Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt [1. Aufl.] 978-3-658-24617-4;978-3-658-24618-1

Mit diesem Buch hält das Konzept der New Work auch in Ihrem Unternehmen Einzug In diesem Praxisbuch erfahren Sie fundie

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German Pages XXIII, 295 [301] Year 2019

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Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt [1. Aufl.]
 978-3-658-24617-4;978-3-658-24618-1

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XXIII
Front Matter ....Pages 1-2
Personalsuche: Unternehmen gehen fremd! (Christina Hönsch, Manuela Winter, Sarah Muschler)....Pages 3-8
Interview: „Kulturwandel: Revolution von innen“ (Daniel M. Richter)....Pages 9-13
Eine Branche in der Krise – Recruiting im Gesundheitswesen als wichtigste Überlebensstrategie? (Christina Hayek, Michael Teich)....Pages 15-27
Front Matter ....Pages 29-30
Vom Kandidaten zum Markenbotschafter – Spielregeln für erfolgreiches Recruiting (Annika Leopold)....Pages 31-40
Interview „Active Sourcer: Game Changer im Recruiting“ (Curley Fiedler)....Pages 41-45
Front Matter ....Pages 47-48
Mehr Mensch-Sein im Recruiting: ein Appell (Ronny Lössl, Philipp Leipold)....Pages 49-56
Echte Diversität als Geschäftsgrundlage (Sabine Hockling)....Pages 57-64
New Work: Risikomanagement im Arbeitsrecht (Baltasar Cevc)....Pages 65-71
Interview: „Schöne neue Arbeitswelt trifft auf Arbeitsrecht der ‚alten Welt‘“ (Ulf Weigelt)....Pages 73-76
Front Matter ....Pages 77-78
Die fünf Säulen der Digitalisierung (Jennifer Mitterweger, Lena Wellhöfer)....Pages 79-86
Interview: „Mit Digital Transformation Managern den digitalen Wandel meistern“ (Christina Burkhardt)....Pages 87-90
New Work und keiner geht hin (Natalie Golob, Marion Ullrich)....Pages 91-107
Interview: „Kulturwandel: Spielplatz für Erwachsene!“ (Michael Pellny)....Pages 109-112
Front Matter ....Pages 113-115
Erwecken Sie das CO in Ihrer COmpany zum Leben (Stefan Wacker)....Pages 117-126
Interview: „New Work: Neue Kultur der Zusammenarbeit“ (Sven Franke)....Pages 127-130
Gesundheitskultur – Die Ressource der Zukunft (Rainer Berger)....Pages 131-140
Interview: „Gesundheit und New Work im Einklang“ (Marion von Rochow)....Pages 141-143
Interview: „‚So arbeitet Deutschland‘-Studie: Diversity ist nicht gleich Diversity“ (Timo Lehne)....Pages 145-150
„Changing the Game“ bei HR: Ein Plädoyer für ein neues, proaktives Rollenverständnis! (Natalija Hellesoe)....Pages 151-159
Interview: „Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitskultur“ (Markus Neubauer)....Pages 161-164
Oh social – partizipative Unternehmenskommunikation im Wandel (Daria Knauer)....Pages 165-171
Front Matter ....Pages 173-175
Neues Lernen: Wir entwickeln uns selbst! (Natalija Hellesoe)....Pages 177-184
Interview: „Coworking Space: Zukunftsmodell oder Eintagsfliege?“ (Constantin Wizemann)....Pages 185-188
lernOS als Betriebssystem für die Arbeit der Zukunft (Simon Dückert)....Pages 189-198
Interview: „‚Getting Things Done‘: Selbstmanagement-Methode für effizientes und belastungsfreies Arbeiten“ (Tobias Müller-Zielke)....Pages 199-202
Lernende Service-Organisationen (Kai Altenfelder)....Pages 203-213
Interview: „Soziokratie: Organisationsmodell der Zukunft?“ (Sven Latzel)....Pages 215-218
Frei und willig: Die UN-Konferenz als das Format der Zukunft (Dorothee Brommer)....Pages 219-228
Interview: „Open Space-Formate als Büros der Zukunft?“ (Alice Zajfert)....Pages 229-231
Interview: „Wie sieht die Führungskräfteentwicklung der Zukunft aus?“ (Stefanie Krügl)....Pages 233-237
Front Matter ....Pages 239-241
Growth Hacking HR – Was Unternehmenskultur vom Marketing lernen kann (Annika Leopold)....Pages 243-252
Interview: „Innovationen: Irrationale Ängste besiegen“ (Mona Schnell)....Pages 253-256
Alles neu oder nur neu gedacht? Ein Aufruf zur UN.kultur! (Dorothee Brommer)....Pages 257-269
Interview: „Das Spiel mit dem Ungewissen – die Kunst der Improvisation“ (Dorothea Anzinger)....Pages 271-274
Die Kunst der Kunst (Thor van Horn)....Pages 275-283
Agile Feedbacksysteme von morgen (Edgar Klein, Nicole Schwippl, Frank Müller)....Pages 285-290
Back Matter ....Pages 291-295

Citation preview

Dorothee Brommer · Sabine Hockling Annika Leopold Hrsg.

Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt

Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt

Dorothee Brommer · Sabine Hockling · Annika Leopold (Hrsg.)

Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt

Hrsg. Dorothee Brommer Brommer Consulting Nürnberg, Deutschland

Sabine Hockling Die Ratgeber Hamburg, Deutschland

Annika Leopold Die Digitalwerkstatt Forchheim, Deutschland

ISBN 978-3-658-24617-4 ISBN 978-3-658-24618-1  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Illustrationen: Mit freundlicher Genehmigung von © Melanie Zucker 2018. All Rights Reserved. Autoren-Illustrationen: Mit freundlicher Genehmigung von © Susanne Kasper 2018. All Rights Reserved. Abbildungs-Grafiken Mit freundlicher Genehmigung von © Maik Pottmann 2018. All Rights Reserved. Cover-Abbildung: Fotolia Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Der Book Sprint  –  so geht New Work Sie werden sich nun wahrscheinlich zu allererst fragen, was zum Teufel ist ein Book Sprint? Die Antwort ist einfach: ein Buch im Schnellverfahren. Dann werden Sie sich wahrscheinlich fragen: warum dieses Format? Und auch diese Antwort ist einfach: Ein Buch auf die klassische Art zu schreiben, dauert sehr lange. Zu lange für Menschen wie uns. Deshalb wählten wir den unkonventionellen Weg eines Book Sprints – eine Methode, mit der mehrere Experten gemeinsam ein Buch verfassen. Im Prinzip eine Art UN-Konferenz, bei der die Teilnehmer allerdings keine Vorträge halten, sondern über ihr Spezialgebiet einen Beitrag verfassen. In unserem Fall hieß das: 25 Experten aus Digitalisierung, Beratung und Führung trafen sich ein Wochenende lang mit dem Ziel, gemeinsam in 48 h ein Buch zu verfassen.

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Vorwort

Vorwort

VII

Unsere Motivation? Eine Antwort auf die Frage geben: Wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus? Wir alle lebten an diesem Wochenende im Juni genau das, was wir für die richtige Arbeitsweise der Zukunft halten: Intrinsische Motivation, Selbstorganisation, Leidenschaft, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Unter diesen idealen Rahmenbedingungen erreichten wir einen Flow, in dem wir enorm produktiv sein konnten. Unser Vorbild? Der erste Book Sprint, der es auf einzigartige Weise schaffte, diesen besonderen Flow einzufangen: das Execute Book.1 Innerhalb einer selbst gesetzten Frist von zehn Tagen hatten dessen Autoren nach sieben Tagen die bittere Erkenntnis, dass es so nicht zu schaffen ist. Das Projekt war gescheitert. Also warfen sie alles weg und starteten noch einmal komplett neu. Innerhalb von drei Tagen lieferten sie das fertige Buch pünktlich auf die Minute ab! Eindrucksvoller lässt sich die Idee hinter einem Book Sprint kaum vermitteln. Das wollten wir auch! Inspiriert von dieser klaren Ansage und dem haptischen Beleg dazu, trafen sich im Juni 2018 25 Experten zum zweiten Book Sprint. Das Thema: HR Innovation im Rahmen von New Work2. Die Experten3, überwiegend aus dem Nürnberger Raum, erlebten das Format intensive 48 Stunden lang. Die Zusammensetzung der Truppe war dabei bunt: Autoren vom ersten Book Sprint, die sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten. Experten, die seit zehn Jahren die verschiedensten UN-Konferenzen selbst bespielen und die Open Space Idee authentisch leben. Professionelle Schreiber, die dieses Format unbedingt selbst erleben wollten. Die Auswahl der Autoren erfolgte nach einigen Brainstorming-Runden der Organisatoren, die Einladungen entsprechend handverlesen. So bunt wie die Zusammensetzung der Experten, waren auch die Annahmen und Erwartungen der Einzelnen. Für viele war es schwer vorstellbar, wie das kreative Schreiben in einer so großen Gruppe überhaupt möglich ist. Andere hatten gar keine konkrete Vorstellung, wie genau ihr Beitrag aussehen könnte. Einige wenige standen schon in den Startlöchern.

1executebook.com/. 2changingthegame.de/. 3Die

Idee entstand im Austausch im Rahmen des Innovationsbeirates: innovationsbeirat.de/ der-booksprint/.

VIII

Vorwort

Vorwort

IX

Der Ablauf Nachdem am ersten Abend alle Experten eingetroffen waren und sich untereinander bekannt gemacht hatten, stand auch schon das erste Learning an: die Organisatorinnen gaben die Zügel aus der Hand, stellten lediglich den Raum zur Verfügung, sorgten für die notwendige Infrastruktur und Verpflegung, hielten den Zeitplan im Auge, hatten einige gruppendynamische Workshop-Ideen in petto – und waren ansonsten Teil der Gruppe. Denn alles durfte und sollte in Selbstorganisation stattfinden. Aus passiven Teilnehmern wurden aktive Teilgeber, aus 800 Quadratmetern ein kreativer Ort, in dem bis Sonntagnachmittag diskutiert, recherchiert, geschrieben und auch viel gelacht wurde. Räume zum lauten und leisen Schreiben, eine zentrale Kaffeebar sowie ein großer Kreativraum zum gemeinsamen Planen, Diskutieren und Denken unterstützten die Autoren beim Verfassen ihrer Beiträge. Über das Tool Google Docs konnten alle gleichzeitig Texte schreiben, bearbeiten und lesen, jeder hatte zu jeder Zeit Einblick in alles, was entstand. Alle gemeinsam bestimmten und formten so den Inhalt des vorliegenden Buches. Ein gemeinsames Tape Art-Kunstprojekt sorgte für Inspiration in den kreativen Schreibpausen: ein dreidimensionales riesiges C, das für change, challenge und collaboration steht, scheint noch heute aus der Wand zu ragen – und signalisiert nachhaltig das Motto des Book Sprints: u #changingthegame

Am Ende entkräftet, aber glücklich Motiviert durch gemeinsame Impulsrunden und inhaltliche Diskussionen waren am Sonntagabend viele der Teilnehmer zwar erschöpft, aber überglücklich über das, was sie erlebt und erreicht hatten. Das erste Ziel des Book Sprints war erreicht: den Weg zu erleben, dabei zu sein, sich kreativ auszutauschen, mitzugestalten, etwas Neues zu schaffen und neue Kontakte zu knüpfen. Und das zweite Ziel, in kurzer Zeit qualitativ hochwertige Inhalte zu produzieren, um anschließend ein (physisches) Buch in den Händen zu halten, wurde so auf den Weg gebracht. Denn das vorliegende Buch ist im Kern innerhalb des Book Sprints entstanden. Inspiriert von weiteren guten Ideen, die an diesem Wochenende entstanden sind, folgten anschließend noch weitere arbeitsintensive Wochen: Impulse von Neudenkern sowie Interviews von Experten, die nicht an dem Wochenende teilnehmen konnten bzw. deren Know-how uns beeindruckt, wurden geführt und aufgenommen. Etlichen Telefonkonferenzen und Treffen zwischen Nürnberg, Hamburg, München, Forchheim, Zirndorf, Bielefeld, Berlin und Wiesbaden für Nachbereitung, Illustrationen, Lektorat, Satz und Marketing fanden statt.

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Vorwort

Das Ergebnis übertrifft alle Erwartungen Sie halten ein einzigartiges Praxisbuch in Ihren Händen, denn es enthält nicht nur viele Anregungen und Impulse von Innovationsexperten und bekannten Persönlichkeiten aus der Wirtschaft – um gerüstet zu sein für die Arbeitswelt von morgen. Die von Melanie Zucker erstellten Sketchnotes visualisieren die Inhalte auf besondere Art. Dieses Buch zeigt, dass man Dinge verändern kann, wenn man selbst den ersten Schritt tut und sich von festen Vorstellungen löst. Wir waren bereit, uns auf dieses Experiment einzulassen und den Prozess über das Ergebnis zu stellen – mit einem Resultat, das alle unsere Erwartungen übertraf. Entstehen konnte dieses Buch nur durch das geballte Wissen und Potenzial aller Beteiligten. Es spiegelt die Erfahrungen der verschiedenen Experten wider, die sich seit Jahren als Unternehmer und Beobachter in der „neuen“ Arbeitswelt bewegen. Und dient in seiner Vielfalt dazu, Sie zum Neudenken zu motivieren und Ihnen einen wichtigen Blick auf die Arbeitswelt von morgen zu bieten. Und was sagen die Teilnehmer? Die sind alle überwältigt! Obwohl sich die Gruppe allein über dieses Wochenende gefunden hat, sind im Nachgang starke Verbindungen entstanden und der Zusammenhalt zwischen allen Beteiligten bis heute geblieben Unsere Reise hat sich sehr gelohnt. Die meisten Teilgeber können sich einen nächsten Book Sprint vorstellen – mehr geht nicht!

Vorwort

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Vorwort

Danksagung Dieses Buch wäre in der hier vorliegenden Form ohne die vielen Unterstützer nicht entstanden. Besonders danken möchten wir: • Der Digitalwerkstatt, denn ohne den Coworking Space in Forchheim, kein Book Sprint: Der Space war mit seinen verschiedenen Rückzugsmöglichkeiten und seiner hervorragenden Ausstattung der perfekte Umsetzungsort. • Thor van Horn, der mit einem gemeinsam entstandenen Tape-Art-Kunstwerk (noch immer im Coworking Space zu sehen) das Projekt unterstützte. • Melanie Zucker, deren „Visual Storytelling“ mit ihren wunderbaren Sketchnotes das Buch unglaublich bereichern. • Sabine Hockling, die tage- und nächtelang die Texte lektorierte. • Susanne Kasper, die uns wunderbar illustriert hat. • Maik Pottmann für die einheitliche Gestaltung aller Abbildungen. • Ann-Kristin Wiegmann vom Springer Verlag, die sofort an das Format glaubte. • Lisa Doneff, die den Book Sprint fotografisch begleitete und die Stimmung und den Spirit wunderbar einfing. • Joanna Zajfert, die das Projekt mitinitiierte und viele Interviews führte. • Allen Interviewpartnern und Impulsgebern – vor allem für ihre zeitliche Flexibilität. • Unseren Familien und Partnern, bei denen wir uns aufgrund des Projektes sehr lange sehr rar gemacht haben. • Und natürlich allen Experten, die sich mutig mit uns auf die Reise gemacht haben! Dorothee Brommer Sabine Hockling Annika Leopold

Vorwort

XIII

Inhaltsverzeichnis

Teil I  Suchen & Erkunden: Finden 1

Personalsuche: Unternehmen gehen fremd!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Christina Hönsch, Manuela Winter und Sarah Muschler

2

Interview: „Kulturwandel: Revolution von innen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Daniel M. Richter

3

Eine Branche in der Krise – Recruiting im Gesundheitswesen als ­wichtigste Überlebensstrategie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Christina Hayek und Michael Teich

Teil II  Suchen & Erkunden: Bewerben 4

Vom Kandidaten zum Markenbotschafter – Spielregeln für erfolgreiches Recruiting. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Annika Leopold

5

Interview „Active Sourcer: Game Changer im Recruiting“. . . . . . . . . . . . . 41 Curley Fiedler

Teil III  Suchen & Erkunden: Bewerten 6

Mehr Mensch-Sein im Recruiting: ein Appell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Ronny Lössl und Philipp Leipold

7

Echte Diversität als Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Sabine Hockling

8

New Work: Risikomanagement im Arbeitsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Baltasar Cevc

XV

XVI

9

Inhaltsverzeichnis

Interview: „Schöne neue Arbeitswelt trifft auf Arbeitsrecht der ‚alten Welt‘“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Ulf Weigelt

Teil IV  Suchen & Erkunden: Entscheiden 10 Die fünf Säulen der Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Jennifer Mitterweger und Lena Wellhöfer 11 Interview: „Mit Digital Transformation Managern den digitalen Wandel meistern“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Christina Burkhardt 12 New Work und keiner geht hin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Natalie Golob und Marion Ullrich 13 Interview: „Kulturwandel: Spielplatz für Erwachsene!“. . . . . . . . . . . . . . . 109 Michael Pellny Teil V  Führen & Entwickeln: Gestalten 14 Erwecken Sie das CO in Ihrer COmpany zum Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Stefan Wacker 15 Interview: „New Work: Neue Kultur der Zusammenarbeit“. . . . . . . . . . . . 127 Sven Franke 16 Gesundheitskultur – Die Ressource der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Rainer Berger 17 Interview: „Gesundheit und New Work im Einklang“. . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Marion von Rochow 18 Interview: „‚So arbeitet Deutschland‘-Studie: Diversity ist nicht gleich Diversity“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Timo Lehne 19 „Changing the Game“ bei HR: Ein Plädoyer für ein neues, proaktives Rollenverständnis!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Natalija Hellesoe 20 Interview: „Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitskultur“. . . . 161 Markus Neubauer 21 Oh social – partizipative Unternehmenskommunikation im Wandel . . . . . 165 Daria Knauer

Inhaltsverzeichnis

XVII

Teil VI  Führen & Entwickeln: Lernen 22 Neues Lernen: Wir entwickeln uns selbst!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Natalija Hellesoe 23 Interview: „Coworking Space: Zukunftsmodell oder Eintagsfliege?“. . . . . 185 Constantin Wizemann 24 lernOS als Betriebssystem für die Arbeit der Zukunft. . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Simon Dückert 25 Interview: „‚Getting Things Done‘: Selbstmanagement-Methode für effizientes und belastungsfreies Arbeiten“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Tobias Müller-Zielke 26 Lernende Service-Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Kai Altenfelder 27 Interview: „Soziokratie: Organisationsmodell der Zukunft?“. . . . . . . . . . . 215 Sven Latzel 28 Frei und willig: Die UN-Konferenz als das Format der Zukunft. . . . . . . . . 219 Dorothee Brommer 29 Interview: „Open Space-Formate als Büros der Zukunft?“. . . . . . . . . . . . . 229 Alice Zajfert 30 Interview: „Wie sieht die Führungskräfteentwicklung der Zukunft aus?“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Stefanie Krügl Teil VII  Führen & Entwickeln: Wachsen 31 Growth Hacking HR – Was Unternehmenskultur vom Marketing lernen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Annika Leopold 32 Interview: „Innovationen: Irrationale Ängste besiegen“ . . . . . . . . . . . . . . . 253 Mona Schnell 33 Alles neu oder nur neu gedacht? Ein Aufruf zur UN.kultur!. . . . . . . . . . . . 257 Dorothee Brommer 34 Interview: „Das Spiel mit dem Ungewissen – die Kunst der Improvisation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Dorothea Anzinger

XVIII

Inhaltsverzeichnis

35 Die Kunst der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Thor van Horn 36 Agile Feedbacksysteme von morgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Edgar Klein, Nicole Schwippl und Frank Müller Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über die Herausgeber Dorothee Brommer, Dorothee Brommer Consulting, Nürnberg, Deutschland, [email protected]

Sabine Hockling,  Die [email protected]

Ratgeber,

Hamburg,

Deutschland,

Annika Leopold,  Die Digitalwerkstatt, Forchheim, Deutschland, [email protected]

XIX

XX

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Autorenverzeichnis Kai Altenfelder,  pro accessio GmbH & Co. KG, Hannover, Deutschland, [email protected] Rainer Berger, Erfolgsfaktor Gesundheit, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Baltasar Cevc,  Riscography Solutions GmbH, Erlangen, Deutschland, [email protected] Simon Dückert,  Cogneon GmbH, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Natalie Golob, Vitale Arbeitskultur, Nürnberg, Deutschland, natalie.golob@vitale-­ arbeitskultur.de Christina Hayek,  Bezirkskliniken Mittelfranken, Ansbach, Deutschland, christinahayek1@­ googlemail.com Natalija Hellesoe,  selbständige Projektleiterin, München, Deutschland, natalija.hellesoe@­ gmail.com Christina Hönsch,  Sellbytel Group, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Edgar Klein, Siemens Healthineers GmbH, Erlangen, Deutschland, edgar.klein@­ siemens-healthineers.com Daria Knauer, Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Philipp Leipold,  Academic Work Academy Germany GmbH, München, Deutschland, [email protected] Ronny Lössl,  Unternehmersafari, Forchheim, Deutschland, [email protected] Jennifer Mitterweger, MAN Truck & Bus AG Nürnberg, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Frank Müller,  HR-FUTURE, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Sarah Muschler,  tätig im Recruiting, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Nicole Schwippl,  Siemens AG, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Michael Teich,  CCP GmbH, Hamburg, Deutschland, [email protected] Marion Ullrich, Siemens Healthineers GmbH, Nürnberg, Deutschland, mserwe@­ hotmail.com Thor van Horn,  Quantum Kunst, Fürth, Deutschland, [email protected] Stefan Wacker,  WACKWORK Projects & Change, Nürnberg, Deutschland, stefan.wacker@­ wackwork.de

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

XXI

Lena Wellhöfer,  adidas AG, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Manuela Winter,  tätig in der Personalentwicklung, Nürnberg, Deutschland, winter.ela@­ web.de

Interviewgeber Dorothea Anzinger,  Social Creative Performance, Vaterstetten, Deutschland, dorothea@­ social-creative-performance.de Christina Burkhardt,  SHIFTSCHOOL, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Curley Fiedler,  ORBIT – orbitdigital.de, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Sven Franke,  CO:X, Lehre, Deutschland, [email protected] Stefanie Krügl, Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Sven Latzel,  KODE7, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Timo Lehne,  SThree GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland, [email protected] Tobias Müller-Zielke,  Next Action Partners, Erlangen, Deutschland, tobias.mueller-zielke@­ tmt-beratung.de Markus Neubauer,  Silbury Deutschland GmbH, Fürth, Deutschland, markus.neubauer@­ silbury.com Michael Pellny,  Weissman Institut, Nürnberg, Deutschland, [email protected] Daniel M. Richter, Silbury Deutschland GmbH, Fürth, Deutschland, daniel.richter@­ silbury.com Mona Schnell,  moca 2gether, Hamburg, Deutschland, [email protected] Marion von Rochow, Projektmanagerin und zertifizierte Ashtanga Yoga-Lehrerin, Erlangen, Deutschland, [email protected] Constantin Wizemann,  wizemann.space, Stuttgart, Deutschland, [email protected] Ulf Weigelt,  Rechtsanwälte Weigelt & Ziegler, Berlin, Deutschland, weigelt@weigelt-­ ziegler.de Alice Zajfert, Innenarchitektin und Wirtschaftspsychologin, Nürnberg, Deutschland, [email protected]

XXII

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Impulsgeber Tanja Ammerl,  Innovationsmanagerin, NÜRNBERGER Versicherung Walter Bockshecker,  HR Vorstand, NÜRNBERGER Versicherung Philipp Depiereux,  Gründer & Geschäftsführer, etventure GmbH Stephan Derr,  Vorstandsmitglied, Steelcase Tanja Kufner,  Partner bei dynamics.vc Uwe Lübbermann,  Zentraler Moderator des Premium-Getränkekollektivs Jonathan Imme,  Unternehmer und Stadtentwickler, coliving.city Sabine Josch,  Personaldirektorin, Otto Group Maren Kroll,  Vice President Human Resources, Harry’s Deutschland Xenia Meuser,  Vice President Human Resources, XING Annett Polaszewski-Plath,  General Manager Germany, Eventbrite Michael O. Schmutzer,  Unternehmensgründer & CEO, Design Offices Sophia von Rundstedt,  CEO, v. Rundstedt & Partner GmbH

Visual Storytelling & Sketchnoting Melanie Zucker  ist eine der 50 zertifizierten Visual Coaches weltweit. In ihren ganzheitlichen Coachings begleitet sie Veränderungsprozesse, Führungskräfte und das Visualisieren und Umsetzen von persönlichen Visionen. Melanie ist häufig auch als Graphic Recorder unterwegs und engagiert sich intensiv in verschiedenen Netzwerken rund um die Themen Change Management, Kommunikation und Leadership. https://melaniezucker.com https://melaniezucker.com

Illustratoren Autorenillustrationen: Susanne Kasper,  Designerin Abbildungen: Maik Pottmann,  Komma GmbH

Abbildungsverzeichnis

Abb. 3.1 Die verschiedenen Ebenen der Integration ausländischer Fachkräfte. . . 24 Abb. 3.2 Maßnahmen zur Integration ausländischer Fachkräfte. . . . . . . . . . . . . . 25 Abb. 8.1 Risikomatrix eines modellhaften Unternehmens: Die Risikomatrix zeigt die Risiken eines modellhaften Unternehmens. Das derzeit größte Risiko ist die verbotene Überlassung der Arbeitnehmer („AN“), da diese auf der Diagonalen am weitesten rechts oben liegt. Der Arbeitsschutz und die Diskriminierung am Arbeitsplatz stellen hingegen die geringsten erfassten Risiken dar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Abb. 14.1 Die Synthese der Weiterentwicklung im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 121 Abb. 14.2 Die Felder der digitalen Transformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Abb. 16.1 Geld allein macht nicht glücklich: Was beim Jobwechsel wichtig ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Abb. 24.1 Das lernOS Wheel (Mindset, Skillset, Toolset). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Abb. 24.2 lernOS Sprint. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Abb. 24.3 Der lernOS Canvas ist Teil von learnOS, dem Organisationssystem für Lebenslanges Lernen & Lernende Organisationen . . . . . . . . . . . . . . 196 Abb. 26.1 KCS Doppelschleifenmodell/© Consortium for Service Innovation . . . 207 Abb. 26.2 KCS-Workflow/© Kai Altenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

XXIII

Teil I Suchen & Erkunden: Finden

2

Teil I  Suchen & Erkunden: Finden

1

Personalsuche: Unternehmen gehen fremd! Christina Hönsch, Manuela Winter und Sarah Muschler

Zusammenfassung

In der heutigen Zeit wird es für die Unternehmen zunehmend schwierig, ihre vakanten Positionen mit qualifiziertem Personal zu besetzen. Daran trägt nicht nur der akute Fachkräftemangel Schuld, sondern auch aktuelle, teils starre Strukturen. Durch eine Überarbeitung dieser und eine Förderung der Mitarbeiter, spart sich das Unternehmen Geld, Zeit und kann effektiv einer stetigen Fluktuation entgegenwirken. Bei erfolgreicher Umsetzung profitieren sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter.

C. Hönsch ()  Sellbytel Group, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Winter  tätig in der Personalentwicklung, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Muschler  tätig im Recruiting, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_1

3

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C. Hönsch et al.

Für Unternehmen wird es eine immer größere Herausforderung, Positionen mit adäquaten Personen zu besetzen. Deshalb sollten aktuelle Strukturen überdacht und vor allem die eigenen Mitarbeiter besser gefördert werden. Durch eine interne Förderung spart man nicht nur Zeit und Geld, sondern umgeht auch eine ständige Fluktuation im Unternehmen. Dabei gibt es verschiedene Ansätze, wie man dem Fachkräftemangel in der eigenen Firma entgegenwirken kann. Bei einer erfolgreichen Umsetzung kann somit nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Mitarbeiter profitieren. Geeignete Mitarbeiter mit ausreichenden Qualifikationen zu finden, wird für Unternehmen ein immer größeres Problem. Sie sollen möglichst ein erfolgreich abgeschlossenes Studium, im Idealfall mit spezifischer Weiterbildung, viele Jahre Berufserfahrung und tiefe Branchen- sowie Fachkenntnisse in dem geforderten Bereich mitbringen. Dazu kommen selbstverständlich verhandlungssichere Deutsch- und Englischkenntnisse, Auslandserfahrungen sowie eine Vielzahl an unterschiedlichsten EDV-Kenntnissen. Natürlich soll sich der Wunschkandidat in seinen 20ern befinden, damit er noch lange Zeit für das Unternehmen zur Verfügung steht. Kompetenzprofile: Theorie und Praxis klaffen auseinander Die Realität zeigt allerdings, dass diese Kompetenzprofile meist nicht auf dem Markt zu finden sind. Bewerber bringen oft nur einen Teil der geforderten Qualifikationen mit. Aus Sicht der Unternehmen ist das Ziel klar: einen Kandidaten einstellen, der sofort loslegen kann, sämtliche Kenntnisse mitbringt und kaum Einarbeitung benötigt. Ob das in Zeiten des Fachkräftemangels realistisch ist? Theorie und Praxis scheinen hier weit voneinander entfernt zu sein. Um dem Fachkräftemangel effektiv zu begegnen, müssen die aktuellen Akquisestrategien überdacht und gegebenenfalls andere Perspektiven eingenommen werden. Schaut man die Belegschaften der Unternehmen genauer an, gibt es meist zahlreiche Mitarbeiter, die über die gesuchten Kompetenzen und Erfahrungen verfügen. Das Problem: Zu wenige Arbeitgeber betrachten ihre eigenen Mitarbeiter als passende Kandidaten! Folglich gehen diese fremd, bleiben ihren Mitarbeitern nicht treu, sondern stellen einen Externen ein. Was sind die Gründe dafür, dass Unternehmen lieber über lange Zeiträume auf dem externen Markt nach geeigneten Mitarbeitern suchen, statt ihre Belegschaft zu entwickeln und auf solche Positionen vorzubereiten? Denn die Beförderung eines Mitarbeiters verursacht natürlich die Vakanz auf der alten Stelle. Niedriger qualifizierte Positionen sind tendenziell jedoch leichter zu besetzen. Die Entwicklung von Mitarbeitern ist meist mühsam, könnte man argumentieren. Zeit- und Kostenaufwand der Mitarbeiterentwicklung fallen besonders ins Gewicht. Eine Weiterbildung kann Monate, ein Studium Jahre dauern. So lange wollen Unternehmen oft nicht warten. Außerdem entstehen direkte Schulungs- und indirekte Opportunitätskosten, da der Mitarbeiter während der Weiterbildung meist nur eingeschränkt seiner eigentlichen Tätigkeit nachgehen kann.

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Eine weitere Ursache könnte das Streben nach Systemstabilität sein, das heißt, Prozesse laufen und Arbeiten werden erwartungsgemäß erledigt. Nimmt man eine Person aus diesem System heraus, entstehen Lücken und Aufgaben können nicht mehr vollständig bearbeitet werden. Ein anderer Mitarbeiter muss folglich damit beauftragt und eingearbeitet werden. Das bringt Unruhe in die Prozesse, die Leistung reduziert sich. Das wiederum erzeugt eine gewisse Unzufriedenheit bei Abteilungsleitern, sodass ein ewiger Kreislauf entsteht. Daher sollte dieser bereits von vornherein unterbunden werden. Es scheint, dass enormes Potenzial in den Unternehmen schlummert, welches in den Personalstrategien nicht wirklich berücksichtigt wird. Denn der Blick der Abteilungsleiter scheint oft nach außen auf den Arbeitsmarkt, statt nach innen, in die eigenen Reihen zu sein. Die Frage nach dem Warum scheint gerechtfertigt Weshalb werden externe Kandidaten den internen Mitarbeitern oftmals vorgezogen? Manchmal kann das an der falschen Art der Führung liegen, manchmal ist diese auch veraltet. Der derzeit noch häufig vorherrschende Führungsstil ist der Transaktionale, der eher auf einen sachlichen Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter beruht. Es werden klare Aufgaben und Ziele vereinbart, welche bei Erreichung entsprechend entlohnt, bei Nichterreichung durch Kritik sanktioniert werden. Der Mitarbeiter wird als rational handelndes Individuum gesehen, welches durch Leistung einen Gewinn für das Unternehmen generiert. Ferner herrscht in vielen Betrieben eine sogenannte Betriebsblindheit. Bestehende Prozesse werden nicht hinterfragt und geändert. Never change a running system! Ob das eine gute Strategie in einer sich schnell ändernden Welt ist, sei dahingestellt. In vielen Unternehmen herrscht zudem ein ausgeprägtes Hierarchiedenken, in denen Aufgaben klar definiert und verteilt und Verantwortungen eindeutig zugewiesen sind. Die Führung ist hier geprägt durch klare Anweisungen. Hier haben Mitarbeiter nur sehr wenig Möglichkeiten, sich im Tagesgeschäft einzubringen und sich zu entfalten. Vielmehr agieren sie nur als Erfüllungsgehilfen, werden aber nicht wirklich als Personen wahrgenommen. Prozessänderungen sind unabdingbar Es lässt sich also erkennen, dass vor allem veraltete Strukturen, Zeit- und Kostenaufwand dazu führen, dass interne Mitarbeiter nicht entsprechend gefördert werden. Die Konsequenz daraus ist, dass Unternehmen fremdgehen und auf dem externen Markt nach geeigneten Kandidaten suchen. Eine Prozessänderung ist daher unabdingbar! Die Frage ist nur, wie Unternehmen es schaffen können, eine Weiterentwicklung und Förderung der internen Arbeitnehmer zu gewährleisten, um diese für vakante Stellen zu befähigen. Hierfür kann ein moderner Führungsstil wie die transformationale Führung hilfreich sein: Dabei fordern Vorgesetzte

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ihre Angestellten heraus – ohne zu überfordern – damit sie Neues dazulernen und sich weiterentwickeln können. Auch wird die Kreativität angeregt, indem Aufgaben beispielsweise aus einer anderen Perspektive betrachtet und verschiedene Herangehensweisen ausprobiert werden. Dabei kann der Mitarbeiter selbst entscheiden, wie er diese angeht. Denn Kreativität kann den Geist erweitern und so zu anderen, auch besseren, Lösungen kommen. Ein Führungsstil, der auch das Selbstvertrauen der Mitarbeiter stärkt. Die Führungskraft agiert eher als ein Vorbild, die wertschätzend und empathisch ist. Eine klare Kommunikation, aktives Zuhören und verständlich formulierte Unternehmensziele sind dabei für den Vorgesetzten selbstverständlich. So ist für jeden Angestellten nachvollziehbar, welchen Weg das Unternehmen einschlägt und kann dies mit der eigens gelebten Kultur vereinbaren. Nur so können sich Mitarbeiter für das Unternehmen begeistern, ihre Talente zeigen und diese für die gemeinsame Vision nutzen. Starre hierarchische Denkansätze blockieren notwendige Entwicklungen Dieses gewonnene Vertrauen in die eigene Führungskraft ist auch Basis dafür, dass schnell auf die agile Unternehmenswelt reagiert werden kann und diesen Veränderungen lernbereit sowie offen gegenübergestanden wird. Zudem erscheint es sinnvoll, strenge Hierarchien aus dem Unternehmen zu verbannen. Denn diese starren hierarchischen Denkansätze haben wenig mit moderner agiler Führung zu tun. Ein Konzept, welches gerade in der Organisationsentwicklung einen Hype erlebt, ist die sogenannte Holokratie. Dabei werden alle Mitarbeiter eines Unternehmens transparent eingebunden, Verantwortung anvertraut und ermutigt, eigene Entscheidungen zu treffen. Etwa wie bei einer Fußballmannschaft, bei der alle elf Spieler gleichberechtigt und gleichwertig zum Erfolg beitragen sollen, obwohl jeder eine andere Position einnimmt und seine eigene Spielweise hat. Ein so organisiertes Unternehmen bietet seinen Mitarbeitern einen häufigeren Rollenwechsel an, um somit weitere Erfahrungen sammeln zu können. Folglich wird die Organisation flexibler und kann dynamischer auf Veränderungen reagieren – ein Gewinn für beide Seiten. Eine weitere Möglichkeit der Weiterentwicklung sind sog. Reflection-Days, wie sie etwa bei der Firma 3M oder Google angewandt werden. Hier werden lediglich 80 % der zeitlichen Ressourcen eines Mitarbeiters verplant. Die übrigen 20 % kann dieser selbstständig und frei für andere Aufgaben, Projekte oder etwa für Job-Rotationen nutzen. So kann er sich den Themenfeldern widmen, die ihn am meisten ansprechen und interessieren, gleichzeitig sein Fachwissen erweitern und seine Kreativität effektiv ausleben. Um Verbundenheit gegenüber seinen Angestellten zu zeigen, sollten die sozialen und zwischenmenschlichen Aspekte nicht unberücksichtigt bleiben. Dies ist z. B. durch verschiedene Teambuilding-Maßnahmen zu erreichen. Ziel ist es, Mitarbeiter abteilungsübergreifend aus dem Arbeitsalltag herauszuholen, um so Zusammenarbeit und -halt durch unterschiedliche Gruppenprojekte zu schaffen. Der Mitarbeiter ist ­seinen

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­ ollegen dabei teilweise „blind ausgeliefert“, muss sich verschiedenen Problemen K ­stellen, diese aufeinander abstimmen, eine Lösung finden, aber auch Vertrauen aufbauen. Nur so können diese Herausforderungen gemeistert werden. Die oftmals unbekannte Umgebung, bei der die Maßnahmen stattfinden, soll Abstand zum Arbeitsalltag und eine ungezwungene Atmosphäre außerhalb des Unternehmens ermöglichen. Somit wird der Teamzusammenhalt gestärkt, der Mitarbeiter fühlt sich mehr wertgeschätzt und fungiert nicht nur als reiner „Arbeiter“, sondern positioniert sich als ein Teil des Unternehmens. Fazit

All die genannten Lösungsvorschläge können eingesetzt werden, um Mitarbeiter zu fördern und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Damit diese Teil der Unternehmenskultur werden, müssen die Maßnahmen konsequent umgesetzt werden und Weiterentwicklungsangebote für jeden Angestellten gleichermaßen verfügbar sein. Das erfordert in erster Linie ein Umdenken in der Führungsebene. Unternehmen müssen anfangen, ihren eigenen Mitarbeitern treu zu bleiben – sonst laufen sie Gefahr, dass die Mitarbeiter irgendwann dem Unternehmen fremdgehen. Christina Hönsch  hat 2015 ihre Ausbildung zur Kauffrau für Versicherung und Finanzen mit dem Schwerpunkt Versicherung abgeschlossen. Danach begann sie Betriebswirtschaft und Wirtschaftspsychologie an der FOM in Nürnberg zu studieren. Aktuell ist sie im Recruitment eines internationalen Outsourcing Dienstleisters tätig. https://changingthegame.de/christina-hoensch

Manuela Winter  schloss 2012 die Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten ab. Nach dem Abitur und weiteren drei Jahren, in denen sie als Rechtsanwaltsfachangestellte arbeitete, entschloss sie sich im Wintersemester 2015 nebenberuflich Wirtschaftspsychologie an der FOM in Nürnberg zu studieren. Seit Juli 2017 arbeitet sie bei einem globalen Industriebetrieb in der Personalentwicklung. https://changingthegame.de/manuela-winter

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C. Hönsch et al. Sarah Muschler  hat im Februar 2015 ihre Berufsausbildung zur Industriekauffrau abgeschlossen. Nach einem Auslandsaufenthalt hat sie im September des gleichen Jahres das berufsbegleitende Studium Betriebswirtschaft und Wirtschaftspsychologie an der FOM in Nürnberg angetreten. Seitdem arbeitet sie im Recruiting, zuletzt für ein internationales Industrieunternehmen im Gesundheitsbereich. https://changingthegame.de/sarah-muschler

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Interview: „Kulturwandel: Revolution von innen“ Daniel M. Richter

Zusammenfassung

Woher nehmen Unternehmen den Mut für große Veränderungen? Und wo bleiben dabei die Mitarbeiter? Der Kulturwandel in der Arbeitswelt ist ein Wandel von Führung und Tätigkeiten – eine Revolution von innen. Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter dabei unterstützen sowie individuelle Impulse geben können, erzählt Daniel M. Richter, der digitale Transformationsprojekte vorantreibt und daher weiß, wie Menschen in Organisationen bahnbrechende Innovationen erzeugen und Stolpersteine überwinden können – ohne dabei auf der Strecke zu bleiben.

D. M. Richter (*)  Silbury Deutschland GmbH, Fürth, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_2

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Warum ist ein Kulturwandel in Unternehmen notwendig? Während im 20. Jahrhundert Führung noch hierarchisch war, ist heute Augenhöhe gefragt. Die nämlich lässt die notwendige Vielfalt und Flexibilität zu, fördert die Kreativität und setzt auf das Prinzip der Selbstverantwortung. Eine Führung von oben ist vor allem mit Wissensarbeitern nicht mehr möglich. Die nämlich fragen nicht groß nach, ob sie Entscheidungen treffen dürfen, sie tun es einfach. Auf dem Weg zum Kulturwandel ist also eine Revolution von innen heraus mit anderen Arbeitsweisen, Abstimmungsmöglichkeiten und Entscheidungsprozessen unumgänglich. Für diese Veränderung muss die Geschäftsleitung diesen Weg präferieren und mitgehen. Aber es sollte eben nicht nur von oben gesteuert, sondern von allen getragen werden. Denn es sind die Querdenker, die so eine Revolution in einer Organisation wirklich und nachhaltig vorantreiben. Welchen Vorteil haben Unternehmen, wenn die Entwicklung von innen heraus erfolgt? Mitarbeiter kennen die Kultur, die Besonderheiten und die Geschichte ihres Arbeitgebers. Sie wissen, wie sie bestimmte Veränderungen anstoßen können und wen sie dafür mit ins Boot holen müssen. Wer von außen kommt, hat in der Regel einen neutralen Blick, der zwar auch hilfreich ist, aber nicht immer zum gewünschten Ergebnis führt. Ferner können Mitarbeiter nicht nur den Finger in die Wunde legen, sondern sind meist auch empathischer. Hier ist die Spreu vom Weizen zu trennen: Es gibt in vielen Unternehmen Mitarbeiter, die sich nur beschweren, aber nicht lösungsorientiert sind. Solche Mitarbeiter treiben keine Revolution voran, denn dazu braucht es konstruktive Lösungsvorschläge. In solchen Fällen kann eine externe Person Mitarbeiter dabei unterstützen, zielgerichtet und konstruktiv zu arbeiten. Denn Projektgruppen sind nur erfolgreich, wenn sie sehr interdisziplinär aufgestellt sind. Dazu müssen Mitarbeiter jedoch über die wichtigen Eigenschaften Werte, Transparenz, Mut, Experimentierfreude, Vertrauen sowie direkte Kommunikation verfügen. Welche Eigenschaften müssen Mitarbeiter dafür mitbringen? Existiert eine Angst vor Veränderung – was ganz normal ist – ist es ratsam, mit agilen und erprobten Projektmethoden wie Scrum oder Kanban zu beginnen. Das sichert kleine Erfolge und zeigt Mitarbeitern die Vorteile von agiler Arbeitsweise auf. Ein weiterer Vorteil: Wer Mitarbeiter in einer Projektgruppe anders arbeiten lässt, sieht, wer wie arbeitet. Denn in agilen Teams entscheidet die Gruppe, wer in das Team passt, welche Themen weiter vorangetrieben werden müssen und wie die Vorgehensweise dabei ist. Wie sehen Erfolge dabei aus? Werden agile Projekte beispielsweise das erste Mal in klassischen Strukturen umgesetzt, regt dass das Management in der Regel zum Nachdenken an. Plötzlich muss die Führungskraft nicht mehr alles entscheiden, sondern das Team entscheidet allein und

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arbeitet kontinuierlich am Projekterfolg. Durch die agile Arbeitsweise und die Verschiebung der Verantwortung ins Team, werden sichtbare Ergebnisse erzielt – das Team arbeitet hocheffizient und motiviert, plant sehr iterativ, kleinteilig und richtet sein Ergebnis immer am Kundennutzen aus. Das Management sieht Erfolge, Kunden werden zufriedener. Was macht dabei die „Revolution“ aus? Es gab und gibt immer wieder Change Projekte. Dabei heißt es jedoch immer bloß Veränderung, Veränderung, Veränderung – in einem stetig wiederkehrenden Zyklus. Die Folge: erfahrene Mitarbeiter werden demotiviert. Bei der Transformation gilt jedoch das Kaffeebohnen-Kaffeepulver-Prinzip: Wir transformieren eine Kaffeebohne in Kaffeepulver, was nicht mehr rückgängig zu machen ist. Deshalb müssen sich bei der Transformation folgende Dinge grundlegend ändern: Entscheidungsfindung, Reaktion auf die schnelllebigen Anforderungen am Markt, Führung, Strukturen und Prozesse. Und daher ist die Transformation für mich eine Revolution der Zusammenarbeit. Wie können Unternehmen solch revolutionierenden Mitarbeitern Freiraum einräumen? Wenn das Management verstanden hat, dass es um eine Transformation geht, die das gesamte Unternehmen voranbringt, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Mitarbeiter können mit einem festen Teil ihrer Arbeitszeit freigestellt werden. Oder externe Personen werden ins Unternehmen geholt, damit sich Mitarbeiter um die reine inhaltliche Arbeit kümmern können. Dafür bekommen sie im Rahmen einer organisatorischen Veränderung den klar priorisierten Projektauftrag. Ist es dem internen Mitarbeiter wichtig das Unternehmen voranzubringen, kann er beispielsweise auch anbieten, einen eigenen Zeitinvest einzubringen. Ist die Transformation am Ende erfolgreich, profitiert auch er davon. Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Führungsebene die Transformation als ein intern budgetiertes Strategieprojekt aufsetzt und so den klaren Auftrag und die Verfügbarkeit sichert. Möchte ein Management eine echte Transformation des Unternehmens, dann gibt es zwar Hindernisse, aber diese können im Dialog immer aus dem Weg geräumt werden. Bei einem klaren Commitment des Managements werde diese Freiräume immer möglich gemacht! Was sind Stolpersteine bei der Revolution? Meine Erfahrung ist, sobald es Engpässe im operativen Geschäft des Unternehmens gibt, werden alle strategischen Projekte erst einmal gestoppt. Dem Management muss aber klar sein, dass ein unverrückbarer Fokus für den Erfolg einer Transformation extrem wichtig ist. Denn nur so ziehen alle Revolutionsteam-Mitarbeiter an einem Strang und bleiben motiviert. Ein weiterer Stolperstein ist, wenn Teams nicht alle Informationen erhalten, weil das Management sie als zu sensibel oder nicht relevant eingestuft. Liegen Teams

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jedoch nicht die benötigten Informationen vor, können Entscheidungen auch nicht richtig getroffen werden und werden schnell Misserfolge erzeugt. Dabei braucht das Team Erfolge, um die restlichen Mitarbeiter von der Revolution zu überzeugen. Und zu guter Letzt ist es nicht ungewöhnlich, wenn Revolutionsteams aufgrund ihrer verschiedenen Charaktere auch mal scheitern. Haben diese verschiedenen Persönlichkeiten keine erfahrene Moderation bzw. Coach, der das Team zu einer effizienten Gruppe formt, ist die Revolution zum Scheitern verurteilt. Denn die Stimmung des Revolutionsteams wird automatisch nach außen getragen. Was ist der Mehrwert von selbstorganisierten Revolutionsteams? Am Ende einer Transformation stehen immer zufriedenere Mitarbeiter, die mehr Spaß an der Arbeit haben. Denn wird die Revolution von innen heraus vorangetrieben, richtet sie sich nach den Bedürfnissen aller Mitarbeiter – und nicht nur nach denen des Managements. Und das führt bei Mitarbeitern stärker zum Commitment und zu zufriedeneren Kunden, weil sich die Arbeit am Kundennutzen ausrichtet – und nicht den Vorgaben der Hierarchie. Ferner werden durch Revolutionen, die von Teams vorangetrieben wird, Entscheidungsprozesse kürzer. So nämlich ist die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt und nicht mehr nur durch den Flaschenhals des Managers begrenzt. Außerdem schafft Transparenz bei Entscheidungen aus dem Revolutionsteam heraus Vertrauen. Denn die Mitarbeiter wissen, was sie an Anforderungen ins Revolutionsteam getragen haben und was daraus gemacht wurde. Und weil Revolutionsteams ihre Entscheidungen immer begründen und transparent machen (müssen), ist die Haltung „Das hat der Chef so entschieden“ dann keine Begründung mehr – egal für welche Entscheidung. Durch diese verschiedenen Mehrwerte blühen Unternehmen auf! Wie werden Transformationsprojekte erfolgreich? Einerseits durch eine enge Abstimmung mit dem Management, andererseits durch das Experimentieren. Wichtig ist, am Anfang gewisse Rahmenbedingungen für das Transformationsprojekt gemeinsam festzulegen, dabei das Team aber selbstorganisiert arbeiten zu lassen, also nicht zu kontrollieren. Und weil die direkte Kommunikation zu den besten Ergebnissen führt, sind regelmäßige Feedbackschleifen ins Unternehmen sowie diese an Kunden auszurichten wichtig. Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig für die Revolution? Mitarbeiter müssen sich auf die Experimente einlassen und neue Wege ausprobieren wollen. Es muss eine klare Zielrichtung existieren sowie kommuniziert werden, damit jeder Mitarbeiter versteht, was das Transformationsprojekt bewirken soll. Und auch wenn Erfahrungen anderer sinnvoll sind, das Team muss den für das Unternehmen passenden Weg selbst finden. Steht jeder im Team voll und ganz dahinterstehen, führt die Revolution von innen heraus zum Erfolg!

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Daniel M. Richter  kommt ursprünglich aus der Personal- und Gründungsberatung und war von 2011 bis 2016 Gründer und Geschäftsführer der Insight Innovation GmbH. Seit Juli 2016 treibt er bei der Silbury Deutschland GmbH digitale Transformationsprojekte voran. Er hinterfragt aktuelle Themen der Organisationskultur, der Arbeitsweisen, der Prozesse und der Strukturen, um die Digitale Transformation mit gesundem Menschenverstand voranzutreiben. Dabei greift er auf ein breites Methodenset zurück, sieht diese aber lediglich als Mittel zum Zweck.

Impuls: Walter Bockshecker (HR Vorstand, NÜRNBERGER Versicherung) Eine große Herausforderung für Unternehmen ist, die unterschiedliche Bedürfnisstruktur von drei bis vier Mitarbeitergenerationen motivierend zu erfüllen sowie die neuen Erkenntnisse aus der Betriebsorganisation und der Arbeitspsychologie in den beruflichen Alltag zu integrieren. New Work ist dabei ein zentrales Thema. Impuls: Tanja Ammerl (Innovationsmanagerin, NÜRNBERGER Versicherung) Eine motivierende Arbeitsumgebung soll Kreativität, innovatives Denken und Handeln sowie die Kommunikation in Unternehmen fördern, eine offene Unternehmenskultur schaffen sowie den Teamspirit unterstützen. Bei diesem Change-Prozess müssen Mitarbeiter aber nicht nur mitgenommen werden, sie müssen auch mitgestalten dürfen.

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Eine Branche in der Krise – Recruiting im Gesundheitswesen als wichtigste Überlebensstrategie? Christina Hayek und Michael Teich

Zusammenfassung

Das Gesundheitswesen leidet unter einem massiven Mangel an Fachkräften, der sich laut Studien in den nächsten Jahren noch deutlich verstärken wird. Die Akteure der Branche sind dadurch gezwungen, durch kreative Lösungen Fachkräfte zu gewinnen und dem Wettbewerber im Kampf um geeignete Mitarbeiter immer einen Schritt voraus zu sein. Wichtig werden daher Rekrutierungsansätze, die sich zum einen auf inländisches, zum anderen auf ausländisches Fachkräftepotenzial konzentrieren. Hierbei wird der Fokus auf die Direktansprache von Kandidaten via Social Media sowie die Integration ausländischer Mitarbeiter gelegt.

C. Hayek ()  Bezirkskliniken Mittelfranken, Ansbach, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Teich  CCP GmbH, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_3

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C. Hayek und M. Teich

Das Gesundheitswesen gilt gemeinhin nicht unbedingt als innovativ, sondern vielmehr als konservative Bastion in einer sich stetig wandelnden Unternehmenslandschaft. Früher war das auch so. Einnahmen konnten zuverlässig generiert werden, Gewinne waren unnötig und bei Verlusten oder notwendigen Investitionen sprang gerne die öffentliche Hand ein. Die Arbeit in Kliniken war beliebt, dementsprechend herrschte an Bewerbern auch kein Mangel. Innovation war somit in diesem Kontext nicht notwendig und deshalb auch selten ein echtes Thema. Warum muss sich das nun grundlegend ändern? Und warum muss sich das Gesundheitswesen in den nächsten Jahren zu einem echten Innovations- und Ideentreiber innerhalb des HR entwickeln? Die Antwort ist einfach: Not macht innovativ! Der viel zitierte demografische Wandel trifft wohl keine Branche so stark wie das Gesundheitswesen. Denn er hat nicht nur Auswirkungen auf die Zahl der potenziellen Nachwuchskräfte. Eine steigende Lebenserwartung und eine damit einhergehende Zunahme an hochbetagten und multimorbiden Menschen führen darüber hinaus zu einem erhöhten Bedarf an ärztlichen und pflegerischen Versorgungsleistungen – und damit auch an medizinischem Personal. Die Kombination aus steigender Nachfrage und sinkendem Fachkräftepotenzial verheißt also nichts Gutes. Kliniken außerhalb der großen Ballungsgebiete wie Berlin oder München müssen mittlerweile Stationen oder Fachgebiete schließen, da die Patientenversorgung mit dem vorhandenen Personal nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Die Existenz ganzer Unternehmen hängt davon ab, ob sie zukünftig in der Lage sind, Mitarbeiter in patientennahen Berufsgruppen zu rekrutieren und langfristig an das Unternehmen zu binden. Wer sich gegenüber der Konkurrenz hierbei nicht richtig positioniert, vergisst, Innovationen voranzutreiben sowie die eigenen Mitarbeiter und Bewerber aus den Augen verliert, ist schnell der Verlierer in einer Branche, die sich in einem radikalen Veränderungsprozess befindet. Innovation ist also nicht „nice to have“, sondern ein Muss, um Strategien verwirklichen und auf dem Markt bestehen zu können. Die Statistiken der letzten Jahre bestätigen diese Ausführungen. So prognostiziert eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft pwc und des Wirtschaftsforschungsinstituts WifOR für das Jahr 2030 einen Mangel von rund 166.000 Ärzten und 575.000 Pflegekräften innerhalb der BRD. Jede dritte ärztliche Stelle und fast die Hälfte aller notwendigen pflegerischen Stellen werden also schlimmstenfalls bald nicht mehr zu besetzen sein. Mediziner und Pflegekräfte werden dadurch zu einer der meistumkämpften Ressource innerhalb des sich zunehmend verschärfenden Wettbewerbs verschiedener Klinikanbieter. [1]. Der Kampf um die wenigen Fachkräfte ist also bereits in vollem Gange und wird sich von Jahr zu Jahr noch mehr zuspitzen. Welche Möglichkeiten haben Unternehmen nun in einer solchen Situation? Welche Maßnahmen, Ideen und Projekte gilt es umzusetzen? Welches Mindset und welche Fähigkeiten benötigen Recruiter und Führungskräfte, die sich in einem solchen Umfeld bewegen?

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Wir möchten versuchen, zwei konkrete Lösungsansätze für die aufgeworfene Problematik zu finden und anhand von praxisorientierten Tools Hilfestellungen leisten. Hierbei gehen wir zunächst auf das inländische und anschließend auf das internationale Fachkräftepotenzial ein. Social Media Recruiting – Beispiel Facebook Allgemeines und Zielsetzung Zielsetzung bei der Suche nach Kandidaten über soziale Netzwerke ist es, potenzielle neue Mitarbeiter zu erreichen, die noch nicht auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz sind. Zwar spielen diese möglicherweise bereits mit dem Gedanken, ihren Arbeitgeber zu wechseln. Aktiv sind sie jedoch noch nicht geworden. Somit besteht die Möglichkeit, „exklusiv“ und noch ohne Konkurrenten mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die Betonung liegt hier auf „ins Gespräch zu kommen“. Zu Bewerbern wird dieser Personenkreis jedoch nur, wenn der gesamte Prozess gut durchdacht und professionell umgesetzt wird. Denn neu ist das Recruiting über soziale Netzwerke natürlich nicht. Der in vielen Branchen zum Teil massiv vorhandene Fachkräftemangel hat so manche Personalabteilung dazu veranlasst, die sozialen Medien als Recruiting-Kanal für sich zu entdecken. Erfolg hat jedoch nur, wer sich diesem Thema ganzheitlich annimmt, seine Zielgruppe sehr gut kennt und versteht sowie den Recruiting-Prozess professionell umsetzt. Es gibt diverse Möglichkeiten, in den sozialen Netzwerken als Arbeitgeber auf sich aufmerksam zu machen. Hier beleuchten wir eine Kampagne bei Facebook näher, mit der das Interesse einer klar identifizierten Zielgruppe (in diesem Fall Gesundheits- und Krankenpfleger/innen) geweckt werden sowie zu einer Kontaktaufnahme seitens der Kandidaten mit einem potenziellen Arbeitgeber führen soll. Dafür wurden verschiedene Anzeigen und Clips (keine Stellenangebote) ausgespielt, inklusive einem „Call to Action“. Ferner ist es innerhalb einer Berufsgruppe oder -sparte sehr wichtig, die jeweils einzelne Zielgruppe genau zu definieren. Beispielsweise ob es sich bei der Suche um einen Gesundheits- und Krankenpfleger, einen Altenpfleger oder um einen Sterilisationsassistenten handelt. Eine detaillierte Definition ist sowohl für das technische Screening der Zielgruppe als auch für die Ansprache und spätere Kommunikation von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus dient die genaue Kenntnis der Zielgruppe dem Verständnis dafür, welche Medien online und offline genutzt werden und wie sich potenzielle Kandidaten in dem jeweiligen Umfeld verhalten und vor allem, was sie dazu motiviert auf eine Ansprache zu reagieren. Berücksichtigt werden muss zudem, dass innerhalb einer Zielgruppe unterschiedliche Interessen, Lebensalter, Familienstand, etc. bestehen, was wiederum Einfluss auf die Nutzung der sozialen Netzwerke und eine erfolgreiche Ansprache hat.

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Identifikation bzw. Screening der Zielgruppe  Auf Basis einer detaillierten Zielgruppendefinition gibt es verschiedene Möglichkeiten, potenzielle Kandidaten zu identifizieren. Eine einfache aber zeitaufwendige Möglichkeit besteht darin, Nutzer durch eine manuelle Suche z. B. anhand ihres Wohnortes, ihrer angegebenen Berufe, Gruppenmitgliedschaften oder „Posts“ und „Likes“ zu finden und anzusprechen. Oder man engagiert sich in entsprechenden Gruppen um auch hier mit Kandidaten ins Gespräch zu kommen. Sicher ein qualitativ hochwertiges und effektives Vorgehen, welches jedoch sehr arbeitsund zeitaufwendig ist. Insbesondere bei einem größeren und andauernden Personalbedarf wird sich ein Unternehmen das nicht leisten können und wollen. Facebook bietet hier die Möglichkeit, durch Suchfunktionen über eine entsprechende Konsole Kandidaten zu identifizieren und diese gezielt, mit beispielsweise Anzeigen, anzusprechen. Eine weitere und sehr effiziente Möglichkeit ist, speziell hierfür entwickelte Softwarelösungen zu nutzen. Diese sind in der Lage, über eine Vielzahl von Parametern Kandidaten mit einer sehr hohen Trefferwahrscheinlichkeit zu identifizieren. Diese Parameter sind z. B. der angegebene Beruf, Gruppenmitgliedschaften, Posts, Kommentare, Likes usw. Ein Anbieter solch einer Software und der entsprechenden Projekterfahrung ist „Phantominds“ in Hamburg. Die Erfahrung und Fachkenntnis der Consultants ist ebenfalls von erheblicher Bedeutung. Denn bei der Konfiguration der Software muss die jeweilige Zielgruppenbeschreibung verstanden und optimal umgesetzt werden. Die Erfahrung zeigt ferner, dass nicht selten mehrere Probeläufe und Anpassungen für ein optimales Ergebnis notwendig sind. In einem bundesweiten Projekt wurden im Zeitraum September 2017 bis Februar 2018 731 Kontakte zu Krankenpflegern und Krankenpflegehelfern generiert. Branchenfremde Kandidaten konnten nahezu vollständig ausgeschlossen werden. Kandidatenansprache  Wie funktioniert eine zielgruppenorientierte Kandidatenansprache im Zeitalter der Social Media? In dem bereits oben erwähnten Projekt wurden beispielsweise durch einen Personaldienstleister Pflegekräfte für Einsätze in Kliniken und Pflegeeinrichtungen an sieben Standorten in Deutschland gesucht. Erstmalig wurde hierfür in Zusammenarbeit mit einer Agentur auch eine Facebook-Kampagne aufgesetzt. Die Agentur verfügte über eine Softwarelösung zur Identifikation von potenziellen Kandidaten (Screening) sowie über die entsprechende Erfahrung bei der Planung und Umsetzung solcher Projekte. Wer eine Kampagne dieser Art plant, muss berücksichtigen, dass es hier mehrere Nebenschauplätze gibt, die einbezogen werden müssen. Beispielsweise ist eine zielgruppengerechte Facebook-Seite des Unternehmens zwingend erforderlich. Dabei ist zu bedenken, dass es mit der Erstellung einer Facebook-­ Seite natürlich nicht getan ist. Vielmehr ist dafür eine Strategie und Planung erforderlich: In welchem Umfang und von wem wird diese Seite künftig betreut und weiterentwickelt? Das gleiche gilt für die Unternehmenswebsite. Diese sollte mindestens über einen Bereich verfügen, der für die gewünschte Zielgruppe geeignet ist und über interessante Informationen sowie Kontaktmöglichkeiten verfügt. Idealerweise wird hierfür eine

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spezifische Landingpage implementiert, die ein Kandidat mit wenigen Klicks und ohne Umwege erreicht. Dabei dürfen auch die eigenen Mitarbeiter nicht vergessen werden. Sehr zu empfehlen ist, Mitarbeiter mindestens aus der jeweiligen Zielgruppe von Anfang an in alle Projektschritte einzubinden. Sie wissen am besten, wie man potenzielle neue Mitarbeiter erreicht und diese zu einer Bewerbung motivieren kann. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die besten Ideen nicht selten von den Betroffen selbst kommen. Ein Vorgehen nach dem „Design Thinking“ ist also auch hier zweifelsohne sinnvoll. Im nächsten Schritt muss Klarheit darüber geschaffen sowie entschieden werden, wie die Kandidaten angesprochen werden sollen. Dazu sind Gedanken u. a. über folgende Punkte notwendig: Wo wird Facebook genutzt? Ein Learning aus dem erwähnten Projekt war beispielswiese, dass die gesuchten Kandidaten zu über 75 % die eingeblendeten Anzeigen auf ihren Mobiltelefonen und der größte Teil davon auf dem Weg zur oder von der Arbeit bzw. während der Pausen am Arbeitsplatz anklickten. Nicht verwunderlich, dass auch das einfachste Kontaktformular, welches der Kandidat nach dem Klick auf die Anzeige ausfüllen sollte, nahezu keinen einzigen Kontakt brachte. Wer will schon auf seinem Handy Name, Telefonnummer und/oder E-Mail-Adresse in ein Formular eintippen? Erst als ein vorausgefülltes Kontaktformular mit Namen und Kontaktdaten angeboten wurde, stellten sich die ersten Erfolge ein. Ein weiterer interessanter Aspekt war, auf welche Bilder die Zielgruppe reagierte. Sinnvoll ist daher, Hier verschiedene Motive und ggf. auch kurze „Bewegtbilder“ (Samples) für begrenzte Zeiträume zu testen, die Resonanz sehr genau zu beobachten und immer wieder zu optimieren. In dem erwähnten Projekt wurden im Zeitraum von Mitte September 2017 bis Ende Februar 2018 an sieben Standorten in Deutschland insgesamt rund 282.800 potenzielle Kandidaten erreicht (Reichweite), wovon es 731 Mal zur Kontaktaufnahme kam. Dafür waren allerdings mehrere Anläufe mit diversen Anpassungen notwendig. Außerdem wurde die Facebook-Seite des Unternehmens 683 Mal „gelikt“. Das sagt zwar noch nicht viel über den Erfolg der Kampagne aus, soll hier aber einen kurzen Überblick über die Zahlen geben. Davon ausgegangen, dass potenzielle Kandidaten ihren Namen und ihre Kontaktdaten zugesendet haben, stellen sich die nächsten wichtigen Fragen: Wie und wann soll die Kontaktaufnahme erfolgen? Mit welchem Inhalt und ganz wichtig, wer aus dem jeweiligen Unternehmen nimmt den Kontakt auf? Sehr wichtig ist, dass die Kontaktaufnahme sehr zeitnah, spätestens am Folgetag, erfolgt. Denn oft haben Facebook-Nutzer sehr schnell wieder vergessen, dass sie auf eine Anzeige reagiert und um Kontaktaufnahme gebeten haben. Ebenso wichtig ist der Inhalt der ersten Kontaktaufnahme. Hier ist unbedingt zu bedenken, dass es sich nicht um einen Bewerber handelt. Die Einleitung „Vielen Dank für Ihre Bewerbung. Senden Sie uns bitte Ihre Unterlagen zu, damit wir einen Termin mit Ihnen machen können“ ist hier völlig deplatziert. Vielmehr geht es um ein lockeres, informatives und vorerst unverbindliches Kennenlernen am Telefon mit dem Ziel, einen Termin für ein persönliches

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Gespräch zu vereinbaren. Es ist also ein „Verkaufsgespräch“ des Unternehmens und keinesfalls ein Telefoninterview mit einem Bewerber. Kommunikationsstrategie  Wie bereits erwähnt, es ist sehr wichtig, detailliert festzulegen, wie mit potenziellen Kandidaten kommuniziert wird und wer Kontakt aufnimmt. Folgende Punkte sind daher wichtig: 1. Kontaktaufnahme des Unternehmens per Telefon oder E-Mail? Es ist sinnvoll, als erstes den telefonischen Kontakt aufzunehmen. Um gleich von Anfang an einen persönlicher Kontakt herstellen zu können, ist es daher sinnvoll, wenn Kandidaten ihre Mobilnummer zusenden, Ferner ist schwer zu beurteilen, ob ein Kandidat seine E-Mails regelmäßig checkt. Bleiben zwei bis drei Anrufe erfolglos, sollte eine E-Mail mit einem entsprechenden Hinweis sowie kurzer, wichtiger Informationen zum Unternehmen verschickt werden – was natürlich auch bereits flankierend zu den Telefonaten passieren kann. 2. Wer aus dem Unternehmen nimmt Kontakt auf? Der Erstkontakt entscheidet darüber, ob der Prozess weitergeht und ob aus einem potenziellen Kandidaten ein Bewerber und anschließend ein Mitarbeiter wird. Insofern sollte der „Anrufer“ zwingend mindestens über zwei Kompetenzen verfügen: Erstens sollte er kommunikationsstark, offen, positiv und motivierend sein, also ein gewisses „Verkaufstalent“ besitzen. Zweitens sollte er fachlich kompetent sein und sämtliche Fragen zu Aufgaben, Arbeitszeiten, Dienstplanung sowie zu den vertraglichen Bedingungen beantworten können. Ob das jemand aus dem HR-Bereich oder aus dem Fachbereich bzw. der Station ist, muss im Einzelfall entschieden werden. 3. Was, wenn es nicht auf Anhieb klappt? Auch wenn ein Kandidat seine Erreichbarkeiten angibt, klappt es nicht immer auf Anhieb, ihn auch zu erreichen. Gegen mehrere Versuche ist nichts einzuwenden, schließlich hat der Kandidat seine Telefonnummer angegeben und um Kontaktaufnahme gebeten. Dennoch sollte man es nicht übertreiben und vorher festlegen, wie hartnäckig in solchen Fällen nachgefasst werden soll. Schließlich soll nicht die Seriosität des Arbeitgebers infrage gestellt werden. Bei der Masse an Werbung, Likes, Klicks usw. in den sozialen Netzwerken, ist es durchaus möglich, dass Interessenten es sich anders überlegen oder das Interesse verlieren. 4. Kontakt halten Da es hier um Kandidaten geht, die vermutlich noch nicht die endgültige Entscheidung getroffen haben, ihren Arbeitgeber zu wechseln, ist Geduld und der Aufbau eines längerfristigen Kontakts in einigen Fällen notwendig. Daher ist es sinnvoll, sich hierfür eine Kontaktstrategie zu überlegen und den Kandidaten zu verschiedenen Anlässen erneut zu kontaktieren (Newsletter, Fachbeiträge, aktuelle Stellenangebote, etc.). Aus datenschutzrechtlichen Gründen muss hierfür vorab die Einwilligung des jeweiligen Kandidaten eingeholt werden.

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Umgang mit dem Datenschutz Selbstverständlich ist es notwendig, dass ein Kandidat die jeweilige Datenschutzerklärung in der aktuellen, den gesetzlichen Anforderungen entsprechender Fassung, bestätigt sowie eine Einwilligung zur Speicherung und Verarbeitung seiner persönlichen abgibt. Das geschieht in der Regel bereits über das soziale Netzwerk, muss aber in jedem Fall auch unternehmensseitig geprüft und ggf. nachgearbeitet werden. Darüber hinaus ist die Einwilligung jedes Kandidaten nach den gesetzlichen Vorschriften einzuholen, wenn ein längerfristiger Kontakt bzw. Wiederkontaktaufnahme zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll. Selber machen oder outsourcen?  Ob ein Unternehmen ein Projekt bzw. einen Prozess selbst gestaltet, umsetzt, sowie laufend optimiert und weiterentwickelt, oder extern vergibt, hängt von der jeweiligen Aufgabe und den Rahmenbedingungen ab. Wer selbst aktiv werden möchte, sollte mindestens folgende Fragen mit „ja“ beantworten: • • • • • • •

Wann und wie wird das Medium (in diesem Fall Facebook) genutzt? Welche Geräte werden genutzt (Desktop, Tablet oder Handy)? Wo wird das Medium genutzt (zu Hause, in der Bahn, am Arbeitsplatz)? Art und Form der geplanten Anzeigen: Bild, Text, Video Wovon fühlt sich die Zielgruppe am ehesten angesprochen? Sind bei der Ansprache regionale Unterschiede zu berücksichtigen? Wie soll die Kontaktaufnahme erfolgen?

Nicht zuletzt sollte in die Entscheidung, Outsourcing oder selber machen, berücksichtigt werden, welcher Weg der günstigere ist. Sollte die Entscheidung für ein Outsourcing fallen, stehen hier verschiedene Konstellationen zur Verfügung: Ein Dienstleister, der alle Komponenten aus einer Hand erbringt oder die Kombination aus einer Agentur, einem Beratungsunternehmen und einem Personaldienstleistungsunternehmen. Welches Konzept besser ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. Auf jeden Fall sollte sichergestellt sein, dass im Falle einer Unterstützung bei der Zielgruppenauswahl sowie bei der Ansprache von Kandidaten, das notwendige Detailwissen der jeweiligen Branche vorhanden ist. International Recruiting Betrachtet man die eingangs bereits geschilderte aktuelle Fachkräftesituation innerhalb des Gesundheitswesens, wird schnell klar, dass sich ein Blick über die eigenen Landesgrenzen hinaus lohnt – und für viele Kliniken sogar existenziell wichtig ist. Doch wie und wo kann man welche Fachkräfte gewinnen? Was sollte man bei Recruiting und Onboarding beachten? Und lohnt sich der Aufwand überhaupt? Letzteres kann definitiv mit JA beantwortet werden, da tatsächliche Alternativen rar und hart umkämpft sind und das Potenzial im europäischen und außereuropäischen Ausland groß ist. Der Aufbau eines internationalen Recruitings sowie eines funktionierenden

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Integrationsmanagements nimmt allerdings viel Zeit in Anspruch und braucht ein gewisses Know-how. Daher sollten die Schritte von der Rekrutierung bis zur vollen Einsatzfähigkeit einer ausländischen Pflegekraft oder eines Arztes gut geplant und mit allen am Prozess Beteiligten abgestimmt werden. Dafür braucht es allerdings keinen mehrere Monate umfassenden bis ins kleinste Detail gehenden Projektplan. Denn die Integration internationaler Fachkräfte in sozialer, betrieblicher, beruflicher und sprachlicher Hinsicht ist kein Hexenwerk, es ist anfangs vielmehr das Lernen am Versuch. Der neue Mitarbeiter, seine Kollegen und das gesamte Arbeitsumfeld stellen hierbei ganz individuelle Herausforderungen. Diese sind zwar in gewissem Maße zu verschriftlichen und können im Rahmen von Prozessen und Checklisten abgebildet werden, der einzelne Mitarbeiter selbst und dessen individuelle Bedürfnisse sollten jedoch stets im Mittelpunkt jeglicher Integrationsabläufe stehen. Die Definition einer geeigneten Zielregion  Es ist wichtig zu wissen, woher der neue Mitarbeiter kommt bzw. bestenfalls kommen sollte. Die Festlegung einer bzw. mehrerer fest definierter Zielregionen erleichtert zum einen die Planung geeigneter Recruiting-Maßnahmen, zum anderen die Vorbereitung geeigneter Onboarding-Schritte. Nicht wenige Unternehmen sind beispielsweise bereits an der Rekrutierung südeuropäischer Pflegekräfte gescheitert. Betrachtet man die dortigen Gesundheitssysteme und die damit zusammenhängende Rolle der Pflegekraft, ist das auch keinesfalls verwunderlich. In Spanien, wie auch in den meisten anderen europäischen Ländern, ist die Ausbildung von Pflegekräften akademisiert. Der soziale Status dieser Berufsgruppe und auch die Bezahlung sind vergleichsweise hoch und die Arbeitsbedingungen sowie Prozesse und beruflichen Rollenbilder unterscheiden sich in hohem Maße von der innerdeutschen Arbeitsrealität. Sind examinierte deutsche Pflegekräfte in somatischen Kliniken einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit der Körperpflege der Patienten beschäftigt, übernehmen das in vielen außereuropäischen Ländern Hilfskräfte. Denn dem studierten Pflegepersonal wird dort eine deutlich verantwortungsvollere Rolle zugeteilt, die sie im Arbeitsalltag fordern, jedoch in Hinblick auf das Arbeitspensum in aller Regel nicht überfordern. Es könnten noch einige weitere Unterschiede angebracht werden. Letztlich ist jedoch festzuhalten, dass die Integration von Pflegekräften aus solchen Gesundheitssystemen sehr schwierig ist, da die Erwartungshaltungen der Mitarbeiter aufgrund des in Deutschland vorherrschenden Gesundheitssystems meist von vornherein enttäuscht werden. Auch wenn die Rekrutierung durch die schwierige Arbeitsmarktlage oft problemlos gelingt. Eine langfristige Bindung dieser neuen Mitarbeiter an das Unternehmen ist jedoch nur schwer umsetzbar. Sobald sich eine Gelegenheit im Heimatland ergibt, werden die Pflegekräfte in aller Regel Deutschland verlassen – oft auch aufgrund kultureller Differenzen. Möchte man also eine groß angelegte Rekrutierung aus anderen Ländern starten, steht zu Beginn die Überlegung, welche Regionen sich hierfür eignen und welche Bedingungen man den immigrierten Mitarbeitern bieten muss, um deren Erwartungshaltungen zu erfüllen. Durch diese erste Überlegung wird also bereits eine Grundlage für die langfristige Mitarbeiterbindung gelegt.

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Bei Ärzten ist in diesem Zusammenhang vor allem die im Zielland vorherrschende Qualität der ärztlichen Ausbildung und die in Deutschland gängige Anerkennungspraxis hinsichtlich des Abschlusses zu berücksichtigen. Rekrutiert man beispielsweise Ärzte aus EU-Ländern, dauert der Anerkennungsprozess meist nur wenige Wochen oder Monate. Bis ein Arzt aus einem Nicht-EU-Land seine Approbation erhält, können auch schon einmal Jahre vergehen, in denen er zwar meist schon mit einer Berufserlaubnis tätig werden darf, hierbei aber zum Beispiel nicht an der ärztlichen Weiterbildung teilnehmen kann. Die Wahl einer geeigneten Recruiting-Strategie  Auch bei der Wahl geeigneter Recruiting-Instrumente lohnt sich der genaue Blick auf die anzusprechende Zielgruppe, denn das Jobsuchverhalten ist nicht in allen Ländern gleich. Oft ist es sinnvoll, sich vor Ort einen geeigneten Partner zu suchen, der die Rekrutierung und sprachliche Qualifizierung im Heimatland der Zielgruppe durchführt. Das können beispielsweise Zeitarbeitsfirmen oder Personalvermittler sein, die sich zudem mit den bürokratischen Voraussetzungen einer Migration nach Deutschland auskennen. Hierbei sollte jedoch darauf geachtet werden, dass so viel Know-how wie möglich innerhalb des eigenen Unternehmens verbleibt bzw. durch aktiven Austausch aufgebaut wird. So werden Abhängigkeiten vermieden und das Projekt langfristig gesichert. Ein besonders erfolgreiches Projekt der letzten Zeit und ein Beispiel gelungener Zusammenarbeit ist „Triple Win“. Hierbei unterstützt die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Unternehmen bei der Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte. Die Zielländer kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie deutlich über deren eigenem Bedarf ausbilden und die Arbeitslosenquote aufgrund dessen in dieser Berufsgruppe besonders hoch ist. Daher stehen Pflegekräfte aus Serbien, Bosnien Herzegowina oder auch den Philippinen einer Auswanderung häufig sehr offen gegenüber und sehen es als Chance, die eigenen Lebensbedingungen und auch die der Familie zu verbessern. Dabei übernimmt die GIZ die Anwerbung der Pflegekräfte vor Ort und organisiert Vorbereitungskurse, die ein einheitliches Sprachniveau gewährleisten sowie die fachlichen Kenntnisse der Bewerber an die Anforderungen in Deutschland anpassen. Die bürokratischen Hürden werden für den zukünftigen Arbeitgeber abgebaut und Beratungsleistungen im Rahmen der Integration angeboten. [2] Gerade für Arbeitgeber, die mit der Rekrutierung ausländischer Mitarbeiter erst beginnen, lohnt sich die Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts um die eigenen Kompetenzen und Ressourcen aufzubauen. Sind die ersten ausländischen Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens angekommen und gut integriert, können sie sehr gut in den Prozess integriert werden: Durch ein Prämienprogramm wie „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“ sind sie meist gerne bereit, aus den eigenen Netzwerken Freunde und Bekannte zu rekrutieren. Sie fungieren also als Markenbotschafter des Unternehmens ins Ausland. Die Integration der neuen Mitarbeiter ist zudem einfacher, da sie sich mithilfe ihrer bereits in Deutschland etablierten

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Kollegen in einem sozialen Umfeld bewegen, das ihnen vertraut ist sowie Unterstützung und Halt generiert. Darüber hinaus lohnt sich ein Blick auf medizinische Hochschulen im Ausland, die Pflegekräfte oder Ärzte ausbilden. So kann beispielsweise mit Hilfe von Kooperationen oder Stipendienprogrammen gezielt Nachwuchs ausgebildet bzw. abgeworben werden. Die Integration  Bei der Integration ausländischer Fachkräfte ist zwischen der sozialen, betrieblichen, beruflichen und sprachlichen Integration zu unterscheiden (siehe Abb. 3.1). Die soziale Integration  Die soziale Integration bezieht sich auf alle Maßnahmen, die auf die Lebenswelt des Mitarbeiters außerhalb des Betriebs abzielen sowie das Wohlbefinden des Mitarbeiters positiv beeinflussen. Hierbei geht es beispielsweise darum, geeigneten Wohnraum zu organisieren, Möbel und sonstige Artikel des alltäglichen Bedarfs zu beschaffen sowie das Knüpfen sozialer Kontakte aktiv zu fördern. Auch die Bedürfnisse der Familie sollten berücksichtigt werden. So kann beispielsweise bei der Jobsuche des Partners und bei der Wahl einer geeigneten Kinderbetreuungsstätte unterstützt werden.

Abb. 3.1  Die verschiedenen Ebenen der Integration ausländischer Fachkräfte. (Mit freundlicher Genehmigung von © Christina Hayek/Michael Teich 2018. All Rights Reserved.)

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Die betriebliche Integration Die betriebliche Integration zielt vor allem darauf ab, den neuen Mitarbeiter in das Unternehmen einzugliedern und die organisatorischen Besonderheiten zu erklären. Um Missverständnisse und Unsicherheiten zu vermeiden, sollten dem neuen Mitarbeiter Abläufe und rechtliche Besonderheiten, wie beispielsweise Arbeitszeitregelungen, spezifische Pausenzeiten innerhalb der Teams sowie die richtigen Ansprechpartner für bestimmte Themen möglichst zeitnah mitgeteilt werden. Die berufliche und sprachliche Integration Bei der beruflichen Integration sind neben fachlichen Informationen vor allem auch bürokratische Besonderheiten wichtig. Vor allem die rechtlichen Regelungen in Bezug auf die Berufszulassungen sind teils sehr komplex und nicht bundeseinheitlich geregelt, da es sich im Gesundheitsbereich in der Regel um reglementierte Berufe handelt. Gerade der Zugang zum ärztlichen Beruf dauert sehr lange und ist mit enormen bürokratischen Hindernissen verbunden. Da die neuen Mitarbeiter häufig fachliche und sprachliche Kenntnisprüfungen im Rahmen der Berufszulassung bestehen müssen, ist es sinnvoll, entsprechende Kurse innerhalb des klinikinternen Bildungsprogramms ganzjährig anzubieten. Ein fest zugeteilter Mentor, der den migrierten Mitarbeiter während der Einarbeitungszeit unterstützt, ist ebenfalls eine sehr gute Möglichkeit, die Integration positiv zu beeinflussen. Dabei sollte es sich um einen erfahrenen Mitarbeiter handeln, der während der Einarbeitungszeit des neuen Kollegen selbst in Hinblick auf sein Arbeitsvolumen entlastet wird. Das Angebot aus praktischer Anleitung, fachspezifischen und sprachlichen Kursen bietet die beste Möglichkeit einer schnellen Integration. Kann ein Unternehmen das nicht innerbetrieblich umsetzen, stehen hier viele externe Kursanbieter zur Verfügung. Eine Übersicht bezüglich möglicher Integrationsmaßnahmen liefert Abb. 3.2.

Abb. 3.2  Maßnahmen zur Integration ausländischer Fachkräfte. (Mit freundlicher Genehmigung von © Christina Hayek/Michael Teich 2018. All Rights Reserved.)

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C. Hayek und M. Teich Gesamtfazit

Der extreme Mangel an inländischen Fachkräften, der sich in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen wird, zwingt Verantwortliche zu kreativen und zukunftsweisenden Maßnahmen. Neben einem verstärkten Social Media Recruiting und der damit verbundenen direkten Ansprache geeigneter Kandidaten, nimmt auch die Personalbeschaffung aus dem Ausland einen immer höheren Stellenwert ein. Arbeitgeber, die nicht bereit sind, neue Wege zu gehen und gewisse Risiken einzugehen, werden zukünftig deutliche Probleme haben, weiterhin auf dem Markt zu bestehen. Weil es eine für die Gesellschaft sehr wichtige Branche ist, stellt sich zudem die Frage nach der Sinnhaftigkeit und ethischen Vertretbarkeit eines solchen Wettbewerbs. Deshalb ist hier auch die Politik gefragt: Die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, einer Aufwertung des pflegerischen Tätigkeitsfeldes sowie einer Aufstockung der inländischen Medizinstudienplätze und einer Erleichterung des Berufszugangs für ausländische Ärzte sollten baldmöglichst umgesetzt werden.

Literatur 1. Ostwald, A., Ehrhard, T., Bruntsch, F., Schmidt, H. & Friedl, C. (2010). Fachkräftemangel: Stationärer und ambulanter Bereich bis zum Jahr 2030. Darmstadt: PricewaterhouseCoopers, Seite 10. 2. Bundesagentur für Arbeit (o. J). 13 gute Gründe für Triple Win. Verfügbar unter https://www. triple-win-pflegekraefte.de/13-gute-gruende-fuer-triple-win/ (abgerufen am: 23.07.2018) Christina Hayek  Nach ihrer generalistischen Pflegeausbildung hat Christina Hayek Sozialwirtschaft sowie Wirtschaftspsychologie studiert. Derzeit betreut Sie in einem großen Unternehmen der Gesundheitswirtschaft die Bereiche Recruiting, Personalmarketing und Diversity Management. Sie hat wissenschaftliche Untersuchungen zu den Themen ärztliche Arbeitszufriedenheit und Erwartungshaltungen sowie Onboarding internationaler Fachkräfte durchgeführt. In Ihrer Karriere rekrutierte und betreute Sie weit über 100 ausländische Ärzte und Pflegekräfte. https://changingthegame.de/christina-hayek

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Michael Teich,  geboren 1963 in Hamburg, ist seit 2017 Geschäftsführer der CCP GmbH in Hamburg. Die CCP ist eine Management-Holding mit Beteiligungen aus den Bereichen Personaldienstleistungen und Beratung. Davor war er 15 Jahre Geschäftsführer verschiedener mittelständischer Unternehmen mit Fokus auf HR-Prozesse, Personaldienstleistungen und Business Process Outsourcing. Seine beruflichen Schwerpunkte sind Unternehmensführung, Human Resources, Online-Marketing und Geschäftsprozessoptimierung. https://ccp-holding.com https://changingthegame.de/michael-teich

Teil II Suchen & Erkunden: Bewerben

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Teil II  Suchen & Erkunden: Bewerben

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Vom Kandidaten zum Markenbotschafter – Spielregeln für erfolgreiches Recruiting Annika Leopold

Zusammenfassung

„New Work“ verändert die Spielregeln für erfolgreiches Recruiting. Nie war es entscheidender als heute, Recruiting zum Bestandteil eines strategischen Personalmarketings zu machen und somit eng mit der Unternehmensstrategie zu verknüpfen. Was treibt Nachwuchskräfte von heute an? An welchen Kontaktpunkten kann man sie treffen und wie spricht man sie an? Noch wichtiger: welche Themen finden sie spannnend? Der Beitrag zeigt anhand von vielen Beispielen aus der Praxis auf, wie Unternehmen ihre tendenziell reaktive Recruiting-Strategie auf eine andere Ebene heben können und somit entscheidend zur Professionalisierung der gesamten Markenbotschaft ihres Unternehmens beitragen.

