Hadamars von Laber "Jagd": Untersuchungen zu Überlieferung, Textstruktur und allegorischen Sinnbildungsverfahren [Reprint 2012 ed.] 3484150793, 9783484150799

Hadamars von Laber "Jagd" ist die einflußreichste und wohl auch bedeutendste Minneallegorie des deutschen Spät

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Hadamars von Laber "Jagd": Untersuchungen zu Überlieferung, Textstruktur und allegorischen Sinnbildungsverfahren [Reprint 2012 ed.]
 3484150793, 9783484150799

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
0. Einleitung
1. Überlieferung und Textkritik
2. Variable Textgestaltung
3. Die Allegorie der Minnejagd
4. Zusammenfassung und Ausblick
5. Dokumentation
6. Anhänge
7. Literaturverzeichnis

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HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON HANS FROMM, JOACHIM HEINZLE, HANS-JOACHIM MÄHL UND KLAUS-DETLEF MÜLLER

BAND 79

ULRICH STECKELBERG

Hadamars von Laber >Jagd< Untersuchungen zu Überlieferung, Textstruktur und allegorischen Sinnbildungsverfahren

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1998

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Steckelberg, Ulrich: Hadamars von Laber >Jagd< : Untersuchungen zu Überlieferung, Textstruktur und allegorischen Sinnbildungsverfahren / Ulrich Steckelberg. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Hermaea ; N.F., Bd. 79) ISBN 3-484-15079-3

ISSN 0440-7164

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Buchbinder: Geiger, Ammerbuch

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Vorwort

Vielen habe ich zu danken, daß diese Arbeit entstehen konnte. Mein Dank gilt zunächst Herrn Professor Christoph Huber, der sie angeregt und mit konstruktiver Kritik und tatkräftiger Hilfe betreut hat. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dieter Wuttke, der das Korreferat übernommen und mir wertvolle Hinweise gegeben hat. Zu danken habe ich ferner den Herren Professoren Hans Fromm, Joachim Heinzle, Hans-Joachim Mähl und Klaus-Detlef Müller, die diese Arbeit in die Reihe »Hermaea« aufgenommen haben, Frau Uschi Kocher, M. A. und Frau Doris Spielvogel für die Korrekturarbeiten, der Studienstiftung des deutschen Volkes für die großzügige Unterstützung durch ein Promotionsstipendium und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für einen beträchtlichen Druckkostenzuschuß, der Bayerischen Staatsbibliothek, der Bibilioteca Batthyaneum, dem Hohenloh'sehen Zentralarchiv, der Osterreichischen Nationalbibliothek, der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, den Universitätsbibliotheken Erlangen, Heidelberg, Stuttgart und dem Max Niemeyer Verlag für die gute Zusammenarbeit. Vor allem aber danke ich meinen Eltern und meiner Frau Sabine, ohne deren Unterstützung, Ermunterung und Geduld diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre.

Inhalt

o. Einleitung

ι

ι . Überlieferung und Textkritik

9

1.1. Vorüberlegungen i . i. ι. Kritik der Stemmata Stejskals und Seemüllers

10 . . .

12

1.2. Untersuchung der Strophenfolgen

15

1.3. Untersuchung der Textfassungen

26

1.3.1. Die Gruppe A h

29

1.3.2. Die Gruppe C F b c g

35

1.3.3. Die Gruppe Β E a d e f

43

1.3.4. Die Überlieferung des Schlusses

46

1.4. Ein Überlieferungsmodell der >Jagd
JagdJagd< 5.1.2. Editionsprinzipien Zur Auswahl der Textpassagen und Handschriften . . Die Einrichtung der Ausgabe Der Apparat in der Edition Das Lesartenverzeichnis 5.2. Edition Textanfang in der Hs. A in der Hs. Β in der Hs. a in der Hs. g in der Hs. h Einschub in der Hs. A in der Hs. h Dialogstrophen Str. 2 7 1 - 2 7 7 in der Str. 2 7 1 - 2 7 7 in der Str. 271—277 in der Str. 284f. in der Hs. Str. 284f. in der Hs. Zweiter btl in der Hs. Β in der Hs. e in der Hs. h

Hs. Β Hs. g Hs. a a Β

187 188 199 199 205 208 209 212 212 212 2i6 222 227 232 237 237 249 255 255 258 261 264 266 267 267 275 283

Inhalt

XI

Schlußstrophen in der Hs. Β in der Hs. g in der Hs. / Lesartenverzeichnis

291 291 298 312 315

6. Anhänge Anhang 1 : Die Stemmata von Stejskal und Seemüller Anhang 2: Die Strophenfolgen der Handschriften

348 348 349

7. Literaturverzeichnis

352

o. Einleitung

In Arbeiten zur >Jagd< Hadamars von Laber 1 ist es fast schon ein Topos, mit dem Nachruf auf den Verfasser aus dem >Ehrenbrief< Jakob Püterichs von Reichertshausen zu beginnen: Und das er war im leben Von Labar herr Hattmar! Darumb so wollt ich geben, das mir miiest schaden noch vil manig jar, nur das ich hiet die gloß seins edeln dichtes. Was mir darvon khan sagen gar yemandt icht, so ist es alles nichtes/2

Püterichs abfälliges Urteil über die zeitgenössischen Interpretationsversuche mag cum grano salis zu nehmen sein. Doch seine Bewertung des edeln dichtes ist noch immer aktuell: Die im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts im Umfeld des bayerischen Hofes entstandene Jagdallegorie Hadamars ist nicht nur die einflußreichste, sondern neben der >Minneburg< wohl auch die bedeutendste deutsche Minneallegorie. Zugleich gilt sie als schwieriger und verworrener Text, der vielleicht gerade deshalb von der Forschung vernachlässigt wurde, obwohl er einer Auslegung dringend bedarf. Die >Jagd< ist in fast jeder Hinsicht problematisch. Schon der Uberlieferungsbefund stellt den Philologen vor erhebliche Komplikationen. Jede der siebzehn Handschriften bietet eine eigene Version — weniger in bezug auf die Lesarten, als vielmehr hinsichtlich der Strophenzahl und -folge. Hinzu kommt eine assoziative Beliebigkeit der Strukturierung, die unter dem Aspekt einer systematischen Tektonik nur als »Debakel« zu bezeichnen ist (Glier 1 9 7 1 , S. 165). Auch die anspruchsvolle Form der sich selbst deutenden Handlungsallegorie erleichtert nicht gerade das Verständnis. Der Leser erhält keine explizite glose, sondern muß die Jagddarstellung von sich aus fortwährend auf die allegorische Ebene der Minnelehre übertragen. Darstellungs- und Reflexionsebene können kaum voneinander abgegrenzt 1

2

Herausgegeben von Schmeller 1 8 5 0 und Stejskal 1880. Ich stütze mich im folgenden auf die kritische Ausgabe Stejskals. Str. 50. Zitiert nach Mueller 1985, S. 83, die allerdings nach V. 4 einen Punkt und nach V. 5 ein Komma setzt.

2

Einleitung

werden, was zu einem überaus komplexen Netz von Sinnbezügen führt. Und schließlich erscheint auch die Tatsache, daß Hadamar ein im Grunde entwicklungsloses Konzept wie die Hohe Minne handlungsallegorisch durchspielt, zutiefst widersprüchlich: Die unnahbare Dame wird zum vom Jäger (= Mann) und seinen Hunden (= Tugenden, Eigenschaften usw.) gehetzten Wild. Die Palette möglicher Untersuchungsgegenstände und offener Fragen ist breit gefächert. Thema dieser Arbeit sind Überlieferung, Komposition und allegorische Sinnbildungsverfahren der >JagdJagd< ergibt sich aus diesen Vorüberlegungen die Frage, ob der überaus komplizierte Überlieferungsbefund allein auf Widrigkeiten im Kopierprozeß zurückzufuhren ist oder nicht auch auf spezifische Gestaltungsprinzipien Hadamars. Es wird untersucht, ob und - wenn dies der Fall sein sollte - welche Zusammenhänge zwischen den Problemen der Textkritik der >Jagd< und ihrem unübersichtlichen Aufbau sowie der vielschichtig und »dunkel« konstruierten Allegorie bestehen. Daß hinter dem Bemühen, die Interdependenz dieser Fragen aufzuzeigen, die Suche nach Lösungsmöglichkeiten steht, muß nicht eigens betont werden. Die einzelnen Untersuchungsschritte zu den drei Schwerpunkten können nur aus dem gegenwärtigen Forschungsstand zur >Jagd< entwickelt werden. Denn durch den zunächst nur postulierten, im Verlauf der Arbeit noch zu belegenden engen Bezug zwischen den Problemen der Textkritik und der Interpretation von Textstrukturen und Allegorie wird in gewisser Hinsicht auch eine Synthese zentraler Fragestellungen der bisherigen Hadamar-Philologie versucht.

Einleitung

3

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der >Jagd< beginnt mit den Aufsätzen Mones ( 1 8 2 6 und 1830), die das Untersuchungsinteresse für das restliche 19. Jahrhundert festlegen sollten: Identifizierung und Biographie des Dichters, 3 Analyse der Handschriften und Erstellung einer Ausgabe. Ein erstes wichtiges Ergebnis dieser Bemühungen ist die Ausgabe von Schmeller 1 8 5 0 (Nachdruck: Amsterdam 1968), der die Strophenfolge der Erlanger >JagdJagd< wurde dann 1880 von Karl Stejskal vorgelegt. Stejskal hatte die Uberlieferung der >Jagd< zuvor in einem Aufsatz untersucht (Stejskal 1 8 7 8 ) und eine Handschriftengenealogie konstruiert (vgl. Anhang 1). Seine auf dieser Basis erstellte Edition orientiert sich hinsichtlich der Strophenfolge an Schmellers Ausgabe, hinsichtlich des Wortlauts an der ältesten Handschrift der >JagdJagd< wurden mit der Ausgabe Stejskals eher abgebrochen als abgeschlossen. Die Kollation der Handschriften, die Überprüfung der Überlieferungsverhältnisse und ggf. die

3

4

Diese Frage kann seit Stejskals Sammlung der Belegstellen (Stejskal 1878, S. 2 6 9 - 2 8 0 ) als geklärt gelten: Daß es sich um Hadamar III. von Laber handelt (vgl. Glier 1 9 7 1 , S. I 5 7 f ), muß — sofern keine neuen Quellen gefunden werden — allerdings eine nicht beweisbare These bleiben. Von Hadamar ist mit einiger Wahrscheinlichkeit nur die >Jagd< überliefert. Bartsch 1 8 8 1 , Seemüller 1 8 8 1 , Tomanetz 1 8 8 1 und Wilmanns 1 8 8 1 . Eine ausführliche Kritik der Ausgabe findet sich auch bei Hese 1936, S. 1 2 3 - 1 3 5 .

4

Einleitung

Revision der Ausgaben bleiben noch immer dringende Aufgaben der Hadamar-Forschung. Gerade hinsichtlich der einseitigen Ausrichtung Stejskals auf einen einzigen, weitgehend rekonstruierbaren Archetypus ist Vorsicht angebracht. Die heutige Textkritik ist in dieser Frage zu Recht weitaus weniger optimistisch als das 19. Jahrhundert. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der >Jagd< trat in der älteren Forschung gegenüber dem Ziel einer Edition in den Hintergrund. 5 Gervinus' vernichtendes Urteil dürfte abschreckend gewirkt haben: Zwar enthalte die >Jagd< »vereinzelt die überraschendsten Bilder und Gleichnisse«, letztlich aber überwiege, wie auch sonst in der mhd. Minneallegorie, der Eindruck des »eintönigen Fluß des Ganzen«, (Gervinus 1 8 4 2 , S. 227) eines schwulstigen Produkts der »unpoetischsten Zeiten« (Gervinus 1 8 4 2 , S. 235). Diese stiefmütterliche Behandlung teilt die >Jagd< mit den anderen Minnereden. Eine Umorientierung bewirkten hier erst Ranke 1 9 3 3 und die Artikel Niewöhners in der ersten Auflage des Verfasserlexikons. Wie vorher schon Matthaei 1 9 0 7 bemühten sie sich um eine Klassifizierung der diffusen Masse überlieferter Minnereden. Auch Fragen nach literaturgeschichtlicher Funktion und geistesgeschichtlichem Horizont wurden zum ersten Mal differenzierter betrachtet. Für die Hadamar-Forschung noch heute von Bedeutung ist Niewöhners Uberblick über die Rezeption der >Jagd< im Spätmittelalter (Niewöhner 1 9 3 6 a, Sp. i33ff.). Die erste - und bislang einzige - umfassende Arbeit zu Hadamars >Jagd< legte 1 9 3 6 die Ranke-Schülerin Hese vor. Ziel ihrer Dissertation ist es, »Anfang und Voraussetzung« zukünftiger Untersuchungen zu sein, indem versucht wird, »die Allegorie zu deuten und das verwirrende Vielerlei der Dichtung übersichtlich zu machen« (Hese 1 9 3 6 , S. 8). Heses Arbeit erfüllt also eine doppelte Funktion: Man kann sie zum einen als Kommentar zur >Jagd< benutzen, der die von Hadamar verwendeten Fachtermini anhand eines frühneuzeitlichen Jagdlehrbuchs erklärt, die Canifizierungen zu deuten versucht und schwierige Stellen übersetzt bzw. paraphrasiert. Z u m anderen entwickelt Hese eine eigenständige Interpretation zu Minnekonzeption, Struktur und allegorischen Verfahrensweisen. Heses Dissertation ist Grundlage aller späteren Untersuchungen der >JagdJagdJagd< unbeantwortet. Eine intensivere Forschungsdiskussion zur >Jagd< hat Heses Arbeit nicht anregen können. 7 Erst Blank 1 9 7 0 und Glier 1 9 7 1 haben sich in ihren umfassenden Gesamtdarstellungen zur mittelhochdeutschen Minneallegorie bzw. -rede wieder ausführlicher mit der >Jagd< befaßt. Die systematische Erfassung, Klassifizierung und Untersuchung der diffusen Gattung hatten schon Ranke und Niewöhner gefordert; gescheitert war sie an der 6

Ergänzt wird die Darstellung durch Exkurse zu den Dialogen, den allegorischen Reflexionen, die sich nicht auf den Bildbereich der J a g d beziehen, und zu Stejskals Ausgabe.

7

Teilaspekte untersuchten Gruenter 1 9 5 5 , der in der Marke-Jagd eine Quelle für Hadamar sieht, und Kreisselmeier 1 9 5 7 .

6

Einleitung

schier unüberschaubaren Fülle des Überlieferten, 8 das sich obendrein nicht mit gängigen literarhistorischen Gliederungen fassen läßt. Von unterschiedlichen, sich jedoch ergänzenden Fragestellungen ausgehend, haben Blank und Glier diese lange vernachlässigte Forschungslücke geschlossen. Blanks Anliegen ist es, »eine systematische Formenbeschreibung [der deutschen Minneallegorie; d. Verf.] auf Grund innerer Kriterien zu entfalten« (Blank 1 9 7 0 , S. 4), d.h. hinsichtlich ihrer gattungsspezifischen Darstellungsprinzipien und Funktionen. Er unterscheidet zwei Gruppen: »Konstruktionsallegorien« (wie Gottfrieds Minnegrotte), in denen es um das Wesen der Minne geht, und Personifikationsallegorien, die v. a. die gesellschaftsbezogenen Wirkungen der Minne behandeln. Letztere werden noch einmal unterteilt in die Handlungsallegorie à la Hadamar, in der die Aktivitäten der Personifikationen (im Falle der >JagdMinneallegorie< ist als der Versuch anzusprechen, das Ganze zu erfassen. Eine Form allein vermag nicht mehr alles zu leisten« (Blank 1 9 7 0 , S. 253). Geht es Blank vor allem um eine systematische Erfassung des Phänomens Minneallegorie, so steht fìir Glier die literarhistorische Gesamtdarstellung der umfassenderen Gattung der Minnereden im Vordergrund, die durch einen typologischen Überblick zu Überlieferung, Motivik und Darstellungsformen ergänzt wird. Ausgehend von den mhd. Vorläufern der Minnereden (etwa Hartmanns >Klage< oder der >Frauenehre< des Strickers), entwickelt sie zeitlich, räumlich und, soweit möglich, nach Autoren gegliedert, die wichtigsten Traditionslinien bis zum Ausklingen der Gattung gegen Ende des 1 5 . Jahrhunderts. 9 Eine grundlegende Neuinterpretation der >Jagd< wird im Rahmen ihrer ausführlichen »Bestandsaufnahme« allerdings nicht angestrebt (Glier 1 9 7 1 , S. 14). Wie schon Blank 1 9 7 0 in seiner

8 9

Erst das thematisch gegliederte Verzeichnis von Brandis 1968 hat hier Abhilfe geschaffen. Im Rahmen dieser Untersuchungen bietet sie auch den bislang einzigen literarhistorischen Uberblick über die Hadamar-Tradition im 15. Jahrhundert. (Ein Überblick zur Überlieferungsproblematik dieser Texte findet sich bereits bei Glier 1968) Sie unterscheidet drei Linien der Rezeption: Einmal wird Hadamar häufig als Autorität in Minnefragen erwähnt, zum anderen regt seine Jagdallegorie Nachbildungen an, und drittens werden die stilistischen Tendenzen der >Jagd< von späteren Autoren nachgeahmt.

Einleitung

7

passim durchgeführten Analyse orientiert sich Glier an der Arbeit Heses, deren Ergebnisse sie allerdings des öfteren skeptisch beurteilt ( z . B . die Ausführungen zur Textstruktur) und zum Teil revidiert ( z . B . zur Minnekonzeption der >JagdJagd< zu beheben, ist ein vorrangiges Ziel meiner Arbeit. Der kursorische Forschungsüberblick hat gezeigt, daß die erneute textkritische Auseinandersetzung

mit dem Überlieferungsbefund am

Aus-

gangspunkt einer Neuinterpretation der >Jagd< stehen muß — schon aufgrund der offenkundigen methodischen und inhaltlichen Mängel der A r beiten Stejskals. Die beträchtlich voneinander abweichenden Strophenfolgen sind hier noch immer das zentrale Problem. Insbesondere gilt es zu klären, ob die von Stejskal unreflektiert übernommene genealogische Betrachtungsweise der >Jagd< überhaupt angemessen ist. Sofern dies nicht der Fall ist — und das ist angesichts der komplizierten Verhältnisse eher anzunehmen —, muß dargelegt werden, welcher Stellenwert den einzelnen Fassungen der >Jagd< zukommt und wie ein Überlieferungsmodell der >Jagd< aussehen könnte, das den Befund adäquat erklärt. A u f dieser Basis sollen die Konsequenzen für eine evtl. Neuausgabe dargelegt werden. Hier wird die kritische Ausgabe Stejskals allerdings nur durch den A b d r u c k der wichtigsten von ihr abweichenden Überlieferungsvarianten im Dokumentationsteil der Arbeit ergänzt. Dabei handelt es sich um umfangreiche und komplexe Varianten in der Strophenfolge, die sich nicht ohne weiteres aus den Ausgaben rekonstruieren lassen.

10

Mit der >Jagd< hat sich beispielsweise nur Thiébaux 1 9 7 4 etwas ausfuhrlicher beschäftigt. Im Rahmen ihres Überblicks über die mittelalterliche Minnejagd deutet sie einige der zentralen allegorischen Motivkomplexe der Allegorie (Brackenseil, W i l d , Speisemetaphorik usw.). N i c h t viel besser steht es um die >MinneburgKlosters der Minne< aus der (vormals) Donaueschinger Liederhandschrift von Schierling 1 9 8 0 sowie durch die Ausgabe der Minnereden in der Wiener Hs. 2 7 9 6 und dem C p g 3 4 8 von Mareiner 19841?.

