 (zuletzt am 01.12.2018). So Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 148 f.; Stefančuk, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 234 ff.; Bychkova, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobo´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und nichtvertragliche Schuldverhältnisse], 2006, S. 60 ff.; vgl. Kossak/Jakubivs´kyj, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 714 S. 600 f. Ausführlich dazu Malygina, Ukraine-Analysen Nr. 73, 27.04.2010, 2 (4 ff.); DiXi Group, Zakon pro rynok gazu v Ukrajini: čy vidpovidaje vin jevropejs´kym pravylam [Gesetz über den Gasmarkt in der Ukraine: Entspricht es den europäischen Anforderungen], 2010; Malygina, Ukraine-Analysen Nr. 94, 13.09.2011, 18 (19 ff.); DiXi Group, Analityčna zapyska ščodo stanu realizaciji Zakonu „Pro zasady funkcionuvannja rynku pryrodnogo gazu“ [Analytischer Bericht über den Stand der Umsetzung des Gesetzes „Über die Grundsätze des Funktionierens des Erdgasmarktes”], 2012; Malygina, Ukraine-Analysen Nr. 112, 12.02.2013, 2 (4 ff.); Pleines, Ukraine-Analysen Nr. 134, 10.06.2014, 2 (2 ff.); Unigovs´kyj, Upravlinnja gazorozpodil´nymy systemamy. Jak zbalansuvaty interesy? [Verwaltung der Gasverteilersysteme. Wie können die Interessen gehörig ausgeglichen werden?], April 2017, S. 3 ff.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

273

auf den Umsatz bzw. Austausch von Energie gegen Bezahlung gerichtet; sein Gegenstand ist die Energie bzw. andere Ressourcen und nicht die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung. Dafür spricht nicht zuletzt der Umstand, dass die Regelungen über die Versorgung mit Energie und anderen Ressourcen durch das angeschlossene Netz in den Titel 54 des ZGB zum Kauf aufgenommen wurden. Art. 714 ZGB lässt dagegen die technische Seite bzw. die Transportseite der Energieversorgung vollkommen unberücksichtigt. Zudem fehlen Anhaltspunkte für die Einordnung des Erdgastransportbzw. Erdgasverteilungsvertrags i. S. d. Art. 40 ErdgasMarktG als Energieversorgungsvertrag nach Art. 714 ZGB1291 . Im Vertrag über den Transport bzw. die Verteilung von Erdgas steht die Erbringung der Dienstleistung im Vordergrund. Zum Gegenstand eines solchen Vertrags gehört ausschließlich die Durchleitung von Erdgas durch das angeschlossene Netz bis zur Erdgasabnahmevorrichtung des Verbrauchers (Abonnenten) in der bestimmten Menge und Qualität. Der historische Gesetzgeber hat zwar bei der Schaffung des Art. 714 ZGB einen allgemeinen Energieversorger vor Augen gehabt. Dieses von ihm damals als Grundlage genommene Energieversorgungsmodell erweist sich aber nun als überholt und steht im Widerspruch zu dem sich neu etablierten Ordnungsrahmen innerhalb der ukrainischen Energiebranche. Da drohende Wertungswidersprüche durch die soeben dargestellten Differenzierungen vermieden werden können, ist es dabei zu belassen, dass allein der Vertrag über die Lieferung von Erdgas und nicht der Vertrag über den Transport bzw. die Verteilung von Erdgas als Energieversorgungsvertrag i. S. d. Art. 714 ZGB oder zumindest als Vertrag, auf den die Regeln über den Energieversorgungsvertrag des Art. 714 ZGB anzuwenden sind, zu qualifizieren ist. 3.

Anwendung wirtschaftsrechtlicher Regelungen auf die Verhältnisse im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung

Als weitere wichtige Vorschriften zur leitungsgebundenen Erdgasversorgung kommen Artt. 275 bis 277 des Wirtschaftsgesetzbuchs der Ukraine (WGB)1292 1291

1292

Die zivil- und wirtschaftsgerichtliche Rechtsprechung ist hierbei wohl anderer Auffassung. Sie wendet die Bestimmungen des Art. 714 ZGB auch auf den Erdgasverteilungsvertrag an, ohne sich näher mit der Frage ihrer Anwendbarkeit im Hinblick auf den neuen Rechtsrahmen für die Erdgasversorgung auseinanderzusetzen. S. z. B. Urteil des WirtschG des Gebietes Dnipropetrovs´k v. 14.06.2017 Reg.-Nr. 904/5885/17 (abrufbar unter: http://www.reyestr.court.gov.ua). Gospodars´kyj kodeks Ukrajiny [Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine, WGB] vom 16.01.2003 Nr. 436-IV, zuletzt geändert am 13.04.2017, WWR, 2003, Nr. 18, Nr. 19-20,

274

Teil II Rechtslage in der Ukraine

in Betracht. Artt. 275 ff. WGB enthalten Regeln über die Energieversorgungsverträge zwischen Wirtschaftssubjekten bzw. zwischen Wirtschaftssubjekten und anderen am Wirtschaftsleben Beteiligten (vgl. Art. 1 WGB zum Anwendungsbereich) und sind daher im Abschnitt 6 zu verschiedenen Vertragstypen in den einzelnen Wirtschaftsbereichen zu finden1293 . Zu beachten ist, dass unter anderem am Wirtschaftsleben Beteiligte lediglich Einzelunternehmer und juristische Personen als Verbraucher, aber keinesfalls natürliche Personen als Verbraucher im Sinne des Verbraucherschutzgesetzes1294 subsumiert werden können1295 . Das heißt, dass die Schuldverhältnisse im Zusammenhang mit der Energieversorgung von Haushaltskunden von den genannten Vorschriften des WGB nicht erfasst werden. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass Art. 275 Abs. 1 S. 1 WGB eine (eindeutig) abschließende Aufzählung der Energieträger, die als Gegenstand des in Artt. 275 bis 277 WGB geregelten Energieversorgungsvertrags gelten können, enthält. Zu diesen gehören: Strom, Dampf, heißes und überhitztes Wasser. Erdgas (ebenso wie andere Ressourcen) fällt nicht unter den Energiebegriff des Art. 275 Abs. 1 S. 1 WGB1296 . Die Schuldverhältnisse zwischen Wirtschaftssubjekten hinsichtlich der Erdgasversorgung sind demnach von den Bestimmungen der Artt. 275 ff. WGB nicht (zumindest unmittelbar) erfasst. Möglicherweise kommt aber eine analoge Anwendung wirtschaftsrechtlicher Sonderregelungen über die Strom- und Fernwärmeversorgung auf die Erdgasversorgungsverhältnisse in Betracht, denn die Interessenlage in beiden Konstellationen ist weitgehend vergleichbar. Dies könnte insofern für die Lückenhaftigkeit des Gesetzes sprechen. Die Notwendigkeit von Sonderregelungen nur für die Strom- und Fernwärmeversorgung wurde von dem Wirtschaftsgesetzgeber wohl in dem Gegenstand des Energieversorgungsvertrags und seinen Besonderheiten gesehen. Sowohl der Strom als auch die Fernwärme können ausschließlich durch das angeschlossene Netz geliefert werden, während die leitungsgebun-

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Nr. 21-22, Pos. 144, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/main/436-15 (zuletzt am 01.12.2018). Zur Struktur des WGB s. Rackwitz, WiRO 2004, 129 (131 f.). Zakon Ukrajiny „Pro zachyst prav spožyvačiv“ [Verbraucherschutzgesetz der Ukraine, VerbrSchG] vom 12.05.1991 Nr. 1023-XII, WWR, 1991, Nr. 30, Pos. 379, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/1023-12 (zuletzt am 01.12.2018). Grudnyc´ka/Grudnyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine], Art. 1 S. 7. Ligazakon/Rossylna, Naukovo-praktyčnyj komentar do Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine], Art. 275.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

275

dene Lieferung von Erdgas sowie anderen Ressourcen lediglich eine mögliche Art und Weise der Erfüllung von Vertragspflichten darstellt1297 . Das Erdgas kann insbesondere in Ballons oder Flaschen geliefert werden. Daraus kann gefolgert werden, dass der Wirtschaftsgesetzgeber – anders als der Zivilgesetzgeber, welcher wie bereits oben erwähnt bei der Regelung der Energieversorgungsverhältnisse auf die technische Besonderheit der Energielieferung und nicht auf deren Gegenstand als Absonderungskriterium abgestellt hat, – bewusst auf eine Regelung zur leitungsgebundenen Erdgasversorgung im Rahmen des WGB verzichtet hat1298 . Anzunehmen ist, dass keine Regelungslücke im Gesetz besteht. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass die Erdgasversorgung in speziellen Energiegesetzen sowie im ZGB geregelt ist. Die Vorschriften des ZGB sind auch auf die Rechtsverhältnisse, in welchen alle Beteiligten Wirtschaftssubjekte sind, anwendbar, soweit das WGB keine einschlägige Regelung enthält1299 . C.

Marktbezogene Hintergründe leitungsgebundener Erdgasversorgung

Bevor die Verantwortungsbereiche und die damit verbundenen potenziellen Haftungsrisiken einzelner an der Erdgasversorgung der Bevölkerung sowie der Industrie Beteiligten untersucht werden, ist eine systematische Darstellung der aktuellen – durch die Reform von 2015 beeinflussten – Struktur der ukrainischen Erdgaswirtschaft bzw. die Wertschöpfungskette angezeigt, die sich in einem grundlegenden Wandel befindet. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die Wertschöpfungskette im Erdgassektor aus den vier Bestandteilen Erdgasbeschaffung (Produktion und Import), Erdgashandel, Erdgastransport (Fernleitung und Verteilung) sowie Erdgasvertrieb (an private und industrielle Endkunden) zusammensetzt. Neben der Konkretisierung von auf den genannten Stufen der Wertschöpfungskette ausgeübten Tätigkeiten und deren Zuordnung zu den an der Erdgasversorgung Beteiligten wird hier schwerpunktmäßig der Frage nachgegangen, welche Rechtsbeziehungen im Zusammenhang mit der jeweiligen Aktivität innerhalb der jeweiligen Wertschöpfungsstufe entstehen.

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So Kryvoručko, Visegrad Journal on Human Rights 1/1 2016, 115 (117 ff.); vgl. zum russischen Recht Vitrjianskij, Chozjajstvo i pravo 3/2005, 34 (36 ff.). Zur Geschichte der Kodifikationen des ZGB und des WGB s. Mamutov, Gosudarstvo i pravo 1994, 77 (85 ff.); Maydanyk, ZEuP 2017, 373 (375 ff.). Zur Konkurrenz des ZGB und des WGB s. Fn. 1409, S. 308 f.

276

I.

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Beschaffungsebene

Auf der obersten Stufe, der Beschaffungsstufe, agieren (verschiedene) Erdgasförder- sowie Erdgasimportunternehmen, die das gesamte Erdgasangebot auf den ukrainischen Markt bringen. Der Bedarf des Landes kann dabei zu 66 Prozent durch Inlandsproduktion abgedeckt werden1300 . Die übrigen 34 Prozent werden aus der Slowakei (82), Ungarn (9) und Polen (9) importiert1301 . Seit Herbst 2015 importiert die Ukraine kein Erdgas mehr aus Russland, während noch vor vier Jahren ihre kompletten Erdgasimporte vom russischen Energiekonzern Gazprom bezogen wurden1302 . Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Ukraine ihre jüngst erlangte Energieunabhängigkeit von Russland erhalten kann, wenn die Situation auf dem Erdgasmarkt der EU weniger günstig ist und volle Reverse Flows nicht (mehr) möglich sind. Es ist daher wichtig, dass die Ukraine ihre eigene Erdgasproduktion steigert, um die Versorgungssicherheit sicherstellen zu können. Sowohl im Hinblick auf eine Stärkung der Versorgungssicherheit als auch als Grundlage für die Wettbewerbsentwicklung im Groß- sowie Einzelhandelsmarkt sind die Anbietervielfalt und die hohe Liquidität auf der Beschaffungsebene entscheidend. Dazu sollte die Energierechtsnovelle 2015 beitragen. Da es aber einerseits an der praktischen Umsetzung von neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen (immer noch) fehlt und gewisse regulatorische Hemmnisse andererseits zu Lasten von privaten Produzenten und Importeuren weiterhin bestehen (Intransparenz bei der Lizenzvergabe1303 und Besteuerung1304 , Diskriminierungspotenziale beim Netzzugang1305 , fehlende Rechts-

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Zahlen von 2016, laut Naftogaz: Gasproduktion in der Ukraine in 2015-2016, abgerufen unter: http://naftogaz-europe.com/article/ua/vidobuvannagazuvukrainiu20152016rr (zuletzt am 01.12.2018). Zahlen von 2016, laut Naftogaz: Gasimport in die Ukraine, 2015-2016, abgerufen unter: http://naftogaz-europe.com/article/ua/importgazuvukrainu20152016rr (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Zahlen von Naftogaz: Gasimport in die Ukraine in 2008-2016, abgerufen unter: https://naftogaz-europe.com/article/ua/NaturalGasSuppliestoUkraine (zuletzt am 01.12.2018). Die Lizenzvergabe für die Nutzung des jeweiligen Erdkörpers erfolgt in Abhängigkeit von den Arten der Erdkörperfelder und von den Arten der Erdkörpernutzung (geologische Erforschung, Erkundung, Förderung) und erfordert immer die Zustimmung regionaler und lokaler Behörden auf den verschiedenen Verfahrensstufen. Die Rentensätze bei der Erdgasförderung in der Ukraine variieren nach Fördertiefe (über oder unter fünf Kilometer), Standort des Vorkommens sowie Ziel der Förderung (für den Verkauf an Industriekunden oder für den Bedarf der Bevölkerung) zum Teil erheblich, während innerhalb der EU in der Regel eine einheitliche gewinnbasierte Besteuerung (Profit Tax) angewendet wird. Naftogaz kontrolliert immer noch den Gastransport.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

277

stabilität1306 )1307 , wird der Großteil des Erdgases in der Ukraine aktuell vom staatlichen Konzern Naftogaz produziert und importiert. So fördert PAT UkrGasVydobuvannya, Naftogaz-Tochtergesellschaft, rund 73 Prozent des inländischen Erdgases1308 . Das geförderte Erdgas muss dann an Naftogaz zu einem regulierten Preis im Rahmen des Konzepts der durch die Regierung der Ukraine festzulegenden Marktsubjekte mit besonderen Verpflichtungen zum Zweck der Sicherung des öffentlichen Interesses auf dem Erdgasmarkt (Art. 11 ErdgasMarktG) verkauft werden, damit auch Naftogaz seinen speziellen Verpflichtungen nachkommen kann. PAT Ukrnafta, ein weiteres Unternehmen im Staatsbesitz, hat einen Anteil von etwa sieben Prozent an der Erdgasproduktion in der Ukraine1309 . Auf Erdgasförderunternehmen im Privatbesitz entfällt demnach ein Anteil von 20 Prozent, was kaum eine Steigerung (ca. 0,6 Prozent) gegenüber dem Vorjahr (2015) darstellt1310 . Zu nennen sind hier insbesondere TOW Esco-Pivnich, ZAT DK Ukrnaftoburinnya (UNB), PrAT Pryrodni resursy, TOW KUB-Gas, SP Poltavs´ka GNK, TOW Persha ukrajins´ka gazonaftova kompanija, TOW Gravelit-21. Die aufgelisteten Unternehmen gehören fast ausnahmslos zu Großkonzernen mit oligarchischen Interessen, die häufig auch die Kundenseite vertreten. Im Gegensatz zu UkrGasVydobuvannya sind sie nicht (mehr) verpflichtet, Erdgas an Naftogaz zu verkaufen. Am gesamten Erdgasimport in die Ukraine hat Naftogaz einen Anteil von etwa 74 Prozent1311 . Der Anteil des durch private Unternehmen importierten Erdgases liegt aktuell bei rund 26 Prozent, während er noch im Jahr 2014 lediglich ein Prozent betrug1312 . Auf der Erdgasimportstufe in der Ukraine sind ca. 20 Privatunternehmen tätig1313 , sechs von ihnen – Engie Management Uk1306

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Die Regulierung des Zugangs und der Förderabgaben im Bereich der bergbaulichen Erdkörpernutzung wurde in der Ukraine in den letzten Jahren mehrfach geändert, was das Investitionsumfeld instabil und somit unattraktiv macht. Markevych, Energetyčna galuz´ Ukrajiny: pidsumky 2016 roku [Energiebranche der Ukraine: Rückblick 2016], S. 10 ff. Quelle: Naftogaz: 2016 ist die Erdgasproduktion in der Ukraine um 200 Mio. m 3 gestiegen, 3. Februar 2017, abgerufen unter: http://www.naftogaz.com/www/3/nakwebnsf/0/ 4C2A43D47473176BC22580BC0041B746?OpenDocument&year=2017&month=02&nt= %D0%9D%D0%BE%D0%B2%D0%B8%D0%BD%D0%B8& (zuletzt am 01.12.2018). Ebenda. Ebenda. Zahlen von 2016, laut Naftogaz: 2016 hat die Ukraine ihren Erdgasimportbedarf ausschließlich über die Lieferungen aus Europa gedeckt, abgerufen unter: http://www.naftogaz.com/www/3/nakweben.nsf/0/61AE185E57EB3CC4C22580BC004A 655E?OpenDocument&year=2017&month=02&nt=News& (zuletzt am 01.12.2018). Markevych, Energetyčna galuz´ Ukrajiny: pidsumky 2016 roku [Energiebranche der Ukraine: Rückblick 2016], S. 18. Naftogaz: 2016 hat die Ukraine ihren Erdgasimportbedarf ausschließlich über die Lieferungen aus Europa gedeckt, abgerufen unter: http://www.naftogaz.com/www/3/nakwe

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

raine LLC, Trafigura Ukraine LLC, TrailStone Ukraine, Shell Ukraine, MET Ukraine LLC, DufEnergy Ukraine – mit ausländischen Investitionen. Es wird erwarten, dass die Anzahl privater Importeure auf dem ukrainischen Erdgasbeschaffungsmarkt weiter steigt, insbesondere nachdem eine bevorzugte steuerliche Behandlung von Naftogaz beim Import des ausländischen Erdgases in die Ukraine abgeschafft wurde1314 . Eine geplante vollständige Entflechtung des Netzbetreibers Ukrtransgaz erweist sich in dieser Hinsicht als vorteilhaft bzw. als notwendig. Zu den wichtigsten – primären – Aufgaben der Erdgasproduzenten gehören in der Ukraine – ebenso wie in Deutschland – Auffinden, Erkundung, Gewinnung sowie Aufbereitung von Erdgas. Die Erdgasimporteure beziehen das Erdgas aus ausländischen Förderquellen und führen es auf ukrainisches Territorium ein. Zu erwähnen ist, dass das Erdgas derzeit ausschließlich über den Reverse-Flow-Modus (Umkehr der Flussrichtung der Gaslieferungen) in die Ukraine geliefert wird. Grundlage sind dabei bilaterale mittelfristige (in der Regel mit einer Laufzeit von fünf Jahren ausgestaltete) Rahmenverträge mit den ausländischen Lieferanten (Produzenten und Händlern), was den EUStandards weitgehend entspricht. Die Vertragsdetails werden normalerweise individuell ausgehandelt und nicht öffentlich bekannt gegeben. Danach wird das geförderte bzw. eingeführte Erdgas an nachgelagerte Weiterverteiler abgegeben. Der Export von Erdgas ist in der Ukraine strikt geregelt und vorübergehend sogar verboten. Häufig agieren die Produzenten und Importeure aber auch als Lieferanten auf dem Endverbrauchermarkt, indem sie die (industriellen) Großkunden direkt – ohne weitere Marktstufen – mit Erdgas beliefern. Dies ist grundsätzlich auf das Fehlen entsprechender Finanzinstrumente bzw. -dienstleistungen auf dem Großhandelsmarkt zurückzuführen. II.

Großhandelsebene

Der Erdgashandel erfolgt in der Ukraine über einen Großhandelsmarkt, welcher ein Bindeglied zwischen Beschaffung und Einzelhandel darstellt. Er umfasst alle Handelsgeschäfte über den Erwerb von Erdgasmengen zwischen Händlern (Großkäufern und Großverkäufern). Als Großkäufer gilt jedes Wirt-

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ben.nsf/0/61AE185E57EB3CC4C22580BC004A655E?OpenDocument&year=2017&mo nth=02&nt=News& (zuletzt am 01.12.2018). Ab 2017 muss Naftogaz ebenso wie private Importeure Umsatzsteuer beim Kauf ausländischen Erdgases zahlen. S. Zakon Ukrajiny „Pro vnesennja zmin do Podatkovogo kodeksu Ukrajiny ščodo pokraščennja investycijnogo klimatu v Ukrajini“ [Gesetz der Ukraine zur Änderung des Steuergesetzbuches der Ukraine zur Verbesserung des Investitionsklimas in der Ukraine] vom 21.12.2016 Nr. 1797-VIII, WWR, 2017, Nr. 5-6, Pos. 48, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/1797-19/page (zuletzt am 01.12.2018).

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

279

schaftssubjekt1315 , welches Erdgas nicht für den Eigenverbrauch, sondern zum Zwecke des nachfolgenden Weiterverkaufs kauft (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 21 ErdgasMarktG). Es handelt sich hierbei um Lieferanten, die die Endkunden mit Erdgas versorgen, sowie reine (Zwischen-)Händler, die Erdgas an Lieferanten bzw. andere Händler weiter verkaufen. Unter Großverkäufer wird demzufolge jedes Wirtschaftssubjekt, welches die eingekauften Erdgasmengen an Großkäufer oder Lieferanten aufgrund eines Kaufvertrags veräußert, verstanden (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 22 ErdgasMarktG). Als Erdgas anbietende Akteure auf dem Großhandelsmarkt treten vor allem Erdgasförder- sowie Erdgasimportgesellschaften auf. Aber auch (Zwischen-)Händler mit und ohne Direktzugang zur vorgelagerten Produktions- bzw. Importstufe agieren auf der Anbieterseite. Angemerkt sei an dieser Stelle noch, dass viele Großendkunden, Industrie und Kraftwerke, die benötigten Erdgasmengen direkt bei Großhändlern beziehen. Laut NKREKP sollen etwa 250 Wirtschaftssubjekte auf dem Großhandelsmarkt der Ukraine im Jahr 2016 tätig gewesen sein1316 . Nach geltender Gesetzeslage setzt sich der ukrainische Großhandelsmarkt für Erdgas aus einem regulierten Segment, welches nach den Regeln des Art. 11 ErdgasMarktG sowie der Anordnung der KMU über die Auferlegung von besonderen Verpflichtungen für die Subjekte des Erdgasmarktes (Anordnung Nr. 187) funktioniert, und einem nichtregulierten Segment mit freier Preisbildung zusammen. Wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt, hat die ukrainische Regierung besondere Pflichten neben den Endkunden versorgenden Lieferanten auch bestimmten Akteuren der Großhandelsebene – UkrGazVydobuvannja und Naftogaz – auferlegt. Der Erdgasproduzent UkrGazVydobuvannja ist gemäß Anordnung Nr. 187 verpflichtet, das aus den Bohrungen gewonnene Erdgas an Naftogaz zur Deckung des Erdgasbedarfs für Haushaltskunden i. S. d. Art. 1 Abs. 1 Nr. 23 ErdgasMarktG sowie andere durch die Verordnung privilegierte Kunden zu festgelegten Bedingungen zu verkaufen. Naftogaz wird wiederum dazu verpflichtet, das benötigte Erdgas bei UkrGazVydobuvannja und bei anderen Händlern, falls UkrGazVydobuvannja die erforderlichen Mengen nicht anbieten kann, zu kaufen und an die in der Anordnung genannten Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen auf Basis von regulierten Preisen weiter zu verkaufen. Auf dem nichtregulierten Großhandelsmarkt dürfen die übrigen Akteure agieren, die Erdgas zu frei ver1315 1316

Hier wohl im Sinne des WGB. NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 106, abgerufen unter: http://www.nerc.gov.ua/ ?id=24476 (zuletzt am 01.12.2018).

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

handelten Bedingungen kaufen bzw. verkaufen. Die Aufnahme der Tätigkeit als Händler – sowohl auf dem regulierten als auch auf dem nichtregulierten Großhandelsmarkt – bedarf keiner Genehmigung durch die nach dem Erdgasmarktgesetz zuständige Behörde. Bei Handelsgeschäften, die auf dem Großhandelsmarkt für Erdgas getätigt werden, handelt es sich stets um einen Handelskauf, der ein Liefervertrag nach Artt. 265 ff. WGB ist. Lieferverträge werden zwischen Erdgaslieferanten bzw. Großkäufern und Großverkäufern nach den Vorschriften des ukrainischen WGB und ZGB abgeschlossen und regeln die Eigentumsübertragung hinsichtlich der vereinbarten Erdgasmengen aus verschiedenen Bezugsquellen zu ausgehandelten Bedingungen (es sei denn, besondere Konstellationen, auf welche die Anordnung Nr. 187 Anwendung findet, liegen vor)1317 . Sie können hierbei unterschiedlich ausgestaltet und demnach anhand mehrerer Kriterien (verschieden lange Lieferverpflichtungen, verschiedene Lieferstrukturen, Fristigkeit, physische Lieferungen oder rein finanzielle Produkte) differenziert werden. Neben der Struktur der Handelsgeschäfte selbst wird in der Ukraine auch hinsichtlich der Handelsform zwischen dem börslichen und außerbörslichen Erdgashandel unterschieden. Auf dem ukrainischen Erdgasmarkt ist der außerbörsliche Handel auf Basis bilateraler Verträge über den Kauf von Erdgas oder durch die Einschaltung eines professionellen Händlers die übliche und bevorzugte Handelsform und läuft gemäß TranspNetzK über einen virtuellen Handelspunkt (VHP) als Übergabestelle bei der Abwicklung von Erdgaslieferungen1318 , welcher durch Ukrtransgaz verwaltet wird1319 . Der Grund dafür liegt wohl hauptsächlich darin, dass der ukrainische Börsenhandel mit Erdgas erst

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NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 106. Dass der virtuelle Handelspunkt gemäß TranspNetzK als Ort der Eigentumsübertragung dient, wird vom Verband der Beteiligten an der Erdgasmarktliberalisierung stark kritisiert und als Verstoß gegen Art. 41 Verf. (Recht auf Privateigentum) sowie Art. 328 ff. ZGB (Erwerb des Eigentums) angesehen. Das erworbene und vorhandene Eigentumsrecht des jeweiligen Marktsubjekts (eines Händlers, Lieferanten, Verbrauchers) könne durch den Transportnetzbetreiber, Verteilernetzbetreiber bzw. Erdgasproduzenten mittels der Verwaltung des virtuellen Handelspunktes, Nominierung und Allokation von Erdgasmengen gemäß dem untergesetzlichen Rechtsakt eines Staatsorgans – TranspNetzK – nicht festgestellt werden. Nur die Vertragsparteien dürfen den Ort der Eigentumsübertragung bestimmen. S. dazu Verband der Beteiligten an der Erdgasmarktliberalisierung, Vorschläge zum Entwurf des regulatorischen Aktes, S. 5, 10 f., abgerufen unter: http://sulgr.com.ua/wp-content/uploads/2017/04/23_02.pdf (zuletzt am 01.12.2018). Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 2, 9.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

281

im Entstehen ist1320 . Derzeit kann zwar bereits an zwei privatrechtlich organisierten, unabhängigen Energiebörsen, der Ukrainischen Energiebörse und der Ukrainischen Gasbörse, mit Sitz in Kiew mit Erdgas auf Grundlage physischer Kontrakte gehandelt werden. Das Handelsvolumen am börslichen Markt für Erdgas ist jedoch – trotz erster Erfolge1321 – (noch) vergleichsweise gering. Es fehlt vor allem an standardisierten Gasprodukten (beispielsweise nach EFETStandards), Liquidität und Marktteilnehmerzahl, damit sich ein erfolgreicher Börsenhandel entwickeln kann. In der Literatur wird hierzu die Durchführung eines UrkGazVydobuvannja und Naftogaz zur Versteigerung von (ausreichenden) Erdgasmengen verpflichtenden Gas-Release-Programms vorgeschlagen, um damit Liquidität zu erzeugen1322 . Dies würde allerdings voraussetzen, dass sowohl UkrGazVydobuvannja als auch Naftogaz von ihren besonderen Verpflichtungen befreit werden. III.

Transportebene: Fernleitung und Verteilung

Der Transport und die Verteilung sind die nächsten Wertschöpfungsstufen in der ukrainischen Erdgaswirtschaft 1323 . Die Abgrenzung des Transports zur Verteilung wird basierend auf den Ausführungen des ErdgasMarktG vorgenommen. Der Wertschöpfungsstufe Transport sind damit die Betreiber der Gastransportsysteme zugeordnet. Sie sind demnach Wirtschaftssubjekte, die aufgrund einer Genehmigung (Lizenz) Erdgas über das Gastransportsystem (GTS)1324 zugunsten Dritter (Netzkunden) von einem Einspeise- bis zu einem Ausspeisepunkt transportieren (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 19 i. V. m. Nr. 7 ErdgasMarktG). Die wiederum nachgelagerte Verteilung bezieht sich auf den Trans1320 1321

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Kulich, Ukrainian Gas Hub – a chance for Europe, Policy Paper DiXi Group, S. 15 ff. Am 17. Januar 2017 hat Poltava Petroleum Company, Öl- und Erdgasförderer, begonnen, das gewonnene Erdgas an der Ukrainischen Energiebörse zu handeln, InterfaxUkraine, Beitrag v. 18.01.2017, 16 Uhr 43 Min., abgerufen unter: http://ua.interfax.com. ua/ news/press-release/397318.html (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 8 f. Vgl. NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 82. Die Gesamtlänge des ukrainischen von Ukrtransgaz betriebenen Transportnetzes für Erdgas beträgt laut Ukrtransgaz 38 550 km. Es umfasst Fernleitungen in einer Gesamtlänge von 22 160 km und Leitungsabzweigungen in einer Gesamtlänge von 16 390 km. Anzumerken ist, dass die Fernleitungen sowohl die Transport- als auch die Transitanforderungen bedienen. Diese beiden Funktionen sind technisch voneinander nicht getrennt. Zum Gastransportsystem gehören zudem 72 Verdichterstationen und 1 455 Gasverteilerstationen. Quelle: Ukrtransgaz, Harakterystyka gazotransportnoji systemy Ukrajiny [Überblick über das Gastransportsystem der Ukraine], abgerufen unter: http://utg.ua/ utg/gts/description.html (zuletzt am 01.12.2018).

282

Teil II Rechtslage in der Ukraine

port von Erdgas über das Gasverteilsystem (GRM)1325 von einer Gasverteilerstation (bzw. Gasumwandlungsstation) bis zum Abnahmepunkt des Endkunden (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 17 i. V. m. Nr. 6 ErdgasMarktG). Auf der Verteilerstufe agieren mithin die Betreiber der Gasverteilersysteme, Wirtschaftssubjekte, die ebenfalls aufgrund einer Genehmigung (Lizenz) die beschriebene Verteilungstätigkeit ausüben. Gleichwohl ist aber anzumerken, dass die Anbindung der (industriellen) Endkunden auf der Transportebene erfolgen kann. 1.

Zur Umsetzung des Unbundlings

Mit Verabschiedung der neuen Gesetzgebung zum Erdgasmarkt fand ein Paradigmenwechsel in der ukrainischen Energiepolitik statt. Demnach soll der (Groß- sowie Einzel-)Handel nach den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs erfolgen und nicht mehr durch den Transport bzw. die Verteilung, die als natürliche Monopole eingeordnet sind (vgl. Art. 5 Abs. 1 NatMonopolG1326 ), beeinflusst werden1327 . Die Betreiber der Transport- bzw. Verteilersysteme haben indessen lediglich netzbezogene Interessen zu verfolgen1328 . Ziel ist die Gewährleistung von Transparenz und eines diskriminierungsfreien Netzzugangs für Dritter, die über kein eigenes Transport- bzw. Verteilernetz verfügen1329 . Doch gerade die Umsetzung des diskriminierungsfreien Zugangs zum Gastransportsystem gestaltet sich aufgrund der fehlenden Umstrukturierung von Naftogaz1330 schwierig. Der Gastransport ist von der Kontrolle durch die ukrainische Regierung und den Marktführer (immer) noch nicht befreit. So wird die Funktion Transport in der Ukraine aktuell durch Ukrtransgaz, eine vertikal integrierte Tochtergesellschaft von Naftogaz, wahrgenommen, so dass Naftogaz als Muttergesellschaft in der Lage ist, ihre (erhebliche) Marktmacht zu ihren eigenen Gunsten auszuüben. Dadurch wird der Möglichkeit der Diskrimi1325

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Die Gesamtlänge der Gasverteilernetze der Ukraine beträgt 309 000 km, davon 48 000 km Hochdrucknetze, 124 000 km Mitteldrucknetze und 137 000 km Niederdrucknetze (Stand: Ende 2016). S. dazu NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 89. Zakon Ukrajiny „Pro pryrodni monopoliji“ [Gesetz der Ukraine „Über natürliche Monopole“, NatMonopolG] vom 20.04.2000 Nr. 1682-III, WWR, 2000, Nr. 30, Pos. 238, zuletzt geändert am 13.04.2017, abgerufen unter: http://zakon5.rada.gov.ua/laws/show/1682-14 (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. MfEKI, Begründung zum Erdgasmarktgesetz, S. 1, abgerufen unter: http://w1.c1. rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511=54205 (zuletzt am 01.12.2018). Polyukhovych, Pryvatne pravo i pidpryjemnystvo 16/2016, 136 (137 f.). Markevych/Omelchenko, Cinoutvorennja na energetyčnyh rynkah: dosvid ES ta Ukrajiny [Preisbildung auf Energiemärkten: Erfahrung der EU und der Ukraine], S. 21 f. Näher dazu Teil II § 6 A V, S. 261 ff.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

283

nierung der (tatsächlichen und potenziellen) nicht verbundenen Marktteilnehmer Tür und Tür geöffnet. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation nach der Umstrukturierung von Naftogaz ändern würde. Die Entflechtungsvorschriften in Bezug auf die Verteilung von Erdgas finden sich in Art. 39 ErdgasMarktG. Sie sollen die unionsrechtlichen Anforderungen in diesem Bereich umsetzen. Die Betreiber der Gasverteilersysteme sind demnach zur rechtlichen und zur operationellen Entflechtung verpflichtet. Der ukrainische Gesetzgeber hat alledings keine Regelungen hinsichtlich der informationellen und buchhalterischen Entflechtung, die in Artt. 16, 27 sowie 31 GasRL 2009 vorgesehen ist, getroffen. Dies lässt den Schluss zu, dass die Richtlienvorgaben zum Unbundling von Verteilernetzbetreibern nur unzureichend umgesetzt worden sind. Während die Eigenständigkeit der Verteilernetzbetreiber in buchhalterischer und informationeller Hinsicht im Wege der Auslegung der Vorgaben zum rechtlichen und organisatorischen Unbundling (noch) ermittelt werden kann, bleiben die sog. De-minimis-Unternehmen bereits von den schwächsten der möglichen – auf die Steigerung von Transparenz gezielten – Desintegrationsmaßnahmen unberührt. Art. 39 Abs. 7 ErdgasMarktG schreibt vor, dass die Verteilernetzbetreiber, die weniger als 100.000 angeschlossene Kunden haben, von den Entflechtungsverpflichtungen ausgenommen werden können. Gleichwohl erfolgt die Freistellung eines solchen (kleineren) Verteilernetzbetreibers von der Pflicht zur Entflechtung nicht automatisch. Darüber zu entscheiden hat die Regulierungsbehörde. Zur Erfüllung der gesetzlichen Entflechtungsvorgaben haben die – privatrechtlich organisierten – regionalen Erdgasversorgungsunternehmen (Oblgaz(y)), die bisher in ihrem jeweiligen Versorgungsgebiet praktisch als Alleinversorger tätig waren, die Belieferung von Endkunden mit Erdgas zum Stichtag 01. Juli 2015 eingestellt und neue gesellschaftsrechtlich getrennte Vertriebseinheiten gegründet, auf welche die personellen wie materiellen Ressourcen übertragen wurden, um die Wahrnehmung der Funktion und Aufgaben eines Erdgaslieferanten durch diese zu ermöglichen1331 . Die übertragenen Gesellschaften treten indes als reine Netzgesellschaften auf und üben lediglich das Netzgeschäft aus. Zum 31. Dezember 2016 wurden 48 Genehmigungen (Lizenzen) zur Ausübung der Verteilungstätigkeit erteilt1332 . Die operationelle Entflechtung der Verteilernetzbetreiber ist allerdings bislang nicht hinrei1331

1332

Sych, Rozpodil. Organizacija ta vedennja biznesu operatora GRM na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Verteilung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 20. NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 82.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

chend erfolgt; ihr gegenwärtiger Stand entspricht jedenfalls (noch) nicht den Anforderungen des dritten Legislativpakets1333 . Denn die ukrainischen Gasverteilersysteme unterliegen – größtenteils – de facto immer noch der Kontrolle der Versorger, was den Netzzugang für Dritte sowie den Lieferantenwechsel für die Endkunden nicht unbedingt vereinfacht1334 . 2.

Rechtliche Rahmenbedingungen des Netzzugangs

Die Grundlage des regulierten Zugangs zu ukrainischen Gasleitungen ist Art. 19 ErdgasMarktG, welcher allen Akteuren auf dem Erdgasmarkt im Hinblick auf den Zugang zum Gastransport- und Gasverteilersystem, zu Gasspeichern und LNG-Anlagen sowie den Anschluss an das Gastransport- und Gasverteilersystem gleiche Rechte einräumt und zugleich eine enumerative Aufzählung der möglichen Verweigerungsgründe enthält. Dieser Artikel fordert die Umsetzung eines transparenten und diskriminierungsfreien Netzzugangs, schreibt aber nicht vor, wie dieser konkret auszugestalten ist. Im Hinblick auf die Organisation dieses Netzzugangs finden sich in den Vorschriften der Abschnitte 4 und 5 ErdgasMarktG einzelne Rahmenanforderungen. Zur Konkretisierung der Vorgaben im ErdgasMarktG wurden aufgrund der Ermächtigungen in Artt. 33 und 41 ErdgasMarktG der TranspNetzK und der VerteilNetzK durch die Transport- und Verteilernetzbetreiber konzipiert und von der Regulierungsbehörde genehmigt. In diesen Kodizes sind im Wesentlichen die Abwicklung des Netzzugangs, die vertragliche Ausgestaltung des Netzzugangs, der Bilanzausgleich sowie das Zusammenwirken der Netzbetreiber festgehalten. Der Netzzungang in der Ukraine ist nunmehr nach dem sog. Entry-Exit-System auf der GTS-Ebene und Punktmodell auf der GRMEbene, die in vielen europäischen Ländern, auch in Deutschland, bereits erfolgreich angewendet werden, zu organisieren. Dieser Paradigmenwechsel im ukrainischen Erdgasnetz bezüglich der Transportabwicklung bzw. deren Kostenabwicklung kommt insbesondere in Art. 4 Abs. 6 S. 4 ErdgasMarktG zum Ausdruck, wonach die Festlegung und Berechnung der Netzentgelte stets ohne Rücksicht auf den physischen Transportweg des Erdgases erfolgen soll. Danach bezahlt der Netzkunde (lediglich) die gebuchten Einspeise- und Ausspeisekapazitäten, nicht hingegen den eigentlichen Erdgastransportpfad zwischen Einspeise- und Entnahmeort 1335 . Dabei ist gleichwohl anzumerken, 1333 1334 1335

Energy Community, Gas Sector Reform Implementation Plan: 2 years after, S. 3, 10. Zachmann, Policy Paper [PP/01/2017], S. 6. Vgl. Metodyka vyznačennja ta rozrahunku taryfiv na poslugy transportuvannja pryrodnogo gazu dlja točok vhodu i točok vyhodu na osnovi bagatoričnogo stymuljujučogo reguljuvannja [Methode zur Bestimmung und Berechnung der Erdgastransporttarife an Einspeise- und Ausspeisepunkten aufgrund der langjährigen Anreizregulierung, genehmigt

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

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dass im Gegensatz zu einem Entry-Exit-System dem Entgelt auf der örtlichen Verteilerebene die maximal vorzuhaltende Anschlussleistung an der Entnahmestelle des Letztverbrauchers, unabhängig von deren tatsächlichen Inanspruchnahme, (sog. Capacity Charge) zugrunde liegt (vgl. Abschn. VI Art. 6 VerteilNetzK)1336 , anders als in den meisten europäischen Ländern1337 . Für die Einspeisung von Erdgas ins GRM müssen vielmehr keine Netzentgelte entrichtet werden. Für den Zugang zum ukrainischen GTS sind demnach Kapazitäten am Einspeisepunkt ins GTS und/oder Kapazitäten am Ausspeisepunkt vom GTS zu buchen. Der Zugang zu örtlichen Verteilernetzen der Ukraine erfolgt indes (abweichend vom Zweivertragsmodell auf der GTS-Ebene) durch die Bestellung einer Vorhalteleistung an der Entnahmestelle des Endkunden. Die Kapazitäten am Einspeisepunkt aus Produktion sind durch den Erdgasförderer zu buchen (vgl. Abschn. IX Art. 1 Abs. 4 TranspNetzK). Die Kapazitäten bzw. Vorhalteleistungen am Entnahmepunkt des ans GTS angeschlossenen sowie des ans GRM angeschlossenen Endkunden dürfen nur an diesen vergeben werden (vgl. Abschn. IX Art. 1 Abs. 5 TranspNetzK, Abschn. VI Art. 3 Abs. 1 VerteilNetzK)1338 . Die Eigentumsrechte an das ins GTS eingespeiste Erdgas gehen dabei laut Abschn. III Art. 7 Abs. 12 S. 1 TranspNetzK an einem einheitlichen – von Ukrtransgaz betriebenen – virtuellen Handelspunkt von einem Marktteilnehmer auf einen anderen über1339 . Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Kapazitäten an Einspeisepunkten zur Einspeisung von Erdgasmengen ins GTS und zum Transport der Erdgasmengen zum VHP berechtigen. Die Kapazitäten (bzw. Vorhalteleistungen) an Ausspeisepunkten berechtigen zum Transport vom VHP zum Ausspeispunkt und zur Ausspeisung dieser

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durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen v. 30.09.2015 Nr. 2517], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/z1388-15 (zuletzt am 01.12.2018); Metodyka vyznačennja ta rozrahunku taryfu na poslugy rozpodilu pryrodnogo gazu [Methode zur Bestimmung und Berechnung der Erdgasverteilungstarife, genehmigt durch Anordnung der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen v. 25.02.2016 Nr. 236], abgerufen unter: http://zakon3.rada. gov.ua/laws/show/z1434-16/page (zuletzt am 01.12.2018). Unigovs´kyj, Upravlinnja gazorozpodil´nymy systemamy. Jak zbalansuvaty interesy? [Verwaltung der Gasverteilersysteme. Wie können die Interessen gehörig ausgeglichen werden?], April 2017, S. 11 f. Vgl. Directorate-General for Energy/Directorate B – Internal Energy Market, Study on tariff design for distribution systems. Final Report, 28 January 2015, S. 128 ff. Nach Abschn. IX Art. 1 Abs. 3 S. 1 TranspNetzK erfolgt die Buchung der Ausspeisekapazitäten an Netzkopplungspunkten zwischen dem GTS und GRM durch den jeweiligen Verteilernetzbetreiber. Das gesamte Gastransportsystem der Ukraine kann wohl als eine – einheitliche – Regelzone angesehen werden.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

Erdgasmengen aus dem GTS (bzw. GRM). Der gewöhnliche Übernahmeort sowohl für den ans GTS als auch für den ans GRM angeschlossenen Erdgasendkunden dürfte vor diesem Hintergrund der VHP sein. Die Durchleitung der bestellten Erdgasmengen fällt demnach in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Endkunden. Die erworbenen Kapazitäts- bzw. Vorhalterechte reichen allein allerdings nicht zur operativen Abwicklung des Erdgastransports aus. Dafür sind dem GTS-Betreiber zunächst die Nominierungen und/oder eine monatliche Nominierung von Erdgasmengen an Einspeise- und Ausspeisepunkten zu geben (Abschn. XI TranspNetzK). Des Weiteren ist die Zuordnung der an einem Transporttag im GTS geflossenen Erdgasmengen zu den betreffenden Transportkunden (Allokation) erforderlich (Abschn. XII TranspNetzK). Die Abweichungen der tatsächlich ein- bzw. ausgespeisten Mengen von den nominierten Erdgasmengen müssen schließlich in Form eines (entgeltlichen) Bilanzausgleichs ausgeglichen werden (Abschn. XIII und XIV TranspNetzK). Die Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Nominierung, Allokation und Bilanzierung können im Rahmen der gebuchten Kapazitäten von jedem Marktteilnehmer und nicht nur vom Erdgasförderer oder Endkunden wie bei der Kapazitätsbuchung bestellt werden. Die operative Abwicklung des Erdgastransports übernehmen daher in der Regel die Händler und Lieferanten1340 . Die endgültigen Einzelheiten der Anforderungen an den Netzzugang in der Ukraine stehen jedoch immer noch nicht fest, wodurch die Ausübung des im neuen ErdgasMarktG verankerten Netzzugangsrechts erschwert wird. Abgesehen vom Bedarf weiterer Verdeutlichungen und Klarstellungen im Hinblick auf die Organisation des Netzzugangs könnte bislang die aufgrund des ErdgasMarktG erforderliche Umstellung des Gesamtsystems mangels der geltenden nationalen kapazitätsbasierten Netzentgelte für Transport- sowie Verteilernetzbetreiber nicht abgeschlossen werden. Die durch die Regulierungsbehörde in der Anordnung Nr. 348 vom 28. März 2017 festgelegten Tarife an Ausspeisepunkten aus dem Gastransportsystem wurden unter dem Druck des Präsidenten sowie des Parlaments der Ukraine durch die Anordnung Nr. 494 vom 10. April 2017 abgeschafft1341 . Auch die Tarife an Einspeisepunkten des Gastransportsystems dürfen durch Beschluss des Bezirksverwaltungsgerichts Kiew Nr. 826/5621/17 vom 27. April 2017, mit dem die Gel1340

1341

Vgl. Ukrtransgaz, Grundsätze des Zusammenwirkens von Ukrtransgaz mit verschiedenen Transportkunden, abgerufen unter: http://utg.ua/utg/business-info/regulations.html (zuletzt am 01.12.2018); s. auch Sych, Postačannja. Organizacija ta vedennja biznesu postačal´nyka na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Lieferung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 56 ff. Dazu bereits Teil II § 6 A I, S. 250 ff.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

287

tung der gesamten Anordnung Nr. 348 (vorerst) gestoppt wurde, nicht angewendet werden1342 . Daher verlangen – vorübergehend – die (Transport- sowie Verteiler-)Netzbetreiber eine Vergütung für den tatsächlichen Transport bzw. die tatsächliche Verteilung von Erdgas 1343 . Der Entgelt für die Erdgasverteilung bleibt vielmehr immer noch ein Teil des Preises, welcher für Erdgas als Produkt zu entrichten ist. Unklar ist vor diesem Hintergrund, wer – der Lieferant oder der Verbraucher – in dieser Übergangszeit für die Verteilung von Erdgas verantwortlich ist. 3.

Vertragsgestaltung im ukrainischen Entry-Exit-Modell

Zur Inanspruchnahme des GTS müssen die Transportkunden einen durch die Regulierungsbehörde erarbeiteten und genehmigten StandardErdgastransportvertrag abschließen (Art. 32 ErdgasMarktG, Abschn. VIII Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK). Es handelt sich dabei um einen Standardvertrag (typovyj dogovir, типовий договір) i. S. d. Art. 179 Abs. 2, 4 WGB. Der Inhalt eines solchen Vertrags wird durch das Ministerkabinett der Ukraine, von diesem oder der durch Gesetz dazu befugten Exekutive festgelegt und ist für die Vertragsparteien zwingend (mit der Folge, dass vertragliche Abweichungen unwirksam sind und das Fehlen der gesetzlich festgeschriebenen und daher als wesentlich zu behandelnden Bedingungen zum Nichtabschluss des Vertrags führt 1344 ) 1345 . Sie dürfen ihn demnach nicht ändern, jedoch konkretisieren und/oder ergänzen, wenngleich in eng begrenztem Umfang1346 . Insofern ist bei 1342

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Beschluss des BezVerwG Kiew v. 27.04.2017 Nr. 826/5621/17, abgerufen unter: http://search.ligazakon.ua/l_doc2.nsf/link1/SO12889.html (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Ukrtransgaz, Tarife für den Transport von Erdgas, abgerufen unter: http://utg.ua/ utg/business-info/tariffs.html#tariffmg (zuletzt am 01.12.2018); Dniprogaz, Tarife für die Verteilung von Erdgas, veröffentlicht am 10.04.2017 um 14:27 Uhr, abgerufen unter: https://dpgor.104.ua/ua/services/zaplatiti-za-gaz/tarifi-na-gaz/id/tarifi-na-transportuvannj ata-postachannja-prirodn-17158 (zuletzt am 01.12.2018). Der Nichtabschluss des Vertrages ist im ukrainischen Recht von seiner Unwirksamkeit zu unterscheiden, wobei sowohl in der Lehre als auch in der Rechtsprechung keine Einigkeit sowie (terminologische) Einheitlichkeit bezüglich der Rechtsfolge für fehlende wesentliche Vertragsbedingungen existieren. Näher dazu s. Bodnar/Dzera/Kuznjecova/ Berveno, Dogovirne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Vertragsrecht der Ukraine. AT], S. 191 ff.; Panych, Schadensversicherung im ukrainischen Recht, S. 110 ff.; Plenum des OWirtschG, Verordnung zur Unwirksamkeitserklärung von Rechtsgeschäften v. 29.05.2013 Nr. 11, abgerufen unter: http://zakon5.rada.gov.ua/ laws/show/v0011600-13 (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Kurchenko, ČKUP 2013/1, 204 (205); Pivovar, Porivnjal´no-analityčne pravo 5/2015, 123. Plenum des OWirtschG, Verordnung zur Auswertung der Rechtsprechung zu Streitigkeiten im Bereich der Stromversorgung v. 16.12.2015 Nr. 3, Pkt. 2.1. S. 6 ff.; abgerufen unter: http://www.arbitr.gov.ua/files/pages/ppVGSU_16122015_3.pdf (zuletzt am 01.12.2018).

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

diesen Verträgen die Privatautonomie der Vertragsparteien durch den Staat erheblich eingeschränkt. Es soll dem Schutz der Netzzugangspetenten, die aufgrund der marktbeherrschenden Stellung von Ukrtransgaz nicht auf einen anderen Anbieter zurückgreifen können, sowie dem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien dienen1347 . Der Erdgastransportvertrag wird nach Artt. 184 Abs. 3 i. V. m. 179, 181 WGB, Abschn. VIII Art. 1 TranspNetzK geschlossen. Gemäß Abschn. VIII Art. 1 Abs. 1 S. 1 TranspNetzK ist der Netzbetreiber zum Vertragsschluss mit jedem Netzzugangspetenten verpflichtet (sog. Kontrahierungszwang), es sei denn, dass dieser die Bewerbungsvoraussetzungen in Abschn. VIII Art. 1 Abs. 2, 3 TranspNetzK nicht erfüllt. Art. 19 ErdgasMarktG räumt den Marktteilnehmern keinen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch auf Netznutzung, sondern lediglich ihre vertragliche Gewährung ein1348 . Der Erdgastransportvertrag regelt das Verhältnis zwischen dem Transportnetzbetreiber – Ukrtransgaz – und dem einzelnen Besteller der Transportdienstleistung, auch dem Verteilernetzbetreiber 1349 . Die Transportdienstleistung, die den Gegenstand des Erdgastransportvertrags darstellt, umfasst laut Abschn. VIII Art. 1 Abs. 9 TranspNetzK, Pkt. 2.3. des StandardErdgastransportvertrages die Zurverfügungstellung und Nutzung einer Kapazität an einem Einspeise- bzw. Ausspeisepunkt des GTS, den eigentlichen Erdgastransport durch das GTS aufgrund bestätigter Nominierungen und innerhalb gebuchter Kapazitäten sowie den Bilanzausgleich. Auf Basis des Erdgastransportvertrags kann der Transportkunde alle oder aber lediglich eine der genannten Dienstleistungen erhalten. Ein Transportkunde kann dabei grundsätzlich jeder interessierte Marktteilnehmer sein. (Nur) hinsichtlich der Kapazitätsrechte hat der Gesetzgeber, wie bereits oben erwähnt, in Abschn. IX Art. 1 TranspNetzK eine Ausnahme statuiert. Demnach sind zur Buchung sowie Nutzung der Kapazitäten an physischen Einspeise- und Ausspeisepunkten aus dem bzw. in das GTS ausschließlich die Erdgasimporteure, Erdgasförderer, ans GTS direkt angeschlossenen Endkunden oder Verteilernetzbetreiber berechtigt. Der Kapazitätsvertrag des Endkunden gilt als Voraussetzung für seine Belieferung mit Erdgas (vgl. Abschn. II Art. 1 ErdgasLieferR). 1347

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S. zu den Funktionen der Standardverträge Pivovar, Aktual´ni problemy vitčyznjanoji jurysprudenciji 3/2016, 57 (60); Kyzyk, Pryvatne pravo i pidpryjemstvo 13/2014, 164 (166). Vgl. Urteil des Sosnivs´kyj BezirkG der Stadt Tscherkasy v. 22.12.2017 Reg.-Nr. 712/ 13070/17; Urteil des WirtschG des Poltava Gebietes v. 14.12.2017 Reg.-Nr. 917/55/17; Urteil des WirtschG des Kiew Gebietes v. 18.10.2016 Reg.-Nr. 911/4901/15. Sych, Rozpodil. Organizacija ta vedennja biznesu operatora GRM na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Verteilung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 25.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

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Die Verteilung von Erdgas durch das GRM erfolgt gemäß Art. 40 ErdgasMarktG, Abschn. VI Art. 1 VerteilNetzK aufgrund eines Erdgasverteilungsvertrags zwischen Verteilernetzbetreiber und Marktteilnehmern (auch Endkunden-Verbraucher), die ans GRM angeschlossen sind. Nach Abschn. VI Art. 3 VerteilNetzK wird der Erdgasverteilungsvertrag als ein sog. öffentlicher Vertrag (publičnyj dogovir, публічний договір)1350 qualifiziert und ist unter Berücksichtigung der Artt. 633, 634, 641, 642 ZGB in Form eines Standardvertrags zu schließen. Der öffentliche Vertrag ist in Art. 633 ZGB definiert und geregelt. In einem solchen Vertrag verpflichtet sich der Unternehmer1351 zum Verkauf von Waren, zur Verrichtung von Arbeiten oder zur Erbringung von Dienstleistungen unter den gleichen Bedingungen gegenüber jedem, der sich an ihn wendet (Abs. 1)1352 . Eine unterschiedliche Behandlung der Verbraucher ist nicht erlaubt, es sei denn, das Gesetz gewährt bestimmten Verbrauchergruppen Vergünstigungen (z. B. Angehörigen der Streitkräfte, Rentnern etc.)1353 . Kommt der Unternehmer seiner Verpflichtung zum Vertragsabschluss nicht nach, wird er schadenersatzpflichtig und muss gemäß Art. 633 Abs. 4 ZGB dem betroffenen Verbraucher alle Aufwendungen ersetzen, die diesem dadurch entstehen 1354 . Dem Rechtsinstitut des öffentlichen Vertrages liegt der Gedanke des – im deutschen Recht für den Bereich der Daseinsvorsorge üblichen – Kontrahierungszwangs zum Schutz der wirtschaftlich schwächeren und rechtlich weniger erfahrenen Vertragspartei (vor allem von Verbrauchern und Privatpersonen) zugrunde1355 . Der Erdgasverteilungsvertrag kommt ferner als sog. Beitrittsvertrag 1356 bzw. hingenommener Vertrag1357 (dogovir pryjednannja, договір приєднання) 1350

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Nicht zu verwechseln mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne des deutschen Rechts. Darunter sind sowohl juristische Personen, die sich unternehmerisch betätigen, als auch Einzelunternehmer erfasst. Vgl. Borysova, Cyvil´ne pravo [Zivilrecht], Bd. 2, S. 89. Eingehend Drishlyuk, Publičnyj dogovir (cyvil´no-pravovvyj aspekt) [Der öffentliche Vertrag (zivilrechtliche Aspekte)]. Bobryk, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlichpraktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 633 S. 412 f. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Luc´, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 633 S. 193; Bodnar/Dzera/Kuznjecova, Dogovirne pravo Ukrajiny. Osoblyva častyna [Vertragsrecht der Ukraine. BT], S. 702. Vgl. Drishlyuk, Aktual´ni problemy deržavy ta prava 33/2007, 206 (209); Lidovec, Časopys NaUOA 2012, Nr. 2(6), 1 (3), abgerufen unter: http://www.lj.oa.edu.ua/articles/ 2012/n2/12lradpv.pdf (zuletzt am 01.12.2018); Kurchenko, ČKUP 2013/1, 204 (206). Die Konstruktion des Beitrittsvertrages findet sich auch im russischen ZGB, Art. 428. Diese (alternative) Bezeichnung wird von Solotych, Das ZGB der RF – Erster Teil, S. 236, verwendet.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

zustande (Art. 634 ZGB). Gemäß Art. 634 Abs. 1 S. 1 ZGB werden die Bedingungen eines solchen Vertrages von einer der Parteien in Formularen oder anderen Standardformen bestimmt und können von der anderen Partei lediglich durch den Beitritt zum angebotenen Vertrag im Ganzen angenommen werden. Die beigetretene Partei hat somit keine Möglichkeit, sich an der Bestimmung des Vertragsinhalts zu beteiligen, was trotz der in Art. 633 Abs. 2 ZGB vorgesehenen Schutzmechanismen (häufig) zu ihrer Benachteiligung führen kann 1358 . Um die mögliche missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht der Netzbetreiber zu verhindern, wurden daher die Bedingungen des Verteilungsvertrages durch die Regulierungsbehörde in der Anordnung Nr. 2498 vom 30. September 2015 vorformuliert und gelten automatisch für beide Vertragsparteien. Die Regelungen des Beitrittsvertrages i. S. d. Art. 634 ZGB sind ihrer Natur und Funktion nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des deutschen Rechts prinzipiell ähnlich1359 . Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Zugang zum ukrainischen Erdgasinfrastrukturnetz nach dem neuen ErdgasMarktG aufgrund eines Erdgastransportvertrags und – gegebenenfalls – eines Erdgasverteilungsvertrags erfolgt. Der Erdgas beziehende Endkunde ist für die Buchung von Ausspeisekapazität bzw. Vorhalteleistung am Entnahmepunkt allein zuständig und steht somit stets in einem vertraglichen Verhältnis zum Netzbetreiber. Inwieweit der Erdgaslieferant an der Erdgastransportorganisation beteiligt ist, richtet sich nach dem Einzelfall. IV.

Endabnehmermarkt

Auf dem ukrainischen Endabnehmermarkt für Erdgas erfolgt die unmittelbare Versorgung von Endkunden mit Erdgas durch Lieferanten. Als Lieferant gilt jedes Wirtschaftssubjekt, soweit es Endabnehmer mit Erdgas beliefert und über eine Lizenz für die Ausübung der betreffenden Tätigkeit verfügt (vgl. die Legaldefinition des Erdgaslieferanten in Art. 1 Abs. 1 Nr. 27 ErdgasMarktG). Eine Einschränkung ergibt sich jedoch aus Artt. 23 sowie 39 ErdgasMarktG, wonach der Transport- sowie Verteilernetzbetreiber im Unternehmensbereich Vertrieb nicht tätig sein und mithin die Lieferanteneigenschaft nicht haben darf. Der Endkunde hat nach dem ukrainischen Gesetz das Recht, seinen Lieferanten sowohl frei auszuwählen als auch frei zu wechseln (vgl. Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 ErdgasMarktG). Die praktische Ausübung dieses Rechts ist al1358

1359

Vgl. Gukalenko, Aktual´ni problemy deržavy i prava 38/2008, 141 (147); Javors´ka, Pidpryjemnytstvo, gospodarstvo i pravo 2009, Nr. 10, 93 (95 f.); Sergijenko, Pravo i Bezpeka 2012, Nr. 4 (46), 299 (301 f.); Sergijenko, Pravo i Bezpeka 2012, Nr. 3 (45), 323 (323 f.). So bereits Panych, Schadensversicherung im ukrainischen Recht, S. 118.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

291

lerdings wegen der mangelnden Liquidität auf dem Großhandelsmarkt sowie der bereits angesprochenen privilegierten Stellung ausgewählter Lieferanten kaum möglich. 1.

Regulierter und nichtregulierter Endabnehmermarkt

Auf der Endabnehmerebene ist ebenso wie auf der Großhandelsebene zwischen einem regulierten und einem nichtregulierten Endabnehmermarkt zu unterscheiden1360 . Im regulierten Bereich erfolgt die Erdgasversorgung nach dem erst mit dem Übergang in die Endstruktur eingeführten Konzept der durch die Regierung der Ukraine festzulegenden Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen sowie dem Konzept des in offenem Wettbewerb von der ukrainischen Regierung ausgewählten Erdgasanbieters der letzten Rettung. Die Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen unterliegen einer preislichen Regulierung und einem Kontrahierungszwang gegenüber bestimmten in der Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine vom 22. März 2017 Nr. 187 aufgezählten Abnehmerkategorien (Art. 11 ErdgasMarktG). Privilegiert sind nach Pkt. 3 der Anordnung Nr. 187 ausschließlich Haushaltskunden (Verbraucher), religiöse Organisationen sowie Fernwärmeerzeuger. Die besonderen Versorgungsverpflichtungen sind nicht nur auf bestimmte Kundengruppen, sondern auch auf ein bestimmtes – dem jeweiligen Lieferanten gesetzlich zugewiesenes – Territorium eingeschränkt (vgl. Pkt. 14 Abs. 2 der Anordnung Nr. 187)1361 . Im Jahr 2016 waren 39 von 200 auf dem Endabnehmermarkt der Ukraine tätigen Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen belastet1362 . Der Erdgasanbieter der letzten Rettung ist gegenüber jedermann verpflichtet, bei Lieferausfällen einzuspringen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der ursprüngliche Lieferant in Konkurs gegangen ist, seine Lizenz verloren hat, technische Probleme hat oder aufgrund anderer Ursachen seiner Lieferverpflichtung nicht nachkommen kann (Art. 15 ErdgasMarktG). Beide Instrumente – die Auferlegung der Verpflichtung zur Erdgasversorgung privilegierter Kunden nach regulierten Preisen sowie die Benennung des Erdgaslieferanten der letzten Rettung – sollen in erster Linie dem Verbrau1360

1361

1362

NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 105. NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 105 sowie Anhang 3.3.1 S. 228. Ebenda.

292

Teil II Rechtslage in der Ukraine

cherschutz dienen1363 . Die einzelnen daraus ergebenden Verpflichtungen sind daher besonders relevant. 2.

Vertragslandschaft

Die Erdgasversorgung wird in der Ukraine aufgrund eines Erdgasliefervertrages (Art. 12 Abs. 1 S. 1 ErdgasMarktG) und unter der Bedingung, dass ein unterzeichneter Erdgasverteilungs- oder ggf. Erdgastransportvertrag vorliegt (Abschn. II Art. 1 ErdgasLieferR), vorgenommen. Die Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses mit dem nicht privilegierten Kunden richtet sich nach den allgemeinen Regelungen des ZGB und WGB. Danach haben die Vertragsparteien innerhalb gesetzlicher Vorschriften den Vertragsinhalt grundsätzlich frei zu bestimmen. Zu berücksichtigen sind dabei allerdings in Art. 714 Abs. 1 ZGB, Art. 12 Abs. 5 ErdgasMarktG und Abschn. II Art. 5 ErdgasLieferR festgelegte wesentliche und zwingende Bedingungen des Erdgasliefervertrages, deren Fehlen nach Art. 638 Abs. 1 ZGB, Art. 180 Abs. 2 S. 1, 181 Abs. 8 S. 1 WGB grundsätzlich den Nichtabschluss des Vertrages zur Folge hat1364 . Im regulierten Bereich wird der Erdgasliefervertrag durch die – auf Grund der Ermächtigung des Art. 12 Abs. 1 S. 3 und 4 ErdgasMarktG erlassenen – Bestimmungen des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher, genehmigt durch Anordnung der NKREKP Nr. 2500, und des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung, genehmigt durch Anordnung der NKREKP Nr. 2501, ausgestaltet. Diese Regelungen sind abschließend und lassen dem jeweiligen Lieferanten keinen Regelungsspielraum. Der Erdgasliefervertrag zwischen dem privilegierten Erdgaskunden und dem Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen wird dabei – genauso wie der Erdgasverteilungsvertrag – ausdrücklich als ein öffentlicher Vertrag und gleichzeitig als Beitrittsvertrag eingeordnet (Abschn. III Art. 2 ErdgasLieferR, Abschn. I Pkt. 1.1. und 1.3. des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher). Beim Abschluss eines solchen Vertrages sind daher Artt. 633, 634, 641, 642 ZGB zu beachten. Dies gilt auch für den Erdgasliefervertrag mit dem Erd1363

1364

Vgl. Pkt. 1 der Anordnung über die Auferlegung von besonderen Verpflichtungen für die Subjekte des Erdgasmarktes zur Gewährleistung des öffentlichen Interesses bei dem Funktionieren des Erdgasmarktes v. 22.03.2017 Nr. 187; NKREKP, Zvit pro rezul´taty dijal´nosti Nacional´noji komisiji, ščo zdijsnjuje deržavne reguljuvannja u sferach energetyky ta komunal´nych poslug, u 2016 roci [Tätigkeitsbericht der Nationalen Kommission für Staatliche Regulierung im Bereich der Energie- und Kommunaldienstleistungen 2016], S. 110; s. auch Sych, Postačannja. Organizacija ta vedennja biznesu postačal´nyka na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Lieferung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 15. S. dazu bereits Fn. 1344, S. 287.

§ 6 Das Erdgasversorgungssystem im Überblick

293

gaslieferanten der letzten Rettung (Abschn. V Art. 5 ErdgasLieferR, Abschn. I Pkt. 1.1. und 1.3. des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung).

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem Im Folgenden werden die Aufgaben und Pflichten im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung analysiert sowie den an einem Versorgungsverhältnis Beteilligten zugeordnet. Einen maßgeblichen Anknüpfungspunkt für eine etwaige Haftung schaffen dabei Erdgasversorgungsstörungen in Form von Unterbrechungen oder Unregelmäßigkeiten einerseits sowie die Nichtzahlung des Erdgaspreises oder Netzentgeltes andererseits. Aber auch die mangelhafte Erdgasqualität kann – gegebenenfalls – zu einer Haftung im Rahmen der Erdgasversorgung führen. Zu beachten sind zudem noch die Informationspflichten der Erdgasmarktteilnehmer, deren Nichterfüllung als weiterer Anknüpfungspunkt für eine Haftung betrachtet werden kann. Der Großteil der Pflichten im Bereich der Erdgasversorgung ist gesetzlich festgelegt. Nur wenige Pflichten bedürfen einer Absprache zwischen den jeweiligen Parteien. Die Behandlung der einzelnen (gesetzlichen und vertraglichen) Pflichten wird hierbei nach den beteiligten Akteuren vorgenommen. A.

Aufgaben und Pflichten der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimportgesellschaften

Die einzelnen Aufgaben und Pflichten der Erdgasförderer sowie Erdgasimporteure, die an der Spitze der Wertschöpfungskette in der ukrainischen Erdgaswirtschaft stehen, gestalten sich folgendermaßen aus: Da die Ukraine ihren Erdgasbedarf durch Inlandsproduktion und durch Importmengen ungefähr in gleichem Maße befriedigt1365 , nehmen beide Typen von Akteuren eine gleich wichtige Rolle bei der Erdgasversorgung ein. Ihre Tätigkeiten erfolgen zudem zwar mit dem gleichen Zweck, Erdgas zu verkaufen. Dennoch unterscheiden sich (grundsätzlich) die Aufgabenbereiche und Rechtsstellungen der Erdgasförderer und Erdgasimporteure, woraus sich unterschiedliche Haftungsrisiken für diese und somit unterschiedliche Schadensszenarien bei Versorgungsstörungen ergeben können. Um diese Unterschiede veranschaulichen und besser verstehen zu können, sind die spezifischen Aufgaben und Pflichten der Erdgasförderer und Erdgasimporteure gesondert zu erörtern. I.

Erdgasförderer

Genauso wie im deutschen Recht wird man im ukrainischen Recht zumindest drei Pflichtenarten für den Erdgasförderer unterscheiden müssen, nämlich bergbau-, hersteller- sowie lieferantenspezifische Pflichten. Die Unterscheidung der genannten Pflichtenarten lässt sich auf die Zielrichtung der durch 1365

Vgl. dazu Teil II § 6 C I, S. 276 ff.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_7

296

Teil II Rechtslage in der Ukraine

den Erdgasförderer ausführenden Aktivitäten sowie auf den Kreis der potenziell Betroffenen zurückführen. Die einzelnen Pflichten des Erdgasförderers (unabhängig von ihrer Zuordnung zu der einen oder anderen Art) sowie deren Inhalt sind grundsätzlich entweder ausdrücklich festgelegt oder können aus dem jeweiligen Gesetz hergeleitet werden. Sie können aber auch privatautonomen Ursprung haben und unter Rückgriff auf den Willen der Parteien begründet werden. Es handelt sich hierbei regelmäßig um die Pflichten, die die Essenz des Erdgaskauf- bzw. Erdgasliefervertrages sind. Die Pflichten des Erdgasförderers sowie ihre Ausgestaltung bzw. Konkretisierung haben sowohl in der ukrainischen Rechtslehre als auch in der Rechtsprechung bisher keine oder nur geringe Aufmerksamkeit erfahren. 1.

Bergbauspezifische Pflichten

Die bergbauspezifischen Pflichten erwachsen dem Erdgasförderer als Erdkörpernutzer i. S. d. Art. 13 ErdkörperGB1366 im Zusammenhang mit der geologischen Erforschung des Erdkörperfeldes und/oder mit der Erkundung und Gewinnung von Bodenschätzen aus der in diesem Feld gefundenen Lagerstätte1367 . Die Rechte und Pflichten des Erdkörpernutzers entstehen zum Zeitpunkt des (Sonder-)Lizenzerhalts bzw. des Abschlusses einer Vereinbarung über die Produktionsteilung zwischen dem ukrainischen Staat und dem Erdkörpernutzer (vgl. 24 Abs. 3 ErdkörperGB, Art. 4 ProdTeilVereinbarG 1368 , Art. 20 ÖlGasG1369 ) und sind in Art. 24 ErdkörperGB, Art. 4 ProdTeilVereinbarG und Art. 20 ÖlGasG festgelegt. Für das Verhältnis des ErdkörperGB zu den Regelungen des ProdTeilVereinbarG und des ÖlGasG gilt der Grundsatz des lex specialis derogat legi generali1370 . Das bedeutet, dass der Erdgasförderer im Fall von Normenkollisionen vorrangig die Vorschriften des ÖlGasG bzw. des ProdTeilVereinbarG zu berücksichtigen hat. 1366

1367 1368

1369

1370

Kodeks Ukrajiny pro nadra [Erdkörpergesetzbuch der Ukraine, ErdkörperGB] vom 27.07.1994 Nr. 132/94-BP, zuletzt geändert am 08.12.2015, WWR, 1994, Nr. 36, Pos. 340, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/132/94-%D0%B2%D1 %80 (zuletzt am 01.12.2018). Zu den Arten der Erdkörpernutzung s. Art. 14 ErdkörperGB. Zakon Ukrajiny „Pro ugody pro rozpodil produkciji“ [Gesetz der Ukraine über die Produktionsteilungsvereinbarungen, ProdTeilVereinbarG] vom 14.09.1999 Nr. 1039-XIV, zuletzt geändert am 28.12.2014, WWR, 1999, Nr. 44, Pos. 391, abgerufen unter: http://zakon3. rada.gov.ua/laws/show/1039-14 (zuletzt am 01.12.2018). Zakon Ukrajiny „Pro naftu i gaz“ [Öl- und Gasgesetz der Ukraine, ÖlGasG] vom 12.07.2001 Nr. 2665-III, zuletzt geändert am 16.06.2015, WWR, 2009, Nr. 40, Pos. 578, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/2665-14 (zuletzt am 01.12.2018). Safulko, Encyklopedučnyj dovidnyk majbutnjogo advokata [Enzyklopädisches Handbuch für zukünftige Rechtsanwälte], S. 501 f.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

297

Nach Art. 20 Abs. 2 ÖlGasG wird der Erdgasförderer als Erdkörpernutzer verpflichtet, die vollständige geologische Erforschung, die rationale umfassende Nutzung und den Schutz der Erdöl- und Erdgaslagerstätte entsprechend den Bedingungen der Lizenzvereinbarung, die gemäß Art. 28 Abs. 1 ÖlGasG zwingender Bestandteil der Lizenz ist, sowie der in einem Programm festgelegten Arbeitsweise sicherzustellen. Die Norm verlangt zudem, dass Vorschriften der ukrainischen Erdkörpergesetzgebung, ordnungsgemäß erlassene Standards, Regeln und Normen im Bereich der Nutzung der Erdöl- und Erdgaslagerstätte eingehalten, die für die Arbeitnehmer und die Allgemeinheit sichere Arbeitsdurchführung bei der Nutzung der Erdöl- und Erdgaslagerstätte gewährleistet und den Schaden infolge der Nutzung der Erdöl- und Erdgaslagerstätte bei Unternehmen, Einrichtungen, Organisationen, natürlichen Personen sowie für die Umwelt kompensiert werden. Schließlich muss der Erdgasförderer die Abgaben und Gebühren für die Nutzung der Erdöl- und Erdgaslagerstätte veröffentlichen. Die speziellen Verpflichtungen des Erdgasförderers aus dem ÖlGasG entsprechen weitgehend den allgemeinen, für alle Erdkörpernutzer geltenden Verpflichtungen nach dem ErdkörperGB. Zu ergänzen ist lediglich die Verpflichtung zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der im Zuge der Erdkörpernutzung beschädigten Grundstücke (vgl. Art. 24 Abs. 2 ErdkörperGB). Die zentrale Vorschrift über die Pflichten des Erdgasförderers im Rahmen einer Vereinbarung über die Produktionsteilung ist Art. 4 Abs. 1 ProdTeilVereinbarG. Der Erdgasförderer (Investor) verpflichtet sich danach, die ihm übertragenen Arbeiten im Zusammenhang mit der Aufsuchung, Erkundung und Förderung von Rohstoffen auf seine Kosten und auf sein Risiko durchzuführen und dem ukrainischen Staat als seinem Vertragspartner einen bestimmten Teil des gewinnbringenden Produktionsergebnisses zu übergeben. Weitere Pflichten des Erdgasförderers, etwa in betrieblicher, arbeitsrechtlicher, umweltschutzrechtlicher sowie steuerlicher Hinsicht, lassen sich nur vereinzelt dem Gesetz entnehmen und werden grundsätzlich der Bestimmung durch die Vertragsparteien überlassen, wobei der Gesetzgeber den notwendigen Vertragsinhalt weitgehend vorschreibt und die Maßstäbe für die inhaltliche Ausgestaltung der auszuhandelnden Rechte und Pflichten der Vertragspartner normiert (s. Artt. 8 und 9 ProdTeilVereinbarG). Die Produktionsteilungsvereinbarung umfasst nicht nur die Verhältnisse bei der Erdkörpernutzung, sondern kann auch den Transport, die Lagerung, die Verarbeitung sowie den Verkauf der geförderten Rohstoffe regeln (Art. 2 Abs. 2 ProdTeilVereinbarG). Dieses In-

298

Teil II Rechtslage in der Ukraine

strument soll in erster Linie der Gewinnung ausländischer Investoren in der Ukraine dienen1371 , kommt aber selten zur Anwendung. Das dargestellte Pflichtenprogramm des Erdgasförderers auf dem Gebiet der Erdkörpernutzung ist nicht abschließend und wird durch im jeweiligen Einzelfall einschlägige Verordnungen und Spezialgesetze ergänzt bzw. verdeutlicht. Zu nennen sind insbesondere das MethanG1372 , BergG1373 und UmwSchG1374 . Wichtige Anhaltspunkte für die Konkretisierung von Inhalt und Umfang der im Zusammenhang mit der Erdgasgewinnung geschuldeten Pflichten können des Weiteren zahlreiche staatliche Standards und technische Regelwerke, bei welchen es regelmäßig um die Normen mit Drittwirkung im Sinne hoheitlicher Rechtssetzung geht1375 , bieten. Die bergbauspezifischen Pflichten des Erdgasförderers besitzen im Hinblick auf den Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung eine gewisse Bedeutung, indem sie Einfluss auf die Erfüllung der dem Erdgasförderer in seiner Eigenschaft als Lieferant obliegenden Pflichten haben. Denn erst die eingeholte öffentlich-rechtliche Erlaubnis der Erdkörpernutzung ermöglicht es ihm, seinen lieferantenspezifischen Verpflichtungen nachzukommen. Sollte der Erdgasförderer die bergbauspezifischen Pflichten nicht beachtet haben, kann seine Berechtigung zur Nutzung des Erdkörpers aufgrund der erteilten Lizenz entzogen bzw. widerrufen werden. Dies kann wiederum zu Unterbrechungen bei Erdgaslieferungen führen. 2.

Herstellerspezifische Pflichten

Neben den bergbauspezifischen Pflichten erwachsen dem Erdgasförderer auch die herstellerspezifischen Pflichten. Denn seine bergbaulichen Einrichtungen und Tätigkeiten, das heißt Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung von Erdgas, werden zum Absatz des Produkts Erdgas (direkt oder indirekt) an Endkunden, auch Verbraucher, durchgeführt. Mit dem Inverkehrbringen von 1371

1372

1373

1374

1375

Kobetska, Jurydyčnyj naukovyj elektronnyj ğurnal 2015, Nr. 3, 105 (106); kritisch Sukhodolya, Strategični priorytety 2013, Nr. 3 (28), 59 (65 ff.). Zakon Ukrajiny „Pro gaz (metan) vugilnyh rodovyšč“ [Gesetz der Ukraine über Gas (Methan) aus Kohlelagerstätten, MethanG] vom 21.05.2009 Nr. 1392-VI, zuletzt geändert am 22.09.2016, WWR, 2001, Nr. 50, Pos. 262, abgerufen unter: http://zakon2.rada. gov.ua/laws/show/1392-17 (zuletzt am 01.12.2018). Girnyčyj zakon Ukrajiny [Berggesetz der Ukraine, BergG] vom 06.10.1999 Nr. 1127-XIV, zuletzt geändert am 12.02.2015, WWR, 1999, Nr. 50, Pos. 433, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/1127-14/page (zuletzt am 01.12.2018). Zakon Ukrajiny „Pro ohoronu navkolyš“njogo pryrodnogo seredovyšča [Umweltschutzgesetz der Ukraine, UmwSchG] vom 25.06.1991 Nr. 1264-XII, zuletzt geändert am 07.02.2017, WWR, 1991, Nr. 41, Pos. 546, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/ laws/show/1039-14 (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Kirin/Khomenko, Geologične pravo [Geologierecht], S. 14 ff.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

299

Erdgas erlangt der Erdgasförderer die Eigenschaft des Herstellers und macht sich nach ukrainischem Recht nicht nur für seine Sicherheit, sondern auch für seine Gebrauchstauglichkeit verantwortlich. Die damit verbundenen Pflichten und Handlungsmöglichkeiten des Erdgasförderers als Hersteller ergeben sich grundsätzlich aus den Vorschriften des ukrainischen ZGB, des ProdHaftG1376 sowie des VerbrSchG. a)

Sicherheitspflichten des Herstellers nach dem ukrainischen ProdHaftG

Für die Feststellung der Pflichten des Herstellers wird in der Ukraine an die Fehlerhaftigkeit des in Verkehr zu gebenden Produkts angeknüpft. Auf den Markt dürfen nur fehlerfreie Produkte gebracht werden. Nach Art. 5 Abs. 1 ProdHaftG ist ein Produkt fehlerfrei, wenn es die Sicherheit bietet, die der Verbraucher bzw. Benutzer unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Konstruktion, der Zusammensetzung, des Transports, der Lagerung, der Einstellung, der technischen Bedienung, der Nutzung, der Entsorgung, der Darbietung des Produkts sowie der Information zu seinem Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, und zum Zeitpunkt, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt ist. Die Bestimmung der Fehlerhaftigkeit bzw. der Sicherheitserwartung in Art. 5 Abs. 1 ProdHaftG stimmt fast wörtlich mit Art. 6 Abs. 1 der EG-Richtlinie 85/374/EWG über die Produkthaftung überein 1377 und ist wie im deutschen Produkthaftungsrecht durch die Rechtsprechung nach objektiven Maßstäben zu konkretisieren1378 . Maßgeblich für die Beurteilung der berechtigten Sicherheitserwartungen sind insbesondere verbindliche hoheitlich erlassene Normen (vgl. Art. 9 Abs. 1 Nr. 4 ProdHaftG, Art. 5 Abs. 1 NiNahrMiSiG1379 )1380 . So hat der Erdgasförderer die Qualitäts- und Sicherheitsvorgaben des Abschn. III Art. 1 Abs. 13 1376

1377

1378 1379

1380

Zakon Ukrajiny „Pro vidpovidal´nist´ za škodu, zapodijanu vnaslidok defektu v produkciji“ [Gesetz der Ukraine über die Haftung für durch Produktmängel verursachte Schäden, ProdHaftG] vom 19.05.2011 Nr. 3390-VI, WWR, 2011, Nr. 47, Pos. 531, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/1023-12 (zuletzt am 01.12.2018). Das ukrainische ProdHaftG dient der Umsetzung der Richtlinie des Rates v. 25.07.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaen über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG) im Rahmen der Angleichung des ukrainischen Rechts an das europarechtliche. S. dazu Begründungsschreiben des Wirtschaftsministers zum Gesetzesentwurf v. 30.09.2010, abgerufen unter: http://w1.c1. rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511=39120 (zuletzt am 01.12.2018). Kritisch Dyminska, UNZ 2014, Nr. 4 (52), 61 (62 f.). Zakon Ukrajiny „Pro zagal´nu bezpečnist´ neharčovoji produkciji“ [Gesetz der Ukraine über die allgemeine Sicherheit von Nichtnahrungsmitteln, NiNahrMiSiG] vom 02.12.2010 Nr. 2736-VI, zuletzt geändert am 15.01.2015, WWR, 2011, Nr. 22, Pos. 145, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/2736-17 (zuletzt am 01.12.2018). Vgl. Beschluss des OWirtschG v. 22.08.2011 Reg.-Nr. 12/277-31/325.