A. Leopold (*)  Die Digitalwerkstatt, Forchheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_4

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Gute Kandidaten haben auf dem Arbeitsmarkt aktuell ein leichtes Spiel: sie werden intensiv umgarnt und haben die Entscheidungsgewalt auf ihrer Seite. Im Rekrutierungsprozess entscheiden sich heute die Bewerber für das Unternehmen und nicht umgekehrt. Dennoch agieren Unternehmen von Fall zu Fall reaktiv, anstatt das Recruiting auf Basis eines strategisches Personalmarketings, das eng mit der allgemeinen Unternehmensstrategie verknüpft ist, zu professionalisieren. Ferner müssen HR Verantwortliche zwingend überprüfen, ob ihre Bewerberkommunikation und Auswahlprozesse noch „state-of-the-art“ sind. Der Schlüsselbegriff lautet hier Kundenzentrierung – schließlich sind Bewerber und interne Fachabteilungen die Kunden von HR. Schon Steve Jobs vertrat die Meinung: „You’ve got to start with the customer experience and work back toward the technologies. Not the other way round.“ [1] Was treibt Bewerber von heute an? An welchen Kontaktpunkten sind sie zu treffen? Auf welche Themen springen sie an? Recruiting ist zum Begeisterungsmanagement geworden, das Entwickeln einer bedarfsorientierten „Candidate Journey“ dabei ein Muss. Analog zur Customer Journey, bei der sämtliche Kontaktpunkte zwischen Kunden und Unternehmen betrachtet werden, analysiert die Candidate Journey die Prozesse aus Sicht des Bewerbers. Management-Vordenkerin Anne M. Schüller hat beispielsweise in Anlehnung an das Nano-Modell von Noriaki Kano eine Vorgehensweise entwickelt, bei der jede Interaktion im Bewerbungsprozess auf ihre Enttäuschungs-, Okay- und Begeisterungsfaktoren hin analysiert wird: bekommt ein Bewerber, was dieser erwartet? Wie wird er in Entscheidungsprozesse mit eingebunden? Gefallen ihm Umgangsformen und der nach außen verkörperte Spirit des Unternehmens? [2] Radikale Kunden- und Nutzerzentrierung im Sinne von Employer Branding bedeutet also, bestmöglich zu verstehen, was Bewerber antreibt. Und das klappt nur, wenn Recruiter nicht nur annahmebasiert auf Basis reiner Zahlen und Fakten agieren, sondern potenzielle Kandidaten, Bewerber und auch Mitarbeiter bei jeder passenden Gelegenheit aktiv um ihre Meinung und Einschätzung bitten. Und dies nicht nur einmal, sondern kontinuierlich als fester Bestandteil ihrer Arbeit, da sich mögliche Begeisterungsfaktoren mit der Zeit verändern. Hier liegt aber bereits der sprichwörtliche Hund begraben: die fehlende Erfahrung beim nutzerzentrierten Vorgehen gehört zu einem der Top 3-Hemmnisse bei der digitalen Transformation – neben der Verteidigung von bestehenden Strukturen (58 %) sowie blockierenden Sicherheitsanforderungen (48 %). [3] Noch immer haben viele Unternehmen nicht begriffen, dass sie es sind, die sich bei den Fachkräften von morgen bewerben müssen. Und diesen dringenden Handlungsbedarf kann eine Unternehmensführung nur durch ein „Update im Denken“ vollziehen. Das heißt, strategisches Recruiting wird mit zum entscheidenden Erfolgsfaktor für die Zukunft. Dafür benötigen HR Abteilungen jedoch entsprechendes Rüstzeug: Methodenund Umsetzungskompetenz in Sachen digitale Strategieentwicklung, Content Marketing, People Analytics, Techniktrends sowie integrierter Kommunikation und Organisation.

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Laut der Recruiting Trend Studie 2018 vom Institute for Competitive Recruiting (ICR) stehen auf der Liste der Personalabteilungen die Rekrutierung von Berufserfahrenen, das Arbeitgeberimage sowie die Professionalisierung ihrer Sparte ganz oben. Weitere Top Trends sind Social Media Recruiting, Candidate Experience und Active Sourcing. [4] Not macht eben erfinderisch: bei einigen Unternehmen bedroht der Fachkräftemangel bereits das Geschäft. Die Professionalisierung des Recruitings hat mehr Relevanz denn je. Was sind die wichtigsten Spielregeln für ein nutzerzentriertes, erfolgreiches Recruiting? Regel Nr. 1: Vermeiden Sie vermeintliche Luftschlösser und schöne Fassaden Haben Sie schon einmal für Ihren Urlaub online ein Apartment oder Ferienhaus gebucht? Die Bilder versprechen eine Traumausstattung, die Bewertungen von glücklichen Reisenden bestätigen genau diesen Eindruck und Sie freuen sich im Vorfeld über den erzielten Glücksgriff. Doch kaum angekommen, ist die Freude blitzartig weg und schlägt in blanke Ernüchterung um. Denn die Realität lässt keine einseitigen Perspektiven, Fotofilter und schillernden Farben zu – sie ist, wie sie ist. Umso schlimmer nehmen wir sie wahr, wenn wir auf andere Gegebenheiten eingestellt waren und von falschen Tatsachen ausgegangen sind. Da werden aus eigentlichen Okay-Faktoren ganz schnell Enttäuschungsfaktoren – von einer Begeisterung ganz zu schweigen. Mit Schönfärberei ist also nichts gewonnen und meist lassen die Konsequenzen daraus nicht lange auf sich warten. Bezogen auf potenzielle Mitarbeiter bedeutet das negative Mundpropaganda, unnötige Zeitverschwendung für Klärungen und Entscheidungsprozesse, eine hohe Fluktuation und ein Prozedere, das wieder von vorne beginnt. Nur mit dem Zusatz, einen Fan verschreckt zu haben. Und weil im Zeitalter von Social Media & Co Menschen ihren Frust gerne in der Öffentlichkeit abladen, führen solche negativen Bewertungen zusätzlich zu einem schlechten Unternehmensimage. Dieses Image wieder aufzupolieren bedeutet in der Regel sehr viel mehr Aufwand als von vornherein auf einen authentischen Auftritt zu setzen.  Fazit  Erfolgreiche Unternehmen und gute Arbeitgeber können nicht alles – und geben das auch gar nicht erst vor. Sie sprechen über ihre Stärken – und stehen zu ihren Schwächen.

Regel Nr. 2: Vermeiden Sie zu lange Anforderungslisten in Stellenangeboten Sie wundern sich über zu wenig Bewerbungseingänge auf Ihre offenen Stellenangebote? Dabei haben Sie sich bei der Formulierung bemüht und wirklich jede einzelne Wunschanforderung so detailliert dargelegt wie nur möglich? Die Entscheidung, ob man sich auf eine Stellenanzeige bewirbt, hat viel mit dem Anforderungsprofil zu tun. Da kann der absolute Traumjob ausgeschrieben sein, aber wenn die Anforderungen überlangen Aufzählungswüsten entsprechen, tut sich jeder potenzielle Mitarbeiter schwer. Früher hat die Denkweise noch so funktioniert, dass Recruiter ihre eigenen Interessen vertreten konnten. Sie machten sich Gedanken zu den Aufgaben einer frei ­werdenden

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Position und befragten Mitarbeiter und Führungskraft nach den nötigen Kenntnissen, um einen neuen Kollegen optimal einzubinden. Daraus entstand ein Anforderungsprofil, was dem perfekten Kandidaten entsprach. Natürlich wusste der Recruiter, dass es diesen nicht gibt. Es ging hierbei in erster Linie nur darum, die völlig ungeeigneten Kandidaten von vornherein auszusieben und so einem Überfluss an Bewerbungen vorzubeugen. Doch die Zeiten ändern sich. Daher sollten Entscheider versuchen, sich in die Rolle des Bewerbers zu versetzen: Was sucht dieser und was kann das Unternehmen bieten? Und wie sollte die Stellenanzeige formuliert sein, damit sie Bewerber positiv anspricht? Daher sollte zwischen MUSS- und KANN-Anforderungen unterschieden und diese anhand der jeweiligen Formulierung klassifiziert werden: „Voraussetzungen sind….“. „…setzen wir voraus“, „…sind erforderlich“ sind klar MUSS-Anforderungen. Formulierungen wie „Idealerweise…“, „Wünschenswert wäre…“, „Hilfreich wäre zudem“, „Ausbaufähige Kenntnisse in…“ entsprechen KANN-Anforderungen. [5] Lange Aufzählungen schrecken Bewerber jedoch generell ab – weniger ist an dieser Stelle mehr. Größtmögliche Zielsetzung eines HR Managers sollte daher sein, mit dem Bewerber in den echten Dialog zu treten. Bewerbungen sind kein reiner Vorgang, der entweder zur Einstellung oder Absage führt. Vielmehr gilt, analog zum Customer Relationship Management in Marketing/Vertrieb, den Grundstein für ein funktionierendes Bewerber-Beziehungsmanagement zu legen und heute schon an den Bewerber von morgen zu denken. Denn die Stellenanzeige ist Ihre Visitenkarte. Laut einer Index-Analyse mit über 5500 befragten Personalverantwortlichen führen 59 % der Stellenanzeigen zu einem neuen Mitarbeiter. An zweiter Stelle rangieren übrigens schon Empfehlungen von Mitarbeitern: rund 11 % der Neueinstellungen werden so besetzt. [6]  Fazit  Employer Branding bedeutet, die eigenen Grenzen zu kennen. Gute Arbeitgeber sprechen nicht die eierlegende Wollmilchsau an, sondern ihre Wunschmitarbeiter. Achten Sie dabei auf Machbarkeit und realistische ­Anforderungen.

Regel Nr. 3: Vermeiden Sie komplizierte Bewerbungsprozesse und fehlende Orientierung  Professionals von heute wollen es unkompliziert, schnell und digital. Nahezu vier von zehn potenziellen Kandidaten bewerben sich gar nicht erst, wenn ihnen das Bewerbungsprozedere zu kompliziert erscheint. Und rund ein Viertel der Jobsuchenden oder Wechselwilligen (24 %) ist davon abgeschreckt, wenn sie das unternehmenseigene Online-Formular für die Bewerbung nutzen sollen – vermutlich aber nur aus dem Grund, weil die Formulare zu umständlich, lang und starr aufgebaut sind. [7] Auch in Sachen Recruiting spiegelt der Trend des „snackable Contents“ den Zeitgeist der heutigen Bewerber: Digital Natives möchten Inhalte, die sich schnell, einfach und flexibel konsumieren sowie teilen lassen. Gleiches gilt für ihre Bereitschaft, Zeit in aufwendige Bewerbungsprozesse zu investieren. Sie sind von ihren Lebensumständen her den einfachen Weg gewohnt – sowohl beim schnellen Online-Kauf als auch bei der

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schnellen Sprachnachricht per WhatsApp. Daher steht sogar das Anschreiben mittlerweile zur Diskussion. Fast jeder zweite Jobsuchende (48 %) sieht die Formulierung eines individuellen Anschreibens als große Hürde im Bewerbungsprozess. [6] Daran sollte sich das Recruiting orientieren und die Prozesse entsprechend umstellen. Deshalb sollten Unternehmen Möglichkeiten für One-Klick-Bewerbungen, schnelle Video-Interviews oder generell die direkte Kommunikation mit dem HR Manager per Kurznachricht schaffen. Eine Telefonnummer des Ansprechpartners auf der Firmen-­ Website ist dabei keine Alternative, denn dieser Kommunikationskanal ist für die heutige Generation schon lange nicht mehr gängig. Neben der schnellen und einfachen Bewerbungsmöglichkeit sollte der gesamte Bewerbungsprozess schnelle Ergebnisse für Bewerber liefern. So erwarten drei Viertel der Bewerber nach spätestens 14 Tagen eine verbindliche Rückmeldung zu ihrer Bewerbung, die über eine Eingangsbestätigung hinaus geht. Und gut zwei Drittel der Bewerber wünschen sich, dass der gesamte Bewerbungsprozess – von der Jobsuche bis zur Vertragsunterschrift – nach zwei Monaten abgeschlossen ist. Die Realität zeigt ein anderes Bild: bis Bewerber den Arbeitsvertrag in der Tasche haben, vergehen in der Regel sechs Monate. [7] Doch warum fällt es Unternehmen schwer, aus der Bewerber-Abwicklungsrolle in eine Bewerber-Beziehungsrolle zu wechseln? Denn dafür braucht es gar keinen großen Aufwand, kleine Hebel erzeugen oft eine große Wirkung. Warum nicht mal abends beim tagsüber interviewten Bewerber anrufen und nachfragen, wie es für ihn lief und ihm im Nachgang noch mal Feedback geben? Oder ein paar Tage vor einem Bewerberinterview anrufen und ein paar vorbereitende Hinweise zum Ablauf geben? Das sorgt für gute Gefühle hinsichtlich der eigenen Wahrnehmung, nämlich individuell und besonders zu sein. Dafür benötigen Unternehmen weder Luftschlösser noch aufwendige Technologien. Wenn Sie alles richtig machen, werden Ihre Bewerber zu großartigen Sprechern für Ihr Unternehmen. Sie sind bereit, ihre Erfahrungen mit ihrem Netzwerk zu teilen. Denn in einem hart umkämpften Arbeitsmarkt wird „Word of Mouth“ in Form von Hinweisen in Social Media, auf Arbeitgeber-Bewertungsportalen sowie jegliche andere Form von Mundpropaganda und Weiterempfehlungen zunehmend wichtiger. Und es lohnt sich, denn von einem negativ geteilten ersten Eindruck erholen sich Unternehmen nur schwer.  Fazit  Der Bewerbungsprozess ist die Art und Weise, wie Sie mit Bewerbern umgehen. Dies beginnt in dem Moment, in dem Sie eine Stelle ­ausschreiben und erstreckt sich über den Einstellungsprozess, der sich schließlich in Ihr Werteversprechen als Arbeitgebermarke („Employer Value Proposition“) verwandelt. Dies sollte mit dem größtmöglichen Respekt geschehen und gilt nicht nur für die Personalabteilung, sondern für jeden Mitarbeiter und ins­ besondere jede Führungskraft, die in den Bewerbungsprozess eingebunden ist.

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Regel Nr. 4: Digitalisieren Sie Ihre Prozesse und tummeln Sie sich in den sozialen Netzwerken, in denen Ihre Bewerber unterwegs sind Um die technisch versierte Generation von heute zu erreichen, müssen Unternehmen sich auf neue Wege einlassen. Dazu gehören vor allem soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram, Twitter, YouTube, XING und LinkedIn. siehe auch Kap. 5 „Active Sourcer: Game Changer im Recruiting“ Je nach Alter können auch weniger populäre Plattformen wie Snapchat hoch­ interessant sein. Für ein einheitliches Markenbild ist daher sinnvoll, wenn Unternehmen ihre (Bewerber-)Kampagnen mit Marketing und Kommunikation gemeinsam entwickeln. Wenn Unternehmen ihre Nachrichten nämlich dort teilen, wo sich potenzielle Mit­ arbeiter aufhalten – privat wie beruflich –, kann sich zwischen ihnen eine Beziehung entwickeln, die über die reinen Produkt- und Karriereinteressen hinausgeht. Diese Art von Kommunikation zeigt das Unternehmen von seiner menschlichen Seite – auf eine neue, effektivere Weise. Dabei sollte jedoch eine andere Sprache als auf den klassischen Kommunikations­ kanälen benutzt werden. Und weil man Top-Talente mit guten Inhalten und echten Geschichten fängt, sollten werbliche Floskeln unbedingt vermieden werden. Wichtig ist an dieser Stelle, dass Sie sich die richtigen Inhalte für jeden Kontaktpunkt auf der Candidate Journey überlegen. Auch hier spielt das Umdenken vom klassischen Bewerberprozess hin zum nutzerzentrierten Begeisterungsmanagement eine große Rolle. Die „Show“ beginnt vom ersten Kontaktpunkt, den ein potenzieller Bewerber mit dem Unternehmen hat – unabhängig davon, ob er aktiv auf der Suche nach einer neuen Herausforderung ist oder durch Zufall aufmerksam wird. Und sie endet erst, nachdem ein Mitarbeiter das Unternehmen verlassen hat – hier haben es Unternehmen in der Hand, welche Geschichten er im Nachgang erzählt. siehe auch Kap. 21 „Oh social: partizipative Unternehmenskommunikation im Wandel“ Achten Sie bei der Erstellung von Stellenangeboten auf die Social Media Kompatibili­tät. Wenn Sie dies professionell angehen, haben Sie eindeutige Alleinstellungsmerkmale gegenüber Ihrem Wettbewerber: • Wählen Sie einen offenen, aktiven und ansprechenden Kommunikationsstil. Vernetzen Sie sich mit Ihrem Kommunikationsteam und entwickeln sie gemeinsam verrückte Ideen. Geben Sie Ihrer Marke eine Stimme, der man folgen will. Nutzen Sie diese Stimme in Ihren Stellenanzeigen, Social-Media Postings und allen anderen Inhalten. So erkennt man Ihre Marke überall und folgt ihr gerne. • Haben Sie Blogartikel, Infografiken, eBooks oder Videos mit vertiefenden Informationen? Verlinken Sie diese aus der Stellenanzeige heraus oder nehmen Sie darauf Bezug. Der Inbound Prozess funktioniert auch im Recruiting. • Gestalten Sie das Stellenangebot optisch und sprachlich ansprechend Ihrer Zielgruppe. Menschen teilen nur Inhalte, mit denen sie Begeisterung bei anderen auslösen oder Wissen weitergeben können.

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• Nutzen Sie die auf den unterschiedlichen Social Media Kanälen favorisierten Formate. Bilder und Videos können das Employer Branding immens befeuern. Seien Sie mutig und heben sich von anderen ab – die Generation der Millenials hat ein enormes Kreativpotenzial und weiß Dinge zu schätzen, die aus der Norm fallen – voraus­ gesetzt, Sie bleiben sich und Ihren Unternehmenswerten dabei treu. • Wagen Sie sich an neue Technologien wie z. B. Video-Stellenanzeigen oder holen Sie sich via Robotic Recruiting und KI neue Potenziale ins Haus. Verfügt Ihr Unternehmen über eine Entwicklungsabteilung oder ein Business Development? Umso besser – vernetzen Sie sich miteinander, um über Abteilungsgrenzen hinweg kreative Ideen zu entwickeln und agil zu experimentieren. • Und zu guter Letzt, und eher Pflicht als Kür: Achten Sie darauf, Ihre Unternehmensund Karriereseite sowie Ihre Stellenangebote für mobile Endgeräte zu optimieren. Das Motto „Mobile First“ hat sich seit geraumer Zeit auch Google auf die Fahne geschrieben und seinen Algorithmus dahin gehend angepasst. Wer das nicht schnellstmöglich in seine Online-Strategie integriert, hat langfristig sehr schlechte Karten.  Fazit  Sie müssen nicht in jedem sozialen Netzwerk aktiv sein. K ­ onzentrieren Sie sich auf die, in denen sich Ihre Zielgruppe bewegt und die sie gut betreuen können. Seien Sie mutig und zeigen Sie sich mit wahren Geschichten aus dem Unternehmensalltag, Lassen Sie den Blick hinter die Kulissen zu. Da gibt es ein paar Ecken und Kanten? Umso besser.

Regel Nr. 5: Sprechen Sie mit Ihren Mitarbeitern und mobilisieren Sie diese als Markenbotschafter!  „Ein gutes Employer Image hat seine Wurzeln in zufriedenen Mitarbeitern, die freiwillig und ohne zusätzlichen Anreiz als Unternehmensbotschafter auftreten und online wie offline für das Unternehmen werben.“ [8] Wie wahr! Und ob Sie es wollen oder nicht: Ihre Mitarbeiter tun es mit und ohne Ihre Kontrolle. Sie berichten über Internas und tragen maßgeblich dazu bei, wer die besten Talente gewinnt. Denn wem glauben Bewerber mehr? Dem Unternehmen, das selbst über sich berichtet oder denen, die aus erster Hand „hautnah“ erzählen? Nicht umsonst steht eine authentische Kommunikation auf der Umsetzungsliste von allen Mar­keters ganz oben. Damit schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: die Inhalte sind echt, ungefärbt und damit glaubhaft. Das wirkt vertrauens- und damit glaubwürdig. Ob Digital Natives, Gen Y, Gen X und mittlerweile sogar die Babyboomer: jeder von ihnen teilt gerne gute, ansprechend gemachte oder auch lustige Inhalte. Diese Reichweite wäre organisch in derselben Zeit kaum aufzubauen – vom finanziellen Invest ganz zu schweigen. Immobilienscout24 beispielsweise stellt in seinem Blog eigene Mitarbeiter vor und porträtiert sie in ihrer Privatwohnung. Und obwohl der Mitarbeiter in seinem privaten Umfeld im Mittelpunkt steht, wirkt das Unternehmen selbst so sehr viel persönlicher und sympathischer. Und es lenkt den Fokus auf sein Kerngeschäft Immobilien. G ­ leichzeitig impliziert es damit eine Unternehmenskultur: Mitarbeiter berichten darüber, welche

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Bedeutung ihre Wohnumgebung für sie hat. Parallel dazu etablierte Immobilienscout24 die Kampagne #WieWohnstDu24 auf Instagram und setzt hier zu 100 % auf nutzer­ generierte Inhalte. Der Erfolg gibt ihnen recht. Ein weiteres Beispiel sind eigens generierte Videos. Viele Recruitingvideos wirken oft gestellt. Wenn ein Mitarbeiter dagegen aus eigenem Antrieb über sein Unternehmen spricht, ist das authentisch. Marvin Li, Engineering Manager bei LinkedIn, hat sich eine Kamera auf den Kopf geschnallt und so ein „Ein Tag in meinem Leben“-Video gedreht. Ohne Anspruch auf Perfektion und Ästhetik. Dennoch transportiert dieses spontane Video die Unternehmenskultur deutlich erfolgreicher als andere Methoden, weil es eine echte Insider-Perspektive bietet. [9] Auch im Trend liegen Podcasts als Ersatz für Corporate Blogs: „Obwohl der gesprochene Text (noch) nicht von Google durchsucht werden kann, machen klug ­ gesetzte Meta-Tags den Podcast auffindbar. Auf Social Media gestreut, findet er zusätzlich Zuhörer, die über das gesprochene Wort einen menschlicheren, direkteren Einblick in das Innenleben einer Agentur erhalten. Mehr als es eine Bleiwüste erlaubt.“ [10] Weitere Beispiele für authentische Inhalte sind: • Account Takeovers von Instagram für Bildertagebücher: drücken Sie jede Woche einem anderen Kollegen das Smartphone in die Hand und lassen ihn in einer Art Fotoblog über seinen Alltag berichten. So funktioniert offene Firmenkultur. • Exemplarische Begleitung des Bewerbungsprozesses • Kurzvideo-Serien mit Mitarbeiter-Statements • Witzige Szenen aus dem Alltag • Hobbys, Tiere & Urlaubsdokumentationen von Mitarbeitern in Verbindung mit kurzen Kommentaren und Hashtags  Fazit  Definieren Sie gemeinsam mit den Mitarbeitern einen notwendigen Rahmen. Nutzen Sie interne MeetUps, um Tipps und Tricks für den Start mitzugeben. Bereiten Sie alle Inhalte so auf, dass die Mitarbeiter sie einfach teilen können. Lernen Sie kontinuierlich, lachen Sie gemeinsam über Pleiten, Pech und Pannen und sorgen Sie dafür, dass es „menschelt“. Agieren Sie als Impulsgeber, der Themen setzt und Gespräche moderiert. Gesamtfazit

Erfolgreiche Unternehmen beschäftigen sich intensiv damit, • wie Bewerber den Arbeitgeber im Internet und bei einer ersten Google-Suche wahrnehmen. • wie Kandidaten den Bewerbungsprozess erleben und über ihn sprechen – unabhängig davon, ob sie genommen wurden. • was neue Mitarbeiter über das Unternehmen denken und erzählen. • wie Beschäftigte über ihren Job, Chef, die Arbeit sprechen. • wie Ex-Mitarbeiter über das Unternehmen sprechen. [8]

4  Vom Kandidaten zum Markenbotschafter – Spielregeln für …

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Wenn Sie diese fünf Spielregeln umsetzen und beherrschen, ergibt sich die letzte Regel von ganz alleine: fördern Sie den offenen Wissensaustausch und grenzübergreifende Netzwerke! Keine Frage, Employer Branding im Zeitalter von New Work und offener Unter­ nehmenskultur bedeutet ein höheres Maß an kreativem Denken und Lösungs­ orientierung – vor allem in ungewohnten Situationen. Und auch wenn es sich ungewohnt anfühlt, vergleichen Sie die Beziehung zu Ihren „Kunden“ aka Bewerbern aka Mitarbeitern mit der einer Liebesbeziehung. Als Teil eines Paares haben Sie eine Art innere Landkarte Ihres Partners entwickelt. Alles Wissen über Eigenarten, Vorlieben und Besonderheiten sind darauf vermerkt, z. B. was dieser als Kind werden wollte, was seine liebsten Essgewohnheiten sind, welchen Hobbies er am liebsten nachgeht und welche Kollegen er warum gerne mag. Um in der Partnerschaft glücklich zu bleiben, ist es wichtig, diese Karte auf dem neuesten Stand zu halten. Denn wir verändern uns im Laufe der Zeit. Je mehr wir voneinander wissen, umso besser können wir darauf eingehen. Nicht anders verhält es sich mit der Beziehung zu Ihren Top-Talenten. Gutes Recruiting ist also permanente Forschungsaufgabe und Entdeckungsreise auch zu den noch weißen Flecken auf der Landkarte. Das ist Ihnen zu persönlich oder zu intensiv? Denken Sie daran: Recruiting ist Begeisterungsmanagement und damit Beziehungsaufgabe. Ohne dem Agieren auf der Gefühlsebene werden Sie keine Begeisterungsstürme auslösen und den wichtigen Nachwuchs für Ihr Unternehmen nicht rekrutieren. Wichtiger Nebeneffekt: HR Abteilungen sind umso wertvoller für ihre internen Partner, je mehr und je umfassender sie für dieses Verständnis sorgen und zu einem sinnvollen Ganzen integrieren. Unternehmen sollten nicht davor zurückschrecken, beim Neudenken des Recruitings auch Fehler zu machen. Gemeinsam Erfahrungen zu sammeln und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, steht an erster Stelle. Die wichtigste Zutat hierfür ist Vertrauen. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die jedes Einzelnen und dahingehend, dass jeder bereit ist, sein Bestes für das Unternehmen zu geben. Durch diese gegenseitige Wertschätzung entstehen Potenzial und Raum für neue Ideen – ohne Angst vor möglichen Fehlern. Potenziale zu entfalten heißt nichts weniger, als gemeinsam über sich hinauszuwachsen. Das heißt, wir sind nur innerhalb einer Gemeinschaft in der Lage, die in uns angelegten Poten­ ziale zu entfalten. In einer Gemeinschaft, der wir uns zugehörig, geborgen und sicher fühlen. Gerald Hüther, Professor und Neurobiologe [11]

Literatur 1. https://en.wikiquote.org/wiki/Steve_Jobs (abgerufen am: 05.09.2018) 2. https://blog.anneschueller.de/die-touchpoints-zwischen-bewerber-und-arbeitgeber-teil-2bewerber-begeistern-mit-system/ (abgerufen am: 05.09.2018)

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A. Leopold

3. Trendreport etventure zum Stand der digitalen Transformation 2018: https://studie2018.etventure.de/ (abgerufen am: 05.09.2018) 4. https://www.personalwirtschaft.de/recruiting/artikel/studie-recruiting-trends-2018-des-icr. html (abgerufen am: 05.09.2018) und https://www.competitiverecruiting.de/ICR-RecruitingTrends-2018-datenbasiert-von-2012-2017.html (abgerufen am: 05.09.2018) 5. https://karrierebibel.de/stellenanzeigen-richtig-lesen/ (abgerufen am: 05.09.2018) 6. Studien “Erfolgsfaktoren im Recruiting” und “Kandidaten im Fokus”, die Stepstone im zweiten Quartal 2017 unter rund 20.000 Fach- und Führungskräften und 3.500 Recruitern oder für Personalbeschaffung zuständigen Führungskräften durchgeführt hat: https://www.personalwirtschaft.de/recruiting/artikel/fachkraefte-wollen-einen-einfachen-schnellen-bewerbungsprozess.html (abgerufen am: 05.09.2018) 7. https://www.personalwirtschaft.de/recruiting/artikel/fachkraefte-wollen-einen-einfachen-schnellen-bewerbungsprozess.html (abgerufen am: 05.09.2018) 8. https://karrierebibel.de/employer-branding/ (abgerufen am: 05.09.2018) 9. https://www.youtube.com/watch?v=SW48ZAM7VxA (abgerufen am: 05.09.2018) 10. https://www.lead-digital.de/hoert-hoert-podcasts/ (abgerufen am: 05.09.2018) 11. https://kommunikationskongress.com/slp/gerald-huether/ (abgerufen am: 05.09.2018) Annika Leopold  ist Inhaberin von „Die Digitalwerkstatt“ – Innovationsagentur und Coworking Space unter einem Dach. Sie begleitet Unternehmen dabei, die Digitalisierung profitabel umzusetzen. Nach über 15 Jahren Konzernerfahrung im Prozess Consulting gründete sie 2010 „Die Digitalwerkstatt“ als Think Tank für kreatives Querdenken und Hands-on-Mentalität. Schwerpunkte ihrer Arbeit: Digital Marketing, Design Thinking, Business Design und Projektmanagement. In ihren Projekten setzt sie neben ihrer hohen digitalen ­Fachkompetenz auf „Erleben und Können“, um innovative Methoden sicher auf ihre Kunden zu übertragen. Ihr Engagement für offene Ökosysteme und der stetige Ausbau des Community-Gedankens öffnet ein breites Netzwerk an Experten und Ideengebern. https://diedigitalwerkstatt.de https://changingthegame.de/annika-leopold

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Interview „Active Sourcer: Game Changer im Recruiting“ Curley Fiedler

Zusammenfassung

Active Sourcer sind Meister der Direktansprache und der Suche potenzieller Kandidaten für Unternehmen. Sie sind das Bindeglied zwischen Unternehmen und Außenwelt, fungieren als „Gesicht des Unternehmens“ und Botschafter. Um erfolgreich zu sein, müssen sie jedoch nicht nur Professional Networks bedienen können, vielmehr müssen sie hinter ihrem Unternehmen stehen, Neugierde, Mut, Empathie und Ausdauer mitbringen. Was genau Active Sourcer machen, weiß Curley Fiedler.

C. Fiedler (*)  ORBIT – orbitdigital.de, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_5

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C. Fiedler

Was ist Active Sourcing? Für mich ist Active Sourcing ein Mindset: Die besten Mitarbeiter für ein Unternehmen über verschiedene Kanäle zu finden und so das Unternehmen voranzubringen. Neben dem persönlichen Gespräch auf Events, gehören auch sämtliche Social Media-Kanäle wie Xing, LinkedIn, Facebook, Instagram, Twitter und neuerdings auch Kanäle wie Vero oder Mastodon dazu. Auch Fachforen wie Stack Overflow und GitHub in der IT-Welt oder Behance, Artstation und Bettertalk.io in der Design-Welt sind wichtig – als Active Sourcer darf man vor keiner Plattform Halt machen, sondern muss ständig neugierig und mutig sein, neue Wege zu gehen. Denn dort, wo sich alle Active Sourcer aufhalten, ist es schwierig, die Kandidaten durch die Flut an Anfragen zu erreichen. Ich bin eine leidenschaftliche Netzwerkerin und baue Beziehungen zu Kandidaten auf, die meist über Jahre halten und die ich – auch bei einem Unternehmenswechsel – mitnehmen kann. Worauf kommt es beim Active Sourcing an? Ein guter Netzwerker zu sein. Dabei ist das Ziel, langfristige und enge Bindungen zu potenziellen Kandidaten aufzubauen – auch wenn man sie vielleicht für den Moment ablehnt oder der Kandidat absagt. Denn was jetzt nicht passt oder funktioniert, kann durchaus später passen. Das Netzwerk eines Active Sourcers ist daher Gold wert – vorausgesetzt, es ist gut gepflegt. Die Herausforderung: Sich um die verschiedenen Netzwerke zu kümmern und unter einen Hut bekommen. Bei LinkedIn beispielsweise habe ich ein anderes Netzwerk als bei Xing, von den Social Media-Kanälen einmal abgesehen. All diese Pools an Kontakten wollen gepflegt werden und sollten durchsuchbar sein. Bekomme ich eine neue Stelle, die ich besetzen soll, schaue ich mich zuallererst in meinen Netzwerken nach passenden Kandidaten um. Weitere, sehr wichtige Eigenschaften sind Neugier, Empathie und die Affinität zur Technologie. Als Active Sourcer ist man mit den verschiedensten Berufsgruppen konfrontiert: Von Call Center Agents über Buchhalter und Anwälte bis hin zu Software Developern. Alle diese Berufsgruppen haben ganz unterschiedliche Anforderungen, Bedürfnisse sowie eine eigene Art zu arbeiten und sich zu vernetzen. Diese Unterschiede muss ich berücksichtigen, mich empathisch zeigen sowie Interesse daran haben, sie zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten. Nur dann begegne ich Kandidaten auf Augenhöhe und wecke ihr Interesse. Das bedeutet auch, keine Scheu vor neuen Technologien zu haben. Nur wer Suchalgorithmen und Suchmaschinen versteht, kann sie auch entsprechend steuern. Andernfalls läuft man Gefahr, ständig dieselben Profile zu Gesicht zu bekommen. Außerdem muss man eine hohe Frustrationsgrenze haben, denn nicht alle Positionen können schnell besetzt werden. Manche Suchen sind sehr anstrengend. Da braucht es Geduld, Ausdauer und viel intrinsische Motivation. Woher wissen Active Sourcer, was Fachkräfte machen? Durch Kommunikation. Wenn ich einen Software Developer suche und nicht weiß, worauf ich achten muss, gehe ich zu einem Kollegen, der Software Developer in dem Team ist und lasse mir seinen Job erklären. Zudem frage ich sie nach speziellen Abkürzungen,

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Synonymen sowie nach Foren und Social Media-Kanälen. So kann ich die Suche und Anschreiben entsprechend erstellen und an die Berufsgruppe anpassen. Wie sieht eine gelungene Active Sourcing-Ansprache aus? Eine gelungene Ansprache muss auf jeden Fall persönlich und individuell sein. Das schließt Massenmails, die auf jede Position und auf jedes Geschlecht passen, schon mal aus. Vielmehr muss sie neugierig machen und Informationen über die Position, das Unternehmen, die Werte, die Kultur und das Team enthalten. Um hier Zeit zu sparen, arbeiten viele Active Sourcer mit verschiedenen Templates beziehungsweise Textbausteinen. Ich habe mir im Laufe der Zeit einen Fundus aus vielen Textbausteinen erstellt, die ich vielfältig zusammensetzen kann. So bleibt meine Ansprache in einem hohen Maß individuell. Bei kreativen Betreffzeilen beispielsweise hilft das Einbinden von Keywords und Wortspielen. Zudem sollte man die Response-Rate im Auge haben. So findet man heraus, welche Ansprache am besten funktioniert. Nehmen Sie bei der ersten Ansprache bereits Bezug auf den Lebenslauf des Kandidaten? Auf jedem Fall! Ich gehe immer auf Stationen des Kandidaten ein, wenn diese mir besonders gut gefallen. Ferner erwähne ich interessante Vorträge, Hobbys, Interessen, Blog- oder Social Media-Posts. Dadurch merken Kandidaten, dass ich mich wirklich mit ihrem Profil auseinandergesetzt habe und fühlen sich als Einzelperson wertgeschätzt. Gibt es dabei Grenzen? Durch die neue Datenschutzgrundverordnung ist das Verwenden der Social Media-Kanäle von Kandidaten zum Anschreiben etwas schwieriger geworden. Dennoch sollten diese Kanäle genutzt werden, denn Social Media-Plattformen bieten eine tolle Reichweite, um auf Unternehmen und Positionen aufmerksam zu machen. Dabei sollten aber nicht stumpf Stellenanzeigen gepostet werden – vielmehr sollten die Kandidaten auf Veranstaltungen wie beispielsweise MeetUps oder Unternehmensevents aufmerksam gemacht werden, auf denen sie Mitarbeiter treffen können. Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Talent Pools? Talent Pools spielen eine große Rolle im Active Sourcing. Alle Kontakte meiner Social Networks wie Xing, LinkedIn oder andere Kanäle sind meine persönlichen Talent Pools. Aber auch Unternehmen erstellen und pflegen zielgruppenspezifische Talent Pools, die Kandidaten nach Qualifikationen clustern. Mit dem Ziel, die Talente mit Unternehmensinformationen, die auf sie zugeschnitten sind, zu versorgen, Kontakt aufnehmen zu können und ihnen – je nach Qualifikation – vielleicht auch Goodies zukommen zu lassen. Für all das braucht es allerdings die Zustimmung der Talente. In meinen persönlichen Talent Pools versuche ich immer wieder Kontakt mit Kandidaten zu haben. Dabei geht es gar nicht darum, dass ich ihnen ständig eine Position anbiete.

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C. Fiedler

Vielmehr geht es darum nachzufragen, wie es bei ihnen läuft, ihnen zu einer neuen Position oder zum Geburtstag zu gratulieren, ihnen ein Feedback bezüglich ihres Talks auf einer Veranstaltung zu geben oder Ähnliches. Was passiert mit Kandidaten, die interessant sind, aber fachlich nicht passen? Es gibt verschiedene Gründe, weshalb ein Kandidat nicht passt: Er ist zu unerfahren, er ist überqualifiziert, sein fachlicher Schwerpunkt passt nicht. Ist ein Kandidat zu unerfahren oder überqualifiziert, spreche ich mit dem Fachbereich und versuche herauszufinden, ob dieser Haken zu groß ist. Ich persönlich finde den Personal-Fit um einiges wichtiger als den fachlichen Fit. Fachliche Defizite sind – vorausgesetzt der Kandidat ist motiviert und engagiert – nachzuschulen. Persönliche Ungereimtheiten hingegen lassen sich oft nicht ausgleichen. Dabei ist empfehlenswert, mit dem Kandidaten so offen und ehrlich wie möglich zu sprechen. Passt es dennoch nicht, vernetze ich mich mit ihm und bleibe in Kontakt. Und existiert in Unternehmen ein eigener Talent Pool, frage ich, ob er dort aufgenommen werden möchte. Über welche Tools sollte ein Active Sourcer verfügen? Ohne ein genaues Tracking für alle wichtigen Kennzahlen des Active Sourcings geht es nicht! Es ist meist ein manuelles Tracking empfehlenswert, da kaum ein Tool ein gutes und vor allem übergreifendes Tracking abbilden kann. Ich benutze hierfür zum Beispiel eine Eigenkreation. Darüber hinaus geht es auch ohne Browser Extensions nicht. Voraussetzung hierfür ist natürlich die Nutzung des richtigen Browsers. Auch wichtig ist, dass man einen Extension Manager benutzt, mit dem man die Helfer ein- und ausschalten kann, denn sie können sich gegenseitig beeinflussen. Auch hier ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einzuhalten. Grundsätzlich ist zu sagen, dass es nicht die eine Toolchain gibt, sondern dass jeder ganz individuell schauen muss, welche Tools passen. Und auch hier spielt die Neugierde und die Motivation, neue Wege und Mittel auszuprobieren, eine große Rolle. Wie hat sich die Rolle des Recruiters verändert? Der Bewerbungseingang ist in den letzten Jahren extrem zurückgegangen und man bekommt meist nur noch eine handvoll Bewerbungen. Das zwingt Unternehmen und Recruiter, selbst aktiv zu werden und entweder selbst zu sourcen oder das Team durch Active Sourcer zu erweitern. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Zeit: Kandidaten und Bewerber erwarten ein zügiges Feedback, schnelle Prozesse und eine gute Candidate Experience. Die Zusammenarbeit von Active Sourcern und Recruitern muss daher Hand in Hand gehen – nur so kann eine gute Betreuung der Kandidaten gewährleistet werden. Welche strukturellen Rahmenbedingungen sind notwendig? Die organisatorische Aufteilung sollte klar strukturiert sein. Ob Recruiter das Active Sourcing in ihren Arbeitsalltag integrieren oder ob man Personen einstellt, die ­reines

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Active Sourcing betreiben, muss jedes Team für sich entscheiden. Dabei sollten Unternehmen bzw. Führungskräfte berücksichtigen, dass ein großer Teil der Arbeit von Active Sourcern mit dem Netzwerken zu tun hat. Was nicht gleichgesetzt werden sollte mit dem Surfen im Netz. Ich persönlich empfehle Unternehmen, auf Active Sourcer zu setzen, die eng mit dem Recruiting zusammenarbeiten – denn gutes Active Sourcing ist nicht nebenbei zu erledigen. Curley Fiedler Für Curley Fiedler steht fest: Active Sourcing ist die Zukunft und wird einen Großteil des Recruitings ausmachen. Sie hat bereits bei Goodgame Studios gearbeitet, bei Hermes Germany das Active Sourcing etabliert und auch in ihrer aktuellen Rolle als HR Manager bei „ORBIT – orbitdigital.de“ ist es eine ihrer wichtigsten Tätigkeiten. Ihre Leidenschaft und ihr fundiertes Wissen gibt sie über verschiedene Formate an Active Sourcer und Unternehmen weiter, die diesen Bereich aufbauen wollen. Ganz getreu dem Motto: Active Sourcing is a state of mind!

Teil III Suchen & Erkunden: Bewerten

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Teil III  Suchen & Erkunden: Bewerten

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Mehr Mensch-Sein im Recruiting: ein Appell Ronny Lössl und Philipp Leipold

Zusammenfassung

Die Zeit ist reif für einen neuen Ansatz im Recruiting, bei dem das individuelle Potenzial eines Bewerbers betrachtet und stärker gewichtet wird. Verstaubte Bewerbungsprozesse sollten neu gedacht und entsprechend adaptiert werden, um dem heutigen Anspruch an das Recruiting gerecht zu werden. Wichtig ist hier vor allem ein grundlegender Bewusstseinswandel, der dafür sorgt, die soziale Beziehung von Mensch und Unternehmen in den Vordergrund zu stellen. Die heutige Recruiting-Praxis muss sich radikal ändern und den Menschen deutlich mehr in den Mittelpunkt stellen. Neben einem positiven, potenzialorientierten Ansatz muss Vertrauen und lebenslanges Lernen in den Fokus gerückt werden. Dabei sind Arbeitsverträge immer auch soziale Kontrakte und sollten aus dieser Sicht geschlossen und gepflegt werden. R. Lössl ()  Unternehmersafari, Forchheim, Deutschland E-Mail: [email protected] P. Leipold  Academic Work Academy Germany GmbH, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_6

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R. Lössl und P. Leipold

Würde der sogenannte Fachkräftemangel nicht existieren, wäre das Leben in deutschen Personalabteilungen deutlich leichter. In einer perfekten HR-Welt wäre stets ein ausreichender Bewerberflow mit passenden Nachwuchstalenten vorhanden. Der Fokus würde sich darauf richten, eine strukturierte Vorauswahl zu treffen und anschließend den kulturellen Fit zwischen dem potenziellen Mitarbeiter und dem Unternehmen zu evaluieren. Die Wirklichkeit sieht in den meisten Branchen allerdings ganz anders aus. Gefühlt existiert überall ein eklatanter Mangel an passenden Bewerbern. Alleine im MINT-­ Bereich sprechen Branchenverbände von mindestens 55.000 fehlenden Spezialisten. In der Pflegebranche sprechen Experten sogar von einer sechsstelligen Diskrepanz. Auf der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern fischen Unternehmen oftmals in den gleichen Gewässern. Dabei fischen die Top-Unternehmen die Top-Talente ab und lassen kleineren Unternehmen so kaum eine Chance, die wichtigen Vakanzen zu besetzen, was sich wiederum negativ auf den in vielen Branchen geplanten Wachstumskurs auswirkt. Aus diesem Grund gehen viele Unternehmen im Recruiting leer aus oder kämpfen mit den hohen Kosten der Bewerbersuche. Dabei sind diese empfundenen Nachteile oft hausgemacht und könnten durch eine neue Sichtweise auf den Bewerbungsprozess relativ zügig korrigiert werden. Wichtig ist zu Beginn einer Recruiting-Transformation vor allem der Mut, den Fachkräftemangel als Chance für einen Wandlungsprozess zu betrachten – und aus dieser Haltung heraus eigene innovative Wege zu ersinnen. Wer sich dem Wandel nicht stellen mag, kann natürlich munter damit weitermachen und den Fachkräftemangel als Entschuldigung für das Festhalten an veralteten Einstellungsverfahren nutzen. Matching als vermeintlicher (und gefährlicher) Automatismus Die klassische Rekrutierung, das heißt, die Abgleichung eines Anforderungsprofils in verschiedenen Stufen mit dem Bewerberprofil, ist immer noch ein gängiges Prozedere. Ist dieser erste Match nicht möglich, weil der Kandidat beispielsweise nicht das passende Studienfach wählte oder nach dem Studium eine zu lange Auszeit nahm, fällt er oft aufgrund der Automatismen durch das Auswahlraster. Auf den ersten Blick stimmige Bewerbungen werden somit nicht erkannt, das vorhandene Potenzial verschenkt. Diese Vorgehensweise wird standardgemäß praktiziert, weil es bequemer ist, Bewerber zu allererst oberflächlich zu bewerten und erst später nach möglichen Potenzialen und Talenten zu fragen. Um festgefahrene Strukturen aufzubrechen und Prozesse neu zu denken, benötigen wir ein neues Bewusstsein. Ziel sollte daher sein, umgehend die Bewerber zu erkennen, deren besondere Haltung (Werte, Lebensphilosophie, Moral, Leidenschaft zum Beruf) normalerweise erst auf den zweiten Blick ersichtlich wird. In den letzten Jahrzehnten hat beispielsweise die diagnostische Psychologie wissenschaftlich fundierte Testverfahren entwickelt, die heute leicht bedienbar durchführbar und auswertbar sind. Diese Services sind online zu finden und in Form von digitalen Fragebögen leicht und kostengünstig zu implementieren – selbst für kleine Unternehmen. Sowohl kognitive Fähigkeiten (logisches Denkvermögen, numerisches

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Verständnis, verbale Intelligenz, etc.) als auch Motivation und Persönlichkeitsstrukturen können so gemessen werden. Und eben diese wertvollen Faktoren sind gemeint, wenn von Potenzial gesprochen wird. Vom Blick zurück zum Blick nach vorne Für ein zukunftsorientiertes Recruiting ist daher grundsätzlich völlig irrelevant, wo der Kandidat gestern, vorgestern und vor zwei Jahren war. Sicherlich ist es interessant zu erfahren, welche Wege in der Laufbahn eingeschlagen wurden, allerdings nur, um den Bewerber zu verstehen und nicht, um kritische Einstellungshindernisse zu ermitteln. In einer fairen HR-Welt würden wir den Bewerbern nicht mit Misstrauen begegnen und den Fehler im System suchen, sondern ihm, wie bei einem ersten Date, offen und unvoreingenommen gegenübertreten. Kurz gesagt: Die Vergangenheit dazu verwenden, um die Gegenwart zu verstehen und mit Offenheit auf die Gestaltung der Zukunft einzugehen. Jeder Bewerber hat unser Vertrauen verdient, denn auch Bewerber kommen vertrauensvoll in ein Bewerbungsgespräch. Immerhin ist in diesem Arbeitnehmermarkt die Machtverschiebung zum Vorteil der Bewerber mittlerweile so groß, dass hier ein Umdenken erzwungen wird. Warum also wehren? Höchste Zeit, umzudenken Warum erwarten Unternehmen immer, den perfekten Bewerber im Gespräch gegenüber sitzen zu haben, wenn viele Recruiter selbst die erforderlichen sozialen Kompetenzen nicht besitzen? Ein Personalreferent mit einem überzogenen Selbstbewusstsein kann einen potenziellen Bewerber aufgrund der noch vorhandenen Informationshoheit schnell in die Enge treiben und damit den ehrlichen und offenen Austausch von Beginn an vereiteln. Daher sollten in diesen kritischen Recruiting-Positionen Menschen mit einer passenden Haltung Entscheidungen treffen. Eben sympathische HR-Profis, die wissen, wie wichtig die Haltung eines Menschen ist und wie diese sichtbar gemacht werden kann. Wir müssen weg von der alten Personal-Entwicklung und hin zur neuen Potenzial-Entfaltung. Viele Recruiter tun sich allerdings schwer, die Potenziale richtig zu deuten, die außerhalb der selbst gelebten Bewusstseinsebene liegen. Welcher Personalreferent würde beispielsweise einen Priester einstellen, der endlich den Mut aufbringt, seine Leidenschaft für die Softwareentwicklung zur Berufung zu machen, dessen Lebenslauf allerdings nicht zum klassischen Auswahlverfahren passt? Diese Art von Bewerbern bringen die wirklichen Potenziale mit sich. Das ist übrigens kein generisches Beispiel, sondern ein konkreter Business Case aus der Praxis. Der besagte Priester arbeitet als erfolgreicher Java-Entwickler und bringt mit dieser Verbindung aus Leidenschaft und m ­ enschlicher Kompetenz einen wertvollen Nutzen in das Team ein. Unternehmen können sich also glücklich schätzen, wenn sich diese wertvollen Bewerber vertrauensvoll an sie wenden. Allerdings muss dieses Potenzial von den Unternehmen auch erkannt und nutzbar gemacht werden.

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Die Kraft von Potenzial und Vertrauen Smarte Recruiter der Zukunft bewerten Bewerber nicht voreilig, denn sie wissen genau, wie falsch sie damit liegen könnten. Nur weil sich ein Bewerber „schlecht verkauft“, sollte er nicht vorschnell aussortiert werden. Das Potenzial einer Person könnte aufgrund der gefühlten Stresssituationen (Bewerbungsprozess) nicht sofort ersichtlich sein, besonders wenn hier zuerst die oberflächlichen Indikatoren abgefragt werden. Darüber hinaus sollte auch das langfristige Potenzial herausgefiltert werden, in dem der Bewerber gleich im Bewerbungsgespräch daraufhin evaluiert wird, ob er für die nächsthöhere Position ebenfalls geeignet wäre. Ist dies der Fall, könnte gleich langfristiger gedacht und geplant werden. In Zeiten, in denen sich Stellenbeschreibungen schneller ändern als Smartphone-Updates, macht es schlichtweg keinen Sinn, auf EINE Position zu rekrutieren. Kandidaten, denen im Rekrutierungsprozess eine Chance gegeben wird, werden dem Unternehmen gegenüber dankbar und loyal sein. Der Vertrauensvorschuss wird damit zu einer lukrativen Investition. Wer so in eine neue „Beziehung“ startet, setzt ein ganz klares Signal: „Wir glauben an Dich! Und werden bei der nächsten angespannten Auftragslage ebenso auf dich bauen.“ Und schon ist das deutlich höher dotierte Angebot der Konkurrenz nicht mehr so relevant. Und eben mit diesem Vertrauen hat man sich Loyalität verschafft und vergoldet. Der Bewerber wird sich sehr genau überlegen, ob er für ein paar Euro mehr Gehalt das Risiko eines Jobwechsels eingeht. Neue Wege ersinnen Es wird stets darüber gesprochen, wie teuer die Mitarbeiterfluktuation doch ist und wie viel Schaden durch eingestellte „Blender“ entstehen kann. Wie hoch andererseits der Mehrwert durch einen Mitarbeiter mit einem herausragenden verborgenen Potenzial im Unternehmen sein kann, wird nie betrachtet. Welche positiven Konsequenzen entstehen, wenn beispielsweise Mitarbeiter durch einen neuen Kollegen wieder mit mehr Engagement ihren Aufgaben nachgehen, insgesamt glücklicher sind, weniger krank werden, kreative Lösungsmöglichkeiten ersinnen und den so wichtigen Schritt vom Job zur Berufung vollbringen, wird ebenfalls nicht gemessen. Wir sprechen gerne über die faulen Äpfel im Fass, unterschätzen aber die positiven Effekte der Einstellung eines Mitarbeiters mit Potenzial und Weitsicht – vielleicht auch gerade aufgrund des fachfremden Hintergrundes. Das heißt, einen Kollegen im Team zu haben, der sich selbst reflektiert und die Stimmung im Team oder der gesamten Organisation hebt, kann einen enormen positiven Mehrwert bringen. Der Schaden einer möglichen Falscheinstellung kann hingegen sehr schnell Größenordnungen erreichen, die kleine Unternehmen in Schieflage bringen. In Konzernen verursachen diese Misfits jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Es gibt erschreckende Statistiken (es wird bis zu einem Bruttojahresgehalt an Fluktuationskosten pro ­Falscheinstellung ausgegangen), die vermitteln, wie teuer die Einstellung des „falschen“ Mitarbeiters ist (Alpha-Fehler). Die offensichtlichen Kosten der erneuten Einstellung,

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die fehlende Produktivität während der Anstellung und der aufwendigen Einarbeitungsphasen sind leicht messbar. Aber wie teuer ist es, wenn altgediente und essenzielle Mitarbeiter wegen eben dieser Fehlbesetzungen am Arbeitgeber zweifeln und sich distanzieren? Und wie teuer ist es, wenn potenziell geeigneten Kandidaten zu Unrecht abgesagt wird (Beta-Fehler)? Gerade in Zeiten, in denen Innovationskraft und Erfindergeist immer mehr über Verbleib und Verderb eines Unternehmens entscheiden, ist das Festhalten an der eigenen „Das-habenwir-schon-immer-so-gemacht-Philosophie“ keine gute Wahl. Potenzial des lebenslangen Lernens Jetzt mal Hand aufs Herz: Wie viel Prozent der ursprünglichen Ausbildung benötigen wir denn wirklich in unserem aktuellen beruflichen Alltag? Wie wichtig ist die Ausbildung, das Studium oder die zurückliegende Berufslaufbahn für die aktuelle Position? Sollten wir nicht viel mehr die Bewerber-Vergangenheit loslassen und Menschen die Chance geben, sich im Leben beruflich neu zu positionieren, bis sie ihre Leidenschaften klar formulieren und leben können? Um aus dem angesprochenen Priester auch fachlich einen Java-Entwickler zu machen, bedarf es einer alternativen Weiterbildung. Die klassischen, zumeist frontal-passiven Bildungsformate reichen hierfür nicht aus. Wir benötigen praxisorientierte, wirksame Maßnahmen, die motivierte und fähige Kandidaten in kurzer Zeit fit für die neue Karriere machen. Und diese Formate existieren durchaus. Und sie funktionieren auch! Gerade in den technischen Berufen, in denen es eher um Methodik und Anwendung von aktuellem expliziten Wissen geht, als um das sture Auswendiglernen von Theorie, ist kontinuierliches Dazulernen essenziell. Die gehypte neue Programmiersprache von heute ist morgen möglicherweise bereits von gestern. Das ist wahre Employability: Das Wissen um das kontinuierliche Vermehren und die praxisorientierte Anwendung von Wissen. Wenn ein Quereinsteiger einem IT-Silberrücken mit mehreren Abschlüssen, dutzenden Zertifizierungen und unzähligen Projekterfolgen im Interview gegenübersitzt, wird es offensichtlich nicht leicht für einen Bewerber. Selbst wenn dieser über einen hohen Grad an Potenzialkraft verfügt. Es wird viel von dem Gesprächsleiter verlangt – vor allem Bescheidenheit, sich über seine eigene Vergangenheit hinweg zu setzen, und tatsächlich potenzial-orientiert zu rekrutieren. Aber es lohnt sich. Schon heute ist (neben HR) die IT der Bereich mit den meisten fachlichen Quereinsteigern. Radikale Offenheit leben Wir brauchen also eine radikale Ehrlichkeit im Bewerbungsprozess, so wie es im besten Fall auch bei einem Rendezvous zweier erwachsener Menschen stattfindet. Das Team im Recruiting sollte den Bewerber nach den bereits gemeisterten und reflektierten Fehlschlägen bewerten und eine offene Fehlerkultur kultivieren. Darüber hinaus sollte das Recruiting die eigenen Fehler, die gelebte Kultur und die Auswahlprozesse ebenso

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t­ransparent darstellen, um dem Bewerber die Chance zu geben, sich auch ein klares Bild vom Unternehmen zu machen. Niemand ist perfekt, wir alle haben unseren Rucksack zu tragen, es ist also nicht förderlich, wenn sich Unternehmen im Recruiting so darstellen, als hätten sie die alleinige Macht, und als wären sie eine einzigartige Insel von Harmonie und Perfektion. Diese Informationshoheit hat sich in Zeiten von Social Media und Arbeitgeberbewertungen (Kununu, Glassdoor, etc.) ohnehin in Richtung Kandidat verschoben. Jeder Rekrutierungsprozess ist immer auch eine gezielte Employer-Branding-Maßnahme. Es ist kein Geheimnis, dass Kandidaten mit Freunden über die Erfahrungen im Einstellungsprozess sprechen. Immer noch empfehlen Bewerbungsratgeber, nichts Negatives über den vorherigen Arbeitgeber zu berichten und auf kritische Fragen mit selbstkritischen aber zugleich verdeckten positiven Aussagen zu antworten. Wie wohltuend ein offener Austausch auf Augenhöhe wäre. Fragen Sie doch im nächsten Gespräch den Kandidaten ganz offen, ob dieses Gespräch nicht (mit einem Mindestmaß an sozialer Verträglichkeit) maximal offen geführt werden soll. Sie werden von der Tiefe des Gesprächs begeistert sein! Gibt es den Fachkräftemangel wirklich? Es gibt somit im Grunde keinen Mangel an qualifizierten Kandidaten, es gibt einen Mangel an qualifizierten Unternehmen, die die grundlegenden Anforderungen der aktuellen Unternehmenswelt noch nicht verstanden bzw. umgesetzt haben. Viele Kandidaten bekommen aufgrund der Erstselektion gar nicht die Chance, ihren einzigartigen Charakter zu präsentieren. Aber was sagt es schon über Menschen aus, wenn sie fehlerfrei, rhetorisch und grammatikalisch ausgefeilt ein Dokument anlegen können? Ist der Bewerber deswegen eine bessere Pflegekraft? Ein besserer Programmierer? Korrelationen führen nicht immer zu einer Kausalität. Es bringt der Werbeagentur nichts, einen exzellenten Grafiker zu beschäftigen, der am Telefon die Kunden vergrault und den neuen Auszubildenden bereits in den Burn-out katapultiert hat. Wie würden Sie damit umgehen, wenn sich ein Schlagzeuger auf die Position des Java-Entwicklers bewirbt? Erkennen Sie die Parallelen der Kreativität, Disziplin, und Logik bei Musik und Programmierung, oder eben nicht? Anstellung als soziales Beziehungsgeflecht Auch im privaten Kontext verlassen wir toxische Beziehungen, wenn sie uns dauerhaft, trotz der intensiven Bemühungen, nicht loslassen. Leider ist es viel zu häufig so, dass die Rekrutierungsphase eher einer sehr oberflächlichen Anbahnung eines One-Night-Stands gleicht – ohne die wirklich kritischen Beziehungsfragen gleich von Beginn an zu stellen. Willst du lieber auf dem Land oder in der Stadt leben? Wohin würdest du gerne mal in den Urlaub reisen? Was sind deine tiefsten Ängste? Was sind deine Wünsche und Visionen? Recruiting ist keine oberflächliche Annäherung. Auch hier geht es um persönliche Wünsche und Sorgen, um Existenzen und Leidenschaften. Manche Karriere in einem Unternehmen währt länger als die Ehe und die Kollegen sehen wir auch häufiger als die

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eigene Familie. Warum ist der Job des Recruiters nach dem Gespräch mit der Fachabteilung getan? Wie häufig fasst der Personalreferent nach einem halben Jahr nach: Ist die Position realistisch kommuniziert worden? Wurden USPs der Stelle und des Unternehmens nicht erwähnt, die damals die Entscheidung erleichtert hätten? So viel Wissen, nicht gesammelt, nicht genutzt! Der Prozess des Kennenlernens, des Zusammenarbeitens, des sich Zusammen-Entwickelns, ist einer Liebesbeziehung nicht unähnlich. Warum wenden wir dann nicht die Erkenntnisse aus Bindungs- und Beziehungsforschung endlich auch im beruflichen Kontext an? Warum gibt es keine „Ehe-Seminare“ wenn es mal kriselt? Die Personalabteilung hat die wichtige Aufgabe, Beziehungsanbahnungen zu gestalten und die Verbindung aus Mitarbeiter und Organisation zu einer Lovestory zu machen. Denn genauso wie es eine individuelle Persönlichkeit gibt, so hat auch ein Unternehmen eine Persönlichkeit. Um genau diesen Match zwischen den beiden Parteien geht es doch primär. Menschen besitzen eine natürliche Motivation, ihre Talente im Berufsleben einzusetzen und ihre Tätigkeit leidenschaftlich zu praktizieren. Die Selbstverwirklichung findet vor allem im Job statt, denn hier verbringen wir einen Großteil unseres Lebens und lernen die meisten Menschen kennen. Warum beginnen wir nicht, auch aus Arbeitgebersicht unser Wording so zu verändern, dass wir uns dem Bewerber annähern? Die Beziehung zwischen einem Unternehmen und einem Mitarbeiter kann eine lebenslange Verbindung sein. Wir investieren viel Zeit in die Partnersuche, warum geben wir einem regulären Neuorientierungsprozess dann meist nur ein paar Wochen? Warum nicht…

• …den Charakter eines Bewerbers wichtiger nehmen als seine Ausbildung? • …auch im Unternehmen von Haltung und Beziehung sprechen? • …radikale Offenheit in Bewerbungsgesprächen leben? • …den Bewerbungsprozess grundlegend transformieren? • …die Auswahlkriterien ebenso transparent darstellen wie die vermeintlichen „Schwachstellen“ des eigenen Unternehmens? • …das Team bei der Auswahl des neuen Kollegen mitentscheiden lassen? • …Quereinsteiger mit weniger Fachwissen aber viel Potenzial in den Prozess mit aufnehmen? • …für die darauf folgende Position rekrutieren, statt für die aktuell offene Vakanz? • …mehr Mut wagen: Sehen wir die Probezeit doch wieder als Teil des Rekrutierungsprozesses. • …in gewissen Abständen formalisierte „Wiedersehen“ zwischen Recruiter und neuem Mitarbeiter organisieren? • …davon ausgehen, dass es keinen schlechten Kandidaten gibt, sondern nur einen schlechten FIT zwischen Person und Position?

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R. Lössl und P. Leipold Ronny Lössl Als freiberuflicher Unternehmercoach gestaltet Ronny Lössl direkt mit Unternehmenslenkern die Zukunft neu und schafft für die Menschen im Job eine Spielwiese, auf der sie sich entfalten und selbstverwirklichen können. Denn jeder Mensch sollte die Chance bekommen, die innere Musik auch nach außen zu befördern und die beste Version von sich zum Vorschein zu bringen. Unternehmerische Klarheit ist für ihn deshalb der Beginn jeder großartigen Unternehmung. https://unternehmersafari.de https://changingthegame.de/ronny-loessl

Philipp Leipold  ist Geschäftsführer der Academy, einer Schule für Erwachsene mit Fokus auf Accelerated Learning-Programmen. Der studierte Diplom-Psychologe verfügt über umfangreiche Erfahrungen in den Bereichen HR, Business Development, Lehre, Forschung und Coaching. Zudem unterrichtet Leipold als Dozent im Studiengang Wirtschaftspsychologie und ist als freiberuflicher zertifizierter Business Coach für Einzelpersonen tätig. Nach seinem Abschluss an der Universität Regensburg und in den USA arbeitete er u.a. als Consultant und Branch Manager sowie als HR Manager. https://www.awacademy.de https://changingthegame.de/philipp-leipold

Impuls: Philipp Depiereux (Gründer & Geschäftsführer, etventure GmbH) Sozialkompetenz schlägt Fachkompetenz Flache Hierarchien, eine offene Unternehmenskultur und Teamwork – das schreiben sich die meisten Unternehmen auf die Fahnen. In aller Regel hat der betriebswirtschaftliche Erfolg aber auch heute noch die oberste Priorität. Beförderungen und Gehaltserhöhungen erhält, wer Aufträge und Kunden gewinnt. Incentives für sozialverträgliches Verhalten? Fehlanzeige. Dabei gilt heute, in Zeiten zunehmender Komplexität, mehr denn je: Erfolgreich ist das beste Team und nicht der beste Einzelkämpfer. Vermeintliche „Soft Skills“ wie Teamwork, Kollegialität und respektvoller Umgang sollten deshalb ebenso honoriert werden wie zählbare Ergebnisse. Denn auf die lange Sicht schlägt das Team den Einzelspieler, ist die Sozialkompetenz wichtiger als die reine Fachkompetenz.

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Echte Diversität als Geschäftsgrundlage Sabine Hockling

Zusammenfassung

Diverse besetzte Teams machen Organisationen erfolgreicher. Wer Vielfalt im Unternehmen erfolgreich umsetzen möchte, muss den neben den sichtbaren Hürden wie Geschlecht, Alter und Herkunft auch unsichtbare Herausforderungen wie gesellschaftlich verankerte Stereotypen im Blick haben sowie Rollenklischees infrage stellen. Um zukunftsfähig aufgestellt zu sein, muss also ein Umdenken stattfinden.

Am 15. Juni 2018 veröffentlichte Google umfassende Statistiken zur Belegschaft [1]: Wie viele Frauen und Männer arbeiten bei dem Internetriesen? Aus welchen Ethnien setzt sich die Belegschaft zusammen? Wer verließ das Unternehmen und wer wurde neu angestellt? Die Ergebnisse überraschen (nicht) wirklich: Weltweit sind insgesamt 69,1 % Männer und 30,9 % Frauen für Google tätig – Werte, die seit 2014 fast konstant geblieben sind. Dabei treffen diversifizierte Teams bessere Entscheidungen, lösen (leichter) Probleme, sind kreativer, innovativer und flexibler. Das ist Fakt, weil messbar. Diversity und Frauen in Führung sollten für Unternehmen also nicht nur eine Frage der

S. Hockling ()  Die Ratgeber, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_7

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Gerechtigkeit sein, sondern auch unter knallharten wirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden. Denn demografische Faktoren sowie der Fachkräftemangel werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Entscheider sollten sich daher die Frage stellen: Ist mein Unternehmen unter dem Blickwinkel der Diversität reif für „echte Diversität“? Auch bezüglich der ethnischen Herkunft kann bei Google von Vielfalt keine Rede sein – was die Belegschaftsstruktur in den USA zeigt: 36,3 % der Mitarbeiter sind asiatischer Herkunft, 53,2 % weiß, 3,6 % lateinamerikanisch, 2,5 % schwarz, 0,3 % indigen und 4,2 % besitzt zwei und mehr Ethnien. Erstaunlich, wenn man sich die amerikanische Bevölkerungszusammensetzung anschaut: 60,7 % weiß, 13,3 % schwarz und nur 5,8 % asiatisch [2]. Dabei sind die Vorteile von Vielfalt in Unternehmen unstrittig – was eine Vielzahl von Studien belegt: Diversifizierte Teams treffen bessere Entscheidungen, lösen (leichter) Probleme, sind kreativer, innovativer und flexibler. Das ist Fakt, weil messbar. Und weil Dominanz für diejenigen unsichtbar ist, die zur dominanten Gruppe gehören, für Außenstehende hingegen extrem sichtbar und spürbar, zeigen das Phänomen Trump sowie die Brexit-Abstimmungen, wie verheerend es sein kann, den Widerstand gegen Veränderungen zu unterschätzen oder kleinzureden. Dass Vorurteile bei Entscheidungen immer wieder im Weg stehen, zeigen die sogenannten „Blind Auditions“, die Orchester bereits seit Jahrzehnten durchführen. Um die besten Musiker auszuwählen, spielen alle Bewerber hinter einem Vorhang, sodass die Auswahl aufgrund des Spiels – und nicht aufgrund von demografischen Eigenschaften – erfolgt. Und auch Algorithmen treffen mittlerweile oft bessere (Einstellungs)Entscheidungen als Menschen. Denn Computerprogramme und Tools ermöglichen, Alter, Geschlecht, Bildungs- und sozioökonomische Hintergründe sowie andere Informationen aus dem Lebenslauf zu streichen – damit man sich ganz auf die fachliche Eignung konzentrieren kann. Geht eine Unternehmensführung jedoch davon aus, dass es im Unternehmen fair und gerecht zugeht, wird sie die systembedingte Ungerechtigkeit gar nicht erst wahrnehmen. Dann werden Entscheidungen bezüglich Einstellung, Beförderung und Vergütung nicht einzig und allein aufgrund von Leistungen getroffen, dann erfolgen Beurteilungen nicht objektiv, dann wird Erfolg zur Glückssache. Wahrhaben wollen Entscheider das in der Regel nicht. Regeln, die die Autonomie beschneiden, sind kontraproduktiv Warum klammern sich Entscheider an die Vorstellung des fairen Umgangs? Weil sie sich ansonsten persönlich angegriffen fühlen, wenn sie infrage gestellt wird? Oder weil sie unfähig sind? Fakt ist: Entscheider sollten in der Lage sein, Ungerechtigkeiten in ihrem Unternehmen zu erkennen. Sie haben die Macht – mehr als jede andere Person im Unternehmen –, Veränderungen herbeizuführen. Meist haben sie jedoch vergessen, welchen Einsatz sie selbst erbringen mussten, um ihre Position zu erreichen. Eine weitere Hürde auf dem Weg zu mehr Vielfalt in Unternehmen sind die unterschiedlichen Definitionen. Laut einer Deloitte-Studie definieren die verschiedenen

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Generationen „Vielfalt“ unterschiedlich: Für Millennials beispielsweise ist Vielfalt und Inklusion eine wertschätzende, offene Beteiligung von Mitarbeitern mit verschiedenen Ansichten und Persönlichkeiten. Ältere Arbeitnehmer hingegen denken dabei an die gerechte Teilnahme und Integration von Menschen aus verschiedenen demografischen Gruppen. Weil jeder Mensch ein Gesamtpaket aus verschiedenen Eigenschaften ist, sind Mitarbeiter in einem Unternehmen wesentlich schwieriger zu analysieren und in Einklang zu bringen. Rhetorische Framing-Effekte – auch als „Schubladendenken“ bekannt – erschweren es zusätzlich [3]. Differieren Welt- und Menschenbild voneinander, treffen also unterschiedliche Wertvorstellungen und Glaubenssysteme aufeinander, sind interkulturelle Irritationen vorprogrammiert. Dabei sind interkulturelle Konflikte immer zwischenmenschliche Konflikte. Daher gehen viele instinktiv davon aus, dass Vielfalt zu zwischenmenschlichen Konflikten führt. Die Einstellungen von Menschen zum Positiven zu verändern, ist deshalb eine sehr große Herausforderung. Damit sich Ansichten ändern, müssen sich zunächst die Erfahrungen von Menschen ändern. Von Vorbildern, sogenannten Role Models, umgeben zu sein, die einem ähnlich sind, kann einen positiven Einfluss darauf haben, was man für sich selbst als möglich erachtet. Der Verhaltensökonom Daniel Kahneman ist davon überzeugt, dass es vergebliche Liebesmüh ist, Vorurteilen auf individueller Ebene begegnen zu wollen – selbst mit entsprechenden Maßnahmen. Weil aber auf Unternehmensebene Denken und Handeln jedoch wesentlich langsamer ablaufen, gibt es hier eine Chance, die Entscheidungsfindung zu verbessern – obwohl es extrem schwierig ist, das menschliche Hirn neu zu verdrahten. Allerdings ist die Umgebung, in der Entscheidungen getroffen werden, zu verändern. Mit dem Ansatz der Entscheidungsarchitektur (Choice Architecture) werden Vorurteile abgeschwächt, statt sie umzukehren. Es geht also nicht darum, jemanden das Recht auf seine eigene Entscheidung zu nehmen oder ihm zu sagen, was er tun soll, sondern es ihm einfacher zu machen, rationalere Entscheidungen zu treffen [4]. Als Chancengleichheit bonusrelevant wurde, hat es bei dem Thema einen richtigen Push gegeben

Bei dem Autobauer Porsche ist nach der Ära Wendelin Wiedeking – der nicht unbedingt für Frauen im Management stand – Diversity mittlerweile Pflicht. Das heißt, eine faire Beförderungspolitik ist bonusrelevant. „Wir wollen die Besten bei Porsche haben. Da wäre es fahrlässig, sich nicht verstärkt um die Frauen zu kümmern“, so Andreas Haffner, Personalvorstand der Porsche AG [5]. Porsche verankerte daher 2012 das Thema Chancengleichheit fest in die Werte und Ziele des Unternehmens. Um dieses Ziel zu erreichen, erhielten die Mitarbeiter zwar ausreichend Spielraum, allerdings im Rahmen einer festen Quote für jeden Bereich. Und an der ist nicht zu rütteln. Halbjährlich wird Bilanz gezogen, am Ende des Jahres abgerechnet. „Als Chancengleichheit bonusrelevant wurde, hat es bei dem Thema einen richtigen Push gegeben“, so Konstanze Marinoff, Leiterin Personalmarketing der Porsche AG [6].

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Umgesetzt wird das anhand eines kaskadenartigen Beförderungsmodells: Zunächst wird für jedes Ressort ermittelt, wie viele Frauen sich unter den leitenden Angestellten befinden. Dieser Anteil muss sich auch auf der Managementebene wiederfinden. In Bereichen mit mehr Frauen ist die Quote also höher als in denjenigen mit niedrigem Anteil. So will das Unternehmen verhindern, dass Frauen an der sogenannten gläsernen Decke scheitern und männliche Kollegen demotiviert sind. Weil eine Quote jedoch keinen Erfolg hat, wenn sich nicht parallel auch die Unternehmenskultur ändert, setzt der Konzern zusätzlich auf Fokusgruppengespräche, in denen herausgefunden werden soll, was es für eine Karriere bei Porsche braucht. Eine Unternehmens-Kita, Homeoffice, sowie Führung in Teilzeit sollen für die nötige Flexibilität sorgen. Vor allem letzteres war für das Unternehmen ein großer Schritt. Früher bedeuteten nämlich Karrieren beim Autobauer: 120 % Einsatz, lange Arbeitstage, Präsenz und ständige Erreichbarkeit – vor allem für Frauen mit Kindern extrem unattraktive Bedingungen. Die Folge: Weibliche Führungskräfte zeigten kein Interesse an einer Führungsposition. Wer will sich schon zwischen Beruf und Familie komplett aufreiben. Das Unternehmen war also gezwungen, Leistungsfunktionen in Teilzeit ­anzubieten. Und obwohl diese Maßnahmen erfolgreich sind, ist das Thema kein Selbstläufer. Daher muss regelmäßig mit Mitarbeitern über die Relevanz von Diversität diskutiert werden. Chancengleichheit ist also ein Prozess, der reifen muss, der permanente Dialog daher unerlässlich. Welche Diversity-Maßnahmen funktionieren nicht? Langfristig erfolgreiche Unternehmen benötigen Frauen und Männer, alte und junge Mitarbeiter, egal welcher Herkunft. Um das zu erreichen, setzen Entscheider auf verschiedene Maßnahmen. Allerdings sind nicht alle auch erfolgreich: • Die Effekte von Diversity-Schulungen beispielsweise halten oft nicht länger als ein bis zwei Tage. Man kann Menschen zwar dazu bringen, in Fragebögen und Befragungen die richtigen Antworten zu geben. In der Praxis aber ist das schnell vergessen. Die Folge: Vorurteile werden aktiviert und Gegenreaktionen provoziert, da solche Schulungen vor allem negative Botschaften vermitteln. Freiwillige Maßnahmen sind deshalb grundsätzlich erfolgreicher. So nämlich haben Teilnehmer das Gefühl, selbst entscheiden zu können. • Wer versucht, Vorurteile durch verpflichtende Einstellungstests zu entschärfen, erreicht genau das Gegenteil. Wer lässt sich schon gern sagen, dass er nicht einstellen kann, wen er will. Die Folge: Die Ergebnisse der Tests werden ignoriert, Vorurteile verstärkt, statt verringert. • Ebenso zweifelhaft ist, ob mit jährlichen Leistungsbewertungen gerechte Vergütungs- und Beförderungsentscheidungen getroffen werden. Diverse Studien zeigen, dass Frauen und Angehörige von Minderheiten in Leistungsbewertungen entweder

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schlechter eingestuft werden oder Manager gleich allen gute Noten geben. Dem mit Beschwerdesystemen zu begegnen, funktioniert nur bedingt. Zwar dienen sie dazu, Manager mit Vorurteilen zu erkennen und sie auf den rechten Weg zu bringen. Allerdings wird entweder versucht, sich mit den Mitarbeitern, die die Beschwerde einreichen, zu arrangieren, oder diese mit Spott, Herabwürdigung, Mobbing etc. herabzusetzen. Die Folge: Es beschwert sich niemand, was Entscheider dazu verleitet davon auszugehen, dass Gerechtigkeit herrscht [7]. Strategien zur Bekämpfung von Vorurteilen funktionieren also nicht, denn man kann Menschen nicht motivieren mitzuziehen, indem man sie zwingt – und sie bestraft, wenn sie sich verweigern. Man kann Unternehmen allerdings so gestalten, dass es leichter fällt, das Richtige zu tun, wie „Blind Auditions“ oder das Beispiel Porsche zeigen. Welche Diversity-Maßnahmen funktionieren? Wenn all diese Maßnahmen nicht funktionieren, was können Entscheider stattdessen tun, um die Vielfalt in ihrem Unternehmen zu fördern? Zunächst muss sich der Vorstand zum Thema bekennen und klar den Auftrag geben. Denn Unternehmen, die Vielfalt leben, reden nicht, sondern handeln. Sie geben die Richtung klar vor und behandeln Gender-Fragen wie jede andere Unternehmensfrage auch. Sie nehmen sich selbst in die Pflicht und wälzen es nicht auf die Personalabteilung, die Frauen selbst oder Diversity-Beauftragte ab. Und sie sorgen dafür, dass jede Führungskraft motiviert ist, den Wert von Vielfalt zu vermitteln. Darüber hinaus sind alle internen Prozesse so gestaltet, dass sie unbewusste Vorurteile möglichst von vornherein ausschließen. Dazu gehört, Führungskräfte in die Lösung einzubeziehen, ihren Kontakt mit Frauen und Angehörigen von Minderheiten im Job zu intensivieren sowie an ihre soziale Verantwortung zu appellieren. Denn wer will schon im Unternehmen als ungerecht verschrien sein? Stehen Ansichten und Verhalten nicht im Einklang, spricht man von „kognitiver Dissonanz“. Will man sie korrigieren und seine Ansichten oder sein Verhalten ändern, ist das mit positiven Botschaften und einer freiwilligen Beteiligung möglich. Dann verstehen sich Führungskräfte als Diversity-Botschafter, wie das Beispiel des Unternehmens CocaCola zeigt: Der Konzern motivierte nach der Anklage wegen Rassendiskriminierung seine Führungskräfte, sich in Rekrutierungs- und Mentoring-Initiativen zu engagieren. Diese Programme für Mitarbeiter und Führungskräfte im mittleren Management zielten speziell auf messbare Fortschritte bei der Einstellung und der Förderung von Minderheiten ab. Neben der Beteiligung des Topmanagements, wurde bei Neueinstellungen auf Talentscouts gesetzt. Die Folge: eine Positivspirale [8]. Gerade der Kontakt zwischen verschiedenen Gruppen kann Vorurteile abbauen. Selbstverwaltende Teams zum Beispiel ermöglichen Mitarbeitern, die in verschiedenen Rollen und Funktionen stecken, gleichberechtigt in einem Projekt zusammenzuarbeiten. Dabei bricht die gemeinsame Arbeit Vorurteile auf, was zu gerechteren Einstellungs- und Beförderungspraktiken führt. Und auch das Rotieren durch verschiedene

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Abteilungen (wie es bei Praktikanten üblich ist), ist eine weitere Möglichkeit, Kontakte zu ­intensivieren. Die Förderung eines sozialen Verantwortungsgefühls begünstigt das menschliche Bedürfnis, vor Mitmenschen gut dazustehen. Allein die Vorstellung, ihre Entscheidung vor anderen rechtfertigen zu müssen, führt in der Regel dazu, dass die Leistung nach ihrer wirklichen Qualität bewertet wird. Und auch unternehmensinterne DiversityManager tragen zum stärkeren sozialen Verantwortungsgefühl bei, wie das Beispiel Deloitte zeigt: 1992 wollte der damalige CEO Mike Cook die Abwanderung weiblicher Mitarbeiter stoppen. Dafür stellte er eine Arbeitsgruppe aus hochrangigen Managern zusammen, bei der es aber nicht darum ging, das Fehlverhalten zu ächten. Um die Ergebnisse zu verbessern, wurde auf Transparenz gesetzt: Jedes Büro musste den Karrierefortschritt seiner Mitarbeiterinnen überwachen sowie sich Ziele zur Lösungen lokaler Probleme setzen. Als deutlich wurde, dass alle hochrangigen Manager den Prozess aufmerksam beobachteten, erhielten die Mitarbeiterinnen plötzlich den ihnen zustehenden Anteil an hochrangigen Kunden und Aufträgen. Ferner verstärkte diese Aufmerksamkeit das interne offizielle Mentoring. Das Ergebnis: Innerhalb von acht Jahren ging die Fluktuation auf das Niveau der männlichen Kollegen zurück [9]. Allein die Tatsache, dass Entscheider oder Diversity-Manager Fragen stellen könnten, veranlasst Führungskräfte, alle qualifizierten Bewerber zu berücksichtigen und flexible Arbeitsmodelle wie beispielsweise das Job- bzw. Topsharing zu ermöglichen. Eine Maßnahme, die beim Leverkusener Werkstoffunternehmen Covestro sehr erfolgreich funktioniert. Dort nämlich ist das Topsharing eine Karriereoption für Frauen UND Männer. Dass diese Flexibilität gewünscht ist, zeigt eine internationale Umfrage von Bain & Company aus dem Jahr 2010: Demnach interessierten sich 78 % der männlichen und 94 % der weiblichen Führungskräfte für die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten [9]. Wie das Beispiel Porsche zeigt, braucht es für die berufliche Flexibilität eine Kulturveränderung im Unternehmen. Dazu zählen neben genügend Kita-Plätzen auch die Möglichkeit zum Home-Office sowie der permanente Dialog. Denn gerade emotional aufgeladene Themen müssen behutsam angesprochen werden. Das heißt, Botschaften sollten so formuliert sein, dass sie wirklich jeden erreichen. Daher unterstützen moderne Führungskräfte ihre Mitarbeiter, die Veränderungen als Chance und nicht als Bedrohung zu sehen. Dazu gehören auch Stellenanzeigen, die auf Formulierungen verzichten, die Männer oder Frauen unbewusst von einer Bewerbung abhalten. Messungen bewahren Unternehmen vor dem Blindflug Es gilt als gesichert, dass die herrschende Unternehmenskultur einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg von Unternehmen und insbesondere von Veränderungsprozessen hat. Ebenso wird das Scheitern vieler Veränderungen häufig mit einer fehlenden Berücksichtigung der Kultur in Verbindung gebracht. Dennoch wird dies in der Praxis wenig beachtet. Insbesondere, wenn Unternehmen neue Formen des Führens, Entscheidens und Zusammenarbeitens einführen möchten, stellt sich die Frage, wo die Qualifikation zum

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Startzeitpunkt kulturell steht und auf welche Stärken man gegebenenfalls bereits zurückgreifen kann. Diversity und Frauen in Führung sollten für Unternehmen nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit sein, sondern auch unter knallharten wirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden. Denn demografische Faktoren sowie der Fachkräftemangel werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Außerdem sind heute immer mehr Frauen hoch qualifiziert – häufig sogar besser als ihre männlichen Peers. Entscheider sollten sich daher die Frage stellen: Ist mein Unternehmen unter dem Blickwinkel der Diversität reif für „echte Diversität“? Der „Diversity Culture Check“, entwickelt von Dr. Martina Nieswandt und Dr. Roland Geschwill von der Denkwerkstatt für Manager, hilft, diese Frage zu beantworten und anschließend die Maßnahmen zu ergreifen, die dann auch wirklich einen Nutzen bringen. Der von Nieswandt und Geschwill entwickelte „Lateral Culture Index“ (LCI®) ermöglicht es Unternehmen zu messen, wo sie mit ihrer Unternehmens- und Führungskultur stehen. So können Unternehmen weiterführende Ziele für ihre individuelle Kulturveränderung formulieren und Veränderungsprozesse entsprechend kulturell begleiten. Die Ergebnisse und deren Bedeutung werden anschließend in einem Gutachten dargelegt, mit dem Unternehmen diskutiert sowie Handlungsempfehlungen abgeleitet. So wissen Entscheider genau, wo ihr Unternehmen hinsichtlich des Führens, Entscheidens und Zusammenarbeitens steht und können darauf basierend die weitere Vorgehensweise planen. Darüber hinaus bietet der LCI® die Möglichkeit, über den Zeitverlauf Veränderungen zu messen und damit die Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen zu überprüfen. Denn: „Was man nicht messen kann, kann man nicht managen“, sagte einst der Managementdenker Peter Drucker. Dennoch wird während Veränderungsprozessen selten eine Messung vorgenommen. So aber ist eine abschließende Erfolgsbewertung nur schwer möglich. Dabei bewahrt eine wissenschaftlich saubere Messung Unternehmen davor, in einem Blindflug unterwegs zu sein und frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen oder zu verändern. Deshalb sollten Unternehmen dieselbe Konsequenz, die sie bei ihren Finanzentscheidungen und Marketingstrategien an den Tag legen, auch in der Personalführung walten lassen. Dabei ist die Messung nur ein Teil, denn die wichtige Arbeit kommt nach der Messung: Wie soll mit den Ergebnissen verfahren werden? Welche Schlüsse ziehen wir und welche Maßnahmen lassen wir folgen? Wie kommunizieren wir die Ergebnisse – insbesondere die schwierigen Ergebnisse? Fazit

Wer Vielfalt im Unternehmen erfolgreich umsetzen will, muss neben den sichtbaren Hürden wie Geschlecht oder Alter auch unsichtbare Herausforderungen wie gesellschaftlich verankerte Stereotypen im Blick haben sowie Rollenklischees infrage stellen. Um zukunftsfähig aufgestellt zu sein, muss also ein Umdenken stattfinden. Das

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heißt, weg von männlich dominierten Strukturen mit ihren Führungsstilen und Arbeitsweisen sowie klassischen Arbeitsmodellen, und hin zu mehr Flexibilität und Vielfalt. Denn der notwendige Wandel in Unternehmen betrifft alle Dimensionen der Diversität.

Literatur 1. Google diversity annual report 2018: https://diversity.google/annual-report/ (abgerufen am: 23.07.2018). 2. „USA: Zugehörigkeit zu den Ethnien im Jahr 2017“, statista.com https://de.statista.com/statistik/daten/studie/166858/umfrage/ethnien-in-den-usa/ (abgerufen am: 23.07.2018). 3. Lisa Burrell, „Wir können nicht mit Vielfalt umgehen“, Harvard Business Manager, Dezember 2016, Seite 54. 4. Lisa Burrell: „Wir können nicht mit Vielfalt umgehen“, Harvard Business Manager, Dezember 2016, Seite 55. 5. Helene Endres: „Eine Frage der Technik“, Harvard Business Manager Spezial Strategie (2017), Seite 90. 6. Frank Dobbin, Alexandra Kalev: Warum Diverstiy-Programme scheitern, Harvard Business Manager, Dezember 2016, Seite 24–28. 7. Frank Dobbin, Alexandra Kalev: Warum Diverstiy-Programme scheitern, Harvard Business Manager, Dezember 2016, Seite 30. 8. Frank Dobbin, Alexandra Kalev: Warum Diverstiy-Programme scheitern, Harvard Business Manager, Dezember 2016, Seite 32–33. 9. Bain-Studie “Flexible work models: How to bring sustainability to a 24/7 world”. Sabine Hockling war lange Führungskraft in verschiedenen Medienhäusern. Als Wirtschaftsjournalistin und Sachbuchautorin ist sie u. a. für den ZEIT Verlag, den Spiegel Verlag, Gruner + Jahr, den Axel Springer Verlag und den Ullstein Verlag tätig. Ihre Themenbereiche sind dabei Management & Leadership, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Zukunft der Arbeit, Arbeitsrecht. Auf „die Chefin – der Blog für Führungsfrauen“ geht sie den Fragen nach, warum nur wenigen Frauen der Aufstieg gelingt, was die Spielregeln der Macht sind und wie sich die Mitarbeiterführung zwischen männlichen und weiblichen Chefs unterscheidet. Ihr letztes Buch „Was Chefs nicht dürfen (und was doch)“ hat es in kürzester Zeit auf die Spiegel-Bestsellerliste geschafft. https://die-ratgeber.info/ https://changingthegame.de/sabine-hockling

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New Work: Risikomanagement im Arbeitsrecht Baltasar Cevc

Zusammenfassung

Gesetzliche Vorschriften bilden den Rahmen für unternehmerisches Handeln. Dabei sollen Verträge Risiken von Unternehmen und Mitarbeitern minimieren. Zugleich ermöglichen sie, Abläufe zu steuern und Chancen zu verfolgen. Hindert dabei das „Recht von gestern“ die Entstehung der Arbeitswelt von morgen? Auf den ersten Blick scheint die aktuelle Rechtspraxis innovative Unternehmen zu blockieren und nicht zur modernen Arbeits- und Handlungsweise zu passen. Eine detaillierte Betrachtung offenbart jedoch, dass das Recht bereits heute vieles möglich macht – vorausgesetzt, man nimmt die Gestaltungsmöglichkeiten wahr. Dieser Beitrag zeigt ein dafür nützliches Instrument, die Risikomatrix, sowie einige Anwendungsbeispiele aus dem HR Bereich.