8

Einleitung

Auch hinsichtlich des Aufbaus der >Jagd< muß m.E. ein neues Beschreibungsmodell gefunden werden. Anstelle in Anlehnung an Hese von einem Zerfallen der Textstrukturen zu sprechen, soll versucht werden, ein Bearbeitungsprinzip nachzuweisen, das dem gesamten Text angemessen ist. Die Überlieferungsproblematik ist in dieser Hinsicht eine methodische Hilfe; denn Umstellungen der Strophenfolge können auf die Prinzipien des Textaufbaus hinweisen. Sofern ihnen eine gestalterische Absicht zugrunde liegt, sind sie im Grunde sogar ein historisch bezeugtes Mittel der Textkonstitution. Durch die vergleichende Interpretation der überlieferten Fassungen kann der Text im Hinblick auf die Faktoren untersucht werden, die die Veränderungen seiner Abfolge in der Überlieferung ermöglichen. Nicht allein die Tatsache, daß Verbindungen zwischen den Strukturelementen bestehen, ist von Interesse, sondern auch die Frage, wie determiniert bzw. offen diese sind und welche Möglichkeiten der Veränderung sie zulassen. Die Edition im Dokumentationsteil wird hierfür als Arbeitsgrundlage dienen. Die Strukturanalyse fuhrt schließlich auf die Frage nach den allegorischen Sinnbildungsverfahren der >JagdJagd< ist die Textgestaltung, insbesondere die Frage nach Anzahl und Abfolge der Strophen. 1 Der Überlieferungsbefund ist äußerst diffus: Von den dreizehn vollständigen Handschriften und vier Fragmenten 2 bietet jede eine andere Strophenzahl und -folge (siehe Anhang 2). Schmeller, der erste Herausgeber der >JagdJagd< nie existiert hat. Anzunehmen ist vielmehr, daß Hadamars Dichtung ein variabler Text 3 ist. Demnach repräsentieren die Handschriftengruppen verschiedene, eigen1

Ich benutze im folgenden die Strophennumerierung der Ausgabe Stejskals 1880, obwohl ihre Strophenfolge am Textanfang von keiner einzigen Handschrift überliefert ist. Strophen, die in weniger als der Hälfte der Textzeugen überliefert sind, werden von Stejskal im Anhang abgedruckt und mit Kleinbuchstaben gekennzeichnet. Stejskal 1878 und Seemüller 1 8 8 1 verwenden die Strophenzählung der Ausgabe Schindlers. * Von diesen habe ich die Heidelberger Cpg 326 (=b), 376 (=f), 455 ( = £ ) und 729 (=d), die Erlanger Hs. 1697 (=e), die Neuensteiner Hs. HdV 1 (=/) sowie die Karlsruher, ehemals Donaueschinger Hs. 92 (=g) im Original benutzt. Nicht zugänglich war mir das Innsbrucker Fragment. Das Tullner Fragment ist abgedruckt bei Schützner 1 9 5 2 , S. 1 7 9 1 8 2 , das Löwener Fragment (=D aus: Col. Ag. 1 5 2 4 ) bei Mone 1830, S. 2 2 6 - 2 3 0 . Von allen anderen Hss. und dem Berliner Fragment standen mir Mikrofilme zur Verfügung. Die Laa. der Karlsburger Hs. III 70 (=C) verzeichnet Gragger 1 9 2 1 , S. 42 — 56, die des Cpg 376 (=c) Matthaei 1 9 1 3 , S. 1 5 9 - 1 6 4 . Die Laa. des Innsbrucker Fragments (Landesreg. arch. 2 1 , III) finden sich bei Rosenfeld 1930, S. 4 4 - 4 7 . Alle bisher gefundenen Hss. mit Sekundärliteratur verzeichnet Brandis 1968, S. 2 0 1 - 2 0 3 . Zur Beschreibung der Hss. siehe den Dokumentationsteil. 3

Vgl. Kühnel 1976, der die wichtigsten Merkmale variabler Textgestaltung knapp skizziert.

IO

Überlieferung und Textkritik

ständige und gleichberechtigte Fassungen des Textes, die fiir sich und im Vergleich mit den anderen Versionen zu analysieren sind. Dies wird anhand einer Untersuchung von Strophenfolgen und Lesarten belegt.

i.i.

Vorüberlegungen

Stejskal und Seemüller begründen ihre Textgestaltung fast ausschließlich mit stemmatischen Überlegungen. Stejskal geht dabei synthetisch vor, d. h. er ordnet die Handschriften nach Ähnlichkeiten in der Strophenfolge zu Gruppen, während sich Seemüller an der analytischen Methode Lachmanns orientiert — die Handschriften also nach gemeinsamen Fehlern in der Strophenfolge gruppiert - , die sich in der Philologie durchgesetzt hat. Allerdings kann selbst ein analytisch erschlossenes Stemma meist keine Verbindlichkeit beanspruchen. Die Adäquatheit der genealogischen Lachmann-Philologie angesichts der realen Bedingungen mittelalterlicher Überlieferung ist bekanntlich nach heutiger Erkenntnis häufig fragwürdig. Denn eine genealogische Abhängigkeit von Handschriften kann nur unter eng eingeschränkten Bedingungen untersucht werden (vgl. Stackmann 1 9 6 4 , S. 246f.). Zwar können durch ein Stemma komplizierte Zusammenhänge überschaubar dargestellt werden, doch bleibt diese Darstellungsweise an vertikale Abhängigkeitsverhältnisse gebunden. Die Lachmannsche Stemmatik funktioniert nur in einer streng hierarchischen, d.h. geschlossenen und weitgehend kontaminationsfreien Überlieferung, in der eindeutige Leitfehler die Verwandtschaft bestimmen. Derartige Verhältnisse sind in der mittelalterlichen Überlieferung jedoch eher die Ausnahme als die Regel. 4 Fraglich ist auch die Grundannahme der Stemmatik, die als Ausgangspunkt der gesamten Überlieferung einen einzigen Archetypus postuliert, somit die Existenz von mehreren, gleichberechtigten Autorvarianten prinzipiell ausschließt (Stackmann 1964, S. 246—248). 5 Schweikle, der wohl am heftigsten für eine »radikale Lösung vom Lachmann-Epigonentum« 4

5

Bumke 1991 verzeichnet die in den letzten Jahren erschienene Literatur, die sich kritisch mit der Lachmannschen Methodik auseinandersetzt. Er resümiert: »Nur der höfische Roman ist von der Auseinandersetzung um die traditionelle Textkritik weitgehend unberührt geblieben. [...] Mit Betroffenheit stellt man fest, daß das, was als das methodische Fundament der ganzen Altgermanistik betrachtet wurde, eher ein Sonderfall ist, der nur für eine Handvoll Texte gilt.« (Bumke 1 9 9 1 , S. 288) Was für moderne Dichter selbstverständlich ist, wurde für das Mittelalter bisher kaum in Erwägung gezogen. Vgl. jetzt aber die Untersuchung von Sturlese 1992 zur Überlieferung von Meister Eckharts >Opus tripartitumJagd< nur im Ausnahmefall mit Sicherheit klären. Zentrales Problem der synthetischen Methode Stejskals ist das hohe Maß an Subjektivität, das notwendigerweise in die Beurteilung mit einfließt. Dies führt zu einer Fülle von kleineren und größeren Fehlern. Einige Beispiele: 1 . Im von Stejskal rekonstruierten Hyparchetypus y fehlt angeblich Str. 5, obwohl sie in der von y abgeleiteten Gruppe Feg laut Stejskal " " 13

14

V g l . Heinzle 1 9 7 8 , S. 1 0 9 - 1 1 2 , der einige prägnante Beispiele verzeichnet. Schweikle bemerkt, daß die Annahme, ein Autor habe immer auf dem selben ästhetischen Niveau gearbeitet, unwahrscheinlich ist (Schweikle 1 9 8 5 , S. 10). Hruby verweist auf logische Widersprüche in den Grundprinzipien der genealogischen Methode, die dazu führen, daß sie oft genug auf einer nicht reflektierten petitio prineipii des Textkritikers beruht (Hruby 1 9 8 4 , S. 1 2 2 - 1 2 5 ) . Stejskal 1 8 7 8 , S. 2 8 9 begründet dies lapidar damit, daß die Laa. seine Ergebnisse stützen. Beweise bringt er nicht.

Kritik der Stemmata Stejskals und Seemüllers

13

vorhanden ist. 2. In der Hs. Λ folgen auf Str. 1 7 1 die Str. 1 7 8 - 1 7 9 . In tv, der von Stejskal rekonstruierten Vorlage von A, sollen diese Strophen dann fehlen. 3. Für die Handschriftengruppe Β C b d/konstatiert Wiederholung von Str. 1 4 * . 1 5 *

15

er die

nach Str. 5 0 1 , ungeachtet dessen, daß

nur zwei der fünf Handschriften, nämlich Β u n d / d i e s e Strophe wiederholen. 4. Umgekehrt läßt Stejskal diese Gruppe mit Str. 5 1 9 abbrechen, obwohl Β und b erst mit Str. 5 3 5 enden. (Er projiziert diesen Befund auch auf seinen Hyparchetypus y. Demnach müßten fünf der neun Handschriften der Gruppe y am Schluß kontaminiert sein.) Gerade die beiden letzten Beispiele zeigen deutlich, daß für Stejskal an einer Stelle ein einwandfrei überliefertes Merkmal ist, was an anderer Stelle zur Kontamination erklärt wird. Methodisch begründen läßt sich das nicht, und tatsächlich verzichtet Stejskal in der Regel auf Begründungen. Auch die in Seemüllers Analyse als fehlerhaft bezeichneten Varianten in der Strophenfolge — nämlich umgestellte, wiederholte, fehlende oder zusätzlich eingeschobene Strophen — sind meist keine unzweideutigen Leitfehler. Fehlende Strophen etwa verlieren ihre ohnehin geringe Beweiskraft in Handschriften, die im Vergleich mit anderen Textzeugen häufig lückenhaft sind. Seemüller schließt beispielsweise auf eine gemeinsame Herkunft der Hs. A und der Handschriftengruppe Β C b d f , weil in allen Handschriften Str. 2 7 6 fehlt (Seemüller 1 8 8 1 , S. 38). Da in A jedoch öfters einzelne Strophen fehlen, kann die Übereinstimmung auch zufällig sein. Str. 2 7 6 fehlt nämlich auch in der Hs. c, die laut Seemüller unabhängig von B C b d f ist. Hinzu kommt, daß Wiederholungsstrophen grundsätzlich im postulierten Archetypus gestanden haben können, welche dann in späteren Redaktionen getilgt worden sind. 1 6 Es ist sogar denkbar, daß schon Hadamar Strophen wiederholte, um sein Publikum auf bestimmte Zusammenhänge aufmerksam zu machen. Reversibilität der Varianten ist in diesen Fällen gegeben, so daß sich nicht mehr klären läßt, was ursprünglich und was Redaktion ist. Dies gilt in noch höherem Maße für die achtzehn sog. »Zusatzstrophen«, die in weniger als der Hälfte der Handschriften auftauchen und die Stejskal deshalb nur im Anhang abdruckt. Es gibt drei gleichermaßen problematische Alternativen: Die Strophen sind unecht, sie sind echt und standen schon im Archetypus oder sie sind Autorvarianten, d.h. frühere

15 16

Wiederholungsstrophen kennzeichne ich ebenso wie Stejskal und Seemüller mit *. Hierfür spricht übrigens, daß die Laa. der Wiederholungsstrophen im allgemeinen leicht von der ersten Fassung der Strophe abweichen.

14

Überlieferung und Textkritik

oder spätere Redaktionen Hadamars. Geht man von unechten, d. h. nicht direkt auf Hadamar zurückgehenden Strophen aus, müßte man auch an anderer Stelle mit solchen Strophen rechnen. Da aber nur zwei lückenhafte Handschriften (die Hss. C und d) keine Zusatzstrophen enthalten, hätte das weitreichende Konsequenzen für die Textkritik. Bei echten Strophen eines Archetypus stellt sich die Frage, warum sie in anderen Handschriften fehlen. Der überlieferte Text wäre somit als prinzipiell lückenhaft anzusehen. Die Existenz von Autorvarianten schließlich impliziert, daß ein einziger Urtext der >Jagd< nie existiert hat, sondern daß bestimmte Textpartien mehrmals vom Autor überarbeitet wurden. Jede dieser drei Möglichkeiten läßt erhebliche Zweifel an der Aussagekraft eines Stemmas aufkommen. Die Umstellung von Strophengruppen schließlich erhält in den Stemmata von Stejskal und Seemüller eine zentrale Bedeutung, da die Hyparchetypen auf diese Weise voneinander getrennt werden. Stejskal bestimmt den Hyparchetypus y durch die »fehlerhafte« Anordnung der Strophen des Gesprächs mit dem alten Jäger (Str. 2 4 1 . 2 7 1 - 2 7 3 . 562. 2 7 4 - 2 7 7 . 2 4 2 270. 278) gegenüber der »richtigen« Strophenfolge in den Hss. E a e h (Str. 2 4 1 - 2 7 8 ) . Zufällige Übereinstimmung der Handschriften kann hier zwar ausgeschlossen werden, doch gibt es keinen Grund zur Annahme, daß die Variante in y nur aus E a e h entstanden sein kann und nicht umgekehrt. Da beide Hyparchetypen des Stejskalschen Stemmas grundsätzlich gleichwertig sind, und Stejskal seine Entscheidung nicht einmal mit inhaltlichen oder stilistischen Kriterien begründet (es m.E. auch gar nicht könnte; s.u. S. 98), läßt sich nicht klären, welches die ursprüngliche Strophenfolge ist. Im Gegensatz zu Stejskal hat Seemüller dieses Problem erkannt. Sein Lösungsvorschlag ist streng »mechanisch«. Tatsächlich, so Seemüller, gebe es nicht zwei, sondern drei Hyparchetypen, da ein die Handschriftengruppen E a und e h verbindender, allen vier Handschriften gemeinsamer Fehler nicht existiere (Seemüller 1 8 8 1 , S. 43). Folglich ließe sich die korrekte Strophenfolge des Archetypus durch die Übereinstimmung zweier Hyparchetypen gegen den dritten bestimmen (Seemüller 1 8 8 1 , S. 46). Im obigen Falle erweise also die übereinstimmende Strophenfolge in E a und e h, daß in ihnen die ursprüngliche Anordnung enthalten sei. Es handelt sich um einen Zirkelschluß: Die Prämisse, daß die Strophenfolge in ABCFbcdfg(=y) falsch ist, bedingt das Ergebnis, nämlich daß E a und e h keinen gemeinsamen Fehler haben und y deshalb unecht ist. Der Umkehrschluß, daß die Handschriftengruppen Α Β C b df und F c g keinen gemeinsamen Fehler gegenüber der Gruppe E a e h haben, wäre ebenfalls denkbar und somit auch ebenso falsch. Die Versuche Stejskals

Untersuchung der Strophenfolgen

15

und Seemüllers, einen normativen Archetypus der >Jagd< zu rekonstruieren, müssen demnach als gescheitert betrachtet werden.

1 . 2 . U n t e r s u c h u n g der Strophenfolgen Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist ein Urtext der >Jagd< nicht rekonstruierbar. Selbst eine methodisch einwandfrei durchgeführte Analyse der Lesarten ist in dieser Hinsicht wenig erfolgversprechend, da sie mit dem Überlieferungsbefund der Strophenfolgen adäquat sein müßte. Dieser aber ist keineswegs so eindeutig, wie die Gruppierungen von Stejskal und Seemüller vermuten lassen. Vielmehr untergraben komplexe Wechselbeziehungen der verschiedenen Handschriften die zentrale Voraussetzung einer Handschriftengenealogie, daß übereinstimmende Varianten Handschriften verbinden bzw. von anderen Handschriften abgrenzen können. Eine stemmatische Aufgliederung der verschiedenen Fassungen und ihre Herleitung aus einem einzigen Archetypus wird den tatsächlich vorhandenen Parallelen der Handschriften nicht gerecht. Seemüller hat diese Problematik zumindest teilweise erkannt. So konstatiert er für die Handschriftengruppe Β C b d f. »Die analytische Methode führt hier durchaus auf Kreuzungen, die sich gegenseitig [ . . . ] aufheben« (Seemüller 1 8 8 1 , S. 39). Die fünf Handschriften stimmen in folgenden Varianten überein: ι. In C b fehlt Str. 339. Auf die ersten fünf Verse von Str. 90 folgen 9 1 , 3 - 4 als Schlußverse. 2. In Β b stehen vor Str. 525 die Str. m. η. o. Beide Hss. enden mit Str. 5 3 5 und werden unmittelbar von >Des Minners Klage< und >Der Minnenden Zwist und Versöhnung< umrahmt (in Β nur bruchstückhaft). 3 . C d brechen mit Str. 5 1 9 ab. 4. Β/wiederholen nach Str. 501 die Str. 1 4 * und 1 5 * . 5. In d/fehlen Str. 8 und 9 (vgl. Anhang 2).

Schematisch läßt sich dieser Befund so darstellen: 1 2 3 4 5

A/W\

C

b

Β

f

d

Die letzte Übereinstimmung könnte zufällig sein. Ansonsten aber sind gegenseitige Einflüsse der Handschriften offensichtlich. Eine genealogische Interpretation, die auf einer linearen Tradierung von Varianten in nachfolgende Handschriftengenerationen basiert, versagt hier und müßte zur

ι6

Überlieferung und Textkritik

Erklärung auf Zufall, Kontamination oder mündliche Tradition zurückgreifen. Derartige Wechselbeziehungen sind in der Uberlieferung der >Jagd< keineswegs Ausnahmen, die auf die von Stejskal und Seemüller erstellten Handschriftengruppen begrenzt sind, sondern finden sich auch gruppenübergreifend. Dies betrifft zunächst einmal die Umstellung und Wiederholung von einzelnen Strophen. ι . E F a c wiederholen nach Str. 5 0 1 die Str. 1 3 * , Β f die Str. 1 4 * . 1 5 * . 1 7 2. Α Β C F b c d f g h wiederholen im Gegensatz zu E a e nach Str. 4 2 6 die Str. 2 1 3 * . 3. In h wird Str. 1 6 1 wohl zu Recht nach Str. 2 3 2 piaziert./wiederholt nach Str. 2 3 2 die Str. 1 6 1 * - 1 6 2 * . 4. In E a h fehlt Str. 1 8 9 . 5. Im Gegensatz zu E a e h stellen B C F b c d f g Str. 5 1 4 vor Str. 5 1 3 . G r a p h i s c h ergibt sich folgendes B i l d : 1

2

3

4

Kontamination erscheint angesichts solcher vereinzelten Übereinstimmungen unwahrscheinlich — außer es ließe sich anhand der Lesarten belegen, daß ganze Textabschnitte übernommen wurden. Aber auch Zufall scheidet als Erklärung fur alle Gemeinsamkeiten aus. Zufällige Übereinstimmung könnte angenommen werden, wenn die Überlieferung eine oder höchstens zwei gruppenübergreifende Parallelen in der Strophenfolge einzelner Handschriften aufweisen würde. Diese müßten begründet und inhaltlich motiviert werden: Man könnte z.B. argumentieren, daß das Fehlen von Einzelstrophen wie Str. 1 8 9 stemmatisch keine Aussage zulasse, daß die in ihrem Kontext isolierten Ausführungen über die Hunde Liebe und Leit in Str. 5 0 1 die Wiederholung von Str. 1 4 * bzw. 1 4 * und 1 5 * nahelegen oder auch daß / und h mit Einordnung der Dialogstrophe 1 6 1 in das Gespräch mit dem alten Jäger vermutlich als einzige Handschriften die ursprüngliche Variante bewahrt haben (vgl. Hese 1 9 3 6 , S. i29f.). Und die Wiederholung von Str. 2 1 3 * nach Str. 4 2 4 - 4 2 6 in h ließe sich schließlich mit Ähnlichkeiten in Thematik und Syntax der Anfangsverse dieser Stro17

In F wurde die Strophe zusammen mit der folgenden Str. 502 gestrichen. Möglicherweise fehlt sie aus diesem Grund auch in der eng mit F und c verwandten Hs. g.

Untersuchung der Strophenfolgen

17

phen begründen - ohne daß man eine gemeinsame Vorlage mit den Handschriften des anderen Uberlieferungszweiges annehmen müßte. Es ließen sich sicher noch weitere Argumente finden, mit denen die überlieferungsgeschichtliche Relevanz der Gemeinsamkeiten geleugnet werden könnte. Das Problem derartiger Erklärungsmuster liegt jedoch auf der Hand: Wenn immer wieder auf zufällige Ubereinstimmungen voneinander unabhängiger Redaktionen zurückgegriffen werden muß, läßt sich kaum begründen, warum dies für stemmatisch passende Varianten wie die Umstellung von Str. 5 1 3 f . nicht ebenfalls zutreffen sollte. Der erschlossene Archetypus wäre höchst zweifelhaft, denn Zufall unterminiert letztlich jede strikte Fehlervererbungslehre. Diese Zweifel an der Möglichkeit, einen Archetypus der >Jagd< zu rekonstruieren, verstärken sich noch bei der Betrachtung der komplexeren Varianten, deren zufällige Übereinstimmung weitgehend ausgeschlossen werden kann. Es sind dies die verschiedenen Fassungen am Textanfang (Str. ι—21), die Einordnung der Str. 1 7 1 —177, die beiden Varianten im Dialog mit dem alten Jäger (Str. 2 4 1 - 2 7 8 ; 2 8 3 - 2 9 2 ) , die Vorgeschichte zum zweiten bîllS (Str. 3 1 3 — 342) sowie schließlich die verschiedenen Gestaltungen des Textendes. Immer wieder lassen sich einzelne Handschriften nicht einordnen oder stimmen mit den Varianten des anderen Überlieferungszweiges überein. Und da des öfteren nicht nur zwei, sondern mindestens drei Überlieferungszweige angenommen werden müssen, verschwimmen die Konturen der Hyparchetypen Stejskals und Seemüllers. Relativ unproblematisch erscheinen zunächst die drei Varianten des Textanfangs. Die Strophenfolgen der einzelnen Handschriften sind: ι. F eg:

8 - 9 . 1 - 3 . 5. 4. 6. i l . 1 3 - 1 7 . 10. 1 8 - 2 0 . 7. 21

2. A: Β b: d f:

2-4. 6-7. 10-21 >Des Minners Klage< 8. 9. 1—4. 6 - 7 . 10 — 21 1-4.6-7.10-21.