300

Teil II Rechtslage in der Ukraine

TranspNetzK beim Inverkehrbringen von Erdgas durch die Einspeisung ins GTS einzuhalten. Beachtet er sie nicht, dann ist das Erdgas fehlerhaft. Eine unmittelbare und wesentliche Bedeutung für die Begründung der Sicherheitspflichten des Herstellers haben ferner die sog. Technischen Reglements, die die zwingenden Anforderungen an bestimmte Produktgruppen festlegen und die Gesetzesqualität besitzen1381 . Sollten keine Technischen Reglements erlassen werden, gelten die Staatlichen (Nationalen) Standards gemäß dem StandardG. Sie sind jedoch i. S. d. ProdHaftG nur beachtlich, wenn sie einen obligatorischen und nicht lediglich empfehlenden Charakter haben (s. dazu Art. 23 Abs. 2 StandardG1382 ). Im Erdgasbereich sind das sog. GOST 5542-87 sowie TU U 320.001.58764.007-95, welche die erforderlichen Eigenschaften und die Zusammensetzung von Erdgas für die Bevölkerung und die Industrie normieren, vom Erdgasförderer zu berücksichtigen1383 . b)

Qualitäts- und Sicherheitspflichten des Herstellers nach dem VerbrSchG

Das VerbrSchG operiert mit dem Begriff des Mangels, welcher mit dem Fehlerbegriff i. S. d. ProdHaftG nicht deckungsgleich ist, wenngleich die (verwirrende) Formulierung des Art. 16 VerbrSchG zur Schadensersatzhaftung „aus einem Mangel (Fehler) an der Produktion“1384 (berechtigterweise) einige Zweifel aufkommen lässt1385 . Art. 1 Nr. 15 VerbrSchG definiert den Produktmangelbegriff allerdings dahingehend, dass ein Produkt als mangelhaft gilt, wenn es nicht den Bestimmungen der Gesetzesvorschriften und Normungsdokumente, vertraglichen Vereinbarungen oder gestellten Qualitätsanforderungen sowie über das Produkt erteilten Informationen entspricht. In Art. 1 Nr. 12 VerbrSchG wird vielmehr aufgeführt, dass die Untauglichkeit des Produkts für eine be1381 1382

1383

1384

1385

Vgl. Krysanov, Ekonomika harčovoji promaslovosti 2013, Nr. 4 (20), 5 (8 f.). Zakon Ukrajiny „Pro standartyzaciju“ [Standardisierungsgesetz der Ukraine, StandardG] vom 05.06.2014 Nr. 1315-VII, zuletzt geändert am 15.01.2015, WWR, 2014, Nr. 31, Pos. 1058, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/1315-18 (zuletzt am 01.12.2018). S. dazu Datenbank der ukrainischen Standardisierungsbehörde, abgerufen unter: http://uas.org.ua/ua/services/standartizatsiya/109-2/ (zuletzt am 01.12.2018). Wortlaut des Art. 16 VerbrSchG: „1. Der aus einem Mangel (Fehler) an der Produktion resultierende Schaden ist gemäß Gesetz zu ersetzen.“. Vgl. Egorycheva, Jurydyčna Ukrajina 1/2013, 67 (71 f.); Bychkova/Bychkova/Shapoval, Cyvil´ne pravo. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 484 f., die das Problem zwar erkennen, sich dabei jedoch nicht näher mit der Frage auseinander setzen. Die Rechtsprechung verhält sich diesbezüglich ebenfalls passiv. Das OG der Ukraine hat in seinem Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz (2009 – 2012) v. 01.02.2013, veröffentlicht in Podatky ta buhgalters´kyj oblik 2013, Nr. 65, 4, diese Problematik nicht einmal angesprochen. Näher dazu s. Teil II § 8 B III 1, S. 386 ff.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

301

stimmte Anwendung als wesentlicher Mangel anzusehen ist. Davon ausgehend hat der jeweilige Hersteller sowohl die Sicherheit des Produktgebrauchs als auch seine Gebrauchstauglichkeit zu gewährleisten1386 . Dafür spricht auch die Regelung des Art. 4 Abs. 1 VerbrSchG, wonach der Verbraucher i. S. dieses Gesetzes Anspruch auf angemessene Qualität von Produkten und Dienstleistungen (Nr. 2) sowie Produktsicherheit (Nr. 3) hat. Der Mangelbegriff des VerbrSchG beinhaltet daher objektive und subjektive Komponenten. Unklar ist allerdings, inwieweit vertragliche Qualitätsbestimmungen als Kriterium für die Feststellung der Mangelhaftigkeit des Produkts im Rahmen der Haftung nach Art. 16 und Art. 8 Abs. 3 i. V. m. 1 VerbrSchG zu berücksichtigen sind. Denn während Art. 8 VerbrSchG den Erwerb einer Ware nicht angemessener Qualität aufgrund eines Vertrages1387 für den Eintritt der in Abs. 1 aufgelisteten Rechtsfolgen voraussetzt 1388 und die vertragliche Gewährleistungspflicht des Verkäufers für den Hersteller ausweitet, entsteht der Schadensersatzanspruch gemäß Art. 16 VerbrSchG unabhängig davon, ob ein Vertrag über den Erwerb einer Ware (Werk- oder Dienstleistung) vorliegt1389 . Vor diesem Hintergrund erscheint die Anwendung vertraglicher Maßstäbe der Produktmangelhaftigkeit für die Begründung der Schadensersatzhaftung des Herstellers überaus problematisch, wenn er keine unmittelbare Vertragsbeziehung zum Verbraucher hat, was der Regelfall, auch in der Erdgaswirtschaft, ist. Da sich keine Ausführungen dazu in der ukrainischen Lehre und Rechtsprechung finden, kann an dieser Stelle auf die Lösungsansätze zum russischen Verbraucherschutzrecht, welches über ähnliche Regelungen verfügt, verwiesen werden. Zu Recht wird die Meinung vertreten, dass die vertraglich vereinbarten Qualitätsanforderungen die Beurteilung der Mangelhaftigkeit des fraglichen Produkts nur dann beeinflussen, wenn eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem in Anspruch genommenen Hersteller und dem jeweiligen Verbrau-

1386

1387

1388

1389

Urteil des Darnyc´kyj BezirkG Kyjiv v. 31.03.2014 Reg.-Nr. 753/2792/14-ц; Urteil des Iwano-Frankiws´k StadtG des Iwano-Frankiws´k Gebietes v. 21.10.2010 Reg.-Nr. 254/2010; Urteil des Saks´kyj StadtbezirkG der Autonomen Republik Krym v. 22.05.2009 Reg.-Nr. 2-346/09. OG der Ukraine, Verfügung zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz v. 12.04.1996 Nr. 5, veröffentlicht in Jurydyčnyj visnyk Ukrajiny 2005, 01, 15, Nr. 02. Vgl. OG der Ukraine, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz (2009 – 2012) v. 01.02.2013, veröffentlicht in Podatky ta buhgalters´kyj oblik 2013, Nr. 65, 4. Vgl. OG der Ukraine, Verfügung zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz v. 12.04.1996 Nr. 5, veröffentlicht in Jurydyčnyj visnyk Ukrajiny 2005, 01, 15, Nr. 02.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

cher besteht1390 . Im Hinblick auf die quasivertragliche Haftung des Herstellers nach Art. 8 Abs. 3 i. V. m. 1 VerbrSchG gegenüber dem Vertragspartner des Verkäufers sind hingegen die vertraglichen Bestimmungen betreffend die Qualität und Sicherheit des Produkts für die Feststellung seiner Mangelhaftigkeit zu berücksichtigen, auch wenn sie nur vom Verkäufer und Verbraucher, d. h. ohne jegliche Beteiligung des Herstellers am Verhandlungsprozess festgelegt wurden1391 . Dabei wird von einem gesetzlichen Schuldbeitritt des Herstellers ausgegangen1392 . Das ukrainische VerbrSchG schreibt zudem ausdrücklich den Anspruch des Verbrauchers auf Ungefährlichkeit des Produkts (Art. 14 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 3 VerbrSchG) fest. Nach Art. 14 Abs. 1 VerbrSchG muss das Produkt unter gewöhnlichen Bedingungen seiner Nutzung, Lagerung sowie seines Transports ungefährlich für Leben, Gesundheit und Umwelt sein sowie keine Vermögensschäden verursachen. Die Ungefährlichkeit des Produkts muss vielmehr auch während seiner Entsorgung gegeben sein. Dies ergibt sich aus der Legaldefinition der Produktsicherheit in Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 VerbrSchG. Die Beurteilung der Ungefährlichkeit des Produkts richtet sich hierbei laut Art. 6 Abs. 3 i. V. m. Art. 14 Abs. 4 VerbrSchG nach den gesetzlich festgelegten Sicherheitsanforderungen (insbesondere in Technischen Reglements)1393 . Werden diese Anforderungen nicht eingehalten, ist das Produkt als gefährlich, aber gleichzeitig auch als mangelhaft anzusehen. Das Kriterium der Ungefährlichkeit konkretisiert mithin den Mangelbegriff in Art. 1 Abs. 1 Nr. 15 VerbrSchG. c)

Informationspflichten des Herstellers

Den Hersteller treffen im ukrainischen Recht auch umfangreiche Pflichten zur Weitergabe von Informationen, insbesondere Aufklärungs-, Mitteilungs-, Instruktions- bzw. Warnpflichten1394 . Die zentrale Vorschrift stellt hierbei Art. 15 VerbrSchG dar, welcher das Recht des Verbrauchers auf erforderliche, zugängliche, wahrheitsgemäße sowie rechtszeitige Informationen über das Produkt statuiert1395 und die daraus resultierenden Pflichten detailliert regelt1396 . 1390

1391

1392

1393 1394 1395

Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutsch-russischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 178 ff. Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutsch-russischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 207 ff. Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutsch-russischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 208. Plakhtii/Baitsar, VNULPAVK 2013, Nr. 753, 123 (128). Zvereva, Zahyst prav spoğyvačiv [Verbraucherschutz], S. 29 ff. In der Literatur wird kritisiert, dass der ukrainische Gesetzgeber „erforderliche“, „zugängliche“, „wahrheitsgemäße“ oder „rechtszeitige“ Informationen nicht ausdrücklich definiert

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

303

So schreibt Art. 15 Abs. 1 VerbrSchG fest, welche (allgemeinen1397 ) Angaben und Informationen dem Verbraucher über das Produkt zur Verfügung gestellt werden müssen. Zu den notwendigen Informationen zum Produkt gehören insbesondere wesentliche Eigenschaften (Nr. 3)1398 , die Regeln für einen effektiven und gefahrlosen Gebrauch (Nr. 10)1399 , die Nutzungsdauer sowie die erforderlichen Maßnahmen nach ihrem Ablauf und mögliche Folgen ihrer Nichterfüllung (Nr. 11)1400 . Sollte das Produkt unter (bestimmten) Umständen gefährlich für Leben, Gesundheit und Vermögen des Verbrauchers sowie die Umwelt sein, muss der Verbraucher darüber entsprechend aufgeklärt und über mögliche Folgen seines Gebrauchs (seiner Nutzung) informiert werden (Art. 15 Abs. 1 S. 7 VerbrSchG). Für die Feststellung des Umfangs der konkret einzuhaltenden Informationspflicht des Herstellers darf der Maßstab gemäß Art. 15 Abs. 9 VerbrSchG nicht anders als bei einem durchschnittlichen Verbraucher ohne spezielle Kenntnisse über Eigenschaften und Merkmale des zu erwerbenden Produkts herangezogen werden 1401 . Auf diesen Maßstab ist auch dann abzustellen, wenn das Produkt nur von Fachleuten eingesetzt wird. Verpflichtet sind nach Art. 15 VerbrSchG grundsätzlich im gleichen Maße Hersteller, Verkäufer und Ausführende. Der ukrainische Gesetzgeber erkennt allerdings, dass die Tätigkeiten der genannten Akteure unterschiedliche Schwerpunkte haben, und trägt folglich diesem Umstand Rechnung, indem einzelnen Akteuren besondere Pflichten auferlegt werden. Art. 15 Abs. 3 bis 6 VerbrSchG enthält beispielsweise die Anforderungen an die Preisangaben und Erwerbsbedingungen, die vom Verkäufer bzw. Ausführenden zu beachten sind und den Hersteller nicht betreffen. Der Hersteller muss seinerseits stets darauf achten, dass die im Umlauf befindliche Information zum Produkt wahrheitsgemäß ist. Sollte er feststellen, dass dies nicht der Fall ist, ist er verpflichtet, innerhalb einer Woche das Produkt aus dem Verkauf zu nehmen und die Pro-

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1397 1398

1399 1400

1401

hat. So Mykytenko, Zovnišnja torgivlja: ekonomika, finansy, pravo 2016, Nr. 1, 47 (50 ff.); Pysmenna, UNZ 2008, Nr. 2 (26), 45 (46 ff.). Urteil des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 29.03.2011 Reg.-Nr. 6741св10. So Zvereva, Zahyst prav spoğyvačiv [Verbraucherschutz], S. 31. Urteil des OG der Ukraine v. 28.10.2009 Reg.-Nr. 6-3377св09; Urteil des Kyjivs´kyj BezirkG Poltava v. 02.12.2011 Reg.-Nr. 2-2927/11. Vgl. Urteil des Podil´s´kyj BezirkG Kyjiv v. 10.11.2001 Reg.-Nr. 2-760/1998. OG der Ukraine, Verfügung zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz v. 12.04.1996 Nr. 5, veröffentlicht in Jurydyčnyj visnyk Ukrajiny 2005, 01, 15, Nr. 02. OG der Ukraine, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz (2009 – 2012) v. 01.02.2013, veröffentlicht in Podatky ta buhgalters´kyj oblik 2013, Nr. 65, 4; Urteil des Čutivs´kyj BezirkG des Poltava Gebietes v. 06.04.2016 Reg.Nr. 550/571/15-ц.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

duktinformationen entsprechend anzupassen (Art. 15 Abs. 1 S. 4 Nr. 61 VerbrSchG). Tut er dies nicht, hat der Verkäufer nach Art. 15 Abs. 1 S. 4 Nr. 61 VerbrSchG diese Pflicht zu erfüllen. Das Nachkommen einer Rückrufpflicht in der Erdgaswirtschaft scheint jedoch kaum möglich zu sein, was von allen Beteiligten an der Erdgasversorgung eine enge Kooperation und Mitwirkung für die Vermeidung bzw. Verminderung einer potenziellen Gefahr bzw. eines potentiellen Risikos im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Erdgas erfordert. Zu beachten ist, dass das VerbrSchG zahlreiche weitere Regelungen über Informationspflichten des Herstellers zugunsten des Verbrauchers enthält. Diese finden sich in Art. 4 Abs. 1 Nr. 4, Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 8 Abs. 4, Art. 13 Abs. 2 und 3, Art. 14 Abs. 2, 3 und 7 VerbrSchG. Verletzt der Hersteller seine Informationspflichten, treten die Rechtsfolgen nach Art. 15 Abs. 7 VerbrSchG ein. Unterlassene bzw. fehlerhafte Informationspflichten führen vielmehr dazu, dass das betroffene Produkt als mangelhaft i. S. d. VerbrSchG zu beurteilen ist1402 . 3.

Verkäufer- bzw. lieferantenspezifische Pflichten

Der Erdgasförderer verkauft das gewonnene Erdgas an seine Kunden. Zu seinem Kundenkreis können sowohl Wiederverkäufer als auch Verbraucher i. S. d. ErdgasMarktG gehören. Beliefert der Erdgasförderer Verbraucher, tritt er als Erdgaslieferant nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 27 ErdgasMarktG auf und handelt aufgrund und im Rahmen einer Lizenz. Im Übrigen ist er als Erdgashändler zu behandeln. Der Erdgashändler und der Erdgaslieferant verfolgen zwar, wie bereits dargelegt, den gleichen Zweck – Verkauf von gewonnenen Erdgasmengen. Die Pflichtenprogramme, die sie dabei zu erfüllen haben, weisen allerdings bestimmte Besonderheiten und Unterschiede auf. So werden beispielsweise höhere Anforderungen an einen Erdgaslieferanten gestellt, um den schutzwürdigen Interessen der Verbraucher Rechnung zu tragen, und dieser hat damit ein höheres Haftungsrisiko als ein reiner Händler. Das gleiche Verhalten des Erdgasförderers in seiner Eigenschaft als Händler und als Lieferant kann demzufolge in haftungsrechtlicher Hinsicht unterschiedlich bewertet werden. Daher ist es sinnvoll, die verschiedenen Pflichten nach der betroffenen Kundenart getrennt zu untersuchen. Da der Erdgasförderer wohl eher nur im Ausnahmefall als Erdgaslieferant agiert, sind an dieser Stelle ausschließlich die vom Erdgasförderer als Händler zu beachtenden Pflichten herauszuarbei1402

Kuzmina, Pravo ta innovaciji 2014, Nr. 3 (7), 36 (37 f.); Malanchuk, PVUABS 2009, Nr. 1, 74 (75); Pysmenna, UNZ 2008, Nr. 2 (26), 45 (47 f.); Zvereva, Zahyst prav spoğyvačiv [Verbraucherschutz], S. 32.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

305

ten. Aufgrund der besonderen Stellung des Erdgaslieferanten in der Erdgasversorgung wird seinen Aufgaben und Pflichten ein eigener Abschnitt gewidmet. Der ukrainische Gesetzgeber verzichtete bei dem neuen ErdgasMarktG darauf, eine spezielle Regelung der Pflichten für die Beteiligten im Großhandel mit Erdgas zu treffen. Das Erdgashändlerpflichtenprogramm ergibt sich mithin aus den konkreten Bedingungen und Umständen des jeweiligen Vertragsverhältnisses (Kaufverhältnisses) und hat sich an die kauf- bzw. lieferrechtlichen Vorschriften des ZGB und des WGB zu orientieren. Besteht aber ein Erdgaskaufverhältnis zwischen dem Erdgasförderer und dem Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen, sind in erster Linie die Musterklauseln der Regierungsanordnung vom 13. Juli 2016 Nr. 4441403 zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei um einen Mustervertrag i. S. d. Art. 179 Abs. 4 UA 2 WGB. Danach kann die ukrainische Regierung oder ein anderes Staatsorgan aufgrund der Ermächtigungsgrundlage nach Art. 179 Abs. 2 WGB einen notwendigen Mindestinhalt eines wirtschaftlichen Vertrags erarbeiten und zur Anwendung beim Vertragsschluss empfehlen. Die Vertragsparteien haben hierbei das Recht, einzelne Musterbedingungen der Regierungsanordnung in gegenseitigem Einverständnis abzuändern oder zu ergänzen. Unklar ist allerdings, inwieweit von der Regierungsanordnung abgewichen werden kann und welche Rechtsfolgen die Nichtanwendung solcher Musterklauseln hat. Ausgehend vom Wortlaut des Art. 179 Abs. 2 und Abs. 4 UA 2 WGB wird in der Literatur vertreten, dass ein durch die Regierungsanordnung genehmigter Mustervertrag lediglich Empfehlungscharakter besitzt und den Vertragsparteien helfen soll, faire und ausgewogene Vertragsbedingungen aushandeln zu können1404 . Ansonsten verwischt sich die Abgrenzung zum Standardvertrag nach Art. 179 Abs. 4 UA 3 WGB. Eine (wohl häufig vorkommende) Auffassung in der Rechtsprechung geht hingegen unzutreffend dahin, die zwingende Anwendung von Musterklauseln der Regierungsanordnung für die Wirksamkeit des entsprechenden

1403

1404

Vgl. Prymirnyj dogovir kupivli-prodažu pryrodnogo gazu z postačal´nykamy pryrodnogo gazu iz special´nymy obov´jazkamy dlja potreb pobutovyh spožyvačiv ta religijnyh organizacij, zatverdženyj postanovoju Kabinetu Ministriv Ukrajiny № 444 vid 13.07.2016 [Mustervertrag über den Erdgaskauf mit den Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen für den Bedarf von Haushaltsverbrauchern und religiösen Einrichtungen, genehmigt durch Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/444-2016-%D0%BF (zuletzt am 01.12.2018). Kyzyk, Pryvatne pravo i pidpryjemstvo 14/2015, 102 (104); Znamens´kyj/Shcherbyna, Naukovo-praktyčnyj komentar Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlichpraktischer Kommentar zum WGB], Art. 179 S. 355.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

Wirtschaftsvertrags zu verlangen1405 . Fehlen diese Klauseln, wird der Vertrag als nicht abgeschlossen angesehen, es sei denn, dass die Vertragsparteien sich darüber ausdrücklich und schriftlich geeinigt haben1406 . Der Erdgasförderer verkauft die gewonnenen Erdgasmengen an seine Kunden grundsätzlich aufgrund eines Liefervertrags. Ein Liefervertrag nach der Legaldefinition des Art. 712 Abs. 1 ZGB und des Art. 265 Abs. 1 WGB liegt vor, wenn ein unternehmerisch tätiger Verkäufer (Lieferant) sich verpflichtet, eine Sache innerhalb einer bestimmten Frist bzw. Fristen in das Eigentum des Käufers für die Nutzung im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit oder zu anderen Zwecken, die nicht mit dem persönlichen, familiären, häuslichen oder ähnlichem Gebrauch verbunden sind, zu übergeben bzw. zu liefern, während der Käufer die Kaufsache anzunehmen und den vereinbarten Kaufpreis zu bezahlen hat. Die Zweckbestimmung der Kaufsache einerseits und der Anwendungsbereich des WGB andererseits sprechen dafür, dass neben dem Verkäufer auch der Käufer ein Unternehmer sein muss1407 . Der ukrainische Liefervertrag ist danach ein Kaufvertrag, der gewisse Besonderheiten hinsichtlich der Vertragsparteien und der Zweckbestimmung der Kaufsache aufweist und auf den die zivil- und wirtschaftsrechtlichen Sondervorschriften über die Lieferverhältnisse Anwendung finden1408 . Art. 712 ZGB und Artt. 265 ff. WGB gelten als leges speciales zum Kaufvertrag und haben daher bei der Regelung des Liefervertrags Vorrang1409 . Im Übrigen sind die allgemeinen kaufrechtli1405

1406 1407

1408

1409

Urteil des OWirtschG der Ukraine v. 21.06.2011 Reg.-Nr. 34/167пд; Urteil des OWirtschG v. 17.03.2014 Reg.-Nr. 919/926/13; Urteil des Odes´kyj BerufWirtschG v. 04.02.2013 Reg.-Nr. 5017/1686/2012; anders aber Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 18.02.2011 Reg.-Nr. 16/469. Urteil des Kyjivs´kyj BerufWirtschG v. 15.03.2011 Reg.-Nr. 9/272. Grudnyc´ka/Grudnyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine], Art. 265 S. 305; Bobryk, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 712 S. 474. Borysova/Borysova, Cyvil´ne pravo Ukrajiny 2004 [Zivilrecht der Ukraine], Bd. 2, S. 110; Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 194 f.; Mazur, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 239; Janovytska/Kučer, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 263; Bychkova/Samodina, Cyvil´ne pravo. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 38. Im Verhältnis gleichgeordneter Normen des ZGB und WGB zueinander ist im Prinzip der Linie des OWirtschG gefolgt, wonach das WGB vorrangig anzuwenden ist, soweit es sich um spezielle Regelungen für privat- und öffentlich-rechtliche Verhältnisse bei der Ausführung und Organisation der wirtschaftlichen Tätigkeit und damit eng verbundenen nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten handelt. S. dazu Schreiben des OWirtschG zu einigen Fragen der Anwendung von Regelungen des Zivilgesetzbuches der Ukraine und des Wirtschaftsgesetzbuches der Ukraine v. 07.04.2008 Reg.-Nr. 01-8/211. Darauf stützt sich wohl auch die herrschende Meinung in der juristischen Literatur. Vgl. Maydanyk,

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

307

chen Vorschriften des ZGB – Artt. 655 ff. ZGB – (subsidiär) anwendbar (Art. 712 Abs. 2 ZGB und Art. 265 Abs. 6 S. 2 WGB). Die Hauptleistungspflicht1410 des Erdgasförderers besteht danach in der Übergabe von gewonnenen Erdgasmengen in das Eigentum seines Kunden1411 . Es handelt sich dabei um eine synallagmatische Pflicht, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis mit der Kaufpreiszahlungspflicht des jeweiligen Erdgaskunden steht und deren Verletzung zur Nichterfüllung führt1412 . Das Erdgas muss darüber hinaus in geschuldeter Quantität (Art. 669 ZGB) und Qualität (Art. 268 WGB i. V. m. Art. 673 ZGB) übergeben werden. Jede Quantitäts- und Qualitätsabweichung begründet die Mangelhaftigkeit der Kaufsache und stellt im ukrainischen Recht eine nichtgehörige Erfüllung der Haupt(leistungs)pflicht dar1413 . Die Lieferpflicht des Erdgasförderers gilt mithin als nicht gehörig erfüllt, wenn sowohl geringere Erdgasmengen als vertraglich vorgesehen gemäß Art. 670 Abs. 1 ZGB (Zuweniglieferung) als auch größere Erdgasmengen gemäß Art. 670 Abs. 2, 3 ZGB (Zuviellieferung) geliefert werden. Die Teilleistung nach Art. 529 ZGB wird der Zuweniglieferung gleichgestellt, es sei denn, die Vertragsparteien haben ausdrücklich etwas anderes vereinbart, das Gesetz bestimmt etwas anderes oder aus dem Vertragszweck ergibt sich etwas ande-

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1413

ZEuP 2017, 373 (386 f.); Maydanyk, Cyvil´ne pravo: Zagal´na častyna [Zivilrecht: AT], Bd. 1, S. 336 ff.; Kossak/Cikalo, Gospodars´kyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Art. 4 S. 8; Mamutov, Naukovo-praktyčnyj komentar Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine], Art. 4 S. 19. Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Hauptleistungspflichten und Nebenpflichten ist zwar im ukrainischen Recht nicht gebräuchlich, wird jedoch der besseren Verständigung und Übersichtlichkeit halber an die deutsche Systematik der Hauptleistungs- und Neben(leistungs)pflichten angelehnt. Das deutsche Trennung- und Abstraktionsprinzip ist dem ukrainischen Recht völlig fremd. Die Übertragung des Eigentums erfolgt in der Ukraine nach dem sog. Einheitsprinzip (vgl. Art. 328 Abs. 1 ZGB). Das heißt, der Käufer wird im Prinzip bereits allein durch den Abschluss des Kaufvertrags auch Eigentümer der Kaufsache. Näher dazu s. Heim, Mobiliarsicherheiten nach ukrainischem Recht, S. 44 ff. Vgl. Braginsky/Vitriansky, Dogovornoje pravo. Obščije položenija [Vertragsrecht. AT], S. 336; Vitriansky, Dogovor kupli-prodaži [Kaufvertrag], S. 10; Biryukov/Zajika, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Zivilrecht der Ukraine. AT], S. 448. Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 159 und 195; Borysova/Baranova/Pechenyj/Syrotenko, Cyvil´ne pravo Ukrajiny 2004 [Zivilrecht der Ukraine], Bd. 2, S. 69 ff.; Baranova, Nevykonannja ta nenaležne vykonannja jak vydy porušennja zobov´jazannja [Nichterfüllung und nichtgehörige Erfüllung als Arten von Verpflichtungsverletzung], in: Aktual´ni problemy pryvatnogo prava: materialy mižnar. nauk.-prakt. konf., prysvjač. 92-j ričnyci z dnja narodž. d-ra juryd. nauk, prof., čl.-kor. AN URSR V.P. Maslova, 28 ljut. 2014, Kharkiv 2014 [Festschrift für V. P. Maslov zum 92. Geburtstag], S. 87 (89).

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

res1414 . Demnach kann keine Zuweniglieferung angenommen werden, wenn der Erdgasförderer und sein Kunde einen Ratenlieferungsvertrag abschließen und die Leistung in mehreren Teilen zu erbringen ist. In der Regel liegt allerdings ein Rahmenvertrag über die Erdgaslieferung vor, wonach die gewonnenen Erdgasmengen fortlaufend und abschnittsweise geliefert werden (vgl. Pkt. 4 des Mustervertrags über den Erdgaskauf in der Anordnung Nr. 444). In diesem Fall geht es mithin um die einzelnen (selbständigen) Lieferungen und Leistungen. Der Erdgasförderer muss weiterhin seiner Verpflichtung hinsichtlich der Erdgasqualität nachkommen. Die anhaftende Qualität1415 bemisst sich dabei nach der vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien (Art. 268 Abs. 1 WGB i. V. m. Art. 673 Abs. 1 ZGB). Aus dem Wortlaut des Art. 268 Abs. 1 WGB sowie des Art. 673 Abs. 4 S. 2 ZGB ist allerdings zu entnehmen, dass die Vertragsparteien höhere Qualitätsanforderungen als die in den Standards, den technischen Bedingungen, weiteren technischen Dokumentationen oder in der Probe bzw. dem Muster vereinbaren dürfen. Der Staat legt demnach die obligatorische Mindestqualität fest 1416 und beschränkt damit die inhaltliche Vertragsfreiheit der Parteien 1417 . Ob eine abweichend von den staatlichen Standards mindere Qualität vereinbart werden kann, ist unklar. Soweit die Parteien die Qualität nicht vereinbart haben, muss die Kaufsache weiterhin für deren Erwerbszweck (Art. 268 Abs. 3 1. Hs. WGB, Art. 673 Abs. 2 S. 2 ZGB) geeignet sein1418 oder die übliche Qualität haben (Art. 268 Abs. 3 2. Hs. WGB) bzw. dem gewöhnlichen Verwendungszweck entsprechen (Art. 673 Abs. 2 S. 1 ZGB)1419 . Was unter der üblichen Qualität oder dem gewöhnlichen Verwendungszweck im ukrainischen Recht verstanden werden kann, wurde – wiederum – sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung bisher noch nicht herausgearbeitet. Anknüpfend an Art. 268 Abs. 1 WGB i. V. m. Art. 673 Abs. 1 ZGB wird allerdings die übliche Qualität der Kaufsache gege1414

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Vgl. Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 12.06.2009 Reg.-Nr. 48/374; Urteil des Donec´kyj BerufWirtschG v. 13.10.2009 Reg.-Nr. 39/140пд; s. auch Shevchenko, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], Bd. 1, S. 488 f. Zum Qualitätsbegriff s. Žuryk, Jurydyčna Ukrajina 6/2014, 65 (65 ff.). Vgl. Urteil des OWirtschG v. 22.12.2010 Reg.-Nr. 30/93-10-2753. Vgl. Ivanochok, Haftung für Sachmängel bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen im Handelsverkehr, S. 55. In der ukrainischen Rechtsprechung wird dabei verlangt, dass ein bestimmter Erwerbszweck dem Verkäufer beim Vertragsabschluss ausdrücklich zur Kenntnis zu bringen ist, vgl. dazu Urteil des OWirtschG v. 07.02.2007 Reg.-Nr. 15/329/06; Urteil des WirtschG der Stadt Kyiv v. 08.09.2010 Reg.-Nr. 9/133. Eine Zustimmung des Verkäufers ist hier – zumindest ausgehend vom Wortlaut der einschlägigen Normen – nicht erforderlich. Dovgert/Luc´, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], S. 463.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

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ben sein, wenn sie mit den staatlichen Standards übereinstimmt. Vor diesem Hintergrund schuldet der Erdgasförderer in seiner Eigenschaft als Händler grundsätzlich die im Abschn. III Art. 1 Abs. 13 TranspNetzK festgelegte Erdgasqualität (vgl. Pkt. 7 des Mustervertrags in der Rechtsanordnung Nr. 444), deren Nichteinhaltung für die nichtgehörige Erfüllung seiner Lieferpflicht spricht. Für die Qualität und Quantität der verkauften Erdgasmengen ist der Erdgasförderer (nur) bis zum Gefahrübergang verantwortlich. Aus der Gefahrtragungsregelung des Art. 668 Abs. 1 i. V. m. Art. 323 ZGB folgt, dass die Gefahr einer zufälligen Verschlechterung bzw. Vernichtung der Kaufsache zum Zeitpunkt ihrer Übergabe auf den Käufer übergeht1420 . Der Übergang des Eigentums an dem Erdgas des Erdgasförderers auf seinen Kunden erfolgt gemäß Abschn. III Art. 7 Abs. 12, Abschn. VIII Art. 1 Abs. 1 S. 4 TranspNetzK sowie laut Pkt. 8 des Mustervertrags in der Rechtsanordnung Nr. 444 an dem durch den Transportnetzbetreiber verwaltenden VHP. Eine nach Gefahrübergang auftretende Qualitäts- bzw. Quantitätsabweichung kann daher keine Ansprüche oder Einwendungen mehr gegen den Erdgasförderer wegen der nichtgehörigen Erfüllung seiner Lieferpflicht begründen1421 . II.

Erdgasimporteure

Die Struktur der ukrainischen Erdgaswirtschaft auf der Importstufe hat sich im Zuge eines erneuten, derzeit vor dem internationalen Schiedsgericht der Stockholmer Handelskammer ausgetragenen Rechtsstreits zwischen Gazprom und Naftogaz über den im Jahre 2009 von beiden Energiekonzernen unterzeichneten und noch bis 2019 laufenden Liefervertrag1422 erheblich verändert: Es wird in der Ukraine kein russisches Erdgas mehr abgenommen. Der Erdgasimport wird nun nicht nur von Naftogaz, der allerdings seine führende Position als Erdgasimporteur in die Ukraine immer noch behält, sondern auch von anderen (auch wenn nur wenigen) Importeuren mit inländischen sowie ausländischen Investitionen getätigt1423 . Vor dem Hintergrund, dass ausländische (insbesondere europäische) Erdgasanbieter den Zugang zum ukrainischen GTS erhalten haben und als

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1421 1422

1423

Urteil des WirtschG des Winnyzja Gebietes v. 14.05.2009 Reg.-Nr. 4/50-09; Urteil des WirtschG des Donezk Gebietes v. 11.11.2009 Reg.-Nr. 40/464; vgl. auch Urteil des WirtschG des Odesa Gebietes v. 18.11.2008 Reg.-Nr. 33/77-08-4464. Vgl. Urteil des OWirtschG v. 11.06.2009 Reg.-Nr. 58/100-08(44/164-07(37/16-06)). Näher dazu s. Kirchner/Zachmann, Newsletter der Deutschen Beratergruppe, Ausgabe 104, Juni 2017, 1 (1 f.). Näher dazu Teil II § 6 C I, S. 276 ff.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

Folge hieraus nun direkte Erdgaslieferungen in die Ukraine tätigen können1424 , lassen sich zwei Import-Konstellationen unterscheiden. Ukrainische importierende Unternehmen beschaffen Erdgas von ausländischen Erdgasförderern bzw. -händlern an der ukrainischen Grenze und speisen dann dieses ins GTS der Ukraine ein. Ihnen obliegt damit die Aufgabe, eingekaufte Erdgasmengen am vereinbarten Grenzübergangspunkt zu übernehmen und ihren Transport bis zum VHP zwecks weiteren Verkaufs zu organisieren. Das ist der Regelfall. Das Erdgas wird mittlerweile aber auch von ausländischen Importeuren auf ukrainisches Territorium eingeführt. In diesem Fall wird normalerweise an eigene, nach ukrainischem Recht organisierte, Tochtergesellschaften geliefert, damit diese die Nachfrage ihrer Kunden (Lieferanten bzw. Endverbraucher) befriedigen können. Die Einspeisekapazitätsbestellung sowie die Erdgastransportorganisation zum VHP fallen somit in der Verantwortungsbereich eines ausländischen Erdgasimporteurs. 1.

Verkäufer- bzw. lieferantenspezifische Pflichten

Für die Bestimmung einzelner Aufgaben und Pflichten des jeweiligen Erdgasimporteurs ist immer das konkrete Vertragsverhältnis maßgebend. Sofern es aber in einen bestimmten im ZGB und/oder WGB geregelten Vertragstyp eingeordnet werden kann und die Beteiligten Abweichendes nicht vereinbart haben, lassen sich seine Hauptleistungspflichten allerdings dem Gesetz entnehmen. Die gesetzliche Inhaltsbestimmung eines Vertragstyps bringt sie mithin zum Ausdruck. Berücksichtigt werden muss dann noch, ob die Pflichten des Erdgasimporteurs auf Anbieter- oder Nachfrageseite zu analysieren sind. Beim (Weiter-)Verkauf von importierten Erdgasmengen auf ukrainischem Territorium agiert der Erdgasimporteur als Anbieter und schließt mit seinen Kunden regelmäßig Lieferverträge nach Art. 712 Abs. 1 ZGB und Art. 265 Abs. 1 WGB ab1425 . Auch den Erdgasimporteur treffen demzufolge lieferantenspezifische Pflichten: Er hat eine vereinbarte Erdgasmenge in das Eigentum seines Kunden zu übergeben, und zwar in geschuldeter Quantität und Qualität. Die Pflichten eines auf Anbieterseite stehenden Erdgasimporteurs decken sich damit mit denen eines Erdgasförderers in seiner Eigenschaft als Lieferant

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DiXi Group, Energetyčni reformy: Monitoryngovyj zvit pro prosuvannja Ukrajiny u vykonanni Ugody pro asociaciju z JES u sferah energetyky ta dovkillja [Energiereformen: Monitoringbericht über den Stand der Erfüllung des Assozierungsabkommens mit der EU im Energie- und Umweltbereich durch die Ukraine], Januar 2017, S. 6 f. Urteil des Donec´kyj BerufWirtschG v. 01.02.2017 Reg.-Nr. 913/1164/16; vgl. aber Urteil des WirtschG des Dnipropetrows´k Gebietes v. 28.07.2016 Reg.-Nr. 904/4470/16, das von einem Kaufvertrag gemäß 655 ZGB ausgeht.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

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i. S. d. ZGB und WGB. Es kann daher auch hier auf die Ausführungen des vorstehenden Abschnitts verwiesen werden. Wird die Lieferung von Erdgas durch einen ausländischen Importeur vorgenommen, darf nicht verkannt werden, dass es sich dabei um einen außenwirtschaftlichen Vertrag handelt. Nach der Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1 AußenWirtschG1426 ist ein außenwirtschaftlicher Vertrag jede Vereinbarung, die sich auf Begründung, Änderung oder Erlöschen von gegenseitigen Rechten und Pflichten im Rahmen einer außerwirtschaftlichen Tätigkeit richtet, wobei unter einer außenwirtschaftlichen Tätigkeit jede Art der Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und ausländischen Wirtschaftssubjekten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Staatsgrenzen der Ukraine zu verstehen ist1427 . Zu beachten sind insbesondere die Anforderungen der Verordnung des ukrainischen Wirtschafts- und Europaintegrationsministeriums zur Form von außenwirtschaftlichen Verträgen1428 an den Inhalt eines solchen Vertrages. Pkt. 1 der Verordnung gibt Mindestregelungen vor, die ein außenwirtschaftlicher Vertrag zu enthalten hat (Vertragsgegenstand, Quantität und Qualität von Waren, Lieferbedingungen unter Verwendung der Incoterms-Regeln, Preis(-bildung), Zahlungsmodalitäten, Regelung der Streitigkeiten u.a.) 1429 , sofern nicht die Vertragsparteien etwas anderes vereinbaren. Der Umstand, dass vom Inhalt dieser Regelung durch vertragliche Vereinbarung abgewichen werden kann, wobei die Voraussetzungen des Art. 180 Abs. 3 WGB zum Abschluss eines außenwirtschaftlichen Vertrages zu erfüllen sind1430 , spricht zwar für ihren dis-

1426

1427

1428

1429

1430

Zakon Ukrajiny „Pro zownišnjoekonomičnu dijal´nist´“ [Außenwirtschaftsgesetz der Ukraine, AußenWirtschG] vom 16.04.1991 Nr. 959-XII, zuletzt geändert am 20.12.2016, WWR, 1991, Nr. 29, Pos. 377, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/ 959-12 (zuletzt am 01.12.2018). Anders aber Art. 377 WGB, wonach eine Überschreitung der ukrainischen Zollgrenze von Waren für die Annahme einer außenwirtschaftlichen Tätigkeit entscheidend ist. Näher dazu Bodnar/Dzera/Kuznjecova/Pospolitak, Dogovirne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Vertragsrecht der Ukraine. AT], S. 502, der dieses Merkmal zu Recht als dispositiv qualifiziert. Poloğennja Ministerstva ekonomiky ta z pytan´jevropejs´koji integraciji Ukrajiny „Pro formu zovnišnjoekonomičnyh dogovoriv (kontraktiv)“ vid 21.09.2001 № 833/6024 [Verordnung des Wirtschafts- und Europaintegrationsministeriums der Ukraine „Über die Form von außenwirtschaftlichen Verträgen”], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/ laws/show/z0833-01 (zuletzt am 01.12.2018). Ausführlich Bodnar/Dzera/Kuznjecova/Pospolitak, Dogovirne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Vertragsrecht der Ukraine. AT], S. 515 ff. Art. 180 Abs. 3 WGB legt notwendige Bestandteile eines Wirtschaftsvertrages (essentialia negotii) fest. Für das Zustandekommen des Vertrags zwischen unternehmerisch tätigen Personen muss danach zumindest eine Einigung bezüglich des Vertragsgegestandes, Vertragspreises und der Vertragsfrist erzielt werden.

312

Teil II Rechtslage in der Ukraine

positiven Charakter1431 . Die ukrainische Rechtsprechung schränkt jedoch über den Gesetzeswortlaut hinaus die Abdingbarkeit dieser Norm ein, indem eine ausdrückliche und schriftliche Einigung der Vertragsparteien über die Abweichung von der genannten Verordnung verlangt wird1432 , und greift damit in unzulässiger Weise in die Vertragsfreiheit der Vertragsparteien ein. Denn ansonsten wird der Vertrag für nicht abgeschlossen erklärt1433 . 2.

Produkthaftungsrechtliche und herstellerspezifische Pflichten

Mit den herstellerspezifischen Pflichten wird ein weiterer Anknüpfungspunkt der Haftung des Erdgasimporteurs angesprochen. Die Einfuhr eines Produkts zwecks Verkaufs bzw. Vertriebs in den ukrainischen Wirtschaftsraum steht nach dem ukrainischen ProdHaftG seiner Inverkehrgabe durch den Hersteller gleich. Dies ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2 ProdHaftG, wonach der Importeur – zur Gewährleistung eines angemessenen Verbraucherschutzes 1434 – neben dem eigentlichen Hersteller im Ausland haftet1435 . Ihn trifft folglich eine umfassende Einstandspflicht für durch das fehlerhafte Produkt verursachte Schäden. Das in die Ukraine importierte Erdgas muss mithin – wie im Rahmen der Haftung der Erdgasförderer – den objektivierten Sicherheitsanforderungen entsprechen (vgl. Art. 5 Abs. 1 ProdHaftG). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse lässt sich schlussfolgern, dass der Erdgasimporteur (sowohl mit inländischen als auch mit ausländischen Investitionen) die gleiche Rechtsstellung wie der Erdgasförderer nach dem ukrainischen ProdHaftG besitzt. Dasselbe ergibt sich aus Art. 1209 Abs. 3 ZGB, der eine spezielle deliktische Vorschrift für die Produzentenhaftung für durch mangelhafte Waren, Arbeiten oder Dienstleistungen verursachte Schäden darstellt und nicht nur auf die Rechtsfolgen des

1431

1432

1433 1434

1435

Vgl. Dovbysh/Svitlak, Zovnišnjoekonomičnyj dogovir (kontrakt) kupivli-prodağu [Außenwirtschaftlicher Kaufvertrag], S. 112; Podcerkovnyj, Gospodars´ke pravo [Wirtschaftsrecht], S. 559. Urteil des WirtschBerufG der Stadt Kiev v. 15.03.2011 Reg.-Nr. 9/272; vgl. Urteil des WirtschG der Stadt Tscherniwzi v. 12.06.2014 Reg.-Nr. 926/701/14. Urteil des WirtschBerufG der Stadt Kiev v. 15.03.2011 Reg.-Nr. 9/272. S. Erwägungsgründe der EG-Richtlinie 85/374/EWG, die das ukrainische ProdHaftG umsetzt. Anders allerdings im verwandten russischen Produkthaftungsrecht. Der russische Gesetzgeber lässt zwar den Hersteller und – unmittelbar an Verbraucher verkauften – Einzelhändler nahezu unbeschränkt haften. Eine solche unbeschränkte Haftung wird jedoch nicht auf den Importeur ausgedehnt. Dieser haftet in Russland nur verschuldensabhängig. Näher dazu s. Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutsch-russischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 167, 336.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

313

ProdHaftG, sondern zugleich auf die dort genannten Voraussetzungen verweist1436 . Die Pflichten des Erdgasimporteurs ergeben sich ferner aus dem VerbrSchG. Anders als z. B. im russischen Recht, wonach der Importeur für mangelhafte Produkte nur dann verantwortlich ist, wenn er unmittelbar an Verbraucher verkauft, d. h. die Verkäufereigenschaft i. S. d. VerbrSchG der RF1437 innehat1438 , wird der Importeur in der Ukraine dem Hersteller gleichgestellt. Als Hersteller gilt nach Art. 1 Nr. 4 VerbrSchG jedes Wirtschaftssubjekt, welches das Produkt tatsächlich herstellt, sich durch Anbringen seines Namens, seiner Marke oder eines anderen Kennzeichens als Hersteller ausgibt oder es in das Gebiet der Ukraine einführt. Dazu ist anzumerken, dass die ursprüngliche Fassung des ukrainischen VerbrSchG nur den wirklichen Hersteller des Produkts und Verkäufer als unmittelbaren Vertragspartner eines Verbrauchers haftbar machte. Erst 2006 wurde der Herstellerbegriff reformiert und um den sog. Quasi-Hersteller sowie Importeur erweitert, als der ukrainische Gesetzgeber die ersten Versuche unternommen hat, die Gesetzgebung im Verbraucherschutzbereich zu modernisieren und an das EU-Recht anzupassen1439 . Dem Erdgasimporteur obliegen demnach die oben bereits dargestellten (weitgehenden) herstellerspezifischen Pflichten, etwa zur Einfuhr von Erdgasmengen in der Technischen Reglements bzw. Nationalen Standards entsprechenden Qualität und zur ordnungsgemäßen Information. B.

Aufgaben und Pflichten der Erdgaslieferanten

Die Hauptaufgabe eines Lieferanten i. S. d. Art. 1 Abs. 1 Nr. 27 ErdgasMarktG besteht in der Versorgung von Letztverbrauchern (Haushaltskunden und Nicht-Haushaltskunden) mit Erdgas. In diesem Zusammenhang ergeben sich für ihn zahlreiche Pflichten, welche er zu erfüllen hat und deren Verletzung Anknüpfungspunkte für die Haftung stellt. Für die Bestimmung der jeweiligen Pflichten im Einzelnen ist nach Intensität des staatlichen Eingreifens in die Ausgestaltung eines Erdgasversorgungsverhältnisses auf der Endabnehmerebene zu differenzieren. Wie bereits dargelegt kann die Versorgung in der Ukraine im regulierten bzw. nichtregulierten Bereich erfolgen. Während im privatrechtlichen Versorgungsvertrag mit Haushaltskunden und anderen privile1436

1437 1438

1439

Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1209 S. 964. Russische Föderation (RF). Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutschrussischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 167, 336. Vgl. Chernyak, Forum prava 2008, Nr. 2, 458 (459 ff.).

314

Teil II Rechtslage in der Ukraine

gierten Kundenkategorien der Staat in die Privatautonomie (beschränkend) eingreifen und durch Gesetz Rechtspflichten begründen mag, um die Haushaltskunden dadurch zu schützen, werden die Pflichten des NichtHaushaltskunden mit Erdgas beliefernden Lieferanten dagegen (weitgehend) privatautonom durch Vertrag festgelegt. Die wichtigsten Regelungen hinsichtlich der Rechte und Pflichten des Erdgaslieferanten und des Erdgaskunden finden sich in den Artt. 12 bis 18 ErdgasMarktG (Kapitel 2). Der herausragend zu Beginn des Kapitels eingeordnete Art. 12 ErdgasMarktG regelt die grundlegenden Pflichten des Erdgaslieferanten. Art. 12 Abs. 1 S. 1 ErdgasMarktG verpflichtet ihn zur Lieferung von Erdgasmengen in gehöriger Qualität und Quantität an seinen Kunden aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages. Die Qualität von Erdgas sowie seine anderen physikalischen und chemischen Eigenschaften sind dabei gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 ErdgasMarktG den staatlich festgesetzten Standards und anderen Rechtsakten zu entnehmen. Bei der Versorgung von Endabnehmern trägt der Lieferant ferner eine umfangreiche Informationspflicht, die sowohl bei als auch nach Vertragsschluss gilt (vgl. Art. 12 Abs. 5 ErdgasMarktG). Zum Pflichtenprogramm jedes Erdgaslieferanten gehört schließlich nach Art. 12 Abs. 6 ErdgasMarktG eine Pflicht zur Reservehaltung. Die Höhe der zu haltenden Höchstreserve wird gleich für alle Lieferanten, d. h. unabhängig von der zu beliefernden Abnehmergruppe, bestimmt und beträgt 10 Prozent von dem für den nächsten Monat geplanten monatlichen Umfang der Erdgaslieferung an Erdgaskunden. Die Höhe der Mindestreserve wird jährlich vom Ministerkabinett der Ukraine festgeschrieben und veröffentlicht (vgl. Art. 12 Abs. 6 S. 2 ErdgasMarktG). Im Folgenden geht es darum herauszuarbeiten, welche konkreten Pflichten den Lieferanten innerhalb der regulierten und nichtregulierten Versorgung mit Erdgas treffen. Die genannten Regelungen gelten dabei als Maßstab für beide Versorgungsbereiche. I.

Pflichten innerhalb der regulierten Versorgung

Die im ErdgasMarktG vorgesehenen Pflichten des Erdgaslieferanten werden im Rahmen der regulierten Versorgung durch die Regeln für die Erdgaslieferung, die Verordnung über die Auferlegung von besonderen Verpflichtungen für die Subjekte des Erdgasmarktes zur Gewährleistung des öffentlichen Interesses für das Funktionieren des Erdgasmarktes, den Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher sowie den Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung ergänzt und präzisiert. Zu beachten sind des Weiteren die jeweils ein-

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

315

schlägigen Vorschriften des ZGB bzw. des WGB (vgl. Art. 12 Abs. 3 ErdgasMarktG). Sie genießen vielmehr Vorrang, sollten die speziellen energierechtlichen Gesetze sowie untergesetzlichen Rechtsakte dem ZGB oder dem WGB widersprechen1440 . 1.

„Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen“

Die Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine Nr. 187 verpflichtet die ausgewählten Erdgaslieferanten zur Versorgung bestimmter, als schutzwürdig anzusehender Abnehmer – Haushaltskunden, religiöse Organisationen sowie Fernwärmeerzeuger – mit Erdgas zu den festgelegten Preisen. Diese Versorgungspflicht ist zeitlich und räumlich begrenzt: Sie ist zum einen an einen festgelegten Zeitraum gebunden und besteht vom 01. April 2017 bis 1. April des nächsten Jahres. Die Weitergeltung der Verpflichtung zur Versorgung zu den regulierten Preisen muss vom Gesetzgeber ausdrücklich geregelt werden. Der jeweilige Erdgaslieferant hat zum anderen nur diejenigen Haushaltskunden und religiösen Organisationen, die an das Gasverteilungssystem auf einem entsprechenden Territorium angeschlossen sind, mit Erdgas zu versorgen (vgl. Pkt. 14 Abs. 2 Anordnung Nr. 187). Diese räumliche Beschränkung gilt jedoch nicht für die Fernwärmeerzeuger. Denn die Anordnung Nr. 187 legt allein Naftogaz eine Pflicht zur Erdgasbelieferung der Fernwärmeerzeuger zu den normierten Preisen auf. Das heißt mit anderen Worten, jeder Fernwärmeerzeuger hat einen Anspruch auf die Versorgung mit Erdgas zu den in der Anordnung Nr. 187 festgeschriebenen Bedingungen im Zeitraum vom 01. April 2017 bis 01. April 2018. Gemäß Pkt. 14 Abs. 2 Anordnung Nr. 187 hat der Lieferant mit besonderen Verpflichtungen mit jedem berechtigten Letztverbraucher (Haushaltsverbraucher bzw. religiösen Organisation) zur Deckung seines lebensnotwendigen Bedarfs einen Vertrag über die Lieferung von Erdgasmengen zu schließen. Es liegt aus Sicht des ukrainischen Gesetzgebers im öffentlichen Interesse, individuelle Freiheitsrechte der Erdgaslieferanten als Leistungsanbieter im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge einzuschränken und für das Zustandekommen eines Vertrages mit einem bestimmten Inhalt zu sorgen (vgl. Pkt. 1 Anordnung Nr. 187)1441 . Die Regelung statuiert also einen Kontrahierungs1440

1441

Zur Vorrangigkeit des ZGB s. bereits Teil II § 6 B II, S. 266 ff. Ob auch das WGB Vorrang gegenüber anderen wirtschaftsrechtlichen Gesetzen hat, ist allerdings nicht klar. Dem WGB selbst lässt sich dies jedenfall nicht entnehmen. Da aber das WGB zeitgleich mit dem ZGB in Kraft getreten ist und darüber hinaus gleichrangig mit dem ZGB ist, kann seine vorherrschende Stellung gegenüber Einzelgesetzen auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts angenommen werden. Vgl. Toporkova, VMDU 2015, Serija: Pravo, Nr. 9-10, 113 (118); zur alten Rechtslage Kurchenko, ČKUP 2013/1, 204 (206); zur Stromversorgung Pan´kova, Pravo i sus-

316

Teil II Rechtslage in der Ukraine

zwang zu Lasten des Lieferanten, gibt dem berechtigten Verbraucher jedoch keinen (unmittelbaren) Anspruch auf die Versorgung mit Erdgas. Im ukrainischen Energierecht gibt es keine gesetzliche Ausgestaltung eines Erdgasversorgungsverhältnisses ohne ausdrücklichen Vertragsschluss. Die genannte Verpflichtung bezieht sich mithin auf den Abschluss eines Vertrages zu vorgeschriebenen Bedingungen, es sei denn, es besteht ein sachlich rechtfertigender Grund, den Vertragsschluss abzulehnen1442 . Dieser Grund kann darin bestehen, dass die entsprechenden Voraussetzungen für die Erdgasversorgung nicht vorliegen (vgl. Abschn. II Art. 1, 3, 4, Abschn. III Art. 1 ErdgasLieferR, Pkt. 2.2. des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher). Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Kunde seine dem aktuellen Lieferanten gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten nicht erfüllt (in Verschuldung geraten ist). Die Verpflichtung von Naftogaz zum Vertragsschluss mit jedem Fernwärmeerzeuger lässt sich aus Pkt. 12 i. V. m. Pkt. 3 Nr. 4 Anordnung Nr. 187 ableiten. a)

Belieferung von Haushaltsverbrauchern

Im Folgenden geht es anknüpfend an die vorherigen Ausführungen zum Konzept des Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen darum, seine Pflichten im Haushaltskundenbereich, die der Begründung einer (Verschuldens-)Haftung bei Schäden infolge Versorgungsstörungen, zu konkretisieren. Nach Pkt. 15 Anordnung Nr. 187 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 S. 3 ErdgasMarktG erfolgt die Versorgung der Haushaltsverbraucher ausschließlich aufgrund eines Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher, dessen Bedingungen durch die Regulierungsbehörde in der Anordnung Nr. 2500 vorgegeben und für die Vertragsparteien verbindlich sind. Ansonsten gelten hier die Regelungen des Abschn. III ErdgasLieferR und die Vorschriften über den Vertrag über die Versorgung mit Energie und anderen Ressourcen durch das angeschlossene Netz nach Art. 714 ZGB sowie den Einzelkaufvertrag nach Artt. 698 ff. ZGB1443 .

1442 1443

pil´stvo 1/2016, 106 (108 ff.); allgemein zur Einschränkung der Vertragsfreiheit im ukrainischen Privatrecht s. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Spasybo-Fatjejeva/Puchkovskaya, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 69 ff. Vgl. zur alten Rechtslage Kurchenko, ČKUP 2013/1, 204 (206). Der Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher ist zum einen als Vertrag über die Versorgung mit Energie und anderen Ressourcen durch das angeschlossene Netz im Sinne des Art. 714 ZGB, auf welchen gemäß Abs. 2 die kaufund lieferrechtlichen Vorschriften des ZGB Anwendung finden, und zum anderen als Kaufvertrag im weiteren Sinne einzuordnen. S. dazu Teil II § 6 B II 2, S. 271 ff. Durch die Einschränkung des Verwendungszwecks von gekauften Erdgasmengen lässt sich ein solcher Standardvertrag vielmehr unter einem Einzelkaufvertrag nach Art. 698 ZGB sub-

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

aa)

317

Pflicht zur sicheren und qualitativen Versorgung mit Erdgas

Gemäß dem in der Anordnung Nr. 2500 veröffentlichten Standardvertrag ist der Lieferant nicht nur zum Vertragsschluss mit jedem Berechtigten und zur Lieferung von Erdgasmengen zu den bestimmten Preisen, sondern auch zur Gewährleistung der sicheren und qualitativen Erdgasversorgung verpflichtet (s. Abschn. III und VI des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher). Insbesondere muss er gemäß Pkt. 3.1. und 6.2. des Standardvertrages eine ununterbrochene Versorgung mit Erdgas sicherstellen und die Nachfrage seines Kunden jederzeit befriedigen. Dies setzt voraus, dass der jeweilige Lieferant das erforderliche Erdgas rechtzeitig und in entsprechendem Umfang einkauft und dem Verbraucher zur Verfügung stellt. Aus Pkt. 3.2. und 6.2. des Standardvertrages erwächst dem Erdgaslieferanten darüber hinaus die Pflicht, die Qualität der Versorgung zu gewährleisten1444 . Der Erdgaslieferant kommt dieser Verpflichtung nach, indem er den zu beliefernden Verbraucher rechtzeitig, richtig und vollständig über die Lieferbedingungen, die Preisberechnung, die Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitschlichtung etc. informiert. Es handelt sich dabei um erdgaslieferantenspezifische Informationspflichten, deren Inhalt und Umfang durch Pkt. 5.1. des Standardvertrages, welcher die Rechte des Erdgasverbrauchers aufzählt, sowie Abschn. III Art. 24 ErdgasLieferR, in welchem die Verpflichtungen des Lieferanten vorgegeben sind, konkretisiert werden. Die erteilten Informationen müssen vielmehr den Anforderungen des die Informationspflichten im Rahmen eines Einzelkaufsvertrages regelnden Art. 700 ZGB entsprechen1445 . Diese Pflichten dienen zwar demselben Zweck – der Informationsverschaffung, weisen jedoch (ganz) unterschiedliche Inhalte und Merkmale auf, so dass sich eine im deutschen Recht geläufige systematische Unterteilung in Aufklärungs-, Warn-, Auskunfts-, Hinweis-, Unterrichtungs- oder Mitteilungspflichten anbie-

1444

1445

sumieren. Vereinzelt wird zwar die Erdgasversorgung als Dienstleistung im Standardvertrag bezeichnet. Die Anwendung dieses Begriffs ist jedoch auf die Qualifikation der Erdgasversorgung als Kommunaldienstleistung (vgl. Art. 1 WohnKommunalDienstleistG) zurückzuführen und hat einen eher untechnischen Charakter. Vgl. zum russischen Recht Lakhno, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Kap. 6 Rn. 62. Um genau zu sein, verwendet der ukrainische Gesetzgeber hierbei den Terminus „Qualität kommerzieller Dienstleistungen“. Gemeint werden damit allerdings (lediglich) Informationspflichten, die keine gegenseitigen (Hauptleistungs)Pflichten, sondern Nebenpflichten darstellen. Zum Gegestand des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher gehört nur der Erdgasverkauf. Vgl. dazu auch SpasyboFatjejeva/Pechenyj/Krat/Solovyev, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 232. Näher dazu Bychkova/Bychkova, Cyvil´ne pravo. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 23 ff.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

tet. In der ukrainischen Rechtsprechung und Literatur wurden allerdings bisher keine Differenzierungen hinsichtlich der Informationspflichten entwickelt. Die Anordnung Nr. 2500 enthält hingegen keine Regelung hinsichtlich der geschuldeten Qualität des zu liefernden Erdgases. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, könnte sie im Wege der Auslegung ermittelt werden. Die Sache nach ukrainischem Recht ist von gehöriger Qualität, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetze Verwendung eignet (Art. 673 Abs. 2 S. 2 i. V. m. Art. 678 ZGB), sonst wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet (Art. 673 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 678 ZGB)1446 . Im Bereich der Erdgasversorgung der Haushaltsverbraucher ist zwar laut Pkt. 2.2. S. 2 des Standardsvertrages das gelieferte Erdgas im privaten Haushalt (etwa für Baden, Kochen und Heizen) einzusetzen1447 . Diese Regelung bezieht sich aber auf die Preisprivilegierung der privaten Kunden und nicht auf die geschuldete Qualität. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass das vom Erdgaslieferanten an der jeweiligen Übergabestelle – hier am VHP – zur Verfügung gestellte Erdgas erst nach seiner Umwandlung durch den GRM-Betreiber in die Niederdruckstufe im Haushalt nutzbar ist. Der Erdgaslieferant schuldet dem Haushaltsverbraucher im Grunde genommen ausschließlich den bilanziellen Ausgleich der Erdgasentnahmen und hat im Gegensatz zum – die Transformation vornehmenden – Netzbetreiber gar keine Einflussmöglichkeit auf die Erdgasqualität. Das Risiko einer falschen Erdgasqualität trägt somit der Kunde selbst. bb)

Ausnahmen von der Verpflichtung zur Belieferung von Haushaltsverbrauchern mit Erdgas

Die Verpflichtung des Erdgaslieferanten zur ununterbrochenen Belieferung von Haushaltsverbrauchern mit Erdgas (Pkt. 6.2. Nr. 1 des Standardsvertrages) kann in bestimmten, vom Gesetzgeber vorgesehenen Fällen (zumindest vorübergehend) entfallen, ohne dass dies haftungsrechtliche Konsequenzen für ihn hat. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um die eigentlichen Grenzen der Versorgungspflicht, sondern um ihre Erfüllung, die gehemmt bzw. dem Erdgaslieferanten nicht zugemutet werden kann. Zu beachten ist, dass diese Fälle – auch im ukrainischen Recht – eine unterschiedliche Rechtsnatur aufweisen sowie unterschiedliche Funktionen innehaben, wofür nicht zuletzt auch ihre systematische Stellung in der Anordnung spricht. Sie sind mithin rechtlich unterschiedlich einzuordnen und an dieser Stelle differenzierend zu betrachten. 1446

1447

Kossak/Javors´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 673 S. 557. Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Solovyev, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 231.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

(1)

319

Vom Erdgaslieferanten veranlasste Unterbrechung der Versorgung

Die Einstellung der Erdgasversorgung der Haushaltsverbraucher ist in Abschn. VII des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher und in Abschn. III Art. 17 ff. ErdgasLieferR geregelt. Dort heißt es, dass der Erdgaslieferant im Haushaltskundenbereich berechtigt ist, die Belieferung mit Erdgas unter bestimmten Voraussetzungen einzustellen. Dafür bedient er sich der Hilfe eines Gasverteilernetzbetreibers und muss mit diesem einen entsprechenden Vertrag schließen (vgl. Abschn. III Art. 17 Abs. 2 ErdgasLieferR). Nach Pkt. 7.1. des Standardvertrages darf der Erdgaslieferant die Belieferung seines Kunden bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung unterbrechen1448 . Für die Liefersperre reicht allerdings die Fälligkeit der Forderung allein nicht aus. Vorausgesetzt wird vielmehr, dass der Kunde mit seiner fälligen Zahlung mehr als zehn Tage im Verzug ist (Abschn. III Art. 17 Abs. 1 S. 1 ErdgasLieferR). Darüber hinaus ist eine Androhung der Liefereinstellung nach Abschn. III Art. 17 Abs. 1 S. 1 ErdgasLieferR erforderlich. Die Androhung muss schriftlich erfolgen und den Grund sowie das Datum der Versorgungseinstellung enthalten1449 . Die Liefersperre ist jedoch erst drei Tage nach Zugang der Androhung zulässig (Abschn. III Art. 17 Abs. 1 S. 2 ErdgasLieferR). Dem Kunden soll die Möglichkeit gegeben werden, seinen Verpflichtungen nachzukommen bzw. entsprechende (technische) Vorkehrungen zur Schadensabwehr zu treffen1450 . Gleicht er seinen den Erdgaslieferanten zur Liefersperre berechtigenden Zahlungsrückstand bis zum in der Androhung angekündigten Tag der Sperrung aus, kann die Erdgasversorgung gemäß Abschn. III Art. 18 Abs. 1 ErdgasLieferR nicht eingestellt werden. Das Sperrrecht des Erdgaslieferanten gemäß Pkt. 7.1. des Standardvertrages, Abschn. III Art. 17 Abs. 1 ErdgasLieferR ist – genauso wie im deutschen Recht – seiner Rechtsnatur nach ein an die Besonderheiten des Vertrages über die Lieferung von Erdgas an Haushaltsverbraucher angepasstes und zugunsten der Verbraucher modifiziertes Zurückbehaltungsrecht i. S. d. Art. 538 Abs. 3 ZGB. Das (relative) Zurückbehaltungsrecht ukrainischen Rechts stellt ein wichtiges Schutzmittel dar, das dem Schuldner erlaubt, die 1448

1449

1450

Erfasst werden hiervon alle Zahlungspflichten, die sich aus dem Vertrag über die Lieferung von Erdgas ergeben. Der Zahlungsrückstand kann sich mithin sowohl auf den Verbrauch von Erdgasmengen als auch auf Verzugskosten beziehen (vgl. Abschn. III Art. 18 Abs. 2, 19 und 20 ErdgasLieferR). Ansonsten ist die Liefersperre unzulässig, s. dazu Urteil des Korops´kyj BezirkG des Tschernihiw Gebietes v. 01.11.2017 Reg.-Nr. 735/1074/17. Vgl. Urteil des Stryjs´kyj StadtbezirkG des Lwiw Gebietes v. 06.11.2017 Reg.-Nr. 456/ 2983/17.

320

Teil II Rechtslage in der Ukraine

eigene Leistung zu verweigern, wenn der Gläubiger mit seiner Leistung im Verzug ist oder diese nicht ordnungsgemäß erfüllt hat1451 . Vorausgesetzt wird, dass ein synallagmatisches Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger besteht, wobei die Gegenseitigkeit der Leistungspflichten gemäß Art. 538 Abs. 1 ZGB vertraglich vereinbart werden muss1452 . Das Zurückbehaltungsrecht des Art. 538 Abs. 3 ZGB kann mithin mit der Einrede des nicht erfüllten Vertrages im deutschen Recht (§ 320 BGB) verglichen werden. Die Qualifizierung des Einstellungsrechts des Erdgaslieferanten als relatives Zurückbehaltungsrecht bedeutet, dass die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 538 Abs. 3 ZGB auch im Bereich der Erdgasversorgung bei der Liefereinstellung neben den zusätzlichen Anforderungen aus Abschn. VII Pkt. 7.1. bis 7.4. des Standardvertrages, Abschn. III Artt. 17 ff. ErdgasLieferR zu erfüllen sind. Das Recht des Erdgaslieferanten zur Versorgungseinstellung korrespondiert mit seiner Wiederherstellungspflicht nach Pkt. 7.3. des Standardvertrages, Abschn. III Art. 20 ErdgasLieferR. Der Erdgaslieferant ist zur Wiederherstellung der Erdgasversorgung des betroffenen Haushaltsverbrauchers verpflichtet, wenn dieser die ihm gelieferten Erdgasmengen bezahlt hat. Ersetzt werden müssen vielmehr die Kosten für die Einstellung der Versorgung sowie ihre Wiederherstellung. Diese Wiederherstellungspflicht des Erdgaslieferanten steht auch mit dem Normzweck des Art. 538 Abs. 3 ZGB im Einklang. (2)

Unterbrechung durch höhere Gewalt

Abschn. X des Standardvertrages regelt eine weitere Ausnahme von der Versorgungspflicht des Erdgaslieferanten im Haushaltskundenbereich für den Fall, dass höhere Gewalt (bzw. vis maior) ihn an der Belieferung hindert. Liegt der Umstand höherer Gewalt vor, ist die (teilweise) Unmöglichkeit der Lieferpflicht vom Erdgaslieferanten nicht zu vertreten (vgl. Pkt. 10.2. des Standardvertrages) und seine Haftung für den dadurch entstandenen Schaden ausgeschlossen (vgl. Pkt. 10.1. des Standardvertrages, Abschn. III Art. 29 ErdgasLieferR)1453 . Es handelt sich somit hierbei um einen Haftungsausschlussgrund, 1451

1452

1453

Spasybo-Fatjejeva/Mytca, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 538 S. 150 f. Spasybo-Fatjejeva/Mytca, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 538 S. 153 f., Art. 594 S. 243; Bodnar/Dzera/Kuznjecova/Karnauch/Dzera, Dogovirne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Vertragsrecht der Ukraine. AT], S. 661. Im ukrainischen Recht gilt ähnlich wie im deutschen Recht die Unmöglichkeit als zentraler objektiver Entlastungsgrund, bei dessen Vorliegen die (Leistungs-)Pflicht entfällt. Nach Art. 607 ZGB erlischt die Verbindlichkeit, soweit ihre Erfüllung durch Umstände,

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

321

der aber schon nach allgemeinem Zivilrecht bestünde (Art. 617 ZGB) 1454 . Art. 617 ZGB regelt die Befreiung des Schuldners von der Schadensersatzpflicht infolge der Pflichtverletzung, wenn diese durch Zufall oder höhere Gewalt eingetreten ist. Die genannte Norm enthält jedoch keine Legaldefinition der höheren Gewalt. Sie findet sich in Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB. Der Begriff der höheren Gewalt im Erdgasversorgungsbereich wird in Pkt. 10.2. des Standardvertrages definiert. Danach sind unter höherer Gewalt außerordentliche und unabwendbare Umstände, die die Erfüllung der im Standardvertrag vorgesehenen Verpflichtungen objektiv unmöglich machen, zu verstehen. Die energierechtliche Definition der höheren Gewalt ist fast deckungsgleich mit der Begriffsbestimmung des allgemeinen Zivilrechts – nämlich des Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB1455 . Höhere Gewalt i. S. dieser Vorschrift liegt vor bei einem außerordentlichen oder unter vorhandenen Umständen unabwendbaren Ereignis. Danach ist der Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt durch zwei Kriterien – Außerordentlichkeit und Unabwendbarkeit – gekennzeichnet. Im Wege der grammatikalischen Auslegung des Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB ergibt sich, dass nur die alternative Verwendung einer dieser beiden Voraussetzungen für die Annahme der höheren Gewalt ausreicht. Dieses Ergebnis lässt sich allerdings durch historische und teleologische Überlegungen nicht bestätigen1456 . Hiergegen spricht zunächst, dass der (gleiche) Begriff der höheren Gewalt auch dem ZGB USSR aus dem Jahre 19631457 bekannt war (Art. 78 Abs. 1 Nr. 1 ZGB) und der historische Gesetzgeber dabei von einer zwingenden kumulativen Geltung dieser Voraussetzungen ausging. Eine solche Betrachtung wäre des Weiteren mit den grundlegenden Bestimmungen des ukrainischen ZGB, insbesondere mit den Prinzipien von Gerechtigkeit,

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1455 1456

1457

die keine der Parteien zu verantworten hat, unmöglich geworden ist. Hat der Schuldner allerdings das Unmöglichwerden der Leistung verschuldet, ist Art. 623 Abs. 1 i. V. m. Art. 610 ZGB anwendbar. Der Schuldner bleibt folglich in Pflicht und hat Schadensersatz zu leisten. Vgl. dazu Urteil des Bilovods´kyj BezirkG des Lugans´k Gebietes v. 26.12.2016 Reg.Nr. 408/7052/16-ц; Urteil des Rubižans´kyj StadtG des Lugans´k Gebietes v. 19.08.2015 Reg.-Nr. 243/259/17-ц; Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 505; Bychkova/Samodina, Cyvil´ne pravo. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 57. Art. 617 ZGB definiert den Begriff der höheren Gewalt nicht. Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 507 ff. Cyvil´nyj kodeks Ukrajins´koji RSR [Zivilgesetzbuch der Ukrainischen SSR, ZGB USSR] vom 18.07.1963 Nr. 1540-06, außer Kraft, abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/ laws/show/1540-06/page (zuletzt am 01.12.2018).

322

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Treu und Glauben und Vernünftigkeit (Art. 3 Nr. 6 ZGB) nicht vereinbar1458 . Für die Berufung auf höhere Gewalt müssen daher sowohl die Außerordentlichkeit als auch die Unabwendbarkeit des in Betracht kommenden Ereignisses kumulativ vorliegen1459 . Insoweit stimmt der Begriff der höheren Gewalt in Pkt. 10.2. des Standardvertrages mit demjenigen des Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB überein. Vor diesem Hintergrund beruht die Unterbrechung der Erdgasversorgung auf höherer Gewalt, wenn es sich um ein Ereignis handelt, das außergewöhnlich ist und für den Erdgaslieferanten mit allen ihm in der konkreten Situation zugänglichen Mitteln nicht abwendbar ist1460 . Die ukrainische Literatur verlangt zudem, dass höhere Gewalt von außen in das – hier – Erdgaslieferverhältnis hineinwirkt und sich außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners entfaltet (Naturgewalten, aber auch menschliche Handlungen)1461 . Das Merkmal der Unvorhersehbarkeit der Störung wird hingegen nicht gefordert1462 . Es wird (wohl) in dem Begriff der Außerordentlichkeit eingeschmolzen1463 . Regelmäßig wiederkehrende Ereignisse können vom Schuldner wegen ihrer Häufigkeit in Kauf genommen werden und sind nicht (mehr) ungewöhnlich1464 . Sie stellen keine höhere Gewalt dar. Anderenfalls würde sich der Ausnahmecharakter der höheren Gewalt auflösen.

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Prymak, Pryvatne pravo i pidpryjemnystvo 2016, Nr. 16, 64 (65); Spasybo-Fatjejeva/ Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 508. Im Ergebniss wohl auch Kossak/Tsikalo, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 263 S. 224; vgl. aber Urteil des Kramators´kyj StadtG des Donezk Gebietes v. 09.10.2014 Reg.-Nr. 234/7939/14-ц. Kossak/Tsikalo, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 263 S. 224; Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 509. Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 507. Verfügung des OG der Ukraine v. 23.03.2016 Reg.-Nr. 6-365цс16; so auch SpasyboFateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 507; kritisch Prymak, Pryvatne pravo i pidpryjemnystvo 2016, Nr. 16, 64 (66). So wohl Urteil des Bilovods´kyj BezirkG des Lugans´k Gebietes v. 26.12.2016 Reg.Nr. 408/7052/16-ц; Bobryk, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 617 S. 398. Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 508.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

323

Zu beachten ist, dass dem Schuldner Fristverlängerung bewilligt wird, sollte diese auf höhere Gewalt beruhende Störung nur vorübergehend sein. Nach dem Ende dieser Störung muss er grundsätzlich erfüllen. Die – wegen höherer Gewalt am Bedarfszeitpunkt nicht erbrachte – Lieferung von Erdgas zu einem späteren Zeitpunkt macht allerdings für den betroffenen Haushaltsverbraucher keinen Sinn mehr und kann daher nicht nachgeholt werden. Angesichts des Dauercharakters des Erdgasversorgungsverhältnisses im Haushaltskundenbereich entfällt die Pflicht des Erdgaslieferanten zu künftigen Lieferungen nicht. Liegt das Ereignis der höheren Gewalt nicht mehr vor, ist die Versorgung mit Erdgas wiederherzustellen (vgl. Pkt. 10.3. des Standradvertrages). (3)

Netzbedingte Unterbrechungen

Der besseren Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit halber ist schließlich an dieser Stelle der Fall netzbedingter Unterbrechung bzw. Unregelmäßigkeit in der Erdgasbelieferung von Haushaltsverbrauchern noch kurz anzusprechen. Die Regelung dazu findet sich in Pkt. 8.4. des Standardvertrages. Danach ist der Erdgaslieferant nicht verantwortlich für jegliche Unterbrechungen sowie Unregelmäßigkeiten im Transport bzw. in der Verteilung des Erdgases, die den Betrieb, die Aufrechthaltung und/oder die Entwicklung des Gastransportund/oder Gasverteilersystems betreffen, sowie für eine vom zuständigen Netzbetreiber verschuldete Verschlechterung der Erdgasqualität. Es handelt sich hier – im Hinblick auf den Wortlaut des Pkt. 8.4. des Standardvertrages sowie seine systematische Stellung (Abschn. VIII „Haftung der Parteien“) – um einen Fall einer Haftungsbeschränkung in Form eines nicht zu vertretenden Leistungsausfalls und nicht um die dem deutschen Energierecht bekannte Befreiung des Erdgaslieferanten von der Leistungspflicht in dem Fall, dass die Leistung von vornherein nicht geschuldet wird. Eine solche Haftungsbeschränkung hat allerdings kaum Bedeutung und erfüllt eine eher klarstellende Funktion. Der Erdgaslieferant mit besonderen Verpflichtungen ist im ukrainischen Recht nicht zur All-Inclusive-Belieferung verpflichtet. Seine Versorgungspflicht umfasst zwar nach der neuen Rechtslage in der Ukraine neben der Bereitstellung des Erdgases auch die Organisation des Transports des Erdgases, jedoch nur innerhalb des Gastransportsystems. Die ordnungsgemäße Verteilung des Erdgases fällt bereits in den Risikobereich des Haushaltskunden, so dass Pflichtverletzungen, die im Zusammenhang mit der Verteilung des Erdgases stehen, auch nach allgemeinem Zivilrecht keine Haftung des Erdgaslieferanten begründen können. In dieser Regelung, zumindest im auf Unterbrechungen bzw. Unregelmäßigkeiten im Gasverteilersystem bezo-

324

Teil II Rechtslage in der Ukraine

genen Teil, kommt daher in erster Linie die Beschränkung der Lieferpflicht des Erdgaslieferanten zum Ausdruck. Die in Pkt. 8.4. des Standardvertrages geregelte Haftungsbeschränkung könnte jedoch bei Folgen der Störung im Gastransportsystem relevant sein. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Haftung für andere Personen nach Art. 618 i. V. m. Art. 528 ZGB. Nach Art. 618 ZGB haftet der Schuldner auch für Verschulden Dritter, deren Dienste er für die Erfüllung seiner Verbindlichkeit in Anspruch nimmt (Art. 528 ZGB), es sei denn, der Vertrag oder zwingende gesetzliche Vorschriften bestimmen, dass der Dritte selbst haftet. Der Erdgaslieferant bedient sich des Transportnetzbetreibers bei der Durchleitung von zu liefernden Erdgasmengen durch das Gastransportsystem bis zum Ausspeisepunkt ins Gasverteilersystem, so dass ihm die vom Transportnetzbetreiber verschuldete Versorgungsunterbrechung zugerechnet werden müsste. Pkt. 8.4. des Standardvertrages schreibt zwar nicht (ausdrücklich) vor, dass der Transportnetzbetreiber als Dritter i. S. d. Art. 528 Abs. 1 ZGB die Einstandspflicht für die Folgen der Störung im Gastransportssystem selbst trägt, und ist daher nicht als zwingende gesetzliche Vorschrift nach Art. 618 ZGB zu qualifizieren1465 . Die einschlägige Norm befreit jedoch den Erdgaslieferanten von einer Haftung für vom Transportnetzbetreiber verursachte Versorgungsstörungen. In diesem Fall stellt Pkt. 8.4. des Standardvertrages eine gesetzliche Haftungsbeschränkung dar. Das oben Gesagte lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass die Haftungsbeschränkung nach Pkt. 8.4. des Standardvertrages nur für die Unterbrechungen im Gastransportsystem von Belang ist und dass der ukrainische Energiegesetzgeber aus Sicht des Haushaltskunden zwischen Störungen im Gastransport- und Gasverteilersystem unterscheiden zu wollen scheint. Eine solche Abgrenzung kann jedoch im Einzelfall (technisch) kaum möglich bzw. unmöglich sein, was sich haftungsrechtlich nicht unbedingt nachteilig auf den Kunden auswirken mag1466 . Besonderheiten dabei bestehen im Zusammenhang mit der (vertraglichen und deliktischen) Haftung des Netzbetreibers, die jedoch nicht an dieser Stelle, sondern unten1467 abgehandelt werden.

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Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 618 S. 513. Etwa weil in diesem Fall eine gesamtschuldnerische Haftung des Transport- und Verteilernetzbetreibers nach Art. 1190 i. V. m. Art. 543 ZGB in Betracht kommt. Teil II § 8 D, S. 420 ff.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

b)

325

Belieferung von Nicht-Haushaltsverbrauchern

Das Konzept des Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen gilt auch im Nicht-Haushaltsverbraucher-Bereich. Privilegiert sind hier religiöse Organisationen sowie Fernwärmeerzeuger, deren Erdgasversorgung eigene spezifische (energie- und zivilrechtliche) Besonderheiten aufweist. aa)

Belieferung von Fernwärmeerzeugern

Die Belieferung der Fernwärmeerzeuger mit Erdgas erfolgt gemäß Pkt. 12 Abs. 2 Anordnung Nr. 187 aufgrund eines Vertrages, der die Bestimmungen eines durch das Ministerkabinett der Ukraine genehmigten Mustervertrages über die Belieferung von Fernwärmeerzeugern1468 zu berücksichtigen hat, und in den durch das ErdgasMarktG bestimmten Fällen aufgrund eines Standardvertrages unter Einhaltung des Prinzips der Nichtdiskriminierung. Der Wortlaut dieser Regelung deutet darauf hin, dass die Musterklauseln der Anordnung Nr. 357 bei der Belieferung von Fernwärmeerzeugern mit Erdgas zwingend Anwendung finden, was dem Wesen des Rechtsinstituts des Mustervertrages i. S. v. Art. 179 Abs. 4 UA 3 WGB, das – dogmatisch gesehen – lediglich einen Empfehlungscharakter hat, entgegensteht 1469 . Der Gesetzgeber hat mit Pkt. 12 Abs. 2 Anordnung Nr. 187 den Mustervertrag dem Standardvertrag i. S. v. Art. 179 Abs. 4 UA 4 WGB de facto gleichgestellt. Der in der Anordnung Nr. 357 durch das ukrainische Ministerkabinett genehmigte Mustervertrag über die Belieferung von Fernwärmeerzeugern legt das Pflichtenprogramm des Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen unter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der ausgewählten Kundengruppe fest. Für die Zwecke dieser Arbeit sind insbesondere die Regelungen der Erdgasqualität und -quantität, des Gefahr- und Eigentumsübergangs sowie der Risikoverteilung bei der Belieferung von Fernwärmeerzeugern von Interesse. Im Übrigen sind hier die Bestimmungen des Abschn. II ErdgasLieferR einschlägig. Sie regeln die Erdgasversorgung von Nicht-Haushaltsverbrauchern und sind von allen (d. h. im regulierten und nichtregulierten Bereich agierenden) Erdgaslieferanten zu berücksichtigen.

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Prymirnyj dogovir pro postačannja pryrodnogo gazu vyrobnykam teplovoji energiji dlja vyrobnyztva teplovoji energiji, zatverdženyj postanovoju Kabinetu Ministriv Ukrajiny № 357 vid 29.04.2016 [Mustervertrag über die Belieferung von Fernwärmeerzeugern für die Erzeugung von Fernwärme, genehmigt durch Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/357-2016-%D0%BF (zuletzt am 01.12.2018). S. dazu bereits Teil II § 7 A I 3, S. 304 f.

