Grundrechtsschutz in der Insolvenz [1 ed.] 9783428521098, 9783428121090

Stefan Werres widmet sich der bislang wenig beachteten Schnittstelle zwischen Insolvenz- und Verfassungsrecht und würdig

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Grundrechtsschutz in der Insolvenz [1 ed.]
 9783428521098, 9783428121090

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 183

Grundrechtsschutz in der Insolvenz Von

Stefan Werres

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

STEFAN WERRES

Grundrechtsschutz in der Insolvenz

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 183

Grundrechtsschutz in der Insolvenz Von

Stefan Werres

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 978-3-428-12109-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2005 von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Dezember 2006 berücksichtigt werden. Ein besonderer Dank gilt meinem akademischen Mentor, Herrn Universitätsprofessor Dr. Dr. Detlef Merten, für die Betreuung des Promotionsvorhabens und die langjährige freundliche Förderung. Herrn Universitätsprofessor Dr. Karl-Peter Sommermann danke ich für die sehr zügige Erstattung des Zweitgutachtens. Meiner Frau Bettina möchte ich schließlich für die vielen wertvollen Ratschläge und das Korrekturlesen der Arbeit sehr herzlich danken. Ihre Hilfe hat entscheidend zum Gelingen des Promotionsvorhabens beigetragen. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet, da sie durch ihre unermüdliche Hilfe und Unterstützung die maßgeblichen Voraussetzungen für meinen akademischen und beruflichen Werdegang geschaffen haben. Brühl, im Dezember 2006

Stefan Werres

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einleitung

15

Zweites Kapitel Garantie eines staatlich geordneten Vollstreckungsverfahrens für den Insolvenzfall

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A. Gewaltmonopol und staatlich geordnetes Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Das Ausgleichsprinzip als Emanation eines verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf effektive Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Drittes Kapitel Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten im Insolvenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Grundrechtsbindung des Insolvenzgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Insolvenzverwalter als Grundrechtsverpflichteter und Grundrechtsberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Insolvenzverwalter als Grundrechtsverpflichteter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Wahrnehmung hoheitlicher Kompetenzen durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gerichtliche Aufsicht über den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Insolvenzverwalter als gerichtlicher Sachverständiger . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Insolvenzverwalter als Grundrechtsberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundrechtliche Vorgaben für die Verwaltervergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtliche Vorgaben für die Bestellung des Insolvenzverwalters . . . aa) Die Bestellung des Insolvenzverwalters und Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . bb) Die Auswahl des Verwalters und Art. 33 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schlußfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Schuldner als natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schuldner als juristische Person des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Geltendmachung einer Grundrechtsverletzung durch den Schuldner im Verfahren der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Gläubigerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der verfassungsrechtliche Anspruch der Gläubigerschaft auf Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

2. Die verfahrensrechtlichen Folgerungen für den Insolvenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verfahrensrechtliche Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Effektivitätsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die Gläubiger des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Übermaß- und das Untermaßverbot im Insolvenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Geltung des Übermaßverbotes im Insolvenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Geltung des Übermaßverbotes zwischen Privaten und bei der Verwirklichung des Gläubigerrechtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vollstreckung „unverhältnismäßiger“ Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Vollstreckung bei zivilrechtlichen Ungleichgewichtslagen . . . . . . . . . . . c) Die Vollstreckung geringwertiger Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige Verhältnismäßigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Geltung des Übermaßverbotes bei insolvenzgerichtlichen Zwangsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Geltung des Untermaßverbotes im Insolvenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Der Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung der Menschenrechtskonvention im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . II. Die Verfahrensgarantien der Menschenrechtskonvention im Insolvenzfall . . . . . . 1. Das Verhältnis von Menschenrechtskonvention zum Insolvenzverfahren . . . . . 2. Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf die in der Insolvenzordnung geregelten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Vorliegen einer zivilrechtlichen Rechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Vorliegen einer Entscheidung über eine Streitigkeit („contestation“) aa) Quasi-streitige Verfahrensabschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Amtsseitige Schutz- und Fürsorgemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Grundrechtsschutz juristischer Personen durch die Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Viertes Kapitel Das Verhältnis Staat – Schuldner A. Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Schutz natürlicher Personen vor Selbstbezichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Verzicht natürlicher Personen auf das Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . III. Der Schutz juristischer Personen vor Selbstbezichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Haftanordnung bei Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten und die Freiheit der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners und die verfassungsrechtliche Gewährung von Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners und Art. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verlautbarung der Vermögensverhältnisse von natürlichen Personen in Registern und Verzeichnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis III. Die Verlautbarung der Vermögensverhältnisse von juristischen Personen . . . . . . . IV. Die Weiterleitung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Der verfassungsrechtliche Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Postsperre gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 4, 99 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 1 GG auf juristische Personen . . . . . . . . . . . . . III. Die Postsperre und verfassungsrechtliche Positionen der Postdienstleistungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Mitwirkungspflicht des Postdienstleistungsunternehmens bei der Durchführung der Postsperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Mitwirkungspflicht und Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Indienstnahme ohne entsprechenden Kostenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die verfassungsrechtlichen Implikationen der Datenübermittlung der Insolvenzgerichte an das Postdienstleistungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der hoheitlich handelnde Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Durchsuchung von Geschäfts- und Privaträumen des Schuldners . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtfertigungsanforderungen für Durchsuchungsmaßnahmen . . . . . . . . . . 3. Die Unergiebigkeit der verfassungsgerichtlichen Judikatur für Durchsuchungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Anforderungen an den Durchsuchungsbeschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Bestimmtheitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Kriterium der zeitlichen Nähe zwischen Beschluß und Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die gesetzliche Grundlage für die Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Durchsuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Durchsuchungen durch den sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Durchsuchung im Rahmen der Sachverständigentätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Durchsuchung der Wohnung bei einem am Eröffnungsverfahren nicht beteiligten Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Betreten der Geschäfts- und Privaträume des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff des Betretens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Betreten der Geschäftsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Betreten der schuldnerischen Privatwohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fünftes Kapitel Die Bedeutung der Grundrechte für das Verhältnis zwischen den privaten Verfahrensbeteiligten A. Das Verhältnis zwischen den Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung und die Behandlung von Mobiliarsicherheiten im Insolvenzfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verwertungsverbot und die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie . . . . . . 1. Die verfassungsrechtlichen Zweifel in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

2. Die Verhältnismäßigkeit des Verwertungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fortführung und Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Stillegungsentscheidung im Berichtstermin und die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die grundrechtlich geschützten Teile des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anteilseigentum und Immaterialgüterrechte als verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Stillegungsentscheidung und die grundrechtliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . a) Die Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Stillegungskonzeptes . . . . . . . . b) Die Gewährleistung eines grundrechtlichen Schutzminimums bei offensichtlich fehlsamen Entscheidungen der Gläubigerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Erfordernis eines eigenständigen Antragsrechts des Schuldners . . . . . II. Ein Grundrecht auf Schuldenfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Menschenwürde als Grundlage eines Enthaftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . a) Das Existenzminimum und der Pfändungsschutz als Konkretisierungen des Menschenwürde-Satzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Sozialstaatsprinzip als Ermessensleitlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Sozialstaats- und das Freiheitsprinzip als Ermessensleitlinien des wirtschaftsordnenden Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schlußfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Eigentumsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Restschuldbefreiung als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der grundsätzlichen gesetzgeberischen Konzeption einer Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Verhältnismäßigkeit der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Geeignetheit der gesetzlichen Konzeption der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Erforderlichkeit der gesetzlichen Konzeption der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Zumutbarkeit der gesetzlichen Konzeption der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die unverhältnismäßige Einschränkung der Gläubigerrechte durch die Neuregelung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung . . . . . . . . . . IV. Die Zulässigkeit und Wirksamkeit von vertraglichen Vereinbarungen für den Insolvenzfall aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Verzicht auf den Insolvenzantrag durch den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Allgemeinwohl als Grenze eines vertraglich vereinbarten Verzichts . b) Die Dispositionsbefugnis über das Antragsrecht als Instrument zur Sicherung eines öffentlichen Ordnungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Verzicht auf den Vollstreckungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verzicht auf den Eigenantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Insolvenzgerichtliche Inhaltskontrolle bei wirtschaftlichen Ungleichgewichtslagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die insolvenzgerichtliche Vertragskorrektur im Ausnahmefall . . . . . . . . . . . .

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Anhang: Kurzfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Sachwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

– „Wer sich im Konkurs befindet, muß bei den Leichen und Hochzeiten hinten nachgehen und zu den Frauen gesetzt werden oder daheim bleiben; er muß sich des Tragens von Wehr und Waffen bei Strafe der Eisen gänzlich enthalten“ 1 –

Erstes Kapitel

Einleitung Als Insolvenz bezeichnet man die infolge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs eintretende Notlage eines Schuldners 2. Sie liegt nach der Kategorisierung des deutschen Rechts in den Insolvenzgründen der Zahlungsunfähigkeit, drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung begründet 3. Die Abwicklung der Vermögensund Haftungsverhältnisse beim wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Schuldners wird nach dem geltenden Insolvenzrecht 4 einem amtlichen, staatlich geordneten Verfahren überantwortet. Dieses sog. Insolvenzverfahren verfolgt eine dreifache Zielrichtung 5: Es verwirklicht eine hoheitliche Haftungsgesamtabwicklung, um im Sinne eines Ausgleichs zwischen den von der Insolvenz Betroffenen den sozialen Frieden zu sichern 6, um möglichst gleiche Haftungsbedingungen zu Gunsten aller Gläubiger herzustellen und, soweit realisierbar, um dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Während die Rechtsordnung zur Haftungsverwirklichung auf die privatautonome Schuldentilgung, respektive die Einzelzwangsvollstreckung als zureichende Regulative zur Verwirklichung des Gläubigerrechts setzt, schließt das Insolvenzrecht zugleich die privatautonome Kompetenz des Schuldners und den Gläubigerzugriff mittels Einzelvollstreckung aus. Das Schuldnervermögen wird zugunsten aller Gläubiger in Beschlag genommen und mit dem Ziel möglichst zureichender Gläubigerbefriedigung hoheitlich verwaltet und verwertet. Ungeachtet der mit der Insolvenzreform intendierten Deregulie1 Auszug aus der Augsburger Strafordnung von 1571 (zitiert nach Friedrich Hellmann, Lehrbuch des deutschen Konkursrechts, Berlin 1907, S. 61, Fn. 5). 2 Siehe hierzu statt aller Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 55. 3 Die Insolvenzgründe werden durch die Vorschriften der §§ 16 ff. InsO nunmehr – als verbindliche Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – einer Regelung zugeführt. 4 Zum Begriff des Insolvenzrechts Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 1.01; vgl. auch Pape/ Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 56, die zwischen Insolvenzrecht im engeren und weiteren Sinne unterscheiden. 5 Siehe zu den Zielen des Insolvenzverfahrens Balz, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 3 ff. 6 Zur Friedenssicherung als „idealem Ziel“ des Insolvenzrechts Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (182).

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1. Kap.: Einleitung

rung des Insolvenzverfahrens 7 bleibt dieses – seiner eigentlichen Ziel- und Zweckbestimmung entsprechend – staatlich geleitetes und verantwortetes Vollstreckungsverfahren 8. Es ist daher primär Aufgabe der staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, daß der Marktaustritt eines notleidenden Schuldners und die Vermögensabwicklung in einem geordneten Verfahren unter Gleichbehandlung aller Gläubiger stattfindet. Grundrechtliche Konflikte sind dabei angesichts weitgehender und tiefgreifender staatlicher Regulierung vorgezeichnet. Soweit der Schuldner an der privatautonomen Schuldentilgung gehindert werden soll, bedarf es einschneidender Zwangsmaßnahmen, welche einzelne Gläubiger begünstigende Separatmaßnahmen verhindern und die Durchsetzung verfahrenskonformen Verhaltens gewährleisten 9. Absprachen zwischen Gläubigern und Schuldnern sind im Interesse aller Beteiligten einer gerichtlichen Kontrolle und gegebenenfalls gerichtlicher Korrektur zu unterziehen 10. Schließlich kommt es dort, wo Einzelvollstreckungen verboten und Vorzugsrechte zugunsten der Gläubigergesamtheit beschnitten werden 11, zu massiven Eingriffen in Gläubigerrechte. In summa werden also die Rechtspositionen sämtlicher Verfahrensbeteiligter im Interesse einer möglichst effektiven Haftungsverwirklichung der Gläubigerrechte beschnitten. Dieser Befund ruft mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auch ein Bedürfnis nach grundrechtlicher Betrachtung der insolvenzrechtlichen Konfliktlagen hervor 12. 7 Hierzu Henckel, KTS 1989, S. 477 ff.; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 72 f. Den Begriff vom Insolvenzverfahren als „staatlich überwachter Selbstverwaltung“ prägte bereits Ernst Jaeger, Lehrbuch des Deutschen Konkursrechts, 8. Aufl. 1932, S. 10. 8 In diesem Sinne Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 98. 9 Siehe zu den Zwangsmaßnahmen im Insolvenzverfahren näher unten Viertes Kapitel. 10 Zur gerichtlichen Kontrolle sog. Insolvenzverträge unten Fünftes Kapitel, B. IV. 11 Hierzu näher unten Fünftes Kapitel, A. 12 Im insolvenzrechtlichen Schrifttum gewinnt die Betrachtung grundrechtlicher Konfliktlagen erst langsam an Relevanz. Lediglich der Beitrag von Adam („Ausgewählte Probleme des Konkursverfahrens in verfassungsrechtlicher Sicht“, Frankfurt am Main 1986) versuchte, einzelne Verfahrensabschnitte des alten Konkursrechts einer verfassungsrechtlichen Betrachtung zuzuführen. Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1. Januar 1999 und der damit einhergehenden tiefgreifenden Umwandlung des Insolvenzrechts haben die dort behandelten Problematiken indes naturgemäß an Aktualität verloren. Zum neuen Recht ist einzig die jüngst erschienene Arbeit von Lepa („Insolvenzordnung und Verfassungsrecht“, Berlin 2002) zu nennen, welche die Schnittstellen zwischen Insolvenz- und Verfassungsrecht eingehender durchleuchtet. Eine spezifisch grundrechtlich motivierte Betrachtung bleibt freilich auch hier – bewußt (vgl. Lepa, S. 20) – ausgespart. Zudem bleibt die Frage nach dem Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das deutsche Insolvenzrecht ausgeklammert. Neben diesen umfassenderen Monographien sind in der Literatur etwa ein Dutzend insolvenzrechtlicher Aufsätze zu verzeichnen, welche sich mit verfassungsrechtlichen Fragen lediglich in eher kursorischer Form bzw. in Randbemerkungen auseinandersetzen (siehe insbesondere Quack, Rpfleger, 1975, S. 185 ff.; Landgrebe, Rpfleger 1984, S. 7 ff.; Seuffert, ZIP 1986, S. 1157 ff.; Roth, in: Mußgnug, S. 187 ff.; Baum KTS 1989, S. 553 ff.; Christmann, DGVZ 1992, S. 177 ff.; Stern, in: FS Helmrich, S. 737 ff.; Pape, WPrax 1995, S. 252 (255 ff.); Gerhardt, Dike International 1996, S. 77 ff.; Vallender, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 249 ff.; Gundlach/Frenzel/ Schmidt, ZInsO 2001, S. 979 ff.; Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, S. 305 ff.; Roellenbleg, NZI 2004, S. 176 ff.). Gemeinsam ist allen diesen Beiträgen, daß sie sich den Schnittstellen von In-

1. Kap.: Einleitung

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Ein Gesetzgeber, der für den Insolvenzfall die Befriedigung der Gläubiger eines insolventen Schuldners durch ein staatlich überwachtes Verfahren regelt, muß zugleich dafür Sorge tragen, daß durch dieses Verfahren die verfassungsmäßigen Garantien materieller und formeller Art eingehalten werden. Das Insolvenzrecht hat sich an den verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu orientieren und die jeweiligen verfassungsrechtlichen Grenzen seines Regelungsgehaltes zu respektieren. Ungerechtfertigte Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen der Gläubiger sind dem Gesetzgeber ebenso verwehrt wie solche in verfassungsrechtlich geschützte Besitzstände des Schuldners oder der Gesellschafter des Schuldnerunternehmens. Folgerichtig gehört die verfahrensrechtliche Bewältigung der schuldnerischen Insolvenz im Sinne eines möglichst schonenden Ausgleichs der gegenläufigen Interessen von Gläubigern und Schuldnern zum vorrangigen Anliegen des Gesetzgebers sowie der insolvenzrechtlichen Praxis. Implizit ist damit eine grundrechtliche Betrachtung der Interessenkollisionen – wenngleich wohl vielfach unbewußt – ohnehin wichtiger Bestandteil der insolvenzrechtlichen Konfliktlösung 13. Die vorliegende Arbeit versucht, die im Falle der schuldnerischen Insolvenz in Betracht kommenden Konstellationen der einzelnen Beteiligten unter grundrechtlicher Perspektive zu würdigen. Wie die zuvor angestellten Überlegungen bereits andeuten, steht dabei nicht nur die Geltung der Grundrechte des Schuldners, sondern weitergehend die Geltung der Grundrechte der Beteiligten im Mittelpunkt, die von der Insolvenz wesentlich betroffen sind. Dies sind neben dem Schuldner die Gläubiger sowie der Insolvenzverwalter. Diskutiert werden grundrechtliche Postulate solvenz- und Verfassungsrecht ausschließlich – mit Ausnahme von Stern – aus der Perspektive des Insolvenzrechtlers nähern. Eine primär verfassungsrechtlich, insbesondere grundrechtlich motivierter Deutungsansatz fehlt daher bislang gänzlich. 13 In der fachgerichtlichen Rechtsprechung spielen grundrechtlich motivierte Wertungen – soweit ersichtlich – bislang eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahmestellung nimmt insoweit lediglich der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 04.03.2004 (NZI 2004, 312 f.) zum Betreten schuldnerischer Räume durch den Sachverständigen ein. Das Bundesverfassungsgericht mußte sich mit insolvenzrechtlichen Fragestellungen lediglich vereinzelt auseinandersetzen, vgl. BVerfGE 15, 126 ff. – Staatsbankrott des Deutschen Reiches; 24, 104ff. – Nichtigerklärung von § 45 KO; 51, 405 ff. – Verfassungsbeschwerde des Gemeinschuldners; 56, 37ff. – Aussageverweigerungsrecht des Gemeinschuldners; 60, 135 ff. – Konkursfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts; 65, 182 ff. – Sozialplanforderungen; 66, 1 ff. – Konkursfähigkeit der Kirchen; 88, 145 ff. – Masseforderungen des Konkursverwalters; 92, 262 ff. – Präklusionsfrist des § 14 GesO; BVerfG (Kammer), EuGRZ 1979, 363 f. – Länge des Konkursverfahrens; (Kammer) ZIP 1986, 1336 f. – Verfassungsmäßigkeit der Postsperre; (Kammer) KTS 1988, 309 ff. – Gesetzlicher Richter im Konkursverfahren; (Kammer) ZIP 1993, 1246 f. – Masseforderungen des Konkursverwalters; (Kammer) NJW 1993, 513 – Entziehung des Beschwerderechts; (Kammer) NZI 2001, 132 f. – Verfassungsmäßigkeit der Postsperre; (Kammer) NZI 2002, 30 – Rechtliches Gehör im Insolvenzverfahren; (Kammer) NVwZ 2003, 466 f. – Verfassungsmäßigkeit der Restschuldbefreiung; (Kammer) ZInsO 2003, 653 – Beiordnung eines Rechtsanwalts; (Kammer) NJW 2004, 1233 f. – Verfassungsmäßigkeit der Restschuldbefreiung; (Kammer) DVBl. 2004, 1366 ff. – Vorauswahl von Insolvenzverwaltern; (Kammer) ZIP 2005, 537 ff. – Rechtsschutz des Insolvenzverwalters; BVerfG, ZIP 2006, 1355 ff. – Auswahl des Insolvenzverwalters. 2 Werres

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1. Kap.: Einleitung

zunächst auf Grundlage der klassischen abwehrrechtlichen Dimension. Dies gilt insbesondere, soweit die Befriedigung der Gläubiger einen Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen des Schuldners mittels staatlicher Zwangsmaßnahmen erforderlich macht 14. Darüber hinaus sind mit Blick auf die Interessen der Gläubiger an einer zügigen und effektiven Befriedigung die Grundrechte in ihrer verfahrensrechtlichen Dimension zu fokussieren 15. Schließlich gilt es mit Rücksicht auf die vielfältigen Interessenkollisionen privater Beteiligter anläßlich eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, an die verfassungsrechtliche Diskussion über staatliche Schutzpflichten als Ausfluß grundrechtlicher Garantien anzuknüpfen 16. Nicht zuletzt ist es der vorliegenden Untersuchung auch ein Anliegen, ein Junktim zwischen zwei Rechtsgebieten, nämlich dem Insolvenz- und dem Verfassungsrecht, zu schaffen, welche bislang noch kaum Gegenstand einer vertieften, rechtsgebietsübergreifenden Betrachtung waren. Die von Karl August Bettermann im Jahre 1971 aufgestellte These, wonach Verfassungsrecht und Prozeßrecht „weder ein Liebes- noch ein Ehepaar seien, ihre Verwandtschaft recht weitläufig scheine und von Freundschaft keine Rede“ 17 sein könne, kann nach über dreißig Jahren im Hinblick auf das Verfassungs- und das Insolvenzrecht ungeschmälerte Geltung für sich beanspruchen. Insofern beabsichtigt die vorliegende Arbeit, Diskussionsimpulse für eine bessere Verständigung zwischen beiden Rechtsgebieten zu geben. Dabei vollzieht sich der Gang der Untersuchung in folgenden Schritten: 1. Schritt: Ausgehend von den vollstreckungsrechtlichen Prinzipien der Priorität und der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung soll zunächst untersucht werden, inwieweit ein geordnetes staatliches Insolvenzverfahren als Institut zur Regelung der schuldnerischen Insolvenz verfassungsrechtlich verankert ist. 2. Schritt: Sodann werden im folgenden Teil Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsverpflichtung der im Insolvenzverfahren agierenden maßgeblichen Akteure beleuchtet. Dabei wird – aus aktuellem Anlaß 18 – insbesondere die Frage nach der Grundrechtsberechtigung des Insolvenzverwalters einer eingehenderen Betrachtung zugeführt. Siehe hierzu unten sub Viertes Kapitel, A bis E. Siehe hierzu unten sub Drittes Kapitel, A. IV. 1. 16 Im Einzelnen hierzu unten sub Drittes Kapitel, B. 17 Vortrag, gehalten vor der Wiener Juristischen Gesellschaft am 10.03.1971; abgedruckt, in: Juristische Blätter 1972, S. 57 ff. 18 Beim Bundesverfassungsgericht mehren sich in jüngster Zeit Verfassungsbeschwerden, die die Auswahl oder Abwahl des Insolvenzverwalters zum Gegenstand haben, vgl. BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366 ff., und BVerfG (Kammer), ZIP 2005, 537 ff. Die Frage nach den Modalitäten der Verwalterbestellung ist von nicht zu unterschätzender Relevanz. Dies belegt nicht zuletzt auch die zu diesem Fragenkreis eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“, welche im Jahr 2002 ihren Abschlußbericht vorgelegt hat. 14 15

1. Kap.: Einleitung

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3. Schritt: Vor dem Hintergrund der einzelnen grundrechtlichen Dimensionen werden in einem letzten Schritt die einzelnen, im Falle der Insolvenz auftretenden grundrechtlichen Konfliktsituationen zwischen den Beteiligten näher beleuchtet. In der Vertikalbeziehung von Staat und Schuldner bilden die Grundrechte in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte einen Schwerpunkt. Soweit es um das Verhältnis von Gläubigern und Schuldner geht, gewinnt die Debatte um grundrechtliche Schutzpflichten sowie um den objektiven Gehalt der Grundrechte bei der Beurteilung privatrechtlicher Verhältnisse eine gewichtige Rolle. Schließlich soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit den Grundrechten Leistungsansprüche auf eine dauerhafte Enthaftung des Schuldners entnommen werden können. Einer gesonderten Betrachtung wird der Einfluß der Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Insolvenzverfahren zugeführt.

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Zweites Kapitel

Garantie eines staatlich geordneten Vollstreckungsverfahrens für den Insolvenzfall A. Gewaltmonopol und staatlich geordnetes Vollstreckungsverfahren Das materielle Recht teilt den einzelnen Rechtsgenossen Rechte und Pflichten zu. In der Regel erfüllen die Bürger die ihnen obliegenden Pflichten freiwillig, so daß die Anwendung staatlichen Zwangs gegen sie nicht erforderlich wird. Soweit jedoch im Einzelfall der Verpflichtete dem Berechtigten gegenüber das ihm Gebührende schuldig bleibt, ist es letzterem im Rechtsstaat grundsätzlich19 verwehrt, sein wirkliches oder vermeintliches Recht mit Gewalt durchzusetzen. Vielmehr muß der einzelne sein Recht vor staatlichen Gerichten suchen und es mit Hilfe der Staatsgewalt gegenüber seinem Schuldner vollstrecken 20. Im modernen Verfassungsstaat ist die legitime physische Gewalt beim Staat monopolisiert. Diesem Gewaltmonopol des Staates korrespondiert die Friedenspflicht der Bürger, also die Pflicht, auf Androhung und Anwendung von privater Gewalt zu verzichten 21. Die Einhaltung der Friedenspflicht kann den Bürgern indes lediglich solange zugemutet werden, wie der Staat als Ausfluß seines Gewaltmonopols tatsächlich eine effektive Verwirklichung der den Bürgern zustehenden (privatrechtlichen) Ansprüche gewährleistet 22. Werden diese Ansprüche nicht freiwillig von den Anspruchsgegnern erfüllt, so ist der Staat als Konsequenz seines Gewaltmonopols, des Selbsthilfeverbotes und der allgemeinen Friedenspflicht des Bürgers gehalten, die privatrechtlichen Ansprüche für seine Bürger zu vollstrecken 23. Nur unter diesen Voraussetzungen kann es dem Bürger zugemutet werden, nicht zur Selbsthilfe zu greifen. Die staatliche Vollstrekkungspflicht beinhaltet als Emanation des Rechtsstaatsprinzips grundsätzlich einen 19 Ausnahmefälle sind die Notwehr, die Nothilfe, die Selbsthilfe, der Notstand und die Möglichkeit der vorläufigen Festnahme, hierzu Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 57. 20 Vgl. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56 f. 21 Isensee, in: FS Eichenberger, S. 23 (26); Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 47 f.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56; Scholz, NJW 1983, S. 705 (707 f.). 22 Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 60 f.; Scholz, NJW 1983, S. 705 (708). 23 Vgl. Calliess, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 44, Rdnrn. 1 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR I, § 13, Rdnr. 74 ff.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 65 f.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1438; vgl. zur Justizgewährungspflicht ferner BVerfGE 54, 277 (292); 81, 347 (356); 85, 337 (347).

B. Das Ausgleichsprinzip als Emanation

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objektiv-rechtlich wirkenden Auftrag des Staates. Durch die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentumsrechts, welches auch die im Wege der Vollstreckung beizutreibenden privatrechtlichen Ansprüche der Gläubiger erfaßt 24, wird diese objektiv-rechtlich wirkende Pflicht um eine subjektive Komponente ergänzt und erstarkt insoweit zu einem gegen den Staat als Inhaber des Gewaltmonopols gerichteten Vollstreckungsanspruch. Zur Verwirklichung des zuvor genannten, gegen den Staat gerichteten Vollstrekkungsanspruchs haben sich im zivilprozessualen Vollstreckungsrecht zwei grundlegende Prinzipien herausgebildet: Das Prioritätsprinzip und das Ausgleichsprinzip25. Während das Prioritätsprinzip in Tradition des römischen und des gemeinen Rechts 26 der – für das Exekutionspfand heute schon zur Parömie gewordenen – Maxime „prior tempore potior iure“ 27 folgt, sucht das Ausgleichsprinzip den Weg gemeinschaftlicher, anteils- und gleichmäßiger Befriedigung.

B. Das Ausgleichsprinzip als Emanation eines verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf effektive Vollstreckung Der deutsche Gesetzgeber des neunzehnten Jahrhunderts hat sich mit Schaffung der Civilprozeßordnung (CPO) für das Prioritätsprinzip als Exekutionsgrundlage des deutschen Vollstreckungsrechts entschieden. Diese Entscheidung war rechtspolitisch durch die wirtschaftsliberalen Vorstellungen des neunzehnten Jahrhunderts geprägt. Motivationsgrundlage für den Gesetzgeber war der Gedanke, dem frühzeitig die Vollstreckung betreibenden Gläubiger „die Früchte seiner Wachsamkeit“ solange vorrangig zu sichern, bis ihn der Eintritt der Insolvenz des Schuldners auf das Ausgleichsprinzip des Konkursverfahrens verweist 28. Ungeachtet seiner liberalen Ausrichtung wurde in der zivilprozessualen Literatur verschiedentlich auf die bestehenden Mängel des Systems hingewiesen 29. Insbesondere wurde vereinzelt die gerechtere Verteilungsmöglichkeit im Rahmen des Ausgleichsprinzip als struktureller Vorteil hervorgehoben. Namentlich Schlosser hat in einem Beitrag das Prioritätsprinzip wegen Verstoßes gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit der miteinander konkurrierenden Gläubiger als

24 BVerfGE 42, 263 (293); 45, 142 (179); 68, 193 (222); 89, 1 (6); 92, 262 (271); speziell für das Insolvenzverfahren Seuffert, ZIP 1986, S. 1157 (1158). 25 Zur historischen Entwicklung der Vollstreckungsprinzipien unter Betonung auch des germanistischen Einflusses Richard Schmidt, in: FS Lehmann, S. 319 ff. 26 Zu den Wurzeln des Prioritätsprinzips im gemeinen Recht vgl. Wetzell, S. 638. 27 Vgl. Liebs, S. 162, 176. 28 Vgl. Motive bei Hahn, Materialien, S. 449. 29 Zu den rechtspolitischen und rechtsvergleichenden Bedenken Gaul, ZZP 112 (1999), S. 135 (154 f.).

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2. Kap.: Garantie eines staatlich geordneten Vollstreckungsverfahrens

verfassungswidrig angesehen 30. Zwar hat diese Auffassung – soweit ersichtlich – in der Literatur zu Recht keinen Anklang gefunden 31, denn sie verkennt, daß das Prioritätsprinzip seiner Struktur nach jedem Gläubiger die potentielle Möglichkeit eröffnet, als erster in das schuldnerische Vermögen zu vollstrecken. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung kann daher hierin nicht zu sehen sein32. Jedoch verweist die Ansicht Schlossers zugleich auf das Kernproblem eines gerechten Exekutionsrechts: Die Frage des gerechtesten Exekutionsprinzips ist letztlich eine Frage der jeweiligen Perspektive. Umfassend gesicherten Gläubigern stehen einem Zugriff auf das schuldnerische Vermögen keine nennenswerten verfahrensrechtlichen Hindernisse entgegen. Eine Vollstreckungsordnung, welche den raschen Zugriff belohnt, stellt sich daher als für sie besonders effektiv dar. Gläubiger hingegen, welche über keine Sicherheiten oder Titel verfügen, werden hingegen für sich die Ausgleichslösung als günstigstes Vollstreckungsprinzip reklamieren. Geht man vom Zweck der Vollstreckung aus, dem Gläubiger die ihm gebührende Befriedigung zu verschaffen, so ist diejenige Vollstreckungsordnung die gerechteste, die dieses Ziel bei möglichst allen Gäubigern möglichst vollständig zu erreichen vermag. Dabei ist die Frage nach dem gerechtesten Exekutionsrecht nicht nur von zivilprozessualer Bedeutung. Sie berührt vielmehr zugleich verfassungsrechtliche Maßstäbe. Die in der Vollstreckung beizutreibenden Gläubigerforderungen unterfallen dem Schutz des Eigentums aus Art. 14 Abs. 1 GG 33. Ein gerechtes Verteilungsprinzip muß daher diese verfassungsrechtliche Wertung der Durchsetzung der Gläubigerforderung im Sinne eines „suum cuique tribuere“ stets im Auge behalten. Da die Verwirklichung des Gläubigerrechts auf Grund des beschriebenen Verbots der Selbsthilfe und des staatlichen Vollstreckungsmonopols von Verfassung wegen gleichsam unter einem Verfahrensvorbehalt steht 34, kommt der Ausgestaltung des staatlichen Vollstreckungsverfahrens entscheidende Bedeutung zu. Eine Durchsetzung seines Anspruchs kann der Gläubiger im Rechtsstaat, soweit der Schuldner freiwillig nicht leistet, außerhalb hoheitlich organisierter Verfahrensstrukturen nicht erreichen. Eingedenk dieser rechtsstaatlich determinierten Verfahrensabhängigkeit des Gläubigerrechts ist der Staat gehalten, durch entsprechende Verfahrensgestaltung eine effektive Vollstreckung des Gläubigerrechts zu gewährleisten 35. Insoweit

Schlosser, ZZP 97 (1984), S. 121 (127 ff.). Hiergegen ausdrücklich Gaul, ZZP 112 (1999), S. 135 (156). 32 Im Ergebnis ebenso Baur/Stürner, Einzelvollstreckungsrecht, Rdnr. 7.36; Gaul, ZZP 112 (1999), S. 135 (156 f.); Rosenberg/Gaul/Schilken, § 50 III 3 e (S. 788); vgl. zur Vereinbarkeit des Prioritätsprinzips mit dem Gleichheitsgrundsatz bei der Vergabe von staatlichen Kapazitäten VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 1994, 111, 112; VG Frankfurt, HSGZ 1987, 265, 266 f. 33 BVerfGE 42, 263 (292 f.); 45, 142 (179); 68, 193 (222). 34 Vgl. BVerfGE 60, 253 (295); 69, 1 (25); 77, 170 (229). 35 Zum verfassungsrechtlichen Anspruch auf effektive Vollstreckung Baur/Stürner, Einzelvollstreckungsrecht, Rdnr. 7.1; Rosenberg/Gaul/Schilken, § 3 III 4 (S. 25 f.); Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 77. 30 31

B. Das Ausgleichsprinzip als Emanation

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ist die vom Bundesverfassungsgericht – vorwiegend für den Bereich des Verwaltungsrechts – entwickelte Rechtsprechung, wonach der Gesetzgeber gehalten sei, durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen den konkreten Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers zu sichern 36, auch auf das zivilprozessuale Verfahrensrecht entsprechend übertragbar. Im Hinblick auf seine besondere Effektivitäts- und Zügigkeitsgewähr stellt sich das Prioritätsprinzip grundsätzlich als das eigentumsfreundlichere Exekutionsrecht dar. Gleichwohl gilt es zu beachten, daß das Prioritätsprinzip lediglich so lange zu gerechten Ergebnissen führen kann, wie auch für alle Gläubiger bei Beginn der ersten Vollstreckungshandlung die potentielle Möglichkeit besteht, aus dem haftenden Vermögen des Schuldners Befriedigung zu finden. Reicht das haftende Vermögen des Schuldners für die Befriedigung aller Gläubiger nicht aus und besteht daher für die nachpfändenden Gläubiger keinerlei Aussicht, sich aus anderen Vermögensgegenständen des Schuldners volle Deckung für ihre Forderungen zu verschaffen, so ist der Zustand der Insolvenz erreicht 37. Insolvenz tritt jedenfalls gemäß § 17 InsO mit der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ein 38. Dabei ist Zahlungsunfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift dann anzunehmen, wenn der Schuldner aus Mangel an Zahlungsmitteln voraussichtlich dauernd nicht in der Lage ist, seine fälligen, sofort zu erfüllenden Geldverbindlichkeiten zu begleichen 39. Sobald die Insolvenz des Schuldners eingetreten ist, erscheint der Rigorismus des Prioritätsprinzips nicht mehr hinnehmbar 40. Folgerichtig ersetzt das deutsche Vollstreckungsrecht für den Fall der schuldnerischen Insolvenz das Prioritätsprinzip durch das im Insolvenzverfahren geltende Ausgleichsprinzip anteilsmäßiger Gläubigerbefriedigung, §1 InsO. Die Einzelzwangsvollstreckung bleibt gemäß § 89 Abs. 1 InsO während der Dauer des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen. Unter Zugrundelegung verfassungsrechtlicher Wertungen heißt dies, daß das Prioritätsprinzip den aus dem Eigentumsrecht folgenden Anspruch auf effektive Vollstreckung lediglich so lange gewährleisten kann, wie aus einer ex ante Betrachtung für alle Gläubiger, auch die zuletzt pfändenden, die potentielle Möglichkeit bestehen muß, vollständige Befriedigung ihrer Forderungen zu erlangen. Besteht diese Möglichkeit nicht mehr, so stößt die verfassungsmäßig geforderte Effektivität des Vollstreckungsverfahrens naturgemäß an ihre Grenzen. Die Eigentumsgarantie verlangt dann eine Ersetzung des Prioritätsprinzips durch das auf die Fälle der schuldneri36 BVerfGE 24, 367 (401); 35, 348 (361 f.); 37, 132 (141, 148); 38, 175 (181); 46, 325 (334); 79, 80 (84); 85, 337 (345); 88, 118 (123); zu den verfahrensrechtlichen Dimensionen der Eigentumsgarantie grundlegend Schmidt-Aßmann, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 45, und unten Drittes Kapitel, A. IV. 2. 37 Vgl. zum Begriff der Insolvenz statt vieler Uhlenbruck, in: ders., § 1, Rdnr. 2. 38 Zu den anderen Insolvenzgründen bereits oben Erstes Kapitel, Einleitung. 39 BGH, NJW 1992, 624; OLG Köln, NZI 2000, 174, 176. 40 In diesem Sinne wohl auch BGHZ 136, 309 (311 f.); Gaul, ZZP 112 (1999), S. 135 (156 f.); Jaeger/Henckel, § 30, Rdnr. 232; Neuner, AcP 203 (2003), S. 46 (61 f.); Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 77.

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2. Kap.: Garantie eines staatlich geordneten Vollstreckungsverfahrens

schen Insolvenz zugeschnittene Ausgleichsprinzip. Hielte der Gesetzgeber selbst in Fällen annähernder Vermögenslosigkeit des Schuldners lediglich ein auf den rascheren Zugriff setzendes Prinzip bereit, so wäre die optimale Verwirklichung der Forderungen der weit überwiegenden Zahl der Gläubiger a priori nicht mehr gewährleistet. Ein solches Vollstreckungssystem stünde mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht im Einklang, da es dem grundrechtlich verbürgten Recht auf effektive verfahrensmäßige Durchsetzung der Gläubigerforderung bereits strukturell nicht gerecht werden würde. Diese Überlegungen verdeutlichen, daß das Insolvenzverfahren als Institut verfassungsrechtlich gefordert ist. Lediglich durch Einführung des Ausgleichsprinzips verwirklicht der Staat den gegen ihn gerichteten Vollstreckungsanspruch des Gläubigers in Fällen vollständiger oder annähernder Vermögenslosigkeit des Schuldners auf verfassungskonforme Weise. Eine weitere Milderung erfährt der Rigorismus des Prioriätsprinzip durch die im Zuge der Insolvenzrechtsreform eingeführte sog. Rückschlagsperre, § 88 InsO 41. Demnach sind die im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrages im Wege der Einzelzwangsvollstreckung erlangten Sicherheiten unwirksam. Diese Unwirksamkeit hat dingliche Wirkung 42. Das Ausgleichsprinzip ersetzt damit zugunsten der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger bereits im erweiterten Vorfeld der Insolvenz das Prioritätsprinzip. Vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen verfassungsrechtlichen Postulate an ein gerechtes Vollstreckungssystem erscheinen die gegen die Rückschlagsperre vorgebrachten Bedenken, wonach diese zu einer unangemessenen Benachteiligung der pfändenden Gläubiger führe 43, als nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist die Rückschlagsperre als verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung zu qualifizieren. Aus Art. 14 Abs. 1 GG läßt sich kein Verfassungsgebot ableiten, daß die im Zuge der Vollstreckung erlangten Sicherheiten endgültiger und unanfechtbarer Natur sind 44. Soweit der Gesetzgeber verpflichtet ist, der Gläubigermehrheit ein auf gleichmäßige Befriedigung angelegtes Vollstreckungsverfahren anzubieten, erscheint es zumutbar, deren Wirkungen nicht erst an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anzuknüpfen. Diese Eröffnung kann nämlich tatsächlich erst Wochen oder gar Monate nach dem Eintritt der tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit liegen. Von daher sind verfahrensrechtliche Vorkehrungen geboten, die Separatmaßnahmen bereits im Vorfeld einer Eröffnung ausschließen. Ansonsten be41 Zum Verhältnis zwischen Rückschlagsperre und Prioritätsprinzip Gaul, ZZP 112 (1999), S. 135 (164); Neuner, AcP 203 (2003), S. 46 (61 f.). 42 BGH, ZIP 2006, 479, 480 f.; App, in: Frankfurter Kommentar, § 88, Rdnr. 17; Blersch/ v. Olshausen, in: Berliner Kommentar, § 88, Rdnr. 16; Breuer, in: Münchener Kommentar, § 88, Rdnr. 23; Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 88, Rdnr. 11; Lüke, in: Kübler/Prütting, § 88, Rdnr. 19; Uhlenbruck, in: ders., § 88, Rdnr. 11; Wittkowski, in: Nerlich/Römermann, § 88, Rdnr. 11; zur Wirkung der Rückschlagsperre nunmehr auch OLG Düsseldorf, ZInsO 2004, 276. 43 So Wolf, in: Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, S. 113 (115 f.); ähnlich auch Breuer, in: Münchener Kommentar, § 88, Rdnr. 3; kritisch zu dieser Ansicht Lüke, in: Kübler/ Prütting, § 88, Rdnrn. 3 f. 44 Vgl. BVerfG (Kammer), NJW 1991, 2695.

B. Das Ausgleichsprinzip als Emanation

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stünde die Gefahr, daß in der Zeit bis zur endgültigen Verfahrenseröffnung durch eilfertige Maßnahmen einiger weniger – in der Regeln gut informierter – Gläubiger die erst mit der Verfahrenseröffnung einsetzende Möglichkeit gleichmäßiger Befriedigung faktisch ausgehöhlt würde.

Drittes Kapitel

Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten im Insolvenzfall In Anerkennung des zuvor beschriebenen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf gemeinschaftliche und gleichmäßige Vollstreckung für den Fall der Schuldnerinsolvenz hat der Gesetzgeber mit dem Insolvenzverfahrensrecht ein Mittel zur zwangsweisen oder freiwilligen 45 Haftungsverwirklichung zur Verfügung gestellt. Das Insolvenzverfahrensrecht erfaßt sämtliche Regelungen, mit deren Hilfe die subjektiven Rechte der Gläubiger beim wirtschaftlichen Zusammenbruch eines Schuldners oder Schuldnerunternehmens realisiert werden46. Entsprechend der Zielvorgabe in § 1 Satz 1 InsO findet das Insolvenzverfahren in der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung seinen primären Verfahrenszweck 47. Das Insolvenzverfahren unterscheidet sich damit vom Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung durch die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes48. Privilegierungen einzelner Gläubigergruppen sind stets auf sachlich begründete Ausnahmefälle beschränkt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung erfordert, daß im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung im Insolvenzverfahren die Einzelinitiative des Vollstreckenden weitgehend verdrängt wird durch eine Gesamtinitiative der Gläubigergemeinschaft, die durch bestimmte Organe (Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuß) repräsentiert wird. Wenngleich die Existenz dieser Organe dazu führt, daß das Insolvenzverfahren maßgeblich von verfahrensrechtlichen Selbstbestimmungsrechten der Gläubigerschaft geprägt wird 49, bleibt es doch seinem Regelungsgegenstand entsprechend ein staatliches Verfahren. Beteiligte des Verfahrens sind neben Gläu-

45 Die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Vollstreckung durch gütliche Einigung mit dem Schuldner war maßgeblicher Diskussionspunkt im Rahmen der Insolvenzrechtsreform, hierzu Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 135; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 54 f. Praktisch wichtigstes Ergebnis dieser Diskussion ist die Einführung eines Insolvenzplanverfahrens gemäß §§ 217 ff. InsO. 46 Uhlenbruck, in: ders., § 1, Rdnr. 3. 47 So Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 126; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 1. 48 Hierzu Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 56 ff. 49 Zur Gläubigerautonomie im Insolvenzverfahren Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 127; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 72 f.

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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bigerschaft und Schuldner die den Charakter des Insolvenzverfahrens maßgeblich bestimmende Figur des Insolvenzverwalters sowie das Insolvenzgericht, welches den Sachverhalt erforscht 50 und die Aufsicht über den Insolvenzverwalter ausübt, vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 InsO. Das für die Einzelzwangsvollstreckung kennzeichnende Dreiecksverhältnis von Gläubiger, Schuldner und Vollstreckungsgericht wird also im Insolvenzverfahren – ergänzt durch die Person des Verwalters – zu einem Tetragon der Beteiligungsverhältnisse. Die zuvor geschilderten spezifisch insolvenzverfahrensrechtlichen Beteiligungsstrukturen rücken die Frage nach der Grundrechtsberechtigung und der Grundrechtsbindung im Insolvenzfall in den Fokus der Betrachtung. Während sich diese Frage für die Einzelzwangsvollstreckung in Anbetracht der überragenden Verfahrensstellung des unstreitig hoheitlich handelnden Vollstreckungsgerichts ohne größeren dogmatischen Aufwand beantworten läßt, sind die grundrechtlich geprägten Verhältnisse im Insolvenzfall von ungleich diffizilerer Struktur. Dies rührt einerseits von der beschriebenen Gläubigerautonomie, welche die Entscheidung über grundrechtlich relevante Verfahrensabläufe in die Hand der Gläubigerschaft und damit von Privatrechtssubjekten legt 51. Andererseits verkompliziert die Figur des Insolvenzverwalters, eines Privatmannes mit „amtsähnlichen Befugnissen“ 52, die Problemanalyse. Bevor daher auf die Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall eingegangen werden kann, bedarf zuvor die Frage nach der Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsbindung der handelnden Akteure im Insolvenzfall einer näheren Betrachtung.

I. Die Grundrechtsbindung des Insolvenzgerichts Keine vertiefte Erörterung erfordert die Frage nach der Grundrechtsbindung des Insolvenzgerichts. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ist die staatliche Gewalt in ihren Funktionen der Gesetzgebung, Exekutive und der Rechtsprechung unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die Grundrechtsbindung bezieht sich damit auf die gesamte staatliche Rechtsprechung 53. Kennzeichnend für die rechtsprechende Tätigkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist die letztverbindliche, rechtskraftfähige Entscheidung über einen Streitfall im Rahmen eines besonders geregelten Verfahrens 54. InHierzu Ganter, in: Münchener Kommentar, § 5, Rdnrn. 11 ff. Hierzu im einzelnen unten Fünftes Kapitel, B. 1. 52 So Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnr. 102; Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329). 53 Dreier, in: ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 36; Kempen, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 53; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 63; Pieroth/Schlink, Rdnr. 165; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 117, Rdnr. 30; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 207; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1445. 54 BVerfGE 103, 111 (137 f.); speziell für das Insolvenzverfahren nunmehr BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366, 1367; vgl. auch Forsthoff, Verwaltungsrecht, S.6; Herzog, in: Maunz/ Dürig, Art. 92, Rdnr. 20; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 206. 50 51

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

wieweit das Insolvenzgericht rechtsprechende Funktionen in diesem Sinne wahrnimmt, konnte im insolvenzrechtlichen Schrifttum noch nicht abschließend geklärt werden. Zu beachten gilt es in diesem Zusammenhang, daß weite Bereiche des Insolvenzverfahrens nicht der streitigen, sondern vielmehr der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzurechnen sind 55. Allgemein anerkannt ist beispielsweise, dass die Auswahl des Insolvenzverwalters keine Rechtsprechung darstellt, sondern als Akt der Exekutive der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterliegt 56. Die freiwillige Gerichtsbarkeit dient in der Regel nicht der Streitentscheidung, sondern sie ist auf ihren eigentlichen Gebieten durch den Richter ausgeübte staatliche Fürsorge und Verwaltung und daher eher dem Bereich der Exekutive und nicht der Rechtsprechung zuzuordnen 57. Des weiteren fällt die Aufgabenwahrnehmung im überwiegenden Teil des Insolvenzverfahrens nicht dem Richter, sondern dem Rechtspfleger zu, vgl. § 18 RPflG. Gleichwohl folgt aus diesem Befund nicht, daß die Grundrechtsbindung des Insolvenzgerichts in irgendeiner Weise modifiziert oder gar eingeschränkt werden könnte. Auch für die Ausübung hoheitlicher Befugnisse im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit besteht eine unmittelbare Grundrechtsbindung des Richters58. Daher mag für die verfassungsrechtliche Diskussion eine genaue Einordnung der Tätigkeit des Insolvenzgerichts zu den Bereichen der freiwilligen oder streitigen Gerichtsbarkeit dahinstehen. Jedenfalls tritt im gerichtlichen Verfahren – unterfalle es nun dem Bereich der freiwilligen oder der streitigen Gerichtsbarkeit – der Richter den Verfahrensbeteiligten in unmittelbarer Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 3 GG bei seinen Entscheidungen an die maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet 59.

55 Vgl. zu der im insolvenzrechtlichen Schrifttum lebhaft umstrittenen Frage, ob das Insolvenzverfahren der streitigen oder der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist, einerseits Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 3.05; Becker, in: Nerlich/Römermann, § 5, Rdnr. 5; Smid, in: ders., § 5, Rdnr. 7 („freiwillige Gerichtsbarkeit“), sowie andererseits Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnr. 1 („kontradiktorisches Verfahren“). 56 BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366, 1367 f.; Wieland, ZIP 2005, S. 233 (236). 57 So Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 206; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1432; ähnlich wohl auch BVerfGE 21, 139 (144). Hiervon zu trennen ist die Frage, inwieweit im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit spezifisches Richterrecht Anwendung findet, vgl. hierzu BVerfGE 21, 139 (144 f.). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt insbesondere Art. 19 Abs. 4 GG immer dann vor richterlicher Tätigkeit, wenn es sich nicht um Rechtsprechung im funktionellen Sinn handelt, vgl. BVerfGE 107, 395 (406); (Kammer) DVBl. 2004, 1366, 1367 f.; a. A. Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte III/2, S. 791; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 35. 58 Vgl. BVerfGE 21, 139 (144 f.); BVerfG, NJW 1988, 405, 406; vgl. auch BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366, 1368. 59 In diesem Sinne für den Zivilprozeß auch BVerfGE 52, 203 (207).

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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Die Grundrechtsbindung des Insolvenzgerichts wird auch nicht durch den im Insolvenzfall über weite Strecken funktionell zuständigen Rechtspfleger 60 relativiert. Zwar ist der Rechtspfleger mangels richterlicher Unabhängigkeit kein Gericht im Sinne der prozessualen Grundrechte 61. Seine Tätigkeit unterfällt daher als Ausübung „öffentlicher Gewalt“ dem Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG 62. Ihm gegenüber gewährleistet aber das aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtstaatsprinzip abgeleitete Recht auf ein faires Verfahren 63 die Geltung eines gegenüber dem Richter entsprechenden grundrechtlichen Verfahrensstandards 64.

II. Der Insolvenzverwalter als Grundrechtsverpflichteter und Grundrechtsberechtigter Ungleich diffiziler ist die Frage nach der Grundrechtsbindung des Insolvenzverwalters zu beantworten. In der Insolvenzpraxis werden als Insolvenzverwalter fast ausschließlich Rechtsanwälte sowie Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, also Privatpersonen bzw. privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, tätig. Nach der in Rechtsprechung 65 und überwiegendem zivilprozessualem Schrifttum 66 vertretenen sog. Amtstheorie ist der Insolvenzverwalter ein in eigenem Namen handelndes Organ der Rechtspflege. Träger der Rechte und Pflichten bleibt demnach der Schuldner. Der Verwalter übt jedoch kraft seines Amtes im öffentlichen Interesse die Rechte des Schuldners – sei es in Prozessen, sei es bei Vertragsschlüssen – im eigenen Namen aus 67. Ungeachtet dieser Tätigkeit im öffentlichen Interesse geht die weit überwiegende Auffassung im insolvenzrechtlichen Schrifttum davon aus, daß der Insolvenzverwalter ein privates Amt und keine Hoheitsbefugnisse ausübe und daher keiner grundrechtlichen Bindung unterliege 68. Zur Begründung wird auf die insol60 Den Tätigkeitsbereich des Rechtspflegers im Insolvenzverfahren regelt § 18 RpflG; siehe zu seinen Zuständigekeiten Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 149. 61 Vgl. BVerfGE 49, 220 (228, 240 f.); 49, 252 (257); 101, 397 (407); Ibler, in: Berliner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 93; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19, Rdnr. 445; Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19, Rdnr. 69 – Rechtspfleger; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 103. 62 Papier, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 154, Rdnr. 38; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 41; siehe hierzu auch die Nachweise in Fußnote 61. 63 Hierzu BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111); 57, 250 (274 f.); 110, 339 (342). 64 Vgl. BVerfGE 36, 321 (330); 101, 397 (405); ebenso Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 75. 65 RGZ 97, 107 (109); 120, 189 (192); BGHZ 24, 393 (396); 32, 114 (118); 49, 11 (16); 88, 331 (334); BGH, NJW 1997, 1445. 66 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rdnr. 10.12.; Bork, in: Stein/Jonas, Vorbem. § 50, Rdnrn. 31 ff., insbesondere Rdnr. 32 a; Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 56, Rdnr. 24. 67 (334); 100, 346 (351); BGH, WM 1996, 1411, 1412; ZInsO 2006, 260. 68 Bork, Insolvenzrecht, Rdnr. 55; Delhaes, in Nerlich/Römermann, Vor § 56, Rdnr. 8; Holzer, Rdnr. 512; Lepa, S. 231 ff.; Pape, WPrax 1995, S. 252 (255); Weber, KTS 1955, S. 102 (103).

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

venzgerichtliche Aufsicht über den Verwalter gemäß § 58 Abs. 1 InsO verwiesen, welche einer Ausübung eigenständiger hoheitlicher Befugnisse durch den Verwalter entgegenstehe. Auf Grund dieser Aufsichtsmöglichkeit sei eine Umgehung der Grundrechtsbindung aller Staatsorgane nach Art. 1 Abs. 3 GG ausgeschlossen. Die zuvor genannte herrschende Meinung wird von einigen Stimmen im Schrifttum abgelehnt und eine grundrechtliche Bindung des Verwalters bejaht 69. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Prämisse, der Verwalter sei als beliehener Unternehmer mit der Wahrnehmung hoheitlicher Kompetenzen betraut und unterliege damit einer Grundrechtsbindung 70. Inwieweit diese, sich noch auf das alte Konkursrecht beziehende Auffassung unter Zugrundelegung der damaligen Rechtslage berechtigt war 71, mag vorliegend dahinstehen. Jedenfalls ist ihr de lege lata im Ergebnis beizupflichten, denn lediglich eine Einordnung des Insolvenzverwalters als hoheitlich tätiger Amtswalter wird den sich aus Art. 1 Abs. 3 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht. Diese These soll im Folgenden näher begründet werden. 1. Der Insolvenzverwalter als Grundrechtsverpflichteter a) Die Wahrnehmung hoheitlicher Kompetenzen durch den Insolvenzverwalter Als Privatperson kann der Insolvenzverwalter lediglich dann einer Grundrechtsbindung unterliegen, wenn er auf Grund übertragener Zuständigkeiten im Rahmen gesetzlicher Ermächtigung einzelne hoheitliche Kompetenzen im eigenen Namen wahrnimmt 72. Dabei erfolgt die staatliche Beleihung durch Gesetz oder durch Verwaltungsakt auf Grund eines Gesetzes 73. 69 So Adam, S. 126 ff.; Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329); ähnlich wohl auch Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 56, Rdnr. 10 („hierarchischer Beleihungsvorgang“); Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnr. 104; Wellensiek, NZI 1999, S. 169 (171); für eine öffentlich-rechtliche Pflichtenstellung des Insolvenzverwalters auch Redeker/v. Oertzen, § 40, Rdnr. 43; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, § 3, Rdnr. 81. 70 In diesem Sinne Adam, S. 126 ff, sowie Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329); ähnlich wohl auch Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 56, Rdnr. 10. 71 Kritisch hierzu Lepa, S. 230 f. 72 Vgl. BVerwGE 29, 166 (169 f.); 35, 334 (337); 61, 222 (225 f.); BVerwG, DVBl. 1970, 735, 736; Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 34, Rdnr. 13; Dreier, in: ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 25; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 56 f.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34, Rdnr. 109; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art.34, Rdnr 61; grundlegend Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137 ff.; zuletzt Burgi, in: FS Maurer, S. 581 ff.; Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220 (240 ff.). 73 BVerwG, NVwZ 1985, 48; NVwZ 1991, 59; Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 34, Rdnr. 13; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 34, Rdnr. 109; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 200; siehe auch zu den hoheitlichen Befugnissen der Luftfahrzeugführer BGH, NJW 1983, 448, 449; eine Beleihung auf Grund Gewohnheitsrechts oder „durch Auslegung des Ge-

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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Eine generelle Ausstattung des Insolvenzverwalters mit staatlicher Zwangsgewalt nimmt die Insolvenzordnung nicht vor. Jedoch findet für begrenzte Teilbereiche – ähnlich der Rechtslage in der Einzelzwangsvollstreckung – eine Übertragung hoheitlicher Befugnisse statt 74. So ist der Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO bzw. gemäß § 148 Abs. 1 InsO berechtigt und verpflichtet, das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Zu diesem Zweck berechtigt § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO den vorläufigen Verwalter, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen – grundrechtlich gesprochen: Durchsuchungen – anzustellen. Hierbei bedarf der vorläufige Verwalter nicht des Beistandes des zuständigen Gerichtsvollziehers, sondern kann – gegebenenfalls unter polizeilicher Zuhilfenahme – die Durchsuchung unmittelbar selbst vornehmen 75. Damit verfügt der Verwalter über Eingriffsbefugnisse, wie sie denen des Gerichtsvollziehers vergleichbar sind, für dessen Tätigkeit das Bundesverfassungsgericht jedoch gerade die Eingriffsqualität bejaht hat 76. Gerade die Privatpersonen verliehene Befugnis, fremdes Eigentum zu Kontrollzwecken zu betreten, kann als besonderes Kennzeichen einer Beleihung verstanden werden. So gibt es entsprechende Berechtigungen auch bei anderen Privatpersonen, deren Beleihung allgemein anerkannt ist77. Dem Gerichtsvollzieher gleichgestellt ist der Insolvenzverwalter des weiteren auf Grund von § 23 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 InsO in Verbindung mit § 98 InsO hinsichtlich der zwangsweisen Durchsetzung der Schuldnerpflichten. Demnach ist der Verwalter berechtigt, wenn es zur Herbeiführung von wahrheitsgemäßen Aussagen erforderlich ist, eine Versicherung des Schuldners an Eides Statt anzuordnen. Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Befugnisse ist es kaum erklärlich, wenn im insolvenzrechtlichen Schrifttum die Auffassung vertreten wird, der Insolvenzverwalter verfüge über keine staatliche Zwangsgewalt 78. Zwar ist der Insolvenzverwalter als Privatperson (im Gegensatz zu Gerichtsvollziehern, Rechtspflegern oder Richtern) nicht kraft seines Amtes in die staatliche Organisation eingegliedert. Er steht damit auch nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Staat. Seine Vergütung richtet sich ausschließlich nach § 63 InsO sowie der auf der Grundlage des § 65 InsO ergangenen Vergütungsverordnung (InsVV) und findet ihre Grundlage in samtzusammenhangs eines Gesetzes“ zieht das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 61, 222 [224 f.]) in Erwägung. 74 Auf die Zwangsgewalt des Insolvenzverwalters als Grundlage seiner Beleihung weisen zu Recht Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329), und Wellensiek, NZI 1999, S. 169 (171), hin. 75 Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 22, Rdnr. 244; Pape, in: Kübler/Prütting, § 22, Rdnr. 32. 76 BVerfGE 51, 97 (107). 77 Vgl. hierzu beipielhaft für die Fischereiaufseher §54 Abs. 3 Landesfischereigesetz Nordrhein-Westfalen; für die Vermessungsingenieure § 4 Abs. 1 Vermessungs- und Katastergesetz Nordrhein-Westfalen sowie BVerfGE 73, 301 (316). 78 So ausdrücklich Lepa, S. 232; widersprüchlicherweise geht Lepa andererseits davon aus, daß der Insolvenzverwalter an Art. 13 GG gebunden sei, vgl. Lepa, S. 143 f. Dies müßte sie vor dem Hintergrund ihrer Konzeption ablehnen.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Art. 12 Abs. 1 GG 79. Auf Grund der geschilderten, dem Verwalter durch Gesetz anvertrauten Funktionen übt er aber gleichwohl ein öffentliches Amt aus 80. Die Funktionswahrnehmung, nicht die Ausgestaltung des Dienstverhältnisses ist insoweit maßgeblich für die Ausübung seines Amtes 81. b) Die gerichtliche Aufsicht über den Insolvenzverwalter Der partiellen Grundrechtsbindung des Verwalterhandelns steht auch nicht entgegen, daß gemäß § 58 Abs. 1 InsO das Insolvenzgericht zur Aufsicht über den Verwalter verpflichtet ist. Fehl geht insbesondere die im Schrifttum vertretene Annahme, die gemäß § 58 InsO bestehende gerichtliche Aufsicht über den Verwalter stünde einem eigenverantwortlichen Handeln des Verwalters und damit einer Einordnung seiner Rechtsstellung als Beliehener entgegen 82. Richtigerweise lassen sich von der Art und Weise staatlicher Aufsicht keine Rückschlüsse auf die Wahrnehmung hoheitlicher Kompetenzen durch Privatpersonen ziehen. Namentlich Bettermann hat dargelegt, daß das Ausmaß der von einer Behörde ausgeübten staatlichen Kontroll- und Eingriffsbefugnisse über einen Privaten nicht entscheidend für die Frage der Beleihung mit hoheitlicher Gewalt sein kann 83. Dem ist zuzustimmen. Maßgeblich für die hoheitliche Einordnung der Rechtsstellung des Insolvenzverwalters ist seine Ernennung durch das Gericht. Durch diese Ernennung leitet der Verwalter seine Legitimation vom Gericht ab 84. Diese öffentlich-rechtliche Legitimationsgrundlage in Verbindung mit den dem Insolvenzverwalter anvertrauten Zwangsbefugnissen, welche zu einschneidenden Eingriffen in Grundrechtspositionen des Schuldners führen können, stellt den Verwalter im Hinblick auf den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes in eine Adressatenstellung. Eine ausschließlich privatrechtliche Einordnung des Insolvenzverwalters würde zu einer erheblichen Grundrechtsschwächung der Betroffenen führen. Diese könnten sich lediglich mittelbar über die Anrufung des Insolvenzgerichts gegen das Verwalterhandeln wehren. Insoweit würde entgegen des Gedankens von Art. 1 Abs. 3 GG durch die Übertragung von Aufgaben, welche der Staat qua seines Gewaltmonopols selbst wahrnehmen müßte, eine weitgehende Entbindung des Staats aus seiner Grundrechtsverpflichtung folgen 85. Dabei tritt erschwerend hinzu, daß nach einhelliger Auffassung

79 Vgl. BVerfGE 88, 145 (159); Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329); hierzu im einzelnen unten Drittes Kapitel, A. II. 2. a). 80 A. A. hingegen BVerwG, ZIP 2006, 530 f. („Inhaber eines privaten Amtes“). 81 Vgl. Höfling, in: Bonner Kommentar, Art. 33, Rdnr. 80; Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 33, Rdnr. 15; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 33, Rdnr. 20; Maunz, in: ders./Dürig, Art. 33, Rdnr. 13. 82 Lepa, S. 232 f. 83 Bettermann, in: FS Reimers, S. 415 (427). 84 Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnr. 103; Schick, NJW 1991, S. 1328. 85 Gegen eine solche Entbindungsmöglichkeit bei der Unterbringung Geisteskranker durch den Vormund bereits BVerfGE 10, 302 (327).

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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im insolvenzrechtlichen Schrifttum die Kontrolle des Verwalterhandelns durch das Gericht stark eingeschränkt ist. So erstreckt sich die Aufsicht über den Verwalter lediglich auf die Rechtmäßigkeit seines Handelns, nicht jedoch auch auf dessen Zweckmäßigkeit 86. Eine umfassende Kontrolle gerade im Hinblick auf die Eingriffe in die grundrechtlich sensible Sphäre des Schuldners findet demnach nicht statt 87. Vor diesem Hintergrund erscheint einzig eine Einordnung des Insolvenzverwalters, die diesen korrelierend zu seinen umfassenden Zwangsbefugnissen als hoheitlich handelndes Organ persönlich in die Pflicht nimmt und im selben Umfang grundrechtlich bindet wie den Beleiher 88, verfassungsrechtlich unbedenklich. c) Der Insolvenzverwalter als gerichtlicher Sachverständiger Die Gegner einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Insolvenzverwalters übersehen zudem, daß der Verwalter nicht nur als selbständiges Organ der Rechtspflege auftritt, sondern in der Regel zugleich als Sachverständiger für das Insolvenzgericht fungiert. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO kann das Gericht nämlich den Insolvenzverwalter zusätzlich beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen. Der Tätigkeit des vom Insolvenzgericht eingesetzten Sachverständigen kommt bei der Ermittlung der schuldnerischen Vermögensverhältnisse eine hohe praktische Bedeutung zu, und zwar nicht erst im Rahmen der vorläufigen Insolvenzverwaltung, sondern bereits im Zulassungsverfahren vor Anordnung der vorläufigen Verwaltung. Der Sachverständige führt als „Gehilfe des Gerichts“ 89 Ermittlungen durch, die das Gericht auch selbst durchführen könnte. In diesem Falle wäre das Gericht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Daher muß die gleiche verfassungsrechtliche Bindung auch dann bestehen, wenn es sich der Hilfe einer dritten Person, nämlich eines Sachverständigen, bedient. Ansonsten könnte sich das Gericht durch Einschaltung von Sachverständigen seiner eigenen Grundrechtsbindung entziehen 90. 86 So Blersch, in: Berliner Kommentar, § 58, Rdnr. 4; Delhaes, in: Nerlich/Römermann, §58, Rdnr. 5; Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 58, Rdnr. 3; Kind, in: Frankfurter Kommentar, § 58, Rdnr. 5; Leithaus, NZI 2001, S. 124 (125 ff.); Lüke, in: Kübler/Prütting, § 58, Rdnr. 11; für eine eingeschränkte Zweckmäßigkeitsprüfung Graeber, in: Münchener Kommentar, § 58, Rdnr. 20. 87 Zum Erfordernis einer staalichen Fachaufsicht über den Beliehenen StGH Bremen, NVwZ 2003, 81 ff.; allgemein zur Aufsicht über Beliehene Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 62; Krebs, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR III, § 69, Rdnr. 43. 88 Zum verfassungsrechtlichen Erfordernis einer Bindungskongruenz Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137 (192); Stern, Staatsrecht III/1, S. 1334 f.; ähnlich im Sinne einer umfassenden Aufgabenverantwortung des Beleihers zuletzt StGH Bremen, NVwZ 2003, 81 ff. 89 Zur Stellung des insolvenzgerichtlichen Sachverständigen als „Gehilfe des Gerichts“ Haarmeyer, in: Münchener Kommentar, § 22, Rdnr. 140; vgl. zur öffentlich-rechtlichen Stellung des Verwalters als Gehilfe des Gericht auch Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329). 90 So ausdrücklich BVerfGE 75, 318 (327); ferner bzgl. Art. 13 GG Kunig, in: v. Münch/ ders., Art. 13, Rdnr. 3.

3 Werres

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter zugleich Sachverständiger des Insolvenzgerichts ist, wird in praxi schwerlich eine Differenzierung danach möglich sein, in welcher Funktion er auftritt. Vielmehr wird, da die Arbeit als Sachverständiger mit der Tätigkeit als Verwalter eine untrennbare Einheit bildet, in der Regel selbst dem Insolvenzverwalter das Bewußtsein fehlen, ob er nun als Sachverständiger oder als Verwalter handelt 91. Aus dieser Untrennbarkeit der beiden Aufgabenbereiche folgt zugleich, daß im Hinblick auf die zwingende Grundrechtsbindung des Sachverständigen eine generelle Bindung auch des Verwalters anzunehmen ist, da es sonst gleichsam von der inneren Willensrichtung des Verwalters abhinge, ob er einer Grundrechtsbindung unterliegt oder nicht. Ist der Insolvenzverwalter somit als mit hoheitlichen Befugnissen betrauter Privater anzusehen, unterfällt er als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung dem Begriff der vollziehenden Gewalt und unterliegt damit nach allgemeiner Auffassung 92 auch der Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG. 2. Der Insolvenzverwalter als Grundrechtsberechtigter Soweit der freiberufliche Status des Insolvenzverwalters, sei es als Rechtsanwalt, sei es als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, betroffen ist, muß gleichwohl stets seine bipolare Stellung berücksichtigt werden: Der Insolvenzverwalter ist einerseits mit hoheitlichen Befugnissen betrauter Beliehener, welcher die Grundrechte zu beachten hat, andererseits Privatmann, der sich gegenüber dem Staat, soweit sein freiberuflicher Status betroffen ist, selbst auf die Grundrechte berufen kann93. In Betracht kommt dabei insbesondere die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG 94. Die Einordnung des Insolvenzverwalters als staatlichen Beliehenen steht in diesem Zusammenhang nach allgemeiner Ansicht einer Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG nicht entgegen 95. Lediglich soweit der Verwalter die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufga91 Die Unterscheidung zwischen den beiden Funktionen des Insolvenzverwalters hat lediglich Bedeutung für dessen Vegütung. So richtet sich die Vergütung des „sachverständigen“ Verwalters ausschließlich nach dem ZSEG; hierzu bereits Irmen/Werres, NZI 2001, S. 579 (583). 92 Dreier, in: ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 25; Dürig, in: Maunz/ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 107; Graf Vitzthum, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 48, Rdnr. 38; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 60; Pieroth/Schlink, Rdnr. 167; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 117, Rdnr. 9; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 200; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1335. 93 Vgl. zur Geltung der Grundrechte für Beliehene oben FN 92; zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der Grundrechte in staatsnahen Verhältnissen allgemein Graf Vitzthum, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 48, Rdnr. 19. 94 Vgl. BVerfGE 88, 145 (159 ff.); BVerfG, ZIP 1993, 1246, 1247; BGHZ 116, 233 (239); Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329). 95 BVerfGE 16, 6 (21); 47, 285 (319); 80, 257 (263 f.); Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 147, Rdnr. 49; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 21; Tettinger, in: Sachs, Art. 12, Rdnr. 46; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rdnr. 53; im Gegensatz zu diesen von Freiberuflern ausgeübten halbamtlichen Berufen unterfallen die Berufe des öffentlichen Dienstes nach zutreffender Auffassung nicht dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG, vgl. Merten, in: Magiera/

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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ben als Hoheitsträger wahrnimmt, ist er grundrechtsunfähig 96; ist hingegen sein freiberuflicher Status betroffen, so bestehen gegen eine Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG keine Bedenken. Im Hinblick auf den freiberuflichen Status und damit auf den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG sind von praktisch nicht zu überschätzender Relevanz die Aspekte der Verwaltervergütung (a) und des Zugangs zum Verwalteramt (b). a) Grundrechtliche Vorgaben für die Verwaltervergütung Die Freiheit der Berufsausübung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Recht auf eine angemessene Vergütung. Die Vergütungspraxis für halbamtliche oder im öffentlichen Interesse stehende Berufe ist daher am Maßstab der Berufsausübungsfreiheit im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen 97. Da der Verwalter seine Aufgaben ausschließlich im Interesse der Rechtspflege und nicht eigennützig wahrnimmt, kann seine umfassende Inanspruchnahme durch den Staat lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn ihm für seine Tätigkeit eine angemessene Entschädigung gewährt wird 98. Der Insolvenzverwalter ist entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen darauf angewiesen, die Vergütung für seine Tätigkeit der Insolvenzmasse zu entnehmen. Die Vergütung berechnet sich prozentual nach dem Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Verfahrensbeendigung, wobei der Prozentsatz von der Höhe der Insolvenzmasse abhängig ist, sog. Regelsatz, § 2 InsVV. Diese gesetzliche Regelung kann insbesondere in Fällen, in denen die Schuldnermasse nicht mehr zur Befriedigung aller Ansprüche ausreicht, zur Gefährdung der Verwaltervergütung führen. Zwar steht es jedermann frei, die Aufgabe eines Insolvenzverwalters zu übernehmen. Soweit das Amt jedoch einmal übernommen wurde, kann es vom Verwalter mit Rücksicht auf die Kontinuität der Verfahrensabwicklung nicht mehr gekündigt werden99. Dabei gilt es zu bedenken, daß die Insolvenzverwalter eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe wahrnehmen, die mit einem erheblichen zeitlichen Einsatz und mit Siedentopf, S. 181 (196 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rdnrn. 196, 205; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rdnr. 52; a. A. hingegen die überwiegend vertretene Aufassung, vgl. BVerfGE 7, 377 (397 f.); 16, 6 (21); 17, 371 (377); 39, 334 (369); 73, 301 (315); 84, 133 (146 f.); 92, 140 (151); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 20; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12, Rdnr. 43; Tettinger, in: Sachs, Art. 12, Rdnr. 43. 96 Vgl. BVerfG, NJW 1987, 2501, 2502; siehe zur grundrechtlichen Situation von Beliehenen auch Burgi, in: FS Maurer, S. 581 (592). 97 Hierzu BVerfGE 54, 251 (271) – unentgeltliche anwaltliche Tätigkeit; 68, 319 (327) – Gebührenordnung für Ärzte; 83, 1 (13) – Gebührenbegrenzung im sozialgerichtlichen Verfahren; 110, 226 (251) – Strafbarkeit der Geldwäsche. 98 Vgl. BVerfGE 54, 251 (271); BGHZ 116, 233 (239); anders für den Sequester – mit diskussionswürdiger Begründung – BVerfG (Kammer), ZInsO 2004, 383, 384 f. 99 Vgl. Delhaes, in: Nerlich/Römermann, § 59, Rdnr. 6; Graeber, in: Münchener Kommentar, § 59, Rdnr. 34; Kind, in: Frankfurter Kommentar, § 59, Rdnr. 12; Uhlenbruck, in: ders., § 59, Rdnr. 17. 3*

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

nicht unbeträchtlichen Haftungsrisiken verbunden ist. Stellt sich daher – wie in der Regel – erst nach Übernahme des Verwalteramtes heraus, daß das Vermögen des Schuldners zur Befriedigung der Gläubigerforderungen und der Vergütung des Verwalters nicht ausreicht, bedarf es besonderer Vorkehrungen, um eine angemessene Vergütung des Verwalters sicherzustellen. Ohne solche Vorkehrungen wäre der Verwalter gezwungen, das Verfahren in der sicheren Erkenntnis, daß seine Ansprüche nicht mehr zu realisieren sind, zum Abschluß zu bringen. Eine solche Praxis stünde auch vor dem Hintergrund des erheblichen Haftungsrisikos des Verwalters mit der Freiheit der Berufsausübung, die auch die Freiheit, eine angemessene Vergütung zu verlangen, umfasst 100, nicht im Einklang. Folgerichtig steht die in § 2 Abs. 2 InsVV vorgesehene Mindestvergütung von 500,– E für massearme Verfahren – auch unter Berücksichtigung des dem Verordnungsgeber zustehenden Prognosespielraums – mit der grundrechtlichen Gewährleistung eines auskömmlichen Vergütungsaufkommens des Verwalters nicht im Einklang, da sie den entstehenden durchschnittlichen Bearbeitungsaufwand bei weitem nicht auskömmlich entgelten kann 101. Mit der Frage der Vergütung in engem Zusammenhang steht die Frage nach der Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die vom Insolvenzverwalter mit dem Ziel der Insolvenzmasseanreicherung anzustrengenden Gerichtsverfahren. Solche Prozesse wird der Verwalter gerade bei massearmen Verfahren nicht zuletzt auch mit der Zielsetzung führen, ausreichende Mittel zur Aufbringung seiner eigenen Vergütung zu besorgen. Das Gericht hat in diesen Fällen bei seiner Entscheidung über die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für den Verwalter dessen grundrechtliche Gewährleistung in Betracht zu ziehen und bei der Auslegung der einschlägigen Vorschrift des § 116 Nr. 1 ZPO zu berücksichtigen 102. Soweit die Vergütung lediglich durch die Durchführung des in Rede stehenden Masseprozesses gesichert werden kann, wäre es unzumutbar, dem Verwalter die Aufbringung der Verfahrenskosten zu überlassen. In diesen Fällen wäre der Insolvenzverwalter zur Durchführung seines Amtes in der sicheren Erkenntnis gezwungen, auf eine kostendeckende Vergütung verzichten zu müssen. Es bestünde ein Zwang zur Amtsausführung ohne angemessene Vergütung. Daher bedarf § 116 Nr. 1 ZPO in diesen Fällen einer verfassungskonformen Auslegung, die die grundrechtlich gewährleistete Berufsfreiheit des Verwalters ausreichend berücksichtigt. Die anders akzentuierte obergerichtliche Rechtsprechung 103, welche auch in Fällen der Massearmut den Verwalter mit dem Kostenrisiko belastet, beruht auf einer verfassungswidrigen Auslegung des § 116 Nr. 1 ZPO 104.

