Vom Grand Spectacle zur Great Season: Das Pariser Théâtre du Châtelet als Raum musikalischer Produktion und Rezeption (1862-1914) 9783205790617, 9783205785040, 9783486592382

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Vom Grand Spectacle zur Great Season: Das Pariser Théâtre du Châtelet als Raum musikalischer Produktion und Rezeption (1862-1914)
 9783205790617, 9783205785040, 9783486592382

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Gesa zur Nieden Vom Grand Spectacle zur Great Season

Die Gesellschaft der Oper Musikkultur europäischer Metropolen im 19. und 20. Jahrhundert Band 6 Wissenschaftlicher Beirat und Herausgeber der Buchreihe: Philipp Ther, Europäisches Hochschulinstitut Florenz Moritz Csáky, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien Heinz-Gerhard Haupt, Europäisches Hochschulinstitut Florenz und Universität Bielefeld Sven Oliver Müller, Universität Bielefeld Michael Walter, Universität Graz Michael Werner, École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris

Gesa zur Nieden

Vom Grand Spectacle zur Great Season Das Pariser Théâtre du Châtelet als Raum ­musikalischer Produktion und Rezeption (1862–1914)

Oldenbourg · Böhlau · 2010

Gedruckt mit der Unterstützung durch:

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Centre Marc Bloch – UMIFRE 14 – UsR 3130 du Ministère des Affaires Etrangères et Européennes et du Centre National de la Recherche scientifique

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. IsBN 978-3-205-78504-0 (Böhlau Verlag) IsBN 978-3-486-59238-2 (Oldenbourg)

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2010 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau.at http ://www.boehlau.de Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Umschlaggestaltung: neuwirth+steinborn, www.nest.at Umschlagabbildung: Pibaraud, Intérieur du théâtre impérial du Châtelet (BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet) Druck : Prime Rate Kft., 1047 Budapest

Meinen Eltern und meinem Bruder Fritz

Inhalt

Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Die Architektur des Théâtre du Châtelet . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gesellschaftliche und künstlerische Zielsetzungen in Bezug auf den Bau des Théâtre du Châtelet. . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Das Théâtre du Châtelet als Volkstheater des Zweiten Kaiserreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Soziale und künstlerische Symmetrien zwischen Darstellern und Zuschauern .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Baugenese des Théâtre du Châtelet in der Umsetzung von Gabriel Davioud .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Vom urbanen Raum zur funktionalen Anlage des Saals  : Die architektonische Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Das Théâtre du Châtelet als Schauraum der Bühne und der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Rezeption der Architektur und architektursoziologische Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Die grands spectacles (1862–1914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Das grand spectacle bis zum Ende des Zweiten Kaiserreichs (1862–1870) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Dramaturgische und urbane Symmetrien  : Das Eröffnungsstück Rothomago im neuen Théâtre Impérial du Châtelet . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Theater und Politik im grand spectacle des Zweiten Kaiserreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das grand spectacle in den Jahren der Dritten Republik (1871–1914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Auf ideologischen Umwegen zur „féerie géographique“  : Das Théâtre du Châtelet ist keine Opéra Populaire .. .

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  88

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Inhaltsverzeichnis

2.2.2 Theater auf dem Theater  : Das Rezeptionsmodell des grand spectacle im Théâtre du Châtelet . . . . . . . . . . . .

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3 Konzerte und Concerts Colonne (1863–1914) . . . . . . . . . . . . . .

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3.1 Die Etablierung der Instrumentalmusik im Théâtre du Châtelet .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Von der Napoleon-Kantate zur Damnation de Faust  : Instrumentalmusik im Châtelet vor und nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Klassisches, Dramatisches, Virtuoses  : Musikalische Vorlieben des Publikums der Concerts Colonne .. . . . . . . . . . . . 3.2 Colonne, das Châtelet und die Kulturpolitik .. . . . . . . . . . 3.2.1 Colonnes Reaktionen auf die Kulturpolitik der Dritten Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die Ära Gabriel Piernés und seiner Werke in den Concerts Colonne (1895–1914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Geometrischer, musikalischer und symbolischer Raum zwischen Orchester und Publikum .. . . . . . . . . . . . .

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4 Die great seasons (1900–1914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.1 Das Châtelet als mondäner Aufführungsort . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Die „Festivals symphoniques“ als Wegbereiter der great seasons zwischen Châtelet und Opéra . . . . . . . . . . 4.1.2 Die französische Erstaufführung der Oper Salome von Richard Strauss 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ und die Avantgarde  : Die „Saisons russes“ und die „Saison italienne“ (1909–1913) . . . 4.2.1 Künstlerische Choreographien  : Die Ballets Russes und ihr Publikum .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Italienische Melodien  : Oper wie in der Opéra . . . . . . . . . 4.2.3 Avantgarden  : Stravinskij, Debussy, Pizzetti und das Châtelet ..

251

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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202

251 262 283 284 300 313



Inhaltsverzeichnis

Anhang I – Akustik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang II – Produktionen des grand spectacle im Théâtre du Châtelet . Anhang III – Reprisen des grand spectacle .. . . . . . . . . . . . . . . Anhang IV – Die Musik des grand spectacle .. . . . . . . . . . . . . . 1. Anzahl der Stücke des grand spectacle . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anzahl der Musikstücke des grand spectacle .. . . . . . . . . . . . 3. Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Genre, Taktart, Tonart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Harmonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang V – Photoprogramme des grand spectacle .. . . . . . . . . . .



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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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352 358 360 360 360 362 364 369 371

Abkürzungen

AN ARS

Archives Nationales de France, Paris. Bibliothèque Nationale de France, Département des Arts du Spectacle, Paris. BAVP Bibliothèque Administrative de la Ville de Paris, Paris. BHVP Bibliothèque Historique de la Ville de Paris, Paris. MUS Bibliothèque Nationale de France, Département de Musique, Paris. OP Bibliothèque Nationale de France, Bibliothèque de l’Opéra, Paris.

Einleitung

„Yvette  : […] Es ist nur so, dass ich Paris gar nicht kenne. Wo amüsiert man sich hier am besten  ? Auguste  : Oh  ! Da gibt es überhaupt keinen Zweifel, im Châtelet  !“

„Das Theater verhält sich gegenwärtig zur Musik … wie ein Freudenhaus zur Liebe“, schreibt Hector Berlioz in seinen Abendunterhaltungen im Orchester von 1852 über das Pariser Musikleben. Selbst talentierte Komponisten seien dazu gezwungen, ihre Werke ganz auf die kommerziellen Bedingungen der Theater auszurichten und den einfachen Geschmack des Publikums mit musikalischen Gemeinplätzen und effektvollen, eklektischen Kompositionen zu bedienen. Berlioz’ ernüchterte Charakterisierung der Pariser Musikwelt als profitorientiertes, unkünstlerisches „Freudenhaus“ taucht nicht nur in seinen Pariser Musikkritiken wieder auf, sondern findet sich noch im Jahr 1908 in Romain Rollands gesellschaftskritischem Roman Jean-Christophe wieder. In der Tat gilt das Pariser Musikleben des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts – markiert durch so unterschiedliche Stücke wie das berühmte „Nonnenballett“ in Meyerbeers „grand opéra“ Robert le diable (1831), Offenbachs Operetten und Parade von Satie, Picasso und Cocteau (1917) – als äußerst spektakulär, unterhaltsam und auch populär. Weit davon entfernt jedoch, als lediglich kommerzielle Er Darlay/De Gorsse, Le Roi de l’or. Pièce à grand spectacle en 4 actes et 25 tableaux, o. D. [1912], S. 13.  Das Ende des Zitats lautet im Original „… sicut amori lupanar“. Berlioz, Abendunterhaltungen im Orchester (1852), 1909, S. 369–370. Zum Pariser Bezug der Berlioz’schen Erzählungen siehe Kolb, „Soirées dans l’orchestre“, 2003, S. 522–523.  Berlioz, „La musique symphonique à Paris. Henry Litolff  : son quatrième concerto symphonique“ (5. März 1858), o. D., S. 304  ; Rolland, Jean-Christophe, Bd. 5  : La Foire sur la place (1908), 1932, S. 124.  Christophe Charle zufolge bestanden zwei Drittel des Pariser Repertoires aus Unterhaltungsgenres wie Komödie, Farce, Vaudeville, Operette, Opéra comique und Opéra bouffe. Charle, Théâtres en Capitales, 2008, S. 222–223. Vgl. auch Moindrot (Hg.), Le spectaculaire dans les arts de la scène du romantisme à la belle époque, 2006  ; Yon, Le Second Empire, 2004, S. 211–216  ;

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Einleitung

zeugnisse der Pariser Theater eingestuft zu werden, machen Werke wie diese bis heute den kulturellen und auch künstlerischen Charakter der Musikstadt Paris um 1900 aus. Noch die musikalische Avantgarde der 1920er Jahre profitierte von den Pariser Unterhaltungsgenres des 19. Jahrhunderts, was sich schon an Stravinskijs Ballettmusik Petrouchka (1911) mit ihren Reminiszenzen an die Music-Hall zeigt. Wie sah die musikalische Unterhaltung im Pariser Musikleben um 1900 nun aber genau aus, und in welcher Weise war sie von den Rahmenbedingungen beeinflusst, unter denen Musik produziert und rezipiert wurde  ? Worin bestand vor diesem Hintergrund der Reiz „niedriger“ Genres für die Komponisten der musikalischen Avantgarde  ? Diesen Fragen soll hier anhand einer kultur- und sozialgeschichtlichen Studie der musikalischen Produktion und Rezeption im Pariser Théâtre du Châtelet exemplarisch nachgegangen werden. Denn um den Unterhaltungswert verschiedener musikalischer Genres zwischen Kunst und Kommerz beschreiben zu können, ist es notwendig, konkrete Aufführungen als kulturelle „Ereignisse“ aus Sicht ihrer Produzenten und Rezipienten zu untersuchen. Ein solches Vorhaben setzt eine genaue Kenntnis der organisatorischen und inszenatorischen Einrichtung der Aufführungen, der einzelnen musikalischen Werke sowie der sozialen Zusammensetzung des Publikums und der Zuschauerreaktionen vor Ort voraus. In einer Analyse der musikalischen Aufführungen des Théâtre du Châtelet im Zeitraum von seiner Eröffnung im Jahr 1862 bis zu seiner vorübergehenden Schließung 1914 sollen all diese Elemente zu Rezeptionsmodellen verschiedener Genres verdichtet werden, die über die Erfolg versprechenden Prochasson, Paris 1900, 1999, S. 250  ; Tiberi, „Préface“, in  : Seban, Lieux de spectacle à Paris, 1998, S. 5  ; Lacombe, Les voies de l’opéra français au XIXe siècle, 1997, S. 262–268  ; EckartBäcker, Frankreichs Musik zwischen Romantik und Moderne, 1965, S. 39–46  ; Kracauer, Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit (1937), 1976.  Vgl. ebd.; Gerhard, Die Verstädterung der Oper, 1992.  ������� White, Stravinsky, 1979, S. 199–200.  Die Umschreibungen „niedrig“/„popular“ und „hoch“/„ernst“ benutze ich in rein sozialer Hinsicht, so wie dies auch von der französischen Einteilung der Theaterlandschaft in théâtres primaires und théâtres secondaires suggeriert wurde. Die Attribute beschreiben die Publikumszielgruppe und nicht den vermeintlichen Komplexitäts- oder Kunstgrad einer musikalischen Produktion.  Der Begriff der Produktion wird in dieser Arbeit sowohl im Sinne von musikalischer Komposition, als auch im Sinne der Organisation ihrer Aufführung verstanden.



Einleitung

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musikalischen Formen und ihre Interpretationen Auskunft geben, nach denen sich auch die Komponisten, Impresari und Orchesterleiter in ihrer Programmgestaltung richteten. Sowohl die Produktion als auch die Rezeption von unterhaltenden Musikaufführungen wurden im Paris um 1900 durch zwei entscheidende soziale, theaterpraktische und kulturpolitische Rahmenbedingungen geprägt, die in der Erarbeitung der Rezeptionsmodelle und für das Verständnis des musikalischen Eklektizismus berücksichtigt werden müssen. Für die Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts steht fest, dass die Kategorie der Unterhaltungsmusik ein besonders breites Publikum aus mehreren sozialen Schichten ansprach und musikgeschichtlich oft auf Genres „ernster“ Musik einwirkte. Innerhalb ihres Interesses für dieselben Gattungen schufen sich jedoch besonders die höher gestellten sozialen Klassen zumeist ein eigenes, unabhängiges Forum für die musikalische Unterhaltungspraxis, das dem gesellschaftlichen Ambiente „ernster“ Musikproduktionen angeglichen war.10 Soziale Differenzierungen dieser Art waren im Paris des 19. Jahrhunderts schon in der traditionellen Aufteilung der Pariser Theater in erstrangige (théâtres primaires) und zweitrangige Theater (théâtres secondaires) institutionalisiert, die sich bereits rein baulich durch ihre Pracht und ihre Repräsentativität unterschieden.11 Auch die herkömmliche Ausrichtung der einzelnen Theater auf ein spezielles Genre bestimmte die Rezeptionserwartungen des Publikums entscheidend mit.12 Dennoch griffe ein auf dieser Erkenntnis basierender institutionengeleiteter Ansatz für die Erforschung des Pariser Musiklebens und seine Rezeption um 1900 allein zu kurz. Als zum Bei   Charle, Théâtres en Capitales, 2008, S. 235 und S. 300  ; Maase, Grenzenloses Vergnügen (1997), 20074  ; Hirsbrunner, „Musik in Frankreich nach 1871“, 2001, S. 115 und S. 122  ; Schneider, „Opéra comique“, 1997, Sp. 691–693  ; McCormick, Popular theatres of nineteenth-century France, 1993  ; Condemi, Les Cafés-Concerts, 1992  ; Brody, Paris. The musical kaleidoscope 1870– 1925, 1987, S. 97–111  ; Thomasseau, Le Mélodrame, 1984  ; Eckart-Bäcker, Frankreichs Musik zwischen Romantik und Moderne, 1965, S. 42–43  ; Skattuck, The Banquet Years, 1958, S. 7–10. 10 Condemi, Les Cafés-Concerts, 1992  ; Gasnault, Guinguettes et lorettes, 1986. Vgl. auch Maase, Grenzenloses Vergnügen, 20074. 11 Während die Opéra durch ihre prachtvolle und luxuriöse Ausstattung glänzte, galten die zweitrangigen Theater des populären Boulevard du Temple als enge und oft renovierungsbedürftige „Kaschemmen“ („bouis-bouis“). Pougin, Dictionnaire Historique et Pittoresque du Théâtre et des Arts qui s’y rattachent, 1885, S. 108. 12 Baret, Le Théâtre en province, 1918, S. 1–2.

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Einleitung

spiel der russische Tänzer Vaclav Nijinskij das „Volkstheater“ Théâtre du Châtelet im Jahr 1909 zum ersten Mal betrat, beschrieb er den wenig glanzvollen und großen Saal als „See ohne Wasser“13. Für die erste „Saison russe“, die dort wenig später als mondänes Kulturereignis stattfinden sollte, unterzog der Impresario Sergej Djagilev das Theater daraufhin einer grundlegenden Renovierung. Die soziale und auch künstlerische Rezeption einer bestimmten Aufführung äußerte sich somit nicht nur über den institutionellen Ruf des Theaters, sondern auch über die Erscheinung seines Theaterraums während der Vorstellungen.14 Deshalb muss es hier darum gehen, den Grad und die Art der Institutionalisierung einzelner Genres aus ihren konkreten Aufführungen herauszuarbeiten. Mit der Pariser Haussmannisierung der 1860er Jahre wurden die Erscheinungsbilder der Pariser Theater und damit auch ihre institutionelle wie soziale Relevanz grundlegend modifiziert. Die Pariser Reurbanisierung strukturierte nicht nur die gesamte Theatertopographie der französischen Metropole neu, sondern hatte zudem auch weitreichende Folgen für die Praxis der musikalischen Produktion und Rezeption. Zum einen legte Baron Georges Eugène Haussmann großen Wert auf die politische und moralische Symbolkraft der neuen Theaterfassaden und -Innenräume. Beides sollte einer besseren Kontrolle der lebhaften Pariser Theaterpraxis dienen.15 Zum anderen legte die Haussmannisierung mit den neuen repräsentativen Sälen den Grundstein für eine soziale Anhebung auch „niedriger“ Genres.16 Nach diesen baulichen Maßnahmen und ihren sozialen wie moralischen Effekten liberalisierte Napoleon III. die Pariser Theaterpraxis, sodass die Theaterbetriebe ihr Genre und seine Ausführung nun selbst bestimmen konnten, gleichzeitig aber einer stärkeren kommerziellen Konkurrenz ausgesetzt waren.17 Auch in kulturpolitischer Hinsicht bestimmten die Theaterräume und ihre organisatorische Einrichtung im Paris des 19. Jahrhunderts die musikalische Produktion und ihre Rezeption also entscheidend mit. Der Bau eines neuen Theaters aber auch die Theaterpraxis 13 Nijinskij, „Nijinsky“, 1934, S. 429. 14 Huesca, „Gabriel Astruc, un entrepreneur de spectacle à la Belle Époque“, 2008, S. 144–146. 15 Charle, Théâtres en Capitales, 2008, S. 37. 16 ���������������������� Naugrette-Christophe, Paris sous le Second Empire, 1998, S. 218–219  ; Walsh, Second Empire Opera, 1981, S. 151. 17 Charle, Théâtres en Capitales, 2008, S. 13.



Einleitung

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während der Installierung der Theaterbetriebe im neuen Saal gaben dabei häufig Anlass, grundlegende Vorstellungen über die musikalische Produktion und Rezeption zu äußern. Insofern stellen sich der Theaterraum und seine Nutzung für Aufführungen verschiedener Genres als geeignete Untersuchungskriterien für eine Studie der musikalischen Unterhaltung im Paris um 1900 und ihrer institutionellen, sozialen, politischen und theaterpraktischen Rahmenbedingungen dar. Das Théâtre du Châtelet, das Romain Rolland zufolge an der Schwelle zum 20. Jahrhundert ob seiner Größe und seines Fassungsvermögens „[…] die lebhaftesten musikalischen Leidenschaften des Publikums entzündet [hat]“,18 verkörpert die beiden musik- und kulturgeschichtlichen Charakteristika der sozialen Abgrenzung einzelner Genres und der Neustrukturierung der Pariser Theaterlandschaft in exemplarischer Weise. Erstens wurde auch dieses Theater unter Napoleon III. während der Pariser Haussmannisierung gebaut. Ab August 1862 ersetzte es das Théâtre Impérial du Cirque des Boulevard du Temple, dessen sieben Theater der heutigen Place de la République weichen mussten.19 Zweitens zeichnete sich das Théâtre du Châtelet von seiner Eröffnung bis zu seiner vorübergehenden Schließung kurz vor dem Ersten Weltkrieg durch die gleichzeitige Präsenz verschiedener „unterhaltender“ und auch „ernster“ musikalischer Genres mit einem jeweils unabhängigen Produktionsapparat aus. Jedes der drei Genres deckt dabei einen typischen Bereich des Pariser Musiklebens ab  : Gebaut wurde das Théâtre du Châtelet für populäre grands spectacles in Form von sensationell ausgestatteten Feerien und Revuen, die von Potpourris aus beliebten Arien und Chansons begleitet wurden. Die Hauptgattung des grand spectacle, die Feerie, tangiert gleich mehrere typische Genres des Pariser Unterhaltungstheaters und gilt als exemplarisch für das Pariser Theaterleben zwischen Komödie, Vaudeville, Operette und Drama.20 Die Produktion der grands spectacles lag in der Hand des jeweiligen Theaterdirektors, wobei besonders oft auf das Erfolgsstück Le Tour du monde en 80 jours von Jules Verne zurückgegriffen wurde.21 18 Rolland, Paris als Musikstadt, o. D. [ca. 1904], S. 29. 19 Wild, Dictionnaire des Théâtres Parisiens au XIXe Siècle, 1989, S. 76–77. 20 Martin, La féerie romantique sur les scènes parisiennes, 2007, S. 174–185 und S. 210. 21 Dieses Stück wurde im Théâtre du Châtelet von 1862 bis zum 29. August 1939 genau 2492 Mal aufgeführt. De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 26.

16

Einleitung

Nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs beherbergte das Théâtre du Châtelet zudem die Concerts Colonne, eines der wichtigsten Pariser Sinfonieorchester. Die sonntäglichen Konzerte der Orchestervereinigung unter der Leitung von Édouard Colonne zeichneten sich durch ein klassisch-romantisches Repertoire und insbesondere durch ihr Paradestück La damnation de Faust von Berlioz aus, das Colonne wieder und wieder spielen ließ.22 Ab 1906 organisierte der Pariser Impresario Gabriel Astruc seine mondänen great seasons mit Musiktheaterproduktionen der Avantgarde parallel zu den Betrieben des grand spectacle und der Concerts Colonne im Théâtre du Châtelet. In diesem Rahmen präsentierte er unter anderem die französische Erstaufführung der damals schon weltberühmten Oper Salome von Richard Strauss (1907) und Sergej Djagilevs Ballets Russes (1909, 1911, 1912), die mit ihren avancierten Tanzproduktionen nicht nur das Pariser, sondern auch das Musiktheater weltweit revolutionierten.23 Über ihre gattungsspezifische Repräsentativität hinaus zeichneten sich die drei Genres des Théâtre du Châtelet und ihre Produktionsapparate durch höchst unterschiedliche Publikumszielgruppen aus, die ein umfassendes soziales Panorama des Pariser Musiklebens wiedergeben. Während die populären grands spectacles eher von unteren Volksschichten und später von einem Kinderpublikum besucht wurden, zogen die Concerts Colonne sowohl ein musikalisch weniger gebildetes Publikum als auch Zuhörer aus Adel und Bürgertum an  : Trotz der offiziellen Zielsetzung einer „Popularisierung der Musik“ waren das Programm der Concerts Colonne und die hervorragende musikalische Qualität des Orchesters auch für eine vornehmere Zuhörerschaft attraktiv. Die great seasons waren dagegen vollkommen auf ein mondänes und internationales Elitepublikum ausgelegt, zumal nur dieses sich die teuren Kartenpreise leisten konnte. Mit ihren Zuschauern aus dem Finanzbürgertum, dem Pariser Adel und einem international gehobenen Publikum sowie vielen Künstlern standen die „grandes saisons“ ganz im Zeichen von Mäzenatentum und Snobismus.24 Es bleibt zu fragen, warum die unterschiedlichen Produktionsapparate gerade auf das Théâtre du Châtelet 22 A.a.O., S. 40. 23 Dahms/Woitas (Hg.), Diaghilews Ballets Russes, 1994. 24 Pasler, Composing the Citizen, 2009, S. 466–467  ; Huesca, Triomphes et Scandales, 2001  ; Pasler, „Concert Programs and their Narratives as Emblems of Ideology“, 1993, S. 260–261  ; Buckle, Diaghilev, 1979, S. 138–139.



Einleitung

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zurückgriffen, wie sie seinen Raum zur Abgrenzung der einzelnen Aufführungen und ihrer sozialen Rahmungen nutzten und welches unterhaltende Rezeptionsmodell auf diese Weise jeweils propagiert wurde.

Raum und Rezeptionsmodell

„Insgesamt ist der Raum ein Ort, mit dem man etwas macht“, resümiert Michel de Certeau seine These, nach der ein Ort erst durch seine Wahrnehmung und Nutzung zum sozialen Raum wird.25 Unter diesem Leitsatz soll auch der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit – der Raum musikalischer Produktion und Rezeption des Théâtre du Châtelet – verstanden werden. Methodisch beruht der hier vorgestellte Ansatz auf Grundsätzen der Architektursoziologie, wie sie von der Raumsoziologie vertieft und seit einigen Jahren auch in kulturgeschichtlichen Studien angewandt werden.26 Die Architektursoziologie geht von zwei zusammenhängenden Prämissen aus, die auf ein Wechselspiel von Architektur, Raumwahrnehmung und Raumnutzung abzielen. Während Architekturen von kulturellen Vorstellungen in der Weise räumlich geprägt sind, dass sie soziale, politische und künstlerische Modelle widerspiegeln und bestimmte Raumnutzungen vorgeben, bringen abweichende Raumwahrnehmungen und -nutzungen von Gebäuden mitunter neue Architekturen hervor.27 Ein solcher Blickwinkel entspricht dem geschichtstheoretischen Verständnis des „Ereignisses“ als einer Handlung, die einerseits immer auf vorhandenen Strukturen beruht, andererseits diese aber auch immer erst

25 De Certeau, L’invention du quotidien (1980), 1990, S. 173. 26 Nach Martina Löw sind die konkrete Raumaufteilung und die synthetischen Konzepte ihrer Wahrnehmung in der Raumsoziologie nicht voneinander abzulösen. Markus Schroer spricht sich für einen Mittelweg zwischen „absoluten“, architektur- wie ortsbezogenen und ­„relativen“, durch Handlung entstandenen räumlichen Konzepten aus. Löw, Raumsoziologie, 2001  ; Schroer, Räume, Orte, Grenzen, 2006. Zur Geschichtswissenschaft siehe  : Sandl, „Geschichtswissenschaft“, 2009, S. 162. Siehe auch die Angaben bei Dauss, Identitätsarchitekturen, 2007, S. 53 und bei Erben, „Zur Architektur der Frühen Neuzeit aus der Sicht der historischen Anthropologie“, 2006, S. 468. 27 Vgl. das Zitat von Alban Janson (1999) in Schäfers, Architektursoziologie, 2003, S. 17.

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selbst hervorbringt.28 Vor diesem Hintergrund ermöglicht es die Architektursoziologie, sowohl die Produktion und Rezeption von Musikaufführungen als kulturell vielschichtige „Ereignisse“ in ihrem historischen Kontext zu rekonstruieren, als auch die Rahmenbedingungen musikalischer Praxis und ihre aufführungsbedingten Veränderungen herauszuarbeiten. Die Idee der kulturellen Prägung von Architektur beruht auf der Annahme, dass ein gebauter Ort auf bestimmte räumliche Vorstellungen hin angelegt ist, in denen sich soziale, politische, ökonomische oder auch kulturelle Strukturen der Zeit spiegeln.29 Das bedeutet, dass architektonische Formen von „wirksamen Kenntnissen und Ideologien“ einer Kultur geprägt sind, „die sich nicht im Symbolischen oder Imaginären verlieren“,30 sondern im Gegenteil der Festigung von sozialen Strukturen, Institutionen oder Handlungsweisen dienen, indem sie sich baulich manifestieren.31 So kann, Georg Simmel zufolge, die „Verdrängung des […] Winkligen, Gebogenen der Straßenanlagen durch das Schnurgrade, nach geometrischen Normen Festgelegte, Allgemein-Gesetzliche“ ein Zeichen für die Verdrängung des Individuellen in einer Stadt sein, genauso wie großflächige, für große Menschenmengen konzipierte Innenräume das Kollektivgefühl der sich dort aufhaltenden Personen steigern.32 In diesem Sinne ist auch das Théâtre du Châtelet in einem ersten Schritt auf bauliche Spiegelungen gesellschaftlicher wie theaterpraktischer Konzepte und auf potentielle räumliche Wirkungen während der musikalischen Aufführungen hin zu analysieren, wie sie von den Zeitgenossen bewusst in die architektonische Planung des Châtelet eingebracht wurden, um bestehende Verhältnisse zu erhalten oder zu verändern. Eine solche Studie kann sich auf mannigfaltige Quellen wie Kor28 Revel, „Die Wiederkehr des Ereignisses – ein historiographischer Streifzug“, 2001, S. 171–174  ; Koselleck, Vergangene Zukunft, 1979, S. 149. 29 Diese These wurde zuerst von Émile Durkheim vertreten. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, 2006, S. 48–50. Das bekannteste kulturhistorische Beispiel für den Niederschlag einer sozialen Formation in räumlichen Strukturen lieferte Norbert Elias mit seiner Analyse der Wohnstrukturen der höfischen Gesellschaft. Siehe das Kapitel „Wohnstrukturen als Anzeiger gesellschaftlicher Strukturen“ in  : Elias, Die höfische Gesellschaft (1969), 1975, S. 68–101. 30 Lefebvre, „Dessein de l’ouvrage“, in  : Ders., La production de l’espace (1974), 2000, S. 53. 31 Simmel, Soziologie, 1992, S. 779–780. Der Kunsthistoriker August Schmarsow bezeichnete die Architektur sogar als „grundlegende[n] Bestandteil in der Geschichte der ,Weltanschauungen‘“. Schmarsow, „Das Wesen der architektonischen Schöpfung“ (1894), 2006, S. 482. 32 Simmel, Soziologie, 1992, S. 703–704 und S. 713.



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respondenzen und Architekturpläne beziehen, die in verschiedenen Planungsstadien entstanden und die politischen, sozialen und künstlerischen Intentionen auf den Theaterbetrieb und seine architektonische Festigung wiedergeben. Die architektonische Planung und ihre Stadien sind aus den Plänen des Architekten Gabriel Davioud ersichtlich, die vor wenigen Jahrzehnten in der Bibliothèque Administrative de la Ville de Paris wiederentdeckt wurden. Zudem liegt ein vom Architekten erstellter Dokumentationsband über die Architektur des Théâtre du Châtelet vor.33 Die Planungsgenese wurde in den Jahren 1858–1862 von ausgiebigen Briefwechseln zwischen dem Ministère d’État, dem Theaterdirektor und dem Leiter der Division des Théâtres begleitet, die in den Archives Nationales de France liegen. Da das Théâtre du Châtelet unter politischen Vorzeichen gebaut wurde, ist vor allem zu fragen, inwiefern die politischen Instanzen das Theater auf eine bestimmte Theaterpraxis hin anlegten. Hierzu geben nicht zuletzt die edierten Memoiren von Baron Georges Eugène Haussmann ein umfassendes Bild wieder. Ob die verschiedenen baulich verwirklichten Absichten in Bezug auf kulturelle, soziale oder politische Aspekte des Theaterbetriebs jedoch tatsächlich griffen, ergibt sich nicht aus dem architektonischen Raum selbst, sondern lässt sich nach der zweiten architektursoziologischen Prämisse nur anhand der Rezeption des Theatergebäudes und seiner praktischen Eigenschaften feststellen.34 Deshalb wird sich die vorliegende Analyse über das Théâtre du Châtelet in einem zweiten Schritt auf die Wahrnehmung und Nutzung seines Raums durch die musikalische Produktion und Rezeption der drei Genres konzentrieren. Der architektonischen Anlage kommt hierbei zwar eine wichtige Rolle zu, da sie bestimmte räumliche Nutzungen im Sinne von Kommunikation und menschlicher Interaktion ermöglichen, aber auch einschränken kann.35 Indem architektonische Strukturen Anzahl und Verteilung der Menschen sowie weiterer 33 Er existiert in zwei Ausgaben von 1865 und ca. 1874. Daly/Davioud, Architecture Contemporaine. Les Théâtres de la Place du Châtelet   : Théâtre du Châtelet – Théâtre Lyrique. Construits d’après les dessins et sous la direction de M. Gabriel Davioud, architecte. Publiés sous le patronage et avec le concours de la ville de Paris, Paris, 1865  ; Dies., Architecture Contemporaine. Les Théâtres de la Place du Châtelet. Théâtre du Châtelet – Théâtre-Lyrique. Construits d’après les dessins et sous la direction de M. Gabriel Davioud, Architecte, Paris, o. D. [1874]. 34 Schroer, „Soziologie“, 2009, S. 361. 35 Schäfers, Architektursoziologie, 2003, S. 31–32.