3. a: e: h:

9. 8. 1 - 3 . 5. 4. 6 - 7 . 1 1 - 1 7 . 10. 1 8 - 2 1 . 8. 9. 1 - 3 . 5. 4. 6 - 7 . 1 1 - 1 7 . 10. 1 8 - 2 1 6 - 7 . 1 1 - 1 6 . 8. 9. 1 - 3 . 5. 4. 17. 10. 1 8 - 2 1 .

Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Überlieferung nur in zwei und nicht in drei Überlieferungszweige aufgegliedert werden sollte. Zudem fällt auf, daß die dritte Klasse der Handschriften, a e b, im Grunde nur ex negativo durch die ersten beiden bestimmt wird. Nur so läßt sich h in

18

Der bîl ist der Höhepunkt der Jagd: Das Wild wird von den Hunden gestellt und umzingelt. Siehe den Eintrag bei Dalby 1965.

ι8

Überlieferung und Textkritik

diese Gruppe eingliedern. Da sie jedoch deutlich von den anderen beiden Handschriften abweicht und letztlich eine eigenständige Fassung repräsentiert, bleibt diese Zuordnung fragwürdig. Eine rein stemmatische Perspektive erweist sich hinsichtlich der tatsächlichen Überlieferungsgeschichte der Textfassungen als unzureichend. Brisant wird die Frage, was als stemmatisch relevantes Kriterium gelten kann, wenn versucht wird, die Varianten der Strophenfolge zwischen Str. 1 7 1 — 1 7 8 zu gliedern. Auch hier lassen sich drei Gruppen unterscheiden, die sich allerdings aus anderen Handschriften zusammensetzen: ι. Β C b c d f :

1 7 1 . 1 7 8 - 1 8 1 (Str. 1 7 2 - 1 7 7 fehlen)

2. e g : E a: F:

171-181 1 7 1 . 172. 1 7 3 - 1 8 1 169. 1 7 2 - 1 7 7 . 1 7 0 . 1 7 1 .

3. A :

1 7 1 . 1 7 8 . 1 7 9 . ι . 509. 4 9 7 - 4 9 8 . b. 3 6 3 . c. 5 0 6 - 5 0 8 . d. e. 446. 3 3 3 - 3 3 7 · 3 2 2 . 3 3 8 - 3 4 1 . f. 4 5 7 - 4 6 1 . 5 1 5 - 5 1 8 . 500. 4 6 2 - 4 6 4 . 1 7 2 - 1 7 7 . 1 8 1 1 7 1 . ι * . 509. 498. b. c. 5 0 6 - 5 0 7 . d. e. 3 3 3 - 3 3 5 . f. 1 7 2 181

h\

178-181

Während die Str. 1 7 2 - 1 7 7 in B C b c d f ganz fehlen, werden sie in E a e g zwischen Str. 1 7 1 und Str. 1 7 8 eingeordnet. Innerhalb dieser Gruppe besteht ein enger Zusammenhang zwischen E und a, in denen die Str. 1 7 1 und 1 7 2 zu einer Strophe zusammengeschrieben wurden. F nimmt eine Mittelstellung ein: Die Strophen wurden, so Pfeiffer in seiner Abschrift, von anderer Hand zur »Ergänzung« auf ein Einzelblatt geschrieben und zwischen Str. 1 6 9 und Str. 1 7 0 nachträglich eingefugt. Ob diese Strophen schon in der Vorlage von F standen und etwa während einer Nachkorrektur eingefügt wurden, läßt sich nicht mehr klären. 1 9 A ist mit der ersten Gruppe insofern verwandt, als die Str. I78f. auf Str. 1 7 1 folgen; h geht mit E a e g in der Einordnung der Str. 1 7 2 - 1 7 7 vor Str. 178. Gleichwohl ist die Zuordnung zu einer der beiden Gruppen nicht sinnvoll. Beide Handschriften integrieren die Str. 1 7 2 — 1 7 7 in den größeren Einschub von 39 (in A ) bzw. 1 3 (in h) Strophen im Anschluß an Str. 1 7 1 . Da die Strophenfolge dieses Einschubs in beiden Handschriften weitgehend übereinstimmt, konstituieren A und h trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten mit je einer der anderen beiden Klassen, eine dritte, unabhängige Handschriftengruppe. 20 19

In diesem Fall müßte F, wie auch die eng mit ihr verwandte Hs. g, der zweiten Gruppe zugeordnet werden.

20

Dieser Einschub ist teilweise auch in e in der Anordnung der Wiederholungsstrophen nach Str. s erkennbar.

Untersuchung der Strophenfolgen

19

Die bislang relativ klaren Verwandtschaftsverhältnisse lösen sich auf, was A h und die Gruppe Feg

betrifft. Gegenseitige Einflüsse der drei

Fassungen sind offensichtlich, wie das folgende Schema verdeutlicht: ι. 2. 3. 4. 5.

Auf Str. 1 7 1 folgt Str. 1 7 8 . Str. 1 7 2 - 1 7 7 stehen vor Str. 1 7 8 . Einschub nach Str. 1 7 1 . Str. 1 7 2 - 1 7 7 fehlen. Str. 1 7 2 - 1 7 7 sind überliefert. ι

2

Eine plausible stemmatische Erklärung, durch die alle Merkmale der Überlieferung dieser Passage — also auch die Einordnung von Str. 1 7 8 - auf einen Archetypus zurückgeführt werden könnten, gibt es nicht. Entweder hätten A und h den Einschub weitgehend unabhängig voneinander an fast derselben Stelle eingeordnet oder aber die beiden größeren Handschriftengruppen hätten diesen, ebenfalls unabhängig voneinander, getilgt. Berücksichtigt man alle bisher untersuchten Charakteristika der Strophenfolgen könnten also zumindest die Hss. A F g h kontaminiert sein. N u r in den Varianten des Gesprächs mit dem alten Mann stehen sich Stejskals Hyparchetypen gegenüber. Str. 2 4 1 - 2 7 8 ι.

E a e h:

2. A B C c f g : b: F g:

2 4 1 —278 241.271-273.565.274-275.277.242-270.278 2 4 1 . 2 7 1 - 2 7 3 . 565. 2 7 4 - 2 7 5 . 2 7 7 . 2 4 2 - 2 6 7 . 2 7 8 2 4 1 . 2 7 1 - 2 7 3 . 565. 2 7 4 - 2 7 7 . 2 4 2 - 2 7 0 . 2 7 8

Str. 2 8 3 - 2 9 2 ι. eh: a:

283-292 2 8 3 - 2 8 6 . 87*. 2 8 7 - 2 9 2

E:

2 8 3 - 2 8 6 . 87*. 2 8 7 - 2 9 1 . 2 8 5 * . 284*. 292

2. A B F b c f g: C: d:

\aEaeh

2 8 3 . 2 8 6 - 2 9 1 . 285. 284. 2 9 2 ... 2 8 7 - 2 9 1 . 284. 292 ... 2 8 9 - 2 9 1 . 285. 284. 292

folgen auf Str. 2 7 0 die Str. 2 7 1 - 2 7 7 ; ABCFbcfg(d

ist lücken-

haft) ordnen diesen Abschnitt leicht abgewandelt schon nach Str. 2 4 1 ein. F

20

Überlieferung und Textkritik

g haben als einzige Handschriften dieser Gruppe auch die Str. 2 7 6 , 2 1 was auf einen Bezug zu E a e h hinweisen könnte. Insofern C über sechzig Strophen aus diesem Gespräch zwischen den Str. 406 und 407 einordnet, könnte man von einer eigenständigen Variante sprechen. Allerdings ist die Verschiebung möglicherweise eine spätere Redaktion (s.u. S. 1 0 3 ff.). Offensichtlich fehlerhaft sind E a eh darüber hinaus in der Plazierung von Str. 285 nach Str. 284 (Hese 1 9 3 6 , S. 129.). Die Einordnung dieser Strophen zwischen Str. 283 und 286 ist jedoch plausibel. Die Wiederholung von Str. 87* nach Str. 286 deutet erneut auf einen engen Bezug zwischen E und a hin. E hat zudem die Variante der zweiten Gruppe; der Schreiber hat sie indes gestrichen, da sie zur Wiederholung der Str. 284f. führte. Wenn man Kontamination in E ausschließt, bieten ABCFbcdfg

also mit hoher Wahrscheinlichkeit die ur-

sprüngliche Variante. Die Fassungen der Vorgeschichte zum zweiten bìl (Str. 3 1 3 — 342), die unmittelbar im Anschluß an den Dialog mit dem Alten steht, konstituieren vier Handschriftenklassen. Der Befund erinnert an die Überlieferungssituation, die vor dem Beginn des Gesprächs (Str. 1 7 1 - 1 7 8 ) festgestellt werden konnte. ι. ae: E:

313-342 313-324.

2. BFcdfg: b: C:

313-322.338-341.323-337.342 3 1 3 - 3 2 2 . 3 3 8 . 3 4 0 - 3 4 1 . 3 2 3 - 3 3 7 . 342 3 1 3 — 322. 338. 3 4 0 - 3 4 1 . 3 2 3 - 3 3 3 . . . 358

3. A :

3 1 3 - 3 2 1 . 3 2 3 - 3 3 2 . 3 3 3 * . 342 (Im Einschub: 3 3 3 - 3 3 7 · 322. 3 3 8 - 3 4 1 . )

4. h:

3 1 3 - 3 1 9 · 335*· 3 2 3 - 3 3 2 . 342

331-342

336-337·

322. 3 3 8 - 3 4 1 .

320-321.

Im Gegensatz zur ersten Gruppe ordnen die Gruppen Β C F b c d f g und A h die Str. 3 3 8 - 3 4 1 nach Str. 3 2 2 ein. Ein gemeinsames Merkmal von A und h ist die Stellung von Str. 3 2 2 zwischen Str. 3 3 3 — 3 3 7 (bzw. 3 3 5 — 3 3 7 ) und 3 3 8 - 3 4 1 . Allerdings bieten beide Handschriften völlig unterschiedliche Fassungen: Erinnert h an die Version der zweiten Gruppe, bewirkt die Aufteilung der Szene in A , daß die Str. 3 3 3 - 3 4 1 und der zweite bîl keinen wechselseitigen Bezug mehr aufweisen (s.u. S. 96). Prinzipiell lassen sich zwar auch hier zwei Uberlieferungszweige (Gruppen 2 und 3 gegenüber Gruppe 1) erstellen; zumindest h wäre demnach aber kontaminiert. In F wurde diese Strophe, wie auch die Str. 172 — 177, von anderer Hand geschrieben und nachträglich eingefügt.

Untersuchung der Strophenfolgen

21

U m ein vorläufiges Resümee zu ziehen: Für jede der behandelten, komplexen Umstellungen der Strophenfolge können Uberlieferungszusammenhänge widerspruchsfrei festgestellt werden; aber nur wenn man jeden Textabschnitt für sich nimmt und nicht versucht, ein allen Varianten gemeinsames Stemma zu erstellen. Denn konstant sind letztlich nur die Hss. Β C b df bzw. E a e. Die anderen fünf Textzeugen lassen sich nicht kontinuierlich einer Uberlieferungsgruppe zuordnen, so daß immer wieder mit Kontamination gerechnet werden müßte. Oder anders gesagt: Stejskals Stemma basiert im Grunde auf zwei Varianten (Str. 2 4 1 — 278, Str. 5 1 3 f . ) , von denen nur eine wirklich aussagekräftig ist. Man könnte ebensogut andere Textstellen zugrunde legen und verschiedene mal zwei-, mal dreigliedrige Stemmata erstellen — die dann aber ebenfalls nur für eine oder zwei Passagen wirklich zutreffen würden. Mehr als ein verallgemeinernder Uberblick über die Interdependenz der Handschriften ist also offensichtlich nicht möglich. 2 2 Diese trotzdem noch relativ übersichtlichen Zusammenhänge der Handschriftenklassen verlieren sich in der überaus variablen Gestaltung des Textendes (ab Str. 5 1 9 ) in einem komplexen Netz von Wechselbeziehungen. Die Strophenfolgen der einzelnen Handschriften: ι. A:

5 1 9 - 5 2 6 . 5 2 8 - 5 3 1 . 5 3 3 - 5 3 4 · 543-546· 548· 5 5 ° 552· 5 5 4 - 5 6 1 · 5 6 3 - 5 6 5 .

2. e:

5 1 9 - 5 3 0 . 153*. 5 3 1 - 5 3 9 · 136*· 135*· 540-565· P· q· r. s. 539*—543*· 545*· 20*. 140*. 154*. 509*. 497*-498*. b. c. 507*~508*. e. 336*. 515*. 500*. 462*. 189*. 232*. 234*. 483*. 5 θ ΐ * - 5 θ 2 * . 512*. 554*. 5 1 9 - 5 3 0 . 153*· 5 3 1 - 5 3 8 · 136*. 135*· 5 3 9 - 5 6 1 · 562*. 563-564. g. i. k. 1. 565. 5 1 9 - 5 3 8 . 136*. 135*. 5 3 9 - 5 6 5 ·

/· h: 3. Β b:

519. m. η. o. 5 2 5 - 5 2 7 . p. 5 2 8 - 5 3 3 . r. 534~535- >Der Minnenden Zwist und Versöhnung< (in b folgen dort nach Str. 720 die >JagdJagdJagdDes Minners Klage< und am Schluß mit >Der Minnenden

26

Überlieferung und Textkritik

Zwist und Versöhnung< zusammengeschrieben werden. Auch zwischen F c g, deren Strophenfolgen bis Str. 5 1 9 fast identisch sind und die sich am Textanfang sowie zwischen Str. 464 und 479 von allen anderen Textzeugen abheben, besteht offenbar eine engere Beziehung. Dies entspricht weitgehend den Gruppierungen Stejskals. Z u berücksichtigen ist allerdings der vorläufige Charakter dieser Klassifikation, die nur auf dem Verzeichnis der Strophenfolgen beruht. Da eine genealogische Perspektive nicht haltbar ist, kann sie sich streng genommen ausschließlich auf die Textabschnitte beziehen, in denen die Handschriften voneinander abweichen, nicht aber auf den Gesamttext. Das bedeutet, daß sich mit dieser Methode der Großteil des Textes einer genaueren Klassifizierung entzieht. Sie sagt zudem wenig über das Verhältnis der Fassungen zueinander aus, da so nicht geklärt werden kann, ob sich ζ. B. der Textanfang in a e aus Feg

herleitet oder umgekehrt. Kurz: Es handelt sich um eine

Hypothese, die durch eine Untersuchung der Lesarten überprüft werden muß.

1.3. Untersuchung der Textfassungen Die Textvarianten wurden in den bisherigen Untersuchungen zur Überlieferung der >Jagd< nicht berücksichtigt. Vielleicht deshalb, weil man mit Schmeller meinte, daß »weitaus den meisten bloßes Nichtverstehen oder gnadenlose Willkür der Schreiber zugrunde liegt« (Schmeller 1 8 5 0 , S. X X ) . Einer genaueren Untersuchung der Handschriften kann dieser topische Vorwurf jedoch nicht standhalten. Die Handschriften bieten über weite Strecken den gleichen Text; die Schreiber waren sichtlich um eine getreue Wiedergabe ihrer Vorlagen bemüht. Wirklich korrumpierte, sinnlose Stellen, die nicht auf bloße Schreibfehler zurückgehen, sind selten. Der größte Teil der Uberlieferungsvarianten ist für die Textsemantik nicht oder kaum relevant. Die Handschriften variieren v. a. hinsichtlich der z.T. dialektal bedingten orthographischen Abweichungen der Schreiber: Während z.B. Β das Wort tantenberg (459,5) in der Form tantemberg überliefert, steht in A taentenperch und in a tentenpereb. Sehr häufig sind auch grammatische Varianten, die z.T. auf sprachliche Eigenheiten der Schreiber zurückzuführen sein dürften. Einige Beispiele: Ob statt ich dâht ( 1 9 , 1 ) ich gedacht steht (in F c d e g h), ob statt mîn fluochen ( 3 4 1 , 6 ) meinen fluech (in C F b c d g) und ob es sich in 530,6 um mehrere glüptiu strâl oder, wie in E e überliefert, nur um einen dieser vergifteten Pfeile handelt, ist für den Inhalt der jeweiligen Strophe in der Regel nur von untergeordneter Bedeu-

Untersuchung der Textfassungen

27

tung. Ähnlich verhält es sich mit Variationen nicht sinntragender Füllwörter — wenn z.B. anstelle von und stände et (16,6) so stand (in Β b d), nu stand ot (in a), nü stand ouch (in e) oder nw standet (in h) verwendet wird — sowie mit Wortumstellungen vom Typus im und mir (e f ) für mir und im (19,4). In diesen Fällen handelt es sich, wie auch bei nur metrischen Abweichungen, wohl weniger um bewußte Redaktionen des Textes 27 als um iterierende Varianten, 28 wie sie für Abschriften volkssprachlicher Texte des Mittelalters typisch sind. 29 Auch Verschreibungen können meist ohne weiteres als Flüchtigkeitsfehler, die beim Diktat oder beim Abschreiben entstanden sind, identifiziert werden. Problematisch sind solche oft auf Gleichklang beruhenden Varianten v. a. dann, wenn sie semantische Veränderungen bewirken. Derartige Fälle — wenn etwa nimmer für minner (B a b in 3 3 0 , 1 ) , vart für wart (u.a. Β b d e h in 1 3 , 5 ) oder trewe fur tewer if in 458,7) steht - sind jedoch in der Regel aus dem Kontext heraus als Fehler identifizierbar. N u r ein Beispiel: In Str. 3 2 2 begegnet der Erzähler den Hunden eines nicht weidgerecht jagenden Jägers, die er vertreibt: stn hunde gen dem walde/hetzte ich an gemotes wildes houfen (322,6f.). Wenn A an dieser Stelle Mein hunde überliefert, so ist das zwar nicht völlig sinnlos, aber nicht gerade schlüssig. Ein Blick auf die vorhergehende Zeile erklärt den Fehler als semantische Assoziation: ich sluoc hin dâ ez solte ûf mich loufen (322,5). Angesichts dessen, daß weitaus die meisten Textvarianten auf solche, im Kopierprozeß eigentlich selbstverständliche Vorgänge zurückzuführen sind, erscheint der Vorwurf vom »Unverstand« und der »Willkür« der Schreiber maßlos übertrieben. Für eine Klassifikation der Handschriften sind derartige Varianten natürlich ungeeignet. Daß die Schreiber Flüchtigkeitsfehler ihrer Vorlagen stillschweigend korrigierten, darf angenommen werden. Und im Falle von Wortumstellungen oder dem Austausch von Füllwörtern kann die weitere Veränderung der Varianten im Tradierungsprozeß nicht ausgeschlossen werden. Ich habe mich deshalb für die folgenden Untersuchungen auf die vollständige Kollation derjenigen Lesarten beschränkt, die Metrik, Syntax oder Semantik des Textes deutlich verändern und die zudem aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von späteren Schreibern rückgängig gemacht werden konnten. Eindeutige Leitfehler, etwa im Sinne der Definition von Schanze 1968, kommen in der Überlieferung der >Jagd< m.W. allerdings nirgends vor.

27 28 29

Als eine solche wäre das von Feg für mir und im überlieferte uns baiden (19,4) anzusehen. Vgl. hierzu Stackmann 1964, S. 258, Kühnel 1975, S. 3 1 4 . Vgl. hierzu und zum folgenden Seifferts Fehlertypologie (Seiffert 1969, S. 51—56).

28

Überlieferung und Textkritik

Die folgenden Untersuchungen müssen sich notgedrungen immer wieder auf Präsumtiwarianten stützen, deren Interpretation hinsichtlich ihrer Authentizität spekulativ bleibt. Trotzdem kann auf qualitative Urteile über den Stellenwert einzelner Varianten nicht völlig verzichtet werden, da sich oft nur so ein Eindruck über die Bearbeitungstendenzen der verschiedenen Handschriften gewinnen läßt. Wenngleich Handschriftengruppen im folgenden v. a. aufgrund der Häufigkeit gemeinsamer Varianten erstellt werden, so wäre es doch wenig sinnvoll, auf eine solche Klassifikation zu verzichten, nur weil sie auf Wahrscheinlichkeiten basiert und nicht auf belegbaren Tatsachen. Verglichen mit der Variabilität der Strophenfolgen, ist der Uberlieferungsbefund der Lesarten im gesamten Text überraschend konstant. Die Textzeugen können mindestens drei Gruppen zugeordnet werden. Die älteste Hs. A bietet mehrfach eigene Varianten, die sich des öfteren auch in h finden. Feg weichen regelmäßig gemeinsam vom Text aller anderen Überlieferungsträger ab. Diese Varianten werden in vielen Fällen von den ebenfalls eng miteinander verwandten Hss. C b überliefert. Die dritte Gruppe schließlich umfaßt die Hss. B E a d e / , sowie die vier Fragmente. 30 Es handelt sich dabei in gewisser Hinsicht um die Vulgatfassung der >JagdJagd< zu sprechen, von korrigierenden Überarbeitungen einzelner Stellen.