326

(1)

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Qualitäts- und Quantitätsanforderungen

Gemäß Pkt. 1 des Mustervertrages verpflichtet sich der Erdgaslieferant (hier Staatskonzern Naftogaz) – anders als im Haushaltsbereich – zur Lieferung von Erdgas in bestimmter Qualität und Menge an den jeweiligen Fernwärmeerzeuger, wobei nach Pkt. 3 des Mustervertrages das Erdgas aus eigener Produktion stammen und/oder aus dem Ausland importiert werden kann. Der Fernwärmeerzeuger als Erdgasendkunde hat mithin keinen Anspruch auf das Erdgas aus einer bestimmten Quelle, aber in einer bestimmten Qualität. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften des am in Pkt. 13 genannten Übergabe- bzw. Übernahmepunkt bereitzustellenden und zu übergebenden Erdgases müssen den (Mindest-)Anforderungen des oben bereits mehrfach erwähnten GOST 5542-87 entsprechen (Pkt. 12 des Mustervertrages). Das zu liefernde Erdgas hat darüber hinaus seiner nach Pkt. 2 des Mustervertrages vorausgesetzten Verwendung für die Erzeugung von Fernwärme zu genügen. Setzt die Erreichung des Verwendungszwecks höhere Qualitätsanforderungen als die im genannten Standard voraus, so muss der Erdgaslieferant im Einklang mit Art. 268 Abs. 1 WGB i. V. m. Art. 673 Abs. 4 S. 2 ZGB diese einhalten1470 . Ansonsten kann die nichtgehörige Erfüllung des Liefervertrages angenommen werden. Bei der Lieferung des Erdgases minderer Qualität als im entsprechenden Standard vorgesehen liegt seine Vertragswidrigkeit vor, unabhängig davon, ob es für den beabsichtigten Verwendungszweck geeignet ist1471 . Die Quantitätsregelung weist ebenfalls gewisse Besonderheiten, die bei der Annahme bzw. Ablehnung der nichtgehörigen Erfüllung des Liefervertrages mit einem Fernwärmeerzeugung in Betracht zu ziehen sind, auf. Beim Abschluss eines Vertrages über die Belieferung von Fernwärmeerzeugern mit Erdgas wird der Erdgaslieferant zur Lieferung einer bestimmten, in einer Höchstmenge bezeichneten Menge von Erdgas verpflichtet1472 unter der Bedingung, dass in Abweichung von Art. 193 Abs. 4 WGB i. V. m. Art. 529 ZGB Teilleistungen zu erbringen sind (vgl. Pkt. 4 des Mustervertrages)1473 . Diese 1470

1471 1472

1473

Grudnyc´ka/Grudnyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine], Art. 268 S. 309; Dzera/Kuznjecova/Luc´/Stefanchuk/Stefanchuk, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 673 S. 253. Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 26.09.2013 Reg.-Nr. 912/400/13-г. S. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Solovjev, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 231. Nach ukrainischem Recht ist der Käufer berechtigt, sowohl eine Zuweniglieferung als auch eine Teilleistung zurückzuweisen und Rechtsbehelfe des allgemeinen Leistungsstörungsrechts nach Artt. 610 ff. ZGB geltend zu machen, es sei denn, aus dem Vertrag, Gesetz, Wesen der Verpflichtung oder Handelsbrauch ergibt sich etwas anderes. S. da-

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

327

Teilleistungen erfolgen zudem gemäß Pkt. 4 des Mustervertrages in zeitlich genau aufeinander folgenden Abständen, nämlich auf monatlicher Basis, und müssen den vertraglichen Festlegungen hinsichtlich der Menge entsprechen. Bei einer monatlichen Lieferung geringerer bzw. größerer Menge von Erdgas als vertraglich vereinbart wird grundsätzlich eine Quantitätsabweichung i. S. v. Art. 670 ZGB und damit eine nichtgehörige Erfüllung nach Art. 610 ZGB angenommen1474 . Zu beachten ist dabei, dass gemäß Pkt. 7 des Mustervertrages Mengenabweichungen bis fünf Prozent zulässig sind. Dies bedeutet für den hier zu behandelnden Fall, dass keine Verletzung der Vertragsbedingung vorliegt, sollte die ausgeführte Menge der monatlichen Teilleistung um nicht mehr als fünf Prozent von dem im Vertrag vorgesehenen Umfang abweichen. (2)

Abgrenzung der Verantwortungsbereiche

Pkt. 13 des Mustervertrages regelt den Eigentumsübergang und den hiermit verbundenen Gefahrübergang (Art. 668 Abs. 1 ZGB) und grenzt damit die Verantwortungsbereiche der Vertragspartner voneinander ab, was auch haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Denn es kann keine nichtgehörige Erfüllung des Vertrages über die Belieferung von Fernwärmeerzeugern mit Erdgas i. S. d. Art. 610 ZGB durch den Lieferanten angenommen werden, wenn das Leitungsgut – Erdgas – nach dem Eigentumsübergang und/oder Gefahrübergang auf den Kunden ungenutzt verloren geht oder seine Qualität verschlechtert wird1475 . Laut Pkt. 13 Abs. 2 S. 1 des in der Anordnung Nr. 357 genehmigten Mustervertrages geht das Eigentum am Erdgas vom Lieferanten auf den Kunden erst mit der Unterzeichnung des entsprechenden Übergabe-ÜbernahmeAktes, die gemäß Pkt. 17 und 18 i. V. m. Pkt. 16 des Mustervertrages immer monatlich im Nachhinein erfolgt, über1476 , was in Übereinstimmung mit Art. 334 ZGB steht1477 und in der Praxis den Regelfall darstellt1478 . Mit S. 2 verdeutlicht

1474 1475

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1477

zu Verfügung des OWirtschG v. 14.02.2006 Reg.-Nr. 39/148; Verfügung des OWirtschG v. 27.11.2007 Reg.-Nr. 2-25/1805-2007. Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 08.06.2015 Reg.-Nr. 922/299/14. Javors´ka, Die rechtsgeschäftliche Übertragung des Eigentums: zivilrechtliche Aspekte, S. 198; s. auch Dzera/Kuznjecova/Luc´/Stefanchuk/Stefanchuk, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 668 S. 242 f. Der Übergabe-Übernahme-Akt ist eins der wichtigsten Dokumente einer ordnungsgemäßen Buchführung in der Ukraine, mit dessen Unterzeichnung erst eine tatsächlich bezahlte Rechnung als Aufwand verbucht werden kann. Wie bereits in Fn. 1411, S. 309 erwähnt, setzt der Eigentumserwerb in der Ukraine nicht zwingend eine Sachübergabe voraus. Hierzu s. Heim, Mobiliarsicherheiten nach ukrainischem Recht, S. 44 ff.

328

Teil II Rechtslage in der Ukraine

der Gesetzgeber darüber hinaus, dass mit dem Eigentum auch alle damit verbundenen Risiken auf den Kunden übergehen und dieser die Verantwortung für sein Eigentum trägt. Berücksichtigt man dabei dann auch noch, dass Pkt. 13 Abs. 1 des Mustervertrages Übergabestellen am ukrainischen GTS – separat für Erdgasmengen aus eigener Produktion oder importiert aus dem Ausland – bestimmt, kann in diesem Fall angenommen werden, dass der Fernwärmeerzeuger als Erdgaskunde an der Übergabestelle zunächst nur das Eigentum am Erdgas unter Vorbehalt nach Art. 697 Abs. 1 ZGB erwirbt. Mit dem Eintritt der aufschiebenden Bedingung – hier Unterzeichnung des Übergabe-Übernahme-Aktes – wird er dann automatisch zum Eigentümer des von ihm abgenommenen Erdgases und hat somit frühestens ab diesem Zeitpunkt alle Gefahren für das Leitungsgut bei der Erdgaslieferung tragen1479 . Diese Regelung des Gefahrübergangs dürfte indes in haftungsrechtlicher Hinsicht keine praktische Bedeutung erlangen. Denn der Netzbetreiber (und nicht der Lieferant) verantwortet normalerweise den zufälligen Untergang bzw. die Verschlechterung der Sache in Form von Unterbrechungen oder Unregelmäßigkeiten hinter der Übergabestelle. Der Lieferant wird in der Regel nachweisen können, dass ihn kein Verschulden trifft. Eine Haftung für Dritte kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Fernwärmeerzeuger den Transport bzw. die Verteilung des Erdgases zu organisieren hat (vgl. Pkt. 9 des Mustervertrages). Der Gesetzgeber hat offenbar übersehen, dass die Gefahr für das Leitungsgut bei der Erdgasversorgung auch unabhängig vom Eigentum nach Art. 668 ZGB bereits an der Übergabestelle auf den Kunden übergehen könnte1480 , insbesondere wenn man bedenkt, dass der Eigentumsübergang in der behandelten Konstellation in erster Linie an die buchhalterischen und steuerlichen Abläufe angeknüpft wird1481 . Dies würde auch im Einklang mit der Haftungssystematik nach der neuen Energierechtslage stehen und die Schutzbedürftigkeit des Fernwärmeerzeugers nicht ausschließen.

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Verfügung des OG v. 05.04.2011 Reg.-Nr. 60/295-10; Verfügung des OG v. 24.06.2015 Reg.-Nr. 6-318цс15; Urteil des WirtschG der Stadt Kiew v. 02.06.2008 Reg.-Nr. 37/194; Urteil des Ostroz´kyj BezirkG des Riwno Gebietes v. 06.04.2016 Reg.-Nr. 567/1068/15ц; s. auch Verfügung des Schiedsgerichts beim Rechtsverein „Prynzyp“ v. 16.01.2007 Reg.-Nr. ПВ-68/01/07. Dies entspricht der allgemeinen Regel des Eigentumsübergangs, Kossak/Jawors´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 697 S. 573. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Stefanchuk/Stefanchuk, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 668 S. 242 f. Vgl. dazu Fn. 1479, S. 328.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

(3)

329

Ausnahmen von der Verpflichtung zur Belieferung von Fernwärmeerzeugern mit Erdgas

Ebenso wie im betrachteten Bereich der Erdgasversorgung von Haushaltsverbrauchern1482 hat der ukrainische Gesetzgeber einen Katalog von Grenzen und Ausnahmen von der Verpflichtung des Erdgaslieferanten zur (der staatlichen Regulierung unterliegenden) Belieferung von Fernwärmeerzeugern mit Erdgas im in der Anordnung Nr. 357 genehmigten Mustervertrag geregelt. Die Ausnahmenkataloge in diesen beiden Bereichen stimmen weitgehend überein. Die (gehörige) Erfüllung der Versorgungspflicht kann mithin dem die Fernwärmeerzeuger zu regulierten Preisen beliefernden Erdgaslieferanten nicht zugemutet werden, sofern dieser aufgrund höherer Gewalt (Pkt. 44 ff. des Mustervertrages), im Falle netzbedingter Versorgungsunterbrechungen bzw. -unregelmäßigkeiten (Pkt. 40 und 41 des Mustervertrages) oder bei Vorliegen eines der Tatbestände nach Pkt. 36 Nr. 1 des Mustervertrages (sog. Sperrrecht) nicht in der Lage ist, Erdgas vertragsgemäß zu liefern. Besonderheiten bestehen indessen (lediglich) im Hinblick auf das Sperrrecht des Lieferanten. Pkt. 36 Nr. 1 des Mustervertrages stellt die Rechtsgrundlage für die Einstellung bzw. Einschränkung von Erdgaslieferungen an den Fernwärmeerzeuger dar. Danach ist der Erdgaslieferant berechtigt, die Belieferung einzustellen bzw. einzuschränken, wenn es erforderlich ist, um unzulässige Erdgasentnahme zu vermeiden (Alt. 1), wenn bestätigte Erdgasmengen für die Versorgung des Kunden fehlen bzw. nicht ausreichend sind (Alt. 2), das Versorgungssystem für im Havarienzustand befindlich erklärt wurde (Alt. 3) oder der Kunde die Unterzeichnung des Übergabe-Übernahme-Protokolls ohne entsprechende Begründung verweigert (Alt. 4). Mit dem Einstellungsrecht des Erdgaslieferanten gemäß Pkt. 36 Nr. 1 des Mustervertrages korrespondiert die Pflicht des Kunden, bei Vorliegen einer der in Pkt. 35 Nr. 4 des Mustervertrages vorgesehenen Voraussetzungen seine Erdgasabnahme ohne Aufforderung einzustellen bzw. einzuschränken. Pkt. 36 Nr. 1 des Mustervertrages versetzt den Erdgaslieferanten zum einen in die Lage, auf seinen Kunden Druck auszuüben, damit dieser seinen Vertragsverpflichtungen nachkommt bzw. seine Zuwiderhandlungen gegen die Verpflichtungen aus dem Liefervertrag aufgibt 1483 . Im Hinblick auf diesen Zweck der Norm kann dabei – ebenso wie im Haushaltskundenbereich – von einem speziellen Zurückbehaltungsrecht i. S. d. Art. 538 Abs. 3 ZGB, welches im ukrainischen Recht als eine der möglichen wirtschaftlich-operativen Ein1482 1483

Hierzu bereits unter Teil II § 7 B I 1 a) bb), S. 318 ff. Vgl. zum russischen Recht Andreeva, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Kap. 6 Rn. 114 ff.

330

Teil II Rechtslage in der Ukraine

flussmaßnahmen nach Art. 235 WGB bei Verletzungen wirtschaftlicher Verpflichtungen angesehen wird1484 , ausgegangen werden. Der Erdgaslieferant kann somit sein Einstellungsrecht ausüben, wenn die Voraussetzungen des Pkt. 36 Nr. 1 des Mustervertrages i. V. m. Art. 538 Abs. 3 ZGB, Abschn. II Art. 13, 14 ErdgasLieferR vorliegen. Zum anderen dürften jedoch – in den in Pkt. 36 Nr. 1 Alt. 2 und 3 des Mustervertrages bestimmten Fällen – die Vorbeugung und Abwehr der vom Versorgungssystem ausgehenden und nicht auf die Zuwiderhandlungen des jeweiligen Kunden zurückführenden1485 Gefahren angestrebt werden, was dem Wesen des Rechtsinstituts des Zurückbehaltungsrechts nicht mehr entspricht. Der ukrainische Energiegesetzgeber muss hierbei wohl übersehen haben, dass der sichere und ordnungsgemäße Betrieb der Versorgungsnetze sowie das Abwenden allfälliger Gefahrensituationen ausschließlich in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Netzbetreibers fallen. In den Fällen, in denen bestätigte Erdgasmengen für die Versorgung des Kunden fehlen bzw. nicht ausreichend sind oder das Versorgungssystem für im Havarienzustand befindlich erklärt wurde, hat allein der Netzbetreiber zu handeln (vgl. Abschn. X Art. 1 i. V. m. Abschn. V Art. 1 TranspNetzK, Abschn. VI Art. 7 i. V. m. Abschn. III VerteilNetzK). Daher handelt es sich bei den eben genannten Konstellationen innerhalb der Erdgaslieferverhältnisse eher um Gründe einer Befreiung von der Lieferpflicht für den Erdgaslieferanten. bb)

Belieferung religiöser Organisationen

Die Verpflichtung des durch die ukrainische Regierung benannten Erdgaslieferanten zur Belieferung religiöser Organisationen mit Erdgas zu öffentlichrechtlich regulierten Preisen unter Kontrahierungszwang ist in Pkt. 14 Abs. 2 i. V. m. Pkt. 3 Abs. 3 Anordnung Nr. 187, Abschn. II Art. 8 Abs. 1 ErdgasLieferR statuiert. Damit wird nur die Vertragsabschlussfreiheit des Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen beschnitten. Die Modalitäten der Belieferung religiöser Organisationen als Normbegünstigten1486 , außer Tarifbedingungen, sind allerdings weder in der Anordnung Nr. 187 noch in anderen speziellen normativen Rechtsakten näher bestimmt. Im Gegensatz zum Bereich 1484

1485 1486

Spasybo-Fatjejeva/Mytca, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 538 S. 150; Sitnikov, VNAAU 2017, Nr. 10 (37), 19 (21 f.); vgl. auch zum russischen Recht Andreeva, in: Säcker, Handbuch zum deutsch-russischen Energierecht, Kap. 6 Rn. 114. Vgl. § 19 GaGVV im deutschen Energiewirtschaftsrecht. Die Schutzbedürftigkeit religiöser Organisationen ist wohl auf ihre wichtige Rolle in der ukrainischen Gesellschaft einerseits und auf den Umstand, dass sie selbst nicht über regelmäßige Einkünfte wie Kirchensteuer bzw. andere materielle Hilfestellungen seitens des ukrainischen Staates verfügen, andererseits zurückzuführen.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

331

der Haushaltsverbraucher- sowie Fernwärmeerzeugerversorgung genießen demnach die Parteien in der hier behandelten Konstellation grundsätzlich die vertragliche Gestaltungsfreiheit und sind frei, den Inhalt ihrer durch den Liefervertrag begründeten subjektiven Rechte und Pflichten zu bestimmen. Gleichwohl findet die freie Gestaltung des Lieferverhältnisses zwischen dem Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen und der religiösen Organisation als Erdgaskunde ihre Grenzen in den Anforderungen des Abschn. II ErdgasLieferR, die die Belieferung von (sämtlichen) Nicht-Haushaltsverbrauchern und somit von religiösen Organisationen betreffen. Vor diesem Hintergrund ist grundlegend festzuhalten, dass diese in der Sache der Gestaltung von Erdgaslieferverträgen mit Nicht-Haushaltsverbrauchern außerhalb der regulierten Versorgung entspricht. Dementsprechend kann an dieser Stelle auf die sich aus Abschn. II ErdgasLieferR ergebenden und hier interessierenden Besonderheiten in der vertraglichen Gestaltung der Belieferung von Nicht-Haushaltsverbrauchern nicht ausführlich eingegangen werden, diesbezüglich muss auf den entsprechenden Abschnitt zu den Pflichten des Erdgaslieferanten innerhalb der nichtregulierten Versorgung verwiesen weren1487 . Im Übrigen gelten hierbei die bereits angesprochenen Bestimmungen des ZGB und WGB, insbesondere über den Kaufvertrag (Art. 655 ff. ZGB) und Liefervertrag (Art. 712 ZGB, Art. 265 ff. WGB). 2.

„Lieferant der letzten Rettung“

Neben dem „Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen“ nimmt das in Art. 15 Abs. 1 S. 1 ErdgasMarktG neu eingeführte Konzept des „Lieferanten der letzten Rettung“ eine sehr wichtige Stellung in der ukrainischen Erdgaswirtschaft, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung einer sicheren Erdgasversorgung im Wettbewerb sowie den Schutz der durch einen kurzfristigen Ausfall des gewählten Lieferanten betroffen Letzverbraucher, ein1488 . Auch in Bezug auf den Sinn und Zweck dieses Novums im ukrainischen Energierecht erklärt sich seine ausführliche und detaillierte Regelung durch den Gesetzgeber. Einzelheiten der Ausgestaltung des Erdgasversorgungsverhältnisses mit dem „Lieferanten der letzten Rettung“ – Nationale Aktiengesellschaft Naftogaz ge-

1487 1488

Vgl. dazu Teil II § 7 B II, S. 335 ff. AMKU, Jahresbericht 2016, S. 41; Sych, Postačannja. Organizacija ta vedennja biznesu postačal´nyka na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Lieferung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 15, 53 f.; Dacenko, Adminitratyvno-pravove reguljuvannja naftogazovogo kompleksu Ukrajiny [Öffentlich-rechtliche Regulierung des Öl- und Gassektors der Ukraine], S. 34; vgl. auch zum Strombereich Ivanov, Energetyka: ekonomika, tehnologiji, ekologija 2017, Nr. 3, 7 (9 f.).

332

Teil II Rechtslage in der Ukraine

mäß Verfügung Nr. 1307-p1489 – sind demnach in Art. 15 ErdgasMarktG, Abschn. V ErdgasLieferR sowie Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung, genehmigt durch Anordnung der NKREKP Nr. 2501, geregelt. Das Konzept des Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen findet eine Entsprechung im deutschen Energierecht. Dies ist das Rechtsinstitut der Ersatzversorgung nach § 38 EnWG. Allerdings weist seine Ausgestaltung im ukrainischen Recht zum Teil erhebliche Besonderheiten auf, die hier überblicksartig skizziert werden. a)

Die Rechtsnatur des Versorgungsverhältnisses mit dem „Lieferanten der letzten Rettung“

Gemäß Abschn. V Art. 2 Abs. 1 ErdgasLieferR hat der als „Lieferant der letzten Rettung“ benannte Erdgaslieferant alle Letztverbraucher, die sich an ihn wenden, aufgrund eines Erdgasliefervertrages, der unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Abschn. V ErdgasLieferR abgeschlossen werden und dem öffentlichen, durch die Regulierungsbehörde erarbeiteten und genehmigten Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung zwingend entsprechen muss1490 , zu versorgen. Der Zustand der Erdgasversorgung durch den Lieferanten der letzten Rettung ist als Übergangslösung vorgesehen. Deshalb sehen Art. 15 Abs. 2 ErdgasMarktG, Abschn. V Art. 2 Abs. 2 ErdgasLieferR auch eine Beschränkung der Maximaldauer auf 60 Kalendertage vor. Jedenfalls darf diese Übergangsversorgung nicht länger dauern als bis zum Ende des Kalendermonats, der auf den Monat folgt, in dem die tatsächliche Belieferung des berechtigten Kunden mit Erdgas durch den Lieferanten der letzten Rettung begonnen wurde. In diesem Zeitraum soll sich der Kunde einen neuen Erdgaslieferanten suchen. Nach Ablauf der gesetzlich festgelegten Frist endet sie automatisch, ohne dass es einer Kündigung bedarf und ohne dass der Kunde ein neues Erdgasversorgungsverhältnis eingegangen ist (vgl. Art. 15 Abs. 2 S. 2 ErdgasMarktG, Abschn. V Art. 7 ErdgasLieferR). Die Beendigung des Ersatzversorgungsverhältnisses kann jedoch jederzeit vom Kunden (Abschn. V Art. 10 ErdgasLieferR), aber auch vom verpflichteten Lieferanten, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 1489

1490

Rozporjadžennja Kabinetu Ministriv Ukrajiny „Pro vyznačennja Nazional´noji akzionernoji kompaniji „Naftogaz Ukrajiny“ postačaln´ykom „oszannjoji nadiji“ vid 10.12.2015 № 1307-p [Verüfgung des Ministerkabinetts der Ukraine zur Bennenung der Nationalen Aktiengesellschaft „Naftogaz der Ukraine” als Liefereant der „letzten Rettung“], abgerufen unter: http://zakon3.rada.gov.ua/laws/show/1307-2015-%D1%80 (zuletzt am 01.12.2018). Urteil des WirtschG der Stadt Kiew v. 16.03.2017 Reg.-Nr. 910/23532/16.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

333

Abs. 2 S. 3 ErdgasMarktG, Abschn. V Art. 9 ErdgasLieferR vorliegen, vorgenommen werden. Vor diesem Hintergrund gilt es festzuhalten, dass der ukrainische Gesetzgeber unter dem Konzept des Lieferanten der letzten Rettung ein vertragliches, kraft Gesetz zustande kommendes und befristetes Schuldverhältnis mit einem gesetzlich vorgegebenen Inhalt geregelt hat 1491 . Der Abschluss des Vertrages über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung erfolgt gemäß Abschn. V Art. 6 Abs. 1 ErdgasLieferR und Pkt. 1.3. des in Anordnung der NKREKP Nr. 2501 genehmigten Standardvertrages durch den Beitritt des Kunden zu den angebotenen und bekannt gemachten Versorgungsbedingungen mittels Unterzeichnung und Zusendung des vorformulierten, auf der Internetseite der Regulierungsbehörde und des Lieferanten der letzten Rettung veröffentlichten Beitrittsantrages. Dabei ist von einer Annahme des Angebots des Lieferanten, das in der Bekanntmachung der Vertragsbedingungen und des Beitrittsantrages gesehen werden kann, (Akzept) i. S. v. Art. 642 ZGB und Art. 181 WGB durch den Erdgaskunden auszugehen. Wirksam wird der Liefervertrag zwischen dem berechtigten Letztverbraucher und dem Lieferanten der letzten Rettung indessen – rückwirkend – bereits zum Zeitpunkt der Entnahme des Erdgases aus dem Leitungsnetz, sollte sie noch vor dem Eingang der Annahme des Kunden vorgenommen werden1492 . Dies ergibt sich aus Art. 15 Abs. 2 ErdgasMarktG und Abschn. V Art. 6 Abs. 2 ErdgasLieferR, wonach der Vertrag über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung ab Beginn des tatsächlichen Erdgasbezuges durch den Kunden als abgeschlossen gilt. b)

Inhaltliche Ausgestaltung der Versorgungspflicht des „Lieferanten der letzten Rettung“

Pflicht des „Lieferanten der letzten Rettung“ ist es, dem berechtigten Letztverbraucher eine sichere und ununterbrochene Belieferung mit Erdgas in der dessen Bedürfnissen entsprechenden Menge zu gewähren (Pkt. 2.1. und 3.2. des Standardvertrages). In dieser Verpflichtung ist eine Einkaufspflicht des benannten Lieferanten eingeschlossen, nämlich die Pflicht zum rechtzeitigen Einkauf von für die Befriedigung der Kundennachfrage erforderlichen Erdgasmengen (Pkt. 3.5. des Standardvertrages). Die Pflicht zur Übergangsversorgung besteht nur, wenn die Voraussetzungen des Pkt. 3.2. des Standardver1491

1492

Vgl. Urteil des WirtschG des Dnipropetrows´k Gebiet v. 25.05.2016 Reg.-Nr. 904/2016/ 16. Anders aber Urteil des WirtschG der Stadt Kiew v. 16.03.2017 Reg.-Nr. 910/23532/16, wonach der Liefervertrag nach Empfang des Beitrittsantrages des Kunden durch den Lieferanten der letzten Rettung als abgeschlossen und wirksam gilt.

334

Teil II Rechtslage in der Ukraine

trages und Abschn. V Art. 3 ErdgasLieferR vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn der bisherige Lieferant nicht oder nicht genug Erdgas für die Versorgung seines Kunden in der benötigten Menge im entsprechenden Zeitraum hat; der bestehende Vertrag über die Lieferung des Erdgases zwischen dem bisherigen Lieferanten und dem Kunden gekündigt bzw. in dem die Lieferung des Erdgases für den entsrechenden Zeitraum betreffenden Teil unterbrochen wurde, ohne dass der Kunde einen neuen Erdgasliefervertrag mit einem neuen Lieferanten abschließen bzw. der neue Lieferant die bestätigten an den Kunden zu liefernden Erdgasmengen anmelden konnte, der bisherige Lieferant insolvent wird oder aus anderen Gründen seine Geschäftstätigkeit einstellt, dem Erdgaslieferanten die Lizenz entzogen wurde und er die Belieferung seiner Kunden nicht vornehmen darf, der bisherige Lieferant die bestätigten an den Kunden zu liefernden Erdgasmengen rechtzeitig nicht angemeldet hat und die Maßnahmen zur Einstellung des Transports bzw. der Verteilung des Erdgases dem Kunden gegenüber bereits eingeleitet wurden. Liegt keiner der genannten Sachverhalte vor, ist der Lieferant der letzten Rettung zur Versorgung nicht verpflichtet und kann daher keine Haftung wegen Versorgungsunterbrechung bzw. -unregelmäßigkeit tragen. Im durch Anordnung Nr. 2501 genehmigten Standardvertrag hat der ukrainische Gesetzgeber ebenfalls spezielle Fallgruppen eines nicht zu vertretenden Leistungsausbleibens, wenn zwar von der Versorgungspflicht des Lieferanten der letzten Rettung auszugehen ist, deren Erfüllung ihm jedoch nicht zugemutet werden kann, geregelt (vgl. Pkt. 7.1., 8.4. und 10.1. des Standardvertrages). Diese Fallgruppen sind mit denen im Rahmen der Belieferung der Haushaltsverbraucher durch den Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen identisch, so dass an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen diesbezüglich verwiesen werden kann. Die weitere Konkretisierung der Versorgungspflicht des Lieferanten der letzten Rettung findet sich – je nach Kundenart (Haushaltsverbraucher und Nicht-Haushaltsverbraucher) – in anderen Bestimmungen der EdgasLieferR. Gemäß Abschn. V Art. 12 ErdgasLieferR und Pkt. 2.3. des Standardvertrages werden alle Regelungen im Zusammenhang mit der Erdgasbelieferung auf das Lieferverhältnis zwischen dem Lieferanten der letzten Rettung und dem jeweiligen Kunden angewendet, es sei denn, sie stehen zu Abschn. V und somit dem Sinn und Zweck des Konzepts des Lieferanten der letzten Rettung im Widerspruch. Im Fall einer Haftung des Lieferanten der letzten Rettung sind daher neben den vertraglichen Bestimmungen die jeweils einschlägigen Vorschriften des ErdgasMarktG sowie der ErdgasLieferG zu berücksichtigen. Relevant ist dies insbesondere im Hinblick auf die Ausnahmen von der Versorgungspflicht des verpflichteten Erdgaslieferanten.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

II.

335

Pflichten außerhalb der regulierten Versorgung

Im nichtregulierten Bereich werden grundsätzlich nur die (nicht privilegierten) Nicht-Haushaltsverbraucher versorgt. Die Belieferung der Haushaltsverbraucher sowie der im Rahmen des Konzepts des Lieferanten mit besonderen Verpflichtungen begünstigten Nicht-Haushaltskunden mit Erdgas zu frei ausgehandelten Preisen ist zwar denkbar, kommt aber in der Praxis kaum vor. Falls ein solcher Fall doch vorliegt, so greifen die bereits im vorherigen Abschnitt dieser Arbeit dargestellten zwingenden Regelungen auch außerhalb der regulierten Versorgung ein. Daher erscheint ein Eingehen auf diese Fallgruppe an dieser Stelle entbehrlich. Im Follgenden ist lediglich das Pflichtenprogramm des jeweiligen Erdgaslieferanten denjenigen Letztverbrauchern gegenüber, die keine Haushaltsverbraucher i. S. d. VerbrSchG und nicht gemäß Anordnung Nr. 187 privilegiert sind, zu untersuchen. Außerhalb der regulierten Versorgung hängen die Vertragspflichten des Erdgaslieferanten von der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung des Lieferverhältnisses nach Marktregeln ab. Gleichwohl hat der ukrainische Gesetzgeber einige (inhaltliche bzw. formelle) Einschränkungen der Vertragsfreiheit für diesen Bereich vorgesehen, Einschränkungen, die vermutlich ihre Wurzeln in der EU-Rechtsetzung (vgl. Art. 3 Abs. 2 GasRL 2009) haben und der Versorgungssicherheit durch die Wahrung des Gleichgewichts zwischen den Vertragsparteien auf dem sich erst entwickelnden Erdgasmarkt der Ukraine dienen1493 . Sie finden sich insbesondere in Abschn. II ErdgasLieferR. So enthält Abschn. II Art. 5 ErdgasLieferR eine eingehende Auflistung von Pflichtangaben für Erdgaslieferverträge mit Nicht-Haushaltskunden, zu denen Angaben über den Vertragsgegenstand, der in der Belieferung des Letztverbrauchers mit von ihm benötigten Erdgasmengen, den Namen und die Anschrift des Transport- bzw. Verteilernetzbetreiber, mit dem der Letztverbraucher einen Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrag abgeschlossen hat, den jährlich, monatlich und täglich geplanten Umfang der Lieferung/des Gebrauchs des Erdgases, den Erdgaspreis, die Haftung der Vertragsparteien für die Vertragsverletzung, die Einstellung der Erdgaslieferung, den Erdgaslieferantenwechsel etc. gehören. Diese zwingenden Vertragsbedingungen hat der ukrainische Gesetzgeber ausdrücklich als wesentlich i. S. d. Art. 638 Abs. 1 S. 2 ZGB und Art. 180 Abs. 2 S. 2 WGB eingestuft. Es handelt sich dabei um die sog. essentialia negotii. Dies hat zur Folge, dass der Erdgasliefervertrag gemäß Art. 638 Abs. 1 ZGB und Art. 181 Abs. 8 S. 1 WGB als 1493

Dies ist im Hinblick auf die Verpflichtung der Ukraine zur Umsetzung des sog. Dritten Binnenmarktpakets der EU anzunehmen.

336

Teil II Rechtslage in der Ukraine

nicht geschlossen gilt, wenn eine der in Art. 5 Abschn. II ErdgasLieferR aufgezählten Vertragsbedingungen fehlt1494 . Anzumerken ist im Weiteren, dass die in Abschn. II Art. 5 ErdgasLieferR niedergelegten Rechtsgehalte in der einschlägigen Norm nicht und in den weiteren Bestimmungen des Abschn. II ErdgasLieferR lediglich vereinzelt konkretisiert werden. Von Bedeutung sind insbesondere Abschn. II Art. 13 ff. ErdgasLieferR, die die Einstellung und die Wiederherstellung der Erdgasbelieferung auf Veranlassung des Erdgaslieferanten regeln. Abschn. II Art. 13 ErdgasLieferR enthält einen Katalog mit Voraussetzungen, an die der ukrainische Gesetzgeber das Recht des Erdgaslieferanten zur Einschränkung bzw. Einstellung der Belieferung der Letztverbraucher mit Erdgas anknüpft. Diese Voraussetzungen stimmen im Wesentlichen mit denen des Abschn. VII Pkt. 7.1. des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher, Abschn. III Art. 17 ErdgasLieferR und des Pkt. 36 Nr. 1 Mustervertrages über die Belieferung von Fernwärmeerzeugern überein. So ist der Erdgaslieferant zum Beispiel nicht nur im Fall einer nicht vollständigen Bezahlung des gelieferten Erdgases oder einer unzulässigen Erdgasentnahme, sondern auch im Fall eines übermäßigen (täglichen und/oder monatlichen) Verbrauchs des Erdgases zur Unterbrechung der Erdgasbelieferung berechtigt. Wie bei den anderen Abnehmergruppen (Haushaltsverbraucher, Fernwermärmeerzeuger, religiöse Organisationen) bedarf die Ausübung des Sperrrechts einer vorhergehenden Androhung, die drei Tage vor der tatsächlichen Erdgasabstellung zugesandt werden muss (Abschn. II Art. 14 Abs. 1 ErdgasLieferR). Für die Unternehmen der Chemie- und Metallindustrie beträgt diese Frist allerdings mindestens fünf Tage. Denn diese – für die Ukraine sehr bedeutenden – Branchen sind besonders auf eine kontinuierliche Erdgaszufuhr angewiesen und können ihren Produktionsprozess nach der Unterbrechung nicht einfach fortsetzen. Ihnen können im Fall einer Liefersperre schwerwiegende wirtschaftliche – womöglich existenzielle – Folgen drohen. Ob diesem Umstand dadurch genügend Rechnung getragen wird, ist allerdings fraglich. Sind die Anforderungen des Abschn. II Art. 13 ff. ErdgasLieferR nicht erfüllt, ist von einer unberechtigten Sperrung und somit einer zivilrechtlichen bzw. wirtschaftlichrechtlichen Haftung des Erdgaslieferanten auszugehen. Für die Beurteilung des Pflichtenprogramms des jeweiligen Erdgaslieferanten sind im Übrigen die jeweils einschlägigen Bestimmungen des ZGB und 1494

Vgl. dazu Verfügung des OG der Ukraine zur Zusammenfassung der Rechtsprechung in Zivilsachen über die Erklärung von Rechtsgeschäften für unwirksam v. 06.11.2009 Nr. 9, veröffentlicht in WWSU, 2009, 00, Nr. 12; Verfügung des OWirtschG der Ukraine zu einigen Fragen der Erklärung von Rechtsgeschäften (Wirtschaftsverträgen) für unwirksam v. 29.05.2013 Nr. 11, veröffentlicht in JWU, 2013, 06, 29, Nr. 26.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

337

WGB zum Liefer- und Kaufvertrag anzuwenden. Nicht zu verkennen ist jedoch dabei, dass die in Art. 3 ErdgasMarktG niedergelegten Grundsätze auch hier angemessene Berücksichtigung finden sollen. C.

Aufgaben und Pflichten der Netzbetreiber

In diesem Abschnitt werden die für die Beantwortung der Frage nach der Haftung wegen Erdgasversorgungsstörungen und somit für die vorliegende Arbeit relevanten Aufgaben und Pflichten der Netzbetreiber dargestellt. Sie sind im Wesentlichen im ErdgasMarktG sowie in den auf dieser Grundlage ergangenen Vorschriften niedergelegt und beziehen sich im Einklang mit dem in der Ukraine neu geschaffenen Rechtsrahmen für die Erdgasversorgung ausschließlich auf die Tätigkeiten des Netzbetriebes. Der konkrete Umfang der für die Netzbetreiber vom ukrainischen Energiegesetzgeber vorgesehenen Pflichten hängt von der jeweiligen Netzebene, auf welcher der Netzbetreiber agiert, ab. In der Erdgaswirtschaft der Ukraine wird – in wirtschaftlicher, technischer und rechtlicher Hinsicht – zwischen Erdgastransport- und Erdgasverteilungsebene differenziert. Dem Umstand ist nachfolgend bei der Betrachtung der einzeln geregelten Pflichten im Zusammenhang mit der Durchleitung von Erdgasmengen Rechnung zu tragen. I.

Netzzugangspflicht, Art. 19 Abs. 1 ErdgasMarktG

Wie bereits erwähnt, stellt Art. 19 ErdgasMarktG eine zentrale Netzzugangsvorschrift dar1495 . Sie verpflichtet sämtliche Netzbetreiber, d. h. sowohl Betreiber des Gastransportsystems als auch Betreiber der Gasverteilersysteme, jedem Erdgasmarktteilnehmer nach festgelegten Kriterien diskriminierungsfrei Zugang zum jeweiligen Netzsystem zu gewähren. Dabei ist es unerlässlich, dass jeder Netzbetreiber sein Netz sicher und zuverlässlich betreibt, aufrechthält und entwickelt (Art. 20 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1 ErdgasMarktG)1496 sowie die erforderlichen Informationen im Zusammenhang mit dem Netzzugang veröffentlicht (Art. 36, Art. 43 ErdgasMarktG). Der konkrete Inhalt der Netzzugangspflicht wird freilich durch die konkrete Ausgestaltung des Netzzugangsverhältnisses auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages weiter konkretisiert, wobei zwischen dem Zugang zu dem GTS und dem GRM zu unterscheiden ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 8 ErdgasMarktG).

1495 1496

Dazu bereits Teil II § 6 C III 3, S. 287 f. Da der Verpflichtung zum Betrieb eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Gastransportsystems für die im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu beantwortenden Fragen eine ganz besondere Bedeutung zukommt, wird sie in einem separaten Abschnitt behandelt.

338

1.

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Netzzugangspflicht des Transportnetzbetreibers

Für die Abwicklung des Zugangs zum GTS ist nach Art. 32 Abs. 1 ErdgasMarktG i. V. m. Abschn. VIII Art. 1 Abs. 1 S. 1 TranspNetzK der Abschluss eines Erdgastransportvertrages 1497 , dessen Bedingungen – im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 ErdgasMarktG – zwingend den Vorgaben der Anordnung der Regulierungsbehörde Nr. 2497 entsprechen müssen, erforderlich 1498 . Der Letztverbraucher benötigt unbedingt einen Erdgastransportvertrag nur dann, wenn er direkt ans GTS angeschlossen ist. Ansonsten wird ein solcher Vertrag (stets) zwischen dem Lieferanten (Erzeuger oder Händler) und dem Transportnetzbetreiber abgeschlossen. a)

Inhalt und Umfang der Netzzugangspflicht

Im Rahmen des Erdgastransportvertrages schuldet der zur Abwicklung des Netzzugangs verpflichtete Transportnetzbetreiber nach Pkt. 2.1. des durch die Anordnung Nr. 2497 genehmigten Standardvertrages die Erbringung sämtlicher oder einer der in Pkt. 2.3. des Standardvertrages vorgesehenen Transportdienstleistungen. Zu den geschuldeten Transportdienstleistungen des 1497

1498

Der Erdgastransportvertrag (ebenso wie der Erdgasverteilungsvertrag) wird in der ukrainischen Rechtsprechung als entgeltlicher Dienst(leistungs)vertrag im Sinne von Art. 901 Abs. 1 ZGB behandelt, s. Verfügung des OWirtschG v. 22.03.2017 Reg.-Nr. 917/1244/ 16; Verfügung des OWirtschG v. 27.09.2016 Reg.-Nr. 910/3250/16; Verfügung des Dnipropetrowskyj BerufWirtschG v. 15.12.2017 Reg.-Nr. 904/8037/17; Urteil des WirtschG des Lwiw Gebietes v. 19.12.2017 Reg.-Nr. 914/2164/17; Urteil des WirtschG des Poltawa Gebietes v. 14.12.2017 Reg.-Nr. 917/55/17; Urteil des WirtschG des Tschernigiv Gebietes v. 28.08.2017 Reg.-Nr. 927/766/17; auch bereits nach alter Rechtslage – Verfügung v. 15.09.2010 Reg.-Nr. 7/789, s. ebenfalls Mass/Tarasova, Naukovi praci Don NTU 2005, Vol. 102, 206 (209). Dieser Ansicht liegen wohl eine ausdrückliche Bezeichnung des Vertrages sowie der Wortwahl des Energiegesetzgebers einerseits und die im Vordergrund stehende Durchleitungstätigkeit des Netzbetreibers zugrunde. Im ukrainischen Recht gilt die Gegenständlichkeit des Ergebnisses der auszuführenden Arbeiten als Unterscheidungsmerkmal von Werk- und Dienstvertrag, s. Fedorchenko, Dogovirni zobo´jazannja z nadannja poslug [Vertragliche Schuldverhältnisse über die Erbringung von Dienstleistungen], S. 91 ff.; Grynyak, Dogovirni zobo´jazannja z vykonannja robit u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Vertragliche Schuldverhältnisse zur Erbringung der Werkleistung im Zivilrecht der Ukraine], S. 100; Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Tash´yan, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 336 ff. Ob es sich hier aber vielleicht um einen (typen-)gemischten Vertrag oder sogar einen eigengearteten Vertragstypus handelt, wird weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung diskutiert. Sie scheinen allerdings zu verkennen, dass das durchzuleitende Erdgas meistens erst nach seiner Umwandlung durch den Netzbetreiber nutzbar ist. Darin könnte beispielsweise der Werkvertragscharakter gesehen werden. Denn das Ergebnis des Umwandlungsprozesses ist selbständig, gegenständlich und abnehmbar. Vgl. dazu Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Tash´yan, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 339 f. Sych, Rozpodil. Organizacija ta vedennja biznesu operatora GRM na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Verteilung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 25.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

339

Netzbetreibers gehören namentlich die Kapazitätsverteilung, der (eigentliche) Erdgastransport und der Bilanzausgleich (vgl. auch Abschn. VIII Art. 1 Abs. 9 TranspNetzk). Pkt. 2.7. des Standardvertrages konkretisiert des Weiteren, dass der Transportnetzbetreiber die vertraglich festgelegten Erdgasmengen am benannten Einspeisepunkt innerhalb des vereinbarten Zeitraums zu übernehmen und/oder am benannten Ausspeisepunkt zu übergeben hat. Jegliche Abweichung zwischen den an Ein- und Ausspeisepunkt übertragenen Erdgasmengen muss abgeglichen und ausgeglichen werden (vgl. Pkt. 13.3. des Standardvertrages). Ansonsten entspricht die Erfüllung der Netzzugangspflicht dem Inhalt des Erdgastransportvertrages nicht und man kann eine nicht gehörige Erfüllung der Verbindlichkeit annehmen (Art. 610 ZGB)1499 . Der Transportnetzbetreiber ist ferner für die Erdgasqualität am Ausspeisepunkt aus dem GTS verantwortlich (Pkt. 10.1. Abs. 2 Nr. 2 des Standardvertrages)1500 . Am Einspeisepunkt trägt der Transportkunde dafür die Verantwortung (Pkt. 10.1. Abs. 2 Nr. 1 des Standardvertrages). Gemäß Pkt. 5.2. des Standardvertrages muss die Erdgasqualität den Anforderungen des TranspNetzK, anderer Normativakte sowie entsprechender Standards, auf die TranspNetzK verweist, in Bezug auf Gasqualitätsnormen, physische und chemische Eigenschaften sowie andere Qualitätskriterien entsprechen. Der Regelung der qualitäts- und sicherheitstechnisch ordnungsgemäßen Beschaffenheit des Erdgases ist Abschn. III TranspNetzK gewidmet. Sollten die Bestimmungen des Abschn. III TranspNetzK nicht eingehalten werden, liegt ebenfalls eine nicht gehörige Erfüllung der Verbindlichkeit nach Art. 610 ZGB vor. b)

Unterbrechung der Netznutzung

Gemäß Pkt. 15.1. des Standardvertrages i. V. m. Abschn. X Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK genießt der Transportnetzbetreiber in den vom Gesetz bestimmten Fällen das Recht zur Einschränkung bzw. Unterbrechung des Transports des Erdgases. Die Einschränkung bzw. Unterbrechung der Netznutzung ist nach Abschn. X Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK zulässig, wenn das Gasversorgungssystem für im Havarienzustand befindlich erklärt wird (Alt. 1), die Erdgasqualität am Einspeisepunkt den gesetzlich festgelegten Anorderungen nicht entspricht (Alt. 2), Erdgas unberechtigt entnommen wird (Alt. 3), die Nominierung für den Ausspeisepunkt fehlt (Alt. 4), der Netzkunde die Unterbrechung der Netznutzung am Ausspeisepunkt, an welchem der Letztverbrau1499

1500

Vgl. Fedorchenko, Dogovirni zobo´jazannja z nadannja poslug [Vertragliche Schuldverhältnisse über die Erbringung von Dienstleistungen], S. 275 ff. Vgl. zur alten Rechtslage Verfügung des OWirtschG der Ukraine v. 19.12.2007 Reg.-Nr. 19/103.

340

Teil II Rechtslage in der Ukraine

cher, der seine Verpflichtungen nach dem Liefervertrag verletzt, Erdgas entnimmt, verlangt (Alt. 5), die Finanzabsicherung des Netzkunden nicht ausreichend ist oder der Netzkunde die Bedingungen des Erdgastransportvertrages nicht erfüllt (Alt. 6) oder andere gesetzlich vorgesehene Sachverhalte vorliegen (Alt. 7). Die hier aufgelisteten Unterbrechungsgründe stimmen zum Teil mit denen im Rahmen der Erdgaslieferung überein, wodurch die branchenspezifische Besonderheit der Leitungsgebundenheit der Erdgasversorgung nochmals zum Ausdruck kommt. Wenn man die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Abschn. X Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK näher betrachtet, stellt sich des Weiteren heraus, dass diesen ein unterschiedlicher dogmatischer Ansatz zugrunde liegt. Der Gesetzgeber hat in einer Vorschrift – Abschn. X Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK – sowohl die (vertragsimmanenten) Grenzen der Netzzugangspflicht, die die Gewährleistung der jederzeitigen Netznutzung von vornherein durch die Fälle der zulässigen Unterbrechung einschränken, (Alt. 1, 2, 4), als auch (relative) Zurückbehaltungsrechte des Transportnetzbetreibers, die ihm die weitere Wahrung und Verfolgung eigener Interessen ermöglichen, (Alt. 3, 6) und Haftungsausschlüsse, die die Netzzugangspflicht des Transportnetzbetreibers zwar unberührt bestehen lassen, diesen aber wegen hoher Schadensgefahr schützen, (Alt. 5) normiert. Von der dogmatischen Einordnung abgesehen, wird gleichwohl in den in Abschn. X Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK genannten Fällen im Endeffekt keine zivilrechtliche Haftung des Transportnetzbetreibers (auch) nach ukrainischem Recht ausgelöst. Die Einschränkung bzw. Unterbrechung der Netznutzung ist allerdings erst dann zulässig, wenn der Transportnetzbetreiber dem Verteilernetzbetreiber zunächst eine entsprechende Mitteilung (Abschn. X Art. 1 Abs. 7 TranspNetzK) bzw. dem direkt an das GTS angeschlossenen Netzkunden eine Mitteilung mit dem Verlangen zur selbständigen Einstellung der Erdgasentnahme zustellt (vgl. Abschn. X Art. 1 Abs. 8 TranspNetzK). Bezüglich Frist und Inhalt der Mitteilung an den jeweiligen an das GTS angeschlossenen Netzkunden gelten die Anforderungen des Abschn. X Art. 1 Abs. 8 und 9 TranspNetzK, die mit denen im Rahmen der Erdgaslieferung identisch sind. Die Mitteilungspflicht des Transportnetzbetreibers dem Verteilernetzbetreiber gegenüber hat der Gesetzgeber gleichwohl nicht näher geregelt. In einem solchen Fall erscheint eine analoge Anwendung der Vorgaben des Abschn. X Art. 1 Abs. 8 und 9 TranspNetzK durchaus denkbar. Dies kann aufgrund der vergleichbaren Interessenlage der ans GTS und GRM angeschlossenen Erdgaskunden gerechtfertigt werden. Denn durch die Unterbrechung des Transports des Erdgases werden die Kunden des Verteilernetzbetreibers im gleichen Maße wie die des Transportnetzbetreibers betroffen. Die Mitteilungspflicht (ebenso wie sämt-

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

341

liche davon betroffenen Leistungspflichten) des Transportnetzbetreibers entfällt jedoch in Notfällen, so etwa, wenn ein Netzzusammenbruch droht (vgl. Abschn. XVII TranspNetzK). Falls der Transportnetzbetreiber wegen höherer Gewalt seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Ermöglichung des Netzzugangs nicht nachkommt, scheidet eine Haftung auf Schadensersatz gemäß Pkt. 14.1. des Standardvertrages aus. In Pkt. 14.2. des Standardvertrages wird definiert, was zwischen dem Transportnetzbetreiber und seinem Kunden als Umstand höherer Gewalt gelten soll. Die Definition stellt dabei auf die Außerordentlichkeit und Unabwendbarkeit des schädigenden Ereignisses ab1501 und stimmt somit mit dem Verständnis der höheren Gewalt innerhalb der Erdgasbelieferung überein. Anschließend werden ihre Rechtsfolgen und Pflichten detailliert geregelt (Pkt. 14.3. und 14.4. des Standardvertrages). Auf der Rechtsfolgenseite wird ein vorübergehendes Aussetzen der Pflichten im Rahmen des Netzzugangs für die Dauer der höheren Gewalt bestimmt, was wiederum der Regelung innerhalb der Erdgasbelieferung entspricht. Insofern kann auf die entsprechenden Ausführungen zu Lieferungsunterbrechungen zufolge höherer Gewalt verwiesen werden1502 . c)

Veröffentlichungs- und Informationspflicht des Transportnetzbetreibers

Um Transparenz und Diskriminierungsfreiheit bei dem GTS-Zugang garantieren zu können, hat der ukrainische Energiegesetzgeber dem Transportnetzbetreiber umfassende Veröffentlichungs- und Informationspflichten auferlegt. Als relevante Veröffentlichungspflicht kann Art. 36 Abs. 1 ErdgasMarktG genannt werden. Danach hat der Betreiber des GTS seine Netzzugangsbedingungen, Netznutzungsentgelte sowie Methoden ihrer Berechnung, Informationen über die Höhe der technischen, frei zuordenbaren und gebuchten Kapazitäten, Angaben über die zu transportierenden und transportierten Erdgasmengen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen. Ergänzt wird diese Verpflichtung durch Pkt. 3.1. und 6.3. des Standardvertrages. Nach Pkt. 3.1. des Standardvertrages müssen neben den aktuellen Tarifen, auch für den Bilanzausgleich, der Standardvertrag über den Transport des Erdgases und der TranspNetzK auf der Internetseite des Transportnetzbetreibers veröffentlicht werden. Außerdem sind Informationen in Bezug auf Kapazitätsrechte des Netzkunden, Versorgungsstörungen, insbesondere im Falle einer Havarie, sowie andere relevante Daten bekanntzugeben. Das Gleiche gilt für Informationen zu den Erdgas1501 1502

Verfügung des Dnipropetrowskyj BerufWirtschG v. 05.10.2016 Reg.-Nr. 904/4470/16. Dazu Teil II § 7 B I 1 a) bb) (2), S. 320 ff.

342

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Nominierungen bzw. Renominierungen (Pkt. 6.3. des Standardvertrages). Von Bedeutung ist zudem Abschn. XVIII Art. 2 TranspNetzK, der Art. 36 Abs. 1 ErdgasMarktG konkretisiert und das „Wie“ der Veröffentlichung der Informationen über die Kapazitäten des GTS detailliert regelt. Weitere (relevante) Informationen betreffend die GTS-Nutzung, die von zahlreichen Veröffentlichungspflichten des Transportnetzbetreibers nicht erfasst werden, sind nur auf Verlangen des Netzkunden vorzulegen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Verpflichtung des GTS-Betreibers zum Informationsaustausch mit seinem Kunden, die in Pkt. 19.1. bis 19.6. des Standardvertrages geregelt wird. Auf Veröffentlichungs- und Informationspflichten des Transportnetzbetreibers liegt der maßgebliche Teil seines Pflichtenkatalogs im Zusammenhang mit der Gewährung eines effizienten und diskriminierungsfreien Netzzugangs. Sie bestimmen in erster Linie die Qualität der nach dem Erdgastransportvertrag zu erbringenden Dienstleistungen (vgl. Pkt. 4.2. des Standardvertrages) und können haftungsrelevant sein. Erfüllt der Transportnetzbetreiber seine Veröffentlichungs- und Informationspflichten nicht, ist eine nicht dem Inhalt der Verbindlichkeit entsprechende Erfüllung i. S. v. Art. 610 ZGB zu bejahen. Dies würde bei seinem Verschulden eine vertragliche Haftung zur Folge haben. Unter Umständen kann allerdings bei der Verletzung der dargestellten Veröffentlichungs- und Informationspflichten ein (sonder-)deliktischer Schadensersatzanspruch entstehen1503 . 2.

Netzzugangspflicht des Verteilernetzbetreibers

Um Erdgas beziehen zu können, muss der ans GRM angeschlossene Letztverbraucher i. S. d. Art. 1 Nr. 37 ErdgasMarktG neben einem Vertrag über die Lieferung von Erdgasmengen unbedingt noch einen Erdgasverteilungsvertrag mit dem Verteilernetzbetreiber schließen (vgl. Art. 40 ErdgasMarktG, Abschn. VI Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 S. 2 VerteilNetzK)1504 . Detaillierte und zwingende Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung eines solchen Vertrages stehen in dem durch Anordnung der NKREKP Nr. 2498 genehmigten Standardvertrag über die Verteilung des Erdgases. Sein Gegenstand – mithin auch die Haupt(leistungs)pflicht jedes Verteilernetzbetreibers – besteht hierbei in der Erbringung der Dienstleistung der Erdgasverteilung (Pkt. 2.1. des Standardvertrages). Eine Dienstleistung der Erdgasverteilung umfasst laut Pkt. 1.4. des Standardvertrages i. V. m. Abschn. VI Art. 3 VerteilNetzK die Gewährung des je1503 1504

Zum Verhältnis zwischen Delikts- und Vertragshaftung s. Teil II § 8, S. 359 ff. Urteil des WirtschG des Chmelnyzkyj Gebietes v. 26.06.2017 Reg.-Nr. 924/390/17; Urteil des BerufG des Zhytomyr Gebietes v. 11.12.2017 Reg.-Nr. 296/1358/17.

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derzeitigen Zugangs des Letztverbrauchers zum GRM im Umfang der angeschlossenen Kapazität seiner Anlage und die Verteilung (Durchleitung) des im Eigentum des Letztverbrauchers – auch wenn vorweg (nur) unter Vorbehalt1505 – stehenden Erdgases durch das GRM zwecks seiner physischen Zuführung zur Eigentumsgrenze des auf den jeweiligen Zählpunkt bezogenen Anschlusses des Letztverbrauchers. Geschuldet wird überdies eine zuverlässige und sichere Erdgasdurchleitung vom Einspeisepunkt in das GRM bis zur Entnahmestelle des Letztverbrauchers (Pkt. 3.2. des Standardvertrages)1506 . Dies erfordert insbesondere die Gewährleistung bzw. Aufrechterhaltung der vereinbarten Beschaffenheit sowie des ausreichenden Druckes des von dem Letztverbraucher ausgespeisten Erdgases. Die Voraussetzungen zur geschuldeten Beschaffenheit und Druck gelten als erfüllt, wenn die entsprechenden Anforderungen des Abschn. VIII Art. 2 VerteilNetzK eingehalten worden sind (vgl. Pkt. 4.1. des Standardvertrages, Abschn. I Art. 3 Abs. 7 VerteilNetzK). Bleibt die geleistete Tätigkeit hinter dem beschriebenen Schuldinhalt zurück, kann eine Haftung gegenüber dem Letztverbraucher entstehen1507 . Vor diesem Hintergrund erlangt das Recht des Verteilernetzbetreibers zur Einschränkung bzw. Unterbrechung der Erdgasverteilung in Rahmen der vorliegenden Arbeit besondere Bedeutung. Zur Ausübung dieses Rechts müssen die in Pkt. 9.1. des Standadvertrages und Abschn. VI Art. 7 Abs. 1 VerteilNetzK genannten Voraussetzungen zwingend vorliegen. Im Prinzip handelt es sich hierbei um die gleichen Unterbrechungs- bzw. Einschränkungsgründe, die auch die Pflicht des Transportnetzbetreibers zum Transport des Erdgases durch das GTS einschränken oder – gegebenenfalls vorübergehend – ruhen lassen. Die Erwägungen zum Unterbrechungs- bzw. Einschränkungsrecht des GTS-Betreibers lassen sich deshalb ohne Weiteres auf die Verpflichtung des GRM-Betreibers zur jederzeitigen Verteilung des Erdgases übertragen 1508 . Dasselbe gilt im Hinblick auf die Unterbrechungen bzw. Einschränkungen bei der Erdgasverteilung wegen höherer Gewalt. Die Verteilernetzbetreiber – genauso wie die Transportnetzbetreiber – unterliegen zudem zahlreichen Informations- und Veröffentlichungspflichten bezüglich ihrer Netzzugangsbedingungen. Diese betreffen nicht nur die Netznutzungsentgelte, sondern auch die für die Erdgasverteilung viel bedeutenderen sonstigen Vertragsbedingungen. Einzuhalten sind dabei die Vorgaben des Art. 43 ErdgasMarktG, die durch die Bestimmungen des VerteilNetzK sowie in 1505 1506 1507

1508

S. dazu Teil II § 7 B I 1 b) aa) (2), S. 327 f. Urteil des WirtschG des Chmelnyzkyj Gebietes v. 26.06.2017 Reg.-Nr. 924/390/17. Vgl. Sych, Rozpodil. Organizacija ta vedennja biznesu operatora GRM na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Verteilung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 79. Teil II § 7 C I 1 b), S. 339 ff.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

Anordnung der Regulierungsbehörde Nr. 2498 genehmigten Standardvertrages über die Verteilung des Erdgases ergänzt und konkretisiert werden1509 . II.

Anschlusspflicht, Art. 19 Abs. 1 ErdgasMarktG

Jeder Erdgasmarktteilnehmer hat nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 ErdgasMarktG einen Anspruch auf Anschluss (technische Anbindung) an das GTS sowie GRM zu diskriminierungsfreien Bedingungen. Mit diesem Anspruch korrespondiert die Pflicht des Transport- und Verteilernetzbetreibers, jedermann an sein Netz – GTS oder GRM – anzuschließen (Art. 19 Abs. 2 S. 2 ErdgasMarktG). Dafür muss der Netzanschlusspetent zunächst ein Netzanschlussbegehren an den jeweiligen Netzbetreiber richten. Das bloße Begehren eines Netzanschlusses führt aber noch nicht dazu, dass die Anschlusspflicht des Netzbetreibers entsteht. Die in Abschn. VI TransNetzK und Abschn. V VerteilNetzK geregelten technischen und wirtschaftlichen Bedingungen müssen überdies erfüllt werden. Die Verpflichtung zur Herstellung des Netzanschlusses stellt keine absolute Pflicht dar. Der Anschluss ans Netz darf dabei ausschließlich in den in Art. 19 Abs. 9 S. 8 ErdgasMarktG genannten Ausnahmefällen verweigert werden, etwa wenn das GTS bzw. GRM keine bzw. keine ausreichenden (Anschluss-)Kapazitäten hat. In diesem Fall ist der Netzbetreiber verpflichtet, die Verweigerung dem betroffenen Anschlusspetenten und der Regulierungsbehörde innerhalb von fünf Tagen schriftlich unter Angabe von Gründen bekannt zu geben (Abschn. VI Art. 1 Abs. 7 TranspNetzK, Abschn. V Art. 1 Abs. 3 VerteilNetzK). Sollte eine Streitigkeit im Zusammenhang mit der Verweigerung des Netzanschlusses entstehen, kann die Regulierungsbehörde auf Antrag einer der Parteien darüber entscheiden. Dies soll dazu beitragen, dass die Netzbetreiber diskriminierungsfrei handeln. Dem betroffenen Anschlusspetenten stehen schließlich bei der gesetzeswidrigen Verweigerung des GTSbzw. GRM-Anschlusses Schadensersatzansprüche zu. Für die Gewährung und Herstellung eines Netzanschlusses ist ein Werkvertrag1510 zwischen dem Netzanschlusspetenten und dem Netzbetreiber unbedingt erforderlich, vgl. Abschn. VI Art. 1 Abs. 9 TranspNetzK und Abschn. V Art. 1 Abs. 4 S. 1 VerteilNetzK. Die Reichweite der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten hängt dabei davon ab, ob der Anschluss auf der GTS- oder GRM-Ebene herzustellen ist. Während Abschn. VI Art. 1 Abs. 9 TranspNetzK lediglich einen Katalog von Angaben nennt, die ein Netzanschlussvertrag mit 1509

1510

Näher dazu Sych, Rozpodil. Organizacija ta vedennja biznesu operatora GRM na rynku pryrodnogo gazu Ukrajiny [Verteilung von Erdgas auf dem Erdgasmarkt der Ukraine], S. 111 ff. Vgl. Abschn. VI Art. 2 Abs. 22 TranspNetzK sowie Abschn. V Art. 2 Abs. 13 VerteilNetzK.

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dem Transportnetzbetreiber zu enthalten hat, ohne sie jedoch inhaltlich gehaltvoll auszufüllen, und die Vertragsparteien die Anschlussbedingungen in gewissem Umfang – unter Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften – frei aushandeln können, sind die vom Gesetzgeber in Anhang 11, 12 und 13 VerteilNetzK ausgearbeiteten Musterverträge für den Anschluss an das GRM gemäß Abschn. V Art. 1 Abs. 4 VerteilNetzK zwingend anzuwenden. Eine nähere Konkretisierung, inwieweit diese verbindlichen Musterbedingungen abbedungen bzw. ergänzt werden können, enthält das VerteilNetzK nicht. III.

Verpflichtung zum Betrieb eines sicheren, zuverlässigen und leistungsfähigen Erdgasversorgungsnetzes

Die ordnungsgemäße Erbringung der Erdgastransport- sowie Erdgasverteilungsdienstleistung ist nur dann möglich, wenn der Betrieb des GTS und der GRM sicher und zuverlässig erfolgt. Auch für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit in der Ukraine, die in Art. 3 ErdgasMarktG zum ersten Mal als Ziel der ukrainischen Erdgaspolitik gesetzlich verbindlich festgeschrieben wurde, wird ein stabiler Netzbetrieb benötigt1511 . Dies vorausgeschickt, verpflichtet das ErdgasMarktG die Transportnetzbetreiber (Art. 20 Abs. 1) und Verteilernetzbetreiber (Art. 37 Abs. 1) zu einem zuverlässigen und sicheren Betrieb, einer Aufrechterhaltung und Entwicklung (einschließlich Ausbau und Modernisierung) des GTS bzw. der GRM. Ausführlich konkretisiert wird diese allgemeine Pflicht in TranspNetzK und VerteilNetzK. 1.

Aufgaben und Systemverantwortung des Transportnetzbetreibers

Das GTS darf ausschließlich durch den Transportnetzbetreiber betrieben werden (Abschn. V Art. 1 Abs. 2 TranspNetzK). Es ist daher sachgerecht, dass der Gesetzgeber ihn in die Verantwortung für das sichere Funktionieren des GTS nimmt (vgl. Abschn. V Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK). Um den sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb zu gewährleisten, muss der Netzbetreiber zunächst alle in Abschn. V Art. 1 Abs. 3 TranspNetzK aufgelisteten Aufgaben erfüllen und Vorkehrungen treffen. Ihm obliegt es beispielsweise, technische und organisatorische (Instandhaltungs- und Wartungs-) Maßnahmen, die ausgehend von den Ergebnissen der technischen Inspektion und/oder Diagnose des GTS-Zustands für seinen weiteren störungsfreien Betrieb erforderlich sind, zu ergreifen. Abschn. VII TranspNetzK enthält erstmals detaillierte und ergänzende Regelungen zur Durchführung von Instandhal1511

Podrez-Ryapolova, in: Anpassung der Wirtschaftsregulierung in der Ukraine an das EURecht unter den aktuellen Umständen. Sammlung wissenschaftlicher Arbeiten (Rundtisch, Charkiw am 26. Mai 2015), S. 102; so bereits auch Podrez-Ryapolova, Teorija i praktyka pravoznavstva 2013, Nr. 2, 1 (3 f.).

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

tungs- und Wartungsarbeiten des Transportnetzbetreibers. Demnach ist der Transportnetzbetreiber unter anderem berechtigt, die Erdgasversorgung einzuschränken, allerdings unter der Bedingung, dass der Transportkunde vorher informiert wird (vgl. Abschn. VII Art. 2 TranspNetzK)1512 . Bei der Durchführung und Organisation von Instandhaltungs- und Wartungsmaßnahmen müssen des Weiteren technische Normen und Sicherheitsstandards, die gemäß Art. 8 ErdgasMarktG für den Bereich des Netzbetriebs gelten, berücksichtigt und eingehalten werden1513 . Der Transportnetzbetreiber hat ferner für die Sicherstellung einer ausgeglichenen Systembilanz zu sorgen sowie physikalischchemische Eigenschaften des Erdgases an Einspeise- und Ausspeisepunkten zu kontrollieren und einzuhalten. Der Gewährleistung eines stabilen und störungsfreien Netzbetriebs dient auch die Verpflichtung zum Informationsaustausch mit anderen Erdgasmarktteilnehmern. Die Informationspflicht des Transportnetzbetreibers wird in Abschn. XVI TranspNetzK ausführlich geregelt. Abschn. I Art. 3 Abs. 3, Abschn. V Art. 2 Abs. 7, Abschn. VII Art. 1 Abs. 4, 6, Abschn. XVII Art. 1 Abs. 6 TranspNetzK begründen zusätzliche Kooperationspflichten des Transportnetzbetreibers. Die Verpflichtung des Transportnetzbetreibers zum sicheren und zuverlässigen GTS-Betrieb betrifft nicht nur bestehende Leitungen. Der GTSBetreiber wird vielmehr laut Abschn. V Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK zum Ausbau des GTS verpflichtet, um die Nachfrage nach Transport von Erdgas befriedigen zu können. Diese in Abschn. V Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK konstituierte Netzausbaupflicht wird in Abschn. V Art. 1 Abs. 4 bis 6, Art. 2 TranspNetzK weiter konkretisiert. Daraus ergibt sich insbesondere, dass die Netzausbaupflicht des Transportnetzbetreibers Investitions-, Monitorings-, Prognoseerstellungs- und Planungspflichten umfasst. An dieser Stelle soll man anmerken, dass die Pflicht zum nachfragegerechten Ausbau des GTS dem Transportnetzbetreiber im Interesse der Allgemeinheit auferlegt wird und deshalb keinen unmittelbaren privatrechtlichen Anspruch des Transportkunden begründen kann. Ihre Verletzung kann aber unter Umständen schadensersatzrelevant sein. 1512

1513

Zu beachten ist, dass der beschriebene Sachverhalt eine zulässige Unterbrechung bzw. Einschränkung der Netznutzung im Sinne von Abschn. X Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK darstellt und daher entsprechend behandelt werden soll, s. dazu Teil II § 7 C I 1 b), S. 339 ff. Normen und Standards für den Öl- und Gassektor werden aktuell durch die nationale Normungsorganisation in Zusammenarbeit mit dem MfEKI sowie den Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche an internationale und europäische Anforderungen angepasst und überarbeitet, näher dazu s. Kovalko/Homyk/Andrijevskyj/Trusova, Naftogazova galuz´ Ukrajiny 2016/2, 5 (6 ff.).

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

347

Liegt trotz der strikten Sicherheitsvorkehrungen und Wartungsmaßnahmen eine Störung des GTS oder Gefährdung der Erdgasversorgungssicherheit i. S. v. Abschn. XVII Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 TranspNetzK vor, so hat der Transportnetzbetreiber markt- und netzbezogene Maßnahmen, die in Regeln zur Erdgas-Versorgungssicherheit1514 , dem Nationalen Aktionsplan1515 sowie dem Zivilschutzkodex der Ukraine1516 vorgesehen sind und sich je nach Sachlage unterscheiden, vorzunehmen (vgl. Abschn. XVII Art. 1 Abs. 1 und 2 TranspNetzK). Der ukrainische Gesetzgeber differenziert dabei zwischen Havarien1517 , Notfall- und Krisensituationen, deren Unterscheidungskriterien sich aus den genannten Gesetzen herleiten lassen und den Schweregrad der Störung zurückführen. Abgesehen von der Art der Störung muss der Transportnetzbetreiber nach Abschn. XVII Art. 1 Abs. 3 TranspNetzK alle Marktsubjekte, die davon betroffen werden können, unverzüglich über die Störung, ihre voraussichtliche Dauer und etwaige damit verbundene Einschränkungen bzw. Unterbrechungen des Erdgastransports informieren. Im Falle einer Havarie, Notfall- und Krisensituation ist er nämlich berechtigt, Erdgasmengen an Einspeisepunkten bis zur Beseitigung der Gefährdung bzw. Störung nicht abzunehmen bzw. ihren Transport zu Ausspeisepunkten einzuschränken bzw. zu unterbrechen (Abschn. XVII Art. 1 Abs. 4 TranspNetzK)1518 . Dafür müssen allerdings das sichere Funktionieren des GTS, das Leben oder die Gesundheit, die Umwelt oder das Vermögen einer Gefahr ausgesetzt werden. Unklar ist dabei, ob für die Erfüllung des Tatbestandes des Abschn. XVII Art. 1 Abs. 4 TranspNetzK bereits das Vorliegen einer abstrakten Gefahr genügend ist oder die Gefährdung geschützter Rechtspositionen sich zu einer konkreten Gefahr verdichtet haben muss. Die abstrakte Gefahr wäre jedenfalls stets beim Eintritt 1514

1515

1516

1517

1518

Pravyla pro bezpeku postačannja pryrodnogo gazu, zatverdženi Nakazom Ministerstva energetyky ta vugil´noji promyslovosti Ukrajiny № 686 vid 02.11.2015 [Regeln zur Erdgasversorgungssicherheit, genehmigt durch Erlass des Ministeriums für Energie und Kohleindustrie der Ukraine, ErdgasVersorSicherR], abgerufen unter: http://zakon2.rada. gov.ua/laws/show/z1489-15/page (zuletzt am 01.12.2018). Nacional´nyj plan dij, zatverdženyj Nakazom Ministerstva energetyky ta vugil´noji promyslovosti Ukrajiny № 687 vid 02.11.2015 [Nationaler Aktionsplan, genehmigt durch Erlass des Ministeriums für Energie und Kohleindustrie der Ukraine, NAP], abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/z1458-15 (zuletzt am 01.12.2018) Kodeks cyvil´nogo zahystu Ukrajiny [Zivilschutzkodex der Ukraine, ZivilSchK] vom 02.12.2012 Nr. 5403-VI, zuletzt geändert am 13.04.2017, WWR, 2013, Nr. 34-35, Pos. 458, abgerufen unter: http://zakon2.rada.gov.ua/laws/show/5403-17/page4 (zuletzt am 01.12.2018) Zur Definition der Havarie s. Urteil des Kharkivs´kyj BerufWirtschG v. 03.11.2010 Reg.Nr. 4/127-10. Aus Abschn. XVII TranspNetzK geht nicht hervor, in welchem Rangverhältnis die Einschränkung bzw. Unterbrechung des Erdgastransports zu den im Falle einer Havarie, Notfall- oder Krisensituation einzusetzenden Maßnahmen steht.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

einer Havarie, Notfall- oder Krisensituation gegeben. Sollte der Erdgastransport berechtigterweise nach Abschn. XVII Art. 1 Abs. 4 TranspNetzK eingeschränkt oder unterbrochen werden, werden keine schadensersatzrechtlichen Folgen für den Transportnetzbetreiber ausgelöst. Dies ist aber schon dann anders, wenn der Transportnetzbetreiber die Havarie, Notfall- bzw. Krisensituation selbst schuldhaft verursacht hat1519 . Die Rechtslage ähnelt somit der Situation in Deutschland1520 . Ansonsten kann sich die Geltendmachung des Einschränkungs- bzw. Unterbrechungsrechts nach Abschn. XVII Art. 1 Abs. 4 TranspNetzK – ausnahmsweise – als rechtsmissbräuchlich i. S. v. Art. 13 Abs. 3 ZGB darstellen1521 . 2.

Aufgaben und Systemverantwortung des Verteilernetzbetreibers

Der Verteilernetzbetreiber, dessen Haupttätigkeit in der Verteilung von Erdgas vom GTS über sein Netz zu den Letztverbrauchern besteht1522 , trägt er zu einer sicheren Versorgung mit Erdgas bei, indem er den zuverlässigen und sicheren Betrieb, die Aufrechterhaltung und Entwicklung (einschließlich Ausbau und Modernisierung) des in seinem Verfügungsbereich stehenden GRM verantwortet (Art. 37 Abs. 1, Art. 38 Abs. 2 ErdgasMarktG). Er nimmt mithin eine dem Transportnetzbetreiber vergleichbare Rechtsstellung ein und hat im Rahmen seiner Verteilungsaufgaben Pflichten, die weitgehend denjenigen des GTS-Betreibers entsprechen, zu erfüllen. So werden auch dem Verteilernetzbetreiber zahlreiche Prüf- und Wartungspflichten (Abschn. III, Abschn. XIII Art. 1 VerteilNetzK), Investitions- und Ausbaupflichten (Abschn. IV VerteilNetzK), Melde- und Informationspflichten (Abschn. VII, Abschn. XIV, Abschn. XIII Art. 3 VerteilNetzK), Kooperations- und Mitwirkungspflichten (Abschn. I Art. 2 Abs. 3 Nr. 4, 12, Abschn. XIII Art. 14 VerteilNetzK) gesetzlich auferlegt, um eine störungsfreie und ununterbrochene Erdgasversorgung sicherstellen zu können. Nach Abschn. XIII Art. 10 und 15 VerteilNetzK gelten die soeben erwähnten ErdgasVersorSicherR, NAP sowie ZivilSchK zum Verhalten im Falle einer Havarie, Notfall- oder Krisensituation für den Verteilernetzbetreiber entsprechend. Nimmt der jeweilige Verteilernetzbetreiber die dort aufgelisteten und ihn betreffenden Maßnahmen nicht bzw. nicht gehörig vor, kommen Schadensersatzansprüche der potenziellen Geschädigten in Be1519

1520 1521

1522

Bereits zur alten Rechtslage Verfügung des OWirtschG v. 23.07.2009 Reg.Nr. 2/255/11/6(7/30). Vgl. zur Rechtslage in Deutschland Teil I § 3 C III 1 b), S. 138 ff. Allgemein zum Rechtsmissbrauch im ukrainischen Zivilrecht s. Gubar, Nedopustymist´zlovğyvannja pravom u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Unzulässigkeit des Rechtsmissbrauchs im Zivilrecht der Ukraine]. Vgl. Abschn. I Art. 2 Abs. 3 Nr. 1 VerteilNetzK.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

349

tracht. Keine Haftung des GRM-Betreibers entsteht gleichwohl, sofern er von seinem Einschränkungs- bzw. Unterbrechungsrecht nach Abschn. XIII Art. 12 VerteilNetzK Gebrauch macht und seine Leistungspflichten nicht erfüllt, es sei denn, dass die erforderlichen, in Abschn. XIII Art. 12 VerteilNetzK festgelegten Voraussetzungen nicht vorliegen und/oder die Ausnahmesituation vom Verteilernetzbetreiber herbeigeführt wurde1523 . IV.

Kooperationspflichten

Im ukrainischen Erdgasrecht findet sich keine allgemeine Verpflichtung zu einer verbindlichen Zusammenarbeit zwischen dem Transport- und Verteilernetzbetreiber 1524 . Inhaltlich begrenzte punktuelle Kooperationspflichten der Netzbetreiber bestehen jedoch aufgrund von (eher wenigen) Einzelnormen des TranspNetzK bzw. VerteilNetzK, die oben bereits skizziert wurden. Es handelt sich dabei um die Kooperationspflichten, die ausschließlich dem sicheren und zuverlässigen Betrieb der ukrainischen Erdgasversorgungsnetze zugute kommen und deren Verletzung eine Haftung des jeweiligen Netzbetreibers begründen kann (vgl. Abschn. I Art. 3 Abs. 3, Abschn. IV Art. 1 Abs. 2, Abschn. XV Art. 3 Abs. 2 TranspNetzK, Abschn. I Art. 2 Abs. 3, Abschn. XIII Art. 12 VerteilNetzK). Dass der ukrainische Gesetzgeber keine ausdrückliche Verpflichtung zu einer verbindlichen Zusammenarbeit für die Sicherstellung eines effizienten und diskriminierungsfreien Netzzugangs geregelt hat, kann man wohl auf die Besonderheiten der technischen Funktionsweise der Netze sowie der (vertrags-)rechtlichen Ausgestaltung des Netzzugangs in der Ukraine zurückführen. Die Auferlegung eines Kontrahierungszwangs zu Lasten des Transportnetzbetreibers und zu Gunsten des Verteilernetzbetreibers dient demnach der Gewährung des netzübergreifenden Netzzugangs, so dass das gesetzlich postulierte Erfordernis der verbindlichen Kooperation zwischen dem Transport- und Verteilernetzbetreiber überflüssig wäre. Sollte sich der Netzbetreiber weigern zu kooperieren bzw. mitzuwirken, müsste die Haftung in diesem Fall an eine andere Pflicht – etwa die Netzzugangspflicht – angeknüpft werden. Zu erwähnen ist noch, dass das ErdgasMarktG eine besondere Pflicht des Transportnetzbetreibers zur Zusammenarbeit mit den anderen – ukrainischen sowie ausländischen – Transportnetzbetreibern statuiert. Diese Kooperationspflichten sind in Art. 22 Abs. 2 Nr. 6 und Abs. 6 ErdgasMarktG geregelt. Gefordert ist zum einen die Kooperation mit dem Ziel der Schaffung regionaler 1523 1524

Vgl. Teil II § 7 C III 1, S. 345 f. Vgl. die Verpflichtung der deutschen Gasnetzbetreiber zu der für die Gewährung des netzübergreifenden Netzzugangs erforderlichen Zusammenarbeit gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 EnWG.

350

Teil II Rechtslage in der Ukraine

sowie internationaler Erdgasmärkte (Art. 22 Abs. 2 Nr. 6 ErdgasMarktG). Zum anderen muss der Betreiber des GTS mit den Transportnetzbetreibern aus der Ukraine sowie den EU-Ländern zusammenarbeiten, um die Ausgleichsleistungs- und Bilanzregeln im Erdgassektor zu harmonisieren und somit die Hürden für den grenzüberschreitenden Erdgashandel zu überwinden sowie die Voraussetzungen für den Börsenhandel mit Erdgas zu schaffen (Art. 22 Abs. 6 ErdgasMarktG). Die Kooperation zwischen den Transportnetzbetreibern hat gemäß Abschn. I Art. 3 Abs. 8 TranspNetzK aufgrund einer Kooperationsvereinbarung zu erfolgen. Weder ErdgasMarktG noch TranspNetzK legen allerdings fest, welchen konkreten Inhalt und welche Grenzen diese Kooperationspflichten haben. Es findet sich vielmehr keine Haftungs- bzw. Aufsichtsnorm, die sich ausdrücklich auf die Verletzung dieser Pflichten beziehen würde. Zurückzugreifen ist wohl dabei auf die allgemeine Haftungsanordnung des Art. 59 ErdgasMarktG. Vor diesem Hintergrund lässt sich somit ein erheblicher Klärungsbedarf im Hinblick auf die Umsetzung der in ErdgasMarktG geregelten Kooperationspflichten sowie Rechtsfolgen ihrer Verletzung insbesondere durch die Regulierunsbehörde erkennen. Jedenfalls sind jegliche Ansprüche des Transportkunden im Zusammenhang mit der Kooperationspflicht des Transportnetzbetreibers aus Art. 22 Abs. 2 Nr. 6 und Abs. 6 ErdgasMarktG abzulehnen. D.

Aufgaben und Pflichten der Endkunden

Schließlich sind die im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevanten Aufgaben und Pflichten des Letztverbrauchers darzustellen. Es handelt sich dabei um die Aufgaben und Pflichten aus dem Erdgasrecht sowie dem allgemeinen Zivilrecht, deren Nichterfüllung bzw. Verletzung eine Zulässigkeit der Versorgungseinschränkung bzw. -unterbrechung begründen kann oder als Rechtsfolgen entweder eine Einschränkung der Rechtsbehelfe des Letztverbrauchers nach Art. 688 Abs. 1 S. 2 ZGB oder die Berücksichtigung etwaigen Mitverschuldens nach Art. 616 ZGB nach sich zieht1525 . Im Endeffekt entfällt die Schadensersatzpflicht des schädigenden Erdgasmarktteilnehmers (Lieferanten oder Netzbetreibers) in vollem Umfang oder wird durch das Gericht beschränkt. Vor dem Hintergrund des in § 6 beschriebenen Aufbaus des Erdgasversorgungssystems lassen sich die den Letztverbraucher in der Ukraine treffenden Pflichten ebenso wie im deutschen Energierecht zu zwei Pflichtengruppen 1525

S. z. B. Urteil des Odes´kyj BerufWirtschG v. 21.06.2017 Reg.-Nr. 915/2220/15; zur alten Rechtslage Urteil des Ingulec´kyj BezirkG der Stadt Kryvyj Rig v. 16.05.2013 Reg.Nr. 213/125/13-ц.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

351

ordnen. Sie ergeben sich einerseits aus dem Erdgaslieferverhältnis (lieferbezogene Pflichten), andererseits aus dem Erdgastransport- bzw. -verteilungsverhältnis und Netzanschlussverhältnis (netzbezogene Pflichten). Im Hinblick auf die Komplexität der Rechtsbeziehungen in der neuen Erdgaswirtschaft der Ukraine können sich auch diese Gruppen noch in weitere Untergruppen aufgliedern, etwa nach Kundenarten: privilegierte Kunden, nichtprivilegierte Kunden, Haushaltsverbraucher, Nicht-Haushaltsverbraucher. Im Folgenden wird daher neben den allgemeinen energierechtlichen Pflichten, die alle Kunden im Zusammenhang mit der Lieferung und dem Transport bzw. der Verteilung von Erdgasmengen sowie dem Netzanschluss zu erfüllen sind, auf die speziellen energierechtlichen Pflichten, die nur bestimmten Kundentypen auferlegt werden, aufmerksam gemacht. I.

Lieferbezogene Pflichten

Die allgemeinen Pflichten des Letztverbrauchers bei seiner Belieferung mit Erdgas sind in Art. 13 Abs. 2 ErdgasMarktG geregelt. Danach ist jeder Letztverbraucher i. S. v. Art. 1 Nr. 37 ErdgasMarktG (sowohl ein Haushaltsverbraucher als auch ein Unternehmer) verpflichtet, einen Vertrag über die Lieferung von Erdgas zu schließen (Nr. 1), eine rechtzeitige und vollständige Zahlung des Erdgaskaufpreises gemäß Vertrag sicherzustellen (Nr. 2)1526 , unberechtigte Erdgasentnahmen nicht zuzulassen (Nr. 3), einen ungehinderten und uneingeschränkten Zugang befugter Vertreter des GTS- und GRM-Betreibers zur Messeinrichtung, auch zum Zweck ihrer Einstellung zu gewährleisten (Nr. 4), den Erdgasverbrauch gemäß Gesetz und Vertrag zu unterbrechen bzw. einzuschränken (Nr. 5). An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass Art. 13 Abs. 2 Nr. 1 ErdgasMarktG keinen Kontrahierungszwang statuiert, einen privatrechtlichen Vertrag mit einem Lieferanten über die Lieferung von Erdgas abzuschließen oder zu unterzeichnen. Damit soll lediglich noch einmal zum Ausdruck gebracht werden, dass die Belieferung mit Erdgas ausschließlich aufgrund eines Vertrages zu erfolgen hat (vgl. bereits Art. 12 Abs. 1 S. 1 ErdgasMarktG, Abschn. I Art. 3 ErdgasLieferR). Die Erdgasentnahme ohne gültigen Erdgaslieferungsvertrag ist damit unzulässig. Die Konkretisierung dieser allgemeinen Pflichten erfolgt dabei durch die ErdgasLieferR sowie die Vereinbarungen der Parteien, die dann allerdings auch auf die Besonderheiten der Rechtsstellung des jeweiligen Erdgaskundentyps Rücksicht nehmen (vgl. hier1526

Näher dazu s. Informationsschreiben des OWirtschG der Ukraine zur Ergänzung des Informationsschreibens des OWirtschG der Ukraine v. 15.03.2011 Nr. 01-06/249 über die Verfügungen des OG der Ukraine, die aufgrund einer Revision gegen Urteile der Wirtschaftsgerichte getroffen worden sind, v. 20.10.2015 Nr. 01-06/1837/15, Pkt. 11.