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Elemente im Raum regeln, wohnt jeder Architektur eine praktische Funktion inne, die soziale oder auch kulturelle räumliche Handlungsweisen vorgibt.36 Dennoch ergibt sich eine Raumerfahrung unter raumsoziologischer Perspektive nicht nur aus architektonischen Strukturen, sondern zuallererst aus der Konstellation aller im Raum befindlichen Personen und Elemente, die unter den Rahmenbedingungen der Architektur immer neu arrangiert werden können.37 „Man vergleiche ein Museumspublikum mit einem Konzertpublikum“, führt Simmel weiter aus, und schließt, dass das Konzertpublikum unter dem Eindruck der Musik „in eine unvergleichlich engere Einheit und Stimmungsgemeinsamkeit“ zusammengeschlossen werde als die Besucher eines Museums.38 In diesem Sinne muss die Studie der musikalischen Aufführungen des Théâtre du Châtelet gleichsam die Werke als auch die produktionstechnisch eingerichtete räumliche Positionierung der ausführenden Musiker und des Publikums umfassen.39 Auch hier steht für jedes Genre ein umfangreicher Quellenbestand zur Verfügung, der von Libretti und Partituren über Skizzen der Bühnenbilder und Regiebücher bis hin zu Korrespondenzen der Theaterdirektoren, Impresari und Künstler reicht. Unter den drei Genres stellt vor allem die Erforschung des grand spectacle eine Pionierarbeit dar. Dank des französischen Dépot Légal sind in der Bibliothèque Nationale de France umfangreiche Bestände an Libretti und Sheet-Music vorhanden, die als repräsentativ für die verlegerische Kommerzialisierung besonders erfolgreicher Stücke gelten können.40 Die Bühnenbilder des 36 Ankerl, Experimental Sociology of Architecture, 1981, S. 36. Auch Martina Löw weist auf die fundamentale Bedeutung des Ortes für die Konstitution von Raum hin  : Löw, Raumsoziologie, 2001, S. 201. 37 A.a.O., S. 177–178  ; Simmel, Soziologie, 1992, S. 689. 38 A.a.O., S. 731. Zur Wirkung von Musik im Raum siehe auch Böhme, Architektur und Atmosphäre, 2006, S. 76–84 und S. 123. 39 Bisher liegen zum Théâtre du Châtelet lediglich zwei Monographien sowie Kataloge und Bildbände vor, die sich auf die Darstellung der Repertoiregeschichte beschränken und darauf ausgelegt sind, die in diesem Theater realisierten spektakulären Inszenierungen reich zu bebildern. Rémy, „Le premier siècle du Châtelet“, 2003, S. 7–17  ; Robert/Faivre, Les Saisons Russes au Théâtre du Châtelet, 2002  ; Solvit/Aydijan, D’un siècle à l’autre, 1999  ; De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995  ; Chardans, Le Châtelet  : de la prison au théâtre, 1980  ; Wolff/Lejeune, Le Théâtre du Châtelet est centenaire, 1961. 40 Zur Feerienproduktion des Théâtre du Châtelet liegt nur ein Artikel vor, der eine Bestandsaufnahme der theaterpraktischen Elemente für die Aufführung von Rothomago, dem Eröffnungsstück des Théâtre du Châtelet bietet. Der Autor besitzt das Manuskript der musikalischen Be-



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grand spectacle sind in „Photoprogrammen“ und einzelnen bühnenbildnerischen Entwürfen dokumentiert, welche sich hauptsächlich im Département des Arts du Spectacle der Bibliothèque Nationale de France befinden. In der Bibliothèque de l’Association de la Régie Théâtrale (in der Bibliothèque Historique de la Ville de Paris) liegen zudem zwei Regiebücher von musikalischen Produktionen des Théâtre du Châtelet. Während zu den Concerts Colonne mit den Berichten des Sekretärs zu jedem einzelnen Konzert eine einzigartige produktionsgeschichtliche Quelle erhalten ist (Archives de Paris), sind die in den Archives Nationales aufgehobenen Korrespondenzen des Impresarios Gabriel Astruc zu den great seasons über die Aufführungen der Ballets Russes noch nicht in ihrem vollen Umfang berücksichtigt worden, da das hauptsächliche Forschungsinteresse bisher auf dem russischen Impresario Sergej Djagilev lag.41 Dafür kann sich diese Arbeit auf mannigfaltige Forschungsarbeiten stützen, die zu den Aufführungen der Ballets Russes bereits vorliegen. Unter den Werken, die die Ballets Russes vor 1914 in Paris zur Aufführung brachten, sollen hier besonders diejenigen untersucht werden, die im Théâtre du Châtelet uraufgeführt oder für eine dortige Aufführung noch einmal bearbeitet wurden.42 Abgerundet wird das reichhaltige Quellenmaterial der vorliegenden Arbeit durch Musik- und Theaterkritiken aus den unzähligen Pariser Tageszeitungen und Musikzeitschriften, die sich gut über das Répertoire International de la Presse Musicale (RIPM) erfassen lassen. Da es hier um die Bedingungen der musikalischen Rezeption und den Unterhaltungswert einzelner Aufführungen gehen soll, so wie er sich aus ihrer sozialen Rahmung und produktionstechnischen Einrichtung ergibt, werden die einzelnen Quellen vor allem auf den architektonischen und räumlichen Bezug von Bühne und Saal beleuchtet werden. Welche räumliche Konstellation von szenischer Inszenierung, musikalischer Interpretation und Publikumsaufteilung brachte eine „Stimmungsgemeinsamkeit“ der Zuhörer hervor  ? gleitung dieser Feerie, zu dem er jedoch nur einen Überblick über die Einzelstücke und keine musikalische Analyse bietet. Yon, „La féerie ou le royaume spectaculaire. L’exemple de ‚Rothomago‘“, 2006, S. 126–133. 41 Gabriel Astruc muss als Pariser Impresario dennoch kein unwichtiger Ansprechpartner für den eklektizistisch arbeitenden Djagilev gewesen sein. Garafola, Diaghilev’s Ballets Russes, 1989, S. 277. 42 Vgl. dazu die Angaben bei Kochno, Diaghilev and the Ballets Russes, 1970.

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Rezeptionsbezogene Wirkungen wie „Stimmungen“ lassen sich anhand des Raums als Untersuchungsobjekt beschreiben, da die Wahrnehmung der Außenwirkungen räumlicher Konstellationen und architektonischer Rahmenbedingungen von der Raumsoziologie als Atmosphäre definiert wird. Eine Atmosphäre konstituiert sich aus einer „eigene[n] Potentialität“ von Räumen, „die Gefühle beeinflussen kann“ und die hauptsächlich in der räumlichen Ausdehnung und Form besteht.43 Für die Herausarbeitung der Atmosphäre während der Aufführungen im Châtelet gilt es daher, diese beiden Kriterien in der Produktionsund Rezeptionsgeschichte des Theaters nachzuweisen  : Form und Ausdehnung der Relation zwischen Bühne und Saal müssen auf ihre unterhaltsame Wirkung beim Publikum hin untersucht werden. Welche räumlichen Konstellationen wurden von den Rezipienten aber auch von den Produzenten als unterhaltsam beschrieben  ? Wie wurden räumliche Bezugsformen zwischen Bühne und Saal produktionstechnisch aufgeladen, um die Bindung zwischen Ausführenden und Zuhörern während der Aufführungen zu steigern  ? Je nachdem, ob eine Atmosphäre als räumliche Relation zwischen Ausführenden und Zuhörern mit den architektonischen Spiegelungen politischer, sozialer und künstlerischer Konzepte korrespondiert, die in die Planung und Realisierung eingingen, lassen sich kulturelle Rahmenbedingungen der musikalischen Produktion und Rezeption aufspüren. Während die räumliche Größe des Théâtre du Châtelet schon von Napoleon III. vorgegeben war, der es als großes Volkstheater in Auftrag gab, hatte der Architekt in Bezug auf die Form des architektonischen Bezugs zwischen Bühne und Saal rein platztechnisch alle Freiheiten, da das Châtelet auf der soeben eingeebneten, freien Place du Châtelet entstand. Dennoch wurde die Form des Theaters – so ergibt es sich aus der Analyse seiner Baugenese anhand der Intentionen einzelner politischer und theaterpraktischer Instanzen im ersten Kapitel – stark von politisch aufgeladenen städteplanerischen Bedingungen sowie theaterpraktischen Konzeptionen beeinflusst. Um die Wirkung dieser architektonisch eingesetzten Rahmenbedingungen zu erkennen, gilt es, das Aufgreifen der vielschichtig konnotierten Raumform oder ihre Ver43 Löw, Raumsoziologie, 2001, S. 204–207. „Sie [Gebäude, GzN] setzen Schwerpunkte, konzentrieren das Raumgefühl, sie enthalten Bewegungssuggestionen, sie vermitteln die Erfahrung von Enge und Weite und sie artikulieren den Raum selbst als Weite.“ Böhme, Architektur und Atmosphäre, 2006, S. 113.



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werfung durch die produktionstechnische Raumnutzung und die rezeptionsgeschichtliche Raumwahrnehmung zu untersuchen. Durch dieses Vorgehen ergibt sich zugleich eine „dichte“ kulturelle Beschreibung der Konzeption und Rezeption von Musikaufführungen im Pariser Musikleben um 1900.44 Sind immer wiederkehrende Raumnutzungs- und -wahrnehmungsmuster zu erkennen, so ist von einem funktionierenden Rezeptionsmodell auszugehen, in dem sich die architektonischen Rahmenbedingungen und die genrespezifische Dramaturgie gegenseitig verstärken. Die Definition von Rezeptionsmodellen kann dabei nie eine definitive sein, da praktisch jedes Element einer räumlichen Konstellation in einem speziellen Raum ein neuartiges spezifisches Raumerlebnis herbeiführen kann. Wie bereits in Bezug auf die Haussmannisierung und den Eklektizismus dargestellt, ist auf diese Prozesse gerade bei der Einführung kulturpolitischer und sozialer Neuerungen in den Produktionsbereich zu achten. Solche werden an einen Raum musikalischer Produktion und Rezeption nicht nur in Zeiten größerer politischer Umbrüche mit gewandelten gesellschaftlichen Vorgaben wie zu Ende des Zweiten Kaiserreichs und am Beginn der Dritten Republik herangetragen, sondern äußern sich auch in der sukzessiven Einführung neuer Genres an einem Theater, durch die sich seine Raumwahrnehmung durch die Musikrezipienten wandelt. Wird in diesem Gefüge eine neuartige Aufführungsatmosphäre durch regelmäßige Raumnutzungsmuster institutionalisiert, ist es wahrscheinlich, dass diese auch neue Architekturen hervorbringt.45

Raum musikalischer Produktion und Rezeption

Der architektursoziologische Ansatz ist in seiner raumsoziologischen Vertiefung bisher weder in der Theaterwissenschaft noch in der Musikwissenschaft als solcher umfassend angewandt worden. Dennoch sind gerade in den letzten Jahren viele Forschungsarbeiten erschienen, die sich an einzelnen Paradigmen des Raums orientieren. Die Berücksichtigung der raumtheoretischen Perspektive beruht in 44 Geertz, Dichte Beschreibung, 1983, S. 9 und S. 15. 45 Der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp bringt den architektursoziologischen Ansatz mit Bill Hillier auf die Formel „Raum bildet gesellschaftliche Muster aus, Gesellschaft bildet Raummuster aus.“ Kemp, Architektur analysieren, 2009, S. 213.

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beiden Disziplinen auf dem neuen Interesse für die Aufführungspraxis und ihre Akteure, worunter sowohl Ausführende als auch Zuschauer gefasst werden. In diesem Zusammenhang rückte besonders die Theaterwissenschaft im Anschluss an die Neuverhandlung des Bezugs zwischen Darstellern und Zuschauern im zeitgenössischen Theater die praktischen Eigenschaften und Formen der Theaterarchitektur in den Vordergrund. In neueren Studien wird untersucht, wie architektonische Formen von den Handelnden symbolisch eingerichtet und genutzt werden, welche Bezüge sie zwischen Darstellern und Publikum im reellen Theaterraum ermöglichen und welche Rezeptionen des fiktionalen Raums damit erzielt werden.46 Auf dieser Basis haben die französischen Theaterwissenschaftler Christian Biet und Christophe Triau zum Beispiel auf die Zirkularität auch des konventionellen Theaterraums hingewiesen, in dem der Blick des Zuschauers nie ganz auf die zentralperspektivische Ansicht der Bühne fokussiert ist, sondern Bühne und Zuschauer in einer panoramischen Gesamtvision wahrnimmt. Das Publikum ist in dieser Vision somit nie rein passiver Teilnehmer einer Aufführung, sondern immer schon räumlich in das Spektakel mit einbezogen und somit auch integraler Bestandteil der Rezeption der Aufführung als „Ereignis“.47 In der Musikwissenschaft wurde Raum zum ersten Mal in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit dem Interesse deutscher und italienischer Musikwissenschaftler für ein ganzheitliches Verständnis der Oper als multimediale Bühnenkunst thematisiert.48 Hierzu zählen auch einige architekturbezogene Ansätze, 46 Christian Biet und Christophe Triau definieren eine Theateraufführung wie folgt  : „Denn das Theater ist zuerst einmal eine Versammlung, die unter dem Vorwand, sich eine Fiktion anzusehen, zu einer ‚Sitzung‘ zusammenkommt. Diese Versammlung sieht wiederum eine durch die Fiktion entfernte Versammlung – das ‚Theaterstück‘ – und, auf das Theatergebäude bezogen, eine Versammlung, die sie selbst spiegelt.“ Biet/Triau, Qu’est-ce que le théâtre   ?, 2006, S. 190. Siehe auch Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, 2004, S. 203  ; Früchtl/Zimmermann, „Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines gesellschaftlichen, individuellen und kulturellen Phänomens“, 2001, S. 40  ; Chéreau, „L’espace institutionnalisé“, 1970, S. 2–4. 47 Biet/Triau, Qu’est-ce que le théâtre   ?, 2006, S. 90 und S. 200. 48 Dahlhaus, Grundlagen der Musikgeschichte, 1977, S. 13–15 und S. 206–235. (Carl Dahlhaus spricht sich für eine Verbindung von Ereignisgeschichte mit einer Strukturgeschichte aus, die grundlegende Funktionsbestimmungen des musikalischen Werks im komplexen Gefüge seiner Aufführung herausarbeitet)  ; Mahling, „Zum ‚Musikbetrieb‘ und seinen Institutionen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, 1980, S. 27–284  ; Bianconi, „Perché la storia dell’opera italiana  ?“, 1985, S. 29–48  ; Cruciani, Lo spazio del teatro, 1992.



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die den Publikumsraum ebenso mit einbeziehen wie den Bühnenraum und seine szenographische Ausstattung.49 Der räumliche Ansatz hat sich von da an zwar auch in der englischen und französischen Wissenschaft weitertradiert, die den Raum der Stadt und des Theaters bis heute immer wieder und auf vielfältige Weise als Anhaltspunkt für die Analyse von musikalischen Werken und ihrer Rezeption nutzt.50 Insbesondere durch das Interesse der amerikanischen Forschung für soziale Komponenten der musikalischen Praxis wurden Opernhäuser und Konzertsäle jedoch lange nur unter kultur-, sozial- und politikgeschichtlichen Gesichtspunkten untersucht. Solche Studien betreffen zwar die Musikausübung und die Aufführung an sich. Indem sie sich jedoch meistens auf den Publikumsraum und seine sozialen Dynamiken beschränken, vernachlässigen sie oft die Komplexität der Bühnendarstellung und ihre Wirkung auf die Zuschauer, welche aus einer Musik- oder Musiktheateraufführung – wie gering die Konzentration der Zuschauer auf die Bühne auch immer sei – dennoch nicht wegzudenken ist.51 Erst die neue, durch Methoden der soziologischen Pragmatik, sowie der Kultur- und insbesondere der Institutionengeschichte herbeigeführte Ausrichtung auf die Akteure und die Rekonstruktion ihrer Handlungen52 lässt Theaterarchitektur und -raum gegenwärtig wieder ganzheitlich in das Blickfeld der musikwissenschaftlichen Forschung rücken. Sowohl genderspezifische als auch kultur- und sozialgeschichtliche Studien nutzen das Paradigma des Raums zu einem besseren Verständnis musikalischer Institutionen und ihrer Veränderbar49 Viale Ferrero, „Luogo teatrale e spazio scenico“, 1988, S. 3–4. 50 Vgl. z.B. Gauthier/Traversier (Hg.), Mélodies urbaines, 2008  ; Small, Musicking, 1998  ; Gerhard, Die Verstädterung der Oper, 1992. 51 Siehe u.a.  : Bereson, The Operatic State, 2002, S. 14  ; Gramit, The Aspirations, Interests, and Limits of German Musical Culture, 2002  ; Hall-Witt, „Representing the audience in the age of Reform  : Critics and the Elite at the Italian Opera in London“, 2000, S. 121–144  ; Huebner, „Opera audiences in Paris 1830–1870“, 1989, S. 206–255  ; Weber, Music and the Middle Class, 1975. Vgl. jedoch Johnson, Listening in Paris, 1995. 52 Zur Kulturgeschichte siehe Burke, Was ist Kulturgeschichte  ?, 2005, S. 86–90 und S. 104. Zur Institutionengeschichte siehe Schimaneck, „Handeln in Institutionen und handelnde Institutionen“, 2004, S. 293–307  ; Blänkner/Jussen, „Institutionen und Ereignis. Anfragen an zwei alt gewordene geschichtswissenschaftliche Kategorien“, 1998, S. 9–16  ; Rehberg, „Die stabilisierende ,Fiktionalität’ von Präsenz und Dauer. Institutionelle Analyse und historische Forschung“, 1998, S. 381–407.

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keit, die aus der räumlich flexiblen Interaktion zwischen Musikern und Zuhörern während der Aufführungen resultiert.53 Eine solche Orientierung trifft sich mit der rezeptionsgeschichtlichen Forschung der letzten Jahre, die musikalische Werke zunehmend anhand ihrer Interpretationsgeschichte, das heißt, anhand ihrer Aufführungen (ihres „Klangs“) und der kulturellen Bedingungen für die Entwicklung ästhetischer Normen thematisiert.54 In diese Forschungsrichtung schreibt sich auch die vorliegende Arbeit mit ihrem architektursoziologischen Ansatz ein. Der Raum kann hier gleichermaßen als methodisches Utensil genutzt werden, unterschiedliche rezeptionsgeschichtliche Quellen zum „Ereignis“ der Aufführung zu strukturieren und mit ihren kulturgeschichtlichen Rahmenbedingungen zu konfrontieren. Aus den neueren räumlich orientierten Studien zur Kultur- und Sozialgeschichte der Musik sind zwei Grundsätze erkennbar, auf die am häufigsten zurückgegriffen wird. Erstens hängt die Programmgestaltung mit einer bestimmten Gattung zumeist unmittelbar mit der Größe und der Akustik ihres Aufführungsraums zusammen.55 Beide Parameter steuern zudem die Interpretation des Werks durch die Musiker und das Hörverhalten des Publikums  : Der Wechsel von einem Konzertsaal in einen anderen bringt oft Veränderungen der musikalischen Interpretation mit sich, so wie die Umgestaltung der Sitzreihen im Saal das Hörverhalten des Publikums ändert. Auch Neukonfigurationen der Ausführenden auf der Bühne wirken unmittelbar auf das Hörverhalten des Pu53 Während die Genderforschung Räume meistens nur zur Verdeutlichung der gleichrangigen Valenz weiblicher musikalischer Praxis und ihrer Eigenschaften für die Musikgeschichte nutzt, interessiert sich die Sozialgeschichte der Musik in stärkerem Maße für die Einflüsse des Raums auf das Musikleben. Zur Genderforschung siehe  : Rode-Breymann, „Orte und Räume kulturellen Handelns von Frauen“, 2009, S. 186–197  ; Dies., „Raum – eine Kategorie musikalischer Gattungshistoriographie  ?“, 2008, S. 189–204  ; Koldau, „Interdisziplinarität als Methode“, 2006, S. 269–285. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Musik siehe  : Bödeker/Veit/Werner (Hg.), Espaces et lieux de concert en Europe, 2008  ; Dies. (Hg.), Le concert et son public, 2002  ; RodeBreymann, „Regionalgeschichte – eine unverzichtbare Teildisziplin der Opernforschung  ?“, 2000, S. 221–232  ; Escal, „Entre production et réception  : les messages d’accompagnement de l’œuvre musicale“, 1997, S. 7–29. 54 Wellmer, Versuch über Musik und Sprache, 2009, S. 79–92  ; Hinrichsen, „Musikwissenschaft und musikalisches Kunstwerk. Zum schwierigen Gegenstand der Musikgeschichtsschreibung“, 2007, S. 67–87  ; Wellmer, „Das musikalische Kunstwerk“, 2002, S. 133–175  ; Jauss, „Rückschau auf die Rezeptionstheorie. Ad usum Musicae Scientiae“, 1991, S. 32. 55 Rode-Breymann, „Orte und Räume kulturellen Handelns von Frauen“, 2009, S. 186–197.



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blikums ein.56 Insofern ist zweitens die Installationsphase eines Produktionsapparats und seines Publikums in einem neuen Raum von entscheidender Wichtigkeit, da hier die räumliche Einrichtung auf die architektonische Anlage und die damit verbundenen Raumvorstellungen hin vollzogen und austariert werden muss. Daran anschließend wird die vorliegende Analyse der Raumkonstellationen während der Aufführungen des grand spectacle (Kapitel 2), der Sinfoniekonzerte der Concerts Colonne (Kapitel 3) und der great seasons von Gabriel Astruc (Kapitel 4) die Form des Bezugs zwischen Bühne und Saal vornehmlich anhand der Programmgestaltung, anhand der dramaturgischen Analyse der einzelnen Stücke und anhand der inszenatorischen Gestaltung des Theaterraums in der Installationsphase herausarbeiten. All diese sowohl musik-, kultur- als auch sozialgeschichtlichen Analysevorhaben lassen sich unter dem Modell von Mercedes Viale Ferrero zur Rekonstruktion der Interaktion zwischen Bühne und Saal zusammenfassen, das als Rahmen für die detaillierten Fallstudien herangezogen werden soll. In der Storia dell’opera italiana teilt Viale Ferrero den Theaterraum in einen geometrischen, einen fiktionalen und einen symbolischen Raum ein. Während der geometrische Raum die Nähe von Saal und Bühne und die Sicht- und Hörbarkeit des Dargestellten regelt, beschreibt der fiktionale Raum das dramaturgische „Verständlichmachen“ des Stücks beim Publikum und dessen Integration in die Fiktion des Aufgeführten. Der symbolische Raum bezieht sich schließlich auf die konvergente oder divergente Projektion der Gesellschaft extra teatrum in das Innere des Theaters.57 Alle diese Räume überlagern sich in der Aufführung, die sich jedes Mal aus der Präsenz des Werks, seiner Atmosphäre und aus den gesellschaftlich-symbolischen Implikationen der Veranstaltung zusammensetzt. All diese Elemente müssen den Raum zwischen Bühne und Saal in jeder Aufführung neu übergreifen. Jede der drei von Mercedes Viale Ferrero definierten Raumbeschreibungen ist seit jeher Teil der architektonischen Konzeption von Theaterbauten. Besonders die italienische Theaterarchitektur ging von Beginn an von der Sichtbarkeit der Bühne und den damit zusammenhängenden Machtverhältnissen im Saal aus, 56 Siehe zusammenfassend Veit/Bödeker/Werner, „Espaces et lieux de concert   : Les contours d’un champ de recherche“, in  : Dies. (Hg.), Espaces et lieux de concert en Europe, 2008, S. 1–31. 57 Viale Ferrero, „Luogo teatrale e spazio scenico“, 1988, S. 3–4.

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wie sie auch durch die Herausbildung der noch heute am meisten verbreiteten Bühnenform des italienischen Guckkastentheaters besondere Wahrnehmungsformen wie die Zentralperspektive unterstützte.58 Die Akustik wurde im 17. Jahrhundert zwar weitaus weniger bedacht, gehört aber seit dem 19. Jahrhundert zu den Hauptforschungsgebieten des Theaterbaus.59 Der Einbezug des Publikums in die Fiktionalität des Stücks äußert sich vor allem in der ständig perfektionierten Bühnentechnik und -malerei, mit denen im 19. Jahrhundert eine vollkommene Illusion des auf der Bühne Dargestellten angestrebt wurde.60 Auch die gesellschaftliche Komponente der architektonischen Anlage des Saals, der demokratisch (Amphitheater) oder hierarchisch (Logentheater) ausgelegt sein kann, kam in dieser Zeit vor allem zum Tragen, als Oper und Konzertsaal zu Hauptorten gesellschaftlicher Repräsentation und Demarkation wurden.61 Obwohl sich zur selben Zeit in manchen sehr beachteten Theaterbauten des 19. Jahrhunderts demokratisch angelegte künstlerisch-gesellschaftliche Ideologien niederschlugen (z.B. im Festspielhaus von Bayreuth), blieb es für das gehobene Pariser Publikum, für das mit der Opéra Garnier einer der bis heute luxuriösesten Orte des europäischen Musiktheaters gebaut wurde,62 wichtig, in welcher Loge es platziert war und welche soziale Dynamiken sich aus der Sitzordnung von breitem und vornehmem Publikum ergaben. Im Saal der Oper demonstrierte man seinen Status und mit dem wachsenden Bürgertum – dies vor allem in den Sinfoniekonzerten – zunehmend auch seine Bildung. Allein letzteres provoziert eindeutig die Frage, wie die gesellschaftlich-symbolischen, räumlichen Aufteilungen des Publikums im Saal mit der musikalischen Aufführung auf der Bühne in Verbindung standen.63 Während die architektonische Einrichtung 58 Haß, Das Drama des Sehens, 2005  ; Gabler, Der Zuschauerraum des Theaters, 1935. 59 Meyer, Akustik und musikalische Aufführungspraxis, 19994  ; Forsyth, Bauwerke für Musik, 1992, S. 235–254. 60 Zur Nieden, „Europäische Tendenzen in der Entwicklung des Opernbühnenbilds im 19. Jahrhundert“, 2009, S. 55–72  ; Allevy, La Mise en scène en France dans la première moitié du dixneuvième siècle (1938), 1976  ; Mancini, L’evoluzione dello spazio scenico dal naturalismo al teatro epico, 1975  ; Bablet, Esthétique générale du décor de théâtre de 1870 à 1914, 1965. 61 Ther, In der Mitte der Gesellschaft, 2006  ; Walter, Die Oper ist ein Irrenhaus, 1997. 62 Loos, „Tempel der Kunst – Kathedralen der Nation  : Opern- und Konzerthäuser vor 1914“, 2002, S. 347. 63 Vgl. hierzu Levine, Highbrow – lowbrow, 1988.



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den gesellschaftlichen Stand der einzelnen Zuschauer in Szene setzt, kann die soziale Zusammensetzung und räumliche Platzierung des Publikums aus den Kartenpreisen rekonstruiert werden, die für die verschiedenen Genres angesetzt wurden.64 Neben diesen traditionellen kulturhistorischen Einflüssen auf die Theaterarchitektur war die Regelung der Theaterpraxis durch die architektonische Anlage des Raums besonders für die französische Sozialpolitik nichts Ungewöhnliches. Im Umfeld des Saint-Simonismus propagierte so mancher Autor eine Theorie zur Moralisierung des Theaters durch eine Modifikation seiner Architektur.65 Typisch für diese Theorien ist, dass sie das Ereignis der Aufführung betreffen  : Der Theaterschriftsteller Hippolyte Auger zum Beispiel nennt die Lage des Theaters in der Stadt, seinen Grundriss, das Dekor seiner Fassade, Eingänge und Foyers, die Aufteilung der Plätze, die Sichtbarkeit der Bühne und den Kronleuchter im Saal als Elemente, die es beim Bau eines neuen Theaters zu beachten gilt, da sie sich unmittelbar auf das Publikum auswirken. All diese Elemente haben für ihn soziale, aber auch ästhetische Funktionen und fügen sich zum Gesamtereignis Theater zusammen, das moralisiert werden soll.66 Auch für das Bestreben, das Theater künstlerisch zu erneuern, wurden im Paris um 1900 mannigfache architektonische Parameter der französischen Theater angeführt. Für den Bühnendirektor André Antoine waren es unter anderem die Unbequemlichkeit der Säle und die hohen Kartenpreise, die eine angemessene theatralische Produktion und Rezeption unmöglich machten.67 Eine architektursoziologische Analyse in einer raumsoziologischen Vertiefung steht somit ganz im Zeichen zeitgenössischer Denkmodelle im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mittels der zweigliedrigen Analyse der damaligen Intentionen in Bezug auf Theaterbauten und ihrer Rezeption durch Raumwahrnehmung 64 Vgl. hierzu auch die Analyse von Huebner, „Opera audiences in Paris 1830–1870“, 1989, S. 218–222. 65 Auger, Physiologie du théâtre, Bd. 3, 1839, S. 64. Für einen Überblick über die Sozialtheorien zur Musik im Frankreich des 19. Jahrhunderts und zu ihrer engen Bindung an die Aufführungsräume vgl. Fulcher, Musical aesthetics and social philosophy in France 1848–1870, 1977, S. 98–101. 66 Auger, Physiologie du théâtre, 1839, S. 261–262. 67 Antoine, Le Théâtre Libre (1890), zitiert nach  : Charle, „Trasformazioni del pubblico teatrale in Francia e a Parigi nel XIX secolo“, 2008, S. 18–21.

