Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz 9783814557441

Insolvencies affect large numbers of employees. Corporate restructuring in insolvency and the labor law implications of

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Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz
 9783814557441

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Annuß/Lembke/Hangarter Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz

RWS-Skript 341

Arbeitsrechtliche Umstrukturierung in der Insolvenz 3., neu bearbeitete Auflage 2016

von RA Dr. Georg Annuß, LL.M., München, außerplanmäßiger Professor an der Universität Regensburg RA und FAArbR Dr. Mark Lembke, LL.M. (Cornell), Frankfurt/Main, Attorney-at-Law (New York), Honorarprofessor der Universität Heidelberg RAin und FAinArbR Daniela Hangarter, LL.M. (Christchurch), Frankfurt/Main

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Vorwort zur 3. Auflage Der vorliegende Band erläutert die wichtigsten arbeitsrechtlichen Fragen rund um die Umstrukturierung von Unternehmen, die sich in der Krise bzw. Insolvenz befinden. Die Darstellung behandelt den Betriebsübergang, die Betriebsänderung einschließlich Interessenausgleich und Sozialplan sowie die Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung – jeweils unter Berücksichtigung der Besonderheiten in der Insolvenz. Neu aufgenommen wurde ein Abschnitt zur Massenentlassungsanzeige. Dieser berücksichtigt u. a. die neuesten EuGH-Entscheidungen zum Betriebsbegriff bzw. zur Arbeitnehmereigenschaft von Fremdgeschäftsführern einer GmbH. Ausführlich beschrieben werden zudem in der Praxis eingesetzte Gestaltungsmodelle, namentlich der Einsatz einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) bzw. Transfergesellschaft sowie Alternativen hierzu, wie z. B. die sog. „Widerspruchslösung“ (kollektiver Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB). Nicht zuletzt beim BQG-Modell ist die Entwicklung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung genau zu verfolgen. Daher enthält die 3. Auflage wiederum eine aktuelle Rechtsprechungsübersicht zu diesem Modell. Der Abschnitt zum Insolvenzgeld rundet das Werk ab. Änderungen in Gesetzen und Verwaltungsanweisungen wurden ebenso eingearbeitet wie die aktuelle Rechtsprechung und Literatur. Das Werk befindet sich nun auf dem Stand von Januar 2016. Aufgrund der umfangreichen Überarbeitungen war eine Neuvergabe der Randnummern unumgänglich. Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Kritik nehmen wir gerne per E-Mail unter [email protected], [email protected] bzw. [email protected] entgegen.

München/Frankfurt am Main, im Januar 2016

Georg Annuß Mark Lembke Daniela Hangarter

V

Inhaltsverzeichnis Rn.

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Vorwort zur 3. Auflage .................................................................................. V Literaturverzeichnis .................................................................................. XVII A. Einleitung ..................................................................................... 1 ........ 1 B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz ........ 9 ........ 3 I.

Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz und europäisches Recht ....................................................................... 9 ........ 3

II. Beschränkte Wirkung des § 613a BGB in der Insolvenz .......... 13 ........ 4 III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB ................... 1. Der Begriff des Betriebs oder Betriebsteils ....................... a) Unterschied zwischen Betrieb(steil) und Funktionsbereich ........................................................ b) Wesenskonstituierende Merkmale der wirtschaftlichen Einheit ............................................. 2. Der Übergang des Betriebs oder Betriebsteils .................. a) Grundlagen des Übergangs ......................................... b) Der Übergang im Einzelnen ...................................... c) Der Zeitpunkt des Übergangs .................................... 3. Übergang des Betriebs oder Betriebsteils durch Rechtsgeschäft ..........................................................

35 ........ 9 36 ........ 9 38 ........ 9 54 57 57 61 82

...... ...... ...... ...... ......

14 14 14 17 22

85 ...... 23

IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen ............................................................................... 91 1. Übergang der Arbeitsverhältnisse ...................................... 92 2. Zuordnung der Arbeitsverhältnisse zur übergehenden Einheit ......................................................... 94 3. Widerspruchsrecht und Unterrichtung der Arbeitnehmer .............................................................. 100 a) Voraussetzungen des Widerspruchsrechts ............... 100 b) Folgen fehlerhafter Unterrichtung ........................... 123 c) Folgen des erklärten Widerspruchs .......................... 137 4. Fortgeltung kollektivrechtlich begründeter Rechtspositionen ............................................................... 142 5. Änderung des Tarifregimes durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln ......................................................... 163 a) Maßgebliche Rechtslage für vor dem 1.1.2002 vereinbarte Bezugnahmeklauseln ............................. 164

...... 24 ...... 24 ...... 24 ...... ...... ...... ......

26 26 31 35

...... 37 ...... 41 ...... 41

VII

Inhaltsverzeichnis Rn.

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b) Auslegung ab dem 1.1.2002 vereinbarter arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln .......................... 171 ...... 42 c) Altvertrag oder Neuvertrag ....................................... 175 ...... 44 V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen im Zusammenhang mit dem Betriebs(teil)übergang ................... 1. Kündigung wegen Betriebsübergangs und Kündigung auf Erwerberkonzept ........................................................ 2. Aufhebungs- und Änderungsverträge als unzulässige Umgehungsversuche? ....................................................... 3. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften als Allheilmittel? ................................................................ 4. Wiedereinstellungsanspruch ............................................. 5. Betriebs(teil)übergang und Betriebsänderung .................

176 ...... 44 176 ...... 44 191 ...... 47 203 ...... 50 206 ...... 51 220 ...... 54

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung ............................................................................... 224 ...... 57 I.

Allgemeines ............................................................................... 224 ...... 57

II. Die betriebsbedingte Beendigungskündigung ........................ 242 ...... 60 1. Kündigung wegen Betriebsstilllegung .............................. 242 ...... 60 2. Kündigung wegen Betriebsteilstilllegung ........................ 245 ...... 60 III. Die betriebsbedingte Änderungskündigung ........................... 247 ...... 61 IV. Betriebsbedingte Kündigung und gemeinsamer Betrieb in der Insolvenz ........................................................................ 253 ...... 62 V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich .................................................................................... 1. Der Tatbestand des § 125 Abs. 1 InsO ............................ 2. Rechtliche Wirkungen eines Interessenausgleichs mit Namensliste ................................................................ a) Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung ........................................................... b) Beschränkte Überprüfung der Sozialauswahl .......... 3. Wesentliche Änderung der Sachlage ................................ 4. Namensliste und allgemeine Regeln ................................ VI. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz gemäß § 126 InsO ................................................................................. 1. Allgemeines ....................................................................... 2. Verfahrensvoraussetzungen .............................................. 3. Die Durchführung des Verfahrens ................................... 4. Rechtsmittel und Kosten .................................................. 5. Bedeutung des Beschlussverfahrens für die individuelle Klage des Arbeitnehmers gemäß § 127 InsO .................. a) Bindungswirkung ....................................................... VIII

257 ...... 64 257 ...... 64 288 ...... 69 288 296 307 314

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341 ...... 80 341 ...... 80

Inhaltsverzeichnis Rn.

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b) Wesentliche Änderung der Sachlage ......................... 345 ...... 81 c) Aussetzung des Verfahrens ....................................... 348 ...... 82 VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen ................................................................. 1. Allgemeines und Überblick .............................................. a) Europarechtliche Rahmenbedingungen ................... b) Gesetzeszwecke ........................................................ aa) Arbeitsmarktpolitischer Zweck ...................... bb) Betriebsverfassungsrechtlicher Zweck ............. cc) Individualrechtlicher Schutzzweck ................. c) Systematik, Pflichtenprogramm und Rechtsfolge von Verstößen ....................................... aa) Reihenfolge der Arbeitgeberpflichten ............. bb) Junk-Entscheidung des EuGH und richtlinienkonforme Auslegung ....................... cc) Vertrauensschutz .............................................. dd) Sperrfrist und Freifrist (§ 18 KSchG) .............. 2. Massenentlassungen über dem Schwellenwert ................ a) Schwellenwert und relevante Parameter ................... b) Betrieb ........................................................................ aa) Betriebsverfassungsrechtlicher Betriebsbegriff .................................................. bb) Europarechtlicher Betriebsbegriff .................... cc) Gemeinschaftsbetrieb ....................................... c) Arbeitnehmer ............................................................. aa) „In der Regel“ beschäftigte Arbeitnehmer ...... bb) Allgemeiner Arbeitnehmerbegriff ................... cc) Leiharbeitnehmer .............................................. dd) Ausnahmen nach § 17 Abs. 5 KSchG und Europarechtswidrigkeit ............................. (1) GmbH-Fremdgeschäftsführer ................. (2) Leitende Personen .................................... d) Entlassungen .............................................................. 3. Konsultationsverfahren .................................................... a) Zweck des Konsultationsverfahren .......................... b) Zuständiger Betriebsrat ............................................. c) Inhalt der Pflichten des Arbeitgebers ...................... d) Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen ..................... 4. Erstattung der Massenentlassungsanzeige ....................... a) Zuständige Agentur für Arbeit ................................ b) Schriftform ................................................................. c) Inhalt der Anzeige ..................................................... d) Stellungnahme des Betriebsrats ............................... e) Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist ......................

351 352 354 355 356 358 359

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D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz ........................... 478 .... 111 I.

Sonderkündigungsrecht für belastende Betriebsvereinbarungen ............................................................ 1. Belastende Betriebsvereinbarung ..................................... 2. Beratungsgebot und Höchstkündigungsfrist .................. 3. Außerordentliche Kündigung ..........................................

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Betriebsänderung in der Insolvenz ................................. 1. Allgemeines zu Interessenausgleich und Sozialplan ....... a) Unternehmensgröße ................................................. b) Existenz eines Betriebsrats ........................................ c) Die geplante Betriebsänderung ................................. d) Die Beteiligungspflicht .............................................. 2. Der Interessenausgleich .................................................... 3. Der Sozialplan ................................................................... 4. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für Interessenausgleich und Sozialplan .................................. a) Allgemeines zur Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats .................................................... b) Die Zuständigkeitsabgrenzung bei Interessenausgleich und Sozialplan ..........................

479 480 489 495

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111 111 113 114

496 497 499 500 503 507 514 521

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527 .... 122 527 .... 122 531 .... 123

III. Insolvenzspezifische Erleichterungen bei der Durchführung von Betriebsänderungen gemäß §§ 121, 122 InsO ................. 1. Allgemeines ....................................................................... 2. Das Verfahren nach § 122 InsO ....................................... a) Verfahrensvoraussetzungen ...................................... b) Materielle Zustimmungsvoraussetzungen ................ c) Das arbeitsgerichtliche Verfahren ............................

537 537 538 538 549 558

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IV. Sozialplan in der Insolvenz und insolvenznaher Sozialplan .................................................................................. 1. Allgemeines ....................................................................... 2. Sozialplan nach Insolvenzeröffnung ................................ 3. Insolvenznaher Sozialplan ................................................

567 567 573 590

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135 135 136 136

V. Einfluss von Betriebsänderungen auf Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen ............................................................ 1. Das Schicksal des Betriebsrats .......................................... a) Das Übergangsmandat .............................................. aa) Allgemeine Voraussetzungen ........................... bb) Personelle Zusammensetzung des Betriebsrats im Übergangsmandat ................... cc) Inhalt des Übergangsmandats .......................... dd) Sonderfall: Eingliederung in einen anderen Betrieb ................................................. b) Das Restmandat ......................................................... X

599 .... 137 604 .... 138 605 .... 138 610 .... 139

Inhaltsverzeichnis Rn.

2. 3.

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Kostentragung und Freistellung bei Übergangsund Restmandat ................................................................ 619 .... 141 Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen ..................... 623 .... 142

VI. Schicksal Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Rechtsträgerwechsel ....................................... 625 .... 142 1. Fortbestand des Gesamtbetriebsrats ................................ 626 .... 143 2. Fortbestand von Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang ..................................................... 634 .... 145 VII. Fortbestand von Konzernbetriebsrat und Konzernbetriebsvereinbarung ................................................................ 648 .... 147 E.

Umstrukturierung in der Insolvenz unter Einschaltung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft ..... 650 .... 149

I.

Einleitung .................................................................................. 1. Grundkonzept ................................................................... 2. Vorteile für die Beteiligten ............................................... a) Vorteile aus Sicht des Insolvenzverwalters .............. b) Vorteile aus Arbeitnehmersicht ................................

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149 150 150 151 152

II. Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft ............ 1. Rechtliche Struktur und Auswahlkriterien ...................... 2. Funktion ............................................................................ 3. Begriff ................................................................................ 4. Arbeitgeberstellung ...........................................................

664 664 668 671 672

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153 153 153 154 154

III. Arbeitsrechtliche Aspekte ........................................................ 1. Interessenausgleich und (Transfer-)Sozialplan ............... a) Voraussetzungen ....................................................... b) Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen ............................................................... 2. Massenentlassungsanzeige (§ 17 KSchG) ........................ 3. Übergang der Arbeitnehmer vom insolventen Arbeitgeber zur Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft ......................................................................... a) Dreiseitiger Vertrag ................................................... aa) Alter Arbeitgeber – Arbeitnehmer .................. bb) Arbeitnehmer – BQG ....................................... (1) Befristeter Arbeitsvertrag ......................... (2) Pflichten der Vertragsparteien .................. (3) Möglichkeit der Freistellung und des kurzfristigen Ausscheidens ................ (4) Bedingung: Bewilligung von Transfer-Kug ............................................. (5) Gegebenenfalls Leiharbeitsverhältnis ....... cc) Alter Arbeitgeber – BQG .................................

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712 .... 163 715 .... 163 716 .... 164 724 .... 166 XI

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4.

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b) Kein Betriebsübergang auf die BQG nach § 613a BGB ................................................................ 729 .... 167 Fortführung der Geschäftstätigkeit durch die Auffanggesellschaft ..................................................... 731 .... 167 a) Betriebs(teil)übergang ............................................... 735 .... 169 b) Rechtsprechung des BAG ......................................... 739 .... 170 aa) Keine Nichtigkeit des Aufhebungsvertrags wegen Umgehung des § 613a BGB .................. 741 .... 170 bb) Keine Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrags nach §§ 119, 123 BGB ....................................... 748 .... 172 cc) Kein Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ...................................................... 753 .... 173 dd) Kein Fortsetzungs- bzw. Wiedereinstellungsanspruch gegenüber der Auffanggesellschaft ..... 756 ..... 173 c) Aufklärungs- und Unterrichtungspflichten ............. 758 .... 174 aa) Allgemeine Aufklärungspflichten .................... 759 .... 174 bb) Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB ............................................ 763 .... 175 cc) Einräumung einer Bedenkzeit .......................... 770 .... 177

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte ................................... 772 .... 177 1. Transferkurzarbeitergeld (§ 111 SGB III) ...................... 773 .... 177 a) Voraussetzungen ....................................................... 775 .... 177 aa) Dauerhafter unvermeidbarer Arbeitsausfall mit Entgeltausfall .............................................. 777 .... 178 (1) Dauerhafter Arbeitsausfall ........................ 778 .... 178 (2) Unternehmen mit bis zu 20 Arbeitnehmern ..................................... 781 .... 179 (3) Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes .... 782 ..... 179 (4) Arbeitnehmer kirchlicher Einrichtungen ............................................ 786 .... 180 (5) Nichtvermeidbarkeit des Arbeitsausfalls .... 788 ..... 180 (6) Entgeltausfall ............................................. 790 .... 181 bb) Betriebliche Voraussetzungen .......................... 791 .... 181 (1) Betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit ........................................................ 792 .... 181 (2) Vermeidung von Entlassungen und Verbesserung der Eingliederungschancen .. 795 ..... 182 (3) Organisation und Mittelausstattung ........ 806 .... 185 (4) Internes Qualitätssicherungssystem ........ 811 .... 186 (5) Trägerzulassung ......................................... 814 .... 187 cc) Persönliche Voraussetzungen .......................... 815 .... 187 (1) Von Arbeitslosigkeit bedroht ................... 815 .... 187 (2) Versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis .................................................... 821 .... 190

XII

Inhaltsverzeichnis Rn.

2.

3. 4.

(3) Kein Ausschluss vom (Transfer-)Kurzarbeitergeldbezug ...................................... 824 (4) Meldung als arbeitsuchend und Teilnahme an einer Profiling-Maßnahme/ Potenzialanalyse ........................................ 825 dd) Beratungspflicht ................................................ 832 ee) Anzeige des Arbeitsausfalls .............................. 836 b) Höhe ........................................................................... 838 c) Dauer .......................................................................... 840 d) Pflichten des Arbeitgebers ........................................ 841 aa) Vermittlungsvorschläge .................................... 841 bb) Datenübermittlung ........................................... 845 e) Weiterbildungsförderungen ...................................... 847 Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen (§ 110 SGB III) ................................................................. 848 a) Antragstellung .......................................................... 849 b) Höhe der Förderung ................................................. 856 c) Anspruchsvoraussetzungen ...................................... 857 aa) Betriebsänderung .............................................. 858 bb) Auszubildende .................................................. 861 cc) Von Arbeitslosigkeit bedroht .......................... 863 dd) Beratungspflicht ................................................ 864 ee) Durchführung durch Dritten .......................... 865 ff) Eingliederungsmaßnahmen .............................. 867 gg) Sicherung der Durchführung der Maßnahme, Eigenbeteiligung des Arbeitgebers ..... 870 hh) Ausschluss von gleichzeitigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung ........................... 871 Erfolgsabhängige Pauschale bei Transfermaßnahmen (§ 134 SGB III) ................................................................. 873 Fragen zum Arbeitslosengeld ........................................... 877 a) Kein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 158 SGB III ............................................................. 877 b) Keine Nachteile wegen Arbeitsaufgabe (§ 159 Abs. 1 Nr. 1, § 148 SGB III) ......................... 879 c) Bemessung des Arbeitslosengelds ............................ 882

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V. Fazit ........................................................................................... 883 .... 203 VI. Checkliste: Durchführung einer Betriebsänderung unter Einschaltung einer BQG ................................................ 884 .... 204 VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell ....................... 885 .... 205 1. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, AP § 613a BGB Nr. 185 („Dörries Scharmann I“) .................................... 886 .... 206 a) Sachverhalt ................................................................. 886 .... 206

XIII

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2.

3.

4.

5.

6.

7.

b) Entscheidung ............................................................. c) Folgerungen für die Praxis ........................................ BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572 („Dörries Scharmann II“) ................................................. a) Sachverhalt ................................................................. b) Entscheidung ............................................................. c) Folgerungen für die Praxis ........................................ BAG, 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145 („Hotelbetriebsfortführung“) .......................................... a) Sachverhalt ................................................................. b) Entscheidung ............................................................. c) Folgerungen für die Praxis ........................................ BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866 („Fensterproduktion“) ..................................................... a) Sachverhalt ................................................................. b) Entscheidung ............................................................. c) Folgerungen für die Praxis ........................................ BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 („Losverfahren“) ............................................................... a) Sachverhalt ................................................................. b) Entscheidung ............................................................. c) Folgerungen für die Praxis ........................................ BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436 („Auswahl aus mehreren Verträgen“) ................ a) Sachverhalt ................................................................. b) Entscheidung ............................................................. c) Folgerungen für die Praxis ........................................ Fazit ...................................................................................

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F.

Insolvenzgeld ........................................................................... 972 .... 225

I.

Einleitung .................................................................................. 972 .... 225

II. Anspruch auf Insolvenzgeld .................................................... 1. Anspruchsvoraussetzungen .............................................. a) Arbeitnehmer ............................................................. b) Inländisches Beschäftigungsverhältnis ..................... c) Insolvenzereignis ....................................................... aa) Eröffnung des Insolvenzverfahrens ................. bb) Ablehnung mangels Masse ............................... cc) Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit ................................................ d) Fristgebundener Antrag ............................................ e) Insolvenzgeldzeitraum .............................................. aa) Betriebsübergang .............................................. bb) Beendetes Arbeitsverhältnis .............................

XIV

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2.

Rn.

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cc) Zeiträume ohne Entgeltanspruch ..................... 994 dd) Arbeitsaufnahme oder Weiterarbeit in Unkenntnis des Insolvenzereignisses .............. 995 f) Insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt ........................ 996 g) Zuordnung von Arbeitsentgeltansprüchen zum Insolvenzgeldzeitraum ............................................ 1001 Anspruchsausschluss ...................................................... 1004 a) Ansprüche wegen oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ................................................. 1007 b) Angefochtene oder anfechtbare Rechtshandlungen ................................................... 1009 c) Leistungsverweigerungsrecht .................................. 1014

.... 230

III. Höhe des Insolvenzgelds ....................................................... 1. Nettoprinzip – Bruttoentgelt als Grundlage der Berechnung ............................................................... 2. Gesetzliche Abzüge ........................................................ a) Sozialversicherungsbeiträge .................................... b) Steuern und sonstige gesetzliche Abzüge .............. c) Sonderfälle: Fiktive Steuerberechnung ................... aa) Gesellschafter-Arbeitnehmer ........................ bb) Keine Einkommensteuerpflicht im Inland (insbesondere Grenzgänger) .......................... 3. Sonstige Abzüge .............................................................. 4. Auswirkungen von Verfügungen über das Arbeitsentgelt ...........................................................

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1015 .... 236 1015 1021 1021 1022 1024 1024

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1025 .... 238 1026 .... 239 1028 .... 239

IV. Vorfinanzierung von Arbeitsentgelt ...................................... 1030 .... 240 V. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ............................. 1034 .... 241 VI. Vorschuss auf das Insolvenzgeld ........................................... 1035 .... 241 VII. Anrechnung von Insolvenzgeld auf Arbeitslosengeld II (Alg II) .................................................................................... 1036 .... 241 VIII. Anspruchsübergang .............................................................. 1037 .... 242 IX. Insolvenzgeldbescheinigung .................................................. 1040 .... 242 X. Berechnung und Auszahlung des Insolvenzgelds durch den Insolvenzverwalter .................................................................. 1042 .... 243 Stichwortverzeichnis ................................................................................... 245

XV

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XXVIII

A. Einleitung Die Zahl der Insolvenzen blieb in den vergangenen zehn Jahren konstant auf 1 hohem Niveau. Im Jahre 2011 haben 30.099 Unternehmen Insolvenz angemeldet. Die gesamten Forderungen der Gläubiger werden von den Gerichten auf rund 31,5 Milliarden Euro beziffert. Wie aktuell das Thema ist, zeigen auch die Neuregelungen der Insolvenzordnung (InsO) die mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) zum größten Teil am 1.3.2012 in Kraft getreten sind. Die Reform der InsO soll u. a. Verfahrensabläufe verbessern, Gläubiger stärker ins Verfahren einbeziehen, Sanierungsinstrumente verbessern, zu frühzeitigen Insolvenzanträgen des Schuldnerunternehmens anreizen und Blockademöglichkeiten verringern. Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ GesamtwirtschaftUmwelt/UnternehmenHandwerk/ Insolvenzen/Aktuell.html?nn=50668; Wroblewski, AuR 2012, 188; ders., AuR 2012, 298.

Vor diesem Hintergrund sind Unternehmensumstrukturierungen in der In- 2 solvenz und die dabei zu berücksichtigenden arbeitsrechtlichen Aspekte von hoher praktischer Relevanz. Sie werden im vorliegenden Werk näher erläutert. Aus Sicht des Insolvenzverwalters bestehen im Falle der Unternehmensinsolvenz im Wesentlichen drei Optionen, das Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zu erreichen: Siehe zusammenfassend Danko/Cramer, BB-Special 4/2004, 9 ff.; Rattunde, ZIP 2003, 2103 ff.

In Betracht kommt zum einen die sog. „investive Verwertung“, d. h. die Sa- 3 nierung des Unternehmens etwa im Rahmen eines Insolvenzplans (§§ 217 ff. InsO). Diese Möglichkeit scheidet jedoch aus, wenn, wie häufig, das Unternehmen so marode ist, dass eine Fortführung der Geschäftstätigkeit nicht sinnvoll ist. Zum anderen kommt eine Liquidation des Schuldnervermögens („zerschla- 4 gende Sanierung“) in Betracht. Der Geschäftsbetrieb wird eingestellt. Die Betriebsmittel werden veräußert und die Arbeitsverhältnisse beendet. Dabei hat der Insolvenzverwalter sowohl die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsrechts als auch die besonderen Regelungen des Insolvenzarbeitsrechts zu beachten. Eine wichtige Rolle spielen insoweit namentlich die Bestimmungen zu Interessenausgleich und Sozialplan (§§ 111 ff. BetrVG und §§ 121 ff. InsO), Massenentlassungsanzeige (§§ 17 f. KSchG), Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch von Kündigungen (§ 102 BetrVG), Kündigungsfristen (§ 622 Abs. 1 und 2 BGB und § 113 InsO) sowie die Vorschriften betreffend den allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Die wichtigsten Grundsätze dazu werden in den Abschnitten C. und D. dieses Buches erläutert.

1

A. Einleitung

5 Schließlich kann der Insolvenzverwalter sich für die „übertragende Sanierung“ entscheiden. Dabei geht es um die Veräußerung des Unternehmens bzw. von Unternehmensteilen im Wege der Einzelrechtsnachfolge im Rahmen sog. Asset Deals. Die Übertragung des insolventen Unternehmens im Wege des Share Deals, d. h. der Veräußerung der Anteile am insolventen Unternehmen, haben hingegen geringe praktische Relevanz, da Erwerber meist kein Interesse an der Übernahme des maroden Unternehmens in seiner Gesamtheit haben. Ausführlich zu Unternehmenskaufverträgen in der Insolvenz van Betteray/Gass, BB 2004, 2309 ff.; Vallender, GmbHR 2004, 543 ff. und 642 ff.; zur übertragenden Sanierung auch Menke, BB 2003, 1133 ff.

6 Soweit es im Rahmen der Asset Deals zu Betriebsübergängen oder Betriebsteilübergängen kommt, ist die Vorschrift des § 613a BGB zu beachten, die u. a. den automatischen Übergang der Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer des betroffenen Betriebs(teils) auf den Erwerber anordnet. Die Einzelheiten zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Betriebsübergangs sowie die von der Rechtsprechung entwickelten Besonderheiten in der Insolvenz werden in Abschnitt B. dieses Buches erörtert. 7 § 613a BGB wird in der Praxis häufig als Sanierungshindernis angesehen. Daher wurden seit jeher Wege gesucht, die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu vermeiden. Dabei hat sich der Einsatz einer Transfergesellschaft bzw. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) als wichtiges Gestaltungsmittel bei Umstrukturierungen in der Insolvenz herausgebildet. Die Rechtsprechung des BAG hat das BQG-Modell im Prinzip gebilligt und geht davon aus, dass keine Umgehung des § 613a BGB vorliegt. Die Einzelheiten dazu sowie zur finanziellen Förderung der BQG durch die in § 110 und § 111 SGB III geregelten Transferleistungen werden im Abschnitt E. dieses Buches näher erläutert. 8 Ein wichtiges Instrument zur Sanierung des Unternehmens und zum Erhalt von Arbeitsplätzen ist schließlich die umlagenfinanzierte Insolvenzsicherung, die es dem Unternehmen erlaubt, bis zu drei Monaten ohne Personalkosten zu arbeiten. Die Grundlagen des Insolvenzgelds (§§ 165 ff. SGB III) werden im Abschnitt F. dieses Buches dargestellt.

2

B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz I. Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz und europäisches Recht Die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 613a BGB auf Betriebs- oder Be- 9 triebsteilveräußerungen durch den Insolvenzverwalter steht heute außer Frage. Die unter dem Begriff der sog. „konkursrechtlichen Ansicht“ zusammengefassten Kritiker der Anwendung des § 613a BGB in der Insolvenz mussten das Scheitern ihrer Bemühungen erkennen, nachdem § 613a BGB vom Gesetzgeber bereits zum 1.10.1996 mit dem Geleitschutz der §§ 113 Abs. 2 (mittlerweile in § 4 KSchG aufgegangen), 128 Abs. 2 InsO ausgestattet worden war. Diese Bestimmungen sind aufgrund Art. 6 des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes v. 29.6.1996 (BGBl I, 1476, 1478) neben anderen Vorschriften bereits vorzeitig zum 1.10.1996 in Kraft getreten. Vgl. zur früheren Gegenposition nur Laux, S. 51 ff.; Kretschmer, KTS 1977, 137, 144; Uhlenbruck, KTS 1974, 1, 4 ff.

Aus diesen Vorschriften und den zugehörigen Gesetzesmaterialien ergibt 10 sich mittelbar die jedenfalls grundsätzliche Anwendbarkeit des § 613a BGB auf Betriebs(teil)übergänge in der Insolvenz, womit die ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. nur BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB,

den gesetzgeberischen Segen erhielt. Der sachliche Anwendungsbereich des § 613a BGB reicht damit über jenen der Richtlinie 2001/23/EG hinaus, in deren Artikel 5 die Nichtanwendbarkeit (lediglich) der Individualschutzbestimmungen der Art. 3, 4 RL 2001/23/EG in der Insolvenz ausdrücklich klargestellt worden ist. Ein Spannungsverhältnis zwischen europäischem und deutschem Recht ergibt sich daraus nicht, da die Mitgliedstaaten außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie nicht – auch nicht mittelbar – an deren Regelungen und Wertungen gebunden sind und somit ohne Weiteres einen über sie hinausgehenden Arbeitnehmerschutz vorsehen können. Vgl. dazu v. Alvensleben, S. 265 f., 296.

Unzutreffend ist es daher, wenn das LAG Hamm davon ausgeht, die inner- 11 staatlichen Gerichte könnten angesichts Art. 5 RL 2001/23/EG „im Rahmen richtlinienkonformer Auslegung“ stärker als vormals berücksichtigen, dass § 613a BGB zur Erhaltung verbleibender Arbeitsplätze dient und deshalb „nicht kontraproduktiv, sondern sanierungsfreundlich und damit sanierungsfördernd angewendet werden soll“. LAG Hamm, Urt. v. 4.4.2000 – 4 Sa 1220/99, DZWIR 2000, 240, 243 = ZInsO 2000, 292.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

12 Denn das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationaler Vorschriften kann nach allgemeinen Grundsätzen nur innerhalb des Anwendungsbereichs der jeweiligen Richtlinie bestehen. Deshalb ist auch unter der Geltung des Art. 5 RL 2001/23/EG ein Festhalten an der überkommenen Rechtsprechung des BAG zur Anwendung des § 613a BGB in der Insolvenz möglich. Ebenso Bergwitz, DB 1999, 2005, 2010; Franzen, RdA 1999, 361, 368 f.; Waas/Johanns, EuZW 1999, 458, 460; Willemsen/Annuß, NJW 1999, 2073, 2075 f.

II. Beschränkte Wirkung des § 613a BGB in der Insolvenz 13 § 613a BGB entfaltet nach ständiger Rechtsprechung seine Wirkungen in der Insolvenz nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist die Bestimmung teleologisch zu reduzieren, um den insolvenzrechtlichen Fundamentalgrundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung mit der strengen Arbeitnehmerschutzfunktion des § 613a BGB zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Grundlegend BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117= AP Nr. 18 zu § 613a BGB.

14 Demgemäß gilt § 613a BGB zwar hinsichtlich seiner Bestandsschutzfunktion vollumfänglich auch in der Insolvenz, sodass die Arbeitsverhältnisse bei Vorliegen eines Betriebs(teil)übergangs auf den Erwerber übergehen und von diesem zu unveränderten Bedingungen fortgeführt werden müssen. Hingegen ist eine Haftung des Erwerbers gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern jedenfalls für solche Ansprüche, die vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind, ausgeschlossen, da die betreffenden Arbeitnehmer ansonsten im Gegensatz zu den übrigen Insolvenzgläubigern eine vollständige Befriedigung ihrer Forderungen erlangen könnten und diese noch zusätzlich dadurch benachteiligt würden, dass der Erwerber die Pflicht zur vollständigen Haftungsübernahme über den Kaufpreis auszugleichen versuchte. 15 Angesichts einiger irreführender Darstellungen sei hier ausdrücklich betont, dass nach bisheriger Auffassung des Bundesarbeitsgerichts maßgeblicher Scheidepunkt für die Begrenzung der Haftung grundsätzlich nicht der Augenblick des Betriebs(teil)übergangs, so wird das BAG etwa missverstanden von Franzen, DZWIR 2000, 248; Gaul, BB 1999, 526, 529,

sondern der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ist. Vgl. nur BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222 = AP Nr. 10 zu § 113 InsO; BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, ZIP 2010, 897, 898, dazu EWiR 2010, 311 (Büdenbender); mit einigen Unsicherheiten allerdings BAG, Urt. v. 16.2.1993 – 3 AZR 347/92, ZIP 1993, 1013 = DB 1993, 1374 = AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung,

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II. Beschränkte Wirkung des § 613a BGB in der Insolvenz dazu EWiR 1993, 757 (Joost); BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011 = AP Nr. 271 zu § 613a BGB, dazu EWiR 2004, 793 (Schnitker/Grau).

Der Erwerber haftet somit nicht nur für die erst nach Betriebsübergang, 16 sondern auch für die im Zeitraum zwischen Insolvenzeröffnung und Betriebsübergang entstandenen Ansprüche und Anwartschaften. In neueren Entscheidungen hat das BAG allerdings zusätzlich insbesondere auf die Qualität des Anspruchs abgestellt: Während der Erwerber für einfache Insolvenzforderungen nicht einzustehen brauche, hafte er für Masseforderungen unbeschränkt. Vgl. BAG, Urt. v. 15.1.2002 – 1 AZR 58/01, ZIP 2002, 1543 = NZA 2002, 1034, 1036; BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011 = AP Nr. 271 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03; BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, ZIP 2005, 457; BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 2009, 682, dazu EWiR 2009, 403 (Mückl); BAG, Urt. v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, ZIP 2010, 588, dazu EWiR 2010, 543 (Tintelnot/Graj); BAG, Urt. v. 14.11.2012 – 5 AZR 778/11.

Diese Haftungsbeschränkung gilt allerdings nur für solche Ansprüche, die 17 von den Arbeitnehmern zur Insolvenztabelle angemeldet werden können. Ansprüche können nur insoweit zur Insolvenztabelle angemeldet werden, als sie sich gegen den Insolvenzschuldner richten und daher wenigstens bei diesem entstanden sind. Zu beachten ist dabei, dass auch Forderungen, die – wie etwa Urlaubsansprüche – nicht auf Geld gerichtet sind, nach einer Umwandlung gemäß § 45 InsO zur Insolvenztabelle angemeldet werden können. Ausgenommen davon sind lediglich unvertretbare Handlungen, die sich nicht gegen das Vermögen des Schuldners, sondern gegen den Schuldner persönlich richten. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011 = AP Nr. 271 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, ZIP 2010, 897.

Wird ein im Zeitverlauf kontinuierlich entstehender einheitlicher Anspruch 18 erst nach Insolvenzeröffnung fällig, so haftet der Erwerber nur zeitanteilig für den nach Insolvenzeröffnung entstehenden Anspruchsteil, was insbesondere für Sonderzahlungen mit echtem Entgeltcharakter Bedeutung erlangt. Wimmer-Eisenbeis, InsO, Vor §§ 113 ff. Rn. 82.

Anders ist hingegen der Anspruch auf eine Gratifikation mit Mischcharakter 19 zu beurteilen, da sie an dem jeweils bezeichneten Stichtag nicht lediglich fällig wird, sondern insgesamt erst entsteht. Liegt der Stichtag daher nach Insolvenzeröffnung, haftet der Erwerber für die Gratifikation in vollem Umfang. BAG, Urt. v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94, ZIP 1996, 239, dazu EWiR 1996, 345 (Otto), EzA § 611 BGB Gratifikation Prämie Nr. 132.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

20 Urlaubsansprüche können nach Ansicht des BAG keinem bestimmten Zeitraum im Jahr zugeordnet werden, da sie nicht von einer Arbeitsleistung im Kalenderjahr abhängig seien und damit nicht monatlich verdient würden. Deshalb komme auch keine Zuordnung zu einem Zeitraum vor oder nach Insolvenzeröffnung in Betracht. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011 = AP Nr. 271 zu § 613a BGB.

21 Daraus ergebe sich, dass sämtliche noch nicht aus anderen Gründen verfallenen Urlaubsansprüche sich gegen den Erwerber richten, er sich also nicht darauf berufen kann, dass nur ein Teil der Urlaubsansprüche nach Insolvenzeröffnung „erdient“ worden ist. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, ZIP 2004, 1011 = AP Nr. 271 zu § 613a BGB.

22 Im Hinblick auf Altersteilzeit, die nach dem Blockmodell durchgeführt wird, ist wesentlich, dass alle vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdienten Ansprüche lediglich Insolvenzforderungen sind, für die der Erwerber nicht einzustehen brauche. Vielmehr hafte er nur für die nach Insolvenzeröffnung erdienten Ansprüche. BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, NZA 2005, 527, 528; BAG, Urt. v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, ZIP 2005, 457; BAG, Urt. v. 23.2.2005 – 10 AZR 600/03; BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 2009, 682.

23 Werde daher das Insolvenzverfahren erst während der Freistellungsphase eröffnet, seien sämtliche nach der Eröffnung zu leistenden Zahlungen Insolvenzforderungen und richteten sich daher nach einem Betriebs(teil)übergang aus einem eröffneten Insolvenzverfahren nicht gegen den Erwerber. Werde das Insolvenzverfahren hingegen noch während der Arbeitsphase eröffnet, sei die nach der Eröffnung verdiente Vergütung Masseforderung. Nur die sodann während der Freistellungsphase „spiegelbildlich“ zu dem nach Insolvenzeröffnung in der Arbeitsphase erdienten Teil auszuzahlende Vergütung sei ebenfalls Masseforderung, sodass auch nur für sie der Betriebs(teil)erwerber einstehen müsse. Vgl. BAG, Urt. v. 19.12.2006 – 9 AZR 230/06, AP Nr. 16 zu § 55 InsO; BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, ZIP 2009, 682.

24 Die Haftungsbegrenzung ist darüber hinaus insbesondere bei unmittelbaren Versorgungszusagen zu beachten, sodass der Erwerber zwar in die gegebenen Versprechen eintritt, im Versorgungsfall jedoch nicht die volle Betriebsrente schuldet, BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 16.2.1993 – 3 AZR 347/92, ZIP 1993, 1013 = DB 1993, 1374 = AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung,

sondern nur den nach Insolvenzeröffnung erdienten Teil. 6

II. Beschränkte Wirkung des § 613a BGB in der Insolvenz So eindeutig zuletzt BAG, Urt. v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, ZIP 2010, 897, 898; erstmals BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB; irreführend hingegen BAG, Urt. v. 16.2.1993 – 3 AZR 34/92, AP Nr. 15 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung.

Ist die Anwartschaft bei Insolvenzeröffnung bereits gesetzlich unverfallbar 25 (§ 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG), haftet für den auf die Zeit vor Insolvenzeröffnung entfallenden Teil nach übereinstimmender Ansicht der Pensionssicherungsverein (§ 7 Abs. 2 BetrAVG). Die Beschränkung der Erwerberhaftung gilt auch für solche Anwartschaften, die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht unverfallbar waren. Für sie ist allerdings der Pensionssicherungsverein nicht einstandspflichtig, sodass sie nur im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. BAG, Urt. v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, BAGE 50, 62 = ZIP 1986, 1001 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1986, 773 (Grunsky); grundlegend Wiedemann/Willemsen, RdA 1979, 418, 426 f.

Da die Betriebszugehörigkeit durch die Insolvenzeröffnung generell nicht 26 unterbrochen wird, können in diesem Zeitpunkt noch verfallbare Anwartschaften durch Zurücklegung weiterer Betriebszugehörigkeitszeiten beim Erwerber unverfallbar werden. An der soeben beschriebenen Aufspaltung der Haftung vermag das aber nichts zu ändern. Zu der vorstehend dargestellten teleologischen Reduktion des § 613a BGB 27 kommt es nur, sofern der Erwerb aus einem eröffneten Insolvenzverfahren stattfindet. Dem steht es nicht gleich, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird, BAG, Urt. v. 20.11.1984 – 3 AZR 584/83, BAGE 47, 206 = ZIP 1985, 561 = AP Nr. 38 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1985, 279 (Willemsen); unter Aufgabe von BAG, Urt. v. 3.7.1980 – 3 AZR 751/79, BAGE 34, 38 = ZIP 1980, 1015 = AP Nr. 22 zu § 613a BGB,

oder falls der vorläufige Insolvenzverwalter die Betriebs(teil)veräußerung vornimmt, selbst wenn es sich dabei um eine Masseverwertung im Interesse der Gläubiger handelt. Für letzteren Fall freilich anders noch BAG, Urt. v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BAGE 55, 229 = ZIP 1988, 120 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1988, 247 (Seiter); offen gelassen, sodann jedoch in BAG, Urt. v. 23.7.1991 – 3 AZR 366/90, BAGE 68, 160 = ZIP 1992, 49 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1992, 153 (Joost); BAG, Urt. v. 12.11.1991 – 3 AZR 559/90, ZIP 1992, 1013 = AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1992, 857 (Joost); wie hier Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 128 Rn. 58; vgl. dazu allgemein Göpfert, DB 1992, 1727 ff.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

28 Erfolgt hingegen der Erwerb aus einem eröffneten Insolvenzverfahren, so bleibt eine spätere Einstellung des Verfahrens mangels Masse für die Haftungsbegrenzung des Erwerbers ohne Bedeutung. BAG, Urt. v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, ZIP 1992, 1247 = DB 1992, 2559 = AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1992, 859 (Schaub).

29 Da es nur auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ankommt, sind die gleichen Beschränkungen der Haftungsfolgen anzuwenden, wenn das Verfahren später mit einem Insolvenzplan abgeschlossen wird. Auch hier haftet der Erwerber nur für die ab Insolvenzeröffnung entstehenden Ansprüche der Arbeitnehmer, sodass er bei einer Übernahme im laufenden Insolvenzplanverfahren besser steht, als wenn er dessen Abschluss abwartet, weil in diesem Fall die Altverbindlichkeiten in Höhe der Quote (vgl. § 254 InsO) nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf ihn übergehen. 30 Hat der Insolvenzverwalter gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO Masseunzulänglichkeit eingewandt und kommt es danach zu einem Betriebs(teil)übergang, so hat der Erwerber nur für die Neumasseverbindlichkeiten i. S. d. § 209 Abs. 2 InsO einzustehen. Offen gelassen BAG, Urt. v. 19.5.2005 – AP Nr. 283 zu § 613a BGB.

31 Besonders hinzuweisen ist auf eine Entscheidung des BAG vom 15.1.2002. Darin findet sich zunächst die Feststellung, dass die Haftungsbeschränkung auch in solchen Fällen eingreift, in denen die Betriebsvereinbarungen unverändert kollektivrechtlich und nicht nur nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgelten. BAG, Urt. v. 15.1.2002 – 1 AZR 58/01, ZIP 2002, 1543 = NZA 2002, 1034, 1036.

32 Bemerkenswert ist aber, dass der 1. Senat eine Haftung des Erwerbers für alle solchen Sozialplanansprüche unabhängig von ihrem Entstehungszeitpunkt ablehnt, die vor Insolvenzeröffnung oder während des Insolvenzverfahrens begründet worden sind. Im konkret entschiedenen Fall lehnte der 1. Senat eine Verpflichtung des Erwerbers durch einen in der Insolvenz aufgestellten Sozialplan ab, obwohl die Kündigungsfrist erst nach Betriebsübergang abgelaufen und damit der Anspruch auf Sozialplanabfindung erst beim Erwerber entstanden ist. BAG, Urt. v. 15.1.2002 – 1 AZR 58/01, ZIP 2002, 1543 = NZA 2002, 1034, 1036.

33 In Anknüpfung an diese noch zum Sozialplankonkursgesetz ergangene Entscheidung hat das BAG nunmehr unter der Geltung der InsO entschieden, dass vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner individuell vereinbarte Abfindungen auch dann nur als Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO geltend gemacht werden können, wenn der Anspruch auf sie erst nach der Insolvenzeröffnung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht.

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III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB BAG, Urt. v. 27.9.2007 – 6 AZR 975/06, ZIP 2008, 374, 376, dazu EWiR 2008, 335 (Holzer).

Anderes muss hingegen gelten, wenn vor Insolvenzeröffnung ein Retention- 34 Bonus vereinbart wird, der stets auch im Falle einer betriebsbedingten Kündigung zu zahlen ist, sofern der Ablauf der Kündigungsfrist nach betriebsbedingter Kündigung nach Insolvenzeröffnung liegt. Vgl. dazu nur BAG, Urt. v. 12.9.2013 – 6 AZR 980/11, ZIP 2014, 37, dazu EWiR 2014, 55 (Mückl).

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB knüpft seine Rechtsfolgenanordnung daran, dass 35 ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht. 1. Der Begriff des Betriebs oder Betriebsteils Die neuere Rechtsprechung des BAG zu § 613a BGB hat sich von dem letzt- 36 lich nichtssagenden „allgemeinen Betriebsbegriff“ gelöst, wonach unter Betrieb jene organisatorische Einheit zu verstehen sei, innerhalb derer ein Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Stattdessen rückt sie in teleologischer Interpretation des § 613a BGB zutreffend den Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ in den Vordergrund, womit die Unterscheidung zwischen Betrieb und Betriebsteil überflüssig wird. So jetzt auch ausdrücklich BAG, Urt. v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, 167.

Unter einer wirtschaftlichen Einheit in diesem Sinne versteht sie überein- 37 stimmend mit Art. 1 Nr. 1 lit. b) RL 2001/23/EG in ständiger Entscheidungspraxis jede „organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung“. Vgl. nur BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 855/07, NZA 2009, 723, 726; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 1/13, ZIP 2014, 1992.

a) Unterschied zwischen Betrieb(steil) und Funktionsbereich Was eine wirtschaftliche Einheit i. S. d. § 613a BGB ausmacht, sagt das Ge- 38 setz nicht. Nicht erforderlich ist jedenfalls, dass die betreffende Einheit innerhalb des Gesamtbetriebs formal abgegrenzt oder als besondere Betriebsabteilung bzw. unter gesonderten Kostenstellennummern geführt wird. Insoweit ist allein eine wertende („strukturorientierte“) Betrachtung vorzunehmen, die danach fragt, ob und ggf. inwieweit eine funktional und arbeitstechnisch abgrenzbare organisatorische Untergliederung des Betriebs vor-

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

liegt, selbst wenn diese im Gesamtbetrieb nur eine untergeordnete Hilfsfunktion wahrnimmt. BAG, Urt. v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, ZIP 2000, 200, dazu EWiR 2000, 421 (Fleddermann) = AP Nr. 196 zu § 613a BGB; abweichend allerdings noch BAG, Urt. v. 22.5.1985 – 5 AZR 30/84, BAGE 48, 365 = ZIP 1985, 1348 = AP Nr. 42 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1985, 853 (Griebeling); BAG, Urt. v. 29.9.1988 – 2 AZR 107/88 = AP Nr. 76 zu § 613a BGB, wo die Wahrnehmung unerheblicher Hilfsfunktionen nicht für ausreichend gehalten wurde.

39 Es ist daher möglich, gezielt „nur einen Teilbetrieb zu übernehmen und dabei andere Betriebsteile auszunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob der verbleibende Restbetrieb fortgesetzt werden könnte oder noch lebensfähig ist. Der Betriebsübergang folgt aus der Wahrung der Identität des übernommenen Betriebs beim Erwerber und nicht aus dem Untergang der früheren Identität des Gesamtbetriebs“. BAG, Urt. v. 24.8.2006 – 8 AZR 556/05 NZA 2007, 1320 = AP Nr. 315 zu § 613a BGB.

40 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG genügt die bloß funktionale Abgrenzbarkeit für die Begründung eines Betriebs oder Betriebsteils allerdings nicht. Die bloße funktionale Abgrenzbarkeit begründe nur einen Arbeitsbereich, während für das Vorliegen eines Betriebs(teils) darüber hinaus eine organisatorische Abgrenzbarkeit erforderlich sei. BAG, Urt. v. 17.4.2003 – 8 AZR 253/02 = AP Nr. 253 zu § 613a BGB: „Im vorliegenden Fall ist lediglich von der Klägerin vorgetragen, dass bei der F GmbH innerhalb der Lagerverwaltung ein Arbeitsbereich ‚Wareneingang’ mit vier Mitarbeitern bestand. Dies deutet lediglich auf einen abgrenzbaren Teilzweck des Arbeitsbereichs ‚Wareneingang’ hin, nicht aber auf eine organisatorische Selbständigkeit gegenüber anderen Bereichen. Die Klägerin hat nicht dargelegt, wie der ‚Wareneingang’ organisiert war, ob er durch einen der vier Mitarbeiter geleitet wurde oder in sonstiger Weise organisatorische Eigenständigkeit hatte“.

41 Wodurch diese organisatorische Abgrenzbarkeit begründet wird, konnte das BAG allerdings lange nicht nachvollziehbar definieren. Jedenfalls konstituiere die Existenz einer Vorgesetztenposition nicht ohne Weiteres einen Betriebsteil, wenn nicht weitere Anhaltspunkte für eine gewisse Selbstständigkeit hinzukommen. BAG, Urt. v. 16.2.2006 – 8 AZR 204/05, NZA 2006, 794, 796 f.

42 Allerdings könne eine organisatorische Eigenständigkeit ggf. auch durch eine eigene Leitung begründet werden. BAG, Urt. v. 30.10.2008 – 8 AZR 855/07, NZA 2009, 723, 726.

43 Bei betriebsmittelgeprägten Betrieben sei eine feste Zuordnung von sächlichen Betriebsmitteln und Arbeitnehmern erforderlich. 10

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB BAG, Urt. v. 27.9.2007 – 8 AZR 941/06, ZIP 2008, 801, 803, dazu EWiR 2008, 519 (Lindemann).

Bei betriebsmittelarmen Tätigkeiten könne ein Betriebsteil auch dadurch 44 konstituiert sein, dass bestimmte Arbeitnehmer dauerhaft in einem konkret abgegrenzten Aufgabengebiet eingesetzt werden. BAG, Urt. v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144, 146 = AP Nr. 354 zu § 613a BGB.

Der Rechtsprechung des BAG zum Betriebsteilbegriff des § 613a BGB man- 45 gelte bislang eine überzeugende normbezogene Konkretisierung. Sie muss beim Regelungsgehalt des § 613a BGB und dem Regelungszweck dieser Bestimmung ansetzen. Erblickt man die Rechtfertigung des § 613a BGB zutreffend darin, dass derjenige Erwerber, der sich den in einer bestehenden Arbeitsorganisation wurzelnden wirtschaftlichen Vorteil dadurch zu eigen macht, dass er die bestehende Arbeitsorganisation fortführt, sich also „ins gemachte Bett legt“, so BAG 6.4.2006 – 8 AZR 249/04,

und dadurch – verglichen mit der Situation beim gänzlichen Neuaufbau der Arbeitsorganisation – einen Wettbewerbsvorteil erlangt, auch die mit der Arbeitsorganisation verbundenen Lasten in Form der in ihr bestehenden Arbeitsverhältnisse zu übernehmen hat, so ist als Betriebsteil i. S. d. § 613a BGB jeder abgrenzbare Wertschöpfungs- bzw. Funktionszusammenhang zu verstehen, der einen über seine einzelnen Bestandteile hinausgehenden wirtschaftlichen Gesamtwert darstellt. Eine weitergehende organisatorische Selbstständigkeit ist daneben nicht erforderlich. So zutreffend im Ausgangspunkt auch EuGH 12.2.2009 – C-466/07, ZIP 2009, 433, 434; bestätigt durch EuGH 6.3.2014 – C-458/12 (Amatori).

Die zutreffende Erkenntnis des EuGH in der „Klarenberg-Entscheidung“ 46 vom 12.2.2009, im Ansatz ähnlich Salamon/Hoppe, NZA 2010, 989 ff.; nicht überzeugend hingegen die Kritik bei Willemsen, NZA 2009, 289 ff.; Willemsen/Sagan, ZIP 2010, 1205 ff.,

liegt auf einer Linie mit dem vom BAG in der Folge der „Güney-GörresEntscheidung“ des EuGH, EuGH 15.12.2005 – C-232/04, ZIP 2006, 95, 97,

unter Anknüpfung an Willemsen vertretenen richtigen Ansatz, wonach ein Betriebs(teil)übergang i. S. d. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB anzunehmen sei, wenn der „Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs“ auf den neuen Inhaber übertragen und von ihm tatsächlich genutzt würde.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz Vgl. nur BAG, Urt. v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05 NZA 2006, 1105, 1108 = AP Nr. 302 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 22.8.2013 – 8 AZR 521/12, AP Nr. 444 zu § 613a BGB.

47 Erkennt man nämlich an, dass § 613a BGB die in einer wirtschaftlichen Einheit wurzelnden arbeitsrechtlichen Lasten demjenigen auferlegen möchte, der sich den in der wirtschaftlichen Einheit gewonnenen unternehmerischen Gestaltungsaufwand zu eigen macht und dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der Situation bei einem eigenständigen Aufbau der wirtschaftlichen Einheit erlangt, so ist es folgerichtig, allein auf diejenigen Umstände abzustellen, die zur Erhaltung des auf die Schaffung eines wirtschaftlichen Mehrwerts gerichteten Prozesses erforderlich sind. Zu ihnen gehört indes regelmäßig nicht die formale äußere Organisation, sondern der Wertschöpfungsprozess wird üblicherweise allein durch eine spezifische materielle Verknüpfung bestimmter Einzelschritte definiert. Es verdient daher Zustimmung, wenn der EuGH in der Klarenberg-Entscheidung darauf hinweist, dass für die Bejahung einer übergangsfähigen Einheit (nach deutscher Terminologie also eines Betriebs- oder Betriebsteils) neben den für die Ermöglichung einer im Wesentlichen unveränderten wirtschaftlichen Tätigkeit erforderlichen Faktoren nicht zusätzlich eine besondere – wie auch immer zu bestimmende – organisatorische Selbstständigkeit verlangt werden darf. 48 Dabei ist es irreführend, wenn das BAG angesichts der Klarenberg-Entscheidung des EuGH meint, für die Erhaltung der Identität der übergangsfähigen wirtschaftlichen Einheit müsse „der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbständigkeit […] nicht vollständig bewahren, es genügt, dass dieser die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehält und es ihm derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.“ BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, ZIP 2010, 694 (m. Bespr. Willemsen/Sagan, S. 1205), dazu EWiR 2010, 241 (Fuhlrott), in diesem Sinne auch BAG, Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, ZIP 2012, 488 = NZA 2012, 504, dazu EWiR 2012, 235 (Oetker); vgl. dazu auch Salamon, NZA 2012, 482 ff.

49 Richtig ist es demgegenüber, mit Hauck allein danach zu fragen, „ob die Identität der wirtschaftlichen Einheit deshalb gewahrt bleibt, weil der Zusammenhang der funktionellen Verknüpfung der Wechselbeziehung und die gegenseitige Einschätzung zwischen dem übergegangenen Produktionsfaktoren erhalten bleibt.“ Hauck, FS Bauer 2010, S. 401, 406.

50 Schwierig ist es hingegen wiederum, wenn gesagt wird, für die Bestimmung des identitätsbildenden Kerns der wirtschaftlichen Einheit sei „nicht so sehr auf die konkrete Organisation der verschiedenen Produktionsfaktoren durch den Unternehmer abzustellen“,

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III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, ZIP 2009, 1976, 1978,

oder die Frage nach der funktionellen Verknüpfung der Produktionsfaktoren sei „[d]er bisherigen Rechtsprechung zu den Entscheidungsfallen […] als weiterer Prüfungspunkt hinzuzufügen.“ Hauck, FS Bauer, 2010, S. 401, 406.

Vielmehr ist – um es noch einmal zu betonen – für die Identität der wesent- 51 lichen Einheit allein auf den wertschöpfungsrelevanten Funktionszusammenhang abzustellen. Zutreffend versteht das BAG als Betriebsteil in einer jüngeren Entscheidung im Einklang damit eine „einsatzbereite Gesamtheit“, die als solche dazu ausreicht, „die für die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens charakteristischen Leistungen ohne Inanspruchnahme anderweitiger Betriebsmittel oder anderer Unternehmensteile erbringen zu können“. BAG, Urt. v. 22.8.2013 – 8 AZR 521/12, AP Nr. 444 zu § 613a BGB; vgl. auch BAG, Urt. v. 21.8.2014 – 8 AZR 648/13, NZA 2015, 167.

Zu Missverständnissen könnte schließlich die mittlerweile in ständiger Recht- 52 sprechung des EuGH und des BAG wiederholte Formulierung führen, wonach als übergangsfähiger Betrieb oder Betriebsteil nur eine „auf Dauer angelegte“ organisatorische Einheit in Betracht komme. Sofern man das Kriterium der Dauerhaftigkeit überhaupt für relevant hält, kritisch Annuß, BB 1998, 1582, 1583; Kempter, NZI 1999, 93, 95, ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 5,

dürfte es jedenfalls unzutreffend sein, dieses Erfordernis dahin zu verstehen, dass ein Betriebs(teil)übergang mangels beabsichtigter dauerhafter Fortführung der betrieblichen Einheit schon immer dann zu verneinen ist, wenn der Erwerber die organisatorische Einheit mit dem alleinigen Ziel der Beendigung eines vom Veräußerer bereits angearbeiteten Auftrags übernimmt, der mit der Erfüllung seine endgültige Erledigung finden soll. So aber Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 451 f.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.5.1995 – Rs. C – 48/94, AP Nr. 133 zu § 613a BGB – Rygaard.

Denn für den mit § 613a BGB verfolgten Schutzzweck der Sicherung des 53 „Gleichlaufs von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis“ ist allein entscheidend, ob der konkrete Arbeitsplatz in einer wesentlich gleichen organisatorischen Einbindung vom Erwerber fortgeführt werden soll, wohingegen keine Rolle spielt, für welchen Zeitraum die Fortführung beabsichtigt ist. Vgl. auch Gaul, § 6 Rn. 139 ff., der prinzipiell anderer Ansicht ist, allerdings ohne nähere Spezifizierung davon spricht, dass die Grenze zwischen dauerhafter und nicht dauerhafter Fortführung „fließend“ sei.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

b) Wesenskonstituierende Merkmale der wirtschaftlichen Einheit 54 Steht mit dem wertschöpfungsrelevanten Funktionszusammenhang der Bezugsrahmen für die Prüfung des Vorliegens einer übergangsfähigen wirtschaftlichen Einheit fest, so ist damit noch nicht entschieden, was ihren identitätsprägenden Kern ausmacht. Dies kann nicht abstrakt, sondern nur jeweils konkret aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung entschieden werden, die darauf abstellt, welche Elemente des wertschöpfungsrelevanten Funktionszusammenhangs unverzichtbar sind, um den in ihm – im Vergleich zu einer eigenständigen Neukombination seiner Bestandteile – liegenden unternehmerischen Mehrwert zu realisieren. 55 Je nach Art des Betriebs können dabei materielle und immaterielle Betriebsmittel, die Belegschaft, Kundenbeziehungen oder eine betriebsspezifische Tätigkeit von jeweils unterschiedlicher Bedeutung sein. Vgl. zuletzt insbesondere BAG, Urt. v. 22.8.2013 – 5 AZR 521/12, AP Nr. 444 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 18.9.2014 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 97.

56 In der Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch des BAG werden die identitätsprägenden Merkmale der wirtschaftlichen Einheit nicht isoliert positiv festgestellt. Vielmehr fragt die Rechtsprechung jeweils in Form einer „Vorher-Nachher-Betrachtung“ danach, ob die wirtschaftliche Einheit bei dem neuen Inhaber ihre Identität gewahrt habe. Angesichts dieser Rechtsprechung sollen auch hier die identitätsprägenden Merkmale erst nachfolgend bei der Beantwortung der Frage nach den an einen Übergang der wirtschaftlichen Einheit zu stellenden Anforderungen näher betrachtet werden. 2. Der Übergang des Betriebs oder Betriebsteils a) Grundlagen des Übergangs 57 Der Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils setzt voraus, dass derjenige wechselt, der innerhalb der organisatorischen Einheit den Einsatz der materiellen und immateriellen Betriebsmittel sowie der sonstigen betrieblichen Merkmale zur Verfolgung des jeweiligen arbeitstechnischen Zwecks im eigenen Namen tatsächlich koordiniert. Aus dem Erfordernis eines Wechsels der Betriebsinhaberstellung ergibt sich, dass der Tatbestand des § 613a BGB nur verwirklicht wird, wenn bereits beim ursprünglichen Betriebsinhaber ein übergangsfähiger Betrieb(steil) vorgelegen hat, der vom neuen Betriebsinhaber fortgeführt wird. Dies bedeutet insbesondere: x

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Ein Betriebs(teil)übergang kann nur dann vorliegen, wenn eine Mehrheit von Betriebsmitteln bereits beim ursprünglichen Inhaber in Form einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst waren, sodass es nicht genügt, wenn erst der neue Inhaber aus den erworbenen Betriebsmitteln eine wirtschaftliche Einheit erschafft. Wörtlich führt das BAG aus:

III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB „§ 613a BGB setzt für den Teilbetriebsübergang voraus, dass die übernommenen Betriebsmittel bereits bei dem früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils hatten. Es reicht nicht aus, wenn der Erwerber mit einzelnen bislang nicht teilbetrieblich organisierten Betriebsmitteln einen Betrieb oder Betriebsteil gründet.“ BAG, Urt. v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383 = BB 2005, 216; ebenso bereits BAG, Urt. v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, ZIP 2000, 200 = AP Nr. 196 zu § 613a BGB; vgl. auch BAG, Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, ZIP 2012, 488 = NZA 2012, 504 ff.

x

Kein Übergang des Betriebs(teils) liegt vor, wenn der bisherige Inhaber seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb oder Betriebsteil nicht einstellt, BAG, Urt. v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, ZIP 1999, 1318 = AP Nr. 189 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1999, 783 (Künz),

und Gleiches gilt, wenn der Erwerber einzelner Betriebsmittel nicht gleichzeitig die beim Veräußerer vorhandene Betriebsstruktur übernimmt, sondern nur die bei ihm bereits bestehende Struktur ausdehnt und ggf. um einzelne Funktionen erweitert. Betriebsstrukturen in diesem Sinne meint dabei die wertschöpfungsrelevanten Funktionszusammenhänge. Ein Betriebsteilübergang kann daher beispielsweise auch dann vorliegen, wenn der neue Inhaber den beim bisherigen Inhaber in einer Abteilung gebündelten Wertschöpfungszusammenhang unter Beibehaltung seiner Identität formal über mehrere Abteilungen „zerstreut“. x

Nach neuerer gefestigter Rechtsprechung des BAG liegt ferner dann kein Betriebs(teil)übergang vor, wenn der Erwerber zwar die Möglichkeit zur Führung des Betriebs(teils) erlangt, von dieser jedoch tatsächlich keinen Gebrauch macht. BAG, Urt. v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, ZIP 1999, 1318 = AP Nr. 189 zu § 613a BGB.

Daran ist nach der Klarenberg-Entscheidung des EuGH vom 12.2.2009, EuGH 12.2.2009, C-466/07, ZIP 2009, 433; bestätigt EuGH 29.7.2010, C-151/09, (VGT-FSP), NZA 2010, 1014; EuGH 6.3.2014, C-458/12 (Amatori),

festzuhalten. BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 8 AZR 1019/08, ZIP 2010, 694 (m. Bespr. Willemsen/Sagan, S. 1205).

Wesentliches Kriterium für den Übergang ist nach Ansicht des BAG die 58 „tatsächliche Weiterführung oder Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit“ durch den Erwerber.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 18.3.1999 – 8 AZR 159/98, ZIP 1999, 1318 = AP Nr. 189 zu § 613a BGB; vgl. für den Fall der Schließung und anschließenden Neueröffnung eines Einzelhandelsgeschäfts auch BAG, Urt. v. 2.12.1999 – 8 AZR 796/98, ZIP 2000, 711 = AP Nr. 188 zu § 613a BGB, dazu EWiR 2000, 471 (Schlachter). Neuerdings relativiert das BAG allerdings entsprechend der überkommenen Rechtsprechung des EuGH: „was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird“. BAG, Urt. v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, ZIP 2012, 488 = NZA 2012, 504 ff.; BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 8 AZR 683/11, ZfIR 2013, 382 (LS) = NJW 2013, 2379, dazu EWiR 2013, 313 (Hützen).

59 Soweit es um das Erfordernis der tatsächlichen Fortsetzung der Betriebstätigkeit geht, ist dem BAG grundsätzlich zuzustimmen. Nur dann macht der Erwerber sich die Vorteile der von einem anderen errichteten Betriebsorganisation zunutze, was allein die Rechtsfolgenanordnung des § 613a BGB rechtfertigt. Allerdings wird man wohl eine gewisse Subjektivierung vornehmen müssen. Ein Betriebs(teil)übergang liegt bereits im Zeitpunkt des Übergangs der Leitungsmacht beispielsweise auch dann vor, wenn der Erwerber zwar zunächst eine Betriebspause einlegt, jedoch von vornherein die Betriebstätigkeit nach einer gewissen Zeit wieder aufnehmen möchte, sofern nicht bereits allein diese zeitliche Unterbrechung zu einem Verlust der Identität der betreffenden betrieblichen Einheit führt. Würde man diese Subjektivierung nicht vornehmen, könnte es bei Zwischenschaltung von Betriebspausen zu unerträglichen Schwebezuständen kommen. Andererseits ist unter Beachtung der Rechtsprechung von EuGH und BAG davon auszugehen, dass es auch bei ursprünglich fehlender Absicht zur Betriebs(teil)fortführung zu einem Betriebs(teil)übergang kommen kann, wenn die bisherige betriebliche Tätigkeit unter Ausnutzung der betrieblichen Struktur wieder aufgenommen wird. Insoweit a. A. noch Willemsen/Annuß, Anm. zu BAG EzA § 613a BGB Nr. 153.

60 Diese Gefahr besteht immer dann, wenn es innerhalb der vom BAG in anderem Zusammenhang als maßgeblich angedeutete Zeiträume von sechs bis neun Monaten nach Stilllegung durch den „Veräußerer“ zu einer Wiederaufnahme der betrieblichen Tätigkeit unter Fortführung der vormaligen Betriebsstruktur kommt. Vgl. BAG, Urt. v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, ZIP 1997, 1555 = BAGE 86, 20 = AP Nr. 154 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1997, 835 (Blomeyer); BAG, Urt. v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, ZIP 1998, 36 = AP Nr. 16 zu EWG-Richtlinie 77/187 einerseits, dazu EWiR 1998, 163 (Junker/Schnelle und BAG, Urt. v. 27.4.1995 – 8 AZR 197/94, BAGE 80, 74 = ZIP 1995, 1540 = AP Nr. 128 zu § 613a BGB andererseits, dazu EWiR 1995, 963 (Plander).

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III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB

b) Der Übergang im Einzelnen In der Rechtsprechung des BAG hat die Unterscheidung zwischen betriebs- 61 mittelarmen und betriebsmittelgeprägten wirtschaftlichen Einheiten für die Beantwortung der Frage, welche betrieblichen Merkmale zur Begründung eines Betriebs(teil)übergangs auf einen anderen Inhaber übergehen müssen, zwar eine zurückgehende, so wohl auch ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 12; siehe etwa BAG, Urt. v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, AP Nr. 373 zu § 613a BGB: „Allein der Umstand, dass sämtliche Betriebsmittel […] für die Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind, führt noch nicht dazu, dass diese Betriebsmittel für die betriebliche Tätigkeit identitätsbildend sind und damit zur Annahme eines betriebsmittelgeprägten Betriebs führen“,

aber immer noch eine zentrale Bedeutung. Vgl. BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, AP Nr. 353 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, AP Nr. 441 zu § 613a BGB.

Aus der prinzipiellen Unterscheidung zwischen betriebsmittelgeprägten und 62 nicht betriebsmittelgeprägten Betrieben in der Rechtsprechung des BAG ergibt sich insbesondere, dass bei Handels- und Dienstleistungsunternehmen wesentlich auf die immateriellen Betriebsmittel, wie Kundenstamm, Geschäftsbeziehungen zu Dritten, Know-how und Goodwill, abzustellen ist. Handelt es sich um eine in jeder Hinsicht betriebsmittelarme Tätigkeit, so erlangt die organisierte Gesamtheit des Personals in besonderem Maße prägende Kraft. Allerdings kann auch nach Ansicht des BAG bei Produktionsunternehmen 63 den Fähigkeiten einzelner Arbeitnehmer besondere Bedeutung zukommen. Das BAG stellt dazu in ständiger Rechtsprechung fest: „Ist ein Betrieb stärker durch das Spezialwissen und die Qualifikation der Arbeitnehmer geprägt, kann neben anderen Kriterien ausreichen, dass wegen ihrer Sachkunde wesentliche Teile der Belegschaft übernommen werden.“ BAG, Urt. v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, BAGE 87, 115 = ZIP 1998, 167 = AP Nr. 169 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/99, NZA 1999, 706, 707; BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, 474.

Liegen bei einfachen Dienstleistungstätigkeiten keine wesentlichen Befähi- 64 gungsunterschiede bei den Arbeitnehmern vor, so genügen auch bei betriebsmittelarmen Einheiten nach Ansicht des BAG 75 % der Belegschaft nicht, um den wesenskonstituierenden Teil der wirtschaftlichen Einheit zu begründen. BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, ZIP 1999, 632 = NZA 1999, 420, 422, dazu EWiR 1999, 935 (Bormann).

Hingegen sollen 85 % der Arbeitnehmer unter sonst gleichen Voraussetzungen 65 grundsätzlich genügen.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, ZIP 1998, 666 = NZA 1998, 534 ff., dazu EWiR 1998, 445 (Plander); vgl. aber auch LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 5.7.2001 – 1(4)Sa 430/00, NZA-RR 2002, 70 ff.: „Die Malerei hatte ehemals 18 Mitarbeiter. Von diesen 18 Mitarbeitern hat die Beklagte jedenfalls 4 Gesellen übernommen, um sich deren Know-how zunutze zu machen. Von ehemals 18 Mitarbeitern […] sind insgesamt 10 Personen übernommen worden. Damit hat sie einen wesentlichen Teil der Belegschaft übernommen.“ Vgl. auch LAG Thüringen, Urt. v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, ZIP 2001, 1106 = NZA-RR 2001, 121 ff., dazu EWiR 2001, 857 (Künzl).

66 Entscheidend ist aber, dass die Frage nach dem Übergang des Wertschöpfungszusammenhangs auch bei betriebsmittelarmen Dienstleistungen nicht allein quantitativ beantwortet werden kann. Stets ist eine quantitativ wertende Betrachtung erforderlich. Zutreffend formuliert das BAG daher, dass eine Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals auch dann vorliegen könne, „wenn die übernommenen Mitarbeiter – aufbauend auf dem bereits vorhandenen Wissen und Können – noch weiter geschult werden müssen, um die schwierigen und komplexen neuen Aufgaben bei dem Betriebsübernehmer erfüllen zu können“. BAG, Urt. v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412, 1415.

67 Für die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb oder Betriebsteil i. S. d. § 613a Abs. 1 BGB auf einen anderen Inhaber übergegangen ist, sind sämtliche Betriebsmittel, die in dem betreffenden Betrieb oder Betriebsteil genutzt werden, zu berücksichtigen. Gleichgültig ist, in wessen Eigentum die Betriebsmittel stehen und ob sie dem Betriebsinhaber zur eigenwirtschaftlichen Nutzung überlassen sind. Allein die Übernahme sachlicher Betriebsmittel begründe einen Betriebs(teil)übergang, wenn – das ist der allgemeine Maßstab für das Vorliegen eines Betriebs(teil)übergangs – „bei wertender Betrachtungsweise ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht.“ Vgl. BAG, Urt. v. 2.3.2006 – 8 AZR 147/05 NZA 2006, 1105, 1107 = AP Nr. 302 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, ZIP 2006, 1917 = ZIP 2006, 1917, 1919; BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, 473; BAG, Urt. v. 25.6.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412, 1415; BAG, Urt. v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, AP Nr. 441 zu § 613a BGB, dazu EWiR 2014, 227 (Hützen).

68 Allerdings gehörten sächliche Betriebsmittel nicht allein deshalb zum Kern des Wertschöpfungszusammenhangs, weil sie zur Einbringung der Dienstleistung unverzichtbar sind.

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III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, 473; missverständlich insoweit etwa BAG, Urt. v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, ZIP 2006, 1917, 1919.

Wörtlich formuliert das BAG etwa für den Fall einer Auftragsnachfolge im 69 Bereich des Bewachungsgewerbes: „Auch weitere materielle Betriebsmittel, wie Fahrzeuge, Pistolen, Dienstkleidung und Sicherheitsausrüstung, sind nicht identitätsprägend für die Bewachungsleistung. Zwar sind auch diese materiellen Betriebsmittel erforderlich für die Erbringung der konkreten Bewachungsleistung. Neben dem Einsatz der menschlichen Arbeitskraft käme ihnen aber bei weiterer Betrachtungsweise eine eher untergeordnete Rolle zu, denn sie sind leicht austauschbar und auf dem Markt […] unschwer zu erwerben.“ BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469, 473; siehe demgegenüber aber auch die nicht überzeugende Entscheidung BAG, Urt. v. 23.5.2013 – 8 AZR 207/12, AP Nr. 441 zu § 613a BGB.

Versucht man vor dem Hintergrund der soeben skizzierten Eckpunkte zu 70 bestimmen, wann ein Betrieb(steil)übergang vorliegt, so hat man die ständige Rechtsprechung des EuGH und des BAG zu beachten, wonach „sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Umstände berücksichtigt werden müssen.“ BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, ZIP 2009, 1976, 1977.

Wörtlich beschreibt das BAG in Einklang mit dem EuGH die durch eine 71 „7-Punkte-Prüfung“ vorstrukturierte Gesamtbetrachtung wie folgt: „Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude oder bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen, wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben.“ BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, ZIP 2009, 1976, 1977.

Dabei wird in der Rechtsprechung zutreffend besonders betont, dass

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„[d]en für das Vorliegen eines Übergangs maßgeblichen Kriterien […] je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu[kommt].“ BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, ZIP 2009, 1976, 1977.

So könne in Wertschöpfungszusammenhängen, in denen es im Wesentlichen 73 auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, „auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wah-

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz rung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte.“ BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, ZIP 2009, 1976, 1977.

74 Hingegen könne in betriebsmittelgeprägten Betrieben ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen. Betriebsmittel seien bei der Prüfung eines Betriebs(teil)übergangs unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie vom Betriebsinhaber unabhängig von bestehenden Auftragsverhältnissen eigenwirtschaftlich genutzt werden konnten. EuGH 15.12.2005 – C-232/04 (Güney-Görres), ZIP 2006, 95, 97; BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, ZIP 2009, 1976, 1977; BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 8 AZR 181/11, NZA 2013, 344.

75 In keinem Fall aber reiche die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen Betriebsinhaber (Funktionsnachfolge) oder die reine Auftragsnachfolge zur Begründung eines Betriebs(teil)übergangs aus. Die übergangsfähige wirtschaftliche Einheit dürfe nämlich nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07, ZIP 2009, 1976, 1977, unter Anknüpfung an die insoweit richtungsweisende Entscheidung des EuGH vom 11.3.1997 – C-13/95 (Ayse Süzen), ZIP 1997 516.

76 Auch eine längere Unterbrechung der Betriebstätigkeit kann dazu führen, dass der neue Inhaber nicht den Kern des Wertschöpfungszusammenhangs vom bisherigen Inhaber übernimmt. Im Einzelnen misst die Rechtsprechung der Dauer der Betriebsunterbrechung erheblich unterschiedliche Bedeutung bei. Als Indiz gegen das Vorliegen eines Betriebsübergangs wurden etwa angesehen: Unterbrechungen von fünf Monaten beim Umbau einer Gaststätte (BAG, Urt. v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95, ZIP 1998, 36 = NZA 1998, 31) bzw. von neun Monaten beim Umbau eines Einzelhandelsgeschäfts (BAG, Urt. v. 17.7.1997 – 8 AZR 156/95 (B), ZIP 1997, 1554 = NZA 1997, 1050 ff.); ebenso für Gaststättenumbau BAG, Urt. v. 27.4.1995 – 8 AZR 200/94, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 83; vgl. aber auch BAG, Urt. v. 3.7.1986 – 2 AZR 68/85, ZIP 1986, 1595 = NZA 1987, 123 f., wonach eine Stilllegung von knapp vier Monaten jedenfalls dann kein Indiz gegen einen Betriebsübergang darstellt, wenn von vornherein eine Fortführungsabsicht bestanden hat, dazu auch EWiR 1987, 33 (Birk).

77 Die Betriebsidentität kann auch durch eine Verlagerung der betrieblichen Aktivitäten an einen weit entfernten Ort verloren gehen. Feste Kriterien hierzu hat die Rechtsprechung bislang aber nicht entwickelt. Mit Vorsicht zu begegnen ist jedenfalls einer Entscheidung des LAG Nürnberg, wonach bei

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III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB

einem Produktionsbetrieb bereits eine Verlegung um 25 km zu einem Untergang der Betriebsidentität führen kann. LAG Nürnberg, Urt. v. 26.8.1996 – 7 Sa 981/95, LAGE § 613a BGB Nr. 51; vgl. auch LAG Düsseldorf, Urt. v. 16.2.1995 – 12 Sa 1925/94, LAGE § 613a BGB Nr. 45; siehe ferner LAG Berlin, Urt. v. 18.9.1998 – 6 Sa 53/98, unveröffentlicht (bzw. ARST 1999, 188) mit einer problematischen vertragsakzessorischen Betrachtung, wonach „der Umstand, dass die Arbeitnehmer am neuen Betriebssitz nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet sind, der Annahme entgegen[steht], dass die bisherige organisatorische Einheit allein durch Verlegung der materiellen Betriebsmittel dorthin ihre Identität erhalten hat“.

Die Skepsis gegenüber dem Ansatz des LAG Nürnberg wird bestätigt durch 78 einen Blick in eine einschlägige Entscheidung des BAG: „Zwar geht die Ähnlichkeit einer betrieblichen Tätigkeit und damit die Identität der wirtschaftlichen Einheit nicht bereits dadurch verloren, dass ein Erwerber den Betrieb verlegt. Die wirtschaftliche Einheit kann trotz Ortsverlegung gewahrt bleiben, wenn der Erwerber eines Produktionsbetriebs Produktionsmittel verlagert und an einem anderen Ort mit gleicher Arbeitsorganisation und gleichen Betriebsmethoden die Produktion weiterführt“. BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, AP Nr. 237 zu § 613a BGB = ZInsO 2003, 43; siehe zur Verlagerung ins Ausland die hinsichtlich ihrer Begründung zweifelhafte Entscheidung des BAG, Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, ZIP 2011, 2023 = NZA 2011, 1143, dazu EWiR 2011, 699 (Rossa/Fuhlrott).

Hingegen können wesentliche Änderungen der betrieblichen Tätigkeit oder 79 des mit der betrieblichen Einheit verfolgten unternehmerischen Konzepts der Annahme eines Betriebs(teil)übergangs entgegenstehen, wenn der neue Inhaber infolgedessen nicht den Kern des bisherigen Wertschöpfungszusammenhangs übernommen hat und tatsächlich fortführt. BAG, Urt. v. 29.3.2007 – 8 AZR 519/06, NZA 2007, 927, 930; BAG, Urt. v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, ZIP 2006, 1545, 1548; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, ZIP 2006, 2181, 2183; BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93, 98 = AP Nr. 11 zu § 113 InsO.

Eine solche zum Ausschluss eines Betriebs(teil)übergangs i. S. d. § 613a 80 Abs. 1 BGB führende Konzeptänderung soll nach Ansicht des BAG allerdings nicht vorliegen, wenn ein Arbeitgeber sein Personal auf eine Servicegesellschaft überträgt, um es von dort im Wege der Arbeitnehmerleihe zur Erledigung im Wesentlichen unveränderter betrieblicher Aufgaben zurückzuholen. Denn – so das BAG in zweifelhafter Argumentation – die Servicegesellschaft erbringe die gleiche Leistung, die bislang das übertragende Unternehmen selbst erbracht hat, indem sie ihm die übernommenen Arbeitskräfte wieder zur Verfügung stellt.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144, 147 = AP Nr. 354 zu § 613a BGB; grundsätzlich anders – und zutreffend – allerdings BAG, Urt. v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, AP Nr. 389 zu § 613a BGB.

81 Nicht überzeugend ist schließlich jene Ansicht, wonach die Identität der wirtschaftlichen Einheit und damit ein Betriebs(teil)übergang durch die bloße Veränderung von Arbeitsvertragsinhalten (etwa eine Veränderung der Lage der Arbeitszeit) vermieden werden könne. So aber Müller-Glöge, NZA 1999, 449, 452; HWK/Willemsen, § 613a BGB Rn. 152; wie hier ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 28.

c) Der Zeitpunkt des Übergangs 82 Angesichts der lediglich modifizierten Anwendbarkeit des § 613a BGB in der Insolvenz ist von entscheidender Bedeutung, ob der Betriebs(teil)übergang vor oder nach Insolvenzeröffnung liegt. Ein Betriebs(teil)übergang ist nach Auffassung des BAG anzunehmen, sobald der Betriebserwerber aufgrund rechtsgeschäftlicher Übereinkunft in der Lage ist, die Leitungsmacht im Betrieb mit dem Ziel der Betriebsfortführung auszuüben. Nicht erforderlich sei, dass die Betriebsleitungsmacht zu diesem Zeitpunkt bereits tatsächlich ausgeübt werde. BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1914 = AP Nr. 148 zu § 613a BGB; dazu EWiR 1997, 153 (Griebeling); inwieweit das Kriterium der „rechtsgeschäftlichen Übereinkunft“ hier tatsächlich entscheidend ist, erscheint angesichts der nachfolgend (Rn. 85 ff.) dargestellten Rechtsprechung zur Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „durch Rechtsgeschäft“ zweifelhaft.

83 Gleiches gilt darüber hinaus, wenn zwar der schuldrechtliche Vertrag vor Insolvenzeröffnung abgeschlossen wird, jedoch der Übergang der Leitungsmacht rechtlich wie tatsächlich unter die Bedingung der Insolvenzeröffnung gestellt ist. Vgl. BAG, Urt. v. 4.7.1989 – 3 AZR 756/87, ZIP 1989, 1422 = DB 1989, 2541 = AP Nr. 10 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1990, 455 (Höfer/Küpper).

84 Ferner muss es möglich sein, mit einer solcherart bedingten Rechts- und Tatsachengestaltung den Abschluss eines echten Betriebsführungsvertrags bis zur Übertragung der Leitungsmacht zu verbinden, ohne die Rechtsfolgen des § 613a BGB auszulösen. Denn eine im Namen und für Rechnung des bisherigen Betriebsinhabers ausgeübte Betriebsführung verwirklicht nicht den Tatbestand des § 613a BGB. Allerdings ist hier auf eine klare und im Streitfalle leicht nachweisbare Gestaltung besonderes Augenmerk zu legen. Denn das BAG erkennt in dem Umstand, dass alle für den Betriebs(teil)übergang erforderlichen Rechtsgeschäfte bereits vor Insolvenzeröffnung abschlie-

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III. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB

ßend verhandelt waren, ein Indiz für die Übertragung auch der tatsächlichen Leitungsmacht noch außerhalb der Insolvenz. BAG, Urt. v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, ZIP 1996, 1914 = AP Nr. 148 zu § 613a BGB.

3. Übergang des Betriebs oder Betriebsteils durch Rechtsgeschäft Der Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB verlangt für die Auslösung der 85 Rechtsfolgen des § 613a BGB einen Betriebs(teil)übergang „durch Rechtsgeschäft“. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nach übereinstimmender Ansicht weit zu interpretieren. So besteht Einigkeit darüber, dass es ausreicht, wenn der Erwerber den Betrieb oder Betriebsteil über eine Kette oder ein Bündel von Rechtsgeschäften erlangt, falls diese in ihrer Gesamtheit auf die Übernahme eines funktionsfähigen Betriebs oder Betriebsteils gerichtet sind. Vgl. nur BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, ZIP 1998, 666 = AP Nr. 172 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1998, 445 (Plander). Hingegen findet § 613a BGB keine Anwendung, wenn es in der öffentlichen Verwaltung im Rahmen eines (schlichten) Organisationsakts zur Funktionsübertragung auf einen anderen Verwaltungsträger kommt (vgl. nur BAG, Urt. v. 20.3.1997 – 8 AZR 856/95, AP Nr. 24 zu Art. 13 Einigungsvertrag) sowie bei der gesetzlichen Ausgliederung von Betrieben aus dem Vermögen eines Landes auf eine Anstalt des öffentlichen Rechts (vgl. nur BAG, Urt. v. 18.12.2008 – 8 AZR 660/07, AP Nr. 366 zu § 613a BGB. BAG, Urt. v. 14.7.2010 – 10 AZR 84/09); unklar allerdings nunmehr EuGH, Urt. v. 6.9.2011 – C-108/10 – Scattolon, NZA 2011, 1077; dazu Steffan, NZA 2012, 473 ff.