352

Teil II Rechtslage in der Ukraine

zu etwa Abschn. II Art. 2, 10 Abs. 2, 11, 20, Abschn. III Art. 12 bis 14, 22 ErdgasLieferR). Neben den allgemeinen Pflichten beim Abschluss von Verträgen über die Erdgaslieferung muss der jeweilige Kunde den besonderen Pflichten, die nur ihn betreffen, nachkommen. So haben die Haushaltsverbraucher die abgenommenen Erdgasmengen lediglich zur eigenen Versorgung zu nutzen (Abschn. III Art. 22 ErdgasLieferR, Pkt. 5.2. Nr. 4 Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher). Verlangt werden von ihnen überdies eine effiziente Verwendung des gelieferten Erdgases sowie die Sorgfaltsübung für die Gaseinrichtungen und Geräte sowie deren Betrieb. Herauszustellen ist freilich, dass das in Abschn. III Art. 22 ErdgasLieferR, Pkt. 5.2. Nr. 4 Standardvertrag über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher statuierte und (wohl) der Versorgungssicherheit dienende Gebot der effizienten und sparsamen Erdgasverwendung wegen seiner Unbestimmtheit präzisierungsbedürftig ist. Denn der Inhalt dieses Gebots wird für seine effektive Umsetzung auch durch andere Verpflichtungen des Letztverbrauchers nicht bzw. nicht genug ausgefüllt. Dies könnte ferner ein Hinweis darauf sein, dass die Pflicht zur effizienten Erdgasverwendung eine der Obliegenheit i. S. d. deutschen Rechts vergleichbare Rechtsnatur hat und nicht selbstständig einklagbar sein kann1527 . Ihre Verletzung würde allerdings die oben erwähnten ungünstigen Rechtsfolgen nach sich ziehen. Schließlich haben die Erdgasendkunden als Haushaltsverbraucher i. S. d. Art. 1 Nr. 22 VerbrSchG Pflichten1528 , die aus verbraucherschutzrechtlichen Bestimmungen resultieren, zu beachten (Art. 4 Abs. 3 VerbrSchG). Zu nennen sind diverse Pflichten wie solche zur besonderen Berücksichtigung der Gebrauchsanweisung sowie der Warn- und Sicherheitshinweisen oder zur ausschließlich zweckgebundenen Verwendung1529 . Die Pflichten, die nur die Nicht-Haushaltsverbraucher betreffen, finden sich in erster Linie in Abschn. II ErdgasLieferR. Besonders relevant erscheint dabei Art. 20 ErdgasLieferR, wonach alle Nicht-Haushaltsverbraucher (Gewerbekunden, Industriekunden sowie Fernwärmeereuger) verpflichtet sind, jegliche Maßnahmen zu ergreifen, die zur Vermeidung bzw. Abwendung von Lebensgefahr oder der Gefahr erheblichen gesundheitlichen Schadens, der 1527

1528 1529

Weder in der ukrainischen Lehre noch in der Rechtsprechung der ukrainischen Gerichte wird eine selbstständige Kategorie der Obliegenheiten anerkannt. Es findet sich dennoch eine Unterscheidung zwischen den einklagbaren und lediglich ungünstige Rechtsfolgen herbeiführenden Rechtspflichten, auch wenn nur vereinzelt. S. dazu Panych, Schadensversicherung im ukrainischen Recht, S. 189. Sitnikov, VNAAU 2017, Nr. 10 (37), 19 (20). Fursa/Karmazova, Zahyst prav spožyvačiv [Verbraucherschutz], S. 25.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

353

Beschädigung von Anlagen und der Produktion, negativer ökologischer Auswirkungen u. ä. im Falle einer (drohenden) Unterbrechung bzw. Einschränkung der Erdgaslieferung (des Transports bzw. der Verteilung von Erdgas) erforderlich sind. Welche Maßnahmen konkret in einer solchen Situation vom Erdgaskunden verlangt werden können, ergibt sich aus der Norm nicht. Der ukrainische Gesetzgeber sieht wohl als unmöglich an, erforderliche Maßnahmen festzulegen, die auf die konkreten Fälle zugeschnitten sind, und setzt vielmehr keine Grenzen, die den Umfang der Pflicht verdeutlichen könnten. Die Pflicht des Abschn. II Art. 20 ErdgasLieferR ist ebenfalls durch die Literatur sowie durch die Rechtsprechung bisher noch nicht näher konkretisiert, was zu Unsicherheiten in der Umsetzung führen kann. Weitere im Kontext dieser Arbeit relevante Pflichten der Nicht-Haushaltsverbraucher, die als Wirtschaftssubjekte i. S. d. Art. 55 Abs. 1 WGB einzustufen sind, können sich aus den Vorschriften des ZGB und WGB über den Kauf- und Liefervertrag ergeben. Nach Art. 688 Abs. 1 S. 1 ZGB muss der Käufer beispielsweise die Mängel der Ware innerhalb einer vertraglichen bzw. gesetzlichen Frist anzeigen. Sollte der Erdgasendkunde dieser Pflicht nicht nachkommen, kann die Rechtsfolge des Art. 688 Abs. 1 S. 2 ZGB eintreten. Die Informationspflichten des Erdgasletztverbrauchers dürfen zudem nicht außer Acht gelassen werden. Zwar sind in den meisten Fällen die Kunden ihr Schutzobjekt. Damit können jedoch auch die Letzverbraucher einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Das ErdgasMarktG enthält keine generelle Informationspflicht für die Endkunden im Erdgasversorgungsbereich. Zahlreiche einzelne Melde-, Mitteilungs- sowie Informationspflichten in Bezug auf die Erdgaslieferung finden sich gleichwohl in den speziellen Vorschriften, die für die bestimmten Kundengruppen gelten. Ungeachtet dessen, dass diese Pflichten für jeden Kundentyp gesetzlich gesondert geregelt worden sind, stimmen sie zumeist inhaltlich überein. Demnach tragen z. B. sowohl die Haushaltskunden als auch die Nicht-Haushaltskunden die Pflicht zur Übermittlung von geänderten personalisierten Daten im Falle von Änderungen bei den Registrierungsinformationen insbesondere hinsichtlich technischer Daten der Erdgasanlage sowie Entnahmeregime (vgl. Abschn. II Art. 18, Abschn. III Art. 4 und 5 ErdgasLieferR, Pkt. 5.2. Nr. 3 des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher, Pkt. 5.2. Nr. 6 des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der letzten Rettung) oder zur Information über die tatsächlichen Mengen des durch den jeweiligen Netzbetreiber transportierten bzw. verteilten Erdgases (Abschn. II Art. 12, Abschn. III Art. 13 ErdgasLieferR).

354

II.

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Netzbezogene Pflichten

Neben den lieferbezogenen Pflichten hat der Erdgasendkunde die netzbezogenen Pflichten zu erfüllen. Es wird dabei unterschieden zwischen Pflichten, die aus dem Vertrag über den Anschluss an das GTS- bzw. GRM-System entstehen, und Pflichten im Zusammenhang mit den Erdgastransport- und Erdgasverteilungsdienstleistungen. Je nachdem, was für ein Rechtsverhältnis – Netzanschlussverhältnis oder Transport- bzw. Verteilungsverhältnis – vorliegt, tritt der Erdgasendkunde in die Rechtsstellung des Anschlussnehmers oder des Netzkunden ein und trägt daher die seiner jeweiligen Rechtsstellung entsprechenden Pflichten gegenüber dem GTS- bzw. GRM-Betreiber. Diesen soll im Folgenden differenziert nachgegangen werden. 1.

Pflichten des Anschlussnehmers

Die Hauptpflichten des Letztverbrauchers beim Anschluss seiner Erdgasanlage an das GTS sowie GRM bestehen darin, das dafür zugunsten des jeweiligen Netzbetreibers fällige Entgelt zu entrichten und die erbrachte Leistung abzunehmen1530 , Abschn. VI Art. 2 Abs. 3 TranspNetzK, Abschn. V Art. 2 S. 8, 9 VerteilNetzK, Artt. 837 Abs. 1, 853 ZGB. Die Abnahmepflicht nach Art. 837 Abs. 1, 853 ZGB ist von erheblicher Bedeutung für die Abwicklung des Netzanschlussvertrages. Denn mit der Abnahme gemäß Art. 853 ZGB liegt grundsätzlich Gefahrübergang im ukrainischen Werkvertragsrecht vor, was gegebenenfalls zur Anwendbarkeit der Mängelrechte aus Art. 858 ZGB als spezielleren Regelungen im Verhältnis zu den Vorschriften des allgemeinen Haftungsrechts führt 1531 . Zur Berechnung des vom Anschlussnehmer zu leistenden Entgelts sind nach Abschn. VI Art. 2 Abs. 3 S. 2 TranspNetzK und Abschn. V Art. 2 S. 8 VerteilNetzK zwingend die von der Regulierungsbehörde herausgearbeiteten und genehmigten Methoden anzuwenden. Das zu entrichtende Anschlussentgelt enthält dabei neben solchen Kosten, die tatsächlich mit der Bereitstellung der effizient erbrachten Leistung verbunden sind, auch Investitionskosten, die für die Entwicklung der Netze zu verwenden sind, (vgl. Abschn. V Art. 1 Abs. 5 TranspNetzK, Abschn. IV Art. 1 Abs. 3 VerteilNetzK).

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Die Abnahmepflicht ist in den energierechtlichen Gesetzen nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergibt sich aus Art. 837 Abs. 1 ZGB, der auch auf den Netzanschlussvertrag seine Anwendung findet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Netzanschlussvertrag als Werkvertrag im Sinne des Art. 837 ZGB eingestuft wird. S. näher zu werkvertraglichen Pflichten des Bestellers Grynyak, UNZ 2012, Nr. 1 (41), 310 (310 ff.). Grynyak, UNZ 2012, Nr. 1 (41), 310 (310); vgl. auch Dzera/Kuznjecova/Luc´/Dikovs´ka/ Dzera, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlichpraktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 853 S. 497 f.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

355

Für die (ordnungsgemäße) Herstellung der technischen Anbindung der Kundenanlage an das GTS oder GRM kann die Mitwirkung des Anschlussnehmers erforderlich sein. So sind die Einführung der Anschlussleitungen in die Anlage des Anschlussnehmers und – soweit nötig – die Installation weiterer Betriebsmittel nur dann möglich, wenn der Anschlussnehmer dem jeweiligen Netzbetreiber bzw. seinen Beauftragten Zutritt zu seinem Grundstück und seinen Räumen gewährt. Bei der Abwicklung des Netzanschlussvertrages ist der GTS- bzw. GRM-Betreiber ebenfalls an die technischen Daten der Kundenanlage angewiesen. Dem tragen die Vorschriften des ukrainischen Erdgasrechts Rechnung. Abschn. VI Art. 2 Abs. 1 TranspNetzK, Abschn. V Art. 2 Abs. 1 VerteilNetzK, Anhang 11 und 12 zu VerteilNetzK statuieren die entsprechenden Mitwirkungspflichten des Erdgasletztverbrauchers in seiner Eigenschaft als Anschlussnehmer. Sollte die Gaserzeugungsanlage an das GTS oder GRM angeschlossen werden, finden sich in Abschn. VI Art. 1 Abs. 4 TranspNetzK und Abschn. V Art. 1 Abs. 2 VerteilNetzK spezielle Pflichten zu Lasten deren Inhabers. Die anzuschließende Gaserzeugungsanlage muss demnach geeignet sein, die physikalischen und chemischen Erdgasparameter gemäß den Anforderungen des TranspNetzK an der Übergabestelle sicherzustellen und einzuhalten. Dafür ist insbesondere die jeweilige Übergabestelle mit technischen Sicherheitseinrichtungen bzw. -geräten zur permanenten Kontrolle physikalischer und chemischer Kennwerte des Erdgases (etwa Gaschromatograph, Taupunktspiegelhygrometer u.ä.), Datenfernübertragung sowie automatischen Einstellung der Zuführung des Erdgases zum GTS bzw. GRM, sofern eine mangelnde Erdgasqualität registriert wird, auszustatten. 2.

Pflichten des Netzkunden

Die Hauptpflichten des Letztverbrauchers aus einem Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsverhältnis gegenüber dem GTS- bzw. GRM-Betreibers sind in Art. 32 Abs. 1 S. 2 und Art. 40 Abs. 1 S. 2 ErdgasMarktG festgeschrieben. Danach schuldet der Letztverbraucher in seiner Eigenschaft als Netzkunde dem jeweiligen Netzbetreiber die für die Erbringung von Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsdienstleistungen anfallenden Entgelte. Bei der Ermittlung der Entgelte für die Erdgasverteilung sind die Vorgaben des Abschn. VI Art. 6 VerteilNetzK zu beachten. Tarife für die vom Netzkunden zu entrichtenden Transport- bzw. Verteilungsentgelte werden dabei durch die ukrainische Regulierungsbehörde bestimmt. Verletzt der Netzkunde seine Zahlungspflichten, kann die Berechtigung des Betreibers vom GTS bzw. GRM zur Einschränkung oder Sperrung der Erdgasentnahme nach Abschn. X Art. 1 Abs. 1 TranspNetzK,

356

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Abschn. VI Art. 7 Abs. 1 VerteilNetzK begründet werden. Der Netzkunde ist des Weiteren verpflichtet, vereinbarte Erdgasmengen an dem bestimmten Einspeisepunkt bereitzustellen und/oder an dem bestimmten Ausspeisepunkt abzunehmen (vgl. Pkt. 2.6. des Standardvertrages über den Transport des Erdgases, Pkt. 2.1. des Standardvertrages über die Verteilung des Erdgases). Daneben hat der ukrainische Gesetzgeber Verpflichtungen für den Netzkunden im Interesse der Versorgungssicherheit erlassen. Insbesondere hat er gemäß Abschn. I Art. 3 Abs. 10 TranspNetzK sowie Abschn. III Art. 5 Abs. 3 VerteilNetzK für einen ordnungsgemäßen Betrieb seiner Anlage ab der vertraglich festgelegten Eigentumsgrenze zu sorgen sowie die nötigen technischen und betrieblichen Vorkehrungen zu treffen, um in seiner Anlage Schäden und Unfälle aller Art zu vermeiden, die durch Erdgasunterbrechungen, Netzrückwirkungen, Wiedereinschaltungen, Oberschwingungen sowie aus Druckschwankungen entstehen können 1532 . Alle damit im Zusammenhang stehenden Kosten trägt der Kunde selbst. In Abschn. I Art. 3 Abs. 10 TranspNetzK und Abschn. III Art. 5 Abs. 5 VerteilNetzK ist zudem festgeschrieben, dass der Netzkunde dem Netzbetreiber bzw. dessen Beauftragten Zutritt zu seinem Grundstück sowie seinen Räumen zu gestatten hat, soweit dies zur Wahrnehmung der dem Netzbetreiber gesetzlich auferlegten Aufgaben und Pflichten, insbesondere für die Prüfung, Ortung der vermutlichen Erdgasausströmung und Beseitigung deren Folgen, zur Ablesung der Messeinrichtung oder zur Unterbrechung bzw. Wiederherstellung der Erdgasversorgung, erforderlich ist. Der Systemstabilität und somit Erdgasversorgungssicherheit sollen ferner zahlreiche spezielle Informations-, Mitteilungs- und Meldepflichten des Netzkunden beitragen (vgl. Abschn. VII Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 3 bis 5, Abschn. XVI Art. 1, 3, Abschn. XVII Art. 5 TranspNetzK, Abschn. XIII Art. 13, Abschn. XIV Art. 1 VerteilNetzK). Dem Netzkunden obliegt letztlich, die Mitwirkung bei Notfall- bzw. Krisensituationen zu leisten, Abschn. XVII Art. 6 TranspNetzK und Abschn. XIII Art. 14 VerteilNetzK. Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsdienstleistungen trifft den Netzkunden, der kein Haushaltsverbraucher ist, noch eine weitere Verpflichtung: Nach Abschn. X Art. 1 Abs. 10 TranspNetzK sowie Abschn. VI Art. 5 Abs. 3 VerteilNetzK muss ein solcher Kunde seinen eigenen Erdgasverbrauch kontrollieren und ein mögliches Überschreiten der täglichen/monatlichen bestätigten Erdgasentnahmemengen verhindern. Bei einer drohenden Überschreitung sind geeignete Sicherungsmaß1532

Vgl. zur alten Rechtslage Urteil des BerufG des Zakarpattja Gebietes v. 21.12.2010 Reg.-Nr. 22-5496/2010; Urteil des Owruc´kyj BezirkG des Zhytomyr Gebietes v. 18.02.2011 Reg.-Nr. 2-67/11.

§ 7 Akteure im ukrainischen Erdgasversorgungssystem

357

nahmen zu setzen. Dazu gehört insbesondere eine rechtzeitige Unterbrechung bzw. Einschränkung der Netznutzung durch den betroffenen Kunden selbst. Ansonsten ist der jeweilige Netzbetreiber berechtigt, die Erdgasversorgung – zwangsweise – einzuschränken bzw. zu unterbrechen1533 .

1533

Urteil des Odes´kyj BerufWirtschG v. 21.06.2017 Reg.-Nr. 915/2220/15.

§ 8 Haftungsgrundlagen Ungeachtet einer Vielzahl an spezialgesetzlichen Vorschriften, wie beispielsweise das ErdgasMarktG und die auf seiner Grundlage erlassenen untergesetzlichen Rechtsakte1534 , die für die Erdgasversorgung existieren, beurteilen sich die Schadensersatzhaftung der bei Erdgasversorgungsstörungen als passivlegitimiert in Betracht kommenden Erdgasmarktbeteiligten gegenüber dem Erdgasendkunden sowie ihr Umfang nach dem allgemeinen Haftungsrecht1535 . Das ukrainische Energierecht enthält keine speziellen Anordnungen einer Schadensersatzhaftung im Erdgasversorgungsbereich. Es finden sich keine speziellen Regelungen der Haftungsprivilegierung, die insoweit aufgrund des allgemeinen Haftungsrechts bestehende Schadensersatzansprüche des Erdgasendkunden beschränken oder sogar ausschließen würden. Die Haftung auf Schadensersatz wegen Unregelmäßigkeiten bzw. Unterbrechungen in der Erdgasversorgung ergibt sich aus Vertrag und Gesetz1536 . Allgemeine Regelungen über die Rechtsfolgen der Verletzung einer vertraglichen Verbindlichkeit sind im Kapitel 51 des ukrainischen ZGB (Artt. 611 – 624) enthalten. Zu beachten sind weiterhin Spezialvorschriften zum Schadensersatz, die das ZGB für bestimmte Vertragstypen enthält, etwa Artt. 698 Abs. 5, 711 ZGB (Einzelkaufvertrag), Art. 858 ZGB (Werkvertrag) und Art. 906 ZGB (Dienst(leistungs)vertrag)1537 . Die außervertragliche Haftung ist überwiegend in den Artt. 1166 bis 1211-1 ZGB (Kapitel 82 „Ersatz von Schaden“) geregelt1538 . Auch verschiedene Spezialgesetze sehen die zivilrechtliche Haftung

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Zum Begriff des Rechtsaktes im ukrainischen Recht s. bereits Fn. 1227, S. 255 f. Vgl. zur alten Rechtslage Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 156 f. Vgl. Mazur, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 200. Bei Versorgungsstörungen stehen dem Gläubiger auch weitere Rechtsbehelfe des Kaufund Werkvertragsrechts, wie Nacherfüllug, Minderung sowie Rücktritt, zur Verfügung. Das Verhältnis dieser Rechtsbehelfe zueinander sowie zu den schadensersatzrechtlichen Vorschriften ist gesetzlich nicht geregelt. Das ZGB der Ukraine sieht weder unmittelbar noch mittelbar einen Vorrang der Nacherfüllung vor. Die ukrainische Literatur verhält sich bezüglich (möglicher) Hierarchisierung der Gewährleistungsbehelfe überwiegend passiv. Die Rechtsprechung lässt auch keine klare Linie dafür erkennen. Sie erweckt jedenfalls den Anschein, dass kein Rangverhältnis zwischen den bei Versorgungsstörungen in Betracht kommenden Rechtsbehelfen existiert und dass der Gläubiger Schadensersatz nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht in Verbindung mit den speziellen Rechtsbehelfen des Kauf- und Werkvertragsrechts verlangen kann. Vgl. beispielsweise Verfügung des OWirtschG v. 17.05.2007 Reg.-Nr. 17/674-05; Verfügung des OWirtschG v. 22.04.2010 Reg.-Nr. 14/124; Urteil des WirtschG der Stadt Kiew v. 15.01.2009 Reg.-Nr. 31/297. Das Kapitel 82 des ZGB unterteilt sich wiederum in drei folgende Unterkapitel: § 1 „Allgemeine Bestimmungen über den Ersatz von Schaden“ (Artt. 1166 – 1194), § 2 „Ersatz von Schaden, der der Gesundheit oder dem Leben einer Person zugefügt wurde“

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_8

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

für unerlaubte Handlungen vor. Von Bedeutung sind dabei insbesondere das ProdHaftG sowie das VerbrSchG. Nicht verkannt werden darf schließlich, dass das WGB eigene Regelungen über Schadensersatz enthält (Kapitel 25 „Ersatz von Schaden im Wirtschaftsbereich“, Artt. 224 – 229), die sich für die schädigenden Erdgasmarktbeteiligten gegebenenfalls auswirken können 1539 . Die wirtschaftliche Schadensersatzhaftung greift vielmehr, wenn die Verletzung einer (vertraglichen oder aber auch gesetzlichen) wirtschaftlichen Verpflichtung i. S. d. Art. 173 Abs. 1 WGB bzw. einer Anforderung an die ordnungsgemäße Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit vorliegt (vgl. Art. 224 Abs. 1 WGB)1540 . Diese verschiedenen vertraglichen und gesetzlichen Haftungstatbestände (sowohl inner- als auch außerhalb des ukrainischen ZGB) lassen sich weiterhin in verschuldensabhängige und verschuldensunabhängige Haftung unterteilen. A.

Verhältnis zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung im ukrainischen Recht

Bevor die einzelnen Anspruchsgrundlagen dargestellt und deren Voraussetzungen erläutert werden, ist das Verhältnis zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung im geltenden ukrainischen Recht aufzuzeigen. Der Frage, welche (vertragliche oder außervertragliche) Haftung im konkreten Fall der Erdgasversorgungsstörung vorliegt, kommt (auch wenn nur teilweise) große Bedeutung zu, da sich diese Haftungsordnungen in Voraussetzungen und Rechtsfolgen unter Umständen voneinander deutlich unterscheiden. Im ukrainischen Recht ist die Konkurrenz zwischen Vetrag und Delikt ganz anders als im deutschen Recht ausgestaltet. In der Ukraine gilt das Ausschließlichkeitsprinzip (ähnlich dem sogenannten „non-cumul“-Grundsatz im französischen Recht1541 ). Danach können vertragliche und deliktische Ansprüche nicht kumuliert werden1542 . Die vertragliche Haftung verdrängt vielmehr die

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(Artt. 1195 – 1208) und § 3 „Ersatz von Schaden, der durch Mängel an Waren, Arbeiten (Dienstleistungen) verursacht wurde“ (Artt. 1209 – 1211-1). Zum Anwendungsbereich des WGB s. bereits Teil II § 6 B II 3, S. 273 ff. Grudnyc´ka/Grudnyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine], Art. 224 S. 267 f. Vgl. Cass. Civ. D.P. 1936.1.88, Gaz.Pal. 1936.2.41; s. auch Martine, L´option entre la responsabilité contractuelle et la responsabilité délictuelle, S. 57 a. E.; vgl. Graff, European Review of Private Law 4/2017, 701 (708 ff.). Schlussfolgerungen des OG der Ukraine, die in Gerichtsbeschlüssen niedergelegt sind, die im ersten Halbjahr des Jahres 2014 nach den Ergebnissen der Durchsicht von Anträgen auf die Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen auf der Grundlage des Art. 355 Abs. 1 S. 1 ZPGB gefasst worden sind, Schreiben v. 01.07.2014, Zakon i bisnes 2014, 08, 02, N 31; Borysova, Cyvil´ne pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 366 f.; Dzera/Kuznje-

§ 8 Haftungsgrundlagen

361

deliktische Haftung dahingehend, dass, soweit ein vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz geltend gemacht werden kann, die gleichzeitige Anwendung der deliktischen Haftungsregeln in derselben Sache bzw. im Hinblick auf dasselbe Interesse ausgeschlossen ist1543 . Die vertragliche Haftung kommt dann in Betracht, wenn ein Vertrag zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten besteht und der zu ersetzende Schaden infolge der schuldhaften Verletzung einer auf die Erfüllung einer vertraglichen Verbindlichkeit gerichteten Pflicht 1544 entstanden ist 1545 . Die Vorschriften der deliktischen Haftung werden hingegen unabhängig von rechtlichen Sonderverbindungen angewendet1546 . Deliktisch gehaftet werden kann nach ukrainischem Recht auch bei Vorliegen einer vertraglichen Beziehung zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten1547 , jedoch nur unter der Bedingung, dass der zugefügte Schaden aus anderen Gründen als durch die vertragliche Verbindlichkeitsverletzung (in Form von Nicht- oder Schlechterfüllung) verursacht worden ist1548 . Für die Abgrenzung von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen stellt die ukrainische Lehre weiterhin auf das verletzte Rechtsgut (bzw. Interesse) ab1549 . Werden ein materielles Rechtsgut (das Vermögen)1550 , welches keinen

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cova/Luc´/Otradnova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1166 S. 899. Vgl. hierzu Bodnar/Dzera/Kuznjecova/Dzera, Dogovirne pravo Ukrajiny. Osoblyva častyna [Vertragsrecht der Ukraine. BT], S. 1127 f.; Svystun, NVPtPP 2015/1, 28 (30). Es handelt sich dabei um Pflichten, die durch Gesetz für den bestimmten Vertragstyp statuiert und/oder ausdrücklich durch Vertrag vereinbart sind. Die dem deutschen Recht bekannte Ausweitung der vertraglichen Schuldverhältnisse und somit der vertraglichen Haftung durch die Konstruktion (ergänzender) vertragsbegleitender Neben- und Schutzpflichten, die auf den Schutz des Geschädigten vor Sach- und Personenschäden ausgerichtet sich, erfolgt im ukrainischen Recht nicht. Vgl. zum verwandten russischen Recht Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 89. Vgl. Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 91 f.; Mazur, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 200. Informationsbrief des OWirtschG über die Ergänzung des Informationsbriefes des OWirtschG v. 15.03.2011 N01-06/249 betreffend die Verfügungen des OG, die nach den Ergebnissen der Überprüfung von Entscheidungen der Wirtschaftsgerichte gefasst worden sind, v. 20.10.2015 Nr. 01-06/1837/15; Kharitonov/Startsev, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], Kyjiv 2007, 2. Aufl., S. 451 f. Gryn´ko, Pryvatne pravo i pidpryjemnyctvo 2009, Nr. 8, 169 (172). Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 479, 487 ff.; vgl. zum russischen Recht Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 89. Vgl. aber Svystun, NVPtPP 2015/1, 28 (30), der die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der vertraglichen und deliktischen Schadensersatzhaftung ausschließlich vom Bestehen des vertraglichen Schuldverhältnisses abhängig macht. Im ukrainischen Deliktsrecht sind materielle Schäden weit zu verstehen, so dass darunter auch primäre Vermögensschäden fallen. Primäre Vermögensschäden stellen in der

362

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Gegenstand des betroffenen Vertrages darstellt, oder ein immaterielles Rechtsgut (die Person)1551 des Geschädigten verletzt, sind die Regeln über die deliktische Haftung anzuwenden 1552 . Daraus lässt sich schlussfolgern, dass nachteilige Entwicklungen durch fehlerhaftes Verhalten des Schädigers für das (positive oder negative) Vertragsinteresse des Gläubigers nach der in der Literatur entwickelten Lösung dem Haftungsregime des (allgemeinen bzw. besonderen) Leistungsstörungsrechts unterstehen. Nachteilige Entwicklungen durch fehlerhaftes Verhalten des Schädigers für das außervertragliche Interesse1553 des Gläubigers unterstehen dementsprechend dem Haftungsregime des Deliktsrechts, es sei denn, sein Schutz ist Gegenstand einer Leistungspflicht bzw. ausdrücklich im Vertrag vorgesehen1554 . Dies sei insbesondere durch die Regelung des Art. 1196 ZGB bestätigt1555 . Art. 1196 ZGB schreibt vor, dass Personenschäden, die einer natürlichen Person bei der Erfüllung der vertraglichen Pflichten entstehen, nur nach deliktischen Ansprüchen (Artt. 1166 und 1187 ZGB) zu ersetzen sind. In dieser Hinsicht ist auch Art. 711 ZGB zu erwähnen. Danach muss ein Schaden, welcher durch einen Mangel der Kaufsache am Vermögen sowie der Person des Käufers entstanden ist, nach dem Deliktsrecht kompensiert werden1556 .

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Rechtsordnung der Ukraine keine selbständige Schadenskategorie dar. Näher dazu Teil II § 8 B I 1 a), S. 367 f. In der Literatur wird vertreten, dass die Personenschäden stets nach den deliktischen Haftungsregeln zu ersetzen sind. Denn die Personen können keine Objekte des Rechts (nur seine Subjekte) und daher keine Gegenstände des Vertrages sein. S. dazu Shevchenko/Eremenko, Evoljucija cyvil´nogo zakonodavstva Ukrajiny: problemy teoriji i praktyky [Evolution der ukrainischen Zivilgesetzgebung: Probleme in der Theorie und Praxis], S. 144 ff.; Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Syrotenko, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 412. Diese Auffassung überzeugt aber nicht z. B. im Hinblick auf Behandlungs- oder Personenschutzverträge. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1209 S. 965. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich dieses außervertragliche Interesse im ukrainischen Recht bei der Schadensbeseitigung nicht nur auf den Erhalt bestehender Rechte und Rechtsgüter, sondern auch auf den Schutz tatsächlich zu erwartender Vermögensvorteile beziehen kann. Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Syrotenko, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 410 ff. Vgl. Us, NVUNU 2015, Reihe „Recht“, Nr. 34, Vol. 1, 120 (122 ff.); SpasyboFatjejeva/Us, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1196 S. 302 ff. Art. 711 ZGB scheint – zumindest der Auffassung der Lehre folgend – bloß klarstellenden Charakter zu haben und soll nur die Abgrenzung von vertraglichen und deliktischen Schuldverhältnissen konkretisieren. Für Mangelfolgeschäden gilt in der ukrainischen Rechtsordnung nicht die mangelhafte Leistung, sondern vielmehr der Verstoß gegen das neminem laedere Prinzip als kausal. Vgl. Us, NVUNU 2015, Reihe „Recht“, Nr. 34, Vol. 1, 120 (121). Die daraus resultierenden Nachteile des geschädigten Vertragspart-

§ 8 Haftungsgrundlagen

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Nach einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung ist jedoch das ukrainische Deliktsrecht nur anwendbar, wenn zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten keine Vertragsbeziehung besteht oder keine ausdrücklich vertraglich bzw. gesetzlich für die betroffene Vertragsart vorgesehene Pflicht verletzt worden ist1557 . Dem verletzten Rechtsgut (bzw. Interesse) des Geschädigten wird dabei darüber hinaus – im Gegensatz zur Lehre – durch die ukrainischen Gerichte keine entscheidende Bedeutung zugemessen. Diese Lösung gelangt aber grundsätzlich zu keinem anderen Ergebnis wie die von der Lehre entwickelten Abgrenzungskriterien. B.

Der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur als Passivlegitimierter

Für Schäden, die der Letztverbraucher durch Störungen im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung erleidet, können sowohl der Erdgasförderer als auch der Erdgasimporteur auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, allerdings wohl nur ausnahmsweise. Deren zivilrechtliche Einstandspflicht wird dabei vor allem auf außervertragliche Anspruchsgrundlagen gestützt. Insbesondere kommen die Haftungsnormen des ZGB über die deliktische Haftung (Artt. 1166 ff.), des ProdHaftG sowie des VerbrSchG in Betracht. Denkbar ist außerdem die Anwendung des Art. 224 Abs. 1 WGB.

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ners gehören nicht mehr zum Schutzbereich des Vertrages und unterliegen daher nicht dem vertraglichen Haftungsrecht. Vgl. Kossak/Javors´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 711 S. 588. Das Deliktsrecht käme insoweit ohnehin zur Anwendung. Insbesondere entspricht diese Auslegung gerade dem Konzept des aktuell geltenden Produkthaftungsrechts, wonach einem Geschädigten gegenüber dem Hersteller unmittelbar auf dem Gesetz beruhende Haftungsansprüche wegen Schäden aufgrund von Produktfehlern mit oder ohne Vertrag zustehen muss, ohne dass es ihm jemals möglich wäre, sich von der Haftung durch vertraglich festgelegte günstigere Bedingungen zu entlasten. Damit sollen mit Blick auf den Grundsatz des Ausschlusses der Anspruchskonkurrenz von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen ein angemessener und effektiver Schutz des Integritätsinteresses des Geschädigten sowie eine gleiche Behandlung potenzieller Opfer, die in Kontakt mit gefährlichen Produkten gelangen und Schäden erleiden, gewährleistet werden. Verfügung des OG v. 27.04.2016 Reg.-Nr. 6-261цс16; Verfügung des OWirtschG v. 19.11.2014 Reg.-Nr. 917/2572/13; Verfügung des OWirtschG v. 13.07.2010 Reg.Nr. 27/08-10; Verfügung des OWirtschG v. 23.10.2007 Reg.-Nr. 31/94-07-1490; s. auch Schlussfolgerungen des OG der Ukraine, die in Gerichtsbeschlüssen niedergelegt sind, die im ersten Halbjahr des Jahres 2015 nach den Ergebnissen der Durchsicht von Anträgen auf die Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen auf der Grundlage des Art. 111-16 Abs. 1 S. 1, 2 WPGB gefasst worden sind, Schreiben v. 01.01.2016, WWSU 2016, 00, N 02; anders aber Urteil des Zhovtnevyj BezirkG der Stadt Kharkiv v. 10.05.2018 Reg.-Nr. 639/7642/17; Urteil des Kramators´kyj StadtG des Donetsk Gebietes v. 06.11.2012 Reg.-Nr. 2/0528/3923/2012.

364

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Soweit hingegen zwischen dem Letztverbraucher und dem Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur eine vertragliche Beziehung über die Erdgaslieferung besteht, ist eine Haftung aus Vertrag vorrangig in den Blick zu nehmen. Zu berücksichtigen ist gleichwohl, dass der Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur die Letztverbraucher ausschließlich aufgrund der Lieferantengenehmigung mit Erdgas beliefern darf. Die vertragliche Haftung gegenüber Erdgasendkunden kann ihn folglich nur in seiner Eigenschaft als Lieferant i. S. d. Art. 1 Nr. 27 ErdgasMarktG treffen. Da die Haftung des Erdgaslieferanten für Versorgungsstörungen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung einer eigenständigen Würdigung zugeführt wird, ist an dieser Stelle auf eine Darstellung von Haftungsgrundlagen für vertragliche Schadensersatzansprüche des betroffenen Letztverbrauchers zu verzichten. Es sei auf die entsprechenden Ausführungen im betreffenden Abschnitt (Teil II § 8 B) verwiesen. I.

Deliktische Haftung

Im ukrainischen Recht stellt die deliktische Haftung einen Unterfall der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung dar und ist für den Schädiger in der Regel zwingend, d. h. sie kann durch eine vertragliche Vereinbarung nicht geändert oder abgedungen werden1558 . Die Schadensersatzpflicht aus Delikt wird im ZGB durch einen umfassenden Grundtatbestand, der die allgemeinen Voraussetzungen der Schadenshaftung vorschreibt1559 , und Spezialtatbestände, die wiederum als leges speciales zu den Normen des Grundtatbestands gelten1560 , geregelt. Die Grundnorm der Deliktshaftung ist Art. 1166 Abs. 1 ZGB. Danach ist Vermögensschaden1561 , der durch eine rechtswidrige Entscheidung, Handlung oder Unterlassung an immateriellen Rechtsgütern1562 einer natürlichen oder juristischen Person1563 sowie deren Vermögen eintritt, in voller Höhe zu ersetzen1564 . Die ganz herrschende Lehre in der Ukraine geht dabei von einer Ge1558

1559 1560 1561

1562

1563

1564

Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 410. Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 281. Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 483. Der Ersatz des immateriellen Schadens (z. B. ein körperliches oder auch seelisches Leid) ist in Art. 1167 Abs. 1 ZGB geregelt. Ein Schaden an einem immateriellen Gut (Leben, Gesundheit, körperliche Integrität, guter Ruf, geschäftliches Ansehen etc.) darf nicht mit dem in Art. 1167 Abs. 1 ZGB geregelten immateriellen Schaden verwechselt werden. Anders aber im verwandten russichen Recht. Nach Art. 1064 Abs. 1 S. 1 ZGB Russlands wird z. B. bei juristischen Personen nur deren Vermögen geschützt. Ein Schaden nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB ist ein Vermögensschaden und darf mit einem immateriellen Schaden im Sinne des Art. 23 Abs. 2 ZGB nicht verwechselt werden. S. näher dazu Kanzafarova, Visnyk ONU 2009, Bd. 14, Nr. 1, 24 (28 f.).

§ 8 Haftungsgrundlagen

365

neralklausel aus1565 . Das Wesen der Generalklausel ist hierin zu erkennen: Der schuldhaft zugefügte Schaden löst unabhängig von der Person des Schädigers und Geschädigten sowie der Art des verletzten Schutzgutes die Verpflichtung zum Ersatz aus1566 . Art. 1166 Abs. 1 ZGB dient als Auffangtatbestand, wenn ein Tatbestand nicht durch die Normen der Spezialtatbestände gedeckt ist. Da der Grundtatbestand sehr offen gestaltet ist, sind seine Merkmale konkretisierungsbedürftig und flexibel, was den ukrainischen Gerichten einen gewissen Wertungsspielraum einräumt. Im Hinblick auf eine unentwickelte Auslegungskultur des ukrainischen Rechts sowie „eine sehr formalistische Vorgehensweise“1567 der ukrainischen Rechtsprechung birgt dies allerdings gewisse Gefahren nicht im Voraus berechenbarer Entscheidungen oder reiner Billigkeitsentscheidungen und damit der mangelnden Rechtssicherheit1568 . Art. 1166 Abs. 1 ZGB kommt erst dann zur Anwendung, wenn die Voraussetzungen der einschlägigen Spezialdelikte nicht erfüllt sind1569 . Für Fragen der außervertraglichen Haftung des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs kann insbesondere Art. 1187 Abs. 2 ZGB (Haftung für Quellen erhöhter Gefahr) von (auch wenn nur eingeschränkter) Bedeutung sein. Diese Vorschrift begründet zwar eine Schadensersatzpflicht ohne Verschulden und nimmt insofern Abstand vom Verschuldensprinzip, durch welches der Grundtatbestand des Art. 1166 Abs. 1 ZGB gekennzeichnet ist1570 . Sie ist dennoch als Spezialdelikt zu qualifizieren, nicht als weiterer Grundtatbestand neben Art. 1166 Abs. 1 ZGB (wohl aber als Grundtatbestand im Verhältnis zu bestimmten Vorschriften in Spezialgesetzen, die eine Gefährdungshaftung für 1565

1566

1567 1568

1569

1570

Dzera/Kuznjecova/Luc´/Otradnova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1166 S. 899; Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 412; Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 483; Mazur, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 351; Janovytska/Kučer, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 417; Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 281; vgl. zur russischen Grundnorm der deliktischen Haftung im rechtsvergleichenden Kontext Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 75 ff. Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 412; Janovytska/Kučer, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 417; Kharytonov/Golubjeva, Zobov´jazal´ne pravo Ukrajiny [Schuldrecht der Ukraine], S. 754; s. auch Verfügung des Odes´kyj BerufWirtschG v. 20.08.2014 Reg.-Nr. 916/918/13. Vgl. dazu Heim, Mobiliarsicherheiten nach ukrainischem Recht, S. 4 f. Zu Gefahren bei der Verwendung von Generalklauseln s. Hedemann, Generalklauseln (1933), Diederichsen, Flucht des Gesetzgebers (1974). Kivalova, Jurydyčnyj visnyk 2011/1, 40 (42); Golubjeva, Naukovi praci NU OJA 2015, 71 (74). Vgl. Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 483.

366

Teil II Rechtslage in der Ukraine

bestimmte Gefahrenquellen begründen)1571 . Da für die Entstehung eines deliktischen Anspruchs die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 1166 Abs. 1 ZGB grundsätzlich erfüllt werden müssen und die speziellen deliktsrechtlichen Normen diese lediglich modifizieren bzw. ergänzen, ist im Folgenden zur besseren Übersichtlichkeit zunächst auf die Haftungsgrundlage des Art. 1166 Abs. 1 ZGB einzugehen. Zu Spezialdelikten zählt weiterhin Art. 1209 ZGB für die Regelung der Produkthaftung. Die Vorschrift kommt zur Anwendung, wenn Schäden infolge von Mängeln an Waren, Arbeiten und Dienstleistungen entstanden sind, wie es sich bereits aus ihrer Überschrift ergibt. Mit der umfassenden Reformierung des ukrainischen Produkthaftungsrechts im Jahre 2011 wurde sie allerdings neu gefasst. Der Gesetzgeber unterscheidet nunmehr zwischen unbeweglichen und beweglichen Waren. Die deliktische Haftung für bewegliche Waren, die auch Teile anderer beweglicher Sachen oder unbeweglicher Sachen bilden können und worunter auch Erdgas subsumiert werden kann, ist in Art. 1209 Abs. 3 ZGB geregelt. Die genannte Norm hat aber keine selbstständige Bedeutung. Sie stellt keine eigentliche Anspruchsgrundlage dar, sondern verweist bloß auf das am 19. Mai 2011 in Kraft getretene ProdHaftG1572 . Dabei handelt es sich um eine bloße (Blankett-)Verweisungsnorm1573 , die erst durch die Vorschriften des ProdHaftG inhaltlich ausgefüllt wird und ohne diese Ausfüllung inhaltsleer und substanzlos wäre1574 . Die Voraussetzungen und der Umfang der außervertraglichen Haftung für Mängel an beweglichen Sachen richten sich daher nach den Vorschriften des ProdHaftG und werden nachfolgend im Rahmen eines eigenständigen Abschnitts behandelt1575 . 1.

Allgemeine deliktische Haftung (Art. 1166 Abs. 1 ZGB)

Die Haftung eines Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteurs gegenüber vertragsfremden Erdgasverbrauchern nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB bei Versorgungsstörungen setzt ein rechtswidriges Verhalten, den tatsächlich entstandenen 1571

1572

1573 1574

1575

Zutreffend auch für das ukrainische Deliktsrecht Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 81. Art. 1209 Abs. 3 ZGB enthält keine konkrete Gesetzesangabe, schreibt lediglich vor, dass sich die Haftung für Schäden infolge von Mängeln an beweglichen Sachen nach Gesetz richtet. Erst aus den Schlussbestimmungen des ProdHaftG (Art. 12 Abs. 3 Nr. 1) ergibt sich, dass der Gesetzgeber unter dem Gesetz in Art. 1209 Abs. 3 ZGB nämlich das ProdHaftG gemeint hat. Kritisch Jegorycheva, Jurydyčna Ukrajina 2013, Nr. 1, 67 (71). So auch Jegorycheva, Jurydyčna Ukrajina 2013, Nr. 1, 67 (71). Vgl. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1209 S. 964, Art. 12111 S. 976 ff. S. dazu Teil II § 8 B IV, S. 393 ff.

§ 8 Haftungsgrundlagen

367

Schaden, den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten und dem Schaden sowie das Verschulden des Handelnden voraus1576 . Das Erfordernis der Rechtswidrigkeit ist zwar in Art. 1166 Abs. 1 ZGB ausdrücklich genannt und ergibt sich überdies im Umkehrschluss aus Art. 1166 Abs. 4 ZGB, wonach die Ersatzpflicht für rechtmäßig verursachte Schäden nur in gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen begründet werden kann1577 . Als echtes Tatbestandsmerkmal wird jedoch die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung anerkannt. Sie wird stets als Attribut des Merkmals der Handlung behandelt. Es gilt zudem zu beachten, dass die ukrainische Rechtswissenschaft und Rechtsprechung grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen der Tatbestandsseite und der Rechtsfolgenseite kennt1578 . Die Differenzierung zwischen der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität wird daher nicht bzw. nicht ausdrücklich vorgenommen. Nur einzelne Stimmen verlangen in bestimmten Fällen das Vorliegen mehrerer Kausalitäten1579 . Ein Ursachenzusammenhang muss beispielsweise zwischen der Handlung des Schädigers und der Gesundheitsschädigung des Geschädigten einerseits und zwischen der Gesundheitsschädigung des Geschädigten und den von ihm geltend gemachten Vermögensschäden andererseits bestehen. In der ukrainischen Rechtsprechung wird hingegen die Notwendigkeit der Unterscheidung mehrerer Kausalitäten nicht erkannt bzw. nicht angesprochen. a)

Schaden („škoda“)

Für das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB gegen den Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur ist zunächst die Zufügung eines (materiellen) Schadens an der Person und/oder dem Vermögen seines anspruchstellenden Kunden – einer natürlichen bzw. juristischen Person – erforderlich. Unter dem Schaden ist dabei jede nachteilige Änderung im Vermögen des Geschädigten infolge Beeinträchtigung seiner Vermögensrechte und/oder Rechtsverletzung an seinem immateriellen Gut zu verstehen 1580 . 1576

1577 1578

1579

1580

Dzera/Kuznjecova/Luc´/Otradnova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1166 S. 899; Verfügung des OG v. 22.12.2013 Reg.-Nr. 3-72гс12. Vgl. Golubeva, Naukovi praci NU OJA 2015, 71 (77 f.). Dies gilt auch für das russische Recht, s. Drujinina, Die Entwicklung des Russischen Haftungsrechts, S. 93; Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 153 f. Mazur, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 353; Kanzafarova, Visnyk ONU 2009, Bd. 14, Nr. 1, 24 (31 f.); so wohl auch Janovytska/Kučer, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 417. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Otradnova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine],

368

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Art. 1166 Abs. 1 ZGB schützt mithin immaterielle Rechtsgüter und das Vermögen sowohl natürlicher als auch juristischer Personen, definiert diese allerdings nicht näher. Daher sind bei der Ermittlung der einzelnen deliktisch geschützten Rechtsgüter weiterhin die allgemeinen Vorschriften des ZGB heranzuziehen. So enthält Art. 201 Abs. 1 ZGB einen Katalog immaterieller Rechtsgüter, zu welchen insbesondere Leben, Gesundheit, Würde, Ehre, der gute Ruf eines Menschen sowie andere durch die Zivilgesetzgebung geschützte Güter gehören1581 . Der Katalog ist aber nicht abschließend. Er enthält lediglich eine beispielhafte Aufzählung der wichtigsten Nichtvermögensgüter einer natürlichen Person. Was unter den Begriff der immateriellen Rechtsgüter einer juristischen Person zu subsumieren ist, ergibt sich aus Art. 94 ZGB. Das sind unter anderem das Recht auf Unantastbarkeit des geschäftlichen Ansehens, auf Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses, auf Information etc.1582 . Für die Untersuchung der deliktischen Haftung des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs besitzen die immateriellen Rechtsgüter einer juristischen Person allerdings keine Relevanz. In Betracht kommen an dieser Stelle eher Verletzungen von Leben, Leib und Gesundheit, etwa durch Brand, Explosion oder Vergiftung infolge der Einspeisung des mangelhaften Erdgases oder durch den Ausfall der Erdgaszufuhr. Eine allgemeine Definition des Begriffs „Vermögen“ (majno) lässt das ukrainische ZGB auch nicht vermissen. Sie findet sich in Art. 190 Abs. 1 ZGB. Als Vermögen i. S. d. Art. 190 Abs. 1 ZGB gelten einzelne Sachen, Sachgesamtheiten sowie die vermögenswerten Rechte und Pflichten. Daraus ergibt sich, dass Vermögensschäden nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB nicht nur in der Verletzung des Eigentums und eigentumsähnlicher Rechte, sondern auch in der Schädigung reiner Vermögensrechte (etwa als entgangener Gewinn), ohne dass dabei eine gleichzeitige Verletzung sonstiger – absoluter – Rechtsgüter verlangt wird1583 , liegen1584 . Diese Auslegung findet ihre Stütze im Verständnis des Art. 1166 Abs. 1 ZGB als Generalklausel sowie im Grundsatz des Ausschlusses der Anspruchskonkurrenz von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen. Festzuhalten bleibt daher, dass der schädigende Erdgasförderer

1581 1582 1583

1584

Bd. 2, Art. 1166 S. 899 f.; Golubeva, Naukovi praci NU OJA 2015, 71 (75); s. auch Urteil des WirtschG des Saporishshja Gebietes v. 16.01.2017 Reg.-Nr. 908/2948/16. Vgl. Kanzafarova, Visnyk ONU 2009, Bd. 14, Nr. 1, 24 (28). Vgl. Kanzafarova, Visnyk ONU 2009, Bd. 14, Nr. 1, 24 (28 f.). S. Kossak/Janovyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 1166 S. 869. Verfügung des OG v. 14.06.2017 Reg.-Nr. 3-463гс17; Verfügung des OWirtschG v. 17.12.2012 Reg.-Nr. 12/5026/339/2012; Urteil des OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 11.12.2012 Reg.-Nr. 6-7889св11.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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bzw. -importeur sowohl Schäden an Sachwerten (etwa Heizanlagen, Häusern, Produktion etc.) als auch primäre Vermögensschäden (etwa Ausfall eines künftigen Verdienstes des Erdgaskunden durch einen erzwungenen Stillstand seines Betriebs) im Rahmen der allgemeinen deliktischen Haftung zu ersetzen hat. In der Praxis wird der Erdgasendkunde gleichwohl selten durch das schuldhaft rechtswidrige Verhalten des Erdgasförderers oder des Erdgasimporteurs zu Schaden kommen. Denn ein drohender Schaden kann in der Regel dadurch abgewendet (oder zumindest vermindert) werden, dass der Netzbetreiber und der Erdgaslieferant ihren auf die Erdgasversorgungssicherheit ausgerichteten Pflichten nachkommen. b)

Rechtswidriges Verhalten („protypravna povedinka“)

Der in Anspruch genommene Erdgasförderer bzw. -importeur muss weiterhin den Schaden infolge seines rechtswidrigen Verhaltens zugefügt haben. Das haftungsbegründende Verhalten kann sich in aktiver (Tun) oder passiver (Unterlassen 1585 ) Form äußern 1586 . Ein Unterlassen wird allerdings im ukrainischen Recht nur dann als haftungsrechtlich relevant gewertet, wenn eine Rechtspflicht zur Vornahme einer bestimmten, rechtlich geforderten Handlung bestand1587 . Eine solche Rechtspflicht kann sich dabei aus Gesetz oder Treu und Glauben ergeben. Für die deliktische Haftung des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs wird in der Regel gerade das Unterlassen (durch erdgaswirtschaftsrechtliche Rechtsakte vorgesehener Handlungen) von Bedeutung sein. Folgend hat die Rechtswidrigkeit des für den Schaden ursächlichen Verhaltens vorzuliegen. Eine Auffassung1588 orientiert sich an dem Prinzip des Generaldelikts und bejaht die Rechtswidrigkeit einer Handlung bereits bei je1585

1586

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1588

In der Literatur wird teilweise auf den Begriff des Unterlassens verzichtet und stattdessen von einer passiven Handlung gesprochen, um den Willenscharakter einer Unterlassungstat zu betonen. Vgl. Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 417. Der Gesetzgeber unterscheidet zwar zwischen einer rechtswidrigen Entscheidung, Handlung oder Unterlassung. Die Entscheidung im Sinne des Art. 1166 ZGB ist allerdings eine besondere Handlungsform der öffentlichen Hand (vgl. Art. 1173 ff. ZGB (Staatshaftung) und kann unter den (Ober-)Begriff aktiven Tuns subsumiert werden. S. dazu Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 493 f. Vgl. Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 417; Golubeva, Naukovi praci NU OJA 2015, 71 (78). Mazur, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 351 f.; Golubeva, Naukovi praci NU OJA 2015, 71 (78); Otradnova, Pravo i gromadyans´ke suspil´stvo 2015, Nr. 1, 33 (33 f.); Verfügung des OWirtschG v. 08.07.2008 Reg.-Nr. 11/34.

370

Teil II Rechtslage in der Ukraine

der Schadenszufügung als Verstoß gegen das Gebot des neminem laedere, es sei denn, dass sich der Schädiger rechtfertigen kann1589 . Die Rechtswidrigkeit liegt danach in der Verletzung eines subjektiven Rechts1590 . Nach heute in der Ukraine vorherrschender Meinung1591 sind aber für die Annahme eines rechtswidrigen Verhaltens der Verstoß gegen Normen des objektiven Rechts (unabhängig von ihrer rechtlichen Ausgestaltung, also auch gegen Gewohnheitsrecht) sowie die Verletzung von subjektiven Rechten einer konkreten Person erforderlich1592 , um (vermutlich) auf diese Weise keine übermäßige Ausweitung der deliktischen Schadensersatzhaftung zuzulassen. Die Rechtswidrigkeit ist demnach begründet, wenn ein Verhalten gegen die Gebote der Rechtsordnung verstößt und gleichzeitig einen Schaden verursacht1593 . Beispiele rechtswidrigen Verhaltens des Erdgasförderers und Erdgasimporteurs können sein: die Nichteinhaltung der energierechtlichen Qualitätsund Sicherheitsvorgaben beim Inverkehrbringen von Erdgas durch die Einspeisung ins GTS, die Nichtweitergabe erforderlicher Informationen über das Produkt „Erdgas“ oder die Unterbrechung der Erdgaseinspeisung. Wichtig ist dabei anzumerken, dass sich Umfang und Ausmaß ihres rechtlich gebotenen Verhaltens nach den jeweils übernommenen Aufgaben richten müssen. Das heißt, dass der Importeur den Verstoß ausschließlich gegen die spezifischen Importeur-Rechtspflichten zu veranworten hat und das Unterlassen der spezifischen Erdgasförderer-Rechtspflichten kein rechtswidriges Verhalten des Importeurs begründen kann. Eine – dem VerbrSchG und dem ProdHaftG bekannte – Übertragung der weitgehenden herstellerspezifischen Rechtspflichten auf den Importeur (sowie auf den Lieferanten) ist im Rahmen der allgemeinen deliktischen Haftung unzumutbar. 1589 1590

1591

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Vergleichbar mit der Lehre vom Erfolgsunrecht im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB. Vgl. Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 154 f.; Drujinina, Die Entwicklung des Russischen Haftungsrechts, S. 98. Urteil des OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 20.04.2016 Reg.-Nr. 6-1648ск16; Verfügung des OWirtschG v. 14.03.2012 Reg.-Nr. 12/13/2257; Verfügung des OWirtschG v. 02.03.2011 Reg.-Nr. 1/71-09; Urteil des WirtschG des Kyjiv Gebietes v. 12.07.2010 Reg.-Nr. 21-101-10; Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 416; Janovytska/Kučer, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 417; Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 493; Liashevs´ka, Problemy zakonnosti 2014, Vol. 125, 110 (111); wohl auch Rymarchuk, VNULPURN 2016, Vol. 845, 308 (311); Mendyk, Prykarpats´kyj jurydyčnyj visnyk 2014, Vol. 2 (5), 113 (114). Diese Ansicht kombiniert Elemente der im deutschen Recht herrschenden Lehre vom Erfolgs- und Verhaltensunrecht. Spasybo-Fatjejeva/Kharytonov, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1166 Pkt. 5.4. S. 93.

§ 8 Haftungsgrundlagen

c)

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Kausalzusammenhang („pryčynnyj zv´jazok“)

Eine weitere notwendige Voraussetzung für die deliktische Haftung ist das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der rechtswidrigen Handlung und dem eingetretenen Schaden. Andernfalls ist die Schadensersatzpflicht nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB abzulehnen. Für die Beurteilung der Kausalität werden im ukrainischen Recht grundsätzlich zwei Theorien angewendet: Theorie der notwendigen und zufälligen Kausalität1594 sowie Theorie der direkten und mittelbaren Kausalität1595 . Nach der Theorie der notwendigen und zufälligen Kausalität liegt ein rechtlich relevanter Kausalzusammenhang zwischen einer Tatsache und einem Erfolg vor, wenn die Tatsache notwendig (und nicht bloß zufällig, d. h. fernliegend bzw. untypisch) den Verletzungserfolg herbeiführt1596 . Zu kritisieren ist insbesondere, dass die Ermittlung der Kausalität dabei auf die Wahrscheinlichkeit und Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts, die lediglich im Rahmen des Verschuldens von Bedeutung sind, gestützt wird1597 . Die Theorie der direkten und mittelbaren Kausalität bezweckt hingegen eine objektive Bestimmung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer rechtswidrigen Handlung des Schädigers und einem Schadenseintritt1598 . Sie besagt, dass nur die direkte Kausalität bei der Begründung der deliktischen Haftung immer zu berücksichtigen ist1599 . Die direkte Kausalität ist gegeben, wenn das konkrete schädigen-

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1598 1599

Vergleichbar mit der Lehre vom adäquaten Kausalzuammenhang im deutschen Recht. S. Borysova/Baranova/Syrotenko, Cyvil´ne pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 380 f. Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 418; Gryn´ko, UNZ 2010, Nr. 2 (34), 66 (76). Novickij/Lunc, Obščjeje učenije ob objazatel´stvah [Allgemeine Pflichtenlehre], S. 307 ff.; Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 418; Liashevs´ka, Problemy zakonnosti 2014, Vol. 125, 110 (113); s. auch Scheuerle, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Vol. 41, No. 2 (1954), 268 (268 ff.); vgl. Mazur, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 353; Golubeva, Naukovi praci NU OJA 2015, 71 (79). Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 147 f.; vgl. auch Dons´ka, Pryčynnyj zv´jazok u zyvil´nomu pravi Ukrajiny [Kausalität im Zivilrecht der Ukraine], S. 6 f.; Baybak, Vestnik VAS RF 2014, Nr. 6, 4 (6 f.); so aber in Verfügung des OWirtschG v. 28.09.2010 Reg.Nr. 5020-3/331; zu weiteren Kritikpunkten s. Petev, Sozialistisches Zivilrecht, S. 223 f. Vgl. Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 149 f. Sergejev/Tolstoj/Jegorov, Grağdanskoe pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 14; Bychkova/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 418; Spasybo-Fatjejeva/Kharytonov, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1166 S. 94 f.; von der direkten Kausalität ist z. B. die Rede in Urteil des OSpezialG für zivil- und straf-

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de Verhalten für den Verletzungserfolg unmittelbar ursächlich gewesen ist, d. h. zwischen der Tatsache und dem Erfolg keine Umstände bestehen dürfen, die Bedeutung für die Begründung der zivilrechtlichen Haftung hätten (z. B. rechtswidriges Verhalten Dritter, höhere Gewalt, Zufall) 1600 . Die mittelbare Kausalität ist mithin ausschließlich dann juristisch bedeutsam, wenn der Schädiger durch seine rechtswidrige Handlung eine Abweichung von den gewöhnlichen Resultaten der menschlichen Tätigkeit schafft und dies zum Schadenseintritt führt1601 . Die Entscheidung über das Bestehen eines juristisch relevanten Ursachenzusammenhangs zwischen der rechtswidrigen Handlung und dem Verletzungserfolg obliegt der ukrainischen Rechtssprechung, die sich allerdings diesbezüglich passiv verhält1602 . In Einzelentscheidungen wird zwar von einer notwendigen oder direkten Kausalität gesprochen1603 . Welche Lösungsansätze bzw. Kriterien dabei für deren Feststellung oder aber Ablehnung angewendet wurden, sind die Gerichte jedoch nicht näher eingegangen. Es ist jedefalls nicht ersichtlich, dass sich die Rechtsprechug einer der dargestellten Theorien angeschlossen oder weitere Methoden zur Ermittlung des Kausalzusammenhangs entwickelt hat. Dies hat zur Folge, dass in den meisten Fällen die Ursächlichkeit der rechtswidrigen Handlung des Schädiges für den eingetretenen Schaden aufgrund eines Sachverständigengutachtens festgestellt wird. Wenn der jeweilige Erdgasförderer oder Erdgasimporteur seinen produkthaftungsrechtlichen sowie herstellerspezifischen Pflichten nicht nachkommt und bei dem Erdgaskunden dadurch ein (Personen- oder Vermögens-) Schaden entsteht, kann die Kausalität angenommen werden. Der deliktische Anspruch wird jedoch regelmäßig daran scheitern, dass der Netzbetreiber (oder aber auch Erdgaslieferant) durch sein rechtswidriges Verhalten die vom Erdgasförderer bzw. vom Erdgasimporteur ausgelöste Kausalkette unterbricht und seine unerlaubte Handlung (Unterlassung) für die Schadenszufügung ent-

1600 1601

1602

1603

rechtliche Sachen v. 10.05.2017 Reg.-Nr. 753/23222/15-ц; Verfügung des OWirtschG v. 08.10.2008 Reg.-Nr. 20/25. Sergejev/Tolstoj/Jegorov, Grağdanskoe pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 556. Sergejev/Tolstoj/Jegorov, Grağdanskoe pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 556 f.; Bychkova/ Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht der Ukraine. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 418; Gryn´ko, UNZ 2010, Nr. 2 (34), 66 (70). Ähnliche Situation wie im russischen Recht, vgl. dazu Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 152. Urteil des OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 10.05.2017 Reg.-Nr. 753/23222/15-ц; Verfügung des OWirtschG v. 05.08.2011 Reg.-Nr. 33/297-10; Verfügung des OWirtschG v. 25.11.2009 Reg.-Nr. 7/62-09; Verfügung des OWirtschG v. 08.10.2008 Reg.-Nr. 20/25.

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scheidend ist1604 . Dies gilt insbesondere, wenn man die branchenspezifische Besonderheit der Leitungsgebundenheit der Erdgasversorgung und die Rolle des Netzbetreibers in der Versorgungssicherheit in Erwägung zieht. Die Konstellation, dass ein unteilbarer Schaden 1605 durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Zusammenwirken des Erdgasförderers (oder Erdgasimporteurs) und des Netzbetreibers verursacht wurde1606 , ist Gegenstand des Art. 1190 i. V. m. Artt. 543, 544 ZGB1607 . Danach haften alle Beteiligten gegenüber dem geschädigten Erdgasendkunden solidarisch (gesamtschuldnerisch). d)

Verschulden („vyna“)

Schließlich ist für die Schadensersatzpflicht des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB das Verschulden, welches sich auf sein Fehlverhalten bezieht, erforderlich. Das Verschulden wird dabei widerleglich vermutet (Art. 1166 Abs. 2, Art. 614 Abs. 2 ZGB). Gelingt dem Schädiger der Nachweis, dass der Schaden ohne sein Verschulden entstanden ist, so wird er von der Haftung befreit1608 . Unterschieden wird weiterhin zwischen zwei Formen des Verschuldens: Vorsatz und Fahrlässigkeit (vgl. Art. 614 Abs. 1 ZGB). Für die Begründung der Haftung des Schädigers spielt diese Unterscheidung keine Rolle, aber im Rahmen des Art. 1193 ZGB bei der Berücksichtigung des Mitverschuldens der verletzten Person. Vor Inkrafttreten des ZGB aus dem Jahr 2003 wurde im ukrainischen Zivilrecht in Übereinstimmung mit der sowjetischen Rechtslehre der strafrechtliche Verschuldensbegriff und somit ein subjektiver Maßstab des Verschuldens verwendet1609 . Unter Verschulden war eine subjektive psychologische Bezie1604

1605 1606

1607

1608 1609

Wann eine Unterbrechung des Kausal- oder Haftungszusammenhangs vorliegt, ist nach den Maßstäben des jeweiligen Einzelfalls (wertend) zu entscheiden. Die genannten Theorien bieten kaum eine eindeutige Lösung an. In Betracht kommen die Lösungsvorschläge russischer Rechtswissenschaftler, s. z. B. Suchanov/Korneev, Graždanskoje pravo [Zivilrecht], Bd. 2, S. 378; Sergejev/Tolstoj/Jegorov, Grağdanskoe pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 572. D. h., eine anteilige Haftung ist für den eingetretenen Schaden nicht denkbar. Darunter werden nach der ukrainischen Rechtsprechung sowohl die Fälle der Mittäterschaft, die ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken der Beteiligten voraussetzt, als auch die Fälle der Urheber- bzw. Anteilszweifel erfasst. Vgl. Beschluss des OG v. 22.04.2009 Reg.-Nr. 6-10210св08; Beschluss des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 02.04.2014 Reg.-Nr. 6-55447св13; Beschluss des OSpezialG für zivilund strafrechtliche Sachen v. 21.05.2014 Reg.-Nr. 6-13993св14. Kossak/Jakubivs´kyj, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 1190 S. 886; Chernilews´ka, Pidpryjemnytstvo, gospodarstvo i pravo 2016, Nr. 11, 58 (60). Urteil des OG v. 28.07.2010 Reg.-Nr. 6-2673св09. Vgl. Plenum des OG, Verordnung zur Rechtsprechung in Schadensersatzsachen v. 27.03.1992 Nr. 6, Pkt. 2; abgerufen unter: http://zakon0.rada.gov.ua/laws/show/v0006700-92 (zuletzt am 01.12.2018).

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hung der schädigenden Person zu ihrer Handlung und deren negativen Folgen zu verstehen1610 . Die Väter des seit dem 16. Januar 2003 geltenden ZGB gingen nun freilich – in Abkehr von der sowjetischen Rechtslehre – von einem objektivierten Verschuldensbegriff aus. Die psychische Einstellung des Schädigers zu seinem Fehlverhalten stünde dem Ziel der gerechten Risiko- und Schadensverteilung entgegen1611 . Ein zivilrechtliches Verschulden wird demnach angenommen, wenn der Schädiger nicht die erforderlichen und möglichen Maßnahmen zur Vermeidung des Eintritts des schädigenden Erfolges unter Berücksichtigung der in der konkreten Situation vorliegenden Umstände trifft (vgl. Art. 614 Abs. 1 S. 2 ZGB)1612 . Subjektive Verschuldenselemente sollten doch nicht völlig ausgeschlossen werden1613 . Sie lassen sich zunächst bei der Annahme von Vorsatz, für welchen ein Wille zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes verlangt wird, finden1614 . Subjektive Kriterien werden weiterhin – auch wenn in sehr bedingter Weise – durch die Orientierung an dem sozialen Bereich, in welchem der Schädiger tätig ist, bei der Ermittlung des Sorgfaltsmaßstabs der Fahrlässigkeit einbezogen1615 . Gleichwohl sind die Deliktsfähigkeit und Entschuldigungsgründe ebenso wie im deutschen Recht von dem subjektiven Kriterium gekennzeichnet. Der Erdgasförderer sowie der Erdgasimporteur handeln danach schuldlos, wenn sie alles in ihrer Macht Stehende unternommen haben, um negative Folgen ihrer Handlungen zu beseitigen bzw. nicht zuzulassen (Art. 614 Abs. 1 S. 2 ZGB). Ihr fahrlässiges Verhalten muss dabei anhand objektiver (Sorgfalts-)Maßstäbe eines vernüftigen Erdgasförderers und eines vernünftigen 1610

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1614 1615

So Joffe, Objazatelstvennoje pravo [Schuldrecht], S. 128; s. dazu auch Braginsky/Vitrjansky, Dogovornoje pravo. Obščije položenija [Vertragsrecht. AT], S. 739. Borysova, Cyvil´ne pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 380 f.; Blank, Das allgemeine Leistungsstörungsrecht in Deutschland und in der Ukraine, S. 154. Dovgert/Sibiljov, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], S. 430; Fedorchenko, Dogovirni zobo´jazannja z nadannja poslug [Vertragliche Schuldverhältnisse über die Erbringung von Dienstleistungen], S. 298 f.; Chornyy, NVKhDU 2015, Vol. 1, Nr. 3, 158 (160 f.); Gryshyna, Forum prava 2016, Nr. 4, 84 (87); so wohl auch Urteil des Zhovtnevyj BezirkG der Stadt Dnipropetrowsk v. 12.04.2016 Reg.-Nr. 201/267/15-ц, 2/201/242/ 2016; Urteil des Zavods´kyj BezirkG der Stadt Dniprodzerzhynsk v. 19.02.2013 Reg.-Nr. 415/10081/12, 2/208/500/13; a. A. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Luc´, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 714 S. 324 f. Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 Pkt. 2.2 S. 490 f.; vgl. auch Liashevs´ka, Problemy zakonnosti 2014, Vol. 125, 110 (114). Borysova/Prystupa, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 499 f. Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 95 ff.; Karnaukh, Deržava i pravo 2014, Vol. 64, 223 (225 f.).

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Erdgasimporteurs, die sich ihrerseits nach den hersteller- bzw. importeurspezifischen Verhaltenspflichten bestimmen, gemessen werden. Dies führt dazu, dass im Rahmen des Verschuldens lediglich zu prüfen ist, ob der Erdgasförderer oder der Erdgasimporteur ihre Verhaltenspflichten erkennen konnten und durch sein demgemäß rechtmäßiges Verhalten den Eintritt der schädigenden Folgen hätte vermeiden können. Nach der Rechtsprechung wird das Verschulden bereits mit der Feststellung pflichtwidrigen Verhaltens vermutet1616 . Schließlich ist zu beachten, dass der Erdgasförderer sowie der Erdgasimporteur auch in der Ukraine in der Regel als juristische Personen (des privaten und öffentlichen Rechts) organisiert sind. Juristische Personen haften dabei stets für eigenes Verschulden. Ihnen wird das Verschulden ihrer Organe, Gesellschafter, Vertreter sowie Arbeitnehmer zugerechnet, sollten diese durch ihr schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten einen Schaden verursachen1617 . Als Zurechnungsnorm wird hier Art. 1172 ZGB herangezogen. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass die Handlungen der Arbeitnehmer bzw. der Gesellschafter der juristischen Person im Rahmen ihrer Arbeits- bzw. Mitgliedspflichten als die Handlungen der juristischen Person selbst anzusehen sind1618 . Art. 1172 ZGB sieht vielmehr keine Exkulpationsmöglichkeiten. e)

Rechtsfolgen

Soweit die vorliegenden Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Erdgasförderer (bzw. der Erdgasimporteur) als Schädiger unabhängig vom Grad seines Verschuldens, von der Bedürftigkeit des Geschädigten sowie von anderen Faktoren den gesamten von ihm herbeigeführten Schaden zu ersetzen (Prinzip der Totalreparation) 1619 . Der Inhalt der Schadensersatzpflicht richtet sich nach Artt. 22, 23 ZGB sowie nach den haftungsausfüllenden Vorschriften des Kapitels 82 des ZGB. Ausgeglichen werden müssen nach Art. 22 Abs. 2 ZGB sowohl der tatsächliche Schaden (real´ni zbytky)1620 als auch der entgangene

1616

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1619 1620

Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 17.03.2010 Reg.-Nr. 14/4406; Urteil des Prymors´kyj BezirkG der Stadt Odesa v. 26.06.2011 Reg.-Nr. 2-3145/11; Urteil des Čaplyns´kyj BezirkG des Cherson Gebietes v. 15.11.2013 Reg.-Nr. 665/2009/13-ц. Verfügung des OWirtschG v. 28.09.2011 Reg.-Nr. 4/1-11. Shevchenko, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], Bd. 2, S. 337; Borysova/ Prystupa, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 506 f. Vgl. Golubeva, Naukovi praci NU OJA 2015, 71 (75). Unter dem tatsächlichen Schaden sind der Verlust oder die Beschädigung von Vermögensgegenständen des Geschädigten und die Aufwendungen, die dieser zur Wiederherstellung seines verletzten Rechts getätigt hat oder tätigen muss, zu verstehen (Art. 22 Abs. 2 Nr. 1 ZGB).

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

Gewinn (upuščena vygoda)1621 . Die Einzelheiten im Hinblick auf die Art und Weise sowie die Höhe des Ersatzes des Schadens, der dem Leben und der Gesundheit des Geschädigten zugefügt wird, ergeben sich weiterhin aus Artt. 1195 bis 1208 ZGB. Dem geschädigten Erdgasendkunden kann auch ein Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden nach Art. 23 ZGB zustehen. Dieser wird im ukrainischen Schadenersatzrecht unabhängig vom Ersatz des materiellen Schadens gewährt (Art. 23 Abs. 4 ZGB). Bei deliktischen Ansprüchen sind zusätzlich die Bestimmungen der Artt. 1167 und 1168 ZGB hinsichtlich der Gründe und der Höhe des Ersatzes des immateriellen Schadens zu beachten. Ein etwaiges Mitverschulden des Geschädigten wirkt sich nach Art. 1193 ZGB zu seinen Lasten anspruchsmindernd aus. Die Höhe des Anspruchs kann ferner gemäß Art. 1193 Abs. 4 ZGB durch die Vermögensverhältnisse des Schädigers beeinflusst werden. Der Schaden muss dafür aber durch eine natürliche Person zugefügt werden. Bei der Bemessung von Schadensersatz hat die Vermögenslage des Schädigers als juristische Person keine Bedeutung. 2.

Außervertragliche Haftung für Quellen erhöhter Gefahr (Art. 1187 Abs. 2 ZGB)

Eine Schadensersatzpflicht des Erdgasförderers (aber kaum des Erdgasimporteurs) kann des Weiteren nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB begründet werden. Nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB ist die Person, die auf einer entsprechenden Rechtsgrundlage (Eigentumsrecht, anderes Sachenrecht, Werkvertrag, Mietvertrag etc.) Transportmittel, Mechanismen oder andere Objekte, deren Nutzung, Aufbewahrung oder Haltung eine erhöhte Gefahr hervorrufen, besitzt, verpflichtet, den durch die Quelle erhöhter Gefahr zugefügten Schaden zu ersetzen. Soweit der Erdgasförderer (bzw. der Erdgasimporteur) als Inhaber einer schadensursächlichen Quelle erhöhter Gefahr qualifiziert wird, haftet dieser verschuldensunabhängig auf Schadensersatz. Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Gefährdungshaftungstatbestand und gleichzeitig einen Spezialtatbestand des ukrainischen Deliktsechts, auf welchen gegenüber dem Grundtatbestand des Art. 1166 ZGB vorrangig zurückzugreifen ist. a)

Quelle erhöhter Gefahr

Wann eine erhöhte Gefahrenquelle vorliegt, ergibt sich aus Art. 1187 Abs. 1 ZGB. Danach ist die Quelle erhöhter Gefahr eine Tätigkeit, die mit der Nut1621

Als entgangener Gewinn gelten nicht erhaltene Einkünfte, die der Geschädigte unter gewöhnlichen Umständen tatsächlich erzielt hätte, wenn sein Recht nicht verletzt worden wäre (Art. 22 Abs. 2 Nr. 2 ZGB).

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zung, Aufbewahrung oder Haltung von Transportmitteln, Mechanismen und Ausrüstung, dem Gebrauch und der Aufbewahrung von chemischen, radioaktiven, explosions- und feuergefährlichen sowie anderen Stoffen, dem Halten von Wildtieren, Dienst- und Kampfhunden, u. ä., was eine erhöhte Gefahr für die Person, die diese Tätigkeit ausübt, sowie andere Personen schafft, verbunden ist. Daraus ergibt sich, dass für die Annahme der Quelle erhöhter Gefahr allein das Vorliegen eines gefährlichen Gegenstandes nicht genügt1622 . Zu einem Anspruch aus Art. 1187 Abs. 2 ZGB kommt es erst dann, wenn der zu ersetzende Schaden als Ergebnis der Tätigkeit bei der Nutzung, Aufbewahrung oder Haltung eines solchen Gegenstandes entstanden ist1623 . Die eine erhöhte Gefahr für die Umgebung hervorrufende Tätigkeit ist demnach von dem materiellen Gegenstand untrennbar. Aus der Rechtsprechung haben sich darüber hinaus spezielle Kriterien herausgebildet, bei deren Vorhandensein eine Tätigkeit eine Quelle erhöhter Gefahr i. S. d. Art. 1187 Abs. 1 ZGB darstellt. Zu diesen Kriterien gehören insbesondere das Vorliegen der schädlichen (gefährlichen) Eigenschaften des Gegenstandes, die Unmöglichkeit der menschlichen Kontrolle über den Gegenstand wegen seiner Eigenschaften und die daraus resultierende große Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung, auch bei der Einhaltung der höchstmöglichen Sorgfalt1624 . Zur Beurteilung, ob eine Tätigkeit eine erhöhte Gefahr für die Umgebung schafft, sind ferner nicht nur die qualitativen, sondern auch quantitativen Eigenschaften des Gegenstandes heranzuziehen1625 . So wird als Quelle erhöhter Gefahr die Nutzung der Energie (auch Erdgas) in hoher Konzentration für Betriebszwecke anerkannt1626 . Nicht zu den Quellen erhöhter Gefahr zählt freilich die Nutzung der Energie im Haushalt, denn die damit üblicherweise verbundene Gefahr ist für den Benutzer beherrschbar1627 . Die Förderung, Bearbeitung und Reinigung von Erdgas durch den Erdgasför1622

1623 1624

1625

1626

1627

Dzera/Kuznjecova/Luc´/Otradnova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1187 S. 929. Ebenda. OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04; Manujilova, NVMGU 2014, Ser.: Juryspudencija, Vol. 1, Nr. 10-2, 160 (162 f.). Dzera/Kuznjecova/Luc´/Otradnova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1187 S. 929. OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04; Urteil des Ovruc´kyj BezirkG des Schytomyr Gebietes v. 18.02.2011 Reg.-Nr. 2-67/11. Urteil des Ovruc´kyj BezirkG des Schytomyr Gebietes v. 18.02.2011 Reg.-Nr. 2-67/11.

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derer sowie das Inverkehrbringen von Erdgas durch den Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur können daher als Quelle erhöhter Gefahr i. S. d. Art. 1187 Abs. 1 ZGB eingeordnet werden1628 . b)

Besitzer der Gefahrenquelle

Der Haftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB unterliegt ausschließlich der Besitzer der Quelle erhöhter Gefahr (volodilec´). Als Besitzer i. S. d. Art. 1187 Abs. 2 ZGB gilt jede natürliche und juristische Person, die die Verfügungsgewalt über den Gegenstand, mittels dessen im Zuge der Ausübung einer Tätigkeit eine erhöhte Gefahr für die Umgebung geschaffen wird, auf einer entsprechenden Rechtsgrundlage hat1629 . Das heißt, dass die Annahme der Gefahrenquellebesitzereigenschaft sowohl ein juristisches (das Vorliegen eines dinglichen Rechts an der Quelle erhöhter Gefahr) als auch ein materielles Merkmal (die tatsächliche Sachherrschaft über die Gefahrenquelle) voraussetzt1630 . Der Haftungsverantwortliche nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB muss demnach nicht unbedingt auch der Eigentümer des gefährlichen Gegenstandes sein. Der Erdgasförderer lässt sich grundsätzlich ohne Weiteres unter den durch die ukrainische Rechtsprechung entwickelten Begriff des Besitzers der Quelle erhöhter Gefahr nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB subsumieren. Er hat die berechtigt erlangte tatsächliche Herrschaftsgewalt über den Erdgasgewinnungsbetrieb sowie das gewonnene Erdgas, so dass die beiden genannten Voraussetzungen des Besitzers i. S. d. Art. 1187 Abs. 2 ZGB erfüllt sind. Fraglich ist allerdings, ob die Einspeisung von Erdgas in das GTS bzw. GRM möglicherweise zu einem Übergang der Besitzereigenschaft führt. Aufgrund des Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrages übernimmt der Netzbetreiber die volle Kontrolle über das durch den Erdgasförderer eingespeiste Erdgas. Der Erdgasförderer bleibt zwar der rechtliche Eigentümer des Erdgases, zumindest bis zum festgelegten (virtuellen) Übergabepunkt, wo das Eigentumsrecht am Erdgas auf den Erdgaslieferanten übergeht, verliert jedoch mit der Einspeisung in das jeweilige Netz die tatsächliche Sachherrschaft über das Erdgas. Nach der Einspeisung von Erdgas ins Netz kann er daher nicht

1628 1629

1630

Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 21.03.2011 Reg.-Nr. 10/234. OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04; Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 122. Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 121 f.

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mehr als Besitzer der Quelle erhöhter Gefahr qualifiziert werden, ihn somit keine Haftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB trifft. Importeure sind normalerweise Besitzer der Gefahrenquelle i. S. d. Art. 1187 Abs. 2 ZGB, sobald sie das gefährliche Produkt zum Zweck seines Inverkehrbringens auf dem Territoriums eines Ziellandes vom Hersteller erhalten1631 . Dies kann aber nicht für den Erdgasimporteur gelten, in erster Linie wegen der Leitungsgebundenheit der Erdgasversorgung. Bei seinem Import wird dieser Energieträger aus einem ausländischen Netz in das ukrainische Netz eingespeist, ohne dass die importierende Gesellschaft die tatsächliche Verfügungsgewalt über ihn ausüben kann. Beim Fehlen der Voraussetzung der tatsächlichen Sachherschaft kann die Besitzereigenschaft des Erdgasimporteurs nicht bejaht werden. c)

Kausalität

Für die Bejahung der Gefährdungshaftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB muss der Kausalzusammenhang zwischen dem Betreiben der Gefahrenquelle und dem Schaden vorliegen1632 . Es ist demnach erforderlich, dass der Schaden des Erdgaskunden im Zusammenhang mit der Gewinnung, Verarbeitung und Reinigung bzw. dem Inverkehrbringen von Erdgas als Quelle erhöhter Gefahr eingetreten ist. Unter Berücksichtigung der Leitungsgebundenheit der Erdgasversorgung sowie des Umstandes, dass sich die Fehlerhaftigkeit des einzuspeisenden Erdgases durch die Verwirklichung von Gefahren in erster Linie im Netzbetrieb niederschlagen wird, muss die Handlung des Erdgasförderers für die Schadensentstehung entscheidend gewesen sein1633 . Ist der Schaden auf das Erdgasnetzsystem zurückzuführen, was normalerweise der Fall sein dürfte, kann kein Kausalzusammenhang zwischen der Gewinnung, Verarbeitung und Reinigung bzw. dem Inverkehrbringen von (fehlerhaftem) Erdgas und dem bei dem Erdgaskunden eingetretenen Schaden angenommen werden.

1631

1632

1633

Vgl. zum russischen Recht Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutsch-russischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 239. OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04; Verfügung des OG v. 27.10.2010 Reg.-Nr. 6-30038св09; Verfügung des OWirtschG v. 14.11.2007 Reg.-Nr. 36/232; Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 124 und 132. Vgl. Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 132.

