Ebenen der Textstruktur: Sprachliche und kommunikative Prinzipien [Reprint 2015 ed.] 9783110918533, 9783484311640

The articles in this volume discuss the feasibility of distinguishing separate levels of structure in texts and describi

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German Pages 344 [352] Year 1996

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Ebenen der Textstruktur: Sprachliche und kommunikative Prinzipien [Reprint 2015 ed.]
 9783110918533, 9783484311640

Table of contents :
Vorwort
1. Entwürfe für ein Modell der Textanalyse
Ebenen der Textstruktur. Begründung eines Forschungsprogramms
2. Die Ebene der verständnisorientierten Textbearbeitung
Textherstellungsverfahren in mündlicher Kommunikation. Ein Beitrag am Beispiel des Französischen
Textkonstitutive Verfahren und ihr Ort in der Handlungsstruktur des Textes
Beobachtungen an Erläuterungen. Vorkommen, Status, Funktion
3. Die Ebene der Illokutionsstruktur
Akzeptanzstützung als textstrukturierendes Prinzip
Zur kommunikativ-funktionalen Interpretation von persuasiven monologischen Texten
Zur Sequenzierung von Illokutionen
4. Überlegungen zu einer Ebene der Informationsstruktur
Subordination und Parenthese als Mittel der Informationsstrukturierung in Texten
Textkonstitutionsstruktur und Informationsstruktur
5. Weitere Perspektiven
Modale Referenz in Gesetzen und Gesetzeskommentierungen. Ein textvergleichender Ansatz
Inseln der Nichtfiktionalität. Ein Beitrag zur Poetik des Romans aus sprachwissenschaftlicher Sicht
Sachregister

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Reihe G ermanistische Linguistik

164

Herausgegeben von Helmut Henne, Horst Sitta und Herbert Ernst Wiegand

MAX Ν I EM EYER VERLAQ TÜBINQEN ARCHIVEXEMPLAR ERSCH Ε I NUNC/5DATUM 15.02.96 ARCHIVNUMMER 3716

Wolfgang Mötsch (Hg.)

Ebenen der Textstruktur Sprachliche und kommunikative Prinzipien

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1996

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ebenen der Textstruktur : sprachliche und kommunikative Prinzipien / Wolfgang Mötsch (Hg.). - Tübingen : Niemeyer, 1996 (Reihe Germanistische Linguistik ; 164) NE: Mötsch, Wolfgang [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-31164-9

ISSN 0344-6778

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren

INHALT

Vorwort

VII

1. Entwürfe für ein Modell der Textanalyse Wolfgang Mötsch (Mannheim) Ebenen der Textstruktur. Begründung eines Forschungsprogramms

3

2. Die Ebene der verständnisorientierten Textbearbeitung Elisabeth

Gülich (Bielefeld)/Thomas

Kotschi

(Berlin)

Textherstellungsverfahren in mündlicher Kommunikation. Ein Beitrag am Beispiel des Französischen Martina Drescher Textkonstitutive des Textes Eckard Rolf Beobachtungen

37

(Bielefeld) Verfahren und ihr Ort in der

Handlungsstruktur

81

(Münster) an Erläuterungen.

Vorkommen, Status, Funktion

103

3. Die Ebene der Illokutionsstruktur Bärbel Techtmeier (Berlin) Akzeptanzstützung als textstrukturierendes

Markku Moilanen

Prinzip

121

(Helsinki)

Zur kommunikativ-funktionalen Interpretation persuasiven monologischen Texten

Wolfgang Mötsch (Mannheim) Zur Sequenzierung von Illokutionen

von 165

189

vi

4. Überlegungen zu einer Ebene der Informationsstruktur Margareta Brandt (Lund) Subordination und Parenthese als Mittel der Informationsstrukturierung in Texten Thomas

Kotschi

(Berlin)

Textkonstitutionsstruktur und Informationsstruktur 5. Weitere

Perspektiven

Ulrike Sayatz

(Berlin)

Modale Referenz in Gesetzen und Ein textvergleichender Ansatz Eckard Rolf

211

Gesetzeskommentierungen.

241

275

(Münster)

Inseln der Nichtfiktionalität. Ein Beitrag zur Poetik des Romans aus sprachwissenschaftlicher Sicht

301

Sachregister

325

VORWORT

Der vorliegende Band faßt Beiträge zusammen, die im Rahmen - oder im Umkreis - eines Projekts 'Sprachstruktur und Textstruktur' entstanden sind, das Bestandteil eines von Inger Rosengren koordinierten, von der Schwedischen Reichsbank und der DFG unterstützten Programms 'Sprache und Pragmatik' war. Das allgemeine Ziel dieses 1987 begonnenen und 1992 beendeten Unternehmens bestand darin, pragmatische Aufgabenstellungen von grammatischen abzugrenzen und zugleich die Wechselbeziehungen zwischen Grammatikforschung und linguistischer Pragmatik genauer zu bestimmen. Vier Teilprojekte sollten eine Brücke zu linguistischen Aufgaben jenseits der Grammatik schlagen: 1. Satz und Illokution, 2. Wortstellung und Informationsstruktur, 3. Sprachstruktur und Textstruktur, 4. Sprachsystem, Textstruktur und Kenntnissystem in einem integrierten Modell für automatische Sprachverarbeitung. Die Ergebnisse der Projekte 1. und 2. sind inzwischen veröffentlicht; siehe Rosengren (1992, 1993) und Reis (1993). Das Projekt „Sprachstruktur und Textstruktur" verfolgte das Ziel, Beschreibungsebenen und Strukturprinzipien aufzudecken, die einerseits die Zusammenhänge der Textanalyse mit der Grammatik verdeutlichen, andererseits aber auch die Eigenständigkeit spezieller Mittel der Strukturierung von Texten erhellen. Kapitel 1 „Entwürfe für ein Modell der Textanalyse" enthält einen Beitrag, der die Architektur eines komplexen Modells der Textanalyse skizziert. Dieser Modellentwurf greift das Modularitätskonzept auf, das von der kognitiven Psychologie in die Grammatikforschung gelangte. Komplexe Verhaltensphänomene werden auf interagierende separate Kenntnissysteme zurückgeführt. Für die Beschreibung der grammatischen und satzsemantischen Struktur von Sätzen wurden in den vergangenen Jahren ausführliche Vorschläge entwickelt, besonders im Rahmen der generativen Grammatik. Modular konzipierte Grammatiken erfassen jedoch nur formbezogene und kontextunspezifische semantische Eigenschaften von Sätzen. Um die Eigenschaften tatsächlich geäußerter Sätze erfassen zu können, müssen zusätzliche Systeme angenommen werden, die die aktuelle, in einem gegebenen sprachlichen und kommunikativen Kontext vom Sprecher gemeinte Bedeutung berechenbar machen. Darüber hinaus ist genauer zu bestimmen, in welcher Beziehung Satzäußerungen zu Texten stehen. Der Modellentwurf nimmt drei Komplexitätsstufen an: lokale und globale Struktur von Sprechertexten sowie Dialogstrukturen. Sprechertexte sind die Außerungskomplexe eines Sprechers, die einen Zug in einem Dialog oder abgeschlossene 'monologische' Texte ausmachen. Lokale Textstrukturen ergeben sich aus mindestens zwei Einheiten, die durch spezielle Typen von Verknüpfungen verbunden sind. Globale Strukturen setzen Kompositionsmuster für unterschiedliche Textsorten voraus. Der Beitrag des ersten Kapitels befaßt sich mit der Abgrenzung der Begriffe 'Satz', 'sprachliche Äußerung' und 'Einheit lokaler Textstrukturen' sowie mit allgemeineren Fragen der Abgrenzung von

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Wolfgang

Mötsch

Ebenen der Textstruktur. Die grammatischen und semantischen Details der zuerst genannten Fragestellung wurden im Projekt 1 des erwähnten Programms ausführlich untersucht. Die Beiträge des vorliegenden Bandes behandeln vorrangig Typen von Beziehungen in Texten, die die Annahme separater Ebenen rechtfertigen. Vier Ebenen der lokalen Textstruktur werden diskutiert: die Ebene der semantischen Textstruktur, die Ebene der verständnisorientierten Textbearbeitung, die Ebene der illokutiven Textstruktur und die Ebene der Informationsgewichtung. Kapitel 2 „Die Ebene der verständnisorientierten Textbearbeitung", enthält Untersuchungen zu Typen möglicher Ergänzungen von Einheiten eines Grundtextes. Beipiele sind u.a. Erläuterungen, Explikationen, Paraphrasen, Spezifizierungen, Verallgemeinerungen. Der Beitrag von Gülich und Kotschi geht von 'Textherstellungsaktivitäten' aus. Es werden zwei Aspekte der Textproduktion unterschieden, die Versprachlichung kognitiver Inhalte und die Bearbeitung eines bereits versprachlichten Inhalts. Im zweiten Fall, der für die Ermittlung einer besonderen Ebene der Textstruktur von Interesse ist, werden zwei Ausdrücke miteinander in Bezug gesetzt. Die Autoren unterscheiden zwischen der 'Bearbeitung' eines Ausdrucks, die zu einem neuen Textelement führt, und der Bewertung oder Kommentierung eines Ausdrucks. Bearbeitungen werden weiter nach dem Gesichtspunkt unterteilt, ob eine Korrektur des zu bearbeitenden Ausdrucks beabsichtigt ist, oder ob ein gegebener Textabschnitt planvoll ergänzt wird. Die Analyse von Textherstellungstypen stützt sich im besonderen Maße auf Spuren entsprechender Aktivitäten im mündlichen Text, auf verbale, segmentale und prosodische Indikatoren für spezielle Verfahren. So kann ein Sprecher mit c 'est-ä-dire eine Paraphrasierung indizieren. Es zeigt sich jedoch, daß nur in ganz wenigen Fällen eine l:l-Beziehung zwischen einem Indikator und einem angenommenen Typ vorliegt. Die meisten Indikatoren, besonders prosodische, sind polyfunktional. Bedingt durch den Ansatz, der von Aktivitäten des Textproduktionsprozesses ausgeht, kommen nicht nur Verfahren ins Blickfeld, die die Annahme eines separaten Kenntnissystems im Rahmen lokaler Textstrukturen rechtfertigen, sondern auch 'Bewertungen' und 'Kommentare' sowie 'Korrekturen'. Bewertungen und Kommentare scheinen eine metatextuelle Funktion zu haben und Korrekturen sind Prozeduren des Produktionsprozesses, die Kenntnissysteme voraussetzen.

Speziellere Fragen des inneren Aufbaus und der Abgrenzung einer Ebene der verständnisorientierten Textbearbeitung werden in den Beiträgen von M. Drescher und E. Rolf behandelt. M. Drescher untersucht Verallgemeinerungen und E. Rolf Erläuterungen. Beide Arbeiten machen deutlich, daß hier spezielle Mittel für die Verknüpfung von Texteinheiten vorliegen, die zwar bestimmte semantische Relationen voraussetzen, jedoch nicht auf diese zurückzuführen sind. Wenn die Existenz von Verknüpfungsmitteln zu rechtfertigen ist, die weder grammatischer noch satzsemantischer Natur sind, so ist dies ein gewichtiger Hinweis auf die Grenze zwischen Grammatik und Textstruktur. Zugleich verdeutlichen Strukturprinzipien dieser Art, es handelt sich ja um Prinzipien für die Verknüpfung sprachlicher Ausdrücke, daß die Sprachwissenschaft sich nicht

Vorwort

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mit der Analyse von Sätzen begnügen darf. M. Drescher gibt einen Überblick über die Arbeiten, die sich mit Fragen der hier thematisierten Ebene befassen. Sie weist auf zahlreiche Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten hin und charakterisiert damit den tentativen Status der bisherigen Forschungen. Mit einer Analyse von Verallgemeinerungen schafft sie zugleich solide Grundlagen für die Benennung und Klärung offener Fragen. E. Rolf untersucht Erläuterungen, die er mit Präzisierungen, Relativierungen, Verdeutlichungen, Ergänzungen in Zusammenhang bringt und von Explikationen und Definitionen absetzt. Er sieht in Erläuterungen ein Textgestaltungsmittel, das der Verstehensoptimierung dient; dessen Funktion ist es, das Verständnis eines zuvor übermittelten Inhalts zu erleichtern. Dabei wird angenommen, daß ein Sprecher zu einem solchen Mittel greift, wenn er annimmt, daß der Hörer etwas nicht oder nicht genau genug über den thematisierten Gegenstand weiß. Erläuterungen vermitteln zusätzliche Kenntnisse, Wissensinhalte, die es ermöglichen sollen, bestimmte Sachverhalte überhaupt oder besser zu verstehen. Rolf unterscheidet nach dem sprachlichen Format der Relate 'intersententielle' (Parenthese, Apposition, nicht-restriktiver Relativsatz, Angaben), 'intratextuelle' und 'intertextuelle' (Kommentare als Textsorte) Erläuterungen. Der hier angedeutete Hintergrund für verständnisorientierte Textbearbeitungsmuster verdeutlicht den pragmatischen Status dieser Mittel.

Das dritte Kapitel „Die Ebene der illokutiven Struktur" behandelt zentrale Aspekte der auf dem Illokutionswissen aufbauenden Interpretation von Texten: Typen von Stützungsbeziehungen, Zusammenhänge zwischen Illokutionsstruktur und Argumentationsanalyse sowie Regularitäten der sequentiellen Anordnung von Illokutionen. B. Techtmeier wählt die Akzeptanz von Texten für den Adressaten als Ausgangsbasis ihrer Überlegungen. Sie betrachtet Akzeptanzorientiertheit, d.h. die Einschätzung der Textverarbeitung durch den Adressaten, als eine generelle Eigenschaft kommunikativer Handlungen. Diese Eigenschaft äußert sich darin, daß einige Texteinheiten die Funktion haben, andere zu stützen. Derartige Stützungsbeziehungen können lokal oder global sein, zwischen Illokutionen oder zwischen Textabschnitten bestehen. Als Grundlage für die Einschätzung der Adressatenreaktionen können mögliche Hindernisse beim Erreichen eines kommunikativen Ziels gelten, insbesondere: mangelhaftes Verstehen, negative Reaktionen auf unangenehme Sachverhalte, Deutung als Beleidigung, Mißachtung der Regeln für den sozialen Abstand. Es werden Strategien angenommen, die eine möglichst optimale Zielerreichung sichern sollen: Auswahl aus alternativen sprachlichen Formulierungen, Nutzung geeigneter para- oder nonverbaler Begleitaktivitäten, Wahl einer Anordnung der Texteinheiten, die akzeptanzstützende Wirkung hat, Wahl spezieller sprachlicher Handlungen mit akzeptanzstützender Funktion. Der Beitrag konzentriert sich auf lokale akzeptanzstützende Handlungen, d.h. auf verstehensbzw. akzeptanzstützende Illokutionen im Sinne von Motsch/Pasch (1987). Er entwickelt eine differenziertere Analyse für akzeptanzstützende Handlungen (ASH), die u.a. folgende Unterscheidungen hervorhebt: objektive ASH (d.h. solche, die auf Sachverhalte der natürlichen Welt bezogen sind), deontische ASH (sind auf Sachverhalte der sozialen Welt bezogen), expressive ASH (sind

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Wolfgang

Mötsch

auf Sachverhalte der subjektiven Welt bezogen), interaktive ASH (sind auf Sachverhalte der Interaktion bezogen). M. Moilanen weist auf die Rolle argumentativer Zusammenhänge für das Verständnis von Textstrukturen hin. Die bislang entwickelten Illokutionsstrukturmodelle können wichtige Aspekte bestimmter Textarten nicht befriedigend beschreiben, weil sie die auf Argumentationsmustern begründete Textkohärenz nicht berücksichtigen. Das Akzeptieren eines Sprechertextes setzt kognitive, auf Erkenntnis und Erfahrung basierte, und praktische, auf Handlungszielen und -programmen aufbauende, Schlüsse voraus. Neben der unmittelbaren Bedeutung der geäußerten sprachlichen Ausdrücke beeinflussen aktivierte Kenntnisse, Normen- und Wertsysteme als Hintergrundwissen für Schlüsse die Interpretation eines Textes. Stützende Illokutionen können Gründe dafür angeben, weshalb eine dominierende Illokution geglaubt oder ausgeführt werden sollte. Die Wahl geeigneter Begründungen läßt sich auf allgemein akzeptierte Schlußschemata zurückführen. Die Einbeziehung argumentativer Zusammenhänge ermöglicht es, akzeptanzstützende Illokutionen im Sinne von Motsch/Pasch (1987) genauer zu explizieren und erweist sich somit als eine wichtige Bereicherung des Konzepts der Illokutionshierarchte. Der Beitrag von W. Mötsch untersucht die sequentielle Anordnung von Illokutionen in Brieftexten. Er verfolgt die Grundgedanken eines Aufsatzes von Brandt/Eosengren (1982), in dem nachgewiesen wurde, daß nicht nur die hierarchische Struktur von Illokutionen sondern auch deren Reihenfolge die Interpretation von Texten beeinflussen kann. Es wird gezeigt, daß die Reihenfolge von Illokutionen durch unterschiedliche Typen von Strukturen determiniert wird: durch die globale Struktur, durch die semantische Struktur und durch die illokutive Struktur. Freie Stellungsmöglichkeiten können interpretatorisch genutzt werden. Der Beitrag weist durch eine systematische Variation der sequentiellen Anordnung der Illokutionen einiger Brieftexte auf bestehende Beschränkungen und alternative Formulierungsmöglichkeiten hin.

In Kapitel 4 „Überlegungen zu einer Ebene der Informationsstruktur" plädieren M. Brandt und Th. Kotschi für eine besondere Ebene der Informationsstruktur. Sie zeigen, wie die Einheiten einer solchen Ebene bestimmt, und wie sie auf grammatische Prinzipien der Neben- bzw. Unterordnung sowie auf prosodische Mittel abgebildet werden können. Obwohl sich der Ansatz der beiden Beiträge unterscheidet, treffen sie sich in dem gemeinsamen Interesse an der Abgrenzung von Einheiten, die als Träger selbständiger Informationen gelten können. Informationsstrukturen in Texten ergeben sich durch verschieden motivierte Möglichkeiten, Informationseinheiten zu gewichten, d.h. in hervorgehobene und ergänzende Informationen zu gliedern. M. Brandt unterscheidet lokale und globale Mittel der Informationsgewichtung. Zu den lokalen zählt sie Fokus-Hintergrund-Gliederung; Thema-Rhema-Gliederung, TopicComment-Gliederung; globale Informationsgewichtung besteht zwischen Informationseinheiten in Texten. Diese Verallgemeinerung läßt sich auch auf größere Einheiten übertragen, etwa auf Haupt- und Nebentexte. Bei der Abgrenzung von Informationseinheiten spielen grammatische, semantische und prosodische Mittel eine Rolle. Die Begründung solcher Einheiten ist jedoch primär pragmatisch motiviert: Einheiten, die aus semantischer Warte Propositionen sind, die

Vorwort

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nicht in andere Propositionen integriert sind, haben einen selbständigen Informationsstatus. Auch der abgestufte Informationswert einiger solcher Einheiten im Vergleich mit anderen erweist sich als pragmatisch zu begründende Form der Subordination. Auch die mögliche interne Struktur von Informationseinheiten, die Kotschi in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, hebt deren kommunikativen Charakter hervor. Kotschi nimmt an, daß Informationseinheiten in der Regel genau ein nicht-aktives Informationselement enthalten (die neue Information). Zusätzlich können sie ein oder mehrere aktive (bekannte Information) oder halbaktive (latent bekannte Information) Informationselemente enthalten. Die Fragestellung, die die beiden Beiträge aufwerfen, verdient Beachtung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Informationseinheiten generell als kleinste Einheiten verschiedener Typen von Textstrukturen betrachtet werden können. Es wäre also zu fragen, ob Informationseinheiten nicht auch in semantische, verstehensstützende und illokutive Textstrukturen als kleinste Einheiten eingehen. Eine positive Anwort würde vor allem eine Neudefinition des Begriffs Illokution voraussetzen, die als Möglichkeit im ersten Kapitel angedeutet wird. Im fünften Kapitel „Weitere Perspektiven" wird der Betrachtungsrahmen ausgedehnt. U. Sayatz untersucht Zusammenhänge zwischen globalen und lokalen Strukturen in Gesetzen und Gesetzeskommentaren. Ihr Problem sind Ubergänge von globalen zu lokalen Strukturen, die linguistisch faßbar sind. In Anlehnung an Arbeiten von Klein und von Stutterheim, in denen temporale und lokale 'Referenzbewegungen' im Rahmen einer die Globalstruktur determinierenden 'Quaestio' behandelt werden, werden entsprechende Beziehungen zwischen Ausdrücken mit deontischen Kategorien, speziell Modalverben, analysiert. Es wird gezeigt, wie die globale Normenstruktur von Gesetzen durch sprachliche Mittel lokal realisiert wird. Ein Vergleich von Gesetzes- und Kommentartexten zeigt zugleich wichtige Unterschiede zwischen den beiden Textsorten auf. Der Beitrag von E. Rolf beleuchtet ein weiteres Forschungsfeld, die Struktur literarischer Texte. Er befaßt sich mit der Frage: Mit welchen Vorbehalten können illokutive Kategorien wie Behauptung, Mitteilung und Textgestaltungsmittel wie Erklärung, Präzisierung auf literarische Genres, speziell Roman und Essay angewendet werden? Zur Debatte steht besonders die Fiktionalität literarischer Texte. Für diesen Sammelband war auch ein Beitrag von Dieter Viehweger geplant, der sich mit der Repräsentation lexikalischen Wissens und dessen Beteiligung an der Stiftung lokaler und globaler Textkohärenz befaßt. Eine Untersuchung von Beipieltexten, die die Rolle des mit Lexikoneintragungen verbundenen sprachlichen und enzyklopädischen Wissens bei der Interpretation von Texten nachweist, wurde in Angriff genommen. Dieter Viehweger konnte die begonnene Arbeit zu keinem publizierbaren Ende bringen. Es ist uns ein tiefempfundenes Bedürfnis, einen besonders engagierten, anregenden und liebenswürdigen Projektmitarbeiter mit diesem Sammelband zu ehren.

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Wolfgang

Mötsch

Die zahlreichen Schwierigkeiten, beim gegenwärtigen Forschungsstand die vielfältigen Zugänge und Fragestellungen auf dem Gebiet der Textanalyse zu ordnen, widerspiegelt auch dieser Band. Viele Fragen müssen unerwähnt oder offen bleiben oder lassen unterschiedliche Antworten zu. Die Autoren hoffen jedoch, daß ihr Versuch, die theoretischen Grundlagen der Textanalyse möglichst systematisch aufeinander zu beziehen, als ein Anfang aufgenommen wird, der Interesse und Nachahmung findet. Der Herausgeber möchte es als Sprecher des Projekts nicht versäumen, Inger Rosengren für ihre anregende und mobilisierende Beteiligung gerade auch am Projekt 'Textstruktur' zu danken. Ihre aktive Teilnahme drückt sich nicht zuletzt in parallel entstandenen Beiträgen zu der Thematik aus. Man vergleiche besonders den in den Arbeiten dieses Bandes häufig zitierten Aufsatz Brandt/Rosengren (1992). Respektvolle Anerkennung verdient ihre energische und kompromißlose Durchsetzung von Prinzipien der wissenschaftlichen Zusammenarbeit auch gegen politische Beschränktheit. Sie hat die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Skandinavien, Deutschland-West und Deutschland-Ost bereits als eine unanfechtbare Selbstverständlichkeit behandelt, als dies noch keinesfalls allgemein als selbstverständlich anerkannt war. Zu danken haben wir auch Franz Josef Berens, der sich mit viel Umsicht und Fachkenntnis für die Herstellung der Druckvorlage verwendet hat. Unser Dank gilt nicht zuletzt auch den Herausgebern der Reihe Germanistische Linguistik für die Aufnahme des Bandes.

Mannheim, Dezember 1994

Wolfgang Mötsch

1.

Entwürfe für ein Modell der Text analyse

WOLFGANG MÖTSCH

Ebenen der Textstruktur Begründung eines Forschungsprogramms

1.

Die Architektur eines Modells der Textstruktur

Die Beschäftigung mit Texten hat eine Fülle von Faktoren eins Licht gebracht, die Einfluß auf die Form von Texten haben. Es besteht Einigkeit darüber, daß diese Faktoren sehr unterschiedlicher Natur sein können. So betreffen einige die sprachliche Form, andere die Handlungsaspekte und wieder andere die psychologischen Hintergründe der Produktion und des Verstehens von Texten. Man kann nun Teilbereiche ausgrenzen und die einschlägigen Regularitäten im Detail untersuchen. Das ist die übliche Praxis der gegenwärtigen Textforschung. Erforscht werden z.B. Erzähltexte, argumentative Texte, andere Textsorten, Produktion und Verstehen von Texten. Ein relativ selbständiges Forschungsgebiet mit eigenständigen Ansätzen zur Theoriebildung und Methodologie ist die Dialogforschung. Forschungen auf diesen Gebieten haben uns wichtige Erkenntnisse über Aspekte der Textstrukturierung und Dialogführung gebracht, insgesamt gesehen ergibt sich jedoch ein sehr heterogenes Bild: die herausgegriffenen Forschungsgebiete überschneiden sich, ohne daß dies deutlich gemacht wird; die theoretischen Prämissen sind verschieden und das wirkt sich auf die Terminologie aus; Gebiete, die Voraussetzungen für das fokussierte Gebiet liefern, werden nur ungenügend zur Kenntnis genommen; die Rolle klarer methodologischer Prinzipien wird häufig unterschätzt. Eine Alternative zu dieser Praxis ist die Entwicklung eines Modells der Textstruktur, das separierbare Teilgebiete ausweist und deren Zusammenwirken bei der Textstrukturierung beschreibt. Natürlich kann jeder Vorschlag nur als Hypothese betrachtet werden und es dürfte einem Einzelnen kaum gelingen, gewissermaßen in einem Wurf ein solches theoretisches Ordnungssystem zu entwerfen. Die orientierende Kraft derartiger Hypothesen muß jedoch nicht begründet werden. Sie schaffen Voraussetzungen für möglichst weitreichende Generalisierungen, und das ist das allgemeine Ziel wissenschaftlicher Untersuchungen. Die Mängel der gegenwärtigen Forschung können an einem Beispiel verdeutlicht werden. Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu Beratungstexten sowie zu Beratungen als Dialogform. In diesen Untersuchungen wird im allgemeinen ein Dialogtyp 'Beratungsgespräch' angenommen. Die Charakterisierung dieses Typs erfaßt jedoch meist nur globale Aspekte der Textstruktur, deren Beziehung zu elementaren Aspekten wie dem Illokutionstyp 'Beratung' sowie zur sprachlichen Detailstruktur eines durch einen globalen Aspekt erfaßten Textausschnitts unklar bleibt. In den meisten Dialoganalysen werden darüber hinaus die systematischen Beziehungen zwischen der Strukturierung von Dialogen und der Illokutionsstruktur von Sprechertexten übergangen. Wenn die Abhängigkeit komplexerer Phänomene von elementareren nicht als

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Wolfgang

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wissenschaftliche Fragestellung erkannt wird, bedeutet dies einen Verzicht auf Generalisierungsmöglichkeiten, d.h. auf Möglichkeiten, verborgene Eigenschaften des Phänomenbereichs zu erkennen (vgl. dazu Mötsch 1989). Um zu einem Modell der Textstruktur zu gelangen, müssen zwei Voraussetzungen berücksichtigt werden. Man muß empirisch begründete Annahmen über separate Systeme haben und ein allgemeines Konzept der Organisation komplexer Systeme. In unseren Überlegungen wurde besonders die Illokutionsstruktur als ein zentrales, empirisch abgrenzbares System verstanden, das sowohl von der grammatischen Struktur als auch von anderen Ebenen der Textstruktur abzuheben ist (vgl. Mötsch 1989, Viehweger 1989, Motsch/Viehweger 1991, Brand/Rosengren 1992). Die allgemeinen Grundlagen eines Modells der Textstruktur wurden in Anlehnung an Modularitätskonzepte der kognitiven Psychologie und der Grammatiktheorie entworfen (vgl. Mötsch 1992). Ein Modell der Textstruktur stützt sich auf separate Systeme, die auf der Grundlage ihrer spezifischen Interaktion mit anderen separaten Systemen zu komplexen Systemen zusammengefaßt werden können. Die Grammatik einer Sprache dient dabei als Vorbild. Sie besteht aus einer Menge von separaten Systemen: z.B. Phonologie, Morphologie, Lexikon, Syntax, logische Form. Diese Systeme wirken in jeweils spezifischer Weise bei der Erfüllung der Aufgabe der Grammatik zusammen, die wohlgeformten Sätze einer Sprache zu bestimmen. Die Berechtigung, separate Systeme anzunehmen, läßt sich damit begründen, daß auf diese Weise die Möglichkeit geschaffen wird, Typen von Eigenschaften des Gesamtphänomens abzugrenzen und zu ordnen. Ein separates System ist vor allem durch Typen von Einheiten und Typen von Relationen zwischen den Einheiten bestimmbar. In der Grammatikforschung wird z.T. zwischen Komponenten und (Repräsentations)ebenen unterschieden. So gilt die Syntax als eine Komponente (ein Teilsystem) der Grammatik, die zwei Repräsentationsebenen aufweist: die Ebene der Basisstrukturen und die Ebene der Oberflächenstrukturen. Diese Ebenen unterscheiden sich im Hinblick auf Einheiten und Regeln. Sie bilden nur im Hinblick auf das Zusammenspiel mit anderen Systemen der Grammatik ein eng zusammengehörendes Paar. Wir wollen die Begriffe 'Ebene' und 'elementares System' als Synonyme betrachten. Wie gelangt man nun zu Ebenen der Textstruktur, die über die Grammatik hinausgehende Eigenschaften sprachlicher Gebilde erfassen? Bei der Beantwortung dieser Frage spielen die folgenden Gesichtspunkte eine Rolle. Die Grammatiktheorie erfaßt nur bestimmte Eigenschaften von Sätzen einer Sprache. Sie abstrahiert, um es pauschal auszudrücken, vom sprachlichen und situativen Kontext, in dem Sätze verwendet werden. Wenn man nun Texte analysiert, so muß in jedem Falle die Beschränkung auf Eigenschaften isolierter Sätze aufgegeben werden. Es ergibt sich die Frage, ob die Kombinatorik der Sätze eines Textes unter dieser Voraussetzung überhaupt durch grammatische Regeln bestimmt sein kann. In den Anfängen der Textanalyse konzentrierte sich die Forschung auf eben diese Frage. Zusammenhänge zwischen den Sätzen eines Textes werden durchaus durch kombinatorische Mittel gestiftet, die auch innerhalb der Satzstruktur wirksam sind. Dazu gehören vor allem die Mittel

Ebenen der Teztstrukiur

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der Anaphorik bzw. Kataphorik sowie asyndetische Verknüpfungen von Sätzen. Diese Beispiele verdeutlichen jedoch, daß es nicht die syntaktischen Kategorien sind, die die Brücke zu Texten schaffen, sondern deren semantisches Korrelat. Wenn von asyndetischer Verknüpfung die Rede ist, so spielen nur die Bedeutungen eine Rolle, die Konjunktionen zugeordnet sind, nicht deren spezifisch syntaktische Eigenschaften. Wir begeben uns damit in einen Faktenbereich, der von der Grammatik abgehoben wird und als eigenständiges Gebiet der konzeptuellen Struktur gilt (vgl. besonders Jackendoff 1983, 1990). Wir können also nur, wenn wir einen durch die grammatische Struktur determinierten Bereich der konzeptuellen Struktur akzeptieren, vom Gebrauch grammatischer Mittel zur Strukturierung von Texten sprechen. In der Tat scheinen semantisch gefaßte Konnektoren mit den Bedeutungen von Konjunktionen, d.h. syntaktisch bestimmten Typen von Lexikoneintragungen, weitgehend - jedoch nicht vollständig - übereinzustimmen (vgl. dazu Pasch 1987). Die Brücke von der Grammatik zur Textanalyse kann also nur über die Semantik geschlagen werden. Nimmt man wie Bierwisch (1987) u.a. eine besondere, syntaktisch motivierte semantische Ebene, die 'Semantische Form', in der Grammatik an, so darf man von grammatischen Mitteln der Textstruktur reden. Akzeptiert man eine solche Ebene dagegen nicht, so beginnt die Analyse der Textstruktur auf der Ebene der den Sätzen zugeordneten konzeptuellen (semantischen) Strukturen. Die Grammatik wäre dann mindestens für Fragen der Kombinatorik in Textstrukturen völlig irrelevant. Damit soll nicht behauptet werden, die Textanalyse sei generell unabhängig von grammatischen Erscheinungen. Wir betrachten es gerade als eine zentrale texttheoretische Aufgabe, Einheiten der Textstruktur unter Berücksichtigung ihrer Korrelationen mit grammatischen (besonders syntaktischen und prosodischen) Mitteln zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist auch, daß grammatische Mittel Indikatoren für Textsorten sein können. Auch unabhängig von dieser besonderen Frage müssen wir annehmen, daß nicht die Sätze eines Textes mit ihren grammatischen Eigenschaften, sondern die ihnen zugeordneten konzeptuellen Strukturen die Grundlage kombinatorischer Regeln der Textgestaltung bilden. Diese Annahme ergibt sich u.a. daraus, daß Einheiten für Strukturbildungen in Texten wie Illokutionen nicht an grammatisch als Sätze ausgewiesene Strukturen gebunden sind, sondern an semantisch und pragmatisch abgrenzbare Einheiten. Wir gehen darauf noch ausführlicher ein. Es stellt sich nun die Frage, welche Art von konzeptueller Struktur die Grundlage für Einheitenbildung und Kombinatorik in Texten schafft. Wir wollen, wie allgemein üblich, aber durchaus nicht unproblematisch, zwei Ebenen der konzeptuellen Struktur unterscheiden. Die eine Ebene liefert semantische Interpretationen für Sätze, die unabhängig von den besonderen Eigenschaften der Situation sind, in der die Sätze verwendet werden, von Eigenschaften also, die die aktuelle Interpretation von Sätzen bestimmen. Die zweite Ebene spezifiziert oder modifiziert die kontextunabhängige Interpretation in Abhängigkeit von Eigenschaften der Situation oder des Kontextes (vgl. dazu Lyons 1977, 1981; Levinson 1983). Die beiden Ebenen sollen als Satzbedeutung bzw. Außerungsbedeutung bezeichnet werden. Andere Termini für die glei-

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Wolfgang

Mötsch

chen Phänomenbereiche sind u.a. 'wörtliche Bedeutung', 'grammatisch determinierte Bedeutung', 'virtuelle Bedeutung', bzw. 'Sprecherbedeutung', 'Kontextbedeutung', 'aktuelle Bedeutung'. Eine eigenständige Ebene der Außerungsbedeutung darf deshalb angenommen werden, weil man ein spezielles System von Einheiten und Regeln voraussetzen kann. Genauer, ein System, d u von Satzbedeutungen und Kontextinformationen ausgeht und Regeln enthält, die angeben, welche Außerungsbedeutung dem Ausdruck entspricht, der eine gegebene Satzbedeutung hat. Die genauere Form dieses Systems wird im Rahmen pragmatischer und kommunikationstheoretis_cher Forschungen untersucht. Nach den allgemeinen Vorstellungen wird die Außerungsbedeutung eines sprachlichen Ausdrucks durch die Anwendung des allgemeinen Kommunikationswissens auf die aktuelle Situation sowie auf Weltwissen oder enzyklopädisches Wissen der Kommunikationspartner bestimmt. Diese von der Satzbedeutung abgesetzten Weltkenntnisse können in unterschiedlicher Weise genutzt werden. Sie können z.B. zur Spezifizierung der temporalen und lokalen Angaben der Satzbedeutung, zur Festlegung der aktuellen Referenz sowie zur Monosemierung herangezogen werden. Sie finden weiterhin bei der Bestimmung des Hintergrundwissens, das für die aktuelle Interpretation eines Ausdrucks relevant ist und weitere Schlüsse ermöglicht, Verwendung. Wir begnügen uns hier mit einigen allgemeinen Hinweisen. Wichtig für unsere Fragestellung ist die Notwendigkeit, Aspekte der Kommunikation in die Analyse einzubeziehen. Die Außerungsbedeutung eines sprachlichen Ausdrucks setzt eine kommunikative Situation voraus, d.h. einen Sender, der den Ausdruck erzeugt hat, um beim Empfänger einen bestimmten Effekt zu erzielen. Um die Außerungsbedeutung bestimmen zu können, muß die "Kenntnis dessen vorausgesetzt werden, was Meggle (1981) in Anlehnung an den Griceschen Begriff ' meaning™' Kommunikationsversuch genannt hat. Mit dem Äußern eines (sprachlichen) Ausdrucks versucht ein Sender, einen bestimmten Effekt beim Empfänger zu erreichen. Er will, um es ganz allgemein auszudrücken, daß der Empfänger eine bestimmte Information aufnimmt, die sein Kenntnissystem erweitert oder ihn zu aktuellen oder potentiellen kognitiven oder materiellen Handlungen mobilisiert. Er weiß - aufgrund seines Kommunikationswissens - , daß er sein Ziel erreichen kann, indem er seine Absicht zu erkennen gibt, denn das Erkennen der Absicht ist eine notwendige Voraussetzung für die Entscheidung des Empfängers, ob er sich in der beabsichtigten Weise verhält oder nicht. Aus dieser Grundsituation ergibt sich die Aufgabe für den Sender, seine Äußerung so zu gestalten, daß sein Ziel auch erreicht werden kann, d.h., er muß die Empfängeraktivitäten in bestimmtem Maße vorwegnehmen. Dazu gehört insbesondere dessen Weltwissen, soweit es in der gegebenen Situation relevant ist, sowie seine Fähigkeit, auf der Grundlage dieses Ausschnitts des Weltwissens Schlüsse zu ziehen. Mit dem Begriff des Kommunikationsversuchs sind allgemeine handlungstheoretische Begriffe wie 'Sender', 'Empfänger', 'Absicht', 'Ziel', 'Wollen', 'Erfolg' u.a. verbunden, ferner auch die Begriffe 'gemeinsames Wissen über den

Ebenen der Teztsirukiur

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in der Kommunikationssituation relevanten Interpretationshintergrund' sowie 'Schlüsse, die auf dem Hintergrund von Weltwissen gezogen werden können'. Den Begriff des Schließens in kommunikativen Zusammenhängen hat besonders Grice (1975) untersucht. Die Nutzung von Schlüssen in Argumentationen ist ein weiteres Thema in diesem Zusammenhang (vgl. Abschnitt 6.). Der Begriff der Außerungsbedeutung setzt also Satzbedeutungen, allgemeine Kommunikationskenntnisse (wie Kommunikationsversuch, gemeinsames Wissen, Kommunikationsmaximen) und Weltwissen sowie die Fähigkeit voraus, Schlüsse zu ziehen. Außerungsbedeutungen kommen durch die Spezifizierung oder Uminterpretation von Satzbedeutungen zustande. Aus den vorausgehenden Überlegungen folgt, daß Textanalyse Handlungsanalyse ist; dies jedoch nur in dem Sinne, daß Kategorien und Mechanismen zu berücksichtigen sind, die Faktoren des kommunikativen Handelns abbilden. Eine theoretische Darstellung des Kommunikationswissens fällt nicht mit einer Beschreibung der Sprecher- bzw. Höreraktivitäten beim Produzieren oder Verstehen von Textäußerungen zusammen. Produktions- und Rezeptionsprozeß setzen neben der Grammatik die Regeln, Maximen, Schlußstrukturen und Strategien des Kommunikationswissens voraus. In vielen Text- und besonders Gesprächsanalysen wird der Terminus Handlung sowohl auf Performanzaktivitäten als auch auf Fragen der kommunikativen Kompetenz, des Kommunikationswissens, angewendet. Das führt leicht zu problematischen Verwechslungen. Aus der unbezweifelbaren Tatsache, daß Kategorien und Mechanismen des Kommunikationswissens nur über Texte und Sprecher- bzw. Höreraktivitäten zugänglich sind, darf nicht geschlossen werden, daß die Beschreibung des Kommunikationswissens und die Beschreibung der Performanzprozesse beim Bilden oder Verstehen von Texten zusammenfallen. Wir halten es für methodologisch begründet, Sprecher- und Hörer- (bzw. Schreiber- und Leser-)aktivitäten nur als empirischen Hintergrund für die Ermittlung des Kommunikationswissens heranzuziehen, nicht jedoch als in spezifischer Weise organisierte psychologische Prozesse. Wir gehen weiterhin davon aus, daß die Beschreibung des Kommunikationswissens in einer Form erfolgen kann, die keine psychologische Realität beansprucht. Es handelt sich also nur um mögliche Ordnungen der als Fakten betrachteten Phänomene, die in letzter Instanz nach Kriterien für optimale Generalisierungen bewertet werden. Im Prinzip schließen wir uns damit der Praxis an, die in der linguistischen Tradition - aber auch in logischen und sprachphilosophischen Semantiktheorien - üblich ist. Nur mit diesen methodologischen Prämissen kann die Textlinguistik eine eigenständige Rolle im Rahmen der kognitiven Wissenschaften spielen. Nur auf diesem Hintergrund können psychologische Fakten und Fragestellungen sinnvoll ausgewertet und hochgradig spekulative kognitivistische Theoriekonstruktionen als das erkannt werden, was sie sind. Auf der anderen Seite kann die Linguistik auch für die kognitive Psychologie erst dann ein interessanter und zuverlässiger Partner werden, wenn sie Angebote für die abstrakte Strukturierung von Fakten unterbreitet, die als Hypothesen in psychologische Experimente eingehen können.

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Es wird also angenommen, daß die Textanalyse Äußerungsbedeutungen voraussetzt. Auf die Abgrenzung der Ebene der Außerungsbedeutung von anderen Ebenen der kommunikativen Interpretation gehen wir gleich ein. Zuvor soll die Frage geprüft werden, ob nicht auch Satzbedeutungen als Einheiten von Textstrukturen dienen können. Diese Frage stellt sich besonders im Zusammenhang mit asyndetischen Verknüpfungen. Betrachten wir dazu zwei Beispiele: (1) Der Zug aus Berlin traf mit Verspätung in Mannheim ein. In Frankfurt mußte er auf den Intercity aus Köln warten. (2) Der Zug aus Berlin In Basel mußte

traf mit Verspätung

er auf den Intercity

in Mannheim

aus Hamburg

ein.

warten.

Im ersten Beispiel dürfte eine kausale Interpretation stark präferent sein. Im zweiten Beispiel scheidet diese Interpretation dagegen aus. Das liegt ganz eindeutig an unseren Weltkenntnissen. Wir wissen, daß Frankfurt auf der Strecke Berlin-Mannheim vor Mannheim liegt, daß der Anschluß von Intercityzügen nach Möglichkeit gewährleistet wird und daß der verlängerte Aufenthalt an einer Station eine Verspätung des Zuges verursachen kann. Da wir wissen, daß Basel auf der angegebenen Strecke nach Mannheim liegt, kann ein Ereignis in Basel nicht Ursache für die verspätete Ankunft in Mannheim sein. Es kommt deshalb nur eine Interpretation in Frage, die die beiden Ereignisse koordinativ in eine Zeitstrecke einordnet. Würden wir nur von den jeweiligen Satzbedeutungen ausgehen, müßte auch in (2) eine kausale Interpretation möglich sein. Wir sehen keinen Sinn in der Annahme einer Ebene der Textstruktur, die Satzbedeutungen durch Konnektoren verknüpft. Empirisch sinnvoller ist es, wenn man grundsätzlich davon ausgeht, daß kombinatorische Textstrukturen nicht auf Satzbedeutungen zurückgehen. Einheiten lokaler Textstrukturen sind somit mindestens Außerungsbedeutungen sprachlicher Ausdrücke. Diese Entscheidung versteht sich von selbst, wenn man andere Typen der Konkatenation in Texten heranzieht. Wir wollen hier vor allem auf zwei Typen näher eingehen, auf verständnisorientierte Textbearbeitungen und Illokutionsstrukturen. Verständnisorientierte Textbearbeitungen wurden besonders von Gülich und Kotschi untersucht (zur Forschungssituation vgl. Drescher (in diesen Band)). Wir verstehen darunter Arten der Textgestaltung wie Erläuterungen, Erklärungen, Exemplifizierungen, Spezifizierungen, Paraphrasierungen, Generalisierungen u.a. Gülich und Kotschi (in diesem Band) gehen von 'Bearbeitungsverfahren' aus, die sie in 'Reformulierungen' und 'nicht-reformulierende Bearbeitungen' untergliedern. Diese Unterscheidung basiert auf dem Kriterium, ob eine Bearbeitung von vornherein geplant ist oder ob sie - in Abhängigkeit von der Analyse von Empfängerreaktionen - eine nachträgliche Verbesserung des Textes ist. Reformulierungen (wie Paraphrasen, Modifizierungen, Explizierungen, Korrekturen) werden als nachträgliche Plankorrekturen betrachtet, während nicht-reformulierende Bearbeitungen (wie Generalisierungen und Exemplifizierungen) einem strategisch begründeten Plan folgen. Wenn man Planung und Kontrolle als Phasen des Produktionsprozesses aus der Beschreibung der Kompetenz, Texte zu bilden, ausschließt, bleibt die Frage, ob hinter 'Reformulierungen', die auch Gülich und Kotschi ausdrücklich als spezielle Verfahren

Ebenen der TexUiruktur

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der Textbearbeitung behandelt wissen wollen, nicht doch Typen von Textbearbeitungen stehen, die als besondere Mittel der Textgestaltung zu betrachten sind, völlig unabhängig davon, ob diese Mittel in Textproduktionsplänen von vornherein gewählt wurden oder nachträglich als Verbesserung hinzukommen. In jedem Falle dürften die gleichen Entscheidungen die Wahl eines dieser Mittel steuern, nämlich Beurteilungen des (möglichen oder verifizierten) Rezeptionsverhaltens des Empfängers. Zwischen 'Reformulierungen' und 'nichtreformulierenden Bearbeitungen' bestünde dann unter dem Gesichtspunkt der Textkompetenz kein Unterschied. Abzuheben sind in jedem Falle echte 'Korrekturen'. In diesem Falle handelt es sich eindeutig um Phänomene der Textproduktion. Wenn wir die konzeptuellen Eigenschaften solcher Textbildungsmittel betrachten, liegt die Notwendigkeit, kommunikative Aspekte einzubeziehen, auf der Hand. Semantische Aspekte, die im Rahmen der Abstraktionen der Satzsemantik liegen, reichen nicht aus. Es handelt sich ganz offensichtlich um Möglichkeiten, durch besondere Mittel der Textgestaltung den Rezeptionsprozess des Partners zu steuern. Der Produzent eines Textabschnitts versucht, die Rezeption seiner Äußerungen durch den Empfänger in die gewünschte Richtung zu lenken, indem er bestimmte Verarbeitungsprozesse auslöst, d.h. Muster der kognitiven Verarbeitung und Einordnung von Informationen. Man kann z.B. annehmen, daß bestimmte Informationen andere erklären, wenn sie Ursachen oder Gründe aufdecken. Informationen erläutern andere, wenn sie die Möglichkeit schaffen, die Ausgangsinformationen in Wissenszusammenhänge einzuordnen (vgl. dazu ausführlicher Rolf (in diesem Band)). Sie generalisieren, um andere Informationen als Spezialfall allgemeiner Zusammenhänge zu erweisen (vgl. dazu Drescher (in diesem Band). Sie paraphrasieren, um andere Informationen in einen dem Empfänger vermutlich vertrauteren Wissenshintergrund einordnen zu können. Wir wollen mit Gülich und Kotschi (1987) u.a. annehmen, daß es sich hier um konventionelle Typen der Textstruktur handelt und nicht lediglich um sprachliche Namen für psychologische Prozesse der Informationsverarbeitung, die sich auf sehr generelle semantische Relationen wie Verallgemeinerung, Spezifizierung, (partielle) Synonymie u.ä. stützen. Daß es sich bei diesen Phänomenen um spezielle Regeln der Textstruktur handelt, nehmen auch Thompson/Mann (1987) in ihrer 'rethorical structure theory' an, die teilweise die Problematik der Textbearbeitungen einschließt. Typen von verständnisorientierten Textbearbeitungen setzen einen Bezugsausdruck und einen Bearbeitungsausdruck voraus. Beide Ausdrücke setzen nach unseren allgemeinen Annahmen Äußerungsbedeutungen voraus. Das sprachliche Format des Bezugsausdruckes ist jedoch nicht auf Außerungsbedeutungen beschränkt, die Sätzen zugeordnet werden können. Wie Rolf (in diesem Band) am Beispiel von Erläuterungen ausführlich zeigt, können Textbearbeitungen sich auf Satzkomponenten, Sätze, Textabschnitte und sogar auf ganze Texte beziehen. Illokutionsstrukturen wurden bisher als Beziehungen zwischen elementaren IIlokutionen aufgefaßt, die dadurch begründet sind, daß der Erfolg einer dominierenden lllokution durch subsidiäre Illokutionen gestützt wird. Auf die

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Begründung dieser Begriffe gehen wir noch ausführlich ein. In diesem Zusammenhang interessiert uns nur die Frage, ob Textbearbeitungen als Komponenten einer Ebene der Illokutionsstruktur gelten sollen oder ob sie eine selbständige Ebene bilden. Die Antwort auf diese Frage wird leicht durch die Frage überlagert, welche Aspekte der Textstruktur Einfluß auf den Erfolg kommunikativer Handlungen haben. Nun müssen aber Strukturprinzipien, die Einfluß auf den Erfolg sprachlicher Handlungen nehmen, keine Strukturebene begründen. Wie Techtmeier (in diesem Band) zeigt, kann die Akzeptanz sprachlicher Handlungen durch Faktoren sehr unterschiedlicher Ebenen bedingt sein. In früheren Arbeiten wurde allerdings auf dieser Grundlage eine einzige Ebene der Illokutionsstruktur postuliert (vgl. dazu Motsch/Pasch 1987, Brandt/Rosengren 1992, Motsch/Viehweger 1991, Mötsch 1992). Wenn wir den Ebenenbegriff restriktiver verwenden, d.h., wenn wir ihn auf Systeme beschränken, die durch spezielle Einheiten und Regeln oder Prinzipien bestimmt sind, so können wir mit gutem Grund von einer Ebene der verständnisorientierten Textbearbeitung sprechen. Textbearbeitungstypen sind spezielle Regeln, die als Repräsentationen von Außerungsbedeutungen beschreibbare Einheiten in Bezug setzen Der Begriff Illokutionsstruktur erfaßt Phänomene, die im Rahmen von Sprechakttheorien untersucht werden. Das sind neben grammatischen und semantischen Fragen der 'lokutionären Akte' vor allem die Aspekte des Kontextes, die den sozialen Bereich des Handlungscharakters sprachlicher Äußerungen determinieren. Während der Begriff 'Außerungsbedeutung' Aspekte der Handlungssituation herausgreift, die das Verständnis der Absicht des Senders bestimmen, ergänzen die Illokutionskenntnisse die Aspekte von Handlungssituationen, die die Sozialkontakte regeln. Illokutionstypen sind Typen sozialen Verhaltens, die Sendern und Empfängern bestimmte Verpflichtungen auferlegen. Die Art der Ergänzungen, die das Illokutionswissen zur Interpretation sprachlicher Äußerungen beiträgt, soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: (3) Das Bier steht im Kühlschrank.

Aufgrund unserer Grammatikkenntnisse sind wir in der Lage, das angeführte Gebilde als einen Satz der deutschen Sprache zu analysieren. Unsere Semantikkenntnisse befähigen uns, dem Satz eine Satzbedeutung zuzuordnen, eine Klasse von möglichen Sachverhalten. Wir sind ferner in der Lage, diese Satzbedeutung zu spezifizieren und ihr eine aktuelle Interpretation zuzuordnen, d.h., sie auf einen bestimmten Sachverhalt oder auf bestimmte Klassen von Sachverhalten festzulegen und den Kontext zu aktivieren, in dem dieser Sachverhalt steht. Die Äußerungsbedeutung von (3) legt z.B. fest, daß der denotierte Sachverhalt sich zeitlich mit dem Redeakt überlappt. Sie setzt Kenntnisse über den Sender und den Empfänger sowie über das Bier und den Kühlschrank, von dem die Rede ist, voraus. Der Empfänger weiß, daß der Sender ihm mit der Äußerung zu verstehen geben will, daß der gekennzeichnete Sachverhalt in der Welt, über die gesprochen wird, besteht. Falls er ferner davon ausgehen kann, daß der Sender ein Glas Bier trinken möchte, kann er daraus schließen, daß dieser ihm die Informationen gegeben haben könnte, weil er ihn dazu bewegen wollte, ihm das Bier zu bringen. Ob es sich aber tatsächlich um eine

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Bitte oder sogar um eine striktere Form der Aufforderung handelt, hängt von besonderen Bedingungen ab, die durch Illokutionstypen erfaßt werden. Eine Bitte setzt neben dem Wunsch, der Empfänger möge eine Handlung vollziehen oder unterlassen, spezielle Motive und gegenseitige Verpflichtungen der Kommunikationspartner voraus, die in die Charakterisierung des Illokutionstyps eingehen. Erst wenn dieser Aspekt der Strukturierung von Situationen berücksichtigt wird, ist eine Entscheidung über das mit einer Äußerung verbundene spezifische Handlungsziel möglich. Wir nehmen deshalb eine besondere Ebene der illokutiven Interpretation an. Illokutive Interpretationen kommen durch die Anwendung der Illokutionskenntnisse auf Außerungsbedeutungen und spezielle Aspekte der Kommunikationssituation zustande. Sie enthalten also Repräsentationen von Außerungsbedeutungen und zusätzliche Informationen über die illokutive Rolle der Äußerung. Zur Charakterisierung eines Illokutionstyps gehört neben einer Angabe der motivationalen und sozialen Aspekte des Handlungstyps eine Variable, die bestimmte Bedingungen an eine sprachliche Äußerung festhält, die zur Realisierung des Handlungstyps geeignet ist. Eine Bitte z.B. setzt eine Äußerungsbedeutung voraus, die eine zukünftige Handlung des Empfängers beschreibt, ein Versprechen verlangt eine Äußerungsbedeutung, die eine zukünftige Handlung des Senders beschreibt. Wohl bemerkt, wir sprechen hier von Äußerungsbedeutungen und das heißt, daß es sich nicht einfach um eine spezifizierte Satzbedeutung handeln muß, sondern daß auch Strukturen in Frage kommen, die auf erschlossene Informationen zurückgehen. Wir gehen ferner davon aus, daß die Illokutionskenntnisse auch eine besondere Ebene konkatenativer Textstrukturen begründen, die wir als Ebene der Illokutionsstruktur bezeichnen wollen. Wir können dann sagen, daß die Textbearbeitungsebene und die Illokutionsstrukturebene lokale Strukturen in Texten begründen, die sich auf verschiedene Aspekte des Handlungscharakters von Illokutionen beziehen. In beiden Fällen wird eine dominierende Äußerung durch subsidiäre Äußerungen gestützt. Textbearbeitungen stützen jedoch das Verständnis der Äußerung, während die subsidiären Illokutionen in Illokutionsstrukturen die motivationalen und sozialen Bedingungen stützen, die mit dem Illokutionstyp verbunden sind. Dabei muß allerdings beachtet werden, daß den durch Textbearbeitungen in bezug gesetzten Texteinheiten nicht in allen Fällen eine illokutive Interpretation zugeordnet werden muß. Es gibt nur einen Uberlappungsbereich. Wir kommen auf diese Frage noch zurück. Aus den bisherigen Überlegungen ergeben sich drei Ebenen, die für verschiedene Aspekte der Interpretation von Sätzen und satzwertigen Einheiten zuständig sind: Die Ebene der Satzbedeutung, die Ebene der Außerungsbedeutung und die Ebene der illokutiven Interpretation. Die beiden zuletzt genannten Ebenen schließen Faktoren der Handlungsstruktur sprachlicher Äußerungen ein. Die Ebene der Satzbedeutung abstrahiert dagegen von diesen Faktoren. Sie stiftet keine Einheiten, auf die sich konkatenative Textregeln beziehen.

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Es ergibt sich ferner, daß mindestens drei Ebenen unterschieden werden können, die lokale konkatenative Textstrukturen begründen. Von lokalen Strukturen wollen wir sprechen, wenn jeweils zwei Einheiten strukturell verbunden werden. Lokale konkatenative Strukturen erzeugt die Ebene der semantisch bedingten Textstruktur, die Ebene der Textbearbeitungen und die Ebene der Illokutionsstruktur. Textbearbeitungen und Illokutionsstruktur sind insofern enger miteinander verbunden, als sie verschiedene Aspekte des Erfolgs sprachlicher Handlungen sichern. Semantische Textstrukturen heben sich von dieser Funktion ab, stehen aber, wie wir am Beispiel von Erklärungen und Argumentationen noch zeigen werden, in enger Beziehung zu den beiden anderen Ebenen (vgl. Abschnitt 6.). Zu beachten ist, daß die Ebene der semantischen Textstruktur zwar Konkatenationsmittel verwendet, die auch in Satzbedeutungen vorkommen, ihre Operationsdomäne sind jedoch nicht grammatische Strukturen, sondern Äußerungsbedeutungen. Brandt (in diesem Band) und Kotschi (in diesem Band) nehmen zusätzlich eine Ebene der Informationsstruktur an, die Informationseinheiten ausgrenzt, ihnen unterschiedliche kommunikative Gewichtungen zuordnet und sie zu Strukturen vereint. Beide Arbeiten befassen sich jedoch vorrangig mit der Abgrenzung von Informationseinheiten und lassen die Frage weitgehend offen, welche speziellen Arten der Verknüpfung es begründet erscheinen lassen, von einer separaten Ebene der Textstruktur zu sprechen. Wir halten es für wahrscheinlich, daß Informationseinheiten generell den Ubergang von den größten Einheiten der Grammatik, d.h. Sätzen, zu elementaren Einheiten von Texten kennzeichnen. Das bedeutet, daß Außerungsbedeutungen Bedeutungen von pragmatisch zu begründenden Informationseinheiten und nicht von Sätzen sind und daß alle Ebenen konkatenativer Textstrukturen, also auch Illokutions- und Textbearbeitungsstrukturen, auf Informationseinheiten aufbauen. Eine Klärung dieses Fragenkomplexes muß zukünftigen Untersuchungen überlassen werden. Wir kommen auf das Problem bei der Bestimmung elementarer Illokutionen noch einmal zurück. Ausgehend von separaten Ebenen und deren Interaktion, kann man zu folgender Einteilung gelangen:

Ebenen der Textstrvktur

Lautstruktur

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segmentale Phonologie suprasegmentale Phonologie

Lexikon

Grammatik

Syntax

Basisstrukturen abgewandelte syntaktische Strukturen logische Form

Semantik

Satzbedeutung

Pragmatik

Äußerungsbedeutung semantische Textstruktur Textbearbeitung IUokutive IllokutionsInterpretation struktur

konzeptuelles System

Fig. 1 Diese Untergliederung unterscheidet sich von der, die Bierwisch (1979) vorgeschlagen hat. Bierwischs Vorschlag sieht drei größere Kenntnissysteme vor, die ihrerseits in Teilsysteme gegliedert sein können: Grammatik, konzeptuelles System und Interaktionskenntnisse. Die genannten Systeme etablieren drei Formen der Interpretation sprachlicher Ausdrücke: die grammatisch determinierte Bedeutung, die Außerungsbedeutung und den kommunikativen Sinn. Diese Einteilung beruht m.E. auf unscharfen Kriterien für die Abgrenzung von Faktoren, die die Außerungsbedeutung bestimmen und solchen, die den kommunikativen Sinn determinieren. Wie wir zu zeigen versucht haben, ist eine Abgrenzung nicht durch die Abstraktion von Handlungsaspekten zu begründen, da der Begriff der Außerungsbedeutung nicht ohne allgemeine Kommunikationsbegriffe definiert werden kann. Ein empirisch sinnvoller Begriff der Außerungsbedeutung setzt eine kommunikative Grundsituation voraus, und das schließt in jedem Falle das Verstehen einer Äußerung als beabsichtigtes Ziel der Außerungshandlung ein. Falls es als zweckmäßig erscheint, ein besonderes System der Handlungskenntnisse abzugrenzen, muß die Ebene der Außerungsbedeutung dazugerechnet werden. Es bliebe dann nur die Ebene der Satzbedeutung für Bierwischs Begriff der konzeptuellen Struktur. Diese geht aber nach Bierwischs Annahmen in die Grammatik ein. Weitere Aspekte der Textstruktur, die möglicherweise in separate Ebenen eingeteilt werden können, sollen hier nur angedeutet werden. Mündliche Texte sind im Normalfall Konstituenten eines Dialogs. Die Rolle, die sie in einem Dialog spielen, schlägt sich in der Struktur des Sprechertextes in spezifischer Weise nieder. Es ist also eine wichtige Aufgabe der Textanalyse, die Struktur von Dialogen zu untersuchen und deren Zusammenhang mit Ebenen der Textstruktur aufzudecken. Obwohl ein solcher Zusammenhang unbestreitbar

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ist, ist keinesfalls entschieden, daß Faktoren der Dialogstruktur von den Faktoren, die Ebenen der Textstruktur begründen, gänzlich unabhängig sind. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß z.B. Dialogtypen wie Beratungsgespräche vollständig auf elementarere kommunikative und illokutive Begriffe zurückgeführt werden können. Die mit Dialogen verbundene Komplexitätsebene dürfte mindestens teilweise auf Begriffe elementarerer Strukturebenen zurückführbar sein (vgl. dazu Mötsch 1989). Auch innerhalb eines Sendertextes ist es sinnvoll, nichtlokale, d.h. die Struktur des Textes global determinierende Regeln anzunehmen. Bei der Analyse von Erzählungen oder Geschäftsbriefen wurden z.B. globale Strukturierungsprinzipien vorgeschlagen. Verallgemeinernde Vorschläge über globale Kompositionsmuster, deren Beziehung zu lokalen Ebenen und zur Bestimmung von Textsorten findet man jedoch kaum in der aktuellen Textforschung (vgl. dazu die Ansätze in Sayaz (in diesem Band)). In unseren bisherigen Überlegungen wurden zwei Gesichtspunkte verfolgt, Ebenen der Interpretation sprachlicher Einheiten und Möglichkeiten der Bildung komplexer Strukturen durch Konkatenation. Sätze können eine satzsemantische Interpretation erhalten, eine Außerungsbedeutung und eine illokutive Interpretation. Bestimmte Einheiten können durch semantische Relationen, auf der Basis von Textbearbeitungsmustern sowie von Illokutionstypen zu komplexen Textstrukturen verknüpft werden. Kompositionsmuster bilden ebenfalls konkatenative Textstrukturen. Das gleiche gilt für Dialogstrukturen, deren Elemente Sprechertexte sind. Bei der Analyse von Texten müssen jedoch mindestens zwei weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden: zum einen können Ausdrücke in Texten dazu dienen, die für die Interpretation von Textstellen vom Sprecher vorausgesetzten Regeln und Prämissen explizit zu machen und zum anderen ist zu beachten, daß die vorgefundene Struktur im allgemeinen eine Wahl unter verschiedenen Möglichkeiten ist. Interpretationsunterstützende Funktion können unterschiedliche Typen von Indikatoren übernehmen, sie reichen von paralinguistischen Mitteln, über prosodische und lexikalische bis zu Illokutionen mit metakommunikativer Funktion. Phänomene dieser Art werden als Kontextualisierungstechniken genauer untersucht (vgl. dazu Auer 1986). Eine Beschreibung dieser Textphänomene setzt eine Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Text und die Textdeutung steuernden Textkomponenten voraus oder zwischen Text und Metatext. Es dürfte klar sein, daß in diesem Falle nicht von einer Ebene in dem von uns angenommenen Sinne gesprochen werden kann. Metatexte können sich auf Einheiten und Regeln aller Ebenen beziehen. Der zweite Gesichtspunkt bezieht sich auf Überlegungen, die besonders im Zusammenhang mit Untersuchungen zu den Aktivitäten beim Formulieren von Texten eine Rolle spielen (vgl. dazu besonders Antos 1982; Antos/Krings 1989, Gülich/Kotschi (in diesem Band)). Eine kommunikative Absicht kann grundsätzlich durch verschiedene sprachliche Äußerungen zum Ausdruck gebracht werden. Das bedeutet, daß die in einem Text vorgefundenen Illokutionen im Idealfall als Ergebnis einer Wahl aus einer Menge möglicher Alter-

Ebenen der

Textstrukiur

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nativen aufgefaßt werden können. Die tatsächlich gewählte Formulierung ist die aus strategischen Überlegungen des Sprechers vermutlich günstigste Variante zur Erreichung des kommunikativen Ziels. Eine ausgearbeitete Theorie der Textstruktur müßte erstens die Bedingungen auf verschiedenen Ebenen spezifizieren, nach denen Mengen von Alternativen konstruiert werden können und zweitens die strategischen Prinzipien angeben, nach denen die Wahl aus einer solchen Menge getroffen wird. Zu bestimmen ist also der Ort und die Form für die Beschreibung ebenenübergreifender Formulierungsprobleme, die von Entscheidungen zwischen grammatisch synonymen Ausdrücken, über die Rolle stilistischer Alternativen und indirekter Sprechakte bis zu Entscheidungen über die Gestaltung der globalen Struktur von Texten reichen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Wahl möglicher grammatisch ausgewiesener Fokus-Hintergrund- bzw. Topic-Comment-Gliederungen. Ausgehend von den vorausgehenden Überlegungen schlagen wir folgendes Modell der an der Textgestaltung beteiligten Ebenen und Komponenten vor: Lautstruktur

Segmentale Phonologie Suprasegmentale Phonologie

Lexikon Grammatik Syntax

Semantik

Konzeptuelles System

Basisstrukturen Oberflächenstrukturen Logische Form Elemente

Konkatenative Strukturen

Satzbedeutung

lokale Strukturen

ÄuBerungsbedeutung

Semantische Textstruktur Textbearbeitungen

Illokutive Interpretation

Illokutionsstruktur Globale Struktur

Pragmatik Sprechertexte

Dialogstruktur Nichtkonkatenative Strukturen

Fig. 2

Metatext Formulierungsstruktur

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2.