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und -nutzung lassen sich diese Denkmodelle zu Rezeptionsmodellen zwischen künstlerischer Publikumsorientierung und politischen und sozialen Rahmenbedingungen verdichten.

1  Die Architektur des Théâtre du Châtelet

Anhand des architektursoziologischen Ansatzes lässt sich behaupten, dass der Entwurf und die bauliche Realisierung eines Theaters auf grundlegenden sozialen, politischen und künstlerischen Vorstellungen über die bestehende und die zukünftige Theaterpraxis beruhen. Die architektonische Planung des Théâtre Impérial du Châtelet, wie das Théâtre du Châtelet während des Zweiten Kaiserreichs hieß, wurde sowohl von politischen als auch von theaterpraktischen Instanzen mitgestaltet. Unter der Leitung von Kaiser Napoleon III. (1808–1873), seines Seine-Präfekten Baron Georges Eugène Haussmann (1809–1891) und des Ministre d’État, Achille Fould (1800–1867), wirkten die Theaterabteilung des Ministère d’État, die Pariser Stadtverwaltung, Architekten der École des Beaux-Arts und der zukünftige Theaterdirektor an den Entwürfen mit. All diese Instanzen formulierten Verbesserungsvorschläge und Zielsetzungen in Bezug auf den im Théâtre Impérial du Châtelet anzusiedelnden Theaterbetrieb und verbanden sie im Laufe der einzelnen Planungsstadien mit konkreten architektonischen Parametern und Formen. Dabei ging es zum einen um die Repräsentativität des Theaters, seine Zielgruppe und seinen Platz im urbanen Raum. Zum anderen wurde der Theaterraum im Hinblick auf den Bezug zwischen Bühne und Saal während der Aufführungen diskutiert. Diese beiden Themenbereiche werden im Folgenden während der Planungs- und der Realisierungsphase beleuchtet, um die Gewichtung der einzelnen Einflüsse auf den Bau des Théâtre du Châtelet festzumachen und um Anhaltspunkte für eine architektur- und raumsoziologische Analyse seiner Theaterpraxis herauszuarbeiten.  Napoleon III. schuf im Januar 1852 ein Ministère d’État, das er mit der Koordination der verschiedenen Ministerien und der Organisation von Zeremonien, Festen und Reisen des Kaisers betraute. Ab Dezember 1852, als der Posten des Ministre d’État mit dem des Ministre de la Maison de l’Empereur zusammengelegt wurde, kümmerte sich dieses Ministerium vor allem um das Prestige der Regierung. Auch die Ressorts Schöne Künste, Theater und Museen – ehemals Teile des Innenministeriums – gehörten zum Zustandsbereich des Ministère d’État und standen somit unter dem direkten Zugriff Napoleons III. Das Ministerium wurde von Juli 1852 bis November 1860 von Achille Fould geleitet. De Brabant, Achille Fould et son temps (1800–1867), 2001, S. 124 und S. 235.

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1.1 Gesellschaftliche und künstlerische Zielsetzungen in Bezug auf den Bau des Théâtre du Châtelet 1.1.1 Das Théâtre du Châtelet als Volkstheater des Zweiten Kaiserreichs

Der Bau des Théâtre du Châtelet durch den Architekten Gabriel Davioud (1824–1881) beruht nicht auf einer privaten Initiative, sondern ist ein Produkt der Pariser Haussmannisierung unter Napoleon III. und Baron Georges Eugène Haussmann. Innerhalb dieser großflächigen Reurbanisierung der französischen Hauptstadt von 1853 bis 1870 wurde die wichtigste Pariser Theaterzeile des Vieux Paris, der Boulevard du Temple, für die Anlage des zweiten Teilnetzes („deuxième réseau“) aus Boulevard du Prince Eugène und Place du Châteaud’Eau (heute Boulevard Voltaire und Place de la République) abgerissen. Seit dem 18. Jahrhundert hatten sich hier das Théâtre Impérial du Cirque, das Théâtre Lyrique, das Théâtre de la Gaîté, das Théâtre des Délassements-Comiques, das Théâtre des Folies-Dramatiques, das Théâtre des Funambules und das Petit Lazary in einer durchgehenden Häuserzeile nebeneinander etabliert. Im Rahmen der Umsiedlung dieser Theater entschloss sich Haussmann, das Théâtre Impérial du Cirque und das Théâtre Lyrique innerhalb des ersten Teilnetzes („premier réseau“) im Herzen von Paris wieder aufzubauen. Dieses Projekt bezog sich auf die Umgestaltung des städtischen Raums von der Place Saint-Michel über die Île de la Cité bis zur Place du Châtelet, mit der Haussmann im Jahr 1856 den Architekten der Stadt Paris, Gabriel Davioud, betraut hatte. Das „premier réseau“ sah zudem den Bau einer Kreuzung der neuen Hauptverkehrsachsen Rue de Rivoli und Boulevard de Sébastopol in unmittelbarer Nähe zur Place du Châtelet vor. Der Platz und das von Haussmann so genannte „große Pariser Kreuz“ („grande croisée de Paris“) sollten dabei zu einem neuen Zentrum der französischen Hauptstadt werden. In den Jahren 1860 bis 1862 leitete Davioud dort den Bau des Théâtre du Châtelet, in das das Théâtre Impérial du Cirque einzog, und des Théâtre Lyrique, die unmittelbare Bestandteile  Chadych/Leborgne, Atlas de Paris, 1999, S. 154.  Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 43.  Haussmann, Mémoires (1893), 2000, S. 821.  Marchand, Paris, histoire d’une ville, 1993, S. 76–77.

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der Neugestaltung des Platzes waren. Das Théâtre Impérial du Cirque war seit Beginn des Zweiten Kaiserreichs offiziell vom Staat anerkannt, was sich in seinem kaiserlichen Namensattribut „impérial“ niederschlug, ansonsten aber ein privat geführtes Unternehmen. Die städteplanerischen Umstände, aus denen der Bau des Théâtre du Châtelet hervorging, weisen auf die Dominanz nationaler und städtischer kulturpolitischer Absichten bei seiner architektonischen Planung hin. In der Tat wurde der Bau des Châtelet zuerst von Haussmann, dem Pariser Stadtrat und dem Ministère d’État in seinen Einzelheiten thematisiert. Die Erwägungen dieser Instanzen aus dem Jahr 1857 bezogen sich dabei gleichermaßen auf urbanistische Zielsetzungen und auf politisch-moralische Intentionen. Der Boulevard du Temple war Haussmann und dem Ministère d’État ein Dorn im Auge, da seine Theater – wider jegliche Vorstellung einer moralisch effektiven Theaterpraxis und wider jegliche staatliche Maßnahmen – als moralisch und politisch schwer kontrollierbar galten. Neben den sieben Theatern bot der Boulevard du Temple dem Pariser Publikum alle Charakteristika einer belebten und beliebten Unterhaltungsmeile wie eine große Anzahl Cafés, Tanzsäle und Straßenkünstler. Während seine hauptsächliche Klientel aus den unteren Volksschichten bestand, wurde der Theaterboulevard durchaus auch von höheren sozialen Schichten besucht. Die zahlreichen Zuschauer konnten sich sowohl von den Vorstellungen im Inneren der sieben sehr populären Theater als auch vom leb Latour/Claval (Hg.), Les Théâtres de Paris, 1991, S. 111.  „Der Wegfall der Funambules, des Lazary und sogar der Délassements Comiques wäre eher recht als schlecht. Dasselbe lässt sich über das Théâtre de la Gaîté sagen (als Genre). Die Melodram-Theater sind bei den Arbeitern sehr beliebt  ; aber was man auch tut, Herr Minister, welchen Einfluss man auch immer auf die Direktoren und Autoren auszuüben versucht, damit die Stücke einigermaßen ehrhaft bleiben, man erreicht fast gar nichts, und alle Melodramen, die das Volk vorfindet, haben fast immer eine schlechte Lehre und sind von schlechtem Beispiel.“ Note sur la situation des Théâtres du Boulevard du Temple [an den Préfet de la Seine], o. D. AN, F21 1039.  Beaulieu, Les Théâtres du boulevard du Crime (1905), 1977, S. 6.  Der zeitgenössische Beobachter Henri Beaulieu beschreibt den Theaterboulevard als „einen echten und ewigen Jahrmarkt, auf dem Menschen von Welt, galante Damen und Leute aus dem Volk ohne Unterschiede zusammentreffen, am Nachmittag um die Gaukler herum und am Abend in den Theatern, den Kabaretts und auf den Bällen“. A.a.O., S. 7. Vgl. auch Jules Cauvain, „Le Boulevard du Temple“, in  : Le Monde illustré, 7. Juni 1862, 6. Jahrgang, Nr. 269, S. 365–366.

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haften Treiben auf der Straße unterhalten lassen,10 sodass der Spaziergang über den Boulevard zu einem regelrechten „Theaterspaziergang“ oder „spektakulären Parcours“ wurde.11 Aufgrund der hohen Konkurrenzsituation zwischen den sieben Theatern, die sich in grandiosen und moralisch anzüglichen Stücken zu übertreffen suchten, wobei die Zuschauer während der Pausen oft ihre Eintrittskarten tauschten und das Theater wechselten,12 war das Theaterrepertoire im Laufe der Jahre dermaßen aus den Fugen geraten, dass der Boulevard du Temple oft als „Boulevard du Crime“ bezeichnet wurde.13 Zur besseren Kontrolle dieses „Boulevards des Verbrechens“ sah Haussmann in einem ersten Plan noch die Finanzierung des Wiederaufbaus aller sieben Theater am gleichen Ort durch die Stadt Paris vor, um die privat geführten Theater nach ihrer Wiedereröffnung unter die Leitung des städtischen Eigentümers zu stellen.14 Der Leiter der Theaterabteilung des Ministère d’État, Camille Doucet (1812–1895), sprach sich hingegen gleich für eine Auswahl bestimmter, politisch konformer Theater aus. Statt sich wie Haussmann den rein administrativen Nebeneffekt der Reurbanisierung zunutze zu machen, verfolgte Doucet eine politische Kontrolle der Theater von innen heraus, die auf bestimmte Publikumsschichten und Genres abgestimmt war  : „Bleiben noch drei Theater, die aus verschiedenen Gründen interessant sind und deren Erhalt sehr wünschenswert wäre. Indem es weniger amüsant als die Gaîté ist, übt das Théâtre Lyrique einen viel besseren Einfluss auf das Volk aus. Die Musik ist weitaus besser für es als die sozialen und philosophischen Theorien, die die grundlegenden Bestandteile des Dramas sind. Danach ist der ehemalige Zirkus von Franconi zu nennen, der aufgrund seines heroischen Genres den Titel ‚kaiserliches Theater‘ erhalten hat.

10 Naugrette-Christophe, Paris sous le Second Empire, 1998, S. 60–61. 11 Dies., „La fin des promenades“, 1987, S. 55 und S. 104–139. 12 Dies., Paris sous le Second Empire, 1998, S. 60–61 und S. 187–188. 13 Narjoux, Paris. Monuments élevés par la ville, Bd. III, 1882, S. 1  ; Brauneck, Die Welt als Bühne, Bd. III, 1999, S. 255. 14 Ministre d’État. Théâtres. Note pour Son Excellence du 30 Mai 1861. AN, F21 1039  ; Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 55.

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Da es auf die Darstellung wichtiger Episoden der Geschichte und insbesondere der Geschichte Frankreichs ausgerichtet ist, müsste dieses Theater mit einem stärkeren Empfinden für seine Aufgabe und mit einem größeren Verständnis für das Gute, das damit getan werden könnte, sowie für den Dienst, den es leisten könnte, geführt werden. Aber prinzipiell ist der Erhalt eines Theaters dieses Genres eine echte Notwendigkeit.“15

Doucets Planungen betrafen sowohl die nationale als auch die institutionelle Entscheidungsebene, indem sie gleichermaßen auf die staatliche Zuteilung eines politisch konformen Genres zu jedem Pariser Theater im Rahmen des „régime du privilège théâtral“ („Ordnung des Theaterprivilegs“)16 sowie auf die konkrete Theaterleitung abzielten. Auf rein künstlerischer Ebene fungierte das Musiktheater und insbesondere die Oper als das am besten für das „Volk“ und die „Arbeiter“ geeignete Genre, die Doucet als Publikumszielgruppe des „Boulevard du Crime“ verstand.17 Eine solche innere Reorganisation der Theater sollte die moralische und politische Konformität gewährleisten, die durch die Theaterdichte des Boulevard du Temple gefährdet wurde. Denn aus kommerziellen Gründen hielt Doucet an einem Wiederaufbau der nach seiner Beurteilung verbleibenden fünf Theater in unmittelbarer Nähe fest. Es galt, die einzelnen Säle so wenig wie möglich auseinander zu reißen, um auf diese Weise die finanzielle Prosperität der einzelnen Theaterbetriebe zu sichern.18 Der Leiter der Theaterbehörde nahm die Planung des Wiederaufbaus der Theater folglich vor dem Hintergrund der bestehenden Theaterpraxis und -atmosphäre des Boulevard du Temple in Angriff und achtete auch darauf, den Theaterdirektoren gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. 15 Note sur la situation des Théâtres du Boulevard du Temple [an den Préfet de la Seine], o. D. AN, F21 1039. 16 Diese 1806 eingeführte Regelung sah die staatlich organisierte Zuteilung der einzelnen Genres auf bestimmte Theater vor, um die Konkurrenz zu reduzieren und das Repertoire zu kontrollieren. Passion, „Régime de l’exploitation théâtrale au XIXe siècle“, 1991, S. 17. 17 Die Verbreitetheit, die Musik als moralisierende Kunst anzusehen, lag an den mannigfaltigen Sozialtheorien, die sich seit den 1830er Jahren auf die Musik stützten. Zur Zeit des Zweiten Kaiserreichs waren besonders Fétis, Paul Scudo und die Ausläufer des Saint-Simonismus präsent. Fulcher, Musical aesthetics and social philosophy in France 1848–1870, 1977, S. 98–101. 18 Minute de Lettre du Ministre d’État à Mr. le Préfet de la Seine, 16. Januar 1858. AN, F21 1039.

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Haussmann entsprach dem Vorschlag von Camille Doucet, nur noch eine Auswahl der Theater wieder aufzubauen, sofort. Im Gegensatz zum Leiter der Theaterabteilung des Ministère d’État motivierte er diese Entscheidung jedoch durch allgemein staatliche und städteplanerische Vorstellungen, von denen auch die jeweilige Zielgruppe der wiederaufzubauenden Theater abhing  : Im Namen Napoleons III. setzte sich Haussmann besonders für den Wiederaufbau der beiden Volkstheater Théâtre de la Gaîté, der „populärsten Bühne von allen“, und Théâtre Impérial du Cirque (heute Théâtre du Châtelet) als Spielort der „großen Militärepen, die die patriotische Ader der Zuschauer in Schwingung versetzen“, ein. Das Châtelet und sein vorgesehenes Militärspektakel-Repertoire sollten nach Haussmanns Vorstellungen also keinesfalls auf die von Doucet anvisierte Arbeiterklasse als traditionelles Klientel des Boulevard du Temple beschränkt bleiben, sondern ihre patriotische Mission bei den Pariser „Zuschauern“ im Allgemeinen erfüllen. Den Wiederaufbau des Théâtre Lyrique (heute Théâtre de la Ville), in dem Opern von Nachwuchskomponisten aufgeführt wurden, begründete der Seine-Präfekt dagegen unumwunden mit seiner persönlichen Vorliebe für das gehobene Musiktheater, die er mit seinen „Freunden aus dem Hôtel de Ville“ teile. Es galt, diesem Theater und dem damit verbundenen Haussmann’schen kunstbeflissenen Gesellschaftsideal einen angemessenen Platz im urbanen Raum des Nouveau Paris zu schaffen, da es bisher wie verloren zwischen den „Kaschemmen“ des Boulevard du Temple stehe, wie Haussmann die nicht wieder aufzubauenden Theater bezeichnete.19 Für den Seine-Präfekten war die Pariser Haussmannisierung also Anlass, die ausgewählten Theater schon rein urbanistisch mit einer gehobenen Gesellschaftsordnung und einer besseren politischen Repräsentativität zu versehen. Die weiter gefasste Zielgruppe, die Napoleon III. und Haussmann für die Militärspektakel des Cirque ansetzten, wurde auch im Bewerbungsverfahren um die Stelle des Theaterdirektors des Théâtre Impérial du Cirque und des geplanten Théâtre Impérial du Châtelet vom hauptsächlichen Bewerber Hippolyte Hostein (1814–1879) aufgegriffen. Doucet führte dieses Verfahren bereits im Oktober 1858 durch, um dem Direktor möglichst viel Zeit für die Vorbereitung auf das Theatergenre des Cirque zu geben und dadurch auch die 19 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1106–1107.

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moralisch und politisch konforme Leitung des zukünftigen Théâtre du Châtelet zu sichern.20 Nicht zuletzt, da Hosteins Bewerbung von Doucet gezielt unterstützt wurde, war sie ganz auf die patriotischen Inhalte des Militärspektakels ausgerichtet, das als Genre des Théâtre Impérial du Cirque auch für das Théâtre du Châtelet vorgesehen war.21 Hostein beschrieb das spectacle militaire als unbedingt notwendigen Beitrag zur Erhaltung einer nationalen Gesinnung, wobei er als Publikum die weit gefassten Zielgruppen der „Bevölkerung“ und der „heutigen Generation“ nannte. Um die patriotische Erbauung zu gewährleisten, plante er, die darstellerische Ästhetik des spectacle militaire zu verbessern, indem er sie ganz nach den „staatlich-öffentlichen Spektakeln“ („spectacles publics“) ausrichtete, die Napoleon III. seit 1855 regelmäßig in Paris abhielt.22 Tatsächlich wurde die damalige Politik des Zweiten Kaiserreichs als „fête impériale“ („kaiserliches Fest“) bezeichnet, da sie nationale Feiertage, spektakuläre Besuche des Kaisers auf dem Land, groß angelegte Einweihungen der neuen Pariser Straßen, Militärparaden, die kaiserliche Hochzeit und die Taufe des Prinzen zu ihren integralen Bestandteilen machte.23 Bei diesen Veranstaltungen wurden in der Regel theatrale Mittel angewandt  : Von der Claque24 über lebende Bilder bis hin zur Anbringung großer Vorhänge zur Einweihung des Boulevard de Sébastopol und des Boulevard du Prince Eugène25 machte Napoleon III. bis zum Anfang der 1860er Jahre oft von ihnen Gebrauch. Er nutzte sie einerseits, um sich durch die Anziehung und den Enthusiasmus großer Volksmassen die Legitimität seines Regimes bestätigen zu lassen und andererseits, um dem Volk unter seiner neuen, massenpolitischen Herrschaft neue Symbole und Mythen zu verschaf20 Rapport à Son Excellence le Ministre d’État du Secrétaire Général [Pelletin], 25. Oktober 1858. AN, F21 1143. 21 In seinen Memoiren beschreibt Hostein Camille Doucet als liberalen Bonapartisten. Doucet arbeitete während des Zweiten Kaiserreichs nach eigenen Angaben in enger Anlehnung an die kulturpolitischen Vorstellungen des Kaisers, der den Theatermachern mannigfaltige Anerkennungen zukommen ließ. Hostein, Historiettes et souvenirs d’un homme de théâtre, 1878, S. 88 und S. 90–91. 22 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 14. Oktober 1858. AN, F21 1143. Zur napoleonischen Festpolitik vgl. Milza, Napoléon III, 2004, S. 462–463. 23 Yon, Le Second Empire, 2004, S. 144–147  ; Truesdell, Spectacular Politics, 1997, S. 3–4. 24 A.a.O., S. 8. 25 A.a.O., S. 92.

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fen, wobei ein großer Mythos in der Einigkeit und Friedfertigkeit des Volkes bestand.26 Obwohl die Zuschauer in diesem urbanen Theater27 passive Rollen hatten, waren sie dennoch unabdingbar Teil des napoleonischen Spektakels.28 Auf szenischer Ebene gehörten temporäre architektonische Konstruktionen zur Inszenierung der „fête impériale“, in die sich sowohl die Volksmenge als auch die politischen Protagonisten einordneten. Vor diesem politischen Hintergrund, der die Einigkeit des Volks durch Zuschauermassen mit urbanen, architektonischen Anlagen zu einem theatralen, gesellschaftspolitischen und größtenteils militärischen Spektakel vereinte, erstaunt es nicht, dass Hostein die Politik des Zweiten Kaiserreichs und den Wiederaufbau des Théâtre du Châtelet für das Genre des spectacle militaire in unmittelbare Verbindung brachte.29 Die Tatsache, dass das Ministère d’État zur direkten Anbindung der Künste an die politische Repräsentation eingesetzt worden war und dass Doucet Hostein bei seiner Bewerbung unterstützte, verweist auf eine politisch gewollte Verschmelzung von Politik und Theaterbetrieb während des Zweiten Kaiserreichs, die zumindest in der Planungsphase des Châtelet auch von theaterpraktischen Instanzen mitgetragen wurde. Nach Antritt seines Direktorenpostens im Théâtre Impérial du Cirque griff Hostein dagegen wieder regelmäßig die Publikumsbezeichnungen des „Volks“, der „unteren Volksschichten“ und der „Armee“ auf.30 Die übergreifende gesellschaftliche Konzeption des Volkstheaters, die von Napoleon III. und Haussmann oder in enger Anlehnung an sie vertreten wurde, schlug sich letztendlich auch in der Lage des Théâtre du Châtelet im urbanen Raum nieder. Am 30. November 1859 teilte Haussmann dem Ministère d’État offiziell mit, dass der Cirque und das Théâtre Lyrique innerhalb des „premier réseau“ an der Place du Châtelet und somit in unmittelbarer Nähe zur zentralen 26 Anceau, Napoléon III, 2008, S. 326. 27 Truesdell, Spectacular Politics, 1997, S. 87–88. 28 A.a.O., S. 96. 29 Die Verbindung von Theaterpraxis und politischen, urbanen Festen charakterisiert darüber hinaus das Frankreich des gesamten 19. Jahrhunderts. Jean-Marie Thomasseau betont, dass sich das Spektakuläre des französischen Theaters der Romantik parallel zum Spektakulären der Feste und Feierlichkeiten seit der Revolution herausbildete. Thomasseau, Le Mélodrame, 1984, S. 13. 30 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 18. Februar 1861/Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 20. Januar 1863. AN, F21 1143.

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Kreuzung im Herzen von Paris wieder aufgebaut werden sollten.31 Seine offizielle Begründung beruhte auf rein städteplanerischen Erwägungen. Die beiden Theater sollten in erster Linie zur Belebung des neuen urbanen Zentrums von Paris und zur rein urbanistisch motivierten Ausgewichtung der Theaterdichte zwischen rive droite und rive gauche beitragen. Auf die zukünftigen Theaterbetriebe bezogen stellte Haussmann die günstige verkehrstechnische Lage an der neuen zentralen Kreuzung aus den Hauptachsen Rue de Rivoli und Boulevard de Sébastopol voran, über die die Theater von überall her und für alle Publikumsschichten des Tout-Paris gut zu erreichen wären. Hiermit kehrte sich Haussmann indirekt vom „Theaterspaziergang“ auf dem Boulevard du Temple zugunsten der gezielten Ansteuerung eines bestimmten Theaters mit dem Wagen ab. Der Seine-Präfekt sah die beiden Theater darüber hinaus ganz explizit als Animation des neuen Stadtzentrums im Stil seiner „prächtigen Empfänge im Hôtel de Ville“. All dies verdeutlicht seine Vorstellung, das zukünftige Publikum des Théâtre Impérial du Cirque auch mit höheren gesellschaftlichen Schichten zu durchmischen.32 Fernab von rein theaterbezogenen Intentionen löste die Ansiedlung des alten Théâtre Impérial du Cirque im repräsentativen Pariser Zentrum jedoch vor allem planliche und finanzielle Probleme der Haussmannisierung. Vordergründig stellte Haussmann seine Entscheidung für die Place du Châtelet als Maßnahme dar, um innerhalb des „deuxième réseau“ freie Flächen zur dort anfänglich für alle Theater des Boulevard du Temple vorgesehenen Rekonstruktion zu schaffen. Nur durch das Ausweichen auf die Freiflächen der Place du Châtelet ließen sich möglichst viele Säle wieder aufbauen, in welche die einzelnen Theaterbetriebe übergangslos umgesiedelt werden konnten. Ein nahtloser Übergang lag besonders dem Pariser Stadtrat am Herzen, der die Existenzen der Theaterangestellten so wenig wie möglich gefährden wollte.33 Letztendlich überwog bei Haussmann jedoch die finanzielle Tatsache, dass er die alten Grundflächen des Théâtre Impérial du Cirque und des Théâtre Lyrique durch ihre Umsiedlung an die Place 31 Brief vom Préfet de la Seine an den Ministre d’État vom 30. November 1859. AN, F21 1039. 32 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1107  ; Brief vom Préfet de la Seine an den Ministre d’État vom 30. November 1861. AN, F21 1039. 33 Ministre d’État. Théâtres. Note pour Son Excellence du 30 Mai 1861/Brief vom Préfet de la Seine an den Ministre d’État vom 30. November 1861. A.a.O.

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du Châtelet für den Verkauf an private Eigentümer bestimmen konnte. Durch solche wertsteigernden Wiederverkäufe reurbanisierter Grundstücke („révente“) finanzierte Haussmann seit Beginn der Haussmannisierung seine großflächigen Baumaßnahmen.34 Im Jahr 1858 beschloss der Conseil d’État jedoch ein Gesetz, das die Rückgabe enteigneter Flächen an die vorigen Eigentümer vorsah, soweit diese nach Abschluss der städteplanerischen Baumaßnahmen nicht mit offiziellen Gebäuden besetzt worden waren.35 Wie Camille Doucet berichtet, wickelte Haussmann den Verkauf der beiden Theatergrundstücke des „deuxième réseau“ noch gerade vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes und mit einem sehr hohen Gewinn ab.36 Bei der erst 1859 eingeebneten Place du Châtelet galt es dagegen, die Grundstücke des repräsentativen Stadtzentrums möglichst homogen mit offiziellen Gebäuden zu besetzen, damit sie nicht an ihre ursprünglichen Eigentümer zurückgingen und das neue Stadtbild störten.37 Hierzu kamen Haussmann die beiden wieder aufzubauenden Theater sehr gelegen, die sich nun fernab ihrer vorherigen Ausrichtung an das neue, repräsentative und für Haussmann mit einer gehobeneren gesellschaftlichen Symbolik verbundene Stadtzentrum anpassen mussten. Die Entscheidung Haussmanns, zwei der Theater des Boulevard du Temple auf der repräsentativen Place du Châtelet in einem administrativen Stadtviertel von den anderen Theatern zu isolieren, wurde von Camille Doucet und dem Ministre d’État nicht mitgetragen. Entgegen Haussmanns Annahme, dass zwei benachbarte Theater ausreichten, um sich gegenseitig zu beleben,38 bezweifelte Doucet stark, „dass diese beiden Theater, isoliert wie sie sein werden, in einem neuen Stadtviertel zu der Beliebtheit zurückfinden, die sie auf dem Boulevard du Temple besaßen“39. Obwohl der Ministre d’État Achille Fould am 27. Februar 1860 die Entscheidung Haussmanns und des Pariser Stadtrats für die Place 34 Ebd. Zum Konzept des wertsteigernden Wiederverkaufs siehe Marchand, Paris, histoire d’une ville, 1993, S. 80  ; Anceau, Napoléon III, 2008, S. 358–359  ; Willms, Napoleon III., 2008, S. 150. 35 Vgl. Marchand, Paris, histoire d’une ville, 1993, S. 80–81. 36 Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 30. Mai 1861. AN, F21 1039. 37 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1115. 38 Brief vom Préfet de la Seine an den Ministre d’État vom 30. November 1859. AN, F21 1039. 39 Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 20. Februar 1860/vgl. auch Brief von Ca­mille Doucet an den Ministre d’État vom 30. Mai 1861. A.a.O.

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du Châtelet ratifizierte, distanzierte er sich offiziell von diesen Plänen, indem er Haussmann jegliche weitere Verantwortung übertrug.40 Auf diese Weise wurde Haussmanns städteplanerische Konzeption samt ihren sozialen Implikationen zur vorrangigen Grundlage für die architektonische Anlage des Théâtre du Châtelet. Der Beschluss, den Cirque und das Théâtre Lyrique fernab des Boulevard du Temple wieder aufzubauen, rief auch bei den zukünftigen Theaterdirektoren große Besorgnis hervor. Da sie unter anderem mit Kündigung drohten, erwirkte Doucet im Folgenden bei Haussmann noch einige Kompromisse, die direkten Einfluss auf die architektonische Anlage des Théâtre du Châtelet haben sollten. Die größte Angst der Direktoren, ihre Theaterbetriebe an die neue Place du Châtelet zu verlegen, bestand in den ungleich höheren Kosten, die für eine neue Bühnenausstattung der nun viel größeren, da repräsentativeren Säle aufgewandt werden mussten.41 Haussmann trat diesem Argument entgegen, indem er den Stadtrat davon überzeugte, für die Kosten der Gasbeleuchtung lediglich den der Stadt Paris zugestandenen Festpreis der Pariser Gaswerke anzurechnen, anstatt den normalen Preis zu verlangen.42 Zudem sicherte Haussmann dem Theaterdirektor und Doucet eine größtmögliche Zuschauerkapazität der wieder aufzubauenden Säle und damit auch die Möglichkeit höherer Einnahmen zu.43 Zum selben Zweck sah der Seine-Präfekt die Besetzung der Seitenfassaden der Theater mit Cafés, Geschäften und Wohnungen vor, die von den Theaterdirektoren vermietet werden konnten, gleichzeitig aber auch den Platz belebten.44 Den Vorschlag des Pariser Stadtrats, weitere der sieben Theater an der Place du Châtelet wieder aufzubauen, lehnte Haussmann dagegen vehement ab und sprach der Pariser Stadtverwaltung ärgerlich jegliche „szenische Kunst in ihren Anweisungen“ ab.45 Selbst die Kompromisse zwischen der städteplanerischen 40 Note pour Son Excellence de Camille Doucet en date du 30 mai 1861. A.a.O.; Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1108. 41 Brief von Camille Doucet an den Préfet de la Seine vom 18. Dezember 1861. AN, F21 1039. 42 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1108. 43 Haussmann vergleicht in seinen Memoiren stolz die Vergrößerung der Zuschauerkapazität des Cirque von 2400 auf 3600 Plätze im Théâtre du Châtelet. A.a.O., S. 1109. Vgl. auch Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 9. 44 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1108. 45 A.a.O., S. 1114.