100 BVerfGE 54, 251 (271); 68, 193 (216); 88, 145 (159); 101, 331 (347); 110, 226 (251); siehe speziell für die Vergütung des Insolvenzverwalters BGH, ZIP 2004, 417, 418. 101 Zutreffend daher BGH, ZIP 2004, 417, 419 ff. 102 BVerfGE 88, 145 (159 ff.). 103 So OLG Celle, ZIP 1988, 792, 793 f.; OLG Düsseldorf, ZIP 1993, 780, 781; OLG Köln, MDR 1994, 726, 727; MDR 1997, 104. 104 Im Ergebnis ebenso BGH, MDR 1998, 438; OLG Düsseldorf, ZIP 1993, 1018.

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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b) Grundrechtliche Vorgaben für die Bestellung des Insolvenzverwalters Die Auswahl des Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht ist das wohl am intensivsten diskutierte Thema des deutschen Insolvenzrechts in den zurückliegenden Jahren. Rudimentäre, gesetzlich festgelegte Auswahlmaßstäbe finden sich de lege lata lediglich in der Vorschrift des § 56 Abs. 1 InsO. Demnach ist zum Insolvenzverwalter eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und den Schuldnern unabhängige natürliche Person zu bestellen, die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Dem gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG funktionell zuständigen Insolvenzrichter wird bei der Auswahl des Verwalters nach der gängigen Verfahrenspraxis sowie der einhelligen Auffassung im Schrifttum ein weites Ermessen zugebilligt 105. Infolgedessen sind die Ausfüllung der gesetzlichen Kriterien sowie das Verfahren der Verwalterbestellung zwischen den Insolvenzgerichtsbezirken durch Uneinheitlichkeit und fehlende verbindliche Maßstäbe gekennzeichnet 106. Verschärft wird diese Situation noch durch den Umstand, daß die Auswahlentscheidung nach ausschließlicher gerichtlicher Übung nicht begründet wird 107, weshalb die der Entscheidung zugrunde gelegten Kriterien nicht offengelegt werden und daher objektiv nicht nachprüfbar sind. In der Insolvenzpraxis erfolgt die Auswahl des Verwalters in der Regel aus sog. „Listen“. Diese werden bei den Insolvenzgerichten – sei es auch lediglich in virtueller Form – als geschlossene Liste mit einer feststehenden und abschließend bestimmten Anzahl von potentiellen Verwaltern oder als offene Liste, die auch die Aufnahme bislang nicht betrauter Rechtsanwälte zuläßt, geführt 108. Während eine Ergänzung der „geschlossenen“ Liste um neue Bewerber lediglich bei Ausscheiden eines bisherigen Verwalters vorgenommen wird, steht der Eintritt in die offenen Listen grundsätzlich sämtlichen Bewerbern frei. Dabei bleibt aber auch im letzteren Falle die konkrete Auswahlentscheidung dem Insolvenzrichter vorbehalten. Es findet also ein zweistufiges Auswahlverfahren statt: Im Rahmen der Vorauswahl prüft der Insolvenzrichter, welche Verwalter er in die Liste aufnimmt. Die eigentliche Bestellung erfolgt sodann aus dem Kreis der gelisteten Verwalter. Unabhängig von der Art der vorhandenen Liste ist daher in der Praxis die Betrauung bislang nicht be105 Vgl. OLG Düsseldorf, KTS 1996, 448, 449; OLG Hamburg, NJW 2006, 451 f.; KG, ZInsO 2006, 153 f.; Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnrn. 49 f.; siehe zur Einschränkung des Beurteilungsspielraums durch Art. 3 Abs. 1 GG nunmehr BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366, 1368, sowie KG, ZInsO 2006, 153 f. 106 Siehe zu den von der Verfahrenspraxis herangezogenen Auswahlparametern Holzer/ Kleine-Cosack/Prütting, S. 3 ff., 6 ff. 107 Vgl. Römermann, NJW 2002, S. 3729 (3731); vgl. auch OLG Koblenz, ZIP 2005, 1283, 1287 f.; für eine Begründung hingegen zu Recht KG, ZInsO 2006, 153, 154. 108 Siehe zur Praxis der Verwalterbestellung Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“, Abschlußbericht: Probleme der praktischen Anwendungen und Schwachstellen des Regelinsolvenzverfahrens – Analyse und Änderungsvorschläge, S. 21 ff., sowie Holzer/KleineCosack/Prütting, S. 4 ff.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

rücksichtigter Bewerber lediglich dann zu verzeichnen, wenn sie bei einem bereits „eingetragenen“ Verwalter tätig waren und von diesem beim zuständigen Insolvenzrichter persönlich eingeführt werden. Wenngleich verbindliche Formen und Kriterien für die Bestellung des Insolvenzverwalters nicht bestehen, bewegt sich diese keinesfalls im rechtsfreien Raum. Einschränkungen der Auswahlfreiheit der Richter und korrelierende Rechte der Bewerber ergeben sich – worauf in neueren Untersuchungen verstärkt hingewiesen wird 109 – vor allem aus dem Verfassungsrecht. Im Fokus grundgesetzlicher Betrachtung stehen dabei die von den Bewerbern ins Feld geführten Grundrechte aus Art. 12, Art. 3 und Art. 33 Abs. 2 GG. aa) Die Bestellung des Insolvenzverwalters und Art. 12 Abs. 1 GG (1) Mit der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, die er für sich als geeignet ansieht, als Beruf zu ergreifen, sichert die Verfassung dem einzelnen die Basis seiner Lebensführung110. Dabei ist der Begriff des Berufes weit auszulegen und weder auf bestimmte Berufstypen, noch auf tradierte Berufsbilder beschränkt 111. Er umfaßt vielmehr jede erlaubte Tätigkeit, die auf Dauer berechnet ist und der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient112. Inwieweit die Tätigkeit des Insolvenzverwalters als Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG zu qualifizieren ist, bedarf näherer Erörterung. Im insolvenzrechtlichen Schrifttum wird eine Einordnung der insolvenzverwaltenden Tätigkeit als Beruf unter Hinweis auf die nur für den jeweilige Einzelfall gültige gerichtliche Bestellung und die höchst unterschiedlichen Bestellmöglichkeiten teilweise abgelehnt 113. Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Insolvenzordnung kein näher ausgestaltetes und spezifiziertes Berufsbild des Insolvenzverwalters festlegt. Auch läßt sich eine dahingehende traditionelle Fixierung der Tätigkeit nicht ausmachen 114. Jedoch haben die gerade in den letzten Jahren wesentlich verschärften Anforderungen an das zur Verfahrensdurchführung erforderliche Fachwissen bei den mit Verwalteraufgaben betrauten Freiberuflern einen Spezialisierungsgrad entwickelt, daß die mit Verwalteraufgaben betrauten Freiberufler in der Regel ausschließlich auf die insolvenzverwaltende Tä109 So Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, S. 17 ff.; Römermann, NJW 2002, S. 3729 (3731 f.); Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329 ff.), sowie Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“, Abschlußbericht: Probleme der praktischen Anwendungen und Schwachstellen des Regelinsolvenzverfahrens – Analyse und Änderungsvorschläge, S. 28 ff. 110 Vgl. BVerfGE 7, 377 (397); 30, 292 (334). 111 Vgl. BVerfGE 7, 377 (397); 14, 19 (22); 68, 272 (281). 112 BVerfGE 7, 377 (397); 50, 290 (362); 54, 301 (313); 68, 272 (281); BVerwGE 22, 286 (287); 87, 37 (39 ff.); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 8; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12, Rdnr. 4; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rdnr. 18. 113 So Blersch, in: Berliner Kommentar, § 56, Rdnr. 5; zweifelnd auch Uhlenbruck, in: ders., § 56, Rdnr. 9. 114 So auch Lüke, in: Kübler/Prütting, § 56, Rdnr. 7.

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tigkeit beschränkt sind und die Verwaltertätigkeit die einzige Lebensgrundlage bildet. In der Verfahrenspraxis sind Anwälte, die einmal die Wahrnehmung von Verwaltertätigkeiten übernommen haben, bereits zur Vermeidung von sonst unvermeidlichen Interessenkollisionen an der Ausübung anderer Tätigkeiten, z. B. auf dem Feld der Gläubiger- oder Schuldnerberatung sowie der Prozeßvertretung, gehindert. Daher hebt sich die Tätigkeit des Insolvenzverwalters wesentlich von den sonst im Rahmen der anwaltlichen oder steuerberatenden Berufe besetzten Aufgabenfelder ab und hat sich aus diesen traditionellen Berufen heraus zu einem eigenständigen, fest umrissenen Berufsbild verdichtet 115. Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters ist auch auf Dauer berechnet. Zwar werden die mit Verwalteraufgaben betrauten Personen nicht generell, sondern lediglich für ein bestimmtes Verfahren bestellt, wobei sie nach dessen Abschluß den Status als Verwalter wieder verlieren. Gleichwohl lassen bereits der für die insolvenzverwaltende Tätigkeit erforderliche Spezialisierungsgrad sowie der Umfang der bereitzuhaltenden Logistik eine nur vorübergehende oder gelegentliche Betätigung als Insolvenzverwalter nicht zu. Zudem kann die Durchführung eines einzigen Verfahrens nicht selten mehrere Jahre in Anspruch nehmen, so daß selbst für den – kaum praktischen – Fall einer lediglich einmaligen Betrauung mit Verwalteraufgaben die erforderliche Dauer der Tätigkeit zu bejahen ist 116. Schließlich steht der Eröffnung des Schutzbereichs auch nicht entgegen, daß der Insolvenzverwalter als Ausfluß seiner amtsähnlichen Stellung nach zutreffender Auffassung selbst Adressat von Grundrechten und damit Teil der grundrechtsgebundenen staatlichen Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist 117. In Rechtsprechung und Schrifttum allgemein konsentiert ist, daß auch die von Beliehenen ausgebübten, halbamtlichen Berufe vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfaßt werden 118. (2) Soweit demnach die Tätigkeit des Insolvenzverwalters als Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG zu qualifizieren ist, stellen sich sowohl die in § 56 Abs. 1 InsO normierten Anforderungen an den Zugang zum Verwalteramt als auch die in Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben ergehende Vorauswahl für die Liste und die (endgültige) Bestellung eines Insolvenzverwalters als Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG dar. Die mit der Bestellung eines Insolvenzverwalters

115 Ebenso BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366, 1368; (Kammer) ZIP 2005, 537, 538; Kesseler, ZIP 2000, S. 1565 (1570 f.); Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329); Smid, in: ders., § 56, Rdnr. 10; Wellensiek, NZI 1999 S.169 (170); ebenso für den Bereich der Insolvenzberatung VG Mainz, ZIP 2004, 231, 233 f. 116 Zu den insgesamt geringen Anforderungen an das Merkmal der erforderlichen Dauer BVerwGE 96, 136 (139 f.); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 10; Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 12, Rdnr. 19. 117 Hierzu bereits oben Fn. 92. 118 Allg. Meinung, siehe nur BVerfGE 7, 377 (397); 16, 6 (21); 17, 371 (377); 47, 285 (319); 54, 237 (246); 73, 301 (315); 80, 257 (263 f.); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 21; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rdnr. 53.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

durch das Insolvenzgericht notwendigerweise zugleich verbundene Zurückweisung anderer Bewerber berührt diese in ihren beruflichen Interessen. Die teilweise in der insolvenzrechtlichen Literatur vertretene Auffassung, wonach die mit der Auswahl des Insolvenzverwalters verbundene Ablehnung des übergangenen Bewerbers wegen der Auswahlkompetenz der Gläubigerschaft gemäß § 57 Satz 1 InsO keine Eingriffsqualität besitze 119, begegnet durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar steht es den Gläubigern gemäß § 57 Satz 1 InsO frei, unabhängig von der zuvor ergangenen gerichtlichen Entscheidung, einen neuen Insolvenzverwalter zu bestellen oder den vom Gericht ernannten zu bestätigen 120. Es ist mithin Bestandteil des Berufsbildes des Insolvenzverwalters, dass er eine gesicherte Stellung erst nach der ersten Gläubigerversammlung erlangen kann 121. Hieraus folgt jedoch nicht, daß die Bestellung des Insolvenzverwalters durch das Gericht in vorweggenommener Antizipation der Gläubigerinteressen lediglich in Stellvertretung der Gläubigerschaft stattfindet und daher rein privatrechtlich geprägt ist 122. Die Bestellung des Insolvenzverwalters zeitigt nicht nur die für den Fortgang des Insolvenzverfahrens maßgebliche Weichenstellung. Mit ihr verbunden sind gleichzeitig einschneidende Eingriffe in die Interessensphären von Gläubigern und Schuldnern. Die Auswahlentscheidung hat folglich sowohl die Interessen der Gläubigerschaft an einer optimalen Haftungsverwirklichung als auch das Bedürfnis des Schuldners an sachgerechter Abwicklung seines Vermögens zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund geht die einhellige Auffassung im insolvenzrechtlichen Schrifttum zu Recht davon aus, daß die Wahl des Insolvenzverwalters rechtsverbindliche Außenwirksamkeit nicht bereits mit der Auswahlentscheidung durch die Gläubigerschaft, sondern erst mit der abschließenden Bestellung und Ernennung durch das Insolvenzgericht erlangt 123. Anknüpfungspunkt der verfassungsrechtlichen Betrachtung ist daher die – unstreitig hoheitlich zu qualifizierende – Bestellung und Ernennung des Verwalters durch das Gericht. Diese Bestellung ist auch nicht lediglich als rein formaler Akt zu qualifizieren, welcher die zuvor getroffene Auswahlentscheidung der Gläubigerschaft lediglich ratifizierte. Vielmehr hat das Gericht vor der endgültigen Bestellung gemäß § 57 Satz 3 InsO erneut zu prüfen, inwieweit der von der Gläubigerversammlung gewählte Verwalter geeignet zur Übernahme des Amtes ist. Auch in Fällen des § 57 InsO besteht daher für die Bestellung des Insolvenzverwalters eine eigenständige Prüfungskompetenz des Insolvenzgerichts, welche die formelle und materielle

119 So Kesseler, ZIP 2000, S. 1565 (1571 f.); ders., ZInsO 2002, S. 201 (205 f.); Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnrn. 50 ff. 120 Allgemeine Meinung, siehe nur Uhlenbruck, in: ders., § 56, Rdnrn. 5 ff. 121 So auch BVerfG (Kammer), ZIP 2005, 537, 538; OLG Hamm, ZIP 1990, 1145, 1146; OLG Naumburg, ZIP 1994, 162, 163. 122 So aber Kesseler, ZIP 2000, S. 1665 (1572); ders., ZInsO 2002, S. 201 (205); ähnlich wie hier Wieland, ZIP 2005, S. 233 (235). 123 Vgl. Hössl, in: Frankfurter Kommentar, § 57, Rdnr. 15; Uhlenbruck, in: ders., § 57, Rdnr. 14.

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Entscheidungsfindung beim Insolvenzrichter beläßt 124. Eine Verlagerung der abschließenden Entscheidungsverantwortung vom Insolvenzgericht auf die Gläubigerversammlung findet nach der gesetzlichen Konzeption folglich nicht statt. Schließlich gilt es zu bedenken, daß ein Eingriff in die grundrechtlichen Belange der nicht zum Zuge kommenden Bewerber bereits – unabhängig von der konkreten Bestellung – durch die mit der gesetzlichen Regelung des § 56 Abs. 1 InsO verbundene Zugangsbeschränkung gegeben ist. Die verfassungsrechtliche Prüfung hat daher sowohl die Vorauswahl für die Liste und die konkrete Auswahlentscheidung als auch die mit der gesetzlichen Zugangsbeschränkung verbundenen Eingriffe in die Grundrechtsposition aus Art. 12 Abs. 1 GG zu durchleuchten. (3) Die Zurückweisung der anderen Bewerber kann – je nach der konkreten Auswahlentscheidung – die Freiheit der Berufswahl oder die Freiheit der Berufsausübung betreffen. Während es bei der Berufswahl um die Entscheidung des einzelnen geht, auf welchem Feld er sich beruflich betätigen will, betrifft die Freiheit der Berufsausübung die Entscheidung, an welcher – wenn auch nicht zwingend räumlich verstandenen – Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte 125. Die Berufsausübungsfreiheit ist folglich der Berufswahl nachgeordnet und konkretisiert diese. Sie erstreckt sich auch auf freie Berufe 126. Soweit das Insolvenzgericht alle Bewerber, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, berücksichtigt und eine Auswahlentscheidung zwischen diesen trifft, berührt die Zurückweisung der nicht zum Zuge kommenden Bewerber deren Berufsausübungsfreiheit 127. In diesen Fällen wird der grundsätzliche Zugang zum Verwalteramt nicht versperrt, sondern lediglich die Vergabe einer bestimmten Beschäftigung – eben des konkreten Verwalteramtes – vorenthalten. Berücksichtigt hingegen das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Vorauswahl für die Liste nicht alle in Betracht kommenden Personen, sondern sortiert es von vornherein bestimmte Bewerber von der nachgängigen Bestellungsentscheidung ohne weitere Zulassungschancen für neue, ebenfalls geeignete Bewerber aus, liegt ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl vor. In diesen Fällen ist den nicht auf der Liste verzeichneten Bewerbern generell die Ausübung einer Verwaltertätigkeit und damit der Zugang zum ge124 Siehe zur Beurteilung der formellen und materiellen Entscheidungskompetenz in Fällen verfahrensrechtlicher Privatisierung Werres, ZBR 2001, S. 429 (430 f.). 125 BVerfGE 84, 133 (146); ähnlich Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 147, Rdnr. 66; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 23; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12, Rdnr. 8; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12, Rdnr. 53. 126 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 23; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12, Rdnr. 8; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rdnr. 429; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rdnr. 54. 127 Auf das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes rekurriert hingegen die Bund-LänderArbeitsgruppe „Insolvenzrecht“, Abschlußbericht: Probleme der praktischen Anwendungen und Schwachstellen des Regelinsolvenzverfahrens – Analyse und Änderungsvorschläge, S. 29; die Frage, ob die Ernennung die Wahl- oder die Ausübungsfreiheit tangiert, wurde vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen gelassen, vgl. BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366, 1368.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

samten Berufsfeld versperrt. Letztlich kommt der Unterscheidung zwischen Berufsausübungs- und Berufswahlfreiheit keine gesteigerte Bedeutung zu, da in jedem Fall die Komplementärfunktion des Verfahrensrechts eine der Bedeutung des Rechts aus Art. 12 Abs. 1 GG angemessene Verfahrensgestaltung schon im Vorfeld gebietet 128. (4) An der grundsätzlichen Zulässigkeit der den Zugang zum Verwalteramt beschränkenden und an bestimmte persönliche Voraussetzungen knüpfenden Regelung des § 56 Abs. 1 InsO bestehen keine Zweifel. Aus Art. 12 Abs. 1 GG lassen sich weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch auf berufliche Beschäftigung durch den Staat, insbesondere durch Bestellung zu einem öffentlichen Amt 129, herleiten 130. Dementsprechend besteht auch kein Rechtsanspruch auf Zugang zum Verwalteramt 131. Der Gesetzgeber ist vielmehr berechtigt, an die Bestellung zum Insolvenzverwalter bestimmte Anforderungen bzgl. Qualifikation und Eignung zu stellen. Diesen Voraussetzungen werden die in § 56 Abs. 1 InsO genannten sachbezogenen und durch die besonderen Verfahrenserfordernisse bedingten Anforderungen an die Verwalterpersönlichkeit grundsätzlich gerecht. Fraglich ist hingegen, ob sich der Gesetzgeber mit derart allgemein formulierten Anforderungen begnügen durfte oder ob es vielmehr von Verfassung wegen geboten erscheint, die für die konkrete Auswahlentscheidung maßgeblichen Kriterien und das hierbei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln. Das Bundesverfassungsgericht hat namentlich hinsichtlich der Zulassung zu Notarstellen eine gesetzliche Festlegung sowohl der Auswahlkriterien als auch des Auswahlverfahrens verlangt 132. Demnach müsse der Gesetzgeber auf Grund des in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Gesetzesvorbehalts zumindest die grundlegenden Auswahlgesichtpunkte selbst regeln und eine den Grundrechtsschutz gewährleistende Verfahrensgestaltung festlegen. (5) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die in § 56 InsO festgesetzten Anforderungen für die Verwalterauswahl nicht gerecht. Es fehlt sowohl die hinreichende Normierung der Kriterien für die Auswahlentscheidung des Insolvenzrichters als auch eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Auswahl des Insolvenzverwalters die maßgebliche Entscheidung über Erfolg oder Mißerfolg eines Insolvenzverfahrens BVerfG (Kammer), DVBl. 2004, 1366, 1368. Hierzu Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rdnr. 42. 130 BVerfGE 84, 133 (146 f.); 85, 360 (373); Merten, in: Magiera/Siedentopf, S. 181 (199); Pieroth/Schlink, Rdnr. 864; Tettinger, in: Sachs, Art. 12, Rdnrn. 66, 134 f.; für den Zugang zu Notarstellen BVerfGE 73, 280 (293 f.). 131 KG, ZInsO 2006, 153 f.; Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, S. 26 ff.; Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnr. 70; Robrecht, KTS 1998, S. 63 (65 f.); Schick, NJW 1991, S. 1328 (1331); Uhlenbruck, in: ders., § 56, Rdnr. 7; Wieland, ZIP 2005, S. 233 (235); zur vergleichbaren Rechtslage beim Zugang zum Notaramt BVerfGE 73, 280 (295). 132 BVerfGE 73, 280 (294 f.); vgl. auch Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12, Rdnr. 22. 128 129

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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darstellen kann 133. Die Erreichung der mit dem Insolvenzverfahren angestrebten Ziele ist dem Insolvenzverwalter im Zusammenwirken mit der Gläubigerschaft übertragen. Eignung und fachliche Qualifikation des Insolvenzverwalters sind ausschlaggebend hinsichtlich einer effektiven Verwertung des Schuldnervermögens und damit hinsichtlich einer möglichst umfassenden Verwirklichung der Gläubigerrechte. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung über den Zugang zum Insolvenzverwalteramt nicht nur für die Verwirklichung der Berufsfreiheit des Bewerbers, sondern zugleich für das grundrechtlich garantierte Eigentumsrecht der Gläubiger von fundamentaler Bedeutung 134. Soweit sich mithin die Entscheidung über die Bestellung des Insolvenzverwalters in wesentlicher Weise auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten auswirken kann, ist der Gesetzgeber berufen, Maßstab und Verfahren der Entscheidung selbst zu regeln 135. Ein gesetzlicher Rahmen, welcher – wie nach der geltenden Verfahrenspraxis – der entscheidenden Richterschaft uneingeschränkte Entscheidungsbefugnisse unabhängig von allgemein verbindlichen Maßstäben überantwortet, versagt die erforderlichen Schutzmechanismen gegen willkürliche Entscheidungen und wird der grundrechtlichen Relevanz der betroffenen Interessen nicht gerecht 136. Erforderlich wäre vielmehr – wie es bereits in anderen europäischen Ländern der Verfahrenspraxis entspricht 137 – die in § 56 Abs. 1 InsO angesprochenen Bestellungsvoraussetzungen stärker auszudifferenzieren. Gesetzliche Anforderungsparameter für die Bestellung könnten dabei die vorhandenen betriebswirtschaftlichen, steuer- und arbeitsrechtlichen Kenntnisse, die Berufserfahrung, die bisherige insolvenzverwaltende Tätigkeit, die Kanzleiorganisation sowie die personelle und logistische Ausstattung der Bewerberkanzlei sein 138. Außerdem erscheint es angezeigt, das in § 56 Abs. 1 InsO normierte Kriterium der „Unabhängigkeit“ in Anlehnung an einschlägige Regelungen 139 näher zu präzisieren 140. Die durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Ergänzung des § 56 Abs. 1 InsO, wonach der Insolvenzverwalter „aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist“,

133 So insbesondere Uhlenbruck, in: ders., § 56, Rdnr. 1 („Schicksalsfrage des Konkursrechts“); zur Bedeutung der Verwalterwahl siehe auch Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnr. 52, sowie Römermann, NJW 2002, S. 3729. 134 Vgl. Wieland, ZIP 2005, S. 233 (235): „Nur wer als Verwalter am besten geeignet ist, die Interessen der Gläubiger durchzusetzen, darf von Rechts wegen erwarten, dass seine Erwerbsinteressen sich bei der Auswahlentscheidung durchsetzen.“ 135 Zur sog. Wesentlichkeitslehre eingehend BVerfGE 47, 46 (79 f.); 49, 89 (126 f.); 61, 260 (275); 73, 280 (295); 82, 209 (224); 88, 103 (116). 136 Vgl. zur Geltung der Wesentlichkeitslehre auch für das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung BVerfGE 88, 103 (115 ff.). 137 Siehe hierzu insbesondere die durch die Insolvenzrechts-Novelle 2002 (BGBl. I Nr. 75/2002) vorgenommenen Änderungen in der österreichischen Konkursordnung. 138 Vgl. OLG München, ZIP 2005, 670 f. 139 Vgl. §§ 20 f. VwVfG, §§ 41 ff. ZPO. 140 „Ortsansässigkeit“ allein ist hingegen kein geeignetes Auswahlkriterium, ebenso Wieland, ZIP 2005, S. 233 (237); a. A. OLG München, ZIP 2005, 670 f.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

spricht lediglich eine Selbstverständlichkeit aus, enthält sich aber der von Verfassung wegen erforderlichen Präzisierung 141. Neben den zuvor genannten materiellen Kriterien für die Verwalterauswahl hat der Gesetzgeber verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu schaffen, so daß die Auswahl unter den vorhandenen Bewerbern nach sachgerechten Kriterien unbeeinflußt von Willkürerwägungen erfolgen kann. Das Verfahren muß dabei sicherstellen, daß sich der auswählende Insolvenzrichter jederzeit einen Überblick über die am besten geeigneten Bewerber verschaffen kann. Die Führung einer ergänzungsoffenen Verwalterliste stellt dabei ein geeignetes Mittel zur sachgerechten Entscheidungsfindung dar, solange im Einzelfall besser geeigneten, aber auf der Liste nicht verzeichneten Personen, die Möglichkeit einer Amtsübernahme verbleibt 142. Im Gegensatz zur gängigen Verfahrenspraxis bedürfte es de lege ferenda zur Ergänzung der Verwalterliste der Durchführung von Auswahlverfahren. Zwar läßt sich eine solches Auswahlverfahren nicht mit Blick auf jeden einzelnen zu besetzenden Verwalterposten durchführen. Hinsichtlich des Zeitdrucks, unter dem die Bestellung des Insolvenzverwalters erfolgt, und angesichts der Vielzahl der potentiell geeigneten Bewerber ist es in der Verfahrenspraxis kaum realisierbar, alle sich auf dem Insolvenzverwaltermarkt anbietenden Personen vor jedem einzelnen Verfahren erneut auf ihre Eignung zu überprüfen und auszuwählen. Es ist daher vom Grundsatz her nicht zu beanstanden, wenn der Insolvenzrichter in Form von Listen eine gewisse Vorauswahl der in Betracht kommenden Bewerber trifft, aus deren Kreis er in zukünftigen Verfahren zu bestellende Verwalter auswählt (sog. Vorauswahl des Insolvenzverwalters) 143. Jedoch erscheint es von Verfassung wegen angezeigt, zumindest die in bestimmten (größeren) zeitlichen Abständen vorzunehmende Ergänzung der Verwalterliste auf Grundlage eines Auswahlverfahrens vorzunehmen. Nur auf Grund eines Auswahlverfahrens ist gewährleistet, daß tatsächlich von allen potentiellen Bewerbern derjenige gefunden wird, der am ehesten den gesetzten Anforderungen entspricht. Hierbei muß den Bewerbern die Möglichkeit gegeben werden, ihre besondere Eignung für die Übernahme eines Verwalteramtes darzulegen, so daß das Gericht bei entsprechenden Verfahren persönliche Gespräche mit Bewerbern durchzuführen hat. Aus dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der Durchführung von Auswahlverfahren folgt zugleich, daß eine Beibehaltung der Verwalterrekrutierung in Form von geschlossenen Listen den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht wird 144. Ziel des Auswahlverfahrens muß es sein, daß möglichst allen potentiell geeigneten Bewerbern der Zugang zum Verwalteramt eröffnet wird. Eine Beschränkung des Bewerberkreises auf eine abschließend festgelegte Zahl von Per141 Kritisch zum Diskussionsentwurf bereits auch Pape, ZInsO 2003, S. 389 (391 f.), sowie Wieland, ZIP 2005, S. 233 (236). 142 Siehe hierzu die Neuregelung in § 80 a Abs. 3 KO (Österreich). 143 Ebenso zu Recht Kesseler, ZIP 2000, S. 1565 (1566); Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnr. 75. 144 Ebenso nunmehr auch die Regierungsbegründung zum Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens; siehe auch BVerfG, NJW 2006, 2613, 2616.

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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sonen erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Da die Durchführung von Auswahlverfahren lediglich dann allen potentiell geeigneten Bewerbern offen steht, wenn diese auch die Möglichkeit haben, von der Durchführung des Auswahlverfahrens Kenntnis zu erlangen, bedarf es – in Anknüpfung an die Ausschreibungspflicht im öffentlichen Dienst, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 BBG – einer dem Auswahlverfahren vorgeschalteten Ausschreibung 145. bb) Die Auswahl des Verwalters und Art. 33 Abs. 2 GG Die materiellrechtlichen Kriterien für die im konkreten Fall vorzunehmende Auswahlentscheidung des Insolvenzgerichts sind grundlegend in Art. 33 Abs. 2 GG erfaßt und begründen das Prinzip der Bestenauslese 146. Danach hat jeder Deutscher nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Soweit der Insolvenzverwalter auf Grund der von ihm wahrgenommenen amtsähnlichen Funktionen zumindest zum Rechtspersonal des Staates im weiteren Sinne gehört, ist für die Frage nach dem Zugang zum Insolvenzverwalteramt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die Vorschrift des Art.33 Abs. 2 GG von entscheidender Bedeutung. Auch der Beliehene übt ein „öffentliches Amt“ im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG aus, da nach zutreffender Ansicht nicht ein dem Amt zugrundeliegendes öffentlich-rechtlich ausgestaltetes Dienstverhältnis ausschlaggebende Bedeutung hat, sondern bereits die Wahrnehmung hoheitlich zugeordneter Funktionen für die Anwendung des Art. 33 Abs. 2 GG ausreicht 147. Solche Funktionen werden – wie bereits festgestellt – jedenfalls vom Insolvenzverwalter als Beliehenen ausgebübt 148. Daher hat die Bestellung des Insolvenzverwalters nach den Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung als oberster Richtschnur zu erfolgen. (1) Die drei Auswahlkriterien der „Eignung“, „Befähigung“ und „fachlichen Leistung“ konkretisieren als unbestimmte Rechtsbegriffe den allgemeinen GleichheitsVgl. zur verfassungsrechtlichen Pflicht zur Stellenausschreibung BVerfGE 73, 280 (296). BVerfGE 56, 146 (163); vgl. auch BVerwGE 86, 169 (171); Lübbe-Wolff, in: Dreier, Art. 33, Rdnr. 32; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 33, Rdnr. 4; Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 126, Rdnr. 144. 147 So Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33, Rdnr. 15; Höfling, in: Bonner Kommentar, Art.33, Rdnr. 80; Kunig, in: v. Münch/ders., Art.33, Rdnr. 20; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 33, Rdnr. 13; a. A. Battis, in: Sachs, Art. 33, Rdnr. 25; Lübbe-Wolff, in: Dreier, Art. 33, Rdnr. 38. 148 Für die Anwendung des Art. 33 Abs. 2 GG auf die Auswahlentscheidung des Insolvenzgerichts auch Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, S. 35 f.; Römermann, NJW 2002, S. 3729 (3731 f.); Schick, NJW 1991, S. 1328 (1329); a. A. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“, Abschlussbericht: Probleme der praktischen Anwendungen und Schwachstellen des Regelinsolvenzverfahrens – Analyse und Änderungsvorschläge, S. 34 f.; zweifelnd auch Kesseler, ZInsO 2002, S. 201 (204); gegen die Anwendung von Art. 33 Abs. 2 nunmehr auch BVerfG, NJW, 2613, 2614 f. 145 146

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

satz des Art. 3 Abs. 1 GG für den Zugang zu öffentlichen Ämtern 149. Im Rahmen des ihm bei der Auswahlentscheidung eingeräumten Ermessens hat das Insolvenzgericht die Auswahlkriterien des Art. 33 Abs. 2 GG zu berücksichtigen und andere Kriterien auszuschließen 150. Hieraus folgt zwar grundsätzlich 151 kein Anspruch auf Übernahme in das öffentliche Amt, soweit unzulässige Auswahlkriterien zugrunde gelegt werden 152. Jeder einzelne Bewerber hat jedoch auf Grund des ihm in Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten subjektiven Zugangsrecht einen Anspruch darauf, daß seine Bewerbung inhaltlich sachgerecht beschieden wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die teilweise anzutreffende schematische Vorgehensweise, wonach die Insolvenzverwalter ohne Berücksichtigung des Einzelfalls entsprechend ihrer Eintragung auf der Liste der Reihe nach bestellt werden153, als eine Verletzung des Art. 33 Abs. 2 GG dar. In diesen Fällen findet weder eine Festlegung der für das konkret zu besetzende Verwalteramt zu fordernden fachlichen Voraussetzungen noch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Leistungsprofilen der Bewerber statt. Zudem ist dem Anspruch des Bewerbers auf eine angemessene und wohlwollende Beurteilung seiner Bewerbung seitens des Insolvenzgerichts lediglich dann Genüge getan, wenn der Insolvenzrichter stets auch neuen, bislang noch nicht berücksichtigten Bewerbern eine Zulassungschance läßt. Die Führung sog. geschlossener Listen entspricht daher dem Bewerberverfahrensanspruch auf eine sachgerechte Beurteilung der eingehenden Bewerbungen auch unter Berücksichtigung des Art. 33 Abs. 2 GG nicht. Durch die Auswahl nach geschlossenen Listen wird von vornherein, ohne daß hierfür sachliche Kriterien ersichtlich wären, lediglich ein begrenzter Kreis von Personen erfaßt. Gleichrangig qualifizierte Bewerber werden bereits von der bloßen Beurteilung ihrer Bewerbung ausgeschlossen. Zwar ist auch bei der Auswahl des Insolvenzverwalters eine Privilegierung eines bestimmten Personenkreises unter Durchbrechung des Prinzips der Bestenauslese nicht zwingend ausgeschlossen. Eine solche Privilegierung kommt aber lediglich dann in Betracht, wenn sie sich ihrerseits auf eine verfassungsrechtliche Grundlage stützen läßt 154. Das für die Rechtfertigung geschlossener Listen ins Feld geführte bloße fiskalische Argument der Vorbeugung gegen Amtshaftungsansprüche wegen unsachgemäßer Verwalter-

149 Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 33, Rdnr. 14; Merten, in: Magiera/Siedentopf, S. 181 (200). 150 Siehe zu den auf Grund von Art. 33 Abs. 2 GG auszuschließenden Auswahlkriterien Merten, in: Magiera/Siedentopf, S. 181 (204 ff.). 151 Zu Ausnahmen siehe Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33, Rdnr. 12; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 33, Rdnr. 15; Höfling, in: Bonner Kommentar, Art. 33, Rdnr. 97; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 33, Rdnr. 32; Lübbe-Wolff, in: Dreier, Art. 33, Rdnr. 36. 152 BVerfGE 39, 334 (354); BVerwGE 28, 115 (160 f.); 68, 109 (110); 75, 133 (135); BVerwG, DVBl. 1986, 1156, 1157; DVBl. 1994, 118, 119; Hessischer StGH, ZBR 1992, 356; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 33, Rdnr. 32. 153 Hierzu Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, S. 7; kritisch zu dieser Praxis im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG auch Uhlenbruck, in: ders., § 56, Rdnr. 6. 154 Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 33, Rdnr. 30.

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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auswahl 155 vermag indes die Durchbrechung des Leistungsgrundsatzes nicht zu begründen. Die Gefahr, mit Amtshaftungsansprüchen der abgelehnten Bewerber konfrontiert zu werden, besteht bei einer Auswahl auf Grund geschlossener Listen ebenso wie bei einer Auswahl auf Grund sachlicher Kriterien, welche eine Vielzahl von Bewerbern berücksichtigt. (2) Schließlich enthält das subjektive Zugangsrecht des Art. 33 Abs. 2 GG auch eine verfahrensrechtliche Gewährleistungsebene. Als Verfahrensrecht verlangt Art. 33 Abs. 2 GG bereits nach einer sachgerechten Eröffnung des Verfahrens. Hieraus folgt zwar – im Gegensatz zu Art. 12 GG 156 – nicht generell eine Verpflichtung zur Ausschreibung durch das Insolvenzgericht 157. Eine solche wäre auch auf Grund des bestehenden Zeitdrucks im Hinblick auf die konkrete Verwalterauswahl verfahrenspraktisch kaum durchführbar. Jedoch kann es in Einzelfällen, namentlich in komplexen Verfahren oder in Verfahren mit überregionalen Auswirkungen, erforderlich sein, daß der Insolvenzrichter mehrere für die Übernahme der Verwaltung in Betracht kommende Bewerber von der bevorstehenden Entscheidung in Kenntnis setzt und gegebenenfalls zu Bewerbungen anhält 158. Darüber hinaus bedarf es vor der Auswahl des Verwalters seitens des Insolvenzrichters der Erstellung eines auf das konkret zu besetzende Amt bezogenen schriftlichen Anforderungsprofils. Es müssen Kriterien für die Eignung der Bewerber erstellt, transparent gemacht und spätestens auf Nachfrage offen gelegt werden 159. Durch diese Verfahrensweise wird sichergestellt, daß die Auswahl und die Bestellung des Insolvenzverwalters für das konkret in Rede stehende Insolvenzverfahren gesondert erfolgen und den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen wird. Dabei hat der Insolvenzrichter die besonderen Qualifikationen der vorhandenen Bewerber in Bezug zu nehmen und bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Die sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen, wonach das Gericht grundsätzlich vor seiner Entscheidung den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung geben muß und diese Äußerungen bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen hat 160, gelten auch für verwaltungsähnliche Rechtsfürsorgeverfahren der Gerichte 161 und daher auch für die Bestellung zum Insolvenzverfahren. Aus dem Erfordernis eines schriftlich fixierten Profils folgt zugleich, daß die für die Entscheidung maßgebSiehe hierzu Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, S. 2. Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. II. 3. b) aa). 157 Gegen eine allgemeine Ausschreibungsplicht auf Grundlage von Art. 33 Abs. 2 GG auch BVerwGE 49, 232 (242 f.); 56, 324 (327); ebenso wohl auch Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 33, Rdnr. 34 – Ausschreibung; a. A. StGH Bremen, DÖV 1993, 300. 158 Zu einzelfallangemessenen Ausschreibungspflichten Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 33, Rdnr. 34 – Ausschreibung. 159 Vgl. KG, ZInsO 2006, 153, 154. 160 Hierzu BVerfGE 11, 218 (220); 34, 344 (347); 81, 97 (107); 83, 24 (35); 86, 133 (145). 161 BVerfGE 19, 49 (51); 79, 51 (68); 89, 381 (390); BayObLG, FamRZ 1997, 900, 901; Knemeyer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 155, Rdnr. 55; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 103 I, Rdnr. 15. 155 156

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

lichen Gründe ebenfalls in schriftlicher Form niederzulegen sind, um eine nachgängige objektive Überprüfung der Auswahlkriterien mit dem zuvor erstellten Anforderungsprofil sicherzustellen 162. Die derzeitige Verfahrenspraxis, welche die Auswahlentscheidung nicht begründet, verstößt daher gegen die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus Art. 33 Abs. 2 GG 163. cc) Schlußfolgerung Die zuvor dargelegten Erwägungen verdeutlichen, daß die derzeitige Praxis der Verwalterauswahl die an sie gestellten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Führung sog. geschlossener Listen wird weder den aus Art. 12 GG resultierenden Anforderungen, noch dem in Art. 33 Abs. 2 GG normierten speziellen Gleichheitssatz gerecht. Zwar erscheint die derzeitige Praxis sachgerecht, die Gruppe der für das Verwalteramt in Frage kommenden Personen allgemein auf einer Liste festzulegen 164. Eine solche Liste muß jedoch einer jederzeit möglichen Überprüfung und Ergänzung zugänglich sein. Darüber hinaus muß im Einzelfall auch nicht auf der Liste verzeichneten Bewerbern, die für den konkreten Fall in besonderer Weise geeignet erscheinen, die Übernahme einer Insolvenzverwaltung möglich sein. Zur Rekrutierung des Verwalternachwuchses bedarf es eines objektivierbaren und gerichtlich nachprüfbaren Verfahrens, welches der Gesetzgeber selbst unter Berücksichtung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art 33 Abs. 2 GG ergebenden Postulate auszugestalten hat. Materiell sollte de lege ferenda eine präzisere, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Festlegung der an die Verwalterbestellung geknüpften gesetzlichen Kriterien erwogen werden. Als Vorbild könnte insoweit die österreichische Rechtslage dienen, wonach die Kanzleiorganisation, die zeitgemäße technische Ausstattung, die Belastung des Verwalters mit anhängigen Verfahren sowie die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und sonstigen Berufserfahrungen maßgebliche Auswahlgesichtspunkte sein müssen, vgl. § 80 a (österreichische) Konkursordnung 165.

162 Für eine verfassungsrechtlich geforderte Begründungspflicht der (beamtenrechtlichen) Auswahlentscheidung auch Hessischer VGH, ZBR 1994, 347, 348. 163 Für eine gesetzliche Begründungspflicht der Auswahlentscheidung nach § 56 InsO de lege lata ebenfalls KG, ZInsO 2006, 153, 154; Lüke, in: Kübler/Prütting, § 56, Rdnr. 20; a. A. OLG Koblenz, ZIP 2005, 1283, 1287 f.; Graeber, in: Münchener Kommentar, § 56, Rdnr. 99; Uhlenbruck, in: ders., § 56, Rdnr. 84; Wellensiek, NZI 1999, S. 169 (171). 164 Siehe hierzu nunmehr auch § 15 Insolvenzrechtseinführungsgesetz (Österreich). 165 Die Regierungsbegründung zum Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens hat sich ausdrücklich gegen eine stärkere Ausdifferenzierung und eine Übernahme des österreichischen Modells ausgesprochen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, S. 33 f. – abrufbar unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/ 1270.pdf).

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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III. Der Schuldner 1. Der Schuldner als natürliche Person Die Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens im Insolvenzfall führt zu vielfältigen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen des Schuldners. Schon in dem der Verfahrenseröffnung vorgelagerten Insolvenzvorverfahren kann die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO verfassungsrechtlich geschützte Rechte des Schuldners tangieren. Dies gilt beispielsweise für die Anordnung einer vorläufigen Postsperre gegen den Schuldner, für die Durchführung von Durchsuchungsmaßnahmen in dessen Privatsphäre oder die Anordnung von Haft. Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens greifen gesetzliche Verbote oder insolvenzgerichtliche bzw. -verwaltende Maßnahmen massiv in den Schutzbereich der schuldnerischen Freiheitsrechte ein. So wird dem Schuldner durch das gemäß § 80 InsO mit der Verfahrenseröffnung verbundene Veräußerungs- oder Verfügungsverbot die Möglichkeit genommen, mit seinem Eigentum nach seinem Belieben zu verfahren. Außerdem unterliegt der Schuldner nach Maßgabe des § 97 InsO bestimmten Auskunfts-, Mitwirkungs- und Bereithaltungspflichten; gegen ihn kann gemäß § 99 InsO eine dauernde Postsperre angeordnet werden. Schließlich kann mit der Entscheidung über eine Stillegung des schuldnerischen Unternehmens dessen Erwerbsquelle zum Versiegen gebracht werden. Die Geltung der Grundrechte im Insolvenzfall betrifft daher in mannigfachen Konstellationen einen verfassungsrechtlich begründeten Schuldnerschutz, welcher die staatlichen Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Interessen des Schuldners unter einen besonderen Rechtfertigungszwang stellt.

2. Der Schuldner als juristische Person des Privatrechts Während dem Schuldner ungeteilter grundrechtlicher Schutz jedenfalls dann zukommt, wenn es sich bei diesem um eine natürliche Person handelt, kommt die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG lediglich dort in Betracht, wo die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Da gerade Gesellschaften mit beschränkter Haftung besonders insolvenzanfällig sind 166, ist die Frage nach der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen im Insolvenzfall von gesteigerter Relevanz. In Betracht kommen insoweit lediglich juristische Personen des Privatrechts, da gemäß § 12 InsO juristische Personen des öf-

166 Siehe zur Grundrechtsfähigkeit einer GmbH BVerfGE 20, 323 (336); 30, 173 (191); 80, 124 (131); 106, 28 (42); zur Grundrechtsfähigkeit einer Kommanditgesellschaft BVerfGE 4, 7 (12); 13, 318 (323); 42, 212 (219); 53, 1 (13); zur Grundrechtsfähigkeit einer GbR zuletzt BVerfG (Kammer), NJW 2002, 3533.

4 Werres

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

fentlichen Rechts überwiegend nicht insolvenzfähig sind 167. Von der Ermächtigung des § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO haben die Länder weitgehend Gebrauch gemacht168. Hinsichtlich der Frage, nach welchen allgemeinen Kriterien die wesensmäßige Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen zu beurteilen ist, konnte in Rechtsprechung und Literatur bislang keine letztgültige Übereinstimmung erzielt werden. In der verfassungsrechtlichen Diskussion allgemein konsentiert ist, daß dort, wo der Grundrechtsschutz an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Verhältnisse anknüpft, die für natürliche wie für juristische Personen gleichermaßen wesenstypisch sind, eine Erstreckung der Grundrechtsgewährleistung erfolgen muß. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt in jüngeren 169 Entscheidungen in Anknüpfung an entsprechende Einwände aus der Literatur 170 auf eine im Verhältnis zu natürlichen Personen grundrechtstypische Gefährdungslage des juristischen Zweckgebildes ab 171. Diese Anknüpfung an die grundrechtstypische Gefährdungslage erscheint als sachgerecht, soweit sie die Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen von einer lediglich personal verstandenen Grundrechtsdoktrin löst und auch korporative Zweckgebilde als selbständige Grundrechtsträger anerkennt. Da Art. 19 Abs. 3 GG die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen um ihrer selbst willen, das heißt zwecknotwendig als nicht personale postuliert, findet das Erfordernis eines personalen Substrats nach Wortlaut und Zweck der verfassungsrechtlichen Vorschrift keine Stütze 172. Entscheidend für die Grundrechtsgeltung kann folglich lediglich sein, ob das jeweils in Rede stehende Grundrecht nach seinem Inhalt auf die juristische Person anwendbar ist, mithin sowohl individuell als

167 Siehe zur Konkursfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Roth, in: Mußgnug (Hg.), Rechtsentwicklung unter dem Bonner Grundgesetz, S. 187 (201 ff.); siehe allgemein zur Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts Schnapp, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 52; eingehend zur Grundrechtsfähigkeit sog. Mischunternehmen Merten, in: FS Krejci, S. 2003 (2014 ff.). 168 Vgl. auch BVerfGE 60, 135 (154 ff.); 65, 359 (373 ff.); zu den einzelnen Regelungen Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 12, Rdnrn. 3 f. 169 Das Gericht hatte dem Wesensvorbehalt des Art. 19 Abs. 3 GG in seiner frühen Judikatur eine strikt personale Grundrechtsdoktrin zugrunde gelegt, wonach ein Grundrechtsschutz juristischer Personen lediglich insoweit in Betracht zu ziehen sei, soweit es der grundrechtliche Schutz der körperschaftlich verbundenen natürlichen Personen erfordere, vgl. BVerfGE 21, 362 (369); 61, 82 (101); 68, 193 (205 f.); 75, 192 (196); ähnlich auch BVerwGE 81, 1 (10); kritisch hierzu Merten, in: FS Krejci, S. 2003 (2010 f.); Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 120, Rdnr. 52; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1088, 1117 ff.; allgemein hierzu Tettinger, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 51, Rdnrn. 64 ff. 170 Hierzu v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3, Rdnrn. 114 f.; ähnlich bereits BVerfGE 45, 63 (79); 61, 82 (103 f./105). 171 So jetzt BVerfGE 95, 220 (242); 106, 28 (42 f.); zuvor bereits BVerfGE 45, 63 (79); 61, 82 (102). 172 Kritisch hierzu auch Merten, in: FS Krejci, S. 2003 (2011); Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 120, Rdnr. 52; Tettinger, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 51, Rdnr. 64.

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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auch korporativ verwirklicht werden kann 173. In Anerkennung dieser um ihrer selbst willen bestehenden Grundrechtsträgerschaft juristischer Zweckgebilde hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Telekommunikationsüberwachung den Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG folgerichtig auch auf juristische Personen erstreckt, da sich juristische ebenso wie natürliche Personen vielfältiger Übertragungsmedien bedienten und sich daher in einer vergleichbaren Gefährdungslage wie diese befänden 174. Auf Grund der zuvor dargelegten Erwägungen hat die Untersuchung, inwieweit sich juristische Personen des Privatrechts im Falle ihrer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Schutz der Grundrechte berufen können, den Inhalt des jeweils in Rede stehenden Grundrechts – unabhängig von seinem personalen Substrat – in den Blick zu nehmen. Dabei gewinnen im Hinblick auf die Insolvenz juristischer Personen insbesondere die für die wirtschaftliche Betätigung maßgeblichen Grundrechte besondere Bedeutung. So schützt das einheitliche Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG nicht nur die gesamte berufliche und gewerbliche Tätigkeit, also die Entscheidung über Inhalt, Umfang und Mittel der Betätigung sowie die Gestaltung des Arbeitsplatzes 175, sondern auch als Unternehmensfreiheit die Gründung, Führung und Beendigung von Unternehmen zu Erwerbszwecken 176. Bestandteil dieser unternehmerischen Freiheit ist das gesamte Verhalten des Unternehmens im marktwirtschaftlichen Wettbewerb 177. Daher ist Art. 12 Abs. 1 GG gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen des Privatrechts anwendbar 178. Durch Beschlagnahme, Verwaltung und Verwertung des Vermögens als Folge der Insolvenzeröffnung sind auch körperschaftlich verfaßte Unternehmen zumindest für die Dauer des Insolvenzverfahrens daran gehindert, ihre unternehmerische Freiheit auszuüben. Daher liegt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person regelmäßig ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG vor. Soweit in Ausnahmefällen, beispielsweise mangels der erfor-

173 Vgl. BVerfGE 23, 153 (163); 42, 212 (219); 106, 28 (42 f.); Merten, in: FS Krejci, S.2003 (2011); zur zweistufigen Prüfung der Anwendbarkeitsvoraussetzungen Tettinger, in: Merten/ Papier, HdbGR II, § 51, Rdnr. 65. 174 BVerfGE 100, 313 (356 f.); in diesem Sinne auch jüngst BVerfGE 106, 28 (43). 175 Hierzu Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 38; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12, Rdnr. 8. 176 BVerfGE 30, 292 (312); 50, 290 (363); 53, 1 (13); 65, 196 (209f.); 97, 228 (252 f.); 102, 197 (213); BVerwGE 75, 109 (114); siehe zu den einzelnen Ausprägungen Tettinger, DVBl. 1999, S. 679 (685); vgl. auch Badura, DÖV 1990, S. 353 (356); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 6; Hilf/Hörmann, NJW 2003, S. 1 (2 f.); Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rdnrn. 98 f. 177 BVerfGE 21, 261 (266); 46, 120 (137); 50, 290 (362 f.); Badura, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 29, Rdnr. 16; ders., DÖV 1990, S. 353 (356); Tettinger, DVBl. 1999, S. 679 (685). 178 BVerfGE 21, 261 (266); 22, 380 (383); 41, 126 (149); 50, 290 (363); 53, 1 (13); 65, 196 (210); 97, 228 (253); 102, 197 (213); 105, 252 (265).

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

derlichen berufsregelnden Tendenz der staatlichen Maßnahme 179, Art. 12 Abs. 1 GG nicht betroffen ist, kann sich die juristische Person jedenfalls auf ihre allgemeine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit berufen 180. Daneben besteht nach einhelliger Auffassung für juristische Personen des Privatrechts trotz seiner personalen Natur der Schutz des Eigentumsrechtes aus Art. 14 Abs. 1 GG 181. Steht mithin die Anwendbarkeit der für die wirtschafliche Betätigung maßgeblichen Grundrechte auf juristische Personen außer Zweifel, so ist demgegenüber grundrechtlicher Schutz dann zu versagen, wenn das betroffene Grundrecht gerade die physisch-psychische Existenz natürlicher Personen voraussetzt. Daher scheidet eine Berufung juristischer Personen auf die Menschenwürde (Art.1 Abs. 1 GG), das Leben und die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 GG) nach allgemeiner Auffassung aus 182. Die vorhergehenden Ausführungen verdeutlichen, daß eine enumerative Auflistung der auf die juristische Person anwendbaren Grundrechte nicht in Betracht kommt. Vielmehr ist anhand der flexiblen Regelung in Art. 19 Abs. 3 GG stets nach der Eigenart der jeweils in Rede stehenden Grundrechtsnorm zu fragen183. Die nachfolgende Untersuchung widmet sich der Frage nach der wesensmäßigen Anwendbarkeit der Grundrechte daher jeweils im Rahmen der konkreten grundrechtlichen Fallgestaltung. 3. Die Geltendmachung einer Grundrechtsverletzung durch den Schuldner im Verfahren der Verfassungsbeschwerde Von dem materiellen Schutz der Grundrechte zugunsten des Schuldners ist deren verfahrensrechtliche Durchsetzbarkeit im Wege der Verfassungsbeschwerde zu unterscheiden. Die Fähigkeit des Schuldners, Verfahrenshandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht vorzunehmen, richtet sich nach der Ausgestaltung der in An179 Hierzu BVerfGE 13, 181 (186); 16, 147 (162); 31, 8 (29); 49, 24 (47f.); 52, 42 (54); 70, 191 (214); 95, 267 (302); BVerwGE 71, 183 (193 f.); 115, 189 (196). 180 Hierzu Badura, DÖV 1990, S. 353 (355 f.); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 75 ff.; Hilf/Hörmann, NJW 2003, S. 1 (3 f.); ebenso BVerfGE 8, 274 (328); 10, 89 (99); 15, 235 (239); 19, 206 (215); 23, 12 (30); 29, 260 (265f.); 44, 353 (372); 66, 116 (130); 95, 267 (303). 181 BVerfGE 4, 7 (17); 23, 153 (163); 35, 348 (360); 50, 290 (321f.); 53, 336 (345); 66, 116 (130) Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnr. 6; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 190; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 118, Rdnr. 55; Papier, in: Maunz/ Dürig, Art. 14, Rdnr. 217; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14, Rdnr. 93; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 60. 182 BVerwGE 54, 211 (220); Dreier, in: ders., Art. 19 III, Rdnr. 23; Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19, Rdnr. 34; Pieroth/Schlink, Rdnrn. 150 f.; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 116, Rdnr. 37; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1126. 183 Vgl. auch Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 19, Rdnr. 39.

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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spruch genommenen Grundrechte und deren Beziehung zu dem im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsverhältnis 184. Insoweit gilt auch für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde 185, daß die Fähigkeit, Handlungen im Prozeß vorzunehmen, die materiell-rechtliche Handlungsfähigkeit hinsichtlich des streitbefangenen Rechtsverhältnisses voraussetzt 186. Diese materiell-rechtliche Handlungsfähigkeit besitzt der Schuldner eines Insolvenzverfahrens nicht ohne Weiteres. Vielmehr verliert der Schuldner gemäß § 80 Abs. 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen; diese wird dem Insolvenzverwalter übertragen. Nach der bereits dargestellten Amtstheorie 187 bleibt der Schuldner zwar auch nach Eröffnung des Verfahrens Rechtsträger des betroffenen Vermögens. Verfügungen über das Vermögen trifft nach Verfahrenseröffnung jedoch ausschließlich der Verwalter als im eigenen Namen handelndes Rechtspflegeorgan 188. Im Prozeß ist dementsprechend der Verwalter im Wege gesetzlicher Prozeßstandschaft als Partei kraft Amtes anzusehen. Der Schuldner kann daher nach Eröffnung des Verfahrens keinen Einfluß mehr auf die Verwaltung des Vermögens nehmen 189. Soweit nach dem zuvor Gesagten die materiell-rechtliche Befugnis des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeschränkt ist, wird in eben demselben Umfange auch seine prozessuale Handlungsfähigkeit zur Geltendmachung evtl. Verletzungen seines Eigentums im Verfahren der Verfassungsbeschwerde beschnitten. Zwar besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Garantie auf eine effektive gerichtliche Geltendmachung und Durchsetzung der Eigentümerinteressen190. Ein solcher Anspruch besteht jedoch nur, soweit auch der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG reicht. Ist dieser durch eine einfachgesetzliche Regelung dergestalt definiert, daß eine Verfügungsbefugnis entzogen wird, kommt auch eine entsprechende VerfahBVerfGE 28, 243 (254); 51, 405 (407). Zum zivilprozessualen Erkenntnisverfahren allgemein Putzo, in: Thomas/ders., § 51, Rdnrn. 19 ff., 21. 186 BVerfGE 51, 405 (409). 187 Siehe hierzu oben Drittes Kapitel, A. II. 1. 188 BGHZ 24, 393 (396); 32, 114 (118); 49, 11 (16). 189 Diese Einschränkung der verfahrensrechtlichen Handlungsbefugnis des Schuldners unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Durch die in den §§ 80, 81 InsO getroffenen Regelungen werden Inhalt und Schranken des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG ausgeformt. Es handelt sich insoweit um eine Bestimmung im Sinne des Art.14 Abs. 1 S. 2 GG. Wie das Bundesverfassungsgericht zur Vorgängervorschrift des § 6 KO entschieden hat, ist die Übertragung des Verwaltungs- und Verfügungsrechts auf den Verwalter durch Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt, insbesondere verfolge sie mit der gemeinschaftlichen Befriedigung der persönlichen Gläubiger des Schuldners einen legitimen Zweck. Die Belange des Schuldners werden dadurch gewahrt, daß er sich gegen den Beschluß über die Eröffnung des Konkurses über sein Vermögen mit Rechtsmitteln wenden kann, vgl. BVerfGE 51, 405 (408). 190 BVerfGE 92, 262 (271); siehe hierzu unten Drittes Kapitel, IV. 1. 184 185

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rensgarantie nicht in Betracht 191. Eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG kann daher vom Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Insoweit obliegt es ausschließlich dem Insolvenzverwalter, die Verletzung des schuldnerischen Eigentums, etwa durch Entscheidungen des Insolvenzgerichts, als Partei kraft Amtes auch im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend folgerichtig anerkannt, daß der Insolvenzverwalter zur Geltendmachung einer Eigentumsverletzung des Schuldners im Wege der Verfassungsbeschwerde befugt ist 192. In dieser Form der Prozeßstandschaft kann der Verwalter die Verletzung solcher Grundrechte geltend machen, auf die sich der Schuldner berufen könnte, wäre über sein Vermögen nicht das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die aus der Amtstheorie folgende einfachgesetzliche Prozeßstandschaft des Insolvenzverwalters entfaltet somit auch Auswirkungen auf das Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Aus den zuvor dargelegten Erwägungen folgt zugleich, daß die Beschränkung der schuldnerischen (verfassungsrechtlichen) Beschwerdebefugnis lediglich insoweit zum Tragen kommt, als die einfachgesetzliche Ausformung durch die Vorschriften der §§ 80, 81 InsO greift. Da insoweit lediglich eine inhaltliche Definition des Eigentumsrechts getroffen wird, bleibt es dem Schuldner unbenommen, gegebenenfalls eine Verletzung anderer Grundrechte im eigenen Namen im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend zu machen 193. So kann der Schuldner eine Verletzung seiner allgemeinen und besonderen Persönlichkeitsrechte mit der Verfassungsbeschwerde auch noch nach Verfahrenseröffnung geltend machen. Dies betrifft das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ebenso wie die Unverletztlichkeit der schuldnerischen Wohnung, die für den grundrechtlich geschützten Bereich der räumlichen Privatsphäre 194 im engen Zusammenhang mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit steht, oder das Briefgeheimnis. Da die Insolvenzordnung insgesamt nur die schuldnerische Verfügungsbefugnis beschränkt, das Recht, vertragliche Verpflichtungen einzugehen, aber uneingeschränkt bestehen läßt, kann der Schuldner zudem auch eine Verletzung seiner Vertragsfreiheit als grundrechtlicher Ausfluß seiner allgemeinen Handlungsfreiheit 195 geltend machen. Dies betrifft insbesondere

Vgl. BVerfG (Kammer), NJW 1993, 513. BVerfGE 21, 139 (143); 27, 326 (333); 51, 405 (409); 65, 182 (190); 95, 267 (299); zur Zulässigkeit der gesetzlichen Regelung mit Blick auf Art.6 Abs.1 EMRK nunmehr EGMR, Urteil vom 17.07.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 83 ff. – Luordo ./. Italien mit Anm. von Vogl, EWiR 2003, S. 1135 f. 193 Die Beschwerdebefugnis juristischer Personen des Privatrechts besteht dabei auch noch während einer evtl. Abwicklungsphase, vgl. BVerfGE 98, 106 (116), zur Verfassungsbeschwerdebefugnis einer Gesellschaft ungeachtet ihrer zwischenzeitlichen Löschung im Handelsregister. 194 BVerfGE 65, 1 (40). 195 Vgl. hierzu BVerfGE 8, 274 (328); 89, 214 (231); 95, 267 (303). 191 192

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solche Verträge, die er anläßlich eines drohenden Insolvenzverfahrens im Vorfeld abgeschlossen hat 196.

IV. Die Gläubigerschaft Grundrechtsberechtigt im Insolvenzfall ist nicht lediglich der Schuldner. Vielmehr wirken auch verfassungsrechtlich garantierte Rechte der Gläubigerschaft auf die Ausgestaltung des Verfahrens ein. Dies betrifft vornehmlich das durch Art. 14 Abs. 1 geschützte Eigentumsrecht der Gläubiger. Die im Rahmen des Insolvenzverfahrens beizutreibenden Forderungen der Gläubiger unterfallen dem Schutz des Eigentums 197. Verfassungsrechtliche Folgerungen, die aus der Anerkennung des Eigentumsrechts für die Ausgestaltung des Verfahrens zu ziehen sind, beziehen sich nicht lediglich auf die Einrichtung des Insolvenzverfahrens als Institut 198. Die verfassungsrechtliche Verankerung eines Verfahrens zur gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung liefe leer, wenn ein solches Verfahren bloß virtuell vorhanden, die Teilnahme am Verfahren den rechtsschutzsuchenden Gläubiger jedoch vor in tatsächlicher Hinsicht unüberwindbare Hürden stellte. Das Verbot der Privatgewalt und die Verstaatlichung der Rechtsdurchsetzung ist vielmehr nur hinnehmbar, wenn die staatlichen Verfahren zur Rechtsdurchsetzung auch faktisch erreichbar sind und eine effektive Umsetzung des auf seine Verwirklichung zielenden Rechtes versprechen 199. Diese Feststellungen ziehen Konsequenzen für die Ausgestaltung des Verfahrensrechts, auch des Insolvenzverfahrens, nach sich.

1. Der verfassungsrechtliche Anspruch der Gläubigerschaft auf Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes Das Bundesverfassungsgericht hat für die Ausgestaltung der Gerichtsverfahren unter Berufung auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wiederholt konkrete Anforderungen aufgestellt. So dürfe der Zugang zu den Verfahren weder in tatsächlicher Hinsicht unmöglich gemacht, noch in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden 200. Zwar findet im Rahmen des Insolvenzverfahrens die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 keine Anwendung, da es ausschließlich um die Durchsetzung privatrechtlicher Forderungen gegen den Schuldner geht und – soweit der Insolvenzrichter Entscheider im Rahmen des Verfahrens ist – bereits das Merkmal „öffentliche Gewalt“ im Sinne des Art. 19 Siehe hierzu näher unten Fünftes Kapitel, B. IV. 2. Vgl. hierzu die Nachweise oben Fn. 34. 198 BVerfGE 92, 262 (271). 199 Vgl. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 60 f. 200 BVerfGE 10, 264 (267 f.); 37, 93 (96); 40, 237 (256); 42, 128 (130); 44, 302 (305); 50, 217 (231); 60, 253 (268 f.); 74, 228 (234); 77, 275 (284); 85, 337 (347); 88, 118 (124). 196 197

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Abs. 4 GG nicht erfüllt ist 201. Gleichwohl bedarf der gegen den Staat gerichtete Vollstreckungsanspruch 202 einer Umsetzung durch ein effektives und jedermann zugängliches Verfahren. Dieser Befund folgt nicht aus den Justizgrundrechten. Vielmehr ist er Ausdruck des verfahrensbestimmenden und -prägenden Einflusses des verfassungsrechtlichen Eigentumsrechts, welches nicht lediglich die Ausgestaltung des materiellen Rechts beeinflußt, sondern nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung setzt 203. Effektiver Grundrechtsschutz impliziert insoweit sowohl die Möglichkeit eines ohne unzumutbaren Aufwandes erreichbaren Verfahrens 204 als auch die Verpflichtung zur zügigen und optimalen Rechtsdurchsetzung 205. Diese grundrechtlichen Postulate richten sich nicht lediglich an den das Verfahrensrecht schaffenden und ausgestaltenden Gesetzgeber. Sie binden zugleich auch die Gerichte, welche das Verfahrensrecht im Blick auf die Grundrechte auslegen und anwenden müssen 206. Vor diesem Hintergrund ist auch auf der Grundlage des grundrechtlich abgesicherten (zivilrechtlichen) Vollstreckungsanspruchs eine weitgehende inhaltliche Parallelität mit der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG hinsichtlich der Ausgestaltung des Vollstreckungsverfahrens gewährleistet 207. 2. Die verfahrensrechtlichen Folgerungen für den Insolvenzfall Die zuvor dargelegten verfassungsrechtlichen Postulate ziehen hinsichtlich der Teilnahme der Gläubiger am Insolvenzverfahren insbesondere folgende Konsequenzen nach sich: Gesetzgeber und Insolvenzgericht haben zum einen bei der Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf Länge, Effektivität, Gläubigerdisposition und -autonomie 208 den berechtigten Belangen der Gläubigerschaft hinreichend Rechnung zu tragen (a). Zum anderen darf die Inanspruchnahme des Insolvenzver201 Vgl. BVerfGE 11, 263 (265); 15, 275 (280); 22, 106 (110); 25, 352 (365); 31, 87 (93f.); 49, 329 (340); 58, 208 (231 f.); 65, 76 (90); 76, 93 (98); 87, 48 (61); Krüger, in: Sachs, Art. 19, Rdnr. 125; Papier, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 154, Rdnr. 37; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 96. 202 Hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. 203 Vgl. BVerfGE 35, 348 (361 f.); 37, 132 (148); 39, 276 (294); 42, 64 (74 ff.); 46, 325 (334); 49, 220 (225); 52, 131 (143/155); 53, 30 (65); 56, 216 (236); 65, 76 (94); 69, 315 (355); 77, 381 (405 f.); 83, 111 (118). 204 Vgl. BVerfGE 85, 337 (347); 88, 118 (124) unter Hinweis auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Justizgewährungsanspruch; BVerfG (Kammer), NJW-RR 1998, 1081, 1082 f. 205 Vgl. BVerfG (Kammer), NJW 1997, 2811, 2812; (Kammer) NJW 1999, 2582, 2583; (Kammer) EuGRZ 2000, 100. 206 So BVerfGE 46, 325 (334 f.); 49, 252 (257); 69, 315 (355); 77, 275 (284); 88, 118 (125). 207 Ebenso Papier, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 153, Rdnrn. 16 ff. 208 Hierzu bereits Hegmanns, S. 36 ff., der jedoch die verfahrensrechtlichen Dimensionen der Grundrechte auf den Bereich des öffentlichen Rechts beschränkt sieht.

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fahrens zur Haftungsverwirklichung der Gläubigerforderung nicht an den fehlenden finanziellen Ressourcen des vollstreckenden Gläubigers scheitern (b).

a) Die verfahrensrechtliche Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Effektivitätsanforderungen Mit der Zielsetzung effektiver und zeitnaher Haftungsverwirklichung des Gläubigerrechts hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung eine ganze Reihe von verfahrensmäßigen Vorkehrungen getroffen. So soll durch die Einführung von Frist- und Präklusionsvorschriften einer Verzögerung des Verfahrens und damit der Vereitelung der Schuldnerhaftung vorgebeugt werden. Zudem wird gemäß § 180 Abs. 1 InsO – wie bereits unter Geltung der Konkursordnung – die Entscheidung über bestimmte während des Insolvenzverfahrens entstandene Rechtsstreitigkeiten dem ordentlichen Gerichtsverfahren vorbehalten, um eine Verschleppung der Ertragsverteilung zu vermeiden. Hieraus folgt für das Insolvenzgericht zugleich die Pflicht, die Fortführung des Verfahrens und insbesondere die Verteilung des Erlöses unabhängig vom Ausgang etwaiger ordentlicher Gerichtsverfahren durchzuführen. Für noch anhängige Feststellungsklagen ist dies bereits anerkannt209. Desgleichen muß jedoch auch für noch nicht abgeschlossene Prozesse über ein Masseaktivum gelten 210. Die im Schrifttum vertretene Auffassung, daß die Schlußverteilung erst dann zulässig sei, wenn ein obsiegendes Urteil erfolgreich vollstreckt wurde oder zumutbare Vollstreckungshandlungen keinen Erfolg gehabt haben 211, läßt sich mit der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie nicht vereinbaren. Durch eine solche Vorgehensweise würde einerseits unter Inkaufnahme tiefgreifender Nachteile eines Großteils der Gläubigerschaft deren Befriedigung auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben, ohne daß andererseits den Parteien des Aktivprozesses ein erkennbarer Vorteil erwachsen würde. Insbesondere bei langer Verfahrensdauer kann es daher unter Berücksichtigung des Eigentumsrechts der Gläubiger geboten sein, die Schlußverteilung gemäß § 196 InsO schon vor Prozeßende durchzuführen 212. Etwaige Nachteile werden durch die Möglichkeit, das streitbefangene Masseaktivum für eine Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 InsO vorzusehen, aufgewogen.

209 BVerfG, EuGRZ 1979, 363, 364; RG, JW 1936, 2927, 2928; BAG, KTS 1973, 269, 270; Schulz, in: Frankfurter Kommentar, § 189, Rdnr. 4; Westphal, in: Nerlich/Römermann, § 196, Rdnr. 4; Uhlenbruck, in: ders., § 196, Rdnr. 5. 210 In diesem Sinne wohl auch Breutigam, in: Berliner Kommentar, § 196, Rdnr. 6; Holzer, in: Kübler/Prütting, § 196, Rdnr. 6; Füchsl/Weishäupl, in: Münchener Kommentar, § 196, Rdnr. 3; Uhlenbruck, in: ders., § 196, Rdnr. 5. 211 So Westphal, in: Nerlich/Römermann, § 196, Rdnrn. 7 f. 212 So bereits – jedoch unter einseitiger Betonung der Schuldnerposition – BVerfG, EuGRZ 1979, 363, 364; zur Bedeutung der Dauer des Insolvenzverfahrens für die Schuldnerrechte nunmehr auch EGMR, Urteil vom 17.07.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 70 f. – Luordo ./. Italien mit zustimmender Anm. von Vogl, EWiR 2003, S. 1135 f.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Ein zügiger Ablauf des Insolvenzverfahrens soll schließlich durch eine Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts gewährleistet werden 213. So findet gemäß § 6 Abs. 1 InsO eine sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts lediglich in den gesetzlich ausdrücklich angeordneten Fällen statt. Den gegen die Einführung dieses Enumerationsprinzips erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken ist spätestens durch die umfassende Erweiterung des Beschwerdekatalogs durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze 214 die Grundlage entzogen worden 215. b) Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für die Gläubiger des Insolvenzverfahrens Der den Zugang zum Insolvenzverfahren prägende öffentlich-rechtliche Vollstreckungsanspruch verbietet nicht nur gesetzliche Vorschriften, welche die Möglichkeit der Anrufung des Insolvenzgerichts in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken. Dieser Anspruch gebietet zugleich die Schaffung der materiellen Basis, um auch unbemittelten Beteiligten die Teilnahme am Verfahren zu ermöglichen. Zwar ist der Gesetzgeber berechtigt, den Zugang zum Verfahren an formelle Voraussetzungen und daher auch an die Erhebung von Gebühren zu knüpfen 216. Die Kostenregelung des Insolvenzverfahrens, wonach der antragstellende Gläubiger grundsätzlich die Gerichtsgebühren, die Auslagen des Gerichts (insbesondere Veröffentlichungskosten und Kosten des Sachverständigen) sowie die Kosten eines Rechtsanwaltes zu tragen hat 217, ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Regelung darf sich jedoch nicht so auswirken, daß die Inanspruchnahme des staatlichen Vollstreckungsmonopols von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Gläubigers abhängt 218. Aus diesem verfassungsrechtlichen Befund folgt die Verankerung des Instituts der Prozeßkostenhilfe auch für Vollstreckungsmaßnahmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens. Inwieweit die Gewährung von Prozeßkostenhilfe darüber hinaus auf den allgemeinen Gleichheitssatz gestützt werden kann 219, bedarf für das Insolvenzverfahren keiner vertieften Erörterung. Das Insolvenzverfahren ist im Gegensatz zum Zivilprozeß kein Zweiparteienverfahren, sondern vielmehr ein Verfahren mit einer VielSo Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 110. Vom 26.10.2001 (BGBl. I S. 2710). 215 Zur verfassungsrechtlich unausgewogenen Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes Lepa, S. 167 ff. 216 Vgl. BVerfGE 10, 264 (268); 60, 253 (268 f.); 77, 275 (284); 80, 103 (106 f.); 85, 337 (346); 88, 118 (123 f.). 217 Vgl. hierzu Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 13, Rdnr. 81. 218 BVerfGE 50, 217 (231); 85, 337 (347). 219 BVerfGE 50, 217 (231); 81, 347 (356 f.); vgl. zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe aus der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung BVerfGE 9, 124 (131); 22, 83 (86 f.); 56, 139 (143 ff.); 63, 380 (394 f.); 67, 245 (248); 78, 101 (117 f.). 213 214

A. Die Grundrechtsberechtigung und die Grundrechtsbindung der Beteiligten

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zahl von Beteiligten. Die Garantie faktischer Gleichheit muß in Anbetracht einer solchen unterschiedlichen Struktur naturgemäß zurücktreten. Vor diesem Hintergrund begegnet die im insolvenzrechtlichen Schrifttum vertretene Auffassung, wonach dem Insolvenzgläubiger für die Stellung des Eröffnungsantrages keine Prozeßkostenhilfe gewährt weden muß 220, durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifeln 221. Das insoweit ins Feld geführte Argument, wonach der antragstellende Gläubiger nicht besser behandelt werden könne als der vom Insolvenzverfahren betroffene Schuldner, dem nach einhelliger Auffassung ebenfalls keine Prozeßkostenhilfe gewährt werden könne 222, greift nicht durch. Bei der Frage nach der Gewährung von Prozeßkostenhilfe an den Schuldner einerseits und an den antragstellenden Gläubiger andererseits handelt es sich um zwei nicht miteinander vergleichbare Sachverhalte, so daß für entsprechende Erwägungen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG kein Anlaß besteht 223. Während die Gewährung von Prozeßkostenhilfe an den Gläubiger Ausdruck des gegen den Staat gerichteten öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Durchsetzung seiner Rechte gegen den Schuldner ist, besteht ein entsprechender öffentlich-rechtlicher Verfahrensanspruch des Schuldners gegen den Staat nicht. Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe stellt das von Verfassung wegen geforderte Korrelat zu der dem Gläubiger auferlegten Friedenspflicht dar 224. Bestünde diese Friedenspflicht nicht, könnte der Gläubiger ohne größeren Kostenaufwand sein Recht selbst vollstrecken. Da er hieran jedoch im Rechtsstaat gehindert und zur Inanspruchnahme kostenintensiver staatlicher Verfahren gezwungen ist, kann er dort, wo die Kosten sein Leistungsvermögen übersteigen, billigerweise vom Staat materielle Hilfe verlangen. Im Gegensatz zum Gläubiger nimmt der insolvenzantragstellende Schuldner kein Rechtsdurchsetzungsverfahren als Ausgleich für Selbsthilfeverbote wahr. Die dem Schuldner eingeräumte Antragsbefugnis erklärt sich einzig aus der ihm eingeräumten Möglichkeit, Entlassung aus der Haftung im Rahmen des Restschuldbefreiungsverfahrens zu erlangen. Die Teilnahme an diesem Verfahren ist aber nicht Ausdruck staatlichen Zwangs, sondern eine besondere staatliche Vergünstigung, auf die – wie noch näher erörtert werden soll 225 – von Verfassung wegen kein Anspruch besteht. Für den Zugang zu diesem Verfahren besteht folglich kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf staatliche Unterstützung für den Fall, daß die Verfahrenskosten vom Schuldner selbst nicht erbracht werden können. So Ganter, in: Münchener Kommentar, § 4, Rdnr. 23. A. A. daher zu Recht Becker, in: Nerlich/Römermann, § 4, Rdnr. 20; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 4, Rdnr. 9; Prütting, in: Kübler/Prütting, §4, Rdnr. 10; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 13, Rdnr. 77. 222 Hierzu Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 7.26; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 367. 223 Zum Erfordernis der „Vergleichbarkeit der Sachverhalte“ im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rdnr. 16 a; Pieroth/Schlink, Rdnr. 431. 224 Hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. 225 Hierzu unten Fünftes Kapitel, B. III. 2. b). 220 221

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

B. Die Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall Entsprechend den in der verfassungsrechtlichen Diskussion allgemein konsentierten vielfältigen Gewährleistungsdimensionen der Grundrechte 226 entfalten diese auch im Insolvenzfall unterschiedliche Wirkkraft. Nach der für das Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes konstitutiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sog. „Lüth-Fall“ 227 sind die Grundrechte zwar primär Abwehrrechte des Bürgers gegen die öffentliche Gewalt. In dieser Funktion verbürgen sie einen vor staatlichen Eingriffen geschützten Raum individueller Freiheit 228. Zugleich enthält der erste Abschnitt der Verfassung aber eine objektive Wertordnung, welche als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Rechtsbereiche Geltung beansprucht und dabei Gesetzgebung, Verwaltung und Judikative gleichermaßen bindet 229. Als Konsequenz dieser Doppelfunktionalität 230 entfalten die Grundrechte ihre Wirksamkeit nicht nur im tradierten Bereich negatorischer Staatsabwehr, sondern statuieren zugleich eine positive Pflicht der staatlichen Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG, die Rechtsgehalte der Grundrechte als objektiver Normen in allen Bereichen des Gemeinschaftslebens umfassend zur Geltung zu bringen 231. In Anknüpfung an diesen aus der objektiv-rechtlichen Grundsatzwirkung entspringenden Handlungsauftrag 232 entwickelt die herrschende Verfassungsdogmatik aus den Grundrechten eine staatliche Pflicht, der Geltungskraft der Grundrechte auch gegenüber Beeinträchtigungen von dritter Seite – anderen Grundrechtsträgern oder nichtdeutschen Trägern

226 Vgl. hierzu Böckenförde, in: Der Staat 29 (1990), S. 1 (3 ff.); Dreier, Dimensionen, S. 41 f.; Enders, in: Berliner Kommentar, Vorbem. Art. 1, Rdnrn. 62 ff.; Jarass, in: Merten/ Papier, HdbGR II, § 38, Rdnrn. 22 ff.; Merten, VerwArch. 73 (1982), S. 103 ff. 227 BVerfGE 7, 198 ff. – Lüth. 228 Zu den grundrechtlichen Schutzrechten als gegen staatliches Handeln gerichtete Abwehrrechte bereits eingehend Giese, Die Grundrechte, S. 60 f., sowie Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 373. 229 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (204 f.); ebenso BVerfGE 35, 79 (114); 39, 1 (41); 49, 89 (142). 230 Für den den Grundrechtsgewährleistungen immanenten Wirkungsdualismus hat sich im verfassungsrechtlichen Schrifttum der Begriff von der „Doppelfunktion“ der Grundrechte etabliert, vgl. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (5, 7); Dreier, Dimensionen, S. 41; Enders, in: Berliner Kommentar, Vorbem. Art. 1, Rdnr. 62; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnr. 13; Stern, Staatsrecht III/1, S. 903 ff. 231 Hierzu BVerfGE 7, 198 (205 f.); 25, 256 (263); 30, 173 (188); 32, 311 (318); 34, 269 (280); 35, 202 (219); 42, 143 (148); 52, 131 (166); 66, 116 (138f.); 73, 261 (269); 81, 242 (255); 89, 1 (13); 89, 214 (229), 90, 27 (33); 103, 89 (100f.). 232 Zu den Schutzpflichten als Ausprägung der objektiv-rechtlichen Dimension BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 89 (141); 53, 30 (57); 56, 54 (73); Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (8/12 f.); Dreier, Dimensionen, S. 42; Enders, in: Berliner Kommentar, Vorbem. Art. 1, Rdnr. 64; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 350; H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (491); Wahl, in: Merten/Papier, HdbGR I, § 20, Rdnr. 5.