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Zum Begriff der illokutiven Interpretation

In allen bisherigen Arbeiten zur Illokutionsstruktur in Texten wurde folgende Annahme vorausgesetzt (A 1): A-l:

Texte lassen sich in elementare Illokutionen gliedern.

Wir wollen annehmen, daß es die Grammatik ermöglicht, Texte in Satzfolgen und 'satzwertige' Einheiten (wie Ellipsen) zu gliedern. Wir nehmen ferner ein Textlexikon an, das formelhafte Ausdrücke (wie Grußformeln u.ä.) und Interjektionen enthält, d.h. Ausdrücke, die neben Sätzen Einheiten der Textstruktur sein können. Die mit A 1 verbundene Behauptung muß nun begründet werden, indem gezeigt wird, welche durch die Grammatik oder das Textlexikon determinierten Einheiten eine illokutive Interpretation erhalten können. Wir wollen dieses Problem etwas genauer umreißen, beschränken uns jedoch auf die zentrale Frage, wie Einheiten der Grammatik, speziell Sätze, sowie der Satzsemantik auf Illokutionen abzubilden sind. Nach den vorausgehenden Erörterungen ist klar, daß diese Abbildung über mehrere Schritte erfolgen muß. Zunächst müssen Sätzen Satzbedeutungen zugeordnet werden, diesen werden Äußerungsbedeutungen zugeordnet, die dann eine Grundlage für die illokutive Interpretation bilden. Da die Abbildung von Illokutionen über mehrere Ebenen vermittelt ist, sind sehr verschiedene Möglichkeiten denkbar. In den bisherigen Arbeiten zu dieser Problematik wurden zwei Vorschläge genauer ausgearbeitet, deren tragende Ideen in V-l und V-2 zusammengefaßt werden. Beide Vorschläge gehen davon aus, daß die illokutive Interpretation in entscheidendem Maße über Satzmodi vermittelt wird, sie unterscheiden sich jedoch in der Bestimmung des Begriffs Satzmodus. V-l:

(i) Satzmodi sind Grundeinstellungen, die dem Sprecher eines Satzes zugeschrieben werden. (ii) Satzmodi sind durch Korrespondenzregeln auf Bündel von lexikalisch, morphologisch, syntaktisch und prosodisch bestimmbaren Eigenschaften bezogen.

V-2:

(i) Satzmodi sind Referenztypen, die nicht mit Einstellungen zusammenfallen. (ii) Satzmodi sind die semantische Form von syntaktisch determinierten Satztypen.

V-l betrachtet Satzmodi als Einheiten der Satzsemantik, die zusammen mit Propositionen Repräsentationen von Satzbedeutungen bilden. Satzbedeutungen haben grundsätzlich die Form SM,(sv ; ), wobei SM,· ein Satzmodus und sVj eine Sachverhaltsbeschreibung ist (vgl. dazu Motsch/Pasch 1987, Pasch 1989, 1990a, 1990b, 1991). Satzmodi werden in diesem Vorschlag als Typen von Grundeinstellungen zu Sachverhaltsbeschreibungen verstanden. In vereinfachter Form kann man sagen, daß der Deklarativmodus die Einstellung der Uberzeugung ist, daß dem propositionalen Gehalt der Satzbedeutung ein Sachverhalt in der Bezugswelt entspricht. Der Interrogativmodus kennzeichnet die

Ebenen

der

Textatruktur

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Einstellung, daß eine Zuordnung des propositionalen Gehalts zu einem Sachverhalt erwünscht ist, aber nicht vorgenommen werden kann. Der Imperativmodus charakterisiert die Einstellung, daß eine durch den propositionalen Gehalt charakterisierte Handlung erwünscht, notwendig oder zulässig ist. Eine genauere Analyse muß berücksichtigen, daß die semantische Beschreibung der Satzmodi Grundlagen für die Darstellung der verschiedenen Verwendungsweisen von Deklarativ-, Interrogativ- und Imperativsätzen schaffen muß. Deklarativsätze können, mit Austins Termini, konstativ oder performativ verwendet werden, Interrogativsätze u.a. als Fragen im engeren Sinne, als Problemformulierung, als rhetorische Fragen, als Prüfungsfragen, als indirekte Aussagen, Imperativsätze als Aufforderungen, Empfehlungen und Erlaubnisakte. Zu klären ist insbesondere, ob diese Differenzierungen bereits auf der Ebene der Satzbedeutung vorzunehmen ist, auf der Ebene der Außerungsbedeutung oder erst auf der Ebene der illokutiven Interpretation. Die Beschreibung von Einstellungen auf der Ebene der Satzbedeutung ist nicht unproblematisch. Eine allgemeine Voraussetzung für die Abgrenzung von Sätzen und Satzbedeutungen ist ja die Abstraktion von kommunikativen Faktoren, also auch von den tatsächlichen Einstellungsträgern. Es gibt jedoch viele empirische Gründe für die Annahme, daß sowohl die Grammatik als auch die Satzsemantik Kategorien enthalten, die sich auf Faktoren der kommunikativen Situation beziehen. Grammatik und Satzsemantik enthalten Kategorien, die die kommunikative Funktion natürlicher Sprachen reflektieren. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß Satzmodi auf der Ebene der Satzbedeutung nicht die Einstellungen eines konkreten Sprechers beschreiben, sondern nur die Angabe enthalten, daß ein virtueller Sprecher, der einen Satz mit einer Satzbedeutung, die einen bestimmten Satzmodus enthält, verwendet, die durch den Satzmodus gekennzeichnete Einstellung ausdrückt. Satzmodi werden also erst auf der Ebene der Außerungsbedeutung mit tatsächlichen Sprechereinstellungen in Bezug gesetzt. V-2 wurde vor allem in Arbeiten von Rosengren (1992, 1993) Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989) und Brand/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992) entwickelt. Zur Diskussion der beiden Vorschläge vgl. auch Rehbock (1992a, 1992b). Im Rahmen von V-2 wird versucht, die Beschreibung des semantischen Gehalts der Satzmodi auf bestimmte Referenztypen zurückzuführen, die nicht mit Einstellungstypen und tatsächlichen Einstellungen korrespondieren müssen. Es bleibt dann anderen Ebenen überlassen, die Beziehungen von Referenztypen zu Einstellungs- und zu Illokutionstypen genauer darzustellen. Die Generalisierung auf der satzsemantischen Ebene führt zwangsläufig zu einem größeren Beschreibungsaufwand auf der Ebene der Außerungsbedeutung. Auf dieser Ebene müssen nun die Einstellungstypen, die V-l in der Ebene der Satzbedeutung einführt, beschrieben werden. Die Generalisierung, die V-2 anbietet, hat natürlich nur dann einen wissenschaftlichen Sinn, wenn sie unabhängig von der Zuordnung von Einstellungstypen benötigt wird. Es muß also Fälle geben, deren Beschreibung nur Referenztypen aber keine Einstellungstypen voraussetzt. Nach V-2 ist der Satzmodus an syntaktische Kategorien gebunden. Welche sprachlichen Einheiten einen Satzmodus als zugeordnete Bedeutung be-

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kommen, wird durch die syntaktische Struktur entschieden, die Deklarativ-, Interrogativ- und Imperativsätze durch syntaktische Regeln differenziert. Die Satztypunterscheidung erfaßt alle Arten von Sätzen, also auch eingebettete. Auf der Ebene der Außerungsbedeutungen muß dann entschieden werden, welchen Satzmodi (im Sinne von V-2) in Satzbedeutungen Einstellungstypen (Satzmodi im Sinne von V - l ) zugeordnet werden, sowie welchen Außerungsbedeutungen mit Einstellungstypen in der Ebene der illokutiven Interpretation Illokutionstypen zuzuordnen sind. Es muß z.B. gesichert werden, daß nur bestimmte Typen von Nebensätzen und untergeordneten Konstruktionen, d.h. nicht-restriktive syntaktische Konstruktionen und Parenthesen, illokutiv interpretiert werden. Wie die Lösung dieser Probleme im Detail aussehen kann, versuchen die oben angeführten Arbeiten zu zeigen. Uns kommt es hier nur darauf an, die Konsequenzen der unterschiedlichen Positionen von V - l und V-2 im Hinblick auf die Gesamtaufgabe zu verdeutlichen. Im Rahmen von V - l erhalten syntaktisch selbständige Sätze über Korrespondenzregeln eine satzsemantische Repräsentation zugeordnet, die einen Satzmodus enthält. Eingebettete Sätze und andere syntaktische Konstruktionen erhalten ebenfalls eine Struktur mit Satzmodus zugeordnet, wenn sie appositiven (nicht-restriktiven) oder weiterführenden Charakter haben. Das gilt auch für Parenthesen (vgl. Bassarak 1987). Wir gehen davon aus, daß es im Satzrahmen Konstruktionen gibt, die einen eigenständigen Status haben. Diese Eigenständigkeit drückt sich semantisch dadurch aus, daß die den Konstruktionen entsprechenden Propositionen nicht restriktiv in andere Propositionen integriert sind, sondern den Charakter einer zusätzlichen Information haben. Auf der Lautebene gibt es intonatorische Mittel und Pausen zur Kennzeichnung solcher sprachlicher Ausdrücke. Diese Annahme stützt sich auf Untersuchungen zu Relativsätzen, Appositionen, Adverbialen und Adverbialsätzen, weiterführenden Nebensätzen und Parenthesen (vgl. besonders Brandt (1990) sowie die Überlegungen von Brandt (in diesem Band) und Kotschi (in diesem Band) zur Abgrenzung von Informationseinheiten). Im Unterschied zu Brandt (1990) wollen wir annehmen, daß allen semantisch nicht integrierten Propositionen ein Satzmodus zugeordnet wird. Man erhält auf diese Weise bereits auf der Ebene der Satzbedeutung Folgen von semantischen Strukturen des Typs SMj (sv,·), die in Äußerungsbedeutungen umgewandelt werden und dann in den Ebenen der semantischen Textstruktur und der Textbearbeitung verfügbar sind. In der Ebene der illokutiven Interpretation werden den Satzmodi Illokutionstypen zugeordnet. Die Abbildung der Satzmodi auf Illokutionstypen wird nach V - l als eine direkte Zuordnung der Modi Deklarativ, Interrogativ und Imperativ zu parallelen illokutiven Grundtypen (Aussagen, Fragen, Aufforderungen) beschrieben. Satzmodi und illokutive Grundtypen unterscheiden sich jedoch dadurch in fundamentaler Weise, daß Satzmodi nur Einstellungen zum Ausdruck bringen, illokutive Grundtypen dagegen Gefüge von Handlungszielen, Handlungsbedingungen und Handlungsfolgen. Während Deklarativsätze aus semantischer Sicht nur zum Ausdruck bringen, daß der sie benutzende Sprecher davon überzeugt ist (oder vorgibt, überzeugt zu sein), daß der Gehalt seiner Äußerung einem

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Sachverhalt in der Welt, über die gesprochen wird, entspricht, ist mit Aussagen das Ziel verbunden, daß der Adressat die ausgedrückte Einstellung zur Kenntnis nimmt und sie auch übernimmt. Ferner sind mit dem Handlungstyp Aussage Bedingungen verbunden, die festlegen, unter welchen Umständen ein solches Ziel erreichbar ist. Die direkte Zuordnung von Satzmodi zu Illokutionstypen erscheint nur aus rein technischer Warte als eine triviale Lösung. Tatsächlich drückt sie eine sehr starke (und deshalb auch theoretisch interessante) Hypothese über das Zusammenwirken von Sprache und Bedingungen des sozialen Handelns aus. Die Möglichkeit, mit Sprache Typen von Handlungen auszuführen, wird auf (vermutlich universelle) Mittel der Sprachstruktur zurückgeführt. Sie kommt nach dieser Hypothese dadurch zustande, daß die Absicht, beim Adressaten eine bestimmte Einstellung zu erzielen, von diesem auch verstanden wird. Die angestrebte Adressateneinstellung wiederum steht in einer systematischen Beziehung zur Sprechereinstellung, die durch einen Satzmodus repräsentiert wird. In ähnlicher Weise stellt auch Searle die Beziehungen zwischen Intentionen und Sprechakten dar (vgl. Searle 1983). Ein gravierender Unterschied zwischen V - l und V-2 betrifft die Abbildung satzsemantischer Strukturen mit Satzmodi auf syntaktische und prosodische Strukturen. Während V-2 eine 1:1 Abbildung annimmt, geht V - l von einer komplizierteren Art der Abbildung aus. Es wird nämlich angenommen, daß den Satzmodi keine eindeutige syntaktische Kategorie entspricht sondern jeweils Konfigurationen von syntaktischen, prosodischen, lexikalischen und morphologischen Mitteln (vgl. Altmann 1987, Pasch 1990a). Aus grundsätzlichen methodologischen Überlegungen folgt, daß die l:l-Lösung von V-2 der Lösung von V - l , die relativ komplizierte Korrespondenzregeln vorsieht, vorzuziehen ist, falls sie empirisch zuverlässig begründet werden kann. Wiederum aus allgemeinen methodologischen Überlegungen ergibt sich jedoch auch, daß die Lösung von V - l keineswegs auszuschließen ist, denn die grammatische Struktur und die satzsemantische Struktur gehen j a auf verschiedene separate Module zurück, und Irl-Abbildungen sind durchaus nicht die einzige Möglichkeit des Zusammenspiels der Module. Beide Varianten führen zu einer Gliederung von Texten in Illokutionen. Illokutionen wollen wir als eine Repräsentationsform verstehen, die die Repräsentation einer Außerungsbedeutung und einer darauf bezogenen, kontextuell spezifizierten illokutiven Rolle umfaßt. Außerungsbedeutungen haben wir als Repräsentationsformen charakterisiert, die Satzbedeutungen der Form SMj(sVj) kontextabhängig spezifizieren, (bei übertragenen Bedeutungen) modifizieren oder (bei Schlüssen) ergänzen. U m die Tragweite der Annahme A - l (Texte lassen sich in elementare Illokutionen gliedern) zu verdeutlichen, wollen wir mögliche Gegenpositionen betrachten. In der Literatur findet man keine wirklich argumentativ gestützten Gegenpositionen. Häufig beruht die Ablehnung von A - l auf Skepsis. Noch verbreiteter ist ein offenkundiges Desinteresse an der Fragestellung, d.h. ein Verzicht auf die systematische Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen Kategorien der Textanalyse und Kategorien der Grammatik sowie der Satzsemantik. So

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wird etwa die mangelnde Praktikabilität der Analysevorschläge kritisiert sowie auf offene Fragen verwiesen (vgl. Brinker 1988, 1990; kritisch dazu Rolf 1993). Aus unserer Sicht sind zwei grundsätzliche Einwände denkbar: E-l:

Der Begriff der Illokution ist kein empirisch begründbares Explikandum.

E-2:

Die Abbildung von sprachlichen Ausdrücken auf Illokutionen setzt keine grammatisch oder satzsemantisch bestimmbaren Einheiten voraus.

E-l halten wir aus empirischen Gründen für unakzeptabel. Dafi eine Interpretation sprachlicher Äußerungen im Hinblick auf ihren Handlungsstatus sinnvoll ist, dürfte als evidente Tatsache gelten. Ein Imperativsatz wie Laß die Finger von der Sprechakttheorie! kann als Bitte, als Weisung, als Drohung oder als Empfehlung aufgefaßt werden. Auf die Frage, wie das am besten zu beschreiben ist, sind natürlich viele, auch kontroverse Antworten denkbar. Das betrifft sowohl die Beschreibung und Klassifizierung von Illokutionen als auch die Art der Abbildung auf sprachliche Strukturen. Wir haben bislang angenommen, daß Illokutionstypen als Mengen von Eigenschaften beschrieben werden können, die durch ein separates System von elementaren Dimensionen und Kombinationsregeln vorhersagbar sind. Diese Annahme wurde besonders von Searle/Vanderveken (1985) genauer ausgearbeitet. Sprechaktkenntnisse (oder Illokutionswissen) werden also als ein eigenständiges System aufgefaßt. Diese Annahme ist natürlich nicht zwingend, ebensowenig wie die von Searle/Vanderveken herangezogenen Eigenschaften zur Bestimmung von Illokutionstypen zwingend sind. Es wäre auch denkbar, daß sich Sprechakttypen als Schnittstelle von Eigenschaften sprachlicher Äußerungen und allgemeinen Handlungskategorien darstellen lassen. Dadurch würde der Begriff der Illokution nicht überflüssig, er würde jedoch modular definiert, d.h. ohne die Annahme eines speziellen Kenntnissystems. Wenn wir E-2 folgen, könnten wir eine Abbildung voraussetzen, die nur 'geeignete' sprachliche Äußerungen für bestimmte Illokutionstypen verlangt. Man könnte z.B. annehmen, daß zum Vollzug einer bestimmten Bitte jede(s) sprachliche Äußerung(sgefüge) geeignet ist, die (das) das beabsichtigte Ziel der Bitte zu verstehen gibt und ihren Erfolg absichert. Auf diese Weise könnten ganze Textabschnitte, im Grenzfall auch ein ganzer Text, einem Illokutionstyp zugeordnet werden. Es zeigt sich jedoch, daß auch E-2 zu Folgen von Illokutionen in Texten führen kann. Tatsächlich werden nur Textabschnitte, die wir als Textbearbeitungs- und Illokutionsstrukturen erfassen, als Einheiten definiert, die in sich nicht mehr in elementare Illokutionen gegliedert sind. Die Fakten, die wir durch Beziehungen zwischen Illokutionen erfassen wollen, müßten dann auf andere Weise darstellbar sein. Die Möglichkeit, Illokutionen in Texten als Gefüge von Äußerungsbedeutungen und nicht als Strukturen aus elementaren Illokutionen zu analysieren, verdient Aufmerksamkeit. Sie unterscheidet sich von V-l und V-2 dadurch, daß die Zuordnung sprachlicher Ausdrücke zu illokutiven Kategorien nicht direkt durch sprachliche Kategorien wie Satzmodi bestimmt wird, sondern durch genauer zu analysierende Eignungskriterien.

Ebenen der Textstruktur

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Die mit einer Bitte verbundene Absicht kann nach allgemeinen Prinzipien der Kommunikation erreicht werden, wenn der Adressat erstens die Absicht versteht und zweitens bereit ist, die von ihm erwartete Reaktion zu vollziehen. Jede sprachliche Formulierung, die geeignet ist, diese Ziele zu erreichen, kann als Ausdruck der betreffenden Bitte dienen. Imperativsätze sind aufgrund ihrer grammatischen und satzsemantischen Eigenschaften besonders geeignet, das Verständnis der Senderabsicht zu erreichen. Es gibt jedoch auch Möglichkeiten, eine Absicht indirekt, d.h. über Schlußmöglichkeiten zu verstehen zu geben, die unter Umständen aus strategischer Sicht dem direkten Weg vorzuziehen sind. Die Vorteile einer solchen Beschreibung werden ausführlicher von Liedtke (1991) diskutiert. Eine Analyse dieser Art kann zur Abgrenzung von Textstrukturen führen, die nach Gesichtspunkten für illokutive Handlungen organisiert sind, d.h. zu eben den Erscheinungen, die wir als Illokutionsbzw. Textbearbeitungsstrukturen definiert haben. Die zu einer solchen Struktur gehörenden Einheiten müssen jedoch selbst keine elementaren Illokutionen sein, sondern lediglich Einheiten der Äußerungsbedeutung. Wir belassen es hier bei diesem Hinweis. Eine Begründung dieses Weges verlangt ausführlichere Untersuchungen (vgl. Mötsch 1994). Wir stützen uns bei den weiteren Überlegungen auf eine Analyse, die von Äußerungsbedeutungen der Form SM^sv,) ausgeht, denen illokutive Interpretationen zugeordnet werden. Wer den Begriff der Illokution nicht grundsätzlich ablehnt oder ignoriert, muß also A-l akzeptieren. Versuche, nur ganzen Texten Funktionen zuzuordnen, deren Beschreibung im übrigen unverkennbar aus dem Arsenal der Sprechakttheorie schöpft, übergehen das Abbildungsproblem einfach. Das trifft z.B. auf die Vorschläge von Brinker (1988) zu. Eine befriedigende Beschreibung von 'Textfunktionen' muß auf einer Beschreibung der illokutiven Binnenstruktur von Texten aufbauen. Nach unserer Auffassung läßt sich das Problem lösen, wenn m a n Globalstruktur und Illokutionsstruktur von Texten systematisch aufeinander bezieht.

3.

Funktionen von Illokutionen

Die Illokutionen eines Textes stehen nicht einfach nebeneinander, sondern sie gehen bestimmte Beziehungen untereinander ein. Besondere illokutive Strukturen ergeben sich aus dem Handlungscharakter von Illokutionen. Sie kommen dadurch zustande, daß der Erfolg einer Handlung durch andere Handlungen gestützt wird. Dies dürfte ein ganz allgemeines Prinzip für die Strukturierung von Handlungen sein (vgl. Motsch/Pasch 1987: 66ff.). Wir bezeichnen die gestützte Handlung als dominierende, die stützende als subsidiäre Illokution. Die Besonderheit kommunikativer Handlungen besteht nach Grice, wie mehrfach hervorgehoben wurde, darin, daß ein Sprecher die mit solchen Handlungen beabsichtigten Reaktionen eines Adressaten dadurch herbeiführen kann, daß er seine Absicht zu verstehen gibt. Das Verstehen der Sprecherabsicht ist eine notwendige Bedingung für erfolgreiches Kommunizieren. Natürliche Sprachen sind nun in besonderer Weise geeignet, Sprecherabsichten zu erkennen zu geben und

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damit eine wichtige Voraussetzung für die Erreichung des gewünschten Ziels zu schaffen. Mit einer dominierenden Illokution wird eine Reaktion des Adressaten angestrebt, die dem Zieltyp einer bestimmten illokutiven Rolle entspricht. Um die gewünschte Reaktion herbeiführen zu können, muB der Adressat die Äußerung und die vom Sprecher beabsichtigte illokutive Interpretation verstehen. Mit dem Illokutionstyp sind Erfolgsbedingungen verbunden, die in der Äußerungssituation als erfüllt gelten müssen, damit der Adressat die Handlung akzeptiert, d.h., damit er bereit ist, die gewünschte Reaktion zu vollziehen. Der Erfolg einer sprachlichen Handlung setzt aber nicht nur die Bereitschaft des Adressaten zu der beabsichtigten Reaktion voraus, sondern auch dessen subjektive Fähigkeit. Wir können also drei Typen von Bedingungen für den Erfolg sprachlicher Handlungen unterscheiden, sie betreffen das Verstehen, Akzeptieren, Ausführen. „Subsidäre Illokutionen haben die Aufgabe, den Erfolg einer dominierenden Handlung zu stützen", bedeutet also, daß sie Informationen bereitstellen, die das Verstehen oder das Akzeptieren der dominierenden Illokution untermauern oder die Hinweise auf die Ausführung der beabsichtigten Reaktion geben. Bei Repräsentativen fällt das Verstehen-Stützen mit dem Ausführen-Stützen zusammen, denn die Fähigkeit, etwas zu glauben, setzt die Möglichkeit voraus, Informationen in geeignete Kenntnisstrukturen einzuordnen. Wir unterscheiden verstehensstützende, akzeptanzstützende und ausführungsstützende subsidiäre Illokutionen. Verstehensstützende Illokutionen setzen wir mit Textbearbeitungen eines bestimmten sprachlichen Formats gleich. Typen von Textbearbeitungsrelationenen zwischen Außerungsbedeutungen werden in unserem Modell jedoch in einer besonderen Ebene beschrieben. Falls diese Außerungsbedeutungen auf Repräsentationen der Form SMi(sVj) zurückgehen, wird ihnen eine illokutive Interpretation zugeordnet. Die Analyse verstehensstützender Illokutionen kommt jedoch ohne Informationen der illokutiven Interpretation aus, sie benötigt nur die in einer Illokutionsrepräsentation enthaltene Repräsentation einer Außerungsbedeutungsstruktur. Nun gibt es auch Illokutionen, die die illokutive Rolle der dominierenden Illokution verdeutlichen. Solche Illokutionen betrachten wir als metatextuelle Mittel, d.h., wir nehmen einen theoretischen Unterschied zwischen Erläuterungen zur Außerungsbedeutung einer dominierenden Illokution auf der einen Seite und Verdeutlichungen der illokutiven Rolle einer dominierenden Illokution auf der anderen Seite an. Diese Behandlung von Textbearbeitungen offenbart einen problematischen Aspekt unserer Analyse. Wir sind gezwungen, verstehensstützenden Außerungsbedeutungen eine illokutive Interpretation zuzuordnen. Es kommt aber nur der allgemeine Typ INFORMATION in Frage (vgl. Mötsch 1987), und es ist durchaus fraglich, ob die mit illokutiven Rollen verbundenen spezifischen Faktoren der Handlungssituation überhaupt notwendige Eigenschaften von Äußerungen sind. Dieses Problem tritt bei einer Analyse, die wir im Zusammenhang mit Ε 2 angedeutet haben, nicht auf.

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Auf ein weiteres Problem wollen wir hier nur kurz eingehen. Wir betrachten Illokutionen als sprachliche Handlungen. Stützungsbeziehungen sind dann Relationen zwischen elementaren sprachlichen Handlungen, die zu einer k o m p l e x e n sprachlichen Handlung zusammengefaßt sind. Eine Erklärung kann z.B. als eine INFORMATION betrachtet werden, die einen Grund für eine andere INFORMATION, BEHAUPTUNG oder AUFFORDERUNG angibt. Die Funktion einer Handlung bezüglich einer anderen wirkt sich auf deren Erfolgsbedingungen aus. Es genügt z.B. nicht, daß eine Information mit erklärender Funktion vom Empfänger als isolierte Äußerung akzeptiert wird, sie muß auch als Erklärungsgrund angenommen werden. Rechtfertigen es solche Überlegungen von speziellen Typen von 'Handlungen' zu sprechen? Das heißt von Handlungen, die zwischen elementaren Handlungen vermitteln? Sollten wir z.B. ERLÄUTERUNGEN, ERKLÄRUNGEN und BEGRÜNDUNGEN als spezielle Handlungstypen betrachten? Wir glauben nicht, denn alle wesentlichen Aspekte lassen sich als Relationen zwischen elementaren Handlungen in dem Sinne beschreiben, der durch den allgemeinen Kommunikationsbegriff bzw. durch den speziellen Illokutionsbegriff gegeben ist. Es muß jedoch deutlich gemacht werden, daß die Erfolgsbedingungen für k o m p l e x e Handlungen nicht einfach mit der Summe der Erfolgsbedingen der in sie eingehenden elementaren Handlungen gleichzusetzen sind. Der Typ der Stützungsbeziehung ergänzt die Erfolgsbedingungen einer komplexen Handlung in spezifischer Weise, ebenso wie logische Konjunktoren die Wahrheitsbedingungen verknüpfter Aussagen beeinflussen. Verstehensstützende Illokutionen können einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Erfolgs einer sprachlichen Handlung leisten, da das Verständnis der Illokutionen eine notwendige Bedingung für deren Erfolg ist. Die Handlungsfaktoren im engeren Sinne werden jedoch durch die Erfolgsbedingungen der Illokutionstypen erfaßt. Es handelt sich dabei um Klassifizierungen der Handlungssituation, die im wesentlichen die Motivation der Partner, ihre soziale Stellung und darauf begründete Beziehungen, einschlägige soziale Normen sowie Verpflichtungen der Partner betreffen (vgl. ausführlicher Mötsch/Vieh weger 1991; Mötsch 1994). Der Erfolg einer sprachlichen Handlung, etwa der in einer geeigneten Situation geäußerten Bitte Hol doch mal die Zeitung aus dem Briefkasten! hängt zwar vom Verständnis des Inhalts der Äußerung ab, aber nicht allein davon. Sehr wichtig ist die Einstellung des Adressaten zu der von ihm erwarteten Handlung. Seine Bereitschaft, die Bitte zu erfüllen, hängt einerseits von seiner Motivation ab, andererseits aber auch von seinem Interesse an der Erhaltung der sozialen Beziehungen zum Sprecher. Situative Voraussetzungen dieser Art liegen den Entscheidungen darüber zugrunde, ob der Adressat die von ihm erwartete Reaktion akzeptiert oder ob er sie ablehnt. Da der spezifische Inhalt solcher Prämissen häufig nicht zum gemeinsamen Wissen der Kommunikationspartner gehört, oder nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, kann er durch sprachliche Informationen explizit gemacht werden. In der Regel handelt es sich dabei um INFORMATIONEN, die in einer kausalen Beziehung zur dominierenden Illokution stehen. Welche Aspekte der zu einer Illokution gehörenden illokutiven Rolle oder Äußerungsbedeutung mit welchen sprachlichen Mitteln gestützt werden können, wurde bisher nur in Ansätzen

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untersucht. Das Prinzip läßt sich sehr allgemein beschreiben: Textstrukturen können dadurch zustande kommen, daß Aspekte der aktuellen Handlungssituation, die durch die Erfolgsbedingungen eines einschlägigen Illokutionstyps konventionell klassifiziert sind, mit sprachlichen Mitteln explizit gemacht werden. Strukturen dieser Art bestehen aus dominierenden und akzeptanzstützenden Illokutionen. Der Handlungserfolg kann also durch zwei Typen von Strukturen gestützt werden, durch Textbearbeitungen und durch Illokutionsstrukturen, die jeweils aus dominierenden und akzeptanzstützenden Illokutionen bestehen. Ein Blick in einen konkreten Text macht sehr schnell deutlich, daß nicht alle Illokutionen in Illokutionsstrukturen der beschriebenen Art eingehen. In Texten können insbesondere auch Illokutionen auftreten, deren Aufgabe es ist, für die Deutung der Textstruktur relevante Faktoren mitzuteilen. In unserem Modell der Textstruktur ist dafür die Metatext-Komponente vorgesehen. Eine interessante Eigenschaft von Texten besteht also darin, daß Illokutionen nicht nur zur Gestaltung von primären Informationskomplexen verwendet werden, sondern auch zur Verdeutlichung der zur Strukturierung dieser Informationskomplexe angewendeten Regeln und strategischen Erwägungen. Entsprechende Illokutionen sind mehr oder weniger ausführliche Indikatoren für textstrukturelle Beziehungen und Kategorien. In einer ausgearbeiteten Beschreibung der Textstruktur müßten solche Informationen in die strukturelle Repräsentation der jeweiligen Strukturebene eingehen, d.h., sie werden gewissermaßen in den Repräsentationen der Struktur des primären Informationskomplexes 'aufgehoben' (vgl. zu dieser Thematik auch Techtmeier (in diesem Band)). Zur Illustration mögen folgende Beispiele dienen: (4) (5) (6) (7)

Wir kommen auf diese Frage noch ausführlicher zurück. Wie bereits gesagt, kann diese Lösung nicht befriedigen Im folgenden betrachten wir das Problem im Detail. Diese Erklärung beantwortet Deine Frage.

In Fällen dieser Art liegt in der Regel kein Bezug auf eine bestimmte dominierende Illokution vor, sonderen auf Textausschnitte. Solche strukturindizierenden Illokutionen können nicht an beliebiger Stelle stehen. Sie markieren z.T. Strukturgrenzen in einem Text. Die Analyse von Brieftexten, der wir uns in Mötsch (in diesem Band) widmen wollen, macht weiterhin deutlich, daß auch die Globalstruktur von Textsorten einen Einfluß auf die Funktion von Illokutionen haben kann. Die Reihenfolge der Einheiten der Globalstruktur schlägt sich dann notwendigerweise auch in der lokalen Reihenfolge nieder. Geschäftsbriefe bestehen z.B. aus drei Strukturkomplexen: aus einem Einleitungsteil, einem Kerntext und einem Schlußteil (vgl. auch Brandt/Rosengren 1992). Zur Einleitung gehört neben dem üblichen 'Briefkopf' in der Regel eine Illokution, die wir als Themamarkierung bezeichnen wollen. Um einige Beispiele anzuführen: (8) Ah Anlage finden Sie ... (9) Wir beziehen uns auf unser Telefongespräch vom ... (10) In Ihrem Brief vom ... haben Sie gefragt ...

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Textstruktur

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Aufgabe dieser Illokutionen ist es, das zentrale Thema des Kerntextes vorzugeben, eine Notwendigkeit, die sich aus sehr generellen Prinzipien der Textgestaltung ergibt und die bereits in der Topic-Comment-Gliederung von Sätzen ihren Niederschlag findet. In einigen Fällen wird die Kommunikationsgeschichte herangezogen, in die der aktuelle Beitrag einzuordnen ist. Typisch für den Schlußteil sind neben der Grußformel und der Unterschrift Illokutionen, deren Funktion es ist, die Bereitschaft zu weiteren Kooperationsbeziehungen zu signalisieren. Das verdeutlichen folgende Beispiele: (11) Für Ihre Bemühungen danken wir Ihnen im voraus. (12) Wir hoffen, Ihnen damit gedient zu haben. (13) Wir erwarten Ihre Antwort mit großem Interesse.

Brandt/Rosengren (1992) unterscheiden in diesem Zusammenhang 'komplementäre' von subsidiären Illokutionen. Komplementäre Illokutionen werden in 'sachverhaltsklärende' und 'kooperationssichernde' unterteilt. In dieser Analyse vermißt man einen Hinweis auf den systematischen Zusammenhang zwischen Globalstruktur und der Funktion der hier behandelten Illokutionen. Erst auf diesem Hintergrund wird die spezielle Funktion erklärbar. Daß diese Analyse von einem recht vagen Begriff 'sachverhaltsklärend' ausgeht, wird deutlich, wenn 'sachverhaltsklärende Illokutionen' auch als verstehensstützende subsidiäre Illokutionen in unserem Sinne betrachtet werden. Wir halten es für angemessener, zwischen themamarkierenden (nicht-subsidiären) und verstehensstützenden (subsidiären) Illokutionen zu unterscheiden. Die Funktion des erstgenannten Typs ergibt sich aus Eigenschaften der Globalstruktur, die des letztgenannten Typs aus den Möglichkeiten der Textbearbeitung.

4.

Zur Struktur von Illokutionshierarchien

Mokutionshierarchien ergeben sich aus dem Prinzip der Stützung von dominierenden Handlungen durch subsidiäre. Subsidiäre Handlungen können, je nach dem Handlungsaspekt, der gestützt werden soll, in verstehensstützende, akzeptanzstützende und ausführungsstützende unterteilt werden. Weitere Untergliederungen sind möglich (vgl. Techtmeier (in diesem Band)). Den Terminus Illokutionshierarchien verwenden wir für Strukturkomplexe, die sowohl Textbearbeitungen als auch Illokutionsstrukturen umfassen. Ausschlaggebend ist die Unterscheidung zwischen dominierenden und subsidiären Handlungen.

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In den bisherigen Arbeiten haben wir ein Schema für Illokutionshierarchien angenommen, das durch folgenden Baum wiedergegeben werden kann:

Fig. 3 In der allgemeinsten Form besagt das in Fig. 3 dargestellte Schema, daß jede Illokution durch η Illokutionen gestützt werden und zugleich ihrerseits eine dominierende Illokution sein kann. In dem Baum kennzeichnen alle Knoten, von denen andere Knoten direkt abzweigen, dominierende Illokutionen. Die direkt abzweigenden Knoten kennzeichnen subsidiäre Illokutionen. Auf einer tieferliegenden Hierarchiestufe können subsidiäre Illokutionen dominierende sein. Alle subsidiären Illokutionen, die zu einer dominierenden Illokution gehören, nennen wir Schwesterillokutionen. Auf die Frage, welche Beschränkungen für dieses (theoretisch betrachtet) beliebig komplexe Schema vorzusehen sind, können wir nicht ausführlich eingehen. Selbstverständlich ist die Tiefe der Hierarchie aus empirischer Sicht nicht beliebig. In normalen Texten ist sie sehr eingeschränkt. In der Regel sind strukturindizierende, themamarkierende und kooperationssichernde Illokutionen nicht hierarchisch organisiert. Zu klären ist vor allem, ob zwei implizite Voraussetzungen dieses Schemas tatsächlich zutreffen: 1-1: 1-2:

Stützende Einheiten sind stets Illokutionen. Stützende Illokutionen sind der dominierenden Illokution stets direkt zugeordnet.

1-1 führt uns zu der Frage zurück, welche Abbildung von sprachlichen Ausdrücken auf Illokutionstypen anzunehmen ist. V-l hat keine Probleme mit 1-1. Dieser Vorschlag läßt grundsätzlich auch Satzkonstituenten als Träger von Illokutionen zu. V-2 kann dagegen nur solche Satzkonstituenten als Träger von Illokutionen auszeichnen, die selbst Satzformate haben, die der illokutiven Interpretation zugänglich sind. Das führt zu der wenig befriedigenden Lösung, daß Einheiten angenommen werden müssen (Informationseinheiten), die Funktionen erfüllen können, die durch Strukturprinzipien der illokutiven Ebene definiert sind, obwohl sie selbst auf dieser Ebene nicht spezifiziert werden. Brandt/Rosengren (1991: 9ff.) diskutieren die Frage an folgenden Beispielen:

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Textstruktur

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(14) Ich bin ab morgen verreist. Deshalb möchte ich Sie bitten, mich zu vertreten. (15) Da ich ab morgen verreist bin, bitte ich Sie, mich zu vertreten. (16) Ich bitte Sie deshalb, mich zu vertreten, weil ich morgen verreisen muff. (Starker Akzent auf deshalb). (17) Wegen einer morgen beginnenden Reise, bitte ich Sie, mich zu vertreten.

Diese Beispiele werden von Brandt/Rosengren wie folgt analysiert: In den Sätzen (14) und (15) ist eine kausale Beziehung zwischen den Sachverhalten S 1 (Sender ist nach dem Zeitpunkt t verreist) und S 2 (Sender bittet den Empfänger um Vertretung) vorauszusetzen. (14) unterscheidet sich von (15) dadurch, daß S 1 in (14) in die Außerungsbedeutung einer Illokution eingeht, in (15) aber nur als Informationseinheit auftritt, die selbst keine Illokution ist. Da man davon ausgehen kann, daß in beiden Fällen das Akzeptieren einer BITTE gestützt wird, muß man annehmen, daß die Stützungsfunktion sowohl durch subsidiäre Illokutionen als auch durch Informationseinheiten ausgeübt werden kann. In (14) sind zwei Illokutionen anzunehmen, in (15) dagegen nur eine Illokution, die jedoch aus zwei Informationseinheiten besteht. In (16) liegen nur eine Informationseinheit und eine Illokution vor. Hier wird über den kausalen Zusammenhang zwischen einer vorausgegangenen BITTE und einen Grund INFORMIERT. (16) ist also eine repräsentative Äußerung, keine BITTE mit Performativformel. In (17) entspricht dem «ία-Satz eine Konstruktion, die als nichtintegrierte, d.h. selbständige Äußerung gelten kann. Auch diese Konstruktion dient der Begründung einer BITTE. Es liegt ein Parallelfall zu (15) vor. Die Analyse von (16) halten wir für überzeugend. Sie ist durch Verwendungsbeschränkungen für weil begründbar. Unproblematisch scheint auch die Analyse von (14) zu sein. Das gilt jedoch nicht für (15) und (17). Der Ja-Satz bringt nach der von Brandt/Rosengren favorisierten Position V-2 einen Satzmodus aus seiner syntaktischen Beschreibung mit. Bei der Abbildung von Satztypen auf Illokutionstypen müßte nun aber eine Blockierung eintreten. Warum? Diese Lösung ist umso merkwürdiger als ja auf jeden Fall dem Deklarativmodus des Ja-Satzes eine Sprechereinstellung zugeordnet werden muß. Wer diesen Satz in einer Äußerungssituation verwendet, referiert nicht nur auf einen Sachverhalt, sondern ist auch von dessen Existenz überzeugt. Diese Forderung ist offensichtlich an alle Informationseinheiten zu stellen. Welche Gründe hindern uns nun daran, davon auszugehen, daß Sprecher, wenn sie Einheiten aus Satzgefügen als besondere Informationseinheiten abheben, diese auch als Handlungen intendieren, d.h. eine bestimmte Reaktion des Adressaten anstreben und die mit der Verwendung des Typs der Handlung verbundenen Verpflichtungen übernehmen ? Wer (15) in einer geeigneten Situation aufrichtig verwendet, ist davon überzeugt, daß dem Ja-Satz ein Sachverhalt entspricht und er will auch erreichen, daß der Adressat diese Uberzeugung teilt. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß der Ja-Satz als Begründung der Bitte akzeptiert werden kann. Das mit der Analyse von (15) verbundene Problem ließe sich auch im Rahmen von V-2 beheben. Man müßte die Blockierung der illokutiven Interpretation auf Nebensätze beschränken, die keine Informationseinheiten sind. Für Fälle wie (17) hat V-2 keine Lösung. Zwar wird angenommen, daß auch hier eine Informationseinheit vorliegt, es ist aber nicht möglich, dieser Einheit einen Satzmodus oder gar eine illokutive Interpretation zuzuordnen. Das ist

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zweifellos ein empirisches Defizit. Der Versuch, Informationseinheiten ohne illokutive Interpretation dadurch zu begründen, daß (15) nicht durch (18) zu paraphrasieren ist, kann nicht als Argument akzeptiert werden. Auch (19) ist sinnlos: (18) * Ich bitte Sie, mich zu vertreten, da ick (hiermit) feststelle, dafi ich ab morgen bin. (19) */ch bitte Sie, mich zu vertreten. Ich stelle nämlich (hiermit) fest, dafi ich ab verreist bin.

verreist morgen

In beiden Fällen ist nicht die Sprachhandlung des FESTSTELLENS Grund für die BITTE, sondern der Sachverhalt, auf den die FESTSTELLUNGEN referieren. Das dürfte sogar aus sehr generellen Erwägungen so sein. Sprachhandlungen können nur in sehr beschränkten Fällen ein Grund für andere Sprachhandlungen sein. Wenden wir uns nun 1-2 zu. Diese Implikation des Begriffs der Illokutionshierarchie dürfte zwar gültig sein, scheint aber nicht alle Fälle zu erfassen, in denen wir davon sprechen wollen, dafl eine Illokution eine dominierende Illokution stützt. Wie ein Blick in Textstrukturen zeigt, können subsidiäre Illokutionen mit anderen durch semantische Relationen verknüpft sein. Auf diese Weise werden diese anderen Illokutionen an der Stützungsfunktion der subsidiären Illokution beteiligt (vgl.dazu die Analyse von Brieftexten in Mötsch (in diesem Band)). Stützungsfunktion können also ganze Illokutionskomplexe haben. Das in Fig. 2 dargestellte Schema, das nur Mengen von Schwesterillokutionen zuläßt, muß deshalb revidiert werden. Stützende Illokutionen können nicht nur untergeordnete Hierarchien bilden, sie können auch durch semantisch zu analysierende Illokutionskomplexe erweitert werden. Solche nicht nach Prinzipien der Textbearbeitung oder der Illokutionsstruktur organisierten Illokutionskomplexe kommen durch semantische Relationen zwischen Außerungsbedeutungen zustande, wie temporale, adversative, kausale u.a. Auch durch Frame- oder Script-Kenntnisse können semantische Zusammenhänge gestiftet werden. Wir haben für Zusammenhänge dieser Art eine Ebene der semantischen Textstruktur vorgesehen. Semantische Verknüpfungen können in Illokutionshierarchien eingehen. Das soll das folgende Beispiel verdeutlichen. (20) (a): Ich bitte Sie, das Gerät nach schwedischen Vorschriften prüfen zu lassen, (b) Es soll in Schweden eingesetzt werden, (c) wird jedoch in Deutschland produziert (d) und deshalb auch nur nach deutschen Vorschriften geprüft.

Der Text (20) kann in vier elementare Illokutionen gegliedert werden, (a) bis (d). Wir wollen annehmen, daß der Autor dieses Textes die BITTE (a) äußert und zugleich ERKLAREN möchte, weshalb die Handlung, um die er bittet, notwendig ist. Er erklärt damit zugleich seine Sprachhandlung, d.h., weshalb er die BITTE ausspricht. Die erklärende Kraft kommt durch den Hinweis auf den Einsatz des Gerätes in Schweden und den damit aktualisierten Wissenshintergrund, daß Geräte, die in Schweden verwendet werden, schwedischen Vorschriften genügen müssen, zustande. Wir sagen, daß (b) eine subsidiäre Illokution mit verstehensstützender Funktion bzgl. (a) ist. Die gleiche Relation

Ebenen der

Textstruktur

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besteht auch zwischen (c) und (d), (c) erklärt (d) und stützt damit das Verstehen der entsprechenden Information. Die beiden Komplexe sind nun ihrerseits adversativ verknüpft. Auf diese Weise trägt auch der Komplex (c), (d) zur ERKLÄRUNG von (a) bei. Fassen wir zusammen: Die Illokutionen eines Textes können natch dem Prinzip dominierend-subsidiär verknüpft sein. Die Art der Verknüpfung wird durch zwei verschiedene Ebenen bestimmt. Illokutionen, die nicht nach diesem Prinzip mit anderen verbunden sind, nennen wir gleichrangig. Gleichrangige Illokutionen können semantische Textstrukturen bilden, oder sie haben eine metatextuelle bzw. auf Einheiten einer Globalstruktur bezogene Funktion.

5.

Exkurs über Argumentationsanalysen

Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, daß Textstrukturen nicht nur aus sprachlich expliziten Äußerungen bestehen, sondernerschließbare Informationen voraussetzen. Wir haben deshalb die Ebene der Äußerungsbedeutungen so definiert, daß sie nicht nur Einheiten umfaßt, die Satzbedeutungen spezifizieren, sondern auch solche, die durch Schlüsse ergänzt werden können. Die Form und die Rolle 'kognitiver' oder 'praktischer' Schlüsse bei der Gestaltung und dem Verständnis von Texten wurde von verschiedenen Ansätzen ausgehend untersucht. Neben kognitiv-psychologischen und kommunikationstheoretischen (vgl.besonders Grice 1975; Levinson 1983 und Sperber/Wilson 1986) Untersuchungen ist auf eher logisch orientierte Argumentationsanalysen zu verweisen (vgl. besonders Lumer 1990). Zusammenhänge zwischen Illokutions- und Argumentationsanalyse werden ausführlich von Moilanen (in diesem Band) erörtert. Weitere Beispiele bietet der Beitrag von Mötsch (in diesem Band). Wir möchten an dieser Stelle nur ganz kurz auf diese Probleme eingehen. Argumentationsanalysen setzen Schlußschemata der Form voraus: Prämisse 1, Prämisse 2, ... : Konklusion. Ein Schluß kommt nun im Prinzip dadurch zustande, daß eine der Prämissen eine generalisierende Aussage ist, die die Konklusion impliziert. Für Schlüsse, die im Alltagsdenken und in alltagssprachlichen Zusammenhängen vorkommen, muß ein relativ schwacher Begriff des Implizierens vorausgesetzt werden. Klein (1987) hat dafür den Begriff 'Basiskonditional' vorgeschlagen. Basiskonditionale bestehen aus zwei Propositionen Α und C, die durch einen Operator verknüpft sind. Α bezeichnet eine Prämisse und C die Konklusion. Als Operatoren sind anzunehmen: FALLS Α LIEGT NAHE C FALLS Α NOTWENDIG C Ein Schlußschema hat dann die allgemeine Form:

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Prämisse 1: FALLS Α LIEGT NAHE C NOTWENDIG PRÄMISSE 2: A Konklusion: C Genauere Vorschläge zur Analyse kognitiver und praktischer Schlüsse in einem umfassenden Handlungsmodell entwickelt Rossipal (1983). Schlußschemata und Basiskonditionale gehören zum konzeptuellen System. In unserem Zusammenhang ist von Interesse, daß sie in dreierlei Weise die sprachliche Form von Texten beeinflussen können. 1) Sie liegen der Interpretation kausaler Konnektoren zugrunde. 2) Sie liegen dem Bearbeitungstyp 'Erklärung' zugrunde. 3) Sie liegen Illokutionsstrukturen und dem Dialogtyp 'Argumentation' zugrunde. Die Kausalsätze (21) und (22) setzen offensichtlich ein Schlußschema (23) voraus: (21) Sokrates ist sterblich, weil er ein Mensch ist. (22) Sokrates ist sterblich, weil alle Menschen sterblich sind. (23) Prämisse 1:

Prämisse 2:

FALLS jemand ein Mensch ist gilt NOTWENDIG(erweise) er ist sterblich Sokrates ist ein Mensch

Konklusion: Sokrates ist sterblich

Der toeiV-Satz kann einen Matrixsatz durch Bezug auf das Basiskonditional oder auf eine partikuläre Prämisse begründen. In beiden Fällen muß das Schlußschema als konzeptueller Hintergrund vorausgesetzt werden. Auf die Möglichkeit der 'Verdichtung' von konzeptuell vorauszusetzenden Schlußschemata in Kausalsätzen kann hier nur hingewiesen werden. Die Verwendung von kausalverknüpften Äußerungsbedeutungen kann, wie bereits gesagt, in drei verschiedenen Kontexten betrachtet werden. Im ersten Falle will der Sprecher lediglich über einen kausalen Zusammenhang zwischen zwei Sachverhalten informieren. Es liegt eine einheitliche Informationseinheit vor. Im zweiten Falle hebt er den Informationsgehalt einer Äußerung hervor und verwendet den kausalen Zusammenhang mit einem anderen Sachverhalt, um die hervorgehobene Information zu erklären. Es gelten also die allgemeinen Bedingungen, die wir für die Textbearbeitungsebene annehmen wollen. Eine dominierende Äußerungseinheit wird durch eine verstehensstützende Äußerungseinheit erklärt. Die Spezifik der Unterstützung des Verstehens _der dominierenden Äußerungseinheit beruht auf der Möglichkeit, die beiden Äußerungseinheiten in ein Schlußschema mit einem bestimmten Basiskonditional einzuordnen. Eine dritte Möglichkeit ergibt sich durch die Ver-

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Texistruktur

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Wendung von Schlußschemata in Illokutionsstrukturen mit akzeptanzstützenden subsidiären Illokutionen. Hier wird auf eine kausale Beziehung zwischen der Außerungsbedeutung der subsidiären Illokution und einem durch die Erfolgsbedingungen des dominierenden Typs klassifizierten Aspekt der Handlungssituation Bezug genommen. Wie allgemein für Argumentationen angenommen (vgl.u.a. Lumer 1990), ist die Verwendung akzeptanzstützender Illokutionen auf einen vermuteten oder tatsächlichen Dissens bezüglich der Gültigkeit von Erfolgsbedingungen in der aktuellen Situation zurückzuführen. Akzeptanzstützende Illokutionen können deshalb als Argumente für eine dominierende Illokution interpretiert werden. Es gibt Illokutionstypen, bei denen Argumenteerwartet werden. Das gilt z.B. für BEHAUPTUNGEN, VORWÜRFE und BESCHULDIGUNGEN. Im Unterschied zu BEHAUPTUNGEN verlangen MITTEILUNGEN und KONSTATIERUNGEN keine Argumentation. Zum Typ der BEHAUPTUNG gehört zumindest die Bereitschaft zu einer Argumentation (vgl.zur Unterscheidung dieser Typen Rolf (1983), Mötsch 1987). Wir betrachten also die argumentative Verwendung von Schlußschemata als Teil der Explikation unseres Begriffs 'akzeptanzstützende subsidiäre Illokution'. Der Problemrahmen, der hier nur angedeutet werden kann, schließt vor allem die Angabe genauer Kriterien für die Unterscheidung von ERKLÄRUNGEN und Argumentationen ein, die möglicherweise z.T. in der sprachlichen Kennzeichnung der verschiedenen Stützungsbeziehungen zu finden sind. Eine spezielle Problematik ergibt sich aus dem hier vorausgesetzten Ebenenmodell. Kausale Konnektoren gehören mit guten Gründen zur Ebene der semantischen Textstruktur. Man müßte nun folgende Möglichkeiten offen lassen: 1. Entsprechende Strukturen werden auf der Ebene der Textbearbeitung zu Erklärungen. 2. Sie werden auf der Ebene der Illokutionsstruktur zu Argumentationen. 3. Sie werden weder zu Erklärungen noch zu akzeptanzstützenden Strukturen umgewandelt, sondern bleiben auf der Ebene der Illokutionsstruktur gleichrangige Illokutionen, d.h. solche, die nicht durch illokutive Prinzipien verknüpft sind. Die dritte Möglichkeit können wir z.B. bei temporalen oder adversativen Verknüpfungen von Außerungsbedeutungen annehmen. In solchen Fällen können zwei illokutiv gleichrangige Illokutionen semantisch verknüpft sein. Die temporale Verknüpfung von Außerungseinheiten spielt z.B. in Texten eine Rolle, in denen ein komplexes Ereignis als temporal geordnete Folge von einfacheren Ereignissen dargestellt wird (vgl. dazu u.a. Klein/von Stutterheim 1992).

32

Wolfgang

Mötsch

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Ebenen der TexUiruktur

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2.

Die Ebene der verständnisorientierten Textbearbeitung

ELISABETH GÜLICH / THOMAS KOTSCHI

Textherstellungsverfahren in mündlicher Kommunikation Ein Beitrag am Beispiel des Französischen

1.

Verfallren der Textherstellung

1.1

Vorbemerkungen

Die Annahme, daß 'Formulierungs-' bzw. 'Textherstellungsverfahren' einen eigenen Bereich innerhalb der allgemeinen Textstruktur bilden, ist durch empirische Beobachtungen an Texten gut motiviert und hat die theoretischen Uberlegungen zur Modellierung der Beschreibung dieser Textstruktur sowie ihrer Bestandteile und Ebenen erkennbar beeinflußt (vgl. Brandt/Rosengren 1992; Mötsch 1992 und in diesem Band; Roulet 1991; Kotschi, in diesem Band). 1 Gegenstand der Diskussion ist derzeit vor allem die Frage, in welchem Sinne von einer derartigen Zugehörigkeit zur allgemeinen Textstruktur gesprochen werden kann. Kann man die diesen Verfahren zugrundeliegenden Einheiten und Regeln als Teilstruktur der pragmatischen Textstruktur ansehen, als eine Teilstruktur also, die ranggleich neben einer Illokutionsstruktur und einer Informationsstruktur (und eventuell weiteren Teilstrukturen) steht? Oder sind sie lediglich konstitutiv für die sprachlich-grammatische Seite des Textes, in gewissem Sinne also seine „Oberflächenstruktur"? Oder handelt es sich um einen Aspekt des Textes, der ganz oder zum Teil der Informationsstruktur zuzuordnen ist? Antworten auf derartige Fragen zeichnen sich erst in Ansätzen ab und können beim derzeitigen Stand der Diskussion kaum mehr als vorläufigen Charakter haben. Fortschritte bei der Bearbeitung dieser Problematik können sicherlich dadurch erzielt werden, daß vor allem zwei Fragestellungen weiterverfolgt werden: Welches sind die verschiedenen Teilstrukturen der globalen Textstruktur und in welcher Beziehung stehen sie zueinander? Und welches ist der empirische Bereich, der der Untersuchung des Konzepts der 'Textherstellung' (oder 'Formulierung') zugrunde zu legen ist? Obwohl natürlich keine der beiden Fragestellungen angemessen bearbeitet werden kann, ohne daß die jeweils andere mit in den Blick genommen wird, ist eine Akzentsetzung vorteilhaft und in gewisser Hinsicht sogar notwendig. In diesem Beitrag geht es uns primär um die zweite der beiden genannten Fragestellungen: Wir stellen das Konzept der Textherstellung ins Zentrum unserer Überlegungen und beziehen uns dabei - wie schon in früheren Arbeiten, 1

In Übereinstimmung mit den im Rahmen des Forschungsprogramms „Sprache und Pragmatik" beachteten Konventionen sprechen wir in diesem Beitrag einheitlich von 'Text' und verzichten darauf, eine in anderer Hinsicht wünschenswerte terminologische Unterscheidung zwischen Text' und 'Diskurs' vorzunehmen (vgl. Kotschi, in diesem Band, Anm. 1).

Elisabeth Gülich/Thomas KoUchi

38

auf denen wir hier aufbauen (vgl. zuletzt Gülich/Kotschi 1995) - auf Texte aus mündlicher Kommunikation, ohne daß deshalb alle Beobachtungen auschließlich für diese gelten müßten. Als Materialgrundlage dienen uns Gespräche, die aus verschiedenen französisch-sprachigen Korpora stammen. 1.2

Fragestellung und Herangehensweise

Das Konzept der Textherstellung ins Zentrum der Untersuchungen zu stellen, bedeutet zum einen, daß wir bei der Analyse von Äußerungen aus mündlicher Kommunikation unsere Aufmerksamkeit besonders auf den Prozeß ihrer Entstehung richten. 2 Dabei tragen wir insbesondere dem Umstand Rechnung, daß die Textherstellung primär eine Handlungsweise ist, die in der Regel interaktiv durchgeführt und in dieser Hinsicht auch sprachlich manifest werden kann. Ein zentraler Gesichtspunkt dabei ist, daß die Formulierungsaktivität der Sprecher, in dem Maße wie diese in deren Verlauf auf Probleme stoßen und Hindernisse zu überwinden haben, in den sprachlichen Äußerungen entsprechende 'Spuren' hinterläßt - Spuren, die einer linguistischen Analyse zugänglich sind. Wir untersuchen anhand dieser sprachlichen Spuren, wie Textherstellung unter den Bedingungen „konzeptioneller Mündlichkeit" (im Sinne von Koch/Oesterreicher 1990) funktioniert. Zum anderen sei darauf hingewiesen, daß die Untersuchung dieser Spuren mit der Zielsetzung erfolgt, daß dabei die der Textherstellung zugrundeliegenden speziellen Regeln erkennbar werden. Denn wir gehen davon aus, daß 'Verfahren' der Textherstellung wie 'Paraphrasierung', 'Kommentierung' oder 'Generalisierung' einen jeweils eigenständigen Regelstatus haben, d.h., daß sie bestimmten, durch Regeln charakterisierbaren Typen von Textherstellungsverfahren zuzuordnen sind, die zu einem speziellen Kenntnissystem der Sprecher gehören. Wenn wir also von Spuren sprechen, die der Prozeß des Textherstellens (Formulierens) in den sprachlichen Äußerungen hinterläßt, so ist dies so zu verstehen, daß diese Spuren das Ergebnis einer Anwendung der entsprechenden Regeln darstellen. Einige der von den Interaktanten bei der Textherstellung verwendeten Verfahren haben wir in früheren Arbeiten beschrieben, insbesondere Verfahren der 'Reformulierung' (Gülich/Kotschi 1987a und b) und der 'Redebewertung und -kommentierung' (Gülich/Kotschi 1987a; Gülich 1986b; Kotschi 1986).

2

Untersuchungen zu Textproduktionsprozessen gelten bisher eher als Domäne der Psycholinguistik und der Kognitionswissenschaft; sie beziehen sich vorwiegend auf Fragen der Sprachplanung und der Sprachverarbeitung und zielen u.a. auf die Entwicklung von Sprachproduktionsmodellen (vgl. Antos 1989: bes. 16fF.). Demgegenüber soll im vorliegenden Beitrag eine Konzeption von 'Textherstellung' bzw. 'Formulieren' vertreten werden, die sich an konkreten Textanalysen und den durch sie beobachtbar gemachten Phänomenen orientiert. Textherstellung wird daher nicht auf die Analyse kognitiver Operationen oder Prozesse reduziert, sondern es wird - eher umgekehrt - angenommen, daß die Analyse von „textproduktivem Handeln" (Keseling 1987) zu einem „Fenster für das Studium kognitiver Prozesse" (Antos 1989: 29) werden kann.

Texthersielhtngsverfakren

in mündlicher

Kommunikation

39

Als Reformulierungen sind dabei zunächst Äußerungen bezeichnet worden, die aus drei Komponenten - 'Bezugsausdruck', 'Reformulierungsindikator' und 'Reformulierungsausdruck' - bestehen, neben 'Paraphrasen' also z.B. auch 'Korrekturen' und 'Rephrasierungen' (vgl. Gülich/Kotschi 1987 a und b; zur Wahl des Terminus 'Rephrasierung' vgl. auch unten, 3.4.3). Faßt man die lokalen Gesprächskontexte, in denen solche Reformulierungen vorkommen, genauer ins Auge, so zeigt sich, daß sie häufig im Zusammenhang mit „Störungen" des Kommunikationsvorgangs auftreten (wobei von „Störung" hier allerdings nur in einem sehr weiten, das Auftauchen bestimmter kommunikationsbedingter Probleme betreffenden Sinne gesprochen werden soll).3 Die Beobachtung der damit zusammenhängenden Regularitäten läßt auf allgemeine Regeln der Textherstellung schließen, die die Produktion sprachlicher Äußerungen im Hinblick auf die Rezeption durch den Partner bestimmen. Es gehört offenbar zum kommunikativen Wissen der Sprecher, daß bei derartigen 'Störungen' der Kommunikation die problematische Äußerung reformuliert werden kann. Dies kann in ganz verschiedenen Formen geschehen, die von der wortidentischen Wiederaufnahme (Rephrasierung), bei der der Reformulierungsausdruck nur prosodisch anders gestaltet ist als der Bezugsausdruck, bis hin zu relativ komplexen Formen der Reformulierung reichen. Neben den Reformulierungen lassen sich weitere Formen der Textherstellung ausmachen, beispielsweise die von Rolf (in diesem Band) untersuchten 'Erläuterungen' und die bei Drescher (1992) behandelten 'Generalisierungen'. Das eine wie das andere dieser beiden Verfahren wird nun nicht nur zur Behebung von Störungen eingesetzt, sondern kann auch verschiedene argumentative Funktionen übernehmen oder bestimmte strategische Absichten erfüllen. Um der Verschiedenheit der Formen und Funktionen von Reformulierungen und weiterer Formen der Textherstellung sowie auch der Verschiedenheit der kommunikativ-strategischen Absichten, die mit ihrer Hilfe verfolgt werden, besser Rechnung tragen zu können und dennoch den Begriff 'Reformulierung' nicht zu sehr auszuweiten, bezeichnen wir im vorliegenden Beitrag die genannten Aktivitäten als 'Bearbeitungen'. Reformulierungen im engeren Sinne, d.h. Paraphrasen, Korrekturen und Rephrasierungen, sehen wir lediglich als besondere Fälle von Bearbeitungen an. Bearbeitungen sind nun jedoch lediglich eine spezifische Form eines allgemeineren Verfahrens, das darin besteht, mit einem sprachlichen Ausdruck auf einen anderen sprachlichen Ausdruck Bezug zu nehmen. Dieses 'Bezugnehmen' unterscheiden wir wiederum vom reinen Produzieren sprachlicher Ausdrücke, also dem 'Versprachlichen' kognitiver Inhalte. Unser Untersuchungsgegenstand, das Formulieren, umfaßt also zwei verschiedene Typen von Aktivitäten: das Versprachlichen kognitiver Inhalte und das Bezugnehmen auf andere Ausdrücke desselben Textes. Einerseits lassen sich 3

Insofern decken Reformulierungen - zumindest unter bestimmten Aspekten - einen Teilbereich dessen ab, was in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse als 'Reparatur' ('repair') beschrieben wird, deren Auftreten j a auch mit einer 'Störungsquelle' ('trouble source') in Verbindung gebracht wird (vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977).