Ferner ist nicht erforderlich, dass die den Übergang herbeiführenden Rechts- 86 geschäfte unmittelbar zwischen Veräußerer und Erwerber bestehen, sondern es genügt, wenn die den Betriebsablauf sowie die betriebliche Einheit leitende Person überhaupt infolge rechtsgeschäftlicher Handlungen wechselt. BAG, Urt. v. 26.8.1999 – 8 AZR 827/98, ZIP 2000, 286 = AP Nr. 197 zu § 613a BGB, dazu EWiR 2000, 327 (Künzl).

Unerheblich sei auch, ob die Rechtsgeschäfte wirksam sind. Denn der Schutz- 87 zweck des § 613a BGB gebietet, allein auf die willentliche Übernahme der Organisations- und Leitungsmacht abzustellen. ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 61.

Im Übrigen ist es nach Ansicht des BAG generell keine Voraussetzung eines 88 Betriebs(teil)übergangs „durch Rechtsgeschäft“, dass dem Erwerber die Befugnis zur Fortführung des Betriebs übertragen wurde. BAG, Urt. v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, ZIP 1998, 666 = AP Nr. 172 zu § 613a BGB.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

89 Demgemäß bedürfe es neben der Tatsache des Wechsels in der Inhaberstellung keiner „besonderen Übertragung einer irgendwie gearteten Leitungsmacht“. Zuletzt BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, AP Nr. 353 zu § 613a BGB.

90 Bei Zugrundelegung dieser Ansicht dürfte ein Betriebs(teil)übergang bei maßgeblich durch das Know-how der Beschäftigten geprägten Einheiten beispielsweise dann gegeben sein, wenn der bisherige Inhaber den betreffenden Betrieb oder Betriebsteil endgültig schließt und ein Wettbewerber aus eigenem Antrieb in die dadurch eröffnete Marktlücke ohne jeden Kontakt mit dem bisherigen Inhaber vorzustoßen versucht, sofern er dazu den bereits vom bisherigen Inhaber genutzten Kern des Wertschöpfungszusammenhangs nutzt. IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen 91 Wie bereits eingangs näher dargestellt, findet § 613a BGB hinsichtlich seiner Bestandsschutzfunktion auch bei Betriebs(teil)übergängen in der Insolvenz uneingeschränkte Anwendung. Im Einzelnen ergibt sich aus dieser Feststellung Folgendes: 1. Übergang der Arbeitsverhältnisse 92 Auf den Erwerber werden sämtliche in der jeweiligen betrieblichen Einheit im Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse zu unveränderten Bedingungen übergeleitet. Hingegen bleiben bereits beendete Arbeitsverhältnisse – auch bezüglich ihrer Nachwirkungen – unberührt, sodass insbesondere Rechte und Pflichten aus Ruhestandsverhältnissen nicht nach § 613a BGB auf den Erwerber übergeleitet werden, sondern beim Veräußerer weiterexistieren. Sind im Zeitpunkt des Übergangs bestehende Arbeitsverhältnisse wirksam gekündigt oder befristet, gehen sie für ihre jeweilige Restlaufzeit auf den Erwerber über. Das BAG hat ausdrücklich klargestellt, dass § 613a BGB das Anstellungsverhältnis eines GmbH-Geschäftsführers nicht erfasst. BAG, Urt. v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, ZIP 2003, 1010 = BB 2003, 2242 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB Organvertreter, dazu EWiR 2003, 621 (Wank).

93 Nicht grundsätzlich ausgeschlossen erscheint allerdings, dass ein unter dem Dienstverhältnis liegendes „ruhendes Arbeitsverhältnis“ gemäß § 613a BGB auf den Erwerber übergeht. 2. Zuordnung der Arbeitsverhältnisse zur übergehenden Einheit 94 § 613a BGB betrifft nur solche Arbeitsverhältnisse, die in der jeweils übergehenden betrieblichen Einheit bestehen. Welche Arbeitsverhältnisse dies sind,

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen

lässt sich einfach bestimmen, wenn ein Unternehmen nur aus einem Betrieb besteht und dieser vollständig auf einen neuen Inhaber übertragen wird, da in diesem Fall ohne Weiteres sämtliche mit dem Veräußerer bestehenden Arbeitsverhältnisse übergehen. Hingegen kann es zu Unsicherheiten kommen, wenn nur einer von mehreren organisatorisch oder funktional miteinander in Beziehung stehenden Betrieben oder Betriebsteilen veräußert wird. Früher nahm die Rechtsprechung an, dass die Zuordnung jeweils danach vorzunehmen sei, „für welchen Betrieb oder Betriebsteil der Arbeitnehmer vor der Betriebsveräußerung überwiegend tätig war“, vgl. nur BAG, Urt. v. 20.7.1982 – 3 AZR 261/80, ZIP 1983, 107 = AP Nr. 31 zu § 613a BGB,

sodass auf den objektiven Tätigkeitsschwerpunkt abgestellt wurde. Diesen funktionsakzessorischen Ansatz hat das BAG zwischenzeitlich aufgegeben und in Anlehnung an die schon bisher ständige Rechtsprechung des EuGH festgestellt, der Übergang eines Arbeitsverhältnisses setze voraus, „dass der betroffene Arbeitnehmer dem übertragenen Betriebsteil angehört“. BAG, Urt. v. 21.1.1999 – 8 AZR 298/98, ZInsO 1999, 361; zuletzt BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617.

Ganz im Gegensatz zu seiner früheren Rechtsprechung weist das BAG jetzt 95 ausdrücklich darauf hin, dass es nicht genüge, wenn der Arbeitnehmer einer anderen Betriebsabteilung angehöre, die lediglich Tätigkeiten für den übertragenen Betriebsteil verrichtet. Dieser Rechtsprechungswandel hat die praktisch außerordentlich bedeutsame Konsequenz, dass ein Erwerber, der nur die Produktionsbereiche eines anderen Unternehmens erwirbt und die mit dieser im Zusammenhang stehenden Verwaltungstätigkeiten künftig in seiner bereits vorhandenen eigenen Verwaltung auszuführen beabsichtigt, nur die in der Produktion des Veräußerers beschäftigten Arbeitnehmer nach § 613a BGB zu übernehmen braucht. Hingegen können sich Arbeitnehmer der Verwaltungsabteilung nicht auf einen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse berufen, da ihre Abteilung beim Veräußerer bleibt und der Erwerber nur die bislang in der Verwaltung ausgeübte Funktion übernimmt. Der bloße Übergang einer Funktion reicht jedoch für einen Betriebs(teil)übergang nicht aus. So bereits Müller/Thüsing, ZIP 1997, 1869, 1875; ausdrücklich BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, ZIP 2002, 2003 = AP Nr. 232 zu § 613a BGB: „Betriebsteile wie z. B. ein Verwaltungsbereich gehen damit nur dann über, wenn dessen sächliche oder immaterielle Betriebsmittel übergegangen sind oder wesentliche Teile des dort nach Zahl und Sachkunde beschäftigten Personals. Eine bloße Wahrnehmung der gleichen Funktion beim Erwerber mit dessen eigenem Personal reicht für den Betriebsübergang nicht aus“. Ebenso BAG, Urt. v. 24.8.2006 – 8 AZR 556/05; ebenso BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617.

Problematisch sind hingegen solche Konstellationen, in denen Arbeitnehmer 96 in verschiedene Teilstrukturen tatsächlich eingegliedert sind und lediglich ein 25

B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

Ausschnitt der den konkreten Arbeitsplatz prägenden Teilstruktur übertragen wird. Sofern hier nicht mit dem Arbeitnehmer eine einvernehmliche Regelung gefunden wird, besteht angesichts des zerstrittenen Schrifttums und des Fehlens einschlägiger Rechtsprechung eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Lässt sich in derartigen Konstellationen allerdings ein quantitativer Tätigkeitsschwerpunkt feststellen, ist dieser entscheidend. So auch BAG, Urt. v. 22.7.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383.

97 Ist die Ermittlung eines quantitativen Tätigkeitsschwerpunktes nicht möglich, wird in der Literatur entweder ein Wahlrecht des Arbeitnehmers oder ein Zuordnungsrecht des Arbeitgebers angenommen bzw. eine Zweifelsregelung befürwortet, wonach der Übergang des Arbeitsverhältnisses „im Zweifel“ entweder bejaht oder verneint wird. Vgl. näher Staudinger-Annuß, BGB, § 613a Rn. 143.

98 Die Rechtsprechung des BAG hat sich in jüngster Zeit der Ansicht angeschlossen, wonach die Zuordnung bei Fehlen anderweitiger Vereinbarungen durch den Arbeitgeber grundsätzlich aufgrund des Weisungsrechts des Arbeitgebers erfolgt. BAG, Urt. v. 21.2.2013 – 8 AZR 877/11, 617.

99 In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit durch kurzfristige Umsetzungen vor dem Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs der Kreis der übergehenden Personen beeinflusst werden kann. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn in der übertragenen Einheit schwächere Arbeitnehmer beschäftigt sind, die durch leistungsfähigere Arbeitnehmer aus anderen Betrieben oder Betriebsabteilungen ersetzt werden sollen. Verlässliche Rechtsprechung zu diesem Problem ist bislang nicht vorhanden. Zutreffend wird man jedoch darauf abzustellen haben, welche Arbeitnehmer bei einer auf den Zeitpunkt des Übergangs bezogenen Betrachtung „regelmäßig“ auf den übergeleiteten Arbeitsplätzen eingesetzt sind, sodass eine ähnliche Wertung wie etwa bei §§ 1, 99, 111 BetrVG, § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmen ist. Siehe dazu Kreitner, FS Küttner 2006, S. 399, 413 f.

3. Widerspruchsrecht und Unterrichtung der Arbeitnehmer a) Voraussetzungen des Widerspruchsrechts 100 Der Übergang der einem übertragenen Betrieb oder Betriebsteil zuzuordnenden Arbeitsverhältnisse tritt kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer bedarf. Allerdings können die Arbeitnehmer nach dem mit Wirkung zum 1.4.2002 angefügten § 613a Abs. 6 BGB den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse jeweils durch Widerspruch verhindern. Ein Widerspruchsrecht besteht nach Ansicht des BAG lediglich

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen

dann nicht, wenn der bisherige Arbeitgeber nach den Regeln des Umwandlungsgesetzes erlischt. BAG, Urt. v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, ZIP 2008, 1296, 1298. Vgl. zur Verfassungswidrigkeit eines Ausschlusses des Widerspruchsrechts bei – nicht von § 613a BGB erfasster – gesetzlich angeordneter Übertragung des Arbeitsverhältnisses: BVerfG 25.1.2011 – 1 BvR 1741/09, NZA 2011, 400.

Der Widerspruch kann gemäß § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB sowohl gegenüber 101 dem Veräußerer als auch gegenüber dem Erwerber erklärt werden. Nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB ist dafür Schriftform geboten, sodass der Widerspruch nur wirksam ist, wenn dem Erklärungsempfänger ein vom widersprechenden Arbeitnehmer unterzeichnetes Original zugeht. Eine Übermittlung per Telefax oder eine einfache E-Mail genügt nicht. Allerdings kann die Schriftform durch die – gleichfalls recht strenge – elektronische Form des § 126a BGB ersetzt werden. Eine Begründung des Widerspruchs ist in keinem Fall erforderlich. Der Widerspruch muss dem Veräußerer oder dem Erwerber innerhalb eines 102 Monats nach ordnungsgemäßer Unterrichtung des Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 5 BGB zugehen. Damit ist nunmehr auch klargestellt, dass die Widerspruchsfrist bei entsprechend frühzeitiger Information bereits einige Zeit vor dem Datum des Betriebs(teil)übergangs ablaufen kann. Erfolgt die Information erst weniger als einen Monat vor dem Betriebs(teil)übergang – oder sogar erst nach dem Betriebs(teil)übergang – so kann der Arbeitnehmer auch nachträglich noch widersprechen. Der Widerspruch wird nach Ansicht des BAG nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Arbeitsverhältnis bereits beendet wurde. Insoweit bestehe ein Gestaltungs- und Verfügungsbefugnis zur Ausübung des Widerspruchsrechts nachvertraglich fort. BAG 21.1.2010 – 8 AZR 977/07, AP § 613a BGB Widerspruch Nr. 13; BAG 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06; dagegen Rieble, NZA 2004, 1, 6 f.; Willemsen, FS Küttner 2006, S. 417, 432.

Nach einhelliger Ansicht kann der Arbeitnehmer zumindest in Ansehung eines 103 konkreten Betriebs(teil)übergangs auf die Ausübung seines Widerspruchsrechts verzichten. Soweit dafür schriftliche Form verlangt wird, so Gaul, § 11 Rn. 49; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 102,

dürfte das aber unzutreffend sein. Wie hier Bonanni, ArbRB 2002, 19, 21.

Sowohl das Widerspruchsrecht als auch der Verzicht können nur individual- 104 rechtlich ausgeübt werden. Daher ist insbesondere eine Betriebsvereinbarung oder eine tarifliche Regelung mit einem die Zustimmung aller Arbeitnehmer ersetzenden oder das Widerspruchsrecht ausschließenden Inhalt unwirksam. 27

B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

105 Die Widerspruchsfrist beginnt nur zu laufen, wenn der Arbeitnehmer vom bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber in Textform (§ 126b BGB) über die in § 613a Abs. 5 BGB genannten Aspekte unterrichtet worden ist. Textform setzt mindestens die persönliche Verfügungsmöglichkeit des Arbeitnehmers über die Unterrichtung voraus, wofür der bloße Aushang am Schwarzen Brett nicht ausreicht. Über die in § 613a Abs. 5 BGB ausdrücklich geforderten Angaben hinaus ist auch die genaue Bezeichnung des Erwerbers unverzichtbar. Der bloße Hinweis auf eine „zum XY-Konzern gehörende Gesellschaft“ genügt dafür nicht. Vielmehr muss der Erwerber angesichts der Angaben im Unterrichtungsschreiben zweifelsfrei identifizierbar sein, wofür prinzipiell die Angabe von Firmenbezeichnung und Firmenanschrift erforderlich ist. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2051; BAG, Urt. v. 18.3.2010 – 8 AZR 840/08, AP Nr. 14 zu § 613a BGB Unterrichtung.

106 Demgemäß ist die Unterrichtung über die juristische Person des Betriebserwerbers in einem Unterrichtungsschreiben unvollständig und unwirksam, wenn sie mit den gemachten Angaben zum Zeitpunkt der Unterrichtung noch nicht im Handelsregister eingetragen ist. BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, ZIP 2014, 839, dazu EWiR 2014, 397 (Kock/Milenk).

107 Auch wenn verschiedene Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen durch den Betriebs(teil)übergang unterschiedlich betroffen werden, kann die Unterrichtung in einem einheitlichen Standardschreiben erfolgen. Notwendig ist allerdings stets, dass jeder Arbeitnehmer aufgrund der Unterrichtung die für ihn relevanten Besonderheiten erkennen kann. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2051; BAG, Urt. v. 10.11.2001 – 8 AZR 430/10; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 86.

108 Die durch § 613a Abs. 5 BGB an eine ordnungsgemäße Unterrichtung gestellten Anforderungen sind im Einzelnen wenig klar. Das BAG hat sich in zahlreichen Entscheidungen um eine Konkretisierung bemüht, ohne allerdings bislang für die Praxis eine verlässliche Leitlinie entwickeln zu können. 109 Wesentlich ist zunächst, dass die Unterrichtung hinsichtlich aller durch § 613a Abs. 5 BGB geforderten Unterrichtungsgegenstände vollständig und richtig sein muss. Dafür genügt es nicht, dass die Unterrichtung nur „im Kern richtig ist“, vielmehr darf sie keinerlei juristische Fehler enthalten. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2051; BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682, 684, dazu EWiR 2007, 553 (Schreiner/Kuhn); BAG, Urt. v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354, 1357.

110 Die Grundsätze können nicht auf juristische Angaben beschränkt bleiben, sondern müssen konsequenter Weise für tatsächliche Angaben entsprechend

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen

gelten. Eine gewisse Erleichterung gewährt das BAG lediglich insofern, als eine Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB über „komplexe Rechtsfragen“ dann nicht fehlerhaft sei, „wenn der Arbeitgeber bei angemessener Prüfung der Rechtslage, die gegebenenfalls die Einholung von Rechtsrat über die höchstrichterliche Rechtsprechung beinhaltet, rechtlich vertretbare Positionen gegenüber dem Arbeitnehmer kundtut“. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, ZIP 2006, 2143, 2145, dazu EWiR 2007, 41 (Laskawy/Lomb); kritisch dazu Willemsen, NJW 2007, 2065.

Allerdings sei im Hinblick auf die durch § 613a Abs. 5 BGB gestellten An- 111 forderungen wesentlich, dass die Unterrichtung nicht dazu dient, „jeden einzelnen Arbeitnehmer über alle ihn möglicherweise treffenden Folgen des Betriebsübergangs in Kenntnis zu setzen. [Es genüge], dass der Arbeitnehmer sich nach der Unterrichtung eingehender informieren bzw. beraten lassen kann. Es obliegt dem jeweiligen Mitteilungsadressaten, die Angaben mittels Subsumtion und gegebenenfalls auch durch weitere Ankündigungen für sein persönliches Arbeitsverhältnis umsetzen“. BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10, dazu EWiR 2012, 375 (Hartmann).

Maßgeblich für die Beurteilung der Richtigkeit der Unterrichtung ist der 112 Zeitpunkt ihrer Vornahme. Demgemäß richte sich der Inhalt der Unterrichtung nach den Verhältnissen und dem Kenntnisstand von Veräußerer und Erwerber bei Unterrichtung. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2051; BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682, 684; BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10.

Auch bei einer Änderung der Verhältnisse nach Unterrichtung sei grundsätz- 113 lich keine Neu- oder Nachunterrichtung erforderlich. Etwas anderes könnte sich „allenfalls dann ergeben, wenn es sich nicht mehr um denselben Betriebsübergang handelt, beispielsweise weil der Betrieb auf einen anderen Erwerber übergeht.“ BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, ZIP 2006, 2143, 2146.

Gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 1 BGB reicht die Unterrichtung über den geplanten 114 Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs. Ist dies erfolgt, so braucht der tatsächliche Übergangszeitpunkt nicht nach § 613a Abs. 5 BGB mitgeteilt werden. Für die Unterrichtung über den Grund des Übergangs gemäß § 613a Abs. 5 115 Nr. 2 BGB genügt nicht der bloße Hinweis auf das dem Betriebs(teil)übergang auslösende Rechtsgeschäft. Vielmehr müssen jedem betreffenden Arbeitnehmer „jene unternehmerischen Gründe für den Betriebsübergang zumindest schlagwortartig mitgeteilt werden, die sich im Falle eines Widerspruchs auf den Arbeitsplatz auswirken können“

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2051; BAG, Urt. v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354, 1356.

116 Die Unterrichtung über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB zwingt die beteiligten Arbeitgeber zu einer sorgfältigen Analyse und Darlegung. Zu den rechtlichen Folgen gehören nach Ansicht des BAG insbesondere „die sich unmittelbar aus dem Betriebsübergang als solchen ergebenden Rechtsfolgen. Dies beinhaltet den Hinweis auf den Eintritt des Übernehmers in die Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB), auf die Gesamtschuldnerschaft des Übernehmers und des Veräußerers nach § 613a Abs. 2 BGB und grundsätzlich auch auf die kündigungsrechtliche Situation, so denn Kündigungen im Raum stehen (vgl. BT-Drucks. 14/7760, S. 19). Zu den beim Erwerber geltenden Rechten und Pflichten gehört grundsätzlich weiter die Anwendbarkeit tariflicher Normen und die Frage, inwieweit beim Veräußerer geltende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durch beim Erwerber geltende Tarifverträge abgelöst werden.“ BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2052; ebenso BAG, Urt. v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682, 685; BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, ZIP 2010, 46, 49, dazu EWiR 2010, 143 (Grimm).

117 Zu den rechtlichen Folgen gehöre zwar auch die Angabe, ob Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich oder lediglich gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB weitergelten. Nicht nötig sei allerdings eine „detaillierte Bezeichnung einzelner Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen […], da sich der Arbeitnehmer – insoweit nach Erhalt der in Textform zu erteilenden Informationen – selbst näher erkundigen kann.“ BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2053; ebenso BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, ZIP 2010, 46, 50; BAG, Urt. v. 10.11.2011 – 8 AZR 430/10.

118 Weniger großzügig ist das BAG im Hinblick auf die Information über die Haftungsfolgen gemäß § 613a Abs. 2 BGB. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2053; BAG, Urt. v. 22.1.2009, NZA 2009, 547, 549; BAG, Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 18/10, AP Nr. 407 zu § 613a BGB.

119 Einen bloßen Hinweis auf den Wortlaut des § 613a Abs. 2 BGB lässt das BAG jedenfalls auch im Hinblick auf § 613a Abs. 2 BGB nicht genügen. BAG, Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 430/10.

120 Erforderlich sei vielmehr, dass das gesamte Haftungssystem des § 613a Abs. 2 BGB in einer auch für Laien verständlichen Sprache dargestellt werde. In diesem Zusammenhang hat das BAG in einem Fall sogar gefordert, dass auch die Begriffe der Anspruchsbegründung und Anspruchsfälligkeit für den Arbeitnehmer verständlich erklärt werden müssen.

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, ZIP 2010, 46, AP Nr. 10 zu § 613a BGB Unterrichtung (wohl aufgegeben durch BAG 10.11.2011 – 8 AZR 430/10).

Zu unterrichten ist auch über eine etwaige Sozialplanprivilegierung des Er- 121 werbers gemäß § 112 Abs. 2 BetrVG. BAG, Urt. v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, ZIP 2014, 839.

Im Übrigen kann die Unterrichtung über rechtliche Folgen des Betriebs- 122 übergangs nicht auf seine Primärfolgen beschränkt werden. Zu unterrichten ist vielmehr auch über widerspruchsrelevante Sekundärfolgen, wie beispielsweise das Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB und die konkreten Wirksamkeitsbedingungen sowie den Adressaten eines Widerspruchs, BAG, Urt. v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354, 1357; BAG, Urt. v. 24.7.2008 – 8 AZR 175/07, AP § 613a BGB Nr. 347,

oder eine nach Ausübung des Widerspruchsrechts bestehende Kündigungsmöglichkeit sowie etwaige dem Arbeitnehmer im Falle solcher Kündigung möglicherweise zustehenden Sozialplanansprüche. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, ZIP 2006, 2143, 2146.

b) Folgen fehlerhafter Unterrichtung Sofern die Unterrichtung unzureichend erfolgt oder gänzlich unterblieben 123 ist, beginnt die Widerspruchsfrist nicht zu laufen, sodass der betreffende Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht auch nach dem Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs bis an die Grenze der Verwirkung ausüben kann. Daneben kommen im Falle einer unzureichenden Unterrichtung auch Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen Veräußerer oder Erwerber in Betracht. Auch wenn die Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB nicht oder nicht 124 fehlerfrei erfolgt ist und deshalb die Widerspruchsfrist gemäß § 613a Abs. 6 nicht zu laufen beginnt, bedeutet dies nicht, dass der betroffene Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zeitlich unbegrenzt widersprechen kann. Freileich existiert keine gesetzliche Höchstfrist, weil sich der Gesetzgeber 125 ausdrücklich gegen eine solche entschieden hat. Vgl. die im Gesetzgebungsverfahren gemachten Vorschläge, eine Höchstfrist von drei (BR-Drucks. 831/1/01, S. 2) bzw. sechs Monaten (BT-Drucks. 14/8128, S. 4) vorzusehen.

Eine Grenze wird der Ausübung des Widerspruchsrechts jedoch durch das 126 Rechtsinstitut der Verwirkung gesetzt. Vgl. nur BAG, Urt. v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, ZIP 2007, 1382, 1387, dazu EWiR 2007, 551 (Hergenröder);

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 25.4.2010 – 8 AZR 871/07, AP § 613a BGB Widerspruch Nr. 15.; BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08, AP Nr. 23 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 15.3.2012 – 8 AZR 700/10, NZA 2012, 1097; BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774; BAG, Urt. v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13.

127 Die Verwirkung des Widerspruchsrechts sei nicht allein an den Ablauf einer bestimmten Zeit geknüpft („Zeitmoment“), sondern verlange überdies, dass der Arbeitnehmer „unter Umständen untätig geblieben [ist], die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, sodass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment)“. BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 357/08, NZA 2010, 393, 396; vgl. auch BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08, AP Nr. 23 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774; BAG, Urt. v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13.

128 Das Verhältnis zwischen Zeit- und Umstandsmoment könne nach Ansicht des BAG nicht abstrakt bestimmt werden. Vielmehr sei abzustellen „auf die konkreten Umstände des Einzelfalles. Dabei ist davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Außerdem ist die Länge des Zeitablaufs in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen.“ BAG, Urt. v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, ZIP 2007, 1382, 1387; BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08, AP Nr. 23 zu § 613a BGB.

129 Nach Ansicht des BAG beginnt die für das Zeitmoment wesentliche Frist nicht erst mit der umfassenden Unterrichtung des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang und seine Folgen zu laufen. Wörtlich führt das BAG insoweit aus: „Bei dem Zeitmoment handelt es sich nicht um eine gesetzliche, gerichtliche oder vertraglich vorgegebene Frist, für welche Anfangs- und Endzeitpunkte gelten, die in den §§ 186 ff. BGB geregelt sind. Vielmehr hat bei der Prüfung, ob ein Recht verwirkt ist, eine Gesamtbetrachtung stattzufinden, bei der das Zeit- und das Umstandsmoment zu berücksichtigen und in Relation zu setzen sind. Erfolgt die Prüfung entsprechend diesen Grundsätzen, so ist es nicht geboten, ähnlich wie bei gesetzlichen, gerichtlichen oder vertraglichen Fristen für das sogenannte Zeitmoment einen bestimmten Fristbeginn, wie etwa die Kenntnis des Berechtigten von bestimmten Tatsachen festzulegen, Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der Verpflichtete aufgrund des Zeitablaufs, in dem der Berechtigte sein Recht nicht ausgeübt hat, und den Umständen des Einzelfalls, zu denen auch der jeweilige Informationsstand des Berechtigten ge-

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen hört, darauf vertrauen dürfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Grundsätzlich ist der gesamte Zeitablauf seit der Rechtsentstehung von Bedeutung, im Falle der Beklagten jedenfalls der Zeitraum ab Ende November 2004, weil zu diesem Zeitpunkt die aus ihrer Sicht durch ihr Unterrichtungsschreiben vom 22. Oktober 2004 in Gang gesetzte gesetzliche einmonatige Widerspruchsfrist (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) für den Kläger ablief […]. Durch die Unterrichtung über den Betriebsübergang gibt der Arbeitgeber grundsätzlich zu erkennen, dass er mit dieser die Widerspruchsfrist von einem Monat in Gang setzen will und nach Fristablauf die Erklärung von Widersprüchen nicht mehr erwartet.“ BAG, Urt. v. 22.4.2010 – 8 AZR 982/07, AP Nr. 17 zu § 613a BGB Widerspruch Nr. 15; ebenso BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08, AP Nr. 23 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09.

Angesichts dieses relativistischen Verständnisses des Zeitmomentes hat das 130 Umstandsmoment für die Entscheidung über das Vorliegen einer Verwirkung herausragende Bedeutung. Nach Ansicht des BAG ist das Umstandsmoment erfüllt, „wenn der Arbeitgeber davon ausgehen durfte, der Widerspruch werde nicht mehr ausgeübt. Das ist gegeben, wenn er aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers annehmen durfte, dieser habe den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber und diesen damit als seinen neuen Arbeitgeber akzeptiert. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebserwerber disponiert hat.“ BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08, AP Nr. 23 zu § 613a BGB; vgl. auch BAG, Urt. v. 20.3.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354, 1359; BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, ZIP 2009, 929, 931, dazu EWiR 2009, 531 (Unger-Hellmich).

Nach Ansicht des BAG stelle es ferner keine Disposition über das Arbeits- 131 verhältnis dar, wenn eine Klage auf Feststellung bestehender Arbeitsbedingungen erhoben wird, ohne dass der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses verändert wird. BAG, Urt. v. 11.12.2014 – 8 AZR 9443/13.

Ein Umstandsmoment wird nach Ansicht des BAG grundsätzlich durch eine 132 Disposition des Arbeitnehmers über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gesetzt. Allerdings sei nicht jede Änderung des Arbeitsvertrags als Disposition über das Arbeitsverhältnis zu verstehen. Das BAG führt insoweit aus: „Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer (zunächst) widerspruchslos beim Betriebserwerber weiterarbeitet und von diesem die Arbeitsvergütung entgegennimmt, stellt ebenso wenig eine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses dar wie Vereinbarungen mit dem Betriebserwerber, durch welche einzelne Arbeitsbedingungen, z. B. Art und Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung, Höhe der Arbeitsvergütung, geändert werden. Als Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses stellen sich nur solche Vereinbarungen oder Verhaltensweisen des Arbeitnehmers dar, durch welche es zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt, z. B. Abschluss eines Aufhebungs-

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz vertrags bzw. die Hinnahme einer vom Betriebserwerber ausgesprochenen Kündigung, oder durch welche das Arbeitsverhältnis auf eine völlig neue rechtliche Grundlage gestellt wird.“ BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08; vgl. im Einzelnen BAG, Urt. v. 24.7.2008 – 8 AZR 175/07, NZA-RR 2010, 74, AP § 613a BGB Nr. 374; BAG, Urt. v. 27.11.2008 – 8 AZR 174/07, ZIP 2009, 929, 932; BAG, Urt. v. 23.7.2009 – 8 AZR 357/08, NZA 2010, 393, 397, AP § 613a BGB Widerspruch Nr. 10.

133 Allerdings setze der Verwirkungseinwand nicht stets eine konkret feststellbare Vermögensdisposition im Vertrauen auf die Nichtausübung des Widerspruchsrechts voraus. Entscheidend sei vielmehr allein, ob die verspätete Ausübung für die Gegenseite unzumutbar erscheine. BAG, Urt. v. 22.6.2001 – 8 AZR 752/09.

134 Im Ansatz des BAG hat das Zeitmoment bei genauer Betrachtung keine eigenständige Bedeutung. Es ist nur Teil einer umfassenden Umstandsprüfung, die auf die Beantwortung der Frage abzielt, ob die beteiligten Arbeitgeber angesichts der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalles noch mit einer Ausübung des Widerspruchsrechts durch den Arbeitnehmer rechnen mussten. 135 Das BAG hat Verwirkung beispielhaft angenommen in folgenden Fällen: x

Der Arbeitnehmer wurde am 29.8.2005 über den Übergang seines Arbeitsverhältnisses mit Wirkung zum 1.10.2005 (fehlerhaft) unterrichtet. Er schloss sodann am 8.8.2006 mit dem Erwerber einen Aufhebungsvertrag ab und widersprach danach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses am 27.10.2006. BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08.

x

Der Arbeitnehmer wurde mit Schreiben vom 22.10.2004 über einen Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB mit Wirkung zum 1.11.2004 (fehlerhaft) unterrichtet. Die Erwerberin kündigte das auf sie übergegangene Arbeitsverhältnis am 27.8.2005 mit Wirkung zum Ablauf des 30.11.2005. Der Arbeitnehmer widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses mit Schreiben vom 25.1.2006. BAG, Urt. v. 21.1.2010 – 8 AZR 977/07, AP § 613a BGB Widerspruch Nr. 13; vgl. auch BAG, Urt. v. 22.4.2010 – 8 AZR 982/07.

x

Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Arbeitgebers im Gütetermin, dass sein Mandant einem Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB nicht widersprochen habe. BAG, Urt. v. 15.2.2007 – 8 AZR 431/06, ZIP 2007, 1382, 1387.

x

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Inanspruchnahme des bisherigen Arbeitgebers ausdrücklich nur aufgrund der Nachhaftung gemäß § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB und nicht als Arbeitgeber.

IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen BAG, Urt. v. 24.7.2008 – 8 AZR 205/07, NZA 2008, 1294, 1296.

x

Geltendmachung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber über den Bestand und vergleichsweise Einigung mit diesem über den Bestand des Arbeitsverhältnisses. BAG, Urt. v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12, NZA 2014, 774.

Die Annahme der Verwirkung des Widerspruchsrechts wird nach Ansicht 136 des BAG nicht dadurch ausgeschlossen, dass nur der bisherige oder nur der neue Betriebserwerber die Umstandsmomente kennt: „Bei der Verwirkung des Widerspruchsrechts im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang genügt es, dass einer der Verpflichteten von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis hat. Jedenfalls im unmittelbaren Verhältnis zwischen Betriebsveräußerer und Betriebserwerber sieht das Gesetz grundsätzlich eine gemeinsame Verpflichtung und Berechtigung beider aus dem Arbeitsverhältnis vor. Daraus folgt, dass immer dann, wenn sich der Betriebserwerber als neuer Arbeitgeber auf Verwirkungsumstände berufen könnte, diese auch der Betriebsveräußerer als früherer Arbeitgeber für sich in Anspruch nehmen kann.“ BAG, Urt. v. 22.4.2010 – 8 AZR 871/07, AP § 613a BGB Widerspruch Nr. 15; ebenso BAG, Urt. v. 20.5.2010 – 8 AZR 585/08, AP Nr. 23 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 22.6.2011 – 8 AZR 752/09.

c) Folgen des erklärten Widerspruchs Wird der Widerspruch noch vor dem Betriebs(teil)übergang ausgeübt, so 137 verhindert er den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber. Das Arbeitsverhältnis besteht demgemäß ungeachtet des Betriebsübergangs unverändert mit dem bisherigen Betriebsinhaber fort. Wird der Widerspruch hingegen erst nach dem Betriebs(teil)übergang ausgeübt, so wirkt er nach Meinung des BAG auf den Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs zurück. Nach Ansicht des BAG soll das Widerspruchsrecht verhindern, dass dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitgeber aufgezwungen wird, und zwar auch nicht vorübergehend durch eine verspätete Unterrichtung. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, ZIP 2006, 2050, 2053, m. w. N.; zur Gegenansicht (keine Rückwirkung) etwa Rieble, NZA 2004, 1 ff.; Staudinger/Annuß, § 613a Rn. 307 f.

Zwar ist die Ausübung des Widerspruchsrechts als solches nicht an das Vor- 138 liegen eines sachlichen Grundes gebunden, doch sind die widersprechenden Arbeitnehmer andererseits nicht ohne Weiteres vor faktischen und rechtlichen Nachteilen geschützt, die sich aus dem Widerspruch ergeben können. Mit nachteiligen Konsequenzen müssen sie insbesondere dann rechnen, wenn der bisherige Arbeitgeber angesichts des Betriebs(teil)übergangs für die widerspre-

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

chenden Arbeitnehmer keine oder nur noch eine eingeschränkte Beschäftigungsmöglichkeit hat. BAG, Urt. v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, ZIP 1998, 1080 = AP Nr. 177 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1998, 829 (Thüsing).

139 Führen nämlich die erklärten Widersprüche beim Veräußerer zu einem Personalüberhang, so kann dieser die erforderliche Anpassung durch den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen herbeiführen. Dabei war lange umstritten, inwieweit die widersprechenden Arbeitnehmer, sofern sie sich nicht auf einen sachlichen Grund für ihren Widerspruch berufen konnten, in die Sozialauswahl einzubeziehen seien. Zum Streitstand Staudinger-Annuß, BGB, § 613a Rn. 316 f.

140 Zwischenzeitlich hat das BAG zu der seit dem 1.1.2004 in Kraft befindlichen Fassung von § 1 Abs. 3 KSchG entschieden, dass Arbeitnehmer, die einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber gemäß § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben, prinzipiell unmodifiziert in eine beim bisherigen Inhaber im Hinblick auf betriebsbedingte Kündigungen – auch wenn sie erst durch den Widerspruch einzelner Arbeitnehmer ausgelöst wurden – durchzuführende Sozialauswahl einzubeziehen seien. Insbesondere dürften die Gründe für den Widerspruch im Rahmen der Sozialauswahl regelmäßig nicht berücksichtigt werden und bestehe grundsätzlich kein berechtigtes Interesse des bisherigen Betriebsinhabers i. S. v. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, die nicht widersprechenden Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen. BAG, Urt. v. 31.5.2007 – 2 AZR 276/06, ZIP 2007, 2433, 2437, dazu EWiR 2008, 201 (Ostermaier).

141 Üben nicht nur einzelne Arbeitnehmer das Widerspruchsrecht aus, sondern ein erheblicher Teil der Belegschaft, kann der bisherige Betriebsinhaber zu einer (neuerlichen) Betriebsänderung gezwungen sein. Diese Betriebsänderung verlangt sowohl Verhandlungen über einen Interessenausgleich als auch den Abschluss eines Sozialplans, wobei allerdings widersprechende Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des in § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG zum Ausdruck gelangenden allgemeinen Gedankens bei Fehlen eines sachlichen Grundes für den Widerspruch von Sozialplanleistungen ausgeschlossen werden können, die wegen Verlusts des Arbeitsplatzes gewährt werden. Dafür genügt es, wenn im Sozialplan generell solchen Arbeitnehmern der Abfindungsanspruch versagt wird, die einen ihnen zumutbaren Arbeitsplatz bei einem anderen Arbeitgeber ablehnen. Enthält der Sozialplan nicht einmal diesen allgemeinen Vorbehalt, sondern sieht er Abfindungen bei jeder betriebsbedingten Kündigung vor, ist hingegen nach einer Entscheidung des BAG davon auszugehen, dass auch widersprechende Arbeitnehmer Ansprüche aus der Abfindungsregelung erwerben. BAG, Urt. v. 15.12.1998 – 1 AZR 332/98, ZIP 1999, 812 = DB 1999, 1402 = AP Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972, dazu EWiR 1999, 437 (Büdenbender).

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen

4. Fortgeltung kollektivrechtlich begründeter Rechtspositionen Soweit Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis durch Rechtsnormen 142 eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt sind, werden sie nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB im Falle eines Betriebs(teil)übergangs „Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden“. § 613a Abs. 1 Satz 2 ist nur anzuwenden, soweit es nicht zu einer kollektiv- 143 rechtlichen Fortgeltung der Kollektivvereinbarungen kommt. So bestehen Betriebsvereinbarungen beim Erwerber normativ mit unmittelbarer und zwingender Wirkung unverändert weiter, falls im übertragenen Betrieb oder Betriebsteil die Identität des bisherigen Betriebs gewahrt wird. BAG, Beschl. v. 27.7.1994 – 7 ABR 37/93, ZIP 1995, 235 = AP Nr. 118 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1995, 237 (Joost).

Nach der für die Praxis außerordentlich wichtigen Entscheidung des BAG 144 vom 18.9.2002 soll es darüber hinaus auch dann zu einer kollektivrechtlichen Fortgeltung kommen, wenn aus dem bisherigen Betrieb nur ein Teil abgespalten und dieser sodann als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = BB 2003, 1387 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung.

Ähnliches soll in gewissen Grenzen auch für Gesamtbetriebsvereinbarungen 145 gelten. Diese könnten jedenfalls dann – und unabhängig vom Schicksal des Gesamtbetriebsrats – als solche (mithin als Gesamtbetriebsvereinbarung) weitergelten, wenn der Erwerber mehrere Betriebe übernehme und über keine weiteren Betriebe verfüge (siehe zur Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen näher Rn. 623, 634 ff.). In gleicher Weise sind tarifliche Regelungen weiterhin unmittelbar anzuwenden, wenn der Erwerber hinsichtlich der übergehenden Arbeitsverhältnisse an dieselben Tarifverträge wie der Veräußerer gebunden ist. Die Fortgeltungsanordnung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bezieht sich je- 146 weils nur auf den normativen Teil der Kollektivvereinbarungen und erfasst des Weiteren allein solche Normen, die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis regeln. Wank, NZA 1987, 505, 506.

Im Übrigen führt § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur zu einer statischen Fortgel- 147 tung der Kollektivregelungen, sodass Änderungen der fortgeltenden Kollektivnormen im Bereich des alten Arbeitgebers vom Betriebserwerber nicht beachtet werden müssen, siehe nur BAG, Urt. v. 1.4.1987 – 4 AZR 77/86, BAGE 55, 154 = AP Nr. 64 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1987, 921 (Richardi),

selbst wenn sie mit Rückwirkung erfolgen.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 10.11.1993 – 4 AZR 375/92, AP Nr. 13 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, dazu EWiR 1994, 1027 (Reichold).

148 Dies gelte nach Ansicht des BAG auch dann, wenn die gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltende Regelung ihrerseits dynamisch auf eine andere Vorschrift verweist. Auch in diesem Fall werde nur der zum Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs geltende Stand eingefroren, sodass die Dynamik der Verweisung unberücksichtigt bleibt. BAG, Urt. v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, ZIP 2002, 583 = BB 2002, 2229 = AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, dazu EWiR 2002, 563 (Grimm).

149 Wohl aber sei eine in der gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltenden Norm selbst angelegte Dynamik zu beachten. Sei also in der zum Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs geltenden Norm eine Veränderung bereits unbedingt vereinbart worden, gehe deren Inhalt auch dann auf den Erwerber über, wenn der Zeitpunkt der Veränderung erst nach dem Betriebs(teil)übergang eintreten soll. BAG, Urt. v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, ZIP 2009, 2461, 2469, dazu EWiR 2010, 213 (Haußmann); BAG, Urt. v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, ZIP 2010, 2068 (LS); vgl. aber auch BAG, Urt. v. 26.9.2012 – 4 AZR 511/10, AP Nr. 437 zu § 613a BGB.

150 Die Fortgeltungsanordnung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erfasst auch gemäß § 4 Abs. 5 TVG bzw. § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirkende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Hingegen spielt sie bei freiwillig vereinbarter Nachwirkung in der Insolvenz keine Rolle, da solche freiwilligen Nachwirkungsvereinbarungen in der Insolvenz nach richtiger Ansicht keine Beachtung finden. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 43.

151 Eine nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltende, ursprünglich gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkende tarifliche Regelung kann innerhalb der Jahresfrist auch zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden, da § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur eine Sicherung des bisherigen Status bezweckt, nicht hingegen auch eine Verbesserung. BAG, Urt. v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, AP Nr. 225 zu § 613a BGB = DB 2002, 48, dazu EWiR 2002, 513 (v. Steinau-Steinrück).

152 Die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB weitergeltenden Arbeitsbedingungen können vor Ablauf eines Jahres nach dem Übergang nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden, soweit nicht ein Fall des § 613a Abs. 1 Satz 3, 4 BGB gegeben ist. Zwei häufigen Missverständnissen ist hier ausdrücklich vorzubeugen: Weder fallen nach Ablauf der Jahresfrist die fortgeltenden Bedingungen automatisch weg, noch wird eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Jahres nach Betriebsübergang durch betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen. 38

IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen

Erhebliche Unsicherheit besteht darüber, ob die gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 153 BGB normativ angeordnete Fortgeltung seitens des Arbeitgebers einseitig unter Beachtung der für die jeweilige Kollektivnorm geltenden Kündigungsfrist beendet werden kann. Hanau/Vossen haben bereits frühzeitig die Auffassung vertreten, § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB wolle „nur eine Veränderung des Status Quo der Arbeitnehmer verhindern, sie aber nicht besser stellen als bei ihrem bisherigen Arbeitgeber.“ Hanau/Vossen, FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 271, 284.

Diese Auffassung ist im Vordringen. So meint Peter Kreutz, dass die Verän- 154 derungssperre keine Bedeutung mehr habe, wenn – was Kreutz für zutreffend hält – § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB i. S. e. normativen Fortgeltungsanordnung verstanden werde. Kreutz, FS 50 Jahre BAG, 2004, S. 993, 1004.

Auch Burghard Kreft hält es für klärungsbedürftig, ob nicht

155

„die Reichweite von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB stets im Hinblick auf den kollektiven Ursprung der ins Arbeitsverhältnis transformierten Regelungen bestimmt werden muss.“ Kreft, FS Wißmann, 2005, S. 347, 356.

Dahinter steht erkennbar die Erwägung, dass den vom Übergang ihres Ar- 156 beitsverhältnisses betroffenen Arbeitnehmern der Schutz des Abs. 1 Satz 2 dann nicht mehr zuteil werden soll, wenn der durch die Kollektivbestimmungen gewährte Schutz auch bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber geendet hätte. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 604/02, NZA 2004, 803, 805, dazu EWiR 2004, 1009 (Hertzfeld/Riedemann): „Der Bestand einer von Gesetzes wegen auf die individualrechtliche Ebene transformierten Kollektivregelung kann nicht weitergehend geschützt sein als die ursprünglich kollektive Regelung selbst.“

Inwieweit diese Auffassung sich letztlich durchsetzen wird, insbesondere 157 inwieweit sie mit den Vorgaben europäischen Rechts vereinbar ist, bleibt abzuwarten bzw. ist noch genauer zu untersuchen. Zu der zwingenden Fortgeltung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB kommt es 158 allerdings nicht, soweit die jeweils gleichen Sachgruppen beim Erwerber „durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden“. In diesem Fall treten die beim Erwerber geltenden Kollektivvereinbarungen ohne Weiteres an die Stelle der beim Veräußerer kollektivrechtlich begründeten Rechte und Pflichten (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Die Kollektivvereinbarungen brauchen beim Erwerber nicht im Zeitpunkt des Übergangs zu existieren, sodass auch eine spätere Ablösung möglich ist. BAG, Urt. v. 18.11.2013 – 1 AZR 604/02, NZA 2004, 803.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

159 Zu beachten ist aber, dass es zu einer Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB durch Tarifvertrag nur kommen kann, soweit beide Arbeitsvertragsparteien einschlägig unmittelbar tarifgebunden sind, sodass die bloße Tarifbindung des Arbeitgebers nicht genügt. BAG, Urt. v. 14.8.2001 – 1 AZR 619/00, ZIP 2002, 316 = AP Nr. 85 zu § 77 BetrVG 1972; BAG, Urt. v. 30.8.2000 – 4 AZR 481/99, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag.

160 In der neueren Diskussion wird darüber hinaus zunehmend vertreten, dass gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgeltende Kollektivbestimmungen jederzeit nach den für sie maßgeblichen Kündigungsregelungen gekündigt werden können. Dabei sei die Kündigung ggf. unmittelbar gegenüber der Gesamtheit der betroffenen Arbeitnehmer auszusprechen. Vgl. nur Kreft, in: Festschrift Wißmann, S. 347, 356 m. w. N.

161 Nicht abschließend geklärt ist bislang, ob die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nur jeweils durch Kollektivvereinbarungen gleicher Art, (also „Betriebsvereinbarung durch Betriebsvereinbarung“ und „Tarifvertrag durch Tarifvertrag“) erfolgen kann oder ob auch eine sog. „Überkreuzablösung“ möglich ist. Das BAG hat diese Frage noch nicht abschließend beantwortet. Entschieden hat es allerdings, dass für eine Überkreuzablösung der Rechtsnormen eines Tarifvertrags durch Regelungen einer Betriebsvereinbarung jedenfalls außerhalb des Bereichs der erzwingbaren Mitbestimmung kein Raum sei. Dagegen spreche der Schutzzweck des § 613a Abs. 1 BGB, wonach die Rechtsstellung der Arbeitnehmer vor Verschlechterungen aus Anlass eines Betriebs(teil)übergangs weitgehend geschützt werden solle. Dem widerspräche es, wenn es dem Erwerber möglich würde, ursprünglich tarifvertraglich begründete Rechtsansprüche der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang durch ungünstigere Regelungen einer Betriebsvereinbarung abzulösen. Auch eine gemäß § 4 Abs. 5 TVG nur nachwirkende Tarifnorm könne zumindest außerhalb des Bereichs der zwingenden Mitbestimmung nicht durch eine ungünstigere Betriebsvereinbarung abgelöst werden. BAG, Urt. v. 6.11.2007 – 1 AZR 862/06, ZIP 2008, 710 = ZIP 2008, 710, 714, dazu EWiR 2008, 517 (Schreiner); BAG, Urt. v. 21.4.2010 – 4 AZR 768/08, ZIP 2010, 2068 (LS); vgl. in diesem Zusammenhang auch die möglicherweise zu erheblichen Änderungen führende Entscheidung des EuGH v. 6.9.2001 – C-108/10 – Scattolon, NZA 2011, 1077; dazu Steffan, NZA 2012, 473 ff.

162 Diese Rechtsprechung hat Bedeutung insbesondere für tariflich begründete Versorgungsansprüche: „Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung sind nur teilmitbestimmt; der Arbeitgeber bestimmt allein über die Dotierung. Schon aus diesem Grunde kommt eine Ablösung tariflich begründeter Versorgungsansprüche durch Betriebsvereinbarung im Wege der sog. Überkreuzablösung nicht in Betracht.“

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen BAG, Urt. v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, ZIP 2008, 890, 893, dazu EWiR 2008, 427 (Bergemann/Möller).

5. Änderung des Tarifregimes durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln Regelmäßig gewinnt die Frage besondere Bedeutung, wie arbeitsvertragliche 163 Bezugnahmen auf tarifvertragliche Regelungen im Betriebsübergang zu behandeln sind. Im Ausgangspunkt besteht insoweit kein Zweifel darüber, dass solche Bezugnahmeklauseln gewöhnlicher Bestandteil des Arbeitsvertrags sind und damit gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den neuen Inhaber übergehen. Welche Wirkung sie nach dem Betriebsübergang entfalten, hängt jedoch entscheidend von ihrem Inhalt ab. a) Maßgebliche Rechtslage für vor dem 1.1.2002 vereinbarte Bezugnahmeklauseln Zentrale Bedeutung für die Auslegung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklau- 164 seln, die vor dem 1.1.2002 vereinbart wurden, hat die Unterscheidung danach, ob der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Bezugnahmevereinbarung unmittelbar tarifgebunden war oder nicht. War der Arbeitgeber unmittelbar tarifgebunden, so erschöpfe „sich der Gehalt einer auf einen bestimmter Tarifvertrag oder ein bestimmtes Tarifvertragswerk verweisenden Gleichstellungsvereinbarung regelmäßig darin […], dass das Arbeitsverhältnis den genannten Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung einschließlich etwaiger Ergänzungen unterstellt wird, soweit und solange der Arbeitgeber daran gebunden ist.“ BAG, Urt. v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, ZIP 2001, 626, 627, dazu EWiR 2001, 393 (Schaub); vgl. auch BAG, Urt. v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, ZIP 2002, 721, 725, dazu EWiR 2002, 469 (Fleddermann).

Dabei sei eine dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in 165 einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Vertrag typischerweise als Gleichstellungsabrede in diesem Sinne zu verstehen. BAG, Urt. v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, ZIP 2002, 999, 1000, dazu EWiR 2002, 967 (Schaub).

Allerdings sei die Auslegung einer auf bestimmte Tarifverträge verweisenden 166 Bezugnahmeklausel dahingehend, dass anstelle der darin bezeichneten Tarifverträge die nach einem Tarifwechsel einschlägigen anderen Tarifverträge anzuwenden seien, „nur möglich, wenn diese Vereinbarung als Gleichstellungsabrede zu verstehen ist und bei Abschluss des Arbeitsvertrages besondere Umstände vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Parteien des Arbeitsvertrages den Arbeitsvertrag anderen – nicht benannten – Tarifverträgen unterstellen wollen, falls der Arbeitgeber in den Geltungsbereich anderer Tarifverträge wechselt.“ BAG, Urt. v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/00.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

167 Keine vom Wortlaut der Bezugnahmeklausel abstrahierende Auslegung als Gleichstellungsklausel, sondern eine wortlautentsprechende Interpretation sei hingegen erforderlich, wenn der Arbeitgeber bei Vereinbarung der Bezugnahmeklausel an die in Bezug genommen Tarifbedingungen nicht selbst (als Mitglied einer zuständigen Tarifvertragspartei) unmittelbar tarifgebunden gewesen sei. 168 Abweichend von diesem Grundsatz liege eine Gleichstellungsabrede bei einem „tarifgebietsübergreifenden Unternehmen“ allerdings auch dann vor, wenn im Anstellungsvertrag generell auf die sachlich einschlägigen Tarifverträge eines bestimmten Tarifgebiets verwiesen werde. Dadurch sollten auch die Arbeitnehmer anderer Tarifgebiete den in dem betreffenden Tarifgebiet beschäftigten tarifgebundenen Arbeitnehmern gleichgestellt, nicht aber die Geltung der tariflichen Bestimmungen unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers im Arbeitsvertrag festgeschrieben werden. BAG, Urt. v. 21.8.2002 – 4 AZR 263/01, ZIP 2003, 639, dazu EWiR 2003, 319 (Reichold); BAG, Urt. v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, ZIP 2003, 966, 968, dazu EWiR 2003, 687 (Thüsing/Dunker).

169 Im Ergebnis gelangt das BAG mithin zu einer unterschiedlichen Auslegung wortlautidentischer Bezugnahmeklauseln je nachdem, ob der Arbeitgeber bei ihrer Vereinbarung durch Mitgliedschaft in einer Tarifpartei unmittelbar tarifgebunden war oder nicht. Dabei soll es unerheblich sein, ob der Arbeitnehmer von der (fehlenden) Tarifgebundenheit des Arbeitgebers Kenntnis hat. BAG, Urt. v. 26.9.2001 – 4 AZR 544/00, ZIP 2002, 999, 1001.

170 Bei Betriebs(teil)übergängen führt die schlichte Gleichstellungsabrede dazu, dass bei fehlender oder anderweitiger Tarifbindung des neuen Inhabers nicht die für diesen sachlich einschlägigen Tarifverträge in Bezug genommen werden, sondern dass die beim früheren Inhaber maßgeblichen Bedingungen in gleicher Weise weiter anzuwenden sind, wie sie für die beim bisherigen Inhaber unmittelbar tarifgebundenen Arbeitnehmer gemäß der normativen Fortgeltungsanordnung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gelten. Vgl. BAG, Urt. v. 27.11.2002 – 4 AZR 661/01, NZA 2003, 1296, AP § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 28; anders wohl BAG, Urt. v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, ZIP 1999, 1985, 1986, dazu EWiR 1999, 1109 (Thüsing).

b) Auslegung ab dem 1.1.2002 vereinbarter arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln 171 Nachdem der 4. Senat des BAG bereits in einer Entscheidung vom 14.12.2005, BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607, 610, dazu EWiR 2006, 389 (Weller),

angekündigt hatte, seine bisherige Rechtsprechung nur noch auf solche Bezugnahmeklauseln anzuwenden, die vor dem 1.1.2002 vereinbart worden waren,

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IV. Die Rechtsfolgen des § 613a BGB und das Widerspruchsrecht im Einzelnen

vollzog er diese Rechtsprechungswende endgültig mit einer Entscheidung vom 18.4.2007. Wörtlich heißt es dort: „Bei der arbeitsvertraglichen dynamischen Inbezugnahme eines bestimmten Tarifvertrages in seiner jeweiligen Form ist der Wortlaut zunächst eindeutig und es bedarf im Grundsatz keiner weiteren Heranziehung von Auslegungsfaktoren. Lediglich wenn von den Parteien weitere Tatsachen vorgetragen werden oder sonst ersichtlich sind, die Zweifel an der wortgetreuen Auslegung der Vertragsklausel begründen können, weil sie für beide Seiten erkennbar den Inhalt der jeweils abgegebenen Willenserklärungen in einer sich im Wortlaut nicht niederschlagenden Weise beeinflusst haben, besteht Anlass, die Wortauslegung in Frage zu stellen. Die möglichen Motive der Vertragsparteien können dabei für sich genommen keinen entscheidenden Einfluss auf die Auslegung der Verweisungsklausel haben, zumal sie in der Regel heterogen sind.“ BAG, Urt. v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965, 968; bestätigt durch BAG, Urt. v. 22.4.2009 – 4 ABR 14/08, NZA 2009, 1286, 1290; BAG, Urt. v. 24.2.2010 – 4 AZR 691/08, NZA-RR 2010, 530, 533; vgl. auch BAG, Urt. v. 6.7.2011 – 4 AZR 496/09.

Für Fälle des Betriebs(teil)übergangs bedeutet dies insbesondere, dass der 172 Verweis auf die „jeweils gültigen Tarifverträge der Branche XY“ auch nach dem Betriebs(teil)übergang unverändert dynamisch auf die betreffenden Tarifverträge verweist. Wird hingegen nur generell auf die „jeweils gültigen Tarifbestimmungen“ verwiesen, so sind die sachlich und räumlich jeweils einschlägigen Tarifverträge ohne Rücksicht auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers zu beachten, sodass es zu einem Wechsel der einzelvertraglich zu beachtenden Tarifbedingungen auch ohne unmittelbare Tarifgebundenheit des neuen Inhabers kommen kann. Besonderes Augenmerk ist in diesen Konstellationen auf § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu richten, da ein Austausch des Bezugnahmeobjekts durchaus eine mitbestimmungspflichtige Änderung des betrieblichen Vergütungssystems i. S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bedeuten kann. Sieht die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel nicht ausdrücklich vor, dass 173 die in Bezug genommenen Tarifverträge bei Wegfall der Tarifbindung des Arbeitgebers keine Anwendung mehr finden sollen, so kann sich aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung eine „Ewigkeitsbindung“ an die in Bezug genommenen Tarifverträge ergeben, die auch von einem Betriebsübernehmer zu beachten ist. Zutreffend hat das BAG in Auseinandersetzung mit der „Werhof-Entscheidung“ des EuGH vom 9.3.2006, EuGH, Urt. v. 9.3.2006 – C-499/04, ZIP 2006, 723,

festgestellt, dass dieses Ergebnis weder gegen europäisches Recht noch gegen deutsches Verfassungsrecht verstoße. BAG, Urt. v. 24.2.2010 – 4 AZR 691/08, NZA-RR 2010, 530, 535.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

174 Angesichts der Entscheidung des EuGH in Sachen Alemo-Herron, EuGH, Urt. v. 18.7.2013, C-426/11; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.9.2014, C-328/13 (Österreichischer Gewerkschaftsbund),

hat das BAG diese Frage allerdings dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. BAG, Beschl. v. 17.6.2015 – 4 AZR 61/14 (A).

c) Altvertrag oder Neuvertrag 175 Für die Praxis ist somit von herausragender Bedeutung, ob arbeitsvertragliche Bezugnahmen vor oder ab dem 1.1.2002 abgeschlossen worden sind. Schwierigkeiten bereitet bei Arbeitsverträgen, die ab dem 1.1.2002 geändert worden sind, mitunter die Beantwortung der Frage, ob durch diese Änderungen auch eine im Vertrag enthaltene arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel fortan nach den Grundsätzen der neuen Rechtsprechung des BAG zu behandeln ist. Nach Ansicht des BAG gelten die Grundsätze der neuen Rechtsprechung nach Vertragsänderungen nur dann, wenn die Vertragsklausel „zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist […]. Ob dazu ein pauschaler Verweis auf den Altvertrag ausreicht, kann offen bleiben. Ein deutlicher Ausdruck dafür, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist und die Parteien […] ausdrücklich an den zuvor getroffenen Abreden festhalten, liegt beispielsweise in der ausdrücklichen Erklärung, dass ‚alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben’. Eine solche Regelung hindert die Annahme eines ‚Altvertrages’ und eine Rechtsfolgenkorrektur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes.“ BAG, Urt. v. 18.11.2009 – 4 AZR 514/08, NZA 2010, 170, 172.

V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen im Zusammenhang mit dem Betriebs(teil)übergang 1. Kündigung wegen Betriebsübergangs und Kündigung auf Erwerberkonzept 176 Nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB sind sowohl eine Beendigungskündigung als auch eine Änderungskündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers unwirksam, sofern sie wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber ausgesprochen werden. Hierbei handelt es sich nach heute ganz herrschender Meinung um ein selbstständiges Kündigungsverbot, auf das sich der Arbeitnehmer grundsätzlich unabhängig vom Eingreifen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG berufen kann. Auch wenn die Kündigung durch den Insolvenzverwalter ausgesprochen wird, ist die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG zu beachten.

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V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen

In Anbetracht der Bestimmung des § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB, wonach das 177 Recht zur Kündigung aus anderen Gründen unberührt bleibt, greift das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nicht ein, wenn ein sachlicher Grund vorhanden ist, der „aus sich heraus“ die Kündigung zu rechtfertigen vermag. BAG, Urt. v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668, 672; BAG 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, ZIP 2005, 412, 413; BAG, Urt. v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, ZIP 1996, 2028 = AP Nr. 147 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1996, 1115 (Joost).

Es erfasst daher nur solche Fälle, in denen der Inhaberwechsel als solcher zum 178 Anlass für eine Kündigung genommen wird, ohne dass wenigstens daneben eine nach allgemeinen Grundsätzen anerkennenswerte Unternehmerentscheidung vorliegt. Ähnlich Willemsen, ZIP 1983, 411, 414.

Unwirksam ist eine Kündigung demnach insbesondere dann, wenn sie nur 179 damit begründet werden kann, dass der Erwerbsinteressent anderenfalls zur Übernahme des Betriebs(teils) nicht bereit sei. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 128 Rn. 24.

§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB untersagt demnach jedenfalls nicht solche Kündi- 180 gungen, die auf vom Veräußerer aufgrund betriebsorganisatorischer Überlegungen selbst gewonnenen und von ihm im Betriebsablauf realisierbaren Erkenntnissen beruhen. BAG, Urt. v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, ZIP 1996, 2028 = AP Nr. 147 zu § 613a BGB.

Daher fallen betriebsbedingte Kündigungen auch dann nicht unter § 613a 181 Abs. 4 Satz 1 BGB, wenn das zugrunde liegende Konzept ausschließlich dazu dient, den Betrieb „verkaufsfähig“ zu machen. Hillebrecht, NZA 1989, Beilage 4, S. 10, 14.

Lange Zeit umstritten war hingegen, inwieweit eine Kündigung von der 182 Nichtigkeitsfolge erfasst wird, wenn sie nur den Zweck verfolgt, eine den Wünschen des potentiellen Erwerbers entsprechende Betriebsstruktur herbeizuführen („Veräußererkündigung auf Erwerberkonzept“). Dies wird man jedenfalls dann verneinen müssen, wenn der Veräußerer sich die unternehmerischen Vorstellungen des Erwerbers zu eigen gemacht hat und sie in der bei ihm existierenden Einheit auch bei deren Fortführung selbstständig durchführen könnte. BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = ZIP 1983, 1377 = AP Nr. 34 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, ZIP 1996, 2028 = AP Nr. 147 zu § 613a BGB.

In einer Aufsehen erregenden Entscheidung vom 20.3.2003 hat das BAG die 183 Zulässigkeit einer „Kündigung auf Erwerberkonzept“ schließlich in weitaus

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

größerem Maße als zuvor für zulässig erklärt. Während das BAG in einer Entscheidung vom 26.5.1983 eine solche Kündigung nur dann für zulässig gehalten hatte, wenn das ihr zugrunde liegende unternehmerische Konzept auch beim Veräußerer durchgeführt werden könnte, BAG, Urt. v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = ZIP 1983, 1377 = AP Nr. 34 zu § 613a BGB,

hat es diese Voraussetzung in der Entscheidung vom 20.3.2003 ausdrücklich fallen gelassen. BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027, dazu EWiR 2003, 909 (Schnitker/Grau).

184 Notwendig sei allein ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers, „dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat.“ BAG, Urt. v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, ZIP 2003, 1671 = NZA 2003, 1027, 1029.

185 Das BAG hat diese weitgehende Anerkennung der Kündigung auf Erwerberkonzept bislang mit dem Zusatz versehen, dass dies „jedenfalls in der Insolvenz“ gelte. Die Begründung weist jedoch keinerlei spezifischen Bezug zu den Besonderheiten der Insolvenzsituation auf, weshalb davon auszugehen ist, dass es auch außerhalb der Insolvenz zu keiner anderen Beurteilung kommt. 186 Keinerlei Klärung bringt die Entscheidung des BAG vom 20.3.2003 zu der Frage, wie die Reichweite von Weiterbeschäftigungspflicht (§ 1 Abs. 2 KSchG) und Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) im Falle einer Veräußererkündigung auf Erwerberkonzept zu bestimmen ist. Blickt man auf die hier allein interessierenden Fälle, in denen das den betriebsbedingten Kündigungen zugrunde liegende Konzept vom Veräußerer nicht verwirklicht werden könnte, so werden hierzu in der Literatur verschiedene Ansichten vertreten. Teilweise wird angenommen, man habe „in Bezug auf die Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG und für die Berücksichtigung der Versetzungsmöglichkeit auf andere, freie Arbeitsplätze die bei diesem [dem Erwerber] maßgeblichen betriebs- und unternehmensbezogenen Verhältnisse zugrunde zu legen“. Willemsen in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, H 160; unklar ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 172.

187 Andere wollen hingegen stets nur auf die Verhältnisse beim kündigenden Arbeitgeber abstellen. Zu berücksichtigen seien daher nur die bei ihm bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, während sich die Sozialauswahl auf den bisherigen Beschäftigungsbetrieb beschränke. Vgl. etwa Lipinski, NZA 2002, 75, 79.

188 Richtig dürfte es sein, sich bei der Lösung dieses Problems von der Überlegung leiten zu lassen, dass eine Kündigung auf Erwerberkonzept nicht allein

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V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen

wegen des Rechtsträgerwechsels anders beurteilt werden kann als eine durch den Arbeitgeber bei fortbestehender Rechtsträgeridentität im Rahmen der Zusammenführung von Betrieben oder Betriebsteilen ausgesprochene Kündigung. Zugrunde zu legen sind dementsprechend grundsätzlich die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ablaufs der jeweiligen Kündigungsfrist. Werden daher nur einzelne Arbeitnehmer in den neuen Betrieb eingegliedert, während der zurückbleibende Betrieb verkleinert oder stillgelegt wird, so ist die Sozialauswahl nur auf diesen zu erstrecken. Werden hingegen auch die gekündigten Arbeitnehmer zunächst in den neuen Betrieb (des Erwerbers) übernommen, erstreckt sich die Sozialauswahl auf die darin beschäftigten Arbeitnehmer. Nichts anderes gilt im Hinblick auf anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG, sodass es auch insoweit darauf ankommt, wo der betreffende Arbeitnehmer bei Ablauf der Kündigungsfrist beschäftigt ist. Dass es auf diese Weise innerhalb eines einheitlichen Personalabbaus zu einer unterschiedlichen Bestimmung des Beurteilungsrahmens für die Wirksamkeit der Kündigung kommen kann, je nachdem, ob das Arbeitsverhältnis zunächst für kurze Zeit auf den Erwerber übergegangen ist oder nicht, kann nur auf den ersten Blick irritieren. Denn letztlich ist das nichts anderes als eine unmittelbare Folge des in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB angeordneten Rechtsträgerwechsels. Sind die zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich nach 189 § 125 InsO namentlich bezeichnet, wird gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 128 Abs. 2 InsO vermutet, dass die Kündigung nicht wegen eines Betriebsübergangs erfolgt, sondern auf betriebsbedingten Gründen beruht. Die Bedeutung der nach richtiger Ansicht sowohl für den Übergang des gesamten Betriebs als auch für den Betriebsteilübergang geltenden, ebenso Lakies, RdA 1997, 145, 155; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 128 Rn. 82; a. A. Tretow, ZInsO 2000, 309, 311 f.,

Vermutung des § 128 Abs. 2 InsO bleibt dunkel, weil der Arbeitnehmer die 190 Unwirksamkeit einer Kündigung „wegen Betriebsübergangs“ schon nach allgemeinen Grundsätzen darzulegen und zu beweisen hat. In jedem Fall ist nunmehr zumindest für die Insolvenz klargestellt, dass jene Auffassung, die in § 613a Abs. 4 BGB eine Vermutung zulasten des Arbeitgebers „hineinlesen“ will, nicht länger haltbar ist. Vgl. ausführlich Caspers, Rn. 306 ff.

2. Aufhebungs- und Änderungsverträge als unzulässige Umgehungsversuche? Nach Ansicht des BAG will § 613a BGB ungeachtet der im Einzelfall ge- 191 wählten Regelungsmodalität auf jeden Fall verhindern, dass die Betriebsveräußerung zum Anlass eines Sozialabbaus innerhalb der Belegschaft des Veräußererbetriebs genommen wird.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, BAGE 70, 209 = ZIP 1992, 1408 = AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1992, 957 (Schaub).

192 Daher seien sowohl Eigenkündigungen als auch Aufhebungsverträge, die zu einer Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit dem Arbeitgeber führen sollen, um anschließend mit dem Erwerber Arbeitsverträge zu ungünstigeren Bedingungen abzuschließen, grundsätzlich wegen Versuchs der Umgehung des § 613a BGB unwirksam. BAG, Urt. v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BAGE 55, 229 = ZIP 1988, 120 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung (Lemgoer Modell“), dazu EWiR 1988, 247 (Seiter); BAG, Urt. v. 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, BAGE 70, 209 = ZIP 1992, 1408 = AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung.

193 Allerdings erkennt das BAG an, dass § 613a BGB keine generelle Sperre für alle Änderungsverträge entnommen werden kann. Änderungs- und Verzichtsvereinbarungen zum Nachteil des Arbeitnehmers seien im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil)übergang jedoch an das Vorliegen sachlicher Gründe gebunden, BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, BAGE 50, 62 = ZIP 1986, 1001 = AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung, dazu EWiR 1986, 773 (Grunsky),

wobei insbesondere der dauerhafte Erhalt von Arbeitsplätzen als sachlicher Grund in Betracht komme. BAG, Urt. v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = AP Nr. 18 zu § 613a BGB.

194 In der Literatur hat diese Rechtsprechung überwiegend Ablehnung erfahren. Tatsächlich lässt sich das Erfordernis eines sachlichen Grundes entgegen der Ansicht des BAG nicht rechtsdogmatisch aus § 613a BGB ableiten. Willemsen, RdA 1987, 327, 329.

195 Dieser Bestimmung geht es allein darum, eine Trennung von Arbeitsplatz und Arbeitsverhältnis aufgrund einseitiger Tatsachengestaltung durch den Arbeitgeber zu verhindern. Sie bezweckt daher nur, den Betriebs(teil)erwerber an Bestand und Inhalt der vorhandenen Arbeitsverhältnisse in gleicher Weise zu binden, wie der Veräußerer gebunden war. Eine darüber hinausgehende Beschränkung der Vertragsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstrebt § 613a BGB nicht. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 128 Rn. 41, 56 ff. Willemsen, RdA 1987, 327, 329.

196 Daher wird man generell nicht nur Änderungsverträgen, sondern auch Aufhebungsverträgen bzw. Eigenkündigungen mit jeweils folgendem Neuabschluss eines Arbeitsvertrags zu schlechteren Bedingungen mit dem Erwerber auch

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V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen

ohne Vorliegen sachlicher Gründe volle Wirksamkeit zuerkennen müssen, sofern sie sich nicht als Verträge zulasten des Pensionssicherungsvereins darstellen (§ 4 BetrAVG) bzw. nach den Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre unwirksam sind oder Vorschriften zu umgehen versuchen, die den inhaltlichen Schutz des Arbeitsverhältnisses bezwecken. In diese Richtung deutete auch eine neue Entscheidung des 5. Senats, worin 197 wörtlich ausgeführt wird: „Soweit eine nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB an sich unverändert übergeleitete Regelung der Disposition der Arbeitsvertragsparteien unterliegt, kann sie durch Vereinbarung mit dem alten oder neuen Inhaber geändert werden. Es herrscht grundsätzlich die gleiche Vertragsfreiheit, wie sie im Veräußererbetrieb bestanden hat. Aus § 613a BGB lassen sich keine weitergehenden Einschränkungen der Privatautonomie ableiten.“ BAG, Urt. v. 7.11.2007 – 5 AZR 1007/06, ZIP 2008, 286; vgl. auch BAG, Urt. v. 19.12.2007 – 5 AZR 1008/06, NZA 2008, 464, 465.

Gegen diese Tendenz hat sich jüngst allerdings erneut der 8. Senat mit deut- 198 lichen Worten gewandt: „Nach der Rechtsprechung des Senats sind Vertragsgestaltungen, deren objektive Zielsetzung in der Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes besteht, nichtig. § 613a BGB wird insbesondere dann umgangen, wenn im Falle eines Betriebsüberganges zugleich mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem bisherigen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsübernehmer vereinbart wird, da § 613a BGB einen Schutz vor einer Veränderung des Arbeitsvertragsinhaltes ohne sachlichen Grund gewährt.“ BAG, Urt. v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144, 148.

Die Kombination von Aufhebungsvertrag und Abschluss eines neuen Ar- 199 beitsvertrags kann sich insbesondere dann als unwirksamer Umgehungsversuch erweisen, wenn sie auf die Ausschaltung des durch § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gewährten Arbeitnehmerschutzes abzielt. Auch Änderungsverträge haben selbstverständlich die sich aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ergebende Schranke zu beachten. Im Insolvenzverfahren dürften auch nach Ansicht des BAG Änderungsver- 200 träge zur Ermöglichung eines Betriebs(teil)übergangs regelmäßig auf ausreichenden sachlichen Gründen beruhen, da typischerweise nur dadurch der Fortbestand der Arbeitsplätze gesichert werden kann. Gleichwohl ist bei der Beratung und Rechtsgestaltung in diesen Fällen erhebliche Vorsicht geboten. In mehreren jüngeren Entscheidungen hat das BAG ausdrücklich festgestellt, 201 dass Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch im Zusammenhang mit einem (bevorstehenden) Betriebs(teil)übergang ohne das Vorliegen sachlicher Gründe wirksam möglich sind, wenn sie auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sind.

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP Nr. 436 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 27.9.2012 – 8 AZR 826/11, ZIP 2013, 1186, dazu EWiR 2013, 369 (Bross); BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB, dazu EWiR 1999, 247 (Joost).

202 Wenn aber Aufhebungsverträge ohne Weiteres möglich sind, wird man für Änderungsverträge nicht anders entscheiden können, sofern dem nicht besondere Schranken entgegenstehen. 3. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften als Allheilmittel? 203 Die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Aufhebungsverträgen im Zusammenhang mit Betriebs(teil)übergängen erlangt in Insolvenzfällen besondere praktische Bedeutung mit Blick auf die Einschaltung sog. „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften“ (BQG – auch „Transfergesellschaften“). Kern des darauf aufbauenden Sanierungsmodells ist, dass zunächst sämtliche in einem Betrieb oder Betriebsteil des insolventen Veräußerers beschäftigten Arbeitnehmer – typischerweise im Wege dreiseitiger Vereinbarungen – mit ihrem Arbeitgeber Aufhebungsverträge und gleichzeitig mit einer Beschäftigungsgesellschaft neue (befristete) Arbeitsverträge abschließen. Bei der Beschäftigungsgesellschaft werden sie sofort in strukturelle Kurzarbeit überführt, ohne dass sie weitergehende, rechtlich verbindliche Beschäftigungszusagen erhalten. Der auf diese Weise seiner Arbeitnehmer entkleidete ursprüngliche Betrieb oder Betriebsteil wird sodann an einen – zumeist schon bei Abschluss der dreiseitigen Vereinbarungen im Hintergrund stehenden – Erwerber veräußert, welcher sich schließlich typischerweise aus dem bei der Beschäftigungsgesellschaft aufgebauten „Arbeitnehmerpool“ – ohne Bindung an § 613a BGB oder die Kriterien der Sozialauswahl – eine Wunschmannschaft zusammenstellt, mit der er die betriebliche Einheit fortzuführen beabsichtigt. Diese Rechtsprechung betrifft allerdings nur solche Konstellationen, in denen beim Wechsel der Arbeitnehmer in die BQG noch nicht feststeht, welche von ihnen schließlich der „Erwerber“ übernimmt. 204 Anders als das in der Vorinstanz mit der Frage befasste LAG Düsseldorf, LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.4.1997 – 10 Sa 1534/96, LAGE § 613a BGB Nr. 61 = DB 1997, 1878; ebenso LAG Hamm, Urt. v. 29.10.1998 – 8 Sa 2337/97, im Ergebnis ebenso auch LAG Bremen, Urt. v. 26.8.2004 – 3 Sa 80, 81/04, ZIP 2004, 2452 = DB 2005, 287,

sah das BAG in dieser Gestaltung keine Umgehung des § 613a BGB, da allen Arbeitnehmern klar gewesen sei, dass sie jeweils ihr Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber endgültig beenden würden. BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB; siehe auch die Rechtsprechungsübersicht in Rn. 885 ff.

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V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen

Bis auf Weiteres erscheint in Anbetracht dessen die Zwischenschaltung einer 205 Beschäftigungsgesellschaft als probates Mittel, um den Erwerb einer betrieblichen Einheit aus der Insolvenz ohne die Bindungen des § 613a BGB zu ermöglichen. Bei der Einschaltung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft ist es allerdings wichtig, gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern mit offenen Karten zu spielen, um Anfechtungsrisiken zu vermeiden. BAG, Urt. v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, ZIP 2006, 148 (m. Bespr. Gaul/Otto, S. 644), dazu EWiR 2006, 197 (Lindemann); BAG, Urt. v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, ZIP 2007, 643, 646; vgl. BAG, Urt. v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, ZIP 2011, 2426, dazu EWiR 2012, 41 (Joost); BAG, Urt. v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP Nr. 436 zu § 613a BGB; ArbG Freiburg, Urt. v. 26.6.2008 – 13 Ca 378/07, ZIP 2008, 2039 (LS); Vgl. zu den rechtlichen Problemen und Gestaltungsmöglichkeiten einer BQG näher unter Rn. 650 ff.

4. Wiedereinstellungsanspruch Beabsichtigt der Insolvenzverwalter die Stilllegung eines Betriebs- oder Be- 206 triebsteils und spricht er deshalb betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, so stellt sich die Frage, welche Folgen daraus resultieren können, dass es nach Ausspruch der Kündigungen doch noch zu einem Betriebs(teil)übergang kommt. Die ganz überwiegende Ansicht nimmt in solchen Fällen jedenfalls dann 207 einen Anspruch auf Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses an, wenn der Betriebs(teil)übergang noch während des Laufs der jeweils individuellen Kündigungsfristen – also vor der jeweiligen rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – erfolgt. Vgl. nur BAG, Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung, dazu EWiR 1998, 773 (Krasshöfer); BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB; BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, 360, AP § 613a BGB Wiedereinstellung Nr. 2; BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, 34, AP § 613a BGB Nr. 353. Ist in solchen Fällen ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen worden, kann es – ebenso wie hinsichtlich eines wegen der Betriebsstilllegung vereinbarten Sozialplans (BAG, Urt. v. 28.8.1996 – 10 AZR 886/95, ZIP 1997, 83 = AP Nr. 104 zu § 112 BetrVG 1972, dazu EWiR 1997, 101 [Schaub]) – zur Notwendigkeit der Anpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommen (BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung, dazu EWiR 1997, 781 [Junker/Schnelle]).

Begründet wird dieser Wiedereinstellungsanspruch mit einer Korrelatfunk- 208 tion zum Prognoseprinzip bei betriebsbedingten Kündigungen. Nach diesem 51

B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

Prognoseprinzip genügt es für die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen, wenn im Zeitpunkt ihres Ausspruchs aufgrund einer prognostischen Entscheidung damit gerechnet werden kann, dass der Arbeitsplatz spätestens mit dem Ablauf der Kündigungsfrist entfallen wird. 209 Einen Anspruch auf Wiedereinstellung hat der Arbeitnehmer nach Ansicht des BAG zumindest dann, wenn der Arbeitgeber noch keine anzuerkennenden Dispositionen getroffen hat, die ein schutzwürdiges – die Belange des Arbeitnehmers überwiegendes – Interesse daran begründen, es bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu belassen. Wann ein solches schutzwürdiges Interesse im Einzelfall anzuerkennen ist, wird in der Rechtsprechung allerdings nicht recht klar. BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.

210 Adressat des Anspruchs sei entweder – vor Betriebs(teil)übergang – der Veräußerer oder – nach Betriebs(teil)übergang – der Erwerber. BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung.

211 Aus insolvenzrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen ergeben sich insoweit keine Besonderheiten, sodass den Arbeitnehmern bei Vorliegen der soeben dargestellten Voraussetzungen zumindest innerhalb der noch laufenden – ggf. nach § 113 InsO verkürzten – individuellen Kündigungsfristen ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen kann. BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung; gänzlich gegen einen Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz jedoch Hanau, ZIP 1998, 1817, 1820; unklar Tretow, ZInsO 2000, 309, 314.

212 Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung ist demgegenüber, inwieweit über das soeben Gesagte hinausgehend ein Anspruch auf Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen auch dann bestehen kann, wenn es erst nach Ablauf der jeweils maßgeblichen Kündigungsfrist zu einem Betriebs(teil)übergang kommt. Vgl. allgemein zum Wiedereinstellungsanspruch Boewer, NZA 1999, 1121 ff., 1177 ff.

213 Während der 7. Senat das Entstehen eines solchen Anspruchs nach wirksamer Beendigung des Arbeitsverhältnisses für ausgeschlossen hält, BAG, Urt. v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, BB 1998, 538 = DB 1998, 23, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung, dazu EWiR 1998, 323 (Boudon),

hält der 8. Senat einen Wiedereinstellungsanspruch auch dann ausnahmsweise für möglich, wenn die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist entsteht.

52

V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen Vgl. BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, 360, AP § 613a BGB Wiedereinstellung Nr. 2; BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, 34, AP § 613a BGB Nr. 353; BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA 2010, 64.

Wörtlich führt das BAG aus:

214

„Entsteht die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, kommt nur ausnahmsweise ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Betrieb oder Betriebsteil, dem der Arbeitnehmer zugeordnet war, gemäß § 613a BGB auf einen Betriebserwerber übergeht. Der Wiedereinstellungsanspruch richtet sich, wenn es während der Kündigungsfrist zu einem Betriebsübergang kommt, gegen den Betriebserwerber. Gleiches gilt, wenn während des Laufs der Kündigungsfrist der Betriebsübergang zwar beschlossen, aber noch nicht vollzogen ist. In diesem Falle entsteht noch während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung, der ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 BGB gegen den Erwerber gerichtet ist.“ BAG, Urt. v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA 2010, 64; ebenso bereits BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, 359.

Erkennt der Arbeitnehmer, dass er wegen eines zwischenzeitlich eingetrete- 215 nen Betriebs(teil)übergangs einen Wiedereinstellungsanspruch hat, so kann er ggf. auch eine auf den Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs zurückwirkende Begründung eines neuen Arbeitsvertrags verlangen und erforderlichenfalls einklagen. BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, 34.

Nach Ansicht des BAG kann der gekündigte Arbeitnehmer einen Wiederein- 216 stellungsanspruch nur kurze Zeit nach Kenntniserlangung von einem Betriebs(teil)übergang geltend machen. Nicht ganz eindeutig formuliert das BAG wörtlich: „Der Arbeitnehmer hat unverzüglich nach Kenntniserlangung von den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen sein Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Arbeitgeber bzw. nach erfolgtem Betriebsübergang gegenüber dem Betriebserwerber zu stellen. Entsprechend der Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechtes muss auch das Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsverlangen binnen einer Frist von einem Monat geltend gemacht werden, da der Zweck des Bestandsschutzes Phasen vermeidbarer Ungewissheit über das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigt.“ BAG, Urt. v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29, 34; vgl. auch BAG, Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357, 360.

Auch nach Ansicht des 8. Senats ist ein Wiedereinstellungsanspruch nach 217 Ablauf der Kündigungsfrist jedenfalls bei Betriebs(teil)übernahmen aus dem eröffneten Insolvenzverfahren des Veräußerers nicht gegeben. Wörtlich führt das BAG aus:

218

„(I)m Insolvenzverfahren widerspräche die Zubilligung eines solchen Wiedereinstellungsanspruchs jedoch dem Konzept der Insolvenzordnung, die auf

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz schnelle Abwicklung und Sanierung abzielt. Damit besteht kein Raum für eine teleologische Extension“. Vgl. auch bereits BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, ZIP 2004, 1610 = BB 2005, 383, 388; BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB.

219 Eine weitere in dieser Entscheidung zu findende Passage lässt jedoch aufmerken: „Soweit die Gefahr besteht, dass Betriebsübergänge im Insolvenzverfahren absichtlich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist vollzogen werden, um sich dem Wiedereinstellungs-/Fortsetzungsanspruch im bestehenden Arbeitsverhältnis zu entziehen, so ist die Grenze einer derartigen Handlungsweise Rechtsmissbrauch des Veräußerers und Erwerbers (§ 242 BGB).“ BAG, Urt. v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, ZIP 2004, 1610 = BB 2005, 383, 388.