3

° Trotz ihrer Kürze kann die Zuordnung der Berliner, Löwener, Innsbrucker und Tullner Fragmente zu dieser Fassung als einigermaßen gesichert gelten, da sie jeweils mehrere charakteristische Lesarten aufweisen. Strophenfolge und Lesarten des Berliner Fragments deuten auf eine Verwandtschaft mit E a e hin. Ein Beispiel hierfür wäre etwa das Bestreben der C-Fassung des >NibelungenliedesverbesserungenJagdJagd< nicht belegt ist) unabhängig voneinander zu betwingen ändern. Wahrscheinlicher ist die Annahme, daß die Variante in A auf h zurückgeht.

474,2

ist auch ein suht sawr Β E a e / ist auch ein sewchen sawre h ist auch ein senken saure A Das an dieser Stelle sinnlose senken läßt sich als Verschreibung von (u) für (n) in seuchen bzw. in h sewcben deuten.

52

Schweikle zeigt, wie fragwürdig derartige Urteile sein können (Schweikle 1 9 8 2 , S. 2 3 2 2 3 5 , 240).

Die Gruppe A h

31

Beide Belege sind alles andere als eindeutig; Überlieferungszufälle können nicht ausgeschlossen werden. Eine direkte Entwicklung von A aus einer Vorlage von h ist hiermit nicht zu belegen. Die umgekehrte Entwicklung, daß sich eine Lesart in h offenbar aus A ableitet, kann häufiger beobachtet werden. 163,7 geheymes wild kan morden und verzeren Β E F c e g dhain wild chan morden und verzern A vil wildes kan morden vnd verzeren h Der chan daz wilde morden vn verzeren C der chan das wild wol morden vnd verzeren b Der Vers bezieht sich auf einen hofwart, d. h. einen wildernden Hofhund. Da Hadamars Wilderer bevorzugt (vgl. Str. 4 1 1 ) nicht weidgerechtem, heimlichem Wild (vgl. Str. 41) nachstellen, ist geheimez die schwierigere Lesart. Die Version in A kann mit phonetischer Assoziation erklärt werden. Das nichtssagende dehein wäre in h dann weiterentwickelt worden, um einen besseren Text herzustellen. 265,5 da vind ich lieb on herzenlaides sochen Β F I b f da fraewd und lieb ist an hertzen leibes sochen A da frewd dick lebt an hertzenliches sochen h fraewd ist ein Nachklang aus dem vierten Vers {dà immer Wunne und Fröude ist ân Riuwe). V.a. aber deutet die in A und h identische Syntax der beiden Verse auf eine Verschreibung in diesen Handschriften. Demnach dürfte auch das sonst nicht belegte hertzen leibes auf herzenlaides in Β f b f zurückgehen, h hat diese ungewöhnliche Wendung dann vereinfacht und die Variante in A zudem metrisch geglättet. A u c h wenn diese Belege keineswegs beweiskräftig sind, kann man sich das Verhältnis beider Handschriften etwa folgendermaßen vorstellen: Die Varianten weisen auf eine gemeinsame Vorlage an einer nicht näher bestimmbaren Stelle des Tradierungsprozesses hin. Da A noch ins 1 4 . J a h r hundert datiert wird, m u ß man diese auf jeden Fall kurz nach Entstehung des Textes ansetzen. W ä h r e n d h dazu tendiert, problematische Lesarten dieser Vorlage metrisch und semantisch zu verbessern -

nicht ohne Ge-

schick —, hat A diese nicht nur übernommen, sondern auch durch eigene Varianten ergänzt. Eine genealogische Erklärung der Textgestaltung ist also verlockend, was das Verhältnis dieser beiden Handschriften betrifft. Es m u ß allerdings betont werden, daß die obigen Ausführungen allenfalls als hypothetisches K o n s t r u k t zu betrachten sind, das nur die wichtigsten Tendenzen der Überlieferung angeben kann. Der Anspruch, die tatsächliche Überlieferungsgeschichte zu rekonstruieren, kann nicht erfüllt werden; dem widersprechen immer wieder vereinzelte Lesarten der beiden Handschriften.

32

Überlieferung und Textkritik 111,5

vnd hoere dises wunnenchleich gedoene A b e vnd höre ditz gar wunnichleich gedöne C F c g vnd hör ditz williklich gedon Β E a f h

303.4

Daz ich im koem geuaerleich nimmer nahen A dz ich im kam varlichen ymmer nachen Β d e f Daz ich im kom frolich ymmer nahen E a h Daz ich im chäm wärlichen nimmer nahen C F b c Sofern man Kontamination oder Zufall ausschließt, 33 müßten A und h in beiden Fällen unterschiedlichen Vorlagen zugeordnet werden.

Wenngleich also eine Verwandtschaft von A und h, deren Tendenzen sich recht deutlich abzeichnen, mit Sicherheit anzunehmen ist, so gibt es doch deutliche Hinweise, daß die tatsächlichen Uberlieferungsverhältnisse nicht rekonstruierbar sind. Problematisch erweist sich somit auch die Klassifikation einer eventuellen gemeinsamen Vorlage von A und h. D a die jüngere Handschrift die meisten der ausschließlich in A überlieferten Varianten mit der Gruppe Β E a d e f teilt, ist die These naheliegend, daß beide auf eine dieser Gruppe zugehörigen Vorlage zurückgehen. Hierfür gibt es tatsächlich mehrere Belege: 326,3

vnd sprach gelücke sende C F b c g vnd sprach geluckes end Β a d f vnd sprach gelueck ez ende A e vnnd sprach geluck es wennde h Da der nächste Vers (ein treffen mir, daz smutzerlichen smatze) mit einem Akkusativ beginnt, sind nur C F b c g semantisch und syntaktisch einwandfrei. In A und h ist der vierte Vers eine nachgestellte Erläuterung des ez. Beide Handschriften versuchen m.E., die verderbte Version in Β a d f zìi korrigieren.

211,6

Ich ich ich ich

halff zuo ir frewden Β E a f harre zuo ir fraewden A h haczet zcu ir froiden e half in ie zu frewden C F b c g

Da harren in der Regel üf nimmt — selten auch nach —, und eine Verbindung mit zuo sonst nirgends belegt ist, handelt es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Verschreibung entweder aus e oder aus Β E a f. Eine weitere Präzisierung hinsichtlich der Frage, welcher Handschrift der Vulgatfassung A und h am nächsten stehen, ist allerdings nicht möglich. 33

Im ersten Beispiel ist das nicht ohne weiteres möglich, da die Variante williklich u.U. ein Nachklang des von himel blicke in V. 4 ist.

Die Gruppe A h

33

Zwar gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang mit e und möglicherweise mit E a,}4 für eine auch nur halbwegs sichere These reicht die Datenbasis allerdings nicht aus. Ebensowenig können A und h ausschließlich als Untergruppe von Β E a d e f klassifiziert werden. Darauf verweisen mehrere Stellen, an denen A und h den besten Text bieten. 93,5

wie mich doch kratzn scharffes schaches pramen h swie mich doch raitzet scharffes schaches praemen A wie mich doch kreißen scharpfe premen E a wie mich doch kraczen scharpfes schalkes pramen Β d f e (schalkes in Β nachträglich eingefügt) swie mich doch kratzent valschez schalkes pramen C F b c g schaches ist hier die lectio difficilior. Da Hadamar die schalke zwar als Hunde und nicht weidgerechte Konkurrenten, sonst aber nicht als Dornenhecke allegorisiert, haben A h hier wahrscheinlich den ursprünglichen Text - zumal in Β die nachträgliche Redaktion des in E a weggelassenen schaches noch deutlich erkennbar ist.

146,7

werhafter muot wil von hoehe seigen A h wer aber wer muot wil von hoch seigen wer aber voer muet wil von hohe seigen a wer aber muot wil von hohe sygen E

BCFbcfeg

Sinnvoll sind nur A h. Die verderbten Varianten gehen aufgrund der phonetischen Ähnlichkeit wohl auf einen Verständnisfehler zurück. Daß A h diesen Fehler nachträglich korrigiert haben, ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber kaum naheliegend. 165,1

Alz ich dem herzen phlihte A h Als ich dem hertzen suocht B C F a b c e f g Als ich dem hertzen fuchte E F

165,3

nu

ratent wa ich rihte A nu ratn wie ich richte h nu ratet wo euch deucht

BCEFGabcefg

Stejskal sieht in seiner Konjektur rihte :: diuchte ein Beispiel für dialektal bedingte Reimfreiheiten (Stejskal 1 8 8 0 , S. X X X I I ) . Semantisch akzeptabel sind alle Fassungen außer E F, lectio difficilior ist allerdings A h (»Wenn ich für das Herz sorge, um Nahrung zu gewinnen, nun ratet wo ich die hernehme/wie ich mich einrichte«). Da die anderen Handschriften zudem Tempuswechsel und unreinen Reim aufweisen, bieten A h den besten Text.

,4

N u r in Λ E a e h steht beispielsweise in 2 1 8 , 7 drin und drizic pharren\ anstelle von drizic steht in allen anderen Hss. sechtzigek.

Überlieferung und Textkritik

34 304,1

Ain hunt der haizzet werre A h Ein hunt der haisset ierre C F c g Ein hunt der haysset irr Ε Β a b d e f Daß irre eine spätere Variante ist, kann man vermuten, weil nur Β E a e irre auf virre reimen. Alle anderen Handschriften haben in V. 3 verre.

In diese Richtung deuten auch einige Trennfehler der Vulgatfassung in Β E a d e f gegenüber gemeinsamen Varianten einzelner Handschriften der Gruppen C F b c g und A und h. 482,3 Daz er waer paz begraben A F c g h Daz er beßir wer begraben e dz pesser wer begraben BCEGabdf In Β C E G a b d/fehlt das durch das Pronomen swer in V. 2 geforderte er. Daß A h und Feg unabhängig voneinander die wohl aus e verderbte Lesart in Β C E a b d f nachträglich korrigieren, ist unwahrscheinlich (eine näherliegende Verbesserung dieser Version ist Stejskals Konjektur daz baz er waer).

Daß A h und Feg hier den ursprünglichen Text gegenüber einer verderbten Version der B-Gruppe überliefern, ist an sich nicht so problematisch, da dieser in einer gemeinsamen Vorlage aller drei Gruppen gestanden haben kann. Damit wird zunächst nur belegt, daß weder A h noch Feg direkt auf eine erhaltene Version der dritten Gruppe zurückgehen können. Weitaus problematischer wären jedoch gemeinsame Verderbnisse von A h und C F b e g. Und hierfür gibt es tatsächlich ein Beispiel: 3 4 1 , 6 dem dem dem dem

hin hin hin hin

wayehet lieb Β E a f e weichent lieb wunn d waiss got C F b c g (liebe in V. 7) waidgot liebe A h

Im Kontext mit dem vorhergehenden Vers (m'in fluochen habe er, wer die hunde stoere) ist die Version in Β E a d f e einwandfrei, wenngleich der Bezug des dem nicht ganz klar ist (auf den Fluch in V. 5 ? Auf den Hund Fröude in V. 7?). Die anderen beiden Varianten sind verderbt. Daß in C F b c g und A h das Verb fehlt und beide Gruppen fast denselben, doch ziemlich eigenartigen Wortlaut aufweisen, deutet mit Sicherheit auf einen Uberlieferungszusammenhang.

Das führt zu erheblichen Problemen. Eine beiden Gruppen gemeinsame Zwischenstufe in der Entwicklung aus der Vulgatversion Β E a d e f , ist mit einem einzigen gemeinsamen Fehler nicht zu belegen. Auch für die Annahme, daß Β E a d e f eine ursprünglich verderbte Stelle nachträglich korrigiert haben, gibt es keine Anzeichen, da diese Version semantisch wie metrisch einwandfrei ist. Dem Textkritiker bleibt nur die Feststellung,

Die Gruppe C F b c g

35

daß A h als eine eigenständige Handschriftengruppe betrachtet werden muß. Der Großteil ihrer Lesarten kann zwar aus der Vulgatfassung abgeleitet sein, die in der Regel den ästhetisch anspruchsvolleren Text bietet. Aber, wie gesagt: Eindeutige Leitfehler sind selten und die inhaltlichen oder stilistischen Argumente nur mit Vorsicht zu betrachten. Die Möglichkeit einer Redaktion durch Hadamar selber ist keineswegs völlig auszuschließen. Selbst wenn diese beiden Handschriften Β E a d e f näher stehen als der dritten Gruppe, eine Herleitung ausschließlich aus dieser Version ist nicht möglich.

1 . 3 . 2 . Die Gruppe C F b c g Die Klassifikation der zweiten Gruppe C F b c g ist schwieriger. Insbesondere in den Hss. F c und g sind Abweichungen vom Text der anderen Textzeugen nicht nur weitaus häufiger, sie sind auch komplexer. Sie erstrecken sich bisweilen über mehrere Verse und weichen z.T. so stark von den anderen Lesarten ab, daß bloße Verschreibungen ausgeschlossen sind und wir es in einigen Fällen sogar mit Umdichtungen zu tun haben. Hier kann man noch am ehesten von einer eigenständigen Fassung der >Jagd< sprechen. Allerdings sind in diesen Handschriften weitgehende Eingriffe in den Text ebenfalls eher die Ausnahme als die Regel. Die Lesarten beschränken sich im wesentlichen auf punktuelle Veränderungen, wobei inhaltliche Gründe für die Bearbeitung oft nicht festgestellt werden können. Einige Beispiele: 38,7

Daz let vff dysem riß nicht nidder sitzen e h daz lyt v f f disen bris 3 5 nit nider sitzen £ , daz laet auf disem preis nicht nider sitzen Α B a b d f das kan den muot v f f rechte tat erhiczen F g Das kan der mut vff rechte tatt erhitzen e Sinnvoll sind E F e g h, alle anderen Handschriften sind verderbt (preis erklärt sich als Nachklang aus V. 5). D i e schwierigere Lesart - schon wegen des Bezugs zu V. 3 f — ist sicherlich die in E e h. Man kann also vermuten, daß F e g eine nachträgliche Verbesserung der verderbten Überlieferung in A B a b d f ist. Freilich, wenn keine anderen Varianten bekannt wären, würde kaum jemand auf die Idee k o m m e n , daß die Lesart in F e g nicht von Hadamar stammt.

83,1

Das was g u t wankch, geselle C b (ähnlich Α Β E G a e f h) D a es gieng her geselle F e g

"

Der erste Buchstabe wurde nachträglich durchgestrichen.

36

Überlieferung und Textkritik Auch an dieser Stelle ist die von Stejskal abgedruckte Variante auf den ersten Blick anspruchsvoller als die Lesart in F e g . Doch aufgrund des Parallelismus im zweiten Vers (dâ gêt ez aber danne) sowie der korrekten Syntax läßt sich eine sichere Entscheidung kaum fällen. 98,1

Cher zu mir her geselle Chera her es nahet noch hie her war es welle von der vntat ie so verre iahet C F b c g Cher zuo mir eher geselle her ez nahet allez noch hieher Β E ähnlich die anderen Hss. Schmeller hat die Version in C F b c g abgedruckt. Gegenüber der von Stejskal übernommenen Version bietet sie eine plausible Alternative. Das Enjambement fehlt, V. 1 und V. 3 bieten einen anderen Reim. Auf eine spätere Redaktion könnten hier allenfalls der Genuswechsel sowie der Hebungsprall im vierten Vers verweisen. Beides sind aber keineswegs sichere Indizien, denn metrische Unregelmäßigkeiten finden sich auch sonst und die Verschreibung von dem als der ist sicher nur ein Flüchtigkeitsfehler.

197,7 verdirbet owe daz wil nimmer zovgen E daz] dez AB H a e f h owê fehlt Β f Verderben mus die liebe wil nymmer zawgen C b verdirbet das ist sicher ane lougen F e g Die nichtssagende Bekräftigungsformel in F e g kann auf eine spätere Veränderung deuten, möglicherweise um den fast identischen Reim ougen :: zougen zu vermeiden. C b weisen eine eigene Variante auf, die den Bezug des daz expliziert. 268,6 des sia sich pluot var verbet wann er uns kauffet mit so tewrem kauff Β I (ähnlich A E a e f h) Der durch vns hatt vergossen sin bluott vnnd vns geraynet mit dem touffe F e g Wieder bietet Β mit der christlichen Hirschallegorie (vgl. Str. 256) die bessere Lesart. Die nicht allegorischen, inhaltlich und formal gleichwohl einwandfreien Verse in F e g spielen ebenfalls auf die Kreuzigung an, fügen aber noch das Motiv der Taufe hinzu. Im Gegensatz zu den bisher behandelten Varianten wird so auch inhaltlich ein neuer Akzent gesetzt. Da der alte Weidmann den Jäger auffordert, von der sündhaften Minnejagd abzulassen und einen neuen, christlichen Anfang zu wagen, ist die Variante nicht ungeschickt. Einen Bezug auf die Taufe gibt es in der >Jagd< sonst allerdings nirgends.

Die Gruppe C F b c g

37

498,1 Mir was je als ein wicke die wil ich hoffen horte louffen ach gott wie dicke sin huglich jagen mir verzagen storte F e g Mir waz ie alz ein wicke die weil ich hoffen hoerte Swie dicke waz ein dicke sein iagen mir verzagen dicke storte A Β C E f h (ähnlich b) Die von Schmeller übernommene Variante m F c g bewirkt ein doppeltes Enjambement. Einem späteren Redaktor wird man einen solchen Kunstgriff kaum unterstellen. Doch auch die zweite Version dieser Verse (Stejskal) weist, neben dem für Hadamar typischen Spiel mit den Homonymen dicke, immerhin ein Enjambement auf. Gerade die letzten Beispiele zeigen, daß selbst in diesen jungen Handschriften mit Varianten zu rechnen ist, die mangels Hinweisen auf eine spätere Redaktion — wie etwa semantischen oder stilistischen Unregelmäßigkeiten — als Autorvarianten eingestuft werden könnten. Selbst Stellen wie 38,7 oder 268,6f., an denen eine anspruchsvolle Lesart durch eine einfachere ersetzt wird, sind fast immer inhaltlich wie formal einwandfrei und können dem Autor allenfalls nach dem Prinzip der lectio difficilior abgesprochen werden. Das ist insofern nicht unproblematisch, als derartige Entscheidungen allenfalls dann halbwegs valide sind, wenn ein durchgehendes Bearbeitungsprinzip festgestellt werden kann. Es stellt sich also die Frage nach den Motiven fur die Veränderung eines Strophenabschnitts. Berücksichtigt man zudem die weniger komplexen Varianten dieser Gruppe, zeichnen sich tatsächlich einige Tendenzen der Redaktion recht deutlich ab. Diese kleineren Abweichungen werden in der Regel auch von C und b übernommen, die die o.a. komplexen Neubearbeitungen von F e g sonst nur in einigen Fällen teilen. 43,6

Swer allev dink auz richtet A wer alle ding auszrichten will Β E a d e h Wer alle ding will ausrichten / Wer es alles will vßrichten F e g Wer alles wil ausrichten b Wahrscheinlicher ist, daß sich es aus alle ding entwickelt hat als umgekehrt. Das will vßrichten deutet auf einen engeren Zusammenhang von F b c g mit Β E a d e f h als mit A. Die größere Handschriftengruppe ist metrisch unregelmäßig (^alterniert nicht, in den anderen Textzeugen männliche Kadenz). Man kann vermuten, daß F b e g diese Unregelmäßigkeiten nachträglich geglättet haben.

93.5

wie mich doch kratzn scharffes schaches pramen h swie mich doch raitzet scharffes schaches praemen A

3

Überlieferung und Textkritik

8

wie mich doch kreißen scharpfe premen E a wie mich doch kraczen scharpfes schalkes pramen Β d f e (schalkes in Β nachträglich eingefügt) swie mich doch kratzent valschez schalkes pramen C F b c g Der ungewöhnliche scharpfe schalk in ß d f e wird in C F b c g durch die konventionelle Wendung ersetzt (s.o. S. 33). 115,6

nach im nach im so jage A h nach im jag nach im Β E a f Nach im jagt ane wenken C F b c g Β E a / gehen aufgrund des doppelten nach im wahrscheinlich auf A h zurück. In welchem Zusammenhang diese Gruppen mit der einwandfreien Version in C F b c g stehen, in der die Wiederholung vermieden wird, läßt sich nicht klären.