B. Cevc ()  Riscography Solutions GmbH, Erlangen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_8

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Seitdem es das Recht gibt, existieren überbordende Regelungen. Sie betreffen Bereiche, die allerdings auch ohne solche Vorgaben gut funktionieren würden. Denn die Gesetze verfehlen ihr eigentliches Ziel und Normen stellen zu komplexe Anforderungen. Um sich in dem rechtlichen Dickicht nicht zu verirren, engagieren Unternehmen oft Rechtsberater. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit braucht es jedoch auch immer eine gute, beiderseitige Vorarbeit: Erst die genaue Analyse der Unternehmens-, Abteilungs- oder Projektlage ermöglicht eine fruchtbare Diskussion sowie klar formulierte Beratungsziele. Um Regularien in Unternehmensprozesse implementieren zu können, braucht es ein rechtlich haltbares und praktikables Regelwerk. Denn nur so sind Abweichungen und Verstöße rechtzeitig zu erkennen und zu korrigieren. Doch wie und wo anfangen, damit Aufwand und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis stehen? Risikomatrix – Werkzeug zur Priorisierung von Gefahren Erste Schritte sind die Festlegung, Gewichtung und Priorisierung von allen rechtsrelevanten Themen sowie das Erstellen einer Risikomatrix, die in der Regel im Qualitätsmanagement zur Risikoanalyse und -darstellung häufig angewandt wird.1 Sie stellt diverse Risiken nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und dem potenziell resultierenden Schaden zweidimensional dar (siehe Abb. 8.1). Dabei existiert jedes Risiko proportional zu seiner Eintrittswahrscheinlichkeit und seiner potenziellen Auswirkung. Die Matrix illustriert somit zum einen die „Gesamtbedrohung“, zum anderen die Einstufung von einzelnen Risiken: Je weiter rechts oben ein Risiko erscheint, desto bedrohlicher ist es. Dabei sind die größten Risiken mit Vorrang zu behandeln. Jedoch nicht nur bezüglich ihrer passenden rechtlichen Regelungen, sondern auch aufgrund der daraus resultierenden, zweckmäßigen und zukunftsgerichteten Maßnahmen (dazu mehr im nächsten Abschnitt). Die Risikomatrix (siehe Abb. 8.1) zeigt hier die „Hauptgefahren“ für Unternehmen aus dem HR-Blickwinkel. Weil Unternehmen aufgrund ihrer entsprechenden Struktur generell individuelle Risiken haben, muss eine Risikomatrix stets unternehmensspezifisch erstellt werden. Sie erleichtert so die Einbindung von allen relevanten Personen – einschließlich der Rechtsexperten – in die Gestaltung und Verwaltung von risikominimierenden Maßnahmen. Und sie beschleunigt und verbessert den Meinungsaustausch zwischen allen Beteiligten, indem sie eine gemeinsame Informationsbasis schafft. Denn diese Basis stellt sicher, dass das gravierendste Risiko erkannt und als erstes minimiert wird. Dabei ist die Risikobewertung und -minimierung keine einmalige Angelegenheit. In regelmäßigen Abständen und nach jeder wesentlichen Veränderung im Unternehmen

1Einleitende

Informationen zur Risikomatrix, einem gleichermaßen nützlichen wie kritisierten Werkzeug, finden sich etwa bei Romeike ab (S. 40). Für den in diesem Artikel betrachteten Bereich sind die Unschärfen und möglichen Kausalitäten eher untergeordnet und deshalb unproblematisch.

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Abb. 8.1  Risikomatrix eines modellhaften Unternehmens: Die Risikomatrix zeigt die Risiken eines modellhaften Unternehmens. Das derzeit größte Risiko ist die verbotene Überlassung der Arbeitnehmer („AN“), da diese auf der Diagonalen am weitesten rechts oben liegt. Der Arbeitsschutz und die Diskriminierung am Arbeitsplatz stellen hingegen die geringsten erfassten Risiken dar. (Mit freundlicher Genehmigung von © Baltasar Cevc 2018. All Rights Reserved.)

oder Umfeld ist die Unternehmenssituation zu evaluieren. So nämlich sind resultierende Maßnahmen – gegebenenfalls auch Verträge – im Bedarfsfall anzupassen. Geeignete Gegenmaßnahmen verringern also die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken und folglich den potenziell resultierenden Schaden. Außerdem kann der Nachweis von Risikovermeidungsmaßnahmen allein die Gefahr von staatlichen Sanktionen verkleinern oder diese sogar verhindern. Agiert ein Unternehmen (einschließlich seiner HR Abteilung) auch gegenüber seinen Partnern auf die beschriebene Weise transparent, offenbart und belegt das eine offene und positive Arbeitsweise, und die Akteure werden als geschätzte Mitarbeiter bzw. Partner und Berater wahrgenommen. Einige Unternehmen konnten in der Vergangenheit sogar so in den Risiken Nischen für zusätzliche Geschäftsmodelle finden. Die Zeitarbeitsbranche beispielsweise sähe ohne die umfangreichen Regularien am Arbeitsmarkt anders aus. Denn ohne den starken Arbeitnehmerschutz wäre ein Teil der Zeitarbeitsbranche weniger relevant, wenngleich sie immer noch einen Vorteil bei der Suche von Personal böte.

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Rechtliche Gestaltungsspielräume Öffentlicher Auftritt, Bewerbungsgespräch und Arbeitsvertrag vermitteln einen ersten Eindruck über ein Unternehmen. Und obwohl sie das Erscheinungsbild eines Unternehmens nach innen und außen mitprägen, werden diese Gestaltungsfreiräume zu selten genutzt (siehe auch Kap. 19 „‚Changing the Game‘ bei HR: Ein Plädoyer für ein neues, proaktives Rollenverständnis“). Ein übersichtlicher, kurzer und klarer Arbeitsvertrag ist schon auf den ersten Blick attraktiv: partnerschaftliche Vorschläge reduzieren den Verhandlungsbedarf, pragmatische Verhandlungsweisen zeichnen ein Unternehmen aus. Und weil Verträge bedauerlich häufig das in der VUCA-Welt untaugliche Mikromanagement widerspiegeln, wäre es sinnvoller, Themen mit einer Risikomatrix zu priorisieren – um anschließend nur noch die wesentlichen Risiken zu regeln. Denn eine Fokussierung auf die essenziellen Risiken schafft Kapazitäten, die dann zwecks Chancenrealisierung genutzt werden können. So entstehen Freiräume für beide Vertragspartner – in dem erweiterten Spielraum kann an der Maximierung des Gesamterfolgs gearbeitet werden.2 Statt sich auf das Wesentliche zu beschränken, nehmen die Verantwortlichen jedes Thema, mit dem sie schon einmal konfrontiert wurden, in den Vertrag auf.3 Wurde zum Beispiel eine Lücke in der Urlaubsregelung gefunden, wird diese geschlossen. Gab es Probleme mit einem Mitarbeiter, der nicht zur gewünschten Zeit im Büro war, wird eine Arbeitszeitregel hinzugefügt. Befürchtet das Unternehmen einen Verlust von Geschäftsgeheimnissen, wird eine „hilfreiche“ Verschwiegenheitsklausel in den Vertrag aufgenommen. Doch erreicht ein solcher Ansatz seinen Zweck? Antwort liefern drei Beispiele von vertraglicher Überregulierung. Ein häufiges und typisches Negativ-Beispiel ist eine allumfassende Verschwiegenheitspflicht, die verlangt, Informationen nie oder nur nach Genehmigung von Vorgesetzten herauszugeben. In einer Welt dynamischer Kommunikation und sozialer Medien ist das jedoch wirklichkeitsfremd. Schlimmstenfalls verleitet es zu Verstößen, was Personalverantwortlichen bewusst sein müsste. Eine moderne Arbeitsweise ­verlangt einen flexibleren Meinungsaustausch. In einer agilen Organisation gibt es zudem vielerorts keine Vorgesetzten mehr, die zügig zustimmen könnten. Ferner schürt eine zu enge Regelung das Misstrauen gegenüber Mitarbeitern und wirft einen Schatten auf die Umgangskultur. Ein zu weit ausholender Vertrag verfehlt somit nicht nur seine Aufgabe, sondern verkommt zu einer bloßen Schuldzuweisung im Schadensfall.

2Einen

guten Überblick hierzu bietet der Aufsatz „Flexibility in contract terms and contracting processes“. Die Hinwendung zur Betrachtung von Chancen propagieren viele Vordenker im Recht. Sie ist etwa als These 1 der Einleitung von „Liquid Legal“ aufgegriffen. 3Bekanntem und kürzlich Gesehenem zu viel Gewicht beizumessen, ist ein gängiges Muster auch über das Recht hinaus: Menschen neigen dazu, präsente Ereignisse als besonders häufig/gewichtig zu werten, vgl. hier etwa Kap. 13 bei Kahneman.

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Eine knappe und trotzdem eindeutige Allgemeinvorgabe für die Verschwiegenheitsregelung existiert aktuell nicht. Daher ist es sinnvoll, ein klares Ziel festzuschreiben und zugleich einen Wertungsspielraum zu eröffnen.4 Dabei kann das Überlassen von Informationen an Dritte auf die Erfüllung zugewiesener Aufgaben beschränkt sein (klassische Variante, die teilweise vor unwissenden Aktionen schützt). Eine offenere Variante zielt ausschließlich auf die Unternehmensziele und -interessen ab. Ein anderes Beispiel vertraglicher Übersteuerung ist die zu detaillierte Urlaubsregelung. Auffallend oft wird viel Mühe in eine Regelung gesteckt, die möglichst viele Eventualitäten abdecken soll – mit sehr zweifelhaftem Nutzen. Einerseits wird viel Zeit für die Vertragsgestaltung aufgewendet: der Vertrag wird dem Mitarbeiter erklärt, mit ihm verhandelt, im schlimmsten Fall vor Gericht ausgefochten. Andererseits stehen diesen sicheren Kosten ein leicht berechenbarer und relativ kleiner, möglicher Schaden von wenigen Tausend Euro entgegen. Außerdem tritt ein solcher Schaden ohnehin nur vereinzelt und nicht in voller Höhe ein. Eine komplexe vertragliche Regelung des Urlaubsthemas ist folglich nicht gerechtfertigt, was eine Risikomatrix zeigt. Ähnliches gilt für Arbeitszeitregelungen. Natürlich kann man die gesetzlichen Vorgaben ergänzen und erweitern. Dadurch wird aber typischerweise nur die Anwesenheit und nicht die Arbeitsleistung gesteuert. Der Fleiß einer arbeitsunwilligen Person hingegen kann nicht vertraglich gesteigert werden. Umgekehrt bedürfen gut motivierte Mitarbeiter keines schriftlichen Zwangs zum rechtzeitigen Erscheinen zu Terminen, zum regelmäßigen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, zu guter Arbeitsleistung usw. Die wirkliche Gestaltungsmacht zu dem Thema liegt also in der Arbeitskultur (siehe auch Kap. 33 „Alles neu oder nur neu gedacht? Ein Aufruf zur UN.kultur“ und Kap. 14 „Kulturwandel: Spielplatz für Erwachsene!“). Vertraglich genügt es, dafür einen passenden Rahmen abzustecken. Detailvorschriften ermuntern mehr zum Einhalten von Regelungen, als die Verfolgung von gemeinsamen, übergeordneten Zielen. Alle drei Beispiele zeigen, dass nicht der Mehrwert Leitmotiv der Regelung ist, sondern vielmehr die Leichtigkeit. Deshalb ist sinnvoll, zuerst die Chancen und Risiken zu bewerten und darauf basierend nur solche Aspekte vertraglich zu regeln, die für die Maximierung von Chancen und die Minimierung von Risiken entscheidend sind. Hilfreich ist dabei die Antwort auf die Frage: Was könnte ohne diese Regelung geschehen?

4Eine

entsprechend knappe Geheimhaltungsklausel ist z. B.: „[•Name•] wird interne Unterlagen und Informationen vertraulich behandeln und nicht an Dritte weitergeben, außer eine Weitergabe [•OPTIONAL: liegt im Rahmen der Tätigkeit und•] ist nach bestem Wissen und Gewissen im Sinn des Unternehmens.“ In der Regel wird diese Vereinbarung durch eine Verpflichtungserklärung zur Wahrung des Schutzes personenbezogener Daten ergänzt. Eine passend befüllte Risikomatrix erleichtert die Entscheidung über die besonders wünschenswerte Reichweite der Geheimhaltungsvereinbarung.

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B. Cevc

Der Gestaltungsspielraum reicht dabei von sehr umfassenden bis zu sehr knappen Verträgen. Meistens ist ein Mittelweg sinnvoll: Die wichtigsten Themen und die häufigsten zu beachtenden Probleme werden abgedeckt, Detailprobleme ausgelassen. Die Annahmen und Entscheidungskriterien dafür sollten mit den kaufmännischen Verantwortlichen abgesprochen und gemeinsam festgelegt werden. Auch dafür ist die Risikomatrix ein geeignetes Werkzeug – vor allem, wenn am Ende bedacht wird: Auch in einem Vertrag kann weniger mehr sein. Ein klärendes persönliches Gespräch oder Telefonat ist nämlich oft zielführender als ein langer Vertragstext. Ist ein Arbeitsvertrag also überhaupt noch notwendig? Formal gesehen besteht dazu keine Pflicht. Allerdings muss der Arbeitgeber die wesentlichen Inhalte den Mitarbeitern schriftlich mitteilen. Deswegen ist ein (kurzer) Vertrag in der Regel angebracht. Das rechtliche Korsett lockern Rechtliche Vorgaben legen Unternehmen eine Art Korsett an. Dabei lassen sich Problemfelder nicht komplett aus der Welt schaffen. Sie zu ignorieren, hilft jedoch auch nicht, sie müssen adressiert werden. Allerdings nicht alle auf einmal, sondern die wichtigsten zuerst. Auf dieser Basis kann man das rechtliche Korsett in einem gewissen Umfang formen (siehe auch Kap. 10 „Schöne neue Arbeitswelt trifft auf Arbeitsrecht der ‚alten Welt‘“). Am einfachsten gelingt dies durch die gemeinsame Arbeit an der Risikomatrix oder einem ähnlichen Werkzeug. Dabei stützt die Visualisierung das Verständnis aller, bringt alle Beteiligten auf gleichen Kenntnisstand, schafft so eine gute Arbeitsgrundlage sowie die Sicherheit, dass die richtigen Themen behandelt werden. Geschaffen wird so Raum für eine Beschäftigung mit Chancen. Vorgefertigte Antworten verbieten sich dabei in der VUCA-Welt von selbst. Die durch die Priorisierung geschaffenen Kapazitäten sorgen bei Beteiligten für einen geringeren Zeitdruck und bessere Lösungen. Mit einer offenen Haltung gelingt das oft – zum Erstaunen mancher Bedenkenträger.

Weiterführende Literatur 1. Buch: Gigerenzer, Gerd (2013). Risiko, C. Bertelsmann 2. Buch: Haapio, Helena; Siedel, Prof. George (2011): Proactive Law for Managers: A Hidden Source of Competitive Advantage, Gower 3. Buch: Haapio, Helena, Siedel; Prof. George (2013): A Short Guide to Contract Risk, Gower 4. Online-Buch: Hagan, Margaret (Stanford Law School Institute of Design): Law by design, abrufbar über http://www.lawbydesign.co/, abgerufen am: 29.06.2018 5. Buch: Jacob, Kai; Schindler, Dierk; Strathausen, Roger (Hrsg.) (2016): Liquid Legal: Transforming Legal into a Business Savvy, Information Enabled and Performance Driven Industry, Springer 6. Artikel: Nystén‐Haarala, Soili; Lee, Nari; Lehto, Jukka; Flexibility in contract terms and contracting processes (2010), International Journal of Managing Projects in Business, Vol. 3 Issue: 3, pp. 462–478

8  New Work: Risikomanagement im Arbeitsrecht

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7. Buch: Kahneman, Daniel, Thinking Fast and Slow (2011), Farrar, Straus and Giroux 8. Buch: Romeike, Frank (2016): Risikomanagement, Springer Gabler

Baltasar Cevc ist seit 2010 Rechtsanwalt und blickt neben einer langen Karriere als Unternehmensjurist auf eine langjährige Tätigkeit als IT-Spezialist zurück. Er beschäftigt sich intensiv mit neuen Methoden, nützlichen Technologien und ihrer Auswirkung auf die Arbeit. Er berät zu Wirtschaftsrecht, IT-/IP-Recht, Datenschutz und Konsortien. Mit seinem Unternehmen riscography entwickelt er – mit starkem Fokus auf Visualisierung – Lösungen und Beratungsformate für Risikomanager. https://riscography.com/de/ https://changingthegame.de/baltasar-cevc

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Interview: „Schöne neue Arbeitswelt trifft auf Arbeitsrecht der ‚alten Welt‘“ Ulf Weigelt

Zusammenfassung

Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt. Die Zukunft gehört digitalen Teams, die sich in virtuellen Meetings treffen. Die Folge: feste Arbeitsplätze in Unternehmen weichen digitalen Arbeitsplätzen und dem Home Office, feste Arbeitszeiten lösen sich auf. Ist der Arbeitsort nicht mehr zwangsläufig beim Arbeitgeber, findet die Arbeit nicht mehr Nine-to-five statt und gibt es keine Präsenzpflicht mehr, verwischt die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben. Eine große Herausforderung für Mitarbeiter. Während nämlich früher Arbeitgeber Grenzen setzten, sind Arbeitnehmer jetzt gezwungen, sich selbst zu kontrollieren und auf sich Acht zu geben. Diese schöne neue Arbeitswelt, die auf das Arbeitsrecht der „alten Welt“ trifft, stellt aber auch für Arbeitgeber eine große Herausforderung dar. Wie all das für Mitarbeiter und Arbeitgeber zu meistern ist, weiß Ulf Weigelt, Fachanwalt für Arbeitsrecht.

U. Weigelt (*)  Rechtsanwälte Weigelt & Ziegler, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_9

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U. Weigelt

Ist die „neue“ Arbeitswelt für das Arbeitsrecht eine Herausforderung? Die zeitliche und räumliche Entgrenzung der New Work-Arbeit ist für das Arbeitsrecht der „alten Welt“ eine große Herausforderung, denn die technischen Neuerungen ermöglichen Mitarbeitern und Führungskräften, zeit- und ortsunabhängig zu arbeiten. Und das betrifft zum einen die Regelungen des Heimarbeitsgesetzes, zum anderen Arbeitsschutz-, Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzregelungen, die Arbeitsstättenverordnung sowie das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Das ArbZG beispielsweise sieht nicht nur eine tägliche Höchstarbeitszeit vor, sondern auch eine zwingende Ruhezeit. Entscheiden Mitarbeiter allein, wann und wo sie tätig sind, haben Arbeitgeber keine Möglichkeit, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten. Eine weitere Herausforderung sind in diesem Zusammenhang die Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Demnach sind Arbeitgeber verpflichtet, alle Arbeitsstunden, die über einen Acht-Stunden-Tag hinaus gehen, aufzuzeichnen sowie diese Dokumentation für zwei Jahre aufzubewahren. Das betrifft auch geringfügig Beschäftigte, denn auch hier sind Betriebe verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit zu dokumentieren und ebenfalls für zwei Jahre aufzubewahren. Wie agieren Arbeitgeber hier rechtssicher? Damit flexible Arbeitszeitregelungen (z.  B. Arbeitszeitkonten, Vertrauensarbeitszeit etc.) nicht zum Problem werden, müssen Mitarbeiter und Arbeitgeber wissen, woran sie sich zu halten haben. Erreichbarkeitsregelungen sowie das Einhalten von Anforderungen an den Arbeitsplatz im Home Office bzw. Mobile Office sind daher ratsam. Ferner sind durch diese Entwicklungen auch der Bundesdatenschutz und der Beschäftigtendatenschutz betroffen. Stellt ein Betrieb seinen Mitarbeitern zum Beispiel Diensthandys und -laptops zur Verfügung, und können Arbeitnehmer von unterwegs auf Firmenlaufwerke und Clouds zugreifen, muss gewährleistet sein, dass das mit gesetzlichen Vorgaben einhergeht. Deshalb sind Arbeitgeber gut beraten, wenn sie mit jedem Mitarbeiter dafür eine schriftliche Regelung vereinbaren – die auch die Gerätenutzung im Fall von Kündigung und Krankheit regelt. Existiert im Unternehmen ein Betriebsrat, muss dieser unbedingt beteiligt werden. Wie weit reicht hier die Mitbestimmung eines Betriebsrats? Vor allem bei der Arbeitszeit haben Betriebsräte gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht, an das sich Arbeitgeber zwingend halten müssen. Das heißt, Betriebsräte haben bezüglich Beginn und Ende der Arbeitszeit, der Verteilung auf die einzelnen Wochentage sowie der vorübergehenden Verkürzung bzw. Verlängerung der Arbeitszeit ein Mitbestimmungsrecht. Die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle ist in Betrieben mit Betriebsrat ohne diesen daher nicht möglich.

9  Interview: „Schöne neue Arbeitswelt trifft …

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Welche Herausforderungen warten auf Mitarbeiter? Ist die Arbeit stets und ständig dabei, ist das Risiko groß, auch stets und ständig tätig zu sein. Die Gefahr für Mitarbeiter: eine langfristige Dauerbelastung. Wer rund um die Uhr E-Mails checkt sowie an Projekten und Aufgaben arbeitet, muss für sich selbst sorgen. Das heißt, nicht nur Arbeitgeber sollten Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer aufstellen, sondern auch die Arbeitnehmer selber müssen sich vor einer 24/7-Belastung schützen. Sehen Arbeitgeber und Führungskräfte, dass eine Überforderung droht, sollten sie schnell handeln und das Gespräch mit dem Betroffenen führen. Sinnvoll ist jedoch, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, sondern frühzeitig Trainings anzubieten, die Mitarbeiter und Führungskräfte für die Selbstverantwortung sensibilisieren. Immer mehr Unternehmen ermöglichen einzelnen Arbeitnehmern und ganzen Abteilungen das Arbeiten im Co-Working-Space. Was ist hier arbeitsrechtlich zu beachten? Co-Working-Spaces als Arbeitsort für Mitarbeiter stellt Arbeitgeber bzw. das „klassische“ Arbeitsrecht vor enorme Herausforderungen. Denn auch hier sind Datenschutz sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz von allen Beteiligten einzuhalten. Das heißt, Arbeitgeber müssen gewährleisten können, dass im Co-Working-Space diese Arbeitsbedingungen vorhanden sind. In Unternehmen, in denen ein Betriebsrat existiert, hat dieser auch hier ein Mitbestimmungsrecht, dass vor allem das Betriebsverfassungsgesetz, was die Fragen der Ordnung (§ 87 Abs. 1 Nr. 1) sowie die Planung der Arbeitsplätze (§ 90) regelt, betrifft. Die Arbeitsschutzvorschriften, die im Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsstättenverordnung geregelt werden, beinhalten, dass ein Arbeitsplatz so eingerichtet sein muss, dass Mitarbeiter gefahrlos ihrer Tätigkeit nachgehen können – egal, ob im eigenen Unternehmen oder im Co-Working-Space. Im Klartext: Arbeitgeber haben auch im Co-Working-Space die Gesamtverantwortung für die Durchführung. So müssen also dafür Sorge tragen, dass beispielsweise Brandschutzbeauftragte vorhanden sind, die Arbeitsplatzausstattung ausreichend ist (Stichwort: ergonomische Möbel), keine Gefahrenquellen existieren bzw. darauf ausreichend hingewiesen wird. Bezüglich des Datenschutzes müssen aber nicht nur der Arbeitgeber und Anbieter des Co-Working-Spaces die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, sondern auch Mitarbeiter. Das heißt, Unternehmensunterlagen und -informationen müssen sorgfältig und vertraulich behandelt werden. In der Regel schließt das das Arbeiten in Gemeinschaftsräume und mit -drucker mit Co-Workern anderer Unternehmen aus. Und weil der Schutz der Daten vor dem Zugriff Fremder oberstes Gebot hat, müssen abschließbare Schränke, Aktenvernichter, Sichtschutzfolien usw. vorhanden sein.

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U. Weigelt

Können Arbeitgeber als Mieter eines Co-Working-Spaces überhaupt darauf Einfluss nehmen? Theoretisch können Arbeitgeber hier wenig Einfluss nehmen, da sie dem Co-WorkingSpace-Betreiber im Zweifel keine Anweisungen erteilen können. Praktisch hingegen kann ein Betrieb bestimmte Regelungen, die eingehalten bzw. berücksichtigt werden müssen, in den Mietvertrag aufnehmen. Und wer muss bei Arbeitsunfällen haften? Auch wenn ein Arbeitgeber gewisse Bedingungen über einen Mietvertrag geregelt hat, kann er seine Arbeitsschutzpflichten nicht delegieren. Das heißt, Arbeitgeber sind grundsätzlich dafür verantwortlich, dass der Arbeitsschutz eingehalten wird. Das betrifft zum Beispiel ebenfalls das Home-Office. Auch hier stehen Arbeitnehmer unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Allerdings ist die Haftung hier nicht ganz unkompliziert. Verletzt sich ein Mitarbeiter am Schreibtisch, haftet die gesetzliche Unfallversicherung. Passiert ihm allerdings etwas auf dem Weg zur Küche oder Toilette, haftet diese nicht. Deshalb müssen Arbeitgeber auch im Home-Office den Arbeitsschutz einhalten. Das heißt, Büromöbel müssen die Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes erfüllen, die Bildschirmarbeitsplatzverordnung sowie die Arbeitsstättenverordnung müssen eingehalten werden. Um das gewährleisten zu können, müssen Arbeitgeber die benötigten Arbeitsmittel auch zur Verfügung stellen. Und beschädigt ein Mitarbeiter die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel, haftet er nur, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt. Ulf Weigelt  ist Fachanwalt für Arbeitsrecht mit Kanzlei in Berlin. Der Autor verschiedener Ratgeber veröffentlicht regelmäßig Antworten auf Leserfragen rund ums Arbeitsrecht und ist häufiger Gast in TV-Sendungen, wenn es um Fragen rund um das Arbeitsrecht geht.

Teil IV Suchen & Erkunden: Entscheiden

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Teil IV  Suchen & Erkunden: Entscheiden

Die fünf Säulen der Digitalisierung

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Jennifer Mitterweger und Lena Wellhöfer

Zusammenfassung

Die Digitalisierung beschäftigt derzeit Unternehmen, Arbeitnehmer, Gesellschaft und Politik gleichermaßen. Dabei stellen sich Unternehmen vor allem folgende Fragen: Worauf kommt es dabei wirklich an? Welche Faktoren müssen beachtet werden, bevor die digitale Transformation gestartet werden kann? Welche Auswirkungen und Veränderungen wird das für die Organisation und die Mitarbeiter haben? Welche Rahmenbedingungen sollten vorherrschen, um eine erfolgreiche und nachhaltige Transformation zu gewährleisten? Für den Erfolg der Digitalisierung in Unternehmen sind die Säulen Skills, intrinsische Voraussetzungen, Belastung, Organisation und Datenschutz von Bedeutung. Dabei beziehen sich die ersten drei Faktoren auf die Belegschaft und die letzten zwei auf organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen. Das zeigt, dass sich Digitalisierung und Transformation nicht nur auf Systemumstellungen beziehen, vielmehr rücken auch HR-bezogene Aspekte in den Fokus. Das von den Autorinnen entwickelte Modell soll Orientierung bei der Analyse der Herausforderungen der Transformation geben. Dabei unterstützt es Unternehmen bei der Erhebung des Ist-Zustands und der Ableitung des Soll-Zustands.

J. Mitterweger (*)  MAN Truck & Bus AG Nürnberg, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] L. Wellhöfer  Adidas AG, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_10

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J. Mitterweger und L. Wellhöfer

Unternehmen, die sich mit der Umsetzung der Digitalisierung bzw. der digitalen Transformation beschäftigen, benötigen in der Regel Orientierung. Für den Erfolg einer Digitalisierung kristallisierten sich fünf klare Aspekte heraus: Skills, intrinsische Voraussetzungen, Belastung, Organisation und Datenschutz. Dabei bezieht sich Digitalisierung und Transformation nicht nur auf Systemumstellungen, vielmehr rücken auch HR-bezogene Aspekte in den Fokus. Die Digitalisierung beschäftigt derzeit Unternehmen, Arbeitnehmer, Gesellschaft und Politik gleichermaßen. Dabei beschäftigen sich vor allem Unternehmen mit folgenden Fragen: Worauf kommt es dabei wirklich an? Welche Faktoren müssen beachtet werden, bevor man die digitale Transformation startet? Welche Auswirkungen und Veränderungen wird das für die Organisation und die Mitarbeiter haben? Welche Rahmenbedingungen sollten vorherrschen, um eine erfolgreiche und nachhaltige Transformation zu gewährleisten? Für den Erfolg der Digitalisierung in Unternehmen sind die Säulen Skills, intrinsische Voraussetzungen, Belastung, Organisation und Datenschutz von Bedeutung. Dabei beziehen sich die ersten drei Faktoren auf das Personal und die letzten zwei auf organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen. Das zeigt, dass sich Digitalisierung und Transformation nicht nur auf Systemumstellungen beziehen, vielmehr rücken auch HR-bezogene Aspekte in den Fokus. Das von den Autorinnen entwickelte Modell soll Orientierung bei der Analyse der Herausforderungen der Transformation geben. Dabei unterstützt es Unternehmen bei der Erhebung des Ist-Zustands und der Ableitung des Soll-Zustands. Fünf Säulen für eine erfolgreiche Digitalisierung Skills  Durch die Digitalisierung verändern sich die Qualifikations- und Kompetenzanforderungen an Arbeitnehmer. Das heißt, sie müssen ein Verständnis für Funktionsweisen besitzen, Kommunikationsgeräte beherrschen sowie über praktische Anwenderkenntnisse und Online-Kompetenzen verfügen (= Digital Literacy). Dabei impliziert Digital Literacy, dass digitale Kompetenzen genauso zu den Grundqualifikationen gehören wie Lesen, Schreiben und Rechnen, und deshalb in Kindergärten und Schulen vermittelt werden sollten. Denn so sind Defizite im späteren Berufsleben zu reduzieren [1]. Bei einem niedrigen Level der Digital Literacy sollten Mitarbeiter dementsprechend weitergebildet und trainiert werden. Durch die zunehmende Komplexität der Prozesse und der technischen Zusammenhänge steigt auch die Relevanz des technischen Fachwissens. Vor allem vor dem Hintergrund der steigenden Individualisierbarkeit von Produkten (z. B. die Konfigurierbarkeit von Autos) und die damit verbundene Variabilität der einzelnen Produktionsschritte, müssen Mitarbeiter ein hohes technisches Verständnis für das Produkt und dessen Fertigung besitzen [2]. Um Prozesse und Ereignisse in der digitalen oder auch automatisierten Arbeitsumgebung überhaupt einordnen, bewerten, gestalten und ausführen zu können, gewinnt betriebliches bzw. berufliches Erfahrungswissen immer mehr an

10  Die fünf Säulen der Digitalisierung

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Bedeutung [3]. Damit auch jungen Arbeitnehmern dieses erfahrungsbasierte Wissen zugänglich ist, ist es sinnvoll, altersgemischte Teams oder Projektteams zusammenzustellen oder ein Mentoring-Programm anzubieten, bei dem junge Arbeitnehmer auf das Wissen der erfahreneren Mitarbeiter zugreifen können. Um sicherzustellen, dass die erfahreneren Mitarbeiter dieses berufliche Know-how überhaupt besitzen und darüber hinaus über betriebliches Wissen verfügen, ist es sinnvoll, selbst Fachkräfte auszubilden, was beispielsweise in Form der dualen Berufsausbildung oder des dualen Studiums erfolgen kann. Durch die verschiedenen digitalen Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation verändern sich auch die Anforderungen an diese Fähigkeiten. Das heißt, Mitarbeiter müssen in der Lage sein, untereinander, mit Führungskräften, externen Partnern und Kunden adäquat kommunizieren und kooperieren zu können [4]. Durch die Nutzung digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ist einerseits die Flexibilisierung des Arbeitsorts und der Arbeitszeit möglich, andererseits nimmt die Wichtigkeit der Planungs- und Organisationsfähigkeiten zu. Dadurch, dass die Führungskraft nicht immer oder gar nicht in der unmittelbaren Nähe der unterstellten Mitarbeiter ist, müssen sie selbstständig die Planung und Organisation ihrer Arbeitsaufgaben durchführen sowie eigenständig handeln können. Das heißt, sie sollten vor allem über die Fähigkeit verfügen, Termine, Aufgaben und Informationen priorisieren zu können. Intrinsische Voraussetzungen Bei der Akzeptanz von Mitarbeitern spielt unter anderem das Konstrukt Technology Readiness eine wichtige Rolle, was ursprünglich in der Markforschung entwickelt wurde, um die Kunden in technologienahen Branchen zu segmentieren. Technology Readiness beschreibt die Bereitschaft von Individuen, neue Technologien zu nutzen, um Ziele im Arbeits- und Privatleben zu erreichen [5]. Es handelt sich hierbei also um die technologiebezogene Einstellung von Individuen. Durch die sich ständig verändernden Prozesse, Arbeitsbedingungen und -umgebungen und den dadurch entstehenden Veränderungsdruck muss bei den Mitarbeitern zudem die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen vorhanden sein. Ein Schritt halten mit den Veränderungen wäre ansonsten nur schwer möglich [6]. Bei der Betrachtung des Zusammenhangs von Digitalisierung und den Big-Five [7], einem Modell der Persönlichkeitspsychologie, das fünf Persönlichkeitsfaktoren differenziert, lässt sich schließen, dass eine Verbindung von Neurotizismus mit der Offenheit für Erfahrungen besteht. So wirkt sich eine starke Ausprägung des Neurotizismus-Werts negativ auf die Akzeptanz der Digitalisierung und deren Veränderungen aus. Denn Personen mit dieser Ausprägung neigen tendenziell eher dazu, ängstlich und besorgt zu sein. Wohingegen ein stark ausgeprägter Wert des Faktors Offenheit für Erfahrung vermutlich eher positiv mit der Akzeptanz der Digitalisierung und deren Veränderungen korreliert. Personen mit dieser Ausprägung neigen tendenziell eher dazu, ungewöhnliche Gedankengänge zu haben und nonkonformistisch zu sein.

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J. Mitterweger und L. Wellhöfer

Die Frage, die sich an dieser Stelle nun aufdrängt ist, was ist zu tun, wenn Mitarbeiter keine der intrinsischen Voraussetzungen mitbringen? In diesem Fall ist abzuwägen, ob der Mitarbeiter, wenn er in seiner Position bleibt, gesundheitsschädliches Verhalten an den Tag legen und demotiviert sein wird. Ist das der Fall, wäre eine Umschulung notwendig oder sogar eine personenbedingte Kündigung denkbar. Wenn absehbar ist, dass er trotz der nicht vorhandenen Voraussetzungen, die Arbeit effizient und qualitativ hochwertig erledigen kann, ist von den genannten Schritten abzusehen und der Fokus auf die Veränderung der Einstellung bzw. der Denkweise zu legen. Um die Motivation und Gesundheit des Mitarbeiters stets im Blick zu haben, und bei einer Verschlechterung eingreifen zu können, ist ein enger Austausch mit dem Vorgesetzten unabdingbar. Belastungen  Neben den Veränderungen der Qualifikations- und Kompetenzanforderungen löst die Digitalisierung auch Veränderungen hinsichtlich der Arbeitsbelastung aus. Einerseits führen Digitalisierung und technologischer Wandel zur Entlastung bei einfachen und körperlich belastenden Tätigkeiten. Andererseits steigen durch die verschiedenen Kommunikationsmittel und -wege die zu erledigenden Aufgaben (Arbeitsintensivierung) als auch die zu verarbeitenden Informationen (Informationsintensivierung). Für die von der Arbeits- und Informationsintensivierung betroffenen Mitarbeiter sollten daher Maßnahmen zum Schutz vor übermäßiger Belastung angeboten werden [8]. Auch die durch die Digitalisierung bedingten ständigen Veränderungen von Geschäftsmodellen und Arbeitsprozessen stellen eine zusätzliche Herausforderung für die Belegschaft dar. Die Auswirkungen von permanenten Change-Prozessen sind jedoch aktuell noch nicht absehbar. So könnten sie zu einer erhöhten psychischen Belastung der Mitarbeitenden führen [9]. Die körperliche Be­­ lastung wird nicht länger durch schweres Heben bestimmt, sondern durch das viele Sitzen vor dem Computer. Ergonomische Arbeitsplätze sind daher eine wichtige Voraussetzung, um die körperliche Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten. Deshalb sollten sowohl Infrastruktur als auch Schulungen für die Mitarbeiter sichergestellt sein. Für Unternehmen lohnt es sich nur in neue Technologien zu investieren, wenn sich das in Kostensenkungen oder Produktivitätssteigerungen bemerkbar macht. Betrachtet man diesen Zusammenhang aus Sicht der Arbeitnehmer so zeigt sich, dass Beschäftigte, deren Tätigkeit durch die Digitalisierung beeinflusst wird, eine Steigerung der Arbeitsleistung bemerken. Eine deutliche Leistungssteigerung zeigt sich besonders bei Mitarbeitern, die durch den technologischen Wandel mehr Entscheidungsfreiheit gewinnen oder körperlich entlastet werden [10]. Dies kann bei den Beschäftigten zu erhöhtem Leistungsdruck führen, was wiederum die psychische Belastung erhöhen kann. Eine branchenübergreifende Anforderung ist deshalb, Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen einzuleiten, die vor allem auf Stressbewältigungsstrategien, Entspannungstechniken, Zeitmanagement sowie die Fähigkeit, positiv mit Veränderungen umzugehen, eingehen.

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Organisation  Im Rahmen der Digitalisierung ist ein grundsätzlicher Wandel der Unternehmenskultur notwendig. Eine digitale Kultur zu schaffen bedeutet, unter den Gesichtspunkten Offenheit, Lernbereitschaft, Veränderungsfreude und Diversity folgende Bedingungen zu schaffen bzw. zu erfüllen: Kundenzentrierung: Der Kunde muss in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns gestellt werden. Dies zeichnet sich durch ein individuelles Verhältnis, sowie klare Kommunikation und einen engen Austausch mit dem Kunden aus. Technologien und Prozesse: Für die Weiterbildung der internen und externen Prozesse werden digitale Plattformen und Tools benötigt. Mit ihnen können Arbeitsprozesse analysiert, verbessert und nutzerorientiert gestaltet werden. Entrepreneurship: Aktuelle Markttrends werden in das Geschäftsmodell integriert und Mitarbeiter angehalten risikoreicher zu handeln, eigenen Ideen nachzugehen und Veränderungen am Markt auszulösen. Agilität: Durch dynamisches Denken und Handeln wird die Anpassungsfähigkeit des Betriebs unterstützt und hohe Veränderungsbereitschaft hervorgerufen. Standardprozesse verlieren gegenüber Interaktion an Relevanz, der Weg zum Ergebnis zählt nicht so viel wie das Ergebnis selbst. Die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als die Anzahl der abgeschlossenen Verträge. Das sture Einhalten von Plänen ist Geschichte. Autonome Arbeitsbedingungen: Der Wunsch der Mitarbeiter, eigenverantwortlicher zu arbeiten, wird in Verbindung mit maximaler Leistung gefördert. Ehrlichkeit und Vertrauen sind hierbei die größten Voraussetzungen. Digital Leadership: Chefs sehen sich in einer digitalen Kultur eher als Coach ihrer Mitarbeiter. Sie erhalten den Unterschied zwischen Führung und Management. Führung bedeutet dabei klare Strategien, Management setzt diese um. Durch digitale Tools und ein gutes Vertrauensverhältnis können Mitarbeiterfragen ausreichend beantwortet und Entscheidungen argumentiert und nachvollzogen werden. Kollaboration: Durch die Digitalisierung ist es heute simpler, Informationen zu teilen und zu strukturieren. Lernen und Innovation: Zwei der wichtigsten Faktoren für eine digitale Kultur sind Lernorientierung und Innovationsbereitschaft – erreicht durch die Förderung der Kreativität der Mitarbeiter. Experimente und Fehler werden als Chance betrachtet und akzeptiert sowie Gewohnheiten stetig überprüft. Aufgrund der geringen Planbarkeit und den ständigen Veränderungen fehlt Arbeitnehmern in der immer digitaler werden Arbeitswelt der gewünschte Halt. Die praktischen, neuen Computerprogramme vereinfachen zwar die Arbeit in vielerlei Hinsicht, jedoch ist eine agile Führungspersönlichkeit unersetzbar. Da es immer weniger Unterschiede bezüglich des Wissensvorsprungs zwischen Führungskraft und Mitarbeiter gibt, hat Vertrauen eine immer wichtiger werdende Bedeutung. Daher wird es immer wichtiger, Arbeitnehmer mit speziellem Wissen entsprechend einzubinden und zu fördern. Kreativität bildet die Basis von Innovation. Sie bleibt eine Fähigkeit, die die Menschen von den Maschinen unterscheidet, weshalb es agiler Führungspersönlichkeiten bedarf, um diese zu unterstützen und richtig einzusetzen

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und umzusetzen. Für die Unternehmen ist es deshalb unumgänglich, die Kapazitäten und Ressourcen der Mitarbeiter im Auge zu behalten und Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar zu verteilen. Nur mit diesem Wissen können die Unternehmen ihre Mitarbeiter gewinnbringend einsetzen. Führungskräfte, die ihren Führungsstil an den Anforderungen der Digitalisierung orientieren, sollten folgende Aspekte berücksichtigen [11]: • • • • • •

Diversität ihrer Mitarbeiter Aufbrechen der hierarchischen Strukturen (adaptiver Führungsstil) aktives Eingehen auf die Mitarbeiterleistung (integrativ) Förderung der Kreativität der Mitarbeiter (innovativ) mit den Mitarbeitern auf Augenhöhe sein (partizipativ) Förderung des Zusammenhalts trotz virtueller Teams bzw. Kommunikation (vernetzt)

Eine Herausforderung wird dies besonders in Unternehmen mit steilen Hierarchien, da dort ein grundlegendes Umdenken der Führungskräfte erforderlich sein wird. Datenschutz  Die wesentliche Basis für Unternehmen im Zuge der Digitalisierung ist der Datenschutz, denn lediglich in diesem Rahmen können Unternehmen entsprechend ihren Rechten und Pflichten handeln. Im Folgenden sind die wichtigsten Aspekte zusammengefasst: Marktortprinzip: Die räumliche Geltung ist nicht mehr auf den Standort eines Unternehmens bezogen, sondern darauf, ob ein Unternehmen Daten von Personen verarbeitet, die sich in der EU aufhalten. Gleiches gilt für die Beobachtung des Surfverhaltens von Personen im Internet. Verzeichnisführung: Alle Verarbeitungstätigkeiten müssen in einem Verzeichnis geführt werden, welches der Aufsichtsbehörde auf Anfrage zur Verfügung zu stellen ist. Informationspflicht: Der betroffenen Person ist vor der Erhebung ihrer Daten leicht verständlich der Verwendungszweck zu erläutern. Eine unabdingbare Aufgabe wird somit ein klares, transparentes „Consent Management“ durchzuführen. Das heißt, sich um die Einwilligung der Person zu dieser Form der Datenerhebung und -verarbeitung zu bemühen. Vergessenwerden: Verlangt der Betroffene die Löschung seiner Daten, ist der Verantwortliche verpflichtet, alle Stellen darüber in Kenntnis zu setzen. Meldepflicht: Der Verantwortliche ist verpflichtet innerhalb von 72 h eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten der Aufsichtsbehörde zu melden. Das setzt eine einwandfreie Dokumentation aller Vorfälle voraus – auch wenn sie aufgrund mangelnder Schwere nicht meldepflichtig sind. Haftung: Bei schweren Verstößen wird ein Bußgeld von bis zu vier Prozent des letztjährigen Jahresumsatzes oder bis zu maximal 20 Mio. EUR angedroht [12].

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Fazit

Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Die Zahl der Personen, die an psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Burn-out leiden, nimmt seit Jahren stetig zu – was auch mit den sich ständig verändernden Anforderungen, der Informationsflut, der steigenden Komplexität und Schnelllebigkeit unserer Welt zu tun hat. Daher haben sich Gegenbewegungen gebildet, deren Fokus auf dem Analogen, dem Einklang von Körper, Geist und Seele sowie der Entschleunigung liegt. Unternehmen könnten dem begegnen, indem sie Sportarten mit der Besinnung auf sich selbst (z. B. Yoga) anbieten oder Erholungsoasen (z. B. kleine Gärten) auf dem Firmengelände anlegen, die von den Mitarbeitern gepflegt werden. So oder so, wichtig ist die Möglichkeit, sich eine Auszeit von den flackernden Bildschirmen nehmen zu können.

Literatur 1. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.). (2015). Grünbuch Arbeiten 4.0. Berlin. 2. Institut der deutschen Wirtschaft Köln / Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult. (2015). Digitalisierung, Vernetzung und Strukturwandel: Wege zu mehr Wohlstand. Erster IW-Strukturbericht. Köln. 3. Hammermann, A., & Stettes, O. (2016). Qualifikationsbedarf und Qualifizierung: Anforderungen im Zeichen der Digitalisierung. IW policy paper, No. 3/2016. Köln: Institut der deutschen Wirtschaft Köln. http://hdl.handle.net/10419/127450 (abgerufen am:27.05.2018) 4. IW-Personalpanel. (2014). Köln. 5. Parasuraman, A. (2000). Technology-Readiness Index (TRI): A Multiple-Item Scale to Measure Readiness to Embrace New Technologies. Journal of Service Research, 2, 4, S. 307–320. 6. Wilhelm, S. (2016). Digitalisierung. Eine Frage der Einstellung. Der Handel, 9, S. 36–39. 7. McCrae, R. R., & Costa, P. T. (2006). Personality in adulthood. A five-factor theory perspective. New York: Guilford Press. 8. Arnold, D., Bellmann, L., Steffes, S., & Wolter, S. (2016). Digitalisierung am Arbeitsplatz: Technologischer Wandel birgt für die Beschäftigten Chancen und Risiken. IAB-Forum, Ausgabe 1/2016, S. 98–105. 9. Hofmann, D. (2018). Neue Präventionsansätze. BankInformation, Heft 06/2018, S. 76–77. 10. Arnold, D., Bellmann, L., Steffes, S., & Wolter, S. (2016). Digitalisierung am Arbeitsplatz: Technologischer Wandel birgt für die Beschäftigten Chancen und Risiken. IAB-Forum, Ausgabe 1/2016, S. 98–105. 11. Enste, D. H., Eyerund, T., & Knelsen, I. (2013). Führung im Wandel. Führungsstile und gesellschaftliche Megatrends im 21. Jahrhundert, RHI-Diskussion, Nr. 22. München: Roman Herzog Institut e. V. 12. DSGVO. (2018).

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J. Mitterweger und L. Wellhöfer Jennifer Mitterweger ausgebildete Industriekauffrau in einem internationalen Großunternehmen in der Metallindustrie, die nebenberuflich ein Studium im Bereich BWL und Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) absolviert. https://changingthegame.de/jennifer-mitterweger

Lena Wellhöfer  schloss die Ausbildung zur Industriekauffrau 2015 ab und arbeitete seitdem in der Materialentwicklung und im Personalbereich eines international agierenden Sportartikelherstellers mit Sitz in Mittelfranken. Seit dem Wintersemester 2015 studiert sie berufsbegleitend an der Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) BWL und Wirtschaftspsychologie. Sie interessiert sich für alle Themen rund um Future Talents und Recruiting. https://changingthegame.de/lena-wellhoefer

Impuls: Tanja Kufner (Partner bei dynamics.vc) Nichts tötet Innovationen schneller als die rigiden Prozesslandschaften in großen Unternehmen. Für etablierte Unternehmen ist die Zusammenarbeit mit Start-ups die beste Möglichkeit, um mit dem rasanten technologischen Fortschritt Schritt zu halten. Startups unterscheiden sich aber von ihren bekannten Lieferanten – sie sind maximal lösungsorientiert, agil und weniger regelkonform. Unternehmen müssen sich daher aus ihrer Komfortzone wagen und mit dem Rückhalt aller internen Stakeholder den Start-ups auf der Hälfte des Weges entgegenkommen, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich zu machen.

Interview: „Mit Digital Transformation Managern den digitalen Wandel meistern“

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Christina Burkhardt

Zusammenfassung

Die Shiftschool ist Deutschlands erste Akademie für digitale Transformation und bildet innerhalb von 18 Monaten in einem berufsbegleitenden Programm Teilnehmer zum Digital Transformation Manager aus. Dabei unterschiedet sich die Lernmethode der Shiftschool in Inhalt und Art deutlich von der klassischen Lehre und dem gängigen Angebot auf dem Bildungsmarkt und legt den Fokus auf Skills, Mindset und Network. Zudem kuratiert die Shiftschool Corporate Learning Programme für DAX-Konzerne und mittelständische Unternehmen und designt Learning Journeys zum Thema Digitalisierung, Mindset und Digital Leadership. Was Unternehmen tun können, um mit der hohen Veränderungsgeschwindigkeit Schritt halten zu können, weiß Christina Burkhardt.

C. Burkhardt (*)  SHIFTSCHOOL, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_11

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C. Burkhardt

Was ist Shiftschool? Shiftschool ist Deutschlands erste Akademie für digitale Transformation mit einem didaktischen Konzept, das konsequent auf die Bedürfnisse des digitalen Zeitalters ausgerichtet ist. Unsere Teilnehmer bilden sich berufsbegleitend zum Digital Transformation Manager weiter mit dem Fokus auf Skills, Mindset und Network und angelehnt an die vier Ps: Passion, Play, Peers and Projects. Warum brauchen Unternehmen Digital Transformation Manager? Unternehmen brauchen dringend Generalisten, die das große Ganze erfassen können. Die verstehen, wie sich Geschäftsmodelle verändern, welche Mitarbeiter man dafür braucht und auch welche Fähigkeiten notwendig sind. Dabei steht sehr stark das Thema Haltung und die eigene Einstellung zum Thema Veränderung im Vordergrund. Dafür braucht es neben einer großen Portion Selbstreflexion, auch Resilienz sowie die Fähigkeit, zu netzwerken. All diese Punkte sollten Digital Transformtion Manager mitbringen. Warum ist Ihr Lernansatz erfolgreicher als herkömmliche Lernmethoden? Bei herkömmlichen Lernmethoden wird oft nach Schema F vorgegangen: man lernt etwas auswendig, schreibt eine Klausur, setzt irgendwelche Häkchen und vergisst das Gelernte anschließend wieder. Ob der Teilnehmer wirklich etwas verstanden hat, wird nicht überprüft. Eine Note per se sagt jedoch nichts darüber aus, ob ich ein Thema wirklich durchdrungen habe und das Gelernte auch wirklich anwenden kann. Wird das Lernen jedoch so praktiziert, dass es immer gleich umgesetzt werden muss, wird schnell deutlich, ob ein Teilnehmer es wirklich verstanden hat. Daher geben wir unseren Teilnehmern ausschließlich praktische Aufgaben, sogenannte Challenges, die meist in Teams umgesetzt werden müssen. Sie erhalten zur Orientierung immer wieder Feedback zu ihren Leistungen und finden so heraus, wo noch Entwicklungspotenzial ist. In unserem Schulsystem beispielsweise fehlt dieses Feedback. Eine Note per se sagt mir nicht, was ich besser machen kann und womit ich mich noch tiefer beschäftigen sollte. Wer zu uns an die Shiftschool kommt, tritt aus seiner Komfortzone heraus. Unser Ziel ist es, Absolventen zu haben, die Zusammenhänge erfassen und strategisch denken können. Die wissen, was es bedeutet, wenn sich Dinge schnell und stark ­verändern und welche Haltung es braucht, trotz des ständigen Wandels in Balance zu bleiben. Was ist für nachhaltige Lernerfahrungen wichtig? Am Ende ist es immer eine Frage der Kultur: Unternehmen, die Mitarbeiter weiterbilden, müssen sich immer die Frage stellen, wie ihre Mitarbeiter ihr neues Wissen im Unternehmen einsetzen und Dinge gestalten dürfen. Und sie sollten eine Antwort darauf haben, wie sich die Organisation zusammen mit diesen Mitarbeitern verändern kann.

11  Interview: „Mit Digital Transformation Managern …

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Wie schaffen es Teilnehmer, im Unternehmen als Multiplikator zu fungieren? Unsere Ausbildung ist so gestaltet, dass unsere Teilnehmer die Denkweise unkompliziert ins Unternehmen tragen können. Zum Ende unseres 18-monatigen Programms erarbeiten unsere Teilnehmer in einer Einzelchallenge eine digitale Bestandsaufnahme im Unternehmen: In den ersten 12 Monaten an der Shiftschool haben sie in acht Modulen das Rüstzeug erhalten, um anschließend innerhalb von drei Monaten diese Aufgabe umsetzen zu können. Sie sollen analysieren, wie ihr Unternehmen digital aufgestellt ist. Dazu treten sie mit vielen Menschen in ihrer Organisation in Kontakt, stellen ihr Thema vor und gehen in den Austausch. Durch diesen Austausch fließt Wissen ins Unternehmen, und weckt großes Interesse u. a. bei Kollegen. Im besten Fall treffen Teilnehmer auf Personen wie Vorstandsmitglieder, die sie über normale Hierarchieebenen nie erreicht hätten und können dort Themen und Ideen platzieren. Zudem erhalten viele unserer Teilnehmer während ihrer Zeit an der Shiftschool neue Verantwortlichkeiten, weil ihre Expertise geschätzt und gebraucht wird. Mehr und mehr Leute dem selben Unternehmen möchten sich sukkzessive ebenfalls bei uns weiterbilden – für uns ein Indikator dafür, dass das Prinzip Multiplikator funktioniert. Ihre Teilnehmer werden also dazu angehalten, ihr neues Wissen sofort anzuwenden? Weil unsere Trainer nicht stundenlang Wissen vortragen, sondern auf einen Wechsel aus Impulsen und anschließende Teamarbeit setzen, sind unsere Teilnehmer gezwungen, den Transfer zu leisten. Ferner werden sie an jedem Workshop-Wochenende immer wieder in neuen Teams für die Umsetzung der Aufgaben zusammengestellt. So kommen nicht nur Menschen unterschiedlichster Abteilungen und mit unterschiedlichstem Kenntnisstand und Background zusammen. Sie sind auch gezwungen, sich immer wieder neu einzustellen, neue Impulse anzuwenden und zu durchdenken – und genau das sollen sie auch lernen. Zudem geht es in unserer Ausbildung sehr stark um Eigenverantwortung und Selbstorganisation. So ist eine weitere Challenge beispielsweise, in der Gruppe innerhalb von einem Jahr ein Festival zu organisieren. Dafür erhalten die Teilnehmer zu Beginn ein Briefing mit Thema (zum Beispiel Künstliche Intelligenz), Termin und Location. Ansonsten müssen sie sich komplett selbst um die Umsetzung kümmern. In der Praxis sieht es so aus, dass 25 Leute über ganz Deutschland verteilt sind und sich nun überlegen müssen, wie sie sich selbst organisieren, welche Regeln sie sich geben, ob Teams gebildet werden usw. Und weil man sich bei 25 Leuten wunderbar verstecken kann, muss die Gruppe auch klären, was man mit Leuten macht, die nicht mitarbeiten wollen oder prinzipiell dagegen sind: Habe ich eine Handhabe? Wer trifft die Entscheidungen? Wie sieht die Verantwortung jedes Teilnehmers aus? Die Teilnehmer lernen dabei unglaublich viel über sich selbst. Sie erkennen, wie sie in einem Team funktionieren. Wie sie ihre Ideen einbringen und sich durchsetzen. Oder welche Arbeitsmethoden funktionieren. Und weil Digitalisierung auch sehr viel mit Leadership zu tun hat, ist die Frage zu klären, wer

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diese Rolle annimmt? Es ist spannend zu sehen, wie viele Personen, die selbst Führungskräfte sind, dann doch gerne eine Entscheidung von anderer Stelle hätten, zum Beispiel von uns. So sieht also an der Shiftschool praktisches Lernen und neue Didaktik aus. Wie sieht die Rolle der Führungskraft in Zukunft aus? Es heißt ja immer, dass Führungskräfte auch Coach und Mentor sein müssen. Dem kann ich mich anschließen, ich denke aber, es geht auch sehr stark darum, sich als Leader zurücknehmen zu können. Ein Leader beobachtet, wie sein Team funktioniert. Er hat ein Gespür dafür, wer sich wie entwickeln kann und wer wo Unterstützung braucht. Worin die wirklichen Fähigkeiten der Mitarbeiter liegen und wie diese dementsprechend einzusetzen sind. Dahin müssen Führungskräfte sich allerdings erst einmal selbst entwickeln. Denn hierfür braucht es ein sehr großes Maß an Menschenkenntnis, Empathie, gesundem Menschenverstand und Kommunikationsstärke. Hilfreich ist dabei ein Sparring im Team mit ehrlichem Feedback zum Führungsstil, denn die Eigenwahrnehmung ist doch immer eine andere als die Fremdwahrnehmung. Christina Burkhardt ist Gründerin der SHIFTSCHOOL, Deutschlands erster Akademie für Mindset & Digital Leadership. Als Mutter von drei Kindern liegt ihr das Thema (digitale) Bildung besonders am Herzen. Sie engagiert sich zudem für mehr Gründerinnen und setzt sich als Mitglied in den Netzwerken Global Digital Women, PANDA und Digital Media Women für die Sichtbarkeit von Frauen in der Digitalwirtschaft ein. Sie ist also leidenschaftliche Brückenbauerin zwischen analogen und digitalen Welten.

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Zusammenfassung

Ob Neue Arbeit, Arbeiten 4.0. oder New Work – die aktuelle Entwicklung der Arbeitswelt wird zunehmend zum Modebegriff. Doch wie sieht die Praxis hinter den „Buzzwords“ aus? Als externe Beraterin und interne Projektleiterin legen wir unsere Erfahrungen und Perspektiven übereinander und fragen uns: Was braucht es, damit es wirklich losgehen kann? Was ist wichtig, damit die neuen Arbeitswelten von den Menschen auch betreten, die neuen Möglichkeiten ergriffen werden? Sie finden zum einen Hinweise zu den persönlichen Schlüsselkompetenzen des „new workers“: Innere Stabilität, Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und Ressourcen, die Fähigkeit sich selbst zu führen und zu präsentieren und Vertrauen statt Sicherheit zu fokussieren. Zum anderen erhalten Sie hilfreiche Praxistipps für Projektleitende und Führungskräfte im Umgang mit den Anfangshürden neuer Arbeitsformen.

N. Golob (*)  Vitale Arbeitskultur, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Ullrich  Siemens Healthineers GmbH, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_12

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In unserer globalisierten Welt tobt der „War for Talents.“ Mitarbeiter, die die Fähigkeit besitzen sich in der neuen Arbeitswelt zurechtzufinden und somit eine wertvolle Ressource für das Unternehmen darstellen, sind schwer zu finden. Darüber hinaus unterscheiden sich Unternehmen, die durch den Einsatz der neuen Technologien (wie z. B. Data Mining, Blockchain, physischen und software basierten Robotern, etc.) ihre Abläufe immer weiter automatisieren, hauptsächlich durch die Menschen, die für sie arbeiten. Folglich müssen Unternehmen neue Strategien zur unternehmensinternen Mitarbeiterentwicklung ausarbeiten. Eine erfolgreiche Strategie hierfür fußt auf dem Verständnis: 1. der tiefer liegenden individuellen und kollektiven Prozesse, die durch die veränderten Arbeitsweisen initiiert werden. 2. der daraus resultierenden Anforderungen an Mitarbeitende und Führende. Hierfür bietet die Kombination aus externer und interner Perspektive die beste Grundlage, um die „blinden Flecken“ der Organisation auszuleuchten. Diese Beobachtungen, Erfahrungen und Erkenntnisse fließen dann in Zusammenarbeit mit der internen HR-Abteilung, die eine entscheidende kulturverändernde Rolle spielt, in die Entwicklung und Implementierung von passenden Lernformaten, die New Work (er)lebbar machen. siehe auch Kap. 22 „Neues Lernen: Wir entwickeln uns selbst“ New Work – Perspektive extern Ah, ein Kanban-Board! Es gibt schon ein Kanban-Board und die Aufforderung, sich ein „agiles Mindset“ zuzulegen. Das Großraumbüro ist um einen Kicker und ein Sofa ergänzt. Der Kaffeeautomat braut in Barista-Qualität Cappuccino. Schöne neue Arbeitswelt  Wenn ich als Beraterin diese Welt betrete, erliege ich kurz der Wirkung des ersten Eindrucks und denke: „Wow, die sind ja schon richtig weit!“ Bis ich ins Gespräch komme und höre: „Ja, wir haben schon ganz viel gemacht, aber die Stimmung ist schlecht. Viele gehen einfach nicht mit. Die müssen noch abgeholt werden.“ „Abholen – mitnehmen, wie soll das genau gehen?“ fragen sich viele Führungskräfte. Denn sie würden auch gern abgeholt und mitgenommen werden und fühlen sich selbst „lost in transformation“. Gleichzeitig ist es ihr Job, die Veränderungen zu treiben, Prozesse und Strukturen anzupassen und selbst bei laufendem Tagesgeschäft vorbildlich voranzugehen. Einige der Mitarbeitenden sind genervt oder gelangweilt bis zynisch, ob der „Buzzwords“, die sie aus ihren lieb gewonnenen Strukturen, Abläufen und Rollen scheuchen. Sie lächeln wissend: „Das geht auch vorbei“ – und sperren sich, wo es geht. Demgegenüber stehen die Jungen und/oder Engagierten, die in Workshops den Wandel mitgestalten und für das Neue im Alltag die Lanze brechen wollen – und peu à peu

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frustriert und müde werden, weil als Einzelne vorauszugehen äußerst kräftezehrend ist. Ist die Führung zu schnell zu innovativ, fühlen sich die Leute abgehängt. Drängen die Menschen nach Veränderung und Entwicklung, scheitern sie an Kulturmustern und ­altgedienten Strukturen. Man „changed“ aneinander vorbei – und alle wollen abgeholt werden. Die Evolution ruft Die Phänomene, die ich in meiner Praxis beobachte, ob in Versicherungen oder Medienunternehmen, ähneln sich wie in jedem Veränderungsprozess. Und doch liegt darin aus meiner Sicht etwas ganz Neues. Nämlich die Chance, in unserem Arbeitsleben wirklich „erwachsen“ im Sinne von autonom zu werden und den auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene gewaltigen Transformationsprozess für unsere „persönliche Evolution“ zu nutzen. Das heißt konkret, dass wir anfangen, uns selbst abzuholen und die Fähigkeiten zu entwickeln, die es jetzt braucht. Das kann nur gelingen, wenn sich Einstellungen und Werte („Mindset“) mit verändern – individuell und kollektiv. Unsere Anpassungsleistung bewirkt die Evolution in der Arbeitswelt, wie sie auch Fréderic Laloux in seinem bahnbrechendem Buch „Reeinventing Organisations“[1] beschreibt. Wir sind die Akteure! Wir sind die, auf die wir immer gewartet haben!  Neben den drastisch veränderten Grundbedingungen, Stichwort VUCA1, ist die Digitalisierung Grund und Anlass für ein großes Nachdenken über neue Arbeitswelten. „Flexible Arbeitsplätze, Agile Leadership, Open Innovation, Lego und Design Thinking, Demokratisierung und Selbstorganisation“ – alles Vokabeln einer neuen Zeitrechnung. Die Organisationen sind herausgefordert, ihre tradierten Arbeitsweisen und –kulturen zu hinterfragen und Innovation und Weiterentwicklung anzustoßen. Die sogenannten „Buzzwords“ finden sich bald in den neuen Leitbildern, Visionen und Strategiepapieren, mit denen der Wandel initiiert werden soll. Doch das X in der Rechnung ist der Mensch - der Mensch mit seiner kollektiven, organisationalen Prägung, was Arbeit betrifft: Ein „Arbeitnehmer-Mindset“, das bisher beste Dienste geleistet hat, um in hierarchischen Organisationen einen Platz zu finden, sich ein- und unter zu ordnen. Genau das macht es den Menschen schwer, die neuen Arbeitswelten und -weisen wirklich zu ergreifen und dem postulierten Wandel zu vertrauen. Sogar im frisch geborenen „Workspace“ eines IT-Unternehmens, in dem die sogenannten „Digital Natives“ erste Berufserfahrung sammeln, ist New Work kein Selbstläufer, auch wenn von außen alles danach aussieht. Denn wir bleiben immer Menschen mit spezifischen Bedürfnissen und kollektiven und individuellen Prägungen, Qualitäten, Lernfeldern, blinden Flecken und Mustern. „Mindset“ ist daher nicht zwingend eine Frage des Alters.

1V

= Volatility/Flüchtigkeit,U = Uncertainty/Unsicherheit, C = Complexity/Komplexität, A = Ambiguity/Mehrdeutigkeit. Der Begriff entstand in den 1990er Jahren in einer amerikanischen Militärhochschule und diente zunächst dazu, die multilaterale Welt nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben. (https://de.wikipedia.org/wiki/VUCA, abgerufen am 13.08.2018).

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New Work im eigentlichen Sinn2 steht und fällt mit dem Individuum. Es braucht Selbst-Bewusstsein und persönliche Ausrichtung auf das, was ich wirklich, wirklich will. Es braucht Mut, sich ins Ungewisse, Undefinierte und Unsichere zu begeben und zu lernen. Wir sind die Akteure. Wir sind die, auf die wir gewartet haben. Ohne uns läuft es nicht. Arbeitswelt und Mensch muss gemeinsam gedacht werden  So ist unser Hineinwachsen in diese revolutionär neuen Strukturen, Rollen und Rahmenbedingungen eine evolutionäre Aufgabe. Dabei ist die Entwicklung der Organisationen als Arbeitswelten der Zukunft ein wichtiger Fokus. Gleichzeitig ist aus meiner Sicht die Entwicklung des einzelnen Menschen absolut erfolgsrelevant – und entscheidend für alles: wie wir unsere Arbeitswelt gestalten und vor allem ausfüllen, wie sich unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und nicht zuletzt unser Leben auf diesem Planeten in den nächsten Jahrzehnten darstellen wird. Die Stabilität im Außen, die Halt, Orientierung, Sicherheit und Sinn gegeben hat, ist so nicht mehr zu haben. Wir müssen selber losgehen statt darauf zu warten, mitgenommen zu werden. Dann können sich die Entwicklungsprozesse von Mensch und Organisation gegenseitig stärken. Nur leichter gesagt als getan. Freiheit ist keine Komfortzone  Laut einer Studie von Hays, der ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft e. V. (ZAAG) und der Gesellschaft für Wissensmanagement e. V. (GfWM) wünschen sich zwei Drittel (68 %) der Befragten mehr Freiheit und Souveränität bei ihrer Arbeit [2]. Wenn es allerdings so weit ist, wirken häufig andere Gesetzmäßigkeiten: 1. Die lange eingeübten Kulturmuster des Systems: Was wurde bisher belohnt, was bestraft? 2. Die eigenen persönlichen Muster und Prägungen, das Mindset und auch das emotionale „Set“, das außerordentlich unflexibel sein kann, obwohl wir es gerne anders hätten. Ein hilfreicher Begriff hierfür ist das Skript aus der Transaktionsanalyse nach Eric Berne.3

2Nicht

nur im Sinne neuer Arbeitsweisen und Arbeit 4.0, sondern auch im Sinne einer neuen Arbeitskultur wie sie Frithjof Bergman in seinem Buch: Neue Arbeit- neue Kultur. Arbor Verlag (2004) vorschlägt: „Es geht uns um die Schaffung einer Gesellschaft und Kultur, in der wirklich jeder, Mann oder Frau, die Chance bekommt, einen beträchtlichen Teil seiner Zeit mit einer Arbeit zu verbringen, die er oder sie erfüllend und faszinierend findet und die die Menschen aufbaut und ihnen mehr Kraft und mehr Vitalität gibt.“ 3Skript beschreibt eine Art „Lebensdrehbuch“. Grundlage dafür sind Interpretationen des Verhaltens seiner engsten Bezugspersonen, woraus das Kind Beschlüsse über sich selbst, die anderen und die Welt fasst. Diese vorbewussten Entscheidungen können das gesamte weitere Leben bestimmen. Getroffen, um auf kreative Art das Überleben zu sichern und Leben zu meistern sind die Entscheidungen mit ihren Automatismen später oft ein Hindernis. Statt als Erwachsene autonom und gegenwartsbezogen zu (er)leben und zu handeln bleiben wir den kindlichen Beschlüssen treu. Siehe auch Paul Gamber: Transaktionsanalyse für Dummies, Wiley-Vch-Verlag 2016.

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So erlebe ich in Workshops die nackte Angst um die Existenz, Identitätskrisen und Menschen in Dilemma-Situationen, obwohl sie eigentlich endlich mitgestalten können: • Wie kann ich hier dazugehören, wenn gerade alles, was ich bisher gemacht habe, falsch zu sein scheint? • Alles ist zu viel, aber wenn ich jetzt schlapp mache, bin ich draußen. • Ich bin eigentlich kooperativ und kollegial, aber jetzt geht es ums Gewinnen. • Ich soll hier mein Wissen preisgeben, dabei hat mir das bislang meinen Job gesichert. • Ich finde mich ohne klare Ansagen einfach nicht zurecht, weiß aber, dass irgendwie Eigeninitiative gefragt ist. • Kann ich wirklich sicher sein, dass eine Initiative, ein offenes Wort oder gar Kritik nicht gegen mich verwendet wird? Darin stecken für die Organisationsentwicklung viele Aufgaben, u. a.: • Aufdecken von hemmenden Kulturmustern - schaffen einer förderlichen Kultur über entsprechende Praktiken (konkretes anderes Handeln z. B. Sitzungskultur, Umgang mit Fehlern, Role Model der Führungskräfte) • Sinnstiftung, Werte, Visionen klären • Prozesse und Strukturen anpassen, um die Veränderung auch glaubwürdig zu machen • Führungskultur überprüfen und Vorbilder schaffen • Gute Impulse setzen: feiern, Humor sowie in aller Unsicherheit Vertrauen pflegen, Dialoge initiieren, Orientierung auf Sicht geben Wie kann die Entwicklung der Organisation mit der Entwicklung der Menschen, die ja letztlich die Organisation sind, Hand in Hand gehen? Wie können die Menschen in diesen aufreibenden Prozessen unterstützt werden, sodass sie sich selbst als Akteure zu verstehen beginnen? Denn obwohl es schwer ist, sich im Neuen zurechtzufinden, wollen die allermeisten gute Arbeit machen und ihre Arbeitswelten mitgestalten. Was braucht es dafür? 

Join yourself: 5 persönliche Erfolgsfaktoren für New Work

1. Innere Stabilität Wenn das Außen nicht mehr Stabilität gibt, brauche ich einen Anker im Innen – einen guten Kontakt zu der inneren Instanz, die mir ermöglicht, einen Kompass, ein eigenes Navigationssystem zu entwickeln, mit dem ich mich in schwierigen Zeiten orientieren kann. Gute Dienste leistet hier der Organisationskompass [3], der die wesentlichen Aspekte in seiner Struktur aufnimmt und verdichtet. Hier kläre ich meine persönliche Sinnstiftung, die Werte, die mich führen, meine Vision, Netzwerk und

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k­ onkrete Schritte und Maßnahmen. Dadurch wird die persönliche Autonomie wesentlich gestärkt. Gleichzeitig festige ich einen sicheren inneren Ort, den ich aufsuchen kann, um mich auszurichten oder auszuruhen, wenn im Außen der Wechsel am Ruder ist. 2. Bewusstsein über eigene Fähigkeiten und Ressourcen  Was kann ich überhaupt? Welche Erfahrungen habe ich gesammelt? Was liegt mir? Wo komme ich in einen Flow? Welche Bedingungen brauche ich? Was interessiert und begeistert mich? Was möchte ich noch lernen? Wo liegt mein Potenzial? Und was ist das, was ich wirklich, wirklich machen will? Manchmal ist der Weg sehr weit, bis diese Fragen eine Antwort bekommen. Zu weit weg ist davon häufig auch das tägliche operative Geschäft. Jetzt geht es aber nicht darum, nur noch „sein Ding“ zu machen, sondern die eigene Unternehmung als Markt zu betrachten. Das ist nicht ganz so romantisch, aber hilfreich. Denn wie Anja Förster und Peter Kreuz und in ihrem Buch „Hört auf zu arbeiten“[4] schreiben, ist nur „mein Ding“ nicht das Entscheidende, sondern dass das, was für mich sinnstiftend ist auch für andere Bedeutung hat. Welchen Nutzen kann ich bieten, wem erleichtere ich das (Arbeits-)Leben? Um hier einen großen Schritt weiter zu kommen, ist das Business-Model-You [5] ­hilfreich. 3. Fähigkeit sich selbst zu führen Unser Skript und alles, was sich darin schon eingeprägt hat, greift in erster Linie auf das zurück, was uns schon einmal geholfen hat und mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein Teil unseres Erfolges ist. Gleichzeitig sind große Passagen in diesem Skript in den frühesten Jahren geschrieben worden, als wir nicht erwachsen, sondern Kinder waren. Als wir also nicht in der Lage waren, Selbstverantwortung und Selbstfürsorge ganz allein zu übernehmen. Gerade das ist aber in den neuen Arbeitswelten gefragt, denn die väterlichen und mütterlichen Projektionsflächen werden weniger und wir müssen selber losgehen, statt auf die helfende, führende Hand zu warten. Deshalb ist ein freundlicher Blick auf unsere Muster und Funktionsweisen, die uns jetzt nicht mehr dienlich sind, ein wesentlicher Schritt, um die Regie in schwierigen, weil neuen oder unsicheren, Situationen übernehmen zu können. Aber nicht nur das. Wir brauchen unsere Selbstführungsinstanz, um zu lernen. Denn hinter der Komfortzone kommt die Lernzone, für die wir kein Rezept haben, nur unsere Aufmerksamkeit und die innere Verbindung zu dem, was uns wichtig ist. 4. Fähigkeit sich zu positionieren und zu präsentieren  Wie viele Schätze bleiben unentdeckt, weil davor der riesige Drache Schüchternheit, Unsicherheit oder Auftrittsangst sitzt. Neben dem, dass wir manchmal einfach nicht wissen, was wir tun oder sagen sollen, gibt es wirklich viele gute Gründe, um in der Deckung zu bleiben. Ich mache nichts

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falsch, riskiere keine Zuneigung, erspare mir Zurechtweisungen, wenn ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt habe – alles schon passiert. Jetzt soll ich aber im Design-Thinking-Workshop alle meine „dirty first draft“-Ideen (=erster Wurf) einfach so hineinwerfen und am Ende noch einen Prototyp „pitchen“. Aus welcher Haltung, welchem Selbstverständnis heraus schaffe ich das? Mit welchem Selbst-Bewusstsein? Die Antworten auf diese Fragen klar zu haben, ist die Grundlage eines überzeugenden Auftritts und einer wirkungsvollen Positionierung. Bühnen-Know-how und Freude am Auftreten helfen. Eine Portion Humor und Selbstironie auch. 5. Vertrauen  Wie kann ich Vertrauen fassen, wenn ich keine Sicherheit habe? Sicherheit durch meine Führungskräfte, meine Organisation. Sicherheit, dass alles glatt gehen wird. Sicherheit, dass ich alles unter Kontrolle habe. Gar nicht! Ich kann nur das Vertrauen haben, dass mir schon etwas einfallen wird. Denn das Gegenteil von Unsicherheit ist nicht Sicherheit, sondern Vertrauen. Um genau dieses Vertrauen und damit die innere Stabilität zu stärken, die uns einen Einstieg in die neuen Arbeitswelten erleichtert, finden Sie am Ende unseres Beitrags eine persönliche CHALLENGE. Fazit:

Auf dem Weg zu neuen und auch vitalen Arbeitswelten brauchen die Menschen, egal ob Führungskraft oder Mitarbeitende, Zeit und Raum sich ihrer selbst zu vergewissern, sich zu klären und kraftvoll auszurichten. Auch wenn sie sich vielleicht ganz neu orientieren und das Unternehmen verlassen. Und auch wenn es eine Herausforderung ist, für die frei werdende Energie und Kraft entsprechenden Rollen, Aufgaben oder Räume zu schaffen. Wenn Unternehmen also ernsthaft neue Arbeitswelten im Sinne von New Work gestalten wollen, müssen sie den New Worker als Erfolgsfaktor begreifen. Als einen Intrapreneur in eigener Sache verstehen, der weiß, was er will, was er kann, was er braucht und all das auch vertreten kann. Denn dieser Mensch muss nicht mehr abgeholt werden, der ist bereits selber losgegangen. Möglicherweise nach New Work. New Work – Perspektive intern Die Digitalisierung beschleunigt und flexibilisiert Arbeitsprozesse. Sie ist die Triebkraft für „New Work“. Und bis jetzt verleihen uns Strukturen und Vorgaben der Unternehmen und Vorgesetzten Ordnung und Stabilität. In der immer komplexer werdenden Arbeitswelt verlieren diese jedoch mehr und mehr ihre angedachte Funktion und behindern die erforderliche flexible und schnelle Anpassung an ad hoc geänderte Rahmenbedingungen. Neue Arbeitswelten, die der steigenden Komplexität und den schnellen Änderungen der Rahmenbedingungen Rechnung tragen, entstehen. Es fehlen demzufolge die bekannten

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(nun aber verhindernden) Strukturen wie Hierarchien, Arbeitsanweisungen oder die konkrete Vorgabe von oben. Die Transformation von einer zur nächsten Arbeitswelt verursacht Unsicherheit und stellt eine besondere Herausforderung für Führungskräfte dar. Denn während der Transformation müssen alle eine Zeit lang in beiden Welten leben – und das auch noch abwechselnd: mal mehr in der alten, mal mehr in der neuen. Was kann die Führungskraft tun, um ihre Mitarbeiter in diese Transformation mitzunehmen? Und wie bereitet sie sich selbst auf die neuen Arbeitswelten vor? Das Beispiel von Bettina, Führungskraft in einer Supply Chain-Abteilung, zeigt, mit welchen Fragen Mitarbeiter aus allen Ebenen ringen, welche Herausforderungen im Unternehmen gelöst werden müssen und wie sich Führungskräfte auf den Wandel einlassen und ihre Mitarbeiter mitnehmen können. Ein Praxisbeispiel aus dem Supply Chain Management (SCM) Bettina ist Führungskraft eines fünfköpfigen Teams einer SCM-Abteilung. Neben der Auftragsbearbeitung beschäftigt sich ihr Team mit Prozessverbesserungen. Daher ist sie unter anderem auch für die Prozessproduktivität verantwortlich. Während im eng getakteten SCM-Arbeitsumfeld Regelwerke, Prozessanleitungen und Vorgaben sehr genau beschrieben, strukturiert und einzuhalten sind, können Abteilungen wie Entwicklung, Marketing, sogar Teile der Personalabteilung mit neuen Arbeitsmodellen experimentieren. Dort gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass sich Mitarbeiter zumindest für einen Teil ihrer Arbeit Projekte aus einem dafür vorgesehenen Pool aussuchen, anstatt wie bisher, Projekte vorgeschrieben zu bekommen. In Teilen der Organisation halten neue Arbeitswelten also schon Einzug. Die neuen Arbeitsweisen und das Auflösen von genau definierten Hierarchien sowie bekannten Organisationsstrukturen verlangt vom Einzelnen ein ganz neues Selbstverständnis. Und auch der SCM Bereich muss sich nun auf den Weg der Transformation begeben. Doch wie können diese notwendigen Veränderungen eingeleitet und begleitet werden? Eine Frage, die die gesamte Organisation – also jeder Einzelne – beantworten können muss. Hurra, wir schaffen uns ab!  Bettina ist auf dem Weg zu einer Besprechung und denkt über ihre Kollegen nach: In den nächsten Wochen wird an der Einführung eines virtuellen Roboters gearbeitet, der die banalen, regelbasierten Routinearbeiten der Sachbearbeiter übernehmen wird. So sollen Mitarbeiter von nicht wertschöpfenden Tätigkeiten entlastet werden und können ihre Kompetenz voll auf die wertschöpfenden Tätigkeiten konzentrieren. Die Einführung dieses virtuellen Roboters bedeutet eine enorme Produktivitätssteigerung. „Hurra!“ jubelt Bettinas seit Jahren geschulter Produktivitätssinn für effiziente Prozesse und Arbeitsmethoden. In den nächsten Jahren wird das Unternehmen 30, vielleicht sogar an die 50 %, einsparen können. Was für eine Chance, das Unternehmen, im weltweiten Überlebenskampf im Spiel zu halten.

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Wie sie so an den Kollegen vorbei läuft, macht sich aber auch ein ungutes Gefühl in der Magengegend breit. 50 % hieße ja, jeder zweite wäre dann nicht mehr da! Wie ist das zu bewältigen? Es kann doch nicht die Hälfte der Mitarbeiter einfach so entlassen werden. Oder sind Unternehmen und Betroffene kreativ genug, neue Aufgaben und Positionen zu finden, die sowohl die Einsparung ermöglichen und gleichzeitig auf den betriebsbedingten Stellenabbau verzichten? Zum Beispiel mit Konzepten für neue Arbeitszeitmodelle, in denen Mitarbeiter vielleicht nur noch 60 % arbeiten, aber 80 % ihres Gehaltes bekommen. Wenn die Routinearbeit von Robotern übernommen wird, können sich die Mitarbeiter auf wichtige und wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren – und die Entlastung dafür nutzen, sich mit neuen Arbeitswelten auseinanderzusetzen. Denn das braucht Zeit, die nicht durch einen Ergebnisdruck eingeengt wird. Paradoxerweise wird der Mensch und das, was er dem Unternehmen bieten kann, in der Digitalisierung aufgewertet. Denn „unter der Annahme, dass weltweit Technologien gleich angewendet werden können, liegen die strategischen Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens in der Innovationskraft der Mitarbeiter“ [6]. Und auch wenn Digitalisierung, Automatisierung, Data Mining und weitere neue technische Möglichkeiten Mittel zum Zweck sind, die Produktivität zu erhöhen. Den Erfolg bringen noch immer Mitarbeiter: die Menschen, die das Unternehmen sind. Sie sind es, die Ideen haben und sie umsetzen. Sie sind es, die etwas erschaffen. Ein Unternehmen, das sich die Vorteile der Digitalisierung nutzbar machen möchte, muss also gleichzeitig Lösungen bieten, Manager, Führungskräfte und Mitarbeiter auf die Transformation vorzubereiten. Was bedeutet diese Transformation für die Mitarbeiter? Was bedeutet sie für Führungskräfte? Wie wird sich die Arbeitsweise ändern, wenn Seite an Seite mit (virtuellen) Robotern gearbeitet wird? Welche Fähigkeiten sind dann nötig? Bettina ist zurück aus der Besprechung, in der es über die Realisierung des ersten virtuellen Roboters ging. Die Stimmung war gut, denn das Projekt ist ein gutes Stück vorangekommen. Was bleibt ist die Frage, ob Mitarbeiter sich gerade selber abschaffen. Doch haben alle eine Wahl? Wer nicht aktiv an der Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse und des Unternehmens mitarbeitet, ist raus. Dann machen das andere. Dann wird einfach entschieden – ohne, dass man die Möglichkeit hat, mitzugestalten. Auch wenn das zu Unbehagen führt und die neue Arbeitswelt viel von Menschen abverlangt. Der technische Fortschritt und die damit einhergehende Automatisierung der Prozesse macht deutlich: Menschen sind die Akteure! Sie sind diejenigen, auf die die Veränderung wartet. Mitarbeiter müssen sich anpassen, auch wenn sie heute noch nicht wissen, was genau auf sie zukommt und auf was sie sich einstellen müssen. Klar ist nur, äußere Strukturen und vorgegebene Ziele werden weniger. Dennoch muss jeder für sich den ersten Schritt ins Ungewisse wagen, wie folgendes Praxisbeispiel zeigt: Das Unternehmen stellt eine Gruppe aus zehn jungen Mitarbeitern zusammen, die sich in einer strukturlosen Situation und ohne Ergebnisdruck zurechtfinden soll (dabei

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bedeutet strukturlos keineswegs ziellos). Dieses Team wird von Bettina als Gruppenbegleiterin betreut und soll in einer neuen Arbeitswelt (parallel zur existierenden) agieren. Das Ziel des Experiments: Die Gruppe soll sich vernetzen und gemeinsam überlegen, was sie gemeinsam auf die Beine stellen kann. Es gibt weder zeitliche noch inhaltliche Vorgaben. Sie müssen lediglich nach drei bis vier Monaten entscheiden, ob die Zusammenarbeit einen Mehrwert für sie hat, die Arbeit entsprechend fortgeführt wird, oder ob der Versuch beendet wird, da keine nennenswerten Vorteile, weder für Mitarbeiter noch für die Organisation, vorhanden sind. Nun könnte das passieren, was bei vielen Projektstarts erfolgt: Eine Person aus der Gruppe fühlt sich berufen, springt auf, nimmt den Stift in die Hand und startet ein simples Brainstorming. Vielleicht würde eine andere Person auf die Idee kommen, bei anderen Geschäftseinheiten nachzufragen, wie sie ihre Netzwerk- und Nachwuchsgruppen aufgesetzt haben. Anschließend würde sich in ein bis zwei Meetings ein roter Faden mit Inhalt und Vorgehen ergeben. Alle wären voller Elan und Motivation, würden ihre Ideen generieren, strukturieren und priorisieren. Im Nu wäre ein Mission Statement geschrieben, eine Gruppenstruktur verabschiedet sowie das Netzwerken und agile Arbeiten starten. Davon jedoch geschah bei dem Experiment rein gar nichts. Die Gruppe war zutiefst verunsichert. Ihnen fehlte eine äußere Struktur sowie das konkrete Ziel, auf das sie in einer vorgegebenen Zeit hinarbeiten sollten. Sie fragte sich, was das Ergebnis sein sollte und was man von ihnen erwartete. Sie waren überzeugt, dass an der Sache ein Haken war. Denn das Unternehmen räumt nicht einfach Zeit und Ressourcen für ein undefiniertes Projekt ohne konkretes Ziel und Erwartungen ein. Und auch Bettina war verunsichert, da die beschriebene Dynamik nicht erfüllt wurde. Für sie war das offene, strukturlose Vorgehen alles andere als angenehm. Dennoch musste sie sich zurücknehmen und sollte nur in ganz geringem Maße moderierend einwirken – was ihr sehr schwer fiel und oft auch nicht gelang. Es war für sie schwer auszuhalten, dass sich die Gruppe nicht dahin bewegte, wo sie sie gern sehen wollte. Und so war die Unsicherheit auch bei ihr sehr groß. In unsicheren Situation, ist denen Frust und Ratlosigkeit herrschen, ist es gut, einen Komplizen zu haben. In diesem Fall war das Bettinas Vorgesetzter, der immer wieder betonte, dass Dinge ihre Zeit brauchen und jeder durch diesen Prozess durch muss. Jeder muss diese Erfahrung selbst spüren und sich mit seiner Unsicherheit auseinandersetzen – anders ist das Lernen nicht möglich. Das Gras wächst schließlich auch nicht schneller, wenn man daran zieht – wie ein afrikanisches Sprichwort so schön sagt. Tim Hartford erzählt in seinem TED Talk „How Frustration can Make us More Creative“ [7] darüber, dass Unsicherheit zu besseren Ergebnissen führt – auch wenn man sich in der Situation beziehungsweise bei der Aufgabenlösung sehr unwohl fühlt. Diese Erkenntnis half Bettina ebenfalls, das Gefühl der Unsicherheit als ein positives Signal zu betrachten. Denn dass ein Stück Unsicherheit (in einem geschützten Raum) zu guten und auch kreativen Ergebnissen führt, zeigte sich schließlich auch bei dem Experiment,

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aus dem Nichts heraus eine Art „Multiplikatorengruppe von New Work-Pionieren“ zu schaffen. Denn die Gruppe entschied nach der ersten Versuchsphase tatsächlich, dass sie weitermachen wird – und zwar allein (also ohne Begleitung durch Bettina) und völlig selbst organisiert. Der erste Erfolg! Sie gaben sich einen neuen Namen, entwarfen ein Logo und entwickeln gerade selbstständig und ohne Input von außen Themen, wie sie den Arbeitsalltag mit kleinen Aktionen verbessern können. Bei diesen ersten Schritten auf unsicherem Terrain steht vorerst nicht im Vordergrund, welche Aktionen es sind und ob diese gemessen werden können. Vielmehr ist wichtig, dass diese Gruppe mit jedem Schritt, mit jeder sich selbst gegebenen Aufgabe ein neues Selbstverständnis erwirbt. Und sie erfahren, wie aus einer ersten Unsicherheit heraus Kreativität und sinnstiftende Aktionen, die Veränderungen im direkten Arbeitsumfeld bewirken, entstehen. Was können Unternehmen daraus ableiten? 