Elisabeth Gülich/Thomas

40

Kotschi

diese beiden Typen von Formulierungsaktivitäten deutlich unterscheiden; sie erscheinen auch als verschiedene Phasen im Produktionsprozeß: Erst wenn ein Inhalt versprachlicht ist, kann der Sprecher auf den daraus resultierenden Ausdruck Bezug nehmen. Andererseits sind beide Typen aber auch untrennbar miteinander verbunden: sie werden in bestimmter Hinsicht gleichzeitig ausgeführt, denn im Gesprächsverlauf ist bei jeder Bezugnahme der Ausdruck, mit dem Bezug genommen wird, ebenfalls immer Resultat einer Versprachlichung. Es ist jedoch wesentlich, die theoretische Unterscheidung zwischen Versprachlichung und Bezugnahme aufrecht zu erhalten, weil diese beiden Aktivitäten nicht nur unter verschiedenen Bedingungen zustande kommen, sondern auch recht unterschiedliche Auswirkungen auf die Textstruktur haben. Der Unterschied zwischen Versprachlichen und bearbeitendem Bezugnehmen liegt vor allem darin, daß die nicht gewählten Varianten im ersten Fall zwar dem Sprecher kognitiv präsent sein mögen, dem Hörer jedoch nicht zugänglich sind, während im zweiten Fall tatsächlich mehrere Varianten realisiert werden. Damit werden sie interaktiv etabliert, auch wenn die zuerst gewählten nachträglich als unzulänglich, problematisch oder gar ungültig markiert werden. Das Bezugnehmen auf andere Ausdrücke desselben Textes geschieht allerdings nicht nur in Form des 'Bearbeitens'. Von der bearbeitenden Bezugnahme zu unterscheiden ist die 'eine Einstellung ausdrückende' Bezugnahme auf bereits produzierte oder auf in der Textfolge zu produzierende Ausdrücke. Die sprachlichen Spuren, die die Formulierungsarbeit im Text hinterläßt, ordnen wir nun diesen drei Arten der Textherstellung zu: der Versprachlichung, der bearbeitenden Bezugnahme und der eine Einstellung ausdrückenden Bezugnahme:

Textherstellung

Versprachlichung (1)

Bezugnahme

bearbeitend (2)

eine Einstellung ausdrückend (3)

(1) Zu den Spuren der Versprachlichung gehören u.a. alle die Phänomene, die man als typisch für die 'Parole' oder die 'Performanz' anzusehen pflegt: Verzögerungen, Abbrüche, Neuansätze, Selbstkorrekturen, Wiederholungen usw. Sie sind zweifellos konstitutiv für konzeptionelle Mündlichkeit und haben durchaus ihre eigenen Strukturen und ihre eigene Ordnung. Wir interpretieren sie als 'Indikatoren von Versprachlichungsverfahren'; zu diesen Verfahren gehören z.B. die 'Selbstkorrektur' („self-repair") und die 'Vervollständigung' (vgl. Gülich 1986a).

Tezthersteilungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

41

(2) Unter einem zweiten Typ von Spuren fassen wir Phänomene mit einer komplexeren Struktur zusammen, die sich dadurch auszeichnen, daB auf ein bereits geäußertes Segment mit einer neuen Formulierung (d.h. 'bearbeitend') Bezug genommen wird. Beispiele sind Paraphrasen und andere Reformulierungen. Wir bezeichnen Spuren dieses Typs als 'Bearbeitungsverfahren'. Charakteristische Indikatoren dieser Verfahren sind im Französischen z.B. c'cst-ä-dire, enfin oder done. (3) Den dritten Typ von Spuren schließlich bilden die Verfahren der 'Redebewertung und Redekommentierung', in denen Ausdrücke wie comment dirais-je, entre guillemeis oder comme on dit als Indikatoren fungieren. Es handelt sich um Äußerungen auf einer metadiskursiven Ebene, mit denen sich Sprecher sowohl auf Probleme der Versprachlichung als auch auf solche der Bearbeitung beziehen.

Die Beziehungen zwischen diesen drei Typen von Spuren lassen sich in folgendem Schema zusammenfassen: VERSPRACHLICHUNG Indikatoren Verfahren

Indikatoren

BEARBEITUNG Verfahren

REDEBEWERTUNG und REDEKOMMENTIERUNG Indikatoren

Verfahren

Das Schema - dessen erweiterte Fassung in Abschnitt 5 wiedergegeben wird zeigt die verschiedenen Arten der Textherstellung (Versprachlichen, Bearbeiten und Bewerten/Kommentieren) sowie die Spuren, die die ihnen entsprechenden Formulierungsaktivitäten im Text hinterlassen. Dabei bilden die Spuren in unseren Überlegungen den Ausgangspunkt, denn die Analyse der Spuren erlaubt es, auf jeweils bestimmte Arten der Textherstellung zu schließen. Als Spur betrachten wir nicht nur den jeweiligen Indikator (wie z.B. den Ausdruck c'estä-dire oder ein Verzögerungssignal wie etwa eine gefüllte Pause), sondern auch das dadurch jeweils signalisierte Verfahren (wie z.B. das der Paraphrasierung oder das des 'self-repair'). Der Terminus 'Verfahren' bezieht sich in unserem Ansatz auf Phänomene, die als Eigenschaften der „Textoberfläche" erkannt werden können. Wir gebrauchen ihn in ähnlichem Sinne, wie in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse von 'Methoden'oder 'Mechanismen' die Rede ist. Dabei zielt - wie oben erläutert - die Untersuchung dieser Verfahren darauf ab, die ihrer Anwendung zugrundeliegenden allgemeinen Regeln der Textherstellung zu ermitteln. Die methodologischen Überlegungen, von denen wir uns dabei leiten lassen, gehen primär auf zwei Ansätze zur Analyse von Gesprächen zurück: erstens auf die von Sacks, Schegloff, Jefferson und anderen entwickelte ethnomethodologische Konversationsanalyse 4 und zweitens auf das von Roulet und anderen 4

Einen Überblick geben Sudnow (1972), Schenkein (1978), Psathas (1979) und Atkinson/Heritage (1984), ferner Kallmeyer/Schütze (1976), Bergmann (1981), Streeck (1983) hinsichtlich der Rezeption in Deutschland und Bachmann/Lindenfeld/Simonin (1981), Bange (1983), Coulon (1987), Gülich (1991) hinsichtlich der Rezeption in Frankreich.

42

Elisabeth Gülich/Thomas

Kotschi

in Genf entwickelte Modell für eine Diskursanalyse, die Aspekte aus der Dialogforschung, der Sprechakttheorie und der Argumentationstheorie aufnimmt. 5 Aus diesen beiden Ansätzen ergeben sich für unsere Analyse der Spuren von Formulierungsaktivitäten drei leitende Gesichtspunkte: - der Gesichtspunkt der Sequentialität: wir betrachten die Produktion sprachlicher Äußerungen als einen Prozeß, für dessen Verlauf es charakteristisch ist, daß Ausdrücke zunächst produziert, dann als unbefriedigend oder vorläufig markiert und bearbeitet werden. Diese allmähliche Vervollständigung von Äußerungen kann durch eine sequentielle Analyse rekonstruiert werden; - der Gesichtspunkt der Interaktivität: wir sehen sprachliche Äußerungen als Resultat einer interaktiven Leistung an (im Sinne einer „interactive construction" - Goodwin 1979 - bzw. eines „interactional achievement" Schegloff 1982 -) 6 und leiten daraus die Konsequenz ab, daß auch jede monologische Äußerung als potentiell dialogisch betrachtet werden kann (vgl. Kerbrat-Orecchioni 1990: 14); - der Gesichtspunkt der Funktionalität: wir berücksichtigen die spezifischen Funktionen, die bestimmte Gruppen von Indikatoren bei der Herstellung und Spezifizierung von Beziehungen zwischen Textkonstituenten auf verschiedenen hierarchischen Ebenen erfüllen. Strukturale und semantische Analysen solcher Indikatoren erlauben es, die Typen der Textherstellung genauer zu differenzieren und adäquater zu klassifizieren. Bei einigen dieser Indikatoren, insbesondere bei den sogenannten Konnektoren, verbinden sich Funktionen der Textherstellung mit argumentativen Funktionen (vgl. Roulet 1987). Wenn solche Analysen von Indikatoren in die Untersuchung von Textherstellungsaktivitäten einbezogen werden, können sich auch neue Perspektiven für die Beschreibung konversationeller Argumentationsstrukturen ergeben. Die ersten beiden Gesichtspunkte spielen in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse eine zentrale Rolle; der dritte Gesichtspunkt ergibt sich aus den diskursanalytischen Untersuchungen nach dem „Genfer Modell". 7

5

Als repräsentativ zumindest für die erste Phase der Erarbeitung des Modells kann Roulet et al. (1985) genannt werden. Einen Uberblick über die weiteren Etappen geben Roulet (1989) und Moeschier (1990). Zu neuesten Entwicklungen vgl. Roulet (1991) sowie Heft 13 der „Cahiers de Linguistique Fran$aise" (1992).

6

Vgl. Schegloff (1982: 73): „The production of a spate of talk by one speaker is something which involves collaboration with the other parties present, and that collaboration is interactive in character, and interlaced throughout the discourse, that is, it is an ongoing accomplishment, rather than a pact signed at the beginning, after which the discourse is produced entirely as a matter of individual effort."

7

Über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit von 'analyse de la conversation' und 'analyse du discours' gibt es eine längere Diskussion, die Brassac (1992) nachzeichnet.

Texthersiellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

43

Unter Berücksichtigung dieser drei Gesichtspunkte sollen im folgenden die genannten drei Typen von Spuren konversationeller Formulierungsaktivitäten anhand von Beispielen aus dem Französischen genauer betrachtet werden.

2.

Versprachlichung

2.1

Allgemeine Merkmale

Den ersten Typ von Spuren der Textherstellung repräsentieren die Versprachlichungsverfahren und die sie markierenden Indikatoren. Letztere zeigen unmittelbar an, wie die Versprachlichung abläuft und welche Probleme der Sprecher bei ihrem Vollzug hat. Sie kommen in beinahe jedem Ausschnitt aus spontan gesprochener Sprache vor.8 Eine Illustration bietet das folgende Beispiel; es stammt aus einem Gespräch zwischen zwei jungen Franzosen, die über die Bedingungen für das Bestehen einer externen Reifeprüfung sprechen und Schwierigkeiten bei der Benennung der dafür benötigten Unterlagen haben.9 8

Eine Auflistung neuerer Literatur enthält die im vorliegenden Zusammenhang instruktive Untersuchung von Simeoni/Fall (1992).

9

Für die Transkriptionen der Beispiele verwenden wir ein von U. Dausendschön-Gay, E. Gülich und U. Krafft entwickeltes Notationssystem. Es folgt im großen und ganzen den üblichen orthographischen Konventionen, jedoch haben die Interpunktionszeichen nicht ihre normale Bedeutung. Bei der Wiedergabe von Beispielen, die aus Korpora mit anderen Konventionen entnommen wurden, haben wir die Notation an das verwendete System angepaßt, es sei denn in den betreffenden Beispielen werden die herkömmlichen Interpunktionszeichen der geschriebenen Sprache verwendet (vgl. die von Authier-Revuz bzw. Hölker übernommenen Beispiele (13), (14), (15) und (25)); in solchen Fällen ist die Sprechweise natürlich nicht mehr rekonstruierbar. kurze Pausen; die Zahl der Punkte entspricht der Länge der Pause schneller Anschluß k der folgenden Äußerung steigende Intonation z.B. ä partir de lä' fallende Intonation z.B. je ne sais pas, besondere Betonung z.B. c'est EUx VERSALIEN Vokaldehnung; die z.B. le:, euh:: Zahl der Doppelpunkte entspricht der Länge der Dehnung nachlässige z.B. i (1) faui Μ Auesprache unübliche Bindung z.B. pas=ivident fragwürdige z.B. (? devoir) Transkription unverständliche Stelle (...?) Abbruch z.B. s'impo/

/

44

Elisabeth Gülich/Thomas

Kotschi

( 1 ) 1 C: (laut) bon prEmiirement pour=eh pour avoir la listE, 2 pour qu 'ςα soit EUz . qui difinissent la liste de:s=oeuvres i travailler'. et qui ä ρ/ ä partir de Ii' 3 . euh: t'envoient des:/ des COURs'.. euh: (ea)fin des 4 5 devOIRs . sur/ sur ces oeuvres-lä 6 A: .mh 7 C: pour ta preparation, . j'CROIs qu'c'est possib(le) ga, 8 9 A: ... (zögernd) 10 OUI! non mats (α c'est euh:: j/,(en)ffin c'est c(e) que 11 j't'avai:s c'est le:/les::/ les papiers qu(e) j'avais 12 C: (spielt mit einem Feuerzeug) 13 A: euh: . que le cned m'avait envoy6s:Ίά au dibut de 14 l'annW 15 C: . mhm 16 A: (en)fin en septEMbre ou: * 17 C: ouais, ouais,* 18 A: AOUT(E),+ 19 C: mh

[Lettre au rectorat] Betrachtet man lediglich die Zeilen 10 und 11 dieses Beispiels, so zeigt sich, daß sich hier auf engstem Raum nicht weniger als sieben verschiedene Arten von Indikatoren finden: eine gefüllte Pause (euh::, Z.10), ein Fehlstart ( j / , Z.10), ein Korrektur-Indikator ((en)fin, Z.10), ein Neuansatz (c'est c(e) que, Z.10), die Längung eines Vokals am Wortende (j't'avai:s, Z.ll); schließlich finden sich in Zeile 11 zwei Vorkommen einer syntagmatischen Kombination zweier Elemente ein und desselben morphologischen Paradigmas (le:/les:: und /es:: //es papiers). (Solche Kombinationen sind im allgemeinen auch prosodisch markiert - wie hier durch Vokallängung.) Diese Indikatoren sind relativ gut bekannt, da sie in Untersuchungen zur gesprochenen Sprache immer wieder als typische Charakteristika spontaner Textherstellung beschrieben worden sind. Die Verfahren selber, die durch diese Indikatoren signalisiert werden, sind hingegen - mit wenigen Ausnahmen wie z.B. der des self-repair - bisher noch kaum untersucht worden. Weitere Kandidaten für solche Verfahren sind z.B. die häufig in Arbeiten zur gesprochenen Sprache (leise), (Lachen) usw.

+

en sepiembre ou* ouais ouais*

Kommentare des Transkribenten über besondere Eigenschaften oder nichtverbale Phänomene Ende der Gültigkeit des Kommentars gleichzeitige oder überlappende Äußerungen; * = Ende der Überlappung

Teztherslellungsverfahren

in mündlicher

45

Kommunikation

erwähnten Konstruktionswechsel, Verfahren der '(interaktiven) Vervollständigung' (vgl. Gülich 1986a), oder des neuerdings von Blanche-Benveniste (1990) ausführlich beschriebenen „travail de denomination" (vgl. unten 2.2). Ein allgemeines Merkmal der Indikatoren von Versprachlichungsverfahren besteht darin, daß sie die lineare Abfolge der Konstituenten der syntaktischen Oberflächenstruktur „unterbrechen". Bei der Verschriftlichung mündlicher Äußerungen (so wie sie üblicherweise etwa bei der Wiedergabe von Interviews vorgenommen wird) werden sie daher oft getilgt, und man erhält eine Struktur, die in der Regel dem entspricht, was der Gesprächspartner verstanden hat und was im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wird. So dürfte beispielsweise ein Hörer des Ausschnitts (1) einen Ausdruck der Form c'est [oder: et sont] les papiers que le cned m'avait envoyes verstehen (und speichern), die tatsächlich geäußerte Form der Äußerung ist jedoch: ( l a ) c'est le: / les::/ les papiers qu(e) j'avais: euh: . que le cned m'avait

envoyes:'

Für die Untersuchung der Indikatoren und der durch sie indizierten Verfahren ist es nun wichtig, daß einerseits die lineare Abfolge der Außerungskonstituenten unverdeckt und klar erkennbar bleibt, daß aber andererseits auch die Indikatoren in allen Details notiert werden. Dies erreicht man mit der von Blanche-Benveniste (1990) vorgeschlagenen Transkription (vgl. auch BlancheBenveniste/Jeanjean 1987), bei der die Indikatoren auf der Achse der paradigmatischen Beziehungen angeordnet werden, wodurch die syntagmatischen Beziehungen der „horizontalen" Achse wieder freigelegt werden. Die Transkription (la) erhält dann die Form ( l a ' ) c'est le: les:: les papiers

qu(e) j'avais: euh: que le cned m'avait

envoyte

Derartige Transkriptionsanordnungen lassen die sprachliche Struktur von Ausdrücken die mit Hilfe von Verfahren wie 'self-repair' und interaktiver Vervollständigung produziert werden, deutlicher erkennen. 2.2

Vorkommen auf verschiedenen Ebenen

Generell können die von den Indikatoren und den entsprechenden Verfahren angezeigten Versprachlichungsprobleme auf verschiedenen Ebenen auftreten. 2.2.1 Auf der Ebene der phonetischen Realisierung kann beispielsweise die falsche Plazierung eines Phonems ein Versprachlichungsproblem darstellen, das durch Abbruch und Neuansatz gelöst wird, vgl. das folgende (einer anderen Aufnahme entnommene) Beispiel: (2) c'est tout i fait une astuce qu'on appelle une Ugende jur/ urbaine [Bouillon de culture]

Elisabeth Gülich/Thomas

46

Kotschi

2.2.2 Auf der morphologisch-lexikalischen Ebene kann es zu Versprachlichungsproblemen im Verlauf der Realisierung oder Memorisierung eines komplexen Wortes oder einer - auch zu stilistischen Zwecken - gesuchten ungewöhnlichen Wortbildung kommen. Dieses Problem kann z.B. durch den Einschub einer gefüllten Pause signalisiert werden. (3) mime

si tin tin disons quelqu 'un euh disons tin franfais

de souche

[Elsaß]

2.2.3 Um Versprachlichungsprobleme auf der lexikalisch-semantischen Ebene kann es sich handeln, wenn der Sprecher die (von Blanche-Benveniste 1990 untersuchte) 'Bezeichnungsarbeit' leistet, indem er zur Bezeichnung eines Konzepts zwei oder mehrere - in paradigmatischer Relation zueinander stehende - sprachliche Ausdrücke syntagmatisch „aneinanderreiht", bzw. zu „Listen" (im Sinne von Müller 1991) zusammenfügt; vgl. als Beispiel einen weiteren Ausschnitt aus (1): (lb)

Ii au dibut de (en)fin

en

l'annie'

septEMbre ou:

AOUT(E),

Es ist bemerkenswert, daß die Verfahren, die sich insbesondere auf der lexikalisch-semantischen Ebene finden, häufig eine interaktive Ausprägung erhalten. Ein Beleg dafür sind Beispiele wie das folgende, in dem sich Sprecher und Gesprächspartner an der Bezeichnungsarbeit beteiligen (wobei auch metadiskursive Ausdrücke verwendet werden, s. dazu unten Abschn. 4): (4) 1 T:

j'ai dii ma fille il faut absolument que . que Iti

2

sortes de ta coquilie . et: et hie η I'attitude

3

mimes

4

dans les

maisons I'atiitude des gen s η 'est plus du tout la

mime

5

MB: mhm mhm

7

T:

i(l) f / i(l) faul: i f l ) faut .. comment

vous

8

dirais-je: .. i(l) faul pas avoir l'air de .

9

il faut je (ne) sais pas il il faut s(e) creer une

10

personnalite

11 MB: out out 12 T: 13 MB:

avoir

l'air

s'imposer

14 T:

s 'impo/

15

euh

pas

16 MB: non 17 T:

s'imposer

tout tout en s'imposani

18 MB: c'est fa out 19

naturellement

[Orleans 53]

alors

pas

d'hesiter

Textherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

47

In der von Blanche-Benveniste vorgeschlagenen Transkriptionsweise 10 erhalten wir für die Zeilen 7 - 1 7 : (4·)

«(1) / / i(l) faut: «'(1) faut

c. vous dirais-je:

..

i(l) faut

pas avoir l'air de

d'hisiier

il faut je (ne) sais pas il il faut out out

s(e) creer une avoir

personnalite

l'air

s 'imposer s 'impo/ pas euh η on

s'imposer tout tout en s 'imposant

pas

In diesem Beispiel führen die Gesprächspartner einen konversationeilen Aushandlungsprozeß durch: sie einigen sich am Ende auf ein Konzept, für dessen Bezeichnung keiner der verwendeten Ausdrücke ausreicht, d.h. sie konstituieren im Verlauf dieses Prozesses eine neue „soziale" Bedeutung (vgl. Kallmeyer 1981: 90). 2.2.4 Zu den Versprachlichungsproblemen sind ferner auch Schwierigkeiten bei der Produktion der - hinsichtlich der jeweils zu identifizierenden Sachverhalte und der Einfügung in den Kotext - „richtigen" syntaktischen Struktur zu rechnen. Im (bereits besprochenen) Beispiel ( l a ' ) c'est le: Its:: w(e)

les papiers

j'evais:

euh: que le cned m 'avail

envoyis

erzwingt die Wahl der Verbform envoyes eine Veränderung der begonnenen syntaktischen Struktur. - Auch bezüglich dieser Ebene ist die im vorangehenden Abschnitt apostrophierte „interaktive Vervollständigung" zu beobachten. So wird im folgenden Beispiel die Wahl zwischen möglichen syntaktischen Fortsetzungen an einer bestimmten Stelle in A's Gesprächsbeitrag vom Gesprächspartner C getroffen (nämlich durch das „Anbieten" einer Präpositionalphrase au Flammarion in Zeile 3 anstelle der ebenfalls möglichen präpositionalen Infinitivkonstruktion, die später in Form von de trouveretc. nachgeliefert wird): (5) 1 A: s f i j tu vas i Lyon c(e)t apris-midi 2 3 C: 10

moi je te con-

seilte un true' c'est d'aller euh:: . hen ouais

au

Flammarion'

Die Kennzeichnung der Sprecher wird dort im Zusammenhang der hier interessierenden Fragestellungen häufig weggelassen; dadurch wird indirekt nur noch deutlicher, daß tatsächlich eine syntaktische Konstruktion produziert wird, auch wenn an ihrer Herstellung mehrere Sprecher beteiligt sind.

48

Elisabeth Gülich/Thomas

Kolschi

4 A: oil In VEUz mats en tout cos' de & de & de 1(e) 5

TROUVER des/ des annates du bac de frangais' [Lettre au rectorat]

2.2.5 Schließlich ist auch die pragmatische Ebene in die Betrachtung miteinzubeziehen. Denn zur Versprachlichung gehört auch die Gliederung („Verpackung") des Textes in 'Informationseinheiten' (vgl. Brown/Yule 1983; Chafe 1987; Kotschi, in diesem Band). Zu den Aufgaben des Sprechers gehört es, den Umfang {und die interne Struktur) von Informationseinheiten zu verdeutlichen. An Übergangsstellen zwischen zwei Informationseinheiten finden sich daher häufig Indikatoren wie Pausen, Verzögerungsphänomene, Veränderungen der Intonationskurve und sonstige prosodische Variationen, vgl. (6) oui mais quand meme justement' si on prend ces exemples-la [Norm, 304]

les bouquins de Queneau ou de Vian ou: hetι bon. quoi

Als Indikatoren können hier das gedehnte ou:, das euh sowie die kurze Pause zwischen bon und quoi gelten. Die Verwendung von bon und quoi zeigt darüber hinaus, daß die hier besprochenen Indikatoren zusammen mit derartigen Gliederungssignalen auftreten können, so daß man sich fragen kann, ob Gliederungssignale dieses Typs (wenigstens in einigen ihrer Verwendungen) ebenfalls als Indikatoren von Versprachlichungsverfahren fungieren können. (Zu anderen Verwendungen von bon und quoi vgl. unten Abschn. 3.3)

3.

Bearbeitung

3.1

Allgemeine Merkmale

Einen zweiten Typ von Spuren der Textherstellung bilden die Verfahren, mit deren Hilfe ein Sprecher ein vorangehendes (von ihm selbst oder dem Gesprächspartner produziertes) Textsegment dadurch ausgrenzt, daß er sich mit einem neuen Ausdruck auf dieses bezieht, es in gewisser Weise bearbeitet. Wir sprechen daher von 'Bearbeitungsverfahren'. Die Beispiele (7) und (8) zeigen, in welcher Weise der Sprecher einen vorangehenden Ausdruck ('Bezugsausdruck') bearbeitet, indem er eine alternative Formulierung ('Bearbeitungsausdruck') vorschlägt. (7) moi j(e) l'ai passe [i.e./e 6ac] j(e) t 'ai dit'. dans des conditions complitement males (leise) enfin bon euh:+ apres une premiere' quoi [Lettre au rectorat]

euh:: nor-

(8) & done tu tombes avec tin ezaminateur mais tu sais pas: qui: avant'. (atmet) et euh: il regarde ta liste' et pis i(l) choisit alors il/parfois i(l) te demande ton avis' c'(est)-a-dire sur quoi tu priferes travailler' mais c'est relativement rArt [Lettre au rectorat]

Die Aktivität des Sprechers besteht in diesen Beispielen darin, daß er einen bereits produzierten Ausdruck (dans des conditions complitement euh:: normales bzw. i(l) te demande ton avis') rückwirkend als ungenügend und insofern als vorläufig (aus der Sicht der ethnomethodologischen Konversationsanalyse:

Teztherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

49

als 'Störung' bzw. 'trouble source') charakterisiert. Um die dadurch benannten Probleme zu lösen, verfügt der Sprecher über Verfahren (oder 'Methoden' im ethnomethodologischen Verständnis dieses Terminus), die es ihm erlauben, den als solchen charakterisierten Bezugsausdruck zu modifizieren, zu präzisieren, zu explizieren oder zu korrigieren usw. Derartige Bearbeitungsverfahren beinhalten im typischen Falle die Verwendung eines Ausdrucks mit spezifischer Indikatorfunktion und weisen von daher eine dreigliedrige Struktur auf (die für Reformulierungen bereits in Gülich/Kotschi 1987a und b detailliert beschrieben wurde): Bezugsausdruck Beisp. (7)

Indikator

Bearbeitungsausdruck

dans des conditions completement euh:: normales enfin bon euh:: apres une

premiere

quoi Beisp. (8)

i(l) te

demande

ton avis c'(est)-ä-dire sur quoi tu preferes travailler

Vergleichbare Strukturen findet man - wie oben erwähnt (vgl. Abschn. 1) bei Verfahren, bei denen die Motivation zur Bearbeitung weniger durch eine Störung, als vielmehr durch globalere diskursive Ziele, wie z.B. bestimmte argumentative Strategien determiniert zu sein scheint. In solchen Fällen geht es z.B. um Generalisierungen (vgl. (9)) oder um Exemplifizierungen (vgl. (10)): (9) vous l'alimentez comment ce compte [...] comment vous l'atimentez compte de non-resident'. il faut qu'il soii alimenti euh:: .. [...] [A la banque]

. & parce que . an

(10) I'alimentation du compte' .. il faut que . qu'elle riponde ä des ηormes precises' j(e) vous dis'. + un travail effectue en france'. ou bien le cas d'un marinier'par ezemple, qui fait tin transport pour euh: . un frangais'. ä ce moment-la il lui faut la: .. facture' . il faut des . des preuves' [A la banque]

In (9) wendet sich der Sprecher (ein Bankangestellter) an eine deutsche Studentin und wirft ihr gegenüber die Frage auf, wie sie als Ausländerin sicherstellen will, daß auf das Konto, das sie zu eröffnen wünscht, regelmäßige Zahlungen eingehen (vous l'alimentez comment ce compte) und formuliert daran anschließend die generelle Regel: an compte de non-resident il faut qu 'il soit alimente. In (10) ist die Vorgehensweise umgekehrt: der Sprecher nennt zunächst (noch einmal) die generelle Regel (/'alimentation du compte il faut qu'elle

Elisabeth Gülich/Thomas

50

Koischi

reponde ά des normes precises) und illustriert sie dann durch eine (in sich abgestufte) Beispielsequenz, in der u.a. der Fall eines Seemannes genannt wird (j(e)

vous

dis un travail

[...] il faut

des preuves).

In beiden Beispielen wird ein

zunächst produzierter Ausdruck zum Bezugsausdruck eines Bearbeitungsverfahrens gemacht; die Beziehung zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck ist hier jedoch offensichtlich komplexer als im Falle von Beispielen wie (7) und (8). Man kann Verfahren wie die Generalisierungen und Exemplifizierungen daher als 'nicht-reformulative Bearbeitungen' bezeichnen. Bei einer vergleichenden Betrachtung von 'reformulativen' und 'nicht-reformulativen Bearbeitungen' zeigt sich auch, daß bei letzteren das Vorkommen von Indikatoren keineswegs mit derselben Regelmäßigkeit beobachtet werden kann wie bei ersteren. Zwar werden Exemplifizierungen häufig mit Hilfe von Indikatoren wie par exemple (so auch in (10)) realisiert, im Falle der Generalisierung kann man jedoch kaum davon sprechen, daß im Standardfall ein Element aus einer bestimmten Subklasse von Indikatoren verwendet würde (vgl. Drescher 1992).11 Im Zusammenhang mit den Bearbeitungsverfahren - den reformulativen ebenso wie den nicht-reformulativen - sind die folgenden drei Aspekte hervorzuheben: - die semantische Relation zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck (vgl. 3.2); - Vorkommen und Funktion der Indikatoren (vgl. 3.3) und - die mögliche Klassifikation der reformulativen und der nicht-reformulativen Bearbeitungsverfahren (vgl. 3.4). 3.2

Semantische Relationen

Die semantische Relation zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck eines Bearbeitungsverfahrens läßt sich grundsätzlich unter zwei entgegengesetzten Gesichtspunkten charakterisieren, dem der Äquivalenz und dem der „Differenz". Eine Relation der Äquivalenz - jedenfalls in einem weiten Sinne - kann entweder aufgrund der semantischen Merkmale von Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck gegeben sein oder aber lediglich durch die Verwendung bestimmter Indikatoren „prädiziert" sein (vgl. das Folgende sowie Abschn. 3.3). Damit kontrastiert, daß der Bearbeitungsausdruck - sofern überhaupt von „Bearbeitung" die Rede sein soll - in einer „DifFerenz"-Relation zum Bezugsausdruck stehen muß. Die eine wie die andere Relation kann in recht unterschiedlicher Ausprägung vorkommen. Die Art und Weise, wie sich beide miteinander verbinden, dürfte ein zentrales Charakteristikum der verschiedenen Typen von Bearbeitungsverfahren sein. 11

Der Konnektor puree que in (9) kann aufgrund der Vielfalt seiner Funktionen (vgl. Moeschier 1989) hier nicht als Beispiel eines Generalisierungsindikators angeführt werden.

Textherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

51

3.2.1 Die Relation der Äquivalenz ist, wie gesagt, im vorliegenden Zusammenhang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen, insofern als sie auf recht unterschiedliche Graduierungen zu_ beziehen ist. Im Sinne von Vieh weger (1977: 260fF.) umfaßt dieses weite Äquivalenz-Konzept auch Relationen zwischen sprachlichen Ausdrücken, die u.U. eine nur sehr beschränkte gemeinsame semische Basis aufweisen und von daher nur in einem „partiell denotativen (einem gemischt denotativ-referentiellen) Sinne" (261) als äquivalent gelten können. Für entscheidende Funktionen im Text reicht diese schwache Äquivalenz jedoch aus, sie läßt - bezüglich zweier Konstituenten X und Y eine „identifizierende referentielle Wiederholung" (Hölker 1988: 78) zu, was bedeutet, daß der Sprecher mit Y auf denselben Referenten referieren kann, auf den mit X referiert wurde, wobei zusätzlich gilt, daß der Referent sowohl mit X als auch mit Y identifiziert wird (bzw. werden soll). Der Ausdruck der Äquivalenz dient dabei nicht nur der Herstellung von Kohärenz zwischen Textteilen (wie dies z.B. bei der pronominalen Wiederaufnahme der Fall ist), sondern darüber hinaus auch einer („im Prinzip vermeidbaren") zweimaligen, in der Regel aber auf unterschiedliche Art und Weise zu erreichenden Identifizierung. Insofern als je zu bestimmende Formen einer derartig verstandenen Äquivalenz in der Regel problemlos in jedem hinreichend umfangreichen Korpus nachweisbar sind, könnte es scheinen, daß diese Äquivalenzrelation Grundlage für die Beziehung zwischen Bezugs- und Bearbeitungsausdruck ist. Betrachtet man jedoch die Rolle, die die diversen pragmatischen Indikatoren beim Zustandekommen der Bearbeitungsrelation spielen, so läßt sich leicht beobachten, wie in bestimmten Fällen allein die Setzung bestimmter Indikatoren bewirkt, daß die Verwendung zweier gegebener Ausdrücke in ihrem Miteinandervorkommen als Äquivalenzsetzung verstanden werden kann; sie kann als Anweisung an den Hörer interpretiert werden, die beiden Ausdrücke aufeinander zu beziehen (ein gutes Beispiel ist c'est-a-dire, vgl. (8) in 3.1). 3.2.2 Die zweite Hinsicht, die für die Beschreibung der Beziehungen zwischen Bezugs- und Bearbeitungsausdruck von Relevanz ist, betrifft die jeweilige Art der „Differenz", die durch ein Bearbeitungsverfahren zum Ausdruck gebracht wird: jeder Bearbeitungsausdruck enthält ein Element des Neuen, der Veränderung, des kommunikativen „ Voranschrei tens". In aller Regel gilt, daß eine Unterschiedlichkeit zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck mindestens angedeutet wird. Selbst im Grenzfall, nämlich dem der syntaktischlexikalischen Identität zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck (der Wiederholung bzw. Rephrasierung), kann das wiederholte Segment durch abweichende intonatorische Eigenschaften eine veränderte Bedeutung erhalten. Mindestens aber besteht die Unterschiedlichkeit in dem Umstand, daß der Bearbeitungsausdruck - im Gegensatz zum Bezugsausdruck - allein durch seine Position eine andere, umfangreichere „diskursive Vorgeschichte" hat als dieser. Hier ist der Prozeßcharakter der Konversation (vgl. Franck 1980: 49) besonders zu beachten: da jedes konversationelle Segment unter Berücksichtigung der vorangehenden interpretiert werden muß (vgl. auch Brown/Yule 1983), kann es keine „reine" Wiederholung ohne semantischen „Zuwachs" geben (weshalb der Terminus 'Rephrasierung' dem der 'Wiederholung' vorzuziehen ist).

Elisabeth Gilich/Thomas Koiscki

52

Die inhaltlichen Komponenten, die die jeweilige Unterschiedlichkeit zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck konstituieren, determinieren die verschiedenen Typen von Bearbeitungsverfahren: die genannte Unterschiedlichkeit kann sich darin manifestieren, daß ein Ausdruck z.B. paraphrasiert, korrigiert, exemplifiziert oder generalisiert wird. 3.3

Indikatoren

Ein auffälliges Strukturmerkmal der Bearbeitungsverfahren ist die Verwendung von Ausdrücken mit spezifischer Indikatorfunktion. Es handelt sich um Ausdrücke wie c'est-ä-dire, enfin, bon, quoi, de toute fapon, en general, par exemple und viele andere. Die Verwendung solcher Indikatoren - auch als Marker oder Konnektoren bezeichnet - stellt insofern den Regelfall dar, als sie bei „prototypischen" Bearbeitungsverfahren in der übergroßen Mehrzahl von deren Vorkommen beobachtet werden können. Nur in selteneren Fällen bzw. bei den „marginaleren" Verfahren kann man ihr Fehlen konstatieren, und dann so läßt sich jedenfalls aufgrund von Einzelbeobachtungen vermuten (an systematischen Untersuchungen zu dieser Frage fehlt es noch) - wird die Indikatorfunktion meistens durch prosodische oder parasprachliche Mittel realisiert. Das regelhafte Vorkommen dieser Indikatoren dürfte damit zu erklären sein, daß sie einen wesentlichen Beitrag zur Herstellung der Beziehung zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck des jeweiligen Verfahrens selbst leisten. Die semantische und strukturelle Ausprägung der jeweiligen Relation zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck allein kann die Spezifik des betreffenden Bearbeitungstyps häufig nicht hinreichend determinieren; in solchen Fällen wird diese Determinationsfunktion erst durch den Indikator geleistet. Diesem herausgehobenen Status der Indikatoren ist es wohl auch zuzuschreiben, daß Vorkommen und Funktion einer ganzen Reihe dieser Ausdrücke eher untersucht wurden (vgl. Kohler-Chesny 1981; Schelling 1982; Gülich/Kotschi 1983a und b; Hölker 1985) als die durch sie indizierten Verfahren. Insbesondere die Paraphrasen-Indikatoren (wie z.B. c'est-ä-dire, c'est que, je veux dire, autrement dit, tn d'autres term.es) sind dabei unter verschiedenen Blickwinkeln untersucht worden (Kohler-Chesny 1981; Gülich/Kotschi 1983a und b; Authier-Revuz 1987; Murat/Cartier-Bresson 1987; Tamba 1987 und Kotschi 1990). Indikatoren anderer Bearbeitungsverfahren sind bisher erst zum kleineren Teil in detaillierterer Weise beschrieben worden. Im folgenden soll kurz auf die drei Indikatoren c 'est-ä-dire, quoi und de toute fafion eingegangen werden; sie sind in verschiedener Hinsicht repräsentativ für eine jeweils größere Anzahl anderer Ausdrücke. 3.3.1 Das Beispiel c'est-ä-dire Der Indikator c'est-a-dire kann als prototypischer Vertreter einer Klasse von Indikatoren gelten, die ein Bearbeitungsverfahren als Reformulierung und darüber hinaus in den meisten Fällen auch, spezifischer, als Paraphrase determinieren. Zu den Ausdrücken, an deren S t e l l e - j e nach Verwendungskontext c'est-ä-dire (bzw. die Variante c'est-ä-dire que) treten kann, gehören einerseits

Textherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

53

(11a) ά «avoir, anient dire, autremenl dit, cela signifie (qttej/cela vent dire (que)/cela revient α dire (que), ce qui signifie (que)/ce qui veut dire (que)/ce qui revient ά dire (que), c'est dire que, en d'autres termes/en d'autres mots, (en) href, en clair, en somme, i.e., je veux dire (que), je signifie par Ιά que, j'entends par la que, on dit aussi, ou/ou plutot/ou mieux/ou encore/ou plus ezactement/ou si tu priferes, u.a.

andererseits aber auch - in jeweils einer ihrer Verwendungsweisen - die Ausdücke ( l i b ) ion, c'est que, done, soit.

Die Gemeinsamkeit zwischen c'est-ä-dire und den unter ( l l a / b ) genannten Ausdrücken besteht in erster Linie darin, daß diese Indikatoren eine auf me· tadiskursiver Ebene zu lokalisierende Verknüpfung zwischen zwei Textsegmenten X und Y leisten, wobei die Spezifik dieser Verknüpfung in der Prädikation einer näher zu bestimmenden Identität zwischen Bezugsausdruck und Reformulierungsausdruck liegt (vgl. z.B. Mortureux 1982). Mit der Äußerung von X c 'est-ä-dire Y wird unterstellt, (das Äußern von) Y habe einen höheren Grad an Angemessenheit als (das Äußern von) X. In dem Maße, wie X diesen (jeweils zu erschließenden, von der Äußerungssituation determinierten) Grad an Angemessenheit nicht erreicht, erhält die Reformulierung von X durch Y ihre Rechtfertigung und bringt X c'est-ä-dire Y eine Präferenz für Y zum Ausdruck. C'est-ä-dire findet sich in drei Verwendungsweisen: a) in reformulierender Funktion (vgl.(12)), b) in argumentativer Funktion (vgl. (13)) und c) in korrigierender Funktion (vgl. (14)): (12) ces iris comme ςα qui sont rhizomaieux c ' e s t - ä - d i r e avec une sorte de de grosse racine une tin gros tubercule allonge. [Iris sauvages] (13) Le clarinettiste a fait expris de quintoyer, c ' e s t - ä - d i r e d'obliger tout le monde & reprendre le passage. [nach Authier-Revuz (1987: 59)] (14) On να chanter Jephte, c ' e s t - ä - d i r e , peut-etre, (a depend du reste du programme. [nach Authier-Revuz 1987: 69]

Versucht man, die Funktionen dieser drei Verwendungsweisen auf ein einziges Erklärungsprinzip zurückzuführen, so kann man, unter Bezugnahme auf das von Ducrot (1980; 1984) in allgemeinerem Zusammenhang entwickelte 'Polyphonie'-Konzept, die Generalfunktion von c'est-ä-dire wie folgt charakterisieren: Mit der Äußerung von c'est-ä-dire verknüpft der Sprecher zwei aufgrund ihrer strukturellen Eigenschaften identifizierbare Ausdrücke X und Y und gibt dem Gesprächspartner die folgenden Anweisungen: a) Betrachte Y als Textsegment, in dem die Sichtweise eines enonciateur E2 zum Ausdruck kommt, der insofern zu einem inonciateur Ei aus X in Opposition steht, als der Sprecher sich mit E2, nicht jedoch mit Ei identifiziert; b) spezifiziere die von Ei vertretene Sichtweise (und somit die Art des Unterschiedes zwischen den beiden von Ei und E2 vertretenen Sichtweisen); c) suche nach einem Diskursteilnehmer, mit dem Ei identifiziert werden kann.

Eine detaillierte Beschreibung des Vorkommens und der Funktionen von c 'estä-dire findet sich in Kotschi (1990).

54

Elisabeth Gülich/Thomas

Kotschi

3.3.2 Das Beispiel quoi Der Indikator quoi, der - in nachgestellter und unbetonter Verwendung - auf Texte aus mündlicher Kommunikation beschränkt ist, ist relativ detaillierten Analysen unterzogen worden (vgl. Hölker 1988 und Kotschi 1985; 1993b). Für die Angabe seiner Eigenschaften wollen wir uns auf das folgende Beispiel beziehen: (15) A: Est-ce que vous vous etes blessi! P: Non, pas du tout. J'suis pas iombi d'ailleurs. Je ... je me tenais ά cette barre, vraiment serri, j'ai pas tombi, j'ai penchi un peu la tete en arriire, j'regardais en l'air j'avais les yeuz ..., euh ..., un ρ tu en l'air, quoi, [nach Hölker 1985: 332]

Drei Punkte seien genannt: - quoi kommt als Konstituente der Struktur 'X - Y - quof vor, wobei Y (hier: j'avais les yeux ..., euh ..., un peu en l'air) eine im Skopus von quoi stehende und diesem unmittelbar vorangehende Textkonstituente und X eine weitere, Y unmittelbar vorangehende Textkonstituente ist (sie umfafit im Beispiel mindestens j'ai penchi un peu la tele en arriire, je regardais en l'air). X ist Bezugsausdruck und Y ist Bearbeitungsausdruck des jeweiligen Verfahrens der Textherstellung. Y und X unterscheiden sich sieht m a n einmal von ihrer Position ab - auch aufgrund ihrer Ausdehnung und ihrer Identifizierbarkeit. Y ist ein kurzer Ausdruck und zudem auch über die intonatorischen und Pauseneigenschaften der Abfolge Y quoi in der Regel eindeutig identifizierbar. X hingegen kann sehr unterschiedliche Ausdehnung haben, und in ein und derselben Textsequenz können verschiedene Konstituenten als X identifizierbar sein (in (15) ist beispielsweise nicht ohne weiteres entscheidbar, ob nicht auch j'ai pas tombi oder sogar je ... je me tenais ά cette barre, vraiment serri dazugehören). Es ist zu beachten, daß quoi nicht in jedem Fall innerhalb einer unabhängig von ihm vorfindbaren Struktur 'X - Y ' vorkommt, sondern daß der Indikator auch selbst einen Beitrag zur Konstitution von X leisten kann. - Aufgrund seiner Bedeutung markiert quoi, daß Y eine auf X bezogene, 'identifizierende referentielle Wiederholung' (s. oben Abschn. 3.2.1) ist (d.h. also daB X und Y zueinander in einer Relation der Äquivalenz stehen) und daB die Aussage, die mit Y gemacht wird, aus der Aussage, die mit X gemacht wurde, inferierbar ist - was die Art der oben angesprochenen „Differenz" zwischen X und Y spezifiziert (daB die Sprecherin unseres Beispiels die Augen nach oben gerichtet hatte, ist daraus ableitbar, daB sie den Kopf nach hinten geneigt h a t t e und in die Luft schaute). - Der Sprecher verwendet einen sprachlichen Ausdruck der Form 'X - Y - quoi' entweder mit der Absicht, X abzuschließen, oder mit der Absicht, X zu korrigieren; quoi kann also sowohl abschließende Funktion als auch korrigierende Funktion haben und somit die entsprechenden Bearbeitungsverfahren kennzeichnen. Hinsichtlich der Funktion 'Abschließen' weist quoi Gemeinsamkeiten z.B. mit bref und enfin auf (zu letzterem vgl. vor allem Cadiot et al. 1985). 12 - In Beispiel (15) stellt die Äußerung des Bearbeitungsausdrucks den (von Verzögerungen charakterisierten) Versuch einer angemesseneren Formulierung dar; das wird durch den Indikator quoi signalisiert; darüber hinaus - und das ist die spezifische Leistung von quoi - wird zum Ausdruck gebracht,

12

Außer den beiden genannten Funktionen kann quoi auch die Funktion 'Insistieren'/'Protestieren' haben; in diesem Fall wird jedoch nicht auf die Ebene der Textherstellung, sondern auf die Ebene der Illokutionsstruktur Bezug genommen und quoi rückt in die Nähe der Indikatoren der illokutiven Rolle.

Teztherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

55

daß der Sprecher damit seinen Versuch der Reformulierung abschließen möchte. (Zur korrigierenden Funktion von quoi vgl. unten Abschn. 3.4.4) 3 . 3 . 3 D a s B e i s p i e l de toute fagon D e r I n d i k a t o r de toute fagon b i l d e t z u s a m m e n m i t e n somme, en un mot, tout compte fait, somme toute, apres tout, en tout cas, en fait, de fait, au fond, finalement u.a. eine Gruppe eng verwandter Ausdrücke. Roulet (1987) b e z e i c h n e t s i e als „ c o n n e c t e u r s d e r e f o r m u l a t i o n n o n p a r a p h r a s t i q u e " u n d h e b t h e r v o r , d a ß S p r e c h e r m i t i h n e n e i n e „ Ä n d e r u n g der A u ß e r u n g s p e r s p e k t i v e " z u m A u s d r u c k b r i n g e n . B e t r a c h t e n wir d a z u d a s f o l g e n d e B e i s p i e l a u s e i n e m I n t e r v i e w , d a s J. C h a n c e l m i t A . R o b b e - G r i l l e t führt: (16) C: R: C: R:

il y a eu peui-et(re) une (finsiallation)' non pourquoi je veux dire Paris autrefois. NON y a dix ans j'habitais dejä en Normandie' c'est-i-dire que ce heu je: de plus en plus j'ai essayi de me retirer pour travailler au CALme, et peut-et(re) que maini(e)nant effectivemenl je passe plus de temps en Normandie qu'ä Paris alors qu'a l'ipoque j'passais plus de temps α Paris qu'en Normandie' (Atmen) mats de toute fafon comme: je fats aussi. teaucoup. plus de voyages' trop TROP de voyages' (leise) maini(e)nant+ (Atmen) bon euh: je n'ai pas DE toute {αςon heu ricupir(. ce calme auquel j 'aspire, [nach Hofibach 1992: Anh., 58]

F ü r d i e I n t e r p r e t a t i o n d e s Indikators de toute fagon - s e i n e W i e d e r h o l u n g i m B e i s p i e l ist b e d i n g t d u r c h d i e z w e i g l i e d r i g e S t r u k t u r d e s v o n i h m e i n g e l e i t e t e n B e z u g s a u s d r u c k s (comme: je fais [...] ce calme auquel j'aspire) - scheint zu g e l t e n ( v g l . H o ß b a c h 1992: 144): - Mit de toute }αςοη knüpft der Sprecher an einen in der Regel mehrgliedrigen Vortext an, der den Bezugsausdruck des betreffenden Bearbeitungsverfahrens darstellt. Dabei kann unentschieden bleiben, wieviele Konstituenten der Bezugsausdruck umfaßt, wie weit er zurückreicht (im Beispiel könnte er mit y α dix ans j'habitais ... beginnen, denkbar ist aber auch, daB er C's Frage il y α eu peut-et(re) une (?installation)' einschließt). - Mit de toute fagon wird dem Hörer die Anweisung gegeben, alle Interpretationsmöglichkeiten (Folgerungen, Implikationen etc. eingeschlossen) des Bezugsausdrucks in Betracht zu ziehen und ihn insgesamt als heterogen und problematisch zu begreifen (im Beispiel könnten sich Heterogenität und Problematik daraus ergeben, daB sowohl der Aufenthalt Robbe-GriUets in der Normandie als auch sein Aufenthalt in Paris eine Reihe von Vor- und Nachteilen haben). - de toute fafon leitet einen Bearbeitungsausdruck ein, der als Äußerung eines neuen, dem Kontext angemesseneren Standpunktes und zudem als vom Bezugsausdruck unabhängig präsentiert wird (Robbe-Grillet bringt somit zum Ausdruck, daB der Mangel an Ruhe weder mit dem Wohnort Normandie noch mit dem Wohnort Paris - worüber

56

Elisabeth Gülich/Thomas

Kotschi

zu sprechen daher auch in geringerem MaBe angemessen sei - in Zusammenhang steht; dafür gibt es nämlich einen anderen Grund: comme je fais trop de voyages). - Schließlich distanziert sich der Sprecher mit de tonte fagon vom Bezugsausdruck (und seinen Interpretationsmöglichkeiten), was soviel heißt wie: der Gesprächspartner wird angewiesen, den Bearbeitungsausdruck und nicht den Bezugsausdruck im „diskursiven Gedächtnis" zu bewahren.

De tonte fagon sowie die übrigen der o.g. Indikatoren leisten immer ein Doppeltes. Zum einen: durch die Äußerung von 'X de tonte fαςοη Υ', 'X apres tont Y' etc. erhält der Bezugsausdruck X „nachträglich" (d.h. durch die Einführung eines neuen 'mouvement discursif, vgl. Roulet 1986) den Status einer Textkonstituente, die dem Bearbeitungsausdruck Y untergeordnet ist; Y beinhaltet die neue, nunmehr relevante Außerungsperspektive. Zum anderen spezifiziert der jeweilige Indikator die Beziehung zwischen X und Y in inhaltlicher Hinsicht, etwa in der Weise, wie es hier für de tonte fagon expliziert wurde. Faßt man die Indikatoren zu Untergruppen zusammen, so lassen sich drei Grade der von ihnen ausgedrückten 'Distanzierung' unterscheiden: durch en somme, en un mot, bref wird eine 'recapitulation', durch tout compte fait, somme tonte, apres tout, en fin de compte, finalement, en definitive eine 'reconsideration' und durch en tout cas, de tonte fagonj maniere, en fait, de fait, en realite, au fond eine 'distanciation' zum Ausdruck gebracht (vgl. Rossari 1993 sowie den folgenden Abschnitt). Im Falle der hier genannten Indikatoren läßt sich besonders deutlich erkennen, daß eine detaillierte Beschreibung einzelner Indikatoren und deren daraus folgende Typologisierung eine wichtige Grundlage für die Erstellung einer Typologie auch der entsprechenden Bearbeitungsverfahren bildet. Insofern ist damit zu rechnen, daß jede weitere Beschreibung von Vorkommen und Funktionen einzelner Indikatoren dazu beitragen kann, die Typologie der Verfahren zu präzisieren und zu vervollständigen. 3.4

Typologie

Der Versuch, eine Klassifikation der Bearbeitungsverfahren vorzunehmen, muß wenigstens die folgenden Aspekte berücksichtigen. 3.4.1 Reformulative vs. nicht-reformulative Bearbeitungsverfahren Eine erste Unterscheidung ist - dies wurde oben (Abschn. 3.1) bereits angedeutet - zwischen reformulativen und nicht-reformulativen Bearbeitungsverfahren zu treffen. Die Notwendigkeit dieser Unterscheidung ergibt sich als Konsequenz aus der Beobachtung, daß außer den Verfahren, bei denen die Aktivität des Sprechers darin besteht, daß er einen bereits produzierten Ausdruck nachträglich als ungenügend markiert und ihn insofern als Störung charakterisiert, auch Verfahren eine Rolle spielen, bei denen die Motivation zur Bearbeitung eines vorangehenden Ausdrucks nicht so sehr durch eine Störung, sondern vielmehr durch davon unabhängige diskursive Ziele (wie z.B. bestimmte rhetorische oder argumentative Strategien) determiniert zu sein scheint. Von Bearbeitung kann jedoch in dem einen wie dem anderen Fall gesprochen werden,

Texlherslelhngsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

57

demjenigen der Motivation durch eine Störung wie demjenigen einer anderen Motivation; denn auch im zweiten dieser beiden Fälle handelt es sich um ein Verfahren, bei dem durch einen bestimmten Ausdruck derart auf einen bereits produzierten, vorangehenden anderen Ausdruck Bezug genommen wird, daß eine durch Äquivalenz und Differenz charakterisierte Relation zwischen ihnen hergestellt wird. Als reformulative Bearbeitung werden also die durch eine Störung motivierten Verfahren bezeichnet, als nicht-reformulative Bearbeitung die anderen. Markante Beispiele für nicht-reformulative Bearbeitungen sind Generalisierungen (vgl. Beispiel (9) sowie Drescher 1992 und in diesem Band) und Exemplifizierungen (vgl. Beispiel (10)). 13 3.4.2 Paraphrastische vs. nicht-paraphrastische Reformulierungen Eine interessante Differenzierung für die Klasse der reformulativen Bearbeitungsverfahren ergibt sich aus dem Vorschlag, zwischen paraphrastischen und nicht-paraphrastischen Reformulierungen zu unterscheiden (vgl. Roulet 1987; Rossari 1990 und 1993). Die Unterscheidung basiert auf der Annahme, daß die (oben bereits erwähnten) Indikatoren de toute fagon, en somme, en un mot, tout compte fait, somme toute, apres tout, en tout cas, en fait, de fait, au fond etc. die gemeinsame Eigenschaft haben, etwas zu indizieren, was durch die Textstruktur allein, d.h. ohne daß einer dieser Indikatoren verwendet wird, nicht zum Ausdruck gebracht werden kann, nämlich die „Änderung der Äußerungsperspektive" derart, daß zugleich ein bestimmter Grad der Distanzierung gegenüber der im Bezugsausdruck enthaltenen Perspektive indiziert wird. Da diese Distanzierung bis zur 'invalidation' (indiziert z.B. durch enfin) gehen kann, ist damit zugleich ein Hinweis auf den systematischen Ort von Korrekturen gegeben. Unter Berücksichtigung des Vorschlags, zwischen paraphrastischen und nichtparaphrastischen reformulativen Bearbeitungsverfahren zu unterscheiden und im Vorgriff auf die Überlegungen der folgenden Abschnitte ergibt sich als Gesamtzusammenhang:

13

Die unter Bezug auf das Kriterium 'Störung' vorgenommene Unterscheidung zwischen reformulativen und nicht-reformulativen Bearbeitungsverfahren könnte insofern als problematisch angesehen werden, als sie zunächst und unmittelbar nur auf 'Selbstbearbeitungen' anwendbar zu sein scheint: 'Fremdrephrasierungen' und 'Fremdparaphrasen' beispielsweise werden im Dialog häufig mit der Funktion der Bestätigung oder der Zustimmung eingesetzt (vgl. Krüger 1992). Auch bei solchen Verwendungen ist jedoch davon auszugehen, daB es sich primär um durch eine Störung motivierte Bearbeitungen handelt, obwohl die sekundäre (abgeleitete) Funktion (der Bestätigung bzw. Zustimmung) in den Vordergrund tritt. Insofern lassen sich auch die Vorkommen von Fremdbearbeitungen in Einklang mit diesem Kriterium bringen.

58

Elisabeth Gülich/Thomas

Kotschi

Bearbeitungsverfahren

nichtreformulative

reformulative

piraphrastische

nicht-paraphrastische

Rephra-

Para-

Distan-

Korrek-

sierungen

phrasen

zierungen

turen

3.4.3 Rephrasierungen vs. Paraphrasen Die Unterscheidung zwischen a) Rephrasierungen und b) Paraphrasen ergibt sich aus den jeweiligen Struktureigenschaften und Funktionen. (i) Rephrasierungen (vgl. Gülich/Kotschi 1987b; Arditty 1987) liegen vor, wenn Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck hinsichtlich ihrer syntaktischlexikalischen Struktur identisch sind, wobei diese Identität auch für die Fälle angenommen wird, in denen beispielsweise Pronomen, Verbalmorpheme u.a. innerhalb des Bezugsausdrucks zur Anpassung von personal- oder temporaldeiktischen Bezügen an die Erfordernisse der Kommunikationssituation substituiert werden. Entsprechend werden 'wörtliche' von 'nicht-wörtlichen' Rephrasierungen unterschieden. Diese Unterscheidung ist allerdings nur für Fremdrephrasierungen relevant, denn Selbstrephrasierungen sind immer wörtlich: treten morphologische Veränderungen des erwähnten Typs auf, so handelt es sich um Paraphrasen, Distanzierungen oder Korrekturen. Je einen Fall von wörtlicher und nicht-wörtlicher Rephrasierung enthält das folgende Beispiel: (17) W 2

quand je regois une lettre de quelqu 'un [...] je fais

W2

attention

W2

faute

A Α W2 W2

(...?) liens y

α une faute

tiens y a une

tiens y α une faute (leise) tiens y a une

fauie+

mhmh et fa le choqut quani je re/ovais bon: tout est

quand/

enfin ς a me cheque

relatif[...]

(Norm, 10] Während es sich bei der (dreimaligen) Wiederholung von tiens y α une faute um ein stilistisches Mittel handelt, mit dem der Aussageinhalt, daß die Sprecherin mehrfach auf jeweils einen weiteren Fehler gestoßen ist, ikonisch abgebildet wird, kommt der Wiederholung von ς a te choque in der Form ςα me choque eine ganz andere Funktion zu. Mit der Äußerung von ς a me choque tut die Sprecherin W2 - nach zwei Abbruchen - ein Doppeltes: zum einen zitiert sie

Teztherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

59

das ςα te choque von Α (wobei der Wechsel von te zu me keine interpretatorische Relevanz erhält) und beginnt so - nach einem die Korrektur markierenden enfin - ihren Neuansatz mit einem kohärenzstiftenden Ausdruck, den sie sodann zum Gegenstand des folgenden Kommentars macht; zum anderen präsentiert sie das ςα me choque ( - und hier ist der Austausch des Personalpronomens nun von Bedeutung - ) als eine von ihr zu verantwortende Äußerung, deren Gültigkeit allerdings durch bon: tout est re/ait/insofern eingeschränkt wird, als verstanden werden kann: zwar gilt ςα me choque, jedoch nur mit der Maßgabe (bon: = 'nun gut, aber ...'), daß die Bedeutung von choquer relativiert ist. Der hier zutage tretende Doppelcharakter eines Bearbeitungsausdrucks wie ς a me choque in (17) ist als „explizite Diaphonie" bezeichnet worden (vgl. Roulet et al. 1985, 72ff.). Derartige 'diaphonische' Strukturen treten bevorzugt im Zusammenhang von nicht-wörtlichen Rephrasierungen auf. Zwar sind sie bei wörtlichen Rephrasierungen nicht ausgeschlossen, jedoch scheint die für die nicht-wörtlichen Rephrasierungen typische Substitution von Pronomina (oder anderen Morphemen) eine diaphonische Interpretation sehr zu begünstigen. Für die Typologie der Rephrasierungen ist zusätzlich - vor allem was die Fremdrephrasierungen angeht - die Unterscheidung zwischen 'totalen' und 'partiellen' Rephrasierungen von Bedeutung. Somit ergibt sich:

Rephrasierung wörtliche

rh

totale partielle

nicht-wörtliche

rh

totale partielle

Um totale Rephrasierungen handelt es sich in Beispiel (17). In partiellen Rephrasierungen besteht der Bearbeitungsausdruck oft nur aus einem Lexem, einem Syntagma oder einer sonstigen Teilstruktur des Bezugsausdruckes. Partielle Rephrasierungen werden häufig in der Funktion einer an den Gesprächspartner gerichteten Aufforderung eingesetzt, ein Element seiner Aussage zu wiederholen, das von den Erwartungen des Sprechers bezüglich akustischer Verständlichkeit, Kohärenz oder normativer Konformität abweicht. Mit totalen Rephrasierungen können - darüber hinaus - auch Zustimmung zu dem durch die Äußerung des Bezugsausdrucks des Gesprächspartners erhobenen Wahrheitsanspruch, Ermunterung zur Fortführung des turns oder (diaphonische) Übernahme eines kohärenzsichernden Ausdrucks als Basis für die Übernahme eines turns realisiert werden (vgl. Arditty 1987: 62; Krüger 1992: 76ff.). Das Vorkommen von partiellen und totalen wörtlichen Rephrasierungen wird in dem Maße zu einer besonders deutlichen Manifestation der interaktiv vollzogenen Textproduktion, in dem der Bezugsausdruck eine mehr oder weniger „feste Wendung" darstellt (vgl. Tannen 1987).

Elisabeth Gülich/Thomas

60

Kotschi

(ii) Eine Typologie der Paraphrasen ist in Gülich/Kotschi (1987a: 239ff.) vorgeschlagen worden. Dabei werden die folgenden Unterscheidungen getroffen:

Paraphrase

Expansion

Spezifizierung/ Präzisierung

Explikation

Variation

Reduktion

Resümee

Denomination

Um eine 'Expansion' handelt es sich in den Fällen, in denen der Bearbeitungsausdruck eine größere ausdrucksseitige Ausdehnung aufweist als der Bezugsausdruck, derart, daß ein Semem (oder mehrere Sememe) des Bezugsausdrucks in mehr oder minder arbiträrer Weise in einzelne Merkmale zerlegt wird (werden), die durch selbständige sprachliche Einheiten innerhalb des Bearbeitungsausdrucks repräsentiert werden (vgl. Viehweger 1977: 257).14 In (18) gilt dies für die beiden hervorgehobenen Ausdrücke: (18) M: ces iris comme ςα fei sont rhizomateux, c'est-i-dire avec une «orte de. de grosse rafine tin e . im gros tubercule allongi c'est bien QA' O: out out out [Iris sauvages]

Durch den Bearbeitungsausdruck (avec une sorte ...) werden Komponenten des Semems von rhizomateux expliziert. Bei der 'Reduktion' handelt es sich um den der Expansion entgegengesetzten Prozeß. Semantische Merkmale einer formativisch ausgedehnteren Bedeutungseinheit werden „gerafft" und „verdichten" sich im Semem (oder in den Sememen) des Bearbeitungsausdrucks, vgl.

14

Dabei ist zu beachten, daB der Bearbeitungsausdruck - trotz seiner größeren ausdrucksseitigen Ausdehnung - häufig nicht mehr, sondern weniger denotativ relevante Merkmale aufweist als der Bezugsausdruck. Dies trifft auch für rhizomateux in Beispiel (18) zu: es weist Merkmale auf, die in avec une sorte de. de grosse racine une, un gros tubercule allongi nicht enthalten sind (nicht alle langgezogenen Wurzelknollen sind Rhizome). Dessen ungeachtet kann natürlich einem Gesprächspartner das Wort rhizomateux wenig oder gar nicht bekannt sein. Unter diesen Voraussetzungen hat für ihn der Reformulierungsausdruck dann die größere Anzahl relevanter semantischer Merkmale.

Teziherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

61

(19) Μ: ces tubercules' faut pratiquement les laisser a la SURface du sol' [...] O: et ne pas trop LES: enterrer alors, [Iris sauvages 35f.]