B. Die Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

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hoheitlicher Gewalt 233 – zur Wirkung zu verhelfen 234. Dieser staatlichen Pflicht korrespondiert ein verfassungsrechtlich abgesichertes subjektives Recht auf Schutz vor Beeinträchtigungen von dritter Seite 235, welches gegebenenfalls auf dem Rechtsweg von seinem Inhaber erstritten werden kann 236. Im Insolvenzfall gewinnen die Schutz- und die Abwehrfunktion der Grundrechte gleichermaßen an Bedeutung. So sieht die Insolvenzordnung eine Reihe höchst unterschiedlich ausgestalteter staatlicher Zwangsmaßnahmen vor, welche einseitig vom Insolvenzgericht gegenüber den Verfahrensbeteiligten im Rahmen eines subordinationsrechtlichen Verhältnisses erlassen werden. Diese Zwangsmaßnahmen greifen nicht erst mit der Eröffnung des Verfahrens, sondern können als sog. Sicherungsmaßnahmen bereits in dem der Prüfung der Erfolgsaussichten des Insolvenzantrages vorbehaltenen Eröffnungsverfahren ihre Wirkung entfalten. Da diese Maßnahmen ausschließlich den Erhalt des vorhandenen Schuldnervermögens bezwekken 237, belasten sie vornehmlich die schuldnerische Rechtssphäre, sei es in Form von Postsperren, Verfügungsverboten, Mitwirkungspflichten oder alternativen Beugemitteln wie der Anordnung von Haft. Durch das in den §§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO vorgesehene Vollstreckungsverbot werden aber auch die Rechtspositionen der Gläubiger betroffen. Der mit den insolvenzrechtlichen Zwangsmaßnahmen verbundene hoheitliche Zugriff auf die Individualsphäre der Verfahrensbeteiligten tangiert deren grundrechtlich gewährleistetes Recht, von hoheitlichen Maßnahmen verschont zu werden 238. Er betrifft daher die Grundrechte der Beteiligten in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen. Die Wirkungsdimension der Grundrechte entfaltet sich im Insolvenzfall nicht lediglich im zuvor beschriebenen Verhältnis von Grundrechtsberechtigten und Grundrechtsverpflichteten. Durch den Eintritt der Insolvenz stehen sich auch und vor allem konfligierende Interessen privatrechtlich strukturierter Organisationen und Personen gegenüber. Als Ausdruck der für das Insolvenverfahren kennzeichnenden

Hierzu BVerfGE 6, 290 (299); 41, 126 (182); 55, 349 (364); 66, 39 (61). BVerfGE 46, 160 (164 f.); 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57); 55, 349 (364); 56, 54 (78); 76, 1 (49 f.); 77, 170 (214 f.); 81, 242 (256); 84, 212 (226 f.); zuletzt BVerfG (Kammer), NJW 2003, 2815 f. – Verkäuferin mit Kopftuch; aus der Literatur Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnrn. 77 ff.; E. Klein, NJW 1989, S. 1633 (1634). 235 So insbesondere BVerfGE 79, 174 (201 f.); siehe aus der Literatur Erichsen, Jura 1997, S. 85 (89); E. Klein, NJW 1989, S. 1633 (1637); H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (493); Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rdnr. 24. 236 Vgl. BVerfGE 77, 170 (214); 79, 174 (201 f.); 81, 242 (253, 256); 84, 212 (223); 85, 191 (212). 237 So die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 115 f.; vgl. auch statt aller Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 21, Rdnr. 3. 238 Hierzu BVerfGE 7, 198 (204); 20, 150 (154 ff.); 21, 362 (369); 50, 290 (336 f.); 61, 82 (101); 68, 193 (205); ebenso BGHZ 63, 196 (198); ferner Dreier, in: ders., Vorbem., Rdnr. 45; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 287; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnrn. 2, 37 ff.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 558 ff, 620 ff. 233 234

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Gläubigerautonomie 239 bestimmen die Verfahrensbeteiligten nicht nur über Form und Art der Verwertung, sondern in weiten Teilen auch über die Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens und über die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens 240. Soweit beispielsweise die Gläubigerschaft entsprechend der ihr verliehenen Befugnis eine Stillegung des schuldnerischen Betriebes beschließt, greift eine Berufung des Schuldners auf die ihm zustehenden Grundrechte als Abwehrrechte zu kurz. Desgleichen gilt aber auch für die Gläubiger, welche für eine Fortführung des Betriebes votieren, sich jedoch der Mehrheitsentscheidung der Gläubigerschaft fügen müssen. Schließlich können Gläubiger und Schuldner anläßlich des Insolvenzfalls vertragliche Vereinbarungen höchst unterschiedlichen Inhalts treffen, in welchen die mit der Verfahrensgestaltung einhergehenden Belastungen verteilt oder (vielfach) einseitig zuungunsten privater Dritter abgewälzt werden. Im Rahmen der schuldnerischen Insolvenz kann es also, wie die vorhergehenden Beispiele verdeutlichen, nicht bloß um die Abwehr von hoheitlichen Eingriffen, sondern zugleich auch um die Abwehr von nichtstaatlichen Beeinträchtigungen, insbesondere von privaten Dritten gehen. Da die Grundrechte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und fast einhelliger Aufassung im verfassungsrechtlichen Schrifttum ausweislich der Anordnung in Art. 1 Abs. 3 GG nicht unmittelbar zwischen Privaten gelten 241, greift in Fällen einer Dritteinwirkung eine Berufung auf die abwehrrechtliche Wirkungsdimension der Grundrechte zu kurz. Gläubiger und Schuldner stehen sich vielmehr im Insolvenzfall als gleichberechtigte Inhaber grundsätzlich gleichrangiger subjektiver Rechte gegenüber. Gleichwohl entfalten auch im Falle kollidierender privater Interessen die Grundrechte ihre (mittelbare) Wirkkraft 242. So sind Gesetzgeber wie Gesetzesanwender als Ausfluß des bereits oben beschriebenen staatlichen Schutzauftrages gehalten, die kollidierenden Grundrechtsgüter zu optimieren und sie zwischen den Privaten wechselseitig zum

239 Hierzu Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 127; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 72 f. 240 Zur Stärkung der Gläubigerautonomie als Ziel des Insolvenzverfahrens Uhlenbruck, in: ders., § 1, Rdnr. 13. 241 Dürig, in: Maunz/ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 129; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 354; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnr. 103, 198; H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (491); Murswiek, in: Sachs, Art. 1, Rdnr. 104; Papier, in: Merten/ders., HdbGR II, § 54; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr, 216; von einer mittelbaren Drittwirkung geht die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus, vgl. BVerfGE 7, 198 (294 f.); 24, 278 (282); 25, 256 (263); 34, 269 (280); 42, 143 (148); 73, 261 (269); 81, 242 (254); 84, 192 (194); 89, 1 (12); 90, 27 (33). 242 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205 f.); ebenso BVerfGE 54, 208 (219); 81, 242 (254/256); 86, 122 (128 ff.); 89, 214 (229 f.); 96, 56 (64). vgl. aus dem Schrifttum Böckenförde, in: Der Staat 29 (1990), S. 1 (15 f.); Dürig, in: FS für Nawiasky, S. 157 (176 ff.); Enders, in: Berliner Kommentar, Vorbem. Art. 1, Rdnr. 69; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 23 ff.; E. Klein, NJW 1989, S.1633 (1636); Papier, in: Merten/ders., HdbGR II, §54; W. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 306 ff.

B. Die Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

63

schonenden Ausgleich zu bringen 243. Beim Erlaß wie bei der Anwendung des Gesetzes besteht insoweit die einklagbare Verpflichtung der staatlichen Organe, den materiellen Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen und seine optimale Verwirklichung durch verhältnismäßige Zuordnung der konfligierenden Rechtsgüter zu gewährleisten 244. Soweit staatliche Organe ihrer dergestalt definierten grundrechtlichen Gewährleistungsverantwortung nicht nachkommen, kann der Verletzte jedenfalls im Wege der Verfassungsbeschwerde auf die Wahrung seiner Grundrechtsposition hinwirken. Im Einzelfall kann sich die staatliche Schutzpflicht als Ausfluß des objektiv rechtlichen Gehaltes der Grundrechte zu einer konkreten Handlungspflicht der hoheitlich handelnden Organe verdichten. Dabei bindet die grundrechtliche Schutzpflicht nicht lediglich Gesetzgeber und Verwaltung. Sie ist ebenso bei der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts durch die Gerichte zu beachten 245. Gegebenenfalls ist im Wege der Lückenschließung und Rechtsfortbildung den grundrechtlichen Postulaten Genüge zu tun. Den Richtern verbleibt dabei jedoch ein weiter Gestaltungsspielraum 246. Eingedenk seiner spezifisch grundrechtlichen Gewährleistungsverantwortung hat auch das Insolvenzgericht sich „schützend und fördernd“ vor die gefährdeten Positionen der Verfahrensbeteiligten zu stellen 247. Inwieweit die einzelnen grundrechtlichen Schutzpflichtgehalte im Insolvenzfall eine besondere Relevanz begründen, bedarf der Prüfung im Einzelfall 248. Ob eine besondere Inhaltskontrolle von Insolvenzverträgen aus grundrechtlichen Schutzpflichten abgeleitet werden kann 249, erscheint dabei fraglich 250. Grundrechtlicher Schutz trägt jedenfalls dort, wo private Verfahrensbeteiligte als Ausdruck der Deregulierung des Verfahrens 251 anstelle staatlicher Organe bestimmenden Einfluß auf die Rechtsgüter anderer Rechtsteilnehmer nehmen können. Soweit beispielsweise die Gläubiger ihre verfahrensrechtlich eingeräumte Befugnis in willkürlicher Weise zum Nachteil des Schuldners mißbrauchen, ist das Insolvenzgericht unter Berücksichtung seiner Schutzpflicht berufen, der 243 Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnr. 134 f.; H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (492). 244 Vgl. BVerfGE 83, 130 (143/146 f.); 85, 1 (16); 90, 241 (148). 245 So Dirnberger, DVBl. 1992, 879 (880); Dreier, in: ders., Vorb, Rdnr. 63; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnr. 139; H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (492); Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (17); Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1036); aus der Rechtsprechung zuletzt BVerfG (Kammer), NJW 2003, 2815 f. 246 BVerfGE 89, 214 (234). 247 Vgl. BVerfGE 35, 79 (114); 39, 1 (42); 46, 160 (164); 53, 30 (57); 88, 203 (251); 96, 26 (46). 248 Hierzu im Einzelnen unten Fünftes Kapitel, B. I. 1. sowie B. IV. 249 Zur gerichtlichen Inhaltskontrolle in Fällen sog. „gestörter Vertragsparität“ BVerfGE 81, 242 (255); 89, 214 (232); 103, 89 (100 f.); aus der zivilrechtlichen Rechtsprechung zuletzt OLG Koblenz, NJW 2003, 2920 f. 250 Hierzu im einzelnen unten Fünftes Kapitel, B. IV. 251 Zur Deregulierung als Ziel der Insolvenzreform Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnrn. 4.05, 6.09 a.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Gläubigerautonomie Einhalt zu gebieten. Dieser Grundsatz ist namentlich im Rahmen der von der Gläubigerschaft gemäß § 157 InsO zu treffenden Stillegungsentscheidung fruchtbar zu machen, welche noch einer vertieften verfassungsrechtlichen Betrachtung im Verlauf der Untersuchung bedarf 252.

C. Das Übermaß- und das Untermaßverbot im Insolvenzfall Soweit die Grundrechte ihre zuvor beschriebene Wirkkraft entfalten, ist der einzelne Grundrechtsinhaber im Rahmen des jeweiligen Schutzbereichs zur grundsätzlich unreglementierten Ausübung und Inanspruchnahme der materiellen Gewährleistungen berechtigt. Mit der Gewährleistung von Grundrechten anerkennt der Staat eine von seinen Funktionen unberührt bleibende Freiheitssphäre der seiner Gewalt unterstehenden Individuen 253. Dem Grundrechtsabschnitt der Verfassung liegt der Gedanke einer prinzipiell unbegrenzten Freiheitsausübung durch die Berechtigten zugrunde, welcher die Beschränkung lediglich im Ausnahmefall und lediglich unter bestimmten Voraussetzungen in Form von Gesetzesvorbehalten zuläßt 254. Dieses verfassungsrechtliche Regel-Ausnahme-Prinzip von Freiheit und Beschränkung 255 impliziert zugleich, daß eine Begrenzung grundrechtlich geschützter Handlungen niemals übermäßig erfolgen darf, soll das Freiheitsprinzip nicht einer willkürlichen Entwertung preisgegeben werden. Staatliche Eingriffe in grundrechtlich garantierte Freiheiten unterliegen daher stets einer besonderen Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des Übermaßes. Dieses Übermaßverbot ist somit Ausfluß des verfassungsrechtlichen Grundbekenntnisses zum Freiheitsprinzip und findet damit seine Grundlage in den Grundrechten selbst 256. Es stellt die entscheidende Rückkoppelung der staatlichen Gewalt an den Regelungsgegenstand der grundrechtlichen Freiheit dar. Seine Herleitung aus den Grundrechten verdeutlicht zugleich, daß ein Verbot übermäßiger Beschränkung ausschließlich dort zur Anwendung kommt, wo grundrechtliche Freiheit ihre Wirkungskraft entfaltet und Gegenstand einschränkender Maßnahmen der durch Art. 1 Abs. 3 GG gebundenden Organe sein kann. Bedeutung erlangt das Verbot des Übermaßes daher nach einhelliger Auffassung vor allem für die Verfassungsmäßigkeit belastenden Handelns aller staatlichen OrgaHierzu unten Fünftes Kapitel, B. I. 1. So Giese, Die Grundrechte, S. 76. 254 Merten, in: FS Schambeck, S. 349 (374 f.); ders., Speyerer Vorträge, S. 15 (27); Schmitt, Verfassungslehre, S. 158, 163 f., 166; ders. Grundrechte und Grundpflichten, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, S. 208 f. 255 Vgl. hierzu Schmitt, Verfassungslehre, S. 166; Hensel, Grundrechte, S. 28; Merten, in: FS Schambeck, S. 349 (374); ähnlich auch Bayerischer VGH, BayVBl. 1991, 21, 22. 256 Ebenso BVerfGE 19, 342 (348 f.); Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 49 (54 f.); Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 62; ders., in: FS Schambeck, S. 349 (374 ff.); Pitschas, JZ 1993, S. 857 (864); Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 (460); Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rdnr. 32. 252 253

C. Das Übermaß- und das Untermaßverbot im Insolvenzfall

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ne 257. Dabei ergeben sich aus dem Verbot übermäßig eingreifenden Staatshandelns drei Prüfungsstufen, die in verschiedener Weise auf den vom Hoheitsorgan verfolgten Eingriffszweck bezogen sind. Als allgemein anerkannte, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdifferenzierende Prüfungskriterien haben sich die Geeignetheit des gewählten Eingriffsmittels, seine Erforderlichkeit im Sinne der Wahl des schonendsten Mittels und die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) als Abwägungskriterium zwischen Eingriffsschwere und Eingriffsnutzen herausgebildet 258.

I. Die Geltung des Übermaßverbotes im Insolvenzfall Soweit durch insolvenzrechtliche Zwangsmaßnahmen, etwa in Form von Sicherungsmaßnahmen, die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion betroffen sind, müssen die Beschränkungen der Freiheitssphäre stets an den Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit gemessen werden. In diesem Sinne ist auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu verstehen, wonach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Insolvenzverfahren Anwendung findet 259. Das insolvenzrechtliche Schrifttum ist dieser Auffassung mit Blick auf die Anwendung insolvenzgerichtlicher Zwangsmaßnahmen einhellig gefolgt 260. Auch das Bundesverfassungsgericht bezieht sich im Hinblick auf das ehemalige Konkursverfahren auf die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte, wenn es die Beschränkung der mit dem Konkurs verbundenen Beeinträchtigungen des Schuldners auf das unbedingt notwendige Maß als Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe erachtet 261. 1. Die Geltung des Übermaßverbotes zwischen Privaten und bei der Verwirklichung des Gläubigerrechtes Die Herleitung des Übermaßverbotes aus den Grundrechten schließt eine Anwendung dort aus, wo sich Private auf der Ebene der Gleichordnung gegenüberstehen 262. Da die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG lediglich staatsgerichtet sind, bindet Siehe statt vieler Schnapp, JuS 1983, S. 850 (853); Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 (415). Vgl. hierzu BVerfGE 30, 292 (316); 59, 336 (355); 77, 84 (107 ff.); Enders, in: Berliner Kommentar, Vorbem. Art. 1, Rdnr. 123; Merten, in: ders./Papier, HdbGR III, § 66; v. Münch, in: v. Münch/Kunig, Vorb. Art.1–19, Rdnr.55; Schnapp, JuS 1983, S.850 (852); Stern, Staatsrecht I, S. 866; Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 (415 f.). 259 BGH, WM 1986, 652. 260 Blersch, in: Berliner Kommentar, § 21, Rdnr. 7; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 21, Rdnr. 25; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 21, Rdnr. 9; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 21, Rdnr. 23 ff.; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 21, Rdnr. 72; Uhlenbruck, in: ders., § 21, Rdnrn. 3, 43. 261 BVerfG, EuGRZ 1979, 363; ähnlich nunmehr auch EGMR, Urteil vom 17.07.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 70 f. – Luordo ./. Italien mit Anm. von Vogl, EWiR 2003, S. 1135 f. 262 Merten, in: FS Schambeck, S. 349 (373 f.). 257 258

5 Werres

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schrankenschranke 263 auch lediglich staatliche Organe bei Eingriffen in die Freiheitssphäre des einzelnen. Als solche Organe kommen ausschließlich das Insolvenzgericht und der Insolvenzverwalter als staatlich Beliehener in Betracht 264. Im Verhältnis von Gläubigern und Schuldner sowie innerhalb der Gläubigerschaft hingegen stehen sich Grundrechtsberechtigte auf der Ebene der Gleichordnung gegenüber 265. Hier besteht für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kein Anwendungsbereich. Soweit es daher um die Überprüfung von privatrechtlichen Verträgen anläßlich des Insolvenzfalls (z. B. des Verzichtes auf das Antragsrecht) 266 geht, kommt das Übermaßverbot als Wirksamkeitsmaßstab nicht zur Anwendung. Unverhältnismäßige privatrechtliche Forderungen im Sinne des Verfassungsrechts gibt es nicht 267. Diese Verträge sind dem Zivilrecht zuzurechnen und ihre Wirksamkeit beurteilt sich ausschließlich nach einfachgesetzlichen Maßstäben des Zivilrechts, insbesondere § 138 BGB. Ein anderes Verständnis des Übermaßverbotes würde die Verhältnismäßigkeit als Emanation grundrechtlicher Freiheit in ihr Gegenteil verkehren und zu einer Reglementierung eben jener Freiheit – im Bereich des Privatrechts: der Privatautonomie – führen 268. a) Die Vollstreckung „unverhältnismäßiger“ Forderungen Soweit demnach die Parteien des Zivilrechts unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbotes nicht zu einem angemessenen Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung verpflichtet sind 269, bestehen auch weder im Bereich des Einzelzwangsvollstreckungsrechts 270 noch im Bereich des Insolvenzrechts grundrechtliche Einwände gegen die Vollstreckung „unverhältnismäßiger“ Forderungen. Zwar gilt es zu 263 Zum Begriff „Schrankenschranke“ und dessen Bedeutung: Dreier, in: ders., Vorbem., Rdnrn. 91 ff.; Kokott, in: Merten/Papier, HdbGR I, § 22, Rdnrn. 70 ff.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 692 ff. 264 Vgl. zur Beachtung der Grundrechte durch Beliehene Dreier, in: ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 25; Dürig, in: Maunz/ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 107; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 60; Pieroth/Schlink, Rdnr. 163; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 117, Rdnr. 9; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 262; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1335; zur Einordnung des Insolvenzverwalters als Beliehenen bereits oben Drittes Kapitel, A.II. 1. 265 Eine andere Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn das Finanzamt oder ein Sozialversicherungsträger Gläubiger einer Insolvenzforderung ist; so wäre ein Insolvenzantrag des Finanzamtes dann unzulässig, wenn von vornherein feststehen würde, dass eine die Kosten des Verfahrens deckende Insolvenzmasse nicht vorhanden ist. Denn in diesem Fall würde der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Ergebnis nur der Existenzvernichtung des Schuldners dienen. Er wäre daher unverhältnismäßig, vgl. BFH, ZInsO 2006, 603 ff. 266 Hierzu unten Fünftes Kapitel, B. IV. 267 Vgl. hingegen zur möglichen Unangemessenheit von öffentlich-rechtlichen Forderungen § 56 Abs. 1 S. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz. 268 Vgl. hierzu auch Jakobs, S. 165; Merten, in: FS Schambeck, S. 349 (378); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S: 313; ähnlich bereits Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157 (158 f.). 269 Hierzu Merten, FS Schambeck, S. 349 (364 f.). 270 Siehe hierzu statt aller Putzo, in: Thomas/ders., § 753, Rdnr. 13.

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beachten, daß die Vollstreckung einer privatrechtlichen Forderung nicht mehr allein die grundrechtsneutrale Ebene gleichgeordneter Rechtssubjekte betrifft, da hier hoheitlich ausgestattete Amtsträger tätig werden 271. Gleichwohl berührt die mit der Vollstreckung bezweckte Haftungsverwirklichung des Gläubigerrechts – sei sie auch staatlich verantwortet – nicht grundrechtliche Schutzbereiche des Schuldners. Dies gilt zunächst im Hinblick auf das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG. Die mit einem Vertrag eingegangene oder aus einer sonstigen schuldrechtlichen Verpflichtung herrührende Haftung hat zwar nachteilige Auswirkungen auf den Vermögensbestand des Schuldners. Sie berührt aber weder die Zuordnung konkreter Eigentumsgegenstände zu einem Rechtsträger noch schmälert sie die damit verbundene Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis 272. Es besteht daher vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 GG kein verfassungsrechtlich abgesichertes Recht auf Verschonung vor den mit schuldrechtlichen Verpflichtungen einhergehenden Haftungsfolgen. Darüber hinaus ist die Haftungsverwirklichung des Gläubigerrechts auch nicht am Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, selbst wenn die zwangsweise Haftungsverwirklichung zu Beeinträchtigungen des Berufes führen sollte. Die auf dem Regime des Privatrechts basierenden Haftungsfolgen treten unabhängig davon ein, ob ihre tatbestandlichen Voraussetzungen bei Ausübung des Berufes erfüllt werden oder nicht. Die mit staatlichem Zwang durchgesetzte Verwirklichung der Haftung stellt dementsprechend keine berufsspezifische Sanktion dar, sondern betrifft die Ausübung des Berufes lediglich mittelbar, soweit mit ihr nachteilige Auswirkungen für die Berufsausübung verbunden sein sollten. Da nachteilige Auswirkungen der Zwangsvollstreckung aber Berufstätige wie nicht Berufstätige gleichermaßen treffen können, fehlt es jedenfalls an der für einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG erforderlichen berufsregelnden Tendenz der Haftungsverwirklichung 273. Schließlich kommt auch eine Berufung des Schuldners auf seine allgemeine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als Ausfluß des Art. 2 Abs. 1 GG 274 nicht in Betracht. Der grundrechtlichen Garantie aus Art. 2 Abs. 1 GG kommt als Auffanggrundrecht gegenüber der spezielleren Berufs- und Eigentumsfreiheit lediglich dort eigeständige Bedeutung zu, wo nicht spezifisch berufs- oder unternehmensbezogene Tätigkeiten, sondern Formen rechtsgeschäftlichen Handelns insbesondere durch Vertrag in Rede stehen 275. Die Haftungsverwirklichung mittels staatlicher Zwangsmittel führt

271 Zum hoheitlichen Handeln der Vollstreckungsorgane Putzo, in: Thomas/ders., § 753, Rdnrn. 1, 15; Stöber, in: Zöller, § 753, Rdnr. 4. 272 Vgl. BVerfGE 95, 267 (301). 273 Vgl. hierzu BVerfGE 13, 181 (186); 52, 42 (54); 70, 191 (214); 95, 267 (302); 96, 375 (397). 274 Vgl. hierzu BVerfGE 8, 274 (328); 95, 267 (303). 275 Vgl. BVerfGE 10, 89 (99); 65, 196 (210); BVerwGE 71, 183 (189 f.); Badura, DÖV 1990, S. 353 (355); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 93; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 75 ff; Dreier, in: ders., Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 47.

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auf Schuldnerseite weder zur Behinderung der Privatautonomie noch zur Einschränkung unternehmerischer Initiativen. Vielmehr ist die Möglichkeit rechtsgeschäftlicher Bindung und die daran anknüpfende zwangsweise Durchsetzung der eingegangenen Verpflichtung gerade besonderer Ausdruck und Folge der individuellen Selbstbestimmung im Rechtsleben. Das Normenregime des Zivilrechts als „Garant privatrechtlicher Autonomie“ 276 könnte seine Wirkkraft nicht entfalten, würde es zwar die selbstbestimmte Bindung an Pflichten, jedoch nicht deren anschließende zwangsweise Durchsetzung ermöglichen. Die Vollstreckung ist somit nicht Einschränkung, sondern letzte Konsequenz privatautonomer Gestaltungsfreiheit und damit Ausdruck des der Privatautonomie inhärenten Gedankens von Chance und Risiko 277. Diese beiden äußeren Pole der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit implizieren sowohl die Möglichkeit, wirtschaftlich günstige Geschäfte abzuschließen, als auch das Recht, Verpflichtungen einzugehen, die die eigene Leistungs- und Zahlungsfähigkeit übersteigen. Soweit also Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit Bestandteile grundrechtlich gewährleisteter Freiheitsausübung darstellen, sind die an diese Freiheitsausübung anknüpfenden haftungsrechtlichen Folgen lediglich notwendige Konsequenz der Freiheitsausübung, nicht aber Einschränkung derselben. Folglich steht die mit dem Insolvenzverfahren einhergehende Haftungsverwirklichung der Gläubigerschaft nicht im Widerspruch zur wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Schuldners. b) Die Vollstreckung bei zivilrechtlichen Ungleichgewichtslagen Eine Einschränkung – auf einfachgesetzlicher Ebene – erfahren die zuvor dargelegten Grundsätze lediglich in den Fällen, in denen die rechtsgeschäftliche Bindung nicht Ausdruck selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Handelns, sondern vielmehr Konsequenz bestehender erheblich ungleicher Verhandlungspositionen der Vertragspartner ist. Kann ein Vertragsteil auf Grund seiner wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit den Vertragsinhalt faktisch einseitig diktieren, beruht die rechtsgeschäftliche Bindung nicht auf freiverantwortetem Entschluß. Das Bundesverfassunsgericht hat diese Fälle gestörter Vertragsparität einer „besonderen richterlichen Inhaltskontrolle“ unterzogen 278. Inwieweit die dabei vom Gericht ins Feld geführten verfassungsrechtlichen Argumente durchgreifen, mag vorliegend dahinstehen 279. Eine Lösung der vom Bundesverfassungsgericht unter dem Topos der „ge-

So Dreier, in: ders., Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 47. Zur gegenseitigen Bedingtheit von Chance und Risiko als Ausdruck wirtschaftlicher Freiheit bereits Merten, VersR 1980, S. 49 (55). 278 BVerfGE 89, 214 (232 f.); 103, 89 (100 f.). 279 Die vom Gericht unterstellte Berufung auf grundrechtliche Positionen erscheint im Verhältnis von Privatrechtssubjekten insgesamt als zweifelhaft; kritisch zur Rechtsprechung des Gerichts auch Isensee, in: FS Großfeld, S. 485 (498 ff., 503); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 338 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), S. 1 (35 f.). 276 277

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störten Vertragsparität“ erörterten Problemfälle läßt sich bereits auf einfachgesetzlicher Ebene herbeiführen. Namentlich den Nichtigkeits- und Anfechtungsvorschriften des materiellen Privatrechts sowie des Vollstreckungsrechts 280 hat die zivilrechtliche Judikatur eine Schutzfunktion beigemessen, die in der Rechtsanwendung einen Rückgriff auf verfassungsrechtliche Kategorien überflüssig macht 281. So ist in der zivilrechtlichen Rechtsprechung in Fällen von Täuschung, Drohung, Überrumpelung oder Knebelung eine Sittenwidrigkeit vertraglicher Vereinbarungen anerkannt 282. Im Bereich des Vollstreckungsrechts und daher auch im Bereich des Insolvenzrechts steht einer nachträglichen gerichtlichen Korrektur vertraglicher Vereinbarungen bereits der Grundsatz der Rechtskraft staatlicher Titel entgegen. Zudem wird den Bedürfnissen des Schuldners gemäß § 14 Abs. 1 InsO durch den Nachweis eines besonderen Rechtsschutzinteresses Rechnung getragen. Mit Hilfe dieses Kriteriums lassen sich Gläubigeranträge, welche ausschließlich sittenwidrige oder willkürlich schuldnerschädigende Ziele verfolgen 283, als unzulässig 284 abweisen. Hierdurch wird zugleich deutlich, daß die Behauptung, das Insolvenzantragsverfahren trage ausschließlich oder überwiegend den Belangen der Gläubigern Rechnung und verletzte daher Grundrechte des Schuldners 285, jedweder verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrt. Über den zuvor genannten einfachgesetzlichen Maßstab hinaus wirkt das Verfassungsrecht auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von privatrechtlichen Vereinbarungen – wie dargelegt 286 – mittelbar ein. Da die Verfassung jedoch lediglich eine rechtliche, nicht aber eine faktische Gleichordnung der Privatrechtssubjekte voraussetzt 287, kommt eine verfassungsrechtliche Nivellierung zivilrechtlicher Ungleichgewichtslagen und eine Aufhebung ungewöhnlich belastender Folgen eines Rechtsgeschäfts unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG 288 grundsätzlich nicht in Betracht 289. Hierzu näher Fastrich, RdA 1997, S. 65 (72). So auch der Hinweis von Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 342 f. 282 Vgl. BGHZ 44, 158 (161) – Knebelung; 125, 206 (217) – verwerfliche Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit; zuletzt BGH, ZIP 2002, 1395. 283 Zum rechtlichen Interesse eingehend Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 351. 284 So zu Recht Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 7.08. 285 So unter Verweis auf Art. 103 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG Roellenbleg, NZI 2004, S. 176 (180). 286 Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. 287 BGHZ 70, 313 (325); Rüfner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1, Rdnr. 193. Bleckmann, Staatsrecht II, § 10, Rdnr. 121, erkennt gegenläufige Tendenzen; vgl. zur rechtlichen Gleichordnung der Rechtssubjekte des weiteren auch BVerfG (Kammer), NJW 2001, 141 f. 288 So BVerfGE 81, 242 (255); 89, 214 (232); 103, 89 (101). 289 Gegen die Anwendung von Schutzpflichten im rechtsgeschäftlichen Bereich Hillgruber, AcP 191 (1991), S. 69 (85); Isensee, in FS Großfeld, S. 485 (498 ff.); ders., in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnrn. 113, 131; Zöllner, AcP 196 (1996), S.1 (11); ähnlich Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 175 f., 339 f.; Heun, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 34, Rdnr. 54, für den Gleichheitssatz; zwischen „liberalen“ und „sozialen Grundrechten“ differenzierend: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 161 ff. 280 281

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Daneben läßt sich eine Kompensation von Ungleichgewichtslagen verfassungsrechtlich allenfalls unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip begründen 290. Dieses verdichtet sich indes auch in Verbindung mit speziellen Grundrechtsvorschriften nicht zu konkreten Handlungsanweisungen des Gesetzgebers291. c) Die Vollstreckung geringwertiger Forderungen Vor dem Hintergrund der zuvor dargelegten Erwägungen besteht mit Blick auf die Haftungsverwirklichung des Gläubigerrechts für Überlegungen einer etwaigen Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung kein Raum. Im übrigen würde sich eine Rechtsordnung, welche den einzelnen Rechtsgenossen materiell-rechtliche Positionen zuordnete, deren Vollstreckung aber wegen angeblicher Disproportionalität ablehnte, den Vorwurf der Widersprüchlichkeit aussetzen und stünde folglich mit dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 292 nicht im Einklang. Daher kann der Vollstreckung einer zivilrechtlichen Forderung im Insolvenzverfahren nicht die unverhältnismäßige Geringwertigkeit des schuldnerischen Gegenrechts entgegengehalten werden. Vielmehr besteht der gegen den Staat gerichtete öffentlich-rechtliche Vollstreckungsanspruch unabhängig von Inhalt und Umfang der beizutreibenden Forderung. Ebenso geht die zum Konkursrecht vertretene Auffassung, die Durchführung des Verfahrens sei bei geringwertigen Forderungen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abzulehnen 293, fehl 294. Soweit der Staat von Verfassung wegen verpflichtet ist, ein Verfahren zur Verwirklichung materiellrechtlicher Positionen zur Verfügung zu stellen, kann er den Zugang zu diesem Verfahren nicht von einer bestimmten Forderungshöhe abhängig machen. Auf Grund des bestehenden Selbsthilfeverbots liefe sonst die Haftungsverwirklichung geringfügiger Forderungen in vielen Fällen leer. Im übrigen stehen einer Abweisung des Antrages in solchen Fällen auch verfahrenspraktische Überlegungen entgegen. Soweit nämlich der Schuldner bereits zur Begleichung geringfügiger Forderungen

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 273. Hierzu eingehend unten Fünftes Kapitel, B. II. 1. b); näher Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 270 ff. 292 Hierzu Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rdnrn. 288 f.; zu vergleichbaren Ansätzen auf dem Gebiet des Steuerrechts BVerfGE 98, 106 (117 ff.); zum Erfordernis eines staatlichen Schuldenregulierungsverfahrens als Folge der gewährleisteten Privatautonomie Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 5.01. 293 So OLG Hamburg, MDR 1973, 415 f.; LG Braunschweig, Rpfleger, 1977, 140; LG Bremen, Rpfleger, 1972, 27 f.; LG Mannheim, BB 1976, 1051; ebenso Jäger/Weber, § 103, Rdnr. 6. 294 Ebenso auch die überwiegend vertretene Auffassung, vgl. BGH, WM 1986, 652; OLG Köln, ZInsO 2000, 43, 44; LG Mannheim, MDR 1986, 246; LG Köln, MDR 1986, 507; LG Berlin, Rpfleger 1992, 173; Adam, S. 22; Goetsch, in: Berliner Kommentar, § 14, Rdnr. 12; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 7.08; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, §14, Rdnr. 17; Pape, in: Kübler/Prütting, § 14, Rdnr. 11; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 58; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 39; Uhlenbruck, in: ders., § 14, Rdnr. 7. 290 291

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nicht in der Lage ist, besteht ein gesteigerter Verdachtsgrad für die Annahme der Insolvenz 295. d) Sonstige Verhältnismäßigkeitserwägungen Des weiteren begegnet auch die in der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung sowie im Schrifttum vertretene Auffassung, wonach das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfalle, wenn dem Gläubiger ein einfacherer, schnellerer und billigerer Weg zur Befriedigung seiner Forderung, insbesondere im Wege der Einzelzwangsvollstreckung, zur Verfügung steht 296, verfassungsrechtlichen Zweifeln. Soweit der Insolvenzfall eingetreten ist und der Gläubiger dies mit den gesetzlich vorgeschriebenen Mittel glaubhaft machen kann, besteht für ihn – wie festgestellt 297 – ein verfassungsrechtlich begründeter Anspruch auf Durchführung eines Verfahrens gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung. Der Verweis auf die Einzelzwangsvollstreckung würde aus Gläubigersicht eine zusätzliche verfahrensrechtliche Hürde und im Regelfall eine bloße Zeitverzögerung darstellen. Diesem beträchtlichen Nachteil auf Gläubigerseite korrespondiert kein entsprechender Vorteil auf Schuldnerseite. Die These, die Einzelzwangsvollstreckung stelle für den Schuldner das mildere Mittel dar 298, entbehrt einer rechtlich fundierten Grundlage. Zwar verliert der Schuldner durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. Insoweit werden in verfassungskonformer Weise Inhalt und Schranken des schuldnerischen Eigentums näher bestimmt 299. Dieser rechtliche und wirtschaftliche Nachteil wird allerdings durch die Aussicht, innerhalb eines abzusehenden Zeitrahmens sämtlicher Schulden ledig zu werden, kompensiert. Vor diesem Hintergrund bedarf es für die Zulassung des Insolvenzantrages nicht des Nachweises seitens des Gläubigers, daß eine Beitreibung der Forderung im Wege der Einzelzwangsvollstreckung nicht zum Erfolg führen würde 300. Die seit Einführung der Insolvenzordnung von vielen Schuldnern freiwil-

295 Ebenso Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 58; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 39; Uhlenbruck, in: ders., § 14, Rdnr. 7. 296 So OLG Schleswig, NJW 1951, 119 f.; OLG Köln, ZIP 1989, 789, 791; LG Würzburg, BB 1984, 95; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 31; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnr. 14; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 48; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 14, Rdnr. 18. 297 Hierzu oben Zweites Kapitel, A. 298 Vgl. Sondervotum Böhmer zu BVerfGE 49, 220, ebd., S. 228 ff., der sich für eine umfassende Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Vollstreckungsrecht ausspricht. 299 So BVerfGE 51, 405 (408); BVerfG (Kammer), NJW 1993, 513; ebenso mit Blick auf Art. 1 zum 1. Zusatzprotokoll zur EMRK nunmehr EGMR, Urteil vom 17.07.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 69 f. – Luordo ./. Italien mit Anm. von Vogl, EWiR 2003, S. 1135 f. 300 So zu Recht die weit überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, vgl. LG Göttingen, ZIP 1993, 446, 447; LG Bonn, ZIP 2001, 342, 345; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 32; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnrn. 19, 23;

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lig herbeigeführten Auswirkungen des Insolvenzverfahrens 301 belegen die Vorteilhaftigkeit des Insolvenzverfahrens aus Schuldnersicht. Zutreffender Weise wird daher das Insolvenzverfahren als aliud und nicht als schonenderes Äquivalent zur Einzelzwangsvollstreckung bezeichnet 302. Diese Feststellung gilt unabhängig von der Frage, ob der Gläubiger bereits über eine titulierte Forderung verfügt oder nicht. Allein die Inhaberschaft eines Titels erhöht die Erfolgsaussichten für die Einzelzwangsvollstreckung nicht. Daher kann auch eine nicht titulierte Forderung Grundlage eines Insolvenzantrages sein, soweit der Gläubiger die Forderung mit den gebotenen verfahrensrechtlichen Mitteln schlüssig darlegt 303. Erst recht genügt das Vorliegen einer lediglich vorläufig vollstreckbaren Forderung für die Einleitung des Insolvenzeröffnungsverfahrens auch dann, wenn von der Existenz der Forderung das Vorliegen des Insolvenzgrundes abhängt. Entgegen der überwiegenden Rechtsprechung 304 bedarf es in diesen Fällen nicht des vollen Nachweises vom Bestehen der Forderung. Die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit stellen den sachgerechten Ausgleich zwischen den Belangen des vollstreckenden Gläubigers, welcher bereits vor einer staatlichen Instanz obsiegte und den Schutzinteressen des Schuldners, der bis zum Eintritt der Rechtskraft eine Abänderung der getroffenen Entscheidung erwirken kann, dar. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dabei zu berücksichtigen, daß das Eigentumsrecht des Gläubigers auf eine möglichst effektive, insbesondere zeitnahe Verwirklichung dringt 305. Demgegenüber findet das Recht des Schuldners, eine weitere Instanz anzurufen, lediglich nach Maßgabe des einschlägigen Verfahrensrechts, nicht jedoch von Verfassung wegen eine Gewährleistung 306. Für die vorläufige Vollstreckbarkeit streiten daher die aus dem Eigentumsrecht fließenden Garantien des Gläubigers. Diese verfassungsrechtliche Garantie wird entwertet, wenn man mit der Rechtsprechung die im Ergebnis nicht mögliche volle Überzeugung des Insolvenzgerichts vom Bestand der Forderung forderte. Der Schuldner kann in diesem Fall durch die Einlegung von Rechtsmitteln den Abschluß des Prozesses in der Regel um mehrere Jahre hinauszögern. Es besteht daher eine erhebliche Gefahr, daß der Gläubiger etwaige, noch vorhandene BefriedigungsmögSchmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 49; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 14, Rdnr. 18; Uhlenbruck, in: ders., § 14, Rdnr. 10. 301 Vgl. hierzu AG München, ZInsO 2002, 994 ff. 302 Gerhardt, ZZP 95 (1982), S. 467 (486 f.); Lepa, S. 123. 303 OLG Celle, NZI 2000, 214, 216; LG Göttingen, ZIP 1992, 572, 573; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 57; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnr. 9; Pape, in: Kübler/Prütting, § 14, Rdnr. 5; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 14, Rdnr. 31, 33. 304 BGH, ZIP 1992, 947, 948; ZIP 2006, 247; OLG Frankfurt a. M., KTS 1973, 140, 141; OLG Hamm, ZIP 1980, 258, 259; OLG Köln, ZIP 1988, 664, 665; ZIP 1989, 789, 790; NZI 2000, 174, 175; ZInsO 2002, 772, 774; ebenso Goetsch, in: Berliner Kommentar, §14, Rdnr.26; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnr. 12. 305 Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. IV. 1. 306 BVerfGE 4, 74 (95 f.); 11, 232 (233); 28, 21 (36); 45, 363 (375); 65, 76 (90); 78, 7 (19); 87, 48 (61); 92, 365 (410); Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art.19, Rdnr. 480; Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rdnrn. 58 f.

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lichkeiten verliert. Durch das von der Rechtsprechung postulierte Erfordernis des vollen Nachweises vom Bestehen der Forderung wird dem Gläubiger die Vollstrekkung im Wege des Insolvenzverfahrens faktisch vorenthalten. Da zum vollen Nachweis der Forderung die Erhebung von Beweisen erforderlich ist, diese indes im Rahmen des Insolvenzprüfungsverfahrens nicht möglich ist, ist das zur Entscheidung berufene Insolvenzgericht gezwungen, die Klärung der Sachlage dem ordentlichen (Zivil-) Prozeßverfahren zu überlassen 307. Dieser Verweis auf den Zivilprozeß führt nicht nur zu einer weiteren Verzögerung der Haftungsverwirklichung, sondern im Regelfall zu einem vollständigen Ausfall der Befriedigungsmöglichkeit. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung genügt es folglich, wenn die Forderung durch Vorlage eines vorläufig vollstreckbaren Urteils glaubhaft gemacht wird. Des vollen Beweises vom Bestand der Forderung bedarf es nicht 308. Der Schuldner wird auf Grund der zuvor vertretenen Rechtsauffassung nicht in unzumutbarer Weise schutzlos gestellt. Ihm stehen gegen den Gläubiger in Fällen unzulässiger oder unbegründeter Gläubigeranträge Schadensersatzansprüche wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB), wegen kreditgefährdender Behauptungen (§ 824 BGB) und wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung zu 309. 2. Die Geltung des Übermaßverbotes bei insolvenzgerichtlichen Zwangsmaßnahmen Die zuvor getroffenen Feststellungen entbinden das Insolvenzgericht jedoch nicht von der Pflicht, jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die mit der Haftungsverwirklichung verbundenen mittelbaren Folgen für den Schuldner eine unzumutbare Härte darstellen. Unterliegt die Zulassung eines Insolvenzantrages selbst nicht den Kriterien des Übermaßes, so können die der Zulassung nachfolgenden staatlichen Maßnahmen zu Eingriffen in Grundrechte des Schuldners führen. Sie sind daher am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Hierbei können insbesondere dann, wenn die staatlichen Zwangsmaßnahmen zu einer vollständigen Einstellung der Erwerbstätigkeit des Schuldners führen, die berufs- und eigentumsbezogenen Grundrechte betroffen sein. Zwar fehlt den im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu treffenden Zwangsmaßnahmen, da sie nicht unmittelbar auf die Berufsausübung gerichtet sind, in der Regel die für einen mittelbaren

307 BGH, ZIP 1992, 947, 948; ZIP 2002, 1695, 1696; ZIP 2006, 247; OLG Köln, ZIP 1989, 789, 790; NZI 2000, 174, 175; ZInsO 2002, 772, 774; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 21. 308 Ebenso Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnrn. 65 f. 309 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 7.09 b; vgl. auch BGHZ 74, 9 (13); 118, 201 (206); OLG Düsseldorf, ZIP 1994, 479; zu erwägen wäre darüber hinaus eine allgemeine Risikohaftung des Gläubigers gemäß § 4 InsO in Verbindung mit §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Eingriff in die Berufsfreiheit zu fordernde Intensität 310. Jedoch kann insbesondere in Fällen, in denen die Durchführung des Insolvenzverfahrens zur vollständigen Einstellung der Erwerbstätigkeit des Schuldners führt, sowohl die Berufsfreiheit als auch die Eigentumsgarantie betroffen sein. Darüber hinaus führen die in der Vorschrift des § 21 Abs. 2 InsO genannten Zwangsmaßnahmen zu mannigfaltigen Eingriffen in verschiedene Grundrechtspositionen (Art. 2 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 GG). Soweit diese Schutzbereiche berührt werden, muß sich die in Rede stehende insolvenzrechtliche Zwangsmaßnahme zugleich an den Kriterien des Übermaßverbotes messen lassen. Keine Anwendung findet das Übermaßverbot hingegen in den (verfahrenspraktisch bedeutsamen) Fällen, in welchen der Schuldner unter Berufung auf die als Folge einer Verfahrenseröffnung zu erwartenden erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung eine Zulassung des Gläubigerantrages durch das Gericht verhindern will 311. Im Gegensatz zu dem im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung gewährten Räumungsschutz bei erheblicher Suizidgefahr 312, wird durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – auch bei entsprechender gesundheitlicher Disposition des Schuldners – nicht in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eingegriffen. Keiner weitergehenden Erörterung bedarf in diesem Zusammenhang die Feststellung, daß das Insolvenzgericht mit der Verfahrenseröffnung eine Gefährdung der schuldnerischen Gesundheit weder anstrebt noch als Nebenfolge in Kauf nimmt; ein für einen Grundrechtseingriff grundsätzlich erforderliches finales Handeln des Gerichts mithin nicht vorliegt. Darüber hinaus erscheint es auch unter Berücksichtigung der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten hochrangigen Rechtsgüter nicht angezeigt, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedenfalls als faktische Beeinträchtigung des Schuldners in seinen vitalen Belangen zu würdigen313. Die Anforderungen, welche an einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit zu stellen sind, bedürfen der Differenzierung im Hinblick auf die Intensität der jeweiligen Berührung des Schutzgutes 314. Dabei ist insbesondere auch der Schutzzweck des Grundrechtes zu berücksichtigen 315. Der Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zielt 310 BVerfGE 13, 181 (186); 24, 236 (251); 34, 252 (256); 47, 1 (21f.); 97, 228 (253 f.); BVerwGE 71, 183 (193); 87, 37 (43 f.); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 43; Pieroth/ Schlink, Rdnr. 823; Tettinger, in: Sachs, Art. 12, Rdnr. 73; hierzu eingehend unten Viertes Kapitel, A. III. 3. b). 311 Vgl. hierzu Gerhardt, ZZP 95 (1982), S. 467 (484); Uhlenbruck, in: ders., § 14, Rdnr. 40. 312 Vgl. BVerfGE 52, 214 (220); 84, 345 (348); BVerfG (Kammer), NJW 1991, 3207; (Kammer) NJW 1994, 1719 f.; (Kammer) NJW 1998, 295, 296 (Kammer); Rpfleger 2005, 614 ff.; BGH, FamRZ 2006, 265 f.; Rpfleger 2006, 149 f.; siehe hierzu auch Schuschke, NJW 2006, S. 874 ff. 313 Vgl. zur erhöhten Betroffenheit als Kriterium eines faktischen Eingriffs in den Schutzbereich Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S. 373 (381); Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 152, Rdnr. 80; Lübbe-Wolff, S. 191; Scherzberg, DVBl. 1989, S. 1128 (1136); Stern, Staatsrecht III/1, S. 1207. 314 Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 65. 315 Vgl. BVerwGE 71, 183 (192 ff.); 87, 37 (45).

C. Das Übermaß- und das Untermaßverbot im Insolvenzfall

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auf einen Schutz vor Beeinträchtigung der Gesundheit im biologischen-physiologischen Sinne 316. Durch diese Gewährleistung wird das körperliche Dasein des Menschen als vitale Basis der Menschenwürde staatlichen Eingriffen grundsätzlich entzogen 317. Auf Grund dieser engen sachlichen Verbindung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit mit der Menschenwürde wird deutlich, daß lediglich sozialadäquate und in ihrer Wirkung unerhebliche oder geringfügige staatliche Maßnahmen den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht berühren können 318. Erforderlich für den Eingriff in den Schutzbereich ist vielmehr, daß die in Rede stehende staatliche Maßnahme bei objektiver Betrachtungsweise ihrer spezifischen Natur nach geeignet ist, unmittelbar schmerzhafte oder schmerzgleiche Wirkungen beim Grundrechtsträger hervorzurufen 319. Im Gegensatz zur Räumungsvollstrekkung, die dem Schuldner den räumlichen Lebensmittelpunkt und damit eine elementare Sphäre seiner Persönlichkeitsentfaltung 320 entzieht, sind die mit der Insolvenzverfahrenseröffnung verbundenen Benachteiligungen des Schuldners überwiegend lediglich auf die vermögensrechtliche Situation des Schuldners bezogen321. Die mit dem Insolvenzverfahren verbundene Verwertung des schuldnerischen Vermögens stellt eine rechtstypische, sozialadäquate und für das Funktionieren des Rechtsverkehrs sowie der geltenden Wirtschaftsordnung unentbehrliche Belastung der schuldnerischen Sphäre dar. Als solche ist ihr grundsätzlich nicht die für einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erforderliche Intensität beizumessen. Könnte der Schuldner unter Berufung auf seine gesundheitliche Disposition die Haftungsverwirklichung des Gläubigers abwehren, hätte dies kaum übersehbare Auswirkungen für die Effektivität des Vollstreckungssystems und für die gesamte kreditwirtschaftliche Praxis zur Folge. Eine andere Beurteilung ist lediglich in den Fällen geboten, in denen die mit dem Insolvenzverfahren verbundenen Vollstreckungsmaßnahmen den engsten Lebensbereich des Schuldners betreffen. Dies gilt beispielsweise für die auf Grundlage des § 148 Abs. 2 InsO erfolgende Räumung der schuldnerischen Privatwohnung oder für die gemäß § 98 Abs. 2 InsO zulässige zwangsweise Vorführung des Schuldners mit anschließender Haft. Insoweit kann der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch durch die nicht fernliegende Gefahr einer schwerwiegenden gesundheitlichen Schädigung tangiert sein 322. Vor diesem Hintergrund wird im insolvenzrechtlichen Schrifttum für die beschriebenen Fallgestaltungen auf eine entsprechende Anwend-

316 BVerfGE 56, 54 (73); Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 65; Lorenz, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VI, § 128, Rdnr. 16 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 2, Rdnr. 177. 317 Vgl. BVerfGE 39, 1 (24). 318 BVerfGE 17, 108 (115); BVerwGE 46, 1 (7); 54, 211 (223). 319 So Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 66. 320 Hierzu BVerfGE 51, 97 (110); 89, 1 (6, 12). 321 Hierauf weist Uhlenbruck, in: ders., § 14, Rdnr. 40, zu Recht hin. 322 BVerfGE 49, 89 (141 f.); 51, 324 (347); 52, 214 (220); Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 68; Lorenz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 128, Rdnr. 32.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

barkeit des § 765 a ZPO verwiesen 323. Durch diesen spezifischen Vollstreckungsschutz wird den Erfordernissen des Übermaßverbotes auf einfachgesetzlicher Ebene bereits Rechnung getragen.

II. Die Geltung des Untermaßverbotes im Insolvenzfall Besteht für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Verhältnis zwischen Privaten kein Anwendungsbereich, kann es gleichwohl keinen Zweifeln unterliegen, daß Störungen der Grundrechtssphäre auch von privaten Dritten erfolgen können. Soweit die Gläubigerschaft beispielsweise eine Stillegung des schuldnerischen Betriebes beschließt, stehen unmittelbare Auswirkungen dieser Entscheidung auf das Eigentumsrecht des Schuldners außer Zweifel. Aus dem den Grundrechten immanenten Handlungsauftrag staatlicher Organe, sich schützend und fördernd vor das betroffene Grundrechtsgut zu stellen 324, folgt in solchen Fallkonstellationen in Umkehrung des Übermaßverbotes ein an die staatlichen Organe gerichtetes Gebot, beim Ausgleich kollidierender Grundrechtsgüter eine untere Schutzgrenze, ein Untermaß 325, nicht zu unterschreiten. Da die staatliche Schutzpflicht im Verhältnis zum nichtstaatlichen Störer nicht verfassungsunmittelbar wirkt, sondern der (einfachrechtlichen) Gesetzesmediatisierung bedarf 326, um auf ihrer Grundlage Eingriffe von dritter Seite in das grundrechtliche Schutzgut zu unterbinden, ist primär der Gesetzgeber aufgerufen, auf der Grundlage eines Schutzkonzeptes ein Schutzminimum sicherzustellen. Er hat daher in Anerkennung des Untermaßgedankens geeignete, das heißt schutztaugliche, Maßnahmen zu treffen, die unter Abwägung der entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen hinlänglichen Schutz versprechen 327. Eine Verletzung des Untermaßverbotes kommt demnach dann in Betracht, wenn (1.) keine – auch bei abstrakter Betrachtungsweise 328 – dem Schutz des Individualrechtes dienende Maßnahmen getroffen wurden, wenn (2.) Mittel zur Verfügung stehen, welche einen besseren Schutzstandard versprechen, ohne zugleich stärker in Rechte Dritter einzugreifen, oder wenn (3.) die Hinnahme des verbleibenden Gefahrenrisikos bei Abwägung mit entgegenstehenden privaten und öffentli323 Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 23; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnr. 17; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 59; ähnlich bereits OLG Celle, ZIP 1981, 1105. 324 Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, C. II. 325 Zum Untermaßverbot grundlegend Calliess, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 44, Rdnr. 6; Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (228); Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnrn. 165 f., 232; Jarass, in: AöR 110 (1985), S. 363 (383 ff.). Der Begriff findet sich auch bei BVerfGE 88, 203 (254). 326 Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 117, Rdnrn. 151 f.; H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (491); Stern, Staatsrecht III/1, S. 951. 327 Enders, in: Berliner Kommentar, Vorbem. Art. 1, Rdnr. 133; Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (28 f.); Möstl, DÖV 1998, S.1029 (1038 f.); vgl. auch BVerfGE 56, 54 (81); 77, 381 (405); 79, 174 (202); 88, 203 (262 f.). 328 Hierzu Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (28).

C. Das Übermaß- und das Untermaßverbot im Insolvenzfall

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chen Interessen nicht zumutbar ist 329. Da sich jedoch der Schutzpflichtanspruch gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers erst realisieren läßt, wenn Exekutive oder Judikative auf der Basis des vorhandenen Normenbestandes im Wege zulässiger Rechtsanwendung nicht bereits ein hinreichendes Schutzniveau zu erfüllen vermögen 330, bedarf es stets der vorrangigen Prüfung, inwieweit das vorhandene Recht – gegebenenfalls im Wege einer schutzpflichtkonformen Auslegung – den Interessen des Grundrechtsträgers gerecht werden kann. Daher sind im Insolvenzfall Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter gleichermaßen aufgerufen, in ihrem Aufgabenbereich Schutzpflichten zu verwirklichen. Das Insolvenzgericht hat grundrechtliche Schutzpflichtgehalte bei der Anwendung und Auslegung des Insolvenzrechts zu berücksichtigen und – falls erforderlich – auch lückenschließend und rechtsfortbildend tätig zu werden. Schranken dieses Verfassungsauftrages ergeben sich lediglich durch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung331. Der Insolvenzverwalter hat in besonderer Weise schutzbezogene Normen zu beachten und zu vollziehen sowie bei der Anwendung des Rechts und der Ausübung der ihm eingeräumten Ermessensspielräume die grundrechtlichen Positionen der Beteiligten zu berücksichtigen. Gleichwohl gilt es auch für die Anwendung des Schutzpflichtgedankens auf die im Insolvenzfall auftretenden Fallkonstellationen zu bedenken, daß sich Gläubiger und Schuldner in der Regel auf der Ebene der Gleichordnung gegenüberstehen. Störungen im Bereich der Gläubiger-Schuldner-Beziehung sind daher vornehmlich durch die Äquivalenz des grundrechtlichen Schutzbedürfnisses von Gläubigern und Schuldnern gekennzeichnet. Zwischen Störer und Beeinträchtigtem besteht kein Verhältnis einseitiger Rechtfertigungslast wie in der Vertikalbeziehung von Staat und Bürger. Der Gehalt und die Reichweite einer etwaigen grundrechtlichen Schutzpflicht können daher grundsätzlich lediglich in einem Prozeß der Abwägung zweier kollidierender Grundrechtspositionen ermittelt werden332. In den Abwägungsprozeß sind die Gewichtigkeit der beteiligten Grundrechte, die Gefahrenintensität und das Ausmaß der Beeinträchtigung sowie die Angewiesenheit auf staatlichen Schutz als maßgebliche Kriterien einzustellen333. Soweit die zuvor beschriebenen Überlegungen uneingeschränkte Geltung für das grundsätzlich bestehende Verhältnis der Gleichordnung von Schuldner und Gläubiger beanspruchen können, greifen sie indes dann zu kurz, wenn der Gläubigerschaft anstelle der sonst zuständigen staatlichen Organe verfahrensbestimmende Entschei-

329 Zu den Anforderungen an das erforderliche Schutzniveau im Einzelnen Calliess, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 44, Rdnr. 31; Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (28 ff.); Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1038 f.). 330 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 117, Rdnr. 153; Lerche, in: FS Odersky, S. 215 (229); Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1036). 331 Vgl. BVerfGE 89, 276 (286); 96, 56 (62 f.). 332 Vgl. Hesse, in: FS Mahrenholz, S. 541 (546, 556); Klein, DVBl. 1994, S. 489 (492). 333 Vgl. BVerfGE 49, 89 (142); Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 117, Rdnr. 90; Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1036).

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

dungsbefugnisse überantwortet werden. Mit dem Ziel der Deregulierung des Verfahrens hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung die Entscheidung über den Ablauf des Verfahrens vielfach der Gläubigerschaft übertragen 334. Motivationsgrundlage für diese gleichsam als „Verfahrensprivatisierung“ zu qualifizierende Aufgabenübertragung ist das reformbestimmende Anliegen der Insolvenzordnung, zur Gewährleistung einer möglichst marktkonformen Insolvenzabwicklung die Autonomie der Gläubigerschaft zu stärken. Daher treten verfahrensbestimmende Entscheidungen der Gläubiger(-mehrheit) nunmehr weitgehend an die Stelle der sonst erforderlichen insolvenzgerichtlichen Beschlüsse und Verfügungen 335. Soweit durch diese Entscheidungen Rechte des Schuldners tangiert werden, ist es für diesen ohne Belang, von wem diese Entscheidungen verantwortet wurden. Die im Hinblick auf seine grundrechtlich verbürgten Positionen (Art. 12, 14 GG) bestehende Gefährdungslage ist unabhängig vom jeweils zur Entscheidung berufenen Verantwortungsträger. Sollen grundrechtliche Schutzlücken vermieden werden, muß daher bei Entscheidungen der Gläubigerschaft ein grundrechtliches Schutzniveau gewährleistet werden, wie es auch beim Handeln staatlicher Organe bestünde 336. Insoweit sind die im Insolvenzverfahren beteiligten staatlichen oder halbstaatlichen Organe (Insolvenzgericht/Insolvenzverwalter) aufgerufen, im Rahmen der ihnen obliegenden grundrechtlichen Schutzpflicht einen solchen grundrechtlichen Schutzstandard sicherzustellen, wie er auch bestehen würde, wenn sie selbst handelten. Die Schutzpflicht muß folglich einem dem grundrechtlichen Abwehrrecht in der Vertikalbeziehung von Staat und Bürger vergleichbaren Schutzstandard entsprechen 337.

D. Der Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention Grundrechtsschutz vollzieht sich im politischen und rechtlichen Mehrebenensystem Europas nicht bloß auf der grundgesetzlichen, sondern zugleich auch auf der völkerrechtlichen Rechtsebene. Eine Arbeit, die sich der Grundrechtsgeltung im Insolvenzfall widmet, hat daher auch die völkerrechtlichen Implikationen des Grundrechtsschutzes zu berücksichtigen 338. Wachsende Bedeutung für die Rechtsordnung Hierzu Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 72 f. Hierzu im einzelnen unten Fünftes Kapitel, B. I. 1. 336 Zur vergleichbaren Gefahr der Entstehung grundrechtlicher Schutzlücken im Zuge der Privatisierung des Post- und Telekommunikationswesens Hermes, in: Dreier, Art. 10, Rdnr. 74; Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 87 f, Rdnrn. 30, 67; Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 10, Rdnrn. 14 f.; Pieroth/Schlink, Rdnr. 763. 337 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 117, Rdnr. 117; H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (496); Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1036). 338 Der Schutz der Grundrechte auf Gemeinschaftsebene soll vorliegend ausgeklammert bleiben. Als Rechtserkenntnisquelle zieht der EuGH vornehmlich die Menschenrechtskonvention und die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten heran, was nunmehr auch durch Art. 6 Abs. 2 EU vorgegeben ist, vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 29.05.1997, Rs. 334 335

D. Der Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention

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der Bundesrepublik im allgemeinen wie für das Grundrechtsverständnis im besonderen entfaltet die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 339. Die Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den alle Mitgliedstaaten des Europarates gezeichnet und ratifiziert 340 haben.

I. Die Bedeutung der Menschenrechtskonvention im deutschen Recht Die dogmatische Einordnung der Menschenrechtskonvention als völkerrechtlicher Vertrag hat für ihre Stellung in der deutschen Rechtsordnung zwei entscheidende Konsequenzen: Zum einen hat die Menschenrechtskonvention ebenso wie alle anderen völkerrechtlichen Verträge, die gemäß Art. 59 Abs. 2 GG vom Gesetzgeber geschaffen worden sind, nach allgemeiner Auffassung in der deutschen Rechtsordnung lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes 341. Zum anderen ist die Menschenrechtskonvention nicht Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts 342. Zwar finden sich in der völkerrechtlichen Literatur veschiedenen Stimmen, die eine Funktion der Menschenrechtskonvention als verfassungsfester Kontrollmaßstab für Akte der deutschen hoheitlichen Gewalt befürworten 343. Dies haben das Bundesverfassungsgericht und – ihm folgend – die überwiegend vertretene Auffassung im Schrifttum bislang jedoch abgelehnt. Gleichwohl haben auch die Karlsruher Richter ausdrücklich klargestellt, daß im Zweifel die Grundrechte des Grundgesetzes nicht nur im Einklang mit der Menschenrechtskonvention, sondern auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen

C-299/95 (Kremzow ./. Republik Österreich), Slg. 1997, I-2629, Ziff. 14. Die Relevanz eines gemeischaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes dürfte vor dem Hintergrund der Günstigkeitsklausel aus Art.II-53 EU-Verfassungsentwurf (in der Fassung von Thessaloniki, abgedruckt in: EuGRZ 2003, S. 357 [373]) tendentiell weiter an Bedeutung verlieren; zur Tragweite dieser Vorschrift siehe auch Grabenwarter, DVBl. 2001, S. 1 (2). 339 Vom 04.11.1950. 340 Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention durch Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 07.08.1952 (BGBl. II S. 685; Inkrafttreten der Konvention für die Bundesrepublik Deutschland gemäß Bekanntmachung vom 15.12.1953 [BGBl. 1954 II S. 14] am 03.09.1953; Neubekanntmachung am 17.05.2002 [BGBl. II S. 1054] in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls) ratifiziert. 341 Vgl. BVerfGE 6, 389 (449); 19, 342 (347); 22, 254 (265); 25, 327 (331); 35, 311 (320); 41, 88 (105); 74, 358 (370); 82, 106 (114/120); 111, 307 (317); BVerwGE 94, 35 (48 ff.); 100, 287 (296); 110, 203 (205); Frowein, in: ders./Peukert, Einf., Rdnr. 6; ders., in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 180, Rdnr. 5; v. Münch, in: ders./Kunig, Vorb. Art. 1–19, Rdnr. 80; Stern, Staatsrecht III/2, S. 1625. 342 So BVerfGE 10, 271 (274); 34, 384 (395); 41, 88 (105 f.); 41, 126 (149); 64, 135 (157); 74, 102 (128); 111, 307 (317); BVerfG (Kammer), EuGRZ 2004, 317, 318; ebenso Frowein, in: FS Zeidler, S. 1763 (1771 f.); Stern, Staatsrecht III/2, S. 1627. 343 So etwa Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 149 (153); Frowein, in: FS Zeidler, S. 1763 (1773 f.); Pieck, S. 5.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

seien 344. Auf diese Weise versucht das Gericht, zu einer Harmonie und letztlich zu einer Übereinstimmung der nationalen und der internationalen Grundrechtsordnungen zu kommen.

II. Die Verfahrensgarantien der Menschenrechtskonvention im Insolvenzfall 1. Das Verhältnis von Menschenrechtskonvention zum Insolvenzverfahren Auch das Verhältnis der Menschenrechtskonvention zur Insolvenzordnung wird in besonderer Weise durch deren Rechtscharakter als völkerrechtlicher Vertrag gekennzeichnet. Grundsätzlich gilt im Verhältnis des völkerrechtlichen Vertrages zu anderen Bundesgesetzen, daß die spätere Norm der früheren vorgeht 345, es sei denn, der Vertrag oder das spätere innerstaatliche Recht setzen ausdrücklich eine Fortgeltung des Vertragsrechts fest. Entsprechend dieser lex-posterior-Regel gehen grundsätzlich die Vorschriften der später in kraft getretenen Insolvenzordnung den Garantien der Menschenrechtskonvention vor. Dieser Grundsatz kann freilich nicht mehr als eine bloße Faustformel sein. Vielmehr gilt auch für das Verhältnis von Menschenrechtskonvention und innerstaatlichem Recht, daß eventuell auftretende inhaltliche Widersprüche möglichst durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des deutschen Rechts zu vermeiden oder aufzulösen sind. Daher ist, wenn eine innerstaatliche Rechtsnorm mehrere Deutungen zuläßt, im Zweifel die Auslegung vorzuziehen, in der sie in möglichst weitgehende Übereinstimmung mit dem Vertragsinhalt gebracht wird 346. Im Übrigen kann auch nicht unterstellt werden, daß der deutsche Gesetzgeber sich über Vertragsrecht hinwegsetzen oder eine Vertragsverletzung bewußt in Kauf nehmen möchte 347. Durch eine konventionskonforme Auslegung zeitlich nachfolgenden innerstaatlichen Rechts werden die rigiden Folgen der lex-posterior-Regel erheblich gemildert. 344 BVerfGE 74, 358 (370); 82, 106 (114/119 f.); 83, 119 (128); BVerwGE 94, 35 (94 ff.); 100, 287 (296); dazu eingehend Kirchhof, EuGRZ 1994, S. 16 (31 ff.); Schlette, RFDC 1996, S. 747 (751 f.); Sommermann, AöR 114 (1989), S. 391 (410 ff., 417 ff.); Tomuschat, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VII, § 172, Rdnrn. 27 ff.; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25, Rdnrn. 32 ff.; einschränkend nunmehr BVerfGE 111, 307 (320 ff.); hieran anknüpfend BVerfG (Kammer), DVBl. 2005, 761 ff.. 345 Bernhardt, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 174, Rdnr. 29; Tomuschat, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VII, § 172, Rdnr. 35; allg. Grabenwarter, § 3, Rdnr. 11; Grupp/Stelkens, DVBl. 2005, S.133 (134); Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 120, Rdnr. 21; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, Art 59, Rdnr. 37. 346 Deiseroth, DVBl. 1998, S. 116 (121); Schumann, in: FS Schwab, S. 449 (460 f.); Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VII, § 172, Rdnr. 27; vgl. auch BVerwGE 75, 285 (288 f.); 89, 296 (301); 92, 116 (118 f.). 347 BVerfGE 74, 358 (370); BVerwGE 110, 203 (210 ff.); Schumann, in: FS Schwab, S. 449 (455).

D. Der Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention

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Darüber hinaus gilt es zu bedenken, daß der frühere Vertrag einem späteren nationalen Gesetz auch dann vorgehen kann, wenn er die speziellere Regelung enthält, denn die lex-posterior-Regel setzt den allgemein geltenden Grundsatz lex specialis derogat legi generali nicht außer Kraft 348. Für das Verhältnis von Menschenrechtskonvention und Insolvenzordnung folgt hieraus, daß die Garantien der Konvention grundsätzlich auch vom Insolvenzpraktiker zu beachten sind. Die Menschenrechtskonvention enthält in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 mit den Garantien des fairen Verfahrens, der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Beschleunigung Grundsätze, die für das Verfahrensrecht und damit auch für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind 349. Gerade hinsichtlich dieser genannten Verfahrensgarantien erlangt die Menschenrechtskonvention im Vergleich zum Grundgesetz eigenständiges Gewicht, da sie insoweit Gewährleistungen enthält, die über die des Grundgesetzes und der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Rechtsprechung hinausgehen. Im Folgenden soll daher die Anwendbarkeit der in Art. 6 Abs. 1 EMRK niedergelegten Garantien auf die Durchführung des Insolvenzverfahrens durchleuchtet werden. 2. Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf die in der Insolvenzordnung geregelten Verfahren Die Menschenrechtskonvention hat in dem zum alten Konkursrecht und zur Insolvenzordnung ergangenen Schrifttum bislang wenig Beachtung gefunden350. Entsprechend wurde auch die Frage, ob auch die in der Insolvenzordnung geregelten Verfahren unter die – vorliegend ausschließlich interessierende – erste Alternative des Art. 6 Abs. 1 EMRK („civil rights and obligations“) zu fassen sind, im insolvenzrechtlichen Schrifttum wenig problematisiert. Zum Teil wird die Anwendbarkeit wohl schlicht unterstellt 351 oder ohne weitere Begründung generell für das gesamte Insolvenzverfahren bejaht 352. Es finden sich zudem auch Stimmen, die eine Anwendbarkeit grundsätzlich verneinen, da Art. 6 Abs. 1 EMRK lediglich Rechtsfindungsverfahren, aber nicht auch Rechtsdurchsetzungsverfahren erfasse 353. Die Frage nach dem Verhältnis von Menschenrechtskonvention zur Insolvenzordnung wird durch die zur Zeit beim Gerichtshof anhängige Beschwerde354, die einige VorDeiseroth, DVBl. 1998, S. 116 (123). Zur Frage der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das Insolvenzverfahren unten Drittes Kapitel, E. II. 2. 350 Siehe zur Frage der Anwendbarkeit der EMRK auf die Insolvenzordnung Dütz, S. 66; Oepen, ZIP 2000, S. 526 (528 f.); Pieck, S. 21 f. 351 Vgl. Becker, in: Nerlich/Römermann, §1, Rdnr. 3; Prütting, in: Kölner Schrift, Rdnrn. 16, 47, 51. 352 So Matscher, ZöR 1980, S. 1 (8). 353 In diesem Sinne Pieck, S. 21 f.; Oepen, ZIP 2000, S. 526 (529); gegen eine Anwendung wohl auch Dütz, S. 66. 354 Beschwerde Nr. 37645/02. 348 349

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

schriften der Insolvenzordnung betrifft, zukünftig größere praktische Relevanz erlangen. Da die Insolvenzordnung höchst unterschiedliche Verfahrensabschnitte regelt, wird eine pauschale Betrachtung der Fragestellung nach der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf das Insolvenzverfahren nicht gerecht. Erforderlich ist vielmehr eine detaillierte Untersuchung, die den besonderen Eigenheiten der einzelnen Verfahrensabschnitte gerecht wird. Für das Vorliegen einer Streitigkeit über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen bestehen dabei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zwei wesentliche Voraussetzungen: Erstens muß der Rechtsstreit eine zivilrechtliche Rechtsposition betreffen, welche der Beschwerdeführer in zumindest argumentativ vertretbarer Weise aus dem innerstaatlichen Recht für sich ableiten kann (a)355. Zweitens muß die zivilrechtliche Rechtsposition Gegenstand einer Streitigkeit ernsthafter Natur („genuine dispute of serious nature“) sein, welche der Entscheidung durch eine staatliche Stelle zugänglich ist (b) 356. a) Das Vorliegen einer zivilrechtlichen Rechtsposition Entscheidendes Merkmal für einen Schutz durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist, daß die von der Verfahrensordnung behandelten Rechtspositionen zivilrechtlicher Natur sind. Eine Definition dessen, was unter zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen zu verstehen ist, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bislang nicht getroffen. Nach seiner Rechtsprechung handelt es sich bei dem Begriff „zivilrechtlich“ um ein konventionsautonom auszulegendes Merkmal und nicht lediglich um einen Verweis auf die jeweilige innerstaatliche Qualifizierung 357. Erfaßt werden über rein privatrechtliche Streitigkeiten hinaus alle Verfahren, deren Ergebnis unmittelbare Auswirkungen auf zivilrechtliche Rechte und Pflichten haben kann. Die Rechtsnatur der für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsvorschriften im nationalen Rechtssystem und der Rechtsstatus der Beteiligten sind dabei nicht entscheidend 358. 355 Hierzu EGMR, Urteil vom 08.07.1986, Series A, Bd. 102, Ziff. 192 – Lithgow ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 08.07.1987, Series A, Bd. 122, Ziff. 41 – Baraona ./. Portugal; ebenso Peukert, in: Frowein/ders., Art. 6, Rdnr. 7. 356 EGMR, Urteil vom 27.10.1987, Series A, Bd. 125, Ziff. 31 – Pudas ./. Schweden; vgl. auch Urteil vom 23.10.1985, Series A, Bd. 97, Ziff. 32 – Benthem ./. Niederlande. 357 EGMR, Urteil vom 26.07.1971, Series A, Bd. 13, Ziff. 94 – Ringeisen ./. Österreich; Urteil vom 28.06.1978, Series A, Bd. 27, Ziff. 88 f. – König ./. Deutschland; Urteil vom 27.02.1980, Series A, Bd. 35, Ziff. 42 – Deweer ./. Belgien; Urteil vom 08.07.1987, Series A, Bd. 122, Ziff. 42 – Baraona ./. Portugal; bestätigt durch EGMR, Urteil vom 12.07.2001, NJW 2002, 3453, 3454, Ziff. 24 – Ferrazzini ./. Italien. 358 Vgl. EGMR, Urteil vom 26.07.1971, Series A, Bd. 13, Ziff. 94 – Ringeisen ./. Österreich; Urteil vom 28.06.1978, Series A, Bd. 27, Ziff. 97 ff. – König ./. Deutschland; Urteil vom 01.07.1997, EuGRZ 1997, 310, 314, Ziff. 53 – Pammel ./. Deutschland; siehe auch Peukert, in: Frowein/ders., Art. 6, Rdnrn. 15 ff.