1. Probieren geht über studieren

Ein alter Spruch, der sich in den agilen Arbeitsmethoden bewährt hat. Vergiss die detailliert ausgearbeiteten Lösungen, die jede Eventualität abdecken. Probiere kleine Änderungen aus und schaue, was passiert. Lerne schnell aus den Fehlern, passe an und mache in kleinen Schritten weiter. Für Arbeitsbereiche heißt das: Welche kleinen Veränderungen können Sie einführen, die Kollegen und Mitarbeitern Ideen aus der neuen Arbeitswelt näher bringen? Welches Format dafür geeignet wäre, können Sie mit Vertrauten und Komplizen besprechen. 

2. Akzeptiere: zwei Schritt vor, einen zurück

Wir bewegen uns nicht mehr linear auf ein Ziel zu, sondern müssen Zickzackkurse akzeptieren und dass es auch mal einen Schritt zurück geht. Mit den kleinen Schritten haben wir die Möglichkeit, uns schnell auf veränderte Rahmenbedingungen, den Moving Targets, von denen es mehr und mehr geben wird, einzustellen. Für Arbeitsbereiche heißt das: Stellen Sie auf dem Zickzackkurs Ihre Erfolge heraus und nutzen Sie die Rückschritte als Weiterentwicklung. Sie sind unsere Lehrmeister. In einer sich rasch ändernden Welt landet der große Wurf höchstwahrscheinlich am Ziel vorbei. Die kurzen Schritte hingegen erlauben schnelle Richtungswechsel. Manchmal bedeutet das auch einen Schritt zurückzugehen, um sich neu auf das veränderte nächstliegende Ziel ausrichten zu können.

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3. Aushalten

Manche Dinge lassen sich nicht künstlich beschleunigen, sondern brauchen ihre Zeit. Für Arbeitsbereiche heißt das: Wenn Sie gewohnt sind, Strukturen und Inhalte vorzugeben und Lösungen parat zu haben, stellen Sie sich darauf ein, dass ein Veränderungsprozess seine Zeit braucht. Vielleicht sogar viel mehr Zeit als Ihnen lieb ist. Und weil Sie die Veränderung nicht vorspulen können, müssen Sie es aushalten (können), dass andere ihr eigenes Tempo haben, in die falsche Richtung laufen, Umwege gehen. Die Transformation braucht ihre Zeit und sie beschleunigen zu wollen, heißt, die gewünschte Transformation im Keim zu ersticken. Und weil die Transformation nur langsam voranschreitet, ist es besser gleich los zu gehen. 

4. Komplize des Wandels

Suchen Sie sich einen Vertrauten, einen Gleichgesinnten, einen Komplizen, mit dem Sie ungezwungen Ihre Beobachtungen besprechen und reflektieren können. Das gibt Ihnen Halt in einer unstrukturierten Situation. Das sind die ersten Schritte auf dem Weg zur inneren Stabilität und dem notwendigen Vertrauen, wenn äußere Strukturen fehlen. Die neuen Arbeitsräume fordern und fördern uns. Wie Natalie Golob erläuterte, geben die geschützten offenen Arbeitsräumen die Möglichkeit, die beschriebenen fünf notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln: 1. Innere Stabilität 2. Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und Ressourcen 3. Fähigkeit sich selbst zu führen 4. Fähigkeit sich selbst zu präsentieren 5. Vertrauen Lessons Learned Die Transformation startet nicht von selbst. Sie braucht einen Impuls und Personen, die losgehen und andere dabei mitnehmen: eben eine erste Kerngruppe als Keimzelle der Transformation. Um diese Gruppe erfolgreich zu machen und die Mitglieder somit zu Multiplikatoren einer neuen Arbeitswelt werden zu lassen, sind zwei Rahmenbedingungen notwendig: Die freiwillige Teilnahme  Nur wer wirklich in einer solchen Gruppe mitmachen will, ist bereit, sich auf ein neues Format einzulassen und nicht einfach nur Teilnehmer zu sein, sondern aktiver Teilgeber zu werden. Wir selbst sind die Akteure.

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Die Gruppe muss frei von existenzieller Angst sein Wichtige Unternehmensthemen und Projekte sind kein geeignetes Aufgabenfeld für solche Gruppen. Denn diese Gruppen sollen sich frei fühlen von Zeitvorgaben, Ergebnisberichten und Erwartungshaltungen. Der „Raum“, in dem sie arbeiten, muss also ein geschützter Raum sein. Nur eine minimale Vorgabe wie beispielsweise ein regelmäßiger Statusbericht, sind geeignet um eine weiche Orientierung zu ermöglichen. Ferner muss der Arbeitgeber die Selbstorganisation seiner Gruppen ermöglichen. Empty Space Challenge: Join Yourself – Inspire Others Die Empty Space Challenge erfüllt genau diese Rahmenbedingungen, gibt den benötigten Impuls und unterstützt bei der (Weiter-)Entwicklung der von Natalie Golob beschriebenen fünf Fähigkeiten. Mit der Challenge kann jeder Mitarbeiter und jede Führungskraft einfach starten, losgehen und als Multiplikator in der Organisation wirken. Challenge deshalb, weil es eine persönliche Herausforderung ist, sich auf unstrukturiertes und unsicheres Terrain zu begeben und offen zu sein für das, was kommt. Starten Sie bei sich selbst und tragen Sie Ihre Erfahrungen aus der Challenge nach außen. So werden leere Räume zu Erfahrungs- und Gestaltungsmöglichkeiten und New Work kann in Ihrem Arbeitsbereich beginnen. 

Empty Space Challenge: Join Yourself – Inspire Others   1. Nehmen Sie sich 15 min Zeit mit me, myself & I. 2. Stellen Sie sich einen leeren Raum vor. 3. Vertrauen Sie dem Prozess! 4. Seien Sie aufmerksam und wach! 5. Notieren Sie was auffällt! 6. Suchen Sie sich eine/n Komplizen/in! 7. Vereinbaren Sie regelmäßige Termine mit ihr/ihm; ohne Plan, Agenda oder Ziel! 8. Seien Sie offen und lassen Sie alles zu! 9. Seien Sie aufmerksam und wach! 10. Notieren Sie was auffällt! 11. Erzählen Sie davon! 12. Beobachten Sie was passiert! 13. Was ist neu? 14. Tuen Sie es! 15. Haben Sie Freude an dem Vorgehen! 16. Finden Sie Mitspieler/in! 17. Übergeben Sie die Challenge an andere!

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N. Golob und M. Ullrich

Literatur 1. Fréderic Laloux, Reinventing Organisations, Vahlen Verlag (2015), http://www.reinventingorganizations.com (abgerufen am: 30.06.2018) 2. Der Ruf nach Freiheit. Innovationsförderliche Arbeitswelten aus Sicht der Arbeitenden. Eine Studie von Hays, der ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft e. V. (ZAAG) und der Gesellschaft für Wissensmanagement e. V. (GfWM). Mit empirisch-wissenschaftlicher Unterstützung des Lehrstuhls für Strategie und Organisation, Prof. Dr. Isabell M. Welpe, TU München. https://www.hays.de/documents/10192/118775/studie-freiheit-sicherheit.pdf/979efc80-ca494d85-a7bc-aeb1f3592ee6 (abgerufen am: 30.06.2018) 3. Thomas Buhl Böhnert, Gerlinde Schönberg, Der Organisationskompass in der Praxis, Expert-Verlag. 2015, Ursprung: Für die Nutzung in modernen Arbeitskontexten hat Birgitt Williams, Begründerin des Genuine-Contact™-Programms, daraus das Medicine Wheel Tool™ entwickelt. 4. Anja Förster, Peter Kreuz, Hört auf zu arbeiten! Eine Anstiftung, das zu tun was wirklich zählt. Pantheon Verlag 2013 5. Tim Clark, Alexander Osterwalder: Business-Model-You: Dein Leben-Deine Karriere-Dein Spiel, Campus (2012), 6. Schrems, Alois: Resilienz von Firmen. https://www.business-wissen.de/artikel/resilienz-vonfirmen (abgerufen am: 30.06.2018). 7. Hartford, Tim: How Frustration can Make us More Creative (abgerufen am: 11.01.2016), https://www.ted.com/talks/tim_harford_how_messy_problems_can_inspire_creativity/transcript (abgerufen am: 30.06.2018).

Weiterführende Literaturempfehlungen 1. Aktuelle Studie zur Zukunft der Arbeitswelt „Ich war noch niemals in New Work“: http:// www.detecon.com/de/Publikationen/ich-war-noch-niemals-new-work 2. Carsten C. Schermuly gibt in seinem Buch „New Work - Gute Arbeit gestalten“, Haufe 2016, unaufgeregt kluge und hilfreiche Praxistipps. 3. Eine kritische und weiterführende Auseinandersetzung mit dem Konzept Frithjof Bergmans und wie es kolportiert wird, leistet Markus Väth in seinem Buch: Arbeit – die schönste Nebensache der Welt. Gabal 2016 Natalie Golob  hat nach ihrem Theaterwissenschafts- und Germanistikstudium als Theaterpädagogin und Regisseurin gearbeitet. Über das Unternehmenstheater betrat sie 2000 die Welt der Wirtschaft und blieb. Seitdem ist sie mit dem Schwerpunkt vitale Arbeitskultur und Arbeitswelt eine „Komplizin des Wandels“ – als Trainerin, Coach und Organisationsentwicklerin. Zuhause in Nürnberg betreibt sie ein Coworking-Space sowie eine Coachingpraxis. https://vitale-arbeitskultur.de https://changingthegame.de/natalie-golob

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Marion Ullrich  arbeitet bei Healthineers in einer SCM Strategiegruppe. Dort beschäftigt sie sich mit der Optimierung von SCM Prozessen sowie den bevorstehenden Herausforderung einer digitalen Arbeitswelt. Seit ihrem MBA Studium in Chicago, IL, USA interessiert sie sich für Kreativität, Innovation und persönliche Weiterentwicklung. 2015 veröffentlichte sie das Buch „GeDANKen“, ein wissenschaftlich fundiertes Reflexions- und Informationsbuch rund um eine dankbare Lebenseinstellung. https://changingthegame.de/marion-ullrich

Impuls: Uwe Lübbermann (Zentraler Moderator des Premium-Getränkekollektivs)

„New Work“ ist gar nicht neu. Die Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen wurde im Jahr 1948 verabschiedet und stellt unter anderem fest: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Wie würden Unternehmen aussehen, die das konsequent umsetzen?

Interview: „Kulturwandel: Spielplatz für Erwachsene!“

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Michael Pellny

Zusammenfassung

Viele Unternehmen haben ein enormes Problem: Sie haben eine Unternehmenskultur, die entweder niemand versteht, keiner beachtet oder diese nicht die gelebten Werte und Normen glaubwürdig widerspiegelt. Von allen gewünscht und im Prinzip ganz einfach zu erreichen: Eine Unternehmenskultur, in der Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam Erfolg gestalten. Zwischen Ideal und Wirklichkeit klafft allerdings oft eine Lücke, die in den meisten Fällen aber auch einfach zu überwinden ist. Wie genau, weiß Michael Pellny.

M. Pellny ()  Weissman Institut, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_13

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M. Pellny

Brauchen Unternehmen Werte? Ich glaube, ein gemeinsam definiertes und selbstverständlich gelebtes Verhalten von Mitarbeitern trägt immer zum Erfolg eines Unternehmens bei. In der Regel kaufen wir ja auch gerne dort ein, wo wir besser und freundlicher bedient werden – obwohl es woanders die ähnliche Leistung vielleicht sogar günstiger gibt. Welche Grundlagen brauchen Unternehmen, um diesen Kulturwandel zu gehen? Peter Drucker prägte die These „Culture eats strategy for breakfast“. Noch nie war in der Arbeitswelt die ideale Balance von Kultur und Strategie so bedeutend wie heute. Ursache dafür sind komplexe, volatile und überwiegend übersättigte Märkte. Das dynamische Verhalten von Menschen in einem Unternehmen mit dem Ziel, dem Kunden schnelle Lösungen, Innovationen und Emotionen zu bieten, ist in vielen Märkten heute der Wettbewerbsvorteil. Das heißt, das tayloristische Organisationsprinzip kommt an seine Grenzen, denn das System ist zu statisch und lässt keine Dynamik oder Agilität zu. Und jetzt? Jetzt ist Kulturarbeit notwendig. Die Voraussetzung dafür ist, dass Führung und Mitarbeiter neu zusammen arbeiten. Für Führungskräfte heißt das: eine Vertrauenskultur schaffen, Handlungsspielräume definieren, loslassen und delegieren. Für Mitarbeiter: zielorientiert mit Verantwortung die Anforderungen erfüllen – wobei Fehler erlaubt sind! Die Basis: gemeinsam gelebte Werte. In der Regel stellen Unternehmen Mitarbeiter aufgrund ihrer Kompetenzen ein, später ärgern sie sich jedoch über das Verhalten – was am Ende zur Trennung führen kann. Für mich sind bei der Einstellung von Mitarbeitern vor allem ihre Werte wichtig und nicht ausschließlich die Kompetenzen. Denn Fachwissen kann sich jeder aneignen, Verhalten zu verändern ist weitaus schwieriger. Was heißt das für die künftige Führung? Um das Verhalten einzelner Mitarbeiter und das des gesamten Teams zielgerichtet zu entwickeln, braucht es Führungskräfte, die über psychologisches Wissen verfügen. Denn neben strategischen Zielen existieren Verhaltensziele – und die müssen entwickelt werden sowie sinnvoll zusammenpassen. Sind Konzernstrukturen dafür geschaffen? Bedingt. Konzerne haben das Problem, dass oft eine hohe Fluktuation in der Führungsetage herrscht. Die Verweildauer von Führungskräften und Managern in solchen Unternehmen liegt im Durchschnitt bei etwa zwei bis drei Jahren. Das Vertrauen in die Führungskräfte muss also immer wieder neu aufgebaut werden – darunter leidet auch die Kultur. F ­ erner denken Konzerne häufig aufgrund einer quartalsweisen Betrachtung ihrer Strategie ­kurzfristiger.

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Familienunternehmen denken nicht in Quartalen, sondern in Generationen. Ihr Ziel ist es, das Unternehmen für zukünftige Generationen erfolgreich aufstellen. Die älteste deutsche Familienbrauerei beispielsweise wird aktuell in der 22. Generation geführt. Das funktioniert nur, weil die Unternehmerfamilie und ihre Mitarbeiter ein gemeinsames Werteverständnis haben. Daher sind Familienunternehmen häufig auch für die jüngere Generation die attraktiveren Arbeitgeber. Hier nämlich sind Themen wie Work-Life-Balance, Entscheidungsfreiheit, Identität mit dem Arbeitgeber, Nähe und Kultur sowie die Balance von Unternehmens- und Mitarbeiterorientierung oft nicht nur Lippenbekenntnisse. Wie finden Unternehmen ihre Werte? Viele Unternehmen kommunizieren Werte, leben diese aber nicht. Sie verfügen über Unternehmensleitbilder, an die sich jedoch keiner hält – schon gar nicht die ­Führungskräfte. Eine Leistungskultur benötigt Vertrauen. Grundlage dafür ist, dass Mitarbeiter sich aktiv einbringen und innovativ sind, Aufgaben erfüllen sowie durch engagiertes Verhalten die unternehmerischen Ziele erreichen. Vertrauen entsteht dabei nur durch gemeinsam gelebte Werte. Deswegen ist es wichtig, diese zu formulieren und darauf zu achten, dass sie gelebt und zum Selbstverständnis werden. Hier ein Beispiel aus dem privaten Umfeld: Für eine glückliche Partnerschaft sind die folgenden fünf Werte grundsätzlich eine gute Basis – der Partner ist aufmerksam, er übernimmt Verantwortung, geht respektvoll mit seinem Partner um, toleriert Fehler und ist treu. Wenn wir uns für dieselben Werte entscheiden und danach leben, halten wir unsere Beziehung auf einem hohen Vertrauensniveau stabil. Wir können über Werte sprechen, sie sogar niederschreiben. Aber wenn ich als Partner einmal untreu bin, zählen all die anderen Werte nichts mehr. Und das gilt auch für Unternehmen? In Unternehmen kann ich Treue durch Loyalität ersetzen und außerdem noch Interesse, Eigenverantwortung, Respekt und Toleranz hinzunehmen. Alles wichtige Grundlagen für den Umgang miteinander sowie eine Entscheidungsgrundlage, um in einem solchen Unternehmen arbeiten zu wollen. Für viele Unternehmen ist ein großer Teil der Werte deckungsgleich definiert – vielleicht mehr als die Hälfte. Die andere Hälfte jedoch betrifft die Vision eines jeden Unternehmens. Hat sich ein Unternehmen beispielsweise das Ziel gesetzt, Innovationsführer in einem bestimmten Segment zu sein, leiten sich daraus Werte ab. Dann muss es definieren, welches Verhalten es entwickeln muss, damit es auch als innovativ wahrgenommen wird. Dazu gehören Werte wie zielorientiert, lösungsorientiert, mutig. Ein produktionslastiges Unternehmen wählt wahrscheinlich eher Begriffe wie tiefgründig oder umsetzungsstark. Die große Herausforderung ist also nicht, Unternehmenswerte zu finden und zu definieren, sondern diese auch zu leben. Und das ist Führungsaufgabe!

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M. Pellny

Es braucht also Abläufe und Prozesse, die ein bestimmtes Verhalten implizieren Absolut! Ein Recruitingprozess zum Beispiel hat auch eine Verhaltensdimension. ­Dementsprechend ist wichtig, dass bereits im Recruitingprozess die Motive und das ­Verhalten von Menschen, die künftig in meinem Unternehmen eine bedeutende Rolle spielen sollen, diagnostiziert werden. Ferner ist wichtig, alle Führungsinstrumente, die ein Unternehmen hat (zum ­Beispiel Mitarbeitergesprächsleitfäden oder Mitarbeiterbefragungen), auf die definierten Verhaltensziele abzustimmen und miteinander zu verknüpfen. Daher sollte man Führungskräften einen psychologischen Hintergrund sowie einen Kompetenzleitfaden mitgeben, damit sie überhaupt Verhaltensziele diagnostizieren können. Das Ziel ist die eigenverantwortliche Arbeit – der alte Taylorismus hat ausgedient. Auch deswegen, weil die nächste Generation gar nicht mehr bereit ist, so zu arbeiten. Schaffen Sie daher einen Spielplatz für reife Erwachsene! Michael Pellny  war zehn Jahre lang als Deutschland-Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb in einem inhabergeführten Produktionsunternehmen tätig. Er wirkte zwei Jahre an der Hochschule Heidelberg als externer Dozent für Innovationsmanagement und leitete zehn Jahre ein Consultingunternehmen für Immobilienentwicklung. Als Geschäftsführer und KulturStratege des Weissman Instituts und Dozent an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen verfügt er über umfangreiches, praxiserprobtes Expertenwissen in den Bereichen Strategie, Führung und Unternehmenskultur.

Teil V Führen & Entwickeln: Gestalten

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Teil V  Führen & Entwickeln: Gestalten

Teil V  Führen & Entwickeln: Gestalten

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Impuls: Annett Polaszewski-Plath (General Manager Germany, Eventbrite) „Top-Arbeitnehmer der Generation WHY sind rar. Sie möchten sich persönlich entfalten und gleichzeitig ihren Arbeits- und Lebensstil integrieren. Gute Führungskräfte stellen daher den individuellen Menschen in den Mittelpunkt. Sie schaffen flexible Rahmenbedingungen, welche die intrinsische Motivation und den Willen zur optimal entfalten. Und sie fördern ihre Leute als Coach, Mentor und Role Model. Nur so bringen Arbeitnehmer dauerhaft Höchstleistungen, ohne zu verbrennen.“

Erwecken Sie das CO in Ihrer COmpany zum Leben

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Stefan Wacker

Zusammenfassung

Um Innovationsmethoden wie z. B. Design Thinking ist mittlerweile ein regelrechter Hype entstanden. Dabei sollte es aber nicht um Methoden gehen, sondern um ein Umdenken. Und weil ein Umdenken Umsetzung bedeutet, findet das in Unternehmen häufig nicht statt oder es scheitert kläglich. Dann sind Weiterbildungsmaßnahmen zur Digitalisierung hinausgeworfenes Geld, schlimmer noch, Sie frustrieren damit auch noch Ihre besten Mitarbeiter. Denn neue Methoden auf die alte Weise einzuführen funktioniert nicht. Vielmehr brauchen wir hybride Formate, die uns schnell in die Aktion bringen. Der Einstieg dazu beginnt mit kleinen Schritten, orientiert an klaren Prinzipien.

S. Wacker (*)  WACKWORK Projects & Change, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_14

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S. Wacker

Laut der Studie „Digitalisierung im Mittelstand: Durchführung von Vorhaben und Höhe der Digitalisierungsausgaben.“ [1] gaben mittelständische Unternehmen im Jahr 2016 13,9 Mrd. EUR für Digitalisierungsprojekte aus. Es scheint, als kämen deutsche Unternehmen Schritt für Schritt in der Digitalisierung an. „Gut jedes vierte mittelständische Unternehmen hat in den zurückliegenden drei Jahren seine Digitalisierung ausgebaut. Mit 26 Prozent liegt der Anteil der Mittelständler mit abgeschlossenen Digitalisierungsprojekten ähnlich hoch wie der Anteil innovativer Mittelständler.“ heißt es da. [2] Bei den meisten Unternehmen ist Digitalisierung sogar Chefsache: „51 Prozent der Geschäftsführer übernehmen die Rolle des Innovators.“ [2] Ferner planen „72 Prozent der Unternehmen die Verstärkung der digitalen Weiterbildung ihrer Mitarbeiter.“ [3] Darum hören wir voller Inbrunst und Überzeugung: „Wir müssen agiler werden!”, „Wir müssen innovativer werden!“ oder „Wir wollen kundenzentriert sein und schneller mit unseren neuen Angeboten an den Markt kommen!“ In der Praxis enden diese Appelle jedoch häufig in Aktionismus nach altem Schema: Abhängig von Fürsprechern für einzelne Methoden werden ganze Abteilungen oder einzelne Auserwählte – nach dem Gießkannenprinzip quer übers Unternehmen hinweg – zur nächsten Schulung geschickt. Oder die Personalabteilung erhält den Auftrag für das nächste Qualifizierungsprogramm. „80 Prozent der befragten Unternehmen nutzen Weiterbildungen – oft mehrere und meist in Form klassischer Schulungen.“ [4] Die Mitarbeiter kommen begeistert zurück und starten mit der Missionierung des eigenen Unternehmens, um die Arbeitswelt zu „retten“. Schnell macht sich meist jedoch die Ernüchterung breit, der Transfer scheitert oder beginnt – im schlimmsten Fall – nicht einmal. Mit dieser Investition sind dann nicht nur die Methoden verbrannt, sondern auch genau die Mitarbeiter demotiviert, die eigentlich prädestiniert dafür waren, Promotoren der Veränderung zu sein. Können 20 Jahre alte Innovationsmethoden innovativ sein? Betrachtet man die aktuellen Innovationsmethoden, die im Trend liegen und ohne die es angeblich nicht mehr geht, dann fällt auf, dass sie alle bereits gut 20 Jahre alt sind. Der Begriff „Lean Management“ wurde bereits 1991 im Buch „Die zweite Revolution in der Automobilindustrie“ kreiert. „Design Thinking“ taucht ebenfalls Anfang der 1990er-Jahre im Umfeld der Stanford University auf. Und das Agile Manifest wurde 2001 unterzeichnet. Selbst der so modern scheinende und ständig verwendete Begriff VUCA (Volatility – Uncertainty – Complexity – Ambiguity), der die Phänomene der Digitalisierung benennt, stammt bereits aus der Mitte der 1990er-Jahre. Eine ziemlich lange Zeit, um das umzusetzen, was doch eigentlich so hilfreich sein soll. Halten die Methoden womöglich also gar nicht das, was sie versprechen und was sie vorgeben zu sein? Sind sie Blendwerk, gutes Marketing oder einfach alter Wein in neuen Schläuchen? Dagegen stehen Unternehmen, die damit erfolgreich sind: Toyota für Lean, Apple für Design Thinking und Spotify für agiles Vorgehen. Nur Einzelfälle oder doch Belege

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dafür, dass es möglich ist, wenn man es „richtig“ macht? Oder war die Zeit noch nicht reif für diese Methoden? Der nötige Veränderungsdruck noch nicht groß genug? Neue Methoden auf alten Wegen funktionieren nicht Wir kommen bei diesen Methoden mit altbekannten Schulungen nicht weiter. Denn es geht nicht nur um neue Software oder Gesprächstechniken. Unsere Haltung muss sich verändern und damit die Art, wie wir zusammenarbeiten. Die Tragweite dieser gravierenden Veränderungen ist auf den ersten Blick allerdings schwer zu erkennen. So vernachlässigen wir paradoxerweise bei der Einführung die ureigenen Prinzipien, auf denen diese Methoden beruhen. Schauen wir uns drei prominente Methoden genauer an: Lean Production bzw. Lean Management – die „schlanken” Prozesse, mit Fokus auf den wertschöpfenden Aktivitäten Agiles Vorgehen – flexibel, um auf Veränderungen zu reagieren, und mit dem Ziel, werthaltige Zwischenergebnisse zu (er)schaffen Design Thinking – kundenzentriertes Entwickeln von Lösungen komplexer Probleme, orientiert an der Arbeitsweise von Designern All diese Methoden haben vor allem eines gemeinsam: Sie passen nicht zu dem uns bisher bekannten und bewährten Vorgehen, das wir schon seit unserer Schulzeit gelernt haben. Make sure you are solving the right problem before solving the problem right [5]: Wir sind darauf gepolt, möglichst schnell Lösungen zu finden. Doch erst wenn wir uns die Zeit nehmen, uns in das Problem hineinzudenken, öffnet sich der Raum für innovative Ideen. Eine Arbeitsform, die für uns völlig ungewohnt ist. Ein Beispiel aus der Praxis: Laut Statistik suchen ältere Menschen am Flughafen überdurchschnittlich häufig die Toiletten auf. Was könnte die passende Lösung sein? Mehr Toiletten, altersgerechte Toiletten usw.? Nein, denn das tatsächliche Problem ist: Nur auf der Toilette können ältere Menschen die Durchsagen verstehen. Die Lösung kann am Ende nur ein völlig neu durchdachtes Kommunikationskonzept des Flughafens sein. Paradigmenwechsel – ohne den Kunden geht es nicht mehr: Wenn Produkte austauschbarer werden und Kundenerlebnisse den Unterschied machen, braucht es Empathie für die Erforschung der Kundenbedürfnisse, um erfolgreich zu sein. Neue Kompetenzen, die sich nicht mit einer Schulung auf die Schnelle antrainieren lassen. Ein Blick auf IT-Systeme zeigt uns, wie weit der Weg hier oft noch ist. Eine Bank, die ihre Kunden nur als Kontonummern führt. Ein Energieversorger, für den seine Kunden bloße Zählernummern sind: Hieraus kann keine überzeugende „Customer Experience“ entstehen. Vielmehr muss das gesamte Unternehmen umdenken. Mehrjahrespläne werden zur Farce: In einer komplexen, sich schnell verändernden Welt haben wir keine andere Wahl als flexibel zu sein, Wege zu finden und schnell dazuzulernen. Doch noch immer beherrschen aufwendig erstellte starre Projektpläne und Business Cases unseren Alltag. Dabei basieren sie ausschließlich auf Annahmen, die Erprobung und Anpassung an die Realität bleibt außen vor. Wir haben offensichtlich

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verlernt, wie wir uns als Kinder die Welt erobert haben: rauf auf’s Rad, ausprobieren, schlingern, steuern, schlingern, stürzen – und irgendwann dann fahren. Reden wir über die notwendige „Fehlerkultur“, meinen wir im Grunde dasselbe. Die Umsetzung ist die Herausforderung Diese Herausforderung ist durch bisher bewährte Trainings und Qualifikationsmaßnahmen nicht mehr zu meistern. Egal, wie lange und wie gut diese Trainings sind. Die in den Menschen und Unternehmen tief verwurzelten Haltungen und Arbeitsweisen können nur durch Einüben und Erproben im realen Arbeitsalltag verändert werden. Doch wir erleben immer noch das Gegenteil. Weiterbildungsmaßnahmen werden so geplant, wie sie auch benannt werden: als Maßnahmen. Eine Maßnahme führe ich durch und schließe sie ab. Ohne je irgendetwas davon real angewendet und erprobt zu haben. Den Transfer soll jeder selbst leisten. Außerdem differenzieren wir zwischen Methodenkompetenz auf der einen und Aufbau von Sozialkompetenz auf der anderen Seite. Diese beiden Seiten gehören jetzt jedoch zusammen: Microsoft hat dazu gemeinsam mit McKinsey eine globale Forschungsstudie zu den erforderlichen Schlüsselqualifikationen einer Abschlussklasse im Jahr 2030 durchgeführt. Ergebnis: 30 bis 40 % der am schnellsten wachsenden Berufe erfordern explizit sozial-emotionale Fähigkeiten. [6] Hybride Formate von Lernen und Anwenden Es geht also heute nicht mehr um isolierte Personal- und Teamentwicklung, es geht um „Building the ‚Co‘ in your Co-mpany“, darum, das ‚Co‘ zum Leben zu erwecken: in Co-laboration, Co-creation, Co-mmunication und Co-operation (siehe Abb. 14.1). Die Digitalisierung als große „Ermöglicherin“ schafft eine miteinander vernetzte, hochkomplexe Welt, die wir nur noch kollaborativ bewältigen können. Daher müssen wir zukünftig die vier Quadranten Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Weiterbildung und Anwendung in einem gemeinsamen Entwicklungsansatz zusammenführen. Als Menschen haben wir diese Fähigkeiten, wir müssen uns ihrer nur wieder bewusst werden und sie reaktivieren. Das gelingt, wenn wir in die Aktion kommen – und zwar so schnell und konsequent wie möglich. Erst dann, wenn wir die neuen Methoden, Techniken und Werkzeuge anwenden, müssen wir interagieren. Dann sind unsere sozial-emotionalen Kompetenzen gefordert. In klassischen Weiterbildungssituationen schauen wir uns neue Methoden jedoch nur an, statt sie uns anzueignen. Wir brauchen also neue Formate und müssen die bisherigen radikal abschaffen. Denn wie tiefgreifend die Änderungen sind und welche Umstellung sie bedeuten, sehen wir erst, wenn wir in unserem alltäglichen Arbeitskontext aktiv werden. Dieser Wandel muss von HR begleitet werden. Doch tut HR das? Und wenn ja, wie?

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Abb. 14.1   Die Synthese der Weiterentwicklung im Unternehmen. Genehmigung von © WACKWORK2018. All Rights Reserved.)

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(Mit

freundlicher

Faustregeln zur Orientierung u

Faustregel 1: „Nicht länger als ein Tag“

Hinterfragen wir alle Maßnahmen, die uns in ihrer Theorie länger als einen Tag beschäftigen und keine Anwendung im realen Kontext bieten. Und prüfen wir, welche Voraussetzungen wirklich notwendig sind, um in die reale Anwendung zu gehen. Meist ist das viel weniger als wir glauben. Komfortzone und Vermeidungsstrategie hindern uns nur viel zu oft am Agieren. u

Faustregel 2: „Das Hinzulernen konsequent einüben“

Jeder Prozess und jede Zusammenarbeit braucht iterative und retrospektive Elemente. Erst die Struktur ermöglicht die Agilität. Denn um dort anzukommen, wo wir hinwollen, braucht es verbindliche Lernschleifen: planen, handeln, reflektieren und anpassen. u

Faustregel 3: „Keine Trennung in harte und weiche Faktoren“

Diese Begriffe haben ausgedient. Sobald wir sie hören oder selbst verwenden, denken wir in Kategorien, die trennen und (ab-)werten statt zusammenzuführen. Das wird den aktuellen Anforderungen nicht mehr gerecht. Kaum eine Methode lässt sich noch unabhängig von ihrer kollaborativen Umsetzung betrachten und einführen.

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Wie funktioniert das in der Praxis? Alle genannten Innovationsmethoden bringen genau das mit. Sie sind schnell verständlich, intuitiv einsetzbar und helfen heterogenen Teams, sich trotz unterschiedlicher Fachsprache zu verständigen. Oft mittels Visualisierung. Erfolgsbeispiel 1: Zweistündige Einführung in die Methode der „Personas“, um Zielgruppen und ihre Bedürfnisse besser zu verstehen. Kickoff-Workshop für ein internes Innovationsprojekt. Die Beteiligung der Mitarbeiter im Unternehmen kann sofort nutzerzentriert ausgerichtet werden. Erfolgsbeispiel 2: Ein halbtägiger Workshop, um das Projektteam auf Kundeninterviews vorzubereiten. Anschließender Research des Teams ohne externe Hilfe. Mitarbeiter, die mit leuchtenden Augen von den direkten Erfahrungen mit ihren Kunden und den gewonnenen Erkenntnissen berichten. Erfolgsbeispiel 3: Eintägige „Tool School“ für Service Design. Danach direkt an der Problemstellung des Unternehmens arbeiten. Als Ergebnis entstehen konkrete Ideen und eine erste Simulation eines neuen Serviceangebots. Diese Umsetzungen sind noch nicht perfekt, was auch nicht das Ziel ist. Aber die Projektteams – und damit ihre Unternehmen – sind in die Aktion gekommen. Es wurde ausprobiert und hinzugelernt. „Start Doing“ löst unwirksame Weiterbildungsmaßnahmen ab. Statt nebulösem „Mindset“ Führung und Orientierung Aufzugeben, was man kann, und sich auf neues Terrain zu wagen, erzeugt Unsicherheit. Für Veränderungen und Change-Prozesse völlig normal. Dennoch führen viele Unternehmen neue agile Arbeitsweisen ein, ohne dies als Veränderungsprozess zu sehen und entsprechend zu gestalten. Woher aber sollen Mitarbeiter so wissen, was künftig richtig sein soll? Plötzlich geht es ums Experimentieren, ums Fehler machen und ums Scheitern. Und um Ideen, die jetzt ganz bewusst verworfen werden. „Kill your darling“ heißt diese Methode, die diametral zu allem steht, was wir bisher eingeübt haben: nämlich unsere Ideen durchzudrücken, und das, was schiefgelaufen ist, zu kaschieren und am Ende diskret in eine „Lessons Learned“-Einheit zu verpacken. Google hat in der Studie „Understand team effectiveness“ [7] die Gründe erforscht, die ein produktives und innovatives Team von anderen unterscheiden. Das für Google selbst überraschende Ergebnis: Es ist nicht entscheidend, wer im Team ist, sondern wie das Team zusammenarbeitet. Es kommt also auf die Kollaboration an, die laut Google geprägt ist von fünf Erfolgsfaktoren, unter denen die „Psychological Safety“ der mit großem Abstand wichtigste ist. Diese „psychologische Sicherheit“ meint, dass ein Mensch die Erlaubnis hat, etwas auszuprobieren ohne bei einem Scheitern Konsequenzen fürchten zu müssen. Für Google der entscheidende Schlüssel für erfolgreich arbeitende Teams. Doch was passiert mit den Führungskräften selbst, die ihren Teams genau diese Sicherheit vermitteln sollen? Wenn wir über neue Arbeitsweisen sprechen, dann sprechen wir von selbstorganisierten Teams, von agilem Führen und von „Servant Leadership“, also dem Sich-Unterordnen der Führung unter das Team und dessen Performance. Substanzielle Veränderungen, die die Rolle der Führungskräfte völlig neu definieren. Und zu erneuter Unsicherheit auf beiden Seiten führen.

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Richtschnur für den Bereich Führung u

Faustregel 4: „Das mittlere Management ist erfolgsentscheidend“

Das Commitment des Top-Managements existiert oft schon. Doch die mittlere Führungsebene verliert die Orientierung. Delegation von Verantwortung und Kontrollverlust müssen erst geübt werden. u

Faustregel 5: „Psychological Safety schaffen“

Sicherheit entsteht mit Vertrauen. Dies gilt auch für die von Google beschriebene „psychologische Sicherheit“. Führungskräfte müssen also die vertrauensbildenden Maßnahmen vorleben und fördern. Ihre Aufgabe ist es, Raum zu bieten, um Fehler zugeben zu können, um aus diesen Fehlern konsequent zu lernen und um die Offenheit aller beim Teilen von Ideen möglich zu machen. u

Faustregel 6: „Es bleibt ein Change-Prozess“

Die Einführung neuer Arbeitsweisen ist ein Change-Prozess mit den bekannten Abläufen von Verneinung über Widerstand und Akzeptanz bis Integration – mit den bekannten Akteuren: den Zweiflern, Kontrahenten und Promotoren. Deshalb muss diese Veränderung gezielt gesteuert und organisiert werden. Je erfolgreicher ein Unternehmen, desto schwieriger der Wandel Was zunächst widersinnig klingt, wird verständlich, wenn wir uns bewusst machen, was ein erfolgreiches Unternehmen ausmacht: operative Exzellenz, die geprägt ist von Stabilität, Risiko-Aversion und Effizienz. Dem gegenüber stehen die Paradigmen der VUCA-Welt: Vernetzung, Experimentieren und schnelle Reaktion auf Kundenbedürfnisse (siehe Abb. 14.2). Die Digitalisierung erfordert die Veränderung in allen Bereichen des Unternehmens. Der Fokus auf die Kunden, das Wissen um die Daten sowie die digitalen Fähigkeiten sind dabei die fachlich-methodische Seite. Das kollaborative Arbeiten, das agile Vorgehen und die schnelle Anpassungsfähigkeit sind die sozial-emotionalen Fähigkeiten. Doch fast alles, worauf der heutige Erfolg eines Unternehmens beruht, steht einer Veränderung zunächst entgegen. Die etablierten Mechanismen, die trotzdem nicht wertlos werden, die weiterhin nützlich bleiben. Die aber da, wo Transformation stattfindet, überwunden werden müssen. Und hier stecken wir in einem Spannungsfeld, das wir nie ganz auflösen können: „The Innovator’s Dilemma“ nennt es Clayton M. Christensen, Professor an der Harvard Business School, in seinem gleichnamigen Buch. Er beschreibt darin das Phänomen, dass erfolgreiche Unternehmen gerade wegen ihres Erfolges die nächsten Innovationen verpassen und damit dann – scheinbar überraschend – scheitern. Weil sie all ihre Kräfte auf das Erfolgsmodell fokussieren.

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S. Wacker

Abb. 14.2  Die Felder der digitalen Transformation. (Mit freundlicher Genehmigung von © WACKWORK2018. All Rights Reserved.)

HR als Befähiger der digitalen Transformation Umso wichtiger ist es, dass das Unternehmen aus sich selbst heraus zu diesem Wandel befähigt wird. Nur so kann die Veränderung in Gang kommen. Strukturen und Prozesse für das Dazulernen und das kontinuierliche Sich-Anpassen müssen entstehen und etabliert werden. Quasi in die DNA des Unternehmens übergehen. Dazu müssen aber die Treiber in die Lage versetzt werden, die Veränderungen voranzubringen. Was einleuchtet: Eine Veränderung zum Kollaborativen wird auch nur kollaborativ möglich sein. HR selbst muss deshalb als eine der ersten in diesen Modus kommen, als Netzwerk zu agieren und das komfortable Silo zu verlassen. Also vom Anbieter von Maßnahmen zum Impulsgeber und Partner werden. Zum Entwickler neuer Arbeitsumgebungen und neuer Formen der Zusammenarbeit. Zum Experimentierenden und zum Forscher. Um auf diese Weise alle anderen damit zu „infizieren“ und dafür zu befähigen. Kann das HR überhaupt? Oder ist die passende Organisationsform dafür ein Netzwerk, eine Plattform, auf der „eine neue HR“ verantwortlich dafür ist, dass die richtigen Interaktionen stattfinden, ohne selbst noch Anbieter zu sein?

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Beginnen Sie in kleinen Schritten – aber beginnen Sie!

Lernen Sie schrittweise dazu. Die Digitalisierung löst zwar eine immer schneller werdende Veränderung aus. Doch wir Menschen sind immer noch die, zu denen wir uns über Jahrtausende hinweg entwickelt haben. Zwanzig Jahre Digitalisierung haben daran (noch) nichts geändert. Große Veränderungen beginnen trotzdem mit kleinen Schritten, bei denen Sie die Menschen mitnehmen. Konzentrieren Sie sich auf drei Aspekte: Neue Formate entwickeln: weg von Maßnahmen hin zu Ansätzen, die schnell in die Aktion und das Anpassen kommen. Fokus auf Führung legen: die Voraussetzungen für eine „Psychological Safety“ bei Teams und Führungskräften schaffen. Sozial-Emotionales und Methoden verbinden: sich heute schon an den Anforderungen an einer Abschlussklasse von 2030 orientieren. Und etablieren Sie Ihre Lernschleifen: persönlich und im Team. Erlauben Sie sich das Experimentieren mit neuen Wegen. Korrigieren Sie diese, wenn Sie damit vom Weg abkommen. Und statt von Fehlern zu sprechen leben Sie einen kontinuierlichen Lern- und Verbesserungsprozess vor.

Literaturverzeichnis 1. Zimmermann, V. (2018, 17. März). Digitalisierung im Mittelstand: Durchführung von Vorhaben und Höhe der Digitalisierungsausgaben. Fokus Volkswirtschaft Nr. 202. KfW Research, S. 1. 2. Mauerer, J. (2018) 4 Digital – Die vier Disziplinen der Digitalisierung. Studie zu den Hamburger IT-Strategietagen 2018. IDG Business Media GmbH, S. 17. 3. van Alphen Ch., Bärtle D., Galiger B. (2018) Studie Digitale Transformation 2018. Hemmnisse, Fortschritte, Perspektiven. Trendreport., S. 17. etventure GmbH in Zusammenarbeit mit GfK. Abgerufen von www.etventure.de/studien/digitale-transformation-2018 (abgerufen am: 30.06.2018) 4. Hoffmann, Th. (2018, Januar) Die Digitalisierung im Mittelstand: Auswirkungen auf Personal und Personalarbeit. Studie RKW Kompetenzzentrum, S. 15. Abgerufen von https://www. rkw-kompetenzzentrum.de/innovation/studie/die-digitalisierung-im-mittelstand/ (abgerufen am: 30.06.2018) 5. Stickdorn M., Lawrence A., Hormess M. E., Schneider J. (2018). This Is Service Design Doing. Sebastopol, CA: O’Reilly Media 6. Holzapfel, B. (2018, 20. Januar). Class of 2030: What do today’s kindergartners need to be life-ready?. In Microsoft Education Blog. Abgerufen von https://educationblog.microsoft. com/2018/01/class-of-2030-predicting-student-skills/ (abgerufen am: 30.06.2018) 7. Guide: Understand team effectiveness. (n.a.). In re:Work with Google. Abgerufen von: https://rework.withgoogle.com/guides/understanding-team-effectiveness/steps/identify-dynamics-of-effective-teams/ (abgerufen am: 30.06.2018)

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S. Wacker Stefan Wacker  ist Management Consultant und Innovation Facilitator. Er unterstützt mit seinem Unternehmen WACKWORK Projects & Change seit 2005 den deutschen Mittelstand bei Veränderungs-, Innovations- und Strategie-Prozessen und ist überzeugt, dass die aktuellen Herausforderungen radikal neue Arbeitsformen und Denkansätze erfordern. Mit seiner Veranstaltungsreihe „Service Design Drinks Nürnberg“ bietet Stefan Wacker einen zentralen Treffpunkt für Innovationstreiber in der Metropolregion Nürnberg. https://wackwork.de https://changingthegame.de/stefan-wacker

Interview: „New Work: Neue Kultur der Zusammenarbeit“

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Sven Franke

Zusammenfassung

Ändern sich wirtschaftliche Rahmenbedingungen, müssen Organisationen reagieren. Herausfordernd ist hierbei, Hierarchien und Prozesse den Anforderungen anzupassen. Eine Möglichkeit ist das Schaffen eigenständiger Einheiten, die sich mit den neuen Technologien, Geschäftsmodellen und Ideen beschäftigen. Welche Hürden auf dem Weg zu einer neuen Kultur der Zusammenarbeit lauern und wie Organisationen diesen begegnen können, weiß Sven Franke.

S. Franke (*)  CO:X, Lehre, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_15

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S. Franke

Was bedeutet für Sie New Work? Aufbauorganisationen funktionieren nicht mehr. Ein Grund ist die Schnelligkeit: Diese Organisationen sind nicht in der Lage, schnell und kundennahe Entscheidungen zu treffen – sie sind alles andere als disruptiv. Die Reaktion auf diese Veränderung bedeutet für mich New Work: Zu bemerken, dass da etwas Neues entsteht. Agile Formen der Zusammenarbeit auszuprobieren. Selbstorganisierte Teams, die nah am Markt sind und Kundenwünsche schnell erfüllen. Gleichzeitig aber auch zu verstehen, dass das keine Blaupause ist – weder beim Agilen noch beim Selbstorganisierten – ist eine der größten Herausforderungen, die Unternehmen gerade erleben. Denn der Blick zum Konkurrenten funktioniert nicht mehr. Der Erfolg liegt im Ausprobieren – auch von Organisationsformen. All das ist für mich New Work. Wie reagieren Unternehmen, wenn sie Lösungen selbst erarbeiten sollen? Hier kann ich einen Kunden zitieren: „Als wir mit euch angefangen haben, hatten wir zwei große Probleme. Jetzt haben wir gefühlt hundert kleine Probleme.“ Fast plötzlich entsteht ein Raum, in dem sich diese Themen zeigen können – Unternehmenskultur pur. Jetzt werden aber auch Kulturelemente, die man gehofft hat, nicht in der Organisation zu haben, deutlich. Weil die Unternehmenskultur immer ein Abbild dessen ist, was im Unternehmen gerade passiert, kann sie auch nur von Mitgliedern der Organisation geprägt und verändert werden. Eigentlich wissen Unternehmen genau, an welchen Stellen es hapert. Herausfordernd ist, dranzubleiben und an der Lösungsfindung zu arbeiten. Denn lösen können Unternehmen es nur selber. Führt das nicht auch zu Widerstand und Ausreden – um nur nicht mitmachen zu müssen? Ja, allerdings stellt man bei genauerer Betrachtung fest, dass diese Probleme nicht erst seit gestern bestehen, sondern seit langem vorhanden sind, bisher nur gut versteckt waren. Was meiner Meinung nach ein Kernaspekt ist. Wer mehr Partizipation will, muss sich dem stellen und gemeinsame Lösungen finden. Es gibt Führungskräfte, die ihren Command & Control-Stil beibehalten wollen. Den haben sie gelernt, den kennen sie, der hat sie in der Vergangenheit erfolgreich gemacht und so definieren sie sich. Diese Menschen werden permanent gegen das neue System arbeiten. Um die Organisation nicht nachhaltig zu gefährden, muss man handeln und sich gegebenenfalls auch trennen – unabhängig von der Hierarchiestufe. Worauf müssen sich Unternehmen noch einstellen? Es existieren große Organisationen, die mit einer Aufbauorganisation nach wie vor richtig viel Geld verdienen. Sich trotz Milliardengewinnen zu verändern, ist herausfordernd. Aber ich bin davon überzeugt, dass sie es tun müssen. Kleine Experimente, wie Labs und Garagen werden hier nicht ausreichen. Da beispielsweise keiner weiß, wie

15  Interview: „New Work: Neue Kultur der Zusammenarbeit“

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eine Organisationsform mit mehreren 100 selbstorganisierten Teams einmal funktionieren wird, werden wir uns mit vielen neuen Fragen beschäftigen müssen: Mit welchem Regelwerk arbeiten diese Teams zusammen? Dürfen sie sich kannibalisieren? Wo sind die Grenzen des einzelnen Teams? Und wer definiert, wo diese Grenzen sind? Haben Konzerne, so wie wir sie bisher kennen, überhaupt eine Chance, sich in dieser Form und mit der notwenigen Geschwindigkeit zu verändern? Oder müssen sie sich in kleine schlagkräftigere Einheiten zerlegen? Unternehmen müssen sich darauf einstellen, das es hart und unangenehm wird, denn Veränderungsprozesse bedeuten generell (Mehr-) Arbeit. Ferner muss man sich von der Illusion verabschieden, dass das ohne zusätzliche Anstrengungen parallel zum Tagesgeschäft möglich ist und bereits nach vier Wochen große Ergebnisse vorliegen. Das ist vergleichbar mit der Landwirtschaft: Ein Bauer bestellt, pflügt, eggt, sät, düngt, wässert etc. sein Feld. Er muss sich permanent und regelmäßig darum kümmern. Und nur, wenn die Rahmenbedingungen, auch die äußeren wie hier das Wetter, alle stimmen, erntet er überhaupt etwas. Ist dieses Bewusstsein in der Organisation vorhanden, steht dem Veränderungsprozess nichts im Wege. Wie schaffen Organisationen Raum zum Erfahren? Indem sie verschiedene Formate wie beispielsweise Barcamps ausprobieren. Ein Pharmaunternehmen, das wir begleiten, hat dieses Format genutzt, um Freiwilligenteams zu bestimmten Themen zu finden. Eine Mitarbeiterin zum Beispiel stand vor Kollegen und Vorstand auf und vertrat die Meinung, dass das Unternehmen Kulturbotschafter bräuchte – und sie gerne eine davon wäre. Anders hätte sie nicht die Möglichkeit gehabt, sich zu zeigen und ihre Idee zu positionieren. Über solche Formate lernen Organisationen ihre Mitarbeiter von einer anderen Seite kennen. Den Raum zu öffnen heißt für mich auch, sich Gedanken darüber zu machen, wie vorhandenen Potenziale, die vielleicht gar nicht aktuell im Job benötigt werden, in der Organisation sichtbar werden. Freiwilligenteams, in denen es nicht darum geht, dass der Höchstpositionierte die Projektleitung übernimmt, sind hier eine sehr gute Möglichkeit. Welchen Themen werden uns auch in fünf Jahren noch begleiten? Ich glaube, dass Organisationen dann immer noch auf der Suche nach Lösungen für Herausforderungen wie Entscheidungsgeschwindigkeit, Innovationsfähigkeit, Individualisierung der Gesellschaft und damit auch der Belegschaft und nicht zuletzt der Digitalisierung (die übrigens zu 95 % Mindset und nicht Technik ist) sind. Die Generation Y hat das Thema Sinn von Arbeit platziert und damit den Raum geöffnet, das jeder das zu seinem Thema machen konnte. Ich bin überzeugt, auch mit diesem Thema beschäftigen wir uns noch länger. Auf jeden Fall werden wir spannende Wege und interessante Experimente erleben. Und die Zukunft wird zeigen, welcher Weg bzw. welche Wege richtig waren.

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S. Franke

Sven Franke  „Experimente wagen und Neuland erkunden“, nach dieser Maxime lebt und arbeitet Sven Franke. Er ist Organisationsbegleiter, Sparringspartner, Autor und Speaker. 2014 und 2015 initiierte er gemeinsam mit Weggefährten die Projekte „AUGENHÖHE – Film und Dialog“ und „AUGENHÖHEwege – Film und Dialog“. Mit der neu gegründeten CO:X begleitet Sven Franke Unternehmen dabei, neue Wege in der Zusammenarbeit zu gehen. Im März 2017 wurde Sven Franke mit dem „New Work Award“ von Xing ausgezeichnet.

Impuls: Jonathan Imme (Unternehmer und Stadtentwickler, coliving.city) Wir arbeiten in hippen, auf Kollaboration gebürsteten Arbeitswelten – lernen und leben aber meist noch in Räumen und Modellen von gestern. Damit wir ins New Work Zeitalter passen, müssen auch unsere Wohnwelten flexibler, mobiler und wieder gemeinschaftsorientierter werden. Lasst uns zusammen experimentieren und Räume und Ressourcen so gestalten, dass wir sie besser nutzen und teilen können.

Gesundheitskultur – Die Ressource der Zukunft

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Rainer Berger

Zusammenfassung

„Gesundheit ist die Voraussetzung für den Erhalt der kreativen Leistungsfähigkeit und Kreativität gilt als Ressource der Zukunft.“ Zu einer guten und sinnvollen Gesundheitskultur gehören aber auch wichtige Themen wie z. B. die Kommunikation, Motivation und Inspiration von Mitarbeitern. Es betrifft also nicht nur das Individuum sondern die gesamte Organisation, in der ein Umdenken und eine größere Handlungsflexibilität möglich sein sollte. Der Wert einer Gesundheitskultur in ihrem Unternehmen zeigt sich auf vielen Ebenen und bedeutet heute mehr als nur ein Return of Investment. Doch wo genau liegt der zusätzliche Nutzen und wie könnte der Weg zu einem gesunden Unternehmen der Zukunft aussehen? Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ist die Bereitschaft und Fähigkeit, Veränderungen „gesund“ zu gestalten. Diese Gesamtstrategie fördert eine gewinnbringende und lebendige Gesundheitskultur, auch in

R. Berger ()  Erfolgsfaktor Gesundheit, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_16

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R. Berger

Bezug auf ein erfolgreiches Personalmarketing und Talentmanagement. Trotz des Bedeutungszuwachses der Gesundheitskultur in Unternehmen bleibt seine kulturelle Verankerung eine große Herausforderung. Von einer fest verankerten Gesundheitskultur kann meist nicht die Rede sein, der Einfluss der Führungskräfte darauf wird zudem stark unterschätzt. Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.

Dieser fast schon abgedroschene Aphorismus vom deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer ist in unserer modernen Industriegesellschaft zeitgemäßer denn je. Denn „neun Zehntel unseres Glücks beruhen allein auf der Gesundheit“, wusste bereits der vor knapp 160 Jahren gestorbene Hochschullehrer. Seine Erkenntnistheorie von damals gewinnt im 21. Jahrhundert für moderne Unternehmenskulturen zunehmend an Bedeutung. Eine überzeugende, wissenschaftlich basierte „Glücksstrategie“, die die Zufriedenheit und den Wertewandel der Generation Y einschließt, wird daher immer mehr zentraler Bestandteil eines erfolgreichen Employer Brandings, ist der Glücksforscher Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel überzeugt.[1] Doch warum ist das so, in einer Welt voller scheinbar unerschöpflichen Ressourcen, wo Konsum und Informationsbeschaffung nahezu überall an jeder Ecke und zu jeder Zeit verfügbar sind? In einer Welt, wo sich das Wissen alle vier bis fünf Jahre komplett erneuert und sich die Informationsflut ca. alle 20 Monate verdoppelt. Vielleicht liegt genau hier der Kasus Knaxus und die Antwort. Das Gesundheitsverständnis hat sich verschoben, die Definition komplett verändert: Gesundheit ist heute weit mehr als das Freisein von Krankheit und wird mehr und mehr zu einem ökonomischen Wettbewerbsvorteil in Wirtschaftssystemen unserer Zeit. Denn Digitalisierung und disruptive Technologien fordern nicht nur Veränderungsbereitschaft im Markt, sondern auch veränderte Belastungsstrukturen von Führungskräften und Mitarbeitern. Dabei wird die psychische und physische Belastung in Unternehmen für alle Mitarbeiter und Führungskräfte immer höher. Resilienz gehört quasi zum notwendigen und wünschenswerten individuellen Anforderungsprofil von Bewerbern. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Neben der Zunahme komplexerer Anforderungen, der demografischen Entwicklung und dem steigenden Bedarf an Fachkräften in dieser neuen Arbeitswelt, sind es auch immer mehr soziale und kulturelle Disparitäten, die das Gesundheitssystem und die Arbeitswelt vor neue Herausforderungen stellen. Laut Dr. Christa Standecker, Geschäftsführerin der Europäischen Metropolregion Nürnberg, fehlen allein in diesem starken Wirtschaftsraum (3,5 Mio. Einwohner) bis 2020 rund 80.000 Fachkräfte.[2] Die Folge: Unternehmen buhlen um die Talente der Zukunft und müssen kreativ sein, um eigene Mitarbeiter wirksam zu halten.

16  Gesundheitskultur – Die Ressource der Zukunft

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Führen Sie schon gesund? Die Gesundheit eines Unternehmens, sowohl in der Organisationsstruktur als auch in Person ihrer Mitarbeiter, ist eine der wichtigsten Ressourcen der Zukunft. Dahinter steckt auch die Frage wie vital und robust Organisationen und Menschen in Zukunft mit Veränderungen oder gar Krisen umgehen können. Eine Antwort auf diese Herausforderung ist die Kompetenzerweiterung des Führungsteams. Der starke Einfluss von Führungsverhalten auf die Gesundheit der Mitarbeiter ist mittlerweile hinreichend belegt. Korrelationsanalysen zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen Führungsparametern und der Gesundheit bzw. Zufriedenheit der Mitarbeiter. Das heißt, je besser das Führungsverhalten und die Etablierung einer Gesundheitskultur im Unternehmen gelingt – und die Beschäftigten das auch deutlich wahrnehmen – umso höher ist die Arbeitszufriedenheit und gesundheitliche Beschwerden nehmen ab. Angesichts zunehmender Herausforderungen in der Arbeitswelt entscheidet letztlich die organisationale Gesundheit auch über die Attraktivität eines Unternehmens als Arbeitgebermarke. Was ist eine Gesundheitskultur? Ziel einer guten Gesundheitsstrategie ist, gesunde Mitarbeiter nicht krank werden zu lassen. Deshalb setzen immer mehr Unternehmen darauf, ihre Unternehmenskultur zu verändern und ihre Mitarbeiter nicht nur zu fordern, sondern auch zu fördern und weiterzuentwickeln. Dazu gehören wichtige Themen wie die interne Kommunikation, Motivation und Inspiration der Mitarbeiter, gefestigte Strukturen, ein gemeinsames Leitbild, das Erzeugen von Nachhaltigkeit, die Investition in Bildung sowie die Stärken und Schwächen von Teams. Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen ist sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit, Veränderungen gesund zu gestalten. Diese Gesamtstrategie fördert eine gewinnbringende und lebendige Gesundheitskultur. Warum eine Gesundheitskultur ? „Im globalen Innovationswettbewerb ist der nachhaltige wirtschaftliche Erfolg von Unternehmen insbesondere davon abhängig, immer wieder Ideen für neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren zu entwickeln bzw. Bestehendes zu verbessern. Damit rücken die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sowie deren Beschäftigte in den Fokus der Aufmerksamkeit. Gesundheit ist die Voraussetzung für den Erhalt der kreativen Leistungsfähigkeit“ [3, 2]. Das bedeutet, eingebettet in kulturelle und wirtschaftliche Veränderungen, steht der gesunde Mensch im Zentrum gewinnbringender Unternehmungen. Die aktuellen und kommenden Herausforderungen werden so zu Chancen, vorausgesetzt, vorhandene ­Ressourcen werden gestärkt und neue entdeckt. Denn Gesundheit trägt als wichtigste Ressource zum Erhalt von Leistungsfähigkeit und vor allem Lebenszufriedenheit bei.

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R. Berger

Nur so kann eine Gesundheitskultur als strategischer Prozess gesundheitsorientierten Handelns die Zukunft der Betriebe und aller Beschäftigten sichern. Und damit Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf, Entwicklungsmöglichkeiten und Karriere, Bildung, gesunde Führung, altersgerechte Arbeit sowie ein umfassendes Gesundheitsbewusstsein der Beschäftigten in Unternehmen zum Bestandteil einer neuen Unternehmenskultur werden, müssen organisationale und personelle Gesundheitskompetenzen gestärkt und erweitert werden. Gesunder Nutzen für Unternehmen  • • • • • •

höhere Produktivität positiveres Firmenimage starke Arbeitgebermarke hohe Mitarbeiterzufriedenheit niedriger Krankenstand geringere Kosten

Die Ebenen einer Gesundheitskultur Betriebliches Gesundheitsmanagement hat in den letzten Jahren deutlich an Aufmerksamkeit gewonnen. Trotz des Bewusstseins und der Notwendigkeit in Konzernen als auch KMUs bleibt die kulturelle Verankerung eine große Herausforderung unserer Arbeitswelt. Unternehmen, die die Gesundheitsförderung in Zukunft zum festen Bestandteil einer gelebten Unternehmenskultur machen wollen, sollten sich nicht damit zufriedengeben, Auszeichnungen, Zertifikate oder Akkreditierungen für ihr BGM erhalten zu haben. Wie im Qualitätsmanagement, sollten auch hier höhere Stufen der Wirksamkeit aller Maßnahmen angestrebt werden. Diese möglichen Ziele lassen sich nach einer menschlichen und betrieblichen Dimension unterscheiden: Für den Mitarbeiter ist die physische und psychische Gesundheit zu verbessern, wobei das subjektive Gesundheitsempfinden ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Unternehmen wollen Leistungsfähigkeit und Produktivität ihrer Mitarbeiter steigern und die Kosten durch Abwesenheit sowie unfall- und krankheitsbedingte Leistungsminderungen reduzieren. Schlüssel zum Erfolg ist hier eine angemessene ganzheitliche Gesundheitskultur, die in vier Ebenen vermittelt und gelebt werden soll:[4] Ebene 1: Grundwerte und Überzeugungen Ihres Unternehmens Gesundheitliche Aspekte müssen im Einklang mit ökonomischen Entscheidungen getroffen werden. Im Zweifel gilt, sich zugunsten der Mitarbeitergesundheit und gegen einen vordergründigen, wirtschaftlichen Vorteil zu entscheiden. Ebene 2: Führungs- und Eigenverantwortung  Es ist fast zu einem Mantra geworden, Führungskräfte mit der Gesundheit der Mitarbeiter in einem Atemzug zu nennen. Zwar sind Führungskräfte wesentlich für gesundheitsrelevante Stellschrauben verantwortlich.

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Denn sowohl der Führungsstil als auch die gesetzten Anforderungen beeinflussen direkt das Wohlbefinden der Beschäftigten. Aber auch der Einfluss von Vorgesetzten ist begrenzt und endet dort, wo die Eigenverantwortung der Beschäftigten beginnt. Dabei sollten Führungskräfte sich nicht selbst vergessen. Auch sie stehen unter einem enormen Druck und dürfen ihre eigene Gesundheit nicht vernachlässigen. Ein positives ­Vorleben sowie die eigene Authentizität führen zum Erfolg des Teams – Eigenverantwortung vorausgesetzt. Ebene 3: Arbeits- und Beziehungsorganisation  Diverse Studien belegen den positiven Einfluss einer sinnstiftenden Arbeit auf das Wohlbefinden von Mitarbeitern. Grundvoraus­­ setzung sind dafür die Optimierung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten. Und auch die Rahmenbedingungen sollten flexibel gestaltet sein, um den viel beschriebenen Spagat von Berufs- und Privatleben zu ermöglichen. Bestehen stabile und unterstützende Sozialstrukturen, ist ein gesundheitsförderndes Umfeld gegeben. Faire Verhaltensregeln können dazu beisteuern, Organisationen gesundheitsfördernd zu gestalten und somit einen Beitrag zu einer Gesundheitskultur zu leisten. Ebene 4: Betriebliche Ressourcen  Der Begriff Ressourcen ist mehrdimensional belegt. Das heißt, die zeitliche Dimension ist ebenso zu berücksichtigen wie die finanzielle. Unternehmen sollten sich daher fragen, ob die qualifizierten und zuvor definierten und verantwortlichen Gesundheitsakteure die notwendigen zeitlichen Ressourcen haben, sich miteinander abzustimmen und gemeinsame Projekte umzusetzen? Und ob Arbeitsplätze bereits ausreichend ergonomisch ausgestattet sind? Oder ob hierfür das notwendige Budget zur Verfügung steht? Sollen diese vier Ebenen der Gesundheitskultur in modernen Unternehmen zukünftig wirken, müssen sie sowohl in die Führungskultur als auch in das Personalmanagement fest installiert werden. Das bedeutet, dass ein Gesundheitsanliegen zwischen Strategie, Kultur und Struktur einen relevanten Stellenwert erhält. Eine solche Implementierung der Gesundheitskultur setzt beim Verhalten aller Führungskräfte und bei allen Prozessen im Personalmanagement an. Wie gesund ist Deutschland? Deutschlands Arbeitnehmer haben sich 2017 wieder häufiger krank gemeldet. Der Krankenstand stieg von 3,9 % 2016 auf 4,1 % im Jahr 2017.[5] Besonders Atemwegserkrankungen machten den Deutschen zu schaffen: Die Anzahl der Fehltage aufgrund von Erkältungen stieg um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ausfälle durch psychische Erkrankungen stiegen dagegen nur leicht um knapp 1,5 %. Mehr als die Hälfte aller Arbeitsunfähigkeitstage (53,9 %) ging auf das Konto von drei Diagnosegruppen: Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen (21,8 %), psychische Erkrankungen (16,7 %) und Atemwegserkrankungen (15,4 %). Fast jeder zweite Berufstätige bundesweit war 2017 mindestens einmal krank geschrieben (48,6 %) – Frauen häufiger als Männer. Bei Frauen lag der Krankenstand bei 4,4 %, bei Männern bei 3,8 %.

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R. Berger

Im Jahr 2017 mussten Unternehmen schätzungsweise 53 Mrd. EUR an Gehältern für kranke Mitarbeiter bezahlen, im Jahr 2006 waren es nur gut 25 Mrd. EUR, so die Deutsche Rentenversicherung [6]. Dabei haben die höheren Entgeltfortzahlungen mehrere Gründe: In Deutschland arbeiten heute mehr Menschen als je zuvor, dementsprechend erhöht sich die Zahl der Krankheitstage. Ferner spielen Gehaltssteigerungen eine Rolle. Außerdem steigt der Krankenstand seit einigen Jahren an, was v. a. auf die alternde Gesellschaft zurückzuführen ist. Die Schätzung der volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle durch Arbeitsunfähigkeit vermittelt einen Eindruck vom Präventionspotenzial. Seit 1994, und damit erstmals für das Jahr 1993, schätzt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle durch Arbeitsunfähigkeit. Mit einer durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeit von 17,2 Tagen je Arbeitnehmer/-in ergeben sich im Jahr 2016 insgesamt 674,5 Mio. Arbeitsunfähigkeitstage, was einen Ausfall von 1,8 Mio. Erwerbsjahren bedeutet. Und vermutlich liegen die Zahlen höher, weil die BAuA in ihre Schätzungen nur Ausfallzeiten durch Krankschreibungen einbeziehen kann.[7, 6] Einige Tage mehr dürften durch nicht festgehaltene Kurzzeit-Arbeitsunfähigkeit dazukommen. Die meisten Kosten entstanden wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE), nämlich circa 17,2 Mrd. EUR an Produktionsausfallkosten und 30,4 Mrd. EUR Ausfall bei der Bruttowertschöpfung. Zweiter Kostenfaktor waren die psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen (Ausfälle von 12,2 Mrd. und 21,5 Mrd.). Ausgehend von diesem Arbeitsunfähigkeits-Volumen schätzt die BAuA die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle auf insgesamt 75 Mrd. EUR bzw. den Ausfall an Bruttowertschöpfung auf 133 Mrd. EUR. Und sieht die immensen Summen gleichzeitig als gutes Argument für eine bessere Prävention und damit Investitionen in eine gesunde Kultur der Unternehmen.[8] Führungsverhalten als Ressource? Viele Führungskräfte und Mitarbeiter fühlen sich durch die Komplexität der Aufgaben und die enorme Geschwindigkeit, ausgelöst durch stetige technische Neuerungen, überfordert. Die Folge: Verlust- und Versagensängste. Eine Orientierungslosigkeit schafft zusätzliche Verunsicherung. Auch aus diesem Grund muss das Thema Führung und Management im Hinblick auf die Unternehmenskultur stärker als bisher in den Fokus der HR-Arbeit rücken. Denn das Führungsverhalten kann sowohl als unterstützende Ressource als auch als Stressor mit erheblicher Auswirkung auf die Motivation und Performance der Mitarbeiter wirken. Gerade durch die gesamte Gestaltung der Rahmenbedingungen von Arbeit beeinflussen Führungskräfte Mitarbeiter in hohem Maße. Dabei unterschätzen sie häufig ihren Einfluss auf das Wohlbefinden und damit auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Laut aktueller Studien zum Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit erhöhen die aktive Kontrolle einzelner Arbeitsschritte, eine Laissez-Faire-Führung sowie schlechtes Konfliktmanagement den Stress bei Beschäftigten – wohingegen einer transformationaler Führung eine gesundheitsfördernde Wirkung bescheinigt wird. Bedürfnisse wie

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Zugehörigkeit, Orientierung, Fairness, Entwicklung, Autonomie- und Selbstwert gehören zu den neurobiologischen Grundbedürfnissen des Menschen. Sind diese erfüllt, entstehen zudem Sicherheit, Motivation und Kreativität – unabhängig davon, wie stark draußen der Sturm tobt, so Oliver Schulz-Oster, Experte für Talentmanagement und Vergütungssysteme.[9] Eine gute Führung..  • …verbessert die Arbeitszufriedenheit und das arbeitsbezogene Wohlbefinden • …reduziert krankheitsbedingte Fehlzeiten • …mindert das Risiko einer Berufsunfähigkeit Die folgende Abbildung verdeutlicht, auf was Bewerber beim Jobwechsel generell achten und auch Jobanfängern immer wichtiger wird. Denn die Höhe des Gehalts ist längst nicht mehr das, womit Arbeitgeber punkten können. Stattdessen rücken andere Attraktivitätsmerkmale zunehmend in den Vordergrund (siehe Abb. 16.1). Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis eine große Herausforderung. Denn Führungskräfte sehen die Förderung der Gesundheit von Beschäftigten nicht als Führungsaufgabe an. Ferner ist für eine gesundheitsfördernde Führung im Alltag oft keine Zeit. Dabei rechnet sich ein gesundes Führungsverhalten vielfach für beide Seiten und ist eine wichtige Ressource in der zukünftigen Arbeitswelt. Wie folgende Verhaltensweisen zeigen: • Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte = geringere Fehlzeiten, geringeres Stressund Erschöpfungsempfinden, Arbeitszufriedenheit, psychische Gesundheit • Mitbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten = geringere Fehlzeiten, niedrigerer Krankenstand

Abb. 16.1  Geld allein macht nicht glücklich: Was beim Jobwechsel wichtig ist. (Mit freundlicher Genehmigung von © MaikPottmann2018. All Rights Reserved.)

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R. Berger

• Anerkennung und Wertschätzung = Arbeitsfähigkeit, psychische Gesundheit • Kommunikation mit Vorgesetzten = Arbeitszufriedenheit Der Weg zum gesunden Unternehmen der Zukunft Die Zahl der Erwerbstätigen schrumpft, während die Belastungen auf und neben dem Arbeitsplatz zunehmen. Um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu schützen, müssen Unternehmen künftig mehr tun. Davon ist das Recruiting ebenso betroffen wie die Mitarbeiterbindung. Hilfe leisten hier zum Beispiel die sogenannten Employee Assistance Programs (EAP). Wie Qualitätskriterien erfolgreich eingeführt werden können, zeigen Alexa Ahmad und Jutta Dreyer (pme Familienservice Gruppe)1.[10] Die Bandbreite der Themen, mit denen sich Mitarbeiter an die Dienste wenden können, ist groß: Fragen zur Suchtprävention, zu Erziehungs- und Schulproblemen, Beziehungskonflikten, zur Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen, zu Arbeitsplatzproblematiken wie etwa Konflikten mit Kollegen, zur Wiedereingliederung nach längerer Krankheit oder Burn-out-Prävention. Eine Besonderheit von EAP ist die enorme Flexibilität. Die Beratung kann anonym am Telefon erfolgen oder aber Face to Face. Sie kann auf einen einzigen Kontakt beschränkt bleiben oder mehrere Einheiten umfassen. Vor allem für Unternehmen mit mehreren Standorten oder Betrieben in ländlichen Gebieten ist diese Ortsunabhängigkeit ein enormer Vorteil. Um bei Mitarbeitern eine Loyalität und langfristige Bindung zu erzeugen, gilt es, bestimmte Qualitätskriterien für Dienstleister festzulegen: • • • • •

Professionalität durch qualifizierte Fachberater Erreichbarkeit, idealerweise auch durch eine Beratungshotline Vertraulichkeit in Bezug auf Schweigepflicht und Datenschutz Evaluation zur Kundenzufriedenheit Feedback durch anonymisierte Reportings

Erst mit der richtigen Kommunikationsstrategie fördern EAP die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter. Eine erfolgreiche Einführung zur richtigen Implementierung ist daher abhängig von folgenden fünf Schritten: • Vertrauen schaffen • Kommunikationswege klären

1EAP

bieten eine gute Möglichkeit, die betriebliche Gesundheitsförderung unter besonderer Berücksichtigung der psychischen Gesundheit zu ergänzen. Sie werden von externen Dienstleistern angeboten, die seit Jahren ihr Beratungsangebot an die ständig wachsenden Bedingungen anpassen. Dabei sind die Berater in der Regel Experten auf ihrem Gebiet, verfügen also über eine juristische, medizinische oder therapeutische Ausbildung.

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• Kommunikatoren bestimmen • Führungskräfte einbeziehen • Mitarbeiter schulen Eine Win-Win-Win-Situation „Im Großteil der analysierten deutschen- und englischen Studien konnte durch die Einführung eines systematischen Gesundheitsmanagements eine Kostenersparnis nachgewiesen werden. Der Return of Investment lag bei den einzelnen Programmen zwischen 1,4 und 1,9. Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann,“ so Patricia Bothe und Prof. Dr. Holger Pfaff [11]. Fazit

Eine etablierte ganzheitliche Gesundheitskultur sollte als wichtiges Instrument einer Personalpolitik – gerade auch im War of Talent für die Personalgewinnung, für die Personalentwicklung, aber auch als Bindungstool in der Personalerhaltung für langjährige Mitarbeiter – ernst genommen werden. Ein systematischer Aufbau sowie eine nachhaltige Anwendung rechnen sich für alle drei Seiten: Das Unternehmen, den Mitarbeiter und das Gesundheitssystem allgemein. Nicht nur aus ökonomischer Sicht also eine Win-Win-Win-Situation. Wichtig ist dabei allerdings, die Varietät sowie die Robustheit und Vitalität seiner Organisation zu (er)kennen. Faktoren wie das Nutzen von Potenzialen, das Zulassen eines produktiven Scheiterns, das Wagen von Experimenten, der Abbau von Übereffizienz sowie das Rekrutieren von biologischer Vielfalt führen holistisch gesehen zu einer organisationalen Gesundheit. In diesem Sinne: Make the world of work a better place!

Literatur 1. Ruckriegel KH Prof. Dr. (2018) Hauptsache: Im „Flow“ bleiben. TeleTalk 06: Seiten 26–27 2. Standecker C Dr. (2018) Wie kann Regionalmarketing das Employer Branding von Unternehmen verstärken, Vortrag Marketing Club Nürnberg 14.05.2018 3. Langhoff T, Bornewasser M, Heidling E, Kriegesmann B, Falkenstein M (2017) Innovationskompetenz im demografischen Wandel, Springer, Berlin 4. Thom N (2014) https://www.researchgate.net/publication/269709339_Die_vier_Ebenen_der_ Gesundheitskultur (abgerufen am: 17.08.2018) 5. DAK-Gesundheitsreport 2018 https://www.dak.de/dak/download/gesundheitsreport-20181970840.pdf (abgerufen am: 17.08.2018) 6. Pimpertz J, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, https://www.iwd.de/artikel/krankheitkostet-milliarden-324633 (abgerufen am: 17.08.2018) 7. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2016) https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitswelt-und-Arbeitsschutz-im-Wandel/Arbeitsweltberichterstattung/Kosten-der-AU/ Kosten-der-Arbeitsunfaehigkeit_node.html (abgerufen am: 17.08.2018)

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R. Berger

8. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2016) https://www.baua.de/DE/Themen/ Arbeitswelt-und-Arbeitsschutz-im-Wandel/Arbeitsweltberichterstattung/Kosten-der-AU/pdf/ Kosten-2016.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (abgerufen am: 17.08.2018) 9. Schulz-Oster O (2016) https://www.wiwo.de/erfolg/management/karriere-was-im-talent-­ management-schieflaeuft/12909460.html (abgerufen am: 17.08.2018) 10. Ahmad A, Dreyer J (2016), managerSeminare, Special Gesundheit, Special Gesundheit, November 2016, Entlastung in allen Lebenslagen: Seiten 15–18 11. Bothe P, Pfaff H Prof. Dr. (2017), Der Mittelstand 01/2017, Gesundheitsmanagement zahlt sich aus: Seiten 38–39 Rainer Berger ehemaliger Topsprinter und Bobfahrer, machte sich nach acht Jahren in der Sportindustrie und anschließender Trainerausbildung selbstständig. Unter dem Fokus „Erfolgsfaktor GESUNDHEIT“ verbindet er eindrucksvoll und authentisch gesundheitliche Inhalte mit emotionalen Erlebnissen, um Unternehmenskulturen nachhaltig zu verbessern. Seine Vision: Eine Gesundheitskultur als Verbesserung der Arbeitgeberattraktivität zur Chefsache zu machen: Make your Company a better place! Neben seiner Tätigkeit als Speaker und Trainer ist der Gesundheitsexperte auch Dozent für Sportund Eventmanagement an der International Business School Nürnberg. Der Sportwissenschaftler lebt Bewegung und ist heute ein begeisterter Fitness-, Gesundheits- und Outdoorsportler. https://gesundheitskultur.de https://changingthegame.de/rainer-berger

Interview: „Gesundheit und New Work im Einklang“

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Marion von Rochow

Zusammenfassung

Durch die Digitalisierung verfügt so gut wie jeder Mitarbeiter über ein Geschäftshandy und einen Dienst-Laptop. Diese ständige Erreichbarkeit sowie das Arbeiten in verschiedenen Zeitzonen erfordert eine hohe Flexibilität von Mitarbeitern – oft zulasten ihrer Gesundheit. Die Folge: eine tiefe Erschöpfung mit Einschlafschwierigkeiten, Kopf- und Rückenschmerzen, Nervosität etc. Um Mitarbeiter langfristig gesund zu erhalten, benötigen Unternehmen Konzepte und Strategien. Welche gesundheitlichen Präventionen dabei geeignet, praktikabel und sinnvoll sind, hängt auch von Möglichkeiten ab, die Unternehmen zur Verfügung stehen. Wer jedoch langfristig erfolgreich sein will, kommt um Investitionen in die Gesundheit seiner Mitarbeiter

M. von Rochow (*)  Projektmanagerin und zertifizierte Ashtanga Yoga-Lehrerin, Erlangen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_17

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M. von Rochow

nicht herum. Wo Unternehmen anfangen können und welche gesundheitlichen Maßnahmen sinnvoll sind, weiß Marion von Rochow, Projektmanagerin bei internationalen Sportartikelherstellern. Hat die Veränderung der neuen Arbeitswelt Auswirkung auf unsere Gesundheit? Die Arbeitsbelastungen sind in den letzten Jahren enorm gestiegen: Unternehmen erwarten eine sehr hohe Flexibilität von ihren Mitarbeitern. Durch Mobiltelefone, Laptops, die Arbeit in Clouds etc. sind Mitarbeiter 24/7 erreichbar und einer enormen Informationsflut ausgesetzt. Dieser zunehmend negative Stress (Disstress) wirkt sich nachteilig auf die Gesundheit aus. Unternehmen, die das erkannt haben, schaffen einen Ausgleich und investieren in die Gesundheitsförderung ihrer Mitarbeiter. Die Vorteile liegen auf der Hand: Mitarbeiter sind durch regelmäßige Bewegungen ausgeglichener und weniger anfällig für Krankheiten. Yoga beispielsweise ist ein wunderbarer Ausgleich zu dem immer schneller werdenden Arbeitstempo. Denn durch die fließenden Bewegungen und das bewusste Atmen entsteht ein Flow, der Balance und Ausgeglichenheit schafft. Muskeln und Sehnen werden aktiviert, dadurch bekommt man mehr Kraft und Flexibilität, welches uns beim langen Sitzen unterstützt. Nicht jedes Unternehmen hat ein eigenes Fitness-Studio oder einen eigenen Sportlehrer. Wie können sie dennoch ihre Mitarbeiter unterstützen? Sportangebote im eigenen Unternehmen anzubieten, hat für Mitarbeiter viele Vorteile. Einerseits haben sie keine langen Wege zur Sportstätte. Andererseits sind sie zeitlich sehr flexibel. So können sie kurz vor oder nach der Arbeit ihren sportlichen Aktivitäten nachgehen oder sich in der Mittagspause sportlich betätigen. Eine Alternative ist, sich einen externe Sportlehrer in die Firma kommen zu lassen, der eine Stunde mit den Mitarbeitern trainiert. Für Betätigungen wie Yoga und Meditieren zum Beispiel braucht es keinen eigenen Sportraum. Ein Meetingraum reicht vollkommen aus und ist schnell umgestaltet. Welche Möglichkeiten könnten Unternehmen noch bieten, um ihre Mitarbeiter zu unterstützen, ausgeglichener und damit produktiver zu werden? Jeder Führungskraft ist bekannt, dass Mitarbeiter nicht sieben bis acht Stunden am Stück konzentriert arbeiten können. Um leistungsfähig zu bleiben, reichen Frühstücks- und Mittagspause allerdings nicht mehr aus. Eine Auszeit zwischendurch wird deshalb immer wichtiger. Hilfreich sind hier zum Beispiel Meditations- und Achtsamkeits-Apps: nach drei Stunden Arbeit blinkt die „Pausenempfehlung“ auf und der Mitarbeiter erhält eine Auswahl verschiedener zehnminütiger Achtsamkeits- oder Meditationsübungen, die er ganz einfach am Schreibtisch absolvieren kann: Kopfhörer auf und zehn Minuten abschalten, um anschließend

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fokussierter weiterarbeiten zu können. Und wer vor wichtigen Präsentationen aufgeregt ist, wird mit den richtigen Atemübungen ruhiger und fokussierter. Solche Apps sind vielseitig einsetzbar. Was können Mitarbeiter tun, um fit zu bleiben? I’ll sleep when I’m dead heißt es in einem Song von Jon Bon Jovi. Geistig und körperlich hält es aber niemand aus, nicht zu schlafen. Bekannt ist, dass sieben bis acht Stunden Schlaf für unseren Körper enorm wichtig sind. Körper und Geist verarbeiten das über den Tag Erlebte und wir schöpfen neue Kraft für den nächsten Tag. Ferner belegen verschiedene Studien, dass zehn bis 20 min Schlaf während der Arbeitszeit die Produktivität enorm steigert: Mitarbeiter sind ausgeruhter und gehen mit neuem Tatendrang voran. Viele Firmen in den USA und China haben das bereits erkannt und fördern den Tagschlaf ihrer Mitarbeiter. Und auch hierzulande ziehen Unternehmen wie beispielsweise die Axa nach und stellen ihren Mitarbeitern sogenannte Ausruhkabinen zur Verfügung. Wem das für eine Testphase ein zu großer Aufwand ist, könnte mit einem umfunktionierten Meetingraum starten. Damit sich Mitarbeiter dort zurückziehen und wohlfühlen, sollte der Raum ein angenehmes Klima haben und nicht neben der Teeküche oder anderen stark frequentierten Bereichen liegen. Orientieren können sich Unternehmen an Ruheräume in Wellness Hotels: ein wenig abgedunkelt mit bequemen Sitzund Liegemöglichkeiten aus natürlichen Materialien. Wie können Unternehmen vor der Investition den positiven Effekt testen? Um den positiven Effekt von Rückzugsorten zu testen, könnten Arbeitgeber zum Beispiel eine zweiwöchige Challenge starten: ein Team wird in zwei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe gönnt sich während des Arbeitstages ein Power Nap, die andere arbeitet normal weiter. Am Ende wird geprüft, welchen Effekt der Power Nap hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Gruppe mit dem Tagesschlaf effektiver, ausgeruhter und ausgeglichener ist. Es gibt viele Möglichkeiten, Mitarbeiter in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Unternehmen müssen es nur wollen! Marion von Rochow Als Mutter von zwei Kindern verbindet Marion von Rochow, Projektmanagerin bei internationalen Sportartikelherstellern und zertifizierte Ashtanga Yogalehrerin, ihre Leidenschaften: Sport, Strategie und Mindfullness. Sie ist überzeugt, dass es immer den richtigen Zeitpunkt gibt, das Beste aus sich rauszuholen. Menschen dabei zu begleiten, ist ihr ein großes Anliegen.