Der Typ der 'Variation' weist weder die Charakteristika der Expansion noch die der Reduktion auf und ist in der Regel daran zu erkennen, daß mehr oder weniger gleiches Wortmaterial in unterschiedlicher Anordnung präsentiert wird. Er ist im folgenden Beispiel gegeben: (20) MC: done il a un pouvoir inorme sur le terrain quoi, faut pas ezagirer [...] mats sur la politique genirale [...] c'est quand mime inorme comme pouvoir hein, [Assemblee generale]

Eine Entsprechung zu diesem Typ stellen auch alle diejenigen Paraphrasen dar, die sich als solche nur bei Kenntnis der Referenzbezüge von Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck erkennen lassen. Mit der Differenzierung des Paraphrasentyps 'Expansion' in 'Spezifizierung'/ 'Präzisierung' und 'Explikation' einerseits und des Paraphrasentyps 'Reduktion' in 'Resümee' und 'Denomination' andererseits läßt sich den Fällen Rechnung tragen, in denen Paraphrasen eingesetzt werden, um neue Aspekte einzuführen, einen abstrakten Begriff zu definieren, etwas zusammenzufassen oder etwas „auf den Begriff zu bringen" (zu Einzelheiten vgl. Gülich/Kotschi 1987a: 241ff.). 3.4.4 Distanzierungen vs. Korrekturen Die Unterscheidung zwischen a) Distanzierungen und b) Korrekturen als Typen von nicht-paraphrastischen reformulativen Bearbeitungsverfahren basiert auf dem Kriterium der 'Invalidierung': beim Verfahren der Korrektur wird die Geltung des Bezugsausdrucks ganz oder teilweise „annuliert" (vgl. Gülich/Kotschi 1987a: 243), im Falle der Distanzierung hingegen nicht. (i) Was die Verfahren der Distanzierung angeht, so kann man - in der Terminologie von Rossari (1993) - drei Typen unterscheiden:

Distanzierung

recapitulation

reconsideration

distanciation

Indikatoren der recapitulation (schwache Distanzierung) sind en somme, en un mot und bref, solche der reconsideration (Distanzierung mittleren Grades) tout compte fait, somme toute, apres tout, en fin de compte, finalement, en definitive, und solche der distanciation (starke Distanzierung) en tout cas, de toute /af on/ maniere, en fait, de fait, en realite, au fond (zur semantischpragmatischen Leistung einzelner Indikatoren vgl. Roulet 1987 und 1990; Ros-

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Elisabeth Gülich/Thomas

Kotschi

sari 1993 und Hoßbach 1992). Bei der Realisierung von Distanzierungsverfahren können die hier genannten Indikatoren vom Sprecher nicht „ohne Verlust" weggelassen werden; sie müssen gesetzt werden, damit die entsprechenden Verfahren vollzogen (und erkannt) werden können. Denn aus der Textstruktur als solcher ist das, was durch die Verwendung eines dieser Indikatoren zum Ausdruck gebracht wird, nicht zu entnehmen. Erst mit der Wahl eines bestimmten Ausdrucks erhält die Relation zwischen Bezugsausdruck und Bearbeitungsausdruck ihre (oder die entscheidende zusätzliche) Spezifizierung.16 Zu den Eigenschaften einiger dieser Konnektoren gehört es, daß ihr Bezugsausdruck nicht einer tatsächlich realisierten Textkonstituente entsprechen muß, sondern implizit bleiben kann, d.h. als Information aus dem „diskursiven Gedächtnis" zu entnehmen ist. Im Falle von apres tout ist dies sogar die Regel, vgl. (21) C: et aujourd'hui comment considirez-vous c(e)moment-lä: et comment' comment pourriez-vous etre MARxisie' ou avoir encore en vous une PEtite graine de Marx,.. L: mais . la GRAINE de Marx que j'ai gardie' tris certainement' c'est heu c 'est certaines pensies d(e) philosophic' de Marx apris tout: heu Marx a iit . un . GRAND spicialiste de c(e) que nous app(e)lons les sciences sociales et humaines' et: [...] [Chancel/Levi-Strauss, nach HoBbach 1992: Anh., 46]

Bezugs „ausdruck" von apres tout in diesem Beispiel ist nicht eine der vorangehenden Textkonstituenten, sondern eine Reihe von den Gesprächspartnern zugänglichen Informationen über die Einschätzungen des Marxismus, über mögliche Einwände gegen Bekenntnisse zu ihm zum Zeitpunkt des Gesprächs (aujourd'hui) etc. Diese Informationen werden einem Standpunkt zugeordnet, dem mit dem Bearbeitungsausdruck Marx a ete un grand, specialiste de ce que nous appelons les sciences sociales et humaines ein neuer, angemessenerer Standpunkt gegenübergestellt wird, wobei - und das ist die spezifische Leistung von apres tout - L eine insgesamt nur maßvolle Distanzierung zum vorangehenden Standpunkt zum Ausdruck bringt und C lediglich „anweist", nicht alle Annahmen des Bezugs„ausdrucks" im „diskursiven Gedächtnis" zu behalten. 16 15

Für die Verfahren der recapitulation gilt dies in derselben Weise wie für die anderen beiden Typen, weshalb sie trotz ihrer großen Nähe zu den Paraphrasen (und zwar speziell zu den Reduktionen) nicht zu diesen, sondern zu den Distanzierungen zu rechnen sind.

16

Es könnte scheinen, als hätte der Indikator apres tout argumentative Funktion und würde die von ihm eingeleitete Konstituente als Argument für die ihm vorangehende Konstituente ausweisen. Wie Roulet (1990) in seiner detaillierten Untersuchung zu diesem Indikator hervorhebt, kann eine derartige argumentative Relation jedoch unabhängig von apris tout bestehen. (Dennoch scheint eine argumentative Reinterpretation dieses Indikators möglich zu sein.)

Teztherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

63

Betrachtet man - wie es hier vorgeschlagen wird 17 - einen Fall wie denjenigen des Beispiels (21) als zu den Bearbeitungsverfahren gehörend, so muß man ein Verständnis des Konzepts der Bearbeitung voraussetzen, das es erlaubt, die für die Bearbeitung typischen Relationen zwischen einem X und einem Y auch dann herzustellen (und zu verstehen), wenn X für eine nicht explizit ausgedrückte Information steht. Für eine derartige Konzeption sprechen wenigstens die beiden folgenden Überlegungen: Erstens: allgemein gilt für jede beliebige Textkonstituente, daß sie vor dem Hintergrund nicht nur der Informationen interpretiert werden muß, die in den ihr vorangehenden Konstituenten enthalten sind, sondern auch derjenigen, die aus diesen ableitbar sind oder die dem Kontext bzw. dem allgemeinen Wissenshintergrund zu entnehmen oder aus ihm ableitbar sind. Insofern als diese beiden Typen von Informationen (die explizit ausgedrückten und die erschließbaren) in dieser generellen Hinsicht einen vergleichbaren Status haben, darf man sie versuchsweise wohl auch im Zusammenhang mit der Bestimmung der konstitutiven Elemente von Bearbeitungsverfahren auf eine Ebene stellen. Zweitens: Neuere Untersuchungen zu pragmatischen Indikatoren unterschiedlichen Typs zeigen, daß eine angemessene Beschreibung der Leistung dieser Indikatoren in viel stärkerem Maße als bisher angenommen die Berücksichtigung impliziter Informationen und der Mechanismen ihrer Ableitung verlangen (vgl. z.B. Moeschier 1991:22). (ii) Was schließlich die Korrekturen betrifft, so lassen sich mit Hölker (1988: 81ff.) 'Ausdruckskorrekturen', 'Formulierungskorrekturen' und 'Inhaltskorrekturen' unterscheiden. Je ein Beispiel ist mit (22) bis (24) gegeben: (22) MC: en tant que ddlegui gineral tu dois couvrir tous les deleguis regionale, A: (leiser) /no/, MC: out Amaui, je suis desole hein, ςα je A: (lacht) j'ai dit / n o / , j'ai dit regionaux, [Assemblee generale] (23) MJ: c'esi surtout pour ceux qui oni semi teur mats' et. (schneller) e n f i n pour les paysans qui ont semi leur mais'+ et leurs toumesols' [Dracena]

17

In unseren bisherigen Arbeiten haben wir die nicht-paraphrastischen Reformulierungen zu Unrecht weitgehend unberücksichtigt gelassen. Erst neuerdings sind sie im Zusammenhang einer umfassenderen Beschäftigung mit dem allgemeinen Konzept der 'Bearbeitung' stärker in den Blick geraten.

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Kotschi

(24) par ezemple on ne perfoit plus dans condottance'. I'ttymologie condolirer souffrir avec'.. vons ne savez plus d'oit (α vient' enfin sauf si vous avez fait du latin vous ne posez pas la question'.. [Cours d'expression]

Mit einer Ausdruckskorrektur - die u.U. nur schwer von bestimmten Vorkommen der Versprachlichungsindikatoren unterscheidbar ist - nimmt der Sprecher auf eine Störung auf der Ebene der sprachlichen Form Bezug (regionale in (22) ist eine unkorrekte Pluralform). In einer Formulierungskorrektur wird eine unangemessene, unzureichende oder in anderer Weise unbefriedigende Formulierung durch eine andere (in (23): pour les paysans qui ont seme ...) ersetzt; wird der Korrektur-Indikator enfin verwendet, ist der Status des Verfahrens deutlich, in anderen Fällen gibt es Ubergänge zu den Paraphrasen. Von besonderem Interesse sind die Inhaltskorrekturen; sie werden von Hölker (1988: 57 und 8Iff.) in 'echte' und 'unechte' eingeteilt. Unechte Inhaltskorrekturen sind solche, bei denen das intendierte Referenzobjekt über den Wechsel von Bezugsausdruck zu Bearbeitungsausdruck hinweg identisch bleibt, bei echten Inhaltskorrekturen hingegen sind die jeweils intendierten Referenzobjekte verschieden. Das kann am (konstruierten) Beispiel (25) illustriert werden: (25) (a) Maintenanl (b) Μatntenant

tu tournes ά droite, enfin ä gauche, quoi. tu tournes ä droite, enfin non, ä gauche.

Die Äußerung von (25a) wird in einer Situation vollzogen, in der sich der Sprecher von vornherein auf die Abbiegerichtung bezieht, die ein Uberqueren der Fahrbahn verlangt, und in der ihm mit ά droite lediglich ein Lapsus unterläuft. (25b) hingegen kann beispielsweise in einer Situation geäußert werden, in der sich der Sprecher im Verlauf der Äußerung anders besinnt und sich statt auf die eine auf die andere, entgegengesetzte Abbiegerichtung bezieht. Nur im ersten Fall, dem der unechten Korrektur, ist die Verwendung von quoi möglich; m.a.W.: liegt eine Inhaltskorrektur vor, so markiert quoi die unechte Inhaltskorrektur. Für die Korrekturen ergibt sich also die Typologie:

Korrel turen

Ausdrucks- FormulierungsInhaltskorrekturen korrekturen korrekturen

unechte echte

Texihersielhingsverfahren in mündlicher Kommunikation

65

3.4.5 Zusammenfassung Zum Abschluß dieser vergleichenden Betrachtung der reformulativen Bearbeitungsverfahren kann man vor allem zwei Ergebnisse festhalten. Zum einen ist deutlich geworden, daß die Abfolge Rephrasierung - Paraphrase - Distanzierung - Korrektur durch eine zunehmende Einschränkung der Gültigkeit charakterisiert ist. Während durch Rephrasierungen entweder keine oder lediglich eine unter den besonderen Bedingungen der expliziten Diaphonie stehende Distanznahme zum Ausdruck gebracht wird, kann man bezüglich der Paraphrasen von einer zwar sehr schwachen, insgesamt jedoch durchgehend auftretenden Distanznahme sprechen (für Paraphrasen mit dem Indikator c'est-ä-dire wurde sie in Form der in 3.3.1 formulierten Generalfunktion expliziert). Die Distanzierungen beinhalten - je nach Indikator - einen schwächeren, mittleren oder stärkeren Grad der Distanznahme, der in jedem Fall unterhalb der Invalidierung liegt. Diese ist den Korrekturen vorbehalten. Zum zweiten wurde festgestellt, daß sich die vier genannten Reformulierungsverfahren auch hinsichtlich der in ihnen vorkommenden Indikatoren in charakteristischer Weise voneinander unterscheiden. Rephrasierungen treten in aller Regel ohne segmentalen Indikator auf. Zwar lassen sich in ihrer Umgebung durchaus Ausdrücke wie ah, oui, c 'est vrai u.a. finden, sie markieren jedoch nicht den Wiederholungscha.ra.kteT des Verfahrens, sondern haben unabhängige eigene Funktionen. Für die Paraphrasen kann man eine gut charakterisierbare Gruppe von Indikatoren angeben; für die Kennzeichnung und Interpretation eines Verfahrens als Paraphrase sind sie jedoch nicht unverzichtbar. Unverzichtbar in diesem Sinne sind hingegen die Indikatoren der Distanzierungsverfahren. Ohne ihre Verwendung kann eine Konstellation von Textkonstituenten nicht als Distanzierung gekennzeichnet werden. Für die Korrekturen schließlich ergibt sich ein uneinheitliches Bild. In vielen Fällen werden segmentale Indikatoren verwendet, in manchen anderen nicht. Die verwendeten Indikatoren haben unterschiedlichen Status: neben typischen Korrektur-Indikatoren wie enfin finden sich auch Indikatoren mit primär anderer Verwendung (z.B. c'est-a-dire).

4.

Redebewertung und Redekommentierung

Einen dritten Typ von Spuren der Textherstellung indiziert eine umfangreiche Gruppe von Ausdrücken, die (mehr oder weniger explizit) metasprachlichen bzw. metadiskursiven Charakter haben und vom Sprecher zur Verdeutlichung von Versprachlichungs- und Kommunikationsproblemen eingesetzt werden. 4.1

Allgemeine Merkmale

Zu diesen Ausdrücken gehören im Französischen z.B. si vous voulez, tu vois/vous voyez, entre guillemets, comment dirais-je, disons le mot. Sie sind in den folgenden beiden Beispielen enthalten.

66

Elisabeth Gülich/Thomas

Kotschi

(26) PB: [sie/ft die Frage, ob sich der Unterricht an der Schule gegenüber früher stark verändert habe] T: oh eui inormiment ... (fsurement) PB: en quoi surlout T: . euh: je pense que: U y a d'abord beaucoup plus de: euh specialisation si vous voulez . PB: out T: [...] on commence ä suivre un petit pen j'ai I'impression le systeme amiricain . de: specialiser tres rapidement [Orleans 46, 27] (27) tin peintre de talent . qui n'a jamais pu se/... s'exprimer enfin euh .. sorttr si vous voulez entre guillemets voilä, [...] et d'autre part c'etait un komme qui n'avait pas LE comment dirais-je ... le le culot disons le mot le culot pour s'affirmer [Claude, 21]

In (26) nimmt die Sprecherin mit dem Ausdruck si vous voulez auf das vorangehende, erst nach Momenten des Zögerns geäußerte Wort specialisation Bezug und weist es als einen Ausdruck aus, den sie - möglicherweise weil er hier etwas außerhalb seines üblichen Verwendungszusammenhangs benutzt wurde - der besonderen Aufmerksamkeit des Hörers anempfiehlt; darauf weist auch die Wiederaufnahme durch specialiser hin sowie der Umstand, daß sie dieses Wort wiederum durch orienter reformuliert. In (27) haben wir es mit einem Gesprächsausschnitt zu tun, in dem der Sprecher seine Worte mit besonderer Sorgfalt auswählt. Zunächst ersetzt er - unter Verwendung des Korrekturindikators enfin (dem der Indikator eines Versprachlichungsverfahrens, nämlich eine mit euh gefüllt Pause, folgt) - den Ausdruck s 'exprimer durch das Wort sorrtir. Der Sprecher realisiert hier also zunächst ein Bearbeitungsverfahren (das mit einem Versprachlichungsverfahren verknüpft ist). Anschließend formuliert er nun seine Vorbehalte auch gegenüber dem Bearbeitungsausdruck dieses Verfahrens (sortir): das tut er mit den beiden Ausdrücken si vous voulez und entre guillemets. In analoger Weise nimmt er auf das Wort culot Bezug: zum einen mit vorangestelltem comment dirais-je (das sich seinerseits in der Umgebung des Indikators eines Versprachlichungsverfahrens, 'wiederholter Artikel + Pause', befindet), zum anderen mit nachgestelltem disons le mot. Ahnlich verhält es sich mit den Beispielen (28) und (29): (28) C il faut qu 'eile soit la femme comprehensibl(e) ei D out . C et puis d'un caractere douz qu 'eile soit pas. j'aime pas les gens ... mechants v(ous) voyez ou euh fff je n(e) sais pas . renfermis [Claude, 8]

Textherstellungsverfahren

in mündlicher

Kommunikation

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(29) Α et fa ie choque W2 quand je re/ouais quand/ enfin ςα me choque W2 ion: tout est relatif [Norm, 10, vgl. oben Beispiel (17)]

In (28) signalisiert der Sprecher durch die Verwendung von je n(e) sais pas, daß er unsicher ist, ob der Ausdruck renferm.es im Zusammenhang seiner Äußerung eine adäquate Bezeichnung leistet - dabei handelt es sich bei der Äußerung von renferm.es bereits um eine Reformulierung des Wortes mechants, das seinerseits durch vfousj voyez18 relativiert wird. Weis das Beispiel (29) betrifft, so besteht sein wesentliches Merkmal darin, daß die Sprecherin mit hyperbolischem tout est relatif die unbedingte Angemessenheit jedes sprachlichen Ausdrucks und somit auch des Verbs choquer (auf das sich der Ausdruck tout est relatif hier bezieht) in Zweifel zieht. Die Spuren konversationeller Aktivitäten, die durch diese Ausdrücke indiziert werden, bezeichnen wir als 'Verfahren der Redebewertung und Redekommentierung' (vgl. Gülich/Kotschi 1987a und b; Kotschi 1986 und Gülich 1986b). 4.2

Strukturelle und semantische Beschreibung

Die strukturellen Eigenschaften der Verfahren der Redebewertung und Redekommentierung (im folgenden auch 'RBK') sind wesentlich dadurch bestimmt, daß der bewertende/kommentierende Ausdruck (der RBK-Ausdruck) dem bewerteten/kommentierten Ausdruck entweder vorangehen (vgl. (a)) oder folgen kann (vgl. (b)): (a) je n(e)

sats pas rtnfermis (Beispiel (28))

(b) specialisation si vous voulex (Beispiel (26)) fa me choque [...] tout est relatif (Beispiel (29))

Wie die Beispiele zeigen, ist in unserem Korpus auch das Vorkommen von zwei (oder mehr) RBK-Ausdrücken belegt, die dann entweder beide nachgestellt (vgl. (c)) oder in kombinierter Voran- und Nachstellung erscheinen (vgl. (d)): 19 (c) sortir si vous voulex entre guillemets (Beispiel (27)) (d) comment dirais-je le le culot disons le mot (dass.) 18

Ausdrücke wie tu vois sind bereits in anderen Zusammenhängen untersucht worden. Settekorn (1977) sieht in ihnen „minimale Argumentationsformen", Davoine (1980) spricht von „connecteurs phatiquej', Luzzati (1985) untersucht ihre diskursstrukturierende Funktion und Auchlin (1981) subsumiert sie - ganz ähnlich - unter die „marqueurs de structuration de la conversation". Ganz offensichtlich ist die Polyfunktionalität von tu vois/vous voyez besonders ausgeprägt.

19

Im Prinzip kann ein RBK-Ausdruck natürlich auch in den bewerteten/kommentierten Ausdruck intergriert werden. Dieser Fall liegt jedoch in (27), wo dem comment dirais-je der nachher wiederholte Artikel der NP le culot vorangeht, nicht vor. Es handelt sich hier um die Kombination aus einem Versprachlichungsverfahren und einer RBK (vgl. dazu unten 4.3); insofern steht der bewertete/kommentierte Ausdruck als ganzer rechts vom RBK-Ausdruck.

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Kotschi

Auch in diesem Falle einer Akkumulation von zwei (oder mehr) RBKAusdrücken gilt jedoch, daß mit jedem einzelnen dieser Ausdrücke für sich genommen auf den dadurch bewerteten bzw. kommentierten Ausdruck Bezug genommen wird. Wir haben es also mit einer zweigliedrigen Struktur zu tun, die sich somit deutlich von den aus drei Konstituenten (Bezugsausdruck Indikator - Bearbeitungsausdruck) bestehenden Bearbeitungsverfahren unterscheidet:

Bearbeitungsverfahren

Bezugsausdruck

Bearbeitungs- BearbeitungsIndikator ausdruck

RBK-

Bewerteter/kommen-

RBKAusdruck

Verfahren

tierter Ausdruck

Dabei ist der RBK-Ausdruck mit dem Indikator der Bearbeitungsverfahren vergleichbar, denn beide sind insofern auf metadiskursiver Ebene anzusiedeln, als sie den Fortgang des Diskurses unterbrechen und Informationen über Eigenschaften von Textkonstituenten enthalten, die in ihrer Reichweite liegen. Ein zweiter Punkt der Ubereinstimmung ist, daß RBK-Ausdrücke ebenso wie Indikatoren von Bearbeitungsverfahren ausdrucksseitig gemäß einer Skala realisiert werden können, die von umfangreicheren, relativ frei gebildeten Ausdrücken (vom Typ c'est un mot un peu con bzw. j'avais dit tout ά l'heure) über feststehende kurze Ausdrücke (wie comment dirais-je bzw. c'est-a-dire) bis hin zur bloßen prosodischen Markierung reichen können. Der entscheidende Unterschied hingegen, der zwischen Indikatoren von Bearbeitungsverfahren einerseits und RBK-Ausdrücken andererseits besteht, liegt darin begründet, daß ein Bearbeitungs-Indikator ein Konnektor ist, der eine Relation zwischen zwei Textkonstituenten markiert (bzw. herstellt), während ein RBK-Ausdruck den Charakter eines Operators hat. Dieser Operator wird - und insofern ist er mit den sog. argumentativen Operatoren wie meme, presque, trop etc. (vgl. Ducrot 1983; Moeschier 1985) vergleichbar - vom Sprecher eingesetzt, um ein (unter jeweils zu spezifizierendem Aspekt einzuordnendes) Urteil über einen im Textzusammenhang gegebenen Ausdruck (bzw. eine als Einheit zu betrachtende Gruppe von Ausdrücken) zu vollziehen. Vor allem diese unterschiedlichen Leistungen der Bearbeitungs-Indikatoren (als Konnektoren) einerseits und der RBK-Ausdrücke (als Operatoren) andererseits rechtfertigen es Bearbeitungsverfahren und RBK als zwei grundlegend verschiedene Typen von Spuren konversationeller Aktivitäten zu betrachten (so wie es in den beiden Schemata der Abschn. 1.2 und 5 zum Ausdruck kommt). 20 20

Diese Einschätzung h a t sich im Verlauf unserer Beschäftigung mit der Problematik erst nach und nach herausgebildet (vgl. auch Gülich/Kotschi 1995: 51ff.). Während

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Kommunikation

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Hinsichtlich der einzelnen strukturellen und semantischen Merkmale der RBKVerfahren kann auf Kotschi (1986) verwiesen werden. Nur einige wenige Aspekte wollen wir an dieser Stelle kurz streifen. Die bewerteten/kommentierten Ausdrücke - der Kürze halber wollen wir auch hier von Bezugsausdrücken sprechen - können hinsichtlich ihres Umfangs in gleicher Weise variieren wie die Bezugsausdrücke der Bearbeitungsverfahren, und wie diese (genauer gesagt wie die Bezugsausdrücke der reformulativen Bearbeitungsverfahren) werden sie vom Sprecher durch die Verwendung des RBK-Ausdrucks in der Regel als trouble source charakterisiert. Dies kann, wie gesagt, vorgreifend oder - wie beim Reformulierungsindikator - rückwirkend geschehen. Diese Charakterisierung als trouble source bezieht sich auf Form, Inhalt oder Verwendungsbedingungen der betreffenden Bezugsausdrücke, des öfteren auch auf mehr als einen dieser drei Aspekte zugleich. 21 Welcher Art diese Charakterisierung ist - es kann sich um eine Bewertung oder eher um eine Kommentierung handeln - wird durch die spezielle Ausprägung des RBKAusdrucks festgelegt. Der RBK-Ausdruck kann - wie bereits erwähnt - nicht nur aus feststehenden kurzen Formen (vgl. tu vois und die übrigen in (26) bis (29) vorkommenden Ausdrücke) bestehen, sondern auch aus umfangreicheren, relativ frei gebildeten Syntagmen oder Textkonstituenten. Dafür ist (30) ein Beispiel: (30) Μ its sont i'un caractere un petit pen dominaTEUR' il faut essayer de dominer au moins quelque chose' J . oui' mais dominer quelqu'un . (leicht lachend) ςα c'est'+/ Μ oui' enfin, dominEr' moi j'aime pas ce mot-lä par ce qu 'il fait peur un peu& c"(es)t un peu: euh J oui' [Alio Macha] wir in Gülich/Kotschi (1987a [fertiggestellt 1984]) Paraphrasen, Korrekturen und Redebewertungen/-kommentierungen noch mehr oder weniger gleichrangig als „Textherstellungshandlungen" charakterisiert und in Gülich/Kotschi (1987b [fertiggestellt 1985]) lediglich - und unter Ausschluß der RBK - die drei Reformulierungstypen Paraphrase, Rephrasierung und Korrektur untersucht haben, wird der ganz andersartige Status der RBK in Kotschi (1986) bereits deutlicher herausgearbeitet; jedoch verhindert die dort enthaltene irrtümliche Annahme, daS ein RBK-Ausdruck einen Indikator und einen Bearbeitungsausdruck gleichsam in sich vereine, eine hinreichend angemessene Charakterisierung dieses Aspekts. 21

Nicht zu den RBK zu rechnen sind nach unserer Auffassung somit metakommunikative Textkonstituenten, mit denen Struktur und Funktion des Textes insgesamt oder einer seiner Bestandteile bewertet oder kommentiert werden; derartige Äußerungen sind z.B. von Morel (1985) in die Untersuchung einbezogen worden; auch im „Genfer Modell" wird ihnen ein bestimmter struktureller und funktionaler Status zugewiesen (etwa als Textkonstituenten mit ritueller interaktiver Funktion, vgl. Drescher/Kotschi 1988); aufierdem ist auf die neue Untersuchung der „akzeptanzstützenden" Sprechakte durch Techtmeier (in diesem Band) zu verweisen.

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Der RBK-Ausdruck besteht hier aus einem komplexen Satz sowie einer Fortführung, die unvollständig bleibt; mit ihr wird sogar ein reformulatives Bearbeitungsverfahren begonnen (was den Charakter der freien syntaktischen Bildung besonders deutlich erkennbar macht). Die Auswertung eines umfangreicheren Korpus hat ergeben, dafi die einzelnen RBK-Ausdrücke drei wohlunterschiedenen Gruppen zugeordnet werden können. - Eine erste Unterklasse umfaßt Formen, die bestehen aus a) einem anaphorischen Ausdruck der Struktur '(X)Y(Z)', mit X für einen wiederaufgenommenen Teil des Bezugsausdrucks, Y für ein anaphorisches Element (z.B. ein Pronomen oder Adverb) und Ζ für einen metasprachlichen Ausdruck, und b) einem bewertenden Ausdruck. Ein bewertender Ausdruck enthält typischerweise einen Prädikatsausdruck, der etwa die von Milner (1978: 252ff.) genannten Kriterien erfüllt. Zu dieser Unterklasse gehören Ausdrücke wie ς a n'est pas pejoratif de dire A, A est presque pejoratif lä, c'estjoli votre expression sowie der komplexe Ausdruck mot j'aitne pas et mot-Ιά parce qu'il fait peur un peuf c'(es)t un peu& euh in (30). - Zu einer zweiten Unterklasse gehören RBK-Ausdrücke, die a) als Hauptbestandteil (wenigstens) ein metasprachliches Element enthalten und b) ein anaphorisches (oder kataphorisches) Element. Metasprachliche Elemente sind z.B. dire, mot, guillemets in den RBK-Ausdrücken entre guillemets, comment dirais-je, disons le mot des Beispiels (27), oder appeler, reprendre und metaphore in den in anderen Beispielen belegten Ausdrücken ce qu'on appelle und pour reprendre une metaphore. Das anaphorische (oder kataphorische) Element ist nicht immer explizit ausgedrückt (wie es in ce qu'on appelle und disons le mot der Fall ist), sondern häufig - bezogen auf eine Skala unterschiedlicher Explizitheitsgrade (vgl. Kotschi 1986: 217 und 1990: 4f.) - lediglich in mehr oder weniger impliziter Form in ihnen enthalten. - Die RBK-Ausdrücke der dritten Unterklasse, die alle mehr oder weniger standardisiert sind, enthalten weder einen bewertenden noch einen metasprachlichen Ausdruck. Sie entprechen den seit Lakoff (1975) so genannten 'Heckenausdrücken' ('hedges') (vgl. ferner Klockow 1980). Zu ihnen gehören die Ausdrücke tu vois/ v(ous) voyez, si vous voulez und je n(e) sais pas der Beispiele (26) bis (28), ferner auch Formen wie une espece de, en quelque Sorte. Unser Terminus 'Redebewertung und Redekommentierung' ist mit Blick auf diese Dreiteilung gewählt worden: wir sagen, daß die Ausdrücke der ersten Unterklasse eine Bewertung, diejenigen der zweiten Unterklasse einen Kommentar beinhalten (wobei allerdings eine Bewertung auch Elemente eines Kommentars enthalten und aus einem Kommentar häufig auch eine Bewer-

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Kommunikation

tung abgeleitet werden kann); für die Ausdrücke der dritten Unterklasse, die 'Heckenausdrücke', gilt, daß sie - aufgrund des von ihnen indizierten 'Applikationsvorbehaltes' - in generellerer Weise auf die Vagheit oder Unbestimmtheit des Bezugsausdrucks verweisen (und somit überhaupt keine Unterscheidung zwischen Bewertung und Kommentierung zulassen). Man könnte von 'Hedging' sprechen. 4.3

Funktionen

Die generellen Funktionen der Verfahren der Redebewertung und Redekommentierung sind eng mit dem Umstand verknüpft, daß diese Verfahren häufig in der unmittelbaren Umgebung von Versprachlichungs- und/oder Bearbeitungsverfahren vorkommen. Zur Illustration sei noch einmal auf zwei bereits zitierte Beispiele verwiesen: (31) [...] et d'autrt part c'itait tin komme qui n'avait pas LE comment culot disons le mot le culot pour s'affirmer [Claude, 2, vgl. oben Beispiel (27)] (32) j'aime pas les gens ... me chants v(ous) [Claude, 8, vgl. oben Beispiel (28)]

dirait-je

... le le

voyez ou euh ff/je n(e) sais pas . renfermes

An (31) läßt sich das Vorkommen zweier RBK-Ausdrücke (comment dirais-je und disons le mot) studieren, die in direktem Zusammenhang mit einem Versprachlichungsverfahren stehen (Wiederholung des Artikels le sowie der gesamten NP le culot). Letzteres besteht in einem 'allmählichen Vervollständigen', durch das das Problem „Suche nach einem geeigneten Wort" gelöst wird. Für das geeignete Wort wird mit culot ein entsprechender Vorschlag gemacht. Auf eben dieses Wort beziehen sich nun die beiden RBK-Ausdrücke, wobei comment dirais-je den Beginn des Versprachlichungsverfahrens selbst indiziert und disons le mot dieses Verfahren näher spezifiziert, hier etwa als eines der Bezeichnungsarbeit. Der Bezugsausdruck des RBK-Verfahrens ist hier also nicht eine beliebige Textkonstituente, sondern ein Ausdruck, der Gegenstand eines Versprachlichungsverfahrens ist. Das RBK-Verfahren bezieht sich auf das Versprachlichungsverfahren und ist insofern auf einer anderen Ebene der Textstruktur zu lokalisieren als dieses. In ähnlicher Weise können wir das Beispiel (32) interpretieren. Die beiden RBK-Ausdrücke v(ous) voyez und je n(e) sais pas beziehen sich auf Bezugsausdruck (mechants) und Bearbeitungsausdruck (renfermes) eines reformulativen Bearbeitungsverfahrens, so daß hier RBK- und Bearbeitungsverfahren eng miteinander verknüpft sind. Auch hier kommen also unterschiedliche Ebenen der Textstruktur ins Spiel. Die Beziehung zwischen RBK-Verfahren und Bearbeitungsverfahren ist hier derart, daß sich einerseits ersteres auf letzteres bezieht, daß andererseits das, was durch die Verwendung des ersten RBK-Ausdrucks (v(ous) voyez) indiziert wird, das reformulative Bearbeitungsverfahren erst einleitet, bzw. in gewisser Weise sogar auslöst: hinsichtlich der Verwendung des Wortes mechants äußert der Sprecher einen Vorbehalt, d.h., er gibt zu verstehen, daß die Verwendung eines anderen Wortes u.U. angemessener wäre. Damit ist ein nächster Schritt vorbereitet, mit dem ein Wort, das in diesem Sinne

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als geeigneter erscheinen könnte, vorgeschlagen wird. Dieser Schritt erfolgt im vorliegenden Beispiel dann auch in Form eines reformulativen Bearbeitungsverfahrens mit dem Indikator ou und dem Bearbeitungsausdruck renfermes (der - durch vorangestelltes je n(e) sais pas - seinerseits wieder mit einem Vorbehalt versehen wird). Mit jedem RBK-Ausdruck - so läßt sich die generelle Funktion der entsprechenden Verfahren wohl angeben (vgl. Kotschi 1986) - bringt der Sprecher das Bewußtsein einer bestimmten Norm (gelegentlich auch mehrerer verschiedener Normen) ins Spiel und signalisiert, daß er (wenngleich vielleicht auch nur in minimaler Weise) von ihr abweicht bzw. abzuweichen gezwungen ist (wofür er zudem beansprucht, entschuldigt zu werden, vgl. Gülich 1986b). Nimmt ein Sprecher nun mit der Bewertung/Kommentierung eines sprachlichen Ausdrucks in dieser Weise auf eine derartige Norm Bezug, so evoziert er damit auch immer die Notwendigkeit einer alternativen Formulierung, die dieser Norm besser entspricht. Es erscheint naheliegend, daß er sich häufig nicht damit begnügt, die Möglichkeit solch einer alternativen Formulierung lediglich zu evozieren und sie damit implizit zu lassen, sondern versucht, sie auf dem Wege eines reformulativen Bearbeitungsverfahrens (ggfs. wenigstens in vorläufiger Weise) explizit zu machen. Wir haben illustriert, in welcher Weise Versprachlichungs- und Bearbeitungsverfahren einerseits und RBK-Verfahren andererseits von den Sprechern miteinander kombiniert werden. Um die dabei erkennbaren Funktionen dieser Verfahren zu charakterisieren, ist es von Bedeutung, gerade auch deren unterschiedlichen Status herauszuarbeiten. Hinweise darauf, daß wir es mit grundlegend verschiedenen Typen von Spuren konversationeller Aktivitäten zu tun haben, wurden schon an verschiedenen Stellen gegeben. Dies ergänzend wollen wir hier noch zwei Aspekte festhalten. Ein bemerkenswerter Unterschied manifestiert sich in der Natur der Indikatoren der verschiedenen Typen von Spuren. Während den Indikatoren der Versprachlichungsverfahren aufgrund ihrer Erscheinungsformen (reine Pausen, gefüllte Pausen, Dehnungen, Abbräche, Verdoppelungen etc.) eine Art „para-morphematischer" Charakter zukommt, haben die Indikatoren von Bearbeitungs- und RBK-Verfahren im typischen Falle den Status von Morphemen bzw. Morphemkomplexen (bzw. können, wenn sie, wie im Falle der nicht-reformulativen Bearbeitungsverfahren, in Eigenschaften der propositionalen Struktur der betreffenden Bezugs- und Bearbeitungsausdrücke bestehen, durch solche ersetzt werden); voneinander unterscheiden sie sich ihrerseits wiederum dadurch, daß erstere den Status von Konnektoren, letztere den Status von Operatoren haben:

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Indikatoren

,para-morphematisch'

morphematisch

(Versprachlichungsverfahren)

Konnektoren

Operatoren

(Bearbeitungs-

(RBK-Verfahren

verfahren)

Mit diesen Gegensätzen korrespondiert die Zuordnung der drei Verfahren zu unterschiedlichen Ebenen der Textstruktur. Wenn wir davon ausgehen, daß der pragmatische Bereich der Textstruktur neben der Handlungsstruktur wenigstens eine weitere Struktur, nämlich die Informationsstruktur, umfaßt (zur aktuellen Diskussion hierüber vgl. z.B. Brandt/Rosengren 1992)22, so dürften sich die folgenden Zusammenhänge gut begründen lassen. Versprachlichungsverfahren und Bearbeitungsverfahren sind der Informationsstruktur zuzuordnen, allerdings mit unterschiedlichen Implikationen. Während (Indikatoren von) Versprachlichungsverfahren häufig an Grenzen zwischen Einheiten der Informationsstruktur (meistens den Grundeinheiten, gelegentlich aber auch den Einheiten höherer hierarchischer Ebenen) zu beobachten sind (wo sie einen Beitrag zur Abgrenzung solcher Einheiten voneinander leisten), operieren Bearbeitungsverfahren über diesen Einheiten selbst, beispielsweise indem mit diesen Verfahren Beziehungen zwischen solchen Einheiten, bzw. Teilen oder Konstellationen von ihnen hergestellt werden. Die RBK-Verfahren hingegen operieren nicht direkt über Einheiten der Informationsstruktur. Angesichts des Umstandes, daß es sich bei ihnen eher um explizite Manifestationen der Kontrolle handelt, die der Sprecher über seine konversationeilen Aktivitäten ausübt, wird man sie eher der Handlungsstruktur des Textes zuordnen wollen (vgl. Kotschi 1993a und in diesem Band). 23 23

Neuere Überlegungen legen es nahe, innerhalb der Textpragmatik neben der Handlungsund der Illokutionsstruktur, wenigstens noch ein weiteres 'Strukturmodul' anzusetzen, eines, das man als 'Textkonstituentenstruktur' bezeichnen könnte (vgl. Kotschi, in diesem Band).

23

Die Uberzeugung, daB Redebewertungen und Redekommentierungen den Status von Handlungen haben, ist bereits für die in Gülich/Kotschi (1987a) angestellten Überlegungen bestimmend. (Sie wurde dort allerdings etwas vorschnell auch auf die Reformulierungen, also einen Typ von Bearbeitung, übertragen.) Die Problematik bedarf weiterer Klärung. Eine neuere Diskussion verwandter Fragen findet sich bei Techtmeier (in diesem Band).

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5.

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Ergebnisse und Perspektiven

Abschließend wollen wir die Typen der Textherstellung einerseits und die sprachlichen Spuren andererseits noch einmal zueinander in Beziehung setzen. Wir nehmen dazu das Schema aus Abschnitt 1.2 wieder auf und fügen typische Beispiele sprachlicher Spuren hinzu, auf die wir in den vorangegangenen Abschnitten eingegangen sind.

VERSPRACHLICHUNG INDIKATOREN Pausen Verzögerungephänomene Fehlstarts Neuansätze

VERFAHREN (interaktive) Vervollständigung „Bezeichnungsarbeit" Konstruktionswechsel

BEARBEITUNG INDIKATOREN c 'est-a-dire done en d'autres termes en fin quoi apres tout href

VERFAHREN Selbst-/Fremdparaphrase korrektur rephrasierung dist anzier ung

par exemple

Exemplifizierung

en gintral

Generalisierung

REDEBEWERTUNG/-KOMMENTIERUNG INDIKATOREN c 'est joli voire expression

VERFAHREN Bewertung

comment dirais-je comme on dit ce qu 'on appelle

Kommentierung

si vous voulez en quelque sorte une espece de

„Hedging*

Die durch das Schema dargestellte Einteilung beruht auf der in Abschn. 1.2 genannten Annahme, daß die verschiedenen Typen sprachlicher Spuren auf unterschiedliche Textherstellungsaktivitäten hinweisen, nämlich einerseits auf die grundlegende Aktivität, kognitive Inhalte zu versprachlichen, und andererseits auf solche Aktivitäten, bei denen auf bereits versprachlichte Ausdrücke Bezug genommen wird. Dieses Bezugnehmen kann in Form einer Bearbeitung dieser Ausdrücke vor sich gehen oder aber in der Weise, daß ein Sprecher zu produzierten oder zu noch zu produzierenden Ausdrücken eine Einstellung zu erkennen gibt, sie also in irgendeiner Weise bewertet oder kommentiert.

Teziherstellungsverfahren

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Die Darstellung im Schema (auf der linken Seite die Versprachlichung, auf der rechten die Bezugnahme mit Bearbeitung und Bewertung/Kommentierung) verdeutlicht, daß die Versprachlichungsaktivität auch für die anderen beiden Aktivitäten grundlegend ist: auch wenn ein Sprecher bereits produzierte Ausdrücke bearbeitet oder bewertet bzw. kommentiert, versprachlicht er ja die Bearbeitungs- bzw. Bewertungs-/Kommentierungsausdrücke selbst; mit anderen Worten: diese sind immer auch Resultat einer Versprachlichung. Infolgedessen finden sich auch im Kontext von bearbeitenden oder bewertenden bzw. kommentierenden Ausdrücken Spuren von Versprachlichungsaktivitäten, ohne daß die produzierten Ausdrücke weiter bearbeitet oder bewertet bzw. kommentiert würden. Die Unterscheidung zwischen den beiden Typen von Aktivitäten trägt nicht nur den verschiedenen Bedingungen Rechnung, unter denen sie zustande kommen, sondern ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß sie recht unterschiedliche Auswirkungen auf die Textstruktur haben. Die verschiedenen Typen von Textherstellungsaktivitäten sind nämlich an den Spuren zu erkennen, die sie im Text hinterlassen. Bei diesen Spuren haben wir jeweils einerseits die Indikatoren und andererseits die Verfahren, die durch die Indikatoren signalisiert werden, voneinander unterschieden. Ausgangspunkt für unsere Analyse von Texten aus mündlicher Kommunikation waren jeweils die Indikatoren, die wir als typische Phänomene der gesprochenen Sprache häufig gefunden haben und die auch schon unter verschiedenen linguistischen Gesichtspunkten beschrieben worden sind. Die Annahme, daß diese Indikatoren auf Textherstellungsverfahren hinweisen, die Sprecher benutzen, um Formulierungsprobleme zu lösen, ist für unsere Herangehensweise grundlegend gewesen. Da sowohl für die Interpretation als auch für die Klassifikation der einzelnen Verfahren dem Indikator eine wichtige Rolle zukommt - durch den Gebrauch eines bestimmten Indikators, z.B. c'est-ä-dire, kann ein Sprecher eine konversationelle Beziehung zwischen zwei Ausdrücken herstellen und sie z.B. als Paraphrasierung definieren oder präsentieren - , ist der detaillierten Beschreibung der einzelnen Indikatoren große Bedeutung zuzumessen. In dem Maße wie die spezifischen Ausprägungen und das Funktionieren der einzelnen Indikatoren und Verfahren konkret am Beispiel einer bestimmten Sprache untersucht werden - was in diesem Rahmen nur summarisch geschehen konnte, da die spezifischen Probleme der französischen Sprache hier nicht im Vordergrund stehen - , kann gezeigt werden, inwiefern Indikatoren und Verfahren als Spuren von Textherstellungsaktivitäten typische Charakteristika von Texten aus mündlicher Kommunikation sind. Es hat sich gezeigt, daß zwischen Indikatoren einerseits und Verfahren andererseits allerdings in den wenigsten Fällen eine l:l-Relation vorliegt. Vor allem die prosodischen Indikatoren der ersten Gruppe (Pausen, Verzögerungsphänomene usw.) und segmentale Indikatoren wie im Französischen eh bien, bon, alors usw. sind in Bezug auf die Verfahren polyfunktional. Indikatoren der zweiten Gruppe wie c'est-ä-dire, das typischerweise auf Paraphrasierungsverfahren hinweist, oder enfin, das sehr häufig Korrekturverfahren signalisiert, stehen zwar in einer engeren Beziehung zu einem bestimmten Verfahren, aber auch hier ist diese Beziehung nicht ausschließlich. Relativ eindeutige Indikatoren wie par

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exemple für Exemplifizierungen oder en general für Generalisierungen scheinen - so legt es unser Material nahe - nicht mit vergleichbarer Konstanz vorzukommen. Offensichtlich gibt es eine Reihe anderer sprachlicher Möglichkeiten, diese Verfahren einzuleiten. Die Indikatoren der dritten Gruppe hingegen lassen sich leichter den einzelnen Verfahren zuordnen. Wir haben daher im Schema nur bei ihnen eine genauere Zuordnung einzelner Indikatoren zu einzelnen Verfahren vorgenommen, während wir in den anderen Fällen nur Gruppen von Indikatoren Gruppen von Verfahren zugeordnet haben, da die Grenzen dort eher fließend sind. Auch bei der Analyse konversationeller Daten sind die einzelnen Phänomene manchmal nur schwer voneinander zu trennen. Spuren von Textherstellungsaktivitäten treten oft gemeinsam auf. So können die Spuren von Versprachlichungsaktivitäten (links im Schema) zusammen mit allen Spuren derjenigen Aktivitäten vorkommen, mit denen auf bereits produzierte Ausdrücke Bezug genommen wird, also Bearbeitung und Bewertung/Kommentierung (rechte Spalte des Schemas). Dies liegt nicht nur daran, daß - wie oben ausgeführt - Bearbeitungs- und Bewertungs-/Kommentierungsausdrücke ja auch ihrerseits versprachlicht werden, sondern auch daran, daß Bearbeitungsund Bewertungs-/Kommentierungsverfahren oft eingesetzt werden, nachdem die Existenz eines Problems bereits durch Spuren von Versprachlichungsaktivitäten signalisiert wurde. Formulierungsprobleme werden nicht immer auf Anhieb gelöst, sondern häufig wird ein Bearbeitungsausdruck vorgeschlagen, der anschließend Gegenstand weiterer Bearbeitungen wird. Manchmal allerdings führt auch eine weitere Bearbeitung nicht zur Lösung, und die Sprecher begnügen sich damit, auf das Vorliegen eines Problems lediglich hinzuweisen. Auch die Spuren von Bearbeitungs- und Bewertungs-/Kommentierungsaktivitäten (oberer und unterer Teil der rechten Spalte) treten oft gemeinsam auf. Wenn ein Sprecher durch die Verwendung einer Bewertung oder Kommentierung einen Ausdruck als unbefriedigend und damit bearbeitungsbedürftig definiert, dann werden oft auch Bearbeitungsversuche unternommen; oder umgekehrt: eine Bearbeitung wird anschließend auch bewertet oder kommentiert. Wir haben in diesem Beitrag versucht, durch genaue Analysen von Gesprächsausschnitten eine Vielzahl z.T. recht unterschiedlicher sprachlicher Phänomene, die für mündliche Texte typisch sind, zu systematisieren, und haben dabei eine Reihe theoretischer Unterscheidungen eingeführt. Das bedeutet jedoch nicht, daß in jedem Einzelfall scharfe und eindeutige Abgrenzungen möglich wären. Sowohl zwischen den Typen von Textherstellungsaktivitäten als auch zwischen den Typen von Indikatoren und Verfahren bestehen eher fließende Ubergänge als scharfe Grenzen. Unser Ziel war es ja, den Gebrauch zu beschreiben, den Sprecher in natürlichen Situationen von dem ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Repertoire machen, also die „Methoden", mit deren Hilfe sie die Textherstellungsarbeit bewältigen. Um die Funktion eines Indikators zu erkennen, ist also immer eine genaue sequentielle Analyse erforderlich, die ihn in seinem jeweiligen lokalen Kontext zeigt und Schritt für Schritt das durch ihn signalisierte Verfahren rekonstruiert. Dabei ist es unerläßlich, die Aktivitäten

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beider Gesprächspartner zu beachten, weil beide an der Textherstellung beteiligt sein können, sei es, daß ein Verfahren über Äußerungen beider operiert, wie z . B . bei Fremdreformulierungen, daß das Verfahren also g e m e i n s a m realisiert wird, sei es, daß ein Sprecher ein Verfahren des Partners in Gang bringt wie z . B . bei einer fremdinitiierten Selbstkorrektur, oder sei es schließlich, daß der Partner die Verfahrensschritte des Sprechers ratifiziert. Die relativ allgemeinen Analysegesichtspunkte der Sequentialität u n d der Interaktivität haben sich somit als grundlegend für unsere Konzeption von Textherstellungsaktivitäten erwiesen. Durch eine an diesen Gesichtspunkten orientierte Arbeit wird es möglich, nicht nur einzelne sprachliche P h ä n o m e n e , sondern Verfahren zu beschreiben, die Sprecher bei der Textherstellungsarbeit anwenden. Indem so der Akzent auf die A k t i v i t ä t des Sprechers gelegt wird, können linguistische Untersuchungen einen Beitrag zur Beschreibung der Textherstellungsverfahren in mündlicher Textproduktion und damit auch zur Differenzierung verschiedener E b e n e n der Textstruktur leisten. Literatur Antos, Gerd (1989): Textproduktion: Ein einführender Uberblick. In: Antos, G./Krings, H.P. (Hg.): Textproduktion. Ein interdisziplinärer Forschungsüberblick. Tübingen: Niemeyer. 5-57. Arditty, Jo (1987): Reprises (repetitions et reformulations): Le jeu des formes et des fonctions. In: Encrages 18/19, 45-68. Atkinson, J. Maxwell/Heritage, John (Hg.) (1984): Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis. Cambridge: Cambridge University Press. Auchlin, Antoine (1981): Reflexions sur les marqueurs de structuration de la conversation. In: Etudes de linguistique appliquee 44, 88-115. Authier-Revuz, Jacqueline (1987): L'autorepresentation opacifiante du dire dans certaines formes de 'couplage'. In: Revue de Linguistique (DRLAV) 36/37, 55-103. Bachmann, Christian/Lindenfeld, Jacqueline/Simonin, Jacky (1981): Langage et communication sociales. Paris: Hatier-Credif. Bange, Pierre (1983): Points de vue sur l'analyse conversationnelle. In: Revue de Linguistique (DRLAV) 29, 1-28. Bergmann, Jörg (1981): Ethnomethodologische Konversationsanalyse. In: Schroder, P./ Steger, H. (Hg-): Dialogforschung. Düsseldorf: Schwann. 9-51. Blanche-Benveniste, Claire (1990): Le francais parle. Etudes grammaticales. Paris: Editions du CNRS. Blanche-Benveniste, Claire/Jeanjean, Colette (1987): Le Francais parle. Transcription et edition. Paris: Didier. Brandt, Margareta/Rosengren, Inger (1992): Zur Ulokutionsstruktur von Texten. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 86, 9-51. Brassac, Christian (1992): Analyse de conversation et theorie des actes de langage. In: Cahiers de linguistique franfaise 13, 62-75. Brown, Gillian/Yule, George (1983): Discourse Analysis. Cambridge: Cambridge University Press. Cadiot, Anne et al. (1985): Enfin, marqueur metalinguistique. In: Journal of Pragmatics 9, 199-239. Chafe, Wallace (1987): Cognitive Constraints on Information Flow. In: Tomlin, R.S. (Hg.): Coherence and Grounding in Discourse. Amsterdam: John Benjamins. 21-51. Coulon, Alain (1987): L'Ethnomethodologie. Paris. (Que sais-je? Nr. 2393).

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Kotschi

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MARTINA DRESCHER

Textkonstitutive Verfahren und ihr Ort in der Handlungsstruktur des Textes 1.

Die Handlungsstruktur des Textes

Texte 1 sind komplex strukturierte Gebilde, die man analytisch in unterschiedliche, eng miteinander verflochtene Ebenen aufgliedern kann. Zahl und Status dieser Ebenen sind noch weitgehend unklar. Mit Brandt/Rosengren (1993) lassen sich jedoch mindestens eine grammatische, eine inhaltliche und eine pragmatische Ebene unterscheiden. Letztere differenzieren die Autorinnen weiter in die Ebene der Informationsstruktur und in die der Handlungsstruktur. Die Phänomene, denen ich mich im Rahmen dieses Beitrags zuwenden will, sind im wesentlichen innerhalb der handlungsstrukturellen Dimension des Textes anzusiedeln. Auch die Handlungsdimension des Textes ist wiederum komplex strukturiert und nur auf der Grundlage einer weiteren Nuancierung differenziert zu beschreiben. Brandt/Rosengren (1993) unterscheiden drei Ebenen: die der Illokutionen, die des Sequenzierens und die des Formulierens. Eine solche Auffächerung der Handlungsstruktur des Textes ist offenbar vor dem Hintergrund eines Produktionsmodells gedacht, in dem die primären illokutiven Handlungen die Stadien des Sequenzierens und Formulierens durchlaufen. Daneben finden sich auch zahlreiche stärker handlungstypologisch ausgerichtete Differenzierungen, von denen ich hier nur den Vorschlag von Motsch/Pasch (1987) erwähne, auf den später noch einmal zurückzukommen sein wird. Innerhalb einer solchen Typologie kristallisieren sich illokutive und beziehungskonstitutive Handlungen sowie Formulierungshandlungen als drei große Klassen heraus (vgl. ähnlich Gülich/Kotschi 1987a: 199). In frühen Arbeiten sprechakttheoretischer Provenienz gerät v.a. der illokutive Aspekt sprachlicher Handlungen in den Blick. Mit der Rezeption sozialpsychologischer Arbeiten wird dem Anteil sprachlicher Handlungen an der Beziehungskonstitution verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. etwa Holly 1979 und Adamzik 1984). Schließlich - und dies insbesondere seit der Arbeit von Antos (1982) - ist auch ein handlungstheoretisches Interesse am Formulieren, verstanden als ein spezieller Typ sprachlicher Handlungen, zu verzeichnen. Dieser letzte Aspekt wurde v.a. von Gülich/Kotschi (1983, 1987a und 1987b) ausgearbeitet und an einem Korpus des gesprochenen Französisch genauer untersucht. Im Mittelpunkt der Arbeiten von Gülich/Kotschi steht eine spezielle und offenbar prototypische 'Textkonstitutionshandlung': 2 die Reformulierung. Während die strukturellen Eigenschaften und interaktiven Funktionen von Reformulierungen detailliert beschrieben wurden, bleiben der Status der Formu1

Mit T e x t ' meine ich hier und im folgenden stets die sprachlich manifesten Ergebnisse aus mündlicher und schriftlicher Kommunikation.

2

Ahnlich wie Gülich/Kotschi verwende ich zunächst 'Textkonstitutionshandlung bzw. -verfahren' und 'Formulierungshandlung bzw -verfahren' synonym.

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Martina

Drescher

lierungsebene sowie der Ort, an dem Reformulierungen bzw. Formulierungshandlungen allgemein in der Handlungsstruktur des Textes zu verankern sind, nach wie vor unklar. Sieht man sich die zitierten Arbeiten genauer an, so stellt man darüber hinaus fest, daß (mindestens) zwei verwandte, aber nicht identische Formulierungskonzepte miteinander konkurrieren. Diese beiden Formulierungskonzepte lassen sich wie folgt charakterisieren: Formulieren meint zum einen das Hervorbringen von Äußerungen, die Verwandlung mentaler Entitäten in Sprache, die kognitive Aktivität der Textproduktion. Als solches war es bislang vor allem Gegenstand sprachpsychologischer Untersuchungen. Formulieren meint zum anderen die Aktivitäten, die ein Sprecher auf die Gestaltung seines Textes verwendet. Hier interessiert v.a. die Genese des Textes aus dynamisch-kommunikativer Perspektive.3 Die Ambivalenz des Formulierungskonzeptes zeigt sich zum einen in dem wechselnden Status, der Formulierungshandlungen innerhalb eines Modells sprachlicher Handlungen zukommt, zum anderen in dem ungeklärten Verhältnis von illokutiven Handlungen und Formulierungshandlungen. Hier setzen meine Uberlegungen an, deren Ziel es sein wird: 1.) das Verhältnis von Textkonstitution und Textproduktion zu diskutieren und den handlungstheoretischen Status von Reformulierungen oder allgemeiner: Formulierungshandlungen, insbesondere im Unterschied zu illokutiven Handlungen, zu präzisieren (Abschnitt 2); 2.) an einem weiteren Beispiel - der Verallgemeinerung - Probleme einer strukturellen Beschreibung von Formulierungshandlungen aufzuzeigen (Abschnitt 3); 3.) in Ansätzen einen Rahmen zu skizzieren, in dem eine komplementäre semantische Beschreibung von Formulierungshandlungen anzusiedeln wäre (Abschnitt 4).

2.

Zum Handlungscharakter der Textherstellung

Als einer der ersten betont Rath (1975, 1979) den Handlungscharakter des Textherstellens, wenn er - in einer Untersuchung zu spontaner mündlicher Kommunikation - Textproduktion und Textkonstitution, also Versprachlichung und Aufbau des Textes, aufeinander bezieht. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet die Annahme, daß sich gesprochene und geschriebene Sprache hinsichtlich ihrer Realisierungsbedingungen grundsätzlich unterscheiden. Während schriftlich produzierte Texte in der Regel 'gesäuberte'

3

Einen Überblick über die verschiedensten Ansätze im Bereich der Textproduktionsforschung gibt Antos (1989). Leider läßt der Autor - indem er umfangreiche linguistische bzw. kognitionspsychologische Teildisziplinen dem Bereich der Textproduktion zuordnet, ohne relevante Unterschiede ausreichend zu betonen - gerade die nötige Differenzierung vermissen.

Text/constitutive

Verfahren

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Texte sind, d.h. „alle jene Erscheinungen, die durch den Realisierungsprozeß verursacht werden [...], vor der endgültigen Fertigstellung des Sprachproduktes getilgt werden können" (Rath 1979: 16), ist in gesprochener Sprache der Prozeß der Textkonstitution direkt zu beobachten, da ein Teil des Textes dazu dient, den Text als solchen herzustellen. Im Gegensatz zur schriftlichen Kommunikation, in der Produktion und Produkt auseinanderfallen, reflektiert in gesprochener Sprache insbesondere die sprachlich-strukturelle Gestaltung des Produktes Spuren des Produktionsprozesses. Zu diesen Spuren gehören neben Formen ökonomischer Textbildung (z.B. Ellipsen) „eigene, von den Bedingungen der Schriftsprache abweichende textverknüpfende Verfahren" (Rath 1979: 185). Insbesondere Paraphrasen und Korrekturen, die nach Rath zu den elementarsten Verfahren der Textkonstitution gehören, sind als materialisierte Ergebnisse des Textherstellungsprozesses zu deuten. Die Anbindung der Textkonstitution an die Textproduktion findet sich auch in den Arbeiten von Gülich/Kotschi, die in einigen Punkten als Fortführung der Untersuchungen Raths anzusehen sind. Auch Gülich/Kotschi gehen davon aus, daß der Prozeß der Textproduktion im Produkt seine Spuren hinterläßt und dessen Aufbau beeinflußt. Diese Spuren, die am unmittelbarsten in Texten gesprochener Sprache zu beobachten sind 4 , kommen in Pausen und Verzögerungsphänomenen, in Abbruchen und Neuansätzen sowie in bestimmten Formen der Außerungsverknüpfung zum Ausdruck, als deren Prototyp die Reformulierung gelten kann. Während sich Rath in erster Linie für die Strukturen interessiert, die durch den Vollzug textkonstitutiver Verfahren entstehen, geht es Gülich/Kotschi vor allem darum, Textkonstitution als eine Aktivität der Gesprächsteilnehmer zu erfassen. Insofern werden in diesem Ansatz die interaktionellen und handlungstheoretischen Aspekte der Textkonstitution weitaus stärker fokussiert. Gülich/Kotschi machen es sich zum Anliegen, „den Handlungscharakter der Textherstellung näher zu bestimmen" und „auch diesen Teil des textuellen Handlungskomplexes als isolierbare Handlungen eigenen Typs zu betrachten" (Gülich/Kotschi 1987a: 201). Hier werden im Grunde zwei distinkte Aspekte angesprochen: Zum einen geht es um eine Beschreibung der Textkonstitution aus handlungstheoretischer Perspektive, zum anderen um eine nähere Bestimmung der spezifischen Eigenschaften dieses Handlungstyps im Unterschied zu anderen Typen sprachlicher Handlungen, insbesondere Illokutionen. Auf die Abgrenzung zu anderen Typen sprachlicher Handlungen komme ich später zurück (siehe unten 2.2). Im folgenden diskutiere ich zunächst die theoretische Anbindung der Textkonstitution, bei der sich Gülich/Kotschi insbe4

Vergleichbare Phänomene sind auch bei der Produktion schriftlicher Texte zu beobachten, allerdings divergieren die Formen der Bearbeitung (Umstellungen, Streichungen etc.). Die Parallelität zwischen mündlicher und schriftlicher Textherstellung wird besondere deutlich, wenn man - wie dies in einigen Bereichen der Schreibforschung geschieht - textgenetisches Material (Notizzettel, Entwürfe, Manuskripte etc.) zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand macht. Vgl. etwa Gresillon (1988). - Zur Entsprechung von Pausen in mündlicher und schriftlicher Textproduktion siehe Keseling (1988) und (1990).

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Martina Drescher

sondere an dem von Antos (1982) vorgelegten Entwurf einer Theorie des Formulierens orientieren. 5 2.1

Textproduktion und Textkonstitution

Ziel Antos' ist es, eine Theorie des Formulierens, verstanden als „sprachwissenschaftlich begründete Produktionstheorie" (Antos 1982: 34) zu konzipieren. Im Zentrum des Interesses steht die „Rekonstruktion der Handlungsweise 'Formulieren' durch eine Modellierung des Formulierungsprozesses" (Antos 1982: IX). Mit Formulierungshandlungen sind in erster Linie die mentalen, in der Regel nicht zugänglichen (Planungs-) Prozesse angesprochen, die dem Hervorbringen sprachlicher Äußerungen vorausgehen. Für eine handlungstheoretische Charakterisierung dieser Prozesse spricht die Tatsache, daß Formulieren ein intentionales Tun darstellt, für dessen Ergebnis - die sprachlich manifesten Formulierungen - Sprecher verantwortlich gemacht werden können. 6 Antos führt die Unterscheidung zwischen 'Verbalisieren' und 'Formulieren' ein, wobei 'Formulieren' in seinem Verständnis durch das Leistungskriterium charakterisiert ist. Von 'Formulieren' spricht Antos nur dann, wenn weder sprachliche Routinen zum Einsatz kommen, noch vorgegebene kommunikative Muster reproduziert werden. Diese spezifische Form der Textproduktion wird als Folge von Problemlösungen, als sukzessives Umformulieren bereits gewonnener Formulierungsresultate modelliert. 7 Insbesondere in mündlicher Kommunikation können die einzelnen Zwischenschritte des Problemlöseprozesses zur kognitiven Entlastung des Sprechers sprachlich manifest werden. Diese 'exothetisierten Zwischenlösungen' stehen ihm dann als 'materialisiertes' Ergebnis seiner bisherigen Planungsaktivitäten zur Verfügung. Sie können in einem zweiten Schritt aufgegriffen und umformuliert werden. Es entstehen die insbesondere für mündliche Kommunikation typischen Arten der Außerungsverknüpfung wie die bereits mehrfach genannten Paraphrasen und Korrekturen. Textproduktion und Textkonstitution verschmelzen also dann, wenn Sprecher Formulierungsalternativen verbalisieren und diese in bestimmter Weise aufeinander beziehen. Antos' eigentlicher Gegenstand ist jedoch nicht die Beschreibung textkonstitutiver Verfahren, sondern die Rekonstruktion mentaler Prozesse, zu denen er einen sprachwissenschaftlich motivierten Zugang sucht. Ihm geht es vorrangig u m eine linguistische Theorie der Text Produktion, nicht aber um Probleme der Textkonstitution. Explizierte Formulierungsalternativen dienen lediglich als 'Fenster' auf ansonsten nicht direkt zugängliche kognitive Operationen. Während die Konstitution des Textes den eigentlichen Gegenstand der Un5

Vgl. Gülich/Kotschi (1987a: 206), wo Textkonstitutionshandlungen in etwa mit den Formulierungshandlungen im Sinne Antos' gleichgesetzt werden.

6

Vgl. etwa Antos (1982: 34): Die „'Zuschreibung von Verantwortung' läßt sich als Kriterium dafür verstehen, daß Formulierungen als Resultate einer Handlung anzusehen sind, und zwar einer ifersie//unji-Handlung".