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Gemessen an diesen Voraussetzungen betrifft das Insolvenzverfahren zivilrechtliche Rechtspositionen. Diese Feststellung gilt unabhängig davon, ob man das Insolvenzrecht nach innerstaatlichen Kriterien dem Zivil- oder dem Öffentlichen Recht zuordnet 359. Soweit das Insolvenzrecht selbst zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen materiell begründet oder umgestaltet (vgl. §§ 47 f., 50 f., 82, 94 ff., 103 ff., 129 ff. InsO) 360, begegnet eine Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das Insolvenzrecht keinen Zweifeln. Materiellrechtlich bindende Wirkung kommt – neben den zuvor genannten Vorschriften – insbesondere dem gemäß § 80 Abs. 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen Verfügungsverbot zu. Hierdurch wird dem Schuldner das Recht genommen, mit bindender Wirkung über sein Vermögen zu verfügen oder gegen ihn gerichtete Ansprüche zu erfüllen. Entgegen des Verbots vorgenommene Verfügungen des Schuldners sind absolut unwirksam 361. Daß die Entziehung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners durch ein Gericht („effect of depriving the applicant of the right to manage business and administer his property“) auch zivilrechtliche Ansprüche des Schuldners im Sinne der Konvention berührt, hat die Kommission mehrfach festgestellt 362. Sie hat dabei ausgeführt, sowohl das mit dem Insolvenzverfahren verbundene Verbot, über das eigene Vermögen zu verfügen und bestehende Verbindlichkeiten zu erfüllen, als auch die Beschlagnahme des Eigentums hätten tiefgreifende Auswirkungen auf die wirtschaftliche und die rechtliche Stellung des Schuldners und beträfen daher zivilrechtliche Rechte und Verpflichtungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK 363. Über das materielle Insolvenzrecht hinaus wirken sich auch die im Rahmen des Insolvenzverfahrens – als staatlich geleitetes Vollstreckungsverfahren – einseitig getroffenen hoheitlichen Maßnahmen 364 unmittelbar auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne der Konvention aus und unterliegen daher dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Dies betrifft zunächst die im Rahmen des Eröffnungsverfahrens gemäß § 21 InsO angeordneten Sicherungsmaßnahmen, namentlich die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes oder einer vorläufigen Postsperre gemäß § 21 Abs. 2 InsO.

Siehe hierzu Lepa, S. 26 ff. Zum materiellrechtlichen Gehalt des Insolvenzrechts Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnrn. 3.01 ff. 361 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 10.06; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 560. 362 EKMR, Entscheidung vom 10.10.1980 – 8610/79, Umdruck S. 8; Entscheidung vom 10.03.1981 – 8988/80, DR 24, 198, 202; Entscheidung vom 06.10.1981 – 8475/79, Umdruck S. 4; Entscheidung vom 10.12.1984 – 10259/83, DR 40, 170, 177 – Anca u. a. ./. Belgien; Bericht vom 31.08.1994 – 17208/90, Ziff. 74 f. – Hannak ./. Österreich. 363 So EKMR, Bericht vom 31.08.1994 – 17208/90, Ziff. 75 – Hannak ./. Österreich. 364 Nach der überwiegend vertretenen Auffassung ist das gesamte Vollstreckungsrecht dem öffentlichen Recht zuzuordnen, vgl. Baur/Stürner, Einzelvollstreckungsrecht, Rdnr. 5.13; Lackmann, in: Musielak, Vorbem. § 704, Rdnr. 13; Rosenberg/Gaul/Schilken, § 1 III (S. 6 f.); Münzberg, in: Stein/Jonas, § 811, Rdnrn. 1 ff.; Stöber, in: Zöller, Vorbem. § 704, Rdnr. 1. 359 360

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Daneben hat auch die Anordnung der Postsperre – ungeachtet ihrer Auswirkungen auf die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatsphäre – unmittelbare Auswirkung auf private Rechte des Schuldners 365. Die Möglichkeit uneingeschränkter und ungestörter Korrespondenz ist Grundlage wirtschaftlicher und unternehmerischer Betätigung, die ihrerseits als ziviles Recht im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen ist 366. Auf Grund dieses engen sachlichen Zusammenhangs zwischen Kommunikationsfreiheit und Betätigungsfreiheit kann der Eingriff in erstere nicht getrennt von der Beeinträchtigung des Unternehmertums als ganzes gesehen werden, so daß Streitigkeiten über die Anordnung der Postsperre daher, auch wenn sie das Verhältnis Staat-Bürger betreffen, zivilrechtlicher Natur sind 367. Schließlich gilt es zu bedenken, daß das Insolvenzverfahren fundamentale, in der Konvention selbst niedergelegte Rechte der Beteiligten berührt. Hierzu zählen das Recht auf Achtung des Privatlebens und des Briefverkehrs und das Recht auf Achtung des Eigentums. Im Hinblick hierauf verbietet sich eine restriktive, einzig am Wortlaut verhaftete Auslegung der Begrifflichkeiten. Soll die Möglichkeit der Verteidigung von Konventionsrechten nicht lediglich virtueller oder theoretischer Natur sein, bietet sich eine weite Interpretation des Begriffs „zivilrechtliche Streitigkeit“ an. Dementsprechend zielt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – mit der Zielsetzung einer „effektiven“ Interpretation – auf eine extensive Auslegung der Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK 368. b) Das Vorliegen einer Entscheidung über eine Streitigkeit („contestation“) Entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer richterlichen Entscheidung über einen echten Streit ernsthafter Natur („genuine dispute of serious nature“) ist, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsposition im Rahmen eines Verfahrens geltend zu machen ist, welches für den Bestand des Rechtes von unmittelbar

Siehe zur sog. „Auswirkungsjudikatur“ des EGMR Grabenwarter, § 24, Rdnr. 6. Hierzu mit Blick auf die insolvenzrechtliche Postsperre EGMR, Urteil vom 20.06.2000 – 33274/96, Ziff. 50 – Foxley ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 17.07.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 75 ff. – Luordo ./. Italien mit Anm. von Vogl, EWiR 2003, S. 1135 f. 367 Vgl. zum engen sachlichen Zusammenhang zwischen einseitigen Hoheitsakten und privaten Rechten EGMR, Urteil vom 23.10.1985, Series A, Bd. 97, Ziff. 36 – Benthem ./. Niederlande; Urteil vom 27.10.1987, Series A, Bd. 125, Ziff. 34 – Pudas ./. Schweden sowie Peukert, in: Frowein/ders., Art. 6, Rdnr. 21, und Grabenwarter, § 24, Rdnrn. 6 f. 368 Hierzu EGMR, Urteil vom 28.11.1978, Series A, Bd. 29, Ziff. 42 – Luedicke u. a. ./. Deutschland; Urteil vom 13.06.1979, Series A, Bd. 31, Z. 31 – Marckx ./. Belgien; Urteil vom 09.10.1979, Series A, Bd. 32, Ziff. 24 – Airey ./. Irland; Urteil vom 13.05.1980, Series A, Bd. 37, Ziff. 33 – Artico ./. Italien; Urteil vom 19.12.1989, Series A, Bd. 168, Ziff. 65 – Kamasinski ./. Österreich; Urteil vom 23.03.1995, Series A, Bd. 310, Ziff. 72, 75 – Loizidou ./. Türkei.; zu der am effet utile ausgerichteten Vertragsinterpretation allgemein Grabenwarter, § 5, Rdnr. 16. 365 366

D. Der Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention

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entscheidender Bedeutung ist 369; ein bloß loser Zusammenhang oder entfernte Auswirkungen reichen nicht aus 370. Mit dem Merkmal der „echten“ Streitigkeit soll eine Abgrenzung gegenüber Verfahren getroffen werden, die nicht der Streitentscheidung dienen. Erfaßt werden demnach alle Verfahren, deren Ausgang für Rechte und Verpflichtungen privatrechtlicher Natur entscheidend ist 371. aa) Quasi-streitige Verfahrensabschnitte Soweit das Insolvenzgericht Entscheidungen trifft, welche – wie in einem Zivilprozeß – über die Zuordnung von Rechten zwischen einzelnen Gläubigern oder der Gläubigergesamtheit einerseits und dem Schuldner andererseits befinden, kann das Vorliegen dieser Voraussetzung ohne größeren Argumentationsaufwand bejaht werden. Dies gilt vornehmlich für das Eröffnungsverfahren 372. Dieses ist im Regelfall, wenn ein Gläubiger den Insolvenzantrag stellt, ein quasi-streitiges Verfahren, in dem sich die Beteiligten wie die Parteien eines Zivilprozesses gegenüberstehen 373. Dabei ermittelt das Insolvenzgericht die Zulässigkeit des Insolvenzantrages nicht von Amts wegen, sondern die Beteiligten sind gehalten, die ihnen günstigen Tatsachen vorzutragen und die entsprechenden Beweismittel zur Glaubhaftmachung beizubringen 374. Ebenso weist das Widerrufsverfahren im Sinne des § 303 InsO, in dem nicht nur der Antragsgrundsatz, sondern zudem auch der Beibringungsgrundsatz gilt, eine besondere Nähe zum zivilprozessualen Erkenntnisverfahren auf 375.

369 Vgl. EGMR, NJW 1991, 2199, 2202, Ziff. 78 – W. ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 23.10.1990, Series A, Bd. 189, Ziff. 66 f. – Moreira de Azevedo ./. Portugal; Urteil vom 21.11.1995, Series A, Bd. 333-A, Ziff. 47 – Acquaviva ./. Frankreich; Urteil vom 27.06.2000, RJD 2000-VII, Ziff. 27 – Frydlender ./. Frankreich; Urteil vom 16.09.2003 – 38993/97, Ziff. 62 – Stockholms Försäkrings- och Skadeståndsjuridik AB ./. Schweden. 370 EGMR, Urteil vom 23.06.1981, Series A, Bd. 43, Ziff. 47 – Le Compte u. a. ./. Belgien; Urteil vom 26.08.1997, RJD 1997-IV, Ziff. 32 – Balmer-Schafroth u. a. ./. Schweiz. 371 EGMR, Urteil vom 16.07.1971, Series A, Bd. 13, Ziff. 94 – Ringeisen ./. Österreich; Urteil vom 28.06.1978, Series A, Bd. 27, Ziff. 90 – König./. Deutschland; Urteil vom 05.10.2000, RJD 2000-X, Ziff. 27 – Mennitto ./. Spanien. 372 Ebenso Roellenbleg, NZI 2004, S. 176 (183). 373 BGH, KTS 1961, 172, 174; KTS 1978, 24, 29; OLG Köln, ZIP 1988, 664 f.; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnr. 26; Pape, in: Kübler/Prütting, § 14, Rdnr. 6; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 94; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 13, Rdnr. 5 a; für die Einordnung des Eröffnungsverfahrens als „Prozeß“: Delhaes, S. 48; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 13, Rdnrn. 11, 15. 374 Vgl. OLG Zweibrücken, NJW-RR 2001, 341, 342; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 54; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 94. 375 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 6.05, spricht insoweit sogar von einem „streitigen Erkenntnisverfahren“.

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

bb) Amtsseitige Schutz- und Fürsorgemaßnahmen Problematisch ist das Vorliegen eines Streitverfahrens jedoch für die Verfahrensabschnitte, in denen das Insolvenzgericht wie eine Verwaltungsbehörde amtsseitige Schutz- und Fürsorgemaßnahmen trifft. So hat die Kommission in einem das belgische Konkursrecht betreffenden Fall die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das Konkursverfahren in Zweifel gezogen, da es sich bei der in Streit stehenden Bankrotterklärung durch das Handelsgericht lediglich um eine amtswegig anzuordnende („ex officio“) reine Verwaltungsmaßnahme handele. Für die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das Insolvenzverfahren sei hingegen erforderlich, daß es sich um eine Entscheidung handele, die einen Streit beilege („settle a dispute“) und nicht bloß um reine Schutzmaßnahmen zugunsten der Gläubiger376. In einer weiteren – frühen – Entscheidung wurde die Zulässigkeit einer Beschwerde, die sich ausschließlich auf Fragen des Insolvenzverfahrens („matters of bankruptcy procedures“) bezog, wie beispielsweise Fragen der Anhörung, des Akteneinsichtsrechts oder Zuständigkeitsfragen, verneint 377. Ob diesen Entscheidungen verallgemeinerungsfähige Schlüsse für die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das deutsche Insolvenzverfahren entnommen werden können, erscheint fraglich. Die Kommission selbst ist in der Folgezeit von ihrer in diesen Entscheidungen vertretenen Auffassung abgerückt und hat auch einseitige, quasi-administrative gerichtliche Maßnahmen im Insolvenzverfahren dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK unterstellt 378. Diese Entscheidungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Begriff der Streitigkeit nicht rein prozessual, sondern materiell zu verstehen sei. Demnach bedinge der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht das Vorliegen eines Zwei-Parteien-Verfahrens, in denen sich die geltend gemachten Ansprüche der Parteien gegen- und wechselseitig ausschlössen. Erforderlich sei vielmehr, daß zwischen den Beteiligten eines Verfahrens Meinungsverschiedenheiten über den Umfang und die Art der Ausübung eines Rechts bestünden und daß sich der Verfahrensausgang unmittelbar auf den Bestand des Rechtes auswirke 379.

EKMR, Entscheidung vom 10.03.1981 – 8988/80, DR 24, 198, 202. Vgl. EKMR, Entscheidung vom 08.10.1976 – 6916/75, DR 6, 107, 112. 378 Vgl. EKMR, Entscheidung vom 18.10.1980 – 8610/79, Umdruck, S. 8; Entscheidung vom 06.10.1981 – 8475/79, Umdruck, S. 4; Entscheidung vom 08.10.1982 – 9713/82, Umdruck, S. 4; Entscheidung vom 10.12.1984 – 10259/83, DR 40, 170, 177; Entscheidung vom 04.07.1988 – 12294/86, Umdruck, S. 3 – Maussen ./. Belgien; Bericht vom 31.08.1994 – 17208/90, Ziff. 75 – Hannak ./. Österreich. 379 EGMR, Urteil vom 26.07.1971, Series A, Bd. 13, Ziff. 94 – Ringeisen ./. Österreich; Urteil vom 23.06.1981, Series A, Bd. 43, Ziff. 45 f. – Le Compte u. a. ./. Belgien; Urteil vom 23.10.1985, Series A, Bd. 97, Ziff. 32 – Benthem ./. Niederlande; Urteil vom 27.10.1987, Series A, Bd. 125, Ziff. 31 – Pudas ./. Schweden; Urteil vom 21.11.1995, Series A, Bd. 333-A, Ziff. 46 – Acquaviva ./. Frankreich; Urteil vom 07.08.1996, RJD 1996-III, Ziff. 73 – Hamer ./. Frankreich. 376 377

D. Der Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention

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Vor diesem Hintergrund betreffen auch die im deutschen Insolvenzverfahren zu erlassenden Rechtsfürsorgeakte – ungeachtet ihrer innerstaatlichen Zuordnung zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit 380 – „echte Streitigkeiten“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Dies gilt zunächst für den Beschluß gemäß § 64 Abs. 1 InsO über die Vergütung des Insolvenzverwalters. Die Ausübung der Insolvenzverwaltertätigkeit stellt für die damit betrauten, freiberuflich tätigen Personen in der Regel die einzige Erwerbsquelle dar, da wegen der sonst zu befürchtenden Interessenkollisionen rechtsberatende Tätigkeiten für Schuldner oder Gläubiger ausscheiden. Die mit dem Verwalteramt betrauten Personen sind daher darauf angewiesen, für ihre Leistung eine auch ihre persönlichen Bedürfnisse berücksichtigende Vergütung zu erhalten. Stellt mithin die staatlich gewährte Vergütung die maßgebliche Grundlage für die Ausübung und Fortführung der freiberuflichen Tätigkeit dar, so ist die Entscheidung über die Vergütung nicht nur durch öffentliche, sondern zugleich durch die Berücksichtigung der privaten Interessen der Insolvenzverwalter geprägt 381. Dieser enge sachliche Zusammenhang mit den – unzweifelhaft als zivilrechtlich zu qualifizierenden – Vergütungsinteressen der Freiberufler führt dazu, daß Streitigkeiten über die Vergütung dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK zuzuordnen sind. Daneben betrifft auch die Eintragung der Forderung in die Insolvenztabelle gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 InsO zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen. Die Eintragung in die Tabelle entfaltet für festgestellte Forderungen gemäß § 178 Abs. 3 InsO nicht nur materielle Rechtskraft 382. Sie hat zudem für die nachgängige Vollstreckung der Forderung wesentliche Bedeutung, da gemäß §203 Abs. 2 Satz 1 InsO der Eintragung in die Tabelle gegenüber dem nicht widersprechenden Schuldner zugleich die Wirkung eines Vollstreckungstitels zukommt. Die Eintragung stellt mithin die entscheidende Grundlage für die nachgängige Geltendmachung und Verwirklichung zivilrechtlicher Ansprüche dar. Hinzu kommt, daß auch die administrativen Entscheidungen des Insolvenzgerichts in vollem Umfange der Überprüfung durch übergeordnete Gerichte unterliegen. Dem Insolvenzgericht ist also kein nicht justitiabler Zweckmäßigkeitsmaßstab eingeräumt, welcher nach der gängigen Rechtsprechung des Gerichtshofs das Vorliegen eines „echten“ Streitfalles ausschlösse 383. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Frage der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf das deutsche Insolvenzverfahren insgesamt zu bejahen ist. Vgl Gaul, in: FS Matscher, S. 111 (129 f.); Pieck, S. 21 f. Zur Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 auf Streitigkeiten über staatliche Maßnahmen betreffend die freiberufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers EGMR, Series A, Bd. 27, Ziff. 90 ff. – König ./. Deutschland. 382 Jaeger/Weber, §145, Rdnr. 4; Reichold, in: Thomas/Putzo, §322, Rdnr. 3; vgl. zur Rechtskraftwirkung als entscheidendes Element streitiger Verfahren, Gaul, in FS Matscher, S. 111 (129). 383 Vgl. EGMR, Urteil vom 26.06.1986, Series A, Bd. 101, Ziff. 35 f. – van Marle u. a. ./. Niederlande; Urteil vom 27.10.1987, Series A, Bd. 125, Ziff. 34 – Pudas ./. Schweden; Urteil vom 28.06.1990, Series A, Bd. 179, Ziff. 70 – Obermeier ./. Österreich. 380 381

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3. Kap.: Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall

Dies gilt nicht nur für die Verfahrensabschnitte, welche durch ihren prozeßrechtlichen Charakter geprägt sind, sondern auch für diejenigen Abschnitte, in denen das Gericht ex officio zum Wohle und zum Schutz der Verfahrenbeteiligten tätig wird. Zu beachten ist allerdings, daß die Menschenrechtskonvention lediglich einen Mindeststandard festlegt, welcher durch das deutsche Verfassungsrecht im Regelfall verstärkt wird. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung soll dem Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention daher insbesondere dann besondere Beachtung geschenkt werden, soweit es zu Divergenzen in der Auslegung des jeweiligen grundrechtlichen Schutzbereichs kommt. 3. Der Grundrechtsschutz juristischer Personen durch die Menschenrechtskonvention Gemäß Art. 34 Satz 1 EMRK steht das Recht der Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auch nichtstaatlichen Organisationen sowie Personenvereinigungen zu. Diese Begriffe umfassen nicht organisierte Personenmehrheiten (Personenvereinigungen), die zwar einen gemeinsamen Zweck verfolgen, jedoch rechtliche Existenz lediglich durch die Summe der vorhandenen Individualrechte erlangen, sowie organisierte Gruppierungen (nichtstaatliche Organisationen), welche die Verletzung eigener Konventionsrechte, nicht aber die ihrer Mitglieder geltend machen können 384. Da eine Beschwerde die Rüge der Verletzung von Konventionsrechten voraussetzt, bedarf es für die Zulässigkeit der Beschwerde des Vorliegens einer Beschwerdebefugnis 385. Aus diesem Erfordernis folgt zugleich, daß die Rechte der Konvention im Grundsatz jedenfalls solchen nichtstaatlichen Organisationen zustehen können, welche die Verletzung von eigenen Konventionsrechten als möglich ins Feld führen können. Möglich erscheint die Verletzung von Konventionsrechten insbesondere bei juristischen Personen und ihnen angenäherten Handelsgesellschaften 386, selbst wenn sie sich bereits in Liquidation befinden 387. Stets ist jedoch im Wege der Auslegung des konkret geltend gemachten Rechtes zu ermitteln, ob eine Erstreckung des Schutzes auch auf juristische Personen in Betracht kommt 388. In der Sache rückt dabei wiederum die Frage nach der wesensmäßigen Anwendbarkeit des in Rede stehenden Rechtes auf die juristische

384 Hierzu EKMR, Bericht vom 07.03.1991 – 14234/88 und 14235/88, Ziff. 64 – Open Door Counseling Ltd. ./. Irland; Grabenwarter, § 13, Rdnr. 8; Peukert, in: Frowein/ders., Art. 25, Rdnr. 16; Rogge, in: Internationaler Kommentar, Art. 25, Rdnrn. 127, 138, 140. 385 Grabenwarter, § 13, Rdnr. 13; Peukert, in: Frowein/ders., Art. 25, Rdnrn. 20 ff.; Rogge, in: Internationaler Kommentar, Art. 25, Rdnr. 207. 386 Vgl. EGMR, Urteil vom 24.10.1986, Series A, Bd. 108, Ziff. 47 ff. – Agosi AG ./. Vereinigtes Königreich; ebenso Meyer-Ladewig, Art. 34, Rdnr. 7. 387 So EGMR, Urteil vom 22.11.1991, Series A, Bd. 222, Ziff. 42 – Pine Valley Development Ltd. u. a. ./. Irland. 388 Vgl. Frowein, in: ders./Peukert, Art. 1, Rdnr. 3.

D. Der Grundrechtsschutz durch die Menschenrechtskonvention

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Person in den Mittelpunkt 389. Dabei gilt es im Hinblick auf die – im Insolvenzfall relevanten – wirtschaftsbezogenen Rechte zu beachten, daß der Schutzstandard der Konvention in der Regel hinter dem des Grundgesetzes zurückbleibt. So weist die Menschenrechtskonvention weder einen Schutz der Berufsfreiheit noch einen Schutz der allgemeinen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit auf. Lediglich der Schutz des Eigentums durch Art. 1 Abs. 1 des 1. Zusatzprotokolls erfaßt auch ausdrücklich juristische Personen. Da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs den nationalen Organen ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Prüfung, ob ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des Allgemeininteresses und den Interessen des betroffenen Eigentümers eingehalten wurde, eingeräumt ist 390, geht auch hier der Schutzstandard der Konvention jedenfalls nicht über den des Grundgesetzes hinaus. Lediglich soweit der Gerichtshof ausdrücklich auch einen Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes sowie des vorhandenen Bestandes und der Erweiterung des Kundenstammes – im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht 391 – ausdrücklich anerkennt 392, kommt der Konvention eine eigenständige Bedeutung zu. Diese Bedeutung hat freilich für das deutsche Recht bislang noch keine praktischen Ergebnisse gezeitigt. Gleichwohl sollte insoweit die Rechtsprechung der Konventionsorgane auch bei der Auslegung des Art. 14 Abs. 1 GG Berücksichtigung finden 393.

389 Grabenwarter, § 13, Rdnr. 8; Hilf/Hörmann, NJW 2003, S. 1 (7); Rogge, in: Internationaler Kommentar, Art. 25, Rdnrn. 127, 138; Tettinger, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 51, Rdnrn. 82 ff.; vgl. auch im Hinlick auf Art.10 EMRK EGMR, Urteil vom 22.05.1990, Series A, Bd. 178, Ziff. 47 – Autronic AG ./. Schweiz. 390 Vgl. EGMR, Urteil vom 24.10.1986, Series A, Bd. 108, Ziff. 52 – Agosi AG ./. Vereinigtes Königreich; Peukert, in. Frowein/ders., Art. 25, Rdnr. 16. 391 BVerfGE 28, 119 (142); 68, 193 (222 f.); 74, 129 (148); 77, 84 (118); 81, 208 (227 f.); 105, 252 (277 f.). 392 So EGMR, Urteil vom 26.06.1986, Series A, Bd. 101, Ziff. 41 – van Marle u. a. ./. Niederlande; Urteil vom 25.03.1999, RJD 1999-II, Ziff. 54 – Iatridis ./. Griechenland; hierzu auch Grabenwarter, § 25, Rdnr. 4, sowie Gelinsky, S. 27 f. 393 Hierzu ausführlich unten Fünftes Kapitel, B. I. 1.

Viertes Kapitel

Das Verhältnis Staat – Schuldner Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens kann zu mannigfaltigen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen des Schuldners führen. Dies gilt bereits für das der eigentlichen Verfahrenseröffnung vorgelagerte Insolvenzeröffnungsverfahren. Hier kann gegen den Schuldner eine Postsperre angeordnet sowie dessen Privatsphäre besichtigt und gegebenenfalls gegen seinen Willen durchforscht werden. Des weiteren ist der Schuldner gehalten, sich auf Verlangen dem Gericht oder dem Insolvenzverwalter zur Verfügung zu stellen, bestimmte Auskünfte zu erteilen oder Hilfestellungen bei deren Aufgabenerfüllung zu leisten. Soweit die zuvor genannten Zwangsmaßnahmen in Rede stehen, sind die Grundrechte des Schuldners in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte gegen staatliche Maßnahmen betroffen 394. Im folgenden Teil soll untersucht werden, inwieweit die Grundrechte in dieser Funktion die staatliche Zwangsgewalt beeinflussen und insbesondere vor dem Hintergrund des Übermaßverbotes zu einer Beschränkung der Eingriffe führen können.

A. Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners I. Der Schutz natürlicher Personen vor Selbstbezichtigung Bereits nach der vor Inkraftreten der Insolvenzordnung geltenden Rechtslage war anerkannt, daß der Schuldner sowohl beim Eigenantrag als auch beim Fremdantrag – selbst bei Gefahr eigener Strafverfolgung – dem Insolvenzgericht zur Auskunft über seine Vermögenslage verpflichtet ist 395. Grundlage für diese Auffassung bildete ein Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts, wonach der durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete Schutz vor Selbstbezichtigung unter Abwägung mit dem berechtigten Informationsbedürfnis der Gläubiger gegenüber deren Rechtsschutzanspruch zurückzutreten habe 396. Da jedoch nach Auffassung des Gerichts das PersönHierzu bereits oben Drittes Kapitel, B. Siehe hierzu Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rz. 6.19 sowie Roth, in: Mußgnug, Rechtsentwicklung unter dem Bonner Grundgesetz, S. 187 (207 f.). 396 Beschluß vom 13.01.1981 (BVerfGE 56, 37 [49]); siehe zum verfassungsrechtlichen Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung auch BVerfGE 38, 105 (114 f.); 95, 220 (241); BVerfG, EuGRZ 1997, 121, 127. 394 395

A. Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners

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lichkeitsrecht des Schuldners unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, wenn die durch die Selbstbezichtigung erlangten Tatsachen strafrechtlich verwertet werden könnten, bestehe für Verfahren nach der Strafprozeßordnung oder nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz ein Verwertungsverbot 397. Diese Rechtsprechung wurde vom Gesetzgeber der Insolvenzordnung beachtet und ist nunmehr in § 97 Abs. 1 InsO auch gesetzlich festgeschrieben. Demnach ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuß und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO besteht jedoch hinsichtlich der durch die schuldnerische Auskunft gewonnenen Erkenntnisse ein Verwertungverbot im Sinne der o. g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

II. Der Verzicht natürlicher Personen auf das Beweisverwertungsverbot In Durchbrechung des vom Bundesverfassungsgericht vorgesehenen Verwertungsverbots sieht § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO nunmehr eine strafrechtliche Verwertung der Aussage des Schuldners vor, soweit dieser sich damit einverstanden erklärt. Hiermit ist die im verfassungsrechtlichen Schrifttum unter dem Topos des Grundrechtsausübungsverzichts 398 diskutierte Frage angesprochen, inwieweit die Grundrechtsberechtigung zur Disposition des vom staatlichen Eingriff Betroffenen steht. Namentlich Gerhardt hat im Hinblick auf die Verzichtsmöglichkeit des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO verfassungsrechtliche Zweifel erhoben 399. Demnach stelle die Menschenwürde des Schuldners bei der Verwertung seiner selbstbelastenden Auskünfte eine unverzichtbare objektive Verpflichtung für die staatlichen Organe dar. Eine Stütze findet diese Auffassung in den vom Bundesverfassungsgericht im sog. „Lügendetektorfall“ niedergelegten Grundsatz, dementsprechend der Angeklagte im Strafverfahren nicht wirksam auf das – im Hinblick auf verbotene Vernehmungsmethoden bestehende – Verwertungsverbot verzichten könne 400. Gleichwohl lassen sich diese Überlegungen nicht unreflektiert auf das gemäß § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO bestehende Verwertungsverbot übertragen.

397 BVerfGE 56, 37 (50); ebenso Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 5, Rdnr. 8; Kuhn/Uhlenbruck, § 75, Rdnr. 6 b; Stürner, NJW 1981, S. 1757 (1760). 398 Hierzu Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527 ff.; Quaritsch, in: GS Martens, S. 408 ff.; Robbers, JuS 1985, S. 925 ff.; Sturm, in: FS Geiger, S. 173 ff.; siehe zur Unterscheidung zwischen dem bloßen Grundrechtsausübungsverzicht und dem Verzicht auf das Grundecht selbst Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (54, 56 f.); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 260 f. 399 Gerhardt, Dike International 1996, S. 77 (84 f.). 400 BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1982, 375; vgl. ferner BVerfG (Kammer), NJW 1998, 1938 f., BGHSt 44, 308 (317 ff.).

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

Grundsätzlich enthalten die Einzelgrundrechte des Grundgesetzes zugleich die grundrechtlich verbürgte Möglichkeit des Verzichtes auf die in ihnen verbürgten Rechtspositionen. Die Freiheit zum Verzicht kann daher ihrerseits wiederum als grundrechtlicher Freiheitsgebrauch verstanden werden 401. Zwar sind dieser grundrechtlichen Freiheit unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs der Verfassung Schranken gezogen. Daher kommt ein Verzicht dann nicht in Betracht, wenn ihm gewichtige Einwände, etwa in Form von überwiegenden Allgemeininteressen 402, gesetzlichen Verboten 403, entgegenstehen oder wenn er nicht freiwillig erfolgte404. Der Verzicht auf das in § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO niedergelegte Verwertungsverbot hält sich in der Regel innerhalb dieser Grenzen. Zwar findet der mit dem Verwertungsverbot verfolgte Zweck seine Grundlage auch in der Menschenwürde des Schuldners 405. Dabei erscheint es aber bereits als fraglich, ob die freiwillige Hinnahme einer staatlichen Handlung, welche auch die Menschenwürde berührt, per se der Dispositionsbefugnis des Grundrechtsinhabers entzogen ist406. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet dem Staat eine menschenunwürdige Behandlung seiner Bürger gegen ihren Willen. Nur insoweit ist die Menschenwürde unantastbar. Dieses Verbot bezieht sich jedoch nicht gleichermaßen auch auf den Grundrechtsinhaber. Zudem gilt es zu bedenken, daß der Verzicht des Grundrechtsberechtigten auf Vorschriften, die gerade zu seinem Schutz bestehen, vielfach Ausdruck der Menschenwürde sein kann. Die freiwillige Hinnahme von staatlichen Maßnahmen, die ohne das Einverständnis 401 So Dürig, in: AöR 87 (1956), S. 117 (152); Lerche, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 122, Rdnr. 45; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527 (540); Quaritsch, in: GS Martens S. 407 (410); Robbers, JuS 1985, S. 925 (927); Stern, Staatsrecht III/2, S. 907 f.; ähnlich auch Bleckmann, Staatsrecht II, § 15, Rdnr. 5; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 13 ff.; Zippelius/Würtenberger, S. 136; a. A. Geiger, Grundrechte und Rechtsprechung, S. 53, der eine Rechtspflicht zur Grundrechtsbetätigung postuliert; hiergegen zutreffend Merten, VerwArch, 73 (1982), S. 103 (107 f.). 402 Vgl. hierzu Doehring, Staatsrecht, S. 279; Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (65 f.); Robbers, JuS 1985, S. 925 (930); zum Recht der geheimen Wahl OVG Lüneburg, DÖV 1964, 355 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, OVGE 14, 257 (260); OVG Rheinland-Pfalz, AS 3, 394 (397); Maunz, in: ders./Dürig, Art. 38, Rdnr. 54; Quaritsch, in: GS Martens, S. 407 (411); Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527 (545). 403 Siehe hierzu Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (66). 404 Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 287; Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (68 f.); Quaritsch, in: GS Martens, S. 407 (409 f.); Robbers, JuS 1985, S. 925 (929 f.); Stern, Staatsrecht III/2, S.923; vgl. auch BVerfGE 14, 121 (131); BVerwGE 115, 189 (202); OLG Frankfurt a.M., NJW 2003, 2843, 2845. 405 Vgl. BVerfGE 38, 105 (113); 56, 37 (41 f.); zuletzt BVerfG (Kammer), NJW 2003, 3045 f. Dreier, in: ders., Art. 1, Rdnr. 81; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 82; Hill, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 156, Rdnr. 9; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 36; a. A. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art.1, Rdnr. 51, der freilich verkennt, daß das von ihm herangezogene allgemeine Persönlichkeitsrecht ebenfalls in der Menschenwürde wurzelt. 406 Für eine Verzichtsmöglichkeit Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (64 f.); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 97; Zippelius, in: Bonner Kommentar, Art. 1, Rdnrn. 39, 81; a. A. BVerwGE 64, 274 (279); 115, 189 (202); BGHZ 67, 119 (125); offen gelassen zuletzt von OLG Frankfurt a. M., NJW 2003, 2843, 2845.

A. Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners

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des Betroffenen verfassungswidrig wären, machen das Einverständnis als solches nicht zwangsläufig ebenfalls unzulässig 407. Aus dem an die Ermittlungsorgane gerichteten verfassungsrechtlichen Verbot, den Beschuldigten zur Selbstbezichtigung zu zwingen, folgt demnach kein Verbot für den Beschuldigten, sich selbst zu belasten. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Rechtmäßigkeit der Selbstbelastung ist eine dahingehende, ausschließlich von autonomen Motiven bestimmte Entschlußfassung des Beschuldigten 408 sowie die Überschaubarkeit der an den Verzicht geknüpften Konsequenzen 409, insbesondere die konkreten verfahrensrechtlichen Konsequenzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann auch an der Rechtmäßigkeit des mit der Selbstbelastung verbundenen Grundrechtsverzichts kein Zweifel bestehen.

III. Der Schutz juristischer Personen vor Selbstbezichtigung Soweit der Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung für natürliche Personen von Verfassung wegen anerkannt ist, erübrigt sich eine Prüfung konventionsrechtlicher Vorgaben. Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch auf Grundlage der Menschenrechtskonvention ein Recht des Einzelnen, sich nicht selbst zu überführen („right not to incriminate oneself“), anerkannt 410. Der Schutz dieses Rechts geht aber für natürliche Personen im Hinblick auf das deutsche Insolvenzverfahren nicht weiter als der bereits durch das Grundgesetz gewährleistete. Bedeutung könnten die Maßstäbe der Menschenrechtskonvention allerdings für juristische Personen gewinnen. Juristische Personen können sich entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf einen grundrechtlichen Schutz vor Selbstbezichtigung berufen 411. Demnach schließe der sachliche Bezug 407 In diesem Sinne auch Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527 (540); Robbers, JuS 1985, S. 925 (929). 408 Vgl. hierzu Dreier, in: ders., Vorbem., Rdnr. 83; Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (68 ff.); Pieroth/Schlink, Rdnr. 139; Quaritsch, in: GS Martens, S. 407 (410); Robbers, JuS 1985, 925 (929); Sachs, Verfassungsrecht II, A 8, Rdnr. 41; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 260; Stern, Staatsrecht III/2, S. 913 f.; ebenso hinsichtlich des Verzichts auf die Rechte der EMRK Grabenwarter, § 18, Rdnr. 30. 409 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 229; Quaritsch, in: GS Martens, S. 407 (413); Robbers, JuS 1985, S. 925 (926); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 260. 410 Vgl. EGMR, Urteil vom 25.02.1993, Series A, Bd. 256-A, Ziff. 44 – Funke ./. Frankreich; Urteil vom 08.02.1996, RJD 1996-I, Ziff. 45 – John Murray ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 17.12.1996, RJD 1996-VI, Ziff. 68 – Saunders ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 19.09.2000, RJD 2000-IX, Ziff. 82 f. – I. J. L. u. a. ./. Vereinigtes Königeich (siehe hierzu auch EGMR, Entscheidung vom 08.07.2003, EuGRZ 2004, 777 ff. – Lyons u. a. ./. Vereinigtes Königreich); Urteil vom 21.12.2000, RJD 2000-XII, Ziff. 40 – Heany und McGuinness ./. Irland; zuletzt EGMR, Entscheidung vom 22.11.2001, NJW 2003, 3041, 3043 – Knauth ./. Deutschland. 411 BVerfGE 95, 220 (242); ebenso EuGH, Urteil vom 18.10.1989, Rs. 374/87 (Orkem ./. Kommission), Slg. 1989, 3283, Ziff. 20; Urteil vom 10.11.1993, Rs. C-60/92 (Otto ./. Postbank), Slg. 1993, I-5683, Ziff. 11.

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

zur Menschenwürde die Erstreckung des Schutzes vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung auf juristische Personen aus. Wenngleich diese Judikatur auch Kritik erfahren hat 412, ist ihr im Ergebnis zuzustimmen. Für juristische Personen besteht hinsichtlich des Zwangs zur Selbstbelastung keine den natürlichen Personen vergleichbare Gefährdungslage. Ein psychischer oder gewissensmäßiger Zwiespalt, wie er durch den Selbstbezichtigungsschutz vermieden werden soll 413, kann bei juristischen Personen naturgemäß nicht eintreten. Darüber hinaus besteht eine Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang auch nicht auf Grund der grundrechtlich garantierten negativen Meinungsfreiheit 414. Zwar schützt Art. 5 Abs. 1 GG die Meinungsäußerung inländischer juristischer Personen des Privatrechts 415. Der Schutzumfang der negativen Meinungsfreiheit erfaßt hingegen lediglich das Verschweigen solcher Äußerungen, welche im Falle ihrer Kundgabe als Meinungen im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu qualifizieren wären 416. Der Schuldner hat im Rahmen des Insolvenzverfahrens lediglich Tatsachen zu äußern. Da der Inhalt dieser Äußerungen einer objektiven Klärung und Nachprüfung zugänglich ist 417, wird er nicht von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Folglich kann ein Recht zum Verschweigen selbstbelastender Äußerungen ebenfalls nicht aus der negativen Meinungsfreiheit hergeleitet werden 418. Insoweit ist der verfassungsrechtliche Schutz durch das Persönlichkeitsrecht abschließender Natur. Anders als nach dem Grundgesetz ist der Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung juristischer Personen auf der Grundlage der Menschenrechtskonvention zu beurteilen. Der Gerichtshof anerkennt diesen Schutz, obgleich er in der Konvention keine ausdrückliche Erwähnung findet, als einen international respektierten Grundrechtsstandard und als Inbegriff eines fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK 419. Findet der Schutz vor Selbstbezichtigung mithin seine Grundlage Vgl. Weiß, JZ 1998, S. 288 (289 f., 293 ff.). So BVerfGE 95, 220 (242). 414 Hierzu Merten, DÖV 1990, S. 761; zur grundrechtlichen Garantie der Nichtbetätigung freiheitlicher Rechte grundsätzlich Merten, VerwArch. 73 (1982), S. 103 (S. 104 ff., insbesondere S. 106). 415 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 5, Rdnr. 168; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1126; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rdnr. 6. 416 Merten, DÖV 1990, S. 761. 417 Vgl. zur objektiven Nachprüfbarkeit als Element der Tatsachenäußerung Merten, DÖV 1990, S. 761 (762). 418 Ebenso Merten, DÖV 1990, S. 761 (763). 419 Vgl. EGMR, Urteil vom 25.02.1993, Series A, Bd. 256-A, Ziff. 44 – Funke ./. Frankreich; Urteil vom 17.12.1996, RJD 1996-VI, Ziff. 68 – Saunders ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 19.09.2000, RJD 2000-IX, Ziff. 82 f. – I. J. L. u. a. ./. Vereinigtes Königreich (siehe hierzu auch EGMR, Entscheidung vom 08.07.2003, EuGRZ 2004, 777 ff. – Lyons u. a. ./. Vereinigtes Königreich); Urteil vom 21.12.2000, RJD 2000-XII, Ziff. 40 – Heany und McGuinness ./. Irland; zuletzt EGMR, Entscheidung vom 22.11.2001, NJW 2003, 3041, 3043 – Knauth ./. Deutschland; ebenso Vogler, in: Internationaler Kommentar, Art. 6, Rdnr. 466. Die Kommission hatte zunächst die Erzwingung einer Aussage im Strafverfahren als Verstoß gegen die 412 413

A. Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners

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in Art. 6 Abs. 1 EMRK, so steht er grundsätzlich „jedermann“ und damit auch juristischen Personen offen 420. Fraglich ist hingegen, ob es sich bei dem deutschen Insolvenzverfahren um eine in Art. 6 Abs. 1 EMRK vorausgesetzte strafrechtliche Anklage handelt. Der Begriff der strafrechtlichen Anklage („criminal charge“) ist wie der Begriff der zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen 421 konventionsautonom auszulegen 422. Demnach unterfallen sämtliche auf die Verhängung einer Sanktion gerichteten staatlichen Ermittlungsverfahren grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK 423. So ging der Gerichtshof im Hinblick auf die Verhängung einer Geldstrafe wegen Auskunftsverweigerung in einem zollrechtlichen Verfahren von der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK aus 424. Eine entsprechende Erstreckung auf steuerrechtliche Vollstreckungsverfahren wurde auch innerhalb des Gerichtshofs erwogen 425. Gleichwohl können die diesen Erkenntnissen zugrunde gelegten Erwägungen nicht auf das deutsche Insolvenzverfahren übertragen werden. Zwar drohen auch im deutschen Insolvenzverfahren dem die Auskunft verweigernden Schuldner gemäß § 98 InsO Zwangsgeld und Haft. Anders als in den genannten Fällen ist die mögliche Verhängung von Sanktionen gegen den Schuldner im Insolvenzverfahren nicht Ausdruck des staatlichen Strafanspruchs, sondern Beugemittel, um der Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen Nachdruck zu verleihen. Sie stellen also nicht die – für Sanktionen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK charakteristische – Vergeltung begangenen Unrechts dar 426, sondern sollen erst für die Zukunft ein gesetzeskonformes Verhalten sicherstellen. Insoweit sind sie den Beugemitteln zur Erzwingung von Zeugenaussagen vergleichbar, für die die Kommission das Vorliegen einer die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 rechtfertigenden strafrechtlichen Sanktion verneinte 427. Resümierend ist festzuhalten, daß ein Schutz vor dem Zwang zur Selbstbezichtigung für juristische Personen im Insolvenzfall weder auf der Basis des Grundgesetzes noch auf der der Menschenrechtskonvention besteht.

Meinungsäußerungsfreiheit, Art.10 EMRK, angesehen, vgl. EKMR, Bericht vom 13.10.1992 – 16002/90, Ziff. 45 – K. ./. Österreich. Der Gerichtshof hat sich jedoch in der Folgezeit diese Beurteilung nicht zu eigen gemacht; gegen die Verortung des Schutzes vor Selbstbezichtigung bei Art. 10 EMRK auch Weiß, JZ 1998, S. 289 (290), sowie Grabenwarter, § 24, Rdnr. 77. 420 So EKMR, Bericht vom 30.05.1991 – 11598/85, Ziff. 66 – Société Stenuit ./. Frankreich; ebenso Weiß, JZ 1998, S. 289 (291). 421 Siehe hierzu oben Drittes Kapitel, E. II. 2. a). 422 Siehe statt aller Grabenwarter, § 24, Rdnr. 17. 423 EGMR, Urteil vom 21.02.1984, Series A, Bd. 73, Ziff. 56 – Öztürk ./. Deutschland. 424 EGMR, Urteil vom 25.02.1993, Series A, Bd. 256-A, Ziff. 44 – Funke ./. Frankreich. 425 Siehe zustimmende Meinung des Richters Ress zu EGMR, Urteil vom 12.07.2001, NJW 2002, 3455 – Ferrazzini ./. Italien. 426 Vgl. Grabenwarter, § 24, Rdnr. 18; Vogler, in: Internationaler Kommentar, Art. 6, Rdnr. 202. 427 EKMR, Bericht vom 13.10.1992 – 16002/90, Ziff. 38 f. – K. ./. Österreich.

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

IV. Die Haftanordnung bei Verletzung der Auskunftsund Mitwirkungspflichten und die Freiheit der Person Die Insolvenzordnung sieht in § 98 Abs. 2 InsO die Möglichkeit vor, den Schuldner, der gegen seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verstößt, in Haft nehmen zu lassen. Da diese Maßnahme einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verbürgte Freiheit der Person darstellt, muß sie sich an den Gewährleistungen dieses Grundrechts messen lassen. Besonderer Bedeutung kommt dabei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu. Insoweit ist der besonderen Bedeutung dieses Grundrechts Rechnung zu tragen 428, die eine Einschränkung nur aus besonders wichtigen Gründen zuläßt 429. Unter allen Umständen kommt die Haftanordnung nur als ultima ratio in Betracht. Dies wird in der insolvenzgerichtlichen Praxis nicht immer gebührend berücksichtigt. So verbietet es sich, eine Haftanordnung nur deshalb zu erlassen, weil der Schuldner – auch über einen längeren Zeitraum – seiner Pflicht zur Vorlage bestimmter Unterlagen nicht nachkommt 430. Die Insolvenzordnung enthält ein abgestuftes System der Zwangsmittelanwendung. Ihrem spezifischen Charakter als Beugemittel entsprechend kommt die Anordnung der Haft grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn vom Schuldner eine unvertretbare Handlung, etwa eine Auskunftserteilung oder eine unvertretbare Mitwirkungshandlung, verlangt wird. Bei vertretbaren Handlungen, etwa der Herausgabe von Unterlagen 431, entspricht es dem Gebot der Erforderlichkeit, wenn der Insolvenzverwalter zunächst aus eigener Kraft versucht, sich diese Unterlagen zu beschaffen. Die Insolvenzordnung räumt ihm hierzu in allen Verfahrenstadien die nötigen Befugnisse bis hin zur Wohnungsdurchsuchung ein. Erst wenn diese Zwangsmittel keinen Erfolg versprechen, die Vornahme der vertretbaren Handlung durch den Verwalter anstelle des Schuldners also rein praktisch ausscheidet, kommt die Haftanordnung in Betracht.

B. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners und die verfassungsrechtliche Gewährung von Freizügigkeit Eine Ergänzung erfahren die schuldnerischen Pflichten zur Mitwirkung und Auskunftserteilung durch die in § 97 Abs. 3 InsO statuierte Verpflichtung des Schuldners, sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu stellen, um seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Dieser im insolvenzrechtlichen Schrifttum unter dem Topos der schuldnerischen „Residenzpflicht“ diskutierte The-

428 429 430

Vgl. hierzu BVerfGE 65, 317 (322). BVerfGE 22, 180 (219). Verfassungsrechtlich höchst zweifelhaft daher das Urteil des LG Köln, ZInsO 2004,

756 f. 431

So lag der Sachverhalt im Fall, den das LG Köln, ZInsO 2004, 756 f., zu entscheiden hatte.

B. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners

97

menbereich 432 hat mit den eigentlichen Aufenthaltsgeboten des öffentlichen Dienstrechts 433, denen der Begriff der Residenzpflicht entwachsen ist 434, wenig gemein. Entgegen der zum Konkursrecht geltenden Bestimmung des § 101 KO, wonach sich der Schuldner nur mit Erlaubnis des Gerichts von seinem Wohnort entfernen durfte, enthält die Insolvenzordnung kein Verbot, den vorhandenen Wohnort zu verlassen. Eine Residenzpflicht gibt es daher nach der neuen Rechtslage nicht mehr435. Es erscheint daher sinnvoller – in Anlehnung an die ursprüngliche Überschrift zur Vorgängerregelung im Diskussionsentwurf des Bundesminsteriums der Justiz 436 – lediglich von einer Bereitschaftspflicht des Schuldners zu sprechen.

I. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners und Art. 11 GG Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 101 KO wurde im Schrifttum verschiedentlich mit schwer von der Hand zu weisenden Argumenten angezweifelt 437. Insbesondere wurde zu Recht darauf verwiesen, daß § 101 KO keine präventivpolizeilichen Zwecke verfolge und daher nicht unter die Schrankenregelung des Art. 11 Abs. 2 GG subsumiert werden könne. Allein die Zielsetzung, die schuldnerischen Mitwirkungspflichten auf diese Weise sicherzustellen, reiche insoweit nicht aus 438. Teilweise wurde daher eine verfassungskonforme Auslegung des § 101 KO in der Weise erwogen, daß lediglich für eine Reise oder Wohnsitzverlagerung ins Ausland eine richterliche Erlaubnis erforderlich sei 439. Während Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 101 KO auf Grund der geschilderten Argumente ihre Berechtigung hatten, stellt sich nunmehr die Frage, inwieweit die Neuregelung des § 97 Abs. 3 InsO entsprechende Bedenken im Hinblick auf das Grundrecht aus Art. 11 GG zu entkräften vermag.

Siehe hierzu Gerhardt, Dike International, S. 81; Lepa, S. 198 ff. Vgl. §§ 74, 75 BBG. 434 Eine Residenzpflicht in diesem Sinne enthielt beispielsweise § 92 Teil II Titel 10 ALR; vgl. zur Aufgabe der Residenzpflicht im Beamtenrecht VGH Baden-Württemberg, NVwZ 1992, 595. 435 Zu weitgehend daher die im Beschluß des LG Göttingen, ZIP 2000, 2174, wiedergegebene Aufenthaltsbestimmung. 436 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), § 106 Diskussionsentwurf „Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts“. 437 So Adam, S. 195 f.; Gerhardt, Dike International, S. 81 f.; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 28, Fn. 17; Quack, Rpfleger 1975, S. 185 (186); Randelzhofer, in: Bonner Kommentar, Art.11, Rdnr. 171.; siehe im Hinblick auf Art.5 EMRK EKMR, Entscheidung vom 10.03.1981 – 8988/80, Ziff. 4; zum Verhältnis von insolvenzrechtlicher Residenzpflicht und Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK nunmehr auch EGMR, Urteil vom 17.07.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 94 ff. – Luordo ./. Italien mit Anm. von Vogl, EWiR 2003, S. 1135 f. 438 Adam, S. 195 f.; Quack, Rpfleger 1975, S. 185 (186). 439 Eickmann, in: Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch, 1. Aufl., § 31, Rdnr. 26; ähnlich Hartmann, S. 115, Fn. 6. 432 433

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

Gemäß Art. 11 Abs. 1 GG genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Unter Freizügigkeit in diesem Sinne ist das Recht zu verstehen, an jedem Orte innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen 440. Das Recht der Wohnsitznahme als die verfassungsrechtliche Gewährleistung, an einem Ort mit der vorgefaßten Absicht des dauernden Verweilens zu bleiben und dort seinen Lebensmittelpunkt zu begründen 441, wird durch § 97 Abs. 3 InsO ersichtlich nicht tangiert. Der Schuldner bedarf für die Entfernung von dem Ort, an dem er seine verfahrensrechtlichen Pflichten zu erfüllen hat – dies muß nicht notwendig der Wohnort sein –, nicht mehr der gerichtlichen Genehmigung. Die Pflicht, sich auf Verlangen dem Gericht zur Verfügung zu stellen, verhält sich vielmehr im Hinblick auf die Frage der Wohnsitznahme neutral. Im Gegensatz zum alten Recht wird durch die nunmehr statuierte Bereitschaftspflicht auch die freie Wahl des Aufenthaltsortes nicht berührt. Aufenthalt im Sinne des Art. 11 GG ist sowohl das ständige als auch das vorübergehende Verweilen an einem Ort, wobei jedoch ein Zustand von einiger Bedeutung und Länge erforderlich ist 442. Bei der Beurteilung der Frage, wann dieser Zustand erreicht ist, kann die – allerdings bestrittene – tatbestandsbegrenzende Voraussetzung der (zumindest) einmaligen Übernachtung 443 den Vorzug der Klarheit und Eindeutigkeit für sich in Anspruch nehmen 444. Die nur punktuelle Anwesenheit an einem Ort reicht jedenfalls nach allgemeiner Auffassung nicht aus 445. Die Bereitschaftspflicht des § 97 Abs. 3 InsO gebietet, daß der Schuldner auf gerichtliche Anordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, nämlich dem des Gerichts, anwesend sein muß 446. Diese Anwesenheit ist lediglich eine momentane und wird in der Regel nur wenige Stunden umfassen. Der für den Aufenthalt erforderliche Zeitraum von einiger Dauer, der über das stundenweise Verweilen an einem Ort hinausgehen muß 447, liegt beim Erscheinen vor Gericht somit nicht vor. Insoweit verhält sich die Bereitschaftspflicht des Schuldners nicht anders als beispielsweise die den Zeugen auferlegte Pflicht, vor Gericht zu erscheinen und dort auszusagen. Diese Pflicht ist – so440 BVerfGE 2, 266 (273); 43, 203 (211); 80, 137 (150); 110, 177 (190f.); Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 11, Rdnr. 24; Hailbronner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 131, Rdnr. 22; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 11, Rdnr. 11; Pernice, in: Dreier, Art. 11, Rdnr. 12; zur Entwicklung des Wortlauts von Art. 11 GG und der Definition des Freizügigkeitsbegriffs eingehend Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 16 f. 441 Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 18. 442 Hailbronner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 131, Rdnr. 25; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 11, Rdnr. 2; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 52; im Ergebnis wohl auch Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 11, Rdnr. 14. 443 So Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 52; zustimmend Jarass, in: ders./ Pieroth, Art. 11, Rdnr. 2. 444 Ebenso Ziekow, in: Berliner Kommentar, Art. 11, Rdnr. 44. 445 Siehe hierzu statt vieler Rittstieg, in: AK-GG, Art. 11, Rdnr. 32. 446 Vgl. LG Göttingen, ZIP 2000, 2174, 2175. 447 Hierzu Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 11, Rdnr. 2; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 43 f.

B. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners

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weit ersichtlich – bislang auch zu Recht nicht am Maßstab des Art.11 GG gemessen worden 448. Durch seine Pflicht, sich dem Gericht zur Verfügung zu stellen, wird der Schuldner auch nicht in der Wahl seines Aufenthaltsortes rechtlich oder faktisch auf ein bestimmtes Gebiet festgelegt. Zwar muß der Schuldner zu dem in der Vorladung genannten Zeitpunkt vor Gericht erscheinen. Diese Pflicht ist für den Schuldner aber bereits deshalb nicht mit gravierenden Umständen verbunden und daher im Hinblick auf seine Freizügigkeit nicht von besondere Bedeutung, weil sich das Insolvenzgericht grundsätzlich gemäß § 3 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 13 ZPO am Wohnsitz des Schuldners befindet. Ziel der Gerichtsstandsregelungen der Insolvenzordnung war es, eine schuldnernahe Gerichtsbarkeit zu etablieren 449. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners hat daher keine tiefgreifende Ortsveränderung zur Folge und berührt weder nach Länge noch nach ihrer Intensität den Schutzbereich der Freizügigkeit 450.

II. Die Bereitschaftspflicht des Schuldners und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG Gleichwohl greift die Bereitschaftspflicht des Schuldners in dessen Freiheitsraum ein und berührt damit dessen Grundrechtssphäre. Ein Teil des insolvenzrechtlichen Schrifttums geht davon aus, daß die Bereitschaftspflicht zu einer Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit des Schuldners führe und damit einen Eingriff in die Freiheit der Person im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darstelle 451. Diese Überlegungen begegnen durchgreifenden Bedenken und verkennen Gehalt und Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Bei einer Betrachtung der historischen Entwicklung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und seiner systematischen Stellung in der Verfassung wird deutlich, daß das hoheitliche Gebot, an einem bestimmten Ort, zu einer festgelegten Zeit vorstellig zu werden, nicht den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG berührt. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG knüpft an den vor allem aus der angelsächsischen Grundrechtstradition stammenden Schutz vor willkürlicher staatlicher Verhaftung („Habeas Corpus“) an und steht in engem sachlichen und systematischen Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 104 GG 452. Die Freiheit der Person trägt dem Gedanken Vgl. zum Zeugniszwang etwa BVerfGE 38, 312 (319 ff.). Vgl. hierzu Ganter, in: Münchener Kommentar, § 3, Rdnr. 2; Uhlenbruck, in: ders., § 3, Rdnr. 2. 450 Folgerichtig bestand auch keine Verpflichtung des Gesetzgebers auf eine etwaige Einschränkung der Freizügigkeit hinzuweisen. Der von Roellenbleg, NZI 2004, S. 176 (183) konstatierte Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG liegt somit nicht vor. 451 Gerhardt, Dike International, S. 83 f.; Lepa, S. 200 f. 452 BVerfGE 10, 302 (322); 14, 174 (186); Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 52 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 60. 448 449

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

Rechnung, daß das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zur bloßen Leerformel geriete, wenn die körperliche Integrität zwar unangetastet bliebe, der Grundrechtsträger sich aber zugleich willkürlichen Freiheitsstrafen, Verhaftungen, Festnahmen, Internierungen oder ähnlichen Maßnahmen ausgesetzt sähe. In Ergänzung zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährt die Freiheit der Person daher nach vorzugswürdiger Ansicht lediglich Schutz vor permanenter oder temporärer Freiheitsentziehung durch Festhalten an einem eng umgrenzten Ort, garantiert aber nicht schlechthin jedwede Bewegungsfreiheit, insbesondere nicht das Recht, einen Ort nach Belieben aufzusuchen 453. Maßgeblich für die Frage des Eingriffs in die persönliche Freiheit dürfte der Schwerpunkt der Zielsetzung der in Frage stehenden Maßnahme sein. Liegt dieser nicht im Freiheitsentzug an sich, sondern stellt sich dieser lediglich als unumgängliche Nebenfolge dar, liegt kein Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 1 Satz 2 GG vor 454. In Ausnahmefällen kann indes auch eine bloße Beschränkung einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darstellen, solange sie nach ihrer Intensität, Dauer und Zielsetzung den Betroffenen nicht mehr auf freiem Fuße läßt 455. Entscheidender Beurteilungsmaßstab für die Frage des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist daher, inwieweit der Betroffene seinen momentanen Aufenthaltsort nach eigenem Belieben verlassen kann oder aber durch richterlichen oder behördlichen unmittelbaren Zwang am Verlassen gehindert ist 456. Durch das hoheitliche Gebot, an einem bestimmten Ort, zu einer festgelegten Zeit vorstellig zu werden, wird der Betroffene gerade nicht am Verlassen eines bestimmten Aufenthaltsortes gehindert. Diesem Gebot fehlt überdies über die Festlegung von Ort und Zeit hinaus das Element eines unmittelbaren richterlichen oder behördlichen Zwangs 457. 453 Ebenso Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 56 f.; Pernice, in: Dreier, Art. 11, Rdnr. 14; ähnlich auch Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, Rdnr. 6 f.; Krüger, in: Sachs, Art. 11, Rdnr. 31; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 65; a. A. Dürig, in: Maunz/ ders., Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 49; Pieroth/Schlink, Rdnr. 414. 454 Zur Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff vorliegt, kann die von der Rechtsprechung im Hinblick auf Art. 104 GG vorgenommene Unterscheidung zwischen Freiheitsbeschränkung und -entziehung nach der Eingriffsintensität wertend herangezogen werden, vgl. hierzu BVerwGE 62, 325 (327); 82, 243 (245); VG Berlin, NVwZ-RR 1990, 188; BGHZ 82, 261 (267/269 f.); KG, NVwZ 2000, 468. Ebenso bieten sich die zu Art. 5 EMRK herangezogenen Maßstäbe als Unterscheidungskriterium an, grundlegend hierzu EGMR, Urteil vom 8.6.1976, Series A, Bd. 22, Ziff. 59 – Engel ./. Niederlande; Urteil vom 6.11.1980, Series A, Bd. 39, Ziff. 92 f. – Guzzardi ./. Italien; Urteil vom 25.06.1996, RJD 1996-III, Ziff. 42 – Amuur ./. Frankreich. 455 Hierzu auch Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 57, Fn. 27; ebenso wohl auch Ziekow, in: Berliner Kommentar, Art. 11, Rdnr. 40. 456 Vgl. hierzu auch §§ 35 Abs. 3, 350 Abs. 3 S. 1 StPO und die zu diesen Vorschriften ergangene Rechtsprechung, insbesondere BGHSt 13, 209 (212), sowie Meyer-Goßner, § 35, Rdnr. 13. 457 BVerfGE 22, 21 (26); BVerwGE 6, 354 (355); Dürig, in: Maunz/ders., Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 50; Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 130, Rdnr. 6 f.; Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 56 f.; Murswiek, in: Sachs, Art.2, Rdnr. 239; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 65; a. A. wohl Pieroth/Schlink, Rdnr. 415, die einen Eingriff dann annehmen, wenn sich die Pflicht zum Erscheinen auf einen bestimmten Zeitpunkt bezieht.

C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung

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Dementsprechend ist auch die insolvenzgerichtliche Verfügung im Sinne des § 97 Abs. 3 InsO nicht am Maßstab des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, sondern lediglich am Maßstab der allgemeinen Handlungsfreiheit zu messen. Da die Vorladung des Schuldners zum Zwecke einer zügigen Verfahrensabwicklung und einer umfassenden Erfassung des schuldnerischen Vermögens geeignet und erforderlich sein kann, dürften hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Regelung in der Regel keine Bedenken bestehen. Soweit ein Teil des Schrifttums eine Freiheitsbeeinträchtigung im Sinne des Art.2 Abs. 2 Satz 2 GG dann befürwortet, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit bei Nichtbefolgung einer Anordnung mit sofortigem unmittelbaren Zwang zu rechnen ist 458, ergibt sich hieraus für die insolvenzrechtliche Diskussion kein anderer Befund. Bei der Bereitschaftspflicht des Schuldners folgt der staatliche Zwang allein aus der Vorgabe eines angeordneten Zeitpunktes. Zwar räumt § 98 Abs. 2 InsO auch die Möglichkeit der zwangsweisen Vorführung des Schuldners ein. Diese Möglichkeit ist jedoch nicht unmittelbare Folge des Nichterscheinens, sondern bedarf einer erneuten, vorherigen Entscheidung des Gerichts, wobei die jeweils zu ergreifenden Zwangsmittel einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen. Durch die bloße Vorgabe des Erscheinens zu einem bestimmten Zeitpunkt wird die Freiheit der Person jedoch nicht berührt 459.

C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung I. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Im Zusammenhang mit der öffentlichen Bekanntmachung der Insolvenzverfahrenseröffnung und deren Eintragung in die Register sowie der in der Verfahrenspraxis besonders relevanten Akteneinsicht durch die Gläubiger werden personen- oder unternehmensbezogene Informationen über den Schuldner dem Zugang durch die Öffentlichkeit erschlossen. Dies gilt erst recht für die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 InsO in der Fassung des Insolvenzrechtsänderungsgesetz 460 vorgesehene öffentliche Bekanntmachung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem. Die Bestimmung des elektronischen Informations- und Kommunikationssystems (der Internetplattform) obliegt dabei – wie die Bestimmung des amtlichen Veröffentlichungsblatts – den Landesjustizverwaltungen. Einige Bundesländer – z. B.

458 So Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 76; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2, Rdnr. 61; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 65. 459 Ebenso BVerfGE 22, 21 (26); BVerwGE 6, 354 (355); Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 130, Rdnr. 6 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 65; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 2, Rdnr. 131. 460 Vom 26.10.2001 (BGBl. I S. 2710).

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

Nordrhein-Westfalen 461 – haben in Ausführung der gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten eine Veröffentlichung von insolvenzrechtlichen Daten im Internet vorgenommen 462. Daten über die Eröffnung von Insolvenzverfahren, aber auch Informationen über die regelmäßig nicht öffentlich bekannt zu machende Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse (§ 26 InsO) finden sich darüber hinaus in den Angeboten weiterer, nicht speziell insolvenzrechtlich ausgerichteter Internetanbieter 463. Mit Blick auf die mit der Internetveröffentlichung verbundene Publizitätswirkung rückt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ins Blickfeld. Dieses Grundrecht ist eine spezifische Ausprägung des durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts 464. Es verbürgt seinem Träger Schutz gegen die unbegrenzte Weitergabe der auf ihn bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten 465. Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht bloß für automatisch erfaßte und verarbeitete Daten des Schuldners Geltung beansprucht, sondern für jegliche personenbezogenen Daten, wie sie etwa in gerichtlichen Akten und Unterlagen vorhanden sind, Schutz gewährleistet 466, sind die mit ihm verbundenen Garantien auch bei entsprechenden Maßnahmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen.

II. Die Verlautbarung der Vermögensverhältnisse von natürlichen Personen in Registern und Verzeichnissen Die zuvor beschriebenen Grundsätze kommen jedenfalls dann uneingeschränkt zur Anwendung, wenn es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person handelt. Dessen Bestimmungsrecht über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten wird im Rahmen des Insolvenzverfahrens insbesondere durch die gemäß §§ 23 Abs. 1, 30 ff. InsO erfolgende öffentliche Bekanntmachung der Anordnung von Si461 Vgl. Allgemeine Verfügung (AV) des Justizministers vom 13.03.2002 (JMBl. NRW S. 82) sowie die dazu eingerichtete Internetseite http://www.insolvenzen.nrw.de. 462 Siehe hierzu Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“, Abschlußbericht: Probleme der praktischen Anwendungen und Schwachstellen des Regelinsolvenzverfahrens – Analyse und Änderungsvorschläge, S. 163; für die Internetveröffentlichung hat sich auch die Bundesregierung ausgesprochen, vgl. Bericht der Bundesregierung über Daten- und Persönlichkeitsschutz bei der Veröffentlichung insolvenzrechtlicher Daten über das Internet, BT-Drucks. 15/181; kritisch zur Internetveröffentlichung hingegen Landesbeauftrafter für den Datenschutz Bremen, 23. Jahresbericht, S. 61 f, sowie Landesbeauftragter für den Datenschutz Saarland, 19. Tätigkeitsbericht, S. 37. 463 So bietet der Verein Creditreform unter http://www.alexis.de einen kosten- und zulassungspflichtigen Dienst an, mit dem einem eingeschränkten Personenkreis unter Beachtung der Vorschriften der Schuldnerverzeichnisverordnung über das Internet Zugang zu den Daten aus dem Schuldnerverzeichnis gewährt wird. Hierzu zählen auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Abweisung mangels Masse. 464 BVerfGE 65, 1 (41 f.); OLG Hamburg, AfP 1992, 376 ff. 465 Vgl. BVerfGE 65, 1 (41 ff.); 67, 100 (142 f.); 76, 363 (388); 77, 1 (46); 78, 77 (84); 80, 367 (373); 84, 192 (194); 88, 87 (97). 466 BVerfGE 78, 77 (84).

C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung

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cherungsmaßnahmen sowie der Insolvenzverfahrenseröffnung und deren Eintragung in verschiedene öffentliche Register berührt. Zu nennen sind hier insbesondere das Handels-, Genossenschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister sowie das Grundbuch. Desgleichen gilt für die bei Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse gemäß § 26 Abs. 2 InsO erfolgende Eintragung des Schuldners in ein Schuldnerverzeichnis. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt vor, wenn die sich auf seine Person beziehenden Daten am Betroffenen vorbei, ohne seine Entscheidung verwendet werden 467. Bei der Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung sowie der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis handelt es sich um eine Tätigkeit spezifisch datenbezogenen Charakters. Für die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verweist § 26 InsO auf die Vorschriften der Zivilprozeßordnung. Demnach ist gemäß § 915 Abs. 3 ZPO jedermann, auch ohne daß es des Nachweises eines rechtlichen Interesses bedürfte, Einsicht in das Schuldnerverzeichnis zu gewähren. Durch die Eintragung und die Bekanntmachung werden die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners einem rechtlich nicht eingrenzbaren Personenkreis zugänglich gemacht. Es liegt somit ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor. Soweit mit der Bekanntmachung zugleich Belastungen des Schuldners gesellschaftlicher und insbesondere wirtschaftlicher Art verbunden sind, bleibt daneben für eine Berufung des Schuldners auf seine durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 468 kein zusätzlicher Raum 469. Da die Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung primär die Verfügungsbefugnis des Schuldners über seine persönlichen Daten betrifft und damit einen prägenden Informationsbezug aufweist, ist sie auch lediglich anhand der spezielleren und sachspezifischen Kriterien des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu beurteilen. Ein etwaiger mit der Bekanntmachung verbundener Eingriff in die Berufsehre des Schuldners sowie in seine Reputation und Marktstellung geht somit im Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf. Die betroffenen Rechtgüter erfahren hierdurch zugleich einen umfassenderen Schutz, da die Menschenwürde als Interpretationsrichtlinie des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an die Rechfertigung von Eingriffen höhere Anforderungen stellt als sie für Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit gelten 470. Vor diesem Hintergrund begegnet die öffentliche Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung gleichwohl keinen verfassungsrechtlich durchgreifenden Bedenken. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht absolut gewährleistet. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Eingriffe in BVerfGE 65, 1 (43 f.). Hierzu BVerfGE 12, 341 (347); 27, 375 (384); 29, 260 (266f.); 50, 290 (366); 65, 196 (210); 70, 115 (123); 95, 267 (303); BVerfG (Kammer), DVBl. 1991, 309; BVerwGE 60, 154 (159); vgl. auch Badura, DÖV 1990, S. 353 (355); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 101 ff., 116 ff. 469 A. A. offenbar Lepa, S. 128 f. 470 Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 30; Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rdnr. 62. 467 468

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

die informationelle Selbstbestimmung dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sie auf Grund einer gesetzlichen Grundlage erfolgen, die hinreichend klar formuliert ist und sowohl die Voraussetzungen als auch den Umfang des Eingriffs für den Betroffenen deutlich genug bestimmt 471. Zudem muß der Eingriff seine Rechtfertigung im überwiegenden Allgemeininteresse finden 472. Entsprechend diesen Voraussetzungen hat das Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage des alten Konkursrechts zur Eintragung des Schuldners im Schuldnerverzeichnis entschieden, daß eine öffentliche Verlautbarung der Vermögenslosigkeit des Schuldners dem berechtigten Informationsinteresse der Marktteilnehmer und damit einem überwiegenden Allgemeininteresse dient 473. Die Eintragung komme insoweit dem Schutz und der Warnung des Kreditgewerbes und des soliden Geschäftsverkehrs vor unzuverlässigen Schuldnern zugute, deren Interessen bei einer Abwägung gegenüber den Belangen des Schuldners auf Geheimhaltung prävalierten 474. Diese Argumentation des Gerichts kann auch nach dem neuen Recht auf staatliche Bekanntmachungen, welche den Eintritt der Insolvenzreife des Schuldners betreffen, übertragen werden. Ferner ist die Verlautbarung der Insolvenzreife in öffentlichen Registern zum Zwecke der Aufrechterhaltung eines geordneten Wettbewerbs erforderlich. Das Insolvenzverfahren verfolgt das Ziel, durch das Ausscheiden unrentabler Unternehmen vom Markt einen geordneten Wettbewerb zwischen den verbleibenden Marktteilnehmern sicherzustellen 475. Diese volkswirtschaftlich notwendige sog. – sit venia verbum – Ausscheidungsfunktion des Insolvenzverfahrens liefe gerade bei Insolvenzen lokalen Ausmaßes leer, wäre dem Staat die Information der Marktteilnehmer über die Insolvenz als geschäfts- und marktrelevanter Faktor verschlossen.

III. Die Verlautbarung der Vermögensverhältnisse von juristischen Personen Eine differenzierte Betrachtung verlangt die Anwendbarkeit des informationellen Selbstbestimmungsrechts auf insolvente juristische Personen des Privatrechts 476. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung findet als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts seinen Geltungsgrund nach allgemeiner BVerfGE 65, 1 (44). BVerfGE 65, 1 (43 f.); 78, 77 (85); 92, 191 (197); BVerfG (Kammer), NVwZ 1988, 1119; (Kammer) NJW 1990, 563; BVerwG, NJW 1988, 1863; NJW 1990, 2761, 2762; NJW 1990, 2765, 2766; NJW 1998, 919, 920. 473 BVerfG (Kammer), NJW 1988, 3009 f. 474 Ebenso Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 92. 475 Vgl. zur „Ausscheidungsfunktion“ des Insolvenzrechts Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (183); Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 100; Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, S. 305; Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 342. 476 Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind gemäß § 12 InsO nicht insolvenzfähig; hierzu schon o. Drittes Kapitel, A. III. 2. 471 472

C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung

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Auffassung nicht nur in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, sondern wird gleichermaßen auch von dem durch Art. 1 Abs. 1 GG vermittelten Schutz menschlicher Würde inhaltlich mitgeprägt 477. Auf Grund dieser Fundierung des Persönlichkeitsrechts in der Menschenwürde verneint die zutreffende Auffassung im verfassungsrechtlichen Schrifttum eine undifferenzierte Anwendbarkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf juristische Personen 478. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bislang die Frage nach einer wesensmäßigen Anwendbarkeit des Persönlichkeitsrechts auf juristische Personen im Grundsatz ausdrücklich offen gelassen 479. Für juristische Personen hat das Gericht jedoch einen betriebsbezogenen Datenschutz ausdrücklich anerkannt480. Grundlage dieses Schutzanspruchs sei demnach nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 14 GG 481. Insoweit wird mit den betriebsbezogenen Daten ein ökonomischer Schutzbereich erschlossen, der juristischen Personen einen sozialen Geltungsbereich als Subjekte des Wirtschaftslebens sichert. Anders als die informationelle Selbstbestimmung natürlicher Personen, die vor der Preisgabe persönlicher Daten schützt, wird hiermit aber kein Bereich privater Lebensgestaltung gewährleistet. Da der betriebsbezogene Datenschutz nicht durch den Menschenwürde-Satz geprägt wird, unterliegt er auch weitergehenderen staatlichen Eingriffen, als sie im Rahmen des Persönlichkeitsrechts möglich sind. Unbeschadet des geringeren grundrechtlichen Schutzstandards bei juristischen Personen können die insolvenzrechtlichen Verlautbarungen zu gravierenden Auswirkungen auf die wirtschaftliche Sphäre der schuldnerischen Unternehmen führen;

477 Dreier, in: ders., Art.2, Rdnr. 50; Kunig, in: v. Münch/ders., Art.2, Rdnr. 30; Murswiek, in Sachs, Art. 2, Rdnrn. 62 f. 478 Dreier, in: ders., Art.2, Rdnr. 56; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art.19, Rdnr. 333; Jarass, NJW 1989, S. 857 (859 f.); Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 39; speziell für die informationelle Selbstbestimmung: Hirte, NJW 1988, S. 1698 (1704); Kunig, Jura 1993, S. 595 (599); Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 129, Rdnr. 88; für eine Anwendbarkeit auf juristische Personen Tettinger, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 51, Rdnr. 75; siehe zum Schutz personenbezogener Daten juristischer Personen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene Bernsdorff, in: Meyer, Art. 8, Rdnr. 18; zum Schutz personenbezogener Daten auf Ebene der EMRK Grabenwarter, § 22, Rdnr. 4. 479 Vgl. BVerfGE 95, 220 (242); BVerfG (Kammer), NJW 2002, 3619, 3622; speziell für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung BVerfG (Kammer), RdE 2001, 110. 480 BVerfGE 67, 100 (142 f.); 77, 1 (46 f.); BVerfG, NJW 1991, 2129, 2132; so auch OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ 2000, 449, 450; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 137. 481 Der Schutz betriebsbezogener Daten dürfte als Bestandteil des eingerichteten und ausgerichteten Gewerbebetriebes speziell durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet sein, vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rdnr. 99. In seiner jüngsten Rechtsprechung rekurriert das Bundesverfassungsgericht hingegen vornehmlich auf Art. 12 Abs. 1 GG, wobei es eine mögliche Berührung von Art 14 Abs. 1 GG mit dem Hinweis offen lässt, dass ein Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch Art. 14 Abs. 1 GG jedenfalls nicht weiter gehe als der durch Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, DVBl. 2006, 694, 703 f.; vgl. auch BVerwG, DÖD 2004, 257, 260 f.).