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Für die Feststellung dieses Kausalzusammenhangs gelten im Übrigen keine Besonderheiten1634 . Hier kann daher grundsätzlich auf die vorangegangenen Ausführungen zu Art. 1166 ZGB zurückgegriffen werden1635 . d)

Ausschluss der Ersatzpflicht

Bei der Haftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB kommt es auf die Widerrechtlichkeit der Handlung oder das Verschulden des Erdgasförderers in seiner Eigenschaft als Besitzer der Gefahrenquelle nicht an. Ein Ersatzanspruch des Erdgaskunden besteht schon dann, wenn sich besondere durch die Gewinnung und/oder das Inverkehrbringen von Erdgas geschaffene Gefahren verwirklicht haben1636 . Er darf nur in Fällen höherer Gewalt und vorsätzlichen Handelns des Geschädigten ausgeschlossen sein (Art. 1187 Abs. 5 ZGB). Die in Art. 1187 Abs. 5 ZGB vorgesehenen Begrenzungen sollen die angemessene Grenze der Haftung des Gefahrenquellebesitzers ziehen1637 . Hier handelt es sich in erster Linie darum, die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos des Geschädigten sowie das (bewusste) Handeln des Geschädigten auf eigene Gefahr von den Anwendungsfällen der Haftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB abzugrenzen1638 . Die Beweislast für das Vorliegen der Ausschlussgründe des Art. 1187 Abs. 5 ZGB trifft den Gefahrenquellebesitzer als Schädiger1639 . Zum Ausschluss der Haftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB führt zunächst das Vorliegen der höheren Gewalt. Welche Ereignisse als höhere Gewalt und Ausschlussgrund i. S. d. Art. 1187 Abs. 5 ZGB angesehen werden können, ergibt sich aus Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB1640 . Höhere Gewalt ist danach ein außerordentliches und unter gegebenen Umständen unabwendbares Ereig1634

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1640

Vgl. Verfügung des OG v. 14.02.2018 Reg.-Nr. 61-5079св18; Urteil des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 04.02.2015 Reg.-Nr.6-18604св1; Verfügung des OWirtschG v. 23.07.2013 Reg.-Nr. 905/2662/13; Burlaka, Zobov´jazannja z vidškoduvannja škody, zavdanoji bez vyny [Verschuldensunabhängige Schadens-ersatzhaftung], Kurzzusammenfassung der Dissertation, S. 15; Les´ko, Vidškodu-vannja škody, zavdanoji vnaslidok vzajemodiji transportnyh zasobiv [Ersatz des Schadens, der durch das Zusammenwirken von Fahrzeugen entstanden ist], S. 4 f. S. Teil II § 8 B I 1 c), S. 371 ff. Vgl. Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 136. Vgl. Kossak/Janovyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 1187 S. 885. Burlaka, Zobov´jazannja z vidškoduvannja škody, zavdanoji bez vyny [Verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung], S. 109 ff. OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04. Borysova/Prystupa, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 525.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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nis1641 . Die Rechtsprechung hat weiter konkretisiert, dass das als höhere Gewalt eingestufte Ereignis von außen auf den Gegenstand, mittels dessen im Zuge der Ausübung einer Tätigkeit eine erhöhte Gefahr für die Umgebung geschaffen wird, oder aber auch auf Personen, die diesen Gegenstand bedienen, einwirken und unmittelbar zur Schadenszufügung führen muss1642 . Das Auftreten der schädlichen Eigenschaften der Gefahrenquelle stellt hingegen keinen Fall der höheren Gewalt dar. Die Haftung des Gefahrenquellebesitzers ist zudem ausgeschlossen, wenn der Geschädigte vorsätzlich gehandelt hat. Das Verhalten des Geschädigten gilt als vorsätzlich i. S. d. Art. 1187 Abs. 5 ZGB, wenn dieser den Schadenseintritt gewollt oder bewusst zugelassen hat 1643 . Die Haftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB greift in diesem Fall auch beim fahrlässigen Verhalten des Besitzers der Quelle erhöhter Gefahr nicht ein1644 . e)

Rechtsfolgen, Mitverschulden

Die Rechtsfolgen entsprechen denjenigen des Art. 1166 Abs. 1 ZGB1645 . Auch Art. 1193 ZGB findet im Rahmen des Art. 1187 Abs. 2 ZGB Anwendung. Mithin ist ein grob fahrlässiges Mitverschulden des geschädigten Erdgaskunden an der Schadensentstehung bzw. Schadensvertiefung zu berücksichtigen und kann seinen Ersatzanspruch gegen den schädigenden Erdgasförderer anteilsmäßig mindern (Art. 1193 Abs. 2 ZGB)1646 . Die ukrainische Rechtspre1641

1642

1643

1644

1645 1646

Für den Begriff der höheren Gewalt gelten die Ausführungen zu Teil II § 7 B I 1 a) bb) (2) entsprechend, S. 320 ff. OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04; Kossak/Janovyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 1187 S. 885. OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04; Dzera/Kuznjecova/Luc´/ Otradnova, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1187 S. 930; Kossak/Janovyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 1187 S. 885; Burlaka, Zobov´jazannja z vidškoduvannja škody, zavdanoji bez vyny [Verschuldensunabhängige Schadensersatzhaftung], Kurzzusammenfassung der Dissertation, S. 16. Vgl. zum verwandten russischen Recht Sadikov/Fajzutdinov, Kommentarij k Graždanskomu kodeksu RF časti vtoroj [Kommentar zum zweiten Teil des Zivilgesetzbuches der RF], Anm. 1 zu Art. 1079 S. 677. Vgl. dazu Teil II § 8 B I 1 e), S. 375 f. S. OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04.

382

Teil II Rechtslage in der Ukraine

chung hat jedoch bisher keine klaren Kriterien zur Bestimmung der groben Fahrlässigkeit entwickelt. In der Literatur wird dafür – immer noch – die Definition der Fahrlässigkeit aus dem StGB verwendet (vgl. Art. 25 StGB)1647 . Die grobe Fahrlässigkeit im Zivilrecht wird der bewussten Fahrlässigkeit (zločynna samovpevnenist´) im ukrainischen Strafrecht gleichgestellt und ist dann anzunehmen, wenn der Geschädigte die schädigenden Folgen seines Verhaltens vorhergesehen, aber leichtfertig auf ihr Ausbleiden vertraut hat (Art. 25 Abs. 2 StGB) 1648 . Die Berücksichtigung der Vermögenslage des Schädigers nach Art. 1193 Abs. 4 ZGB bei der Ermittlung des Schadensersatzumfangs wird in der hier behandelten Konstellation kaum jemals möglich1649 . Zu beachten ist schließlich die Spezialregelung des Art. 1188 ZGB, welche die Besonderheiten bei mehreren Quellen erhöhter Gefahr behandelt. Wird der Schaden einem Dritten durch mehrere Quellen erhöhter Gefahr verursacht, haften alle Gefahrenbesitzer gesamtschuldnerisch i. S. d. Art. 543 ZGB (Art. 1188 Abs. 2 ZGB). Der Schaden bei dem Besitzer einer mitwirkenden Quelle erhöhter Gefahr ist gemäß Art. 1188 Abs. 1 ZGB nach den allgemeinen Regelungen des ukrainischen Deliktsrechts, d. h. verschuldensabhängig zu ersetzen. 3.

Haftung für durch Dritte verursachte Schäden (Art. 1172 ZGB)

In Ausnahmefällen kann auch eine Haftung des Erdgasförderers bzw. des Erdgasimporteurs für durch Dritte verursachte Schäden in Betracht kommen. Gemäß Art. 1172 Abs. 1 ZGB haben der Erdgasförderer bzw. der Erdgasimporteur als Arbeitgeber zunächst Schäden, die ihre Arbeitnehmer dem Erdgaskunden in Erfüllung ihrer Arbeitnehmer-, Dienst- oder Amtspflichten zugefügt haben, zu ersetzen. Wie aber schon oben angesprochen1650 , haftet der Arbeitgeber in diesem Fall für eigenes Verschulden und nicht für fremdes Verschulden. Im Gegensatz zum deutschen Recht werden ihm nach ukrainischem Recht die Handlungen des Arbeitnehmers als eigene zugerechnet, sofern die

1647

1648

1649 1650

Dies steht gleichwohl im Widerspruch zur Ablehnung des im Strafrecht herrschenden Verständnisses des Verschuldens im Zivilrecht durch die ukrainische Lehre, vgl. Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 Pkt. 2.2 S. 490. Cerkovna, Pidstavy zvil´nennja vid cavil´no-pravovoji vidpovidal´nosti za zavdannja škody [Ausschlussgründe der Schadensersatzhaftung], S. 94; Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 106 f. Teil II § 8 B I 1 e), S. 375. Teil II § 8 B I 1 d), S. 373.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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Voraussetzungen des Art. 1172 Abs. 1 ZGB (Arbeitnehmereigenschaft1651 und Verrichtung der dienstlichen Tätigkeit) vorliegen. Den Arbeitnehmern werden im Rahmen der Haftung für durch Dritte verursachte Schäden Personen, die bestimmte Tätigkeiten im Auftrag und unter der Kontrolle des jeweiligen Beauftragenden aufgrund eines zivilrechtlichen Werkvertrages (Artt. 837 bis 891 ZGB) ausführen, gleichgestellt (vgl. Art. 1172 Abs. 2 ZGB)1652 . In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob der Netzbetreiber, der im Auftrag vom Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur die Durchleitung des Erdgases vom Einspeisepunkt bis zum jeweiligen Übergabepunkt (z. B. VHP) gewährt, darunter subsumiert werden kann. Dies ist abzulehnen, weil dieser bei der Ausübung seiner Netztätigkeit stets selbstverantwortlich, weisungsunabhängig und aufgrund eines Dienst(leistungs)vertrages (Artt. 901 bis 907 ZGB) handelt. Es fehlt vielmehr an einer engen Verbundenheit zwischen dem Erdgasförderer/-importeur und dem Netzbetreiber, wie sie bei einem Arbeitnehmer-/Arbeitgeberverhältnis üblich ist. Der Erdgasförderer sowie Erdgasimporteur haften daher nach Art. 1172 ZGB nicht für die Schäden, die dem Erdgaskunden durch die Versorgungsstörungen im Netzbetrieb entstehen. II.

Haftung nach Art. 224 Abs. 1 WGB

Art. 224 Abs. 1 WGB enthält eine eigenständige Anspruchsgrundlage auf Schadensersatzleistung, die möglicherweise auch für den Fall einer Schadenszufügung durch den Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur herangezogen werden kann. Verletzt der Beteiligte des Wirtschaftsschuldverhältnisses eine wirtschaftliche Verpflichtung bzw. erfüllt die vorgeschriebenen Anforderungen an die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht, so kann das (Wirtschafts-)Subjekt, dessen Rechte und rechtlich geschützte Interessen beeinträchtigt sind, Ersatz der hierdurch entstandenen Verluste (zbytky) verlangen (vgl. Art. 224 Abs. 1 WGB). Es ist dabei allerdings nicht zu verkennen, dass Art. 224 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 WGB ausschließlich Wirtschaftssubjekte und andere Beteiligte des Wirtschaftslebens i. S. d. Art. 2 WGB begünstigt. Anspruchsberechtigt nach Art. 224 Abs. 1 WGB kann demnach lediglich der geschädigte Erdgasendkunde als Einzelunternehmer oder juristische Person 1651

1652

Der Begriff des Arbeitsnehmers ist weit zu verstehen. Umfasst werden beliebige (unbefristete, kurzfristige, saisonale etc.) Arbeits- und Dienstverhältnisse. Vgl. Plenum des OG, Verordnung zur Rechtsprechung in Schadensersatzsachen v. 27.03.1992 Nr. 6, Pkt. 5; abgerufen unter: http://zakon0.rada.gov.ua/laws/show/v0006700-92 (zuletzt am 01.12.2018). Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1172 S. 912.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

sein1653 . Die Haushaltskunden gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 23 ErdgasMarktG zählen indes nicht zum Kreis der durch Art. 224 Abs.1 WGB Begünstigten. Der Grund der in Art. 224 Abs. 1 WGB verankerten Haftung ist ein rechtswidriges Verhalten des Wirtschaftssubjekts, unter welchen der Erdgasförderer sowie Erdgasimporteur ohne Weiteres subsumiert werden können, bzw. des am Wirtschaftsleben Beteiligten. Das unter Art. 224 Abs. 1 WGB fallende rechtswidrige Verhalten kann in der Verletzung einer wirtschaftlichen Verpflichtung bzw. im Verstoß gegen eine für die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit im jeweiligen Bereich vorgegebene Anforderung, unabhängig von ihrer rechtlichen Ausgestaltung (festgelegt durch Gesetz, Verordnung, Satzung oder aber auch Verwaltungsakt1654 )1655 , liegen. Die Legaldefinition der wirtschaftlichen Verpflichtung findet sich in Art. 173 Abs. 1 ZGB. Danach ist eine wirtschaftliche Verpflichtung, die sich aus einem vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnis1656 zwischen dem Wirtschaftssubjekt und dem anderen Beteiligten des Wirtschaftslebens im Zusammenhang mit der Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit resultiert und in der Vornahme bzw. Unterlassung bestimmter vermögensrechtlicher (Art. 175 WGB) oder organisationsrechtlicher (Art. 176 WGB) Handlungen durch die verpflichtete Partei (Schuldner) zu Gunsten der berechtigten Partei (Gläubiger) besteht. Die wirtschaftlichen Verpflichtungen des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs, bei deren Verletzung ein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 224 Abs. 1 WGB in Betracht kommen kann, entstehen in aller Regel aufgrund eines mit dem jeweiligen Erdgaskunden abgeschlossenen wirtschaftlichen Vertrages über die Lieferung von Erdgas, welcher allerdings im nachfolgenden Abschnitt zur Haftung des Erdgaslieferanten behandelt wird. Für die hier interessierende Fallkonstellation ist daher lediglich der Verstoß gegen eine gesetzlich bzw. normativ festgelegte Anforderung an die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit relevant. In Betracht kommt insbesondere Abschn. III Art. 1 Abs. 13 TranspNetzK, der die Pflicht des Erdgasförderers sowie Erdgasimporteurs zur Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Erdgasqualität bei der Einspeisung ins GTS bzw. GRM statuiert. Der Verstoß gegen die genannte Vorschrift erfüllt allerdings nur dann den Tatbestand des Art. 224 Abs. 1 ZGB, wenn ihr persönlicher und sachlicher Schutzbereich eröffnet ist1657 . Die Eröffnung des Schutzbereichs als (normatives) Einschränkungskri1653 1654 1655 1656

1657

S. dazu bereits oben Teil II § 6 B II 3, S. 273 f. Verfügung des OWirtschG v. 13.03.2008 Reg.-Nr. 2-9/4384-2007. Vgl. z. B. Verfügung des OWirtschG v. 27.05.2007 Reg.-Nr. 4/168. S. dazu Art. 174 WGB, der die Gründe für die Entstehung der wirtschaftlichen Verpflichtungen aufzählt. Vgl. dazu Verfügung des OWirtschG v. 13.03.2008 Reg.-Nr. 2-9/4384-2007.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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terium wird zwar sowohl in der ukrainischen Lehre als auch Rechtsprechung zu Unrecht nicht oder zumindest nicht ausdrücklich verlangt. Aus dem Urteil des OWirtschG vom 13. März 2008 geht jedoch (ohne nähere Begründung) hervor, dass der Geschädigte zu dem durch die verletzte Vorschrift geschützten Personenkreis gehören und das beeinträchtigte Recht und/oder Interesse im Schutzbereich der verletzten Vorschrift liegen muss1658 . Anderenfalls würde ein allgemeiner Schutz vor Schäden im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen eine Rechtsregel für die ordnungsgemäße Organisation und Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. d. Art. 224 Abs. 1 WGB viel zu weit gehen. Aus einer umfassenden Würdigung und Gesamtbetrachtung des Regelungszusammenhangs, in dem Abschn. III Art. 1 Abs. 13 TranspNetzK steht, ergibt sich freilich, dass die Vorschrift lediglich der Aufrechterhaltung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Erdgasversorgungsnetzes dient. Sie beinhaltet vielmehr die Pflicht zur Einspeisung des Erdgases unter Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Qualität gegenüber dem Netzbetreiber, aber nicht gegenüber einzelnen Erdgasendkunden wegen ihrer (absoluten) Rechte und/oder (vermögensrechtlichen) Interessen (vgl. Abschn. I Art. 1 Abs. 2 TranspNetzK hinsichtlich des Gesetzeszwecks). Erleidet der nach dem WGB anspruchsberechtigte Erdgasendkunde Schäden infolge der Verletzung der in Abschn. III Art. 1 Abs. 13 TranspNetzK geregelten Pflicht durch den Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur, lässt sich deshalb sein Schadensersatzanspruch gegen die genannten Akteure keinesfalls auf Art. 224 Abs. 1 WGB stützen. Für eine Schadensersatzpflicht des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs wegen der Einspeisung des Erdgases mit der falschen Qualität zugunsten des vertragsfremden Erdgasendkunden verbleiben aber die Regelungen des allgemeinen Deliktsrechts, Artt. 1166 ff. ZGB. III.

Haftung nach dem VerbrSchG

Neben der (allgemeinen und/oder speziellen) deliktischen Haftung des Erdgasförderers und -importeurs kann ferner auch eine Haftung nach VerbrSchG bestehen. Im VerbrSchG hat der ukrainische Gesetzgeber zahlreiche Ansprü1658

Verfügung des OWirtschG v. 13.03.2008 Reg.-Nr. 2-9/4384-2007, in welcher das Gericht den Pkt. 3.28 der Technischen Regeln für den Betrieb von Stromanlagen als Regelung der ordnungsgemäßen Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch des am Wirtschaftsleben Beteiligten nach Art. 224 Abs. 1 WGB entstehen lassen kann, anerkannt hat. Pkt. 3.28 der Technischen Regeln für den Betrieb von Stromanlagen statuiert die Informations- und Mitteilungspflicht des Bauunternehmens (hier – Wasserleitungs- und Kanalisationsbauunternehmen des Südufers der Krim als Beklagter) gegenüber dem betroffenen Stromanlagenbetreiber (hier – Verkehrsgesellschaft „Krymtrolejbus“ als Klägerin) über die auszuführenden ReparaturBaumaßnahmen, damit dieser die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz seines Eigentums (hier – Stromversorgungskabel) vornehmen kann.

386

Teil II Rechtslage in der Ukraine

che der Verbraucher geregelt. Da der Fokus der vorliegenden Untersuchung auf die Schadensersatzansprüche des Erdgasendkunden gerichtet ist, sind an dieser Stelle in erster Linie Art. 16 VerbrSchG (Schadensersatz infolge von Mängeln (Fehlern) an der Produktion) sowie Art. 15 Abs. 7 VerbrSchG (Haftung wegen Verletzung einer Informationspflicht) nachzugehen. Quasivertragliche Haftungsansprüche nach Art. 8 Abs. 3 i. V. m. 1 VerbrSchG1659 bleiben daher außen vor. 1.

Außervertragliche Haftung gemäß Art. 16 VerbrSchG

Vor dem 19. Mai 20111660 galt Art. 16 VerbrSchG als zentrale Vorschrift für die Produkthaftung zugunsten der Verbraucher1661 . Gleichwohl hat der Gesetzgeber mit dem ProdHaftG eine neue spezielle gesetzliche Haftungsgrundlage (ausschließlich) für den Ausgleich von (materiellen) Schäden, die durch fehlerhafte Produkte hervorgerufen wurden, geschaffen. Art. 16 VerbrSchG wurde dabei grundlegend neu geregelt und ist nun – genauso wie Art. 1209 Abs. 3 ZGB – als (Blankett-)Verweisungsnorm ausgestaltet. Dies soll dem gesetzgeberischen Zweck der Vereinheitlichung des ukrainischen Produkthaftungsrechts gemäß Art. 12 Abs. 2 und 3 ProdHaftG dienen. Die Vorschrift des geltenden Art. 16 VerbrSchG enthält keine selbständige Anspruchsgrundlage mehr. Sie stellt zwar klar, dass Ansprüche auf Schadensersatz wegen Mängeln (Fehler) an der Produktion entstehen, sobald der maßgebliche Tatbestand verwirklicht ist, enthält aber damit nur eine allgemeine Umschreibung. Für die nähere Bestimmung der Tatbestandsvoraussetzungen nimmt Art. 16 VerbrSchG auf die Regelungen des ProdHaftG Bezug. Erst damit erschließt sich (vollständig) sein Regelungsgehalt. 1659

1660 1661

Art. 8 Abs. 3 i. V. m. 1 VerbrSchG gewährt dem Verbraucher in seiner Eigenschaft als Käufer bei Mängeln der von ihm erworbenen Ware Gewährleistungsrechte (mit Ausnahme des Schadensersatzes). Danach hat der betroffene Verbraucher die Möglichkeit, den Kaufpreis zu mindern, eine unentgeltliche Mängelbeseitigung oder die Erstattung hierfür aufgewendeter Kosten zu verlangen, vom Vertrag zurückzutreten und die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises oder die mangelhafte Ware gegen die gleiche bzw. ähnliche Ware umzutauschen. Art. 8 Abs. 1, 3 VerbrSchG stimmt inhaltlich mit den Regelungen des Art. 678 Abs. 1 bis 3 ZGB fast durchaus überein. Im Gegensatz zu Art. 8 Abs. 3 VerbrSchG verpflichtet Art. 678 Abs. 3 ZGB den Hersteller neben dem Verkäufer selbst (als Gesamtschuldner) nicht nur zur Mängelbeseitigung und zum Umtausch sondern auch zum Schadensersatz zu Gunsten des geschädigten Käufers, wobei der Käuferbegriff des Art. 678 ZGB weit zu verstehen ist, d. h. nicht auf Verbraucher gemäß Art. 1 Nr. 22 VerbrSchG beschränkt. Ähnliches gilt auch im russischen Recht. Vgl. dazu Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutschrussischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 205 ff. Inkrafttreten des ukrainischen ProdHaftG. Art. 16 VerbrSchG a. F. stimmte, abgesehen von dem unterschiedlichen persönlichen Anwendungsbereich, inhaltlich weitgehend mit Art. 1209 bis 1211 ZGB a. F. überein.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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Die von dem ukrainischen Gesetzgeber gewählte Verweisungslösung ist grundsätzlich sachgerecht. Sie gewährleistet, dass die wesentlichen Fragen der Produkthaftung in einem Gesetz geregelt sind und unnötige Wiederholungen sowie Abweichungen in einzelnen Rechtsvorschriften vermieden werden. Gleichwohl weisen die geltenden Regelungen über die Produkthaftung im Detail einige Defizite und Unklarheiten auf, die unter den Rechtsanwendern zu Verunsicherung und Fehlannahmen führen können1662 . Problematisch ist zunächst die Auslegung des Produktionsbegriffs im Rahmen des Art. 16 VerbrSchG. So stimmt der im VerbrSchG verwendete Begriff der Produktion inhaltlich nicht mit demjenigen des ProdHaftG überein1663 . Während die Produktion nach Art. 1 Nr. 19 VerbrSchG Waren (vyroby), Arbeiten (roboty) und Dienstleistungen (poslugy) umfasst, begrenzt Art. 1 Nr. 5 ProdHaftG den Begriff der Produktion nur auf bewegliche Sachen, einschließlich die Elektrizität. Reine Dienstleistungen fallen nicht darunter. Die pauschale Verweisung des Art. 16 VerbrSchG auf das ProdHaftG als Ausfüllungsgesetz deutet darauf hin, dass sich alle Haftungsvoraussetzungen aus dem genannten Gesetz ergeben. Damit scheinen dem geschädigten Verbraucher dessen produkthaftungsrechtliche Ansprüche entsprechend gekürzt zu werden. Ob der ukrainische Gesetzgeber ein solches Ergebnis tatsächlich beabsichtigt hat, darf aber bezweifelt werden. Dafür könnte zunächst sprechen, dass Art. 16 VerbrSchG a. F. auch einen Schadensersatz wegen mangelhafter Arbeits- bzw. Dienstleistung abgedeckt hat. Es ließe sich daher annehmen, dass sich der Tatbestand der Produkthaftung gegenüber dem Verbraucher aus einer Gesamtschau des Art. 16 VerbrSchG und dem ProdHaftG als Ausfüllungsgesetz ergibt und der Begriff der Produktion weit – i. S. d. VerbrSchG – auszulegen ist. Art. 16 VerbrSchG dürfte mithin eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des ProdHaftG auf Arbeits- und Dienstleistungen ermöglichen, soweit diese dem Verbraucher i. S. d. VerbrSchG erbracht werden. Doch muss man die dargestellten Überlegungen ablehnen. Denn eine derartige Erweiterung des Anwendungsbereichs des ProdHaftG würde zum einen der Vorgabe der EGProdukthaftungsrichtlinie 85/374/EWG, deren nahezu wörtliche Übernahme das ukrainische ProdHaftG ist, widersprechen. Zum anderen enthält Art. 1209 Abs. 1 ZGB weiterhin eine spezielle – verschuldensunabhängige – Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Schäden, die infolges eines Mangels von Werk- und Dienstleistungen entstanden sind. Dadurch kann das besondere Rechtsschutzbedürfnis des Verbrauchers als Arbeits- bzw. Dienstleistungsempfänger vollständig befriedigt werden. 1662 1663

Vgl. Prymak, Jurydyčna Ukrajina 2012, Nr. 7, 57 (58). Dyminska, UNZ 2014, Nr. 4 (52), 61 (62).

388

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Es fällt des Weiteren auf, dass der Gesetzgeber den Mangelbegriff mit dem Klammerzusatz „Fehler“ in der Vorschrift des Art. 16 VerbrSchG verwendet. Von einer synonymen Verwendung von Mangel und Fehler kann hierbei nicht ausgegangen werden1664 . Anderenfalls hätte der Gesetzgeber dies in der Legaldefinition des Mangelbegriffs in Art. 1 Nr. 15 VerbrSchG zum Ausdruck gebracht. Der Fehler stellt vielmehr eine zentrale Kategorie der Produzentenhaftung nach dem ProdHaftG dar und wird in Art. 5 ProdHaftG als Sicherheitsdefizit definiert. Der Mangel i. S. d. VerbrSchG bezieht sich dagegen auf die Abweichung der Ist-Beschaffenheit des Produkt von den staatlichen Standards, vertraglichen Vereinbarungen oder der gewöhnlichen Qualitätsanforderungen sowie der über das Produkt erteilten Information1665 . Es handelt demnach um zwei inhaltlich verschiedene Begriffe, die nicht verwechselt werden dürfen1666 . Der Gesetzgeber scheint deshalb auf diese Weise der bestehenden begrifflichen Diskrepanz zwischen dem VerbrSchG und ProdHaftG Rechnung zu tragen und (noch einmal) klarzustellen, dass die Produkthaftung gegenüber dem Verbraucher nicht nur die Mangelhaftigkeit des Produkts, sondern auch (bereits) seine Fehlerhaftigkeit begründen kann. Vor diesem Hintergrund gilt festzustellen, dass maßgeblich dafür, ob die dem betroffenen Erdgasendkunden als Verbraucher i. S. d. VerbrSchG aus dem mangelhaften bzw. fehlerhaften Erdgas entstandenen Schäden durch den Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur nach ProdHaftG zu ersetzen sind, ist, ob der Tatbestand des ProdHaftG vorliegt, allerdings unter Berücksichtigung der entsprechenden Anpassungen gemäß Art. 16 VerbrSchG. Insoweit kann auf die Ausführungen zum Tatbestand des ProdHaftG verwiesen werden1667 . 2.

Informationshaftung gemäß Art. 15 Abs. 7 VerbrSchG

Art. 15 Abs. 7 VerbrSchG regelt die Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen die in Art. 15 Abs. 1 bis 6, Art. 4 Abs. 1 Nr. 4, Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 8 Abs. 4, Art. 13 Abs. 2 und 3, Art. 14 Abs. 2, 3 und 7 VerbrSchG genannten Informationspflichten1668 zugunsten des Verbrauchers. Je nach Fallkonstellation kommen für den geschädigten Verbraucher die nachfolgend dargestellten Rechtsbehelfe bzw. Rechte in Betracht.

1664 1665 1666 1667 1668

So aber Jegorycheva, Jurydyčna Ukrajina 2013, Nr. 1, 67 (71). S. Teil II § 7 A I 2 b), S. 300 f. Vgl. Dyminska, UNZ 2014, Nr. 4 (52), 61 (62 f.). S. Teil II § 8 B IV, S. 393 ff. Dazu bereits Teil II § 7 A I 2 c), S. 302 ff.

§ 8 Haftungsgrundlagen

a)

389

Rechtsbehelfe nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG

Der Verbraucher (als Käufer) kann zunächst vom Vertrag zurücktreten und Schadensersatz verlangen, wenn er aufgrund einer unzugänglichen, unrichtigen, unvollständigen oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellten Information über die Produktion sowie den Hersteller (Ausführenden, Verkäufer) eine Ware, welche nicht über die für ihn notwendigen Eigenschaften verfügt, erworben hat (Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 VerbrSchG)1669 oder die erworbene Ware nicht ihrem Zweck entsprechend verwenden kann (Art. 15 Abs. 7 Nr. 2 VerbrSchG). Aus dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG ergibt sich jedoch nicht, wer zum Verpflichtetenkreis gehört. Es ist durchaus denkbar, dass der geschädigte Verbraucher in erster Linie den Verkäufer auf Schadensersatz wegen unterlassener bzw. fehlerhafter Information gemäß Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 bzw. 2 VerbrSchG in Anspruch nehmen kann, parallel zur Ausübung des Rücktritts1670 . Denn für die Rechtsbehelfe aus Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 sowie 2 VerbrSchG muss auf jeden Fall ein Vertrag zustande gekommen sein. Es handelt sich hier folglich um vertragliche Ansprüche, wenngleich im Rahmen des Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 VerbrSchG der vorvertragliche Charakter im Vordergrund steht. In den Fällen, in denen der Gesetzgeber dem Verkäufer und dem Hersteller die gleichen Informationspflichten auferlegt (vgl. Art. 15 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 VerbrSchG), kann aber angenommen werden, dass es dem berechtigtem Verbraucher freisteht, wahlweise gegen einen der genannten Verpflichteten oder sogar gegen beide gleichzeitig vorzugehen1671 . Dafür spricht insbesondere die Parallele zu Art. 8 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 VerbrSchG, in welchem der ukrainische Gesetzgeber die vertraglichen Gewährleistungspflichten des Verkäufers (allerdings nicht die Schadensersatzpflicht) auf den vertragsfremden Hersteller erweitert. Es ist schließlich nicht ersichtlich, warum das nicht auch für die durch Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG gewährten Ansprüche des Schadensersatzes gelten soll. Die Einordnung des Herstellers als zum Schadensersatz nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG Verpflichteten erlangt jedoch im Rahmen der Haftung des Erdgasförderers und Erdgasimporteurs gegenüber dem Erdgasendkunden kaum Bedeutung. Die Leitungsgebundenheit als Besonderheit von Erdgas wird (stets) dazu führen, 1669

1670

1671

Eine ähnliche Regelung findet sich in Art. 700 Abs. 3 ZGB, der bei der Geltendmachung des Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 VerbrSchG im Zweifel mitzitiert werden kann. Z. B. Urteil des BerufG des Gebietes Iwano-Frankiwsk v. 10.09.2015 Reg.-Nr. 340/179/ 15-ц. Vgl. Verfügung des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 16.03.2016 Reg.Nr. 6-32352ск15; Verfügung des BerufG des Gebietes Odesa v. 17.12.2015 Reg.Nr. 22-ц/785/9673/15. In den entschiedenen Fällen wurden der Verkäufer und der Hersteller des Produkts als Gesamtschuldner behandelt.

390

Teil II Rechtslage in der Ukraine

dass der tatsächliche Hersteller des vom Erdgasendkunden ausgespeisten Erdgases nicht ermittelt werden kann oder eventuell – in Anlehnung an die deutsche Rechtsprechung – der die Erdgasmengen transformierende Netzbetreiber als Hersteller einzustufen ist. b)

Rechtsbehelfe nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG

Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG schreibt ferner fest, dass bei einer Verletzung von Leben, Gesundheit oder Vermögen des Verbrauchers durch unzugängliche, unrichtige, unvollständige oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellte Information – beispielsweise hinsichtlich eines sicheren Umgangs mit Erdgas – die vom Gesetz vorgesehenen Rechtsbehelfe zu Lasten des Verkäufers, Herstellers oder Ausführenden geltend gemacht werden können sowie der Ersatz des Schadens an Naturobjekten (z. B. Grundstücke, Wasserquellen u. ä.), die sich im Eigentum bzw. (berechtigten) Besitz des Verbrauchers befinden, verlangt werden kann. Eine gesonderte Gewährung des Anspruchs auf Ersatz von Schäden an dem Verbraucher gehörenden Naturobjekten scheint dabei überflüssig zu sein. Denn diese fallen ohnehin unter den Begriff des Vermögens1672 . Bemerkenswert ist des Weiteren, dass der ukrainische Gesetzgeber anlässlich der Verabschiedung des ProdHaftG neben Art. 16 VerbrSchG auch Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG angepasst hat. In der alten Fassung der Vorschrift wurde auf Art. 16 VerbrSchG verwiesen. Nun stehen dem Verbraucher bei Schäden an seiner Person und seinem Vermögen wegen Nichtbeachtung der Informationspflicht die Rechtsbehelfe, die durch ein – wiederum unbekanntes – Gesetz festgelegt sind, zu. Es handelt sich (auch) hier um den Verweis – in erster Linie1673 – auf das ProdHaftG, welcher sich aber erst durch Auslegung erkennen lässt1674 . Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG als (Blankett-)Verweisungsnorm erweist sich allerdings dahingehend als problematisch, als sich eine (nicht unerhebliche) Diskrepanz zwischen dem Gesetzeswortlaut und (vermutlichen1675 ) Willen des Gesetzgebers feststellen lässt. Im Gegensatz zu Art. 15 Abs. 7 Nr. 1, 2 sowie Art. 16 VerbrSchG nennt die einschlägige Norm die einstandsverpflichteten Personen, zu welchen der Verkäufer, Hersteller sowie Ausführende zählen. Verkäufer und Hersteller haften gemäß dem Wortlaut der Regelung 1672

1673

1674

1675

Ähnliche Regelung enthält auch das russische VerbrSchG. Vgl. daher Heidemann, Unternehmenshaftung in Russland, S. 206; Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 509. Im Bereich von Werk- und Dienstleistungen dürfte es sich aber um den Verweis auf Art 1209 Abs. 1 ZGB handeln. S. Teil II § 8 D IV, S. 439. Ebenso wie bei Art. 1209 Abs. 3 ZGB und Art. 16 VerbrSchG. S. Teil II § 8 B I, S. 364 f.; Teil II § 8 B III 1, S. 386 ff. Mangels Gesetzesbegründung ist es kaum möglich, den tatsächlichen gesetzgeberischen Willen einwandfrei zu ermitteln.

§ 8 Haftungsgrundlagen

391

gleichrangig1676 . Nach dem ProdHaftG, auf welches in Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG verwiesen wird, ist dagegen nur der Hersteller zum Ersatz etwaiger Schäden verpflichtet. Der Verkäufer kann gemäß Art. 7 Abs. 3 ProdHaftG nur ausnahmsweise in Anspruch genommen werden, wenn der Hersteller im jeweiligen Fall nicht feststellbar bzw. auffindbar ist. Indes dürfte der ukrainische Gesetzgeber eine generelle Einbeziehung des Vertragspartners des Verbrauchers in die Schadensersatzhaftung infolge einer ungenügenden oder nicht wahrheitsgemäßen Information – weiterhin – vor Augen gehabt haben und der Kreis der Passivlegitimierten sei Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG und nicht Art. 7 ProdHaftG zu entnehmen. Hinzu kommt, dass Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG gerade wegen des Inkrafttretens des ProdHaftG geändert wurde. Wenn der Gesetzgeber die haftenden Personen nach dem ProdHaftG hätte definieren wollen, hätte er das in der neuen Fassung der Vorschrift zum Ausdruck gebracht (bzw. bringen müssen). Gleichwohl darf nicht ignoriert werden, dass Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG a. F. für den Fall der ungenügenden bzw. fehlenden Information des Verbrauchers auf die Haftung nach Art. 16 VerbrSchG a. F. verwiesen und die außervertragliche Haftung gemäß Art. 16 VerbrSchG a. F. (bloß) um die Verantwortung für die Verletzung von Informationspflichten1677 ergänzt hat1678 . In beiden Rechtsvorschriften wurden insofern die dem klagenden Verbraucher gegebenenfalls passiv legitimierten Personen identisch definiert. Der Gesetzgeber hat offenbar damit ein einheitliches Konzept bei den Schadensersatzansprüchen der Produkthaftung verfolgt. Nun richtet sich der Kreis der anspruchsverpflichteten Personen in Art. 16 VerbrSchG nach dem ProdHaftG1679 . Dies sollte unter Berücksichtigung des dargestellten gesetzgeberischen Willens auch im Rahmen des Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG n. F. gelten. Vielmehr ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber durch die Neufas1676

1677

1678 1679

Auffällig ist an dieser Stelle, dass der ukrainische Gesetzgeber den Hersteller und Ausführenden als Haftende nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG in Klammern setzt, während der Verkäufer außerhalb des Klammerzusatzes steht. Diese – zumindest auf den ersten Blick nicht eingängige, jedoch übliche – Gesetzesformulierung ist nicht anderes als Ausdruck der Alternativität (vgl. z. B. Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 8 Abs. 1 S. 2, Art. 14 Abs. 2 S. 3 VerbrSchG). Das heißt, der geschädigte Verbraucher kann den Verkäufer oder Hersteller nach seiner Wahl in Anspruch nehmen. Da das VerbrSchG dadurch einen umfassenden Verbraucherschutz bezweckt, wäre die dem Verbraucher eingeräumte Möglichkeit, die genannten Akteure als solidarische Gesamtschuldner zu verklagen, gerechtfertigt. Die Haftung für unzugängliche, unrichtige, unvollständige oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellte Informationen kann hier mit der Haftung für Instruktionsfehler im deutschen Recht verglichen werden. Verkannt von Prymak, Jurydyčna Ukrajina 2012, Nr. 7, 57 (59). S. dazu Teil II § 8 B III 1, S. 386 ff.

392

Teil II Rechtslage in der Ukraine

sung des Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG die Abkehr von diesem bislang gesetzlich favorisierten Konzept beabsichtigt hätte. Das Gegenteil ist der Fall: Das Produkthaftungsrecht soll durch das neue ProdHaftG vereinheitlicht und vereinfacht werden. Art. 12 Abs. 2 ProdHaftG schreibt mithin fest, dass die produkthaftungsrechtlichen Regelungen außerhalb des ProdHaftG dessen Bestimmungen nicht widersprechen dürfen. Die Ausweitung der Haftung des Verkäufers auf die Nichtbeachtung der schadensverhütenden (dem Hersteller zurechenbaren) Informationspflicht, die als Informationsfehler i. S. d. ProdHaftG anzusehen ist, würde dem gewählten System des ukrainischen Produkthaftungsrechts sowie der umzusetzenden Produkthaftungsrichtlinie1680 widersprechen. Die diesbezüglich bestehende Rechtsunsicherheit bei der Prüfung der Haftung für unzugängliche, unrichtige, unvollständige oder nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellte Informationen müsste die ukrainische Rechtsprechung zu einer entsprechenden Korrektur veranlassen. Dabei wäre es naheliegend, dem gesetzgeberischen Willen Vorrang vor dem missglückten Wortlaut des Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG zukommen zu lassen und eine Kollision zwischen der konkreten Gesetzesaussage und dem Gesetzgeberwillen mittels Reduktion auf den letzten zu lösen. Eine solche Auslegung würde darüber hinaus dem richtlinienkonformen Umsetzungswillen des ukrainischen Gesetzgebers zur Wirksamkeit verhelfen1681 . Ob der Erdgasförderer sowie Erdgasimporteur wegen der Verletzung der Informationspflicht dem betroffenen Verbraucher gegenüber auf Schadensersatz haftet, entscheidet sich vor dem Hintergrund des bisher Gesagten nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG i. V. m. Art. 7 ProdHaftG. Neben den (eigenen) Tatbestandsmerkmalen des Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG müssen demnach die positiven und negativen Voraussetzungen der Haftung nach dem ProdHaftG, die im nachfolgenden Abschnitt behandelt werden, erfüllt sein. Dabei gilt es anzumerken, dass die Tatbestandsmerkmale des Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG, zu welchen ein Schaden an Leben, Gesundheit und Vermögen1682 des Verbrauchers, die mangelhafte Information sowie die Kausalität gehören, den Voraussetzungen des Art. 7 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Nr. 6, Art. 5 1680 1681

1682

S. dazu Fn. 1377, S. 299. Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 146 f. Das VerbrSchG definiert den Begriff des Vermögens nicht näher. Im Hinblick auf den Verweisungscharakter von Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG sowie das gesetzgeberische Bestreben nach einem einheitlichen und richtlienkonformen ukrainischen Produkthaftungsrecht ist das Vermögen hier im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Nr. 6 ProdHaftG zu verstehen.

§ 8 Haftungsgrundlagen

393

ProdHaftG entsprechen, so dass an dieser Stelle auf ihre nähere Darstellung verzichtet wird. IV.

Haftung nach dem ProdHaftG

Schließlich ist zu prüfen, ob bei Erdgasversorgungsstörungen ein Schadensersatzanspruch gegen den Erdgasförderer bzw. -importeur auf Art. 7 Abs. 1 bzw. 2 ProdHaftG1683 i. V. m. Art. 1209 Abs. 3 ZGB, ggf. Art. 16 VerbrSchG gestützt werden kann1684 . Nach Art. 7 Abs. 1 bzw. 2 ProdHaftG haftet der Hersteller bzw. Importeur dafür, dass er ein fehlerhaftes Produkt hergestellt und in den Verkehr gebracht oder in das Zollgebiet der Ukraine eingeführt und dieses Produkt einem anderen einen Schaden zufügt hat. Das Verschuldenselement als Tatbestandsvoraussetzung wird hingegen nicht erfordert (Art. 4 ProdHaftG). Hierbei handelt es sich um eine Gefährdungshaftung, die weder Höchstbeträge vorsieht noch dem Hersteller (bzw. Importeur) den Nachweis fehlenden Verschuldens gestattet1685 . 1.

Anspruchsberechtigte Personen

Der persönliche Anwendungsbereich des ProdHaftG wird durch seinen Art. 2 nicht ausdrücklich bestimmt. Die Vorschrift stellt nur klar, dass das Gesetz die Verantwortlichkeit für Schäden, die beim Geschädigten infolge eines Fehlers des im Gebiet der Ukraine in Verkehr gebrachten Produkts entstanden sind, regelt. Geschädigter ist der Verbraucher bzw. (Produkt-)Benutzer, der durch das fehlerhafte Produkt verletzt wurde (Art. 1 Abs. 1 Nr. 4 ProdHaftG). Nach der Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 ProdHaftG handelt es sich bei einem Produktbenutzer um eine natürliche Person, die eine Ware zur Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit oder Erfüllung seiner Arbeitnehmerpflichten erwirbt, bestellt oder nutzt, bzw. eine juristische Person, die eine Ware erwirbt, bestellt oder nutzt. Daraus ergibt sich, dass sowohl private als auch gewerbliche und industrielle Erdgaskunden nach Art. 7 ProdHaftG anspruchsberechtigt sein können. 1683 1684

1685

S. dazu Fn. 1377, S. 299. Die Haftung nach dem ProdHaftG kann neben der allgemeinen sowie besonderen deliktischen Haftung nach Artt. 1166 – 1208 ZGB geltend gemacht werden. Dies wird insbesondere durch Art. 9 Abs. 5 ProdHaftG bestätigt. Die Norm stellt klar, dass die in Art. 9 Abs. 1 bis 4 ProdHaftG Haftungsausschlussgründe eine Produkthaftung nach dem ProdHaftG ausschließen, nicht dagegen aber eine deliktische Haftung nach dem ZGB, wenn ihre Voraussetzungen im Übrigen vorliegen. Nyemtseva, Teoretyko-pravovyj analiz vidpovidal´nosti bez vyny u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Theoretische und rechtliche Analyse der Gefährdungshaftung im Zivilrecht der Ukraine], S. 149.

394

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Eine Legaldefinition für den Begriff des Verbrauchers findet sich dagegen im ProdHaftG nicht. Denkbar ist daher, sie dem VerbrSchG zu entnehmen. Nachbarn, Besucher und Gäste eines Erdgaskunden, die mit dem Produkt Erdgas in Berührung kommen oder in seinen Gefahrenbereich gelangen, ohne es selbst zu nutzen, würden damit – im Gegensatz zu Mietern, Untermietern sowie Mitbewohnern – keine Schadensersatzansprüche gestützt auf das ProdHaftG geltend machen können. Denn ein vollkommen Außenstehender (der sog. innocent bystander), der das fehlerhafte Produkt nicht verwendet, ist von der Begriffsbestimmung des VerbrSchG nicht erfasst (vgl. Art. 1 Nr. 22 VerbrSchG)1686 . Eine solche Auslegung des Verbraucherbegriffs im ukrainischen ProdHaftG widerspreche jedoch dem Schutzstandard der ProdHaftRL. Die ProdHaftRL unterscheidet nicht nach den Adressaten der Produkte und schützt jedermann, auch einen unbeteiligten Dritten1687 . Da das ProdHaftG mit dem Ziel verabschiedet worden ist, das ukrainische Produkthaftungsrecht an das EU-Recht anzupassen, ist für eine richtlinienkonforme Auslegung des ProdHaftG und – folglich – das weite Verständnis des Verbraucherbegriffs zu plädieren. 2.

Anspruchsverpflichtete Personen

Anders als im VerbrSchG ist nach dem ProdHaftG grundsätzlich nur der Hersteller anspruchsverpflichtet (Art. 7 Abs. 1 ProdHaftG). Dazu zählen nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 ProdHaftG sowohl der (tatsächliche) Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts als auch der sog. QuasiHersteller, der sich durch entsprechende Kennzeichnung des Produkts als Hersteller ausgibt. Dem Hersteller ist gemäß Art. 7 Abs. 2 ProdHaftG auch der Importeur – die Person, die ein Produkt zum Zweck des Verkaufs, der Vermietung, des Mietkaufs oder in anderer Form des Vertriebs im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in die Ukraine einführt – haftungsrechtlich gleichgestellt. Der Lieferant (bzw. Verkäufer) kann nur subsidiär in Anspruch genommen werden, wenn der Hersteller bzw. Importeur des fehlerhaften Produkts innerhalb von 30 Tagen nicht festgestellt werden kann (Art. 7 Abs. 3 ProdHaftG). Der Erdgasförderer unterfällt ohne Weiteres dem Herstellerbegriff gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 ProdHaftG, da er das Erdgas aus einem Bohrloch gewinnt, reinigt und (zur Einspeisung in die Erdgasinfrastruktur) aufbereitet und damit 1686

1687

Vgl. dazu Jegorycheva, Jurydyčna Ukrajina 2012, Vol. 7, 47 (51); so auch zum russichen Verbraucherschutzrecht Burian/Strzebniok, PHi 2001, Nr. 2, 60 (61); a. A. Braginsky/Vitrjansky/Jaroshenko, Kommentarij časti vtoroj Graždanskogo kodeksa RF [Kommentar zum zweiten Teil des ZGB der RF], S. 386 f. Vgl. Soergel/Krause, ProdHaftG § 1 Rn. 1; s. auch Tamm/Tonner/Nietsch, Verbraucherrecht, § 22 Rn. 1 und 5.

§ 8 Haftungsgrundlagen

395

sicherheitsrelevant erheblich in seine Gestaltung und Eigenschaften eingreift. Doch ist immer zu bedenken, dass das Produkt Erdgas für die (meisten) Erdgasendkunden erst nach der Druckverringerung (vom Hoch- in den Niederdruck) nutzbar ist. Es ist daher naheliegend, den die zu liefernden Erdgasmengen transformierenden Netzbetreiber – nach Beispiel der deutschen Rechtsprechung1688 – als Hersteller des Endprodukts anzusehen. Aber auch in diesem Fall kann dem Erdgasförderer weiterhin die Herstellereigenschaft zugeschrieben werden. Er ist – wenigstens – wie ein Hersteller des Vorprodukts zu behandeln. Der Erdgasförderer als Hersteller des Vorprodukts und der Netzbetreiber als Hersteller des Endprodukts können vom Geschädigten gegebenenfalls nebeneinander (gesamtschuldnerisch) in Anspruch genommen werden (vgl. Art. 8 ProdHaftG). Gleiches soll auch für den Erdgasimporteur gelten. Jedenfalls bleibt abzuwarten, wie die ukrainischen Gerichte zukünftig in den Fällen der Erdgasversorgungsstörungen entscheiden und ob sie sich der dargelegten Ansicht anschließen werden. Im Hinblick auf die physikalischen Besonderheiten des Produkts Erdgas gilt es allerdings auch im ukrainischen Recht zu beachten, dass sich der eigentliche Hersteller, d. h. Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur, wessen Erdgas beim Einspeisen ins Netz fehlerhaft i. S. d. Art. 5 Abs. 1 ProdHaftG gewesen ist und als Folge die Versorgungsstörung verursacht hat, in der Regel nur schwer bzw. nicht identifizieren lässt. Dem steht die Vermengung der Erdgasströme im Netz entgegen. Produkthaftungsrechtlich werden deshalb in den meisten Fällen hierbei der Erdgaslieferant und der Netzbetreiber, sollte seine Herstellereigenschaft unter Verweis auf den Transformationsvorgang in der Rechtsprechung anerkannt werden, in den Fokus rücken. 3.

Erdgas als Produkt im Sinne des ukrainischen ProdHaftG

Erdgas kann ohne Weiteres schlüssig unter den Produktbegriff des ukrainischen ProdHaftG subsumiert werden. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 5 ProdHaftG wird das Produkt als bewegliches Vermögen definiert, einschließlich Endprodukt, Grundstoff sowie Teilprodukt. Als Produkt gilt ausweislich des Wortlautes der Norm auch Elektrizität1689 . Nach Art. 190 Abs. 1 ZGB umfasst der Begriff des Vermögens sowohl Sachen als auch Vermögensrechte. Sachen i. S. d. Art. 179 ZGB sind körperliche Gegenstände, im Hinblick auf welche zivile Rechte und Pflichten entstehen können1690 . Auf den Aggregatzustand kommt es dabei nicht an, so dass neben festen Gegenständen Flüssigkeiten und Ga1688 1689 1690

BGH NJW 2014, 2106 (2106 ff.). Entsprechend der im ukrainischen ProdHaftG umgesetzten Richtlinie. Ähnlich ist die Legaldefinition der Sache nach deutschem Recht, vgl. § 90 BGB.

396

Teil II Rechtslage in der Ukraine

se Sachen darstellen1691 . Erdgas besitzt mithin die Produkteigenschaft, zumindest sofern es räumlich abgrenzbar ist (etwa in Behältern oder Rohrleitungen)1692 . 4.

Haftungsvoraussetzungen

Für die Begründung der Schadensersatzpflicht des Herstellers bzw. Importeurs muss der geschädigte Verbraucher bzw. Produktbenutzer das Vorliegen eines Produktfehlers, das Bestehen eines Schadens sowie des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Fehler und Schaden beweisen (Art. 6 Abs. 1 ProdHaftG). a)

Produktfehler

Die Haftung des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs nach dem ProdHaftG kann nur dadurch begründet werden, wenn das Produkt Erdgas nicht die Sicherheit bietet, die der (private und/oder industrielle) Erdgaskunde berechtigterweise erwarten kann (Art. 5 Abs. 1 ProdHaftG)1693 . Die berechtigten Sicherheitserwartungen des Erdgaskunden ergeben sich insbesondere aus Abschn. III Art. 1 Abs. 13 TranspNetzK und sind demnach erfüllt, soweit das in den Verkehr gebrachte Erdgas die Eigenschaften (nämlich Druck und Brennwert) und die Zusammensetzung (etwa durch Entzug oder Zugabe von Inhaltsund/oder Zusatzstoffen) gemäß GOST 5542-87 aufweist. Die Unterschreitung dieser Sicherheitsstandards, die für die Bevölkerung und Industrie gleichermaßen gelten, deutet darauf hin, dass ein fehlerhaftes Produkt i. S. d. Art. 5 Abs. 1 ProdHaftG vorliegt. Das gelieferte Erdgas kann aber auch dann als fehlerhaft eingestuft werden, wenn der jeweilige Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur auf erforderliche Sicherheits- und Warnhinweise verzichtet oder diese nicht ordnungsgemäß erteilt. Das Ausbleiben der Erdgaslieferung begründet hingegen keine Haftung des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs nach dem ProdHaftG. In diesem Fall entsteht der Schaden durch die Nichteinspeisung von Erdgasmengen ins Netz und nicht durch die Auswirkung des eingespeisten fehlerhaften Erdgases. Es mangelt hierbei am Inverkehrbringen eines (fehlerhaften) Produkts1694 .

1691 1692 1693 1694

Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 52 f. Vgl. Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 53. Näher zum Fehlerbegriff nach dem ProdHaftG s. Teil II § 7 A I 2 a), S. 299 f. So wohl im Ergebnis BerufG des Dnipropetrowsk Gebietes, Verfügung v. 23.09.2014 Reg.-Nr. 175/5450/13-ц; BerufG des Donetsk Gebietes, Verfügung v. 05.08.2013 Reg.Nr. 0541/4867/2012; Woroshylowskyj BezirkG der Stadt Donetsk, Urteil v. 02.08.2012 Reg.-Nr. 0508/6499/2012.

§ 8 Haftungsgrundlagen

b)

397

Schaden

Anders als das Deliktsrecht schränkt das ProdHaftG den Kreis der geschützten Rechtsgüter ein. Die Produkthaftung des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs kommt nur dann in Betracht, wenn durch die Einspeisung des fehlerhaften Erdgases das Leben, der Körper, die Gesundheit oder die Sachintegrität verletzt werden (Art. 1 Abs. 1 Nr. 6 ProdHaftG). Die Aufzählung in Art. 1 Abs. 1 Nr. 6 ProdHaftG ist abschließend und die Einbeziehung anderer (absolut geschützter) Rechtsgüter verwehrt. Für die Verletzung der Freiheit oder eines sonstigen personenbezogenen Rechts wird nach dem ukrainischen ProdHaftG demnach nicht gehaftet. Die Sachschäden sind des Weiteren auf die Sachbeschädigung und Sachzerstörung beschränkt. Daraus ergibt sich, dass primäre Vermögensinteressen hingegen nicht unter den Schutzbereich des ukrainischen ProdHaftG fallen. Die Sachschäden müssen zudem – in Übereinstimmung mit der Produkthaftungsrichtlinie – an anderen Sachen als dem fehlerhaften Produkt entstehen, damit sie im Rahmen der verschuldensunabhängigen Produkthaftung ersetzt werden können. Auf die zweite Einschränkung der Ersatzfähigkeit von Sachschäden, die darin besteht, dass die betroffene Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- und Verbrauch bestimmt oder vom Geschädigten dazu hauptsächlich verwendet werden muss (vgl. Art. 9 ProdHaftRL), hat freilich der ukrainische Gesetzgeber (wohl bewusst) verzichtet. Das bedeutet, dass das ukrainische ProdHaftG auch Gegenstände, die für den beruflichen Gebrauch bestimmt sind bzw. verwendet werden, schützt und somit einen weiteren Anwendungsbereich als das deutsche aufweist. Immaterielle Schäden werden in die nach dem ProdHaftG zu ersetztenden Posten nicht miteinbezogen1695 . In dieser Hinsicht sind Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Recht sichtbar. c)

Kausalität

Schließlich muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler, den das (ein- bzw. ausgespeiste) Erdgas aufweist, und dem beim jeweiligen Erdgasletztverbraucher eingetretenen Schaden vorliegen. Die Kausalität als Tatbestandsmerkmal ist ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 Nr. 3 ProdHaftG, der dem Art. 4 ProdHaftRL entspricht, vorgesehen. Aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich ferner, dass die Beweislast für ihr Vorliegen dem Geschädigten obliegt. Sie würde sich aber bereits aus dem allgemeinen ukrainischen Recht in gleicher Weise ergeben. 1695

Dyminska, UNZ 2014, Nr. 4 (52), 61 (66).

398

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Fraglich ist, nach welchen Kriterien die Kausalität im Rahmen des ProdHaftG zu beurteilen ist. Weder in der Rechtsprechung noch in der Judikatur wird die Bestimmung von Kausalität und Zurechnung bei Art. 6 Abs. 1 Nr. 3 ProdHaftG angesprochen, so dass man dabei durchaus von der Heranziehung der in der ukrainischen Rechtsordnung geltenden Instrumente, d. h. der Theorie der notwendigen und zufälligen Kausalität oder der Theorie der direkten und mittelbaren Kausalität1696 , ausgehen kann. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass das ProdHaftG sowie die ProdHaftRL nicht im Einzelnen definieren, was unter der Kausalität zwischen Fehler und Schaden zu verstehen ist. Bei der Beurteilung des kausalen Zusammenhangs in Bezug auf die produkthaftungsrechtliche Haftung ist allerdings geboten, die im ukrainischen Recht entwickelten Kausalitätsvorstellungen dahingehend zu modifizieren, dass der Konzeption sowie Zielsetzung der ProdHaftRL größtmöglich Rechnung getragen wird. Denn deren Umsetzung dient das ukrainische ProdHaftG gerade. 5.

Haftungsausschluss

Trotz Vorliegens der oben genannten Haftungsvoraussetzungen entfällt die Schadensersatzpflicht des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs als Hersteller, soweit zumindest einer der in Art. 9 Abs. 1 bis 4 ProdHaftG genannten Umstände eingreift. In der hier zu behandelnden Fallkonstellation spielt Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 ProdHaftG eine besondere Rolle. Danach wird der Hersteller von seiner Verantwortung für den Fehler des Produkts, der den Schaden verursacht hat, befreit, wenn es im Moment seines Inverkehrbringens fehlerfrei war, es sei denn, dass der Fehler auf der Konstruktion des Produkts beruht1697 . Im Bereich der Erdgasversorgung ist dies dann der Fall, wenn der (als Hersteller identifizierte) Erdgasförderer (bzw. Erdgasimporteur) das fehlerfreie Erdgas ins Netz einspeist und die Fehlerursache außerhalb seines Einflussbereiches (nämlich in der Sphäre des Netzbetreibers) liegt. Dieser Haftungsausschluss steht sowohl dem Hersteller des Endprodukts als auch dem Hersteller des Teilprodukts oder des Grundstoffs zu. In diesem Zusammenhang gilt es anzumerken, dass Art. 9 Abs. 2 ProdHaftG zwar spezielle Entlastungsmöglichkeiten für den Teilprodukt- und Grundstoffhersteller enthält1698 . Demnach haftet ein solcher Hersteller nicht, 1696 1697

1698

S. dazu Teil II § 8 B I 1 c), S. 371 ff. Der Ausschluss der Entlastungsmöglichkeit für Konstruktionsfehler hat keine praktische Relevanz. Sie haften dem Produkt von der Entstehung an und können daher durch Einwirken Dritter nach seinem Inverkehrbringen kaum entstehen. Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 ProdHaftG erwähnt zwar ausdrücklich nur den Teilprodukthersteller. Die Norm ist aber – analog – auch auf den Grundstoffhersteller anzuwen-

§ 8 Haftungsgrundlagen

399

wenn es ihm gelingt nachzuweisen, dass der Fehler nur durch die Konstruktion des End- bzw. Folgeprodukts, in welches das Teilprodukt oder der Grundstoff eingebaut bzw. zu welchem dieses/dieser weiterverarbeitet wurde, (1. Alt.) oder durch die Anleitungen des End- bzw. Folgeproduktherstellers verursacht worden sein könnte (2. Alt.). Sollte der Erdgasförderer (bzw. Erdgasimporteur) als Grundstoffhersteller im konkreten Fall angesehen werden, so wird er sich grundsätzlich gemäß Art. 9 Abs. 2 1. Alt. ProdHaftG durch den Nachweis entlasten können, dass das von ihm ins Netz eingespeiste (und somit in den Verkehr gebrachte) Erdgas als Grundstoff fehlerfrei war und eine Rechtsgutverletzung erst durch das durch den jeweiligen Netzbetreiber weiterverarbeitete (etwa verdichtete bzw. entspannte) Erdgas als Endprodukt verursacht worden ist. Art. 9 Abs. 2 1. Alt. ProdHaftG hat allerdings hier eher klarstellende Bedeutung, denn dem in Anspruch genommenen Erdgasförderer (bzw. Erdgasimporteur) käme ohnehin Art. 9 Abs. 1 Nr. 2 (bzw. Nr. 1) ProdHaftG zugute. Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ferner ausgeschlossen, wenn dieser das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat (Art. 9 Abs. 1 Nr. 1 ProdHaftG), nicht im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat (Art. 9 Abs. 1 Nr. 3 ProdHaftG) oder der Fehler infolge der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben oder verbindlicher Weisungen von staatlichen Behörden zustandegekommen ist (Art. 9 Abs. 1 Nr. 4 ProdHaftG). Der Hersteller darf aber seine Haftung nach dem ProdHaftG vertraglich weder beschränken noch ausschließen werden (Art. 9 Abs. 6 ProdHaftG). 6.

Rechtsfolgen

Wird der Anspruch des geschädigten Erdgaskunden gegen den Erdgasförderer (bzw. Erdgasimporteur) als Schädiger nach Art. 7 Abs. 1 (bzw. Abs. 2) ProdHaftG bejaht, hat dieser für jeden Personen- und Sachschaden einzustehen. Auch eine Entschädigung für immaterielle Schäden kann gefordert werden, wenngleich sie im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt ist. Denn der Anspruch auf Ersatz von immateriellen Schäden gemäß Art. 23 Abs. 1 ZGB besteht unabhängig von seiner Normierung in speziellen – auf Schadenser-

den. Warum die in Art. 9 Abs. 2 ProdHaftG geregelten Haftungsausschlussgründe für den Grundstoffhersteller, der den gleichen Haftungsrisiken ausgesetzt ist, nicht gelten sollten, ist allerdings nicht ersichtlich. Hier hat wohl der ukrainische Gesetzgeber Art. 7 lit. f RL 85/374/EWG schlechthin unverändert in das Produkthaftungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz übernommen, ohne jedoch die redaktionelle Unachtsamkeit des Richtliniengebers bemerkt und diese vorher korrigiert zu haben. Der deutsche Gesetzgeber hat hingegen entsprechende Änderungen vorgenommen. S. dazu MünchKomm/Wagner, ProdHaftG § 1 Rn. 62.

400

Teil II Rechtslage in der Ukraine

satz gerichteten – Vorschriften1699 . Es genügt, dass Art. 23 ZGB nicht explizit ausgeschlossen wird und der Geschädigte wegen der Verletzung eines der in Art. 23 Abs. 2 ZGB genannten Rechtsgüter schadensersatzpflichtig ist 1700 . Reine Vermögensschäden werden dagegen nicht ersetzt. Im Gegensatz zum deutschen Produkthaftungsrecht sind ein Haftungshöchstbetrag bzw. eine Selbstbeteiligung bei Sachbeschädigung nach dem ukrainischen ProdHaftG nicht ersichtlich. So haftet der Hersteller in der Ukraine in dieser Hinsicht unbegrenzt. Gleichwohl kann die Haftung des Herstellers unter Berücksichtigung aller Umstände gemindert werden oder aber vollkommen entfallen, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch Verschulden des Geschädigten verursacht worden ist (Art. 9 Abs. 4 ProdHaftG). C.

Der Erdgaslieferant als Passivlegitimierter

Als Grundlage für eine Haftung des Erdgaslieferanten bei Erdgasversorgungsstörungen kommen in der Ukraine grundsätzlich nur vertragliche Schadensersatzansprüche nach dem ZGB sowie dem WGB in Betracht. Der Grund dafür ist, dass die Erdgaslieferung ausschließlich aufgrund eines Vertrages zwischen dem Erdgaslieferanten und dem Erdgasendkunden, welcher einen geeigneten Anknüpfungspunkt für eine vertragliche Haftung bildet, erfolgt (vgl. Art. 12 Abs. 1 ErdgasMarktG) und dass die vertragliche Haftung regelmäßig der deliktischen vorgeht1701 . Dies gilt allerdings, wie bereits oben dargestellt, nicht für Personenschäden innerhalb der vertraglichen Beziehung (Art. 1196 ZGB) sowie für Mangelfolgeschäden im Rahmen eines Kaufvertrages (Art. 711 ZGB); der Ersatz solcher Schäden richtet sich ausschließlich nach den Bestimmungen des ukrainischen Deliktsrechts. Bei infolge fehlender Sicherheit des gelieferten Erdgases am Vermögen sowie der Person des Erdgasendkunden entstandenen Schäden ist demnach ein produkthaftungsrechtlicher Anspruch nach Art. 7 Abs. 3 ProdHaftG i. V. m. Art. 1209 Abs. 3 ZGB gegen den Erdgaslieferanten denkbar. Dieser kann sich allerdings von seiner Haftung durch den Verweis auf den Hersteller entlasten. 1699

1700

1701

Dzera/Kuznjecova/Luc´/Shymon, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 1, Art. 23 S. 52. Vgl. aber Plenum des OG, Verordnung zur Rechtsprechung in zivilrechtlichen Sachen über den Ersatz von immateriellen Schäden (Nichtvermögensschäden) v. 31.03.1995 Nr. 4, bestätigt durch die Verordnung v. 27.02.2009 Nr. 1, veröffentlicht in Juryčdynyj visnyk Ukrajiny 2009, 04, 04, Nr. 14, wonach immaterielle Schäden nur ersatzfähig sind, wenn das jeweilige die Schadensersatzhaftung regelnde Gesetz oder der Vertrag dies ausdrücklich vorsehen. Dazu bereits Teil II § 8 A, S. 360 ff.

§ 8 Haftungsgrundlagen

401

Die außervertragliche Haftung des Erdgaslieferanten ist weiterhin aus Art. 1166 Abs. 1 ZGB, der einen allgemeinen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung regelt, möglich, soweit die Tatbestände der speziellen (produkthaftungsrechtlichen) Regelungen nicht eingreifen und die Voraussetzungen der genannten Norm erfüllt sind. Die Haftungsvorschriften des Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 und des Art. 16 VerbrSchG haben dagegen im Hinblick auf ihren Verweisungscharakter und ihre Bezugnahmefunktion auch in der Fallkonstellation, in welcher der Erdgaslieferant passivlegitimiert ist, keine selbständige Bedeutung. Hier gelten im Wesentlichen die Ausführungen zu den außervertraglichen Ansprüchen des VerbrSchG zu Lasten des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs. Anders ist jedoch die Rechtslage bei den (vertraglichen) Ansprüchen nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 bzw. 2 VerbrSchG. Denn diese werden in erster Linie gegen den Verkäufer, der die Ware aufgrund eines Kaufvertrages unmittelbar an Verbraucher absetzt, geltend gemacht und gerade der Erdgaslieferant ist als Verkäufer i. S. d. VerbrSchG tätig1702 , so dass seine Haftung nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 bzw. 2 VerbrSchG durchaus möglich zu sein scheint. I.

Vertragliche Haftung nach Art. 623 Abs. 1 ZGB

Als zentrale Norm für die vertragliche Schadensersatzhaftung in der Ukraine gilt Art. 623 Abs. 1 ZGB1703 . Danach muss der Schuldner, der eine Verbindlichkeit verletzt hat, dem Gläubiger die hierduch entstandenen Verluste ersetzen. Der Schuldner muss vielmehr die Verletzung – grundsätzlich1704 – verschulden (vgl. Art. 614 ZGB)1705 . Art. 623 Abs. 1 ZGB ist in der Regel in den 1702 1703

1704

1705

Vgl. Teil II § 8 B III 2 a), S. 389 f. Im Gegensatz zu Art. 611 ZGB, der keine Anspruchsgrundlage ist, wenngleich er auf den ersten Blick als solche erscheinen mag und von der Rechtsprechung vereinzelt unbegründeterweise als solche behandelt wird (vgl. Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 08.09.2010 Reg.-Nr. 11/367-36/246). Art. 611 ZGB regelt zwar Rechtsfolgen von Verbindlichkeitsverletzungen, unter anderem Schadensersatz. Die Vorschrift fasst aber lediglich mögliche Folgen, die im Falle der Verletzung einer vertraglichen Verbindlichkeit eintreten können, (nicht abschließend und überblicksartig) zusammen und dient der besseren Orientierung sowie leichteren Handhabung des ZGB durch die Rechtsanwender, insbesondere Rechtslaien. Für die in Art. 611 ZGB genannten Rechtsfolgen bietet das ukrainische ZGB vielmehr separate Rechtsnormen, in denen die Voraussetzungen für den Eintritt dieser Rechtsfolgen geregelt sind. S. dazu bereits ausführlich Blank, Das allgemeine Leistungsstörungsrecht in Deutschland und in der Ukraine, S. 142 ff. Vgl. z. B. Art. 906 Abs. 1 ZGB zum Dienstvertrag, wonach sich ein unternehmerisch tätiger Schuldner nur durch den Nachweis höherer Gewalt vom Verschuldensvorwurf befreien kann. Eine verschuldensunabhängige Haftung besteht des Weiteren beim Schuldnerverzug (Art. 625 Abs. 1 ZGB). Vgl. Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 623 Pkt. 1.3 S. 537.

402

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Fällen die richtige Anspruchsgrundlage, bei denen ein Schadensersatz vom Erdgaslieferanten durch den Haushaltsverbraucher verlangt wird. Sobald die Erdgasendkunden als Wirtschaftssubjekte i. S. d. WGB (Artt. 2, 8, 23, 55, 176 u. a.) einzustufen sind, greift Art. 224 Abs. 1 WGB als lex specialis vorrangig ein. Das ukrainische Leistungsstörungsrecht baut auf einem Einheitstatbestand des vertraglichen Schadensersatzes, dem der zentrale Begriff der Verbindlichkeitsverletzung zugrunde liegt, auf. Art. 623 Abs. 1 gewährt den Ersatz des Schadens, der durch eine Verletzung der vertraglichen Verbindlichkeit entstanden ist, wobei auf eine Differenzierung zwischen Leistungsstörungssowie Schadensersatzarten verzichtet wird 1706 . Gemäß Art. 610 ZGB liegt zwar eine Verletzung der Verbindlichkeit vor, wenn die Verbindlichkeit überhaupt nicht (Nichterfüllung, nevykonannja) oder in einer nicht ihrem Inhalt entsprechenden Weise (nicht gehörige Erfüllung, nenaleğne vykonannja) erfüllt wird. Für die Anwendung des Art. 623 Abs. 1 ZGB spielt gleichwohl diese Unterscheidung zwischen Nichterfüllung und nicht gehöriger Erfüllung keine Rolle1707 . Sie dient lediglich einer anschaulichen Beschreibung der Art der Verbindlichkeitsverletzung. Trotz der systematischen Idee eines schadensersatzrechtlichen Einheitstatbestands hat der ukrainische Gesetzgeber den Schuldnerverzug (prostročennja boržnyka) besonders geregelt, vgl. Art. 612 ZGB, und scheint ihn auf den ersten Blick als spezielle Kategorie der Verbindlichkeitsverletzung von anderen Fällen absondern zu wollen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass das Rechtsinstitut des Verzugs im ukrainischen Recht in erster Linie an die Nichteinhaltung der Erfüllungsfrist anknüpft. So liegt der Schuldnerverzug gemäß Art. 612 Abs. 1 ZGB vor, wenn der Schuldner bei Ablauf der Erfüllungsfrist mit der Erfüllung der Verbindlichkeit noch nicht begonnen (1. Alt.) oder die Verbindlichkeit zum gehörigen (vertraglich oder gesetzlich bestimmten) Zeitpunkt (Art. 530 ZGB) nicht erfüllt hat (2. Alt.). Für seine Begründung ist vielmehr der Eintritt zusätzlicher (objektiver) Haftungsvoraussetzungen etwa Mahnung oder Fristsetzung im Gegensatz zum deutschen Recht nicht erforderlich, so dass sich der Schuldnerverzug i. S. d. Art. 612 Abs. 1 ZGB in 1706

1707

Vgl. Jarema/Rotan´, Problemni pytannja u zastosuvanni cyvil´nogo i gospodars´kogo kodeksiv Ukrajiny [Problemfragen bei der Anwendung des ZGB und des WGB der Ukraine], S. 198. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Luc´, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 610 S. 165, Art. 623 S. 179; so auch Baranova, in: Aktual´ni problemy pryvatnogo prava: materialy mižnar. nauk.-prakt. konf., 28 ljutogo 2014 [Aktuelle Probleme aus dem IPR: Sammelband zur wissenschaftlich-praktischen internationalen Konferenz v. 28. Februar 2014 in Kharkiv], Kharkiv 2014, S. 89.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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der allgemeinen Einordnung nicht von anderen Verbindlichkeitsverletzungen unterscheidet. Somit handelt es sich dabei lediglich um eine mögliche Ursache für die Nichterfüllung oder die nicht gehörige Erfüllung der Verbindlichkeit1708 . Die an den Schuldnerverzug gemäß Art. 612 Abs. 2 ZGB geknüpften (schadensersatzrechtlichen) Folgen sind daher dieselben, die bei der Nichterfüllung bzw. der nicht gehörigen Erfüllung greifen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der Schuldnerverzug im ukrainischen Leistungsstörungsrecht als eigenständige – eine Sonderbehandlung zu verlangende – Fallgruppe der Leistungsstörung kaum Bedeutung hat. Selbst im Hinblick auf die in Art. 612 Abs. 2 2. Alt. ZGB verankerte typische Verzugsfolge im Rahmen des Schadensersatzrechts, die Zufallshaftung, wenn der Schuldner nach Eintritt des Verzugs für jede (auch nicht verschuldete oder auf höherer Gewalt beruhende) Leistungsunmöglichkeit einstehen muss, kann dem Schuldnerverzugstatbestand des Art. 612 Abs. 1 ZGB keine Sonderrolle eingeräumt werden. Denn Art. 612 Abs. 2 2. Alt. ZGB enthält (bloß) eine spezielle Regelung zur Verschärfung des Haftungsmaßstabs im Fall der Nichteinhaltung der Erfüllungsfrist. Art. 623 Abs. 1 ZGB greift auch im Fall der Unmöglichkeit der Verbindlichkeitserfüllung ein1709 . Die Unmöglichkeit (wenn sie auf einem vom Schuldner zu vertretenden Umstand beruht1710 ) stellt einen Unterfall der Nichterfüllung (i. S. d. Nichtleistenkönnens) dar und ist demnach als Verletzung der vertraglichen Verbindlichkeit gemäß Art. 610 ZGB zu behandeln, ohne dass jegliche Spezialvorschriften berücksichtigt werden müssen1711 . Ihre Abgrenzung ist gleichwohl in erster Linie für die Primärebene im Hinblick auf das Schicksal der Leistung relevant. Das Nichtleistenkönnen führt nach dem Rechtsgrundsatz impossibilium nulla est obligatio zum Untergang der vertraglich geschul1708

1709 1710

1711

Spasybo-Fateyeva/Pečenyj, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 612 Pkt. 1.2 S. 482; Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 70; so auch Roziznana, NZIZVRU 2014, Nr. 2, 73 (76); vgl. aber Kharytonov/Kharytonov, Komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Kommentar des Zivilgesetzbuches der Ukraine], Art. 612 S. 436, der den Verzug gemäß Art. 612 Abs. 1 ZGB als Unterfall der nicht gehörigen Erfüllung der Verbindlichkeit qualifiziert, unabhängig davon, ob der Schuldner bei Ablauf der Erfüllungsfrist mit der Erfüllung der Verbindlichkeit bereits begonnen hat oder noch nicht. Anders Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, S. 56 ff. Bei der vom Schuldner nicht zu vertretenden Unmöglichkeit stehen dem Gläubiger keine Schadensersatzansprüche zu. Im Ergebnis so auch Kossak, Naukovi praci: naukovyj žurnal 2007, Band 69, Ausgabe 56, 179 (181); Mel´nyk, Jurydyčnyj naukovyj elektronnyj žurnal 2016, Vol. 3, 57 (58 f.); a. A. Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, S. 56 ff., die die Unmöglichkeit als Grund des Erlöschens einer Verbindlichkeit betrachtet.

404

Teil II Rechtslage in der Ukraine

deten Verbindlichkeit (vgl. dazu Art. 607 ZGB)1712 . Dadurch kommt die Eigenart dieser Leistungsstörungskategorie zum Ausdruck, die in der Nichtnachholbarkeit der Leistung (Verbindlichkeit) besteht. Es handelt sich dabei um eine Ausnahme vom Vorrang der Erfüllungspflicht in natura, der in der Ukraine auf die Weise sichergestellt wird, dass die Leistungspflicht des Schuldners gemäß Art. 622 Abs. 1 ZGB trotz seiner etwaigen Ersatzleistungen in Geld grundsätzlich erhalten bleibt. Abschließend gilt festzustellen, dass der Erdgaslieferant für alle Schäden, die durch die Verletzung seiner vertraglich ausdrücklich vereinbarten Verbindlichkeit entstanden sind, auf der Grundlage des Art. 623 Abs. 1 ZGB einzustehen hat – ohne Rücksicht auf die Art der Leistungsstörung. Der Schadensersatzanspruch nach Art. 623 Abs. 1 ZGB steht dem geschädigten Erdgasendkunden unabhängig von sonstigen Rechtsbehelfen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts sowie des Gewährleistungsrechts des Kauf- bzw. Liefervertrages1713 zur Verfügung1714 . Weder kennt das Gewährleistungsrecht spezielle Schadensersatzansprüche noch modifiziert die Schadensersatzansprüche des allgemeinen Leistungsstörungsrechts1715 . 1.

Haftungsvoraussetzungen des Art. 623 Abs. 1 ZGB

Für die vertragliche Schadensersatzhaftung nach Art. 623 Abs. 1 ZGB müssen vier grundlegende Voraussetzungen, die auch für die außervertragliche Haftung gelten, vorliegen: rechtswidriges Verhalten, Schaden, Kausalität und Ver-

1712

1713

1714

1715

Art. 607 ZGB (ebenso wie Art. 205 Abs. 1 WGB im Wirtschaftsverkehr) sieht vor, dass die Verbindlichkeit erlischt, sofern keine der Vertragsparteien die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Die Norm bezieht sich zwar explizit nur auf die Fälle der nicht verschuldeten Unmöglichkeit und schweigt zur verschuldeten Unmöglichkeit. Da eine unmögliche Leistung von niemandem erfüllt werden kann, ist auch im Fall der verschuldeten Unmöglichkeit vom Untergang des Erfüllungsanspruchs des Gläubigers auszugehen. Die ursprüngliche Leistungspflicht entfällt dabei nur (ganz oder teilweise) nicht, sondern wandelt sich in eine Schadensersatzpflicht um. S. dazu Spasybo-Fateyeva/Pečenyj, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlichpraktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 607 Pkt. 2 S. 459; so auch Mel´nyk, Jurydyčnyj naukovyj elektronnyj žurnal 2016, Vol. 3, 57 (58); Prodajevych, Aktual´ni problemy deržavy i prava 2008, Nr. 42, 166 (168); Blank, Das allgemeine Leistungsstörungsrecht in Deutschland und in der Ukraine, S. 162 f. Ausführlich zu einzelnen Gewährleistungsrechten des Gläubigers im Rahmen eines Kaufvertrags s. Ivanochok, Haftung für Sachmängel bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen im Handelsverkehr, S. 118 ff. Vgl. Borysova, Cyvil´ne pravo 2004 [Zivilrecht], Bd. 2, S. 76; Dons´ka, Scienific Notes of Tavrida National V. I. Vernadsky University, Series „Juridical sciences“, 2010, Vol. 23 (62), No. 1, 73; s. auch Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, S. 85 f. Anders aber das Gewährleistungsrecht des Werkvertrages.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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schulden (Artt. 610 ff. ZGB)1716 . Im Gegensatz zur außervertraglichen Haftung, wobei die Rechtswidrigkeit in der Verletzung eines rechtlich geschützten Rechts oder Interesses der geschädigten Person liegt, ist für die Begründung eines rechtswidrigen Verhaltens im Rahmen der vertraglichen Haftung die Verletzung einer vertraglichen Verbindlichkeit erforderlich. Die vertragliche Schadensersatzhaftung setzt zudem voraus, dass zwischen dem betroffenen Erdgasendkunden und dem in Anspruch genommenen Erdgaslieferanten ein wirksames Schuldverhältnis besteht1717 . a)

Schuldverhältnis

Als vertragliches Schuldverhältnis, aus dem durch die Erdgasversorgungsstörung eine Verbindlichkeit verletzt werden und in dessen Rahmen ein Schadensersatzanspruch des privaten Erdgasendkunden als Geschädigtem nach Art. 623 Abs. 1 ZGB gegen seinen Erdgaslieferanten dadurch möglich sein kann, kommt der zwischen diesen Erdgasmarktteilnehmern bestehende Erdgasliefervertrag in Betracht. Der Erdgasliefervertrag stellt eine Unterart des in Art. 714 Abs. 1 ZGB kodifizierten Vertrages über die Versorgung mit Energie und anderen Ressourcen durch das angeschlossene Netz dar und ist als Kaufvertrag zu behandeln 1718 . Er wird unbefristet abgeschlossen (vgl. Pkt. 11.1. des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher) und begründet daher ein Dauerschuldverhältnis zwischen den Vertragsparteien. Die Belieferung der Haushaltsverbraucher erfolgt ausschließlich innerhalb der regulierten Erdgasversorgung, so dass die Vertragsfreiheit der Parteien weitgehend durch gesetzliche Regelungen eingeschränkt wird. Ein Vertrag über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher darf vor allem inhaltlich von den detaillierten Vorgaben des ukrainischen Energiegesetzgebers nicht abweichen1719 . Darüber hinaus müssen dabei Besonderheiten hinsichtlich seines wirksamen Zustandekommens berücksichtigt werden1720 . Im Übrigen finden die Vorschriften des Kaufrechts (Artt. 655 ff. ZGB) entsprechende Anwendung. 1716

1717 1718

1719 1720

Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 623 Pkt. 1.3 S. 537; Luc´, Kontrakty u pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 136. Zajika, Ukrajins´ke cyvil´ne pravo [Ukrainisches Zivilrecht], S. 278. S. Teil II § 6 B II 2, S. 273 ff.; nach der alten Rechtslage wurde der Erdgasversorgungsvertrag vereinzelt als Dienstvertrag nach Art. 901 Abs. 1 ZGB angesehen, vgl. Beschluss des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 21.05.2014 Reg.-Nr. 611663св14. Teil II § 6 C IV 2, S. 292 f. Dazu bereits Teil II § 6 C IV 2, S. 292 f., § 7 B I 1, S. 315 ff., § 7 B I 2 a), S. 332 ff.

406

b)

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Verletzung der Verbindlichkeit

Bei der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches aus Art. 623 Abs. 1 ZGB muss der betroffene Erdgasendkunde nachweisen, dass der jeweilige Erdgaslieferant eine Verbindlichkeitsverletzung begangen hat. Es handelt sich um die Verletzung von Pflichten, die auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten gerichtet sind und die den Erdgasliefervertrag kennzeichnen. Für den Erdgaslieferanten ist das die ununterbrochene Belieferung mit Erdgas in bestimmter Menge (und eventuell Qualität), vgl. Art. 714 Abs. 1 ZGB1721 . Im Haushaltsverbraucherbereich zählt zudem die Informationspflicht dazu (vgl. Pkt. 3.2., 6.2. i. V. m. Pkt. 5.1. des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher)1722 , wenngleich sie nicht um der Gegenpflicht seitens des Erdgasendkunden eingegangen und erfüllt wird. Sie kann vielmehr als einseitige einklagbare (Neben-)Pflicht eingeordnet werden (vgl. Art. 509 Abs. 1 ZGB)1723 . Ein Verstoß gegen eine solche Pflicht begründet zwar einen Schadensersatzanspruch der betroffenen Vertragspartei aus Art. 623 Abs. 1 ZGB, jedoch nur dann, wenn diese ausdrücklich im Vertrag oder im Gesetz für die in Frage stehende Vertragsart geregelt ist1724 . Keine Verbindlichkeitsverletzung durch den Erdgaslieferanten liegt hingegen vor, wenn der Schaden des Erdgasendkunden wegen Netzstörung verursacht worden ist. Dies gilt, soweit die Durchleitung von Erdgasmengen – von der Übergabestelle (z. B. VHP, virtueller GTS-Ausspeisepunkt) bis zum Ausspeisepunkt des jeweiligen Erdgasendkunden – nicht zu seinem Pflichtenprogramm gehört, sondern von jedem Erdgasendkunden unmittelbar mit dem Netzbetreiber geregelt wird1725 . Anders verhält es sich aber mit den Störungen im (Transport-)Netz oberhalb der entsprechenden Übergabestelle1726 . Denn der Erdgaslieferant schuldet dem Erdgasendkunden die Bereitstellung einer 1721 1722 1723

1724

1725 1726

Zum Pflichtenprogramm des Erdgaslieferanten s. o. Teil II § 7 B, S. 313 ff. Ausführlich dazu Teil II § 7 B I 1 a) aa), S. 317 f. Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Solovjev, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 232; näher zu einseitigen Verbindlichkeiten s. ebenfalls Janovytska/Kučer, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 221 f. Vgl. Verfügung des OG v. 27.04.2016 Reg.-Nr. 6-261цс16; Verfügung des OWirtschG v. 19.11.2014 Reg.-Nr. 917/2572/13; Verfügung des OWirtschG v. 13.07.2010 Reg.-Nr. 27/08-10; Verfügung des OWirtschG v. 23.10.2007 Reg.-Nr. 31/94-07-1490; s. auch Schlussfolgerungen des OG der Ukraine, die in Gerichtsbeschlüssen niedergelegt sind, die im ersten Halbjahr des Jahres 2015 nach den Ergebnissen der Durchsicht von Anträgen auf die Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen auf der Grundlage des Art. 111-16 Abs. 1 S. 1, 2 WPGB gefasst worden sind, Schreiben v. 01.01.2016, WWSU 2016, 00, N 02; so wohl auch Sirko, Časopys cyvilistyky 2016, Vol. 21, 43 (45). Vgl. Teil II § 7 B I 1 a) bb) (3), S. 323 ff. Ebenda.