7

Vgl. Antos (1982: 147): „Das Formulierungsmodell soll so beschaffen sein, daB trotz der faktischen Habitualisierung vieler Formulierungsaktivitäten FORMULIEREN idealiter vollständig als eine Folge von Problemlösungen aufzufassen ist".

TezikonstUutive Verfahren

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tersuchungen von Gülich/Kotschi darstellt, ist sie hier nur Mittel zum Zweck. Dem gemeinsamen Formulieren, also der interaktiven Dimension, kommt bei Antos kaum Bedeutung zu. Sie ist nur insofern relevant, als sie die Kommunizierenden zum Exteriorisieren von ansonsten mental ablaufenden Planungsaktivitäten zwingt. 8 Antos' Konzept der Formulierungshandlung ist nicht per se relational. Formulieren läßt sich auf einer paradigmatischen Achse beschreiben als das Wählen zwischen sprachlichen Alternativen. Es ist ein kognitiver Prozeß, der in einigen Fällen nach außen treten kann und dann zu sprachlich realisierten Formulierungsalternativen führt. Letztere sind auf einer syntagmatischen Achse zu beschreiben, da in diesem Falle Bezugspunkte im Text angelegt sind. Formulierungshandlungen in diesem zweiten Sinn sind nicht kategorial definiert, sondern das Konstitutive dieses Typs sprachlicher Handlungen liegt gerade in seinem relationalen Charakter. Um die beiden Facetten des Formulierens auch begrifflich deutlich zu unterscheiden, werde ich im folgenden von 'Formulierungshandlung' reden, wenn der Aspekt der Textproduktion angesprochen wird. Demgegenüber verwende ich das Konzept der Textkonstitutionshandlung bzw. des Textkonstitutionsverfahrens zur Bezeichnung der auch sprachlich realisierten Formulierungsalternativen. 9 Aus dem Versuch, Textkonstitutionshandlungen und Formulierungshandlungen zur Deckung zu bringen, ergibt sich für den Ansatz von Gülich/Kotschi eine theoretische Schwierigkeit. Gülich (1989) bringt das Problem auf den Punkt, wenn sie dem 'engen', an Hand der Beschreibung von Reformulierungen entwickelten Konzept ein 'weites' Verständnis gegenüberstellt. Textkonstitutionshandlungen sind „besondere Möglichkeiten der Textgestaltung" (Gülich 1989: 9), wohingegen bei einem weiten Verständnis Formulieren mit Textproduktion schlechthin gleichzusetzen ist. Übernimmt man den weiten Begriff der Formulierungshandlung, so stellt sich die Frage der Abgrenzung textkonstitutiver Handlungen von anderen Typen sprachlicher Handlungen nicht mehr. Denn wenn 'Formulierungshandlung' auf die überwiegend kognitiven Prozesse verweist, die mit dem Hervorbringen einer sprachlichen Äußerung einhergehen, ist eine jede sprachliche Äußerung unter diesem Aspekt zu beschreiben. Formulierungstheoretische und illokutive Untersuchungen machen dann zwei distinkte, aber durchaus komplementäre Aspekte zum Gegenstand ihrer jeweiligen Beschreibungen. Für diese Lösung votieren Brandt/Rosengren (1993), wenn sie in ihrer Modellierung der Handlungsstruktur des Textes eine eigene Formulierungsebene vor8

Für eine Kritik an dieser Position siehe Gülich/Meyer-Hermann (1984: 233fT.).

9

Daß aus sprachpsychologischer Sicht durchaus Ähnlichkeiten zwischen rein mentalen und textuell manifesten Formulierungsalternativen zu vermerken sind, betonen ScardamaJia/Bereiter (zitiert nach Witte 1987: 398): „it makes little psychological sense to treat changing a sentence after it is written down as a different process from changing it before it is written". Aus kommunikativer Sicht liegen jedoch deutliche Unterschiede vor, da nur verbalisierte Formulierungsalternativen interaktiv zugänglich sind und dadurch zum Gegenstand von Aushandlungsprozessen gemacht werden können.

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sehen, auf der die die Versprachlichung betreffenden Handlungen abzubilden sind. Für textkonstitutive Handlungen, also Phänomene der Textgestaltung, bietet der Brandt/Rosengrensche Ansatz keine befriedigende Lösung, da das Interesse nicht der Beschreibung konkreter Text vorkommen gilt, sondern „die virtuelle Textstruktur eines jeden Textes" (S.4) im Mittelpunkt der Untersuchung steht. Damit ist jedoch die Frage nach der handlungstheoretischen Verortung der im engen Sinne textkonstitutiven Phänomene noch nicht beantwortet. Möglicherweise führt die Gegenüberstellung solcher 'relationalen Handlungen' mit anderen Typen sprachlicher, insbesondere illokutiver Handlungen hier weiter. In den folgenden Abschnitten greife ich diese Problematik auf. 2.2

Textkonstitutionshandlungen und illokutive Handlungen

Den Hintergrund für die Differenzierung von illokutiven und textkonstitutiven Handlungen bei Gülich/Kotschi bilden die Überlegungen von Motsch/Pasch (1987) 10 , die ich in die Diskussion einbeziehe. Dabei ist es nicht mein Anliegen, den theoretisch anspruchsvollen Ansatz bis in seine Details auszuleuchten. Vielmehr greife ich lediglich diejenigen Aspekte heraus, die für eine nähere Bestimmung des handlungstheoretischen Status der Textkonstitution relevant sind. Ziel von Motsch/Pasch ist es, eine allgemeine Theorie sprachlicher Handlungen zu skizzieren. Das besondere Interesse der Autoren gilt den sprachlichen Handlungen, die innerhalb von Sprachphilosophie und Linguistik bislang die meiste Beachtung gefunden haben: die Illokutionen. Motsch/Pasch schlagen vor, die Bedeutung illokutiver Handlungen mittels einer Zielhierarchie zu beschreiben. Das mit der Sprecherabsicht in Einklang stehende eigentliche - in der Terminologie von Motsch/Pasch 'fundamentale' - Ziel ist indirekt. Es kann nur über zwei vorgelagerte, wiederum hierarchisch abgestufte Teilziele erreicht werden, die Verstehens- und Akzeptierensbedingungen umfassen (vgl. Motsch/Pasch 1987: 27). Ihren eigentlichen Untersuchungsgegenstand - die Illokutionen - grenzen die Autoren kurz von anderen Typen sprachlicher Handlungen ab. In diesem Zusammenhang erwähnen sie auch „sprachliche Handlungen, die spezielle Aspekte der Textgestaltung betreffen. Es handelt sich im Prinzip um Beziehungen zwischen illokutiven Handlungen, die das Verständnis und das Akzeptieren der fundamentalen Absichten des Sprechers sichern sollen" (Motsch/Pasch 1987: 19, Hervorhebung M.D.).11 Als Beispiele werden 'Paraphrasieren' und 'Begründen' genannt, die sich von illokutiven Handlungen offenbar durch ihren 10

Vgl. Gülich/Kotschi (1987a: 255): „Bei der Entwicklung des Konzepts der Textkonstitutionshandlungen haben wir uns an einem sprechhandlungstheoretischen Rahmen orientiert, insbesondere an dem [...] Ansatz von Motsch/Pasch."

11

In den Ausführungen Motsch/Paschs bedürfte das 'im Prinzip' einer zusätzlichen verstehensstützenden sprachlichen Handlung.

Texikonstitulive

Verfahren

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relationalen Charakter unterscheiden. 12 Das Konzept der sprachlichen Handlung dient also sowohl zur kategorialen Bestimmung von Äußerungen wie auch zur Charakterisierung von Relationen zwischen diesen Äußerungen. Allerdings bleibt der Status relationaler sprachlicher Handlungen innerhalb des von Motsch/Pasch skizzierten Ansatzes diffus. Gülich/Kotschi knüpfen bei der Einbindung der Textkonstitution in das von Motsch/Pasch vorgelegte sprachhandlungstheoretische Modell an diese summarischen Bemerkungen zu sprachlichen Handlungen, die spezielle Aspekte der Textgestaltung betreffen, an. Auch hier bleibt die dort angelegte, den theoretischen Status relationaler Handlungen betreffende Unscharfe erhalten. Zum einen postulieren die Autoren, daß Textkonstitutionshandlungen als relationale Handlungen einen von illokutiven Handlungen grundsätzlich verschiedenen Typ sprachlicher Handlungen darstellen. Zum anderen binden sie Textkonstitutionshandlungen in die Illokutionsstruktur mit ein, indem sie den Bezug zu Handlungen herstellen, die sich auf das Verstehen der fundamentalen Absicht des Sprechers beziehen. So gehört es zu den „grundlegenden Annahmen, daß Textkonstitutionshandlungen [...] ein anderer Typ sprachlicher Handlungen sind als zum Beispiel die illokutiven Handlungen" (Gülich/Kotschi 1987a: 210). Gestützt wird diese These durch den Bezug auf Überlegungen Danes' (1983) zu unterschiedlichen Relationen im Text. Gülich/Kotschi (1987a: 217) nehmen an, daß der Vollzug von Textkonstitutionshandlungen zu Kompositionsbeziehungen im Sinne von Danes führt. Danes unterscheidet die von ihm so bezeichneten Relationen jedoch explizit von Beziehungen zwischen Illokutionen. Kompositionsbeziehungen sind „Relationen zwischen inhaltlichen Teilen eines Textes" (Danes 1983: 4). Es werden Informationsstücke verknüpft, „unabhängig davon, welche Illokutionen zwei Nachrichten in einem gegebenen Text zufällig zukommen" (Danes 1983: 5). Kompositionsrelationen sind nicht etwa von den involvierten Illokutionen, sondern „von der wechselseitigen Bezogenheit der betreffenden Teilnachrichten und ihrer Position [...] im Aufbau des gesamten 'Textsinns' abhängig" (Danes 1983: 6). Eine solche Beschreibung scheint unvereinbar mit einer illokutiv bestimmten Charakterisierung von Textkonstitutionshandlungen. Dennoch sehen es Gülich/Kotschi (1987a: 211) als eine Aufgabe von Textkonstitutionshandlungen an, „das Verständnis der fundamentalen Absichten, die ein Sprecher mit dem Vollzug illokutiver Handlungen verfolgt, zu sichern". Da nach Motsch/Pasch auch denjenigen sprachlichen Handlungen, die den Erfolg einer Haupthandlung stützen, eine illokutive Charakterisierung zukommt, entsprächen Textkonstitutionshandlungen damit einem bestimmten, als subsidiär bezeichneten Typ illokutiver Handlungen. 13 12

Vgl. ähnlich Rosengren (1987: 35), die Illokutionen und Bezugshandlungen kontrastiert. Bezugshandlungen - zu denen sowohl verstehens- wie auch akzeptanzsichernde Handlungen im Sinne von Motsch/Pasch gehören - unterscheiden sich von Illokutionen dadurch, „daß sie nicht aus einer illokutiven Rolle und einem propositionalen Gehalt bestehen. Es ist ihre Aufgabe, hier und jetzt (d.h. im Text) die Beziehung zwischen einer dominierenden Illokution und stützenden Elementen im Text zu etablieren."

13

Bei Motsch/Pasch (1987: 73) heißt es, daß sich subsidiäre illokutive Handlungen „auf alle

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Drescher

Für die bis dahin vorrangig untersuchten Varianten der Reformulierung hieße dies, daß die interne Relation zwischen Bezugs- und Reformulierungsausdruck gewissermaßen illokutiv zu reinterpretieren wäre. In den Kategorien einer IIlokutionsstrukturanalyse gedacht, käme dem Bezugsausdruck somit der Status einer dominierenden Illokution zu, deren Verstehen durch eine subsidiäre illokutive Handlung - die Bearbeitung - gestützt würde.14 Diese Unschärfe wird möglicherweise durch die nicht immer klare Unterscheidung zwischen der Handlung 'Reformulieren', die sich textuell in der erwähnten dreigliedrigen Struktur manifestiert, und einer Konstituente dieser Struktur - dem Reformulierungsausdruck - begünstigt.18 Festzuhalten bleibt, daß hier relationale und kategoriale Aspekte sprachlicher Handlungen nicht scharf genug getrennt werden. Besonders deutlich wird diese Ambiguität im Falle der Textkonstitutionshandlungen, die einerseits mit einem bestimmten Typ stützender illokutiver Handlungen gleichgesetzt, andererseits aber auch als eigener und an sich bereits komplexer, weil relationaler Typ sprachlicher Handlung charakterisiert werden.16 Arten von Erfolgsbedingungen", also auch auf die primäre Verstehensbedingung beziehen können. - Mötsch (1991: 59) unterscheidet hingegen klar zwischen einer subsidiären illokutiven Relation wie dem Begründen und Relationen wie Präzisieren, Paraphrasieren, Erläutern, Verallgemeinern, die als Kandidaten für textkonstitutive Handlungen gelten können. Bei letzteren „handelt es sich offensichtlich um Mittel der Textstruktur, die auf Repräsentationen der AuBerungsstruktur operieren. Die Relate solcher Relationen fallen [...] nur in einem Spezialfall mit Illokutionen zusammen. Generell beziehen sich diese Strukturformen auf Möglichkeiten, Sachverhaltscharakterisierungen eines Ausgangsausdrucks durch modifizierte, d.h. verdichtete oder aufgefächerte, Charakterisierungen des gleichen fokussierten Sachverhalts zu ergänzen". Mit anderen Worten: Textkonstitutionshandlungen erstellen nicht illokutive, sondern - ganz im Sinne der Kompositionsrelationen bei Danes - inhaltliche Bezüge zwischen Textteilen. Weiter heifit es: „Die Annahme, solche Relationen [gemeint sind Relationen, wie sie durch den Vollzug textkonstitutiver Handlungen entstehen, M.D.] seien ein Typ von subsidiären Stützungsbeziehungen in IIlokutionsstrukturen, ist angesichts der hier verdeutlichten Sachlage in Zweifel zu ziehen. Auch wenn die beiden Ausdrücke, die durch solche semantisch-pragmatischen Modifizierungsrelationen in Bezug gesetzt sind, als Konstituenten von Illokutionen auftreten, ist die Verknüpfung nicht durch Prinzipien der Illokutionsstrukturbildung determiniert" (Hervorhebung M.D.). 14

In diesem Zusammenhang werfen jedoch die satzüber- bzw. -unterschreitenden Einheiten Probleme auf, da Motsch/Pasch das pragmatische Konzept der illokutiven Handlung eng an den grammatischen Satzbegriff binden, wohingegen Gülich/Kotschi (1987a: 208) ausdrücklich betonen, dafi das Konzept der Textkonstitutionshandlung „sowohl auf satzübergreifende Texteinheiten unterschiedlichen Umfangs als auch auf im Prinzip beliebige Einheiten unterhalb der Satzebene anwendbar" ist. Eine Anbindung an das Illokutionskonzept sprengt also die Klasse der Textkonstitutionshandlungen.

15

Vgl. auch Rath (1979: 207), der - mit Blick auf Paraphrase und Korrektur - auf die Notwendigkeit der begrifflichen Unterscheidung zwischen dem Verfahren einerseits und einer Konstituente der durch Vollzug des Verfahrens entstehenden textuellen Struktur andererseits hinweist.

16

Eine kurze Kritik an der prinzipiellen Trennung von illokutiven und textkonstitutiven Handlungen bei gleichzeitigem Aufzeigen bestehender Beziehungen findet sich auch in Rosengren (1987: 37). - Hölker (1988: 39f.) meldet ebenfalls Zweifel an der handlungs-

TeztkonstUuiive

Verfahren

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Die vorausgehenden Abschnitte machten deutlich, daß zentrale Fragen einer handlungstheoretischen Einbettung der Textkonstitution bislang nicht beantwortet sind. Dies liegt zum einen an der nicht hinreichend klaren Trennung zwischen der kognitiv-kommunikativen Aktivität des Versprachlichens (TextProduktion) und dem Prozeß der textuellen Einheitenbildung (Textkonstitution). Zum anderen bereitet die Beschreibung des relationalen Charakters textkonstitutiver Handlungen nach wie vor Schwierigkeiten, was sich auch darin zeigt, daß verschiedene Autoren immer wieder auf den handlungstheoretischen Status der Textkonstitution zurückkommen, ohne eine befriedigende Klärung dieser Problematik herbeiführen zu können. 1 7 Die Frage nach dem Status solcher Handlungen bleibt also weitestgehend offen. Es scheint mir daher zweckmäßig, die handlungstheoretische Charakterisierung der Textkonstitution zunächst zugunsten einer eher formalen, an der Struktur orientierten Beschreibung weiterer potentieller Textkonstitutionsverfahren zurückzustellen. Von der genaueren Kenntnis solcher Verfahren sind m.E. wertvolle Anregungen für die Beschreibung der Textkonstitution schlechthin zu erwarten. Nach der theoretisch geführten Auseinandersetzung über den handlungstheoretischen Status wende ich mich daher im folgenden stärker empirisch fundierten Fragen zu, die ihren Ursprung in der Beschäftigung mit einem bislang wenig beachteten Verfahren - der Verallgemeinerung - haben.

3.

Das Beispiel der Verallgemeinerung

Unter 'Verallgemeinerung' verstehe ich eine komplexe Struktur, die neben einer allgemeinen Äußerung deren sprachlich manifesten 'Auslöser' einschließt. Es handelt sich um sprachliche Sequenzen, deren zweites Element in bestimmten Punkten eine generalisierende Variation des ersten darstellt, so daß der Schritt vom Spezifischen, Bestimmten, Individuellen, Konkreten hin zum Allgemeinen auch auf der Ebene der gewählten Ausdrücke zu verfolgen ist. Als generalitheoretischen Charakterisierung der Textkonstitution bei Gülich/Kotschi an. Der Autor wendet sich allerdings grundsätzlich gegen eine Aufgliederung der Handlungsstruktur des Textes und plädiert für die Beschreibung textkonstitutiver Handlungen im Rahmen der illokutiven Dimension. 17

Vgl. zuletzt Mötsch (1995, Diskussionsfassung zum Beitrag in diesem Band), wo die Schwierigkeit, textkonstitutiven Verfahren einen Platz in der Handlungsstruktur des Textes zuzuweisen, klar durchscheint. Mötsch setzt textkonstitutive Verfahren nach wie vor mit 'Reformulierungen' gleich und sieht diese als „spezielle Typen von Verstehensstützungen" an, die ihren Ursprung in Prozeduren der Informationsverarbeitung haben. Diese Zuordnung dient als Argument, um den regelgeleiteten Charakter textkonstitutiver Verfahren in Zweifel zu ziehen und die entsprechenden Phänomene damit aus dem eigentlichen Gegenstandsbereich einer Textstrukturanalyse auszugrenzen: „Erst eine genauere Untersuchung dieser Relationen [gemeint sind Beziehungen wie Erläutern, Verallgemeinern, Paraphrasieren, Erklären, M.D.] wird zeigen, ob es sich hier um genuine Mittel der Textstruktur mit konventionellem Charakter handelt oder u m mehr oder weniger unbestimmte Reflexionen der angedeuteten Informationsverarbeitungsprozeduren". - Gleichzeitig sieht Mötsch (1995: 12) in seinem Modell einen eigenen „Platz für zahlreiche 'Formulierungsfragen'" vor, wobei die Aufgaben dieses neuen Subsystems und seine Einbindung in die Handlungsstruktur eher vage bleiben.

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sierende Variation vorausgehender Formulierungen gehören Verallgemeinerung e n z u d e n A k t i v i t ä t e n , m i t deren H i l f e d i e K o m m u n i z i e r e n d e n Ä u ß e r u n g e n aufeinander b e z i e h e n u n d dadurch einen Beitrag zur K o n s t i t u t i o n des T e x t e s leisten. Insofern liegt die Vermutung nahe, Verallgemeinerungen stellten eine n o c h n ä h e r z u c h a r a k t e r i s i e r e n d e Spielart d e s R e f o r m u l i e r e n s dar. F ü r d i e s e T h e s e g i b t e s n i c h t n u r z a h l r e i c h e H i n w e i s e in d e r L i t e r a t u r z u k o m m u n i k a t i v e n P a r a p h r a s e n 1 8 , s o n d e r n auch e m p i r i s c h e B e l e g e i n d e n v o n m i r u n t e r suchten D a t e n . Diese umfassen unterschiedliche T e x t e des gesprochenen und des geschriebenen Französisch (Auszüge aus Interviews, privaten wie medialen Diskussionen, Briefen usw.). D a s f o l g e n d e B e i s p i e l v e r a n s c h a u l i c h t e i n e n T y p v o n V e r a l l g e m e i n e r u n g e n , der durchaus Affinitäten z u Reformulierungen erkennen läßt. Es ist einer kulturell e n T h e m e n g e w i d m e t e n S e n d u n g d e s f r a n z ö s i s c h e n R u n d f u n k s e n t n o m m e n . In d e m z i t i e r t e n A u s s c h n i t t reagiert e i n Zuhörer (Z) a b l e h n e n d a u f d i e v o r a u s g e g a n g e n e , z w i s c h e n d e n Kritikern g e f ü h r t e D i s k u s s i o n ü b e r W e r n e r F a s s b i n d e r s F i l m 'Faustrecht der Freiheit'.19 (1) Z: bon euh si je ne suis absolument pas d'accord sur ce film' bon c'est ä la fois la question de la presentation . de la sexualite' . et la question de la presentation des rapports' . euh sociaux des rapports de classe, . bon sur la presentation de la sexualite' je crois que non seulement . c'est pas un film qui donne envie d'etre homosexuel peu importe' mais c'est surtout pas un film' . qui lutte contre le racisme antihomosexuel j e veux dire que - . on on ressort de lä avec l'idee que les homosexuels sont des gens qui d'apres ce film' . passent leur temps ä se rencontrer dans les pissotieres - . sont particulierement obsedes par . euh la longueur de le leurs organes respectifs'. et passent leur temps ä se devorer entre eux c'esi-ä-dire que . entre ce ce type de personnes il ne peut y avoir - . aucun rapport Aumain ou positif possible, . dejä premiere chose . deuxiemement alors sur la question de la presentation . du personnage proletarien (Meyer-Hermann 1979, Sendung vom 21.9.75, S. 57f.) Ζ ist m i t der B e w e r t u n g d e s Films durch die in der S e n d u n g vertretenen Filmkritiker n i c h t e i n v e r s t a n d e n und b e g r ü n d e t d i e s m i t d e m H i n w e i s a u f z w e i p r o b l e m a t i s c h e A s p e k t e : die Darstellung der Sexualität u n d die Darstellung

18

So verweist R a t h (1979: 190) in seiner Untersuchung zu Paraphrasen auf Möglichkeiten der Modalisation und erwähnt in diesem Zusammenhang die Verallgemeinerung. Auch in der von Wahmhoff (1981: 114) erstellten Typologie paraphrastischer Aspektualisierungen finden sich Verallgemeinerungen, die die Autorin mit dem gegenläufigen Verfahren der Spezifizierung kontrastiert. Indirekt gibt auch Weingarten (1990), der sich in seiner Beschreibung von Reformulierungen in der Gesprächspsychotherapie explizit mit dem 'konversen' Verfahren der Spezifizierung befaßt, Hinweis auf generalisierende Ausprägungen. Morel (1983: 44 und 58) sowie Sader (1984: 35) und T h o m p s o n / M a n n (1987: 86) führen ebenfalls generalisierende Varianten der Paraphrase an.

19

Folgende Transkriptionskonventionen finden Verwendung: Der Punkt (.) steht für eine Pause, wobei die Anzahl der Punkte Angaben über deren relative Länge macht. Das Apostroph (') kennzeichnet ein Heben, das Komma (,) ein Senken der Stimme. Bleibt der Verlauf der Intonation in der Schwebe, so wird dies durch einen Spiegelstrich ( - ) markiert. Unterstreichungen verweisen auf eine besondere Betonung. Zum leichteren Verständnis der zitierten Textausschnitte werden die generalisierenden Segmente jeweils kursiv abgesetzt.

TexikonslHutive

Verfahren

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der Klassenbeziehungen. Damit sind klar zwei 'thematische Blöcke' evoziert, die Ζ im Laufe seines Redebeitrags zu behandeln gedenkt. Ζ wendet sich zunächst der Frage der Sexualität zu und leitet dieses Thema auch explizit mit bon sur la presentation de la sexualite ein. Z's zentraler Einwand beruht auf der Einschätzung, daß Fassbinders Film nicht gegen die Diskriminierung von Homosexuellen angehe. In dieser Sequenz finden sich zwei ineinander verschachtelte Reformulierungen, wobei die zweite generalisierenden Charakter hat. Die Formulierung c'est surtout pas un film, qui lutte contre le racisme antihomosexuel wird erläutert mittels einer metakommunikativ (je veux dire que) eingeleiteten Paraphrase, in der der Sprecher seine vorausgehende eher globale Behauptung auffächert und so die zu ihrem Verständnis notwendigen Informationen nachreicht. Diese Paraphrase ist wiederum intern strukturiert; sie umfaßt drei inhaltliche Aspekte, die jeweils in die sprachliche Form eines Relativsatzes gekleidet werden: passent leur temps ά se rencontrer dans les pissotieres, sont particulierement obsedes par la longueur de leurs organes respectifs, passent leur temps ä se devorer entre eux. Eine zweite 'generalisierende Reformulierung', die durch den Paraphrasenindikator c'est-adire20 explizit angekündigt wird, nimmt diese inhaltliche Auffächerung wieder zurück, indem sie die einzelnen, den Homosexuellen zugeschriebenen Eigenschaften in der allgemeinen Formulierung entre ce type de personnes il ne peut y avoir aucun rapport humain ou positif possible kondensiert. 21 Beispiele wie das voranstehende können tatsächlich dazu verleiten, Reformulierungen und Verallgemeinerungen zu parallelisieren. Eine solche Beschreibung wird jedoch - wie ich anhand weiterer Textausschnitte zeigen will - der Mehrzahl der Verallgemeinerungen nicht gerecht, da sie relevante Unterschiede zwischen den beiden Textkonstitutionstypen verdeckt. Einer dieser Unterschiede liegt in der jeweils anderen Bedeutung segmentaler Indikatoren, auf die ich in den nachstehenden Abschnitten zu sprechen komme. 3.1

Die Frage segmentaler Indikatoren

Bei Reformulierungen kommt den verbalen, die Spezifik der Relation explizierenden Indikatoren besondere Bedeutung zu. Indikatoren sind - neben Bezugsausdruck und Bearbeitung - konstitutives Element der Struktur reformulierender Verfahren und bilden in gewisser Weise deren 'Angelpunkt'. Sie leisten ein Zweifaches: Zum einen verweisen sie auf das Vorliegen einer Relation bzw. führen diese selbst ein, zum anderen spezifizieren sie diese als Beziehung der Paraphrase, Korrektur usw.

20

Zu c'est-i-dire

21

An anderer Stelle (vgl. Drescher 1992: 70) habe ich drei semantische Aspekte des Verallgemeinerns unterschieden: Extension, Iteration und Abstraktion. Die drei genannten Aspekte liegen in den Beispielen in der Regel nicht 'in Reinform', sondern eher vermischt vor. In dem hier diskutierten Beispiel 1 erfolgt die Verallgemeinerung v.a. nach dem Modus der Abstraktion.

vgl. Murat/Cartier-Bresson (1987) und Kotschi (1990).

Martina

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Drescher

Für reformulierende und korrigierende Verfahren führt die Orientierung an segmentalen Indikatoren zu überzeugenden Ergebnissen. Die Analyse umfangreichen Textmaterials zeigt jedoch, daß eine solche Annahme nicht ohne weiteres auf Verallgemeinerungen übertragen werden kann. Offenbar werden Verallgemeinerungen eher implizit realisiert und kennen somit kaum verfahrenstypische segmentale Indikatoren. Insofern erhält das 'Profil' der beiden in Beziehung gesetzten Äußerungen und somit auch die unabhängig von segmentalen Indikatoren zu ermittelnde semantische Relation bei der Beschreibung dieses Verfahrens ein größeres Gewicht. Im folgenden diskutiere ich zwei weitere Beispiele, um zu verdeutlichen, in welcher Weise Verallgemeinerungen als textkonstitutives Verfahren indiziert werden. In dem ersten Ausschnitt unterhalten sich die beiden Sprecherinnen Ε und C über die Lebensumstände von Frauen aus dem bäuerlichen Milieu zur Kinderzeit E's. Ε behauptet, daß die Frauen auch in ökonomisch besser gestellten Familien meist wie Dienstmägde behandelt wurden, und belegt dies durch das Schildern einer persönlichen Erfahrung, nämlich dem Verhalten von Großmutter und Großtante während des Essens:22 (2) E: Moi je BM rappalle avoir, ja n'ai jaaais TU juaqu'i, enfin, en demier, quand, quand eile pra, pratiqueaent quand eile est morte, na grand-afere s'asseoir pour Banger. Ma grand-tante non plus, d'ailleurs. Aucune femme

C: E:

Les hoaaes man ne s'asseyait pour

manger.

C: Les homes aangeaient d'abord? E: C ' i t a i t les homes, les ·ο, les hoaaes s'asseyaient 4 table pour Banger aais les fesses restaient debout. C: Et oft est-ce qu'elles aangeaient, elles? E: Ah! elles aangeaient debout. (Icart-Siguy 1976: 47f.) Auf den Abbruch einer affirmativ konstruierten Äußerung (je me rappelle avoir) läßt Ε einen verneinend angelegten Neubeginn (je n'ai jamais vu jusqu 'o) folgen und führt dann - im Anschluß an die Präzisierung der zeitlichen Angabe en dernier mit Hilfe von quand eile pratiquement quand eile est morte - ihre Äußerung mit ma grand-mere s'asseoir pour manger zu Ende. Die Behauptung wird durch das Anführen eines zweiten Falls - ma grand-tante non plus d'ailleurs - gestützt.

22

Das nachstehende Beispiel wurde in Anlehnung an schriftsprachliche Normen transkribiert, d.h., die dort verwendeten Zeichen sind als Interpunktionszeichen zu lesen. Da die entsprechenden Aufnahmen nicht zugänglich waren, habe ich diese Transkription unverändert übernommen.

Textkonstitutive

Verfahren

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An diese beiden Äußerungen schließt sich die Verallgemeinerung aucune femme nt s'asseyait pour manger an, mit der Ε Teile ihres Redebeitrags wörtlich aufgreift. Zeitliche Spezifizierungen - etwa die Parenthese, die eine Einschränkung des jamais zum Ziel hatte - entfallen. Auch die Relativierung, die sich aus der Einbettung in den Matrixsatz je n'ai jamais vu ergab, fehlt hier: Die Sprecherin vollzieht den Schritt vom 'Nicht selbst gesehen haben' zum 'Nicht existieren'. Ihren deutlichsten Ausdruck findet die Generalisierung in dem Ubergang von ma grand-mere bzw. ma grand-tante zu aucune femme, wobei das globalisierende Determinans aucune die Negation aufnimmt, die zuvor in der Verneinung des Hauptsatzprädikats (je n'ai jamais vu) zum Ausdruck kam. Mit der Generalisierung geht ein Tempuswechsel einher. Anstelle des passe compose der Bezugsäußerung steht nun ein Imperfekt, das das Übliche des geschilderten Sachverhalts unterstreicht. Bereits in der Analyse dieses kurzen Gesprächsausschnittes klingen einige derjenigen sprachlichen Formen und Strukturen an, denen im Zusammenhang mit Verallgemeinerungen indizierendes Potential zukommt. Es sind dies u.a. die Wahl generalisierender Determinanten und der Ubergang zu 'universellen Ausdrücken' 23 , das Wegfallen spezifizierender Angaben wie auch der Wechsel in ein anderes Tempus. Zur Ergänzung dieser Beobachtungen führe ich ein weiteres Beispiel an, das wiederum Le masque et la plume, der Diskussionssendung aus dem französischen Rundfunk, entnommen wurde. Thema des nachstehend wiedergegebenen Ausschnitts ist ein Film Werner Herzogs über Kaspar Hauser. (3) C: ... contrairement k c'que dit . Georges Charensol' il n'y a pas d'integration - . de de cet etre brut ä la societe' . mais au contraire u n refus - et une incapacite' . d'etre integre dans cette societe il refuse l'eglise - . il refuse la musique religieuse - . il refuse la logique - . il refuse tout, . et c'est ; a qui est beau c'est que c'est un film qui appartient ä la grande tradition nordique - . germanique - . on pense a . a . Dreyer - a . aux films de Dreyer ou aux Alms de Murnau .. (Meyer-Hermann 1979, Sendung vom 9.11.75, S. 45)

Kritiker C vertritt die Ansicht, daß Kaspar Hauser (cet etre brut) - anders als sein Vorredner behauptet hat - sich weigert, in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Er begründet dies durch eine Serie von Argumenten, die mit einer Verallgemeinerung endet: il refuse tout. Pronomen (il) und Verb (refuse) werden über vier Äußerungen hin jeweils wörtlich wiederaufgenommen, so daß eine syntaktisch streng parallele Konstruktion entsteht. Verschiebungen gibt es im Bereich des direkten Objekts, dessen Position in jeder Äußerung neu besetzt wird: l'eglise, la musique religieuse, la logique. Diese Begriffe stehen stellvertretend für die geistigen Werte einer Gesellschaft. In der vierten Äußerung erfolgt schließlich mit Hilfe des globalisierenden tout eine Generalisierung, die die Aufzählung beschließt. Wie in dem vorausgehenden Beispiel ist die Spezifik des Verfahrens auch hier nicht durch einen segmentalen Indikator ausgewiesen, sondern wird durch ex23

Vgl. Lyons ( s 1980: 343f.).

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plizite Wiederaufnahmen und sprachliche Mittel der Generizität signalisiert. Die zu beobachtenden strukturellen Unterschiede legen es nahe, Verallgemeinerungen aus der Kategorie der Reformulierungen herauszunehmen und als einen eigenen T y p textkonstitutiver Handlungen zu beschreiben. In theoretischer Hinsicht ist dabei insbesondere das Indikatorenkonzept so zu erweitern, daß neben segmentalen auch andere sprachliche Phänomene mit indizierendem Potential berücksichtigt werden können. Anregungen dazu können von der Beschreibung eines weiteren Verfahrens, der Redekommentierung, ausgehen. Weis das Fehlen segmentaler Indikatoren und die daraus resultierende Bedeutung struktureller Eigenschaften angeht, scheint es Ähnlichkeiten zwischen beiden textkonstitutiven Verfahren zu geben. I m Falle der Redekommentierung sind die indizierenden Elemente ebenfalls in das zweite Segment - die Kommentierung im engeren Sinn - integriert, d.h., die Spezifik der Relation wird über das semantisch-syntaktische 'Profil' der Bearbeitung zum Ausdruck gebracht. Kotschi (1986: 219) kontrastiert reformulierende und kommentierende Verfahren wie folgt: En comparant revaluation et la reformulation [...], il est apparu que la structure des actes d'evaluation ne comprend, ä la difference des actes de reformulation, pas de marqueurs en forme d'elements segmentaux, de sorte qu'ä la structure tripartite de la reformulation [...] s'oppose une structure dichotomique de 1'evaluation [...] On peut, en effet, soutenir l'idee qu'il y a, dans l'enonce evaluatif/commentatif un support linguistique propre ä indiquer que, ä l'aide de cet enonce-meme, le locuteur realise l'acte d'evaluation. Ceci reviendrait a dire que l'enonce evaluatif/commentatif comporie en hi-meme (l'equivalent d') un marqueur d'evaluation" (Hervorhebung M.D.).

Die Markierung redekommentierender Verfahren erfolgt mittels einer Kombination anaphorischer und evaluativer Ausdrücke, die dem zweiten Segment sein charakteristisches 'Profil' verleihen. Die Beschreibung dieses textkonstitutiven Verfahrens orientiert sich nicht mehr vorrangig an segmentalen Indikatoren und bezieht mit dem Erfassen der evaluativen Dimension auch semantische Aspekte ein. Damit weist sie den Weg zu einem modifizierten Verständnis kennzeichnender Elemente, das für die Beschreibung von Verallgemeinerungen bestimmend ist. 2 4 Ahnlich wie bei Redebewertungen läßt auch das zweite Element der Verallgemeinerung ein charakteristisches morpho-syntaktisches 'Profil' erkennen. Ein großer Teil der verallgemeinernden Variationen einer vorausgehenden Äußerung weist in seiner grammatischen Struktur neben anaphorischen Bezügen, die vor allem in den unterschiedlichen Formen der Wiederaufnahme zum Ausdruck kommen 2 5 , Merkmale der Generizität auf. So mündet die Variation des spezifischen Segments in den oben zitierten Beispielen 2 und 3 in eine Äußerung von 'maximaler Allgemeinheit', eine Äußerung also, die Elemente der Generizität enthält oder gar - wie in Beispiel 2 - das Format eines 24

Für eine weite Auslegung des Indikatorkonzepts plädieren schon Gülich/Meyer-Hermann (1983: 247f.).

25

Eine kurze Darstellung der unterschiedlichen Typen expliziter und impliziter Wiederaufnahme findet sich etwa bei Brinker ( 2 1988).

Texikonsiiiulive

Verfahren

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generischen Satzes hat. Allerdings ist dabei nicht aus den Augen zu verlieren, daß Verallgemeinerungen eine relationale und damit auch eine relative Erscheinung darstellen. Eine zweite Äußerung ist allgemein im Vergleich zur vorausgehenden Bezugsäußerung. Nicht jede allgemeine Äußerung muß Teil einer Verallgemeinerung sein, noch muß das zweite Element einer Verallgemeinerung grundsätzlich das Format eines generischen Satzes haben. 'Allgemein' ist stets als 'allgemeiner als' zu verstehen. Natürlich gibt es auch Verallgemeinerungen, die auf einer anzunehmenden 'Skala der Allgemeinheit' lediglich Zwischenstufen erreichen. Doch sind diejenigen Varianten, die sich der maximalen Allgemeinheit annähern, aufgrund ihres semantisch-syntaktischen Profils strukturell besonders auffällig. Darüber hinaus kommt ihnen hinsichtlich der Funktionen, die sie in der Interaktion wahrnehmen können, eine herausgehobene Stellung zu (vgl. Drescher 1992). Zudem eröffnet die Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf Vorkommen, in denen der Prozeß des Verallgemeinerns besonders augenfällig wird, die Möglichkeit, Verallgemeinerungen formal unter Rekurs auf morphosyntaktische Ausprägungen der Generizität zu erfassen. In den folgenden Abschnitten will ich dieses erweiterte Indikatorenkonzept, das das morpho-syntaktische Profil der aufeinander bezogenen Äußerungen berücksichtigt und insbesondere die sprachlichen Mittel der Generizität einschließt, etwas ausführlicher vorstellen. 3.2

Die sprachlichen Mittel der Generizität und ihr indizierendes Potential

Die sprachlichen Mittel der Generizität umfassen morpho-syntaktische und lexikalische Phänomene, die bislang nur selten zusammenhängend und kaum je mit Bezug auf ihre Wirkung und Funktion in Texten beschrieben wurden. Auch hier kann ich nur einige kurze Hinweise geben. 26 Zu den morpho-syntaktischen Strukturen, die Generizität auch ausdrucksseitig kenntlich machen, gehören im Bereich der Nominalphrase die Artikel sowie 'Globalität' signalisierende Varianten der Indefinita. Im Französischen sind dies v.a. Formen wie tout, chaque/ chacun sowie - mit negativer Polarität personne, nul, rien usw. Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang auch Pronomen wie on, tu oder ς α, die in bestimmten Kontexten ebenfalls indizierendes Potential haben. 27 Im Bereich der Verbalphrase können das Tempus des Verbs sowie bestimmte Adverbien dazu beitragen, den generischen Charakter eines Satzes ausdrucksseitig kenntlich zu machen. Hinzuweisen ist hier auf die Verwendung des zeitlosen, auch gnomisch genannten Präsens. In der Gruppe der Adverbien können im Französischen v.a. bestimmte Frequenzadverbien wie toujours, jamais usw. Generizität signalisieren. Ähnliches leisten 26

Für das Französische findet sich ein Uberblick in Drescher (1992); vgl. auch Kleiber (1987).

27

Zu diesen Pronomen liegen einige neuere Untersuchungen vor. Vgl. Maillard (1987) zu ςα, Viollet (1988) zu on sowie Laberge/Sankoff (1979) zu dem entpersonalisierenden you im Englischen.

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Drescher

mit Blick auf die lokale Determination Adverbien wie partout oder nulle part. Auch bislang kaum untersuchte lexikalische Phänomene - etwa Formen mit geringer Intension und großer Extension, sogenannte passe-partout-Wörter spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. In den Grammatiken wie auch in Einzeluntersuchungen zu Aspekten der Generizität werden die genannten sprachlichen Erscheinungen meist isoliert betrachtet, d.h., das Zusammenspiel der unterschiedlichen Manifestationen der Generizität wird ausgeblendet. Demgegenüber wird in dem von mir untersuchten Material deutlich, daß in der Regel nicht eine einzelne Form die generische Interpretation auslöst, sondern gerade deren Kombination ausschlaggebend ist. So kommt der Verwendung eines Präsens im allgemeinen noch keine indizierende Funktion zu. Allerdings kann das Tempus in Verbindung mit gewissen Frequenzadverbien sowie einschlägigen lexikalischen Strukturen durchaus kennzeichnend wirken. Ahnliches gilt für die Kategorie des Artikels. Gerade die 'Verdichtung' unterschiedlicher Indikatoren und ihr Zusammenwirken innerhalb einer Äußerung müssen also Berücksichtigung finden. Das generische Potential sprachlicher Erscheinungen manifestiert sich zudem häufig erst im Kontrast zu vorausgehenden und/oder nachfolgenden Äußerungen. 28 So hat das Tempus v.a. dann indizierende Funktion, wenn es von seinem unmittelbaren sprachlichen Kontext durch einen Tempuswechsel abgesetzt wird, und für die generische bzw. spezifische Interpretation der Artikel sind insbesondere der jeweilige sprachliche Kontext und die dort verwendeten Formen relevant. Die Beschreibung von generischen Formen allein reicht hier also nicht aus. Vielmehr ist eine relationale, textbezogene Sicht erforderlich. Das Augenmerk muß sich auf Ubergänge und Verschiebungen zwischen aufeinanderfolgenden Äußerungen richten, die in ihrem relationsindizierenden Potential durchaus mit explizit verknüpfenden Einheiten wie Konjunktionen und Adverbien zu vergleichen sind.29 Verallgemeinerungen unterscheiden sich nicht nur strukturell von Reformulierungen - die vorausgehende Diskussion der Indikatorenproblematik hat dies deutlich gemacht - , für dieses Verfahren ist darüber hinaus die semantische Modalisierung einer vorausgehenden Äußerung konstitutiv. Diese spezifische Mischung aus 'Gleichem' und 'Anderem' legt es nahe, auch der semantischen Dimension mehr Gewicht zu verleihen, als ihr im Rahmen der Beschreibung von Reformulierungen zukommt. Anregungen zur Beschreibung der semantischen Relation können zwei Studien von Klein/von Stutterheim (1987) und von Stutterheim/Klein (1989) bieten, die ich abschließend kurz diskutieren will.

28

29

Die Bedeutung des Kontraste für die generische bzw. spezifische Interpretation des französischen Artikels hat v.a. Laparra (1987) überzeugend herausgearbeitet. Vgl. ähnlich Weinrich (1972: 56).

Text/constitutive

3.3

Verfahren

97

Verallgemeinerungen als semantische Verschiebungen

Anders als die meisten neueren textsemantischen Ansätze machen Klein/von Stutterheim nicht die kognitiven Operationen der Kommunizierenden, sondern den Text zum Gegenstand der Betrachtung. Ihre Überlegungen zu 'referentiellen Bewegungen' in Erzählungen lassen - was die prozessuale Betrachtung des Textaufbaus angeht - durchaus Parallelen zu dem hier verfolgten Anliegen erkennen, haben ihren Schwerpunkt jedoch im semantischen Bereich. Neben dem dynamischen Charakter gehört insbesondere die Oberflächennähe der Beschreibungskategorien, die es erlaubt, semantische und strukturelle Phänomene aufeinander zu beziehen, zu den Vorzügen dieses Ansatzes. 30 Daher scheint es möglich, das zentrale Konzept der 'referentiellen Bewegung' in ein kommunikativ orientiertes Modell der Textkonstitution zu integrieren und auf dieser Grundlage auch die inhaltliche Gestaltung des Textes als Aktivität der Kommunizierenden zu beschreiben. Die dynamische Sicht des inhaltlichen Textaufbaus bei Klein/von Stutterheim scheint mir in gewisser Weise komplementär zu sein zu einer eher formalen Betrachtung der Textkonstitution wie sie in den vorausgehenden Abschnitten vorgestellt wurde. Im folgenden zeige ich einige Berührungspunkte auf. Die zentrale These von Klein/von Stutterheim (1987: 163) ist die, daß der „Gesamtaufbau eines Textes, die Art und Weise, wie sich das Mitgeteilte von einer Äußerung zur nächsten entfaltet, schließlich auch der Aufbau der einzelnen Äußerung" einer Reihe von Beschränkungen unterliegen, die im wesentlichen daher rühren, „daß der Text in seiner Gesamtheit dazu dient, eine explizite oder implizite Frage zu beantworten - die Quaestio des Textes". Diese Annahme, deren Berechtigung hier nicht weiter diskutiert werden soll, erläutern die Autoren am Beispiel mündlicher Erzählungen. Aufgrund der These, daß der Einfluß der Quaestio bis in die Gestalt der einzelnen Äußerung hineinreicht, befassen sich Klein/von Stutterheim ausführlich mit deren Aufbau, insbesondere ihrer semantischen Zusammensetzung. Klein/von Stutterheim beschreiben das semantische Gefüge einer Äußerung aus dynamischer Perspektive. Die grundlegende Annahme ist die, daß sich in Texten die Information von Äußerung zu Äußerung entfaltet, wobei jeweils Teile beibehalten, andere hingegen neu eingeführt werden.31 Diese schrittweise 30

Ausgearbeitete textsemantische Ansätze, die für die Beschreibung authentischer Texte geeignet wären, existieren m . W . bislang nicht. Diejenigen Autoren, die den Text und nicht die kognitiven Verstehens- bzw. Produktionsprozesse der Kommunizierenden zum Gegenstand der Untersuchung machen, wählen in der Regel eine statische Analyseperspektive (vgl. etwa Metzeltin/Jaksche (1983) und die zahlreichen Arbeiten von van Dijk (1977), (1980), (1985) sowie van Dijk/Kintsch (1983)). Sie verfolgen zumeist das Ziel, die Propositionen eines Textes mit Hilfe eines festgelegten Regelkanons auf einige wenige Grundpropositionen zu reduzieren. Ungeklärt bleibt insbesondere in den Vorschlägen von van Dijk, wie m a n von vorliegenden Satzstrukturen zu Propositionen gelangt; nur vage beschrieben werden auch die Operationen, die von Propositionen zu semantisch kondensierten Makropropositionen führen. Obgleich sehr formal in der Präsentation, gibt van Dijk keine Mittel an die Hand, mit dem dieser Weg methodisch zu kontrollieren wäre.

31

Dieses Vorgehen weist Parallelen zu der bereits von Weinrich (1972) vorgeschlagenen

Martina

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Drescher

Entfaltung der Information eines Textes nennen sie referentielle Bewegung. Die Beschreibung der referentiellen Bewegung siedeln die Autoren auf der Ebene der Proposition an 3 2 , die sich aus einem Netz unterschiedlicher Angaben zu Zeit, R a u m , Handlung, Personen usw. zusammensetzt. Diese lassen sich nach Klein/von Stutterheim fünf 'referentiellen Bereichen' zuordnen: Argument und Prädikat, die in R a u m und Zeit situiert und nach ihrer Modalität eingeordnet werden. Angaben zu diesen Bereichen sind in der Proposition zu einem Ganzen verschmolzen, wobei nicht alle Bereiche besetzt sein müssen. Die referentielle Bewegung läßt sich nun präziser bestimmen als „die Art und Weise, wie sich die Information innerhalb der fünf Referenzbereiche zwischen aufeinanderfolgenden Äußerungen entwickelt" (Klein/von Stutterheim 1987: 173). Es lassen sich verschiedene Typen referentieller Bewegungen unterscheiden. Informationen können am Übergang von einer Äußerung zur nächsten beibehalten oder aber neu eingeführt werden, so daß 'Einführung' und 'Fortführung' zwei übergeordnete Typen referentieller Bewegungen darstellen. Hinsichtlich der 'Fortführung' differenzieren Klein/von Stutterheim weiter zwischen 'Erhalt', 'Verschiebung' und 'Wechsel'. Verallgemeinerungen - so meine These - lassen sich als Ubergang von einer spezifischen zu einer allgemeinen Äußerung charakterisieren. Die dadurch entstehende semantische Beziehung kann man unter Bezug auf die Art der referentiellen Bewegung einerseits, der betroffenen Referenzbereiche andererseits beschreiben. Die für Verallgemeinerungen typischen Aspektualisierungen betreffen in der Regel alle fünf Referenzbereiche und sind auf eine Kombination erhaltender und verschiebender referentieller Bewegungen zurückzuführen. Diese Bewegungen lassen sich an den ausdrucksseitigen Strukturen der in Beziehung gesetzten Äußerungen bzw. Äußerungssegmente verfolgen, denen - wie ich oben ausgeführt habe - im Falle der Verallgemeinerung indizierendes Potential zukommt.

4.

Schluß

Im Laufe meiner Ausführungen dürfte deutlich geworden sein, daß sich die Diskussion zu Textkonstitutionshandlungen bisher stark von den Eigenschaften eines speziellen Verfahrens, der Reformulierung, hat leiten lassen. Reformulierungen stellen sicher ein prototypisches Verfahren dar, haben aber m.E. die Vorstellung von Textkonstitutionshandlungen zu sehr geprägt. Es entstand heuristischen Methode der Textpartitur auf, mit der jedoch lediglich die syntaktischen Informationen am Übergang von einer Äußerung zur nächsten erfaßt werden. In seinen Analysen beschränkt sich Weinrich auf die Verben des Textes, auf die er möglichst viele Textphänomene - etwa Affirmation/Negation, Tempus, Person, Valenz, Aktiv/Passiv zu beziehen sucht. 32

Klein/von Stutterheim (1987: 171) unterscheiden zwischen der linguistischen Bedeutung, die zusammen mit der strukturbezogenen Kontextinformation die Proposition der Äußerung ergibt. Diese wird durch Anreicherung mit inferentieller Kontextinformation zur Äußerungsinterpretation.

Teztkonstitutive

Verfahren

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zuweilen der Eindruck, daß beides identisch ist, die Begriffe austauschbar sind. H i e r s c h e i n t m i r e i n e stärkere A b l ö s u n g u n d T h e o r e t i s i e r u n g d e s K o n z e p t s der T e x t k o n s t i t u t i o n s h a n d l u n g v o n n ö t e n . D a z u k ö n n e n i n s b e s o n d e r e U n t e r suchungen, die sich m i t anderen t e x t k o n s t i t u t i v e n H a n d l u n g e n beschäftigen, einen Beitrag leisten. Durch die genauere Kenntnis weiterer Verfahren dürfte d e u t l i c h w e r d e n , w e l c h e A n n a h m e n für d e n H a n d l u n g s t y p s c h l e c h t h i n u n d w e l c h e l e d i g l i c h für e i n z e l n e s e i n e r U n t e r t y p e n g e l t e n . S o z e i g t d i e U n t e r s u c h u n g v o n Verallgemeinerungen z u m einen, daß die A n n a h m e segmentaler Indikatoren als e i n e m S t r u k t u r e l e m e n t v o n T e x t k o n s t i t u t i o n s h a n d l u n g e n z u ü b e r d e n k e n i s t . Z u m a n d e r e n l e n k t s i e d e n B l i c k auf s e m a n t i s c h e P h ä n o m e n e , d i e in b i s h e r i g e n B e s c h r e i b u n g e n z w a r i n ihrer R e l e v a n z g e s e h e n , a b e r z u n ä c h s t v ö l l i g a u s g e k l a m m e r t w u r d e n . D a V e r a l l g e m e i n e r u n g e n o f f e n b a r in g e r i n g e r e m M a ß e als d i e ' k l a s s i s c h e n ' R e f o r m u l i e r u n g s v e r f a h r e n P a r a p h r a s e u n d K o r r e k t u r auf Formulierungsschwierigkeiten zurückzuführen sind, schärft die Beschäftigung m i t d i e s e m T y p d a r ü b e r h i n a u s d e n B l i c k für d i e e i n g a n g s d i s k u t i e r t e , n o t w e n dige Unterscheidung zwischen Textproduktion und Textkonstitution.

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100

Martina

Drescher

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Textkonsiiiutive Verfahren

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ECKARD ROLF

Beobachtungen an

Erläuterungen

V o r k o m m e n , S t a t u s , Funktion

1.

Vorbemerkung

Am 11. März 1787 fährt Goethe zusammen mit Tischbein von Neapel nach Pompeji. Durch die „Enge und Kleinheit" dieses Ortes werden sie zunächst in Verwunderung gesetzt, doch beim Einblick in „Zimmer, Gänge und Galerien" können sie schon bald eine heitere Kunstgestaltung feststellen. Seine Erfahrung resümierend, setzt Goethe die Jahre später gegebene Beschreibung folgendermaßen fort: „Und so deutet der jetzige, ganz wüste Zustand einer erst durch Stein- und Aschenregen bedeckten, dann aber durch die Aufgrabenden geplünderten S t a d t auf eine Kunst- und Bilderwelt eines ganzen Volkes, von der jetzo der eifrigste Liebhaber weder Begriff, noch Gefühl, noch Bedürfnis hat." (Goethe, Italienische Reise, Berliner Ausg., Bd. 14, S. 367)

Wenn von Pompeji die Rede ist, wird man gewöhnlich daran erinnert, daß diese Stadt durch den Ausbruch eines Vulkans (des Vesuvs oder des Ätnas?) verschüttet und in späteren Zeiten geplündert worden ist. Wann aber ist das eigentlich geschehen? Für den Fall, daß sich diese Frage aktuell nicht beantworten läßt, erweisen sich die folgenden Informationen als hilfreich: „nach Pompeji - Pompeji und Herculaneum waren im Jahre 79 durch einen Vesuvausbruch verschüttet worden; die Ausgrabungen hatten in Pompeji 1748 begonnen. Zur Zeit von Goethes Besuch war erst wenig freigelegt." (Goethe, Italienische Reise, Berliner Ausg., Bd. 14, S. 965) 1

Daten wie diese vermitteln Hintergrundwissen, im vorliegenden Fall vermehren bzw. aktualisieren sie das Wissen über Pompeji, und sie tun dies dadurch, daß sie die zeitliche Lokalisierung von Verschüttung und Ausgrabungsbeginn möglich werden lassen. Angaben dieser Art werden in der Regel als Erläuterungen bezeichnet. 2 Erläuterungen werden im allgemeinen dann gegeben, wenn hinsichtlich des Adressaten einer vorangegangenen oder gegenwärtigen Äußerung angenommen wird, daß ihm Zusatzinformationen übermittelt werden müssen, damit er die Bezugsäußerung überhaupt bzw. besser verstehen kann. Die Realisierung einer Erläuterung beruht auf Annahmen über das Wissen des Adressaten 1

Die Ausgrabungen halten übrigens heute noch an: In der FAZ, Nr. 45, vom 22. Februar 1990 wird auf S. 31 über eine Polemik berichtet, die in Italien dadurch ausgelöst worden ist, daS eine Skulptur, deren Ausgrabung vom italienischen Fernsehen (RAI) weltweit gezeigt worden ist, in Wirklichkeit „schon Stunden zuvor ans Licht gekommen und nur für das eigens herbeigeholte Fernsehteam wieder eingegraben worden" sei.

2

Und es scheint im allgemeinen wirklich so zu sein, wie Phillip Wegener (1885: 32) meint, der im Hinblick auf eine Situation wie die obige feststellt: „Für Ungelehrte bedarf es einer Erläuterung nach Ort und Zeit."

104

Eckard Rolf

auf der Annahme, daß dieser etwas Bestimmtes über einen zuvor erwähnten Redegegenstand (zumindest aktuell) nicht weiß und deshalb nicht in der Lage ist, die den Redegegenstand thematisierende Bezugsäußerung (hinreichend) zu verstehen. Verstehen ist immer auf Wissen angewiesen. Und wenn angenommen wird, daß das erforderliche Hintergrundwissen (aktuell) nicht vorhanden ist, muß es hervorgerufen werden. Philipp Wegener, der sich mit der entsprechenden Grundsituation als einer der ersten beschäftigt hat, charakterisiert diese, indem er sagt: „Im Allgemeinen pflegt der Mensch, besonders der naive Mensch, anzunehmen, dass sein Mitmensch innerlich genau so organisirt und gestimmt s , dass er dasselbe denke und wisse, wie er selbst. Beginnt er seine Mitteilung mit dieser Voraussetzung, so wird er sich oft vom Gegenteil überzeugen müssen durch den verständnisslosen Ausdruck in den Mienen des Angeredeten oder noch directer durch die Frage: von wem sprichst du, wann war das, wo geschah das u.s.f. Also ursprünglich wird der Redende erst während des Sprechens bemerken, dass er zur Erklärung gewisse Angaben hinzufügen müsse." (Wegener 1885: 33)

Wegener macht diesen Zusammenhang zum Thema, aber er ist vergleichsweise weit davon entfernt, in dem geschilderten Sprecherverhalten etwas Positives zu erblicken; Wegener spricht von einer „mangelhaften Darstellung" (ebd.: 34). Die Einführung eines Redegegenstandes generell als (logisches Subjekt bzw.) 'Exposition', „das Interessierende und neue dagegen [als] das logische Prädicat" (ebd.: 20) bezeichnend, stellt Wegener mit Bezug auf den Satz Themistokles, ein Grieche aus Athen, ein Zeitgenosse des Aristides, schlug bei Salamis die Perser, welche nach Griechenland gezogen waren, um dieses Land zu unterwerfen, in einer Seeschlacht folgendes fest: „man sollte von einer wohlgeordneten Darstellung erwarten, das die Exposition dem der Exposition bedürftigen Worte voranginge. Es verhält sich hier also Themistokles zu seinen Appositionen wie das logische Prädicat des Satzes zu seinen exponierenden Momenten, zu seiner Exposition oder seinem logischen Subjecte. Eine klare und einfache Erzählung würde sagen: es leite zur Zeit des Aristides ein Mann mit Namen Themistokles.'' (Ebd.: 32)

Eine Erzählung würde sicherlich so anfangen, aber es geht oftmals nicht darum, etwas zu erzählen. Wegeners Verurteilung der Erläuterungen kristallisiert sich in dem Umstand, daß er deren Träger - ihm schweben solche intrasententiellen Gebilde vor wie die Apposition, der (nichtrestriktive) Relativsatz und in Parenthese stehende Demonstrativsätze - allesamt als „nachträgliche Correcturen" (ebd.: 34; s. auch 35) einer mangelhaften Darstellung einschätzt und in diesem Zusammenhang unter anderem auch von „Mängel[n] der Exposition" (ebd.: 60) bzw. von „Expositionscorrecturen" (ebd.: 41) spricht. Was aber auf diese Weise als mangelhaft hingestellt wird, ist in Wirklichkeit Ausdruck eines - vor allem in epistemischer Hinsicht - recht einfühlsamen Kommunikationsverhaltens, eines Kommunikationsverhaltens, das sich dadurch auszeichnet, daß es die zu übermittelnden Informationen in einer ökonomischen, die Verarbeitung erleichternden Weise präsentiert.

Beobachtungen

2.

an

Erläuterungen

105

Vorkommensarten von Erläuterungen

Erläuterungen kommen in unterschiedlichen Formen vor. Sie kommen (a) nicht nur, wie bei Wegener angedeutet und hier noch näher darzulegen, in intrasententieller, sondern auch (b) in inter- bzw. paratextueller und (c) intratcxtueller Form vor. 2.1

Intertextuelle Erläuterungen

Intertextuelle Erläuterungen können als Textsorten angesehen werden. Als Textsorten zu betrachten sind Erläuterungen, die ihrem Bezugstext nach- oder nebengeordnet, eigenständig und nicht als Teil ihres jeweiligen Bezugstextes aufzufassen sind - und zwar selbst dann nicht, wenn sie, unabgetrennt, mit diesem in einem Kontext stehen. Intertextuelle Erläuterungen kommen insbesondere in Gestalt von Kommentaren vor: in Gestalt von Bibelkommentaren, Gesetzeskommentaren, Kommentaren zu historisch-kritischen bzw. sog. Klassikerausgaben literarischer Werke, zu Studien- und Leseausgaben, zu Geschichtswerken etc., kurz, in Gestalt von Texten, die, von Theologen, Juristen, Literaturwissenschaftlern, Historikern etc. verfaßt, zum besseren Verständnis ihrer jeweiligen Bezugstexte - der Bibel, bestimmter Gesetzestexte bzw. literarischer und historischer Texte etc. - beitragen sollen. Darüber hinaus gibt es Erläuterungen zu den Methoden des Psychodramas, Erläuterungen zu Bildern, zu Gemälden und Plastiken (von Ausstellungen), Erläuterungen der Blüten und Fortpflanzungsverhältnisse bestimmter Pflanzenarten, Erläuterungen geologischer Karten, Erläuterungen der Ergebnisse chemischer Experimente, Erläuterungen von Kantaten und viele andere mehr. Die Eigenständigkeit solcher Erläuterungen schlägt sich oftmals bereits in dem (äußeren) Umstand nieder, daß sie von ihren Bezugsgrößen, den (anderen) Texten, Bildern, Karten, Experimenten etc., abgetrennt sind., Als eigenständige Textsorten findet man Erläuterungen auch in Gutachten, auf Zeugnissen, auf Policen von Versicherungsverträgen, auf Bescheiden von Finanzämtern, auf Heizkostenabrechnungen, auf 'Anmeldungen', 'Anderungsmeldungen' und 'Abmeldungen' von Rundfunkempfangsgeräten etc. Ein 'Bescheid über Kraftfahrzeugsteuer' beispielsweise enthält eine Erläuterung, die Auskunft gibt unter anderem über die sog. Bemessungsgrundlagen und den Zeitraum, für den die Steuer berechnet worden ist. Den Erläuterungen auf der Rückseite einer Anmeldung von Rundfunkgeräten ist zu entnehmen, wer Rundfunkteilnehmer ist, was Rundfunkgeräte sind und wofür Rundfunkgebühren gezahlt werden müssen; auch das scheint nicht als grundsätzlich bekannt vorausgesetzt werden zu können, es scheint klargestellt werden zu müssen. Sind Erläuterungen wie die obigen eher theoretischer Art, erweisen sich die folgenden Erläuterungstypen - wegen ihrer Handlungsimplikationen - als eher praktischer Art. Letzteres gilt beispielsweise für Vorlesungskommentare bzw. für 'Erläuterungen zu den Lehrveranstaltungen' universitärer Fachbereiche. Es gilt aber auch für 'Erläuterungen des Aussprachesystems' einer Fremdsprache, für 'Erläuterungen zum Gebrauch' eines Wörterbuchs, für 'Erläuterungen der

106

Eckard Rolf

N o t e n s t u f e n ' zur B e w e r t u n g von Schülerleistungen 3 , für Erläuterungen auf Form u l a r e n (Krankenversicherungsformularen, Antragsformularen für W o h n g e l d 4 z.B.) etc. I n t e r t e x t u e l l e Erläuterungen kommen nicht nur in Gestalt von K o m m e n t a r e n (der b e n a n n t e n A r t ) vor, sie finden sich a u c h in Gestalt v o n Anmerkungen. A n m e r k u n g e n k ö n n e n , allgemein g e s a g t , in unterschiedlichen Verhältnissen zu ihren j e w e i l i g e n B e z u g s t e x t e n stehen. „Manche Typen wie die nachträgliche oder späte auktoriale Anmerkung erfüllen als defensiver oder selbstkritischer Kommentar durchaus eine paratextuelle Funktion. Andere [,] wie die Originalanmerkungen zu diskursiven Texten [,] bilden eher Modulationen des Textes, die kaum anders wirken als ein Satz in Klammern oder zwischen Gedankenstrichen." (Genette 1989: 326) Hier w i r d nicht nur d i e Verwandtschaft der A n m e r k u n g e n zu den K o m m e n taren h e r a u s g e s t e l l t , G e n e t t e weist - z u m i n d e s t implizit - auch auf die Verw a n d t s c h a f t h i n , die zwischen inter- oder p a r a t e x t u e l l e n u n d intrasententiellen E r l ä u t e r u n g e n b e s t e h t . Letztere k o m m e n , w i e u n t e n dargelegt wird, v o r n e h m lich in G e s t a l t von Parenthesen vor. 5 W e n n o b e n v o n Erläuterungen gesagt w o r d e n ist, sie k ö n n t e n 'in G e s t a l t v o n ' K o m m e n t a r e n u n d Anmerkungen v o r k o m m e n , d a n n soll d a m i t nicht b e h a u p t e t s e i n , diese T e x t s o r t e n seien grundsätzlich m i t Erläuterungen g l e i c h z u s e t z e n . K o m m e n t a r e , i n s b e s o n d e r e aber A n m e r k u n g e n k ö n n e n auch aus anderen Ar3

In einer Erläuterung aus dem Runderlaß des Kultusministers des Landes NordrheinWestfalen von 20.1.1969 heißt es unter anderem: „Den Noten werden d i e f o l g e n d e n D e f i n i t i o n e n zugrunde gelegt: 1. sehr gut (1) Die Note 'sehr gut' soll erteilt werden, wenn die Leistung den Anforderungen in besonderem Maße entspricht."