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

sei es, daß sich Kreditgeber weitestgehend zurückziehen oder die Vergabe weiterer Kredite an verschärfte Konditionen knüpfen, sei es, daß Geschäftspartner von der Zulieferung für die Aufrechterhaltung des Betriebes benötigter Materialien Abstand nehmen oder Arbeitnehmer kündigen. Dieser wirtschaftliche Image- und Vertrauensverlust kann zukünftige unternehmerische Tätigkeiten des Schuldners erschweren oder gar unmöglich machen. Namentlich Lepa folgert aus diesem Umstand, daß die öffentliche Bekanntmachung der Insolvenzverfahrenseröffnung auf Grund der damit verbundenen Folgen für das Ansehen und die Berufsehre des Schuldners einen Eingriff sowohl in die Berufsausübungsfreiheit als auch in das Eigentumsgrundrecht darstelle und daher am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen sei 482. Dieser Auffassung ist zuzugeben, daß jedenfalls mittelbare Auswirkungen auf die Berufstätigkeit und die Ausübung der Eigentumsbefugnisse durch die Bekanntmachung und Eintragung nicht geleugnet werden können. Im Ergebnis begegnen die genannten Argumente jedoch durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifeln. Bei den mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen Bekanntmachungen des Insolvenzgerichts handelt es sich um marktbezogene staatliche Informationsakte. Solche staatlichen Informationsakte stellen keine imperativen Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG dar 483. Sie verfolgen weder das Ziel, die Berufsausübung des Schuldners einzuschränken noch ihn vom Markt zu verdrängen. Negative Folgewirkungen sind nicht unmittelbar an die staatliche Information geknüpft, sondern setzen ein entsprechendes Verhalten der durch die Verlautbarung gewarnten Marktteilnehmer voraus. Sie sind daher an Faktoren geknüpft, welche der autonomen Bestimmung nicht-hoheitlich handelnder – und daher grundrechtungebundener – dritter Personen unterliegen 484. Da Einschränkungen der Berufsausübung bei Informationen somit lediglich eine Nebenfolge des staatlichen Handelns sein können, sind sie als faktisch-mittelbare Beeinträchtigungen der Berufsausübungsfreiheit zu qualifizieren 485. Diese tangieren die Berufsfreiheit lediglich, soweit sie für diese von einigem Gewicht sind, in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufes Lepa, S. 126, 128 ff., 131. Siehe zu dem durch Finalität, Unmittelbarkeit, Rechtsförmigkeit und imperativen Gehalt gekennzeichneten klassischen Eingriffsbegriff Bleckmann, Staatsrecht II, § 12, Rdnrn. 32 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnrn. 58 ff.; Lerche, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 121, Rdnrn. 45 ff.; Lübbe-Wolff, S. 42 ff.; Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 7 ff. 484 Zum Unmittelbarkeitskriterium als Bestandteil des klassischen Eingriffsbegriffs Bleckmann, Staatsrecht II, § 12, Rdnr. 35. 485 Vgl. zu mittelbaren Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit durch staatliche Informationsakte BVerfGE 105, 252 (264 ff.); 106, 275 (298 ff.); BVerwGE 71, 183 (191 ff.); 87, 37 (42 ff.); 90, 112 (121 f.); OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 1986, 2783; OVG Hamburg, NordÖR 2005, 23, 26; zur mittelbar-faktischen Beeinträchtigung von Art. 11 Abs. 1 GG neuerdings BVerfGE 110, 177 (191 f.); zur Beeinträchtigung des Art. 4 GG durch Informationsakte OVG Hamburg, NordÖR 2005, 23, 25 ff.; allgemein zu den Voraussetzungen mittelbarer Eingriffe Lübbe-Wolff, S. 70 ff.; Murswiek, NVwZ 2003, S. 1 (3 ff.); Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 225 ff., 298 ff.; Stern, Staatsrecht III/2, S. 95 ff. 482 483

C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung

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stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen 486. Nicht jede faktisch wirkende Betroffenheit des Einzelnen reicht bei seiner beruflichen Tätigkeit aus 487. Vielmehr bedarf die staatliche Maßnahme, um im Hinblick auf Art.12 Abs. 1 GG Relevanz zu begründen, einer gewissen Intensität 488. Diese Voraussetzungen werden durch die öffentlichen Verlautbarungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht erfüllt. Die Verlautbarungen enthalten ausschließlich wertneutrale, rein sachbezogene und – abgesehen von Ausnahmefällen – zutreffende Angaben 489, welche die erforderliche Intensität nicht aufweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf die Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis festgestellt, die Mitteilung unternehmens-, aber auch – in eigenschränktem Umfang – personenbezogener Informationen über den Schuldnerstatus trage in einer modernen Marktwirtschaft zur Verringerung volkswirtschaftlicher Fehlentwicklungen bei und diene damit dem Schutz aller Marktteilnehmer als überwiegendem Allgemeininteresse 490. Handelt es sich somit bei den insolvenzrechtlichen Verlautbarungen ausschließlich um rein marktbezogene, sachlich gehaltene Angaben, so kommt ihnen die mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG erforderliche Grundrechtsrelevanz nicht zu. Die erforderliche Intensität eignet den insolvenzrechtlichen Verlautbarungen auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines etwaigen wettbewerbsregelnden Einflusses. Zwar können tiefgreifende wettbewerbsbestimmende Maßnahmen einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG darstellen 491. Den Vorschriften über den unlauteren Wettbewerb vergleichbar führen die insolvenzrechtlichen Informationsakte aber nicht zu einer wettbewerbsverzerrenden Wirkung, sondern stellen vielmehr durch die Warnung vor unredlichen oder gar betrügerischen Geschäftsteilnehmern einen ordnungsgemäßen Ablauf des Wettbewerbs sicher. Der durch die insolvenzrechtlichen Warnungen faktisch hervorgerufene Vorteil anderer mit dem Schuldner in Wettbe486 Vgl. BVerfGE 13, 181 (185 f.); 31, 8 (29); 47, 1 (21); 49, 24 (47 f.); 52, 42 (54); 55, 7 (25 ff.); 61, 291 (308); 70, 191 (214); 81, 108 (121 f.); 95, 267 (302); 97, 228 (253 f.); BVerwGE 71, 183 (193 f.); 115, 189 (196); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art.12, Rdnr. 43; Jarass, in: ders./ Pieroth, Art. 12, Rdnr. 10; Pieroth/Schlink, Rdnr. 823; Tettinger, in: Sachs, Art. 12, Rdnr. 73; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rdnr. 81; kritisch Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 148, Rdnrn. 31 f.; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12, Rdnrn. 71 ff. 487 So aber wohl Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 148, Rdnrn. 31 f.; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12, Rdnrn. 71 ff., sowie BVerfGE 61, 291 (308) als vereinzelt gebliebene Entscheidung. 488 Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 152, Rdnr. 80; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1207; ebenso wohl auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 49 („Maß“). 489 Zur mangelnden Grundrechtsrelevanz der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt BVerfGE 105, 252 (265); 105, 279 (304 f.); BVerwGE 71, 183 (191 ff.); 87, 37 (43 f.); Albers, DVBl. 1996, S. 233 (240 f.); Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12, Rdnr. 12; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rdnr. 81; kritisch hierzu P. M. Huber, JZ 2003, S. 290 ff.; Kloepfer, UPR 2005, S. 41 (44 f.); Murswiek, NVwZ 2003, S. 1 (3 ff.). 490 BVerfG (Kammer), NJW 1988, 3009 f. 491 Eingehend zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen BVerfGE 86, 28 (37); Jarass, in: ders./ Pieroth, Art. 12, Rdnr. 14; zur mangelnden Eingriffsqualität von wettbewerbsbezogenen Informationen, welche die Marktverhältnisse nicht verzerren BVerfGE 105, 252 (268).

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

werb stehenden Unternehmen ist daher lediglich Folge der wettbwerbssichernden Funktion und vom Schuldner – auch wenn hierdurch der Geschäftsumfang ganz oder teilweise verringert werden sollte – hinzunehmen 492. Durch die Veröffentlichung der Verfahrenseröffnung wird auch nicht der Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG berührt. Diese schützt lediglich den konkreten, bereits vorhandenen Bestand an vermögenswerten Gütern vor ungerechtfertigten Eingriffen durch staatliche Organe, nicht aber in der Zukunft liegende Erwerbschancen, Verdienstmöglichkeiten und bloße Expektanzen 493. Durch die Veröffentlichung der Verfahrenseröffnung werden in der Regel die Möglichkeit zur Beschaffung von Krediten, die Verkaufs- und Absatzmöglichkeiten sowie die Umsatz- und Gewinnchancen des Schuldners für die Zukunft stark eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen. Zwar handelt es sich bei diesen Einschränkungen um Eingriffe in vermögenswerte Vorteile. Betroffen ist hierdurch jedoch lediglich die Erwerbstägigkeit des schuldnerischen Unternehmens, nicht jedoch die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Befugnis, über das Eigentum zu verfügen 494, als solche. Letztere bleibt – soweit die Eröffnung des Verfahrens nicht ohnehin zum Stillstand der Produktion führt – trotz öffentlicher Bekanntmachung der Insolvenzreife bestehen. Zudem handelt es sich bei der Kreditwürdigkeit und dem Geschäftsruf eines Unternehmens nicht um Vorteile, deren Fortbestand ein verfassungsrechtlich abgesichertes Vertrauen genießt 495. Der Verlust der Kreditwürdigkeit ist Ausdruck des unternehmerischen Risikos, welches dem Unternehmer selbst obliegt und von Verfassung wegen nicht vom Staat übernommen wird. Eine andere Beurteilung ist lediglich in den Fällen geboten, in welchen der Staat ein Unternehmen gezielt durch wettbewerbsverzerrende Verlautbarungen schädigt 496. Entscheidendes Merkmal ist dabei die Finalität staatlichen Handelns 497. Ziel der öffentlichen Bekanntmachung im Insolvenzfall ist es jedoch, einen gesunden Wettbewerb sicherzustellen, indem die

492 Der durch die staatliche Maßnahme dem Konkurrenten geschaffene Wettbewerbsvorsprung stellt in der Regel keinen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG dar, vgl. BVerwGE 65, 167 (173); zur Ausnahme bei Maßnahmen mit erdrosselnder Wirkung für den Konkurrenten BVerfGE 28, 209 (224 f.); 46, 102 (137 f.); 86, 28 (40); BVerwGE 71, 183 (191) sowie Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 148, Rdnrn. 77 ff. 493 BVerfGE 28, 119 (142); 68, 193 (222); 74, 129 (148); 105, 252 (277); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 137; Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14, Rdnrn. 84 ff; Pieroth/Schlink, Rdnr. 912. 494 Hierzu BVerfGE 79, 292 (303); Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnr. 13; Pieroth/ Schlink, Rdnr. 914. 495 Vgl. BGHZ 23, 157 (164 f.). 496 Vgl. BVerfGE 105, 252 (268); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 138. 497 Soweit die staatliche Maßnahme gezielt eine Grundrechtssbeeinträchtigung herbeiführt, kommt es für die Frage nach dem Grundrechtseingriff auf das Gewicht der Beeinträchtigung nicht an, vgl. BVerwGE 90, 112 (121); die Finalität als zentrales Kriterium ist frühzeitig von Friauf, DVBl. 1971, S.674 (681 f.), hervorgehoben worden; ebenso Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, S. 373 (377); Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 152, Rdnr. 84.

C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung

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Transparenz des Marktes und damit dessen Funktionsfähigkeit gefördert werden. Vor diesem Hintergrund fehlt der insolvenzrechtlichen Verlautbarung nicht nur die erforderliche Finalität, sondern auch das für faktische Eingriffe notwendige Gewicht 498 geschäftsschädigenden Verhaltens. Eine Verletzung der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse499 juristischer Personen kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die amtliche Veröffentlichung der Verfahrenseröffnung nicht auf betriebsinterne Informationen rekurriert. Stellt mithin die insolvenzrechtliche Verlautbarung über den Schuldnerstatus lediglich einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der juristischen Personen aus Art. 2 Abs. 1 GG dar, so rechtfertigt sie sich – wie der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung natürlicher Personen – unzweifelhaft aus dem Schutz der Marktteilnehmer als überwiegendem Allgemeinwohlbelang 500.

IV. Die Weiterleitung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten In der Verfahrenspaxis von Bedeutung ist auch die Frage, ob zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses der am Verfahren Beteiligten nicht nur in die Akten des Insolvenzgerichts, sondern darüber hinaus auch in die von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Akten des Schuldners Einsicht genommen werden darf. Staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren wegen möglicher Insolvenzdelikte laufen häufig parallel zu den vollstreckungsrechtlichen Verfahrenshandlungen. Dabei beantragt zumeist der Insolvenzverwalter Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, um die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen überprüfen und um die Erfolgsaussichten möglicher Masseprozesse besser beurteilen zu können 501. Bereits zum Konkursrecht war fraglich, worauf die Einsichtnahme in die Ermittlungsakten gestützt werden konnte. Hier fehlte es an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage, welche den mit der Einsichtnahme verbundenen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hätte rechtfertigen können. Auch die Strafprozeßordnung sieht eine Akteneinsicht für Dritte, die nicht Verletzte im Sinne der StPO sind, nicht vor. Gleichwohl hielten einige Obergerichte die Einsichtnahme in die Ermittlungsakten auf der Grundlage von landesgesetzlichen Datenschutzregelungen 502 oder gar auf Grundlage der Nr. 185 Abs. 3 der Richtlinien für das Strafund Bußgeldverfahren (RiStBV) 503 für zulässig. Hiergegen wurde zu Recht eingewandt, daß die RiStBV als bloße Verwaltungsanordnung den vom Bundesverfassungsgericht für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

498 499 500 501 502 503

Hierzu bereits oben Fn. 488. Hierzu BVerfG, NJW 1991, 2129, 2132, und oben Fn. 481. Ausführlich hierzu oben Viertes Kapitel, A. III. 3. Siehe hierzu exemplarisch den Fall OLG Frankfurt a. M., NJW 1996, 1484 ff. So OLG Hamm, NStZ-RR 1996, 11, 13. So OLG Celle, NJW 1992, 253, 254; OLG Karlsruhe, MDR 1993, 1229, 1230.

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

gesetzten Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage504 nicht gerecht werde 505. Jedenfalls habe der Gesetzgeber mit Inkrafttreten des Justizmitteilungsgesetzes 506 auf die sog. Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagiert und die Übermittlung von Daten durch und an die Justizbehörden seitdem abschließend kodifiziert 507. Eine Einsichtnahmemöglichkeit für Insolvenzgericht oder -verwalter sei dabei nicht vorgesehen worden. Auch durch die Neuregelungen der Insolvenzordnung wurde diese bestehende Lücke nicht geschlossen. Gleichwohl wird nunmehr zum Teil ein Einsichtsrecht des Insolvenzverwalters und ein Recht auf Erkundigung durch das Insolvenzgericht befürwortet 508. Dabei wird auf die in den §§ 20, 22 Abs. 3, 97 Abs. 1 InsO geregelten umfassenden Kontroll- und Informationsmöglichkeiten des Insolvenzgerichts und des -verwalters verwiesen, die eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstellten 509. Dieser Auffassung ist zuzugeben, daß es zunächst widersprüchlich erscheint, wenn die Insolvenzordnung einerseits Insolvenzgericht und -verwalter die Möglichkeit einräumt, auf Grund einer eigenen Anordnung gegenüber dem Schuldner die Herausgabe seiner Geschäftsunterlagen zu erzwingen, andererseits aber die gleichen Unterlagen bei der Staatsanwaltschaft nicht eingesehen werden können. Ungeachtet dieser als unausgewogen zu bezeichnenden Rechtslage sind die Vorschriften der §§ 20, 22 Abs. 3, 97 Abs. 1 InsO im Hinblick auf die mit der Weiterleitung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffe jedoch nicht hinreichend klar und bestimmt 510. Entsprechend dem Gebot rechtsstaatlicher Normenklarheit und Bestimmtheit muß der Gesetzgeber, Rechtsvorschriften so genau fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist511. Dem Rechtsunterworfenen müssen Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß der auf Grund einer Vorschrift ermöglichten staatlichen Eingriffe vorhersehbar und berechenbar sein 512. Hierzu grundlegend BVerfGE 65, 1 (44). So OLG Frankfurt a. M., NJW 1996, 1484 f.; OLG Koblenz, NStZ 1987, 289; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 5, Rdnrn. 17 ff. 506 Justizmitteilungsgesetz und Gesetz zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze vom 18.06.1997 (BGBl. I 1430). 507 OLG Frankfurt a. M., NJW 1996, 1484, 1485. 508 LG Mannheim, NStZ-RR 1998, 113; Braun/Kießner, § 5, Rdnr. 25; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 5, Rdnr. 17 b; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 38; Ganter, in: Münchener Kommentar, § 5, Rdnr. 49. 509 So Braun/Kießner, §5, Rdnr.25; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, §5, Rdnr.17 b; Ganter, in: Münchener Kommentar, § 5, Rdnr. 49. 510 Zum rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bereits BVerfGE 65, 1 (65); siehe hierzu auch Werres, ZBR 2001, S. 429 (433, 436). 511 Vgl. BVerfGE 87, 234 (263); 93, 213 (238); 110, 370 (396). 512 BVerfGE 17, 306 (314); 21, 73 (79); 45, 400 (420); 52, 1 (41); 63, 312 (324); 65, 1 (44); 78, 214 (226); 83, 130 (145); 84, 133 (149); Pieroth/Schlink, Rdnr. 312; Schnapp, in: v. Münch/ Kunig, Art. 20, Rdnr. 29; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rdnr. 279. 504 505

C. Das Recht des Schuldners auf informationelle Selbstbestimmung

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Diese Voraussetzungen erfüllen die Vorschriften der §§ 20, 23 Abs. 3, 97 Abs. 1 InsO nicht. Ohne Zuhilfenahme der einschlägigen insolvenzrechtlichen Literatur ist für den Schuldner allein auf der Grundlage der Normenlektüre nicht erkennbar, daß seine gegenüber der Staatsanwaltschaft gemachten Angaben auch an das Insolvenzgericht und den Insolvenzverwalter übermittelt werden können. Dieses Defizit wirkt um so schwerwiegender, als die Aussage des Schuldners im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren stets – vor dem Hintergrund des nemo-tenetur-Grundsatzes – aus freien Stücken erfolgt, während er im Insolvenzverfahren – wie festgestellt – zur Aussage verpflichtet ist 513. Soweit sich der Schuldner aber freiwillig gegenüber der Staatsanwaltschaft auf eine Aussage einläßt, müssen die rechtlichen Folgen für diesen zu Beginn der Aussage auch mit der erforderlichen Klarheit feststehen. Eine andere Handhabung würde auch mit dem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebot des Vertrauensschutzes als Ausfluß des Grundsatzes des fairen Verfahrens 514 nicht im Einklang stehen. Auch unter einem weiteren Aspekt genügen die Vorschriften der §§ 20, 23 Abs. 3 InsO dem Bestimmtheitsgebot nicht. So erfordert das Bestimmtheitsgebot, daß eine zu staatlichen Eingriffen berechtigende Vorschrift zugleich die rechtlichen Grenzen möglicher Eingriffe vorzeichnet und damit die Möglichkeit umfassender richterlicher Überprüfung der Einhaltung dieser Grenzen schafft 515. Gerade vor dem Hintergrund der in den §§ 12 ff. EGGVG festgelegten detaillierten und abschließenden Anforderungen an die Weiterleitung von personenbezogenen Daten durch die Justizbehörden 516 erscheint es zweifelhaft, die Ermächtigung für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf generalklauselartig formulierte Vorschriften zu stützen 517. Die in den insolvenzrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Befugnisse haben – auch nicht mittelbar – die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Gegenstand. Eine Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird weder angesprochen noch finden sich konkrete Voraussetzungen und Begrenzungen für einen solchen Eingriff. Insoweit fehlt es an den für die Rechtmäßigkeitsprüfung erforderlichen gesetzlichen Kriterien. Eine gerichtliche Überprüfung der staatsanwaltlichen Maßnahme müßte zwangsläufig in einen unkontrollierbaren richterlichen Dezisionismus münden. Soweit die insolvenzrechtlichen Vorschriften nicht die für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinreichende Bestimmtheit aufweisen, ist zu erwägen, ob nicht ergänzend das allgemeine Datenschutzrecht herange513 Zu den gesteigerten Anforderungen an die Normenklarheit im Bereich der Grundrechtsausübung BVerfGE 62, 169 (183); 83, 130 (145). 514 Zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Vertrauensschutzgedankens Dreier, in: ders., Art. 2, Rdnr. 24; Höfling, in: Berliner Kommentar, Art. 2, Rdnr. 58. 515 BVerfGE 8, 274 (326); 20, 150 (158); 21, 73 (78). 516 Vgl. hierzu OLG Brandenburg, NZI 2003, 36, 37. 517 Daher kann die Weitergabe personenbezogener Daten im Insolvenzverfahren auch nicht auf die Generalklausel des § 5 Abs. 1 InsO in Verbindung mit Art. 35 GG gestützt werden; a. A. aber OLG Koblenz, NJW 1985, 2038, 2040.

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

zogen werden kann 518. Das allgemeine Datenschutzrecht kommt als Eingriffsgrundlage allerdings lediglich dann zur Anwendung, wenn es nicht durch bereichsspezifische Datenschutzvorschriften verdrängt wird, vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 BDSG. Für den Tatbestand der Datenübermittlung an öffentliche Stellen des Bundes oder eines Landes schaffen die Vorschriften der §§ 13 bis 22 EGGVG jedoch bereichsspezifische Regelungen für das Mitteilungswesen im Justizbereich, welche den Rückgriff auf das allgemeine Datenschutzrecht verdrängen. Als öffentliche Stellen im Sinne der §§ 13 ff. EGGVG ist zunächst das Insolvenzgericht einzustufen. Darüber hinaus gelten aber auch Private, welche hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, als öffentliche Stellen im Sinne der Vorschrift 519. Als ein solcher Privater ist der Insolvenzverwalter als mit Zwangsbefugnissen ausgestatteter Beliehener einzustufen520. Folglich ist auch die Datenübermittlung an den Insolvenzverwalter abschließend durch das Justizmitteilungsgesetz geregelt worden, so daß auch für diesen ein Rekurs auf das allgemeine Datenschutzrecht ausscheidet. Die entgegenstehende Entscheidung des OLG Hamm 521 erging noch vor Inkraftreten des Justizmitteilungsgesetzes zum 1. Juni 1998 und ist daher – spätestens seit diesem Zeitpunkt – überholt. Insgesamt bleibt somit festzuhalten, daß die Insolvenzordnung ebenso wie die Konkursordnung für die Beiziehung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten über keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage verfügt. Die Rechtslage stellt sich somit de lege lata als äußerst unausgewogen dar. Einerseits ist der Schuldner zwar gemäß §§ 20, 97 InsO zur Auskunft und gegebenenfalls gemäß § 22 Abs. 3 S. 2 InsO zur Gestattung der Einsichtnahme in seine Bücher und Geschäftspapiere verpflichtet, andererseits fehlt eine Ermächtigung des Gerichts, die Auskünfte, die es vom Schuldner unmittelbar erfragen könnte, von anderen Behörden einzuholen. Diese mißliche Situation kann jedoch lediglich durch ein Tätigwerden des Gesetzgebers behoben werden.

D. Der verfassungsrechtliche Schutz des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses des Schuldners Mit dem Übergang der Verwaltungsbefugnis gemäß § 80 Abs. 1 InsO von dem Schuldner auf den Verwalter ist dessen Pflicht verbunden, sich möglichst zügig mit den tatsächlichen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen des Schuldners vertraut zu machen. Entscheidendes Instrument des Verwalters, Einblick in die Vermögensverhältnisse zu nehmen, ist primär die Sichtung und Prüfung der schuldnerischen Geschäftsunterlagen. Dabei ist der Schuldner gemäß § 97 Abs. 2 InsO zur Unterstützung des Verwalters verpflichtet. Hieraus folgt hinsichtlich der Prüfung der schuldnerischen Vermögensverhältnisse, daß der Schuldner dem Verwalter – 518 519 520 521

So unter Hinweis auf § 16 LDSG NW OLG Hamm, NStZ-RR 1996, 11, 12 f. Gummer, in: Zöller, § 12 EGGVG, Rdnr. 2. Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. I. 1. a. OLG Hamm, NStZ-RR 1996, 11 ff.

D. Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

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auch schon im Eröffnungsverfahren, vgl. § 22 Abs. 3 Satz 2 InsO – Einblick in seine Bücher und seine Geschäftspapiere zu gestatten hat. Sofern jedoch auf seiten des Schuldners keine Kooperationsbereitschaft besteht oder er heimlich gegen die Interessen der Gläubigergemeinschaft handelt, sind vom Insolvenzgericht und vom Verwalter Zwangsmaßnahmen zur Aufdeckung der tatsächlichen Gegebenheiten erforderlich. Das Gesetz stellt Gericht und Verwalter sowohl für das Eröffnungsverfahren als auch für das eröffnete Verfahren eine Reihe von Zwangsmitteln zur Verfügung, vgl. §§ 21 Abs. 2 und 3, 22 Abs. 3, 98, 99 InsO. Von größerer praktischer Relevanz sind dabei die Anordnung einer Postsperre sowie das Betreten und Durchsuchen der schuldnerischen Wohnung durch den (vorläufigen) Verwalter 522.

I. Die Postsperre gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 4, 99 InsO Das Insolvenzgericht kann gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Antrag des Insolvenzverwalters oder von Amts wegen anordnen, daß bestimmte oder alle Postsendungen für den Schuldner dem Verwalter zuzuleiten sind, sofern dies zur Aufkärung oder Verhinderung von gläubigerbenachteiligenden Rechtshandlungen des Schuldners erforderlich erscheint. Des weiteren besteht bereits im Eröffnungsverfahren gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO die Möglichkeit, eine vorläufige Postsperre anzuordnen, wobei auch insoweit auf die Vorschrift des § 99 InsO verwiesen wird. Diese durch die Insolvenzrechtsreform im Vergleich zur Vorgängernorm des § 121 KO wesentlich detaillierteren und in verfahrensrechtlicher Hinsicht verfeinerten Regelungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken 523. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits zu § 121 KO entschieden, daß insoweit eine verfassungsgerechte Einschränkung von Art. 10 Abs. 1 GG durch den Gesetzgeber vorgenommen worden sei 524. Mit der neuen Vorschrift trifft der Gesetzgeber nunmehr eine erfreulich klare und präzise Regelung, die den Eingriff in die Grundrechte des Schuldners auf das notwendige Maß begrenzt. Dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, welches für § 121 KO als vorkonstitutionelle Regelung nicht galt 525, wird der Gesetzgeber mit der Vorschrift des Siehe zum Letzteren unten Viertes Kapitel, E. Ebenso auch Groß, in: Berliner Kommentar, Art. 10, Rdnr. 35; Gundlach/Frenzel/ Schmidt, ZInsO 2001, S. 979 (980); Lüke, in: Kübler/Prütting, § 99, Rdnr. 3; Lepa, S. 202 f.; Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 10, Rdnr. 42; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 90; vgl. ferner BVerfG (Kammer), NZI 2001, 132, 133; zur mißbräuchlichen Handhabung der Postsperre im Einzelfall Landesbeauftragter für den Datenschutz Bremen, 23. Jahresbericht, S. 60 f.; zu den einzelnen Anforderungen an die Anordnung einer Poststperre BGH, KTS 2004, 101; OLG Celle, ZIP 2002, 578 f.; LG Bonn, ZInsO 2004, 818 f. 524 BVerfG, ZIP 1986, 1336, 1337 mit zustimmender Anm. Balz, EWiR 1986, 1125, 1126; ebenso auch die einhellige Literaturansicht zur KO: Adam, S. 197 ff.; Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rdnr. 6.17; Dürig, in: Maunz/ders., Art. 10, Rdnr. 59. 525 Vgl. BVerfGE 2, 121 (122 f.); 8, 274 (329); 15, 288 (293); 28, 36 (46); 35, 185 (189); 61, 82 (113); BVerwGE 43, 48 (54); zustimmend aus der Literatur: Axer, in: Merten/Papier, 522 523

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

§ 102 InsO gerecht. Den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG an die Gewährung rechtlichen Gehörs entspricht die differenzierte Regelung des § 99 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO. Außerdem besteht für die Anordnung der Postsperre eine Begründungspflicht. Da es sich bei der Anordnung um einen rechtsmittelfähigen Beschluß handelt, vgl. §§ 21 Abs. 2 Nr. 4, 99 Abs. 3 Satz 1 InsO, ergibt sich diese Pflicht bereits von Verfassung wegen, da sich ein gerichtlicher Beschluß als Folge von Art. 103 Abs. 1 GG mit den wesentlichen der Rechtsverteidigung und der Rechtsverfolgung dienenden Tatsachenbehauptungen auseinandersetzen muß 526. Die noch zur alten Rechtslage von einigen Gerichten vertretene – verfassungsrechtlich höchst zweifelhafte – Auffassung, wonach die Anordnung der Postsperre keiner Begründung bedürfe 527, ist damit obsolet. Der Beschluß muß stets den erforderlichen Sachverhalt benennen, auf dem die Anordnung der Postsperre fußt und zugleich eine Abwägung der Interessen des Schuldners und der Gläubigerschaft als formelle Minimalvoraussetzung erkennen lassen 528. Schließlich begegnet die gesetzliche Vorschrift auch keinen Bedenken mit Blick auf den Schutz des Briefverkehrs gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK. Zwar stellt die Anordnung der Postsperre im Insolvenzverfahren einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Briefverkehrs dar 529. Im Unterschied zur englischen Rechtslage, welche der Gerichtshof bzgl. der gesperrten Verteidigerpost beanstandete 530, stellen die beschriebenen Anhörungs- und Begründungspflichten angemessene und wirksame Schutzmaßnahmen dar 531, die gewährleisten, daß das Recht aus Art. 8 EMRK lediglich eine minimale Beeinträchtigung erfährt. Zudem sieht die Insolvenzordnung gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 InsO nunmehr auch die Möglichkeit einer (sofortigen) Beschwerde gegen die Anordnung der Postsperre im Insolvenzverfahren vor. Damit HdbGR III, § 65, Rdnr. 17; Dreier, in: ders., Art. 19 I, Rdnr. 20; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 1, Rdnr. 51; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 19, Rdnr. 85; Roellecke, in: Umbach/Clemens, Art. 19 I-III, Rdnr. 36. 526 BVerfGE 47, 182 (189); 54, 43 (46); 58, 353 (357); vgl. auch EGMR, Urteil vom 19.02.1998, RJD 1998-I, Ziff. 42 – Higgins u. a. ./. Frankreich; Urteil vom 21.01.1999, NJW 1999, 2429, Ziff. 26 – Garcia Ruiz ./. Spanien. 527 So LG Stuttgart, ZIP 1986, 1591 f. mit kritischer Anm. Balz, EWiR 1986, 1127 f. 528 So auch OLG Bremen, NJW 1993, 798, 799 f.; OLG Celle, ZIP 2000, 1898, 1900; Blersch, in: Berliner Kommentar, § 99, Rdnr. 9; App, in: Frankfurter Kommentar, § 99, Rdnr. 12; Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 99, Rdnr. 5 ff.; Lüke, in: Kübler/Prütting, § 99, Rdnr. 3; Passauer: Münchener Kommentar, § 99, Rdnr. 30. 529 Hierzu EGMR, Urteil vom 20.06.2000 – 33274/96, Ziff. 29 – Foxley ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 17.07.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 75 – Luordo ./. Italien mit Anm. von Vogl, EWiR 2003, S. 1135 f. 530 EGMR, Urteil vom 20.06.2000 – 3327/96, Ziff. 44 ff. – Foxley ./. Vereinigtes Königreich; im Fall „Luordo“ lag die Unverhältnismäßigkeit der Postsperre in der überlangen Dauer des Insolvenzverfahrens begründet, vgl. EGMR, Urteil vom 17.7.2003, RJD 2003-IX, Ziff. 75 – Luordo ./. Italien, Ziff. 78 f. 531 Zu diesen Voraussetzungen für die Postsperre im Insolvenzverfahren EGMR, Urteil vom 20.06.2000 – 33274/96, Ziff. 43 – Foxley ./. Vereinigtes Königreich, sowie Grabenwarter, § 22, Rdnr. 44.

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wird den im Fall „Bottaro“ vom Gerichtshof mit Blick auf Art. 13 EMRK geäußerten Bedenken 532 Rechnung getragen 533.

II. Die Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 1 GG auf juristische Personen Durchgreifenden Zweifeln begegnet eine im insolvenzrechtlichen Schrifttum geäußerte Auffassung, wonach das Grundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG nicht auf insolvente juristische Personen anwendbar sei, da diese über keine schützenswerte Privatsphäre verfügten 534. Nach der bereits dargelegten zutreffenden Auffassung bestimmt sich die Erstreckung des grundrechtlichen Schutzes auf juristische Personen auf Grund einer im Verhältnis zu natürlichen Personen bestehenden grundrechtstypischen Gefährdungslage des körperschaftlichen Zweckgebildes 535. Entscheidend ist insoweit, ob die grundrechtlich geschützten Verhaltensweisen für natürliche wie für juristische Personen gleichermaßen wesenstypisch sind536. Vor diesem Hintergrund bestehen hinsichtlich der Geltung des Briefgeheimnisses auch für juristische Personen keine Bedenken 537. Auch juristische Personen bedienen sich der Briefe als Kommunikationsmittel. Dabei knüpft der Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG nicht nur an den Kommunikationsinhalt, sondern zugleich auch an den Kommunikationsvorgang als solchen an 538. Erforderlich ist also gerade nicht ein auf eine besondere persönliche Sphäre bezogener Briefinhalt, welcher der Kommunikation zwischen natürlichen Personen wesenseigen ist. Vor diesem Hintergrund ist der gesamte Briefverkehr einer juristischen Person dem Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG unterstellt 539, so daß auch hier die Anordnung der Postsperre dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegt. Da jedoch die an eine juristische Person gerichteten Schreiben im InsolEGMR, Urteil vom 17.7.2003 – 56298/00, Ziff. 44 ff. – Bottaro ./. Italien. Zur Möglichkeit der Rechtsbeschwerde gegen die Anordnung einer Postsperre BGH, KTS 2004, 101. 534 So Smid, in: ders., § 99, Rdnr. 7; im Ergebnis ebenso Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, S. 982 f.; verfassungsrechtlich kaum haltbar ist auch die Auffassung von Smid, in: ders., § 99, Rdnr. 7, wonach die Geschäftspost natürlicher Personen nicht vom Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG erfaßt sei. Richtigerweise kommt es im Rahmen des Art. 10 Abs. 1 – jedenfalls bei verschlossenen Briefen – nicht auf deren Inhalt an, da sich sonst der Schutzbereich des Art.10 Abs. 1 GG erst nach dem Öffnen der Briefe bestimmen ließe, in diesem Sinne auch Hermes, in: Dreier, Art. 10, Rdnr. 27; Pieroth/Schlink, Rdnr. 765. 535 Hierzu oben Drittes Kapitel, A. III. 2. 536 Hierzu zuletzt BVerfGE 106, 28 (42 f.). 537 So auch BVerfGE 100, 313 (356 f.); 106, 28 (43); Dreier, in: ders., Art. 19 III, Rdnr. 24; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 10, Rdnr. 6. 538 BVerfGE 85, 386 (396); Hermes, in: Dreier, Art. 10, Rdnr. 29; Löwer, in: v. Münch/ Kunig, Art. 10, Rdnr. 10; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 129, Rdnr. 62. 539 Im verfassungsrechtlichen Schrifttum wohl allgemeine Auffassung, vgl. Dürig, in: Maunz/ders., Art. 10, Rdnr. 22; Groß, in: Berliner Kommentar, Art. 10, Rdnr. 24; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 10, Rdnr. 47; Hermes, in: Dreier, Art. 10, Rdnr. 23; Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 10, Rdnr. 6. 532 533

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venzfall ohnehin dem Insolvenzverwalter zugeleitet werden, besteht für die Anordnung einer Postsperre in der Regel kein praktisches Bedürfnis. Sollte im Einzelfall hingegen die Anordnung einer Postsperre gegen die organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person in Erwägung gezogen werden, so sind an die Erforderlichkeit der Maßnahme, da insoweit lediglich ein kleiner Teil des Briefverkehrs betroffen sein wird, besonders hohe Voraussetzungen zu stellen 540.

III. Die Postsperre und verfassungsrechtliche Positionen der Postdienstleistungsunternehmen Verfassungsrechtliche Fragen betreffend die Anordnung der Postsperre stellen sich nicht nur hinsichtlich der Belange des von der Anordnung betroffenen Schuldners, sondern auch bzgl. des die Anordnung vollziehenden Postdienstleistungsunternehmens. Während sich die Frage nach einer Grundrechtsberechtigung der Deutschen Post AG als vom Bund getragenes Unternehmen in Privatrechtsform nicht stellte 541, wird sie nunmehr in Folge des Wegfalls des Beförderungsmonopols der Deutschen Post AG und der damit einher gehenden Liberalisierung des Postdienstleistungsmarktes aktuell. Insbesondere sind Probleme im Zusammenhang mit der Postsperre nach dem endgültigen Wegfall der noch bestehenden gesetzlichen Exklusivlizenz im Bereich der Briefsendungen nach dem Jahr 2007 in verstärktem Maße zu erwarten, vgl. § 51 Abs. 1 PostG. Fraglich ist in diesem Zusammenhang zum einen, auf welcher rechtlichen Grundlage in verfassungskonformer Weise der die Postsperre vollziehende private Postdienstleister in Anspruch genommen werden kann (a). Diskussionswürdig ist des weiteren, inwieweit die privaten Dienstleister ohne Verletzung datenschutzrechtlicher Belange zur Übermittlung der gewonnenen Informationen verpflichtet werden können (b). 1. Die Mitwirkungspflicht des Postdienstleistungsunternehmens bei der Durchführung der Postsperre Die Insolvenzordnung beschreibt zwar in § 99 Abs. 1 InsO die Voraussetzungen für die Anordnung der Postsperre, enthält sich aber zugleich näherer Anforderungen für deren Vollzug. Im Gegensatz zur Rechtslage unter Geltung der Konkursordnung, welche eine Mitwirkungspflicht der „Post- und Telegraphenanstalten“ (§ 121 KO) festsetzte, verlangt die Insolvenzordnung lediglich, daß bestimmte oder alle Postsendungen für den Schuldner dem Verwalter zuzusenden sind. Zwar wollte der Gesetzgeber der Insolvenzordnung ausweislich der Materialien die unter der Konkurs-

Ebenso Passauer, in: Münchener Kommentar, § 99, Rdnr. 13. Zur mangelnden Grundrechtsberechtigung von Unternehmen in Privatrechtsform, die ausschließlich oder überwiegend von der öffentlichen Hand getragen werden BVerfGE 61, 82 (100 f.); 68, 193 (206); näher hierzu Schnapp, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 52. 540 541

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ordnung bestehende Rechtslage auch für das neue Recht übernehmen542. Gleichwohl stellt sich nunmehr die Frage, inwieweit die Neuregelung hinsichtlich der Mitwirkungspflicht des Postdienstleistungsunternehmens verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. a) Die Mitwirkungspflicht und Art. 12 Abs. 1 GG Eine Berufung des privaten Dienstleistungsunternehmens auf den Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG scheidet aus. Dieser schützt die Postdienstleister nur, soweit der Staat in die Privatheit ihrer internen Kommunikation eindringen will 543. Bei Eingriffen in das Brief-, Post- oder Fermeldegeheimnis der Kunden kommt eine Berufung des Unternehmens im Sinne einer Rechtstreuhänderschaft nicht in Betracht544. Allerdings greift die Anordnung der Postsperre in den durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bereich unternehmerischer Betätigungsfreiheit des vollziehenden Unternehmens ein. Da insoweit Umfang und Inhalt der unternehmerischen Tätigkeit reglementiert werden, handelt es sich bei der Mitwirkungspflicht um eine Regelung der Berufsausübung 545. Vor dem Hintergrund der weitgehenden die Berufsausübung betreffenden Einschränkungsmöglichkeiten 546 bestehen hinsichtlich der materiellen Verfassungsmäßigkeit einer Mitwirkungspflicht bei der Vollziehung der Postsperre keine durchgreifenden Zweifel. Fraglich ist jedoch, ob die Voraussetzungen der Einbindung des Privatunternehmens in den Vollzug der Postsperre mit der Vorschrift des § 99 Abs. 1 InsO vom Gesetzgeber hinreichend deutlich umschrieben sind. Zu erwägen ist in diesem Zusammenhang, ob in Anknüpfung an die für grundrechtsrelevante staatliche Maßnahmen entwickelte sog. Wesentlichkeitslehre das nicht ausdrücklich determinierte Entscheidungsverhalten des Insolvenzgerichts beim Vollzug der Postsperre von Verfassung wegen einer gesetzlichen Konkretisierung und Präzisierung bedarf. Die verfassungsrechtliche Wesentlichkeitslehre verlangt, daß der Gesetzgeber insbesondere in den für die Ausübung der Grundrechte relevanten Bereichen die wesentlichen normativen Regelungen des zu regelnden Rechtsbereichs selbst festlegt 547. Dabei gilt dieser Wesentlichkeitsmaßstab nicht nur im Verhältnis zur nachgeordneten Exekutive. Er besteht gleichermaßen auch im Verhältnis

Vgl. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443, S.142 f. Hermes, in: Dreier, Art. 10, Rdnr. 40; Krüger, in: Sachs, Art. 10, Rdnr. 11; Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 10, Rdnr. 10; v. Arnauld, DÖV 1998, S. 437 (449). 544 Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 10, Rdnr. 49; Hermes, in: Dreier, Art. 10, Rdnr. 25; Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 10, Rdnr. 20; Pieroth/Schlink, Rdnr. 767. 545 Zur Definition der Berufsausübungsregelung Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 38; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12, Rdnr. 7, sowie zur vergleichbaren Mitwirkungspflicht der Banken bei der Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragssteuer BVerfGE 22, 380 (383 f.). 546 Hierzu eingehend BVerfGE 30, 292 (315 ff.). 547 BVerfGE 47, 46 (79 f.); 49, 89 (126 f.); 53, 30 (56); 58, 257 (268 f.); 61, 260 (275); 84, 212 (226 f.); 88, 103 (116). 542 543

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zu der das einfache Recht anwendenden Gerichtsbarkeit 548 und damit auch im Verhältnis zu dem über den Vollzug der Postsperre entscheidenden Insolvenzrichter. Zwar haben die Gerichte mit Hilfe der anerkannten Auslegungsmethoden sowie im Wege der Analogie und der Rechtsfortbildung bestehende gesetzliche Lücken zu schließen. Dieses Gebot der Lückenschließung kann indes nicht soweit gehen, daß im grundrechtsrelevanten Bereich, das heißt, insbesondere im Eingriffsverhältnis Staat – Bürger, Eingriffsermächtigungen ohne jede gesetzliche Determinierung ausschließlich auf der Grundlage von Richterrecht geschaffen werden 549. Gleichwohl hat der Gesetzgeber auch unter Zugrundelegung der Wesentlichkeitslehre nicht jedes Detail selbst zu bestimmen. Insbesondere müssen sich die konkreten Handlungsmaßstäbe der an das Gesetz gebundenen Gewalt nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm ergeben. Vielmehr reicht es aus, daß sie sich mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze, insbesondere Zweck, Sinnzusammenhang und Vorgeschichte der Norm, erschließen lassen 550. Ausweislich der Materialien wollte der Gesetzgeber den Regelungsgehalt der Vorgängernorm des § 121 KO, welche die Mitwirkung der „Post- und Telegraphenanstalten“ vorsah, unverändert auch der Rechtslage unter Geltung der Insolvenzordnung zugrunde legen 551. Die Einbindung der Postdienstleister erschien somit in Anbetracht einer jahrzehntelangen entsprechenden Praxis als nicht normierungsbedürftige Selbstverständlichkeit. In Ergänzung zu diesem historischen Befund sprechen aber auch der Zweck und der Sinnzusammenhang für eine dahingehende Auslegung des § 99 InsO. Der Vollzug der Postsperre kann der Natur der Sache nach nur durch die mit der Beförderung der Briefsendungen betrauten Personen und Unternehmen sichergestellt werden. Lediglich diese können sich einen umfassenden Überblick über die für den Schuldner bestimmte Post verschaffen und haben während des Beförderungsvorgangs die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf die einzelnen Sendungen. Eine die Mitwirkung der Postdienstleistungsunternehmen konkret vorschreibende gesetzliche Regelung würde daher die sich unmitelbar aus dem Wesen der Postsperre ergebenden Anforderungen lediglich nachzeichnen und enthielte damit keinen über den bisherigen Regelunsgehalt der Vorschrift hinausgehenden Erkenntniswert. Die bloße Normierung der bereits aus dem Wesen einer Anordnung folgenden Vollzugserfordernisse stellt aber keine für den Grundrechtsgebrauch wesentliche Leitentscheidung dar, welche nur vom Gesetzgeber selbst getroffen werden könnte. Läßt sich somit bereits auf Grundlage der anerkannten Auslegungsmethoden der Regelungsgehalt des § 99 InsO mit der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit festlegen, tritt der Umstand, daß die Postsperre der grundrechtsrelevanten BezieBVerfGE 84, 212 (226 f.); 88, 103 (115 f.). So BVerfGE 88, 103 (116); anders jedoch für das Verhältnis zwischen Privaten BVerfGE 84, 212 (226 f.). 550 BVerfGE 19, 17 (30); 80, 1 (20 f.). 551 Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443, S. 142 f. 548 549

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hung zwischen Staat und Bürger zuzuordnen ist, zurück. Die Vorschrift des § 99 InsO begegnet daher, auch soweit sie als Grundlage für die Mitwirkung der Postdienstleistungsunternehmen bei der Durchführung der Postsperre dient, vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Wesentlichkeitslehre keinen Bedenken. b) Die Indienstnahme ohne entsprechenden Kostenausgleich Ein Bedürfnis nach verfassungsrechtlicher Betrachtung ruft schließlich die von der insolvenzverwaltenden Praxis verstärkt zum Ausdruck gebrachte Forderung nach einer Indienstnahme privater Beförderungsunternehmen ohne entsprechenden Kostenausgleich hervor. Nach der derzeit gängigen Praxis behandeln die Postbeförderungsunternehmen die mit der Anordnung der Postsperre verbundene Auslieferung der an den Schuldner adressierten Post an den Insolvenzverwalter als kostenpflichtigen Nachsendefall. Durch diese Handhabung werden die Insolvenzmassen mit Nachsendegebühren belastet. Eine Ergänzung der gesetzlichen Vorschrift dahingehend, daß die Auslieferung der Post an den Insolvenzverwalter ohne weitere Gebührenaufschläge erfolgen muß, wird daher von der insolvenzrechtlichen Praxis befürwortet 552. Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 553 geht auf diese Forderungen nunmehr ein. Unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Maßstäbe handelt es sich bei der von der Insolvenzpraxis geforderten gesetzlichen Regelung um eine am Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zu messende Indienstnahme privater Unternehmen für öffentliche Aufgaben, wie sie im modernen Wirtschaftsleben in vielfältiger Weise anzutreffen ist 554. Öffentliche Aufgabe im Falle der Postsperreanordnung ist die Effektivität und Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, deren Verfassungsrang vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung anerkannt wird555. Da die Indienstnahme nicht das Recht der Postdienstleister auf freie Wahl des Berufes berührt, sondern vielmehr die Art und Weise der Zusendung reglementiert, handelt es sich um eine Berufsausübungsregelung. Der mit einer solchen Regelung verbundene Eingriff ist gerechtfertigt, wenn er mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründet werden kann und keinen sachfremden Zwecken dient 556. Durch die Postsperre sollen masseschädigende Handlungen des Schuldners, welche eine sachgerechte Verteilung der vorhandenen Vermögenswerte verhindern könnten, abgewehrt werden 557. Die Postsperre verfolgt damit das Ziel, die Effektivität der gemeinschaftlichen Vollstreckung im Hinblick auf die Haftungsverwirklichung So Pape, ZInsO 2003, S. 389 (392); Vallender, NZI 2003, S. 244 (245 f.). Veröffentlicht unter http://www.bmj.bund.de/media/archive/1270.pdf. 554 Siehe hierzu BVerfGE 22, 380 (383 ff.) – Pflicht zum Abzug der Kapitalertragsteuer; 30, 292 (310 ff.) – Bevorratungspflicht für Mineralölimportunternehmen. 555 BVerfGE 33, 23 (32); 87, 287 (321); 97, 12 (31). 556 BVerfGE 7, 377 (405 f.); 23, 50 (56); 30, 292 (316); 65, 116 (125); 70, 1 (28); 78, 155 (162); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 12, Rdnr. 49; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rdnr. 112. 557 Hierzu Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, S. 979 (980). 552 553

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der Gläubigerrechte und die Herstellung von Rechtsfrieden zu gewährleisten. An der Legitimität dieser Zielsetzung bestehen im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen, welche an die Beschränkung der Berufsfreiheit zu stellen sind, keine Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zur Rechtfertigung von objektiven Zulassungsvoraussetzungen mehrfach anerkannt 558. Hieraus folgt, daß die Aufrechterhaltung einer effektiven Haftungsverwirklichung durch verfahrensrechtliche Vorkehrungen erst recht eine ausreichende Grundlage zu Regelungen im Bereich der Berufsausübung bildet. Eine Indienstnahme privater Dienstleister ohne entsprechenden Kostenausgleich wäre darüber hinaus auch verhältnismäßig. Eine die Freiheit der betroffenen Unternehmen weniger beschränkende Alternativlösung, welche für die Erreichung der beschriebenen Zielsetzung sachlich dasselbe leistete, ist nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet eine Übernahme der mit der Postsperre verbundenen Briefbeförderung durch andere staatliche oder private Träger aus. Abgesehen von den unwirtschaftlichen Aufwendungen, etwa für die Bereitstellung der erforderlichen logistischen Mittel sowie zusätzlichen Personals, würde der unmittelbare Zugriff staatlicher Organe auf die an den Schuldner gerichtete Post insbesondere auch mit Blick auf die berechtigten datenschutzrechtlichen Belange zu einer noch größeren Beeinträchtigung grundrechtlicher Freiheit führen. Eine Inanspruchnahme anderer Unternehmen als Postdienstleister scheidet bereits auf Grund der besonderen Natur der Postsperre aus. Eine Indienstnahme ohne Kostenersatz wäre schließlich auch nicht unzumutbar. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, daß die Zusendung der an den Schuldner gerichteten Post an den Insolvenzverwalter mit keinem großen Aufwand verbunden ist. Dementsprechend erfolgte bislang die Zustellung an den Insolvenzverwalter auch ohne Erhebung von Nachsendegebühren 559. Eine existenzgefährdende Beeinträchtigung der Dienstleistungsunternehmen ist bereits angesichts der verhältnismäßig geringen Zahl von Postsperren – gemessen am unternehmerischen Gesamtumfang der Beförderungsleistungen – nicht zu befürchten. Soweit die Nachsendung im Einzelfall zu einem meßbaren Mehraufwand führen sollte, steht es den Beförderungsunternehmen frei, die mit der Nachsendung verbundenen zusätzlichen Kosten kalkulatorisch auf die Gesamtheit der Kunden abzuwälzen. Vor diesem Hintergrund würde eine Ergänzung der Insolvenzordnung, wonach die mit der Postsperre verbundene Auslieferung der Post an den Insolvenzverwalter ohne weitere Kostenaufschläge erfolgen muß, insgesamt eine verfassungsrechtlich gerechtfertigte Berufsausübungsregelung darstellen.

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BVerfGE 87, 287 (321); 97, 12 (31). Siehe hierzu Vallender, NZI 2003, S. 244 (245 f.).

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2. Die verfassungsrechtlichen Implikationen der Datenübermittlung der Insolvenzgerichte an das Postdienstleistungsunternehmen Das Insolvenzgericht gibt mit dem die Postsperre anordnenden Beschluß im Sinne des § 99 Abs. 1 InsO regelmäßig personenbezogene Daten des Schuldners an das Postdienstleistungsunternehmen weiter. Fraglich ist, ob vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der informationellen Selbstbestimmung diese Datenübermittlung auf eine ausreichende gesetzliche Grundlage gestützt werden kann. Die Vorschrift des § 99 Abs. 1 InsO hat die Übermittlung der Daten selbst nicht zum Inhalt. Weder werden durch diese Vorschrift der Gegenstand noch der Umfang einer etwaigen Übermittlung geregelt. Sie genügt daher den verfassungsrechtlichen Anforderungen, welche an gesetzliche Grundlagen zur Datenübermittlung zu stellen sind 560, nicht 561. Als spezialgesetzliche Übermittlungstatbestände kommen auch nicht die sonst für den Justizbereich einschlägigen Vorschriften der §§ 12 ff. EGGVG in Betracht. Diese regeln gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 EGGVG lediglich die Übermittlung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen des Bundes oder eines Landes. Zur Auslegung des Begriffs „öffentliche Stelle“ im Sinne der Vorschrift ist insoweit auf die allgemeine Bestimmung in § 2 BDSG abzustellen. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BDSG gelten als öffentliche Stellen die aus dem Sondervermögen „Deutsche Post“ durch Gesetz hervorgegangenen Unternehmen. Daher bestimmt sich die Datenübermittlung von Justizbehörden an die Deutsche Post AG ausschließlich nach den Vorschriften des Justizmitteilungsgesetzes. Da es sich insoweit um eine bereichsspezifische Regelung handelt, welche den Rückgriff auf das allgemeine Datenschutzrecht nicht zuläßt, ist die Datenübermittlung des Insolvenzgerichts an die Deutsche Post AG ausschließlich nach den Vorschriften der §§ 12 ff. EGGVG zu beurteilen. Soweit die Datenübermittlung jedoch an private Postdienstleistungsunternehmen erfolgt, ist mangels bereichsspezifischen Rechts ergänzend das allgemeine Datenschutzrecht zum Tatbestand der Datenübermittlung an nicht-öffentliche Stellen heranzuziehen und damit insbesondere auf § 16 BDSG und die vergleichbaren Landesregelungen abzustellen. Im Ergebnis bestehen daher sowohl für die Datenübermittlung an die Deutsche Post AG als auch an private Postdienstleistungsunternehmen hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlagen, welche den mit der Datenübermittlung vorliegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen vermögen. Das insoweit bestehende unterschiedliche Rechtsregime zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen fällt vor dem Hintergrund der inhaltlich weitgehend angenäherten Vorschriften in den §§ 13, 17 EGGVG (Deutsche Post) und in §§ 16, 14 BDSG (andere Dienstleister) nicht erheblich ins Gewicht. Hierzu bereits oben Viertes Kapitel, C. I. A. A. Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“, Abschlußbericht: Probleme der praktischen Anwendungen und Schwachstellen des Regelinsolvenzverfahrens – Analyse und Änderungsvorschläge, S. 86. 560 561

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

In summa ist festzuhalten, daß die Neuregelung der Postsperre, so wie sie durch die Insolvenzordnung geschaffen wurde, den grundrechtlichen Belangen des Schuldners in ausreichender Weise Rechnung trägt. Wenngleich die Neurelung vor dem Hintergrund anderer, detailreicher Kodifikationen (vgl. z. B. § 89 Abs. 6, §§ 90, 92 TKG) die wünschenswerte Präzision vermissen läßt 562, können durch entsprechende Auslegung die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichend präzise Eingriffsgrundlage gewahrt werden. Den datenschutzrechtlichen Belangen des Schuldners werden die bestehenden Übermittlungsvorschriften auch unter Berücksichtigung einer verstärkten Einbindung privater Dienstleister in den Vollzug der Postsperre gerecht.

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre Als weitere Zwangsmaßnahme kommt neben der Anordnung einer Postsperre das Betreten und Durchsuchen der schuldnerischen Wohnung durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter in Betracht. Diese Maßnahmen verfolgen – ähnlich wie die Postsperre – das Ziel, den Verwalter in den Besitz der erforderlichen Geschäftsunterlagen zu setzen, sofern der Schuldner von sich aus zur Herausgabe nicht bereit sein sollte. Das Betreten und Durchsuchen der schuldnerischen Wohnung durch den Verwalter berühren freilich einen verfassungsrechtlich ausgesprochen sensiblen Bereich, nämlich die durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte räumliche Privatsphäre. Es mag daher verwundern, wenn bislang sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum Stellungnahmen zur Zulässigkeit von Eingriffen in die räumliche Privatsphäre des Schuldners auf Einzelfälle beschränkt geblieben sind. Zwar wurde schon unter Geltung der Konkursordnung das Betreten und die Durchsuchung von Räumen als Sicherungsmaßnahme gemäß § 106 KO für zulässig erachtet 563. Verfassungsrechtliche Fragen wurden von den mit der Zulässigkeitsfrage befaßten Insolvenzgerichten 564 allerdings nicht problematisiert. Daß dies nicht so bleiben muß, beweist ein Vergleich zur verfassungsrechtlichen Problematik im Rahmen der einzelzwangsvollstreckungsrechtlichen Durchsuchung, wo Schrifttum und Rechtsprechung zur Parallelnorm des § 758 ZPO nahezu unüberschaubar ge562 Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“ hat insoweit eine Ergänzung der Vorschrift vorgeschlagen, vgl. Abschlußbericht: Probleme der praktischen Anwendungen und Schwachstellen des Regelinsolvenzverfahrens – Analyse und Änderungsvorschläge, S. 85; siehe hierzu nunmehr auch den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, veröffentlicht unter http://www.bmj.bund.de/media/ archive/1270.pdf. In dem Entwurf wird klargestellt, „ dass die in dem Beschluss bezeichneten Unternehmen bestimmte oder alle Postsendungen für den Schuldner dem Verwalter zuzuleiten haben.“ 563 LG Duisburg, ZIP 1991, 674, 675; Kuhn/Uhlenbruck, § 106, Rdnr. 8 c. 564 Siehe hierzu die Beschlüsse: LG Duisburg, ZIP 1991, 674; LG Mainz, ZInsO 2001, 629 f; AG Gelsenkirchen, ZIP 1997, 2092; AG Duisburg, ZInsO 1999, 720.

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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worden sind 565. Ausdrücklich normiert wird die Befugnis zum Betreten und Durchsuchen der Geschäftsräume des Schuldners nunmehr durch § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO. Diese Vorschrift betrifft ausweislich ihres eindeutigen Wortlauts lediglich Maßnahmen des vorläufigen Insolvenzverwalters. Eine entsprechende Vorschrift für den endgültigen Verwalter fehlt. Insoweit kann lediglich als allgemeine Eingriffnorm § 148 InsO herangezogen werden 566. Diese Ungleichbehandlung der verschiedenen Verfahrensabschnitte mag man als rechtspolitisch verfehlt ansehen. Zu beachten ist jedoch, daß die Sichtung und gegebenenfalls die Sicherstellung der Geschäftsunterlagen des Schuldners gerade im Vorfeld der Verfahrenseröffnung von entscheidender Bedeutung ist. Vor diesem Hintergrund erscheinen die zusätzlichen Befugnisse des vorläufigen Verwalters als gerechtfertigt.

I. Der hoheitlich handelnde Insolvenzverwalter Maßnahmen, welche die von Art. 13 Abs. 1 GG geschützte räumliche Privatsphäre des Schuldners betreffen können, gehen zumeist vom Insolvenzverwalter aus. Zwar wird das Insolvenzgericht, sei es im Rahmen der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen im Sinne des § 21 InsO, sei es im Eröffnungsbeschluß gemäß § 27 InsO, selbst die Durchsuchung der Geschäftsräume des Schuldners anordnen. Die Vollziehung dieser Anordnung geschieht jedoch durch den Verwalter. Dieser kann im Rahmen des § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO unmittelbar – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme der Polizei – den Zutritt zu den Geschäftsräumen des Schuldners erzwingen, das heißt, er ist berechtigt, sich selbst in Besitz der Haftungsmasse zu setzen und ist insoweit nicht mehr auf die Einschaltung eines Gerichtsvollziehers angewiesen 567. Wie bereits festgestellt 568, ist der Insolvenzverwalter als ein mit Zwangsbefugnissen ausgestattetes hoheitliches Organ an die Grundrechte des Schuldners unmittelbar gebunden. Hieraus folgt zugleich, daß die Durchsetzung der in § 23 Abs. 3 Satz 1 InsO gestatteten Befugnisse durch den Insolvenzverwalter lediglich unter Beachtung der in Art. 13 Abs. 1 GG garantierten Rechte erfolgen darf. Hinsichtlich der Frage, inwieweit nun Art. 13 GG besondere Anforderungen an das Handeln des vorläufigen Verwalters stellt, ist zu unterscheiden, ob der Eingriff des Verwalters sich als bloßes Betreten oder als Durchsuchung darstellt. Weiter ist von Belang, ob der Eingriff die Privatwohnung oder die Geschäftsräume berührt. Wegen der in Art. 12, 14 GG zum Ausdruck kommenden besonderen Bedeutung von

565 Einen ausführlichen Überblick über den bisherigen Meinungsstand und die nunmehr durch § 758 a ZPO geschaffene Rechtslage bietet Wesser, Der Schutz der räumlichen Privatsphäre bei Wohnungsdurchsuchungen nach §§ 758, 758 a ZPO, NJW 2002, S. 2138 ff. 566 Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für beide Verfahrensabschnitte sind dabei gleich. 567 Pape, in: Kübler/Prütting, § 22, Rdnr. 32; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 22, Rdnr. 221; Uhlenbruck, in: ders., § 22, Rdnr. 19. 568 Siehe hierzu oben Drittes Kapitel, A. II. 1.

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

Beruf und unternehmerischer Betätigung für die Entfaltung des Individuums sind zwar auch Geschäftsräume in den sachlichen Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG einbezogen 569. Im Hinblick auf diese Räumlichkeiten können sich daher auch juristische Personen auf den Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG berufen 570. Da der Inhaber die Geschäftsräume jedoch zur Aufnahme sozialer Kontakte bestimmt und im gewissen Umfang aus seiner privaten Intimsphäre entlassen hat, sind sie weniger schutzbedürftig als die Privatwohnung und unterliegen daher weitergehenden Eingriffsmöglichkeiten als diese 571.

II. Die Durchsuchung von Geschäftsund Privaträumen des Schuldners 1. Der Begriff der Durchsuchung Soweit der Insolvenzverwalter Bücher kontrollieren, Korrespondenzen einsehen, Verträge und Rechnungen prüfen oder Vermögensgegenstände aufzeichnen muß, ist die Eingriffsalternative des „Anstellens von Nachforschungen“ im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO jedenfalls dann betroffen, wenn der Verwalter dies gegen den Willen des Schuldners tut und die Gegenstände dabei nicht offen zutage liegen. Durch die ermöglichten Nachforschungen soll es dem Verwalter ermöglicht werden, Kenntnis von verborgen gehaltenen Gegenständen und Aufzeichnungen zu nehmen 572. Es handelt sich dabei also um den klassischen Fall einer Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG. Für diese ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen zur Ermittlung eines Sachverhalts kennzeichnend. Dabei soll etwas aufgespürt werden, was der Wohnungsinhaber von sich aus nicht herausgeben oder offenlegen will 573.

569 BVerfGE 32, 54 (69 ff.); 42, 212 (219); 44, 353 (371); 76, 83 (88); 96, 44 (51); BFH, NJW 1989, 855; Herdegen, in: Bonner Kommentar, Art. 13, Rdnr. 34; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 13, Rdnr. 11; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, §129, Rdnr. 50 f.; a. A. für die der Öffentlichkeit zugänglichen Geschäftsräume Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 13, Rdnr. 10; Pieroth/Schlink, Rdnr. 876; vgl. zur Einbeziehung der Geschäftsräume in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK EGMR, Urteil vom 30.03.1989, Series A, Bd. 152, Ziff. 21 – Chappell ./. Vereinigtes Königreich; Urteil vom 16.12.1992, Series A, Bd. 251-B, Ziff. 30 – Niemitz ./. Deutschland; Urteil vom 16.04.2002 – 38971/97, Ziff. 41 – Stés Colas SA ./. Frankreich; weitere Nachweise bei Meyer-Ladewig, Art. 8, Rdnr. 33; vgl. zur gemeinschaftsrechtlichen Rechtslage EuGH, Urteil vom 22.10.2002, Rs. C-94/00 (Roquette Frères SA ./. Directeur général de la concurrence), EuZW 2003, 14, 16, Ziff. 29; a. A. noch EuGH, Urteil vom 21.09.1989, Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst ./. Kommission), Slg. 1989, 2859, Ziff. 17 f. 570 Vgl. BVerfGE 32, 54 (72); 42, 212 (219); 44, 353 (371); 76, 83 (88). 571 BVerfGE 32, 54 (75 f.); 97, 228 (266); BFH, NJW 1989, 855. 572 Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 35; Uhlenbruck, in: ders., § 21, Rdnr. 211. 573 BVerfGE 32, 54 (73); 51, 97 (106 f.); 75, 318 (327); 76, 83 (89); BVerwGE 28, 285 (287 ff.); 47, 31 (37).

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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2. Die Rechtfertigungsanforderungen für Durchsuchungsmaßnahmen Unabhängig davon, ob der Verwalter Nachforschungen in Geschäfts- oder Privaträumen vornimmt, ist ein solcher Eingriff lediglich auf Grund einer vorherigen richterlichen Durchsuchungsanordnung zulässig 574. Die Rechtfertigungsvoraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 GG verlangen für sämtliche Durchsuchungsmaßnahmen des vorläufigen Verwalters ungeschmälerte Geltung. Lebhaft diskutiert wird im insolvenzrechtlichen Schrifttum die Frage, ob für die Durchsuchung ein gesonderter Durchsuchungsbeschluß erforderlich ist oder ob vielmehr der insolvenzgerichtliche Sicherungsbeschluß zugleich eine Anordnung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG impliziert. Die wohl überwiegend vertretene Auffassung geht davon aus, daß der Sicherungsbeschluß zugleich den Durchsuchungsbeschluß enthalte. Das Gericht sei sich bei der Anordnung bewußt, daß neben der freiwilligen Herausgabe auch die zwangsweise Besitzergreifung des schuldnerischen Vermögens in Betracht komme 575. Dieser Argumentation hält eine beachtliche Gegenauffassung entgegen, daß der Sicherungsbeschluß ein Generaltitel sei. Er lasse nicht erkennen, wann, wo und wie vollstreckt werden soll. Das zwangsweise Eindringen in die Wohnung könne zeitlich oft viel später erfolgen als der Sicherungsbeschluß. Daher sei neben dem Sicherungsbeschluß eine gesonderte richterliche Anordnung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG erforderlich 576. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat zur Frage der Wohnungsdurchsuchung in der Einzelzwangsvollstreckung in seiner vielbeachteten Entscheidung zur Besitzergreifung durch den Gerichtsvollzieher ausgeführt, daß die gerichtliche Feststellung einer Leistungspflicht keineswegs zwangsläufig eine Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Pfändung nach sich ziehe, denn der Schuldner könne vorher auch freiwillig zahlen 577. Außerdem stünde es dem Gläubiger auch frei, was er mit dem erstrittenen Titel machen will 578. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung geltend gemachten Bedenken für den Fall 574 BVerfGE 32, 54 (72/73); a.A. für die Insolenzordnung wohl Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 23, Rdnr. 20; verfassungsrechtlich zweifelhaft auch Lepa, S. 143, die in Fällen einer auf § 22 Abs. 3 InsO gestützten Durchsuchung eine richterliche Durchsuchungsanordnung für nicht erforderlich hält. 575 Blersch, in: Berliner Kommentar, § 22, Rdnr. 29; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 33; Koch, S. 77 ff.; Lohkemper ZIP 1995, S. 1641 (1644 f.); Pohlmann, Rdnr. 128; Uhlenbruck, in: ders., § 22, Rdnr. 19; Vallender, DZWIR 1999, S. 265 (270). 576 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rdnrn. 6.15, 10.26; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 43 III 1, § 83, IV; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 13.04; Herbert, S. 117; Lepa, S. 144 ff.; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 89; ebenso für das Betreten und Durchsuchen der Privatwohnung im Eröffnungsverfahren Haarmeyer, in: Münchener Kommentar, § 22, Rdnr. 180; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 21, Rdnrn. 73 f. 577 BVerfGE 51, 97 (112). 578 BVerfGE 51, 97 (112).

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

der Durchsuchung durch den Insolvenzverwalter keinen Bestand haben. Diese These soll im folgenden erläutert werden. 3. Die Unergiebigkeit der verfassungsgerichtlichen Judikatur für Durchsuchungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters Der vorläufige Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO übergegangen sind, hat von Gesetzes wegen alle pfändbaren Gegenstände in unmittelbaren Besitz zu nehmen, die den von ihm verwalteten und fortzuführenden Betriebsteilen angehören. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Besitzergreifung im Einzelfall zur Sicherung der Masse erforderlich ist oder nicht579. Da bei Erlaß des Sicherungsbeschlusses die Inbesitznahme des schuldnerischen Vermögens in ihrem Umfang und ihren Auswirkungen bereits klar umrissen ist, liegt auch der Gegenstand einer möglichen Durchsuchung hinreichend klar vor Augen und ist daher zwangsläufig Gegenstand richterlicher Entscheidungsfindung. Wenn somit schon bei Erlaß des Sicherungsbeschlusses ein Eindringen des Verwalters in die Wohnung zur Inbesitznahme der schuldnerischen Gegenstände und somit ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG evident ist, bedarf es auch eines gesonderten richterlichen Durchsuchungsbeschlusses nicht. Insoweit ergäbe sich für die richterliche Anordnung keine andere sachliche Entscheidungsbasis als sie auch schon dem Sicherungsbeschluß zugrunde lag. Die zusätzliche Anordnung liefe auf einen – auch verfassungsrechtlich nicht geforderten – Formalismus hinaus. Die Inbesitznahme des schuldnerischen Vermögens ist daher der Räumungs- und Herausgabevollstrekkung in der Einzelzwangsvollstreckung vergleichbar, für die ein gesonderter gerichtlicher Durchsuchungsbeschluß nach zutreffender Auffassung ebenso nicht verlangt wird 580. Folgerichtig geht auch die Begründung des Regierungsentwurfs zur Besitzergreifung im eröffneten Verfahren gemäß § 148 Abs. 1 InsO davon aus, daß mit der Inbesitznahme des schuldnerischen Vermögens auch das Betreten aller Räume des Schuldners ohne eine separate richterliche Anordnung umfaßt ist 581. Es besteht zudem noch ein weiterer Einwand gegen eine gesonderte richterliche Durchsuchungsanordnung. In einem frühen Beschluß geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß richterliche Anweisungen im Vollstreckungsverfahren an den 579 Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 22, Rdnr. 47; Pohlmann, Rdnrn. 110 f.; Smid, in: ders., § 22, Rdnr. 52; Uhlenbruck, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnr. 19. 580 Vgl. hierzu Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 13, Rdnr. 62; Kühne, in: Sachs, Art. 13, Rdnr. 32; ebenso aus der Rechtsprechung BVerwGE 47, 31 (38); OVG Berlin, NVwZRR 1990, 194, 195; OLG Düsseldorf, NJW 1980, 458, 459; OLG Köln, DGVZ 1989, 59; LG Berlin, DGVZ 1992, 91, 92. 581 BT-Drucksache 12/2443, S. 170; ebenso Breutigam, in: Berliner Kommentar, § 148, Rdnr. 15; Wegener, in: Frankfurter Kommentar, § 148, Rdnr. 12; Irschlinger, in: Heidelberger Kommentar, § 148, Rdnr. 8; Holzer, in: Kübler/Prütting, § 148, Rdnr. 18; Andres, in: Nerlich/ Römermann, § 148, Rdnr. 43; Uhlenbruck, in: ders., § 148, Rdnr. 20.