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Instanz und den theaterpraktischen Einwänden waren also vollständig an die urbane Situation des Châtelet-Platzes und die Haussmann’schen Vorstellungen eines repräsentativen und gehobenen Stadtviertels angeglichen  : Das neue Zentrum von Paris als verkehrstechnischer Knotenpunkt spiegelte auf ideeller Ebene die alle sozialen Schichten umfassende Zielgruppe des „Volkes“ wider, die Napoleon III. und sein Seine-Präfekt für das Volkstheater Châtelet ansetzten, und bot durch seine repräsentative Umgebung einen angemessenen Platz für ein kaiserliches Theater, dessen Militärspektakel die politische Erbauung seiner Zuschauer gewährleisten sollten. 1.1.2 Soziale und künstlerische Symmetrien zwischen Darstellern und Zuschauern

Die enge Verbindung von Theater, politischer Repräsentativität und Urbanität, die das Zweite Kaiserreich in Bezug auf das Pariser Theaterleben proklamierte, bestimmte auch Hosteins Ausführungen zu theaterpraktischen Details, die er bei seiner Bewerbung um die Stelle des Theaterdirektors und während der Namensfindung für das Théâtre du Châtelet vorbrachte. Hostein nutzte diese Verbindung gezielt, um eigene Vorstellungen in Bezug auf das Genre und seine Inszenierung zu äußern, die von den politischen Instanzen nicht ohne Weiteres mitgetragen wurden. Zudem versuchte er, bei Napoleon III. eine Subventionierung seines Theaters durchzusetzen. Wenn Hostein seine Pläne für eine Neugestaltung des spectacle militaire auch generell an der napoleonischen „fête impériale“ und ihrem theatralen Repräsentationsgehalt auszurichten gedachte,46 orientierte er sich in theaterpraktischer Hinsicht dennoch oft an bestimmten Pariser Theaterinstitutionen und Genres. Konkret strebte er eine Verbesserung der szenischen Gestaltung an, die sich im spectacle militaire traditionell durch spektakuläre Bühnenbilder und reichhaltige Effekte wie Reiterkämpfe in der im Parkett liegenden Manege auszeichnete.47 46 „Das Kaisertum war theatralisch.“ Kracauer, Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, 1976, S. 226. 47 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 14. Oktober 1858. AN, F21 1143  ; Lettre de M. Hostein en réponse à la Note de M. Billion, directeur du théâtre du Cirque Impérial, 1858, S. 5.

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Diese sollte nun nach dem Vorbild des Théâtre Historique von Alexandre Dumas dem Jüngeren (1824–1895) umgestaltet werden, das Hostein von 1848 bis 1852 selbst geleitet hatte und das von Napoleon III. sehr geschätzt wurde.48 Das Repertoire des Théâtre Historique bestand im 19. Jahrhundert vornehmlich aus Dramen von Alexandre Dumas (1802–1870), in denen der Autor historische Episoden des klassischen Zeitalters verarbeitete. Sie wurden im Théâtre Historique mit einer großartigen bühnentechnischen Ausstattung und vielen Schaueffekten in Szene gesetzt, die das Theater eigens für Dumas’ Dramen entwickelt hatte.49 Die bühnentechnische Ästhetik dieses Genres war für das spectacle militaire durchaus gewünscht, was sich im Namensvorschlag „Théâtre Impérial Historique“ für das neue Theater durch den Chef du Cabinet von Napoleon III. äußerte.50 Obwohl Doucet diesen Titel aufgrund des „régime du privilège théatral“ ablehnen musste,51 richtete sich Hostein während seiner Leitung des Théâtre Impérial du Cirque ab dem 18. Dezember 186152 ganz auf das „théâtre historique“ ein, indem er die zirkushafte Manege im Zuschauerraum des Cirque komplett bestuhlte. Da er selbst die Pferde nur noch auf der Bühne auftreten ließ, vollzog Hostein noch vor dem Umzug in das Théâtre du Châtelet am 19. August 1862 eine klare Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne und somit auch eine Abkehr vom Genre des Zirkus.53 Damit wurde auch die Wichtigkeit effektvoller Bühnenbilder für den zukünftigen Theaterbetrieb an der Place du Châtelet noch einmal gesteigert. Neben Bühnentechnik und räumlicher Aufteilung sah Hostein vor, die künstlerische Darstellung durch ein spezialisiertes Tanzensemble zu verbessern. Auffallend hierbei ist, dass Hostein beabsichtigte, die Tänzer seines Balletts aus der Arbeiterschicht („classes ouvrières“) zu rekrutieren und durch eine Ballettschule dauerhaft an die Bühne des zukünftigen Théâtre du Châtelet zu binden.54 Mittels dieser originellen Idee integrierte er die von Camille Doucet anvisierte Ziel48 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 19. Februar 1861. AN, F21 1143  ; Anceau, Napoléon III, 2008, S. 335. 49 Brauneck, Die Welt als Bühne, 1999, S. 249. 50 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 30. Oktober 1861. AN, F21 1143. 51 Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 30. November 1861. A.a.O. 52 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 30. Dezember 1861. A.a.O. 53 Beaulieu, Les Théâtres du Boulevard du Crime, 1977, S. 110–111. 54 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 14. Oktober 1858. AN, F21 1143.

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gruppe des Volkstheaters in die Gruppe der Ausführenden und entsprach somit einer Reorganisation des Theaters von innen heraus. Gleichzeitig gliederte sich diese Maßnahme an die musikalische Institution des Orphéons an, die von Napoleon III. während des Zweiten Kaiserreichs im Sinne des Saint-Simonismus besonders gefördert wurde – nicht zuletzt da auch sie für die Einigkeit des Volkes mittels Musik und Theater stand, die Napoleon III. selbst regelmäßig in der „fête impériale“ erprobte. Die Orphéons waren große, in ganz Frankreich beliebte Amateurchöre,55 in denen die niederen Volksschichten eine musikalische Ausbildung erhielten und die in den 1850er Jahren auch verstärkt von der Mittelschicht besucht wurden. Ihr Repertoire setzte sich unter anderem aus eigens für die Orphéons komponierten Werken von Hector Berlioz (1803–1869), Félicien David (1810–1876), Daniel-François-Esprit Auber (1782–1871), Adolphe Adam (1803–1856) und Ambroise Thomas (1811–1896) zusammen.56 Auf der Grundlage der Sozialtheorien von Charles Fourier (1772–1837) und Auguste Comte (1798–1857) wurde das Orphéon allgemein als Möglichkeit angesehen, verschiedene soziale Schichten einander anzunähern.57 Vor dem Hintergrund, dass auch das Théâtre Impérial du Châtelet als gesellschaftlich umfassendes Volkstheater geplant wurde, verwundert es nicht, dass Napoleon III. während der Haussmannisierung Davioud mit dem Bau eines Orphéons für 1200 Chorsänger und 10000 Zuhörer beauftragte, das innerhalb des „deuxième réseau“ entstehen sollte.58 Hinter dem Ziel einer sozialen Durchmischung der eher populären Theater- und Musikkultur des Vieux Paris im reurbanisierten Nouveau Paris standen somit nicht nur urbanistische, sondern auch soziale und vor allem politische Intentionen des Regimes des Zweiten Kaiserreichs. Mit der geplanten künstlerischen Ausbildung niedriger gesellschaftlicher Klassen übertrug Hostein die kulturpolitische Ausrichtung der Orphéons nun auch auf das Musiktheater. Die Präsenz niedrigerer Volksschichten auf der Bühne an sich war dabei keinesfalls neu  : Hosteins Vorschlag knüpfte direkt 55 Glumpowicz, Les travaux d’Orphée (1987), 2001, S. 90. 56 Di Grazia, „Orphéon“, 2003, S. 919. 57 Fulcher, Musical aesthetics and social philosophy in France 1848–1870, 1977, S. 115, S. 117 und S. 120, vgl. auch S. 111–114 und S. 121–123. 58 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1110  ; s. a. Yon, „La musique et le pouvoir, 1848–1914“, 2006, S. 23  ; Seitz, Le Trocadéro, 2005, S. 19–24.

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an die Praxis der Pariser Theater an, die Massenszenen mit Statisten von der Straße zu besetzen (In den spectacles militaires wurden die Armeen in der Regel von echten Soldaten dargestellt, die Massenszenen jedoch wie in jedem anderen Volkstheater auch mit Laien besetzt59). Aber während diese Statisten nur einigen Bewegungen folgen mussten, die ihnen vorgemacht wurden, und eher passiv durch ihre große Anzahl für den inszenatorischen Gesamteindruck einer Szene sorgten,60 zielte Hostein mit seiner Ballettschule für die Arbeiterschicht auf eine Integration dieser sozialen Klasse in die aktive künstlerische Darstellung. Auf diese Weise konnten soziale Unterschiede gemindert werden, die das Pariser Publikum durchaus zwischen Protagonisten und Statisten von der Straße wahrnahm.61 Somit verstand Hostein die napoleonische Bestimmung des Théâtre Impérial du Châtelet als „théâtre populaire“ für alle sozialen Klassen nicht nur als Publikums- sondern auch als Darsteller-Attribut. Beide Gruppen sollten möglichst alle sozialen Schichten umfassen, wobei Hostein ein besonderes Augenmerk auf die niedrigeren gesellschaftlichen Klassen legte, die den höheren angenähert werden sollten. In diesem Sinne lief sein gesellschaftliches Verständnis der Kulturpolitik des Zweiten Kaiserreichs auf eine soziale Symmetrie zwischen Darstellern und Zuschauern hinaus. Ein solches Verständnis entsprach den politischen Spektakeln im urbanen Raum, die von der bonapartistischen Presse oft als Ausdruck der Einigkeit von Kaiser und seinem Volk, das heißt von Darsteller und seinen Zuschauern im gesellschaftspolitischen Spektakel beschrieben wurden.62 Die starke Ausrichtung der Theaterpraxis auf die napoleonische Kulturpolitik spiegelt sich auch im Namensvorschlag „Théâtre du Prince Impérial“ für das Théâtre du Châtelet wider, den Camille Doucet schon Anfang 1859 für das neue Theatergebäude ins Auge gefasst hatte. Für ihn war dieser Name Teil seiner 59 Hostein erwähnt die Mitwirkung der französischen Armee kurz nach der Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet  : „Jedes Militärstück des Théâtre Impérial du Châtelet bringt der Armee für die Komparserie, die Pferde, die Trommler, die Musik etc. etc. mehr als 10.000 F pro Monat ein.“ Théâtre Impérial du Châtelet. Note relative à la demande d’une subvention, 26. März 1863. AN, F21 1143. 60 D’Avenel, Le Mécanisme de la Vie Moderne, 1902, S. 278–279. 61 Vgl. Kracauers Ausführungen über die Pariser Bouffes-Parisiens. Kracauer, Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, 1976, S. 311. 62 Truesdell, Spectacular Politics, 1997, S. 10.

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Intention, das Theater „mit einem stärkeren Empfinden für seine Aufgabe und mit einem größeren Verständnis für das Gute, das damit getan werden könnte, sowie für den Dienst, den es leisten könnte“, leiten zu lassen.63 Auch Hostein vertrat diesen Namen, stellte die politische Erbauung jedoch aus Gründen einer möglichen Subventionierung voran. Der Titel „Théâtre du Prince Impérial“ erinnerte zwar in erster Linie an die Festästhetik des Zweiten Kaiserreichs, denn das Volksfest aus Anlass der Taufe des Prinzen stellte eines der größten napoleonischen Feste dar.64 Neben dieser Konnotation untermalte der Name „Théâtre du Prince Impérial“ jedoch auch die Bitte um eine Subvention. Auf Wunsch der Kaiserin Eugénie (1826–1920) war der Name des Prinzen ab 1856 für soziale Institutionen wie Waisenhäuser verwandt worden und stand auf diese Weise mit der Wohltätigkeit der kaiserlichen Familie in Verbindung.65 Auf das Theaterleben bezogen erinnerte der Name an das frühere, nie realisierte Projekt eines Volkstheaters auf der Place du Châtelet vom Dramatiker und Librettisten Adolphe d’Ennery (1811–1899), für das Napoleon III. einige Jahre zuvor schon einmal eine Subvention bewilligt hatte.66 In der Tat nahm Hostein bei seiner Bitte um eine Subventionierung sowohl auf die Kostspieligkeit des spectacle militaire als auch auf dieses Theaterprojekt Bezug.67 Obwohl Doucet den Theaterdirektor unterstützte, wies Napoleon III. eine finanzielle Unterstützung jedoch immer wieder zurück. Auch der Name „Théâtre du Prince Impérial“ wurde vom Kaiser abgelehnt, da er nicht wünschte, dass der Prinz ein Theater protegierte.68 Nachdem die politischen („Théâtre du Prince Impérial“) und auch theaterbezogenen („Théâtre Impérial Historique“) Namensgebungen abgelehnt worden waren, konnten sich die politischen und theaterpraktischen Instanzen am 12. 63 Note sur la situation des théâtres du boulevard du Temple, [Beginn 1858]. AN, F21 1039. Camille Doucet hatte anläßlich der Geburt des Prinzen den Text zu einer Huldigungskantate von Auber verfasst. Anceau, Napoléon III, 2008, S. 327. 64 „Die Geburt und die Taufe des kaiserlichen Prinzen gaben in ganz Frankreich aber vor allem in Paris Anlass zu prächtigen Zeremonien und lebhaften Freudenfesten – öffentlichen Bällen, Feuerwerken, Gratis-Aufführungen im Theater etc. – begleitet von Verteilungen von Almosen und Lebensmitteln an Arme und Notleidende.“ Milza, Napoléon III, 2004, S. 463  ; vgl. auch Anceau, Napoléon III, 2008, S. 327–328. 65 Truesdell, Spectacular politics, 1997, S. 127–128. 66 Brief von Adolphe d’Ennery an den Ministre d’État, o. D. AN, F21 1143. 67 Note sur le Théâtre Impérial du Cirque et sur son déplacement prochain, o. D. A.a.O. 68 Note de Camille Doucet pour le Ministre d’État du 29 Juillet 1862. A.a.O.

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August 1862, eine Woche vor der Eröffnung des neuen Theaters, auf den Namen „Théâtre Impérial du Châtelet“ einigen.69 Aus den Begründungen dieser Titelwahl geht hervor, dass sich der Bezug auf die Urbanität vor dem Hintergrund der politischen Repräsentation im urbanen Raum und ihrer Relevanz für die verschiedenen Vorstellungen über die künstlerischen und sozialen Parameter der Theaterpraxis des Théâtre du Châtelet besonders gut für einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Instanzen eignete. Der Titel „Théâtre Impérial du Châtelet“ war mit dem Zusatz „ehemaliger Cirque“ eigens von Hostein vorgeschlagen worden, der damit dem Publikum des alten Boulevard du Temple den Weg zum neuen Theater an der Place du Châtelet zu weisen gedachte. Indem Hostein in seinen Ausführungen über den Namen „Théâtre Impérial du Châtelet“ den Titel „Théâtre Historique“ explizit verwarf und seine theaterpraktischen und künstlerischen Überlegungen hinter die urbane Situation zurückstellte,70 kann diese Titelwahl gleichzeitig als ein letzter Versuch gelten, Napoleon III. von einer Subventionierung des Châtelet zu überzeugen  : Aus Sicht der politischen Instanzen symbolisierte der neue Name vor allem kulturpolitische Grundsätze wie die politische Kontrolle, da der Titel „Châtelet“ sich vom alten Gefängnis Le Grand Châtelet ableitete. Nachdem dieses 1802 von Napoleon Bonaparte (1769–1821) abgerissen worden war, wurden seine Steine für den Bau der Chambres des Notaires wieder verwandt, sodass das ab dem 17. Jahrhundert berüchtigte Gefängnis auf der neuen Place du Châtelet immer noch präsent war. Der Platz selbst war durch die Haussmannisierung zu einem neuen urbanen und verkehrstechnischen Zentrum geworden, das täglich vom ToutParis frequentiert wurde und daher mit der kulturpolitischen Ausrichtung des Théâtre du Châtelet als für alle Pariser Bürger offenes Volkstheater konform war. Hosteins Verpflichtung auf das Militärspektakel durch das „régime du privilège théâtral“ ließ sich dagegen nur noch in seinem Pachtvertrag nachlesen, der für das Théâtre Impérial du Châtelet spectacle militaire und Feerie vorsah, „aber in der Art, dass die Zahl der Militärstücke über derjenigen der Feerien liegt“.71 Vor dem Hintergrund einer lediglich vertraglichen Festlegung dieser letzten Parameter durch das Ministère d’État stand der Name des Théâtre Impérial du Châtelet 69 Brief von Camille Doucet and Hippolyte Hostein vom 12. August 1862. A.a.O. 70 Note de Camille Doucet pour le Ministre d’État du 29 Juillet 1862. A.a.O. 71 Arrêté au nom de l’Empereur du 20 Septembre 1862. A.a.O.

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somit für einen politisch konformen Neuanfang abseits des alten Boulevard du Temple einerseits und losgelöst von einem bestimmten Genre andererseits. Angesichts der Tatsache, dass Napoleon III. 1864, zwei Jahre nach der Fertigstellung des Théâtre Impérial du Châtelet, das „régime du privilège théâtral“ abschaffte, um die freie Wahl des Genres wieder einzuführen, ist die Benennung des neuen Theaters nach seinem Ort und nicht nach seinem Genre durchaus zukunftsweisend, wenn nicht programmatisch. Da der Name „Théâtre Impérial du Châtelet“ von Hostein vorgeschlagen wurde, lässt sich sagen, dass die politischen Machthaber und die Theaterpraktiker sich um 1860 auf den Kompromiss einer Verankerung der Theater in der neuen Pariser Urbanität samt ihrer sozialen und politischen Symboliken einigten, an die sich das traditionelle Publikum des Boulevard du Temple anpassen sollte. Die Grundvoraussetzungen für eine solche Einigung lagen in der kulturpolitischen Konformität des von Hostein vorgeschlagenen Rezeptionsmodells, das eine soziale Kongruität zwischen Darstellern und Zuschauern propagierte und dabei auf grundlegende Elemente der urbanen Repräsentation der politischen Macht zurückgriff. Welchen Stellenwert die architektonische Anlage des neuen Theaters für die anvisierte Theaterpraxis hatte, zeigt sich am Ausgang der Diskussionen um eine Subventionierung des Théâtre Impérial du Châtelet. Auch nach der Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet am 19. August 1862 blieben jegliche Bemühungen Hosteins um eine Subvention ohne Wirkung.72 Abgesehen von staatlich finanzierten Gratis-Vorstellungen für Soldaten73 stellte Napoleon III. keine finanziellen Mittel bereit. Das Ministère d’État war somit weder beim Erhalt der Theaterdichte des Boulevard du Temple noch bei einer Subvention für die neuen Säle erfolgreich gewesen. Für Napoleon III. und Haussmann war die architektonische und technische Anlage des Theaters nicht nur ausreichend für die angestrebte politische Kontrolle fernab des Boulevard du Temple, sondern die 72 Hostein richtete noch folgende Bittschreiben an Napoleon III.  : Théâtre Impérial du Châtelet. Note relative à la demande d’une subvention, o. D./Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État, o. D./Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 20. Januar 1863. A.a.O. 73 Diese Gratis-Veranstaltungen wurden schon im Théâtre Impérial du Cirque regelmäßig vom Kaiser veranlasst. In seiner Verzweiflung bat Hostein den Kaiser, die Gratisveranstaltungen mit je 500 Freikarten für Soldaten pro Vorstellung proportional auf alle Vorführungen umzulegen. Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 24. März 1860/Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 18. Februar 1861. A.a.O.



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Grundlage für den dort anzusiedelnden Theaterbetrieb überhaupt. Dieser Umstand erinnert an die saint-simonistische Idee einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse aus dem materiellen Streben nach industriellem Fortschritt heraus. Napoleon III. und Haussmann schufen im Fall des Théâtre Impérial du Châtelet eine materielle Grundlage für ein repräsentatives Volkstheater, das zur politischen Erbauung des Volkes beitragen sollte. Architektur und Gesellschaftsstruktur waren für sie eng miteinander verbunden, was sich nicht zuletzt in der gesellschaftlichen und politischen Aufladung des Wortes „Châtelet“ zeigte. In diesem Sinne ist die urbane Umstrukturierung der Pariser Theaterlandschaft im Rahmen der Haussmannisierung als Angelpunkt einer architektursoziologischen Analyse des Théâtre du Châtelet und seines Theaterbetriebs zu betrachten.

1.2 Die Baugenese des Théâtre du Châtelet in der Umsetzung von Gabriel Davioud

Mit Gabriel Davioud fiel Haussmanns Wahl des Architekten für das Théâtre Impérial du Châtelet auf einen seiner Mitarbeiter und Angestellten der Stadt Paris. Davioud war dort seit 1855 als Architecte en Chef au Service des Promenades et Plantations (Chefarchitekt für Straßen- und Gartenanlagen) beschäftigt. In dieser Tätigkeit war er zwar vor allem durch die Planung von Brunnen und Parks hervorgetreten, hatte als junger Architekt im Jahr 1852 aber auch schon das Theater von Étampes, einem Pariser Vorort, gebaut.74 Die Tatsache, dass Davioud für das gesamte „premier réseau“ verantwortlich war, unterstreicht die Relevanz der einheitlichen Gestaltung des urbanen Raums im Herzen von Paris für die Konzeption der beiden neuen Theater. In der Tat begann Davioud schon weit im Vorfeld des offiziellen Beschlusses von Haussmanns Forderung, das Théâtre Impérial du Cirque und das Théâtre Lyrique an der Place du Châtelet wieder aufzubauen, erste Pläne dieser Theater innerhalb des „premier réseau“ anzufertigen.75 Wie aus seinem Bild74 Destors, Notice sur la vie et les œuvres de Gabriel Davioud, 1881. 75 Die ersten Pläne stammen vom 11. April 1859, sieben Monate vor der offiziellen Entscheidung für die Place du Châtelet. Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 56–57.

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band zu den beiden neuen Theatern hervorgeht, wurden die Pläne der verschiedenen Planungsstadien jedoch auch regelmäßig den beiden zukünftigen Theaterdirektoren vorgelegt. Darüber hinaus bedauerte Davioud den Abriss des Boulevard du Temple sehr, der wie viele sozial funktionierende Quartiers Haussmanns Reurbanisierungsplänen zum Opfer fiel  : „Mit ihnen [den Theatern des Boulevard du Temple, GzN] verschwand die reichste bestehende Unterhaltungsquelle, die Paris zu bieten hatte“, beschrieb er die Entscheidung Haussmanns für die Place du Châtelet.76 Mit Gabriel Davioud stand folglich ein Architekt zur Verfügung, der allen Instanzen gegenüber sehr offen war, auch wenn er auf der Grundlage der Haussmannisierung arbeitete. Es verwundert daher nicht, dass die konkreten Architekturpläne zunehmend von theaterpraktischen Bedürfnissen gezeichnet sind, auch wenn sie sich dabei nie ganz von der napoleonischen Verschmelzung von Theater, Politik und Urbanität entfernen. Um die Einflüsse der Pariser Reurbanisierung und der theaterpraktischen Vorstellungen Hosteins auf die architektonische Anlage des Théâtre du Châtelet in ihren Einzelheiten festmachen zu können, werden diese anhand von zwei chronologischen Etappen beleuchtet. Diese gliedern sich in das erste Entwurfsstadium und in die Überarbeitung nach der Kritik der ersten Pläne durch die theaterpraktischen und städtischen Instanzen. Aus der Konfrontation dieser Etappen gehen soziale, politische und künstlerische Einordnungen einzelner architektonischer Formen hervor, die als detaillierte Anhaltspunkte für die Analyse der Raumnutzung durch die Theaterpraxis dienen können. 1.2.1 Vom urbanen Raum zur funktionalen Anlage des Saals  : Die architektonische Grundstruktur

Die hauptsächlichen Instanzen der Pariser Haussmannisierung, die am Bau des Théâtre du Châtelet beteiligt waren, verfolgten allesamt ein einheitliches Programm. Sein Wortlaut erscheint sowohl bei Haussmann und Davioud als auch beim Conseil Général des Bâtiments Civils des Pariser Stadtrats, der seit 1795 für die Supervision öffentlicher Bauten und ihre Ausrichtung nach den „Bedürf76 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 5–6.



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nissen, dem Vergnügen und dem Wohlergehen des gesamten Volkes“ zuständig war  :77 „Die neuen Theater sollen würdige Monumente der französischen Hauptstadt werden  ; sie sollen solide gebaut und reich dekoriert werden, breite und leicht zugängliche Eingänge sowie geräumige, gut beleuchtete und gelüftete Säle bekommen, damit das Publikum dort mühelos umhergehen und sich bequem dort aufhalten kann  ; schließlich sollen hier die Fortschritte der modernen Industrien ausgenutzt werden, um diese Theater attraktiv und komfortabel zu machen.“78

In diesem Programm waren mehrere Grundsätze der Haussmannisierung enthalten, die von Haussmann und Napoleon III. vertreten wurden. Die ursprüngliche Zielsetzung der Pariser Haussmannisierung bestand in der Erneuerung des Verkehrssystems nach dem Modell Londons und dem Neubau einzelner Pariser Stadtviertel im Hinblick auf eine bessere Hygiene. Diese beiden Reurbanisierungsaspekte sollten nach dem saint-simonistischen Ideal des Kaisers zu einer Verbesserung der sozialen Verhältnisse führen.79 Wie seine Reden zur Haussmannisierung zeigen, betraf die Stadterneuerung dabei sowohl das Äußere als auch das Innere der neu zu schaffenden Gebäude  : „Paris ist das Herz Frankreichs. Bringen wir all unsere Mühen auf, um diese große Stadt zu verschönern. Lasst uns neue Straßen öffnen, die dicht bevölkerten Viertel sanieren, denen Luft und Tageslicht fehlt, damit das wohltuende Licht all unsere Mauern durchdringe.“80

In Bezug auf das Innere der neuen Theater der Place du Châtelet schlug sich die Verbindung von geräumiger Stadtplanung mit sozialen Intentionen in der 77 Dauss, Identitätsarchitekturen, 2007, S. 163. 78 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1109. Vgl. auch Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 6 und Félix Duban, Conseil Général des Bâtiments Civils. Extrait du Registre des Délibérations. Séance du 24 X.bre 1859. AN, F21 1039. 79 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 469  ; Willms, Napoleon III., 2008, S. 151–152  ; Anceau, Napoléon III, 2008, S. 356–357 und S. 360–361. 80 „Louis Napoléon Bonaparte, Discours prononcé en 1850 à l’Hôtel de Ville“, in  : Chadych/Leborgne, Atlas de Paris, 1999, S. 154.

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Maßgabe groß angelegter, gut gelüfteter, leicht zu erreichender und monumentaler Säle nieder. Durch Haussmanns Bauleitung wurden diese hygienischen und theaterpraktischen Aspekte jedoch zumeist von seinem urbanistischen Ideal der Symmetrie und der Strukturierung des Pariser Stadtplans durch Sichtachsen überlagert.81 Auch die Anlage der beiden Theater auf der Place du Châtelet sollte ganz auf diese zwar künstlerisch aber oft sehr einseitig eingesetzte Symmetrie abgestimmt sein, wie es der Architekturhistoriker Louis Hautecœur noch ein Jahrhundert später mit dem Vokabular eines damaligen sehr beliebten und gehobenen Pariser Tanzlokals ironisch beschreibt  : „Als er die Place du Châtelet anlegen ließ, wünschte er [Haussmann, GzN], dass sich die Theater von jeder Seite aus anschauten, wie zwei Tänzer der Quadrille bei Mabille.“82

Das Symmetrieideal Haussmanns überschnitt sich mit der zeitgenössischen Architekturausbildung an der École des Beaux-Arts,83 wo auch Davioud von 1842 bis 1849 studiert hatte. Wie der Architekt selbst berichtet, war die Symmetrie für seinen Lehrer Léon Vaudoyer (1803–1872) ein „Ausdruck von Ordnung“, der vor allem den Grundriss und die Anordnung der einzelnen Räume bestimmen sollte.84 In einem Nachruf auf Davioud nach seinem Tod ordnete der Architekt Denis Destors ihn der rationalistischen Schule Joseph Louis Ducs (1802–1879), Jacques Félix Dubans (1797–1870) und Henri Labroustes (1801–1875) zu, die auf die Verdeutlichung der Funktion des jeweiligen Gebäudes durch voneinander abgesetzte Bauteile bei einer kohärenten

81 Marchand, Paris, histoire d’une ville, 1993, S. 72 und S. 74  ; Morizet, Du vieux Paris au Paris moderne, 1932, S. 198  ; Haussmann, Mémoires, 2000, S. 749 und S. 833  ; Anceau, Napoléon III, 2008, S. 358. 82 Hautecœur, Histoire de l’architecture classique en France, Bd. VII, 1957, S. 74. Die Zeitgenossen nahmen neben der Hygiene und der Orientierung am Verkehrsmodell Londons gerade dieses Charakteristikum der Pariser Haussmannisierung wahr. Jules Cauvain, „Le Boulevard du Temple“, in  : Le Monde illustré, 17. Mai 1862, 6. Jahrgang, Nr. 266, S. 315. 83 Kemp, Architektur analysieren, 2009, S. 186–189. 84 Hautecœur, Histoire de l’architecture classique en France, Bd. VI, 1955, S. 265  ; Steinhauser, Die Architektur der Pariser Oper, 1969, S. 162.