121,3

Ich Ich ich Ich

wände fröden nahen F e g want frewden nahen C want da frewden nahen b wonte fraewden uahen Α Β E a f e h

Die schwierigere Lesart ist durch den Bezug zur Jagdsituation vâhen (Schmeller). Schon aufgrund des doppelten Bezugs (auf das Wild bzw. auf den Hund Fröude), ist die allegorische Bedeutung von vâhen vielschichtiger als von »Nähe zum Hund«. Wenn C F b c g eine spätere Redaktion ist (klären läßt sich das nicht), so liegt hierin wohl der Anlaß für die Redaktion. 136,1

Muot stercken und krencken Β E a b e f h Muet sterket vnd chrenket C F c g (:: gedenchet) Die bessere Lesart haben wiederum Β E a b e f h (einleitendes Fragepronomen erst in V. 4), da die Strophe einen Fragenkatalog zum Thema muot enthält, der erst in V. 7 aufgelöst wird. Sinnvoll sind C F c g freilich auch (»Mut stärkt und schwächt, was ihm entgegenwirkt. Denkt gemäß der Norm des Hohen Mutes!«). Die Strophe ist allerdings syntaktisch weniger anspruchsvoll.

C F b c g versuchen also offenbar, Verderbnisse zu korrigieren (etwa in 3 8 , 7 oder 9 3 , 5 ) . Stilistische und metrische Unregelmäßigkeiten (z.B. 4 3 , 6 oder 1 9 7 , 7 ) werden geglättet, schwierige Stellen, deren Syntax ( 1 3 6 , 1 ) oder Inhalt (z.B. 1 2 1 , 3 ; 2 6 8 , 7 ) ungewöhnlich ist, werden vereinfacht, um sie leichter verständlich zu machen. Allerdings bleibt die Frage, warum auch C F b c g Verderbnisse der anderen Handschriften überliefern (etwa in 1 4 6 , 7 ; s.o. S. 3 3 ) , die ein sorgfältiger Bearbeiter der >Jagd< sicherlich korrigiert hätte. Wenn also tatsächlich eine sekundäre Redaktion vorliegen

Die Gruppe C F b c g

39

sollte, so bleibt sie punktuell. 3 6 Daß es sich um autorfremde Varianten handelt, kann letztlich aber nicht bewiesen werden und nur in einzelnen Fällen als wahrscheinlich gelten (etwa in 1 3 6 , 1 ) . Zwar können, wie einige der obigen Beispiele (43,6 und 93,5) demonstrieren, etwa die Hälfte der Lesarten in C F b c g aus der Gruppe Β E a de /hergeleitet werden. Jedoch ist keine einzelne dieser Handschriften allein Ausgangspunkt für den Text in CF b cg. Für jede von ihnen läßt sich mindestens ein Beispiel dafür finden, daß der in C F b c g überlieferte Text aus dieser, nicht aber aus den anderen Überlieferungsträgern der Vulgatversion stammt. Das dürfte ein ziemlich sicheres Indiz dafür sein, daß eine allzu enge Verwandtschaft zwischen beiden Gruppen nicht vorliegen kann. Und während etwa A h nur in Ausnahmefällen den anspruchsvollsten Text überliefern, gibt es eine Fülle von Textstellen, in denen das von C F b c g Tradierte den Versionen der anderen Gruppen vorzuziehen ist; mehrmals bieten sogar nur Handschriften aus dieser Gruppe einen sinnvollen Text. 139,1

Durch muot den edlen werden F b c g Durch muet den vrischen werden C Durch muot der edlen werden Α Β E a e f h Im Kontext zum zweiten Vers (guot frouwen stnt gemachet) ergeben nur C F b c g einen Sinn. Α Β E a e f h beziehen sich hier auf die als muotes muoter apostrophierte Minneherrin in Str. ~iy]ï.

182,6

das wilde het fürgewonnen C F c g daz het in für gewunnen A E a b e h (ähnlich Β f ) Der Begriff fürgewinnen

bezieht sich bei Hadamar sonst immer aufs

Wild. Α Β E a b e h beziehen das Relativpronomen aber auf den Leithund Herze. Daß Herze vor den Hunden läuft, wissen wir allerdings schon aus V. 4. Es ist hier also nur eine Wiederholung (mit Hese 1 9 3 6 , S. 23). 327,6

ein mündel in der verre C F c g ain muende in dy verr d ein mündlein der verte b ein mundel in driuiers Β ain mundel in driuierd a e f ain muendel gar an truren A ein mündel rot in trutze h C F c g sind offensichtlich Ausgangspunkt für die verderbte Variante in Β a b e f . Darauf weist auch die Uberlieferungsgemeinschaft mit d hin, da diese Handschrift in der Regel die Vulgatfassung überliefert.

,6

Hilgers 1 9 7 3 , S. 10: »Jeder Text hat dem Schreiber gegenüber ein ihm eigenes Beharrungsvermögen. Keiner [= der Schreiber; d. Verf.] >denkt< immer.«

Überlieferung und Textkritik

40 319,7

zuo geluecken wartt moechten pringen A ze geluck vart mochten pringen Β E d zu gliickes wart mochten bringen f e h Noch möchten zu geliickes warte pringen C F b c g N u r C F b c g sind metrisch regelmäßig (Noch mochten zúo gelúckes wárte bringen), während im Rest der Handschriften der Auftakt fehlt (zúo Gelúcken wárte mähten bringen ). Das ist an sich zwar kein Beweis dafür, daß C F b c g den ursprünglichen Text bewahrt haben. Die Stelle ist allerdings exemplarisch: Immer wieder finden sich die metrisch besseren Varianten in C F b c.

462,1

N u dar mynne la senhen F e g N u dar weip la sehen ABEabdefh Sinnvoll sind beide Varianten. Für F e g spricht jedoch, daß die Angebetete sonst nicht mit wtp angeredet wird. Zudem wird in der Strophe die Adressatin aufgefordert, ihre Macht unter Beweis zu stellen — die Minneherrin kann damit nicht gemeint sein. Auch sonst wird in dieser Strophensequenz nur die personifizierte Minne direkt angesprochen (vgl. 4 6 3 , 4 und 464,5).

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen (vgl. insbesondere auch die obigen Ausführungen zu 326,3 und 482,3). Es können fast so viele Hinweise auf eine nachträgliche Entwicklung der Vulgatfassung aus C F b c g gefunden werden wie umgekehrt. Sollte es also tatsächlich eine gemeinsame Vorlage von C F b c g und den Handschriften der Vulgatversion gegeben haben, muß diese vor dem ältesten Textzeugen dieser Gruppen, der ins 14. Jahrhundert datierten Hs. B , angesetzt werden. Die Überlieferung dieser Fassung hätte sich demnach schon kurz nach dem Entstehen des Textes abgespalten. Denn die Vielzahl der besseren Lesarten in C F b c g legt nahe, daß sich in diesen Handschriften der ursprüngliche Text erhalten hat, der in der Vulgatfassung verändert wurde. Wenngleich also C F b c g möglicherweise an mehreren Stellen den Text nachträglich redigiert haben, erscheint es doch problematisch, alle derartigen Varianten einem sekundären Bearbeiter zuzuschreiben. Die Annahme einer späteren Redaktion ist schließlich nur dann sinnvoll, wenn belegt werden kann, daß sich diese deutlich vom Urtext abhebt, die Grenze zwischen Autor und Redaktor also eindeutig erkennbar bleibt. Das aber ist, wie gesehen, oft genug nicht der Fall. Bisher wurde stillschweigend eine gemeinsame Vorlage von C F b c g unterstellt. Zumindest was F c und g betrifft, dürfte diese Annahme zutreffen. Diese drei Handschriften enthalten, wenn man von geringfügigen Varianten und Flüchtigkeitsfehlern, die insbesondere für g typisch sind, absieht, einen fast identischen Text. Aufgrund der offensichtlichen Sorgfalt

Die Gruppe C F b e g

41

und Genauigkeit der Schreiber sowie der Qualität des überlieferten Textes k o m m t ihnen in der Hadamar — Uberlieferung ein besonderes Gewicht zu. N u r vereinzelt finden sich Trennfehler. 3 7 Zufälle der Uberlieferung können allerdings in keinem dieser Fälle völlig ausgeschlossen werden. Ihre Aussagekraft ist also gering — auch deshalb, weil von der verbrannten Straßburger Hs. F nur die Abschrift Pfeiffers erhalten ist. Sicher ist, daß alle drei Handschriften sehr eng verwandt sind. Eine gemeinsame Vorlage ist wahrscheinlich. Letztlich ist es sogar denkbar, daß die eine Handschrift Vorlage der anderen gewesen ist. Kaum zu entwirren ist jedoch das Verhältnis von C und b zueinander sowie zu F e g . Daß alle fünf Handschriften eng miteinander verwandt sind, steht angesichts der zahlreichen gemeinsamen Überlieferungsvarianten außer Zweifel. Auch daß C und b einander näherstehen als allen anderen Handschriften, wird durch eine Reihe übereinstimmender Lesarten belegt (vgl. 163,7; I 97»7)· Eine weitere Präzisierung der Uberlieferungslage ist jedoch nicht möglich. Da C und b bekanntlich nicht alle der in Feg überlieferten Varianten übernehmen, sondern des öfteren m i t Handschriften der Vulgatfassung übereinstimmen — insbesondere mit d —, könnte man beide Handschriften als eine Art Ubergangsstufe zwischen den Uberlieferungsgruppen F e g und Β E a d e f betrachten. Tatsächlich gibt es einige Hinweise darauf, daß sich eine Lesart aus der Vulgatfassung über C b zu einer Variante in F e g entwickelt hat oder umgekehrt. 139,5

Si an muot/muot an si nieman vindet Α Β E a f e (ähnlich h) Seind si nu an muet nieman vindet C b Syd vnmuot muott an sie nit enfindet F e g C b zeigen Elemente der beiden anderen Varianten. Syntaktisch stimmen sie mit F e g (Schmeller) überein, inhaltlich erinnern sie an die weniger anspruchsvolle Zusammenfassung der vorangegangenen Verse in A B E a / e h.

Eine lineare Entwicklung kann allerdings ausgeschlossen werden. Denn dann dürften gemeinsame Varianten von A B E a d e f h und Feg gegenüber einer abweichenden Lesart in C b nicht vorkommen. Hierfür gibt es jedoch eine Reihe von Belegen. 474,2

37

ist auch ein suht sawr Β E a e f h ist ach ain sucht gar sure F e ist och ein sucht gar sure g

Ein Beispiel: In 3 2 , 2 F g überliefern Ich von wilde gunde während c die sinnlose Variante künde der anderen Hss. aufweist.

Überlieferung und Textkritik

42 ist auch ein sencken saure A ist auch ein preche sawre C d ist auch ein presten swäre b

503,6 Swenn ich in dem gedancke si und mich mit rehter staet samme A E a f (samen Β e; versamen h ) wenn ich denn gedenck Sy vnd mich mit rechter lieb samen F e g wenn ich in dem gedanken pin Vnd mich mit ir in rechter lieb samme C (vnd ich mich mit ir in rechter lieb samme b) Zwei Erklärungen sind denkbar: Entweder entwickeln C b die Variante in F eg weiter (was nach dem Prinzip der lectio diffìcilior wahrscheinlich ist), oder Feg sind eine spätere Redaktion des Textes in C b, die in den anderen Handschriften weiter entwickelt wird. 513,5

daran min frewde mit gedancken lainet Β E a e f h daran myn fröd mit gedencken ist geleinet F e g dar an mein hertz mit gedänchken lainet C b Feg und C b weichen voneinander und von der Vulgatversion ab, von der sie je verschiedene Formulierungen übernehmen

Drei mögliche Erklärungen bieten sich an: Man kann zum einen verschiedene Überarbeitungsstufen Hadamars annehmen. Dem widersprechen zwar einige gemeinsame Verderbnisse im Text (z.B. V. 146,7; s.o. S. 33), die man nicht dem Autor anlasten wird, die allerdings unabhängig voneinander entstanden sein könnten. Ansonsten muß mindestens eine Zwischenstufe zwischen einem evtl. Archetypus von BCEFabcdefg und den erhaltenen Textzeugen angesetzt werden. Dabei könnte es sich entweder um eine gemeinsame Vorlage von C F b c g handeln oder aber um eine gemeinsame Vorlage von B C E a b d e f . Die erste Variante impliziert, daß die Vulgatfassung dem Original nähersteht und F e g eine Weiterentwicklung einer sekundären Redaktion in C b repräsentieren. Sofern man überzeugt ist, daß F e g einen Hadamar näheren Text überliefern, wird man das zweite Überlieferungsmodell vorziehen. Auch das erscheint möglich. Die Überlieferungsverhältnisse sind verworren. Zwar hat die »Mittlerstellung« von C b weitreichende Konsequenzen für die Bewertung von F c g und der Vulgatfassung. Die Frage, welche dieser beiden Handschriftengruppen den Absichten Hadamars näher kommt, ist für die Wahl der Leithandschrift einer Neuausgabe von zentraler Bedeutung. Doch dahingehende Überlegungen können nur Spekulation bleiben, da eindeutige Aussagen, ob C F b c g oder Β E a d e f den besseren Text bieten, meist nicht

Die Gruppe Β E a d e f

43

möglich sind und, wie gesehen, mal für die eine, mal für die andere Gruppe plädiert werden kann. Eine befriedigende Lösung zugunsten eines Erklärungsmusters gibt es m.E. nicht. Die Handschriftengruppen sind letztlich gleichwertig.

1 . 3 . 3 . Die Gruppe Β E a d e f Daß die Handschriften dieses Überlieferungszweigs (B E a d e f ) in der Regel einen sehr guten Text aufweisen, konnte in den bisherigen Ausführungen bereits mehrmals festgestellt werden. Anzeichen für bewußte, nachträgliche Redaktionen gibt es kaum. Diese Möglichkeit läßt sich allerdings nicht völlig ausschließen: Wenn A h als Untergruppe von Β E a d e f eingeordnet werden - was bekanntlich nicht auszuschließen ist - , es also nur zwei Hauptzweige der Überlieferung gibt, kann kaum entschieden werden, welche der beiden anderen Überlieferungsgruppen den ursprünglichen Text redigiert hat und welche nicht. Während C F b c g allerdings kaum Flüchtigkeitsfehler aufweisen und im Wortlaut oft übereinstimmen, sind Verschreibungen, metrische Unregelmäßigkeiten und leichte Abweichungen der Handschriften voneinander hinsichtlich der Formulierung typisch für die Vulgatfassung der >JagdJagd< am häufigsten verbreitet wurde. Eine Klassifikation der Binnenstruktur dieser Gruppe ist auf der Basis solcher Varianten kaum möglich. Z u m einen deshalb, weil in einer Vielzahl von Fällen keine zwei Handschriften einen identischen Wortlaut überliefern. Z u m anderen sind sie natürlich alles andere als verläßlich. Zufällige Übereinstimmungen können nicht ausgeschlossen werden, worauf im übrigen schon der diffuse Befund hinweist. J e nach Textstelle kann jede Handschrift Trennfehler gegenüber jedem anderen Textzeugen dieser Gruppe aufweisen. Wirklich sichere Belege fehlen also. N u r für die Hss. E und a, deren fast identische Strophenfolgen dies schon suggerieren, kann eine sehr enge Beziehung nachgewiesen werden. Ungeachtet dialektaler Unterschiede — die Mundart des Schreibers von E ist ostfränkisch (Pyritz 1 9 5 0 , S. X V I I f.), in a ist sie bairisch-österreichisch — stimmen beide Handschriften häufig überein und weisen eine Reihe signifikanter Varianten auf, die in der Regel als Fehler bestimmt werden können (vgl. auch 93,5).

Die Gruppe Β E a d e f 169,7

von

45

hoech her wider ab min fraewde seiget A

von hoch wider ab mein frewd seiget Β E a b e f h von hoher wirde ab mein vröwde seyget C F c g von hoch wider abe min sorge siget E und hohe wider ab mein sorge seiget a In V. 5 - 7 wird über den H u n d Genâde reflektiert: »Wenn Genâde nicht schweigt, um mich zu prüfen, / und trotzdem auf der Fährte jagt, / so sinkt meine Freude.« E a haben aufgrund der Aussage in V. 6 fröude durch sorge ersetzt - wenn Genâde jagt, ist das ja eigentlich kein Anlaß zur Sorge. N i c h t berücksichtigt wurde allerdings die Aussage in V. 5: Denn eine stumm jagende Canifizierung wird bei Hadamar sonst immer negativ bewertet. E a sind somit widersinnig.

Was die anderen Textzeugen betrifft, so gibt es Hinweise auf gruppenübergreifende Beziehungen in d (v.a. zu C F b c g, vgl. z.B. 474,2 und 4 7 9 , 1 ) und in e (v. a. zu Λ h\ vgl. außer den bereits erwähnten Stellen noch 1 2 , 6 und 1 4 , 7 im Lesarten Verzeichnis des Dokumentationsteils). 10,5

es sey auff walde oder in dem muor Β F a b c g es sey auf wasser oder jn dem mure h Ez sei auf wazzer auf wald oder in dem muore A e

33,7

laß staett vnd trüwen aynes dannen schaiden F d c e g la stiwr vnd trewn aines dannen schaiden A Β E a b f h Für Staete spricht die oft formelhafte Verbindung mit der Canifizierung Triuwe in der >Jagd< sowie die Tatsache, daß Hadamars Meute am Textanfang noch nicht erweitert wird. Stewr ist hier möglicherweise eine phonetisch bedingte Vorwegnahme von Triuwe.

490,5

Dez zaemlich gehaim mich ernerte A Β a e h Daz zämlich gehaym mich uil senden nerte C b d

Zufällige Ubereinstimmung wird man hier spontan ausschließen. Zwar scheint es denkbar, daß diese jungen Handschriften neben ihrer wichtigsten Vorlage auch Handschriften einer anderen Gruppe herbeigezogen haben. Dann muß allerdings erklärt werden, warum der geflissentlich kontaminierende Redaktor, den man in einer solchen Uberlieferungssituation unterstellt, dort eingreift, wo die Handschriften der Vulgatfassung ebenfalls einen sinnvollen Text bieten — und umgekehrt: warum offensichtliche Fehler dieser Fassung, die in den anderen Gruppen nicht vorkommen, übernommen werden (vgl. z.B. 146,7; s.o. S. 33). Beide Erklärungsschemata — Kontamination wie zufällige Ubereinstimmung — können letztlich nicht befriedigen. Da derartige Varianten zudem nur sporadisch auftreten, bleibt jede Interpretation dieses Phänomens notwendigerweise spekulativ.

46

Überlieferung und Textkritik

Die Erlanger Hs. e ist auch deshalb interessant, weil sie, obschon der Text eine Fülle von Flüchtigkeitsfehlern aufweist, an mehreren Stellen allen anderen Handschriften vorzuziehen ist: 225,4

wo schone vnnd stet künst vnnd hochgebörte e swa schoen vnstaet kunst vnd höh gepurte

ABCEFabcgh

e ist sowohl stilistisch (Parallelismus) als auch inhaltlich besser (die negative Eigenschaft der unstaete fällt aus dem Rahmen der positiven Attribute der Dame). 276,4

vnd moht mich an freuden krenken E F a g vnnd mocht mich an froiden nieman krenkin e Sinnvoll ist nur die von Schmeller übernommene, metrisch regelmäßige Lesart in e. (Bartsch 1 8 8 1 , S. 1 3 1 1 ) .

Die Neuensteiner Hs. /schließlich orientiert sich über weite Strecken sehr eng an B, der ältesten Handschrift dieser Gruppe, weist jedoch mehr Verschreibungen und Flüchtigkeitsfehler auf als diese. 479.1

Ey liebev suezzev rainev A E G a h e Ey liebe frawe raine C F b c d g Ey liebe suesse fraw rain Β f

518,7

So pin ich wol von ir tausent meil (Λ h ähnlich E F a c d e g) So pin ich von ir tausent tausent meil Β f so pin ich von ir hundert tawsent meile C b

Ab Str. 5 1 9 allerdings bietet/nicht nur fast dieselbe Strophenfolge, sondern zudem meist dieselben Varianten wie e. 528.2

prachvogel geibitz Staren A Β E a b h g prachvogl gabitz starn B b brachvogel enten starn e f

Ein Vorlagenwechsel nach Str. 5 1 9 ist in/nicht ganz auszuschließen, wenngleich es in der Handschrift selber erwartungsgemäß keine Anzeichen dafür gibt. Für diese Annahme spricht allerdings die Tatsache, daß / Str. 562 als Wiederholungsstrophe mit eh zwischen Str. 561 und 563 einordnet.

1.3.4. Die Uberlieferung des Schlusses Diese Situation ist symptomatisch für die Überlieferung am Textende der >JagdDes Minners Klage< und >Der Minnenden Zwist und Versöhnung< gemeinsam mit

Hadamars

>JagdJagd< unvermittelt abbricht. Da nun F c d ebenfalls mit oder kurz nach dieser Strophe enden, ist ein Uberlieferungszusammenhang mit C denkbar. Das aber würde implizieren, daß die in Feg und Β b d überlieferten Fassungen dieser Verse spätere Redaktionen wären, mit denen das ursprüngliche, abrupte Ende in C geglättet werden sollte. Nicht nur/, auch b g und unter Umständen sogar Β hätten demnach im Anschluß an Str. 5 1 9 die Vorlage gewechselt, um den Text der >Jagd< zu vervollständigen. Hierfür spricht außerdem, daß mit Ausnahme von F in den vier 38

In 522,1 überliefern E a g etwa Franteti richter knechten. Die anderen Hss. haben ritter statt richter.