5. Betriebs(teil)übergang und Betriebsänderung 220 Auch in der Insolvenz sind der allein die Rechtsträgerebene betreffende Betriebs(teil)übergang und die sich nur auf Betriebsebene abspielende Betriebsänderung zu unterscheiden. Wird der Betrieb im Ganzen unverändert auf einen neuen Rechtsträger übertragen, ist zwar § 613a BGB zu beachten, doch liegt keine beteiligungspflichtige Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG vor. Lediglich in den betroffenen Unternehmen etwa bestehende Wirtschaftsausschüsse sind in diesem Falle zu beteiligen (vgl. § 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG). Darüber hinaus ist der Betriebsrat in Erfüllung seines allgemeinen Informationsanspruchs aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu unterrichten. 221 Im Zusammenhang mit einem Betriebsteilübergang kommt es regelmäßig zu einer Betriebsänderung in Form der Betriebsspaltung (§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG), mit der die veränderte Rechtsträgerzuordnung auf Betriebsebene nachvollzogen wird (siehe dazu Rn. 503 ff.). Notwendig ist dies freilich nicht, da es Veräußerer und Erwerber unbenommen ist, die bisherige betriebliche Einheit unverändert in der Form des gemeinsamen Betriebs fortzuführen (zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Vermutung in § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG). Die zumindest vorübergehende Führung eines gemeinsamen Betriebs bietet sich insbesondere dann an, wenn im Falle einer gleichzeitig mit dem Rechtsträgerwechsel vollzogenen Betriebsänderung eine vermehrte Zahl von unerwünschten Widersprüchen zu befürchten ist. Hier kann eine gemeinsame Betriebsführung beruhigend wirken, da sich dann auch für die vom Betriebs(teil)übergang erfassten Arbeitnehmer im täglichen Arbeitsablauf zunächst nichts ändert. Noch nicht umfassend geklärt ist allerdings, welche Folgerungen sich in einem solchen Fall bei einer späteren Betriebsspaltung entsprechend der unterschiedlichen Rechtsträgerzuordnung der Arbeitsverhältnisse ergeben.

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V. Unternehmerische Gestaltungsentscheidungen

Die dabei möglicherweise auftretenden Probleme sollen hier nur kurz ange- 222 rissen werden: • Wird die Betriebsänderung nicht bereits vom Insolvenzverwalter vor, sondern erst von ihm und dem Erwerber gemeinsam nach Betriebsteilübergang geplant, stellt sich die Frage, inwieweit auch für den übergegangenen Teil § 122 InsO zur Anwendung gelangt. Weil eine Aufspaltung der Verhandlungen mit dem Betriebsrat tatsächlich nicht möglich ist, dürfte davon auszugehen sein, dass § 122 InsO zugunsten sämtlicher beteiligter Betriebsteilinhaber einheitlich anzuwenden ist. • Aus § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ist zu ersehen, dass bei der Dotierung des Sozialplans grundsätzlich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens (vgl. zur Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals in der Insolvenz Rn. 573 ff.) und nicht auf diejenige des Betriebs abzustellen ist. Fraglich ist in der hier betrachteten Konstellation daher, ob für die beim Insolvenzverwalter verbliebenen Arbeitnehmer die Regelungen des § 123 InsO maßgeblich sind, während für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse die Situation des Erwerbers entscheidet. Die besseren Gründe sprechen für eine getrennte Sozialplandotierung, sodass für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse keine „Deckelung“ nach § 123 InsO in Betracht kommen dürfte. Die Trennung auf Rechtsträgerebene erscheint hier als unüberwindbare Kluft. • Aus dem soeben zu § 123 InsO Gesagten lassen sich auch Folgerungen für die Beantwortung der Frage ableiten, was gilt, wenn der Erwerber nach § 112a Abs. 2 BetrVG dem sog. „Sozialplanprivileg“ für neugegründete Unternehmen unterfällt. Hier wird man ebenfalls den Scheidepunkt in der Rechtsträgerzuordnung zu sehen haben, weshalb der Erwerber zur Aufstellung eines Sozialplans für die von ihm übernommenen Arbeitnehmer – im Gegensatz zum Insolvenzverwalter hinsichtlich der bei ihm verbliebenen Arbeitnehmer – nicht gezwungen werden kann. § 128 Abs. 1 InsO gibt auf die soeben gestellten Fragen keine Antwort, auch 223 wenn die in ihm enthaltene ausdrückliche Anordnung der Fortgeltung einzelner Vorschriften über den Rechtsträgerwechsel hinaus bestätigt, dass dieser Zeitpunkt im Übrigen der Anwendbarkeit der insolvenzrechtlichen Vorschriften eine grundsätzlich unüberwindbare Grenze zieht. Diese Bestimmung besagt lediglich, dass die Anwendung der §§ 125 – 127 InsO auch dann möglich bleibt, wenn die dem Interessenausgleich oder dem Feststellungsantrag zugrunde liegende Betriebsänderung erst nach einer Betriebsveräußerung durchgeführt werden soll. Die Norm zielt deutlich auf eine Erleichterung der Betriebsveräußerung im Insolvenzverfahren, Warrikoff, BB 1994, 2338, 2344,

doch bereitet ihre Anwendung im Einzelfall gewisse Schwierigkeiten. Unabdingbare Voraussetzung ist jedenfalls, dass die Betriebsänderung noch vom

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B. Das Recht des Betriebs(teil)übergangs in der Insolvenz

Insolvenzverwalter i. S. d. § 111 BetrVG „geplant“ wird. Fraglich ist hingegen, ob der Unternehmenskaufvertrag mit dem Erwerber, bei dem die Betriebsänderung vorgenommen werden soll, bereits wirksam abgeschlossen sein muss oder ob als Erwerber in diesem Sinne auch ein Interessent anzusehen ist, „mit dem der Insolvenzverwalter in Verhandlungen steht und in dessen Interesse der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren betreibt“, Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 128 Rn. 79,

sodass als „Erwerber“ mehrere Personen gleichzeitig in Betracht kommen. Die wohl überwiegende vermittelnde Ansicht verlangt zutreffend rechtliche Absicherungen, die sicherstellen, dass das Erwerberkonzept auch tatsächlich verwirklicht werde, sodass ein rechtsverbindlicher Sanierungsplan oder ein Vorvertrag vorliegen müsse. Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 128 Rn. 66; Tretow, ZInsO 2000, 309, 310; wohl auch Smid-Müller, InsO, § 128 Rn. 16.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung I. Allgemeines Die Insolvenzeröffnung lässt nicht nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses 224 unberührt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 InsO), sondern gibt als solche dem Insolvenzverwalter keinen Kündigungsgrund. Vgl. schon BAG, Urt. v. 25.10.1963 – 2 AZR 23/63, AP Nr. 1 zu § 22 KO.

Im Anwendungsbereich des KSchG ist daher eine Kündigung auch in der In- 225 solvenz nur wirksam, wenn sie sich auf einen Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2 KSchG stützen kann und die Regeln der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG beachtet werden. Darüber hinaus sind prinzipiell auch alle sonstigen Kündigungsbeschränkungen und Verfahrensregeln in der Insolvenz zu beachten, wie insbesondere § 9 MuSchG, § 18 BEEG. § 85 SGB IX, § 102 BetrVG, § 103 BetrVG. Auch in der Insolvenz ist die 226 ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG in verfassten Betrieben somit Wirksamkeitsvoraussetzung jeder Kündigung. Die Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses durch den Insolvenz- 227 verwalter ist nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig, der insbesondere bei einer vollständigen Betriebsstilllegung gegeben sein kann. Nicht entschieden ist, ob in diesem Fall fristlos bzw. unter Einhaltung der hypothetischen ordentlichen Kündigungsfrist oder nur unter Einhaltung der in § 113 InsO vorgesehenen Höchstfrist von drei Monaten gekündigt werden kann. Vgl. MünchKomm- Caspers, InsO, § 113 Rn. 37.

Bei der Kündigung schwerbehinderter Menschen im Insolvenzverfahren ist 228 zu beachten, dass § 89 Abs. 3 SGB IX eine Beschränkung des Ermessens des Integrationsamtes vorsieht. § 88 Abs. 5 Satz 1 SGB IX sieht weiter vor, dass in den in § 89 Abs. 3 SGB IX 229 beschriebenen Fällen das Integrationsamt seine Entscheidung innerhalb eines Monats vom Tage des Antragseingangs an treffen muss. Wird eine Entscheidung innerhalb dieser Frist nicht getroffen, so gilt die Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX als erteilt. Die Kenntnis dieser Fiktion ist praktisch bedeutsam, weil die Kündigung gemäß § 88 Abs. 3 SGB IX nur innerhalb eines Monats nach Erteilung der Zustimmung ausgesprochen werden kann. Der Insolvenzverwalter hat bei Ausspruch der Kündigung das Schriftform- 230 gebot des § 623 BGB zu beachten. Erforderlich ist somit, dass dem Arbeitnehmer ein unterzeichnetes Kündigungsschreiben im Original zugeht. Eine Kündigung per Telefax ist rechtsunwirksam. 57

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

231 Der Insolvenzverwalter kann sich bei der Kündigung vertreten lassen. Legt der Vertreter allerdings keine vom Insolvenzverwalter unterzeichnete Vollmachtsurkunde im Original vor, so kann der Arbeitnehmer die Kündigung aus diesem Grund – unter Angabe des Grundes – nach § 174 Satz 1 BGB zurückweisen. Auch hier genügt nicht, wenn dem Arbeitnehmer die Vollmacht nur per Telefax übermittelt oder in Kopie vorgelegt wird. Das Zurückweisungsrecht besteht nicht, sofern der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer von der Bevollmächtigung in anderer Weise in Kenntnis gesetzt hat. Dafür ist ausreichend, wenn der Insolvenzverwalter den Kündigenden an eine Stelle berufen hat, deren Inhaber üblicherweise kündigungsbefugt ist. Allein der Umstand, dass der kündigende Anwalt mit dem Insolvenzverwalter als Sozius verbunden ist und unter dem gemeinsamen Briefkopf kündigt, reicht dafür aber nicht aus. BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, ZIP 2002, 2003 = AP Nr. 232 zu § 613a BGB; vgl. auch BAG, Urt. v. 25.9.2014 – 2 AZR 567/13, NZA 2015, 159, dazu EWiR 2015, 57 (Wösthoff).

232 Auch der Insolvenzverwalter hat grundsätzlich die sich aus Gesetz, Tarifvertrag oder Individualvereinbarung ergebenden Kündigungsfristen zu berücksichtigen. Zu beachten ist aber § 113 Satz 2 InsO, wonach die Höchstkündigungsfrist in der Insolvenz drei Monate beträgt. Darüber hinaus sieht § 113 Satz 1 InsO vor, dass sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Arbeitnehmer „ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung“ kündigen können. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BAG ist in diesem Fall stets die Dreimonatsfrist des § 113 Satz 1 InsO und nicht etwa nur eine eventuell kürzere (hypothetische) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 70/99, ZIP 2000, 985 = NZA 2000, 658, 659, dazu EWiR 2000, 685 (Moll).

233 § 113 Satz 1 InsO ermöglicht dem Insolvenzverwalter daher insbesondere die ordentliche Kündigung von befristeten Arbeitsverhältnissen (vgl. § 15 Abs. 3 TzBfG) sowie von Arbeitsverhältnissen, in denen die ordentliche Kündigungsmöglichkeit für den Arbeitgeber durch Tarifvertrag oder Individualvertrag ausgeschlossen ist. BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 70/99, ZIP 2000, 985 = NZA 2000, 658; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 113, Rn. 93, 101 ff.; BAG, Urt. v. 22.9.2005 – 6 AZR 526/04, ZIP 2006, 631; BAG, Urt. v. 27.2.2014 – 6 AZR 301/12, ZIP 2014, 1685.

234 In diesem Fall dürfte der Kündigungsausschluss auch im Rahmen einer etwa erforderlichen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG keine Berücksichtigung finden. Hingegen beseitigt § 113 Satz 1 InsO nach Ansicht des BAG nicht sonstige Kündigungserschwerungen, wie beispielsweise eine Bindung der Kündbarkeit an die Zustimmung des Betriebsrats. BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 4 AZR 911/98.

58

I. Allgemeines

Wird die Kündigung auf § 113 Satz 1, 2 InsO gestützt, so kann der Arbeit- 235 nehmer Ersatz des ihm aus der vorzeitigen Beendigung entstandenen Schadens verlangen (§ 113 Satz 3 InsO), dessen Berechnung insbesondere bei Durchbrechung von Unkündbarkeitsklauseln erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Vgl. dazu Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 113 Rn. 138 ff. einerseits, und MünchKomm-Caspers, InsO, § 113 Rn. 31 f. andererseits.

Unwirksamkeitsgründe gleich welcher Art müssen bei einer durch den Insol- 236 venzverwalter ausgesprochenen Kündigung gemäß § 4 KSchG binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung durch Klageerhebung beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden. Zu beachten ist, dass die Klagefrist erst mit dem Zugang der schriftlichen Kündigung zu laufen beginnt. Unberührt bleibt aber § 4 Satz 4 KSchG, der insbesondere für die Fälle der § 18 BEEG, § 9 MuSchG Bedeutung hat. Dazu BAG, Urt. v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, ZIP 2003, 2129 = NZA 2003, 1335.

Von praktischer Bedeutung ist eine Entscheidung des BAG vom 17.1.2002. 237 Dort wird ausdrücklich betont, dass eine Kündigungsschutzklage gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes zu richten sei. Eine gegen den Gemeinschuldner gerichtete Klage mache den Insolvenzverwalter nicht zur Partei und könne deshalb auch nicht die Klagefrist wahren. Lasse sich der Klageschrift allerdings entnehmen, dass der Insolvenzverwalter die Kündigung ausgesprochen hat oder dass über das Vermögen des Gemeinschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, so sei eine Berichtigung des Beklagtenrubrums möglich. Dies gelte jedoch nicht, wenn der Klageschrift die Kündigung des Insolvenzverwalters nicht beigefügt war und sich aus ihr auch nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergibt. BAG, Urt. v. 17.1.2002 – 2 AZR 57/01, ZIP 2002, 1412 = BB 2003, 209; vgl. zur Möglichkeit der Rubrumsberichtigung im Kündigungsschutzprozess auch BAG, Urt. v. 15.3.2001 – 2 AZR 141/00, AP Nr. 46 zu § 4 KSchG 1969 = DB 2001, 1680, dazu EWiR 2002, 5 (A. Wolff).

Die Erleichterungen des § 113 InsO gelten nur im eröffneten Insolvenzver- 238 fahren, sodass sie selbst dem „starken“ vorläufigen Verwalter nicht zugute kommen. So nunmehr ausdrücklich auch BAG, Urt. v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, ZIP 2003, 222 = AP Nr. 10 zu § 113 InsO; und jüngst BAG, Urt. v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289, dazu EWiR 2005, 867 (Thüsing/Grosse-Brockhoff).

Werden allerdings vor Insolvenzeröffnung Kündigungen mit längerer Frist 239 ausgesprochen, so kann der Insolvenzverwalter mit der abgekürzten Frist des § 113 InsO „nachkündigen“. BAG, Urt. v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/02, ZIP 2003, 1670 = NZA 2003, 1086.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

240 Nach umstrittener Ansicht des LAG Berlin-Brandenburg gilt § 113 InsO auch für solche Arbeitsverhältnisse, die der Insolvenzverwalter mit Wirkung für die Masse neu begründet hat. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.7.2007 – 23 Sa 450/07, ZIP 2007, 2002.

241 Bei betriebsbedingten Kündigungen in der Insolvenz sind daneben im Falle von Betriebsänderungen die §§ 125, 126 InsO sowie – bei Überschreiten der einschlägigen Grenzen – allgemein § 17 KSchG zu beachten (vgl. dazu Rn. 257 ff., 321 ff.). II. Die betriebsbedingte Beendigungskündigung 1. Kündigung wegen Betriebsstilllegung 242 Für eine wirksame betriebsbedingte Beendigungskündigung wegen einer Stilllegung des gesamten Betriebs ist nach Ansicht des BAG kein entsprechender Beschluss der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses erforderlich, sondern notwendig ist nur, dass sich der Insolvenzverwalter ernsthaft und endgültig dazu entschlossen hat, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft für eine unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzuheben. Vgl. nur BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, NZA 2002, 1205, 1206; BAG, Urt. v. 23.2.2010 – 2 AZR 720/08.

243 An einer solchen Stilllegung soll es mangels beabsichtigter Auflösung der Produktionsgemeinschaft fehlen, solange der Insolvenzverwalter mit einem potentiellen Betriebserwerber in Verhandlungen wegen einer Übernahme steht, sodass etwa ausgesprochene betriebsbedingte Beendigungskündigungen unwirksam wären. BAG, Urt. v. 13.2.2008, 2 AZR 543/06, ZIP 2008, 2091, 2093; BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, ZIP 2010, 246, 248, dazu EWiR 2010, 161 (Klasen); BAG, Urt. v. 23.2.2010 – 2 AZR 720/08.

244 Für unschädlich hält das BAG allerdings einen durch den Insolvenzverwalter erklärten bloßen Vorbehalt, wonach er, „falls sich wider Erwarten in der Folgezeit doch noch eine Möglichkeit zur Betriebsveräußerung ergeben sollte, […] die Chance wahrnehmen [werde]“. BAG, Urt. v. 7.3.1997 – 2 AZR 298/95.

2. Kündigung wegen Betriebsteilstilllegung 245 Legt der Insolvenzverwalter nicht den gesamten Betrieb, sondern nur einen Betriebsteil still, so muss er vor Ausspruch der Kündigungen insbesondere die Anforderungen der grundsätzlich betriebsbezogenen Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG beachten. Insbesondere wird nach Ansicht des BAG 60

III. Die betriebsbedingte Änderungskündigung

der Sozialauswahlrahmen nicht auf die zurückbleibenden Betriebsteile beschränkt, wenn der Arbeitgeber beabsichtigt, einzelne Betriebsteile nach Zugang der Kündigungen – und sei es vor Auslaufen der Kündigungsfristen – i. S. d. § 613a BGB zu veräußern. BAG, Urt. v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, ZIP 2005, 412 = BB 2005, 892, dazu EWiR 2005, 263 (Richter).

Hingegen kommt es zu einer Beschränkung des Sozialauswahlrahmens auf 246 die zurückbleibenden Betriebsteile, wenn der Übergang der Betriebsteile auf den neuen Inhaber vor Zugang der Kündigungen erfolgt ist. Vgl. in diesem Zusammenhang zur Sozialauswahl im gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen Annuß, S. 232 ff.

III. Die betriebsbedingte Änderungskündigung Im Anwendungsbereich des KSchG ist auch für Änderungskündigungen in 247 der Insolvenz § 2 KSchG zu beachten. Nach herrschender Meinung genügt eine Änderungskündigung dem Schriftformgebot des § 623 BGB nur, wenn sowohl die Kündigung als auch das Änderungsangebot die Schriftform wahren. BAG, Urt. v. 16.9.2004 – 2 AZR 628/03, ZIP 2005, 366 = AP Nr. 78 zu § 2 KSchG 1969, dazu EWiR 2005, 467 (Fleddermann); anders etwa Wallner, S. 48 f.

Das Änderungsangebot muss so konkret gefasst sein, dass der Arbeitnehmer 248 es ohne Weiteres annehmen und dass er unzweifelhaft erkennen kann, welchen Inhalt das geänderte Arbeitsverhältnis haben soll. Unklarheiten gehen zulasten des Arbeitgebers. Sie führen im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Änderungskündigung. BAG, Urt. v. 15.1.2009 – 2 AZR 641/07, NZA 2009, 957, 958.

Im Folgenden soll der Blick nunmehr auf die Möglichkeit einer betriebsbe- 249 dingten Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung ohne gleichzeitige Änderung der Arbeitsaufgabe verengt werden. Prinzipiell hält das BAG auch solche Kündigungen für zulässig. Ein dafür ausreichender Kündigungsgrund könne zwar nicht in dem bloßen Entschluss zur Senkung der Lohnkosten gesehen werden, wohl aber darin, dass bei Unrentabilität des Betriebs „durch die Senkung der Personalkosten die Stilllegung des Betriebs oder die Reduzierung der Belegschaft verhindert werden kann und soll“. Voraussetzung sei aber in jedem Fall die Aufstellung eines „umfassenden Sanierungsplans“, der „alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft“. Vgl. dazu nur BAG, Urt. v. 20.8.1998 – 2 AZR 84/98, AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969 = BB 1999, 320; BAG, Urt. v. 1.7.1999 – 2 AZR 826/98, AP Nr. 53 zu § 2 KSchG 1969 = BB 1999, 2562; BAG, Beschl. v. 20.1.2000 – 2 ABR 40/99, AP Nr. 40 zu § 103 BetrVG 1972 = BB 2000, 981;

61

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung BAG, Urt. v. 29.11.2007 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182, 1183; BAG, Urt. v. 26.6.2008 – 2 AZR 137/07.

250 Das BAG hat kürzlich erstmals die Wirksamkeit einer Änderungskündigung zur isolierten Entgeltabsenkung anerkannt und in diesem Zusammenhang ihre Voraussetzungen noch einmal kurz zusammengefasst: „Da nach dem Gesetz die betrieblichen Erfordernisse ‚dringend’ sein müssen und die Entgeltsenkung einen nachhaltigen Eingriff in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung bedeutet, kann die Änderungskündigung zur Entgeltsenkung nur dann begründet sein, wenn bei einer Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstünden, die absehbar zu einer Reduzierung der Belegschaft oder sogar zu einer Schließung des Betriebs führen. Regelmäßig bedarf es deshalb eines umfassenden Sanierungsplans, der alle gegenüber der beabsichtigten Änderungskündigung milderen Mittel ausschöpft. Vom Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang zu verlangen, dass er die Finanzlage des Betriebs, den Anteil der Personalkosten, die Auswirkungen der erstrebten Kostensenkung für den Betrieb und für die Arbeitnehmer darstellt und ferner darlegt, warum andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen.“ BAG, Urt. v. 26.6.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182, 1183, dazu EWiR 2009, 31 (Himmelsbach/Piniek).

251 Kurz hingewiesen sei auf eine nicht sicher einordenbare Entscheidung des BAG vom 27.3.2003. Darin hat das BAG festgestellt, dass Änderungskündigungen zur Anpassung vertraglicher Nebenabreden an geänderte Umstände nicht den gleichen strengen Maßstäben unterliegen wie Änderungskündigungen zur Entgeltabsenkung. BAG, Urt. v. 27.3.2003 – 2 AZR 74/02, BB 2004, 110 = NZA 2003, 1029, dazu EWiR 2003, 1099 (Pomberg); BAG, Urt. v. 20.6.2013 – 2 AZR 396/12, NZA 2013, 1409.

252 Welche Maßstäbe im Einzelnen anzulegen sind, wird in der Entscheidung allerdings nicht weiter verdeutlicht. IV. Betriebsbedingte Kündigung und gemeinsamer Betrieb in der Insolvenz 253 In dem einer Entscheidung des BAG vom 19.11.2003 zugrunde liegenden Sachverhalt wandte sich der als Textilmaschinenführer bei der insolventen A-GmbH angestellte Kläger gegen eine vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung. Er machte insbesondere geltend, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden und die Kündigung daher gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei. Der Insolvenzverwalter berief sich demgegenüber auf das Nichtbestehen eines Betriebsrats. Hintergrund dieser Meinungsverschiedenheit war folgende Konstellation: Im Jahr 1999 wurde für die A-GmbH mit zuletzt 26 Arbeitnehmern und die B-GmbH mit 260 Arbeitnehmern ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt, da beide Unternehmen nach Ansicht des Wahlvorstands einen gemeinsamen Betrieb führten. Der siebenköpfige Betriebsrat bestand zuletzt aus sechs Arbeitnehmern

62

IV. Betriebsbedingte Kündigung und gemeinsamer Betrieb in der Insolvenz

der B-GmbH und einem Arbeitnehmer der A-GmbH. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B-GmbH am 1.9.2000 stellte diese ihren Geschäftsbetrieb mit Wirkung zum Ablauf des 30.6.2001 unter Beendigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse ein, sodass der Betrieb fortan nur noch aus den (wenigen) Arbeitnehmern der A-GmbH bestand. Am 1.1.2002 wurde sodann auch über das Vermögen der A-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis, ohne zuvor den Betriebsrat angehört zu haben. Der Kläger obsiegte in letzter Instanz, da nach Ansicht des BAG bei der A-GmbH ein einköpfiger Betriebsrat gemäß § 22 BetrVG fortbestanden hat, der vor Ausspruch der Kündigung hätte angehört werden müssen. BAG, Urt. v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03, ZIP 2004, 426 = NZA 2004, 435, dazu EWiR 2004, 729 (Oetker).

Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Zunächst enthält 254 sie eine mittelbare Bestätigung jener Entscheidung des 1. Senats, BAG, Beschl. v. 11.11.1997 – 1 ABR 6/97, ZIP 1998, 1320 = AP Nr. 42 zu § 111 BetrVG 1972, dazu EWiR 1998, 919 (Däubler),

die in Abkehr von einem früheren Urteil des 2. Senats, BAG, Urt. v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, BAGE 55, 117 = ZIP 1987, 1588 = AP Nr. 30 zu § 15 KSchG 1969, dazu EWiR 1987, 1233 (M. Blank),

nicht bereits in der Insolvenzeröffnung als solcher eine Spaltung des gemeinsamen Betriebs erblickt, sondern diese erst annimmt, sobald die gemeinsame Arbeitsorganisation auch tatsächlich getrennt wird. Ferner macht die Entscheidung deutlich, dass von einer Spaltung des gemein- 255 samen Betriebs, die möglicherweise den Verlust seiner Identität zur Folge hat, nur gesprochen werden kann, wenn die Spaltprodukte tatsächlich organisatorisch verselbstständigt und als solche fortgeführt werden. Entscheide hingegen ein Beteiligter, sich unter Stilllegung seiner gesamten am gemeinsamen Betrieb beteiligten Arbeitsorganisation aus diesem vollständig zurückzuziehen, so sei dies prinzipiell keine Spaltung des gemeinsamen Betriebs. Vielmehr werde der Betrieb in diesen Fällen regelmäßig nur verkleinert und von den zurückbleibenden Beteiligten unter Wahrung seiner Identität fortgeführt. Nach angefochtener ständiger Rechtsprechung des BAG ist bei betriebsbe- 256 dingten Kündigungen in einem fortgesetzten gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen eine betriebsweite, unternehmensübergreifende Sozialauswahl durchzuführen. Schon nach bisheriger Auffassung des BAG sollte die Pflicht zur unternehmensübergreifenden Sozialauswahl enden, wenn der gemeinsame Betrieb vor Zugang der Kündigung aufgehoben worden ist. Dies wird ergänzt durch die ausdrückliche Feststellung des 2. Senats, wonach es genügt, wenn der gemeinsame Betrieb bei Zugang der Kündigung zwar noch nicht gespalten ist, aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung, die „be-

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

reits greifbare Formen angenommen hat“, aber feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers gespalten sein wird. BAG, Urt. v. 24.2.2005 – 2 AZR 241/04, NZA 2005, 1307, 1308, BAG, Urt. v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, ZIP 2008, 1598, 1600.

V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich 1. Der Tatbestand des § 125 Abs. 1 InsO 257 § 125 InsO enthält eine Modifikation des § 1 KSchG und führt zu beträchtlichen Erleichterungen für den Insolvenzverwalter bei betriebsbedingten Kündigungen, wenn die zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet sind. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 InsO) stehen die Möglichkeiten des § 125 InsO nicht zur Verfügung, und zwar auch dann nicht, wenn dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden ist. Er kann allerdings auf die etwas weniger weitgehende allgemeine Bestimmung des § 1 Abs. 5 KSchG zurückgreifen. 258 Erforderlich ist in jedem Falle eine geplante Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG. Liegen die Voraussetzungen des § 111 BetrVG nicht vor, können die Wirkungen des § 125 InsO auch nicht durch einen freiwilligen Interessenausgleich herbeigeführt werden. BAG, Urt. v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, DB 2002, 2552 = ZInsO 2003, 43.

259 Unschädlich ist es allerdings, wenn die ursprünglich konkret geplante Betriebsänderung in den Verhandlungen mit dem Betriebsrat unter die Schwelle des § 111 BetrVG herabgedrückt wird. Heinze, NZA 1999, 57, 59.

260 Aus der Verweisung des Gesetzes auf den allgemeinen Begriff des Interessenausgleichs folgt, dass § 125 InsO in Tendenzbetrieben nicht anzuwenden ist (§ 118 Abs. 2 BetrVG). Im Ergebnis ebenso Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 7; a. A. Thüsing/Leder, BB 2005, 213, 215 f.; LAG Köln 13.2.2012 – 5 Sa 303/11.

261 Die Möglichkeit der Aufstellung eines Interessenausgleichs i. S. d. § 125 InsO wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass bereits ein Verfahren nach § 126 InsO eingeleitet worden ist. Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 126 Rn. 35; Lakies, RdA 1997, 145, 152; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 126 Rn. 42; a. A. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 4: „Hat er den Antrag nach § 126 einmal gestellt, kommt kein Interessenausgleich nach § 125 mehr in Betracht“; Zwanziger, § 125 Rn. 23.

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V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich

Der Interessenausgleich kann auch eine Betriebsänderung betreffen, die nur 262 im Falle von Widersprüchen gegen den Übergang von Arbeitsverhältnissen gemäß § 613a BGB in Form des dann notwendigen Personalabbaus durchgeführt werden soll. BAG, Urt. v. 24.2.2000 – 8 AZR 180/99, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste.

Erforderlich ist jedoch, dass die anstehende Betriebsänderung bereits in ihren 263 Einzelheiten feststeht, da es sich anderenfalls um einen unzulässigen vorsorglichen Interessenausgleich handeln würde (vgl. dazu Rn. 503 ff.). Die Vermutungsbasis, dass eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorlag 264 und für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und dass der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in einem Interessenausgleich benannt ist, hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen. BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1153; BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NZA 2006, 64.

Der Begriff des Interessenausgleichs in § 125 InsO verweist auf § 112 BetrVG, 265 sodass insbesondere das Schriftformerfordernis des § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch hinsichtlich der Namensliste zu beachten ist. Wesentlich ist also, dass Interessenausgleich und Namensliste eine Urkundeneinheit bilden. Dafür soll es genügen, wenn im Interessenausgleich auf die Namensliste Bezug genommen wird und sie im Zeitpunkt der Unterzeichnung fest (etwa durch Heftklammer) mit dem Interessenausgleich verbunden ist, sodass eine Lösung „nur durch Gewaltanwendung (Lösen der Heftklammer)“ möglich ist. Eine gesonderte Unterschrift unter der Namensliste sei dann entbehrlich. BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste, dazu EWiR 1998, 1041 (Plander); BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1153.

Ausreichend ist es auch, wenn sich trotz fehlender körperlicher Verbindung 266 die Urkundeneinheit zweifelsfrei aus der äußeren Gestaltung sowie dem inhaltlichen Zusammenhang von Namensliste und Interessenausgleich entnehmen lässt. Nach Ansicht des BAG ist dies bei einer getrennt von dem Interessenausgleich erstellten Namensliste der Fall, wenn sie von den Betriebsparteien unterzeichnet ist und in ihr auf den Interessenausgleich oder im Interessenausgleich auf sie Bezug genommen ist. BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1153, AP § 1 KSchG 1969 Namensliste Nr. 19; BAG, Urt. v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329, 2332; BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234, dazu EWiR 2013, 219 (Mehrens).

Hingegen wird die Schriftform nicht gewahrt durch einen einseitigen Hin- 267 weis im Interessenausgleich auf die Namensliste oder durch die bloße Verwahrung von Interessenausgleich und Namensliste im selben Ordner, sofern die Namensliste nicht gesondert unterschrieben ist. 65

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung BAG, Urt. v. 20.5.1999 – 2 AZR 278/98, ZInsO 2000, 351 (LS).

268 Nach Ansicht des BAG könne ein Interessenausgleich noch zeitnah nach seinem Abschluss um eine Namensliste ergänzt werden. BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1153; BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NZA 2006, 64.

269 Allerdings hat sich das BAG bislang nicht eindeutig zu der Frage geäußert, welche Grenzen der nachträglichen Vereinbarung einer Namensliste gesetzt sind. Wörtlich führt das BAG dazu aus: „Wann eine zeitnahe Ergänzung des Interessenausgleichs vorliegt, kann entgegen der Auffassung der Revision, die einen Zeitablauf von etwa sechs Wochen generell für zu lang erachtet, nicht durch eine starre Regelfrist bestimmt werden. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls. Ausgangspunkt ist der […] Wille des Gesetzgebers, wonach sich Interessenausgleich und Namensliste als einheitliche Urkunde darstellen müssen. Die Anforderung einer zeitnahen Ergänzung soll daher ebenso wie das Erfordernis einer inhaltlichen Bezugnahme sicherstellen, dass ein hinreichender Zusammenhang zwischen der Namensliste und dem Interessenausgleich besteht. Dieser Zusammenhang kann sich in zeitlicher Hinsicht beispielsweise aus fortdauernden Verhandlungen der Betriebsparteien über die Erstellung einer Namensliste ergeben. Die Grenze bildet der Ausspruch der Kündigung.“ BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1153.

270 Nicht abschließend beantwortet hat das BAG im Übrigen, ob die nachträgliche Ergänzung eines Interessenausgleichs durch eine Namensliste voraussetzt, dass eine solche Möglichkeit bereits im Interessenausgleich angelegt ist. BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1153.

271 Zulässig ist auch eine Beschränkung des Interessenausgleichs auf den Inhalt des § 125 InsO. Deshalb müssen nicht notwendig neben der Namensliste auch Regelungen über das „Ob“ und „Wie“ der Betriebsänderung getroffen werden. Wie hier Caspers, Rn. 427; Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 125 Rn. 3; im Ergebnis auch Schrader, NZA 1997, 70, 73; a. A. offenbar Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 28.

272 Sehen allerdings die Betriebsparteien mit der Aufstellung der Namensliste das Interessenausgleichsverfahren noch nicht als insgesamt abgeschlossen an, so ist – unbeschadet der Wirkung des § 125 InsO – vor Umsetzung der Betriebsänderung die Herbeiführung eines Interessenausgleichs weiterhin zu versuchen (vgl. dazu Rn. 514 ff.) oder das Verfahren nach § 122 InsO durchzuführen (siehe § 122 Abs. 1 Satz 3 InsO), um der Nachteilsausgleichspflicht (§ 113 Abs. 3 BetrVG) zu entgehen. 273 Unklar ist im Übrigen, inwieweit ein Interessenausgleich mit Namensliste die Wirkungen des § 125 InsO auch dann entfaltet, wenn die Namensliste

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V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich

nicht sämtliche im Rahmen der geplanten Betriebsänderung zu entlassenden Arbeitnehmer erfasst (sog. Teil-Namensliste). Handelt es sich um einen zeitlich gestaffelten, in verschiedene Entlassungsstufen untergliederten, Personalabbau und haben die Betriebspartner sämtliche auf einer Entlassungsstufe zu entlassenden Arbeitnehmer in der Namensliste aufgeführt, so löse die betreffende Namensliste die Wirkungen des § 125 InsO aus, „weil die Vermutungswirkung der Namensliste, auf der der betreffende Arbeitnehmer aufgeführt ist, nicht durch zeitlich nachfolgende Personalabbaumaßnahmen beeinträchtigt wird.“ BAG, Urt. v. 22.1.2004 – 2 AZR 111/02, NZA 2006, 64; ähnlich BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234.

Lässt sich eine Betriebsänderung hingegen nicht in klar abgrenzbare Ver- 274 wirklichungsstufen unterteilen, zeigt sich das BAG gegenüber der Zulässigkeit von Teil-Namenslisten sehr skeptisch: „Regelmäßig werde nur aus einer die unternehmerische Entscheidung insgesamt erfassenden Liste deutlich, wie sich die dem Interessenausgleich zugrunde liegende Betriebsänderung aus Sicht der Betriebsparteien auf die konkreten Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer im Betrieb insgesamt auswirkt […] und ob die Betriebspartner bei der sozialen Auswahl ein von ihnen zugrunde gelegtes System, vor allem was die Bildung von Vergleichsgruppen anbelangt, durchgängig eingehalten haben.“ BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1155.

Die Überlegungen des BAG sind nicht überzeugend. § 125 InsO geht es 275 letztlich allein darum, die gerichtliche Kontrolle der Auswahlentscheidung angesichts der tatsächlich ausgeübten überlegenen Beurteilungskompetenz der Betriebsparteien zurückzunehmen. Diese Beurteilungskompetenz wird für jeden im Interessenausgleich zur Kündigung vorgesehenen Arbeitnehmer auch dann uneingeschränkt wahrgenommen, wenn weitere zur Kündigung vorgesehene Arbeitnehmer im Interessenausgleich nicht genannt werden. Die vom BAG zur Begründung seiner Bedenken an der generellen Wirksamkeit von Teil-Namenslisten angestellten Überlegungen stehen offensichtlich in keiner Beziehung zum Geltungsgrund des § 125 InsO. Sie können daher die vom BAG angemeldeten Zweifel nicht tragen. Da Interessenausgleich und Sozialplan ohnehin materiell abzugrenzen sind, vgl. dazu BAG, Urt. v. 26.10.2004 – 1 AZR 503/03,

spielt es keine Rolle, wenn die Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer in einem mit „Sozialplan“ überschriebenen Dokument erfolgt. Ebenso Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 125 Rn. 4; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 28; a. A. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 9; Lakies, BB 1999, 206, 207; KR-Weigand, § 125 InsO Rn. 14.

67

276

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

277 Der Sache nach handelt es sich allerdings auch in diesem Fall stets um eine Interessenausgleichsregelung, weshalb sie nicht durch Spruch der Einigungsstelle erzwungen werden kann. 278 § 125 InsO betrifft nur betriebsbedingte Kündigungen, die im Rahmen der geplanten Betriebsänderung ausgesprochen werden, was im Streitfalle der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen muss. Berscheid, MDR 1998, 816; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 179.

279 Dabei ist unter Zugrundelegung der Ansicht des BAG Vorsicht geboten. Enthält die Namensliste nämlich auch Arbeitnehmer, denen aus Sicht der Betriebsparteien nicht wegen der Betriebsänderung, sondern aus anderen Gründen zu kündigen ist, so hat die Namensliste insgesamt nicht die Wirkungen des § 125 InsO. BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1155.

280 Weiterhin regelt § 125 InsO nur die Kündigung solcher Arbeitnehmer, die vom Betriebsrat repräsentiert werden, weshalb sich sein Anwendungsbereich insbesondere nicht auf leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG erstreckt. Für diese ist auch keine freiwillige Aufstellung eines Interessenausgleichs durch den Sprecherausschuss mit der Wirkung des § 125 Abs. 1 InsO möglich. § 125 InsO gilt sowohl für Beendigungs- als auch für Änderungskündigungen, BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 2 AZR 844/07, NZA 2009, 954, 956; BAG, Urt. v. 19.6.2007 – 2 AZR 304/06, NZA 2008, 103, 105,

wobei die Art der gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern jeweils auszusprechenden Kündigung im Interessenausgleich anzugeben ist, sofern sich nicht aus den Umständen ergibt, dass es nur zu Beendigungskündigungen kommen wird. Bei Änderungskündigungen sind die Änderungen der Arbeitsbedingungen im Interessenausgleich genau zu beschreiben. Ebenso BAG, Urt. v. 26.3.2009 – 2 AZR 296/07, NZA 2009, 1151, 1155; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 125 Rn. 28; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 30.

281 Lässt sich die Kündigungsart dem Interessenausgleich nicht entnehmen, entfaltet er insoweit nicht die Wirkung nach § 125 Abs. 1 InsO. 282 Die Wirkung der Namensliste betrifft nur solche Kündigungen, die im Zeitpunkt der Aufstellung des Interessenausgleichs mit Namensliste noch bevorstehen, wobei es nicht auf den Zugang, sondern auf den Ausspruch der Kündigung ankommt. Ebenso Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 13; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 178; a. A. Nagel, S. 49: bereits gekündigte Arbeitnehmer können noch in die Vereinbarung einbezogen werden.

68

V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich

§ 125 InsO verlangt die namentliche Bezeichnung der für Kündigungen 283 vorgesehenen Arbeitnehmer. Dafür genügt eine Nennung des Nachnamens oder eines betriebsüblichen Kosenamens, wenn keine Verwechslungsgefahr besteht. A. A. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 10; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 179; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 24, die jeweils eine Bezeichnung nach Vor- und Familiennamen verlangen.

Angesichts des eindeutigen Wortlauts ist eine andere als namentliche Indi- 284 vidualisierung – etwa nach Betriebsabteilungen, Arbeitsgruppen oder Personalnummern oder die Aufstellung einer Negativliste der im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer – nicht ausreichend. Caspers, Rn. 167; Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 125 Rn. 4; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 179; differenzierend KR-Weigand, § 125 InsO Rn. 13.

Eine (zweifelhafte) Ausnahme wird für den Fall der Stilllegung des gesamten 285 Betriebs gemacht, da hier ohnehin alle Arbeitnehmer betroffen würden. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 26; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 179.

Über die namentliche Bezeichnung hinaus braucht der Interessenausgleich 286 keine Angaben zu enthalten, sodass insbesondere eine Darstellung der Sozialauswahlkriterien, so aber Berscheid, MDR 1998, 942, 945; Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 10; Lakies, RdA 1997, 145, 149; wie hier Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 125 Rn. 27; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 32; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 180; Zwanziger, § 125 Rn. 14,

sowie der Kündigungsfristen und Kündigungstermine nicht erforderlich ist.

287

2. Rechtliche Wirkungen eines Interessenausgleichs mit Namensliste a) Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet einen betriebsbedingten Kündi- 288 gungsgrund (§ 292 ZPO), sodass der Insolvenzverwalter nur das Vorliegen einer geplanten Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG sowie die namentliche Bezeichnung des Klägers im Interessenausgleich darzulegen und zu beweisen hat. BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, ZIP 1998, 1885 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste, dazu EWiR 1998, 1041 (Plander); BAG, Urt. v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07, AP § 1 KSchG 1969 Namensliste Nr. 18.

69

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

289 Zur Entkräftung der Vermutung eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes muss der Arbeitnehmer darlegen, dass sein bisheriger Arbeitsplatz noch vorhanden ist oder wo der Arbeitnehmer sonst im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. Allerdings können sich für ihn gewisse Beweiserleichterungen ergeben, soweit er aus dem Bereich des Arbeitgebers stammende Tatsachen darlegen und beweisen muss. In diesen Fällen trifft den Arbeitgeber nach Ansicht des BAG eine aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO resultierende Mitwirkungspflicht. BAG, Urt. v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07, AP § 1 KSchG 1969 Namensliste Nr. 18; BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 (m. Bespr. Göpfert/Stark, ZIP 2015, 155), dazu EWiR 2014, 295 (Mückl).

290 Nach Ansicht des BAG spricht eine Vermutung dafür, dass der Betriebsratsvorsitzende bei der Unterzeichnung des Interessenausgleichs aufgrund und im Rahmen eines ordnungsgemäßen Beschlusses gehandelt hat. BAG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, ZIP 1998, 1809 = BB 1998, 2263 AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG, Urt. v. 24.2.2000 – 8 AZR 180/99, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste.

291 Zweifelhaft ist, ob das Fehlen einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nur im selben Betrieb, so ErfK/Gallner, § 125 InsO Rn. 7; Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 15; Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1096; APS/Dörner/Künzl, § 125 InsO Rn. 19; wohl auch Hohenstatt, NZA 1998, 846, 851,

oder auch in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens bzw. ausnahmsweise des Konzerns vermutet wird. So Caspers, Rn. 171; Lakies, BB 1999, 206, 207 f.; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 48; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 181.

292 Angesichts des Wortlauts sowie des grundsätzlich auf den Betrieb beschränkten Zuständigkeitsbereichs des Betriebsrats scheint vordergründig viel für die erste Ansicht zu sprechen. Blickt man allerdings auf das in der Entstehungsgeschichte deutlich zum Ausdruck gelangte Ziel der Norm, „die soziale Rechtfertigung der Kündigungen nur noch in Ausnahmefällen in Frage zu stellen“, Begr. RegE zu § 128, BT-Drucks. 12/2443, S. 149,

so spricht viel für die zweite Ansicht, zumal der Betriebsrat seine Unterschrift vom Nachweis jeweils fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des Betriebs abhängig machen kann. Der Wortlaut steht nicht ent70

V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich

gegen, da nicht zuletzt § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber der InsO den Unterschied zwischen Unternehmen und Betrieb nicht strikt beachtet hat. Das Bundesarbeitsgericht hat sich zwischenzeitlich prinzipiell der zweiten 293 Auffassung angeschlossen, BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412, dazu EWiR 2013, 85 (Wank),

allerdings eine wichtige Einschränkung für den Fall gemacht, dass der Interessenausgleich nicht durch den Gesamtbetriebsrat, sondern durch den örtlichen Betriebsrat abgeschlossen werde. Die durch § 125 InsO bewirkte Beschneidung der prozessualen Rechte des gekündigten Arbeitnehmers sei nur so lange gerechtfertigt, wie „das vom Gesetzgeber vorausgesetzte kollektive Gegengewicht, nämlich die Mitprüfung der zugrunde liegenden Gegebenheiten durch den Betriebsrat auch stattgefunden hat.“ BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633, 634.

Bestreitet der Arbeitnehmer in erheblicher Weise, dass die Betriebsparteien 294 sich bei Aufstellung der Namensliste mit Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben befasst haben und trage er außerdem konkrete Anhaltspunkte für solche Beschäftigungsmöglichkeiten vor, so habe der Arbeitgeber „wenn er die weitgehende Vermutungswirkung erhalten will, die Befassung der Betriebsparteien mit der Frage der Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben darzulegen und zu beweisen.“ BAG, Urt. v. 6.9.2007 – 2 AZR 715/06, NZA 2008, 633, 634.

In der Praxis ist deshalb darauf zu achten, dass bei Aufstellung einer Na- 295 mensliste mit dem örtlichen Betriebsrat schriftlich vereinbart wird, dass die Prüfung etwaiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nicht nur betriebs-, sondern unternehmensbezogen stattgefunden hat. b) Beschränkte Überprüfung der Sozialauswahl Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ist die gerichtliche Überprüfung der 296 Sozialauswahl auf die drei Kriterien: Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten beschränkt. Daraus ist zu ersehen, dass auch bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer die Berücksichtigung weiterer Umstände nicht erforderlich ist. Anders ErfK/Gallner, § 125 InsO Rn. 12; wie hier Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 17.

Sie ist andererseits aber auch nicht ausgeschlossen. Zu beachten ist jedoch, 297 dass bei der gerichtlichen Überprüfung nur die in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Kriterien betrachtet werden. Andere als die dort genannten Umstände können daher im Rahmen der Sozialauswahl nur berücksichtigt 71

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

werden, soweit die allein anhand der drei gesetzlichen Kriterien zu beurteilende Auswahlentscheidung dadurch nicht grob fehlerhaft wird. Ebenso Bütefisch, S. 451; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 58.

298 Die Beschränkung der gerichtlichen Nachprüfung gilt für den gesamten Auswahlprozess. Sie erfasst daher sowohl die Festlegung des Auswahlkreises einschließlich der Betriebsabgrenzung und der Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer, BAG, Urt. v. 3.4.2008 – 2 AZR 879/06, NZA 2008, 1060, 1061,

als auch die berechtigten betrieblichen Interessen i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, BAG, Urt. v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07, NZA 2009, 1023, 1024; BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 (m. Bespr. Göpfert/Stark, ZIP 2015, 155),

und die Gewichtung der Sozialkriterien. BAG, Urt. v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, NZA-RR 2008, 571, 572.

299 Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl nach Ansicht des BAG, wenn die Gewichtung der Kriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt. BAG, Urt. v. 21.9.2006 – 2 AZR 284/06, AP § 1 KSchG 1969 Namensliste Nr. 12; BAG, Urt. v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07, AP § 1 KSchG 1969 Namensliste Nr. 18; BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 (m. Bespr. Göpfert/Stark, ZIP 2015, 155).

300 Nur wo der Sache nach nicht mehr von einer „sozialen Auswahl“ gesprochen werden könne, dürfe eine grobe Fehlerhaftigkeit angenommen werden. BAG, Urt. v. 17.1.2008 – 2 AZR 405/06, NZA-RR 2008, 571, 572; BAG, Urt. v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07, AP § 1 KSchG 1969 Namensliste Nr. 18.

301 Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn ein Kriterium überhaupt nicht berücksichtigt wird, sondern allgemein, wenn „ein ins Auge springender, schwerer Fehler“ vorliegt. BAG, Urt. v. 19.7.2012 – 2 AZR 352/11, ZIP 2013, 234; BAG, Urt. v. 15.11.2012 – 8 AZR 827/11, ZIP 2013, 537.

302 Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO ist eine Kündigung nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Gemeint ist damit nichts anderes, als dass eine Kündigung wirksam ist, wenn sie zur Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur erforderlich ist. In der Sache wesentlich weiter KR-Weigand, § 125 InsO Rn. 24:

72

V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich „Insofern sind Kündigungen, die zur Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur beitragen, zulässig.“

Dabei müssen die Kündigungen final auf dieses Ziel ausgerichtet sein. In der 303 Sache handelt es sich um einen über § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG hinausgehenden Sonderfall der Anerkennung berechtigter betrieblicher Bedürfnisse, da § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nur die Erhaltung einer ausgewogenen bzw. der im Betrieb vorhandenen Personalstruktur gestattet. Der Bezugspunkt für die Beurteilung der Ausgewogenheit ist alles andere als 304 klar. Einigkeit besteht lediglich darin, dass insoweit auf das Lebensalter der Arbeitnehmer abgestellt werden kann. Zulässig sei es daher, dass die Betriebsparteien im Interessenausgleich mehrere Altersgruppen bilden und festlegen, wie viele Arbeitnehmer in jeder dieser Gruppen zu entlassen sind. Die Sozialauswahl soll sich dann auf die Angehörigen der jeweiligen Gruppe beschränken. Berkowsky, in: Münchener Hdb. ArbR, § 133 Rn. 40 f.; KR-Weigand, § 125 InsO Rn. 30.

Während teilweise davon ausgegangen wird, dass ein berechtigtes Interesse 305 des Arbeitgebers an einer bestimmten Personalstruktur hinsichtlich anderer Merkmale als dem Lebensalter nicht anzuerkennen sei, so zu § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a. F.; Preis, NZA 1997, 1073, 1084,

nimmt die wohl überwiegende Ansicht an, dass verschiedenste Bezugspunkte wie Leistungsfähigkeit, krankheitsbedingte Fehlzeiten, Berufsstand, Vertragstreue, Behinderung oder Geschlecht in Betracht kommen. Vgl. nur Bütefisch, S. 462 f.; KR-Weigand, § 125 InsO Rn. 31 ff.

Auf Basis dieser Annahme prüft das Gericht nach, ob die erstrebte Personal- 306 struktur – gemessen an den vom Insolvenzverwalter verfolgten unternehmerischen und betrieblichen Zielen – ausgewogen ist. Kollidieren sonstige berechtigte betriebliche Interessen i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG mit dem Ziel der ausgewogenen Personalstruktur und kann ihnen durch die Weiterbeschäftigung verschiedener, zu unterschiedlichen Gruppen gehörenden Arbeitnehmer Rechnung getragen werden, so ist zwischen ihnen ohne Rücksicht auf die Gruppenzugehörigkeit nach den Grundsätzen der Sozialauswahl zu entscheiden. Nicht erforderlich ist, dass eine in jeder Hinsicht ausgewogene Personalstruktur geschaffen wird, sondern es genügt jede Verbesserung in diese Richtung. Daraus ergibt sich zugleich, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht auf Massenentlassungen beschränkt ist. Linck, AR-Blattei SD 1020.1.2. Rn. 89; KR-Weigand, § 125 InsO Rn. 28; a. A. Preis, NZA 1997, 1073, 1084; siehe zum Ganzen freilich auch BAG, Urt. v. 19.12.2013 – 6 AZR 790/12, ZIP 2014, 536 (m. Bespr. Göpfert/Stark, ZIP 2015, 155).

73

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

3. Wesentliche Änderung der Sachlage 307 § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO macht deutlich, dass nicht jede Änderung der Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs die Wirkungen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO beseitigt. Das Wort „wesentlich“ wurde erst im Rechtsausschuss eingefügt; siehe BT-Drucks. 12/7302, S. 172 (zu § 143a Abs. 1).

308 Das Gesetz schweigt jedoch zu der Frage, wie die Wesentlichkeit zu bestimmen ist. Die ganz herrschende Meinung bezieht sie auf die dem Interessenausgleich zugrunde liegende Betriebsänderung in ihrer Gesamtheit und nimmt an, es müsse sich um einen Wegfall der Geschäftsgrundlage des Interessenausgleichs handeln. Siehe nur BAG, Urt. v. 23.10.2008 – 2 AZR 163/07, AP § 1 KSchG 1969 Namensliste Nr. 18; BAG, Urt. v. 12.3.2009 – 2 AZR 418/07, NZA 2009, 1023, 1024, AP § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 97.

309 Dem wird man in Anbetracht dessen, dass im Organisationsbereich jede und nicht nur eine gravierende Abweichung von einem Interessenausgleich als „neue Betriebsänderung“ erscheint und daher die Beteiligungsrechte nach §§ 111 f BetrVG erneut auslöst, siehe dazu Richardi-Annuß, BetrVG, § 113 Rn. 10,

310 kaum folgen können. Richtig dürfte es sein, nicht die Betriebsänderung, sondern die Normwirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO als Bezugspunkt der Beurteilung zu wählen. Zu fragen ist daher, ob der Interessenausgleich infolge nach seinem Abschluss eingetretener Veränderungen nicht mehr in der Lage ist, die Rechtsfolgenanordnungen in § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO zu tragen. Schon der Wortlaut („soweit“) zeigt an, dass es nicht lediglich um solche Fälle geht, in denen der Interessenausgleich insgesamt seine Bedeutung verliert, so aber Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 125 Rn. 90,

sondern hinsichtlich jedes einzelnen Arbeitnehmers zu fragen ist, inwieweit die Rechtsfolgen des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO noch eingreifen können. Im Ergebnis ebenso Bütefisch, S. 473 f.; anders etwa Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 182.

311 Werden beispielsweise einige der in der Namensliste bezeichneten Arbeitnehmer nicht entlassen, so passt die Beschränkung des Prüfungsmaßstabs zwar weiterhin, soweit es um das Verhältnis der gekündigten Arbeitnehmer zu den nicht auf der Liste stehenden sonstigen Arbeitnehmern des Betriebs geht. Etwas anderes gilt hingegen für das Verhältnis der in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmer zueinander. Unter ihnen ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Sozialauswahl ohne Beschränkung auf die drei in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO genannten Sozialkriterien, insoweit a. A. Bütefisch, S. 474,

74

V. Kündigungsschutz und Namensliste zum Interessenausgleich

und ohne die dort enthaltene Privilegierung auszuwählen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn im Interessenausgleich für diesen Fall Vorsorge getroffen wurde und eine Reihung der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer erfolgt ist. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 125 InsO Rn. 29.

Auch dann ist aber jeweils zu prüfen, ob diese Regelung im Interessenaus- 312 gleich für die konkret vorliegende Abweichung gelten soll. Angesichts seines Zwecks wird § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO überwiegend dahin verstanden, dass er nur solche Veränderungen betrifft, die zwar nach Abschluss des Interessenausgleichs, aber vor Ausspruch der Kündigung eingetreten sind. ArbG Aachen, Urt. v. 6.8.1999 – 6 Ca 64/99, ZIP 2000, 202 = LAGE § 113 InsO Nr. 7, dazu EWiR 2000, 131 (Westpfahl); etwas anders ArbG Berlin, Urt. v. 16.4.1997 – 69 Ca 49520/96, DB 1997, 1517 (Zugang); anders Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 183.

Bei danach liegenden Veränderungen komme nur ein Wiedereinstellungsan- 313 spruch in Betracht. Caspers, Rn. 211 ff.

4. Namensliste und allgemeine Regeln Die Erstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste entbindet den 314 Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG im Hinblick auf jede einzelne Kündigung. Allerdings ist zu beachten, dass es nach Ansicht des BAG im Verfahren des § 102 BetrVG keiner weiteren Darlegung der Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber mehr bedarf, wenn der Betriebsrat bei Einleitung des Verfahrens bereits über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um zu der konkret beabsichtigten Kündigung eine sachgerechte Stellungnahme abgeben zu können. Daher brauche der Arbeitgeber die dem Betriebsrat aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Namensliste bekannten Tatsachen im Anhörungsverfahren nicht erneut vorzutragen. BAG, Urt. v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, ZIP 1999, 610 = BB 1999, 2032 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Namensliste, dazu EWiR 1999, 1095 (Haertlein); BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 377/02, ZIP 2004, 525 = AP Nr. 134 zu § 102 BetrVG 1972, dazu EWiR 2004, 419 (Grimm/Brock).

Dabei ist es auch möglich, das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG im 315 Zusammenhang mit dem Interessenausgleichsverfahren durchzuführen. BAG, Urt. v. 28.8.2003 – 2 AZR 377/02, ZIP 2004, 525 = AP Nr. 134 zu § 102 BetrVG 1972; KR-Weigand, § 125 InsO Rn. 40.

75

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

316 Ein Widerspruch gegen die Kündigung von in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmern soll dem Betriebsrat grundsätzlich nicht gestattet sein. LAG Hamm, Urt. v. 28.5.1998 – 8 Sa 76/98, InVo 1998, 317 = LAGE § 125 InsO Nr. 1, dazu EWiR 1998, 1093 (Westpfahl).

317 Nach § 125 Abs. 2 InsO ersetzt der Interessenausgleich gemäß § 125 Abs. 1 InsO bei einer Massenentlassung die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Es genügt daher, wenn der vom Arbeitgeber zu erstattenden Massenentlassungsanzeige der Interessenausgleich beigefügt wird, und zwar auch dann, wenn er von dem (zuständigen) Gesamtbetriebsrat abgeschlossen wurde. BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, ZIP 2011, 1786 = NZA 2011, 1208, dazu EWiR 2011, 677 (Mückl).

318 Auch wenn ein Arbeitnehmer in einer Namensliste i. S. d. § 125 InsO namentlich bezeichnet worden ist, kann er im Kündigungsschutzprozess gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG verlangen, dass der Arbeitgeber die Gründe angibt, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Dazu gehören auch betriebliche Interessen, die zur Herausnahme vergleichbarer Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl geführt haben. Kommt der Arbeitgeber seiner daraus resultierenden Darlegungspflicht nicht nach, ist die Kündigung nach Auffassung des BAG ohne Weiteres als sozialwidrig anzusehen. BAG, Urt. v. 10.2.1999 – 2 AZR 716/98, AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl = BB 1999, 1714 = DB 1999, 908.

319 Ein Interessenausgleich mit Namensliste kann sich auch über eine allgemeine Auswahlrichtlinie i. S. d. § 95 BetrVG hinwegsetzen. Vgl. BAG, Urt. v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, ZIP 2013, 2476, dazu EWiR 2014, 125 (Dahlbender).

320 Gesetzliche Bestimmungen über einen Sonderkündigungsschutz (§ 15 KSchG, § 9 MuSchG, § 18 BEEG) stehen neben § 125 InsO und werden daher durch die namentliche Nennung im Interessenausgleich nicht berührt (s. aber § 89 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX für schwerbehinderte Menschen). VI. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz gemäß § 126 InsO 1. Allgemeines 321 Hat der Betrieb keinen Betriebsrat oder kommt aus anderen Gründen innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ein Interessenausgleich nach § 125 InsO nicht zustande, so ermöglicht § 126 InsO dem Insolvenzverwalter, die soziale Rechtfertigung betriebsbedingter Beendigungs- wie Änderungskündigungen in einem einheitlichen Beschlussverfahren mit der Bindungswirkung des § 127 Abs. 2 InsO feststellen zu lassen. Keine Rolle spielt, ob die

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VI. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz gemäß § 126 InsO

Kündigungen bereits erfolgt sind oder erst während des Verfahrens bzw. nach dessen Abschluss ausgesprochen werden sollen. ArbG Hamburg, Urt. v. 13.7.2005 – 18 BV 5/05, BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = AP Nr. 2 zu § 126 InsO, dazu EWiR 2000, 1165 (Peters-Lange).

Das Verfahren steht in Betrieben mit Betriebsrat neben demjenigen nach 322 § 122 InsO, kann aber zur Vermeidung von Zeitverlusten gleichzeitig mit diesem anhängig gemacht werden. Unklarheit besteht darüber, ob § 126 InsO nur anwendbar ist, wenn die Kündigungen durch eine den Begriff der Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG erfüllende Maßnahme in einem Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitnehmern veranlasst sind. In diesem Sinne Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 126 Rn. 9; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 126 Rn. 11 ff. Nach der Gegenansicht soll § 126 InsO auch für alle betriebsbedingten Kündigungen gelten, für die ein Interessenausgleich – aus welchen rechtlichen Gründen auch immer – nicht möglich ist. So etwa ErfK/Gallner, § 126 InsO Rn. 1; Caspers, Rn. 235 ff.; Lakies, RdA 1997, 145, 151; Löwisch, RdA 1997, 80, 85; KR-Weigand, § 126 InsO Rn. 3.

Im Übrigen soll die Vorschrift nach wohl überwiegender Ansicht nur solche 323 Arbeitsverhältnisse erfassen, die unter das KSchG fallen. Berkowsky, in: Münchener Hdb. ArbR, § 133 Rn. 46; Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 126 InsO Rn. 8; Heinze, NZA 1999, 57, 61; a. A. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 128 Rn. 88.

Die praktische Bedeutung des § 126 InsO ist angesichts der Komplexität und 324 Schwerfälligkeit des Verfahrens außerordentlich gering. 2. Verfahrensvoraussetzungen Sofern der Betriebsrat im konkreten Fall ein Beteiligungsrecht nach §§ 111 f. 325 BetrVG hat, ist für die Zulässigkeit eines Verfahrens nach § 126 InsO erforderlich, dass innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder einer entsprechenden Aufforderung kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zustande gekommen ist, obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. Insoweit gilt Gleiches wie bei § 122 InsO. Dem Verstreichen der Frist steht es nicht gleich, wenn die Verhandlungen bereits vor Ablauf der Frist „endgültig gescheitert“ sind. So aber Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 126 InsO Rn. 5; Zwanziger, § 126 InsO Rn. 12.

Gelingt während eines bereits eingeleiteten Verfahrens doch noch ein Inte- 326 ressenausgleich nach § 125 InsO, so wird es unzulässig, soweit die Regelungswirkung des Interessenausgleichs reicht. 77

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 126 Rn. 35; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 126 Rn. 42; a. A. Rummel, DB 1997, 774, 776, der ein Verfahren nach § 126 InsO generell auch dann für zulässig hält, „wenn der Betriebsrat lediglich in einer bestimmten Anzahl von Fällen der Aufnahme der zu kündigenden Arbeitnehmer in den Interessenausgleich zugestimmt hat.“

327 Ist nach den Vorstellungen der Betriebspartner im Interessenausgleich Einigkeit über die gesamte Betriebsänderung erzielt worden, so kann der Insolvenzverwalter keine Kündigungen über § 126 InsO „nachschieben“. Die Sperrwirkung gilt allerdings nicht, soweit es sich um eine neue, nicht dem Interessenausgleich zugrunde liegende Betriebsänderung handelt. BAG, Beschl. v. 20.1.2000 – 2 ABR 30/99, AP Nr. 1 zu § 126 InsO = DB 2000, 1822.

328 Im Übrigen wird angenommen, dass bei einem Teilinteressenausgleich das Verfahren nach § 126 InsO insoweit nicht ausgeschlossen ist, als zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat keine Einigung erzielt werden konnte. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 126 Rn. 41; offen gelassen BAG, Beschl. v. 20.1.2000 – 2 ABR 30/99, AP Nr. 1 zu § 126 InsO = DB 2000, 1822.

3. Die Durchführung des Verfahrens 329 Im Antrag hat der Insolvenzverwalter die betroffenen Arbeitnehmer so genau zu bezeichnen, dass ein objektiver Betrachter allein daraus zweifelsfrei entnehmen kann, wer gemeint ist. Möglich ist auch die Stellung von Hilfsanträgen für den Fall, dass die Kündigung einzelner im Hauptantrag bezeichneter Personen nicht sozial gerechtfertigt ist. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 126 InsO Rn. 11; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 126 Rn. 23.

330 Im Antrag ist klarzustellen, ob es beim jeweiligen Arbeitnehmer um eine Beendigungs- oder Änderungskündigung geht. Darüber hinaus ist der Kündigungstermin zu nennen. Soweit es sich um Änderungskündigungen handelt, ist nach herrschender Ansicht auch die Änderung der Arbeitsbedingungen im Antrag zu bezeichnen. 331 Zweifelhaft ist die Zulässigkeit sog. „Tabellenanträge“, in denen eine Reihenfolge der zu kündigenden Arbeitnehmer festgelegt ist. Dafür Heinze, NZA 1999, 57, 61; KR-Weigand, § 126 InsO Rn. 13; dagegen Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 126 Rn. 38.

332 Verfahrensbeteiligte sind der Insolvenzverwalter (zur Beteiligung eines etwaigen Betriebserwerbers siehe § 128 Abs. 1 Satz 2 InsO), soweit vorhanden der Betriebsrat und die im Antrag bezeichneten Arbeitnehmer, falls sie nicht ihr Einverständnis mit der Kündigung erklärt haben. Ein solches ist nur an78

VI. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz gemäß § 126 InsO

zunehmen, wenn der Arbeitnehmer mit Blick auf den ihm im Einzelnen bekannten Kündigungssachverhalt mit bürgerlichrechtlich bindender Wirkung erklärt, er werde gegen die Kündigung nicht vorgehen. Erfolgt die Einverständniserklärung während des Verfahrens, verliert der Arbeitnehmer die Beteiligtenstellung. Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 126 Rn. 23.

Das Arbeitsgericht entscheidet darüber, ob die Kündigungen sozial gerecht- 333 fertigt sind. Es hat daher neben der Kündigungsbefugnis, dazu BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = AP Nr. 2 zu § 126 InsO,

zu prüfen, ob die Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und ob die Grundsätze der Sozialauswahl eingehalten worden sind. Dabei wird auch beurteilt, ob die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zulässig ist. ErfK/Gallner, § 126 InsO Rn. 3; Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 126 InsO Rn. 22; APS/Dörner/Künzl, § 113 – § 128 InsO Rn. 35, 37; a. A. Lakies, RdA 1997, 145, 151.

Eine Vermutung der Betriebsbedingtheit oder Beschränkung der gerichtlichen 334 Überprüfung wie bei § 125 Abs. 1 kommt dem Insolvenzverwalter insoweit nicht zugute, wobei die allgemeinen Grundsätze über die Beweislast gelten. Caspers, Rn. 247; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 126 Rn. 48; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 126 Rn. 27.

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Anhö- 335 rung, für bereits vorher erfolgte Kündigungen der Zeitpunkt ihres Zugangs. Caspers, Rn. 279; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 126 Rn. 49 f.

Zu beachten ist, dass die Regeln des Beschlussverfahrens entsprechend an- 336 zuwenden sind. Es gilt daher der Untersuchungsgrundsatz, sodass auch nicht benannte Zeugen gehört werden können. Auch hier besteht aber Antragsbindung, weshalb das Gericht nicht auf eigene Initiative einzelne im Antrag genannte Arbeitnehmer durch andere ersetzen kann. BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = AP Nr. 2 zu § 126 InsO.

Andere Unwirksamkeitsgründe als die Sozialwidrigkeit (etwa Verstöße ge- 337 gen § 102 BetrVG, §§ 85 ff. SGB IX, § 9 MuSchG, § 18 BEEG) werden im Verfahren nach § 126 InsO nicht geprüft.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

4. Rechtsmittel und Kosten 338 Aus der Verweisung auf § 122 Abs. 3 InsO folgt, dass gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts keine Beschwerde an das Landesarbeitsgericht stattfindet und er deshalb grundsätzlich sofort rechtskräftig wird. BAG, Urt. v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, AP Nr. 44 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz = BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071.

339 Ausnahmsweise findet eine Rechtsbeschwerde zum BAG statt, wenn sie im Beschluss des Arbeitsgerichts zugelassen wird (§ 122 Abs. 3 Satz 2 InsO). Ist dies nicht der Fall, besteht keine Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde. BAG, Urt. v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, AP Nr. 44 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz.

340 Wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, ist das BAG daran gebunden. Jeder der beteiligten Arbeitnehmer kann selbstständig Rechtsbeschwerde einlegen. Versäumt er dies, tritt jeweils ihm gegenüber Rechtskraft ein. BAG, Beschl. v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 = AP Nr. 2 zu § 126 InsO.

5. Bedeutung des Beschlussverfahrens für die individuelle Klage des Arbeitnehmers gemäß § 127 InsO a) Bindungswirkung 341 § 127 InsO ergänzt § 126 InsO und ordnet die bindende Wirkung der in einem danach durchgeführten Verfahren für individuelle Kündigungsschutzverfahren an. Wird einem Antrag nach § 126 InsO entsprochen, so wird damit allein die soziale Rechtfertigung der Kündigung festgestellt, weshalb auch die Reichweite der Bindungswirkung hierauf beschränkt ist. Andere Unwirksamkeitsgründe können nach den für sie jeweils einschlägigen Regeln geltend gemacht werden. Ein Beschluss gemäß § 126 InsO führt daher nicht bereits zur Unzulässigkeit einer späteren Kündigungsschutzklage, sondern ist erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu berücksichtigen. Im Falle der Abweisung des vom Insolvenzverwalter gestellten Antrags als unbegründet geht die überwiegende Ansicht davon aus, dass damit gleichzeitig die mangelnde soziale Rechtfertigung der Kündigung und folglich deren Unwirksamkeit festgestellt sei. ErfK/Gallner, § 127 InsO Rn. 2; Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 127 InsO Rn. 1; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 127 Rn. 4; a. A. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 127 Rn. 22.

342 Wird der Antrag als unzulässig abgewiesen, entfaltet er keinerlei Bindungswirkung. Giesen, ZIP 1998, 46, 54; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 127 Rn. 5.

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VI. Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz gemäß § 126 InsO

Für die Bindungswirkung reicht die formale Beteiligtenstellung des Arbeit- 343 nehmers nicht aus, sondern es ist darüber hinaus erforderlich, dass er tatsächlich ordnungsgemäß beteiligt worden ist. ErfK/Gallner, § 127 InsO Rn. 2; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 127 Rn. 20.

Sie greift daher insbesondere nicht im Verhältnis zu Arbeitnehmern ein, die 344 wegen ihres Einverständnisses mit der Kündigung bei Abschluss des Verfahrens nach § 126 InsO nicht mehr an ihm beteiligt waren. Wie hier Caspers, Rn. 272 ff.; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 127 Rn. 6; a. A. ErfK/Gallner, § 127 InsO Rn. 2; APS/Dörner/Künzl, § 113 – 128 InsO Rn. 46; Löwisch, RdA 1997, 80, 85.

b) Wesentliche Änderung der Sachlage Nach § 127 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt die Bindungswirkung, „soweit sich 345 die Sachlage nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung wesentlich geändert hat“. Der Wortlaut ist zu weit geraten, da die Norm erkennbar allein jene Kündigungen im Auge hat, die den Arbeitnehmern erst nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 126 InsO zugehen. Er passt ersichtlich nicht für frühere Kündigungen, da ihre soziale Rechtfertigung auch im Verfahren des § 126 InsO nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Kündigungszugangs zu beurteilen ist. Mit Blick auf diese kommt daher im Falle wesentlicher nachträglicher Änderungen allenfalls ein Wiedereinstellungsanspruch nach den vom BAG entwickelten Grundsätzen in Betracht. Caspers, Rn. 280; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 127 Rn. 11; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 127 Rn. 31.

Der Begriff der wesentlichen Änderung der Sachlage wird hier überwie- 346 gend ebenso wie bei § 125 verstanden, weshalb es sich um eine „breite, grundlegende Änderung“ handeln müsse. So etwa ErfK/Gallner, § 127 InsO Rn. 6; Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 127 InsO Rn. 5; KR-Weigand, § 127 InsO Rn. 3.

Dem wird man indes kaum folgen können, da es bei § 127 Abs. 1 Satz 1 InsO 347 um die Bindungswirkung in einem nachfolgenden Individualprozess geht und deshalb entscheidend darauf abzustellen ist, ob sich insoweit die Sachlage wesentlich geändert hat. Vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass eine wesentliche Änderung immer vorliegt, wenn die veränderte Tatsachenbasis zu einer veränderten Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung führt. Im Ergebnis ebenso Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 127 Rn. 5.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

c) Aussetzung des Verfahrens 348 Erhebt der Arbeitnehmer vor der Rechtskraft der Entscheidung nach § 126 InsO eine Kündigungsschutzklage, so ist sie zwar zulässig, aber nach § 127 Abs. 2 InsO auf Antrag des Verwalters auszusetzen. Ein Ermessensspielraum des Gerichts besteht insoweit – anders als bei § 148 ZPO – nicht. Nichts anderes gilt, wenn die Kündigungsschutzklage bei Einleitung des Verfahrens nach § 126 InsO bereits erhoben und noch anhängig war. ErfK/Gallner, § 127 InsO Rn. 4; Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 127 InsO Rn. 6.

349 Umstritten ist, ob das Arbeitsgericht daneben nach § 148 ZPO auch dann aussetzen kann, wenn der Insolvenzverwalter keinen Aussetzungsantrag gestellt hat. Dafür: Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 127 Rn. 15; dagegen: Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 127 Rn. 37 f.

350 Aus dem klaren Wortlaut ist jedenfalls zu erkennen, dass dem Insolvenzverwalter hier ein Entscheidungsermessen eingeräumt ist. Stellt er den Antrag nicht, ist daher eine Beendigung des individuellen Kündigungsverfahrens möglich, das dann von einer insoweit abweichenden nachträglichen Entscheidung gemäß § 126 InsO nicht mehr berührt wird. ErfK/Gallner, § 127 InsO Rn. 5; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 127 Rn. 14; a. A. Zwanziger, § 127 InsO Rn. 11, nach dessen Ansicht immer dann, wenn beide nebeneinander laufen, das Beschlussverfahren vorgehen soll“ und bei bereits rechtskräftig entschiedenem Individualverfahren Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO in Betracht komme.

VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen 351 Steht eine größere Zahl an Entlassungen an, sollte der Arbeitgeber und im Insolvenzfalle der Insolvenzverwalter den Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG über anzeigepflichtige Entlassungen besondere Aufmerksamkeit schenken. Denn die Nichteinhaltung dieser Vorschriften kann zur Unwirksamkeit ausgesprochener Kündigungen, abgeschlossener Aufhebungsvereinbarungen und sonstiger auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteter Entlassungsmaßnahmen führen. Vgl. Rn. 368, 450, 452 f.

1. Allgemeines und Überblick 352 Für den Fall einer beabsichtigten Massenentlassung, welche die in § 17 Abs. 1 KSchG geregelten Schwellenwerte überschreitet, regeln die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des zuständigen Betriebsrats sowie Beratung (Konsultationspflicht, vgl. § 17 Abs. 2

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

KSchG) und zur Erstattung einer ordnungsgemäßen Anzeige der Entlassungen bei der zuständigen Agentur für Arbeit (Anzeigepflicht, vgl. § 17 Abs. 1 und 3 KSchG). Eine Ausnahme für Massenentlassungen in der Insolvenz ist nicht vorgesehen. Die Vorschriften über die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Rahmen 353 einer Massenentlassung treten neben die Vorschriften über die Unterrichtungs- und Beratungspflichten gegenüber dem Betriebsrat sowie die Pflicht zur Verhandlung von Interessenausgleich und Sozialplan mit dem Betriebsrat im Falle einer Betriebsänderung (§§ 111 ff. BetrVG) und ergänzen diese. Soweit die dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 BetrVG übereinstimmen, kann er sie gleichzeitig erfüllen. Er muss in diesem Fall hinreichend klarstellen, dass und welchen Pflichten er nachkommen will. Die Einleitung des Konsultationsverfahrens erfordert zumindest, dass dem Betriebsrat die Absicht des Arbeitgebers erkennbar ist, Massenentlassungen vorzunehmen. BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, Os. 1, dazu EWiR 2015, 423 (Fuhlrott).

a) Europarechtliche Rahmenbedingungen Die §§ 17 ff. KSchG setzen die Vorgaben der Massenentlassungsrichtlinie,

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Richtlinie 98/59/EG v. 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABlEG Nr. L 225 v. 12.8.1998, S. 16; vormals Richtlinie 92/56/EWG des Rats zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABlEG Nr. L 245 v. 26.8.1992, S. 3 bzw. Richtlinie 75/129/EWG v. 22.2.1975, ABlEG Nr. L 48, S. 29,

um. Daher sind die nationalen Regelungen im Konfliktfall europarechtskonform auszulegen. Siehe hierzu Rn. 366, 382, 398, 411 ff., 423.

b) Gesetzeszwecke Die Massenentlassungsvorschriften haben drei Zielrichtungen:

355

aa) Arbeitsmarktpolitischer Zweck Früher stand der arbeitsmarktpolitische Zweck im Vordergrund, die Ar- 356 beitsverwaltung durch die Anzeige des Arbeitgebers in die Lage zu versetzen, sich rechtzeitig auf zu erwartende Entlassungen größeren Umfangs einzustellen und Lösungen für die mit der Massenentlassung verbundenen Probleme zu suchen (vgl. Art. 4 Abs. 2 RL 98/59/EG), insbesondere also Maßnahmen zur Vermeidung oder Verkürzung der Arbeitslosigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer zu treffen. BAG, Urt. v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, NZA 2012, 1058, 1059.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

357 Diesem Gesetzeszweck dient auch die Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 und 2 KSchG, innerhalb welcher die anzeigepflichtigen Entlassungen nicht wirksam werden und welche sich daher wie eine Art „gesetzliche Mindestkündigungsfrist“ bzw. genauer wie ein „Mindestzeitraum“ zwischen Anzeigenerstattung und tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses auswirkt. BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, ZIP 2009, 487 = NZA 2009, 1013, 1015, Rn. 25, dazu EWiR 2009, 279 (Roock/Fuhlrott); Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 34 m. w. N.

bb) Betriebsverfassungsrechtlicher Zweck 358 Zweck der Auskunfts- und Beratungspflichten gegenüber dem Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 6 KSchG ist es, die Einbindung der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter im Falle weitreichender Personalmaßnahmen sicherzustellen, damit sie die Möglichkeiten der Vermeidung oder Abmilderung von Entlassungen mit dem Arbeitgeber erörtern können. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 4.

cc) Individualrechtlicher Schutzzweck 359 Außerdem haben die Massenentlassungsvorschriften auch individualschützenden Charakter. BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, ZIP 2013, 1589 = NZA 2013, 966, 967, Rn. 22, dazu EWiR 2013, 693 (Schubert); BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25, 27 = BB 2007, 156 m. Anm. Lembke.

360 Dies ergibt sich bereits aus dem Erwägungsgrund (2) der RL 98/59/EG, den „Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken“. Soweit Vorschriften verletzt werden, die zumindest auch individualschützenden Charakter haben, droht im Falle der Nichteinhaltung dieser Normen die Unwirksamkeit der Entlassung. Siehe Rn. 368.

c) Systematik, Pflichtenprogramm und Rechtsfolge von Verstößen 361 Finden die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG Anwendung und überschreiten die beabsichtigten Entlassungen den in § 17 Abs. 1 KSchG geregelten Schwellenwert, so hat der Arbeitgeber – neben seinen sonstigen Verpflichtungen aus dem allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzrecht sowie nach dem BetrVG – folgendes Pflichtenprogramm grundsätzlich in der folgenden Reihenfolge zu erfüllen:

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

aa) Reihenfolge der Arbeitgeberpflichten Zunächst hat er das Informations- und Konsultationsverfahren gegenüber 362 dem zuständigen Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführen (vgl. Art. 2 RL 98/59/EG). Dann hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massen- 363 entlassungen schriftlich nach Maßgabe des § 17 Abs. 3 KSchG anzuzeigen (vgl. Art. 3 und 4 RL 98/59/EG). Erst nach Abschluss des Konsultationsverfahrens und nach ordnungsgemäßer 364 Anzeige darf der Arbeitgeber die Entlassung vornehmen. Zum Abschluss des Konsultationsverfahrens BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, 883, Rn. 28 ff. sowie Rn. 440.

bb) Junk-Entscheidung des EuGH und richtlinienkonforme Auslegung Diese Reihenfolge ist spätestens seit der berühmten Junk-Entscheidung des 365 EuGH vom 27.1.2005 für die Praxis maßgeblich. Der EuGH entschied, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis (i. S. d. Massenentlassungsrichtlinie) ist, das als Entlassung gilt; die Kündigung dürfe erst nach dem Ende des Konsultationsverfahrens mit den Arbeitnehmervertretern und nach der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung bei der zuständigen Behörde ausgesprochen werden. EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – C-188/03 (Junk), NZA 2005, 213, Ls. 2; vgl. auch EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C-44/08 (Akavan), NZA 2009, 1083, 1086, Rn. 70.

Das BAG hat sich dem angeschlossen und die Regelung des § 17 Abs. 1 366 Satz 1 KSchG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt, dass unter dem Begriff der „Entlassung“ der Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist und dass das Konsultationsverfahren mit den Arbeitnehmervertretern abgeschlossen und die Massenentlassungsanzeige erstattet sein muss, bevor der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen kann. BAG, Urt. v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, ZIP 2013, 1982 (LS) = BeckRS 2013, 70060, Rn. 153; BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, ZIP 2010, 246 = NZA 2009, 1267, 1271, Rn. 54; BAG, Urt. v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, ZIP 2008, 1598 = ZIP 2008, 1598, 1601, Rn. 34; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, ZIP 2006, 2396 = NZA 2007, 25, 26 ff. = BB 2007, 156 m. Anm. Lembke; BAG, Urt. v. 23.3.2006, 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971, Ls. 1 und Rn. 18 ff.

Nach der früheren, mittlerweile aufgegebenen, Rechtsprechung des BAG war 367 unter der Entlassung hingegen die tatsächliche Beendigung der Beschäftigung des Arbeitnehmers aufgrund einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

Kündigung zu verstehen; Entlassungszeitpunkt war also der Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis bzw. der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der einschlägigen Kündigungsfrist. Daher konnte die Anzeige nach der früheren Rechtsprechung insbesondere bei längeren Kündigungsfristen auch nach Ausspruch der Kündigung erfolgen, wenn sie noch rechtzeitig vor der Entlassung bei der Arbeitsverwaltung einging. BAG, Urt. v. 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, ZIP 2005, 1330 = NZA 2005, 766, 767; BAG, Urt. v. 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, ZIP 2004, 677 = NZA 2004, 375, 381, dazu EWiR 2004, 873 (Ingenfeld); BAG, Urt. v. 24.10.1996 – 2 AZR 895/95, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 8 unter B II 1.

368 Beachtet der Arbeitgeber das geschilderte Pflichtenprogramm (nach der geänderten Rechtsprechung) nicht und spricht er eine Kündigung unter Außerachtlassung der gesetzlichen Anforderungen des § 17 KSchG aus, ist die Kündigung rechtsunwirksam. BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, 884, Rn. 31; BAG, Urt. v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, ZIP 2014, 1691 = NZA 2014, 1069, 1073, Rn. 46, dazu EWiR 2014, 635 (Schubert); BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, ZIP 2013, 1589 = NZA 2013, 966; BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, ZIP 2013, 742 = NZA 2013, 845, 847, Rn. 31 ff., dazu EWiR 2013, 395 (Göpfert/Pfister); BAG, 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, AP § 17 KSchG 1969 Nr. 40 m. Anm. Moll; BAG, Urt. v. 28.5.2008 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, 1271, Rn. 54.

cc) Vertrauensschutz 369 Im Rahmen der Änderung seiner Rechtsprechung hatte das BAG für sog. Altfälle (vor Bekanntgabe der Junk-Entscheidung des EuGH vom 27.1.2005) Vertrauensschutz eingeräumt und Kündigungen bei verspäteter Anzeige nicht als unwirksam behandelt. BAG, Urt. v. 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, ZIP 2008, 1598, 1601 f., Rn. 36 ff.; BAG, Urt. v. 8.11.2007 – 2 AZR 554/05, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 28; BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/0 6, NZA 2007, 25, 29 f. = BB 2007, 156 m. Anm. Lembke; BAG, Urt. v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, ZIP 2006, 1644 = NZA 2006, 971 Ls. 2 und Rn. 32 ff.; näher Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 18 f.