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Dekoration ausgerichtet war.85 Daneben orientierte sich Davioud jedoch auch an der oft als Eklektizismus bezeichneten Tendenz des Historismus, welcher sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Architektur ganz Europas niederschlug und für den an der Pariser École des Beaux-Arts vor allem die Renaissance als Vorbild galt.86 Da die Renaissance-Architektur im 19. Jahrhundert eine in Zeit und Raum entfernte, aber dennoch authentische Kultur-Tradition darstellte, trug der Historismus nicht unwesentlich zur Theatralisierung der reurbanisierten Stadtbilder großer Metropolen bei. Ausgehend vom Dresdener Hoftheater (1838–1841) von Gottfried Semper (1803–1879) waren Opernbauten des 19. Jahrhunderts wie die Wiener Hofoper (1861–1869) und die Opéra Garnier (1860–1874) hierfür besonders ausschlaggebend.87 All diese rationalistischen und historistischen Parameter schlugen sich in unterschiedlicher Weise auch in den verschiedenen Planungsstadien des Théâtre Impérial du Châtelet nieder. Vor dem Hintergrund der Dominanz städteplanerischer Intentionen erstaunt es nicht, dass die erste Planungsetappe des neuen Theaters der Place du Châtelet (Pläne von 1858, vom 11. April 1859 und von Ende 1859) hauptsächlich auf dem Haussmann’schen Ideal einer urbanen Symmetrie und seinen Vorstellungen eines neuen repräsentativen Stadtviertels beruhte. Sie war ganz von der neuen symmetrischen Ausrichtung des alten Platzes am eben erst entstandenen „großen Pariser Kreuz“ bestimmt, für die der Pont au Change zwischen Île de la Cité und Place du Châtelet und der Châtelet-Brunnen auf die neue Nord-Süd-Achse versetzt wurden.88 Durch diese Maßnahmen gestaltete Davioud den gesamten urbanen Raum von der Place Saint-Michel über die Île de la Cité bis zur Place du Châtelet als einheitliches Stadtviertel. Die neue Nord-Süd-Achse durch die beiden Plätze schuf eine bessere Verbindung zwischen rive gauche und rive droite und stellte gleichzeitig das machtpolitische Gebäude des Justizpalastes auf der 85 Destors, Notice sur la vie et les œuvres de Gabriel Davioud, 1881, S. 6. 86 Steinhauser, Die Architektur der Pariser Oper, 1969, S. 161–163  ; Hautecœur, Histoire de l’architecture classique en France, Bd. VII, 1957, S. 202. 87 Steinhauser, „Théâtre et théâtralité urbaine au XIXe siècle en Allemagne“, 2002, S. 193–206. 88 Haussmann, Mémoires, 2000, S. 1104 und S. 1106  ; Michaux, Histoire et Description des Fontaines Publiques de Paris, 1879, S. 206  ; Kampmeyer-Käding, Paris unter dem Zweiten Kaiserreich, 1990, S. 93.

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Abb. 1 : Fontaine du Palmier mit Siegessäule.

Seine-Insel als Spiegelachse des neuen urbanen Zentrums heraus. Der Brunnen im neuen Zentrum der Place du Châtelet besteht aus einer Siegessäule, auf der die von Napoleon Bonaparte in Ägypten und Italien gewonnenen Schlachten eingeschrieben sind.0 Auf ihrem Kopf befindet sich die Statue einer Siegesgöttin. Den Fuß der Säule umringen vier Statuen mit den Allegorien der Vorsicht, der Gerechtigkeit, der Enthaltsamkeit und der Kraft (La Prudence, La Justice, La Tempérance und La Force) von LouisSimon Boizot (1734–1809). Zudem sind die beiden Wappen Napoleons (Adler und „N“) auf dem Sockel abgebildet. Bei seiner Versetzung wurde der Brunnen mit dem Namen „Fontaine du Palmier“ durch einen neuen Untersatz mit vier Sphinxen von Alfred Jacquemart (1824–1896) erhöht. Sphinxen, Allegorien und Hinweise auf die von Napoleon Bonaparte gewonnenen Schlachten hatten auch schon das Dekor einer der ersten Veranstaltungen der „fête impériale“ auf der Place de la Concorde am 4. Mai

89 Chadych/Leborgne, Atlas de Paris, 1999, S. 156 ; Marchand, Paris, histoire d’une ville, 1993, S. 82 ; Kampmeyer-Käding, Paris unter dem Zweiten Kaiserreich, 1990, S. 20–21. 90 Dabei handelt es sich um die Schlachten von „Mont Thabor, den Pyramiden, Austerlitz, Lodi, Arcole“. „La Nouvelle Place du Châtelet“, in : Le Magasin pittoresque, 34. Jahrgang, 1866, S. 132. 91 Michaux, Histoire et Description des Fontaines Publiques de Paris, 1879, S. 206–207.



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Abb. 2 : Gabriel Davioud, Plan der Place du Châtelet mit Theatern, 11. April 1859 (links das Théâtre Impérial du Châtelet).

1850 ausgemacht, die als erstes öffentliches Manifest einer Wiederherstellung des Kaiserreichs unter Napoleon III. galt. Mit den neuen Sphinxen versinnbildlichte der Châtelet-Brunnen also einmal mehr die politische Festigung des Zweiten Kaiserreichs. Des Weiteren standen die Sphinxe auch für die soziale Symbolik der Place du Châtelet, da auch sie nach den neuen Zentralachsen aus Rue de Rivoli (Ost-West) und Boulevard de Sébastopol (Nord-Süd) ausgerichtet wurden. In Daviouds ersten Plänen vom April 1859 bildete die Replik des „großen Pariser Kreuzes“ im Châtelet-Brunnen den Angelpunkt der urbanen Anlage der beiden neuen Theater (Abb. 2). Davioud siedelte sie auf einer Verlängerung der Ost-WestAusrichtung der Sphinxen rechts und links der Säule an. Auch die Aufteilung der 92 Truesdell, Spectacular politics, 1997, S. 25. 93 Plan du 11 avril 1859. BAVP, Dav. 1 CR, DA 2223.

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einzelnen Innenräume der Theater verdichtete er in den ersten Plänen zur Mitte des Platzes mit dem Palmier-Brunnen hin, sodass die ganze architektonische und urbanistische Anlage im Zeichen der Haussmann’schen urbanen Symmetrie und des politischen Idols von Napoleon III., seinem Onkel Napoleon Bonaparte, stand. Es fällt auf, dass in den ersten Theaterplänen zwar Zuschauerfoyers, aber keine Räume hinter der Bühne für die Darsteller vorgesehen sind, was auf Haussmanns Vorstellungen des Theaterabends als gesellschaftliches Ereignis verweist. Die beiden Theater unterschieden sich in diesem Stadium lediglich in ihrer Grundfläche  : Da der Platz hinter dem Théâtre Lyrique durch die Sichtachse auf die Tour Saint Jacques beschränkt wurde, standen diesem Theater nur 1844 m2 im Vergleich zu den 3589 m2 für das Théâtre Impérial du Châtelet zur Verfügung.94 Rein architektonisch orientieren sich die ersten Pläne des neuen Volkstheaters Châtelet an anerkannten Modellen des französischen Theaterbaus sowie an der Lehre der École des Beaux-Arts. Während die Außenfassaden95 an die ersten Konzeptionen freistehender Theater von André Jacques Roubo (1777) und François Debret (1821) erinnern, gestaltete Davioud den Innenraum96 nach den Vorbildern des Théâtre Impérial du Cirque des Boulevard du Temple97 und des Théâtre de l’Odéon. Letzteres galt als Referenz für ein französisches Volkstheater, das seit 1795 durch seinen damaligen Theaterdirektor Pierre-Paul Dorfeuille (1745–1806) mit der Erbauung des Volkes durch Theater, Musik und Gesang verbunden war.98 Insofern schlugen sich im Saal des neuen Volkstheaters für das Militärspektakel sowohl die alte Zirkusmanege in Form einer kreisförmigen An94 Brief von Baron Georges Eugène Haussmann an das Ministère d’État vom 30. November 1859. AN, F21 1039. 95 „Théâtre du Cirque Impérial (théâtre impérial du Châtelet), façade, plume et aquarelle (fin 1859)“, in  : Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 58, Nr. 101. 96 „Théâtre du Cirque Impérial, coupe selon l’axe longitudinal“, in  : A.a.O., Nr. 102. 97 Das Théâtre Impérial du Cirque des Boulevard du Temple wurde 1827 nach einem Brand von Alexandre Bourla neu errichtet und 1847 vom Architekten Louis-Théodore Charpentier für die Opéra National umgebaut. Wild, Dictionnaire des théâtres parisiens au XIXe siècle, 1989, S. 79– 86. Eine Zeichnung aus dem Jahr 1840 gibt den Zustand des Saals vor diesem Umbau wieder. Kaufmann, „Paris. Théâtre du cirque olympique, coupe longitudinale“, in  : Architectonographie des théâtres ou parallèle…, Paris, 1840, Abb. XXVIII, in  : Dupavillon, Architectures du cirque des origines à nos jours, 1982, S. 63, Abb. 97. 98 Wild, „Théâtre de l’Odéon“, 2003, S. 880.



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Abb. 4 : Cirque Olympique auf dem Boulevard du Temple, 1840. Abb. 3 : Gabriel Davioud, Théâtre Impérial du Cirque, 11. April 1859.

lage des Zuschauerraums, als auch die Gestaltung der oberen Ränge als kollektive, amphitheatrische Sitzräume nieder, den französischen „amphithéâtres“. In der Anlage des Saals arbeitete Davioud mit einer Kreisform, die seinen U-förmigen Mauern eingelagert ist und die Bühnenrampe berührt (vgl. Abb. 3 und 4).99 Durch Ausbuchtungen oder Verlagerungen der Kreisform nach hinten nutzte Davioud den Raum bestmöglich für die Amphitheaterränge aus.100 Damit gewährleistete er eine hohe Sitzplatzkapazität, so wie sie zwischen Haussmann und Camille Doucet vereinbart worden war, wobei er auch die Anzahl der Stockwerke des Cirque um eine vierte Etage erweiterte. Im Gegensatz zum Théâtre de l’Odéon, dessen Saal sich durch ein vertikales Profil charakterisiert, das die Ab99 „Théâtre Impérial du Cirque, 1858“, in : Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 57, Nr. 98. Vgl. dazu den Cirque Olympique auf dem Boulevard du Temple (1840) in : Dupavillon, Architectures du Cirque des origines à nos jours, 1982, S. 63, Abb. 96. 100 Théâtre du Cirque. Orchestre et Parterre /1er Étage /2e Étage /3e Étage /4e Étage. BAVP, Dav. 5b CR, DA 2110–2114.

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Abb. 5 : Gabriel Davioud, Théâtre Impérial du Châtelet, Ende 1859.

stufungen zwischen den einzelnen Rängen abschwächt,0 ist dieser letzte Rang in Daviouds Plänen stark abgetrennt. Was auch als Unterscheidung verschiedener Sitzräume für unterschiedliche soziale Schichten gewertet werden könnte, hing eng mit der Schaffung möglichst vieler Sitzplätze zusammen, da der obere Rang nicht zuletzt durch einen freiliegenden Balkon von den anderen abgesetzt ist.0 War der Innenraum an die französische Architektur von Volkstheatern und an die traditionelle Zirkusarchitektur des Militärspektakels angeglichen, richtete Davioud die Fassade mit den Modellen von Roubo und Debret ganz nach dem französischen Standard für monumentale Architektur aus. Die doppelstöckige Arkadenstruktur dieser Modelle, die auf den Palazzo della Ragione in Vicenza (1548–1617) von Andrea Palladio (1508–1580) und somit auch auf die Antike verweisen,0 eignete sich zudem vorzüglich, um Haussmanns Forderung nach 101 Seban, Lieux de spectacle à Paris, 1998, S. 45. 102 „Théâtre du Cirque Impérial, coupe selon l’axe longitudinal“, in : Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 58, Nr. 102. 103 Steinhauser, Die Architektur der Pariser Oper, 1969, S. 116–117 und Abb. 182 ; Carlson, Places of Performance, 1989, S. 79.



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Abb. 6 : Théâtre du Cirque Olympique, 1840.

Abb. 7 : Théâtre de l’Odéon, 1782.

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großzügigen Eingängen umzusetzen, da sie mit ihren Loggien Platz für das ankommende Publikum boten. Auch der Kompromiss, Geschäfte und Wohnungen in das Théâtre Impérial du Châtelet einzubauen, wurde berücksichtigt, indem Davioud die Seitenfassaden vollständig mit diesen abdeckte. Während er sich hierbei auf ein zeitgenössisches Theaterprojekt für das Théâtre Lyrique berief,104 wurden die anderen Theatermodelle in diesem ersten Stadium ganz im Sinne der Lehre der École des Beaux-Arts umgesetzt  : Zum einen sah Davioud eine polychrome Gestaltung der Fassaden beider Theater vor, wie es auch die Architekten Jacques Ignace Hittorf (1792–1867) und Félix Duban in ihren Gebäuden praktizierten.105 Auf diese Weise konnte er das reurbanisierte Stadtbild beleben und den urbanen Raum der Place du Châtelet mit einem kohärenten Dekor belegen. Zum anderen versah Davioud das Théâtre Impérial du Châtelet in seinen ersten Plänen mit voneinander abgesetzten Dachaufbauten für das Bühnenhaus und den Saal, die sich an Grundlagen der rationalistischen Schule anlehnten.106 In seinen folgenden Plänen vom Mai 1859 modifizierte Davioud seine bis dato von der platzimmanenten Symmetrie strukturierten Entwürfe, wobei er vor allem das Théâtre du Châtelet grundlegend überarbeitete  : Davioud schloss das Théâtre du Châtelet jetzt nicht mehr fast mit der Bühnenrückwand ab, sondern vergrößerte den ihr hintergefügten Raum durch eine Hinterbühne, Lagerräume für Bühnenbilder und Darstellerfoyers. Auch die Bühne wurde um ein Drittel vertieft.107 Der Architekt erklärt in seiner Publikation über die Theater der Place du Châtelet, dass die Anlage von darstellerbezogenen Räumen auf Hostein als zukünftigem Theaterdirektor zurückging.108 104 Dabei handelte es sich um ein Projekt der Architekten Place und Charpentier. Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 6. 105 Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 58. 106 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 8–9. 107 Théâtre Impérial du Cirque, Mai 1859. BAVP, Dav. 2 CR, DA 2119  ; „Théâtre du Cirque Impérial, plan d’entresol, signé et daté du mois de mai 1859“, in  : Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 57, Nr. 99. 108 „Die Direktoren der zukünftigen Theater schritten ein, um neue Veränderungen zu fordern  : beim Théâtre du Châtelet ein Untergeschoss unter der rechten Seitenbühne, ein zusätzliches Stockwerk für ein Kostümlager im Gebäude zur Rue des Lavandières hin, ein Glasdach über dem großen Hof. In beiden Theatern wurden die Räume für Künstler und Verwaltung viele Male modifiziert. Jeden Tag gab es eine neue Anfrage.“ Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 9.



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Den Vergrößerungen durch zusätzliche funktionelle Räume des Theaterbetriebs fiel die auf das Innere des Theaters übertragene platzimmanente Symmetrie zum Opfer. In den neuen Plänen Daviouds wurde sie zwar durch die theaterimmanente symmetrische Abfolge Zuschauerfoyer – Saal – Bühne – Lager für Bühnenbilder/ Darstellerfoyers ersetzt. Diese beschreibt Davioud als „die Aufteilung, die einem zuerst in den Sinn kommt und die auch als die beste erscheint (es ist darüber hinaus die am meisten angewandte)“.0 Nimmt man dagegen die Rampe als Spiegelachse der den Zuschauern und den Darstellern zugeteilten Räume, so fällt auf, dass DaAbb. 8 : Gabriel Davioud, Théâtre Impérial du vioud diese theaterarchitektonische Cirque, Mai 1859. Symmetrie nicht flächenmäßig anlegte. Saal- und Bühnenwand entsprachen sich nicht (die Bühne war tiefer) und auch die Hintermauer des Theaters, welche die Kostümlager abschloss, stimmte nicht mit dem Abschluss der Vorbauten des Unterstands überein. Diese Asymmetrie hing damit zusammen, dass Hostein Davioud die Anlage der darstellerbezogenen Räume als funktionelle Notwendigkeit für sein Theater nahe gelegt hatte.0 Die innere Anlage des Théâtre du Châtelet erwuchs also beim Archi109 A.a.O., S. 7. Die Ausrichtung der einzelnen Theaterräume an einer durchgehenden Symmetrieachse ist in der Tat charakteristisch für die großen Theaterbauten in Wien, Paris und Dresden. Burmeister, „Das Opernhaus als Bauwerk“, 1993, S. 199–200. 110 Davioud vergleicht den aus funktionellen Gesichtspunkten erwachsenen Mangel an platzimmanenter Symmetrie mit dem Ministère de la Marine und dem Ministère du Garde-Meuble an der Place de la Concorde : „Die beiden Gebäude auf der Place de la Concorde wurden bekanntlich nach einem umfassenden symmetrischen Konzept angelegt. Muss man daraus ableiten, dass man sich in vergleichbaren Fällen immer einer so perfekten Symmetrie unterwerfen sollte ? – Wir denken nicht so. Um eine Ausgewichtung der Massen zu erreichen, bieten

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tekten aus seiner spezifischen, theaterpraktischen Bestimmung, anstatt einer urbanen Gesamtanlage in größerem Rahmen oder den Maximen der École des Beaux-Arts zu gehorchen. Die Neuordnung der einzelnen Theaterräume beeinflusste zudem die innere Anlage des Saals, der nun mit weniger Platz auszukommen hatte. Die zirkuläre Saalform wurde zwar beibehalten. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Plänen verschob Davioud hier jedoch die Kreisform bis in die Vorderbühne hinein. Ihr Mittelpunkt befand sich nun auf der im rechten Winkel zur Rampe stehenden Mittelachse des Theaters auf der Höhe des ersten Viertels von der Bühne aus gesehen. Die Fortführung der durch die Rampe unterbrochenen Kreisform erstreckte sich also auch auf die Bühne, deren Mittelachse sie auf der Höhe des ersten Achtels schneidet. Durch diese Verschiebung der Kreisform näherte sich ihr im Saal verbleibender Teil einem Halbkreis an. Dieser steht wiederum für das demokratische Amphitheater. Während sich Davioud also mehr und mehr von den Vorbildern des Théâtre Impérial du Cirque und des Théâtre de l’Odéon löste, so tat er dies zugunsten einer antiken Saalform, die das Théâtre du Châtelet als demokratisches Volkstheater auszeichnet. Ein solches Vorgehen entsprach ganz den historistischen Tendenzen der École des Beaux-Arts, da das antike Amphitheater ob der starken Rezeption von Vitruvs De architettura gerade für die ersten Theaterbauten der Renaissance wie Andrea Palladios Teatro Olimpico in Vicenza (1579–1580) oder Giovanni Battista Aleottis (1546–1636) Teatro Farnese in Parma (1618–1619) prägend gewesen war.111 sich normalerweise zwei verschiedene Prinzipien an  : dasjenige der Symmetrie und dasjenige der Gleichwertigkeit, wobei das eine der Idee des Schönen und das andere derjenigen des Pittoresken entspricht  ; das erste ist die Ordnung, das zweite die Freiheit. Letzteres erlaubt es in der Tat, bei zwei verschiedenen Objekten die Formen zu belassen, die jedes von ihnen mitbringt. Dagegen setzt das erste eine gewisse Uniformität voraus, die gewöhnlich nicht streng zur Bestimmung der Gebäude gehört  ; aber es stellt eine leichtere Lösung bereit und hat einen großartigeren Charakter, da es zwei verschiedene Gebäude zu einer Einheit zusammenschließt. Wie es auch sei, keines der beiden Prinzipien konnte bei den Theatern der Place du Châtelet angewendet werden, da sowohl das eine als auch das andere dieser Prinzipien ein Gleichgewicht der Massen voraussetzen, das auf den beiden ungleichen Grundflächen keinesfalls umgesetzt werden konnte.“ Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 8. 111 Forsyth, Bauwerke für Musik, 1992, S. 73 und S. 77. Palladio brachte auch eigene Studien zum Kolosseum in Rom in die Konzeption der Loggien des Palazzo della Ragione in Vicenza ein. Puppi, Andrea Palladio, 2000, S. 270 und S. 355, zu Vitruv siehe S. 516–524.



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Daviouds Pläne wurden am 24. Dezember 1859 im Conseil des Bâtiments Civils auf der Grundlage eines Berichts seines Vize-Präsidenten Félix Duban diskutiert. Als Architekt und Mitglied der Académie des Beaux-Arts kritisierte Duban vor allem die ästhetische Erscheinung der Gebäude im urbanen Raum. Hierbei wandte er sich gegen die Dominanz der Haussmann’schen Sichtachsen, indem er die symmetrische Gestaltung der Außenfassaden der sich gegenüberliegenden Theater bemängelte. Diese Symmetrie entspreche weder ihren unterschiedlichen Grundflächen, noch den unterschiedlichen Genres, für die die Theater errichtet werden sollten. Aufgrund des eingeschränkten Raumes im Théâtre Lyrique unterscheide sich seine geschlossene Fassade ohnehin schon von der offenen Terrasse des Théâtre Impérial du Châtelet. Stattdessen ermunterte Duban den Architekten der beiden Theater, sie durch ein unterschiedliches Dekor jeweils stärker auf ihr Theatergenre auszurichten. Im Resümee, das dem Beschluss des Stadtrats zur Überarbeitung der Pläne vorangestellt ist, wird die Symmetrie schließlich als Regel bezeichnet, die im Fall der Theater der Place du Châtelet „für die Optik und für die Kunst“ zu missachten sei.112 Die Behandlung der „zweitrangigen Sitzplätze“ stellte einen weiteren Kritikpunkt Dubans dar. Obgleich das niedere Publikum eigene Aufgänge und ein eigenes Foyer erhielt, waren seine Plätze im Saal nach Félix Duban nur unzureichend. Die stark geneigte Decke nahm ihnen Raum und schränkte die Sicht auf die Bühne stark ein. Duban erkannte in der mangelhaften Anlage dieser Plätze die Intention des Architekten, möglichst viele Plätze zu schaffen, was auch schon bei den oben betrachteten Plänen, die auf der Form des Grundkreises beruhten, feststellbar war. Der Vize-Präsident des Conseil Général des Bâtiments Civils rechnete diese Intention ganz folgerichtig den finanziellen Sorgen der Theaterdirektoren zu, die durch die große Anzahl von Plätzen pro Vorstellung mehr Gewinn erwirtschaften konnten. Neben der mangelhaften Sicht verschlechterte die Neigung der oberen Zuschauertribünen und der Decke in beiden Sälen die Akustik. Dieses Argument, so Duban, sei aber nur für das Théâtre Lyrique zu beachten.113 Daraus folgt, dass das Théâtre du Châtelet vor allem als ausgefeilter Schauraum und nicht als Klangraum dienen und konzipiert werden sollte. 112 Conseil Général des Bâtiments civils. Extrait du Registre des Délibérations. Séance du 24 X.bre 1859. AN, F21 1039. 113 Ebd.

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Der Conseil beschloss, dass Davioud seine Pläne noch einmal nach den Hinweisen Dubans bearbeiten solle. Dubans Kritikpunkte gingen zwei Monate später auch in dem Beschluss des Ministère d’État vom 27. Februar 1860 ein, das Théâtre Impérial du Cirque und das Théâtre Lyrique auf der Place du Châtelet wieder aufzubauen, dafür aber jegliche Verantwortung an Haussmann abzugeben.114 Für Davioud bedeutete dies, dass für die Endkonzeption neben dem Haussmann’schen Symmetrieideal und Hosteins theaterpraktischen Einwänden nun auch ästhetische und pragmatische Bedingungen des auf die gesellschaftliche Wirkung konzentrierten Conseil des Bâtiments Civils stärker zu berücksichtigen waren. 1.2.2 Das Théâtre du Châtelet als Schauraum der Bühne und der Stadt

In den dritten Entwürfen mit dem Datum des 17. März 1860115 und für den definitiven Zustand116 wurde die architektonische Anlage des Théâtre du Châtelet noch einmal grundlegend überarbeitet. Trotz Dubans Hinweisen spielte das Prinzip der Symmetrie als Ideal Haussmanns aber auch der Architekturausbildung der École des Beaux-Arts hierbei weiterhin eine wesentliche Rolle und bestimmte die räumliche Aufteilung essentieller Bauteile sowie den Bezug zwischen Außen und Innen des Gebäudes. Auf der Grundlage dieser Symmetrie setzte Davioud die sozialen und politischen Intentionen um, die Napoleon III. mit dem Théâtre Impérial du Châtelet verband und die sich in baulichen Details wie der Treppe des Zuschauerfoyers und dem Dekor des Saals und der Fassade niederschlugen. Was den Saal anbelangt baute Davioud die in den vorangegangenen Entwürfen lediglich in der Reihenfolge der verschiedenen funktionellen Gebäudeteile 114 Ministère d’État. Arrêté. 27 février 1860. A.a.O. 115 Théâtre du Cirque. Rez-de-chaussée de la Salle (Projet du 27 Mars 1860) /Théâtre du Cirque. 1er Étage de la Salle du projet du 27 Mars 1860 / Théâtre du Cirque. 2ème et 3ème Étages de la Salle (Projet en date du 27 Mars 1860) / Théâtre du Cirque. 4ème et 5ème Étages de la Salle (Projet du 27 Mars 1860). BAVP, Dav. 4b CR, DA 2104–2107. 116 Der definitive Zustand ist in den beiden Publikationen von Davioud und dem Architekten und Architekturkritiker César Daly von 1865 und ca. 1874 dokumentiert  : Daly/Davioud, Architecture Contemporaine. Les Théâtres de la Place du Châtelet  : Théâtre du Châtelet – Théâtre Lyrique, Paris, 1865  ; Dies., Architecture Contemporaine, o. D.



Die Baugenese des Théâtre du Châtelet in der Umsetzung von Gabriel Davioud

angelegte Symmetrie nun auch flächenmäßig aus. Saal (22,70 m) und Bühne (22,50 m) haben fast dieselbe Länge. Auch die den Zuschauer(2068,5 m) und Darstellerfoyers (2098 m) zugedachten Flächen gleichen sich nahezu in ihrer Größe. Hinter der Bühne befinden sich ein schmaler Raum für eine Rampe, der mit einem Glasdach überdeckte Hof und die Darstellerfoyers. Dem Saal dagegen sind Flure, das Treppenhaus, Foyers und eine Terrasse in Form einer Loggia vorgelagert.0 Obwohl die inneren räumlichen Aufteilungen der Darsteller- und Zuschauerfoyers nicht symmetrisch zueinander sind, sondern jeweils den praktischen Anforderungen gehorchen, ist eine flächenmäßige Symmetrie des gesamten Theaters erkennbar : Da Davioud in seinen letzten Plänen auch keine Proszeniumslogen mehr vorsah, wurde die Rampe nun zur echten Spiegelachse des gesamten Theaterbaus, dessen den Zuschauern

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Abb. 9 : Théâtre Impérial du Châtelet, 1. Etage, 27. März 1860.

117 A.a.O., S. 21 und S. 28. 118 Diese Quadratmeterzahl ergibt sich aus der Aufstellung „Dégagements et escaliers“, aus der eine Fläche von 1532,5 m für Treppen und Flure hervorgeht. Da die Foyers der ersten und zweiten Etage in dieser Quadratmeterzahl noch nicht enthalten sind, kommen noch einmal 536 m hinzu. Diese Flächenangabe ergibt sich aus der Bemerkung Daviouds, dass die Foyers der ersten und zweiten Etage samt ihren davor liegenden Balkonen dieselbe Fläche wie die Hauptgarderobe und der Vorsprung des Erdgeschosses einnehmen. „Dégagements et Escaliers“, in : A.a.O., S. 14. Siehe auch S. 23. 119 A.a.O., S. 30. 120 „Coupe longitudinale“, in : A.a.O., Abb. XXIV-XXV.

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und Darstellern zugedachte Flächen sie in der exakten Mitte des Gebäudes voneinander teilt.121 Die Proszeniumslogen wurden nicht zuletzt aus Gründen der moralischen Kontrolle abgeschafft. Davioud merzte hier nach eigenen Angaben eine Publikumsnische aus, die gerade in den théâtres secondaires des Boulevard du Temple oft mit „leichten Mädchen“ und „Weichlingen“ bevölkert war und nun nicht mehr im Blickfeld eines Publikums aus „jungen Töchtern“ und „ehrhaften Müttern“ stehen sollte.122 Außerdem ging es darum, die Aufmerksamkeit der Zuschauer vollends auf die Bühne zu konzentrieren und ihre Sicht in keinster Weise zu behindern. Die symmetrische Anlage von Saal und Bühne machte letztere zu einer Guckkastenbühne nach barocker Tradition, womit Davioud die von Duban vorgegebene visuelle Ausrichtung des Théâtre du Châtelet als Schauraum und auch Hosteins Anstrengungen in Richtung des „théâtre historique“ mit seinen grandiosen Bühnenbildern unterstrich. In der Tat erklärte Davioud die Symmetrie zwischen Bühne und Saal nicht aus einer bestimmten architektonischen Schule heraus, sondern rein theaterpraktisch mit seiner Intention, ein großes Volkstheater für grandiose Aufführungen zu bauen.123 Die Umsetzung dieser Vorstellung durch eine strenge Symmetrie, unter der Davioud auch die detaillierteren funktionalen Aspekte der Foyers subsumierte, verweist dabei auf die Präsenz der sich gleichermaßen auf Bühne und Saal beziehenden sozialen, politischen und theaterpraktischen Konzeptionen, welche schon die Diskussionen der einzelnen Instanzen im Vorfeld der Planungsphase bestimmt hatten. In einem weiteren Schritt leistete Davioud Dubans Forderung nach einer besseren Gestaltung der oberen Ränge Folge. Er verwarf die Kreisform der Zuschauerränge zugunsten einer U-Form, die schon in den vorherigen Plänen die Außenmauer des Saals beschrieben hatte. Auf diese Weise tilgte Davioud die 121 In den Plänen vom März 1860 ist sogar die jeweils andere Hälfte etwas matter in der anderen gespiegelt. Caves/Sous-sol, mars 1860. BAVP, Fonds Davioud, Dav. 3 CR, DA 2122. 122 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 21–22. 123 „Da das Théâtre du Châtelet für Aufführungen von Feerien und Militärstücken bestimmt war, die einen großen Publikumsauflauf verursachen, musste der Architekt hauptsächlich das Ziel verfolgen, den Zuschauern die Sicht auf die Bühne zu erleichtern, die sehr breit sein musste, und den Saal so einzuteilen, dass er die höchst mögliche Zahl von Sitzplätzen enthalte. Diesen beiden Erfordernissen der Sicht und der Sitzplatzzahl konnten die akustischen Fragen eines Theaters dieses Genres ohne größere Nachteile untergeordnet werden.“ A.a.O., S. 21.