48

Überlieferung und Textkritik

erhaltenen Kurzfassungen der >Jagd< am Schluß jeweils eine Reihe von unbeschriebenen Blättern folgen, auf denen ungefähr 50 Strophen (in C) bzw. 60 Strophen (in c und d) Platz finden könnten. 39 Das entspricht fast genau der Zahl der in diesen Handschriften »fehlenden« Strophen. Es scheint, als hätten die Schreiber gewußt, daß ihre Vorlagen nur einen verkürzten Text bieten, der noch zu ergänzen wäre. 40 Derartige Überlegungen sind freilich mit Vorsicht zu betrachten. Daß zunächst einmal die Interpretation unbeschriebener Blätter notwendigerweise spekulativ ist, muß nicht eigens hervorgehoben werden. Vor allem aber ist die obige Interpretation der Versionen von Str. 5 1 9 durchaus anfechtbar. F c enden schließlich nicht mit dieser Strophe, sondern fügen noch zwei bzw. drei Strophen an, die auch in g überliefert sind. Und diese Handschrift bietet bekanntlich einen vollständigen Schluß. Es ist also keineswegs auszuschließen, daß der Schluß in F c unabhängig von C verloren gegangen ist. Bemerkenswert ist, daß die Schlußverse von Str. 5 1 9 in F c g das Thema der folgenden Str. i-1 ankündigen (vgl. k j ) und diese Strophen passen wiederum hervorragend zu dem anschließend in g folgenden Minnegericht (Str. 52off.). 4 1 Die hier überlieferte, einwandfreie Version von Str. 5 1 9 sowie die Str. i-1 in diesen Handschriften können demzufolge durchaus als Zweitfassung Hadamars angesehen werden. Dann aber ist eine dritte von Hadamar stammende Variante dieses Textabschnitts ebenfalls denkbar, nämlich die in Β und b überlieferte — was zugleich dem Schluß von d ein größeres Gewicht verleihen würde. Angesichts dessen, daß die drei Versionen von Str. 5 1 9 nicht nur einwandfrei, sondern auch unabhängig voneinander sind, also nicht erklärt werden kann, wie sich welche Fassung entwickelt hat, können sie - weil sichere Entscheidungskriterien fehlen — Hadamar nicht abgesprochen werden. Der Befund der letzten drei Verse von Str. 5 1 9 in C reicht allein nicht aus, um eine weitreichende Kontaminierung am Textende zu belegen. Hinzu kommt, daß die Lesarten der letzten 45 Strophen der >Jagd< nur wenige Anhaltspunkte für eine genauere Klassifikation der Handschriften bieten, geschweige denn für ein Urteil darüber, welche der vollständig erhaltenen Versionen des Schlusses von Hadamar stammen könnte und welche nicht. Eindeutige Leitfehler, mit denen sich Abhängigkeiten bele-

39

40

41

Das läßt sich mit ziemlicher Genauigkeit feststellen, da die Zahl der Strophen pro Seite in diesen Hss. kaum variiert. So Gragger 1 9 2 1 , S. 4 3 . Möglicherweise ist dies der Grund für Stejskals Entscheidung, seinen Hyparchetypus von A BCFbcdfg mit Str. 5 1 9 abbrechen zu lassen. V g l . die Edition im Dokumentationsteil.

Die Überlieferung des Schlusses

49

gen ließen, sind in diesem Textabschnitt nicht vorhanden. 42 So kann aufgrund des diffusen Befunds nicht genauer bestimmt werden, ob g den Schluß von E a übernommen hat oder umgekehrt. Denn eine konsequente Uberlieferungsgemeinschaft hinsichtlich der Lesarten und Varianten, mit der sich auch ohne eindeutige Leitfehler eine enge Verwandtschaft belegen läßt, besteht nicht. Da g aber, wie der Vergleich mit F und c zeigt, sonst eine sehr sorgfältige Abschrift bietet, dürfte der in ihr überlieferte Schluß zumindest nicht direkt aus E a stammen. Hierfür spricht auch der Befund der Strophenfolgen: Im Gegensatz zu E wird in g die Dialogstrophe 562 korrekt in das Gespräch mit dem alten Jäger eingeordnet. Die Parallelen zwischen / und e am Textende schließlich müssen keineswegs auf einen Vorlagenwechsel deuten, da beide Handschriften der gleichen Uberlieferungsgruppe angehören. Wenngleich also in beiden Fällen Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Gestaltung des Textendes nicht zu übersehen sind, eine Kontamination läßt sich weder in g noch in / überzeugend belegen. N u r was Β oder b betrifft, ist ein Vorlagenwechsel am Anfang und Schluß der >Jagd< ziemlich wahrscheinlich. Beide Handschriften enthalten in diesen Textpassagen -

und zwar nur hier — fast immer identische

Formulierungen, ja sogar dieselben Flüchtigkeitsfehler. Die Vermutung, daß eine von ihnen zweimal die Vorlage gewechselt hat, liegt also nahe, wenngleich sie mangels eindeutiger Leitfehler nicht zu beweisen ist. Der Grund für die Kontaminierung könnte sein, daß ein Redaktor die vorbzw. nachgestellten Minnereden als Bestandteil von Hadamars >Jagd< ansah und seine Vorlage, wie etwa die mit b eng verwandte Hs. C, an Anfang und Schluß lückenhaft war. Welche der beiden Fassungen kontaminiert ist, muß allerdings offenbleiben. Daß b hier der Vulgatversion, sonst jedoch C F e g nahesteht, spricht für Kontamination in dieser Handschrift. Andererseits weist die ältere Hs. B , die sonst einen hervorragenden Text bietet, am Textende eine Fülle von Verderbnissen auf, die b nicht übernimmt. Auch wenn mehr für als gegen Kontamination in diesen Handschriften spricht; letztlich läßt sich nicht mehr beweisen, daß kontaminiert wurde, geschweige denn klären, welche Handschrift wie redigiert wurde. Ich fasse zusammen: Wie schon die Strophenfolgen erlauben auch die Lesarten keine stemmatische Herleitung aus einem Archetypus. Es können zwar drei Gruppen der Überlieferung des Textes konstatiert werden, die sich z.T. wieder in Untergruppen aufgliedern. Die Vorlagen der erhaltenen Handschriften sowie das Verhältnis der Handschriftengruppen zueinander bleiben jedoch schemenhaft. Jede der Handschriftengruppen enthält Lesarten, die 42

V g l . die Laa. zu Str. 5 2 0 - 5 6 5 im Dokumentationsteil.

Überlieferung und Textkritik

5o

als ursprünglich angesehen werden müssen, keine von ihnen läßt sich also ausschließlich aus einem der erhaltenen Textzeugen ableiten. Wir haben es zudem weniger mit umfassenden Überarbeitungen zu tun als vielmehr mit punktuellen Redaktionen, die sowohl auf den Autor als auch auf spätere Bearbeiter zurückgehen können. Die Frage, welche der erhaltenen Handschriften als Ganzes Hadamars Absichten am ehesten entspricht, muß offen bleiben. Gleichwohl ist der Befund hier übersichtlicher als die Überlieferung der Strophenfolgen. Kreuzungen zwischen den einzelnen Handschriftengruppen sind selten, wenn man einmal von den letztlich nicht belegbaren Hinweisen auf Kontamination am Textende absieht. Offenbar hat sich die Überlieferung schon früh, genauer gesagt vor den ältesten erhaltenen Handschriften des 14. Jahrhunderts, in drei Gruppen aufgespalten; spätere Überlieferungsvarianten beschränken sich in der Regel auf geringere, den Sinn nicht verändernde Abweichungen. Auch wenn ein Urtext der >Jagd< letztlich nicht rekonstruiert werden kann; im Gegensatz zum verwirrenden Befund der Strophenfolgen ist die Überlieferung, was den Wortlaut der >Jagd< betrifft, überschaubar und überraschend einheitlich.

1 . 4 . E i n U b e r l i e f e r u n g s m o d e l l der >Jagd< Wie wir gesehen haben, führen die Untersuchungen von Strophenfolgen und Lesarten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während die Handschriften hinsichtlich ihrer Strophenfolgen immer neue Überlieferungsgemeinschaften eingehen, ist die Tradierung des Wortlauts in der Regel einheitlich; erst am Textende können Kreuzungen in der Überlieferung vermutet werden. Zudem ergeben sich jeweils unterschiedliche Überlieferungsgemeinschaften. Im folgenden soll deshalb nach einer kurzen Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse ein Modell entwickelt werden, das diesen in der Überlieferung der Minnereden m.W. einmaligen Befund erklären kann und das als Ausgangspunkt der anschließenden Untersuchungen zu Textstruktur und Allegorie dienen soll.

1 . 4 . 1 . Zusammenfassung Auffällig ist vor allem die Vielfalt der Tradierung. Eine Klassifikation der Handschriften auf der Basis von Strophenfolgen und Lesarten zeigt, daß die dreizehn überlieferten Handschriften in mindestens vier Überlieferungsgruppen aufgegliedert werden müssen, die signifikant voneinander

Zusammenfassung

51

abweichen. Die wiederum

unterschiedlichen

Handschriftenklassen des

Textendes sind dabei allerdings noch nicht berücksichtigt. ι . Gruppe: A h E t w a die H ä l f t e der Lesarten in A wird auch von h übernommen. W a s die Strophenfolge betrifft, so ist v.a. der Einschub nach Str. 1 7 1

kennzeich-

nend - der allerdings in beiden Handschriften unterschiedlich gestaltet ist. h orientiert sich sonst eher an der Strophenfolge in E a e, A an der der anderen Textzeugen. W e n n g l e i c h es also aufgrund der unübersehbaren K o r respondenzen sinnvoll erscheint, die beiden W i e n e r Handschriften einer gemeinsamen G r u p p e zuzuordnen, sehr eng sind die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen ihnen nicht. 2. Gruppe: B d f Ungeachtet häufiger, g e r i n g f ü g i g e r Unterschiede des Textes und der Strophenfolgen sowie abweichender Varianten am Textanfang (Β b vs. d f ) und -ende (Β ί ν s. C d vs. e f h) bilden diese Handschriften eine Uberlieferungsgruppe. Es handelt sich gewissermaßen u m den »Kernbestand« der Vulgatfassung der >JagdJagd< m i t klar umrissenen Konturen, die in ihrer Binnenstruktur erstaunlich eindeutig ist. V o m Textende in g abgesehen, finden sich k a u m Trennfehler zwischen den Handschriften.

Die hier vorgeschlagene Gliederung kann nur die wichtigsten Beziehungen zwischen den Handschriften mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit darstellen. Denn zum einen bestehen eine Fülle von Beziehungen zwischen einzelnen Handschriften der verschiedenen Klassen, die sich nicht in

52

Überlieferung und Textkritik

ein System eindeutiger Abhängigkeitsverhältnisse einordnen lassen. Z u m anderen sind die Binnenstrukturen der einzelnen Gruppen ziemlich unscharf. Die vierte Gruppe ließe sich durchaus in zwei Klassen aufteilen, während die Gemeinsamkeiten der Hss. A und h keineswegs so eindeutig sind, daß die Annahme einer engen Überlieferungsgemeinschaft zwingend ist. Und würde man - was im Grunde selbstverständlich sein sollte auch die verschiedenen Fassungen des Schlusses berücksichtigen, wäre selbst dieses recht diffuse Schema nicht mehr haltbar. Durchgängig eindeutige Überlieferungszusammenhänge bestehen schließlich nur zwischen den Hss. E a einerseits und F c andererseits. Wenn man Widersprüche, Ambivalenzen und Kreuzungen in der Klassifikation der >JagdJagd< von einem einzigen Archetypus abstammen — gemeinsame Fehler wie etwa in 146,7 (s.o. S. 33) könnten in diese Richtung deuten. Doch sollte man derartige Hinweise angesichts der komplexen Interdependenz der Überlieferung nicht überbewerten. Sie sind keineswegs so greifbar, daß ein einziger Urtext zwingend anzunehmen ist, geschweige denn, daß er anhand der erhaltenen Textzeugen rekonstruiert werden könnte. Schon angesichts der Vielzahl der anzunehmenden Fälle von Kontamination wäre eine genealogische Herleitung ebensowenig glaubhaft wie eine stemmatische Darstellung der Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den vier Gruppen. Die tatsächlichen Gegebenheiten können durch das traditionelle Lachmannsche Überlieferungsmodell nicht adäquat dargestellt werden. Auf der Suche nach dem, was als echt und was als unecht zu gelten hat, stößt man in der >JagdJagdJagdJagd< ein spezifisches Merkmal der Textkonstitution ist. Im Überlieferungs- und möglicherweise schon im Entstehungsprozeß sind verschiedene, einander mal mehr, mal weniger ähnliche Fassungen bestimmter Textabschnitte entstanden. Es handelt sich folglich weniger um ein abgeschlossenes, sakrosanktes Werk als um ein »work in progress« mit unscharfen Konturen. Nimmt man den Befund ernst, sind die verschiedenen Fassungen einer Textstelle zunächst einmal gleichwertig — solange das Gegenteil nicht bewiesen werden kann. Aus dieser Perspektive betrachtet, relativiert sich die Frage nach dem Urheber einer Fassung und dem Anteil des Autors an der Überlieferungssituation. Daß die >Jagd< in Disposition und Ausführung summa summarum das Werk eines einzigen Autors ist, steht außer Frage. Keiner der verschiedenen Fassungen liegt der Anspruch zugrunde, ein neues Werk zu dichten. 45 Aber selbst eindeutig faßbare, durchgehende Bearbeitungsprinzipien, aufgrund deren die verschiedenen Redaktionsstufen voneinander abgegrenzt werden können, lassen sich in der Regel nicht belegen. Während sich etwa in der Überlieferung der >Minneburg< drei verschiedene Fassungen unterscheiden lassen (Langfassung, gereimte Kurzfassung, Prosafassung), deren Absichten und Abfolge ziemlich klar bestimmt werden können, ist dies bei Hadamar nicht der Fall. Die >Jagd< wird an verschiedenen Stellen redigiert, umgestellt oder variiert, aber nicht grundlegend überarbeitet oder gar umgedichtet. Diese Form der Überarbeitung kann sowohl vom Autor selber 46 als auch von späteren Redaktoren ausgehen. Man muß wohl mit beiden Möglichkeiten rechnen. Da uns Hadamar als dichterische Persönlichkeit allerdings nur aus der Überlieferung der >Jagd< bekannt ist, da Autortext und sekundäre Redaktion heute oft nicht 43

44

45

46

Zu Konzeptionen variabler Texte vgl. Schweikle 1985, Heinen 1989 (für den Minnesang), Tervooren 1967 (für die Spruchdichtung) Kühnel 1976 und Heinzle 1978. Sofern die aufgrund von Blatt- oder Lagenverlust fehlenden Partien in den Hss. C E d hinzugerechnet werden. Selbst die Hs. b, in der die >Jagd< mit zwei weiteren Minnereden zusammengeschrieben wird, vermerkt explizit, daß in ihr Das laber geiaid überliefert wird. Schweikle nennt an Motiven für derartige Bearbeitungen des Autors: »Ungenügen am eigenen Werk, Rücksicht auf ein anderes Publikum — neue Einfalle. Ein schöpferischer Prozeß bricht nicht einfach ab.« (Schweikle 1985, S. 10)

54

Überlieferung und Textkritik

mehr unterschieden werden können und beide zudem zeitlich zusammenfallen, verschwimmen die Konturen zwischen Autor und Redaktor. Dem Philologen bleibt nichts übrig, als die müßige — weil wissenschaftlich nicht lösbare — Autorfrage offen zu lassen. Jede Fassung muß demnach als authentischer, nur in begrenztem Umfang fehlerhafter Textzeuge angesehen werden, als ein »Original« unter mehreren. Das hier vorgeschlagene Überlieferungsmodell ist freilich nicht einfach die Kapitulation des Verfassers vor einem komplizierten Befund. Denn katastrophal ist die Überlieferungssituation tatsächlich nur aus der Perspektive der traditionellen Philologie. Geht man hingegen von der Konzeption eines variablen Textes aus, lassen sich einige grundlegende Widersprüche in den bisherigen Vorstellungen einer verderbten Tradierung der >Jagd< auflösen. Zufällige Fehler im Tradierungsprozeß, so kann beispielsweise angenommen werden, dürften Strophen ohne Rücksicht auf inhaltliche Zusammenhänge auseinanderreißen und umstellen. Dafür gibt es zwar tatsächlich einige Beispiele; etwa die Umstellung ganzer Textblöcke in der Hs. C, die vermutlich auf die fehlerhafte Einordnung einer oder mehrerer Lagen zurückgeht (s.u. S. 104). In der Regel bieten die verschiedenen Varianten jedoch durchaus einen sinnvollen Text — wie im folgenden Kapitel noch belegt werden soll. Zudem sind diese Varianten keineswegs gleichmäßig über den Text verteilt — das wäre bei zufälligen Fehlern im Tradierungsprozeß ebenfalls wahrscheinlich —, sondern treten an z.T. zentralen Stellen des Textes gehäuft auf, während andere Abschnitte nur wenige Varianten aufweisen. 47 Auch die Qualität der Überlieferung, wie sie sich im Lesartenbefund abzeichnet, spricht für dieses Modell. Zwar finden sich in der HadamarÜberlieferung immer wieder iterierende Varianten, Flüchtigkeitsfehler und Verderbnisse, das aber ist in der Überlieferung mittelhochdeutscher Literatur nicht ungewöhnlich. Ansonsten ist die Tradierung der >Jagd< auf dieser Ebene in der Regel sinnvoll und auch recht einheitlich. Daß die Schreiber hier sorgfältig gearbeitet haben, in Hinsicht auf die Abfolge der Strophen jedoch grob nachlässig vorgegangen sein sollen, ist kaum anzunehmen.

47

Hochgradig variabel mit je sieben z.T. komplexen Umstellungen sind Textanfang und Schluß (ab Str. 519). In den Str. 2 4 1 - 2 8 0 und den Str. 3 2 1 - 3 4 1 stehen sich zwei komplexe, aber relativ konstante Varianten gegenüber. In einem Großteil der >Jagd< finden sich hingegen nur wenige Veränderungen in der Strophenfolge. Zwischen den Str. 21 — 170 und 1 8 0 - 2 4 0 sind es je sieben, zwischen den Str. 342 und 450 zehn Varianten. Vom Uberlieferungsbefund her betrachtet, scheint es also naheliegend, die Str. 2 1 — 170 als einen »Rumpf-Text« zu betrachten, der bei allen Variationen weitgehend konstant bleibt. Vgl. zu diesem Problem aber auch Abschnitt 2.5.

Die >JagdJagd< aufgespalten hat. Daß eine ältere Handschrift deutlich von der restlichen Überlieferung abweicht, ist in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters häufig zu beobachten. Was die >Jagd< betrifft, weisen allerdings schon die vier ältesten Textzeugen, also A B C und a, die alle noch dem 14. Jahrhundert zugeordnet werden, in Strophenfolge und Wortlaut beträchtliche Unterschiede auf und repräsentieren jeweils unterschiedliche Handschriftenklassen. Doch damit nicht genug: Auch die nur in jüngeren Handschriften erhaltenen Varianten, insbesondere in Feg

und e h, gehen an mehreren Stellen nachweislich auf Fassun-

gen zurück, die vor der erhaltenen Überlieferung angesetzt werden müssen. Interessanterweise erscheint also die ältere Überlieferung der >Jagd< weniger einheitlich als die jüngere, in der zwar iterierende Varianten häufig sind, nicht aber derart weitreichende Redaktionen. Aus Sicht der traditionellen Fehler-Vererbungslehre ist diese Situation, die auf Bearbeitungen des Autors oder in seinem Umfeld hindeutet, zwar nicht ausgeschlossen, aber zumindest unwahrscheinlich. Sie entspricht allerdings der Vorstellung von Variabilität als einem konstitutiven Merkmal der Textgestaltung. Die Handschriften sind schließlich sowohl die wichtigsten als auch die frühesten Rezeptionszeugnisse der >JagdJagd< zumindest für die Zeitgenossen selbstverständlich war. Sie spiegeln Vorstellungen, die Hadamar und seinem Publikum gleichfalls vertraut gewesen sein dürften. Es erscheint somit keineswegs abwegig, in Hadamar selber den Urheber oder Auftraggeber verschiedener Bearbeitungen zu sehen. Im übrigen: Selbst wenn es tatsächlich nur einen einzigen Urtext Hadamars gegeben haben sollte, war es wohl kaum die Absicht späterer Redak-

Überlieferung und Textkritik

56

toren, ihn zu entstellen. Die Freiheit, den vorgegebenen Text zu überarbeiten und seine Abfolge zu verändern, dürfte in ihrer Vorstellung dem Autorwillen zumindest nicht widersprochen haben. Anpassungen an die Wünsche unterschiedlicher Rezipientenkreise, das Bestreben, eine Formulierung des Textes zu verbessern oder durch Strophenumstellungen auf verschiedene Zusammenhänge aufmerksam zu machen — Überarbeitungsmotive, die sowohl für den Autor als auch für spätere Redaktoren in Frage kommen —, sprengen offensichtlich nicht den Rahmen des Textes; von einem festen Werkbegriff, wie er für die neuere Literatur typisch ist, kann man nicht ausgehen. Pointiert gesagt: Im Gegensatz zu der Annahme eines sakrosankten Autortextes gibt es für die Konzeption eines variablen Textes sogar historische Belege.