370 Dies hat das BVerfG nun im Beschluss vom 10.12.2014 beanstandet und entschieden, für die Gewährung von Vertrauensschutz im Zusammenhang mit dem Junk-Urteil sei der EuGH und nicht das BAG zuständig gewesen. Da-

86

VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

durch, dass das BAG die Frage des Vertrauensschutzes nicht nach Art. 267 AEUV dem EuGH vorgelegt habe, habe es das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt. BVerfG, Beschl. v. 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, ZIP 2015, 335 = NZA 2015, 375, dazu EWiR 2015, 193 (Oetker); Arnold/Schansker, ArbRAktuell 2015, 89; Oetker, EWiR 6/2015, 193; Sagan, NZA 2015, 341; Schubert, AuR 2015, 233.

Praktische Relevanz dürfte dieser Entscheidung allerdings nicht mehr zu- 371 kommen, da alle relevanten Gerichtsverfahren wohl bereits abgeschlossen sind. dd) Sperrfrist und Freifrist (§ 18 KSchG) Wird die Anzeige ordnungsgemäß erstattet, setzt sie die Sperrfrist in Gang. 372 Die Sperrfrist dauert – abgesehen vom Fall der Abkürzung bis auf Null (§ 18 Abs. 1 Hs. 2 KSchG) – einen Monat (§ 18 Abs. 1 KSchG) bzw. bei entsprechender Entscheidung der Agentur für Arbeit zwei Monate (§ 18 Abs. 2 KSchG). Sie hindert den Ausspruch der Kündigung oder die Vornahme der sonstigen auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Handlung (z. B. Abschluss eines Aufhebungsvertrags) nicht. Eine Kündigung kann also schon unmittelbar nach Erstattung (Eingang) der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Die betroffenen Arbeitnehmer dürfen nur nicht vor Ablauf der Monatsfrist des § 18 Abs. 1 KSchG – oder im Fall des § 18 Abs. 2 KSchG der längstens zweimonatigen Frist – aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Vgl. BAG, Urt. v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, ZIP 2009, 487 = NZA 2009, 1013, 1015 f.; BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, ZIP 2010, 246 = NZA 2009, 1267, 1272, Rn. 70; vgl. auch Rn. 475 ff.

Die sich an die Sperrfrist anschließende Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG spielt 373 praktisch kaum noch eine Rolle. Vgl. BAG, Urt. v. 23.2.2010 – 2 AZR 268/08, ZIP 2010, 1461 = NZA 2010, 944, 947, Rn. 32, dazu EWiR 2010, 579 (Hergenröder); näher Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 35 ff.

2. Massenentlassungen über dem Schwellenwert Die §§ 17 ff. KSchG gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts 374 sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen. Sie gelten nicht für Seeschiffe und ihre Besatzung (§ 23 Abs. 2 KSchG). Sie finden auch keine Anwendung 87

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

auf Entlassungen in Saisonbetrieben und Kampagne-Betrieben (vgl. § 22 Abs. 2 KSchG), die durch die Eigenart dieser Betriebe bedingt sind (§ 22 Abs. 1 KSchG). a) Schwellenwert und relevante Parameter 375 Die Anzeigepflicht und die sonstigen Pflichten nach § 17 Abs. 1 bis 3 KSchG werden nur ausgelöst, wenn die beabsichtigten Entlassungen die folgenden Schwellenwerte innerhalb von 30 Kalendertagen überschreiten (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG): In Betrieben mit in der Regel […] Arbeitnehmern,

bestehen die Anzeige- und Konsultationspflichten bei Entlassung von […] innerhalb von 30 Kalendertagen

1 bis 20

./. (keine Pflicht zur Massenentlassungsanzeige und zur Konsultation)

21 bis 59

mind. 6 Arbeitnehmern (Nr. 1)

60 bis 250

mind. 10 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer (vgl. Nr. 2)

251 bis 499

mind. 26 Arbeitnehmern (vgl. Nr. 2)

500 und mehr

mind. 30 Arbeitnehmern (Nr. 3)

376 Vor diesem Hintergrund sind zunächst die Betriebsgröße und die maßgebliche Zahl der „in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer“ zu ermitteln. Dann ist die Zahl der beabsichtigten Entlassungen von Arbeitnehmern festzulegen, die in einem Zeitraum von 30 Kalendertagen erfolgen soll. Bei der Feststellung, ob der für den jeweiligen Betrieb maßgebliche Schwellenwert durch die beabsichtigten Entlassungen überschritten wird, ist auf den Zeitpunkt der Entlassung abzustellen. 377 Bei richtlinienkonformer Auslegung von § 17 Abs. 1 KSchG ist unter Entlassung der Ausspruch der Arbeitgeberkündigung sowie jede vom Arbeitgeber veranlasste und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende Handlung (z. B. Abschluss eines Aufhebungsvertrags, Ausspruch einer Eigenkündigung durch den Arbeitnehmer, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG) zu verstehen. Bei der Feststellung, ob die Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG überschritten werden, ist daher auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs durch den Arbeitgeber oder die Vornahme der vom Arbeitgeber veranlassten Beendigungshandlung abzustellen. Hinsichtlich des Ausspruchs der arbeitgeberseitig erklärten oder veranlassten Kündigung ist der Zugang der Kündigungserklärung maßgebend, da mit dem Zugang die Kündigung wirksam ausgesprochen ist (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Näher zum Ganzen Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/ Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 42 ff. m. w. N.

88

VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

b) Betrieb Maßgebliche Einheit, innerhalb derer der jeweilige Schwellenwert überschrit- 378 ten sein muss, ist der jeweilige Betrieb. aa) Betriebsverfassungsrechtlicher Betriebsbegriff Insoweit kann zunächst vom Betriebsbegriff in §§ 1 und 23 KSchG und 379 §§ 1, 4 BetrVG ausgegangen werden. BAG, Urt. v. 24.10.2013 – 6 AZR 854/11, ZIP 2013, 2476 = NZA 2014, 46, 47 f., Rn. 20; BAG, Urt. v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, ZIP 2013, 1982 (LS) = BeckRS 2013, 70060, Rn. 149 ff.; BAG, Urt. v. 14.3.2013 – 8 AZR 154/12, DB 2013, 2687, 2690, Rn. 47; BAG, Urt. v. 13.4.2000 – 1 AZR 624/88, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 13 unter B III 1 d; Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 46.

Bei der Frage, ob Betriebsteile als selbstständige Betriebe anzusehen sind, in- 380 nerhalb derer die Überschreitung der Schwellenwerte festzustellen ist, oder ob sie dem Hauptbetrieb zuzuordnen sind, wird § 4 BetrVG analog herangezogen. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 46.

Gilt ein Betriebsteil nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG als selbstständig, müssen 381 die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG in diesem Betriebsteil überschritten sein, um die Anzeigepflicht auszulösen. BAG, Urt. v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, ZIP 2013, 1982 (LS) = BeckRS 2013, 70060, Rn. 150.

bb) Europarechtlicher Betriebsbegriff Zu beachten ist allerdings, dass der Betriebsbegriff europarechtskonform 382 i. S. d. autonomen unionsrechtlichen Betriebsbegriffs der Massenentlassungsrichtlinie auszulegen ist. Danach ist – ähnlich wie bei § 613a BGB – auf die wirtschaftliche Einheit der Organisation abzustellen. Der EuGH versteht unter „Betrieb“ i. S. d. Richtlinie diejenige Einheit, der die 383 von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgabe angehören. Ob die fragliche Einheit eine Leitung hat, die selbstständig Massenentlassungen vornehmen kann, sei für die Definition des Betriebs nicht entscheidend. EuGH, Urt. v. 7.12.1995 – C-449/93 (Rockfon), Slg. 1995, I-4291, Rn. 34; EuGH, Urt. v. 30.4.2015 – C-80/14 (USDAW und Wilson), NZA 2015, 601, 602, Rn. 47.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

384 Ebenso wenig sei eine räumliche Trennung von anderen Einheiten und Einrichtungen des Unternehmens erforderlich. Ein Betrieb liege jedoch u. a. vor bei einer „unterscheidbaren Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität, die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt“. Die fragliche Einheit müsse allerdings weder notwendigerweise rechtliche noch wirtschaftliche, finanzielle, verwaltungsmäßige oder technologische Autonomie besitzen, um als „Betrieb“ qualifiziert werden zu können. EuGH, Urt. v. 15.2.2007 – C-270/05, NZA 2007, 319, 320, Rn. 27 ff.; EuGH, Urt. v. 13.5.2015 – C-182/13 (Lyttle), NZA 2015, 731, 732, Rn. 30 ff.; EuGH, Urt. v. 13.5.2015 – C-392/13 (Rabal Cañas), NZA 2015, 669, 671, Rn. 41 ff., dazu Forst, EWiR 14/2015, 459; EuGH, Urt. v. 30.4.2015 – C-80/14 (USDAW und Wilson), NZA 2015, 601, 602, Rn. 49 ff.; dazu Kleinebrink/Commandeur, NZA 2015, 853; Mückl, EWiR 12/2015, 391.

385 Beispiele: Danach fällt z. B. eine Produktionseinheit mit 420 Arbeitnehmern, eigener Ausstattung, eigenem Fachpersonal und eigenem Produktionsleiter unter den Begriff des „Betriebs“, auch wenn sie kein eigenes Rechnungswesen hat. EuGH, Urt. v. 15.2.2007 – C-270/05, NZA 2007, 319, 320, Rn. 27 ff. vgl. auch EuGH, Urt. v. 13.5.2015 – C-392/13 (Rabal Cañas), NZA 2015, 669, 672, Rn. 50.

Betreibt z. B. ein Einzelhandelsunternehmen zahlreiche Ladengeschäfte, so ist jedes Ladengeschäft jeweils als ein Betrieb i. S. d. Massenentlassungsrichtlinie anzusehen. Vgl. EuGH, Urt. v. 13.5.2015 – C-182/13 (Lyttle), NZA 2015, 731, 733, Rn. 51; EuGH, Urt. v. 30.4.2015 – C-80/14 (USDAW und Wilson), NZA 2015, 601, 604, Rn. 70.

Werden in einem solchen Ladengeschäft nicht mehr als 20 Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt, greifen also die Pflichten aus §§ 17 ff. KSchG nicht ein, wenn es in diesem Ladengeschäft zu Entlassungen kommt. 386 Anders als beim betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff ist für den europarechtlichen Betriebsbegriff der Massenentlassungsrichtlinie also eine einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten für das Vorliegen eines Betriebs nicht unbedingt erforderlich ist. Dennoch wird man im Regelfall davon ausgehen können, dass ein Betrieb im betriebsverfas-

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

sungsrechtlichen Sinne auch eine wirtschaftliche Einheit i. S. d. unionsrechtlichen Betriebsbegriffs der Massenentlassungsrichtlinie darstellt. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 49.

cc) Gemeinschaftsbetrieb Bilden mehrere Unternehmen (Rechtsträger) einen gemeinschaftlichen Be- 387 trieb/Gemeinschaftsbetrieb, so ist bei der Ermittlung, ob die Schwellenwerte überschritten werden, auf die regelmäßige Arbeitnehmerzahl im Gemeinschaftsbetrieb abzustellen. BAG, Urt. v. 14.8.2007 – 8 AZR 1043/06, ZIP 2007, 2233 (m. Anm. Kock, S. 2237) = NZA 2007, 1431, 1436, dazu EWiR 2008, 199 (Wißmann/Cieslak); Lembke/Oberwinter, § 17 Rn. 50.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Betriebsbeg- 388 riffs. Mückl, EWiR 12/2015, 391, 392; Salamon, NZA 2015, 789, 790; a. A. Kleinebrink/Commandeur, NZA 2015, 853, 857.

Bei einer Personalreduzierung im Gemeinschaftsbetrieb zweier Unterneh- 389 men ist also für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG auf die Zahl der insgesamt von allen beteiligten Arbeitgebern zu Entlassenden im Verhältnis zur Zahl der im Gemeinschaftsbetrieb in der Regel Beschäftigten abzustellen. LAG Niedersachen, Urt. v. 18.12.2013 – 17 Sa 335/13, ZIP 2014, 696, 698 (Revision anhängig beim BAG unter Az. 6 AZR 83/14), dazu Naber, EWiR 12/2014, 399.

Erstattet nur einer der Arbeitgeber für die in seinem Unternehmen erfolgen- 390 den Entlassungen eine Massenentlassungsanzeige, während der andere Arbeitgeber bezogen auf die in seinem Unternehmen angestellten Arbeitnehmer des Gemeinschaftsbetriebs die Anzeige (pflichtwidrig) unterlässt, kann sich ein von der Anzeige nicht erfasster Arbeitnehmer auf die Fehlerhaftigkeit der Anzeige und die daraus folgende Unwirksamkeit der Kündigung berufen. LAG Niedersachen, Urt. v. 18.12.2013 – 17 Sa 335/13, ZIP 2014, 696, 698 und Ls. 2.

Die unterlassene Anzeige wird auch im Fall des § 125 Abs. 1 InsO nicht da- 391 durch geheilt, dass der Massenentlassungsanzeige des einen Unternehmens ein Interessenausgleich mit Namensliste beigefügt wird, aus dem sich die Anzahl der insgesamt zu Entlassenden, einschließlich derer des Partnerunternehmens, ergibt. LAG Niedersachen, Urt. v. 18.12.2013 – 17 Sa 335/13, ZIP 2014, 696, 698 und Ls. 3.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

c) Arbeitnehmer 392 Bei der Anwendung des § 17 Abs. 1 KSchG ist zunächst die Zahl der Arbeitnehmer zu ermitteln, die regelmäßig im Betrieb beschäftigt sind. Sodann ist die Zahl der Arbeitnehmer festzustellen, die entlassen werden sollen. aa) „In der Regel“ beschäftigte Arbeitnehmer 393 Bei der Berechnung der „Betriebsgröße“ kommt es nicht auf die Anzahl der im konkreten Zeitpunkt der Entlassung beschäftigten Arbeitnehmer an, sondern auf die Zahl der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer. Der maßgebliche Begriff der Regelanzahl der Arbeitnehmer kommt nicht nur im Kündigungsschutzgesetz (z. B. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG), sondern auch in anderen Gesetzesregelungen (z. B. §§ 1 Abs. 1, 9, 99, 106 Abs. 1, 111 Satz 1, 112a Abs. 1 BetrVG) vor und ist einheitlich zu verstehen. BAG, Urt. v. 31.7.1986 – 2 AZR 594/85, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 5 unter B II 3 a, dazu EWiR 1987, 917 (Plander).

394 Die Regelarbeitnehmerzahl ist nicht die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in einem bestimmten Zeitraum, sondern die normale Beschäftigtenzahl des Betriebs, d. h. diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen, also bei regelmäßigem Gang des Betriebs kennzeichnend ist. Erforderlich ist ein Rückblick auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, wobei Zeiten außergewöhnlich hohen Geschäftsanfalls (z. B. Weihnachtsgeschäft, Jahresabschlussarbeiten, Schlussverkauf) oder niedrigen Geschäftsanfalls (z. B. Ferienzeiten, Nachsaison) nicht zu berücksichtigen sind. BAG, Urt. v. 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, ZIP 2005, 1330 = NZA 2005, 766, 767; BAG, Urt. v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 13 unter B III 1 b; BAG, Urt. v. 31.7.1986 – 2 AZR 594/85, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 5 unter B II 3 b.

395 Nicht mitzuzählen sind daher Arbeitnehmer, die nur vorübergehend beschäftigt werden, sei es aus Anlass einer außergewöhnlichen Arbeitshäufung oder als Ersatz für Arbeitnehmer, die sich im Urlaub befinden oder erkrankt sind (vgl. auch § 21 Abs. 7 Satz 1 BEEG; § 6 Abs. 4 Satz 1 PflegeZG). Nicht zu berücksichtigen sind auch Arbeitnehmer, die sich im Rahmen eines AltersteilzeitBlockmodells nach der Arbeitsphase in der Freistellungsphase befinden. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 65.

396 Werden Arbeitnehmer nicht ständig, sondern lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt es für die Frage der „regelmäßigen Beschäftigung“ darauf an, ob sie normalerweise während des größten Teils eines Jahres, d. h. länger als sechs Monate, beschäftigt werden. BAG, Urt. v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, ZIP 2012, 540 = NZA 2012, 221, 222, Rn. 21, dazu EWiR 2012, 165 (Unger-Hellmich);

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen demgegenüber zählt der EuGH befristet beschäftigte Arbeitnehmer wohl generell zu den „in der Regel“ beschäftigten, für die Betriebsgröße maßgeblichen Arbeitnehmern, vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2015 – C-422/14 (Pujaute Rivera), NZA 2015,1441, Ls 1 = ZIP 2015, 2292; zu Recht krit. dazu Franzen, NZA 2016, 26, 27.

bb) Allgemeiner Arbeitnehmerbegriff Von § 17 KSchG erfasst werden alle unter den allgemeinen Arbeitnehmer- 397 begriff fallenden Personen, wie Arbeiter, Angestellte, Auszubildende und Volontäre. Teilzeitbeschäftigte zählen jeweils zu 1,0 mit (arg. e contr. § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG). Nicht anwendbar ist § 17 Abs. 1 KSchG auf freie Mitarbeiter oder arbeitnehmerähnliche Personen. Näher zum Ganzen Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/ Lembke, KSchG, § 17 Rn. 56.

Zu beachten ist allerdings, dass die Massenentlassungsrichtlinie angesichts 398 ihres Harmonisierungszwecks von einem autonomen und einheitlich auszulegenden unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausgeht. Darunter fällt beispielsweise auch eine Person, die im Rahmen eines Praktikums ohne Vergütung durch ihren Arbeitgeber, jedoch finanziell gefördert und anerkannt durch die für Arbeitsförderung zuständigen öffentlichen Stellen, in einem Unternehmen praktisch mitarbeitet, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder eine Berufsausbildung zu absolvieren. EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – C-229/14 (Balkaya), NZA 2015, 861, 862 f., Rn. 33 f., 49 ff., dazu Lunk, NZA 2015, 917, 919.

cc) Leiharbeitnehmer Noch nicht geklärt ist, ob im Rahmen der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 399 Satz 1 KSchG Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb des Entleihers zu berücksichtigen sind. Teilweise – und bislang auch von der BA – wird dies verneint und ohne nähere 400 Diskussion davon ausgegangen, Leiharbeitnehmer seien allein dem Verleiherbetrieb zuzuordnen. GA KSchG 17.1.5 Abs. 3; ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn. 6.

Allerdings hat das BAG für die Fälle des drittbezogenen Personaleinsatzes 401 die früher vertretene Zwei-Komponenten-Lehre aufgegeben und zählt nun Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb mit, sofern Sinn und Zweck des jeweiligen gesetzlichen Schwellenwerts dies gebieten. BAG, Urt. v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10, ZIP 2012, 540 = NZA 2012, 221 zu § 111 Satz 1 BetrVG; BAG, Urt. v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, ZIP 2013, 1442 = NZA 2013, 726 zu § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG, dazu EWiR 2013, 493 (Fuhlrott); BAG, Beschl. v. 13.3.2013 – 7 ABR 69/11, ZIP 2013, 1489 = NZA 2013, 789 zu § 9 BetrVG, dazu EWiR 2013, 539 (Korff); vgl. auch BAG, Beschl. v. 4.12.2015 – 7 ABR 42/13 zu § 9 MitbestG.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

402 Vor diesem Hintergrund vertreten andere, regelmäßig im Entleiherbetrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer seien im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG mitzuzählen. DFL/Leschnig, § 17 KSchG Rn. 9.

403 Richtigerweise sind Leiharbeitnehmer unter Berücksichtigung der ratio legis im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG sowohl bei der Bestimmung der Betriebsgröße des Entleiherbetriebs als auch bei der Anzahl der geplanten Entlassungen nicht zu berücksichtigen. Näher zum Ganzen Lembke/Ludwig, FA 2015, 350, 352 f.

404 Da der Arbeitsvertrag des Leiharbeitnehmers mit dem Verleiher nicht zwingend wegen der Entlassungen beim Entleiher beendet wird und bei Anwendbarkeit des KSchG auch nicht ohne Weiteres beendet werden kann, zu den sehr hohen Voraussetzungen für die betriebsbedingte Kündigung eines Leiharbeitnehmers Fuhlrott/Fabritius, NZA 2014, 122; Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 582 ff.,

erfordern weder der individualschützende Zweck des § 17 Abs. 1 KSchG noch der arbeitsmarktpolitische Zweck die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen der Zahlenstaffeln des § 17 Abs. 1 KSchG. Auch der betriebsverfassungsrechtliche Schutzzweck des § 17 KSchG, die Einbindung der Arbeitnehmervertreter im Falle weitreichender Personalmaßnahmen sicherzustellen, führt zu keinem anderen Ergebnis. „Entlassung“ i. S. d. Massenentlassungsrichtlinie zielt auf die „Beendigung des Arbeitsvertrags“ des betroffenen Arbeitnehmers ab (vgl. Art. 1 Abs. 1 letzter Abs. RL 98/59/EG). Bei Entlassungen im Entleiherbetrieb kommt es aber nicht automatisch zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags des Leiharbeitnehmers. Die Arbeitnehmervertreter im Entleiherbetrieb müssen daher im Hinblick auf Leiharbeitnehmer nicht die Möglichkeiten der Vermeidung oder Abmilderung von Entlassungen mit dem Entleiher beraten. dd) Ausnahmen nach § 17 Abs. 5 KSchG und Europarechtswidrigkeit 405 Nach § 17 Abs. 5 KSchG sind vom Anwendungsbereich explizit ausgenommen: x

die Mitglieder des zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufenen Organs (Nr. 1, z. B. GmbH-Geschäftsführer, AG-Vorstand),

x

die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung einer Personengesamtheit berufenen Personen (Nr. 2, z. B. Gesellschafter einer OHG; Partner einer Partnerschaftsgesellschaft) sowie

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

x

Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen, soweit diese zur selbstständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind (Nr. 3).

§ 17 Abs. 5 KSchG entspricht tatbestandlich der Regelung in § 14 KSchG.

406

(1) GmbH-Fremdgeschäftsführer Auf den Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Verden,

407

ArbG Verden, Beschl. v. 6.5.2014 – 1 Ca 35/13, NZA 2014, 665; dazu Hohenstatt/Naber, NZA 2014, 637; Vielmeier, NJW 2014, 2678,

hat der EuGH mit Urteil vom 9.7.2015 seine Rechtsprechung aus der Rechtssache „Danosa“, EuGH, Urt. vom 11.11.2010 – C-232/09 (Danosa), NZA 2011, 143,

auf die Massenentlassungsrichtlinie übertragen und entschieden, dass ein Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, das gegen Entgelt Leistungen gegenüber der Gesellschaft erbringt, die es bestellt hat und in die es eingegliedert ist, das seine Tätigkeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und das jederzeit ohne Einschränkung von seinem Amt abberufen werden kann, die Voraussetzungen erfüllt, um als „Arbeitnehmer“ i. S. d. Unionsrechts und der Massenentlassungsrichtlinie zu gelten. EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – C-229/14 (Balkaya), NZA 2015, 861, 862, Rn. 37 ff.; dazu Lunk, NZA 2015, 917.

Daher sind GmbH-Fremdgeschäftsführer bzw. Minderheitsgesellschafter- 408 Geschäftsführer, die selbst keine Anteile an der GmbH i. S. e. Sperrminorität besitzen und jederzeit abberufen werden können (vgl. § 38 Abs. 1 GmbHG), angesichts des grundsätzlich unbeschränkten Weisungsrechts der Gesellschafter (§ 37 Abs. 1 GmbHG) entgegen § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG als Arbeitnehmer anzusehen. Etwas anderes gilt für GmbH-Geschäftsführer, die Gesellschafter der GmbH 409 sind und mit solchen Rechten ausgestattet sind, dass sie Weisungen gegenüber dem Geschäftsführer oder dessen jederzeitige Abberufung verhindern können. Nicht Arbeitnehmer i. S. d. Unionsrechts sind auch Mitglieder des Vor- 410 stands einer Aktiengesellschaft, da sie gemäß § 76 Abs. 1 AktG weisungsfrei sind. Bauer, NZA 14/2015, Editorial; Hohenstatt/Naber, NZA 2014, 637, 638; Lunk, NZA 2015, 917, 919.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

411 Die in § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG enthaltene gesetzliche Regelung, dass in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufenen Organs keine Arbeitnehmer sind, ist also europarechtswidrig, soweit sie jederzeit abrufbare Fremdgeschäftsführer bzw. Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH betrifft. Insoweit stellt die Regelung (zumindest aus europarechtlicher Sicht) eine Fiktion dar, welche der Massenentlassungsrichtlinie in der Auslegung durch den EuGH widerspricht. 412 Es fragt sich, ob deutsche Gerichte (und Behörden) § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG außer Acht lassen können, soweit er nicht im Einklang mit der Richtlinie steht; dann wären GmbH-Fremdgeschäftsführer bei Anwendung der §§ 17 ff. KSchG als Arbeitnehmer zu behandeln. 413 Richtigerweise ist dies jedoch zu verneinen, denn die Regelung des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG ist eindeutig und lässt keine richtlinienkonforme Auslegung zu. § 17 Abs. 5 KSchG ist in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten daher trotz seiner partiellen Richtlinienwidrigkeit weiterhin anzuwenden. Ebenso Hohenstatt/Naber, NZA 2014, 637, 640; Lembke/Ludwig, FA 2015, 350, 351.

414 Zu einem abweichenden Ergebnis ließe sich nur gelangen, wenn man verträte, dass der Verstoß gegen die Massenentlassungsrichtlinie zugleich ein Primärrechtsverstoß gegen Art. 30 EU-GRCharta darstellte; dies erscheint angesichts des offenen Wortlauts von Art. 30 EU-GRCharta aber als zu weitgehend. 415 Eine richtlinienkonforme Auslegung „contra legem“ ist unzulässig, und Richtlinien entfalten keine unmittelbare Wirkung in Streitigkeiten zwischen Privaten. Insoweit führt das BVerfG Folgendes aus: „Richtlinien können im Verhältnis zwischen Privaten mangels horizontaler Wirkung auch nach einer Auslegungsentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV grundsätzlich nicht selbst Verpflichtungen für einen Bürger begründen und nicht gegenüber einem Bürger in Anspruch genommen werden; im Verhältnis zwischen Privaten können sie (in der Regel) nur im Wege richtlinienkonformer Auslegung nationaler Vorschriften angewandt werden.“ BVerfG, 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07, NZA 2015, 375, 377, Rn. 29.

416 Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sogar eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden. EuGH, Urt. v. 15.1.2014 – C-176/12 (Association de médiation sociale), NZA 2014, 193, 195, Rn. 36.

417 Gleichwohl hat der EuGH entschieden, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, bei der Anwendung 96

VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen muss, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist. Der EuGH hat jedoch festgestellt, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmten Schranken unterliegt. So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen. EuGH, Urt. v. 15.1.2014 – C-176/12 (Association de médiation sociale), NZA 2014, 193, 195, Rn. 38 f.

Obwohl die Regelung des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG eindeutig und einer richt- 418 linienkonformen Auslegung nicht zugänglich ist, wird in der Literatur erwartet, dass das BAG dennoch zu einer Auslegung der Norm gelangt, dass jederzeit abrufbare Fremdgeschäftsführer bzw. MinderheitsgesellschafterGeschäftsführer einer GmbH für die Anwendung der §§ 17 ff. KSchG als Arbeitnehmer zählen. Lunk, NZA 2015, 917, 918; vgl. auch Vielmeier, NJW 2014, 2678, 2682.

Teilweise wird hierbei allerdings infrage gestellt, ob sich der Fremdgeschäfts- 419 führer bei „europarechtskonformer Auslegung“ des Gesetzes auf den individualrechtlichen bzw. kollektivrechtlichen Schutz der §§ 17 ff. KSchG berufen kann. Lunk, NZA 2015, 917, 918 m. w. N.; vgl. auch Hohenstatt/Naber, NZA 2014, 637, 640 ff.; Vielmeier, NJW 2014, 2678, 2682.

Der EuGH hingegen hat in der Rechtssache „Balkaya“ das Argument, ein 420 GmbH-Fremdgeschäftsführer bedürfe nicht des Schutzes der RL 98/95, zurückgewiesen. EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – C-229/14 (Balkaya), NZA 2015, 861, 863, Rn. 45 f.

Vor dem Hintergrund dieser unklaren Rechtslage sollten in der Praxis nach 421 dem Vorsichtsprinzip alle denkbaren Varianten (Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung der GmbH-Fremdgeschäftsführer) durchgespielt werden; ggf. sollte das Unternehmen vorsorglich das Konsultationsverfahren auch im Hinblick auf die Geschäftsführer durchführen und eine vorsorgliche Massenentlassungsanzeige erstatten.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

(2) Leitende Personen 422 Im Hinblick auf den in § 17 Abs. 5 Nr. 3 KSchG geregelten Arbeitnehmerkreis der leitenden Personen mit besonderer Einstellungs- bzw. Entlassungsbefugnis steht § 17 Abs. 5 KSchG ebenfalls nicht im Einklang mit der Massenentlassungsrichtlinie, weil diese keine Ausnahme für bestimmte Personengruppen vorsieht. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 64; v. Hoyningen-Huene, in: v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 17 Rn. 17.

423 § 17 Abs. 5 Nr. 3 KSchG ist angesichts seines eindeutigen Regelungsgehalts dennoch anzuwenden, weil Richtlinien – wie gesagt – keine unmittelbare Wirkung entfalten und eine europarechtskonforme Auslegung contra legem ausscheidet. APS/Moll, § 17 KSchG Rn. 15; Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 64 m. w. N.

d) Entlassungen 424 Steht die Anzahl der regelmäßig im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer fest, ist festzustellen, ob eine über die in § 17 Abs. 1 KSchG geregelten Schwellenwerte hinausgehende Zahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen werden soll. 425 Unter Entlassung wird seit der Junk-Entscheidung des EuGH der Ausspruch der Arbeitgeberkündigung sowie – wegen § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG – jede vom Arbeitgeber veranlasste und zur endgültigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende Handlung verstanden. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 69.

426 Zu den in Betracht kommenden Beendigungshandlungen zählen die vom Arbeitnehmer ausgesprochene Kündigung und der Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung. BAG, Urt. v. 19.3.2015 – 8 AZR 119/14, BeckRS 2015, 70521, Rn. 40, 48; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.11.2015 – C-422/14 (Pujaute Rivera), NZA 2015, 1441, 1443 f., Rn. 47 ff. = ZIP 2015, 2292.

427 Dies gilt auch, wenn der Aufhebungsvertrag im Rahmen eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs oder im Rahmen eines dreiseitigen Vertrags (z. B. im Zusammenhang mit dem Übergang in eine Transfergesellschaft/ BQG) abgeschlossen wird. BAG, Urt. v. 8.11.2007 – 2 AZR 314/06, NJW 2008, 1336, 1339, Rn. 33; LAG Baden-Württemberg, 23.10.2013 – 10 Sa 32/13, ZIP 2014, 937.

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

Letzteres gilt jedenfalls so lange, wie bei Erstattung der Anzeige noch nicht 428 feststeht, ob die Mitarbeiter den dreiseitigen Vertrag unterschreiben werden. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/12, NZA 2012, 1029, 1033, Rn. 43 f.

Die Arbeitnehmerkündigung bzw. der Abschluss des Aufhebungsvertrags 429 sind im Rahmen der Vorschriften über die Massenentlassungsanzeige jedoch nur relevant, wenn sie vom Arbeitgeber veranlasst wurden (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Reorganisation oder eine konkrete Kündigungsabsicht bestimmt, selbst zu kündigen bzw. einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, um auf diese Weise eine sonst notwendig werdende Kündigung zu vermeiden. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/12, NZA 2012, 1029, 1033, Rn. 47.

Dem betroffenen Arbeitnehmer muss deutlich werden, dass infolge der Re- 430 organisation oder der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers sein konkreter Arbeitsplatz gefährdet ist. Erforderlich ist ein Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen der vom Arbeitgeber kommunizierten Arbeitsplatzgefährdung und der Eigenkündigung des Arbeitnehmers bzw. des Aufhebungsvertragsabschlusses. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 26.

§ 17 Abs. 1 KSchG gilt auch für den Ausspruch einer Änderungskündigung 431 durch den Arbeitgeber. Der Begriff der „Entlassung“ in § 17 Abs. 1 KSchG erfasst auch Änderungskündigungen. Diese zählen bei der Berechnung der für eine Anzeige maßgebenden Zahl zu entlassender Arbeitnehmer mit. Dafür kommt es nicht darauf an, ob von einer Änderungskündigung betroffene Arbeitnehmer das ihnen unterbreitete Änderungsangebot bei oder nach Zugang der Kündigungserklärung abgelehnt oder – ggf. unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG – angenommen haben. BAG, Urt. v. 20.2.2014 – 2 AZR 346/12, ZIP 2014, 1691 = NZA 2014, 1069, Os. 2.

Nicht erfasst wird hingegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf- 432 grund Befristungsendes, Eintritts einer auflösenden Bedingung oder Anfechtung des Arbeitsvertrags. EuGH, Urt. v. 13.5.2015 – C-392/13 (Rabal Cañas), NZA 2015, 669, Ls. 2; EuGH, Urt. v. 11.11.2015 – C-422/14 (Pujaute Rivera), NZA 2015, 1441, 1442, Rn. 25 = ZIP 2015, 2292; Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 25.

Eine Entlassung i. S. d. Gesetzes liegt auch nicht vor, wenn der Arbeitsvertrag 433 aufgrund des Tods des Arbeitgebers, der eine natürliche Person ist, endet. Vgl. EuGH, Urt. v. 10.12.2009, C-323/08 (Rodriguez Mayor), NZA 2010, 151, 154, Rn. 52.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

434 Auf die Gründe für die Arbeitgeberkündigung kommt es nicht an. Erfasst werden neben betriebsbedingten Kündigungen also auch verhaltens- und personenbedingte Kündigungen. ErfK/Kiel, § 17 KSchG, Rn. 12.

435 Fristlose Entlassungen werden bei der Berechnung der Überschreitung der Schwellenwerte nicht berücksichtigt (§ 17 Abs. 4 Satz 2 KSchG). Unter § 17 Abs. 4 Satz 2 KSchG fallen insbesondere aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ausgesprochene Kündigungen des Arbeitgebers (§ 626 BGB). Nicht unter § 17 Abs. 4 Satz 2 KSchG fallen auch außerordentliche Kündigungen mit sozialer Auslauffrist, die der Arbeitgeber gegenüber ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern ausspricht. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 72.

436 Zusammenzuzählen sind alle Entlassungen, d. h. alle relevanten Beendigungshandlungen, die innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen fallen. Die Frist beginnt immer wieder neu mit dem Tag, an dem eine Entlassung durchgeführt wird. Beginn und Ende der Frist bestimmen sich nach §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 1 BGB. Kündigt der Arbeitgeber in Wellen von mehr als 30 Kalendertagen, wobei die Schwellenwerte jeweils nicht überschritten werden, wird die Anzeigepflicht nicht ausgelöst. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 74.

3. Konsultationsverfahren 437 § 17 Abs. 2 KSchG setzt das in Art. 2 der Massenentlassungsrichtlinie vorgesehene Konsultationsverfahren mit den Arbeitnehmervertretern im Falle einer anzeigepflichtigen Massenentlassung um. Nach der sog. Beherrschungsklausel des § 17 Abs. 3a KSchG – welcher Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie entspricht – bestehen die Auskunfts- und Beratungspflichten des Arbeitgebers auch dann, wenn die Entscheidung über die Entlassungen von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen (vgl. §§ 15 ff. AktG) getroffen wurde. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, dass das für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen die notwendigen Auskünfte nicht übermittelt haben. Allerdings entsteht die Pflicht zur Konsultation mit dem Betriebsrat (vgl. § 17 Abs. 2 KSchG) frühestens, wenn feststeht, in welchem Unternehmen es zu einer Massenentlassung kommen könnte, also welches Unternehmen die Pflichten aus § 17 KSchG treffen. EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C-44/08 (Akavan), NZA 2009, 1083, 1086, Rn. 63; Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1846; Lindemann/Trebeck, ArbRAktuell 2011, 214.

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

a) Zweck des Konsultationsverfahren Der Arbeitgeber ist nach § 17 Abs. 2 KSchG verpflichtet, dem zuständigen 438 Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihm schriftlich besonders die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 KSchG genannten Informationen zukommen zu lassen. Zweck dieses Konsultationsverfahrens ist es, den Betriebsrat so rechtzeitig und umfassend über die beabsichtigten Entlassungen zu unterrichten, dass er konstruktive Vorschläge zur Vermeidung der Beschränkung der Massenentlassung und zur Milderung der Folgen unterbreiten kann und eine Einigung mit dem Arbeitgeber insoweit möglich ist. EuGH, Urt. v. 10.9.2009 – C-44/08 (Akavan), NZA 2009, 1083, 1084 f., Rn. 38, 46; Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 81; näher zum Konsultationsverfahren Lelley, DB 2013, 2564; Grau/Sittard, BB 2011, 1845; Schramm/Kuhnke, NZA 2011, 1071, 1072 ff.; Krieger/Ludwig, NZA 2010, 919, 920 ff.

Dementsprechend haben Arbeitgeber und Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 439 Satz 2 KSchG insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Nicht erforderlich ist allerdings, dass diese Beratungen vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige einen Abschluss in Form einer Einigung gefunden haben. BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, 1271, Rn. 58; Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 81; Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1846.

Das Konsultationsverfahren ist nicht bereits mit der vollständigen Unter- 440 richtung des Betriebsrats als abgeschlossen anzusehen. Vielmehr wird der Arbeitgeber eine Reaktion des Betriebsrats auf die abschließende Unterrichtung erbitten und abwarten müssen. Er wird im Rahmen der ihm zukommenden Beurteilungskompetenz den Beratungsanspruch des Betriebsrats erst dann als erfüllt ansehen dürfen, wenn entweder die Reaktion, die auf die „finale“ – den Willen zu möglichen weiteren Verhandlungen erkennen lassende – Unterrichtung erbeten worden war, nicht binnen zumutbarer Frist erfolgt oder sie aus seiner – des Arbeitgebers – Sicht keinen Ansatz für weitere, zielführende Verhandlungen bietet. BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, 883, Rn. 28 ff., dazu Fuhlrott, EWiR 13/2015, 423.

b) Zuständiger Betriebsrat § 17 Abs. 2 KSchG bestimmt nicht, ob der örtliche Betriebsrat, der Gesamt- 441 betriebsrat oder der Konzernbetriebsrat zuständig ist. Die Zuständigkeit richtet sich daher nach den allgemeinen Regelungen in §§ 50, 58 BetrVG. 101

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung Näher Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 77 ff.; Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721, 725; Niklas/Koehler, NZA 2010, 913, 916; Reinhard, RdA 2007, 207, 212; Salamon, BB 2015, 1653, 1656 ff.; so zur Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats auch BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, NZA 2011, 1108, 1110 f., Rn. 20 ff.

442 Danach ist grundsätzlich der örtliche Betriebsrat des Betriebs zuständig, in dem die Massenentlassung geplant ist. Sind alle oder mehrere Betriebe eines Unternehmens aufgrund eines unternehmenseinheitlichen oder jedenfalls betriebsübergreifenden Konzepts betroffen, kommt eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats in Betracht. BAG, 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, NZA 2013, 32, 34 f.; BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZI 2013, 447, 450, Rn. 51.

443 Existiert kein (zuständiger) Betriebsrat (Gesamtbetriebsrat bzw. Konzernbetriebsrat), entfällt die Informations- und Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG. APS/Moll, § 17 KSchG Rn. 58; Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721, 725.

c) Inhalt der Pflichten des Arbeitgebers 444 Der Arbeitgeber hat dem zuständigen Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG alle zweckdienlichen Auskünfte hinsichtlich der beabsichtigten Massenentlassung zu erteilen. Dies umfasst z. B. alle vorhandenen Unterlagen, die einen Bezug zur geplanten Entlassung haben und deren Kenntnis für den Betriebsrat zur Vorbereitung der Stellungnahme erforderlich ist. Außerdem muss er den Betriebsrat über die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 KSchG genannten Punkte schriftlich unterrichten. Ein Formfehler bei der Unterrichtung des Betriebsrats wird durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats geheilt. BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32, 36.

445 Die in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 KSchG genannten Punkte sind auch Gegenstand der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit (§ 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG). Daher kann der Arbeitgeber bei der schriftlichen Unterrichtung des Betriebsrats über diese Punkte einen Entwurf der Massenentlassungsanzeige auf dem Formular der Bundesagentur für Arbeit verwenden. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 85.

446 Lediglich über die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien (§ 17 Abs. 2 Nr. 6 KSchG) muss der Arbeitgeber den Betriebsrat 102

VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

zusätzlich unterrichten. Insofern genügt ein Verweis auf den „noch abzuschließenden Sozialplan“. BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, 1271, Rn. 57. Näher zu den in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 6 KSchG genannten Punkten Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 89 ff.

Bei der Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber kann – wie bei 447 § 102 Abs. 1 BetrVG – der Grundsatz der subjektiven Determination herangezogen werden, d. h. der Arbeitgeber schildert den Sachverhalt, der aus seiner Sicht im Zeitpunkt der Auskunft hinsichtlich der beabsichtigten Massenentlassung maßgeblich ist. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 87; Ferme/Lipinski, NZA 2006, 937, 945; Reinhard, RdA 2007, 207, 212.

Allerdings ist zu beachten, dass das BAG eine Nachunterrichtungspflicht 448 bis zum Abschluss des Konsultationsverfahrens annimmt. Der Arbeitgeber habe der Arbeitnehmervertretung während der gesamten Konsultationen die relevanten Informationen zu geben. Er habe die Möglichkeit und die Pflicht, die Auskünfte im Laufe des Verfahrens zu vervollständigen. BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32, 36, Rn. 53; zu Veränderungen der Sachlage nach Einleitung des Konsultationsverfahrens auch Grau/Sittard, BB 2011, 1845, 1846 f.

Nach § 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine 449 Kopie der bei der Agentur für Arbeit erstatteten Massenentlassungsanzeige zuzuleiten. Der Betriebsrat soll feststellen können, in welchem Umfang der Arbeitgeber auf seine Vorschläge eingegangen ist. Der Betriebsrat kann gegenüber der Agentur für Arbeit weitere Stellungnahmen abgeben (§ 17 Abs. 3 Satz 7 KSchG), z. B. um eine Verlängerung der Sperrzeit nach § 18 Abs. 2 KSchG anzuregen und dadurch noch etwas Zeit für die Arbeitnehmer bis zum Ausscheiden zu gewinnen. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 100.

d) Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen Wird der Betriebsrat nicht schriftlich oder nicht ordnungsgemäß i. S. d. § 17 450 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 KSchG unterrichtet oder führt der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durch, hat dies die Unwirksamkeit der Arbeitgeberkündigung bzw. der sonstigen vom Arbeitgeber veranlassten Beendigungshandlung zur Folge.

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung BAG, Urt. v. 21.3.2013 – 2 AZR 60/12, NZA 2013, 966, 967, Rn. 19 ff; BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, NJOZ 2013, 1232, 1238, Rn. 60 ff.; Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 102 ff.

4. Erstattung der Massenentlassungsanzeige 451 Liegen die Voraussetzungen nach § 17 Abs. 1 KSchG für eine anzeigepflichtige Massenentlassung vor und ist der Betriebsrat nach § 17 Abs. 2 KSchG beteiligt worden, hat der Arbeitgeber die Zuleitungs- und Anzeigepflichten gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 3 KSchG zu erfüllen. Der Arbeitgeber kann sich von seinem gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter vertreten lassen. Im Insolvenzfall trifft den Insolvenzverwalter die Anzeigepflicht. BAG, Urt. v. 20.9.2012 – 6 AZR 155/11, ZIP 2012, 2412 = NZA 2013, 32, 33, Rn. 24.

452 Zeigt der Arbeitgeber überhaupt nicht an, obwohl er dazu rechtlich verpflichtet ist, sind die Kündigungen unwirksam. BAG, Urt. v. 16.6.2005 – 6 AZR 451/04, ZIP 2005, 1931 = NZA 2005, 1109, 1110 ff.

453 Fehler und Unvollständigkeiten bei den Pflichtangaben führen grundsätzlich unmittelbar zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/12, NZA 2012, 1029, 1034, Rn. 50.

a) Zuständige Agentur für Arbeit 454 Die Anzeige (§ 17 Abs. 3 Satz 2 bis 5 KSchG) und die Zuleitung der Kopie über die Mitteilung an den Betriebsrat (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG) sind an die Agentur für Arbeit zu richten, in deren Bezirk der von der Massenentlassung betroffene Betrieb liegt. Auf den Sitz des Unternehmens kommt es nicht an. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 110.

455 Sollen in Betrieben des Verkehrswesens, der Post oder Telekommunikation i. S. d. § 21 KSchG mehr als 500 Arbeitnehmer entlassen werden, ist die Anzeige bei der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten (§ 21 Satz 3 KSchG). Bei einem privaten Luftfahrtunternehmen ist die Anzeige jedoch an die örtlich zuständige Arbeitsagentur zu richten und nicht an die Bundesagentur für Arbeit. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 111.

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

b) Schriftform Die Anzeige ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. § 17 456 Abs. 3 Satz 2 KSchG sieht ein gesetzliches Schriftformerfordernis i. S. d. § 126 BGB vor. Daher muss der Arbeitgeber oder dessen gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter die Anzeige eigenhändig unterzeichnen (§ 126 Abs. 1 BGB). Es ist dringend zu empfehlen, wenn auch nicht rechtlich geboten (arg. e § 60 Abs. 2 SGB I), bei der Anzeige die von der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestellten Vordrucke, abrufbar unter http://www.bundesagenturfuer-arbeit.de, zu verwenden. Da die Anzeige eine Verfahrenshandlung ist, kann sie mitsamt der erforderlichen Anlagen – abweichend von § 126 BGB – auch per Telefax an die Arbeitsagentur übermittelt werden. Dem dürfte auch das Schriftformerfordernis in Art. 3 Abs. 1 RL 98/59/EG nicht entgegenstehen. Eine mündliche oder telefonische Anzeige ist hingegen unwirksam. Näher zum Ganzen Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/ Lembke, KSchG, § 17 Rn. 112.

c) Inhalt der Anzeige § 17 Abs. 3 Satz 2 bis 4 KSchG beschreibt den Pflichtinhalt der Massenent- 457 lassungsanzeige, der für ihre Wirksamkeit zwingend erforderlich ist. Satz 5 regelt hingegen „Sollangaben“, die für die Wirksamkeit der Anzeige unerheblich sind. Näher zum Ganzen Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/ Lembke, KSchG, § 17 Rn. 129 ff.

Die in der Anzeige erforderlichen Pflichtangaben sind in § 17 Abs. 3 Satz 4 458 KSchG abschließend aufgelistet und umfassen: x

Namen des Arbeitgebers,

x

Sitz des von der Massenentlassung betroffenen Betriebs,

x

Art des Betriebs,

x

Gründe für die geplanten Entlassungen,

x

Zahl und Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,

x

Zahl und Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,

x

Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, und

x

die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

Neben dem Namen des Arbeitgebers sowie dem Sitz und der Art des von der 459 Massenentlassung betroffenen Betriebs hat der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG also dieselben Angaben zu machen wie gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 KSchG gegenüber dem zuständigen Betriebsrat. Nicht zu

105

C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung

den Pflichtangaben gehören die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG). Soweit die Formulare der Arbeitsverwaltung danach fragen, ist die Angabe freiwillig und berührt nicht die Wirksamkeit der Anzeige. 460 Nicht ausreichend hinsichtlich der Angabe der Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer ist nach Auffassung des LAG Düsseldorf die Beifügung einer zum Interessenausgleich gehörenden Namensliste, weil dies lediglich das Ergebnis der Sozialauswahl ist. LAG Düsseldorf, Urt. v. 26.9.2013 – 5 Sa 530/13, ZIP 2014, 47 = BB 2014, 125, 126, dazu EWiR 2014, 127 (Ostermaier) m. Anm. Lelley/Gurevich (Revision anhängig beim BAG, Az. 6 AZR 973/13); dazu auch Zwarg/Alles, DB 2014, 2287, 2290 f.; krit. auch Salamon, NZA 2015, 789, 791.

461 Nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG sollen in der Anzeige ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat Angaben zu Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden, um die Arbeitsvermittlung zu erleichtern. Dabei handelt es sich allerdings nur um freiwillige Sollangaben, die keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige haben. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.2.2007 – 6 Sa 2152/06, BB 2007, 2296.

462 Dies gilt erst recht, soweit im Formular der Arbeitsverwaltung nach weiteren Angaben (z. B. Familienstand, Wohnort, zuletzt ausgeübte Tätigkeit, Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung) gefragt wird. 463 Wie bei den Auskünften gegenüber dem Betriebsrat gilt der Grundsatz der subjektiven Determination, d. h. der Arbeitgeber ist verpflichtet, den aus seiner Sicht im Zeitpunkt der Erstattung der Anzeige den hinsichtlich der beabsichtigten Massenentlassung maßgeblichen Sachverhalt zu schildern. Demgemäß haben spätere Änderungen im Sachverhalt nach Erstattung der Anzeige keine Auswirkungen auf deren Wirksamkeit, z. B. wenn eine geringere Anzahl von Entlassungen als die in der Anzeige angegebene Zahl tatsächlich erforderlich wird. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 Rn. 117.

d) Stellungnahme des Betriebsrats 464 Die Stellungnahme des Betriebsrats muss der Massenentlassungsanzeige beigefügt werden (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Der Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG muss sich entnehmen lassen, dass er seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht. Auf dieser Grundlage muss der Betriebsrat eine abschließende Meinung zu den konkret beabsichtigten Kündigungen äußern. 106

VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, 884, Rn. 38 f., Os. 3 und Ls.; dazu Fuhlrott, EWiR 13/2015, 423; Hund, DB 2015, 3014.

Verweigert der Betriebsrat eine Stellungnahme oder entspricht die erfolgte 465 Stellungnahme – womöglich – nicht den Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, kann der Arbeitgeber (vorsorglich) nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG vorgehen und so rechtssicher und rechtswirksam eine Massenentlassungsanzeige erstatten. BAG, Urt. v. 26.2.2015 – 2 AZR 955/13, ZIP 2015, 1307 = NZA 2015, 881, 884, Rn. 40, Os. 4.

Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG kann die Massenentlassungsanzeige jedoch 466 auch ohne Stellungnahme des Betriebsrats wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. BAG, Urt. v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, NZA 2007, 25, 27 f., Rn. 21 ff.; Lembke/Oberwinter NJW 2007, 721, 725; Reinhard RdA 2007, 207, 212 ff.

Für die Glaubhaftmachung genügt es, dass das Unterrichtungsschreiben nebst 467 einem Empfangsbekenntnis des Betriebsratsvorsitzenden vorgelegt wird. BAG, Urt. v. 28.5.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267, 1271, Rn. 61.

Daneben muss aber über den Stand der Beratungen informiert werden. In- 468 soweit kann der Arbeitgeber z. B. auf laufende Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen oder ein Einigungsstellenverfahren verweisen. Fehlt die Angabe zum Stand der Beratungen, ist die Anzeige unwirksam. BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, NZA 2013, 845, 848.

Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zur Anzeige – ersatzweise 469 das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG – ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige. BAG, Urt. v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11, NZA 2013, 845, 846, Rn. 20.

Vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich mit 470 Namensliste, sollte die Massenentlassungsanzeige erst nach dessen Abschluss erstattet werden, da ein Interessenausgleich mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG – nicht hingegen ein Einigungsstellenspruch über den Sozialplan – die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt (vgl. auch § 125 Abs. 2 InsO)

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C. Insolvenzrechtliche Grundzüge der betriebsbedingten Kündigung Vgl. BAG, Urt. v. 13.12.2012 – 6 AZR 5/12, NZA 2013, 845, 846, Rn. 20; allg. zum Zusammenspiel von Interessenausgleichs- und Massenentlassungsanzeigeverfahren Schramm/Kuhnke NZA 2011, 1071; Grau/Sittard BB 2011, 1845.

471 Dies gilt auch, wenn der Interessenausgleich mit Namensliste nicht mit dem örtlichen Betriebsrat, sondern mit dem zuständigen Gesamtbetriebsrat bzw. Konzernbetriebsrat abgeschlossen wurde. Eine (zusätzliche) Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats ist dann nicht mehr erforderlich. BAG, Urt. v. 7.7.2011 – 6 AZR 248/10, NZA 2011, 1108, 1110 f., Rn. 21 ff., dazu Dzida/Hohenstatt NJW 2012, 27.

472 Es ist ausreichend, wenn der beigefügte Interessenausgleich mit Namensliste nur vom Betriebsrat unterschrieben wurde; Schriftform gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist für Zwecke des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG i. V. m. § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG bzw. § 125 Abs. 2 InsO nicht erforderlich. Zu § 125 Abs. 2 InsO BAG, Urt. v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10, BeckRS 2012, 67611, Rn. 41 ff.

473 Enthält ein Interessenausgleich ohne Namensliste die in dem Dokument integrierte abschließende Stellungnahme des Betriebsrats, die erkennen lässt, dass sie sich auf die angezeigten Kündigungen bezieht, genügt der Arbeitgeber seiner Pflicht nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, wenn er der Massenentlassungsanzeige den Interessenausgleich beifügt. BAG, 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, NZA 2012, 1058.

474 Der Praxis ist daher zu raten, entweder dem Interessenausgleich eine separate Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen oder in den Interessenausgleich eine ausdrückliche Regelung wie im Fall des BAG aufzunehmen. Beispiel: „Die Gesellschaft hat den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplanten Maßnahmen sowie schriftlich über die in § 17 Abs. 2 KSchG genannten Punkte unterrichtet und die geplanten Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten. Der Betriebsrat sieht abschließend keine Möglichkeiten, die beabsichtigten Entlassungen zu vermeiden. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist mit Abschluss dieses Interessenausgleichs beendet. Dieser Interessenausgleich gilt zugleich als Stellungnahme des Betriebsrates i. S. d. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG (§ 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG); der Betriebsrat wird keine weitere Stellungnahme abgeben.“ Zu Formulierungsmöglichkeiten auch Moll/Katerndahl, RdA 2013, 159, 164 f.

e) Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist 475 Auf Antrag des Arbeitgebers kann die Agentur für Arbeit einer Abkürzung der Entlassungssperre bis auf Null zustimmen (vgl. § 18 Abs. 1 Hs. 2 KSchG).

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VII. Konsultations- und Anzeigepflichten bei Massenentlassungen

Dies ist z. B. denkbar, wenn die auf die betroffenen Arbeitsverhältnisse anwendbaren Kündigungsfristen wesentlich kürzer sind als die Sperrfrist, wenn die Entlassungen trotz aller Sorgfalt bei der betrieblichen Planung nicht vorhersehbar waren oder wenn die Arbeitnehmer einen Anschlussarbeitsplatz haben. Lembke/Oberwinter, in: Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 18 Rn. 10; APS/Moll, § 18 Rn. 15.

In der Praxis ist ein Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist, insbesondere bei 476 einem Wechsel von Arbeitnehmern in eine Transfergesellschaft, unter Abkürzung der jeweiligen Kündigungsfristen zu empfehlen. Vgl. Lembke, BB 2004, 773.

Ein bestandskräftiger Bescheid über die Verkürzung der Sperrfrist kann einen 477 Formfehler der Massenentlassungsanzeige nicht heilen; diese bleibt unwirksam. BAG, Urt. v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, NZA 2012, 1029, 1036.

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D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz Die Insolvenzeröffnung als solche lässt sowohl die betriebsverfassungsrecht- 478 lichen Repräsentationsorgane als auch die mit Einzel-, Gesamt- oder Konzernbetriebsrat abgeschlossenen Vereinbarungen in ihrem Bestand unberührt. Da in der Insolvenz typischerweise in besonderem Maße die Notwendigkeit einer Veränderung der Betriebsorganisation besteht, sind die durch das Betriebsverfassungsgesetz gesetzten Rahmenbedingungen und die in der InsO in mancher Hinsicht vorgesehenen Lockerungen von besonderer Bedeutung. Im Folgenden sollen daher die für betriebsorganisatorische Restrukturierungen wesentlichen betriebsverfassungsrechtlichen Aspekte näher beleuchtet werden. I. Sonderkündigungsrecht für belastende Betriebsvereinbarungen Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO können Betriebsvereinbarungen, die masse- 479 belastende Vereinbarungen vorsehen, auch dann mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden, wenn eine längere Frist vereinbart ist. § 120 InsO trägt einem in der Insolvenz regelmäßig besonders ausgeprägten Flexibilitätsinteresse Rechnung, um unabhängig vom weiteren Schicksal des Betriebs eine kurzfristige Entlastung der Masse zu ermöglichen und den Betrieb durch die zeitnahe Beseitigung belastender Betriebsvereinbarungen veräußerungsfähig zu machen. Siehe Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, 153.

1. Belastende Betriebsvereinbarung § 120 Abs. 1 InsO betrifft seinem Wortlaut nach Betriebsvereinbarungen. Ei- 480 nigkeit besteht daher darüber, dass alle Betriebsvereinbarungen i. S. d. § 77 Abs. 2 BetrVG erfasst werden, unabhängig davon, ob sie Fragen der freiwilligen oder erzwingbaren Mitbestimmung regeln. Die Vorschrift ist auch auf Sozialpläne anwendbar, die früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden sind und deshalb nicht von § 124 InsO erfasst werden. Caspers, Rn. 485; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 11, 16.

Im Übrigen gilt § 120 Abs. 1 InsO sowohl für Betriebs- als auch für Gesamt- 481 betriebsvereinbarungen. Darüber hinaus wird teilweise davon ausgegangen, § 120 Abs. 1 InsO finde auch auf Konzernbetriebsvereinbarungen Anwendung, da die Insolvenz den Konzernbezug beseitige und daher auch insoweit die Betriebspartner in dem insolventen Unternehmen zur eigenen Gestaltung berechtigt seien. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 12 f; a. A. Rieble, Eingriffe in Betriebsvereinbarungen in der Insolvenz, unveröffentlichtes Manuskript 2000, S. 3.

111

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

482 Nach überwiegender Ansicht betrifft § 120 Abs. 1 InsO ferner die Kündigung von Regelungsabreden. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 14 ff

483 Hingegen sollen Richtlinien nach § 28 Abs. 2 SprAuG nach zweifelhafter Ansicht ebenso wenig erfasst sein wie Dienstvereinbarungen, auch wenn die betreffende juristische Person des öffentlichen Rechts ausnahmsweise insolvenzfähig ist. MünchKomm- Caspers, InsO, § 120 Rn. 14 f.

484 § 120 InsO setzt voraus, dass die in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Leistungen zu einer Belastung der Insolvenzmasse führen. Dies ist unproblematisch dann gegeben, wenn die Betriebsvereinbarung unmittelbare Leistungspflichten des Arbeitgebers begründet, wobei keine Rolle spielt, ob es sich im Verhältnis zu den einzelnen Arbeitnehmern um eine direkte Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung oder um Nebenleistungen handelt. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 18; a. A. Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 120 Rn. 25; Zwanziger, § 120 InsO Rn. 4: es seien „nur Sonderleistungen des Arbeitgebers, die über die ‘normale’ Entlohnung hinausgehen, nach § 120 InsO kündbar“.

485 Ferner zählen dazu auch Leistungen ohne Entgeltfunktion, wie etwa der Ersatz von Aufwendungen. Angesichts des masseschützenden Charakters der Bestimmung ist nicht erforderlich, dass die Leistungen direkt den Arbeitnehmern zufließen. Erfasst werden daher auch sonstige Verpflichtungen des Arbeitgebers, etwa zum Unterhalt einer Betriebskantine, eines Betriebskindergartens oder sonstiger Sozialeinrichtungen. 486 Erforderlich ist aber, dass die Betriebsvereinbarung der rechtliche Grund für die Belastung der Insolvenzmasse ist. Deshalb erscheint es nicht zutreffend, wenn eine Belastung auch in zusätzlichen Freistellungen nach § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG erblickt wird. So aber MünchKomm-Caspers, InsO, § 120 Rn. 11.

487 Da das Gesetz ausdrücklich nur Leistungen betrifft, findet es keine Anwendung auf belastende Organisationsregeln, die nur zu einer objektiven – oder subjektiv empfundenen – Erschwerung der betrieblichen Abläufe führen. 488 Viel spricht dafür, dass § 120 Abs. 1 InsO nur eine Teilkündigung von Betriebsvereinbarungen gestattet, soweit nur einzelne abgrenzbare Teile einer Betriebsvereinbarung massebelastende Wirkung haben und eine Teilkündigung nicht ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Vgl. nur Teilkündigung einer Betriebsvereinbarung BAG, Urt. v. 6.11.2007 – 1 AZR 826/06, NZA 2008, 422, 423, AP § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung Nr. 35.

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I. Sonderkündigungsrecht für belastende Betriebsvereinbarungen

2. Beratungsgebot und Höchstkündigungsfrist Handelt es sich um belastende Betriebsvereinbarungen im vorstehenden Sin- 489 ne, sollen Insolvenzverwalter und Betriebsrat (bzw. Gesamtbetriebsrat) über eine einvernehmliche Herabsetzung der Leistungen beraten. Dem Wortlaut folgend, erblickt die ganz überwiegende Ansicht hierin lediglich ein Sollgebot, dessen Nichtbeachtung ohne Folgen bleibt. Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 120 Rn. 7 f.; Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 120 Rn. 28; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 21 f.

Insbesondere ist die Beratung nach überwiegender Ansicht keine Kündigungs- 490 voraussetzung. Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 120 Rn. 32; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 31; MünchKomm- Caspers, InsO, § 120 Rn. 21, tendenziell anders Zwanziger, § 120 InsO Rn. 13.

Die Höchstkündigungsfrist ermöglicht beiden Seiten einer Betriebsverein- 491 barung die ordentliche Kündigung auch dann mit einer der Regelkündigungsfrist des § 77 Abs. 5 BetrVG entsprechenden Frist von drei Monaten, wenn eine längere Frist vereinbart ist. Vereinbarte kürzere Fristen bleiben unberührt. Obwohl § 120 Abs. 1 InsO – anders als § 113 Abs. 1 InsO – kein Kündigungsrecht zu entnehmen ist, wird vielfach davon ausgegangen, dass die Bestimmung die Kündigung von Betriebsvereinbarungen auch dann mit einer Dreimonatsfrist ermöglicht, wenn die ordentliche Kündigung – etwa im Zusammenhang mit einer Befristung – durch Vereinbarung ausgeschlossen ist. Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 120 Rn. 37; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 27; a. A. Lohkemper, KTS 1996, 1, 40; Müller, NZA 1998, 1315, 1318.

Unklar ist, ob § 120 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Kündigung ohne Weiteres auch 492 dann ermöglicht, wenn die Betriebspartner materielle Kündigungserschwerungen vorgesehen haben. Bejahend etwa Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 28.

§ 120 Abs. 1 InsO trifft keine Aussage über die Kündigungsfolgen, die da- 493 her nach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen sind. Dies bedeutet insbesondere, dass es im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG zu einer Nachwirkung kommt, sofern diese nicht durch Vereinbarung der Betriebspartner ausgeschlossen worden ist. Uneinigkeit besteht darüber, ob das auch in Fällen einer lediglich vereinbarten Nachwirkung gilt. Überwiegend wird angenommen, dass die freiwillige Vereinbarung einer Nachwirkung in der Insolvenz unbeachtlich ist. MünchKomm- Caspers, InsO, § 120 Rn. 34; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 120 Rn. 41 ff.; Zwanziger, § 120 InsO Rn. 9.

113

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

494 § 120 InsO enthält keine Ermächtigung für den Eingriff in aktuelle Rechtspositionen der Arbeitnehmer. Insoweit gelten vielmehr die allgemeinen Grundsätze. 3. Außerordentliche Kündigung 495 § 120 Abs. 2 InsO stellt deklaratorisch fest, dass das Recht zur außerordentlichen Kündigung unberührt bleibt. Auch in der Insolvenz gelten die allgemein für die außerordentliche Kündigung von Betriebsvereinbarungen maßgeblichen Grundsätze. LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.6.2005 – 12 TaBV 6/04.

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Betriebsänderung in der Insolvenz 496 Sieht man von gewissen Modifikationen durch die §§ 121 – 124 InsO ab, so gelten die §§ 111 – 113 BetrVG grundsätzlich auch im Insolvenzverfahren. 1. Allgemeines zu Interessenausgleich und Sozialplan 497 Gemäß § 111 Satz 1 BetrVG trifft den Unternehmer in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern die Pflicht, den jeweils zuständigen Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und sie mit ihm zu beraten. Die Beratung bezieht sich darauf, ob und wie die Betriebsänderung durchgeführt wird und ob und wie wirtschaftliche Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsänderung entstehen, ausgeglichen oder gemildert werden. Kommt über die Art und Weise der Durchführung der geplanten Betriebsänderung eine Einigung zwischen dem Arbeitgeber und der zuständigen Arbeitnehmervertretung zustande, so spricht das Gesetz vom Interessenausgleich (§ 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Sowohl die Einigung über den Interessenausgleich als auch diejenige über den Sozialplan sind schriftlich niederzulegen und von Unternehmer und Betriebsrat zu unterzeichnen (§ 112 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BetrVG). 498 Wird keine Einigung in schriftlicher Form erreicht, so ist der Unterschied zwischen dem Interessenausgleich und dem Sozialplan für die weitere Gestaltung des Beteiligungsverfahrens von grundlegender Bedeutung. Nach § 112a Abs. 2 BetrVG besteht unter den dort genannten Voraussetzungen keine Sozialplanpflicht (wohl aber eine Verhandlungspflicht); soweit es hingegen um den Interessenausgleich geht, werden die Rechte des Betriebsrates durch § 112a Abs. 2 BetrVG nicht eingeschränkt. Betreffend den Interessenausgleich über die Betriebsänderung hat der Betriebsrat nur ein Mitwirkungsrecht, während er für den Sozialplan ein Mitbestimmungsrecht hat. Mit anderen Worten: Anders als der Sozialplan ist der Interessenausgleich nicht erzwingbar, sodass auch die Einigungsstelle bei ihm nur als vermittelndes Organ tätig werden kann. 114

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Betriebsänderung

a) Unternehmensgröße Die Beteiligungspflicht nach den §§ 111 ff. BetrVG besteht nur in Unter- 499 nehmen mit regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Auf die Betriebsgröße kommt es hingegen insoweit nicht an; sie dient nur als Bezugspunkt für die Frage, ob eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 1 BetrVG vorliegt. Die Berechnung erfolgt nach Kopfzahlen, sodass keine Rolle spielt, ob es sich um Teilzeit- oder Vollzeitarbeitnehmer handelt. b) Existenz eines Betriebsrats Die Beteiligungspflicht besteht nur dann, wenn in dem betreffenden Betrieb 500 ein Betriebsrat in dem Zeitpunkt besteht, in dem sich der Arbeitgeber zur Durchführung der Betriebsänderung entschließt. BAG, Urt. v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, ZIP 1982, 982, AP Nr. 15 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urt. v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, ZIP 1993, 289 = AP Nr. 63 zu § 112 BetrVG 1972, dazu EWiR 1993, 335 (Schaub).

Wird ein Betriebsrat erst nach dem Entschluss des Arbeitgebers zu einer Be- 501 triebsänderung oder während deren Durchführung gewählt, so kann er nicht mehr die Verhandlung über einen Interessenausgleich oder die Aufstellung eines Sozialplans verlangen. BAG, Urt. v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, ZIP 1993, 289, AP Nr. 63 zu § 112 BetrVG 1972; vgl. aber auch BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235, 236.

Dies gilt selbst dann, wenn dem Arbeitgeber im Zeitpunkt seines Entschlusses 502 bekannt war, dass im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden soll. Auch ist der Unternehmer in solchen Fällen nicht verpflichtet, mit der Betriebsänderung zu warten, bis sich ein Betriebsrat konstituiert hat. Die von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer haben in diesen Fällen auch keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG. Hingegen ist der Betriebsrat nach §§ 111 f. BetrVG zu beteiligen, wenn er noch während des Planungsstadiums gewählt wird. Auch wenn im Betrieb kein Betriebsrat besteht, kann sich allerdings ein Beteiligungsrecht des Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrats gemäß § 54 Abs. 1 Hs. 2 bzw. § 58 Abs. 1 Hs. 2 BetrVG ergeben. c) Die geplante Betriebsänderung Der Betriebsrat ist nach § 111 Satz 1 BetrVG an geplanten Betriebsänderungen, 503 die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, zu beteiligen. Das Gesetz gibt keine Begriffsbestimmung der Betriebsänderung, umschreibt aber in § 111 Satz 3 BetrVG, was als Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 1 BetrVG anzusehen ist. Daraus ist zu entnehmen, dass eine geplante Maßnahme des Unternehmers nur beteiligungspflichtig ist, wenn durch sie entweder die organisatorische Einheit 115

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

des Betriebs, die Betriebsmittel, der Betriebszweck oder die in der Belegschaft zusammengefassten Arbeitnehmer eine Änderung in quantitativer und qualitativer Hinsicht erfahren würden. Es muss sich also um eine wesentliche Änderung der Gestaltung des Betriebs handeln. Die in jedem Betrieb ständig sich ergebenden Änderungen und Umgestaltungen werden nicht erfasst. Sie fallen in den mitbestimmungsfreien Bereich der laufenden Geschäftsführung. Zur Feststellung der Wesentlichkeit der geplanten Maßnahme i. S. d. § 111 BetrVG kann als „Richtschnur“ auf das Überschreiten der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG abgestellt werden. 504 Keiner besonderen Prüfung der Wesentlichkeit der Betriebsänderung bedürfe es nach Ansicht des BAG allerdings in Fällen einer Betriebsspaltung i. S. v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG, da der Gesetzeswortlaut insoweit keine weiteren Anforderungen stelle. Erforderlich sei lediglich, dass die – vom BAG nicht näher bestimmte – „Bagatellgrenze“ überschritten werde. BAG, Urt. v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, ZIP 2008, 1444, dazu EWiR 2008, 549 (Urban).

505 Die unterschiedliche Behandlung von Betriebsteilstilllegung und Betriebsspaltung ist nach Ansicht des BAG „mit keinem unauflösbaren Wertungswiderspruch verbunden. Ihr liegt vielmehr die typisierende gesetzgeberische Einschätzung zugrunde, eine Spaltung betreffe anders als eine Teilstilllegung nicht nur den stillgelegten Teil, sondern den gesamten Betrieb.“ BAG, Urt. v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, ZIP 2008, 1444, 1445.

506 Die vom BAG getroffene Unterscheidung zwischen Betriebsteilstilllegung und Betriebsspaltung ist evident unzutreffend. Richtig ist es allein, für die Bestimmung der Wesentlichkeit einer Betriebsteilstilllegung und einer Betriebsspaltung denselben Maßstab anzulegen. Siehe dazu näher Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rn. 102 f.

d) Die Beteiligungspflicht 507 Gemäß § 111 Satz 1 BetrVG hat der Unternehmer den Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die Betriebsänderung mit dem Betriebsrat zu beraten (dazu kann ggf. auch die Anrufung der Einigungsstelle erforderlich sein, vgl. Rn. 516). Dem Kriterium der Rechtzeitigkeit ist nur genügt, wenn der Betriebsrat beteiligt wird, bevor der Unternehmer mit der Verwirklichung des von ihm verfolgten Plans beginnt. Das Beteiligungsverfahren muss also in einem Zeitraum abgewickelt werden, in dem der Plan noch nicht, und zwar auch noch nicht teilweise, verwirklicht ist. BAG, Urt. v. 14.9.1976 – 1 AZR 784/75, AP Nr. 2 zu § 113 BetrVG 1972.

116

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Betriebsänderung

Andererseits besteht die Pflicht zur Unterrichtung erst, wenn der Unter- 508 nehmer eine Betriebsänderung plant. Der Betriebsrat muss deshalb noch nicht in die Vorüberlegungen eingeschaltet werden, aus denen sich möglicherweise der Plan zu einer Betriebsänderung ergibt. Dieser Bereich gehört vielmehr ausschließlich zu den unternehmerischen Vorüberlegungen, die von der betrieblichen Mitbestimmung nur insoweit erfasst wird, als der Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG ein Beratungsrecht hat. Zur Markierung der zeitlichen Grenze zwischen Vorüberlegungen und Planung hat man die Formel aufgestellt, dass die Planung schon zu einer gewissen Reife gediehen sein muss, der Unternehmer also im Prinzip entschlossen ist, eine bestimmte Betriebsänderung durchzuführen. Vgl. näher Richardi-Annuß, BetrVG, § 111 Rn. 145.

Eine besondere Form sieht das Gesetz weder für die Unterrichtung des Be- 509 triebsrats noch für die Beratung mit diesem vor, sodass beides auch mündlich erfolgen kann. Die Unterrichtung nach § 111 Satz 1 BetrVG muss umfassend sein. Sie muss 510 daher nicht nur den Umfang der Maßnahmen und deren Gründe, sondern auch die zu erwartenden Auswirkungen auf die Belegschaft erkennen lassen, weil es sonst dem Betriebsrat nicht möglich ist, zu der geplanten Betriebsänderung Stellung zu nehmen und darüber zu entscheiden, wie ein Interessenausgleich herbeigeführt werden kann und ob ein Sozialplan aufgestellt werden soll. Dabei sind dem Betriebsrat nach der allgemeinen Vorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Pflichten aus den §§ 111 f. BetrVG erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Notwendigkeit der Geheimhaltung ist nach überwiegender Auffassung kein Grund für eine Einschränkung der Unterrichtungspflicht. § 106 Abs. 2 BetrVG ist insoweit nicht entsprechend anwendbar. BAG, Urt. v. 20.11.1970 – 1 AZR 409/69, AP Nr. 8 zu § 72 BetrVG.

Die Verletzung des Beteiligungsrechts durch den Unternehmer führt nicht 511 dazu, dass die von ihm durchgeführte Maßnahme unwirksam ist. Werden infolge der Maßnahme aber Arbeitnehmer entlassen oder erleiden sie andere wirtschaftliche Nachteile, so haben sie nach § 113 Abs. 3 BetrVG Anspruch auf Nachteilsausgleich. Wird der Nachteilsausgleichsanspruch durch Handlungen des Insolvenzverwalters ausgelöst, so handelt es sich um Masseverbindlichkeiten. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235 = AP Nr. 162 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urt. v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, ZIP 2004, 1323 = AP Nr. 168 zu § 112 BetrVG 1972, dazu EWiR 2004, 815 (Bork).

Unabhängig davon hat der Betriebsrat bis zur Vornahme der Betriebsände- 512 rung einen Unterrichtungsanspruch, den er ggf. auch im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend machen kann. Außerdem hat der Betriebsrat 117

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

auch dann, wenn der Unternehmer ihn nicht vor der geplanten Betriebsänderung unterrichtet, sondern diese ohne seine Beteiligung durchführt, das Mitbestimmungsrecht auf Aufstellung eines Sozialplans, das auch noch nach Realisierung der Betriebsänderung ausgeübt werden kann. 513 Das Gesetz regelt nicht ausdrücklich, ob der Betriebsrat gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Unterlassung einer Betriebsänderung hat, bis das Beteiligungsverfahren abgeschlossen ist (was im Falle der Nichteinigung erst bei Scheitern der Verhandlungen in der Einigungsstelle der Fall ist, vgl. Rn. 516). Eine abschließende Entscheidung dieser Frage durch das BAG steht bislang aus, weil der Unterlassungsanspruch in der Praxis immer im – auf zwei Instanzen begrenzten (§ 85 Abs. 2, § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG) – einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht wird. Die Instanzrechtsprechung ist gespalten. Während teilweise ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Unterlassungsanspruch anerkannt wird, LAG Berlin 7.9.1995 – 10 TaBV 5/95 u. a., LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 13; LAG Berlin-Brandenburg 12.12.2013 – 17 TaBVGa 2058/13 (differenzierend 19.6.2014 – 7 TaBVGa 1219/14). LAG Frankfurt 21.9.1982 – 4 TaBV Ga 94/82, DB 1983, 613, allerdings jeweils mit zeitlicher Begrenzung; LAG Hamm 23.3.1983 – 12 TaBV 15/83, AuR 1984, 54; 28.8.2003 – 13 TaBV 127/03, NZA-RR 2004, 80, AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 165; 17.2.2015 – 7 TaBVGa 1/15. LAG Thüringen 26.9.2000 – 1 TaBV 14/2000, LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 17; LAG Hamburg 20.9.2002 – 6 Sa 95/01, (n. v.); LAG Niedersachen, Urt. v. 4.5.2007 – 17 TaBVGa 57/07 (n. v.); LAG München, Urt. v. 22.12.2008 – 6 TaBVGa 6/08, BB 2010, 896, 897, AuR 2009, 142.

lehnt die wohl überwiegende Auffassung einen solchen Unterlassungsanspruch ab. LAG Baden-Württemberg 28.8.1985 – 2 TaBV 8/85, DB 1986, 805 f.; LAG Düsseldorf 19.11.1996 – 8 TaBV 80/96, LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 14; 14.12.2005 – 12 TaBV 60/05 (n. v.); LAG Köln 1.9.1995 – 13 Ta 223/95, Hinweis in BB 1995, 2115; 30.3.2006 – 2 TaBV 145/06 (n. v.); LAG Köln 27.8.2014 – 4 TaBVGa 4/14; LAG München 3.4.2003 – 2 TaBV 19/03; LAG Niedersachsen 29.11.2002 – 12 TaBV 111/02, BB 2003, 1337; LAG Nürnberg 9.3.2009 – 6 TaBVGa 2/09; LAG Rheinland-Pfalz 28.3.1989 – 3 TaBV 6/89, LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 10; LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 30.11.2004 – 11 TaBV 18/04; LAG Schleswig-Holstein 7.5.2001 – 7 TaBV 1028/00, (n. v.).

118

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Betriebsänderung

2. Der Interessenausgleich Den Interessenausgleich bilden Regelungen darüber, ob, wann und in welcher 514 Form die vom Unternehmer geplante Betriebsänderung durchgeführt werden soll. Durch sie soll das Interesse des Unternehmers an der Durchführung der Betriebsänderung mit dem Interesse der Arbeitnehmer an der Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile ausgeglichen werden, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung zu entstehen drohen. Der Interessenausgleich kann sich auch aus mehreren Teileinigungen zusammensetzen, was sich als Gestaltungsalternative insbesondere bei umfangreichen oder einen längeren Zeitraum beanspruchenden Betriebsänderungen anbieten kann. BAG, Urt. v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, BAGE 76, 255 = ZIP 1994, 1466 = AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 1972, dazu EWiR 1994, 1163 (v. Hoyningen-Huene).

Der Interessenausgleich kann in der Zustimmung des Betriebsrats zu der 515 vom Unternehmer geplanten Betriebsänderung bestehen. Für den Regelfall wird es aber darum gehen, dass die vom Unternehmer vorgesehene Maßnahme modifiziert wird. Der Interessenausgleich kann beispielsweise darin liegen, dass der Unternehmer nicht eine Stilllegung, sondern lediglich eine Einschränkung des Betriebs vornimmt oder den Betriebszweck ändert. Der Interessenausgleich kann nur freiwillig zustande kommen. Zwar kann 516 der Unternehmer oder Betriebsrat, wenn es zu keiner Einigung kommt, den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen (§ 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Geschieht dies nicht (vgl. § 121 InsO) oder bleibt der Vermittlungsversuch ergebnislos, so kann weiterhin jeder Teil die Einigungsstelle anrufen, um die Meinungsverschiedenheit über den Interessenausgleich beizulegen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die Einigungsstelle hat eine Einigung zwischen dem Unternehmer und dem Betriebsrat aber nur zu versuchen (§ 112 Abs. 3 Satz 2 BetrVG); sie kann aber nicht einen bindenden Einigungsvorschlag machen. In einem Sozialplan, der vor Durchführung einer den Betriebsparteien kon- 517 kret vor Augen stehenden Betriebsänderung vereinbart wird, liegt zugleich ein Interessenausgleich, weil die Betriebsparteien sich darin einig sind, die Maßnahme so durchzuführen, wie sie bei der Aufstellung des Sozialplans vorausgesetzt wird. BAG, Urt. v. 20.4.1994 – 10 AZR 186/93, ZIP 1994, 1466 = AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 1972.

Das gilt aber nicht für einen Sozialplan, der vorsorglich für noch nicht kon- 518 kret geplante künftige Betriebsänderungen vereinbart wird. BAG, Urt. v. 29.11.1983 – 1 AZR 523/82, AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972.

Weicht der Unternehmer ohne zwingenden Grund von einem vereinbarten 519 Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ab oder führt er eine 119

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

Betriebsänderung ohne den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat durch, so ordnet § 113 BetrVG – ebenso wie im Fall der generellen Missachtung des Beteiligungsrechts – die Pflicht zum Nachteilsausgleich an. Sind solche Nachteilsausgleichsansprüche auf ein Verhalten des Insolvenzverwalters zurückzuführen, so handelt es sich um „echte“ Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, für die der Insolvenzverwalter nach § 60 InsO persönlich einstandspflichtig sein kann. BAG, Urt. v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235 = AP Nr. 162 zu § 112 BetrVG 1972.

520 Begründet ein Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 BetrVG, handelt es sich um Neumasseverbindlichkeiten i. S. d. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. BAG, Urt. v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, ZIP 2006, 1510, 1511, dazu EWiR 2007, 213 (Henkel).

3. Der Sozialplan 521 Der Sozialplan ist nach der Legaldefinition des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Im Gegensatz zum Interessenausgleich ist, soweit § 112a BetrVG nichts anderes ergibt, die Aufstellung des Sozialplans im Mitbestimmungsverfahren erzwingbar. Im Sozialplan brauchen nur die wirtschaftlichen, nicht auch die sonstigen Nachteile, die ein Arbeitnehmer wegen einer Betriebsänderung erleidet, ausgeglichen oder gemildert zu werden. Immaterielle Beeinträchtigungen gehören daher nicht zum Regelungsgegenstand eines erzwingbaren Sozialplans. Wirtschaftliche Vorteile, die einem Arbeitnehmer infolge einer Betriebsänderung entstehen, sind bei der Bestimmung des Nachteils zu berücksichtigen, sofern sie durch dieselbe Maßnahme ursächlich bedingt sind und miteinander in einem adäquaten Zusammenhang stehen. 522 Wirtschaftliche Nachteile sind nicht nur Entlassungen, sondern auch andere wirtschaftliche Nachteile, wobei nicht erforderlich ist, dass es sich um wesentliche Nachteile handelt. Die Entstehung des Nachteils muss durch die geplante Betriebsänderung verursacht werden. Nicht zu den wirtschaftlichen Nachteilen „infolge der geplanten Betriebsänderung“, für die im Sozialplan ein Ausgleich oder eine Milderung erzwungen werden kann, gehören die nur an einen Wechsel des Rechtsträgers und damit nicht an die Veränderungen auf Betriebsebene anknüpfenden Folgen, wie beispielsweise eine Verringerung der Haftungsmasse beim Betriebserwerber oder dessen befristete Befreiung von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 BetrVG. BAG, Beschl. v. 25.1.2000 – 1 ABR 1/99, ZIP 2000, 2039 = AP Nr. 137 zu § 112 BetrVG 1972, dazu EWiR 2001, 251 (Tiesler); BAG, Urt. v. 18.3.2008 – 1 ABR 77/06, ZIP 2008, 1444.

120

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Betriebsänderung

Soweit die Betriebspartner sich über den Inhalt des Sozialplans nicht einigen 523 können, entscheidet die Einigungsstelle darüber, ob und welche wirtschaftlichen Nachteile in welcher Form ausgeglichen oder gemildert werden sollen. Abgesehen von den durch § 112 Abs. 1 BetrVG der Erzwingbarkeit gezogenen Grenzen zieht § 112 Abs. 5 BetrVG der Einigungsstelle zusätzlich Ermessensgrenzen. Die Einigungsstelle hat bei der Aufstellung des Sozialplans, wie in § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ausdrücklich bestimmt wird, sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen, als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten. Von besonderer Bedeutung kann im Einzelfall die Bestimmung des § 112a 524 BetrVG sein. Danach besteht in Fällen, in denen sich eine Betriebsänderung im Personalabbau erschöpft und keine darüber hinausgehenden strukturellen Veränderungen der Betriebsorganisation vorgenommen werden, eine Sozialplanpflicht nur, wenn die in § 112a Abs. 1 BetrVG niedergelegten Schwellenwerte überschritten werden. Darüber hinaus ist das Sozialplanprivileg des § 112a Abs. 2 BetrVG zu beachten, wonach die §§ 112 Abs. 4 und 5 BetrVG keine Anwendung finden auf Betriebe eines Unternehmens in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung, sodass während dieser Zeit ein Sozialplan dort nicht erzwingbar ist. Maßgebend für das Sozialplanprivileg ist ausschließlich das Alter des Unternehmens, nicht das Alter des Betriebs. BAG, Beschl. v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, ZIP 1995, 1111 = AP Nr. 8 zu § 112a BetrVG 1972; dazu EWiR 1995, 741 (Däubler); BAG, Urt. v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, ZIP 2007, 39.