4

In diesen Fällen geben die Erläuterungen Hinweise zum Ausfüllen der Formulare. Die Inhalte, um deren Vermittlung es bei solchen Erläuterungen geht, beziehen sich auf das, was der Adressat wissen muß, wenn er ein entsprechendes Formular ausfüllen will. Die Wissensvermittlung ist hier nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu einem anderen Zweck: Sie soll den Adressaten dazu in die Lage versetzen, eine bestimmte Handlung, das Ausfüllen des jeweiligen Formulars, durchführen zu können. Die Erläuterung auf der Rückseite eines 'Versicherungsnachweises' beispielsweise lautet - für den Fall der Anmeldung - : „Beginn der Beschäftigung 0 Sonstige Gründe 1".

5

Ein bedeutendes Beispiel für das Vorkommen von Anmerkungen stellt Vladimir Nabokovs Roman Pale Fire („Fahles Feuer") dar, der im wesentlichen aus Anmerkungen zu einem (abstrusen?) Gedicht besteht. Ein vielleicht noch wichtigeres Beispiel (auf das ich von Rudi Keller, Düsseldorf, aufmerksam gemacht worden bin) liegt vor in Gestalt der Bienenfabel von Bernard Mandeville. Das Verfahren, in Gestalt von Anmerkungen Erläuterungen zu einzelnen Versen eines Gedichts zu geben, findet sich z.B. auch in den unter dem Titel „Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung" zusammengefaßten 'Aufsätzen' von Martin Heidegger (4., erweiterte Auflage, Frankfurt 1971), und zwar insbesondere in dem Aufsatz mit dem Titel „'Andenken'". Etwas ungewöhnlich an diesem Buch ist, daß unter der Überschrift „Anmerkungen" Angaben zu den Ersterscheinungsdaten der entsprechenden Aufsätze zu finden sind, Angaben, die sonst zumeist unter der Überschrift „Nachweise" (im Englischen unter 'Acknowledgments') stehen.

Beobachtungen

an

Erläuterungen

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t e n v o n ' B e m e r k u n g e n ' b e s t e h e n ; e s i s t j e d o c h z u m e i s t so, d a ß A n m e r k u n g e n unter a n d e r e m auch Erläuterungen enthalten oder ausschließlich aus Erläuterungen b e s t e h e n und daß auch K o m m e n t a r e größtenteils aus Erläuterungen z u s a m m e n g e s e t z t sind. U n d z w a r so, w i e e s für Glossarien,

Legenden

u n d Zeichenerklärungen

gilt.

D a z u die folgenden Beispiele: „ A 4 j e k t i v s t i l : durchgehende Häufung von Adjektiven im Ausdruck A d y n a t i o n : paradoxe (oft übertreibende) Darstellung A k k u m u l a t i o n : neben- und untergeordnete Anreihung von Angaben" (Aus dem „Glossar stilistischer Begriffe", enthalten in Bernhard Sowinskis Buch „Deutsche Stilistik". Frankfurt 1978: 239) „Adenointriphosphat ATP Ein energiereicher Phosphatester; wesentlichster molekularer Energiespeicher der Zelle aerob werden Stoffwechselprozesse von Zellen oder Organismen genannt, wenn sie nur in Gegenwart von Luftsauerstoff ablaufen" (Aus: „Glossarium", enthalten in Manfred Eigen (1987): Stufen zum Leben. München 1987: 277) J i v a n - m u k t a ein 'zu Lebzeiten Befreiter', der auf Erden bleibt, obwohl er m o k s h a erlangt hat" (John Updike (1989): S. Reinbek bei Hamburg: 289) „ m o k s h a endgültige Befreiung und Erlösung von allen weltlichen Bindungen; Erkenntnis der Absoluten Wirklichkeit" (Ebd.: 291) B e m e r k u n g e n dieser A r t s t e l l e n p r o t o t y p i s c h e F ä l l e v o n E r l ä u t e r u n g e n dar. S o l c h e E r l ä u t e r u n g e n a b e r finden sich n i c h t nur in G l o s s a r i e n , s i e s i n d ζ. B . a u c h in d e r „Zeichenerklärung" z u finden, d i e d e n F a h r p l ä n e n d e r D e u t s c h e n B u n d e s b a h n b e i g e g e b e n ist. Dort heißt es beispielsweise: „FD D Ε ohne Buchstaben

= = = =

Fern-Express, qualifizierter Schnellzug Schnellzug Eilzug Zug des Nahverkehrs"

A u c h die Erläuterungen auf einer Heizkostenabrechnung sowie die Erläuterung e n a u f d e r R ü c k s e i t e e i n e r sog. „ S c h n e l l i n f o r m a t i o n " i m B a n k e n s e k t o r s i n d v o n d e r o b i g e n A r t . D i e E r l ä u t e r u n g e n zu e i n e r H e i z k o s t e n a b r e c h n u n g l a u t e n : „Erläuterungen zur umseitigen Abrechnung Abrechnungszeitraum ist der Zeitraum, aus dem die angefallenen Kosten und gegebenenfalls Vorauszahlungen stammen, die in der vorliegenden Abrechnung erfaßt sind. Versorgungszeitraum ist der Zeitraum, in dem Heizung und gegebenenfalls Warmwasser ohne nennenswerte Unterbrechung zur Verfügung standen." U n d e i n Teil d e r E r l ä u t e r u n g e n a u f e i n e r Schnellinformation „1 Sammelurkunden für die gesamte Laufzeit 2 kleinste handelbare Einheit DM 100,3 kleinste handelbare Einheit DM 1.000,-"

lautet:

108

Eckard Rolf

Von dieser Art sind aber auch viele der Erläuterungen im theologischen und literaturwissenschaftlichen Bereich. Hier zwei Beispiele, die für viele stehen mögen: „Durch ihn. Christus ist der Mittler. Wir. Schriftstellerischer Plural. Gnade und Apostelami. Gnade des Christseins und Apostelamt oder Gnade des Apostelamtes.'' (Robert Grosche (1975): Kommentar zum Römerbrief. Hrsg. v. Franz-Josef Hungs. Werl: 69) „von Wanzen gequält: G's gewöhnliches Leiden auf Reisen (vgl. G. an Schiller, 1797 Aug 30). - Zimmerleute: die beim Umbau in G's Haus tätig waren. - Krümchen: auch 'Judenkrämchen', mundartlich für Geschenksendung, die manchmal beim Handelsjuden auf der Messe eingekauft wurde; es bestand diesmal in Kleiderstoff und Spitzen (vgl. S. 63)." (Goethes Briefwechsel mit seiner Frau. 2 Bde. Frankfurt 1989: 865)

Was an diesen Ausführungen auffällt, gilt für viele Texte, die mit der Bezeichnung 'Erläuterungen' versehen sind: Gebilde dieser Art bestehen im wesentlichen aus Auflistungen, und zwar aus Auflistungen von - kontextbezogenen - 'Bedeutungserklärungen'. Sie bestehen aus Angaben, denen zu entnehmen ist, was ein bestimmtes Wort, eine Wortgruppe oder ein Zeichen in dem Kontext, in dem es vorkommt, d.h. in dem Bezugstext, in dem es steht, bedeutet bzw. bedeuten soll. Weis beispielsweise ein Abrechnungszeitraum (s.o.) ist, kann bekannt sein, ohne daß schon deshalb klar wäre, wie dieses Wort in einem gegebenen Kontext 'definiert', was darunter konkret zu verstehen ist. Die 'Bedeutungserklärungen', aus denen sich Erläuterungen (wie die obigen) zusammensetzen, sind kontextbezogen - und durch dieses Merkmal möglicherweise von denjenigen Bedeutungserklärungen unterschieden, die - kontextenthoben - in Wörterbüchern und Lexika zu finden sind. 2.2

Intratextuelle Erläuterungen

Textuelle Gebilde wie die soeben beschriebenen - Gebilde mit der Kennzeichnung 'Erläuterungen' - , sind in der Regel zu unterscheiden von innertextuellen Einheiten, die als 'Erläuterung' charakterisiert sind. Es scheint hier die Wortform beachtet werden zu müssen: Die Singularform 'Erläuterung' bezieht sich in der Regel auf etwas anderes als die entsprechende Pluralform. Ein als Erläuterung gekennzeichnetes Gebilde stellt zumeist einen einzelnen Bestandteil eines größeren Textes bzw. einen Textabschnitt dar. Das gilt z.B. für den Abschnitt 2.3 des Buches von Wolfgang Niehüser mit dem Titel „Redecharakterisierende Adverbiale" (Göppingen 1987), in welchem es auf Seite 36 heißt: „2.3 Erläuterung der Taxonomie Das Gesamtsystem der redecharakterisierenden Adverbiale wird durch die Kategorien REDESTRUKTUR, DARSTELLUNG DES REDEINHALTS und BEZIEHUNGSASPEKT in drei große Bereiche aufgeteilt."

Ein weiteres Beispiel ist der Abschnitt 5.3.1 von Martha Ripfels Buch „Wörterbuchkritik" (Tübingen 1989). Dieser Abschnitt trägt die Uberschrift „Erläuterung der Zuordnung der Bewertungen zu den Bewertungsaspekten".

Beobachtungen

an

Erläuterungen

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Eine andere Art intratextuell vorkommender Erläuterungen ist gegeben in Form einzelner Sätze (als Bestandteilen von Texten) bzw. in Gestalt einzelner Äußerungen (als Bestandteilen von Gesprächen). Hier ein paar Beispiele für Sätze mit dem Status einer Erläuterung: „Reclitsbelielfsbelelirung [1] Die Festsetzung der Einkommensteuer kann mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angefochten werden. [2] Der Einspruch ist beim oben bezeichneten Finanzamt schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. [...]"

Der Satz (1) dieser Rechtsbehelfsbelehrung (auf der Rückseite eines Steuerbescheids), die über die Realisierungsmöglichkeiten und -modalitäten eines potentiellen Einspruchs informiert, kann als eine Art Hinweis aufgefaßt werden, der Satz (2) als eine Erläuterung dazu: letzterer ist zu entnehmen, wie man vorzugehen hat für den Fall, daß die Einspruchsmöglichkeit wahrgenommen werden soll. „Kleine Meldung[en] [1] Eine „ R a i n e r W e r u e r F a s s b i n d e r Foundation, gemeinnützige Nachlaßstiftung" ist fünf Jahre nach dem Tod des Filmemachers von seiner Mutter gegründet worden. [2] Die Stiftung soll mit Erlösen aus Fassbinders Filmen und anderen Werken neue Entwicklungen in Film und Theater unterstützen. [3] Die Unterstützung kann Personen und Projekten gelten. [4] Über die Höhe der Stiftungsgelder wurden keine Angaben gemacht." (FAZ, Nr. 82: 7.4.1987: 29)

Die Sätze (1) und (4) dieses kleinen, als Meldung charakterisierten Textes könnten als Instantiierungen des Sprechakts Melden aufgefaßt werden. Als eigentlicher Träger der Meldung steht (1) in dominierender, (4) hingegen in lediglich supplementärer Funktion. Die Sätze (2) und (3) aber lassen sich als Fälle von Erläutern interpretieren. Ebenfalls supplementär, ermöglichen sie eine (Weiter-)Verarbeitung des in (1) benannten Sachverhalts. Erläuterungen in Gestalt einzelner Sätze kommen auch als explizit angekündigte vor. Beispiele für solche expliziten, d.h. lexikalisch signalisierten Erläuterungen finden sich in den folgenden beiden Abschnitten: „[1] Für die Gesellschaft wie für den einzelnen trugen [...] [die industrielle, die demokratische Revolution und die Revolution des Bildungswesens] zur Befreiung von früheren Beschränkungen und zur Erweiterung von Chancen zu vormals unmöglichen Errungenschaften bei. [2] Dieser Prozefi erfolgte im Rahmen eines institutionalisierten Individualismus. [3] 'Institutionalisierter Individualismus' meint einen Modus der Organisation von Komponenten menschlichen Handelns, der beim Durchschnittsindividuum wie auch bei den Kollektiven, denen es angehört, die Fähigkeit erweitert, jene Werte zu verwirklichen, denen sie verpflichtet sind." (Talcott Parsons/Gerald Μ. Platt (1990): Die amerikanische Universität. Ein Beitrag zur Soziologie der Erkenntnis. Frankfurt: 11)

Wie durch das Wort 'meint' signalisiert, gibt der Satz (3) Auskunft über das, was unter dem Ausdruck 'institutionalisierter Individualismus' in dem obigen Kontext verstanden werden soll. Daß dieser Ausdruck an sich nicht hinreichend bzw. nicht so, wie beabsichtigt, verstanden wird, diese Annahme scheint zu den Befürchtungen der Autoren zu gehören. Satz (3) stellt eine Erläuterung dar.

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Letzteres gilt ζ. B. auch für den mit 'Das heißt' eingeleiteten Satz (2) des folgenden Textausschnitts aus Der Spiegel Nr. 10, 5.3.1990: 121: „[...] [1] Pensionsgeschäfte mit Nichtbanken oder Banken im Ausland sind nach Anweisung der Deutschen Bundesbank mindestreservepflichtig. [2] Das heifit: Die Banken müssen einen gewissen Satz des über Pensionsgeschäfte kurzfristig hereingeholten Geldes zinslos bei der Deutschen Bundesbank hinterlegen, so wie es generell bei hereingenommenen Kundengeldern geschehen muß."

2.3

Intrasententielle Erläuterungen

Als Beispiele für Erläuterungen des zuletzt genannten Typs könnten auch die in den beiden folgenden Sätzen mit einem * gekennzeichneten Ausdrücke angesehen werden: „Natürlich ist er ein echter jivan-mukta, [*] das heißt, er ist wirklich im nirvana und auf der Erde irgendwie nur aus Höflichkeit." (John Updike (1989): S. Reinbek bei Hamburg, 128) „/Ar Ashram-Name ist Mahima, [*] das bedeutet die 'Macht, zu gewaltiger Größe anzuschwellen und den Mond zu berühren." (Ebd.: 233) „Der Kurs der German Bonds, [*] das sind Terminkontrakte auf Bundesanleihen [*], stürzte von rund 90 auf 83 ab." (Der Spiegel Nr.8, 19.2.1990: 119)

Die durch 'das heißt', 'das bedeutet' bzw. 'das sind' eingeleiteten Erläuterungen unterscheiden sich von dem im vorherigen Abschnitt zuletzt angeführten Beispiel nur oberflächlich. Dennoch sollen auch sie hier zu den intrasententiellen Vorkommen der Erläuterungen gerechnet werden. Klarere Beispiele für intrasententielle Erläuterungen sind jedoch die folgenden. 2.3.1

Ausdrücke in Parenthese

Beispiele für Ausdrücke, denen ein eigenständiger illokutiver Status, und zwar der einer Erläuterung, zugeschrieben werden kann, sind die in den folgenden Sätzen in Parenthese stehenden: „Mein Bruder - das ist der, der bei der ersten Veranstaltung die Fleische Sekt gewonnen hat - läßt Sie grüßen." (Bassarak 1987: 166) „Konservative Senatoren wollen das derzeitige amerikanische Wahlgesetz - es läuft im kommenden Jahr aus - nicht verlängern ..." (Ebd.: 167) „Dann hatte er - schon seit langem auf der Jagd nach sinnlosen Rekorden - sein nasses Ziel erreicht." (Ebd.) „Da faselt ein Mr. May davon, daß man - gemeint sind abermals Millionen Werktätige - sich gefälligst an die Arbeitslosigkeit zu gewöhnen habe." (Ebd.: 169)

Wie an den beiden zuletzt genannten Beispielen zu sehen, hält der Umstand, daß der in Parenthese stehende Ausdruck elliptisch sein kann, letzteren nicht davon ab, einen eigenen Status zu haben. Als erläuternd können die in Parenthese gesetzten Ausdrücke insofern angesehen werden, als sie verständnisvertiefend sind; insofern, als die mit ihnen gemachten Aussagen konkretere oder zusätzliche Vorstellungen bezüglich dessen vermitteln, worauf sich ein Ausdruck in ihrem jeweiligen Gastsatz6 ('Mein Bruder', 'Wahlgesetz', 'er', 'man') 6

Zu diesem Terminus s. Schindler (1990: 2). Schindler spricht im Hinblick auf Sätze wie

Beobachtungen an

Erläuterungen

111

bezieht. Solche Vorstellungen sollen ein besseres, weil tieferes Verständnis des Gastsatzes ermöglichen. Daß einzelnen, in Parenthese stehenden Ausdrücken der Charakter einer (zusätzlichen) Aussage zukommen kann, betont auch Harweg, wenn er sagt: „dieser - schöne - Mann bedeutet 'dieser übrigens schöne Mann'. Diese parenthetischen Attribute sind, logisch-genetisch gesehen, keine Attribute, d.h. Wiederaufnahmen von Prädikaten, sondern selbst Prädikate, d.h. Erstaussagen, welche an ungewohnter Stelle stehen. Diese Stellung wird durch das sprachliche Mittel der Parenthese legitimiert, dessen phonologischer Ausdruck Pausensetzung und eine bestimmte Intonationskurve sind." (Harweg 1979: 35)

Eine für die Frage nach der funktionalen Eigenständigkeit von Ausdrücken, die als Gäste bzw. Hospitanten angesehen werden können, äußerst wichtige Unterscheidung findet sich bei Schindler (1990). Schindler, auf dessen Untersuchung an dieser Stelle lediglich hingewiesen werden kann, unterteilt solche 'Einschaltungen', wie sie in Sätzen wie (a) „Der Tiger, übrigens ein älteres Exemplar, maunzte Pia an" und (b) „Ein Tiger - wir haben sehr gestaunt! - spähte ins Zimmer" vorkommen, in Zusätze ((T)) und Einschübe ((L)). „EINSCHÖBE sind grammatisch betrachtet recht selbständig, nicht auf einzelne Gastsatzelemente bezogen, sondern eher auf den gesamten Gastsatz; sie können keinesfalls eine syntaktische Funktion im Gastsatz ausüben; sie weisen i.d.R. eine große Stellungsfreiheit auf und kommen sowohl zwischen den Gastsatz-Satzgliedern als auch meist links oder rechts des Gastsatzes vor. ZUSATZE sind auf ein Gastsatzelement (ein Bezugselement) bezogen und grammatisch weniger selbständig; ihre Stellungsmöglichkeiten sind begrenzter, die unmittelbare Adjazenz zum Bezugselement wird bevorzugt." (Schindler 1990: 6)

Ein Zusatz ist Schindler zufolge als eine funktionale Relation zwischen Spracheinheiten anzusehen, ein Einschub dagegen als eine konstruktionale Beziehung zwischen Gastsatz und (beispielsweise) Schaltsatz (vgl. ebd.). Die Unterscheidung Schindlers ist umfassender als die eher traditionelle Unterscheidung zwischen 'Apposition' und 'Parenthese' (vgl. ebd.: 7). Zumindest den Einschüben kann die hier zur Debatte stehende funktionale Eigenständigkeit mit Sicherheit zugeschrieben werden. 2.3.2

Lockere Apposition

Nicht nur verständnisvertiefend, sondern konstitutiv für ein adäquates Verständnis des Gastsatzes ist die mit einem * versehene lockere Apposition in Satz (3) der folgenden 'Kleinen Meldung' aus der F.A.Z., Nr. 82, vom 7.4.1987: 29: „[1] Wird die Wissenschaft unüberschaubar? fragt das 9. Konstanzer Symposion vom 14. bis zum 16. Mai. [2] Der Politologe Thomas Ellwein, der Psychologe Heinz Heckhausen und der Physiker Hans-Joachim Queisser erörtern die Organisation von Forschung und Lehre. [3] Hubert Markl, [*] der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, spricht über die disziplinare Struktur der Wissenschaftsftnanzierung." Kunibert Gschwendtner, übrigens ein Jurist, hat mich betrogen, von 'Hospitant' („übrigens ein Jurist") und 'Gastsatz' („Kunibert Gschwendtner hat mich betrogen.").

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Eckard

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Die sogenannte 'lockere' Apposition, die Eisenberg (1989: 254) zufolge auch in Parenthese stehen kann und dieser insofern nahezustehen scheint, vermittelt eine zusätzliche Information, die für ein adäquates Verständnis ihres Bezugsausdrucks im Gastsatz und mithin für diesen selbst relevant ist. 7 2.3.3

Nichtrestriktiver Relativsatz

Nichtrestriktive Relativsätze, Relativsätze wie das mit einem * gekennzeichnete Element des Satzes 'Claudia, [*] die demnächst aus Paris zurückkommt, nimmt bald ihr Studium in Amherst auf.', „werden in den Grammatiken meist 'explikative'/erläuternde Attribute genannt." (von Polenz 1985: 261) Von Polenz rechnet sie zu den 'nichtkennzeichnenden Bezugsstellen-Zusätzen' (ebd.) und bezeichnet sie als „E χ ρ 1 i k a t i ν e Zusätze (ERLÄUTERUNGEN)" (Ebd.: 262) Heringer weist darauf hin, daß in Fällen, wo ein Syntagma sowohl restriktiv (einschränkend) als auch nichtrestriktiv (erläuternd) gebraucht werden kann, dessen Bedeutung davon abhängt, „was der Sprecher für Annahmen darüber macht, was sein Partner schon weiß. Nimmt er an, das Referieren auf den gemeinten Gegenstand gelinge ohne die einschränkende Wirkung des Attributs und seinem Partner sei bekannt, daß der genannte Gegenstand die entsprechende Eigenschaft hat, dann kann er das Syntagma erläuternd gebrauchen. Er ruft sozusagen dem Partner nebenbei in Erinnerung, daß der Gegenstand diese Eigenschaft hat, macht also in gewissem Sinn zwei Behauptungen". (Heringer 1978: 106)

Ein nichtrestriktiver Relativsatz kann demnach als eine eigenständige Illokution angesehen werden; letztere könnte mit Hilfe der Bezeichnung 'Erläuterung' auf den Begriff gebracht werden. Daß sozusagen „innerhalb einer Satzäußerung [...] zwei illokutive Handlungen" (Bassarak 1987: 166) vollzogen werden können, wäre mithin generell in Rechnung zu stellen. Die Nähe der nichtrestriktiven bzw. explikativen Relativsätze zu den parenthetischen Attributen betont wiederum Harweg, und zwar im Anschluß an die oben zitierte Bemerkung. Harweg sagt: „Den parenthetischen Attributen gleichwertig sind explikative Relativsätze, und Relativsätze, die zweidimensionale Substituentia mit attributivem dieser näher bestimmen, sind gewöhnlich explikativ und sagen somit etwas Neues. Man denke u.a. an eine Substitution wie ein Mann: dieser Mann, der einen schwarzen Anzug trug. Determinative Relativsätze, welche bereits Erwähntes wiederaufnehmen, schließen sich demgegenüber im allgemeinen an Ausdrücke des Typus der Mann, ... an." (Harweg 1979: 35)

2.3.4

Angaben (im Sinne der Dependenzgrammatik)

Zu erwägen wäre in diesem Zusammenhang, ob nicht auch Angaben im Sinne der Dependezgrammatik, also sog. Angabesätzen wie als er in Köln ankam sowie Präpositionalgruppen und Adverbien wie in Köln bzw. blitzschnell, zumindest in Einzelfällen, der Status von Erläuterungen zugeschrieben werden kann. Daß es sich bei den Angaben um relativ eigenständige Ausdrücke han7

Die Annahme, daß Appositionen und Parenthesen eine erläuternde Funktion haben können, findet sich auch bei Starke (1982: 54f.).

Beobachtungen

an

Erläuterungen

113

dein könnte, ließe sich angesichts des ihnen im Hinblick auf den Elementarsatz nachgesagten fakultativen Charakters annehmen. 8 Wenn gesagt wird, wo ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat, warum, wie bzw. unter welchen Umständen es geschehen ist, wie etwas Bestimmtes gemacht wird oder wozu beispielsweise ein bestirnter Gegenstand dient, dann werden Angaben gemacht, genauer gesagt Orts-, Begründungs-, Zeit-, Bedingungs-, Art- und Zweckangaben (vgl. Heringer 1978: 61). Angaben dieser Art vermitteln, jedenfalls dann, wenn sie sozusagen 'nachgereicht' werden, Informationen, die zur Verarbeitung zuvor thematisierter Sachverhalte dienen. Letztere erfahren, insbesondere aufgrund eines Lokal-, Temporal-, Konditional-, Kausal-, Konzessiv-, Konsekutiv- bzw. Modalsatzes, mit dem ein jeweils anderer Sachverhalt benannt wird, eine bestimmte, in unserer Sprachgemeinschaft übliche Dimensionierung, eine Dimensionierung, die eine verständnisvertiefende 'Lokalisierung' des zuvor thematisierten Sachverhalts, ihres Bezugssachverhalts, ermöglicht. Wenn wir wissen, wo, wann, unter welchen Bedingungen, auf welche Art und Weise, mit welchen Folgen bzw. warum beispielsweise ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat, können wir uns genauere Vorstellungen von diesem Ereignis machen. Damit sie hervorgebracht werden, muß auf Seiten des Sprechers eine vermehrte Aktivität stattfinden, eine Aktivität, die, funktional gesehen, als Erläuterung bezeichnet werden könnte - und das nicht zuletzt wegen ihrer verständnisfördernden Wirkung.

3.

Was leisten Erläuterungen?

Um verstehen zu können, wovon die Rede ist, dazu bedarf es oftmals zusätzlicher Informationen. Wenn ein Sprecher annimmt, daß auf Seiten des Hörers bestimmte, für das Verständnis eines (zuvor thematisierten) Bezugssachverhalts wesentliche Kenntnisse de facto nicht vorhanden sind, dann wird der Sprecher - unter der Voraussetzung, daß er ein hinreichendes Verständnis seiner vorherigen Äußerung beabsichtigt - um die Übermittlung entsprechender Kenntnisse bemüht sein. Der Sprecher wird eine Erläuterung geben. Erläuterungen vermitteln zusätzliche Kenntnisse, sie übermitteln Wissensinhalte, die dazu dienen, andere Sachverhalte überhaupt oder besser zu verstehen. Erläuterungen können für das Verständnis eines bestimmten, zuvor in der Regel bereits dargestellten oder benannten Sachverhalts konstitutiv sein, zumindest aber vertiefen sie es. Erläuterungen dienen also zur Konstitution, 8

Im Hinblick auf einen Angabesatz wie den in den Satz „Ein Geist, ah es Mitternacht schlug, schwebte ins Zimmer" eingebetteten, also im Hinblick auf „als es Mitternacht schlug" spricht Schindler (1990: 6) von Mustern „ohne Bezugselement unterhalb der Satzebene [...], die einschubartig sind, jedoch im Gastsatz eine syntaktische Funktion erfüllen könnten" und aufgrund einer solchen „potentiellen Integrierbarkeit [...] als SATZZUSATZE eingestuft werden" sollten. Zu fragen wäre nun, ob die vermeintliche Eigenständigkeit eines solchen Angabesatzes wirklich abhängig ist von seiner potentiellen Integrierbarkeit in einen Trägersatz.

114

Eckard

Rolf

zur Vertiefung, zur Verankerung bzw. zur Sicherung des Verstehens, und sie tun dies dadurch, daß sie (zusätzliche) Wissensinhalte übermitteln. Verstehen und Wissen stehen in folgendem Verhältnis zueinander: Je mehr jemand über eine bestimmte Sache weiß, desto mehr versteht er von ihr; je mehr er über eine bestimmte Sache weiß, desto besser versteht er auch Äußerungen, die sich auf sie beziehen. „Verstehen läßt [...] [zudem] Abstufungen zu. Ein geringes Wissen über ein Symbol und seinen Kontext kann ein bescheidenes Verstehen dessen bewirken, was das Symbol repräsentiert. [...] Je größer unser Vorrat an relevantem Wissen ist, um so größer sind unsere Reserven (und folglich unsere Aussichten) für das Verstehen dessen, was das Symbol repräsentiert." (Goodman/Elgin 1989: 160)

Die Existenz und die zuweilen zu empfindende Unentbehrlichkeit von Erläuterungen scheint, darauf sei an dieser Stelle aufmerksam gemacht, für unseren Umgang mit Eigennamen nicht unerheblich zu sein. Es ist möglich, daß die Bedeutung eines solchen Namens, wie Kripke (1981) darzulegen versucht hat, nicht in einer Beschreibung oder einem Bündel von Beschreibungen besteht; hinsichtlich des Verstehens von Namen bzw. hinsichtlich des Verstehens von Sätzen, die Eigennamen enthalten, wird man aber nichtsdestotrotz annehmen müssen, daß es hierzu oftmals der Übermittlung zusätzlicher Kenntnisse über der benannten Gegenstand bedarf - zusätzlicher Kenntnisse, wie sie gerade mit Hilfe von Beschreibungen und Erläuterungen vermittelt werden. Die Existenz von (Beschreibungen und) Erläuterungen macht deutlich, daß man „um zu wissen, daß ein Name der Name [...] [eines bestimmten] Gegenstands ist irgendeine ändert Repräsentation dieses Gegenstands haben [muß], eine, die unabhängig davon ist, daß man bloß den Namen hat." (Searle 1987: 288) Erläuterungen - auch das sei an dieser Stelle kurz angedeutet - weisen eine gewisse Ähnlichkeit auf zu einer bestimmten Art von Definition, und zwar zu der feststellenden (im Unterschied zur festsetzenden) Definition. Ein Beispiel für eine feststellende Definition ist: „Unter 'Kausalprinzip' versteht man in der Philosophie die Annahme, daß jede Veränderung eine Ursache hat." (von Savigny 1973: 23) Ein Beispiel für eine festsetzende Definition wäre demgegenüber: „Unter 'Kausalprinzip' will ich die Annahme verstehen, daß jedes Ereignis aus geeigneten Daten wenigstens mit Wahrscheinlichkeit voraussagbar ist." (Ebd.) Die Ähnlichkeit zwischen Definitionen und Erläuterungen wird nicht sonderlich überraschen. Denn: Auch Definitionen dienen im allgemeinen - wenn auch nicht der Vertiefung, so doch - der Sicherung eines bestimmten Verständnisses. Von Explikationen scheinen Erläuterungen hingegen unterschieden werden zu müssen. Letzteres jedenfalls dann, wenn man eine Explikation im Sinne von Carnap als ein Unternehmen versteht, welches die Eigenschaft hat, substitutiv zu sein. Erläuterungen sind, anders als Explikationen, nicht-substitutiv. Einer Explikation schreibt Carnap die Aufgabe zu, „einen vagen oder nicht ganz exakten Begriff, der im Leben des Alltags oder auf einer früheren Stufe der wissenschaftlichen oder logischen Entwicklung gebraucht wird, exakter

Beobachtungen

an

Erläuterungen

115

zu machen oder ihn vielmehr durch einen neu gebildeten, exakteren Begriff zu ersetzen" (Carnap 1947/dtsch. 1972: 10).

Erläuterungen (der bisher charakterisierten Art) weisen einen solchen fortschrittsorientierten Zug nicht auf; sie sind eher konservativ - bloße Feststellungen, beispielsweise über den vorherrschenden Sprachgebrauch. 9

4.

Zum Status von Erläuterungen

Erläuterungen übermitteln Wissensinhalte. Zu ihren Erfolgsbedingungen gehört, daß ihr Adressat weiß, was ihm übermittelt werden soll. Mit Wunderlich (1976: 346) ließe sich von den Erläuterungen sagen, daß sie „zur Organisierung der Verstehensprozesse der Zuhörer [...] [beitragen, d.h.] als Zeichen verstanden werden müssen, die ihrerseits bestimmte Informationen vermitteln." Erläuterungen scheinen so etwas wie Informationshandlungen zu sein. Sie weisen Ähnlichkeiten auf zu Mitteilungen, Erinnerungen, Benachrichtigungen, Hinweisen, also zu Arten der Informationsübermittlung, deren Aufrichtigkeitsbedingung zufolge von dem jeweiligen Sprecher anzunehmen ist, daß er (selbst) (nicht lediglich glaubt, sondern) weiß, was er zu übermitteln versucht. Zu den vorbereitenden Bedingungen von Erläuterungen - und das unterscheidet sie von den Mitteilungen etc. - gehört, daß zuvor etwas Bestimmtes gesagt (oder geschrieben) sein muß, also bevor sie ins Spiel kommen. In dieser Eigenschaft weisen die Erläuterungen Ähnlichkeiten auf beispielsweise zu Präzisierungen, Konkretisierungen, Spezifizierungen, Relativierungen, Verdeutlichungen und Ergänzungen. Das heißt: Erläuterungen sind grundsätzlich relationaler Art. Sie beziehen sich auf eine andere, und zwar auf eine vorhergehende Äußerung. Isoliert betrachtet mag eine Äußerung, die als Erläuterung aufgefaßt werden kann, z.B. auch als Mitteilung oder Hinweis interpretiert werden. Geschieht das aber, dann wird der relationale Charakter der entsprechenden Äußerung nicht erfaßt. Sind sie als Handlungen aufzufassen, die Erläuterungen? Daß sie als Handlungen bzw. als illokutionäre Akte interpretiert werden können, dürfte man, wenn überhaupt, dann wohl am ehesten von ihren int ratext uellen Vorkommensvarianten sagen können, also z.B. von einzelnen Sätzen, die in einem Text vorzufinden sind bzw. in einem Gespräch geäußert werden. Einer bei Vanderveken (1990) näher dargelegten Sichtweise zufolge verhält es sich auch mit einem solchen Satz so: „every sentence expresses a complete illocutionary act with respect to each possible context of utterance." (Ebd.: 8) Von den jniertextuellen 9

Ein anderes, den Erläuterungen näher stehendes Verständnis von Explikationen findet sich bei Meyer (1983: 116), dem zufolge die „Explikation abstrakter Begriffe durch komplexere SachVerhaltsdarstellungen [...] die häufigste Form der Explikation" ist. Gülich/Kotschi vertreten eine ähnliche Sichtweise, wenn sie sagen: „Unter 'Explikation' sollten sinnvollerweise nur diejenigen expansiven Paraphrasen gefaBt werden, in denen der Bezugsausdruck aus einem (meist an die Form eines mehr oder weniger spezialsprachlichen Terminus oder Pseudoterminus gekoppelten) abstrakten Begriff besteht, der durch eine im Reformulierungsausdruck enthaltene komplexere Sachverhaltsdarstellung 'definiert' wird." (Gülich/Kotschi 1987: 241)

116

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Vorkommensvarianten der Erläuterungen wird man hingegen nicht so einfach sagen wollen, sie würden als (eigenständige illokutive) Handlungen aufzufassen sein: Texte sind nicht einfach als Handlungen anzusehen (s. dazu Rolf 1993: 35fF.). Den intersententiellen Vorkommensvarianten der Erläuterungen könnte Handlungsstatus attestiert werden, wenn zugestanden wird, daß bestimmten einzelnen Bestandteilen von Sätzen so etwas wie eine Handlungsqualität zukommen kann. Ohne den Versuch einer Auseinandersetzung mit Problemen der soeben benannten Art an dieser Stelle in Angriff nehmen zu wollen - daß Texten, zumal Gebrauchstexten, als Ganzen so etwas wie eine illokutive Funktion zuzuschreiben ist, soll hier unterstellt werden (s. auch Rolf 1993); und daß Sätze Einheiten enthalten können, denen eine von der kommunikativen Funktion des gesamten Satzes zu unterscheidende, eigenständige Funktion zugeschrieben werden kann, auch das ist hier darzulegen versucht worden. Daß die Parenthesen (bzw. Einschübe) „als eigenständige Äußerungen anzusehen" (Bassarak 1987: 164) sind und daß mit ihnen „gegenüber ihren Trägersätzen eigenständige illokutive Handlungen vollzogen werden" (ebd.: 166), davon kann ausgegangen werden. Erläuterungen transferieren Wissen; sie machen Wissensinhalte zugänglich, die ein besseres Verstehen eines zuvor thematisierten Inhalts ermöglichen sollen. Erläuterungen dienen der Verstehensoptimierung. Sie dienen dem Verstehen eines zuvor übermittelten Inhalts, nicht aber, wie beispielsweise Begründungen (vgl. Motsch/Pasch 1987: 18f.), dem Akzeptieren einer zuvor realisierten Handlung. Unter anderem aufgrund ihrer verständnissichernden und -vertiefenden Wirkung sind Erläuterungen eng verwandt mit Paraphrasen. Sie fallen mit letzteren sogar zusammen, wenn sie mit Ausdrücken wie das heißt, das bedeutet, ... meint oder anders gesagt, also mit 'Paraphrasen-Indikatoren' (vgl. dazu Gülich/Kotschi (1987: 227)), eingeleitet sind. Erläuterungen können aber nicht grundsätzlich - im Sinne von Gülich/Kotschi (1987) - als 'Reformulierungshandlungen', und sie können auch nicht grundsätzlich als 'Textkonstitutionshandlungen' angesehen werden. Ersteres nicht, weil sie nicht grundsätzlich in der erneuten oder nochmaligen Formulierung eines zuvor bereits geäußerten Inhalts bestehen; letzteres zumindest dann nicht, wenn sich erhärten lassen sollte, daß den Erläuterungen der Charakter einer (von den sog. Textkonstitutionshandlungen Gülich/Kotschi (1987: 210fF.) zufolge zu unterscheidenden) illokutiven Handlung generell zugesprochen werden kann. Literatur Bassarak, A. (1987): Parenthesen als illokutive Handlungen. In: Mötsch (Hg.) (1987), 165178. Carnap, R. (1947/dtsch. 1972): Bedeutung und Notwendigkeit. Eine Studie zur Semantik und modalen Logik. Wien. Eisenberg, P. (1989): GrundriS der deutschen Grammatik. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart. Genette, G. (1989): Paratexte. Frankfurt.

Beobachtungen an Erläuterungen

117

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3.

Die E b e n e der Illokutionsstruktur

BÄRBEL TECHTMEIER

Akzeptanzstützung als textstrukturierendes Prinzip 1.

Vorbemerkung

In einer noch nicht allzu lange zurückliegenden kontroversen Diskussion zwischen 'Grammatikern' und 'Pragmatikern' meinte ein Vertreter der erstgenannten Richtung, daß sich die Forschungen zur Pragmatik - womit offenbar alle wissenschaftlichen Arbeiten gemeint waren, die (außerhalb eines stringenten Grammatikmodells) zur Funktionalität der Sprache in der natürlichen Kommunikation durchgeführt wurden - in einem Zustand befänden, der der Periode der Sammler und Jäger entspräche, während die Grammatikforschung inzwischen doch zumindest das Niveau einer höfischen Kultur erreicht habe. Wie das oft mit dergleichen Bildern geschieht, zog sich dies wie ein roter Faden durch die folgende Diskussion, die dadurch eher den Charakter eines Schlagabtausche annahm als den einer Problemanalyse. Sieht man einmal von der zweifellos ironischen Zuspitzung ab, die in einer solchen Aussage steckt, sollte dieser Vergleich doch zum Nachdenken anregen und das in doppelter Hinsicht: Nachdenken sollten die 'Pragmatiker' darüber, ob die durch einen solchen Vergleich ausgedrückte Kritik an einer bislang unbefriedigenden theoretischen Modellierung ihres Gegenstandsbereichs nicht eine gewisse Berechtigung hat. Empirische Einzelfallstudien, die oftmals wie 'intelligentes Paraphrasieren' des kommunikativen Geschehens wirken, verzichten nicht selten auf den Versuch einer theoretischen Reflexion der Grundlagen für diese empirischen Studien, gelegentlich wird ein solches 'theorieloses' Vorgehen sogar programmatisch begründet. Andererseits widerspiegeln theorieorientierte universalpragmatische Arbeiten die empirische Wirklichkeit in ihrer Vielfalt oftmals nur über sehr viele Vermittlungsstufen hinweg. So machen sich (um nur ein Beispiel zu nennen) die wenigsten 'Theoretiker' Gedanken darüber, wie man von der abstrakten Diskussion über Sinn und Stellenwert des universalen Grice'schen Kooperationsprinzips und der von ihm zu ihrer Realisierung benannten Maximen zu einer durchaus auch einzelsprachlich differenzierten Darstellung der Konsequenzen gelangt, die dieses Prinzip für die Gestaltung konkreter Texte im Rahmen bestimmter konventionalisierter Textmuster (Textsorten) haben könnte. Eine stärkere Integration von theoretischer Reflexion einerseits und empirisch orientierter Erkundung einzelsprachlicher kommunikativer Wirklichkeit andererseits scheint deshalb unumgänglich. Zum Nachdenken verpflichtet sind jedoch auch die 'Grammatiker', die bei Vorwürfen, wie den eingangs beschriebenen, oftmals nicht den Unterschieden Rechnung tragen, die gegenstandsbedingt zwischen grammatischer Forschung einerseits und Forschungen zu Texten andererseits - seien diese nun einer stärker strukturellen, 'produktorientierten' oder einer vorwiegend dynamischen, 'prozeßorientierten' Sehweise verpflichtet - bestehen: Während der Grammatiker für die meisten der ihn interessierenden Probleme auf relativ kontextfreie Einzelbelege zurückgreifen kann, die er als Angehöriger ei-

122

Bärbel

Techtmeier

ner bestimmten Sprachgemeinschaft natürlich auch seiner eigenen Kompetenz entnimmt, ist der Pragmatiker (Sprechakttheoretiker, Gesprächsanalytiker, Textlinguist) in wesentlich größerem Maße auf die Beobachtung und Analyse komplexer Interaktionsverläufe und der in ihrem Ergebnis entstehenden sprachlichen Produkte, der Texte (Diskurse), angewiesen. Die Tätigkeit als 'Sammler und Jäger' ist deshalb auch nicht allein aus einem wissenschaftsgeschichtlich begründeten Theoriedefizit heraus erklärbar, sondern sie ist durchaus auch gegenstandsspezifisch. Problematisch wird sie m.E. erst dann, wenn auf die Suche nach mehr oder weniger allgemeingültigen Prinzipien/Maximen/Regeln/Normen bewußt oder unbewußt verzichtet wird. Das Problem der Akzeptanzstützung und der mit ihr verbundenen textuellen Konsequenzen scheint wie kaum ein anderes geeignet zu sein, die Notwendigkeit eines einerseits theoriegeleiteten und andererseits empirisch begründbaren Vorgehens bei der 'pragmatischen Analyse' komplexer Außerungsfolgen (der Texte) zu dokumentieren. Der folgende Beitrag umfaßt deshalb auch eine theoretische Erörterung der mit der Akzeptanzstützung prinzipiell verbundenen Probleme und eine empirische Fallstudie. Letztere wird deutlich machen, daß einerseits die im Ergebnis einer theoretischen Erörterung entwickelten Kategorien und Taxonomien akzeptanzstützender Äußerungen einen Orientierungsrahmen für die empirische Analyse konkreter Interaktionsverläufe bilden, daß andererseits aber auch die 'empirische Einmaligkeit' des konkreten Geschehens zu einer komplexeren Beschreibung des Phänomenbereichs dazugehört. Als Grundlage für die empirische Analyse wird dabei ein Gruppengespräch gewählt, das auf Grund seines dialogischen und zugleich hoch kontroversen Charakters eine geeignete Datenbasis für das zu analysierende Phänomen bietet (vgl. Punkt 3).

2.

Akzeptanzstützung - eine Begriffsbestimmung

2.1

Eine Strategie und ihre textuellen Konsequenzen

Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, daß die Schwierigkeiten, die sich bei der konkreten Textanalyse - und in besonderem Maße bei der Dialoganalyse 1 ergeben, nicht unwesentlich daraus resultieren, daß sich in Texten die Vielfalt der Aspekte und Faktoren spiegelt, die auf die Textproduktion Einfluß nehmen. Strategische Momente und (wechselseitige) antizipatorische Aktivitäten schlagen sich in diesen Produkten ebenso nieder wie mehr oder minder konventionalisierte Normen/Maximen interaktionalen Handelns. Textstrukturen sind deshalb auch immer als Ergebnis des Wirkens unterschiedlicher Einflußfaktoren zu interpretieren. Ein wesentliches strategisches Moment ergibt sich dabei daraus, daß die Textproduzenten letztlich natürlich den Erfolg ihrer jeweiligen kommunikativen Handlung anvisieren und große Anstrengungen unternehmen, um diesen auch zu erreichen. Die Erfolgsorientiertheit ist neben der Zielabhängigkeit die zweite 1

Im folgenden wird 'Text' immer sowohl im Sinne von 'schriftlicher monologischer Text' als auch von 'mündlicher dialogischer Text'verwendet.

Akzepianzstülzung

als iexlsirvkiuriertnies

Prinzip

123

wesentliche Determinante kommunikativen Handelns: Sie führt dazu, daß sich der Produzent einer Äußerung immer wieder die Frage nach der Akzeptanz seines eigenen Handelns für den Partner stellt und daß er spezielle Strategien entwickeln muß, die man akzeptanzstützende Strategien (ASS) nennen könnte. Voraussetzung für eine adäquate akzeptanzstützende Strategie ist dabei die Korrektheit der Annahmen, die der Sprecher über mögliche Erfolgsbedingungen beim Partner macht, im Sinne der Antizipation einer noch nicht erfolgten Reaktion beim Rezipienten (vgl. dazu u.a. Zimmermann 1984, Techtmeier 1984) beziehungsweise der richtigen Interpretation einer bereits erfolgten Reaktion. Wollte man diese entscheidenden Aktivitäten für eine 'akzeptanzorientierte Außerungsplanung' systematisieren, so könnte man die folgenden strategischen Fragen formulieren: - Wie kann ich das, was ich bei dir erreichen will, auch wirklich erreichen? (vgl. auch Leech 1983) - Welche Annahmen muß ich dafür über deine spezifischen Rezeptionsbedingungen machen? Die Akzeptanzorientiertheit kommunikativen Handelns läßt sich an allen Phasen des Textproduktionsprozesses nachweisen, angefangen von der Herausbildung bestimmter Intentionen, über die Entscheidung für bestimmte propositionale Gehalte, bis hin zur Entscheidung für bestimmte Verbalisierungsvarianten. Diese - letztlich natürlich nur mit psycholinguistischen Mitteln beweisbaren strategischen Aspekte des Kommunizierens haben aber erhebliche Konsequenzen für die entstehenden Texte. Sie wirken sich auf die 'Gestalt' der einzelnen Äußerungen aus, die im Vollzug der Zielrealisierung produziert werden; solche Reflexe finden sich: - im Handlungscharakter der jeweiligen Äußerung; es kann sich z.B. um einen indirekten Sprechakt handeln, der einem direkten vorgezogen wurde, weil S ihn für akzeptanzförderlicher hielt, für imageschonender etc.; - im propositionalen Gehalt der jeweiligen Äußerung; so können z.B. bestimmte Sachverhalte - im Ergebnis der strategischen Erwägungen von S - expliziert und andere nur präsupponiert sein; - in der verbalen Formulierung der jeweiligen Äußerung; bestimmte Formulierungsmerkmale, wie Euphemismen, Abtönungspartikel etc. sind häufig anzutreffen, denen in einer Sprachgemeinschaft eine solche empfängerorientierte positive Wirkung zugesprochen wird; man kann in diesem Zusammenhang von 'akzeptanzstützenden Formulierungsaspekten' (ASF) sprechen (vgl. zu diesen Formulierungsaspekten auch Gülich 1992); - in bestimmten paraverbalen und nonverbalen 'Begleitaktivitäten' (ASB); eine Kritik wird z.B. nicht selten durch ein 'kooperatives Lachen' abgesichert; - im Textaufbau, d.h. in einer 'erfolgsorientierten' Anordnung der einzelnen Äußerungen: So werden z.B. als bedrohlich für den Erfolg eingestufte, im Interesse der eigenen Zielrealisierung dennoch als notwendig empfundene Äußerungen nicht am Anfang eines Textes auftauchen, sondern nach einer

124

Bärbel

Techtmeier

verbalen 'Einstimmung' des Partners; es geht hierbei also um eine akzeptanzstützende Linearisierung (ASL). Damit sind die Konsequenzen dieser allgemein anzunehmenden Akzeptanzorientiertheit kommunikativen Handelns jedoch noch immer nicht hinreichend beschrieben: Analysiert man Texte allgemein und dialogische speziell, so stellt man fest, daß es Äußerungen gibt, die auf eine spezifischere Weise mit diesem Prinzip verbunden sind, deren primäre Funktion eben genau darin besteht, die Akzeptanz anderer Äußerungen oder ganzer Text-/Dialogsequenzen abzustützen. Diese seien im folgenden 'akzeptanzstützende Handlungen' (ASH) genannt. 2 Von solchen ASH kann man in einem lokalen und in einem globalen Sinne sprechen: Lokale ASH stützen direkt vorausgehende oder nachfolgende verbale Handlungen im Sinne des 'modifizierten Adjazenzprinzips' (vgl. Mötsch in diesem Band), sind also subordinierte Illokutionen innerhalb von Handlungsstrukturen (vgl. Punkt 2.2); globale ASH stützen die Akzeptanz ganzer Sequenzen, d.h. ihr Bezugspunkt ist nicht eine einzelne, sie jeweils unmittelbar dominierende andere Äußerung, sondern das komplexere interaktionale Geschehen, wodurch sie auch einen anderen Status in der Textstruktur erhalten (vgl. Punkt 2.3). Zwischen der akzeptanzstützenden Strategie (ASS) einerseits und den akzeptanzstützenden Formulierungsvarianten (ASF), den para- und nonverbalen Begleitaktivitäten (ASB), der akzeptanzstützenden Anordnung der einzelnen Äußerungen (ASL) und den speziellen akzeptanzstützenden Handlungen (ASH) andererseits besteht nun die folgende Beziehung: ASS ist immer der 'Auslöser' für ASF, ASB, ASL und vor allem für ASH; ASF, ASB, ASL und ASH sind textuelle Konsequenzen der gleichen Strategie. Hieraus erklärt sich auch der empirisch nachweisbare Tatbestand, daß die mit ASF, ASB, ASL und ASH umschriebenen Phänomene häufig zusammen auftreten: Spezielle ASH werden beispielsweise selbst 'empfängerfreundlich' formuliert und stützen - im Falle der lokalen ASH - dominierende Äußerungen, die das gleiche Charakteristikum aufweisen. Nicht selten gehen solchen Strukturen darüber hinaus auch noch globale ASH voraus wie in dem folgenden Beispiel (vgl. auch die Fallstudie in Punkt 3): 1 (a) Entschuldige bitte, daß ich dich störe. (b) Ich weiß, du hast wahrlich andere Sorgen. (c) Aber du müßtest doch versuchen, das Problem zu lösen. (d) Wie sollten wir sonst

weiterkommen?3

2

Wir reden von 'Äußerungen' als Elementen eines Textes, von 'Handlungen', wenn diese Äußerungen unter ihrem spezifischen Handlungsaspekt betrachtet werden.

3

Im folgenden werden die Beispiele durchnumeriert. Umfaßt ein Beispiel mehrere Äußerungen, erhalten diese eine Buchstabenmarkierung. Bei dialogischen Passagen werden die Gesprächsschritte numeriert, die Buchstabenkennzeichnung bezieht sich dann auf einzelne Gesprächsakte. Mit Α werden zusätzlich Paraphrasierungen bezeichnet.

Akzeptanzstützung

als textstrukturierendes

Prinzip

125

1 (a) und (b) können als globale ASH bezeichnet werden, mit denen der Sprecher S die Bereitschaft seines Hörers Η fördern will, an der folgenden Kommunikation überhaupt teilzunehmen (SEI BEREIT, DICH AUF DAS FOLGENDE EINZULASSEN, AUCH WENN ES DIR UNGELEGEN KOMMT). 1 (c) markiert die eigentlich dominierende Handlung einer Aufforderung (DU SOLLST X TUN), während 1 (d) die Aufforderung in 1 (c) direkt stützt (DENN X IST DIE VORAUSSETZUNG FÜR Y). Die einzelnen unter 1 (a)-(d) aufgeführten Äußerungen, die auch eine akzeptanzstützende Linearisierung aufweisen (zuerst die globale Einstimmung, dann der Ubergang zum eigentlichen Anliegen) und im Kern auch eine durch die ASS determinierte Illokutionsstruktur (1 (d) ist lokal akzeptanzstützend gegenüber 1 (c) ), sind selbst auch auf eine Weise formuliert, die Ausdruck der gleichen akzeptanzstützenden Strategie ist: 1 (a): expliziter Ausdruck einer Entschuldigung; Einsatz des Lexems bitte·, (b): Thematisierung der Kenntnis davon, daß S mit seinem Anliegen Η ungelegen kommt; Einsatz des - eine gewisse emotionale Anteilnahme ausdrückenden - Lexems wahrlich; (c): Thematisierung der Kenntnis davon, daB die Aufforderung durch Η nicht leicht zu erfüllen sein wird (ausgedrückt durch das Lexem versuchen); Einsatz der als höflich geltenden Konjunktiv II-Form des Modalverbs müssen/ müßten; Einsatz der Abtönungspartikel doch; (d): Thematisierung des gemeinsamen Interesses an einer Problemlösung, für die die Erfüllung der in 1 (c) formulierten Aufforderung die Voraussetzung ist (ausgedrückt durch die WtV-Form des Satzes); Wahl des Satztyps (rhetorische) Frage, die als 'akzeptanzforderlich' gelten kann.

Daß die genannten Merkmale eine solche Funktion haben, läßt sich leicht zeigen, wenn man weniger akzeptanzförderliche Kommunikationsvarianten konstruiert: 1A: (a) Hör zu! (b) Kläre endlich das Problem! (c) Das hättest du längst tun sollen.

In dem folgenden Text, der neuerdings in großen Supermärkten den Käufern zur Kenntnis gebracht wird, lassen sich gleichfalls unterschiedliche Spuren der gleichen ASS nachweisen: 2: (a) (b) (c) (d)

Wir machen mit! [Fettdruck rot] Unser Geschäft beteiligt sich am Dualen System, Wir nehmen daher in unseren Geschäftsräumen keine Verkaufspackungen zurück. Bitte geben Sie gebrauchte Verkaufspackungen in die Wertstoffsammlung.

Von besonderem Interesse ist in diesem Beispiel die akzeptanzstützende Linearisierung (ASL): 2 (a), (b), (c) dienen der Vorbereitung der dominierenden Handlung 2 (d), mit der aufgefordert wird (DU SOLLST X TUN). 2 (c) ist eine ASH der Begründung für 2 (d) (WEIL Y). 2 (a) und (b) sind als ASH zu interpretieren, die eine positive Motivation für die Rezeption von 2 (c) und (d) erzeugen sollen (WIR TUN Z), wobei Ζ etwas positiv Bewertetes darstellt und 2 (b) als Erläuterung zu 2 (a) verstanden werden kann. 4 Die dominierende Hand4

Es wird dabei von einer koordinativen Verknüpfung von (a) und (b) ausgegangen; es ist allerdings auch vorstellbar, daB (b) als verstehensstützende subsidiäre Handlung zu (a) aufgefaBt wird; vgl. die Ausführungen zu 'Erläuterungen'.

126

Bärbel

Techtmeier

lung 2 (d) wird also durch mehrere ASH vorbereitet. Geht man aber nun bei der Analyse dieses Textes in die Tiefe, so stellt man fest, daß es weitere Spuren der ASS gibt. Die interessantesten erschließen sich erst, wenn man den Kontext einbezieht, in dem dieser Text steht: Er wurde produziert, nachdem wenige Monate zuvor den Käufern das Recht eingeräumt worden war, sogenannte Umverpackungen im Supermarkt selbst zurückzulassen. Es geht also darum, nach Einführung des Dualen Systems diese Erlaubnis zurückzunehmen. 2 (d) hätte folglich ergänzt werden können durch: Bitte hinterlassen Sie Verkaufsverpackungen nicht mehr in unseren Geschäftsräumen. Damit erweist sich die dominierende Handlung (zumindest teilweise) als Aufforderung zur Unterlassung einer Handlung (DU SOLLST X NICHT MEHR TUN). 5 Darüber hinaus zeigt sich, daß die gesamte Struktur Ergebnis einer solchen ASS ist: 2 (c), das eigentlich eine Begründung für 2 (d) ist (Geben Sie gebrauchte Verkaufsverpackungen in die Wertstoffsammlung, weil wir in unseren Geschäftsräumen keine Verkaufsverpackungen mehr zurücknehmen), wird textgrammatisch an 2 (a) und (b) gebunden (Unser Geschäft beteiligt sich am Dualen System, daher nehmen wir in unseren Geschäftsräumen keine Verkaufsverpackungen zurück). Das hat seinen Grund darin, daß der Text so gestaltet ist, als ob 2 (a) die dominierende Handlung verkörpere, was auch durch den Fett- und Farbdruck, der dieser Äußerung den Charakter einer Überschrift verleiht, sowie durch das Ausrufezeichen unterstrichen wird. Ein Strukturvergleich macht das indirekte Vorgehen des Textproduzenten deutlich: Eigentliche Illokutionsstruktur (d) weil I (c) weil I W /(b)

Oberflächenstruktur (a) /(b) daher I (c) daher I (d)

Die akzeptanzstützende Funktion dieses indirekten Vorgehens im Falle einer - u.U. negative Reaktionen beim Rezipienten hervorrufenden - Aufforderung liegt auf der Hand. Da nicht selten von denjenigen, die eine engere Auffassung von der Kommunikation vertreten, Analysen zu Akzeptanzphänomenen generell in Frage gestellt werden, sei noch folgendes unterstrichen: Die Auflistung möglicher akzeptanzfördernder Varianten sagt nichts, aber auch rein gar nichts über den tatsächlich eintretenden Effekt aus. Diesen könnte man mit linguistischen Analyse- und Beschreibungskategorien auch keinesfalls erfassen, wenn er sich überhaupt wissenschaftlich erfassen läßt. Allenfalls handelt es sich um - in einer Sprachgemeinschaft mehr oder minder konventionalisierte

5

So wurde dieser Text auch rezipiert: Auf eine entsprechende Frage nach dem Sinn des Aufrufs antwortete eine Kassiererin: Na, Sie können die Verpackungen nun nicht mehr hierlassen, die werden nicht mehr abgeholt..

Akzeptanzstüizung als tezlstnikturierendes Prinzip

127

- Möglichkeiten der Textgestaltung, von denen der Sprecher mit einer gewissen Berechtigung annehmen kann, daß sie seiner Zielrealisierung dienlich sind. 2.2

Lokale akzeptanzstützende Handlungen

2.2.1 Wenn im Titel dieser Ausführungen von Akzeptanzstützung als 'textstrukturierendem Prinzip' gesprochen wird, so bezieht sich dies vor allem auf den als ASH bezeichneten Phänomenbereich: Eine textstrukturierende Wirkung geht - neben den nicht so häufig zum Tragen kommenden und demzufolge auch nicht ganz so wichtigen ASL - eben vor allem von den speziellen verbalen Handlungen zur Akzeptanzstützung aus. Das bedeutet andererseits nicht, daß die ASF für den Charakter der entstehenden Texte weniger bedeutsam wären; nur prägen sie den Charakter des jeweiligen Textes nicht in strukturbildender Weise. Unter den ASH kommt den als 'lokale ASH' bezeichneten wiederum eine Schlüsselrolle zu: Sie bilden eine wichtige Gruppe der stützenden subsidiären sprachlichen Handlungen, die - zusammen mit den sie jeweils dominierenden - hierarchische Strukturen (Illokutionsstrukturen) eines Textes entstehen lassen. Deshalb kann man bei einer genaueren Charakterisierung dieser als 'lokale ASH' bezeichneten speziellen Äußerungen und der Diskussion ihrer Stellung in der Textstruktur die Erkenntnisse heranziehen, die bislang in bezug auf die Handlungsstruktur von Texten gewonnen wurden. Den Hintergrund für die Entstehung von Handlungsstrukturen (Illokutionsstrukuren) bilden (nach Mötsch 1987: 58) die folgenden generellen Erfolgsbedingungen für illokutive Handlungen: „(GEB 1) Der Hörer versteht die Absicht, die der Sprecher mit der Äußerung (ä) verfolgt (Verstehensbedingung). (GEB 2) Der Hörer akzeptiert die vom Sprecher verfolgte Absicht. Er ist bereit, die intendierte Reaktion herbeizuführen (Akzeptierensbedingung). (GEB 3) Der Hörer ist in der Lage, die vom Sprecher intendierte Reaktion auszuführen (Ausfuhrbarkeitsbedingung)."

Sie sind letztlich die Ursache dafür, daß Stützungshandlungen auf lokaler Ebene überhaupt vollzogen werden, wenn S davon ausgehen muß, daß eine der genannten drei Bedingungen für das Gelingen einer jeweils dominierenden Handlung nicht unbedingt gewährleistet ist: verstehensstützende, wenn GEB 1 in Gefahr ist, akzeptanzstützende bei Problemen hinsichtlich der Bedingung GEB 2, die Ausführung stützende im Zusammenhang mit GEB 3 (auf GEB 3 zurückgehende Stützungshandlungen treten allerdings nicht bei allen Illokutionstypen auf, sie sind vor allem bei den Direktiven und den Explorativen anzutreffen, weniger bei den Repräsentativen 6 ; das ist verständlich, wenn man 6

Die einzelnen Klassifikationsvorschläge für Illokutionstypen sollen an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Im folgenden wird in Anlehnung an Weigand (1989) mit folgenden Kategorien gearbeitet: Repräsentative (Subtypen: Assertive „Behauptungen" Nuntiative „Mitteilungen" Konstative „Feststellungen" - weitere Subtypen vgl. Weigand 1989).

128

Bärbel

Techtmeier

in Rechnung stellt, daß ja nur bei den erstgenannten auch wirklich ein praktisches oder verbales Handeln vom Angesprochenen erwartet wird). Als lokale ASH sollen nun genau die aus der GEB 2 resultierenden Stützungshandlungen bezeichnet werden, die in den entstehenden Illokutionsstrukturen eine subsidiäre Funktion erhalten. 7 Dabei wird allerdings zu zeigen sein, daß für die Akzeptanz der vom Sprecher verfolgten Absicht die Akzeptanz des mit der dominierenden Handlung ausgedrückten propositionalen Gehalts sowie die Akzeptanz der Verbalisierung Voraussetzungen sind, weshalb auch zur Stützung dieser Aspekte spezielle ASH eingesetzt werden; insofern greift die weiter oben zitierte Charakterisierung von GEB 2 als auf die 'Akzeptanz der Absicht' zielende Bedingung in einigen Fällen zu kurz. Lokale ASH stützen also eine dominierende Äußerung unmittelbar. Wenn wir im Zusammenhang mit Illokutionsstrukturen von subsidiären Handlungen sprechen, so stellt sich natürlich die Frage, ob diese Sprechweise überhaupt berechtigt ist oder ob es nicht ausreicht, einfach von Funktionen zu reden, die untergeordnete Handlungen gegenüber übergeordneten haben (zu dieser Position vgl. u.a. Brandt/Rosengren 1991b) oder das ganze Problem als ein Problem der Relationen zwischen textuellen Einheiten bzw. als eine Frage von 'Kanten in Strukturbäumen' zu sehen. Die Antwort auf diese Frage - wenn man sie überhaupt für legitim hält - ist letztlich davon abhängig, ob man den Handlungsbegriff, wie in der klassischen Sprechakttheorie, allein auf die elementare Äußerungsebene beziehen will oder ob man diese elementaren Handlungen als Konstituenten liöherstufiger, komplexerer Handlungen (von 'Hyperhandlungen' oder 'Hyper-Sprechakten'; vgl. dazu J.Klein 1987) anzusehen bereit ist, die auf zwei (oder mehreren) elementaren Handlungen operieren. Die Tatsache, daß von akzeptanzstützenden Handlungen gesprochen wird, verdeutlicht bereits den Standpunkt der Autorin: Man handelt nicht nur auf der elementaren Ebene, wenn man Texte produziert, man handelt gleichermaßen, wenn man komplexere, globalere Einheiten zusammenstellt. Ein schwer zu widerlegendes Argument für diese Hypothese ist die Tatsache, daß Handlungen, die auf der elementaren Ebene als gelungen zu betrachten sind, unter dem Direktive

(Subtypen:

Iussive „Befehle" Monitive „Aufforderungen im eigentlichen Sinne" Petitive „Bitten") „Fragen".