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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Vollstreckungsbeamten die Durchsuchungsanordnung implizieren können, wenn die richterliche Anordnung diejenigen Maßnahmen deckt, die im Verlauf der Vollstreckung normalerweise einzutreten pflegen 582. Diese Entscheidung steht nach eigener Aussage des Gerichts nicht im Widerspruch zu der o. g. Entscheidung vom 3. April 1979 583. Differenzierungskriterium für die unterschiedliche Handhabung der Fälle durch das Gericht ist die unterschiedliche sachliche und zeitliche Nähe zwischen richterlichem Beschluß und anschließender Zwangsmaßnahme in den beiden Fällen. Das Gericht hält eine Implikation der Durchsuchungsanordnung in den Fällen für möglich, in denen ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage und dem Entscheidungsinhalt, den der Richter mit der Durchsuchungsanordnung zu verantworten hat, besteht. Zwischen dem das Erkenntnisverfahren abschließenden Leistungsurteil und dem konkreten Vollstrekkungsakt ist ein solcher unmittelbarer Zusammenhang nicht mehr gegeben. Hingegen weisen Sicherungsbeschluß und Zwangsmaßnahmen des vorläufigen Verwalters im Eröffnungsverfahren zweifellos die vom Bundesverfassungsgericht geforderte sachliche und zeitliche Nähe auf. Daher ist auch aus diesem Grund eine gesonderte gerichtliche Durchsuchungsanordnung im Eröffnungsverfahren regelmäßig nicht erforderlich. Dieser Grundgedanke gilt dabei unabhängig davon, ob die Geschäftsräume des Schuldners oder dessen Privatwohnung zu durchsuchen sind 584. Der Umstand, daß die Privatwohnung in § 22 Abs. 3 InsO nicht erwähnt wird, ist für die verfassungsrechtliche Frage nach einer zusätzlichen Durchsuchungsanordnung nämlich nicht von Relevanz. Er ist vielmehr ausschließlich im Hinblick auf die erforderliche Durchsuchungskompetenz von Belang 585. 4. Die Anforderungen an den Durchsuchungsbeschluß Die Durchsuchung stellt einen massiven Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Schuldners oder Dritter dar. Eingedenk der Intensität dieses Eingriffs erfordert Art. 13 Abs. 2 GG für die Durchsuchung grundsätzlich eine vorherige richterliche Entscheidung über die Anordnung. Diese von der Verfassung vorgesehene Erforderlichkeit einer Anordnung durch den Richter bezweckt eine vorbeugende Prüfung der Durchsuchungsmaßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz 586. Hier wird der auch an anderen Stellen des Grundgesetzes, vgl. Art. 19 Abs. 4, Art. 104 Abs. 2 GG, zum Ausdruck kommende Grundgedanke deutlich, daß der Richter auf Grund seiner persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz, Art. 97 GG, die Rechte der BeBVerfGE 16, 239 (240). BVerfGE 51, 97 ff. 584 A. A. die wohl h. M., vgl. Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 23, Rdnr. 20; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 35; Lepa, S. 143 f.; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 22, Rdnr. 223; Uhlenbruck, in: ders., § 22, Rdnr. 211. 585 Dazu unten Viertes Kapitel, A. VI. 3. e). 586 BVerfGE 20, 162 (223); 57, 346 (355 f.); 76, 83 (91); 103, 142 (150 f.). 582 583

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

troffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann 587. Diese verfassungsrechtliche Bindung der Durchsuchungsmaßnahme an die vorherige richterliche Prüfung hat zur Folge, daß grundsätzlich – außer bei Gefahr im Verzug – keine Durchsuchungsmaßnahme vollzogen werden darf, welche nicht zuvor Gegenstand richterlicher Prüfung gewesen ist. Von Verfassung wegen gefordert ist also eine vollständige Deckungsgleichheit zwischen der Durchsuchungsmaßnahme und dem Prüfungsumfang der ihr zu Grunde liegenden tatsächlichen Gegebenheiten. Die Herstellung dieser Kongruenz macht eine zweifache verfahrensrechtliche Absicherung erforderlich: a) Das Bestimmtheitserfordernis Zunächst hat der Richter die Voraussetzungen der Durchsuchungsmaßnahme eigenverantwortlich zu prüfen. Er hat dabei nach der in ständiger Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht verwendeten Formel durch eine geeignete Formulierung seines Beschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren dafür Sorge zu tragen, daß der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 GG meßbar und kontrollierbar bleibt 588. Diesen – vom Bundesverfassungsgericht auch als „Bestimmtheitserfordernis“ des Durchsuchungsbeschlusses charakterisierten589 – Anforderungen ist dann genügt, wenn die nachfolgende Durchsuchung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß angemessen durch den richterlichen Beschluß umgrenzt wird. Soweit man – mit der hier vertretenen Auffassung – davon ausgeht, daß bereits der Eröffnungsbeschluß die richterliche Durchsuchungsanordnung impliziert, stellt sich die Frage, inwieweit ein solcher hinsichtlich des Durchsuchungserfordernisses zumeist auf bewußt unsicherer Tatsachengrundlage ergangener Beschluß dem zuvor beschriebenen Bestimmtheitserfordernis gerecht werden kann. Bei der Beantwortung dieser Frage ist auf Sinn und Zweck des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernisses abzustellen. Das Bestimmtheitserfordernis soll einerseits den vollziehenden Organen und andererseits dem Wohnungsinhaber bzw. Dritten, welche die Durchsuchung abwenden wollen, Gewißheit darüber verschaffen, wozu sie befugt sind bzw. was sie zu dulden haben. Die richterliche Anordnung muß also den Grund, den Zweck und insbesondere die räumliche und sachliche Begrenzung der Durchsuchung vorzeichnen. Diese Funktion erfüllt der Eröffnungsbeschluß aber in gleicher Weise wie ein evtl. nachgehender gesonderter Durchsuchungsbeschluß, so daß dieser letztlich eine bloße Förmelei wäre. Eine angemessene Begrenzung der Durchsuchung ergibt sich nämlich bereits aus den besonderen Rechten und Pflichten des Verwalters, wie sie im Eröffnungsbeschluß festgelegt

BVerfGE 77, 1 (51); 103, 142 (150 f.). BVerfGE 20, 162 (224); 42, 212 (220); 96, 44 (51); 103, 142 (151); BVerfG (Kammer), NJW 1992, 551, 552; (Kammer) NJW 1994, 2079; (Kammer) NJW 2000, 943, 944; (Kammer) NJW 2002, 1941, 1942. 589 So BVerfG (Kammer), NJW 2000, 943, 944. 587 588

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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sind. Bereits der Eröffnungsbeschluß legt mit dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 80 Abs. 1 InsO und der Übernahme der Insolvenzmasse gemäß § 148 Abs. 1 InsO, zu der auch die Geschäfts- und evtl. auch die Privaträume des Schuldners gehören, vgl. §§ 35 ff. InsO, den Umfang einer möglichen Besitzergreifung durch den Verwalter fest. Lediglich im Rahmen dieses Umfanges ist auch ein direkter Zugriff im Wege einer Durchsuchung möglich und zulässig. Da das Zugriffsrecht des Verwalters somit universeller Natur ist, erscheint eine konkrete Umschreibung seiner Durchsuchungsmöglichkeiten durch gesonderten Beschluß als obsolet. Dies gilt sowohl für den Gegenstand als auch für die genaue Reichweite der Durchsuchung. Der in einem gesonderten Durchsuchungsbeschluß beispielsweise enthaltenen näheren Bezeichung der zu durchsuchenden Räume käme allenfalls ein tautologischer Gehalt zu. Insoweit unterscheidet sich die Durchsuchung durch den Verwalter erheblich von der Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft oder den Gerichtsvollzieher. Während der Verwalter kraft seines Amtes jederzeit im Rahmen des Verfahrenszweckes auf die Masse zugreifen kann, besteht ein vergleichbares universelles Zugriffsrecht weder für die Polizei noch für den Gerichtsvollzieher. Da diese vielmehr gleichsam von außen in die Sphäre des Beschuldigten bzw. des Schuldners eingreifen, ist eine zusätzliche Begrenzung ihres Zugriffs erforderlich. b) Das Kriterium der zeitlichen Nähe zwischen Beschluß und Durchsuchung Neben den zuvor beschriebenen Anforderungen an den Inhalt der richterlichen Anordnung muß auch in zeitlicher Hinsicht gewährleistet sein, daß die tatsächliche Entscheidungsgrundlage zum Zeitpunkt der Vollziehung kongruent mit dem vom Richter verantworteten Entscheidungsinhalt ist 590. Insbesondere nach längerem Zeitablauf kann die Möglichkeit bestehen, daß die Vollziehung der Maßnahme nicht mehr durch die richterliche Gestattung gedeckt ist. Die Frage nach der Verfallsdauer der richterlichen Durchsuchungsanordnung stellt sich hinsichtlich des Eröffnungsbeschlusses mit besonderer Deutlichkeit. In der Insolvenzpraxis kommt es nicht selten vor, daß eine Durchsuchungsmaßnahme erst einige Wochen, teilweise erst Monate, nach Erlaß des Eröffnungsbeschlusses vollzogen wird. Starre Zeitgrenzen lassen sich für die Verfallsdauer eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses nicht festlegen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf die strafprozessuale Durchsuchung entschieden, daß jedenfalls nach Ablauf eines halben Jahres die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu sichern vermag 591. Ob diese Frist auch für die 590 591

BVerfGE 96, 44 (52). BVerfGE 96, 44 (53); für die Einzelzwangsvollstreckung ebenso KG, NJW-RR 1987,

126. 9 Werres

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

Vollziehung des insolvenzrechtlichen Eröffnungsbeschlusses Geltung beansprucht, erscheint indes zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht hat die Halbjahresfrist insbesondere auf folgende Erwägungen gestützt: Zum einen lasse ein schwindendes Ahndungsbedürfnis für die Strafttat infolge Zeitablaufs die Angemessenheit der Zwangsmaßnahme entfallen. Zum anderen bestehe jedenfalls nach Ablauf der Halbjahresfrist die Möglichkeit einer veänderten Beweislage, welche eine erneute richterliche Entscheidung als angemessen erscheinen läßt592. Beide Erwägungen lassen sich nicht ohne weiteres auf das Insolvenzverfahren übertragen. Dies gilt zunächst für das vom Bundesverfassungsgericht angesprochene schwindende Ahndungsbedürfnis. Ein Ahndungsbedürfnis ist weder Gegenstand noch Sinn und Zweck des auf die Durchsetzung zivilrechtlicher Forderungen angelegten Insolvenzverfahrens. Die Halbwertzeit zivilrechtlicher Forderungen wird durch durch die bestehenden Verjährungsvorschriften umfassend abgegolten. Innerhalb dieses zeitlichen Rahmens ist die Vollstreckung stets aktuell, mag sie auch erst Jahre später erfolgen. Schließlich besteht im Insolvenzverfahren grundsätzlich auch nicht die Gefahr einer veränderten Beweislage. Im Gegensatz zum strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist das Insolvenzverfahren seiner Natur nach statisch, nicht dynamisch. Mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch verliert der Schuldner seine Einwirkungsmöglichkeiten. Der Insolvenzverwalter gewinnt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Eine vermögensrechtlich relevante Veränderung der Beweislage kommt daher nach Zulassung des Insolvenzantrages und der Verhängung von Sicherungsmaßnahmen nicht mehr in Betracht. In Ausnahmefällen kann sich eine Änderung der Sachlage allerdings mit Blick auf die Person des Schuldners ergeben. So ist es denkbar, daß ein bei Erlaß des Eröffnungsbeschlusses kooperationsunwilliger Schuldner seine Hilfsbereitschaft im Verlauf des Verfahrens überdenkt. Hier kann die zunächst gegebene Rechtfertigung für eine Durchsuchung nachträglich entfallen. 5. Die gesetzliche Grundlage für die Durchsuchung Entgegen wohl verbreiteter insolvenzgerichtlicher Praxis 593 bedarf der vorläufige Insolvenzverwalter zur Durchsuchung von Geschäftsräumen wegen § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO nicht des Beistandes des zuständigen Gerichtsvollziehers, sondern kann – gegebenenfalls unter polizeilicher Zuhilfenahme – die Durchsuchung unmittelbar selbst vornehmen. § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO ist nicht nur Befugnis-, sondern auch Kompetenznorm 594.

592 Vgl. BVerfGE 96, 44 (52 f.), sowie speziell für das Insolvenzverfahren BVerfG (Kammer), ZInsO 2002, 424. 593 Vgl. hierzu die Beschlüsse des AG Duisburg, ZInsO 1999, 720, 721 und die Arbeitshinweise des AG Duisburg, NZI 1999, 309. 594 Ebenso Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 22, Rdnr. 221; Pape, in: Kübler/Prütting, § 22, Rdnr. 32; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 426; Uhlenbruck, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnr. 27.

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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Der Umweg über die einzelzwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften unter Einschaltung eines Gerichtsvollziehers ist nur für solche Durchsuchungsmaßnahmen erforderlich, zu denen § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO nicht ermächtigt. Dies gilt neben dem bereits erläuterten Betreten der Privaträume auch für deren Durchsuchung. Da Art. 13 Abs. 2 GG aber für die Durchsuchung der Wohnung entsprechend dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes nach einer entsprechenden Eingriffsgrundlage verlangt, deren materielle Voraussetzungen in einem Parlamentsgesetz festgelegt sein müssen 595, kommt hier nur ein Rückgriff auf die Vorschriften der Einzelzwangsvollstreckung unter Einschaltung eines Gerichtsvollziehers in Betracht. Dabei dient der Sicherungsbeschluß als Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO 596. Einer zusätzlichen richterlichen Anordnung bedarf es – wie festgestellt – nicht. Dem vorläufigen Verwalter ist es gestattet, während der Durchsuchung der Räume durch den Gerichtsvollzieher anwesend zu sein und gegebenenfalls Anweisungen zu erteilen 597. 6. Die Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Durchsuchungen Die Durchsuchung steht als schwerwiegender Eingriff in die räumlich Privatsphäre unter der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 598. Vor jeder Durchsuchung sollten grundsätzlich weniger einschneidende Maßnahmen zur Besitzergreifung versucht werden. So sollte der Schuldner zunächst zur Vorlage der benötigten Unterlagen aufgefordert werden. Gegebenenfalls kann ein gerichtlicher Anhörungstermin stattfinden 599. Vor einer zu strengen Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist hingegen abzusehen, soll der Charakter des Eröffnungsverfahrens als Eilverfahren gewahrt bleiben und eine Vereitelung des Sicherungszweckes vermieden werden. 7. Die Durchsuchungen durch den sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter Auch der sog. „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter, der in der Praxis den Regelfall darstellt, kann verpflichtet sein, diejenigen Gegenstände in Besitz zu nehmen, die das Insolvenzgericht in seinem Sicherungsbeschluß einem besonderen Verfügungsverbot unterstellt hat. Dabei stehen auch ihm die Zwangsbefugnisse des

Hermes, in: Dreier, Art. 13, Rdnr. 33. Haarmeyer, in: Münchener Kommentar, § 22, Rdnr. 179; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 4; Uhlenbruck, in: ders., § 22, Rdnr. 211. 597 Ebenso Vallender, EWiR 1997, S. 1097 (1098). 598 BVerfGE 20, 162 (186 f.); 51, 97 (113); 57, 346 (356); 59, 95 (97); 96, 44 (51). 599 So ausdrücklich Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 23, Rdnr. 20. 595 596

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

§ 22 Abs. 3 Satz 1 InsO zu 600. Aus dem Umstand, daß sich der in Besitz zu nehmende Gegenstand nicht in den Räumlichkeiten des Schuldners befinden und somit eine Durchsuchung nicht in jedem Fall erforderlich sein muß, folgert Pohlmann, daß bei Durchsuchungen durch den „schwachen“ vorläufigen Verwalter der Sicherungsbeschluß nicht die Durchsuchungsanordnung impliziere, sondern vielmehr eine gesonderte Durchsuchungsanordnung ergehen müsse 601. Dem ist zuzugeben, daß im Gegensatz zum „starken“ vorläufigen Verwalter bei der Besitzergreifung durch den „schwachen“ Verwalter der Umfang der in Besitz zu nehmenden Gegenstände gesetzlich nicht determiniert ist. Dieser Umstand ist indes ausschließlich für die Frage nach den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitserfordernissen, die an den Sicherungsbeschluß zu stellen sind, relevant 602. Dabei würde es indes eine willkürliche Nivellierung der Unterschiede zwischen Insolvenzverwalter einerseits und Gerichtsvollzieher und Staatsanwalt andererseits bedeuten, stellte man an den insolvenzgerichtlichen Sicherungsbeschluß die gleichen Bestimmtheitsanforderungen wie an strafprozessuale oder einzelzwangsvollstreckungsrechtliche Anordnungen. Aufgaben und Funktionen des Insolvenzverwalters lassen sich mit dem streng formalisierten Tätigkeitsbereich z. B. des Gerichtsvollziehers nicht vergleichen, da das Insolvenzverfahren vom Verwalter wirtschaftlich orientierte Entscheidungen und betriebswirtschaftlich-effizientes Vorgehen im Interesse von Gläubigern und Schuldner verlangt. Dem freiverantwortlichen Handeln des Verwalters korrespondiert dabei seine Haftung gemäß § 60 InsO bei evtl. Pflichtverletzungen. Bis ins Detail bestimmte insolvenzgerichtliche Anordnungen, an deren Umfang die Prüfungsund Zwangsmaßnahmen des Verwalters gebunden wären, erscheinen zudem deshalb als sachlich nicht gerechtfertigt, weil in der Verfahrenswirklichkeit nicht das Gericht, sondern der Verwalter über umfangreiche und genaue Kenntnisse der schuldnerischen Verhältnisse verfügt. Des weiteren bestehen hinsichtlich der Frage nach einem gesonderten Durchsuchungsbeschluß keine Unterschiede im Vergleich zum starken Insolvenzverwalter, da auch hier der vom Bundesverfassungsgericht geforderte zeitliche und sachliche unmittelbare Zusammenhang zwischen Sicherungsbeschluß und der konkreten Zwangsmaßnahme im Regelfall gegeben sein dürfte. Folglich ist auch für Durchsuchungsmaßnahmen durch den „schwachen“ vorläufigen Verwalter kein gesonderter Durchsuchungsbeschluß erforderlich. 8. Die Durchsuchung im Rahmen der Sachverständigentätigkeit Auch der Tätigkeit des vom Insolvenzgericht eingesetzten Sachverständigen kommt bei der Ermittlung der schuldnerischen Vermögensverhältnisse eine hohe praktische Bedeutung zu, und zwar nicht erst im Rahmen der vorläufigen Verwal600 601 602

Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 32; Pohlmann, Rdnr. 213. Pohlmann, Rdnr. 222. Hierzu Pohlmann, Rdnrn. 224 ff.

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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tung, sondern bereits im sog. Vorprüfungsverfahren vor Anordnung der vorläufigen Verwaltung. Der Sachverständige führt als „Gehilfe des Gerichts“ Ermittlungen durch, die das Gericht theoretisch auch selbst durchführen könnte. In diesem Fall wäre das Gericht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Daher muß die gleiche grundrechtliche Bindung auch dann bestehen, wenn es sich der Hilfe einer dritten Person, nämlich eines Sachverständigen, bedient. Somit unterliegt auch der Sachverständige der Grundrechtsbindung des Art. 13 Abs. 1 GG 603. Fraglich ist indes, inwieweit die Insolvenzordnung den Sachverständigen bei seiner Ermittlungstätigkeit mit Zwangsbefugnissen ausstattet. Solange der Sachverständige zugleich vorläufiger Verwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 InsO ist, was in der Praxis der Regel entspricht, ist eine Unterscheidung danach, in welcher Funktion der Verwalter gerade auftritt, schlechterdings unmöglich. In der Regel tritt der vorläufige Verwalter nach außen hin, selbst wenn er Aufgaben des Sachverständigen wahrnimmt, in seiner Funktion als Verwalter auf. Daher sollten dem vorläufigen Verwalter auch in seiner Position als Sachverständiger die Zwangsbefugnisse des § 22 Abs. 3 InsO uneingeschränkt zustehen 604. Die Stellung des vorläufigen Verwalters als „Sachverständiger“ im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 2 InsO hat lediglich Bedeutung für seine Vergütung nach dem ZSEG. Die vom Bundesgerichtshof in seinem Beschluß vom 4. März 2004 605 vertretene Auffassung, der Sachverständige dürfe die Wohn- und Geschäftsräume des Schuldners lediglich mit dessen Einverstänis betreten, beansprucht lediglich für die Fälle Geltung, in denen der Sachverständige nicht zugleich vorläufiger Insolvenzverwalter ist. Hier hat der Sachverständige nur die in §§ 402 ff. ZPO normierten Befugnisse 606. Möchte das Gericht gleichwohl die Durchsuchung der schuldnerischen Räume erwirken, muß es entweder einen vorläufigen Insolvenzverwalter einsetzen oder einen Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschluß erlassen, der gemäß § 4 InsO nach den einzelzwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften (§§ 883, 758 ZPO) durch einen Gerichtsvollzieher zu vollstrecken ist.

III. Die Durchsuchung der Wohnung bei einem am Eröffnungsverfahren nicht beteiligten Dritten Das Amtsgericht Gelsenkirchen, das Amtsgericht Duisburg und das Landgericht Mainz haben sich in drei Beschlüssen mit der Frage der Zulässigkeit der Durchsu-

BVerfGE 75, 318 (327). Ebenso AG Duisburg, NZI 2004, 388 f.; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 22, Rdnr. 45. 605 BGH, NZI 2004, 312 f. 606 Insoweit zutreffend BGH, NZI 2004, 312, 313; ebenso bereits Irmen/Werres, NZI 2001, S. 579 (583). 603 604

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

chung von Räumlichkeiten Dritter nach Geschäftsunterlagen auseinandergesetzt 607. Dabei wurde übereinstimmend eine Durchsuchung jedenfalls dann für zulässig erachtet, wenn ein Verdacht der Vermögensverschiebung besteht und die Verfahrenseröffnung nur bei Aufdeckung der Vermögensverschiebung möglich ist. Diesen Beschlüssen, die einhellige Zustimmung im Schrifttum erfahren haben 608, ist im Ergebnis zu folgen. Ob hingegen die Argumentation des Amtsgerichts Duisburg, daß ein Dritter unabhängig von seiner rechtlichen Selbständigkeit organisatorisch wie ein ausgelagerter Betriebsteil des Schuldners betrachtet werden könne 609, auch verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält, darf bezweifelt werden. Gleichwohl ist nicht ersichtlich, weshalb an eine Durchsuchung im Eröffnungverfahren, in dem auch verfassungsrechtliche Positionen der Gläubiger tangiert werden610, höhere Anforderungen zu stellen sind als beispielsweise an eine strafprozessuale Durchsuchung, die ebenfalls auf andere Personen als dem jeweiligen Beschuldigten ausgedehnt werden können. Die dafür gemäß § 103 Abs. 1 StPO normierten Voraussetzungen können daher auf die Durchsuchung im Eröffnungsverfahren übertragen werden. Der Vergleich mit § 103 Abs. 1 StPO erhellt zugleich, daß die von den Insolvenzgerichten als Voraussetzung für die Durchsuchung geforderte schwerwiegende Verdunkelungshandlung kein angemessenes Kriterium zur Bestimmung der Zulässigkeit einer Wohnungsdurchsuchung bei Dritten ist. Legitimer insolvenzrechtlicher Zweck der Durchsuchung ist ausschließlich das Auffinden der benötigten Unterlagen und nicht das Aufdecken etwa bestehender Verdunkelungshandlungen. Die im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beachtende Geeignetheit der anzuwendenden Mittel verlangt demnach, daß Tatsachen vorliegen, die ein Auffinden der konkret benötigten Unterlagen in der Wohnung des Dritten nahelegen, vgl. § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO 611. Allein der Verdacht eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen Schuldner und Dritten läßt auf das Vorliegen dieses Erfordernisses jedoch nicht schließen. Er ist weder eine hinreichende noch eine zwingend notwendige Bedingung für den Erfolg der Durchsuchungsmaßnahme. Positiv ausgedrückt ist somit eine Durchsuchung in der Wohnung bei einem am Eröffnungsverfahren nicht unmittelbar beteiligten Dritten dann zulässig, wenn hinreichende Anhaltspunkte auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit schließen lassen, daß sich in den betreffenden Räumen die benötigten Gegenstände oder Unterlagen befinden.

607 AG Gelsenkirchen, ZIP 1997, 2092; AG Duisburg, ZInsO 1999, 720; LG Mainz, ZInsO 2001, 629 f. 608 Siehe Haarmeyer, in: Münchener Kommentar, § 22, Rdnr. 180; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 20, Rdnr. 19; Pape, in: Kübler/Prütting, §21, Rdnr. 7; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 20, Rdnr. 10; Vallender, EWiR 1997, S. 1097. 609 AG Duisburg, ZInsO 1999, 721. 610 Hierzu oben Drittes Kapitel, A. IV. 1. 611 Vgl. hierzu auch Meyer-Goßner, § 103, Rdnr. 6.

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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IV. Das Betreten der Geschäfts- und Privaträume des Schuldners 1. Der Begriff des Betretens Soweit der Verwalter in die Räumlichkeiten des Schuldners eindringt, jedoch die Schwelle zur Duchsuchung nicht überschreitet, handelt es sich um eine bloße Betretungsmaßnahme. Diese kann zum Zwecke der Aufzeichnung von Gegenständen durch den Verwalter oder zur Inspizierung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens erfolgen. Auch die Siegelung des schuldnerischen Vermögens zur Sicherung von Gegenständen stellt keine Durchsuchung, sondern ein Betreten dar, da das Betreten zum Zwecke der Siegelung des schuldnerischen Vermögens auch nicht mittelbar auf eine Durchsuchung angelegt ist, noch die Erreichung dieses Zwecks notwendigerweise eine Durchsuchung zur Voraussetzung hat 612. Auch die Beschlagnahme von Gegenständen überschreitet, jedenfalls solange diese offen zutage liegen, noch nicht die Schwelle zur Durchsuchungsmaßnahme613. Die unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen bei Eintritt in einen Raum macht den Eingriff noch nicht zur Durchsuchung 614. 2. Das Betreten der Geschäftsräume Der Verwalter bedarf für die zuvor geschilderten Maßnahmen entgegen einer im insolvenzrechtlichen Schrifttum geäußerten Meinung 615 keiner richterlichen Durchsuchungsanordnung, da diese ausschließlich der Rechtfertigung von Durchsuchungsmaßnahmen dient, für das Betreten von Räumen aber weder erforderlich noch ausreichend ist 616. Gleichwohl vollzieht sich auch das bloße Betreten von Geschäftsräumen nicht im verfassungsfreien Raum, denn das Bundesverfassungsgericht unterstellt auch die Geschäftsräume dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG 617. Dabei knüpft das Gericht zur Rechtfertigung von Besichtigungsmaßnahmen jedoch nicht an die strengen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 GG an. Vielmehr hält es das bloße Betreten der Geschäftsräume jedenfalls dann für gerechtfertigt, wenn eine gesetzliche Vorschrift zum Betreten ermächtigt, das Betreten während

Vgl. Hessischer VGH, NJW 1973, 1855, 1856. So auch im Ergebnis LG Duisburg, ZIP 1991, 674, 675. 614 BVerwGE 47, 31 (37). 615 Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 33; Smid, in: ders., § 22, Rdnr. 53. 616 Hermes, in: Dreier, Art. 13, Rdnr. 27; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 13, Rdnr. 36; Herdegen, in: Bonner Kommentar, Art. 13, Rdnrn. 48, 69; a.A. für das Insolvenzrecht Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 21, Rdnr. 73; mißverständlich Lepa, S. 144, die nicht zwischen Durchsuchungs- und Betretungsmaßnahmen differenziert. 617 BVerfGE 32, 54 (68 ff.); 42, 212 (219); 44, 353 (371); 76, 83 (88); 96, 44 (51); 97, 228 (265). 612 613

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

der Dienst- und Geschäftszeiten stattfindet und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt 618. Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung hat der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Betretungsmaßnahmen durch Schaffung des § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO hinreichend Rechnung getragen. Dabei dürfte das Betreten durch den Verwalter auch solange verhältnismäßig sein, wie – aus ex ante Sicht des Verwalters – der Verdacht besteht, daß Teile der Masse verheimlicht oder beiseite geschafft werden sollen und somit Sicherungsmaßnahmen erforderlich und angemessen erscheinen. Praktische Konsequenz für das Handeln des vorläufigen Insolvenzverwalters ist, daß der Verwalter ohne Zuhilfenahme eines Gerichtsvollziehers und ohne vorherige Einholung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses die Geschäftsräume des Schuldners zu o.g. Zwekken betreten darf. Eine andere Einschätzung der Rechtmäßigkeit von Betretungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters ist auch nicht auf Grund der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu kartellrechtlichen Beschlagnahmen 619 geboten. Der Gerichtshof wertete in dem zur Entscheidung stehenden Fall das Betreten von Geschäftsräumen und die Beschlagnahme von Dokumenten zu kartellrechtlichen Zwecken als unverhältnismäßige Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 EMRK, obgleich sie nicht gegen den erkennbaren Willen der Betroffenen erfolgten. Nach Auffassung des Gerichtshofs kann auch bloßes Betreten zu einer Verletzung des Art. 8 Abs. 1 EMRK führen, soweit sie sich auf Grund ihres Ausmaßes besonders intensiv auf die Grundrechtssphäre des Betroffenen auswirken und keiner präventiven Kontrolle durch ein unabhängiges Organ unterliegen 620. Inwieweit dieses Erfordernis einer präventiven unabhängigen Kontrolle durch staatliche Organe auf das deutsche Recht übertragbar ist, mag vorliegend dahinstehen. Jedenfalls werden bei Betretungsmaßnahmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens die vom Gerichtshof aufgestellten Voraussetzungen eingehalten. Maßnahmen, welche die räumliche Sphäre des Schuldners betreffen, unterliegen unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung als Durchsuchung oder bloße Betretung stets der verfahrensrechtlichen Bindung an die inhaltlichen Zwecke des insolvenzgerichtlichen Beschlusses zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen. Dieser Beschluß, welcher dem Betreten der Geschäftsräume durch den Insolvenzverwalter vorausgeht, legt Zweck, Umfang und Ausmaß etwaiger Nachforschungen in der Schuldnersphäre fest und bindet insoweit den Verwalter bei seinen Zwangsmaßnahmen. Anders als in den vom GeBVerfGE 32, 54 (68 ff.); 97, 228 (266); ebenso: BFH, NJW 1989, 855. EGMR, Urteil vom 16.04.2002 – 37971/97 – Stés Colas SA ./. Frankreich; ähnlich bereits EGMR, Urteil vom 23.09.1998, RJD 1998-VII, Ziff. 36 – McLeod ./. Vereinigtes Königreich. 620 EGMR, Urteil vom 16.04.2002 – 37971/97, Ziff. 48 f.; ähnlich auch EGMR, Urteil vom 25.02.1993, Series A, Bd. 256-A, Ziff. 57 – Funke ./. Frankreich; Urteil vom 25.02.1993, Series A, Bd. 256-B, Ziff. 40 – Crémieux ./. Frankreich; Urteil vom 16.12.1997, RJD 1997-VIII, Ziff. 45 f. – Camenzind ./. Schweiz. 618 619

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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richtshof zu beurteilenden kartellrechtlichen Verfahren führen die im Rahmen des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens durchgeführten Besichtigungen auch nicht zu schwerwiegenden Eingriffen in das Recht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK 621. Sie dienen in der Regel lediglich der Sichtung und Schätzung des schuldnerischen Vermögens und sind weder unmittelbar noch mittelbar auf eine Beschlagnahme der Gegenstände gerichtet. 3. Das Betreten der schuldnerischen Privatwohnung Auch ein Betreten der Privatwohnung des Schuldners sollte nicht an den strengen Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 7 GG gemessen werden, denn die Schrankenregelung des Art. 13 Abs. 7 GG ist ausschließlich polizeirechtlich ausgerichtet622 und läßt sich weder auf einzelzwangsvollstreckungsrechtliche noch auf insolvenzrechtliche Durchsuchungsmaßnahmen übertragen. Wenig hilfreich sind zudem die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten besonderen Eingriffsvoraussetzungen für das Betreten von Geschäftsräumen. Das Bundesverfassungsgericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, daß den Geschäftsräumen nach ihrer Zwecksetzung eine größere Offenheit nach außen eigne, da der Inhaber sie zur Aufnahme sozialer Kontakte bestimmt und damit in gewissem Umfang aus der privaten Intimsphäre entlassen habe 623. Gerade diese Offenheit nach außen hat das Gericht zur Grundlage seiner besonderen Schrankenregelung gemacht. Diese Offenheit ist bei den hier betroffenen Privatwohnungen des Schuldners jedoch gerade nicht gegeben. Fraglich ist also, wie Eingriffe in Privatwohnungen unterhalb der Schwelle der Durchsuchung, die nicht polizeilicher Natur sind, sondern zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erfolgen, gerechtfertigt werden können. Daß auch für solche Eingriffe – wie der Fall des Insolvenzverwalters zeigt – ein berechtigtes Bedürfnis bestehen kann, ist unbestreitbar. Die Schrankensystematik des Art. 13 GG, die von vielen als mißglückt angesehen wird 624, vermag solche Eingriffe mit privatrechtlicher Zielsetzung jedoch nicht zu erfassen. Ein Eingriff kommt daher lediglich auf der Grundlage verfassungsimmanenter Schranken in Betracht. In Rechtsprechung und Lehre ist allgemein anerkannt, daß ungeschriebene Begrenzungen im Interesse kollidierender Grundrechte Dritter und anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswerte grundsätzlich grundrechtlich garantierte Individualrechte einer Güterabwägung zu unterwerfen vermögen 625. Diese Rechtsprechung betrifft freilich die

621 Die von Roellenbleg, NZI 2004, S.176 (183), vertretene Auffassung, § 148 InsO verstoße gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK, ist daher unzutreffend. 622 So ausdrücklich BVerfGE 75, 318 (327); Hermes, in: Dreier, Art. 13, Rdnr. 27; a. A. wohl OLG Nürnberg, NJW-RR 1990, 909. 623 BVerfGE 32, 54 (75); 109, 279 (320 ff.). 624 So BVerfGE 32, 54 (76); Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 13, Rdnr. 52. 625 Grundlegend BVerfGE 28, 243 (260 f.); 51, 324 (345 f.); 69, 1 (21); 81, 278 (292); eingehend aus der Literatur Merten, in: ders./Papier, HdbGR III, § 58.

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4. Kap.: Das Verhältnis Staat – Schuldner

Einschränkung von vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten. Die Besonderheit von Eingriffen in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG liegt freilich darin, daß hier der Verfassungsgeber bereits detaillierte Schrankenregelungen in Form von Gesetzesvorbehalten getroffen hat. Der Verfassungsgeber hat also – wenn auch unzureichend – bereits selbst die Kollisionsgefahren gesehen und einer Regelung zugeführt. Eingedenk dieses Umstandes wird im verfassungsrechtlichen Schrifttum teilweise die abschließende Natur der bestehenden Eingriffsmöglichkeiten hervorgehoben und ein Eingriff außerhalb dieser Schrankenregelungen, insbesondere auf Grund verfassungsimmanenter Schranken, als unzulässig abgelehnt 626. Diese Argumentation überzeugt im Ergebnis nicht. Vor dem Hintergrund eines an den Staat gerichteten, aus dem Eigentumsrecht der vollstreckenden Gläubiger fließenden Schutzgebots kann es zwangsläufig zu zusätzlichen Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen des Schuldners oder dritter Personen kommen. Dabei erscheint es zweifelhaft, daß der Verfassungsgeber sämtliche Konfliktlagen mit kollidierenden Rechten und Gütern gesehen hat. Die Schrankenregelung des Art. 13 GG ist primär polizeirechtlich ausgerichtet 627. Spezifischen Gefahrenlagen, wie sie bei der Vollstreckung privater Forderungen entstehen, trägt die Schrankenregelung nicht Rechnung. Soweit daher der Gesetzesvorbehalt des Art. 13 GG nicht ausreicht, um zwingenden Erfordernissen grundrechtlicher Eingrenzung Rechnung zu tragen, unterscheidet sich die Einschränkbarkeit des Art. 13 Abs. 1 GG nicht grundlegend von der anderer vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte. In solchen Konstellationen muß daher zur Durchsetzung kollidierender Verfassungsrechte Dritter auch eine Einschränkung von Grundrechten mit bestehendem Gesetzesvorbehalt möglich sein 628. Da freilich das Schutzniveau nicht geringer sein darf als bei der Einschränkung auf Grund der bestehenden Gesetzesvorbehalte, bedarf es auch für Einschränkungen im Interesse anderer Grundrechte einer gesetzlichen Grundlage629. Da das Betreten der Privatwohnung einen intensiveren Eingriff als das Betreten der Geschäftsräume darstellt, dürfen die verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen hierfür nicht milder sein. Ein Betreten von Privaträumen kann daher verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt sein, wenn es auf gesetzlicher Grundlage erfolgt und – im Gegensatz zum Betreten der Geschäftsräume – einer qualifizierten Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält 630. Gleichwohl dürfte bei einer Abwägung der kollidierenden Rechte in der Regel dem verfassungsmäßig garantierten An-

626 So Hermes, in: Dreier, Art. 13, Rdnr. 43; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 13, Rdnr. 23; Pieroth/Schlink, Rdnr. 331. 627 So auch BVerfGE 75, 318 (327). 628 So auch mit grundsätzlichen Erwägungen Lerche, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 122, Rdnrn. 14 f.; ebenso BVerwGE 87, 37 (45 f.); im Hinblick auf Art. 13 GG Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 13, Rdnr. 173; Herdegen, in: Bonner Kommentar, Art. 13, Rdnrn. 90 f. 629 Vgl. BVerwGE 90, 112 (122 f.); Pieroth/Schlink, Rdnr. 333. 630 So wohl auch BVerfGE 75, 318 (328).

E. Der verfassungsrechtliche Schutz der räumlichen Privatsphäre

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spruch des Gläubigers auf effektiven Rechtsschutz im Wege der Vollstreckung gegenüber dem Recht des Schuldners auf Schutz vor Betretungen seiner räumlichen Privatsphäre das höhere Gewicht beizumessen sein. Stets ist den betroffenen Wohnungsinhabern eine Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre jedoch nur dann zuzumuten, wenn sie – auch unter Berücksichtigung der Gläubigerbelange – aus ihrer Sicht zur geringstmöglichen Beeinträchtigung von Freiheitsrechten führt 631. Eine Verringerung des schuldnerischen Schutzbedürfnisses ergibt sich aus dem Verdachtsgrad etwaiger bevorstehender Masseschädigungen 632. Fraglich bleibt indes, worin die erforderliche gesetzliche Grundlage für einen solchen Eingriff besteht. Da § 22 Abs. 3 Satz 1 InsO nur von Geschäftsräumen spricht, scheidet dieser als Eingriffsgrundlage ersichtlich aus. Auch die Generalklausel des § 21 Abs. 1 InsO kann nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden, denn es läßt sich verfassungsrechtlich nicht vertreten, den schwerwiegenderen Eingriff des Betretens der Privatwohnung auf Grund einer Generalklausel zu rechtfertigen, während für die weniger einschneidende Maßnahme des Betretens eines Geschäftsraumes eine spezialgesetzliche Grundlage (§ 22 Abs. 3 InsO) besteht 633. Da die Insolvenzordnung insoweit also keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage aufweist, bietet sich gemäß § 4 InsO ein Rückgriff auf die Vorschriften der Singularvollstreckung und somit auf § 758 f. ZPO an 634. Die subsidiäre Geltung der ZPO-Vorschriften gemäß § 4 InsO erscheint zulässig, da die Insolvenzordnung selbst keine besonderen das Verfahren regelnden Vorschriften enthält und eine Übertragung der ZPO-Bestimmungen mit der Natur des Insolvenzverfahrens zu vereinbaren ist 635. Durch § 22 Abs. 3 InsO wird nämlich keine abschließende insolvenzverfahrenstypische Regelung getroffen, sondern vielmehr lediglich für den besonderen Fall des Betretens und Durchsuchens der Geschäftsräume eine Erweiterung der Befugnisse des Verwalters vorgenommen. Daraus folgt, daß das Betreten einer Privatwohnung nur unter Zurhilfenahme eines Gerichtsvollziehers unter den dort genannten Voraussetzungen möglich ist.

Vgl. BVerfGE 75, 318 (328); Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 13, Rdnr. 173. Im Ergebnis ebenso – wenngleich ohne verfassungsrechtliche Erwägungen – LG Duisburg, ZIP 1991, 674, 675. 633 A. A. wohl AG Duisburg, ZInsO 1999, 720, 721. 634 Ebenso Uhlenbruck, in: ders., § 22, Rdnr. 211. 635 Vgl. hierzu BGH, NJW 1961, 2016; Goetsch, in: Berliner Kommentar, § 4, Rdnrn. 45 f.; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 4, Rdnr. 1; Becker, in: Nerlich/Römermann, § 4, Rdnrn. 3 ff.; Uhlenbruck, in: ders., § 4, Rdnr. 2. 631 632

Fünftes Kapitel

Die Bedeutung der Grundrechte für das Verhältnis zwischen den privaten Verfahrensbeteiligten A. Das Verhältnis zwischen den Gläubigern I. Die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung und die Behandlung von Mobiliarsicherheiten im Insolvenzfall Die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung kann nicht nur als beherrschendes Prinzip, sondern darüber hinaus schlechthin als Wesenselement des Insolvenzverfahrens bezeichnet werden. Hierdurch unterscheidet sich das Insolvenzverfahren als Verfahren der Gesamtvollstreckung von der dem Prioritätsprinzip verpflichteten Einzelzwangsvollstreckung. Das Verhältnis der Insolvenzgläubiger untereinander ist daher vom Grundsatz der Gleichordnung und der gleichen Befriedigungschancen geprägt 636. Gleichwohl erfährt dieser Grundsatz in der Verfahrenswirklichkeit eine Reihe tiefgreifender Ausnahmen. So besagt der Grundsatz gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung nicht, daß alle Gläubiger auch gleichermaßen im Sinne gleich hoher Befriedigungsquoten zu befriedigen sind. Vielmehr enthält auch die Insolvenzordnung deutliche Differenzierungen zwischen den einzelnen Gläubigergruppen mit Blick auf ihre jeweilige Verfahrensstellung als Aussonderungs- oder Absonderungsberechtigte, Masse- oder Insolvenzgläubiger bzw. nachrangige Insolvenzgläubiger. Insoweit steht der Grundsatz gleichmäßiger Befriedigung stets unter dem Vorbehalt, daß Gleiches gleich, Ungleiches jedoch seiner Eigenart entsprechend ungleich behandelt werden kann 637. Mit der Zielsetzung, die Ausuferung von Vorzugsrechten einzudämmen und dadurch die Befriedigungsmöglichkeit der Gläubigergesamtheit zu steigern, hat der Gesetzgeber mit Einführung der Insolvenzordnung einige einschneidende Änderungen im Verhältnis zum alten Konkursrecht vorgenommen. Dies betrifft namentlich die Verwertung der Mobiliarsicherheiten, also rechtsgeschäftlich vereinbarter Sicherungsrechte an beweglichen Sachen und an Forderungen. Während nach der alten Rechtslage die Mobiliarsicherungsgläubiger die Verwertung des Sicherungsgegenstandes in der Regel selbst vornehmen konnten, gewährt nunmehr § 166 Abs. 1 InsO dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, eine Hierzu bereits oben Drittes Kapitel A. Zu dieser verfassungsrechtlichen Parömie BVerfGE 3, 58 (135 f.), st. Rspr; zusammenfassend Heun, in: Dreier, Art. 3, Rdnr. 19. 636 637

A. Das Verhältnis zwischen den Gläubigern

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bewegliche Sache, die er im Eigenbesitz hat und die mit dem Recht eines absonderungsberechtigten Gläubigers belastet ist, freihändig zu verwerten. Diese Verwertungsbefugnis hat der Insolvenzverwalter nach der überwiegenden Auffassung selbst dann, wenn der Schuldner eine sicherungsübereignete Sache gewerblich vermietet oder verleast hat und der Verwalter somit an der Sache lediglich mittelbaren Besitz hält 638. Diese Konzentration der Verwertungsbefugnis beim Verwalter impliziert ein Verwertungsverbot für die einzelnen Mobiliarsicherungsgläubiger639.

II. Das Verwertungsverbot und die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie Soweit durch die Vorschrift des § 166 Abs. 1 InsO den Mobiliarsicherungsgläubigern die Befugnis zur Verwertung ihres Absonderungsgutes genommen wird, stellt dies einen Eingriff in das Eigentumsrecht im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG dar. Das Eigentumsrecht gewährleistet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Privateigentum als Rechtsinstitut, das im wesentlichen durch die Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsfähigkeit über das Eigentumsobjekt gekennzeichnet ist 640. Der mit dem Bezug auf Privatnützigkeit und Verfügungsfähigkeit umschriebene Freiheitsraum umfaßt dabei auch die Befugnis, die Substanz des Eigentumsrechts nach eigenem Gutdünken zum privaten Nutzen optimal zu verwerten 641. Durch die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter wird in diese Befugnis des Eigentümers eingegriffen. Da das den Gläubigern auferlegte Verwertungsverbot die Verfügungsmöglichkeit über ihre Mobiliarsicherheiten in generell-abstrakter Weise regelt und daher als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu qualifizieren ist 642, bemißt sich die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Der für Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums geltende verfassungsrechtliche Maßstab des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, daß der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringt 643. Privatnützigkeit und Sozialgebundenheit des Eigen638 BGH, NJW 2006, 1873, 1875; Breutigam/Decker, in: Berliner Kommentar, § 166, Rdnr.29; Becker, in: Nerlich/Römermann, §166, Rdnr.17; Uhlenbruck, in: ders., §166, Rdnr.4; a. A. Lwowski, in: Münchener Kommentar, § 166, Rdnrn. 37, 50; Kemper, in: Kübler/Prütting, § 166, Rdnr. 4. 639 Breutigam/Decker, in: Berliner Kommentar, § 166, Rdnr. 3; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 13.51; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 536. 640 BVerfGE 31, 229 (240); 50, 290 (339); 51, 1 (30); 53, 257 (290); 71, 230 (246); 79, 292 (303); 83, 201 (209); 97, 350 (370). 641 BVerfGE 79, 292 (303); Stern, in: FS Helmrich, S. 737 (740 f.); zu den verfassungsrechtlich geschützten Rechten am Sicherungsgut siehe auch Seuffert, ZIP 1986, 1157 (1158). 642 Ebenso Baum, KTS 1989, S.553 (565); Stern, in: FS Helmrich, S.737 (739 f.); wohl auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 18.05. 643 BVerfGE 25, 112 (117 f.); 31, 229 (242); 37, 132 (140 f.); 50, 290 (340); 52, 1 (29); 58, 137 (147); 70, 191 (201 f.); 95, 64 (84); 98, 17 (37); 100, 226 (240); 101, 239 (259).

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

tums sind also die beiden vom Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums zu berücksichtigenden gegenläufigen Ausgestaltungskriterien. Maßgebliche Schrankenschranke bei der Prüfung der Verfassungskonformität einer gesetzlichen Ausgestaltung des Eigentums ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 644. 1. Die verfassungsrechtlichen Zweifel in der Literatur Namentlich Stern hat im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des § 166 Abs. 1 InsO Zweifel erhoben. Verfassungsrechtlich bedenklich sei dabei bereits die Geeignetheit der getroffenen Regelung. Die vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Prämisse, die eigenhändige Verwertung des Absonderungsgutes durch den Verwalter könne die Zahl der massearmen oder masselosen Konkurse verringern, sei durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht belegt. Insoweit hätten auch andere Faktoren der Massearmut wie die mangelnde Eigenkapitalausstattung der Unternehmen, die mangelnde Qualifikation vieler Insolvenzverwalter sowie die Regelung des § 613 a BGB berücksichtigt werden müssen 645. Letztlich sei das vom Gesetzgeber gewählte Mittel der einseitigen Belastung der absonderungsberechtigten Gläubiger aber auf Grund des ihm zuzubilligenden Beurteilungs- und Prognosespielraums noch hinzunehmen 646. Gleichwohl stelle das Verwertungsverbot eine unzumutbare Belastung der absonderungsberechtigten Gläubiger dar. Zweifelhaft sei bereits der vom Gesetzgeber angenommene Erfahrungssatz, wonach der Insolvenzverwalter ein Absonderungsgut besser verwerten könne als ein einzelner Gläubiger. Vielmehr sei dies vom jeweiligen Fall abhängig, wobei in der Regel der Gläubiger zur ertragreicheren Verwertung in der Lage sei. Schließlich sei ein Verwertungsverbot lediglich so lange hinnehmbar, wie eine vorzeitige Zerschlagung der Masse noch abgewendet werden könne. Unzumutbar sei hingegen der Zugriffsstop der absonderungsberechtigten Gläubiger dann, wenn der mit ihrem Recht belastete Gegenstand des Schuldners für eine Fortführung seines Unternehmens nicht mehr benötigt werde647. Diese erhobenen Einwände gegen die Konzentration der Verwertungsbefugnisse beim Insolvenzverwalter vermögen im Ergebnis nicht durchzugreifen. Vielmehr ist das dem Verwalter übertragene Recht zur Verwertung von Mobiliarsicherheiten – wie im folgenden dargelegt werden soll – durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt 648 und verhältnismäßig. 644 BVerfGE 58, 300 (338); 70, 191 (201 f.); 72, 66 (77 f.); 74, 203 (214); 87, 114 (138); 98, 17 (35); 100, 226 (241). 645 Stern, in: FS Helmrich, S. 737 (747). 646 Stern, in: FS Helmrich, S. 737 (747 f.). 647 Stern, in: FS Helmrich, S. 737 (749 f.). 648 Fehl geht die Annahme von Lepa, S. 236 f., für eine Berücksichtigung des Wohls der Allgemeinheit sei, da es lediglich um widerstreitende Interessen von Privaten geht, kein Platz. Das

A. Das Verhältnis zwischen den Gläubigern

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2. Die Verhältnismäßigkeit des Verwertungsverbots Legitimes Ziel des Verwertungsverbotes ist der Ausschluß der sog. Zerschlagungsautomatik, die dadurch eintritt, daß bei absehbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Schuldners die Sicherungseigentümer möglichst schnell versuchen, die dem Eigentum verhafteten Gegenstände in ihren Besitz zu bringen, um auf diese Weise den drohenden Forderungsausfall abzuwenden 649. Durch die damit verbundene Atomisierung des schuldnerischen Betriebes wird eine bisweilen wirtschaftlich sinnvolle vorläufige Fortführung des Betriebes ebenso wie eine Anreicherung der Masse auch und gerade im Interesse der ungesicherten Gläubiger unmöglich gemacht. Unter Berücksichtigung des zuvor beschriebenen Befundes hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung die Verhinderung der Zerschlagungsautomatik in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als geeignete und erforderliche Voraussetzung eines funktionstüchtigen und effektiven Insolvenzverfahrens erkannt. Das Verwertungsverbot soll nunmehr eine Atomisierung des schuldnerischen Betriebes verhindern und im Interesse einer (vorläufigen) Erhaltung des Unternehmens eine Nutzung des Sicherungsgutes für die Insolvenzmasse durch den Verwalter gewährleisten. Der diesbezüglich von Stern erhobene Einwand, es hätte einer gründlichen und wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit den Ursachen der massearmen oder masselosen Konkurse bedurft, überspannt die Anforderungen an die vom Gesetzgeber zu treffende Prognose im Hinblick auf die Geeignetheit seiner Maßnahme. Dem Gesetzgeber steht gerade bei wirtschaftslenkenden Maßnahmen ein weiter Gestaltungs- und Prognosespielraum zu, der erst überschritten ist, wenn er auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen schlechthin ungeeignete Maßnahmen getroffen hat 650. Fachgutachterliche Stellungnahmen der letzten dreißig Jahre sahen nahezu einhellig im Zerschlagungsautomatismus eine der Hauptursachen für die seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bestehende Krise des Konkurses 651. Unter Berücksichtigung dieses einhelligen sachverständigen Befundes hält sich der Gesetzgeber mit seiner Einschätzung innerhalb des ihm zustehenden Prognoserahmens. Mildere, die Mobiliarsicherungsgläubiger weniger beeinträchtigende Mittel sind nicht ersichtlich, da die dem Ver-

Interesse der gesicherten Gläubiger wird nicht privaten, sondern dem staatlichen Interesse an einem funktionstüchtigen Vollstreckungsverfahren gegenübergestellt, so auch Stern, in: FS Helmrich, S. 737 (749). 649 Vgl. Gottwald/Adolphsen, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 104 ff.; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 536. 650 BVerfGE 8, 71 (80); 25, 1 (12); 30, 250 (262 f.); 37, 1 (20); 39, 210 (225); 40, 196 (222 f.); 50, 290 (332 f.); 53, 257 (293); 76, 220 (239); Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnr. 63; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rdnrn. 313 ff.; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 119. 651 Siehe hierzu Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (186), sowie die dort genannten Stellungnahmen.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

walter eingeräumte Sachherrschaft zur Vermeidung der unerwünschten Zerschlagungsautomatik unabdingbar ist. Insbesondere hat der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 172 Abs. 1 in Verbindung mit § 166 Abs. 1 InsO, wonach der durch die Benutzung des Sicherungsgutes entstehende Wertverlust durch laufende Zahlungen an die Gläubiger auszugleichen ist, die durch die weitere Nutzung des Sicherungsgutes verursachten nachteiligen Folgen erheblich abgemildert. Zudem sind den Gläubigern gemäß § 169 Satz 1 InsO vom Berichtstermin an laufend die geschuldeten Zinsen aus der Insolvenzmasse zu zahlen, solange ein Gegenstand, zu dessen Verwertung der Verwalter nach § 166 InsO berechtigt ist, nicht verwertet wird. Dieser Zinsanspruch hat nach Inhalt und Funktion den Charakter einer Entschädigung für den Entzug der Verwertungsbefugnis 652. Schließlich besteht als weitere Kompensation für den Verlust der Verwertungsbefugnis gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 InsO für den absonderungsberechtigten Gläubiger das Recht, den Verwalter auf eine für ihn günstigere Verwertungsmöglichkeit hinzuweisen, mit der Folge, daß der Verwalter in den Grenzen des § 168 Abs. 2 InsO zur Verwertung nach der gewünschten Art verpflichtet ist. 3. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Entgegen der Ansicht Sterns ist das Verwertungsverbot auch angemessen, das heißt, verhältnismäßig im engeren Sinne. Zweifelhaft erscheint bereits seine These, mit dem staatlichen Interesse an einer Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Insolvenzrechts und dem Interesse der Mobiliarsicherungsgläubiger ständen sich zwei gleichwertige Positionen gegenüber. Betroffen ist nämlich lediglich das Interesse der gesicherten Gläubiger, ihre Sicherheit eigenhändig zu verwerten. Ob hierin ein „Kerngehalt“ des Absonderungsrechts zu sehen ist653, muß bezweifelt werden. Die Möglichkeit, eigenhändig Sicherheiten zu verwerten, besteht nicht um ihrer selbst willen, sondern im Interesse der Erzielung eines möglichst hohen Verwertungserlöses. Sie ist daher bloßes Hilfsmittel zum Zwecke einer optimierenden Nutzung des Eigentumsrechtes. Die Wertsubstanz des verhafteten Gegenstandes als bestimmender materieller Gehalt des Absonderungsrechtes wird vom Gesetzgeber jedoch gerade nicht angetastet. Darüber hinaus findet die von Stern zu Grunde gelegte Annahme, der Gläubiger sei in der Regel zur Verwertung des Sicherungsgegenstandes besser geeignet 654, in der Verfahrenspraxis und unter Zugrundelegung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse keine Entsprechung. Die mit der Veräußerung des Absonderungsgutes durch die jeweiligen Gläubiger verbundene Zerschlagung des Unternehmens vermag einzig den in den einzelnen Absonderungsgegenständen liegenden Vermögenswert zu realisieren. Dieser Wert ist aber in der Regel sehr gering, da die einzelnen Maschi652 653 654

BGHZ 154, 72 (86 f.); BGH, NJW 2006, 1873, 1874. So Stern, in: FS Helmrich, S. 737 (746). Stern, in: FS Helmrich, S. 737 (750).

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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nen oder das einzelne Halbfertigprodukt isoliert betrachtet im Insolvenzfall wirtschaftlich nahezu bedeutungslos ist. Eine wirtschaftlich zählbare Bedeutung kommt den einzelnen Absonderungsgegenständen nur noch insoweit zu, als sie im Zusammenwirken mit den anderen Vermögensgegenständen des Schuldners einen allein dem Vermögen als Gesamtheit zurechenbaren Beitrag zu leisten vermögen 655. Dieses den einzelnen Vermögensgegenständen inhärente Erfolgspotential läßt sich jedoch lediglich bei einer Veräußerung der Betriebsbestandteile in möglichst großen Einheiten wirtschaftlich verwerten. Daher ist der bei einer Veräußerung zusammengehöriger Betriebsteile en bloc zu erzielende Verwertungserlös in der Regel höher als der in summa zu erwartende Erlös, welcher bei einer Versilberung der einzelnen Vermögensgegenstände erzielt werden könnte 656. Da der Insolvenzverwalter im Besitz der gesamten Vermögensmasse ist, besteht nur für ihn – und nicht auch für den einzelnen Gläubiger – die Möglichkeit, durch eine einheitliche Veräußerung der Vermögensgegenstände das maximale Erfolgspotential der Insolvenzmasse zu verwirklichen. Die Vorschrift des § 166 Abs. 1 InsO instrumentalisiert insoweit die effektivere Verwertungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters zugunsten höherer Befriedigungsquoten der gesamten Gläubigerschaft, also auch der absonderungsberechtigten Gläubiger 657. Aus diesem Grunde ist – entgegen der Ansicht Sterns – eine Verwertung des Absonderungsgutes durch den Verwalter den absonderungsberechtigten Gläubigern auch dann noch zumutbar, wenn der zu verwertende Gegenstand zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens nicht mehr erforderlich ist.

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner I. Fortführung und Sanierung Das Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern im Insolvenzverfahren wird in entscheidendem Maße durch das überragende Ziel des Insolvenzverfahrens, das materielle Recht durch gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger zu verwirklichen 658, geprägt. Dient das Insolvenzverfahren damit den aus dem grundrechtlichen Eigentumsschutz fließenden Rechten der Gläubiger 659, so kann es keinen Zweifeln unterliegen, daß bei einer Gegenüberstellung die Rechte der Gläubiger gegenüber

Vgl. Stüdemann, BFuP 1995, S. 1 (5). Hierzu Stüdemann, BFuP 1995, S. 1 (5). 657 Vgl. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443, S. 179. 658 Zur Gläubigerbefriedigung als Hauptziel des Insolvenzverfahrens Dorndorf, in: FS Merz, S. 31 (35); Goetsch, in: Berliner Kommentar, § 1, Rdnr. 2; Henckel, in: FS Merz, S. 197 (199); Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 1, Rdnr. 12; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 1; Wellensiek, WM 1999, S. 405 (406); ähnlich Stüdemann, BFuP 1995, S. 1 (10 f.). 659 Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. IV. 655 656

10 Werres

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

denen des Schuldners prävalieren. Das Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern im Insolvenzverfahren ist daher grundsätzlich durch den Primat der Haftungsverwirklichung des Gläubigerrechts geprägt, welchem das Schuldnerrecht weichen muß 660. Die Insolvenzordnung stellt in § 1 zur Erreichung des primären Ziels der Haftungsverwirklichung hauptsächlich zwei unterschiedliche Mittel zur Verfügung: die Zwangsverwertung des schuldnerischen Vermögens und den Erhalt des Unternehmens. Wenngleich die Insolvenzordnung dem Unternehmenserhalt im Vergleich zum alten Konkursrecht einen hohen Stellenwert einräumt, um eine volkswirtschaftlich unnötige Wertvernichtung durch Liquidation möglichst zu vermeiden 661, darf nicht übersehen werden, daß Liquidation und Unternehmenserhalt gleichrangig nebeneinander stehen 662. Zwar mag die Sicherung der unternehmerischen Weiterexistenz aus Sicht des redlichen Schuldners das ungleich schonendere Mittel darstellen 663. Entsprechend der volkswirtschaftlichen Funktion des Insolvenzverfahrens, unrentable und subventionsbedürftige Betriebe durch die Mechanismen des Marktes auszuscheiden 664, kann eine staatlich geförderte Reorganisation jedoch niemals bloßer Selbstzweck sein. Die Entscheidung über Liquidation oder Erhalt steht unter dem Postulat der Erreichung eines größtmöglichen Ertrages und einer optimalen Befriedigung der Gläubiger 665. Stellt sich der Unternehmenserhalt aus Sicht der Gläubiger als bessere Verwertungs- und Befriedigungsmethode dar, weil der voraussichtliche Fortführungswert größer als der Zerschlagungswert sein wird, bietet sich eine staatlich geordnete Sanierung an. Im umgekehrten Falle ist einer Liquidation der Vorzug zu geben. Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn durch die Liquidation insolventer Unternehmen der Verlust von Arbeitsplätzen droht 666. Ein wirtschaftlich gesehen künstlicher Erhalt unrentabler Unternehmen ginge stets zu Lasten von Mitbewerbern und nicht zuletzt auch auf Kosten der Allgemeinheit. Zutreffend geht daher auch der Diskussionsentwurf des Justizministeriums davon aus,

Ebenso Lepa, S. 110. Hierzu Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (186). 662 Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 77 f.; Balthasar, in: Nerlich/Römermann, § 157, Rdnr. 9; Bork, Insolvenzrecht, Rdnrn. 4 f.; Onusseit, in: Kübler/Prütting, §157, Rdnr. 3; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnr. 60; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, Vor §§ 1 ff., Rdnr. 27; Smid, in: ders., § 1, Rdnr. 47; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 2. 663 So Stüdemann, BFuP 1995, S. 1 (6). 664 Hierzu Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (183); grundlegend aus volkswirtschaftlicher Sicht: Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, S. 305; Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 342. 665 So Erster Kommissionsbericht, Einleitung von Leitsatz 2.1, S. 153; ähnlich Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, Vor §§ 1 ff., Rdnr. 27; Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 158; Wellensiek, WM 1999, S. 405 (406). 666 Gegen die Fortführung unrentabler Unternehmen mit der Zielsetzung, Arbeitsplätze zu erhalten, auch Dorndorf, in: FS Merz, S. 31 (35 f.). 660 661

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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daß ein öffentliches Interesse an der „Unsterblichkeit“ insolventer Unternehmen nicht bestehe 667. Die Entscheidung über die Liquidation oder die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens obliegt nach der Konstruktion der Insolvenzordnung allein der Gläubigerschaft. Diese umfassende Entscheidungsbefugnis ist Ausfluß der Gläubigerautonomie 668. Die Stärkung privatautonom verfaßter Entscheidungsprozesse war ein entscheidendes Leitbild im Rahmen der Neuordnung des Insolvenzrechts. Dabei verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, durch eine Deregulierung der Verfahrensabläufe und -strukturen ein größtmögliches Maß an Flexibilität für eine einvernehmliche Lösung insolvenzrechtlicher Probleme zu erreichen 669. Zugleich sollte der bei der Gläubigerschaft vermutete wirtschaftliche Sachverstand aktiviert und dadurch ein höheres Maß an wirtschaftlicher Effizienz sichergestellt werden als es die staatliche Regulierung wirtschaftlicher Abläufe erwarten ließe 670. Vor diesem Hintergrund verhält sich die Insolvenzordnung hinsichtlich der Entscheidung über die beste Verwertungsform neutral. Eine amtsseitige Anordnung über das Schicksal des schuldnerischen Vermögens besteht von Gesetzes wegen nicht. Zwar gibt es Bestimmungen, die die (vorläufige) Fortführung des schuldnerischen Unternehmens ermöglichen oder sogar vorschreiben bzw. dessen Stillegung lediglich unter der besonderen Voraussetzung der sonst eintretenden erheblichen Vermögensminderung gestatten 671. Diese Vorschriften sind indes nicht vom Verfahrensziel der Sanierung geleitet, sondern dienen ausschließlich dem Zweck, die Gläubiger durch voreilige Schaffung von irreversiblen Fakten ihrer letztverbindlichen Entscheidungskompetenz zu entheben 672. Eine voreilige Stillegung des schuldnerischen Unternehmens würde nämlich einen unumkehrbaren Prozeß in Gang setzen, der den Gläubigern keine reale Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Fortbestandes des Unternehmens ließe. Daher liegt es ausschließlich in der Hand der Gläubigerschaft, ob das Vermögen des Schuldners durch Liquidation versilbert oder durch eine Fortführung des Unternehmens eine Erhöhung der Masse herbeigeführt werden soll.

667 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung, S. A 11 f. 668 Vgl. Onusseit, in: Kübler/Prütting, § 157, Rdnr. 2; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 72 f.; Uhlenbruck, in: ders., § 157, Rdnr. 1; Wegener, in: Frankfurter Kommentar, § 157, Rdnr. 1. 669 Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 78, 79 f. 670 Vgl. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 76. 671 Diesen Zweck verfolgen beispielsweise die §§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 158 Abs. 2 Satz 2 InsO. 672 Balthasar, in: Nerlich/Römermann, § 158, Rdnr. 4; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 22, Rdnr. 10; Wellensiek, WM 1999, S. 405 (407).

10*

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

1. Die Stillegungsentscheidung im Berichtstermin und die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums Entscheidende Bedeutung für das Schicksal des schuldnerischen Unternehmens erlangt die Entscheidung der Gläubiger im sog. Berichtstermin. In diesem entscheidet die Versammlung der Gläubiger gemäß § 157 Satz 1 InsO, ob das Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder vorläufig fortgeführt werden soll. Zwar kann gemäß § 157 Satz 3 InsO die Gläubigerversammlung ihre Entscheidung in einem späteren Termin nochmals ändern. Gleichwohl wird eine im Berichtstermin getroffene Stilllegungsentscheidung in der Regel nicht wieder rückgängig zu machende Folgen zeitigen. Die Entscheidung über die Stillegung schafft Fakten, welche bei wirtschaftlicher Betrachtung zwangsläufig zur Zerschlagung und Verwertung des Unternehmens führen müssen 673. Nach einer einmal getroffenen Stillegungsentscheidung ist der Weg zu einer erneuten Aufnahme der unternehmerischen Geschäfte daher in der Regel versperrt. Diese Überlegungen verdeutlichen, daß die im Berichtstermin getroffene Stillegungsentscheidung einschneidende Wirkung für die Rechtssphäre des Schuldners entfalten kann. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der durch eine mögliche (zumindest zeitweilige) Fortführung des schuldnerischen Unternehmens zu erwartende Gesamtbetrag höher ist als der Betrag, der bei einer sofortigen Liquidation des Unternehmens anfiele 674. a) Die grundrechtlich geschützten Teile des Unternehmens Da die Stillegung zur Verwertung und damit gemäß § 159 InsO zum Verlust des schuldnerischen Eigentums an den betroffenen Vermögensgegenständen führt, können durch sie zugleich eine Vielzahl grundrechtlich geschützter Rechte des Schuldners berührt sein. Dies gilt zunächst für die einzelnen von der Verwertung betroffenen Apparaturen des Unternehmens, wie Maschinen, halbfertige Produkte etc. Vor allem aber wird durch die Stillegung der Wert des Unternehmens in seiner organisatorischen Zusammenfassung von persönlichen und sächlichen Mitteln, so wie er durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt ist 675, betroffen. Dieses Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wird von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht nach anfänglicher Anerkennung 676 die Einordnung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb offengelassen und lediglich entschieden, daß bloße Umsatz- und Gewinnchancen, anderweitige Expektanzen und tat673 So auch Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 157, Rdnr. 4; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 13.33; Onusseit, in: Kübler/Prütting, § 157, Rdnr. 4. 674 Vgl. hierzu Dorndorf, in: FS Merz, S. 31 (36). 675 Hierzu BGHZ 23, 157 (162 f.); 45, 150 (154); 48, 65 (66); 78, 41 (44 f.); 92, 34 (37); 111, 349 (356). 676 BVerfGE 1, 264 (277); 13, 225 (229); 45, 145 (173).

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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sächliche Gegebenheiten nicht dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallen 677. In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt und durch deliktische und negatorische Ansprüche geschützt 678. Soweit demnach auf Grund gefestigten Richterrechts der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als Eigentumsrecht anerkannt ist, kann auch seine Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG keinen durchgreifenden Zweifeln unterliegen 679. Dies entspricht auch dem europäischen Grundrechtsstandard, wie er vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Zusatzprotokoll Nr. 1 zur Menschenrechtskonvention geschaffen wurde 680. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat wiederholt betont, daß ein Abweichen vom europäischen Grundrechtsstandard auch im Hinblick auf die Verbürgungen des Grundgesetzes besonderer Rechtfertigung bedürfe 681. Eine Rechtfertigung für einen geringeren Schutzumfang von Art. 14 Abs. 1 GG im Hinblick auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Vergleich zur Menschenrechtskonvention erscheint aber als schwerlich zu rechtfertigen. Hieran anknüpfend hat in neuerer Zeit auch das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtliche Bedeutung des Betriebes als verselbständigte und wirtschaftlich zusammengehörige Funktionseinheit betont 682. Vor diesem Hintergrund erscheint es als verfassungsrechtlich konsequent, nicht nur die im Betrieb des Schuldners vorhandenen Vermögensgegenstände, wie Apparaturen und Erzeugnisse, sondern auch das Recht an der organisatorischen Gesamtheit des Betriebes in seiner unternehmerischen Substanz dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zu unterstellen. b) Anteilseigentum und Immaterialgüterrechte als verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum Handelt es sich beim Schuldner um eine Personen- oder Kapitalgesellschaft, unterfällt auch das gesellschaftsrechtliche Anteilseigentum insbesondere in Form von Aktien oder sonstigen mitgliedschaftlichen oder vermögensrechtlichen Beteili-

677 BVerfGE 28, 119 (142); 68, 193 (222 f.); 74, 129 (148); 77, 84 (118); 81, 208 (227 f.); 105, 252 (277 f.). 678 BGHZ 45, 296 (307); 138, 311 (314 f.). 679 Ebenso Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 135; Leisner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 149, Rdnrn. 108 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rdnr. 95; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14, Rdnr. 45; Wendt, in: Sachs, Art. 14, Rdnr. 26; aus der Rechtsprechung BVerwGE 62, 224 (226); 67, 93 (96); 81, 49 (54); BGHZ 92, 34 (37); 111, 349 (356); BGH, NVwZ-RR 2001, 700; a. A.: Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnrn. 43 f. 680 EGMR, Urteil vom 26.06.1986, Series A, Bd. 101, 13, Ziff. 41 – van Marle u. a. ./. Niederlande; Urteil vom 25.03.1999, RJD 1999-II, Ziff. 54 – Iatridis ./. Griechenland; ebenso Gelinsky, S. 27 f., Grabenwarter, § 25, Rdnr. 4. 681 Vgl. zuletzt BVerfG (Kammer), NJW 2003, 344, 345. 682 BVerfGE 93, 165 (175 f.).

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

gungsrechten dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG 683. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, daß vor allem das Anteilseigentum an größeren Publikumsgesellschaften eher vermögensmäßig, denn unternehmerisch zu qualifizieren ist, da es sich in der Regel als Kapitalbeteiligung darstellen wird. Daher tritt in diesen Fällen die Bedeutung der Eigentumsfreiheit als Freiheit der persönlichen Entfaltung regelmäßig in den Hintergrund 684. Neben dem zuvor genannten gesellschaftsrechtlichen Anteilseigentum werden auch die Firma des schuldnerischen Betriebs sowie Marken 685 und sonstige gewerbliche Schutzrechte 686 vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG erfaßt. Diese besonderen Rechte gehören ebenfalls zur Insolvenzmasse im Sinne des § 35 InsO 687 und sind daher vom Insolvenzverwalter gemäß § 159 InsO zu verwerten. Daher berührt die Stillegungsentscheidung auch insoweit verfassungsrechtliche Fragen 688. 2. Die Stillegungsentscheidung und die grundrechtliche Schutzpflicht Wenngleich die Stillegungsentscheidung nach den zuvor dargelegten Erwägungen weitreichende Konsequenzen für verfassungsrechtlich geschützte Positionen zeitigen kann, ist für die grundrechtliche Diskussion zu beachten, daß die Entscheidung über die Stillegung von privater, nicht von staatlicher Seite getroffen wird. Die entscheidenden Gläubiger sind ebenso wie der Schuldner nicht gemäß Art. 1 Abs. 3 GG zur Beachtung der Grundrechte verpflichtet, sondern vielmehr selber Träger von Grundrechten 689. Grundrechtliche Gewährleistungen richten sich folglich nicht unmittelbar gegen die entscheidende Gläubigerschaft, sondern aktivieren ausschließlich staatliche Organe, sich gegebenenfalls schützend vor die betroffenen Rechte zu stellen. Die Stillegungsentscheidung der Gläubiger verweist somit auf ein zwischen Schuldner, Gläubiger und staatlichen Organen bestehendes Dreiecksver-

683 BVerfGE 14, 263 (276 ff.); 25, 371 (407); 50, 290 (341 ff.); 100, 289 (301 f.); zuletzt BVerfG (Kammer), NJW 2001, 279, 280 – Moto Meter AG; nunmehr auch BGH, BB 2003, 806, 808 – Macrotron; Badura, in: Merten/Papier, HdbGR II, §29, Rdnr. 29; Papier, in: Maunz/ Dürig, Art. 14, Rdnr. 185; Stumpf, NJW 2003, S. 9 (10). 684 So BVerfGE 50, 290 (341); ähnlich Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnrn. 4, 22. 685 BVerfGE 51, 193 (217); 78, 58 (71). 686 BVerfGE 81, 208 (219). 687 Breutigam, in: Berliner Kommentar, § 35, Rdnr. 15; Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, § 35, Rdnr. 19; Holzer, in: Kübler/Prütting, § 35, Rdnrn. 71 f., 95 ff.; Jaeger/Henckel, § 1, Rdnrn. 15, 17 ff; Lwowski, in: Münchener Kommentar, § 35, Rdnrn. 283, 484; Uhlenbruck, in: ders., § 35, Rdnrn. 66, 100 f. 688 Enthält die Firma allerdings den Namen einer natürlichen Person, bedarf deren Verwertung bei einem einzelkaufmännischen Unternehmen oder bei einer Personengesellschaft gemäß § 24 Abs. 2 HGB der Einwillung des Namensträgers, da andernfalls eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einträte, vgl. BGHZ 32, 103 (113 f.); BGH, ZIP 1987, 778; ZIP 1989, 368; OLG Frankfurt a. M., ZIP 1988, 598, 600; anders nur bei der Firma einer Kapitalgesellschaft, hierzu BGHZ 85, 221 (223 ff.); OLG Düsseldorf, NJW 1980, 1284 f. 689 Vgl. hierzu oben Drittes Kapitel, A. IV.

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

151

hältnis 690, wie es für die grundrechtliche Begründung der staatlichen Schutzpflicht charakteristisch ist 691. In Ausübung dieser Schutzpflicht haben sowohl der Gesetzgeber als auch das Insolvenzgericht die kollidierenden Grundrechtsgüter von Schuldner und Gläubigerschaft zu optimieren und wechselseitig zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Insbesondere muß die mit der Stärkung der Gläubigerautonomie verbundene Schwächung der Grundrechtsbindung kompensiert werden 692. Die teilweise privatrechtliche Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens darf unter dem Gesichtspunkt des staatlichen Schutzauftrages nicht zu Grundrechtsdefiziten führen. Fraglich ist somit, ob (a) der Gesetzgeber mit der Regelung des § 157 InsO zugunsten des Schuldners ein grundrechtlich gefordertes Schutzminimum geschaffen hat und (b) inwieweit gegebenenfalls das Insolvenzgericht in Ausübung einer grundrechtlichen Schutzpflicht verpflichtet sein kann, zugunsten des Schuldners eine Abänderung der Gläubigerentscheidung herbeizuführen. a) Die Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Stillegungskonzeptes Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Grundkonzeptes der Gläubigerentscheidung gilt es zunächst zu beachten, daß dem Gesetzgeber bei der Zuordnung der divergierenden grundrechtlichen Belange von Schuldner und Gläubigerschaft entsprechend der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt 693. Dieser Spielraum ist lediglich dann überschritten, wenn der Gesetzgeber überhaupt keine Schutzmaßnahmen getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben694. Gemessen hieran erweist sich die umfassende Übertragung von Entscheidungsbefugnissen vom Insolvenzgericht auf die Gläubigerversammlung durch die Regelung des § 157 InsO entgegen mancher im insolvenzrechtlichen Schrifttum geäußerter Zweifel 695 als weitestgehend unbedenklich. Die Verortung der umfassenden wirtschaftlichen Entscheidungsbefugnisse bei den Gläubigern findet eine sachliche Rechtfertigung in den besonderen Erfordernissen der Unternehmensinsolvenz. 690 Da die Gläubiger anstelle des hoheitlich handelnden Insolvenzgerichts entscheiden, kommt es bei der Stillegungsentscheidung – anders als im Bereich des Vertragsrechts (hierzu Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 242 f.) – zu einer Dreieckskonstellation. 691 Hierzu Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (22). 692 Siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, C. II. 693 BVerfGE 46, 160 (164); 73, 40 (91 ff.); 77, 170 (214 f.); 88, 203 (254, 262 f.); 92, 26 (46); 96, 56 (64); Erichsen, Jura 1997, S. 85 (89); Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 38 f.; H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (490); Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (25); Stern, Staatsrecht III/1, S. 737, 950, 991. 694 BVerfGE 38, 61 (87); 50, 290 (331 ff.); 56, 54 (81); 77, 84 (106); 77, 381 (405); 79, 174 (202); 92, 26 (46); 97, 350 (376). 695 So Lepa, S. 220 ff.; kritisch auch Henckel, in: FS Merz, S. 197 (202, 207).

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

Das die Unternehmensinsolvenz betreffende rechtliche Regime kann weitreichende Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Situation zeitigen. Die komplexen und diffizilen Mechanismen der Marktwirtschaft erfordern ein an den modernen Strukturen des Marktes angepaßtes und flexibles Verfahrensrecht 696. Diese Marktkonformität läßt sich ausschließlich mit staatlich verantworteten Entscheidungen nicht herstellen. Vielmehr bedarf es insoweit des gebündelten betriebs- und volkswirtschaftlichen Sachverstandes der Gläubigerschaft, insbesondere der beteiligten Kreditinstitute 697. Zudem trifft die Gläubigerschaft ihre Entscheidung auf der Grundlage des vom Insolvenzverwalter gemäß § 156 Abs. 1 InsO erstellten Berichts 698. Der Verwalter verfügt über das für die Beurteilung der Fortführungschancen erforderliche Fachwissen und die nötigen Tatsachengrundlagen. Der den Gläubigern unterbreitete Vorschlag wird sich an den Erfordernissen einer optimalen Verwertungsmöglichkeit orientieren. Zu Recht geht auch die Begründung des Regierungsentwurfs daher davon aus, daß die Gläubiger auf Grund der gesetzlich eingeräumten Entscheidungsbefugnis die Möglichkeit besitzen, die ihnen günstigste Lösung zu bestimmen. Eine den Gläubigern günstige Lösung steht aber nicht zwingend im Gegensatz zu den berechtigten Interessen des Schuldners. Vielmehr läßt sich eine umfassende und effektive Haftungsverwirklichung stets mit den Interessen des redlichen Schuldners harmonisieren, weil dieser bei günstiger Verwertung schnell von seinen Verbindlichkeiten befreit und daher möglichst zügig aus den mit dem Insolvenzverfahren verbundenen Restriktionen entlassen werden kann. Eine Betriebsfortführung ohne absehbaren Befriedigungseffekt für die Gläubiger widerspricht hingegen dem Beschleunigungsgebot. Dieses streitet nicht lediglich für die Gläubigerschaft, sondern zugleich auch für den Schuldner, bleiben doch die mit dem Insolvenzverfahren verbundenen Zwangsmaßnahmen nur solange verhältnismäßig, wie das Verfahren innerhalb angemessener Zeit abgewickelt wird 699. Insoweit erscheint es nicht nur als zulässig, sondern auch als wirtschaftlich sinnvoll, wenn der Gesetzgeber die Entscheidung über die Fortführung des Unternehmens der autonomen Beschlußfassung durch die Gläubigerschaft überantwortet. Vor dem Hintergrund des dem Gesetzgeber bei wirtschaftslenkenden Maßnahmen zuzubilligenden weiten Beurteilungs- und Prognosespielraums, welcher die verfassungsgerichtliche Prüfung auf eine Plausibilitätskontrolle der getroffenen Maßnahmen reduziert 700, ist die Deregulierung des Insolvenzverfahrens daher von Verfassung wegen nicht zu beanstanden.