Das Sozialplanprivileg gilt daher auch, wenn das neu gegründete Unternehmen 525 einen Betrieb übernimmt, der selbst länger als vier Jahre besteht. BAG, Beschl. v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, ZIP 1995, 1111 = AP Nr. 8 zu § 112a BetrVG 1972; BAG, Beschl. v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, ZIP 1997, 1388 = AP Nr. 110 zu § 112 BetrVG 1972; dazu EWiR 1997, 773 (Plander) BAG, Urt. v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, ZIP 2007, 39, 40.

Allerdings soll – diese Alternative erlangt bei Transaktionen aus der Insol- 526 venz heraus keine praktische Bedeutung – ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in Betracht kommen, wenn der Betrieb nur zum Zwecke der Stilllegung auf ein neu gegründetes Unternehmen übertragen wird. BAG, Beschl. v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, ZIP 1997, 1388 = AP Nr. 110 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urt. v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, ZIP 2007, 39, 43.

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D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

4. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für Interessenausgleich und Sozialplan a) Allgemeines zur Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats 527 Das BetrVerf-Reformgesetz hat durch die Anfügung des § 50 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BetrVG klargestellt, dass sich die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats auch auf Betriebe ohne Betriebsrat erstreckt. Nicht zuletzt deshalb ist die Abgrenzung der originären Zuständigkeit von der Auftragszuständigkeit gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG unverzichtbar. Klare Vorgaben enthält das Gesetz hierzu nicht. Das BAG hat zu der in ständiger Rechtsprechung praktizierten Formel gefunden, dass ein Fall des § 50 Abs. 1 BetrVG nur dann gegeben ist, „wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, die nicht auf den Betrieb beschränkt ist und deshalb eine betriebsübergreifende Regelung zwingend erforderlich macht“. BAG, Beschl. v. 15.1.2002 – 1 ABR 10/01, ZIP 2002, 1265 = AP Nr. 23 zu § 50 BetrVG 1972, dazu EWiR 2003, 3 (A. Wolff); vgl. ansonsten nur BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498 = AP Nr. 22 zu § 50 BetrVG 1972, dazu EWiR 2002, 743 (Ehrich).

528 Hingegen könne die „Zweckmäßigkeit einer unternehmenseinheitlichen Regelung […] ebenso wenig wie ein Kosteninteresse des Arbeitgebers in den Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats begründen“. BAG, Beschl. v. 15.1.2002 – 1 ABR 10/01, ZIP 2002, 1265 = AP Nr. 23 zu § 50 BetrVG 1972.

529 Ein zwingendes Erfordernis in diesem Sinne bestehe allerdings nicht erst dann, wenn eine Regelung auf einzelbetrieblicher Ebene denkgesetzlich unmöglich ist (objektive Unmöglichkeit), BAG, Beschl. v. 23.9.1975 – 1 ABR 122/73, AP Nr. 1 zu § 50 BetrVG 1972,

sondern es genüge auch eine in wertender Betrachtung zu ermittelnde „subjektive Unmöglichkeit“. Vgl. nur BAG, Beschl. v. 18.10.1994 – 1 ABR 17/94, BB 1997, 206 = DB 1997, 380 = AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung: „Subjektiv unmöglich ist den Einzelbetriebsräten beispielsweise eine Regelung freiwilliger Leistungen dann, wenn der Arbeitgeber deren Zweck so definiert, daß dieser nur mit einer überbetrieblichen Regelung erreichbar ist“. Ebenso BAG, Urt. v. 26.4.2005 – 1 AZR 76/04, NZA 2005, 892, 893.

530 Obgleich der damit eröffnete weite Wertungsspielraum auf vielfache Kritik gestoßen ist, siehe die Darstellung bei Richardi-Annuß, BetrVG, § 50 Rn. 7 ff.,

122

II. Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Betriebsänderung

kommt die Praxis an der Rechtsprechung des BAG bis auf Weiteres nicht vorbei. b) Die Zuständigkeitsabgrenzung bei Interessenausgleich und Sozialplan In einigen neueren Entscheidungen hat das BAG grundlegende Aussagen zur 531 Zuständigkeitsabgrenzung im Bereich von Interessenausgleich und Sozialplan getroffen. Ausgangspunkt ist für das BAG die Feststellung, dass die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats im Hinblick auf Interessenausgleich und Sozialplan jeweils gesondert zu beurteilen sei: Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung über den Interessenausgleich folge „nicht automatisch dessen Zuständigkeit auch für den Abschluss des Sozialplans. Vielmehr muss auch insoweit ein zwingendes Bedürfnis nach einer betriebsübergreifenden Regelung bestehen“. BAG, Beschl. v. 23.10.2002 – 7 ABR 55/01, ZIP 2003, 1514 = AP Nr. 26 zu § 50 BetrVG 1972.

Für den Interessenausgleich sei der Gesamtbetriebsrat zuständig, wenn sich 532 die geplante Maßnahme auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt. BAG, Beschl. v. 23.10.2002 – 7 ABR 55/01, ZIP 2003, 1514 = AP Nr. 26 zu § 50 BetrVG 1972; BAG, Urt. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596, 1598; BAG, Urt. v. 2.8.2006 – 10 AZR 572/05, NZA 2007, 55.

Allerdings begründe ein etwaiger wirtschaftlicher Zwang zur Unternehmens- 533 sanierung für sich noch keinen überbetrieblichen Regelungsbedarf. Denn das BetrVG enthalte „keinen allgemeinen Mitbestimmungstatbestand der Unternehmenssanierung, aufgrund dessen der Gesamtbetriebsrat allgemein zur Abschaffung der die Arbeitnehmer begünstigenden betrieblichen Vereinbarungen zuständig sein könnte.“ BAG, Beschl. v. 15.1.2002 – 1 ABR 10/01, ZIP 2002, 1265 = AP Nr. 23 zu § 50 BetrVG 1972.

Entscheidend sei vielmehr, durch welche betrieblichen Maßnahmen dem Sa- 534 nierungsbedarf Rechnung getragen werde. Ob ein betriebsübergreifender Regelungsbedarf in diesem Sinne bestehe, bestimme sich „nicht nach dem Inhalt des erst auszuhandelnden Interessenausgleichs, sondern nach der vom Arbeitgeber geplanten Maßnahme. Liegt ihr ein unternehmenseinheitliches Konzept zugrunde, ist der Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren“. BAG, Urt. v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, ZIP 2002, 1498 = AP Nr. 22 zu § 50 BetrVG 1972, dazu EWiR 2002, 743 (Ehrich).

Hingegen sei die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss 535 des Sozialplans nicht nach den ursprünglichen Planungen des Arbeitgebers,

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D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

sondern danach zu beurteilen, ob die mit der geplanten Betriebsänderung für die Arbeitnehmer verbundenen Nachteile unternehmenseinheitlich oder betriebsbezogen auszugleichen sind. BAG, Beschl. v. 23.10.2002 – 7 ABR 55/01, ZIP 2002, 1514 = AP Nr. 26 zu § 50 BetrVG 1972.

536 Wörtlich führt das BAG insoweit aus: „Daher ist auch in Fällen, in denen der Gesamtbetriebsrat für die Verhandlungen und eine Einigung über einen Interessenausgleich zuständig ist, stets gesondert zu prüfen, ob die Regelung des Ausgleichs oder der Milderung der durch die Betriebsänderungen entstehenden Nachteile ebenfalls zwingend unternehmenseinheitlich oder betriebsübergreifend erfolgen muss. Hierfür ist allein der Umstand, dass die für den Sozialplan erforderlichen Mittel von ein und demselben Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen sind, nicht ausreichend. Nach der Konzeption der Betriebsverfassung hat der Unternehmer die Kosten der betrieblichen Mitbestimmung zu tragen, Mittel, die er für den einen Betrieb aufzuwenden hat, „fehlen“ damit stets in anderen Betrieben. Gleichwohl begründet die Kostenwirksamkeit von bestimmten Regelungen allein nicht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Dieser ist allerdings dann zuständig, wenn ein mit dem Arbeitgeber im Rahmen eines Interessenausgleichs vereinbartes, das gesamte Unternehmen betreffendes Sanierungskonzept nur auf der Grundlage eines bestimmten, auf das gesamte Unternehmen bezogenen Sozialplanvolumens realisiert werden kann.“ BAG, Urt. v. 3.5.2006 – 1 ABR 15/05, ZIP 2006, 1596 = NZA 2007, 1245, 1248.

III. Insolvenzspezifische Erleichterungen bei der Durchführung von Betriebsänderungen gemäß §§ 121, 122 InsO 1. Allgemeines 537 Die mit der Notwendigkeit, einen Interessenausgleich i. S. d. § 112 BetrVG „zu versuchen“, bevor mit der Betriebsänderung begonnen wird, verbundene – teils mehrmonatige – Verzögerung kann im Insolvenzverfahren zu besonderen Schäden führen. Deshalb halten die §§ 121, 122 InsO gewisse Beschleunigungsmöglichkeiten bereit. Eine nur geringe Erleichterung bringt § 121 InsO, wonach ein Vermittlungsversuch durch die Bundesagentur für Arbeit allein dann stattfinden kann, wenn Insolvenzverwalter und Betriebsrat das übereinstimmend beantragen. Im Gegensatz dazu enthält § 122 InsO eine theoretisch wichtige Beschleunigungsmöglichkeit, deren unmittelbare praktische Bedeutung allerdings nicht besonders groß ist. Fälle, in denen die Praxis von § 122 InsO Gebrauch gemacht hat, sind bislang kaum bekannt geworden. § 122 InsO steht selbstständig neben § 158 Abs. 2 InsO und findet nur im eröffneten Insolvenzverfahren Anwendung.

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III. Insolvenzspezifische Erleichterungen bei der Betriebsänderungen

2. Das Verfahren nach § 122 InsO a) Verfahrensvoraussetzungen Der Insolvenzverwalter kann die Zustimmung des Arbeitsgerichts zur ge- 538 planten Betriebsänderung nur beantragen, wenn innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen kein Interessenausgleich nach § 112 Abs. 2 BetrVG zustande gekommen ist, obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat. Hierbei handelt es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung des Verfahrens nach § 122 InsO, sodass die Frist erst im Zeitpunkt der letzten Anhörung abgelaufen zu sein braucht. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1895, dazu EWiR 1999, 1131 (Moll); Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 15, 35.

Mit dem Erfordernis der rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung 539 knüpft das Gesetz grundsätzlich an § 111 BetrVG an. ArbG Berlin, Beschl. v. 26.3.1998 – 2 BV 5735/98, DZWIR 1999, 242, 243; ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1895.

Für die Rechtzeitigkeit muss es aber genügen, wenn die Information des Be- 540 triebsrats zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die Durchführung eines Interessenausgleichsverfahrens vor einer tatsächlichen Umsetzung der geplanten Betriebsänderung noch möglich ist. So bereits Annuß, NZI 1999, 344, 346; Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 122 Rn. 10 ff.

Die Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Werden die Verhand- 541 lungen ohne vorherige ausreichende Unterrichtung aufgenommen, beginnt die Dreiwochenfrist erst mit der späteren vollständigen Information. Häufig wird unter Berufung auf die Rechtsprechung des BAG zu § 99 BetrVG auch bei § 122 InsO davon ausgegangen, dass den Betriebsrat nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit die Obliegenheit treffe, eine aus seiner Sicht unvollständige Unterrichtung unverzüglich zu rügen und die angeblich fehlenden Informationsgegenstände zu benennen. Die Verletzung dieser Rügeobliegenheit führe dazu, dass die Dreiwochenfrist ohne Weiteres bei Verhandlungsaufnahme bzw. mit Zugang der Aufforderung zur Verhandlungsaufnahme zu laufen beginne. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1895; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 134; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 20, 22.

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D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

542 Dies begegnet gewissen Zweifeln. Denn bei § 122 InsO handelt es sich – anders als bei § 99 BetrVG – um eine objektive Verfahrensvoraussetzung. Es liegt daher nahe, dass die Dreiwochenfrist in jedem Fall nur dann zu laufen beginnt, wenn der Betriebsrat tatsächlich ausreichend unterrichtet worden ist. So im Ergebnis auch ArbG Gelsenkirchen, Urt. v. 17.5.2006 – 2 BV 15/06.

543 Der Verhandlungsbeginn oder die schriftliche Aufforderung genügt als solche jeweils nicht, um § 122 Abs. 1 InsO Rechnung zu tragen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat innerhalb der Frist ernsthaft verhandelt, sofern dieser dazu bereit ist. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1895; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 25.

544 Die Verhandlungsaufforderung kann mit der umfassenden Unterrichtung verbunden werden. 545 Dem Schriftformerfordernis kommt angesichts seiner Formalisierungsfunktion konstitutive Bedeutung zu. A. A. Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 122 Rn. 13; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 136.

546 Damit ist allerdings noch nichts darüber gesagt, ob an die Schriftform i. S. d. § 122 InsO die strengen Anforderungen des § 126 BGB (bzw. § 126a BGB) zu stellen sind, so Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 28,

oder ob der Begriff hier eigenständig zu interpretieren ist. 547 Nach überwiegender Ansicht ist entgegen dem in eine andere Richtung weisenden Wortlaut des § 122 Abs. 1 InsO nicht erforderlich, dass die Unterrichtung des Betriebsrats oder die Aufforderung zu Verhandlungen bzw. der Verhandlungsbeginn nach Insolvenzeröffnung liegt. Dies gilt auch, soweit es um den Beginn der Dreiwochenfrist geht. Der Insolvenzverwalter kann sich deshalb auch auf eine noch vom späteren Insolvenzschuldner oder vom vorläufigen Insolvenzverwalter vorgenommene, zum Fristanlauf führende Information und Verhandlungsaufforderung berufen. Berscheid, InVo 1997, 309, 310; Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 122 Rn. 15; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 27; a. A. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 122 InsO Rn. 5; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 136.

548 Der Ablauf der Frist richtet sich nach § 188 Abs. 2 BGB.

126

III. Insolvenzspezifische Erleichterungen bei der Betriebsänderungen

b) Materielle Zustimmungsvoraussetzungen Ist der Antrag an das Arbeitsgericht zulässig, so erteilt es im Wege einer 549 Gestaltungsentscheidung die Zustimmung zur Durchführung der im Antrag genau bezeichneten Betriebsänderung, wenn „die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer“ eine Durchführung der Betriebsänderung ohne vollständiges Durchlaufen des Interessenausgleichsverfahrens erfordert. Streitgegenstand ist dabei nicht die geplante Betriebsänderung als solche, sondern ihre Eilbedürftigkeit. Siehe die Nachweise bei Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 137.

§ 122 Abs. 2 InsO gibt eine zweistufige Prüfung vor. Zunächst ist auf die 550 wirtschaftliche Lage des Unternehmens abzustellen, bevor in einem zweiten Schritt die sozialen Belange der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Der Begriff der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, es geht also nicht um die wirtschaftliche Lage des Betriebs; zutreffend betonen dies Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 137,

ist dabei im Hinblick auf die Besonderheiten der Insolvenz zu interpretieren. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 41 f.

Jedenfalls, soweit es um die Zerschlagung und Liquidation des Unternehmens 551 geht, besteht Einigkeit darüber, dass die auf den Erhalt der Insolvenzmasse gerichteten Interessen der Gläubiger ausschlaggebend sind. Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 42; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 137; zur Frage, ob in Fortführungsfällen ein großzügiger Maßstab anzulegen ist Annuß, NZI 1999, 344, 347.

Wirtschaftlich geboten ist eine Betriebsänderung daher grundsätzlich dann, 552 wenn sie dazu dient, die Entstehung von weiteren, im Verhältnis zur Gesamtmasse nicht unerheblichen Verlusten zu vermeiden oder zu minimieren. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1896; weitere Nachweise bei Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 137 Fn. 48.

Das kann insbesondere der Fall sein, soweit der Betrieb nicht produktiv ge- 553 nug ist, seine laufenden Kosten zu decken. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1896.

Gleiches gilt, wenn die Betriebsänderung Voraussetzung für die Wahrneh- 554 mung von Veräußerungschancen ist. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 122 InsO Rn. 6.

127

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

555 Macht es die wirtschaftliche Lage des Unternehmens an sich erforderlich, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird, so ist auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob die sozialen Belange der Arbeitnehmer etwas anderes gebieten. Entscheidend ist insoweit, ob die Arbeitnehmerbelange durch die Einhaltung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG qualitativ besser gewahrt, mithin sozialverträglichere Lösungen erzielt werden können. Das bloße Interesse an einer Verzögerung der Betriebsänderung ist nicht zu berücksichtigen. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1896; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 47; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 138.

556 Dabei ist davon auszugehen, dass die Arbeitnehmerbelange nur in extremen Ausnahmefällen überwiegen können. Caspers, Rn. 415: „Dem Merkmal 'soziale Belange der Arbeitnehmer' kommt letztlich nur die Funktion zu, Mißbräuchen durch die Insolvenzverwalter vorzubeugen“.

557 Im Verfahren hat der Betriebsrat die sozialen Belange der Arbeitnehmer unter Darstellung möglicher Alternativkonzepte substantiiert vorzutragen. ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1896.

c) Das arbeitsgerichtliche Verfahren 558 Liegen die formalen und materiellen Voraussetzungen des § 122 Abs. 1 und 2 InsO vor, so erteilt das Arbeitsgericht die Zustimmung zur Betriebsänderung. Sind die Voraussetzungen des § 122 Abs. 2 InsO nicht insgesamt gegeben und ist eine Aufspaltung der Betriebsänderung möglich, so kann die Zustimmung auf die Durchführung eines Teils der geplanten Betriebsänderung beschränkt werden. 559 Beteiligte des Verfahrens sind nach § 122 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 InsO nur der Insolvenzverwalter sowie der Betriebsrat, nicht hingegen die von der geplanten Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Insoweit besteht also eine Abweichung zu § 126 InsO.

560 Wird der Antrag abgewiesen, so hat der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich unter Beachtung der allgemeinen Anforderungen des § 112 Abs. 2 BetrVG zu versuchen, wenn er Ansprüche der Arbeitnehmer nach § 113 Abs. 3 BetrVG vermeiden will. Deshalb empfiehlt es sich, das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG vorsorglich neben dem Antrag nach § 121 InsO zu betreiben. 561 Die Vorschriften über das Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG) gelten gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 InsO entsprechend, sodass insbesondere der

128

III. Insolvenzspezifische Erleichterungen bei der Betriebsänderungen

in § 83 ArbGG verankerte Untersuchungsgrundsatz zu beachten ist. Auch dies zwingt aber nicht zu einer umfassenden Tatsachenermittlung durch das Gericht. Vielmehr ist sie nur insoweit erforderlich, als das Gericht nach dem ihm bekannten Sachverhalt und dem Vorbringen der Beteiligten Anhaltspunkte dafür hat, dass weitere Aufklärung erforderlich ist. Siehe nur ArbG Lingen, Beschl. v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892, 1896.

§ 122 Abs. 3 InsO zeigt, dass für das Zustimmungsverfahren grundsätzlich 562 nur eine Instanz vorgesehen und gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts daher im Regelfall kein Rechtsmittel gegeben ist. Nur ausnahmsweise findet die Rechtsbeschwerde zum BAG statt, wenn das Arbeitsgericht sie in entsprechender Anwendung des § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen hat. Die Frage der Divergenz ist dabei auf Entscheidungen anderer Arbeitsgerichte zu beziehen. Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 122 InsO Rn. 12; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 59; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 139; a. A. Rummel, DB 1997, 774, 775, unter Berufung auf den Wortlaut.

§ 122 Abs. 3 Satz 3 InsO enthält eine von den allgemeinen Bestimmungen 563 der § 92 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG abweichende Regel über die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde. Gegen die Nichtzulassung durch das ArbG ist eine Beschwerde zum BAG nicht möglich. Vgl. BAG, Beschl. v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, AP Nr. 44 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz = BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071.

Rechtsgestaltende Wirkung entfaltet der Zustimmungsbeschluss erst mit 564 seiner Rechtskraft. Ab diesem Zeitpunkt kann die geplante Betriebsänderung ohne Risiko von Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 Abs. 3 BetrVG durchgeführt werden. Spätestens dann kommt ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats gegen die Durchführung der Betriebsänderung nicht mehr in Betracht (vgl. Rn. 512 f.). Umstritten ist, ob im Verfahren nach § 122 InsO auch der Erlass einer 565 einstweiligen Verfügung möglich ist. Überwiegend wird das bejaht, Annuß, NZI 1999, 344, 347; Caspers, Rn. 421; Giesen, ZIP 1998, 142, 145; Löwisch, RdA 1997, 80, 86; Kübler/Prütting-Moll, InsO, § 122 Rn. 62; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 139; dagegen Däubler, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 122 InsO Rn. 13; Kocher, BB 1998, 213, 215 Fn. 34; Lakies, RdA 1997, 145, 153; Schaub, DB 1999, 217, 226,

129

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

wofür man sich neben der Generalverweisung auf die Vorschriften über das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren auf die im Gesetzgebungsverfahren zu findende ausdrückliche Feststellung stützt, dass „auch im Beschlussverfahren nach § 140 (heute: § 122 InsO) der Erlass einer einstweiligen Verfügung zulässig“ sei. Begr. Rechtsausschuss, BT-Drucks. 12/7302, S. 171.

566 Einigkeit besteht aber darüber, dass sie an strenge Voraussetzungen gebunden ist, da sie zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt. Siehe näher Oetker/Friese, DZWIR 2001, 133, 139.

IV. Sozialplan in der Insolvenz und insolvenznaher Sozialplan 1. Allgemeines 567 Die Insolvenzordnung knüpft mit §§ 123, 124 an das allgemeine Sozialplanrecht des BetrVG an und stellt lediglich besondere Regelungen über die Dotierung und den Rang von in der Insolvenz begründeten Sozialplanansprüchen sowie über die Bestandskraft von insolvenznahen Sozialplänen bereit. Für das Zustandekommen eines Sozialplans gilt daher auch in der Insolvenz § 112 BetrVG. Ein Vermittlungsversuch durch die Bundesagentur für Arbeit findet allerdings gemäß § 121 nur statt, wenn Insolvenzverwalter und Betriebsrat dies übereinstimmend beantragen. Liegen die Voraussetzungen des § 112 BetrVG vor, kann ein Sozialplan auch im Insolvenzverfahren über die Einigungsstelle erzwungen werden. Nicht erforderlich ist, dass Vertreter der Insolvenzgläubiger in die Einigungsstelle berufen werden, da die Berücksichtigung ihrer Interessen bereits durch § 123 InsO gewährleistet ist. BAG, Urt. v. 6.5.1986 – 1 AZR 553/84, ZIP 1986, 1202 = AP Nr. 8 zu § 128 HGB, dazu EWiR 1986, 859 (Balz).

568 Jedoch hat die Einigungsstelle, um sich nicht dem Vorwurf eines Ermessensfehlers auszusetzen, bei bevorstehender Unternehmensliquidation einen vom Gläubigerausschuss entsandten Vertreter zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit des Sozialplans anzuhören. Annuß, NZI 1999, 344, 348; ebenso vor Inkrafttreten des Sozialplankonkursgesetzes Willemsen, S. 26 ff.; a. A. Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 268.

569 Kommt der Sozialplan nicht durch Spruch der Einigungsstelle, sondern durch Einigung der Betriebsparteien zustande, benötigt der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung (§ 160 InsO). 570 Zweifelhaft ist, ob die §§ 123, 124 InsO nur für Sozialpläne i. S. d. § 112 BetrVG gelten, also insbesondere eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG erforderlich ist. Diese Frage erhebt sich unabhängig davon, dass ein Insolvenzverwalter, der bei Nichtvorliegen einer Betriebsänderung einen freiwilligen 130

IV. Sozialplan in der Insolvenz und insolvenznaher Sozialplan

Sozialplan aufstellt, sich angesichts des Gebots der größtmöglichen Gläubigerbefriedigung schadensersatzpflichtig (§ 60 InsO) machen kann. Liegt eine Betriebsänderung vor, kann sich aber etwa auch bei Nichtbestehen der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 BetrVG ein freiwilliger Sozialplan empfehlen, wenn dadurch eine für die Masse insgesamt vorteilhafte Beschleunigung des Interessenausgleichs (§ 113 BetrVG!) herbeigeführt werden kann. Die wohl überwiegende Ansicht hält die §§ 123, 124 InsO auch auf freiwillige Sozialpläne für anwendbar. Hess, Insolvenzarbeitsrecht, § 123 Rn. 11; Kübler/Prütting-Moll, InsO, §§ 123, 124 Rn. 42; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 266; Zwanziger, § 123 InsO Rn. 9; a. A. DKKW/Däubler, Anh. §§ 111 – 113, § 123 InsO Rn. 26.

Folgt man dem, erscheint es nur folgerichtig, wenn ihre Geltung ferner auf 571 freiwillige Sprecherausschussvereinbarungen (siehe §§ 28, 32 SprAuG) mit sozialplanähnlichem Charakter erstreckt wird. Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 268.

Zeitlich sind drei Phasen zu unterscheiden: Ist ein Sozialplan früher als drei 572 Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt worden, bindet er den Insolvenzverwalter nach allgemeinen Grundsätzen. Aus ihm resultierende Ansprüche der Arbeitnehmer sind einfache Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO. Handelt es sich hingegen um einen bis zu drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellten (sog. insolvenznahen) Sozialplan, besteht ein Widerrufsrecht nach § 124 InsO. Nur für nach Insolvenzeröffnung zustande gekommene Sozialpläne gilt die Sonderregelung des § 123 InsO. 2. Sozialplan nach Insolvenzeröffnung Insolvenzsozialpläne haben sowohl die aus § 112 BetrVG resultierenden als 573 auch die in § 123 InsO verankerten Sozialplanschranken zu beachten. Für den vor der Einigungsstelle erzwungenen Sozialplan ergeben sich Sozi- 574 alplaninnenschranken aus § 112 Abs. 5 BetrVG. Eine Modifikation ist allerdings insoweit erforderlich, als in Fällen der Zerschlagung und Liquidation des Unternehmens sowie bei einer übertragenden Sanierung zum Zwecke der anschließenden Liquidation des Insolvenzschuldners nicht die Interessen des Unternehmers, sondern diejenigen der Insolvenzgläubiger in die Abwägung einzustellen sind. Caspers, Rn. 464; Willemsen/Tiesler, Rn. 143; a. A. v. Hoyningen-Huene, RdA 1986, 102, 114; anders auch Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 270, nach denen eine Unterschreitung des in § 123 InsO definierten maximalen Sozialplanvolumens

131

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz „nur dann in Betracht kommt, wenn sich diese Interessen nicht auf das bloße Befriedigungsinteresse beschränken, sondern auf der Fortführung des Unternehmens gründen“.

575 Auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit für das Unternehmen kommt es in der Insolvenz daher nur an, wenn der Abschluss eines Insolvenzplans und die Fortführung des Unternehmensträgers beabsichtigt sind. Ebenso wohl Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 282 ff.

576 Auch bei einem frei vereinbarten Sozialplan ist der Insolvenzverwalter angesichts des Gebots der größtmöglichen Gläubigerbefriedigung grundsätzlich an die Grenzen des § 112 Abs. 5 BetrVG gebunden. Ausnahmen gelten nur, wenn ausnahmsweise durch eine höhere Sozialplandotierung die Masse insgesamt – etwa wegen einer früher möglichen Durchführung der Betriebsänderung – entlastet wird. 577 § 123 InsO enthält zwei Sozialplanaußenschranken. Nach dessen Abs. 1 beträgt das maximale Volumen eines Insolvenzsozialplans zweieinhalb nach § 10 Abs. 3 KSchG zu berechnende Monatsverdienste der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer. Dies gilt nach überwiegender Ansicht – anders als für die relative Sozialplanschranke des § 123 Abs. 2 Satz 3 InsO – auch dann, wenn der Sozialplan im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens errichtet wird, vgl. nur Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 123 Rn. 28 f.

578 Abzustellen ist dabei auf das Einkommen jedes einzelnen entlassenen Arbeitnehmers und nicht etwa auf das Durchschnittseinkommen aller im Betrieb oder Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer. Probleme können sich ergeben, wenn die zu kündigenden Arbeitnehmer oder deren Monatseinkommen im Zeitpunkt der Aufstellung des Sozialplans noch nicht feststehen. Um hier eine Überschreitung des Höchstvolumens zu verhindern, kommt man nicht daran vorbei, im Sozialplan nur die Verteilungsrelation festzulegen. So Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 123 Rn. 18; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 269; siehe auch den abweichenden Lösungsansatz bei Kübler/ Prütting-Moll, InsO, §§ 123, 124 Rn. 68 m. w. N.

579 Von einer Entlassung betroffen sind nicht nur die aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen der Betriebsänderung ausscheidenden Arbeitnehmer. Ihnen stehen solche Arbeitnehmer gleich, die auf Veranlassung des Insolvenzverwalters einen Aufhebungsvertrag abschließen oder selbst kündigen, um einer betriebsbedingten Kündigung zuvorzukommen. Vgl. nur BAG, Urt. v. 19.7.1995 – 10 AZR 885/94, ZIP 1995, 1915 = AP Nr. 96 zu § 112 BetrVG 1972, dazu EWiR 1996, 153 (H. Otto); a. A. Hess, NZA 1985, 205, 206.

132

IV. Sozialplan in der Insolvenz und insolvenznaher Sozialplan

Ist diese Veranlassung durch die Betriebsänderung gegeben, spielt es keine 580 Rolle, wenn die Arbeitnehmer bereits vor der Aufstellung des Sozialplans ausgeschieden sind. Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1391; Kübler/Prütting-Moll, InsO, §§ 123, 124 Rn. 57.

Eine kumulativ zu beachtende relative Sozialplanaußenschranke ergibt sich 581 aus § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO. Werden einzelne Arbeitnehmer rechtswidrig von Sozialplanleistungen aus- 582 geschlossen und klagen sie ihre Rechte ein, so ist zweifelhaft, wie daraus resultierende Zahlungspflichten mit Blick auf die Sozialplanschranken zu berücksichtigen sind. Siehe dazu Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1393; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 272.

Eine Überschreitung der Sozialplaninnenschranken sowie der absoluten So- 583 zialplanaußenschranken führt grundsätzlich zur Gesamtnichtigkeit des Sozialplans, vgl. für die Innenschranken Willemsen, S. 220; Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, Rn. 995; für die absoluten Außenschranken BT-Drucks. 10/2129, S. 7; Boemke/Tietze, DB 1999, 1398, 1392; Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 304; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 271,

weshalb bei Fehlen einer „Nachbesserungsklausel“ ein neuer Sozialplan zu verhandeln ist. Allerdings wird verschiedentlich eine geltungserhaltende Reduktion auf das noch zulässige Maß für möglich gehalten. Sie ist aber jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die Verteilungsgrundsätze nicht erkennbar sind oder durch eine anteilige Kürzung verfälscht würden. Siehe Boemke/Tietze, DB 1999, 1389, 1392; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 271.

Werden die relativen Sozialplanaußenschranken überschritten, ordnet § 123 584 Abs. 2 Satz 3 InsO ausdrücklich eine anteilige Kürzung der Sozialplanleistungen an. Die relative Außenschranke bildet dabei lediglich eine „Verteilungssperre“, sodass der einzelne Arbeitnehmer die Differenz zu dem ihm gemäß Sozialplan zustehenden vollen Anspruch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens weiter verfolgen kann. Bei der Verteilung des Sozialplanvolumens ist die Zweieinhalbmonatsgrenze 585 nicht zu beachten, sodass einzelne Arbeitnehmer durchaus einen höheren Betrag erhalten können. Vgl. Begr. RegE zu § 141 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 154.

Aus dem Gesamtvolumen ist der Ausgleich nicht nur für die entlassenen, 586 sondern auch für die anders als durch Entlassung nachteilig betroffenen Arbeitnehmer zu erbringen, 133

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz Caspers, Rn. 435; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 271; a. A. wohl Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rn. 211,

sodass für diese kein besonderer, an die Schranken des § 123 InsO nicht gebundener Sozialplan aufzustellen ist. So aber DKKW/Däubler, Anh. §§ 111–113, § 123 InsO Rn. 22; Kübler/Prütting-Moll, InsO, §§ 123, 124 Rn. 32 ff.

587 Nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO sind die aus einem Insolvenzsozialplan resultierenden Verpflichtungen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO). Sie bedürfen daher weder der Anmeldung noch der Feststellung im Insolvenzverfahren (§§ 174 ff. InsO). Allerdings ergibt sich aus § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO, dass es sich um „Masseverbindlichkeiten zweiter Klasse“ handelt, da sie erst nach allen übrigen Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind. Sie können daher nicht zur Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) führen. 588 Die in § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO vorgesehene Pflicht des Insolvenzverwalters zur Leistung von Abschlagszahlungen auf die Sozialplanforderungen kann zu Konflikten mit der Pflicht zur Beachtung der relativen Sozialplanaußenschranke gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO führen, weshalb der Insolvenzverwalter die Leistungen zurückhaltend gewähren wird. Vorsorglich wird er dabei eine Rückzahlungsklausel für den Fall vereinbaren, dass die Leistung zu einer Überschreitung der Grenze des § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO führt. 589 Das Vollstreckungsverbot in § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO ist angesichts des prinzipiellen Charakters der Sozialplanverbindlichkeiten als Masseschulden erforderlich. Ebenso ist eine Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter auf Zahlung der Abfindung aus einem nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit vereinbarten Sozialplan unzulässig. BAG, Urt. v. 21.1.2010 – 6 AZR 785/08, ZIP 2010, 546, dazu EWiR 2010, 301 (Moll/Krahforst); BAG, Urt. v. 22.7.2010 – 6 AZR 249/09.

3. Insolvenznaher Sozialplan 590 Abgesehen davon, dass ein vor Insolvenzeröffnung aufgestellter Sozialplan Gegenstand einer Insolvenzanfechtung sein kann, gewährt § 124 Abs. 1 InsO sowohl dem Insolvenzverwalter als auch dem Betriebsrat ein Recht zum Widerruf solcher Sozialpläne, die nicht früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag (§ 13 InsO) aufgestellt worden sind. Eine Pflicht zum Widerruf resultiert daraus nicht, kann sich aber aus anderen Gründen ergeben. Wimmer-Eisenbeis, InsO, § 124 Rn. 8; siehe dazu auch Kübler/Prütting-Moll, InsO, §§ 123, 124 Rz130; für den Insolvenzverwalter kann sich bei unterbliebenem Widerruf eine Schadensersatzpflicht nach § 60 InsO ergeben (Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 124 Rn. 10).

134

V. Einfluss von Betriebsänderungen auf Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen

Die Ausübung des Widerrufsrechts ist weder fristgebunden, noch bedarf sie 591 eines sachlichen Grundes. Der Widerruf beseitigt den Sozialplan mit Rückwirkung ersatzlos, sodass sämtliche darauf gestützten Ansprüche der Arbeitnehmer entfallen. Allerdings schließt § 124 Abs. 3 Satz 1 InsO die Rückforderung vor dem Widerruf bereits ausgezahlter Leistungen über den Wortlaut hinaus auch dann aus, wenn die Auszahlung erst nach Insolvenzeröffnung erfolgt ist. Im Ergebnis ebenso Nerlich/Römermann-Hamacher, InsO, § 124 Rn. 18; Kübler/Prütting-Moll, InsO, §§ 123, 124 Rn. 136; Begr. RegE zu § 142, BT-Drucks. 12/2443, S. 155; a. A. wohl Caspers, Rn. 483; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265, 276.

Sie sind aber bei der Bestimmung der absoluten Sozialplanaußenschranke 592 nach § 123 Abs. 1 InsO zu berücksichtigen (§ 124 Abs. 3 Satz 2 InsO). Wird der Sozialplan widerrufen, so ist ein neuer Sozialplan unter Beachtung des § 123 InsO aufzustellen. Erfolgt kein Widerruf, so sind die noch nicht erfüllten Sozialplanansprüche 593 in voller Höhe gewöhnliche Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Die Unterlassung des Widerrufs durch den Insolvenzverwalter begründet keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. BAG, Urt. v. 31.7.2002 – 10 AZR 275/01, ZIP 2002, 2051 (m. Bespr. Häsemeyer, ZIP 2003, 229) = NZA 2002, 1332, dazu EWiR 2003, 283 (Moll/Langhoff); a. A. Lakies, BB 1999, 206, 210.

Etwas anderes gilt wegen § 55 Abs. 2 InsO nur für Sozialpläne, die ein „star- 594 ker“ vorläufiger Insolvenzverwalter vor Verfahrenseröffnung abschließt. BAG, Urt. v. 31.7.2002 – 10 AZR 275/01, ZIP 2002, 2051 (m. Bespr. Häsemeyer, ZIP 2003, 229) = NZA 2002, 1332.

V. Einfluss von Betriebsänderungen auf Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen 1. Das Schicksal des Betriebsrats Nach praktisch einhelliger Auffassung erlischt das Amt des Betriebsrats, so- 595 weit eine Betriebsänderung den Verlust der Identität des bisherigen Betriebs zur Folge hat. Was unter dem Begriff der Betriebsidentität zu verstehen ist, ist im Einzelnen allerdings bis heute wenig geklärt. Vgl. Richardi-Thüsing, BetrVG, § 21a Rn. 4 ff.

Die Identität des bisherigen Betriebs kann entweder insgesamt verloren ge- 596 hen, wie das etwa bei einer vollständigen Zerschlagung des bisherigen Betriebs der Fall ist. Sie kann aber bei Abspaltung einzelner Betriebsteile auch prinzipiell erhalten bleiben und nur in den abgespaltenen Teilen verloren ge-

135

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

hen. Soweit die Betriebsidentität verloren geht und damit das Amt eines in dem betreffenden Betrieb bestehenden Betriebsrats an sich ohne Weiteres endet, kann im Einzelfall ein Übergangs- und/oder Restmandat des Betriebsrats gemäß §§ 21a, 21b BetrVG bestehen. Bleibt hingegen die Betriebsidentität erhalten, liegen aber die Voraussetzungen für eine Neuwahl des Betriebsrats – etwa wegen starker Veränderung der Belegschaftsstärke des Betriebs oder wegen Absinkens der Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder – nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BetrVG vor, so führt der bisherige Betriebsrat in ggf. erheblich verkleinerter Form, vgl. BAG, Beschl. v. 19.11.2003 – 7 ABR 11/03, NZA 2004, 435,

die Geschäfte in den Grenzen des § 22 BetrVG (und des § 21 BetrVG) weiter, bis der neue Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist. a) Das Übergangsmandat aa) Allgemeine Voraussetzungen 597 Gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bleibt bei der Spaltung eines Betriebs „dessen Betriebsrat im Amt und führt die Geschäfte für die ihm bislang zugeordneten Betriebsteile weiter, soweit sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen und nicht in einen Betrieb eingegliedert werden, in dem ein Betriebsrat besteht (Übergangsmandat)“. Der Gesetzeswortlaut hat nur die zu einem Verlust der Identität des bisherigen Betriebs führende Spaltung des Betriebs vor Augen. Für diesen Fall ist unstreitig, dass der Betriebsrat personell unverändert im Amt bleibt, vgl. nur GK/Kreutz, § 21a Rn. 33 ff.,

und in den Spaltprodukten sämtliche Aufgaben eines gewöhnlichen Betriebsrats wahrzunehmen hat, bis darin jeweils neue Betriebsräte gewählt sind oder die Sechs- bzw. Zwölfmonatsfrist abgelaufen ist. § 21a BetrVG regelt darüber hinaus aber auch den Fall, dass die Identität des bisherigen Betriebs erhalten bleibt und nur einzelne (betriebsratsfähige) Teile abgespalten werden. Zutreffend GK/Kreutz, § 21a Rn. 19; Rieble, NZA 2002, 233, 234.

598 Denn § 21a BetrVG geht es generell um die Vermeidung von Schutzlücken durch den Entfall des Betriebsrats. Die Bestimmung muss daher stets auch dann eingreifen, wenn es wegen einer Abspaltung von Betriebsteilen anderenfalls zur Entstehung vertretungsloser betriebsratsfähiger Einheiten kommen würde. Mit anderen Worten fragt § 21a BetrVG also grundsätzlich nicht nach dem Schicksal des bisherigen Betriebs, sondern allein danach, inwieweit es in den Spaltprodukten zu einem Identitätsverlust kommt.

136

V. Einfluss von Betriebsänderungen auf Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen

bb) Personelle Zusammensetzung des Betriebsrats im Übergangsmandat Nicht verlässlich geklärt ist bislang, in welcher personellen Zusammenset- 599 zung der Betriebsrat das Übergangsmandat wahrnimmt, wenn die Identität des bisherigen Betriebs erhalten bleibt. Nach wohl überwiegender Ansicht soll auch in diesen Fällen der Betriebsrat im Übergangsmandat personell unverändert bleiben. DKKW/Buschmann, BetrVG, § 21a Rn. 32; Fitting, BetrVG, § 21a Rn. 16, mit einer Ausnahme für den Fall, dass „das Arbeitsverhältnis eines BRMitgl./Ersatz Mitgl. im Zuge der betrieblichen Umstrukturierung mit dem bisherigen Betriebsinhaber endet und auch nicht mit einem ArbGeb. einer daraus gebildeten neuen Einheit fortgesetzt wird“; Hohenstatt, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, D 95.

Teilweise wird dabei allerdings davon ausgegangen, dass der Betriebsrat im 600 Übergangsmandat nicht für den in seiner bisherigen Identität weiterbestehenden Betrieb, sondern nur für die davon abgespaltenen Betriebsteile zuständig ist. Daneben bestehe der im weiterexistierenden Betrieb gebildete Betriebsrat fort. Nur für diesen sei eine personelle Anpassung vorzunehmen, sodass der Betriebsrat jeweils in unterschiedlicher Zusammensetzung agiere, je nachdem, ob er für den weiterbestehenden Betrieb oder in Wahrnehmung seines Übergangsmandats für die abgespaltenen Betriebsteile handele. GK/Kreutz, § 21a Rn. 34: „Daß der Betriebsrat insoweit in unterschiedlicher Zusammensetzung amtiert, ist mißlich, aber hinzunehmen“.

Insgesamt kann dies kaum überzeugen, wenn man bedenkt, dass die Struktur 601 des § 21a BetrVG letztlich durch folgende Aspekte bestimmt ist: Leitende Erwägung ist die Vermeidung von vertretungslosen Zuständen, was durch eine Perpetuierung des Betriebsratsamts erreicht werden soll. Ist Letzteres allerdings nicht erforderlich, weil der Betriebsrat ohnehin fortbesteht, so geht es allein darum, ihm eine Zuständigkeit zuzuweisen, die über den Betrieb hinausreicht. Die Frage nach der personellen Zusammensetzung stellt sich dann nicht, da sie durch § 24 BetrVG bereits abschließend beantwortet ist. Der hiergegen teilweise vorgebrachte Hinweis auf den Wortlaut trägt nicht. Vgl. nur DKKW/Buschmann, BetrVG, § 21a Rn. 32.

Zutreffend hat das BAG festgestellt, § 21a BetrVG regele „unmittelbar nur 602 die Amtsfortdauer und Kompetenzen des Betriebsrats als Organ“, BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = BB 2003, 1387 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung,

sodass diese Bestimmung prinzipiell nichts über seine personelle Zusammensetzung aussagt. Ebenso zu §§ 13 SpTrUG, 6 b IX VermG bereits Oetker/Busche, NZA 1991, Beilage 1, 18, 24:

137

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz „Das Übergangsmandat erstreckt sich ausschließlich auf den Betriebsrat als Organ. Über seine Zusammensetzung nach der Betriebsspaltung treffen die §§ 13 SpTrUG, 6 b IX VermG keine Aussage, sodass diesbezüglich die allgemeinen Vorschriften anzuwenden sind.“

603 Insgesamt wird man deshalb davon ausgehen müssen, dass bei Erhalt der betrieblichen Identität der darin fortbestehende Betriebsrat für die abgespaltenen Betriebsteile zugleich das Übergangsmandat gemäß § 21a BetrVG wahrnimmt, seine personelle Zusammensetzung sich allerdings auch dann nach den allgemeinen Vorschriften richtet. Wie hier im Ergebnis Rieble, NZA 2002, 233, 235; zu § 321 UmwG auch bereits Kallmeyer-Willemsen, UmwG, § 321 Rn. 19.

cc) Inhalt des Übergangsmandats 604 Inhaltlich übt der Betriebsrat im Übergangsmandat ein Vollmandat aus, sodass ihm zeitlich befristet alle Rechte und Pflichten eines gewöhnlichen Betriebsrats zustehen. Eine Besonderheit ergibt sich lediglich insoweit, als der Betriebsrat unverzüglich Wahlvorstände zu bestellen und damit die Wahl jeweils neuer Betriebsräte in den infolge der Spaltung betriebsratslosen Einheiten zu veranlassen hat. Das Unverzüglichkeitserfordernis wird überwiegend als Modifikation des § 16 BetrVG in dem Sinne verstanden, dass für die in § 16 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BetrVG festgelegten Fristen hier kein Raum sei. Demnach komme auch schon vor Ablauf dieser Fristen in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 2 und 3 BetrVG eine gerichtliche Bestellung des Wahlvorstands in Betracht. Siehe nur LAG Frankfurt/M. v. 19.4.2002 – 9 TaBV Ga 71/02, unveröffentlicht.

dd) Sonderfall: Eingliederung in einen anderen Betrieb 605 Wird ein aus einer Betriebsspaltung hervorgegangener Betriebsteil in einen anderen Betrieb eingegliedert, dessen Identität dadurch unberührt bleibt, so wird er ab der Eingliederung durch einen dort gebildeten Betriebsrat mitvertreten. Für ein Übergangsmandat ist dann kein Raum. Etwas anderes gilt allerdings, wenn in dem aufnehmenden Betrieb kein Betriebsrat vorhanden ist. Schon der Wortlaut des § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG zeigt an, dass es nur dann nicht zu einem Übergangsmandat kommen soll, wenn in dem aufnehmenden Betrieb „ein Betriebsrat besteht“. Insoweit zutreffend DKK/Buschmann, BetrVG, § 21a Rn. 38; Fitting, BetrVG, § 21a Rn. 14.

606 Der Bestimmung geht es also um die Vermeidung von Schutzlücken für die bislang vertretenen Arbeitnehmer ohne Rücksicht darauf, wie die neue Einheit strukturiert ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich die Reichweite des Übergangsmandats auf den gesamten aufnehmenden Betrieb erstreckt.

138

V. Einfluss von Betriebsänderungen auf Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen So aber DKKW/Buschmann, BetrVG, § 21a Rn. 43 f; Fitting, BetrVG, § 21a Rn. 11, 14; GK/Kreutz, § 21a Rn. 32.

Vielmehr erfasst sie nur solche Arbeitnehmer, die bereits vor der Spaltung 607 durch einen Betriebsrat vertreten waren. Zu § 321 UmwG ebenso Oetker/Busche, NZA 1991, Beilage 1, 18, 23 f.; soweit Rieble, NZA 2002, 233, 237, hiergegen geltend macht, das BetrVG lasse „eine Zweiteilung der Belegschaft nicht zu“, ist das wenig überzeugend, da es ja gerade um die Beantwortung der Frage geht, ob § 21a BetrVG eine solche Zweiteilung anordnet. Allerdings soll damit nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es Beteiligungsrechte geben könnte, die in dieser Konstellation einer Einschränkung bedürfen.

Dies ergibt sich aus der auf die bloße Vermeidung eines Entfalls der bisherigen 608 betrieblichen Arbeitnehmervertretung gerichteten Funktion des Übergangsmandats und hat auch im Wortlaut des § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG seinen Niederschlag gefunden, wonach der Betriebsrat im Übergangsmandat (nur) „die Geschäfte für die ihm bislang zugeordneten Betriebsteile weiter(führt)“. Vor diesem Hintergrund lässt sich § 21a Abs. 2 BetrVG systematisch bruch- 609 los einordnen. Auch hier übt der Betriebsrat das Übergangsmandat nur für die schon vor der Zusammenfassung durch einen Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer aus, sodass es gleichgültig ist, ob auch im größten Betrieb oder Betriebsteil bzw. in der Mehrzahl der zusammengefassten Einheiten ursprünglich ein Betriebsrat bestanden hat. Die Eingliederung eines Betriebsteils in einen seine Identität wahrenden Betrieb erscheint somit als nichts anderes denn als Anwendungsfall des § 21a Abs. 2 BetrVG. b) Das Restmandat Anders als das Übergangsmandat ist das Restmandat grundsätzlich kein 610 Vollmandat, da es sachlich auf die mit der Abwicklung des Betriebs einhergehenden betriebsverfassungsrechtlichen Rechte beschränkt ist. Das BAG hat zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 21b BetrVG entschieden, dass das Restmandat „alle im Zusammenhang mit der Betriebsstilllegung stehenden Beteiligungsrechte und solche betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben [betreffe], die sich daraus ergeben, dass trotz der Stilllegung des Betriebs noch nicht alle Arbeitsverhältnisse beendet sind oder einzelne Arbeitnehmer noch mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden“. BAG, Beschl. v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, AP Nr. 1 zu § 21b BetrVG 1972 = BB 2002, 48; im Anschluss an BAG, Beschl. v. 12.1.2000 – 7 ABR 61/98, AP Nr. 5 zu § 24 BetrVG 1972 = ZInsO 2000, 464.

Dies hat das BAG jüngst im Hinblick auf § 21b BetrVG bestätigt.

611

139

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz BAG, Urt. v. 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, ZIP 2010, 945, 947, dazu EWiR 2010, 273 (Junker).

612 Dies wird teilweise dahin verallgemeinert, das Restmandat ermächtige den Betriebsrat nicht zur Befassung mit Gegenständen, „die nicht durch den Stilllegungszweck bestimmt werden“. So Richardi-Thüsing, BetrVG, § 21b Rn. 7.

613 Zwar ist zutreffend, dass dem Betriebsrat im Restmandat kein allgemeines Abwicklungsmandat hinsichtlich unerledigter Betriebsratsaufgaben zukommt, so auch Fitting, BetrVG, § 21b Rn. 18; GK/Kreutz, § 21b Rn. 14; Richardi-Thüsing, BetrVG, § 21b Rn. 7,

doch schließt dies nur solche Aufgaben aus, die einen weiteren Fortbestand des Betriebs voraussetzen. Hingegen können im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auch nach Stilllegung des Betriebs noch vergangenheitsbezogene Fragen einer Lösung zuzuführen sein, wozu nur an Streitigkeiten aus dem Bereich der Kostenerstattungspflicht oder klärungsbedürftige Fragen im Zusammenhang mit vorangegangenen Betriebsänderungen erinnert sei. Ausdrücklich hat demgemäß auch das BAG festgestellt, dass zu den Aufgaben eines im Restmandat amtierenden Betriebsrats auch die Pflicht gehören könne, „einen bereits abgeschlossenen, aber noch nicht erfüllten Sozialplan an veränderte Umstände anzupassen“. Vgl. nur BAG, Beschl. v. 14.8.2001 – 1 ABR 52/00, AP Nr. 1 zu § 21b BetrVG 1972 = BB 2002, 48.

614 Gleiches gilt etwa dann, wenn man sich wegen eines Sozialplans im Zusammenhang mit einer vor der Betriebsschließung durchgeführten Betriebsänderung noch vor der Einigungsstelle befindet. Auch diese Beteiligungsrechte hängen in keiner Weise mit der schließlich zum Entfall des Betriebsrats führenden Betriebsänderung zusammen, a. A. Fitting, BetrVG, § 21b Rn. 18,

sodass die Gegenansicht auch insoweit bei konsistenter Argumentationsführung nicht zur Annahme der Zuständigkeit eines Betriebsrats im Restmandat gelangen dürfte. Einigkeit besteht aber jedenfalls darüber, dass keine feste zeitliche Begrenzung des Restmandats besteht, sondern dessen Dauer jeweils durch den für die Erledigung der Restaufgaben notwendigen Bedarf bestimmt wird. Vgl. nur BAG, Beschl. v. 12.1.2000 – 7 ABR 61/98, AP Nr. 5 zu § 24 BetrVG 1972 = ZInsO 2000, 464; BAG, Urt. v. 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, ZIP 2001, 1384 = AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972, dazu EWiR 2001, 985 (Moll/Langhoff).

615 Der Betriebsrat im Restmandat agiert prinzipiell in der gleichen personellen Zusammensetzung wie der zum Zeitpunkt der Stilllegung, Spaltung oder

140

V. Einfluss von Betriebsänderungen auf Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen

Zusammenlegung bestehende reguläre Betriebsrat. Abweichend von § 24 Nr. 3 und 4 BetrVG führt dabei das Ausscheiden der Mitglieder aus dem – ja schon nicht mehr existierenden – Betrieb oder die Weiterbeschäftigung durch einen anderen Arbeitgeber nicht zum Ausscheiden aus dem Betriebsrat im Restmandat. DKKW/Buschmann, BetrVG, § 21b Rn. 6; ErfK/Koch, § 21b BetrVG Rn. 4; Richardi-Thüsing, BetrVG, § 21b Rn. 13.

Nach wie vor ist es allerdings möglich, dass die Mitgliedschaft durch Amts- 616 niederlegung gemäß § 24 Nr. 2 BetrVG erlischt. GK/Kreutz, § 21b Rn. 19; a. A. wohl Hanau, NJW 2001, 2513, 2515.

Das Restmandat endet ohne Weiteres, sobald das letzte verbliebene Betriebs- 617 ratsmitglied seine Amtsniederlegung gegenüber dem Arbeitgeber erklärt. Übergangs- und Restmandat schließen sich hinsichtlich derselben betriebs- 618 organisatorischen Einheit aus, doch können sie in zeitlicher Hinsicht nebeneinander bestehen. Dies gilt etwa im Falle der Eingliederung eines Betriebs in einen anderen, wo hinsichtlich der Änderung des eingegliederten Betriebs ein Restmandat und für die Zeit nach der Eingliederung ein Übergangsmandat in Betracht kommt. Richardi-Thüsing, BetrVG, § 21b Rn. 5, a. A. Hanau, NJW 2001, 2513, 2515.

2. Kostentragung und Freistellung bei Übergangs- und Restmandat Unzweifelhaft hat der Inhaber eines (früheren) Betriebs die Kosten der Tä- 619 tigkeit eines Betriebsrats im Übergangs- bzw. Restmandat gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG zu tragen. Vgl. nur DKKW/Buschmann, BetrVG, § 21b Rn. 25; Richardi-Thüsing, BetrVG, § 21b Rn. 14.

Schwierigkeiten bereitet hingegen die Behandlung der Freistellungsansprüche 620 seiner Mitglieder, wenn sie zwischenzeitlich bei anderen Arbeitgebern beschäftigt sind. Wohl überwiegend wird ein Anspruch des jeweiligen Mitglieds gegen seinen neuen Arbeitgeber auf unbezahlte Freistellung anerkannt, ohne dass dafür allerdings eine tragfähige Rechtsgrundlage genannt wird. Siehe nur Richardi-Thüsing, § 21b Rn. 14: „Einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung wird man jedoch in abgeschwächter Analogie zu § 37 Abs. 2 als sinnvollen Kompromiss befürworten können.“ Fitting, BetrVG, § 21b Rn. 20: „steht ihm nach dem Rechtsgedanken des § 37 Abs. 2 ein Anspruch auf Freistellung zu. Der Anspruch ist aber nur auf unbezahlte Freistellung gerichtet.“ Vorausgesetzt bei BAG, Urt. v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025, 1027.

141

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

621 Nach Ansicht des BAG haben Betriebsratsmitglieder auch im Restmandat keinen Anspruch auf Vergütung ihrer Betriebsratstätigkeit, sodass sie für die nach der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse zur Erfüllung ihrer Betriebsratsaufgaben geleisteten Freizeitopfer kein Entgelt verlangen können. § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG komme weder unmittelbar noch analog zur Anwendung. BAG, Urt. v. 5.5.2010 – 7 AZR 728/08, NZA 2010, 1025, 1027.

622 Offenlassen konnte das BAG in dem zu entscheidenden Fall, ob Mitglieder eines Betriebsrats im Restmandat einen Ausgleich für Vermögensopfer verlangen können, die ihnen dadurch entstehen, dass sie von einem neuen Arbeitgeber unbezahlt für Tätigkeiten im restmandatierten Betriebsrat des alten Betriebs freigestellt werden. 3. Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen 623 Früher war zweifelhaft, ob Betriebsvereinbarungen, die vor einer Betriebsspaltung abgeschlossen worden waren, auch in den abgespaltenen Teilen normativ weitergelten konnten oder ob dafür stets nach Wirksamwerden der Spaltung ein Neuabschluss mit dem für den abgespaltenen Betriebsteil zuständigen neuen Betriebsrat (ggf. demjenigen im Übergangsmandat) erforderlich war. Das BAG hat hierzu Grundlegendes entschieden: Würden nach einer Abspaltung von Betriebsteilen diese als je eigenständige Betriebe fortgeführt, so gälten darin die bisherigen Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung weiter, BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = BB 2003, 1387 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung; in der Literatur wurde dies bereits zuvor so vertreten von DKKW/Berg, BetrVG, § 77 Rn. 99; Fitting, BetrVG, § 77 Rn. 174; siehe dazu die Kritik bei Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, 766, 770,

ohne dass der Betriebsrat im Übergangsmandat diese Betriebsvereinbarungen erneut abzuschließen bräuchte. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = BB 2003, 1387 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung.

624 Nicht möglich sei es allerdings, Betriebsvereinbarungen ausschließlich für die Zeit nach der Abspaltung abzuschließen. Vgl. zu Situation bei Gesamtbetriebsvereinbarungen BAG, Urt. v. 18.3.2010 – 2 AZR 337/08.

VI. Schicksal Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Rechtsträgerwechsel 625 Das BAG hatte lange Zeit nicht ausführlicher zu der Frage Stellung genommen, wie Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarungen im Zusammenhang mit einem Betriebs(teil)übergang zu behandeln seien. 142

VI. Schicksal Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarungen

1. Fortbestand des Gesamtbetriebsrats In einer Entscheidung vom 5.6.2002 wies der 7. Senat sodann aber darauf hin, 626 dass ein Gesamtbetriebsrat jedenfalls dann nicht fortbestehen könne, „wenn nicht sämtliche Betriebe eines Unternehmens auf den neuen Inhaber übertragen werden oder das übernehmende Unternehmen bereits einen oder mehrere Betriebe hat und sich die betrieblichen Strukturen im übernehmenden Unternehmen durch Integration der neuen Betriebe in das Unternehmen entsprechend ändern“. BAG, Beschl. v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, ZIP 2003, 271 = AP Nr. 11 zu § 47 BetrVG 1972.

Dann entfalle nämlich die Grundlage dieses Gesamtbetriebsrats, wobei es 627 keine Rolle spiele, ob diese Änderung wesentlich sei oder eine Vielzahl von Betrieben betreffe. BAG, Beschl. v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, ZIP 2003, 271 = AP Nr. 11 zu § 47 BetrVG 1972.

Tendenziell anders äußerte sich der Senat allerdings in einem obiter dictum 628 zu der Frage, was gelte, wenn ein anderes Unternehmen alle Betriebe des alten Unternehmens übernehme und deren Identität jeweils erhalten bleibe: „In einem solchen Fall könnten vergleichbare Gründe wie beim Inhaberwechsel in einem Betrieb dafür sprechen, vom Fortbestand nicht nur der einzelnen Betriebsräte, sondern auch vom Fortbestand des von den Betriebsräten errichteten Gesamtbetriebsrats auszugehen“. BAG, Beschl. v. 5.6.2002 – 7 ABR 17/01, ZIP 2003, 271 = AP Nr. 11 zu § 47 BetrVG 1972; der 1. Senat hat dies in seiner Entscheidung vom 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = BB 2003, 1387 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung, mit viel Sympathie aufgegriffen; für eine Kontinuität des Gesamtbetriebsrats bei vollständig gleichbleibender Struktur der Betriebsorganisation auch Giesen, SAE 2003, 217, 219 f.

In der Literatur werden die Grundüberlegungen des BAG nicht von allen ge- 629 teilt. So wird die Ansicht vertreten, dass der Gesamtbetriebsrat immer dann beim neuen Betriebsinhaber fortbestehe, „wenn sich die bei dem bisherigen Inhaber anzutreffenden Betriebsstrukturen im Anschluss an den Übergang ohne wesentliche Änderung bei dem neuen Inhaber wiederfinden“, Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, 766, 768; zu diesem Ansatz sehr kritisch Rieble/Gutzeit, NZA 2003, 233, 237,

mit anderen Worten also die Unternehmensidentität erhalten bleibe. Spiegelbildlich dazu müsse beim „bisherigen Betriebsinhaber […] das Amt des Gesamtbetriebsrats enden, wenn infolge des betriebsübergangsbedingten Ausscheidens von Betrieben bei diesem nicht mehr vom Erhalt der bisherigen betrieblichen Strukturen gesprochen werden kann“.

143

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, 766, 768; vgl. zur Argumentation mit der „Unternehmensidentität“ auch LAG Schleswig-Holstein v. 18.9.2001 – 6 TaBV 6a/01 (Instanzentscheidung zu BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = BB 2003, 1387 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972).

630 Diese Ansicht steht allerdings in Widerspruch zur Systematik des geltenden BetrVG, wie ein Vergleich mit jenen Konstellationen zeigt, in denen es nicht zu einer Übertragung, sondern zur endgültigen Stilllegung einzelner Betriebe kommt. Konsequenterweise müsste sie auch hier zu einem Entfall des Gesamtbetriebsrats gelangen, sobald die bisherige betriebliche Organisation des jeweiligen Unternehmens ihre „Identität“ verliert, auch wenn innerhalb des Unternehmens noch mehrere Betriebsräte fortbestehen. Das aber ist mit der gesetzlichen Grundkonzeption schlechterdings nicht zu vereinbaren, wonach der Gesamtbetriebsrat ein Dauerorgan mit wechselnder Größe und Mitgliedschaft ist, das keine Amtszeit hat und die Existenz der einzelnen Betriebsräte ohne Weiteres überdauern kann. Siehe dazu Richardi-Annuß, BetrVG, § 47 Rn. 26.

631 Er erlischt nur, wenn die Voraussetzungen für seine Errichtung entfallen. Insoweit zustimmend auch Hohenstatt, in: Willemsen/ Hohenstatt/Schweibert/Seibt, D 98.

632 § 47 Abs. 1 BetrVG hat – anders als § 1 BetrVG – nicht unmittelbar die Arbeitsorganisation des Unternehmens zum Bezugspunkt der Betrachtung gewählt, sondern verlangt nur, dass in einem Unternehmen mehrere Betriebsräte bestehen. Dieser unterschiedliche Anknüpfungspunkt reflektiert eine grundsätzlich verschiedene Vertretungskonzeption. Während es beim Einzelbetriebsrat um die unmittelbare Repräsentation einer durch die konkrete Arbeitsorganisation konstituierten Sozialgemeinschaft geht, handelt es sich beim Gesamtbetriebsrat um ein mittelbares Repräsentationsorgan, das einer betriebsübergreifenden Vereinheitlichung der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen gegenüber dem Arbeitgeber dient. Dieses Vereinheitlichungsinteresse besteht grundsätzlich immer dann, wenn mindestens zwei verfasste Betriebe bestehen. Solange dies der Fall ist, reagiert das BetrVG auf Veränderungen in der betrieblichen Organisation eines Unternehmens im Hinblick auf den Gesamtbetriebsrat nur insofern, als die von einem bestimmten Betriebsrat entsandten Vertreter mit dessen Ende oder mit dessen Ausscheiden aus dem Unternehmen automatisch aus dem Gesamtbetriebsrat ausscheiden. 633 Die prinzipielle Unabhängigkeit des Gesamtbetriebsrats von Änderungen auf Ebene der Betriebsräte kann nur durch dessen strikte Rechtsträgeranbindung erklärt werden. Legt man dies zugrunde, kann auch der beim BAG für Fälle des Betriebsübergangs anklingenden Unterscheidung danach, ob die bisherige Zusammenordnung der Betriebe beim neuen Inhaber vollständig erhalten bleibt oder nicht, keine Bedeutung zukommen. Demgegenüber ist davon auszugehen, dass der Gesamtbetriebsrat selbst dann nicht auf einen neuen Inhaber übergeht, sondern erlischt, wenn dieser – ohne bislang eine 144

VI. Schicksal Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarungen

eigene Arbeitsorganisation gehabt zu haben – alle Betriebe des bisherigen Inhabers erwirbt und organisatorisch unverändert fortführt. 2. Fortbestand von Gesamtbetriebsvereinbarungen beim Betriebsübergang Auch wenn davon auszugehen ist, dass ein Gesamtbetriebsrat nicht auf ein 634 anderes Unternehmen übergehen kann, sondern bei diesem neu gebildet werden muss, so ist damit noch nichts über die Möglichkeit eines kollektivrechtlichen Fortbestands der Gesamtbetriebsvereinbarungen gesagt, der einen Rückgriff auf § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB überflüssig machen würde. Teilweise wird angenommen, dass eine Gesamtbetriebsvereinbarung in ihrem 635 Bestand an den jeweiligen Rechtsträger gebunden sei, weshalb sie keinesfalls im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf einen neuen Rechtsträger übergehen könne. Th. Müller, RdA 1996, 287, 291 f.; Schiefer, NJW 1998, 1817, 1820; APS/Steffan, § 613a BGB Rn. 121; Zwanziger, in: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 613a BGB Rn. 113; wohl auch Boecken, Rn. 160; Gussen/Dauck, Rn. 81; ferner wohl auch ErfK/Preis, § 613a BGB, Rn. 113.

Andere machen geltend, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung für den ein- 636 zelnen Betrieb prinzipiell die gleiche Ordnungsfunktion entfalte wie eine Einzelbetriebsvereinbarung. Sie müsse daher nach einer Betriebs(teil)veräußerung grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie eine Einzelbetriebsvereinbarung normativ fortgelten. Hanau, ArbRGegw 34 (1996), S. 21, 32.

Zwischen diesen Extremen liegt eine Position, wonach eine Gesamtbetriebs- 637 vereinbarung beim Betriebserwerber immer dann kollektivrechtlich fortgelte, wenn die Gesamtheit der Betriebe auf den neuen Inhaber übergehe und diese dort unter Wahrung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Identität fortbestünden. Dafür sei Voraussetzung, dass das aufnehmende Unternehmen zum Zeitpunkt der Übernahme keinen eigenen Betrieb habe. Gaul, § 25 Rn. 210.

Werde nur ein Teil der Betriebe eines Unternehmens auf einen anderen 638 Rechtsträger übertragen, komme es nur dann zu einer kollektivrechtlichen Fortgeltung, wenn die Gesamtbetriebsvereinbarung ihrem Inhalt nach auf „die von der Übertragung betroffenen Betriebe des übertragenden Rechtsträgers beschränkt war“. Gaul, § 25 Rn. 211.

145

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

639 Der 1. Senat des BAG hat zu diesem Problemfeld ausführlich Stellung genommen. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass nach einem Betriebsübergang grundsätzlich auch „die Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung als solche“ möglich sei. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972; vgl. dazu Bachner, NJW 2003, 2861.

640 Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die Feststellung, dass eine Gesamtbetriebsvereinbarung „keine Angelegenheit auf der Rechtsebene ‘des Unternehmens’ als solchem“ sei, sondern ihr „Bezugsobjekt und Regelungssubstrat […] vielmehr die einzelnen Betriebe“ seien. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972.

641 Es gehe um betriebliche Angelegenheiten, sodass eine Gesamtbetriebsvereinbarung nicht „im Unternehmen“, sondern „in den Betrieben des Unternehmens“ gelte. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972.

642 Zentrale Bedeutung hat des Weiteren die Annahme, dass dem Gesamtbetriebsrat kein Gesamtbetrieb entspreche. Deshalb gestalte eine Gesamtbetriebsvereinbarung „die kollektive Ordnung des von ihr betroffenen Betriebs – und nur des Betriebs – nicht anders als eine Einzelbetriebsvereinbarung. Daß sie zugleich auch in anderen Betrieben des Unternehmens gilt, ändert daran nichts“. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972.

643 Habe das erwerbende Unternehmen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs keinen eigenen Betrieb und übernehme es nur einen einzigen Betrieb, so existiere eine Gesamtbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung fort. Gleiches soll wohl gelten, wenn ein Betriebsteil veräußert und durch den neuen Inhaber als dessen alleiniger selbstständiger Betrieb fortgeführt wird. Würden hingegen mehrere Betriebe eines Unternehmens auf einen anderen Rechtsträger übertragen, der bis dahin keinen eigenen Betrieb geführt habe, so gelte eine bestehende Gesamtbetriebsvereinbarung in den übertragenen Betrieben nicht jeweils als Einzelbetriebsvereinbarung, sondern als Gesamtbetriebsvereinbarung weiter. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972.

644 Die kollektivrechtliche Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung als solche sei nicht vom Fortbestand des Gesamtbetriebsrats abhängig: „Ausreichend ist, dass eine gesamtbetriebsratsfähige Anzahl der Betriebe ihre Identität bewahrt hat. Dies begründet den Bedarf an betriebsübergreifender

146

VII. Fortbestand von Konzernbetriebsrat und Konzernbetriebsvereinbarung Koordination, der Wesensmerkmal der in Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung getroffenen Regelungen ist.“ BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972.

Allerdings könne im Einzelfall eine Fortgeltung sowohl als Gesamt- wie auch 645 als Einzelbetriebsvereinbarung daran scheitern, dass die betreffende Regelung die Zugehörigkeit zum bisherigen Unternehmen zwingend voraussetze und daher nach dem Betriebsübergang gegenstandslos sei. BAG, Beschl. v. 18.9.2002 – 1 ABR 54/01, ZIP 2003, 1059 = AP Nr. 7 zu § 77 BetrVG 1972.

Die Abänderung einer kollektivrechtlich fortgeltenden Gesamtbetriebsver- 646 einbarung komme nur in Betracht, wenn beim Erwerber ein Gesamtbetriebsrat vorhanden sei. Existiere ein solcher nicht, sei nur ihre vollständige Beendigung durch gleichzeitige Kündigung gegenüber allen Einzelbetriebsräten der übernommenen Betriebe möglich. Besteht in einzelnen Betrieben kein Betriebsrat, muss die Kündigung insoweit gemeinsam gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern ausgesprochen werden. Die Einzelbetriebsräte könnten hingegen selbst gemeinsam nicht kündigen. Kündigungsbefugt sei vielmehr allein der von ihnen zu bildende Gesamtbetriebsrat. Nicht möglich ist es allerdings, Gesamtbetriebsvereinbarungen in der Form 647 zu schließen, dass sie nicht beim Betriebsveräußerer, sondern allein für den künftigen Betrieb des Betriebserwerbers Geltung beanspruchen. Für eine solche Vereinbarung fehlte es an der betriebsverfassungsrechtlichen Kompetenz des Veräußerers und des bei ihm bestehenden Gesamtbetriebsrates. BAG, Urt. v. 18.3.2010 – 2 ABR 337/08.

VII. Fortbestand von Konzernbetriebsrat und Konzernbetriebsvereinbarung Eine Stellungnahme des BAG zu der Frage, ob nach einem Betriebsübergang 648 auch ein Konzernbetriebsrat und von diesem abgeschlossene Konzernbetriebsvereinbarungen beim Erwerber fortbestehen können, steht bislang aus. In der Literatur finden sich verschiedene Stimmen, die dieses Problem analog zu demjenigen des Fortbestands von Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarung lösen wollen. So meint etwa Hohenstatt, eine kollektivrechtliche Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung und wohl auch der Fortbestand des Konzernbetriebsrats kämen in Betracht, „wenn sich die ‘Konzernidentität’ – also der rechtlich-tatsächliche Bezugspunkt der Konzernbetriebsvereinbarungen – innerhalb eines neuen Konzerns fortsetzt, etwa durch Übertragung sämtlicher Unternehmen bzw. der diesen zugeordneten Betriebe und Vermögensgüter, ohne dass im aufnehmenden Unternehmen(sverband) wesentliche unternehmerische Einheiten bestehen“. Hohenstatt, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, E 54.

147

D. Betriebsverfassungsrecht in der Insolvenz

649 Auch die vom BAG zu Gesamtbetriebsrat und Gesamtbetriebsvereinbarungen geäußerten Gedanken ließen sich prinzipiell auf die Konzernebene übertragen. Eine kollektivrechtliche Fortgeltung von Konzernbetriebsvereinbarungen als solchen mit der Folge, dass auf Arbeitnehmerseite nur ein Konzernbetriebsrat kündigungsbefugt ist, mag auf den ersten Blick zweifelhaft erscheinen. Zu bedenken ist nämlich, dass der Konzernbetriebsrat – anders als der Gesamtbetriebsrat – kein obligatorisches Organ der Betriebsverfassung ist. Dennoch dürften die vom BAG für Gesamtbetriebsvereinbarungen entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden sein. Vgl. dazu Gaul, § 25 Rn. 241, der allerdings – insoweit anders als das BAG – für den Fall keine kollektivrechtliche Fortgeltung annehmen möchte, dass die Betriebsidentität nicht erhalten bleibt.

148

E. Umstrukturierung in der Insolvenz unter Einschaltung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft I. Einleitung Gerät ein Unternehmen in die Krise oder gar in die Insolvenz, ist es an einer 650 schnellen und deutlichen Senkung der laufenden Kosten für die Betriebsführung, namentlich des Personalkostenblocks, interessiert. Den Arbeitnehmern droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Investoren schrecken häufig vor der Übernahme des Geschäftsbetriebs zurück, weil sie befürchten, dass § 613a BGB eingreift und die Arbeitnehmer mit den bestehenden, als zu teuer empfundenen Arbeitsbedingungen übernommen werden müssen. § 613a BGB wird als „Sanierungshindernis“ empfunden. In dieser Gemengelage (scheinbar) gegenläufiger Interessen kommt die Einschaltung einer Transfergesellschaft bzw. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) in Betracht. Dabei werden die Arbeitnehmer zunächst mit ihrer Zustimmung in ein neues Arbeitsverhältnis mit der BQG übergeleitet; die BQG qualifiziert sie und vermittelt sie ggf. weiter. Bei der zeitlich nachfolgenden Übertragung der Betriebsmittel auf eine Auffanggesellschaft oder einen Investor finden die Rechtsfolgen des § 613a BGB nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich keine Anwendung. Siehe dazu Rn. 739 ff.

Vor diesem Hintergrund hat sich der Einsatz einer BQG als wichtiges Ge- 651 staltungsinstrument bei der Bewältigung einer Unternehmenskrise bzw. bei Umstrukturierungen in der Insolvenz herausgebildet. Dazu Gänßbauer, Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zur Unternehmenssanierung in der Insolvenz, Diss. 2002; Ries, NZI 2002, 521 ff.; Gaul/Otto, NZA 2004, 1301 ff.; Lembke, BB 2004, 773 ff.; ders., BB 2007, 1333 ff.; Krieger/Fischinger, NJW 2007, 2289 ff.; Raif, ArbRAktuell 2009, 225; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865 ff.; Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft, Rn. 1 f.; Willmer/Fuchs/Berner, NZI 2015, 263, 264.

Im Folgenden werden das BQG-Modell sowie die arbeits- und sozialversi- 652 cherungsrechtlichen Rahmenbedingungen näher erläutert.

149

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

653 Schaubild: 2. Übertragung der Betriebsmittel

Dienstleistungsvertrag Insolventes BQG Unternehmen

Arbeitsverhältnis Aufhebungsvertrag

1.

Arbeitnehmer

Auffanggesellschaft

befristeter Arbeitsvertrag

??? 3.

Arbeitnehmer

1. Grundkonzept 654 Grundidee des Einsatzes einer BQG ist der schnelle Personalabbau beim insolventen Arbeitgeber durch einvernehmliche Überleitung der Arbeitnehmer in die BQG, in der sie qualifiziert, fortgebildet und auf eine Anschlussbeschäftigung im ersten Arbeitsmarkt oder bei einer Auffanggesellschaft vorbereitet werden. Dabei kann die BQG als Vehikel zur Personalreduzierung ohne komplette Stilllegung der Produktion und zur Vorbereitung einer übertragenden Sanierung dienen. Dem Transfer der Arbeitnehmer in die BQG zeitlich nachgeschaltet ist die Übernahme (eines Teils) der Arbeitnehmer durch eine Auffanggesellschaft entweder durch Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses zur Auffanggesellschaft oder durch Überlassung der Arbeitnehmer von der BQG bzw. deren Tochtergesellschaft an die Auffanggesellschaft im Wege der Arbeitnehmerüberlassung. 2. Vorteile für die Beteiligten 655 Die Einbeziehung einer BQG in der Insolvenz ist regelmäßig für alle Beteiligten mit Vorteilen verbunden und kann deshalb den „Königsweg“ der Umstrukturierung darstellen. Vgl. Raif, ArbRAktuell 2009, 225; Soltész/Winzer, DB 2013, 105; siehe zu den Vorteilen der BQG auch Thum, BB 2013, 1525.

656 Entsprechend beliebt ist auch der Einsatz des BQG-Modells in der Praxis. Siehe das Zahlenmaterial bei Schnitzler, NZA-Beil. 2012, 17, 21.

657 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Einsatz der BQG – insbesondere vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des BAG – genau kalku150

I. Einleitung

liert und durchdacht werden muss und keineswegs als „risikolos“ zu bezeichnen ist. Siehe auch Fuhlrott/Chwalisz, FA 2011, 38 ff.; Fuhlrott, BB 2013, 2042; ders., NZA 2012, 549; ders., FA 2013, 165; Sigle, FA 2013, 73, 75; Thum, BB 2013, 1525; nach Fuhlrott/von Grönheim, GWR 2013, 129, 130, soll die grundsätzliche Billigung des BQG-Modells durch das BAG sogar zwischenzeitlich „nur noch auf dem Papier bestehen“; kritisch auch Lindemann, EWiR 2013, 169, 170, wonach die BQG als Sanierungsinstrument – jedenfalls als rechtssichere Variante – „ausgedient hat“; demgegenüber hält Pils, NZA 2013, 125, 130, die BQG nach wie vor für – nicht nur in Krisensituationen – attraktiv, wenn sie mit Augenmaß eingesetzt wird.

a) Vorteile aus Sicht des Insolvenzverwalters Für den Insolvenzverwalter hat die Einschaltung der BQG in der Restruktu- 658 rierung insbesondere den Vorteil, dass durch ein baldiges Ausscheiden der Arbeitnehmer die Masse entlastet wird. Ferner werden durch die einvernehmliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse die mit betriebsbedingten Kündigungen verbundenen rechtlichen Risiken (vor allem hinsichtlich der Sozialauswahl) ausgeschaltet und dadurch mögliche weitere Belastungen für die Masse (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) vermieden. Zudem gewinnt der Insolvenzverwalter Zeit für ggf. länger dauernde Übernahmeverhandlungen. Ein weiterer Vorteil ist die größere Akzeptanz der Personalreduktion bei Arbeitnehmern und Gewerkschaften und in der öffentlichen Wahrnehmung. Pils, NZA 2013, 125, 126.

Schließlich erlaubt die Zwischenschaltung einer BQG zwischen insolventem 659 Unternehmen und Betriebsübernehmer nach der Rechtsprechung des BAG, dazu näher Rn. 739 ff. und Rn. 883 ff.,

grundsätzlich die Veräußerung der Betriebsmittel, ohne dass die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des betroffenen Betriebs(teils) mit allen Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis mit dem insolventen Unternehmen gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf den Erwerber übergehen. Vielmehr kann der Erwerber sich bei der BQG – ohne Bindung an die Grundsätze der Sozialauswahl –, Fuhlrott, NZA 2012, 549, 552 f.; Sigle, FA 2013, 165, 168; Thum, BB 2013, 1525, 1528; Die zielgerichtete Vermeidung einer Sozialauswahl könnte jedoch als Umgehung des § 613a BGB gewertet werden; vgl. BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 868;

151

E. Umstrukturierung in der Insolvenz in neueren Entscheidungen hat das BAG den Gedanken der Umgehung der Grundsätze der Sozialauswahl – anders als die Vorinstanzen – nicht mehr aufgeworfen; vgl. BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 ; BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436,

quasi eine „Wunschmannschaft“ zusammenstellen und Arbeitnehmer zu seinen eigenen Arbeitsbedingungen einstellen. Das steigert naturgemäß die Attraktivität des Verkaufsobjekts und erleichtert die sanierende Veräußerung von Betriebsmitteln. Voraussetzung ist allerdings, dass die Vorgaben der Rechtsprechung genau beachtet werden, um den Verdacht der Umgehung des § 613a BGB zu vermeiden. Lembke, BB 2007, 1333, 1338; Pils, NZA 2013, 125, 126.

660 Außerdem muss der Erwerber bei der Auswahl der einzustellenden Arbeitnehmer das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beachten. Übernimmt er z. B. ausschließlich jüngere Arbeitnehmer, könnten ältere Arbeitnehmer ggf. geltend machen, hierin liege eine gem. §§ 1, 7 AGG unzulässige Benachteiligung wegen des Alters. Dies könnte z. B. zu Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen gem. § 15 Abs. 1, Abs. 2 AGG führen. Thum, BB 2013, 1525, 1528.

b) Vorteile aus Arbeitnehmersicht 661 Aus Sicht der Arbeitnehmer wird durch den freiwilligen Transfer in die BQG der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen und das „Stigma der Arbeitslosigkeit“ vermieden bzw. zumindest hinausgeschoben. Meyer, NZS 2002, 578, 579; Raif, ArbRAktuell 2009, 225; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 869; Soltész/Winzer, DB 2013, 105.

662 Der Arbeitnehmer erhält die Chance auf einen Arbeitsplatz in dem Unternehmen, das die Betriebsmittel erwirbt und den Geschäftsbetrieb fortführt, oder zumindest die Chance auf eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt nach Qualifizierung und Fortbildung (z. B. durch Bewerberseminare, Weiterbildung, Profiling). Die BQGs berichten in der Praxis von Vermittlungsquoten von 60 % und mehr. Die Vermittlungsquote der BQGs liegt in aller Regel deutlich höher als diejenige der Arbeitsverwaltung. Sie kann jedoch je nach Branche und Sitz des von der Krise betroffenen Unternehmens sowie der Qualifikation der zu vermittelnden Arbeitnehmer mitunter stark variieren. Siehe auch Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865.

663 Selbst wenn die Vermittlungsbemühungen der BQG letztlich nicht erfolgreich sind und der Arbeitnehmer nach Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses mit der BQG arbeitslos wird, wird der Eintritt der Arbeitslosigkeit zeitlich um die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses mit der BQG aufgeschoben. 152

II. Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft

Dies kann in Einzelfällen bei Überschreiten bestimmter Altersgrenzen oder Vorbeschäftigungszeiten zu einer Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs führen (vgl. § 147 Abs. 2 SGB III). Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 869.

II. Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft 1. Rechtliche Struktur und Auswahlkriterien Die BQG ist meist eine eigenständige juristische Person (externe BQG), 664 die regelmäßig in Form der GmbH, seltener als Verein oder Stiftung, organisiert ist. Gänßbauer, S. 97 f., 110 f.; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 869.

Seit dem 1.1.2013 wird die Auswahl der externen BQG dadurch vereinfacht, 665 dass nur noch auf solche Anbieter zurückgegriffen werden kann, die über eine Trägerzulassung gem. §§ 176 ff. SGB III verfügen. Siehe dazu näher Rn. 814.

Denkbar – in der Praxis jedoch weniger beliebt und mit einem deutlich höhe- 666 ren Aufwand verbunden – ist auch die Gründung einer internen BQG, die in der Regel als eigener Betrieb oder Abteilung des Unternehmens organisiert wird. Entscheidend ist dabei, dass in der internen BQG ein abweichender Arbeitszweck – die Qualifikation und Vermittlung der Arbeitnehmer – im Vergleich mit dem Restbetrieb verfolgt wird. Für den Insolvenzverwalter bietet sich die Gründung einer internen BQG schon allein aufgrund des damit verbundenen höheren Aufwands wohl kaum an. Auch aus Sicht der Arbeitnehmer wird die Qualifizierung und Vermittlung durch den „angeschlagenen“ Arbeitgeber nicht besonders attraktiv sein. Zu weiteren Nachteilen des internen BQG-Modells siehe Gaul/Otto, NZA 2004, 1301, 1303 f.