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bestimmten Menge an Erdgas an der vereinbarten Übergabestelle, ohne Rücksicht darauf, ob er selbst oder mittels des Transportnetzbetreibers seine Verbindlichkeit erfüllt. Diese Abgrenzung der Verantwortungsbereiche ist allerdings nur dann haftungsrechtlich bedeutsam, soweit man technisch zwischen Störungen in einzelnen Netzabschnitten unterscheiden kann. Anderenfalls ist bei jeder Netzstörung auch von einer Störung unterhalb der Übergabestelle auszugehen und der geschädigte Erdgasendkunde muss seine Schadensersatzansprüche infolge netzbedingter Versorgungsstörungen (fast) immer gegen seinen Vertragspartner – GTS- bzw. GRM-Betreiber – geltend machen. Keine – zur Haftung nach Art. 623 Abs. 1 ZGB führende – Verbindlichkeitsverletzung aus dem Erdgasliefervertrag kann ebenfalls angenommen werden, wenn der Erdgaslieferant zur Unterbrechung der Erdgasversorgung berechtigt (gewesen) ist1727 . Es sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass die Voraussetzungen, unter denen ein Erdgaslieferant die Erdgasversorgung unterbrechen darf, je nach Kundenart – Haushaltsverbraucher, privilegierte Nicht-Haushaltsverbraucher (etwa Fernwärmeerzeuger sowie religiöse Organisationen), nicht privilegierte Nicht-Haushaltsverbraucher – (teilweise) unterschiedlich geregelt sind1728 . Für unberechtigt veranlasste Lieferunterbrechungen muss der Erdgaslieferant dagegen nach Art. 623 Abs. 1 ZGB einstehen1729 . Nochmals herauszustellen ist an dieser Stelle, dass der Erdgaslieferant seinem Kunden im Rahmen des Erdgasliefervertrages die vertraglich bestimmte Erdgasmenge (stets) ununterbrochen und auf Abruf zur Verfügung stellen muss. Tut er das nicht, ist die spätere Erfüllung für den Erdgasendkunden in der Regel nicht mehr von Interesse und nach dem Vertragszweck sinnlos. Der Erdgasendkunde benötigt die bestellte Erdgasmenge gerade bei ihrer Anforderung. Bei Nichtzurverfügungstellung von Erdgas zu diesem Zeitpunkt ist daher grundsätzlich vom Vorliegen der Nichterfüllung i. S. d. Nichtleistenkönnens (Unmöglichkeit) auszugehen. Für den Kunden hat das zur Folge, dass sein Erfüllungsanspruch sich in einen Schadensersatzanspruch umwandelt, in dessen Rahmen der Ersatz des Wertes der unmöglich gewordenen Leistung 1730 sowie des darüber hinausgehenden Schadens i. S. d. Art. 22 1727

1728 1729 1730

Vgl. Urteil des Oržyc´kyj BezirkG des Poltava Gebietes v. 20.04.2016 Reg.-Nr. 543/952/ 15-ц. Dazu bereits o.Teil II § 7 B I 1 a) bb), S. 318 ff.; b) aa) (3), S. 329 ff.; II, S. 335 ff. Vgl. Verfügung des Kharkiw BerufWirtschG v. 18.04.2011 Reg.-Nr. 58/285-10. Sollte der Schuldner, der in diesem Fall seine Verbindlichkeit im Geldäquivalent erfüllt, keine Gegenleistung erhalten, steht ihm wohl ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach Artt. 1212 ff. ZGB zu. Dabei kann von einem Verstoß gegen das (auch) im ukrainischen Schadensrecht geltende Bereicherungsverbot ausgegangen werden. S.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

Abs. 2 ZGB verlangt werden kann1731 . Diese Überlegungen dürfen auch für den Fall der Lieferung von Erdgas in falscher Qualität (außerhalb des Haushaltsbereichs) gelten1732 , sollte dem Erdgaslieferanten als Vertragspflichtverletzung das dazu geführte Verhalten zugerechnet werden; der Netzbetreiber hat regelmäßig allfällige Erdgasqualitätsstörungen zu verantworten. Die gehörige (Nach-)Erfüllung in natura ist zu einem späteren Zeitpunkt nicht (mehr) möglich. c)

Verschulden

Der Erdgaslieferant muss die betreffende Störung (den Erdgasausfall oder – ausnahmsweise – die Lieferung von Erdgas in falscher Qualität) und den dadurch eingetretenen Schaden schuldhaft, d. h. mindestens fahrlässig, herbeigeführt haben, es sei denn, das Gesetz oder die Parteien sehen etwas anderes vor1733 . Seine Haftung ist daher nur möglich, wenn er unterlassen hat, alles in seiner Macht stehende für eine gehörige Erfüllung der Verbindlichkeit und damit die Vermeidung des Störfalls zu unternehmen1734 . Ein Verschulden des Erdgaslieferanten liegt regelmäßig bei einer unberechtigten oder irrtümlichen Einstellung der Erdgasversorgung des Kunden, etwa infolge eines irrtümlich angenommenen Zahlungsverzugs,1735 oder einer Unterbrechung durch eine nicht, nicht richtig oder verspätet erteilte Bestätigung über Übertragungsmengen (vgl. Abschn. II Art. 9 Abs. 4 ErdgasLieferR)1736 vor. Daneben ist auch an Fälle möglicher Erdgasengpässe, insbesondere im Rahmen der Erdgasversorgung von Haushaltsverbrauchern, zu denken, wenn keine rechtzeitigen Vorkehrungen dagegen, z. B. Zukauf von Erdgas bei anderen Lieferanten im Aus- sowie Inland, getroffen werden. Die Pflicht des Erdgaslieferanten zur Beschaffung von Erdgas ist nicht auf seinen Vorrat oder eine bestimmte Beschaffungsmöglichkeit beschränkt (vgl. Pkt. 3.1.

1731

1732 1733

1734

1735

1736

dazu ausführlich Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, Fn. 147 S. 51 sowie S. 54 ff. Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, Fn. 147 S. 51 sowie S. 69. Vgl. Mel´nyk, Jurydyčnyj naukovyj elektronnyj žurnal 2016, Vol. 3, 57 (58). Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 S. 489 ff.; Luc´, Kontrakty v pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 141 f. Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 Pkt. 2.4. S. 490. Urteil des Sykhivs´kyj BezirkG der Stadt Lwiw v. 01.06.2018 Reg.-Nr. 464/1350/1; Urteil des BezirkG der Stadt Melitopol im Gebiet Saporishshja v. 18.11.2015 Reg.-Nr. 320/ 6433/15-ц. Vgl. Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 28.11.2017 Reg.-Nr. 910/9380/17.

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des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbraucher). Die Nichtbelieferung seitens seiner eigenen (Vor-)Lieferanten (Erdgasförderer oder Erdgasimporteure) entlastet ihn daher nicht. Für Zufall1737 und höhere Gewalt wird freilich nicht gehaftet (Art. 617 S. 1 ZGB)1738 . Nach Art. 618 i. V. m. Art. 528 Abs. 1 ZGB ist dem Erdgaslieferanten im Rahmen seines vertraglichen Schuldverhältnisses mit dem Erdgasendkunden darüber hinaus die schuldhaft durch von ihm hinzugezogene Hilfspersonen, die bei der Erfüllung seiner Verbindlichkeit tätig werden, begangene Verbindlichkeitsverletzung zuzurechnen. Als solche Hilfspersonen kommen in erster Linie seine Angestellten und Mitarbeiter in Betracht1739 . Dagegen muss sich der Erdgaslieferant grundsätzlich kein Verschulden des Netzbetreibers gemäß Art. 618 ZGB zurechnen lassen, auch wenn es im GTS-Bereich naheliegend erscheint1740 . Der Erdgaslieferant bedient sich zwar des Netzbetreibers (nomalerweise GTS-Betreibers) zur Bereitstellung der zu liefernden Erdgasmenge an der festgelegten Übergabestelle. Der ukrainische Gesetzgeber bestimmt allerdings, dass für netzbezogene Unterbrechungen der Erdgasversorgung sowie Verschlechterungen der Erdgasqualität ausschließlich der GTS- bzw. GRMBetreibers haftet (vgl. Abschn. VIII Pkt. 8.4 des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases an Haushaltsverbrauchern, Abschn. VIII Pkt. 8.4 des Standardvertrages über die Lieferung des Erdgases durch den Lieferanten der

1737

1738

1739

1740

Kein Zufall liegt nach Art 617 S. 2 ZGB vor, wenn der Vertragspartner des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht erfüllt, für eine gehörige Erfüllung der Verbindlichkeit erforderliche Waren auf dem Markt fehlen oder der Schuldner keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Verfügung hat. In der Literatur wird unter Zufall ein unvorhersehbares und daher unvermeidbares Ereignis verstanden, während höhere Gewalt einen außergewöhnlichen Umstand darstelle, dessen Wirkung nicht vermieden bzw. verhindert werden kann. SpasyboFateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 617 S. 504 ff. So wohl im Endergebnis Zozuliak, in: Vasylíeva/Luc´/u.a. (Hrsg.), Aktual´ni problemy vdoskonalennja čynnogo zakonodavstva Ukrajiny [Aktuelle Probleme der Verbesserung der geltenden Gesetzgebung der Ukraine], Sammelwerk der Nationalen Wassyl-Stefanyk-Universität der Vorkarpaten, Ausgabe XXIII, S. 132 ff. Andere Stimmen in der Literatur folgen der von der sowjetischen Rechtswissenschaft erarbeiteten Kollektivtheorie, wonach das Verschulden der Beschäftigten als Verschulden der juristischen Person anzusehen ist, Borec´, in: Golosnichenko/Chepulchenko/Prjamicyn (Hrsg.), Pravove reguljuvannja suspil´nyh vidnosyn v umovah demokratysaziji Ukrajins´koji deržavy: materialy IV mižnar. nauk.-prakt. konf. [Rechtliche Regelung gesellschaftlicher Beziehungen im Rahmen der Demokratisierung des Ukrainischen Staates: Sammelband zur IV. Internationalen wissenschaftlich-praktischen Konferenz], NTUU „KPI“, Kyjiv 2014, S. 87 f.; Petrova, NV NUBiPU 2013, Vol. 182, Teil 1, 292 (294 ff.). Vgl. Teil II § 7 B I 1 a) bb) (3), S. 323 ff.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

letzten Rettung, Pkt. 40, 41 des Mustervertrages über die Belieferung von Fernwärmeerzeugern, Abschn. VI Artt. 4, 8 ErdgasLieferR). d)

Kausaler Schaden

Ein kausaler Schaden ist eine weitere Voraussetzung für die Haftung des Erdgaslieferanten nach Art. 623 Abs. 1 ZGB. Schäden, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit seinem haftungsbegründenden Verhalten stehen und ihm nicht zugerechnet werden können, müssen nicht ersetzt werden1741 . Art. 623 Abs. 1 ZGB normiert ausschließlich den Ersatz des materiellen Schadens. Darunter sind gemäß Art. 22 Abs. 2 ZGB – ebenso wie im deliktischen Bereich – der reale Schaden1742 sowie der entgangene Gewinn1743 zu verstehen1744 . Sonstige darüber hinausgehende Schadensposten sind nicht zu ersetzen1745 . Das bedeutet aber nicht, dass ein Anspruch auf Geldersatz für immaterielle Schäden wegen Verletzung einer vertraglichen Verbindlichkeit von vornherein ausgeschlossen ist1746 . Laut Art. 611 Abs. 4 2. Alt. ZGB, der allfällige Rechtsfolgen des Vertragsbruchs im ukrainischen Recht regelt, kann der Ersatz des immateriellen Schadens verlangt werden, soweit das Gesetz und/oder der Vertrag diesen ausdrücklich erlauben oder anordnen1747 . Eine 1741

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Kharitonov/Startsev, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 450, ohne jedoch einzelne Kriterien und Anforderungen herauszuarbeiten. Bereits Fn. 1620, S. 378. Dazu zählen beispielsweise die Mehrkosten eines Deckungskaufs des Erdgas(end)kunden, vgl. Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 05.12.2007 Reg.-Nr. 6/552, bestätigt durch Verfügung des OWirtschG v. 24.09.2008 Reg.-Nr. 6/552, sowie die Kosten für die Wiederherstellung der Erdgasbelieferung, vgl. Urteil des Ordžonikidzevs´kyj BezirkG der Stadt Saporishshja v. 17.02.2017 Reg.-Nr. 335/10454/16-ц. Als nicht ersatzfähig im Sinne des Art. 22 Abs. 2 ZGB werden dagegen die vom Erdgasendkunden im Fall der nicht berechtigten Erdgasversorgungseinstellung erbrachten Aufwendungen für (elektrische) Heizgeräte bzw. -anlagen angesehen. Die Rechtsprechung argumentiert damit, dass die Sachwerte durch den Geschädigten zur Befriedigung eigener Interessen erworben werden und ab dem Erwerbszeitpunkt in seinem Eigentum bleiben. So jedenfalls das OSpezialG für für zivil- und strafrechtliche Sachen in seinem Urteil v. 11.09.2013 Reg.-Nr. 6-1164св13; s. auch Urteil des Krasnogvardijs´kyj BezirkG der Stadt Dnipropetrows´k v. 30.05.2018 Reg.-Nr. 204/8259/17; Tysmens´kyj BezirkG des Iwano-Frankiwsk Gebietes v. 24.02.2009 Reg.-Nr. 2-15/2009. S. Fn. 1621, S. 376. Spasybo-Fateyeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny: Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine: Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 623 Pkt. 1.3 S. 537; Luc´, Kontrakty v pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 134 sowie 137. Verfügung des OWirtschG v. 05.04.2005 Reg.-Nr. 40/214; Verfügung des OWirtschG v. 18.12.2007 Reg.-Nr. 7/445/19. Vgl. Luc´, Kontrakty v pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 140 f. Plenum des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen, Verordnung zu einigen Fragen hinsichtlich der Rechtsanwendung bei der Beurteilung von Schadensersatzfällen, in welchen der Schaden durch eine Quelle erhöhter Gefahr verursacht wurde v.

§ 8 Haftungsgrundlagen

411

Pflicht des Erdgaslieferanten zum Ersatz des immateriellen Schadens kommt mithin in der behandelten Konstellation sowohl gegenüber Erdgashaushaltsverbrauchern als auch gegenüber Nicht-Haushaltsverbrauchern in Betracht (vgl. Abschn. VI Art. 4 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 S. 3 ErdgasLieferR)1748 . Für die Beurteilung der sich anschließenden Frage des Ursachenzusammenhangs, der objektiv festzustellen ist1749 , werden dieselben Kausalitätstheorien wie im Rahmen der deliktischen Haftung angewendet1750 . Gleichwohl gibt das rechtswissenschaftliche Schrifttum dabei der Theorie der direkten Kausalität den Vorzug. Der beim Erdgasendkunden eingetretene Schaden muss danach die direkte (unmittelbare) Folge der Nichtlieferung von Erdgas oder Lieferung von Erdgas in falscher Qualität durch den Erdgaslieferanten innerhalb der Kausalkette darstellen1751 . Wird er aber erst durch die Einwirkung höherer Gewalt (Abschn. III Art. 29 Hs. 2 ErdgasLieferR), das Vorliegen eines Verschuldens des Geschädigten (Abschn. III Art. 29 Hs. 1 ErdgasLieferR) oder das Hinzutreten des Verhaltens eines Dritten (etwa des Netzbetreibers) hervorgerufen, so ist die (direkte und daher bei der Beurteilung der zivilrechtlichen Haftung zu berücksichtigende) Kausalität zwischen der Verbindlichkeitsverletzung des Erdgaslieferanten und dem Schaden des Erdgasendkunden nicht gegeben und der Erdgaslieferant von der Haftung nach Art. 623 Abs. 1 ZGB befreit. Ist sowohl das schuldhafte Verhalten des Erdgaslieferanten als auch das des Netzbetreibers direkt mit dem Eintritt des Schadens verknüpft, haftet grundsätzlich jeder von ihnen für den von ihm verursachten Schaden1752 . Bei der Unteilbarkeit der Schäden ist deren solidarische

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01.03.2013 Nr. 4, Pkt. 21; s. auch Verfügung des OG v. 20.02.2018 Reg.-Nr. 758/ 8658/15-ц; Beschluss des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 07.06.2017 Reg.-Nr. 485/466/16-ц. Urteil des Dovgyncivs´kyj BezirkG der Stadt Kryvyj Righ im Gebiet Dnipropetovs´k v. 28.01.2016 Reg.-Nr. 211/5813/15-ц. Luc´, Kontrakty v pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 141. S. Teil II § 8 B I 1 c), S. 371 ff. Luc´, Kontrakty v pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 141; Kharitonov/Startsev, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], S. 450; Klymko, Dogovirna cyvil´no-pravova vidpovidal´nist´ v Ukrajini: sutnist´, umovy ta vydy [Zivilrechtliche Vertragshaftung: Wesen, Voraussetzungen und Arten], S. 44 f.; vgl. aber Borysova/Baranova/Syrotenko, Cyvil´ne pravo [Zivilrecht], Bd. 1, S. 378 ff., die von der Theorie der notwendigen und zufälligen Kausalität ausgehen; Dons´ka, Pryčynnyj zv´jazok u zyvil´nomu pravi Ukrajiny [Kausalität im Zivilrecht der Ukraine], S. 10, die die Anwendung der Conditio-sine-qua-non-Formel für die Begründung von Kausalität im vertraglichen Bereich vorschlägt. Das ukrainische Vertragsrecht geht vom Prinzip der Anteilshaftung aus (Art. 540 ZGB).

412

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Haftung aus Gründen eines gerechten Interessenausgleichs zu einer Verteilung der Beweislast denkbar (Art. 1190 i. V. m. Artt. 541 ff. ZGB)1753 . 2.

Rechtsfolgen

Sollten die dargestellten Voraussetzungen für eine vertragliche Haftung des Erdgaslieferanten erfüllt sein, hat dieser grundsätzlich vollständigen Ersatz des seinem Kunden entstandenen Schadens zu leisten, es sei denn, dass gesetzlich oder vertraglich etwas anderes vorgesehen ist (Art. 22 Abs. 3 S. 1 ZGB). Für die Belieferung von Haushaltsverbrauchern sowie Nicht-Haushaltsverbrauchern mit Erdgas finden sich besondere Schadensersatzregelungen in Abschn. VI Artt. 4 und 8 ErdgasLieferR, denen wohl nur eine klarstellende Bedeutung zukommt. Abschn. VI Art. 8 ErdgasLieferR stellt klar, dass der Erdgasendkunde, der ein Haushaltsverbraucher ist, vom Erdgaslieferanten, der sein Vertragspartner ist, im Fall einer unberechtigten Unterbrechung der Erdgaslieferung den Ersatz des Wertes einer nicht gelieferten Erdgasmenge sowie der anfallenden Kosten für die Einstellung und Wiederherstellung der Versorgung verlangen kann. Die Norm regelt darüber hinaus die Berechnung des zu ersetzenden Wertes der nicht gelieferten Erdgasmenge. Sollte der industrielle oder gewerbliche Erdgasendkunde aufgrund einer schuldhaften Versorgungsunterbrechung weitere Schäden an seiner Person und seinem Vermögen erleiden, muss der Erdgaslieferant auch sie in vollem Umfang ersetzen (Abschn. VI Art. 8 Abs. 2 ErdgasLieferR). Abschn. VI Art. 4 ErdgasLieferR regelt Ähnliches im Hinblick auf die Nicht-Haushaltsverbraucher. Anzumerken ist schließlich auch, dass das ukrainische Recht keine Regelung zur Rückforderung des in Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleisteten bei Schadensersatzfällen vorsieht. Eine solche Regelung wäre insbesondere beim Eintritt der Unmöglichkeit relevant. Die Rückgabe des (durch den Gläubiger) bereits Geleisteten ist demnach wohl nur auf der Ebene des Bereicherungsrechts möglich (Art. 1212 ff. ZGB)1754 . II.

Vertragliche Haftung nach Art. 224 Abs. 1 WGB

Ist der klagende Erdgasendkunde als Wirtschaftssubjekt oder Beteiligter am Wirtschaftsleben gemäß Art. 2 WGB zu qualifizieren, richtet sich sein Schadensersatzanspruch bei Versorgungsstörungen gegen den – ebenfalls unter1753

1754

Weder die Lehre noch die Rechtsprechung haben sich bislang mit der Frage der Anwendbarkeit des innerhalb des Deliktsrechts zu findenden Art. 1190 ZGB auf vertragliche Schadensersatzansprüche beschäftigt, was eine gewisse Rechtsunsicherheit für die Beteiligten birgt. Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, S. 53 ff.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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nehmerisch tätigen – Erdgaslieferanten in erster Linie nach Art. 224 Abs. 1 WGB1755 . Die Haftung aus Art. 224 Abs. 1 WGB „sanktioniert“1756 ein Fehlverhalten während der Ausübung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit bzw. Teilnahme am Wirtschaftsverkehr, das in den hier ins Auge gefassten Fällen regelmäßig in der Verletzung einer vertraglich begründeten wirtschaftlichen Verpflichtung bestehen wird1757 . Es handelt sich um Verpflichtungen aus einem zwischen zwei unternehmerisch bzw. gewerblich tätigen Personen abgeschlossenen Wirtschaftsvertrag über die Lieferung von Erdgas an Fernwärmeerzeuger bzw. durch den Lieferanten der letzten Rettung innerhalb der regulierten Erdgasversorgung oder an nicht privilegierte Erdgasendkunden außerhalb der regulierten Erdgasversorgung1758 . Ein Schadensersatzanspruch aus Art. 224 Abs. 1 WGB i. V. m. dem Erdgasliefervertrag wird hier ebenso wie im Rahmen der vertraglichen Haftung nach Art. 623 Abs. 1 ZGB hauptsächlich wegen Schäden aufgrund der unberechtigten Unterbrechung der Erdgasversorgung geltend gemacht1759 . Es genügt daher an dieser Stelle, auf die obigen Ausführungen zur Vertragspflichtverletzung i. S. d. ZGB zu verweisen1760 . Im Hinblick auf die Schadensersatzhaftung gemäß Art. 224 Abs. 1 WGB gibt es allerdings einige grundlegende Besonderheiten zu beachten. So wird bei Verletzungen wirtschaftlicher Verpflichtungen durch Wirtschaftssubjekte in der Rechtsordnung der Ukraine verschärft, praktisch verschuldensunabhängig,

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In der Praxis geschieht es allerdings häufig, dass die zivilrechlichen und wirtschaftsrechtlichen Anspruchsgrundlagen für Schadensersatz verwirrenderweise nebeneinander angewendet werden. Die Abgrenzung wird eher zufällig, wenn überhaut, vorgenommen. Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 14.03.2011 Reg.-Nr. 2-28/1927-2010; Verfügung des L´vivs´kyj BerufWirtschG v. 22.05.2018 Reg.-Nr. 909/721/17; Urteil des WirtschG des Odesa Gebietes v. 16.04.2014 Reg.-Nr. 5017/3760/2012; Urteil des WirtschG des Donetsk Gebietes v. 20.03.2012 Reg.-Nr. 5006/24/22/2012; Urteil des WirtschG der AR Krym v. 21.03.2011 Reg.-Nr. 5002-29/5820-2009. Shevchenko, Cyvil´ne pravo Ukrajiny [Zivilrecht der Ukraine], Bd. 1, S. 95; Malynovska, Pravo i Bezpeka 2011, Nr. 4 (41), 200 (202). Vgl. Kykot, Naukovi zapysky 2010, Jurydyčni nauky, Vol. 103, 100 (101 f.). Gemeint wird ein Wirtschaftsvertrag nach Art. 173 Abs. 1 WGB. Zum Begriff der wirtschaftlichen Schuldverhältnisse vgl. Luc´, Kontrakty v pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 23 ff.; Milash, Perspektyvy modernizaciji dogovirnyh pravovidnosyn u sferi gospodarjuvannja [Perspektiven der Modernisierung vertraglicher Beziehungen im Wirtschaftsbereich], S. 14 ff.; Malyshko/Borodin, Jurydyčnyj visnyk 2014, Nr. 2 (31), 115 (116 f.). Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 07.04.2016 Reg.-Nr. 910/3289/16; zur alten Rechtslage s. Verfügung des OWirtschG v. 20.06.2011 Reg.-Nr. 33/235-10; Verfügung des L´vivs´kyj BerufWirtschG v. 10.12.2009 Reg.-Nr. 20/110; Urteil des WirtschG des Kharkiv Gebietes v. 16.07.2009 Reg.-Nr. 35/39-09. Teil II § 8 C I 1 b), S. 406 ff.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

gehaftet1761 . Nach dem Wortlaut des Art. 218 Abs. 2 S. 1 WGB wird das Verschulden des Schädigers grundsätzlich vermutet, solange er dieses nicht widerlegt. Vom in Anspruch genommenen Wirtschaftssubjekt1762 wird dagegen gemäß Art. 218 Abs. 2 S. 2 WGB ein Nachweis von höherer Gewalt im Sinne des Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB verlangt. Dies hat zur Folge, dass den Erdgaslieferanten als Wirtschaftssubjekt i. S. d. Art. 2 WGB die Haftung des Art. 224 Abs. 1 WGB trifft, selbst wenn er beweist, alle notwendigen Maßnahmen für die gehörige Erfüllung des Wirtschaftsvertrages unternommen zu haben. Diese Haftungsverschärfung scheint darauf hinzudeuten, dass der ukrainische Gesetzgeber den Wirtschaftsvertrag als Garantieversprechen der Wirtschaftssubjekte betrachtet, um das Bewusstsein der Pflichterfüllung zu stärken und damit das Wirtschaftsleben in der Ukraine zu aktivieren1763 . Der Erdgaslieferant und sein Kunde können allerdings die Bestimmung des Art. 218 Abs. 2 WGB durch Vertrag abbedingen und andere Gründe der Verantwortung vereinbaren (Art. 218 Abs. 2 S. 3 WGB). Verwirrend und widersprüchlich erscheint in dieser Hinsicht die ukrainische Rechtsprechung zur Haftung wegen Schäden infolge der Verletzung von Wirtschaftsverpflichtungen im Bereich der Erdgasversorgung1764 . In manchen OWirtschG-Entscheidungen werden Art. 224 Abs. 1 WGB und Art. 623 Abs. 1 ZGB auf Sachverhalte, in denen ausschließlich Wirtschaftssubjekte und/oder andere unter Art. 2 WGB fallende Personen beteiligt sind, nebeneinander angewendet. Das OWirtschG lässt vielmehr dabei außer Acht, dass die genannten Vorschriften zueinander im Verhältnis lex specialis (Art. 224 Abs. 1 WGB) zu lex generalis (Art. 623 Abs. 1 ZGB) stehen, genauso wie Art. 218 Abs. 2 WGB zu Art. 614 Abs. 1 ZGB1765 . Es verlangt demzufolge für den Schadensersatzanspruch des gewerblichen bzw. industriellen Geschädigten das Vorliegen von Verschulden seines – ebenfalls unternehmerisch tätigen – Schädigers gemäß Art. 614 Abs. 1 ZGB, wobei es darauf ankommt, ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einer bestimmten Situation eingehalten wird bzw. einge1761

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Luc´, Kontrakty v pidpryjemnyc´kij dijal´nosti [Verträge im Wirtschaftsverkehr], S. 143; Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 Pkt. 6.5 S. 494. Zu berücksichtigen ist die Unterscheidung zwischen Wirtschaftssubjekten und anderen am Wirtschaftsleben Beteiligten im ukrainischen Recht, vgl. Art. 2 WGB. Dazu bereits Teil II § 6 B II 3, S. 273 f. Vgl. Lidovec´, Deržava i pravo 2004, Ausg. 24, 304 (308 f.). Vgl. z. B. Verfügung des OWirtschG v. 16.03.2010 Reg.-Nr. 7/135; Verfügung des OWirtschG v. 24.09.2008 Reg.-Nr. 6/552. Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 Pkt. 6.5 S. 494.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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halten werden kann. Die das grundsätzliche Verschuldenserfordernis nach Art. 614 Abs. 1 ZGB modifizierende Regelung des Art. 218 Abs. 2 S. 2 WGB wird gar nicht erwähnt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Haftungsrisiken, welchen die Beteiligten an der Erdgasversorgung ausgesetzt werden, in der Praxis kaum beurteilt und prognostiziert werden können. Der aktivlegitimierte Erdgasendkunde aus der Industrie kann gemäß Art. 224 Abs. 1 i. V. m. 2 WGB Ersatzansprüche wegen realer Schäden und entgangenem Gewinn (vgl. Artt. 623, 22 ZGB) erheben. Als realer Schaden sind laut Art. 224 Abs. 2 WGB der Verlust oder die Beschädigung des Vermögens sowie die Aufwendungen (vytraty), die der Gläubiger getätigt hat, nicht dagegen solche, die dem Gläubiger bevorstehen, wie es nach Art. 22 Abs. 2 Nr. 1 ZGB möglich ist, ersatzfähig1766 . Die Regelungen des ZGB und WGB über den entgangenen Gewinn stimmen ebenfalls grundsätzlich überein. Sowohl Art. 224 Abs. 2 WGB als auch Art. 22 Abs. 2 Nr. 2 ZGB verstehen unter entgangenem Gewinn die Einnahmen (dohody), die der Anspruchsberechtigte nicht erhalten hat, aber im Falle einer ordnungsgemäßen Erfüllung der Verbindlichkeit erhalten hätte. Gleichwohl ist anzumerken, dass nach Art. 225 WGB, der Inhalt und Umfang des Schadensersatzes regelt, dem entgangenen Gewinn lediglich nicht erzielte Erträge (prybutok) des Gläubigers unterfallen (Art. 225 Abs. 1 3. Alt. WGB). Die Legaldefinitionen für Einnahmen und Erträge finden sich im Steuerrecht und weichen wesentlich voneinander ab, was bei der Ermittlung des entgangenen Gewinns im konkreten Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann1767 . Bei Schäden, die im Bereich der Erdgasversorgung nach Art. 224 Abs. 1 WGB geltend gemacht werden können, sind allerdings in erster Linie die Konkretisierungsregelungen des Abschn. VI Art. 4 ErdgasLieferR zu beachten1768 . Ebenso wie nach Art. 22 Abs. 3 ZGB wird auch im Wirtschaftsbereich grundsätzlich der Schadensersatz in vollem Umfang verlangt, soweit gesetzlich oder vertraglich nichts anderes vorgesehen ist (Art. 226 Abs. 1 WGB). Der geschädigte Erdgasendkunde kann jedoch seinen nach Art. 224 Abs. 1 WGB geltend gemachten Schadensersatzanspruch verlieren, sollte er seine Scha-

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Urteil des WirtschG des Odesa Gebietes v. 16.04.2014 Reg.-Nr. 5017/3760/2012; Bodnar/Dzera/Kuznjecova/Dzera/Podkolzin, Dogovirne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Vertragsrecht der Ukraine. AT], S. 701 f. Bodnar/Dzera/Kuznjecova/Dzera/Podkolzin, Dogovirne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Vertragsrecht der Ukraine. AT], S. 701; Grudnyc´ka/Grudnyc´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Gospodars´kogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine], Art. 225 S. 268 f. Vgl. Teil II § 8 C I 2, S. 412 f.

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

densminderungs- und Schadensabwendungspflicht verletzt haben (Art. 226 Abs. 3 WGB). III.

Deliktische Haftung nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB

Ein auf Art. 1166 Abs. 1 ZGB gestützter Schadensersatzanspruch eines – privaten – Erdgasletztverbrauchers gegen einen Erdgaslieferanten wird nur in Ausnahmefällen relevant, etwa wenn Personenschäden geltend gemacht werden. Die Personenschäden, auch wenn sie innerhalb eines Vertragsverhältnisses entstanden sind, sind in der ukrainischen Rechtsordnung ausschließlich nach den Bestimmungen des Deliktsrechts zu ersetzen (vgl. Art. 1196 ZGB). Art. 1166 Abs. 1 ZGB (ggf. i. V. m. Art. 1196 ZGB) ist insoweit für alle denkbaren Schädigungen der Person im Bereich der Erdgasversorgung anwendbar. Bei widerrechtlich durch den Erdgaslieferanten verursachten Störungen in der Erdgasversorgung kommen in erster Linie Schäden an der Gesundheit des betroffenen Haushaltsverbrauchers (in Form einer physischen Störung von Krankheitswert) in Betracht1769 . Der Grund für die deliktische Schadensersatzhaftung des Erdgaslieferanten liegt hierbei in der Regel in der Schadenszufügung bei der Erfüllung von Pflichten aus dem Erdgasliefervertrag1770 . Stellt der Erdgaslieferant die Belieferung seines Kunden mit Erdgas ein, ohne dazu berechtigt zu sein, und beeinträchtigt dadurch dessen subjektives Recht, verstößt er nicht nur gegen das Verbot, einen Schaden zuzufügen, sondern auch gegen die Normen der ErdgasLieferR. Er handelt rechtswidrig. Kein rechtswidriges Verhalten des Erdgaslieferanten ist hingegen anzunehmen, wenn die Bestimmungen der ErdgasLieferR hinsichtlich der Unterbrechung der Erdgasversorgung eingehalten worden sind. Die Beweislast dafür trägt der in Anspruch genommene Erdgaslieferant. Eine Haftung des Erdgaslieferanten nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB ist aber nur möglich, wenn sein rechtswidriges Verhalten in Form einer unberechtigten Erdgasversorgungsunterbrechung für den bei dem jeweiligen Kunden entstandenen Gesundheitsschaden ursächlich gewesen ist und ihm als schuldhaftes zugerechnet werden kann. Der Nachweis des Ursachenzusammenhangs (sowie des Verschuldens des Erdgaslieferanten) obliegt dabei dem geschädigten

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Vgl. Urteil des Zmijivskyj BezirkG des Kharkiv Gebietes v. 14.03.2014 Reg.-Nr. 621/ 3922/13-ц; Urteil des Kosivs´kyj BezirkG des Iwano-Frankiwsk Gebietes v. 28.12.2012 Reg.-Nr. 0910/1524/2012; Urteil des Lysyčanskyj StadtG des Lugansk Gebietes v. 03.11.2010 Reg.-Nr. 2-6970/10. Vgl. Teil II § 8 A, S. 360 f.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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Erdgas-Letztverbraucher und dürfte zumeist kaum zu führen sein1771 . Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die ukrainische Rechtsprechung bis heute keine allgemeingültigen Kriterien für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs erarbeitet hat bzw. wegen der gar nicht vorhandenen oder aber jedenfalls defizitären Begründungskultur der Zivilentscheidungen diese nicht erkennen lässt. Die Gerichtsentscheidungen sind daher oft unvorhersehbar und mit erheblicher Rechtsunsicherheit behaftet. In Einzelfällen wird die Annahme bzw. Ablehnung der Kausalität von einem Sachverständigengutachten abhängig gemacht1772 . Sind die Haftungsvoraussetzungen des Art. 1166 Abs. 1 ZGB erfüllt, hat der schädigende Erdgaslieferant den Schadensersatz grundsätzlich vollständig zu leisten (s. auch Abschn. VI Art. 8 ErdgasLieferR). Freilich wird dieser Grundsatz beim Ersatz von vermögenswerten Körper-, Gesundheits- und Lebensschäden durch Artt. 1195 bis 1208 ZGB konkretisiert. Diese Spezialvorschriften enthalten detaillierte Regelungen über die Art und Weise sowie die Höhe des Schadensersatzes im Fall der Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung sowie im Todesfall. Der Gesetzgeber hat zu Recht diese Fragen nicht der Rechtsprechung überlassen, was für die Rechtsanwender unter Berücksichtigung der äußerst formalistischen Vorgehensweise ukrainischer Gerichte Vorteile verheißt. Der Erdgaslieferant wird demnach zu Ersatzleistungen für den Verdienst- bzw. Einkommensausfall infolge der Minderung oder des Verlustes der beruflichen oder allgemeinen Erwerbsfähigkeit sowie die zusätzlichen Aufwendungen, die zur Wiederherstellung der Gesundheit des betroffenen Haushaltskunden erforderlich sind, verpflichtet (vgl. Art. 1195 Abs. 1 ZGB). Der geschädigte Erdgasendkunde kann darüber hinaus den Ersatz des immateriellen Schadens verlangen (vgl. Abschn. VI Art. 8 ErdgasLieferR), sollte er durch das schuldhafte Fehlverhalten des Erdgaslieferanten körperliche oder seelische Leiden erlitten haben1773 . Dieser richtet sich nach Artt. 1167 und 1168 i. V. m. Art. 23 ZGB.

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Urteil des Brusylivskyj BezirkG des Zhytomyr Gebietes v. 06.06.2018 Reg.Nr. 275/1052/17; Urteil des Sosnivskyj BezirkG der Stadt Tscherkasy v. 27.05.2015 Reg.-Nr. 712/2192/15-ц; Urteil des Dolynskyj BezirkG des Iwano-Frankiwsk Gebietes v. 05.01.2011 Reg.-Nr. 2-578/2011; Urteil des Berezanskyj StadtG des Kyjiv Gebietes v. 10.02.2009 Reg.-Nr. 2-26/2009. Vgl. Urteil des Kramators´kyj StadtG des Donetsk Gebietes v. 06.11.2012 Reg.-Nr. 2/ 0528/3923/2012. Urteil des Zmijivskyj BezirkG des Kharkiv Gebietes v. 14.03.2014 Reg.-Nr. 621/3922/13ц.

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IV.

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Haftung nach dem VerbrSchG

Bei Erdgasversorgungsstörungen könnte man darüber hinaus an eine Haftung des Erdgaslieferanten gegenüber dem Erdgasendkunden als Verbraucher i. S. d. VerbrSchG aus Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG in Verbindung mit dem Vertrag über die Erdgaslieferung an Haushaltsverbraucher denken. Dem Erdgashaushaltsverbraucher würde man einen Anspruch auf Schadensersatz (sowie ein Recht auf Rücktritt vom Vertrag) gemäß Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 VerbrSchG zugestehen, wenn es aufgrund unvollständiger oder falscher Information seitens des Erdgaslieferanten zum Abschluss eines Liefervertrages über Erdgas (etwa statt Flüssiggas oder Strom) kommt, obwohl das Produkt Erdgas nicht über die für ihn notwendigen Eigenschaften (etwa im Hinblick auf die Effizienz, Sicherheitsrisiken bzw. -gefahren im Verbrauch, Umweltfreundlichkeit etc.) verfügt. Dabei geht es aber um Fallkonstellationen, die eher theoretisch als praktisch möglich sind. Auf Art. 15 Abs. 7 Nr. 2 VerbrSchG ist ein Schadensersatzanspruch des Erdgashaushaltsverbrauchers (sowie ein Recht auf Rücktritt vom Vertrag) zu stützen, wenn dem Erdgaslieferanten die Verletzung seiner Informationspflichten gemäß Art. 15 Abs. 1 VerbrSchG zur Last fällt und dem Kunden ein Schaden entsteht, weil er dadurch das gelieferte Erdgas nicht zweckentsprechend einsetzen kann. In der Praxis hat gleichwohl die Haftungsnorm des Art. 15 Abs. 7 Nr. 2 VerbrSchG für die Begründung einer Schadensersatzpflicht gegen den Erdgaslieferanten kaum Relevanz. Denn die für den Gebrauch von Erdgas für Koch-, Warmwasser- und Heizzwecke erforderliche Information betrifft in der Regel die vom Netzbetreiber gesteuerten Erdgasparameter, beispielsweise Druck oder Brennwert, und kann ausschließlich von diesem erteilt werden. Sollten die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG im konkreten Fall aber doch gegeben sein, stellt sich die Frage nach dem Verschulden. Das Verschuldenserfordernis ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm jedenfalls nicht. Allerdings ist es durchaus denkbar und annehmbar, dass Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG eine verschuldensabhängige Haftung regeln. Dafür spricht (unter Einbeziehung der Systematik) der Blick in Art. 8 Abs. 1 S. 2 VerbrSchG. Dort werden dem Verbraucher das Recht auf Rücktritt vom Vertrag sowie der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises (Art. 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VerbrSchG) oder auf Umtausch der Ware (Art. 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VerbrSchG) zugesprochen, falls dieser die vom Hersteller oder Verkäufer verschuldete Mangelhaftigkeit der aufgrund eines Kaufvertrages erworbenen Ware innerhalb der Garantiefrist entdeckt. Die (quasi)vertraglichen Schadens-

§ 8 Haftungsgrundlagen

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ersatzansprüche aus Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG1774 ergänzt die (quasi)vertragliche Haftung des Art. 8 Abs. 1 S. 2 VerbrSchG und soll daher das Verschulden des Verkäufers voraussetzen. Der Erdgaslieferant haftet demnach gemäß Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG nur dann, wenn er die Informationspflichtverletzung verschuldet hat. Was er dabei zu verschulden hat, bestimmt sich mangels spezieller Regelung im VerbrSchG nach Art. 614 ZGB. V.

Haftung nach dem ProdHaftG

Bei Erdgasversorgungsstörungen kann sich der Anspruch auf Schadensersatz gegen den Erdgaslieferanten schließlich aus Art. 7 Abs. 3 S. 1 ProdHaftG i. V. m. Artt. 711, 1209 Abs. 3 ZGB, ggf. Art. 16 VerbrSchG ergeben. Danach haftet der Lieferant dem jeweiligen (privaten oder industriellen) Geschädigten für durch das fehlerhafte Erdgas verursachte Mangelfolgeschäden in gleicher Weise wie der Hersteller, sofern der Hersteller des Erdgases nicht festgestellt werden kann und er, der Lieferant, nicht innerhalb von 30 Tagen den Hersteller i. S. d. ProdHaftG oder seinen eigenen (Vor-)Lieferanten bezeichnet. Ist der Hersteller feststellbar oder zumindest der Vorlieferant benannt, entgeht der – die Endkunden mit Erdgas unmittelbar beliefernde – Lieferant der Haftung. Wegen der Durchmischung des von mehreren Förder- und Importunternehmen ins Versorgungsnetz eingespeisten Erdgases dürfte dem Geschädigten, aber auch dem in Anspruch genommenen Lieferanten nämlich kaum jemals möglich sein, zu ermitteln bzw. zu offenbaren, wessen Erdgas den Schaden verursacht hat. Der Erdgaslieferant wird dazu aus demselben Grund in aller Regel nicht in der Lage sein, seinen eigenen Lieferanten in Regress zu nehmen. Er hat normalerweise mehr als eine Bezugsquelle. Seine Befreiung von der Haftung nach Art. 7 Abs. 3 S. 1 ProdHaftG i. V. m. Artt. 711, 1209 Abs. 3 ZGB, ggf. Art. 16 VerbrSchG käme nur in Betracht, sollte das Erdgas lediglich von einem (Groß-)Händler gekauft werden. Der Erdgaslieferant kann in diesem Fall seiner Auskunftspflicht nachkommen. Die praktische Bedeutung des ProdHaftG im Hinblick auf die Haftungssituation bei Erdgasqualitätsschäden hängt hierbei davon ab, ob der in Anspruch genommene Erdgaslieferant den Entlastungsbeweis nach Art. 7 Abs. 3 S. 1 sowie Art. 9 Abs. 1 ProdHaftG führen kann. Denkbar ist, dass der Erdgaslieferant normalerweise in der Lage wäre, den Nachweis der Fehlerfreiheit von Erdgas im Zeitpunkt seiner Übergabe an der Gasverteilungsstation zu erbringen. Denn die Erdgasqualitätsverschlechterung erfolgt in aller Regel während 1774

Zur Zuordnung der Ansprüche nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbSchG s. bereits Teil II § 8 B III 2 a), S. 389 f.

420

Teil II Rechtslage in der Ukraine

der Durchleitung im (Verteil-)Netz und hat ihre Ursache im technischen Konzept der Erdgasbeförderung zum Endabnehmer. In dieser Hinsicht ist darüber hinaus die Prüfung des Zeitpunkts des Inverkehrbringens von Erdgas besonders relevant. Das Gesetz gibt bedauerlicherweise keine Anhaltspunkte dafür. Es wird somit der ukrainischen Rechtsprechung obliegen, dies herauszuarbeiten. Das Gesagte wirft letztlich die Frage auf, ob vielleicht der Netzbetreiber als Hersteller zu qualifizieren und entsprechend nach dem ProdHaftG in Anspruch zu nehmen ist1775 . D.

Der Netzbetreiber als Passivlegitimierter

Für Schäden wegen Erdgasausfällen und Versorgungsunregelmäßigkeiten infolge von Störungen im Netz haftet allein der Netzbetreiber. Da sowohl private und industrielle Erdgasendkunden als auch Erdgashändler und -lieferanten zumeist gerade den netzbedingten Schadensfällen ausgesetzt werden, was nicht zuletzt auf die Schadensanfälligkeit der ukrainischen Transport- und Verteilnetzstrukturen zurückzuführen ist, ist seine Passivlegitimation als primäres Haftungssubjekt im Bereich der Erdgasversorgung evident. Daraus können erhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken für den Netzbetreiber abgeleitet werden, die ihrerseits durch besondere gesetzliche Regelungen des neuen ukrainischen Energiewirtschaftsrechts nicht abgemildert werden. Im durch netzseitige Versorgungsstörungen verursachten Schadensfall kann der geschädigte Erdgas(end)kunde gegen den schädigenden Netzbetreiber sowohl vertragliche als auch gesetzliche Schadensersatzansprüche geltend machen. Liegt die Ursache für einen Schaden in der Nichterfüllung bzw. der nicht gehörigen Erfüllung eines im konkreten Fall in Betracht kommenden Netzvertrages, trifft den Netzbetreiber die vertragliche Haftung nach den Art. 623 Abs. 1 i. V. m. Artt. 858 Abs. 3, 906 Abs. 1 ZGB oder Art. 224 Abs. 1 WGB, die je nach Kunden- sowie Vertragsart anwendbar sind. Für Personenschäden, aber auch Vermögensschäden als Folge eines rechtswidrigen Verhaltens des Netzbetreibers, das nicht auf der Nicht- oder Schlechterfüllung vertraglicher Verbindlichkeiten beruht, hat der Netzbetreiber nach dem Deliktsrecht einzustehen. Vorrangig zu betrachten sind dabei die Spezialtatbestände des Art. 1209 Abs. 1 ZGB, der die verschuldensunabhängige Haftung für durch mangelhafte Arbeits- und Dienstleistungen verursachte Schäden regelt, sowie des Art. 1187 Abs. 2 ZGB, der die verschuldensunabhängige Haftung für eine Quelle erhöhter Gefahr regelt. Der Anspruch auf Schadensersatz kann sich allerdings ebenfalls aus Art. 1166 Abs. 1 ZGB – Haftungsgrundnorm des allgemeinen Deliktsrechts der Ukraine – ergeben, soweit die Voraussetzungen 1775

S. hierzu Teil II § 8 D V, S. 441 ff.

§ 8 Haftungsgrundlagen

421

dafür vorliegen. Sollte der betroffene Erdgaskunde als Verbraucher i. S. d. Art. 1 Nr. 22 VerbrSchG gelten, müssen zudem bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Netzbetreiber die Haftungsbestimmungen des VerbrSchG berücksichtigt werden (Art. 10 VerbrSchG). Schließlich könnte man hier noch überlegen, einen Anspruch auf Schadensersatz bei Erdgasversorgungsstörungen zu Lasten des Netzbetreibers auf Art. 7 Abs. 1 ProdHaftG zu stützen. Diese Anspruchsgrundlage kommt jedoch nur insofern in Betracht, als die Tätigkeit des jeweiligen Netzbetreibers als tatsächliche Herstellung gemäß Art. 1 Nr. 2 ProdHaftG qualifiziert werden kann. I.

Haftung nach dem Vertragsrecht im ZGB

Eine vertragliche Haftung des Netzbetreibers bei Erdgasversorgungsstörungen kommt bei Pflichtverletzungen aus einer mit dem geschädigten Erdgaskunden bestehenden Vertragsbeziehung in Betracht. Haftungsrelevant sind sämtliche Netzverträge, insbesondere der Erdgastransport- oder der Erdgasverteilungsvertrag sowie der Netzanschlussvertrag. Dabei gilt es, die unterschiedliche Rechtsnatur dieser Verträge zu beachten. Je nachdem, ob ein Netzvertrag zwischen dem Netzbetreiber und seinem Kunden in dem jeweils zugrundeliegenden Haftungsfall als Dienst- oder Werkvertrag einzuordnen ist, sind Schadensersatzansprüche auf andere Anspruchsgrundlagen zu stützen. Der Netzanschlussvertrag ist grundsätzlich Werkvertrag (vgl. Abschn. VI Art. 2 Abs. 22 TranspNetzK sowie Abschn. V Art. 2 Abs. 13 VerteilNetzK)1776 , so dass das besondere Gewährleistungsrecht der Artt. 848 ff. ZGB greift. Der Erdgastransport-/-verteilungsvertrag wird hingegen als Dienstvertrag1777 angesehen1778 . Die vertragliche Haftung des Netzbetreibers unterliegt deshalb in der Regel den speziellen Voraussetzungen des Art. 906 ZGB. 1.

Zivilrechtliche Vertragshaftung gegenüber dem Erdgasendkunden als Anschlussnehmer

Gegenstand des Netzanschlussverhältnisses zwischen dem Netzbetreiber und dem Anschlussnehmer ist die Errichtung (bzw. spätere Änderung oder Erweiterung) des Netzanschlusses, über welchen der Letztverbraucher mit Erdgas versorgt wird1779 . Erbringt der Netzbetreiber die Anschlussleistung nicht, nicht 1776

1777

1778 1779

Allgemein zum Werkvertrag s. Grynyak, Dogovirni zobo´jazannja z vykonannja robit u cyvil´nomu pravi Ukrajiny [Vertragliche Schuldverhältnisse zur Erbringung der Werkleistung im Zivilrecht der Ukraine]. Ausführlich zum Dienstvertrag im ukrainischen Recht Fedorchenko, Dogovirni zobov´jazannja z nadannja poslug [Vertragliche Schuldverhältnisse über die Erbringung von Dienstleistungen]. Vgl. bereits Fn. 1497, S. 340. Näher zur Anschlusspflicht des Netzbetreibers s. Teil II § 7 C II, S. 344 f.

422

Teil II Rechtslage in der Ukraine

rechtzeitig bzw. nicht gehörig (insbesondere qualitativ), ist eine Pflichtverletzung gegeben und kann Ersatz eines dadurch dem Erdgasendkunden in seiner Eigenschaft als Anschlussnehmer entstandenen Schadens verlangt werden. Schadensersatzansprüche gegenüber dem betroffenen Anschlussnehmer werden grundsätzlich nach allgemeinem Schuldrecht geltend gemacht (Artt. 610 ff. ZGB), wobei es auf ein Verschulden des Netzbetreibers und/oder seiner Hilfspersonen gemäß Art. 618 ZGB ankommt. Gleichwohl ist – angesichts der Einordnung des Netzanschlussvertrages als Werkvertrag – zu beachten, dass hinsichtlich jener Mängel, die während der Ausführung der Netzanbindung auftreten bzw. einem errichteten Netzanschluss anhaften, die werkvertragsrechtlichen Besonderheiten gelten und dass diese das allgemeine Leistungsstörungsrecht, insbesondere bezüglich des Schadensersatzes, modifizieren1780 . Die Vorschriften des Werkvertragsrechts gelten für die Mängelhaftung sowohl vor Abnahme als auch bei bzw. nach Abnahme der verrichteten Arbeit (robota), anders als nach deutschem Recht. Sollte der Anschlussnehmer bei Ausübung der Kontrolle über den Verlauf und die Qualität der durch den Netzbetreiber ausgeführten Arbeiten zur Herstellung des Netzanschlusses, wozu er gemäß Art. 849 Abs. 1 ZGB im Recht ist, einen Mangel entdecken, steht ihm zunächst (nur) der Anspruch auf Mängelbeseitigung zu (Art. 849 Abs. 3 ZGB). Darauf bauen dann die weiteren Mängelansprüche des Auftraggebers – Selbstvornahme, Rücktritt sowie Schadensersatz – auf1781 . Erst eine fehlgeschlagene oder verweigerte Mängelbeseitigung berechtigt gemäß Art. 849 Abs. 3 ZGB, Schadensersatz zu verlangen, und zwar sowohl neben dem Rücktritt als auch neben der Selbstvornahme1782 . Schadensersatzansprüche können zwar nach einem Rücktritt geltend gemacht werden, erfordern jedoch einen vorherhigen Rücktritt nicht, wovon aber in der ukrainischen Rechtsprechung bisweilen ausgegangen wurde1783 . Die Mängelrechte des berechtigten Erdgasendkunden nach der Abnahme des Netzanschlusses ergeben sich aus Art. 858 ZGB. Gemäß Art. 858 Abs. 3 ZGB kann der Geschädigte vom Vertrag zurücktreten und einen Schadensersatz verlangen, soweit ein wesentlicher Mangel vorliegt und seine Behebung 1780

1781

1782 1783

Anders als das Kaufrecht, wobei die bestehenden Unterschiede sachlich nicht nachzuvollziehen sind. Dies kann wohl nur auf die schlechte Gesetzestechnik zurückgeführt werden. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Dikovska, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 849 S. 493. Lukasevych-Krutnyk, Jurydyčna Ukrajina 2009, Nr. 6, 87 (90 f.). Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 07.02.2006 Reg.-Nr. 35/178-05.

§ 8 Haftungsgrundlagen

423

unmöglich oder fehlgeschlagen ist. Ob ein Mangel wesentlich oder unwesentlich ist, ist von der Wertung im Einzelfall abhängig. Wie die Analyse der ukrainischen Rechtsprechung ergibt, handelt es sich um einen wesentlichen Mangel i. S. d. Art. 858 Abs. 3 ZGB dann, wenn das Werk (bzw. die Arbeit) zu vertraglich vorgesehenen Zwecken nicht verwendet werden kann 1784 bzw. zur gewöhnlichen Nutzung nicht tauglich ist1785 oder von den (staatlich festgelegten) technischen Standards abweicht1786 . Weist der errichtete Netzanschluss Mängel auf, die die Erdgasentnahme verhindern bzw. erhebliche Störungen in der Erdgasversorgung hervorrufen, sind diese jedenfalls als wesentlich einzustufen. Liegen die Voraussetzungen des Art. 849 Abs. 3 oder des Art. 858 Abs. 3 ZGB vor, steht dem betroffenen Anschlussnehmer ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Bezüglich der Einzelheiten ist gleichwohl auf die Anspruchsgrundlage des allgemeinen Leistungsstörungsrechts – Art. 623 Abs. 1 ZGB (i. V. m. Art. 22 ZGB) – zu verweisen. Der in Anspruch genommene Netzbetreiber muss danach tatsächlich entstandene Schäden und den entgangenen Gewinn i. S. d. Art. 22 Abs. 2 ZGB ersetzen. Dem bei verschuldeter Verbindlichkeitsverletzung vom Netzbetreiber zu leistenden Schadensersatz unterfallen freilich nur Schäden, die unmittelbar am Netzanschluss selbst entstanden sind, aber nicht Mangelfolgeschäden und Begleitschäden (vgl. Art. 1209 Abs. 1 ZGB). Denn sie führen auf ein anderes (rechtswidriges) Verhalten des Netzbetreibers als die Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrages zurück1787 . Darüber hinaus geht es in diesem Fall um das Integritätsinteresse des Anschlussnehmers 1788 . Jedenfalls kommt hier eine analoge Anwendung des Art. 711 ZGB in Betracht1789 , was insbesondere durch die Funktion und systematische Stellung der Vorschrift innerhalb des ZGB zu begründen ist.

1784

1785

1786 1787

1788 1789

Verfügung des OWirtschG v. 25.04.2017 Reg.-Nr. 910/13725/16; Verfügung des OWirtschG v. 31.01.2007 Reg.-Nr. 13/422. Verfügung des OWirtschG v. 19.08.2009 Reg.-Nr. 16/251; Verfügung des OWirtschG v. 31.01.2007 Reg.-Nr. 13/422; Urteil des Darnyz´kyj BezirkG der Stadt Kyjiv v. 10.03.2016 Reg.-Nr. 753/4038/15-ц. Urteil des WirtschG des Kyjiv Gebietes v. 26.06.2008 Reg.-Nr. 000/00-06. Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Syrotenko, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 411 ff.; Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1209 Pkt. 2.2. S. 383 f. Teil II § 8 A, S. 360 ff. So auch Blank, Das allgemeine Leistungsstörungsrecht in Deutschland und in der Ukraine, S. 168.

424

2.

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Zivilrechtliche Vertragshaftung gegenüber dem Erdgasendkunden als Netznutzer

Der Erdgastransportvertrag sowie der Erdgasverteilungsvertrag werden nach ständiger und einhelliger Rechtsprechung in der Ukraine als entgeltlicher Dienst(leistungs)vertrag i. S. d. Art. 901 Abs. 1 ZGB qualifiziert1790 . Bei Verletzung der Verbindlichkeiten aus diesen (standardisierten) Verträgen haftet daher der jeweilige Netzbetreiber gegenüber seinem Vertragspartner – Netzkunden – auf Schadensersatz gemäß Art. 906 Abs. 1 ZGB1791 . Die Norm enthält im Gegensatz zu speziellen Haftungsregelungen im besonderen Leistungsstörungsrecht des Kauf- und Werkvertrages eine eigenständige Anspruchsgrundlage für Schadensersatz, die ausschließlich im Rahmen des Dienstvertrages zum Zuge kommt1792 . Der Geschädigte kann demnach Ersatz eines durch schuldhafte Nicht- bzw. Schlechterfüllung seiner vertraglichen Verbindlichkeiten verursachten Schadens in vollem Umfang verlangen, es sei denn, dass im Vertrag etwas anderes vorgesehen ist (Art. 906 Abs. 1 S. 1 ZGB). a)

Haftungsverschärfung für unternehmerisch tätige Personen

Um einen Anspruch gegen den Schädiger aus Art. 906 Abs. 1 ZGB erheben zu können, muss mithin grundsätzlich ein Verschulden wenigstens in Form von Fahrlässigkeit seinerseits oder aber seitens seiner Hilfspersonen vorliegen. Soweit allerdings der Dienstverpflichtete unternehmerisch tätig ist, wie im 1790 1791

1792

S. dazu bereits Fn. 1497, S. 338. Urteil des BerufG des Sumy Gebietes v. 31.05.2016 Reg.-Nr. 577/917/15-ц, bestätigt durch Beschluss des OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 19.12.2016 Reg.-Nr. 577/917/15-ц; vgl. auch Verfügung des OG v. 27.04.2016 Reg.Nr. 6-261цс16 im Bereich der Stromversorgung; Urteil des Schepetivs´kyj StadtbezirkG des Chmel´nyc´kyj Gebites v. 07.02.2018 Reg.-Nr. 688/3383/17 im Bereich der Fernwärmeversorgung. Dies ergibt sich darüber hinaus im Umkehrschluss aus dem Urteil des Tal´nivs´kyj BezirkG des Tscherkassy Gebietes v. 29.06.2015 Reg.-Nr. 704/350/15ц sowie Urteil des WirtschG des Kyjv Gebietes v. 13.11.2007 Reg.-Nr. 9/376-07, in welchen der Erdgasendverbraucher als Netzkunde für die Verletzung seiner Verbindlichkeiten aus dem Netzvertrag nach Art. 906 Abs. 1 ZGB zur Verantwortung herangezogen wird. Der Vollständigkeit halber ist hier noch anzumerken, dass in einigen Entscheidungen auf die Rechtsnatur des Vertrages über den Transport bzw. die Verteilung von Erdgas gar nicht eingegangen wird. Die Schadensersatzansprüche wegen Netzbetriebsstörungen stützen sich dabei ohne jegliche Begründung auf die allgemeinen Grundsätze, so z. B. Verfügung des OWirtschG v. 19.12.2007 Reg.-Nr. 19/103; Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 23.04.2009 Reg.-Nr. 7/135. Den Rechtsanwendern kann dadurch erhebliche Rechtsunsicherheit drohen. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Vasyl´yeva, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 906 S. 557; Kossak/Grygorovs´ka/Jakubivs´kyj, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 906 S. 700.

§ 8 Haftungsgrundlagen

425

Bereich des Netzbetriebs stets der Fall ist, wird dieser nach Art. 906 Abs. 1 S. 2 ZGB einer verschärften Haftung unterworfen1793 . Der in Anspruch genommene Netzbetreiber kann sich danach im Haftungsfall lediglich durch den Nachweis von höherer Gewalt entlasten1794 und trägt somit praktisch die (verschuldensunabhängige1795 ) (Erfolgs- oder) Garantiehaftung. Gleichwohl gilt zu beachten, dass Art. 906 Abs. 1 S. 2 ZGB einen dispositiven Charakter hat. Das heißt, die Parteien können das Vorliegen von Verschulden als Voraussetzung für ihre vertragliche Haftung vereinbaren1796 . Die verbindlich zu verwendenden Musterverträge zur Erbringung von Erdgastransport- sowie -verteilungsdienstleistungen enthalten aber keine Regelung hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses. Dies hat zur Folge, dass (zumeist) der Verteilernetzbetreiber als Betreiber der unteren Netzebene für netzbedingte Schäden seines Netzkunden – Erdgasendverbrauchers – auch dann haftbar ist, wenn die schadenstiftende Versorgungsstörung auf das Verschulden des vorgelagerten Netzbetreibers zurückzuführen ist. Daher erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob der GTS-Betreiber als Hilfsperson des GRMBetreibers i. S. d. Art. 618 ZGB qualifiziert und daraufhin sein Verschulden dem GRM-Betreiber zugerechnet werden kann. Im Übrigen sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Regelung des Art. 906 Abs. 1 S. 2 ZGB nicht nur Bedenken gegen ihren Sinn und Zweck 1793

1794

1795

1796

Der ZGB-Entwurf aus dem Jahr 1996 sah eine verschärfte Vertragshaftung für Schuldner mit Unternehmereigenschaft unabhängig vom Vertragstyp vor (Art. 639). S. Proekt Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Entwurf des Zivilgesetzbuches der Ukraine] vom 20.12.1996, abgerufen unter: http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511= 12096 (zuletzt am 01.12.2018). Der ukrainische Gesetzgeber hat wohl dabei das Vorbild des Art. 401 Pkt. 1 Abs. 3 ZGB Russlands vor Augen gehabt. Näher dazu s. Sadikov/ Jakovlev, Kommentarij k Graždanskomu kodeksu RF časti pervoj [Kommentar zum ersten Teil des Zivilgesetzbuches der RF], Art. 401 Pkt. 3, S. 394. In der endgültigen Fassung des ZGB wurde allerdings auf das System der Vertragshaftung, in welchem das Erfordernis des Verschuldens vom Schuldnertyp abhängig gemacht wird, verzichtet. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für eine verschärfte Haftung und eine verstärkte Risikobelastung nur bei Verletzung von Verbindlichkeiten aus bestimmten Vertragstypen entschieden, was in der Literatur mangels hinreichender und nachvollziebarer Anhaltspunkte dogmatischer Konsistenz dafür – nicht unberechtigterweise – erheblich kritisiert wird. So z. B. Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 Pkt. 6.4 S. 493 f. Kossak/Grygorovs´ka/Jakubivs´kyj, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 906 S. 700. Spasybo-Fatjejeva/Baranova, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 7, Art. 614 Pkt. 6.4 S. 493 f. Bychkova/Bobryk, Cyvil´ne pravo. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 189.

426

Teil II Rechtslage in der Ukraine

sowie ihre systematische Einordnung in das ukrainische Schuldrecht hervorruft1797 , sondern auch im Hinblick auf die Geltendmachung von erlittenen Personenschäden zweifelhaft erscheint. Der Ersatz von Personenschäden ist auch innerhalb des Vertragsverhältnisses ausschließlich nach deliktischen Ansprüchen möglich, damit für die hochrangigen Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit ein wirksamer Schutz sichergestellt und nicht durch günstigere vertragliche Bedingungen entzogen werden kann 1798 . Als Folge haftet der Netzbetreiber für Personenschäden nur bei Vorliegen eigenen Verschuldens, soweit der Tatbestand des Art. 1166 Abs. 1 ZGB eingreift (etwa bei Unterbrechung der Erdgaszufuhr), und für Vermögensschaden infolge einer Verbindlichkeitsverletzung aus dem Netzvertrag nach Art. 906 Abs. 1 ZGB in der Regel verschuldensunabhängig. Dieses Ergebnis entspricht freilich nicht dem objektiven Willen des ukrainischen Gesetzegebers, soweit sich dieser erkennen und interpretieren lässt. b)

Verletzung von auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten gerichteter Pflichten

Die Haftungsrisiken des Netzbetreibers bei Erbringung von Erdgastransportsowie Erdgasverteilungsdienstleistungen können in erster Linie in den Ansprüchen des Netzkunden wegen Schäden infolge Versorgungsunterbrechungen liegen1799 . Wird der Schaden durch die Unterbrechung der Erdgasversorgung herbeigeführt, kann davon ausgegangen werden, dass der Netzbetreiber gegen seine Pflicht aus Pkt. 2.3. i. V. m. Pkt. 2.7. des Standard-Erdgastransportvertrages, wonach er die vertraglich festgelegten Erdgasmengen am benannten Entnahmepunkt innerhalb des vereinbarten Zeitraums zur Verfügung zu stellen hat1800 , bzw. aus Pkt. 2.1. i. V. m. Pkt. 1.4. des Standard-Erdgasverteilungsvertrages, wonach er seinem Kunden die jederzeitige Entnahme von Erdgas aus dem GRM zu gewährleisten hat1801 , verstoßen hat. Keine Verbindlichkeitsverletzung kann ihm freilich vorgeworfen werden, wenn die Unterbrechung gemäß dem Standardvertrag zur Erbringung von Erdgastransport- (Pkt. 15.1.) oder Erdgasverteilungsdienstleistungen (Pkt. 9.1.) berechtigt 1797 1798

1799

1800 1801

S. dazu bereits Fn. 1791, S. 424 f. Spasybo-Fatjejeva/Us, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1196 S. 303 f. Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 31.01.2017 Reg.-Nr. 906/195/16; Konotops´kyj StadtbezirkG des Sumy Gebietes v. 25.04.2018 Reg.-Nr. 577/5014/17; Urteil des Novomoskovs´kyj StadtbezirkG des Dnipropetrovs´k Gebietes v. 20.09.2017 Reg.-Nr. 183/2173/ 17. Vgl. Teil II § 7 C I 1 a), S. 338 f. Vgl. Teil II § 7 C I 2, S. 342 f.

§ 8 Haftungsgrundlagen

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ist1802 . In solchen Fällen kann der betroffene Netzkunde gestützt auf einen der eben genannten Netzverträge keine Schadensersatzansprüche gegen den (GTS- bzw. GRM-)Netzbetreiber geltend machen1803 . Eine Verbindlichkeitsverletzung i. S. d. Art. 906 Abs. 1 S. 1 ZGB ist aber auch bei der Nichteinhaltung einer bestimmten Erdgasqualität (etwa bei Überoder Unterschreitung von Druck, Zumischung von Wasser im hohen Prozentbereich etc.) im Rahmen der Transport- bzw. Verteilungstätigkeit des Netzbetreibers anzunehmen1804 . In diesem Fall erbringt der Netzbetreiber als Dienstverpflichteter eine schlechtere Dienstleistung als sein Vertragspartner fordern kann bzw. sie dem Vertragszweck gerecht wird1805 . Es kommt dabei entscheidend darauf an, ob die Erdgasqualität am Ausspeisepunkt aus dem GTS bzw. GRM den in Abschn. III TranspNetzK bzw. Abschn. VIII Art. 2 VerteilNetzK vorgesehenen Anforderungen entspricht1806 . Die darüber hinausgehende Erdgasqualität wird nicht geschuldet. Schäden, die infolge Versorgungsstörungen trotz Einhaltung der erwähnten Bestimmungen des TranspNetzK bzw. des VerteilNetzK durch den Netzbetreiber entstanden sind, fallen demnach in den Risikobereich des Netzkunden. Im Falle der Erdgasversorgungsunterbrechung sowie der Nichteinhaltung der geschuldeten Erdgasqualität ist zudem zu beachten, dass die spätere (Teil-)Erfüllung der gemäß Art. 622 Abs. 1 ZGB weiterhin bestehenden Dienstleistungspflicht des Netzbetreibers in natura nicht möglich ist. Auch für den Netzkunden als Gläubiger ist die Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungstätigkeit, die in einem von der Parteienvereinbarung abweichenden Leistungszeitraum erbracht wird, sinnlos. Denn das von den Vertragsparteien erstrebte Resultat (oder „Nutzeffekt“1807 im Hinblick auf den Dienstvertrag) kann nicht 1802 1803

1804

1805

1806 1807

Näher dazu Teil II § 7 C I 1 b), S. 339 ff.; II, S. 344 f. Verfügung des OWirtschG v. 31.01.2017 Reg.-Nr. 906/195/16; Konotops´kyj StadtbezirkG des Sumy Gebietes v. 25.04.2018 Reg.-Nr. 577/5014/17; Urteil des Novomoskovs´kyj StadtbezirkG des Dnipropetrovs´k Gebietes v. 20.09.2017 Reg.-Nr. 183/2173/ 17. Vgl. Verfügung des OWirtschG v. 19.12.2007 Reg.-Nr. 19/103; Urteil des WirtschG der Stadt Kyjiv v. 23.04.2009 Reg.-Nr. 7/135, in welchen allerdings die Schadensersatzhaftung des Netzbetreibers – in irreführender Weise – nach dem allgemeinen Haftungsrecht beurteilt wird. Im Gegensatz zum allgemeinen Haftungsrecht, welches dem Verschuldensprinzip folgt, muss der Netzbetreiber nach Art. 906 Abs. 1 ZGB verschärft haften. Im Ergebnis wird der Netzbetreiber unterschiedlichen Haftungsrisiken nach einer Netzstörung ausgesetzt. Fedorchenko, Dogovirni zobo´jazannja z nadannja poslug [Vertragliche Schuldverhältnisse über die Erbringung von Dienstleistungen], S. 278 f.; Bodnar, Visnyk OIVS, 2004, Nr. 3 (Teil 1), 20 (21 f.). Teil II § 7 C I 1 a), S. 338; Teil II § 7 C I 2, S. 342 f. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Tash´yan, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 365 f.

428

Teil II Rechtslage in der Ukraine

(mehr) eintreten. Daher ist es denkbar, hier vom Vorliegen der (Teil-)Unmöglichkeit auszugehen. Insoweit kann an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen verwiesen werden1808 . c)

Verletzung von Schutzpflichten

Der (erdgasentnehmende) Netzkunde kann zudem nach Art. 906 Abs. 1 ZGB aus der Verletzung von Nebenpflichten zum Schutz des Integritätsinteresses durch den Netzbetreiber resultierende Schäden verlangen. Es handelt sich um die Pflichten des Netzbetreibers in Bezug auf das sichere Funktionieren des GTS bzw. des GRM nach Pkt. 2.7., 3.1. des Standard-Erdgastransportvertrages, Pkt. 3.2., 7.1. des Standard-Erdgasverteilungsvertrages, deren Inhalt sich überwiegend aus Abschn. V Art. 1 Abs. 1, Abschn. VII Art. 2, Abschn. XVI TranspNetzK sowie Abschn. III, Abschn. VII, Abschn. XIII Art. 1, Art. 3, Abschn. XIV VerteilNetzK ergibt1809 . Die Haftung für die Verletzung derartiger (Verhaltens-)Pflichten richtet sich zwar im Grundsatz nach den Vorschriften des Deliktsrechts (Artt. 1166 ff. ZGB), denn einerseits werden sie in der Regel weder durch Vertrag noch durch Gesetz für das betroffene Schuldverhältnis bestimmt und andererseits beziehen sich allein auf den Schutz der Integritätssphäre1810 . Die ukrainische Rechtsprechung hat allerdings einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus Art. 1187 Abs. 2 ZGB (Haftung für eine Quelle erhöhter Gefahr) abgelehnt und stattdessen einen vertraglichen Schadensersatzanspruch, gestützt auf Art. 906 Abs. 1 ZGB, für ein Haus bejaht, das infolge eines auf fehlerhaftes Anflanschen zurückzuführenden Erdgasaustritts durch den Brand erheblich beschädigt wurde1811 . Der Netzbetreiber hat in diesem Fall gegen seine vertraglich vorgesehenen Instandhaltungs- bzw. Wartungspflichten verstoßen. Gerade die vertragliche Fixierung dieser Pflichten, wodurch das Integritätsinteresse des Netzkunden in den Schutzbereich des mit dem jeweiligen Netzbetreiber abgeschlossenen Vertrages einbezogen wird, dient der ukrainischen Rechtsprechung als Anhaltspunkt für die Beurteilung der Rechtsfolgen deren Verletzung nach dem allgemeinen bzw. besonderen Schuldrecht. Dem Netzkunden entsteht dadurch im Grunde kein Nachteil, allerdings soweit Art. 906 ZGB beim Bruch des Netzvertrages Anwendung findet und dieser keine Haf1808

1809 1810 1811

Teil II § 8 C I, S. 401 f.; 1 b), S. 406; vgl. dazu auch Spasybo-Fatjejeva/ Pechenyj/Krat/Tash´yan, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 368. S. Teil II § 7 C III 1, S. 345 ff.; Teil II § 7 C III 2, S. 348 f. Dazu bereits Teil II § 8 A, S. 360 ff. Beschluss des OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 19.12.2016 Reg.-Nr. 577/917/15-ц; s. auch Verfügung des OG v. 27.04.2016 Reg.-Nr. 6-261цс16 im Bereich der Stromversorgung.

§ 8 Haftungsgrundlagen

429

tungsmodifikation enthält. Für die Praxis bedeutet die aufgeführte Rechtsprechung, dass bei netzbetriebsbedingten Erdgasversorgungsstörungen deliktische Schadensersatzansprüche gegen den Netzbetreiber kaum in Betracht kommen. d)

Kausaler Schaden

Dem geschädigten Netzkunden steht ein Schadensersatzanspruch gegen den Netzbetreiber nach Art. 906 Abs. 1 ZGB jedoch nur dann zu, wenn er weiter darlegen und gegebenenfalls beweisen kann, dass Schäden ursächlich auf den Erdgasausfall, seine Fehlerhaftigkeit oder Neben- und Sorgfaltspflichtverletzungen zurückzuführen sind. Zu beachten ist, dass der Nachweis der Ursächlichkeit bei Sachschäden an technischen Einrichtungen und Anlagen des Erdgasverbrauchers besonders schwierig sein kann. Dies ist meist nur mit Hilfe eines Sachverständigen möglich. Art. 906 Abs. 1 ZGB gilt nicht für Schäden, die der Netzkunde an sonstigen Rechtsgütern und Interessen infolge mangelhaft ausgeführter Dienstleistung erleidet1812 . Es handelt sich hier um solche Schäden, die außerhalb des Leistungsgegenstands entstehen und nicht mit dem Leistungsinteresse ausgeglichen werden können1813 . Der geschädigte Netzkunde hat in diesem Fall seinen Schadensersatzanspruch auf Art. 1209 Abs. 1 ZGB (eventuell i. V. m. Art. 711 ZGB analog) zu stützen. II.

Haftung nach Art. 224 Abs. 1 WGB

Der ukrainische Netzbetreiber trägt seinem unternehmerisch tätigen Netzkunden gegenüber eine verschärfte Schadensersatzhaftung wegen netzbedingter Erdgasversorgungsstörungen nach Art. 224 Abs. 1 WGB (i. V. m. Art. 218 Abs. 2 S. 2 WGB)1814 . Den Grund dafür bildet hierbei grundsätzlich die Verletzung einer vertraglich begründeten wirtschaftlichen Verpflichtung, die dem Netzbetreiber aus dem Erdgastransport- oder Erdgasverteilungsvertrag er-

1812

1813

1814

Vgl. Tur, Vidškoduvannja škody, zavdanoji vnaslidok nedolikiv konsul´tacijnyh poslug, za cyvil´nym zakonodavstwom Ukrajiny [Ersatz von Schäden infolge mangelhafter Beratungsleistungen nach dem Zivilrecht der Ukraine], S. 84 ff. Vgl. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1209 S. 965. Urteil des WirtschG des Saporishshja Gebietes v. 19.02.2018 Reg.-Nr. 908/2261/17; Verfügung des Odes´kyj BerufWirtschG v. 15.06.2017 Reg.-Nr. 915/2220/15. Vgl. aber Verfügung des OWirtschG v. 16.03.2010 Reg.-Nr. 7/135; Verfügung des OWirtschG v. 24.09.2008 Reg.-Nr. 6/552, in denen die Regelung des Art. 218 Abs. 2 S. 2 WGB nicht berücksicht und ohne jegliche Begründung vom grundsätzlichen Verschuldensprinzip ausgegangen wurde; näher dazu bereits Teil II § 8 C II, S. 412 f.

430

Teil II Rechtslage in der Ukraine

wächst (vgl. Art. 173 Abs. 1 i. V. m. Artt. 174 Abs. 1, 175 Abs. 1 WGB)1815 . Eine Pflichtverletzung des Netzbetreibers i. S. d. Art. 224 Abs. 1 WGB liegt in aller Regel in der (unberechtigten) Unterbrechung bzw. Einstellung der Durchleitung von Erdgas durch das GTS/GRM oder Nichteinhaltung seiner bestimmten Qualität1816 . Insoweit gilt nichts anderes als im Rahmen der vertraglichen Haftung des Netzbetreibers seinen Privatkunden gegenüber, so dass an dieser Stelle im Wesentlichen auf das bereits Gesagte verwiesen werden kann1817 . Eine Haftung des Netzbetreibers gemäß Art. 224 Abs. 1 WGB kommt in erster Linie für reale Schäden, wie z. B. die Kosten für die Wiederherstellung der Erdgasversorgung infolge ihrer unberechtigten Einstellung, sowie für Vermögensschäden, wie z. B. den entgangenen Gewinn infolge des Betriebsausfalls bzw. -stillstands, in Betracht1818 . Der Nachweis, dass solche Schäden ursächlich auf den Erdgasausfall zurückzuführen sind, dürfte keine besonderen Probleme bereiten1819 . Schwieriger ist es aber, wie bereits oben erwähnt, bei Sachschäden an Betriebsmaschinen. Denn deren technischen Defekte können auch andere Ursachen haben. Im Übrigen ist anzumerken, dass die Schäden, die durch netzbedingte Versorgungsstörungen im industriellen Bereich entstehen, grundsätzlich deutlich höher als die im privaten Bereich ausfallen. Für den Netzbetreiber bedeutet das, dass er bei Erbringung von Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsdienstleistungen anderen am Wirtschaftsleben Beteiligten deutlich höheren (Schadens-)Risiken ausgesetzt wird. Dazu kommt zudem, dass seitens des ukrainischen Energiegesetzgebers nicht versucht wird, diesen Risiken durch spezialgesetzliche Haftungsmodifikationen zu begegnen. Er scheint vielmehr davon ausgegangen zu sein, dass die bestehenden zivilrechtlichen und wirtschaftsrechtlichen Haftungsregelungen eine wirtschaftlich ausgewogene und interessengerechte Lösung für Sachverhalte im Rahmen der veränderten Risikolage im Erdgasversorgungssytem bieten können. Die Vorschrift des Art. 226 1815

1816

1817 1818

1819

Eine Haftung des Netzbetreibers nach Art. 224 Abs. 1 WGB kann gleichwohl auch dann eintreten, wenn dieser gegen eine gesetzlich bzw. normativ festgelegte Anforderung an die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit verstoßen hat. Das Bestehen eines vertraglichen Schuldverhältnisses zwischen dem Netzbetreiber und seinem Netzkunden spielt in diesem Fall keine Rolle. S. z. B. Verfügung des OWirtschG v. 13.03.2008 Reg.-Nr. 2-9/ 4384-2007; vgl. auch Teil II § 8 B II, S. 383 ff. Urteil des WirtschG des Saporishshja Gebietes v. 19.02.2018 Reg.-Nr. 908/2261/17; Verfügung des Odes´kyj BerufWirtschG v. 15.06.2017 Reg.-Nr. 915/2220/15. Teil II § 8 D I 2, S. 424 ff. Urteil des WirtschG des Saporishshja Gebietes v. 19.02.2018 Reg.-Nr. 908/2261/17; Verfügung des Odes´kyj BerufWirtschG v. 15.06.2017 Reg.-Nr. 915/2220/15. Urteil des WirtschG des Saporishshja Gebietes v. 19.02.2018 Reg.-Nr. 908/2261/17.

§ 8 Haftungsgrundlagen

431

Abs. 3 WGB gewinnt daher in der zu untersuchenden Konstellation umso mehr an Bedeutung1820 . Hiernach hat der geschädigte Netzkunde dem schädigenden Netzbetreiber gegenüber mit seiner Forderung nach voller Schadenshaftung keinen Erfolg, sofern er rechtzeitig über mögliche Nichterfüllung der wirtschaftlichen Verpflichtung durch den Netzbetreiber informiert wird und die ihm drohenden Schäden trotz Möglichkeit nicht abwendet oder zumindest mindert. Angesichts der technisch-physikalischen Besonderheiten des Netzbetriebs wird aber Art. 226 Abs. 3 WGB eher selten zur Anwendung kommen, so dass die höheren Schadensrisiken beim Netzbetreiber und damit letzlich bei Erdgaskunden verbleiben. III.

Deliktische Haftung nach dem ZGB

Deliktische Schadensersatzansprüche gegen den Netzbetreiber nach Art. 1209 Abs. 1 S. 1 ZGB, Art. 1187 Abs. 2 ZGB und – gegebenenfalls – Art. 1166 Abs. 1 ZGB (zumeist i. V. m. Art. 1196 ZGB) kommen, wie oben bereits erwähnt, in Betracht. Dies gilt, soweit es sich im Einzelfall um Personenschäden oder aber auch Mangelfolgeschäden des Erdgasendkunden handelt. Man könnte an dieser Stelle noch darüber nachdenken, einen deliktischen Schadensersatzanspruch des an das GRM angeschlossenen und im vertraglichen Verhältnis mit dem GRM-Betreiber stehenden Kunden gegen den vertragsfremden GTS-Betreibers anzunehmen. Eine solche Frage stellt sich allerdings erst dann, wenn technisch zwischen Störungen im GTS und GRM differenziert werden kann, wovon wohl der ukrainische Gesetzgeber bei der Schaffung des neuen, oben beschriebenen Rechtsrahmens für die Erdgasversorgung ausgegangen sein dürfte. Gleichwohl ist dabei festzuhalten, dass selbst bei der Vornahme dieser Differenzierung der infolge einer netzbetriebsbedingten Versorgungsstörung geschädigte Kunde im Ergebnis allein gegen den GRM-Betreiber als Anspruchsgegener vorgehen (müssen) wird. Denn das Fehlverhalten des vorgelagerten Transportnetzbetreibers, auf welches die Ursache für die Versorgungsstörung zurückzuführen ist, wird sich grundsätzlich (immer) im darunter liegenden GRM niederschlagen bzw. fortsetzen und eine GTS-Störung wird vielmehr für den betroffenen Kunden regelmäßig auch eine GRM-Störung darstellen. Der GRM-Betreiber wird sodann nicht nur die Widerrechtlichkeit nicht ausräumen, sondern sich auch nicht entlasten können, indem er nachweist, dass ihn kein Verschulden in der konkreten Situation trifft. Bei Ansprüchen aus Art. 906 Abs. 1 ZGB, Art. 224 Abs. 1 WGB sowie Artt. 1209 Abs. 1 S. 1, 1187 Abs. 2 ZGB, die normalerweise vom am GRM angeschlossenen geschädigten Kunden geltend gemacht werden, 1820

Verfügung des Odes´kyj BerufWirtschG v. 15.06.2017 Reg.-Nr. 915/2220/15.