696

Vgl. hierzu Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443,

S. 80. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443, S. 76. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 13.33; Onusseit, in: Kübler/Prütting, § 157, Rdnr. 3; Wegener, in: Frankfurter Kommentar, § 157, Rdnr. 3. 699 Vgl. BVerfG, EuGRZ 1979, 363 f. 700 Vgl. BVerfGE 38, 61 (87); 50, 290 (331 ff.); 77, 84 (106); 97, 350 (376). 697 698

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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b) Die Gewährleistung eines grundrechtlichen Schutzminimums bei offensichtlich fehlsamen Entscheidungen der Gläubigerschaft Verfassungsrechtliche Bedenken wirft die Regelung des § 157 InsO auch nicht insoweit auf, als sie den Gläubigern keine inhaltliche Leitlinie für ihre Entscheidung vorgibt und daher – scheinbar – auch offensichtlich willkürliche oder wirtschaftlich fehlsame Entscheidungen zuläßt 701. Solche Entscheidungen dürften in der Verfahrenspraxis ohnehin eher theoretischer Natur und allenfalls auf krasse Ausnahmefälle beschränkt sein. Die namentlich von Lepa in Anlehnung an die frühere Rechtslage 702 vorgeschlagene Übertragung des in § 78 Abs. 1 InsO normierten Maßstabs des „gemeinsamen Interesses der Insolvenzgläubiger“ 703 verkennt die Anforderungen an die grundrechtliche Schutzpflicht. Zwar gebietet für das Untermaßverbot das Prinzip des Schutzminimums, daß der Gesetzgeber seinen Bürgern hinlänglichen Schutz vor privaten Eingriffen bietet 704. Vor diesem Hintergrund würde eine verfahrensrechtliche Regelung, welche die Verschleuderung des schuldnerischen Vermögens ohne absehbare Befriedigungschancen für die Gläubiger uneingeschränkt zuließe, das erforderliche Schutzminimum unterschreiten. Insoweit bedarf es verfahrensrechtlicher Vorkehrungen, die eine solche Verschleuderung verhindern. Eine solche Vorkehrung ist indes mit der Übernahme des Maßstabs der Regelung in § 78 InsO auch auf die Stillegungsentscheidung nicht in sachgerechter Weise zu erzielen, da hierdurch ein übermäßiger Schutz des Schuldners zu Lasten von Gläubigern und Mitbewerbern herbeigeführt würde. Denn die nach dem Prinzip der Erforderlichkeit ausreichenden Schutzmaßnahmen finden auf der Stufe der Proportionalität des Schutzkonzeptes ihre Grenzen ihrerseits in den entgegenstehenden berechtigten Interessen Dritter. Bei einer Kollision sich widersprechender Belange hat der Staat im Wege der Abwägung der gegenläufigen Positionen ein „Mittelmaß“ herzustellen 705. Die Herbeiführung eines solchen Mittelmaßes läßt sich jedoch durch eine Betrachtung des Schutzpflichtgedankens einseitig aus der Perspektive des Schuldners nicht sachgerecht bewerkstelligen. Vielmehr gebieten auch berechtigte Belange der Gläubiger, daß Unsicherheiten bei der Verwertungsprognose nicht einseitig zu ihren Lasten gehen dürfen. Dabei gilt es zu bedenken, daß zum Zeitpunkt des Berichttermins und auch lange darüber hinaus nicht mit letzter Sicherheit feststehen wird, ob die Entscheidung über die Stillegung wirtschaftlich vernünftig und damit im gemeinsamen Interesse der Gläubigerschaft liegt. Die uneingeschränkte gesetzliche Entscheidungsbefugnis der Gläubiger gemäß § 157 InsO nimmt im Interesse einer effektiven, das heißt insbesondere auch einer zeitnahen Vollstreckung, gleichwohl die beA. A. jedoch Lepa, S. 219 ff. § 79 Nr. 4 VglO, §188 Abs.1 Nr. 1 KO; vgl. hierzu auch Kilger/K. Schmidt, § 132, Anm.1, sowie Kuhn/Uhlenbruck, § 132, Rdnr. 2 a. 703 Lepa, S. 222 f. 704 Vgl. Enders, in: Berliner Kommentar, Vorbem. Art. 1, Rdnr. 133; Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (29); Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1038 f.); ähnlich auch BVerfGE 88, 203 (262 f.). 705 So Merten, Speyerer Vorträge, S. 15 (29). 701 702

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

stehende Unsicherheit über die effektivste Verwertungsmöglichkeit in Kauf, um die Verwirklichung des Gläubigerrechtes nicht unangemessen hinauszuzögern. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung liegt die Prämisse zugrunde, daß eine schleunige, wenngleich geringwertigere Befriedigungsmöglichkeit wirtschaftlich betrachtet wertvoller sein kann als ein in unbestimmter Zukunft liegender, aber höherer Ertragswert. Die noch von der Reformkommission favorisierte Reorganisation des schuldnerischen Vermögens um den Preis, daß die Befriedigung der Gläubiger hinausgezögert wird 706, hat im späteren Gesetzgebungsverfahren zu Recht keinen Anklang gefunden. Vielmehr wurde bewußt die an marktwirtschaftlichen Maßstäben orientierte Entscheidungsbefugnis der Gläubigerschaft gestärkt707. Diese gesetzliche Grundkonzeption läßt ersichtlich keinen Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung zum Schutz der schuldnerischen Grundrechte erkennen. Vielmehr überschreitet der dem § 157 InsO zugrunde liegende Leitgedanke, daß marktwirtschaftlich rationale Verwertungsentscheidungen ein Höchstmaß an Wohlfahrt herbeiführen und somit im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegen 708, den dem Gesetzgeber eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, daß die betriebs- und volkswirtschaftlichen Folgen der schuldnerischen Insolvenz komplexer und weitreichender Art sind und sich nicht nur negativ im Hinblick auf den Schuldner auswirken. Die Frage über Fortführung und Liquidation des schuldnerischen Unternehmens betrifft zugleich auch die berechtigten Interessen der Mitbewerber. Eine gesetzgeberisch angeordnete Unternehmensfortführung auf Verdacht, das heißt bei nicht endgültig feststehender Prognose über den Fortführungswert des Unternehmens, würde die Wettbewerbschancen zu Lasten der Mitbewerber verzerren, da der Schuldner für die Zeit der Fortführung bestehende Altschulden nicht mehr zu bedienen bräuchte709. Dieses Ergebnis stünde im Widerspruch zu einer insgesamt auf freien Wettbewerb basierenden Wirtschaftsordnung der Verfassung 710. Die Übertragung des Merkmals der gemeinsamen Interessen der Gläubiger im Sinne des §78 InsO würde den Belangen der Mitbewerber daher nicht gerecht.

Erster Kommissionsbericht, Begründung zu Leitsatz 1.3.4.4, S. 149 f. Vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung, S. A 11, A 12. 708 So Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung, S. A 12. 709 Gegen eine Fortführung in diesen Fällen auch Dorndorf, in: FS Merz, S. 31 (36). 710 Den Gedanken der Freiheitlichkeit der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung betont zu Recht Tettinger, DVBl. 1999, S. 679 (686), unter Berufung auf die objektiv-rechtliche Gewährleistungsdimension der Berufsfreiheit; ähnlich Badura, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 29, Rdnr. 3. 706 707

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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c) Das Erfordernis eines eigenständigen Antragsrechts des Schuldners Zuzugeben ist allerdings, daß eine Liquidation des schuldnerischen Unternehmens in Fällen eines zum Zeitpunkt des Berichtstermins absehbar günstigen Fortführungswerts nicht aus sachwidrigen Motiven heraus versagt werden darf. In diesen Fällen stellte eine Liquidation des schuldnerischen Unternehmens einen nicht erforderlichen Eingriff in das schuldnerische Unternehmen dar, da die für den Schuldner günstigere Fortführung zu ebenso guten oder besseren Erträgen der Gläubiger führen würde. Zum Schutz des Schuldners vor solchen sinnwidrigen Entscheidungen bedarf es allerdings nicht der Übertragung des Maßstabes des gemeinsamen Gläubigerinteresses auf die Entscheidung im Rahmen des § 157 InsO. Das Problem nicht hinreichenden Schuldnerschutzes in Fällen willkürlicher Vermögensverschleuderung liegt vielmehr in der mangelnden Rechtsschutzmöglichkeit des Schuldners begründet. Im Gegensatz zu gerichtlichen Beschlüssen ist der Beschluß der Gläubigerversammlung nach der gesetzlichen Konzeption nicht rechtsmittelfähig. Zwar sieht auch die Insolvenzordnung gemäß § 78 Abs. 1 InsO eine gerichtliche Prüfungskompetenz im Hinblick auf Gläubigerbeschlüsse vor. Die gerichtliche Überprüfung bedingt jedoch den Antrag eines absonderungsberechtigten Gläubigers, eines nicht nachrangigen Insolvenzgläubigers oder des Insolvenzverwalters. Wird kein Antrag nach § 78 InsO gestellt, besteht für das Gericht nach neuem Recht keine Möglichkeit mehr, den Beschluß der Gläubigerversammlung auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen 711. Der Gesetzgeber hat hier im Zuge der Diskussion über die Insolvenzrechtsreform einen einschneidenden Paradigmenwechsel vollzogen. Während nach dem Vorschlag der Insolvenzrechtskommission die Entscheidung über Fortführung oder Stillegung noch ausschließlich dem Insolvenzgericht von Amts wegen obliegen sollte 712, sah bereits § 166 des Diskussionsentwurfs – wie das überkommene Konkursrecht – eine Alleinentscheidungsbefugnis der Gläubigerschaft vor 713. Getragen wurde diese Entscheidung von der Vorstellung, daß es dem Gedanken der Privatautonomie widerstrebe, wenn das Insolvenzgericht die Sanierung eines Unternehmens auf Grundlage von Gutachten gegenüber den Beteiligten durchzusetzen versuche 714. Wenngleich durch die weitgehende Gewährleistung von Gläubigerautonomie den verfassungsrechtlichen Postulaten des Eigentümerrechtes in sachgerechter Weise Rechnung getragen wird, darf sich das Insolvenzgericht als „Hüter der Grundrechte“ aller Verfahrensbeteiligten nicht soweit von der Verfahrenslenkung zurückziehen, daß eine wirksame Kontrolle des Grundrechtsschutzes des Schuldners nicht mehr gesichert erscheint715. Indem § 78 InsO auf AnOnusseit, in: Kübler/Prütting, § 157, Rdnr. 28; Uhlenbruck, in: ders., § 157, Rdnr. 20. Erster Kommissionsbericht, Leitsatz 1.3.4.4., S. 36. 713 Siehe hierzu Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung S. A 13. 714 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung, S. A 13. 715 Zur gerichtlichen Prüfungspflicht in Fällen der „Privatisierung“ von Verfahrenshandlungen bereits oben Drittes Kapitel, C. I. 1. 711 712

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

träge von Gläubigern oder des Verwalters rekurriert, wird das wirtschaftliche und soziale Schicksal des Schuldners ausschließlich in die Hände der Gläubigerschaft gelegt. In Fällen sachwidrigen und kollusiven Zusammenwirkens der Gläubigerschaft wäre der Schuldner daher schutzlos gestellt. Eine solche Konzeption widerspräche dem grundrechtlichen Schutzauftrag, wonach Grundrechtsschutz auch durch die Ausgestaltung und Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften zu gewährleisten ist 716. Dieser grundrechtliche Verfahrensgedanke entfaltet seine Wirksamkeit nicht nur im Bereich negatorischer Staatsabwehr, sondern kommt gleichfalls im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates zum Tragen 717. Die grundrechtliche Schutzpflicht verpflichtet daher die staatlichen Organe, die Zuordnung verfahrensrechtlicher Positionen von grundsätzlich gleichberechtigten Privatrechtssubjekten am Maßstab praktischer Konkordanz der divergierenden Grundrechte auszurichten. Vor diesem Hintergrund sollte eine verfassungskonforme Verfahrensgestaltung dem Schuldner – in Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn ansonsten eine Verschleuderung des schuldnerischen Vermögens drohte und sich die Stillegungsentscheidung daher als offensichtlich rechtsmißbräuchlich darstellte – die Möglichkeit einräumen, auf Antrag eine amtsbetriebliche Verfahrensfortführung zu erzwingen. In diesen Fällen sachwidriger Entscheidungen der Gläubigerschaft hätte das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners selbst über die Fortführung des schuldnerischen Betriebes zu entscheiden. De lege ferenda ist folglich in konsequenter Übertragung des Untermaßgedankens dem Schuldner bei Stilllegungsentscheidungen der Gläubigerschaft im Rahmen des § 78 InsO ein eigenes Antragsrecht einzuräumen 718. Bis zu einer solchen gesetzlichen Präzisierung ist ein entsprechendes Antragsrecht im Wege einer verfassungskonformen Anwendung der insolvenzrechtlichen Verfahrensvorschriften zu gewähren. Dieses Antragsrecht folgt unmittelbar aus der Garantiefunktion des Eigentums, welche nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Vermögensrechts, sondern auch das dazugehörige Verfahrensrecht beeinflußt und daher dem Schuldner bei einer vernünftigerweise nicht erforderlichen und daher unverhältnismäßigen Stillegung seines Betriebes die Rechtsschutzmöglichkeit sichert 719.

Hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A., und Drittes Kapitel, A.IV. Vgl. hierzu Denninger, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 113, Rdnrn. 4 f.; Dreier, in: ders., Vorbem., Rdnr. 66. 718 Für eine gerichtliche Überprüfungskompetenz in Fällen „schikanöser Stillegung“ contra legem auch Onusseit, in: Kübler/Prütting, § 157, Rdnr. 28; a. A. unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut des §78 Abs.1 InsO Uhlenbruck, in: ders., §157, Rdnr. 20; vgl. zur gerichtlichen Prüfungskompetenz nach der alten Rechtslage LG Wuppertal, KTS 1958, 45; Kuhn/Uhlenbruck, § 132, Rdnr. 2 a; Kilger/K. Schmidt, § 132, Anm. 1. 719 Vgl. zum (ähnlichen) Fall der „unverhältnismäßigen Verschleuderung des Grundvermögens“ in der Zwangsversteigerung BVerfGE 46, 325 (334 f.); ähnlich BVerfGE 49, 220 (225 ff.); 51, 150 (156); grundlegend zu den grundrechtlichen Verfahrensgarantien im (Einzel-)Vollstreckungsrecht Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 280 ff. 716 717

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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II. Ein Grundrecht auf Schuldenfreiheit? Bis in die jüngste Vergangenheit haftet der schuldnerischen Insolvenz nicht nur das Verdikt wirtschaftlichen Ungeschicks, sondern zugleich auch der Makel der Ehrenrührigkeit an. Dieser „Makel des Konkurses" spiegelt sich in einer Reihe – wenngleich stetig abnehmender – an die Insolvenz geknüpfter Sanktionsmöglichkeiten wider, die seit Konstituierung des gemeinen Rechts generationenübergreifend tradiert wurden 720. Neben insolvenzspezifischen Sanktionen belastete im gemeinen Recht und nachfolgend in der Preußischen Konkursordnung und sodann in der Reichskonkursordnung die lebenslange Haftung den Schuldner nachhaltig. Seiner Schulden wurde der Schuldner nach deutscher Tradition lediglich durch deren Erfüllung ledig. Demgegenüber betonte die angloamerikanische Rechtstradition ein Recht auf einen Neuanfang nach wirtschaftlichem und finanziellem Ruin 721. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund gehörte die gesetzliche Möglichkeit einer Enthaftung des Schuldners zu den am intensivsten diskutierten Themenkomplexen der Insolvenzrechtsreform. Wenngleich während der Reformdiskussion verschiedentlich die Bedeutung der Enthaftungsmöglichkeit als fundamentales Grundrecht betont wurde, fragt es sich bei genauerer Betrachtung, inwieweit der für das amerikanische Recht geltende Gedanke eines „pursuit of happiness“, welcher die Grundlage auch eines wirtschaftlichen Neuanfangs bildet, im deutschen Verfassungsrecht eine Grundlage findet.

1. Die Menschenwürde als Grundlage eines Enthaftungsanspruchs Die Enthaftungsmöglichkeit des Schuldners wird im insolvenzrechtlichen Schrifttum verbreitet als Ausfluß der staatlichen Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde verstanden. Demnach lasse sich dem Menschenwürde-Satz ein Recht auf einen finanziellen und wirtschaftlichen Neuanfang entnehmen 722. Dieses Recht lasse sich zwar – in einschränkender Auslegung – nicht auf Konstellationen übertragen, in welchen der Schuldner sehenden Auges oder mutwillig die Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt habe. Jedenfalls komme es aber dort zum Tragen, wo gewöhnliche Fahrlässigkeit oder schicksalhafte Ereignisse die Insolvenz verursacht haben 723. Auch der Gesetzgeber der Insolvenzordnung versteht die Restschuldbe-

Vgl. hierzu Gerhardt, in: FS Michaelis, S. 100 ff. Hierzu Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung. 722 So Ahrens, ZInsO 2002, S. 1010 (1015); Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rdnr. 6.24; Pape/ Haarmeyer, ZInsO 1999, S. 135 (135 f.); Stephan, in: Münchener Kommentar, § 286, Rdnr. 16; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 93; ähnlich auch AG Duisburg, ZIP 1999, 1399, 1407 f., unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip sowie Wochner, BB 1989, S. 1065 (1067). 723 So Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rdnr. 6.24.; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 93. 720 721

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

freiung als ein in seinen Grundzügen von der Verfassung vorgegebenes Institut. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Basis für die Enthaftung des Schuldners rekurriert er allerdings nicht auf die Menschenwürde, sondern auf die aus dem Sozialstaatsgebot folgende Verpflichtung zur staatlichen Hilfe für in Not geratene Personen 724. Diesen Argumenten ist zuzugeben, daß es nicht lediglich aus rechtspolitischer, sondern auch aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich geboten erscheint, Schuldnern, die unverschuldet und ohne Aussicht auf Besserung in die Überschuldung gleichsam gezwungen wurden, staatlichen Schutz zur Seite zu stellen. Gleichwohl fragt es sich, ob der Verfassung subjektiv-rechtliche Gewährleistungen entnommen werden können, welche – selbst in Fällen unverschuldeten Vermögensverfalls – einen gegen den Staat gerichteten Anspruch auf Schuldbefreiung gebieten. Dieser Frage soll im Folgenden unter Berücksichtigung des Menschenwürde-Satzes sowie des Sozialstaatsprinzips nachgegangen werden. a) Das Existenzminimum und der Pfändungsschutz als Konkretisierungen des Menschenwürde-Satzes Der grundrechtliche Gewährleitungsgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG umfaßt nicht nur eine staatliche Schutzpflicht zur Abwehr von Würdebeeinträchtigungen, die von dritter Seite drohen, sondern zugleich eine Verpflichtung des Staates, (materielle) Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um Würdebeeinträchtigungen zu verhindern oder zu beseitigen 725. Der Staat hat danach die Mindestvoraussetzungen, die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlich sind, zu sichern726. Auf dieser Grundlage entspricht die staatliche Gewährleistung eines materiellen Existenzminimums einhelliger Auffassung im verfassungsrechtlichen Schrifttum 727. Welche Maßnahmen und Vorkehrungen zur Sicherung des Existenzminimums zu treffen sind und welchen materiellen Standard ein solches Minimum umfaßt, läßt sich abstrakt schwerlich festlegen. Hunger und Obdachlosigkeit sind jedenfalls zu verhüten 728. Ob darüber hinaus bereits sämtliche Lebensbedingungen zu verhindern sind,

Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 12/7302, S. 153. Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 30; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 36. 726 So BVerfGE 40, 121 (133); 45, 187 (228); 48, 346 (361); 82, 60 (85); vgl. auch BVerfGE 99, 246 (259 ff.) – unantastbares Mindesteinkommen. 727 Grundlegend hierzu Bachof, VVDStRL 12 (1954), S. 37 (42, 51 f.) sowie BVerwGE 1, 159 (161 f.); 23, 149 (153); 28, 216 (222 f.); 35, 178 (180 f.); 71, 139 (141); 82, 364 (368); ebenso Dreier, in: ders., Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 94; Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 20, Rdnr. 77; Hofmann, AöR 118 (1993), S. 352 (363); Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 30; Pieroth/Schlink, Rdnr. 361; Starck, JZ 1981, S. 457 (459); Zippelius, in: Bonner Kommentar, Art. 1, Rdnr. 102; offen gelassen in BVerfGE 75, 348 (360); siehe nunmehr aber auch BVerfGE 82, 60 (80); 99, 216 (233); 99, 246 (259). 728 BVerfGE 25, 307 (317 f.); BVerwGE 1, 159 (161 f.); 5, 27 (31); 14, 294 (296 f.); 19, 149 (152). 724 725

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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welche den Menschen „zum Objekt erniedrigen“729, erscheint fraglich. Die Tauglichkeit der sog. Objekt-Formel zur Umschreibung des Menschenwürde-Satzes begegnet jedenfalls erheblichen Zweifeln 730. Im modernen Wirtschaftsleben wird sich eine Objektstellung der privaten Marktteilnehmer schwerlich vermeiden lassen. Gerade im Geschäftsverkehr mit allgegenwärtigen und marktbeherrschenden Unternehmen beschränkt sich die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Einzelnen in der Regel auf die Alternativen des Akzeptierens oder des Ablehnens diktierter Vertragsinhalte und sonstiger rechtlicher Rahmenbedingungen. Rechtsgeschäftliche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen für den privaten Vertragspartner in der Regel nicht. Zudem wird die Selbstbestimmung des einzelnen durch die stetig zunehmende Komplexität wirtschaftlicher und rechtlicher Zusammenhänge, die sich selbst erfahrenen Fachleuten nur mit Mühe erschließen, erschwert. Hierin bereits eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG zu sehen, hieße, die Menschenwürde zu einem konturenlosen, kaum justitiablen und damit wenig effektiven Rechtssatz zu entwerten. Wenngleich die Anforderungen an ein menschengerechtes Dasein infolge des wirtschaftlichen Wandels steter Veränderung unterliegen, wird durch die Verpflichtung zur Schaffung eines Existenzminimums von Verfassung wegen lediglich eine untere Schwelle menschenwürdiger Verhältnisse festgesetzt 731. Diese Schwelle wird im Insolvenzfall maßgeblich durch die Einrichtung von Pfändungsfreigrenzen sichergestellt 732. Der dem Pfändungsschutz zugrundeliegende Grundsatz des beschränkten Vollstreckungszugriffs ist einfachgesetzliche Emanation des Menschenwürde-Satzes 733. Folgerichtig wird im insolvenzrechtlichen Schrifttum betont, daß der Schutz des Schuldners vor der Pfändung und Verwertung persönlicher sowie existenznotwendiger Gegenstände gemäß § 36 Abs. 1 InsO das Ziel verfolge, dem Schuldner ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen 734. Anknüpfungspunkt für eine verfassungsgemäße ausreichende materielle Basis des Schuldners ist dabei die Vorschrift des § 850 f Abs. 1 lit. a) ZPO 735. Ergänzend zum Pfändungsschutz der Zivilprozeßordnung besteht gemäß § 100 Abs. 1 InsO die Möglichkeit, dem Schuldner und sei-

729 So Dürig, in: Maunz/ders. (Voraufl.), Art. 1, Rdnr. 43; aus der Rechtsprechung BVerfGE 9, 167 (171); 87, 209 (228); 96, 375 (399). 730 Hierzu Merten, in: FS Schambeck, S. 349 (359); Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 120, Rdnr. 134; kritisch zur Objekt-Formel nunmehr auch BVerfGE 109, 279 (312 f.). 731 Ebenso Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 341. 732 Zur Sicherung des Existenzminimums durch Pfändungsfreigrenzen BVerwGE 82, 364 (367 ff.); BSGE 57, 59 (63 ff.); siehe aus der Literatur Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art.1 Abs.1, Rdnr. 114; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 30. 733 Vgl. hierzu OLG Hamm, ZMR 1984, 154 (156); Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 36 – Existenzminimum; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 74; Münzberg, in Stein/Jonas, § 811, Rdnrn. 2 f.; Stöber, in: Zöller, § 811, Rdnr. 1. 734 So Peters, in: Münchener Kommentar, § 36, Rdnr. 1. 735 Siehe zur Anwendbarkeit des § 850 f Abs. 1 ZPO im Insolvenzverfahren OLG Köln, JurBüro 2001, 216 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 9.13; vgl. auch OLG Frankfurt a. M., NZI 2000, 531.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

ner Familie weiteren Unterhalt aus der Insolvenzmasse zu gewähren. Die Entscheidung über die Unterhaltsgewährung steht zwar grundsätzlich im Ermessen der Gläubigerschaft 736. Soweit das pfändungsfreie Einkommen des Schuldners jedoch das rechtlich geschützte Existenzminimum nicht sichert, reduziert sich nach zutreffender Auffassung das der Gläubigerschaft eingeräumte Ermessen auf Null mit der Folge, daß dem Schuldner Unterhalt zu gewähren ist 737. Unterbleibt gleichwohl ein dahingehender Beschluß der Gläubigerschaft oder setzt diese einen unangemessenen Unterhalt fest, so ist das Gericht gehalten, im Wege seiner Aufsichtsbefugnisse gemäß § 78 InsO zu intervenieren 738. Die zuvor genannten Schuldnerschutzvorschriften verdeutlichen, daß bereits auf einfachgesetzlicher Basis ein ausreichendes Schutzniveau zugunsten des Schuldners geschaffen worden ist. Bereits in den Grenzen dieser Vorschriften wird ein – mit Art 1 Abs. 1 GG verträgliches 739 – Dasein des Schuldners garantiert. Eine darüber hinaus gehende wirtschaftliche Besserstellung des Schuldners, wie sie infolge einer Enthaftung eintreten würde, wird dementsprechend nicht von Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet. Hieraus folgt zugleich, daß auch die Erfassung des Neuerwerbs durch den Insolvenzbeschlag (§ 35 InsO) nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt 740. Soweit nämlich dem Schuldner durch den Menschenwürde-Satz lediglich eine unterste Schwelle menschenwürdigen Daseins, also insbesondere eine gesicherte physische Existenz, garantiert wird, begegnet es keinen grundrechtlichen Bedenken, wenn der zur Sicherung dieser Existenz nicht zwingend notwendige Mehrerwerb in Gänze zur Befriedigung berechtigter Gläubigerforderungen verwendet wird 741. 736 Passauer, in: Münchener Kommentar, § 100, Rdnr. 20; Uhlenbruck, in: ders., § 100, Rdnr. 2. 737 So auch OLG Frankfurt, InVo 2000, 424, 426; Braun/Kroth, § 100, Rdnr. 10; Kothe, in: Frankfurter Kommentar, § 319, Rdnr. 19 a; ders., in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnr. 88; a. A. Passauer, in: Münchener Kommentar, § 100, Rdnr. 29; ähnlich auch App, in: Frankfurter Kommentar, § 100, Rdnr. 2, hierzu ausführlich unten Fünftes Kapitel, B. IV. 2. 738 LG Köln, NZI 2001, 157; Passauer, in: Münchener Kommentar, § 100, Rdnr. 31; Uhlenbruck, in: ders., § 100, Rdnr. 2. Grundlage der gerichtlichen Interventionspflicht ist jedoch ausschließlich das einfache Gesetzesrecht. Soweit der Pfändungsfreibetrag das Existenzminimum nicht sichert, ist die Gewährleistung des Existenzminimums verfassungsrechtlich auf die Ebene staatlicher Leistungen bezogen. Sie betrifft nicht die Verteilung materieller Güter zwischen Privaten, sondern die Gewährleistung materieller Voraussetzungen ausschließlich durch den Staat, vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 266. 739 Wobei aber selbst eine Beschränkung des de lege lata garantierten Pfändungsschutzes schwerlich gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen dürfte. 740 A. A. allerdings unter Verkennung des von Art. 1 Abs. 1 GG geforderten Mindeststandards Roellenbleg, NZI 2004, S. 176 (178 f.). 741 Lediglich schwer nachvollziehbar ist die Behauptung von Roellenbleg, NZI 2004, S. 176 (180), bei der Erfassung des Neuerwerbs handele es sich um eine Form der „Leibeigenschaft“, die gegen Art. 4 EMRK sowie gegen Art. 1 und Art. 2 GG verstoße. Leibeigenschaft setzt naturgemäß einen, auch physisch wirkenden, Zwang zur Dienstleistung sowie eine enge räumliche Beziehung zum Leistungsbegünstigten voraus (vgl. zur Definition Teil I Art. 1 lit. b des Zusatzübereinkommens vom 07.09.1956 über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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b) Das Sozialstaatsprinzip als Ermessensleitlinie Wird auf Grund der zuvor dargelegten Erwägungen durch die schuldnerschützenden Vorschriften der Insolvenzordnung bereits ein Existenzminimum gewährleistet, bedarf es vor dem Hintergrund des Menschenwürde-Satzes keiner darüber hinaus gehenden Enthaftung des Schuldners. Die bloße Existenz von Schulden steht der Sicherung eines menschenwürdigen Daseins nicht entgegen. Vielmehr verdeutlichen die den beschränkten Vollstreckungszugriff sichernden Vorschriften der Insolvenzordnung, daß ein menschenwürdiges Existenzminimum gerade trotz bestehender Schuldenlast möglich ist. Welche Ansprüche der Staat über die Sicherung des Existenzminimums hinaus gewährt, bestimmt sich nicht nach Art. 1 Abs. 1 GG. Die Menschenwürde ist daher für die Frage nach einer gesetzlich verankerten Enthaftungsmöglichkeit des Schuldners kein geeigneter Beurteilungsmaßstab. Vielmehr ist die Einrichtung eines Restschuldbefreiungsverfahrens in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt. Ermessensleitlinie mag dabei, wie der Rechtsausschuß im Gesetzgebungsverfahren zur Insolvenzordnung zutreffend dargelegt hat 742, die aus dem Sozialstaatsgebot folgende Verpflichtung für in Not geratene Personen sein 743. Unbeschadet einer solchen Einstandspflicht gewährt das Sozialstaatsprinzip als bloße Staatszielbestimmung indes kein subjektives Recht 744, sondern bedarf der näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber 745. Bei der Konkretisierung dieses Prinzips verbleibt dem Gesetzgeber jedoch ein weiter Gestaltungsspielraum746. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips lassen sich ihm grundsätzlich keine konkreten Anforderungen für die Gewährung sozialer Leistungen entnehmen. Vielmehr entsteht eine justitiable Ermessenseinschränkung des Gesetzgebers erst, wenn die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger nicht mehr gewährleistet sind 747. Da eine Enthaftungsregelung zur Gewährleistung des Existenzminimums – wie festgestellt – nicht erforderlich ist, der Regelungsgehalt der Staatszielbestimmung des Art.20 Abs. 1 GG aber auch nicht über die

und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken [BGBl. 1958 II S. 203 ff.]). Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, daß diese Voraussetzung mit Blick auf das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner im Regelfall nicht erfüllt ist. 742 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 12/7302, S. 153. 743 Zur Bedeutung des Sozialstaatsprinzips mit Blick auf die Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S.158 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 164 ff. 744 Grundlegend BVerfGE 2, 336 (338 f.). 745 Vgl. BVerfGE 8, 274 (329); 27, 253 (283); 35, 121 (133); 43, 13 (19); 100, 271 (284); Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rdnr. 38; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rdnr. 97; näher zum gesetzgeberischen Gestaltungsmandat Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 139 ff. 746 Vgl. BVerfGE 1, 97 (105); 59, 231 (263); 82, 60 (80); ähnlich BVerfGE 100, 271 (284); 103, 293 (307); zum Sozialstaatsprinzip als Auslegungsregel auch H.-P. Schneider, in: Merten/ Papier, HdbGR I, § 19, Rdnrn. 84 ff. 747 BVerfGE 82, 60 (80). 11 Werres

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

Mindeststandards des Art. 1 Abs. 1 GG inhaltlich hinausgeht 748, besteht auch unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips keine den Gesetzgeber bei seiner Ermessensausübung einschränkende Notwendigkeit eines Restschuldbefreiungsverfahrens 749. c) Das Sozialstaats- und das Freiheitsprinzip als Ermessensleitlinien des wirtschaftsordnenden Gesetzgebers Zu beachten gilt ferner, daß der Gesetzgeber bei der Umsetzung des Sozialstaatsprinzips auch die Struktur des in den Grundrechten angelegten Freiheitsprinzips zu konkretisieren und zu effektuieren hat. Zwar hat der Gesetzgeber einerseits unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jedem Grundrechtsinhaber möglichst umfassende Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet werden 750. Dabei sollte die Chancengleichheit der Grundrechtsinhaber möglichst angenähert werden. Andererseits darf die Umsetzung des sozialen Staatsziels nicht zu einer Lähmung der Freiheitsbetätigung führen 751. Der wirtschaftsordnende Gesetzgeber hat daher soziale Verantwortung und Privatautonomie der Rechtssubjekte als prägendes Merkmal der geltenden Wirtschaftsordnung gleichermaßen zu berücksichtigen und zu praktischer Konkordanz zu führen 752. Konstitutives Grundrecht der die geltende Wirtschaftsordnung prägenden Privatautonomie ist das durch Art. 2 Abs. 1 geschützte Grundrecht auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit 753. Dieses gewährleistet dem Einzelnen durch die Institutionalisierung der Privatautonomie das Recht, seine Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung durch Rechtsgeschäft eigenverantwortlich zu gestalten 754. Diese grundrechtlich verbürgte Eigenverantwortlichkeit umschließt zugleich die Möglichkeit, wirtschaftliche Risiken einzugehen und – gegebenenfalls durch vertragliche

748 Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 138; vgl. auch Badura, DÖV 1989, S. 491 (495); Herzog, BayVBl. 1976, S. 161 (163); Zacher, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR I, § 25, Rdnr. 107. 749 A. A. wohl AG Duisburg, ZIP 1999, 1399, 1407 f., 1410, unter Verkennung der aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Pflichten für den Gesetzgeber sowie Wochner, BB 1989, S. 1065 (1067). 750 Vgl. P. Kirchhof, in: FS Zacher, S. 323 (329 f.). 751 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rdnr. 102; Merten, VersR 1980, S. 49 (53 f.); s. zur Privatautonomie als „Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung“ auch BVerfGE 81, 242 (254), sowie Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 82, und Badura, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 29, Rdnr. 3. 752 Hierzu Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rdnr. 101. 753 Vgl. hierzu BVerfGE 25, 371 (407); 50, 290 (366); 89, 214 (231); Di Fabio, in: Maunz/ Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 77 ff., insbesondere Rdnr. 81; Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 2, Rdnr. 16. 754 Vgl. BVerfGE 8, 274 (328); 72, 155 (170); 89, 214 (231); Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 152, Rdnr. 58.

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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Bindung – wohlerworbene Rechte aufzugeben 755, ohne protektionistische staatliche Einflußnahme befürchten zu müssen 756. Staatliche Maßnahmen, die auf einen rechten Gebrauch privatautonomer Entscheidungen zielen 757, verbieten sich daher vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 GG grundsätzlich. Die – auch übermäßige – Verschuldung eines Grundrechtsträgers allein stellt noch keine mißbilligenswerte Ausübung der Handlungsfreiheit dar. Mit der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie kommt dem Einzelnen ein Freiheitsraum zu, der es ihm ermöglicht, losgelöst von obrigkeitlicher Beurteilung und Lenkung Rechte und Pflichten einzugehen. Dieser grundrechtliche Freiheitsraum impliziert unter keinen Umständen eine Pflicht zu vernünftigem oder wirtschaftlich sinnvollem Gebrauch. Vielmehr hat der Staat weder nach Sinn noch nach Beweggrund der individuellen Freiheitsbetätigung zu fragen 758. Die Grenzen der Beurteilung hinsichtlich der Frage, inwieweit die Eingehung übermäßig belastender rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen als vernünftig und wirtschaftlich sinnvoll zu betrachten ist, sind in einer modernen, globalisierten Wirtschaftsordnung fließend. Mag die Überschuldung in einem Fall Ausdruck unüberlegten wirtschaftlichen Handelns sein, so kann sie in anderen Konstellationen unter steuerrechtlich oder betriebswirtschaftlich gebotener Betrachtungsweise Ausdruck eines wirtschaftlich rational handelnden Unternehmertums sein. Insbesondere am Beispiel der Überschuldung wird deutlich, daß eine grundrechtliche Pflicht zum richtigen Gebrauch der Freiheit lediglich ein Instrument staatlicher Disziplinierung und damit eine freiheitsverkürzende Umkehrung des Grundrechtsgedankens bedeuten würde 759. Dem der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit innewohnenden Recht auf Gewinnmaximierung entspricht die kehrseitig dazu liegende Möglichkeit der Verschuldung. Der Privatautonomie liegt somit in letzter Konsequenz ein Recht zur Verschuldung durch irrationale rechtsgeschäftliche Bindung zugrunde760. Da die Ausübung dieses Rechts Freiheitsgebrauch ist, läßt sich – entgegen einer verbreiteten Auffassung 761 – das wirtschaftlich unvernünftige privatautonome Kontrahieren

755 Zum vertraglichen Verzicht auf Grundrechte als Ausfluß der Privatautonomie Bleckmann, Staatsrecht II, § 15, Rdnr. 5; Robbers, JuS 1985, S. 925 (926). 756 Merten, VersR 1980, S. 49 (55); in vergleichbarer Weise wird durch Art. 2 Abs. 1 GG zudem ein Recht auf Selbstgefährdung gewährleistet, vgl. VGH Baden-Württemberg, VBlBW 1998, 25, 26 f. 757 Gegen eine verfassungsrechtliche Grundpflicht zum „rechten“ Gebrauch der Grundrechte wenden sich auch Isensee, DÖV 1982, S. 609 (614 f.); H. H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153 (162 ff.); Merten, VerwArch. 73 (1982), S. 103 (107 f.); a. A. Geiger, Grundrechte und Rechtsprechung, S. 53. 758 Vgl. Merten, VerwArch. 73 (1982), S. 103 (108); Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 (467). 759 So Isensee, Freiheit ohne Pflichten, S. 32; Merten, VerwArch. 73 (1982), S. 103 (107 f.). 760 Ebenso („Freiheit zum Bankrott“) Merten, VersR 1980, S. 49 (55); ders., VerwArch. 73 (1982), S. 103 (108). 761 Bleckmann, Staatsrecht II, § 10, Rdnrn. 109, 123; Hillgruber, AcP 191 (1991), S.69 (74); Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (291); Zöllner, AcP 196 (1996), S. 1 (12 f.).

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

grundrechtsdogmatisch nicht mit der Figur des Grundsrechtsverzichts fassen 762. Durch eine übermäßige und unökonomische rechtsgeschäftliche Bindung begibt sich der Grundrechtsberechtigte nicht seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit, sondern nutzt die ihm verfassungsrechtlich eingeräumten rechtsgeschäftlichen Chancen 763. Diese Selbstentäußerung wirtschaftlicher Spielräume kann so lange unberührt von staatlichen Eingriffen ausgeübt werden, wie sie sich auch tatsächlich als Akt der Selbstbestimmung des einzelnen darstellt. Ihre Grenzen findet die Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Bindung als Emanation der Privatautonomie dort, wo die Bindung nicht Ausdruck freiwilligen Handelns ist764 oder die Entschlußfreiheit des sich Verpflichtenden auf sonstige Weise eingeschränkt wird 765. Dem Schutz vor unreflektiertem und fremdbestimmten Handeln tragen grundsätzlich die bestehenden Schutzvorschriften des Zivilrechts zugunsten von Minderjährigen, Geisteskranken, etc. genügend Rechnung 766. Darüber hinaus gehenden speziellen Schutzanforderungen kann schließlich mit Hilfe der einfachgesetzlich geregelten Nichtigkeitsgründe, insbesondere der Sittenwidrigkeit, entsprochen werden 767. Grundrechtlich fundierte Schutzpflichten lassen sich hingegen für den Bereich rechtsgeschäftlichen Handelns grundsätzlich nicht konstruieren 768. Schließlich findet die Freiheit zur Verschuldung dort ihre Einschränkung, wo sie dauerhaft zu Lasten der Allgemeinheit 769 ausgeübt wird. Eingedenk dieser Gemeinwohlgrenze erscheint die im insolvenzrechtlichen Schrifttum vertretene Auffassung, wonach die Gewährung von Unterhalt an den Schuldner und seine Familie we-

762 Zutreffend Isensee, in: FS Großfeld, S. 485 (499); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 167 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S.244 ff. Ein Verzicht auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheit kommt im rechtgeschäftlichen Verkehr, soweit es sich um privatrechtliche Vertragspartner handelt – mangels unmittelbarer Drittwirkung – ohnehin nicht in Betracht; in diesem Sinne zu Recht Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 245. 763 Zur Chance als „Komplementärseite“ des wirtschaftlichen Risikos bereits Merten, VersR 1980, S. 49 (55). 764 Zur Freiwilligkeit als Voraussetzung des Grundrechtsverzichts Dreier, in: ders., Vorbem., Rdnr. 83; Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (68 ff.); Pieroth/Schlink, Rdnr. 139; Robbers, JuS 1985, S. 925 (929); Sachs, Verfassungsrecht II, A 8, Rdnr. 41; Stern, Staatsrecht III/2, S. 913 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 260: zuletzt OLG Frankfurt a. M., NJW 2003, S. 2843 (2845). 765 Siehe hierzu unten sub B. IV. 2. b). 766 Zu den einzelnen Schutzrechten Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 267 ff. 767 Siehe hierzu bereits oben sub Drittes Kapitel, C.1 b). 768 Zu Ausnahmen siehe unten sub B. IV. 2. 769 Zum Allgemeininteresse als Grenze des Rechtsverzichts Robbers, JuS 1985, S. 925 (930); ähnlich auch BVerwGE 38, 160 (162): „Auf Rechte, die dem einzelnen in seinem eigenen Interesse eingeräumt sind, kann... verzichtet werden.“; Doehring, Staatsrecht, S.279; Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (65); Quaritsch, in: GS Martens, S. 409 f.; v. Münch, in: ders./ Kunig, Vorbem. Art. 1–19, Rdnr. 63 („schützenswerte Interessen der Solidargemeinschaft“); vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz AS 3, 394 (397); OVG Nordrhein-Westfalen AS 14, 257 (260); OVG Lüneburg DÖV 1964, 355 f.; Quaritsch, in: GS Martens, S. 407 (411); Pietzcker, in: Der Staat 17 (1978), S. 527 (545); Robbers, JuS 1985, S. 925 (931).

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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gen der alternativ bestehenden Möglichkeit des Bezugs von Sozialhilfe verweigert werden dürfe 770, als nicht haltbar. Zwar wird durch die staatliche Gewährleistung von Sozialhilfe jedenfalls ein von Verfassung wegen gefordertes existenzsicherndes Niveau garantiert 771. Dem Mißbrauch der staatlichen Sozialleistungen – nicht zuletzt auch in Form kollusiver Absprachen zwischen einzelnen Gläubigergruppen und Schuldner – wäre aber vorgezeichnet, könnte sich die Gläubigerschaft ihrer gemäß § 100 InsO bestehenden Verpflichtung entziehen 772. Es entspricht auch einem im Zivilrecht anerkannten Grundsatz, daß vertragliche Verzichtsleistungen, die ihrem objektiven Gehalt nach zu Lasten der Allgemeinheit, insbesondere des Sozialhilfeträgers, geschlossen wurden, gegen die guten Sitten verstoßen und daher nichtig sind 773. d) Schlußfolgerung Aus den zuvor dargelegten Erwägungen ergibt sich folgender Befund: Zum einen ist festzuhalten, daß eine einseitige Betonung von Egalitätsforderungen im Widerspruch zum Freiheitsprinzip der Grundrechte steht. Die Freiheit des einzelnen besteht nicht nur mit Blick auf bestimmte Sozialziele. Daher wirkt sich die grundrechtlich geforderte Garantie eines größtmöglich zu gewährenden Freiheitsraumes im Rahmen der vom Gesetzgeber zu treffenden Ermessenserwägung grundsätzlich sozialstaatsbegrenzend aus. Im Hinblick auf die dauerhafte Verschuldung einzelner Grundrechtsträger hat der Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips nicht nur möglichst umfassende Entfaltungsmöglichkeiten des Schuldners sicherzustellen, sondern zugleich die für Schuldner wie für Gläubiger bestehende Privatautonomie als Grundlage der geltenden Wirtschaftsordnung zu berücksichtigen 774. Die Einrichtung eines staatlichen Verfahrens zur Schuldenbefreiung steht innerhalb dieses antagonistischen Verhältnisses im Ermessen des Gesetzgebers. Zum anderen wird durch die bestehenden Vorschriften des Zivil- wie des Vollstreckungsrechts unüberlegten Verhaltensweisen im Rechtsverkehr vorgebeugt. 770 So Passauer, in: Münchener Kommentar, § 100, Rdnr. 29; ähnlich auch App, in: Frankfurter Kommentar, § 100, Rdnr. 2. 771 Kunig, in: v. Münch/ders., Art. 1, Rdnr. 30; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ders., Art. 1, Rdnr. 36 (Fn. 120). 772 Gegen den Verweis auf die Möglichkeit, Sozialhilfe zu beziehen, im Ergebnis auch OLG Frankfurt, InVo 2000, 424, 426; Braun/Kroth, § 100, Rdnr. 10; Kothe, in: Frankfurter Kommentar, § 319, Rdnr. 19 a; ders., in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnr. 88. 773 So für den Unterhaltsverzicht BGHZ 86, 82 (88); BGH, NJW 1987, 1546, 1548; NJW 1991, 913, 915; OLG Köln, FamRZ 1999, 920; OVG Nordrhein-Westfalen, ZfSH/SGB 1989, 201 (202); VGH Baden-Württemberg, NJW 1993, 2953, 2954. 774 Vgl. zur Privatautonomie als „Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung“ BVerfGE 81, 242 (254); Badura, in: Merten/Papier, HdbGR II, § 29, Rdnr. 3; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 82.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

Weder unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde noch unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips besteht ein darüber hinausgehender grundrechtlicher Anspruch des Schuldners gegen den Staat auf Enthaftung. 2. Das Eigentumsrecht Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Befreiung von seinen Verbindlichkeiten folgt für den Schuldner auch nicht aus der Garantie des Eigentums, Art. 14 Abs. 1 GG. Unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, daß er die damit verbundenen Befugnisse nach eigener Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf 775. Der Status der Schuldenfreiheit hingegen stellt kein vermögenswertes Recht in diesem Sinne dar. Zwar wirken sich privatrechtliche Verbindlichkeiten belastend auf das Vermögen des Schuldners aus. Das Vermögen als Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person ist jedoch kein Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG 776. Darüber hinaus heben Schulden auch nicht die mit der Zuordnung vermögenswerter Rechte verbundenen Rechtspositionen, insbesondere die Verfügungsbefugnis und die Privatnützigkeit auf, noch tangieren sie die Zuordnung konkreter Eigentumsgegenstände zu einem Rechtsträger 777. Berühren somit privatrechtliche Verbindlichkeiten die Eigentumsrechte im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG nicht, ist auch die Befreiung von solchen Verbindlichkeiten nicht eigentumsrelevant.

III. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Restschuldbefreiung Besteht mithin kein grundrechtlich gewährleisteter Anspruch des Schuldners auf gesetzliche Einrichtung eines staatlichen Enthaftungsverfahrens, so ist die Einrichtung eines solchen Verfahrens grundsätzlich dem Ermessen des Gesetzgebers überantwortet, soweit hierdurch die Rechte der Gläubiger nicht unverhältnismäßig beschränkt werden. Von diesem Ermessen hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung mit der Einrichtung eines sog. Restschuldbefreiungsverfahrens, §§ 286 ff. InsO, Gebrauch gemacht. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen einer Enthaftung – insbesondere unter BVerfGE 83, 201 (209); 95, 267 (300). BVerfGE 4, 7 (17); 14, 221 (241); 30, 250 (272); 63, 343 (368); 74, 129 (148); 78, 232 (243); 91, 207 (220); 95, 267 (300); 96, 375 (397); BVerwGE 87, 324 (330); Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnr. 23; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 164; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rdnrn. 42, 160; Wendt, in: Sachs, Art. 14, Rdnrn. 38 f.; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 45; a. A. Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14, Rdnr. 53. 777 Hierzu BVerfGE 95, 267 (301). 775 776

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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Berücksichtigung neuerlich geäußerter Zweifel778 – verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Gläubigersicht standhalten. In Abkehr von der nach dem alten Konkursrecht bestehenden Fortdauer der unbeschränkten Schuldnerhaftung nach Abschluß eines Konkursverfahrens ermöglicht die Insolvenzordnung dem Schuldner nunmehr, eine schuldenfreie Existenz aufzubauen. Gemäß § 286 InsO kann der Schuldner, soweit es sich bei ihm um eine natürliche Person handelt, auf Antrag von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern befreit werden. Eine solche Befreiung setzt voraus, daß der Schuldner seine pfändbaren Forderungen aus einem Dienstoder ähnlichen Vertragsverhältnis für die Zeit von sechs Jahren nach der Verfahrenseröffnung an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt, vgl. § 287 Abs. 2 InsO. Nach Ablauf dieser sechsjährigen sog. Wohlverhaltensperiode entscheidet das Insolvenzgericht nach Maßgabe des § 300 InsO mit Wirkung gegenüber sämtlichen Gläubigern über die Erteilung der Restschuldbefreiung. Eine Versagung der Restschuldbefreiung kommt lediglich unter den in den §§ 296, 297 oder 298 InsO genannten Fällen in Betracht. Inwieweit die Forderungen der Gläubiger während der Wohlverhaltensperiode erfüllt worden sind, ist für die Erteilung der Restschuldbefreiung unerheblich 779. Eine Restschuldbefreiung kommt daher nach der gesetzlichen Konzeption selbst dann in Betracht, wenn der Schuldner während der gesamten sechsjährigen Periode überhaupt kein Einkommen oder lediglich ein Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze erzielt. Nachforderungen der Gläubiger auf ihre Forderungen sind daher nach Erteilung der Restschuldbefreiung – unabhängig vom Grad der tatsächlichen Befriedigung – nicht mehr vollstreckungsrechtlich durchsetzbar 780. Voraussetzung für die Restschuldbefreiung ist jedoch stets die vorherige Durchführung eines Insolvenzverfahrens, in welchem das Vermögen und die Verbindlichkeiten des Schuldner festgestellt und die Vermögensgegenstände zugunsten der Gläubigerschaft verwertet werden. Diese Voraussetzung führte nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung zu der – offenbar sinnwidrigen – Konsequenz, daß völlig mittellosen Schuldnern, welche die Kosten für die Durchführung des Insolvenzverfah778 Siehe hierzu die Vorlagebeschlüsse gemäß Art. 100 Abs. 1 GG des AG München, vom 30.08.2002 – 1506 IN 656/02, ZInsO 2002, 994 ff., vom 25.09.2003 – 1507 IN 39/02, ZVI 2003, 546, sowie vom 09.06.2004 – 1507 IN 39/02, ZVI 2004, 359 ff., sowie die hierzu ergangenen Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 02.02.2003 – 1BvL 11/02 u. a., NVwZ 2003, 466 f., vom 14.01.2004 – 1 BvL 8/03, NJW 2004, 1233 f., vom 07.07.2004 – 1 BvL 3/04, nicht veröffentlicht, sowie vom 22.12.2005 – 1 BvL 9/05, ZInsO 2006, 317 ff.; siehe zur Problematik Ahrens, ZVI 2004, S. 69 ff., Kocher, DZWIR 2004, S. 187 ff., sowie Werres, DVBl. 2006, S. 140 ff. 779 Vgl. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnrn. 26.18 ff. 780 Die Forderung ist also als sog. unvollkommene Verbindlichkeit erfüllbar, jedoch nicht erzwingbar, vgl. RGZ 153, 342 (343); BGHZ 118, 70 (76); BGH, WM 1968, 39, 40; ZIP 1982, 467, 468; Ahrens, in: Frankfurter Kommentar, § 301, Rdnr. 8; Goetsch, in: Berliner Kommentar, § 301, Rdnr. 3; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 26.62; Vallender, in: Uhlenbruck, § 301, Rdnr. 10.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

rens nicht aufbringen konnten, der Weg zur Restschuldbefreiung versperrt blieb. Da die Insolvenzgerichte die Möglichkeit der Gewährung von Prozeßkostenhilfe in diesen Fällen unterschiedlich beurteilten 781, entschloß sich der Gesetzgeber, durch eine Neuregelung Abhilfe zu schaffen. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze 782 besteht nunmehr für das Insolvenzgericht die Möglichkeit, mittellosen Schuldnern nach Maßgabe des § 4 a InsO die Verfahrenskosten bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung zu stunden. Da durch diese Stundung lediglich die Fälligkeit der Kostenforderung, nicht jedoch deren Erfüllbarkeit hinausgeschoben wird 783, besteht für die Staatskasse nach Maßgabe des § 292 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 InsO die Möglichkeit, die im Sinne des Schuldners eingesetzten Mittel bereits während der Wohlverhaltensperiode zurückzufordern. Dieses Vorwegbefriedigungsrecht der Staatskasse geht zu Lasten der Gläubiger, da diese, insbesondere bei lediglich geringfügig pfändbarem Arbeitseinkommen des Schuldners, keine Erfüllung ihrer unbefriedigt gebliebenen Forderungen beanspruchen können 784. Da somit durch die zuvor beschriebenen Regelungen eine Entwertung der unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG stehenden Gläubigerrechte 785 eintritt, sind die Regelungen über die Restschuldbefreiung an der grundrechtlichen Eigentumsgarantie zu messen. 1. Die Restschuldbefreiung als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Restschuldbefreiung beurteilt sich nach den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG 786. Die im insolvenzrechtlichen Schrifttum vertretene Auffassung, die Restschuldbefreiung sei als Enteignung der Gläubiger gemäß Art. 14 Abs. 3 GG zu bewerten 787, ist nicht haltbar. Nicht jede gesetzliche Ausgestaltung konkreter Eigentumspositionen – sei sie durch Gesetz oder durch die Verwaltung angeordnet – stellt zugleich eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG dar. Vielmehr ist die Enteignung lediglich auf solche Fälle beschränkt, in denen der Staat konkrete Rechtspositionen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 781 Vgl. hierzu die Übersicht über den Meinungsstand bei Ganter, in: Münchener Kommentar, § 4, Rdnr. 20. 782 Vom 26.10.2001 (BGBl. I S. 2710). 783 Vallender, in: Uhlenbruck, § 292, Rdnr. 38. 784 Kritisch zu dieser Neuregelung Ganter, in: Münchener Kommentar, §§4 a bis 4 d, Rdnr.4; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnrn. 26.13 b, 26.55; Vallender, in: Uhlenbruck, § 292, Rdnr. 40. 785 BVerfGE 42, 263 (293); 45, 142 (179); 68, 193 (222); 83, 201 (208); 89, 1 (6); 92, 262 (271); speziell zu Insolvenzforderungen nunmehr BVerfG (Kammer), NJW 2004, 1233; siehe hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. 786 Im Ergebnis ebenso Ahrens, ZInsO 2002, S. 1010 (1015); Landfermann, in: Heidelberger Kommentar, vor § 286, Rdnr. 8 a; Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, S. 305 (306); Vallender, in: Uhlenbruck, Vorbem. § 286, Rdnr. 54; Wenzel, in: Kübler/Prütting, § 286, Rdnr. 63; 787 So – in die Nähe des Abwegigen geratend – Christmann, DGVZ 1992, S. 177 (179).

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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Satz 1 GG zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben ganz oder teilweise entzieht 788. Die Vorschriften der Restschuldbefreiung bestimmen vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der Insolvenzordnung an den Inhalt der Gläubigerrechte für die Zukunft in allgemeiner Form. Insoweit werden durch die neuen Regelungen nicht gezielt subjektive Rechtspositionen entzogen, sondern in abstrakter Weise Inhalt und Reichweite der Gläubigerrechte für den Fall der Insolvenz natürlicher Personen neu definiert und näher ausgestaltet 789 und damit Konkretisierungen des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG geschaffen. Darüber hinaus verfolgen die Regelungen über die Restschuldbefreiung nicht den für eine Enteignung wesensbestimmenden Zweck der Erfüllung öffentlicher Aufgaben 790. Die Enteignung zielt lediglich dann auf die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, wenn sich der Staat die in Anspruch genommene Eigentumsposition unmittelbar oder zumindest mittelbar positiv für eigene Zwecke zunutze machen will 791. Die mit der Restschuldbefreiung verbundene Einschränkung des Vollstreckungszugriffs der Gläubiger stellt in keiner Weise eine Indienstnahme privatrechtlicher Rechtspositionen für staatliche Zwecke dar. Vielmehr sind die Vorschriften über die Restschuldbefreiung lediglich zum Zweck des Interessenausgleichs auf eine Umgestaltung der privatrechtlich begründeten Rechtsverhältnisse zwischen Gläubiger und Schuldner gerichtet. Durch die Restschuldbefreiung soll den Interessen des Schuldners wie denen der Gläubigerschaft gleichermaßen Rechnung getragen werden792. Ist somit mit der Umgestaltung der Gläubigerrechte ausschließlich der Ausgleich privater Interessen intendiert, handelt es sich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums 793. Als Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Regelungen über die Restschuldbefreiung verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie die Privatnützigkeit und die Sozialbindung des Eigentums hinreichend berücksichtigen und in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen 794. Die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen gewährleisten ein verfassungsfestes Abwehrrecht gegen solche 788 BVerfGE 52, 1 (27 f.); 56, 249 (270 ff.); 70, 191 (199 f.); 71, 137 (143); 72, 66, (76); 74, 264 (280); 79, 174 (191); 100, 226 (240); BVerfG (Kammer), NJW 2001, 1023; 2960; Roller, NJW 2001, S. 1003, 1005. 789 Zu Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Insolvenzrecht allgemein Seuffert, ZIP 1986, S. 1157 (1158). 790 Zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben als Wesensmerkmal der Enteignung BVerfGE 72, 66 (76); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 421; Kimminich, in: Bonner Kommentar, Art. 14, Rdnr. 183; Roller, NJW 2001, S. 1003 (1005); Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 69. 791 Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rdnr. 421. 792 Vgl. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443, S. 188. 793 Vgl. BVerfGE 101, 239 (259); 104, 1 (10); BVerfG, DVBl. 2005, 239, 241 f. 794 Vgl. BVerfGE 37, 132 (140 f.); 50, 290 (340); 52, 1 (29); 58, 300 (335); 87, 114 (138); 89, 1 (8); 100, 226 (240 f.); 101, 54 (75).

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

gesetzgeberischen Regelungen, welche das Bestandsinteresse des Eigentümers gänzlich mißachten oder unverhältnismäßig beschränken. Maßgeblicher Beurteilungsmaßstab für die inhaltliche Ausgestaltung des Eigentumsrechts ist daher der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 795. 2. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der grundsätzlichen gesetzgeberischen Konzeption einer Restschuldbefreiung Der Gesetzgeber verfolgt mit den Regelungen über die Restschuldbefreiung zwei unterschiedliche, wenngleich eng miteinander verknüpfte Anliegen: Zum einen soll dem Schuldner durch eine nachhaltige Entschuldung die Möglichkeit des wirtschaftlichen Neuanfangs eröffnet werden 796. Zum anderen zielt die Einrichtung einer sog. Wohlverhaltensperiode, in welcher der Schuldner seine pfändbaren Einkünfte weitgehend an die Gläubigerschaft abtritt, auf eine Effektuierung der Haftungsverwirklichung der Gläubiger im Vergleich zum Konkursrecht 797. Die Legitimität dieser Handlungsmotive des Gesetzgebers begegnet von Verfassung wegen keinen Bedenken. Die Zielsetzung gesetzgeberischen Handelns im Rahmen der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums ist durch die in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG festgelegte Zweckbindung in besonderer Weise inhaltlich vorgeprägt 798. Die Bindung des gesetzgeberischen Handelns stellt insoweit nicht nur auf die Gesamtinteressen des Staates, sondern zugleich auf die individuellen Interessen derjenigen ab, welche in besonderer Weise auf die Partizipation am Eigentumsobjekt angewiesen sind 799. Wenngleich sich aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes – wie festgestellt 800 – keine Einschränkung des gesetzlichen Gestaltungsspielraums im Hinblick auf die Schaffung eines Restschuldbefreiungsverfahrens entnehmen läßt, so ist doch allgemein konsentiert, daß sich dem Optimierungsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG ein verfassungsrechtlicher Gestaltungsauftrag zur Hilfe unverschuldet in materielle Bedürftigkeit geratener Personen entnehmen läßt 801. So ist die staatliche Fürsorge795 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnr. 62; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 14, Rdnrn. 231 f. 796 Nach der (zweifelhaften) Einschätzung des neunten Zivilsenates des Bundesgerichtshofs, BGHZ 144, 78 (83), liegt die Restschuldbefreiung sogar primär im Interesse des Schuldners. 797 Siehe zu den gesetzgeberischen Zielen der Restschuldbefreiung die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 187 f.; Wenzel, in: Kübler/Prütting, § 286, Rdnr. 65; Stephan, in: Münchener Kommentar, § 286, Rdnr. 8. 798 Vgl. Pieroth/Schlink, Rdnr. 997. 799 BVerfGE 37, 132 (140); 50, 290 (340 f.); 52, 1 (29); 91, 294 (308); 101, 54 (75); Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnr. 59; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14, Rdnr. 143; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 81. 800 Hierzu oben Fünftes Kapitel, B. II. 1. b). 801 Vgl. BVerfGE 35, 121 (133).

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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pflicht für Hilfsbedürftige als Ausdruck verfassungsrechtlich vorgegebener Sozialstaatlichkeit ebenso anerkannt 802 wie der von Verfassung wegen bestehende Auftrag, straffällig gewordene Personen zu resozialisieren 803. Gemeinsam ist diesen Teilzielbestimmungen eine generelle staatliche Einstandspflicht für Personen, die auf Grund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind. Vor dem Hintergrund dieses sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages stellt die mit der Einrichtung des Restschuldbefreiungsverfahrens intendierte Hilfe für unverschuldet in wirtschaftliche Not geratene Personen 804 eine von Verfassung wegen nicht zu beanstandende Zielsetzung des Gesetzgebers der Insolvenzordnung dar. Schließlich darf auch für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Möglichkeit einer Enthaftung des Schuldners durch staatliche Verfahren zum Standard der meisten europäischen Rechtsordnungen sowie des Insolvenzrechts in den Vereinigten Staaten und Japan gehört 805 und damit als Ausdruck einer international gültigen Rechtsüberzeugung gewertet werden muß. In Anbetracht national übergreifender Wirtschaftsstrukturen besteht ein beträchtliches wirtschaftliches und soziales Interesse an der Harmonisierung des Wirtschaftsrecht und damit auch des Insolvenzrechts. Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung einer gesetzgeberischen Konzeption sowie der Zielsetzung eines Gesetzes sind daher internationale Rechtsüberzeugungen ein gewichtiges Indiz für die Zulässigkeit der Zweckverfolgung. Sie vermögen den aus dem nationalen Recht gewonnenen Befund zumindest zu untermauern 806. a) Die Verhältnismäßigkeit der Restschuldbefreiung Fraglich ist, ob die Regelungen über die Restschuldbefreiung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Hierzu müßten sie geeignet, erforderlich und zumutbar, das heißt, verhältnismäßig im engeren Sinne sein 807.

802 Vgl. BVerfGE 5, 85 (198); 35, 202 (236); 40, 121 (133); 43, 13 (19); vgl. auch BVerfGE 45, 376 (387). 803 BVerfGE 35, 202 (235 f.); 98, 169 (200); aus der Literatur Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 111. 804 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 12/7302, S. 153. 805 Vgl. hierzu Ahrens, ZInsO 2002, S. 1010 (1015); Ehricke, in: Münchener Kommentar, Vorbem. §§ 286 bis 303, Rdnrn. 5 ff.; Kothe, in: Frankfurter Kommentar, Vorbem. §§ 286 ff., Rdnrn. 18 ff.; Wenzel, in: Kübler/Prütting, § 286, Rdnrn. 13 ff. 806 Der rechtsvergleichende Ansatz bei der Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Regelung wird auch von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen, vgl. hierzu Sommermann, in: Merten/Papier, HdbGR I, § 16, Rdnrn. 86 f. 807 Eingehend zu den Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Merten, in: ders./Papier, HdbGR III, § 66.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

aa) Die Geeignetheit der gesetzlichen Konzeption der Restschuldbefreiung Die Inhalts- und Schrankenbestimmung ist geeignet, wenn der gewünschte Zweck mit ihrer Hilfe zumindest gefördert werden kann. Da die Enthaftung des Schuldners notwendigerweise mit der Nachforderungsmöglichkeit der Gläubiger korrespondiert, stehen beide Belange in einem engen sachlichen Zusammenhang. Die Beschränkung der Nachforderung oder deren Ausschluß führt daher im Gegenzug zu einer Befreiung des Schuldners von seinen Verbindlichkeiten. Daß durch eine solche Befreiung die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs gefördert werden kann, steht außer Zweifel. Darüber hinaus ist die Restschuldbefreiung auch geeignet, die Haftungsverwirklichung des Gläubigerrechts zu effektuieren. Durch die Inaussichtstellung einer zukünftigen Entlassung aus der Haftung wird dem Schuldner für die Zeit seines Wohlverhaltens ein Anreiz gegeben, einer Beschäftigung nachzugehen und den die Pfändungsfreigrenze übersteigenden Betrag zur Befriedigung der Gläubigerschaft zur Verfügung zu stellen. Soweit in der Rechtsprechung zum Teil darauf abgestellt wird, daß in der Verfahrenswirklichkeit Gehaltsabrechnungen oftmals fingiert werden, um den Pfändungsfreibetrag nicht zu übertreffen 808, handelt es sich nicht um ein verfassungsrechtliches Argument. Dem Gesetzgeber ist hinsichtlich der Frage nach der Geeignetheit der von ihm geschaffenen Regelung ein weiter Beurteilungs- und Prognosespielraum zuzubilligen, der lediglich begrenzt nachprüfbar ist 809. Dieser Prognosespielraum wird bedeutsam, wenn der Gesetzgeber – wie im Bereich der Restschuldregelung – wirtschaftslenkend tätig wird. Hier wird der Gesetzgeber nicht selten mit der Ungewißheit der künftigen Wirkungen seiner Regelungen konfrontiert. Die gesetzgeberische Prognose ist aber dann als verfassungskonform anzusehen, wenn sich der Gesetzgeber an einer vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientiert und die ihm zugänglichen Wissensquellen ausgeschöpft hat 810. Inwieweit Manipulationen der Gehaltsabrechnungen in der Verfahrenswirklichkeit einen solchen Grad erreicht haben, daß sie den Prognosespielraum des Gesetzgebers einschränken, läßt sich mangels empirischer Erkenntnisse nicht abschließend bestimmen. Zu bedenken gilt es aber, daß die Gefahr etwaiger Manipulationen durch den Schuldner nicht die Folge der Restschuldbefreiung ist, sondern vielmehr ihre Grundlage im Wesen der Pfändungsfreigrenzen generell – auch über den Bereich des Insolvenzrechts hinaus – findet. Diese Gefahr ist aber vor dem Hintergrund, daß der Pfändungsschutz zumindest in seinem Kern verfassungsrechtlich garantiert ist 811, in gewissen Grenzen von der Gläubigerschaft hinzunehmen. Jedenfalls hat der

So insbesondere der Vorlagebeschluß des AG München, ZInsO 2002, 994, 998. BVerfGE 8, 71 (80); 53, 257 (293); 77, 308 (332); Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 14, Rdnr. 63; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rdnr. 119. 810 Vgl. BVerfGE 25, 1 (12); 30, 250 (262 f.); 37, 1 (20); 39, 210 (225); 40, 196 (222 f.); 50, 290 (332 f.). 811 Hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, B. II. 1. a). 808 809

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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Gesetzgeber aber durch die Verpflichtung des Insolvenzrichters zur Amtsermittlung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO eine hinreichende Verfahrensvorkehrung getroffen, um etwaige vom Schuldner vorgenommene Täuschungen und Manipulationen im Interesse der Gläubigerschaft aufzudecken 812. Das Wissen um bestehende Mißbrauchsrisiken nimmt insoweit das Insolvenzgericht in die Pflicht, die vom Schuldner gemachten Angaben eingehend auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, um dadurch soweit wie möglich sicherzustellen, daß lediglich schutzwürdige, redliche Schuldner in den Genuß der Enthaftung gelangen. bb) Die Erforderlichkeit der gesetzlichen Konzeption der Restschuldbefreiung Die Restschuldbefreiung müßte des weiteren auch erforderlich sein. Bei der Erforderlichkeit ist zu prüfen, ob nicht ein anderes, gleich wirksames, aber weniger fühlbar einschränkendes Mittel vom Gesetzgeber hätte gewählt werden können 813. Auch hier hat der Gesetzgeber weitgehend freie Hand bei der Auswahl des einzusetzenden Mittels; es muß lediglich der Erreichung des vorgegebenen gesetzgeberischen Zieles dienen, wobei Zweifel an der gesetzgeberischen Einschätzung sich in der Regel zu dessen Gunsten auswirken. Eingedenk dieser Anforderungen bestehen hinsichtlich der Erforderlichkeit der Restschuldbefreiung keine durchgreifenden Bedenken. Lediglich die Aussicht, seine zur Befriedigung der Gläubiger eingebrachte Leistungs- und Arbeitskraft werde sich auch für ihn persönlich nachhaltig positiv auswirken, wird ein Abgleiten des Schuldners in die Schattenwirtschaft mit den nachteiligen Folgen für die Gläubiger wirksam verhindern. Insoweit ist ein weniger fühlbar die Gläubigerrechte einschränkendes Mittel als die endgültige Enthaftung des Schuldners als Endziel des Verfahrens nicht denkbar. Durch eine bloß anteilmäßige Enthaftung des Schuldners würden zwar die Eingriffe in die Gläubigerrechte weniger intensiv ausfallen. Gleichwohl stellte eine solche teilweise Enthaftung kein gleich wirksames Mittel zur Erreichung der Gesetzesziele dar, da hierdurch die Bereitschaft des Schuldners, auch angesichts einer gesetzlich angeordneten Lohnabtretungspflicht nachhaltig in Frage gestellt würde. Es begegnet insbesondere keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln, wenn der Gesetzgeber lediglich die Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge des Schuldners gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO den Gläubigern überläßt, andere Einkünfte des Schuldners wie Erbschaften, Zugewinnausgleich und Schenkungen hingegen auch während der Wohlverhaltensperiode den Gläubigern (teilweise) vorenthält. Die hiergegen vorgebrachten Argumente, wonach diese Regelungen eine sachlich nicht gerechtfertigte Durchbrechung des Grundsatzes, daß der Schuldner Vgl. BVerfG (Kammer), NVwZ 2003, 466, 467. BVerfGE 70, 278 (286); grundlegend zur Erforderlichkeit des Eingriffs Merten, in: ders./ Papier, HdbGR III, § 66; Pieroth/Schlink, Rdnrn. 285 f. 812 813

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

mit seinem ganzen Vermögen für seine Leistungsfähigkeit einzustehen habe, darstellen 814, verkennen die diffizile Balance, welche das Regime der Restschuldbefreiung zugunsten von Schuldner und Gläubigerschaft einhält. So liegt beispielsweise in der Regelung des § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO, wonach der Schuldner Erbschaften lediglich zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder herauszugeben hat, nicht lediglich eine einseitige Vergünstigung des Schuldners. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Teilung bewußt in dieser Form angeordnet, um zu verhindern, daß der Schuldner den Anfall der Erbschaft durch Ausschlagung vereitelt 815. Die gesetzliche Regelung dient damit auch den Interessen der Gläubigerschaft, die auf diese Weise jedenfalls teilweise von dem zusätzlichen Vermögensanfall profitieren 816. cc) Die Zumutbarkeit der gesetzlichen Konzeption der Restschuldbefreiung Schließlich ist die Regelung über die Restschuldbefreiung den Gläubigern auch zumutbar und damit verhältnismäßig im engeren Sinne. Hinsichtlich der Zumutbarkeit einer Regelung ist zu prüfen, ob im Rahmen einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe der Eingriff insgesamt außer Verhältnis zu den mit ihm verbundenen Nachteilen steht 817. Dabei hat der Gesetzgeber entsprechend dem spezifischen Strukturprinzip des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die verfassungsrechtlich garantierte Rechtsstellung des Eigentümers und das Gebot einer sozialen Bedürfnissen Rechnung tragenden Eigentumsordnung gleichermaßen zu berücksichtigen. Er ist verpflichtet, die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen 818. Diese Güterabwägung vollzieht sich in drei Stufen: Zunächst sind die gegenläufigen Rechte und Güter zu bestimmen, sodann ist ihr spezifisches Gewicht zu ermitteln und auf der dritten Stufe findet schließlich die Abwägung im engeren Sinne statt. Unter Zugrundelegung der zuvor genannten Abwägungsparameter stellt sich das gesetzliche Grundkonzept der Restschuldbefreiung nach Intensität, Schwere und Tragweite der mit ihm verbundenen Nachteile als insgesamt proportional dar. Abzuwägen ist insoweit das Recht der Gläubiger auf freie Nachforderung ihrer im Insolvenzverfahren unbefriedigt gebliebenen Forderungen einerseits und das Interesse des Schuldners an einem wirtschaftlichen Neuanfang sowie das staatliche Interesse an einer effektiven Verfahrensdurchführung andererseits. So AG München, ZInsO 2002, 994, 998. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443, S. 192; vgl. dazu auch Wenzel, in: Kübler/Prütting, § 295, Rdnr. 19. 816 Dieselben Argumente ließen sich auch für die Privilegierung von Schenkungen und Zugewinnausgleichen ins Feld führen. 817 Vgl. BVerfGE 68, 193 (219); siehe auch BVerfGE 30, 292 (316); 67, 157 (178); 81, 70 (92); 81, 156 (192); 83, 1 (9); eingehend Merten, in: ders./Papier, HdbGR III, § 66. 818 Vgl. BVerfGE 31, 229 (242); 52, 1 (29); 58, 137 (147); 70, 191 (201f.); 95, 64 (84); 98, 17 (37); 100, 226 (240); 101, 239 (259). 814 815

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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Das Gewicht des betroffenen Eigentumsrechts bestimmt sich maßgeblich nach den ihm zukommenden Funktionen: Soweit Gegenstand der Eigentumsregelung die Funktion des Eigentums als Element zur Sicherung der individuellen Freiheit des Betroffenen ist, kommt diesem ein besonders ausgeprägter Schutz zu819; unterliegt hingegen das Eigentumsobjekt in verstärktem Maße sozialen Bezügen und Funktionen, weitet sich in entsprechendem Umfange auch das Gestaltungsrecht des Gesetzgebers 820. Zwar ist die durch die Restschuldbefreiung beeinträchtigte Verwirklichung der Gläubigerrechte grundsätzlich für die Sicherung der wirtschaftlichen und unternehmerischen Existenz von entscheidender, wenn nicht sogar von existentieller Bedeutung. Die Haftungsverwirklichung der Gläubigerrechte muß daher als elementarer Bestandteil der vom Grundgesetz vorausgesetzten Handlungsfreiheit im Bereich der Eigentumsordnung betrachtet werden, da lediglich die Aussicht, wohlerworbene Rechte notfalls mit den Mitteln der Staatsgewalt zu realisieren, das Funktionieren einer auf freier Selbstbestimmung basierenden Vertragsordnung gewährleistet 821. Gleichwohl erfaßt die gesetzliche Regelung über die Restschuldbefreiung und den Ausschluß des Nachforderungsrechtes die verfassungsrechtlich verbürgten Gläubigerpositionen nicht in ihrem grundrechtlich sensiblen Kernbestand 822. Durch die Einführung einer Restschuldbefreiung wird die generelle Durchsetzbarkeit einer Forderung als solche nicht angetastet. Vielmehr beschränkt die Restschuldbefreiung die Gläubigerrechte lediglich insoweit, als sie nach Abschluß des Insolvenzverfahrens nicht mehr im Wege freier Nachforderung geltend gemacht werden können. Die gemeinschaftliche Haftungsverwirklichung als primäres Ziel des Insolvenzverfahrens wird durch die Restschuldbefreiung nicht tangiert823. Vielmehr stellt sich die Restschuldbefreiung natürlicher Personen gemäß §1 InsO neben der Liquidation und der Sanierung insolventer Unternehmen als ein mögliches Mittel zur Erreichung dieses Primärzieles dar 824. Der maßgebliche Zweck der Restschuldbefreiung liegt darin begründet, dem Schuldner einen Anreiz zur Aufnahme einer geordneten Erwerbstätigkeit zu geben. Die Aussicht, in absehbarer Zeit sämtlicher Schulden ledig zu werden, gibt dem Schuldner ein tragfähiges und belastbares Motiv zur Hand, für einen überschaubaren Zeitraum den Gläubigern sein pfändbares Einkommen zur Verfügung zu stellen. Insoweit vollzieht das neue Insolvenzrecht einen im Vergleich zur Rechtslage unter der Konkursordnung einschneidenden Paradigmenwechsel. Die im alten Konkursrecht gemäß § 164 Abs. 1 KO bestehende

819 Vgl. BVerfGE 14, 288 (293 f.); 42, 64 (77); 42, 263 (293, 294 f.); 50, 290 (340); 53, 257 (292); 100, 226 (241); 101, 54 (75). 820 Vgl. BVerfGE 21, 73 (83); 31, 229 (242); 36, 281 (292); 37, 132 (140); 42, 263 (294); 50, 290 (340); 53, 257 (292); 101, 54 (76). 821 Hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. 822 Vgl. hierzu BVerfGE 42, 263 (293). 823 So auch Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 1. 824 Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 2; ebenso auch Bundesminsterium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung, S. A 16.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

Möglichkeit der Gläubiger, unbegrenzt Beträge auf ihre offen gebliebenen Forderungen nachzufordern, bestand vielfach lediglich auf dem Papier. Soweit es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person handelte, führte das Konkursverfahren zur Auflösung und in der Regel zur Löschung der Gesellschaft im Handelsregister mit der Folge, daß dem Nachforderungsrecht der Gläubiger die Grundlage entzogen wurde 825. Handelte es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person führte das freie Nachforderungsrecht nicht selten dazu, daß ein geordnetes Erwerbsleben für den Schuldner aus wirtschaftlicher Sicht oftmals nicht lohnenswert erschien. Ein Abgleiten in die Schattenwirtschaft oder Schwarzarbeit mit der Folge, daß die Gläubiger keine Zugriffsmöglichkeit auf „offizielles“ Einkommen des Schuldners mehr hatten, war daher in der Regel vorprogrammiert. Das vermeintlich gläubigerfreundliche Recht zur freie Nachforderung stellte daher in der Verfahrenspraxis ein nudum ius dar, da der wirtschaftliche Wert des Nachforderungsrechts in der Regel nur wenige Prozent des Nominalwerts der Forderung betrug 826. Soweit die Insolvenzordnung mithin durch die Restschuldbefreiung die – bislang nur theoretisch gegebene – Möglichkeit einer Haftungsverwirklichung der Gläubigerforderungen schaffen möchte, entzieht sie dem Gläubigervermögen in der Verfahrenspraxis keine zusätzlichen Haftungswerte, sondern schränkt ausschließlich das bislang wirtschaftlich nahezu wertlose Recht freier Nachforderung ein. Zugleich schafft die Insolvenzordnung verfahrensrechtliche Vorkehrungen, welche die Nachteile der Gläubiger begrenzen und die Vorteile der Restschuldbefreiung dem redlichen Schuldner vorbehalten sollen. So sichern die umfassenden Versagungs- und Widerrufsgründe der §§ 290, 295 bis 298, 303 InsO die Rechtsstellung der Gläubiger noch über den Abschluß des Insolvenzverfahrens hinaus. Die verfahrensrechtlichen Obliegenheiten in § 296 Abs. 2 InsO gewährleisten eine aktive Mitwirkung des Schuldners. Schließlich führt – im Zusammenhang mit der gemäß §§ 287 Abs. 2 Satz 1, 292 Abs. 1 InsO sechsjährigen Abtretungsfrist – die Erwerbsobliegenheit des Schuldners nach § 295 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO zu einer realen Befriedigungschance für die Gläubigerschaft, wie sie weder nach dem Konkursverfahren alter Prägung bestand noch nach dem Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung besteht 827. Vor diesem Hintergrund sind die in die verfassungsrechtliche Abwägung einzustellenden Gläubigerpositionen von eher geringem Gewicht. Hinzu kommt, daß die Regelung der Restschuldbefreiung nicht nur dem Interesse des Schuldners an einem wirtschaftlichen Neuanfang dient, sondern zugleich auch die Verbesserung der Haftungsverwirklichung im Blick hat und damit einen Ausgleich für etwaige wirtschaftliche Nachteile auf Gläubigerseite schafft 828. Soweit 825 Hierzu Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung, S. B 195 f. 826 Vgl. Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Diskussionsentwurf Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts, Begründung, S. B 196. 827 So zu Recht Ahrens, ZInsO 2002, S. 1010 (1016). 828 So Wenzel, in: Kübler/Prütting, § 286, Rdnr. 69; Stephan, in: Münchener Kommentar, § 286, Rdnr. 8.