Lehnt ein Arbeitnehmer den Wechsel in eine interne betriebliche Einheit 667 ab, die ausschließlich der Qualifizierung und Vermittlung an andere Unternehmen innerhalb und außerhalb des Konzerns dient (interne BQG), ist der Arbeitgeber kündigungsrechtlich nicht verpflichtet, ihm nach Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes eine der Stellen in der internen BQG zur Vermeidung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Wege der Änderungskündigung anzubieten. BAG, 8.5.2014 – 2 AZR 1001/12, NZA 2014, 1200, Os. 3.

2. Funktion Zweck der BQG ist es, Arbeitnehmer des in der Krise befindlichen Unter- 668 nehmens in ein Beschäftigungsverhältnis innerhalb einer betriebsorganisato-

153

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

risch eigenständigen Einheit (beE) zu übernehmen, in der sog. KurzarbeitNull gemäß § 111 SGB III durchgeführt wird. Die Arbeitnehmer werden sozusagen in der BQG „geparkt“. Dazu näher Rn. 772 ff.

669 Hauptaufgabe der BQG ist es, die Arbeitnehmer so schnell wie möglich in ein neues Arbeitsverhältnis zu bringen. Im Vordergrund des Beschäftigungsverhältnisses mit der BQG stehen daher die Qualifizierung und Fortbildung der Arbeitnehmer zur Vorbereitung auf die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt. Ferner übernehmen die BQGs auch die Aufgabe der Vermittlung der Arbeitnehmer in neue Beschäftigungsverhältnisse. Meyer, NZS 2002, 578, 579; Ries, NZI 2002, 521, 524.

670 Gelegentlich kommt es vor, dass eine BQG bzw. deren Tochtergesellschaft ihre Arbeitnehmer auch an andere Gesellschaften zur Arbeitsleistung nach deren Weisungen überlässt und als Verleiher tätig wird. Hierfür bedarf es dann einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Böhm, DB 2012, 918; zu speziellen Problemen, wenn die BQG als Verleiher auftritt, siehe Rn. 716 ff.

3. Begriff 671 Die Terminologie hinsichtlich einer derartigen Gesellschaft ist uneinheitlich. Neben dem hier verwandten Begriff der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) wird sie gelegentlich auch als „Personalentwicklungsgesellschaft“ oder „Arbeitsförderungsgesellschaft“ bezeichnet oder – häufiger – „Transfergesellschaft“ genannt. Die Chemische Industrie gebraucht in ihren Vereinbarungen mit der IGBCE die Bezeichnung „Transfer- und Personalentwicklungsgesellschaft“. Vgl. Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 2; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865.

4. Arbeitgeberstellung 672 Die BQG ist Arbeitgeber der vom insolventen Unternehmen übernommenen Arbeitnehmer, und zwar in arbeitsrechtlicher, BAG, 24.1.2013 – 2 AZR 453/11, NZA 2013, 959, 960, Rn. 13 ff.; LAG Rheinland-Pfalz, 26.1.2011 – 7 Sa 278/10, BeckRS 2011, 72936, mit Anm. Schindele, ArbRAktuell 2011, 361 und Fischer, jurisPR-ArbR 28/2011, Anm. 5; Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 3; a. A. (kein Arbeitsverhältnis) Natzel, NZA 2012, 650, 652,

sowie in steuerrechtlicher, Küttner/Huber/Seidel, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 9,

154

II. Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft

und sozialversicherungsrechtlicher Beziehung. Letzteres gilt auch dann, wenn keine planmäßige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, sondern die berufliche Qualifizierung im Vordergrund steht, denn gemäß § 7 Abs. 2 SGB IV gelten auch betriebliche Bildungsmaßnahmen als „Beschäftigung“ im sozialversicherungsrechtlichen Sinne. Küttner/Voelzke, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 14; Brand/Kühl, SGB III, § 111 Rn. 12.

Andererseits wird jedoch auch vertreten, dass keine Sozialversicherungs- 673 pflicht besteht, wenn eine tatsächliche Beschäftigung nicht ausgeübt wird. LSG NRW, 31.7.2008 – L 9 AL 10/07, BeckRS 2008, 56619; siehe auch SG Mannheim, 14.1.2003 – S 9 U 1979/02, BB 2003, 373, für den Fall, dass die einzige Verpflichtung des „Beschäftigten“ darin besteht, sich um ein neues Arbeitsverhältnis zu bemühen.

Die BQG unterliegt hinsichtlich der von ihr übernommenen Transferkurz- 674 arbeiter auch der Pflicht des § 77 Abs. 1 SGB IX, eine schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe zu entrichten. BVerwG, 16.5.2013 – 5 C 20.12, NZA-RR 2013, 534; dazu Schindele, ArbRAktuell 2013, 450.

In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht gilt, dass Arbeitnehmer im be- 675 triebsverfassungsrechtlichen Sinne nur diejenigen Mitarbeiter sind, die eine dem Betriebszweck dienende Tätigkeit ausüben. Auf diejenigen Mitarbeiter, die ausschließlich zum Zwecke ihrer Qualifizierung und Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt in der BQG beschäftigt werden, findet das BetrVG hingegen wohl keine Anwendung, da sie nur „Gegenstand“ des Betriebszwecks sind, diesen daher nicht mitverwirklichen und folglich nicht eingegliedert sind. ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 2; Fitting, BetrVG, § 5 Rn. 151 f.; Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 3; a. A. wohl DKKW/Trümner, BetrVG, § 5 Rn. 34, 144.

Das zur Erfüllung der Arbeitgeberpflichten erforderliche Kapital der BQG 676 wird einerseits durch die Bundesagentur für Arbeit (BA), insbesondere in Form von Transferkurzarbeitergeld (§ 111 SGB III) und Zuschüssen zu Transfermaßnahmen (§ 110 SGB III), näher dazu Rn. 773 ff. und 848 ff.,

sowie andererseits durch Zuschüsse des in der Krise befindlichen Unternehmens aufgebracht. Näher dazu Rn. 709 f.

Stellt das insolvente Unternehmen die vereinbarten Vorschusszahlungen an 677 die BQG wegen Insolvenz ein, kann die BQG das Arbeitsverhältnis nicht

155

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

(fristlos) kündigen. Die BQG hat als Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko des Ausbleibens der Refinanzierungsleistungen zu tragen. BAG, 24.1.2013 – 2 AZR 435/11, NZA 2013, 959; siehe dazu auch Sigle, FA 2013, 297; anders hinsichtlich des Wirtschaftsrisikos der BQG hingegen BAG, 19.3.2014 – 5 AZR 299/13 (F), NZA-RR 2014, 574, OS: „Setzt sich die Vergütung im Transferarbeitsverhältnis aus dem Transferkurzarbeitergeld und einer Aufstockungsleistung des bisherigen Arbeitgebers zusammen, besteht ohne besondere Anhaltspunkte im Arbeitsvertrag keine eigenständige Vergütungspflicht der Transfergesellschaft.“

III. Arbeitsrechtliche Aspekte 1. Interessenausgleich und (Transfer-)Sozialplan a) Voraussetzungen 678 Wird im in der Krise befindlichen Unternehmen ein Personalabbau dergestalt durchgeführt, dass die Arbeitnehmer einen vom Arbeitgeber veranlassten Aufhebungsvertrag (vgl. § 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG) mit dem Unternehmen sowie einen neuen Arbeitsvertrag mit der BQG abschließen, vgl. Rn. 697 ff.,

hat der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich und Sozialplan nach §§ 111 ff. BetrVG mit dem zuständigen Betriebsrat zu verhandeln. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte (§ 7 BetrVG) Arbeitnehmer hat sowie einen Betriebsrat besitzt (§ 111 Satz 1 BetrVG). 679 Im Fall des Personalabbaus liegt eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG vor, wenn in einem Betrieb eine größere Anzahl von Arbeitnehmern vom Arbeitsplatzwegfall betroffen ist, wobei als Richtschnur auf die Zahlen- und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG abgestellt werden kann, mit der Maßgabe, dass vom Personalabbau mindestens 5 % der Belegschaft des Betriebs betroffen sein müssen. BAG, 7.8.1990 – 1 AZR 445/89, ZIP 1990, 1426 = AP Nr. 34 zu § 111 BetrVG 1972; m. Anm. Rühle, EWiR 1990, 1169; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 73 ff.; Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Rn. C 21, 38, 45 f.; näher zu den Voraussetzungen von § 111 BetrVG siehe Rn. 496 ff.

b) Betriebsverfassungsrechtliche Rahmenbedingungen 680 Liegen die Voraussetzungen für eine Betriebsänderung vor, sind neben den §§ 111 ff. BetrVG im Falle der Insolvenz auch die Sonderregelungen der §§ 121 ff. InsO zu beachten. 156

III. Arbeitsrechtliche Aspekte Fitting, BetrVG, § 112, 112a Rn. 287 ff.; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 265 ff.; Willemsen/Tiesler, Interessenausgleich und Sozialplan in der Insolvenz, 1995; zum Ganzen näher Rn. 478 ff.

Der Gesetzgeber regt den Einsatz von Transfermaßnahmen und die Ein- 681 schaltung von BQGs im Rahmen von Betriebsänderungen an verschiedenen Stellen an. Gemäß § 92a Abs. 1 BetrVG kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber beratungspflichtige Vorschläge zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung machen, welche u. a. die Qualifizierung der Arbeitnehmer zum Gegenstand haben können. Mithin kann der Betriebsrat die Einschaltung einer BQG in der Krise, wie etwa bei einer Betriebsänderung, vorschlagen. Vgl. nur Thannheiser, AiB 2002, 25 ff.; Wendeling-Schröder/Welkoborsky, NZA 2002, 1370, 1773 f.

§ 112 Abs. 5 Nr. 2a BetrVG fördert ebenfalls das Motto „qualifizieren statt 682 abfinden“. § 112 Abs. 5 Nr. 2a BetrVG gibt als Ermessensleitlinie für die Einigungsstelle – und damit kraft „faktischer Vorwirkung“ als Orientierung für Arbeitgeber und Betriebsrat – vor, dass die im SGB III vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit im Sozialplan berücksichtigt werden sollen. Durch diese Regelung wollte der Gesetzgeber die – insbesondere in der che- 683 mischen Industrie entwickelte –, dazu auch Wolff, NZA 1999, 622 ff.,

Praxis des Transfer-Sozialplans in den Blickpunkt rücken und zum Aus- 684 druck bringen, „dass der Sozialplan nicht mehr wie bisher meistens als reines Abfindungsinstrument, sondern vorrangig als Mittel für die Schaffung neuer Beschäftigungsperspektiven genutzt werden soll.“ BT-Drucks. 14/5741, S. 52.

Die in § 112 Abs. 5 Nr. 2a BetrVG angesprochenen Förderungsmöglichkeiten 685 des SGB III zielen insbesondere auf das Transferkurzarbeitergeld (§ 111 SGB III) und die Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen (§ 110 SGB III) ab. Fitting, BetrVG, § 112, 112a Rn. 275 ff.; siehe auch Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/ Seibt, Rn. C 247 ff., 271a; Wendeling-Schröder/Welkoborsky, NZA 2002, 1370, 1373.

Mittlerweile ist es Voraussetzung für die Gewährung derartiger Transferleis- 686 tungen, dass sich die Betriebsparteien im Vorfeld der Entscheidung, insbesondere im Rahmen ihrer Verhandlungen über einen die Integration der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fördernden Interessenausgleich oder Sozialplan, von der Agentur für Arbeit beraten lassen haben (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 111 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III).

157

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

687 Einigen sich die Betriebsparteien auf die Einrichtung bzw. Beauftragung einer BQG, wird dies im Interessenausgleich vereinbart. Im Transfer-Sozialplan werden insbesondere die finanzielle Ausstattung der BQG sowie Abfindungsregelungen geregelt. Vgl. DKKW/Däubler, BetrVG, § 112, 112a Rn. 227 ff.; Growe, AiB 1998, 260, 268 f.; Ries, NZI 2002, 521, 526; vgl. auch Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/ Seibt, Rn. C 252a; Thannheiser, AiB 2002, 25, 28 ff.; ders., AiB 2002, 739 ff.; Sigle, FA 2013, 73 f.; siehe auch die Checkliste unter Rn. 884.

688 Erzwingbar ist eine Sozialplanregelung über die Einrichtung einer externen BQG aber nicht. Vgl. Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft, Rn. 8; Gaul/Otto, NZA 2004, 1301, 1304; Schweibert, in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Rn. C 271a; Lembke, BB 2004, 773, 775; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 869; a. A. Wendeling-Schröder/Welkoborsky, NZA 2002, 1370, 1377; allgemein zur Erzwingbarkeit von Eingliederungsmaßnahmen nach dem SGB III in Sozialplänen Meyer, DB 2003, 206 ff. Eine BQG kann eine Sozialeinrichtung i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG sein, deren Einrichtung freiwillig ist (§ 88 Nr. 2 BetrVG), vgl. ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn. 71 m. w. N.

689 Dies gilt insbesondere für den Fall der Insolvenz, da es nicht möglich ist, außerhalb der in §§ 123 und 124 InsO angeordneten Fälle zwangsweise Masseverbindlichkeiten zu schaffen. Zwanziger, Einleitung Rn. 276.

690 Zu beachten ist, dass die Betriebsparteien in einem Sozialplan nicht vereinbaren können, dass ein Arbeitnehmer, der ein Angebot auf Wechsel in die BQG ablehnt, von Sozialplanabfindungen völlig ausgeschlossen werden soll, während andere Arbeitnehmer, die ebenfalls nicht in die BQG wechseln (z. B. weil sie bis zur endgültigen Betriebsschließung weiterbeschäftigt werden), solche Leistungen erhalten. Ein solcher Ausschluss verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. LAG Bremen, 22.1.2009 – 3 Sa 153/08, ZIP 2009, 1388; LAG Hamm, 14.5.2014 – 2 Sa 1651/13, BeckRS 2014, 73773 (Revision anhängig beim BAG unter Az. 1 AZR 722/14), dazu Wölfl, DB 2015, 319; Grimm, EWiR 5/2015, 161.

158

III. Arbeitsrechtliche Aspekte

2. Massenentlassungsanzeige (§ 17 KSchG) Beim Transfer der Arbeitnehmer vom insolventen Unternehmen in die BQG 691 hat der Insolvenzverwalter eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG bei der Agentur für Arbeit zu erstatten, falls die Entlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen die dort geregelten Schwellenwerte überschreiten. Ries, NZI 2002, 521, 526.

Vom Arbeitgeber veranlasste Aufhebungsverträge stehen Entlassungen auf- 692 grund betriebsbedingter Kündigungen gleich (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Daher sind die im Rahmen des Übergangs der Arbeitnehmer in die BQG abgeschlossenen Aufhebungsverträge bei der Berechnung, ob die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschritten werden, zu berücksichtigen. BAG, 8.11.2007 – 2 AZR 314/06, NJW 2008, 1336, 1339, Rn. 33; LAG Stuttgart, 23.10.2013 – 10 Sa 32/13, ZIP 2014, 937.

Bei Verstoß gegen § 17 KSchG ist der dreiseitige Vertrag unwirksam.

693

Lembke/Oberwinter in Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 KSchG Rn. 28, 104, 140, 143.

Zu beachten ist, dass seit dem Urteil des EuGH vom 27.1.2005 („Junk“) die 694 Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG vom 20.7.1998, ABlEG L 225, S. 16,

dahingehend auszulegen ist, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als „Entlassung“ gilt. EuGH, Urt. v. 27.1.2005 – Rs. C-188/03, ZIP 2005, 230 = DB 2005, 453 = NZA 2005, 213 = NJW 2005, 1099, dazu EWiR 2005, 213 (Grimm/Bock).

Dieser Auffassung hat sich auch das Bundesarbeitsgericht angeschlossen und 695 die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt, dass unter dem Begriff der „Entlassung“ der Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist und folglich die Massenentlassungsanzeige vor dem Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber bzw. der sonstigen vom Arbeitgeber veranlassten und zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Handlung erfolgen muss. Hinsichtlich des Abschlusses von dreiseitigen Verträgen zwischen altem Arbeitgeber, BQG und Arbeitnehmer bedeutet dies, dass die Massenentlassungsanzeige vor Vertragsschluss erstattet werden muss. BAG, 29.11.2007 – 2 AZR 763/06, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 95; BAG, 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, BB 2007, 156 m. Anm. Lembke; BAG, 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, ZIP 2006, 1644, 1646 ff.; BAG, 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, ZIP 2006, 2329, 2330; Vgl. auch Lembke/Oberwinter, NJW 2007, 721 ff.

159

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

696 Vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige hat der Arbeitgeber auch das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführen. Die Stellungnahme des Betriebsrats zur Massenentlassung hat der Arbeitgeber gem. § 17 Abs. 3 Satz KSchG der an die Agentur für Arbeit gerichteten Massenentlassungsanzeige beizufügen. Ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO ersetzt insoweit die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG (§ 125 Abs. 2 InsO). Dies gilt auch dann, wenn das Original des Interessenausgleichs nur vom Betriebsrat unterzeichnet ist und damit § 112 Abs. 1 BetrVG nicht genügt. Siehe ausführlich zur Massenentlassungsanzeige Lembke/ Oberwinter in Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 17 KSchG Rn. 1 ff.; BAG, 18.1.2012 – 6 AZR 407/10, BeckRS 2012, 67611, Rn. 41 ff.

3. Übergang der Arbeitnehmer vom insolventen Arbeitgeber zur Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft 697 Nach dem Grundkonzept der Umstrukturierung unter Einschaltung einer externen BQG gehen alle (vorgesehenen) Arbeitnehmer einvernehmlich auf die BQG über. Dazu muss das Arbeitsverhältnis zum (insolventen) Arbeitgeber aufgelöst und ein neues mit der BQG begründet werden. a) Dreiseitiger Vertrag 698 In der Praxis geschieht dies in der Regel durch einen dreiseitigen Vertrag zwischen (altem) Arbeitgeber, Arbeitnehmer und BQG. Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 3; zum Vertragstext etwa Gänßbauer, S. 237 ff.; Bauer/Haußmann in Anwaltsformularbuch Arbeitsrecht, M 43.6.1; Hoefs in Liebers, Formularbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, O. IV.6; siehe auch den Sachverhalt in BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422 f.; m. Anm. Joost, EWiR 1999, 247.

699 Denkbar – und teilweise aus Haftungsgründen sogar empfohlen –, Meyer, NZS 2002, 578, 580,

sind aber auch getrennte Verträge. Da das BQG-Modell häufig nur bei Beteiligung aller (vorgesehenen) Arbeitnehmer funktioniert, geben zunächst die Arbeitnehmer ein Vertragsangebot gegenüber einem Treuhänder ab, der mit dem Insolvenzverwalter den Rücklauf auswertet. Vgl. Ries, NZI 2002, 521, 526 f.

700 Die Angebote werden vom Insolvenzverwalter – ggf. nach § 151 BGB – angenommen, wenn sich genügend Arbeitnehmer für den Abschluss des dreiseitigen Vertrags ausgesprochen haben, Transferkurzarbeitergeld gewährt wird und die Finanzierung der BQG im Übrigen gesichert ist.

160

III. Arbeitsrechtliche Aspekte Vgl. BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, Ls. 4.

Es sind folgende Vertragsbeziehungen zu unterscheiden:

701

aa) Alter Arbeitgeber – Arbeitnehmer Das bisherige Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und insolventem 702 Unternehmen wird durch schriftlichen (§ 623 BGB) Aufhebungsvertrag einvernehmlich beendet. Üblicherweise werden zur Schonung der Insolvenzmasse die Kündigungsfristen abgekürzt. Wenn das Arbeitsverhältnis bereits außer Vollzug gesetzt war, kann der Auflösungszeitpunkt auch in der Vergangenheit liegen. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422, 424; BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, 1573; siehe zum Schriftformerfordernis bei Aufhebungsverträgen ErfK/Müller-Glöge, § 623 BGB Rn. 19; Lembke in Thüsing/Laux/Lembke, KSchG, § 623 BGB Rn. 79 ff.

Der Aufhebungsvertrag enthält neben den üblichen Klauseln insbesondere 703 die Einigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – wodurch auch eine Kündigungsschutzklage ausgeschlossen wird – sowie eine allgemeine Erledigungsklausel. Eine einseitige Versetzung in die BQG ist nicht möglich, da sie die Grenzen 704 des Direktionsrechts übersteigt. Vgl. ArbG Düsseldorf, 10.4.2004 – 4 Ca 11364/03, BeckRS 2004, 40691.

Dies gilt sogar dann, wenn das Versetzungsrecht in einem Tarifvertrag zur 705 sozialverträglichen Abwicklung von Arbeitsverhältnissen vorgesehen ist. Im entschiedenen Fall enthielt der Tarifvertrag eine Pflicht des Arbeitnehmers, sich auf einen Arbeitsplatz eines externen Unternehmens vermitteln zu lassen; mit der Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Arbeitgeber sollte das bisherige Arbeitsverhältnis enden. Nach Ansicht des LAG Hamm widerspricht eine solche tarifvertragliche Regelung den Wertungen des KSchG, da sie dazu führt, dass dem Arbeitnehmer der in seinem Arbeitsverhältnis bestehende Kündigungsschutz entzogen wird, ohne dass die Voraussetzungen der §§ 1, 2 KSchG erfüllt sind. Ebenso wenig kann durch Tarifvertrag die Verpflichtung des Arbeitnehmers begründet werden, sich an einen externen Arbeitgeber verleihen zu lassen. LAG Hamm, 24.2.2014 – 8 Sa 1161/13, BeckRS 2014, 69291; Revision anhängig beim BAG unter Az. 10 AZR 295/14; siehe auch LAG Düsseldorf, 22.10.2013 – 16 Sa 622/13, BeckRS 2014, 65895.

bb) Arbeitnehmer – BQG Zeitgleich mit dem Ausscheiden beim insolventen Unternehmen schließt der 706 Arbeitnehmer mit der BQG einen neuen Arbeitsvertrag ab, welcher einige 161

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

Besonderheiten aufweist und primär auf Qualifizierung und Vermittlung gerichtet ist. Siehe das Vertragsmuster von Bauer/Haußmann in Anwaltsformularbuch Arbeitsrecht, M 43.6.1; Hoefs in Liebers, Formularbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, O. IV.6.

(1) Befristeter Arbeitsvertrag 707 Der Arbeitsvertrag wird ohne sachlichen Grund (§ 14 Abs. 2 TzBfG) auf die Dauer von bis zu einem Jahr befristet. Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 3; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 868; siehe auch den Sachverhalt in BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422.

708 Das Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG ist hierbei zu beachten. Die Befristung hat insbesondere den Zweck, die Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der Dauer der Förderung durch Transfer-Kurzarbeitergeld (maximal zwölf Monate, vgl. § 111 Abs. 1 Satz 2 SGB III) abzustimmen. (2) Pflichten der Vertragsparteien 709 Hinsichtlich der Hauptleistungspflichten wird geregelt, dass in der BQG sog. „KurzarbeitNull“ geleistet wird, d. h. die Wochenarbeitszeit null Stunden beträgt. Die Erbringung von Arbeitsleistung im eigentlichen Sinne ist somit nicht geschuldet. Der Arbeitnehmer ist jedoch verpflichtet, die angebotenen Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen der BQG wahrzunehmen, die Vermittlungsbemühungen der BQG zu unterstützen und eine Beschäftigung bei Dritten (z. B. „Schnupperarbeitsverhältnis“ oder vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung) anzunehmen. Dafür erhält er von der Agentur für Arbeit Transferkurzarbeitergeld gemäß § 111 SGB III, welches in der Praxis häufig durch vom insolventen Unternehmen bzw. Insolvenzverwalter finanzierte Zuschüsse aufgestockt wird, z. B. auf 75 % oder 80 % des vorherigen Nettogehalts. Gaul/Kliemt, NZA 2000, 674, 677; Raif, ArbRAktuell 2009, 225; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 867; Zobel, in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 28 Kollektives Arbeitsrecht Rn. 303; Schindele, ArbRAktuell 2013, 512, 514; Sigle, FA 2013, 73, 74; Soltész/Winzer, DB 2013, 105, 106.

710 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die zu hohe Aufstockung des Transferkurzarbeitergelds eine vermittlungshemmende Wirkung haben kann. Um die Eigeninitiative der Mitarbeiter zu fördern, wird daher in der Praxis die Vereinbarung einer „Sprinter-Prämie“ empfohlen. Je früher der Mitar-

162

III. Arbeitsrechtliche Aspekte

beiter aus der BQG ausscheidet, desto höher ist die Prämie. Denkbar ist auch eine degressive Staffelung des Zuschusses. Danko/Cramer, BB-Special 4/2004, 9, 12; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 867; Rolf/Riechwald, BB 2011, 2805, 2806; Schindele, ArbRAktuell 2013, 512, 514; Sigle, FA 2013, 73, 84.

Bestimmt der Arbeitsvertrag mit der BQG ausdrücklich, dass sich das Ent- 711 gelt aus Zahlungen der Agentur für Arbeit und des ehemaligen Arbeitgebers (d. h. dem insolventen Unternehmen) zusammensetzt, besteht nach Auffassung des 5. Senats des BAG darüber hinaus keine eigenständige Vergütungspflicht der Transfergesellschaft. Dem stehe die formale Arbeitgeberstellung der Transfergesellschaft – gerade wenn keine produktive Arbeitsleistung zu erbringen ist – nicht entgegen. BAG, 19.3.20014 – 5 AZR 299/13, ZIP 2014, 2102, 2104; anders hingegen der Ansatz des 2. Senats in BAG, 24.1.2013 – 2 AZR 435/11, NZA 2013, 959, 961, Rn. 26 ff.

(3) Möglichkeit der Freistellung und des kurzfristigen Ausscheidens Typischerweise ist auch vorgesehen, dass der Arbeitnehmer für eine Tätig- 712 keit in einem anderen Unternehmen freigestellt und das Arbeitsverhältnis zur BQG solange ruhend gestellt wird. Growe, AiB 1998, 260, 262; Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 3; siehe auch den Sachverhalt in BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422.

Außerdem kann der Arbeitnehmer mit einer kurzen Ankündigungsfrist 713 ausscheiden, wenn er eine Anschlussbeschäftigung gefunden hat. Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 3; Schweibert in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Rn. C 252b.

Scheidet ein Arbeitnehmer vorzeitig aus der BQG aus, hat er nicht automa- 714 tisch Anspruch auf Auszahlung der dadurch bei der BQG entstehenden Ersparnisse. BAG, 20.8.2002 – 9 AZR 678/00, AiB 2004, 55 f.

(4) Bedingung: Bewilligung von Transfer-Kug Im Hinblick darauf, dass sich die Einschaltung einer BQG für den Insol- 715 venzverwalter finanziell in der Regel nur dann realisieren lässt, wenn Transfer-Kug gewährt wird, sollte die Begründung des Arbeitsverhältnisses mit der BQG unter die aufschiebende Bedingung der Bewilligung von Transfer-Kug gestellt werden. Gleichzeitig sollte die auflösende Bedingung vereinbart

163

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

werden, dass das Arbeitsverhältnis mit der BQG nur so lange besteht, wie das Transfer-Kug (und ggf. der Aufstockungsbetrag) gezahlt wird. Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 4; Raif, ArbRAktuell 2009, 225; vgl. zur Zulässigkeit der Vereinbarung von Bedingungen auch LAG Hamburg, 7.9.2005 – 5 Sa 41/05, NZA-RR 2005, 658, 660.

(5) Gegebenenfalls Leiharbeitsverhältnis 716 In der Praxis werden die Arbeitnehmer von der BQG bzw. von einer Tochtergesellschaft der BQG gelegentlich auch an das personalabgebende Unternehmen oder an Dritte zur Arbeitsleistung überlassen. Dadurch kann beispielsweise der Geschäftsbetrieb in bestimmten Unternehmensbereichen oder Betriebsteilen für eine Übergangsperiode fortgesetzt werden. Dabei handelt es sich regelmäßig um erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG). Insoweit sind im Arbeitsverhältnis zwischen BQG bzw. deren Tochtergesellschaft und (Leih-)Arbeitnehmer insbesondere die Nachweispflichten des § 11 AÜG sowie der Grundsatz von „Equal Pay“ und „Equal Treatment“ nach §§ 10 Abs. 4, 9 Nr. 2, 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG zu beachten. 717 Ob sich die BQG für den Fall, dass sie Verleiher ist, dem „Equal Pay“/ „Equal Treatment“-Gebot durch arbeitsvertragliche Inbezugnahme von Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche entziehen kann, ist zweifelhaft. Denn Voraussetzung des Ausnahmetatbestands in § 9 Nr. 2 Hs. 3 AÜG ist, dass sich die Leiharbeitsvertragsparteien „im Geltungsbereich“ eines solchen Tarifvertrags befinden. Fraglich ist aber, ob eine BQG in den betrieblichen bzw. fachlichen Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags der Zeitarbeitsbranche fällt, da sie überwiegend Qualifikations-, Fortbildungs- und Vermittlungstätigkeit betreibt und nicht Arbeitnehmerüberlassung. Nach den Durchführungsanweisungen der BA und der bislang vorherrschenden Auffassung kommt es für die Zuordnung insoweit auf den Hauptzweck des Betriebs an. Geschäftsanweisung AÜG (Stand: Juli 2015), Ziff. 3.1.8 Abs. 5; ErfK/Franzen, § 4 TVG Rn. 13; a. A. Lembke/Distler, NZA 2006, 952 ff.

718 Geht man davon aus, dass das Schwergewicht der betrieblichen Tätigkeit einer BQG nicht in der Überlassung von Arbeitnehmern an Dritte liegt, scheidet die Berufung auf die tarifrechtliche Öffnungsklausel des „Equal Treatment“-Grundsatzes für die BQG wohl aus. Thüsing/Stiebert in: Brandt/Lembke, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgericht, S. 75; diese Auffassung ist jedoch nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch das BAG(BAG, 7.7.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 2010, 1068) zweifelhaft; HWK/Kalb, § 3 AÜG Rn. 38; siehe auch Lembke/Diestler, NZA2006, 952 ff.

164

III. Arbeitsrechtliche Aspekte

Die BQG hat dem überlassenen Arbeitnehmer also die Arbeitsbedingungen 719 vergleichbarer Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs zu gewähren. Das macht in der Praxis die Option der Arbeitnehmerüberlassung für die BQG unattraktiv. Eine andere Beurteilung ist aber möglich, wenn nicht die BQG, sondern eine speziell zum Zwecke der Arbeitnehmerüberlassung gegründete Tochtergesellschaft der BQG die Arbeitnehmer überlässt. Werden die Leiharbeitnehmer in den Konzern ihres früheren Arbeitgebers 720 überlassen, ist ein Abweichen durch Tarifvertrag nicht möglich, sofern sie nicht bereits vor mehr als sechs Monaten bei dem früheren Arbeitgeber ausgeschieden sind (vgl. § 9 Nr. 2 letzter Hs. AÜG, sog. „Drehtürklausel“). Näher zur Drehtürklausel siehe Lembke, in Boemke/Lembke, AÜG, § 9 Rn. 438; Lembke, DB 2011, 414, 419.

Beim Einsatz von Arbeitnehmerüberlassung durch die BQG ist zudem zu 721 beachten, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld nach § 111 SGB III nicht gegeben sind, wenn der Arbeitnehmer direkt von dieser im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt wird. Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit dient die Teilnahme an einer beE vorrangig der Verbesserung der Eingliederungsaussichten, die durch geeignete Maßnahmen zum Zwecke der Qualifizierung oder durch Beschäftigung in einem Probearbeitsverhältnis erreicht werden soll. Diese Zielsetzung, die auf schnellst- und bestmögliche Integration eingerichtet ist, schließt es nach Ansicht der Bundesagentur für Arbeit aus, dass die Arbeitnehmer – auch bei Vorhandensein einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis – von der BQG direkt als Leiharbeitnehmer verliehen werden. Da die Feststellung der Eignung für eine bestimmte Tätigkeit auch mit dem Instrument der Probebeschäftigung erreicht werden könne, stehe ein Verleih dem originären Sinn solcher Maßnahmen entgegen. Bei einem Verleih durch die BQG liege eher die Vermutung der zusätzlichen Gewinnabsicht nah. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.6.2 Abs. 4.

Außerdem ist der Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld nach § 111 Abs. 8 722 SGB III ausgeschlossen, wenn die Arbeitnehmer wieder an den alten Arbeitgeber überlassen werden. Vgl. Rn. 794.

Nach Ansicht des LAG Köln liegt kein Betriebsübergang vor, wenn der In- 723 solvenzverwalter den Betrieb mit früheren Arbeitnehmern des Betriebs, die in die BQG gewechselt sind und die er von dieser ausleiht, fortführt. LAG Köln, 27.6.2011 – 2 Sa 1369/10, BeckRS 2011, 76206; m. Anm. Raif, GWR 2011, 459; siehe aber auch LAG Köln, 2.8.2010 – 2 Sa 176/10, ZIP 2011, 830.

165

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

cc) Alter Arbeitgeber – BQG 724 Drittes Element des Sanierungskonzepts unter Einschaltung einer BQG ist der – ggf. mit Zustimmung der Gläubigerversammlung (§ 160 Abs. 1 InsO) – zwischen dem Insolvenzverwalter und der BQG abgeschlossene Dienstleistungs- und Kooperationsvertrag, in dem einerseits die von der BQG geschuldeten Qualifizierungs-, Fortbildungs- und Vermittlungsdienste geregelt sind und andererseits die Vergütungs- und Finanzierungspflichten sowie die sonstigen Leistungen des Insolvenzverwalters (z. B. Zurverfügungstellung von Büro- und Schulungsräumen im Betrieb). Ries, NZI 2002, 521, 527.

725 Zu den Finanzierungslasten des alten Arbeitgebers zählen insbesondere die Zuschläge zum Transferkurzarbeitergeld und ggf. „Sprinter-Prämien“, siehe Rn. 709 f.,

die Verwaltungskosten für die BQG, in der Praxis werden sie gelegentlich grob auf 100 € pro Monat und Mitarbeiter bzw. 125 € pro Monat für Mitarbeiter, die letztlich vermittelt werden, geschätzt,

etwaige Anteile an Weiterbildungs- und Qualifizierungskosten, in der Praxis geht man insoweit von grob 2.500 € pro Arbeitnehmer für zwölf Monate aus, da gem. § 110 Abs. 2 Satz SGB III die Agentur für Arbeit einen Zuschuss in Höhe von 50 % der erforderlichen und angemessenen Maßnahmekosten, jedoch höchstens 2.500 € je gefördertem Arbeitnehmer, leistet,

sowie die sog. Remanenzkosten, d. h. die (Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-)Beiträge zur Sozialversicherung (Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung, nicht Arbeitslosenversicherung) und Entgeltzahlungen an Urlaubs- und Feiertagen. Die Remanenzkosten belaufen sich auf ca. 40 % des bisherigen Arbeitgeberbruttoaufwands, Ries, NZI 2002, 521, 525. An Urlaubs- und Feiertagen leistet die BA nicht, da die Arbeit nicht mangels Beschäftigungsmöglichkeit ausfällt, siehe Growe, AiB 1998, 260, 261; Schindele, ArbRAktuell 2013, 512, 514. Zu den Finanzierungskosten allg. Gaul/Kliemt, NZA 2000, 674, 677 f.; Gänßbauer, S. 158; Growe, AiB 1998, 260, 261; Ries, NZI 2002, 521, 525 f.; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 867; Zobel, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 28 Kollektives Arbeitsrecht Rn. 310 f. Sigle, FA 2013, 73, 74 f.

726 Insgesamt betragen die von dem Veräußerer zu tragenden Kosten etwa 50 % bis 60 % der vormaligen Lohnkosten des jeweiligen Arbeitnehmers. Es gilt

166

III. Arbeitsrechtliche Aspekte

daher die Faustformel, dass anstelle von einem Monat Kündigungsfrist zwei Monate Verweildauer in der BQG finanziert werden können. Raif, ArbRAktuell 2009, 225; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 868 Willmer/Fuchs/Berner, NZI 2015, 263, 264.

Im Übrigen sollte eine Regelung zu den sog. „Abgangsersparnissen“ getroffen 727 werden. Sie werden in der Praxis mit etwa 30 % der Gesamtkosten beziffert.

Das betrifft die Frage, was mit dem der BQG zur Verfügung gestellten Geld 728 passiert, welches am Ende der Förderung übrig bleibt, weil Arbeitnehmer aufgrund schneller Vermittlung auf einen neuen Arbeitsplatz früher als erwartet aus der BQG ausgeschieden sind. b) Kein Betriebsübergang auf die BQG nach § 613a BGB Der Transfer der Arbeitnehmer vom insolventen Unternehmen zur BQG 729 findet weder aufgrund eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB statt, noch begründet er einen Betriebsübergang. Denn die BQG übernimmt außer den Arbeitnehmern keine materiellen oder immateriellen Betriebsmittel und verfolgt mit der Qualifizierung, Fortbildung und Vermittlung der Arbeitnehmer ganz andere Betriebszwecke als der vorherige Arbeitgeber, sodass bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung, näher Rn. 54,

nicht von einem Übergang einer wirtschaftlichen Einheit gesprochen werden kann, welche ihre Identität wahrt. Küttner/Kania, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 3; Lembke, BB 2004, 773, 776; Ries, NZI 2002, 521, 528; Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 867; Schweibert in: Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Rn. C 252c.

Die Nichtanwendbarkeit von § 613a BGB hat zur Folge, dass die BQG nicht 730 an die im insolventen Unternehmen geltenden Arbeitsbedingungen gebunden ist und insbesondere nicht die Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung übernehmen muss. 4. Fortführung der Geschäftstätigkeit durch die Auffanggesellschaft Mit der Überleitung der Arbeitnehmer in die BQG ist die Umstrukturierung 731 des insolventen Unternehmens noch nicht abgeschlossen. Typischerweise folgt die Übertragung der materiellen Betriebsmittel (z. B. Grundstücke, Inventar, Maschinen, sonstige Arbeitsmittel, Kundendatei) und ggf. immaterieller Betriebsmittel (z. B. Patente, Namensrechte, sonstige gewerbliche Schutzrechte) vom insolventen Unternehmen auf die bereits vorhandene oder 167

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

neu gegründete Auffanggesellschaft bzw. auf einen Investor im Wege der Einzelrechtsnachfolge („Asset Deal“). 732 Die Auffanggesellschaft führt sodann den Betrieb – ggf. in vermindertem Umfang – fort. Dazu bietet die Auffanggesellschaft ausgewählten Arbeitnehmern der BQG Arbeitsverträge an und stellt sich sodann eine „Wunschmannschaft“ zusammen, die zu günstigeren Arbeitsbedingungen als beim insolventen Unternehmen tätig wird. Wie oben, siehe Rn. 660,

bereits ausgeführt, sollte der Erwerber jedoch bei der Auswahl der zu übernehmenden Arbeitnehmer darauf achten, keinen Verstoß gegen das AGG zu begehen. Es mag daher ratsam sein, bewusst einige ältere Arbeitnehmer zu übernehmen. Jedenfalls sollte der Erwerber den Auswahlvorgang und die Gründe für die Auswahl der einzelnen Arbeitnehmer sorgfältig dokumentieren. Vgl. auch Krieger/Fischinger, NJW 2007, 2292.

733 Die Übernahme der Arbeitnehmer durch die Auffanggesellschaft geschieht häufig in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Transfer der Arbeitnehmer in die BQG. Im „Dörries-Scharmann“-Fall des BAG, BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB = NZA 1999, 422; dazu näher Rn. 886 ff.,

lag zwischen der Aufnahme der Arbeitnehmer in die BQG (7.6.1996) und der Einstellung eines Teils der BQG-Arbeitnehmer in der Auffanggesellschaft (1.7.1996) weniger als ein Monat. Je kürzer die Verweildauer der Arbeitnehmer in der BQG ist, desto eher besteht jedoch Grund zur Annahme, dass die Übernahme in die BQG nur zum Schein erfolgt und eine Umgehung vorliegt. Dies hat das BAG in einem Fall angenommen, in dem die Verweildauer in der BQG nur einen einzigen Tag betrug. BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152; siehe auch den Sachverhalt von BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436 = BeckRS 2013, 65736; in diesem Fall betrug die Verweildauer in der BQG sogar nur 30 Minuten. Das BAG hat dies jedoch nicht weiter thematisiert, sondern eine Umgehung von § 613a BGB aus anderen Gründen angenommen; siehe dazu näher Rn. 945 ff.

734 In der Praxis kann es freilich auch zu längeren Unterbrechungen bis zur Fortführung der Geschäftstätigkeit in der Auffanggesellschaft kommen, etwa wenn der Geschäftsbetrieb von einem Investor fortgeführt werden soll und die Übernahmeverhandlungen länger dauern.

168

III. Arbeitsrechtliche Aspekte

a) Betriebs(teil)übergang Sofern die Betriebsmittel und die von der BQG übernommenen Arbeitnehmer 735 nicht ausnahmsweise in eine bereits bestehende Betriebsorganisation eingegliedert werden, dürfte im Regelfall ein Betriebs(teil)übergang vom insolventen Unternehmen auf die Auffanggesellschaft vorliegen. Ebenso Gaul, § 20 Rn. 208; vgl. auch BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436.

Denn vielfach wird man im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände 736 des Einzelfalls davon ausgehen können, dass eine wirtschaftliche Einheit übergeht, die ihre Identität wahrt. Siehe zu den Kriterien eines Betriebs(teil)übergangs im Einzelnen Rn. 57 ff.

Dies gilt jedenfalls, wenn die von der Auffanggesellschaft durchgeführten 737 Tätigkeiten sowie die Art des Unternehmens denjenigen des insolventen Unternehmens entsprechen, die materiellen und immateriellen Betriebsmittel (überwiegend) identisch sind, der Kundenkreis übergegangen ist, wesentliche Teile der Belegschaft und insbesondere die Know-how-Träger – über den Umweg via BQG – bei der Auffanggesellschaft weiterbeschäftigt werden und die Dauer der Unterbrechung der Tätigkeit insgesamt unwesentlich ist. Folglich findet § 613a BGB Anwendung. Bei Betriebsübergang nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt dies in haftungsrechtlicher Hinsicht freilich mit der Maßgabe, dass der Betriebserwerber nach § 613a BGB für solche Ansprüche nicht haftet, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, BAG, 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318, 322 f.; BAG, 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432; Lembke, BB 2007, 1333.

Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber in die Rechte und Pflichten 738 aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Allerdings hat dies in der hier zu besprechenden Fallgestaltung nicht zur Folge, dass sämtliche Arbeitnehmer, die vom insolventen Unternehmen in die BQG transferiert wurden, nun kraft Gesetzes Arbeitnehmer der Auffanggesellschaft werden. Denn (idealiter) bestand im Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs kein Arbeitsverhältnis mehr zwischen den Arbeitnehmern und dem insolventen Unternehmen/Veräußerer, sodass ein Übergang der Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB ausscheidet. Die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer mit dem alten Arbeitgeber sind bereits bei Übergang auf die BQG durch Aufhebungsvertrag beendet worden – ggf. sogar rückwirkend auf die Zeit vor dem Betriebsübergang. Das ist zulässig, wenn das Arbeitsverhältnis bereits außer Vollzug gesetzt worden war, BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, 1573.

169

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

b) Rechtsprechung des BAG 739 Fraglich ist aber, ob der – im Rahmen des dreiseitigen Vertrags abgeschlossene – Aufhebungsvertrag wirksam ist. Dies hat das BAG in gefestigter Rechtsprechung bejaht und die Umstrukturierungspraxis unter Einschaltung einer BQG im Prinzip gebilligt. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB = NZA 1999, 422 („Dörries Scharmann I“); BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572 („Dörries Scharmann II“); BAG, 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145 („Hotelbetriebsfortführung“); BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866 („Fensterproduktion“); BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 606/05, AP BGB § 613a Nr. 317; BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 („Losverfahren“); BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436 („Auswahl aus mehreren Verträgen“); siehe auch Parallelentscheidung 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203; siehe zum Ganzen ebenso die Rechtsprechungsübersicht Rn. 885 ff.; Lembke, BB 2007, 1333, 1338 ff. Bissels/Jordan/Wisskirchen, NZI 2009, 865, 868 f.; Krieger/Fischinger, NJW 2007, 2291 ff.; Raif, ArbRAktuell 2009, 225; Fuhlrott, BB 2013, 2042; ders., FA 2013, 165; Sigle, FA 2013, 73, 75; Thum, BB 2013, 1525; Pils, NZA 2013, 125, 130.

740 Das BAG hat dabei folgende Grundsätze herausgearbeitet: aa) Keine Nichtigkeit des Aufhebungsvertrags wegen Umgehung des § 613a BGB 741 Der dreiseitige Vertrag ist nicht wegen Umgehung des § 613a BGB gem. § 134 BGB nichtig, wenn er auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb des insolventen Arbeitgebers gerichtet ist und nicht nur der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses dient. Dies gilt auch, wenn zugleich ein Übertritt des Arbeitnehmers in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vereinbart wird. Dieselben Grundsätze wendet das BAG auch bei Eigenkündigungen an, die der Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers vor dem Betriebsübergang ausspricht; vgl. BAG, 27.9.2012 – 8 AZR 82/11, ZIP 2013, 1186 = DB 2013, 642.

742 § 613a BGB wird umgangen, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezweckt, weil zugleich ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart oder zumindest in Aussicht gestellt wird („Lemgoer Modell“). § 613a BGB

170

III. Arbeitsrechtliche Aspekte

gewährt nur einen Schutz vor einer Veränderung des Vertragsinhaltes ohne sachlichen Grund, nicht aber einen Schutz vor einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund. Maßgebliches Entscheidungskriterium ist demnach, ob eine verbindliche Einstellungszusage des Erwerbers vorliegt. Ist dies nicht der Fall, besteht lediglich die „mehr oder weniger begründete Erwartung“ des Arbeitnehmers, in ein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber treten zu können. Der Vertragsschluss kommt dann einem Risikogeschäft gleich und dient nicht der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses. BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = AP Nr. 185 zu § 613a BGB = NZA 1999, 422, 424; BAG, 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147; BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 868.

Nach Ansicht des BAG ist die Vertragsaussicht bereits dann „verbindlich“, 743 wenn die Auswahl der Arbeitnehmer, mit denen der Betriebserwerber einen Arbeitsvertrag abschließt, per Losentscheid ausgewählt werden und sich der nachfolgende Betriebsinhaber seinerseits diesem Losverfahren verbindlich unterwirft. BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152.

Nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg kann von einer sicheren 744 Aussicht auf Einstellung hingegen nicht ausgegangen werden, wenn dem Arbeitnehmer ein dreiseitiger Vertrag zwischen ihm, dem Insolvenzverwalter und der BQG sowie ein befristeter und ein unbefristeter Vertrag mit dem Erwerber zur Unterschrift vorgelegt wird mit der Aufforderung, abzuwarten, welchen Vertrag er gegengezeichnet zurückerhalte. LAG Baden-Württemberg, 18.12.2008 – 11 Sa 59/08, BeckRS 2010, 71906, Ls. 2.

Demgegenüber liegt nach Ansicht des BAG eine Umgehung von § 613a BGB 745 vor, wenn jedem Arbeitnehmer sowohl ein dreiseitiger Vertrag zum Wechsel in die BQG als auch vier weitere Vertragsdokumente, nämlich ein unbefristeter und drei unterschiedlich lange (12, 20, 32 Monate) befristete Arbeitsverträge mit dem Erwerber, mit der Aufforderung, alle Verträge zu unterschreiben, ausgehändigt werden, auch wenn der Erwerber sich vorbehält, welche Verträge er seinerseits gegenzeichnet, wobei jedoch von vornherein klar ist, dass rund 93 % der Belegschaft übernommen werden sollen und der Erwerber sich dazu vertraglich verpflichtet hat (Closing-Bedingung). Der Arbeitnehmer kann in einem solchem Fall davon ausgehen, dass seine Übernahme durch den Betriebserwerber „so gut wie sicher“ ist; ein „Risikogeschäft“ liegt nicht vor. BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436 = BeckRS 2013, 65736, dazu Anm. Boigs, jurisPR-ArbR 12/2013, Anm. 3; siehe auch Parallelentscheidung 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203, dazu Anm. Lindemann EWiR § 613a BGB 2/13, 169.

171

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

746 Nach Ansicht des ArbG Lübeck liegt eine Umgehung des § 613a BGB nicht vor, wenn sich am Ende der Vorbemerkung eines Aufhebungsvertrags der Hinweis befindet, dass bei Zustandekommen eines Übernahmevertrags zwischen dem insolventen Unternehmen und einem Investor eine Chance auf das Zustandekommen eines Anschlussarbeitsverhältnisses beim Investor bestehe. ArbG Lübeck, 12.10.2010 – 6 Ca 1791/10, ZIP 2010, 2316.

747 Eine Umgehung des § 613a BGB kann vorliegen, wenn die Beschäftigungsgesellschaft zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt wird, die Sozialauswahl zu umgehen. BAG, 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147; BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 868; vgl. auch BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 = BB 2012, 451 m. Anm. Panzer-Heemeier, BB 2012, 454.

bb) Keine Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrags nach §§ 119, 123 BGB 748 Wurden den Arbeitnehmern vor Abschluss des dreiseitigen Vertrags klare Angaben über den Zweck des gesamten Modells – Entlastung der Masse, Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die BQG, damit verbundene sozialrechtliche Vorteile und eine Chance zur Rettung von Arbeitsplätzen ohne soziale Gesichtspunkte – gemacht, liegen ein Irrtum und eine arglistige Täuschung der Arbeitnehmer, die zur Anfechtung des Aufhebungsvertrags nach §§ 119, 123 BGB berechtigen würden, fern. BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, 1574.

749 Das BAG führte in der Entscheidung vom 21.1.1999 aus, die Annahme eines Irrtums oder einer Täuschung sei schon deshalb fern liegend, weil sowohl die Gewerkschaft als auch der Betriebsrat hinter dem Modell stünden. BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, 1574.

750 Dies zeigt, wie wichtig es in der Praxis ist, Betriebsrat und die im Betrieb vertretene Gewerkschaft frühzeitig einzubeziehen. 751 Eine Anfechtung gem. § 123 Abs. 1 BGB kann allerdings dann Erfolg haben, wenn der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter den Arbeitnehmern bei Abschluss des Vertrags vorspiegelt, der Betrieb solle geschlossen werden, in Wahrheit jedoch ein (Teil-)Betriebsübergang geplant ist. BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, Ls. 2; siehe zur Anfechtung eines Aufhebungsvertrags wegen arglistiger Täuschung bei nicht erfolgter Stilllegung eines Betriebs auch LAG Hamburg, 16.12.2014 – 4 Sa 40/14, BeckRS 2015, 65469.

752 Liegen Anfechtungsgründe vor, kann der dreiseitige Vertrag nur insgesamt angefochten werden. Eine Teilanfechtung (d. h. nur der auf den Abschluss des Aufhebungsvertrags gerichteten Willenserklärung des Arbeitnehmers) ist

172

III. Arbeitsrechtliche Aspekte

nicht möglich. Der Arbeitnehmer muss sich entscheiden, ob er an seinem bisherigen Arbeitsverhältnis festhalten oder in die BQG wechseln will. LAG Hessen, 10.6.2013 – 16 Sa 1583/12, BeckRS 2014, 68580; dazu Anm. Boigs, jurisPR-ArbR 23/2011, Anm. 1.

cc) Kein Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) Das BAG hat schließlich in seiner bisherigen Rechtsprechung auch das Ar- 753 gument verworfen, die Geschäftsgrundlage zu dem im dreiseitigen Vertrag enthaltenen Aufhebungsvertrag sei infolge der späteren Übernahme von Arbeitnehmern durch die Auffanggesellschaft weggefallen. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422, 425; BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, 1574; BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 867 f.

Dies ist nur konsequent, sieht man den Abschluss des dreiseitigen Vertrags – 754 wie das BAG – als „Risikogeschäft“ des Arbeitnehmers an. Vgl. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422, 424.

Im Hinblick auf die im Vertrag angelegte Risikoverteilung fehlt es an einem 755 Wegfall der Geschäftsgrundlage i. S. v. § 313 BGB. Der Arbeitnehmer ist für die Störung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet. BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 867 f.

dd) Kein Fortsetzungs- bzw. Wiedereinstellungsanspruch gegenüber der Auffanggesellschaft Schließlich verneint das BAG einen Anspruch (der nicht von der Auffangge- 756 sellschaft übernommenen Arbeitnehmer) auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei der Auffanggesellschaft, auf welche der Betrieb nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses übergegangen ist. BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422, 425; BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 869 f.

Insbesondere folgt nach Ansicht des BAG auch dann kein Kontrahierungs- 757 zwang aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) aus dem Gesichtspunkt des unredlichen Erwerbs einer eigenen Rechtsstellung, wenn der Betriebserwerber so lange mit einer Betriebsübernahme wartet, bis der Veräußerer eine Stilllegung plant, zahlreiche Arbeitsverhältnisse mittels Aufhebungsvertrag oder Kündigung beendet und deshalb ein Betrieb mit geringerer Arbeitnehmerzahl übernommen werden kann. Der Erwerber ist nicht verpflichtet, beendete Arbeitsverhältnisse neu aufleben zu lassen, selbst wenn er bewusst zugewartet hat, bis diese seitens des früheren Arbeitgebers beendet worden sind.

173

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

Das würde allenfalls dann gelten, wenn er am Zustandekommen des Aufhebungsvertrags unredlich mitgewirkt hätte bzw. selbst getäuscht hätte. BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 869 f.

c) Aufklärungs- und Unterrichtungspflichten 758 Bereits im Hinblick auf die dargestellte Rechtsprechung zeigt sich, dass bei Umstrukturierungen in der Insolvenz unter Einschaltung einer BQG die richtige Kommunikation gegenüber den Arbeitnehmern vor Abschluss des dreiseitigen Vertrags unabdingbar ist. aa) Allgemeine Aufklärungspflichten 759 Erteilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Auskünfte, so müssen sie richtig und vollständig sein. BAG, 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, ZIP 2001, 472 = NZA 2001, 206, 207; m. Anm. Blomeyer, EWiR 2001, 307.

760 Zwar muss sich der Arbeitnehmer vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags regelmäßig selbst über die Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klarheit verschaffen. Den Arbeitgeber treffen aber jedenfalls dann erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorschlägt und dadurch den Eindruck erweckt, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen Risiken für den Bestand seines Arbeitsverhältnisses aussetzen. BAG, 22.4.2004 – 2 AZR 281/03, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 27; BAG, 21.2.2002 – 2 AZR 749/00, BB 2002, 2335, 2337; siehe auch BAG, 11.12.2002 – 3 AZR 339/00, DB 2002, 2387 f.; BAG, 17.10.2000 – 3 AZR 605/99, ZIP 2001, 472 = NZA 2001, 206, 207.

761 Im Hinblick auf diese allgemeinen Aufklärungspflichten ist es wichtig, dass der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmern „reinen Wein einschenkt“, den Risikocharakter des dreiseitigen Vertrags, vgl. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422, 424: „Risikogeschäft“; vgl. auch BAG, 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147; BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 868,

vor Augen führt und klare Angaben über den Zweck des Modells, d. h. die Entlastung der Masse durch frühzeitigen einvernehmlichen Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die BQG und die (bloße) Chance zur Rettung von Arbeitsplätzen ohne Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte, macht.

174

III. Arbeitsrechtliche Aspekte Vgl. BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, 1574; m. Anm. Heckelmann, EWiR 1999, 1163; Fuhlrott, FA 2013, 165, 168; Thum, BB 2013, 1525, 1528.

Insbesondere darf gegenüber den Arbeitnehmern nicht ein neues Arbeits- 762 verhältnis in der den Geschäftsbetrieb fortführenden Auffanggesellschaft verbindlich in Aussicht gestellt werden, sonst sind die Aufhebungsverträge wegen Umgehung des § 613a BGB nichtig, vgl. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 = NZA 1999, 422, Ls. 2; BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572, Ls. 3.; BAG, 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145, 147; BAG, 23.11 2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866, 868; BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 („Losverfahren“); BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436 („Auswahl aus mehreren Verträgen“); siehe auch Parallelentscheidung 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203,

und die Arbeitsverhältnisse gehen mit den im insolventen Unternehmen geltenden Arbeitsbedingungen gemäß § 613a BGB über. bb) Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB Abgesehen davon fragt sich aber, ob der Insolvenzverwalter im Hinblick auf 763 den in Aussicht genommenen Betriebs(teil)übergang auf die Auffanggesellschaft die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB erfüllen muss. Nach § 613a Abs. 5 BGB hat der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber 764 die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform (§ 126b BGB) zu unterrichten über den (geplanten) Zeitpunkt des Übergangs, den Grund für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen. Hierbei handelt es sich um eine echte Rechtspflicht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB auslösen kann. Der Arbeitnehmer, der sich auf eine unzulängliche Unterrichtung beruft, kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er gestanden hätte, wenn er richtig und vollständig informiert worden wäre. BAG, 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642, Os. 3; BAG, 27.11.2008 – 8 AZR 220/07, AP BGB § 613a Widerspruch Nr. 6; Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159, 1161; zust. Adam, AuR 2003, 441, 443; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn. 94.

Macht der Arbeitnehmer im vorliegenden Kontext z. B. geltend, bei ord- 765 nungsgemäßer Unterrichtung hätte er den Aufhebungsvertrag nicht unterschrieben, sondern sich auf den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 1 BGB berufen, besteht das Risiko darin, dass der Arbeitnehmer

175

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

als Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 2 BGB von der Auffanggesellschaft zu den mit dem insolventen Unternehmen vereinbarten Arbeitsbedingungen eingestellt werden muss. Das BAG geht allerdings davon aus, dass § 613a Abs. 5 und Abs. 6 BGB Sondervorschriften sind. Eines Schadensersatzanspruchs bedürfe es daher nicht. Dies gilt jedenfalls, wenn der Arbeitnehmer geltend macht, er hätte bei ordnungsgemäßer Unterrichtung gem. § 613a Abs. 5 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen und damit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beim Betriebsveräußerer verlangt; vgl. BAG, 27.11.2008 – 8 AZR 220/07, AP BGB § 613a Widerspruch Nr. 6; Ob dies auch für den umgekehrten Fall gilt, dass der Arbeitnehmer eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beim Betriebserwerber als Schadensersatz wegen nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung verlangt, ist noch nicht entschieden.

766 In der vorliegenden Fallkonstellation dürften derartige Schadensersatzansprüche aber jedenfalls im Ergebnis wohl nicht bestehen. Denn die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB ist zwar bereits vor dem Betriebsübergang erfüllbar, wird jedoch erst eine logische Sekunde vor dem Betriebsübergang fällig. Lembke, BB 2004, 773, 778; vgl. auch Gaul, FA 2002, 299, 301.

767 Wann der Veräußerer und der Erwerber die Unterrichtungspflicht erfüllen, bleibt ihnen überlassen; sanktionslos können sie das in der letzten Sekunde vor dem Betriebsübergang noch tun. Ist im Zeitpunkt des Betriebsübergangs aber das Arbeitsverhältnis zwischen insolventem Unternehmen und Arbeitnehmer wirksam durch Aufhebungsvertrag beendet, können den Insolvenzverwalter Unterrichtungspflichten nach § 613a Abs. 5 BGB nicht mehr treffen. Lembke, BB 2004, 773, 778.

768 Festzuhalten ist aber, dass diese Frage noch nicht entschieden wurde. Siehe Rn. 765.

769 Ein besonders vorsichtiger Insolvenzverwalter könnte daher erwägen, die Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB über einen möglichen Betriebsübergang zur Auffanggesellschaft zu informieren, freilich mit der Klarstellung, dass der Übergang aller Arbeitsverhältnisse nach § 613a Abs. 1 BGB die sanierende Umstrukturierung des insolventen Unternehmens über das BQGModell vereiteln würde. Dann können die Arbeitnehmer in Kenntnis aller maßgeblichen Umstände den (schriftlichen) Aufhebungsvertrag abschließen und damit gleichzeitig dem Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 6 BGB widersprechen.

176

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

cc) Einräumung einer Bedenkzeit Nach der Rechtsprechung ist zwar die in einem dreiseitigen Vertrag enthaltene 770 Aufhebungsvereinbarung nicht deshalb unwirksam, weil dem Arbeitnehmer keine Bedenkzeit eingeräumt wurde. Das LAG Hessen hat unabhängig davon die im von ihm konkret entschiedenen Fall eingeräumte Bedenkzeit von mehr als fünf Tagen für ausreichend erachtet. LAG Hessen, 10.6.2013 – 16 Sa 1583/12, BeckRS 2014, 68580; dazu Anm. Boigs, jurisPR-ArbR 23/2011, Anm. 1.

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, den Arbeitnehmern vorsichtshalber 771 eine Bedenkzeit einzuräumen. IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht stellen sich insbesondere die Fragen 772 der Förderung der BQG durch die Mittel der Arbeitsförderung, namentlich durch die Transferleistungen gemäß § 110 SGB III und § 111 SGB III, und die Folgen des BQG-Modells für Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitslosengeld. 1. Transferkurzarbeitergeld (§ 111 SGB III) Hinsichtlich der Finanzierung der BQG durch öffentliche Mittel ist das 773 Transferkurzarbeitergeld (Transfer-Kug) von wesentlicher Bedeutung. Dieses war vom 1.1.2004 bis zum 31.3.2012 in § 216b SGB III geregelt. Durch das Gesetz für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt (Beschäftigungschancengesetz) vom 24.10.2010, BGBl. I S. 1417, ber. S. 2329,

wurde die Vorschrift mit Wirkung ab dem 1.1.2011 neu gefasst. Zu den Gesetzesänderungen Schnitzler, NZA-Beil. 2012, 17 ff.

Durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen im Arbeits- 774 markt (Eingliederungschancengesetz) vom 20.12.2011, BGBl. I S. 2854,

wurden die Voraussetzungen des Transfer-Kug erneut geändert und finden sich seitdem in § 111 SGB III. Zu den Gesetzesänderungen Voelzke, NZA 2012, 177 ff; Sigle, FA 2013, 168 ff; zur beihilferechtlichen Beurteilung der staatlichen Förderung siehe Soltész/Winzer, DB 2013, 105, 107 f.

a) Voraussetzungen § 111 Abs. 1 Satz 1 SGB III regelt folgende Anspruchsvoraussetzungen:

775

„Um Entlassungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vermeiden und ihre Vermittlungsaussichten zu verbessern, haben diese Anspruch auf

177

E. Umstrukturierung in der Insolvenz Kurzarbeitergeld zur Förderung der Eingliederung bei betrieblichen Restrukturierungen (Transferkurzarbeitergeld), wenn 1.

und solange sie von einem dauerhaften nicht vermeidbaren Arbeitsausfall mit Entgeltausfall betroffen sind,

2.

die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind,

3.

die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind,

4.

sich die Betriebsparteien im Vorfeld der Entscheidung über die Inanspruchnahme von Transferkurzarbeitergeld, insbesondere im Rahmen ihrer Verhandlungen über einen die Integration der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fördernden Interessenausgleich oder Sozialplan nach § 112 des Betriebsverfassungsgesetzes, von der Agentur für Arbeit beraten lassen haben und

5.

der dauerhafte Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist.“

776 Ferner bestimmt § 111 Abs. 2 SGB III Folgendes: „Ein dauerhafter Arbeitsausfall liegt vor, wenn aufgrund einer Betriebsänderung i. S. d. § 110 Abs. 1 Satz 3 die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend entfallen. Der Entgeltausfall kann auch jeweils 100 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts betragen.“

aa) Dauerhafter unvermeidbarer Arbeitsausfall mit Entgeltausfall 777 Zunächst muss der Arbeitnehmer von einem dauerhaften nicht vermeidbaren Arbeitsausfall mit Entgeltausfall betroffen sein (§ 111 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). (1) Dauerhafter Arbeitsausfall 778 Ein dauerhafter Arbeitsausfall liegt vor, wenn infolge einer Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG – jedoch unabhängig von der Unternehmensgröße und der Anwendbarkeit des BetrVG im jeweiligen Betrieb (§ 110 Abs. 1 Satz 3 SGB III) – die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend entfallen (§ 111 Abs. 2 SGB III). Letzteres ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles davon auszugehen ist, dass der betroffene Betrieb in absehbarer Zeit die aufgebauten Arbeitskapazitäten nicht mehr im bisherigen Umfang benötigt. BT-Drucks. 15/1515, S. 92; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013) Ziff. 12.3.1 Abs. 1.

779 In Betracht kommt von den Tatbeständen des § 111 Satz 3 Nr. 1 – 5 BetrVG also insbesondere die Betriebsstilllegung bzw. Einschränkung von wesentlichen Betriebsteilen im Rahmen eines Personalabbaus, der die – als Richtschnur dienenden – Schwellenwerte des § 17 KSchG überschreitet. Bei Großbetrieben (d. h. Betrieben mit mehr als 600 Arbeitnehmern) gilt jedoch die Einschränkung, dass mindestens 5 % der Gesamtbelegschaft entlassen

178

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

werden müssen. Danach gilt für die Frage, ob eine Betriebsänderung in Form einer Betriebsstilllegung oder -einschränkung vorliegt, folgende Staffelung: Betriebe mit 21 – 59 Arbeitnehmern

mindestens 6 Arbeitnehmer,

Betriebe mit 60 – 499 Arbeitnehmern

entweder 10 % der Arbeitnehmer oder mehr als 25 Arbeitnehmer,

Betriebe mit 500 – 599 Arbeitnehmer

mehr als 30 Arbeitnehmer,

Betriebe mit über 600 Arbeitnehmern

5 % der Arbeitnehmer,

die aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden sollen. Als Entlassung 780 gilt auch das vom Arbeitgeber aus Gründen der Betriebsänderung veranlasste Ausscheiden von Arbeitnehmern aufgrund von Aufhebungsverträgen. Findet der Personalabbau in einem wesentlichen Betriebsteil statt, gelten dieselben Größenordnungen mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Betriebs der wesentliche Betriebsteil tritt. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.1 Abs. 6, 7 (mit Beispieltabelle); Gagel/Bieback, SGB III, § 111 Rn. 48; HWK/Nimscholz, §§ 110, 111 SGB III Rn. 3.

(2) Unternehmen mit bis zu 20 Arbeitnehmern Die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld ist auch in Unternehmen mit 781 nicht mehr als 20 Arbeitnehmern möglich. Denn die Regelungen zum Transferkurzarbeitergeld erfassen explizit alle Betriebsänderungen „unabhängig von der Unternehmensgröße“ und damit unabhängig vom Schwellenwert des § 111 Satz 1 BetrVG (§ 111 Abs. 2, § 110 Abs. 1 Satz 3 SGB III). Die Ermittlung des einschlägigen Schwellenwerts für das Vorliegen einer Betriebsänderung in Unternehmen mit nicht mehr als 20 Arbeitnehmern ist jedoch unklar, da § 17 KSchG hierzu keine Zahlenangaben enthält. Die Bundesagentur für Arbeit geht insoweit davon aus, dass mindestens 30 % der Gesamtbelegschaft vom Personalabbau betroffen sein muss. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.1 Abs. 9; a. A. Gagel/Bieback, SGB III, § 111 Rn. 48, wonach es bei Kleinbetrieben nur auf den Schwellenwert von 5 % ankommen soll.

(3) Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes mit Ausnahme der Beschäftigten 782 von Unternehmen, die in selbstständiger Rechtsform erwerbswirtschaftlich betrieben werden, können kein Transferkurzarbeitergeld erhalten (§ 111 Abs. 8 Satz 2 SGB III i. V. m. § 110 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Arbeitnehmer von in privater Rechtsform betriebenen Unternehmen der 783 öffentlichen Hand, die im Wettbewerb zu anderen privatwirtschaftlichen Un-

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

ternehmen stehen, sind also förderfähig, selbst wenn die Anteile am Unternehmen ausschließlich oder überwiegend von der öffentlichen Hand (z. B. Bund, Länder oder Gemeinden) gehalten werden. Förderfähig sind auch die sog. gemischt-wirtschaftlichen Betriebe mit privater Rechtspersönlichkeit. In diesen Fällen wird von der Agentur für Arbeit nicht geprüft, ob diese Betriebe erwerbswirtschaftlich betrieben werden (§ 110 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Durch die Einbeziehung dieser Betriebe sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer gewährleistet werden. BT-Drucks. 15/3674, S. 9; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.1 Abs. 2.

784 Nicht mit Transferleistungen gefördert werden hingegen Arbeitnehmer von unmittelbar von der öffentlichen Hand geführten Verwaltungen oder Betrieben des Bundes, der Länder, Gemeinden und sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Begründet wird diese Ausnahme mit der besonderen Fürsorgepflicht des Staates gegenüber den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes. Damit sei sichergestellt, dass bei Personalanpassungsmaßnahmen sinnvolle Transfermaßnahmen auch ohne zusätzliche finanzielle Anreize der Arbeitslosenversicherung durchgeführt werden. BT-Drucks. 15/3674, S. 9.

785 Dies erscheint in der gegenwärtigen Situation leerer öffentlicher Kassen allerdings durchaus zweifelhaft. (4) Arbeitnehmer kirchlicher Einrichtungen 786 Fördermittel für Transferleistungen können auch Arbeitnehmern kirchlicher und kirchennaher Einrichtungen zugutekommen. Als Betriebsänderungen i. S. d. § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB III gelten Betriebsänderungen i. S. v. § 111 BetrVG nicht nur unabhängig von der Unternehmensgröße, sondern auch „unabhängig von der Anwendbarkeit des Betriebsverfassungsgesetzes im jeweiligen Betrieb“. Dazu BT-Drucks. 15/3674, S. 9.

787 Es spielt daher für die Gewährung des Transferkurzarbeitergelds (vgl. § 111 Abs. 2 SGB III und § 110 Abs. 1 Satz 3 SGB III) keine Rolle, dass das BetrVG gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform keine Anwendung findet. (5) Nichtvermeidbarkeit des Arbeitsausfalls 788 Bis zum 31.12.2012 war in § 111 Abs. 1 Nr. 1 SGB III von einem „unvermeidbaren“ Arbeitsausfall die Rede. Durch das Gesetz zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfeger und zur Änderung anderer Gesetze vom 5.12.2012, BGBl. I S. 2467,

180

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

wurde die Formulierung mit Wirkung ab dem 1.1.2013 in „nicht vermeidbar“ geändert. Laut Gesetzesbegründung handelte es sich bei dieser Änderung um die Korrektur einer redaktionellen Unrichtigkeit. BT-Drucks. 17/10749, S. 16.

Nicht vermeidbar ist ein dauerhafter Arbeitsausfall i. S. v. § 111 Abs. 1 Nr. 1 789 SGB III, wenn im Betrieb alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen wurden, um den Eintritt des Arbeitsausfalls zu verhindern. Ein Arbeitsausfall wegen einer Betriebsänderung ist grundsätzlich nicht vermeidbar. (6) Entgeltausfall Der dauerhafte nicht vermeidbare Arbeitsausfall muss auch mit einem Ent- 790 geltausfall einhergehen. In der Regel wird mit der arbeitsrechtlichen Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und BQG, mit der auch die Arbeitszeit auf Null reduziert wird („Kurzarbeit Null“), der Entgeltanspruch – zumindest teilweise – abbedungen. Die Zahlung von Zuschüssen zum Transferkurzarbeitergeld ändert nichts daran, dass dem Arbeitnehmer ein Entgeltausfall entsteht. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.1 Abs. 3; Welkoborsky, NZS 2004, 509, 514.

bb) Betriebliche Voraussetzungen Die betrieblichen Voraussetzungen des § 111 Abs. 1 Nr. 2 SGB III sind er- 791 füllt, wenn (1) in einem Betrieb Personalanpassungsmaßnahmen aufgrund einer Betriebsänderung durchgeführt, (2) die von Arbeitsausfall betroffenen Arbeitnehmer zur Vermeidung von Entlassungen und zur Verbesserung ihrer Eingliederungschancen in einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit zusammengefasst werden, (3) die Organisation und Mittelausstattung der betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit den angestrebten Integrationserfolg erwarten lassen und (4) ein System zur Sicherung der Qualität angewendet wird (§ 111 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Wird die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit von einem Dritten durchgeführt, tritt an die Stelle der Anwendung eines Qualitätssicherungssystems die Trägerzulassung nach § 178 SGB III (§ 111 Abs. 3 Satz 2 SGB III). (1) Betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit Betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE) ist eine organisatorisch 792 und abrechnungstechnisch deutlich vom bisherigen Betrieb abgegrenzte Einheit. Die beE unterscheidet sich vom Betrieb/der Betriebsabteilung i.S. des Kug-Rechts grundsätzlich dadurch, dass in ihr u. a. wegen ihrer Aufgabenstellung (Zusammenfassung auf Dauer nicht benötigter Arbeitskräfte) sowie der dem Personalstand nicht angemessenen Ausstattung mit technischen Arbeitsmitteln die Verfolgung eines eigenen arbeitstechnischen Zwecks allenfalls 181

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

Nebensache ist. Wird eine interne beE gründet, ist daher eine eindeutige Trennung zwischen den Arbeitnehmern der beE und des Betriebes unerlässlich. In der Praxis handelt es sich bei der beE regelmäßig um eine (externe) BQG. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 7; Meyer, NZS 2002, 578, 582; Ries, NZI 2002, 521, 525; Küttner/Voelzke, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 18.

793 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht der Inanspruchnahme einer Transfergesellschaft grds. nicht entgegen. Der Insolvenzverwalter kann auch externe Betreiber einer Transfergesellschaft einschalten und die entsprechenden vertraglichen Verpflichtungen eingehen. In der Praxis werden die finanziellen Verbindlichkeiten des insolventen Unternehmens gegenüber der Transfergesellschaft regelmäßig durch Bürgschaften etc. gesichert, da die Begründung einer Masseverbindlichkeit in der Regel keine ausreichende Sicherheit bietet. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 4; Bissels/Jordan/Wisskirchen, ZIP 2009, 865.

794 Zur Vermeidung von Missbrauchsgestaltungen ist der Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld ausgeschlossen, wenn die Arbeitnehmer nur vorübergehend in der betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit zusammengefasst werden, um anschließend im Betrieb, Unternehmen oder Konzern des (vormaligen) Arbeitgebers eingesetzt zu werden (§ 111 Abs. 8 SGB III), sog. Subventionsverbot. BT-Drucks. 15/1515, S. 93.

(2) Vermeidung von Entlassungen und Verbesserung der Eingliederungschancen 795 Der Übergang in die BQG muss zur Vermeidung von Entlassungen und zur Verbesserung der Eingliederungschancen der betroffenen Arbeitnehmer geschehen. Mit der „Vermeidung von Entlassungen“ ist nicht gemeint, dass die Entlassungen auf Dauer vermieden werden müssen. Es geht vielmehr darum, die Entlassungsphase zu „strecken“. Die betroffenen Arbeitnehmer müssen daher durch ihren Eintritt in die BQG länger als nur bis zum Ablauf ihrer ordentlichen Kündigungsfrist beschäftigt werden. Soweit das Arbeitsverhältnis zum personalabgebenden Betrieb durch Aufhebungsvertrag beendet wurde, sollte die Verweildauer dieser Arbeitnehmer in der beE den Zeitraum der Kündigungsfrist schon wegen einer möglichen Sperrzeitbedrohung übersteigen. Denn grundsätzlich besteht bei dieser Konstellation für die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses nur dann ein wichtiger Grund i. S. d. § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wenn durch die Folgebeschäftigung die Arbeitslosigkeit, die bei einer an Stelle des Aufhebungsvertrags andernfalls

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IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

ausgesprochenen Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten wäre, hinausgeschoben wird. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 2; Rolf/Riechwald, BB 2011, 2805, 2806.

Teilweise wird befürwortet, dass in Fällen, in denen die Kündigungsfrist sehr 796 lang ist, besondere Vermittlungsanstrengungen und Qualifizierungsmaßnahmen anstelle einer Verlängerung der Kündigungsfrist als ausreichend erachtet werden können. Gagel/Bieback, SGB III, § 111 Rn. 62.

Dagegen spricht jedoch der Wortlaut der Vorschrift, wonach die Ziele der 797 Vermeidung von Entlassungen und der Verbesserung der Eingliederungschancen kumulativ zu erreichen sind. Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit sollen jedoch Kug-rechtlich 798 keine Bedenken bestehen, wenn im Sozialplan des Unternehmens eine einheitliche Bestandsdauer der beE für alle Arbeitnehmer festgelegt wurde und die Verweildauer einzelner Arbeitnehmer in der beE kürzer ist als es ihren individuellen Kündigungsfristen entspricht. Es muss hierbei unterstellt werden, dass der Betriebsrat bei dem Zustandekommen der arbeitsrechtlichen Vereinbarung (Sozialplan, sonstige Vereinbarung) regulierend mitgewirkt hat und insofern eine mögliche Sperrzeitbedrohung für einzelne Arbeitnehmer in Kauf genommen hat. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 2.

Der Zweck der Vermeidung von Entlassungen kann nicht mehr erreicht wer- 799 den, wenn das Arbeitsverhältnis bereits gekündigt wurde. Gekündigte Arbeitnehmer haben daher keinen Anspruch auf Transfer-Kug. In der Insolvenz sollte der Insolvenzverwalter deshalb darauf achten, dass ein Arbeitsverhältnis erst dann gekündigt wird, wenn der Arbeitnehmer einen Wechsel in die BQG abgelehnt hat. Wurden die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer vom Insol- 800 venzverwalter gekündigt und freigestellt oder zunächst nur von der Arbeitsleistung freigestellt, gilt Folgendes: Die Voraussetzungen des § 111 SGB III (Einmündung der Arbeitnehmer in 801 eine beE zur Vermeidung von Entlassungen) können nur solange erfüllt werden, wie eine Entlassung nicht wirksam geworden ist. Eine Entlassung i. S. d. kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften ist eine rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also das Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb, wenn sie vom Arbeitgeber (Insolvenzverwalter) u. a. durch einseitige Willenserklärung aufgrund ordentlicher Kündigung herbeigeführt wird. Sie wird mit Ablauf der Kündigungsfrist wirksam. Auch dann, wenn eine mit einer Freistellung verbundene Kündigung der Arbeitnehmer durch den In183

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

solvenzverwalter (§ 113 InsO) erfolgt, dauert das Arbeitsverhältnis und das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fort. Nur im leistungsrechtlichen Sinne wird das Beschäftigungsverhältnis beendet, wenn eine Arbeitsleistung tatsächlich nicht mehr erbracht wird, weil der Arbeitgeber auf seine Verfügungsgewalt verzichtet hat oder das Arbeitsverhältnis aufgrund einer von ihm ausgesprochenen Kündigung als beendet ansieht und weitere Dienste des Arbeitnehmers nicht annimmt. Im Hinblick auf die Beendigung des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) können sich die Arbeitnehmer arbeitslos melden und Alg beziehen. 802 Beabsichtigt der Insolvenzverwalter, im Zuge der Durchführung einer Betriebsänderung auch die gekündigten Arbeitnehmer einer beE zuzuführen, so könnten diese Arbeitnehmer nur dann das Transfer-Kug erhalten, wenn sich die Parteien über die ungekündigte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einig sind und eine „Rücknahme“ der Kündigung vereinbart wird. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 5; dazu Ricken, NZA 2011, 556.

803 Dagegen ist von einer Entlassung und damit von einer den Übertritt in eine beE ausschließenden Beendigung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auszugehen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung aus dem Betrieb ausgeschieden ist, welche auf einem entsprechenden Einvernehmen zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer beruht. Dem steht nicht entgegen, dass dem Arbeitnehmer in diesen Fällen gleichwohl bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses das geschuldete Arbeitsentgelt fortgezahlt wird. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 5; dazu Ricken, NZA 2011, 556.

804 Auch bei einer vorübergehenden Freistellung von Arbeitnehmern im Insolvenzverfahren ohne eine die Arbeitsverhältnisse beendigende Erklärung des Insolvenzverwalters bedarf es des „Wiederauflebens“ des Beschäftigungsverhältnisses, um mit diesen Arbeitnehmern anschließend die Zugangsvoraussetzungen zum Transfer-Kug gem. § 111 zu erfüllen. Ein rückwirkendes Einmünden in die beE und die Verrechnung des im Rahmen der Gleichwohlzahlung des § 157 Abs. 3 SGB III gewährten Alg ist nicht möglich. Zwischen den beteiligten Arbeitsvertragsparteien muss Einigkeit bestehen, dass der Arbeitgeber seine Hauptpflichten unter Nutzung der noch vorhandenen betrieblichen Kapazitäten bis zum Zeitpunkt der Überführung der Arbeitnehmer in die beE zu erfüllen hat. Eine Rückkehr in das „alte Beschäftigungsverhältnis“ für die Dauer einer „juristischen Sekunde“ ist jedoch nicht ausreichend, um diesen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis nachzukommen. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 5; dazu Ricken, NZA 2011, 556.

184

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

Von einer Verbesserung der Eingliederungschancen der in die beE wech- 805 selnden Arbeitnehmer ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund des nach § 111 Abs. 4 Nr. 4 SGB III vorzuschaltenden Profilings Vermittlungshemmnisse bestehen oder eine sofortige Vermittlung in Arbeit nicht möglich ist. Siehe Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 6.

(3) Organisation und Mittelausstattung Weitere betriebliche Voraussetzung ist, dass die Organisation und Mittel- 806 ausstattung der betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit so ausgelegt sein müssen, dass sie den angestrebten Integrationserfolg erwarten lassen. Durch diese Regelung soll sichergestellt werden, dass der beauftragte Transferanbieter die organisatorische und finanzielle Gewähr für eine erfolgreiche Eingliederungsarbeit bietet. Voraussetzung für eine erfolgreiche Eingliederungstätigkeit ist – unabhängig von den Bedingungen des jeweiligen Arbeitsmarktes – vor allem eine der Anzahl der übernommenen Arbeitnehmer entsprechende angemessene Infrastruktur des Trägers zur Umsetzung des Eingliederungskonzepts. Kriterien hierfür sind: x

Existenz ausreichender Niederlassungskapazitäten an den einzelnen Betriebssitzen;

x

angemessene Anzahl qualifizierter Berater im Verhältnis zu den übernommenen Arbeitnehmern (Betreuungsschlüssel von mindestens 1 : 50);

x

Vorhandensein von Räumlichkeiten mit geeigneter technischer Ausstattung. BT-Drucks. 17/1945, S. 16; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 13.

Die Festlegung der Qualifikation der Berater ist in erster Linie eine Ent- 807 scheidung der BQG. Sofern hieran Zweifel bestehen (z. B. wenn gegenüber der Agentur für Arbeit durch einen der übernommenen Arbeitnehmer Zweifel geäußert werden), hat die BQG gegenüber der Agentur für Arbeit die Qualifikation des Beratungspersonals glaubhaft zu machen. Mit dem Erfordernis der Trägerzulassung gemäß § 176 ff. SGB III besteht durch die Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) die Vorgabe, dass die Berater pädagogisch geeignet sein und über eine methodischdidaktische Kompetenz verfügen müssen. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 13; Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV), § 2 Abs. 3.

Durch die Regelung über die ausreichende Mittelausstattung soll gewähr- 808 leistet werden, dass der beauftragte Transferanbieter die Fähigkeit hat, die

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

vorhersehbaren Risiken seines Geschäftsbetriebs zu erkennen, seinen Verbindlichkeiten nachzukommen und insbesondere die übernommene Eingliederungsaufgabe zu erfüllen. Die Regelung soll daher die Gefahr des vorzeitigen Scheiterns der Transfergesellschaft insbesondere zulasten der Arbeitnehmer während der Laufzeit der beE verringern. BT-Drucks. 17/1945, S. 16; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 14.

809 Entgegen der gesetzlichen Erwartung ist die Agentur für Arbeit zum Zeitpunkt der ersten Beratung/gemeinsamen Besprechung regelmäßig nicht in der Lage, Auskunft darüber zu geben, ob eine Transfergesellschaft die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt. Eine Bewertung lässt sich in der Regel erst im Laufe des Transferprozesses vornehmen. Sollten jedoch bei der Agentur für Arbeit negative Erkenntnisse aus vorheriger Zusammenarbeit vorhanden sein und diese Mängel nicht behoben werden, stellt dies einen Grund für einen Förderungsausschluss dar. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 13.

810 Da die BQG über eine ausreichende Mittelausstattung verfügen muss, kann sie eine (außerordentliche) Kündigung der Arbeitsverhältnisse der auf sie übertragenen Arbeitnehmer auch nicht darauf stützen, dass der insolvente alte Arbeitgeber seiner Pflicht zur Finanzierung der BQG nicht nachkommt. Die BQG hat als Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko des Ausbleibens der Refinanzierungsleistungen zu tragen. Zur Absicherung der BQG sollten zwischen altem Arbeitgeber und BQG entsprechende Sicherungsmaßnahmen vereinbart werden. BAG, 24.1.2013 – 2 AZR 435/11, NZA 2013, 959; siehe dazu auch Sigle, FA 2013, 297.