432

Teil II Rechtslage in der Ukraine

kommt es auf ein Verschulden des Schädigers nicht an, so dass das ganze Haftungsrisiko bei dem Netzbetreiber, mit dessen Netz der Kunde unmittelbar verbunden ist, verbleibt1821 . 1.

Allgemeine deliktische Haftung (Art. 1166 Abs. 1 ZGB)

Der Netzbetreiber ist mit der außervertraglichen Haftung nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB (i. V. m. Art. 1196 ZGB) zunächst in den Fällen konfrontiert, in denen Schäden an der Person des betroffenen Netzkunden wegen unberechtigter und schuldhafter Einstellung bzw. Unterbrechung der Erdgasversorgung entstehen1822 . Insoweit müssen die allgemeinen – oben bereits im Einzelnen dargestellten – Voraussetzungen einer deliktischen Haftung, d. h. Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 1166 Abs. 1 ZGB,1823 erfüllt sein1824 . Es gelten für den GTS- sowie GRM-Betreiber im Grunde keine Besonderheiten. Sofern allerdings nach dem Standard-Erdgastransportvertrag bzw. dem Standard-Erdgasverteilungsvertrag i. V. m. dem TranspNetzK oder dem VerteilNetzK keine Verbindlichkeit zur Erbringung von Erdgastransport- bzw. -verteilungsdienstleistungen gegeben ist1825 , scheidet die allgemeine deliktische Haftung des Netzbetreibers gemäß Art. 1166 Abs. 1 ZGB mangels eines rechtswidrigen Verhaltens grundsätzlich aus1826 . Der Netzbetreiber kann sich von der Verantwortung aber auch dann befreien, wenn er seine Unschuld hinsichtlich der (unberechtigten) Einstellung der Erdgaszufuhr und des daraus bei dem Erdgaskunden entstandenen Schadens beweist (bis dahin wird sein Verschulden vermutet, vgl. Art. 1166 Abs. 2 ZGB)1827 . Dies dürfte ihm normalerweise gelingen. Er muss (nur) darlegen können, das Vorliegen der zur Einstellung der Erdgasversorgung berechtigter Voraussetzungen sorgfältig überprüft1828 bzw. alle erforderlichen und möglichen Maßnahmen zur Abwendung 1821 1822

1823 1824

1825 1826

1827

1828

Vgl. dazu bereits Teil II § 8 D I 2 a), S. 424; s. auch unten Teil II § 8 D III 2, S. 434 ff. Vgl. Urteil des Červonozavods´kyj BezirkG der Stadt Kharkiv v. 18.08.2017 Reg.Nr. 646/8321/16-ц. Vgl. Teil II § 8 B I, S. 364 ff. Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Us, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1196 S. 305. Dazu s. Teil II § 7 C I 1 b), S. 339 ff.; 2, S. 342 f. Vgl. Spasybo-Fatjejeva/Golubyeva, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Pkt. 5.6. Art. 1166 S. 93 f. Spasybo-Fatjejeva/Golubyeva, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Pkt. 7.4. Art. 1166 S. 95. Erfolgt die Einstellung der Erdgasversorgung auf Anweisung des Erdgaslieferanten, muss sich der beauftragte Netzbetreiber durch die Anforderung entsprechender Informationen und Unterlagen vergewissern, dass die Voraussetzungen einer Unterbrechung

§ 8 Haftungsgrundlagen

433

des Schadenseintritt bzw. Netzausfalls (etwa wie regelmäßige Kontrollen und Prüfungen, ordnungsgemäße Wartungen und Instandhaltung der Netze, rechtzeitige und vollständige Informationen oder Androhungen im Hinblick auf die geplante bzw. drohende Unterbrechung des Netzbetriebs)1829 durchgeführt zu haben. Daraus ergibt sich, dass die Haftung aus Art. 1166 Abs. 1 ZGB für den geschädigten Netzbetreibers günstiger ist als dessen Haftung aus Vertrag nach Art. 906 Abs. 1 ZGB, denn er kann sich hierbei nicht nur mit Vorliegen höherer Gewalt entschuldigen1830 . Der Anspruch des Erdgaskunden auf Ersatz von Personenschäden nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB wird freilich meistens an dem schwierigen Nachweis der Ursächlichkeit1831 zwischen der unberechtigten Unterbrechnung der Erdgasversorgung und dem Gesundheitsschaden seitens des Erdgaskunden scheitern1832 . Auf der Ebene der Haftungsausfüllung ist schließlich ein eventuelles Mitverschulden des geschädigten Erdgaskunden zu prüfen. Davon hängen die Verpflichtung des Netzbetreibers zum Schadensersatz sowie der Umfang des von ihm zu leistenden Schadensersatzes ab (vgl. Art. 1193 Abs. 1 und 2 ZGB). Ein Mitverschulden des Erdgaskunden kann insbesondere dann angenommen werden, wenn dieser dem Netzbetreiber bzw. dessen Beauftragten Zutritt zu seinem Grundstück sowie seinen Räumen zwecks Prüfung oder

1829

1830 1831 1832

durch den Lieferanten vorliegen (vgl. Abschn. X Art. 1 Abs. 5, 6 TranspNetzK, Abschn. VI Art. 7 Abs. 1 VerteilNetzK, Abschn. II Art. 14 ErdgasLieferR). Anderenfalls könnte man daran denken, den Netzbetreiber als Gesamtschuldner neben dem Erdgaslieferanten zur Haftung heranzuziehen. Die vertraglich vereinbarte Haftungsfreistellung des Netzbetreibers gemäß Pkt. 8.3. Abs. 2 des Standard-Erdgasverteilungsvertrages greift im Rahmen seiner außervertraglichen Haftung nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB nicht durch. Vgl. dazu Spasybo-Fatjejeva/Us, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1196 Pkt. 1 S. 302 ff.; Zajika, Jurydyčna nauka 2015, Vol. 9 (51), 35 (39); anders aber wohl im Ergebnis Otradnova, Problemy vdoskonalennja mehanizmu cyvil´no-pravovogo reguljuvannja deliktnyh zobov´jazan´ [Fragen zur Verbesserung von Mechanismen der zivilrechtlichen Regelung deliktischer Verbindlichkeiten], S. 80; so auch Tur, Vidškoduvannja škody, zavdanoji vnaslidok nedolikiv konsul´tacijnyh poslug, za cyvil´nym zakonodavstwom Ukrajiny [Ersatz von Schäden infolge mangelhafter Beratungsleistungen nach dem Zivilrecht der Ukraine], S. 178. Bei der Beurteilung, ob der Netzbetreiber alle notwendigen und möglichen Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Abwendung negativer Folgen seiner Handlungen ergriffen hat, sind die Grenzen des wirtschaftlich Zumutbaren zu berücksichtigen. Anderenfalls kann eine Überspannung der vom Netzbetreiber zu erwartenden Sicherheitsvorkehrungen bestehen. Das Kriterium der wirtschaftlichen Zumutbarkeit wird dennoch weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung angesprochen. Es bleibt demnach abzuwarten, ob es in der ukrainischen Rechtspraxis in der Zukunft zur Geltung kommt. S. dazu Teil II § 8 D I 2 a), S. 424 ff. Zur Feststellung der Kausalität, vgl. Teil II § 8 B I 1 c), S. 371 ff. Urteil des Červonozavods´kyj BezirkG der Stadt Kharkiv v. 18.08.2017 Reg.-Nr. 646/ 8321/16-ц.

434

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Wartung der technischen (Netz-)Einrichtungen nicht gewährt oder seine Informations-, Mitteilungs- bzw. Meldepflichten gemäß TranspNetzK sowie VerteilNetzK unterlässt1833 . Erst bei der Bestimmung der Schadensquote gewinnt die Unterscheidung von Verschuldensgraden im ukrainischen Recht an Bedeutung1834 . Die Mitwirkung des Geschädigten an der Schadensentstehung wird hingegen in den in Art. 1193 Abs. 3 ZGB vorgesehenen Fällen (Ersatz zusätzlicher Aufwendungen nach Art. 1195 Abs. 1 ZGB, Ersatz von Schäden im Zusammenhang mit dem Tod des Ernährers gemäß Art. 1200 ZGB sowie Ersatz von Bestattungskosten nach Art. 1201 ZGB) nicht berücksichtigt. Nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB kann der Netzbetreiber überdies für Schäden durch unachtsamen Umgang mit sonstigen, bereits vorhandenen Rechtsgütern und Interessen des Erdgaskunden während der Netzanschlussherstellung haftbar gemacht werden1835 . Die daraus folgenden Nachteile müssen keinen Leistungsbezug aufweisen und nicht zum Schutzbereich des Netzanschlussvertrages gehören1836 . Haftungsbegründend kann hierbei jegliches schuldhafte deliktische Verhalten des Netzbetreibers in Form von Tun oder Unterlassen sein. Dies ist beispielsweise bei Schadenszufügungen infolge unterlassener Informationen, Warnhinweise oder Absperrungen im Zusammenhang mit der Anschlusserrichtung, die aus dem Erdgaswirtschaftsrecht hergeleitet werden können und den Interessen von Erdgasverbrauchern dienen sollen, anzunehmen. Im Übrigen gilt das oben Gesagte. 2.

Außervertragliche Haftung für mangelhafte Arbeits- bzw. Dienstleistung (Art. 1209 Abs. 1 S. 1 ZGB)

Der Ersatz für Schäden an (anderen) geschützten Rechtsgütern und Interessen des Netzkunden (oder aber eines unbeteiligten Dritten) und die daraus resultierenden Nachteile wegen mangelhaft ausgeführter Netzanschlussherstellung oder Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsdienstleistung ist zu Lasten des Netzbetreibers ausschließlich über die außervertragliche Haftung des Art. 1209 Abs. 1 ZGB geltend zu machen (Art. 711 ZGB analog). Hierbei kommt das im ukrainischen Recht für die Abgrenzung vertraglicher und deliktischer Ansprüche geltende Ausschließlichkeitsprinzip zum Tragen1837 . Dane1833 1834

1835

1836

1837

Näher zum Pflichtenprogramm des Netzkunden s. Teil II § 7 D II 2, S. 355 ff. Ausführlich über Folgen der Mitverantwortung s. Schadens Spasybo-Fatjejeva/Karnaukh, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1193 S. 274 ff. Vgl. z. B. Urteil des OSpezialG für zivil- und strafrechtliche Sachen v. 19.06.2013 Reg.Nr. 6-13757св13. S. Spasybo-Fatjejeva/Pechenyj/Krat/Syrotenko, Khar´kovskaja zyvilističeskaja škola: o dogovore [Charkiwer Zivilrechtsschule: Über Vertrag], S. 414 ff. Zur Abgrenzung vertraglicher und deliktischer Ansprüche bereits Teil II § 8 A, S. 360 ff.

§ 8 Haftungsgrundlagen

435

ben stellt Art. 1209 Abs. 1 ZGB (ebenso wie Art. 1187 Abs. 2 ZGB) einen Spezialtatbestand im Verhältnis zu Art. 1166 Abs. 1 ZGB dar1838 . Ferner enthält die Vorschrift – anders als Art. 1209 Abs. 3 ZGB – weder eine Rechtsgrundnoch Rechtsfolgenverweisung und ist damit eine selbständige Anspruchsgrundlage. Art. 1209 Abs. 1 S. 1 ZGB schreibt vor, dass Hersteller von Sachen, die Immobilien darstellen, sowie mit der Arbeit bzw. der Dienstleistung Beauftragte verpflichtet sind, den Schaden, den eine natürliche oder juristische Person infolge von Herstellungs- und technologischen Mängeln oder Mängeln, die auf die Zusammensetzung der Ware zurückzuführen sind, sonstigen Mängeln oder aber infolge der unrichtigen bzw. unzureichenden Information darüber erleidet, zu ersetzen. Auffällig ist, dass der Gesetzgeber die Dienstleistung als Anknüpfungspunkt der Haftung nach Art. 1209 Abs. 1 ZGB in Klammer setzt, um wohl zum Ausdruck zu bringen, dass die Dienstleistungshaftung in der Regel dieselben Konsequenzen mit sich bringt. Dies erschwert aber nur die ohnehin nicht klare Abgrenzung von Dienstleistungen und Arbeiten in der Ukraine. Anspruchsberechtigt ist gemäß Art. 1209 Abs. 1 S. 2 ZGB jeder Geschädigte, d. h. jedermann (auch ein unbeteiligter Dritter), unabhängig davon, ob dieser in einer vertraglichen Beziehung mit dem Hersteller bzw. Ausführenden einer Arbeit (oder einer Dienstleistung) stand oder nicht. Danach wird des Weiteren verschuldensunabhängig gehaftet. Eine Haftung nach Art. 1209 Abs. 1 S. 1 ZGB entfällt nur, wenn der Schaden des Geschädigten durch höhere Gewalt i. S. d. Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB verursacht wurde sowie wenn der Geschädigte gegen die Regeln für den Gebrauch der Ware, des Resultats der Arbeit bzw. Dienstleistung verstoßen hat und dieser Verstoß für die Schadensersatzentstehung kausal war (Art. 1209 Abs. 2 ZGB). Die zu beachtenden Gebrauchsregeln können sowohl allgemein bekannte als auch spezielle Sicherheitsmaßnahmen, die den Besonderheiten der jeweiligen Ware, Arbeits- bzw. Dienstleistung Rechnung tragen, umfassen1839 . Im Erdgasversorgungsbereich sind solche Regeln für den Netzkunden überwiegend in TransportNetzK sowie VerteilNetzK verankert1840 und müssen diesem durch den Netzbetreiber umgehend zur Kenntnis gebracht werden1841 . Ansonsten kann sich der schädi1838 1839

1840 1841

Vgl. Teil II § 8 B I, S. 364 ff. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Bd. 2, Art. 1209 Pkt. 9 S. 967. S. Teil II § 7 D II, S. 354 ff. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der

kodeksu Ukraine],

kodeksu Ukraine],

436

Teil II Rechtslage in der Ukraine

gende Netzbetreiber auf den Haftungsausschluss des Art. 1209 Abs. 2 ZGB beruhen. Der Entlastungsbeweis obliegt gemäß Art. 1209 Abs. 2 ZGB dem in Anspruch Genommenen. Für eine Haftung nach Art. 1209 Abs. 1 ZGB müssen grundsätzlich die allgemeinen Haftungsvoraussetzungen des ukrainischen Deliktsrechts, modifiziert durch Art. 1209 bis 1211-1 ZGB, vorliegen1842 . Den Haftungsgrund bildet demzufolge ein rechtswidriges Verhalten des Netzbetreibers, das in der hier zu untersuchenden Fallkonstellation im Verstoß gegen die Verpflichtung zur Erbringung mangelfreier Arbeits- bzw. Dienstleistungen bestehen wird1843 . Die Mangelhaftigkeit einer Arbeitsleistung bezieht sich auf ihr Resultat und nicht auf ihre Ausführung selbst (vgl. auch Art. 1209 Abs. 2 ZGB)1844 . Mangelhaft muss demnach der verrichtete Netzanschluss sein. Die Mangelhaftigkeit einer Dienstleistung ist dagegen auf eine bestimmte Tätigkeit – hier also den Erdgastransport oder die Erdgasverteilung – zu stützen. Die Feststellung der Mangelhaftigkeit einer Arbeits- bzw. Dienstleistung erweist sich allerdings im ukrainischen Recht als nicht unproblematisch. Das ukrainische Deliktsrecht enthält keinen (allgemeinen) Mangelbegriff. Im Rahmen der Haftung nach Art. 1209 Abs. 1 ZGB wird daher der Mangelbegriff des Art. 1 Nr. 15 VerbrSchG angewendet1845 . Danach ist eine Ware, Arbeits- bzw. Dienstleistung als mangelhaft anzusehen, wenn sie nicht den Bestimmungen der Gesetzesvorschriften und Normungsdokumente, vertraglichen Vereinbarungen oder aufgestellten Qualitätsanforderungen sowie darüber erteilten Informationen entspricht1846 . Es handelt sich hier wohl um alternativ an-

1842

1843

1844

1845

1846

Bd. 2, Art. 1209 Pkt. 9 S. 967; vgl. auch Pysmenna, Pravovidnosyny, ščo vynykajut´u zv´jazku z porušennjam prav spožyvačiv vnaslidok nedolikiv tovariv, robit (poslug) [Rechtsbeziehungen, die im Zusammenhang mit der Verletzung der Verbraucherrechte infolge der Mangelhaftigkeit von Waren, Arbeiten (Dienstleistungen) entstehen], S. 63. Kossak/Javors´ka, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Art. 1209 S. 900. Vgl. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1209 Pkt. 16 S. 969; Bychkova/Bychkova/Shapoval, Cyvil´ne pravo. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 480 f., 484 ff.; Tur, Vidškoduvannja škody, zavdanoji vnaslidok nedolikiv konsul´tacijnyh poslug, za cyvil´nym zakonodavstwom Ukrajiny [Ersatz von Schäden infolge mangelhafter Beratungsleistungen nach dem Zivilrecht der Ukraine], S. 101. Vgl. dazu Urteil des Ordžonikidzevs´kyj BezirkG der Stadt Saporishshja v. 30.10.2012 Reg.-Nr. 2/0818/1576/2012. Vgl. Tur, Vidškoduvannja škody, zavdanoji vnaslidok nedolikiv konsul´tacijnyh poslug, za cyvil´nym zakonodavstwom Ukrajiny [Ersatz von Schäden infolge mangelhafter Beratungsleistungen nach dem Zivilrecht der Ukraine], S. 107 ff. Näher zum Mangelbegriff des VerbrSchG vgl. Teil II § 7 A I 2 b), S. 300 ff.

§ 8 Haftungsgrundlagen

437

zuwendende Voraussetzungen 1847 . Für Arbeitsleistungen können zudem Artt. 857, 858 ZGB herangezogen werden, wobei diese Regelungen im Grunde auf die gleichen Kriterien wie Art. 1 Nr. 15 VerbrSchG abstellen. Die Informationspflichten müssen zumindest den Anforderungen des ErdgasMarktG, TranspNetzK, VerteilNetzK, ErdgasLieferR sowie anderen erdgaswirtschaftsrechtlichen Regelungen entsprechen, beschränken sich allerdings hierauf nicht1848 . Die verschuldensunabhängige, kausale Haftung des Art. 1209 Abs. 1 ZGB trifft den Netzbetreiber freilich nur dann, wenn ein (unmittelbarer) Ursachenzusammenhang zwischen dem beim Netzkunden (oder einem Dritten) entstandenen (Mangelfolge-)Schaden und dem Herstellungs-, Rezeptur-, Technologie- oder anderen Mangel bzw. den nicht wahrheitsgemäßen oder unzulänglichen Informationen besteht. Die Beweislast für dessen Vorliegen (ebenso wie für den Mangel) trägt der Geschädigte1849 . Für die Haftungsausfüllung gelten in der Regel die allgemeinen Vorschriften und Grundsätze des Deliktsrechts. 3.

Außervertragliche Haftung für Quellen erhöhter Gefahr (Art. 1187 Abs. 2 ZGB)

Schließlich soll die außervertragliche verschuldensunabhängige Haftung des Netzbetreibers als Inhaber einer Quelle erhöhter Gefahr (etwa einer Erdgasversorgungsleitung) nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB geprüft werden. Die Anspruchsgrundlage des Art. 1187 Abs. 2 ZGB (eventuell i. V. m. Art. 1196 ZGB) kommt in erster Linie für den Ersatz von Personenschäden des Netzkunden, die bei Betrieb des GTS bzw. GRM entstanden sind, in Betracht1850 . Bei Vermögensschäden des Netzkunden kann der Netzbetreiber zur Haftung nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB nur insoweit herangezogen werden, als seine Haftung aus Vertrag gemäß Art. 906 Abs. 1 ZGB nicht eingreift1851 . Der Haftungstatbestand aus Art. 1187 Abs. 2 ZGB setzt voraus, dass der zu ersetzende Schaden aufgrund einer Quelle erhöhter Gefahr eintritt. Eine Erdgasversorgungsleitung kann dabei ohne Weiteres unter die Definition der

1847 1848 1849

1850

1851

Vgl. Bernasconi-Mamie, Das russische Produktehaftpflichtrecht, S. 91. Vgl. Teraz, Forum prava 2008, Nr. 1, 408 (409 f.). Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1209 Pkt. 14 S. 968. Urteil des Kalus´kyj StadtBezirkG des Iwano-Frankiws´k Gebietes v. 13.05.2009 Reg.Nr. 2-20/09. Dazu bereits Teil II § 8 D I 2 c), S. 428 f.

438

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Gefahrenquelle in Art. 1187 Abs. 1 ZGB subsumiert werden1852 . Der Netzbetreiber benutzt seine Rohrleitungen für die konzentrierte Durchleitung des Erdgases. Das Erdgas gerade in seiner hohen Konzentration verfügt über gefährliche schadenstiftende Eigenschaften, deren Auftreten vom Menschen nicht (mit vollständiger Sicherheit) beherrscht werden kann1853 . Damit hängt eine besondere Betriebsgefahr, deren Verwirklichung der Netzbetreiber nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB zu verantworten hat, zusammen1854 . Die Nutzung einer im Eigentum des jeweiligen Netzkunden stehenden Erdgasleitung wird währenddessen nicht als Quelle erhöhter Gefahr anerkannt, denn sie verursacht keine erhöhte Gefahr für die Umgebung1855 . Hier fehlt das Kriterium der Unkontrollierbarkeit der darin befindlichen (geringen) Erdgasmengen. Der Schaden, der sich infolge der Nutzung der Erdgasleitung im Bereich des Netzkunden ereignet, ist vom Schutzzweck des Art. 1187 Abs. 2 ZGB nicht umfasst1856 . Die Haftung des Netzbetreibers würde aber in der dargestellten Fallkonstellation schon deswegen ausscheiden, als dass der Inhaber einer solchen Rohrleitung der Kunde und nicht der Netzbetreiber ist. Erleidet der Netzkunde (Personen- oder Vermögens-)Schäden dadurch, dass die Zufuhr von Erdgas eingestellt oder unterbrochen wird, kann ebenfalls keine Haftung des Netzbetreibers nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB begründet werden. Sie sind darauf zurückzuführen, dass der Netzbetreiber sein Leistungsversprechen aus dem Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrag nicht erfüllt, und nicht darauf, dass sich die dem Netzbetrieb innewohnende spezifische Gefahr verwirklicht1857 . Die schädigenden Wirkungen der Erdgasversor1852

1853

1854

1855

1856 1857

Verfügung des OWirtschG v. 26.03.2009 Reg.-Nr. 9/25-08; Spasybo-Fatjejeva/Myza, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1187 Pkt. 2.5 S. 230; Bychkova/ Dymydenko, Cyvil´ne pravo. Dogovirni ta nedogovirni zobov´jazannja [Zivilrecht. Vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen], S. 460. Verfügung des OWirtschG v. 26.03.2009 Reg.-Nr. 9/25-08; Spasybo-Fatjejeva/Myza, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1187 Pkt. 2.1 S. 226. Vgl. OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen, Schreiben zur Rechtsprechung in Zivilsachen über den Verbraucherschutz 2010 – 2011 v. 01.02.2012, veröffentlicht in Časopys cyvil´nogo ta kryminal´nogo sudočynstva 2012, 00, N 04. Urteil des Ovruc´kyj BezirkG des Schytomyr Gebietes v. 18.02.2011 Reg.-Nr. 2-67/11; vgl. Katerynopil´s´kyj BezirkG des Cherkasy Gebietes v. 30.06.2010 Reg.-Nr. 2-14/10; Spasybo-Fatjejeva/Myza, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1187 Pkt. 2.5 S. 230. Vgl. Verfügung des OG v. 13.10.2010 Reg.-Nr. 6-41509св10. Vgl. Plenum des OSpezialG der Ukraine für zivil- und strafrechtliche Sachen, Verordnung zu einigen Fragen hinsichtlich der Rechtsanwendung bei der Beurteilung von Schadensersatzfällen, in welchen der Schaden durch eine Quelle erhöhter Gefahr verursacht wurde v. 01.03.2013 Nr. 4, Pkt. 5.

§ 8 Haftungsgrundlagen

439

gungsleitung bleiben hierbei vielmehr aus. Bei Schäden, die sich aus der Einstellung bzw. Unterbrechung der Erdgasversorgung durch den Netzbetreiber resultieren, kommt daher in erster Linie eine vertragliche Haftung des Netzbetreibers in Betracht. Anders dürfte dagegen die Situation der Schadenszufügung infolge von Veränderungen der Erdgasdruckverhältnisse beurteilt werden. Denn in diesem Fall realisiert sich die mit der Umwandlung großer Erdgasmengen zwecks ihrer Durchleitung verbundene besondere Betriebsgefahr1858 . Für die erfolgreiche Geltendmachung des Anspruchs zum Schadensersatz aus Art. 1187 Abs. 2 ZGB müssen neben der Verwirklichung der dem Erdgastransport bzw. der Erdgasverteilung in einer Versorgungsleitung eigentümlichen Gefahren auch weitere Tatbestandsvoraussetzungen der Norm, etwa ein (direkter) Kausalzusammenhang zwischen dem Wirken der Gefahrenquelle und dem bei dem aktivlegitimierten Netzkunden eingetretenen Schaden sowie die Eigenschaft des Schädigers als Inhaber der Gefahrenquelle, vorliegen. Die Einzelheiten dazu – ebenso wie zu den Haftungsausschlussgründen gemäß Art. 1187 Abs. 5 ZGB und zur Haftungsausfüllung – sind bereits im Abschnitt zur Haftung des Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteurs nach Art. 1187 Abs. 2 ZGB dargestellt1859 . Es erübrigt sich daher an dieser Stelle, darauf näher einzugehen. IV.

Haftung nach dem VerbrSchG

Soweit der geschädigte Netzkunde Verbraucher nach Art. 1 Nr. 22 VerbrSchG ist, ist zu prüfen, ob der schädigende Netzbetreiber nach den Regeln des VerbrSchG in die Verantwortung genommen werden kann. Von Bedeutung ist hier zunächst Art. 10 VerbrSchG. Die Norm regelt die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers im Falle des Verstoßes gegen den Werk- bzw. Dienstvertrag. Nach Art. 10 Abs. 2, 3 und 4 VerbrSchG stehen dem Verbraucher folgende (Mängel-)Ansprüche zu: Mängelbeseitigung, Minderung, Ersatzvornahme, Aufhebung des Werk- bzw. Dienstvertrages und Schadensersatz. Der Umfang der dem Haushaltskunden im konkreten Haftungsfall zur Verfügung stehenden Ansprüche bestimmt sich danach, ob ein Mangel vor oder nach der Abnahme der Werk- bzw. Dienstleistung entdeckt und geltend gemacht wird. Die genannten Ansprüche entsprechen denen des ukrainischen Werkvertragsrechts in Artt. 849 Abs. 3, 852, 858 ZGB. Insoweit gibt es keinen Unterschied zwischen den zivilrechtlichen und verbraucherschutzrechtlichen Mängelansprüchen des Erdgaskunden aus dem Netzanschlussvertrag. Anders liegt es aber 1858 1859

Vgl. Les´ko, Universytets´ki naukovi zapysky 2015, Nr. 3, 74 (83 f.). Vgl. Teil II § 8 B I 1, S. 366 ff.

440

Teil II Rechtslage in der Ukraine

beim Verstoß gegen den Dienstvertrag i. S. d. Art. 901 Abs. 1 ZGB. Denn das ukrainische Schuldrecht sieht keine Mängelrechte für den Dienstvertrag vor. Sie werden allerdings dem Verbraucher für den Fall der mangelhaft erbrachten Dienstleistung in Art. 10 Abs. 2 bis 4 VerbrSchG bereitgehalten. Dies führt dazu, dass der Schadensersatzanspruch gegenüber dem privaten Empfänger einer Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungs-dienstleistung zwar weiterhin auf Art. 906 Abs. 1 ZGB gestützt, jedoch nach dem Vorbild des Werkvertragsrechts modifiziert wird1860 . Zu erwähnen ist ferner Art. 10 Abs. 10 VerbrSchG. Danach trägt der Ausführende die Verantwortung für Schäden, die an Leben, Gesundheit sowie Vermögen des Verbrauchers durch die Nutzung von Sachen, Stoffen, Einrichtungen, Geräten, Instrumenten, Komponenten oder anderen Mitteln, die für die Erbringung der Werk- bzw. Dienstleistung erforderlich sind, eintreten, unabhängig vom Niveau seiner wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse hinsichtlich deren Eigenschaften gemäß der Gesetzgebung der Ukraine. Art. 10 Abs. 10 VerbrSchG enthält dabei einen Verweis auf die Normen des ukrainischen Rechts (wohl innerhalb sowie außerhalb des VerbrSchG), ohne allerdings diese konkret zu nennen. Dies scheint eine übliche Gesetzestechnik in der Ukraine darzustellen, woraus sich Bestimmungsprobleme ergeben und was die Aufgabe für den betroffenen Rechtsanwender nicht erleichtert. Da die Vorschrift sich nur auf die Mangelfolgeschäden (und nicht auf die Nutzungserwartungen des Verbrauchers) bezieht, kann man davon ausgehen, dass Art. 10 Abs. 10 VerbrSchG den Tatbestand der außervertraglichen Haftung des Art. 1209 Abs. 1 ZGB gegenüber dem Verbraucher konkretisiert, wenngleich die Überschrift des Art. 10 VerbrSchG eher auf die Haftung aus Vertrag hindeutet. Dafür könnte insbesondere sprechen, dass bis zur Verabschiedung des ProdHaftG im Jahre 2011 Art. 16 Abs. 4 VerbrSchG die Anspruchsgrundlage für den Ersatz solcher Schäden zu Lasten des Herstellers, Werk- bzw. Dienstleistungserbringers unabhängig vom Abschluss eines Vertrages mit dem Verbraucher beinhaltet hat1861 . Zu diesem Ergebnis kommt man auch, wenn man die Systematik des ukrainischen Haftungsrechts berücksichtigt. Praktisch ergibt sich aus dem Gesagten, dass der Netzbetreiber für Schäden an Leben, Gesundheit und/oder Vermögen seines privaten Kunden infolge Verwendung von defekten oder falsch eingesetzten Sachen, Stoffen, Einrichtungen, Geräten, Instrumenten, Komponenten oder anderen Mitteln bei der 1860 1861

Vgl. dazu Teil II § 8 D I 1, S. 421 ff. Vgl. Dzera/Kuznjecova/Luc´/Prymak, Naukovo-praktyčnyj komentar Cyvil´nogo kodeksu Ukrajiny [Wissenschaftlich-praktischer Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Ukraine], Bd. 2, Art. 1209 Pkt. 16 S. 969, der allerdings die Regelung des Art. 10 Abs. 10 VerbrSchG außer Acht lässt.

§ 8 Haftungsgrundlagen

441

Anschlussherstellung oder der Erbringung von Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsdienstleistungen nach Art. 1209 Abs. 1 ZGB i. V. m. Art. 10 Abs. 10 VerbrSchG haftet. Art. 15 Abs. 7 VerbrSchG zur Haftung wegen Verletzung einer Informationspflicht findet im durch den Netzbetreiber verursachten Schadensfall eine entsprechende Anwendung. Betreffend die Rechtsbehelfe des privaten Netzkunden nach Art. 15 Abs. 7 Nr. 1 und 2 VerbrSchG (i. V. m. dem Netzanschlussvertrag oder Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrag) bestehen grundsätzlich keine Besonderheiten und daher kann hier im Wesentlichen auf die Ausführungen zur Haftung nach dem VerbrSchG verwiesen werden1862 . Art. 15 Abs. 7 Nr. 3 VerbrSchG beschreibt – im Hinblick auf die Werkund Dienstleistungen – den Haftungstatbestand des Art. 1209 Abs. 1 ZGB1863 . Insoweit hat die genannte Norm im Rahmen der Haftung des Netzbetreibers bloß eine klarstellende Funktion. V.

Haftung nach dem ProdHaftG

Fraglich ist schließlich, ob Art. 7 Abs. 1 ProdHaftG für die Schadensersatzhaftung des Netzbetreibers bei netzbetriebsbedingten Erdgasversorgungsstörungen (hier in erster Linie Druckstörungen) herangezogen werden kann. Die Anwendung des ProdHaftG auf den Netzbetreiber hängt im Grunde davon ab, ob dieser als Hersteller von Erdgas i. S. d. Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 ProdHaftG qualifiziert werden kann. Die ukrainische Rechtsprechung (sowie das Schrifttum) hat sich dazu – soweit ersichtlich – noch nicht geäußert. Jedoch ungeachtet dessen, ob eine produkthaftungsrechtliche Verantwortung des (wohl regelmäßig GRM-)Netzbetreibers anerkannt oder zumindest angesprochen wird, ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Interessen des (vor allem privaten) Netzkunden im Falle einer Schadenszufügung durch Erdgasdruckstörung bereits durch die oben dargestellten Haftungsvorschriften des ZGB, insbesondere Art. 1209 Abs. 1 ausreichend geschützt werden. Die Herstellereigenschaft des (GRM-)Netzbetreibers könnte – nach deutschem Vorbild1864 – in der Umwandlung von Erdgas in die Niederdruckstufe über eine Druck-Regel-Anlage gesehen werden. Durch die Druckveränderung ist der jeweilige Netzbetreiber in der Lage, die Sicherheitsrisiken des am Hausanschluss des Netzkunden als Endnutzer des Produktes zur Verfügung zu stellenden Erdgases zu beeinflussen und zu steuern. Er leistet somit seinen Herstellungsbeitrag. 1862 1863 1864

Teil II § 8 B III 2 a), S. 389 f.; Teil II § 8 C IV, S. 418 f. S. dazu Teil II § 8 D III 2, S. 434 ff. Hierzu Teil I § 4 C II 1, S. 214 ff.

442

Teil II Rechtslage in der Ukraine

Ob die bloße Einhaltung der Qualitätsparameter von Erdgas während seiner Durchleitung von der Druck-Regel-Anlage bis zur bestimmten Übergabestelle als Herstellungsvorgang beurteilt werden kann, scheint freilich zweifelhaft zu sein1865 . Die Ursache der Schadenszufügung dürfte hier im technischen Konzept des Erdgastransports bzw. der Erdgasverteilung, welches auf die Besonderheiten des Produktes Erdgas zurückzuführen ist, liegen1866 . Somit stellt sich der Dienstleistungscharakter der Tätigkeit des Netzbetreibers in den Vordergrund. Die Dienstleistungen unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des ProdHaftG. Die Haftung für deren mangelhafte Erbringung basiert im ukrainischen Recht vielmehr auf einer eigenen speziellen Anspruchsgrundlage des Art. 1209 Abs. 1 ZGB, die eine Gefährdungshaftung für Arbeits- und Dienstleistungserbringer normiert.

1865 1866

Vgl. bereits zum deutschen Recht Kermel/Klindt/Wende, RdE 7/2015, 281 (283). Vgl. OGH, Entscheidung 7Ob2414/96t v. 16.04.1997, RdW 1997, 531 (532).

§ 9 Zusammenfassung Es hat sich herausgestellt, dass in der Ukraine seit der Verabschiedung eines Erdgasmarktgesetzes im Herbst 2015 neue Spielregeln für den Erdgasmarkt gelten. Sie sind geschaffen worden, um den Forderungen des dritten EUEnergiemarktpakets gerecht zu werden. Dem ErdgasMarktG zufolge muss entsprechend eine weitgehende Trennung von Förderung, Transport, Speicherung und Verteilung vorgenommen werden. Dessen Vorschriften sind aber bislang (noch) nicht vollständig implementiert worden. Nach wie vor beherrscht das monopolistische Staatsunternehmen Naftogaz Ukrajiny den Markt für die Förderung, den Import und Transport von Erdgas. Die Übernahme der Aufgaben von Ukrtransgaz durch die von Naftogaz Ukrajiny unabhängigen Kapitalgesellschaften, Hauptgasleitungen der Ukraine (Magistralni gazoprovody Ukrajiny) und Unterirdische Gasspeicher der Ukraine (Pidzemni gazoshowyšča Ukrajiny), ist wegen Hindernissen seitens der ukrainischen Regierung noch nicht vollzogen worden1867 . Auf dem Einzelhandelsmarkt wurden zwar die unabhängigen Erdgaslieferanten von den Erdgasverteilern (Oblgaz) getrennt. Faktisch sind aber keine neuen Akteure dazugekommen. Der Zugang neuer Erdgaslieferanten wird insbesondere durch die Anordnung des Ministerkabinetts der Ukraine Nr. 187 vom 22. März 2017, das besondere Verpflichtungen den Erdgasendkunden versorgenden Lieferanten sowie Naftogaz und seiner Tochtergesellschaft, UkrGazVydobuvannja, auferlegt, erschwert. Als Folge bleibt der ukrainische Erdgasmarkt durch wenige Teilnehmer dominiert und weiterhin stark konzentriert. Es lässt sich demnach festhalten, dass die Ukraine demnach noch weit von der Erreichung des Ziels eines wettbewerbsfähigen und gut funktionierenden Erdgasmarkts entfernt ist. Mit dem Inkrafttreten des ErdgasMarktG sowie zahlreicher auf seiner Grundlage und zu seiner Umsetzung erlassener untergesetzlicher Rechtsakte hat jedenfalls die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den an der allgemeinen Erdgasversorgung Beteiligten wesentliche Veränderungen, die Auswirkungen insbesondere auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bei Versorgungsstörungen durch die Endkunden haben, erfahren. Sie sind in erster Linie mit der Neuverteilung der Aufgaben- und Verantwortungsbereiche im Erdgasbereich verbunden. Während der Erdgaslieferant grundsätzlich für die Befriedigung der Nachfrage seiner Kunden (durch den Einkauf von Erdgas in entsprechendem Umfang für die ununterbrochene und jederzeitige Versorgung) verantwortlich ist, besteht die Kernaufgabe des Netzbetreibers in der Gewährleistung eines Netzzugangs und ggf. Netzanschlus1867

Sushchenko/Hychka/Garlytska, Ukraine-Analysen Nr. 190, 25.10.2017, 9 (9 f.).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_9

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Teil II Rechtslage in der Ukraine

ses sowohl für die Erdgaslieferanten als auch für die Erdgasendkunden zwecks des Transports bzw. der Verteilung von Erdgas. Zum Verantwortungsbereich des Netzbetreibers gehören darüber hinaus der ordnungsgemäße und sichere Betrieb des GTS bzw. GRM, deren Wartung sowie Ausbau. Um die Unabhängigkeit des Netzbetreibers von anderen Tätigkeitsgebieten der Erdgasversorgung hervorzuheben und dem (privaten sowie industriellen) Erdgasendkunden noch einmal klar vor Augen zu führen, dass er sich nunmehr einem Erdgaslieferanten und einem Netzbetreiber und nicht mehr nur einem Erdgasversorgungsunternehmen gegenüber sieht und dass er mit diesen in unterschiedlichen Vertragsbeziehungen steht, hat der ukrainische Gesetzgeber die Möglichkeit, einen sog. All-Inklusive-Vertrag anzubieten, verworfen. Nach dem neuen Rechtsrahmen für die Erdgaswirtschaft muss der Letztverbraucher i. S. d. ErdgasMarktG für seine Versorgung mit Erdgas unbedingt zwei Verträge schließen – einen Liefervertrag mit dem Lieferanten und einen separaten Transport- bzw. Verteilungsvertrag mit dem Netzbetreiber (je nachdem, ob der Anschluss im GTS oder GRM hergestellt wird). Dazu kommt noch ein Netzanschlussvertrag. Im Fokus möglicher Haftungsansprüche des Erdgaskunden bei Versorgungsstörungen stehen daher grundsätzlich der Lieferant und der Netzbetreiber (eventuell aber auch der Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur). Für den geschädigten Kunden bedeutet dies, dass er im konkreten Einzelfall den richtigen Anspruchsgegner identifizieren muss, um seinen Schadensersatzanspruch erfolgreich durchsetzen zu können. Der Erdgaslieferant haftet in der Ukraine ausschließlich für lieferungsbezogene Versorgungsstörungen und der Netzbetreiber für netzbetriebsbezogene Versorgungsstörungen. Ungeachtet der weitgehenden Regulierung des Erdgasmarktes hat der ukrainische Gesetzgeber kein spezielles Haftungsregime für die Rechtsverhältnisse im Bereich der allgemeinen Erdgasversorgung entwickelt. Die Haftung für lieferungsbezogene und netzbetriebsbezogene Erdgasversorgungsstörungen beurteilt sich mithin nach dem allgemeinen Haftungsrecht. Es finden sich im ukrainischen Erdgaswirtschaftsrecht auch keine Regelungen hinsichtlich der Haftungsausschlüsse und -begrenzungen. Dies wird allerdings den technischen und wirtschaftlichen Besonderheiten der leitungsgebundenen Erdgasversorgung nicht unbedingt gerecht. Dadurch ist in erster Linie der Netzbetreiber betroffen. Denn er trägt nach der Entflechtung der vertikal integrierten Erdgasversorgungsunternehmen sowie angesichts der üblichen Ursachen für Versorgungsstörungen die erheblich höheren Haftungsrisiken gegenüber dem Erdgasendkunden als andere Erdgasmarktteilnehmer ohne jegliche Möglichkeit, diese zu begrenzen.

§ 9 Zusammenfassung

445

Nach der derzeitigen gesetzlichen Lage haftet der Erdgaslieferant in aller Regel für unberechtigt veranlasste Lieferunterbrechungen nach Art. 623 Abs. 1 ZGB i. V. m. dem Erdgasliefervertrag. Es handelt sich dabei um einen verschuldensabhängigen Anspruch auf Ersatz von Sach- und Vermögensschäden, die durch solche Versorgungsstörungen eintreten. Für den Ersatz von Personenschäden muss sich der geschädigte Letzverbraucher auf die deliktische Anspruchsgrundlage des Art. 1166 Abs. 1 ZGB (i. V. m. Art. 1196 ZGB) stützen. Sowohl aus Vertrag als auch aus Delikt wird zudem für die Handlungen der Hilfspersonen (Arbeitnehmer und sonstige Gehilfen) gehaftet (vgl. Artt. 618 bzw. 1172 Abs. 1 ZGB). Ist der Erdgasendkunde als Wirtschaftssubjekt zu qualifizieren, trifft den Erdgaslieferanten eine verschärfte Haftung nach Art. 224 Abs. 1 WGB. Ansprüche aus dem VerbrSchG sowie ProdHaftG kommen bei durch den Erdgaslieferanten verursachten Versorgungsstörungen kaum zum Tragen. Den Ersatz von Sach- und Vermögensschäden wegen Störungen im Netzbetrieb, wenn der Letztverbraucher überhaupt kein Erdgas oder nicht in der vorgegebenen Qualität erhält, hat der geschädigte (private) Erdgasendkunde nach Art. 906 Abs. 1 S. 1 ZGB i. V. m. dem Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrag zu verlangen. Da der Netzbetreiber dabei in Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit handelt, trifft ihn gemäß Art. 906 Abs. 1 S. 2 ZGB eine verschuldensunabhängige Haftung. Er kann sich in diesem Fall von seiner Einstandpflicht nur durch den Nachweis befreien, dass die Vertragsverletzung durch höhere Gewalt verursacht worden ist. Dem industriellen Kunden steht bei solchen Erdgasversorgungsstörungen die Anspruchsgrundlage des Art. 224 Abs. 1 WGB zur Verfügung. Sollte der Erdgasendkunde Personenschäden sowie sonstige Mangelfolgeschäden erleiden, wird der Netzbetreiber zu einer allgemeinen bzw. besonderen deliktischen Haftung herangezogen. In Betracht kommen insbesondere Artt. 1187 Abs. 2, 1209 Abs. 1 und – soweit die genannten speziellen Haftungsnormen nicht eingreifen – 1166 Abs. 1 ZGB. Die Haftung nach Artt. 1187 Abs. 2 und 1209 Abs. 1 ZGB erfordert kein Verschulden des Schuldners. Daraus ergibt sich, dass der Netzbetreiber für Schäden wegen netzbetriebsbedingter Versorgungsstörungen grundsätzlich verschärft und im vollen Umfang haftet, wobei sich ein etwaiges Mitverschulden des Geschädigten laut Art. 1193 ZGB zu dessen Lasten anspruchsmindernd auswirken kann. Der Erdgasförderer sowie Erdgasimporteur können nur ausnahmsweise bei Erdgasversorgungsstörungen in Anspruch genommen werden. Sie haben normalerweise keinen Vertrag mit den Erdgasendkunden, so dass die Geltendmachung lediglich deliktischer Schadenersatzansprüche denkbar ist. In

446

Teil II Rechtslage in der Ukraine

den meisten Fällen wird ihre Haftung nach Artt. 1187 Abs. 2 oder ggf. 1166 Abs. 1 ZGB aber am schwierigen Nachweis der Ursächlichkeit zwischen dem Fehlverhalten dieser Akteure und dem eingetretenen Schaden des Erdgasendkunden scheitern. Auch der Haftung des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteur gemäß Art. 7 Abs. 1 bzw. 2 ProdHaftG kommt keine besondere Bedeutung zu. Ihr würde stets die Vermengung der Erdgasströme im Netz entgegenstehen. Schließlich ist anzumerken, dass ein erhebliches Haftungsrisiko sämtlicher an der allgemeinen Erdgasversorgung Beteiligten auch aus der grundsätzlichen Unvollkommenheit der ukrainischen Gesetzestechnik sowie der unübersehbaren und auch teilweise in sich widersprüchlichen Rechtsprechung ukrainischer Gerichte folgt. Eine unentwickelte Auslegungskultur trägt dazu bei.

Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

448

Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

In diesem Abschnitt werden die zuvor ermittelten Ergebnisse der Untersuchung der deutschen und ukrainischen Rechtslage in Zusammenhang mit der Erdgasversorgung in ihren wesentlichen Punkten gegenübergestellt und einer Auswertung unterzogen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, inwieweit sich die neue Ausgestaltung des Erdgasversorgungssystems in einem konkreten Land auf das Haftungsrisiko auf diesem Gebiet auswirkt und eine angemessene und interessengerechte Konfliktlösung bei Erdgasversorgungsstörungen ermöglicht. Gewonnene Erkenntnisse können einerseits Anregungen für weiteres politisches und gesetzgeberisches Handeln in beiden Ländern geben und andererseits grenzübergreifend tätigen Gasunternehmen einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen der Haftungsrisiken auf dem jeweiligen nationalen Erdgasmarkt ermöglichen.

§ 10 Energierechtliche Rahmenbedingungen Sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine liegen den aktuell geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen der allgemeinen leitungsgebundenen Erdgasversorgung die Vorgaben des dritten EU-Energiebinnenmarktpakets zugrunde. Die Erdgasmarktsituation, auch in haftungsrechtlicher Hinsicht, in beiden Ländern ist allerdings alles andere als einheitlich, was insbesondere auf Unterschiede in der Umsetzungsintensität, -dichte und -geschwindigkeit, länderspezifische Ausgangslagen und differenzierende Handlungsmotive der jeweiligen Regierungen zurückzuführen ist. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend die im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevanten Eigenarten der in den hier untersuchten nationalen Rechtsordnungen entwickelten gesetzlichen Modelle für die Gestaltung der Erdgasmarktverhältnisse herausgearbeitet, um damit den Rahmen der anschließenden Analyse haftungsrechtlicher Lösungswege bei Erdgasversorgungsstörungen vorzuzeichnen. A.

Auswirkungen der Liberalisierung auf Erdgasmärkten Deutschlands und der Ukraine

Während die im Jahre 1990 gestartete Energiewende in Deutschland Erdgasmärkte (Groß- und Einzelhandel) entstehen lassen hat und sich jedes Jahr eine positive Entwicklung in wettbewerblicher und mithin preislicher Hinsicht sowie im Hinblick auf die Wahlmöglichkeiten der Endverbraucher zu deren Gunsten zeigt1868 , gibt es – trotz eines neuen Erdgasmarktgesetzes und zahlreicher auf die Absicherung seiner Anwendung ausgerichteter Verordnungen und Durchführungsvorschriften im Erdgasversorgungsbereich – weitaus weniger Bewegung im Erdgasmarkt der Ukraine1869 . Die Ursache des Rückstandes bei der Liberalisierung des ukrainischen Erdgasmarktes liegt in erster Linie in der Nichteinhaltung der Entflechtungsvorgaben für Transportnetzbetreiber nach Artt. 23 ff. ErdgasMarktG1870 , zugleich aber auch in den auf dem Endkundenmarkt eingesetzten Regulierungsinstrumenten, die wettbewerbshindernde bzw. -beschränkende Wirkung entfalten. Zu nennen ist beispielsweise das Rechtsinstitut des Erdgaslieferanten mit besonderen Verpflichtungen. Es ist zwar mit dem der Grundversorgung gemäß § 36 EnWG im deutschen Energieversorgungsrecht vergleichbar und verfolgt das gleiche Ziel, den Schutz der Bevölkerung betreffend eine sichere Erdgasversorgung (auf erstes Anfordern) zu gewährleisten (vgl. Art. 11 Abs. 1 S. 1 und 3 ErdgasMarktG). Dadurch aber, dass die mit der Belieferung der uk1868 1869 1870

Vgl. BNetzA, Monitoringbericht 2017, Stand: 13. Dezember 2017, S. 280 ff. Sushchenko/Hychka/Garlytska, Ukraine-Analysen Nr. 190, 25.10.2017, 9 (9 ff.). Vgl. Teil II § 9, S. 443 f.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_10

450

Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

rainischen Bevölkerung mit Erdgas zu bestimmten Preisen und Bedingungen beauftragten Lieferanten vom Ministerkabinett der Ukraine bestimmt werden und es sich dabei de facto aussließlich um aus regionalen vertikal integrierten Erdgasversorgungsunternehmen in selbstständige Unternehmen ausgegliederte, bereits etablierte Lieferanten handelt, bleibt der Zugang zum Einzelhandelsmarkt für übrige Erdgaslieferanten, die neu auf den Markt kommen würden, gesperrt. Dieses Bestimmungsverfahren mag neben dem Willen der ukrainischen Regierung, ihre Einflussnahme auf den Energiesektor zu behalten, auf das ineffektive und reformbedürftige Sozialsystem in der Ukraine zurückgehen. Die Erdgaspreise für private Haushalte und Fernwärmeerzeuger werden in der Ukraine immer noch aus dem Staatshaushalt subventioniert; eine Monetarisierung der Sozialleistungen findet nicht statt1871 . Potenzielle neue Erdgaslieferanten haben daher praktisch keine Chance, eine für die Erdgasversorgung der Haushaltsverbraucher erforderliche Genehmigung zu erhalten. Der Grundversorger wird in Deutschland alle drei Jahre für das jeweilige Netzgebiet anhand des Marktanteilskriteriums empirisch ermittelt (§ 36 Abs. 2 EnWG), so dass jeder erfolgreiche Drittlieferant diesen Status erreichen kann. Der durch den deutschen Gesetzgeber umgesetzte Mechanismus zur Feststellung des Grundversorgers gemäß § 36 Abs. 2 EnWG ist aber gleichzeitig im Hinblick auf den Wettbewerb nicht zweifelsfrei. Die in der Literatur geäußerten grundsätzlichen Bedenken und Kritikpunkte hieran1872 haben sich dennoch in der Praxis nicht als stichhaltig erwiesen1873 . Die Erdgaslieferanten, die nicht örtliche Grundversorger sind, sind wohl in der Lage, mittels für Verbraucher günstigeren – von den gesetzlich festgelegten Grundversorgungsbedingungen abweichenden – Gestaltungen der Sonderkundenverträge neue Kunden zu gewinnen und dadurch ihre (Einzelhandel-)Marktposition zu stärken. B.

Besonderheiten der deutschen und der ukrainischen Vertragssystematik im Bereich der leitungsgebundenen Erdgasversorgung

Ungeachtet dessen, dass die tatsächliche Entwicklung des Erdgassektors, insbesondere in Bezug auf seine Monopolisierung, in Deutschland und in der Ukraine unterschiedlich verläuft, sind grundlegend zahlreiche Übereinstimmungen auf normativer Ebene nach der Umsetzung der EU-rechtlichen Vorgaben 1871

1872

1873

S. hierzu Golovnev, in: BIZNES Censor, Beitrag v. 20.01.17, 09:15, abgerufen unter: http://biz.censor.net.ua/resonance/3019051/pochemu_v_aprele_rynok_gaza_dlya_nasel eniya_ne_zarabotaet (zuletzt am 01.12.2018). Ausführlich Scholze, Die Stellung des Energievertragsrechts im Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, S. 71 ff. Vgl. BNetzA, Monitoringbericht 2017, Stand: 13. Dezember 2017, S. 366 ff.

§ 10 Energierechtliche Rahmenbedingungen

451

in das jeweilige nationale Recht festzustellen. Sowohl der deutsche als auch der ukrainische Erdgasendkunde sieht sich weitgehend ähnlichen Veränderungen hinsichtlich der rechtlichen Gestaltung des Versorgungsverhältnisses sowie der Aufteilung der jeweiligen Verantwortungsbereiche und Haftungsrisiken im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung gegenüber. Das der Erdgasversorgung zugrundeliegende Rechtsverhältnis ist nunmehr in den beiden Rechtsordnungen dreipolig: Lieferant – Netzbetreiber – Kunde, wobei der Lieferant für die Bereitstellung von Erdgas und der Netzbetreiber für den Transport sowie die Verteilung von Erdgas zuständig ist. Gleichwohl ist zu beachten, dass jeder Erdgasendkunde in der Ukraine seine Erdgasversorgung zwingend über getrennte Verträge mit dem Erdgaslieferanten und mit dem GTS- oder GRM-Betreiber regeln muss. Mit dem Abschluss eines Erdgaslieferungsvertrages mit dem Lieferanten kann er nur noch eine isolierte Lieferung von Erdgas in Form einer Holschuld bestellen. Die Durchleitung von Erdgas hat der Kunde in einem Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrag unmittelbar mit dem Netzbetreiber zu vereinbaren. Ein All-Inclusive-Vertrag mit dem Erdgaslieferanten, in den die Netznutzung integriert wird, ist nach der ukrainischen gesetzlichen Systematik nicht möglich. In Deutschland ist der Lieferant als Grundversorger im Gegenteil sogar gesetzlich verpflichtet, die zur Durchführung der Grundversorgung erforderlichen Verträge mit dem Netzbetreiber selbst abzuschließen (vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 GasGVV). Das ist auch außerhalb der Grundversorgung allgemeine Praxis, zumindest im Haushaltskundenbereich1874 . Ein solcher Vertrag dürfte im Massengeschäft der Energieversorgung „die praktikabelste Vertragslösung“ 1875 darstellen. Denn der Letztverbraucher kann in diesem Fall alle für seine Versorgung erforderlichen Fragen nur mit einem Partner – nämlich dem Erdgaslieferanten – abwickeln. Soweit dem Kunden aber Schäden infolge einer Störung des Netzbetriebs entstehen, muss er sich an den Netzbetreiber, an dessen Netz er angeschlossen ist, wenden, um seinen Schadensersatzanspruch erfolgreich durchsetzen zu können. Hier kommt die Regelung des § 6 Abs. 3 GasGVV (oder eventuell eine § 6 Abs. 3 GasGVV entsprechende Regelung im Sonderkundenbereich) zur Anwendung. Die Identifizierung des richtigen Anspruchsgegners kann mithin für den geschädigten Kunden herausfordernd sein. Das ukrainische Vertragssystematik der Erdgasversorgung sorgt dagegen für mehr Klarheit hinsichtlich der Verantwortungsgebiete der einzelnen Akteure nach dem ErdgasMarktG sowie der jeweils in Anspruch für den Ersatz 1874 1875

Vgl. Kühling/Rasbach/Busch, Energierecht Kap. 6 B Rn. 36. Theobald/Theobald, Grundzüge des Energiewirtschaftsrechts, S. 139.

452

Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

von Schäden infolge von lieferungs- und netzbetriebsbezogenen Störungen zu Nehmenden. Da alle wesentlichen Fragen des Netzzugangs sowie der Netznutzung, insbesondere Sperr- und Zutrittsrechte, sonstige Duldungspflichten sowie Haftungsregelungen, direkt zwischen dem Netzbetreiber und dem Letztverbraucher geklärt werden, wird der Kunde im Schadensfall, etwa wenn das Erdgas wegen technischer Probleme im Netzbetrieb nicht transportiert werden kann, zunächst gegen den Netzbetreiber – seinen Vertragspartner – vorgehen. Dieser wird stets einen unmittelbaren vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen den Netzbetreiber haben. Damit erübrigen sich im ukrainischen Recht die Notwendigkeit eines Anschlussnutzungsvertrages bzw. -verhältnisses sowie die Diskussion um die Anwendung der Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bei der All-Inclusive-Versorgung von Sondervertragskunden1876 . Dies gilt sowohl für den regulierten als auch für den nichtregulierten Erdgasversorgungsbereich. Die Auftrennung der Verträge und die Stellung der Organisation des Erdgastransports in die eigene Verantwortung des Letztverbrauchers dürften weiterhin die Transparenz auf dem Erdgasmarkt der Ukraine verbessern. Dem Kunden wird dadurch deutlicher vor Augen geführt, für welche Leistungen er welche Preise und Entgelte zahlt. Auf den ersten Blick wird man gegen die vertragliche Differenzierung zwischen Erdgaslieferungsvertrag (Kunde/Lieferant) und Netznutzungsvertrag (Kunde/Netzbetreiber) kaum einwenden können, dass sie Zugangshemmnisse und Wettbewerbsbarriere für neue Erdgaslieferanten in der Ukraine schafft. Weder muss bei einem Lieferantenwechsel ein Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrag mit dem Letztverbraucher erneut abgeschlossen werden1877 , noch wird der Zugang eines potenziellen neuen Lieferanten zum VHP von dem gleichzeitigen Abschluss eines solchen Vertrages durch den Erdgasendkunden abhängig gemacht. Dieses Modell dürfte auch den Erdgasbezug von mehreren Lieferanten nicht behindern. Es erscheint gleichwohl fraglich, inwieweit es nach dem neuen ErdgasMarktG zulässig ist, die Nutzung von Transportkapazität ausschließlich mit dem Endkunden zu vereinbaren. Nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 ErdgasMartG hat der Netzbetreiber allen Erdgasmarktsubjekten sein Netz diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen. Die Forderung, entgeltliche Netznutzungsverträge allein mit dem Letztverbraucher abzuschließen, widerspräche somit bereits dem Wortlaut der genannten Norm.

1876

1877

S. Elspas, in: Gundel/Lange, Energieversorgung in Zeiten der Energiewende, S. 13 (27 f.). Vgl. Abschn. IV ErdgasLieferR.

§ 10 Energierechtliche Rahmenbedingungen

C.

453

Energierechtliche Haftungsprivilegierung

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen den geltenden energierechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und in der Ukraine betrifft spezielle Haftungsprivilegierungen und deren Anwendung auf vertragliche und gesetzliche Schadensersatzansprüche des Erdgasendkunden. Der deutsche Energiegesetzgeber hat neue Regelungen zu den Haftungsausschlüssen und -begrenzungen hinsichtlich der nach dem allgemeinen Haftungsrecht wegen Erdgasversorgungsstörungen bestehenden Schadensersatzansprüche des Letztverbrauchers insbesondere in den GasGVV, NDAV, GasNZV sowie im EnWG normiert. Je nach Art des geltend gemachten Schadens und nach dem Grad des Verschuldens wird die Schadensersatzhaftung damit entweder weitestgehend ausgeschlossen, der Höhe nach begrenzt oder bleibt unberührt. Dies wurde deshalb notwendig, einerseits weil sich die Verantwortungsverteilung im Erdgasversorgungsverhältnis durch die Entflechtungsvorgaben der EU weiter verschoben hat und andererseits weil die Versorgungstätigkeit wegen ihres Massencharakters und der hohen Störungswahrscheinlichkeit die Erdgasmarktteilnehmer, vor allem aber den Netzbetreiber, dem Risiko einer unübersehbaren Haftung aussetzt1878 . Anders als in Deutschland kennt das ukrainische Recht keine solchen Haftungsmodifikationen für die an der Erdgasversorgung beteiligten Akteure. Im Falle einer Schadensverursachung infolge einer Versorgungsstörung hat der – je nach Konstellation – Passivlegitimierte in der Ukraine vollumfänglich Ersatz zu leisten. Die Begrenzung seiner Schadenspflicht erfolgt nur durch den ihm tatsächlich entstandenen Schaden. Die fehlenden haftungsmindernden oder -ausschließenden Regelungen des ukrainischen Energierechts lassen mithin die Akteure im Erdgasversorgungssystem der Ukraine strenger haften, auch wenn sich die Rechtsprechung im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit bestimmter Schadensposten eher zurückhaltend verhält1879 , und stellen einen gravierenden Nachteil für diese und – im Endeffekt – für die Letztverbraucher dar. Dies gilt umso mehr, als im ukrainischen Recht die gleichen Gründe für eine spezialgesetzliche Haftungsmodifizierung zu erkennen sind. Die Frage nach einer haftungsrechtlichen Privilegierung leitet über zu haftungsrechtlichen Lösungen im engeren Sinne.

1878 1879

Näher hierzu Tamke, Die Haftungsprivilegierung für Netzbetreiber, S. 102 ff. Vgl. Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, S. 203.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen Nachdem sich die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen für die Erdgasversorgung in Deutschland und in der Ukraine als weitgehend ähnlich erwiesen haben und nur wenige Verschiedenheiten ermittelt werden konnten, sind nunmehr die jeweiligen Lösungsansätze bezüglich der Haftung bei Erdgasversorgungsstörungen zu analysieren. Die Haftung der an der Erdgasversorgung beteiligten Akteure wird zwar in beiden Rechtsordnungen vornehmlich nach den allgemeinen Vorschriften beurteilt. Ein Blick auf das Haftungssystem des deutschen bzw. ukrainischen Zivilrechts offenbart jedoch spezifische Besonderheiten, die unterschiedliche Auswirkungen hinsichtlich einer möglichen Haftung des wegen Schäden infolge einer Erdgasversorgungsstörung in Anspruch genommenen Energieversorgungsunternehmens1880 sowie ihres Umfangs haben können. A.

Bedeutung des Konkurrenzverhältnisses zwischen der vertraglichen und außervertraglichen Haftungsordnung für die Haftungsfrage in Deutschland und in der Ukraine

Wie bereits im Rahmen der Analysen des nationalen Rechts herausgearbeitet wurde, sind die Anspruchsgrundlagen, die dem Erdgasendkunden zur Verfügung stehen und die für eine Haftung des jeweiligen Energieversorgungsunternehmens in Betracht kommen, sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine in solche, die eine rechtsgeschäftliche Grundlage haben, und solche, die außervertraglich entstehen, aufzuteilen. Gleichwohl gestalten sich die Regeln zum Konkurrenzverhältnis zwischen diesen Rechtsbehelfen in beiden Rechtskreisen recht unterschiedlich. Sie sind im Bereich der Erdgasversorgung besonders relevant. Denn die Erdgasversorgung erfolgt in den untersuchten Ländern auf rechtsgeschäftlicher Grundlage und eine vertragliche Beziehung (bzw. ein gesetzliches Schuldverhältnis) zwischen den Beteiligten ist normalerweise vorhanden, so dass im Schadensfall eine vertragliche Haftung denkbar ist und mit Deliktsrecht konkurieren kann. Von der Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung hängt insbesondere die Identifizierung der relevanten Anspruchsgrundlagen für die erfolgreiche Geltendmachung und Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen ab. In Deutschland sind beide – vertragliche und deliktische – Anspruchsarten nach dem allgemeinen Grundsatz der Anspruchskonkurrenz nebeneinan1880

Unter einem Energieversorgungsunternehmen ist hier jedes Unternehmen, welches im Bereich der Energieversorgung (d. h. als Förderer, Importeur, Lieferant oder Netzbetreiber) tätig ist, zu verstehen (vgl. § 3 Nr. 18 EnWG).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6_11

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

der möglich. Dies erlaubt dem Geschädigten sich auf alle potenziellen Anspruchsgrundlagen zu stützen und deren Vorteile zu nutzen1881 , indem er die für ihn günstigere Rechtsgrundlage auswählen darf1882 . Der Schadensersatz kann dabei nur einmalig verlangt werden1883 . In der Ukraine gilt hingegen das Ausschließlichkeitsprinzip, wonach wegen der Verletzung ein und desselben Interesses nicht zugleich Anspruch auf Schadensersatz aus Vertrag und Delikt geltendgemacht werden kann1884 . Solange es sich im konkreten Fall um Schäden wegen Nicht- oder Schlechterfüllung eines Erdgasliefervertrages oder eines Erdgastransport- bzw. Erdgasverteilungsvertrages handelt, sind die Deliktsansprüche – grundsätzlich – ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das in der Ukraine geltende Ausschließlichkeitsprinzip eventuell zu einer Schlechterstellung der ukrainischen Erdgasendkunden gegenüber deutschen Abnehmern führt, da ihm danach kein Wahlrecht zusteht, d. h. er kann sich die für ihn günstigste Haftungsordnung nicht selbstständig aussuchen. Auf den ersten Blick scheint das Kumulationsverbot im Sinne des ukrainischen Rechts für den geschädigten Erdgasletztverbraucher nicht von Nachteil zu sein. Die gleichzeitige Anwendung des Vertragsrechts und des Deliktsrechts hat in der Ukraine aus folgenden Gründen kaum Bedeutung: Der Schutzbereich der Deliktshaftung beschränkt sich nicht auf die Verletzung von Rechten und Rechtsgütern, sondern umfasst auch (Vermögens-)Interessen des Geschädigten1885 . Im ukrainischen Deliktsrecht ebenso wie im Vertragsrecht wird weiter das Verschulden zu Lasten des Schädigers vermutet1886 . Zudem haftet der jeweilige Schuldner für das Verhalten der von ihm hinzugezogenen Hilfspersonen gemäß Art. 618 ZGB im Rahmen der vertraglichen Haftung sowie gemäß Art. 1172 ZGB im Rahmen der deliktischen Haftung wie für sein eigenes, ohne dass hierbei eine Möglichkeit zur Exkulpation bestehen würde1887 . Nicht zuletzt deshalb benötigt das ukrainische Recht keine dem deutschen Recht bekannte Figur der vertraglichen Schutzpflichten (vgl. § 241 Abs. 2 BGB)1888 . Für vertragliche und deliktische Ansprüche gelten letztlich die gleichen Verjährungsregeln (vgl. Artt. 256 ff. ZGB). Der betroffene Kunde der 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888

Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, S. 596. MünchKomm/Wagner, BGB, Vor § 823 Rn. 78. Ebenda. Vgl. Teil II § 8 A, S. 360 ff. S. hierzu Teil II § 8 B I 1 a), S. 367 ff. Vgl. Teil II § 8 B I 1 d), S. 373. Vgl. Teil II § 8 B I 3, S. 382 f.; C I 1 c), S. 408 f. S. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drs. 14/6040, S. 125 f.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

457

Erdgasversorgung kann damit seinen vertraglichen Schadensersatzanspruch nicht leichter als seinen deliktischen durchsetzen. Die deliktische Haftungsordnung ist allerdings für den Erdgasabnehmer als Geschädigten in der Ukraine nur insofern günstiger, als sie – anders als im deutschen Recht1889 – keine haftungsrechtlichen Privilegierungen eines Schädigers durch Vertrag zulässt1890 . Die Haftung für Schäden an der Person des Geschädigten kann ausschließlich zu dessen Gunsten vertraglich abbedungen werden (vgl. Art. 1195 Abs. 4 ZGB). Der im deutschen Recht geäußerte Einwand, dass die vertraglich bestimmten Haftungsbeschränkungen bei deren Nicht-Wirkung im Rahmen der Deliktshaftung ins Leere laufen würden,1891 besteht im ukrainischen Recht nicht. Denn die im Vertrag bewusst und gewollt vorgenommene Risikoverteilung zwischen den Parteien, auch im Hinblick auf den Erhalt ihrer vorhandenen Rechte und Rechtsgüter1892 , kann durch die kumulative Anwendung der weit gefassten ukrainischen Deliktshaftung nicht umgangen werden. Deliktische Schadensersatzansprüche, die sich auf die verletzten Interessen außerhalb des vertraglichen Schutzobjekts beziehen, sind im Rahmen der Vertragsdurchführung ausgeschlossen. Gleichwohl ist hier anzumerken, dass die Haftung aus Delikt im Bereich der Erdgasversorgung in der Ukraine grundsätzlich nur hinsichtlich der Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit relevant ist. Zugleich ist die Begrenzung der Haftung für Personenschäden im deutschen Recht nicht ohne Weiteres möglich, insbesondere wenn es sich – wie in der Regel bei der Erdgasversorgung – um AGB handelt1893 . Dies führt dazu, dass die ukrainischen Erdgasendkunden kaum eine bessere Rechtsstellung wegen der zwingenden Geltung des Deliktsrechts im Vergleich zu den deutschen Letztverbrauchern genießen würden. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die unterschiedlichen Lösungen des Verhältnisses zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen in Deutschland und der Ukraine keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Haftungssituation von an der Erdgasversorgung beteiligten Akteuren haben.

1889

1890

1891 1892 1893

BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 90; Jauernig/Teichmann, BGB Vor § 823 Rn. 4; s. auch Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 169 ff. Spasybo-Fatjejeva/Us, Cyvil´nyj kodeks Ukrajiny. Naukovo-praktyčnyj komentar [Zivilgesetzbuch der Ukraine. Wissenschaftlich-praktischer Kommentar], Bd. 11, Art. 1196 S. 303; Birjukov/Zaika/Birjukov, Cyvil´ne pravo Ukrajiny. Zagal´na častyna [Zivilrecht der Ukraine. Allgemeiner Teil], S. 265. So Jauernig/Teichmann, BGB Vor § 823 Rn. 4. Vgl. z. B. Teil II § 8 D I 2 c), S. 428 f. AnwK-BGB/Katzenmeier, Vor §§ 823 ff. Rn. 72 S. 5094; BeckOK/Förster, Stand: 01.11.2018, BGB § 823 Rn. 90; MünchKomm/Wagner, BGB Vor § 823 Rn. 88.

458

B.

Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

Vertragliche Haftungsordnung, Vertragstypeneinordnung und ihre Bedeutung für die Haftungsfrage bei Erdgasversorgungsstörungen

Wie bereits in den Analysen zu den nationalen Rechten herausgearbeitet wurde, kommt eine vertragliche Haftung für Erdgasversorgungsstörungen sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine gegen Erdgaslieferanten und Netzbetreiber in Betracht. Der Erdgaslieferant haftet dabei gegenüber dem Erdgas(end)kunden bei Vorliegen eines Erdgasliefervertrages und der Netzbetreiber haftet gegenüber dem Netzkunden bei Vorliegen eines Netzvertrages1894 . Vertragliche Beziehungen zwischen dem Erdgaslieferanten und dem Erdgaskunden sowie zwischen dem Netzbetreiber und dem Netzkunden werden in beiden Rechtsordnungen verschiedenen Vertragstypen zugeordnet, was Konsequenzen hinsichtlich der Haftungsstellung der genannten Akteure der Erdgasversorgung innerhalb desselben Rechtssystems nach sich ziehen kann. Dies gilt ungeachtet dessen, dass auf der Tatbestandsebene eine grundsätzliche Übereinstimmung zu verzeichnen ist: Dem deutschen sowie dem ukrainischen Leistungsstörungsrecht liegt ein einheitlicher Grundtatbestand zugrunde, wonach die (erfolgreiche) Geltendmachung eines vertraglichen (Schadensersatz-)Anspruchs in jedem Fall einen Verstoß gegen eine vertragliche Pflicht bzw. Verbindlichkeit1895 , einen ersatzfähigen Schaden und einen Ursachenzusammenhang zwischen diesen beiden Bedingungen voraussetzt (vgl. § 280 Abs. 1 BGB im deutschen Recht und Art. 623 Abs. 1 ZGB im ukrainischen Recht). In Deutschland ist die typologische Einordnung eines Vertrages im Hinblick auf die Schadensersatzhaftung im Allgemeinen dahingehend relevant, dass für die verschiedenen Vertragstypen spezielle Regelungen zur Leistungsstörung, die die allgemeinen Vorschriften der §§ 275 ff. BGB modifizieren bzw. ergänzen, bestehen. Gemeint sind hierbei die Vorschriften des kaufvertraglichen und werkvertraglichen Gewährleistungsrechts. Ihnen kommt allerdings in den Fällen von Erdgasversorgungsstörungen kaum Praxisrelevanz zu. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Erdgasversorgung (etwa wie Dauercharakter der Schuldverhältnisse, Lieferung exakt zum nachgefragten Zeitpunkt, Leitungsgebundenheit) bei Über- bzw. Unterschreitungen des bestimmten Drucks und Brennwerts für Erdgas regelmäßig Unmöglichkeit i. S. d. § 275 BGB anzunehmen ist. Die Leistung kann in diesem Fall – genauso wie bei Lieferausfällen – zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachgeholt werden, so dass das 1894

1895

Darunter sind sämtliche vertraglichen Vereinbarungen zum Netzanschluss, zur Anschlussnutzung und zur Netznutzung zu verstehen. Nach ukrainischer Rechtsterminologie.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

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Recht der Nacherfüllung als zentraler Rechtsbehelf des deutschen Gewährleistungsrechts de facto entfällt. Im Ergebnis sind für die Prüfung einer vertraglichen Haftung sämtlicher hier in Betracht kommender Passivlegitimierten grundsätzlich allein die Voraussetzungen des § 280 BGB als Grundtatbestand des allgemeinen Leistungsstörungsrechts maßgeblich1896 . Dies ist von der typologischen Einordnung der zwischen diesen und dem Letztverbraucher bestehenden (Liefer- und Netz-)Verträge unabhängig. Die rechtliche Einordnung der Verträge, die im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung abgeschlossen werden, hat im ukrainischen Recht deutlich größere Bedeutung für die Beurteilung der Haftungssituation bei Versorgungsstörungen als im deutschen Recht. Denn sie bestimmt die im konkreten Fall anzuwendenden Normen für eine vertragliche Haftung, die die Kernvoraussetzungen der wichtigsten Anspruchsgrundlage im ukrainischen Schuldrecht – Art. 623 Abs. 1 ZGB – teilweise ergänzen und teilweise erheblich modifizieren. Es handelt sich hier insbesondere um unterschiedliche Anforderungen an die Widerlegung der Verschuldensvermutung für verschiedene Gruppen möglicher Anspruchsgegner beim Verstoß gegen die Pflichten, die an bestimmte Vertragstypen anknüpfen. Während der in Anspruch genommene Erdgaslieferant bei der Haftung aus einem als Kaufvertrag qualifizierten Schuldverhältnis mit dem Letztverbraucher die Verschuldensvermutung hinsichtlich der Pflichtverletzung durch den Nachweis, dass er die Schadensursache nicht verschuldet hat, entkräften kann (vgl. Art. 623 Abs. 1 i. V. m. Art. 614 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 ZGB), gelingt es dem Netzbetreiber bei dienstvertraglicher Einordnung der Erdgasverteilung bzw. des Erdgastransports ausschließlich durch das Vorbringen von höherer Gewalt (vgl. Art. 906 Abs. 1 S. 2 ZGB)1897 . Diese Haftungsverschärfung gilt nur insoweit, als der Schuldner unternehmerisch tätig ist. Das ist aber im Erdgasversorgungsbereich gerade der Fall. Im Ergebnis kann sich der ukrainische Netzbetreiber als Anspruchsgegner im Schadensersatzanspruch aus einem Dienstvertrag i. S. d. Art. 901 Abs. 1 ZGB vom Vorwurf des Verschuldens sehr schwer, lediglich ausnahmsweise entlasten und haftet in Wirklichkeit verschuldensunabhängig. Die von einem Unternehmer zu erbringende Dienstleistung wird – wohl in Anlehnung an das englische Recht1898 – vom ukrainischen Gesetzgeber praktisch als eine Pflicht zur Einhaltung eines Garantieversprechens angesehen. Dass die verschärfte Ver1896

1897 1898

Anders mag allerdings die Haftungsfrage im Rahmen eines Netzanschlussvertrages beurteilt werden. Es ist denkbar, dass die werkvertraglichen Gewährleistungsrechte des Auftraggebers hierbei von Bedeutung sind. Näher hierzu Teil II § 8 D I 2 a), S. 424 ff. Näher zur Vertragshaftung im englischen Recht s. Bernstorff, Einführung in das englische Recht, S. 71 ff.

460

Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

tragshaftung für Unternehmen in das ukrainische Recht Eingang gefunden hat, könnte man durch die Schutzwürdigkeit und die besondere Schutzbedürftigkeit privater Gläubiger wegen ihrer schwächeren Position im Vergleich zu unternehmerisch tätigen Schuldnern erklären. Es ist dennoch nicht ersichtlich, warum nur der Dienstleistungserbringer mit der Unternehmereigenschaft eine verstärkte Risikobelastung tragen muss und nicht beispielsweise auch der unternehmerisch tätige Verkäufer. Das Bedürfnis nach einem besonderen Schutz von Privatkunden besteht doch ebenfalls außerhalb des Dienstvertrages. Das System des Leistungsstörungsrechts im ukrainischen ZGB erweist sich insoweit als nicht schlüssig. Aufgrund der gefundenen Ergebnisse kann festgestellt werden, dass der Netzbetreiber im Schadensfall wegen einer Erdgasversorgungsstörung einem unverhältnismäßig hohen Haftungsrisiko in der Ukraine im Vergleich zu den anderen an der Erdgasversorgung beteiligten Akteuren in demselben Rechtssystem sowie zu den Netzbetreibern in Deutschland ausgesetzt ist. Dies gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass der ukrainische Netzbetreiber grundsätzlich keinen Einfluss auf die Gestaltung der Bedingungen des Vertrages mit seinem Kunden und so keine Möglichkeiten zur wirksamen Haftungsfreizeichnung hat. Der geschädigte Netzkunde erhält im ukrainischen Recht dadurch bessere Chancen zur erfolgreichen Durchsetzung eines vertraglichen Haftungsanspruchs, wobei der Nachweis von Pflichtverletzung, Kausalität und Schaden gewisse Schwierigkeiten bereiten kann. Es handelt sich hier nicht zuletzt um die Unsicherheiten im Hinblick auf die Ermittlung des Ursachenzusammenhangs im konkreten Fall1899 . C.

Besonderheiten der wirtschaftsrechtlichen Haftung in der ukrainischen Rechtsordnung

Als ukrainische – auch hinsichtlich der Haftungsfrage im Bereich der Erdgasversorgung relevante – Besonderheit im Vergleich zur deutschen Rechtsordnung kann hierbei die Schadensersatzhaftung von (natürlichen und juristischen) Wirtschaftssubjekten nach Art. 224 Abs. 1 WGB genannt werden. Art. 224 Abs. 1 WGB scheint eine Art „Generalklausel“ im Wirtschaftsrecht der Ukraine darzustellen. Denn die Norm kommt unabhängig davon, ob der Schaden durch eine Wirtschaftsvertragsverletzung oder ohne Beziehung auf einen Vertrag, durch Übertretung einer für die Ausübung einer bestimmten Unternehmertätigkeit (gesetzlich) vorgegebenen Anforderung, verursacht worden ist, für sämtliche Schadensfälle zur Anwendung1900 . Überdies haftet der jeweili1899 1900

Vgl. Teil II § 8 B I 1 c), S. 371 ff. Vgl. Teil II § 8 B II, S. 383 f.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

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ge Schuldner hierbei verschärft, da er sich nach Art. 218 Abs. 2 S. 2 WGB (grundsätzlich) nur durch Nachweis von höherer Gewalt im Sinne des Art. 263 Abs. 1 Nr. 1 ZGB von der Haftung befreien kann1901 . Ob wirklich ein zwingendes interessenbedingtes Bedürfnis für eine solche Haftung zwischen Beteiligten am unternehmerischen Geschäftsverkehr in der Ukraine besteht, ist allerdings zweifelhaft. Es lässt sich insbesondere nicht nachvollziehen, warum die wirtschaftsrechtliche Schadensersatzhaftung wegen Verstoßes gegen eine Wirtschaftsverpflichtung gegenüber Unternehmen mit (viel) höheren Anforderungen an die Exkulpation seitens des (unternehmerisch tätigen) Schuldners als diejenige gegenüber Privatpersonen nach dem ukrainischen ZGB1902 verbunden sein soll. Darin spiegeln sich (nochmals)1903 die Wertungsdifferenzen zwischen dem ZGB und dem WGB im Hinblick auf die Haftungsfrage, die in vergleichbaren Sachverhalten im Ergebnis zu unterschiedlichen Konsequenzen führen und nicht unbedingt den jeweils geschützten Interessen entsprechen, wider. Die in Art. 224 Abs. 1 WGB geregelte Risikoverteilung zwischen Wirtschaftssubjekten steht vielmehr einer positiven marktwirtschaftlichen Entwicklung der modernen ukrainischen Zivilgesellschaft entgegen. Die Anwendung der Haftungsregeln des Art. 224 Abs. 1 WGB im Bereich der Erdgasversorgung führt dazu, dass die Chancen des Erdgasendkunden mit Unternehmereigenschaft für eine erfolgreiche Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche bei lieferungsbezogenen bzw. netztechnisch bedingten Versorgungsstörungen gegen den jeweiligen Erdgasmarktteilnehmer in der Ukraine relativ hoch und besser im Vergleich zur Situation von Privatkunden zu stehen scheinen1904 . Dies lässt sich hauptsächlich auf die oben dargestellten – erschwerten – Exkulpationsmöglichkeiten auf Seiten des unternehmerisch tätigen Schädigers zurückführen. Berücksichtigt man allerdings die Tatsache, dass der Netzbetreiber als Hauptanspruchsgegner für sämtliche Gruppen von Klägern bei Störungen der leitungsgebundenen Erdgasversorgung anzusehen ist1905 und dass er sich von seiner gegenüber Privatkunden in Betracht kommenden (vertraglichen sowie deliktischen) Haftung nach dem ZGB grundsätzlich nur durch den Einwand des Vorliegens höherer Gewalt befreien kann (vgl. Artt. 906 Abs. 1, 1187 Abs. 5, 1209 Abs. 2 ZGB), kann man wohl im Ergebnis von einer relevanten Benachteiligung von Haushaltsverbrauchern 1901

1902 1903

1904 1905

Vgl. die Haftung des unternehmerisch tätigen Schuldners aus einem Dienstleistungsvertrag nach Art. 906 Abs. 1 ZGB. Abgesehen von der Haftung des Art. 906 Abs. 1 ZGB. Näher zum ohnehin schwierigen Verhältnis zwischen dem ZGB und dem WGB s. Heim, Mobiliarsicherheiten nach ukrainischem Recht, S. 14. Teil II § 8 B II, S. 383 ff.; C II, S. 412 ff.; D II, S. 429 f. Vgl. Teil II § 9, S. 443 ff.

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

durch die beschriebenen Unterschiede in der Behandlung erdgasversorgungsrechtlicher Konstellationen im ukrainischen Rechtssystem nicht ausgehen. Dazu kommt noch die zum Teil willkürliche und widersprüchliche Rechtsprechung in Bezug auf die Anwendung zivilrechtlicher und wirtschaftsrechtlicher Haftungsregelungen auf die Haftungssituation von (auch Erdgasversorgungs-) Unternehmen in der Ukraine, so dass in der Praxis eine gewisse Unsicherheit im Hinblick auf die Behandlung solcher Fälle herrscht1906 . Die vorstehend aufgezeigten möglichen positiven Aspekte der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs nach Art. 224 Abs. 1 WGB zugunsten unternehmerisch tätiger Kläger werden im Endeffekt dadurch egalisiert. Dem deutschen Recht fehlt eine dem generalklauselartigen Art. 224 Abs. 1 ZGB vergleichbare Norm. Aus den landbezogenen Analysen gefundenen Ergebnisse geht aber hervor, dass in Deutschland für die Lösung der Interessenkonflikte, die im ukrainischen Recht dem Tatbestand der wirtschaftsrechtlichen Haftung des Art. 224 Abs. 1 WGB unterfallen, die Haftungsregeln des Vertragsrechts (§§ 280 ff. BGB), etwa wenn das jeweilige Erdgasversorgungsunternehmen seine Pflichten aus einem Erdgasliefer- oder Netzvertrag mit dem gewerblichen bzw. industriellen Kunden nicht nachkommt, sowie des Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB), etwa wenn dieses seine Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung außerhalb des Vertrages verletzt, herangezogen werden. Die unterschiedliche Behandlung von hier ins Auge gefassten erdgasversorgungsrechtlichen Konstellationen im ukrainischen und deutschen Recht wird im Ergebnis teilweise ähnliche Auswirkungen haben. In einzelnen Schadensfällen kann gleichwohl – trotz gewisser Unvollkommenheit der ukrainischen Gesetzestechnik sowie Unsicherheiten in der Rechtsanwendung – eine bessere Rechtsstellung von potenziellen unternehmerisch tätigen Anspruchstellern in der Ukraine im Vergleich zu denen in Deutschland gegeben sein, nicht zuletzt wegen der speziellen Haftungsprivilegierungen des deutschen Energierechts1907 . D.