1.4.3. Konsequenzen für eine Neuausgabe Für eine künftige Neuausgabe der >Jagd< hat diese komplizierte Uberlieferungslage weitreichende Konsequenzen. Ein kritischer Text, wie er von Bartsch 1 8 8 1 gefordert wurde, wird angesichts der komplizierten Überlieferungslage kaum mehr Zustimmung finden. Die erheblichen Abweichungen der kritischen Ausgaben Schmellers und Stejskals voneinander zeigen deutlich, wie spekulativ derartige Versuche bleiben müssen. 48 Eine heutige Ausgabe der >Jagd< muß sich auf die Dokumentation des Überlieferungsbefundes beschränken. Mehr als ein nur behutsam modifizierter Handschriftenabdruck, der zwar keinen Autortext, aber zumindest doch eine historisch bezeugte Fassung bietet, ist nicht durchführbar. Welche Möglichkeiten bieten sich an? A m ehesten würde man dem Überlieferungsbefund durch den Paralleldruck von jeweils einer Handschrift der vier wichtigsten Überlieferungsgruppen gerecht werden (z.B. den Hss. A B a g ) . Dadurch würde freilich die Benutzbarkeit der Ausgabe zugunsten einer eindrucksvollen Demonstration der komplexen Überlieferung geopfert. Ganz abgesehen davon, daß selbst die bedeutendste Minneallegorie des deutschen Spätmittelalters den mit einer solchen Ausgabe verbundenen Aufwand kaum rechtfertigen würde! Sinnvoller erscheint es, sich an einem strikten Leithandschriftprinzip zu orientieren. Z u ergänzen wäre die Ausgabe durch ein alle Textzeugen berücksichtigendes Lesarten-

48

In der Forschung gilt Schmellers Ausgabe als modifizierter Abdruck der Erlanger Hs. e. Tatsächlich hat Schmeller so häufig Lesarten aus b f und insbesondere F verwendet, daß seine Ausgabe als Kontamination anzusehen ist. Stejskals kritische Ausgabe, die sich recht eng an den Text in A anlehnt, steht der Überlieferung in dieser Hinsicht näher.

Konsequenzen für eine Neuausgabe

57

Verzeichnis 49 sowie durch den Abdruck der wichtigsten abweichenden Passagen (insbesondere hinsichtlich der Strophenfolge) der anderen Handschriften. Letzteres ist ein vorrangiges Ziel des Dokumentationsteils dieser Arbeit. Die Frage, welche der weitgehend vollständig erhaltenen Handschriften einer Neuausgabe zugrunde zu legen ist, läßt sich nicht ohne weiteres beantworten. Allenfalls die lückenhafte Heidelberger Hs. d, dürfte aufgrund der häufigen Verderbnisse von vornherein ausscheiden. Keine der übrigen Handschriften ist jedoch, was die Nähe zum von Hadamar intendierten Rezipientenkreis oder ihre Textgestaltung betrifft, den anderen Textzeugen eindeutig überlegen. Die Auswahl der Leithandschrift hängt angesichts dessen zum Großteil von den subjektiven Urteilen und den Absichten des Editors ab. Als wichtigstes Kriterium bleibt, daß die Leithandschrift, soweit erkennbar, den Text weitgehend vollständig und sorgfältig wiedergibt und daß sie in Wortlaut und Strophenfolge möglichst wenige eigene Varianten bietet. Zwar kann der Anspruch, einen für die mittelalterliche Rezeption der >Jagd< repräsentativen Text darzubieten, durch den Abdruck einer einzigen Handschrift aufgrund der vielschichtigen Uberlieferung nicht erfüllt werden. Doch sollte eine Edition, die sich darauf beschränken muß, ein Rezeptionszeugnis abzudrucken, zumindest einen dokumentarischen Wert anstreben. Der Einwand, daß damit nicht die ästhetisch anspruchsvollste Fassung, sondern eher eine Art »kleinster gemeinsamer Nenner« einer Ausgabe abgedruckt wird, kann für die >Jagd< nicht geltend gemacht werden, da die verschiedenen Fassungen prinzipiell gleichwertig sind. Als Leithandschrift ist demnach am ehesten eine Handschrift der zweiten oder der vierten Gruppe ( B f oder F e g ) geeignet. Sie repräsentieren hinsichtlich ihrer Strophenfolgen die Vulgatfassung und in bezug auf den Wortlaut die beiden anspruchsvollsten und am wenigsten fehlerhaften Versionen des Textes. 50 49

Stejskal beschränkt sich in seiner Ausgabe auf die ältesten Hss. Α Β a. Da die jüngeren Textzeugen - insbesondere F c e h g — oft hervorragende Lesarten bieten, sollten auch sie berücksichtigt werden.

50

Ich würde die ehemals Donaueschinger, jetzt Karlsruher Hs. g bevorzugen. Sie weist den vollständigsten Strophenbestand sowie eine einwandfreie Strophenfolge auf. Gegen sie spricht neben ihrer räumlichen und zeitlichen Distanz zum Autor (aber recentiores non deteriores!) allenfalls, daß sie recht viele Flüchtigkeitsfehler aufweist (die sich allerdings meist anhand der sehr eng verwandten Hss. F und c verbessern lassen) und daß sie nicht den Wortlaut der Vulgatfassung enthält. D e m könnte jedoch durch den buchstabengetreuen Paralleldruck einer der Handschriften dieser Gruppe (B, E, a, e oder f ) im Apparat abgeholfen werden. M . E. wäre es ohnehin problematisch, eine der beiden wichtigsten Textfassungen in einem unzusammenhängenden Konvolut von Lesarten aufzulösen.

Überlieferung und Textkritik

58 1.4.4. Typologie variabler Überlieferung

Die Diskussion um variable Texte ist in der Mediävistik freilich nicht neu. Abschließend soll nunmehr versucht werden, das oben skizzierte Uberlieferungsmodell der >Jagd< durch einen typologischen Vergleich mit Parallelen in der Überlieferung mittelhochdeutscher Literatur zu präzisieren und literaturgeschichtlich einzuordnen. Von Interesse ist hierbei insbesondere, ob und inwiefern die vorgeschlagenen Erklärungsmodelle für die Entstehung variabler Texte auf die >Jagd< übertragen werden können. Die Forschung der letzten dreißig Jahre hat gezeigt, daß Variabilität volkssprachlicher Texte eher die Regel als die Ausnahme ist; vergleichbare Tendenzen der Überlieferung lassen sich quer durch alle Gattungen in einer Fülle von Texten nachweisen. 5 ' Die Begründungen, die für parallele Überlieferungsbefunde vorgebracht werden, divergieren je nach Textsorte allerdings beträchtlich. Ähnliche Phänomene müssen schließlich nicht unbedingt auf vergleichbare Ursachen hinweisen. U m nur ein Beispiel zu erwähnen: Was die Abweichungen der Handschriften in Umfang und Wortlaut betrifft, erscheint ein Vergleich der >Jagd< mit dem >Nibelungenlied< auf den ersten Blick plausibel. Allerdings steht in der Überlieferung des >Nibelungenliedes< v. a. das Verhältnis von mündlichen und schriftlichen Überlieferungsformen im Vordergrund. 52 Die Freiheit späterer Bearbeiter ist im Zwischentypus »Heldenepik« qualitativ eine völlig andere als in der Überlieferung der >JagdJagdNibelungenliedes< (Brackert 1963, S. 170) vgl. die Rezensionen von Bumke 1964 und Schröder 1968 sowie insbesondere Fromm 1974, S. 7of. Vgl. grundlegend zur Überlieferung der Heldenepik Heinzle 1978. Vgl. Blank 1970, S. 2 1 0 - 2 3 6 ; Glier 1 9 7 1 , S. 3 9 3 - 4 3 1 ; Gruenter 1957 a, S. 2 - 2 2 sowie Ranke 1 9 3 3 , S. 1 9 9 - 2 0 3 . Gliers Kapitel zur Überlieferungstypologie bietet eine erste Gliederung der Tradierungstendenzen (Glier 1 9 7 1 , S. 3 5 9 - 3 9 2 , insbes. 30of.).

Typologie variabler Überlieferung

59

ist jedoch klar: Aufgrund ihrer strophischen Form steht die >Jagd< hier ziemlich isoliert. Zwar sind Kürzungen und Erweiterungen von Reimpaarreden nicht ungewöhnlich, Umstellungen des Textes wie in der >JagdDes Minners K l a g e c In Cpg 326 (= b) und C g m 1 7 9 (= Β ) wird sie fast einheitlich überliefert (Β enthält eine in b nicht erhaltene Strophe). Aus Teilen ihres Strophenbestands wird im 1 5 . Jahrhundert jedoch eine Minneklage (Brandis 1968 Nr. 30a) zusammengestellt, in die eine Fülle neuer Strophen eingefügt wird (dazu Glier 1 9 7 1 , S. 247F.). Das Verfahren erinnert an den Einschub in den >JagdJagd< dennoch deutlich abhebt. Ein Vergleich mit der Minneredenüberlieferung kann ihren Charakteristiken letztlich also nicht gerecht werden. Ergiebiger erscheint ein Blick auf den Minnesang. Die Parallelen zwischen der Überlieferung der >Jagd< und des Minnesangs sind nicht zu übersehen. Weitgehende Variabilität bestimmter Textpassagen neben einheitlich tradierten Abschnitten (bzw. Liedern) ist hier wie dort ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen. Diese Überlieferungssituation dürfte zumindest teilweise auf thematischen und stilistischen Gemeinsamkeiten basieren. Die Minneproblematik wird auch im Minnesang oft genug recht unsystematisch diskutiert, so daß Umstellungen nicht gleichzeitig zu Sinnbrüchen im Text führen müssen. Man vergleiche nur Walthers Λ ώ freudehelfeloser mam (L 54,37) oder > Saget mir ieman waz ist minne< (L 69,1). Die Strophenfolge beruht, wie in der >JagdJagd< müssen demzufolge eher in textinternen Faktoren gesucht werden, also etwa in Struktur, Allegorie oder Minnethematik, als in den Rezeptionsbedingungen. Auszuschließen ist der sangliche Vortrag der >Jagd< freilich nicht: des labers ton wird noch von den Meistersängern verwendet, und selbst der weitaus umfangreichere >Jüngere Titurel< wurde möglicherweise noch gesungen (vgl. Bertau/Stephan 1 9 5 6 / 5 7 , S. 263^). Denkbar wäre auch der Vortrag einzelner, thematisch gebundener Strophengruppen der >JagdJagdJagd< hingegen ist nur als Gesamttext tradiert, meist als Einzelüberlieferung. Streuüberlieferung einzelner Strophen kommt - anders als etwa in der Uberlieferung des Jüngeren Titurel< nicht vor, Hinweise darauf, daß die erhaltenen Fragmente nicht aus vollständigen Handschriften stammen, gibt es nicht. Diese Form der Überlieferung kann unter Umständen daraufhindeuten, daß für die zum (Vor-)Lesen gedachte Dichtung andere Entstehungs- und Tradierungsbedingungen galten. Im Gegensatz zu einem kurzen Minnelied, das ohne weiteres mehrmals in verschiedener Form abgeschrieben werden konnte, werfen variable Strophenfolgen einer Großdichtung wie der >Jagd< Probleme auf. Es ist zwar denkbar, daß neben mehreren Heften mit zusammenhängenden Textpartien eine Loseblattsammlung des Autors am Ausgangspunkt der Überliefe-

Typologie variabler Überlieferung

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rung gestanden hat. 57 Diese Kladde könnte verschiedene Fassungen kürzerer Abschnitte (etwa der zwanzig Anfangsstrophen) enthalten haben, die dann beliebig ausgetauscht werden konnten. Auch die Verschiebung inhaltlich in sich abgeschlossener Strophengruppen (etwa der Str. 1 7 2 - 1 7 7 oder 2 7 2 — 277) weist in diese Richtung. So ließe sich vielleicht die Existenz von Zusatzstrophen erklären. Der Einschub in den Handschriften A und h sowie der Anhang im Erlanger Codex beruhen möglicherweise auf einer solchen Loseblattsammlung. Dieses Entstehungsmodell, demzufolge sich die Überlieferungssituation der >Jagd< nur graduell von der des Minnesangs unterscheiden würde, hätte zwar den Vorteil, daß der Grund für die Kreuzungen zwischen den verschiedenen Handschriftenklassen deutlich würde. Doch angesichts bestenfalls dürftiger Kriterien muß jede These notwendigerweise spekulativ bleiben. Was die Produktions- und Rezeptionsbedingungen betrifft, ist ein Vergleich der >Jagd< mit den Titureldichtungen Wolframs und Albrechts näherliegend, da es sich ebenfalls um umfangreichere, primär für ein Lesepublikum konzipierte Texte handelt. 58 Hinzu kommen Parallelen in der Textkonstitution. Gerade die beiden Titureldichtungen sind bekanntlich durch das Auflösen der Weg-Ziel-Struktur ein Sonderfall in der höfischen Epik. Die Handlungsarmut ist auffallend; der Erzählfluß wird von Wolfram und Albrecht immer wieder durch Kommentare und Exkurse gebrochen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Bemerkenswert an Wolframs erstem Fragment ist die starke Dialogisierung des Geschehens. 59 Wolframs »Selbstkritik des Erzählers« (so Wyss 1 9 7 4 ) im zweiten Fragment ist dann eher durch das Thema bedingt, durch den ständig gegenwärtigen Tod des Helden, der einen sinnvollen linearen Ablauf von vornherein negiert (Haug 1980, S. 14). Im Jüngeren Titurel< hingegen ist es v. a. die Tendenz zur Didaktisierung, die zur Auflösung der Handlungsstruktur führt; statt Normsuche steht die ständige Normbestätigung im Vordergrund (Ragotzky 1 9 7 1 , S. i i 3 f . ) . Die Folge ist die Reihung von beispielhaften, immer wiederholbaren Ereignissen, die in keinen festen Zusammenhang eingebunden werden. Der Autor ist eher Kommentator als Erzähler. Dies führt zu einer Kompositionsform von kleineren, relativ konnexen Strophengruppen, die wiederum (vgl. etwa die Beschreibung des 57

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B u m k e 1 9 8 6 , S. 7 4 4 verweist darauf, daß selbst repräsentative Handschriften nicht immer sofort gebunden wurden. Daß die Lektüre eine mindestens ebenso große Rolle für die Rezeption der höfischen Epik des 1 3 . Jahrhunderts gespielt haben dürfte wie der öffentliche Vortrag, zeigt Scholz 1 9 8 0 . Mohr 1 9 7 8 , S. 1 0 9 bemerkt zu Recht: »Es soll etwas erzählt werden, aber es wird nichts erzählt.«

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Überlieferung und Textkritik

Graltempels) zu größeren Abschnitten zusammengefügt werden. Diese Technik k o m m t derjenigen der >JagdJagd< sei hingegen, daß die Handlungsallegorie allenfalls das »formale Einheitsmoment« abgebe, in das unterschiedliche Bauteile eingefügt werden (Blank 1 9 7 0 , S. 230). Blanks Ansatz erscheint insofern fruchtbar, als nicht versucht wird, den Text aus normativen, u.U. anachronistischen Strukturprinzipien heraus zu erklären. Problematisch ist allerdings, daß seine These einer »Einheit der Aussage« letztlich ex negativo, nämlich aus dem Fehlen eines »erkennbare[n] Formprinzip[s]« entwickelt wird (Blank 1 9 7 0 , S. 213t.),

die Gefahr

eines Zirkelschlusses also gegeben ist. Zudem kommt Blank ebenfalls nicht ohne das Kriterium einer, wenn auch nur untergeordneten, narrativen Makrostruktur aus. Und die Überlieferung wird von ihm — im Gegensatz zu Glier und Hese - nicht berücksichtigt. Dabei kann eine vergleichende Untersuchung der Strophenfolgen durchaus neue Perspektiven für die Analyse des Aufbaus der >Jagd< eröffnen. Die Umstellung von Strophen ist schließlich ein wichtiges und vor allem ein historisch bezeugtes Mittel der Textstrukturierung. Wenn die Vorstellung von einem einheitlich konzipierten, linearen Werk fallen gelassen wird, so läßt sich die These formulieren, daß Überlieferungsvarianten in der Strophenfolge auf Sinneinheiten bzw. auf inhaltlich-funktionelle Variierbarkeit sowie auf Einschnitte in der Textstruktur hinweisen können. In diesem Kapitel soll der Aufbau des Textes also gerade im Hinblick auf seine Veränderbarkeit untersucht werden. Für eine Strukturanalyse der >Jagd< hat die Möglichkeit von Variabilität schließlich beunruhigende

5

Diese Erkenntnis ist freilich nicht neu. Schon Curtius stellt fest: »Man war im Mittelalter weit davon entfernt, von einem Schriftwerk Einheit des Gegenstandes und innere G e schlossenheit des Aufbaus zu fordern.« (Curtius 1 9 9 3 , S. 4 9 1 )

Variable Textgestaltung

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Konsequenzen. Wenn der Text mehrere gleichermaßen sinnvolle, aber in der Abfolge des Geschehens voneinander divergierende Fassungen aufweist, impliziert das nicht weniger als die Auflösung fester Makrostrukturen. Die strophenübergreifende Organisation des Oberflächentextes, die die >Jagd< als abgrenzbare und einheitliche Größe bestimmt, ist demnach kein statisches, sondern ein polymorphes Gebilde. Sie manifestiert sich in der Uberlieferung als nicht scharf abgrenzbarer Strukturrahmen, der sich durch Titurelstrophe, Didaxe und Minnethematik definiert, und in dem der Jagdallegorie und -motivik eine tragende Bedeutung zukommt (vgl. Blank 1 9 7 0 , S. I98f.). Die Möglichkeiten und Grenzen dieser Variabilität sollen zunächst in einer vergleichenden Analyse der verschiedenen Fassungen zu den einzelnen Textpartien aufgezeigt werden. Diese sind zum Großteil im Dokumentationsteil ediert, um dem Leser den Zugang zu den komplexeren Uberlieferungsvarianten zu erleichtern und die vorgebrachten Argumente der Überprüfung zugänglich zu machen. Im letzten Abschnitt werden schließlich die Bedingungen und Ursachen variabler Textgestaltung durch eine Typologie der Makro- und Mikrostrukturen der >Jagd< aufgezeigt. Voraussetzung für diese Thesen ist natürlich, daß die Ergebnisse der Textkritik auch auf die Interpretationsebene übertragen werden können, die unterschiedlichen Strophenfolgen also jeweils sinnvolle Lesarten bieten. Ein wichtiges Ziel dieses Kapitels ist deshalb zu zeigen, daß Variabilität keinesfalls mit Strukturlosigkeit gleichzusetzen ist, sondern daß es sich um ein bewußt eingesetztes Mittel der Textgestaltung handelt. Dies soll zunächst anhand der Strophen des Textanfangs demonstriert werden.

2 . 1 . Textanfang Wenngleich die Forschung sich im allgemeinen nur stiefmütterlich mit der Strophenfolge der >Jagd< befaßt hat, so gilt dies doch nicht fur die Gestaltung des Textanfangs. Kein Problem der Textkritik hat die frühere Hadamar-Forschung so intensiv beschäftigt wie die Anordnung der zwanzig Anfangsstrophen. Man beschränkte sich allerdings meist darauf, dem vermeintlichen Original nahestehende Textanfänge zu »rekonstruieren«, 6 deren einziges — allerdings gravierendes — Manko es ist, daß sie in keiner Handschrift zu finden sind. 7 Der Ansicht Stejskals, daß die Abfolge dieser 6 7

Seemüller 1881 und Hese 1936: 6 - 9 . 1 - 3 . 5. 4. 1 1 - 1 7 . 10. 1 8 - 2 1 . Die Anfánge der verschiedenen Hss.: A: 2 - 4 . 6 - 7 . 10-; Β k >Minners KlageJagdDes Minners Klage«. In h wurden offenbar die Blätter der ersten Lage beim Binden vertauscht. Ich stütze mich im folgenden auf die von Stejskal 1878, S. 285 rekonstruierte Strophenfolge der Hs. Siehe Anhang 2.