(4) Internes Qualitätssicherungssystem 811 Weitere betriebliche Voraussetzung für die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld ist, dass ein internes Qualitätssicherungssystem angewendet wird. Diese Regelung ist jedoch nur für interne beE (die auch nicht von einem Dritten durchgeführt werden) relevant; externe beE benötigen eine Trägerzulassung gemäß §§ 176 ff. SGB III. Siehe dazu Rn. 814.

812 Das interne Qualitätssicherungssystem beinhaltet, dass zum einen am Ende der Maßnahmen die Zufriedenheit der Teilnehmer und des Auftraggebers (d. h. des ehemaligen Arbeitgebers oder Insolvenzverwalters) systematisch erhoben werden. Zum anderen werden die Beratungsinhalte und Aktivitäten sowie Vermittlungserfolge und die Verbleibsquote sechs Monate nach Abschluss der Maßnahmen dokumentiert. Die Daten zum Maßnahmeerfolg

186

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

werden sowohl dem Auftraggeber als auch der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt. Dies soll die Transparenz und Vergleichbarkeit der angebotenen Maßnahmen fördern und zu einem effektiveren Einsatz der Mittel sowohl des ehemaligen Arbeitgebers als auch der Bundesagentur für Arbeit führen. BT-Drucks. 17/1945, S. 16 f.; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 16.

Als Instrument zur Sicherung der Qualität und als Nachweis der Aktivitäten 813 aller Beteiligten dient eine von jedem Arbeitnehmer individuell zu führende „TransferMappe.“ Diese „TransferMappe“ ist sorgfältig zu führen und bei allen Beratungsgesprächen mit der Agentur für Arbeit und der BQG vorzuhalten. Der BQG obliegt die Verpflichtung, die Arbeitnehmer zur ordentlichen Führung anzuhalten und über die Nutzung entsprechend zu informieren. Die „TransferMappe“ soll ohne großen Verwaltungsaufwand sowohl der Koordination der Akteure im Vermittlungs-/Melde- und Qualifizierungsgeschehen als auch im Prüfverfahren (z. B. zur Nachweisführung nach § 111 Abs. 7 Satz 1 SGB III) dienen. BT-Drucks. 17/1945, S. 16 f.; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 15; siehe zur Transfermappe auch Sigle, FA 2013, 168, 169.

(5) Trägerzulassung Für externe beE ist mit Wirkung ab dem 1.4.2012 anstelle des internen Qua- 814 litätssicherungssystems die Trägerzulassung gem. §§ 176 ff. SGB III in Kraft getreten. Nach dem Willen des Gesetzgebers benötigen damit alle Träger, die Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung durchführen, eine Zulassung durch eine fachkundige Stelle (§ 176 SGB III). Dieses zuvor schon für Anbieter von Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung existierende Zulassungserfordernis wurde dadurch auf alle Träger, die Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung durchführen, ausgeweitet. Die Einzelheiten der Trägerzulassung sind in der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) geregelt. BT-Drucks. 17/6277, S. 84; siehe hierzu Voelzke, NZA 2012, 177, 181; Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) vom 2. Mai 2012, BGBl. I S. 504.

cc) Persönliche Voraussetzungen (1) Von Arbeitslosigkeit bedroht Nach § 111 Abs. 4 Nr. 1 SGB III setzt der Anspruch auf Transfer-Kug in 815 persönlicher Hinsicht zunächst voraus, dass der Arbeitnehmer von Arbeits-

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

losigkeit bedroht ist. Von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer sind gemäß § 17 SGB III Personen, die versicherungspflichtig beschäftigt sind, alsbald mit der Beendigung der Beschäftigung rechnen müssen (d. h. dass Schritte zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits eingeleitet sind, z. B. Ausspruch der Kündigung, Abschluss eines Aufhebungsvertrags oder Aufnahme des Arbeitnehmers in eine Namensliste im Interessenausgleich gem. § 1 Abs. 5 KSchG) und voraussichtlich nach Beendigung der Beschäftigung arbeitslos werden. Welcher Zeitraum als „alsbald“ anzusehen ist, richtet sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalles. Das Wort „alsbald“ deutet nach dem Wortverständnis zwar auf eine gewisse zeitliche Nähe der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hin. Der unbestimmte Rechtsbegriff räumt den Arbeitsagenturen allerdings einen Beurteilungsspielraum ein. Insoweit sind auch Zeiträume von z. B. 18 oder 24 Monaten als „alsbald“ anzusehen, wenn die entsprechenden Schritte zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits eingeleitet sind und der Arbeitgeber innerhalb dieses Zeitraums die im Rahmen des Transfer-Kug vorgesehenen Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit anbietet. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.2 Abs. 1.

816 Bislang ging die Bundesagentur für Arbeit davon aus, dass Arbeitnehmer nicht „von Arbeitslosigkeit bedroht“ sind, denen durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung ein Kündigungsschutz insoweit zugestanden wird, als sie betriebsbedingt ordentlich nicht kündbar sind und die Regelung über diesen Kündigungsschutz keine Öffnungsklausel enthält. So noch Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.3 Abs. 1 – diese Ziffer wurde mittlerweile geändert durch Bundesagentur für Arbeit E-Mail Info SGB III v. 30.8.2013 – OS 12 – 75110/75111/9031/9042/9043.

817 Diese Auffassung hat die Bundesagentur für Arbeit nunmehr aufgegeben. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung, LSG Baden-Württemberg, 19.2.2013 – L 13 AL 5131/11 (n. v.); Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde durch BSG, 18.6.2013 – B 11 AL 41/13 B, BeckRS 2013, 70406,

hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Geschäftsanweisung zum Transferkurzarbeitergeld insofern geändert, als schon die bloße ernste Absicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zu entlassen, für eine Bedrohung von Arbeitslosigkeit i. S. des § 17 SGB III ausreichend sein soll. Auf die Wirksamkeit einer Kündigung in diesem Zusammenhang komme es gerade nicht an. Schließlich gebe es auch nach allgemeinem Sperrzeitrecht keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, gegen eine rechtswidrige Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben und dadurch Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Dies sei auch nicht als Voraussetzung in § 111 SGB III genannt, da diese Vorschrift lediglich auf die Bedrohung und nicht auf die Möglichkeit zur Gegenwehr abstelle. Danach rechtfertigt u. a. auch eine zu erwartende rechtswidrige 188

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

Kündigung den Schluss auf eine drohende Arbeitslosigkeit. Einer Gewährung von Transferleistungen an Arbeitnehmer, die einen absoluten ordentlichen Kündigungsschutz erlangt haben, stehe daher nichts mehr entgegen. Bundesagentur für Arbeit E-Mail Info SGB III v. 30.8.2013 – Gz.: OS 12 – 75110/75111/9031/9042/9043; hierzu Ricken, NZA 2013, 1258.

Drohende Arbeitslosigkeit ist nicht anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer im 818 selben Betrieb, Unternehmen oder Konzern, sei es am gleichen oder einem anderen Arbeitsort, eine Beschäftigung erhalten kann, die die Arbeitslosigkeit verhindern würde. Grundsätzlich muss die Bedrohung von Arbeitslosigkeit für den geförderten Arbeitnehmer während der gesamten Dauer der Förderung vorliegen. Um den Weiterbildungserfolg nicht zu gefährden, wird jedoch der Zuschuss für die gesamte Dauer der Maßnahme weitergezahlt, wenn während der Teilnahme an einer Transfermaßnahme ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird. Tritt während der Teilnahme an der Transfermaßnahme ein sonstiges Ereignis ein, das zum Wegfall der drohenden Arbeitslosigkeit führt (z. B. Arbeitsaufnahme während der Teilnahme), wird der Zuschuss nur anteilig bis zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses gewährt, es sei denn der Arbeitgeber ist vertraglich verpflichtet, dem Maßnahmeträger auch in diesen Fällen die Maßnahmekosten in voller Höhe zu zahlen. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.2 Abs. 2.

Arbeitnehmer, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses für die 819 Übernahme in eine beE vorgesehen sind, gelten als von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.2 Abs. 1; siehe auch SG Mannheim, 15.2.2011 – S 14 AL 1523/09, BeckRS 2011, 68550.

Zu beachten ist, dass die Freistellung von Arbeitnehmern den Anspruch 820 auf Transfer-Kug gefährden kann. Zwar können in die beE auch Arbeitnehmer einmünden, die bereits vor dem Zeitpunkt des Übergangs in die beE gekündigt waren. Dies gilt jedoch nur so lange, wie die Arbeitslosigkeit bei den gekündigten Arbeitnehmern nicht eintritt. § 111 SGB III bezweckt den nahtlosen Übergang von versicherungspflichtiger Beschäftigung in versicherungspflichtige Beschäftigung ohne Belastung der Versichertengemeinschaft vor dem Übertritt in die beE. Daher ist ein Arbeitgeber, der eine beE nach § 111 SGB III anstrebt, gehalten, freigestellte Arbeitnehmer unverzüglich wieder seinem Direktionsrecht zu unterstellen, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden. Gleiches gilt auch bei einer Freistellung von Arbeitnehmern im Insolvenzverfahren. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.2 Abs. 5, dazu Ricken, NZA 2011, 556; siehe auch Rn. 800 f.

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

(2) Versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis 821 Der Arbeitnehmer muss nach Beginn des Arbeitsausfalls eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortsetzen bzw. im Anschluss an ein Berufsausbildungsverhältnis aufnehmen (§ 111 Abs. 4 Nr. 2 SGB III). Das mit der BQG abgeschlossene Arbeitsverhältnis ist ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Siehe Rn. 672.

822 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass durch den Wechsel in die BQG das Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne unterbrochen wird. War der Arbeitnehmer vor dem Wechsel in die BQG wegen Erzielung eines die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitenden Einkommens von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreit, erzielt er jedoch in der BQG ein dauerhaft unterhalb dieser Grenze liegendes Entgelt, so besteht die Versicherungsfreiheit nicht weiter fort. SG Dresden, 27.5.2009 – S 18 KR 285/09, BeckRS 2009, 66217.

823 Arbeitsunfähigkeit während des Transfer-Kug-Bezugs ist grundsätzlich unschädlich (vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 98 Abs. 2 SGB III). Das Regelentgelt für die Krankengeldberechnung bemisst sich in diesem Fall nach dem Transfer-Kug, dem Ist-Entgelt und den Aufstockungsleistungen. BSG, 10.5.2012 – B 1 KR 26/11 R, NZA-RR 2012, 659, 660 f.

(3) Kein Ausschluss vom (Transfer-)Kurzarbeitergeldbezug 824 Der Arbeitnehmer darf ferner nicht gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 SGB III i. V. m. § 98 Abs. 3 und 4 SGB III vom (Transfer)-Kug-Bezug ausgeschlossen sein. Demnach besteht u. a. dann kein Anspruch auf Transfer-Kug, wenn und solange Arbeitnehmer bei einer Arbeitsvermittlung durch die Agentur für Arbeit nicht in der von der Agentur für Arbeit verlangten und gebotenen Weise mitwirken (§ 98 Abs. 4 Satz 1 SGB III). Hierdurch wird die Vorrangigkeit der Vermittlung in Arbeit gegenüber dem Bezug von Transfer-Kug betont. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 4.8 Abs. 1.

(4) Meldung als arbeitsuchend und Teilnahme an einer Profiling-Maßnahme/Potenzialanalyse 825 Weitere persönliche Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer sich vor der Überleitung in die beE aus Anlass der Betriebsänderung bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend meldet und an einer arbeitsmarktlich zweckmäßigen Maßnahme zur Feststellung der Eingliederungsaussichten teilgenommen hat (§ 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB III).

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IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

Durch diese Voraussetzung soll eine Doppelbetreuung durch Arbeitsver- 826 mittlung und Transfergesellschaft zur Verbesserung der Eingliederungschancen der betroffenen Arbeitnehmer erreicht werden. Mit der Arbeitsuchendmeldung machen Bezieher von Transferkurzarbeitergeld ihren Anspruch auf Vermittlung nach § 35 SGB III geltend. Unverzüglich nach dieser Meldung hat die Agentur für Arbeit zusammen mit den Beziehern von Transferkurzarbeitergeld eine Potenzialanalyse nach § 37 Abs. 1 SGB III durchzuführen. Dabei werden die für die Vermittlung erforderlichen beruflichen und persönlichen Merkmale, die beruflichen Fähigkeiten und die Eignung der Bezieher von Transfer-Kug festgestellt und Umstände ermittelt, welche die berufliche Eingliederung erschweren. Der daraus abgeleitete arbeitsmarktpolitische Handlungsbedarf wird in einer Eingliederungsvereinbarung nach § 37 Abs. 2 SGB III festgehalten. BT-Drucks. 17/1945, S. 16; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.4 Abs. 3.

Vor Überleitung in die beE muss der Arbeitnehmer an einer arbeitsmarktlich 827 zweckmäßigen Maßnahme zur Feststellung der Eingliederungsaussichten (Profilingmaßnahme) teilgenommen haben. Weder der Gesetzestext noch die Gesetzesbegründung enthalten Hinweise darauf, dass es sich um eine nach § 110 SGB III geförderte Maßnahme handeln muss. Insofern sind die persönlichen Voraussetzungen des § 111 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 4 SGB III auch dann erfüllt, wenn das Profiling vom Arbeitgeber selbst (und damit nicht im Rahmen einer Förderung nach § 110 SGB III) oder von der Transfergesellschaft durchgeführt wurde, die auch die Transfer-Kug-Maßnahme betreut. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.4 Abs. 4.

Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit muss aus der Gesetzessys- 828 tematik in Verbindung mit der Gesetzesbegründung geschlossen werden, dass der Gesetzgeber die finanzielle Beteiligung des (ehemaligen) Arbeitgebers an den Aufwendungen für diese Maßnahmen voraussetzt. Insofern reicht ein durch die Agentur für Arbeit (z. B. im Rahmen einer Arbeitsuchendmeldung des Arbeitnehmers) durchgeführtes Profiling grundsätzlich nicht aus, um einen Anspruch auf Transfer-Kug zu begründen. Das gilt auch in den Fällen, in denen die Betriebsänderung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens durchgeführt wird. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.4 Abs. 4.

Können in berechtigten Ausnahmefällen die notwendigen Feststellungs- 829 maßnahmen nicht rechtzeitig durchgeführt werden, sind diese im unmittelbaren Anschluss an die Überleitung innerhalb eines Monats nachzuholen (§ 111 Abs. 4 Nr. 4 Hs. 2). Ein berechtigter Ausnahmefall liegt einzelperso-

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

nenbezogen etwa vor, wenn der Arbeitnehmer z. B. infolge arbeitsunfähiger Erkrankung verhindert war, an einer Feststellungsmaßnahme vor Eintritt in die beE teilzunehmen. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.4 Abs. 4.

830 Im Übrigen ist die Ausnahmevorschrift beschränkt auf die Fälle, in denen die Entscheidung der Betriebsparteien zur Einrichtung einer (in der Regel externen) beE unverschuldet so kurzfristig erfolgt, dass trotz Mithilfe der Agentur für Arbeit selbst bei vorhandener Infrastruktur eine qualitative Maßnahme der Eignungsfeststellung im Vorfeld nicht mehr durchführbar ist. Zweifelhaft ist nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit – vor dem Hintergrund der Unterrichtungs- und Beratungspflicht des Arbeitgebers nach § 111 Satz 1 BetrVG und der Verdeutlichung des Transfergedankens in § 112 Abs. 5 Nr. 2a BetrVG –, ob im Rahmen eines Insolvenzverfahrens für eine Vielzahl von Arbeitnehmern ein „berechtigter Ausnahmefall“ angenommen werden kann. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.4 Abs. 4, 5.

831 Kommt die Ausnahmeregelung zur Anwendung und wird das Profiling während des Transfer-Kug-Bezuges durchgeführt, besteht während der Dauer der Teilnahme an der Maßnahme kein Anspruch auf Transfer-Kug. Es tritt kein Arbeitsausfall wegen der betrieblichen Restrukturierungsmaßnahme ein, sondern wegen der Teilnahme an der Transfermaßnahme (Gleichstellung mit den Betrieben, die ein vorheriges Profiling durchführen). Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 12.3.4 Abs. 5.

dd) Beratungspflicht 832 Seit dem 1.1.2011 müssen sich die Betriebsparteien im Vorfeld der Entscheidung über die Inanspruchnahme von Transferkurzarbeitergeld, insbesondere im Rahmen ihrer Verhandlungen über einen die Integration der Arbeitnehmer fördernden Interessenausgleich oder Sozialplan nach § 112 BetrVG, durch die Agentur für Arbeit beraten lassen (§ 111 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Die frühere Rechtslage sah hingegen nur einen Beratungsanspruch vor. Durch die Änderung sollte sichergestellt werden, dass die Agenturen für Arbeit die Betriebsparteien so früh wie möglich über die Fördermöglichkeiten und Fördervoraussetzungen nach § 111 beraten können (z. B. ob der mit der Durchführung beauftragte Transferanbieter die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt). Sofern ein Interessenausgleich oder Sozialplan ausgehandelt wird, ist damit gewährleistet, dass die Beratung durch die Agenturen für Arbeit vor Abschluss der Verhandlungen erfolgt. Die Voraussetzung der Beratung über die Vereinbarung eines die Integration der Arbeitnehmer fördernden Interessenausgleichs oder Sozialplans betont die Zielrichtung des § 111 SGB III, die Ar-

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IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

beitnehmer so früh wie möglich von Arbeit in Arbeit zu vermitteln. Hierdurch soll auch gewährleistet werden, dass dem Eingliederungsgedanken besser Rechnung getragen werden kann. BT-Drucks. 17/1945, S. 15.

Das Informations- und Beratungsangebot der Agentur für Arbeit korres- 833 pondiert mit den im BetrVG enthaltenen Beratungsverpflichtungen (vgl. §§ 80, 92a, 111 Satz 2, 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2a BetrVG) und umfasst im Wesentlichen folgende Punkte: x

Erläuterungen der wesentlichen Fördervoraussetzungen nach den §§ 110, 111 SGB III;

x

Information über das Zusammenwirken von Arbeitsverwaltung und BQG;

x

Qualifizierung und Förderungsmöglichkeiten;

x

Vorteile der Transferinstrumente/Zielrichtung der Transferleistungen als eingliederungsorientierter Ansatz (vermittlungsfördernde und -hemmende Inhalte eines Sozialplans);

x

Bewertung des ggf. vorliegenden Entwurfs eines Interessenausgleichs und Sozialplans.

Unterpunkte hierzu werden in einem „Beratungsvermerk“ aufgelistet. Dieser 834 von allen Gesprächsteilnehmern gegenzuzeichnende Beratungsvermerk vermittelt bezüglich der Gesprächsinhalte und -ergebnisse Rechtssicherheit und dient dem Nachweis der rechtzeitig erfolgten Beratung. Der Agentur für Arbeit obliegt nicht die arbeitsrechtliche Ausgestaltung von Interessenausgleich und Sozialplan, sondern nur die sozialrechtliche Würdigung bezüglich des integrationsfördernden Inhalts. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.4 Abs. 2, 3.

In Betrieben ohne Betriebsrat kann die geforderte gesetzliche kollektiv- 835 rechtliche Beratungspflicht im Vorfeld der Entscheidung über einen Sozialplan nicht umgesetzt werden. In diesem Fall ist der Beratungspflicht in anderer geeigneter Weise, z. B. durch eine Informationsveranstaltung der Agentur für Arbeit anlässlich einer Betriebsversammlung, nachzukommen. In diesen Fällen ist der gesetzlichen Voraussetzung Genüge getan, wenn eine individuelle Vertragsunterzeichnung (Transfermaßnahme, dreiseitiger Vertrag) nach dem Zeitpunkt dieser Betriebsversammlung erfolgt. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.4 Abs. 12; siehe hierzu auch Rolf/Riechwald, BB 2011, 2805.

193

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

ee) Anzeige des Arbeitsausfalls 836 Der dauerhafte Arbeitsausfall ist der Agentur für Arbeit gem. § 111 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 6 SGB III anzuzeigen. Zuständig ist die Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der personalabgebende Betrieb seinen Sitz hat (§ 111 Abs. 6 Satz 2 SGB III). Maßgeblich ist also der Betriebssitz des in der Krise befindlichen personalabgebenden Unternehmens, nicht derjenige der die Arbeitgeberfunktionen wahrnehmenden externen BQG. BT-Drucks. 15/1515, S. 92; Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 5.1 Abs. 1.

837 Die Anzeige kann rechtswirksam nur durch den Arbeitgeber oder den Betriebsrat erstattet werden. In einem betriebsratslosen Betrieb können einzelne Arbeitnehmer den Arbeitsausfall selbst dann nicht wirksam anzeigen, wenn sie von den anderen Arbeitnehmern zur Anzeigenerstattung ermächtigt wurden. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 5.1 Abs. 4.

b) Höhe 838 Die Höhe des Transferkurzarbeitergelds bemisst sich nach §§ 105, 106 SGB III (§ 111 Abs. 10 SGB III). Als Entgeltersatzleistung ersetzt das Transferkurzarbeitergeld dem Arbeitnehmer das ausgefallene Arbeitsentgelt in Höhe von 60 % bzw. für Arbeitnehmer mit mindestens einem Kind 67 % des pauschalierten Nettoentgelts (§§ 105, 106, 109 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Siehe auch Kurzarbeitergeld-Nettoentgeltverordnung für das Jahr 2015 vom 15.12.2014, BGBl. I S. 2198.

839 Zuschüsse des (früheren) Arbeitgebers bzw. Insolvenzverwalters zum Kurzarbeitergeld werden nicht leistungsmindernd angerechnet (§ 106 Abs. 2 Satz 2 SGB III). c) Dauer 840 Der Bezug von Transferkurzarbeitergeld ist auf zwölf Monate begrenzt (§ 111 Abs. 1 Satz 2 SGB III) ohne Verlängerungsmöglichkeit auf Basis einer Rechtsverordnung (vgl. § 111 Abs. 10 i. V. m. § 109 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Dadurch soll die Nutzung des Instruments zur Frühverrentung auf Kosten der Beitragszahler bekämpft werden. BT-Drucks. 15/1515, S. 93.

d) Pflichten des Arbeitgebers aa) Vermittlungsvorschläge 841 Um den in § 4 SGB III fixierten Vermittlungsvorrang vor Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung umzusetzen, hat der Arbeitgeber gem. § 111 Abs. 7 194

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

SGB III den geförderten Arbeitnehmern während des Bezugs von Transferkurzarbeitergeld Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten. Stellt der Arbeitgeber oder die Agentur für Arbeit fest, dass Arbeitnehmer Qualifizierungsdefizite aufweisen, soll der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten anbieten. Als geeignet gelten dabei insbesondere x

Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, für die und für deren Träger eine Zulassung gem. §§ 176 ff. SGB III vorliegt, oder

x

eine zeitlich begrenzte, längstens sechs Monate dauernde Beschäftigung zum Zwecke der Qualifizierung bei einem anderen Arbeitgeber.

Gem. § 111 Abs. 7 Satz 4 SGB III ist bei der Festlegung konkreter Maßnahmen 842 zur Qualifizierung die Agentur für Arbeit zu beteiligen. Es soll Einvernehmen zwischen Transferanbieter und der Agentur für Arbeit hergestellt werden. Hierdurch sollen Divergenzen zu regionalen Arbeitsmarktentwicklungen und vorhandenen Bildungszielplanungen der Agentur für Arbeit vermieden werden. Ziel ist es, durch widerspruchsfreie Entscheidungen eine „Qualifizierung am Bedarf vorbei“ zu vermeiden. BT-Drucks. 17/1945, S. 16.

Nimmt der Arbeitnehmer während seiner Beschäftigung in einer betriebsor- 843 ganisatorisch eigenständigen Einheit an einer Qualifizierungsmaßnahme teil, die das Ziel der anschließenden Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber hat, steht bei Nichterreichung dieses Zieles die Rückkehr des Arbeitnehmers in den bisherigen Betrieb seinem Anspruch auf Transferkurzarbeitergeld nicht entgegen (§ 111 Abs. 7 Satz 5 SGB III). Siehe hierzu BT-Drucks. 17/1945, S. 16.

Gegenüber der bis zum 31.12.2010 geltenden Regelung wurde durch die 844 Neufassung ab dem 1.1.2011 die Bedeutung der frühzeitigen Beteiligung der BA betont. Ausweislich der Gesetzesbegründung gilt es während der Phase des Bezugs des Transferkurzarbeitergeldes, alle verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren, um einen möglichst zügigen Übergang in eine Weiterbeschäftigung zu erreichen. Aus Gründen der Qualitätssicherung wurde klargestellt, dass als geeignet für die Weiterbildung die Qualifizierungsmaßnahmen angesehen werden, die nach §§ 176 ff. SGB III bereits für die Förderung der beruflichen Weiterbildung zugelassen sind. Auf dieser Grundlage kann auf das differenzierte Angebot der verschiedenen am Markt tätigen Bildungsträger zurückgegriffen werden. Betriebliche Beschäftigungen, die ausdrücklich der beruflichen Qualifizierung am Arbeitsplatz (Training on the Job) dienen, bleiben jedoch wie bislang möglich. BT-Drucks. 17/1945, S. 16.

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

bb) Datenübermittlung 845 Der Arbeitgeber ist darüber hinaus gem. § 111 Abs. 9 SGB III verpflichtet, der Agentur für Arbeit monatlich mit dem Antrag auf Transferkurzarbeitergeld die Namen und die Sozialversicherungsnummern der Bezieher von Transferkurzarbeitergeld, die bisherige Dauer des Transferkurzarbeitergeldbezugs, Daten über die Altersstruktur sowie die Abgänge in Erwerbstätigkeit zu übermitteln. Mit der ersten Übermittlung sind zusätzlich Daten über die Struktur der betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit sowie die Größe und die Betriebsnummer des personalabgebenden Betriebs mitzuteilen. Die Auswertung der Daten durch die Bundesagentur für Arbeit soll einem möglichst effektiven und effizienten Einsatz von Mitteln der Versicherungsgemeinschaft dienen. BT-Drucks. 17/1945, S. 16.

846 Sofern eine externe BQG eingeschaltet wird, treffen diese die vorstehend beschriebenen Arbeitgeberpflichten. e) Weiterbildungsförderungen 847 Die Agentur für Arbeit kann für Bezieher von Kurzarbeitergeld während der Teilnahme an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen (vgl. § 111 Abs. 7 SGB III) Mittel des Europäischen Sozialfonds (ESF) bereitstellen, z. B. für Lehrgangskosten. Vgl. Richtlinie für aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) mitfinanzierte Qualifizierungsangebote für Bezieherinnen und Bezieher von Kurzarbeitergeld vom 18. Dezember 2008; allgemein zum ESF: http://www.esf.de.

2. Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen (§ 110 SGB III) 848 § 110 SGB III regelt die Voraussetzungen der Förderung einer Teilnahme von Arbeitnehmern, die aufgrund von Betriebsänderungen oder im Anschluss an die Beendigung eines Berufsausbildungsverhältnisses von Arbeitslosigkeit bedroht sind, an Transfermaßnahmen. Zur beihilferechtlichen Beurteilung der staatlichen Förderung siehe Soltész/Winzer, DB 2013, 105, 107.

a) Antragstellung 849 Der Arbeitgeber ist Antragsberechtigter und Empfänger der Zuschüsse für seine Arbeitnehmer und zur zweckentsprechenden Verwendung der Zuschüsse verpflichtet. Der entsprechende Antrag (vgl. § 324 Abs. 1 SGB III) auf Transferleistungen nach § 110 SGB III ist vom Arbeitgeber schriftlich unter Beifügung einer Stellungnahme der Betriebsvertretung zu stellen; er kann aber auch von der Betriebsvertretung gestellt werden (§ 323 Abs. 2 SGB III). Für den Antrag ist das von der Agentur für Arbeit bereitgestellte Formular zu

196

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

benutzen. Dieses ist im Internet abrufbar auf der Webseite der Agentur für Arbeit (http://www.arbeitsagentur.de). Der Antrag ist vor Beginn der Transfermaßnahmen zu stellen (§ 324 Abs. 1 850 SGB III). Mit dem Antrag hat der Arbeitgeber die Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen zur Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen nachzuweisen (§ 320 Abs. 4a SGB III). Da es sich hier regelmäßig um Nachweise handelt, die nicht aus dem Stand erbracht werden können, sondern vorbereitet werden müssen, ist eine rechtzeitige vorherige Abstimmung mit der Agentur für Arbeit erforderlich, welche Nachweise notwendig sind und erwartet werden. Nach den Geschäftsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit sind dem 851 Antrag insbesondere folgende Unterlagen beizufügen: 1. Interessenausgleich (soweit vorhanden); 2. Sozialplan, sozialplanähnliche Vereinbarung oder sonstige Vereinbarung mit der Betriebsvertretung bzw. den betroffenen Arbeitnehmern über die geplante Betriebsänderung; 3. Personalanpassungskonzept (soweit nicht Gegenstand der vorstehend genannten Vereinbarungen); 4. ausführliche Beschreibung der geplanten Eingliederungsmaßnahmen (Maßnahmekonzept); 5. Aufstellung der zu erwartenden Maßnahmekosten (Projektkalkulation); 6. Teilnehmerliste; 7. Nachweis der Zertifizierung als Träger im Transfergeschehen (dient gleichzeitig als Erklärung zur Sicherung der Durchführung der Maßnahme, § 110 Abs. 1 Nr. 4 SGB III); 8. Stellungnahme der Betriebsvertretung (soweit vorhanden). Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 19.8 Abs. 3.

Gleichwohl wird in aller Regel ein vollständiger Nachweis erst nach Abschluss 852 der Fördermaßnahme möglich sein (z. B. die realisierte Teilnahme der Arbeitnehmer, die Höhe der finanziellen Aufwendungen des Arbeitgebers). Spätestens mit Beendigung der Maßnahme hat der Arbeitgeber fehlende Nachweise zu erbringen. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 19.8 Abs. 3.

Für den Antrag auf Auszahlung der Zuschüsse zu den Transfermaßnahmen 853 gilt § 325 Abs. 5 SGB III. Der Antrag ist demnach innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten zu stellen. Die Frist beginnt dabei mit Ablauf

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

des Monats, in dem die Tage liegen, für welche die Leistungen beantragt werden. Zweck der Regelung ist, Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und der Agentur für Arbeit zu ermöglichen, zeitnah Informationen über die tatsächliche Lage in den Betrieben und die sich daraus für sie ergebenden Belastungen zu erhalten, um erforderlichenfalls rechtzeitig haushaltsrechtliche Maßnahmen einleiten zu können. LSG Nordrhein-Westfalen, 28.3.2006 – L 1 AL 30/04, BeckRS 2006, 42565.

854 Da es sich um eine Ausschlussfrist handelt, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich. LSG Baden-Württemberg, 1.8.2012 – L 3 AL 3581/11, BeckRS 2012, 72199.

855 Förderleistungen nach § 110 SGB III sind keine Ermessensleistungen, sondern Pflichtleistungen. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.7 Abs. 1; Gagel/Bepler, SGB III, § 110 SGB III Rn. 16.

b) Höhe der Förderung 856 Gefördert wird die Teilnahme von Arbeitnehmern an Transfermaßnahmen durch einen Zuschuss in Höhe von 50 % der aufzuwendenden Maßnahmekosten, höchstens jedoch 2.500 € je gefördertem Arbeitnehmer (§ 110 Abs. 2 SGB III). Siehe die Beispiele in Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.7 und kritisch Schnitzler, NZA-Beil. 2012, 17, 19.

c) Anspruchsvoraussetzungen 857 Für den Anspruch gelten folgende Voraussetzungen: aa) Betriebsänderung 858 Die Arbeitnehmer müssen aufgrund einer Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG von Arbeitslosigkeit bedroht sein, wobei es auf das Vorhandensein von regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern im Unternehmen nicht ankommt (§ 110 Abs. 1 Satz 3 SGB III). Hinsichtlich des Vorliegens einer Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG dienen die Schwellenwerte des § 17 KSchG als Richtschnur. Zur Bestimmung des Schwellenwerts insoweit siehe Rn. 779.

859 Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind von der Förderung ausgeschlossen, nicht jedoch Arbeitnehmer privatisierter oder in Privatrechts-

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IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

form betriebener Unternehmen der öffentlichen Hand (§ 110 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Siehe Rn. 782 ff.

Arbeitnehmer kirchlicher Einrichtungen sind förderfähig.

860

Siehe Rn. 786 f.

bb) Auszubildende Auszubildende sind insoweit begünstigt, als sie in die Förderung auch ein- 861 bezogen werden, wenn sie nicht von einer Betriebsänderung betroffen, aber im Anschluss an die Beendigung ihres Ausbildungsverhältnisses von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Dies soll den Auszubildenden den Einstieg in Beschäftigung mit Hilfe von 862 Fördermitteln erleichtern. Außerdem soll erreicht werden, dass Unternehmen, die aktuell von Umstrukturierungen betroffen sind, nicht ihre Ausbildungskapazitäten im Hinblick auf fehlende Übernahmemöglichkeiten reduzieren. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.1 Abs. 10.

cc) Von Arbeitslosigkeit bedroht Der Arbeitnehmer muss von Arbeitslosigkeit bedroht sein. Von Arbeitslosig- 863 keit bedrohte Arbeitnehmer sind gemäß § 17 SGB III Personen, die versicherungspflichtig beschäftigt sind, alsbald mit der Beendigung der Beschäftigung rechnen müssen und voraussichtlich nach Beendigung der Beschäftigung arbeitslos werden. Arbeitnehmer, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses für die Übernahmen in eine beE/BQG vorgesehen sind, gelten als von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer. Siehe Rn. 819.

dd) Beratungspflicht Seit dem 1.1.2011 müssen sich die Betriebsparteien im Vorfeld der Ent- 864 scheidung über die Inanspruchnahme von Transferleistungen, insbesondere im Rahmen ihrer Verhandlungen über einen die Integration der Arbeitnehmer fördernden Interessenausgleich oder Sozialplan nach § 112 BetrVG, durch die Agentur für Arbeit beraten lassen. Demgegenüber sah die frühere Rechtslage lediglich einen Beratungsanspruch vor. Diese Bestimmung korrespondierte mit § 112 Abs. 2 BetrVG, der Möglichkeiten der Einschaltung der Bundesagentur für Arbeit in Verhandlung und Entscheidung über einen Sozialplan vorsieht. Diese Rechtslage verhinderte aber nicht, dass die Arbeitsagenturen vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, indem sie erstmals nach Abschluss entsprechender Transferregelung durch die Betriebspartner von diesen erfuhren und über die Zuschussfähigkeiten zu entscheiden hatten.

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

Durch die Gesetzesänderung wurde sichergestellt, dass Förderanträge überhaupt nur dann mit Aussicht auf Erfolg gestellt werden können, wenn die zuständige Arbeitsagentur bereits vor deren Regelung, „im Vorfeld“, beratend eingeschaltet war. Damit wird auch gewährleistet, dass die Arbeitsagenturen frühzeitig über arbeitsmarktpolitisch sinnvolle Maßnahmen zur Eingliederung der von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer beraten können. Die Betriebspartner sollen zur Berücksichtigung solcher Maßnahmen in Sozialplänen angehalten und über die mögliche Höhe der Zuschüsse informiert werden. Gagel/Bepler, SGB III, § 111 Rn. 48 ff.; BT-Drucks. 17/1945, 15; Siehe näher zur Beratung durch die Agentur für Arbeit Rn. 832 ff.

ee) Durchführung durch Dritten 865 Die Transfermaßnahme muss von einem Dritten, d. h. einem vom Arbeitgeber verschiedenen Rechtsträger, angeboten werden (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). 866 Bis zum 31.3.2012 war in § 110 Abs. 1 Nr. 5 SGB III vorgesehen, dass ein Qualitätssicherungssystem angewendet werden muss. Diese Voraussetzung ist ersatzlos weggefallen, da mit Wirkung zum 1.4.2012 die Trägerzulassung in §§ 176 ff. SGB eingeführt wurde. Siehe Rn. 814; Voelzke, NZA 2012, 177, 181.

ff) Eingliederungsmaßnahmen 867 Die Maßnahme muss der Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt, nicht einer Anschlussbeschäftigung im gleichen Betrieb, Unternehmen oder Konzern dienen (§ 110 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 SGB III). Als Eingliederungsmaßnahmen kommen z. B. Profiling, Outplacement-Beratung, Bewerbertraining, Maßnahmen zur arbeitsplatzbezogenen Qualifizierung, Existenzgründerseminare, Mobilitätsleistungen, Einstellungszuschüsse für Arbeitsverhältnisse bei anderen Arbeitgebern und zeitlich begrenzte Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber in Betracht. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.3 Abs. 3.

868 Nicht bezuschusst werden hingegen Lebenshaltungskosten des Arbeitnehmers. BT-Drucks. 15/1515, S. 91.

869 Nicht förderungsfähig ist die Teilnahme an Maßnahmen, die über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausgehen. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck der Regelung, durch Transfermaßnahmen im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses den direkten Transfer aus dem alten in ein neues Arbeitsverhältnis zu erleichtern. Insofern kommt auch eine teilweise Förderung bis

200

IV. Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

zum Ende des Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht, da die Eingliederung der Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt bis zum Ende der Förderung nicht erreicht werden könnte. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.3 Abs. 2.

gg) Sicherung der Durchführung der Maßnahme, Eigenbeteiligung des Arbeitgebers Schließlich muss die Durchführung der Maßnahme gesichert sein (§ 110 Abs. 1 870 Nr. 4 SGB III) und der Arbeitgeber sich an der Finanzierung angemessen beteiligen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGB III), nämlich in Höhe der übrigen 50 % der Maßnahmekosten bzw. hinsichtlich der über den Förderhöchstbetrag hinausgehenden Kosten. Die Finanzierungszusage kann im Rahmen eines Sozialplans oder in sonstigen kollektiv- oder individualrechtlichen Vereinbarungen abgegeben werden. BT-Drucks. 15/1515, S. 91.

hh) Ausschluss von gleichzeitigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung Gemäß § 110 Abs. 4 SGB III sind zur Vermeidung einer Doppelförderung 871 andere Leistungen der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs. 2 SGB III) mit gleichartiger Zielsetzung während der Teilnahme an Transfermaßnahmen ausgeschlossen. Nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit ist dadurch auch ausgeschlossen, dass die Teilnahme an Transfermaßnahmen gemäß § 110 SGB III für Arbeitnehmer gefördert wird, welche (gerade) Transferkurzarbeitergeld nach § 111 SGB III) beziehen. Geschäftsanweisungen Kurzarbeitergeld (Stand: Juni 2013), Ziff. 10.5.9 Abs. 1.

Hingegen soll eine Gewährung von Transferkurzarbeitergeld im Anschluss 872 an die Transfermaßnahme möglich sein, wenn durch die Teilnahme an Transfermaßnahmen eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht erreicht wurde. In der Praxis wird daher vielfach zunächst eine Förderung nach § 110 SGB III und im Anschluss daran nach § 111 SGB III beantragt. Dadurch kann das erforderliche Profiling nach § 111 Abs. 4 Nr. 4 SGB III über die Förderung nach § 110 SGB III finanziert werden. 3. Erfolgsabhängige Pauschale bei Transfermaßnahmen (§ 134 SGB III) Mit Wirkung ab dem 1.4.2012 neu eingeführt wurde die Regelung des § 134 873 SGB III. Danach galt für Transfermaßnahmen nach § 110 SGB III, die bis zum 31.12.2014 abgeschlossen waren, als Maßnahmekosten nach § 110 Abs. 2 SGB III auch eine erfolgsabhängige Pauschale für die Vermittlung aus einer Transfermaßnahme in eine versicherungspflichtige Beschäftigung,

201

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

die länger als sechs Monate fortbestand. Die Pauschale durfte maximal 1.000 € betragen und je gefördertem Arbeitnehmer nur einmal gezahlt werden (§ 134 Satz 3 SGB III). 874 Zweck der Regelung war ausweislich der Gesetzesbegründung eine Verbesserung und Beschleunigung der Job-to-Job-Vermittlung bei Transfermaßnahmen. BT-Drucks. 17/6277, S. 80.

875 Die Regelung war bis zum 31.12.2014 befristet, um ihre Wirkung prüfen zu können. In der Praxis hat sich die Regelung nicht bewährt, da die erfolgsabhängige Pauschale von den Transferträgern nicht in Anspruch genommen wurde. Die Regelung wurde daher nicht über den 31.12.2014 hinaus verlängert. 876 Im Rahmen des BQG-Modells spielte § 134 SGB III ohnehin keine Rolle, da gem. § 134 Satz 2 SGB III die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in einer beE nach § 111 SGB III die Zahlung der erfolgsabhängigen Pauschale ausschließt. 4. Fragen zum Arbeitslosengeld a) Kein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 158 SGB III 877 Bei Transfer in die BQG schließen die Arbeitnehmer mit dem Insolvenzverwalter – im Rahmen des dreiseitigen Vertrags – einen Aufhebungsvertrag ab, in welchem regelmäßig die Kündigungsfristen abgekürzt und gelegentlich auch Abfindungen vereinbart werden. Dennoch scheidet ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 158 SGB III (Ruhen bei Entlassungsentschädigung) aus, da die Arbeitnehmer in ein neues Beschäftigungsverhältnis mit der BQG treten, das regelmäßig länger als die individuelle Kündigungsfrist nach § 113 InsO dauert. Gänßbauer, S. 147; Gaul/Kliemt, NZA 2000, 674, 677; Küttner/Voelzke, Beschäftigungsgesellschaft Rn. 25.

878 Ist das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers – z. B. aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung – nur gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich kündbar, gilt arbeitsförderungsrechtlich gemäß § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III eine Kündigungsfrist von einem Jahr. Auf diese Frist ist die Verweildauer in der BQG anzurechnen. Beträgt die Verweildauer demnach mindestens ein Jahr, steht dem Bezug von Arbeitslosengeld kein Ruhen gemäß § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III entgegen. E-Mail-Info SGB III der BA vom 28.1.2013 – Leistungsrechtliche Bewertung der Personalanpassungsmaßnahmen ausländischer Streitkräfte (Gz.: OS 11 –75158/75159/75140/75111/5308/ 5014.4).

202

V. Fazit

b) Keine Nachteile wegen Arbeitsaufgabe (§ 159 Abs. 1 Nr. 1, § 148 SGB III) Das Ausscheiden beim insolventen Arbeitgeber aufgrund Aufhebungsver- 879 trags führt zu keinen Nachteilen für den Arbeitnehmer gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (Ruhen bei Sperrzeit), da es wegen der Anschlussbeschäftigung bei der BQG an einer Herbeiführung der Arbeitslosigkeit wegen Arbeitsaufgabe fehlt. Gänßbauer, S. 147; Gaul/Otto, NZA 2004, 1301, 1304.

Das Ausscheiden aus der BQG aufgrund Auslaufens der Befristung des Ar- 880 beitsvertrags fällt nicht unter § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Vgl. ErfK/Rolfs, § 159 SGB III Rn. 6; Gänßbauer, S. 148; Gaul/Kliemt, NZA 2000, 674, 677.

Daher kommt es auch nicht zu einer Minderung der Dauer des Arbeitslosen- 881 geldanspruchs nach § 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III. Gänßbauer, S. 148; Gaul/Kliemt, NZA 2000, 674, 677.

c) Bemessung des Arbeitslosengelds Beantragt der Arbeitnehmer für die Zeit nach Ausscheiden aus der BQG Ar- 882 beitslosengeld, ist bei der Bestimmung des Bemessungsrahmens für das Arbeitslosengeld die Zeit der Zugehörigkeit zur BQG bei „Kurzarbeit Null“ mit Bezug von Transfer-Kug in der Regel als Zeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung anzusehen. Der Bemessung des Arbeitslosengelds ist das für die Höhe des Transfer-Kug maßgebende Arbeitsentgelt (beim alten Arbeitgeber) zugrunde zu legen. BSG, 4.7.2012 – B 11 AL 9/11 R, NZA-RR 2013, 103; siehe dazu auch Sigle, FA 2013, 73, 75.

V. Fazit Insgesamt ist die Einschaltung einer BQG zur Umstrukturierung eines in- 883 solventen Unternehmens ein Modell, das den Interessen aller Beteiligten gerecht werden kann. Allerdings stellt es höchste Anforderungen an alle Beteiligten im Hinblick auf die zu berücksichtigenden arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Aspekte. Unabdingbar ist eine frühzeitige Hinzuziehung von Betriebsrat und ggf. Gewerkschaften, die frühzeitige Einbeziehung der Agentur für Arbeit und der nachgeordneten Behörden sowie eine richtige und vollständige Unterrichtung der betroffenen Arbeitnehmer über alle mit dem BQG-Modell verbundenen Umstände. Ansonsten besteht die Gefahr, dass § 613a BGB zur Anwendung kommt und die Sanierung des insolventen Unternehmens erschwert bzw. sogar zunichtemacht.

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

VI. Checkliste: Durchführung einer Betriebsänderung unter Einschaltung einer BQG 884 1. Information des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG. 2. Ggf. frühzeitige Einbeziehung von Gewerkschaften. 3. Beratungsgespräch mit der örtlichen Agentur für Arbeit. 4. Abschluss von Interessenausgleich und Transfersozialplan mit Regelungen insbesondere zu Folgendem: a) Im Interessenausgleich: • Betriebsbedingte Kündigung oder Transfer in BQG; • Maßnahmen und Ablauf des Transfers in BQG (z. B. Fristen zur Abgabe einer invitatio ad offerendum hinsichtlich Abschluss des dreiseitigen Vertrags; Feststellung der Quote der transferwilligen Arbeitnehmer; Abschluss des dreiseitigen Vertrags); • Voraussetzungen für Transfer in BQG: Profiling des betreffenden Arbeitnehmers, Bewilligung von Transferkurzarbeitergeld; ggf. bestimmte Quote der transferwilligen Arbeitnehmer). b) Im Sozialplan: • Einrichtung der BQG unter der Voraussetzung der Gewährung von Transferkurzarbeitergeld; • dreiseitiger Vertrag; Verweildauer in BQG (unter Berücksichtigung der individuellen Kündigungsfristen); • Leistungen der BQG; • Finanzierung der BQG durch Arbeitgeber; • Abfindungsregelung, ggf. „Sprinter-Prämie“. 5. Ggf. Unterrichtung des und Beratung mit dem Betriebsrat bzgl. Massenentlassung nach § 17 KSchG (mit Antrag auf Abkürzung der Sperrfrist). 6. Einholung von Angeboten externer BQGs; Auswahl unter Berücksichtigung insbesondere folgender Kriterien: • Trägerzulassung gem. §§ 176 ff. SGB III; • Betreuungsschlüssel; • Einsatz von qualifizieren Beratern; • Vermittlungsquote (Track Record); • einschlägige Erfahrung in der jeweiligen Branche;

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VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

• hinreichende Verankerung im regionalen Arbeitsmarkt; • Kosten. 7. Abschluss eines Dienstleistungs- und Kooperationsvertrags mit der BQG. 8. Ausführliche Information der Arbeitnehmer über die geplanten Maßnahmen unter Beachtung folgender Punkte: • Das BQG-Modell muss den Arbeitnehmern eindeutig als Risikogeschäft dargestellt werden, es darf keine verbindliche Übernahmezusage geben. • Die Arbeitnehmer müssen umfassend, verständlich und korrekt über Risiken, Vor- und Nachteile des BQG-Modells, einschließlich aller sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen, informiert werden. • Falls die Übernahme von Betriebsmitteln vor Abschluss der Aufhebungsverträge bereits sicher oder zumindest wahrscheinlich ist, sollte darüber ggf. unterrichtet werden (§ 613a Abs. 5 BGB). • Um das Risiko von Anfechtungen wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) nicht zu provozieren, dürfen die Arbeitgeber nicht unter Druck gesetzt werden (auch nicht durch Mitarbeiter der BQG!). 9. Ggf. Erstattung der Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG. 10. Antrag auf Zuschüsse für Transfermaßnahmen bei der Agentur für Arbeit. 11. Abschluss von dreiseitigen Verträgen mit den Arbeitnehmern; ggf. Ausspruch von Kündigungen. 12. Ggf. Übertragung von Betriebsmitteln auf Erwerber. 13. Falls es zu einer Einstellung von Arbeitnehmern durch den Betriebserwerber kommt: Zusammenstellung der „Mannschaft“ (unter Beachtung des AGG); sorgfältige Dokumentation des Auswahlprozesses. VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell Bei der Einschaltung einer Transfergesellschaft bzw. BQG im Zusammenhang 885 mit einer Betriebsveräußerung ist Vorsicht geboten. Das „BQG-Modell“ wird von Arbeitnehmerseite immer wieder insbesondere mit dem Argument angegriffen, es liege eine unzulässige Umgehung des § 613a BGB vor. Bei der Prüfung, ob überhaupt ein Betriebsübergang gegeben ist und ob unter den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten von einer Umgehung der Regelungen zum Betriebsübergang ausgegangen werden kann, kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei ist eine genaue Kenntnis der höchstrichterlich entschiedenen Fälle und Sachverhaltskonstellationen von Nutzen. Zudem wird die bisherige Rechtsprechung des BAG immer wieder – auch von den Instanzgerichten – auf die Probe gestellt. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die Entwicklung der Rechtsprechung des BAG nach205

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

gezeichnet und die grundlegenden Entscheidungen übersichtsartig und zusammengefasst dargestellt. 1. BAG, 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, AP § 613a BGB Nr. 185 („Dörries Scharmann I“) a) Sachverhalt 886 Der Kläger war neben 500 weiteren Arbeitnehmern bei der D-AG in M. beschäftigt, über deren Vermögen am 7.6.1996 der Anschlusskonkurs eröffnet wurde. Die beklagte GmbH war seit Mitte Juni 1996 auf dem gleichen Sektor mit den gleichen Betriebsmitteln tätig wie die D-AG. 887 Die D-AG, der Gesamtbetriebsrat, der Betriebsrat des Werkes M., die IG Metall, das Landesarbeitsamt und das Wirtschafts- und Arbeitsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen vereinbarten, dass den Mitarbeitern der D-AG angeboten werden sollte, aus den Diensten der D-AG auszuscheiden und befristet von der BQG GmbH (nachfolgend „BQG“) übernommen zu werden, um dort Kurzarbeiter- oder Unterhaltsgeld nach dem AFG zu erhalten. Ein Teil dieser Arbeitnehmer sollte später ein Angebot von der Beklagten auf Einstellung zum 1.7.1996 erhalten. Mit diesem Konzept sollte die Massenentlassung aller Beschäftigten verhindert und eine Betriebsfortführung im Anschlusskonkursverfahren ermöglicht werden. 888 Am 4.6.1996 wurde den Arbeitnehmern der D-AG das Konzept erläutert und die Beklagte als „Auffanggesellschaft“ vorgestellt. Am 5.6.1996 unterzeichneten etwa 96 % der Beschäftigten das Angebot auf Abschluss eines – dem Interessenausgleich als Anlage beigefügten – dreiseitigen Vertrags zwischen dem jeweiligen Arbeitnehmer, der D-AG und der BQG. Der Vertrag sah u. a. vor, dass das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zur D-AG einvernehmlich mit Ablauf des 6.6.1996 beendet und mit Wirkung zum 7.6.1996 ein befristetes Arbeitsverhältnis mit der BQG begründet wird. Die Annahme des Angebots auf Abschluss des dreiseitigen Vertrags seitens der D-AG und der BQG konnte einem Treuhänder gegenüber erklärt werden. 889 Ab dem 7.6.1996 (dem Tag der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der D-AG) wurde der Kläger von der BQG vergütet. Für die Zeit vom 7.6.1996 bis 30.6.1996 beschäftigte die Beklagte einige ehemalige Mitarbeiter mit Konkursabwicklungsaufgaben. Zum 1.7.1996 (und später) stellte die Beklagte zumindest 250 Arbeitnehmer ein, den Großteil aus dem Kreis der Beschäftigten der BQG. Dem Kläger machte die Beklagte kein Einstellungsangebot. 890 Mit der am 16.7.1996 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, in sein Arbeitsverhältnis zur D-AG sei gemäß § 613a BGB die Beklagte eingetreten. Der dreiseitige Vertrag sei wegen Umgehung von Arbeitnehmerschutzvorschriften unwirksam. Die Arbeitnehmer seien getäuscht worden. Es sei von Anfang an ein Betriebsübergang von der D-AG auf die Beklagte geplant gewesen. Bei der Einstellung habe die Beklagte keine Sozial206

VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

auswahl durchgeführt. Der Kläger beantragte die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen zu beschäftigen. b) Entscheidung Die Klage war in erster Instanz erfolglos, in zweiter Instanz wurde ihr hinge- 891 gen stattgegeben. Das BAG wies die Klage jedoch in letzter Instanz ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen Folgendes aus: Die Feststellungsklage sei unbegründet. Zwischen den Parteien bestehe kein 892 Arbeitsverhältnis. Ein solches sei insbesondere nicht gemäß § 613a Abs. 1 BGB wegen eines Betriebsübergangs zustande gekommen. Es könne offen bleiben, ob die Beklagte durch die Fortführung der Maschinenfabrik der D-AG und den Eintritt in die Kundenbeziehungen einen Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB ausgelöst habe. Denn als Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 BGB trete lediglich der gesetzliche Übergang bestehender Arbeitsverhältnisse ein. Der Kläger sei jedoch kein Arbeitnehmer der D-AG mehr gewesen, als es nach Eröffnung des Anschlusskonkurses zum Betriebsübergang hinsichtlich der von der D-AG in M. betriebenen Maschinenfabrik gekommen sein könnte. Der – einen Aufhebungsvertrag mit der D-AG sowie einen Arbeitsvertrag 893 mit der BQG enthaltende – dreiseitige Vertrag sei wirksam. Er regele einen atypischen Sachverhalt und enthalte keine überraschenden Klauseln. Den Arbeitnehmern sei erläutert worden, dass bei Fortbestehen der Arbeitsverhältnisse zur D-AG selbst bei Ausspruch sofortiger Kündigungen durch den noch zu bestellenden Konkursverwalter die Masseunzulänglichkeit eintreten würde. Erst durch die sofortige einvernehmliche Auflösung möglichst aller Arbeitsverhältnisse werde die umgehende Eröffnung des Konkursverfahrens ermöglicht. Der Aufhebungsvertrag habe das Arbeitsverhältnis des Klägers zur D-AG 894 mit Ablauf des 6.6.1996 beendet. Der dreiseitige Aufhebungs- und Arbeitsvertrag sei nicht wegen Umgehung von § 613a BGB gemäß § 134 BGB nichtig. Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und altem oder neuem Betriebsinhaber seien auch ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes wirksam möglich, wenn sie auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sind. Der Arbeitnehmer könne durch Widerspruch verhindern, dass sein Arbeitsverhältnis auf den Betriebserwerber übergehe. Deshalb habe er auch die Möglichkeit, sein Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufzuheben. Die Unwirksamkeit folge auch nicht aus der objektiv bezweckten Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes. In dem dreiseitigen Vertrag hätten der Kläger und die D-AG zwar die sofortige Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses vereinbart, doch sei weder zwischen dem Kläger und der Beklagten ein neues Arbeitsverhältnis begründet, noch sei ein solches dem Kläger verbindlich in Aussicht gestellt worden. Vielmehr sei der Kläger in ein Arbeitsverhältnis zur BQG eingetreten 207

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

und habe gewusst, dass die Betriebsfortführung durch die Beklagte angestrebt wurde. Dass die Beklagte alle oder nahezu alle Beschäftigten der D-AG einstellen würde, war jedoch nicht versprochen worden. Die ehemaligen Beschäftigten der D-AG hatten lediglich die mehr oder weniger begründete Erwartung, in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten treten zu können. Damit sei der Vertragsschluss einem Risikogeschäft gleichgekommen. Die Arbeitnehmer der D-AG hätten bereits am 5.6.1996 nahezu alles verloren, sie hätten ihre Stellung durch den Abschluss des dreiseitigen Vertrags rechtlich geringfügig verbessern können. Der Vertrag eröffnete ihnen neben der sozialrechtlichen Positionsverbesserung die Chance, bei der Beklagten ein neues Arbeitsverhältnis zu finden. Damit diene der dreiseitige Vertrag nicht der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses, denn die Fortsetzung durch die Beklagte war jedenfalls für den Kläger nicht abzusehen. 895 Dem Kläger stehe gegenüber der Beklagten auch kein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu. Im Fall des im Insolvenzverfahren vollzogenen Betriebsübergangs bestehe keine Notwendigkeit, einen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Betriebserwerber auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anzuerkennen, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem alten Betriebsinhaber wirksam beendet wurde und es danach zu einem Betriebsübergang komme. Dies sei europarechtlich nicht geboten, insbesondere wenn der Arbeitnehmer aus seinem Arbeitsverhältnis nicht aufgrund einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung, sondern mittels Aufhebungsvertrags ausgeschieden sei. Ein Fortsetzungsanspruch des Klägers könne auch nicht damit begründet werden, dass die Geschäftsgrundlage des Aufhebungsvertrags nachträglich weggefallen sei. Dass dem Kläger von der Beklagten kein neues Arbeitsverhältnis angeboten worden sei, begründe keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Sollte eine derartige Erwartung des Klägers bestanden haben, wäre sie nicht zur Geschäftsgrundlage geworden, sondern einseitig geblieben. Der Kläger habe, wie seine Kollegen, nur hoffen können, es werde zu einer Einstellung durch die Beklagte kommen. c) Folgerungen für die Praxis 896 Mit dieser Grundsatzentscheidung wurde das „BQG-Modell“ erstmals höchstrichterlich gebilligt. Die Entscheidung ist Grundlage für die späteren Urteile des BAG zur Beurteilung der Wirksamkeit dreiseitiger Verträge im Rahmen eines Arbeitnehmerwechsels in eine BQG/Transfergesellschaft. 2. BAG, 21.1.1999 – 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572 („Dörries Scharmann II“) a) Sachverhalt 897 Der Sachverhalt entspricht im Wesentlichen demjenigen der vorgenannten Entscheidung „Dörries Scharmann I“.

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VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

b) Entscheidung Die Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 1.7.1996 898 von der D-AG im Rahmen eines Betriebsübergangs auf die Beklagte – welche die Produktion von der D-AG ab Juli 1996 übernommen hatte – übergegangen sei, wurde vom BAG abgewiesen. Zusätzlich zu der dargelegten Begründung in der Entscheidung „Dörries 899 Scharmann I“ führte das BAG noch Folgendes aus: Der dreiseitige Aufhebungsvertrag sei nicht wirksam von den Klägern gemäß 900 §§ 119, 123 BGB angefochten worden. Anfechtungsgründe lägen nicht vor. Den Klägern seien auf der Betriebsversammlung vom 4.6.1996 klare Angaben über den Zweck des gesamten Modells – Entlastung der Masse, Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die BQG, damit verbundene sozialrechtliche Vorteile und eine Chance zur Rettung von Arbeitsplätzen ohne soziale Gesichtspunkte – gemacht worden. Insoweit seien sie weder einem Irrtum unterlegen, noch getäuscht worden trotz der Bezeichnung des dreiseitigen Vertrags als Arbeitsvertrags. c) Folgerungen für die Praxis Die Folgeentscheidung zum Dörries-Scharmann-Fall zeigt, dass eine klare 901 und eindeutige Kommunikation gegenüber den Arbeitnehmern vor Unterzeichnung der dreiseitigen Vereinbarung nicht nur im Hinblick auf das Argument der Umgehung des § 613a BGB, sondern auch hinsichtlich etwaiger Anfechtungsgründe nach §§ 119, 123 BGB von entscheidender Bedeutung ist. 3. BAG, 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145 („Hotelbetriebsfortführung“) a) Sachverhalt Die Kläger waren bei der (früher mitbeklagten) Arbeitgeberin, der N-GmbH, 902 die ein Vier-Sterne-Hotel in B. betrieb, beschäftigt. Zur Vermeidung einer Insolvenz entschloss sich die N-GmbH im Jahre 2003, die Hotelimmobilie an die stadteigene B-Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung (nachfolgend „B.“) zu veräußern. Eine Betriebsführungsgesellschaft, die Beklagte, sollte den Hotelbetrieb für eine Übergangszeit ab dem 1.9.2003 als Tagungs- und Kongresshotel mit weniger Personal fortführen. Alle Arbeitnehmer der N-GmbH sollten in eine Auffanggesellschaft, die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft B-GmbH (nachfolgend „BQG“), wechseln. Von dort sollten die für die Fortführung des Hotelbetriebs benötigten Arbeitnehmer auf der Grundlage befristeter Verträge zur Beklagten überwechseln. Die Arbeitnehmer der N-GmbH wurden in mehreren Betriebsversammlungen 903 über die Gründe für die beabsichtigte Aufhebung ihrer Arbeitsverträge und 209

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

den mit der Auffanglösung verbundenen Verlust eines Teils der Arbeitsplätze unterrichtet. 904 Am 12.8.2003 wurden ein Interessenausgleich und ein Sozialplan abgeschlossen. Am 13.8.2003 unterzeichneten die Arbeitnehmer der N-GmbH, darunter auch die Kläger, einen dreiseitigen Vertrag mit der N-GmbH und der BQG. Dieser sah u. a. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der N-GmbH mit Ablauf des 31.8.2003 und die Begründung eines neuen befristeten Arbeitsverhältnisses mit der BQG für die Dauer vom 1.9.2003 bis zum 31.8.2004 (bzw. zum 31.8.2005) vor. 905 Wie vorgesehen erwarb die B. von der N-GmbH die Hotelimmobilie. Die Beklagte führte den Hotelbetrieb ab dem 1.9.2003 auf Grundlage eines mit der B. abgeschlossenen Betriebsführungsvertrags fort. Die Kläger befanden sich unter den von der Beklagten weiterbeschäftigten Arbeitnehmern der N-GmbH. Sie schlossen unter dem 1.9.2003 mit der Beklagten einen bis 30.11.2003 (bzw. 31.10.2003) befristeten Arbeitsvertrag. 906 Mit ihrer Klage haben die Kläger den Aufhebungsvertrag widerrufen und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zur Beklagten geltend gemacht. Der dreiseitige Vertrag sei nur geschlossen worden, um die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu vermeiden und daher als Umgehung des Gesetzes unwirksam. b) Entscheidung 907 Die Klage war in allen Instanzen erfolglos. Vgl. zur 2. Instanz: LAG Bremen, 26.8.2004 – 3 Sa 80/04 und 1 Sa 81/04, BB 2005, 665 m. krit. Anm. Lembke.

908 Das BAG führte zur Begründung der Klageabweisung aus, die gegen die Befristungsabreden in den mit der beklagten Betriebsübernehmerin abgeschlossenen Arbeitsverträgen vom 1.9.2003 gerichteten Entfristungsklagen i. S. d. § 17 Satz 1 TzBfG seien unbegründet. Die Befristungsvereinbarungen seien wirksam. Das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG greife nicht ein, weil die mit der N-GmbH geschlossenen Arbeitsverträge der Kläger nicht im Wege des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte übergegangen seien, sondern bereits vor dem Betriebsübergang durch den Aufhebungsvertrag vom 13.8.2003 beendet worden seien. 909 Der im dreiseitigen Vertrag vom 13.8.2003 enthaltene Aufhebungsvertrag sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis mit der N-GmbH mit Ablauf des 31.8.2003 beendet, bevor es am 1.9.2003 zum Betriebsübergang gekommen sei. Es liege keine unzulässige Umgehung des in § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB geregelten Kündigungsverbots vor. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG könne ein Aufhebungsvertrag im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang jedoch gemäß § 134 BGB nichtig sein, wenn er objektiv der Umgehung der zwingenden Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB diene. Dies sei anzunehmen, wenn die Arbeitnehmer mit dem Hinweis auf eine ge210

VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

plante Betriebsveräußerung und bestehende Arbeitsplatzangebote des Betriebserwerbers veranlasst werden, ihre Arbeitsverhältnisse mit dem Betriebsveräußerer selbst fristlos zu kündigen oder Auflösungsverträgen zuzustimmen, um mit dem Betriebserwerber neue Arbeitsverträge abschließen zu können. Unwirksam seien Vertragsgestaltungen, deren objektive Zielsetzung in der Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bestehe. Hiervon zu unterscheiden seien Vereinbarungen, die zwischen dem Arbeitnehmer und dem alten oder neuen Betriebsinhaber geschlossen werden und auf ein endgültiges Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sind. Zur Abgrenzung stelle der Senat seit dem Urteil vom 10.12.1998 („Dörries Scharmann I“) darauf ab, ob zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrags Arbeitnehmer und Betriebserwerber bereits ein neues Arbeitsverhältnis begründet hatten oder dem Arbeitnehmer ein solches verbindlich in Aussicht gestellt war. Fehle es daran, bestehe lediglich die mehr oder weniger begründete Erwartung des Arbeitnehmers, in ein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber treten zu können. Der Vertragsschluss komme einem Risikogeschäft gleich und diene nicht der Unterbrechung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses. Zuzugeben sei, dass das vom BAG verwandte Abgrenzungskriterium die Ge- 910 fahr des Missbrauchs in sich berge. Der Betriebserwerber könne zu verbergen suchen, dass er sich auch in personeller Hinsicht bereits entschieden habe. Diese Missbrauchsgefahr wie auch die für die Arbeitnehmer bestehende Drucksituation zwängen jedoch nicht dazu, die an das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts zu stellenden Anforderungen abzusenken und dadurch Sanierungsmöglichkeiten für notleidende Betriebe mit wenigstens teilweisem Arbeitsplatzerhalt praktisch unmöglich zu machen. Der Aufhebungsvertrag sei nicht bereits dann als unzulässiges Umgehungsgeschäft anzusehen, wenn dessen Motiv lediglich in der erleichterten Betriebsübernahme liege. Aufhebungsverträge vor einem beabsichtigten Betriebsübergang könnten aller- 911 dings als Umgehung der gesetzlichen Folgen des § 613a BGB unwirksam sein, wenn die Übernahme in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft nur zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt werde, die Sozialauswahl zu umgehen. Hierfür bestünden im Streitfall jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte. Es habe unstreitig ein Sanierungsfall zur Vermeidung einer drohenden Insolvenz vorgelegen. c) Folgerungen für die Praxis Die Entscheidung führt die bisherige Rechtsprechung des BAG fort und ver- 912 teidigt das für die Praxis maßgebliche Abgrenzungskriterium: Wirksam ist eine – im Rahmen des dreiseitigen Vertrags enthaltene – Aufhebungsvereinbarung, wenn im Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung dem Arbeitnehmer keine verbindliche Einstellungszusage bezogen auf einen Arbeitsplatz beim Betriebserwerber gemacht worden war. Ist dies der Fall, ist es unschädlich, wenn der Betrieb „nahtlos“ fortgeführt wird und das Arbeits211

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

verhältnis zum Betriebsveräußerer/alten Arbeitgeber (hier: N-GmbH) aufgrund des Aufhebungsvertrags an einem Tag endet (hier: 31.8.2003) und ebenso nahtlos – ohne zwischenzeitlichen Übergang in die BQG – am darauffolgenden Tag (hier: 1.9.2003) mit dem Betriebserwerber (hier: der Beklagten) auf Grundlage eines neuen Arbeitsvertrags fortgesetzt wird. 913 Selbst wenn eine Umgehung in Betracht kommt und der Arbeitnehmer zu schlechteren Arbeitsbedingungen beim Erwerber der Betriebsmittel eingestellt wird, eröffnet das Urteil eine Verteidigungslinie für den Betriebserwerber. In Ls. 3 heißt es: „Wird ein Arbeitnehmer von einer Auffanggesellschaft nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu verschlechterten Arbeitsbedingungen eingestellt, liegt hierin noch keine Umgehung des § 613a BGB, wenn die Änderung der Arbeitsbedingungen sachlich gerechtfertigt ist.“ Als sachlichen Rechtfertigungsgrund sah das BAG an, dass die Vertragsgestaltung der Vermeidung der sonst drohenden Insolvenz und der damit verbundenen Beseitigung sämtlicher Arbeitsplätze diente (vgl. Rn. 37, 40 der Entscheidung). 4. BAG, 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866 („Fensterproduktion“) a) Sachverhalt 914 Der Kläger war bei der E-GmbH neben zuletzt ca. 130 weiteren Arbeitnehmern in der Produktion von Holz- und Kunststofffenstern als Tischler angestellt. Über das Vermögen der E-GmbH wurde am 11.12.2003 das vorläufige Insolvenzverfahren eröffnet. 915 Am 15.12.2003 teilte der Insolvenzverwalter den Mitarbeitern der E-GmbH in einer Betriebsversammlung mit, dass beabsichtigt sei, das Unternehmen zu veräußern und die Produktion aus diesen Gründen fortzuführen. Der Insolvenzverwalter führte im Dezember 2003 und Januar 2004 Gespräche über die Betriebsveräußerung an die Beklagte. Nachdem diese gescheitert waren, teilte der Insolvenzverwalter am 26.1.2004 in einer Betriebsversammlung den Arbeitnehmern mit, dass es nicht gelungen sei, einen Käufer zu finden, der Betrieb stillgelegt werden solle und lediglich eine „Ausproduktion“ und Erledigung der Restaufträge durchgeführt werde. Nach Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans bestehe jedoch die Möglichkeit, auf Grundlage eines dreiseitigen Vertrags in eine Transfergesellschaft (nachfolgend „BQG“) zu wechseln. 916 Am 1.2.2004 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E-GmbH eröffnet. Am 2./3.2.2004 wurde mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart. Parallel dazu fanden mit den Arbeitnehmern Gespräche über den Abschluss dreiseitiger Verträge zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen statt. 917 Am 4./6.2.2004 unterzeichneten der Kläger, der Insolvenzverwalter und die BQG den dreiseitigen Vertrag, wonach das Arbeitsverhältnis des Klägers mit

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VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

der E-GmbH mit dem 8.2.2004 endete und der Kläger vom 9.2.2004 bis zum 8.6.2004 in ein befristetes Anstellungsverhältnis mit der BQG eintrat. Unterdessen wurden ca. 50 Arbeitnehmer weiter in der „Ausproduktion“ bei der E-GmbH weiterbeschäftigt. Am 9.2.2004 nahm der Insolvenzverwalter erneut mit der Beklagten Kontakt 918 auf. Nach weiteren Verhandlungen wurde am 13.2.2004 eine Einigung über den Kauf der E-GmbH durch die Beklagte erzielt. Seit dem 16.2.2004 führte die Beklagte die Fensterproduktion fort und stellte zu diesem Zweck die in der „Ausproduktion“ beschäftigten ca. 50 Mitarbeiter der E-GmbH sowie vier weitere Mitarbeiter aus der BQG zu veränderten Arbeitsbedingungen neu ein. Der nicht übernommene Kläger erklärte am 27.8.2004 die Anfechtung des 919 dreiseitigen Vertrags und bot der Beklagten unter Hinweis auf § 613a BGB seine Arbeitskraft an. Mit der am 7.10.2004 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, sein Arbeitsverhältnis sei auf die Beklagte übergegangen; es sei nicht durch den – wegen Umgehung unwirksamen – dreiseitigen Aufhebungsvertrag beendet worden. Der Insolvenzverwalter habe bei Abschluss des dreiseitigen Vertrags gewusst, dass es zu einem Verkauf des Betriebs an die Beklagte kommen werde. Die Arbeitnehmer seien arglistig getäuscht worden. b) Entscheidung Die Klage wurde in allen drei Instanzen abgewiesen. Zur Begründung führte 920 das BAG aus, das zur E-GmbH bestehende Arbeitsverhältnis sei nicht auf die Beklagte gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergegangen. Es sei durch den dreiseitigen Vertrag vom 4./6.2.2004 beendet worden. Der Kläger habe im Rahmen dieses Vertrags der Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zum 8.2.2004 zugestimmt und ein befristetes Beschäftigungsverhältnis mit der BQG begründet. Dieser Aufhebungsvertrag sei weder wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB an veränderte Verhältnisse anzupassen, noch stelle er eine Umgehung des § 613a BGB dar. Die von dem Kläger erklärte Anfechtung sei unwirksam. Für die Behauptung, der Aufhebungsvertrag habe seine beendigende Wir- 921 kung im Hinblick auf eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) verloren, trage der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast. Insoweit fehle es an einem substantiierten Vortrag. Der dreiseitige Vertrag sei auch nicht wegen Umgehung des § 613a BGB 922 gemäß § 134 BGB nichtig. Für das Vorliegen einer derartigen Umgehung sei der Kläger darlegungs- und beweisbelastet. Die Umgehung versuche ein rechtlich unerlaubtes Ziel auf einem scheinbar gangbaren Weg zu erreichen. Dabei werde der „Wortlaut“ des Gesetzes zwar vielleicht formal erfüllt, ohne aber seinem Sinn und Zweck gerecht zu werden. Bei der Umgehung sei also nicht nur ein bestimmter Weg zum Ziel, sondern das Ziel selbst verboten. Mit der oben beschriebenen Vertragsgestaltung unter Einschaltung einer 213

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

BQG umgingen die Arbeitsvertragsparteien § 613a BGB allerdings nicht. Sie verstießen auch nicht gegen den „wahren Geist“ des § 613a BGB. Die Vertragsparteien beendeten vielmehr die Kontinuität des Arbeitsvertrags. Es komme vor allem darauf an, dass der Arbeitnehmer freiwillig einen Aufhebungsvertrag abschließe, die BQG zwischengeschaltet sei und der Arbeitnehmer keine sichere Aussicht darauf habe, bei dem Erwerber eingestellt zu werden. 923 Eine Umgehung könne allenfalls dann vorliegen, wenn die Übernahme in eine Beschäftigungsgesellschaft nur zum Schein vorgeschoben oder offensichtlich bezweckt werde, die Sozialauswahl zu umgehen. Diese Voraussetzungen lägen hier aber nicht vor. Weder habe der Kläger eine feste Zusage noch eine begründete Aussicht gehabt, von der Beklagten übernommen zu werden. Der Kläger habe auch nicht substantiiert vorgetragen, dass die BQG nur zum Schein eingerichtet worden sei. Hieran könnten Zweifel bestehen, da die Verweildauer in der BQG nur einen Monat länger dauerte als die Kündigungsfrist nach § 113 InsO. Im Streitfall habe allerdings ein Bedarf für Transferleistungen in einer BQG bestanden, da ein Großteil der Arbeitnehmer ausgeschieden sei. 924 Der Aufhebungsvertrag sei auch nicht aufgrund der Anfechtung gemäß §§ 123, 142 BGB unwirksam, weil der Kläger nicht bewiesen habe, dass die Beklagte ihn zu seiner Zustimmung zum Aufhebungsvertrag mittels einer arglistigen Täuschungshandlung bewogen habe. 925 Der Kläger habe auch keinen Anspruch gegen den beklagten Betriebserwerber auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Derjenige, der im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund eines Aufhebungsvertrags ausgeschieden sei, habe keinen Einstellungs-(Fortsetzungs-)Anspruch gegen den Betriebsübernehmer, solange die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags nicht wegen Anfechtung, Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grunde beseitigt worden sei. c) Folgerungen für die Praxis 926 Die Entscheidung führt die bisherige Rechtsprechung fort und macht deutlich, dass der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die ihm günstigen Tatsachen trägt, welche den Wegfall bzw. die Unwirksamkeit des dreiseitigen Vertrags begründen könnten. Diese Darlegungs- und Beweislast ist regelmäßig nur schwer erfüllbar. 5. BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 („Losverfahren“) = ZIP 2011, 2426 = BB 2012, 451 m. Anm. Panzer-Heemeier; dazu auch Boigs, jurisPR-ArbR 9/2012, Anm. 2; Fuhlrott, FA 2013, 165, 166; ders., NZA 2012, 549; Joost, EWiR § 613a BGB 1/12, 41; Meyer, SAE 2012, 89;

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VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell Pils, NZA 2013, 125; Thum, BB 2013, 1525; Willemsen, NZA 2013, 242.

a) Sachverhalt Der Kläger trat am 25.10.1995 als Werkzeugmacher in die A-GmbH in W. 928 ein, deren Betrieb im Jahr 2004 auf die E-GmbH übergegangen war. Am 1.12.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E-GmbH 929 eröffnet. Nach Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans am 20.3.2006 ließ der Insolvenzverwalter den Kläger am 24.3.2006 sechs „unwiderrufliche Angebote“ auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrags unterzeichnen, welche die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der E-GmbH zu sechs verschiedenen Terminen des Jahres 2006 und die anschließende Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses mit einer BQG vorsahen. Gelten sollte der Vertrag, der von der BQG gegengezeichnet werden würde. Am 29.5.2006 zeichnete die BQG das vom Kläger unterzeichnete Formular, 930 welches sein Ausscheiden bei der E-GmbH mit Ablauf des 31.5.2006 und den Eintritt in die BQG mit Beginn des 1.6.2006 vorsah. Bereits Anfang Mai 2006 hatte der Insolvenzverwalter den Beschäftigten je- 931 weils auf sie ausgefertigte Arbeitsverträge mit der Beklagten vorgelegt, die den Betrieb der E-GmbH übernehmen wollte. Dabei hatte er darauf hingewiesen, dass keine Sicherheit und kein Anspruch darauf bestehe, dass das „Angebot“ der Arbeitnehmer auf Abschluss der Arbeitsverträge von der Beklagten angenommen werde. Am 8.5.2006 unterschrieb der Kläger die für ihn vorbereiteten Formulare der 932 Arbeitsverträge mit der Beklagten. Am 9.5.2006 erwarb die Beklagte das gesamte Betriebs- und Anlagevermögen der E-GmbH mit Ausnahme des Betriebsgrundstücks. Am 1.6.2006 fand eine Betriebsversammlung statt. Den Beschäftigten wurde 933 mitgeteilt, dass auf der Grundlage der vom Insolvenzverwalter überlassenen und von ihnen unterschriebenen Arbeitsverträge 352 (von 452) Mitarbeiter ab dem 2.6.2006 bei der Beklagten eingestellt würden, und zwar 193 Mitarbeiter befristet, 159 Mitarbeiter unbefristet. Sodann wurde auf der Grundlage eines Stellenplans der Beklagten am 1.6.2006 im Losverfahren bestimmt, wer von der Beklagten eingestellt werden und ob dies befristet oder unbefristet geschehen sollte. Am 1.6.2006 unterzeichnete die Beklagte den vom Kläger bereits unterzeich- 934 neten (unbefristeten) Arbeitsvertrag mit Eintrittsdatum 2.6.2006. Das Arbeitsverhältnis mit der BQG wurde am 23.6.2006 einvernehmlich mit Ablauf des 1.6.2006 beendet. Mit Schreiben vom 20.8.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des 935 Klägers betriebsbedingt „zum 30.9.2008“. Der Kläger verlangt mit seiner 215

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

Klage unter anderem die Einhaltung der nach seiner Auffassung zutreffenden gesetzlichen Kündigungsfrist von fünf Monaten, da er seit 25.10.1995 über zwölf Jahre im Betrieb beschäftigt worden sei. b) Entscheidung 936 Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Vgl. auch den Parallelfall des LAG Niedersachsen, 18.2.2010 – 7 Sa 779/09, ZIP 2010, 2066 = BB 2010, 2181 m. Anm. Mehrens; Dahme, EWiR § 613a BGB 9/10, 735).

937 Zur Begründung führte das BAG aus, der Erwerb des gesamten Betriebsund Anlagevermögens der E-GmbH durch die Beklagte – mit Ausnahme des Grundeigentums – und die nahtlose Weiterbeschäftigung von 352 Arbeitnehmer mit dem Zweck, die bisherige Betriebstätigkeit vorzuführen, sei als Betriebsübergang i. S. v. § 613a BGB anzusehen, der jedenfalls mit der Produktionsaufnahme am 2.6.2006 stattgefunden habe. Der Kläger sei auch im Zeitpunkt des Betriebsübergangs am 2.6.2006 noch Arbeitnehmer der E-GmbH gewesen, sodass das Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Beklagte übergegangen sei und die früheren Betriebszugehörigkeitszeiten bei der Berechnung der Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Nr. 5 BGB mitzurechnen seien. Der dreiseitige zwischen dem Insolvenzverwalter der E-GmbH, der BQG und dem Kläger abgeschlossene Aufhebungsvertrag habe das Arbeitsverhältnis nicht wirksam zum 31.5.2006, 24:00 Uhr beendet. 938 Es bestünden bereits Bedenken, ob der dreiseitige Vertrag überhaupt zu Stande gekommen sei. Es spreche viel dafür, dass der Kläger mit Unterzeichnung der sechs Formulare am 24.3.2006 ein Angebot auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrags unterbreitet habe, das am 29.5.2006 nach § 147 Abs. 2 BGB nicht mehr annahmefähig war, nachdem der Kläger bereits am 8.5.2006 gebeten worden war, weitere Arbeitsvertragsformulare für ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ab dem 2.6.2006 zu unterzeichnen. Es liege nahe, dass der Kläger nunmehr nicht mehr damit rechnen musste, dass sein früheres Angebot zum dreiseitigen Vertrag, das am 29.5.2006 gegengezeichnet wurde, noch eine Rolle spielen würde. Die Frage könne jedoch offen bleiben. 939 Selbst ein wirksam abgeschlossener dreiseitiger Vertrag hätte die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses nicht unterbrechen können, da er wegen Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB nach § 134 BGB als nichtig anzusehen wäre. Nach der Rechtsprechung des BAG sei der Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem Betriebsveräußerer und damit zusammenhängend der Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einer BQG trotz eines anschließenden Betriebsübergangs grundsätzlich wirksam, wenn die Vereinbarung auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet sei. § 613a BGB werde jedoch umgangen, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezwecke, weil zugleich ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart

216

VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt werde. „Verbindlich“ sei die Vertragsaussicht bereits dann, wenn ein Losentscheid für die Auswahl der Arbeitnehmer gelten solle, die einen solchen neuen Arbeitsvertrag erhielten, und wenn sich der nachfolgende Betriebsinhaber seinerseits diesem Losverfahren verbindlich unterworfen habe. Hier habe im Zeitpunkt eines zu unterstellenden wirksamen Vertragsab- 940 schlusses, also am 29.5.2006, der Kläger jedoch ein neues Arbeitsverhältnis mit der Beklagten „zumindest verbindlich in Aussicht gestellt“ bekommen, da man ihn am 8.5.2006 ein vorformuliertes Vertragsangebot habe unterzeichnen lassen und am 29.5.2006 die Chance von 352 zu 452 bestanden habe, einen Arbeitsvertrag mit der Beklagten zu bekommen. Das bedeute mehr als „in Aussicht stellen“. Das Angebot sei vielmehr „verbindlich“ gewesen, weil sich auch die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits an den Losentscheid gebunden gehabt habe. Es habe nur noch die Bedingung „Losglück“ eintreten sollen, damit die Beklagte ihrerseits das Vertragsangebot des Klägers am 1.6.2006 gegenzeichnen musste. Davon unabhängig sei für die am 1.6.2006 ausgewählten Arbeitnehmer die 941 Übernahme in die BQG nur zum Schein erfolgt. Der Kläger habe niemals dort gearbeitet; rechtlich hätte das Arbeitsverhältnis genau 24 Stunden, den 1.6.2006 hindurch, gedauert, wobei an diesem Tag die „Betriebsversammlung“ abgehalten, die neuen Arbeitsverträge, auch der des Klägers, von der Beklagten unterzeichnet und die auserwählten Arbeitnehmer zur Arbeit an ihren bisherigen Arbeitsplätzen ab dem 2.6.2006 für die Beklagte einbestellt worden seien. Am 29.5.2006 sei der dreiseitige Vertrag allein zu dem Zweck unterzeichnet worden, die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses formaljuristisch zu umgehen. c) Folgerungen für die Praxis Diese Entscheidung des BAG macht sehr deutlich, dass das BQG-Modell 942 nicht ohne Risiken für den Betriebserwerber ist. Die sorgfältige Vorbereitung der Kommunikation und Abläufe ist von erheblicher Bedeutung, sonst kann eine Umgehung des § 613a BGB angenommen werden. Das in dem Fall vorgenommene Losverfahren ist jedenfalls nicht geeignet. Ebenso schädlich ist es, wenn im Zeitpunkt des Abschlusses des dreiseitigen Vertrags eine Einstellungszusage bezogen auf einen Arbeitsplatz beim Betriebserwerber existiert. Dies dürfte unabhängig davon gelten, ob die Einstellungszusage unter einer aufschiebenden Bedingung (hier: „Losglück“) steht und wie wahrscheinlich der Eintritt der Bedingung ist. Da es um die objektive Umgehung von § 613a BGB geht, kommt es alleine 943 auf das Bestehen der verbindlichen Einstellungszusage im Zeitpunkt des Abschlusses des (dreiseitigen) Aufhebungsvertrags (d. h. des Zugangs der übereinstimmenden Willenserklärung/Annahme des korrespondierenden Angebots) an. Die Einstellungszusage muss hingegen nicht bereits in dem Zeit-

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

punkt vorliegen, zu dem der Arbeitnehmer seine auf Abschluss des dreiseitigen Vertrags bezogene Willenserklärung (Angebot) abgibt, wenn die arbeitgeberseitige Annahmeerklärung noch aussteht. 944 Die vorliegende Entscheidung mahnt auch zu besonderer Vorsicht im Hinblick auf eine „nahtlose“ Übernahme von Arbeitnehmern des alten Arbeitgebers/ Betriebsinhabers durch den Betriebsübernehmer ohne zeitlichen Zwischenraum bzw. wenigstens zählbare Zwischenaufnahme in der BQG. Je kürzer die Verweildauer der Arbeitnehmer in der BQG ist, desto eher besteht ein Grund zur Annahme, dass die Übernahme in die BQG nur zum Schein erfolgt und eine Umgehung vorliegt. 6. BAG, 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, AP BGB § 613a Nr. 436 („Auswahl aus mehreren Verträgen“) = BeckRS 2013, 65736, dazu Anm. Boigs, jurisPR-ArbR 12/2013, Anm. 3; siehe auch Parallelentscheidung 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203, dazu Anm. Lindemann EWiR § 613a BGB 2/13, 169; siehe auch Fuhlrott, FA 2013, 165; Pils, NZA 2013, 125; Sigle, FA 2013, 73, 75; Thum, BB 2013, 1525;zur Vorinstanz siehe Vorauflage, Rn. 799 ff.