Interview: „‚So arbeitet Deutschland‘Studie: Diversity ist nicht gleich Diversity“

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Timo Lehne

Zusammenfassung

Unter dem Begriff Arbeiten 4.0 werden viele Szenarien entworfen, die eine neue Arbeitswelt beschreiben. Eine erfüllende Arbeit, die Spaß macht, Multikulti-Unternehmen mit flachen Hierarchien und Mitarbeitern, die im Homeoffice arbeiten. Ist New Work in Deutschland schon in der Realität angekommen – und wollen die Menschen in Deutschland überhaupt so arbeiten? In der Umfragereihe „So arbeitet Deutschland“ werden Festangestellte und Freelancer nach verschiedenen Aspekten der aktuellen Arbeitswelt sowie ihren Wünschen befragt. So zeigt eine der

T. Lehne (*)  SThree GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_18

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T. Lehne

Befragungen, dass für die Befragten Diversity nicht gleich Diversity ist. Während 20 % mehr Vielfalt hinsichtlich Geschlecht und Alter begrüßen, finden DiversityKriterien wie Herkunft und körperliche Einschränkungen nur wenige Fürsprecher. Eine Vermutung ist: Die Menschen sind eher bereit, die Vielfalt zu akzeptieren, die ihnen auch im privaten Umfeld begegnet bzw. die ihnen eher vertraut ist. Wie Arbeitgeber dem begegnen können, weiß Timo Lehne, Managing Director bei der SThree GmbH. Die Studie „So arbeitet Deutschland“ geht mittlerweile in die 6. Runde. Können Sie sagen, ob sich hier zwischenzeitlich Schwerpunkte und Vorlieben verlagert haben oder bestimmte Trends erkennbar sind? Unser Ziel der „So arbeitet Deutschland“-Studie ist der Vergleich zwischen Wunsch und Wirklichkeit der Arbeitswelt von Berufstätigen in Deutschland – und die klaffen oft auseinander. Wir hinterfragen also, ob New Work tatsächlich schon gelebt wird. Was sich bei unseren bisherigen Umfragen bestätigt hat: Die neue Arbeitswelt ist nicht nur von technischen Entwicklungen geprägt, sondern auch von einem kulturellen Wandel. So ist privates Glück beispielsweise 87 % wichtiger als beruflicher Erfolg. Und auch wenn es um die Frage Kind oder Karriere geht, entscheiden sich 46 % für die Familie, nur 24 % würden im Zweifel die Karriere wählen. Ebenso sind bei der Wahl des Arbeitgebers klare Präferenzen erkennbar. Für Mitarbeiter ist der sogenannte Cultural Fit heutzutage entscheidend: 83 % würden nicht aufgrund des Gehalts in einem Unternehmen arbeiten, in denen ihnen die Kultur nicht zusagt. Zudem spiegeln viele weitere Wünsche der Befragten an ihr Arbeitsumfeld das wider, was New Work letztlich auszeichnet: Die Menschen wollen herausfordernde sowie interessante Tätigkeiten und flexibel arbeiten. 73 % der Befragten würden sich beispielsweise ihre Arbeitszeit gerne komplett frei einteilen, doch nur 34 % haben aktuell die Möglichkeit dazu. Wer allerdings denkt, es kommt nur auf „weiche“ Faktoren an, der irrt. Denn auch wenn Gehalt für die Jobzufriedenheit nicht (mehr) entscheidend ist, spielt Geld nach wie vor eine wichtige Rolle. Zu den Top-Motivatoren gehören laut der Studie Beförderung/Gehalt (30 %), flexible Arbeitszeiten und -orte (22 %) sowie spannende Aufgaben (21 %). In jedem Fall zeigt „So arbeitet Deutschland“: Unternehmen sollten die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter kennen und, wenn möglich, die passenden Voraussetzungen schaffen. Denn zufriedene Mitarbeiter sind motivierter und bleiben dem Unternehmen lange erhalten – in Zeiten des Fachkräftemangels ein klarer Wettbewerbsvorteil. Ein Teilbereich der Befragung ist das Thema Diversity. Können Sie kurz die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen? Beim Thema Diversity gab es viele Ergebnisse, die uns bei SThree überrascht haben. Laut Umfrage findet gut ein Viertel der Berufstätigen, dass ihr Team nicht vielfältig

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ist – 38% wollen dies aber auch gar nicht. Belegschaften mit Mitarbeitern verschiedener Religionen (22 %) und Inklusion von Menschen mit körperlichen Einschränkungen (12 %) sind eher selten. Gut aufgestellt sind Teams hingegen hinsichtlich Geschlecht (49 %), Herkunft (47 %) und Alter (32 %). Dabei lohnt es sich auf jeden Fall auf Diversity zu setzen. Gemischte Teams bedeuten im internationalen Arbeitsumfeld einen strategischen Wettbewerbsvorteil durch einen vielfältigeren Kundenstamm, den Austausch von Erfahrungen, interkulturelles Knowhow und Sprachkenntnisse. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass der Ausspruch „Gleich und gleich gesellt sich gern“ nach wie vor Vorlieben in Teams prägt? Unsere Trendstudie hat gezeigt: Für die Befragten ist Diversity nicht gleich Diversity. Während 20 % mehr Vielfalt hinsichtlich Geschlecht und Alter begrüßen, finden Diversity-Kriterien wie Herkunft (16 %) und körperliche Einschränkungen (5 %) nur wenige Fürsprecher. Eine Vermutung ist: Die Menschen sind eher bereit, die Vielfalt zu akzeptieren, die ihnen auch im privaten Umfeld begegnet bzw. die ihnen eher vertraut ist. Genau hier sind Arbeitgeber gefragt, mögliche Zweifel oder Unsicherheit abzubauen. Denn oft scheitert es bereits bei der Umsetzung des Diversity-Gedankens. So nehmen 42 % der Befragten keine Maßnahmen zur Förderung der Vielfalt im Unternehmen wahr. Dabei erklären beispielsweise 21 %, dass sie gerne die Kultur ihrer Kollegen kennenlernen würden. Eines ist klar: In unserer heutigen vielfältigen Gesellschaft muss Diversity-Management fester Bestandteil jedes Unternehmens sein. Sehen Sie strategische Wettbewerbsvorteile von Diversity wie ein vielfältigerer Kundenstamm, Austausch von Erfahrungen, interkulturelles Knowhow und Erweiterung der Sprachkenntnisse nur in einem internationalen Arbeitsumfeld als gegeben oder lassen sich auch für Unternehmen Anreize ableiten, die im rein deutschsprachigen Geschäft unterwegs sind? Für alle Unternehmen gilt: Arbeitgeber, die Diversity fördern, sind erfolgreicher. Denn letztlich bedeuten gemischte Teams immer eine Vielfalt an Talenten, da unterschiedliche Denk- und Herangehensweisen aufeinandertreffen. So ein Arbeitsumfeld bringt Kreativität und Innovationen hervor. In einer Unternehmenskultur, in der sich niemand verstellen muss, weil er sich respektiert fühlt, entsteht ein produktives Arbeitsklima – und davon profitiert am Ende jedes Unternehmen. Es heißt, dass Vielfalt und unterschiedliche Denk- und Handlungsweisen die Kreativität und Innovationskraft von Teams enorm fördern. Aber kann dies nicht auch zu großen Spannungsfeldern führen und damit zu einem wesentlich höheren (Integrations-)Aufwand, alles „unter einen Deckel“ zu bekommen? Im Klartext: Ist da nicht ein bisschen Schönfärberei dabei? Die Grundvoraussetzung für Vielfalt ist ein Unternehmen, das Diversity akzeptiert, fördert und fordert. Damit ist vor allem der respektvolle und tolerante Umfang mit jedem

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T. Lehne

Menschen – unabhängig seiner Hautfarbe, seines Geschlechts oder seines Alters – gemeint. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, werden gemischte Teams nicht als Aufwand oder Anstrengung wahrgenommen, sondern als zentraler Aspekt der Unternehmenskultur, die selbstverständlich gelebt wird. In unserem Berliner Büro beispielsweise treffen dreizehn unterschiedliche Nationalitäten aufeinander – sie arbeiten nicht nur erfolgreich zusammen, sondern verbringen auch ihre Freizeit miteinander. Denn Vielfalt muss gelebt werden, damit sie gelingen kann. Dann profitiert auch jeder Einzelne von der Zusammenarbeit in gemischten Teams: Man erweitert seinen Horizont und lernt neue Sichtweisen kennen. Sie schreiben in Ihrer Studie von einer positiven und integrativen Arbeitsumgebung, die durch Chancengleichheit und Anerkennung geprägt ist. Wie sieht die konkret aus? Bei SThree fördern wir ein respektvolles Miteinander, Verständnis für andere Sichtweisen und Toleranz. Um Vielfalt und Chancengleichheit zu leben, schaffen wir die entsprechenden Voraussetzungen. Das heißt zum einen, eine Arbeitsumgebung, in der unterschiedliche Meinungen gewürdigt werden. Zum anderen eine faire Behandlung aller. Hierzu zählt bei uns eine hundertprozentige Entgeltgleichheit zwischen Mann und Frau – jeder steigt mit dem gleichen Grundgehalt ein. Und wir bieten jedem die gleiche Möglichkeit, sein Potenzial zu entfalten. Mit unserem Weiterbildungs- und Entwicklungsprogramm fördern wir den Einzelnen. Zudem wecken wir durch entsprechende Angebote das Bewusstsein für Vielfalt bei unseren Mitarbeitern. So haben wir 2011 beispielsweise das globale Entwicklungs- und Förderungsprogramm Identity ins Leben gerufen, bei dem in der deutschsprachigen Region acht unserer Mitarbeiterinnen gezielt gefördert und über ein Jahr hinweg begleitet werden. Das Ziel: Ihnen mehr Verantwortung zu übertragen, ein förderndes Umfeld zu schaffen und ihre Entwicklung hin zu Führungspositionen zu unterstützen. Darüber hinaus gibt es bei uns interne Diversity-Gruppen wie zum Beispiel ein Team, das als sogenannte LGTB („LGBT ist eine aus dem englischen Sprachraum kommende Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender, also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Sie ist eine Anpassung der seit Mitte der 1980er Jahre verwendeten Abkürzung LGB als Ersatz für die negativ konnotierte Beschreibung homosexuell“ (siehe Wikipedia)) Champions dafür verantwortlich ist, das Bewusstsein für die Herausforderungen von bisexuellen, schwulen, lesbischen und Transgender Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz zu schärfen und sich mit Initiativen für mehr Akzeptanz einzusetzen. Bei uns ist Diversity Teil unserer Unternehmens-DNA und wir beraten auch andere Unternehmen dabei, Projekte zum Thema Vielfalt umzusetzen. Wie können Unternehmen Diversity Maßnahmen schnell und einfach umsetzen könnte? Gibt es hier sogenannte Hacks? Die Möglichkeiten, Diversity-Maßnahmen umzusetzen, sind vielfältig und müssen weder aufwendig noch teuer sein. Schon gemeinsame kulturelle Feste mit Speisen aus

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verschiedenen Ländern, eine mehrsprachige Unternehmenskommunikation oder anonyme Bewerbungen leisten einen Beitrag für eine offenere Unternehmenskultur. Wichtig ist, dass Unternehmen grundsätzlich ein Bewusstsein für Diversity schaffen und sich mit Aktionen für mehr Akzeptanz einsetzen. Viele unserer deutschlandweiten Teams nehmen beispielsweise am Christopher Street Day teil und setzen so ein klares Zeichen für mehr Toleranz. Gibt es Berufsgruppen/Arbeitsprozesse, in denen Diversity eine kleinere oder größere Rolle spielt? In Softwareentwicklungsteams z. B. ist es ja bereits an der Tagesordnung. Gibt es noch Arbeitsbereiche in Organisationen, die davon völlig ausgenommen sind? Als Personalberatung mit Fokus auf die MINT-Fächer betreuen wir natürlich auch den IT- oder Engineering-Sektor, in dem immer noch vorherrschend Männer arbeiten. Gerade Berufe wie beispielsweise Bauingenieure, Brandschutzprüfer oder Softwareentwickler sind nach wie vor sehr männerdominiert. Der Life Science-Bereich hingegen ist hinsichtlich weiblicher und männlicher Mitarbeiter sehr ausgeglichen aufgestellt, da hier zum Beispiel viele Ärztinnen tätig sind. Grundsätzlich ist die Pharma-Branche mit ihrem ausgewogenen Geschlechterverhältnis ein sehr gutes Beispiel für Diversity. Wie sieht es aus mit Diversity in den Führungsebenen? Gibt es hier besonders erwähnenswerte Aspekte, die sich von den anderen Ergebnissen unterscheiden? Auch hier zeigt unsere Studie ein klares Bild: Bei der Diversität in den Chefetagen hat Deutschland noch Nachholbedarf. Laut Umfrage sind 75 % der Vorgesetzten männlich – Frauen also noch immer unterrepräsentiert. Hier sind die Unternehmen gefragt, ihren Beitrag zu leisten, um dies zu ändern. „So arbeitet Deutschland“ zeigt beim Thema Diversity in den Führungsebenen aber auch ein erfreuliches Ergebnis: 72 % haben keine Geschlechterpräferenz in der Führung – nur neun Prozent wünschen sich explizit eine Chefin, 19 % einen männlichen Vorgesetzten. Bei SThree sehen wir das bereits angesprochene Identify-Programm als guten Anfang, um den beruflichen Werdegang von Frauen zu unterstützen. Jedoch muss man sich vor Augen halten, dass sich die Gesellschaft und die vorherrschenden Ansichten nicht von heute auf morgen ändern werden. Daher ist es umso wichtiger, Mitarbeiterinnen durch ein solches Programm über mehrere Jahre hinweg zu begleiten, zu fördern und gezielt Skills mit ihnen zu entwickeln. Unsere Verantwortung geht jedoch weit darüber hinaus. So verweist Sheryl Sandberg in ihrem Buch „Lean in“ auf Studien, die folgendes gezeigt haben: Frauen, die verstärkt mit Männern zusammenarbeiten, passen ihr Verhalten an ihre Arbeitsumgebung an und legen zum Beispiel „typisch“ männliche Verhaltensweisen an den Tag. Deshalb muss auch das Management dahin gehend geschult werden, ein Work-Environment für Mitarbeiter zu schaffen, in dem sich Frauen frei entwickeln und entfalten können.

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Timo Lehne  ist Managing Director bei der SThree GmbH. Nach seinem Abschluss in Business Administration an der Arnhem Business School begann er 2006 seine Karriere bei SThree als Sales Consultant. Nach dem Ausbau des IT-Sektors und der Einführung weiterer Spezialisierungen, wie z. B. dem Ingenieurssektor und dem pharmazeutischen Bereich, wechselte er 2009 als Senior Manager nach Düsseldorf. Seit Juni 2014 ist Lehne Geschäftsführer der SThree GmbH und seit 2017 Managing Director der DACH-Region mit über 800 Mitarbeitern.

„Changing the Game“ bei HR: Ein Plädoyer für ein neues, proaktives Rollenverständnis!

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Natalija Hellesoe

Zusammenfassung

In vielen Unternehmen hat sich ein ähnliches Bild von HR-Abteilungen in den Köpfen eingeprägt: konservative Verwalter, die Akten-von-links-nach-rechts-Schieber, die Prozess-Kontrollierer und die An-starren-Strukturen-Klammerer. Damit bildet HR im digitalen Wandel oft nicht nur das Schlusslicht, sondern ist dafür mitverantwortlich, dass viele Unternehmen diesen verschlafen. Es ist also allerhöchste Zeit für HR, das Spiel zu ändern und sich selbst vom Verwalter zum agilen Gestalter mit Mehrwert fürs Unternehmen zu entwickeln. Die (technischen) Möglichkeiten sind da, erfolgreiche Praxisbeispiele ebenso. Fünf Gedanken dazu, wie das im Arbeitsalltag klappen kann.

N. Hellesoe ()  Selbständige Trainerin, Projektbegleiterin, Agile Coach, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_19

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N. Hellesoe

Die Personalabteilung ist nicht unbedingt die Stelle im Unternehmen, die mit Innovation und Fortschritt gleichsetzt wird. Werden Mitarbeiter und Führungskräfte gefragt, was sie mit HR verbinden, sieht das Urteil oft vernichtend aus. Aussagen wie „Das sind doch die, die meine Bewerbung weiterleiten.“ sind da noch harmlos. Mit „Da geh‘ ich nur hin, wenn ich wirklich muss.“ wird es schon persönlicher. Zuweilen bekommt man das Gefühl, dass sich Personaler leicht in eine Opferrolle drängen lassen, anstatt die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Denn bei veränderten Rollenanforderungen reagieren sie eher verschlossen anstatt proaktiv zu bleiben und für sich einzustehen. Verwaltungsaufgaben und Prozessausführungen prägen den HR-Alltag. Dabei klaffen Eigen- und Fremdbild erstaunlicherweise gar nicht so weit auseinander: Seit Jahren belegen Studien, dass nicht nur Führungskräfte, sondern auch Mitarbeiter aus den HR-Abteilungen selbst an ihren Fähigkeiten zweifeln – vor allem im Bereich Innovation, Change oder Strategie. [1] Natürlich ist das nicht in allen Unternehmen so. Es gibt bereits Personalabteilungen, die ein ganz anderes Verständnis haben und als strategischer Sparringspartner in der Organisation agieren. Und trotzdem hält sich das negative Image hartnäckig. Woher kommt diese Wahrnehmung und wie könnte eine veränderte Rolle aussehen? Ein Blick zurück Als Unternehmen um die Jahrhundertwende anfingen, sich stärker zu organisieren und Spezialisten-Abteilungen zu schaffen, entstand mit der Personalabteilung eine neue Verwaltungsinstanz. Die Administration von Personalakten, Lohn- und Gehaltsabrechnungen, dazu Einstellungen und Kündigungen standen als Aufgaben im Vordergrund. Erste neue Ansätze rund um die Themen Einstellung, Entwicklung und Lernen waren nicht zuletzt der Nachkriegssituation geschuldet, die neben wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen auch einen massiven Fachkräftemangel mit sich brachte. [2] Mit der Zeit kamen so zwar weitere Aufgaben für die Personaler hinzu, aber das Bild des Verwalters blieb. Das Resultat: Für knapp zwei Jahrzehnte dominierte fast alleinig (und in vielen Unternehmen bis heute beständig) eine funktionale Ausrichtung in der HR-Organisation. Solange langfristiges Planen und standardisierte Prozesse sowohl bei HR als auch im Rest des Unternehmens im Vordergrund stand, hatte der hohe Spezialisierungsgrad durchaus positive Effekte im Bezug auf die Produktivität. Immer komplexer werdende Anforderungen zeigen aber die Kehrseiten des Modells auf: die fehlende Orientierung am Wettbewerb bzw. am Kunden und damit der oft schwer greifbare Beitrag zur Wertschöpfung. Doch 1997, als Dave Ulrich seinen als 3-Säulen-Modell bekannten HR-Organisationsentwurf vorstellte, sollte sich dies grundlegend ändern. Seine Forderung: HR muss zum Business-Partner des Top-Managements werden und einen Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Charakterisierend für sein Modell ist die Aufteilung in drei

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Kernrollen: Business Partner, Centers of Competence/Excellence und Shared Services. Das Modell wurde zum Standard der HR-Organisation und bis heute sind ein Drittel aller Unternehmen in Deutschland klassisch nach Ulrich aufgestellt. [3] Von nun an ist HR plötzlich auf Augenhöhe mit seinen Kunden – zumindest theoretisch. Kritik am Ulrich-Modell konzentriert sich häufig auf die Rolle des HR Business Partners, da die strategische Ausrichtung der Rolle ohne den Abbau des administrativen Überhangs nicht umgesetzt werden kann. HR ist im 21. Jahrhundert angekommen Und heute reicht auch das nicht mehr: „Das Personalwesen musste sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht ansatzweise so tief greifend verändern, wie die Fachbereiche, die es unterstützt. Doch jetzt steigt der Druck!“ [4] Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, bildet sich vor allem in europäisch dominierten Konzernen ein sogenannter Drei-Säulen-Plus-Ansatz heraus, der das Modell um neue Rollen und Perspektiven erweitert: Es wird mit agilen Teilstrukturen in ausgewählten Rollen wie beispielsweise den Centers of Expertise experimentiert, Shared Services werden auf wissensintensive Bereiche wie Training oder Recruiting ausgeweitet oder eine differenzierte Kaskadenstruktur im Expertenbereich für komplexe internationale Unternehmensstrukturen gebildet. [5] Statt das Ulrich-Modell weiterzuentwickeln, gehen manche moderne Unternehmen noch einen anderen Weg: Sie betrachten HR heute vor dem Hintergrund der Ambiguität ihrer Aufgaben. Das führt in diesen Modellen dazu, dass es vereinfacht gesagt zwei Organisationen gibt: Eine strukturierte für die Administration und laufende Prozesse („Run“) und eine flexible für Innovationen und Entwicklung („Change“). Noch einen Schritt weiter Denkt man nicht nur HR als einzelne Abteilung neu, sondern die Struktur der Organisation als Ganzes, um komplexe Probleme zu lösen, geht es um flache Hierarchien, Themen wie Selbstorganisation oder Holokratie. Das System „Unternehmen“ wird neu konzipiert oder entwickelt sich evolutionär weiter. Wie das schon heute aussehen kann, zeigt zum Beispiel die ING: Die veränderten Anforderungen an Bankgeschäfte, vor allem durch die Nutzung neuer Technologien, veranlasste den Finanzdienstleisters vor einigen Jahren dazu, traditionelle Strukturen durch agile zu ersetzen, um schneller auf veränderte Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Mitarbeiter werden seither in sogenannten „Tribes“ (Stämmen), „Squads“ (Truppen) und „Chapters“ (Verbände) nach Bereich, Kundenbedürfnis und Funktion organisiert. Das Ergebnis: „Sowohl die Zufriedenheit der Kunden als auch das Engagement der Mitarbeiter sind hoch und ING lanciert neu entwickelte Produkte heute schneller am Markt als früher.“ [6]

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Neue Herausforderungen brauchen neue Lösungsansätze Gerade Unternehmen, die sich zum Beispiel im Rahmen agiler Transformationen ganzheitlich mit neuen Werten und Prinzipien auseinandersetzen, benötigen auch eine HR Abteilung, die diese Veränderungen nicht nur unterstützt, sondern sich auch selbst als Teil der Transformation begreift. Dazu muss HR neben seiner Organisationsform vor allem auch die Art, wie hier Themen gedacht und umgesetzt werden, überdenken. Hier lohnt ein Blick in die IT: Da es für viele Themen heute keine einfachen Lösungen mehr gibt, werden Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Experimentieren, Kommunikation und Vernetzung immer wichtiger. Die dahinter liegenden Prinzipien werden oft zusammenfassend als Agilität bezeichnet. Agiles Vorgehen zeichnet sich durch ein hohes Maß an Transparenz, durch die Umsetzung wirkungsorientierter Ziele, selbstorganisierte Teams sowie eine Entwicklung von Lösungen in kurzen, sich wiederholenden Zyklen (Iterationen) aus, die schnelles Lernen ermöglichen. Im schnelllebigen und komplexen Umfeld der Softwareentwicklung sind agile Methoden bereits seit vielen Jahren zentraler Bestandteil und haben sich für vielfältige Anwendungsgebiete weiterentwickelt. Agilität und HR Wenn Personalabteilungen sich der Prinzipien hinter agiler Methoden bedienen, spricht man auch von Agile HR oder agilem Personalmanagement. Da oft nur die Denkweisen, nicht aber die gesamte Methode in den HR-Kontext übersetzt werden, ist in diesem Zusammenhang auch von „agil light“ die Rede. [4] Firmen wie die ING oder buurtzorg, Vistaprint und Spotify, aber auch viele traditionellere Unternehmen, verfolgen damit dieselbe Idee: die Orientierung am Nutzen der Kunden. In agilen Organisationen geht man deshalb in der Mitarbeiterentwicklung weg von vorgegebenen Trainings und standardisierten Programmen, und gibt die Verantwortung dafür in die Teams und an die Mitarbeiter selbst. So geschieht Entwicklung zum Beispiel innerhalb der Teams über Feedback der direkten Kollegen, also „Peer Feedback“, oder auch über frei verfügbare Weiterbildungsbudgets. [7] So sieht das auch die Frankfurter Videospielefirma Crytek: Dort bewerten sich die Kollegen schon lange quartalsweise gegenseitig online und mit einem Sternesystem inkl. individueller Feedbackfunktion. Ziel ist es zu beurteilen, wie viel der jeweilige Kollege zum Erfolg des Teams oder Unternehmens beigetragen hat. [8] Changing the Game bei HR – wie kann das gelingen? Neue Ansätze sind bereits da und gerade vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen ist HR eine Schlüsselfigur für unternehmerischen Erfolg – oder könnte es zumindest sein. Neben den großen Fragen nach einer neuen Aufstellung und anderen Arbeitsweisen braucht es aber vor allem erste kleine Schritte im Arbeitsalltag um das Selbstverständnis und Image von HR neu zu prägen.

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Diese fünf Spielzüge können ein guter Anfang sein, das Spiel aufzumischen: 1. Für wen spiele ich? Der Kunde im Fokus  Um zu verstehen, welche Anforderungen an HR gestellt werden, welche Probleme überhaupt gelöst werden müssen und welche Möglichkeiten es dafür gibt, braucht es den Schritt nach außen. Sich mit den eigenen Kunden auseinanderzusetzen muss künftig noch stärker als heute ein wesentlicher Bestandteil der HR-Arbeit sein. In diesem Zusammenhang taucht häufig das Schlagwort Employee Experience oder Employee Journey auf. Angelehnt an die Customer Journey geht es um das Gesamtbild, welches Mitarbeiter und Führungskräfte durch vielfältige Berührungspunkte mit der Organisation und deren Produkten gewinnen sowie die Erfahrungen, die sie auf der Reise durchs Unternehmen machen. Im Rahmen einer Analyse der Journey können u. a. wichtige Kontaktpunkte der Mitarbeiter oder die Erfüllung bestimmter Bedürfnisse sichtbar gemacht werden. Hier bieten sich viele Methoden aus dem Marketing wie Net Promoter Score-Umfragen (NPS) an. Die Ergebnisse liefern dann gezielte Anhaltspunkte für künftige Verbesserungsmaßnahmen. Obwohl „Employee Experience“ zum Beispiel in den Deloitte Human Capital Trendstudien seit Jahren auf den oberen Plätzen zu finden ist, zeigt der Blick in die Unternehmen oft wenig Fortschritte. Offene Kommunikation und ein (neuer) Koffer an Methoden, um regelmäßig Feedback einzuholen oder Mitarbeiterdaten zu analysieren, können hier ein guter Anfang sein. Langfristig bedarf es integrierter, agiler Konzepte, die in der Umsetzung auch maßgeblich zur Wertorientierung beitragen können.[9] 2. Was ist das Ziel des Spiels? Die Frage nach dem Warum Auch wenn HR seinen Kunden besser kennen lernt, solange Personalthemen als reiner Kostenfaktor betrachtet werden, führt die Diskussion zu keinem sinnvollen Ergebnis. Das kann sich nur ändern, wenn klar wird, welchen Beitrag HR für das Unternehmensziel leistet, welchen Wert es für die Organisation und ihre Mitarbeiter schafft. Und das muss transparent gemacht werden. Wenn neue Prozesse für die Entwicklung der Mitarbeiter oder ein neues Gehaltssystem eingeführt werden, sollte klar sein, welches Ziel dahinter steht bzw. was mit dieser Initiative erreicht werden möchte. Oder auch: Welches Problem damit gelöst werden soll. Das klingt sehr banal, der Alltag zeigt aber, dass täglich Projekte gestartet werden, bei denen die Frage nach dem Warum nicht präzise beantwortet werden kann. Analysedaten aus der Employee Journey können diesen Prozess wirkungsvoll unterstützen. Viele Unternehmen haben bereits verstanden, dass ihre Mitarbeiter ihr Innovationsmotor sind, die Zufriedenheit und Produktivität dieser ein zentraler Erfolgsfaktor für die Zukunft und die Gestaltung aller damit zusammenhängenden Prozesse daher per se geschäftsrelevant ist. Ist dieses Verständnis noch nicht gegeben, lohnt es sich, hier erstmal zu investieren. Aber auch wenn zum Beispiel die Mitarbeiterzufriedenheit schon Teil der Unternehmensziele ist, sollte aufgezeigt werden, welchen Beitrag aktuelle Projekte dazu leisten.

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3. Wie lange dauert eine Spielzeit und wer darf in der Pause mitreden? Iteratives Arbeiten und Feedback  Sobald klar ist, wo die Reise hingehen soll, kann mit der Umsetzung begonnen werden. In vielen HR-Abteilungen ist es nach wie vor üblich, ausführliche Konzepte und groß angelegte Roll-Out Pläne zu erarbeiten. Für die Ausfertigung gehen oft Monate ins Land, ohne das ein sichtbares Ergebnis entsteht oder das Feedback der internen Kunden signalisiert, ob man auf dem richtigen Weg ist. Um dem entgegenzuwirken braucht es schnelle Anpassung und Lernen durch Feedback. Das kann zum Beispiel durch die Entwicklung von verschiedenen Prototypen für neue Prozesse geschehen. Oder auch indem Formen der Organisationsgestaltung, Lerntechniken oder IT-Systeme in Pilotgruppen getestet werden. Seit einigen Jahren stellt zum Beispiel IBM die Zufriedenheit der Mitarbeiter in den Mittelpunkt ihres HR Programms und ist damit sehr erfolgreich: Statt (externe) Experten binden sie heute „Mitarbeiter in den Gestaltungsprozess ein, lassen sie teilhaben und nähern (sich) mit der Zeit iterativ einer Lösung an, die dann die Bedürfnisse der Mitarbeiter widerspiegelt.“ [10] 4. Mein Spiel 2.0: Neue Impulse für die Organisation Gerade dort, wo es keine einfachen Lösungen mehr gibt, braucht es auch neue Impulse, die Anregungen für neue Ansätze in die Organisation bringen. Intern kann das durch innovative Formate gelingen, bei denen man unterschiedlichste Mitarbeiter zusammenbringt. In einem internen BarCamp lassen sich zum Beispiel sehr gut verschiedene Sichtweisen, Wissen und Erfahrungen zu einem Themenschwerpunkt verbinden. Außerdem sind alle Teilnehmer für die Inhalte, Ergebnisse und den Erfolg ihres BarCamps verantwortlich und gestalten gemeinsam diese „Mitmachkonferenz“. Wertvolle Impulse können auch von internen Netzwerken ausgehen, die oft außerhalb des Organigramms, fernab von Prozessen und Strukturen entstehen. Auch Kontakte außerhalb der eigenen Firma können wertvolle Ideen für die eigene Arbeit liefern. Das können Meetup, also Treffen von Menschen mit ähnlichen Interessen, oder private Sprachtandems, Debattierclubs oder Programmier-Gruppen sein. Viele Unternehmen, vor allem in der Start-up-Szene, unterstützen solche Formate gezielt, indem sie als Sponsor für Veranstaltungen agieren oder Vertreter aus einem anderen Unternehmen oder einen Experten für die neue Arbeitswelt zum nächsten Teammeeting oder der Betriebsversammlung einladen, um sich von ihren Erfahrungen inspirieren zu lassen. 5. Weg von der Ersatzbank, rauf aufs Spielfeld: sichtbare Aktivität Egal welche Methoden ausprobiert werden, egal ob HR oder People Operations auf dem Türschild steht – einen wesentlichen Beitrag zu einem positiven Image kann nur das liefern, was bei den Mitarbeitern ankommt, also sichtbar ist und Mehrwert schafft. Dies gelingt nur, wenn sich HR an der Unternehmensstrategie und ihren Zielen orientiert. Die

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Maxime heißt hier „HR follows Business“. [11] Die Grundlage dafür bildet eine HR-­ Strategie, die sich von den unternehmerischen Herausforderungen und Zielen ableitet. Und natürlich muss HR auch das Business an sich kennen. Sich zum Beispiel mit dem ­Geschäftsmodell auseinanderzusetzen, zu wissen von welchen Entwicklungen die eigene Branche geprägt wird und abzuleiten, was das für die eigene Arbeit bedeutet, ist demzufolge gleichermaßen wichtig. Das bedeutet aber vor allem auch aus der passiven Rolle hervorzutreten. Ruhig mal mutig sein und und sich innerhalb des Unternehmens überzeugend zu positionieren. Allein daraus ergeben sich immens viele Aufgaben und Handlungsfelder für HR, die deutlich über Verwaltungsprozesse hinausgehen. Und dadurch ergibt sich auch die Möglichkeit, sich proaktiv in das Unternehmensgeschehen einzubinden und den eigenen Beitrag zur Wertschöpfung im Unternehmen zu belegen. Wie geht es weiter?

All diese Spielzüge ersetzen natürlich keine grundlegende Diskussion um wirksame Geschäftsmodelle für HR oder die Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen angesichts der neuen Megatrends und Herausforderungen in der Wirtschaft. Aber sie können erste, pragmatische Schritte in eine neue Richtung sein. Eine Chance, die Kommunikation über die Rolle, Anforderungen und Möglichkeiten neu zu starten. Ein sichtbares Zeichen in der Organisation, dass HR sich öffnet – das drin ist, was (neuerdings) drauf steht. Und ein Umdenken nicht nur in manchen Köpfen, sondern auch langsam im Arbeitsalltag spürbar ist. HR muss sich dafür aktiv mit den Kunden (intern wie extern) und dem Geschäftsmodell auseinandersetzen, die Frage nach dem Warum beantworten, Produkte nicht an den Kunden vorbei, sondern kollaborativ mit ihnen gemeinsam entwickeln, die Verantwortung, die mit den Potenzialen kommt auch annehmen wollen und einfach mal machen, anstatt sich hinter Konzepten, Rechtsthemen und Strukturen zu verstecken! Dann nimmt man sie (wieder) ernst und kann gemeinsam Großes entwickeln. Wäre das nicht schon was wert?

Literatur 1. HR Strategie & - Organisation. Kienbaum-Studie 2012/2013. Online Verfügbar unter:http:// www.kienbauminstitut-ism.de/fileadmin/user_data/veroeffentlichungen/Kienbaumstudie_HR_ Strategie_2012_2013.pdf (abgerufen am: 04.07.2018) 2. Harvard Business Manager (2018): Eine kurze Geschichte des Personalwesens, online verfügbar unter: http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/meilensteine-des-personalmanagement-a1054401.html (abgerufen am: 04.07.2018) 3. HR Strategie & - Organisation 2017. Eine Studie von Kienbaum und der DGFP e. V. Online Verfügbar unter: http://assets.kienbaum.com/downloads/HR-SO_Kienbaum_2017-2.pdf (abgerufen am: 07.07.2018) 4. Cappelli, Peter/Tavis, Anna: HR wird agil. In: Harvard Business Manager, 40. Jahrgang, Juli (2018). S. 20–29.

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5. Jochmann, Walter/Heumann, Katharina (2017): Reifegrad und Innovationsprozess der HR Funktion. In: Personalführung. 39. Jahrgang. Juni (2017). Online verfügbar unter: http://assets. kienbaum.com/downloads/Reifegrad-und-Innovationsprozess-der-HR-Funktion_Jochmann_ Heuer_Kienbaum_Personalfuehrung_2017.pdf?mtime=20170608111731 (abgerufen am: 07.07.2018) 6. Barton, Dominic et al.: Probleme zügig lösen. In: Harvard Business Manager, 40. Jahrgang, Juli (2018). S. 36–39. 7. Thoren, Pia-Maria (2017): Agile People. A Radical Approach for HR & Managers (That Leads to Motivated Employees). 8. Gillies, Constantin (2013): Wie war ich?. Online verfügbar unter: https://www.welt.de/print/ die_welt/karriere/article112287091/Wie-war-ich.html (abgerufen am: 08.07.2018) 9. Bersin, Josh et al. (2017): The employee experience: Culture, engagement, and beyond. 2017 Global Human Capital Trends. Online verfügbar unter:https://www2.deloitte.com/insights/us/ en/focus/human-capital-trends/2017/improving-the-employee-experience-culture-engagement. html (abgerufen am: 08.07.2018) 10. Gherson, Diane (2018): Glückliche Mitarbeiter, glückliche Kunden. Interview mit Lisa Burell. In: Harvard Business Manager, 40. Jahrgang, Juli (2018). S. 32–35. 11. Nickel, Susanne (2016): HR-Strategie – Ihre Investition in die Zukunft Online verfügbar unter: https://www.haufe-akademie.de/blog/themen/personalmanagement/hr-strategie-ihre-investition-in-die-zukunft/ (abgerufen am: 13.07.2018)

Weiterführende Literaturverzeichnis und Anregungen 1. Laloux, Frederic (2014): Reinventing organizations. A guide to creating organizations inspired by the next stage of human consciousness. 2. Gratton, Lynda (2017): The 100 Year Life: Living and Working in an Age of Longevity. 3. HR Trend Institute: https://hrtrendinstitute.com (abgerufen am: 08.07.2018) 4. Lust auf Inspiration durch MeetUp Gruppen? Einfach stöbern unter www.meetup.com Natalija Hellesoe  war viele Jahre im Personalbereich tätig und hat Transformationen in Unternehmen begleitet. Als Trainerin, Projektbegleiterin und agiler Coach unterstützt sie heute HR Teams und Organisationen dabei, mutige Entscheidungen zu treffen, Neues zu wagen und proaktiv die neue Arbeitswelt mitzugestalten. Ihre Vision: Selbstständiges, innovatives Arbeiten und sich Entwickeln in Unternehmen. Mit Wert, Sinn und Spaß für nachhaltigen Erfolg! https://changingthegame.de/natalija-hellesoe

19  „Changing the Game“ bei HR: Ein Plädoyer für ein neues …

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Impuls: Xenia Meuser (Vice President Human Resources, XING) Wir erleben in der Personalarbeit gerade ein Paradigmenwechsel. Denn Organisationen durchlaufen dank New Work einen tiefgreifenden Transformationsprozess. Für Personaler ist das eine riesige Chance. Sie können sich stärker denn je einbringen und die Unternehmenskultur prägen. Sie können sich zu Gestaltern aufschwingen und dadurch unverzichtbar machen. Kurzum: Es könnte kaum spannendere Zeiten geben, in der HR zu arbeiten.

Interview: „Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitskultur“

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Markus Neubauer

Zusammenfassung

Die Digitalisierung verändert die Arbeitskultur in Unternehmen. Geschäftsmodelle werden komplexer, was neue Kompetenzen notwendig macht. Das stellt nicht nur HR-Abteilung vor neue Herausforderungen, vor allem das Management und die Mitarbeiter müssen sich diesen Änderungen anpassen. Wer dabei den kulturellen Wandel außer Acht lässt, wird scheitern, denn im digitalen Zeitalter gelten neue Prinzipien in der Arbeitswelt. Wie Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter dem vorbeugen können, weiß Markus Neubauer, Experte für Digitalisierung und New Work.

M. Neubauer (*)  Silbury Deutschland GmbH, Fürth, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_20

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M. Neubauer

Die Digitalisierung lähmt viele Unternehmen aufgrund ihrer Komplexität. Worauf sollten Unternehmen vorrangig achten und was können sie erst einmal getrost unberücksichtigt lassen? Zunächst einmal ist Digitalisierung ja ein abstraktes Schlagwort, mit dem an sich niemand so richtig etwas anfangen kann. Alle wissen, es ist wichtig, aber keiner weiß genau, was konkret zu tun ist. Das stürzt viele Unternehmen erst einmal in einen ­Zwiespalt. Der Kern der Digitalisierung besteht darin, das eigene Geschäftsmodell vor dem Hintergrund der neuen technischen Möglichkeiten zu hinterfragen. Das beinhaltet nicht nur die Verbesserung der bestehenden Technologien oder Prozesse, sondern gerade auch die Auseinandersetzung mit der Frage, wie Kundenbedürfnisse morgen besser befriedigt werden können. Hinzu kommt in Zeiten des Fachkräftemangels insbesondere die Frage, welche Erwartungen Mitarbeiter an Unternehmen haben. Flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice und eine moderne Kommunikationstechnik sind da erst der Anfang. Daher beschäftigen wir uns gezielt mit der Frage, welche Bedürfnisse digitale Kunden und digitale Mitarbeiter künftig haben werden. Denn die Auswahl einer geeigneten Technologie und deren Einführung kann erst nach Klärung dieser Fragen beantwortet werden. Betrifft die Digitalisierung große Unternehmen stärker als kleine und ist sie ­dementsprechend für sie wichtiger? Keinesfalls. Jedes Unternehmen ist individuell und muss deshalb seine eigene Antwort auf die Digitalisierung finden. Allen gemeinsam ist: Über kurz oder lang wird jedes Unternehmen mit der zunehmenden Digitalisierung vor Herausforderungen stehen – und die hängen von der Unternehmensgröße ab. Großen Unternehmen haben für digitale Innovationen häufig ausreichend Budget und Mitarbeiter zur Verfügung. Die etablierte Kultur zu ändern sowie die notwendigen Schritte mit den verschiedenen Entscheidungsträgern abzustimmen, ist für sie hingegen keine leichte Aufgabe. Kleineren Unternehmen fehlen oft der nötige Freiraum, Kapazitäten und Budget, sich mit den Themen und der notwendigen Methodik ausreichend zu beschäftigen. Wie sieht in Unternehmen das optimale Umfeld für Mitarbeiter aus, um Innovationen voranzutreiben? Zunächst muss der Bedarf an Veränderung auf allen Ebenen klar erkannt und kommuniziert werden. Dabei gilt auch, die damit verbunden Ängste der Mitarbeiter aufzufangen und in kreative Energie umzuwandeln. Denn nur in einem sicheren Umfeld lassen sich neue Ideen entwickeln. Ferner entstehen Innovationen weniger im stillen Kämmerlein, sondern sind meist eine gelungene Kombination aus dem Verständnis des eigenen Geschäfts, der Kundenbedürfnisse sowie der technologischen Möglichkeiten – unterstützt von den neuen Innovationsmethoden

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wie Lean Start-up, Design Thinking, Business Modelling oder Growth Hacking. Wichtig dabei ist, dass Innovationsabteilungen für die Einführung der neuen Produkte verantwortlich sind. Wie hängen Digitalisierung und Arbeitskultur zusammen? Der Einfluss der Digitalisierung ist enorm und erfordert eine neue Arbeitskultur sowie eine neue Sichtweise auf die Art und Durchführung der Arbeit. Benötigt werden dafür flexible Arbeitsmodelle und die richtige Ausstattung, damit die digitalen Mitarbeiter an ortsunabhängigen Arbeitsplätzen vernetzt arbeiten können. Und weil die Probleme immer komplexer werden und sich rasend schnell verändern, was den Einzelnen vor große Herausforderungen stellt, sind gut eingespielte, vernetzte und vor allem autonome Teams der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft. Dafür benötigen sowohl Mitarbeiter wie auch Führungskräfte einen „Mindshift“ hin zum „Open Mindset“. Um den Shift zu fördern und überhaupt erst starten zu können, müssen sie transparent sowie offen für Veränderung sein, Vertrauen in die eigenen Leute haben und eine offene Fehlerkultur leben. Und weil „Servant Leadership“ kein Modell, sondern eine Haltung ist, sollten Mitarbeiter nicht mehr als Ressource gesehen, sondern als Talente wahrgenommen werden. Und weil dafür eine viel stärkere Kommunikation zum Mitarbeiter notwendig ist, müssen Führungskräfte nicht mehr nur gute Manager sein, sondern Leader, die ihre Mitarbeiter motivieren und inspirieren. Wie etablieren Organisationen eine digitale Unternehmenskultur? Unternehmen müssen anfangen, alle oben beschriebenen Anforderungen umzusetzen. Mit unserem „Haus der Innovation“ beispielsweise bieten wir mobile Arbeitsplätze sowie ein so flexibles Raumgestaltungskonzept, dass Teams eigene Entscheidungen für Art und Vorgehen der Arbeit leichter treffen können. Passende Tools unterstützen sie dabei. Unser Management zum Beispiel agiert zukünftig als agile, crossfunktionale Teams, die so in der Lage sind, durch ihre Diversität eigene unternehmensrelevante Entscheidungen treffen zu können und somit maßgeblich am Erfolg und Wachstum unseres Unternehmens teilhaben. Was kann bei dem Versuch, eine neue digitale Kultur zu formen, richtig schief gehen? Wir beobachten bei vielen unserer Kunden, dass die Gründe für die Einführung der Digitalisierung nicht klar sind. Und anstatt das intensiv zu diskutieren, wird das Thema an CDOs oder Innovationsabteilungen delegiert, die dann nach sechs Monaten Ergebnisse vorlegen sollen. So wird das natürlich nichts. Deshalb unterstützen wir ein Management zunächst dabei, Art und Bedeutung der Veränderung zu klären. Erst danach geht es an die digitale Transformation. Wie bei allen größeren Veränderungen gilt auch hier, zusammen mit den Mitarbeitern des Unternehmens sind Veränderung mit klassischen Methoden des Change Management durchzuführen.

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M. Neubauer

Markus Neubauer studierte Informatik und Jura. 2007 gründete er die Silbury Deutschland GmbH mit rund 70 Mitarbeitern am Hauptsitz in Fürth sowie in Indien. Silbury hilft Organisationen bei der Anpassung ihrer Geschäftsmodelle und Prozesse an die Bedürfnisse der digitalisierten Welt. Seine Vision: die Metropolregion Nürnberg zu einem innovativen Vorreiter der IT-Branche zu machen. Als Sprecher der DIHK Fachgruppe Digitalisierung möchte er Ansprechpartner für mittelständische Unternehmen sein und deren Anregungen in die politische Diskussion einbringen.

Oh social – partizipative Unternehmenskommunikation im Wandel

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Daria Knauer

Zusammenfassung

Im Spannungsfeld der Digitalisierung gewinnt die Interaktion bzw. gewinnen die neuen Kommunikationsformen und -kanäle zunehmend an Bedeutung. Und werden bestehende Denkansätze in der Unternehmenskommunikation hinterfragt. Während die Interaktion zwischen Mensch und Maschine bereits ein wesentlicher Teil unseres täglichen Lebens ist und diese Entwicklung sich in vielen PR-Strategien manifestiert hat, wird zwischenmenschliche Interaktion durch den Einfluss von Social Media neu definiert. Was bedeutet der Trend vom Monolog zum Dialog in moderner Unternehmenskommunikation? Und wie gelingt es, durch partizipative Ansätze Inhalte erlebbar zu machen?

D. Knauer ()  Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_21

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D. Knauer

Neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit Im Zuge der Digitalisierung werden Arbeitsprozesse zunehmend schneller und die Zusammenarbeit dynamischer, sodass situative und reaktive Arbeitsweisen feste Prozesse ablösen und selbstorganisierte Formen über unseren (Arbeits-)Alltag bestimmen. Das betrifft auch alle denkbaren Kommunikationsformen und -kanäle. Das heißt, Interaktionsformate, Ideen und Inhalte werden digitalisierbar. Dieser Wandel betrifft nicht nur die Öffentlichkeitsarbeit, sondern stellt auch die Zielsetzung der bestehenden Konzepte und Vorgehensweisen infrage. Während ein distanzierter Umgang mit Nutzern als potenzielle Kunden bisher die etablierte Unternehmenskommunikation charakterisierte, werden Nutzer mittlerweile durch den Einsatz partizipativer Kommunikationselemente zum Gestalter und Mitentscheider. Bereits vor der Zeit von Social Media erkannten die Verfasser des Cluetrain Manifests von 1999 [1], dass Unternehmen mit ihren Märkten (zu) distanziert umgehen und die einseitige Kommunikation in der bestehenden Form nicht mehr funktioniere. Gleichzeitig werden Unternehmen mit zunehmendem Einsatz von Social Media von ihren Kunden herausgefordert, mit ihnen in den Dialog zu treten. Der Ansatz, den Menschen in den Mittelpunkt der digitalen Transformation zu stellen, betrifft also auch den medialen Umgang mit Nutzern. Und weil die Online-Reputation für Unternehmen eine wesentliche Rolle spielt und die Interaktionsraten als Reputationskriterium gelten, fokussiert sich die moderne Öffentlichkeitsarbeit zunehmend auf den Diskurs mit der eigenen Zielgruppe. Laut European Communication Monitor 2018 [2], dessen empirische Basis auf Daten aus Unternehmen, Organisationen und Institutionen aus rund 80 Ländern zurückgreift, gehört der Aufbau einer Online-Reputation für 39,5 % zu den wichtigsten strategischen PR-Zielen. Gleichzeitig geben 37,7 % der Befragten an, die Korrelation zwischen der Unternehmensstrategie und -kommunikation an die Spitze der strategischen Ziele zu stellen. Interaktion als Schlüsselelement Speziell im Bereich der Unternehmenskommunikation ist der Trend zum Dialog aktuell. Dabei erweitert die Nutzung von Social Media die Partizipationsmöglichkeiten des Einzelnen und – viel wichtiger – verschiebt die Kontrollfunktion über die Meinungsbildung von Unternehmen auf die Nutzer. Ersetzt man beispielsweise den Begriff Nutzer durch Stakeholder [3], wird der Strukturwandel in der Kommunikation deutlich: Indem Nutzer ihre Erfahrungen und Bedürfnisse öffentlich vermitteln können, werden sie zu Marken und beeinflussen somit den Meinungsbildungsprozess. Damit Unternehmen innerhalb dieses Strukturwandels richtungsweisend agieren können, wird User Empowerment häufig als PR-Strategie eingesetzt: zielgruppenorientierte Inhalte werden medienwirksam platziert, die Interaktion bis hin zum Community Building kontinuierlich betreut.

21  Oh social – partizipative Unternehmenskommunikation im Wandel

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Mit dem steigenden Einfluss partizipativer Elemente nimmt ebenfalls die Visualisierung der Inhalte in der Online-Kommunikation zu. So zeigt der European Communication Monitor [4], dass 53 % der Befragten zwar über geringe Kompetenzen bezüglich der visuellen Kommunikation verfügen, allerdings 32,1 % ihre Reichweite durch die Erschließung neuer Zielgruppen und Kanäle steigern will. Die Interaktion spielt dabei eine entscheidende Rolle: Um Interaktionsraten zu steigern, greifen Unternehmen häufig auf Methoden zurück, die es ermöglichen, Inhalte zu visualisieren und sie für neue Zielgruppen greifbar zu machen. Die Studie des Staufenbiel Instituts zum Employer Branding [5] zeigt die Bedeutung der Visualisierung in der Kommunikation: Auf die Frage, über welche sozialen Kanäle und Apps sich Arbeitgeber präsentieren, gaben über die Hälfte der befragten Unternehmen an, vorrangig visuelle Content-Plattformen wie Facebook oder Youtube zu nutzen. siehe auch Kap. 4 „Vom Kandidaten zum Markenbotschafter – Spielregeln für erfolgreiches Recruiting“ siehe auch Kap. 5 „Interview: Active Sourcer: Game Changer im Recruiting“ Mit innovativen Methoden zu kreativen Lösungen Um im stetig wachsenden Informationsfluss eigene Inhalte medienwirksam zu platzieren und dauerhafte Interaktion anzuregen, sind innovative Lösungsansätze von entscheidender Bedeutung. Denn für eine wirksame, von der eigenen Zielgruppe wahrgenommene Kommunikation reicht es nicht mehr aus, auf bewährte Kommunikationsstrategien zu setzen. Denn nicht nur Unternehmen agieren als Kommunikatoren und Multiplikatoren, sondern vermehrt auch User. Unternehmen erschließen sich so neue Kanäle, die auf regulärem Wege nicht von ihnen genutzt werden könnten. Damit das gelingt, sind Kreativität, Innovation und Interaktion gefragt, die Kommunikationslösungen mit dem Einsatz folgender Methoden auf ein neues Level bringen: • Methoden aus der Innovationsentwicklung geben Raum für Konzeption & Kreativität • Storytelling baut Verbindungen zwischen Botschaft/Produkt und Empfänger auf • Visualisierung der Inhalte festigt diese Verbindung und macht den Empfänger zum Gestalter und Werbeträger Mithilfe von Design Thinking beispielsweise lassen sich Ideen, Produkte und Strategien gemeinsam mit der Zielgruppe in einem fortschreitenden kreativen Prozess entwickeln. Um gewohnte Denkmuster aufzubrechen sowie das Informationsverhalten der eigenen Zielgruppe zu definieren, wird dieser Ansatz aus der Innovationsentwicklung, der die Zielvorstellungen des Kunden in den Fokus stellt, vermehrt auch in Kommunikationsstrategien eingesetzt.

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D. Knauer

Der Einsatz von Design Thinking ist bereits in der Planungs- und Konzeptionsphase empfehlenswert, wenn im Rahmen eines iterativen Prozesses Ideen weiterentwickelt werden. Nutzer zu beobachten, ihre Vorstellungen und Sichtweisen zu erforschen und sogar mögliche Probleme im Voraus zu erkennen sind dabei typische Anwendungsfälle für die Methodik. Anhand der Zielgruppendefinition lassen sich Nutzerwünsche in Prototypen (Kampagnen, Webseiten, Newsletter etc.) testen und iterativ weiterentwickeln, sodass Rückmeldungen und Erkenntnisse in die weitere Planung einfließen können. So entstehen Kommunikationswege, die stets in Bewegung sind und sich kontinuierlich an Nutzerbedürfnisse anpassen. Nach der Zielgruppendefinition und Konzeption, nämlich der Frage, an wen was kommuniziert wird, folgt die Frage nach dem wie. Inmitten der digitalen Transformation erweisen sich Kommunikationsstrategien als erfolgreich, die auf den Wandel exemplarischen situativen und reaktiven Verhaltensweisen aufbauen. Mithilfe von Storytelling lassen sich diese Verhaltensweisen mit Eigenschaften wie Emotionalität, Identifikation und die Auswahl der richtigen Stilmittel wirkungsvoll in einer PR-Strategie umsetzen. „People do not buy goods and services, they buy relations, stories and magic“, so der US-amerikanische Autor und Unternehmer Seth Godin. Das heißt, das aktuelle Kauf- und Nutzerverhalten basiert auf Emotionen, die durch Geschichten transportiert werden. Storytelling greift ein solches Nutzerverhalten auf und trägt dazu bei, das Wissen in kurzer Aufnahmezeit zugänglicher zu machen und gleichzeitig eine Bindung zwischen der Botschaft und dem Empfänger herzustellen. Die Einsatzbereiche für Storytelling sind vielfältig und finden in vielen Bereichen Anwendung. In der Unternehmenskommunikation sind folgende Einsatzbereiche für Storytelling denkbar [6]: • Unternehmensgeschichten (Corporate Stories), die repräsentativ für die Identität des Unternehmens stehen und die Vision, die Mission, das Leitbild sowie die Werte des Unternehmens thematisieren • Markengeschichten (Brand Stories), deren Grundlage Markenkern, Markenwerte und Charaktereigenschaften sind, bilden eine Basis für die Vertriebskommunikation und schaffen Nähe zu den jeweiligen Produkten und Marken • Produktgeschichten, die ein bestimmtes Produkt präsentieren und sich auf Produkteigenschaften, Produktnutzen und Wettbewerbsvorteile fokussieren Storytelling ist eine kognitive, auf der Ebene der Information ausgerichtete Vermittlungstechnik, die, strategisch eingesetzt, komplexe Inhalte vermitteln, erlebbar machen und personalisieren kann [7]. Die Idee dahinter: auf kognitive Prozesse Einfluss nehmen, mithilfe dramaturgischer, narrativer Content-Aufbereitung Emotionen auslösen und je nach Botschaft Empfänger zur Kaufentscheidung oder Interaktion bewegen.

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Aus dem neurowissenschaftlichen Blickwinkel betrachtet werden Informationen auf unterschiedliche Art und Weise in menschlichen Gehirn gespeichert. Während die linke Hirnhälfte für Analyse, Sprache und das abstrakte Denken zuständig ist, steuert die rechte Hirnhälfte Bilder, Intuition und Emotionen [8]. Für die Unternehmenskommunikation bedeutet das konkret, dass mit der Auswahl richtiger Informationen und Stilmittel beide Hirnareale, das emotionale und das analytische, verknüpft werden können – was eine optimale Informationsaufnahme auslöst. Eine wirkungsvolle Kombination zwischen den drei Elementen Zielgruppendefinition (an wen kommuniziert wird), Contentauswahl (was kommuniziert wird) und zielgruppengerechte Umsetzung (wie kommuniziert wird) kann das Gehirn auf neuronaler Ebene aktivieren und Entscheidungsverhalten strategisch beeinflussen. Die visuelle Kommunikation setzt genau wie Storytelling auf vereinfachte, reduzierte Darstellung der komplexen Inhalte und ist daher als denkbare Ergänzung zum Storytelling zu betrachten. Die Bandbreite des visualisierbaren Contents reicht dabei von interner Kommunikation in Mitarbeitergesprächen, Meetings und als Darstellung der Arbeitsergebnisse bis zum Einsatz weit außerhalb der Organisationsstruktur als Teile der Print-, Web- und Social Media-Kampagnen. Mithilfe der sogenannten Mindund User-Story-Mappings, prägnanten Statements und der Auswahl einer exemplarischen, wiedererkennbaren Bildsprache, können Inhalte jeder Komplexitätsstufe erlebbar gemacht werden und eine PR-Kampagne sinnvoll ergänzen. Auswahl der richtigen Instrumente Nach einer umfassenden Zielgruppenanalyse zeigen sich bereits in den ersten Iterationen Learnings und Erkenntnisse, die eine Basis für darauf folgende Konzeptionsphasen bilden. Um eine Auswahl der richtigen Instrumente zu treffen und aus einer Vielzahl an Kanälen eine zielgruppenorientierte Ansprache zu etablieren, stellt sich im Vorfeld die Frage, auf welchen Plattformen die Zielgruppe interagiert, welche Informationen sie sich dort beschafft und wie häufig neue Informationen benötigt werden. Mithilfe von Customer Journey lassen sich alle Kontaktpunkte (Touchpoints) eines Nutzers auf dem Weg zu einer Aktion erfassen. Der aus dem Innovationsentwicklung etablierte Ansatz beschreibt die Reise eines Kunden durch das Unternehmen und findet in diversen Bereichen Anwendung [9]. Im Bereich der Unternehmenskommunikation ist der Einsatz der Customer Journey Methode empfehlenswert, um das Nutzerverhalten anhand eines idealtypischen Anwendungsfalls zu analysieren. Hierfür werden Stadien beschrieben, die ein Nutzer vom ersten Kontakt mit dem Unternehmen bis zur Conversion (Umsetzung) durchläuft. Dabei kann der Begriff der Conversion je nach Anwendungsbereich unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Während sie im Marketingansatz die finale Kaufentscheidung beschreibt, kann Conversion im Falle einer PR-basierten Customer

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D. Knauer

Journey die Bereitschaft zur Interaktion bedeuten, nämlich das USP, die Kernbotschaft des Unternehmens, oder ein bestimmtes Produkt aktiv nach außen zu transportieren. Anhand der Berührungspunkte (Touchpoints) des Nutzers mit dem Unternehmen werden Kommunikationswege erfasst und die Informationsbeschaffung durch das Unternehmen optimiert. Indem Inhalte zunehmend digitalisierbar werden, die Informationsmenge stetig wächst und eine Informationsaufnahme schnell und reaktiv stattfindet, fällt es Unternehmen immer schwerer, qualitativen Content bereitzustellen und gleichzeitig alle verfügbaren Kanäle zu pflegen. Gerade in diesem Kontext ist der Ansatz empfehlenswert, durch den Einblick in die eigene Community eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, die sich auf Auswahl der zielgruppengerechten Instrumente fokussiert und kontinuierlich qualitative Inhalte bereitstellt. Checkliste – Ressourcen strategisch planen

Zielgruppendefinition und Prototyping • Welche Personengruppen und Organisationssegmente spreche ich an? • Was sind die wesentlichen Kunden-/Nutzerbedürfnisse? • Wie kann das Nutzerfeedback zur Prozessoptimierung eingesetzt werden? Content Planning • Welche Inhalte sind für die Zielgruppe relevant? • Welche Methoden (Visualising, Storytelling etc.) kommen zum Einsatz, um Inhalte zu transportieren? • Inwieweit sind diese Inhalte visualisierbar? • Wie reagiert die Zielgruppe auf die Umsetzung? Auswahl der richtigen Instrumente • Erfassung der relevanten Kanäle mithilfe der Customer Journey. • Welche Kanäle werden von der Zielgruppe zur Informationsbeschaffung genutzt? • Mithilfe welcher Instrumente habe ich die Aktivitäten meiner Zielgruppe im Blick (Monitoring)?

Literatur 1. Cluetrain 1999. Das Cluetrain Manifesto. http://www.cluetrain.com/auf-deutsch.html (abgerufen am: 25.06. 2018). 2. ECM 2018. Zerfass, Ansgar, Tench, Ralph, Verhoeven, Piet, Verčič, Dejan, & Moreno, Ángeles: European Communication Monitor 2018, Quadriga Media Berlin, S. 46 f.

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3. Duschinski 2007. Duschinski, Hannes: Web 2.0: Chancen und Risiken für die Unternehmenskommunikation, Diplomica Verlag GmbH 2007, S. 38 f. 4. ECM 2017. Zerfass, Ansgar, Moreno, Ángeles, Tench, Ralph, Verčič, Dejan, & Verhoeven, Piet (2017): European Communication Monitor 2017. How strategic communication deals with the challenges of visualisation, social bots and hypermodernity. Results of a survey in 50 countries. Quadriga Media Berlin. 5. Recruiting Trends 2017. Was HR-Verantwortliche wissen müssen. https://www.staufenbiel.de/ fileadmin/fm-dam/PDF/Studien/RecruitingTrends_2017.pdf (abgerufen am: 26. Juni 2018.) 6. Schach 2016. Schach, Annika: Storytelling und Narration in den Public Relations, Springer Fachmedien 2016, S. 20 f. 7. Huck-Sandhu 2009. Huck-Sandhu, Simone: “Innovationskommunikation in den Arenen der Medien” für Ansgar, Möslein, Katrin M. (Hrsg.): Kommunikation als Erfolgsfaktor im Innovationsmanagement. Gabler | GWV Fachverlage GmbH 2018, S. 204 f. 8. Lindell 2006. Lindell, Annukka K.: “In your right mind: right hemisphere contributions to language processing and production.” Neuropsychology Review, Septemer 2006, Vol. 16, S. 133 f. 9. Herbstritt 2015. Herbsttritt, Kathrin: “Customer Experience Management im B2B-Dienstleistungsbereich: Konzeption eines entscheidungsorientierten Managementansatzes”, Igel Verlag 2015, S. 44 f. Daria Knauer ist angehende Wirtschaftsjuristin. Ihre umfangreiche Erfahrung im Bereich Kommunikation vereint sie mit Fachwissen in der Innovationsentwicklung, Führungskräftequalifizierung und agiler Methodik. Begleitend zu ihrem Studium bringt sie Erfahrungen in diversen Dimensionen der Öffentlichkeitsarbeit mit, von politischer Kommunikation bis zur redaktionellen Planung und kreativer Konzeption. Seit 2012 ist sie in verschiedenen Unternehmen für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. https://changingthegame.de/daria-knauer

Teil VI Führen & Entwickeln: Lernen

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Teil VI  Führen & Entwickeln: Lernen

Teil VI  Führen & Entwickeln: Lernen

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Impuls: Sabine Josch (Personaldirektorin, Otto Group) „Um in Zukunft weiterhin erfolgreich zu sein, müssen wir unsere bisherigen Arbeitsweisen ändern. Digitale Führung und virtuelle Zusammenarbeit sind die Schlagworte. Neue Arbeitsformen erreichen wir aber nicht allein durch einen modernen Campus oder bunte Büros. Wir benötigen multifunktionale Räume, die unsere Innovationskraft fördern und technische Tools, die es uns ermöglichen, orts- und geräteunabhängig in Teams zu arbeiten. Vor allem aber braucht es einen Wandel unserer Haltung und ein verändertes Führungsverständnis, das unseren Mitarbeitern einen geeigneten Rahmen für eine maximale Selbstorganisation schafft.“

Neues Lernen: Wir entwickeln uns selbst!

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Natalija Hellesoe

Zusammenfassung

Die Digitalisierung und die gesellschaftlichen Entwicklungen verändern ­grundsätzlich die Art, wie wir lernen und uns Wissen aneignen. Kontinuierliches Lernen ist ein zentraler Erfolgsfaktor für Unternehmen geworden, die weiterhin auf ihrem Markt bestehen wollen – was die Personalentwicklung vor neue Herausforderungen stellt. Eine Antwort kann hier die Etablierung von agilen Trainern und Moderatoren im Unternehmen sein. Diese können neben Communities of Practice und anderen niedrigschwelligen Lern-Angeboten zu einer offenen Wissenskultur beitragen. So wird die Verantwortung für die eigene Entwicklung mehr auf den Mitarbeiter selbst übertragen, was langfristig einen Beitrag leisten kann, um innovative Arbeitsweisen voranzutreiben und wertschöpfende Zusammenarbeit zu gestalten.

N. Hellesoe ()  Selbständige Trainerin, Projektbegleiterin, Agile Coach, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_22

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N. Hellesoe

„Wer entwickelt mich denn hier nun weiter?“ ist eine Frage, die vor allem in großen Konzernen immer noch häufig von Mitarbeitern gestellt wird. Der Eindruck entsteht, dass Personalabteilungen in der Administration von Veränderungen und ihrem Tagesgeschäft versinken, von Vorgesetzten proaktiv auch kein Vorschlag kommt und man sich als Mitarbeiter auf einmal selbst um seine Weiterentwicklung kümmern, selbst sogar Teil des Prozesses werden soll. Eine Frechheit oder am Ende gar eine gute Idee? Nicht nur für die Mitarbeiter selbst, sondern auch für die Innovationskraft und Weiterentwicklung des Unternehmens? Was wir schon wissen Wie (vermeintlich) einfach war die Welt, als persönliche Weiterentwicklung auf ein halbseitiges Formular passte, in das im jährlichen Mitarbeitergespräch ein Training aus dem Standardkatalog eingetragen wurde. In vielen Unternehmen sind prozessgetriebene, standardisierte Entwicklungen, die punktuelle, zum Teil verordnete Maßnahmen beinhalten, nach wie vor das gängige Modell. Da gibt es nur ein Problem: Das Modell fußt auf der Annahme, dass eine Investition in Wissen eine enorm lange Halbwertszeit hat und dass eine Fachabteilung oder die Führungskraft weiß, welches Wissen und welche Maßnahme benötigt wird. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus: Die Digitalisierung, der technologische Fortschritt und die gesellschaftlichen Entwicklungen stellen uns täglich vor neue Herausforderungen – und Unternehmen müssen immer schneller auf diese Veränderungen reagieren. Damit ändert sich auch rapide die Art, wie wir lernen (müssen). Wo sich bisher erworbene Kenntnisse oft ein Leben lang auszahlten, leben wir laut Thomas und Brown heute schon in einer Welt, in der die Halbwertszeit einer neuen Fähigkeit im Schnitt nur noch fünf Jahre beträgt [1]. Am Beispiel der alltäglichen Nutzung von Smartphones lässt sich diese Einschätzung sehr gut nachvollziehen. Wer die letzten Studien zum Thema „Global Human Capital Trends“ von Deloitte verfolgt hat, stieß deshalb auch immer wieder auf ein Thema: Lernen als kritischer Erfolgsfaktor für die Zukunft von Unternehmen [2]. Auch das Lebensmodell der Mitarbeiter hat sich grundlegend gewandelt und stellt ganz neue Anforderungen an die Unternehmen: Dank medizinischem Fortschritt stehen uns heute bis zu 100 Jahre und mehr zur Verfügung. Und in diesen wechseln wir im Durchschnitt alle vier bis fünf Jahre unseren Arbeitsplatz [3]. Dazu kommt eine neue Generation von Arbeitnehmern, die u. a. Selbstbestimmung, flexibleres Arbeiten und Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit einfordert. Wo wir heute stehen Viele Unternehmen haben angesichts der neuen Herausforderungen und dem Erfolgsfaktor „Lernen“ begonnen, Arbeitsprozesse umzustellen, den Fokus auf flexible Angebote zu legen oder neue Formate auszuprobieren.

22  Neues Lernen: Wir entwickeln uns selbst!

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Die nötigen Entwicklungen sind bereits da: Portale wie Udemy, CodeSchool oder Coursera machen Wissen immer und überall zugänglich, die Vernetzung mit Gleichgesinnten, „Lernpartnern“ oder Fachexperten war noch nie so einfach. Und auch an Themen wie Lern-Apps oder Virtual Reality kommen wir nicht mehr vorbei, denn Lernavatare und virtuelle Lernwelten sind in vielen Unternehmen bereits Realität. Die Möglichkeiten scheinen unendlich und die Prämisse, immer und überall an persönlichen und unternehmerischen Bedürfnissen orientiert zu lernen, scheint greifbar nahe. Und zugegeben, die Personalentwicklung ist heute schon deutlich fortschrittlicher als noch vor ein paar Jahren: Viele Unternehmen experimentieren mit neuen Lernformen, die neben der Wissensvermittlung auch den Austausch fördern. Sie greifen die Trends auf und setzen mehr auf on-demand Mikro-Lerneinheiten sowie Online Communities. Neben den Formaten sind auch die Lernräume ein Thema: Adidas beispielsweise errichtet an vielen Standorten weltweit sogenannte „Learning Campuses“: Vor Ort werden Räume geschaffen, die cross-funktionales, soziales Lernen nicht nur ermöglichen, sondern anregen [4]. Für die erfolgreiche Weiterbildung der Zukunft müssen laut HR Trendinstitut und Deloitte Studien künftig allerdings „Learning Experiences“ geschaffen werden. Also ganzheitliche Lernerfahrungen, in die auch vermehrt soziale und externe Netzwerke sowie Erfahrung und Experiment-basiertes Lernen mit eingeschlossen werden. Der Blick aus dem Unternehmen nach draußen und die Verknüpfung der einzelnen Lernbausteine rückt daher noch mehr in den Vordergrund. Das prägt auch die Personalentwicklung von einer führenden Rolle mehr hin zu einer unterstützenden Funktion, die den Mitarbeitern hilft, die für sie sinnvollen Angebote – egal ob intern oder extern – wahrzunehmen [5, 6]. In eine ähnliche Richtung gehen die Vorschläge von Pia-Maria Thorén, die die aus ihrer Sicht nötigen Entwicklungen im Bereich Lernen in „Agile People“ wie folgt ­zusammenfasst [7]: • weniger externe Dienstleister, mehr interne Coaches • weniger „One size fits all“ Trainings, die von oben vorgeschrieben werden, dafür bedürfnisorientiertes Lernen on-demand • weg vom Lernfokus auf einzelne Tage im Jahr hin zu einigen Tagen im Monat • weg von generellen hin zu selektiven Lern-Angeboten • weg von Best-Practice Beispielen hin zu eigenen Experimenten und Reflexion Dabei sind die Möglichkeiten und Trends sehr vielfältig. Was jedoch die Umsetzung betrifft, so zeigt der Blick in den Arbeitsalltag vieler HR-Kollegen, dass gerade die Ausgestaltung der Weiterbildungsprozesse häufig noch nicht nachgezogen hat. Das bestätigt auch die Deloitte-Studie: Trotz des spürbaren Trends in Richtung Mitarbeiter zentriertes Lernen und technologischer Fortschritt kämpfen viele Lern- und Entwicklungsorganisationen immer noch mit veralteten Plattformen und statischen Lernansätzen [8].

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Ferner beklagen viele Personaler weiterhin das altbekannte Thema: fehlender Transfer. Wie setze ich das Gelernte trotz neuer Formate wirklich in der Praxis um? Und wie trägt dieses Wissen letztendlich zur Wertschöpfung im Unternehmen bei? Mehr Verantwortung bei den Mitarbeitern Denkt man Lernen nicht nur in neuen Formaten und Wissensvermittlung, sondern bezieht mit ein, dass persönliche Motivation, Gestaltungsspielraum und Vertrauen wichtige Treiber für Innovationen, Produktivität und Wertschöpfung und damit für den Erfolg des Unternehmens sind, dann liegt es eigentlich nahe, den Mitarbeiter selbst noch viel stärker als heute in die Gestaltung der Weiterentwicklung mit einzubinden. Das macht schon allein deshalb Sinn, weil Lernen ja nicht nur in (verordneten) Trainings stattfindet, sondern auch überall dort im Unternehmen, wo Menschen Wissen und Erfahrungen austauschen oder gemeinsam an Themen arbeiten. Die Personalabteilung als Monopol für betriebliches Lernen ist daher ein überholtes Modell. „In Zukunft brauchen wir Mitarbeiter, die nicht den Anspruch haben, dass sie entwickelt werden und dafür eine Abteilung benötigen, sondern die ihre Chancen ergreifen und selbst dafür Verantwortung übernehmen, sich zu entwickeln. Dafür müssen wir ihnen einen Rahmen zur Verfügung stellen, in dem sie sich selbst entwickeln können, aber auch Freiräume aufzeigen, derer sie sich vielleicht noch gar nicht bewusst sind“, sagt auch Jeannette Schwerdtfeger, Head of HR bei der Jochen Schweizer mydays group [9]. Sie und ihr Team experimentieren daher seit einiger Zeit mit neuen Lernformaten und rufen die Mitarbeiter aktiv auf, mit ihnen in den Dialog zu treten. Um im Unternehmen als Ganzes einen Rahmen zu schaffen, der eigenverantwortliches, kontinuierliches Lernen auf vielfältige Art und Weise ermöglicht, braucht es eine gelebte, offene Wissens- und Lernkultur, die auch Potenziale aktiviert, die sonst in den Büros nur vor sich hin schlummern. „Das ist auch ein massiver Kulturwandel“, so Schwerdtfeger. „Deshalb versuchen wir sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte zu befähigen, damit sie erkennen, dass sie dort selbst viel mehr Steuerungsmöglichkeiten haben und diese dann auch nutzen!“ Eine Möglichkeit, diese Entwicklung zu unterstützen sind interne, mit agilen Methoden vertraute Trainer-Teams, die innovative Arbeitsweisen und Lernformate direkt von Mitarbeiter zu Mitarbeiter umsetzen. Die Idee ist im Kern nicht neu. Und in vielen Firmen gibt es Train-the-Trainer Ansätze, bei der Kollegen ausgebildet werden, um bestimmte Trainingsformate in einer Organisation anzubieten. Häufig werden hier jedoch standardisierte Programme ausgerollt oder das Monopol, oft auch in der Durchführung, liegt weiterhin bei HR. Auch im internen Training bedarf es jedoch Werkzeuge, die genauso anpassungsfähig und flexibel sind wie die Themen selbst, eine nachhaltige Lernerfahrung schaffen und den Mehrwert in den Vordergrund stellen.

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Wie lernen Menschen? Eine gute Orientierung, wie Lernen nachhaltig gelingen kann, gibt uns die neurowissenschaftliche Forschung. Zieht man einschlägige Literatur zu Hilfe, liest man von der Notwendigkeit der Individualisierung, weil jedes Gehirn anders funktioniert und zumindest die Ausrichtung an verschiedenen Lerntypen zielführender ist. Da geht es um Motivation und Neugier der Lernenden als Erfolgsfaktor. Und um Relevanz, denn was für uns wichtig ist, merken wir uns leichter, um nur einige Beispiele zu nennen. Wie diese Forschungsergebnisse gezielt in Lernformaten umgesetzt werden können, zeigt Sharon Bowman mit „Training from the back of the room“. Die auch als „brain-friendly learning“ bezeichnete Herangehensweise denkt gängige Lernkonzepte und Seminare auf Basis neurowissenschaftlicher Gesichtspunkte völlig neu. Wichtige Erkenntnisse fasst sie beispielsweise in den sechs Trümpfen für nachhaltiges Lernen, den „6 Trumps“, zusammen: 1. Bewegung schlägt Stillsitzen (movement trumps sitting) 2. Mitreden schlägt Zuhören (talking trumps listening) 3. Bilder schlagen Worte (images trump words) 4. Schreiben schlägt Mitlesen (writing trumps reading) 5. Kürzer schlägt länger (shorter trumps longer) 6. Anders schlägt Immer-das-Gleiche (different trumps same) Konkret bedeutet das in der Anwendung: Lernen in kleinen Einheiten, viel Abwechslung, und vor allem eine veränderte Trainerrolle. Es geht nicht mehr nur darum, Wissen eines Experten zu vermitteln, sondern einen Rahmen zu schaffen, in dem die Teilnehmer vom Wissen des Trainers, aber auch dem Wissen der Gruppe profitieren. Der Fokus liegt auf der Anwendung des neuerworbenen Wissens und direkt im Training den Transfer in den eigenen Alltag sicherzustellen und so weitere (individuelle) Erkenntnisse für sich mitzunehmen. So kann der Lernprozess beschleunigt und gleichzeitig erreicht werden, dass Wissen und Fertigkeiten nachhaltig verankern werden [10, 11]. Mitarbeiter als agile Trainer und Moderatoren Kombiniert man nun den internen Traineransatz mit innovativen Methoden, können Lernformate entstehen, die wirklich einen Mehrwert bringen. Außerdem können Mitarbeiter so die Entwicklung selbst mitgestalten, setzen ihre Kompetenzen ein und lernen neue dazu. „Der Einsatz interner Trainer schafft motivierte Mitarbeiter, die sich selbst verwirklichen können“, berichtet auch Jeannette Schwerdtfeger von ihren Erfahrungen. „Gerade der Generation an Mitarbeitern, die jetzt auch ganz stark nachwächst, geht es

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um mehr Selbstverwirklichung, um mehr Mitspracherecht, die werden durch andere Anreize motiviert und Weiterbildung und sich persönlich entwickeln ist ein ganz wichtiger Bestandteil davon.“ Der „agile“ Trainer muss dabei nicht notwendigerweise ein Scrum Master oder Agile Coach sein. Gemeint sind hier vor allem Kompetenzen in innovativen Methoden und eine Trainerhaltung, die der im „Training from the back of the room“ nahe ist. In internen Trainings lässt sich auch wunderbar der Trend der „Minimal Viable Courses“ umsetzen. Hier werden kleine Lerneinheiten oder Materialien zur Verfügung gestellt, sobald sie verfügbar sind – und nicht erst, wenn das gesamte Produkt oder Trainings Curriculum fertig ist. So sind neue Informationen als Piloten rasch verfügbar und können gleich auf dem Mitarbeiter-Markt getestet und verbessert werden. Dieser Ansatz gilt ebenso für die Etablierung von internen Trainern als Ganzes: Klein starten, nachfrage basiert aufbauen, testen, Feedback einholen und weiterentwickeln! Interne Moderatorenteams Lernen findet vor allem dort statt, wo gemeinsam an Themen gearbeitet wird: In kollaborativen Umgebungen, in denen jeder Teilnehmer sich und sein Wissen einbringt und die Gemeinschaft mehr weiß als der Einzelne. Das kann und muss nicht immer ein Training sein. In den meisten Organisationen gibt es bereits viele Plattformen, bei denen Menschen zusammenkommen und sich (in der ein oder anderen Form) austauschen. Oft sind diese Meetings aber kein Ort, um gemeinsam produktiv zu arbeiten und zu lernen. Und ganz häufig bleibt die Frage zurück: Was hat uns das nun gebracht? Dass es auch anders geht, zeigen uns zum Beispiel Teams in der Softwareentwicklung, die „Daily Stand-Ups“ (jeden Morgen kurze Meetings zur schnellen Abstimmung) oder effiziente, moderierte Planungsformate im wiederkehrenden Zyklus umsetzen. Viele Unternehmen testen bereits, wie sich diese Formate auch in Bereichen jenseits der IT einsetzen lassen. Dabei braucht diese Entwicklung jedoch häufig eine Begleitung von Menschen, die mit solchen Formaten bereits Erfahrung haben, um Teams, für die das Neuland ist, zu unterstützen. Existiert dieses Know-how noch nicht im Unternehmen, können gerade am Anfang externe Experten hilfreich sein. ­Langfristig und vor dem Hintergrund der Einbindung der Mitarbeiter lassen sich aber auch diese Themen durch interne, agile Moderationsteams begleiten. Ähnlich wie die internen Trainer, stehen sie den Teams zur Verfügung und unterstützen sie bei Workshops und Meetings. Fehlende Strukturen in Terminen und keine zufriedenstellenden Ergebnisse haben auch die Jochen Schweizer mydays group bewogen, interne Moderationsteams auszubilden. „Wir haben festgestellt, dass wir in Meetings letztendlich oft den Fokus verloren haben, dass sie nicht wirklich zielorientiert waren. Wir wollten hier besser werden und mehr Mitarbeiter befähigen, gute Meetings und Workshops zu moderieren. Das hilft uns als Unternehmen, zielführender zu Arbeiten und gibt den Mitarbeitern die Möglichkeit, mehr Verantwortung zu übernehmen und sich in solchen Rollen auch persönlich

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­ eiterzuentwickeln“, so Jeannette Schwerdtfeger. „Wir sind in der glücklichen Lage, w Mitarbeiter zu haben, die die Initiative ergreifen und auch außerhalb ihrer Abteilungen als Moderatoren tätig sind und so zum Beispiel Change Prozesse unterstützen!“ Offene Wissenskultur Um Lernen im Unternehmen heute nachhaltig umzusetzen, ist ausprobieren, selbst umsetzen und daraus (Neues) lernen gefragt. In Trainings und Workshops kann das durch den Einsatz interner Trainer und Moderatoren und der Anwendung innovativer Methoden gut gelingen. Genauso wichtig ist es aber, nach dem Training und zwischen den Meetings dranzubleiben, das Lernen fortzusetzen und Wissen zu teilen. Vielen neuen Formaten gemein ist der Ansatz, kontinuierlich in kleinen Häppchen zu lernen. Das lässt sich auch durch vielfältige kleine Initiativen im Unternehmen umsetzen, die durch interne Trainer und Moderatoren unterstützt werden können: Communities of Practice (CoPs) Ein Format, dass kontinuierliches Lernen und eine offene Wissenskultur in Organisationen unterstützen kann, sind sogenannte Communities of Practice (CoPs). Kleine Gruppen an Mitarbeitern, die ein gemeinsames Thema haben und zusammen üben möchten. Auch hier gilt es, einen geeigneten Rahmen zu schaffen, Mitarbeiter, die sich engagieren möchten, zu unterstützen, bereits vorhandene, informelle Gruppen auszubauen und Good Practices zum Beispiel in der internen Kommunikation mit aufzunehmen. „Food for Thoughts“ im Unternehmen Ein Mitarbeiter war auf einer spannenden Konferenz? Wie schade, wenn sein Wissen nicht weitergetragen wird. Wie wäre es mit einem Mini-Vortrag in der Mittagspause, der die wichtigsten Erkenntnisse und Learnings für den Arbeitsalltag vermittelt? Spezielle Fähigkeiten „Ich wusste ja gar nicht, dass du dich damit beschäftigst!“ So oder so ähnlich klingt es oft, wenn MitarbeiterInnen ganz überrascht von den Fähigkeiten ihrer KollegInnen sind. Wie wäre es, wenn im nächsten Teammeeting besondere Kenntnisse, Leidenschaften oder Talente zur Sprache kommen? Das hilft nicht nur bei der Aufdeckung von Potenzialen, sondern trägt auch zum Kennenlernen und zur guten Zusammenarbeit bei. Wie geht es weiter?

Interne Moderatoren- und Trainerteams oder Communities of Practice können ein erster Schritt sein, um Mitarbeitern mehr Verantwortung für die Entwicklung zu übertragen. Und sie bieten auch Personalentwicklern die Chance – in veränderter Rolle – einen wertvollen Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten. Wir dürfen gespannt sein, wie sich Lernen vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung und Vernetzung, neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und gesellschaftlichen Veränderungen langfristig gestaltet. Einen offenen Dialog über

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Potenziale, Wertschöpfung und Eigenverantwortung in der Weiterentwicklung sowie gemeinsame, pragmatische Entwicklung von Lösungen über Abteilungsgrenzen hinweg sollten wir unbedingt schon heute führen!

Literatur 1. Thomas, Douglas/Brown, John Seely (2011): A new Culture of Learning. Cultivating the Imagination for a World of Constant Change. 2. Deloitte Human Capital Trends 2017, online verfügbar unter: https://www2.deloitte.com/ insights/us/en/focus/human-capital-trends/2017.html 3. Gratton, Lynda (2017): The 100 Year Life: Living and Working in an Age of Longevity 4. Adidas Blog: Physical Locations for the New Way of Learning and the personal Future Workplace, online verfügbar unter: http://blog.adidas-group.com/2014/04/physical-­locations-forthe-new-way-of-learning-and-the-personal-future-workplace/ 5. HR Trend Institute: 18 trends for learning organisations, online verfügbar unter: https://hrtrendinstitute.com/2018/06/11/18-trends-for-learning-organisations/ 6. Deloitte Human Capital Trends 2017 – Careers and Learning, online verfügbar unter: https:// www2.deloitte.com/insights/us/en/focus/human-capital-trends/2017/learning-in-the-digitalage.html 7. Thoren, Pia-Maria (2017): Agile People. A Radical Approach for HR & Managers (That Leads to Motivated Employees). 8. Deloitte Human Capital Trends 2017 – Careers and Learning, online verfügbar unter: https:// www2.deloitte.com/insights/us/en/focus/human-capital-trends/2017/learning-in-the-digitalage.html (abgerufen am: 30.07.2018) 9. Interview mit Jeannette Schwerdtfeger (geführt am 27.06.2018 durch Natalija Hellesoe), Head of HR bei der Jochen Schweizer mydays group 10. Bowman (2009): Training from the back of the room. 65 ways to step aside and let them learn. 11. Bowman (2011): Using brain science to make training stick.Siy Learning Principles That Trump Traditional Teaching. Natalija Hellesoe  war viele Jahre im Personalbereich tätig und hat Transformationen in Unternehmen begleitet. Als Trainerin, Projektbegleiterin und agiler Coach unterstützt sie heute HR Teams und Organisationen dabei, mutige Entscheidungen zu treffen, Neues zu wagen und proaktiv die neue Arbeitswelt mitzugestalten. Ihre Vision: Selbstständiges, innovatives Arbeiten und sich Entwickeln in Unternehmen. Mit Wert, Sinn und Spaß für nachhaltigen Erfolg! https://changingthegame.de/natalija-hellesoe

Interview: „Coworking Space: Zukunftsmodell oder Eintagsfliege?“

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Constantin Wizemann

Zusammenfassung

Um die Geschichte des wizemann.space aus Stuttgart erzählen zu können, muss man etwas ausholen: Die J.Wizemann GmbH & Co.KG, die einst Motorenteile herstellte, wurde Anfang der 1920er von Julius Wizemann in Stuttgart gegründet. Als Anfang der 1990er der Standort aufgegeben und mit dem Unternehmen Mahle fusioniert wurde, änderte sich auch der Nutzen. Aus den Produktionsflächen und der früheren Hauptverwaltung wurden unter anderem Gewerbe- und Atelierräumlichkeiten. Aufgrund verschiedener Ereignisse übernahm 2011 Constantin Wizemann die Verwaltung des Areals – zunächst für einige Monate, wie er damals dachte. Nach vielem Überlegen, was mit dem Areal passieren kann, entstand Ende 2011 die Idee, auf dem alten Industriegelände seiner Familie ein Coworking-Space aufzubauen, in dem die Atmosphäre von früher noch zu spüren ist. Es dauerte jedoch noch vier Jahre, bis er Ende 2015 anfangen konnte, großflächig umzubauen. Die Zeit C. Wizemann ()  Wizemann.space, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_23

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C. Wizemann

brauchte das Projekt auch, denn Wizemann war wichtig, die Historie beizubehalten und so viel Altes wie möglich zu belassen. Und es hat sich ausgezahlt: Der wizemann.space ist ein Ort mit kreativen, innovativen und inspirierenden Menschen geworden. Ob Coworking Spaces das Zukunftsmodell für Arbeitsorte sind oder ob es sich hierbei nur um eine Modeerscheinung handelt, erläutert der Betriebswirt.