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Plätze in den toten Winkeln vor der Bühne. Da die Kreisform als Voraussetzung für eine gute Akustik angesehen wurde, behielt sie Davioud für das Théâtre Lyrique bei.124 In diesem Stadium machte der Architekt die beiden Theater der Place du Châtelet architektonisch ob ihres unterschiedlichen Genres zu zwei völlig autonomen Theaterbetrieben. Gleichzeitig strebte der Architekt weiterhin nach einer möglichst großen Zahl von Sitzplätzen, die bei der Bearbeitung der Saalpläne vom März 1860125 voll und ganz im Vordergrund stand. Zwar sah Davioud jetzt nur noch zwei statt drei Balkone vor  ; im Gegenzug fügte er dem Théâtre du Châtelet jedoch eine fünfte Etage (in Form eines „amphithéâtre“ im 4. Stock) hinzu. Dieser neue Zuschauerraum erlaubte es Davioud, die Platzzahl in den einzelnen Stockwerken zu verringern. Der Architekt notierte sich auf den jeweiligen Etagengrundrissen des Saals die Anzahl der Plätze im Vergleich zu derjenigen der vorangegangenen Pläne. Im Durchschnitt besaßen die einzelnen Stockwerke in den neuen Entwürfen nun je zwanzig Plätze weniger pro Rang. Durch diese Verringerung schuf Davioud mehr Raum für die Zuschauer der oberen Ränge, in denen sie vorher Duban zufolge „wie eingegraben“126 waren. Indem Davioud den traditionellen Kronleuchter an der Decke des Saals durch eine Glasdecke mit Gasbeleuchtung ersetzte, garantierte er ihnen zudem eine ungestörte Sicht auf die Bühne.127 Auch die an der Saalrückwand frontal zur Bühne gelegenen Plätze wurden von Davioud nun homogener gestaltet  : Er arbeitete jetzt mit der Erweiterung des den Saal abschließenden Halbkreises der U-Form. Auf diese Weise entstanden in den kollektiven Zuschauerrängen der oberen Etagen je zwei bis fünf Sitzreihen pro „amphithéâtre“ mehr. Ihre Rundungen sind in Daviouds Plänen nach einem Fokus im Zentrum des Parketts ausgerichtet. Auf der Höhe der vierten und fünften Etage128 wird dieser noch durch die abgeschrägten seitlichen Beschränkungen der „amphithéâtres“ forciert, die den Fluchtpunkt der 124 Ebd. 125 Théâtre du Cirque (Projet du 27 Mars 1860). BAVP, Dav. 4b CR, DA 2104–2107. 126 Conseil Général des Bâtiments civils. Extrait du Registre des Délibérations. Séance du 24 X.bre 1859. AN, F21 1039. 127 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 21–22. 128 Théâtre du Cirque. 4ème et 5ème étage de la Salle (Projet du 27 mars 1860). BAVP, Dav. 4b CR, DA 2107.

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Perspektive auf dem ersten Drittel der Mittellinie durch den Saal platzieren.129 Dieser Punkt ist jedoch von den oberen Etagen aus nur für die Zuschauer in der ersten Reihe aus sichtbar, da die von Davioud je Etage stärker angebrachte Neigung der ansteigenden Sitzreihen nicht das Saalinnere, sondern die Bühne fokussiert.130 Demnach sind die Zuschauer des Théâtre du Châtelet in der und durch die herkömmliche Form des französischen Ranglogentheaters in zwei Publikumsarten aufgeteilt  : diejenigen, die den Saal sehen und von ihrem Platz aus gesehen werden, und diejenigen, die von ihrem Platz im hinteren Bereich der „amphithéâtres“ lediglich die Sicht auf die Bühne genießen. Insofern vereinte Davioud im Théâtre Impérial du Châtelet die Theaterpraxis des gehobenen Publikums, das sich im Theater zeigte und gesehen werden wollte, mit der Volkstheaterästhetik des Zweiten Kaiserreichs, die breite Masse in einem Schauraum durch das spectacle militaire zu erbauen. Hierbei richtete Davioud vor allem die billigen Plätze vollständig auf die Bühne aus. Die Vergrößerung der Sitzplatzkapazität auf insgesamt 2895 Zuschauer131 ging mit einer Vergrößerung des Orchestergrabens einher, den Davioud nach seinen Plänen vom März 1860 entlang der Bühnenrampe um das Doppelte erweiterte (vgl. Abb. 10 und 11). Hiermit gedachte der Architekt die akustische Tatsache auszugleichen, dass er das Orchester aufgrund der unter dem Bühnenrahmen liegenden Vorderbühne nicht direkt unter der Bühnenöffnung platzieren konnte, denn er vertrat die Theorie, dass lediglich der Bühnenrahmen im Stande sei, den Klang ohne Echowirkung in den Saal zu reflektieren.132 Stattdessen zeichnet sich der neue Orchestergraben nun durch eine eigentümliche zweigliedrige Anlage aus  : Er zieht sich die gesamte Vorderbühne entlang, erfährt jedoch in seiner Mitte eine Ausbuchtung, welche die zentralen Plätze der ersten Sitzreihe ausfüllt. Der zweigliedrige Aufbau des Orchestergrabens ist 129 Vgl. die U-Form auf Tafel 3 in  : Gabler, Der Zuschauerraum des Theaters, 1935. 130 Dies lässt sich in Daviouds Zeichnung Théâtre du Cirque Impérial. Coupe Longitudinale beobachten, in der die Sichtachsen von den oberen Rängen auf der Rampe enden. BAVP, Dav. 6b CR, DA 2126. 131 Das von Davioud genannte Fassungsvermögen des Théâtre Impérial du Châtelet von 2895 Zuschauern geht aus Daviouds Aufstellung der Quadratmeterzahl pro Zuschauer hervor. In der Presse dagegen variieren die Angaben von 2500 bis 3600 Zuschauern. Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 16. 132 A.a.O., S. 20.



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Abb. 10 : Gabriel Davioud, Erdgeschoss, März 1860.

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Abb. 11 : Definitiver Zustand.

ganz auf die Ausrichtung der amphitheatrischen Sitzreihen im Parkett und in den „amphithéâtres“ der zweiten und dritten Etage abgestimmt : Während der Fluchtpunkt der Bühnenmitte die Rundung der Sitzreihen im Parkett bestimmt, leitet der Architekt vom Fluchtpunkt auf der Bühnenrückwand die Sitzreihen der mittleren „amphithéâtres“ ab. Analog hierzu ergibt sich auch der vordere Streifen des Orchestergrabens aus der vom Bühnenmittelpunkt ausgehenden Anlage der Sitzreihen, während der Fluchtpunkt der vorgelagerten Ausbuchtung auf der Bühnenrückwand liegt. Vor diesem Hintergrund ist der 133 Siehe auch : „Tracé théorique des trois dispositions permettant de loger dans une salle un grand nombre de spectateurs“, in : A.a.O., S. 17, Tafel 3.

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Orchestergraben vollständig in die Architektur des Saals integriert. Weist diese symbolische Zuteilung des Orchesters zu den Zuschauern auf eine hohe Wichtigkeit der Musik für die Atmosphäre im Saal hin, entsprach seine Anlage nach den Sichtbarkeitsmaßgaben für die Zuschauer dem damaligen Verständnis der Akustik, die oft mit einem Verständnis von Sichtbarkeit überlagert wurde. „Die Stimme der Schauspieler schien uns unter guten akustischen Bedingungen zurückzuschallen. Die breiten Arkaden sind nämlich für das herabgerichtete Auge des Zuschauers und für die heraufsteigende Stimme des Schauspielers gut durchlässig“, beschrieb ein Kritiker die Akustik des Châtelet nach seiner Eröffnung.134 Tatsächlich beruhte die gute Akustik des neuen Theaters auf den Säulen der Arkaden, deren Rundungen den Schall nicht nur in das Innere des Saals zurückwarfen, sondern auch in Richtung der hinter ihnen sitzenden Personen reflektierten. Neben den Säulen hatten auch der Parkettboden, die mit Holzrahmen versehenen Sitze und die verglaste Decke Teil an der guten Akustik.135 Die Wichtigkeit dieser Elemente zeigte sich deutlich bei ihrer Wiederherstellung während der Renovierung des Théâtre du Châtelet im Jahr 1988, wo man es teilweise in seinen über die Jahre hinweg stark veränderten Originalzustand zurückversetzte.136 Die Gesamtheit der 1988 durchgeführten Arbeiten erlaubt es zudem, die ungefähre Nachhallzeit des Theaters zur Zeit seiner Eröffnung zu rekonstruieren. Diese wurde von 1,3 Sekunden auf 1,75 Sekunden gesteigert.137 Damit ersetzte man die „weiche, auf eine Loge beschränkte Akustik“ durch eine „klangvolle, zum gesamten Saal hin geöffnete Akustik“.138 Die teilweise wiederhergestellten Reflektionsflächen innerhalb dieser Renovierung lassen auf eine Nachhallzeit von ca. 1,5 Sekunden zur Zeit der Eröffnung des Théâtre du Châtelet schließen. Diese Nachhallzeit korrespondiert eher mit derjenigen des Bayreuther Festspielhauses von 1,55 Sekunden als mit der ­durchschnittlichen 134 Le Moniteur Universel, 22. August 1862, zitiert nach  : Thaon, „Acoustique au théâtre“, 1991, S. 54. 135 Solvit/Aydijan, D’un siècle à l’autre, 1999, S. 5. 136 Théâtre du Châtelet. Amélioration de l’acoustique, 8/11/1988. Dieses Dokument wurde mir vom Théâtre du Châtelet zur Verfügung gestellt. Siehe Anhang I – Akustik. S. a. Thaon, „Acoustique au théâtre“, 1991, S. 52. 137 A.a.O., S. 54. 138 Ebd.



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Nachhallzeit der Pariser Theater, die um 1 Sekunde lag.139 Verglichen mit den übrigen Pariser Theatern war die Akustik des Théâtre du Châtelet und des Festspielhauses Bayreuth also sehr nachhallend. Im Gegensatz zu Bayreuth ging es im Théâtre Impérial du Châtelet jedoch nicht darum, eine klangvolle Akustik für eine bestimmte Musik zu schaffen, sondern darum, den Klang im ganzen Saal hörbar zu machen. Obwohl Davioud die von ihm für Musikräume als Standard angesehene abgerundete Saalform dem Théâtre Lyrique vorbehielt, erreichte er trotzdem eine angemessene akustische Reflektion für den 2895 Zuschauer fassenden Saal des Théâtre du Châtelet. Der beste Platz im Saal war für den Kaiser reserviert, dessen Loge Davioud mittig im ersten Rang platzierte. Somit liegt die Kaiserloge des Théâtre Impérial du Châtelet auf der Mittelachse des Theaters, das heißt auf einer Linie mit dem Châtelet-Brunnen und der Siegessäule. Die Kaiserloge war über einen gesonderten Zugang vom Hauptfoyer auf der ersten Etage aus erreichbar. In das Hauptfoyer gelangte der Kaiser über die breite, öffentlich zugängliche Treppe, die im Eingangsfoyer beginnt.140 Vor dem Hintergrund der Wichtigkeit des Treppenhauses in der späteren Opéra Garnier und der Bitte des Ministère d’État an Hostein, schon im Théâtre Impérial du Cirque eine breitere Treppe anlegen zu lassen,141 hatte die Treppe des Châtelet sowohl eine Repräsentationsfunktion inne, die Napoleon III. für Auftritte vor dem Publikum des Volkstheaters Châtelet ganz im Sinne der „fête impériale“ nutzen konnte, als sie nach Meinung der politischen Instanzen auch eine geregelte Zirkulation der Publikumsmassen im Theater gewährleistete. In den definitiven Plänen, die in Daviouds und Dalys Publikation über Les deux Théâtres de la Place du Châtelet dargestellt sind, rückte schließlich auch wieder der Zirkus als Ursprungsgenre des Militärspektakels ins Blickfeld. Hier lagerte Davioud anstatt drei nur noch einen einzigen Balkon dem Logenrang 139 „Die im typischen Stil des 19. Jahrhunderts erbauten Opernhäuser in Paris, Mailand und Wien bilden mit ihren Nachhallzeiten von etwas mehr als 1 s einen Kompromiss zwischen den vorwiegend auf die klangliche Fülle ausgelegten Festspielhäusern und den Anforderungen an eine gute Sprachverständlichkeit.“ Meyer, Akustik und musikalische Aufführungspraxis, 19994, S. 183–184. 140 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 23. 141 Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 20. Dezember 1861. AN, F21 1143.

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der ersten Etage vor. Dieser ist nun nicht mehr mit französischen Logen besetzt, sondern ist mit seinen fünf Sitzreihen ganz kollektiver Zuschauerraum. Der durch seine nun doppelt so vielen Sitzreihen stark vorspringende Balkon schwächt die parallelen Seitenwände der U-Form des Saals ab und überdeckt das ganze erste Drittel des Parketts, womit seine Abrundung mit der alten Kreisform der Manege im Théâtre Impérial du Cirque vergleichbar ist (vgl. Abb. 11).142 Neben einer solchen Rückkehr zu anfänglichen, Napoleon-orientierten Entwürfen schlugen sich in Daviouds letzten Plänen auch ideologische Einzelheiten der napoleonischen Theaterpolitik nieder. Die übrigen Ränge sind einer im Vergleich zu den Projekten aus dem Jahr 1859 stärker geschwungenen Arkadenstruktur hintergeordnet. Diese gleicht nicht mehr den Bögen des Théâtre Impérial du Cirque, sondern den Arkaden der Außenfassade des Théâtre du Châtelet mit seinen doppelstöckigen Arkadenreihen.143 In den definitiven Plänen hatte Davioud diese vollends nach dem Renaissance-Vorbild des Palazzo della Ragione von Andrea Palladio ausgelegt, das er schon einmal für den Entwurf eines Handelsgerichts im Jahr 1848 während seiner Architekturausbildung erprobt hatte und das eng mit dem klassischen Theaterbau verbunden war.144 Von diesem Vorbild entlehnte Davioud zusätzlich das neue Dach des Théâtre Impérial du Châtelet, dessen Dachaufbauten einheitlich sein mussten, damit das Theater seinen Rang als théâtre secondaire äußerlich nicht überstieg. Aus ähnlichen Gründen hatte der Pariser Stadtrat Davioud das Théâtre de Bordeaux von Victor Louis (1772–1780) nahegelegt, das sich durch seine regelmäßigen, an Wohnhäuser erinnernden Seitenfassaden auszeichnete.145 Hinter den palladianischen Arkaden der Hauptfassade war nun zudem eine Terrasse nach dem Vorbild der Loggia dei Lanzi in Florenz entstanden, die Bernardo Buontalenti (1536–1608) im 16. Jahrhundert als Zuschauertribüne für die Florentiner Senatoren umgestaltet hatte. Als Terrasse des Théâtre Impérial du Châtelet bot diese den Zuschauern nun 142 „Plan de l’entre-sol. (Service public. – Service privé. – Éclairage, chauffage et ventilation.)“, in  : Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., Abb. XIII–IX. 143 A.a.O., Abb. III und Abb. XXVII. 144 Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 20, Nr. 9. 145 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 8–9.



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eine Aufenthaltsplattform während der Pausen mit Blick auf die Place du Châtelet (vgl. Abb. 14). Im Inneren des Saals artikuliert sich die Replik der Arkaden als eine Bogenreihe, die sich vom Parkett bis in die fünfte Etage zieht. Die Säulen der großen, die vierte und fünfte Etage überspannenden Bögen sind auf der zweiten und dritten Etage jeweils durch eine weitere Säule unterteilt. Dieser Zwischenraum wird durch die

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Abb. 12 : Innenansicht.

Abb. 13 : Außenansicht. 146 Eine Abhandlung über Theaterarchitektur aus dem Jahre 1867 verdeutlicht, wie die Loggia nach dem Bau des Théâtre du Châtelet als Zuschauerterrasse in der Theaterarchitektur verankert wurde : „Für das Publikum, das auch vom Foyer kommt, um hier etwas weniger warme Luft als im Saal zu atmen, ist es immer angenehm, auf der Terrasse, einer loggia oder zumindest auf einem Balkon spazieren zu gehen.“ Gosset, Considérations sur l’architecture théâtrale, 1867, S. 11.

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Abb. 14 : Loggia des Théâtre Impérial du Châtelet.

Säulen der Logenbegrenzungen auf der ersten Etage und im Parterre nun noch einmal halbiert. Davioud unterstreicht in seiner Publikation den dekorativen Effekt dieser proportionalen Säulenaufteilung. Vergleicht man diese mit den vorher vorgesehenen, nicht unterteilten Arkaden des Cirque, fällt auf, dass die einzelnen Ränge nun mit einer sozialen Symbolik belegt sind, innerhalb derer die Säulen von den „amphithéâtres“ der oberen Etagen bis zu den Logen des ersten Stockwerks immer weniger Personen umfassen und in Szene setzen. Haben in letzteren nur zwei Personen nebeneinander Platz, so können in den beiden darüber liegenden Rängen sechs Personen zwischen den Säulen sitzen. Die großen Bögen der obersten Etagen umfassen dabei nicht nur eine doppelt so große Zuschauerzahl in der ersten Reihe, sondern geben gleichsam den Blick auf die beiden übereinander gelagerten „amphithéâtres“ des vierten und fünften Stockwerks frei. Im Gegensatz zum ersten Entwurf des Jahres 1859, in dem Davioud die oberste Galerie stärker von den darunter liegenden Etagen abgetrennt hatte, schuf die soziale Belegung der einzelnen Ränge durch die proportional ansteigende Säulenzahl innerhalb der Arkaden in den definitiven Entwürfen den Eindruck fließender Übergänge zwischen den einzelnen sozial belegten und preislich unterschiedlichen Sitzplatzkategorien. Dieser Eindruck erinnert an die Absicht von Napoleon III., ein für alle Staatsbürger zugängliches Volkstheater zu schaffen sowie an die Konzeption des Châtelet-Platzes als neues urba147 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., S. 22.



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nes Zentrum des Tout-Paris. Die Replik der Arkaden der Fassade im Inneren symbolisiert daneben die Vorstellung des Kaisers, dass sich die urbanistischen Neuerungen sowohl in den Außen- als auch in den Innenräumen des Nouveau Paris widerspiegeln sollten. Die Ornamentierung von Fassade und Saal des Theaters unterstreicht die von Davioud gesuchte Spiegelung von Place du Châtelet und Théâtre Impérial du Châtelet sowie die – wenn auch fließende – architektonische Unterscheidung unterschiedlicher sozialer Schichten. Das Dekor der Fassade (vgl. Abb. 13) leitet sich ausschließlich aus den Ornamenten der Fontaine du Palmier ab, wodurch das Theater gleichzeitig mit dem urbanen Umfeld des „großen Pariser Kreuzes“ und seinen Symmetrien verbunden wird. In den Okuli zwischen den fünf Arkaden der ersten Etage wird das napoleonische „N“ des Fußes der Siegessäule aufgenommen. Da die Okuli der Arkadenreihe im Erdgeschoss ungeschmückt bleiben und ihre Bögen sich auch allgemein nüchterner darstellen, ist die verziertere erste Etage mit ihrer Loggia und dem Hauptfoyer als étage noble vom Erdgeschoss abgesetzt.148 In der Tat korrespondiert diese erste Etage im Inneren des Theaters mit den Logenrängen und dem noblen Foyer, in dem sich die Portraits von Napoleon III. und der Kaiserin Eugénie befinden.149 Die Ornamentierung dieser sozial gehobenen und politisch konnotierten Etage mit dem „N“ in den Arkaden der Fassade verdeutlicht jedoch zugleich die umfassende und harmonische soziale Konzeption von Napoleon III., da die viermalige Replik des napoleonischen Wappens in den Okuli eine Verlängerung des Pont au Change als wichtiges Element der Nord-Süd-Achse des „großen Pariser Kreuzes“ darstellt, dessen Bögen ebenfalls mit dem „N“ geschmückt sind. Auch die vier Lorbeerkränze, die die Siegesgöttin an ausgestreckten Armen nach vorne hält, sind in den Seitenpavillons des Châtelet und des Théâtre Lyrique aufgenommen. Sie verstärken die von Davioud hergestellte urbane Symmetrie des Châtelet-Platzes und stehen gleichzeitig für die politische Kontrolle der beiden Theaterbetriebe. Während sie beim Théâtre Lyrique zwei Allegorien der Musik und der Poesie umrahmen, sind sie beim Théâtre Impérial du Châ148 Dies entsprach ganz der französischen Theaterbautradition. Carlson, Places of Performance, 1989, S. 118. Vgl. auch Dauss, Identitätsarchitekturen, 2007, S. 50–51. 149 Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 65.

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telet mit einem Palmen- und einem Olivenzweig kombiniert, die Davioud zufolge als Allegorien für Klugheit (sagesse), Tapferkeit (vertu) und Ruhm (gloire) das Genre des Militärspektakels ankündigten.150 Eine ähnliche Verbindung von Politik und Theater symbolisieren auch die vier Statuen am Fuß der Siegessäule, die ebenfalls Eingang in die Dekoration des Théâtre Impérial du Châtelet fanden. Auf dem Sims der freiliegenden Terrasse des zweiten Stockwerks, das heißt direkt über der oberen Arkadenreihe, ließ Davioud vier Allegorien des Tanzes, der Musik, der Komödie und des Dramas aufstellen, die im Vergleich zur Poesie und zur Musik des Théâtre Lyrique eine eklektische Mischung verkörpern. Insofern wurden die oftmals als theatrale Statuen beschriebenen Allegorien des Brunnens, die militärische Tugenden wie Umsicht, Gerechtigkeit und Kraft darstellen,151 als kunstbezogene Replik in die Fassade des Théâtre Impérial du Châtelet hineinprojiziert. Aus bisher ungeklärtem Grund wurden diese vier Allegorien der Künste jedoch bald nach Eröffnung des Theaters wieder entfernt,152 weshalb nur noch die politischen Symbole der Fassadendekoration übrig blieben, die nun allein die zentrale Position der Siegessäule als napoleonisches Monument auf der Place du Châtelet unterstrichen. Die Aufnahme von Dekorationselementen der Fontaine du Palmier in das Dekor des Théâtre du Châtelet lässt sich im Inneren des Saals noch einmal potenziert antreffen. Zum einen prangte der Adler des Sockels der Siegessäule nun auch über dem Bühnenrahmen.153 Zum anderen nehmen auch die neun Zwischensäulen der Arkaden auf der Höhe des ersten bis dritten Rangs im Saal des Châtelet (Abb. 15), wo die Logen angesiedelt sind, Bezug auf die Siegessäule und auch auf die fünf Laternen mit ihren jeweils vier Lampen in den Bögen der Loggia  : Auf den Zwischensäulen der Arkaden im Saal finden sich nicht nur die Inschriften großer Imperatoren und Kaiser, sondern auch Lorbeerkränze.154 Führt man sich die Steigerung dieser Repliken von eins auf fünf auf neun vor Au150 Fichelle de 0m04 p. M., o. D. BAVP, Dav. 18b CR, DA 2307  ; Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 62. 151 Picquenard, „Catalogue de l’œuvre sculpté de Louis-Simon Boizot“, 2001, S. 176. 152 Pingeot, „Le décor sculpté“, 1998, S. 159. 153 Théâtre Impérial du Châtelet. Étude pour le rideau d’avant-scène. Anonyme. OP, Cliché 87C 130796. 154 Daly/Davioud, Architecture Contemporaine, o. D., Abb. XXXII und XXXIV  ; De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 10  ; Rénovation de la cage de scène, Paris, 1998, Cover.



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Abb. 16 : Dekoration der oberen Arkaden.

Abb. 15 : Mittelsäule auf der Höhe der 2. und 3. Etage.

gen, lässt sich ohne Weiteres von einer klassischen absolutistischen Darstellung anhand eines Strahlenmodells um die Fontaine du Palmier bis ins Innere des Théâtre Impérial du Châtelet sprechen. Da sich dieses Strahlenmodell im Théâtre Lyrique nicht wiederholt, verdeutlicht die Replik der napoleonischen Siegessäule mit ihren Inschriften der Schlachten unter Napoleon Bonaparte den starken Bezug des Théâtre Impérial du Châtelet zum Kaiser und zum Militärspektakel. Abgesehen von der Zwischensäule sind die napoleonischen und militärischen Symbole in der Saaldekoration des Théâtre Impérial du Châtelet unmittelbar mit einem reichen Panorama aus Allegorien der Künste und Tafeln mit den Inschriften unterschiedlicher Genres verbunden. In den Zwischenräumen der Bögen finden sich Allegorien des Tanzes, der Oper, der Musik, der Pantomime, der Tragödie, der Komödie, der Feerie, des Vaudeville und des Dramas, die jeweils mit Lorbeerkränzen umrahmt sind und sich mit Zusammenstellungen aus den dazu passenden Inschriften und Palmenzweigen abwechseln (Abb. 16). Durch diese Kombination wurde die theaterpraktische Aktivität mit den politischen Auftraggebern symbolisch verbunden und gleichzeitig als Reflex des städtischen

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Lebens auf der Place du Châtelet konzipiert. Vor dem Hintergrund, dass diese Verbindungen von Theater und Politik lediglich die oberen kollektiven Ränge der „amphithéâtres“ betreffen und nicht die teureren Logenränge, die wie schon die étage noble der Außenfassade rein politisch konnotiert bleiben, scheint es, als ob der Architekt die populäre Theatermeile Boulevard du Temple mit ihrem eklektischen Repertoire und ihrem „Theaterspaziergang“ in den repräsentativen und politisch kontrollierten Theaterbau des Châtelet überführt hätte, der nun zusätzlich auf gehobenere Publikumsschichten ausgerichtet war. Durch den Innen-Außen-Bezug von Saal und Place du Châtelet kreierte Davioud eine Überlagerung von Theater und politischer Repräsentation im urbanen Raum wie sie auch schon für die Renaissance-Architektur eines Andrea Palladio charakteristisch gewesen war  :155 Durch die Aussichtsplattformen auf der ersten Etage des Théâtre Impérial du Châtelet und des Théâtre Lyrique und durch das einheitliche Dekor wurde die Place du Châtelet zu einer städtischen Bühne, die in den Pausen vom Theaterpublikum betrachtet werden konnte. Ihre architektonische Regelmäßigkeit mit den beiden neuen Theatern, der schmal gehaltenen Chambre des Notaires an der Nordseite und der Seine an der Südseite machte die Place du Châtelet darüber hinaus zu einem urbanen Bühnenraum, der sich lediglich zur Île de la Cité mit Justizpalast öffnete. Auf diese Weise symbolisierte der Justizpalast, der als Spiegelachse der urbanen Symmetrie von der Place Saint-Michel zur Place du Châtelet von Davioud in seiner offiziellen Wichtigkeit noch einmal hervorgehoben wurde, das wachende Auge der Politik über die beiden neuen Theaterbetriebe. Auf der Grundlage der symmetrischen Konzeptionen Daviouds potenzierte sich die Trias aus Politik, Urbanität und Theater somit in einem immer weiter gefassten und repräsentativeren Rahmen. Vom Inneren des Theaters über die Place du Châtelet bis hin zum neuen administrativen Zentrum der französischen Metropole, der Île de la Cité, war sie allgegenwärtig und setzte das napoleonische Idiom einer engen Verbindung von Gesellschaft, Politik und Theater in Szene.156 155 Beim Palazzo della Ragione, dem Rathaus von Vicenza, orientierte sich Palladio an Amphitheaterbauten aus der Antike. Wundram/Pape, Andrea Palladio. 1508–1580, 1988, S. 240. 156 Diese Wirkung äußerte sich auch allgemein in Bezug auf das Nouveau Paris  : „Der Begriff Nouveau Paris, der sprachlich einen historischen Eingriff benennt, bedeutete zunächst nur das entstehende Stadtbild, zunehmend auch die das Zweite Kaiserreich repräsentierende Ge-



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1.2.3 Rezeption der Architektur und architektursoziologische Wirkung

Zur Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet am 19. August 1862 erhielt Hippolyte Hostein von einem Freund folgende Glückwunschkarte  : „Welch einzigartige Lage hat doch dieses neue Theater  ! Ein riesiger Saal, um dich zu ruinieren  ; gegenüber das Handelsgericht, um deine Abrechnung einzureichen und der Justizpalast, um dich verurteilen zu lassen  ; zu deinen Füßen die Seine, um dich in die Fluten zu stürzen. Da kannst du lange suchen, du wirst nie etwas Besseres finden.“157

Nicht nur Hosteins Freund, sondern auch die Theaterpresse reflektierte ausgiebig den Bezug zwischen dem urbanen Raum um das neue Théâtre Impérial du Châtelet und der politischen Kontrolle seines Theaterbetriebs. Besonders eindrucksvoll tritt dies in Karikaturen zutage, die aus Anlass der Eröffnung publiziert wurden  : „Die Generäle des Zirkus müssen sich nur zum Fenster begeben, um die Siegesgöttin zu sehen, wie sie ihnen zulächelt“, heißt es unter einer der Zeichnungen, auf der ein General sich aus einem Fenster des Châtelet in Richtung Siegessäule lehnt. Auch die von Hostein beabsichtigte verschwimmende Choreographie von Darstellern und Zuschauern wurde dargestellt, indem der Leser bei den Soldaten, die auf einer weiteren Zeichnung zum Châtelet rennen, um im neuen Theater für das spectacle militaire die besten Plätze zu besetzen, nicht mehr unterscheiden kann, ob es sich um Zuschauer oder Darsteller handelt. Unter ihnen befindet sich auch der General Mélas, einer der Hauptfiguren der historischen Schlachtenepisode in Marengo, die zum Militärstück-Repertoire des Théâtre Impérial du Cirque gehörte. Ein weiterer General mit einem Degen verweigert dagegen den Umzug ins Châtelet, wo nun keine Manege mehr für Reiterkämpfe vorhanden war, und auch der Zauberer Rothomago aus der gleichnamigen Feerie des Théâtre Impérial du Cirque, die zur Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet gegeben wurde, will seinen Zauberstab nicht dem sellschaft und schließlich das bonapartistische Paris schlechthin.“ Kampmeyer-Käding, Paris unter dem Zweiten Kaiserreich, 1990, S. 24. 157 Zitiert nach  : De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 9.