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

177

der Schuldner durch die Inaussichtstellung der Enthaftung einen Anreiz zur Abtretung seiner pfändbaren Forderungen erhält, der für ihn unter Geltung der Konkursordnung nicht bestand, verbessert die Neuregelung der Insolvenzordnung nach der gesetzlichen Konzeption durch Schaffung einer Restschuldbefreiung die Möglichkeiten einer Haftungsverwirklichung und damit die wirtschaftliche Position der Gläubigerschaft. Die zuvor dargelegten Erwägungen verdeutlichen, daß die Restschuldbefreiung nach ihrer gesetzlichen Konzeption nicht zu einschneidenden Belastungen der Gläubiger führt. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der ohnehin bei wirtschaftlicher Betrachtung geringwertigen Gläubigerinteressen liegt mithin nicht vor. Unzumutbar wird der Ausschluß der freien Nachforderung auch nicht durch die mit Wirkung zum 1. Dezember 2001 eingeführte Verkürzung der Wohlverhaltensperiode von sieben auf nunmehr sechs Jahre. Die Bemessung der Länge der Wohlverhaltensperiode bestimmt sich maßgeblich nach dem Interesse der Gläubiger, möglichst vollständige Befriedigung ihrer Forderungen zu erhalten, und dem Interesse des Schuldners, schnellstmögliche Entlassung aus seiner Haftung zu erlangen. Dabei gilt es zu bedenken, daß mit der Verlängerung der Wohlverhaltensperiode und der damit verbundenen Verschiebung der Enthaftung zugleich der Anreiz für den Schuldner sinkt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und die daraus gewonnenen Einkünfte der Gläubigerschaft zur Verfügung zu stellen. Die Bestimmung einer angemessenen Periode kann sich nicht auf empirische Erkenntnisse stützen und unterliegt im weiten Maße der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, welche erst bei Zugrundelegung ersichtlich willkürlicher Erwägungen überschritten wäre. Die zunächst zum 1. Januar 1999 in kraft getretene siebenjährige Periode orientierte sich ausweislich der Gesetzesbegründung an dem biblischen Leitgedanken eines in jedem siebten Jahr stattfindenden Forderungsverzichtes 829. Solche biblischen Motivationsgründe waren zwar dem Reformgesetzgeber des Jahres 2001 fremd. Gleichwohl ist durch die nunmehr geschaffene sechsjährige Periode der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers nicht überschritten, wenngleich mit dieser Zeitspanne zugleich die unterste, aus Gläubigersicht hinnehmbare Grenze markiert sein dürfte. Schließlich erscheint auch die Heraufsetzung der Pfändungsfreigrenzen durch das Siebte Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen 830 für die Gläubiger noch hinnehmbar 831. Zwar werden durch die Heraufsetzung die Befriedigungsmöglichkeiten reduziert. Dies kann insbesondere bei höheren Gläubigerforderungen nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode zu erheblichen Forderungsausfällen führen. Gleichwohl steht die Erhöhung der Freibetragsgrenzen nicht zuletzt auch im Gläubigerinteresse. Insbesondere liegen hinreichende sachliche Gründe vor, welche eine Ausdifferenzierung der Pfändungsfreigrenzen insbesondere im Verhältnis zum 829 830 831

Siehe hierzu 5. Buch Mose (Deuteronomium), Kapitel 15. Vom 13.12.2001 (BGBl. I S. 3638). A. A. wohl AG München, ZInsO 2002, 994, 995.

12 Werres

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

staatlichen Sozialhilfesatz als geboten erscheinen lassen. Wollte man dem Schuldner im Rahmen der Pfändungsfreigrenzen lediglich unwesentlich mehr belassen, als ihm auch die staatliche Sozialhilfe leisten müßte, bestünde für diesen kein ausreichender Anreiz, einer geordneten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der den staatlichen Sozialhilfesatz übersteigende Mehrerwerb käme ausschließlich den Gläubigern zugute. Insoweit erscheint ein gesetzgeberisches Konzept, den Schuldner durch Anhebung der Freigrenzen über die Sozialhilfesätze hinaus an dem von ihm Erwirtschafteten partizipieren zu lassen, als sachgerechte Lösung auch im Interesse der Gläubiger. Die der Einrichtung von Freibetragsgrenzen stets immanente Gefahr des Mißbrauchs durch fingierte Gehaltsabrechnungen wurde durch das Gesetz nicht verschärft. Zudem hat der Gesetzgeber durch Schaffung von besonderen Regelungen versucht, den Gläubigern bei Mißbrauchsverdacht ein Kontrollinitiativrecht einzuräumen. So besteht für jeden Gläubiger die Möglichkeit, einer Versagung der Restschuldbefreiung für den Schuldner zu beantragen, wobei er die in § 290 Abs. 1 InsO abschließend aufgezählten Versagungsgründe glaubhaft zu machen hat, § 290 Abs. 2 InsO. Ferner können die Gläubiger während der Wohlverhaltensperiode gemäß § 292 Abs. 2 InsO jederzeit eine Überwachung des Schuldners durch den Treuhänder beantragen. b) Die unverhältnismäßige Einschränkung der Gläubigerrechte durch die Neuregelung des Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung Begegnet die gesetzliche Enthaftungskonzeption keinen Bedenken, so wirft die Neuregelung der Insolvenzkostenhilfe für den Schuldner durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze 832 neue verfassungsrechtliche Fragen auf. Diese Fragen stellen sich nicht bzgl. der grundsätzlichen Zulässigkeit des nunmehr verwirklichten Stundungsmodells. Die gemäß § 4 a InsO vorgesehene Stundung der Verfahrenskosten für den Schuldner stellt eine Vergünstigung für den Schuldner dar, ohne grundsätzlich die Gläubiger zusätzlich zu belasten833. Durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt hingegen die Neuregelung des § 292 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 InsO. Demnach hat der Treuhänder die durch die Abtretung der schuldnerischen Drittforderungen erlangten Beträge an die Insolvenzgläubiger nur noch insoweit zu verteilen, als nach der Berichtigung der dem Schuldner gestundeten Verfahrenskosten ein Überschuß verbleibt. Als Verfahrenskosten in diesem Sinne kommen nicht nur die während der Treuhandperiode entstandenen Verfahrenskosten – insbesondere für die Treuhändervergütung – in Betracht, sondern alle Beträge, die im Insolvenzverfahren nicht aus der Masse zurückgeführt werden konnten 834. Durch dieses Vorwegbefriedigungsrecht der Staatskasse Vom 26.10.2001 (BGBl. I S. 2710). Ebenso Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, S. 305 (306 f.). 834 Ehricke, in: Münchener Kommentar, § 292, Rdnr. 28; Grote, in: Frankfurter Kommentar, § 292, Rdnr. 9 a. 832 833

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

179

wird die bisherige, auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den Belangen des Schuldners und der Gläubiger bedachte gesetzgeberische Konzeption zu Lasten der Gläubiger ins Wanken gebracht. Während nach der ursprünglichen Konzeption die Wohlverhaltensphase dazu diente, die Befriedigungschancen der Gläubigerschaft zu erhöhen 835, die Restschuldbefreiung also lediglich ein Mittel zur Erhöhung dieser Befriedigungsaussichten darstellte 836, soll nunmehr das in der Wohlverhaltensperiode erzielte Einkommen des Schuldners primär der Finanzierung seiner Entschuldung zukommen. In den (verbreiteten) Fällen, in denen der Schuldner lediglich geringfügige Beträge oberhalb der Pfändungsfreigrenze verdient, erhalten die Gläubiger somit – wenn überhaupt – lediglich in einem stark verkürzten Zeitraum Zahlungen auf ihre Forderungen. Die Konsequenz dieser Regelung wird durch die beschriebene Heraufsetzung der Pfändungsfreigrenzen 837 noch verschärft. De facto werden in den zuvor beschriebenen Fällen die dem Schuldner vom Staat zur Erlangung der Restschuldbefreiung zur Verfügung gestellten öffentlichen Mittel auf Kosten der Gläubigerschaft zurückgeführt. Die Begründung des Gesetzentwurfs läßt einen sachlichen Grund für diese erhebliche Benachteiligung der Gläubigerschaft nicht erkennen 838. Triebfeder des Gesetzgebers waren ausweislich der Beratungen zum Gesetzentwurf fiskalische Interessen der Länder. Insbesondere sollten die mit dem Stundungsmodell einhergehenden Belastungen der Länderhaushalte auf ein Mindestmaß reduziert werden 839. Wenngleich diese Motive finanzpolitisch nachvollziehbar erscheinen, können sie den mit dem Vorwegbefriedigungsrecht der Staatskasse verbundenen massiven Eingriff in das Gläubigerrecht nicht rechtfertigen 840. Soweit sich der Gesetzgeber – in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise – entschließt, durch eine Stundung der Verfahrenskosten auch mittellosen Schuldnern die Teilnahme am Restschuldbefreiungsverfahren zu eröffnen, ist er gehalten, die mit der Stundung einhergehenden zusätzlichen Belastungen der Staatskasse nicht einseitig auf die Gläubigerschaft abzuwälzen. Jede normative Regelung der Behandlung von schuldrechtlichen Forderungen durch den Gesetzgeber muß in die erforderliche Interessenabwägung sowohl die Interessen des Schuldners als auch die der Gläubiger einstellen, gewichten und in ein angemessenes Verhältnis

Vgl. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 12/2443, S. 188. So zutreffend Bork, ZIP 1998, S. 1209 (1217); Ganter, in: Münchener Kommentar, §§ 4 a bis 4 d, Rdnr. 4. 837 Hierzu oben Fünftes Kapitel B. III. 2. a) cc). 838 Vgl. Allgemeine Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 14/5680, S. 44. 839 Vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrates vom 16.02.2001, BR-Drucksache 14/01, abgedruckt in: ZInsO 2001, S. 312. 840 Erschwerend kommt hinzu, dass insbesondere die Finanzämter vermehrt in der Wohlverhaltensperiode mit ihren Steuerforderungen gegen evtl. Ansprüche des Schuldners aufrechnen. Diese Praxis wird von der Finanzgerichtsbarkeit gebilligt, vgl. Hessisches FG, EFG 2005, 331; FG Münster, DStRE 2006, 563, 564 f. Richtigerweise wird man in diesen Fällen aus §394 BGB in Verbindung mit § 294 Abs. 1 InsO ein allgemeines Aufrechnungsverbot folgern müssen, ebenso Vallender, in: Uhlenbruck, § 294, Rdnr. 34. 835 836

12*

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

bringen 841. Dabei dürfen die Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse nicht weiter gehen als der Schutzzweck reicht, dem die in Frage stehende Regelung zu dienen bestimmt ist 842. Zwar kann die Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens auch in Fällen völliger Mittellosigkeit des Schuldners im wohlverstandenen Interesse der Gläubiger liegen. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen die Restschuldbefreiung zu einer wirtschaftlichen Gesundung des Schuldners führt843. Jedoch bestand in diesen Fällen bereits nach der alten Rechtslage für die Gläubiger die Möglichkeit, gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO die erforderlichen Verfahrenskosten vorzuschießen, um die Durchführung des Insolvenzverfahrens und damit die wirtschaftliche Sanierung des Schuldners zugunsten der Gläubigerschaft durchzuführen. Die Stundung der Verfahrenskosten gemäß § 4 a InsO liegt hingegen ausschließlich im Interesse des Schuldners, da sie nur dann zur Anwendung kommt, wenn die Gläubigerschaft zum Kostenvorschuß nicht bereit ist und eine Sanierung des Schuldners aus Sicht der Gläubiger wenig ertragreich erscheint. Eine andere Beurteilung der Rechtslage ist auch nicht vor dem Hintergrund eines etwaigen grundrechtlichen Anspruchs des Schuldners auf Stundung der Verfahrenskosten zu sehen. Ein solcher Anspruch besteht von Verfassung wegen nicht. Die Stundung der Verfahrenskosten käme auf verfassungsrechtlicher Grundlage lediglich insoweit in Betracht, als die Teilnahme des Schuldners am Verfahren der Restschuldbefreiung zur Durchsetzung ihm zugewiesener materieller Rechte erforderlich wäre. Die Bereitstellung öffentlicher Mittel als Hilfe zur Verfahrensteilnahme ist dort erforderlich, wo der mittellose Verfahrensbeteiligte einen gegen den Staat gerichteten Anspruch auf Durchsetzung seines materiellen Rechtes gegenüber Dritten hat 844. Die Restschuldbefreiung ist jedoch kein dem Schuldner zugewiesenes materielles Recht, dessen Durchsetzung der Bereitstellung besonderer Vorkehrungen zur Verfahrensteilnahme erforderte. Wie bereits festgestellt, besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch des Schuldners auf Befreiung von seinen schuldrechtlichen Verbindlichkeiten 845. Soweit der Gesetzgeber der Insolvenzordnung auf der Ebene des einfachen Rechts die Möglichkeit der Restschuldbefreiung einräumt, handelt es sich um eine überobligationsmäßige Begünstigung des Schuldners, nicht jedoch um einen grundrechtlich geforderten Verfahrenstypus 846. Das Verfahren der Restschuldbefreiung besteht anders als das Insolvenzverfahren als solches 847 nicht zum Ausgleich des rechtsstaatlichen Selbsthilfeverbotes. Vor diesem Hintergrund bedarf es von Verfassungs wegen auch nicht der Bereitstellung öffentlicher Mittel, um dem (mittellosen) Schuldner die Verfahrensteilnahme zu er-

841 842 843 844 845 846 847

Vgl. BVerfGE 95, 48 (58); 100, 226 (240); 101, 239 (259). Vgl. BVerfGE 101, 239 (259). Ganter, in: Münchener Kommentar, §§ 4 a bis 4 d, Rdnr. 4. Hierzu bereits oben Drittes Kapitel, A. IV. 2. b). Hierzu oben Fünftes Kapitel, B. II. Ebenso Bork, ZIP 1998, S. 1209 (1217). Hierzu oben Drittes Kapitel, A. IV. 2. b).

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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möglichen 848. Wird gleichwohl Stundung der Verfahrenskosten gewährt, darf der eigentliche Verfahrenszweck, den Gläubigern zur Durchsetzung ihrer materiellen Rechte zu verhelfen 849, nicht vernachlässigt werden. Ein Stundungsmodell ist daher unter Berücksichtigung der Rechte der Gläubiger lediglich so lange vertretbar, wie die während der Wohlverhaltensphase zur Verteilung anstehenden Beträge ausschließlich zu deren Befriedigung Verwendung finden. Durch die mit der Regelung des § 292 InsO verbundene faktische Indienstnahme werden diese im ausschließlichen Interesse des Schuldners herangezogen. Da der Finanzierungslast der Gläubiger in diesen Fällen bereits nach der gesetzlichen Konzeption keine materielle Kompensation gegenübersteht, stellt dies einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Eigentumsrechte der Gläubiger dar.

IV. Die Zulässigkeit und Wirksamkeit von vertraglichen Vereinbarungen für den Insolvenzfall aus verfassungsrechtlicher Sicht Die Gefahr des Insolvenzeintritts kann Anlaß für höchst unterschiedliche und vielschichtige Vereinbarungen zwischen Schuldner und Gläubiger sein. Den aus praktischer Sicht bedeutendsten Anteil von privatrechtlichen, auf den Insolvenzfall bezogenen Vereinbarungen nehmen die sog. Insolvenzverträge ein. Hierunter sind Vereinbarungen zwischen tatsächlichen oder potentiellen Parteien eines Vollstrekkungsverfahrens zu verstehen, deren Ziel der Ausschluß eines Insolvenzverfahrens ist 850. Der Abschluß solcher Vereinbarungen entspringt einem starken wirtschaftlichen Interesse sowohl aus Gläubiger-, als auch aus Schuldnersicht. Im Insolvenzfall oder in der unmittelbar vorangehenden Phase wird der Schuldner vielfach versuchen, sich mit den Gläubigern auf der Basis des Insolvenzausschlusses zu verständigen, da bereits die Stellung eines Insolvenzantrages durch den Gläubiger für den Schuldner den Verlust der Kreditwürdigkeit und – damit einhergehend – den vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruch bedeuten kann. Umgekehrt besteht auch für den Gläubiger ein Interesse an derartigen Vereinbarungen. Durch Separatverständigung mit dem Schuldner kann der Gläubiger – ungeachtet etwaiger späterer Anfechtungsmöglichkeiten – die Zahlungswilligkeit des Schuldners erhalten und einem (weitgehenden) Ausfall seiner Forderung im potentiellen Verfahren vorbeugen. Darüber hinaus kann der Verzicht auf die Insolvenzantragstellung durch den Schuldner zum Ausschluß der Restschuldbefreiung führen, da gemäß § 287 Abs. 1 InsO ein Schuldnerantrag zwingende Voraussetzung eines Restschuldbefreiungsverfahrens ist.

848 849 850

A. A. Ahrens, in: Frankfurter Kommentar, § 286, Rdnr 45. Hierzu Bork, ZIP 1998, S. 1209 (1217). Hierzu bereits Bohn, KTS 1955, S. 135.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

1. Der Verzicht auf den Insolvenzantrag durch den Gläubiger Die in § 13 Abs. 1 InsO den Gläubigern anheim gegebene Möglichkeit, einen Insolvenzantrag zu stellen, ist Ausfluß der grundsätzlich auch im Insolvenzverfahren dominierenden Dispositionsmaxime 851. Die Dispositionsmaxime wird übereinstimmend als das prozessuale Korrelat der materiell-rechtlichen Verfügungs- und Rechtsausübungsfreiheit verstanden und damit als essentieller Bestandteil der Privatautonomie betrachtet 852. Sie beschreibt den Grundsatz der Gestaltungsfreiheit der Parteien über die Einleitung und den Gegenstand des Verfahrens 853. Der Entscheidungsmöglichkeit der Beteiligten über den Anfang eines Insolvenzverfahrens korrespondiert die Möglichkeit, auf die Stellung eines Insolvenzantrages – gegebenenfalls durch vertragliche Vereinbarung – zu verzichten. Dieses Verzichtsrecht bildet als negatives Recht die Kehrseite des Antragsrechtes und ist – wie dieses – Ausdruck der privatwirtschaftlichen Dispositionsfreiheit von Gläubigern und Schuldnern als besonderem Element unserer geltenden Wirtschaftsordnung. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bildet das Initiativrecht der Beteiligten die Grundlage für das die subjektive Rechtsqualität konstituierende Element der Rechtsausübungsmacht. Soweit die Verfassung ihren Bürgern subjektive Rechte, insbesondere als Grundrechte, garantiert, müssen die Inhaber im Falle der Beeinträchtigung eines solchen Rechtes auch darüber entscheiden können, ob sie gerichtlichen Schutz in Anspruch nehmen oder nicht. Die Entscheidungsfreiheit der Beteiligten über den Anfang eines Insolvenzverfahrens ist somit Konsequenz der subjektiven Rechtsqualität der im Rahmen eines Insolvenzverfahrens tangierten Grundrechte. Die Privatautonomie des materiellen Rechts als zivilrechtliche Grundlage des Initiativrechtes findet ihrerseits ihre verfassungsrechtliche Verankerung in Art. 2 Abs. 1 GG 854. Die Geltung der Dispositionsmaxime im Insolvenzverfahren ist daher verfassungsrechtlich gewährleistet 855. Eine ausschließliche Verfahrenseinleitung von Amts wegen oder die Ausübung eines Antragszwanges auf die einzelnen Beteiligten wäre jedenfalls verfassungswidrig, denn das Recht zur Antragstellung ist Gläubigern und Schuldner nicht lediglich formal zur Wahrung öffentlicher Interessen zugeordnet, sondern besteht 851 Bohn, KTS 1955, S.135 (137); Ganter, in: Münchener Kommentar, § 5, Rdnr. 5; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, Rdnrn. 38 f. 852 Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 19 f. 853 Vgl. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 119; vgl. zu den einzelnen prozessualen Möglichkeiten der Parteien, auf den Gang und den Gegenstand des Verfahrens Einfluß zu nehmen Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 68 ff.; Reichold, in: Thomas/Putzo, Einl. I, Rdnr. 5. 854 BVerfGE 8, 274 (328); 72, 155 (170); 89, 214 (231); 103, 89 (100); Badura, in: Merten/ Papier, HdbGR II, § 29, Rdnr. 16; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 101 ff., 116 ff. 855 Ebenso für das Insolvenzverfahren Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rdnrn. 5.5, 6.9; für die Einzelzwangsvollstreckung: Stürner, in: FS Hanisch, S. 257 (258); für eine generelle verfassungsrechtliche Verankerung der Dispositionsmaxime auch Bettermann, JBl. 1972, S. 57 (61); Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 82; Stürner, in: FS Baur, S. 647 (651 f.).

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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insbesondere zur Durchsetzung ihrer materiellen Rechte. Hieraus folgt, daß von Verfassung wegen weder ein Zwang auf Gläubiger oder Schuldner zur Antragstellung ausgeübt werden darf, noch darf ein einzelner Gläubiger gezwungen werden, im Rahmen eines bereits eingeleiteten Verfahrens seine materiellrechtlich begründeten Forderungen anzumelden. a) Das Allgemeinwohl als Grenze eines vertraglich vereinbarten Verzichts Soweit der Verzicht auf die Antragstellung verfahrensrechtlicher Ausfluß der materiell-rechtlich bestehenden Privatautonomie der Rechtssubjekte ist, erfährt der Verzicht auf die Antragstellung selbst eine grundrechtliche Absicherung durch Art. 2 Abs. 1 GG. Fraglich ist hingegen, inwieweit diese grundrechtlich gewährleistete Verzichtsautonomie im überwiegenden Allgemeininteresse eine Einschränkung erfahren kann. Insbesondere im älteren konkursrechtlichen Schrifttum herrscht die Auffassung vor, daß die Befugnis des Gläubigers zur Antragstellung nicht bloß seinen Privatinteressen, sondern darüber hinaus auch dem Allgemeinwohl diene, da an der Eröffnung eines Verfahrens ein öffentliches Ordnungsinteresse bestehe 856. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens müsse daher auf Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses auch tatsächlich die Gesamtliquidation des Schuldnervermögens zur Befriedigung der Gläubiger durchgeführt werden. Ein einseitiger Verzicht auf die Antragstellung sei folglich unwirksam. Diese Auffassung begegnet durchgreifenden Zweifeln. Selbst wenn man ein staatliches Interesse an der Durchführung eines Insolvenzverfahrens anerkennen wollte, würde dieses einen Antragszwang mit daraus resultierender Unzulässigkeit des Verzichtes in verfassungsrechtlich zulässiger Weise nicht zu begründen vermögen. Die Unwirksamkeit eines Antragsverzichtes mit der damit einhergehenden Folge des Antragszwanges wäre lediglich dann in Betracht zu ziehen, wenn die Antragsbefugnis den Beteiligten nicht im eigenen Interesse, sondern primär zur Wahrung öffentlicher Belange lediglich formal zugeordnet wäre 857. Dies ist hinsichtlich der Antragsbefugnis der Beteiligten eines Insolvenzverfahrens jedoch nicht der Fall. Das ausschließliche Initiativrecht der am Insolvenzverfahren Beteiligten ist Bestandteil der Privatautonomie des materiellen Rechts 858 und besteht allein und ausschließlich zur Durchsetzung privater Rechte. Die Ausübung eines den Verzicht ausschließenden Antragszwanges im öffentlichen Interesse ist daher unzulässig 859. Soweit man eine im Allgemeininteresse stehende Ordnungsfunk856 So Kohler, Beiträge, S. 173, 248 ff.; ähnlich Dorndorf, in: FS Merz, S. 31 (39); hiergegen wenden sich Bohn, KTS 1955, S. 135 (137), und Delhaes, Insolvenzantrag, S. 137, sowie Jaeger/Weber, § 103, Rdnr. 8. 857 Mit dieser Begründung wurde etwa der Klagezwang des inzwischen aber aufgehobenen § 23 Abs. 1 GüKG für zulässig erachtet. 858 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rdnr. 5.5. 859 Ebenso Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 121; Stürner, in: FS Baur, S. 647 (652).

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

tion des Insolvenzverfahrens anerkennt 860, ist bei überwiegendem öffentlichen Interesse allenfalls eine parallel zum individuellen Initiativrecht stehende amtswegige Verfahrenseinleitung in Betracht zu ziehen. b) Die Dispositionsbefugnis über das Antragsrecht als Instrument zur Sicherung eines öffentlichen Ordnungsinteresses Freilich ist ein öffentliches Ordnungsinteresse an der Durchführung von Insolvenzverfahren auch im volkswirtschaftlichen Interesse durchaus anzuerkennen. Dies betrifft zum einen die volkswirtschaftlich relevante und notwendige Ausscheidungsfunktion, wonach das Insolvenzverfahren dem Zweck dient, innerhalb einer freien Wirtschaftsordnung unrentable und wirtschaftlich nicht mehr lebensfähige Unternehmen „auszuschalten“ 861. An dieser Grundfunktion des Insolvenzverfahrens hat sich durch die Zielbestimmung des § 1 InsO, wonach in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen werden kann, nichts geändert 862. Neben dieser wirtschaftlich relevanten Ausscheidungsfunktion kommt dem Insolvenzverfahren zum anderen auch eine Befriedungsfunktion zu. So soll das Verfahren durch die Inaussichtstellung einer als gerecht empfundenen möglichst gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger einen Wettlauf der Gläubiger zur Sicherung von Partikularinteressen vermeiden. Hierdurch wird unter Eindämmung von Selbsthilferechten ein elementarer Beitrag zur Einhaltung des Rechtsfriedens geleistet 863. Durch die genannten zwei Grundfunktionen dient das Insolvenzverfahren zwar konkret und unmittelbar der Verwirklichung des individuellen Gläubigerrechtes, zugleich verfolgt es hierdurch aber auch übergeordnete Ordnungsinteressen, die im Dienste des Gemeinwohls stehen. Im Hinblick auf diese, im öffentlichen Ordnungsinteresse stehenden Grundfunktionen des Insolvenzverfahrens ist es legitim, das Antragsrecht des einzelnen Verfahrensbeteiligten zur Durchsetzung seiner privatautonomen Rechte gleichzeitig zur Wahrung der Allgemeinbelange zu mobilisieren. Partikularinteressen werden dadurch gleichsam für höherangige Ziele eingesetzt und instrumentalisiert; ein Verfahren, welches den Verfahren einer wettbewerbsorientierten Wirtschaftsordnung generell nicht fremd ist. Anders ist die Rechtslage dann zu beurteilen, wenn besondere Pflichten, etwa bei antragspflichtigen Gesellschaftsorganen, die Stellung des Antrages von Gesetzes So wohl Dorndorf, in: FS Merz, S. 31 (39). Vgl. hierzu Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (183); Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft, S. 305; Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S.342; Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 3; ähnlich auch Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 100. 862 Vgl. hierzu Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (183); Stürner, in: Münchener Kommentar, Einleitung, Rdnr. 3. 863 Zur Wahrung des Rechtsfriedens als „idealem Ziel“ des Konkursverfahrens Gerhardt, in: FS Weber, S. 181 (182); ähnlich auch Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 2.01. 860 861

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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wegen verlangen. Hier kann ein Verzicht auf die Antragstellung nicht zulässig sein 864. Vielmehr tritt in diesen Fällen die grundsätzlich freie Dispositionsmöglichkeit des Einzelnen hinter die Interessen der Gläubiger und der Allgemeinheit an einer zügigen Verfahrenseinleitung zurück. c) Der Verzicht auf den Vollstreckungsanspruch Teilweise wird – wohl in Anlehnung an eine ähnliche Auffassung zur Einzelzwangsvollstreckung 865 – hinsichtlich der Zulässigkeit des Verzichtes danach unterschieden, ob sich dieser auf den Vollstreckungsanspruch als gegen den Staat gerichteten öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzanspruch 866 oder lediglich auf das im jeweiligen Verfahren in Rede stehende Recht zur Antragstellung des Gläubigers erstreckt 867. Eine solche Unterscheidung ist bereits für den Bereich der Einzelzwangsvollstreckung höchst zweifelhaft, da sich der öffentlich-rechtliche Vollstreckungsanspruch letztlich nur dann aktualisieren läßt, wenn der Gläubiger zuvor nicht auf seinen vollstreckbaren Anspruch verzichtet hat 868. Fraglich ist darüber hinaus, ob sich diese Unterscheidung auf das Insolvenzverfahren übertragen läßt. Im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung ist für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens die vorherige Durchführung eines zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens keine Voraussetzung. Vielmehr genügt auch eine nicht titulierte Forderung zur Einleitung des Insolvenzverfahrens, soweit der antragstellende Gläubiger den Bestand der Forderung mit den verfahrensrechtlich vorgeschriebenen Mitteln bei Gericht schlüssig darlegt 869. Das für den Bereich der Einzelzwangsvollstreckung gegen den Verzicht auf den Vollstreckungsanspruch ins Feld geführte Argument, wonach aus öffentlichen Interessen heraus der Verfahrensaufwand für ein Leistungsurteil nicht gerechtfertigt erscheint, wenn die völlig fehlende Durchsetzungsmöglichkeit von vornherein feststeht 870, kann daher für den Bereich des Insolvenzverfahrens nicht fruchtbar gemacht werden. Selbst wenn man mit einer älteren Ansicht im konkursrechtlichen Schrifttum ein generelles Recht des Staates auf Vollstreckung und

Im Ergebnis ebenso Pape, in: Kübler/Prütting, § 13, Rdnr. 19. Vgl. hierzu Schiedermair, S. 90 ff. 866 Hierzu bereits oben Zweites Kapitel, A. 867 So Bohn, KTS 1955, S. 135 (136); Schiedermair, S. 93 f.; Bohn, KTS 1955, S. 135 (138) und Schiedermair, S. 94, befürworten jedoch die Möglichkeit einer Umdeutung entsprechender Vereinbarungen durch das Gericht. 868 Kritisch in diesem Sinne auch Rosenberg/Gaul/Schilken, § 33 IV 2 a (S. 518). 869 OLG Celle, NZI 2000, 214, 216; LG Göttingen, ZIP 1994, 1376, 1377; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnr. 9; Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 14, Rdnrn. 31, 33; Pape, in: Kübler/Prütting, § 14, Rdnr. 5; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 57; siehe hierzu bereits oben Drittes Kapitel, C. I. 1. d). 870 So BGH, NJW 1968, 700; Baur/Stürner, Einzelvollstreckungsrecht, Rdnr. 10.8; Stürner, in: FS Hanisch, S. 257 (258). 864 865

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

praktische Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche anerkennen möchte 871, muß hieraus nicht zwangsläufig auch ein Zwang des Gläubigers zur Stellung des Insolvenzantrages folgen. Dem Gläubiger verbleibt im Rahmen seines Rechtes auf freien Vollstreckungszugriff stets die Wahlmöglichkeit, sein Recht im Wege der Einzelzwangsvollstreckung oder im Rahmen eines Insolvenzverfahrens durchzusetzen 872. Diese Wahlmöglichkeit verbietet daher einen Zwang zur Einleitung lediglich einer der beiden Verfahrensarten. Ein Ausschluß des Verzichtes auf eine Antragstellung ist somit auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu rechtfertigen. Im Übrigen steht die öffentlich-rechtliche Natur des Vollstreckungsanspruchs einem Verzicht nicht entgegen. Eine Einschränkung der Verzichtsmöglichkeit käme lediglich dann zum Tragen, wenn Bezugspunkt des öffentlich-rechtlichen Anspruchs nicht primär Individualinteressen, sondern gemeinschaftliche Rechtsgüter, wie etwa die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege wären. In Fällen eines bestehenden Allgemeinbezugs ist das in Rede stehende Schutzgut für den einzelnen nicht disponibel 873. Der gegen den Staat gerichtete Vollstreckungsanspruch als Emanation des grundrechtlich geschützten Eigentumsrechts besteht hingegen primär im Interesse des von seinem Eigentumsrecht Gebrauch machenden Gläubigers. Es liegt im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis, ob er die staatliche Hilfe zur Vollstreckung seiner Forderung in Anspruch nehmen will oder nicht 874. Zwar mögen die privaten Interessen des Gläubigers für die Aufgaben des Gesamtwohls instrumentalisiert werden 875. Da jedoch der von einem Gläubiger vorgenommene Verzicht auf den Vollstreckungsanspruch keine Auswirkungen auf die öffentlich-rechtlichen Beziehungen anderer Gläubiger zum Staat hat und diese daher jederzeit die Vollstreckung selbst beantragen können, wird ein allgemeines Ordnungsinteresse durch den Verzicht insgesamt nicht berührt. 2. Der Verzicht auf den Eigenantrag Wurden zuvor mit dem Verzicht auf den Gläubigerantrag ausschließlich vertragliche Verpflichtungen des Gläubigers auf ihre verfassungsrechtliche Wirksamkeit untersucht, soll nunmehr die Wirksamkeit entsprechender Verpflichtungen des Schuldners diskutiert werden. Dabei steht die Frage nach einem vertraglichen An-

So insbesondere Bohn, KTS 1955, S. 135 (136); Schiedermair, S. 92. Delhaes, Insolvenzantrag, S. 35 f.; Gerhardt, ZZP 95 (1982), S. 467 (486); Mönning, in: Nerlich/Römermann, § 13, Rdnr. 5; vgl. auch Kilger/K. Schmidt, § 105, Anm. 2; Kuhn/Uhlenbruck, § 105, Rdnr. 6 b; Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 33. 873 Doehring, Staatsrecht, S. 279; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 287; Merten, in: FS Schmitt Glaeser, S. 53 (65); Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527 (539); Quaritsch, in: GS Martens, S. 408 (409 f.); Robbers, JuS 1985, S. 925 (927 f.); vgl. auch BVerwGE 38, 160 (162). 874 Vgl. für den Verzicht auf die Einlegung eines Widerspruchs BGHZ 79, 131 (135 f.). 875 Hierzu bereits oben Fünftes Kapitel, B. IV. 1. b). 871 872

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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tragsverzicht des Schuldners im Mittelpunkt der Betrachtung876. Die Frage nach dem Antragsverzicht gewinnt besondere Relevanz in Anbetracht der Tatsache, daß die Durchführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens und die sich anschließende Restschuldbefreiung lediglich bei vorheriger Antragstellung durch den Schuldner möglich ist. Durch die Neuregelung der Insolvenzordnung wird gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 InsO dem Schuldner ebenso wie dem Gläubiger das Recht zur Antragstellung eingeräumt. Durch einen vertraglichen Verzicht auf die in dieser Vorschrift eingeräumten Rechte könnte sich also der Schuldner selbst der Möglichkeit einer Entschuldung dauerhaft entäußern. Vor diesem Hintergrund wird teilweise im insolvenzrechtlichen Schrifttum die Wirksamkeit eines solchen vertraglichen Verzichts als sittenwidrig im Sinne des § 138 BGB angesehen 877. a) Insolvenzgerichtliche Inhaltskontrolle bei wirtschaftlichen Ungleichgewichtslagen? In dem der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorausgehenden Zeitraum ist der Schuldner auf Grund der ihm eingeräumten privatautonomen Entscheidungsbefugnis grundsätzlich keinen Handlungsbeschränkungen unterworfen, solange er sich im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung des Privatrechts bewegt. Auch in der Insolvenz behält das Prinzip des Fortbestandes eingegangener Vereinbarungen („pacta sunt servanda“) seine Gültigkeit 878. Erst mit der Verfahrenseröffnung unterfallen die vertraglichen Vereinbarungen dem Regime des Insolvenzrechts. Bis dahin können auf vertragsrechtlicher Grundlage besondere Rechte (Rücktritt, Kündigung, Verzicht etc.) wirksam vereinbart und ausgeübt werden. In der insolvenzrechtlichen Literatur hat dabei insbesondere die Vereinbarung von sog. Lösungsklauseln besondere Beachtung gefunden. Da der vertraglich vereinbarte Verzicht auf die Antragstellung im Regelfall als prozeßhindernde Einrede ausgestaltet sein wird und daher vom Vertragspartner bei dennoch erfolgter Antragstellung als entgegenstehendes Verfahrenshindernis gel-

876 Denkbar sind aber noch mannigfaltige weitere vertragliche Vereinbarungen für den Insolvenzfall, insbesondere bedingte Verpflichtungen oder Verfügungen des Schuldners zugunsten einzelner Gläubiger oder die – wenngleich rechtlich umstrittene – insolvenzfallbedingte Vertragsauflösung (siehe zur Gültigkeit sog. „Vertragsauflösungsklauseln“ BGHZ 68, 379 [381]; 96, 34 [36 f.]; BGH, WM 1963, 964, 965; vgl. auch BGHZ 124, 76 [79ff.]; kritisch hierzu nach neuem Recht Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 20.10 a f.; Marotzke, in: Heidelberger Kommentar, § 119, Rdnrn. 3 ff.; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 660; Tintelnot, in: Kübler/Prütting, § 119, Rdnrn. 15 ff.; a. A. Wegener, in: Frankfurter Kommentar, § 119, Rdnrn. 2 f.). 877 So Pape, in: Kübler/Prütting, § 13, Rdnr. 19; differenzierend für den Fall der gesetzlichen Antragspflicht Uhlenbruck, in: ders., § 13, Rdnr. 29; für eine generelle Unwirksamkeit des Antragsverzichts wohl Delhaes, Insolvenzantrag, S. 138. 878 BGHZ 68, 379 (380); 79, 103 (108 f.); 89, 189 (195); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 20.10 a; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 640.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

tend gemacht werden kann 879, stellt sich die Frage der Wirksamkeit eines schuldnerischen Verzichts insbesondere dem die Zulässigkeit des Antrags prüfenden Insolvenzrichter. Prüfungsmaßstäbe des Richters sind dabei, da vertragliche Vereinbarungen anläßlich des Insolvenzfalls dem Zivilrecht zuzuordnen sind 880, primär die zivilrechtlichen Nichtigkeitsgründe der §§ 134, 138 BGB. Das Bundesverfassungsgericht hat – namentlich in seiner Entscheidung zur Bürgenhaftung vermögensloser Angehöriger – unter Hinweis auf den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG eine besondere richterliche Inhaltskontrolle in Fällen bestehender Machtdisparität zwischen den kontrahierenden Partner postuliert 881. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese vom Gericht erkannte Schutzwirkung der Privatautonomie auch beim vertraglichen Verzicht des Schuldners auf ihm zustehende Rechte zum Tragen kommt. Da das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung maßgeblich auf eine Inhaltskontrolle, also auf ein Tätigwerden des Richters, rekurriert 882, gewinnt mit Blick auf den Schuldner nicht die abwehrrechtliche Dimension des Art. 2 Abs. 1 GG an Relevanz 883. Der abwehrrechtliche Schutz der Privatautonomie durch Art. 2 Abs. 1 GG fordert die grundsätzliche Anerkennung des Ergebnisses vertraglicher Vereinbarungen durch den Staat und seine Organe. Er kommt folglich dem kontrahierenden, auf den Fortbestand eines vertraglichen Verzichts bestehenden Gläubiger zugute 884. Zur Wahrung der schuldnerischen Interessen rückt die Frage nach einem etwaigen Schutzpflichtgehalt der Privatautonomie sowie nach einer grundrechtlich geforderten richterlichen Vertragskorrektur in Fällen sog. „gestörter Vertragsparität“ in den Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei wird deutlich, daß sich die eingeforderte richterliche Nivellierung besonderer Ungleichgewichtslagen nicht in der vom Gericht propagierten Grundsätzlichkeit auf insolvenzrechtliche Vertragsgestaltungen übertragen läßt 885. Zwar ist der Schuldner bei den anläßlich eines Insolvenzfalles zu treffenden vertraglichen Vereinbarungen mit seinen Interessen den das Verfahren beherrschenden und die wesentlichen Entscheidungen treffenden Gläubigern in besonderer Weise ausgesetzt 886. Hieraus mag in Einzelfällen eine Einschränkung seiner vertraglichen Selbstbestimmung resultieren. Dieser tatsächliche Befund ruft jedoch Vgl. Reichold, in: Thomas/Putzo, Vorbem. § 253, Rdnr. 49. Siehe zur Qualifikation des Insolvenzrechts als Privatrecht Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht, Rdnr. 97. 881 BVerfGE 89, 214 (230 ff., 234); nunmehr auch BVerfGE 103, 89 (100 f.); entsprechend mit Bezug zu Art. 12 Abs. 1 GG bereits BVerfGE 81, 242 (255 f.). 882 BVerfGE 89, 214 (234). 883 Zur Privatautonomie als subjektivem Abwehrrecht BVerfGE 89, 48 (61); 95, 267 (303 f.); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art.2 Abs. 1, Rdnr. 102; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 36 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 307 ff., insbesondere S. 313; ähnlich auch Isensee, in: FS Großfeld, S. 485 (499 f.). 884 Vgl. zum Fall der Bürgenhaftung Isensee, in: FS Großfeld, S.485 (500); allgemein hierzu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 102. 885 Dabei stellt sich nicht zuletzt auch die rein tatsächliche Frage, inwieweit ein solches Ungleichgewicht vom Richter überhaupt festgestellt werden kann, vgl. hierzu Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (296 f.). 886 Darauf weist Henckel, KTS 1989, S. 477 (483), zu Recht hin. 879 880

B. Das Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldner

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nicht zwingend ein verfassungsrechtliches Bedürfnis nach besonderer richterlicher Vertragskontrolle hervor. Eine Störung der Vertragsparität zwischen Gläubiger und Schuldner ist vielfach Folge der im Insolvenzfall naturgemäß eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten des Schuldners. Mit dem Zusammenbruch der wirtschaftlichen Existenz geht in der Regel zugleich eine weitgehende Einschränkung der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten einher. Wer seine Schulden nicht zu begleichen vermag, wird – wenn überhaupt – nur selten seinen Gläubigern bei entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen als gleichberechtigter Partner gegenüber treten. Ein solches situationstypisches Ungleichgewicht ist Konsequenz eines auf freier Selbstbestimmung basierenden Vertragsrechts 887. In ihrer primär abwehrrechtlichen Ausrichtungen deckt die Privatautonomie im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG auch die Übernahme von Risiken durch rechtsgeschäftliches Handeln 888. Das Eingehen wirtschaftlicher Risiken bis hin zur Selbstgefährdung und Selbstschädigung fällt nicht per definitionem aus dem Schutzbereich des Art.2 Abs. 1 GG 889. Der auf Grund wirtschaftlich risikoreichen oder gar unvernünftigen Handelns eintretende Verlust rechtsgeschäftlicher Dispositionmöglichkeiten ist daher Folge, nicht Einschränkung der Privatautonomie. Er ruft als solches keine staatlichen Schutzmaßnahmen hervor 890. Die aus dem privatautonomen Handeln entspringenden Konsequenzen können daher, mögen sie auch für den Einzelnen außergewöhnlich belastend sein, nicht unter Berufung auf einen etwaigen Schutzpflichtgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG revidiert werden. Da die Insolvenz stets Resultat übermäßig belastender Folgen eines oder mehrerer Rechtsgeschäfte ist, wäre anderenfalls jedwede vertragliche Vereinbarung des Schuldners einer potentiellen gerichtlichen Revision ausgesetzt. Ein solches Ergebnis wäre weder im Interesse der Rechtssicherheit noch im wohlverstandenen Interesse des Schuldners selbst 891. Dieser ist gerade auch aus wirtschaftlich vernünftiger Sicht auf verfahrensrechtliche Vereinbarungen mit den Gläubigern angewiesen. Der Verzicht auf den Insolvenzantrag kann daher gerade im Vorfeld der Insolvenz, soweit hiermit ein Entgegenkommen der Gläubiger verbunden ist, berechtigten und vernünftigen Interessen entspringen. b) Die insolvenzgerichtliche Vertragskorrektur im Ausnahmefall Mag die vertragliche Bindung – wie zuvor dargelegt – Ausdruck und Folge privatautonomen Handelns und damit Schutzgut der wirtschaftlichen Freiheit des Art.2 887 Zum Verhältnis von „Chance und Risiko“ im rechtsgeschäftlichen Verkehr bereits oben sub B. II. 1. c) sowie Merten, VersR 1980, S. 49 (55). 888 Vgl. BGHZ 107, 92 (98); 125, 206 (209); 132, 328 (338f.); BGH, NJW 1992, 896, 898. 889 Siehe zu dem aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Recht auf Selbstgefährdung VGH BadenWürttemberg, VBlBW 1998, 25, 26 f.; ähnlich bereits BVerwGE 84, 45 (48 f.), unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht. 890 Isensee, in: FS Großfeld, S.485 (501 f.); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S.161; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 338 ff.; Tettinger, DVBl. 1999, S. 679 (684). 891 Siehe zu den möglichen wirtschaftlichen Vorteilen des Schuldners Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 339 f.

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5. Kap.: Die Bedeutung der Grundrechte

Abs. 1 GG sein, so versagt der Verweis auf ein Grundrecht zum risikoreichen und unvernünftigen Handeln dort, wo der Vertragsschluß nicht Ausdruck selbstbestimmten und eigenverantworteten Handelns ist. Wenn Art. 2 Abs. 1 GG auch keine Schutzpflicht zur Nivellierung von Verhandlungsimparität impliziert, so ist kraft verfassungsrechtlichen Auftrages aus Art. 2 Abs. 1 GG gleichwohl zu gewährleisten, daß die vom einzelnen eingegangene rechtsgeschäftliche Verpflichtung Folge einer selbstveranworteten, auf zutreffender Sachlage beruhenden Entscheidung ist 892. Dabei sind die Grenzen zwischen privatautonomen und fremd- bzw. drittbestimmten Handeln fließend. Neben den bereits erwähnten belastenden Folgen unvernünftigen Handelns begründen auch die aus der geschäftlichen Unerfahrenheit oder Unkenntnis des Geschäftslebens resultierenden Belastungen keine Durchbrechung des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ 893. Da die Aktualisierung grundrechtlicher Schutzpflichten stets ein Störer-Opfer-Verhältnis voraussetzt, kommt ein grundrechtlicher Schutz vor sich selbst nicht in Betracht 894. Erforderlich ist vielmehr eine störende Handlung, die sich jenseits grundrechtlicher Schutzbereiche vollzieht oder durch rechtmäßige Grundrechtsschranken verboten ist 895. Der Vertragspartner des Schuldners kann, da er selbst für sich grundrechtlich Freiheit in Anspruch nimmt und folglich legitim handelt, regelmäßig nicht als Störer im Sinne der grundrechtlichen Schutzpflichtenlehre qualifiziert werden. Hieraus folgt zugleich, daß in Fällen, in denen das Handeln des Vertragspartners selbst nicht dem grundrechtlichen Schutz unterliegt oder dem deliktischen Bereich zuzurechnen ist, ausnahmsweise eine grundrechtliche Schutzpflicht besteht. In Fällen, in denen der Schuldner durch Täuschung, Drohung, Überrumpelung, Knebelung oder Unzurechnungsfähigkeit seiner rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung verlustig geht 896, besteht eine grundrechtstypische Gefahrenlage. Hier besteht ein grundrechtlich fundierter Auftrag zur richterlichen Inhaltskontrolle. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, daß sich die richterliche Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten nicht verfassungsunmittelbar, sondern stets gesetzesmediatisiert vollzieht 897. Dem Insol892 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 47 ff., insbesondere S. 49 f.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 35 ff.; allgemein zu den aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflichten Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 61 f. 893 Wie hier Isensee, in: FS Großfeld, S. 485 (489); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 347. 894 Hillgruber, Der Schutz der Menschen vor sich selbst, S. 142 ff., insbesondere S. 147 f.; Isensee, in: ders./Kirchhof, HdbStR V, § 111, Rdnrn. 113 ff; ders., in: FS Großfeld, S. 485 (502); Schwabe, JZ 1998, S. 66 (69 f.); vgl. auch Pietzcker, in: Der Staat 17 (1978), S. 527 (534 f.). 895 Siehe zur Beschränkung grundrechtlicher Schutzpflichten auf den deliktischen Bereich Hesse, in: FS Mahrenholz, S. 541 (543). 896 Siehe zur entsprechenden zivilrechtlichen Sittenwidrigkeit in Fällen von Überrumpelung und Knebelung BGHZ 44, 158 (161); 83, 313 (316); BGH, NJW 1993, 1587, 1588. 897 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 81; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 28; E. Klein, NJW 1989, S. 1633 (1640); auf der gleichen Linie liegt es, wenn das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung formuliert, daß die Grundrechte im Privatrechtsverkehr ihre „Wirkkraft als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen durch das Medium der Vorschriften, die das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschen“, entfalten, siehe

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venzgericht obliegt es, gesetzliche Wertungsspielräume auszufüllen oder aber bestehende Schutzdefizite mittels anerkannter Rechtsfortbildungsregeln zu schließen, ohne unmittelbar auf die Grundrechte zurückzugreifen und in eine offene, grundrechtsgeleitete Interessenabwägung einzutreten 898. Die Freiheit der Willensentschließung ist demnach durch entsprechende Interpretation der einschlägigen zivilrechtlichen oder vollstreckungsrechtlichen Schutzvorschriften (§§ 123, 138, 242, § 765 a ZPO in Verbindung mit § 4 InsO 899) zu gewährleisten. Schließlich kommt eine Korrektur vertraglicher Verpflichtungen durch das Insolvenzgericht dort zum Zuge, wo durch die entsprechende Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner Dritte, insbesondere die Allgemeinheit belastet werden. Soweit der Verzicht auf den Insolvenzantrag ausschließlich dem Ziel dient, den Schuldner voraussehbar und dauerhaft seiner Entschuldungsmöglichkeit zu Lasten der Sozialkassen zu entheben, findet die Privatautonomie der Vertragsparteien eine Einschränkung im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit 900. Auf dieser Linie liegt es, wenn in der zivilgerichtlichen Judikatur Unterhaltsverzichte im Bereich des Familienrechts, die zur Sozialhilfebedürftigkeit des Verzichtenden führen, als sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB angesehen werden 901.

hierzu BVerfGE 7, 198 (205 f.); 42, 143 (148); 103, 89 (100); BVerfG (Kammer), DVBl. 2005, 106 (107). 898 Badura, in: FS Odersky, S. 159 (181); vgl. auch Papier, in: FG BVerfG, S. 432 (447). 899 Vgl. zur Anwendbarkeit von § 765 a ZPO im Insolvenzverfahren BGH, KTS 1978, 24, 29 f.; aus dem Schrifttum Schmerbach, in: Frankfurter Kommentar, § 14, Rdnr. 23; Kirchhof, in: Heidelberger Kommentar, § 14, Rdnr. 17; Schmahl, in: Münchener Kommentar, § 14, Rdnr. 59; a. A. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rdnr. 7.19. 900 Siehe zur Einschränkbarkeit der Vertragsfreiheit im Allgemeininteresse Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 104; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 40 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 317 f. 901 BGHZ 86, 82 (88); BGH, NJW 1987, 1546, 1548; NJW 1991, 913, 915; OLG Köln, FamRZ, 1999, 920; OLG Schleswig, SchlHA 1998, 48; OVG Nordrhein-Westfalen, ZfSH/SGB 1989, 201, 202; VGH Baden-Württemberg, NJW 1993, 2953, 2954.

Anhang: Kurzfassung in Thesen 1.

Das Prioritätsprinzip der Einzelzwangsvollstreckung gewährleistet den aus dem Eigentumsrecht folgenden Anspruch auf effektive Vollstreckung lediglich so lange, wie aus einer ex ante Betrachtung für alle Gläubiger die potentielle Möglichkeit besteht, vollständige Befriedigung ihrer Forderungen zu erlangen. Besteht diese Möglichkeit nicht mehr, verlangt die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie eine Ersetzung des Prioritätsprinzips durch das auf die Fälle der schuldnerischen Insolvenz zugeschnittene Ausgleichsprinzip. Insoweit ist das Insolvenzverfahren als Institut verfassungsrechtlich gewährleistet.

2.

Das Insolvenzgericht ist ungeachtet der umstrittenen Zuordnung seiner Tätigkeit zu dem Bereich der freiwilligen oder der streitigen Gerichtsbarkeit gemäß Art. 1 Abs. 3 GG uneingeschränkt an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch, soweit der Rechtspfleger funktionell zuständig ist.

3.

Bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben handelt der Insolvenzverwalter als staatlich Beliehener. Er ist entgegen der vorherrschenden Ansicht im Schrifttum gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden.

4.

Im Rahmen der Verwalterauswahl wird die in der Praxis anzutreffende Führung geschlossener Verwalterlisten weder den aus Art. 12 Abs. 1 GG resultierenden Anforderungen noch dem in Art. 33 Abs. 2 GG normierten speziellen Gleichheitssatz gerecht. Zur Rekrutierung des Verwalternachwuchses bedarf es eines objektivierbaren und gerichtlich nachprüfbaren Verfahrens, welches der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Postulate auszugestalten hat. De lege ferenda sollte eine präzisere, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Festlegung der an die Verwalterbestellung geknüpften gesetzlichen Kriterien erwogen werden. Als Vorbild könnte insoweit die österreichische Rechtslage dienen, wonach die zeitgemäße technische Ausstattung, die Kanzleiorganisation, die Belastung des Verwalters mit anhängigen Verfahren sowie die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und sonstigen Berufserfahrungen maßgebliche Auswahlgesichtspunkte sein müssen.

5.

Grundrechtlicher Schutz kommt im Insolvenzfall grundsätzlich natürlichen und juristischen Personen zu. Entscheidend für den grundrechtlichen Schutz juristischer Personen ist nach Art. 19 Abs. 3 GG, ob das jeweils in Rede stehende Grundrecht nach seinem Inhalt sowohl individuell als auch korporativ ausgeübt werden kann. Auf einen etwaigen „Durchgriff“ auf die hinter dem juristischen

Anhang: Kurzfassung in Thesen

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Zweckgebilde stehenden Personen kommt es nach zutreffender Auffassung nicht an. 6.

Soweit die Insolvenzordnung in verfassungskonformer Weise die materiellrechtliche Befugnis des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einschränkt, wird in demselben Umfang auch die prozessuale Handlungsfähigkeit des Schuldners im Verfahren der Verfassungsbeschwerde beschnitten. Eine Verletzung des Eigentumsrechts kann daher vom Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr in eigener Person mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.

7.

Im Insolvenzfall gewinnen die Schutz- und die Abwehrfunktion der Grundrechte gleichermaßen an Bedeutung. Der mit den insolvenzrechtlichen Zwangsmaßnahmen verbundene hoheitliche Zugriff auf die Individualsphäre der Verfahrensbeteiligten tangiert deren grundrechtlich gewährleistetes Recht, von hoheitlichen Maßnahmen verschont zu werden. Er betrifft daher die Grundrechte der Beteiligten in ihrer Funktion als Abwehrrechte.

8.

Im Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern greift – mangels unmittelbarer Drittwirkung – eine Berufung auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte zu kurz. In Anbetracht der fortschreitenden Deregulierung des Insolvenzverfahrens und der Stärkung von gläubigerautonom verantworteten Entscheidungen sind die staatlichen Organe aufgerufen, im Rahmen des ihnen obliegenden Schutzauftrages einen grundrechtlichen Schutzstandard sicherzustellen, wie er auch bestehen würde, wenn sie selbst handelten. Die weitgehende Deregulierung des Insolvenzverfahrens darf nicht zu einer Verringerung des Grundrechtsschutzes führen. Soweit die Gläubiger ihre im Rahmen der Gläubigerautonomie eingeräumten Befugnisse in willkürlicher Weise zum Nachteil des Schuldners mißbrauchen, kann sich der grundrechtliche Schutzauftrag zu einer konkreten Handlungspflicht der hoheitlich handelnden Organe verdichten.

9.

Kein Anwendungsbereich für grundrechtliche Erwägungen besteht dort, wo Gläubiger und Schuldner zweiseitige, privatautonom verantwortete Entscheidungen treffen. Aus der grundrechtlich gewährleisteten Handlungsfreiheit im wirtschaftlichen Bereich lassen sich grundsätzlich keine staatlichen Schutzaufträge zugunsten einzelner Teilnehmer am Rechtsverkehr herleiten. Folgerichtig bestehen auch für den gesamten Bereich des Insolvenzrechts keine grundrechtlichen Einwänden gegen die Vollstreckung „unverhältnismäßiger Forderungen“. Für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besteht im Verhältnis von Gläubigern und Schuldner kein Anwendungsbereich. Der gegen den Staat gerichtete öffentlich-rechtliche Vollstreckungsanspruch besteht vielmehr unabhängig von Inhalt und Umfang der beizutreibenden Forderung. Da die Verfassung lediglich eine rechtliche, nicht aber eine faktische Gleichordnung der Privatrechtssubjekte voraussetzt, kommt – auch mit den Mitteln des Insolvenz-

13 Werres

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Anhang: Kurzfassung in Thesen

rechts – eine Nivellierung zivilrechtlicher Ungleichgewichtslagen auf der Grundlage des Verfassungsrechts nicht in Betracht. 10. Keine Anwendung findet das Übermaßverbot des weiteren in Fällen, in denen der Schuldner unter Berufung auf die als Folge einer Verfahrenseröffnung zu erwartende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung eine Zulassung des Gläubigerantrages durch das Gericht verhindern will. Unter Berücksichtigung des Schutzwecks von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG weist die Zulassung des Antrages nicht die für einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Schuldners erforderliche Intensität auf. 11. Sowohl das mit dem Insolvenzverfahren verbundene Verbot, über das eigene Vermögen zu verfügen und bestehende Verbindlichkeiten zu erfüllen, als auch die mit der Beschlagnahme des Eigentums verbundenen Zwangsmaßnahmen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die wirtschaftliche und rechtliche Stellung des Schuldners. Sie betreffen – ungeachtet ihres quasi-administrativen Charakters – zivilrechtliche Rechte und Verpflichtungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die verfahrensrechtlichen Garantien der Menschenrechtskonvention kommen daher auch für das Insolvenzverfahren zur Anwendung. 12. Der Verzicht auf das in § 97 Abs. 2 Satz 3 InsO niedergelegte Verwertungsverbot begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Rechtmäßigkeit der Selbstbelastung ist eine dahingehende, ausschließlich von autonomen Motiven bestimmte Entschlußfassung des Beschuldigten sowie die Überschaubarkeit der an den Verzicht geknüpften Konsequenzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann auch an der Rechtmäßigkeit des mit der Selbstbelastung verbundenen Grundrechtsausübungsverzichts kein Zweifel bestehen. Ein Schutz juristischer Personen vor Selbstbezichtigung besteht weder auf der Basis des Grundgesetzes noch auf der der Menschenrechtskonvention. 13. Durch die Bereitschaftspflicht des § 97 Abs. 3 InsO wird weder das Verfassungsrecht der Wohnsitznahme noch die freie Wahl des Aufenthaltsortes eingeschränkt. Da der Schuldner durch das Gebot, an einem bestimmten Ort und zu einer festgelegten Zeit vorstellig zu werden, nicht am Verlassen eines bestimmten Aufenthaltsortes gehindert wird, berührt die Bereitschaftspflicht auch nicht den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. 14. Die öffentliche Verlautbarung der Vermögenslosigkeit des Schuldners in Registern und Verzeichnissen dient dem berechtigten Informationsinteresse der Marktteilnehmer. Der mit der Veröffentlichung verbundene Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung findet damit eine Rechtfertigung im überwiegenden Allgemeininteresse. Juristischen Personen ist lediglich ein betriebsbezogener Datenschutz gewährleistet, der Bestandteil des Berufs- und Eigentumsrechts ist. Die Verlautbarung der Vermögenslosigkeit stellt – als faktisch-mittelbare Beeinträchtigung – wegen ihres wertneutralen

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und rein sachbezogenen Charakters bei schutzzweckgerichteter Deutung keinen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen der juristischen Person dar. 15. Die Insolvenzordnung verfügt für die Beiziehung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten über keine ausreichend klare und bestimmte Ermächtigungsgrundlage. Die Rechtslage stellt sich somit de lege lata als äußerst unausgewogen dar. Einerseits ist der Schuldner gemäß §§ 20, 97 InsO zur Auskunft verpflichtet und gegebenenfalls zur Gestattung der Einsichtnahme in seine Bücher und Geschäftspapiere verpflichtet. Andererseits fehlt eine Ermächtigung des Gerichts, die Auskünfte, die es vom Schuldner unmittelbar erfragen könnte, von anderen Behörden einzuholen. 16. Die geplante Einbindung privater Postdienstleistungsunternehmen in die Abwicklung der insolvenzrechtlichen Postsperre begegnet auf Grundlage von § 99 InsO keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine staatliche Indienstnahme privater Telekommunikationsanbieter ohne entsprechenden Kostenausgleich wäre auch verhältnismäßig, da es den betroffenen Unternehmen jedenfalls frei stünde, die mit der Nachsendung verbundenen zusätzlichen Kosten kalkulatorisch auf die Gesamtheit der Kunden abzuwälzen. Den datenschutzrechtlichen Belangen des Schuldners werden die bestehenden Übermittlungsvorschriften auch unter Berücksichtigung einer verstärkten Einbindung privater Dienstleister in den Vollzug der Postsperre gerecht. 17. Hinsichtlich der schuldnerischen Geschäftsräume weitet die Insolvenzordnung die Zwangsbefugnisse des Verwalters aus. Der Verwalter kann unmittelbar – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme der Polizei – den Zutritt zu den Geschäftsräumen erzwingen. Soweit Eingriffe in die schuldnerischen Privaträume in Rede stehen, bleibt es bei der bisherigen Praxis, wonach das Betreten sowie das Durchsuchen unter Zuhilfenahme eines Gerichtsvollziehers in Anwesenheit des Verwalters zulässig sind. Für Durchsuchungsmaßnahmen impliziert der Sicherungsbeschluß des Insolvenzgerichts die richterliche Anordnung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG. 18. Durch das dem Insolvenzverwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO vorbehaltene Verwertungsmonopol für bewegliche Sachen wird das verfassungsrechtlich garantierte Verwertungsrecht der Sicherungsgläubiger berührt. Da sich die mit dem Monopol verbundene effektivere Verwertungsmöglichkeit in höheren Befriedigungsquoten der gesamten Gläubigerschaft niederschlägt, stellt sich dieses als verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Sicherungseigentums dar. 19. Vor dem Hintergrund des dem Gesetzgeber bei wirtschaftslenkenden Maßnahmen zuzubilligenden weiten Beurteilungs- und Prognosespielraums ist die in der gesetzlichen Stillegungsbefugnis der Gläubiger gemäß § 157 InsO zum Ausdruck kommende Deregulierung des Insolvenzverfahrens nicht zu bean13*

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standen. De lege ferenda sollte dem Schuldner jedoch bei Stillegungsentscheidungen im Rahmen des § 78 InsO ein eigenes Antragsrecht eingeräumt werden. Ein solches Antragsrecht folgt bei willkürlichen Stillegungen unmittelbar aus dem Eigentumsrecht. 20. Die Einrichtung eines staatlichen Verfahrens zur Schuldenbefreiung steht im Ermessen des Gesetzgebers. Weder unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde noch unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips besteht ein darüber hinaus gehender grundrechtlicher Anspruch des Schuldners gegen den Staat auf Befreiung von seinen privatrechtlichen Verbindlichkeiten. Die Einrichtung eines staatlichen Restschuldbefreiungsverfahrens durch die Insolvenzordnung steht als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums grundsätzlich mit der Verfassung im Einklang. Unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig stellt sich die Restschuldbefreiung dar, soweit durch die Vorschrift des § 292 InsO die Gläubiger ohne materielle Kompensation zur Finanzierung der schuldnerischen Enthaftung herangezogen werden. 21. Die Überprüfung insolvenzrechtlicher Vereinbarungen zwischen Gläubigern und Schuldnern ist primär an den Maßstäben des einfachen Rechts zu messen. Soweit es um die Überprüfung von privatrechtlichen Verträgen anläßlich des Insolvenzfalls geht, kommen die Grundrechte und daher auch das Übermaßverbot als Wirksamkeitsmaßstab nicht zur Anwendung. Folglich bestehen aus grundrechtlicher Sicht keine Einwände gegen Vereinbarungen, in denen sich der Gläubiger oder der Schuldner zum Verzicht auf den Insolvenzantrag verpflichten. Ausnahmen gelten lediglich für die Fälle, in denen der Verzicht nicht mehr Ausdruck selbstverantworteten Handelns ist oder mit dem Verzicht ein dauerhafter Vermögensverfall des Schuldners zum Nachteil der Sozialkassen intendiert ist.

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Sachwortverzeichnis Akten des Insolvenzgerichts 109 Akten des Schuldners 109 allgemeine Handlungsfreiheit 103, 109 Amtstheorie 29, 53, 54 Anordnung von Sicherungsmaßnahmen 49, 103, 106, 123, 136 Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf die in der Insolvenzordnung geregelten Verfahren 81 Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK auf das Insolvenzverfahren 82 Ausgleichsprinzip 21, 23, 24, 192, 206 Auskunfts- und Mitwirkungspflichten 90, 96 Ausscheidungsfunktion 104, 184 Ausschluß der sog. Zerschlagungsautomatik 143 Auswahl des Insolvenzverwalters 37, 40, 42, 46 Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung 103 Beliehener 32, 34, 66, 112, 192 Bereitschaftspflicht 96–99, 101, 194 Berichtstermin 144, 148 Berufsausübungsfreiheit 35, 41, 106 Beschlagnahme von Dokumenten 136 Betreten der Geschäfts- und Privaträume des Schuldners 135 Betreten der schuldnerischen Geschäftsräume 135 Betreten der schuldnerischen Privatwohnung 137 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 109 Dimensionen der Grundrechte im Insolvenzfall 26 Dispositionsmaxime 182 Durchsuchung von Geschäfts- und Privaträumen des Schuldners 124 14 Werres

Durchsuchung von Räumen 122 Durchsuchungsbeschluß 125–128, 132 Einsichtnahme in die Ermittlungsakten 109 Eintragung des Schuldners in das Schuldnerverzeichnis 107 Existenzminimum 158–161 faktisch-mittelbare Beeinträchtigungen der Berufsausübungsfreiheit 106 Fortführung des schuldnerischen Unternehmens 62, 145, 147, 148 Freiheit der Berufsausübung 35–36, 41 Freiheit der Berufswahl 41 Freiheit der Person 52, 96, 99, 101 Friedenspflicht 20, 59, 201 Gebot des Vertrauensschutzes 111 Gebot rechtsstaatlicher Normenklarheit und Bestimmtheit 110 Geltung des Übermaßverbotes im Insolvenzfall 65 Geltung des Untermaßverbotes im Insolvenzfall 76 gesellschaftsrechtliches Anteilseigentum 149 Gestörte Vertragsparität 188 Gewährleistung von Sozialhilfe 165 Gewaltmonopol 20 gewerbliche Schutzrechte 150 Gläubigerausschuß 26, 91, 200 Gläubigerautonomie 26–27, 62, 64, 147, 151, 155, 193 Gläubigerversammlung 26, 40, 91, 148, 151, 155 gleichmäßige Gläubigerbefriedigung 140 Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 101–102, 104–105, 110, 194 Grundrecht auf Schuldenfreiheit 157

210

Sachwortverzeichnis

Grundrechtsbindung des Insolvenzgerichts 27–29 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 65–66, 73, 76, 115, 136, 142, 170, 171, 193, 202 Haftanordnung 96 Indienstnahme privater Unternehmen für öffentliche Aufgaben 119 Inhalts- und Schrankenbestimmung 24, 141, 168, 169, 170, 172, 195, 196 Insolvenzgericht 27, 28, 32, 33, 37, 40, 41, 46, 47, 56, 57, 61, 63, 66, 73, 74, 77, 78, 85, 86, 87, 90, 91, 99, 110–113, 121, 123, 131–132, 151, 155, 167–168, 173, 191–192 Insolvenztabelle 87, 109 Insolvenzverträge 16, 181 Insolvenzverwalter 17, 27, 29–35, 37, 39, 40, 42, 43, 45, 46, 53, 54, 66, 77, 78, 87, 90, 91, 96, 109, 111–112, 116, 119–120, 122,–124, 126, 130, 131–133, 136, 140–142, 145, 150, 152, 192, 195, 202 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 79 Lösungsklauseln 187 Makel des Konkurses 157, 200 Meinungsfreiheit 94, 203 Menschenrechtskonvention 16, 19, 78,–81, 88,–89, 93–94, 149, 194, 198–200, 202, 204–206 Menschenwürde 52, 75, 91–92, 94, 103, 105, 157–161, 166, 196, 199, 201, 207 Mitwirkungspflicht der Post- und Telegraphenanstalten 116 Mobiliarsicherungsgläubiger 140, 143, 144, 207 Nachforderungsrecht der Gläubiger 176 Nachforschungen in Geschäfts- oder Privaträumen 125 Objekt-Formel 159 Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens 184

Persönlichkeitsrecht 91, 92, 94, 105, 189, 202 Pfändungsfreigrenzen 159, 172, 177, 179 Pfändungsschutz 158, 159, 172 Postsperre 17, 49, 83, 84, 90, 113–122, 195, 200, 203, 208 Primat der Haftungsverwirklichung des Gläubigerrechts 146 Prioritätsprinzip 21 Privatautonomie 66, 68, 70, 155, 162–163, 165, 182, 183, 188, 191 Prozeßkostenhilfe 36, 58–59, 168, 198, 205 Prozessuale Handlungsfähigkeit des Schuldners 53 pursuit of happiness 157 Räumung der schuldnerischen Privatwohnung 75 Räumungsschutz bei erheblicher Suizidgefahr 74 Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 148 Recht auf ein faires Verfahren 29 Recht auf informationelle Selbstbestimmung 54, 102, 103, 109, 111, 121 Residenzpflicht 96, 97 Restschuldbefreiung 17, 158, 166–181, 187, 196, 197, 198, 205, 208 Restschuldbefreiung als Enteignung 168 Restschuldbefreiung als Inhalts- und Schrankenbestimmung 168 Rückschlagsperre 24 Sachverständiger 33, 34, 133 Sanierung des schuldnerischen Unternehmens 145 Schutz der räumlichen Privatsphäre 122, 123, 201 Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses 112 Schutz des Briefverkehrs gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK 114 Schutz juristischer Personen vor Selbstbezichtigung 93, 194 Schutz natürlicher Personen vor Selbstbezichtigung 90

Sachwortverzeichnis Schutz vor einem Zwang zur Selbstbezichtigung 90, 93, 94 Selbsthilfeverbot 20, 59 Sozialstaatsprinzip 70, 157, 161, 162 Stillegungsentscheidung 64, 148, 150, 151, 153, 156 Stundung der Verfahrenskosten 178, 181 Vereinbarungen für den Insolvenzfall 181, 187 Verfassungsmäßigkeit des § 101 KO 97 Verfassungsrechtliche Beschwerdebefugnis des Schuldners 54 Verlautbarung der Vermögensverhältnisse 102, 104 Veröffentlichung der Verfahrenseröffnung 108 Verwalterauswahl und Prinzip der Bestenauslese 45 Verwaltervergütung 35 Verwertung der Mobiliarsicherheiten 140 Verwertung des Absonderungsgutes durch den Verwalter 142, 145 Verwertungsverbot 91, 92, 141–144, 194 Verzicht auf den Eigenantrag 186

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Verzicht auf den Insolvenzantrag 182, 189, 191, 196 Verzicht auf den Vollstreckungsanspruch 185, 186 Vollstreckung bei zivilrechtlichen Ungleichgewichtslagen 68 Vollstreckung geringwertiger Forderungen 70 Vollstreckung „unverhältnismäßiger“ Forderungen 66 Vollstreckungsanspruch 21 Vorauswahl des Insolvenzverwalters 44 Vorführung des Schuldners 75, 101 Vorwegbefriedigungsrecht der Staatskasse 168, 179 Weiterleitung staatsanwaltlicher Ermittlungsakten 109, 110 Wesentlichkeitslehre 43, 117, 119 wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 52, 67, 103 Wohlverhaltensperiode 167, 168, 170, 173, 177, 179 Zahlungsunfähigkeit 23 Zitiergebot und § 102 InsO 113