Was war für Sie Auslöser, den wizemann.space zu gründen? Zum einen änderten sich die Bedürfnisse der existierenden Mieter: Einige wünschten sich einen Gemeinschaftsraum, um andere Mieter treffen zu können. Andere wiederum brauchten dauerhaft weniger Platz und wollten ihre Besprechungsräume auch Externen zur Verfügung stellen, beziehungsweise wünschten sich mehr Platz, allerdings nur temporär. Und weil mir immer wieder vor allem von der Coworking Szene in Berlin vorgeschwärmt wurde, war die Idee schnell geboren, alle diese Bedürfnisse mit einem Coworking Space abzudecken. Gibt es etwas, was Sie nicht so umsetzen konnten, wie Sie es sich gewünscht haben? Wie viel Einfluss die Einrichtung auf Menschen und Veranstaltungen hat, habe ich im Vorfeld komplett unterschätzt. Daher bin ich noch nicht ganz zufrieden mit der Einrichtung unseres Space und justiere immer wieder nach. Richtig schiefgegangen ist aber zum Glück nichts. Interessant ist, dass der Space von den langfristigen Mietern im Areal viel weniger genutzt wird als gedacht. Das möchte ich gern noch ändern. Der Mensch scheint per se eher träge und braucht ein wenig mehr Anschub. Ferner sind wir noch nicht so international, wie ich es mir wünsche. Die Präsenz der zwei, drei großen Player in Stuttgart ist deutlich zu spüren. Hier hätte ich mehr Diversität erwartet. Im Großen und Ganzen sind wir aber sehr zufrieden, wie unser Space angenommen wird und in welcher Art und Weise er das Areal täglich bereichert. Warum sind Coworking Spaces die Arbeitsräume der Zukunft? Sind sie das? Ich glaube nicht, dass das generell so ist. Wir leben und arbeiten aktuell in einem wirtschaftlich sehr prosperierenden Umfeld. Den Unternehmen könnte es kaum besser gehen. Daher stellen sie auch die Mittel zur Verfügung, um Arbeitsklima und Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter zu steigern. Spannend wird es, welchen Stellenwert Unternehmen dem zuschreiben, wenn die Ergebnisse nicht mehr so rosig sind. Coworking Spaces sind in der heutigen Arbeitswelt jedoch nicht mehr wegzudenken, denn sie generieren einen deutlichen Mehrwert. Das heißt aber nicht, dass es das alleinige Mittel ist, sondern vielmehr ein Teil von mehreren ist. Spannend ist zu sehen, das

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mit dem richtigen Coworking-Gedanken 1+1 eben nicht 2 ist, sondern 3 ergibt. Wir erleben hier fast täglich sensationelle Beispiele, wie das Zusammentreffen der richtigen Personen Ungeahntes freisetzen und auslösen kann. Durch das Zusammenbringen unterschiedlichster Menschen mit unterschiedlichster Herkunft, Ausbildung, Meinung, Beruf und Position, die auf den ersten und auch zweiten Blick eigentlich nichts miteinander zu tun haben, kommen die besten Ergebnissen zustande. Diese Impulse, die Menschen, Teams und Unternehmen damit erfahren, sind ein wichtiger Beitrag in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Welche Bedürfnisse von Unternehmen erfüllt der wizemann.space? Und warum können Unternehmen diese Bedürfnisse nicht selbst befriedigen? Entscheidend ist das „Rauskommen“. Mitarbeitern neue Welten zu bieten und sie so aus ihrer Komfortzone zu holen, hat positive Effekte. Denn Einrichtungen und Umgebungen beeinflussen Ergebnisse. Mein einfachstes Beispiel ist der Stuhl. Ganz bewusst wählen wir für bestimmte Einsatzzwecke unbequeme, wacklige Holzstühle mit wackeligen Tischen. Diese unbekannte, neue Umgebung macht offen für neue Ideen. In einer Karaoke Bar traue ich mich auch eher zu singen, als in einem Restaurant. Diesen Nährboden für kreatives, innovatives, offenes Denken schaffen sie mit immer wieder wechselnden Einflüssen, neuen Gesichtern, neuen Impulsen, neuen Ideen. Und das können Unternehmen bei sich nur schwer bzw. bedingt leisten – was auch nur bedingt deren Aufgabe ist. Die Frage ist daher, ob Unternehmen selbst den Rahmen schaffen sollten oder ob ein Tapetenwechsel am Ende nicht besser ist. Für viele Unternehmen sind flexible Arbeitszeitmodelle problematisch (Stichwort: Präsenzkultur). Warum sind flexible Arbeitsorte wie wizemann.space es nicht? Das ist eine spannende Frage. So einfach empfinde ich das mit flexiblen Arbeitsorten selbst nicht. Um kontinuierlich an flexiblen Arbeitsorten arbeiten zu können, braucht es einen hohen Grad an Selbstorganisation, Selbstdisziplin, Digitalisierung. Die unterschiedlichen Arbeitszeiten unserer Member und Nutzer zeigen, dass sie mit den flexiblen Arbeitszeitmodellen ganz gut umgehen können. Der Vorteil eines Spaces als Arbeitsort liegt meiner Meinung nach im Nutzen für die jeweilige Arbeitsform bzw. für den individuellen Arbeitsabschnitt. Ein Coworking Space ist häufig ein passender Ort auf Zeit. In der Aufbauphase eines Start-ups beispielsweise benötigen Gründer meist nur einen Arbeitsplatz und ein Minimum an Infrastruktur. Erst im Laufe der verschiedenen Gründungsphasen kristallisiert sich heraus, welcher weitere Bedarf jeweils notwendig ist. Dann kann optimiert werden. Oder nehmen wir einen Freiberufler, der diese Büroform am Anfang schätzt, sich aber vielleicht nach 18 Monaten eine andere Form wünscht. So geht es auch Unternehmen oder Teams, die sich akut Impulse aus einem anderen Umfeld wünschen, aber eben nur für eine bestimmte Zeit. Die Kontinuität bei uns im Space ist der Wandel des Einzelnen, die ständige Veränderung.

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C. Wizemann

Ab wann lohnt es sich für Gründer bzw. Unternehmen, doch in die eigene ­Ausstattung von Räumen zu investieren statt Coworking Spaces zu nutzen? Ich glaube, bei Start-ups ist es eine wirtschaftliche Frage. Ab einer bestimmten Größe ist es für ein Unternehmen einfach unrentabel, Coworking Dienste in Anspruch zu nehmen. Da die kritische Größe aber bei jedem Unternehmen oder Team unterschiedlich ist, versuchen wir, sowohl für die One-Man-Show als auch für Unternehmen Räume flexibel anzubieten. Ideal ist es aus meiner Sicht, wenn es die Möglichkeit gibt, einem Coworking Space örtlich und gedanklich nahe zu bleiben, zum Beispiel durch Büroräume unweit des spaces. Somit kann man der Atmosphäre treu bleiben. Bei uns bieten sich beispielsweise nicht nur im Space, sondern auch auf dem Areal Möglichkeiten zu wachsen. Man bleibt also auf Schlagdistanz. Denn wichtig ist vielmehr, den „Spirit“ zu bewahren und mit der „Community“ verbunden zu bleiben, um weiterhin diese Impulse zu generieren. Gibt es weiterführende Pläne für die Zukunft? Noch ganz viele. Wir wollen den Space und das Areal in der Region, aber auch deutschlandweit noch klarer als Ort darstellen, an dem Innovation gelebt wird, an dem Disruption allgegenwärtig und Querdenken erlaubt ist, an dem ich Impulse erhalte und wo wichtige Werte gelebt werden. Wir wollen zeigen, dass ein werteorientiertes Arbeiten sehr wohl einen deutlichen wirtschaftlichen Erfolg haben kann, und unsere Motivation „Räume. Schaffen. Werte.“ mehr als nur ein Claim ist. Constantin Wizemann Der Betriebswirt war viele Jahre in Italien im Maschinenbau tätig. ­Aufgrund verschiedener beruflicher Ereignisse kam er 2011 vorübergehend nach Stuttgart zurück, um sich um das Wizemann-Areal kümmern zu können. Sieben Jahre später ist der Betriebswirt noch immer da und entwickelt das Gelände weiter, sodass Stuttgart um einen Ort, der viel Raum für Fantasie bietet, reicher ist und bleibt.

lernOS als Betriebssystem für die Arbeit der Zukunft

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Simon Dückert

Zusammenfassung

Technischer Fortschritt, Digitalisierung, Globalisierung und Urbanisierung führen zu großen Veränderungen in unserer Gesellschaft und damit auch in den Arbeitssystemen. Organisationen und Individuen müssen sich darauf einstellen und bekommen gleichzeitig die Chance, die Zukunft der Arbeit nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Um diese Gestaltungsaufgabe erfolgreich zu meistern, sind Ansätze des lebenslangen, individuellen Lernens und des ganzheitlichen, organisationalen Lernens Voraussetzung. Der methodische Ansatz lernOS bietet hierfür einen praxiserprobten methodischen Rahmen.

S. Dückert ()  Cogneon GmbH, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_24

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S. Dückert

lernOS als Betriebssystem für Lebenslanges Lernen und Lernende Organisationen

Durch den technischen Fortschritt mit Mechanisierung, Wasser- und Dampfkraft, Massenfertigung und Elektrifizierung haben Menschen schon vor langer Zeit gelernt, mit großen Veränderungen umzugehen. Durch die Digitalisierung und deren exponentielle Entwicklung [1] nimmt die Beschleunigung stark zu, die kontinuierliche Veränderung wird zum Normalfall. Gleichzeitig führen Trends wie Globalisierung und Urbanisierung zu schneller Verbreitung von Wissen (Knowledge Spillover Effekt) sowie beschleunigter Ideengenerierung und Innovationsrate (Serendipity Effekt). Um in dieser Umgebung erfolgreich zu sein, müssen Individuen einen Ansatz des selbstgesteuerten, lebenslangen Lernens praktizieren. lernOS bietet hierfür einen praxiserprobten methodischen Rahmen. In der sich auf diese Weise entwickelnden digital-vernetzten Wissensgesellschaft agiert eine Vielzahl von Akteuren selbstorganisiert und unabhängig. Es bildet sich ein komplexes und vernetztes System, dessen zukünftige Zustände schwer oder gar nicht vorhersagbar sind. Diese neuen und unsicheren Rahmenbedingungen wurden bereits im letzten Jahrhundert als VUCA-Welt bezeichnet [2]. Um in unserer komplexen Umgebung erfolgreich zu sein, sind neue Handlungsstrategien notwendig [3], die weniger auf Top-Down-Steuerung und mehr auf Versuch-und-Irrtum basieren (Probe – Sense – Respond). Diese neue Situation hat Auswirkungen auf die Arbeitswelt, die mit Begriffen wie New Work [4], Arbeit 4.0 [5], Arbeit der Zukunft [6] und New Work Style [7] bezeichnet werden. Phänomene wie Stress, Burnout, Informationsüberflutung und psychische Belastungen deuten darauf hin, dass für eine gute Wissensarbeit im 21. Jahrhundert noch neue Ansätze gefunden werden müssen. In welchen Dimensionen muss die Arbeit der Zukunft gestaltet werden? Mit der Vorarbeit der Human-Relations-Bewegung kann das Umfeld von Wissensarbeitern als soziotechnisches System [8] verstanden werden. Es besteht aus einem sozialen Teilsystem (Menschen, Rollen, Organisationskultur) und einem technischen Teilsystem (Maschinen, IT, Methoden). Die Organisationskultur kann auf den drei Ebenen sichtbare Verhaltensweisen, gemeinsame Werte und Grundannahmen betrachtet werden [9]. Damit lassen sich folgende Bereiche für die Entwicklung von Wissensarbeitern benennen (siehe Abb. 24.1): • Mindset: die Grundannahmen über die Welt und die Werte, nach denen gehandelt wird. • Skillset: die auf Basis von Wissen und Erfahrung entwickelten Fähigkeiten, die sich in sichtbarem Verhalten zeigen. • Toolset: die (IT-)Werkzeuge und Methoden, die zum Lösen von Problemen und ­Erledigen von Aufgaben verwendet werden.

24  lernOS als Betriebssystem für die Arbeit der Zukunft

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Abb. 24.1  Das lernOS Wheel (Mindset, Skillset, Toolset). (Mit freundlicher Genehmigung von © Simon Dückert 2018. All Rights Reserved.)

Für das neue Mindset ist aufgrund der hohen Veränderungsgeschwindigkeit eine Leidenschaft für lebenslanges Lernen, also ein „Growth Mindset“ [10] notwendig. Um dem selbstgesteuerten Lernen eine Richtung zu geben, Spitzenleistung zu unterstützen und sich nicht in der Informationsflut zu verlieren, ist die Frage nach dem Sinn (­Purpose) oder dem „Why“ [11] zu beantworten. Da sich niemand das benötigte Wissen in seiner Lebenszeit selbst erarbeiten kann, sind Vernetzung und Gemeinschaft mit anderen Menschen sowie die Offenheit diese einzugehen erfolgskritisch. Mit Offenheit ist dabei sowohl die Bereitschaft gemeint, fremde Ideen und Wissen aufzunehmen, als auch die Offenheit für das Teilen des eigenen Wissens als Voraussetzung für Vertrauen und Hilfsbereitschaft. Damit lassen sich für das Mindset folgende Werte ableiten: • • • • • • • •

Sinn (Purpose) Leidenschaft (Passion) Lernen (Learning) Offenheit (Openness) Vernetzung (Networking) Vertrauen (Trust) Gemeinschaft (Community) Spitzenleistung (Top Performance)

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S. Dückert

Im Bereich des neuen Skillsets zeichnet sich auf dem Arbeitsmarkt bereits seit den 1970er-Jahren eine starke Nachfrage nach analytischen und sozialen Nicht-RoutineTätigkeiten ab [12]. Beide sind Tätigkeiten, die nach aktuellem Stand der Forschung nicht durch künstliche Intelligenz oder maschinelles Lernen zu ersetzen sind. Die hierzu notwendigen Fähigkeiten sind im 4K-Modell des Lernens zusammengefasst [13]: • Kritisches Denken • Kreativität • Kommunikation • Kollaboration Da Kommunikation und Zusammenarbeit zunehmend in digital-vernetzten Web-­ Plattformen stattfindet, gehört auch Digital Literacy bzw. Web Literacy [14] zu den notwendigen Fähigkeiten: • Lesen: Suchen, Navigieren, Kombinieren, Beurteilen • Schreiben: Gestalten, Programmieren, Kuratieren, Überarbeiten, Neu zusammenstellen (Remix) • Partizipieren: Teilen, Mitarbeiten, Öffnen (Open Practice), Schützen, Vernetzen Zum neuen Toolset gehören insbesondere Werkzeuge, die im Rahmen der Entwicklung des Internets als Plattform für Partizipation [15] entstanden sind. Zu den zentralen Werkzeugen für Wissensarbeiter gehören [16]: • Soziale Netzwerke • Blogs • Wikis • Podcasts • Video-Plattformen In den Werkzeugkasten für das 21. Jahrhundert gehören neben IT-Tools aber auch Methoden und Formate, die Kreativität, Kommunikation und Zusammenarbeit fördern. Dazu gehören z. B. Barcamps, Communities of Practice, Coworking, Design Thinking, Future Backwards, Hackathons, Massive Open Online Courses, Scrum uvm. lernOS – Betriebssystem für lebenslanges Lernen Die neue Art zu Arbeiten kann nicht in einem Seminar, durch das Lesen eines Buchs oder den Besuch einer Konferenz erlernt werden. Vielmehr braucht es Anleitung, Übung, Hilfestellung von anderen und vor allem kontinuierliche Praxis über einen langen Zeitraum, um in kleinen Schritten Meisterschaft (Mastery) zu erlangen. Hier setzt die Idee von lernOS an. Dabei ist das persönliche Management-System eines Wissensarbeiters wie das Betriebssystem eines Computers zu verstehen. Es besteht aus verschiedenen

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Komponenten, die je nach Bedarf erweitert werden können. lernOS setzt einen Rahmen für Wissensarbeit, definiert Routineabläufe und hilft dem Wissensarbeiter, sich auf kreative Arbeit und die Interaktion mit anderen zu konzentrieren. Durch die Integration von Lernprozessen und kontinuierliche Verbesserungen ist selbstgesteuertes, lebenslanges Lernen als Motor zu verstehen. Dabei leitet sich der Name lernOS von der Abkürzung für Betriebssysteme (OS: operating system) und aus dem Esperanto-Verb „lernos“ ab (mi lernos: ich werde lernen, vi lernos: wir werden lernen). Die einzelnen Komponenten von lernOS werden im Folgenden beschrieben. Über den Kern von lernOS wird die Methode in den Arbeitsalltag von Wissensarbeitern integriert. Hierzu verwendet lernOS Bestandteile und Prinzipien aus folgenden Methodenbereichen: • Getting Things Done (GTD), um die Bearbeitung komplexer Arbeitsaufgaben effizient zu organisieren und die persönliche Produktivität zu steigern. • Objective and Key Results (OKR), um sich auf persönliche Ziele zu fokussieren und die Effektivität von Einzelpersonen, Teams und Organisationen zu steigern. • Working Out Loud (WOL), um entlang der eigenen Ziele systematisch ein Netzwerk aufzubauen, das bei der Zielerreichung unterstützen kann. Getting Things Done (GTD) ist eine Methode, um die „Kunst der stressfreien Produktivität“ zu erlernen [17]. Sie geht davon aus, dass auf den Wissensarbeiter täglich eine Menge „Zeug“ (Stuff) einprasselt. Dies gilt es aus dem Kopf und in ein Organisationssystem des Vertrauens zu integrieren. Dafür wird alles in Eingangskörben (Inbox) gesammelt und nach einem vorgegebenen Schema bearbeitet (­Processing). Um das Organisationssystem immer auf aktuellem Stand zu halten, wird ein „Weekly Review“ durchgeführt, in dem die gesamte Durchsicht und Aktualisierung des Organisationssystems erfolgt. Die positiven Effekte von GTD (z. B. Flow-Gefühl durch das Ausstreichen von Aufgaben) sind empirisch belegt [18]. siehe auch Kap. 25 Interview: „‘Getting Things Done‚: Selbstmanagement-Methode für effizientes und belastungsfreies Arbeiten“ Objectives and Key Results (OKR) ist eine Methode für agiles Zielmanagement, die der ehemalige Intel-Vorstand Andy Grove entwickelt hat [19] und die von John Doer von Intel zu Google gebracht wurde [20]. Bei OKR werden für jedes Quartal maximal fünf Ziele (Objectives) mit je maximal vier Schlüsselergebnisse (Key Results) festgelegt. Die Schlüsselergebnisse müssen sich auf einer Skala von 0,0 bis 1,0 quantitativ messen lassen. Um die OKR-Anwender für ambitionierte Ziele zu motivieren, gilt bei OKR ein Zielerreichungsgrad von 0,7 als optimal. OKRs werden auf den Ebenen Organisation, Teams und Einzelpersonen festgelegt (Kaskadierung ähnlich Hoshin Kanri) [21]. Von den Zielen sollen maximal die Hälfte Top-Down, der Rest Bottom-Up definiert werden. Alle OKRs sind in der Organisation offen einsehbar.

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Working Out Loud (WOL) ist eine Methode für transparentes Arbeiten, offenes Teilen von Wissen [22] und dem systematischen Aufbau eines Netzwerks, das bei der Erreichung persönlicher Ziele hilft [23]. Bei WOL nach Stepper durchlaufen 4–5 Personen in einem WOL Circle ein selbstorganisiertes 12-Wochen-Trainingsprogramm, in dem durch Übungen aus dem Circle Guide [24] neue Fähigkeiten schrittweise erlernt werden. Dazu trifft sich der Circle über zwölf Wochen für eine Stunde pro Woche. Im Verlauf des Circle sucht sich jedes Circle-Mitglied ein persönliches Ziel, identifiziert Netzwerkpartner, die bei der Zielerreichung helfen können und tritt mit diesen über soziale Netzwerke im Intranet oder Internet sowie großzügiges Teilen (Generosity) von Inhalten in Beziehung. Im Circle helfen sich die Mitglieder gegenseitig bei der Erreichung ihrer Ziele (Peer Support). Für den lernOS Core werden aus diesen drei Methodenbereichen folgende Elemente und Prinzipien übernommen: Objectives & Key Results: bilden den Grundmotor für lebenslangen Lernens, indem sie kontinuierlich und selbstorganisiert neue Arbeits- und Lernziele setzen. OKRs werden alle drei Monate reflektiert und für das nächste Quartal neu geplant. Der entstehende Zeitraum von 13 Wochen wird wie bei Scrum [25] lernOS Sprint genannt. Ziele für den Sprint können frei gewählt, aber auch aus den GTD-Arbeitskontexten wie Rollen, Aufgabenfeldern oder Projekten abgeleitet werden. Weekly Check-In: ein wöchentlicher Regeltermin unterstützt die nachhaltige Veränderung von Mindset und Arbeitspraxis. Neben der OKR-Standard-Agenda [26] bietet der lernOS Guide Übungen, um neue Fähigkeiten in den Bereichen Mindset, Skillset und Toolset im Weekly Check-In zu trainieren. Circle: der Ansatz einer Peer-Support-Gruppe in Form des lernOS Circle wird verwendet, um Hilfestellung und gegenseitigen Motivation in einer Gruppe von 4–5 Personen zu ermöglichen. Networking: lernOS verwendet das strategische Networking über soziale Netzwerke aus WOL, um von Wissen und Erfahrungen der Personen innerhalb und außerhalb der Organisation profitieren zu können. Repositories: die Idee der Referenzablagen von GTD wird verwendet, um strukturierte „Knowledge Repositories“ zu definieren, in denen Wissensobjekte für den eigenen Zugriff, aber auch für Netzwerkpartner abgelegt werden können. Ein lernOS Sprint dauert 13 Wochen (Woche 0–12) und unterteilt ein Jahr damit in vier Sprints. In Woche 0 erfolgt die Planung des Sprints und die Festlegung der Ziele inkl. Schlüsselergebnisse. Die Ziele können frei gewählt sein oder sich aus den eigenen Rollen, Aktivitäten und Projekten ergeben. Innerhalb des Sprints wird ein Weekly Check-In von 30–60 min zur Reflexion des bisher erreichten und zur Identifikation von Barrieren verwendet (siehe Abb. 24.2). Über die Übungen aus dem lernOS Guide können pro Woche zusätzlich individuelle Fähigkeiten trainiert werden. In Woche 0 des folgenden Sprints wird ein Review der vergangenen zwölf Wochen durchgeführt und reflektiert, was man in Bezug auf das eigene Wissen und die eigenen Fähigkeiten erreicht hat. Sind im Sprint neue Wissensobjekte

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Abb. 24.2  lernOS Sprint. (Mit freundlicher Genehmigung von © Simon Dückert 2018. All Rights Reserved.)

(Knowledge Assets) entstanden, werden diese in den eigenen Referenzablagen abgelegt und stehen somit in Zukunft für potenzielle Netzwerkpartner zur Verfügung (z. B. ­Dokumente, Präsentationen, Checklisten, Videos). Der lernOS Canvas dient Praktikern von lernOS, Getting Things Done, Objectives & Key Results und Working Out Loud als visuelle Checkliste und als Rahmen, um ihren Ansatz anderen Personen strukturiert erzählen zu können. Die Struktur lehnt sich an den Business Model Canvas an, mit dem Geschäftsmodelle beschrieben und gestaltet werden können [27]. Der Begriff „Canvas“ meint wörtlich eine „Leinwand“, bedeutet aber im übertragenen Sinn eine visuelle Struktur für den Denkprozess (siehe Abb. 24.3). Die Ziele und Schlüsselergebnisse stehen im Zentrum des Canvas. Die eigenen Rollen, Aufgabengebiete und Projekte dienen als Hilfestellung für die Zielfindung im Sprint. Soziale Netzwerke dienen als Kanäle zu Netzwerkpartnern, die für die eigenen Ziele relevant sind. Um wichtige Wissensobjekte für sich selbst schnell im Zugriff zu haben und diese einfach mit Netzwerkpartnern teilen zu können, werden strukturierte Dokumentenablagen (Knowledge Repositories) verwendet. Um die Arbeit mit dem lernOS Canvas agil zu halten, sollte der Canvas unbeschrieben und ausgedruckt in ­Kombination mit Klebezetteln (z. B. Post-It) oder in elektronischer Variante (z. B. canvanizer.com) verwendet werden. Da es sich mit der Veränderung der eigenen Arbeitsweise ähnlich verhält, wie mit guten Vorsätzen im Sport („Die teuren Laufschuhe habe ich zwar gekauft, aber trainiert habe ich noch nicht“) ist der lernOS Circle ähnlich einer Laufgruppe strukturiert und dient der gegenseitigen Motivation und Hilfestellung (Peer Support). Dabei besteht ein lernOS Circle aus 4–5 Personen, die persönliche Ziele verfolgen, ihre Sprints und die Weekly Check-Ins gemeinsam machen und sich gegenseitig durch Wissen und Erfahrung in emotionaler, sozialer und praktischer Hinsicht unterstützen. Die Circle-Mitglieder sollten sich aus Gründen von Offenheit, Wissenstransfer und Diversität abteilungs- oder

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Abb. 24.3  Der lernOS Canvas ist Teil von learnOS, dem Organisationssystem für Lebenslanges Lernen & Lernende Organisationen. Mehr Informationen unter https://learnos.org. (Mit freundlicher Genehmigung von © Simon Dückert 2018. All Rights Reserved.)

organisationsübergreifend zusammensetzen. Der Circle findet immer auf Augenhöhe und in vertrauensvoller Atmosphäre statt (Circle of Trust: „What happens in the circle stays in the circle“). Ferner kann sich der Circle zum Check-In persönlich oder virtuell im Rahmen einer Webkonferenz treffen. Es empfiehlt einen „Circle Facilitator“ je Sprint festzulegen, der sich um Terminkoordination und die Infrastruktur für Kommunikation und Dokumentation kümmert. Ein lernOS Circle kann über mehrere Sprints hinweg aus den gleichen Mitgliedern bestehen, kann sich nach Wunsch der Mitglieder aber auch ­verändern. Stop talking, start doing! Der Einstieg in lernOS für die Organisation der persönlichen Wissensarbeit ist sehr einfach. Diese fünf Schritte helfen Dir bei einem reibungslosen Start: • Zeit einplanen: Lege fest, in welchem Quartal Du mit dem ersten lernOS Sprint beginnst Und integriere die Weekly Check-Ins in Deinen Kalender. Praktizierst Du lernOS mit anderen in einem Circle, ist der Regeltermin besonders wichtig • Objective and Key Results planen: Verwende die Woche 0, um die Ziele und die messbaren Schlüsselergebnisse für den Sprint zu definieren. Wenn Du lernOS neben Deinem eigentlichen Tagesgeschäft ausprobieren möchtest, starte einfach mit einem zusätzlichen Ziel, das Dir persönlich am Herzen liegt.

24  lernOS als Betriebssystem für die Arbeit der Zukunft

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• Circle finden: Suche 3–4 Menschen, die im gleichen Quartal einen Sprint starten wollen. Idealerweise hat einer davon schon Erfahrungen aus einem anderen Circle und kann die Rolle des Circle Facilitator übernehmen. • Weekly Check-In organisieren: Legt gemeinsam Uhrzeit und Modus für die Check-Ins fest. Wenn Ihr Euch noch nicht kennt, sollte zumindest der erste Check-In persönlich (face-2-face) stattfinden. Nutzt dabei die Gruppenfunktion in sozialen Netzwerken oder Messengern für Kommunikation und Dokumentation zwischen den Treffen. • Plan.Do.Learn.Repeat: Bei lebenslangem Lernen ist nach dem Sprint auch vor dem Sprint. Nutzt die Woche 0 des folgenden Sprints für eine gemeinsame Retrospektive und für die Planung des nächsten Sprints. Zur Verteilung der Arbeitsbelastung kann in folgenden Sprints ein anderes Mitglied die Rolle des Circle Facilitators übernehmen. Fazit: Keep Calm & Learn On

Wie bei einer Reise beginnt auch der Einstieg in das lebenslange Lernen mit dem ersten Schritt. lernOS stellt hierfür praxiserprobte Vorgehensweisen und Hilfsmittel bereit. Wichtig ist, den ersten Schritt zu gehen und dann das eigene System kontinuierlich zu verbessern. lernOS ist ein kollaborativ gestaltetes Werk, das unter einer offenen Creative Commons Lizenz (CC BY) zur Verfügung steht. Der Inhalt kann für private und kommerzielle Zwecke kostenfrei heruntergeladen, verwendet und angepasst werden [28]. In diesem Sinne: Keep Calm & Learn On!

Literatur 1. Moore, G.E. (1965), Cramming More Components Onto Integrated Circuits. 2. Lawrence, J. (1991), Overview of Management Theory. Studienprojekt am US Army War ­College. 3. Snowden, D. (2007), A Leader’s Framework for Decision Making. URL: https://hbr. org/2007/11/a-leaders-framework-for-decision-making (abgerufen am: 29.06.2018) 4. Bergmann, F. (2004), Neue Arbeit, Neue Kultur. Arbor. Arbor. 5. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015), Grünbuch Arbeiten 4.0. 6. Jürgens et. al. (2017), Arbeit transformieren! Denkanstöße der Kommission „Arbeit der Zukunft“. transcript. 7. Schirmer, H. (2017), Continental Goes New Work Style. URL: https://www.harald-schirmer. de/2017/10/17/continental-goes-new-work-style (abgerufen am: 29.06.2018) 8. Trist, E., Bamfort, K. (1951), Some social and psychological consequences of the long wall method of coal getting. Human Relations, 4, S. 3–38. 9. Schein, E. (1985), Organizational Culture and Leadership. Jossey-Bass. 10. Dweck, C. (2017), Mindset: Changing The Way You Think To Fulfil Your Potential. Robinson. 11. Sinek, S. (2011), Start With Why: How Great Leaders Inspire Everyone To Take Action. ­Portfolio.

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S. Dückert

12. Levy, F., Murnane, R. (2005), The New Division of Labor. How Computers Are Creating The New Job Market. Princeton University Press. 13. Schleicher, A. (2013), 21st Century Skills, Vortrag auf der re:publica 2013. URL: https://www. youtube.com/watch?v=Ibb5KE6Cl_w (abgerufen am: 29.06.2018) 14. Mozilla Foundation (2018), Web Literacy Framework. URL: https://learning.mozilla.org/ en-US/web-literacy (abgerufen am: 29.06.2018) 15. O’Reilly, T. (2005), What Is Web 2.0? URL: https://www.oreilly.com/pub/a/web2/archive/ what-is-web-20.html (abgerufen am: 29.06.2018) 16. McKinsey (2015), Taking the measure of the networked enterprise. URL: https://www. mckinsey.com/business-functions/digital-mckinsey/our-insights/taking-the-measure-of-the-­ networked-enterprise (abgerufen am: 29.06.2018) 17. Allen, D. (2001), Getting Things Done: The Art of Stress-Free Productivity. Highlighting. 18. Heylighten, F., Vidal, C. (2008), Getting Things Done:The Science behind Stress-Free Productivity. In Longe Range Planning, Volume 41, Issue 6, December 2008. 19. Grove, A. (1995), High Output Management. Vintage. 20. Levy, S. (2011), In The Plex: How Google Thinks, Works, and Shapes Our Lives. Simon & Schuster. 21. Jochum, E. (1999), Hoshin Kanri – Management by Policy (MbP). Hochschule für Bankwirtschaft, Frankfurt. 22. Williams, B. (2010), When Will We Work Out Loud? Soon!, URL: https://thebryceswrite. com/2010/11/29/when-will-we-work-out-loud-soon (abgerufen am: 29.06.2018) 23. Stepper, J. (2015), Working Out Loud. Ikigai Press. 24. Stepper, J. (2018), Working Out Loud Circle Guides. URL: https://workingoutloud.com/en/ circle-guides (abgerufen am: 29.06.2018) 25. Sutherland, J., Schwaber, K. (2017), The Scrum Guide – The Rules Of The Game. URL: https://www.scrumguides.org (abgerufen am: 29.06.2018) 26. Castro, F. (2017), The Beginner’s Guide to OKR. URL: https://felipecastro.com/en/okr/whatis-okr (abgerufen am: 29.06.2018) 27. Osterwalder, A. (2010), Business Model Generation: A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers. Wiley. 28. Dueckert, S. (2018), The lernOS Guide, URL: https://github.com/simondueckert/lernos (abgerufen am: 29.06.2018) Simon Dueckert  ist seit über 17 Jahren im Wissensmanagement tätig. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Universität ErlangenNürnberg arbeitete er am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen und war dort mit der Einführung von Wissensmanagement befasst. Aus diesen Aktivitäten ist ein ganzheitliches, prozessorientiertes und ISO-9001-kompatibles Wissensmanagement-Modell entstanden, das heute als Cogneon Wissensmanagement-Modell in der Beratung eingesetzt wird. Er ist als Berater und Coach hauptsächlich bei Kunden in Engineering-Branchen zu Themen wie Wissensmanagement, Lernende Organisation und Management 2.0 aktiv. https://cogneon.de/ https://changingthegame.de/simon-­dueckert

Interview: „‚Getting Things Done‘: Selbstmanagement-Methode für effizientes und belastungsfreies Arbeiten“

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Tobias Müller-Zielke

Zusammenfassung

Wachsen einem Aufgaben und Termine über den Kopf, braucht es Entlastung. Am besten durch eine Methode, mit der ein effizientes und belastungsfreies Arbeiten möglich ist. Gibt’s nicht? Doch, die Methode „Getting Things Done“ (GTD), die Managementberater David Allen im Rahmen des gleichnamigen Buches bekannt gemacht hat (dt. Titel: „Wie ich die Dinge geregelt kriege“). Um den Kopf nicht mit zu viel Kram zu belasten, ist alles – Berufliches wie Privates – konsequent aus dem Kopf zu kriegen. Wie jeder so konsequent seinen Kopf „leeren“ kann, um Platz für Wesentliches zu schaffen, weiß Tobias Müller-Zielke, zertifizierter Trainer & Coach für die Methode.

T. Müller-Zielke ()  Next Action Partners, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_25

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T. Müller-Zielke

Warum beschäftigen Sie sich mit „Getting Things Done“? Ich möchte möglichst alles so effizient und einfach wie möglich machen – um möglichst viel bewegen zu können. Deswegen beschäftige ich mich seit Ende meines Studiums mit Themen wie Prozessoptimierung und Selbstmanagement. Über den Blog lifehacker.com, der mir in diesem Zusammenhang empfohlen wurde, bin ich regelmäßig über die drei Buchstaben G, T und D gestolpert, die, wie ich dann herausfand, für „Getting Things Done“ stehen. GTD ist eine Art Baukasten mit einigen, teilweise sehr kleinen Anpassungen an den Arbeitsalltag, die allesamt dafür sorgen, dass man deutlich mehr umgesetzt bekommt und viel klarer weiß, was man überhaupt macht. Ein weiterer Effekt – und das ist das Coole dabei – man lernt, wie man ganz entspannt abschalten kann. Wer „Getting Things Done“ wirklich sauber implementiert, kann sich abends ruhig zurücklehnen. Wie das? Das ist wie mit dem Urlaub. Bevor man in den Urlaub geht, werden alle ausstehenden Aufgaben und Deadlines überprüft – eben um entspannt in den Urlaub zu fahren. Bei GTD hat man dieses Gefühl jeden Abend. Man weiß, dass man alles, was da draußen vor sich geht, im Griff hat. Was sind die Prinzipien von „Getting Things Done“? Die Prinzipien lassen sich auf 5 Schritte reduzieren: Sammeln, Verarbeiten, Organisieren, Durchsehen und Erledigen. Für jeden dieser Schritte gibt es kleine und größere Änderungen hinsichtlich der Herangehensweise. Knapp zusammengefasst heißt das bezüglich des Sammelns: Die diversen Dinge, die auf uns einströmen – egal ob Telefonat, Brief, Gespräch, E-Mail oder die Idee unter der Dusche –, werden außerhalb unseres Kopfes in einem „Briefkasten“ gesammelt. Das heißt, wir schreiben beispielsweise die Idee nach dem Duschen auf und werfen den Zettel im Büro oder Zuhause in den Posteingangskorb. Ich persönlich sammle am liebsten digital, indem ich mir einfach selbst eine E-Mail schreibe. Damit nichts verloren geht ist es sinnvoll, einerseits so wenige „Briefkästen“ wie möglich, andererseits sie an einer festgelegten Stelle zu haben. Beim Verarbeiten klären wir regelmäßig für jede einzelne „Sache“ im Briefkasten, was es ist, ob wir etwas damit tun müssen, und wenn ja, was. So lassen sich zum Beispiel übervolle E-Mail-Posteingänge sehr schnell um 50 Prozent und mehr reduzieren, weil wir mit vielen Dingen einfach überhaupt nichts tun müssen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch das Delegieren. Bereits beim Verarbeiten prüfen wir, ob das Thema delegiert werden kann oder sollte. Dieses Element kann insbesondere für überlastete Führungskräfte sehr wertvoll sein. Das Organisieren erfolgt in einem System von Listen, ähnlich wie bei einem Kalender, auf den wir uns verlassen können. Der Kalender ist auch nur eine Liste – nur in einer besonderen Darstellung. Niemand würde je auf die Idee kommen, sich seine Termine nur im Kopf zu merken. Genauso sollte es bei den Themen sein, an denen man arbeitet. Dieser Schritt erfolgt in der Praxis nahezu zeitgleich mit dem Verarbeiten.

25  Interview: „‚Getting Things Done‘: …

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Mit dem Durchsehen prüfen wir regelmäßig, ob alles im System und dort am richtigen Ort ist. Dafür gehen wir ab und zu einen Schritt zurück, um sicherzustellen, dass wir auch an den für uns wichtigsten Themen arbeiten. So passiert es weniger oft, dass wir nur an den Dingen arbeiten, die wir am spannendsten finden oder bei denen am lautesten geschrien wird. Hier entfaltet GTD seine volle Wirkung. Beim Schritt Erledigen widmen wir uns nach ein paar Grundregeln den Dingen, die erledigt werden müssen. Dabei lassen wir aber auch viel Raum für Dinge, die nicht geplant sind. Natürlich geht es hierbei nicht nur um das Arbeiten nach dem System, sondern auch um die Freiheit zu wissen, was an Themen alles ansteht. Die schönsten Dinge, die ich in meinem Leben gemacht habe, waren nicht geplant, aber ich konnte sie tun, weil ich wusste, dass ich alles andere im Griff habe. Eben wie im Urlaub, da weiß ich auch, dass nichts anbrennt. Dementsprechend kann ich mich in meiner Freizeit treiben lassen und mit gutem Gewissen das tun, was mir Spaß macht. Das heißt, mit GTD kann man selbstbestimmter arbeiten? Genau. Je nach Arbeitsumfeld in dem Rahmen, in dem es Sinn macht. Es ist aber auch nicht jeder dafür gemacht, komplett selbstbestimmt zu arbeiten. Manche Menschen brauchen eine entsprechende Orientierung. Wer GTD im Unternehmen einführen möchte, sollte vorab ein Seminar besuchen oder sich selbst am Arbeitsplatz coachen lassen, um die Methode kennenzulernen. Dabei ist das Coaching die effizienteste Methode, mit GTD anzufangen – quasi der „Turbo“, der oft von leitenden Angestellten gewählt wird. Das bietet sich insbesondere an, wenn man überlastet ist und wieder den Überblick gewinnen will. Andere typische Situationen für ein Coaching sind beim Funktionswechsel oder wenn man als Produktivitätsjunkie hungrig auf die letzten Prozent Produktivitätssteigerung ist. Wie würdest Du empfehlen, GTD in einer Firma zu testen bzw. einzuführen? Macht das überhaupt als Methode für alle Sinn? Um die Methode in der Firma bekannter zu machen, macht es Sinn, ein Seminar in der eigenen Firma anzubieten. Das ist die effizienteste und nachhaltigste Methode, seinen Mitarbeitern GTD näherzubringen. Jeder, der eigeninitiativ arbeiten und möglichst viel bewegen will, wird von „Getting Things Done“ angezogen. Wichtig ist aber auch, dass die Methode niemandem aufgezwungen wird. Selbstmanagement ist etwas sehr Persönliches, da sollte jeder Mitarbeiter die Freiheit haben, selbst für sich zu entscheiden, was für ihn am Besten funktioniert. In der Regel nimmt aber jeder Teilnehmer etwas aus dem Seminar mit. Denn auch jedes einzelne, kleine Element der Methode kann die Produktivität schon deutlich steigern. Wie sieht der Nutzen von „Getting Things Done“ konkret aus? Mit GTD ist es möglich, eine bessere, vernünftigere Struktur in die eigene Arbeit zu bekommen sowie einen Überblick darüber, was eigentlich wichtig ist. Vor allem aber hilft es zu unterscheiden, was relevant ist. Bei Lufthansa Airplus haben wir eine Umfrage

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T. Müller-Zielke

bei ehemaligen Seminarteilnehmern durchgeführt - dabei haben über 60 % haben eine Produktivitätssteigerung von 20 % angegeben. Das entspricht einem zusätzlichen Tag in der Woche, an dem man das Richtige und Wichtige tun kann. Was braucht es, um „Getting Things Done“ für sich nachhaltig zu machen? Wie bei vielem im Leben ist auch für „Getting Things Done“ etwas Disziplin nötig. Dementsprechend muss man sich regelmäßig die Zeit nehmen und überprüfen, ob das System noch vollständig und aktuell ist. Ansonsten verliert man das Vertrauen, dass man sich darauf verlassen kann. Die Methode funktioniert im Endeffekt wie ein Kalender. Wenn ich jemanden frage, was er nächste Woche am Mittwoch um 14 Uhr macht, überlegt er nicht lange, sondern schaut in seinem Kalender nach. „Getting Things Done“ ist genau das für alles, was wir erledigen wollen oder müssen. Niemand käme je auf die Idee, alle seine Termine im Kopf zu behalten. Auch der Kalender ist nur eine Liste in einer besonderen Darstellungsform. Mit GTD findet die Übersicht über das, was man tun will, nicht mehr alleine im Kopf statt, sondern wird durch ein System unterstützt, dem man vertraut. Dipl.-Phys. Tobias Müller-Zielke  ist einer von 22 Menschen weltweit, die dafür zertifiziert sind, Getting Things Done zu coachen. Er ist als freier Trainer und Coach für Next Action Partners in Berlin tätig, dem exklusiven Lizenznehmer für Getting Things Done in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er bietet in diversen Großstädten Produktivitäts-Stammtische an.

Lernende Service-Organisationen

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Kai Altenfelder

Zusammenfassung

Veränderungsvorhaben in Unternehmen können durch geeignete Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung gezielt in ihrer Wirksamkeit verbessert werden. Häufig wird die Einführung neuer Methoden und Arbeitsweisen allerdings von Fachabteilungen in Eigenregie vorgenommen. Dabei werden viel zu oft die Schwerpunkte auf fachlich-technische Aspekte gelegt. Die Bedenken und Vorbehalte der Anwender gegenüber der Veränderung werden ignoriert. An diesem Widerstand scheitern letztlich viele Vorhaben. Eine HR-Abteilung, die solche Vorhaben konzeptionell und methodisch mitgestaltet, kann vielen Projekten zu mehr Wirksamkeit verhelfen.

K. Altenfelder ()  pro accessio GmbH & Co. KG, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_26

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K. Altenfelder

Service-Abteilungen zu lernenen Organisationen machen

Die Wirksamkeit von Veränderungsvorhaben in Unternehmen kann durch geeignete Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen gezielt verbessert werden. Häufig wird die Einführung neuer Methoden und Arbeitsweisen aber von Fachabteilungen in Eigenregie vorgenommen. Die Folgen: Viel zu oft werden die Schwerpunkte auf fachlich-technische Aspekte gelegt. Die Bedenken und Vorbehalte der Anwender gegenüber der Veränderung werden ignoriert. Und viele Vorhaben scheitern letztlich an diesem Widerstand. Eine HR-Abteilung, die solche Vorhaben konzeptionell und methodisch mitgestaltet, kann vielen Projekten zu mehr Wirksamkeit verhelfen. Digitalisierung erfordert neue Methoden und Kompetenzen Globalisierung, Digitale Transformation und demografischer Wandel sind nur einige der Herausforderungen für Unternehmen in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts. Was sich schon seit geraumer Zeit abzeichnet ist, dass die Unternehmen diesen Herausforderungen nur eingeschränkt gewachsen sind: „Angesichts der demografischen und technologischen Entwicklungen werden herkömmliche Führungs- und Personalmanagement-Methoden nicht ausreichen“, so eine Deloitte-Studie aus dem Jahr 2014 [1]. In Folge werden zahlreiche Projekte in den Unternehmen gestartet, um die Organisationen umzubauen, neue Methoden einzuführen und die Mitarbeitenden zu befähigen. Große Summen Geld werden investiert, um neue Infrastrukturen zu schaffen, bestehende (Software-)Werkzeuge abzulösen und Arbeitsabläufe an veränderte Gegebenheiten anzupassen. Alles mit dem Ziel, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit wenn schon nicht auszubauen, so doch mindestens zu erhalten. Woran scheitern Projekte? Meine Erfahrungen zeigen, dass aus den unterschiedlichsten Gründen längst nicht alle dieser Projekte erfolgreich sind: • • • • • •

fehlende Strategie unklare, unvollständige, sich ändernde Anforderungen zu viel Komplexität zu große Projekte unklare Rollenverteilung im Projekt Widerstand der Benutzer

Jeder einzelne dieser Gründe ist zum Scheitern geeignet, insbesondere dann, wenn mehrere gleichzeitig auftreten. Und einige der aufgeführten Gründe sind eher strategischer Natur oder handwerklichen Fehlern im Projektmanagement geschuldet. Der letzte Grund, „Widerstand der Benutzer“, hat seine Ursache zu großen Teilen in der Unternehmenskultur. Dieser Widerstand resultiert u. a. aus fehlender Kenntnis um die Ziele der Projekte, mangelnder Einbindung in die Ausgestaltung der neuen Abläufe und der daraus empfundenen Fremdbestimmung.

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So lässt sich die Aussage aus einer Forrester-Studie verstehen, dass 52 % aller ITSM-Projekte nicht wegen fachlich-technischer Probleme, sondern aufgrund der inneren Haltung, dem Verhalten der Mitarbeiter und der Unternehmenskultur scheitern [2]. Anhand des folgenden Beispiels wird deutlich, wie solche Projekte gelingen und welchen Beitrag die HR-Abteilung dazu leisten könnte. Beispiel: Lernende Organisationen – Wissensmanagement im Service In diesem Beispiel geht es um die Einführung der Wissensmanagement-Methodik Knowledge Centered Service (KCS®)1 in die Servicecenter von Unternehmen. Der Begriff Servicecenter ist dabei weit gefasst, vom technischen Support bis hin zu Shared Service Center für z. B. HR, Legal und Facility Management. Dabei ist deren gemeinsamer Nenner die wissensintensive Zusammenarbeit von Menschen. Die KCS-Methode soll in diesen Centern den Wandel hin zu einer lernenden Organisation bewirken. Als direkte Folge der Digitalisierung entstehen in vielen Unternehmen derzeit neue Geschäftsmodelle, die es ohne die Verfügbarkeit von Daten nicht gäbe. Die sogenannte „Servitization“ ist der Wandel weg von der Lieferung von Produkten, hin zu der Verfügbarmachung von Fähigkeiten und der Lieferung von Ergebnissen. Der Produzent wird zum Dienstleister und dem Thema Service kommt höhere Bedeutung zu. Kann ein Kunde die Dienstleistung nicht nutzen, z. B. durch eine Störung, eine mangelnde Eigenschaft der Lösung oder das Unvermögen des Kunden in der Anwendung, verdient der Dienstleister kein Geld. Es liegt daher in dessen Interesse, Störungen möglichst schnell zu beheben. Darum bieten Dienstleister Unterstützungsleistungen wie Support und Service an. Service = Customer Success Um Störungen zu minimieren und die Wertaneignung der Kunden durch bessere Nutzung der Dienste zu maximieren, bedarf es aktuelles Produkt- und Lösungswissen. Weil jedes einzelne Mitglied in der Serviceorganisation allerdings nur über eingeschränktes Wissen verfügt, das Kollektiv aller Mitglieder der Organisation hingegen immer mehr weiß, sollte Ziel des Wissensmanagements sein, das kollektive Wissen der Organisation verfügbar zu machen. Sind dabei Serviceorganisationen über mehrere Standorte oder gar Zeitzonen verteilt, erschwert das den direkten Austausch unter den Servicekräften. Dann sind zentralisierte Softwarelösungen wie Wissensdatenbanken sinnvoll. Die nämlich ermöglichen das gemeinsame Erfassen, Pflegen und Recherchieren von Wissen. „Kollektives Wissen verfügbar machen“ klingt banal, ist jedoch eine große Herausforderung [3]: • In der Regel kommen Wissensarbeiter aufgrund des Anfragevolumens im Service nicht zum zeitnahen Dokumentieren. Dadurch geraten wichtige Details in Vergessenheit. • Fehlende Strukturen in Artikeln und Datenbank erschwert das Auffinden relevanter Inhalte. 1KCS®

ist eine Servicemarke des Consortium for Service Innovation.

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K. Altenfelder

• Vorhandene Softwarelösungen sind nicht in den Arbeitsfluss integriert und somit umständlich zu bedienen. • Wissensarbeiter müssen befürchten, sich durch die Dokumentation ihres Wissens überflüssig zu machen. • Die vorherrschende Kultur in vielen Servicecentern hofiert den (All-)Wissenden mehr, als dass sie das Teilen von Wissen fördert. Daher wird der persönliche Nutzen des Teilens für die einzelnen Mitglieder nicht ersichtlich. • Bei der Einführung von Wissensmanagement-Lösungen liegt der Fokus oft auf Software und Tools, weniger auf Inhalten und Kommunikation. Um all diese Fehler zu vermeiden, hat sich die Orientierung an einem Framework bewährt, das die meisten genannten Aspekte berücksichtigt. Erfolgreiches Framework für das Wissensmanagement im Service Seit über 25 Jahren existiert die KCS-Methode. Während in den USA nahezu die Hälfte aller größeren Serviceorganisationen danach arbeiten [4], ist die Methode im deutschsprachigen Raum weitestgehend noch unbekannt. Sie setzt auf ein breites akademisches Fundament und bezieht dabei zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse zu agilen Methoden, Motivation von Wissensarbeitern, Zusammenarbeit und Wissensentstehung ein [5]. Entwickelt und gepflegt wird die KCS-Methode vom Consortium for Service Innovation, einer non-profit-Allianz von Technologieunternehmen [6]. Wie geht KCS? Der KCS-Methodik liegen vier Prinzipien zugrunde [7]: • • • •

Abundance (Wissen wird mehr, wenn man es teilt Create Value (Aufgaben erledigen, Ziele verfolgen) Demand Driven (Wissen ist ein Nebenprodukt der Problemlösung) Trust (einbeziehen, befähigen, motivieren)

Das allein ist ein gewaltiger Unterschied zur Kultur vieler mir bekannter Serviceorganisationen, in denen Wissen typischerweise als Herrschaftswissen verstanden wird: Je mehr jemand weiß, desto höher ist sein Stellenwert in der Organisation. Oft werden Vorgaben gemacht, die rein auf Aktivität abzielen (möglichst viele Vorgänge bearbeiten) und nicht auf den Nutzen für Kunden und Unternehmen. Daher liefern viele Wissensdatenbanken prophylaktisch Inhalte zu einer Bandbreite an Fragestellungen, die weit über Kundenbedürfnisse hinausgehen. Selbst wenn die Bedürfnisse existierten, man würde sie schlicht nicht im Heuhaufen der Information finden, da sie nicht im Kontext des Kunden erstellt und formuliert wurden. Leider herrscht in vielen Organisationen noch immer eine Kultur des Misstrauens („Wenn ich mein Wissen dokumentiere, mache ich mich überflüssig.“, „Unsere Leute können vielleicht telefonieren, aber gewiss nicht schreiben.“). Diese überkommene Haltung

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Abb. 26.1  KCS Doppelschleifenmodell/© Consortium for Service Innovation

adressiert KCS in einem Doppelschleifenmodell mit acht definierten Praktiken, jeweils vier im sogenannten „Solve Loop“ und im „Evolve Loop“ (siehe Abb. 26.1). Die Praktiken des Solve-Loop beschreiben die tägliche Arbeit der Wissensarbeiter. Sie integrieren die Wiederverwendung, die Verbesserung und – falls noch nicht ­vorhanden – die Dokumentation von Wissen in den Problemlösungsprozess. Der Wissensbestand wird dabei nur nachfragebasiert aktualisiert. So entsteht eine Datenbank, die das jeweils aktuelle kollektive Wissen der Organisation widerspiegelt. Die Praktiken des Evolve-Loop definieren hingegen die Abläufe der Serviceorganisation sowie die Funktion einer Feedbackschleife. Sie beschreiben Aufbau und Strukturen der Wissensartikel spezifisch für die jeweilige Kundengruppe. Die softwareseitige Unterstützung der Abläufe wird durch sie definiert. Ein Kennzahlensystem hilft bei der Bewertung der Wissensartikel und damit der Förderung des Lernens und Teilens. Die letzte Praktik definiert die Führungsaufgaben des Managements und gibt Hilfestellung zur Kommunikation bei der Einführung und dem Betrieb mit KCS. Was macht KCS anders als andere Methoden? Die KCS-Praktiken krempeln viele im Service typische Gewohnheiten und Glaubenssätze um (siehe Abb. 26.2): • Die Phase des Dokumentierens wird in den Moment der Interaktion, also der Problemlösung, verlegt. Hier wird implizites Wissen explizit – der perfekte Zeitpunkt zur Erfassung, alle Details sind frisch. • Der Arbeitsablauf sieht die frühe Suche in der Wissensdatenbank zwingend vor. So kann bereits vorhandenes Wissen frühzeitig gefunden werden, die redundante Erarbeitung von Lösungen wird reduziert.

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K. Altenfelder

Abb. 26.2  KCS-Workflow/© Kai Altenfelder

Existiert noch kein verfügbares Wissen, wird eine neue Lösung erarbeitet. Ist die Lösung später unvollständig oder veraltet, wird sie zum Zeitpunkt des erneuten Gebrauches gezielt überarbeitet. Weil unfertige, sich noch in Bearbeitung befindliche befindende Artikel in der Wissensdatenbank-Suche angezeigt werden, kann Kollaboration zwischen den Mitarbeitern bestehen („Mein Kunde hat ein ähnliches Problem wie deiner, lass uns zusammen daran arbeiten.“). Als Definition einer fertigen Lösung versteht KCS „sufficient to solve“, was übersetzt etwa „gut genug“ (ohne den im Deutschen leicht negativen Anklang) bedeutet. Was eine konträre Haltung zu dem sonst häufigen Perfektionismus in technischen Organisationen ist. Dabei beinhaltet die Methode ein Rollenmodell, das die Wissensarbeiter zum Erzeugen, Überarbeiten und Publizieren der Artikel berechtigt. Mit dem Ziel, möglichst so viele Mitarbeiter mit Publikationsrechten auszustatten, dass es nicht zu einem Rückstand freizugebender Artikel kommen kann – jede/r kann und sollte schreiben! Und weil die Wissensdatenbank Auswertungen darüber liefert, welche Artikel häufiger als andere verwendet bzw. als hilfreich gekennzeichnet werden, ist so die Wertschätzung der Arbeit der Wissensarbeiter sichtbar. Aus den gleichen Kennzahlen ergeben sich Hinweise für Lern-Gelegenheiten: Wer ist im Prozess noch nicht sattelfest und braucht Hilfestellung? Dabei sieht die Methodik die Begleitung der Wissensarbeiter durch „KCS-Coaches“ als festen Bestandteil für eine erfolgreiche Umsetzung explizit vor. Dazu später aber mehr.

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Durch das Doppelschleifenmodell von KCS werden sowohl die Abläufe effizienter (Wiederverwendung bestehenden Wissens, kürzere Antwortzeiten, nachfragebasierte Bearbeitung von Artikeln) als auch die Organisation effektiver (Kümmern wir uns um das richtige Wissen? Stiften wir Kundennutzen? Belohnen wir Kollaboration, anstatt die Anhäufung von Herrschaftswissen?). Eine selbstorganisierte, eine lernende Organisation entsteht [8]. Das Consortium for Service Innovation stellt mit dem KCS Practices Guide [9] und dem KCS Adoption Guide [10] zwei umfangreiche Dokumentation unter einer Creative Commons-Lizenz (BY-NC 4.0) zur Verfügung. Fallstudien Auf ihrer Webseite listet die dem Consortium angeschlossene KCS Academy eine ganze Reihe von Fallstudien [11]. Daraus sollen zwei exemplarisch genannt sein: Der Marktführer von cloudbasierten CRM-Lösungen Salesforce.com setzt KCS intern im HR-Bereich ein. Das stark wachsende Unternehmen sieht sich mit immer wiederkehrenden Fragen neu eingestellter Mitarbeiter konfrontiert. Diese Fragen einmal zu beantworten und zum Wiedergebrauch in einem Selfservice-Portal zu verwenden, war Anlass für Salesforce.com die KCS-Methodik im HR-Bereich einzuführen [12]. Die Geschwindigkeit, mit der bekannte Lösungen den eigenen Kunden zur Verfügung gestellt werden kann, hat direkte Auswirkungen auf Kundenzufriedenheit und -bindung. Der Quest Software Inc. ist es mit KCS gelungen, 90 % ihres Wissens in dem Moment öffentlich zur Verfügung zu stellen, in dem die Lösung als gesichert gilt [13]. Wie kann HR helfen? Das Beispiel KCS zeigt, dass die Einführung einer neuen Methode nicht allein mit dem Erlernen von Handgriffen getan ist. In der alten Software war der Knopf links angeordnet, in der neuen ist er rechts – so einfach ist es selten. Vielmehr müssen die Wissensarbeiter ihre gewohnten Arbeitsabläufe maßgeblich umstellen. Im Extremfall werden Glaubenssätze infrage gestellt: • Je mehr man weiß, desto angesehener ist man. • Wer genug weiß, dem wird schon nicht gekündigt. • Wer die meisten Anfragen pro Tag bearbeitet, ist Sieger. • Lösungen müssen perfekt sein. • Selbsterfüllende Prophezeiung: „Weil in der Wissensdatenbank keine sinnvollen Inhalte stehen, nutze ich sie nicht.“ Um zu einer lernenden Organisation zu werden, sollten alle Mitglieder darauf vertrauen können, dass Lernen und Teilen gewollt und wertgeschätzt wird. Sowohl Wissen zu dokumentieren als auch neues Verhalten zu üben kostet Zeit. Wer als Führungskraft Wissensmanagement einführen will und gleichzeitig die Vorgaben und Kennzahlen unverändert lässt, sendet das falsche Signal. HR kann hier Hilfestellung leisten, das neue Führungsverhalten zu definieren sowie die Umsetzung begleiten.

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Und weil sich die Motivatoren von Wissensarbeitern von denen anderer Berufsgruppen unterscheidet, funktionieren auch nicht die üblichen extrinsischen Anreize („X Euro pro geschriebenen Artikel“). Stattdessen sollten die Motivatoren • Selbstbestimmung (Autonomy) • Sinnhaftigkeit (Purpose) • Fähigkeiten verbessern (Mastery) angesprochen werden [14]. Die Selbstbestimmung der Wissensarbeiter adressiert KCS durch deren Einbeziehung in die Erarbeitung von Arbeitsabläufen und Vorlagen. Dahinter steht die Einsicht, dass das Management solche Dinge häufig unnötig verkompliziert. Und es sind die Wissensarbeiter, die die Abläufe leben müssen – dementsprechend sollten auch sie diese gestalten. Die Sinnhaftigkeit wird dadurch erlebt, dass über das Kennzahlensystem die Wissensarbeiter direktes Feedback zum Nutzen ihrer Beiträge erhalten: Wie oft wurde ein Artikel wieder verwendet, wie oft als hilfreich gekennzeichnet? Die Kundenzufriedenheit zu messen ist schwieriger als eine Anzahl Vorgänge pro Tag zu zählen oder Gesprächsminuten am Telefon zu stoppen. Doch wenn der Anstieg der Kundenzufriedenheit als Folge von besserem Service dargestellt werden kann, stellt sich ein Gefühl der Erfüllung ein: „Als Kollektiv haben wir diesen Kunden geholfen, produktiver zu sein. Und ich bin ein Teil davon“. Sein eigenes Wissen mithilfe der Wissensdatenbank zu erweitern kann allerdings nur funktionieren, wenn man sich auf die Qualität der Inhalte verlassen kann. Dazu braucht es eine Haltung der gemeinsamen Verantwortlichkeit und das Vertrauen, dass alle im gleichen Maße geben und nehmen: Wissen wird mehr, wenn man es teilt. All diese Einsichten werden sich nicht einstellen, nur weil wir im Zuge der Methodeneinführung bunte Powerpoint-Folien zeigen. Kognitiv werden die meisten Menschen diese Argumente verstehen und bejahen. Doch es bleibt der Zweifel: Meinen die das ernst? Was habe ich persönlich davon? Hier sehe ich die wichtigste Rolle, die eine HR-Abteilung bei solchen Projekten spielen könnte. Die fachlichen Führungskräfte aus dem Service haben in der Regel keine Schwierigkeiten damit, die Technik zu implementieren, die Prozesse zu definieren und Vorlagen zu gestalten. Wo sie sich in meiner Beobachtung aber schwertun, ist die Stakeholder-Analyse im Zuge einer Veränderungsmaßnahme. Wer ist alles betroffen? Wer muss mit einbezogen werden? Wer vertritt welche Interessen? „Buy-in“ aller Stakeholder ist nötig Nur wenn diese Analyse vollständig und stimmig ist, wird es möglich sein auf die jeweiligen Vorbehalte und Befindlichkeiten einzugehen. Meines Erachtens kann HR hier methodisch bei der Analyse helfen: entweder durch Moderation interdisziplinärer Workshops oder die Reflexionsfähigkeit der Führungskräfte durch zirkuläre Fragen zu fördern. Ein geeignetes Canvas kann zur Erarbeitung

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der Inhalte für den von KCS vorgesehenen „Strategic Framework“ verwendet werden. Dieses Dokument stellt die Beziehung zu den Unternehmenszielen her und beschreibt, wie mit KCS die jeweiligen Ziele unterstützt werden.2 Die Geschäftsführung eines Unternehmens wird eher an strategischen Aussagen interessiert sein: Wie hilft uns die Methodik, Kosten zu sparen, vorhandene Ressourcen bestmöglich zu nutzen und gleichzeitig die Kundenzufriedenheit zu erhöhen? Das mittlere Management der Serviceorganisation hat erfahrungsgemäß die größten Verhaltensänderungen vorzunehmen. Bisherige Kennzahlen und Steuerungsinstrumente verlieren an Bedeutung, dafür muss nun Raum für das Lernen und Teilen geschaffen werden. Die Anreize dazu müssen anders gesetzt werden als bisher. Zu oft werden heute Ziele auf Kennzahlen gesetzt, die lediglich Aktivitäten messen. Viel wichtiger wäre eine Neubesinnung auf solche Kennzahlen, die ein für Kunden nützliches Ergebnis messen. Das erfordert häufig radikales Umdenken und muss daher in vielen Fällen moderiert werden. Meistens sind es die Wissensarbeiter, denen der Umstieg auf KCS am wenigsten Schwierigkeiten bereitet. Dazu müssen sie allerdings das Vertrauen entwickeln können, dass ihr Wissen und ihre Lösungsexpertise auch nach der Befüllung der Wissensdatenbank dem Unternehmen noch wichtig sind. Hier herrschen meist die größten Vorbehalte. Wenn Führungskräfte im Zuge der Einführung von „Kosteneinsparungen“ und „Synergieeffekten“ sprechen, ist das für die Vertrauensbildung nicht förderlich. Diese Erkenntnisse werden leichter gewonnen, wenn sie nicht nur verbal argumentativ untermauert, sondern auch durch geeignete (hypno-)systemische Interventionen erlebbar gemacht werden. Die Aussage „Wenn wir andere Ergebnisse erzielen wollen, müssen wir unser Verhalten ändern“ lässt sich leicht sagen und abnicken. Das Erlebnis selber multimodal zu erfahren, macht jedoch den entscheidenden Unterschied aus. Hier kann eine HR-­ Abteilung mit entsprechender Kompetenz in der Entwicklung von Veränderungsdesigns und deren Durchführung wirksam unterstützen. Eine wichtige Komponente bei der Einführung von KCS als Methode zum Wissensmanagement ist das Coaching der Wissensarbeiter im Prozess. Die Rolle von KCS-­ Coaches wird dabei so verstanden, dass diese die Mitarbeitenden dabei unterstützen, die KCS-Praktiken besser zu leben und verständliche Wissensartikel zu verfassen. Die besten Ergebnisse haben Serviceorganisationen mit Coaches erzielt, die aus der Mitte der Wissensarbeiter heraus in Teilzeit diese Aufgabe wahrnehmen. In Teilzeit deswegen, weil sie weiterhin selber Service-Arbeit machen müssen, damit ihr methodischer Rat von ihren Kollegen akzeptiert wird. Die Erfahrung zeigt, dass der Bedarf an Coaching im Verlauf der Einführung zwar ständig abnimmt, doch nie verschwindet. Ein häufiger Fehler betrifft die Auswahl geeigneter Coaches. Hier werden im Reflex oft die

2Das

„KCS Strategic Framework Canvas“ ist abrufbar unter https://changingthegame.de/kaialtenfelder.

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K. Altenfelder

Mitarbeiter ausgewählt, die das größte fachliche Wissen haben. In vielen Fällen sind das jedoch nicht die Menschen, deren Rat gerne angenommen wird.Eine HR-Abteilung kann bei der Auswahl geeigneter Coaches mithilfe einer „Organizational Network Analysis“ [15] behilflich sein. Denn dieses Verfahren ermittelt innerhalb einer Organisation diejenigen Personen, die das höchste Vertrauen genießen und deren Rat aktiv gesucht wird. Sie haben aufgrund ihrer Persönlichkeit das beste Potenzial für eine Coach-Rolle, welches durch ein abgestimmtes Coach-Training noch verbessert werden kann. Fazit

Die Wirksamkeit von Veränderungsvorhaben in Unternehmen kann durch geeignete Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen gezielt verbessert werden. In vielen Fällen sind die Projekte zu technokratisch konzipiert und sehen im besten Falle reine Produktschulungen (z. B. an neuer Software) vor. Dies geschieht entweder aus Unwissenheit um geeignete Interventionen oder durch Unverständnis über deren Notwendigkeit. Das ist aus heutiger Sicht unverständlich. Bereits vor 20 Jahren wurde von Brynjolfsson und Hitt wissenschaftlich belegt, dass die höchsten Produktivitätssteigerungen in Unternehmen sich bei einem Investitionsverhältnis von 1:10 zwischen Hard- und Software gegenüber Trainings- und Coachingmaßnahmen erzielen lassen [16]. Damit HR-Abteilungen solche Unterstützung leisten können, muss ihre Rolle innerhalb des Unternehmens entsprechend definiert sein. Sie müssen über ausreichend qualifizierte Mitarbeiter verfügen, sowohl mit Methoden-Kompetenz als auch Kenntnis der Verfahren in den Fachabteilungen. Um in der Vorstandsetage als Gestalter wahrgenommen zu werden, muss HR gestalten können und wollen.

Literatur 1. https://extrajournal.net/2014/03/12/deloitte-studie-unternehmen-sind-nur-unzureichend-fuer-die-arbeitswelt-des-21-jahrhunderts-geruestet/ (abgerufen am: 29.06.2018) 2. Forrester Research, 01.09.2006: “ITIL Simulators Demonstrate The Value Of Process Models” 3. http://www.community-of-knowledge.de/beitrag/vorgehensweise-bei-der-einfuehrung-von-wissensmanagement/ 4. HDI: The State of Today’s IT: Process Maturity, Business Alignment, and Digital Transformation (2017) https://www.thinkhdi.com/landing/State_Of_IT_Report_2017 (abgerufen am: 29.06.2018) 5. https://library.serviceinnovation.org/KCS/KCS_Principles_and_Core_Concepts/040 (abgerufen am: 29.06.2018) 6. http://www.serviceinnovation.org/ (abgerufen am: 29.06.2018) 7. https://library.serviceinnovation.org/KCS/KCS_Principles_and_Core_Concepts/020 (abgerufen am: 29.06.2018) 8. https://de.wikipedia.org/wiki/Lernende_Organisation (abgerufen am: 29.06.2018) 9. KCS Practices Guide https://library.serviceinnovation.org/KCS/KCS_v6/KCS_v6_Practices_ Guide (abgerufen am: 29.06.2018)

26  Lernende Service-Organisationen

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10. KCS Adoption Guide: https://library.serviceinnovation.org/KCS/KCS_v6/KCS_v6_Adoption_ Guide (abgerufen am: 29.06.2018) 11. http://www.thekcsacademy.net/kcs/kcs-resources/ (abgerufen am: 29.06.2018) 12. http://www.serviceinnovation.org/included/docs/SFDCEmployeeSuccess.pdf (abgerufen am: 29.06.2018) 13. http://www.serviceinnovation.org/included/docs/quest_90_0_case_study.pdf (abgerufen am: 29.06.2018) 14. Drive: Was Sie wirklich motiviert, Daniel H. Pink, Ecowin Verlag, 5. Auflage 2010 15. https://library.serviceinnovation.org/KCS/KCS_v6/KCS_v6_Adoption_Guide/020_Phase_2_ Adopting/010_Preparing_for_Wave_I/020_KCS_Coaching_Program (abgerufen am: 29.06.2018) 16. http://cacm.acm.org/magazines/1998/8/8097-beyond-the-productivity-paradox/abstract (abgerufen am: 29.06.2018) Bevor Kai Altenfelder  sich selbstständig machte, hat er Führungspositionen in Serviceorganisationen der Softwarebranche inne gehabt. Sein Unternehmen „pro accessio“ berät Unternehmen bei der Entwicklung von Strategien und Geschäftsmodellen, der Modellierung und Adaption von Geschäftsprozessen und deren Umsetzung in der Organisation. Dabei stammen die Kunden überwiegend aus Technologie-Branchen wie IT, Luft- und Raumfahrt und Maschinenbau. Kai Altenfelder ist derzeit der einzige KCS-Trainer im deutschsprachigen Raum. https://www.pro-accessio.de/ https://changingthegame.de/kai-altenfelder

Interview: „Soziokratie: Organisationsmodell der Zukunft?“

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Sven Latzel

Zusammenfassung

Die Soziokratie ist ein Organisationsmodell, in dem Konsens herrscht: Alle Mitarbeiter treffen gemeinsam Entscheidungen. Möglich macht das eine Kreisstruktur, bei der alle Mitarbeiter auf Augenhöhe agieren. Die Soziokratie schafft allerdings nicht die klassische lineare Struktur ab. Vielmehr ersetzt sie die personelle Hierarchie durch eine inhaltliche. Wie genau das funktioniert, erklärt Sven Latzel.

S. Latzel ()  NXTSTG.ORG, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_27

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S. Latzel

Soziokratie ist eine Organisationsform zur Umsetzung von Selbstorganisation. Wie genau funktioniert das? Im Prinzip ist es ziemlich einfach: Selbstorganisation passiert immer dann, wenn man Raum dafür lässt. In den klassisch hierarchischen Organisationsmodellen haben Mitarbeiter normalerweise wenig Spielraum. Sie müssen bei vielen Dingen ihren Chef fragen, was eher eine „Fremdorganisation“ ist.In der Soziokratie werden statt Titeln Rollen definiert, die durch eine offene Wahl besetzt werden. Jede Rolle zeichnet sich durch Verantwortlichkeiten, aber auch, und das ist ganz wichtig, Hoheitsgebieten aus. Diese Hoheitsgebiete ermöglichen es, dass jeder seine Arbeit so autonom wie möglich erledigen kann. Damit nicht jeder für sich in seiner Rolle vor sich hin arbeitet, gibt es regelmäßig Treffen: Einerseits Arbeitstreffen, in denen man sich über den aktuellen Forstschritt in Projekten und die Erledigungen von wiederkehrenden Aufgaben auf dem Laufenden hält. Andererseits Steuerungstreffen, in denen man die Zusammenarbeit untereinander und die Verantwortlichkeiten definiert. Für welche Arten von Unternehmen ist Soziokratie sinnvoll? An sich für jede Art Unternehmen, Organisation und Zusammenschluss von Menschen, die zusammen einem gemeinsamen Zweck und Sinn nachgehen. Sowohl kleine Startups als auch große Konzerne können die Prinzipien, auf denen Soziokratie aufbaut, für sich entdecken und implementieren. Dabei muss es nicht immer gleich die Soziokratie wie aus dem Lehrbuch sein, falls es aufgrund von Größe oder anderer Rahmenparameter nicht passen sollte.Sehr gute Beispiele von großen bis sehr großen Unternehmen, die diese Prinzipien bereits nutzen, bietet das sehr gute Einstiegsbuch „Reinventing Organizations“ von Frederic Laloux. Hier geht es zwar nicht klassisch um die Soziokratie, ist aber eng damit verwandt. Aktuelle Beispiele für Unternehmen, die die Soziokratie oder ähnliches nutzen, bieten Blogs wie Corporate Rebels (corporate-rebels.com) oder Enlivening Edge (www.enliveningedge.org). Und auch auf der von mir, James Priest und Bernhard Bockelbrink betriebenen Webseite sociocracyworld.org finden sich viele Informationen und können sich Organisationen eintragen. Was ist der Benefit von soziokratischer Organisation für Mitarbeiter und ­Unternehmen? Arbeiten Mitarbeiter effizienter? Gehen sie lieber zur Arbeit? Für Mitarbeiter bedeuten die Prinzipien aus der Soziokratie, dass sie in ihrer Gesamtheit als Mensch stärker wahrgenommen werden sowie ihre eigene Sichtweise und ihre Talente besser einbringen können. Denn in einer soziokratischen Organisation hat jeder die gleiche Stimme und dies nicht im demokratischen Sinne. Es geht hier nicht um Mehrheiten, sondern um Vorschläge und begründete Einwände dazu. Ferner ist es viel einfacher neue Rollen zu übernehmen und dadurch neue Fähigkeiten zu lernen. Das heißt, Mitarbeiter können sich selbst stets weiterentwickeln und so die ganze Organisation voranbringen.

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Für Organisationen bedeutet Soziokratie, dass sie viel flexibler und robuster werden. Einerseits werden Entscheidungen viel schneller getroffen, getestet und im agilen Sinne gelernt. Andererseits sinkt die Fluktuation von Mitarbeitern stark, da die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen deutlich steigt. Das trifft sicher nicht auf jeden zu, aber erfahrungsgemäß auf die große Mehrheit. Auch fallen große Reorganisationen mit entsprechenden Einbußen in der Produktivität weg, da sich die Organisation stets iterativ in kleinen Schritten weiterentwickelt. Es gibt noch viele weitere positive Effekte für Mitarbeiter, Organisation, aber auch andere Protagonisten: So profitiert die Familie von einem Mitarbeiter, der Sinn und Erfüllung in seiner Arbeit findet. Und Kunden und Lieferanten von einer Organisation, die flexibel und schnell Entscheidungen trifft. Soziokratie strebt nach einwandfreien Entscheidungen. Was aber passiert mit einzelnen “Nörglern”? Wie können Unternehmen mit immer wieder neuen Einwände umgehen? In der Soziokratie werden begründete Einwände als Geschenk betrachtet und müssen behandelt werden. Das Adjektiv begründet ist hierbei äußerst wichtig. Es bedeutet, dass der Einwand einen Sachverhalt bei einem Vorschlag oder einer bereits getroffenen Entscheidung aufdeckt, der dem Sinn und Zweck der Organisation schadet oder verhindert, sodass vielversprechende Chancen nicht genutzt werden können. Wenn man einen klar definierten Zweck formuliert hat, kann man jeden Einwand sehr gut validieren und entscheiden, ob er begründet ist oder nicht. Deshalb ist es so wichtig, eben diesen Zweck für die Organisation und für jeden ihrer Verantwortungsbereiche zu definieren. Hat man nun die Grundlage, um begründete Einwände zu erkennen, wäre es nicht besonders sinnvoll, einen solchen nicht zu behandeln. Denn ignorierte und nicht behandelte „Fehler“ im System kommen irgendwann immer hoch, nur dann meistens mit bereits sehr schweren Folgen. Schon im Vorfeld integrierte begründete Einwände sind dagegen ein Geschenk. Kann es passieren, dass bei soziokratischen Entscheidungen Mitarbeiter dazu neigen, einer Lösung zuzustimmen, die sie eigentlich nicht gut finden – nur weil alles besser scheint als der Status quo? Nein, dass kann nicht passieren, da in der Soziokratie gar nicht nach Zustimmung gefragt wird. Es wird nach Einwänden und Bedenken gefragt. Begründete Einwände müssen behandelt werden und Bedenken werden dokumentiert und wahrgenommen. Reines Missfallen eines Vorschlags reicht nicht aus, um diesen abzulehnen. Ich weiß, dass die meisten sich mit dieser Art der Entscheidungsfindung erst einmal schwer tun, besonders wenn sie gewohnt waren alle Vorschläge auszudiskutieren. Da Entscheidungen immer ein Review-Datum haben, an dem sie noch mal geprüft werden, und jede Entscheidung jederzeit beim Auftauchen eines begründeten Einwands geändert werden kann, lassen sich aber meistens alle darauf ein und akzeptieren den Leitsatz: „Gut genug für jetzt und sicher genug es auszuprobieren.“

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S. Latzel

Brauche ich bei einer soziokratischen Organisation überhaupt noch eine Führungskraft? Oder anders gefragt: Macht Soziokratie das Management überflüssig? Führungskräfte, wie wir sie im Moment noch verstehen, brauchen soziokratische Organisationen nicht. Das soll aber nicht heißen, dass diejenigen die jetzt Führungskräfte sind, in einer soziokratischen Organisation keine Zukunft haben. Es braucht stattdessen Menschen, die Erfahrung haben, andere bei ihrer Entwicklung zu unterstützen und Teams zu moderieren. Die ein breites Netzwerk von Kontakten haben, um Projekte zu unterstützen und zu ermöglichen. Das Management verteilt sich auf die Schultern aller. Dadurch haben Manager sogar die Chance, wieder freier zu sein und mehr Zeit und Raum für sich und ihre Interessen zu haben. Lässt sich ein soziokratisches Kreismodell in eine traditionelle Linienorganisation einführen? Ja, um seine volle Wirkung entfalten zu können, sollte es diese aber mit der Zeit mehr und mehr ersetzen. Um es zu testen, kann man aber auch erst einmal ein Projekt oder eine bestimmte Abteilung soziokratisch organisieren. Sven Latzel  Der selbstständige Organisationsentwickler, IT-Berater und Soziokratie-Experte Sven Latzel ist Gründer und Inhaber der Nürnberger Organisations-Beratung NXTSTG.ORG und der IT-Beratung KODE7. Seit 2005 ist er unterwegs, um die Arbeitswelt effektiver, achtsamer und menschlicher zu gestalten. Zuerst mit den Mitteln der IT und in den letzten Jahren mit dem klaren Fokus auf Menschen und die Prozesse, die sie verbinden.

Impuls: Sophia von Rundstedt (CEO, v. Rundstedt & Partner GmbH) Ich bin als Unternehmerin davon überzeugt, dass Menschen unter den richtigen Umständen aus sich heraus motiviert sind, ihr Potenzial zu entfalten. Sie müssen nicht unter Druck gesetzt werden, aber ich versuche, Erwartungen deutlich zu machen und gemeinsam Ziele zu setzen. Werden diese erreicht, werden alle am Erfolg beteiligt. Stimmen die Bedingungen, macht Arbeit Spaß, und Menschen übernehmen Verantwortung. Wir bei von Rundstedt setzen dazu auf eine agile Unternehmenskultur, die Mitunternehmertum, Marktorientierung & Innovation in den Mittelpunkt stellt.

Frei und willig: Die UN-Konferenz als das Format der Zukunft

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Dorothee Brommer

Zusammenfassung

Wir befinden uns in einer Umbruchphase im Übergang von einer geschlossenen Industrie- zu einer offenen Wissens- und Könnensgesellschaft. In diesem offenen Ökosystem rückt die Bedeutung von Information, Wissen und Aktion in den Mittelpunkt. Gleichzeitig prägt die stetig zunehmende Veränderung unser Leben in allen Bereichen. Wir spüren im Arbeitsalltag den allgegenwärtigen Druck, ständig neue Ideen und Innovationen liefern zu müssen. Doch wo und unter welchen Umständen entstehen die besten Ideen?

D. Brommer ()  Dorothee Brommer Consulting, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_28

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D. Brommer

Immer wieder werde ich gefragt: „Was ist eine Unkonferenz?“ Und immer wieder höre ich mich begeistert antworten, dass es sich hierbei um ein unvergleichbares LernEvent handelt und sich die Teilnahme immer lohnt. Experten treffen aufeinander und bereichern sich gegenseitig ohne, dass ein Hauch von Langeweile und Müdigkeit entsteht. Im Gegenteil: Regelmäßig erlebe ich in diesem Kontext die unterschiedlichsten Menschen voller Energie und Enthusiasmus. Und immer wieder sehe ich Fachleute am Ende des Tages mehr als zufrieden nach Hause gehen – egal ob es sich um Mitarbeiter, Führungskräfte, Geschäftsführer oder Selbständige handelt. Genau in diesem Raum eines freiwilligen, offenen und professionellen Austauschs kann Netzwerken nachhaltig und sinnvoll sein, man kann voneinander lernen und sich weiter entwickeln. Ein WinWin-Event für alle Teilgeber. Doch was genau hat es mit einer Unkonferenz auf sich und warum können unter genau diesen Umständen die besten Ideen enstehen? Aus Erfahrung wissen wir: Ideen entstehen nie auf Knopfdruck. Sie lassen sich nicht erzwingen und ebenso wenig stehlen. Nicht selten entstehen sie weit entfernt von tristen Einheitsbüros, von zähen Besprechungen oder steifen Gesprächsrunden. Die wirklich guten Ideen entstehen und vermehren sich ganz beiläufig und ungeplant in kreativen Räumen und Umgebungen. [1] Sie entstehen besonders gerne dort, wo es freien Raum gibt, um die Gedanken schweifen zu lassen. Dort, wo eine kreative Atmosphäre inspiriert und wo Wissen gerne und ungezwungen ausgetauscht wird. Gleichzeitig lebt echte Motivation davon, dass das eigene Engagement auf Freiwilligkeit beruht. Wenn man die Wahl hat, wie und wozu man sich einbringen will. Wenn das Tun einen Sinn ergibt. [1] Sind diese Faktoren gegeben, kann etwas Unerwartetes entstehen. Etwas, das manchmal die kühnsten Erwartungen übertrifft. Etwas, das von den Beteiligten mitgetragen wird. Etwas, das nicht selten die reine Ideenphase überdauert und nach und nach umgesetzt, zum Leben erweckt wird. Unkonferenzen setzen eine intensive Energie zwischen den Beteiligten frei. Dieses agile Format ist besser als kaum ein anderes dafür geeignet, um in kürzester Zeit wertvolle Informationen auszutauschen und dabei neue Ideen zu entwickeln und auszubauen. Statt eines starr vorgegebenen Ablaufs sind sie von Selbstorganisation getragen. Statt eines vorgeschriebenen Programms reflektieren sie ausschließlich die Themen, welche die Beteiligten genau zu diesem Zeitpunkt beschäftigen. Statt klassischen Teilnehmern, die sich passiv beschallen lassen, kennt die Unkonferenz nur aktive Teilgeber, die Dinge anpacken und treiben. Das Dilemma der einseitigen Kommunikation Bereits Marie von Ebner-Eschenbach stellte fest, dass Wissen die einzige Ressource ist, die sich vermehrt, wenn sie geteilt wird. Wo und wie also können wir diese Ressource maximieren? Und wo entsteht sie überhaupt? Das meiste Fachwissen erwarte ich an einem Ort, an dem sich die höchste Dichte an kompetenten Fachleuten, „Wissenden“, befindet. Das ist nicht selten auf einer Fachkonferenz der Fall. Denn diese Veranstaltungen sind komprimiert und vollgepackt

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mit einer Menge an wertvollen Informationen. Viel entscheidender sind jedoch die Gespräche zwischen den Programmpunkten. Die, die sich in der Pause ergeben. Hier wird intensiv gesprochen, diskutiert, inspiriert und gelacht. Es entsteht eine Austauschplattform, die vom Wert für den Partizipanten mindestens so wertvoll ist wie das Vortragsprogramm selbst. Häufig stelle ich sogar fest, dass der Wert der Pausengespräche den der eigentlichen Konferenz bei weitem übersteigt. Hier knüpfe ich die besten und auch nachhaltigsten Kontakte. Hier erhalte und gebe ich Impulse, hier entstehen neue Ideen. Doch nach wenigen Minuten ist die Pause auch schon vorbei und die Kommunikation in nur eine Richtung geht weiter. Und auch wenn viele hochkarätige Köpfe auf der Bühne sind, nicht weniger hochkarätig erlebe ich oft das lauschende Fachpublikum. Doch für den Austausch mit derart wertvollen Gesprächspartnern bleibt meist keine Zeit, ist keine Zeit vorgesehen. Eher bin ich angehalten ruhig zuzuhören – egal, ob ich anderer Meinung als der Vortragende bin – und zu schweigen, um keinen anderen Teilnehmer bei der Aufnahme neuen Wissens zu behindern. Genau das muss sich ändern. Willkommen in der Welt der Unkonferenzen Eine Unkonferenz (auch BarCamp genannt) ist eine Ad-hoc-Nichtkonferenz. [2] Das intensive Format ist geprägt von Diskussionen und Interaktionen der Teilnehmer, die in Selbstorganisation das Event mitgestalten. Sie werden zu Teilgebern. Es gibt kein starres Vortragsprogramm, keine vorgegebenen Themen, keine festgelegte Agenda, keine Hierarchie. Stattdessen dominieren freiwilliges Einbringen, Raum für neue Ideen, intensiver Austausch auf Augenhöhe und echtes Netzwerken. Viele Beteiligte bestätigen mir immer wieder, dass ihr Antrieb darin liegt, ihr Wissen zu teilen, Erfahrungen auszutauschen und über Ideen, Trends und zukünftige Entwicklungen zu diskutieren. Statt frontaler Vorträge erleben Teilgeber energiegeladene Sessions1, wo eigene Themen beleuchtet und Ideen „von Enthusiasten für Enthusiasten“ [3] entwickelt werden. Alle begegnen sich im offenen Dialog unter Gleichgesinnten, mit gegenseitigem Respekt und Wertschätzung. Die Themen selbst sind brandaktuell und maximal relevant – schließlich legen alle Anwesenden diese in einer agilen Sessionplanung vor Ort selbstständig fest. Auch finden die Gespräche werbefrei statt und generell ohne die Absicht des Anbahnens von Geschäften, denn die Ressource Wissen wird höher gehandelt als die Ressource Geld. Der Weg zur Unkonferenz Die Idee der Unkonferenz stammt aus den beschriebenen Erkenntnissen, dass Kaffeepausen die mit Abstand produktivsten Phasen einer Konferenz darstellen. Diesen Gedanken folgend lud der Verleger und Softwareentwickler Tim O’Reilly, der unter

1Bei

Unkonferenzen spricht man von Sessions anstatt von Vorträgen, um die Gedanken gar nicht erst in Richtung einer Vortragsform zu lenken. Vielmehr kann es sich auch um Brainstorming-Runden, Demonstrationen, Diskussionen oder andere Methoden handeln.