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Variable Textgestaltung

zug bezeichnend: Die Lehre vom gerechten Werben wird durch ihren Bezug zur höfischen Kardinaltugend fröude gesellschaftlich legitimiert. Sie ist verbindlich nicht nur für den Erzähler; auch von den Adressaten der Strophe, den guot gesellen, wird ein Interesse am Verlauf des Minneprozesses abverlangt, sie werden aufgefordert, sich mit Erzähler und Text zu identifizieren. Ebenfalls direkt ans Publikum richtet sich die Warnung vor dem vergaben in Str. 2. Der Erzähler übernimmt hier die Rolle des Ratgebers und verleiht der Erzählsituation mit der Formel triuwe leisten (2,4) eine fast schon rechtliche Verbindlichkeit. In den Versen 5 - 7 werden die Adressaten dann geschickt ins Minnegeschehen mit einbezogen. Denn das konditionale swer (2,5) läßt sich auch als Weiterführung der direkten Anrede verstehen. So wird eine weitere Identifikation mit Gegenstand, Lehre und Hauptakteur des Textes bewirkt, da die anschließende Erläuterung der Warnung zugleich in die Ausgangssituation (das Erwählen der Geliebten) und den Verlauf der J a g d einfuhrt. Beide Strophen werden zudem ausdrücklich als Anfangsstrophen gekennzeichnet. Stichwörter hierfür sind anvanc (1,4) bzw. anevâhen ( 2 , 1 ) sowie das den Beginn der Erzählsituation kennzeichnende Zeitadverb nû ( 1 , 6 und 2,4). 9 Interessant ist zudem, daß beide Strophen gemäß Hadamars Diktum ein meister sol daz end an dem anevange / in sînem sinne bilden (269,5f.) Ausblicke auf das Ende der J a g d enthalten — in 1,7 wird es sogar wörtlich angesprochen. 10 Während in Str. 1 die Adressaten aufgefordert werden, ein positives Ende der J a g d herbeizuwünschen, wird in Str. 2 die Gefahr des Scheiterns unterstrichen. Bliebe die Frage der Kontextgebundenheit. Das Verhältnis beider Strophen zueinander scheint zunächst relativ eng zu sein. Dies vor allem deshalb, weil die Verse Swie ninne ein anevâhen!sìfröuden aller meiste (2,if.) den fünften Vers von Str. 1 fast wörtlich aufnehmen und einschränken. Offenbar fordert Str. 1 als Textanfang die Ergänzung durch Str. 2; erst hier nämlich wird der Bezug der Sentenzen in 1 , 1 ff. zur Minne hergestellt. Dies spricht allerdings nicht umgekehrt gegen die Anfangsstellung der zweiten Strophe in A. Denn das Pronomen swie benötigt keinen konkreten Bezug, sondern kann auch allgemein an einen Diskurs über Minne anknüpfen bzw. ihn eröffnen. Die Bedeutung, die dem Handeln der Minnen9 10

Vgl. etwa »Herzog Ernst< (B), V. 1: Nû vernemet alle besunder. Eine große Bedeutung darf man dem freilich nicht beimessen, da sich eine poetologische Bedeutungsebene aus dem Kontext von Str. 269 nicht ableiten läßt und literaturtheoretische Bemerkungen bei Hadamar ohnehin äußerst selten sind. Andererseits ist das Übertragen von Maximen auf neue Kontexte ein beliebtes Gestaltungsmittel Hadamars.

Textanfang

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den in der >Jagd< gegenüber der theoretischen Erörterung des Phänomens Minne zukommt (vgl. Blank 1 9 7 0 , S. 1 3 7 ) , wird so besonders hervorgehoben. Erst durch das zurückhaltende, gerechte Handeln des Minnenden wird Minne zur Voraussetzung höfischer fröude. Solch ein konzessiver Textanfang ist vielleicht ungewöhnlich, aber mit dem System der Exordialtopik durchaus noch zu vereinbaren. Diese allgemeinen Minnereflexionen werden in der folgenden Str. 3 1 1 ergänzt und variiert. Zunächst werden die vom Erzähler gewünschten Adressaten präziser bestimmt: Es sind die staeten, die der Norm gerechter und beständiger Minne Genüge leisten können. Auch diese Strophe endet mit einer Warnung, deren Bezugspunkt die fröude ist. Wurde in der vorhergehenden Strophe der Minner ermahnt, bei der Wahl der Geliebten Zurückhaltung zu üben, so wird er nunmehr zur beständigen Treue aufgefordert. Die fast identische Syntax der letzten drei Verse in Str. 2 und 3 unterstreicht noch einmal, daß beide Ermahnungen untrennbar miteinander verbunden sind. Erst nach dieser allgemein gehaltenen Minnelehre wird der Rezipient der Fassungen in A und d f in die Jagdallegorie eingeführt. Die gerechte Minne wird in dem pathetischen Ausruf in 4 , 1 f. als eine Gefahr für das Herz des Minners dargestellt. Diese Interjektion im Anschluß an eine Reihe von didaktischen Maximen und Ermahnungen läßt zugleich einen Neubeginn vermuten. Das nun folgende Bild eines Jägers, der seine Hunde auf der Fährte zurückhalten muß, enthält allerdings inhaltlich keine neuen Akzente. Es dient vorerst nur als Gleichnis: So wie der Jäger seine Hunde muß der Minner sein Herz unter Kontrolle halten. Auf der Inhaltsebene wird in Str. 4 das in den ersten Strophen Gesagte also nur zusammengefaßt. Ihre Funktion liegt in diesen Fassungen v. a. darin, daß sie dem Leser über den nicht allegorischen Vergleich »Minne — Jagd« den Einstieg in das allegorische Verfahren erleichtern soll. Sie dient also gewissermaßen als behutsamer Übergang 1 2 zwischen dem minnedidaktischen Prolog und der nun (Str. 6ff.) folgenden Einführung in die Jagdallegorie. Der Texteingang der Hs. h beginnt demgegenüber unmittelbar mit dem Aufbruch des Minnejägers. Nach dem Muster einer gattungstypischen Spaziergangseinleitung (vgl. Blank 1 9 7 0 , S. 1 4 6 — 1 5 0 ) führt die Anfangsstrophe 6 in den ersten Versen in die Jagdsituation ein, die durch den Hinweis auf die Fährte (6,6) als Hetzjagd gekennzeichnet wird. Frouwe 11 12

Str. 5 fehlt in den in A und d f überlieferten Fassungen. Im letzten Vers der Strophe wird dieser Übergang vollzogen. Das herze der Jungen, das hier scheinbar nicht allegorisiert wird, wird mit dem Verb entrinnen verknüpft, das nur auf der allegorischen Ebene sinnvoll ist.

Variable T e x t g e s t a l t u n g

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Minne (6,5) verweist deutlich auf die allegorische Bedeutungsebene des Textes, und selbst der zukünftige Verlauf der Jagd wird in dieser inhaltlich dichten Anfangsstrophe skizziert. Anschließend folgt die Angabe der Jagdorte ( 7 , 3 - 5 ) ; der Zeitpunkt an dem die Handlung stattfindet -

»eines

Morgens« - wurde schon in 6,2 mitgeteilt. Der Textanfang enthält somit eine Fülle von Informationen. Der Leser ist schon nach den ersten Versen über die Anlage des Textes genau informiert. Es schließen sich die Aufteilung der wwtó-Hunde 1 3 sowie die Ermahnung der Jägerknechte (Str. 1 1 - 1 6 ; = h 3 - 8 ) an. Dadurch daß die A n sprache des Jägers in h vorgezogen wird, ändert sich die gesamte kommunikative Struktur des Textanfangs. So wird der Leser die anschließende Forderung, auf allen W e g e n acht zu geben (Str. 8; = h 9), zunächst auf die Jägerknechte beziehen, denn sie werden ebenso wie der Leithund Herze mit dem W o r t geselle angeredet. Erst im vorletzten Vers der Strophe wird dem Leser der Adressatenwechsel signalisiert. 1 4 Die folgenden minnedidaktischen Erläuterungen sind offenbar ebenfalls an die Jägerknechte gerichtet. Während in den anderen Handschriften die Adressaten der Str. 1—5 (= h I i — 1 5 ) nicht näher spezifiziert werden - sie also an die Rezipienten gerichtet sind —, dürfte der Leser dieser Fassung die angesprochenen guot gesellen (1,6) mit den bereits eingeführten Jagdgehilfen identifizieren. Schon deshalb, weil in der auf Str. 4 folgenden Str. 17 (= h 16) die Knechte noch einmal ausdrücklich als Adressaten der Lehre bezeichnet werden. Im Gegensatz zu der Fassung in A d f werden die Lehren über zurückhaltendes Werben /Jagen also nicht separat als didaktischer Strophenblock vor die Jagdallegorie gestellt, sondern in Form einer einführenden Unterweisung der Gehilfen in diese integriert. 1 5 Im Gegensatz zu diesen, den Konventionen der G a t t u n g Minnerede entsprechenden Texteingängen hat die Anfangsstellung der Str. 8 und 9 in den Hss. Face

und g immer wieder den Einspruch der Exegeten

herausgefordert. Ein Texteingang, der medias in res mit einer Ansprache an das canifizierte eigene Herz beginnt, in dem dieses dann auch noch an

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Die warten sind Posten im Jagdgelände, auf denen frische Hunde bereitgehalten werden, die das heranflüchtende Wild stellen sollen. Vgl. Hese 1936, S. I 2 j f . und Dalby 1965. Sofern man eine bewußte Irreführung des Lesers unterstellen will, wird die Lehre der Strophe, die Notwendigkeit in jeder Situation acht zu geben, eindrucksvoll unterstrichen. Besonders elegant ist diese Lösung allerdings nicht: Die letzten beiden Verse von Str. 4 (= h 15) müssen so auf die Knechte bezogen werden, die auf das Herz des Jägers aufpassen sollen. Zwar werden den in der Hetzjagd eingesetzten Hunden Jagdgehilfen zugeteilt (vgl. u.a Str. ιογί.), der nicht spezifizierte Bezug der anderen Fassungen - alle jungen Minnejäger sollen ihre Herzen zurückhalten — ist jedoch sinnvoller, da am Anfang der Strophe von mehreren Herzen die Rede ist.

Textanfang

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die Leine gelegt wird, erscheint in der Tat »unmöglich«. Z u denken gibt allerdings, daß dies der am häufigsten überlieferte Anfang der >Jagd< ist und daß Str. 8 (außer in a und h) nur an dieser Stelle steht. Die zentrale Bedeutung des Wortes strange sowohl hier als auch in der am häufigsten überlieferten Schlußstrophe (Str. 565) läßt vermuten, daß die Wiederaufnahme beabsichtigt ist, Str. 8 also für den Textanfang konzipiert wurde. Und schließlich beginnt an dieser Stelle die Jagdhandlung im engeren Sinne: Außer Str. 6 setzen alle späteren Handlungsstrophen (vgl. Str. 4) voraus, daß der Leithund bereits an die Leine gelegt wurde. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß Str. 8 einem Publikum unter bestimmten Bedingungen durchaus als Prologstrophe zugemutet werden kann. Im Grunde beginnt die Strophe völlig konventionell mit zwei allgemeinen Sentenzen, die in der Vortragssituation zunächst als Pars pro toto an einen gesellen im Publikum gerichtet zu sein scheinen (diese Anrede wird auch in 1,6 und 4,6f. verwendet). Das ez im dritten Vers bezieht sich demnach vorerst nicht auf das Wild, sondern ist Indefinitpronomen. Erst die halse in Vers 5 entzieht sich einer einfachen Deutung. Im vorletzten Vers wird dann mit dem Offenlegen der direkten Rede das Schema einer Prologstrophe erheblich kompliziert. Aber erst der letzte Vers erfordert, um verständlich zu sein, ein Vorwissen des Rezipienten über die Grundkonstellation der Hundejagdallegorie. Kann ein solches Vorwissen beim mittelalterlichen Publikum vorausgesetzt werden? Hadamar, der literarische Anspielungen im allgemeinen nur spärlich verwendet, stellt durch die Anfangssentenz und die Verwendung des Brackenseilmotivs einen deutlichen Bezug zu Wolframs und Albrechts Titureldichtungen her. Daß die Kenntnis dieses Traditionsstranges vorausgesetzt werden darf, zeigt nicht nur die Bemerkung Hermanns von Sachsenheim, der Hadamar und Wolfram in der >Unminne< in einem Atemzug nennt, 1 0 sondern auch die Überlieferungsgemeinschaft der >Jagd< mit Auszügen aus der Brackenseilallegorese im >Jüngeren Titurel< (Str. 1 8 7 4 ^ ) in den Hss. d und f . 1 7 Einem Kenner der Tradition müßte die Entschlüsselung der ersten Strophe somit auch ohne vorherige Kenntnis der >Jagd< gelingen. Bezeichnen-

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Stt. 6: »Vonn Eschenbach der eine/herr Woffram ist genennet, / vonn Labern nit der cleyne;/der beyder kunst ich hann also erkennet/an rueraen, Worten, silben wolgemessen./ ir kunst ist meisterlichen, / hoch uff gedichtes stul sind sie gesessenn.« Zitiert nach Brauns/Thiele 1 9 3 8 , S. 6 3 .

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Interessanterweise also in zwei Hss., die Str. 8 gar nicht enthalten. Die zusammen mit der >Jagd< überlieferten Bruchstücke bezeichnet Becker als »eine Art Reader's Digest« des »Jüngeren Titurel< (Becker 1 9 7 7 , S. 1 3 6 ) .

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Variable Textgestaltung

derweise fordern erst die letzten Verse vom Rezipienten eine komplizierte Übertragung. In den Anfangsversen hingegen bewirken das Stichwort hüete sowie die Strophenform und möglicherweise auch die Melodie, daß Assoziationen zur Gardevîaz-Episode geweckt werden. Und diese enthält alle zum Textverständnis nötigen Hinweise: Brackenjagd, allegorische Bedeutung des Hundes und Minnedidaxe. Der ambivalente Bezug von hüeten auf den Hund bzw. aufs Publikum ist — weil schon bei Wolfram zu finden (vgl. >TiturelTiturel< ermöglicht die halse die Allegorese des Hundes Gardevîaz, indem sie seinen Namen nennt (>TiturelJagd< schon in früheren Vorträgen anderer Textabschnitte hätte kennenlernen können. Auch als Variation bereits bekannter Textanfänge wäre eine Einführung in den allegorischen Rahmen durch Str. 8 nicht mehr notwendig. Die Eingangsstrophe könnte sich somit darauf beschränken, ein literarisch gebildetes Publikum auf den Traditionszusammenhang mit den Titureldichtungen hinzuweisen, vermutlich um die >Jagd< in die von diesen verkörperte Tradition der exklusiven und »dunklen« Adelsliteratur zu stellen (vgl. Cramer 1990, S. 4Óf.) und um ihren lehrhaften Anspruch zu unterstreichen. Obwohl die Strophe am Texteingang dem Rezipienten also keine unzumutbaren Interpretationsfähigkeiten abverlangt, bleibt sie problematisch. Während die Titurelanspielung auf einen epischen Kontext hinweist, erinnert die direkte Rede am Textanfang rhetorisch eher an die Minnelyrik. In den sich hinsichtlich der Exordialtopik an epischen Mustern orientierenden Minnereden ist mir kein vergleichbarer Texteingang bekannt. 1 8 Möglicherweise wurde, analog zu den Variationen der Strophenfolge, bewußt auf Strukturformen der Lyrik zurückgegriffen. Doch ohne die Schwierigkeit leugnen zu wollen: Eher belegt dieser Texteingang die Offenheit der Gattung Minnerede, als daß er Hadamar abgesprochen werden kann. 18

Hieria liegt u.U. auch ein Grund dafür, daß in den Hss. Β b >Des Minners Klage« der >Jagd< vorangestellt wurde.

Textanfang

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Noch problematischer ist die in der Hs. a überlieferte Umstellung der Str. 8 und 9 am Textanfang. Auch hier ist der Text zwar durchaus sinnvoll. Daß das Band der staete und triuwe unverbrüchlich gebunden ist, ist eines der zentralen Motive der >JagdJagd< ab. In >Des Minners Klage< tritt die in der >Jagd< betonte Werthaftigkeit gerechten Werbens zugunsten pathetischer Klagen über die nicht erfüllte Minne in den Hintergrund, während >Der Minnenden Zwist und VersöhnungDes Minners Klage< noch eine »Dedication« Hadamars (Mone 1 8 3 0 , S. 2 2 5 ) .

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Variable Textgestaltung

end mit gegenseitigen Liebesschwüren wie ein harmonisierender Gegenentwurf zur Minneproblematik der >Jagd< wirkt. Andererseits wird aber in der Forschung zumindest nicht ausgeschlossen, daß Hadamar beide Texte als eigenständige Minnereden selber verfaßt hat (Glier 1 9 7 1 , S. 2 4 5 - 2 4 7 ) . Da diese Untersuchungen zur Verfasserschaft ausschließlich auf der Überlieferung sowie vergleichenden Interpretationen von Inhalt, Stil und Metrik basieren, zeichnet sich hierin wieder eine gewisse Annäherung zwischen moderner Forschung und Überlieferungsbefund ab. Die frühen Rezeptionszeugnisse (ß wird sogar auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert) sind in ihrer Konsequenz freilich wesentlich radikaler als die Philologie. Unabhängig von der inzwischen topischen Frage, ob Hadamar die anderen beiden Minnereden verfaßt hat, 34 zeigt die Überlieferungsgemeinschaft, wie offen der thematisch-stilistische Rahmen der Hadamarschen Minnediskurse für die Zeitgenossen gewesen sein muß. Das beruht keinesfalls auf Unverständnis. Das harmonische Ende von >Der Minnenden Zwist und Versöhnung< entspricht z.B. ziemlich genau dem Bekenntnis von Hadamars Jäger, daß ein zaemez wilt gehiure ihn mit seiner zemltch geheime oft beglückt hat (Str. 490). Und prinzipiell besteht auch in der >Jagd< die Möglichkeit, daß sich die Dame mit dem Jäger unterhält: In Str. 387 antwortet eine Frau mit direkter Rede auf eine Mahnung des Jägers. 3 5 Ich möchte diese Parallelen nicht überbewerten. Sie zeigen aber, daß die Minnereflexionen eine Fülle verschiedener Ansätze enthalten, die Ausgangspunkt für immer neue Erweiterungen sein können. In dieser Hinsicht ist gerade die Erweiterung mit Texten aus derselben Traditionslinie Ausdruck eines Strebens nach Vielfalt und Vollständigkeit, das in Hadamars >Jagd< die Öffnung des Konzeptrahmens zur Folge hat. 36 Variabilität der Strophenfolge ist in den Minnediskursen also Ergebnis einer bewußt polymorphen Makrostrukturierung. Anstelle einer streng gegliederten Tektonik, die die Systematisierung und Eingrenzung bestimmter Inhalte bewirken kann, dominiert in der >Jagd< eine flexible Struktur, deren Ziel die Assoziierung und Nuancierung möglichst vieler Konzepte in einem letztlich nicht überschaubaren Netzwerk ist. Kennzeichen dieser Struktur ist zum einen der offene Textrahmen. Über die Merkmale »Titu34

Leitzmann weist >Des Minners Klage< aufgrund der R e i m e / i i / : / i u / ( 6 2 8 , 1 ; 660,5 u n d 6 7 2 , 5 ) sowie/ae/:/e/(Ó44,5; 664,2 und 6 8 8 , 5 ) einem mitteldeutschen Dichter zu (Leitzmann 1 9 2 0 , S. I 3 7 f . ) .

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Die Hss. Β E a b d haben als vorletzten Vers: so sprach gen mir ir eine (ähnlich C F c f g h). Stejskal druckt die Fassung der Hss. A h: ir einer. V g l . dazu Hese 1 9 3 6 , S. 5 3 . Diese Tendenz zur Summe gilt als wichtigste typologische Gemeinsamkeit spätmittelalterlicher Literatur. V g l . K u h n 1 9 8 0 , S. 1 8 und 5 7 - 7 5 . Kennzeichnend fiir die >Jagd< ist, daß diese S u m m e der Inhalte nicht in einem gegliederten Rahmen dargeboten wird.

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Narrative Textabschnitte

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relstrophe — Minnedidaxe (Hohe Minne)« hinaus kann er nur mit der Einschränkung präzisiert werden, daß bestimmte Aspekte zwar typisch sind (etwa die Jagdallegorie), daß sie jedoch keine Verbindlichkeit fürs Ganze beanspruchen können. Vor allem aber beruht diese variable Strukturierung auf dem Einzelstrophencharakter der Minnereflexionen. Variabilität, das heißt immer auch, daß die einzelne Strophe aus einem Kontext isoliert und in einen neuen Kontext eingefugt werden kann. Beide Merkmale zusammen bewirken, daß große Teile der >Jagd< fast unbegrenzt umgestellt, verkürzt und erweitert werden können.

2 . 3 . N a r r a t i v e Textabschnitte Wie aber verhält es sich mit den narrativen und dialogischen Passagen der >Jagd