Besonderheiten der quasivertraglichen Haftung des Herstellers in der ukrainischen Rechtsordnung

Aus rechtsvergleichender Sicht erweist sich des Weiteren die quasivertragliche Haftung des Herstellers nach Art. 8 Abs. 3, 1 VerbrSchG i. V. m. Art. 678 Abs. 3 ZGB in der ukrainischen Rechtsordnung als interessant. Im Wege des gesetzlichen Schuldbeitritts hat der Hersteller im Sinne des Art. 1 Nr. 4 VerbrSchG neben dem Verkäufer als Vertragspartner zunächst die Gewährleis1906 1907

S. dazu bereits Teil II § 8 C II, S. 412 f. Näher s. Teil I § 4 D, S. 228 ff.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

463

tungspflichten (Kaufpreisminderung, Mängelbeseitigung und Kostenerstattung, Vertragskündigung und Kaufpreisrückerstattung, Umtausch des Produkts gegen ein ähnliches oder anderes Produkt) gemäß Art. 8 Abs. 3 i. V. m. 1 VerbrSchG zu tragen. Die in Art. 8 Abs. 1 VerbrSchG aufgelisteten Rechtsbehelfe des Käufers (mit Verbrauchereigenschaft) gegen den vertragsfremden Hersteller für den Fall des Verkaufs einer Ware mit mangelhafter Qualität werden vielmehr durch den Schadensersatzanspruch des Art. 678 Abs. 3 ZGB erweitert. Bemerkenswert ist hierbei noch, dass sich der Anwendungsbereich des Art. 678 ZGB auf sämtliche Käufergruppen und nicht lediglich auf Verbraucher erstreckt 1908 . Daraus ergibt sich, dass jedem (privaten sowie industriellen) Käufer in der Ukraine das Wahlrecht nicht nur hinsichtlich der Art der Gewährleistung, sondern auch bezüglich des in Anspruch zu nehmenden Schuldners – Verkäufer oder Hersteller – zusteht. Geht man davon aus, dass der ukrainische Gesetzgeber durch die Konstruktion des gesetzlichen Schuldbeitritts eine zusätzliche Sicherheit für den beliebigen Käufer unter den für die Ukraine neuen Bedingungen der freien Marktwirtschaft schaffen wollte, scheinen die Sonderregungen des Art. 8 Abs. 1, 3 VerbrSchG durch Art. 678 Abs. 3 ZGB überflüssig zu sein, zumal wenn das VerbrSchG eine nachrangige Stellung gegenüber dem ukrainischen ZGB hat1909 . Es ist demnach nicht einzusehen, warum die Regeln über die quasivertragliche Haftung des Herstellers zugunsten der privaten Käufer durch das VerbrSchG ausgegliedert sein mussten. Die (unnötige) Verdoppelung und Häufung von Regelungen tragen kaum zu einem Mehr an Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Durchsetzbarkeit des Rechts für deren Adressaten und den Rechtsanwender bei. Sollte der Gesetzgeber nur die Rechtsstellung der schutzbedürftigen Verbraucher durch die Erstreckung der vertraglichen Gewährleistungspflichten des Verkäufers auf den tatsächlichen (vertragsfremden) Hersteller verbessern wollen, was aus rechtspolitischen Gründen – ungeachtet der dogmatischen Bedenken – naheliegend wäre, ist ihm dieses Vorhaben misslungen. Einer solchen Auslegung des gesetzgeberischen Willens steht Art. 678 Abs. 3 ZGB entgegen. Die Erweiterung des Kreises der Schutzberechtigten hat zur Folge, dass der Hersteller bei Abweichungen in der Warenqualität (die allgemeine Gebrauchstauglichkeit der Ware oder ihre Verwendungsfähigkeit zu einem besonderen vom Käufer beabsichtigten Zweck), die sich aus einem Kaufver-

1908

1909

Art. 678 ZGB stellt die Vorschrift des allgemeinen Kaufrechts der Ukraine dar und ist damit auf alle Formen des Kaufs anzuwenden. Panych, Schadensversicherung im ukrainischen Recht, S. 77.

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

tragsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Käufer ergibt,1910 im ukrainischen Recht nicht nur von einem Verbraucher, sondern auch von einem unternehmerisch tätigen Endabnehmer in Anspruch genommen werden kann, ohne jegliche Einflussmöglichkeit in Bezug auf die Bestimmung der zu erbringenden Beschaffenheit der Leistung zu haben1911 . Dadurch wird er einem unberechtigt hohen Risiko der Haftung ausgesetzt. Ein besonderes – verbraucherähnliches – Schutzbedürfnis des gewerblichen bzw. industriellen Käufers besteht rechtlich wie wirtschaftlich nicht. Auf dem Gebiet der Erdgasversorgung können die Regelungen des Art. 8 Abs. 3 i. V. m. 1 VerbrSchG, Art. 678 Abs. 3 ZGB eventuell (eher theoretisch) eine erhebliche Risikobelastung für auf dem ukrainischen Erdgasmarkt agierende Erdgasförderer sowie Erdgasimporteure mit sich bringen. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn der jeweilige Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur als Hersteller des gelieferten mangelhaften Produktes Erdgas festgestellt werden kann. Eine solche Zuordnung von Erdgas ist in der Regel nicht möglich: einerseits wegen der Vermischung von mehreren Erdgasströmungen und andererseits wegen der technischen Organisation der Erdgasdurchleitung (die Sicherung der Erdgasqualität obliegt dem Netzbetreiber). Die quasivertragliche (Sachmängel-)Haftung des Herstellers nach Art. 8 Abs. 3 i. V. m. 1 VerbrSchG, Art. 678 Abs. 3 ZGB, die sich aus dogmatisch-systematischer Sicht als problematisch erweist, wird daher in der Rechtspraxis die Haftungssituation des Erdgasförderers bzw. Erdgasimporteurs in der Ukraine nicht bzw. kaum beeinflußen. Nach alledem lässt sich wohl schlussfolgern, dass die bei Erdgasversorgungsstörungen im Hinblick auf die Beziehung Erdgaskunde – Erdgasförderer bzw. Erdgasimporteur anzuwendenden Haftungsregeln des ukrainischen Rechts im Wesentlichen zu vergleichbaren Ergebnissen führen, obwohl die in den genannten Normen verankerte Ausdehnung der vertraglichen Ansprüche auf den vertragsfremden Hersteller dem deutschen Recht – zumindest in der Form – nicht bekannt ist1912 .

1910 1911

1912

Dazu bereits Teil II § 7 A I 3, S. 304 ff. Vgl. Poelzig, Die Haftung des Herstellers und des Vertriebsunternehmens im deutschrussischen Wirtschafts- und Handelsverkehr, S. 290 f. In den 60er Jahren gab es in Deutschland zwar viele Diskussionen über die möglichen Lösungsansätze zur Begründung der vom Verkäufer abgeleiteten vertraglichen Haftung des Herstellers (etwa wie Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, Drittschadensliquidation, Garantievertrag etc.). Näher zu einzelnen Vorschlägen s. z. B. Markert, BB 1964, 231 (232 ff.); Canaris, JZ 1968, 494 (495 ff.); Diederichsen, NJW 1978, 1281 (1282). Sie sind jedoch durch die berühmte Hühnerpest-Entscheidung vom 26. November 1968 endgültig abgelehnt worden, BGH NJW 1969, 269 (269 ff.).

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

E.

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Allgemeine außervertragliche Haftungsordnung

In den untersuchten Rechtsordnungen greifen bei Erdgasversorgungsstörungen auch die deliktischen Vorschriften ein (§§ 823 ff. BGB, Artt. 1166 ff. ZGB). Sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine ist die deliktische Haftung vor allem in den Fällen von Relevanz, in denen potenzielle Anspruchsteller in keinem Vertragsverhältnis zu den im konkreten Schadensfall als Passivlegitimierte in Betracht kommenden Erdgasmarktteilnehmern stehen. I.

Bedeutung der allgemeinen deliktischen Haftung bei Erdgasversorgungsstörungen

Nach deutschem Recht besteht zwar die Haftung für unerlaubte Handlungen nach §§ 823 ff. BGB neben der vertraglichen Haftung1913 . Der geschädigte Erdgasabnehmer wird jedoch in erster Linie die für ihn günstigere Anspruchsgrundlage verfolgen. Dies ist in aller Regel § 280 Abs. 1 BGB, was auf den Schutzumfang (einschließlich Vermögensschäden), die Vermutung des Vertretenmüssens abstellt1914 . Dabei statuiert § 18 Abs. 1 NDAV zu Lasten des Netzbetreibers die Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens auch für die Haftung aus unerlaubter Handlung sowie die Zurechnung des Fehlverhaltens von involvierten Hilfspersonen gemäß § 278 BGB ohne eine Möglichkeit der Exkulpation1915 im Gegensatz zur Haftung für fremdes Verschulden nach § 831 BGB im deliktischen Bereich1916 . Ein eigener vertraglicher Schadensersatzanspruch ist vielmehr gegenüber Dritten, etwa wie Untermieter oder Gäste des Mieters, über deren Einbeziehung in den Schutzbereich eines im Fall der Erdgasversorgung zwischen dem Erdgasversorgungsunternehmen und dem Erdgasendkunden bestehenden Schuldverhältnisses (z. B. Anschlussnutzungsverhältnis im Sinne des § 3 NDAV) denkbar (§ 280 Abs. 1 BGB i. V. m. den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter)1917 . Die außervertragliche Haftung (zumindest aus allgemeinem Deliktsrecht) führt im Bereich der Erdgasversorgung in der deutschen Rechtsordnung eher ein Randdasein. Die Situation betreffend den Rückgriff auf den deliktischen Tatbestand bei Erdgasversorgungsstörungen in der Ukraine gestaltet sich – wegen des das ukrainische Zivilrecht prägenden Ausschließlichkeitsverhältnisses zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung1918 – etwas anders. Dem Geschädigten 1913 1914 1915 1916 1917 1918

Vgl. hierzu die Ausführungen in Teil I § 4 A I, S. 148, Teil III § 11 A, S. 455 f. BeckOK/Lorenz, Stand: 01.08.2018, BGB § 280 Rn. 31 f. Näher s. Teil I § 4 A I 1 c) bb), S. 155 ff. So bereits Teil I § 4 A I, S. 148. S. z. B. Teil I § 4 C I 1 a), S. 195 f. S. oben Teil II § 8 A, S. 360 ff.; Teil III § 11 A, S. 455 ff.

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

infolge einer (lieferungsbezogenen bzw. netztechnisch bedingten) Erdgasunterbrechung bzw. Unregelmäßigkeiten stehen lediglich deliktische Ansprüche nach Artt. 1166 ff. ZGB zu, soweit es an einer unmittelbaren vertraglichen Verbindung fehlt oder aber Personenschäden (außerhalb sowie innerhalb eines (Liefer- bzw. Netz-)Vertrages) geltend gemacht werden (vgl. Art. 1196 ZGB). Dabei werden die Anspruchsteller, die keinen Schadensersatzanspruch aus Vertrag geltend machen können, gegenüber den Erdgasendkunden als Vertragspartner nicht unbedingt schlechter gestellt, in bestimmten Konstellationen sogar besser, insbesondere wenn man die grundsätzliche Unabdingbarkeit der deliktischen Haftung nach ukrainischem Recht berücksichtigt oder die deliktischen Spezialtatbestände – was bei Störungen im Netzbetrieb durchaus denkbar erscheint – zur Anwendung kommen. Wie die Untersuchung der Lösungsansätze zur Regelung der Haftungsfrage im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung im Rahmen des Sachberichts Ukraine gezeigt hat, werden sich beispielsweise dem Netzbetreiber als Hauptanspruchsgegner auf dem Erdgasmarkt vielmehr ähnliche Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Verschuldens im deliktischen wie im vertraglichen Bereich stellen1919 . Letztendlich haftet der nach Art. 1166 Abs. 1 ZGB in Anspruch genommene Schädiger als Arbeitgeber – grundlegend anders als bei der Haftung des Geschäfftsherrn für seine Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 BGB – für die Handlungen seiner Arbeitnehmer in Erfüllung ihrer Arbeitnehmerpflichten wie für seine eigenen und kann sich nicht exkulpieren (Art. 1172 ZGB)1920 . II.

Unterschiede im Hinblick auf den deliktischen Schutzumfang

Betrachtet man die deliktischen Haftungsansprüche wegen Erdgasversorgungsstörungen in den beiden Rechtsordnungen isoliert, lassen sich erhebliche Unterschiede zwischen den nationalen Haftungsregeln des Deliktsrechts erkennen. So ist in erster Linie festzuhalten, dass das deutsche Deliktsrecht in seinem Schutzumfang deutlich hinter dem ukrainischen Deliktsrecht zurück bleibt. Der Tatbestand des Art. 1166 Abs. 1 ZGB ist weit gefasst und schließt auch reine Vermögensschäden ein, während durch § 823 BGB lediglich bestimmte absolute Rechtsgüter geschützt werden. Der Ersatz reiner Vermögensschäden, die nicht durch die Verletzung eines absoluten Rechts oder Rechtsgutes vermittelt werden, ist zwar im deutschen Deliktsrecht möglich, jedoch nur sehr begrenzt, etwa bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB) oder bei Vorsatz und gleichzeitiger Sittenwidrigkeit (§ 826 BGB). In den hier ins Auge gefassten Haftungskonstellationen spielt die Haf1919 1920

Hierzu Teil II § 8 D, S. 420 ff. Vgl. Teil II § 8 B I 3, S. 382 f.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

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tung aus §§ 823 Abs. 2, 826 BGB jedenfalls keine wesentliche Rolle1921 . Bedenkt man freilich, dass die vertragsfremden durch den Erdgasausfall bzw. Unregelmäßigkeiten betroffenen Konsumenten und Unternehmen auch die Vermögensschäden unterschiedlicher Art und Höhe erleiden können, ist davon auszugehen, dass diese in den meisten Fällen unausgeglichen bleiben werden. Bei einem zeitweiligen Betriebsstillstand als Folge einer Erdgasversorgungsstörung kann keine Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angenommen werden. Gerade daran würde regelmäßig eine Haftung des Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB scheitern. In diesem Fall könnte man zwar an eine Beeinträchtigung des Rechts am Unternehmen als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB denken. Da man aber im deutschen Recht dafür restriktive Eingriffsvoraussetzungen aufgestellt hat, dürfte die Haftung für einen Eingriff in das Recht am Unternehmen in der Praxis eher selten eingreifen. Insofern scheint das ukrainische System mit dem weiten Anwendungsbereich der deliktischen Vorschriften einen deutlich besseren Schutz für den Geschädigten zu gewährleisten. Man darf hier allerdings nicht verkennen, dass das Fehlen einer deliktischen Generalklausel in Deutschland durch andere Haftungsinstrumente kompensiert werden könnte. Als geeignete Lösung für die soeben aufgezeigte Situation kämen in Betracht z. B. das – oben bereits erwähnte – Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie der von der deutschen Rechtsprechung erarbeitete Deliktsschutz des Rechts am Unternehmen1922 . Da diese Konstruktionen den Ersatz von Vermögensschäden nur unter besonderen, engen Voraussetzungen zulassen und die Rechtsprechung hier zurückhaltend ist, stellt sich die Frage, ob sich dadurch tatsächlich ein Gleichgewicht zwischen den vertragsfremden Geschädigten und den Schädigern im Erdgasversorgungsbereich einstellt. Bestimmte Unsicherheiten für die durch Erdgasversorgungsstörungen betroffenen und auf die außervertraglichen Rechtsbehelfe angewiesenen Kläger bleiben somit bestehen. All dies bestätigt noch einmal, dass der weit gefasste deliktische Tatbestand des ukrainischen Rechts grundsätzlich mehr Vorteile für den Anspruchsteller ohne Liefer- bzw. Netzvertrag in der Situation bei der Erdgasversorgungsstörung bietet. Gleichwohl mag ein solch umfassender – geschädigtenfreundlicher – Anwendungsbereich des Art. 1166 ZGB dahingehend problematisch sein, als er eine außervertragliche Haftung des potenziellen Anspruchsgegners bis ins 1921

1922

Zur Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB im Erdgasversorgungsbereich vgl. Teil I § 4 A I 2 b), S. 173 ff., B I 2 b), S. 188 ff., C I 2 c), S. 210 ff. Näher hierzu Teil I § 4 A I 1 b), S. 152, C I 1 a), S. 195 sowie A I 2 a) aa), S. 163 ff.

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

Uferlose ausdehnen und somit dessen unverhältnismäßig hohe Haftungsbelastung zulässen kann. Die Statuierung einer allgemeinen deliktischen Generalklausel wirkt mithin der Gewährleistung eines angemessenen und gebotenen Ausgleichs der kollidierenden Interessen im ukrainischen Haftungssystem und im hier untersuchten Bereich der Entwicklung eines wettbewerbsfähigen und effizienten Erdgasmarktes wohl eher entgegen. Etwas relativiert wird die Gefahr einer ausufernden Haftung aus Delikt allerdings zunächst durch den restriktiven Schadensbegriff im ukrainischen Recht. Nach Art. 22 ZGB sind lediglich die dort ausdrücklich genannten Schadensposten (realer Schaden und entgangener Gewinn) ersatzfähig1923 . Der Begriff des entgangenen Gewinns gemäß Art. 22 Abs. 2 Nr. 2 ZGB stellt dabei auf die normalen Umstände im Hinblick auf die Vermutung des möglichen Gewinns einerseits und auf die tatsächliche Möglichkeit des Gewinnerhalts andererseits ab, was im Ergebnis zu Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Schadens seitens des Geschädigten (vgl. § 252 BGB, der die abstrakte Schadensberechnung erlaubt) und folglich – in Kombination mit der unentwickelten Auslegungskultur der ukrainischen Rechtsprechung – zum häufigen Scheitern der deliktischen Ansprüche auf Ersatz des entgangenen Gewinns in der Praxis führt1924 . Darüber hinaus bestehen nicht unerhebliche Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit dem Nachweis der Kausalität zwischen Fehlverhalten und Schaden. Die Rechtsprechung in der Ukraine hat bisher keine Grundsätze für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs im konkreten Schadensfall herausgearbeitet. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass sie einer der in der Literatur entwickelten Kausalitätstheorien den Vorzug gibt1925 . Die Kausalität wird im Rahmen der ukrainischen Rechtsordnung eher einzelfallbezogen geprüft. Die komplizierten und für potenzielle Kläger unüberschaubaren technischen Prozesse innerhalb der Erdgasversorgung tragen zur erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche gegen die Akteure des ukrainischen Erdgasmarktes auch nicht bei. Insgesamt kann damit festgestellt werden, dass die Lösungsansätze zur Regelung der außervertraglichen Haftung im deutschen und ukrainischen Recht erhebliche Unterschiede aufweisen. Das ukrainische Deliktsrecht scheint auf den ersten Blick dem vertragsfremden Geschädigten infolge einer Erdgasversorgungsstörung eine bessere Rechtsstellung zu gewähren als das deutsche Recht. Die restriktive Auslegung des Schadensbegriffs sowie die 1923 1924

1925

Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, S. 58 f. Gapalo, Vertragliche Haftung nach deutschem und ukrainischem Recht, S. 101 ff. sowie S. 203. Zu den Kausalitätstheorien im ukrainischen Recht s. Teil II § 8 B I 1 c), S. 371 ff.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

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oben dargestellten Rechtsunsicherheiten haben allerdings eine negative Auswirkung auf die Chancen des auf die deliktischen Ansprüche angewiesenen Betroffenen in der Ukraine zur erfolgreichen Geltendmachung und Durchsetzung seines Anspruchsbegehrens, so dass dieser im Endergebnis in ähnlich gelagerten Fällen kaum einen (deutlich) höheren Schutz genießt als innerhalb der deutschen Rechtsordnung. F.

Besondere außervertragliche Haftungsordnung

Eine besondere außervertragliche Haftung kommt in den untersuchten Rechtsordnungen in erster Linie gegen Netzbetreiber im Fall einer Erdgasversorgungsstörung in Betracht. Deren Konzepte und Regelungsmodelle unterscheiden sich jedoch wesentlich voneinander. Fraglich ist daher an dieser Stelle, inwieweit die unterschiedliche Behandlung von erdgasversorgungsrechtlichen Konstellationen im Bereich der Gefährdungshaftung in Deutschland und in der Ukraine in ihrer Konsequenz ähnliche Auswirkungen auf die möglichen Anspruchsteller und Anspruchsgegner haben kann. I.

Haftung für Quellen erhöhter Gefahr

Im ukrainischen Recht ist zunächst an die Regelung des Art. 1187 ZGB zu denken. Art. 1187 ZGB statuiert eine verschuldensunabhängige Haftung für sämtliche Quellen erhöhter Gefahr und stellt eine Art Generalklausel zur Gefährdungshaftung mit exemplarischem Quellenverzeichnis neben der allgemeinen Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr nach Art. 1166 ZGB dar 1926 . Dank dem weiten Anwendungsbereich der Norm lassen sich die Durchleitung von Erdgas in hoher Konzentration durch die Rohrleitungen des Netzbetreibers, aber auch seine Förderung, Bearbeitung und Reinigung durch den Erdgasförderer ohne Weiteres unter die Definition der Gefahrenquelle in Art. 1187 Abs. 1 ZGB subsumieren1927 . Ein Begehren auf der Grundlage des Art. 1187 Abs. 2 ZGB scheint grundsätzlich hohe Erfolgschancen bei Störungen in der Erdgasversorgung zu haben. Bei der Inanspruchnahme des Erdgasförerers werden sie jedoch durch die Beweishürden hinsichtlich der Kausalität stark eingeschränkt1928 . Überdies greifen hier die Regeln zum Konkurrenzverhältnis zwischen den Systemen des Vertrags- und Deliktsrechts ein, sie entfalten eine Sperrwirkung bezüglich einer Haftung des Netzbetreibers für eine Quelle erhöhter Gefahr gegenüber dessen Vertragspartnern1929 . In der 1926

1927 1928 1929

Eine solche Generalklausel hat ihre Wurzeln im sowjetischen Zivilrecht. Für einen Überblick über die historische Rechtslage s. Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 195 ff. Teil II § 8 B I 2 a), S. 376 f., D III 3, S. 437 ff. S. dazu Teil II § 8 B I 2 c), S. 379 f. Vgl. Teil II § 8 D I 2, S. 424 ff., D III 3, S. 437 ff.

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

Praxis dürfte daher die Relevanz dieser Anspruchsgrundlage bei Erdgasversorgungsstörungen in der Ukraine nicht besonders hoch sein. In Deutschland gibt es hingegen keine Generalklausel für die Gefährdungshaftung. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für den Weg der Einzeltatbestände, die überwiegend in verschiedenen Spezialgesetzen verstreut sind und eine Haftung für bestimmte Gefahrenquellen ohne Verschulden vorsehen, entschieden1930 . Die enumerative Konzeption tritt der Gefahr einer Uferlosigkeit des Schutzbereiches der Gefährdungshaftung durch die richterliche Auslegung entgegen1931 und ermöglicht vielmehr dem (potenziellen) Passivlegitimierten eine sichere Abschätzung seiner Haftungsrisiken im Einzelfall1932 . Der kasuistischen Methode fehlt demgegenüber die Elastizität, die erforderlich ist, um neuen Tatbeständen der technischen Entwicklung bzw. einer gerechten Behandlung vergleichbarer Gefahrenquellen Rechnung zu tragen 1933 . Das Fehlen eines generalklauselartigen Gefährdungshaftungstatbestandes bedeutet dennoch nicht, dass das deutsche Recht keine vergleichbare Lösung für die Schadensfälle im Zusammenhang mit der Erdgasversorgung, die in der Ukraine in den Anwendungsbereich der Regelung des Art. 1187 Abs. 2 ZGB fallen, bereithält. In Deutschland gewährt das HaftPflG entsprechende Schadensersatzansprüche. So kann der Netzbetreiber als Inhaber der Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 HaftPflG danach zur verschuldensunabhängigen Haftung für Personen- und Sachschäden sowohl infolge einer schädigenden Wirkung von Erdgas, die von Anlagen zu seiner Fortleitung oder Abgabe ausgeht (§ 2 Abs. 1 S. 1 HaftPflG), als auch zurückführend auf das bloße Vorhandensein einer solchen Anlage, die im Zeitpunkt der Schadensverursachung nicht ordnungsmäßig funktioniert hat (§ 2 Abs. 1 S. 2 HaftPflG), herangezogen werden1934 . Berücksichtigt man allerdings die Befreiungsgründe des § 2 Abs. 3 HaftPflG (i. V. m. §§ 16 Abs. 3 S. 2, 16a S. 1 EnWG) sowie die Besonderheiten der leitungsgebundenen Erdgasversorgung, wird man zu dem Schluss kommen müssen, dass den Netzbetreiber die Ersatzpflicht des Inhabers einer gefährlichen Anlage nach dem HaftPflG eher selten zu treffen scheint. Die Schranken und Korrektive auf der Ebene der Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung, die der Gesetzgeber und/oder die Rechtsprechung in Deutschland und in der Ukraine im Hinblick auf die Haftung für Quellen erhöh1930

1931 1932

1933 1934

S. Kreuzer, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, S. 123 (129 ff.). Vgl. Honsell, ZSR 1997, 297 (307). Vgl. Wölk, Das Deliktsrecht Russlands, S. 588; s. auch Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 259 ff. Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 263 f.; Honsell, ZSR 1997, 297 (307). Teil I § 4 C II 2, S. 226 ff.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

471

ter Gefahr, insbesondere im Erdgasversorgungsbereich, vorgenommen haben, um eine angemessene Risiko- sowie Schadensverteilung zwischen den Betroffenen sicherzustellen, führen zu einigermaßen stimmigen Konsequenzen für die hier in Betracht kommenden Geschädigten und Schädiger. Dies gilt auch dann, wenn der Haftungstatbestand des Art. 1187 Abs. 2 ZGB im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 HaftPflG die reinen Vermögensschäden abdeckt. Wegen des restriktiven Schadensbegriffs und der prinzipiellen Zurückhaltung der Rechtsprechung bei dem Ersatz des entgangenen Gewinns wird solchen Ansprüchen in der ukrainischen Rechtsordnung kaum stattgegeben 1935 . Die Schutzintensität der potenziellen ukrainischen Kläger ist daher im Falle einer Störung im Netzbetrieb wegen einer weit gefassten Generalklausel für die Gefährdungshaftung nicht unbedingt höher als diejenige, die die deutschen Kläger in den ähnlich gelagerten Fallkonstellationen nach dem HaftPflG genießen. II.

Produkthaftung

In den Fällen von Erdgasversorgungsstörungen kann schließlich sowohl im deutschen, als auch im ukrainischen Rechtssystem eine verschuldensunabhängige Produkthaftung eintreten. Mit dem BGH-Urteil vom 25. Februar 20141936 wurde der Netzbetreiber, der eine Verdichtung bzw. Entspannung des Erdgases vornimmt, in Deutschland als Hersteller im Sinne des ProdHaftG anerkannt und somit die Energieversorgung für das Produkthaftungsrecht geöffnet1937 . Diese Entwicklung in der aktuellen Rechtsprechung bringt – ungeachtet der kritischen Bemerkungen in der deutschen Rechtsliteratur in Bezug auf die Besonderheiten des Produkts Energie bei der Fehlerfindung und die Rechtsnatur der wirtschaftlichen Tätigkeit des Netzbetreibers bei der Begründung der Herstellereigenschaft1938 – eine Erhöhung der Schutzintensität privater Erdgasendkunden einerseits und zusätzliche Haftungsrisiken für den Netzbetreiber, die sich durch die energierechtlichen Spezialvorschriften – nämlich § 18 Abs. 1 NDAV – nicht abwenden lassen1939 , andererseits mit sich1940 . Ob die vorgezeichnete Lösung des BGH im Hinblick auf die Beherrschbarkeit und Kontrollierbarkeit über das Erdgas sowie Leistungs- und Speichersysteme, in die es eingebunden ist, interessengerecht und in Übereinstimmung mit ener1935 1936 1937 1938 1939

1940

Bereits hierzu Teil III § 11 E, S. 465 f. BGH NJW 2014, 2106 (2106 ff.). Vgl. Teil I § 4 C II 1, S. 214 ff. Vgl. Kluge, InTeR 2015, 67 (70 ff.). Vgl. Danner/Theobald/Hartmann/Blumenthal-Barby, Energierecht NAV § 18 Rn. 73 sowie 78. Ehring, EnWZ 2017, 114 (114 ff.).

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

giepolitischen Zielvorgaben steht, erscheint nicht ohne Weiteres unzweifelhaft. Abzuwarten ist vielmehr noch, ob die Rechtsprechung den Anwendungsbereich des ProdHaftG zukünftig auch auf die Fälle des Energieausfalls ausweitet1941 . Im ukrainischen Produkthaftungsrecht findet sich ein vergleichbares ProdHaftG1942 , welches ebenso wie das deutsche auf der EG-ProdHaftRL beruht. Trotz gewisser Unterschiede und Unvollkommenheiten, die das ukrainische Gesetz, etwa hinsichtlich seines persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs, im Vergleich zum deutschen aufweist, ist es nicht ganz fernliegend, potenzielle Haftungsfälle bei netztechnisch bedingten Erdgasversorgungsstörungen auch in der Ukraine über das ProdHaftG – nach dem Vorbild der jüngsten oben dargestellten Rechtsprechung des BGH – zu lösen. Diese Fragestellung war allerdings bisher, zumindest soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand der ukrainischen Rechtsprechung. Auch Literatur fehlt dazu. Dennoch darf man an dieser Stelle annehmen, dass sich der Anwendungsbereich des ukrainischen ProdHaftG nicht auf die Schäden infolge einer Erdgasversorgungsstörung erstreckt und die Herstellereigenschaft des Netzbetreibers eher verneint wird. Diese Auffassung ist vor allem damit zu begründen, dass sich das Pflichtenprogramm des Netzbetreibers nach ukrainischem Recht ausdrücklich in der Erbringung eines technischen Dienstes erschöpft1943 . Die fehlerhaften Dienstleistungen sind in der Ukraine von dem ProdHaftG nicht umfasst. Man könnte sodann daran denken, dass sich die Haftung nach dem ukrainischen ProdHaftG im Zusammenhang mit Erdgasversorgungsstörungen auf die Lieferantenebene verlagert (vgl. Art. 7 Abs. 3 ProdHaftG). Es gibt aber kaum Fallkonstellationen, in denen den Erdgaslieferanten die volle produkthaftungsrechtliche Verantwortung trifft. Er wird sich normalerweise von der Haftung gemäß Art. 7 Abs. 3 ProdHaftG entlasten können. Daraus lässt sich zunächst schlussfolgern, dass die verschuldensunabhängige Haftung auf der Grundlage des ProdHaftG in der Ukraine nur sehr selten bis gar nicht zur Anwendung kommt. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob durch die restriktive Anwendung des ukrainischen ProdHaftG im Bereich der Energiewirtschaft eine (scheinbare) Schlechterstellung ukrainischer privater Erdgasletztverbraucher gegenüber deutschen Klägern tatsächlich verursacht wird. Da das ukrainische Produkthaftungsrecht nicht nur durch das ProdHaftG, sondern auch im 1941 1942

1943

S. Ehring, EnWZ 2017, 114 (117 f.). Zum ukrainischen ProdHaftG näher s. Teil II § 8 B IV, S. 393 ff., C V, S. 419 f., D V, S. 441 f. Vgl. Teil II § 8 D V, S. 441 f.

§ 11 Haftungsrechtliche Lösungen

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ZGB und VerbrSchG geregelt wird, kann der hier in Betracht kommende Geschädigte eventuell den gleichen oder einen ähnlichen Schutzumfang wie derjenige im Rahmen des deutschen ProdHaftG über andere – in diesen Gesetzen vorgesehene – Ansprüche genießen. Mit den Änderungen anlässlich des Erlasses des ProdHaftG im Jahr 2011 hat das ukrainische VerbrSchG erheblich an Bedeutung verloren und hält seitdem keine selbständige Grundlage für die Begründung einer vollen produkthaftungsrechtlichen Verantwortlichkeit, die an dieser Stelle zu einer dem deutschen Recht vergleichbaren Lösung führen würde, bereit1944 . Art. 1209 Abs. 1 ZGB, der eine strenge Haftung für die mangelhafte Erbringung von Arbeits- und Dienstleistungen normiert und bei netztechnisch bedingten Erdgasversorgungsstörungen zu Lasten des Netzbetreibers eingreifen kann1945 , scheint hingegen die entstandene Haftungslücke zu schließen bzw. die bestehende Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Anwendung des Produkthaftungsrechts in den erdgasversorgungsrechtlichen Konstellationen zu verringern. Die Vorschrift des Art. 1209 ZGB dehnt den Schutzbereich des ukrainischen Produkthaftungsrechts auf Arbeiten und Dienstleistungen aus und erscheint grundsätzlich erfolgsversprechender und daher klägerfreundlicher als die deutsche Lösung unter der EG-ProdHaftRL. Dazu kommt noch, dass Art. 1209 Abs. 1 ZGB natürliche und juristische Personen gleichermaßen schützt, d. h. jedem Geschädigten die Haftungsgrundlage bietet, und somit weit über das Ziel des Schutzes des vermutlichen Schwächen im neu geschaffenen System der Marktwirtschaft hinausschießt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich deutlich die Uferlosigkeit einer produkthaftungsrechtlichen Haftung in der Ukraine, die sich nicht rechtfertigen lässt und für die extreme Einseitigkeit des ukrainischen Produkthaftungsrechts spricht 1946 . Kein Korrektiv hierzu stellt vielmehr der vom ukrainischen Gesetzgeber gewählte Mangelbegriff dar. Denn dieser vermischt subjektive und objektive Elemente und lässt sie undifferenziert sowohl in den vertraglichen als auch deliktischen Bereich einfließen, was nicht unbedingt haftungsbeschränkend wirkt1947 . Das Fehlen einer anerkannten Kausalitätstheorie und die Beauftragung von Sachverständigen für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs im Einzelfall helfen auch nicht, die Übermaßhaftung zu vermeiden. Die in Art. 1209 Abs. 2 ZGB verankerten Entlastungsgründe – höhere Gewalt und die Nichteinhaltung von Gebrauchsanleitungen durch den Geschädigten – mildern die Haftungssituation von Arbeits1944 1945 1946 1947

Vgl. Teil II § 8 B III, S. 385 ff. sowie D IV, S. 439 ff. Teil II § 8 D III 2, S. 434 ff. Vgl. Bernasconi-Mamie, Das russische Produktehaftpflichtrecht, S. 91. Vgl. Bernasconi-Mamie, Das russische Produktehaftpflichtrecht, S. 150 f. sowie 162 f.

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Teil III Rechtsvergleichende Analyse und Rückschlüsse

und Dienstleistungserbringern kaum ab. Für den ukrainischen Netzbetreiber als Anspruchsgegner ist all dies mit sehr hohen Haftungrisiken verbunden. Denn die Verantwortlichkeit, die ihn treffen kann, ist weitgehend unvorhersehbar und erscheint übermäßig.

Wesentliche Ergebnisse Ziel der vorliegenden Arbeit bestand darin, die Frage der zivilrechtlichen Haftung von Akteuren auf den einzelnen Stufen entlang der Wertschöpfungskette im Erdgasmarkt Deutschlands und der Ukraine gegenüber Endabnehmern bei Erdgasversorgungsstörungen rechtsvergleichend zu untersuchen. Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die (haftungs-)rechtliche, aber auch wirtschaftliche Ausgestaltung und Behandlung der Verhältnisse in der Erdgaswirtschaft sind sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine durch die physikalisch-technischen Gegebenheiten der Gasversorgung (etwa wie die Netzgebundenheit, begrenzte Substituierbarkeit sowie grundsätzliche Speicherbarkeit von Gas) sehr stark geprägt. Diese Besonderheiten wirken sich dahingehend aus, dass Gas als Energieträger in den beiden Rechtsordnungen im Rechtssinne ohnehin als Sache gilt, woran der Gaskunde das Eigentum erlangen kann und deren Qualität einerseits von Herkunft und andererseits vom Transportweg abhängig ist. Die Zuordnung einer bestimmten Gasmenge zu den jeweiligen Vertragspartnern erfolgt zudem nach deutschem und ukrainischem Recht im Wege einer rechtlichen Fiktion, denn die eingespeisten Gasmoleküle sind mit den aus dem Netz entnommenen nicht identisch. Der aktuelle Rechtsrahmen der Gasversorgung in Deutschland und in der Ukraine ist Ausdruck der europäischen Idee der Liberalisierung der Energiemärkte und beruht auf den Regelungen der EU-Energiemarktpakete. Dies gilt auch, wenn die Ukraine kein Mitglied der EU und an das EU-Recht grundsätzlich nicht gebunden ist. Sie ist jedoch im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit der EU (2014) zur Schaffung der Rahmenbedingungen für einen liberalisierten und unionsrechtskonform umgestalteten Erdgasmarkt verpflichtet. Die Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben im Energiebereich hat zur Entstehung eines unübersichtlichen und schwer zu handhabenden Geflechts aus speziellen energiewirtschaftsrechtlichen Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen, die sich unmittelbar oder zumindest mittelbar auf die Haftungsfrage bei Gasversorgungsstörungen auswirken, geführt. Von zentraler Bedeutung sind dabei das EnWG (2005) in Deutschland und das ErdgasMarktG (2015) in der Ukraine. Diese Gesetze und die aufgrund der dort vorgesehenen Ermächtigungen ergangenen Durchführungsvorschriften regeln vor allem detailliert und ausführlich Rechte und Pflichten sämtlicher an der Gasversorgung Beteiligter und bestimmen damit deren genauen Verantwortungsumfang. Die Haftungssituation bei der Gasversorgung ist dennoch in beiden Ländern – unbeschadet einer Vielzahl von denkbaren Haftungskonstellationen je nach Art des © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6

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Wesentliche Ergebnisse

Kunden, je nach Ausgestaltung des Versorgungsverhältnisses oder je nach Ursache des Schadens – grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Haftungsrechts zu prüfen. Ein entscheidendes Element der Neuordnung der deutschen und ukrainischen Energiewirtschaft ist in haftungsrechtlicher Hinsicht die Trennung von Erdgasproduktion, -transport und -vertrieb, wenngleich sich der Entwicklungsstand der lokalen Erdgasmärkte als deutlich unterschiedlich erweist. Vor diesem Hintergrund wird im Rahmen der Gasversorgung für lieferungsbezogene Versorgungsstörungen einerseits und für netztechnisch bedingte Versorgungsstörungen andererseits gehaftet. Als Passivlegitimierte kommen dabei Erdgasförderer, Erdgasimporteure, Lieferanten und Netzbetreiber in Betracht. Die zu Schäden bei privaten sowie industriellen Gaskunden führenden Gasversorgungsstörungen (etwa Lieferunterbrechungen und Qualitätsschwankungen) haben gleichwohl ihre Ursachen meistens im Netzbetrieb. Damit gilt der Netzbetreiber als Hauptanspruchsgegner. Nur in wenigen Fallkonstellationen ist eine Schadensersatzhaftung des Lieferanten denkbar, wenn er etwa die Einschränkung bzw. Einstellung der Gasversorgung unberechtigt oder irrtümlich anordnet, die bestätigten an den Letztverbraucher zu liefernden Erdgasmengen nicht, nicht rechtzeitig oder nicht korrekt anmeldet bzw. schuldhaft nicht ausreichend Erdgas in den Netzen bereitstellt. Die Leistungspflicht des Lieferanten erschöpft sich im Rahmen der liberalisierten und entflochtenen Gasversorgung im Grunde genommen bereits in dem bilanziellen Ausgleich der Gasentnahmen. Dies betrifft auch die Haftungssituation der Erdgasförderer sowie Erdgasimporteure. Durch die Vermischung der in das Netz eingespeisten Gasmengen ist dessen Zuordnung zu einem bestimmten Einspeiser (und damit Hersteller) in aller Regel unmöglich. Die möglichen Schadensersatzansprüche gegen den Erdgasförderer und Erdgasimporteur dürfen daher oftmals an der Kausalitätsvoraussetzung scheitern. Verschuldensabhängige Ansprüche auf Ersatz von durch Gasversorgungsstörungen eingetretenen (Personen-, Sach- und ggf. Vermögens-)Schäden richten sich in der deutschen Rechtsordnung in erster Linie nach § 280 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 1 BGB und stehen in Konkurrenz zueinander, so dass der geschädigte Gasendkunde die für ihn günstigere – im Regelfall vertragliche – Anspruchsgrundlage wählen kann. In vielen Schadensfällen wird die Einstandspflicht des jeweiligen Geschädigten abgelehnt, weil eine objektive Pflichtverletzung fehlt, bzw. beschränkt oder sogar ausgeschlossen, weil die energierechtlichen Haftungsmodifikationen eingreifen. Die Haftungsbeschränkungen sowie Haftungsausschlüsse dienen in der Gaswirtschaft dazu, eine nicht zuletzt wegen der in der Erdgaswirtschaft verwendeten Instrumente

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des Verbraucherschutzes (etwa wie Kontrahierungszwang oder Verschuldensvermutung zugunsten der Haushaltskunden) drohende Übermaßhaftung insbesondere der Netzbetreiber zu vermeiden. Denn ansonsten würden die betroffenen Akteure nicht in der Lage sein, die ihnen vom Gesetzgeber auferlegten Aufgaben und Funktionen zu erfüllen, was schließlich negative Auswirkungen auf den gesamten Gas(versorgungs)markt haben kann. Aus diesem Grund und im Hinblick auf die Öffnung der Energieversorgung für das Produkthaftungsrecht durch die jüngste deutsche Rechtsprechung erscheint es sinnvoll und angemessen, den Anwendungsbereich der haftungsprivilegierenden Regelungen des Energiewirtschaftsrechts auf die verschuldensunabhängige Haftung der Netzbetreiber nach dem ProdHaftG auszudehnen. Durch die Einordnung des die Transformation der Energie vornehmenden Netzbetreibers als Hersteller i. S. d. ProdHaftG wird sein Haftungspotenzial unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Produkts Energie deutlich erhöht, was zu Interessenkonflikten auf seiner Seite führen kann. Ob eine solche – verschärfte – Haftungslage des Netzbetreibers rechtspolitisch, insbesondere mit Blick auf die Ziele der deutschen Energiewende, gewünscht wird, ist nicht ohne Weiteres zweifelsfrei. Nach ukrainischem Recht stehen dem potenziellen Geschädigten infolge einer Gasversorgungsstörung zwar ebenfalls vertragliche (Artt. 623 ff. ZGB) und deliktische (Artt. 1166 ff. ZGB) Schadensersatzansprüche zu. Sie befinden sich allerdings in einem exklusiven Spezialitätsverhältnis zueinander. Eine Schlechterstellung ukrainischer Kläger gegenüber deutschen Klägern konnte dadurch dennoch nicht festgestellt werden. Denn im Rahmen der Haftung aus Vertrag sowie der Haftung aus Delikt gilt jeweils eine Schuldvermutung zu Lasten des Schädigers, wird nicht zwischen Erfüllungs- und Verrichtingsgehilfen unterschieden und sind dieselben Verjährungsregeln anzuwenden. Die zentrale Norm des ukrainischen Deliktsrechts – Art. 1166 Abs. 1 ZGB – ist überdies generalklauselartig verfasst und gewährt folglich einen Schadensersatzanspruch für jegliche Schädigung, auch des Vermögens. In gewissen Konstellationen genießt der Endabnehmer unter Geltung des ukrainischen Rechts sogar ein höheres Schutzniveau. So haftet z. B. der Netzbetreiber als Dienstleistungserbringer und Unternehmer in der Ukraine für die Nicht- bzw. Schlechterfüllung seiner Vertragsverpflichtungen nach Art. 906 Abs. 1 S. 1 ZGB i. V. m. dem Erdgastransport- bzw. -verteilungsvertrag praktisch verschuldensunabhängig. Diese verschärfte Vertragshaftung für Unternehmen ausschließlich im Dienstleistungsbereich, die auf das eher unschlüssige System des Leistungsstörungsrechts im ZGB zurückzuführen ist, schafft zugleich erhebliche Haftungsrisiken für den Netzbetreiber im Vergleich zu an-

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deren Akteuren in der Erdgaswirtschaft, was im Hinblick auf die Kontrollierbarkeit des Gases sowie die Schadensanfälligkeit für Netzstrukturen und trotz im ukrainischen Recht vorhandener Korrektive zu einem Ungleichgewicht zwischen den Interessen der an der Gasversorgung Beteiligten führt. Dieses unbefriedigende Ergebnis könnte mittels spezialgesetzlicher Haftungsmodifikationen und Haftungprivilegierungen, die das ukrainische Energierecht nicht vorgesehen hat, wenn nicht vermieden, dann zumindest abgeschwächt werden. Auch im außervertraglichen Bereich gestaltet sich die Haftungssituation des Netzbetreibers nicht viel anders. Art. 1187 Abs. 2 ZGB, der eine verschuldensunabhängige Haftung für sämtliche Quellen erhöhter Gefahr normiert, und Art. 224 Abs. 1 WGB, der ein Fehlverhalten während der Ausübung einer unternehmerischen (wirtschaftlichen) Tätigkeit bzw. Teilnahme am Wirtschaftsverkehr sanktioniert, haben zwar hierbei keine wesentliche praktische Relevanz, nicht zuletzt wegen des Fehlens genauer Anforderungen an die Kausalitätsprüfung und bestehender Unsicherheit bei der Anwendung dieser Anspruchsgrundlagen. Und die Öffnung der leitungsgebundenen Energieversorgung für die Haftung nach dem ProdHaftG ist in der Ukraine – wenigstens in naher Zukunft – anders als in der deutschen Rechtsordnung nicht ersichtlich. Gleichwohl greift Art. 1209 Abs. 1 ZGB als Anspruchsgrundlage für eine strenge Haftung für die mangelhafte Erbringung von Arbeits- und Dienstleistungen bei netztechnisch bedingten Erdgasversorgungsstörungen zu Lasten des Netzbetreibers ein und führt zu dessen unvorhersehbaren und nicht begrenzten Verantwortlichkeit, die er kaum abmildern kann. Dazu tragen die grundsätzliche Unvollkommenheit der ukrainischen Gesetzestechnik, die teilweise in sich widersprüchliche Rechtsprechung ukrainischer Gerichte sowie eine unentwickelte Auslegungskultur bei. Die Untersuchung hat insgesamt gezeigt, dass die deutsche Rechtsordnung grundsätzlich über ein ausgewogenes Haftungssystem im Bereich der Gasversorgung verfügt. Die jüngste Rechtsprechung des BGH hinsichtlich der Anwendung des ProdHaftG in der Energiebranche birgt allerdings die Gefahr einer ausufernden Haftung für den Netzbetreiber in sich. Ob sich diese Gefahr in der Zukunft realisiert, bleibt abzuwarten. Das Haftungssystem des ukrainischen Rechts weist hingegen gewisse Schwächen auf, die zu unbilligen Lösungen bei Gasversorgungsstörungen führen und negative Auswirkungen auf das effektive Funktionieren des Gasmarktes in der Ukraine haben können. Der Netzbetreiber erscheint dadurch besonders benachteiligt. Es sind jedenfalls weitere Aktivitäten seitens des ukrainischen Energiegesetzgebers erforderlich, wenngleich dieser bereits viel für die Energiewirtschaft in der Ukraine geschaffen hat.

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Anhang Цивільний кодекс України від Zivilgesetzbuch der Ukraine vom 16.01.2003 (Auszug)1948 16.01.2003 (витяг) Ст. 3 Загальні засади цивільного законодавства 1. Загальними засадами цивільного законодавства є: 1) неприпустимість свавільного втручання у сферу особистого життя людини; 2) неприпустимість позбавлення права власності, крім випадків, встановлених Конституцією України та законом; 3) свобода договору; 4) свобода підприємницької діяльності, яка не заборонена законом; 5) судовий захист цивільного права та інтересу; 6) справедливість, добросовісність та розумність.

Art. 3 Allgemeinen Grundsätze der Zivilgesetzgebung 1. Die allgemeinen Grundsätze der Zivilgesetzgebung sind: 1) die Unzulässigkeit des schrankenlosen Eingriffs in den Privatbereich eines Menschen; 2) die Unzulässigkeit der Enteignung, außer in den in der Verfassung der Ukraine und dem Gesetz vorgesehenen Fällen; 3) die Vertragsfreiheit; 4) die Freiheit der Unternehmertätigkeit, die gesetzlich nicht verboten ist; 5) die Gerichtsschutz von Zivilrechten und -interessen; 6) die Gerechtigkeit, Gutgläubigkeit und Vernünftigkeit.

Ст. 22 Відшкодування збитків та інші способи відшкодування майнової шкоди 1. Особа, якій завдано збитків у результаті порушення її цивільного права, має право на їх відшкодування. 2. Збитками є: 1) втрати, яких особа зазнала у зв'язку зі знищенням або пошкодженням речі, а також витрати, які особа зробила або мусить зробити для відновлення свого порушеного

Art. 22 Verlustersatz und sonstige Ersatzarten des Vermögensschadens 1. Derjenige, der durch eine Verletzung seines Zivilrechts einen Verlust erlitten hat, ist zu dessen Ersatz verpflichtet. 2. Verluste sind: 1) Nachteile, welche eine Person infolge der Zerstörung oder Beschädigung einer Sache erlitten hat, sowie die Aufwendungen, die die Person zur Wiederherstellung ihres verletzten

1948

Übersetzung der Verfasserin.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 N. Ishyna, Haftung für Gasversorgungsstörungen, Juridicum – Schriften zum Bürgerlichen Recht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27836-6

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права (реальні збитки); 2) доходи, які особа могла б реально одержати за звичайних обставин, якби її право не було порушене (упущена вигода). 3. Збитки відшкодовуються у повному обсязі, якщо договором або законом не передбачено відшкодування у меншому або більшому розмірі. Якщо особа, яка порушила право, одержала у зв'язку з цим доходи, то розмір упущеної вигоди, що має відшкодовуватися особі, право якої порушено, не може бути меншим від доходів, одержаних особою, яка порушила право. 4. На вимогу особи, якій завдано шкоди, та відповідно до обставин справи майнова шкода може бути відшкодована і в інший спосіб, зокрема, шкода, завдана майну, може відшкодовуватися в натурі (передання речі того ж роду та тієї ж якості, полагодження пошкодженої речі тощо). Ст. 23 Відшкодування моральної шкоди 1. Особа має право на відшкодування моральної шкоди, завданої внаслідок порушення її прав. 2. Моральна шкода полягає: 1) у фізичному болю та стражданнях, яких фізична особа зазнала у зв'язку з каліцтвом або іншим ушкодженням здоров'я;

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Rechts getätigt hat oder künftig tätigen muss (realer Schaden); 2) Einnahmen, die eine Person unter gewöhnlichen Umständen tatsächlich erzielen könnte, wenn ihr Recht nicht verletzt worden wäre (entgangener Gewinn). 3. Ein Schaden ist im vollen Umfang zu ersetzen, es sei denn, dass im Vertrag oder durch Gesetz die Entschädigung im geringeren oder höheren Umfang vorgesehen ist. Soweit der Schädiger infolge der Rechtsverletzung einen Gewinn erzielt, kann die Höhe des dem Geschädigten zu ersetzenden entgangenen Gewinns dessen Höhe nicht unterschreiten. 4. Auf Verlangen des Geschädigten und unter Berücksichtigung von Umständen des Einzelfalls kann der Vermögensschaden in einer sonstigen Weise ersetzt werden, insbesondere im Wege der Naturalrestitution (Übergabe der Sache gleicher Gattung und Qualität, Reparatur der beschädigten Sache etc.). Art. 23 Ersatz eines moralischen Schadens 1. Derjenige, dessen Recht verletzt wurde, ist zum Ersatz des immateriellen Schadens berechtigt. 2. Ein moralischer Schaden umfasst: 1) körperliche Schmerzen und Leiden, die einer Person wegen Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zugefügt werden;

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2) у душевних стражданнях, яких фізична особа зазнала у зв'язку з протиправною поведінкою щодо неї самої, членів її сім'ї чи близьких родичів; 3) у душевних стражданнях, яких фізична особа зазнала у зв'язку із знищенням чи пошкодженням її майна; 4) у приниженні честі та гідності фізичної особи, а також ділової репутації фізичної або юридичної особи. 3. Моральна шкода відшкодовується грішми, іншим майном або в інший спосіб. Розмір грошового відшкодування моральної шкоди визначається судом залежно від характеру правопорушення, глибини фізичних та душевних страждань, погіршення здібностей потерпілого або позбавлення його можливості їх реалізації, ступеня вини особи, яка завдала моральної шкоди, якщо вина є підставою для відшкодування, а також з урахуванням інших обставин, які мають істотне значення. При визначенні розміру відшкодування враховуються вимоги розумності і справедливості.

4. Моральна шкода відшкодовується незалежно від майнової шкоди, яка підлягає відшкодуванню, та не пов'язана з розміром

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2) seelische Leiden, die einer natürlichen Person wegen rechtswidrigen Verhaltens gegen eine andere Person, Mitglieder ihrer Familie oder ihre nahen Angehörigen zugefügt werden; 3) seelische Leiden, die einer natürlichen Person wegen Zerstörung oder Beschädigung ihres Vermögens zugefügt werden; 4) die Verletzung der Ehre und Würde einer natürlichen Person, sowie Verletzung des wirtschaftlichen Rufs einer natürlichen oder juristischen Person. 3. Ein moralischer Schaden ist in Geld, mit anderem Vermögen oder auf andere Weise zu entschädigen. Das Gericht entscheidet über die Höhe des Ersatzes des moralischen Schadens in Geld je nach der Art der Rechtsverletzung, Tiefe der seelischen und körperlichen Schmerzen, Verschlechterung der Fähigkeiten des Beschädigten oder Entziehung der Möglichkeit deren Verwirklichung, Verschuldensgrad der Person, die den moralischen Schaden zugefügt hat, wenn das Verschulden Voraussetzung für den Schadensersatz darstellt, sowie unter Berücksichtigung sonstiger Umstände von erheblicher Bedeutung. Die Höhe des Schadensersatzes ist unter Berücksichtigung der Vernünftigkeit und Gerechtigkeit festzustellen. 4. Ein moralischer Schaden wird unabhängig vom Vermögensschaden ersetzt und richtet sich nicht nach dessen Höhe.

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цього відшкодування. 5. Моральна шкода відшкодовується одноразово, якщо інше не встановлено договором або законом.

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5. Ein moralischer Schaden ist einmalig zu ersetzen, es sei denn, dass im Vertrag oder Gesetz etwas anderes geregelt ist.

Art. 190 Vermögen 1. Das Vermögen als ein besonderes Objekt ist insbesondere eine bestimmte Sache, Gesamtheit von Sachen sowie Vermögensrechte und Pflichten. 2. Майнові права є неспоживною 2. Vermögensrechte sind keine verріччю. Майнові права визнаються brauchbaren Sachen. Vermögensrechte sind dingliche Rechte. речовими правами. Ст. 190 Майно 1. Майном як особливим об'єктом вважаються окрема річ, сукупність речей, а також майнові права та обов'язки.

Art. 611 Rechtsfolgen einer Verletzung der Verbindlichkeit 1. Eine Verletzung der Verbindlichkeit zieht die im Vertrag oder Gesetz vorgesehenen Folgen nach sich, insbesondere: 1) das Erlöschen der Verbindlichkeit infolge einer einseitigen Abstandnahme von der Verbindlichkeit, soweit dies im Vertrag oder Gesetz festgelegt ist, oder infolge Vertragsaufhebung; 2) die Änderung der Bedingungen der 2) зміна умов зобов'язання; Verbindlichkeit; 3) die Zahlung der Vertragsstafe; 3) сплата неустойки; 4) відшкодування збитків та мо- 4) den Ersatz des Verlusts und des moralischen Schadens. ральної шкоди. › › Ст. 611 Правові наслідки порушення зобов'язання 1. У разі порушення зобов'язання настають правові наслідки, встановлені договором або законом, зокрема: 1) припинення зобов'язання внаслідок односторонньої відмови від зобов'язання, якщо це встановлено договором або законом, або розірвання договору;

Ст. 614 Вина як підстава відповідальності за порушення зобов'язання 1. Особа, яка порушила зобов'-

Art. 614 Verschulden als Voraussetzung der Haftung für die Verletzung einer Verbindlichkeit 1. Wer eine Verbindlichkeit verletzt

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язання, несе відповідальність за наявності її вини (умислу або необережності), якщо інше не встановлено договором або законом.

hat, haftet beim Vorliegen des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit), wenn nicht Abweichendes im Vertrag oder Gesetz vorgesehen ist.

Особа є невинуватою, якщо вона доведе, що вжила всіх залежних від неї заходів щодо належного виконання зобов'язання.

Eine Person ist nicht schuldig, wenn sie darlegen und beweisen kann, dass sie alle Maßnahmen ergriffen hat, die für die gehörige Erfüllung der Verbindlichkeit erforderlich waren. 2. Für das Fehlen des Verschuldens trägt die Person, die die Verbindlichkeit verletzt hat, die Beweislast. 3. Ein Rechtsgeschäft, durch welches die Haftung für vorsätzliche Verletzung einer Verbindlichkeit beschränkt oder ausgeschlossen wird, ist nichtig.

2. Відсутність своєї вини доводить особа, яка порушила зобов'язання. 3. Правочин, яким скасовується чи обмежується відповідальність за умисне порушення зобов'язання, є нікчемним. Ст. 622 Відповідальність і виконання зобов'язання в натурі 1. Боржник, який сплатив неустойку і відшкодував збитки, завдані порушенням зобов'язання, не звільняється від обов'язку виконати зобов'язання в натурі, якщо інше не встановлено договором або законом. 2. У разі відмови кредитора від прийняття виконання, яке внаслідок прострочення втратило для нього інтерес (стаття 612 цього Кодексу), або передання відступного (стаття 600 цього Кодексу) боржник звільняється від обов'язку виконати зобов'язання в натурі. 3. У разі відмови кредитора від договору (стаття 615 цього Кодексу)

Art. 622 Haftung und Erfüllung der Verbindlichkeit in natura 1. Hat der Schuldner die Vertragsstrafe bezahlt und den infolge einer Verbindlichkeitsverletzung verursachten Verlust ersetzt, so wird er nicht von der Pflicht zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit in natura befreit, es sei denn, im Vertrag oder Gesetz ist etwas anderes vorgesehen. 2. Weigert sich der Gläubiger, die Erfüllung, die infolge des Verzuges für ihn nicht mehr von Interesse ist (Artikel 612 dieses Gesetzbuches), oder die Abfindung (Artikel 600 dieses Gesetzbuches) anzunehmen, wird der Schuldner von der Pflicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit in natura befreit. 3. Tritt der Gläubiger vom Vertrag zurück (Artikel 615 dieses Gesetzbu-

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боржник звільняється від обов'язку ches), wird der Schuldner von der виконати зобов'язання в натурі. Pflicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit in natura befreit. Ст. 623 Відшкодування збитків, завданих порушенням зобов'язання 1. Боржник, який порушив зобов'язання, має відшкодувати кредиторові завдані цим збитки.

Art. 623 Verlustersatz infolge einer Verletzung der Verbindlichkeit

1. Hat der Schuldner eine Verbindlichkeit verletzt, so ist er zum Ersatz des hierdurch entstandenen Verlusts dem Gläubiger gegenüber verpflichtet. 2. Розмір збитків, завданих пору- 2. Der Gläubiger hat die Höhe des шенням зобов'язання, доказується wegen der Verletzung einer Verbindlichkeit entstandenen Schadens zu кредитором. beweisen. › › Ст. 678 Правові наслідки пере- Art. 678 Rechtsfolgen der Übergabe der Ware von nicht gehöriger дання товару неналежної якості Qualität 1. Покупець, якому переданий то- 1. Erhält der Käufer eine Ware von вар неналежної якості, має право, nicht gehöriger Qualität, ist er berechнезалежно від можливості викори- tigt, ohne Rücksicht auf die Möglichстання товару за призначенням, keit ihrer zweckgemäßen Verwenвимагати від продавця за своїм ви- dung nach seiner Wahl vom Verkäufer zu verlangen: бором: 1) eine entsprechende Minderung 1) пропорційного зменшення ціни; des Kaufpreises; 2) безоплатного усунення недоліків 2) die unentgeltliche Beseitigung der Mängel in angemessener Zeit; товару в розумний строк; 3) відшкодування витрат на усу- 3) den Ersatz der eigenen Aufwendungen für die Beseitigung der Mänнення недоліків товару. gel. 2. У разі істотного порушення вимог 2. Bei einem wesentlichen Verstoß щодо якості товару (виявлення gegen die Qualitätsanforderungen недоліків, які не можна усунути, (nicht behebbare Mängel, Mängel, die недоліків, усунення яких пов'язане nicht ohne unverhältnismäßigen Kosз непропорційними витратами або ten- und Zeitaufwand beseitigt wer-

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затратами часу, недоліків, які виявилися неодноразово чи з'явилися знову після їх усунення) покупець має право за своїм вибором: 1) відмовитися від договору і вимагати повернення сплаченої за товар грошової суми; 2) вимагати заміни товару. 3. Якщо продавець товару неналежної якості не є його виготовлювачем, вимоги щодо заміни, безоплатного усунення недоліків товару і відшкодування збитків можуть бути пред'явлені до продавця або виготовлювача товару. ›

den können, oder mehrmalig festgestellt werden oder nach ihrer Beseitigung von neuem auftreten) kann der Käufer nach seiner Wahl: 1) vom Kaufvertrag zurücktreten und den für die Ware gezahlten Geldbetrag zurückfordern; 2) den Ersatz der Ware verlangen. 3. Ist der Verkäufer der Ware von nicht gehöriger Qualität nicht deren Hersteller, so kann der Käufer Ersatzlieferung, unentgeltliche Mängelbeseitigung und Schadensersatz sowohl vom Verkäufer als auch vom Hersteller der Ware verlangen. ›

Ст. 711 Відповідальність за шкоду, завдану внаслідок недоліків товару 1. Шкода, завдана майну покупця, та шкода, завдана каліцтвом, іншим ушкодженням здоров'я або смертю у зв'язку з придбанням товару, що має недолік, відшкодовується відповідно до положень глави 82 цього Кодексу.

Art. 711 Haftung für den Schaden infolge eines Mangels der Ware 1. Ein Schaden, der dem Vermögen sowie dem Körper, der Gesundheit oder dem Leben des Käufers infolge des Erwerbs einer mangelhaften Ware zugefügt wurde, ist nach den Vorschriften des Kapitels 82 dieses Gesetzbuches zu ersetzen.

Ст. 714 Договір постачання енер- Art. 714 Vertrag über die Beliefeгетичними та іншими ресурсами rung mit Energie sowie mit anderen Ressourcen über das angeчерез приєднану мережу schlossene Netz 1. За договором постачання енер- 1. Durch den Vertrag über die Belieгетичними та іншими ресурсами ferung mit Energie sowie mit anderen через приєднану мережу одна сто- Ressourcen über das angeschlosseрона (постачальник) зобов'язується ne Netz verpflichtet sich eine Partei надавати другій стороні (спожива- (der Lieferant), eine andere Partei чеві, абонентові) енергетичні та (den Verbraucher, Abonnenten) mit

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інші ресурси, передбачені договором, а споживач (абонент) зобов'язується оплачувати вартість прийнятих ресурсів та дотримуватись передбаченого договором режиму її використання, а також забезпечити безпечну експлуатацію енергетичного та іншого обладнання. 2. До договору постачання енергетичними та іншими ресурсами через приєднану мережу застосовуються загальні положення про купівлю-продаж, положення про договір поставки, якщо інше не встановлено законом або не випливає із суті відносин сторін.

3. Законом можуть бути передбачені особливості укладення та виконання договору постачання енергетичними та іншими ресурсами.

Ст. 906 Відповідальність виконавця за порушення договору про надання послуг 1. Збитки, завдані замовнику невиконанням або неналежним виконанням договору про надання послуг за плату, підлягають відшкодуванню виконавцем, у разі наявності його вини, у повному обсязі, якщо інше не встановлено договором. Виконавець, який порушив договір про надання послуг за плату при здійсненні ним підприємницької

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vertraglichen vereinbarten Energiesowie anderen Ressourcen zu versorgen, und der Verbraucher (Abonnent) verpflichtet sich, die abgenommenen Ressourcen zu bezahlen sowie den vertraglich festgelegten Verbauchsplan einzuhalten und für die Betriebssicherheit der Energie- sowie anderer Geräte zu sorgen. 2. Auf den Vertrag über die Belieferung mit Energie sowie mit anderen Ressourcen über das angeschlossene Netz finden die allgemeinen Vorschriften und Regelungen zum Kauf Anwendung, die Regelungen zum Liefervertrag, soweit sich nichts anderes aus einem Gesetz oder dem Wesen der Verhältnisse zwischen den Parteien ergibt. 3. Durch ein Gesetz können die Besonderheiten des Abschlusses sowie der Erfüllung des Vertrages über die Belieferung mit Energie sowie anderen Ressourcen über das angeschlossene Netz geregelt werden. Art. 906 Haftung des Ausführenden für den Verstoß gegen einen Dienstleistungsvertrag 1. Verluste, die dem Dienstberechtigten durch Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung des Vertrages über die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt zugefügt wurden, sind vom Dienstverpflichteten bei Vorliegen seines Verschuldens in vollem Umfang zu ersetzen, sofern der Vertrag nichts anderes bestimmt. Für die Verletzung des Vertrages

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діяльності, відповідає за це порушення, якщо не доведе, що належне виконання виявилося неможливим внаслідок непереборної сили, якщо інше не встановлено договором або законом. ›

über die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt haftet der unternehmerisch tätige Dienstverpflichtete, soweit er nicht beweisen kann, dass die ordnungsgemäße Erfüllung infolge höherer Gewalt unmöglich war, es sei denn, dass der Vertrag oder das Gesetz etwas anderes vorsehen. ›

Ст. 1166 Загальні підстави відповідальності за завдану майнову шкоду 1. Майнова шкода, завдана неправомірними рішеннями, діями чи бездіяльністю особистим немайновим правам фізичної або юридичної особи, а також шкода, завдана майну фізичної або юридичної особи, відшкодовується в повному обсязі особою, яка її завдала.

Art. 1166 Die allgemeinen Voraussetzungen der Haftung für verursachten Vermögensschaden 1. Ein Vermögensschaden, der aufgrund einer rechtswidrigen Entscheidung sowie durch ein Tun oder Unterlassen persönlichen Nichtvermögensrechten einer natürlichen oder juristischen Person zugefügt wurde, sowie ein Schaden, der dem Vermögen einer natürlichen oder juristischen Person zugefügt wurde, ist vom Schädiger in vollem Umfang zu ersetzen. 2. Der Schädiger wird von der Esatzpflicht befreit, soweit er beweisen kann, dass der Schaden ohne sein Verschulden entstanden ist. 3. Ein Schaden aus der Verletzung des Körpers, der Gesundheit und des Lebens infolge höherer Gewalt wird in den gesetzlich vorgesehenen Fällen ersetzt.

2. Особа, яка завдала шкоди, звільняється від її відшкодування, якщо вона доведе, що шкоди завдано не з її вини. 3. Шкода, завдана каліцтвом, іншим ушкодженням здоров'я або смертю фізичної особи внаслідок непереборної сили, відшкодовується у випадках, встановлених законом. 4. Шкода, завдана правомірними діями, відшкодовується у випадках, встановлених цим Кодексом та іншим законом.

4. Ein durch rechtmäßige Handlungen hinzugefügter Schaden ist in den durch Gesetz bestimmten Fällen zu ersetzen.

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Ст. 1167 Підстави відповідаль- Art. 1167 Haftungsvoraussetzunності за завдану моральну шкоду gen für den verursachten moralischen Schaden 1. Моральна шкода, завдана фізич- 1. Ein moralischer Schaden, der inній або юридичній особі неправо- folge einer rechtswidrigen Entscheiмірними рішеннями, діями чи без- dung oder durch Tun oder Unterlasдіяльністю, відшкодовується осо- sen einer natürlichen oder juristiбою, яка її завдала, за наявності її schen Person verursacht wurde, ist вини, крім випадків, встановлених vom Schädiger zu ersetzen, soweit sein Verschulden vorliegt, außer in частиною другою цієї статті. den durch den Absatz 2 dieses Arti› kels vorgesehenen Fällen. › Ст. 1187 Відшкодування шкоди, завданої джерелом підвищеної небезпеки 1. Джерелом підвищеної небезпеки є діяльність, пов'язана з використанням, зберіганням або утриманням транспортних засобів, механізмів та обладнання, використанням, зберіганням хімічних, радіоактивних, вибухо- і вогненебезпечних та інших речовин, утриманням диких звірів, службових собак та собак бійцівських порід тощо, що створює підвищену небезпеку для особи, яка цю діяльність здійснює, та інших осіб. 2. Шкода, завдана джерелом підвищеної небезпеки, відшкодовується особою, яка на відповідній правовій підставі (право власності, інше речове право, договір підряду, оренди тощо) володіє транспортним засобом, механізмом, іншим об'єктом, використання, зберігання

Art. 1187 Ersatz des Schadens, der durch eine Quelle erhöhter Gefahr verursacht wurde 1. Als Quelle erhöhter Gefahr gilt die Tätigkeit, die mit der Nutzung, Aufbewahrung oder Haltung von Transportmitteln, Mechanismen und Ausrüstung, dem Gebrauch und der Aufbewahrung von chemischen, radioaktiven, explosions- und feuergefährlichen sowie anderen Stoffen, dem Halten von Wildtieren, Dienst- und Kampfhunden, u. ä., was eine erhöhte Gefahr für die Person, die diese Tätigkeit ausübt, sowie andere Personen schafft, verbunden ist. 2. Ein Schaden, der durch die Quelle erhöhter Gefahr verursacht wurde, ist von der Person zu ersetzen, die auf einer entsprechenden Rechtsgrundlage (Eigentumsrecht, anderes Sachenrecht, Werkvertrag, Mietvertrag etc.) Transportmittel, Mechanismen oder andere Objekte, deren Nutzung,

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5. Особа, яка здійснює діяльність, що є джерелом підвищеної небезпеки, відповідає за завдану шкоду, якщо вона не доведе, що шкоди було завдано внаслідок непереборної сили або умислу потерпілого.

Aufbewahrung oder Haltung eine erhöhte Gefahr hervorrufen, besitzt. 3. Die Person, die das Transportmittel, den Mechanismus oder ein anderes Objekt rechtswidrig in Besitz genommen hat und die durch dessen Nutzung, Aufbewahrung und Haltung den Schaden zugefügt hat, haftet dafür auf der Grundlage der allgemeinen Vorschriften. 4. Hat der Eigentümer (Besitzer) des Transportmittels, des Mechanismusses oder eines anderen Objekts dessen rechtswidrige Entziehung aus seinem Besitz durch eine andere Person verschuldet, so haben diese den durch dessen Nutzung, Aufbewahrung und Haltung zugefügten Schaden anteilig zu ersetzen, wobei die Anteile durch das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände von erheblicher Bedeutung bestimmt werden. 5. Die Person, deren Tätigkeit die Quelle erhöhter Gefahr darstellt, haftet für den zugefügten Schaden, es sei denn, sie kann beweisen, dass der Schaden infolge der höheren Gewalt oder des Vorsatzes des Geschädigten verursacht worden ist.

Ст. 1196 Відшкодування шкоди, завданої фізичній особі під час виконання нею договірних зобов'язань 1. Шкода, завдана каліцтвом, іншим ушкодженням здоров'я або смертю фізичної особи під час виконання нею договірних зобов'я-

Art. 1196 Ersatz des Schadens, der einer natürlichen Person bei der Erfüllung vertraglicher Verbindlichkeiten enstanden ist 1. Ein Schaden, der einer natürlichen Person aus der Verletzung des Körpers, der Gesundheit und des Lebens bei der Erfüllung vertraglicher Ver-

або утримання якого створює підвищену небезпеку. 3. Особа, яка неправомірно заволоділа транспортним засобом, механізмом, іншим об'єктом, завдала шкоди діяльністю щодо його використання, зберігання або утримання, зобов'язана відшкодувати її на загальних підставах. 4. Якщо неправомірному заволодінню іншою особою транспортним засобом, механізмом, іншим об'єктом сприяла недбалість її власника (володільця), шкода, завдана діяльністю щодо його використання, зберігання або утримання, відшкодовується ними спільно, у частці, яка визначається за рішенням суду з урахуванням обставин, що мають істотне значення.

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зань (договір перевезення тощо), підлягає відшкодуванню на підставах, встановлених статтями 1166 та 1187 цього Кодексу.

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pflichtungen (Beförderungsvertrag etc.) zugefügt wird, ist nach den Artikeln 1166 und 1187 dieses Gesetzbuches zu ersetzen.

Ст. 1209 Підстави відшкоду- Art. 1209 Voraussetzungen für den вання шкоди, завданої внаслідок Ersatz des Schadens infolge einer mangelhaften Ware, Arbeit (Dienstнедоліків товару, робіт (послуг) leistung) 1. Виготовлювач товару, що є не- 1. Hersteller von Waren, die Immobiрухомим майном, виконавець робіт lien darstellen, sowie der mit der Ar(послуг) зобов'язаний відшкодувати beit (der Dienstleistung) Beauftragter шкоду, завдану фізичній або юри- sind verpflichtet, den Schaden, den дичній особі внаслідок конструк- eine natürliche oder juristische Perтивних, технологічних, рецептурних son infolge von Herstellungs- und та інших недоліків товару, робіт technologischen Mängeln oder Män(послуг), а також недостовірної або geln, die auf die Zusammensetzung der Ware zurückzuführen sind, sonsнедостатньої інформації про них. tigen Mängeln oder infolge der unrichtigen bzw. unzureichenden Information darüber erleidet, zu ersetzen. Відшкодування шкоди не залежить Der Schadensersatz ist unabhängig від вини виготовлювача товару, що vom Verschulden des Herstellers von є нерухомим майном, виконавця Waren, die Immobilien darstellen, робіт (послуг), а також від того, чи sowie des mit der Arbeit (der Dienstперебував потерпілий з ними у до- leistung) Beauftragten sowie davon, ob zwischen diesen und dem Geговірних відносинах. schädigten ein Vertrag abgeschlossen war, zu leisten. 2. Виготовлювач товару, що є не- 2. Hersteller von Waren, die Immobiрухомим майном, виконавець ро- lien darstellen, sowie der mit der Arбіт (послуг) звільняються від від- beit (der Dienstleistung) Beauftragter шкодування шкоди, якщо вони до- werden von der Pflicht zum Schaведуть, що шкода виникла вна- densersatz befreit, wenn sie beweiслідок непереборної сили або по- sen, dass der Schaden infolge höheрушення потерпілим правил кори- rer Gewalt oder der Verletzung der стування або зберігання товару, geltenden Regeln des Gebrauchs und der Aufbewahrung der Ware, der результатів робіт (послуг). Ergebnisse der Arbeit (der Dienstleis-

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3. Підстави для відшкодування шкоди, завданої внаслідок недоліків товару, що є рухомим майном, у тому числі такого, що є складовою частиною іншого рухомого чи нерухомого майна, включаючи електроенергію, встановлюються законом.

Господарський кодекс від 16.01.2003 (витяг)

tung) durch den Geschädigten entstanden ist. 3. Die Voraussetzungen für den Ersatz des Schadens, der infolge von Mängeln an beweglichen Waren entsteht, die unter anderem einen Teil einer anderen beweglichen oder einer unbeweglichen Sache bilden, einschließlich Elektrizität, sind durch das Gesetz festgelegt.

України Wirtschaftsgesetzbuch der Ukraine vom 16.01.2003 (Auszug)1949

Ст. 1 Предмет регулювання 1. Цей Кодекс визначає основні засади господарювання в Україні і регулює господарські відносини, що виникають у процесі організації та здійснення господарської діяльності між суб'єктами господарювання, а також між цими суб'єктами та іншими учасниками відносин у сфері господарювання.

Art. 1 Regelungsgegenstand 1. Dieses Gesetzbuch legt die konstitutiven Grundsätz der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Ukraine fest und regelt die wirtschaftlichen Beziehungen, welche im Laufe der Organisation und Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit zwischen den Wirtschaftssubjekten untereinander und zwischen diesen und sonstigen Teilnehmern der wirtschaftlichen Beziehungen entstehen.

Ст. 173 Господарське зобов'язання 1. Господарським визнається зобов'язання, що виникає між суб'єктом господарювання та іншим учасником (учасниками) відносин у сфері господарювання з підстав, передбачених цим Кодексом, в силу якого один суб'єкт (зобов'язана

Art. 173 Wirtschaftliche Verbindlichkeit 1. Als wirtschaftliche gilt diejenige Verbindlichkeit, welche zwischen einem Wirtschaftssubjekt und einem anderen Teilnehmer (anderen Teilnehmern) der wirtschaftlichen Beziehungen unter in diesem Gesetzbuch vorgesehenen Voraussetzungen ent-

1949

Übersetzung der Verfasserin.

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сторона, у тому числі боржник) зобов'язаний вчинити певну дію господарського чи управлінсько-господарського характеру на користь іншого суб'єкта (виконати роботу, передати майно, сплатити гроші, надати інформацію тощо), або утриматися від певних дій, а інший суб'єкт (управнена сторона, у тому числі кредитор) має право вимагати від зобов'язаної сторони виконання її обов'язку. ›

steht, vermöge derer sich ein Subjekt (verpflichtete Partei, unter anderem der Schuldner) zur Vornahme bestimmter Handlungen wirtschaftlicher oder verwaltungswirtschaftlicher Art zugunsten des anderen Subjekts (nämlich eine Leistung zu erbringen, Vermögen zu übergeben, Geld zu bezahlen, Informationen zu verschaffen etc.) oder zur Unterlassung einer bestimmten Handlung verpflichtet und das andere Subjekt (Berechtigter, unter anderem der Gläubiger) die Erfüllung entsprechender Verpflichtung verlangen kann. ›

Ст. 216 Господарсько-правова відповідальність учасників господарських відносин ... 3. Господарсько-правова відповідальність базується на принципах, згідно з якими: - потерпіла сторона має право на відшкодування збитків незалежно від того, чи є застереження про це в договорі; - передбачена законом відповідальність виробника (продавця) за недоброякісність продукції застосовується також незалежно від того, чи є застереження про це в договорі; - сплата штрафних санкцій за порушення зобов'язання, а також відшкодування збитків не звільняють правопорушника без згоди другої сторони від виконання

Art. 216 Wirtschaftsrechtliche Haftung der Teilnehmer wirtschaftlicher Beziehungen ... 3. Die wirtschaftliche Haftung beruht auf folgenden Grundsätzen: - der Geschädigte ist zum Verlustersatz berechtigt, und zwar unabhängig davon, ob dies im Vertrag vorbehalten ist; - der Hersteller (der Verkäufer) der mit Mängeln behafteten Produktion haftet nach den gesetzlichen Vorschriften unabhängig davon, ob die Haftung im Vertrag vorbehalten ist; - die Zahlung der Strafsanktionen für die Pflichtverletzung sowie der Verlustersatz befreien die vertragsbrüchige Partei nicht ohne Zustimmung der anderen Partei von der Er-

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прийнятих зобов'язань у натурі; - у господарському договорі неприпустимі застереження щодо виключення або обмеження відповідальності виробника (продавця) продукції.

füllung der Verbindlichkeit in natura; - Vertragsbedingungen, aufgrund derer die Haftung des Produktionsherstellers (des Verkäufers) ausgeschlossen oder beschränkt wird, sind unzulässig.

Ст. 218 Підстави господарськоправової відповідальності 1. Підставою господарсько-правової відповідальності учасника господарських відносин є вчинене ним правопорушення у сфері господарювання. 2. Учасник господарських відносин відповідає за невиконання або неналежне виконання господарського зобов'язання чи порушення правил здійснення господарської діяльності, якщо не доведе, що ним вжито усіх залежних від нього заходів для недопущення господарського правопорушення. У разі якщо інше не передбачено законом або договором, суб'єкт господарювання за порушення господарського зобов'язання несе господарсько-правову відповідальність, якщо не доведе, що належне виконання зобов' язання виявилося неможливим внаслідок дії непереборної сили, тобто надзвичайних і невідворотних обставин за даних умов здійснення господарської діяльності. Не вважаються такими обставинами, зокрема, порушення зобов'язань контрагентами правопорушника, відсутність на ринку потрібних для виконання зобов'я-

Art. 218 Voraussetzungen der wirtschaftsrechtlichen Haftung 1. Voraussetzung für die wirtschaftsrechtliche Haftung eines Teilnehmers einer wirtschaftlichen Beziehung ist die von ihm verursachte Rechtsverletzung in der Wirtschaftssphäre. 2. Ein Teilnehmer der wirtschaftlichen Beziehungen haftet für die Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung einer wirtschaftlichen Verbindlichkeit oder für die Verstöße gegen die Regeln der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit, es sei denn, dass dieser beweisen kann, dass er alle von ihm abhängigen Maßnahmen für die Abwendung der wirtschaftlichen Rechtsverletzung ergriffen hat. Wenn etwas anderes im Gesetz oder Vertrag vorgesehen ist, haftet das Wirtschaftssubjekt für die Verletzung der wirtschaftlichen Verbindlichkeit dann nicht, wenn es beweisen kann, dass die gehörige Erfüllung der Verbindlichkeit wegen höherer Gewalt, nämlich außergewöhnlicher und nicht voraussehbarerer Umstände der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit, unterblieben ist. Als solche Umstände gelten insbesondere nicht Verletzungen der Verbindlichkeiten durch den Kontra-

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зання товарів, відсутність у борж- henten der vertragsbrüchigen Partei, ника необхідних коштів. das Fehlen der für die Erfüllung der Verbindlichkeit notwendigen Waren auf dem Markt, Fehlen der notwendigen Kosten beim Schuldner etc. Ст. 224 Відшкодування збитків 1. Учасник господарських відносин, який порушив господарське зобов'язання або установлені вимоги щодо здійснення господарської діяльності, повинен відшкодувати завдані цим збитки суб'єкту, права або законні інтереси якого порушено.

2. Під збитками розуміються витрати, зроблені управненою стороною, втрата або пошкодження її майна, а також не одержані нею доходи, які управнена сторона одержала б у разі належного виконання зобов'язання або додержання правил здійснення господарської діяльності другою стороною.

Art. 224 Verlustersatz 1. Der Teilnehmer wirtschaftlicher Beziehungen, der eine wirtschaftliche Verbindlichkeit oder die vorgesehenen Regeln der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit verletzt hat, ist zum Ersatz des dadurch entstandenen Verlusts dem Subjekt gegenüber, dessen Rechte und gesetzlichen Interessen verletzt wurden, verpflichtet. 2. Unter Verlust sind die von der berechtigten Partei gemachten Ausgaben, der Verlust oder die Beschädigung deren Vermögen sowie der von ihr nicht erzielte Gewinn, welchen die berechtigte Partei im Falle einer gehörigen Erfüllung der Verbindlichkeit oder der Einhaltung der Regeln der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit seitens der anderen Partei erhalten hätte.