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Umzugshelfer überlassen  : In bühnentechnischen Dingen bedeutete der neue Theatersaal eine große Umstellung.158 Die starken Veränderungen, die die Theaterkritiker beim Einzug des Théâtre Impérial du Cirque in das Théâtre Impérial du Châtelet für den zukünftigen Theaterbetrieb sahen, bezogen sich neben der Theaterpraxis vor allem auf die herkömmliche Publikumsstruktur des Théâtre Impérial du Cirque. Mit dem Eröffnungsstück Rothomago, das aus dem Repertoire des Théâtre Impérial du Cirque stammte, unterstrich Hostein seine Absicht, das Publikum des Boulevard du Temple auch an das neue Théâtre Impérial du Châtelet zu binden. Erste Kritiken kurz nach der Eröffnung bemerkten, dass Hosteins Plan aufging, indem die Place du Châtelet jeden Abend dem Boulevard du Temple ähnele und zudem das neue urbane Zentrum belebe.159 Nach zwei Monaten gab die Presse jedoch ein anderes Bild der sich auf den Platz ausweitenden Theateratmosphäre wieder, das sich nun eher an Haussmanns Intention einer Ausgewichtung der Theaterpräsenz zwischen rive gauche und rive droite anlehnte  : „Man hat […] eine große Veränderung in der Zusammensetzung des Publikums bemerkt. Die Kontrolleure finden ihre Stammkunden nicht mehr wieder. Es wurden sogar recht seltsame Beobachtungen am Ende der Aufführung gemacht. Die Beobachter an den Fenstern und auf den Balkonen zum Ausgang hin, die das Herausströmen des Publikums anschauten, haben bemerkt, dass sich diese Menge in zwei Hälften aufteilte, von denen eine über die Brücken ging, um sich in der Altstadt, auf dem Boulevard der rive gauche und in den angrenzenden Vierteln zu verstreuen. Dank der neuen Verbindungsstraßen kommt ein Teil des Publikums also aus diesem Viertel. Nun ist dieses Publikum nicht dasjenige, das vorher den Boulevard du Temple besuchte. Es handelt sich um eben dieses Publikum, dem das Theater in Zukunft gefallen muss.“160

158 „Le nouveau Théâtre Impérial du Cirque“, vier Karikaturen, in  : L’Almanach du Charivari, 1862. In  : Miroy, Un homme de théâtre, 1999, ohne Seitenangabe. 159 Achille Denis, Revue et gazette des théâtres, 28. August 1862  ; Albert Monnier, „Premières représentations“, in  : Revue et gazette des théâtres, 7. September 1862. 160 Achille Denis, „À propos du Théâtre historique et des autres théâtres”, in  : Revue et gazette des théâtres, 26. Oktober 1862.



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Der zweigliedrige Publikumsstrom, der sich nach den Vorstellungen – gut sichtbar von den Terrassen des Theaters – in rive droite und rive gauche aufteilte, spricht für eine neue, heterogene Zuschauerschaft, die sich nun aus Bürgern unterschiedlichster Pariser Stadtviertel zusammensetzte anstatt sich auf das Publikum des „Boulevard du Crime“ mit seiner Vorliebe für moralische Freizügigkeiten zu beschränken. Dank der guten Verkehrssituation war die von Napoleon III. und Haussmann verfolgte Erweiterung der Publikumsstruktur auf alle Pariser Bürger eingetreten. Die Publikumserweiterung schlug sich im Folgenden in einer Zuschauerschaft nieder, die als kleinbürgerlich charakterisiert wurde. Wie Siegfried Kracauer berichtet, war die Boulevard-Atmosphäre im Jahr 1867 gänzlich aus dem Théâtre Impérial du Châtelet verschwunden  : „‚Ich brauche meinen Saal‘, klagte Hortense Schneider, als sie, einer ihrer Launen gehorchend, vorübergehend im Riesenhaus des Châtelet vor Kleinbürgern spielte. Und reumütig kehrte sie in die Variétés zurück.“161 Nach Kracauer hatte sich die Stimme der durch Offenbachs Operetten berühmt gewordenen Sängerin im großen Saal des Châtelet verloren und das „zu wenig gewählte Publikum gar kein Verständnis für sie“ bewiesen.162 Das Théâtre Impérial du Châtelet war durch seine Größe weder für die Umsetzung anspielungsreicher Operetten geeignet, noch fragte sein kleinbürgerliches Publikum wenige Jahre vor Ende des Zweiten Kaiserreichs nach diesen Stücken und ihrer spezifischen, auf dem Talent einzelner Schauspieler basierenden Darstellungsart. Diese Entwicklung kann gleichsam als Folge der Einschätzung gewertet werden, die Architektur- und Theaterkritiker in Bezug auf die Größe des neuen Saals und seine Qualitäten als Volkstheater schon kurz nach der Eröffnung äußerten. Allen Kritikern zufolge war es Davioud gelungen, einen großen Saal für groß angelegte Spektakel zu bauen. Zu seiner Beschreibung wurde nicht selten auf Vergleiche mit den neuen Straßen des Nouveau Paris zurückgegriffen. Diese fanden sich für die Kritiker gleichermaßen im Innern des Theaters wieder, sodass die napoleonische Absicht einer Überlagerung von reurbanisiertem Stadtbild und den neuen, repräsentativeren Innenräumen von 161 Kracauer, Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, 1976, S. 213. 162 A.a.O., S. 276.

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den Rezipienten tatsächlich im Sinne einer inneren Monumentalität wahrgenommen wurde  : „Stellen Sie sich eine große Kaserne mit einer Fülle von Fluren, Logen, Treppen, Umkleiden, Korridoren und Lagern vor. Wenn man von der Rue des Lavandières SainteOpportune hereinkommt, ist man versucht, nach einem Kompass zu fragen, um sich in diesen gigantischen Alleen nicht zu verlieren. In jeden Kulissenteil könnten Sie ohne Mühe die Vendôme-Säule oder den Triumphbogen stellen. Die Bühne – mit 14 Metern Breite und 18 Metern Tiefe – erscheint leer wenn insgesamt nur 300 Personen darauf stehen. Eine Brücke nach Art des Pont-des-Arts verbindet sie mit einem weiteren Lager, das dazu da ist, den Zuschauer in den Momenten großer Theatercoups in ein vollständiges Erstaunen zu versetzen.“163

Als weiteres Vergleichsobjekt für die Größe und die Monumentalität, die für ein Theater im Zentrum des Nouveau Paris angemessen schien, zogen die Kritiker mehrmals die Opéra heran.164 Auch Hostein nutzte diesen Vergleich, um dem Ministère d’État die Pracht des neuen Theaterbaus und die damit entstehenden hohen Kosten für die Ausstattung der großen Bühne vor Augen zu führen, die für ein Volkstheater opernhafte Dimensionen erreichten.165 Nichtsdestotrotz klassierten die Architekturkritiker den Bau des Châtelet stets als Volkstheater  : Im Gegensatz zur monumentalen inneren Größe wurde das Äußere des Châtelet durchweg negativ beurteilt, auch wenn die Kritiker einräumten, dass Davioud bei seiner Konzeption vonseiten der Stadtverwaltung und Haussmann zum Beispiel bei der Besetzung der Seitenfassaden mit Cafés und Geschäften die Hände gebunden waren. „Das ist eher schwerfällig als groß“, resümierte Alfred Darcel 163 Eindrücke eines Besuchers der Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet, zitiert in  : L’Évantail des Baux, 27. März 1927, zitiert nach  : Solvit/Aydijan, D’un siècle à l’autre, 1999, S. 6. Siehe auch P. S., „Réception des nouveaux théâtres de la place du Châtelet“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 3. August 1862, 29. Jahrgang, Nr. 31, S. 252  : „Diesen neuen Saal mit den ehemaligen Theatern des Boulevard zu vergleichen, ist ungefähr so, als wollte man die alte Rue Saint-Jacques der strahlenden Rue de Rivoli gegenüberstellen.“ 164 „La nouvelle Place du Châtelet“, in  : Le Magasin pittoresque, 34. Jahrgang, 1866, S. 132. 165 „In Bezug auf das patriotische und dynastische Empfinden ist unser Theater das Theater des Kaiserreichs und das Theater des Volkes  ; in Bezug auf seine Pracht ist es gleichzeitig eine Oper.“ Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 20. Januar 1863. AN, F21 1143.



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(1818–1893) seine Beurteilung der Fassaden, die weder in visueller noch in praktischer Hinsicht dem Maßstab eines Monuments genügten, da sie einerseits zu sehr an die Fassaden der Pariser Wohnhäuser erinnerten und andererseits auch der Unterstand im Erdgeschoss nicht ausreichend Platz für die ankommenden Zuschauer bot. Auch für das Innere des Saals wünschte sich Darcel eine größere architektonische Repräsentativität, indem er die Arkadenstruktur durch nur drei Bögen nach dem Vorbild der Opéra ersetzt wissen wollte, die zudem die Sicht auf die Bühne noch einmal stark verbessern würden.166 Abgesehen von dieser Kritik stellten die meisten Rezensionen jedoch die überaus gute Sicht im neuen Théâtre Impérial du Châtelet als genuines Charakteristikum dieses neuen Volkstheaterbaus heraus. Sie wurde vor allem durch die starke Neigung, die Davioud in den „amphithéâtres“ angelegt hatte, und die Arkadenstruktur mit ihren großen Bögen in den oberen Rängen gewährleistet. Während die Architekturkritiker zudem die Leichtigkeit und Regelmäßigkeit der architektonischen Strukturen und die soziale Offenheit rühmten, die die Arkaden symbolisierten,167 lobten die Theaterkritiker vor allem die stark aufeinander bezogene Disposition von Bühne und Saal. Diese schienen aufgrund des vorgezogenen Balkons auf der ersten Etage und der halbrunden Form des Saals besonders nah zueinander. Kein einziger Effekt des auf der Bühne Dargestellten ginge nun mehr verloren, lobte der Musikkritiker Jacques Léopold Heugel (1815–1883) den Architekten, „der das Geheimnis gefunden haben wird, 3000 Personen unterzubringen und gleichzeitig das Publikum der Bühne anzunähern.“168 Zudem ließ sich auf der Bühne nun eine Vielzahl neuartiger szenischer Effekte realisieren, die dem Kritiker schon bei der Eröffnung „wunderbar und großartiger als jemals“ erschienen.169 Hinsichtlich der nun gehobenen gesellschaftlichen Repräsentativität des Saals äußerten sich die Theaterkritiker dagegen skeptisch. Schon die helle Beleuchtung durch die Glasdecke übte auf das Publikum bei der Eröffnung eine solche 166 Alfred Darcel, „Les Nouveaux Théâtres“, in  : Gazette des Beaux-Arts, Nr. 13, 1862, S. 471–474. Vgl. auch Arbelli, Civilisation, 1863, S. 9. 167 A.a.O., S. 12  ; Narjoux, Paris. Monuments élevés par la ville, 1882, S. 7–8. 168 A.a.O., S. 6–7  ; J.-L. Heugel, „Réception des deux théâtres de la Place du Châtelet“, in  : Le Ménestrel, 3. August 1862, 29. Jahrgang, Nr. 36, S. 281–282. 169 Ders., „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 24. August 1862, 29. Jahrgang, Nr. 39, S. 309.

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Faszination aus und setzte den Saal dermaßen in Szene, dass sie nur in den Pausen vollständig eingeschaltet wurde, um nicht zu sehr von der Aufführung abzulenken.170 Nicht zuletzt aufgrund der einnehmenden Ausstrahlung des neuen Saals finde sich das herkömmliche Publikum des Boulevard du Temple im neuen Theater sicherlich „recht klein, von recht bescheidener Statur, Kleidung und – um es frei herauszusagen – recht häßlich“, argumentierten die Theaterkritiker.171 Während der neue Saal dem Theaterdirektoren Hostein in der ersten Zeit zwar ausverkaufte Vorstellungen bescherte, wurde seine außerordentlich große Kapazität tatsächlich bald zum Problem, vor allem, da die Ausstattung der großen Bühne sehr kostspielig war.172 Die kritische Frage eines Musikkritikers, ob man im Falle des Théâtre Impérial du Châtelet kein Theater für eine bestimmte Zuschauerschaft gebaut hätte, sondern nun Zuschauer für das neue Theater formen müsse,173 weist auf die Rolle der Theaterarchitektur für die moralische Formalisierung der neuen Theaterbetriebe des Zweiten Kaiserreichs hin, die vor dem Hintergrund der sozialen und theaterpraktischen Veränderungen kurz nach ihrer Eröffnung von der Presse durchaus wahrgenommen wurde. Im Wechselspiel zwischen der repräsentativen urbanen Lage und seiner Ausrichtung als Volkstheater stellte der Innen-Außen-Bezug des neuen Théâtre Impérial du Châtelet einen sehr positiv rezipierten Baustein dar. Die Architekturkritiker erkannten sowohl die Replik der Außenfassade in den Arkaden des Saals, als sie auch die Dekoration von Außen und Innen als kohärent wahr170 Ebd.; Ders., „Réception des deux théâtres de la Place du Châtelet“, in  : Le Ménestrel, 3. August 1862, S. 282. 171 P. S., „Réception des nouveaux théâtres de la place du Châtelet“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 3. August 1862, S. 253. 172 Hostein rechtfertigte auf diese Weise seine wiederholte Anfrage nach einer Subventionierung  : „Diese Umsätze waren die Folge der Neugier auf einen neuen Saal, eine bisher noch unbekannte Beleuchtung und auf die noch nie dagewesenen Proportionen der großen Bühne des Châtelet. Zu dieser Zeit präsentierte der Direktor keine Aufführung eines Stücks, sondern eines Monuments  ; er führte sozusagen den Saal auf. Direkt nach dem zweiten Monat fielen die Einnahmen unter 4000,-, einen Betrag unter den täglichen Ausgaben, wie man im Folgenden sehen wird.“ Théâtre Impérial du Châtelet. Note relative à la demande d’une subvention, o. D. AN, F21 1143. Vgl. auch J. Lovy, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 31. August 1862, 29. Jahrgang, Nr. 40, S. 317. 173 P. S., „Réception des nouveaux théâtres de la place du Châtelet“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 3. August 1862, S. 253.



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nahmen. Darüber hinaus wurde die Loggia als Verbindung zwischen Außen und Innen beschrieben, die für die Kritiker zudem einen perfekten Aufenthaltsort während der Pausen und eine Zuschauertribüne auf die Place du Châtelet darstellte. Auch die Anlehnung an die Renaissance-Architektur wurde rezipiert, da die Loggia ihrem Vorbild der Florentiner Loggia dei Lanzi zugeordnet wurde.174 All diese architektonischen Merkmale leiteten sich für die Architekturkritiker aus Daviouds architektonischer Ausbildung ab und entsprachen zugleich zeitgenössischen architektonischen Strömungen  : Während Darcel die Wiederaufnahme der Arkaden im Inneren des Saals als „rationale Maßnahme“ wertete, beschrieb er die historisierende Zusammenstellung der Fassade aus den Bauteilen der Loggia, der Arkaden und der Seitenpavillons mit dem abfälligen Attribut „neogriechisch“ („néo-grec“) als zu eklektisch und trocken. Mit dieser auch von weiteren Kritikern wiederholten Charakterisierung sprachen die Architekturkritiker dem Théâtre Impérial du Châtelet jegliche äußere architektonische Ausstrahlung ab.175 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zeitgenössische Presse das Äußere des neuen Theaterbaus als neutralen Behälter für aufwändige Theateraufführungen vor einem großen, im Vergleich zum Boulevard du Temple sozial gehobenen Publikum beurteilte. Daviouds architektonische Lösungen, mit der er die opernhafte Größe von Bühne und Saal einander angenähert hatte, garantierten für die Kritiker ein demokratisches und zugleich effektvolles Theatererlebnis. Während die Architekturkritiker die reine Kohärenz der Dekoration von Außen und Innen lobten, fiel den Theaterkritikern die politische Symbolik dieser Dekoration auf. Mit Ende des Zweiten Kaiserreichs standen für das schon seit seiner Eröffnung rein städtische Théâtre Impérial du Châtelet, dessen Repertoire darüber hinaus seit 1864 von der „liberté des théâtres“ profitierte, nur wenige Veränderungen an. Dazu gehörten neben dem Wegfall des kaiserlichen Attributs „impérial“ vor allem Neugestaltungen der Dekoration. Der Adler über der Bühnenöffnung wurde durch das Pariser Stadtwappen ersetzt, und die Portraits des Kaisers und 174 Arbelli, Civilisation, 1863, S. 12  ; Darcel, „Les Nouveaux Théâtres“, in  : Gazette des Beaux-Arts, Nr. 13, 1862, S. 472  ; Narjoux, Paris. Monuments élevés par la ville, 1882, S. 8. 175 Arbelli, Civilisation, 1863, S. 9  ; Darcel, „Les Nouveaux Théâtres“, in  : Gazette des Beaux-Arts, Nr. 13, 1862, S. 471 und S. 475.

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Die Architektur des Théâtre du Châtelet

der Kaiserin im Foyer der ersten Etage wurden durch Allegorien der Musik und des Tanzes ausgetauscht.176 Auf diese Weise blieb die architektonische Kohärenz zwischen Außen und Innen erhalten. Auf symbolischer Ebene fanden die Stadt Paris als langjährige Eigentümerin des Theaters und zwei theatralische Genres mit Bezug auf die Musik Eingang in seine Dekoration. Es stellt sich die Frage, welchen Platz Musik und Tanz im Repertoire des Théâtre Impérial du Châtelet während des Zweiten Kaiserreichs einnahmen, dass sie 1871 die Portraits Napoleons III. und der Kaiserin Eugénie auf der étage noble ersetzten.

176 Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte, 1981–1982, S. 65.

2  Die grands spectacles (1862–1914)

Mit dem Théâtre Impérial du Châtelet bekam die Pariser Theaterlandschaft ein repräsentatives Theater für die Genres des Militärspektakels und der Feerie, die unter der Bezeichnung „grand spectacle“ zusammengefasst wurden. Diese Spektakel zeichneten sich durch ihre besonders sensationellen Bühnenbilder aus und wurden von Potpourris aus beliebten Pariser Arien und Chansons begleitet. Neben komischen Einlagen der Schauspieler gehörten auch Ballette zu den Stücken des grand spectacle. Im folgenden Kapitel wird untersucht, inwiefern der neue Theaterraum des Châtelet für das Repertoire und die Darstellung dieses populären Genres geeignet war, wie er diese aufnahm und wie er sie veränderte. Zugleich wird es darum gehen, aus der geometrischen, fiktionalen und symbolischen Nutzung des Theaterraums ein Rezeptionsmodell für das Genre des grand spectacle im haussmannisierten Paris zu entwickeln. Hierbei werden vor allem die dramaturgische Einbindung des Publikums in das Stück und die Atmosphäre im Saal während der Aufführungen im Mittelpunkt stehen. Da es sich bei dem Eröffnungsstück Rothomago um eine Feerie aus dem Repertoire des Théâtre Impérial du Cirque handelt, eignet sich dieses Stück besonders gut, um die Einwirkung des Raumes auf die Theaterpraxis zu erkennen und um Anknüpfungspunkte der dramaturgischen Konzeptionen der Stücke im Théâtre Impérial du Châtelet an schon existente Pariser Rezeptionsmodelle herauszuarbeiten. Die Entwicklung des Repertoires von 1862 bis 1914 wird in zwei Etappen vor und nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs betrachtet, da sich die politischen Intentionen in Bezug auf das Volkstheater Châtelet mit Beginn der Dritten Republik im Jahr 1871 stark änderten. Außerdem zeigt sich bei den beiden Perioden von 1862–1870 und 1871–1914 ein großer Unterschied im Interesse an den Libretti des grand spectacle  : Während für das Zweite Kaiserreich 53% der Libretti von Neuproduktionen existieren, wurden während der Dritten Republik lediglich 16% aller neuen Stücke publiziert. In dieser Zeit machen die  Die Recherche wurde im Online- und Zentralkatalog der Bibliothèque Nationale de France vorgenommen, der durch das Dekret des Dépot Légal von 1810 ohne Unterbrechungen alle

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Die grands spectacles (1862–1914)

von anderen Theatern übernommenen Stücke den größten Teil aus, wohingegen 47 von 90 Libretti gar nicht auffindbar sind. Das Repertoire der Dritten Republik unterschied sich von demjenigen des Zweiten Kaiserreichs folglich in einem weniger ausgeprägten Interesse für die Texte und dramaturgischen Grundlagen und lebte vor allem von Wiederaufnahmen schon bekannter Stücke. 2.1 Das grand spectacle bis zum Ende des Zweiten Kaiserreichs (1862–1870) 2.1.1 Dramaturgische und urbane Symmetrien  : Das Eröffnungsstück ­Rothomago im neuen Théâtre Impérial du Châtelet

Mit der Wahl der Feerie Rothomago, die am 1. März 1862 im Théâtre Impérial du Cirque uraufgeführt worden war, als Eröffnungsstück für das Théâtre Impérial du Châtelet gestaltete Hippolyte Hostein einen nahtlosen Übergang zwischen dem Repertoire des alten und des neuen Theaters, auf das er vertraglich festgelegt war. Die Kritiker der Eröffnungsvorstellung vom 19. August 1862 hoben lediglich das neue Bühnenbild der Feerie hervor. Dies spricht dafür, dass Hostein das Libretto und die Musik mit dem Einzug in das neue Theater nicht veränderte. Während sich die architektonische Anlage des neuen Theaterraums also vor allem auf die visuelle Inszenierung des bekannten Repertoires auswirkte, blieb die dramaturgische Grundstruktur der Stücke erhalten. Rothomago galt schon den Zeitgenossen als eine typische Feerie des populären Pariser Theaterrepertoires. Die Autoren Adolphe d’Ennery und Clair-



 



in Frankreich publizierten Werke enthält. Das zugrunde gelegte Repertoire beruht auf dem Gesamtprogramm des Théâtre du Châtelet in De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 213– 215. Vgl. Anhang III „Reprisen des grand spectacle“. Diese Entwicklung ist konform mit der Entwicklung der Pariser Theater im Allgemeinen. Charle, Théâtres en Capitales, 2008, S. 207, S. 213 und S. 219. D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D. [1862]. Charles Monselet erwähnt zudem, dass auch alle Rollen wie schon im Théâtre Impérial du Cirque besetzt wurden. Charles Monselet, „Théâtres“, in  : Le Monde illustré, 30. August 1862, 6. Jahrgang, Nr. 281, S. 142. Ginisty, La Féerie, 1910, S. 201–202. Auch in der literatur- und theaterwissenschaftlichen Forschung gilt das Stück Rothomago als durchaus typisch für das Genre der Feerie während des Zweiten Kaiserreichs. Es schöpft sowohl aus dem inhaltlichen Fundus dieser Gattung, als es



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ville (1811–1879) hatten in den 1840er Jahren einen neuen dramatischen Typus geschaffen, der es erlaubte, möglichst viele Bühnenbilder in eine Feerie einzufügen, und der sich auch mit Beginn des Zweiten Kaiserreichs nicht änderte. Als inhaltliche Grundstruktur prägten sie die Abfolge eines Prologs und eines Szenenkomplexes aus, in der ein Prinz seine Geliebte sucht. Auch Rothomago mit seiner Aufteilung in Prolog–I. Akt und II.–IV. Akt gehorcht dieser Struktur, die von Clairville und Albert Monnier (gest. 1869) mit komischen Einlagen aufgelockert wurde  : Die Feerie handelt vom Zauberer Rothomago, der im Prolog seine magische Uhr verliert. In der Szenenabfolge vom II. bis IV. Akt hat er sechs Stunden Zeit, sie vom Bauern Blaisinet wiederzuerlangen. Die typische Abgrenzung von Prolog und Handlungsabfolge schlägt sich in Rothomago auch in der Figurenkonstellation und der Aktstruktur nieder. Zum einen unterziehen die Autoren die Figurenkonstellation zu Beginn des II. Akts einer grundlegenden Veränderung. Rothomago soll zu Beginn des Stücks die Zauberin Miranda heiraten, während der Bauer Blaisinet mit der Bäuerin Bruyère verlobt ist. Im I. Akt verliebt sich Rothomago jedoch in Bruyère und Blaisinet in Miranda, womit die soziale Parallelstruktur in eine zyklische Interaktion zwischen Vertretern beider gesellschaftlicher Schichten überführt wird  : Die einzelnen Protagonisten, die noch innerhalb der sozialen Parallelstruktur liiert sind, verlieben sich jeweils nacheinander in ihr Gegenstück aus der anderen Schicht, wobei für das Verlieben der Zauberer die Richtung innerhalb der nun etablierten kreisförmigen Figurenkonstellation gewechselt wird. Zum anderen unterscheiden sich die Szenenkomplexe Prolog–I. Akt und II.–IV. Akt in ihrem auch intertextuell auf weitere Feerien Bezug nimmt. Rothomago schreibt sich somit in eine Feerien-Produktion ein, die „ihre eigenen Konventionen nachahmte“. Martin, La féerie romantique sur les scènes parisiennes, 2007, S. 416–421 und S. 459.  A.a.O., S. 19.  A.a.O., S. 264, S. 269–271 und S. 278. Diese Grundstruktur ist derjenigen des Vaudeville sehr ähnlich, die der Librettist Henri Meilhac folgendermaßen beschreibt  : „Sie besteht zum einen aus der Geschichte zweier Liebenden, die nach einer Fülle von mehr oder weniger komischen Peripetien heiraten, und zum anderen aus derjenigen eines Ehemannes, der einer neuen Eroberung hinterherläuft und dann zurückkommt, um seine Frau – reingelegt und reumütig – um Verzeihung zu bitten.“ Talin (Henri Meilhac), Comment se fait un Vaudeville, 1851. ARS, Fonds Rondel, Rf 45209.  Ginisty, La Féerie, 1910, S. 201–202  ; Thomasseau, Le Mélodrame, 1984, S. 72–73.

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parallelen und bogenförmigen Aktaufbau. Während vergleichbare Handlungen der Bauern und der Zauberer zu Beginn des Stücks getrennt innerhalb des Prologs und des analog gestalteten I. Akts ablaufen, ist der Aufbau des II. bis IV. Akts in seiner Mitte durch die beiden Höhepunkte der Hochzeiten von Bruyère und Blaisinet (II. 2/3) und Miranda und Blaisinet (II. 4/5) bogenförmig strukturiert. Die Szenen, in denen Blaisinet die magische Uhr findet (II. 1/1–4) und Rothomago seinen Talisman wiederbekommt (IV. 2/1), umrahmen die abgerundete Anlage der Akte II bis IV. Die Abgrenzung aber auch Kombination von binären und kreisförmigen Strukturen bleibt nicht nur auf den Ebenen des Aktaufbaus und der Figurenkonstellation samt ihrer Thematisierung gesellschaftlicher Unterschiede, sondern zieht sich in Rothomago durch das gesamte Stück. Die hauptsächliche Requisite, die magische Uhr und ihr kreisrundes Ziffernblatt, steht bei den Autoren D’Ennery, Clairville und Monnier für eine Zeiteinteilung aus den komplementär zueinander angelegten Stunden des „Verbrechens“ und des „Gebets“, des „Balls“ und des „Schlafengehens“, des „Vergnügens“ und der „Arbeit“ und des „Mittagessens“ und des „Abendessens“. Diese Stunden sind in den Figuren der Heures jeweils einzeln personifiziert. Auch über die Bühnenrampe hinaus geht es um die Überführung der Trennung zwischen Bühne und Saal in ein kreisförmiges Modell, das Darsteller und Zuschauer vereint  : Die sechs Stunden, in denen Rothomago seine Uhr wieder finden muss, sind im Libretto von 19 Uhr abends bis 1 Uhr nachts angegeben und stimmen auf diese Weise mit der realen Zeit des Theaterbesuchs durch die Zuschauer überein.10 Diese symmetrische Überlagerung von fiktionaler und realer Zeit, die einem allgemeinen Charakteristikum des Genres der Feerie entsprach,11 äußert sich in Rothomago in der übertragenden geometrischen Form zweier Uhrenhalbkreise, die Saal und Bühne zu einem Kreis zusammenschlossen. Im neuen Théâtre Impérial du Châtelet wurde diese   D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 11. 10 Die Stücke des Théâtre du Châtelet begannen in der Regel um 20 Uhr und endeten oft erst nach Mitternacht. Die Abendkasse öffnete um 19.30 Uhr. Bezieht man An- und Rückfahrt mit ein, so erstreckte sich der Theaterabend auf fast sechs Stunden. Ein Programmheft zur Wiederaufnahme von Rothomago in der Saison 1897/1898 gibt die Aufführungszeit mit 20.00–23.45 Uhr an. Le Photoprogramme illustré des théâtres. Châtelet. Rothomago, 3. Jahrgang, Saison théâtrale 1897–1898. ARS, WNA 25  : Théâtre du Châtelet. Saisons 1866–1906. 11 Martin, La féerie romantique sur les scènes parisiennes, 2007, S. 390.



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dramaturgische Grundstruktur nun zudem architektonisch durch die symmetrische Anlage von Bühne und Saal untermalt. Dass der Raum des Theaters und übertragende geometrische Figuren wie die Uhrenhalbkreise wichtige Komponenten für die Herstellung eines Bezugs zwischen Bühne und Publikum waren, wird aus der Szene nach dem Schlag der fünften Stunde klar, das heißt in dem Moment, wo sich die beiden Uhrenhalbkreise der Bühne und des Saals vervollständigen  : Hier kehrt der Talisman der Uhr wieder in die Hände Rothomagos zurück. Um Blaisinet und seinen Begleiter Lustucru an der Verfolgung zu hindern, lässt Rothomago sie von Truthähnen – den Maskottchen des Genres der Feerie während des Zweiten Kaiserreichs12 – umzingeln. Am Ende ihres Kampfs mit den Truthähnen werfen Blaisinet und Lustucru diese in den Saal.13 Eine solche Überschreitung der Rampe des Guckkastentheaters verdeutlicht die Ausweitung des Bühnenraums auf den durch die Überschneidung von fiktionaler und realer halber Uhrumdrehung an die Bühne angegliederten Saal, der nun bespielt werden kann. Darsteller- und Publikumsraum ergeben kurz vor Ende des Stücks einen gemeinsamen Raum, dessen Inneres zudem an die Manege des Théâtre Impérial du Cirque erinnert. Gleichzeitig liegt in einer solchen geometrisch vollzogenen dramaturgischen Angleichung von fiktionalem und realem Raum ein weiterer Hinweis auf die schon von Hostein bei seiner Bewerbung und auch in den Rezeptionen des neuen Théâtre Impérial du Châtelet thematisierte Gleichheit von Darstellern und Zuschauern. Auf dieses Höchstmaß an Integration des Publikums in die geschlossene Kreisstruktur der fiktionalen und zugleich realen Uhr folgt die höchst moralisierende Schlussszene des Stücks, in der Zuschauerraum und Bühnenraum wieder einander gegenübergestellt sind.14 Hier wird Rothomago durch die „Stunde des Gebets“ (Heure de la Prière) erlöst, die ihm seine magische Uhr zurückgibt, 12 A.a.O., S. 421. 13 D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 27. 14 „Aber das Erstaunlichste und das am meisten Unerwartete dieses Rothomago, der im Übrigen sehr amüsant ist, ist der Ausgang der Geschichte. Die Stunde des Gebets, die zwölfte, ändert den kleinen Rothomago durch ihre erweichende Rede und gewinnt ihn für die katholische Religion. Ich versichere Ihnen, das ist die Wahrheit. Einige Minuten lang war ich sehr verblüfft, aber nach etwas Bedenkzeit fand ich das sehr gut, sehr lobenswert und völlig passend zu den gegenwärtigen Ideen.“ Charles Monselet, „Théâtres“, in  : Le Monde illustré, 8. März 1862, 6. Jahrgang, Nr. 256, S. 159.