Explorative Deklarative. Zu anderen Vorschlägen vgl. u.a. Motsch/Pasch (1987), Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992). 7

Zieht man die in Brandt/Rosengren (1992: 18) erwähnte Stufenleiter für erfolgreiche Kommunikationsversuche zum Vergleich heran, so wären die lokal stützenden ASH auf die 2. und 3. Stufe zu beziehen: S T U T ETWAS, DAMIT Ε ILL ALS ANGEMESSEN AKZEPTIERT UND r INTENDIERT. In diesem Sinne ist Akzeptanzsicherung ein wesentlicher Aspekt der Erfolgsorientiertheit sprachlichen Handelns, nicht aber mit ihr identisch: Damit der Erfolg letztlich eintreten kann, ist als Voraussetzung für die Akzeptanz die Stufe Ε VERSTEHT KV/ Ε VERSTEHT, WORAUF KV SICH BEZIEHT (= PS) anzunehmen bzw. als weitere notwendige Voraussetzung Ε KANN r (vgl. die Ausführbarkeitsbedingung bei Mötsch 1987, vgl. auch Rosengren 1987).

Akzeptanzstützung

als textstrukturierendes

Prinzip

129

Aspekt ihres Bezuges zu der jeweils übergeordneten Handlung im Rahmen einer komplexeren Handlung durchaus mißlingen können, wie das folgende Beispiel zeigt: 3 A: ( a ) Geh endlich ins Bett! ( b ) Du hast morgen einen schweren Tag vor dir. 4 B: Ich brauche doch gar nicht so viel Schlaf.

Die ASH 3 (b) ist als elementare Handlung in jeder Hinsicht gelungen: Sie ist grammatisch korrekt gebildet und repräsentiert den Illokutionstyp eines Repräsentativs (Konstativs), dessen propositionaler Gehalt auch von Β nicht in Frage gestellt wird. Nur zeigt die Reaktion von B, daß mit 3 (b) die in 3 (a) ausgedrückte Aufforderung im konkreten Fall eben gerade nicht zu stützen war. Es erfordert vom Sprecher spezielle Anstrengungen, will er bestimmte Handlungen auf spezifische, empfängerorientierte Weise stützend miteinander verbinden. Man kann also durchaus auch von einem Handeln im relationalen Sinne sprechen. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß sich die für elementare Handlungen als konstitutiv angesehenen Bestimmungsstücke ä, int, kond und kons (vgl. Mötsch 1987) mutatis mutandis auch auf relationale Handlungen übertragen lassen: ä

bezeichnet die subordinierte Äußerung zu einem Zeitpunkt Ti; ä repräsentiert selbst eine illokutive Handlung, ist als ASH jedoch abhängig von einer anderen Äußerung ä l , die ihrerseits einen relativ unabhängigen Status hat, d.h., die so auch produziert werden könnte, wenn keine Stützung erfolgte und demzufolge auch keine komplexeren Illokutionsstrukturen entstünden (der unterschiedliche Status von ä und äl ist auch der Grund dafür, warum als ASH im engeren Sinne nur ä angesehen wird und nicht die Kombination aus ä und äl, was eine mehrgliedrige Handlung suggerieren würde 8 ; dies ändert nichts an der Tatsache, daß solche ASH allein relational zu bestimmen sind); int bezeichnet die Absicht des Produzenten (des Sprechers sp), mit ä ein bestimmtes Ziel ζ zu erreichen, dabei ist ζ = S WILL, DASS Η ä l AKZEPTIERT, indem S (vermittels ä) etwas mitteilt (erklärt, fragt, zu etwas auffordert etc); kond bezeichnet die Menge von Bedingungen, die in der Situation, in der ä mit der Absicht int geäußert wird, erfüllt sein müssen, damit die Handlung erfolgreich sein kann, d.h. damit das Ziel erreichbar wird. Diese Bedingungen sind bei den ASH gleichfalls relationaler Art, d.h., sie lassen sich nicht ohne den Bezug auf äl definieren. Deshalb müssen mindestens die folgenden Bedingungen formuliert werden 9 : 8

So verfährt J. Klein (1987), der bei seiner Diskussion konklusiver Sprechhandlungen von einer solchen Mehrgliedrigkeit ausgeht und deshalb auch von einer 'propoeitionalen Zweistelligkeit' seiner konklusiven Sprechhandlungen spricht. In der konkreten Beispielanalyse referiert er mit seinen kS Typen aber oftmals doch nur auf den stützenden Teil, der hier als ä bezeichnet wird.

8

Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch die in Kopperschmidt (1989) erwähnten Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Aussage (q) als überzeugungskräfti-

Bärbel

130

Techtmeier

- eine Korrekheitsbedingung (KB): ä muß - ebenso wie äl - als elementare illokutive Handlung alle Bedingungen für den jeweiligen Typ illokutiver Handlungen erfüllen, den sie selbst repräsentiert (beispielsweise als Repräsentativ die Wahrheitsbedingung); ist dies nicht der Fall, kann sie auch ihre akzeptanzstützende Rolle nicht wahrnehmen. Dies wird schnell deutlich, wenn man sich eine Situation vorstellt, in der diese elementare Bedingung, wie in dem folgenden Beispiel, verletzt wird: 5 A: (a) Laβ mich bitte erst ausreden! (b) Im Deutschen redet man immer in ganzen 6 B: Das stimmt ja gar nicht!

Sätzen!

Die Reaktion von Β zeigt dabei die Verletzung dieser elementaren Korrektheitsbedingung an; Α hat mit 5 (b) eine Behauptung aufgestellt, die nicht die Wahrheitsbedingung erfüllt. Diese Korrektheitsbedingung gilt für alle sprachlichen Handlungen, unabhängig davon, ob sie allein auftreten oder in textuellen Zusammenhängen in dominierender bzw. stützender Position. Darüber hinaus sind zusätzliche Bedingungen zu erfüllen, die sich aus der akzeptanzstützenden Position in der Hierarchie ergeben: - eine Adäquatheitsbedingung (AB): ä muß für die Stützung der dominierenden Handlung äl darüber hinaus auch geeignet, d.h. in dem Sinne relational adäquat sein, als es eine für den Rezipienten einsichtige Beziehung zwischen den beiden Äußerungen geben muß; eine solche einsichtige Beziehung ist gegeben durch den Bezug auf als erwiesen geltende Sachverhaltszusammenhänge, auf soziale Regeln, Normen, auf'Basiskonditionale' (vgl. u.a. Mötsch und Moilanen in diesem Band), auf Vereinbarungen zwischen den Interaktionspartnern (vgl. die empirische Analyse in Punkt 3). Eine Verletzung dieser Bedingung zeigt sich in dem folgenden Beispiel: 7 A: (a) (b) 8 B: (a) (b)

Lafi mich bitte erst ausreden! Morgen fahre ich in die Stadt. Das mag ja stimmen. Aber das ist doch kein Argument!

- eine Relevanzbedingung (RB): ä muß auf einen Sachverhalt referieren, dessen akzeptanzstützende Relevanz Η auch akzeptieren kann: 9 A: (a) (b) 10 B: (a) (b)

Lafi mich bitte erst ausreden! Ich uiar ja noch gar nicht fertig! Das interessiert mich nicht! Du hast mich so gereizt, ich muß einfach etwas sagen.

10 (a) dokumentiert hier die Verletzung der Relevanzbedingung RB durch A; allerdings zeigt 10 (b), daß Β seine eigene Zurückweisung gleichfalls für begründungsbedürftig hält, was darauf hinweist, daß in anderen ges Argument für eine andere Aussage (p) gelten kann; Kopperschmidt bezieht sich jedoch nur auf einen Teilbereich dessen, was wir als Akzeptanzstützung bezeichnen wollen; diesen kann man als 'Stützen durch rationales Argumentieren' umschreiben, vgl.auch Lumer (1990) und Moilanen (1994).

Akzeptanzstützung

als teztstrukturierendes

Prinzip

131

(nicht emotionsgeladenen) Situationen 9 (b) durchaus auch für Β von Relevanz sein kann. Während KB für jede elementare sprachliche Handlung gilt, unabhängig davon, ob sie in eine Illokutionsstruktur eingebunden ist oder nicht, sind AB und RB spezifisch für solche Strukturen und gelten uneingeschränkt nur dann, wenn ä als subordinierte Konstituente auftritt (zur Spezifik von AB und RB bei globalen ASH vgl. 2.3). kons bezeichnet die Konsequenzen, die mit dem Vollzug einer Handlung verbunden sind; das bedeutet im Falle der ASH, daß eine Äußerung ä solange als akzeptanzstützend gilt, solange nicht eine der Bedingungen KB, AB oder RB in Frage gestellt wird. Lokale ASH sind also als relationale Handlungen charakterisierbar, die in der Illokutionsstruktur eine subordinierte Position einnehmen, da sie eine sie unmittelbar dominierende sprachliche Handlung stützen. Mit ihnen verfolgt der Sprecher das Ziel, GEB 2 abzusichern, d.h. über die adäquate Rekonstruktion des propositionalen Gehalts und des Illokutionspotentials einer Äußerung hinaus (GEB 1) die Akzeptanz derselben als glaubwürdig, plausibel, relevant (bei Repräsentativen), als berechtigt (bei Direktiven und Explorativen) zu befördern. Sie sind ein wichtiges textuelles Ergebnis der die Kommunikationsvorgänge entscheidend mitprägenden Strategie der Akzeptanzstützung (ASS), die - wie bereits ausgeführt wurde - auch andere textuelle Konsequenzen hat. Wenn ASH als relationale Handlungen charakterisiert werden, so ist ihr Verhältnis zu anderen Handlungstypen zu klären, die gleichfalls relational definiert sind, ob das nun in den entsprechenden Arbeiten zu diesen Kategorien zugegeben wird oder nicht. In Frage kommen dafür vor allem zwei Gruppen von Kategorien: Zum einen handelt es sich um zentrale Kategorien der Illokutionsund Argumentationsanalyse (um Begründungen und Argumente), zum anderen sind die vor allem von Gülich/Kotschi (vgl. u.a. 1987) detailliert analysierten Reformulierungshandlungen (Paraphrasen, Korrekturen u.a.), in den Vergleich einzubeziehen. Die größte Nähe weisen zweifellos ASH und Begründungen auf. Die 'raison d'etre' von Begründungen ist ja genau in dem hier zur Debatte stehenden Bereich zu suchen: Es wird vor allem etwas begründet, weil man die Akzeptanz dessen, was da jeweils begründet wird, erhöhen will. So gesehen, könnte man Begründungen zumindest als den Kernbereich von lokalen ASH ansehen. Aber das gilt auch nur so lange, wie man für Begründungen das Vorliegen von etwas Strittigem zur conditio sine qua non erklärt, wie das in einigen Arbeiten ja auch getan wird. Definiert man Begründungen ausschließlich als „Angabe von Gründen, stichhaltige Erklärung [...]" (vgl. Wahrig 1991: 243) bzw. unter Einbeziehung der grammatischen Kausalrelation, so gelangt man zu einem weiteren Begründungsbegriff und hätte dann auch Fälle wie den folgenden einzubeziehen: 11: Die Badewanne

ist Hergelaufen,

weil der Atfluß

verstopft

war.

132

Bärbel Techimeier

Klein (1987: 18f.) macht deshalb einen Unterschied zwischen BEGRÜNDEN und ERKLÄREN-WARUM: Der Fall 11 ist ein Beispiel für ERKLÄRENWARUM, da es hierbei allein um das „[...] Explizieren des Zustandekommens eines Ereignisses, eines Zustande oder einer Handlung" geht, während echte BEGRÜNDUNGEN für ihn definiert sind durch „[...] das Stützen des Wahrheitsanspruchs für den Inhalt einer Behauptung". Diese Definition hat allerdings eine andere Einschränkung zur Folge: Da er seine Begründung an die Stützung eines Wahrheitsanspruchs bindet, muß er eine weitere Kategorie einführen, die er RECHTFERTIGEN nennt und die für das „Stützen des Richtigkeitsanspruchs für eine Handlung" steht. Andere Linguisten nehmen einen Begründungsbegriff an, der einerseits von der Stützungsfunktion ausgeht, andererseits aber Handlungsbegründungen, die bei Klein Rechtfertigungen sind, einschließt (vgl. u.a. Rosengren 1987: 180). Je nachdem, wie Begründung im einzelnen definiert wird, ist auch die Beziehung zu den ASH unterschiedlich zu charakterisieren: Es ist klar, daß bei einem Begründungsbegriff, der auch die einfache kausale Erklärung von Zusammenhängen einschließt in Fällen, in denen nicht von einer Stützungsfunktion ausgegangen werden kann (vgl. 11), nur ein Teil der als 'Begründung' charakterisierten Außerungsmenge als ASH einzustufen ist. Auszuschließen sind eben genau die kausalen Teilsätze wie in 11. Nun könnte man meinen, dies sei ein grammatisches Problem: Kausale Nebensätze seien nie ASH, eigenständige Sätze, die in einer anaphorischen Kausalrelation zu benachbarten Sätzen stehen, dagegen immer. Das geht aber nicht auf: Man könnte 11 nämlich durchaus auch anders formulieren und hätte dann gleichfalls keine Stützungsrelation vor sich: I I A : (a) Die Badewanne ist Hergelaufen. (b) Der Abfluß war verstopft.

Andererseits haben auch kausale Teilsätze in manchen Fällen eine eigenständige akzeptanzstützende Funktion, wie in dem (abgewandelten) Beispiel 3: 3 A: (a) Du mußt jetzt ins Bett gehen, (b) weil du morgen einen schweren Tag vor dir hast.

Es wäre allerdings empirisch zu prüfen, ob Begründungen ohne akzeptanzstützende Funktion (im Sinne von 'ERKLAREN-WARUM') signifikant häufiger durch kausale Nebensätze realisiert werden als Begründungen mit einer solchen Funktion. Bei einem Begründungsbegriff, der die stützende Funktion innerhalb einer Illokutionshierarchie zum entscheidenden Kriterium für die definitorische Abgrenzung von benachbarten Phänomenbereichen erhebt, ist demgegenüber klar, daß Begründungen den Kernbereich dessen ausmachen, was als ASH beschrieben wurde. Allerdings gibt es auch in diesen Fällen keine absolute Deckungsgleichheit: Während bei einer solchen Auffassung alle Begründungen zugleich auch ASH sind, sind andererseits nicht alle ASH zugleich Begründungen im Sinne von 'kausalen Erklärungen'. So treten nicht selten als lokale ASH zu spezifi-

Akzeptanzstüizung

als textstrukturierendes

Prinzip

133

zierende Äußerungen auf, die keine kausalen Erklärungen sind. Dafür lassen sich zahlreiche Beispiele insbesondere aus dem Bereich metakommunikativer Stützungen anführen wie im folgenden Fall: 12: (a) Ich will dir ja nicht zu nahe treten, (b) das hättest du nicht tun dürfen.

aber

12 (a) hat eindeutig akzeptanzstützende Funktion gegenüber 12 (b), einer klassischen Vorwurfshandlung. Es handelt sich dennoch nicht um eine Begründung. Ein weiters Beispiel: 13: (a) Wie ich Ihnen tereits vor einem Monat mitgeteilt (b) m i β ich nunmehr auf Barzahlung bestehen.

habe,

Die in 13 (a) zum Ausdruck gebrachte Erinnerung an eine vorausgegangene kommunikative Initiative soll die in 13 (b) formulierte Aufforderung unterstützen, ihr Nachdruck verleihen, sie ist jedoch keinesfalls als Begründung für die Aufforderung anzusehen (eine solche hätte beispielsweise lauten können: Weil Ihre Schecks mehrmals nicht gedeckt waren).10 Argument und Argumentation werden zumeist in dem weiter oben charakterisierten engeren Sinne von Begründung gebraucht, wobei als Argument die untergeordnete Stützungshandlung und als Argumentation die komplexe Handlung im Sinne von ä und äl verstanden werden. Argumentationen werden notwendig, wenn Angelegenheiten 'strittig' sind oder 'strittig' werden könnten (vgl. Kopperschmidt 1989, der sich auf Habermas beruft). 'Strittig sein' heißt, daß der Geltungsanspruch einer Äußerung in Frage gestellt wird oder gestellt werden könnte, was bedeutet, daß derjenige, der einen solchen Geltungsanspruch erhebt, zugleich bereit sein muß, diesen im Falle eines (potentiellen oder realen) Widerspruchs auch verbal einzulösen. „Das methodische Verfahren, dieses Versprechen im Fall der Bestreitung eines GAs [Geltungsanspruchs] einzulösen, beißt Argumentation·. Ihre spezifische Leistung besteht entsprechend darin, den GA einer Äußerung akzeptabel bzw. zustimmungsfähig zu machen, um dadurch seine Berechtigung nachzuweisen." (24)

Und an anderer Stelle: „Argumente sind also eine spezifische Art von Gründen, mit denen eine spezifische Art von Warum-FYagen, nämlich Geltungsfragen, überzeugungskräftig zu beantworten versucht wird." (74)

10

Diese - nicht als Begründungen beschreibbaren - subordinierten ASH weisen Parallelen auf zu dem, was Brandt/Rosengren (1992) als komplementäre Illokutionen bezeichnen, wobei letztere auch verstehensstützend sein können (wenn es sich beispielsweise um sachverhaltsklärende Einleitungen handelt). Eine weitere Einschränkung ist jedoch nötig: Nicht alle der von den Autorinnen genannten Beispiele, die als akzeptanzstützende Handlungen interpretierbar sind, wären in unserem Sinne den lokalen ASH zuzuordnen. Das, was sie in Anlehnung an Rossipal (1979) die kooperationssichernde Funktion solcher Illokutionen nennen, weist ihnen eher einen Platz unter den globalen ASH zu (vgl. 2.3.), denn sie beziehen sich auf ganze Texte (Briefe) und stützen 'lokal' allenfalls die Textillokution' auf der obersten Ebene der Illokutionshierarchie.

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Techtineier

Dies geschieht, indem Α den begründungsbedürftigen (weil problematischen) GA einer_Außerung (p) durch Berufung auf die (unterstellte) Gültigkeit einer anderen Äußerung (q) zu stützen versucht. Zumindest in der von Kopperschmidt u.a. vertretenen Variante der Argumentationstheorie sind Argumente nur solche ASH, die den Geltungsanspruch des propositionalen Gehalts von äl stützen sollen - ρ (= propositionaler Gehalt von äl), weil q (= propositionaler Gehalt von ä) - bzw. den Illokutionstyp einer Behauptung. (Im Falle von Behauptungen ist oftmals ohnehin nicht entscheidbar, ob eine Stützung des propositionalen Gehalts ρ oder eine Stützung des Illokutionstyps ICH BEHAUPTE, DASS... vorliegt.) Ausgeklammert werden Stützungen, die sich auf andere Illokutionstypen (Direktive, Explorative) oder generell auf Aspekte der Verbalisierung von äl beziehen. In diesem Sinne gilt das für Begründungen Gesagte analog: Argumente bilden eine wichtige Teilmenge der lokalen ASH, sind mit diesen jedoch nicht deckungsgleich. Wie steht es nun um das Verhältnis von ASH einerseits und relationalen Handlungen wie Paraphrasen, Erläuterungen etc. andererseits? Paraphrasen, die als prototypischer Fall für den Phänomenbereich stehen sollen, den Gülich/Kotschi (1987; vgl. auch Gülich 1992) 'Reformulierungen' genannt haben, bezeichnen Äußerungen eines Textes, die sich auf andere, bereits formulierte Äußerungen desselben Textes beziehen, wobei dieser Bezug in der Regel indiziert wird. Konstitutive Elemente einer solchen Paraphrasenäußerung sind ein Bezugsausdruck (BA), ein Reformulierungsausdruck (RA) sowie ein Reformulierungsindikator (RI). Es handelt sich also um eine lineare Beziehung zwischen den Elementen eines Textes: Das der Charakterisierung einer Äußerung als 'Paraphrase' zugrunde liegende Merkmal ist eben genau dieser Bezug: Etwas bereits Ausgedrücktes wird mehr oder minder modifiziert wiederholt. Analog dazu kann die Korrektur beschrieben werden als Äußerung, mit deren Hilfe eine zuvor produzierte Äußerung insgesamt oder in bestimmten Teilen 'zurechtgerückt' wird. In die gleiche Reihe gehört auch die Erläuterung, auf die sich Gülich/Kotschi nicht im einzelnen beziehen, die aber von Rolf folgendermaßen beschrieben wird: „Erläuterungen sind grundsätzlich relationaler Art. Sie beziehen sich auf eine andere, auf eine vorhergehende Äußerung." (Vgl. Rolf in diesem Band.) Erläuterungen vermitteln zusätzliche Wissensinhalte. Mit einer solchen Beschreibung ist allerdings noch nichts ausgesagt über die Funktion, die solche Reformulierungen bzw. Erläuterungen haben können, d.h. es muß noch die Frage nach dem Verhältnis zwischen solchen, durch die lineare Beziehung zu anderen Textelementen definierten 'Handlungen' und den in Illokutionsstrukturen zum Ausdruck kommenden hierarchischen Beziehungen sowie den daraus resultierenden 'Handlungen' beantwortet werden. Gülich/Kotschi (1987:212) weisen darauf hin, daß Reformulierungshandlungen eine Stützungsfunktion erfüllen, jedoch nicht ausschließlich in bezug auf direkt übergeordnete sprachliche Handlungen; sie führen diesen Punkt jedoch nicht weiter aus. Rolf will das Problem lösen, indem er in bezug auf Erläuterun-

Akzeptanzstülzung

ah iezisirukturiertndes

Prinzip

135

gen nicht von Handlungen spricht, verweist andererseits aber auf die vorrangig verstehensstützende Funktion solcher Erläuterungen (anders Gülich/Kotschi 1987: 211, die ihnen unter Berufung auf Motsch/Pasch (1987) eher eine akzeptanzstützende Funktion zubilligen wollen). Man kann wohl davon ausgehen, daß solche 'Textkonstitutionshandlungen' vorrangig eine verstehensstützende Funktion haben, nicht jedoch ausschließlich: Man kann auch 'empfängerfreundlich' paraphrasieren oder korrigieren und damit die Akzeptanz stützen wollen. Man kann Erläuterungen 'nachschieben', um negativen Reaktionen zuvorzukommen, wenn solche Erläuterungen geeignet sind, die Akzeptanz des Gesagten zu erhöhen, etc. Anders als bei Begründungen, die man - eine Stützungsfunktion überhaupt vorausgesetzt - ausschließlich als ASH einordnen kann, sind bei Paraphrasen, Korrekturen, Erläuterungen solche eindeutigen Zuordnungen also nicht möglich. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus? Zweifellos nicht, wenn man im Interesse einer 'pragmatischen Flurbereinigung' das Problem durch eine terminologische Einengung des Handlungsbegriffs auf elementare illokutive Handlungen zu 'entschärfen' sucht, und ansonsten nur noch von Relationen und Funktionen redet, in denen Illokutionen zueinander stehen oder die einige IIlokutionen in bezug auf andere haben. 11 Dagegen sprechen die weiter oben angeführten Argumente für den Handlungscharakter aller dieser Typen: Gehandelt wird eben nicht nur, wenn behauptet, mitgeteilt, aufgefordert, gefragt wird; gehandelt wird auch, wenn gestützt wird; und gestützt wird auch, wenn paraphrasiert, ergänzt, erläutert wird etc. Weiter führt m.E. eine Sichtweise, die es ermöglicht, in mehrfacher Hinsicht von Handlungen zu sprechen; das bedeutet zuzulassen, daß es unterschiedliche Aspekte sind, die mit den einzelnen Handlungstypcharakterisierungen ins Blickfeld kommen: - Beschreibe ich eine Äußerung (äl oder ä) als elementare illokutive Handlung (vom Typ Repräsentativ, Direktiv, Deklarativ etc.), so handelt es sich um die illokutive Basischarakterisierung der jeweiligen Äußerung; beschreibe ich ä darüber hinaus als relationale akzeptanzstützende Handlung (verstehensstützende, die Ausführung stützende), so handelt es sich um die Charakterisierung der funktionalen und hierarchischen Einordnung von ä im Rahmen einer Illokutionshierarchie; - beschreibe ich ä als textkonstituierende Reformulierungshandlung, so handelt es sich um die Charakterisierung der linearen Verflechtung von Äußerungen in einem Text; - im Dialog tritt eine weitere Dimension hinzu: Beschreibe ich äl und/oder ä als Initiative oder Reaktion, so handelt es sich um die Charakterisierung

11

Ganz abgesehen davon, daß auch eine solche Einengung nur eine Scheinlösung wäre. Es ist Rolf (1991: 105) zuzustimmen, wenn er schreibt: „Ich würde davon ausgehen - und annehmen, daß auch die meisten derjenigen, die sich u.a. mit Pragmatik beschäftigen, davon ausgehen: daß man eher auf dasselbe als auf etwas voneinander zu Unterscheidendes Bezug nimmt, wenn man von Sprechakten, sprachlichen Handlungen, illokutionären Akten, Illokutionen oder der (kommunikativen) Funktion von Äußerungen spricht."

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der interaktionalen Verflechtung von Äußerungen in Texten, die durch einen Sprecherwechsel charakterisiert sind. Hieraus ergibt sich als logische Konsequenz: Will ich eine Äußerung nicht isoliert, sondern im Rahmen eines Textes als sprachliche Handlung charakterisieren, so muß ich dies in mehrfacher Hinsicht tun: 1: als Exemplar eines bestimmten Illokutionstyps (und zwar unabhängig davon, ob es sich um äl = dominierende Illokution oder ä = subordinierte Illokution handelt); 2: als Element einer bestimmten Illokutionshierarchie (als dominierende bzw. verstehens-, akzeptanzstützende Handlung); 3: als Element einer bestimmten Textkonstitutionsrelation (als Paraphrase, Korrektur, Erläuterung etc.); 4: als Element einer bestimmten interaktiven Konstellation (als initiative, reaktive oder reaktiv/initiative Handlung). Man kann also bereits auf der Handlungsebene von einer Mehrdimensionalität sprechen (eine ähnliche Position vertreten Roulet et al. 1991, vgl. auch Hensel/Sayatz 1991). Es ist klar, daß nicht in allen Fällen empirischer Analysen alle Handlungsdimensionen einbezogen werden müssen: Während die illokutive Basischarakterisierung immer zu erfolgen hat, will man die Handlungsstruktur eines Textes ermitteln, sind die anderen Charakterisierungen von Fall zu Fall einzubeziehen, wenn der empirische Befund ergibt, daß die jeweilige Äußerung - unter Handlungsaspekt betrachtet - eben unter mehreren der genannten Aspekte zu charakterisieren ist (also beispielsweise zur Akzeptanzstützung eine Korrekturhandlung vollzogen wird). Ein Beispiel: 14 A: 15 B: 16 A: (a) (b)

Das interessiert mich überhaupt nicht. Sag das noch mal! Ich finde das nicht so interessant. Darüber haben wir doch schon mehrmals

gesprochen.

Die einzelnen Äußerungen dieses kleinen Dialogs wären den genannten Handlungstypen folgendermaßen zuzuordnen: 14:

1 2 3 4 15: 1 2 3 4 16: (a) 1 2 3 4

Repräsentativ (Konstativ) irrelevant, da keine Illokutionsstruktur vorhanden irrelevant, da keine Reformulierungshandlung Reaktion Direktiv (Iussiv; indirekte Drohung?) irrelevant, da keine Illokutionsstruktur vorhanden irrelevant, da keine Reformulierungshandlung Initiative Repräsentativ (Konstativ) dominierende Illokution gegenüber (b) Paraphrase (abgeschwächt durch ASF: nicht so) Reaktion

Akzeptanzstützung

ah teztstrukturierenies

Prinzip

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(b) 1 Repräsentativ (Konstativ) 2 subsidiäre akzeptanzstützende Handlung (Begründung für (a)) 3 irrelevant, da keine Reformulierungshandlung 4 irrelevant (bzw. als Teil der Illokutionsstruktur 16 Reaktion) Eine solche Sichtweise ermöglicht es auch, die Beziehungen zwischen einzelnen Handlungsdimensionen genauer zu erfassen, wodurch auch präferente Kombinationen (wie z.B. die zwischen Paraphrasen und verstehensstützenden Handlungen, zwischen Aufforderungshandlungen und Initiativen etc.) empirisch genauer ermittelt werden könnten. 2.2.2 Zwischen den Textäußerungen ä und ä l , die unter Handlungsgesichtspunkten im Rahmen einer Illokutionsstruktur als dominierende (äl) und subsidiär-akzeptanzstützende (ä) auftreten, bestehen vielfältige Beziehungen, die sich - folgt man einem mehrdimensionalen Strukturierungsmodell (vgl. u.a. Brandt/Rosengren 1991a, Techtmeier 1994) - folgendermaßen strukturieren lassen: - Von zentraler Bedeutung sind naturgemäß die Beziehungen auf der Ebene der Handlungstypen von äl und ä; dabei stellt sich als erstes die Frage nach den Handlungstypen der dominierenden Äußerung äl, die durch spezifische ASH/ä gestützt werden. Solche subsidiäre ä sind das Ergebnis einer als möglich antizipierten (oder im Dialog real gestellten) prototypischen Warum-Frage des Adressaten H: WARUM HANDELST DU EIGENTLICH SO MIT p? Oder als Einwand des Partners formuliert: ICH AKZEPTIERE NICHT, DASS DU MIT ρ AUF EINE BESTIMMTE WEISE HANDELST. Auf einzelne Illokutionstypen bezogen, wäre eine solche Frage zu konkretisieren: Repräsentativ:

Explorativ: Deklarativ:

WARUM WARUM WARUM WARUM WARUM WARUM WARUM WARUM

BEHAUPTEST DU p? (Assertiv) TEILST DU MIR ρ MIT? (Nuntiativ) STELLST DU ρ FEST? (Konstativ) FORDERST DU p? (Monitiv) ERBITTEST DU p? (Petitiv) BEFIEHLST DU p? (Iussiv) FRAGST DU p? ERKLÄRST DU p?

Deklarative und Iussive (als Subtyp der Direktive) werden jedoch äußerst selten durch ASH gestützt; Deklarative würden durch eine solche Stützung sogar ihren deklarativen Charakter verlieren und eher als (widerlegbare) Behauptungen oder (zurückweisbare) Feststellungen interpretiert werden können (vgl. das Beispiel 31 im Rahmen von 3, wo die Deklarativa eine ganze Interaktion auslösen, die dem Ziel dient, den deklarativen Charakter aufzulösen). Iussive erfordern in der Regel keine Akzeptanzstützungen, da von ihnen nur unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt Gebrauch gemacht werden kann. Eine generelle Erklärung für diese Frequenzunterschiede bietet der je weilige Reaktionsspielraum, der durch die einzelnen Illokutionstypen eröffnet wird: Je größer dieser ist, desto dringlicher besteht die Notwendigkeit einer Stützung. Deshalb werden Bitten, die als nicht bindende 'sprecherpräferente' Aufforderungen (vgl.

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u.a. Hindelang 1983) breite Reaktionsmöglichkeiten für den Adressaten eröffnen, wesentlich öfter gestützt als bindende Befehle oder Weisungen, denen der Adressat in der Regel zu folgen hat. Und so läßt sich auch erklären, warum bei Kündigungen, die man zweifelsohne den Deklarativa zuordnen muß (also einem Subtyp, der an sich selten gestützt wird), dennoch häufig Kündigungsgründe angeführt werden: Gibt es, wie in diesem Fall, (institutionell bedingt) eine Einspruchsmöglichkeit ( = Reaktionsspielraum) des Adressaten H, macht sich auch eine spezielle Stützung erforderlich. Die Frage nach den Illokutionstypen von ä (der ASH selbst) ist schwerer zu beantworten. Den Kernbereich bilden hier zweifellos die Repräsentative, unabhängig davon, welchen Illokutionstyp äl repräsentiert. Unter den Repräsentativen spielen Konstative und Nuntiative eine größere Rolle. Seltener sind Assertive anzutreffen, die ihrerseits stützungsbedürftig sind; ausgeschlossen ist der Einsatz von Assertiven prinzipiell jedoch nicht; es entstehen durch die als notwendig empfundene erneute Stützung von ä aber komplexere hierarchische Strukturen (vgl. Beispiel 2). Explorative kommen allenfalls als rhetorische Fragen vor, Direktive und Deklarative sind in einer solchen subsidiären Position wohl äußerst selten. - Zu den Beziehungen zwischen dem propositionalen Geh_alt der subsidiären akzeptanzstützenden Äußerung ä und der dominierenden Äußerung ä l : Es ist unstrittig, daß die durch ä ausgedrückte Proposition in einer bestimmten Beziehung zum propositionalen Gehalt von äl stehen muß; das gilt ganz generell, unabhängig davon, welchen Illokutionstyp äl repräsentiert (vgl. auch die Ausführungen zu den drei Bedingungen KB, AB und RB, die die ASH gegenüber der jeweils dominierenden Äußerung erfüllen muß). Um diese Beziehung etwas konkreter erfassen zu können, muß man versuchen, eine gewisse Systematik in die Referenzbereiche von propositionalen Gehalten zu bringen 12 . Eine Reihe von Vorschlägen läuft darauf hinaus, daß man hier eine Dreiteilung vornehmen kann: in eine Sachverhaltsebene (SE), eine Ausdrucksebene (AE) und eine Interaktionsebene (IE). Mit Äußerungen auf der Ebene SE referiert der Sprecher auf Sachverhalte, die außerhalb der jeweiligen Interaktionsbeziehung zwischen S und Η liegen, mit AE auf die Einstellungs- und Gefühlswelt der Interaktanten, auf deren 'subjektive Befindlichkeit', mit IE auf den laufenden Interaktionsprozeß. 13 12

In diesem Punkt ist man auf illokutiver Ebene in einer besseren Lage, da - allen differenzierenden und problematisierenden Typologisierungsvorschlägen zum Trotz - dennoch von einem relativ festgefügten Kategorieninventar ausgegangen werden kann.

13

Eine solche Dreiteilung liegt letztlich auch dem Sprachfunktionenmodell von Bühler zugrunde, wenn er eine Darstellungsfunktion, eine Appellfunktion und eine Ausdrucksfunktion des sprachlichen Zeichens unterscheidet. Interessanterweise greifen auch Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992) dieses Modell auf, um damit ihren neuen Vorschlag für eine grammatikunakhängige Illokutionstypologie zu begründen. Natürlich ist in diesem Kontext auch auf Habermas zu verweisen, der in seiner „Theorie des kommunikativen Handelns" auf der Grundlage einer Unterscheidung von 'teleologischem Handeln', 'normenreguliertem Handeln', 'dramaturgischem Handeln' und 'kommunikativem

Akzeptanzstützung

als textslrukturierendes

Prinzip

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Bezogen auf die ASH läßt sich diese Dreiteilung folgendermaßen anwenden: (1) Sachverhaltsebene (SE): Hierbei sind eine 'natürliche' und eine 'soziale' Welt zu unterscheiden: Eine Äußerung ä kann unter dem Aspekt ihres propositionalen Gehalts q als ASH dienen, weil der mit q benannte Sachverhalt aufgrund von Zusammenhängen in der außerhalb des jeweiligen Kommunikationsvorgangs und der sozialen Konstellation liegenden 'natürlichen' Welt als stützendes Argument für äl gelten kann (vgl. einschlägige Vorschläge in der Argumentationstheorie): 17: (a) (b) 18: (a) (b)

Der Herbst ist da. Die Tage werden kürzer. Mache bitte das Fensler zu! Es zieht!

17 (b) und 18 (b) können deshalb als ASH fungieren, weil ein 'natürlicher' Zusammenhang zwischen den propositionalen Gehalten von (a) und (b) innerhalb von 17 und 18 besteht; innerhalb von 17 wäre dieser umschreibbar mit: W I R WISSEN: WENN DIE TAGE KÜRZER W E R D E N , DANN K O M M T D E R HERBST; DESHALB GIBT ES EINE B E R E C H T I G U N G DAFÜR, (b) ALS ASH F Ü R DAS ASSERTIV (a) ZU NUTZEN; und bei 18: W I R WISSEN: W E N N ES ZIEHT UND EIN F E N S T E R O F F E N S T E H T , DANN KANN DAS O F F E N E F E N S T E R DIE URSACHE F Ü R DEN LUFTZUG SEIN; DESHALB GIBT ES EINE B E R E C H T I G U N G DAFÜR, (b) ALS ASH F Ü R DAS D I R E K T I V (a) ZU NUTZEN. Solche ASH sollen objektive ASH genannt werden. Eine Äußerung kann unter dem Aspekt ihres propositionalen Gehalts q aber auch als ASH dienen, weil der mit q benannte Sachverhalt aufgrund von Zusammenhängen der für S und Η maßgeblichen 'sozialen' Welt und der in ihr existierenden Normen, Regeln, Verhaltensmaximen etc. als Argument für äl gelten kann: 19: (a) Hilf mal deiner Mutter in den Mantel! (b) Du bist doch schließlich gut erzogen.

Dies ließe sich folgendermaßen umschreiben: W I R WISSEN: ES G I B T EINE NORM, NACH D E R D E R J E N I G E ALS G U T ERZOGEN GILT, D E R ÄLTEREN P E R S O N E N IN DEN MANTEL HILFT^ DESHALB GIBT ES EINE B E R E C H T I G U N G DAFÜR, (b) ALS ASH F U R DAS DIREKTIV (a) ZU NUTZEN. Das gilt auch für den Fall, daß (b) ironisch gemeint ist. Im Beispiel 19 bildet eine Norm den Hintergrund für die Berechtigung einer Beziehung zwischen der ASH und der dominierenden Handlung. Im folgenden Beispiel wird eine solche Norm mit der ASH direkt thematisiert: 20: (a) Nimm das Messer! (b) Fleisch schneidet man nun mal mit dem Messer.

Handeln* eine objektive, eine soziale und eine subjektive Welt unterscheidet (vgl. Habermas 1988: 132 ff.)

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WIR WISSEN: ES GIBT EINE NORM, NACH DER DERJENIGE ALS GUT ERZOGEN GILT, DER DAS FLEISCH MIT DEM MESSER SCHNEIDET; DESHALB GIBT ES EINE BERECHTIGUNG DAFÜR, (b) ALS ASH FÜR DAS DIREKTIV (a) ZU NUTZEN. Solche ASH, mit denen direkt oder indirekt auf Normen, Regeln etc. sozialen Handelns Bezug genommen wird, sollen deontische ASH genannt werden. Es liegt auf der Hand, daß für das Gelingen dieser ASH vorausgesetzt wird, daß S und Η die in der jeweiligen sozialen Welt geltenden Normen, Regeln etc. auch wirklich akzeptieren. Ist dies nicht der Fall, akzeptiert beispielsweise Η prinzipiell nicht, daß es so etwas wie eine gute Erziehung gibt (bzw. daß das 'In-den-Mantel-Helfen' dazugehört), dann scheitert natürlich auch die Akzeptanzsicherung. Zu den deontischen ASH sind auch diejenigen zu rechnen, deren propositionaler Gehalt sich auf sprachlich-kommunikative Normen bezieht (vgl. dazu u.a. Härtung 1977, Techtmeier 1977). Nicht selten wird gestützt, indem man auf solche Normen Bezug nimmt, wie in den folgenden Beispielen: 21: (a) (b) 22: (a) (b)

Ich will mich erst einmal vorstellen. Wir kennen uns ja noch nicht. Du solltest erst einmal aufessen! Mit vollem Munde spricht man nicht!

Dabei gibt es zwischen 21 (b) und 22 (b) ähnliche Unterschiede wie zwischen 19 (b) und 20 (b): Auch mit 21 (b) wird indirekt auf eine Norm Bezug genommen (diese fungiert also quasi als 'Basiskonditional'). WIR WISSEN: ES GIBT EINE NORM, NACH DER MAN SICH EINEM PARTNER, DEN MAN NICHT KENNT, ZUERST EINMAL VORSTELLT; DESHALB GIBT ES EINE BERECHTIGUNG DAFÜR, (b) ALS ASH FÜR DAS NUNTIATIV (a) ZU NUTZEN, während mit 22 (b) die Norm selbst formuliert wird. (2) Ausdrucksebene (AE): Eine Äußerung ä kann unter bestimmten Bedingungen als ASH dienen, wenn der mit q benannte Sachverhalt auf die 'subjektive' Welt von S und/oder Η Bezug nimmt, auf den physischen und psychischen Zustand, auf Einstellungen, Gefühle etc. von S./H. Dabei verläuft die Verbindung von q zu ρ genau über diesen subjektiven Bereich: 23: (a) Reden wir doch lieber von den (b) Ich finde die Gegenüberstellung

'Deutschen'! von Ossis'und

'Wessis'

schrecklich.

Dies ließe sich folgendermaßen umschreiben: WIR WISSEN: NEGATIVE (positive) EINSTELLUNGEN BEEINFLUSSEN NICHT UNWESENTLICH DEN INTERAKTIONSVERLAUF. DESHALB GIBT ES EINE BERECHTIGUNG DAFÜR, (b) ALS ASH FÜR DAS DIREKTIV (a) ZU NUTZEN. Solche ASH sollen expressive ASH genannt werden. (3) Interaktionsebene (IE): Eine Äußerung ä kann unter bestimmten Bedingungen als ASH dienen, wenn der mit q benannte Sachverhalt auf die aktuell etablierte 'Interaktionsbezie-

Akzeptanzstützung

als textstruklunerendes

Prinzip

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hung' referiert, auf das (mehr oder minder) gemeinsame Ziel ebenso, wie auf die Bedingungen, die zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sind: 24: (a) Wir werden uns heute wohl nicht einig. (b) Hier reden ja alle durcheinander.

Die Umschreibung: WIR WISSEN: WENN KEINE ORDNUNG IN DER INTERAKTION ETABLIERT WURDE ODER EINE ETABLIERTE ORDNUNG NICHT EINGEHALTEN WIRD, DANN KANN UNTER BESTIMMTEN UMSTÄNDEN DIE KOMMUNIKATION NICHT ZUM ERFOLG FÜHREN. DESHALB GIBT ES EINE BERECHTIGUNG DAFÜR, (b) ALS ASH FÜR DAS ASSERTIV (a) ZU NUTZEN: Solche ASH seien interaktive ASH genannt. Sie unterscheiden sich von (kommunikativ-) deontischen ASH dadurch, daß mit ihnen auf die Interaktion als aktuellem Prozeß Bezug genommen wird und nicht auf eine geltende Norm. Sie haben metakommunikativen Charakter. Will man die weiter oben vorgeschlagenen Umschreibungen, die den Hintergrund für das Funktionieren bestimmter ASH bilden, auf eine gängige Unterscheidung von Wissensbereichen beziehen, so wären die auf der Ebene SE angesiedelten eindeutig dem Bereich des enzyklopädischen Wissens (bzw. im Falle der kommunikativ-deontischen ASH dem Interaktionswissen) zuzuordnen und die auf der Ebene IE angesiedelten gleichfalls dem Bereich des Interaktionswissens. Der Bereich AE ist schwerer zu bestimmen: Es kommen für die Einstellungen beide Bereiche in Frage, je nachdem, ob sich die zum Ausdruck gebrachte Einstellung auf den Bereich der 'objektiven' Welt oder auf die Bereiche 'soziale Welt' bzw. jeweilige 'Interaktionswelt' beziehen. - Zu den Beziehungen zwischen ä und äl, die den Verbalisierungsaspekt betreffen: Die Beziehungen zwischen ä und äl sind nicht auf die illokutive und die propositionale Ebene zu beschränken. Sie existieren auch auf der Ebene der Formulierung oder Verbalisierung, d.h. hinsichtlich der sprachlichen Oberfläche der in die Struktur ä l / ä einbezogenen Äußerungen. Sie existieren als Beziehungen zwischen Satztypen, wobei der Grad der syntaktischen Selbständigkeit von ä gegenüber äl die kommunikative Gewichtung der jeweiligen Akzeptanzstützung widerspiegelt. Dabei gilt: Je größer der Grad dieser Selbständigkeit auf der Skala / / ä = Satzglied von äl / ä = Nebensatz im Rahmen eines komplexen Satzes äl / ä = eigenständiger Hauptsatz / / ist, desto größer ist auch das Gewicht, das S der jeweiligen ASH = ä geben will. Hier trifft das zu, was allgemein für die Vorder- und Hintergrundgliederung von Texten ermittelt worden ist: Je grammatisch selbständiger eine ASH ist, desto stärker rückt sie im Rahmen der jeweiligen Kommunikation in den Vordergrund. Mit diesen allgemeinen Feststellungen, die wohl nicht nur auf Strukturen zutreffen, die im Ergebnis einer akzeptanzstützenden Strategie (ASS) entstehen, ist die Bedeutung, die dieser Verbalisierungsebene zukommt, jedoch keines-

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wegs schon entsprochen. Für die Entstehung von Textstrukturen ist auch das folgende Phänomen wichtig: Wenn man analysiert, welcher Aspekt der dominierenden Äußerung ä l jeweils gestützt wird, so ist oftmals nur von einer Stützung des Illokutionstyps die Rede (so bei Mötsch 1987), wobei insbesondere für Assertive noch die Vermittlung über die Verbindung zwischen den propositionalen Gehalten hervorgehoben wird. Diese Stützung wurde weiter oben umschrieben als Antwort auf eine potentielle (oder im Dialog real gestellte) Frage des Typs: WARUM H A N D E L S T DU E I G E N T L I C H S O M I T p? Das reicht aber nicht aus. Bestimmte Textstrukturen sind das Ergebnis von Akzeptanzstützungen, die sich auf die Verbalisierung von ä l bzw. auf einzelne lexikalische Einheiten innerhalb von ä l beziehen: 25: (a) Aus dem Schlamassel kommen wir so schnell nicht raus. (b) Ich sage bewufil Schlamassel, (c) weil jeder andere Ausdruck für diesen Zustand zu schwach wäre. 25 ( b ) und (c) begründen weder die durch 25 (a) ausgedrückte Behauptung als Illokutionstyp noch die Glaubwürdigkeit des propositionalen Gehalts, sondern die stilistisch nicht neutrale und deshalb begründungsbedürftige Wortwahl Schlamassel. Dabei macht S zuerst die Tatsache deutlich, daß es sich bei dieser Wortwahl nicht um einen lapsus linguae handelt, sondern um die bewußt gefällte Entscheidung für ein bestimmtes Lexem. Mit 25 (c) wird diese Wortwahl dann noch begründet: ES G I B T K E I N B E S S E R E S W O R T F Ü R DAS, WAS ICH A U S D R U C K E N WILL. Es handelt sich bei diesen ASH in der Regel um Repräsentative, die propositional vor allem den Bereichen I E und auch A E zugeordnet werden müssen; innerhalb von S E kann es sich nur um den Bereich der 'sozialen Welt' handeln. Das ist auch verständlich: Man kann die Wahl einer Formulierungsvariante nicht mit Sachverhalten begründen, die in einer 'natürlichen' Welt, also außerhalb einer sozialen Welt und ihrer Normen, außerhalb einer Welt der Gefühle oder der jeweiligen Interaktion liegen. Solche Akzeptanzstützungen können als antizipierte (oder im Dialog auch reale) Antworten auf die Frage WARUM F O R M U L I E R S T DU ρ S O ? verstanden werden oder als Erwiderung auf einen potentiellen (oder realen) Einwand des Typs ICH A K Z E P T I E R E NICHT, W I E DU ρ F O R M U L I E R S T . Formulierungsstützende ASH dieser Art sind immer metakommunikativ (vgl. auch das Beispiel 19 in Techtmeier 1994). Man kann nun sicher unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob solche Stützungen auf der Ebene von sprachlichen Formulierungen etwas prinzipiell anderes sind als Stützungen des Illokutionstyps der dominierenden Handlung oder des propositionalen Gehalts der dominierenden Äußerung ä l . Nimmt man dies an, muß man konsequenterweise auf mehreren Ebenen von hierarchischen Handlungsstrukturen eines Textes sprechen; neben der Ebene der 'reinen' IIlokutionsstruktur wäre dann mindestens noch eine argumentative Ebene anzunehmen, auf der die stützende Funktion einzelner propositionaler Gehalte gegenüber anderen abzubilden wäre, und eine metakommunikative Ebene mit den speziellen formulierungsstützenden Relationen. Eine solche Betrachtungsweise würde m . E . aber der engen Verbindung nicht gerecht, die in der Regel zwischen dem illokutiven, dem propositionalen und dem sprachlich-stilistischen

Akzeptanzstützung

als textstrukturierendes

Prinzip

143

Aspekt einer Äußerung besteht und die sich ja auch in den einzelnen Aspekten einer sprachlichen Handlung (ä, int, cond und cons) niederschlägt. Angemessener scheint wohl die folgende Annahme zu sein: Der Erfolg einer dominierenden Handlung äl wird u.a. dadurch gestützt, daß die Akzeptanz des Illokutionstyps, des mit ihm verbundenen propositionalen Gehalts und der gewählten Formulierungsvariante durch spezielle sprachliche Handlungen (ASH) gefördert werden. Ahnliches gilt auch für verstehensstützende sprachliche Handlungen: Auch sie können sich auf den Illokutionstyp selbst beziehen (u.a. dann, wenn dieser durch eine performative Formel selbst benannt wird: Das war eine Aufforderung.), auf den propositionalen Gehalt (u.a. dann, wenn bestimmte reformulierende Erläuterungen gegeben werden, die dann mit Formeln wie ich meine damit, daß ... eingeleitet sein können) und auch auf die sprachliche Formulierung (z.B. in den häufigen Fällen, wo Worterklärungen dazu dienen, lexikalische Mißverständnisse auszuschließen). 2.3

Globale akzeptanzstützende Handlungen

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß nicht alle Äußerungen, denen - unter Handlungsaspekt betrachtet - eine akzeptanzstützende Funktion zugebilligt werden kann, die Bedingungen erfüllen, die für lokale ASH formuliert wurden. Als für die Entstehung 'lokaler Strukturen' entscheidend wurde dabei die unmittelbare Stützung einer im Text identifizierbaren und die ASH unmittelbar dominierenden Illokution betrachtet, eine Stützung, die allenfalls durch 'Schwesterillokutionen' unterbrochen werden kann (vgl. Mötsch in diesem Band). Es gibt andere sprachliche Handlungen, die nicht eine sie jeweils dominierende Einzeläußerung als berechtigt, relevant etc. erscheinen lassen sollen, sondern komplexere Handlungssequenzen beziehungsweise Interaktionszusammenhänge. Sie wurden als globale ASH bezeichnet (vgl. Punkt 2.1). Für solche globalen ASH gelten viele der Erkenntnisse, die im Rahmen der Konfliktforschung in Gesprächen unter dem Stichwort 'Konfliktreduzierung' (vgl. u.a. Schwitalla 1987) oder 'Konfliktentschärfung' (vgl. Held 1991) gewonnen wurden; einschlägig sind für dieses Problem auch einzelne Verfahren, die im Rahmen der 'politeness'-Diskussion herausgearbeitet worden sind (vgl. u.a. Brown/Levinson 1987, Kerbrat-Orecchioni 1991). Um einerseits die einheitliche Kategorie 'akzeptanzstützende Handlung' und andererseits die Unterscheidung in 'lokale' versus 'globale' ASH zu rechtfertigen, seien im folgenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den lokalen und den globalen ASH kurz charakterisiert: - Sowohl lokale als auch globale ASH sind textuelle Reflexe der gleichen Strategie, die weiter oben als akzeptanzstützende Strategie ASS bezeichnet wurde; sie unterscheiden sich unter diesem funktionalen Aspekt von Äußerungen, die anderen strategischen Überlegungen von S geschuldet sind (z.B. einer verstehensstützenden Strategie); - sowohl lokale als auch globale ASH sind als (relativ) selbständige Äußerungen (Handlungen) und demzufolge als Konstituenten eines Textes identifizierbar und unterscheiden sich dadurch von anderen textuellen Konsequenzen der glei-

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chen ASS (den Formulierungsvarianten - ASF, die auf Äußerungen mit einer anderen Funktion 'operieren' können, oder von akzeptanzstützenden Linearisierungen - ASL); den Hauptunterschied findet man, wie gesagt, beim Bezugspunkt für die jeweilige ASH, also bei der Beantwortung der Frage, was jeweils gestützt wird: Handelt es sich im Falle der lokalen ASH um eine Stützung der unmittelbar übergeordneten Handlung, so haben globale ASH andere Bezugspunkte. Sie referieren häufig auf das gesamte interaktionale Geschehen, in dessen Verlauf sie produziert werden, und haben die Funktion, die Akzeptanz komplexerer Außerungsfolgen abzusichern. Solche komplexeren Außerungsfolgen stellen sich als Textabschnitte (im Gespräch: Gesprächsschritte oder Dialogsequenzen) und ganze Texte (Gespräche) dar. Textabschnitte können beispielsweise folgendermaßen durch eine ASH eingeleitet werden: 26: (a) Ich komme jetzt zum Problem X. (b) Meine Ausführungen dazu werden sicher auf Ihren

Widerspruch

stoßen.

Es ist offensichtlich, daß die mit (b) beabsichtigte Akzeptanzstützung sich keinesfalls auf die Ankündigung in (a) bezieht, sondern kataphorisch orientiert ist: Mit (b) soll hier zweifellos die Bereitschaft geweckt werden, auch eine andere als die eigene Position möglichst objektiv zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen. Mit 1 (a) und (b) wurden bereits analoge Beispiele für die Einleitung eines Gesprächsschritts gegeben, mit denen S die Bereitschaft von Η wecken will, ihn anzuhören. Solche globalen ASH dienen aber ebenso oft dazu, einleitend oder abschließend und in diesem Sinne vorausschauend oder rückblickend, die Akzeptanz ganzer Texte/Gespräche zu sichern: 27: (a) Ich freue mich darüber, daß ich wieder einmal Gelegenheit kutieren. (b) Zuerst möchte ich das Problem kurz darstellen.

habe, mit Ihnen

zu dis-

Auch in diesem Fall ist 27 (a) nicht etwa 27 (b) untergeordnet: Die mit (a) ausgedrückte Einstellung dient nicht dazu, die organisierende Funktion von (b) zu stützen, sie soll vielmehr ein Klima erzeugen, das für die Akzeptanz der folgenden Ausführungen nützlich ist. Analoges gilt auch für das Beispiel 28, in dem die ASH sich auf die zurückliegende Außerungsfolge bezieht: 28: (a) So, meine Herrschaften, das war's für heute. (b) Ich hoffe, Sie haben sich nicht allzusehr gelangweilt.

In diesen Kontext gehören auch floskelhafte Wendungen (Grußformeln etc.), die oftmals am Beginn oder am Abschluß von Kommunikationsvorgängen gebraucht werden; auch sie sind als globale ASH einzustufen. Von besonderer Bedeutung sind globale ASH in wechselseitiger Kommunikation (Gesprächen) und besonders in Momenten, in denen 'Kommunikationskrisen' entstehen, durch die ein Abbruch der Interaktion droht. In solchen Situationen produzieren diejenigen Gesprächsteilnehmer, die das Scheitern verhindern wollen, ASH, die die wechselseitige Akzeptanz der einzelnen Interventionen der Teilnehmer erhöhen sollen (vgl. dazu Punkt 3).

Akzeptanzsliizvng ah tezisirukiuriertndes Prinzip

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Es stellt sich natürlich die Frage, ob solche Äußerungen, die der Akzeptanzsicherung in einem globaleren Sinne dienen, auf eine ähnliche Weise als Handlungen charakterisiert werden können wie lokale ASH. Die Antwort darauffällt differenziert aus. Es sind in erster Linie natürlich auch relationale Handlungen, die die drei benannten Bedingungen (KB, AB und RB) zu erfüllen haben (vgl. Punkt 2.1): Die Korrektheitsbedingung ist erfüllt, wenn diese Äußerungen selbst korrekt gebildet sind und einem bestimmten Illokutionstyp zugeordnet werden können. Denn auch diese ASH sind als elementare sprachliche Handlungen selbst natürlich Repräsentative, Direktive, Explorative und (seltener) auch Deklarative. Solche globalen ASH lassen sich darüber hinaus gegebenenfalls auch als (resümierende) Paraphrasen oder Korrekturen etc. einstufen, wenn der jeweils dazugehörende BA nicht eine elementare Äußerung ist, sondern eine ganze Sequenz. In dialogischer Kommunikation haben sie darüber hinaus den Charakter von Initiativen u n d / o d e r Reaktionen, wobei offenkundig der reaktiv-initiative Typ vorherrscht. Von den weiter oben benannten vier Möglichkeiten der Charakterisierung auf der elementaren Handlungsebene gelten also drei auch für die globalen ASH. So sind sie 1: als Exemplar eines bestimmten Illokutionstyps zu charakterisieren, 3: (gegebenenfalls) als Element einer bestimmten Textkonstitutionsrelation und 4: (gegebenenfalls) als Element einer bestimmten interaktiven Konstellation); die Charakterisierung 2: 'als Element einer bestimmten Illokutionshierarchie' trifft für die globalen ASH nicht zu. Dies ist genau der Punkt, in dem sich lokale und globale ASH unterscheiden. Die Adäquatheitsbedingung (AB), die im Falle der lokalen Stützung ä gegenüber äl zu erfüllen hat, ist nur begrenzt anwendbar, da es bei den globalen ASH kein ä l im definierten Sinne gibt. Dennoch muß ä eine für den Rezipienten Η einsichtige Beziehung zu dem jeweiligen Textabschnitt (Gesprächsausschnitt etc.) bzw. (im Falle stereotypisierter Formeln mit metakommunikativem Charakter) zu dem jeweiligen interaktionalen Geschehen aufweisen. Die Relevanzbedingung (RB) gilt demgegenüber uneingeschränkt: Auch die ä als globale ASH muß auf einen Sachverhalt referieren, dessen akzeptanzstützende Relevanz Η akzeptieren kann (vgl. Punkt 3). Schwierig scheint die Frage zu beantworten zu sein, ob alle für die lokalen ASH aufgelisteten Referenzbereiche für die propositionalen Gehalte von ä auch für ä als globale ASH gelten können. Prinzipiell kann das nicht ausgeschlossen werden. Dennoch zeigen alle empirischen Analysen zu diesem Phänomenbereich, daß es vorwiegend die Interaktionsebene IE und die 'soziale Welt' (als Teilbereich der Sachverhaltsebene SE) sind, aus denen in solchen Situationen 'geschöpft' wird: Es wird an die gemeinsam zu realisierenden Ziele des jeweiligen Kommunikationsvorgangs und an die Kooperationsbereitschaft der Partner appelliert, die eigene Kooperationsbereitschaft wird hervorgehoben, etc. All diese Bezugnahmen sind Bezugnahmen auf die jeweilige 'interaktive Welt', in der die Kommunikation abläuft. Es wird nicht selten auch auf Normen/Regeln/Maximen des sozialen und insbesondere des kommunikativen

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Handelns verwiesen, die generell (das heißt: unabhängig vom aktuellen Kommunikationsvorgang) für eine gegebene 'soziale Welt' charakteristisch sind. Abschließend muß noch eine Bemerkung zu der Komplexität von globalen und lokalen ASH gemacht werden: Bislang wurde immer davon ausgegangen, daß die ASH selbst - unabhängig davon, ob ihnen nun eine akzeptanzstützende Funktion auf lokaler oder auf globaler Ebene zugeschrieben werden kann - elementare sprachliche Handlungen im Sinne des Illokutionskonzepts sind. Solche elementaren Handlungen können natürlich ihrerseits wieder durch andere Stützungshandlungen 'untermauert' werden und damit ganze akzeptanzstützende Sequenzen mit komplizierteren Strukturen erzeugen. Auch hierin unterscheiden sich lokale und globale ASH prinzipiell nicht voneinander. In solchen Fällen wird eine ASH/ ä ihrerseits zur dominierenden ä l für andere subordinierte sprachliche Handlungen. Dennoch ist die Frage zu stellen, ob es in diesem Punkt der 'strukturbildenden Kraft' solcher Äußerungen Unterschiede zwischen den lokalen und den globalen ASH gibt. Sicher ist einerseits, daß dies nicht das Kriterium war, nach dem 'lokale' von 'globalen' ASH unterschieden wurden; dieses Kriterium wurde vielmehr in dem jeweiligen Bezugspunkt für die Akzeptanzstützung gefunden. Das heißt, daß prinzipiell sowohl lokale als auch globale ASH einfach (im Sinne von nicht gestützt) oder komplex (im Sinne von gestützt) sein können. Andererseits kann man annehmen, daß es hinsichtlich der Komplexität der entstehenden Strukturen Frequenzunterschiede zwischen lokalen und globalen ASH gibt: Globale ASH tragen wohl häufiger als lokale zur Entstehung komplexerer Strukturen bei, da Interventionen, die sich auf das globalere Geschehen beziehen,ihrerseits häufiger als die zumeist 'sich selbst genügenden' lokalen ASH begründungsbzw. erläuterungsbedürftig sind. Eine Bestätigung dieser Hypothese müßte jedoch empirisch erfolgen.

3.