945

a) Sachverhalt 946 Der Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin im Betrieb in B. tätig, wo insgesamt ca. 1.600 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Am 1.4.2007 war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter führte den Geschäftsbetrieb zunächst fort und versuchte in der Folgezeit, den Betrieb an die Beklagte zu veräußern. 947 Am 12.3.2008 schloss die Beklagte mit dem zuständigen Arbeitgeberverband und der IG Metall NRW einen Betriebs- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BTV) ab, der u. a. regelte, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Erwerbs 1.132 unbefristete und 400 befristete Arbeitnehmer in dem Betrieb beschäftigen werde. 948 Am 31.3.2008 schloss der Insolvenzverwalter mit der Beklagten einen Kaufvertrag über die Betriebsmittel der Insolvenzschuldnerin ab. Dieser sah als Closing-Bedingung vor, dass (nahezu) alle Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin dem Insolvenzverwalter ein unwiderrufliches Angebot auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrags zur Aufhebung des Arbeitsvertrags mit der Insolvenzschuldnerin und zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der BQG unterbreiten müssten. 949 Nachdem am 28.4.2008 ein Interessenausgleich und Sozialplan über die Überleitung der Mitarbeiter in eine BQG zum 1.6.2008 und die Übertragung des Betriebs an einen Dritten zum 1.6.2008 vereinbart worden war, fand am 218

VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

3.5.2008 eine Betriebsversammlung statt. Darin wurde die Belegschaft vom Insolvenzverwalter, der BQG und Vertretern der Beklagten über die abgeschlossenen Kollektivvereinbarungen und das BQG-Modell informiert. Alle Arbeitnehmer erhielten sodann einen dreiseitigen Vertrag zur Aufhebung des Arbeitsvertrags mit der Insolvenzschuldnerin zum 31.5.2008, 24:00 Uhr, und zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit der BQG mit Wirkung zum 1.6.2008, 00:00 Uhr. Ferner erhielten sie vier weitere Vertragsdokumente, nämlich einen unbefris- 950 teten und drei unterschiedlich lange (12, 20, 32 Monate) befristete Arbeitsverträge mit der Beklagten, jeweils beginnend am 1.6.2008, 00:30 Uhr. Die Arbeitnehmer sollten sowohl den dreiseitigen Vertrag als auch sämtliche vier Arbeitsvertragsangebote unterschrieben zurückreichen. Der Kläger unterzeichnete den dreiseitigen Vertrag und gab die vier vorbereiteten schriftlichen Vertragsangebote ab. Am 30.5.2008 nahm die Beklagte das Angebot des Klägers auf Abschluss eines auf 32 Monate bis zum 31.1.2011 befristeten Arbeitsvertrags an. Insgesamt nahm die Beklagte – wie im BTV vorgesehen – rund 1.500 Ar- 951 beitsvertragsangebote an, von denen 400 auf Abschluss befristeter Verträge gerichtet waren. Mit diesen Arbeitnehmern und den von der Insolvenzschuldnerin erworbenen Betriebsmitteln führte sie die Produktion in der bisherigen Betriebsstätte am 1.6.2008 fort. Mit seiner Klage macht der Kläger den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses 952 mit der Beklagten über das vereinbarte Befristungsende hinaus geltend. Er hat die Auffassung vertreten, die Befristung verstoße gegen das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Wegen des erfolgten Betriebsübergangs sei die Beklagte als „derselbe Arbeitgeber“ i. S. d. Vorschrift anzusehen. Außerdem überschreite die Befristungsdauer die nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG zulässige Höchstgrenze von zwei Jahren. Der dreiseitige Vertrag sei wegen Umgehung des § 613a BGB unwirksam. Der Kläger hat ferner mit Schreiben vom 22.10.2008 und 29.5.2009 gegenüber dem Insolvenzverwalter und der BQG die Anfechtung des dreiseitigen Vertrags wegen arglistiger Täuschung und Drohung erklärt. b) Entscheidung Die Klage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klä- 953 gers hat das Landesarbeitsgericht Köln der Klage stattgegeben. Das BAG wies die Revision der Beklagten als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das BAG aus, der Arbeitsvertrag zwischen dem Klä- 954 ger und der Beklagten gelte als auf unbestimmte Zeit geschlossen, da die vereinbarte Befristung unwirksam sei. Das Anschlussverbot des § 14 TzBfG Abs. 2 Satz 2 TzBfG verbiete eine sachgrundlose Befristung.

219

E. Umstrukturierung in der Insolvenz

955 Schließe ein Arbeitnehmer mit einem Betriebserwerber im Falle eines Betriebsübergangs einen befristeten Arbeitsvertrag ab, so werde grundsätzlich die Identität der Arbeitgeber gewahrt, da der Erwerber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in Bezug auf das Arbeitsverhältnis Rechtsnachfolger des Betriebsveräußerers geworden sei. Hingegen stehe § 14 TzBfG Abs. 2 Satz 2 TzBfG dem Abschluss einer sachgrundlosen Befristung mit dem Betriebserwerber nicht entgegen, wenn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits wirksam beendet gewesen sei (z. B. aufgrund eines Aufhebungsvertrags). 956 Im Streitfall habe die für das Anschlussverbot erforderliche Identität auf Arbeitgeberseite vorgelegen, weil ein Betriebsübergang von der Insolvenzschuldnerin auf die Beklagte stattgefunden habe. Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei am 1.6.2008, 0:00 Uhr, auf die Beklagte übergegangen. Es sei nicht aufgrund des dreiseitigen Vertrags, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 31.5.2008, 24:00 Uhr, vorsieht, beendet worden. Dieser Vertrag habe die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses nicht unterbrochen, da er wegen Umgehung des § 613a Abs. 1 BGB nach § 134 BGB nichtig sei. 957 Grundsätzlich gewähre § 613a BGB keinen Schutz vor der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund. Aufgrund der Vertragsfreiheit könnten die Vertragsparteien auch im Rahmen des § 613a BGB die Kontinuität des Arbeitsvertrags beenden. Der Arbeitnehmer könne nämlich dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber auch widersprechen und damit den Eintritt der Rechtsfolgen des § 613a BGB verhindern. 958 Nach der Rechtsprechung des Senats sei der Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit einem Betriebsveräußerer und damit zusammenhängend der Abschluss eines Arbeitsvertrags mit einer BQG trotz eines anschließenden Betriebsübergangs grundsätzlich wirksam, wenn die Vereinbarung auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet ist. § 613a BGB werde jedoch umgangen, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezwecke, weil zugleich ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt werde. 959 Dies gelte auch, wenn der Arbeitnehmer die Umgehung des § 613a BGB damit begründet, es sei zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen worden, jedoch nach den gesamten Umständen klar gewesen, dass er vom Betriebserwerber eingestellt werde. Diese Umstände habe der Arbeitnehmer näher darzulegen und ggf. zu beweisen. Auch in diesem Falle liege die objektive Zwecksetzung des Aufhebungsvertrags in der Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes. Diese Prüfung berücksichtige auch in angemessener Weise die für den betroffenen Arbeitnehmer bestehende, seine rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit beeinträchtigende Drucksituation. Fehle es an dem gleichzeitigen Abschluss oder

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VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

dem Inaussichtstellen eines neuen Arbeitsvertrags, so stelle sich der Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer als ein – im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässiges – Risikogeschäft dar, weil nicht klar sei, ob der Betriebserwerber den Arbeitnehmer übernehmen wird. Nach diesen Grundsätzen habe das Landesarbeitsgericht zu Recht ange- 960 nommen, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei nicht wirksam zum 31.5.2008 aufgelöst worden. Dem Kläger durfte es aufgrund der gesamten Umstände klar gewesen sein, dass er von der Beklagten als der Betriebserwerberin eingestellt werde. Ihm wurde auf der Betriebsversammlung vom 3.5.2008 der vorformulierte 961 dreiseitige Vertrag vorgelegt. Gleichzeitig wurden ihm mit der Bitte um Unterzeichnung vier von der Beklagten vorformulierte Verträge ausgehändigt. Diese sahen die Vereinbarung eines unbefristeten und dreier befristeter Arbeitsverträge (12, 20, 32 Monate) mit der Beklagten vor. Diese Verträge enthielten u. a. konkrete Vereinbarungen über die Art der in 962 Aussicht genommenen Tätigkeit, das Arbeitsentgelt, die Arbeitszeit, den Urlaub und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie über die Anrechnung der bisherigen Betriebszugehörigkeit auf das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten. Letztlich musste es aus der Sicht des Klägers, der aufgefordert worden war, 963 alle vier ihm von der Beklagten vorgelegten und vorformulierten Arbeitsverträge zu unterzeichnen, klar gewesen sein, dass die Beklagte einen dieser Verträge unterschreiben werde und es damit zum Abschluss eines unbefristeten oder eines befristeten Arbeitsverhältnisses mit dieser kommen werde. Anders konnte der Kläger die Vorgehensweise der Beklagten nicht verstehen. Ein Betriebserwerber, der sich vertraglich verpflichtet hat, die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer des Betriebsveräußerers zu übernehmen und einem Arbeitnehmer vier Arbeitsverträge mit unterschiedlichen Bestimmungen über die Dauer des Arbeitsverhältnisses vorlegt, erweckt zwangsläufig bei ihm den Eindruck, dass er zu denjenigen Arbeitnehmern gehört, welche vom Betriebserwerber übernommen werden sollen, und dass es nur noch in dessen Ermessen steht, zu welchen Bedingungen hinsichtlich der Dauer des neu zu begründenden Arbeitsverhältnisses diese Übernahme erfolgen soll. Insoweit habe der Streitfall Ähnlichkeit mit dem „Lotterie-Urteil“.

964

BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, siehe Rn. 927 ff.

Dem „Losglück“ entspreche im Streitfall die Entscheidung der Beklagten über die Dauer des in Aussicht gestellten neuen Arbeitsverhältnisses (d. h. „unbefristet“ oder 12-, 20-, 32-monatige Befristung). Etwas anderes folge nicht daraus, dass der Betriebsübergang auf die Beklagte 965 aus der Insolvenz heraus erfolgt sei. § 613a BGB sei in der Insolvenz uneingeschränkt anwendbar, sofern es um den Bestandsschutz der Arbeitsverhält-

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E. Umstrukturierung in der Insolvenz

nisse geht. Es bestehe auch keine Notwendigkeit einer besonders „sanierungsfreundlichen“ Auslegung der Norm. Durch § 613a BGB solle insbesondere verhindert werden, dass eine Betriebsveräußerung zum Anlass genommen wird, die erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer abzubauen. Dagegen bezwecke § 613a BGB nicht, Sanierungen im Falle von Betriebsübernahmen zu ermöglichen oder zu erleichtern. In diesem Zusammenhang sei auch von Bedeutung, dass der deutsche Gesetzgeber von der ihm durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2001/23/EG vom 12.3.2001 eingeräumten Möglichkeit, für die Insolvenz von der Richtlinie abweichende Regelungen zu treffen, keinen Gebrauch mehr macht. So habe er beispielsweise die Unanwendbarkeit des § 613a BGB auf eine Betriebsübertragung im Gesamtvollstreckungsverfahren im Beitrittsgebiet bis zum 31.12.1998 begrenzt. c) Folgerungen für die Praxis 966 Auch diese Entscheidung des BAG mahnt zur Vorsicht bei der Verwendung des BQG-Modells an. Dabei macht das BAG deutlich, dass auch die Insolvenzsituation keine „mildernden Umstände“ hinsichtlich der Frage, ob eine Umgehung von § 613a BGB vorliegt, begründet. 967 Die Tatsache, dass vorliegend feststand, dass der Betriebserwerber den Großteil der Arbeitnehmer (93 %) übernehmen wollte – dies war sogar ClosingBedingung – reicht nach Ansicht des BAG, um eine „verbindliche Einstellungszusage“ zu begründen, wenn auch der Arbeitnehmer im konkreten Fall nicht wusste, in welcher Form (unbefristet oder eine von drei befristeten Varianten). Damit wird deutlich, dass das BQG-Modell umso „gefährlicher“ wird, je mehr Arbeitsplätze der Betriebserwerber den bisherigen Arbeitnehmern zur Verfügung stellt. Denn je mehr Arbeitnehmer übernommen werden, umso weniger wird der dreiseitige Vertrag zum Risikogeschäft; vielmehr dürfen die Arbeitnehmer von einer Betriebsübernahme ausgehen. Der Betriebserwerber sollte daher hierzu vor Abschluss der dreiseitigen Verträge keine Aussagen treffen bzw. sich nicht vertraglich zur Übernahme verpflichten. 7. Fazit 968 Die Einschaltung einer Transfergesellschaft/BQG ist nicht völlig risikolos und stellt hohe Anforderungen an die beteiligten Arbeitgeber, insbesondere was Planung und Durchführung des Modells sowie Kommunikationsfragen angeht. Außerdem sind eine fundierte Analyse und Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung unabdingbar. 969 Nicht zuletzt angesichts der auch beim BQG-Modell bestehenden Rechtsunsicherheit wird daher weiter über Alternativmodelle nachgedacht. Insbesondere in Fällen, in denen eine Transfergesellschaft aus Zeit- und/oder Kostengründen nicht in Betracht kommt, wird die sog. „Widerspruchslösung“ vorgeschlagen. Dabei werden die Arbeitnehmer des insolventen Unternehmens über die beabsichtigte sanierende Übertragung des Betriebs bzw. von Be-

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VII. Rechtsprechungsübersicht zum BQG-Modell

triebsteilen informiert und gemäß § 613a Abs. 5 BGB über den mit der Übertragung verbundenen Betriebs(teil)übergang unterrichtet. Ferner werden die Arbeitnehmer sinngemäß darüber aufgeklärt, dass der übernommene Geschäftsbetrieb vom Erwerber nicht mit allen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse an sich nach § 613a Abs. 1 BGB übergehen, fortgeführt werden kann, sondern dass die Übernahme aller Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB beim Erwerber unmittelbar zu dessen Insolvenz führen würde. Daher wird angeregt, dass alle vom Betriebs(teil)übergang erfassten Arbeitnehmer kollektiv dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber nach § 613a Abs. 6 BGB widersprechen. Tun sie dies, kann der Kaufvertrag zur übertragenden Sanierung abgeschlossen werden, und der Betrieb(steil) geht ohne Arbeitnehmer auf den Erwerber über, welcher dann ggf. einzelnen Arbeitnehmern ein Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags machen kann. Näher zum „Widerspruchsmodell“ Willmer/Fuchs/Berner, NZI 2015, 263, 265 ff.

Der Widerspruch führt nicht zu einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe (§ 159 970 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III) für die widersprechenden Arbeitnehmer. BSG, 8.7.2009 – B 11 AL 17/08 R, NJW 2010, 2459.

Ein „Königsweg“ ist das „Widerspruchsmodell“ allerdings auch nicht, denn 971 den widersprechenden Arbeitnehmern droht (unweigerlich) die betriebsbedingte Kündigung. Für sie folgt dann die Arbeitslosigkeit. Insoweit ist das BQG-Modell vorteilhaft, weil die Arbeitnehmer, die in die BQG wechseln, sich erst einmal in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis mit der BQG wiederfinden und nicht unmittelbar von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die „Widerspruchslösung“ kommt aber – wie gesagt – insbesondere dann als Alternative in Betracht, wenn das BQG-Modell aus Zeit- und/oder Kostengründen ausscheidet.

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F. Insolvenzgeld I. Einleitung Da im Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer regelmäßig zur Vorleistung ver- 972 pflichtet ist (vgl. § 614 BGB), kann es bei Eintritt der Insolvenz zu rückständigen Lohnforderungen kommen. Diese können die Arbeitnehmer – da es sich im Regelfall um Insolvenzforderungen handelt – faktisch nicht gegen das zahlungsunfähige Unternehmen realisieren. Die umlagenfinanzierte (§§ 358 ff. SGB III) Insolvenzversicherung dient dem Schutz des Arbeitsentgelts der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers. Sie ist auch für das Unternehmen von Vorteil, da die Arbeitnehmer im Zweifel eher bereit sein werden, weiterzuarbeiten und dadurch zur Sanierung des Unternehmens beizutragen, wenn ihre Lohnforderungen gesichert sind. Das Insolvenzgeld wird für bis zu drei Monate von der Agentur für Arbeit gezahlt. Im Idealfall kann das Unternehmen dadurch bis zu drei Monate lang ohne Personalkosten arbeiten. Häufig ermöglicht daher erst die Zahlung von Insolvenzgeld die Sanierung des Unternehmens und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Vom Gesetzgeber nicht bezweckte Nebenfolge der Zahlung von Insolvenzgeld ist jedoch, dass der zahlungsunfähige Arbeitgeber diese Regelungen zur Verschleppung des Insolvenzverfahrens missbrauchen kann. Die Regelungen zum Insolvenzgeld in §§ 165 ff. SGB III wurden zuletzt 973 mit Wirkung zum 1.4.2012 durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt (Eingliederungschancengesetz/Instrumentenreformgesetz), BGBl. I S. 2854,

geändert. Europarechtlich ist der Schutz von Arbeitnehmern bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers in der Richtlinie des Rates vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (Richtlinie 80/987/EWG), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2008/94/EG vom 22.10.2008, geregelt. Zum Einfluss der EuGH-Rechtsprechung auf das deutsche Insolvenzgeldrecht siehe Peters-Lange, info also 2007, 51 ff.

II. Anspruch auf Insolvenzgeld 1. Anspruchsvoraussetzungen Die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung von Insolvenzgeld sind in 974 § 165 SGB III geregelt. Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III gilt als Insolvenzereignis: x

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, 225

F. Insolvenzgeld

x

die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder

x

die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Auch bei einem ausländischen Insolvenzereignis haben im Inland beschäftigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 165 Abs. 1 Satz 3 SGB III).

975 Im Einzelnen: a) Arbeitnehmer 976 Anspruch auf Insolvenzgeld haben nur Arbeitnehmer. Maßgebend ist die Arbeitnehmereigenschaft im Insolvenzgeldzeitraum. Siehe Rn. 991.

977 Der Begriff des Arbeitnehmers ist in den Vorschriften über das Insolvenzgeld nicht näher bestimmt. Es gelten daher grundsätzlich die Abgrenzungsmerkmale, wie sie in den Vorschriften über die Versicherungspflicht in §§ 24 ff. SGB III verwendet werden. Darüber hinaus findet § 7 Abs. 1 SGB IV Anwendung. Entscheidend für die Arbeitnehmereigenschaft ist demnach, dass eine Erwerbstätigkeit in persönlicher Abhängigkeit von einem Arbeitgeber ausgeübt wird. Kennzeichnend für die persönliche Abhängigkeit sind die Eingliederung in die Organisation des Arbeitgebers und die Abhängigkeit von Weisungen des Arbeitgebers. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 2.2 Abs. 2, 3; Brand/Kühl, SGB III, § 165 Rn. 13 f; LSG Hamburg, 25.11.2011 – L 2 AL 45/08, BeckRS 2012, 68631.

978 Da nach diesen Grundsätzen auch versicherungsfreie Personen zu den Arbeitnehmern gehören, haben auch Studenten, Schüler, geringfügig Beschäftigte etc. grundsätzlich einen Anspruch auf Insolvenzgeld. Auf die Dauer oder den Umfang der Beschäftigung kommt es nicht an. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 2.2 Abs. 4; Brand/Kühl, SGB III, § 165 Rn. 13.

979 Auch die zur Berufsausbildung sowie die in Heimarbeit Beschäftigten gehören zu den Arbeitnehmern i. S. d. § 165 SGB III (vgl. § 25 Abs. 1 i. V. m. §§ 13, 14 SGB III). Hausgewerbetreibende, Zwischenmeister und die den Heimarbeitern gleichgestellten Personen sind dagegen nicht als Arbeitnehmer i. S. d. Insolvenzgeldvorschriften anzusehen (vgl. § 12 Abs. 1, 4, 5 SGB IV). DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 2.2 Abs. 5; Brand/Kühl, SGB III, § 165 Rn. 13.

980 Gesellschafter-Geschäftsführer und mitarbeitende Geschäftsführer einer GmbH haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie in einem abhängigen 226

II. Anspruch auf Insolvenzgeld

Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft stehen. Es kommt insoweit auf den Vertragsinhalt und auf die tatsächlichen Verhältnisse an. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 2.2 Abs. 8; BSG, 4.7.2007 – B 11a AL 45/06 R, BeckRS 2007, 47856; LSG Hamburg, 25.11.2011 – L 2 AL 45/08, BeckRS 2012, 68631.

Arbeitnehmer mit sog. Schlüsselfunktionen, die nach der Beantragung des 981 Insolvenzverfahrens neu eingestellt werden, haben (in Anwendung des Rechtsgedankens des § 98 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) SGB III) Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn die Einstellung zwingend notwendig war, um die unmittelbare Betriebsschließung zu verhindern (Beispiel: Einstellung eines Maschinenführers, der zur Aufrechterhaltung der Produktion bzw. Betriebstätigkeit unentbehrlich ist). Erfolgt die Einstellung hingegen zur Bewältigung von Kapazitätsengpässen oder zur Ausweitung der Produktion, besteht kein Anspruch auf Insolvenzgeld. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 2.2 Abs. 14.

b) Inländisches Beschäftigungsverhältnis Die Insolvenzgeldregelung schützt grundsätzlich nur inländische Beschäfti- 982 gungsverhältnisse (vgl. §§ 3, 7 SGB IV). Auf den Wohnort des Arbeitnehmers kommt es nicht an. Gem. § 165 Abs. 1 Satz 3 SGB III begründet auch ein ausländisches Insolvenzereignis einen Anspruch auf Insolvenzgeld für im Inland beschäftigte Arbeitnehmer. c) Insolvenzereignis Nicht jede Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers begründet einen Anspruch 983 auf Insolvenzgeld, sondern nur der Eintritt eines in § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III definierten Insolvenzereignisses. Dies können sein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III), die Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III) oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit wegen Vermögenslosigkeit (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III). Treffen mehrere dieser Tatbestände zusammen (z. B. wenn nach der Abweisung des Insolvenzereignisses mangels Masse auf Antrag eines weiteren Gläubigers das Insolvenzverfahren eröffnet wird, da dieser einen Kostenvorschuss gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO leistet), so ist für die Bestimmung des Insolvenzereignisses das zuerst eingetretene Ereignis maßgebend. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 3.4 Abs. 1.

Solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsun- 984 fähigkeit des Arbeitgebers andauert, tritt ein neues Insolvenzereignis nicht ein und kann folglich auch keine Ansprüche auf (erneute) Insolvenzgeldzahlung auslösen. Ständige Rspr. des BSG, vgl. BSG, 6.12.2012 – B 11 AL 11/11, ZIP 2013, 795.

227

F. Insolvenzgeld

aa) Eröffnung des Insolvenzverfahrens 985 Im Fall des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III ist Insolvenzereignis derjenige Tag, an dem das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers durch Beschluss des Insolvenzgerichts eröffnet wurde (vgl. § 27 InsO). DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 3.1 Abs. 1, 3.

bb) Ablehnung mangels Masse 986 Im Fall der Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III) ist Insolvenzereignis derjenige Tag, an dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden ist (§ 26 InsO). Der Tag der Abweisung ist derjenige Tag, an dem der Gerichtsbeschluss ergangen ist. Die Abweisung eines Insolvenzantrages wegen Unzulässigkeit oder die Zurückweisung wegen Fehlens eines Insolvenzgrundes genügen nicht. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 3.2 Abs. 1, 2.

cc) Vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit 987 Im Fall des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III ist Insolvenzereignis der Tag, an dem die Betriebstätigkeit im Inland vollständig beendet war, wenn bis zu diesem Zeitpunkt ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt wurde und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kam. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 3.3 Abs. 1.

988 Als Tag der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit ist der Tag anzusehen, an dem die letzte dem Betriebszweck dienende Tätigkeit auf Dauer nicht mehr aufgenommen wurde. Insolvenzereignis ist daher derjenige Tag, der auf den letzten Tag folgt, an dem die letzte dem Betriebszweck dienende Tätigkeit stattgefunden hat. Die Ausführung von nachfolgenden Abwicklungsarbeiten bleibt unberücksichtigt. Die Betriebstätigkeit muss mit der Absicht der dauerhaften Beendigung eingestellt worden sein. Im Hinblick auf die „Offensichtlichkeit“ der Masselosigkeit ist darauf abzustellen, ob sich für einen unvoreingenommenen objektiven Betrachter aus äußeren Tatsachen der Eindruck ergibt, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommen wird. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 3.3 Abs. 2, 3; LSG Berlin-Brandenburg, 3.5.2012 – L 18 AL 54/11, BeckRS 2012, 69460.

d) Fristgebundener Antrag 989 Insolvenzgeld wird nur auf Antrag des Arbeitnehmers gewährt. Für die Antragstellung ist zweckmäßigerweise das von der Arbeitsagentur bereitgestellte

228

II. Anspruch auf Insolvenzgeld

Formular zu verwenden. Dieses ist im Internet auf der Webseite der Bundesagentur für Arbeit (http://www.arbeitsagentur.de) erhältlich. Der Antrag ist innerhalb einer materiellen Ausschlussfrist von zwei Monaten 990 nach Eintritt des Insolvenzereignisses bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu stellen (§§ 323 Abs. 1, 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Nach Ablauf der Frist erlischt der Anspruch, wobei dem Arbeitnehmer eine Nachfrist von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrunds gewährt wird, wenn er die Frist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat (324 Abs. 3 Satz 2 SGB III). Gem. § 324 Abs. 2 Satz 3 hat der Arbeitnehmer die Fristversäumung zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Zu vertreten ist das Versäumnis beispielsweise dann, wenn der Arbeitnehmer sich mit bloßen telefonischen Mahnungen des Arbeitgebers begnügt oder wenn er trotz Erfolglosigkeit der Zwangsvollstreckung gegen den Arbeitgeber längere Zeit abwartet, bis er den Antrag stellt. Insbesondere von Arbeitnehmern, die bereits ausgeschieden sind, kann erwartet werden, dass sie sich zügig um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemühen, da Zurückhaltung den Arbeitsplatz nicht mehr sichern kann. Der Arbeitnehmer muss sich im Hinblick auf die Fristversäumung auch fremdes Verschulden zurechnen lassen, wenn er die schuldhaft handelnde Person ausdrücklich zu seinem Vertreter bestellt bzw. mit der Antragstellung beauftragt hat. Brand/Hassel, SGB III, § 324 Rn. 23 f.; LSG Nordrhein-Westfalen, 12.1.2012 – L 16 AL 264/10, BeckRS 2012, 67340; LSG Berlin-Brandenburg, 14.3.2012 – L 18 AL 340/09, BeckRS 2012, 68780; LSG Baden-Württemberg, 12.4.2012 – L 12 AL 5192/11, BeckRS 2012, 68901.

e) Insolvenzgeldzeitraum Der Zeitraum, für den Insolvenzgeld gezahlt wird, umfasst grundsätzlich die 991 letzten drei dem Insolvenzereignis vorausgehenden Monate. Der Tag, an dem das Insolvenzereignis eintritt, gehört nicht zum Insolvenzgeldzeitraum. Der Insolvenzgeldzeitraum läuft kalendermäßig ab und wird rückwirkend vom Tag des Insolvenzereignisses an berechnet. Beispiel: Das Insolvenzverfahren wird am 15. Mai eröffnet. Der Insolvenzgeldzeitraum umfasst die Zeit vom 15. Februar bis zum 14. Mai. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 4.1 Abs. 1; Schelp, NZA 2010, 1095, 1096.

229

F. Insolvenzgeld

aa) Betriebsübergang 992 Hat ein Betriebsübergang gem. § 613a BGB und infolgedessen vor dem Insolvenzereignis ein Arbeitgeberwechsel stattgefunden, so umfasst der Insolvenzgeldzeitraum nur den Zeitraum nach dem Übergang, da Insolvenzgeld nur für gegenüber dem insolventen Arbeitgeber bestehende Arbeitsentgeltansprüche gewährt wird, nicht für Ansprüche gegen den früheren Arbeitgeber. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 4.1 Abs. 3.

bb) Beendetes Arbeitsverhältnis 993 Hat das Arbeitsverhältnis vor dem Insolvenzereignis geendet, umfasst der Insolvenzgeldzeitraum die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses; der letzte Tag des Arbeitsverhältnisses ist der letzte Tag des Insolvenzgeldzeitraums. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 4.3 Abs. 2; Schelp, NZA 2010, 1095, 1096.

cc) Zeiträume ohne Entgeltanspruch 994 Für Zeiträume, für die der Arbeitnehmer wegen Ruhens des Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt hat (z. B. wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit nach dem BEEG), besteht kein Anspruch auf Insolvenzgeld. Diese Zeiten sind daher bei der Festlegung des Insolvenzgeldzeitraums auszuklammern. Der Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MuSchG ist als Entgelt anzusehen, sodass Zeiten eines Beschäftigungsverbots, für die ein Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld besteht (vgl. § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG), bei der Festlegung des Insolvenzgeldzeitraums nicht auszuklammern sind. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 4.1 Abs. 4, 5.

dd) Arbeitsaufnahme oder Weiterarbeit in Unkenntnis des Insolvenzereignisses 995 Hat ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses die Arbeit aufgenommen oder weitergearbeitet, umfasst der Insolvenzgeldzeitraum die letzten drei Monate, die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehen (§ 165 Abs. 3 SGB III). Entscheidend ist die positive Kenntnis des Arbeitnehmers von dem Insolvenzereignis, wobei unerheblich ist, ob dem Arbeitnehmer die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers mangels eigener Nachforschungen unbekannt geblieben ist oder ob er getäuscht wurde. Unkenntnis soll auch dann vorliegen, wenn dem Arbeitnehmer zwar bekannt ist, dass das Insolvenzgericht über den Insolvenzantrag entschieden hat, er jedoch nicht weiß, wie die Entscheidung lautet (z. B. ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde). Allerdings ist der Arbeitgeber gem. § 165 Abs. 5 SGB III verpflichtet, die Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse unverzüglich dem Betriebsrat bzw. – falls kein Betriebsrat besteht – den Arbeitnehmern bekannt zu geben. Gibt der Arbeitgeber den Grund jedoch ent230

II. Anspruch auf Insolvenzgeld

gegen § 165 Abs. 5 SGB III nicht bekannt, muss der Arbeitnehmer ihn nicht ermitteln. „Weiterarbeit“ setzt zwar grundsätzlich voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. Eine Weiterarbeit in diesem Sinne liegt aber auch an Urlaubs-, Krankheits- und arbeitsfreien Tagen vor. Gleiches gilt im Falle der Freistellung des Arbeitnehmers, sofern das Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Arbeitsentgelt fortbesteht. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 4.4 Abs. 1, 2, 5; Brand/Kühl, SGB III, § 165 Rn. 90 ff.

f) Insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt Voraussetzung für die Gewährung von Insolvenzgeld ist, dass der Arbeit- 996 nehmer für den Insolvenzgeldzeitraum noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Arbeitsentgelt in diesem Sinne sind alle Geld- und Naturalleistungen, die dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis als Gegenleistung für die von ihm erbrachte Arbeitsleistung oder als Ersatz der ihm aufgrund der Erbringung der Arbeitsleistung entstandenen Auslagen zustehen. Zum insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgelt gehören daher beispielsweise: x

Festgehalt,

x

unregelmäßige Gehaltsbestandteile, wie z. B. Überstundenabgeltung,

x

Jahressonderzahlungen,

x

Jubiläumszahlungen,

x

Tantiemen,

x

Provisionen,

x

Gefahren- oder Schmutzzulagen,

x

Sachbezüge,

x

vermögenswirksame Leistungen.

Das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) sieht seit 997 dem 1.1.2015 grds. für alle Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des geltenden Mindestlohns (derzeit 8,50 € pro Stunde) vor. Das heißt, es besteht Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns unabhängig davon, ob dieser vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit tatsächlich gezahlt wurde. Siehe ausführlich DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 5.2.

Auch Leistungen, die dem Arbeitnehmer in Fällen nicht geleisteter Arbeit 998 zustehen (z. B. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Fortzahlung der Vergütung an Urlaubs- und Feiertagen oder bei Freistellung) können zum insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgelt gehören. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 5.1 Abs. 1.

231

F. Insolvenzgeld

999 Gem. § 165 Abs. 2 SGB III gilt als Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen gem. § 7 Abs. 1a SGB IV auch während der Freistellung ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis besteht (d. h. bei Arbeitsentgelt aufgrund einer Wertguthabenvereinbarung gem. § 7b SGB IV), der Betrag, der aufgrund der schriftlichen Vereinbarung zwischen den Parteien zur Bestreitung des Lebensunterhalts im jeweiligen Zeitraum bestimmt war. 1000 Wurde eine tarifliche Lohnverzichtsvereinbarung getroffen, diese jedoch wegen der drohenden Insolvenz des Arbeitgebers mit der Wirkung gekündigt, dass die bis dahin durch den Verzicht aufgelaufenen Lohnbestandteile mit Wirksamwerden der Kündigung neu entstehen und fällig werden, können diese Lohnbestandteile beim Insolvenzgeld Berücksichtigung finden. Dies gilt jedoch nur für solche Lohnbestandteile, die im Insolvenzgeldzeitraum erarbeitet wurden. BSG, 4.3.2009 – B 11 AL 8/08 R, NZA-RR 2010, 92; DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 5.1 Abs. 2.

g) Zuordnung von Arbeitsentgeltansprüchen zum Insolvenzgeldzeitraum 1001 Ansprüche auf Arbeitsentgelt sind nur dann insolvenzgeldfähig, wenn sie zeitlich dem Insolvenzgeldzeitraum, siehe dazu Rn. 991,

zuzuordnen sind. Hierbei kommt es regelmäßig auf das Erarbeitungsprinzip an. Ausschlaggebend sind insoweit der arbeitsrechtliche Entstehungsgrund und die Zweckbestimmung der Leistung. Es ist für jede Form des Arbeitsentgelts gesondert zu prüfen, welchem Zeitraum sie zuzuordnen ist. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 6.1; Lakies, NZA 2000, 565, 567; BSG, 23.3.2006 – B 11a AL 65/05 R, ZIP 2006, 1882.

1002 Laufendes Arbeitsentgelt, das als Gegenleistung für die im Insolvenzgeldzeitraum erbrachte Arbeitsleistung zu erbringen ist oder eine Ersatzleistung für einen Zeitraum darstellt, für den der Entgeltanspruch auch ohne tatsächliche Arbeitsleistung zu erfüllen gewesen wäre, ist demnach in voller Höhe zu berücksichtigen. Fallen Leistungen nur teilweise in den Insolvenzgeldzeitraum, werden sie anteilig berücksichtigt. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 6.2 Abs. 1, 2.

1003 Für die Zuordnung einer Sonderzuwendung kommt es darauf an, ob der Anspruch im Insolvenzgeldzeitraum entstanden ist und ob aufgrund der zugrunde liegenden Vereinbarung bei vorherigem (unterjährigem) Ausscheiden des Arbeitnehmers ein zeitanteiliger Anspruch auf die Sonderzuwendung besteht. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 165 Ziff. 6.3 Abs. 1.

232

II. Anspruch auf Insolvenzgeld

2. Anspruchsausschluss Gem. § 166 Abs. 1 SGB III haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insol- 1004 venzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die x

sie wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben,

x

sie durch eine nach der Insolvenzordnung angefochtene Rechtshandlung oder eine Rechtshandlung, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar wäre, erworben haben oder

x

der Insolvenzverwalter wegen eines Rechts zur Leistungsverweigerung nicht erfüllt.

Diese Regelung dient der Sicherstellung, dass der Arbeitnehmer nicht mehr 1005 erhält, als er ohne die Insolvenz seines Arbeitgebers redlicherweise verdient hätte. Soweit Insolvenzgeld aufgrund eines gem. § 166 Abs. 1 SGB III ausgeschlossenen Anspruchs auf Arbeitsentgelt erbracht wurde, ist es gem. § 166 Abs. 2 SGB III zu erstatten. Im Einzelnen:

1006

a) Ansprüche wegen oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III schließt einen Insolvenzgeldanspruch für Arbeits- 1007 entgelt aus, das mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in ursächlichem Zusammenhang steht (wie z. B. in der Regel Abfindungen entsprechend §§ 9, 10 KSchG – soweit es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Arbeitsentgeltansprüche abgelten sollen –, Karenzentschädigungen, Ansprüche auf Urlaubsabgeltung gem. § 7 Abs. 4 BUrlG). Dadurch sollen kurzfristige Manipulationen des Arbeitsentgeltanspruchs mit dem Ziel, ein höheres Insolvenzgeld zu erhalten, verhindert werden. Zu den gem. § 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ausgeschlossenen Ansprüchen zählen auch Schadensersatzansprüche wegen nicht gewährtem Ersatzurlaub, da diese mit dem Urlaubsabgeltungsanspruch gem. § 7 Abs. 4 BUrlG vergleichbar sind. Brand/Kühl, SGB III, § 166 Rn. 3 f.; DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 166 Ziff. 1; BSG, 20.2.2002 – B 11 AL 71/01, NZI 2002, 506; BSG, 6.5.2009 – B 11 AL 12/08 R, NZA 2010, 269; LSG Bayern, 30.6.2011 – L 10 AL 55/09, BeckRS 2011, 7609; LSG Sachsen-Anhalt, 8.12.2011 – L 2 AL 54/08, BeckRS 2012, 65832.

Ferner besteht kein Insolvenzgeldanspruch für Arbeitsentgeltansprüche, die 1008 sich auf den Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beziehen (z. B. Ansprüche auf Krankengeld, das von der Krankenkasse geleistet wurde, obwohl der Arbeitgeber gem. § 3 EFZG zur Entgeltfortzahlung verpflichtet war). Diese Regelung entspricht dem Grundgedanken, dass das Insolvenz-

233

F. Insolvenzgeld

geld nur Ansprüche des Arbeitnehmers bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sichern soll. Brand/Kühl, SGB III, § 166 Rn. 5; DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 166 Ziff. 1, Abs. 3.

b) Angefochtene oder anfechtbare Rechtshandlungen 1009 Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die auf einer angefochtenen oder im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbaren Rechtshandlung beruhen (vgl. §§ 129 ff. InsO), sind grds. nicht insolvenzgeldfähig. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Arbeitnehmer durch den Insolvenzgeldanspruch nicht günstiger gestellt werden soll als bei Geltendmachung seines Arbeitsentgeltanspruchs im Insolvenzverfahren. Brand/Kühl, SGB III, § 167 Rn. 6.

1010 Regelmäßige Lohn- und Gehaltszahlungen sind nach § 142 InsO als Bargeschäft grds. unanfechtbar (Ausnahme: Vorsatzanfechtung). Siehe dazu Rn. 1012.

1011 In Bezug auf rückständige Lohnzahlungen wurde insbesondere diskutiert, inwiefern eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung nach § 131 InsO in Betracht kommt: Hat der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber den fälligen Lohnanspruch gestundet und ihm damit einen Kredit gewährt, so ist eine Insolvenzanfechtung der Lohnnachzahlung nach dieser Vorschrift möglich, wenn dem Arbeitnehmer die Zahlungsunfähigkeit beim Erhalt der Nachzahlung bekannt war oder ihm Umstände bekannt waren, die auf die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers schließen lassen. Nach einer Entscheidung des BGH vom 19.2.2009 kann aus der Tatsache, dass ein Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber außer ihm auch noch anderen Arbeitnehmern Entgelt schuldig ist, nicht auf die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geschlossen werden. Soweit der Arbeitnehmer nicht über „Insiderwissen“ verfüge, weil er aufgrund seiner herausgehobenen Funktion im Unternehmen oder aufgrund seiner Tätigkeit (z. B. in der Finanzbuchhaltung) Einblicke in die Liquiditäts- oder Zahlungslage des Unternehmens hat, treffe ihn insoweit auch keine Erkundigungspflicht. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat am 27.10.2010 entschieden, dass für die Klage des Insolvenzverwalters gegen einen Arbeitnehmer des Schuldners auf Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben ist. Das demnach mittlerweile zuständige BAG hat im Gegensatz zum BGH die Stellung bzw. Funktion des Arbeitnehmers im Unternehmen im Hinblick auf die Beurteilung, ob der Arbeitnehmer positive Kenntnis von Vermutungstatsachen hatte, nicht für per se maßgebend gehalten. Vielmehr komme auch bei Arbeitnehmern ohne herausgehobene Funktion eine positive Kenntnis in Betracht, wenn sie z. B. als Sekretärin oder Chauffeur des Schuldners von Umständen erfahren, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. 234

II. Anspruch auf Insolvenzgeld BGH, 19.2.2009 – IX ZR 62/08, NZI 2009, 228 ff.; GmS-OGB, 27.9.2010 – GmS-OGB 1/09, BeckRS 2011, 87253; BAG, 6.10.2011 – 6 AZR 262/10, NZA 2011, 981 = NZA 2012, 330; kritisch zum Bargeschäftsbegriff des BAG in dieser Entscheidung Niesert, NZI 2014, 252; auch Lütcke, NZI 2014, 350; sowie Klinck, DB 2014, 2455; siehe auch Wroblewski, NJW 2012, 894; Huber, NJW 2009, 1928 ff.

Als Anfechtungstatbestand kommt bei Arbeitsverhältnissen weiterhin die 1012 Vorsatz- oder Absichtsanfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO in Betracht, wonach Rechtsgeschäfte anfechtbar sind, die vom Arbeitgeber in den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem in der Absicht geschlossen wurden, Gläubiger zu benachteiligen, und der Arbeitnehmer die Benachteiligungsabsicht kannte. Hauptfälle sind die Gewährung einer rückwirkenden Lohnerhöhung, einmaliger Zuwendungen oder zusätzlichen Urlaubs ohne entsprechende Gegenleistung des Arbeitnehmers. Nach Ansicht des BAG ist das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, von der dieser sowie der Arbeitnehmer Kenntnis haben, nicht ausreichend, um auch den gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO notwendigen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf Seiten des Arbeitgebers und die Kenntnis des Arbeitnehmers davon anzunehmen. Die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit begründe keine gesetzliche Vermutung i. S. d. § 292 ZPO für das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO, sondern sei nur ein Beweisanzeichen für das Vorliegen des Benachteiligungsvorsatzes und könne entkräftet werden. Bei der Prüfung, welchen Beweiswert die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bei Zahlung im Rahmen eines Bargeschäfts habe, sei darauf zu achten, dass die Vorsatzanfechtung nicht über ihren Normzweck hinaus ausgedehnt werde. Im vom BAG im Urteil vom 29.1.2014 entschiedenen Fall war die beklagte Arbeitnehmerin bei dem Unternehmen als Alleinbuchhalterin tätig. Der klagende Insolvenzverwalter verlangte von ihr unter Berufung auf § 133 InsO die Rückzahlung von Entgelt zur Masse zurück. Dies begründete er damit, dass der Arbeitgeber zahlungsunfähig gewesen sei und daher mit Benachteiligungsabsicht gehandelt habe. Die Arbeitnehmerin habe als Buchhalterin und damit als „Insider“ gewusst, dass sich das Unternehmen seine Mitarbeiter nicht mehr habe leisten könne und die Lohnzahlungen zulasten der übrigen Gläubiger erfolgt seien. Nach Ansicht des BAG war es dem Arbeitgeber jedoch nicht auf die Schädigung der anderen Gläubiger, sondern allein auf die Erfüllung seiner Vertragspflichten angekommen, um so den Betrieb zu retten und auch seine übrigen Zahlungsverpflichtungen erfüllen zu können. Jedenfalls aber fehlte es an der Kenntnis der Arbeitnehmerin vom Benachteiligungsvorsatz ihres Arbeitgebers. Aus ihrer Sicht waren die Zahlungen allein in Erfüllung ihres arbeitsvertraglichen Entgeltanspruchs und in der Absicht erfolgt, sie (die Buchhalterin) dazu anzuhalten, auch künftig im Interesse der Fortführung des Betriebs und damit letztlich zum Wohle aller anderen Gläubiger ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Damit hat

235

F. Insolvenzgeld

das BAG den Anwendungsbereich der Vorsatzanfechtung bei Lohnzahlungen an Arbeitnehmer deutlich eingeschränkt. BAG, 29.1.2014 – 6 AZR 345/12, NZI 2014, 372 = NZA 2014, 1266; m. Anm. Merten, ArbRAktuell 2014, 201; Kluth, GWR 2014, 179, dazu auch Lütcke, NZI 2014, 350; kritisch Klinck, DB 2014, 2455.

1013 Im Rahmen von Restrukturierungsverträgen abgeschlossene Lohnverzichtsvereinbarungen, die im Wege auflösend bedingter, und zwar für den Fall der Insolvenz, rückwirkend unwirksamer Verzichte Vergütungserhöhungen herbeiführen würden, sind – als von der Rechtsordnung anerkannte und erwünschte Sanierungsgeschäfte – nicht anfechtbar. Gagel/Peters-Lange, SGB III, § 166 Rn. 18; Huber, NJW 2009, 1928 ff.; BSG, 4.3.2009 – B 11 AL 8/08, NJW 2009, 3740.

c) Leistungsverweigerungsrecht 1014 Schließlich ist der Anspruch auf Insolvenzgeld gem. § 166 Abs. 1 Nr. 3 SGB III auch bezüglich solcher Arbeitsentgeltansprüche ausgeschlossen, hinsichtlich derer dem Insolvenzverwalter ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (z. B. gem. § 146 Abs. 2 InsO). Eingehend Gagel/Peters-Lange, SGB III, § 166 Rn. 24 ff.

III. Höhe des Insolvenzgelds 1. Nettoprinzip – Bruttoentgelt als Grundlage der Berechnung 1015 Das Insolvenzgeld sichert bei Insolvenz des Arbeitgebers den Anspruch des Arbeitnehmers auf im Insolvenzgeldzeitraum, dazu Rn. 991,

tatsächlich erarbeitetes Arbeitsentgelt grundsätzlich in Höhe des Nettoentgelts, so wie es auch der Arbeitgeber hätte zahlen müssen (Nettoprinzip, § 167 SGB III). 1016 Bei der Berechnung ist vom Bruttoarbeitsentgelt auszugehen, soweit es insolvenzgeldfähig und dem Insolvenzgeldzeitraum zuzuordnen ist. Das Bruttoarbeitsentgelt ist auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze der Arbeitslosen- und Rentenversicherung (§ 341 Abs. 4 SGB III i. V. m. §§ 159, 160 SGB VI) als Leistungsbemessungsgrenze begrenzt. Die monatliche Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2016 beträgt 6.200 € (West) bzw. 5.400 € (Ost). Maßgeblich ist die für den jeweiligen Monat des Insolvenzgeldzeitraums geltende Beitragsbemessungsgrenze. Die monatliche Beitragsbemessungsgrenze gilt auch, soweit neben dem laufenden Arbeitsentgelt einmalig zu zahlendes Arbeitsentgelt zu berück-

236

III. Höhe des Insolvenzgelds

sichtigen ist. Letzteres ist dem Abrechnungszeitraum zuzuordnen, in dem es zu zahlen gewesen wäre. Brand/Kühl, SGB III, § 167 Rn. 3; DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 1 Abs. 1; BSG, 11.3.2014 – B 11 AL 21/12 R, ZIP 2014, 1188 ff.

Ist Kurzarbeit wirksam eingeführt worden, ist Grundlage der Berechnung 1017 der aufgrund der Kurzarbeit verminderte Entgeltanspruch. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 1 Abs. 1.

Zu den Bezügen aus dem Arbeitsverhältnis, die bei der Berechnung des In- 1018 solvenzgeldes zu berücksichtigen sind, zählen grundsätzlich auch Ansprüche auf Tantiemen, Gewinnbeteiligungen und Provisionen. LSG Hessen, 20.8.2010 – L 7 AL 165/06, ZIP 2010, 2019.

Wird die Geschäftstätigkeit (z. B. einer Bank aufgrund einer aufsichtsrecht- 1019 lichen Maßnahme) eingestellt und schuldet der Arbeitgeber in diesem Fall nach § 615 Satz 3 BGB die Zahlung vereinbarter, aber wegen der Einstellung der Geschäftstätigkeit nicht mehr erwirtschafteter Tantiemen, kann dies einen insolvenzgeldfähigen Anspruch auf Arbeitsentgelt darstellen. Die Höhe der Tantieme ist ggf. durch den Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter zu schätzen. LSG Hessen, 20.8.2010 – L 7 AL 165/06, ZIP 2010, 2019.

Zum Bruttoarbeitsentgelt gehören grds. auch steuer- und beitragsfreie Ent- 1020 geltbestandteile. Steuer- und beitragsfreie Zuschüsse des Arbeitgebers zur freiwilligen oder privaten Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung des Arbeitnehmers (§ 257 SGB V, § 172a SGB VI, § 61 SGB XI) bleiben jedoch bei der Ermittlung des Bruttoarbeitsentgelts unberücksichtigt; sie werden zusätzlich zum Arbeitsentgelt gewährt und werden von der Leistungsbemessungsgrenze nicht berührt. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 1 Abs. 2.

2. Gesetzliche Abzüge a) Sozialversicherungsbeiträge Zur Berechnung des Insolvenzgelds sind vom Bruttoarbeitsentgelt die Ar- 1021 beitnehmeranteile des Pflichtbeitrags zur Renten-, Kranken, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abzuziehen, außer wenn der Arbeitgeber diese ausnahmsweise (z. B. aufgrund einer individuellen Abrede) zu tragen hat. Nicht abzuziehen sind hingegen der Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung nach § 257 SGB V, zur Pflegeversicherung nach § 61 SGB XI oder zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung nach § 172a SGB VI oder Beiträge, deren Abzug der Arbeitgeber bei vorangegangenen Arbeitsentgeltzahlungen unterlassen hat und gem. § 28g Satz 3 SGB IV nicht mehr abziehen darf.

237

F. Insolvenzgeld Brand/Kühl, SGB III, § 167 Rn. 4; Gagel/Peters-Lange, SGB III, § 167 Rn. 5; DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 1.3 Abs. 1.

b) Steuern und sonstige gesetzliche Abzüge 1022 Des Weiteren sind zur Berechnung des Insolvenzgelds die Lohn- bzw. Einkommensteuer sowie sonstige gesetzliche Abzüge wie der Solidaritätszuschlag vom Bruttoarbeitsentgelt abzuziehen, ebenso vom Lohnabzugsverfahren erfasste Kirchensteuer. Das Nettoarbeitsentgelt wird so gezahlt, wie es auch der Arbeitgeber hätte zahlen müssen. Brand/Kühl, SGB III, § 167 Rn. 4.

1023 Wird dem Arbeitnehmer Insolvenzgeld in Höhe des Nettoarbeitsentgelts bewilligt, hat er trotz eines grundsätzlichen Arbeitsentgeltanspruchs auf das Bruttoentgelt keinen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter oder Arbeitgeber auf den Lohnanteil, der als Lohnsteuer abzuführen gewesen wäre, da er durch die Zahlung des Insolvenzgelds nicht besser gestellt werden soll als bei Auszahlung des Arbeitsentgelts. Wird der Insolvenzgeldantrag jedoch zurückgenommen oder abgelehnt, fällt der Anspruch auf Arbeitsentgelt an den Arbeitnehmer zurück, sodass er wieder Inhaber der vollen Bruttolohnforderung gegenüber dem Arbeitgeber wird (str.). Brand/Kühl, SGB III, § 169 Rn. 4; a. A. Gagel/Peters-Lange, SGB III, § 169 Rn. 8 ff.; siehe auch Lakies, NZA 2000, 565, 569.

c) Sonderfälle: Fiktive Steuerberechnung aa) Gesellschafter-Arbeitnehmer 1024 Ist der Arbeitnehmer zwar im Inland einkommensteuerpflichtig, unterliegt er jedoch nicht dem Lohnabzugsverfahren, erfolgt ein Abzug fiktiver Steuern, um den Gesellschafter-Arbeitnehmern keinen ungerechtfertigten Vorteil einzuräumen. Das Arbeitsentgelt ist um die Lohnsteuer zu vermindern, die im Fall der Steuerpflicht durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben würde (§ 167 Abs. 2 Nr. 1 SGB III). Diese Regelung betrifft insbesondere Gesellschafter einer OHG, die gleichzeitig deren Arbeitnehmer sind und deren Arbeitsentgelt daher als Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb besteuert wird (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Brand/Kühl, SGB III, § 167 Rn. 8; DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 1.2 Abs. 1.

bb) Keine Einkommensteuerpflicht im Inland (insbesondere Grenzgänger) 1025 Bei Arbeitnehmern, die als Grenzgänger oder nur vorübergehend im Inland tätig sind und im Inland nicht einkommensteuerpflichtig sind, ist das Brutto-

238

III. Höhe des Insolvenzgelds

arbeitsentgelt um die fiktive Lohnsteuer zu vermindern, die im Fall der Steuerpflicht im Inland durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben würde (§ 167 Abs. 2 Nr. 2 SGB III). Diese Regelung gilt jedoch nicht, wenn im Ausland erzieltes Arbeitseinkommen weder im Inland noch im Ausland kraft Gesetzes oder Einzelregelung des Finanzamts versteuert wird. Brand/Kühl, SGB III, § 167 Rn. 9; DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 1.2 Abs. 2.

3. Sonstige Abzüge Maßgebend für die Höhe des Insolvenzgelds ist nur das Nettoentgelt, das 1026 der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. am Insolvenztag noch beanspruchen kann. Der Insolvenzgeldanspruch kann auch nachträglich noch entfallen, wenn der Arbeitgeber oder Insolvenzverwalter den Entgeltanspruch erfüllt, z. B. wenn ein in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren geschlossener Vergleich die Arbeitsentgeltansprüche im Insolvenzgeldzeitraum mit umfasst und dadurch erledigt. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 2 Abs. 1.

Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer im Insolvenzgeldzeitraum durch eine 1027 andere Beschäftigung erzielt hat, vermindert gem. § 615 Satz 2 BGB den der Berechnung zugrunde zu legenden Anspruch auf Arbeitsentgelt gegen den insolventen Arbeitgeber bis zur Höhe des für den gleichen Zeitraum zugrunde liegenden Arbeitsentgeltanspruchs. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 2 Abs. 2.

4. Auswirkungen von Verfügungen über das Arbeitsentgelt Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld besteht nicht, soweit der 1028 Arbeitsentgeltanspruch vor Stellung des Insolvenzantrags an Dritte übertragen wurde (etwa durch Abtretung oder durch gesetzlichen Forderungsübergang, z. B. gem. § 115 SGB X) bzw. verpfändet oder gepfändet wurde (§ 170 Abs. 1, Abs. 2 SGB III). DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 2 Abs. 3.

Ansprüche auf Arbeitsentgelt können zwar gem. § 400 BGB grds. nur abge- 1029 treten werden, soweit sie der Pfändung unterworfen sind. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sind jedoch Abtretungen auch unterhalb der Lohnpfändungsgrenzen (§§ 850 ff. ZPO) zur Vorfinanzierung des Arbeitsentgelts im Rahmen individueller Vereinbarungen zulässig, wenn der Arbeitnehmer eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung erhält. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 167 Ziff. 2 Abs. 4; Gagel/Peters-Lange, SGB III, § 170 Rn. 9.

239

F. Insolvenzgeld

IV. Vorfinanzierung von Arbeitsentgelt 1030 § 170 Abs. 4 SGB III soll den Missbrauch des in der Praxis wichtigen Instruments der Vorfinanzierung von Arbeitsentgelten verhindern. Von der Vorfinanzierung wird vor allem dann Gebrauch gemacht, wenn sich ein Unternehmen bereits in Zahlungsschwierigkeiten befindet, aber noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Die Arbeitnehmer treten ihre Vergütungsansprüche an einen Dritten (in der Regel eine Bank) ab, der die Arbeitsentgelte an die Arbeitnehmer auszahlt. Der Dritte wird dadurch Inhaber der Entgeltforderung gegen den Arbeitgeber; er kann im Insolvenzfall durch Beantragung von Insolvenzgeld eine Erstattung der vorfinanzierten Entgelte von der Arbeitsagentur verlangen. Das Instrument der Vorfinanzierung wird häufig vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingesetzt, um den Geschäftsbetrieb – zunächst ohne Personalkosten – fortzuführen. Die Gestaltung kann allerdings auch – wegen der Umlagefinanzierung letztlich auf Kosten anderer (z. B. Konkurrenz-) Unternehmen – zur Insolvenzverschleppung missbraucht werden, da ein eigentlich insolventes Unternehmen auf dem Markt gehalten wird. Um Missbräuche zu verhindern, bestimmt § 170 Abs. 4 SGB III, dass der Vorfinanzierer nur dann Ansprüche auf Insolvenzgeld hat, wenn die Agentur für Arbeit der Übertragung der Ansprüche auf ihn zugestimmt hat. Dabei darf die Agentur für Arbeit der Übertragung nur zustimmen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter muss glaubhaft machen, dass der Arbeitsplatzerhalt zumindest überwiegend wahrscheinlich ist. Dazu kann er beispielsweise einen Sanierungsplan (unter Angabe der tragenden Eckpunkte) oder die Akquirierung von konkreten Übernahmeinteressenten darlegen. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 170 Ziff. 3.2 Abs. 6, 7; Brand/Kühl, SGB III, § 170 Rn. 14 ff.; Lakies, NZA 2000, 565, 569.

1031 Die Bundesagentur für Arbeit stellt im Internet (http://www.arbeitsagentur.de) ein Formular zur Beantragung der Zustimmung zur Vorfinanzierung bereit. 1032 Vom Erhalt eines „erheblichen Teils der Arbeitsplätze“ ist auszugehen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen arbeitstechnischen Zwecks die betriebliche Funktion zumindest teilweise erhalten bleibt, die betriebliche Tätigkeit also insoweit fortgeführt wird. Nach den Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit, kann hier einheitlich für alle Betriebe die Grenze des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BetrVG zugrunde gelegt werden. Es soll insoweit darauf ankommen, ob mindestens 10 % der Arbeitsplätze erhalten bleiben. DA-Insolvenzgeld (Stand: Juni 2015), § 170 Ziff. 3.2 Abs. 8.

1033 Nach Eintritt des Insolvenzereignisses ist eine Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Zustimmung nicht mehr erforderlich, da die Arbeitnehmer in diesem 240

V. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge

Fall ohnehin nur dann Insolvenzgeld beanspruchen können, wenn sie ohne Entgeltzahlung in Unkenntnis des Insolvenzereignisses weitergearbeitet haben. Brand/Kühl, SGB III, § 170 Rn. 15.

V. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge Das Insolvenzgeld wird steuer- und sozialabgabenfrei ausgezahlt (§ 3 Nr. 2 1034 EStG). Es wird jedoch durch Einbeziehung in den Progressionsvorbehalt berücksichtigt (§ 32b Abs. 1a EStG). Die Sozialversicherungsträger werden durch die Regelung des § 175 SGB III vor Beitragsausfällen geschützt. Nach dieser Vorschrift ist die Arbeitsagentur verpflichtet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28d SGB IV, der auf Arbeitsentgelte für die letzten dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses entfällt und bei Eintritt des Insolvenzereignisses noch nicht gezahlt worden ist, auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle an diese zu zahlen. Näher Brand/Kühl, SGB III, § 175 Rn. 3 ff.; Gagel/Peters-Lange, SGB III, § 175 Rn. 1 ff.

VI. Vorschuss auf das Insolvenzgeld Gem. § 168 Satz 1 SGB III kann die Agentur für Arbeit – auch ohne geson- 1035 derten Vorschussantrag des Arbeitnehmers – einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld erbringen, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt (aber noch nicht entschieden) ist, das Arbeitsverhältnis beendet ist und die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Insolvenzgeld mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllt werden. Der gewährte Vorschuss wird auf das Insolvenzgeld angerechnet (§ 168 Satz 3 SGB III). Wird dem Arbeitnehmer später kein Insolvenzgeld bewilligt bzw. ist das bewilligte Insolvenzgeld geringer als die Höhe des gewährten Vorschusses, so hat der Arbeitnehmer den Vorschuss insoweit zurückzuerstatten (§ 168 Satz 4 SGB III). VII. Anrechnung von Insolvenzgeld auf Arbeitslosengeld II (Alg II) Nach der Rechtsprechung des BSG ist das Insolvenzgeld als anderweitiges 1036 Einkommen i. S. d. § 11 SGB II anzusehen und daher auf das Alg II anzurechnen. Die Ausnahmeregelung des (früheren) § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II (jetzt § 11a, wobei dort die „zweckbestimmten Einnahmen“ nicht aufgeführt sind), wonach zweckbestimmte Einnahmen von der Anrechnung ausgenommen sind, soweit sie einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen, ist nach Auffassung des BSG nicht einschlägig. Eine solche anderweitige Zweckbindung sei im Insolvenzgeld nicht zu sehen, da es dem Leistungsempfänger keinen eigenen Verwendungszweck auferlegt, sondern dieser in der Verwendung der Leistung frei ist. Damit gilt hier dasselbe wie etwa bei Abfindungszahlungen des früheren Arbeitgebers oder für Übergangsgeld nach § 51 SGB IX, die ebenfalls anzurechnen sind. BSG, 13.5.2009 – B 4 AS 29/08 R, NZA-RR 2010, 267.

241

F. Insolvenzgeld

VIII. Anspruchsübergang 1037 Gem. § 169 SGB III gehen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit über. Abweichend von der Regelung des § 115 SGB X tritt die Agentur für Arbeit damit schon mit der Antragstellung – nicht erst mit der Leistung von Insolvenzgeld – in die Rechte des Arbeitnehmers ein, damit durch das Insolvenzgeld weder der Arbeitnehmer noch die Insolvenzmasse bereichert werden. Der Anspruchsübergang tritt auch ein, wenn das Insolvenzereignis noch nicht eingetreten ist; es handelt sich zunächst um einen vorläufigen Übergang. Ausreichend ist, dass auch nur eine entfernte Möglichkeit besteht, dass die Leistung von Insolvenzgeld in Betracht kommt. Wird der Insolvenzgeldanspruch später bindend abgelehnt, fällt der Arbeitsentgeltanspruch an den Arbeitnehmer zurück. BSG, 20.6.2001 – B 11 AL 97/00 R, BeckRS 2001, 41406; LAG Düsseldorf, 17.5.1999 – 18 (16) Sa 194/99, ZIP 1999, 1716; LAG Hamm, 17.2.2000 – 4 Sa 1137/99, NZA-RR 2001, 161.

1038 Der Übergang erfasst nach h. M. das rückständige Bruttoarbeitsentgelt einschließlich des Lohnsteueranteils, begrenzt auf die Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 341 Abs. 4 SGB III). Dies gilt auch für Grenzgänger. BAG, 25.6.2014 – 5 AZR 283/12, NZA 2015, 486; BSG, 20.6.2001 – B 11 AL 97/00 R, BeckRS 2001, 41406; a. A. (Beschränkung auf den Nettobetrag des Arbeitslohns) Gagel/Peters-Lange, SGB III, § 169 Rn. 8; siehe auch Rn. 1023.

1039 Der Anspruch auf Insolvenzgeld besteht auch dann, wenn der Arbeitsentgeltanspruch wegen Eingreifens tarifvertraglicher Ausschlussfristen verfallen ist, der Anspruch mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen ist und die Bundesagentur die tarifvertragliche Ausschlussfrist versäumt hat. LAG Schleswig-Holstein, 5.12.2008 – L 3 AL 96/07, BeckRS 2009, 54237.

IX. Insolvenzgeldbescheinigung 1040 Gemäß § 314 Abs. 1 SGB III hat der Insolvenzverwalter auf Verlangen der Agentur für Arbeit für jeden Arbeitnehmer, für den ein Anspruch auf Insolvenzgeld in Betracht kommt, die Höhe des Arbeitsentgelts für die letzten der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses sowie die Höhe der gesetzlichen Abzüge und der zur Erfüllung der Ansprüche auf Arbeitsentgelt erbrachten Leistungen zu bescheinigen. Er hat auch zu bescheinigen, inwieweit die Ansprüche auf Arbeitsentgelt gepfändet, verpfändet oder abgetreten sind. Dabei hat er den von der Bundesagentur vorgesehenen Vordruck zu benutzen. Dieser ist im Internet

242

X. Berechnung und Auszahlung des Insolvenzgelds durch den Insolvenzverwalter

auf der Webseite der Bundesagentur für Arbeit (http://www.arbeitsagentur.de) erhältlich. Der Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sowie sonstige Personen, die Ein- 1041 blick in die Arbeitsentgeltunterlagen haben, sind gem. § 316 Abs. 2 SGB III verpflichtet, dem Insolvenzverwalter auf Verlangen alle Auskünfte zu erteilen, die er für die Insolvenzgeldbescheinigung nach § 314 SGB III benötigt. X. Berechnung und Auszahlung des Insolvenzgelds durch den Insolvenzverwalter Gem. § 320 Abs. 2 SGB III hat der Insolvenzverwalter auf Verlangen der 1042 Agentur für Arbeit das Insolvenzgeld zu errechnen und auszuzahlen. Die Mittel für die Auszahlung stellt die Agentur für Arbeit bereit. Sinn und Zweck dieser Regelung ist die beschleunigte Auszahlung des Insolvenzgelds. Die Heranziehung des Insolvenzverwalters steht im Ermessen der Agentur für Arbeit. Der Insolvenzverwalter kann die Heranziehung ablehnen, wenn ihm keine zur Errechnung und Auszahlung des Insolvenzgelds geeigneten Arbeitnehmer des Betriebs zur Verfügung stehen. Der Insolvenzverwalter kann keine Kostenerstattung verlangen. Für die Abrechnung hat der Insolvenzverwalter den von der Bundesagentur für Arbeit vorgesehenen Vordruck zu benutzen. Brand/Kühl, SGB III, § 320 Rn. 7.

243

Stichwortverzeichnis

Änderungskündigung

247 ff. – Anpassung vertraglicher Nebenabreden 251 – Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz 321 ff. – Entgeltabsenkung 249 – Altersteilzeit 22 Arbeitnehmerüberlassung 654, 670, 716 ff. Arbeitslosengeld 877 ff. – Ruhen 877 – Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe 879 ff. Asset Deal 731 Aufhebungsvertrag – Arbeitslosengeld 877 ff. – Aufklärungspflichten 758 ff. – dreiseitiger Vertrag siehe dort – im Zusammenhang mit Betriebsübergang 192, 741 ff. – Überleitung in die BQG 692, 697, 702 f., 741 ff. Aufklärungspflichten 758 ff.

Berufsausbildungsverhältnis

227 Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft siehe BQG Beschlussverfahren – zum Kündigungsschutz 321 ff. – zur Durchführung einer Betriebsänderung 538 ff. Bestandsschutzfunktion 14 Betrieb – Betriebsbegriff 36 ff. – Eingliederung 609 – Gemeinsamer Betrieb siehe Gemeinschaftsbetrieb – Identität des Betriebs 595 ff.

– Inhaberwechsel 57 ff. – Spaltung 597 – Verlegung 77 f. Betriebliche Altersversorgung – Haftung des Betriebserwerbers in der Insolvenz 13 ff. Betriebsänderung 497 ff. – Begriff 503 – Beratung mit Betriebsrat 497 – Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz 321 ff. – Betriebsrat 500 ff., 595 ff. – Betriebsübergang 220 ff. – Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen 848 ff. – gerichtliche Zustimmung zur Durchführung 538 ff. – Interessenausgleich siehe dort – Namensliste 258 – Personalabbau 679 – Sozialplan siehe dort – Transferkurzarbeitergeld 773 ff. – Unterlassungsanspruch 513, 564 – Unterrichtung des Betriebsrats 497 – Vermittlungsverfahren 516 Betriebsbedingte Kündigung – Änderungskündigung 247 ff. – Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz 321 ff. – Betriebsstilllegung 242 ff. – Betriebsteilstilllegung 245 f. – Erwerberkonzept 176 ff. – Gemeinschaftsbetrieb 253 ff. – Namensliste 257 ff. – Sozialauswahl siehe dort Betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit 792

245

Stichwortverzeichnis

Betriebsrat – Abwicklungsmandat 613 – Amtsniederlegung 616 f. – Betriebsänderung 497 ff. – Einbeziehung beim BQG-Modell 750, 883 – Freistellung 620 – Kosten 619 – Restmandat 610 ff. – Übergangsmandat 597 ff. – Vorschläge zur Beschäftigungssicherung 681 Betriebsratsanhörung 226, 314 ff. Betriebsteil 36 ff. – Abspaltung 596 – Dauerhaftigkeit 52 – Eingliederung 605 ff. – Funktionsbereich 38 – Stilllegung 242 ff. – Übergang 57 ff., 630 ff. – wirtschaftliche Einheit 54 Betriebsübergang 9 ff. – Altersteilzeit 22 – Änderungsvertrag 191 ff. – Anwendbarkeit 9 ff. – Aufhebungsvertrag 191 ff., 634 ff. – Betriebsänderung 220 ff. – Betriebspause 59 – Betriebsstilllegung 243 – Betriebsübergangsrichtlinie 10 ff. – Betriebsunterbrechung 76 – BQG 729 ff. – Dienstleistungsunternehmen 62 – „Dörries-Scharmann“-Urteile 733, 739, 886 ff., 897 ff. – dreiseitiger Vertrag 698 ff. – durch Rechtsgeschäft 85 ff. – Fortführungsmöglichkeit 57 – Gesamtbetriebsvereinbarung 555 ff. – Haftung des Erwerbers in der Insolvenz 13 ff.

246

– Insolvenzplanverfahren 29 – kollektivrechtliche Fortgeltung 143 – konkursrechtliche Ansicht zu § 613a BGB 9 – Kündigungsverbot 176 ff. – Lemgoer Modell 742 – Produktionsunternehmen 63 – Rechtsfolgen des § 613a BGB 91 ff., 637 – Rechtsgeschäft 85 ff. – Sieben-Punkte-Prüfung 71 – Tatbestandsvoraussetzungen des § 613a BGB 35 ff. – teleologische Reduktion des § 613a BGB in der Insolvenz 13 ff. – Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber 92 – Umgehung 192, 741 ff. – Unterrichtung 100 ff., 763 ff. – Verlagerung 77 f. – Versorgungszusagen 24 – Wertschöpfungszusammenhang 67 ff. – Widerspruchsrecht 100 ff. – Wiedereinstellungsanspruch siehe dort – Zeitpunkt 82 – Zuordnung der Arbeitsverhältnisse 94 Betriebsvereinbarung – Ablösung bei Betriebsübergang 158 ff. – außerordentliche Kündigung 495 – Beratungsgebot 489 – Gesamtbetriebsvereinbarung 481 – kollektivrechtliche Fortgeltung bei Betriebsübergang 143 ff. – Kündigung 479 ff. – Kündigungsfrist 491 – Nachwirkung 493

Stichwortverzeichnis

– normative Fortgeltungsanordnung bei Betriebsübergang 142 ff. – Weitergeltung nach Betriebsspaltung 623 f. Bezugnahme auf Tarifverträge 163 ff. BQG 203 ff., 650 ff. – Abgangsersparnisse 714, 727 – Arbeitgeberstellung 672 – Arbeitnehmerüberlassung 670 – Arbeitslosengeldanspruch 663, 877 ff. – Arbeitsvertrag 706 ff. – Ausscheiden mit Ankündigungsfrist 713 – Auswahlkriterien 713 ff. – Begriff 671 – Checkliste 884 – Dienstleistungsvertrag 724 ff. – dreiseitiger Vertrag 698 ff. – Finanzierung 676 – Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen siehe dort – Freistellung 800 ff. – Funktion 668 ff. – Grundkonzept 654 – Interessenausgleich 680 ff. – interne BQG 666 – Kurzarbeit-Null 668 – Personalentwicklungsgesellschaft 671 – Qualifizierung 669 – Qualitätssicherungssystem 811 ff. – rechtliche Struktur 664 ff. – Rechtsprechungsübersicht 885 ff. – Remanenzkosten 725 – Schaubild 653 – Schnupperarbeitsverhältnis 709 – Sozialplan 682 ff. – Sozialversicherungsrecht 672 f. – Sprinterprämie 710, 725

– Trägerzulassung 814 – Transfergesellschaft 671 – Transferkurzarbeitergeld siehe dort – Treuhänder 699 – Überleitung der Arbeitnehmer 697 ff. – Umgehung von § 613a BGB 741 ff. – Vermittlung 669 – Vermittlungsquote 662 – Verwaltungskosten 725 – Vorschlag des Betriebsrats 681 – Weiterbildungskosten 725 – Vorteile des Modells 655 ff. – Zuschuss zum Transferkurzarbeitergeld 676, 709, 725

Checkliste BQG

884

Dienstleistungsvertrag 724 ff. Dienstleistungsunternehmen 64 „Dörries-Scharmann“-Urteile des BAG 733, 739, 886 ff., 897 ff. Dreiseitiger Vertrag 698 ff. – Anfechtbarkeit 748 ff. – Arbeitslosengeld 877 ff. – Risikogeschäft 742, 755, 761 – Wegfall der Geschäftsgrundlage 753 ff. – Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags 741 ff. Einstweilige Verfügung 565 Einzelrechtsnachfolge 5 Entgeltabsenkung, Kündigung zur 249 Erwerberkonzept 176 ff. EuGH – „Ayse-Süzen“-Urteil 75 – „Güney-Görres“-Urteil 46 – „Junk“-Urteil 365 f. – „Klarenberg“-Urteil 46 – „Scattolon“-Urteil 161 Europäischer Sozialfonds 847 247

Stichwortverzeichnis

Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen 685, 848 ff. – Antrag 849 ff. – Ausschlussfrist 853 – Auszubildende 861 f. – Beratungspflicht 864 – Betriebsänderung 858 ff. – drohende Arbeitslosigkeit 863 – Durchführung 865 – Eigenbeteiligung des Arbeitgebers 870 – Eingliederungsmaßnahmen 867 ff. – erfolgsabhängige Pauschale 873 ff. – Höhe 856 – kirchliche Einrichtungen 860 – öffentlicher Dienst 859 – Sozialplan 870 – Trägerzulassung 866 – Transferkurzarbeitergeld 871 f. – Zuschuss 856

Gebot der größtmöglichen Gläubigerbefriedigung 570, 576 Gemeinschaftsbetrieb 221, 253 ff. Gesamtbetriebsrat – Betriebsänderung 502 – Schicksal beim Rechtsträgerwechsel 625 ff. – Zuständigkeit für Interessenausgleich 527 ff. – Zuständigkeit für Sozialplan 527 ff. Gesamtbetriebsvereinbarung – Kündigung 481 – Weitergeltung beim Betriebsübergang 625 ff., 634 ff. Gewerkschaft 750

Haftung – Ansprüche aus Altersteilzeit 22 f. – des Erwerbers bei Betriebsübergang in der Insolvenz 14 ff.

248

– – – –

Entgeltansprüche 18 f. Sozialplanansprüche 32 f. Urlaubsansprüche 20 f. Versorgungszusagen 24 ff.

Insolvenz – Anwendbarkeit des § 613a BGB 9 ff. – Betriebsverfassungsrecht 478 ff. – Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse 28 – Eröffnung des Insolvenzverfahrens 15, 82 – Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang 14 ff. – Kündigungsgrund 224 – teleologische Reduktion des § 613a BGB 13 ff. Insolvenzanfechtung 590 Insolvenzforderung 16, 22 f., 572, 593 Insolvenzgeld – Anrechnung auf Alg II 1036 – Anspruchsausschluss 1004 ff. – Anspruchsübergang auf BA 1037 ff. – Antrag 989 ff. – Arbeitnehmer 976 ff. – Ausschlussfrist 990 – Geschäftsführer 980 – Heranziehung des Insolvenzverwalters zur Berechnung und Auszahlung 1042 – Höhe 1015 ff. – Insolvenzereignis 983 ff. – insolvenzfähiges Arbeitsentgelt 996 ff. – Insolvenzgeldbescheinigung 1040 f. – Insolvenzgeldzeitraum 991 – Steuern und Sozialversicherung 1034 – Vorfinanzierung von Arbeitsentgelt 1030 ff. – Vorschuss 1035

Stichwortverzeichnis

Insolvenzplan 3, 29, 575 Insolvenzverwalter – Beteiligter im Beschlussverfahren 332, 559 – Haftung 519, 570 – Leistungspflichten gegenüber BQG 724 f. – Partei kraft Amtes 237 – Unterrichtungspflicht 763 ff. – Vermittlungsverfahren 516, 537 – vorläufiger Insolvenzverwalter 238, 257 – Vorteile des BQG-Modells 650, 655 ff. – Widerruf des Sozialplans 590 ff. Interessenausgleich 514 ff. – Abgrenzung zum Sozialplan 498 – Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz 321 ff. – BQG 678 ff. – Einigungsstelle 516 – mit Namensliste 257 ff. – Schriftform 265 – Tendenzbetrieb 260 – Vermittlungsversuch 516 – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats 527 ff. Investive Verwertung 3

Klagefrist 176, 236 Konzernbetriebsrat – Betriebsänderung 481 – Fortbestand nach Unternehmensübertragung 648 f. Konzernbetriebsvereinbarung – Kündigung 481, 649 – Weitergeltung nach Unternehmensveräußerung 648 f. Kündigung – auf Erwerberkonzept 176 ff., 666 – Berufsausbildungsverhältnis 227 – betriebsbedingte Kündigung siehe dort

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Betriebsratsanhörung 226 Betriebsvereinbarungen 479 ff. Eigenkündigung 196 Elternzeit/Erziehungsurlaub 225 Höchstkündigungsfrist 232 Insolvenzeröffnung als Kündigungsgrund 224 Integrationsamt 228 Klagefrist 236 Kündigungsfrist 232 Kündigungsschutz 225 Kündigungsschutzklage 237 Lemgoer Modell 742 nach Widerspruch 139 Schadensersatz 235 Schriftform 230 schwerbehinderter Menschen 228 f. Vollmacht 231 wegen Betriebsübergangs 176 ff. Wiedereinstellungsanspruch siehe dort Zurückweisung nach § 174 BGB 231

Lemgoer Modell 742 Losentscheid 743, 928 Massenentlassung – – – – – – – – – – –

Arbeitnehmer (Begriff) 392 ff. Betrieb (Begriff) 378 ff. BQG 691 ff. Entlassung 424 ff. Freifrist 373 Konsultationsverfahren 437 ff. Massenentlassungsanzeige 451 ff., 599 ff., 691 ff. Schwellenwert 375 ff. Speerfrist 372 Stellungnahme des Betriebsrats 464 ff., 696 Überblick 352 ff.

249

Stichwortverzeichnis

Nachteilsausgleich 511 Namensliste siehe Interessenausgleich Personalstruktur

302 ff.

Profiling 827 ff.

Rechtsgeschäft – im Rahmen des § 613a BGB 85 ff. Regelungsabrede – Kündigung 482 Remanenzkosten 725 Restmandat 610 ff. Richtlinienkonforme Auslegung 11 f.

Sanierung – Liquidation siehe Zerschlagende Sanierung – übertragende Sanierung siehe dort – zerschlagende Sanierung siehe dort Schadensersatz – fehlerhafte Unterrichtung über Betriebsübergang 123 – vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses 235 Schwerbehinderter Mensch 228 f., 320 Share Deal 5 Sozialauswahl 234 – ausgewogene Personalstruktur 302 ff. – Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz 321 ff. – Betriebsteilstilllegung 245 f. – BQG 574 f., 658 f. – Gemeinschaftsbetrieb 256 – grobe Fehlerhaftigkeit 299 f. – Kündigung auf Erwerberkonzept 176 ff. – Kündigung nach Widerspruch 138 ff.

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– Namensliste 288 ff. – Widerspruch bei § 613a BGB 139 Sozialplan 521 ff. – Abgrenzung zum Interessenausgleich 498 – Ausschluss widersprechender Arbeitnehmer 141 – BQG 682 ff. – Dotierung 573 ff. – Einigungsstelle 523 – Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen 870 – freiwilliger Sozialplan 570 – Insolvenzanfechtung 590 – insolvenznaher Sozialplan 590 ff. – Masseverbindlichkeiten 587, 589 – nach Insolvenzeröffnung 573 ff. – Restmandat 610 f. – Schriftform 497 – Sozialplanprivileg 525 – Sozialplanschranken 574 ff. – Transfersozialplan 683 ff. – Vollstreckungsverbot 589 – Volumen 573 ff. – Widerruf 590 ff. – Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats 527 ff. – Zustimmung des Gläubigerausschusses 569 Sozialplanprivileg 524 Sprecherausschuss 280 – Kündigung von Richtlinien 483 – freiwillige Vereinbarungen mit Sozialplancharakter 571 Sprinterprämie 710, 725

Tarifvertrag – Ablösung bei Betriebsübergang 158 ff. – Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag 163 ff.

Stichwortverzeichnis

– kollektivrechtliche Fortgeltung bei Betriebsübergang 145 – Nachwirkung 150, 161 – Transformation bei Betriebsübergang 142, 146 ff. – Tendenzbetrieb 260 Transferkurzarbeitergeld 773 ff. – Arbeitgeberpflichten 841 ff. – Arbeitnehmerüberlassung 721 f. – Arbeitsausfall 777 ff. – Arbeitsunfähigkeit 823 – Beratungspflicht 832 – betriebliche Voraussetzungen 791 ff. – betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit 792 ff. – Bewilligung als auflösende Bedingung 715 – Datenübermittlung 845 – Dauer 840 – drohende Arbeitslosigkeit 815 ff. – Entgeltausfall 790 – Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen 848 ff. – freigestellte Arbeitnehmer 800 ff., 820 – Höhe 838 f. – kirchliche Einrichtungen 786 f. – Missbrauchsgestaltungen 794 – öffentlicher Dienst 782 ff. – Organisation und Mittelausstattung 806 f. – Qualitätssicherungssystem 811 ff. – persönliche Voraussetzungen 815 ff. – Profiling 827 ff. – Trägerzulassung 814 – Vermeidung von Entlassungen 795 ff. – Zuschüsse zum Transferkurzarbeitergeld 676, 709, 725 Treuhänder 699

Übergangsmandat 597 ff. Übertragende Sanierung 5 Umgehung des § 613a BGB 191 ff. Umsetzungen 99 Unterlassungsanspruch 513, 564 Unterrichtung über Betriebsübergang 655 ff., 763 ff. – Änderung der Verhältnisse 113 – Folgen fehlerhafter Unterrichtung 123 ff. – Haftungsfolgen 118 – Schadensersatz wegen fehlerhafter Unterrichtung 123, 763 ff. Urlaubsansprüche 17, 20 Vermittlungsverfahren

516, 537 Versorgungsansprüche 24 Verwaltungskosten der BQG 725

Weiterbildungskosten 725 Widerspruchsrecht 100 ff. – Betriebsänderung 141, 262 – Folgen des Widerspruchs 137 ff. – Frist 102 – Sozialauswahl 139 – Textform 105 – Verwirkung 126 ff. – Verzicht 103 f. Wiedereinstellungsanspruch 206 ff., 313 – Besonderheiten in der Insolvenz 217 ff. – gegenüber Auffanggesellschaft 756 ff. Wirtschaftliche Einheit 38 ff., 54 ff. Zerschlagende Sanierung 4 Zuschüsse zu Sozialplanmaßnahmen 710

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