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D. Brommer

anderem den Begriff des partizipativen „Web 2.0“ bzw. „Open Source Software“ prägte, 2003 [2] zu einem Experiment ein. Er versammelte die besten Köpfe aus dem Silicon ­Valley ohne irgendeine Form der Agenda und stellte das Prinzip einer Konferenz ­schlichtweg auf den Kopf: Er machte die Pausen zum eigentlichen Kern der Konferenz. Mit diesem ersten FooCamps (Friends of O‘Reilly) brachte er fortan jährlich das Format einer interdisziplinären Veranstaltung in die Welt der neusten wissenschaftlichen ­Forschung. Da dieses Camp nur geladenen Gästen zur Verfügung stand, entstand von einem der Teilnehmer 2005 die Idee, eine offene Veranstaltung, die ohne Einladung besucht werden konnte, parallel stattfinden zu lassen [4] – die Geburtsstunde des ersten „Bar“-Camps. [5] Dabei wurde der Begriff „Bar“ als Gegenentwurf für den Begriff „Foo“ verwendet, da beide Begriffe in der Informatik eine metasyntaktische Variable, einen sogenannten Platzhalter, bezeichnen. Seit 2005 haben weltweit bereits mehrere hundert Unkonferenzen stattgefunden. Hauptsächlich bekannt sind sie unter IT Experten – hier auch gerne als „Hackathon“, „Hack Day“ oder „Code Fest“ bezeichnet. [6] Aber auch immer mehr Unternehmen erschließt sich der Wert dieses interdisziplinären Formats für Unternehmenskultur und Wissensaustausch. Der Wert einer Unkonferenz Ausgehend von der Vermutung, dass durch die Digitalisierung nur offene Ökosysteme überlebensfähig sein werden, trägt das Format Unkonferenz genau dazu bei. Wir haben in der Regel das Bedürfnis, Wissen zu teilen, zu partizipieren und in einer offenen Umgebung neues zu lernen. Wer dieses Bedürfnis nicht verspürt, der sieht es dennoch zunehmend als Pflicht, sich zu öffnen, wenn er merkt, dass nur diese Einstellung ihn wirklich voranbringt. Das agile Format Unkonferenz ist besser als jedes andere dafür geeignet, um in kürzester Zeit wertvolle Informationen auszutauschen und dabei neue Ideen zu entwickeln und auszubauen. Treffen dann auch noch Menschen unterschiedlicher Branchen und Funktionen aufeinander, ist dies eine weitere potenzielle Quelle für echte Innovationen und Wissensaustausch. Grundsätzlich kann, wenn die richtigen Leute aufeinandertreffen, Großartiges entstehen! Es geht darum, Qualitätszeit zu verbringen, für die jeder selbst verantwortlich ist und es selbst in der Hand hat, diese zu gestalten. Entsprechend werthaltig wird das Ergebnis sein. Diese Selbstorganisation macht aus der Unkonferenz gleichzeitig ein Lern-Event für die persönliche Entwicklung. In einem Zeitalter, in dem lebenslanges Lernen eines der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Innovation und Ideenreichtum ist, ist das Format damit eine bislang völlig unterschätzte Schatzkiste. Strategisch richtig eingesetzt könnten Unternehmen jahrzehntelange Dilemmas wie Silodenken, unabgestimmte und damit träge Prozesse sowie fehlendes Verständnis für Kunden oder andere Disziplinen sehr unkompliziert und zügig auflösen. Abgesehen von Wissensaustausch und Netzwerk bietet das Format zudem unzählige Möglichkeiten, um das eigene Business, Kunden oder Mitarbeiter mit neuen Impulsen

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zu befruchten. Es ist ein effizientes Format, das mittlerweile in der Zukunft angekommen ist und sehr viel Mehrwert bietet für eigene Themen, Herausforderungen und Fragestellungen. Bei einer Unkonferenz beruht jegliches Engagement auf Freiwilligkeit. Es geht um den intensiven Austausch, den Gemeinschaftsgedanken und aktive Beteiligung. Denn Freiwilligkeit im Sinne von New Work ist eines der wesentlichen Elemente, um Menschen zu motivieren und Spitzenleistung zu bringen.Ungeschriebene Regeln, die uns täglich im Arbeitsleben aufhalten, werden aufgehoben. Wir setzen Formalien außer Kraft, die uns keinen Mehrwert bringen. Allen voran steht das Prinzip der Augenhöhe, denn auf einer Unkonferenz ist jeder gleichberechtigt, es gibt keine Hierarchien, keine Weisungsbefugten. Es kann in einzelnen Sessions vorkommen, dass Initiator oder Teilgeber inhaltliche Führungspositionen einnehmen oder sich andere Rollen wie zum Beispiel Moderator oder Wortführer auftun. Diese Rollen sind jedoch nicht festgeschrieben, sondern können je nach Thema und Rahmen von Session zu Session wechseln. Willkommen und erwünscht ist die Partizipation aller Anwesenden in jeglicher Art. Normalerweise empfiehlt sich das „professionelle Du“, das auf Wunsch am Ende der Veranstaltung ohne Scham und Hintergedanken wieder aufgehoben werden kann. Da Offenheit eines der Grundprinzipien ist, dürfen gerade solche Themen offen und ehrlich gehandhabt werden. Indem Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen auf freiwilliger Basis zusammenkommen, die alle auf ihre Art Experten sind, werden besondere Energien freigesetzt. Jeder, der Anwesenden ist auf seine Art und Weise richtig und trägt zum Gesamterfolg bei. Deshalb ist bei einer Unkonferenz grundsätzlich jeder ­willkommen. Und weil die Veranstaltung regelrecht von der Diversität der Teilgeber lebt, sind Meinungsverschiedenheiten beflügelnd und tatsächlich auch ein Grund für den Erfolg des Formats. Als Teilgeber bestimme „ich“ meine Agenda. Und ich beeinflusse die der anderen Teilgeber durch meine Angebote. Was hier passiert, bestimmen alleine die Personen, die vor Ort sind. Genau das ist für viele (auch Organisatoren) der schwierigste und ungewohnteste Aspekt. Die Zügel aus der Hand zu geben und auf reine Schwarmintelligenz zu setzen, ist für viele eine echte Überwindung. Prinzipiell gibt es bei einer Unkonferenz auch keine festen Regeln. Vielmehr findet das Miteinander auf Grundlage der Werte Offenheit und Respekt statt. Von den „Erfindern“ des Formats gibt es dennoch ein paar weitere Vorschläge zum Verhaltenskodex, die dabei helfen sollen, sich leichter einzufinden.2 [7] Dies beinhaltet unter anderem das Gesetz der laufenden Füße, welches besagt, dass ich selbst entscheide, an welchen Sessions ich

21st

Rule: You do talk about BarCamp.2nd Rule: You do blog about BarCamp.3rd Rule: If you want to present, you must write your topic and name in a presentation slot.4th Rule: Only threeword intros.5th Rule: As many presentations at a time as facilities allow for.6th Rule: No pre-­ scheduled presentations, no tourists.7th Rule: Presentations will go on as long as they have to or until they run into another presentation slot. 8th Rule: If this is your first time at BarCamp, you HAVE to present.

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teilnehme, welche ich gebe, wo ich mich einbringe. Entspricht ein Thema nicht meiner Erwartung, wechsle ich den Raum zu jeder beliebigen Zeit r­ espektvoll. Unternehmensinterne Unkonferenzen Unkonferenzen bieten in vielerlei Hinsicht Mehrwerte – nicht nur in der offenen Form. Nutzen Unternehmen dieses Instrument intern, investieren sie nebenbei auch nachhaltig in die eigene Unternehmenskultur und ihr Image und gewinnen so das Vertrauen ihrer Mitarbeiter. Moderne, fortschrittliche Unternehmen sind attraktiv, denken voraus, sind zukunftsorientiert. Sie bieten die Möglichkeit, dass Umdenkprozesse in Gang gesetzt und vorhandene Energien freigesetzt werden können. Daher kann man in vielerlei Hinsicht bei dem Einsatz von Unkonferenzen auch von einer kreativen Art der Selbstoptimierung des Unternehmens sprechen. Denn bei diesem Format kommt jeder zu Wort – auch und gerade Mitarbeiter, die sonst eher zurückhaltend sind und in alltäglichen Besprechungen hinter extrovertierten Kollegen verstummen. Hier dürfen Themen platziert werden, die Vorschläge für interne Strukturen und Prozesse beinhalten, Unstimmigkeiten auf den Tisch kommen und Lösungsvorschläge diskutiert werden. Das mag sicherlich die ein oder andere unbequeme Wahrheit ans Licht bringen, da auch Missstände angesprochen werden könnten. Lassen sich Unternehmen aber darauf offen und ehrlich ein, ist das resultierende Potenzial um ein Vielfaches mehr wert. Denn diese Missstände sind ohnehin vorhanden und führen ansonsten unterschwellig zu ansteigendem Frust und Unzufriedenheit. Nutzt ein Unternehmen diese Möglichkeiten, wirkt sich das positiv auf Kreativität, Produktivität sowie Mitarbeitermotivation aus: So können, wenn es sein soll, ganze Prototypen innerhalb von zwei Tagen fertiggestellt werden, außergewöhnliche Momente, Vertrauen und – am Wichtigsten – ein Zusammengehörigkeitsgefühl und damit Zugehörigkeitsgefühl zum Arbeitgeber entstehen. In Zeiten von zunehmend mangelnder Loyalität, einer der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren beim „War for Talents“. Die Zügel aus der Hand geben und dem Prozess vertrauen Im Prinzip kann jeder Organisator einer Unkonferenz werden. Essenziell ist es aber, sich intensiv mit dem Format vertraut gemacht und es wirklich im Kern seiner Offenheit verstanden zu haben. Unkonferenzen sind – und das mag für den einen oder anderen Planer und Perfektionisten nicht so einfach sein – ergebnisoffen. Keiner weiß, was am Ende des Tages passiert und hat in seiner Rolle als Organisator oder Moderator keinen Einfluss auf die Themen und Ergebnisse. Einzig beeinflussbares Element ist der Gestaltungsrahmen, den man bereitstellt. Denn Moderatoren bieten an, statt zu fordern oder Vorschriften zu machen. Sie schaffen den Raum, damit viel Neues passieren kann. Damit eine vertrauensvolle, offene und sichere Atmosphäre entstehen kann, sollte dieser Raum mit Empathie für das jeweilige Publikum offeriert werden. Dem Teilgeber sollte hierbei verständlich gemacht werden, dass er

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bei einer Unkonferenz anders sein darf als sonst. Keiner nimmt es ihm persönlich, wenn er mitten in einer Session den Raum wechselt. Ganz im Gegensatz zu einem normalen Meeting, wo dieses Verhalten ein Nachspiel hätte. Bei einer Unkonferenz holt sich jeder die Informationen, die für ihn wichtig sind und bringt sich dort ein, wo er einen Beitrag leisten kann und es für richtig erachtet. Dies alles funktioniert allerdings nur, wenn sich Moderatoren und Organisatoren von einem gewünschten Ergebnis verabschieden und ganz auf den Prozess einlassen. Es gilt, darauf zu vertrauen, dass die Veranstaltung gut verlaufen wird bzw. alles so kommt, wie es sein soll. Neuland eben. Daher versucht ein guter Organisator oder Moderator von Unformaten niemals, die Veranstaltung in eine gewisse Richtung zu lenken. Er greift nur dann ein, wenn Regeln wie Respektlosigkeit oder ähnliches verletzt werden oder der Zeitrahmen nicht eingehalten wird. Aber niemals inhaltlich (außer er hat selbst einen inhaltlichen Beitrag als Teilgeber zu leisten). Dadurch, dass ich den Teilgebern mit der Verantwortung der Selbstorganisation die Zügel der Veranstaltung in die Hand gebe, werte ich die Teilgeber wesentlich auf. Greife ich ein, entziehe ich ihnen diese „­ Leitung“. Der Weg zur Organisation einer Unkonferenz Eine Unkonferenz bietet sich hervorragend als Beispiel für die agile Arbeitsweise in der neuen Arbeitswelt an: loslegen, Feedback einholen, nachbessern, weitermachen, Feedback einholen, usw. Wie lege ich los? Oft muss man weniger planen als man denkt – nicht zu vergleichen mit einer „normalen“ Konferenz! Das erste offene BarCamp wurde beispielsweise innerhalb von nur einer Woche organisiert. Wichtig ist, zu überlegen, wer Zielgruppe bzw. was Kernthema ist. Danach sollte ich mir ein Team zusammenstellen, um gemeinsam Ideen zur Umsetzung zu spinnen und die Aufgaben auf mehreren Schultern zu verteilen. Dazu sollte ich mein Ego mal etwas hintanstellen: Im Gegenteil sollte ich so viele Mitstreiter in der Organisation gewinnen und so viel „Eigentum“ und Verantwortung an der Veranstaltung verteilen wie möglich. Denn je mehr Leute sich für das Event verantwortlich fühlen umso besser für mich und das Event und umso stärker wird die Community. Außerdem befreit Aufgabenverteilung von Stress und dies wiederum führt zu einer entspannteren Veranstaltungsatmosphäre. Die Erstveranstaltung ist immer die größte Herausforderung, denn hier ist mehr und intensivere Kommunikation (on- und offline) gefragt. Zudem sollte ich versuchen, mit möglichst vielen Menschen im Vorfeld sprechen und das Format zu erklären. Denn feststeht, je mehr Mitstreiter ich habe und je offener ich über die Unkonferenz kommuniziere, umso erfolgreicher wird sie am Ende sein. Weitere Voraussetzungen sowie Tipps zur Umsetzung sind im BarCamp WIKI zu finden. [8] Das Format selbst stellt kein Businessmodell dar, sondern ist vielmehr eine freie Plattform für Wissenstransfer und Netzwerk. Deshalb decken die Teilnehmergebühren in der Regel die Verpflegungskosten/Selbstkosten und der wesentliche Teil der Finanzierung wird durch Sponsoren übernommen. Eine wichtige Lernerfahrung: Akzeptiere, dass Du Teil eines Experiments bist und scheitern könntest und lasse Dich einfach drauf ein. Dann kann nichts mehr schief gehen. Weder als Organisator noch als Sessiongeber.

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Mischformen von Unkonferenzen Die eingeschworene BarCamp-Community verteidigt das Format in ihrer reinen Form, da so der beabsichtigte Sinn und Zweck getroffen und daraus der meiste Nutzen und Gewinn gezogen werden kann. Meiner Meinung nach kann man aber auch mit leichten Mischformen gute Ergebnisse erzielen. Gerade bei Teilgebern, die das Format noch nie erlebt haben, kommt es oft zu Irritationen und Unsicherheiten. Gibt es gar keine Agenda oder besondere Redner-Highlights, steht man manchmal vor der Herausforderung, dass sich überhaupt Teilnehmer anmelden. Dann hilft oft ein Mini-Impulsvortrag. Hierbei sollte jedoch strengstens darauf geachtet werden, dass sich die Impulsgeber nicht als „Vortragende“ von der Gruppe absetzen, sondern gleich in eine weiterführende Session überleiten, um in Workshop-Form mit den Teilgebern über ihr Thema zu diskutieren. Ein Impulsgeber, der nur einen Impuls gibt und danach die Veranstaltung verlässt, tut sich auf einer Unkonferenz selbst keinen Gefallen, da er wertvollen Input verpasst. Genauso verhält es sich mit einführenden Podiumsdiskussionen – solange es die Zeit zulässt und die eigentliche Unkonferenz nicht zu kurz kommt. Denn man darf nicht vergessen, dass das Bilden von Communities und das ernsthafte Netzwerken Zeit benötigen. Um miteinander vertraut zu werden, sollte daher durch einen lockeren zeitlichen ­Rahmen genau diese Zeit geboten werden. Werden bereits im Vorfeld grobe Themenvorschläge gemacht, muss das nicht kontraproduktiv sein, sondern kann Interessierten eine Idee liefern, was thematisch passieren könnte. Diese Vorschläge sind in keinem Fall als verpflichtend oder gesetzt anzusehen, denn am Tag selbst kann die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Darauf sollte man sich einlassen (können) und darin liegt auch ein großer Wert des Formats – allerdings sollte das bereits während der Einladungsphase kommuniziert werden. Lernen im Netzwerk: Community of Repect Die Menschen, die sich auf Unkonferenzen begegnen, verbringen eine sehr intensive Zeit miteinander: Aufgrund der Thementiefe des exklusiven Fachpublikums wird in vielen Sessions intensiv diskutiert. Es werden Beziehungen geknüpft, die, wenn sie auf Respekt und Vertrauen aufbauen, ein Zugehörigkeitsgefühl erzeugen und Gemeinschaften formen. In diesen „Communities“ findet die „Kommunikation“ statt, die Basis für Wissenstransfer und Knowhow-Building ist. Genauer gesagt, hier entsteht Wissen. Durch die Interaktionen der Teilgeber finden soziale Lernprozesse statt: Man teilt Ideen, nimmt neue Impulse auf und filtert diese gleichzeitig durch weitere Stimmen der Teilgeber. Dabei werden Lernprozesse besonders beflügelt, wenn nicht alles glatt läuft, wenn Beiträge polarisieren oder zu Meinungsverschiedenheiten führen. Diese Diversität von Meinungen ist zwar besonders spannend, muss allerdings auch „ausgehalten“ werden. Doch wer respektvoll behandelt wird und Vertrauen spürt, ist in der Regel auch bereit, Wissen zu teilen und andere an seinen Erfahrungen wachsen zu lassen.

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Fazit

Eine Unkonferenz eignet sich hervorragend dazu, produktiv Wissen auszutauschen, intensiv zu netzwerken, Know-how aufzubauen, sich persönlich zu entwickeln und eine offene Unternehmenskultur zu bilden, um unter Gleichgesinnten mit Freude und Neugier Ideen zu generieren und Qualitätszeit zu verbringen. Klingt perfekt? Ist es auch! Die wesentlichen Elemente sind: • • • • • •

Alles beruht auf Freiwilligkeit. Gespräche finden auf Augenhöhe statt und alle sind gleichberechtigt. Jeder ist Experte aus seiner Sicht. Es gibt keine Zuschauer; jeder ist aktiver Teilgeber. Führung ist nicht gegeben, sondern kann von überall aus entstehen. Jeder ist willkommen und richtig.

Aus der Möglichkeit, an jeglicher Interaktion teilzunehmen, diese anzuleiten oder zu bereichern, folgt ein hohes Maß an Engagement – gepaart mit Motivation, Begeisterung und kreativer Energie innerhalb einer offenen, gleichberechtigten und selbstorganisierenden Atmosphäre. So entstehen neue Projekte und umwerfende Ansätze ohne Einschränkung von Gedanken oder Themen. In diesem Sinne teile ich gerne und überzeugt die Vision von Tim O’Reilly: „Changing the world by spreading the knowledge of of innovators“ [9] – denn genau darum wird es gehen und das bringt uns am Ende alle voran. Probiere es aus! Es wird sich lohnen.

Literatur 1. Impact Hub Berlin: “where ideas have sex”, https://startnext.com/blog/Blog-Detailseite/­whereideas-have-sex-impact-hub-berlin~ba905.html”; TEDglobal: “where ideas have sex” https://­ theguardian.com/technology/2010/jul/18/tedglobal-ideas-conference (abgerufen am: 5.8.2018) 2. https://de.wikipedia.org/wiki/Tagung#Unkonferenz (abgerufen am: 03.08.2018) 3. Patzig, F. (2009) Barcamp - Die Profiteure greifen nach dem Format. 4. Celik, T. (2006) Remembering the idea of BarCamp. Tantek.com. http://tantek.com/ log/2006/07.html#d10t0805 (abgerufen am: 29.7.2018). Informationen zu den Organisatoren: http://barcamp.org/w/page/401819/BarPlanners (abgerufen am: 29.7.2018) 5. http://barcamp.org/w/page/401310/BarCampPaloAlto2005 (abgerufen am: 29.7.2018) 6. https://de.wikipedia.org/wiki/Hackathon (abgerufen am: 29.7.2018) 7. Die Regeln wurden angeblich durch den Film “Fight Club” inspiriert. http://barcamp.org/w/ page/405173/TheRulesOfBarCamp (abgerufen am: 29.7.2018) 8. BarCamp WIKI http://barcamp.org/w/page/402984/FrontPage (abgerufen am: 29.7.2018) 9. O’Reilly, Tim: What’s the future and why it’s up to us. Penguin Random House UK, 2017. S. 352

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D. Brommer Dorothee Brommer tritt an, Menschen mit neuem Denken zu infizieren. Sie unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, ihre Projekte mit dynamischem Denken, passenden Methoden und den richtigen Partnern ins Ziel zu führen. Die ausgebildete Volkswirtin versteht es, das Wissen unterschiedlicher Branchen übergreifend nutzbar zu machen. Als passionierte Netzwerkerin treibt sie im Innovationsbeirat unter anderem Themen wie New Work, moderne Unternehmensführung und Organisationsentwicklung. Ihre Leidenschaft ist es, Wissen offen und großzügig zu teilen sowie Menschen zu begeistern und so zusammen zu bringen, dass jeder ein Gewinner ist. Sie ist hierbei nicht nur als Neudenkerin, sondern auch als Neumacherin mit dem Bewusstsein für traditionelle Werte und einem guten Gespür für Menschen bekannt. https://brommer-consulting.de https://changingthegame.de/dorothee-brommer

Interview: „Open Space-Formate als Büros der Zukunft?“

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Alice Zajfert

Zusammenfassung

Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche, dementsprechend auch das Arbeitsumfeld. Die Arbeit in Büros hat sich stark verändert, sie wurde vornehmlich zur Wissensarbeit und basiert viel mehr auf Kreativität. Die Folge: Einzelbüros weichen vielerorts offenen Bürolandschaften. Laut einer LinkedIn-Umfrage (2012) wünschen sich Fach- und Führungskräfte ein ruhiges und helles Büro sowie einen Assistenten zur Unterstützung. Aber auch einen Schlafplatz sowie eine Stummtaste für Kollegen. Es ist also nicht nur damit getan, Räume umzugestalten und neue Technologien bereitzustellen. Vielmehr müssen die Bedingungen auf Menschen, Arbeitsinhalte und Organisationen zugeschnitten sein. Was also schafft in der modernen Arbeitswelt die besten Voraussetzungen, um Mitarbeiter zu motivieren und zu binden? Antwort darauf hat die Innenarchitektin und Wirtschaftspsychologin Alice Zajfert.

A. Zajfert () B.A. (FH) Innenarchitektur und Wirtschaftspsychologin, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_29

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A. Zajfert

Warum ist die Einbindung des Mitarbeiters bei der Umsetzung einer neuen ­Bürokonzeption, vor allem wenn es um Open Space-Formate geht, so wichtig? Um ihre Ziele zu erreichen, benötigen Unternehmen zufriedene Mitarbeiter. Für eine Arbeitszufriedenheit reicht es jedoch nicht, „nur“ ein tolles, modernes Bürokonzept im Open Space-Stil zu haben. Vielmehr muss der Mitarbeiter – der eigentliche Kunde – als Mensch mit all seinen Bedürfnissen, Emotionen und kognitiven Fähigkeiten einbezogen werden. Die Innenarchitektur mit der Psychologie zu verbinden, ist für mich als Innenarchitektin sehr spannend. Warum entscheiden sich Unternehmen für Open Space-Büros? Viele Unternehmen möchten sich dem aktuellen Trend anschließen und so dem Arbeitsmarkt begegnen. Denn aus betriebswirtschaftlichen Aspekten sind Open Space-Büros, das definiere ich ab 20 Arbeitsplätzen, in der Regel teurer als Einzelbüros. Bei einer durchdachten Umsetzung sind nämlich oft mehr Elemente notwendig. Leider setzen viele Verantwortliche die Konzepte am Ende nicht so um. Die Folge: Mitarbeiter fühlen sich unwohl. Was fehlt? Die ursprüngliche Idee von Open Spaces ist, Transparenz und Kommunikation innerhalb von Teams zu fördern. Bei der Konzeption solcher Räume werden die Mitarbeiter leider selten in den Change-Prozess eingebunden. Die Folge: Die Büros sind oft nicht zu Ende gedacht. Soll ein Open Space-Konzept umgesetzt werden, ist es wichtig, die individuellen Prozesse zu beachten. Dazu gehören die Art der Tätigkeiten, Aufgaben und Interaktionen. Durch die Umsetzung eines auf das Unternehmen und die Tätigkeiten angepasstes Konzept können die Prozesse optimiert und verkürzt werden – und dann funktioniert das Konzept auch. Eine gute Konzeption von Open Spaces macht das Arbeiten demzufolge auch transparenter. Daneben sollten Open Space-Formate mit Rückzugs-, Besprechungs- und Projekträumen angereichert werden, um dem Mitarbeiter möglichst viele unterschiedliche Arbeitsformen und eine gewisse Privatsphäre bieten zu können. So wird auch auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter eingegangen, denn letztlich müssen sie gut arbeiten können. Also ist es eine logische Konsequenz, ihre Wünsche und Bedürfnisse unter Berücksichtigung der genannten Prozesse und der Unternehmensziele möglichst einzubeziehen. Ist das in Unternehmen mit höheren Mitarbeiterzahlen nicht schwierig? In einem Unternehmen mit 800 Mitarbeitern können natürlich nicht alle befragt werden. Eine Möglichkeit, möglichst viele Bedürfnisse aufzunehmen wäre beispielsweise eine Stellvertretung zu berufen, die als Sprachrohr zur Projektleitung fungiert. Diese nimmt die Wünsche, Anregungen und Bedürfnisse seiner Abteilungs- oder Teamkollegen auf und gibt diese weiter. So ist gewährleistet, dass so viele Personen wie möglich gehört werden und sich keiner benachteiligt fühlt.

29  Interview: „Open Space-Formate als Büros der Zukunft?“

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Dabei ist den meisten Mitarbeitern durchaus bewusst, dass nicht alle ihrer Ideen zu 100 % umgesetzt werden können. Sehen sie hingegen, dass zumindest ein Teil davon ausgeführt wurde, findet ein solches Konzept schneller Anklang. Es hat sich übrigens auch als sinnvoll erwiesen, jeder Abteilung, jedem Team nach der Umgestaltung einen gewissen Spielraum einzuräumen, um auch nachträglich Dinge zu verändern und flexibel an ihre Arbeitsabläufe anzupassen. Ist es sinnvoll, solche Konzepte abteilungs- oder teamweise einzuführen? Definitiv. In einer Pilotabteilung ist schnell erkennbar, was funktioniert und angenommen wird und was nicht. So sind Rückschlüsse möglich, welche Bereiche und Räume wie oft genutzt werden, was überflüssig, in einer geringeren Zahl ausreichend oder auch vermehrt notwendig ist. Was muss bei der Konzeption von Büroräumen noch berücksichtigt werden? Die Ergonomie und damit die Gesundheit sollte nicht vergessen werden. Elektrisch-­ motorisch höhenverstellbare Schreibtische zum Beispiel ermöglichen Mitarbeitern den wichtigen Wechsel zwischen Stehen und Sitzen. Nicht umsonst heißt es, die beste Position beim Arbeiten ist die nächste. Ein individuell einstellbarer Stuhl und die gute Ausrichtung der Bildschirme sollten inzwischen Standard sein. Bei der Planung sollte also an die Bewegung gedacht werden. Ferner ist die Integration einer sogenannten Work-Domain-Balance relevant. Das heißt, auch an das Gemütliche wie eine Sofaecke, in der man chillen, mit Kollegen reden, seine Mittagspause verbringen oder auch arbeiten kann, sollte gedacht werden. Hierfür kann auch die Küche genutzt werden – mit einem großzügigen Tisch für Pausen und Meetings. Alice Zajfert,  B.A. (FH) Innenarchitektur und M.Sc. Wirtschaftspsychologin, schrieb im Rahmen ihrer Masterarbeit über den Einfluss von Open Space-Büros auf die Arbeitszufriedenheit. Sie berät und schult Unternehmen und führt ferner innenarchitektonische Planungen, insbesondere im Office-Bereich, durch.

Impuls: Stephan Derr (Vorstandsmitglied, Steelcase) Wie Arbeitsräume das Arbeitsverhalten positiv beeinflussen Räume formen das Verhalten und mit der Zeit formt das Verhalten die Arbeitskultur. Bewusst entworfene Arbeitsumgebungen haben die Kraft, jene Einstellungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen, die Menschen und Unternehmen brauchen, um nachhaltig erfolgreich zu sein. In solchen Arbeitsumgebungen steht der Mitarbeiter im Zentrum eines ganzheitlichen, integrierten Systems aus Raum, Kultur und Technologie.

Interview: „Wie sieht die Führungskräfteentwicklung der Zukunft aus?“

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Stefanie Krügl

Zusammenfassung

Die Veränderungen in der Arbeitswelt, hervorgerufen durch die Digitalisierung, haben großen Einfluss auf Unternehmen und Führungskräfte. Je instabiler und von Veränderung geprägter das Umfeld eines Unternehmens ist, desto mehr brauchen Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter Orientierung. Was das genau bedeutet und wie Führung zukünftig aussehen muss, ist bisher oft noch unklar. Es zeichnet sich jedoch ab, dass Führungskräfteentwicklung neben den Inhalten klassischer Trainings, die nach wie vor Bestand haben, auch neue Elemente und Formate enthalten sollten. Dabei handelt es sich weniger um Lernvideos, die einfach nur Vorträge in digitaler Form wiedergeben. Vielmehr brauchen wir völlig neue Ansätze, die Führungskräften

S. Krügl ()  Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_30

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S. Krügl

helfen flexibel, offen, mutig und selbstbewusst mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen. Mit diesen Herausforderungen beschäftigt sich Stefanie Krügl, Geschäftsführerin der Akademie für Führungskräfte. Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen heute? Unsere Gesellschaft unterliegt aufgrund verschiedenster Einflussfaktoren einem drastischen Wandel, der sich auch stark auf die Zusammenarbeit in Unternehmen auswirkt. Vor allem die Digitalisierung mit ihren Nebenschauplätzen wie beispielsweise Big Data oder KI, und den damit verbundenen Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle bzw. der Gestaltung von Arbeitsplätzen, haben einen erheblichen Einfluss auf Unternehmen und Führungskräfte. Unternehmen müssen daher ihre Prozesse flexibler, innovationsfähiger und schneller gestalten – bei gleichbleibender Qualität. Inwiefern verändert diese Entwicklung die Zusammenarbeit? Die Erwartungen von Arbeitnehmern haben sich grundlegend geändert: Mitarbeiter, die kurz vor der Rente stehen, haben oft keine Lust mehr auf Veränderungen und nehmen die ganze Aufregung rund um „VUCA“ und „Agil“ nicht ernst. Auch benötigen viele Mitarbeiter zunehmend mehr Freiraum, um sich um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern zu können. Relativ jung ist die Entwicklung, dass sich Mütter und Väter in hoch qualifizierten Jobs zunehmend die Erziehungsarbeit teilen wollen und so immer mehr Mitarbeiter in Teilzeit arbeiten oder ihren Arbeitsalltag ins Homeoffice verlagern möchten. Ferner wird die Zusammenarbeit dezentraler. Teams kommen immer weniger physisch an einem Ort zusammen. Um nur noch einer begrenzten Anzahl von Mitarbeitern Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, beginnen Unternehmen, ihre Arbeitsräume in sogenannte Open Space-Büros umzubauen – und schaffen so intuitiv Anreize für virtuelle Meetings und die Arbeit aus dem Homeoffice. Wie wirkt sich das auf die Arbeit von Führungskräfte aus? Die Globalisierung mit ihren weltweit verteilten und multinationalen Teams entwickelt sich ebenfalls zunehmend zur Herausforderung für Führungskräfte und Unternehmen. In Bereichen wie beispielsweise der IT, in denen „Follow the Sun“-Services existieren, arbeiten Mitarbeiter in der Regel rund um den Erdball verteilt. Hier zu allen Teammitgliedern Kontakt zu halten, bei der Koordination der Aufgaben zu unterstützen sowie die Teamdynamik im Griff zu behalten, ist für Führungskräfte eine große Herausforderung – was häufig mit einem Gefühl des Kontrollverlusts verbunden ist. Wenn Führungsrollen nicht mehr durch physische Rahmenbedingungen wie ein großes Büro mit Sekretärin und großen Firmenwagen definiert wird, also äußere Attribute von Führung schwinden, müssen sich Führungskräfte die Gefolgschaft ihrer Mitarbeiter über andere Einflussfaktoren, wie etwa ihre Persönlichkeit und ihre Fähigkeit zu gestalten, verdienen. Das hat natürlich auch ein verändertes Selbstbild zur Folge.

30  Interview: „Wie sieht die Führungskräfteentwicklung…

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Wie reagieren Führungskräfte auf die veränderten Mitarbeiterbedürfnisse? Ganz abgesehen davon, dass es in zunehmend komplexer werdenden Systemen nicht zielführend ist, autoritär zu führen, gibt es in vielen Organisationen keine Möglichkeit mehr, Mitarbeiter permanent zu kontrollieren. Etliche Unternehmen versuchen daher, eine Vertrauenskultur zu schaffen. Weil viele Unternehmen jedoch jahrzehntelang eine andere Führungskultur gelebt haben, läuft dieser Wandel in den seltensten Fällen reibungslos ab. Erfolgreich sind Führungskräfte heute vor allem, wenn es ihnen gelingt, in ihren Bereichen eine Ownership-Kultur zu entwickeln, in der Mitarbeiter weitestgehend eigenverantwortlich handeln und in der die Führungskraft als Coach und Sparringspartner in herausfordernden Situationen zur Verfügung steht. Wie sieht der Transformationsprozess konkret aus? Die meisten Unternehmen befinden sich aktuell in einem mehr oder weniger stark ausgeprägten Transformationsprozess. Und hierfür sind Führungskräfte nicht nur ein wichtiges ausführendes Organ, es gehört in den meisten Fällen zu ihrer Verantwortung, die Transformation voranzutreiben sowie ihre Teams auf diesem Weg mitzunehmen. Auslöser der Transformation sind in den meisten Fällen die zahlreichen neuen Geschäftsmodelle, die auf Basis der Digitalisierung entstehen. So manches etablierte Unternehmen wundert sich über kleine Start-ups, die sie plötzlich in ihrem Kerngeschäft angreifen und überholen. Die Folge: klassische Organisationen finden sich plötzlich in volatilen Märkten wieder. Dieses Phänomen, das unter dem Begriff VUCA bekannt ist, führt zur Steigerung der Komplexität des gesamten Umfeldes einer Führungskraft. Existiert eine große Anzahl von volatilen Einflussfaktoren, ist bei vielen Entscheidungen im Vorfeld nicht klar, wie sie sich auswirken werden. Führungskräfte müssen sich dementsprechend an unterschiedliche Fragestellungen herantasten und in kurzen Zyklen hinterfragen, ob sie noch auf dem richtigen Weg sind sowie ihre Entscheidungen auf eine möglichst breite Basis stellen. Das verändert die Rolle der Führungskraft enorm. Zu den Kernaufgaben von Führungskräften aller Ebenen gehört, unter immer größerer Unsicherheit Unternehmensprozesse und die Zusammenarbeit aktiv zu gestalten. Dabei gilt oft heute schon nicht mehr, was gestern entschieden wurde. Eine Transformation löst also die nächste ab. Da Unternehmensleitungen und Change Manager Transformationsprojekte nicht wasserfallartig planen und über mehrere Jahre ausrollen können, sind Führungskräfte gefordert innerhalb vorgegebener Leitplanken einen eigenen Weg durch die Veränderung der Organisationen zu finden. Sie werden vom Ausführenden zum Gestalter der Unternehmensvision und -strategie, die sie intern auf Mitarbeiterebene kommunizieren und nach außen in die Organisation transportieren müssen.

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S. Krügl

Was sind dabei die größten Herausforderungen? Zu den größten Herausforderungen gehört es sicherlich, diese vielen Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Viele Führungskräfte arbeiten aktiv im Projektgeschäft mit, führen gleichzeitig ihre Teams, gestalten eine Transformation, die sie auch selbst nur zum Teil verstehen. Dabei nicht in die Heldenrolle ihrer Vorgänger abzuheben, sondern ein Partner auf Augenhöhe für ihre Mitarbeiter sein, ist eine ziemlich schwierige Kombination von Aufgaben. Was hat sich aus Ihrer Sicht das Führungsbild in den letzten zehn Jahren verändert? Für viele jüngere Führungskräfte taugen ältere Kollegen, die sie in ihrem Unternehmen erleben, nicht mehr notwendigerweise als Vorbild. Früher drehten sich viele Fragestellungen im Coaching darum, dass Nachwuchskräfte so führen wollten, wie sie es von älteren oder direkten Vorgesetzten kannten. Viele Verhaltensweisen wurden so bewusst oder unbewusst übernommen – nicht zuletzt, weil das Sicherheit und Kontinuität bedeutete. Heute ist es so, dass jüngere Führungskräfte häufig eine völlig andere Vorstellung von Führung haben. Zwar ist ihnen Sicherheit und Kontinuität ebenfalls wichtig, sie möchten aber Werte wie Vertrauen, Kommunikation, Offenheit und Selbstverantwortung, die in ihrem eigenen Wertekompass eine Rolle spielen, als Grundlage für ihren Führungsstil nutzen. Daraus ergibt sich die Frage, wie sie das am besten umsetzen können und wie sie mit den Irritationen umgehen, die das mitunter bei direkten Vorgesetzten und in der Organisation hervorruft. Ein agiles Mindset also Ja! Häufig wird dieses Mindset jedoch so betrachtet, dass es exklusiv auf agile Situationen und Umgebungen anzuwenden wäre. Das ist aus meiner Sicht eine sehr verkürzte Sicht der Dinge. Denn mit einem agilen und wertebasierten Mindset ist in klassischen Umgebungen sehr gut zu führen. Gerade bei Mitarbeitern der Generation Y führt das eher zum Erfolg als eine sehr klassische Führung. Deswegen ist das agile Führungsmindset als Erweiterung des bestehenden Führungshandelns anzusehen und in Zeiten der Transformation im volatilen Umfeld unverzichtbar. Denn Führungskräfte müssen offen sein für Neues, keine Scheu vor schwierigen Situationen haben, zu den eigenen Fehlern stehen und daraus lernen und ihre Mitarbeiter und Kollegen so fördern, dass sie sich gut entwickeln können. Das sind nur einige Aspekte des agilen Mindsets, die für Führungskräfte in Zeiten schneller Veränderungen wichtig sind. Denn wenn das Umfeld dynamischer wird, muss Führungsarbeit dieser Veränderung gerecht werden können.

30  Interview: „Wie sieht die Führungskräfteentwicklung…

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Brauchen Unternehmen in allen Bereichen agile Methoden? Es geht nicht darum, dass auch die Buchhaltung eines Unternehmens in Zukunft mit einem lupenrein aufgesetzten Scrum Prozess arbeiten muss. Vielmehr ist es hilfreich zu wissen, wie die Bereiche eines Unternehmens arbeiten und sich auch in klassischen Bereichen mit agilen Methoden zu beschäftigen. Ferner enthalten viele agile Methoden Elemente, die für alle Führungskräfte interessant sind – zum Beispiel die Reduktion von Meetings, deren Inhalte zum Teil über Wiki-Systeme zur Verfügung gestellt werden können. Dabei sollten die Führungskräfte jedoch nicht aus einem blinden Aktionismus heraus alles übernehmen, sondern vorher gründlich überlegen was für sie nützlich ist. Welche Methoden gibt es? Zum Basisfachwissen von Führungskräften (zumindest in groben Zügen) sollten die Methoden Scrum, Kanban, Lean Management und Design Thinking gehören. Das heißt, Führungskräfte sollten einordnen können, wozu welche Methode genutzt werden kann. Für den Führungsalltag ist es hilfreich, sich mit der Lego®Serious Play®-Methodik zu befassen. Zusätzlich gibt es viele kleine Elemente aus agilen Methoden, die für Führungsaufgaben hilfreich sein können. Dazu gehören unter anderem etwa Formate wie Walk and Talk, Dailys, Retrospektiv-Meetings, Wikis, aber auch Tools wie Jira oder Slack. Was passiert, wenn man die falschen Methoden einsetzt oder sie falsch einsetzt? Sicher können agile Methoden einen Schaden anrichten. In Bereichen, in denen agile Methoden grundsätzlich sinnvoll wären, schaden sie, wenn sie schlecht eingeführt und falsch genutzt werden. Aber das ist keine Besonderheit agiler Methoden. Ich kann auch mit einem falsch eingesetzten Zeiterfassungstool jede Menge finanziellen Schaden für ein Unternehmen produzieren. Bei agilen Methoden fällt das aktuell nur besonders auf, weil sie für viele Organisationen neu sind und die Experten fehlen, die sie korrekt einführen und anwenden. Daher wirkt es in der Umstellungsphase oft so, als wären sie nicht passend. Stefanie Krügl  ist Geschäftsführerin der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft. Sie begleitet Unternehmen dabei, die Herausforderungen der modernen Organisationsentwicklung durch passgenaue Führungskräfteentwicklungsprogramme zu bewältigen. Ihre langjährige Expertise in der Führungskräftequalifizierung, Innovationsentwicklung und People Analytics nutzt sie in zahlreichen Strategie- und Transformationsprojekten sowie im Business Development.

Teil VII Führen & Entwickeln: Wachsen

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Teil VII  Führen & Entwickeln: Wachsen

Teil VII  Führen & Entwickeln: Wachsen

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Impuls: Maren Kroll (Vice President Human Resources, Harry’s Deutschland) „‚It all starts with you’! Unternehmen werden sich in Zukunft vor allem durch ihre Kultur unterscheiden. Für mich ist es wichtig, bei sich selbst anzufangen und Unternehmenswerte im beruflichen Alltag zu leben – bevor man sie von anderen verlangt. Nur so kann sich eine positive Unternehmenskultur entwickeln, die von allen Mitarbeitern gelebt wird und die den entscheidenden Unterschied macht, für das Unternehmen, das Team und für potenzielle Bewerber.“

Growth Hacking HR – Was Unternehmenskultur vom Marketing lernen kann

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Annika Leopold

Zusammenfassung

Digitalisierung bedeutet Kulturtransformation. An Pioniergeist scheitern wir dabei nicht – dennoch fehlt einerseits eine Kultur des Experimentierens und Ausprobierens, andererseits die Bereitschaft zu scheitern. Auch das Skill Set der Führungskräfte in Sachen Digitalkompetenzen und agilem Leadership lässt viel Spielraum nach oben, um eine innovative Leistungskultur zu etablieren und Menschen für ein Unternehmen zu begeistern. Wie kann HR als Schlüsselpartner hier professionell gestalten? Wie können Mitarbeiter durch Ideen und Feedback den Wandel aktiv mitgestalten? Wie können notwendige Digitalkompetenzen für Führungskräfte sichergestellt werden, damit diese ihre Rolle adäquat wahrnehmen?

A. Leopold (*)  Die Digitalwerkstatt, Forchheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_31

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A. Leopold

Analog des Growth Hacking Vorgehens aus dem Marketing werden verschiedene Schritte und Möglichkeiten aufgezeigt, wie HR mit kleinen, schnellen und flexiblen Handlungsschritten eine innovative Unternehmenskultur etablieren und aufbauen kann. Die Welt ist im Umbruch. Gefühlt jeden Tag schneller und radikaler. als wir es bisher auch nur ansatzweise erfassen können. Die Folge für unsere Gesellschaft: Es wird immer komplexer, bedingt auch durch die Digitalisierung und die technologischen Neuerungen, denen wir uns vor allem als Unternehmen stellen müssen. An Pioniergeist scheitern wir dabei nicht – überall in den Unternehmen werden digitale Projekte angestoßen. Leider jedoch häufig ohne definiertes Ziel und Gesamtstrategie. In vier von fünf Unternehmen fehlt einerseits eine Kultur des Experimentierens und Ausprobierens, andererseits die Bereitschaft zu scheitern. Das ist für eine erfolgreiche Digitalisierung genauso ein Hemmnis wie die fehlende Zusammenarbeit in einem breiteren, offenen Netzwerk mit Start-ups, Hochschulen und Industriepartnern. Ferner bedarf es starker, entschlossener und engagierter Führungskräfte, um die Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu steigern. Denn es gewinnt keiner, wenn ein Digital Lab zwar eröffnet und gefeiert wird, aber die dort entwickelten Innovationen nicht zurück in die Organisation gelangen, weil die Führungskräfte dem operativen Druck nicht standhalten können. Wie kann der Change professionell erfolgen? Wie können Mitarbeiter durch Ideen und Feedback den Wandel aktiv mitgestalten? Wie können notwendige Digitalkompetenzen für Führungskräfte sichergestellt werden, damit diese ihre Rolle adäquat wahrnehmen? Indem die Personalabteilung als direkter Partner des Menschen aka Unternehmensleitung, Führungskraft und Mitarbeiter eine tragende strategische Rolle für die Initiierung und Umsetzung des Wandels der Unternehmenskultur spielt. Dafür muss sich HR allerdings selbst aus der Rolle der ‚administrativen Experten‘ herausmanövrieren und aktiv die Wertschöpfung und Unternehmenskultur mitgestalten. Doch wie kann das gelingen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns der drei Schlüsselfaktoren bewusst werden, die unabdingbar sind, um Zusammenarbeit sinnstiftend zu gestalten. Schlüsselfaktor 1: Radikale Kundenzentrierung  Es klingt so banal: gut zu verstehen, was Menschen antreibt. Und eigentlich ist es das auch, würden wir nicht von unseren Schreibtischen aus agieren, annahmebasierte Entscheidungen treffen und unsere Ideen immer ausgehend von unserer eigenen Vorstellung über das Denk- und Handlungsschema der anderen entwickeln. Was wir brauchen, ist also ein Problembewusstsein für die Aufgaben unserer Nutzer/Anwender/Kunden. Wir müssen deren ‚Jobs-to-be-Done‘ kennen, wie sie der Innovationsberater Clayton M. Christensen nennt [1]. Wie eine erfolgreiche digitale Transformation und damit Kundenzentrierung verlaufen kann, zeigt uns Lego: bis Anfang des Jahres 2000 liefen die Geschäfte für den dänischen Spielzeugbauer hervorragend. Als das Produktmanagement der Meinung war,

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Kinder hätten nicht viel Zeit und Geduld für komplexe Herausforderungen, und dementsprechend eine Serie von Action Helden schuf, mit denen sofort gespielt werden konnte, blieb der Umsatzerfolg komplett aus. Die Folge: das Unternehmen stand 2004 kurz vor der Insolvenz. Die Lösung: ein Umdenken. Lego veränderte die Fragestellung (‚Reframing‘) weg von „Wie können wir unseren Marktanteil steigern?“ hin zu der Frage „Warum spielen Kinder?“ Durch Beobachtungen und Befragungen von Kindern weltweit fand das Unternehmen heraus, worauf es Kindern ankommt und wie sie spielen. Lego erschuf Geschichten, die sich mit den bunten Steinen bauen lassen. Das neue Unternehmensdenken führte nicht nur zu Umsatzsteigerungen, sondern erschloss auch die Zielgruppe der Erwachsenen: „Diese neue Wertschöpfungsquelle spiegelte sich mit über 50.000 erwachsenen Fans in der Lego Community wider. […]Wo früher die Marktforschung die Richtung in der Produktentwicklung vorgab, sind es heute die Insights, die beim Beobachten der spielenden Kinder gesammelt werden und die Produktentwicklung vorantreiben.“ [2] Dabei sind Kundenerlebnisse nur die Spitze des Eisbergs und daher der kleinste Teil, der nach außen sichtbar ist. Bei erfolgreichen Unternehmen schaffen die Mitarbeiter die Voraussetzungen – sind der Hebel – für eine gute Erlebnisgestaltung. Denn letztendlich leisten alle im Unternehmen einen Beitrag zu dem, was der Kunde erlebt – egal ob sie im Vertrieb, im Service, in der IT oder im Rechnungswesen arbeiten. Doch wissen die Führungskräfte geschweige denn die Mitarbeiter selbst, wo ihr Unternehmen bezüglich der Kundezentrierung überhaupt steht? Meist existieren nur Kennzahlen wie z. B. der Net Promoter Score (NPS), um Kundenverhalten messbar zu machen. Die Rolle aller Mitarbeiter an der kundenzentrierten Erlebnisgestaltung, egal ob direkt oder indirekt beteiligt, wird bisher so gut wie gar nicht erhoben. Dabei wäre es naheliegend – und auch nicht schwer –, wenn man einfach mal anfangen würde, die Komplexität zu managen anstatt sie vielfach zu zerreden. Schlüsselfaktor 2: Mitarbeiterloyalität Der Mensch heute – egal ob Kunde, Mitarbeiter oder Partner – ist meist selbstbewusst, kompromisslos und souverän. Er trifft seine Entscheidung wohlüberlegt, aber emotional getrieben. Das gilt sowohl bei Kaufoder Investitionsentscheidungen als auch bei Entscheidungen, die die Karriere und die persönliche Weiterentwicklung betreffen. Nicht umsonst ist einer der wichtigsten ­Marketing Trends für 2018 das Influencer Marketing [3], „bei dem Unternehmen gezielt Meinungsmacher (Influencer) und damit Personen mit Ansehen, Einfluss und Reichweite in ihre Markenkommunikation einbinden.“ [4] Wir leben in einer Welt voller Sharer, Empfehler und Mitmacher. 46 % der Deutschen sind aktive Social Media Nutzer. Die Nutzungsdauer des Internets beträgt durchschnittlich 149 min täglich, also knapp zweieinhalb Stunden. Dabei nutzen die 14- bis 29-Jährigen das Internet sogar mehr als viereinhalb Stunden pro Tag. [5] Was könnte also einfacher sein, als seine eigenen Mitarbeiter zum Influencer für die eigene Marke zu machen, wie es beispielsweise der OTTO Konzern erfolgreich praktiziert.

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Häufig scheitert es am ‚Warum‘. Warum arbeiten wir? Warum arbeiten unsere Mitarbeiter für und mit uns? Auch hier gilt: Wer auf Basis des Offensichtlichen den Markt erkundet, geht davon aus, dass die neue Generation von Mitarbeitern total partizipativ, flexibel, selbstverantwortlich und sinngesteuert arbeiten möchte: In der ‚New Work‘ soll es keine Hierarchien mehr geben, alle arbeiten selbstbestimmt und die Community ersetzt den Chef. Die Motivation erfolgt selbstlos und intrinsisch – stattdessen engagiert man sich für eine bessere Zukunft und nachhaltige Entwicklungen. Die Welt der ‚Generation Y‘ sieht tatsächlich ein wenig anders aus: ultimative Freiheit gepaart mit ultimativer Sicherheit – so könnte man den Anspruch der heutigen Generation an das Berufsleben am besten beschreiben. So zumindest das Ergebnis einer aktuellen Studie, die im Schulterschluss mit der Universität Wien bei der entsprechenden Zielgruppe durchgeführt wurde. [10] Demnach wünscht sich nur ein Fünftel der unter 30-Jährigen komplett oder stark selbstorganisiert zu arbeiten, für knapp jeden Dritten sind flexible Arbeitszeiten wichtig. Außerdem sehr wichtig für die Befragten: die ideale Führungskraft agiert offen, partnerschaftlich und mit viel Feedback, gibt aber auch genügend Anleitung und sorgt für die entsprechenden Rahmenbedingungen. Sie fordert, fördert und unterstützt. Würden wir nun das interne unternehmerische Denken und Handeln komplett in Richtung New Work lenken, müssten wir überraschenderweise nicht nur bei den Babyboomern mit Widerstand rechnen, sondern auch bei der jüngeren Generation. Ergänzend dazu bescheinigt der Gallup Engagement Index 2016 in aufrüttelnder Weise, dass „70 Prozent der Beschäftigten […] emotional gering gebunden (sind) und […] lediglich Dienst nach Vorschrift (machen).“ [6, 7] Und weiter heißt es: „Wie lange Mitarbeiter im Unternehmen bleiben und wie produktiv sie in dieser Zeit sind, hängt in erster Linie vom Führungsverhalten des direkten Vorgesetzten ab. Doch in puncto Führungsqualität klaffen die Wünsche der Mitarbeiter und die Wirklichkeit in den Unternehmen weit auseinander. Nach Gallup-Berechnungen kostet die innere Kündigung aufgrund schlechter Führung die deutsche Volkswirtschaft insgesamt bis zu 105 Mrd. EUR jährlich.“ [8] Schlüsselfaktor 3: Führungskräfteverhalten (‚Digital Leadership‚)  Wenn man diese Zahlen liest, könnte man meinen, dass viele Unternehmenslenker nach dem Motto agieren: „What doesn’t kill you, makes you stronger.“ Insbesondere Führungskräfte sind durch den digitalen Wandel gefordert, sich mit veränderten Geschäftsmodellen, Lebensund Arbeitswelten auseinanderzusetzen – und somit selbst einen Wandel zu vollziehen. Märkte aus der Kundenperspektive zu betrachten, die Möglichkeiten von neuen Technologien direkt für das eigene Unternehmen zu nutzen und sich mit den Potenzialen der entstehenden Daten auseinanderzusetzen, sind entscheidende Erfolgsfaktoren. Aber genau diese Fähigkeit fehlt bei vielen Verantwortlichen. Ein Beispiel hierfür ist unter anderem das Wissen um die sog. ‚Customer Journey‘, also die Analyse von sämtlichen Kontaktpunkten zwischen Kunden und Unternehmen – vom ersten Kontakt bis zur Reaktivierung. Erschreckend ist, dass die wenigsten Führungskräfte den Begriff auch nur ansatzweise einordnen können. Geschweige denn,

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ihren Mitarbeitern diesen Perspektivenwechsel für die Unternehmenswertschöpfung effektiv aufzuzeigen und in den Unternehmensalltag einfließen zu lassen. Gleiches betrifft übrigens auch die sog. ‚Employee Journey‘, also die ‚Reise‘ eines Mitarbeiters in und durch das Unternehmen – aus dessen Blickwinkel betrachtet. Im Zeitalter des Fachkräftemangels und Ringens um die besten Talente ein Unding, dass solche essenziellen Erfolgsfaktoren noch nicht tiefer in den Köpfen und täglichem Handeln verwurzelt sind. Keine Frage, die Welt ist komplex. Diversität mischt sich mit Vielfältigkeit. Dennoch machen Verrenkungen in Sachen Prozesskultur und die permanente Reorganisation von Menschen und Abteilungen nur wenig Sinn. Die Kernaufgabe der Führungskräfte besteht darin, ihren Mitarbeitern Orientierung und Sicherheit in Zeiten der Veränderung zu geben. Nach wie vor wird in den meisten Unternehmen viel zu viel Management betrieben und zu wenig Menschenführung (‚Leadership‘) gelebt. Was also tun? HR als Schlüsselpartner der Menschen im Unternehmen Den Wandel von oben zu verordnen, funktioniert nur schwer bis gar nicht. Es werden Schlüsselpartner benötigt, die eine Vertrauens- und Wertekultur gezielt fördern. Genau hier kommt HR ins Spiel. Laut Prof. Dr. Thomas Bartscher, Professor für die Lehrgebiete Human Resources Management, Innovations- und Transformationsmanagement an der Technischen Hochschule Deggendorf, hat die Personalabteilung per se den Auftrag, einen direkten Beitrag zur Wertschöpfung zu leisten: „HR stellt Weichen für einen kulturellen Wandel im Unternehmen, der beständige Erneuerung und Transformation beinhaltet und bereitet die Mitarbeiter auf Zukunftsthemen vor, indem HR hierzu Instrumente und Plattformen zur Förderung erwünschter Verhaltensweisen entwickelt.“ [9] Voraussetzung hierfür ist, dass HR an der Entwicklung der Geschäftsstrategie partizipiert und als ‚Change Agent‘ der Unternehmensleitung fungiert. Das aber wird in der Praxis häufig noch vernachlässigt. Im Sinne der Kundenzentrierung muss die Kernfrage für HR demnach nicht lauten „Wie können wir unsere Rolle zum strategischen Geschäftspartner des Managements entwickeln?“, sondern „Wie können wir zum Wachstum unseres Unternehmens beitragen?“ Schnell, flexibel, lean: Growth Hacking für HR Werfen wir einen Blick in das Online Marketing: hier werden immer häufiger sog. ‚Growth Hacker‘ gesucht. Diese haben die Aufgabe, Nutzer von einem Schritt zum nächsten zu bewegen und dabei die Conversion jedes Schrittes laufend zu messen und kreativ zu optimieren. Growth Hacker sind eine Mischung aus Kreativarbeitern, Datenanalysten und Marketern. Sie denken durch und durch analytisch und verwenden Daten, um alle ihre Hypothesen zu untermauern. Sie haben auch keine Angst davor, quer zu denken, halten sich oft nicht an Regeln oder konventionelle Vorgehensweisen und entdecken so neue Wege, Probleme zu lösen. Abgeleitet auf unsere HR Schlüsselpartner-Rolle gibt es interessante Parallelen. Immer davon ausgehend, dass das Ziel eine direkte Beeinflussung der Wertschöpfung

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und damit des Unternehmenswachstums ist, lassen sich folgende vier Handlungsschritte ableiten, um HR für die Rolle des Gestalters fit zu machen. Das Resultat daraus wäre eine innovative Leistungskultur im Unternehmen, die sowohl Führungskräften als auch Mitarbeitern Freude macht. 

HR Growth Hacking Schritt 1: Nutze Methoden aus dem Design Thinking und Lean Start-up Umfeld!

Design Thinking konzentriert sich auf Empathie und Kreativität und stellt die Probleme sowie die Problemlösungssuche der Nutzer in den Mittelpunkt. HR muss es als Hauptaufgabe sehen, Design Thinking als Arbeitsprozess und Mindset gleichzeitig im Unternehmen zu verankern. Dazu gehört es, selbst ein fundiertes Verständnis dieser Methodik oder anderer agiler „Work Hacks“ [11] zu besitzen und diese sowohl vorzuleben als auch Teams dabei zu begleiten. Denken Sie daran, wie viel effektiver allein die Zusammenarbeit zwischen Vertrieb, Marketing und Service werden könnte, wenn diese es schaffen, kontinuierlich die richtigen Fragen zu stellen und ihre Schwarmintelligenz nutzen, um neue, kundenzentrierte Geschäftsmodelle zu entwickeln. Schöner und wichtiger Nebeneffekt dabei: Design Thinking macht Spaß! Es ist immer wieder ein Erlebnis, Prototyping Sessions zu begleiten und wahrzunehmen, welcher Wandel bei den Menschen einsetzt, wenn Kreativität erlaubt ist und gelebt werden darf. Der Boost für Unternehmenskultur und Akzeptanz der neuen Wertschöpfungsrolle HR ist schon beim bloßen Nachdenken darüber spürbar. Starten Sie daher gleich Ihre persönliche HR Growth Hacking Bucket Liste und notieren Sie alle Ideen, die Ihnen in den Sinn kommen. Und lassen Sie diese zum ständigen Begleiter werden. 

HR Growth Hacking Schritt 2: Kombiniere quantitative und qualitative Daten!

Ein weiteres Growth Hacking kann sein, wenn Sie Zahlen, Daten und Fakten mit Empathie und Intuition kombinieren. Sie müssen kein Datenanalyst werden. Aber wenn Sie eng mit den Abteilungen verzahnt sind und einen Überblick über deren Kennzahlen haben, können Sie daraus individuelle Trends und z. B. Recruiting-Strategien ableiten, die schnell und flexibel neue Anforderungen umsetzen. Nehmen Sie beispielsweise Ihre aktuellen Recruiting- und Employer Branding-Instrumente: Welche relevanten Daten und Erkenntnisse können Sie sammeln, die z. B. für die Einschätzung der Persönlichkeiten im nächsten Schritt relevant sind? Klickpfade auf der eigenen Website, Interessensgebiete bei der Suche, Kommunikation in den sozialen Medien – all dies sind potenzielle Datentöpfe, die hilfreiche Informationen liefern. Diese angereichert mit internen Zielsetzungen und der eigenen Unternehmensstrategie können z. B. Führungskräften dabei helfen, zielgerichteter in der Kommunikation zu werden oder schneller die richtigen

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Kandidaten zu finden. Des Weiteren können Sie erkennen, an welchen Stellen Kompetenzen bereits vorhanden sind und wo durch gezielte Weiterbildungsmaßnahmen die weitere Entwicklung gefördert werden sollte. Es wird Zeit für HR, das auszuspielen, was HR am besten kann: Menschen und ihre Bedürfnisse, ihre Erwartungen und ihre Grenzen zu verstehen. Fangen Sie klein und in enger Zusammenarbeit mit den Menschen im Unternehmen an, die kreativ und veränderungsbereit sind, die out-of-the-box denken und flexibel bleiben – sprich: die bereits das agile Mindset haben, das so dringend nötig ist. 

Growth-Hacking HR Schritt Nr. 3: Agiere wie ein Experimentierlabor und fördere die Verbindungen zwischen den Menschen!

Genau mit diesen Menschen können Sie auch den nächsten Growth Hacking Schritt wagen! Echte Growth Hacker konzentrieren sich nicht nur auf die Gegenwart. Sie behalten auch die Zukunft im Auge. Machen Sie HR zu einem Experimentierlabor, in dem Trends und Innovationen erkannt und verstanden werden, bevor sie von der Organisation übernommen werden. In gewisser Weise entwickeln sie eine Kultur der Neugier, die es Unternehmen ermöglicht, sich schnell an Trends anzupassen, die für ihr jeweiliges Geschäft wichtig sind. Orientieren Sie sich dabei am Denken und Handeln von bereits etablierten innovativen Unternehmen auf dem Markt – unabhängig von Ihrer eigenen Branche. Fördern Sie offene Formate wie Unkonferenzen, BarCamps oder Hackathons und agieren Sie geplant ungeplant. Sorgen Sie für ein Klima von offenem Wissensaustausch, CoCreation und fördern Sie Communities auch in Hinblick auf das Netzwerken außerhalb des Unternehmens. Auch wenn es fachlich nicht Ihre Themen sind – in Ihrer Schlüsselrolle wissen Sie, wie man Menschen miteinander vernetzt und können so Treiber von Wachstum und Innovation werden. Schon Wilhelm Freiherr von Humboldt stellte im 18. Jahrhundert fest, dass es im Grunde immer die Verbindungen mit Menschen sind, die dem Leben seinen Wert geben. Dieser viel zitierte und häufig leichtfertig benutzte Satz bekommt im Zeitalter der Digitalisierung eine noch wesentlich höhere Dimension und beinhaltet das Credo, das sich jede Organisation setzen sollte: Fokus auf Kollaboration und offenen Ideen-Austausch. Leider wird der Begriff ‚Experimentieren‘ und dann noch in Verbindung mit ‚agil‘ zu häufig gleichgesetzt mit ‚einfach loslaufen ohne Sinn und Verstand und einfach mal machen‘. Das ist natürlich falsch. Alles, was Sie angehen, sollte mit einer klaren Fokussierung auf ein Ziel verbunden sein. Experimentieren heißt nicht, zu viele Teilprojekte auf einmal loszutreten, ohne dass die Gesamtstrategie klar ist. Es gilt, den wahren Schmerzpunkt zu finden und hierfür gezielt flexible, schnelle, kleine Lösungsstrategien zu entwickeln, mit denen experimentiert und getestet wird – oder auch wieder über Bord geworfen.

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A. Leopold

Growth-Hacking HR Tipp Nr. 4: Lerne zu spielen und fördere den Spieltrieb!

Ein weiterer Begriff macht aktuell die Runde und sorgt – richtig eingesetzt – für bessere und nachhaltigere Nutzererlebnisse: Gamification! „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, so Friedrich Schiller. Und auch heute noch ist das Zitat aktuell: Die meisten Menschen spielen gern. Es gibt unzählige wissenschaftliche Erklärungsansätze dazu, aber letztendlich läuft es auf etwas ganz Banales hinaus: Spiele machen einfach Spaß. Sie ermöglichen uns, in einem Bereich aktiv zu sein, in dem die Herausforderungen unseren Fähigkeiten entsprechen, und wir dazu auch noch belohnt werden. Gamification ist ein wunderbares Instrument für das Employer Branding, aber auch um Kreativität und Innovation in der Unternehmenskultur zur verankern. Ein beliebtes Beispiel ist LEGO® SERIOUS PLAY®. Die Figuren und Bauelemente laden dazu ein, innere Bilder und Vorstellungen lebendig werden zu lassen. Das geschieht spielerisch und in der Aktion, dabei regt das Haptische am Bauen andere Hirnregionen als üblich an. Ein großer Trend ist aktuell der Bereich eSports & Gaming: „Etwa jeder zweite Deutsche spielt. Von zuhause aus am PC oder an der Konsole und verstärkt auch mobil via Smartphone. Das Durchschnittsalter stieg zuletzt zusehends: 2018 liegt es bei 36,1 Jahren, was vor allem der großen Zielgruppe der über 50-Jährigen zu verdanken ist. Und übrigens: 47 Prozent der Spielenden sind weiblich.“ [12] Besonders die Themen Virtual und Augmented Reality lassen hier viel Spielraum für neue Ideen. Ein brandaktuelles Praxisbeispiel liefert hierfür die Witt Gruppe, die anlässlich der diesjährigen Fußball-WM den ‚eSports Cup‘ ausgetragen hat: Während es zuvor schon interne FIFA-Turniere gegeben habe, öffneten sich dieses Mal die Tore auch für externe Teilnehmer, während die Mitarbeiter als ‚Schiedsrichter, Moderatoren, Spielorganisatoren und Ideengeber‘ fungierten. Im Vordergrund, so berichtet das Organisation-Team der Witt-Gruppe, sollte der Spaß am Daddeln stehen. Doch dahinter bot das Event vor allem auch eine Plattform für den Austausch mit potenziellen Bewerbern und die Positionierung als attraktiver Arbeitgeber. […] Für die Witt-Gruppe sind solche Events kein bloßer WM-Fieber-Opportunismus. In der Pressemitteilung ist zu lesen: ‚Events dieser Art sind keine einmalige Maßnahme, sondern ein weiterer Schritt zu einer Arbeitgebermarke, die ein aufgeschlossenes Unternehmen mit einer gelebten DigitalKultur kommuniziert sowohl nach außen, als auch nach innen.‘ [13]

Wie könnten Gamification Initiativen in Ihrem Unternehmen aussehen? Suchen Sie ein paar Gleichgesinnte zur gemeinsamen Ideenfindung und binden Sie diese gleich aktiv mit ein. Beispielsweise in IT, Entwicklung oder Marketing könnten Sie die richtigen Hacker für dieses Vorhaben finden!

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Fazit

Wir müssen uns öffnen und lernen, mit der Komplexität und dem immer größer werdenden Individualisierungsanspruch von Kunden, Mitarbeitern und Märkten umzugehen. Sowie eine längst überholte, allein auf Kennziffern fixierte Unternehmensführung verabschieden, um sich stattdessen einer neuen Unternehmenskultur zu öffnen, die als Leistungsfaktor agiert. Mehr denn je sind flexibles Denken, selbstbewusstes Entscheiden und schnelles Handeln gefordert – von Führungskräften und ‚Key Leadern‘. Digitalisierung bedeutet Kulturtransformation und lebenslanges Lernen. HR hat das Potenzial, sich zum Schlüsselpartner zu entwickeln und zum Pionier der unternehmerischen Leistungskultur zu werden. Und zwar mit einem positiven, aufgeschlossenem Mindset und einer inneren Einstellung, die ‚ja‘ sagt zu dieser neuen Vielschichtigkeit und es gleichzeitig ermöglicht, damit effektiv umzugehen. Wir können die Digital-Entwicklungen nicht aufhalten. Wir können nur zu einer Unternehmenskultur beitragen, die allen Studienprognosen zum Trotz die Arbeitszufriedenheit und -motivation im kommenden Jahrzehnt wieder nachhaltig erhöht. Legen Sie los – am besten nach folgendem 5-Punkte-Plan: [14] • • • • •

Weniger Prozess, mehr Mensch! Weniger Workshops, mehr Erlebnis! Weniger Methode, mehr (Selbst-)Erfahrung! Weniger Kopf, mehr Bauch! Weniger Plan, mehr Begleitung!

Worauf warten? Einfach mal machen, könnte ja gut werden.

Literatur 1. Clayton M. Christensen, Egbert Neumüller (2017) Besser als der Zufall: Jobs to Be Done - die Strategie für erfolgreiche Innovation. Plassen Verlag 2. https://www.wiwo.de/downloads/10773004/1/DTA_Report_neu.pdf (abgerufen am: 23.07.2018) 3. http://www.lead-innovation.com/blog/marketing-trends-2018 (abgerufen am: 23.07.2018) 4. https://de.wikipedia.org/wiki/Influencer-Marketing (abgerufen am: 23.07.2018) 5. http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2017/Artikel/Kern-Ergebnisse_ARDZDF-Onlinestudie_2017.pdf (abgerufen am: 21.07.2018) 6. managerSeminare | Heft 242 | Mai 2018, Seite 7 7. http://www.gallup.de/183104/german-engagement-index.aspx (abgerufen am: 23.07.2018) 8. http://www.gallup.de/file/190031/Pressemitteilung%20zum%20Gallup%20Engagement%20 Index%202016%20final.pdf?g_source=link_intdede&g_campaign=item_183104&g_ medium=copy (abgerufen am: 23.07.2018) 9. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/personalabteilung-44840(abgerufenam:22.07.2018)

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A. Leopold

10. Studie: Durchgeführt von Veronika Keuschnigg und Prof. Dr. Vetschera (Universität Wien) im Sommer/Herbst 2017. Idee und inhaltliche Beratung: Julia Culen und Christian Mayhofer (Culen Mayhofer Partner). (https://www.unternehmensdemokraten.de/generation-angst-mitihr-haben-wir-nicht-gerechnet/ (abgerufen am: 23.07.2018) 11. https://workhacks.de/ (abgerufen am: 23.07.2018) 12. https://wollmilchsau.de/employer-branding/esports-und-employer-branding/ (abgerufen am: 26.07.2018) 13. https://karriere.witt-gruppe.eu/page/WITT%20ESPORTS%20CUP (abgerufen am: 26.07.2018) 14. Jochen Gürtler bei seinem Vortrag auf der Veranstaltung „Design Thinking Masters“ am 12.07.2018 in Stuttgart Annika Leopold ist Inhaberin von „Die Digitalwerkstatt“ – Innovationsagentur und Coworking Space unter einem Dach. Sie begleitet Unternehmen dabei, die Digitalisierung profitabel umzusetzen. Nach über 15 Jahren Konzernerfahrung im Prozess Consulting gründete sie 2010 „Die Digitalwerkstatt“ als Think Tank für kreatives Querdenken und Hands-on-Mentalität. Schwerpunkte ihrer Arbeit: Digital Marketing, Design Thinking, Business Design und Projektmanagement. In ihren Projekten setzt sie neben ihrer hohen digitalen Fachkompetenz auf „Erleben und Können“, um innovative Methoden sicher auf ihre Kunden zu übertragen. Ihr Engagement für offene Ökosysteme und der stetige Ausbau des CommunityGedankens öffnet ein breites Netzwerk an Experten und Ideengebern. https://diedigitalwerkstatt.de https://changingthegame.de/annika-leopold

Interview: „Innovationen: Irrationale Ängste besiegen“

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Mona Schnell

Zusammenfassung

Die Grenze zwischen Job und Privatleben verschwimmt. Maschinen und Roboter übernehmen immer mehr Tätigkeiten und vernichten Arbeitsplätze. Wir müssen unser Leben lang lernen und kommen nicht mehr zur Ruhe. So zumindest sehen es die Kritiker der Digitalisierung. Die Folge: Angst macht sich breit – bei Unternehmen und Mitarbeitern. Zum einen zeigt die Vergangenheit jedoch, dass Innovationen bisher immer unsere Arbeitswelt positiv beeinflusst haben. Zum anderen ist Angst nicht grundsätzlich schlecht. Denn ohne Angst wäre die Menschheit bereits ausgestorben. Sie schützt uns vor Gefahren, setzt den Körper in Alarmbereitschaft und so blitzschnell Energie frei. Wie die Angst vor Versagen, Verlust und Misserfolg in Griff zu kriegen ist, weiß Mona Schnell, Autorin des Buches „Kill Dein Kaninchen! Wie Du irrationales Ängste kalt stellst“.

M. Schnell (*)  Moca 2gether, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_32

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M. Schnell

Wie andere Emotionen auch gehört die Angst zu unserem Leben. Dabei hat die Angst im Job viele Gesichter: Angst vor Versagen, Verantwortung, Arbeitsplatzverlust, Erfolg. Blockiert oder fördert Angst? Das ist sehr individuell zu sehen und auch davon abhängig, wie frei wir arbeiten. Da ich fast mein ganzes Berufsleben lang selbstständig bin, sind mir Existenz- und Versagensängste nicht fremd. Ob sie mich dabei blockieren oder anspornen, ist ganz unterschiedlich: Mal hab ich Panik davor, dass das Geld knapp wird (was mich lähmt). Mal spornt mich dieselbe Situation an. Dann gehe ich ungewöhnliche Akquise-Wege oder lasse mich mal wieder auf einem Branchenevent sehen, um zu netzwerken. Häufig sind es aber irrationale Ängste, die uns blockieren und berechtigte Ängste, die uns antreiben. Ich kenne aber auch Kollegen, die schon Panik schieben, wenn es mal einen Monat lang nicht so gut läuft wie die Monate davor, obwohl sie mehr als genug Geld haben, um die nächsten Jahre ohne Aufträge zu überleben. Welche Formen nimmt Angst in der heutigen Arbeitswelt an? Wir müssen uns alle mit einer Tatsache anfreunden, die uns nicht gefällt: Es gibt keine Sicherheit. Egal, ob festangestellt, freiberuflich tätig oder Unternehmer, es gibt immer Faktoren, die wir nicht beeinflussen können – egal wie gut wir vorausplanen und denken, alles im Griff zu haben. Das bedeutet, wir müssen ein gutes Maß an Flexibilität mitbringen. Raus aus unserer Komfortzone, in der wir es uns so gemütlich gemacht haben, ist unbequem. Die Arbeitswelt verändert sich so stark, dass viele klassischen Muster aufgebrochen werden. Zum einen lernen wir nur noch selten eine Tätigkeit und machen die dann unser ganzes Leben lang. Das heißt, wir stehen selbst in unserem Fachgebiet immer wieder vor der Situation, dass wir weiterlernen müssen. Zum anderen bedeutet einmal Experte in einem Fachgebiet zu sein noch lange nicht, dass wir immer Experten in diesem Bereich bleiben. Ohne Weiterbildung und -entwicklung bleiben wir schnell auf der Strecke. Dann kann es schnell zur Überforderung kommen. Aber auch die Unterforderung ist ein großes Thema. So oder so, beides ist ungesund und sorgt oft für Blockaden. Wenn es dann nicht so läuft, wie es soll, kriegen wir schnell Panik, werden physisch und psychisch krank. Ich habe schon erlebt, dass Menschen vor lauter Versagensangst nicht mehr zur Arbeit gegangen sind. Die Digitalisierung führt dazu, dass immer mehr Menschen sich vor einer Überforderung fürchten – sei es, weil ihre Arbeit immer mehr wird, oder weil sie sich permanent an neue Prozesse und Technologien anpassen müssen. Wie können Unternehmen ihren Mitarbeitern hier die Versagensangst nehmen? Ich glaube, permanentes Lernen ist heutzutage ein starker Erfolgsfaktor. Die meisten Unternehmer haben das bereits erkannt. Viele beziehen aber ihre Mitarbeiter in Entwicklungsprozesse nicht genug ein, sondern setzen ihnen plötzlich ein Ergebnis vor. Das macht unsicher und fördert Ängste. Ich glaube, dass gute, externe Coaches und Trainer

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hier eine Menge erreichen können. Selten haben Unternehmer oder eine Führungskräfte so gute Chancen Mitarbeiter abzuholen wie ein Externer, der für Change-Prozesse ausgebildet ist. Genauso wie man sich einen externen Experten für die Umstrukturierung oder die Anpassung an Megatrends, zu denen ja auch die Digitalisierung gehört, holt, sollte man das auch fürs Team-Management. So gibt es inzwischen das Berufsbild des Feelgood-Managers, der als Schnittstelle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ­fungiert. Viele Unternehmen leben mittlerweile eine Fehlerkultur. Dennoch ist bei Mitarbeitern die Angst, etwas falsch zu machen, weiterhin verbreitet. Kann man ­lernen, klug mit der Angst umgehen? Ja! Keiner macht gerne Fehler und so sehr man uns auch vorbetet, dass wir aus Fehlern lernen und reich an Erfahrung werden, gefällt es wohl niemandem zuzugeben: Ich hab’s verbockt. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass es besser ist, einen Fehler zu machen, als gar nichts zu tun und einen Fehler zuzugeben, als ihn vertuschen zu wollen. Das kostet viel zu viel Energie und zieht oft sogar noch weitere Probleme nach sich. Und je eher man sagt: ich kriege das nicht hin, desto höher ist die Chance, dass wir mithilfe anderer, einen Fehler vermeiden oder noch ausbügeln können. Oft ist es die Angst vor Neuem, die Menschen hemmt und die ist grundsätzlich kein guter Begleiter. Sind introvertierte Mitarbeiter besonders betroffen? Man sagt introvertierten Menschen nach, dass sie ängstlicher seien als die Extrovertierten. Sie fürchten sich vor Verantwortung und schöpfen daher nicht ihre Möglichkeiten aus. Dabei haben sie oft die besten Voraussetzungen, um als Führungskraft tätig zu sein. Denn sie sind meist fokussierter und haben gute Antennen für Stimmungen und Details. Vielleicht können sie sich deshalb eher auf neue Situationen und Veränderungen einstellen. Was passiert, wenn Menschen permanent Angst haben (Stichwort: Gesundheitsprobleme)? Ständige Angst ist kein gesunder Zustand. Der Körper schaltet auf Stress-Modus und wir wissen ja alle, dass Stress krank macht. Im Umgang mit anderen ist man schnell gereizt und genervt. Ferner führt psychischer Stress zu körperlichen Symptomen wie Burn-out, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Panik-Attacken oder sogar Depressionen. Hat die Angst auch Vorteile? Grundsätzlich ist Angst ja etwas Gutes. Sie ist ein Urinstinkt, der dafür sorgt, dass wir überleben. Sie schärft unsere Sinne und beschützt uns davor, zum Beispiel einfach vor Autos zu laufen. Angst schärft unsere Sinne, damit wir mehr wahrnehmen als im „Normalzustand“. Auf dem Job bezogen, kann sie ein starker Antriebsmotor sein. Haben wir zum Beispiel Angst vor einen Präsentation, bereiten wir uns intensiv vor, damit wir

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M. Schnell

uns verhältnismäßig sicher fühlen, wenn wir sie halten müssen. Eine Unternehmenskultur, die offen mit den individuellen Ängsten der Mitarbeiter umgeht und ihren Sorgen entgegenwirkt, wird daher immer wichtiger. Mona Schnell Seit ihrem Journalismus-Studium arbeitet Mona Schnell als freie Journalistin und leitet seit zehn Jahren eine Agentur für PR, Management und Booking mit dem Fokus darauf, Musiker, Comedians und Experten stimmig in den Medien zu platzieren. Außerdem ist sie Ghostwriterin und Autorin von „Kill Dein Kaninchen – Wie du irrationale Ängste kaltstellst“, das sie gemeinsam mit Ralf Schmitt geschrieben hat. Sie liebt Abenteuer, Veränderungen und neue Umgebungen und neigt dazu, ihren Schreibtisch öfter für Wochen oder auch Monate ins Ausland zu verlegen, um neue Eindrücke und Impulse zu sammeln.

Alles neu oder nur neu gedacht? Ein Aufruf zur UN.kultur!

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Dorothee Brommer

Zusammenfassung

Kulturwandel, Offenheit, Transparenz, Agilität, Scheitern – das sind nur einige TrendWorte, die unaufhörlich in der „Neuen Arbeitswelt“ (oder neudeutsch: „New Work“) kursieren. Es geht in vielen Fällen darum, neue qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, aber auch, die eigenen Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Oft sind die Begrifflichkeiten jedoch leere Worthülsen. Man könnte schon fast sagen, „Un“-Worte. Es gibt kaum ein Leitbild, in dem sie fehlen. Und trotzdem bleiben sie oft eher Wunsch als Wirklichkeit. Nur selten scheint jemand eine Idee zu haben, wie der Zustand zu erreichen sei. Folgen den Worten keine Inhalte, besteht nicht nur die Gefahr, die mühsam gewonnenen Mitarbeiter schnell wieder zu verlieren. Auch die Produktivität und am Ende die Kundenzufriedenheit kann unter annoncierten aber nicht gelebten Werten leiden. Aber welche Kultur passt denn überhaupt zu welchem Unternehmen? Und wie kann man seine Unternehmenskultur beeinflussen, toleranter in Bezug auf Fehler machen und am Ende vielleicht sogar noch von seinen Mitarbeitern mitgestalten

D. Brommer (*)  Dorothee Brommer Consulting, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_33

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D. Brommer

lassen? Und kann man dadurch seine Mitarbeiter zufriedener machen und im Unternehmen halten? Nicht eine verweichlichte Kultur sollte das Ziel sein, in der jeder tun und lassen kann, was er will. Aber es sollten Freiräume zur Verfügung gestellt werden, die Kreativität und Engagement zulassen und fördern: Räume, in denen eine schlichtweg umfassende, lebenslange Lernkultur entstehen und wachsen kann. Wo also lohnt sich dabei das UN.denken, um sich selbst und seine Mitarbeiter zu motivieren? Und was benötigt es dazu in der neuen Arbeitswelt?

Geht es Ihnen auch oft so, dass Sie vor lauter kursierenden Begriffen und Ratschlägen der neuen Arbeitswelt gar nicht mehr wissen, wo sie anfangen sollen? Alle wollen dabei sein, niemand möchte abseits stehen, keiner etwas verpassen. Denn sonst könnte man am Ende des Tages von anderen Unternehmem abgehängt werden, die auf diesen Gebieten schon viel versierter agieren. Das will doch niemand riskieren. Denn dann werden die anderen auf einmal viel attraktiver für die vielbegehrten Arbeitskräfte – ein Thema, was im Hinblick auf die jetzige und die Arbeitswelt von morgen nicht unterschätzt werden sollte. Aber wo lohnt es sich anzufangen? Und was kann man getrost erstmal beiseite liegen lassen? Einige der neuen Ideen scheinen Ihnen unsinnig oder vielleicht noch nicht so vertrauenserweckend zu sein und Sie stehen manchem zurecht mit Skepsis gegenüber. Sie wollen Ihren Mitarbeitern natürlich etwas bieten, um sie zu gewinnen und zu halten. Gleichzeitig befürchten Sie aber, eine Atmosphäre zu schaffen, in der jeder tut was er will und alles an Professionalität verliert. Wie schafft man es also seine Gedanken zum UN.denken zu bewegen ohne gleichzeitig seine eigenen Werte zu verraten? Was haben andere Unternehmer auf diesem Gebiet schon erfolgreich ausprobiert, was Sie inspirieren könnte? Wie „verrückt“ dürfen Sie denken und was sollte dabei beachtet werden? Die Worte Kulturwandel, Offenheit, Transparenz, Agilität, Scheitern, selbstbestimmtem Arbeiten sind Ihnen sicherlich nicht neu und werden vielleicht auch bei Ihnen schon unterschiedlich verwendet und bespielt – auch um neue Mitarbeiter zu gewinnen. Folgen diesen Worten und Plänen jedoch keine Inhalte, besteht in jedem Fall die Gefahr, die mühsam gewonnenen Mitarbeiter schnell wieder zu verlieren. Denn Arbeit ist heute nicht nur „Geldverdienen“. Es ist auch Sinnsuche. Dafür steht das Schlagwort „Life-Balance“: Mitarbeiter von heute sind nicht mehr bereit, ihr Leben und alles, was dazu gehört, ausschließlich dem Beruf unterzuordnen. Wie gelingt es Unternehmen nun, Mitarbeiter an sich zu binden und eine Unternehmenskultur nicht nur zu predigen, sondern auch zu leben? Erfolgreich rekrutiert – und dann? Es ist erstaunlich, wie viel Geld Unternehmen in die Gewinnung neuer Mitarbeiter und das Employer Branding stecken. Kein Wunder, der Arbeitsmarkt ist enorm angespannt, Bewerber können sich ihre Stellen aussuchen. Gleichzeitig ist bei hoch qualifizierten

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Fachkräften ein verstärkter Drang zur Selbstständigkeit auszumachen. So kommt es, dass viele Unternehmen sich mittlerweile bei potenziellen Kandidaten bewerben müssen. Verkehrte Welt? Nein! Verkehrt ist, viel zu investieren und diese Investitionen nicht zu nutzen. Mitarbeiter erspüren schnell, wenn Worten keine Taten folgen. Das ist weder wirtschaftlich positiv, noch befriedigend. Daher sollte Employer Branding wesentlich mehr bedeuten: Wie gelingt es, Mitarbeiter im Unternehmen zu halten und die Fluktuation zu stoppen? Siehe auch Kap. 4 „Vom Kandidaten zum Markenbotschafter – Spielregeln für erfolgreiches Recruiting“. New Work – wirklich alles neu? Schauen wir uns die sogenannte „Neue Arbeitswelt“ einmal an. Für den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann basierte – wohlgemerkt zu Beginn der 1980er-Jahre – der Begriff „New Work“ auf den Werten Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Sein Ausgangspunkt war die Annahme, dass das bisher gültige Arbeitssystem veraltet sei [1]. Diese drei Werte sind zweifelsohne Grundwerte des menschlichen Miteinanders. Werfen wir einen Blick darauf, wie Mitarbeiter und Unternehmen auf dieser Basis gemeinsam in die gleiche Richtung denken und gehen können. Der Blick des Mitarbeiters: mitwirken statt funktionieren Wenn die Annahme richtig ist, dass Mitarbeiter sich heute ihre Stellen aussuchen können, sollten Entscheider sich fragen, was Menschen bewegt, sich für ein Unternehmen zu entscheiden, sich für dieses einzusetzen. Woher nehmen sie ihre Motivation? Laut einer Studie der ManpowerGroup Solution [2] sind Vergütung und Art der Tätigkeit die wichtigsten Faktoren für berufliche Entscheidungen. Zudem zeigt die Untersuchung, dass die Bedeutung von flexibler Arbeitszeitgestaltung zunimmt und Sonderleistungen eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Unterstellen wir, dass die Werte der „New Work“-Bewegung (Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft) für das Gros der heutigen Arbeitnehmer und Selbstständigen Richtschnur sind: Selbstständig bin ich, wenn ich eine gewisse Handlungsfreiheit habe. Wenn mir vertraut und zugetraut wird, selbst Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen. Die Freiheit erhalte ich nicht zuletzt durch meinen Verdienst, der es mir gestattet, so zu leben, wie ich es will. Zudem spielt hier die Freiwilligkeit meines Handelns eine entscheidende Rolle. Und Teil der Gemeinschaft bin ich, wenn das intakte Arbeitsumfeld – also die Kollegen und Vorgesetzten – meine Arbeit zu schätzen weiß. Zudem soll mein Arbeitsleben in einem gesunden Verhältnis mit meinem Privatleben stehen. Und ich möchte Teil eines Unternehmens sein, zu dem ich mich zugehörig fühle, auf das ich stolz bin. Dort möchte ich mich einbringen, etwas bewirken, mich entwickeln und mich entfalten [3]. Denn gute Mitarbeiter wollen denken, statt nur funktionieren.

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Der Blick des Unternehmens: Kandidaten folgen gleichen Werten In einem angespannten Arbeitsmarkt gewinnt Personalführung immer mehr an Bedeutung, die bereits bei der richtigen Auswahl der Kandidaten beginnt. Unternehmen die sich an den Werten von „New Work“ ausrichten, haben ein fast immer intaktes Berufsumfeld zu bieten, das auf flachen Hierarchien basiert und Eigeninitiative fördert. Gerade in diesen Strukturen wäre es fatal, auf alle Wünsche des Kandidaten einzugehen. So würde eine in sich geschlossene Unternehmenskultur schnell zu einem Flickenteppich für individuelle Vorlieben. Viel wichtiger ist es, sich zu fragen, ob der Kandidat sowohl fachlich, als auch menschlich ins Team passt. Beim richtigen Einsatz des Mitarbeiters sollten einmal getroffene Entscheidungen grundsätzlich den Realitäten angepasst und Personalentscheidungen konsequent getroffen werden. Richten wir den Blick einmal auf die Erfolgreichsten, so zeichnen sich diese zwar nicht unbedingt als New Work Vorbild-Unternehmen aus aber man kann in Sachen Personalmanagement einiges von ihnen lernen: Der Managementexperte Jim Collins beschrieb bereits 2001, dass das, was einen Spitzenunternehmer von einem Durchschnittsunternehmer bezüglich der Personalauswahl unterscheidet, die entscheidende Frage ist, WER im Unternehmen ist. Haben die Mitarbeiter zum Beispiel eine an Veränderung orientierte Denkweise? Erst danach ginge es um das WAS, also welche Qualifikationen dahinterstehen. In seiner Studie über die Faktoren, die Spitzenunternehmen zu dem gemacht haben, was sie heute sind, belegt er, dass passende Mitarbeiter nicht ständig motiviert und von neuen Strategien und Ideen überzeugt werden müssen, sondern sie motivieren sich selbst [4], da sie sich als Teil etwas Großen sehen. Sie entwickeln Ideen mit, anstatt sich als Erfüllungsgehilfen zu verstehen. Und nur wer Veränderungen mitgestaltet, ist auch in der Lage, sich Veränderungen anzupassen, was in unserer schnelllebigen Welt unabdingbar ist. Spitzenunternehmen zeichnen sich also unter anderem dadurch aus, dass sie die besten Mitarbeiter beschäftigen, indem sie nicht mehr Menschen einstellen oder entlassen, sondern besser und reflektierter einstellen [4] und Personalentscheidungen schneller und konsequenter treffen. Ferner zieht Gleiches Gleiches an: Gute Mitarbeiter locken dementsprechend gute Mitarbeiter ins Unternehmen, die auch motiviert sind, zu bleiben. Das wiederum hat Auswirkung auf erfolgsentscheidende und monetäre Aspekte: Gute Mitarbeiter sorgen für zufriedene Kunden, entwickeln erfolgreichere Produkte, steigern das Image, was wiederum zu motivierten Mitarbeitern führt. „Erst wer – dann was“: spielte auch für Bergmann [1] eine Rolle. Er betonte in seinen Ideen zu einer neuen Arbeitswelt, dass die eigene Persönlichkeit genügend Raum im Unternehmen finden müsse, damit der Mensch den Herausforderungen der neuen Arbeitswelt gerecht werden kann. Werden Sie deshalb UN.fachlich und unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter bei ihrer persönlichen Entwicklung indem Sie Ihre Mitarbeiter zusätzlich zu fachlichen Seminaren auch an persönlichkeitsorientierten Fortbildungen teilnehmen lassen. Denn beschäftige ich Menschen, die außergewöhnlich leisten wollen, sollte ich diesen auch außergewöhnliche Gegenleistungen entgegenbringen.