Akzeptanzstützung - eine empirische Studie

In der Vorbemerkung wurde behauptet, daß für die Analyse von Texten die theoretische Reflexion ebenso nötig sei wie die konkrete Analyse der empirischen Vielfalt, die oftmals reicher ist, als es sich auch der phantasiebegabteste Linguist in seinem 'Lehnstuhl' vorstellen kann. Es wurde weiter behauptet, daß sich diese Doppelstrategie am Problem der akzeptanzstützenden Handlungen besonders gut nachweisen ließe. Die folgende Analyse soll dies demonstrieren, wobei sich die Autorin darüber im klaren ist, daß bei der konkreten Textinterpretation immer ein gewisser Ermessensspielraum existiert (z.B. dabei, was jeweils als akzeptanzstützende Handlung angesehen wird). 3.1 Die empirische Basis für diese Analyse (vgl. auch Techtmeier 1993) bildet ein kurzer Ausschnitt aus den Diskussionen des sogenannten 'Runden Tisches' (RT), mit dem in der 'Wendezeit' in der damaligen DDR versucht wurde, die mit diesen fundamentalen Umwälzungsprozessen verbundenen gravieren-

Akzeptanzstützung

als textstrukturierendes

Prinzip

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den politischen und sozialen Probleme zu lösen beziehungsweise auch einen friedlichen Verlauf der sich stürmisch entwickelnden Ereignisse sichern zu helfen. Wichtig für das Verständnis der empirischen Materialgrundlage (vgl. Anhang) sind die folgenden Fakten: - Der RT tagte in der Regel einmal wöchentlich; es wurden Probleme diskutiert, die der Wandel in der Gesellschaft generell und die aktuellen Ereignisse in dem jeweiligen Zeitraum speziell aufwarfen. Insofern steht der RT natürlich in einem kommunikativen Kontext, ist er Teil einer Diskurswelt (vgl. Fraas/Steyer 1992), die komplex zu analysieren wäre; im Zuge einer solchen Analyse ließen sich dann auch die intertextuellen Reflexe anderer Kommunikationsvorgänge sicher nachweisen; - der Teilnehmerkreis war im Prinzip festgelegt: Neben den Vertretern der Regierung sollten alle relevanten sozialen Gruppen, deren Interessen zum Teil oftmals geradezu konträr waren, vertreten sein (eine gewisse Fluktuation war damit vorgegeben, da sich ständig neue Gruppen bildeten, die dann auch am RT zu Wort kamen, ebenso wie bislang nicht in Erscheinung getretene Vertreter bereits eingeführter Gruppen, mit denen sich die anderen Interaktionspartner dann erst bekannt machen mußten); - die oftmals hoch kontroversen Debatten wurden durch Moderatoren der wichtigsten in der DDR vertretenen Religionsgemeinschaften geleitet, die allen Beteiligten als integer galten und demzufolge auch von allen Beteiligten in ihrer Rolle als Gesprächsleiter akzeptiert wurden; in dem zu analysierenden Ausschnitt waren dies zwei Moderatoren (S1 und S4), wobei S1 zu dem entsprechenden Zeitpunkt die Diskussion leitete; - die Auseinandersetzungen wurden live von mehreren Rundfunk und Fernsehanstalten in Ost und West übertragen, weis ihnen natürlich ein bestimmtes Gepräge gab. Der einleitende Gesprächsschritt 28 des Moderators S1 macht (ebenso wie zahlreiche Anspielungen vieler Teilnehmer im Verlaufe der Debatten) deutlich, daß sich die Teilnehmer über den medialen Charakter dieser Gespräche am RT sehr wohl im klaren waren; die 'Bevölkerung', die diese Debatten live oder in Zusammenfassungen verfolgte, saß also immer mit am Tisch (vgl. Burger 1990 und 1991); - dennoch waren es keine 'Gespräche zum Fenster hinaus' mit vorher festgelegten Rollen und Argumentationen, keine inszenierten Gespräche; der Ausgang war ungewiß, die Situation so ernst, daß 'Kommunikationsspiele' nicht gefragt waren; es waren echte Problemlösungsgespräche. Die Konsequenzen dieser Gespräche waren erheblich: Jedes Scheitern konnte bewaffnete Auseinandersetzungen zur Folge haben, auch darüber waren sich die Beteiligten im klaren; es liegt deshalb auf der Hand, daß die Teilnehmer (insbesondere die für den Erfolg der ablaufenden Kommunikation hauptverantwortlichen Moderatoren) zahlreiche Initiativen ergriffen, um die wechselseitige Akzeptanz der Gesprächsschritte abzusichern;

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- die Gesprächssituation war für die Beteiligten ungewohnt; es gab im deutschen Sprachraum keine Präzedenzfälle für 'runde Tische', die live übertragen wurden. Es gab also auch keine eingespielten Routinen; Normen und Regeln des interaktionalen Handelns mußten erst eingeführt, bzw. zu Beginn eingeführte mußten immer wieder neu durchgesetzt werden, was u.a. zu einem hohen Anteil an Verfahrensdebatten führte; - auch der analysierte Gesprächsausschnitt ist eine solche Verfahrensdikussion. Allerdings läuft diese zu einem Zeitpunkt ab, als die gesamte Kommunikationsgemeinschaft 'Runder Tisch' durch einen Teil der Mitglieder prinzipiell in Frage gestellt wird, nachdem die anwesenden Regierungsvertreter immer wieder durch Ausflüchte verschiedener Art versucht hatten, möglichst wenig Informationen zum Reizthema 'Auflösung der Staatssicherheit'zu geben; hieraus resultiert der hochkontroverse Charakter dieser Verfahrensdiskussion: Die 'Oppositionsgruppen' hatten eine Unterbrechung der Verhandlungen verlangt, nachdem zum wiederholten Male der RegierungsVertreter einen wenig aussagekräftigen Bericht zu dem erwähnten Thema vorgelegt hatte. Nun werden die Verhandlungen mit der 'Erklärung der oppositionellen Gruppen' wiederaufgenommen. Dabei wird schnell klar, daß diese Erklärung den Fortgang der Debatte prinzipiell in Frage stellt, und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen kann die in Punkt 3 der Erklärung erhobene Forderung nach dem persönlichen Erscheinen des Regierungschefs am selben Tage überhaupt nicht erfüllt werden, weil er gar nicht im Lande ist, was zumindest einer der Moderatoren und einer der anwesenden Regierungsvertreter wissen (vgl. 43 und 47); ob dies jedoch auch die Formulierer der 'Erklärung' wissen, bleibt offen, wäre allerdings interessant für die Benennung der Ziele, die zu dieser Erklärung geführt haben; zum anderen birgt die in Punkt 2 enthaltene Erklärung, die Verhandlungen prinzipiell (also auch über andere Tagesordnungspunkte) bis zum persönlichen Erscheinen des Ministerpräsidenten nicht fortsetzen zu wollen, die Gefahr in sich, daß der RT damit überhaupt beendet wird. Es ist erwartbar, daß in einer solchen, außerordentlich konfliktären Situation zahlreiche ASH produziert werden, die auf lokaler und auf globaler Ebene eine Stützungsfunktion haben. 3.2 Lokale ASH können - per defmitionem - nur innerhalb der einzelnen Gesprächsschritte auftreten (vgl. die Definition der lokalen ASH in Punkt 2.2); folgende lokale ASH sind in dem Gesprächsausschnitt mindestens feststellbar: 28 (b) = ASH zu 28 (a), womit eigentlich die Unterlassung einer Handlung begründet wird: 28A: (a) Wir haben die Sitzung nicht verabredungsgemäß (pünktlich) eröffnet, (b) damit die Einschaltmöglichkeiten beim Rundfunk nach den Nachrichten sind.

gegeben

Diese ASH verweist auf das Wissen der Interaktanten über den medialen Charakter der ablaufenden Kommunikation: Wenn eine Interaktion von den Medien live übertragen wird, so müssen die Interaktanten auf die Bedingungen des Mediums Rücksicht nehmen (hier darauf, daß Nachrichten zu festen Zeit-

Akzeptanzstützung

als textstrukturierendes

Prinzip

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punkten übertragen werden). Deshalb kann der Hinweis auf diese Bedingungen die mit 28 (a) ausgedrückte Entschuldigung stützen; 28 (b) ist eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE); - 31 (e) = ASH zu 31 (d), die eine Mißtrauenserklärung enthält; diese ASH verweist auf das Wissen der Interaktanten über die Partnervoraussetzungen in einer Kommunikation: Wenn der Interaktionspartner nicht in der Lage oder nicht willens ist, seinen Interaktionsverpflichtungen nachzukommen, dann kann eine Benennung dieses Zustande die Berechtigung für eine Mißtrauenserklärung unterstützen; 31 (e) ist eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE); - 32 (d) = ASH zu 32 (e), die eine Bitte darstellt; auch diese ASH verweist auf das Wissen der Interaktanten über die Partnervoraussetzungen in einer Kommunikation, nur geht es diesmal um die interaktiven Konsequenzen des 'Ausstiegs' eines der beteiligten Partner aus der Kommunikation: Wenn einer der beteiligten Partner die Kommunikation einseitig beendet, hat dies auch Konsequenzen für die anderen Partner. Wenn dem so ist, kann eine Benennung dieses Zusammenhangs die Berechtigung für eine B i t t e zur kollektiven Problemlösung unterstützen; 32 (d) ist eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE); - 34 (a) = ASH zu 34 (b); Charakteristik s. ASH 32 (d); es handelt sich um eine erklärende Reformulierung von 32 (d); - 35 (d) = ASH zu 35 (c)/(b); dabei handelt es sich bei (c) um eine Frage, die ihrerseits von (b) abhängig ist; diese ASH verweist auf das sprachliche Wissen der Interaktanten, speziell auf das lexikalische Wissen: Wenn die Interaktanten bestimmte lexikalische Einheiten verwenden, so übernehmen sie damit auch die Verpflichtung, die mit diesen Einheiten verbundenen denotativen und konnotativen Bedeutungselemente auch wirklich zu 'meinen'. Wenn dem so ist, kann eine Benennung dieser Bedeutungselemente die mit der Frage (c) verbundene Bedeutungsinterpretation stützen; 35 (d) ist eine deontische ASH (Begründung, Bereich SE/soziale Welt: sprachliche Normen); - 37 (e) = ASH zu 37 (c), wobei (c) eine Behauptung darstellt, die in (d) erläutert wird; diese ASH verweist wiederum auf die medialen Bedingungen des laufenden Kommunikationsvorgangs, diesmal allerdings auf die für die Situation typische 'Mehrfachadressierung' in medialer Kommunikation: Weil die Interaktanten wissen, daß nicht nur die unmittelbar am R T miteinander Kommunizierenden zu den Interaktionspartnern gehören, kann ein Verweis auf diese 'eigentlichen Adressaten massenmedialer Kommunikation' die in (c) ausgedrückte Kritik stützen; 37 (e) ist eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE); - 52 (c) = ASH zu 52 (b), die eine Bitte ist; diese ASH verweist auf das Wissen der Interaktanten um die Bedingungen von Problemlösungen: Wenn ein Problem, dessen Lösung die Voraussetzung für die Lösung eines anderen Problems ist, ungelöst bleibt, ist auch das Nachfolgeproblem nicht klärbar. Deshalb kann eine Thematisierung dieses Zusammenhangs eine stützende Funktion erhalten; 52 (c) ist eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE);

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- 56 (1) = ASH zu 56 (i) 56 (k) = ASH zu 56 (i)/(l); dabei ist die dominierende Handlung (i) ein Vorschlag; um diese lokalen Abhängigkeitsverhältnisse deutlich zu machen, sollen die beteiligten Äußerungen, von den 'Mühen der dialogischen Gestaltung gereinigt', paraphrasiert werden: 56 A: (i) Ich schlage vor, daß wir die Antwort der Regierung abwarten und in der Zwischenzeit den Bericht über die Gesetzesvorlagen entgegennehmen, (1) damit wir die Zeit sinnvoll nutzen können, (k) denn wir haben so viele Punkte, die noch zur Information nötig sind.

Die ASH (1) verweist auf das Wissen der Interaktanten um eine Bedingung erfolgreichen Kommunizierens, die sich mit 'Ökonomie der zur Verfügung stehenden Zeit' umschreiben ließe. Deshalb kann der Hinweis auf den Zeitfonds und seine Nutzung eine stützende Funktion für den Vorschlag haben, die Diskussion trotz der aufgetretenen Probleme fortzusetzen. Die ASH (k) verweist demgegenüber auf ein aktuell aufgetretenes Problem im Zusammenhang mit dem Zeitfonds, das den Vorschlag als besonders berechtigt erscheinen läßt; 56 (1) und (k) sind interaktive ASH (Begründungen, Bereich IE); - 59 (c) = ASH zu 59 (b), die die Reformulierung einer Bitte ist; auch diese Äußerungsfolge muß paraphrasiert werden, um die lokalen Abhängigkeitsverhältnisse deutlich zu machen: 59A: (b) Ich bitte darum, daß die Zusammenkunft unterbrochen wird und daß wir uns nach zwanzig Minuten wiedertreffen, um unsere Erklärung entgegenzunehmen und um uns darüber zu verständigen, zu der Frage 16 Uhr, (c) damit die anderen Parteien und Bewegungen möglicherweise auch unsre Stellungnahme dazu [zur Kenntnis nehmen].

Die ASH (c) kann deshalb den mit (b) ausgedrückten Vorschlag (nach einer kurzen Pause erneut zusammenzukommen) stützen, da ein gemeinsames Wissen über die gegebene interaktive Konstellation vorhanden ist: Es gehörte zu den etablierten Normen des Runden Tisches, daß die beteiligten Partner Erklärungen und Stellungnahmen austauschten und diskutierten, denn die wechselseitige Kenntnisnahme unterschiedlicher Positionen wurde als eine wichtige Voraussetzung für die Problemlösung erkannt; 59 (c) ist eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE). 59 (d) ist gleichfalls als eine ASH zu betrachten; auch sie bezieht sich auf 59 (b), allerdings auf eine indirektere Weise: Sie stützt eigentlich eine im Text gar nicht vorhandene Äußerung des Typs: * /Wir konnten unsere eigene Stellungnahme bislang noch gar nicht (d) denn wir haben eure ja gerade erst zu lesen bekommen.

ausarbeiten,

(d) ist also ihrerseits als eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE) dafür anzusehen, daß die Erarbeitung der eigenen Stellungnahme eine Pause und die Diskussion der Stellungnahme eine Wiederaufnahme der Debatte erforderlich macht. - 69 (b) = ASH zu 69 (a), die eine Bitte ist; (b) kann deshalb als ASH fungieren, weil die Partner wissen, daß eine genaue Spezifizierung der Vertreter einzelner Positionen eine wichtige Voraussetzung für die Problemlösung ist: Man muß in

Akzeptanzsiützung als teztstruklurierendes Prinzip

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einer solchen großen und widersprüchlichen Runde wissen, wer welche Meinung vertritt. Deshalb kann ein Hinweis auf diese Notwendigkeit stützend wirken; 69 (b) ist eine interaktive ASH (Begründung, Bereich IE); - 69 (c) = ASH zu 69 (b), die eine Feststellung (und ihrerseits eine Begründung gegenüber 69 (a)) ist; diese Äußerung referiert auf das Normenwissen der Interaktanten: Erklärungen werden in der Regel unterzeichnet, und das nicht nur in der konkreten Interaktionssituation. Deshalb kann ein Hinweis auf diese kommunikative Norm akzeptanzstützend für die geäußerte Bitte sein; 69 (c) ist eine deontische ASH (Bereich SE/soziale Welt), eine die Begründung (c) stützende (untermauernde) Feststellung; selbst ist sie jedoch nicht als Begründung zu interpretieren. Zweifellos können in diesem Gesprächsausschnitt weitere ASH gefunden werden; auch die Aufdeckung lokaler Strukturen ist j a letztlich eine Frage der Textinterpretation, die immer auch subjektiv ist. Für die hier analysierten gilt jedoch, daß sie ausnahmslos aus den Bereichen IE und in einigen Fällen auch SE/soziale Welt stammen und daß sie - von einer Ausnahme abgesehen - Begründungen sind. Die absolute Dominanz des ΙΕ-Bereichs resultiert natürlich aus dem Charakter der Debatte als Verfahrensdiskussion. Dies stellt sich in anderen Diskussionsphasen des RT etwas anders dar (auch wenn der IEBereich aus den erwähnten Gründen immer eine außerordentlich große Rolle spielt). 3.3 Wenn man den Diskussionsausschnitt des RT aufmerksam liest und gründlich zu interpretieren versucht, dann wird schnell deutlich, daß mit der Feststellung der lokalen Strukturen, an denen ASH beteiligt sind, noch nicht allzu viel ausgesagt wird über die Komplexität der im vorliegenden Fall oftmals auch wechselseitigen Akzeptanzsicherungen. Diese geraten erst ins Blickfeld, wenn man auch die sprachlichen Handlungen berücksichtigt, denen in einem globaleren Sinne eine solche akzeptanzsichernde Funktion zugeschrieben werden kann (vgl. 2.3) beziehungsweise weitere akzeptanzsichernde Aktivitäten, die sich nicht in speziellen Äußerungen niederschlagen, sondern eher die Gestaltung derjenigen Äußerungen prägen, denen nicht eine primär akzeptanzsichernde Funktion zugeschrieben werden kann, die also keine ASH im definierten Sinne sind, wohl aber Reflexe einer akzeptanzstützenden Strategie ASS (vgl. 2.1). Die Verfahrensdebatte wird durch 31 'Erklärung der oppositionellen Gruppen' eröffnet, in der in eindeutiger Form erklärt wird, die Verhandlungen unterbrechen zu wollen. Diese 'Erklärung' besteht aus Deklarativsätzen, die nicht akzeptanzstützend untermauert sind, was der Erklärung einen apodiktischen Charakter verleiht. Die einzige lokale ASH innerhalb von 31 begründet die Mißtrauenserklärung in (d), wirkt auf globaler Ebene aber eher konfliktverschärfend, da sie einen schweren Vorwurf an zwei Teilnehmer der Veranstaltung enthält. Es gibt für den Moderator in dieser Situation eigentlich nur zwei Handlungsmöglichkeiten: die Erklärung zu akzeptieren und die Verhandlungen vorerst zu beenden oder zu versuchen, trotz dieser Erklärung einen Konsens über die Fortsetzung der Verhandlungen herbeizuführen, weis bedeutet, daß die

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Erklärung zumindest in einigen Punkten abgemildert werden muß. Der Moderator entscheidet sich für eine Strategie der Konfliktentschärfung, «ras bedeutet, daß er mehrere Initiativen ergreift, um den Gesprächsschritt 31 selbst zu modifizieren bzw. für die anderen Partner akzeptabel zu machen. Dabei erhält er die Unterstützung von S4, seinem Moderatorenkollegen, und bis zu einem gewissen Grade auch von den Diskussionsteilnehmern S5 und S6 M : - Umdefinition der Funktion von 31: Mit 32 und 34 unternimmt S1 den ersten Versuch in dieser Richtung: nicht einseitige, an sich keine argumentative Behandlung duldende Erklärung, sondern Beschlußvorlage, die die Möglichkeit einer kollektiven Diskussion eröffnet; daß sich S1 dieses Verfahrens bewußt ist, macht die lokale ASH 32 (d) deutlich; dieser Vorstoß wird dann auch folgerichtig von S3, einem Mitautor der Erklärung, zurückgewiesen, der die Funktion von 31 noch einmal metakommunikativ unterstreicht. Im Verlauf der Debatte lebt dieses Problem noch einmal auf, nachdem S3 erneut unterstrichen hat, daß die Autoren der Erklärung 31 nicht gewillt sind, die Diskussion bis zur Erfüllung der in Punkt 3 erhobenen Forderung fortzusetzen: Wieder ist es Sl, der mit 56 (b)-(h) den Punkt 2 der Erklärung als Beschlußvorlage umdefiniert und als akzeptanzstützende Begründung darauf verweist, daß ja mit einer einseitigen Beendigung der Kommunikation auch die Geschäftsordnung berührt wird, was einen Konsens aller Beteiligten erfordert. - Verbale Entschärfung von 31; diesen Versuch einer 'globalen Akzeptanzssicherung' unternimmt S4 mit 35: Nicht das die Aufrichtigkeit der Hauptadressaten für die Erklärung in Frage stellende Wort Mißtrauen sei doch wohl gemeint, sondern das von S4 als harmloser eingestufte Mißfallen. Auch diese Initiative wird zurückgewiesen: diesmal von S2, der die Wortwahl begründet. - Bitte um Rücknahme einer der in 31 enthaltenen Punkte (Deklarativ 31 (g)) bei prinzipieller Zustimmung zu 31; S5 versucht mit 39 zu vermitteln und den Fortgang der Diskussion trotz Punkt 2 der Erklärung zu ermöglichen (er wird dabei durch S6 mit 45 (g)/(h) und durch S8 mit 51 unterstützt); auch Sl greift dies mit 54 (c) auf. - Steuerung des Diskussionsverlaufs zu den einzelnen Punkten von 31; der für die Fortsetzung der Kommunikation als bedrohlich empfundene Punkt 2 soll zugunsten des Punktes 3 zurückgestellt werden; diese Initiative unternimmt der Moderator Sl mehrmals (vgl. 40 und 52). - Infragestellen der Handlungsvoraussetzungen für eine der in 31 enthaltenen Aufforderungen; S4 unternimmt mit 43 einen erneuten Versuch der globalen Akzeptanzsicherung: Hinter der Äußerung 43 (a) steht die richtige Einsicht in eine der wesentlichsten Gelingensbedingungen für Aufforderungen: Sie müssen durch den Rezipienten prinzipiell erfüllbar sein; nur in einem solchen Fall kann man den Grad seiner Kooperativität an der wirklichen Erfüllung messen. Dies bringt S4 in 43 (d) auch expressis verbis zum Ausdruck, was deutlich macht, daß kommunikationsbewußte Sprecher (und zu denen ist S4 zweifellos 14

Die Analyse berücksichtigt im wesentlichen den Verlauf der Debatte.

Akzeptanzstützung

als textstrukturierendes

Prinzip

153

zu zählen) sehr wohl ein Wissen über die Bedingungen haben, die mit einzelnen Handlungstypen verbunden sind. Diese Lesart wird auch durch S1 mit 50 (b) aufgegriffen, der das Problem der Erfüllbarkeit als ein technisches bezeichnet. - 'Entemotionalisierung' der Kontroverse; S6 thematisiert mit (45) (a)-(c) die Bedingungen für 'einseitige' Interaktionsschritte, die eigentlich keines kollektiven Konsenses bedürfen; er tut dies mit Mitteln der Ironie (indem er den aktuellen Interaktionsstand beschreibt, wo genau dies versucht wird), um Entspannung in die Auseinandersetzung zu bringen. - Umwandlung einer (ultimativen) Aufforderung in eine Anfrage; S1 bittet mit 46 (f)-(m) den Vertreter der Regierung, die in 31 (i) = Punkt 3 der Erklärung enthaltene Aufforderung als Anfrage an den eigentlichen Adressaten (den Regierungschef) weiterzugeben. Dabei benutzt er - wohl wegen der vorausgegangenen Auseinandersetzung um den Charakter von 31 - zwar das Lexem Erklärung, zeigt aber mit (46) (i)/(j), daß er diese doch wohl eher als Anfrage definiert wissen möchte. Es gibt im Text Indikatoren dafür, daß S1 sich dieser Umwandlung durchaus bewußt ist (vgl. die zweimal zu verzeichnende besondere Akzentuierung von ob sowie die metakommunikative Äußerung (46) (k)). Einem ähnlichen Ziel dienen auch 48 (c) und die vom Sprecher S7 produzierten Äußerungen 47 (t)/(u). Mit 52 (b) - insbesondere mit der hervorgehobenen Formulierungsvariante Notwendigkeit und mit der lokal stützenden Äußerung 52 (c) - wird dann gleich noch eine Begründung (lokale ASH) mitgeliefert, die im Falle von Fragen erwartet werden kann, im Falle von ultimativen Aufforderungen jedoch verzichtbar wäre. - Entschärfung der mit 31 (d)/(e) ausgedrückten Kritik durch Anerkennung der Berechtigung für diese Kritik ('Selbstkritik' der Adressaten); 47 (a)-(f) soll die Kooperativität der Kritisierten unterstreichen und damit dazu beitragen, ein Scheitern zu verhindern (vgl. auch 47 (q), mit der dies direkt expliziert wird); - Umdeutung einer Situationsdefinition; im Zusammenhang mit dem Punkt 2 der Erklärung, der - wie gesagt - für den Kommunikationserfolg die größte Gefahr in sich birgt, ergreift Sl mit 56 (i)-(l) erneut die Initative: Da die Autoren der Erklärung 31 nicht auf den Punkt 2 dieser Erklärung verzichten (vgl. 55), also auf Aussetzung bestehen, was einem (zumindest zeitweiligen) Abbruch der Kommunikation gleichkäme, soll er gültig bleiben; um dennoch einen Fortgang der Diskussion zu ermöglichen, soll in der Zwischenzeit keine wechselseitige, problemorientierte Diskussion, sondern eine einseitige Information erfolgen, die trotz Aussetzung möglich sein müßte (vgl. auch die Unterstützung dieser Initiative durch S6 in 59 (e)). Daß Sl sich dieser Umdefinition bewußt ist, zeigt die in sehr expliziter Weise auf globale Akzeptanz zielende metakommunikative Äußerung 56 (j). Dieser Vorschlag, von dem Sl natürlich weiß, daß er wahrscheinlich zurückgewiesen werden wird, wird deshalb auch durch 56 (k)/(1) lokal gestützt. Noch einen Schritt weiter geht S6, der - nachdem er schon mehrfach den Vorschlag unterbreitet hatte, doch einfach die Verhandlung nur kurz zu unterbrechen (vgl. 45 (i) und 59 (b)), was er mit eigenen Bedürfnissen bzw. mit den Bedürfnissen anderer Diskussionsteilnehmer begründete (vgl. 45

154

Bärbel

Techtmeier

( f ) u n d 5 9 ( c ) / ( d ) / ( h ) ) - den ganzen Vorgang einfach als Unterhaltung definiert (vgl. 61 (b)): Wir können uns einfach mal drüber unterhalten! D a s Definitio n s a n g e b o t Information wird schließlich v o n allen a n g e n o m m e n , es wird als V e r m i t t l u n g s a n g e b o t akzeptiert, w i e 63 d e u t l i c h m a c h t . D i e s e e m p i r i s c h e A n a l y s e hat gezeigt, daß S t ü t z u n g e n , d i e als lokale u n d globale A S H definiert w u r d e n , einerseits sehr e n g m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n sind, o h n e daß e i n e a b s o l u t e Identität zwischen i h n e n b e s t e h t . Sie sind - w i e ausgeführt w u r d e - das R e s u l t a t derselben S t r a t e g i e u n d t r e t e n deshalb a u c h o f t g e m e i n s a m ( b e g l e i t e t a u c h von weiteren a k z e p t a n z f ö r d e r n d e n M e r k m a l e n ) in den T e x t e n auf. Andererseits gibt es lokale A S H , d i e i m G e s a m t k o n t e x t d e s T e x t e s o d e r d e s G e s p r ä c h s geradezu gegenteilig wirken, d i e also auf globaler E b e n e e i n e konfliktverschärfende F u n k t i o n h a b e n . D i e s ist i m m e r d a n n der Fall, w e n n sie in einer Kontroverse zur v e r d e u t l i c h e n d e n S t ü t z u n g einer der konträren P o s i t i o n e n verwandt werden. U n d die empirische A n a l y s e z e i g t a u c h , daß es g l o b a l e A k z e p t a n z s i c h e r u n g e n gibt, die keineswegs auf lokalen A S H operieren. E i n e differenzierte Betrachtung des P r o b l e m s der A k z e p t a n z s i c h e r u n g ist d e s h a l b z w i n g e n d g e b o t e n .

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Akzeptanzslützung

ah teztslruklvrierendes

Prinzip

155

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156

Bärbel

Techtmeier

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Anhang Zentraler Runder Tisch vom 8.1.1990 (Mitschnitt einer live-Ubertragung im Rundfunk) Vorbemerkungen 1. Es handelt sich bei dem folgenden Gesprächstext nicht um ein Transkript im traditionellen Sinne (vgl. Ehlich/Switalla 1976; Brinker/Sager 1989). Vielmehr wurde der gesprochene Text interpretierend verschriftet, da die zur Debatte stehende funktionale Problemstellung sowie der (relativ geordnete) Ablauf der Debatte dies erlauben. Eine exakte Transkription war also nicht erforderlich, sie wurde deshalb auch im Interesse der leichteren Lesbarkeit sowie der Nachvollziehbarkeit der Interpretation vermieden. 2. Die Interpretation bezieht sich vor allem auf die Gliederung in Gesprächsschritte-GS (durch Zahlen belegt) und Gesprächsakte-GA (durch Buchstaben belegt); während Gesprächsschritte sich ohne größere Mühe ausgliedern ließen, bereitete die Gesprächsaktbestimmung größere Schwierigkeiten; es sind genau diejenigen, die im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Sprechakten seit langem diskutiert werden. Der vorgeschlagenen Einteilung liegt ein funktional-thematisches Kriterium zugrunde (vgl. Techtmeier 1984a), was dazu führt, daß in der Regel einem Gesprächsakt auch eine Satzeinheit entspricht. Dabei gibt es aber Ausnahmen: So werden strukturierende Gesprächsakte als gesonderte ausgewiesen, obgleich sie keinen Satzstatus haben (vgl. 31 (c), (f), (h), (j), (1)), weil sie funktional anders einzuordnen sind als die benachbarten Gesprächsakte. Andererseits sind auch zusammengesetzte Sätze unter bestimmten Voraussetzungen als einheitliche GAs zu bestimmen. Besondere Schwierigkeiten bereiten zusammengesetzte Sätze, die ein performatives Verb enthalten, mit dem die Funktion des jeweiligen GA benannt wird. Diese werden als eine Einheit gefaßt, auch wenn im Nebensatz mehrere Spezifizierungen enthalten sind; sie werden hingegen als gesonderte GA behandelt, wenn das performative Verb wiederholt wird (weil dann davon ausgegangen werden kann, daß der Sprecher zwei Handlungen intendiert hat). Bei dieser Unterscheidung spielen auch intonatorische Indikatoren eine Rolle.

Akzeptanzstüizung

als teztsirukiurierenies

Prinzip

157

Darüber hinaus werden auch einfache Rederechtszuweisungen auf Grund ihrer funktionalen Bestimmung als gesonderte GA ausgewiesen, Anreden hingegen nur dann, wenn sie allein die Funktion einer Rederechtszuweisung erfüllen. Nicht selten sind Gesprächsakte ineinander verschachtelt, was vor allem dadurch entsteht, daß Stützungen zu einzelnen Elementen der dominierenden Handlung vorgenommen werden, bevor diese abgeschlossen ist; dies wirkt sich auch auf die Kennzeichnung der GA aus: Eine Anordnung wie (a), (b), (a) etc. kann also durchaus beabsichtigt sein. 3. Die Orthographie wurde an die standardsprachliche Norm angepaßt, um die Lesbarkeit zu erhöhen. Spezifika mündlichen Sprachgebrauchs (Satzabbrüche, Partikelgebrauch, Versprecher etc.) wurden beibehalten. 4. Als funktional zu interpretierende besondere Akzentuierungen wurden durch Unterstreichen hervorgehoben; desgleichen werden als 'funktional' zu interpretierende Pausen angegeben. 28 S l :

(a) (b) (c) (d)

(e) (f) (g) (h) (i) (j) 29 S2: 30 S l : 31 S2:

(a) (b) (c) (d)

Wir haben mit äh dem Beginn der Sitzung noch etwas gezögert, damit die Einschaltmöglichkeiten beim Rundfunk nach den Nachrichten gegeben sind. Ich glaube, wir sind so weit. Ich eröffne nach der beantragten und beschlossenen Unterbrechung unsere Sitzung zum T h e m a 'Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit' [...] Wir kommen zum Punkt „Erklärung der oppositionellen Gruppen", ich rufe auf, wer... [Gemurmel] Es ist ausgeteilt. Haben alle ihn in der Hand? Trotzdem bitte ich, ihn mündlich vorzutragen, Wer wird das... [Gemurmel] Ich übernehme das. Herr Schnur, sind Sie so nett und drücken? Erklärung der oppositionellen Gruppen und Parteien. ich bitte das zu ergänzen. Erstens. Die Teilnehmer der Opposition am Runden Tisch sprechen dem Zivilbeauftragten des Ministerrates zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit und dem Regierungsbeauftragten, Herrn

(e)

Staatssekretär Halbritter, das Mißtrauen aus, da sie nicht in der Lage waren, die von uns im Interesse der Bevölkerung gestellten Fragen zu beantworten.

(f) (g)

Zweitens. Die Opposition setzt ihre Teilnahme a m Runden Tisch bis

(h) (i)

16 Uhr aus. Drittens. Die Opposition fordert den Ministerpräsidenten unter Beteiligung des Generalstaatsanwaltes und des Ministers des

158

Bärbel

(j) (k)

32 S l :

Fünftens. Die Regierung wird aufgefordert, einen schriftlichen Zwischenbericht zur Auflösung des Amtes fur Nationale Sicherheit unter Einbeziehung der Fragestellungen vom 8.1.1990 sowie einen Stufenplan über die weiteren Maßnahmen bis zum 15.1.1990 dem Runden Tisch vorzulegen.

(a) (b) (c) (d)

Danke, Herr Schnur. Es ist möglich, j a auch konkreter dazu zu sprechen, da diese Erklärung schriftlich vorliegt. Diese Erklärung hat einige Konsequenzen sowohl für die konkrete heutige Arbeit ... Deswegen würde ich doch bitten, bevor ein BeschluB gefaßt wird, daß wir die Möglichkeit der Aussprache darüber geben. Wären Sie damit einverstanden? Wer... [Pause] Herr Schult, bitte! Ich möchte nur noch mal darauf hinweisen, daß es hier nicht darum geht, eine Beschlußfassung zu finden, sondern daS es sich hier um eine Erklärung der oppositionellen Gruppen handelt. J a , nur hat das Konsequenzen insofern, wenn bis 16 Uhr unterbrochen wird, hat das Konsequenzen für die anderen. Deswegen müssen wir beschließen, wie wir [Pause] dann so verhalten. Bitte ... Ich habe noch eine Anfrage, und zwar zu Ziffer 1. Da wird gesagt: Spricht das Mißtrauen aus. Soll das heißen, also, Sie haben uns nicht die Wahrheit gesagt. Das muß man j a so verstehn auch als ... wenn man normales Deutsch spricht. Mißtrauen ... oder soll das Mißfallen heißen, das ist j a was anderes, nich? Möchte jemand... [Pause] Herr Schnur, Sie wollen dazu...? Ich kann da ganz kurz drauf antworten. Ich glaube, der Text ist dort eindeutig. Hier sind viele Fragen gestellt worden, die nicht beantwortet werden konnten.

33 S3:

(a) (b)

35 S4:

(c) (a) (b) (c) (d)

36 Sl: 37 S2:

Innern auf, um 16 Uhr dem Runden Tisch einen Bericht über die innere Sicherheit zu geben. Viertens. Die Regierung wird aufgefordert, innerhalb der Unterbrechung zu überprüfen, ob das vorgelegte Telex des ehemaligen Bezirksamtes für Nationale Sicherheit Gera an die Empfänger abgesandt wurde.

(1) (m)

(e) (f) (e) (g) (h) (i)

34 S l :

Techimeier

(e) (f) (a) (b) (a) (b) (c) (d)

Dies müssen wir seit mehreren Zusammenkünften feststellen, daß liier sachkonkrete Komplexe der Regierung immer wieder

Akzepianzstützvng

(e)

38 S l : 39 S5:

(a) (b) (a)

40 S l :

(b) (c) (d) (a) (b) (c)

(d) (e) (f) (g)

41 S2:

(h) (a) (b) (c)

(d) 42 S l : 43 S4:

(a) (b) (c) (d)

44 S l : 45 S6:

(a) (b) (a) (b) (c)

ah texlstrukturierendes

Prinzip

angetragen werden und da8 dann vielfach gesagt wird, wir müssen es wieder mitnehmen, um dann, sagen wir, etwas vorzulegen, Ich glaube, gerade deshalb hat unsere Bevölkerung einen Anspruch, exakt Auskunft zu erhalten über eine solche komplizierte politische Materie. Das war eine Erklärung dazu, Herr Krause, bitte ... Ahm ... Wir verstehen das Anliegen dieser Erklärung als christliche Demokraten. Diese Erklärung könnte j a weitergereicht werden, dennoch sollte man den Punkt 2 nochmal überdenken. Wir könnten doch bis 16 Uhr arbeiten in der Zwischenzeit. Ah ... Herr Krause, ich würde sagen, das nehm wir jetzt mal zur Kenntnis, stelin es dann zur Debatte, wenn wir beschlossen haben, wie mit Punkt 3 zu verfahren ist, wer die Übermittlung äh übernimmt und wie wir uns verhalten wollen, bis wir eine Antwort erhalten können, ob diesem Anliegen stattgegeben werden kann so versteh ich den ... die Ziffer 3. Ist das so im Sinne der Opposition, Herr Schnur? Wenn Sie... [Pause] Wir müssen j a eine Antwort erwarten, wenn Nummer 3 übermittelt werden soll der Regierung. [Pause] Ja? Ich denke, es ist eine notwendige Konsequenz. es ist deutlich gemacht worden ... es handelt sich hier um eine Erklärung und auch Entscheidung der Opposition am Runden Tisch, daß wir bis 16 Uhr unbedingt den heutigen Runden Tisch aussetzen lassen wollen, damit die Regierung in die Lage versetzt wird, tatsächlich unserem Anliegen Rechnung zu tragen. Herr Ziegler bitte ... Wir müßten uns natürlich erkundigen, ob der Ministerpräsident Modrow überhaupt im Lande ist. Äh diese Frage mufi j a zunächst mal geklärt werden, so viel ich weiß, ist er nicht im Lande. Und davon wird j a die Entscheidung hier, ob die Forderung überhaupt erfüllbar ist, auch mit abhängen. Ja, danke. Herr Gysi hatte sich gemeldet? J a , ich wollte nur sagen, abstimmen kann man j a schlecht darüber, dafi jemand sagt, er will bis 16 Uhr aussetzen. Ich meine, der Runde Tisch ist j a freiwillig. [Lachen] Also sozusagen, wenn jemand eine Zeitlang nicht mehr mit sitzen will, ist das seine Entscheidung.

159

Bärbel

160

(d) (e) (f) (g)

Techlmeier

Die andere Frage wäre, was maichen wir nun bis 16 Uhr? [Bestätigungssignal durch Sl] Das mit dem Ministerpäsidenten ist sicherlich zu prüfen, und ob diejenigen, die also das jetzt erstmalig gehört haben, möglicherweise sich jetzt auch beraten ... weil, das ist j a auch ne Zeitfrage, äh, sowohl was man innerhalb dieser Stunden macht [Bestätigungssignal durch Sl] und auch was danach an Zeit auf uns zukommt ...,

46 S l :

(h)

denn es standen j a wichtige Themen wie Wahlrecht und so weiter noch auf der Tagesordnung. [Versuch einer Unterbrechung durch Sl]

(i) (a)

Und insofern würde ich mal um ne kurze Pause bitten. Ich würde gern trennen [Bestätigungssignal durch S6] äh diese Verfahrensweise, die j a wichtig ist; wir können nicht drüber abstimmen, ob wir aussetzen oder wie das geschieht, aber wir müssen j a darüber befinden, was machen wir bis zu einer Antwort.

(b) (c) (d) (e)

Mein Vorschlag wäre folgendes:

(f)

Dürften wir Herrn Staatssekretär Halbritter bitten, diese Erklärung der Opposition,

(g) (h) (g) (f) (i)

die, so müßten wir vielleicht fragen, von anderen noch unterstützt werden könnte, äh der Regierung zu überbringen, und wir erbitten auch eine Antwort der Regierung, ob dieser Termin so wahrnehmbar ist, ob überhaupt das so möglich ist. Das ist eine richtig gestellt Frage jetzt. Also müssen wir j a irgendwie weiterkommen, Dies wär mein ganz konkreter Vorschlag, wie wir verfahren können.

(j) (k) (1) (m)

47 S7:

(n)

Wir würden Herrn Staatssekretär ... Herr Staatssekretär, könnten Sie dazu etwas sagen?

(a) (b)

Meine Damen und Herren, ich bedauere außerordentlich, daß es hier die Einschätzung gibt, daß Herr Koch und ich äh nicht in der Lage waren, alle Fragen, die heute hier gestellt worden sind, zur Zufriedenheit zu beantworten.

(c)

Ich muß dazu sagen, daß wir in die heutige Beratung gegangen sind mit dem Ziel, wirklich so weit Aufklärung zu schaffen, wie der gegenwärtige Stand der Auflösung dieses ehemaligen Amtes aussieht.

(d)

Ich muß noch einmal sagen,

(e)

und zwar sage ich das in voller Verantwortung,

Akzeptanzstützung

161

die Regierung ist nicht darin daran interessiert, das Vertrauen der Regierung zum Runden Tisch in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen.

(f) (g)

Wenn das heute so hier in Erscheinung getreten ist, muß ich noch einmal sagen,

(f)

ist das für mich ein Beweis dafür, dafi wir unsere Arbeit auf diesem Gebiet entschieden verbessern müssen, vor allen Dingen auch, dafi die Experten hier Rede und Antwort stehen sollten, die das tatsächlich besser beurteilen können.

(h)

Ich bin äh einverstanden, daS wir diese Erklärung hier,

(i) (j) (k)

wenn sie so entgegengenommen wird, ich versuche das mit Herrn Ministerpräsidenten Modrow zu klärn, aber nach meinen Informationen findet eine Beratung der

(m) (n)

RGW-Länder statt, und ich mufi hier sagen, daS ich informiert bin, daS Herr Modrow zu diesem Zwecke gegenwärtig nicht i m Lande weilt, sondern dafi er sich auf der Reise zu dieser Beratung befindet, Im übrigen bitte ich doch zu beachten, meine Damen und Herren,

(m)

ob es wirklich zweckmäfiig und loyal ist, einen Ministerpräsidenten innerhalb von zwei Stunden aufzufordern, eine Sicherheitsanalyse hier vorzulegen.

(o) (p)

Ich nehme doch an, daB wir Verständnis dafür haben müssen, dafi diese Problematik, obwohl sie

(q) (p) (o) (r)

- das sehe ich j a vollkommen ein eine sehr komplizierte und auch sehr sensible Angelegenheit ist, dafi man nicht doch also hier, wie soll ich mal sagen,

(o)

in der Kürze der Zeit äh Möglichkeiten schafft, die wahrscheinlich nicht zu realisieren sind, Das würd ich ... Ich würd das auch bedauern, dafi die Opposition mit dieser Argumentation dann die Sitzung hier äh unterbrechen möchte oder nicht mehr teilnehmen möchte, Ich würde doch bitten, dafi wir zunächst klären, ob es überhaupt

(s)

(t) (u)

möglich ist, dieser Forderung in Ziffer 3 zu entgegenzukommen, und wenn das nicht der Fall ist, sollte m a n die Frage noch einmal neu stellen unter den Bedingungen des anwe ... der Anwesenheit unseres Ministerpräsidenten

(a) (b) (c)

Herr Staatssekretär, wir haben diese Probleme gehört. Sie haben selbst den Vorschlag gemacht, dafi äh es möglich wäre, die Regierung in der Weise der Erklärung aber zunächst doch zu befragen.

(d)

Sehe ich das so richtig?

49 S7: 50 S l :

Prinzip

(d)

(1)

48 S l :

ah leztsirukturierendes

Ja. (a) (b)

Gut. Dürfen wir das entgegennehmen, dafi Sie jetzt bereit wären, diese Erklärung äh der Regierung zu übermitteln und uns dann eine Antwort zu

162

Bärbel

(c)

51 S8:

52 S l :

54 S l :

55 S3: 56 S l :

bringen, ob a) es überhaupt technisch möglich ist wegen Anwesenheit oder eben wie anders die Antwort lauten könnte. Ist das so im Interesse der Teilnehmer des Runden Tisches, wenn wir so verfahren?

(d) (e)

Ich höre hier ... ich sehe [Lachen] ich sehe einige nicken äh Herr Raspe, dazu?

(a)

Ich muS einfach nur mal drauf aufmerksam machen, wir hatten heute morgen den Auftrag, eine Lösung zu linden - mit kompetenten Vertretern hier heute am Tisch noch über die Verfassungsänderung zu reden und äh wir haben hier etwas eingeleitet und haben Herrn gebeten äh, möglichst gegen 15 Uhr

(b) (a) (c)

Herr Bein, so war es, glaub ich? hier an den Tisch zu kommen äh wir müssen einfach real einschätzen, was heute noch möglich ist, was nicht, was wir eventuell dann doch auf den Fünfzehnten verschieben müfiten.

(a)

Danke, aber ich würde gern noch mal trennen, was wir in der Zwischenzeit machen.

(b)

Zunächst einmal steht fest und dann würden wir Herrn Halbritter bitten, diese Erklärung der Opposition so zu übermitteln, faktisch auch

(c) (d) (e) (f) (g) 53 S7:

Techtmeier

als eine AuBerung der Notwendigkeit am Runden Tisch. Denn sonst könn wir gar nicht weiter arbeiten. Findet dies Ihre Zustimmung? Ich nehme jetzt mal das Nicken als Ihre Zustimmung. Herr Halbritter, dürften wir Sie dann bitten, [Pause] diesen Dienst für den runden Tisch zu übernehmen?

(a) (b) (a) (b) (c)

[simultan mit (52 f/g)]: Jawohl, mache ich, ich werde mich sofort informieren. Danke. Und wir erwarten Ihre Antwort. Darf ich jetzt alle die Fragen, die jetzt in dem Zusammenhang geäußert wurden, sagn wir mal, was machen wir in der Zwischenzeit? äh bitten, daB die oppositionellen Gruppen und Parteien noch einmal den Punkt zwei gleichsam aussetzen,

(d)

im Sinne daß diese Unterbrechung gefüllt werden könnte mit notwendigen Dingen, die noch sind.

(e) (a) (b) (a) (b)

Herr Schult bitte dazu. J a , ich denke, die Aussetzung is ne klare Formulierung: Die Opposition wird jetzt diesen Raum bis 16 Uhr verlassen. [Gemurmel] Augenblick, darf ich noch mal äh rückfragen? Wir haben noch nich beschlossen, daß dann der Runde Tisch sich um 16 Uhr wieder trifft.

(c)

Das müßte beschlossen werden.

(d)

Sie können ausziehen, aber das ist noch nicht der Beschluß, daß wir um 16 Uhr wieder weitermachen.

(e)

Das ist ein Geschäftsordnungsantrag.

Akzeptanzstüizung

Es ist eine Änderung der Geschäftsordnung.

(g) (h)

Da muß ich drauf hinweisen. Dann müßt ich jetzt ... miißte jemand oder müßten wir den Antrag stellen, wer dafür ist, daß wir u m 16 Uhr weitermachen.

(i) (j) (k) (i)

Ich schlage vor, u m das vermittelnd zu sagen, wir haben so viele Punkte, die noch zur Information notwendig sind, dafi wir die Antwort der Regierung abwarten und in dieser Zwischenzeit soweit wir den Bericht entgegennehmen über die Gesetzesvorlagen, damit wir die Zeit sinnvoll nutzen können, Hier ist noch zur Geschäftsordnung Herr Gysi. Ja, na, das is doch aber ne klare Formulierung der Opposition, daß sie jetzt ganz offensichtlich nicht weiterverhandeln ... Ja,ich mache nur auf die Konsequenz aufmerksam. Dann müssen wir beschließen, ob wir überhaupt weitermachen wollen. Ja, das ist richtig. Deshalb bitte ich immer noch, über meinen Antrag zu entscheiden, daß wir ne Aussetzungszeit kriegen, damit möglicherweise die andern Parteien und Bewegungen dann auch unsre Stellungnahme dazu - wir haben das j a gerade erst gelesen äh daß wir uns dazu verständigen auch zu der Frage 16 Uhr ... und daß wir hier weiß ich was in zwanzig Minuten uns noch einmal treffen, um unsere Erklärung nur entgegenzunehmen. Das hat sozusagen mit der Aussetzung nichts zu tun. Damit wir dazu ne Stellungnahme abgeben ... Da müßt ich die die Opposition faktisch bitten, ob sie sagen kann, daß wir uns in einer halben Stunde noch einmal treffen, um die

57 S6:

59 S6:

Prinzip

(f)

(1) (m) (n)

58 S l :

ah textsirukturierendes

(a) (b) (a) (b) (c) (d) (b) (b) (e) (f)

60 S l :

61 S6:

(a) (b)

Entscheidung entgegenzunehmen, ob wir ganz auflösen oder ob äh und überhaupt wie wir uns ... geh ich davon aus ... [Durcheinanderreden] Vielleicht gibt es j a auch Zustimmung, wir können uns einfach mal drüber unterhalten!

62 S l :

(a) (b) (a) (a) (b)

J a , Herr Schnur, Sie haben das vorgetragen, darf ich Sie bitten, darüber ... Ich glaube, es geht j a tatsächlich nur u m die Information, und wir werden dann diese Information entgegennehmen,

(c) (a) (b)

werden aber jetzt den Raum verlassen. Dann würden wir gleich sagen, es ist fünf ... vierzehn Uhr zweiundzwanzig,

(a) (c)

um 15 Uhr [Gemurmel] Hab ich was übersehn?

63 S2:

64 S l :

65 S4: 66 S l :

Ja, auch, eine Sache nur ... Ja, bitte, was habe ich Überselm?

163

164 67 S4: 68 Sl: 69 S4:

Bärbel

(a) (b) (c)

70 S2: 71 S4: 72 Sl:

(a) (b) (c)

Techtmeier

Mich! Oh, Herr Ziegler, Entschuldigung. Ich bitte Herrn Schnur noch zu sagen 'Erklärung der oppositionellen Gruppen' ob das alle und und welche das sind, weil das hier nicht druntersteht, in der Regel steht das darunter. Ich werd das unbedingt nachholn. Danke. Dann würden wir uns wiedertreffen um fünfzehn Uhr zur Entgegennahme der Entscheidung. Ich bitte auch die Opposition, diese Entscheidung entgegenzunehmen, mindestens durch Vertreter. Danke.

Kommentar des Rundfunksprechers: Ja, meine Hörer, das ist nun doch eine recht ungewöhnliche, aber nicht so überraschende Situation. Ich sagte j a heute morgen eingangs, daß diese sechste Tagung des Runden Tisches eine entscheidende Tagung ist, in der entschieden werden soll, geht es weiter oder geht es nicht weiter. Und wenn es weitergeht, wie geht es weiter. Sie haben nun diesen Antrag der Opposition vernommen, ein nun für meine Begriffe doch etwas ultimativ gestellter Antrag, daß bis 16 Uhr hier der Regierungschef und der Generalstaatsanwalt zu erscheinen haben, um über die Sicherheitslage des Landes zu berichten, ansonsten äh sieht man sich also nicht in der Lage, die Beratungen hier am Runden Tisch weiterzufuhren. Das ist also die Situation

MARKKU MOILANEN

Zur kommunikativ-funktionalen Interpretation von persuasiven monologischen Texten Im folgenden Beitrag werde ich zunächst ermitteln, wie weit man die kommunikative Funktion eines Kommentartextes als Beispiel von persuasiven monologischen Texten anhand des Modells von Brandt/Rosengren (1991) zur Analyse der Handlungsstruktur von Texten erklären kann. Darauf aufbauend will ich ein alternatives Analyseverfahren entwickeln, das die Mängel des B/R-Modells aufheben soll. Nach Brandt/Rosengren (1991) besteht die Textstruktur zumindest aus zwei Ebenen: der grammatischen und der pragmatischen Ebene. Für die pragmatische Ebene werden zwei autonome, jedoch interdependente Dimensionen angenommen, die Handlungsstruktur und Informationsstruktur genannt werden. Die Handlungsstruktur als Dimension der pragmatischen Ebene weist wiederum drei Ebenen auf, und zwar als primäre Ebene die Illokutionsstruktur, sowie als weitere Ebenen die Sequenzierungsebene und die Formulierungsebene. Die Illokutionsstruktur konstituiert sich aus einzelnen illokutiven Handlungen, die koordinativ oder hierarchisch miteinander verknüpft sind. In einer Illokutionsstruktur mit mehreren hierarchisch geordneten Illokutionen gibt es mindestens eine dominierende und gegebenenfalls mehrere sie stützende Illokutionen. Die Illokutionen, die direkt den Erfolg der dominierenden illokutiven Handlung abstützen, werden als subsidiäre Illokutionen bezeichnet. Der Erfolg der dominierenden Illokution hängt von drei Arten von Bedingungen ab. Der Adressat muß den Komunikationsversuch des Senders verstehen (Verstehensbedingung), das Kommunikationsangebot als angemessen auffassen (Gründe für die Senderhandlung), ferner zu der kognitiven oder physischen Reaktion, die der Sender von ihm erwartet, bereit bzw. in der Lage sein (Gründe für die Empfängerhandlung) (Akzeptierungsbedingungen) und schließlich gegebenenfalls „die Information anführen, die es den Adressaten ermöglicht, die erwünschte Handlung etc. auszuführen" (10) (Ausführbarkeitsbedingung).1 Neben den subsidiären illokutiven Handlungen gibt es sog. komplementäre Handlungen (sach = sachverhaltsstützend und koop = kooperationssichernd), die sich in Illokutionshierarchien integrieren, jedoch nicht auf die oben genannten Erfolgsbedingungen Bezug nehmen. Diese stützen auch den Erfolg der dominierenden Illokution, tragen zu ihrem Erfolg bei, aber nur indirekt, indem etwas, was „im Hinblick auf das Ziel der dominierenden Illokution als relevant bzw. wertvoll betrachtet werden kann", komplettiert, ergänzt wird. Im Prinzip ist jede subsidiäre Illokution auch komplementär, das gilt aber nicht immer umgekehrt. Die Sequenzierung von Illokutionshierarchien wird durch drei Prinzipien determiniert, und zwar durch das Hierarchieprinzip: die Grundreihenfolge der 1

Ähnlich auch Motsch/Pasch (1987).

166

Markku Moilanen

Illokutionen im FAK-Korpus 2 ist komplementär - subsidiär - dominierend subsidiär - komplementär, durch das Ikonitätsprinzip: temporale Abfolge der Sachverhalte in der Wirklichkeit, kausale Zusammenhänge in Grund-FolgeRelation, und durch das Situationsprinzip: die erste und letzte Position der Brieftexte nehmen auf die Kommunikationssituation Bezug, kontextualisieren den Text. Auf der Formulierungsebene trifft der Sender eine Wahl zwischen Konstruktionen und Ausdrücken, mit denen er den Text und seine Illokutionsstruktur verbalisiert. Hier werden Ausdrücke paraphrasiert, erläutert, spezifiziert oder verallgemeinert. Auch diese formulierungsstützenden Ausdrücke dienen dem Erfolg, aber sie tun es sekundär, „indem sie gerade nicht primäre Teile der Illokutionshierarchie sind" (137). Ehe wir die erste Analyse vornehmen, ist eine kurze Charakterisierung des Beispieltextes (s. Anhang) angebracht. Der Text 'Honecker und die Justiz' ist ein typischer Vertreter der politischen Kommentartexte. In diesen wird zuerst die Aussage eines führenden Politikers (hier: des Ministerpräsidenten Stolpe) infragegestellt und dann durch Anführen kontroverser Argumente im Namen der Bürger (hier: in Ost und West) versucht, die Leser und nebenbei auch den/die Politiker zu der kognitiven Reaktion zu bringen, daß die These des Autors (hier: Es ist nicht vergebens, Honecker vor Gericht zu stellen) akzeptabel ist. Anschließend wird versucht, die Zuständigen zu einer Handlung zu bewegen, die den beschriebenen Mißstand beseitigen soll. Der explikativen Komponente (S-l - S-8) liegt somit ein persuasiver Funktionsaspekt (S-9 - S-13) zugrunde (siehe Graphik 1, S. 159). Aus dem Stemma wird ersichtlich, daß der Text drei Illokutionshierarchien (A - C) enthält. Die erste dominierende Illokution (S-l) ASS - dominierend deshalb, weil sie die These des Textes darstellt - stützt der Autor mit den Illokutionssträngen Α und B, die sich auf die Propositionen 'nicht justitiabel' (P.l.1.1.1.) und 'keine Enttäuschung(serfahrung)' (P.l.1.1.2.) in S-l beziehen. 3 Die zweite dominierende Illokution stellt S-9 dar, die hier als indirekte Aufforderung interpretiert wird. Sie wird mit dem Strang C abgestützt. Sind nun S-l und S-9 zwei gleichgestellte Illokutionen, die miteinander konjunkt verknüpft sind oder ist die eine der anderen untergeordnet? Lassen wir den Rest des Textes von S-9 ab weg, ist der übriggebliebene Text nicht mehr kohärent. Ebenso wenig kann der Illokutionskomplex C als Antwort auf die im Text gestellte Frage S-0 gelten. Die explikative und die persuasive Komponente sind somit interdependent. Das erklärt sich dadurch, daß sie zwei sukzessive Handlungsstadien Situationsdeutung und Handlungsziel im generellen Handlungsmodell darstellen (Dazu unten mehr).

2

Texte aus geschäftlicher Korrespondenz.

3

siehe hierzu die argumentative Analyse unten.

Zur kommunikativ-funktionalen

Interpretation

167

ERSTE ANALYSE, MIT DEM INSTRUMENTARIUM VON B/R [ "Justltlabel und "keine Enttäuschung(serfahrung)" ]

S-1 A S S

/

each [einfahr.]

subs

subs

/ S-0 FRAG

[explik] S-4 A S S B.

SACΗ S-5 ASS

SACH S-6 FRAG

SACH

SACH

S-7 FRAG

S-8 ASS

SACH' S-9 A S S > DIR

sach [erganz] S-10 ASS

subs C.

'SACH S-11 FRAG

SACH S-12 ASS

SACH1 S-13 ASS

Betrachten wir die Funktionen der Äußerungen füreinander im Text im einzelnen, läßt sich folgendes feststellen. S-0 FRAG hat in bezug auf S-1 eine sachverhaltsklärende Funktion; sie nennt das Strittige, wozu der Autor dann im anschließenden Text kritisch Stellung nimmt. In dieser Funktion stützt sie den Erfolg von S-1 im Sinne von B/R indirekt. Nach Mötsch (1991: 60) sind solche Passagen am Anfang des Textes eher Kontextualisierungshilfen, die die Interpretation des eigentlichen Textes erleichtern, aber sie „müssen sich nicht auf bestimmte dominierende Illokutionen beziehen, sie können sowohl Aspekte von Illokutionen als auch den ganzen Text als Bezugsgröße haben". S-4 ASS stellt einen Reformulierungsausdruck dar, und zwar wird dadurch der Bezugsausdruck 'Gerechtigkeit', da er ein abstrakter Begriff ist, expliziert (explik). In dieser Funktion ist S-4 eine Verständnishilfe für den Empfänger. Wie die Abbildung aber schon verrät, stützt S-4 ASS zugleich direkt den Erfolg von S-1 ab. Sie macht in der argumentativen Struktur des Textes die generelle Prämisse, das Basiskonditional, aus, das den Informationsblock Β als komplexes Argument der These P.l.1.1.1. 'justitiabel' (= einer Gerichtsbarkeit, einer richterlichen Entscheidung zu unterwerfen) zuordnet. S-10 ASS ist im Sinne von B/R komplementär (sach); der Autor ergänzt damit die Aussage 'nur demaskiert' in S-9. S-9 ASS ist wiederum bifunktional. Einerseits stützt das Syntagma 'nur demaskiert' in S-9 direkt das Syntagma

168

Markku Moilanen

'keine Rachgefühle im Sinne einer gesetzlichen Strafe' und dadurch indirekt die These 'keine Enttäuschungserfahrung' in S-l ASS ab. Wie sie es aber tut, muß mit dem Instrumentarium von B / R mit sach = sachverhaltsklärend abgetan werden. Andererseits stellt S-9 ASS > D I R die zweite dominierende Illokution des Textes dar, indem sie eine indirekte Aufforderung 'aktiver eingreifen' an die Politiker einschließlich Stolpe ist. Die übrigen Relationen in dem Stemma habe ich im Sinne von B / R als subsidiäre Stützungsbeziehungen (subs) interpretiert. Die Illokutionskomplexe A, Β und C scheinen direkt den Erfolg S-l ASS und S-9 ASS > D I R zu stützen. Es fragt sich nur, welches genaugenommen diese Erfolgsbedingungen sind. Für die Akzeptanz der Behauptung 'keine Enttäuschung(serfahrung)' ist von Belang, daß der Empfänger versteht, was der Autor damit in diesem Zusammenhang meint. Die Erfolgsbedingungen entsprechen somit den Gebrauchsbedingungen des Prädikats 'Enttäuschung'. Bei der Verifikation kommt es somit auf die Explikation der Bedeutung des Lexems 'Enttäuschung' an. Aufgrund des angebotenen sprachlichen Materials in S-2, S-3 und S-9 muß der Leser entscheiden, ob er mit dem Autor zur Interpretation 'der Sachverhaltskomplex A kann mit dem Prädikat 'Enttäuschung' nicht bezeichnet werden' bereit ist. Auch für den „Erfolg" der Assertion 'Die Vorwürfe gegen den Ex-DDR-Chef Honecker sind justitiabel' sind die Bedingungen gleich der Gebrauchsweise des Prädikats 'justitiabel', nur die Verifikation verläuft anders. Während die Verifikation von 'Enttäuschung' durch Folgerungen auf der lexikalisch-semantischen Ebene geschieht, muß für 'justitiabel' als Handlungsprädikat eine Maxime herangezogen werden. Statt eines kognitiven Schlusses kommt der Empfänger nun zu einem praktischen Schluß. Die indirekte Aufforderung S-9 wiederum ist erfolgreich, wenn der Autor genügend schwerwiegende Gründe für die erwünschte Empfängerhandlung 'Die Politiker einschließlich Stolpe müssen eingreifen' anführen kann. Zu diesem Zweck zieht er die Normaussage S-12 als Basiskonditional heran, von dem er glaubt, daß es ihn zu der indirekten Aufforderung S-9 berechtigt. Wie sind denn die drei Sequenzierungsprinzipien von B / R in diesem Text repräsentiert? Schon die Grundreihenfolge der Illokutionen scheint bei Kommentartexten typenspezifisch anders zu sein als in verhaltensbeeinflussenden Texten aus geschäftlicher Korrespondenz. Die erste Position ist bei beiden komplementär. Dadurch wird der ganze Text situiert, sein kommunikativer Zusammenhang erläutert. Darauf folgt in vielen Kommentartexten die dominierende Illokution, die These, als Kern der Antwort auf die zu Beginn gestellte Frage. Sie wird dann subsidiär gestützt durch Anführen kontroverser oder rechtfertigender Argumente. Am Ende wird nochmals auf den Anfang des Textes Bezug genommen, und zwar in Form einer bekräftigten oder variierten These.

Zur kommunikativ-funktionalen

Interpretation

169

Die Abfolge der Illokutionen innerhalb der Blöcke Α, Β und C scheint genau festgelegt zu sein. Dies wird ersichtlich, wenn man die Reihenfolge zu ändern versucht. Im Block Α scheint die Abfolge inhaltlich festgelegt zu sein, denn auf der illokutiven Ebene sind die Illokutionen S-2 ASS, S-3 ASS und S-4 ASS unverknüpft. In den Blöcken Β und C könnte die Verknüpfung außer durch das Basiskonditional auch durch Prinzipien der Illokutionsstrukturbildung determiniert sein. Darauf weist das Illokutionspaar FRAG - ASS hin. Der obige Analyseversuch zeigt nach meiner Meinung, daß zur kommunikativfunktionalen Interpretation der persuasiven Texte ein difFerenzierteres Analysemodell vonnöten ist. Zumindest folgende Fragen sind mir bei der Anwendung des Modells von B/R unbeantwortet geblieben: 1) Worauf basieren die Stützungsbeziehungen zwischen den Illokutionen generell, in monologischen Texten speziell? 2) Läßt sich die Illokutionsstruktur von Kommentartexten auf die Verbalisierung der Erfolgsbedingungen der domierenden Illokution zurückführen? 3) Was soll man dabei unter den Erfolgsbedingungen verstehen? Sind sie auf den Handlungs- oder den Inhaltsaspekt der Illokution zu beziehen? 4) Läßt sich die Illokutionsanalyse getrennt von der propositionalen Analyse durchführen? 5) Welche Bedeutung kommt der referentiellen Progression bei der funktionalen Interpretation des Textes zu? 6) Stellt die Illokutionsstruktur die primäre Handlungsstruktur in meinungsbeeinflussenden monologischen Texten dar? Ich versuche nun einige dieser Fragen zu beantworten. ZWEITE ANALYSE DES TEXTES Um die Funktionen der Textteile besser in Griff zu bekommen, müssen die Sätze in kleinere Bedeutungseinheiten zergliedert werden. Dies geschieht bei mir direkt am Text mit Hilfe von verschiedenen Klammern. Dabei wird eine Analysetiefe angestrebt, die für die Zwecke dieser Untersuchung erforderlich scheint. In der Repräsentation der Bedeutungsstruktur werden die Propositionskerne mit Ρ bezeichnet. Die Zusatzprädikationen in Form von verschiedenen Adverbialen oder Attributen sowie bei Bedarf die einzelnen Prädikatsausdrücke (Modifikatoren [M]) werden in eckigen Klammern angegeben. Soweit die Argumentstellen in der Analyse berücksichtigt werden, stehen sie in runden Klammern. Bei Propositionsargumenten wird das Prädikat des Matrixsatzes in die Klammern miteinbezogen, z.B. bei S-2 ... (wissen, daß [der Durchschnittsmensch x 3 [grundsätzlich] keine (Rachgefühle [im Sinne einer gesetzlichen Strafe]) hegt]). Abtönungspartikeln sowie anaphorische Wiederaufnahmeausdrücke werden bei Bedarf gleichfalls in runde Klammern gesetzt. Die Redeobjekte, die bei der referentiellen Progression eine Rolle spielen, sind fettgedruckt. Die Liste der Koreferenzindizies befindet sich im Anhang. X bezeichnet dort ein Individuum, Μ eine Menge.

Markkv

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Moilanen

DIE REFERENTIELLE STRUKTUR DES TEXTES S-0

S-l

P.0.1. ff Käme Honecker., vergebens vor Gericht?'1. [Welt vom 14. Oktober]] P.1.1.1. f (Die Einschätzung des Ministerpräsidenten Stolpe,;, daS [die gegen den Kx-DDR-Chefvorzubringenden Vorwürfe P.1.1.1.1. P.1.1.1.2. nicht iustitiabel sindl und fein ProzeS mit einer EntP.l.l. tauschunaserfahrener enden werde!), j-gt nightfljgftpgipht P.l.1.2. (vieler [normal denkender] BürgerB1) ] .

S-2

2.1.1. 2.1.1.1. P.2.1. [Herr Stolpe., fmüStel (doch) (vyi??