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Sie müssen dabei nicht befürchten, je mehr Sie Ihren Mitarbeitern die Chance geben, sich nicht nur fachlich, sondern auch persönlich weiterzuentwickeln, umso leichter wird diesen klar, dass sie einen anderen Job ausüben wollen. Denn nur die Mitarbeiter, die sich entwickeln und Ihnen fast Konkurrenz machen, werden Ihr Unternehmen vorantreiben. Nicht diejenigen, die vor sich hinarbeiten und auf Kommandos warten. Haben Sie daher keine Angst vor starken Mitarbeitern, etwas Besseres kann Ihnen gar nicht ­passieren. Allem voran steht also das „Wer“: Holen Sie sich die richtigen Leute an Bord, treffen Sie Ihre Personalentscheidungen konsequent und vertrauen Sie. Vertrauen kann nicht eingeführt werden. Es wird im täglichen Umgang von Führungskräften gegeben und vorgelebt. Gehen Sie in Vorleistung. Aus Sicht der Unternehmen ist der „gute Mitarbeiter“ derjenige, der in erster Linie zur Unternehmenskultur passt. Handelt sich um ein „New Work-orientiertes“ Unternehmen, ist dies der Mitarbeiter, der unternehmerisch denkt und selbstständig Entscheidungen trifft (Selbständigkeit), kreative und neue Lösungen findet und sich mit seiner Arbeit aktiv in das Unternehmen (und damit die Gemeinschaft) einbringt. Die Freiheit dann wirklich zuzulassen, damit tun sich Unternehmen bisweilen noch (zu) schwer. Wichtige Werte in der „Neuen Arbeitswelt“ Freiheit Bleiben wir bei der Freiheit, die für viele Mitarbeiter ein Grundbedürfnis ist. Der Wunsch nach Freiheit gerät oft in einen Konflikt mit dem Bedürfnis nach Sicherheit. Schenkt man diesem Konflikt aber Beachtung und berücksichtigt den Zwiespalt, in dem Mitarbeiter stehen, kann man diesen wunderbar für sich einsetzen: Man bietet Sicherheit in der Entlohnung und Freiheit in der Selbstbestimmtheit über eigenes Handeln und eigene Zeit. Die neue Währung ist also nicht mehr nur Geld, sondern vielmehr Zeit und Mobilität, das heißt Freiheit im Sinne von Unabhängigkeit von Zeit und Ort. In den vergangenen Jahren gab es einige spannende Projekte, die die Auswirkungen veränderter Arbeitszeitregelungen testeten. Sie basierten auf Studienergebnissen zum optimalen Verhältnis von Leistung und Arbeitszeit. Die schwedische Regierung beispielsweise versuchte, auf eine besondere Weise zu motivieren und unterstützte das Experiment, die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn zu reduzieren. In einem Seniorenheim wurde dafür der SechsStunden-Arbeitstag eingeführt [5]. Das Experiment wurde mittlerweile beendet, da es auf zwei Jahre ausgerichtet war. Der Unternehmer Lasse Rheingans [6] ging noch einen Schritt weiter und führte den Fünf-Stunden-Arbeitstag bei vollem Lohn ohne zeitliche Befristung ein. Nach eigener Aussage habe das nicht nur Mitarbeiter motiviert, sondern auch die Produktivität beflügelt. Spannend ist, dass er zudem auch keinen Mangel an qualifizierten Bewerbungen feststellen könne [7].

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Fairness Ein wichtiger Aspekt, um sich einem Unternehmen zugehörig zu fühlen, ist unter anderem Fairness [8], die sich wiederum u.a. durch den Vergleich von Gehältern messen lassen kann. Unternehmen müssen sich diesem Vergleich aber nicht zwangsläufig unterwerfen. Sinnvoll kann auch ein Mix von unterschiedlichen Entlohnungsbestandteilen sein, der individuell vergeben wird. So steigt die Zufriedenheit, ohne dafür in den Vergleich gehen zu müssen. Für Dan Ariely ist hierbei unter anderem der Anspruch an soziale Normen nicht unbedeutend, die er gerne in den Gehaltsmix einließen lässt. Er argumentiert in diesem Zusammenhang, dass Geld oft das teuerste Mittel sei, um Menschen zu motivieren [9]. Einige Unternehmen lassen sehr erfolgreich ihre Mitarbeiter das Gehalt selbst bestimmen. So beispielsweise die Firma V&S. Einzige Voraussetzung ist, sich zuvor mit drei Kollegen darüber beraten zu haben [10]. Diesen Prozess lassen sie zudem jederzeit von allen beschäftigten Mitarbeitern einsehen. Experimentieren Sie doch mal mit einer definierten Pilotgruppe in einem festgelegten Zeitraum, mit welchen Währungen Sie Ihren Mitarbeitern Mehrwert bieten können und analysieren Sie die Ergebnisse. Selbstständigkeit Jeder Mensch arbeitet in erster Linie für sich selbst. Selbstständig sind wir folglich alle. In den letzten Jahren ist allerdings ein Trend zur wirtschaftlich unabhängigen Selbstständigkeit festzustellen, denn die Zahl der Freiberufler steigt stetig an [11]. Die Folge: gute Arbeitskräfte verlassen ihre Arbeitgeber – ohne die Chance der Rückkehr. Denn geht ein Mitarbeiter „lediglich“ zur Konkurrenz, besteht die Möglichkeit, ihn zu einem späteren Zeitpunkt mit einem guten Angebot zurückzuholen. Wer einmal erfolgreich in der Selbstständigkeit angekommen ist, wird kein Interesse mehr an einem Angestelltenverhältnis haben. Dennoch kann man als Unternehmen den Trend zur Selbstständigkeit für sich nutzen. Das Zauberwort heißt: „agiles Arbeiten“. Dabei steht die Projektverantwortung über der klassischen Hierarchie: Ein Mitarbeiter erhält Verantwortung für ein Projekt und ein (oft) bereichsübergreifendes Team. Denken wir das einen Schritt weiter: Was wäre, wenn aktuelle und zukünftige Projekte an einer zentralen Stelle off- und online einsehbar wären und Mitarbeiter sich dafür „bewerben“, sich also selbst den verantwortlichen Hut aufsetzen könnten? Und was wäre, wenn sich auch die Teammitglieder bewerben könnten bzw. der Verantwortliche sich sein Team tatsächlich selbst zusammenstellen könnte? Wie „Hybrid Professionals“1

1Hybrid

Professionals sind Wissensarbeiter, genauer gesagt hochqualifizierte Portfolioarbeiter, die extrem professionell und projektbasiert für verschiedene Auftraggeber arbeiten. *Definition Hybrid Professionals, Jens O. Meissner (02/2016) https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/hybrid-professionals/.

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könnten Mitarbeiter immer wieder Grenzen überwinden und eigenen Unternehmergeist in ein Unternehmen bringen. Lassen Sie ihre Mitarbeiter zu (kleinen) Unternehmern werden, denn so erhalten Sie selbstverantwortliche und zuverlässige Mitstreiter. Geben Sie Ihren Mitarbeitern Handlungsspielräume und Verantwortung. Formulieren Sie dabei aber klar Ihre Erwartungen, setzten Sie ein Ziel und anschließend Meilensteine. Riskieren Sie, dass dieses Experiment bei einzelnen Mitarbeitern schiefläuft. Bei allen anderen wecken Sie dadurch deren Unternehmergeist und halten so clevere Köpfe unter Ihrem Dach. siehe auch Kap. 13 „New Work…und keiner geht hin“. Zum Setzen der Meilensteine, kombiniert mit einem Motivationsanreiz, hilft beispielsweise die „3-Tage-Regel“: Um seine Motivation aufrechterhalten und effektiv arbeiten zu können, benötigt man bei Vorhaben und Projekten alle drei Tage ein konkretes, messbares (Teil-)Ergebnis [12]. Brechen Sie diese herunter auf Ihre Mitarbeiter und probieren Sie es aus. Weiten Sie dies dann auf kontrollierende Meilensteine aus. Sind Mitarbeiter ein selbstbestimmter Teil der Unternehmens-Vision sowie an der Gestaltung der eigenen Zukunft und der des Unternehmens beteiligt, steht der Mitarbeitermotivation wenig im Wege. Selbstständigkeit erreichte der Unternehmer Andreas Glemser auf eine besondere UN.konventionelle Art: Der Geschäftsführer verlies sein Unternehmen erst für vier und einige Jahre später für sieben Monate, um die Unternehmensstrategie neu zu denken. Das Ergebnis war nicht nur für die Strategie, sondern für die Unternehmenskultur und auch das Geschäftsergebnis beeindruckend: Seine Mitarbeiter organisierten sich selbst, wollten und konnten Verantwortung übernehmen und waren auch wirtschaftlich erfolgreich(er) [13]. Teilhabe an der Gemeinschaft Laut einer aktuellen Studie von Stepstone ist eine gute Beziehung zu den Kollegen der wichtigste Grund, um bei einem Arbeitgeber zu bleiben [3]. Und laut einer Studie von LinkedIn ist die Partizipation ein wesentlicher Faktor, warum sich Mitarbeiter in Unternehmen zugehörig fühlen [8]. Auch wenn die Gemeinschaft Anerkennung und Lob bieten kann, die Wertschätzung kommt dabei von Kollegen und Vorgesetzten. Sie ist also ein wichtiger Aspekt für Mitarbeiter, um sich wohl zu fühlen – und entscheidet darüber, ob man dem Arbeitgeber treu bleibt [3]. Außerdem spielt die gute Beziehung zu Vorgesetzten laut dieser Studienergebnisse eine wichtige Rolle, da der Kündigungsgrund Nr. 1 nach wie vor die (schlechte) Führungskraft ist. Führungskräfte entwickeln Führungskräfte werden oft zu reduziert aufgrund fachlicher Erfolge ausgewählt. Doch in der Regel sind nicht nur Fachwissen, sondern andere Qualitäten wichtig, um als Führungskraft akzeptiert zu werden. Daher sollten Führungskräfte unter anderem in ihrer Persönlichkeit soweit gefestigt sein, dass sie die individuellen Verhaltensweisen ihrer Mitarbeiter anerkennen und wertschätzen. Dabei geht es darum, scheinbar ungewöhnliches Verhalten nicht persönlich zu nehmen, sondern den Nutzen dieser Persönlichkeit

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für das Team zu entdecken. Wertschätzung, Verständnis und Bewusstsein für mich selbst und mein Gegenüber ist wichtig und muss deshalb trainiert werden. Ferner sollten Zeichen der Anerkennung in den Arbeitsalltag integriert werden. Selbst „nur“ ein freundliches Wort kann Wunder bewirken. Neben einer offenen, ehrlichen und respektvollen Kommunikation im und gegenüber dem Team ist Transparenz ein wesentlicher Wert, der im Miteinander eine wichtige Rolle spielt [8]. Allein die Tatsache, dass ich klar und transparent kommuniziere, verringert das Risiko, dass Kollegen und Mitarbeiter frustriert sind. Denn Frust entsteht oft durch undeutliche Arbeitsanweisungen oder unzureichende Information und wirkt so stark demotivierend. Die Folge: Mitarbeiter kommen ins „Abarbeiten ohne Sinn“. Motivierend wirkt dagegen, Impulse zu setzen statt den Mitarbeitern die Denkarbeit abzunehmen. Raum für neue Ideen Um richtige Entscheidungen treffen zu können, benötigt ein Unternehmer so viele Daten und Inspirationsquellen wie möglich. Und hier wiederum sind Mitarbeiter und Kollegen eine der wichtigsten Ressourcen. Denn in den Köpfen der Mitarbeiter steckt das wertvollste Wissen für das Unternehmen. Leider findet der „Prophet im eigenen Land“ häufig aber nicht das entsprechende Gehör oder verfällt einem gewissen „Tunnelblick“, weshalb oft externe Berater ins Haus geholt werden – um alternative Denkmuster zu etablieren und den Horizont durch kreative Ideen und Erfahrungen wieder zu erweitern und für das Unternehmen nutzbar zu machen. Gerne übersehen Manager dabei, dass ganz viel internes Potenzial genau hierfür vorhanden ist. Es fehlt lediglich der nötige (Frei-)Raum, um es abzurufen. Denn um Ideen entstehen zu lassen, müssen Unternehmen den geeigneten Raum zur Verfügung stellen. Mit Raum ist hierbei aber nicht nur der kreativ gestaltete Arbeitsraum mit Tischkicker etc. zu verstehen. Denn Ideen entstehen nicht irgendwo im Kopf oder Unternehmen auf Knopfdruck – Innovationsabteilung hin oder her. Die besten Ideen entstehen häufig außerhalb des Büros und fern von Meetings und zähen Gesprächsrunden. Sie entstehen dann, wenn ich den Raum habe, meine Gedanken und mein Wissen auszutauschen. Sie entwickeln sich, wenn man die richtigen Menschen zusammenbringt und möglichst frei arbeiten lässt. Gleichzeitig wird meine Motivation am meisten beflügelt, wenn mein (mentales) Engagement auf Freiwilligkeit beruht. Denn ich möchte die Wahl haben, mich einzubringen. Sind diese Faktoren gegeben, steht guten Ideen nichts mehr im Weg. Neue Ideen sind der Treibstoff für unsere Wirtschaft und den Unternehmenserfolg. Sie sind nicht nur eine wertvolle Ressource, sondern auch unerschöpflich. Der perfekte Rohstoff für Verschwendung! Wie man aus einer Fülle von Ideen diese in reife Projekte umsetzt, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Dazu gibt es wunderbare Tools wie Design Thinking, die Lego® Serious Play® Methode und vieles mehr. Hier soll es erst mal um die Idee, den Funken, den Impuls gehen. Das, was zu weiteren Aktionen motiviert. Das, was das „Wir-Gefühl“ und den Stolz erzeugt. siehe auch Kap. 31 „Growth Hacking HR – Was Unternehmenskultur vom Marketing lernen kann“.

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Ideen zum UN.denken Hinterfragen wir Bewährtes und scheinbar Unumstößliches, ergo: ein bottom-up. Denn wer definiert, was richtig und was falsch ist? Dass Prozesse erfolgreich umgedreht werden können, zeigte unter anderem das Experiment Flipped Classroom [14] wo der Präsenzunterricht an den Bildschirm zu Hause verlegt und die Hausaufgaben (von Lehrern betreut) in der Schule erledigt wurden. Diese Idee lässt sich auf unterschiedlichste Bereiche adaptieren. Ein ähnliches Beispiel: Der britische Kognitionswissenschaftler Edward de Bono prägte die Kopfstandtechnik [15], die mit der Frage „Wie sieht die Lösung aus, die auf keinen Fall funktioniert?“ alles auf den Kopf stellt. Damit kann die Kreativität in Meetings angekurbelt werden und Teams kommen gleich auf ganz neue Gedanken. Zum gemeinsamen Mit- und Umdenken werden weltweit erfolgreich UN.konferenzen, die gleich ganze Konferenz-Modelle zielführend auf den Kopf stellen, eingesetzt. Hier werden ungeschriebene Regeln aufgehoben, die im normalen Arbeitsleben oft aufhalten. Statt des monotonen Sich-Berieseln-Lassens ist jeder Teilnehmer Teilgeber und trägt zum Erfolg der Ad-hoc-nicht-Konferenz bei. Es wird nachhaltig „genetzwerkt“ und Wissen in einem ganz besonders effizienten Rahmen geteilt [16]. Wichtigstes Prinzip wiederum: Alles beruht auf Freiwilligkeit. Hier kommt jeder  –  und zwar wirklich jeder!  –  zu Wort und kann sich als Experte einbringen. Jeder begegnet sich auf Augenhöhe. Jeder wird gehört. Der perfekte Raum, wo Ideen entstehen und entwickelt werden können. siehe auch Kap. 28 „Frei und willig: Die Unkonferenz als das Format der Zukunft“. Und noch ein UN.ding: Mitarbeiter sind besonders dann motiviert, wenn sie ihre eigenen Träume nicht aus den Augen verlieren. Machen Sie sich zum Verbündeten, indem Sie in die Zielvereinbarung auch ein persönliches Lebens(etappen)ziel des Mitarbeiters mit aufnehmen lassen. So erhalten Sie nicht nur wertvolles Wissen über diesen Menschen, Sie geben ihm auch das Vertrauen, dass Sie seinem Ziel nicht im Wege stehen. Wer einen Schritt weiter gehen möchte, kann das auf ein Traum-Board ausweiten und zu einer festgelegten (!) „Traum-Zeit“ im Unternehmen zum Austausch mit Kollegen über Träume einladen. UN.regeln Auf jeden einzelnen kommt mit dem Wandel der Arbeitswelt in starker Ausprägung ein höheres Maß an Eigenverantwortung zu. Wir sind mitten in der digitalen Transformation. Stellenbeschreibungen ändern sich, Spezialisten mit hohem fachlichen Experten-­ Know-How sind weiterhin gefragt, allerdings spielen Eigenschaften wie Empathie und Antizipation eine wesentlich größere Rolle als bisher. Ehemals als selbstverständlich gegoltene Regeln werden obsolet sein. Leistungen sind heute schon nicht mehr zwingend an Zeit und Ort gebunden. Auch „Nine-to-five“ ist kein aktuelles Konzept mehr, auch wenn man es in einigen Unternehmensstrukturen nach wie vor findet. Genau diese Unternehmen müssen dringend anfangen, die Komfortzone zu verlassen und neu zu denken, um nicht vom Wandel überrollt zu werden.

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Des Weiteren wird es eine größere Rolle spielen, für welches Unternehmen man sich engagiert oder mit welchem Mitarbeiter man zu welcher Zeit zusammenarbeiten will. Teamzusammenstellungen werden situativer erfolgen und nicht fix sein, so wie es heute schon in agilen Softwareentwicklungsteams Alltag ist. Bei allem Regelwerk, das immer wieder zu beachten ist, möchte ich besonders auf eines hinweisen: Geben Sie nicht zu viele Regeln vor, solange die Ergebnisse stimmen. So hat jeder wenigstens die Möglichkeit, sich seinen Möglichkeiten entsprechend zu entfalten. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter selbstorganisiert handeln, ihre Arbeit räumlich und zeitlich sehr flexibel gestalten, und geben Sie ihnen Raum, ihre Ideen auszuprobieren. Regelmäßige Austauschrunden mit Vorgesetzten und Kollegen bieten dabei die Möglichkeit, gemeinsam an diesen zu feilen und zu perfektionieren. Wichtig ist, dass Sie die Zügel ein Stück weit aus der Hand geben und nicht mehr alles steuern wollen. Denn nur wenn man sich auf Unerwartetes einlässt, kann es auch zu Unerwartetem kommen. Legen Sie also Meilensteine und Grenzen für die autonomen Entscheidungen Ihrer Mitarbeiter fest und lassen Sie los dann. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter selbst aktiv werden und haben Sie Vertrauen. Werden Sie UN.aufhaltsam: Auf zur UN.kultur! Es gibt nicht DIE richtige Unternehmenskultur. Es gibt nicht das eine gültige Rezept. Vielmehr müssen Sie sich das aussuchen, was Ihren Werten entspricht: Es geht um Ihre Zutaten. Authentisch zu sein ist hier der einzig nachhaltige Weg, was gleichzeitig nicht heißt, in alten Mustern verharren zu müssen. Verlassen Sie Komfortzonen, auch wenn es am Anfang noch etwas holprig erscheinen mag. Bewegen Sie Ihr Denken, lassen Sie neuen Ideen Raum und gestalten Sie Ihre eigene UN.kultur. Probieren Sie Dinge aus und lassen Sie Dinge ausprobieren, die zu Ihrem Unternehmen passen könnten – auch ohne zu wissen, ob die Experimente erfolgreich sein werden. Betonen möchtge ich hierbei, dass es nicht um eine Verweichlichung der Kultur gehen soll, in der jeder tun und lassen kann, was er will. Stattdessen ist es von Bedeutung, mit jeglichem Verhalten – und dazu gehören auch Fehler – „professionell“ umzugehen. Dinge, die misslingen müssen weder in einem „Hype“ erstrahlen noch dürfen sie verklärt werden. Ziel sollte es sein, Räume für Mitarbeiter zu erschaffen, in denen einen schlichtweg umfassende Lernkultur entstehen und wachsen kann und wo das Vertrauen besteht, dass Fehler am Ende des Tages zu einer Verbesserung der allgemeinen Qualität beitragen werden. Mitarbeiter von morgen suchen Sinn und wollen wachsen. Sie werden nicht mehr ihr Leben und alles, was dazu gehört, dem Beruf unterordnen. Daher sollten Unternehmen neben einer zur Entwicklung anregenden Lernkultur auf ein ausgewogenes Verhältnis von Beruf und Privatleben setzen sowie für ein respektvolles Miteinander sorgen. Dabei ist wichtig, die „Employer Branding“-Strategie nicht nur auf Neueinstellungen zu fokussieren, sondern auch stark auf die vorhandenen Mitarbeiter im Unternehmen auszurichten. Sie sind diejenigen, die Know-how besitzen. Und sie sind diejenigen, die am eindrucksvollsten und glaubwürdigsten „Recruiting“ betreiben können. Sie sind Ihr bester Vertriebskanal

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bei der Suche nach den Mitarbeitern von morgen. Wenn Ihre Unternehmenskultur das Mensch-sein in den Fokus stellt, zu Selbstbestimmung und Mitbestimmung motiviert und Raum zur persönlichen Entfaltung lässt, dann werden künftige Bewerber noch mehr Anreiz haben, Teil dieser Kultur werden zu wollen. Die Werte Freiheit, Selbstständigkeit und Gemeinschaft werden Sie dabei unterstützen – vorausgesetzt, Sie lassen es zu. Zum Schluss das UN.wort der neuen Arbeitswelt: Agilität Bei Agilität geht es primär um Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit. Das Erhöhen der Geschwindigkeit ohne Rücksicht auf Inhalt und Qualität ist hierbei allerdings sehr kurzsichtig. Denn die Stärke der Agilität ist besonders das gleichzeitige Validieren, das Lernen und die Flexibilität. Doch wie kann Agilität uns zu einer besseren Kultur und zum Halten der Mitarbeiter verhelfen? Was wir von den Erfolgsfaktoren der agilen Methoden lernen und adaptieren können: Man macht. Man spricht darüber. Man synchronisiert sich mit anderen. Man fragt, man testet, fordert sich gegenseitig, scheitert, verändert und macht wiederum weiter. Bei alldem handelt es sich um Aktivitäten, die das Nutzen des eigenen Menschenverstandes und einen gewissen Pragmatismus erfordern. Man lässt Unnützes weg und findet zu vernünftiger Zusammenarbeit zurück. Deshalb, seien Sie mutig. Probieren Sie Dinge aus, die auf den ersten Blick verrückt erscheinen. Formen Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern die Kultur. Denn die Anpassungsfähigkeit macht Sie dynamisch, leistungsfähig und sichert das Überleben. „Survival of the fittest“: Hätte Darwin gewusst, welche Rolle seine Evolutionstheorie heute für die neue Arbeitswelt hat, er hätte geschmunzelt. Auf in die Praxis

UN.ternehmer: Lassen Sie Ihre Mitarbeiter in die Selbstorganisation und Selbstverantwortung kommen. Setzen Sie Meilensteine. Und dann: Vertrauen Sie. UN.bezahlbar: Überdenken Sie Ihre Arbeitszeitmodelle sowie die zugrundeliegende Bezahlungskomponente. Welche Währung bringt für welchen Mitarbeiter den meisten Wert? Können Bezahlmodelle individualisiert werden? UN.konferenz: Veranstalten Sie regelmäßig interne UN.konferenzen, um Stimmungen zu erspüren und zu hören, und um zu lernen, was für Sie und Ihre Mitarbeiter morgen wichtig sein wird. Sie werden begeistert sein, welchen Wert Sie dadurch für Wissen und Gemeinschaft gewinnen. UN.kontrolliert: Geben Sie Kontrolle ab. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter erarbeiten, wie sie sich kreativen Raum vorstellen. Geben Sie ausreichend Spielraum, für Denkrunden und um „verrückte“ Dinge auszuprobieren. UN.ding: Enthalten die Zielvereinbarungen Ihrer Mitarbeiter auch ein persönliches Lebens(etappen)ziel? Lernen Sie dadurch und gewinnen Sie Vertrauen. UN.sichtbar: Bieten Sie Ihren Mitarbeitern an, auch mal außerhalb des Büros zu arbeiten. Und lassen Sie es sich mit einem festgesteckten Rahmen zeigen, dass es produktiv ist.

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UN.regeln: Reduzieren Sie Regeln und unterstützen Sie stattdessen durch Meilensteine und Grenzen das autonome Handeln Ihres Teams. UN.fachlich: Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter bei der persönlichen Weiterbildung und gewinnen Sie herausragende Persönlichkeiten. UN.konventionell: „Ich bin dann mal weg.“ Wo wollen Sie sich um die Strategie Ihres Unternehmens kümmern? Welche weiteren Ideen zum UN.denken können Sie aufgrund der Werte Ihres Unternehmens entwickeln? UN.aufhaltsam: Es gibt nicht „die“ richtige Kultur. Bauen Sie Ihre UN.kultur authentisch auf Ihren Werten auf und seien Sie ein ständiges Vorbild. Gestalten Sie Ihre Kultur gemeinsam mit den Beteiligten durch Offenheit und Vertrauen. Seien Sie mutig und freuen Sie sich auf die Ergebnisse.

Literatur 1. Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, Neue Kultur. Arbor, Freiamt 2004. 2. Studie: Was Bewerber wirklich wollen https://www.manpowergroupsolutions.de/fileadmin/ manpowergroupsolutions.de/Download/MGS_Well_Informed_Candidate_D_20170426.pdf; 2017 (abgerufen am: 03.08.2018) 3. Studie warum Fachkräfte bei Arbeitgebern bleiben: https://www.stepstone.de/Ueber-StepStone/wp-content/uploads/2017/09/StepStone_Kandidaten-im-Fokus.pdf, 2017. 4. Collins, Jim; Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg (München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2001), S. 62. 5. http://www.badische-zeitung.de/wirtschaft-3/schweden-testet-den-6-stunden-tag–149011958. html (abgerufen am: 03.08.2018) 6. Lasse Rheingans, Digitaler Enabler, https://digitalenabler.de/ (abgerufen am: 03.08.2018) 7. Rheinische Post/Wirtschaft Nr. 10, 29. Juni 2018, S. 9 http://sonderveroeffentlichungen.rp-­ online.de/wirtschaft-in-nordrhein-westfalen-29062018/60870302/9 (abgerufen am: 03.08.2018) 8. LinkedIn/Daten aus Mai 2018; Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH. 9. Dan Ariely, Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen. 2008. Droemer Verlag, München, S. 115. 10. https://www.v-und-s.de/gehalt-nach-eigenem-gusto; Vollmer & Scheffczyk GmbH (abgerufen am: 03.08.2018) 11. Statistica 2018: Zahl der Selbstständigen in freien Berufen in Deutschland von 1992 bis 2018 (in 1.000, jeweils zum 1. 1. des Jahres); https://de.statista.com/statistik/daten/studie/158665/ umfrage/freie-berufe—selbststaendige-seit-1992/ (abgerufen am: 03.08.2018) 12. Bodo Schäfer, Die Gesetze der Gewinner. Erfolg und ein erfülltes Leben. 19. Auflage 2018, dtv Verlagsgesellschaft mbH&Co.KG, München, S. 163. 13. https://www.cocomin.de/interessantes/einzelansicht/article/blog-nr-6-andreas-glemser-goesdown-under.html?cHash=359516efa38abd0a5220d3f27dd8fa57 (abgerufen am: 03.08.2018) 14. https://www.e-teaching.org/lehrszenarien/vorlesung/inverted_classroom (abgerufen am: 03.08.2018) 15. https://de.wikipedia.org/wiki/Kopfstandtechnik (abgerufen am: 03.08.2018) 16. Was ist eine Unkonferenz? https://de.wikipedia.org/wiki/Barcamp (abgerufen am: 03.08.2018)

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Dorothee Brommer tritt an, Menschen mit neuem Denken zu infizieren. Sie unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, ihre Projekte mit dynamischem Denken, passenden Methoden und den richtigen Partnern ins Ziel zu führen. Die ausgebildete Volkswirtin versteht es, das Wissen unterschiedlicher Branchen übergreifend nutzbar zu machen. Als passionierte Netzwerkerin treibt sie im Innovationsbeirat unter anderem Themen wie New Work, moderne Unternehmensführung und Organisationsentwicklung. Ihre Leidenschaft ist es, Wissen offen und großzügig zu teilen sowie Menschen zu begeistern und so zusammen zu bringen, dass jeder ein Gewinner ist. Sie ist hierbei nicht nur als Neudenkerin, sondern auch als Neumacherin mit dem Bewusstsein für traditionelle Werte und einem guten Gespür für Menschen bekannt. https://brommer-consulting.de https://changingthegame.de/dorothee-brommer

Interview: „Das Spiel mit dem Ungewissen – die Kunst der Improvisation“

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Dorothea Anzinger

Zusammenfassung

Die Kunst der Improvisation trainiert Teilnehmer in Kommunikation, Kreativität und Schlagfertigkeit: Eine Idee wird aufgegriffen und vorangetrieben – selbst organisiert, ohne Regieanweisung. Eine Fähigkeit, die nicht nur im Privat-, sondern auch im Berufsleben nützlich ist. Daher nutzen immer mehr Unternehmen diese Art der Weiterbildung, um Kommunikation, Teambuildung sowie Kreativität und Strategie zu trainieren und zu verbessern. Bei der „Wort für Wort“-Übung beispielsweise erzählen zwei Spieler im Wechsel eine Geschichte. Und weil keiner von beiden weiß, wie die Geschichte weitererzählt wird, ist nichts vorauszuplanen. Für den Umgang mit dem

D. Anzinger ()  Social Creative Performance, Vaterstetten, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_34

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D. Anzinger

Ungewissen muss man offen für Neues sein und sich von den eigenen Vorstellungen lösen können. Eigenschaften, die vor allem in unserer sich schnell ändernden Arbeitswelt wichtig sind. Durch das Improvisationstheater lernen Teilnehmer, die Angst vor der Ungewissheit zu verlieren und Zuversicht und Vertrauen in sich zu haben.

Sie sind Impro-Schauspielerin und arbeiten mit Unternehmen zusammen. Wie genau sieht diese Zusammenarbeit aus? Als Impro-Schauspielerin inspiriere ich mit erfundenen Geschichten, um das Publikum zu begeistern. Dabei bin ich Autorin, Regisseurin, Spielerin und Unterstützerin, die ohne Text, Drehbuch und Absprache agiert. Diese Herausforderung bewältige ich, weil ich absolut fokussiert und präsent bin sowie klar und wertschätzend kommuniziere. Fähigkeiten, die mir allerdings nicht nur auf der Bühne helfen, sondern auch im Job und Privatleben. Denn auch hier müssen wir täglich spontan, reaktionsfähig und flexibel agieren können. Die persönliche Entwicklung, eine klare Kommunikation sowie die Fähigkeit zur Kooperation sind auch in Unternehmen wichtige Aspekte. Mit den Techniken des Improvisationstheaters erlebt jeder Mitarbeiter hautnah, wie sich klare Kommunikation anfühlt, was sie mit einem macht und was es dafür braucht. Denn unsere innere Haltung hat viel damit zu tun, wie wir anderen begegnen. Was lernen Teilnehmer vom Improvisationstheater? Ja zu sagen, allerdings weniger im Sinne von Ja-Sagern. Vielmehr geht es darum, Situationen so anzunehmen, wie sie sind und damit zu arbeiten. Wer kennt das nicht, man wacht morgens mit einem klaren Kopf auf und weiß genau, wie der Tag ablaufen soll. Weil wir jedoch andauernd mit Dingen konfrontiert sind, die uns von unserem Plan abbringen, ist es wichtig, darauf zu reagieren: Was machen wir daraus? Blockiert uns das oder suchen wir nach einer Möglichkeit, wie wir die Situation meistern können? Als Impro-Spieler ist man auf der Bühne unbekannten Situationen ausgesetzt. Dem kann man sich entweder verweigern oder man nimmt die Herausforderung an. Dafür müssen sie eigene Strukturen und Muster (er)kennen, in denen sie agieren – und eventuell auch Muster des Systems, in dem man sich bewegt. Wo erlaubt das System Handlungen und wo bremst es aus? Was ist hier die größte Herausforderung? Unternehmen stecken in Strukturen fest, die nicht mehr funktionieren. Sich davon zu lösen, ist eine große Herausforderung – für Unternehmen und Mitarbeiter. Gefragt sind daher Strukturen und Führungskräfte, die eine Fehlerkultur propagieren, Kreativität und Individualität fördern und fordern. Das Improvisationstheater kann dabei helfen, diesen Weg zu gehen.

34  Interview: „Das Spiel mit dem …

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Wie? Unternehmen kommen häufig auf mich zu, weil ein Team sich weit voneinander entfernt hat und jetzt Schwierigkeiten hat, zusammenzuarbeiten und sich auf einer zwischenmenschlichen Ebene zu begegnen. Kein Training, das auf einem verhärteten Betonboden gepflanzt werden soll, kann Wurzeln schlagen. Nur wenn der Boden weich und vorbereitet ist, hat man eine Chance, auch gute nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Ist die Bereitschaft da, etwas ändern zu wollen, geht es hingegen sehr schnell: Schon nach den ersten Übungen fallen Barrieren, weil Mitarbeiter so aus ihrer Routine und Komfortzone herausgeholt werden. Durch das Improvisationstheater kommen sie in eine Situation, die sie so aus ihrem Alltag nicht kennen, die aber dennoch sehr nah an ihrem alltäglichen Leben ist. Am Ende geht es darum, das Bühnenerlebnis zu analysieren und aufzuarbeiten. Zu reflektieren, was konkret passiert. Also zu verstehen, worum es geht. Dabei sind es oft die kleinen Erkenntnisse, die einen großen Aha-Effekt auslösen. Entscheidend ist die Sensibilisierung für das Zwischenmenschliche. Denn ob im Job oder Privatleben: Jeder möchte gesehen und gemocht sowie achtsam behandelt werden. Und für seine Leistung wertgeschätzt werden. Wie gelingt der Praxistransfer? Rein visuelle Reize sind hilfreich. So können beispielsweise Post-its mit den erarbeiteten Essenzen sichtbar aufgehängt werden. Oder ein Team etabliert kleine Rituale im Arbeitsalltag. Was spricht zum Beispiel dagegen, vor einer Besprechung zunächst zu spielen? Viele Unternehmen, mit denen ich arbeite, machen das mittlerweile – und halten so den Spirit aufrecht. Ebenfalls sehr wirksam ist das Kreieren von konkreten Situationen im Training, in denen Verhaltensweisen trainiert werden. In diesen „Moments of truth“ können sich Mitarbeiter in einem sicheren, geschützten Rahmen ausprobieren – ohne Bewertung und Zuschauer von außen. Unser Gehirn ist so gestrickt, dass es nicht unbedingt den Alltagskontext braucht, um eine Verhaltensweise zu erlernen und zu speichern. Die Neurowissenschaften belegen, dass das spielerische Lernen wesentlich schneller und effektiver ist als der rein intellektuelle Input. Wie sagte schon Goethe so schön: „Ich vergesse was ich höre, ich erinnere was ich sehe, lass es mich tun und ich werde es behalten.“ Dorothea Anzinger, Improwiser und Mindsetterin, gibt seit über zehn Jahren Trainings für klare Kommunikation und gelungene Kooperation im Unternehmenskontext. Sie arbeitet mit den Techniken der angewandten Improvisation, Ansätzen aus NLP und bringt ihre vielschichtigen Erfahrungen in Teamarbeit und Persönlichkeitsentwicklung mit ein. Die Individualität des Einzelnen sowie hirngerechtes Echtzeitlernen steht in ihren interaktiven, agilen Trainings im Vordergrund. Das ermöglicht den Teilnehmern ein nachhaltiges Umdenken, inklusive einer hohen Motivation das Erfahrene direkt im Alltag anzuwenden.

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D. Anzinger

Impuls: Michael O. Schmutzer (Unternehmensgründer & CEO, Design Offices) Büros sind die Fabriken für Zukunftsgestalter. Denn in der digitalen Arbeitswelt brauchen Menschen eine analoge Heimat, in der sie sich austauschen und gemeinsam Neues schaffen können. Hierfür braucht es flexible und inspirierende Räume, in denen sich effektives Arbeiten und Wohlfühlen nicht ausschließen, sondern bedingen. Zudem verändert New Work die Anforderungen an Mobilität: Das Fahrrad als perfektes Verkehrsmittel im urbanen Umfeld sowie innerstädtisches Arbeiten zeichnen die Arbeitswelt von morgen aus.

Die Kunst der Kunst

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Thor van Horn

Zusammenfassung

Schon seit Menschengedenken kümmerte sich die Kunst in Zeiten der Veränderung um unsere mentale Stärke. Von den Höhlenzeichnungen bis zum Storytelling war sie mit ihren ästhetischen Strategien wie ein Trainingslatz für Achtsamkeit, Kreativität, Dialog- und Experimentierfreude. Der Beitrag zeigt, wie der Transfer heute in der Praxis aussehen kann.

T. van Horn (*)  Quantum Kunst, Fürth, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_35

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T. van Horn

Es gibt eine Millionen Definitionen von Kunst. Eine davon dürfte gerade für Unternehmen interessant sein, die sich in einem Transformationsprozess befinden: Kunst vereint Widersprüche. Mithilfe der Strategien der Ästhetik tut sie das so, dass man die Werke als ganz besondere Qualität empfindet.1 Sonst wären sie auch keine Kunst. In Unternehmen ist die Vereinigung von Widersprüchen zu einer täglichen Aufgabe geworden. Vor allem dann, wenn es darum geht, den Spagat zwischen alten Prozessen und neuen Anforderungen und Methoden zu schaffen. Nun wäre es ideal, wenn dieses Prinzip, das Künstler anwenden, auf den Arbeitsalltag übertragbar wäre. Doch kann man deren Strategien erlernen? Die Antwort heißt tatsächlich JA – allerdings nur mit der richtigen Haltung. Was macht nun wiederum diese Haltung aus und wie können wir sie ­finden? Auch darauf gibt uns die Kunst die Antwort. Ist das Kunst oder kann das weg? Viele kennen die Geschichte: Eine mit Heftpflaster, Mullbinden, Fett und Kupferdraht bearbeitete Säuglingsbadewanne, ein Kunstwerk von Joseph Beuys, wurde von Hilde Müller und Marianne Klein als Schüssel zum Gläserspülen benutzt – nachdem sie das Werk erst einmal ordentlich gereinigt hatten. Die Wanne sollte eigentlich Teil einer Ausstellung im Museum Morsbroich in Leverkusen werden. Die beiden Frauen ahnten jedoch nicht, dass es sich um ein Kunstwerk handelte und überführten es einem praktischen Zweck. Der daraus entfachte öffentliche Diskurs zeigt sehr anschaulich, wie zu dieser Zeit zwei Welten aufeinander prallten. Die Kunst hatte sich in ihrer Autonomie der breiten Öffentlichkeit entzogen und erntete im wahrsten Sinne des Wortes Unverständnis. Der Paradigmenwechsel Noch immer gibt es einen starken Nachhall zur gesamten Autonomiebewegung der Kunst. Für viele ist Kunst ein ehemaliges Schulfach oder etwas, das sie im Museum betrachten, aber nicht verstehen können. Künstler sind ihrer Ansicht nach Ohr abschneidende Sonderlinge oder wohnen in einem Elfenbeinturm. Und bis vor ein paar Jahren gab es noch eine große Zurückhaltung der Unternehmen sich Künstler ins Unternehmen zu holen, um einen kreativen Dialog mit Ihnen zu führen. Inzwischen hat sich diese Zurückhaltung in großes Interesse gewandelt. Denn für den großen Wandel reichen die üblichen Rezepte der Optimierung und Leistungssteigerung nicht mehr aus, damit man als Unternehmen seinen Platz behaupten kann. Die neuen Methoden laufen jedoch auch ins Leere, wenn die Grundhaltung der Mitarbeiter nicht dazu passt.

1Voraussetzung

ist, dass man den jeweiligen Kontext eines Werkes versteht, sonst ergibt sich das viel zitierte Unverständnis.

35  Die Kunst der Kunst

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Fußballmannschaften können ein Lied davon singen, dass für den Erfolg nicht nur entscheidend ist, was sie tun und können, sondern auch, wie motiviert und abgestimmt sie es tun. Die innere Haltung ist hier wichtig – und die kommt nicht auf Geheiß. Um jene Grundhaltung kümmern sich Künstler. Gemeint ist eine neue Generation von Künstlern, die sich als systemische Künstler sehen, die weder mahnende Instanzen noch Lieferanten von dekorativen Kunstwerken sind, sondern prozesshaft, selbstreflexiv an (gesellschaftlichen) Reibungspunkten arbeiten. Sie bringen sich und ihre kunstspezifischen Haltungen und Fähigkeiten nicht nur vollkommen ein, sondern verhelfen ihren Partnern zu Primärerfahrungen und Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, an einem gesunden (Selbst-)Bewusstsein der Gesellschaft kreativ mit zu gestalten. Wo können Künstler in Unternehmen wirken? Systemische Kunst ist ein kreativer Dialog zwischen Künstlern und Mitarbeitern. Und dieser unmittelbare Dialog bezieht sich auf alle Bereiche, die sozial-ästhetische Prozesse verfolgen. Beispiele2 sind hierfür: 1. Die gemeinsame Gestaltung der Arbeitsplätze Tape-Art, Licht- und Raum-­ Installationen aus beliebigen Materialien, Fotografie oder Malerei sind nur einige Techniken, die zusammen umgesetzt werden. Um den Entwicklungsprozess mit Impulsen anreichern zu können, ist der laufende Dialog wichtig. Die daraus entstehenden Ideen sind meist sehr nahe an der eigenen Geschichte sowie der des Unternehmens dran oder gar miteinander verknüpft. Dafür finden regelmäßige „Art-Group-Sessions“ statt wie auch einzelne, regelmäßige Termine mit der Geschäftsführung. Die Realisierung erfolgt ggf. in Absprache mit den Einrichtern/Planern, die seitens des Unternehmens zu einem Dialog mit den Künstlern verpflichtet werden. Am Ende stehen ein Aha-Erlebnis, wie toll alles geworden ist, und eine gute Atmosphäre nicht nur auf den Raum bezogen, sondern durch Identifikation und Verbundenheit. 2. „Storytelling“ ist ein mittlerweile etablierter und damit repräsentativer Transfer von der Kunst hin zum Unternehmen. Es zeigt sich, wie sowohl die Strategien und Instrumentarien als auch die Wege zur „Wahrheitsfindung“ genutzt werden können, um in den Kern einer Unternehmens-Story einzudringen und zu erzählen. Auch hier gilt: Authentizität steht voran. Analogien aus der gesamten Welt der Erzählungen sind die Grundlage. 3. Incentives  Gibt es diese Geschichten noch nicht, schafft man Erlebnisse, die als Narrative dienen, d. h. die auch nach innen Verbundenheit herstellen und nach außen erzählt werden können. Die Künstler helfen dem Unternehmen, sich authentisch und stilvoll zu präsentieren. Der Spaß spielt dabei eine große Rolle.

2Diese

beziehen sich auf die Plattform „Quantum Kunst“.

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T. van Horn

4. Öffentlichkeitsarbeit Ebenso aufbauend auf der Kunst des Storytelling geht man auch hier mit den Künstlern einen Schritt weiter als üblich, bis hin zu Produktionen von Werbespots oder Social-Media-Kampagnen, die in Workshops erfolgen. Beispiele sind hierfür die jüngsten Werbespots von Lidl und Edeka, die von den Mitarbeitern aktiv mitgestaltet wurden. 5. Mindfitness und 6. Teambuilding Die Verbundenheit im Team und Mindfitness bedingen sich gegenseitig. Nicht nur, weil wir soziale Wesen sind. Was heißt überhaupt „Mindfitness“ und warum ist diese Eigenschaft zentral für unser Überleben? Was hat dies mit jener „Haltung“ zu tun, die wir suchen? Lasst uns die Spur aufnehmen. Die Kunst zu überleben Betrachtet man die ersten Höhlenzeichnungen geht man immer von einem kultischen oder gar dekorativen Hintergrund aus, warum sie die Höhlenwände zierten. Was ist, wenn es sich um strategische Zeichnungen handelte, wie eine Jagd stattfinden und koordiniert werden sollte? Könnte es eine Projektion dessen sein, was dem Stamm anschaulich machte, wie ein Team im Zusammenspiel sehr viel erfolgreicher agieren konnte und Beute machen? Sehr wahrscheinlich war es so, dass zumindest Anfänger ordentlich nervös waren, wenn sie auf freier Wildbahn den Tieren nachstellen sollten. Vom Erfolg war das Überleben des Stammes abhängig. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein kluger Geschichtenerzähler oder talentierter Zeichner das Szenario bereits vorweg an die Wand malte, um die Vorstellungskraft der Stammesmitglieder zu entfachen, sie einzustimmen, zu guten Strategien zu inspirieren oder ihnen einfach die Angst vor dem Kommenden zu nehmen. Der Wow-Effekt dürfte ähnlich grandios gewesen sein wie damals bei uns als wir zum ersten Mal ins 3D-Kino gingen. Die Schamanen waren nicht nur für die körperliche Gesundheit ihrer Stammesmitglieder zuständig, sondern hauptsächlich für die mentale. Sie dachten sich Rituale aus, sorgten für Incentives, bauten „altarreske“ Installationen, damit sie angebetet werden konnten. Inszenierten ein Brimborium an Special-Effects, um den Glauben an das Gesundwerden, die allgemeine Zuversicht oder die Gemeinschaft zu stärken. Die Qualität ihrer Arbeit war teilweise so gut, dass ihnen magische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Das alles half, um durch Eiszeiten oder andere epochale Widrigkeiten zu kommen. Der Glaube versetzte Berge, wie wir inzwischen sehen können. Er war der Sprit für unseren Motor, unser Gehirn, das zu Großem fähig ist – unter bestimmten Voraussetzungen. Und heute? Auch heute wäre man froh, wenn man solche „Schamanen“ hätte, die so eine Wirkung in der jetzigen Zeit erzielen könnten und uns Motivation, ja womöglich den Glauben an die Dinge geben könnten.

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Es bedarf einer hohen Grundbereitschaft, offen zu sein und immer wieder Neues zu lernen, um mit den neuen Anforderungen in der sich wandelnden Arbeitswelt Schritt zu halten. Doch anders als bei Kindern, die sehr schnell lernen, stagniert mit steigendem Alter und sinkender Experimentierbereitschaft auch unsere Fähigkeit zu lernen. Kinder sind offen, kreativ und fantasievoll. Im Erwachsenenalter und einem auf Prozessoptimierung ausgelegten Berufsleben gehen diese Eigenschaften den meisten von uns verloren. Joseph Beuys wusste es schon vor dem Internet Die Brücke zwischen der damaligen so wichtigen Rolle der Kunst und der heutigen stellt wieder Joseph Beuys her. Der berühmteste deutsche Künstler nannte sich selbst auch „Schamane“. Und nicht nur das, ausgerechnet jener Joseph Beuys, der abstrakt wirkende Installationen aus Fett und Filz geschaffen hat, hat uns eine der visionärsten sozialphilosophischen Theorien beschert, die nun im Zeitalter der Digitalisierung eine enorme Bedeutung gewinnt. Er verrät uns, wie wir zu jener Haltung gelangen können, die unsere Qualifikationen mit den mächtigen Instrumentarien der Kunst vereint und damit selbst zu Künstlern zu werden. Für Beuys kann jeder Mensch ein Künstler – vorausgesetzt, Offenheit, Kreativität, Fantasie und Spiritualität werden gefördert und geübt. [1] Mit seinem „Erweiterten Kunstbegriff“ erklärt er die ganze Gesellschaft zu einer „Sozialen Skulptur“, an der wir alle arbeiten können. Dafür müssen wir nicht Maler oder Bildhauer sein. „Er ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler. Ich sage nicht, dass dies bei der Malerei eher zur Kunst führt als beim Maschinenbau …“ [2] Entscheidend ist also nicht unser Gewerk oder unser Beruf, sondern unsere Haltung. Diese Haltung nach der wir suchen, entsteht aus dem Zusammenspiel von Fähigkeiten und Werten, wie wir sie auch bei Kindern kennen (siehe oben). Doch noch immer wissen wir nicht, wie wir sie erreichen können. Das schaffen wir spielend Beuys spricht deutlich von „fördern“ und „üben“. Denn nur durch wiederholte Übung, die von Experten gefördert wird, können sich wieder Offenheit, Fantasie und Kreativität in eine neue Haltung verwandeln, die uns zu neugierigen, experimentierfreudigen Lernenden machen. Erwachsene lernen meist rein kognitiv. Emotionalität wird ausgeklammert, teilweise sogar geächtet, da sie einer erhabenen Rationalität zu widersprechen scheint. Vergessen wird dabei, dass sich im Gehirn nur dann ein Feuerwerk an Netzwerkverknüpfungen einstellt, wenn das zu Erlernende einen emotionalen Bezug hat. Wie kann diese emotionale Verknüpfung für uns hergestellt werden? Wieder zeigen uns die Kinder wie es funktioniert, denn sie befinden sich in einem Modus, der ihnen genau das verschafft: Spielen.

280

T. van Horn

Es ist kognitives + emotionales + soziales Lernen. Die nächste Frage, die sich auf unserer Suche nach der richtigen Grundhaltung stellt, ist: Wie kommen wir wieder in einen Spielmodus, der sich auch für uns Erwachsene eignet? Die Kunst war nie weg Die Menschen, die die Kunst als etwas Weltfremdes sehen, vergessen, dass sie beinahe täglich Musik hören, Filme oder Serien ansehen, Bücher lesen, manchmal ins Theater gehen, womöglich sogar tanzen gehen. Schon beim Kunstkonsum können wir davon ausgehen, dass diese Gattungen unseren Horizont erweitern, indem sie beispielsweise unsere Fähigkeit schulen, andere Perspektiven einzunehmen, uns in einen Gleichklang oder -schritt (beim Tanzen) zu versetzen oder zumindest unsere Stimmung verbessern. Je aktiver die Teilnahme ist, desto wirksamer und nachhaltiger. Der Tanz verändert beispielsweise unsere ganze Körperhaltung. Er ist die Koordination von Körper, Geist und Empfinden, geführt von der emotionalsten und internationalsten Sprache, die die Menschheit kennt, der Musik. Gleichzeitig ist er ihre Übersetzungen gefühlter Bewegung ins Sichtbare und ein Ausdruck, der in seiner Entstehung als Harmonie an sich empfunden wird. Der Paartanz ist der vorübergehend perfekte Gleichklang zweier Menschen. In seinem gesamten ästhetischen und sozialen Widerhall ist es wahrscheinlich das, worauf unsere ganze Evolution hinstrebt. Dieser Text über den Tanz ist ein Beispiel einer „Art-Excercise“, die sich zur Aufgabe stellt, andere Gäste eines Hotels in der Lobby zu einem Walzer aufzufordern, begleitet von der raumfüllenden Musik. Natürlich lebt die Aktion vom flashmobartigen Überraschungsmoment, denn an sich ist es nicht ungewöhnlich, jemanden zum Tanz aufzufordern, den man nicht kennt. In der Hotellobby standen zudem in kurzer Zeit einige strahlende Beobachter, die nach dem Tanz applaudierten. Was war mit diesen Menschen geschehen? Ihnen war ein überraschendes, gemeinsames Erlebnis geschenkt worden. Es hatte gerade so viel ästhetische Inszenierung als wären sie in einem Film gelandet und so viel unmittelbares, reales Empfinden, um sich zu fragen, warum man solche Dinge nicht öfter macht. Einer der Teilnehmer fühlte sich erinnert an eine Szene des Films „Der Duft der Frauen“ [3]: Als blinder Gentlemen der alten Schule fordert Al Pacino eine junge Dame zum Tanz auf. Er schwebt mit ihr trotz seines Handicaps, Zeit und Raum außer Kraft setzend, durch den Saal, bestaunt von den anwesenden Gästen. Ein poetischer und inspirierender Moment. Die obige Kunst-Übung erinnert nicht ohne Grund an einen „Flashmob“. Flashmobs sind meist über die sozialen Netzwerke initiiert. Es sind massenhafte Verabredungen, die alle das sozial Verbindende als Grundelement propagieren. Solche Verabredungen, Challenges oder Flashmobs können an einem Platz oder aber auch über die Welt verteilt stattfinden. Tatsächlich bewegen sie nicht nur das öffentliche Bewusstsein, sondern auch in

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Zahlen messbar etwas.3 Weitere Wirkungselemente der partizipativen Netz-Kunst sind: Das Zugehörigkeitsgefühl, die Überwindung, die Sinngebung, die Inspiration, der Wettbewerb, die Katharsis. Die Netz-Kunst ermöglicht uns Erwachsenen wieder zu spielen Wer würde glauben, dass er mit einem ein- bis zweimaligen Besuch eines Fitnessstudios fit und muskulös sei? Viele Unternehmen glauben jedoch genau das in Bezug auf Kreativität und Zusammenhalt mit einem jährlichen Team-Event. Dabei brauchen Lernprozesse ihre Zeit, auch oder gerade in Bezug auf Fähigkeiten, die so vorher noch nicht gefragt waren. Mindfitness bedarf genauso regelmäßiger Trainingseinheiten wie körperliche Fitness. Mit konventionellen Formaten wäre dies jedoch enorm zeit- und ­kostenintensiv. Deswegen habe ich in einem langjährigen Dialog mit verschiedenen Unternehmen4 und u. a. der Shiftschool, der Akademie für digitale Transformation in Nürnberg, ein Format entwickelt, das genau diesen Spielmodus gezielt kultiviert. Es wird regelmäßig alle ein bis zwei Wochen durchgeführt und nimmt jeweils nur 10 bis 15 min in Anspruch: Das KUNST-RITUAL in Unternehmen ist ein Mindfitness-Programm für Gruppen. Es handelt sich um partizipative „Art-Exercises“ wie bereits oben im Beispiel beschrieben. Jede Übung wird von mir als Künstler individuell und gezielt für das auszubildende Team erstellt. Die Teilnehmer führen innerhalb von exakt zehn Minuten eine gemeinsame Aktion durch. Sie ist partizipativ, sie irritiert, inszeniert, provoziert, transformiert, ironisiert und erzählt oft eine Geschichte. Sie führt mitunter an persönliche Grenzen, soll Tabuisierungen entlarven und die Teilnehmer dem Punkt näher bringen, sie brechen zu können. So wird unkonventionelles Denken und entsprechende Lösungen auch im Arbeitsalltag zu finden, kultiviert. Die Übung fördert außerdem Mut, Experimentierfreude, Offenheit, Achtsamkeit und Gruppengefühl. Sie inspiriert und stärkt die eigene Kreativität. Durch die fest zusammengehörige Gruppe und die kleine Zeiteinheit der Übung wird ein geschützter und überschaubarer Rahmen geschaffen. Er ermöglicht auch Erwachsenen, die eigene Kreativität wieder zu entfesseln und das Zutrauen zu sich selbst und zum Team wie auch die Experimentierfreude wachsen zu lassen, kurz: zu spielen. In Phase zwei des Programms lernen die Teilnehmer selbst, Übungen für ihre eigenen Teams zu komponieren und durchzuführen. Sie verbreiten somit die Haltung und die Bereitschaft für Neues im ganzen Unternehmen.

3Ein

Beispiel: Die sogenannte „Ice Bucket Challenge“ war eine Spendenkampagne im Sommer 2014. Sie sollte auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam machen. In der Zeit der Aktion wurden gegenüber 2,1 Mio. US$ im Vorjahreszeitraum bis Ende August 2014 bereits 94,3 Mio. US$ gespendet. 4Das Kunst-Ritual ist u. a. Teil des „New Leaders“ Programms der BMW Group.

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T. van Horn

Fazit

Die praktische und ritualisierte Durchführung von gezielt komponierten Kunst-Übungen schult die Selbstüberwindung eigener Schwellen sowie äußerer, oft unausgesprochener Tabus. Selbstbewusstsein, Achtsamkeit und Experimentierfreude werden gefördert, die eigenen Denk- und Handlungsgrenzen können erweitert werden. Erst wenn wir dies verinnerlicht haben, kann die gewonnene Haltung auf den Arbeitsalltag übertragen werden. Denn mit dieser Haltung brauchen wir für unser weiteres Vorgehen keine Einzelrezepte mehr. Die partizipative Kunst ist damit wie ein Trainingsplatz für Mind-Fitness. Die Kunst hat ihre neue, alte Rolle wiedergefunden. Ganz im Sinne von Beuys nimmt diese Kunstbewegung seine Idee der gesellschaftlichen Vernetzung auf und fördert die Tugenden, die uns eine Grundhaltung verschaffen, die „soziale Plastik“ mitzugestalten. Nicht nur das, diese Haltung ermöglicht uns das Verständnis dafür wie wir kreativ, offen und fantasievoll sein können, um in die nächste Epoche der menschlichen Evolution einzutreten. Was haben Mindfitness und Teambuiling miteinander zu tun? Ein gutes Team ist wie eine Kinderbande: verspielt, verbunden, verwegen. Mit dem Kunst-Ritual fördern wir diese Tugenden und nutzen dafür die Strategien und Interaktionsformen der Kunst. Ihr Prinzip ist es, vermeintliche Widersprüche erfolgreich zu vereinen. Erst die Metaebenen führen zur Einsicht und zur Innovation und damit zur Freude und Sinnerfüllung. Die Pointe ist, dass sich die Vereinigung von Widersprüchen auch auf die Kompetenzen der Mitarbeiter selbst bezieht. Interdisziplinäre Teams können Genies ersetzen – jedoch nur dann, wenn sie stark verbunden und kreativ sind. Ihre Zusammenarbeit könnte Unternehmen exponentiell weiterbringen. Am Ende sollte dabei eine Sache nicht vergessen werden: Joseph Beuys fragte: „Wollen Sie eine Revolution ohne Lachen?“ [4] Ich will diese rhetorische Frage mit einem Satz ergänzen: Der Humor kann uns retten, aber ohne Liebe ist er auch nur Ironie.

Literatur 1. Aus “Provokation - Lebenselement der Gesellschaft”. Diskussion vom 27.01.1970. Joseph Beuys Medien-Archiv. 2. Im Interview mit Peter Brügge: www.spiegel.de/ “Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt”, 04.06.1984 3. https://www.imdb.com/title/tt0105323/ (23.07.2018) 4. Aus “Provokation - Lebenselement der Gesellschaft”. Diskussion vom 27.01.1970. Joseph Beuys Medien-Archiv.

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283 Thor van Horn, Intermediär an der Schnittstelle Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft, ist Gestalter und Initiator von Kunstprojekten im öffentlichen Raum und Cultural Entrepreneur. Er ist der Kopf der Plattform „Quantum Kunst“. Sie nutzt die Strategien und Partizipationsformen der Kunst, um Mitarbeiter in Unternehmen mutiger, kreativer und fitter für die anstehenden Aufgaben im Zuge der Digitalisierung zu machen. Die dafür von ihm geschaffene Übungsform des regelmäßigen Kunst-Rituals ist u. a. Teil des „New Leaders“ Programms der BMW Group. https://www.quantum-kunst.de/ https://changingthegame.de/thor-van-horn

Agile Feedbacksysteme von morgen

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Edgar Klein, Nicole Schwippl und Frank Müller

Zusammenfassung

Herkömmliche Feedbacksysteme mit definierten Inhalten und Bewertungskriterien und fest getaktetem Rhythmus, wie es in den meisten Unternehmen als jährliches Mitarbeitergespräch institutionalisiert ist, wird den Anforderungen flexibler Arbeitswelten und agilen Organisationsstrukturen nicht ansatzweise gerecht. Feedback muss weniger retrospektive Bewertungen umfassen als vielmehr prospektiv, entwicklungsorientiert und unterstützend sein. Verschiedenste Methoden und Konzepte erfüllen diese Anforderungen an modernes Feedback deutlich besser als bisherige Ansätze. Eine geschickte Kombination dieser Methoden und Konzepte ermöglichen nachhaltige Führung und die Agilität eines Unternehmens auf individueller Ebene, auf Teamebene und letztlich auf Organisationsebene deutlich zu steigern.

E. Klein (*)  Siemens Healthineers GmbH, Erlangen, Deutschland E-Mail: [email protected] N. Schwippl  Siemens AG, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] F. Müller  HR-FUTURE, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1_36

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E. Klein et al.

Feedback kann Mitarbeitern und Führungskräften wichtige Orientierung bieten und Potenziale zur weiteren Entwicklung liefern. Daher institutionalisieren Unternehmen Feedback in jährlichen Mitarbeitergesprächen. Dabei bleibt die erwünschte Wirkung des Feedbacks jedoch oft aus, da das Jahresgespräch meist nur der schulmäßigen Benotung des Mitarbeiters dient und so als lästiger Formalismus bei Mitarbeitern und Führungskräften wahrgenommen wird. Veränderungen der Feedbacksysteme sind dringend nötig. Dabei sollte die Frequenz des Feedbacks nicht fix, sondern bedarfsorientiert sein. Und auch der Inhalt des Feedbacks sollte weniger quantitativ sein, da v. a. qualitatives Feedback eine persönliche Weiterentwicklung ermöglicht. Unterstützt wird das von einem mehrdimensionalen Feedback aus verschiedenen Richtungen. Personalbeurteilungsgespräche sind für viele Mitarbeiter aufgrund ihrer Vorerfahrungen negativ behaftet. Einige Mitarbeiter sind nach ihrem Gespräch daher deutlich demotiviert und desillusioniert, was ihr Vertrauensverhältnis zum Vorgesetzten stark beschädigt. Nicht verwunderlich also, wenn viele Führungskräfte, aber auch Mitarbeiter, das jährliche Feedbackgespräch als einen reinen Formalismus interpretieren, der keinen wirklichen Nutzen stiftet. Dennoch führt man durch, weil HR es vorschreibt. Im ganz schlimmen Fällen fühlt sich der Mitarbeiter falsch bewertet, missverstanden oder nicht wertgeschätzt. Woran liegt das? Was könnte anders gestaltet werden, um nachhaltige positive Effekte aus den Beurteilungsgesprächen zu ziehen? Und wie steht es um die Feedbackkultur außerhalb der Jahresgespräche? Das klassische System In der Praxis wird eine Vielzahl von Beurteilungssystemen angewandt. Eine klassische Methode ist noch immer das Jahresgespräch zwischen dem Vorgesetzten und seinem Mitarbeiter: Anhand einer Skala werden Leistungen in verschiedenen Bewertungskriterien im Sinne von „untererfüllt, erfüllt oder übererfüllt die Erwartungen“ bewertet. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob in Zeiten der Digitalisierung und der zunehmenden Agilität der Unternehmen ein dermaßen statischer Beurteilungsmodus noch adäquat ist. Agilität beispielsweise bedingt kontinuierliches Feedback. So wären Mitarbeiter bei nur einem jährlichen Feedback lange Zeit im Blindflug unterwegs. Sie würden erst ein Jahr später erfahren, ob sie in die richtige Richtung geflogen sind. Da ist jedes Navigationssystem im Auto deutlich agiler! Schon bevor man an eine Weggabelung gelangt, erhält man Feedback und Orientierung. Ist man falsch abgebogen, erhält man eine Neuberechnung der optimalen neuen Wegstrecke. Warum wird die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Orientierung nicht auch in der Mitarbeiterführung realisiert? Push Feedback & on Demand Wie wäre es mit neuen Feedbacksystemen? Immer wenn der Mitarbeiter Feedback vom Vorgesetzten wünscht (demand), wird dieses vom Mitarbeiter aktiv eingefordert. Umgekehrt gibt die Führungskraft immer dann von sich aus Feedback (push), wenn sich

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z. B. Änderungen ergeben, die ein Umdenken oder ein Anders-Handeln erforderlich machen. Mit einem solch flexiblen Feedbacksystem können alle schneller agieren und Fehlentwicklungen frühzeitig vorbeugen. Das bedingt aber auch ein moderneres Führungsverständnis: Führung als Dienstleistung am Mitarbeiter – Servant Leadership! Der Feedbackprozess soll nicht als reines Beurteilungssystem verstanden werden, sondern wie ein Navigationssystem. Je schneller sich die Mühlen der Digitalisierung drehen, desto flexibler und schneller müssen auch Korrekturen der operativen Tätigkeiten vorgenommen werden. Die Führung ist aber nicht allein dazu da, um die Richtung vorzugeben. Vielmehr soll sie die Mitarbeiter darin unterstützen, ihre Ressourcen effizient und effektiv zu nutzen. Dafür muss Mitarbeitern jedoch klar sein, welche Richtung eingeschlagen werden soll. Denn nur so können Umwege, die meist mit Zeit-, Geld- und Nervenverlusten verbunden sind, vermieden werden. Feedback nicht Feeddown Viele Unternehmen propagieren ihre flachen Hierarchien. Doch wenn es um das Beurteilungssystem geht, ist das hierarchische Vorgesetzte-Mitarbeiter-Verhältnis klar verankert: Der Vorgesetzte beurteilt den Mitarbeiter, Punkt! Warum aber wird das 360-Grad-Feedback, bei dem Mitarbeiter ihre Vorgesetzten beurteilen, in der Praxis kaum angewandt? Im besten Fall bewerten Mitarbeiter das Führungsverhalten ihrer direkten Vorgesetzten. Über die weitere Entwicklung ihres Vorgesetzten entscheidet dann wiederum dessen Vorgesetzter. Es wird also allgemein angenommen, dass nur der Vorgesetzte einer Führungskraft über dessen Entwicklung entscheiden sollte. Was die Ziele für den Vorgesetzten sind, was Führung für ihn bedeutet und ob der Führungsstil auch kongruent mit den Führungsprinzipien des Unternehmens ist, bleibt Mitarbeitern verborgen. Was wäre, wenn sich Vorgesetzter und Mitarbeiter hier auf Augenhöhe begegnen? Genauso wie der Vorgesetzte für die Entwicklung des Mitarbeiters verantwortlich ist, wäre der Mitarbeiter für die Entwicklung des Vorgesetzten verantwortlich. Dafür müssten erst einmal transparente Strukturen und Kompetenzen (ich darf und muss meinem Vorgesetzten Feedback geben) geschaffen werden: Servant Followership. Wo möchte der Vorgesetzte hin? Wo möchte der Mitarbeiter hin? Ob Mitarbeiter dabei für bestimmte Positionen geeignet sind, beurteilt der Vorgesetzte. Doch wie sieht es mit dem Vorgesetzten aus? Wer kann besser als seine Mitarbeiter beurteilen, welche Fertigkeiten ihn auszeichnen. In der Praxis bekommen Mitarbeiter über die Entwicklung ihrer Führungskraft allerdings nichts mit, was für ein Ungleichgewicht sorgt, dass das Miteinander nicht fördert. Losgelöst von persönlichen Entwicklungswünschen der Mitarbeiter, wird in vielen Unternehmen nach dem klassischen Strategy follows Structure-Prinzip agiert. Gewöhnlich wird zunächst der Bedarf ermittelt, anschließend werden aus Äpfeln Birnen gemacht: Du möchtest in den Vertrieb? Geht nicht, im Marketing aber hätten wir noch Platz. Spätestens bei der Leistungsbeurteilung wird jedoch die Unzufriedenheit der Mitarbeiter erkennbar. Nachhaltige Personalentwicklung, die auf Stärken aufbaut, sieht anders aus!

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Bestehende System agil gestalten Die eigene Motivation ist wesentlich höher, wenn ich statt ein vorgegebenes, ein selbst gesetztes Ziel erreichen will. Natürlich sollten diese Ziele eine gewisse Herausforderung darstellen sowie die Stärken des Mitarbeiters fördern und fordern. Dazu können zusammen mit dem Vorgesetzten die eigenen Ziele selbst formuliert werden. Es können auch allgemeine Unternehmensziele individuell abgeleitet und mit dem Mitarbeiter auf dessen Stärken zugeschnitten werden. Zur Förderung der Identifikation mit dem ­Unternehmen. Start, keep, stop Aufgrund von persönlichen Eindrücken des Vorgesetzten erfolgt eine Beurteilung in der Regel subjektiv. Demnach ist es kaum möglich, solch ein Gespräch wertfrei zu halten. Zudem werden in solchen Feedbacks meist Dinge angesprochen, die länger zurückliegen, da es oft nur einmal jährlich erfolgt. Das hat zur Folge, dass jede in diesem Gespräch genannte Kritik aufgrund des zeitlichen Abstands schwer nachvollziehbar ist. Das wiederum wirkt sich negativ auf die zwischenmenschliche Beziehung aus und hemmt ein produktives Miteinander. Eine Möglichkeit zeitnah und konstruktiv Feedback zu geben, bietet das „Start/ Keep/Stop“-System. Es ermöglicht eine Bewertung unmittelbar zu jedem Zeitpunkt und von jedem Kollegen, sodass es direkt im Alltag umgesetzt werden kann. Das löst die klassische Top-Down-Bewertung vom Vorgesetzten ab und stellt alle Beteiligten auf Augenhöhe. Dabei können die drei Schlagwörter in Form kleiner Buttons mit der Aufschrift „Start“, „Keep“ und „Stop“ beliebig an Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzte vergeben werden. Äußert beispielsweise ein Kollege eine interessante Idee, die den Arbeitsalltag einfacher und produktiver gestalten kann oder ist diese Idee gar förderlich für ein gemeinsames Projekt, würde derjenige den Button mit der Aufschrift „Start“ erhalten, der die Idee befürwortet, damit starten und vorantreiben will. Der Button „Keep“ wird als Motivation vergeben. Das heißt, wer an einer Sache, einem Verhalten oder Projekt arbeitet und weiterhin festhalten will, erhält diesen Button. Ein eindeutiges Signal für eine positive Arbeit. Dagegen steht der „Stop“-Button für das sofortige Beenden einer Tätigkeit – unabhängig davon, ob diese Tätigkeit eine unnötig erscheinende Arbeit oder ein unangemessenes Verhalten darstellt. Dadurch wird deutlich, dass die Tätigkeit unverzüglich beendet werden soll. Zusätzlich besteht die Möglichkeit „Talent Coins“ an die Kollegen zu vergeben, wenn bestimmte Stärken erkannt werden. Diese fließen in die Leistungsbeurteilung mit ein und beeinflussen zugleich die Fördermöglichkeiten. Machen wir aus der Last eine Freude Beurteilungen sind generell mit einem enormen Zeitaufwand verbunden. Erfolgt die einmal im Jahr, ist der Arbeitsaufwand, der auf einem Vorgesetzten lastet, beträchtlich – vor

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allem wenn alle Mitarbeiter zu bewerten sind. Diese zeitliche Herausforderung zehrt an der Bereitschaft, diese überhaupt auszuführen. Im schlimmsten Fall hat das eine durchgehend mittelmäßige Bewertung für alle zur Folge. Machen wir aus der Last eine Freude und sorgen dafür, dass nicht nur der Vorgesetzte seine Mitarbeiter bewertet, sondern auch die Mitarbeiter ihren Vorgesetzten sowie ihre Kollegen. Zu guter Letzt erfolgt das am laufenden Band, also „on demand“. Das hat den positiven Effekt, dass die Arbeit nicht nur auf einer Person lastet und zu einem fixen Zeitpunkt erledigt werden muss, sondern auf alle Beteiligten umverteilt wird. Weil das zu einer deutlichen Mehrarbeit für alle Beteiligten führt, muss das Konzept versüßt ­werden. Fazit

Spiele machen bekanntlich Spaß und Menschen beschäftigten sich grundsätzlich lieber mit den angenehmen Dingen des Lebens. Daher sollte ein Bewertungssystem so aufgebaut sein, dass es unseren angeborenen Spieltrieb fördert? Bei der „Gamification“ handelt es sich um ein System, das die Leistung der Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzten auf spielerische Art und Weise beurteilt. Das steigert einerseits die Bereitschaft, Bewertungen durchzuführen. Um die Methode nicht auszureizen, sollten die Fragen peu à peu gestellt werden sowie kontinuierlich auf dem Computermonitor erscheinen, denn das regt den Spieltrieb der Teilnehmer an und kann motivieren den Kollegen Feedback zu geben. Bewertungen von mehreren Personen macht das Beurteilungsergebnis nicht nur valide im Vergleich zur Beurteilung eines einzelnen Vorgesetzten, sondern sorgt auch für gute Orientierung für jeden Einzelnen im Unternehmen z. B. hinsichtlich der Fragen: „Wo stehe ich?“; „Wie werde ich, meine Leistung und mein Verhalten wahrgenommen?“; „Was sollte ich ändern, was sollte ich beibehalten?“; „Wie sollte bzw. kann ich mich entwickeln?“ Vereint man die bisher genannten Methoden miteinander, erhält man ein agiles Stärken-System. Eine Form der Beurteilung, die einen nicht persönlich bewertet oder gar verurteilt, sondern stetig den Weg weist und somit voranbringt. Alle Beteiligten eines Unternehmens agieren auf eine Augenhöhe, was Kommunikationsbarrieren abbaut. Edgar Klein ausgebildeter Bürokaufmann, arbeitete lange in familiengeführten Unternehmen als Einkäufer und stellvertretender Geschäftsleiter. Aktuell ist er im Marketing-Team eines international tätigen Unternehmens der Gesundheitsbranche tätig und studiert nebenberuflich Wirtschaftspsychologie. https://www.changingthegame.de/edgar-klein

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E. Klein et al. Nicole Schwippl,  ausgebildete Sozialversicherungsfachangestellte, arbeitete mehrere Jahre im Vertrieb. Nach ihrem Auslandsaufenthalt wechselte sie zu einem internationalen Großkonzern der Metallindustrie und ist dort in der Digitalisierungssparte tätig. Nebenberuflich studiert sie Wirtschaftspsychologie. https://www.changingthegame.de/nicole-schwippl

Frank Müller wurde nach Jahren in der Beratung und Industrie Professor für Personal- & Organisationsentwicklung Ferner erforscht er virtuelle Führung und Arbeitsformen u. a. für das BMBF. Mit seinen Kollegen von HR-FUTURE unterstützt er Unternehmen bei der Entwicklung von Kooperationsprozessen und -strukturen. Als Gründungsberater begleitet er Start-ups Neugründungen und MBOs. In seinen Beiratstätigkeiten unterstützt er Geschäftsführer und Vorstände kleiner und mittelständischer Unternehmen. https://www.changingthegame.de/frank-mueller

Stichwortverzeichnis

A Achtsamkeit, 275, 281, 282 Active Sourcer, 36, 41–45, 167 Active Sourcing, 33, 42–45 agile Arbeitsweise, 11, 102, 225 Agile Leadership, 94 agiles Experimentieren, 37, 85, 154, 195, 249, 288 agiles Mindset, 93, 236 Agilität, 83, 110, 121, 154, 257, 258, 267, 286 Akquisestrategie, 4 Anforderungsliste, 33 Angst, 10, 39, 96, 104, 247, 253–255, 261, 272, 278 Arbeiten 4.0, 91, 93, 145 Arbeitgeber-Bewertungsportal, 35 Arbeitgeberimage, 33 Arbeitnehmermarkt, 51 Arbeitsbelastung, 142 Arbeitsform, 91, 93, 119, 126, 175, 187, 230, 290 Arbeitsort, 186, 187 Arbeitsprozess, 83, 98, 149, 166, 178 Arbeitspsychologie, 13, 139 Arbeitsrecht, 64, 66, 70, 73–76 Arbeitsschutzgesetz, 76 Arbeitstempo, 142 Arbeitsunfähigkeit, 136 Arbeitsvertrag, 35, 68, 70 Arbeitsweise, 10, 11, 13, 64, 93–95, 99, 120, 122, 123, 154, 166, 175, 177, 180, 203, 204 Arbeitswelt, 9, 65, 70, 73, 74, 83, 88, 91, 93–95, 98, 100–103, 107, 110, 132–134,

137, 142, 145, 146, 156, 159, 161, 184, 186, 190, 204, 218, 225, 229, 233, 253, 254, 257, 259–261, 265, 267, 272, 273, 279 Arbeitszeitmodell, 74, 100, 162, 187, 267 Arbeitszeitregelung, 25, 69, 74, 261 Augmented Reality, 250 Austausch, 5, 23, 51, 54, 69, 82, 83, 89, 147, 179, 205, 221, 223, 249, 250, 265 Auswahlprozess, 32, 53 Auswahlraster, 50 autonome Arbeitsbedingungen, 83 Autonomiebewegung, 276

B BarCamp, 129, 156, 192, 221, 223, 225, 226 Beförderungsentscheidung, 60 Beförderungsmodell, 60 Beförderungspolitik, 59 Beförderungspraktik, 61 Begeisterungsmanagement, 32, 36, 39 Beschwerdesystem, 61 betriebliche Ressourcen, 135 Betriebsverfassungsgesetz, 75 Beurteilungssystem, 286 Bewerberkommunikation, 32 Bewerbungsgespräch, 51, 52, 55, 68 Bewerbungsprozess, 32, 35, 50, 52, 53, 55 Beziehungsorganisation, 135 Bildschirmarbeitsplatzverordnung, 76 Business-Model-You, 97

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Brommer et al. (Hrsg.), Faszination New Work: 50 Impulse für die neue Arbeitswelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24618-1

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292 C Candidate Experience, 33, 44 Candidate Journey, 32, 36 Chancengleichheit, 59, 60, 148 Change, 11, 13, 82, 122, 123, 126, 139, 153, 163, 183, 230, 235, 244, 247, 255 Change Projekt, 11 Change-Prozess, 13, 123, 139, 230 Community Building, 166 Content, 32, 167, 168, 170 Corporate Blog, 38 Co-Worker, 75 Coworking, 40, 107, 185, 186, 188, 192, 252 Co-Working-Space, 40, 75, 76, 186, 252 Cultural Fit, 146 Customer Journey, 32, 155, 169, 170, 246 Customer Relationship Management, 34

D Datenschutz, 21, 44, 71, 75, 79, 80, 84, 138 Datenschutz-Grundverordnung, 43, 44 demografische Eigenschaften, 58 demographische Faktoren, 58, 63 Design Thinking, 19, 40, 94, 117–119, 163, 167, 168, 192, 237, 248, 252, 264 Dialog, 11, 34, 60, 62, 130, 165, 166, 180, 183, 221, 275–277, 281 Digitalisierung, 40, 73, 79–85, 89, 94, 98, 100, 117, 118, 120, 123, 125, 129, 132, 141, 161–166, 177, 178, 183, 187, 190, 204, 205, 222, 229, 233–235, 243, 244, 249, 251–255, 279, 283, 286, 287 Digitalisierungsausgaben, 118 Digital Leadership, 83, 90, 246 Digital Natives, 34, 37, 94 Disruption, 188 diversifiziertes Team, 57 Diversität, 57, 58, 60, 63, 64, 149, 163, 186, 195, 223 Diversity, 26, 57, 59–63, 83, 146–149 Diversity-Beauftragte, 61 Diversity-Schulung, 60 DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung), 44

E Eigenverantwortung, 89, 111, 115, 134, 135, 184, 265 Einstellungsprozess, 35, 54

Stichwortverzeichnis Employee Experience, 155 Employer Branding, 32, 34, 37, 39, 167, 248, 250, 258, 266 Employer Image, 37 Entrepreneurship, 83 Entscheidungsarchitektur, 59 Entwicklungsorganisation, 179 Entwicklungspotential, 88

F Facebook, 17–19, 21, 36, 42, 167 Fachkompetenz, 40, 56, 252 Fachkräftemangel, 4, 17, 33, 50, 54, 58, 63 Feedbackfunktion, 154 Feedbackkultur, 286 Fehlbesetzung, 53 Fehlerkultur, 53, 120, 163, 255, 272 flexible Arbeitsplätze, 94 Fluktuation, 4, 33, 62, 110, 217, 259 Fluktuationskosten, 52 Framework, 206, 211 Führung, 5, 6, 9–11, 57, 60, 63, 83, 94, 110, 112, 122, 123, 125, 134, 136, 137, 149, 175, 227, 233, 234, 236, 246, 287, 290 Führungskräfteverhalten, 246 Führungskultur, 63, 96, 135, 235 Führungsstil, 5, 84, 135, 236, 287 Führungsverhalten, 133, 136, 137, 209, 246, 287

G Gamification, 250, 289 Gender, 61 Gesundheit, 82, 131–134, 136–139, 141, 142, 231, 278 Gesundheitskultur, 131, 133–135, 137, 139, 140 Gesundheitsschutz, 75 Gesundheitsverständnis, 132 Gesundheitswesen, 15, 16 Getting Things Done (GTD), 193, 195, 199–202

H Holokratie, 6, 153 Home Office, 73, 74

Stichwortverzeichnis I Improvisation, 271, 274 Improvisationstheater, 272, 273 Inklusion, 59, 147 Innovationskraft, 53, 100, 147, 175, 178 Innovationsmethode, 117, 118, 122, 162 Instagram, 36, 38, 42 Integration, 15, 16, 22–25, 59, 123, 193, 231 interkultureller Konflikt, 59 Intrapreneur, 98 intrinsische Motivation, 42, 115

K Kanban, 10, 93, 237 Kanban-Board, 93 Kandidatenansprache, 18 kognitive Dissonanz, 61 kognitive Fähigkeiten, 50 Kollaboration, 83, 122, 130, 192, 208, 209, 249 kollektives Wissen, 205 Kommunikationskanal, 36 Kommunikationsstil, 36 Kompetenzprofil, 4 Kreativität, 6, 10, 13, 54, 83, 102, 107, 131, 137, 139, 147, 167, 192, 224, 229, 248, 250, 265, 271, 272, 275, 279, 281 Kulturveränderung, 62, 63 Kulturwandel, 9, 10, 69, 110, 180, 257, 258 Kundenbedürfnisse, 119, 123, 153, 162, 206 Kundenperspektive, 246 Kundenzentrierung, 32, 83, 244, 247 Kundenzufriedenheit, 138, 209–211 Kunst, 193, 271, 275–283

L Lean Management, 118, 119, 237 Lean Production, 119 lebenslanges Lernen, 49, 191–193, 222, 251 Leistungsbewertung, 60 Leistungskultur, 111, 243, 248, 251 Leistungsminderung, 134 Lernerfahrung, 88, 179 Lernmethode, 88 Lernprozess, 181 LinkedIn, 263

293 M Markenbotschafter, 23, 32, 37, 167, 259 Markengeschichte, 168 Meinungsbildungsprozess, 166 Mentoring, 61, 62, 81 Migration, 23 Mindset, 16, 42, 87, 90, 94, 95, 122, 129, 163, 190, 191, 194, 236, 248, 249, 251 Mindshift, 163 Mitarbeiterentwicklung, 4, 93, 154 Mitarbeiterfluktuation, 52 Mitarbeitergeneration, 13, 139 Mitarbeiterloyalität, 245 Mobilität, 261, 273

N Nachwuchstalent, 50 Net Promoter Score, 155, 245

O Objective and Key Results (OKR), 193 Offenheit, 51, 53, 55, 81, 83, 123, 191, 195, 223, 224, 236, 257, 258, 268, 279, 281 Open Innovation, 94 Open Space, 230, 231, 234 Organisationsentwicklung, 6, 96, 228, 237, 269, 290 Organisationsform, 128 Organisationskompass, 96 Organisationskultur, 13, 190 Organisationsmodell, 215, 216 Organisationsstruktur, 133, 169 Outsourcing, 7, 21, 27

P Paradigmenwechsel, 119, 157, 276 Personalbeurteilungsgespräch, 286 Personalentscheidung, 260, 261 Personalentwicklung, 7, 139, 177, 179, 287 Personalmanagement-Methode, 204 Personalstrategie, 5 Personalsuche, 4 Persönlichkeitsentwicklung, 274 Persönlichkeitsfaktoren, 81

294 Podcasts, 38, 192 Präsenzkultur, 187 Produktgeschichte, 168 Produktivitätssteigerung, 99, 201, 202 Projektmanagement, 40, 204, 252 Prozessänderung, 5 Prozessausführung, 152 Prozessoptimierung, 170, 200, 279 PR-Strategie, 166, 168

Q Qualifizierungsprogramm, 118

R Recruiting, 8, 16, 17, 21–23, 26, 32–37, 39, 42, 45, 49–51, 53, 54, 86, 138, 153, 167, 248, 259, 266 im Gesundheitswesen, 16 Recruiting-Instrument, 23 Recruiting-Kanal, 17 Recruiting-Prozess, 17, 112 Recruitingvideos, 38 Rekrutierung, 22, 23, 33, 50 ausländischer Pflegekräfte, 23 Rekrutierungsansatz, 15, 16 Rekrutierungsprozess, 32, 52, 54 Reputationskriterium, 166 Risikoanalyse, 66 Risikobewertung, 66 Risikomanagement, 66 Risikomanager, 71 Risikomatrix, 65–70 Robotic, 37 Role-Model, 59, 115 Rollenklischee, 63

S Screening der Zielgruppe, 17, 18 Scrum, 10, 182, 192, 194, 237 Selbstmanagement, 193, 200, 201 Selbstoptimierung, 224 Selbstorganisation, 89, 94, 104, 153, 175, 187, 216, 220–222, 225, 267 selbstorganisiertes Team, 128 Serviceorganisation, 205, 207, 208, 211 Skillset, 190, 191, 194

Stichwortverzeichnis Social Media, 15–18, 26, 33, 35–38, 42, 43, 54, 165, 166, 169, 245 Social-Media-Kompatibilität, 36 Social-Media-Plattform, 43 Social-Media-Post, 36, 43 Sozialkompetenz, 56, 120 Soziokratie, 215–218 Sportangebote, 142 Start-ups, 85, 187, 188, 216, 235, 244, 290 Stellenangebot, 17, 20, 33, 36, 37 Stellenanzeige, 33, 34, 36 Storytelling, 167–170, 275, 277, 278 Stress, 136, 137, 142, 190, 225, 255 Suchalgorithmus, 42 Suchmaschine, 42

T Talent Pool, 43 Teamarbeit, 274 Toolset, 190–192, 194 Topsharing, 62 Top-Talent, 36, 50 Touchpoint, 169, 170 Transformation, 11–13, 32, 50, 79, 80, 87, 88, 99, 100, 103, 123, 124, 154, 163, 166, 168, 204, 235, 236, 244, 247, 265, 281 Transformationsprojekt, 9, 12, 13, 235 Transformationsprozess, 94, 157, 235, 276 Twitter, 36, 42

U Umdenkprozess, 224 UN-Konferenz, 220–227, 265 Unternehmensbotschafter, 37 Unternehmensgeschichte, 168 Unternehmensimage, 33 Unternehmenskommunikation, 36, 149, 165, 166, 168, 169 Unternehmenskultur, 7, 13, 37–39, 56, 60, 62, 83, 109, 112, 128, 133, 134, 136, 139, 147–149, 157, 163, 204, 205, 218, 222, 224, 227, 228, 241, 244, 248, 250, 251, 256, 258, 260, 261, 263, 264, 266, 269 Unternehmensprozess, 66, 235 Unternehmensstrategie, 32, 156, 166, 248, 263 Unternehmenswerte, 111, 241

Stichwortverzeichnis V Veränderung, 10, 11, 66, 82, 94, 96, 100, 103, 118, 123–125, 128, 142, 162, 163, 187, 190, 194, 195, 203, 204, 219, 220, 233, 235, 236, 247, 260, 275 Veränderungsprozess, 62, 63, 129 Verantwortung, 6, 11, 12, 61, 89, 110, 111, 123, 148, 149, 154, 157, 177, 180, 182, 183, 218, 225, 235, 254, 255, 259, 262, 263 Verhaltensweise, 137, 149, 168, 190, 231, 236, 247, 263, 273 Verschwiegenheitspflicht, 68 Video-Stellenanzeige, 37 Vielfalt, 10, 58, 59, 61, 63, 139, 146–148 Visualisierung, 70, 71, 122, 167 VUCA, 94, 118, 234, 235 VUCA-Welt, 68, 70, 123, 190

W Weiterbildungsmaßnahme, 117, 120, 122, 249 Weiterempfehlung, 35

295 Weiterentwicklung, 5, 6, 94, 102, 107, 121, 178, 180, 184, 245, 286 Wertschätzung, 39, 138, 208, 221, 263, 264 Wiedereingliederung, 138 Wissensarbeiter, 192, 193, 205–211, 262 Wissensaustausch, 39, 222, 249 Wissenskultur, 177, 183 Wissensmanagement, 95, 198, 205, 206, 209, 211 Wissensvermittlung, 179, 180 Working Out Loud (WOL), 193, 194 Workspace, 94

Y YouTube, 36, 167

Z Zielgruppendefinition, 18, 168–170