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obwohl er aus Rührung über die betende Bruyère vergessen hat, sie zur vollen Stunde aufzuziehen. Die „Stunde des Gebets“ fungiert in dieser Szene als Dea ex Machina und alles bereinigende moralische Instanz. Sie löscht die „Stunde des Verbrechens“ (Heure du Crime) gänzlich aus,15 bereinigt Rothomago von seinen Missetaten und hat zudem das letzte Wort.16 Die Anspielungen mittels der Heure du Crime auf den „Boulevard du Crime“ und ihre Auslöschung durch die Stunde des Gebets lassen die Gewissheit über die politische Kontrolle durch den neuen Theaterbau auch bei den Librettisten des grand spectacle erkennen. Während die Schlussszene von den Zeitgenossen als höchst langweilig und stark moralisierend beschrieben wird, deutet sich auch in weiteren Anspielungen eine durchaus positive Einstufung der politischen Kontrolle durch die Autoren an  : Die Protagonisten Rothomago und Lustucru, deren Namen auf die lateinische Bezeichnung „Rothomagen“ für Rouen und auf die Lustucru-Rebellion in der Provinz Boulonnais von 1662, also genau 200 Jahre vor Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet anspielen, werden im Verlauf des Stücks nicht nur zur moralischen Raison geführt, sondern finden zudem ihr Liebesglück. Während Rothomago am Ende durch das Gebet seiner Angebeteten Bruyère – zum einen eine Anlehnung an das französische Bruyèreholz und im übertragenen Sinne an den Scheiterhaufen Jeanne d’Arcs, und zum anderen eine Reminiszenz an den Moralisten Jean de la Bruyère (1645–1696) und seine sozialkritisch-moralische Typenlehre des Ancien Régime, den Caractères (1688) – gerührt wird und diese heiraten darf, findet der Bauerntölpel Lustucru seine spanische Geliebte wieder, was als Anspielung auf den Grund der Rebellion von 1662, eine zusätzliche Steuer für die Erhaltung des lokalen Regiments bis zum Ende des Kriegs mit Spanien, fungiert.17 Aus der Interpretation des Librettos deutet sich somit an, dass alle Veränderungen, die der neue Theatersaal für die gesellschaftliche und künstlerische Praxis des grand spectacle mitbrachte, von 15 „Es gibt schließlich eine Stunde, die alle anderen, verrückten oder ernsten, leid- und jammervollen Stunden bis zu Ihnen selbst, Stunde des Verbrechens, ganz allein vergessen macht  ; ja, bis zu Ihnen, deren schreckliche Erinnerung sie auslöscht, und diese gepriesene Stunde ist die Stunde des Gebets.“ D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 11. 16 „Du irrst dich, Fee Wutschnaubend  ! Die Tränen der Reue haben die Fehler Rothomagos ausgelöscht… Der Himmel vergibt ihm, das Gebet hat ihn gerettet  !“ A.a.O., S. 28. 17 Burg, A World History of Tax Rebellions, 2003, S. 222–223.



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Abb. 17 : Rothomago, II. Akt, 4. Bild.

den Autoren als Geschenk und Grundlage für einen besseren Theaterbetrieb gedeutet wurden. Ein ähnliches Bild ergibt sich aus dem Entwurf eines Bühnenbilds, der für die Feerie Rothomago erhalten geblieben ist. Er zeigt einen Brunnen, Arkaden und eine breite Treppe, die zu einem Schloss auf einem Hügel hinaufführt. Das Schloss weist eine große Ähnlichkeit mit den Fassaden der beiden neuen Theater der Place du Châtelet auf, auf die wohl auch der Brunnen im Vordergrund anspielt. Das Bühnenbild gehört zu einer Szene, die – bei Aufführungen von Rothomago im Théâtre Impérial du Cirque – den zukünftigen oder – auf der Bühne des Châtelet – soeben eingeweihten Bau des Théâtre Impérial du Châtelet thematisiert. Sie zeigt Miranda und Blaisinet, die sich kurz vor einem Ball im angedeuteten Schloss treffen. Miranda darf sich die Ausstattung für den 18 Rothomago : esquisse de décor pour le tableau 2 du prologue ou pour le tableau 4 de l’acte II : escaliers monumentaux conduisant à la terrasse d’un palais, 1862. OP, Opéra Esq. 19 (199).

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Ball wünschen, die Blaisinet ihr mit der magischen Uhr herbeizaubert. Neben vielen märchenhaften Wünschen bittet sie um „charmante Tänzerinnen, die sich unbändig in die Lüfte aufschwingen“,19 was als Reminiszenz an Hosteins Vorschlag, eine Tanzschule für Mädchen aus den niederen Schichten zu gründen, verstanden werden kann. Daran anknüpfend symbolisiert das Bühnenbild mit seinen Andeutungen der breiten Treppe im Foyer, der Loggia und der Place du Châtelet die urbane und architektonische Anlage des Théâtre Impérial du Châtelet als Erfüllung aller Wünsche. Durch die Abbildung der Theaterfassade mittels des Schlosses setzt es dabei nicht nur die Haussmannisierung in Szene, sondern verstärkt zugleich die architektonische Symmetrie zwischen Außen und Innen des Theaters. Mittels der szenographischen Weiterführung der symmetrischen Grundstruktur des Théâtre Impérial du Châtelet auf seiner Bühne, wodurch eine Verschmelzung von urbaner Realität und theatraler Fiktionalität erreicht wird, löst also auch die Bühnendarstellung von Rothomago die Trias aus Politik, Theater und Urbanität ein, die schon die Planungsphase des Théâtre Impérial du Châtelet charakterisierte. Obwohl der im Bühnenbild hergestellte Innen-Außen-Bezug zuallererst als politische Reminiszenz an die napoleonische Haussmannisierung zu werten ist, fügt er sich dennoch gut in bestehende Traditionen der Feerie ein. Die Libretti dieses Genres zeichneten sich im 19. Jahrhundert gewöhnlich durch mannigfaltige Anspielungen auf geläufige Feerien des Pariser Theaterrepertoires aus. Auch in Rothomago nutzen die Librettisten sie, um das Publikum in die märchenhafte und zugleich komische Fiktion des Genres einzubinden. Gleich im Prolog der Feerie stellen sich mehrere bekannte Zauberer als Hochzeitsgäste ein, zu denen nicht nur die Familie Merlin und die Magier Abracadabra und Nostradamus, sondern auch der Zauberer Perlinpinpin zählen. Der Diener Mironton beschreibt dessen Frisur als „mit Perlinpinpin-Puder frisiert“,20 womit er den vollständigen Titel der Feerie La Poudre de Perlinpinpin nennt, die neun Jahre zuvor, am 24. Dezember 1853, im Théâtre Impérial du Cirque uraufgeführt worden war. Weitere Wortspiele beziehen sich auf die Feerien La Belle au bois

19 D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 20. 20 A.a.O., S. 2.



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dormant und Le Naufrage de la Méduse,21 die seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum festen Repertoire der Pariser Theater gehörten. Bei Le Naufrage de la Méduse handelt es sich um die märchenhafte Verzerrung des historischen Ereignisses der vor der Küste des Senegal gesunkenen Fregatte „Méduse“.22 D’Ennery, Clairville und Monnier spielen auf diese Feerie in einer Szene an, in der ein Schlafzimmer überschwemmt wird und die Figuren sich auf eine Kommode retten müssen. Die Figur Painpondor bezeichnet daraufhin die neue Schlafgelegenheit ironisch als „Kommode der Medusa“ („commode de la Méduse“), wobei die Anspielung auf das Schiffsunglück die mitschwingende Ironie über die Bequemlichkeit noch einmal verstärkt. Hier wie auch sonst bewirkte die enge Verknüpfung der Anspielungen auf Feerien des Pariser Theaterrepertoires mit szenisch gebundenen Wortspielen keinen komischen Fiktionsbruch, sondern eine den Inhalt verstärkende Außenwirkung, die auf das Verschwimmen von Fiktion und Realität angelegt war, denn die Kenntnis des Pariser Feerienrepertoires durch die Zuschauer blieb stets Voraussetzung für die komische Wirkung der Anspielungen. Das Spiel mit Repertoirekenntnissen erinnert darüber hinaus an die Theaterdichte des Boulevard du Temple mit der Zuschauerpraxis, zwischen den Vorstellungen das Theater zu wechseln. Der Innen-Außen-Bezug, der schon den Theaterboulevard ausgezeichnet hatte, bestand also auch im Théâtre du Châtelet weiter, nur dass seine architektonische, politisch konnotierte Festigung die Theaterpraxis nun mit einer staatlichen, durch die Urbanität des Nouveau Paris verdeutlichten Symbolik überzog. Eine weitere Anknüpfung der architektonischen Merkmale des neuen Théâtre Impérial du Châtelet an bestehende Traditionen der Feerie bestand in der dramaturgischen Behandlung der sozialen Schichten. Die Auflösung gesellschaftlicher Unterschiede war durchaus programmatisch für populäre Genres wie Feerie und Vaudeville, in denen oftmals Vertreter verschiedener Schichten heirateten.23 Wie schon dargelegt, zeichnete sich auch Rothomago durch die Überführung eines mehrschichtigen gesellschaftlichen Systems aus Zauberern und Bauern in ein Gesellschaftsmodell ohne soziale Unterschiede aus. Im Théâtre Impérial du Châtelet traf dies nun auf das fließende Arkadenmodell von 21 A.a.O., S. 12 und S. 22. 22 Maehder, „Historienmalerei und Grand Opéra“, 1998, S. 284. 23 Matthes, Vaudeville, 1983, S. 81–87.

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Davioud, mit dem der Architekt die einzelnen Ränge des Saals versehen hatte. Zusammen mit dem „religiösen“ Schluss des Stücks lässt sich die Auflösung der Unterschiede gesellschaftlicher Schichten in Rothomago auch als Replik auf die napoleonische „fête impériale“ und besonders auf den Saint-Napoléon-Tag lesen, der jährlich am 15. August, also gerade vier Tage vor der Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet mit der Feerie Rothomago, stattfand. An diesem napoleonischen Festtag waren alle Kirchen angehalten, das Te deum zu singen, und Napoleon III. selbst wählte nicht selten religiöse Bezüge für seine theatrale Herrscherrepräsentation aus.24 Hierbei stand vor allem die Inszenierung der Einheit des Kaisers mit seinem Volk im Vordergrund, was Napoleon III. als Herrscher zwischen scheinbar demokratischen Volksbefragungen („suffrage universel“) und einem diktatorischen Regime durch die Vergabe von Almosen und Orden demonstrierte.25 Diese Manifestation einer einseitig vom Herrscher ausgehenden Zuwendung zum Volk spiegelt sich auch in der Art und Weise wider, wie das zweigliedrige gesellschaftliche Schichtenmodell in Rothomago in eine Gesellschaft ohne soziale Unterschiede überführt wird  : Dies geschieht ausschließlich durch die Handlungen der Zauberer Rothomago und Miranda, die sich den bäuerlichen Blaisinet und Bruyère zuwenden und ihnen die Wirklichkeit ihrer Liebe vor Augen führen.26 Die Überlappung von Fiktionalem und Realem, die sich in der typischen Feerie Rothomago als Angleichung von Bühne und Saal durch symbolisch eingesetzte geometrische Figuren wie die magische Uhr äußerte und durch die Architektur des Théâtre Impérial du Châtelet auf den politisch konnotierten urbanen Raum und das napoleonische Gesellschaftsmodell erweitert wurde, wurde durch die Anlage der Bühnenbilder, Choreographien und musikalischen Begleitungen unterstützt. Alle zeichneten sich durch prononcierte Bogenformen und dynamische Kontrastwirkungen aus,27 die die Halbkreisform 24 Sanson, „Le 15 août   : Fête nationale du Second Empire“, 1994, S. 120. 25 Truesdell, Spectacular Politics, 1997, S. 5–6  ; vgl. auch Hazareesingh, The Saint-Napoleon, 2004. 26 Miranda und Rothomago werden zunächst nur als traumhafte Erscheinungen von Blaisinet und Bruyère wahrgenommen. D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 4 und S. 9. 27 Neben dem schon beschriebenen Bühnenbild zur Szene vor dem Ball existieren lediglich zwei Bühnenbilder aus einer Wiederaufnahme von Rothomago in der Saison 1897/1898, die in einem Programmheft abgedruckt sind  : „6e tableau   : Le Palais des Heures, grand ballet“ und „19e ta-



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des Saals widerzuspiegeln scheinen. Bogenformen finden sich am deutlichsten in Bühnenbildern zu Balletteinlagen, wo der geometrische Rahmen und auch die Choreographie ganz auf einen dem Saal zugewandten Halbkreis ausgerichtet sind. Im Bühnenbild zum „großen Ballett“ im Stundenpalast (Palais des Heures) trennt der halbkreisförmige Rahmen, der mit fünf Zifferblättern geschmückt ist, eine Gartenszene mit einen Halbkreis beschreibenden fliegenden Heures von einem davor liegenden Palastsaal ab. Dieser Halbkreis wird vor dem Bühnenrahmen durch eine weitere Choreographie im Halbkreis vervollständigt (Abb. 18).28 Die sich symmetrisch zwischen Palast- und Gartenraum vollziehende Abrundung des Kreises suggeriert dabei die Symmetrie und die daraus folgende Vervollständigung von szenographischen und choreographischen Formationen zu ganzheitlichen Formen über die Grenzen von abgetrennten Räumen hinweg. Bezieht man diese Schlussfolgerung auf die räumliche, streng symmetrische Anlage von Bühne und Saal, so findet sich auch in letzterem ein Halbkreis wieder (Abb. 19). Da der Balkon auf der Höhe der ersten Etage und die Amphitheaterränge im vierten und fünften Stockwerk als Kollektivräume konzipiert sind, reflektieren sie die dem Saal zugewandten Halbkreise der umfassenden Rahmenstrukturen und Massenszenen auf der Bühne. Hält man sich vor Augen, dass die Massenszenen der grands spectacles mit Statisten von der Straße besetzt wurden, ergibt sich eine weitere Überlappung von Realität und Fiktionalität im Bühnenraum, an den der halbkreisförmige Saal mit den Zuschauern unmittelbar angeglichen ist. Für die Logenränge bieten sich dagegen die vor den Darstellermassen gebildeten Halbkreisformationen aus Einzelpersonen als Identifizierungspunkt an. Dass es sich bei solchen halbkreisförmigen Formationen um gängige Choreographien handelte, zeigen die Titelblätter der Libretti und Musikstücke, die zu Rothomago publiziert wurden. Neben den wenigen Bühnenbildern, die zu dieser Feerie und auch allgemein für die Stücke des Zweiten Kaiserreichs erhalten geblieben sind, geben die Titelblätter Anhaltspunkte über Kostüme und Massenaufteilung, da sich die Zeichnungen gleicher Szenen in diesen bleau   : Les Danses Nationales, grand Ballet“, in  : Le Photoprogramme illustré des théâtres. Châtelet. Rothomago, 3. Jahrgang, Saison théâtrale 1897–1898. ARS, WNA 25  : Théâtre du Châtelet. Saisons 1866–1906. 28 Ebd.

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Punkten ähneln.29 Auch hier zeigt sich oft eine bogenförmige Anlage des Bildes, die auf der halbkreisförmigen Positionierung der Darstellermassen hinter den Protagonisten basiert. Die Disposition im Halbkreis ist dabei meistens durch lineare, diagonale Strukturen aufgelockert, die dem Bild eine größere Dynamik verleihen.30 Eine solche Anlage entspricht der Ästhetik, die in den Pariser Bühnenbildateliers des 19. Jahrhunderts gepflegt wurde. Sie zeichnete sich durch die Zentralperspektive aus, die sich in Frankreich bis in die Romantik latent im Bühnenbild hielt und seit dem 18. Jahrhundert lediglich durch die Winkelperspektive der Familie Galli-Bibiena, die den Fluchtpunkt außerhalb des Bildes setzt, verfeinert wurde.31 Die Kombination von publikumswirksamer Zentralperspektive mit weiteren versetzten Perspektiven lehnt sich dabei gleichermaßen an die Tableau-Ästhetik an, die im Pariser Theater des 19. Jahrhunderts ausgehend von Denis Diderot (1713–1784) vollständig als visuell prägnante Darstellung einzelner Momente ausgeprägt worden war und dort eine schnelle Abfolge unterschiedlicher Szenen und Szenographien kompensierte.32 Eine ähnlich konventionelle Ästhetik ist in der Musik erkennbar, die aus Potpourris beliebter Arien und Chansons bestand. Sie wurde vornehmlich von den Librettisten des grand spectacle nach der Tradition des französischen Vaudevilles ausgewählt, bei der bekannte Musikstücke mit neuen Texten versehen wurden. Hierbei stand der neue Text traditionell in ironischer Relation zum Original. Als größtes Hilfsmittel für die Musikauswahl bot sich den Autoren La Clé du Caveau an, eine der umfangreichsten und am meisten neu aufgelegten TimbreSammlungen des 19. Jahrhunderts, aus der in Rothomago 9 von 50 Musikstücken übernommen sind.33 Sie geht auf die Autorenvereinigung des Caveau Moderne zurück, der sich 1805 als Wiederbelebung des Ancien Caveau gründete, um die Tradition des ironischen und regimekritischen Vaudevilles und auch das Théâtre 29 Vgl. die Titelseiten von De Groot, Théâtre Impérial du Châtelet. Rothomago. Polka des Dindons, 1862 und D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D. 30 De Groot, Rothomago. Gigue-Polka, 1862  ; Chéri, Turlurette, 1862. 31 Bablet, Esthétique générale du décor de théâtre de 1870 à 1914, 1965, S. 28ff. 32 Allevy, La Mise en scène en France dans la première moitié du dix-neuvième siècle, 1976, S. 54. 33 Hier die Nummern 337, 405, 739, 1281, 1338, 1463, 1500, 1778 und 1912 in  : Capelle (Hg.), La Clé du Caveau, 1872.



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Abb. 18 : Stundenpalast, grand ballet.

Abb. 19 : Blick von der Bühne auf den Saal während einer Vorstellung von Rothomago.



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du Vaudeville wieder aufleben zu lassen. In den 1860er Jahren war Clairville, einer der Rothomago-Librettisten, Präsident einer der Nachfolge-Caveaus. Die Sammlung der Clé du Caveau wird im Vorwort als Zusammenstellung aus traditionellen und neuen Melodien und Arien beschrieben. Sie zeichnet sich durch mehrere alphabetische, aber auch nach Silbenzahl der Couplets geordnete Aufstellungen aus, die es sowohl dem Amateur ermöglichen, einzelne Melodien zu identifizieren und den Namen des Komponisten herauszufinden, als sie auch explizit für Textdichter, Orchesterleiter und Theaterdirektoren des Vaudeville konzipiert war. Diese fanden seit der ersten Edition 1811 in der Clé du Caveau einen umfangreichen Fundus für die Timbres der Couplets, die im Vaudeville gesungen wurden. Zur Zeit der Eröffnung des Théâtre Impérial du Châtelet hatte die Zahl der Couplets am Boulevard du Temple als Hauptaufführungsort des Vaudeville jedoch stark abgenommen,34 da eine Kommerzialisierung des Chansons eingesetzt hatte  : Die Autoren versuchten nun, die Aufmerksamkeit des Publikums mehr durch Affekthascherei als durch ironische Texte in regelmäßiger Form zu gewinnen.35 Wie in den Libretti zu erkennen ist, konzentrierten sich auch D’Ennery, Clairville und Monnier in Rothomago ganz auf die Melodien und schufen nur wenige ironische Anspielungen auf die Originaltexte der verwandten Chansons. In der Potpourri-Praxis des Théâtre Impérial du Châtelet herrschte ein rein pragmatischer, inhaltlich-poetischer Bezug vor. Reime, Lokalkolorit und Textinhalt bzw. -Gattung (z.B. Liebeslied) entsprachen sich, ohne ironische Untertöne auf den alten Text zu transportieren. Original und Neufassung von Titilariti, Faut l’oublier und Le beau Nicolas haben gleiche Textzeilen oder Endreime wie zum Beispiel „Madeleine“ und „marraine“ in Titilariti.36 Bei der Air des Rosières, Faut l’oublier, Nous nous marierons dimanche, Le Lever und Je pars déjà de toutes parts gibt es sehr starke inhaltliche Entsprechungen.37 In der 34 Yon, „Vaudeville“, 2003, S. 1259. 35 Schneider, „Gattungsreflexion und Gattungspoetik im Chanson“, 1999, S. 48. 36 Blaquière, Titilariti Tontonlariton, o. D.; Romagnesi, Faut l’oublier, o. D.; Darcier, Le Beau Nicolas, o. D. Vgl. mit D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 2, S. 6 und S. 18. 37 La Rosière, in  : Capelle (Hg.), La Clé du Caveau, 1872, Nr. 1338  ; Romagnesi, Faut l’oublier, o. D.; Nous nous marierons dimanche (= Un enfant dodu nous est advenu), in  : Capelle (Hg.), La Clé du Caveau, 1872, Nr. 405  ; Monpou, Le Lever, o. D.; Je pars déjà de toutes parts, in  : Capelle (Hg.), La Clé du Caveau, 1872, Nr. 1500. Vgl. mit D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago,



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Air de la complainte de Gil-Blas besteht ein Bezug zwischen Original und Verarbeitung durch das spanische Lokalkolorit, mit dem der Komponist Théophile Semet die Arie versah und die in engem Zusammenhang zum Inhalt des neuen Rothomago-Textes steht.38 Demgegenüber fällt auf, dass die Autoren hauptsächlich Musikstücke aus bekannten opéra-comiques oder kürzlich aufgeführten Pariser Operetten auswählten.39 Vier der insgesamt 29 von 50 identifizierten Stücke stammen von Jacques Offenbach (1819–1880)40 und drei Stücke von Victor Chéri (1830–1882),41 einem weiteren bekannten Pariser Operettenkomponisten, der 1865 Adolphe de Groot (1819–1896) als Leiter des hauseigenen Orchesters ablöste. Weitere Komponisten, deren Stücke für Rothomago verwandt wurden, sind  : 42

Komponist

Airs285

Alexandre-Pierre-Joseph Doche (1799–1849)

„Air du bal des Mémoires du Diable“, S. 1. „Air des Deux Maîtresses“, S. 11.

Pierre-Julien Nargeot (1799–1891)

„Air de la Lanterne Magique“, S. 6. „Air des Bibelots“, S. 10.

Léo Delibes (1836–1891)

„Air de la polka des Deux gardes-malades“, S. 6.

Henri Romagnesi (1781–1850)

„Air Faut l’oubier“, S. 6. „Air Le beau Lycas aimait Thémère“, S. 9.

Victor Massé (1822–1884)

„Air des Noces de Jeannette“, S. 7.

Friedrich von Flotow (1812–1883)

„Air de Martha“, S. 7.

Jean-Baptiste Édouard Montaubry (1824–1883)

„Air du Joli mois de mai“, S. 7.

Théophile Sem�������������� et (1824–1888)

„Air de la complainte de Gil-Blas“, S. 8.

o. D., S. 3, S. 6, S. 13, S. 18 und S. 25. 38 Semet, „N° 18. Sérénade“, in  : Ders., Gil-Blas, o. D., S. 246–249. Vgl. mit D’Ennery/Clairville/ Monnier, Rothomago, o. D., S. 8. 39 Ralf-Olivier Schwarz zufolge prägte sich der Rückgriff auf beliebte Melodien zeitgenössischer Operetten, insbesondere derjenigen Offenbachs, in den 1850er Jahren aus. Schwarz, Vaudeville und Operette, 2007, S. 139–140. 40 „Air d’Offenbach ‚Ah   ! qu’ell’s étaient bonn’s les pommes‘“. D’Ennery/Clairville/Monnier, Ro­ tho­mago, o. D., S. 15  ; „Air des Deux Aveugles (Offenbach)“. A.a.O., S. 20  ; „Air Un beau jour de la mi-carême (Dames de la Halle. – Offenbach)“. A.a.O., S. 26  ; „Air de Fortunio (Offenbach)“. A.a.O., S. 27. 41 „Air Titilariti (Victor Chéri)“. A.a.O., S. 2  ; „Air Ya, mein Her (Victor Chéri)”. A.a.O., S. 5  ; „Air de la Ronde des Danses nationales (Victor Chéri)“. A.a.O., S. 13. 42 Die Seitenzahlen beziehen sich auf das Libretto von Rothomago. Ebd.

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Komponist

Airs285

Aimé Maillard (1817–1871)

„Air des Dragons de Villars“, S. 9.

Sylvain Mangeant (1827–1889)

„Air Ma Nièce et mon Ours“, S. 12.

Adolphe Lindheim (18  ?  ?–1895)

„Air du Moujik“, S. 13.

Hervé (1825–1892)

„Air de Fifi et Nini“, S. 13.

Darcier (1819–1883)

„Air du Beau Nicolas“, S. 18.

Hippolyte Monpou (1804–1841)

„Air du Lever“, S. 18.

André-Marie Oray (~����������� 1815–1896)

„Air d’un Dimanche à Robinson“, S. 26.

Indem die Autoren auf einen hohen Popularitätswert der Musikstücke achteten, kam es also auch auf musikalischer Seite zu Anspielungen auf das Pariser Theaterrepertoire, die jedoch rein auf die Beliebtheit der einzelnen Arien und Instrumentalstücke gerichtet waren. Bei den Offenbach-Arien, von denen zwei am Schluss der Feerie eingesetzt werden, kulminieren diese Anspielungen zudem in einer Reminiszenz an das Offenbach’sche Theater der Bouffes-Parisiens. Die drei vollständig identifizierbaren Stücke Offenbachs zeichnen sich nicht nur durch ihre Beliebtheit aus, sondern spiegeln auch die Institutionengeschichte seines Theaters wider, indem sie mit dem Boléro aus Les Deux Aveugles (1855), „Un beau jour de la mi-carême“ aus Mesdames de la Halle (1858) und der Chanson de Fortunio (1861) die bis dato erfolgreichsten Operetten der Bouffes-Parisiens vom Eröffnungsstück bis zum letzten Durchbruch markieren. Insofern nahmen die Librettisten des Théâtre Impérial du Châtelet keinesfalls Bezug auf die ironischen Qualitäten der Offenbach’schen Texte, sondern lediglich auf die Erfolgsgeschichte seiner Musik, die für das Châtelet gleichsam als Modell vorangestellt wurde. Auf dieser Ebene konnten sie sich des Zuspruchs von Napoleon III. sicher sein, der Ende der 1850er Jahre viele Aufführungen von Offenbachs Operetten in den Tuilerien organisiert hatte.43 Von den neuen politischen Chansons und ihren Texten, welche die Tageszeitungen regelmäßig publizierten, machten die Autoren des grand spectacle dagegen keinesfalls Gebrauch.44

43 Dazu gehörten auch Les Deux Aveugles. Anceau, Napoléon III, 2008, S. 319. 44 Keines der bei Claude Duneton in der Chronologie der beliebtesten Chansons genannten Lieder wurde von den Autoren der grands spectacles aufgenommen. Duneton, Histoire de la chanson française de 1780 à 1860, Bd. II, 1998, S. 20–21 und S. 96–97.



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Die Konzentration auf besonders beliebte Chansons und Arien aus dem Pariser Theaterrepertoire lässt vermuten, dass der Musik eine gehobene Wichtigkeit für eine aufgelockerte Atmosphäre des grand spectacle zukam. Es fällt auf, dass die Librettisten die ausgewählten Chansons und Arien der Pariser Operetten oft auf ihren Refrain reduzierten. Dies geschah zum Beispiel in den OffenbachArien des „Boléro“ der Deux Aveugles und der Chanson de Fortunio, von denen jeweils nur der Anfangsteil übernommen und wiederholt wurde.45 Die beiden genannten Anfangsteile zeichnen sich im Vergleich zum ausgelassenen und harmonisch viel bewegteren B-Teil durch eine klare kadenzierende Harmonik aus. Lediglich in der Chanson de Fortunio wird die Dur-Kadenz in der Grundtonart mit einer Kadenz in der Paralleltonart alterniert. Diese harmonische Einfachheit, die auch bei Stücken anderer Komponisten oft durch das Auslassen komplizierterer Teile des Originals erzielt wird, lässt sich im Rothomago-Potpourri bei insgesamt 13 von 29 identifizierten Stücken aus dem Pariser Operettenrepertoire erkennen, in denen die Melodie auf die Grundkadenz beschränkt bleibt oder lediglich im Mittelteil in die Tonart der Dominante oder die der Tonikaparallele moduliert. Zwei weitere Stücke wechseln im Mittelteil in eine andere Tonart, und nur vier weisen mehrere Modulationen auf.46 Bei allen Stücken ist ein bogenförmiger Ablauf in ABA-Form vorherrschend, so wie auch schon Spannungsbögen im Aktaufbau und Halbkreise im Bühnenbild zu erkennen waren. Es scheint, als ob die Librettisten und Komponisten des grand spectacle die Formen der einzelnen Bühnenkünste mittels einfacher Strukturen aufeinander abstimmten. In den Stücken, die vom Chefdirigenten des Orchesters des Théâtre Impérial du Châtelet komponiert wurden, wird die harmonische und melodiöse Einfachheit mit starken Kontrastwirkungen und dynamischen Aufladungen konfrontiert. Deshalb gehören diese Stücke auch vornehmlich zu den Kompositionen, die mehrere Modulationen nachvollziehen und die bei den anderen Stücken des Potpourris vorherrschende geschlossene ABA-Grundstruktur auf Kadenzbasis

45 Der Text, der im Libretto zu diesen beiden Offenbach-Stücken angegeben ist, passt nur auf den jeweiligen Hauptteil. Vgl. mit Offenbach, Die beiden Blinden (Les Deux Aveugles), 1897, S. 25  ; Ders., La Chanson de Fortunio, 1861, S. 74–75. 46 Siehe Anhang IV.5.

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verfeinern.47 Von Adolphe de Groot konnten 5 von den 8 ihm im Libretto zugeschriebenen Stücken identifiziert werden, die allesamt populären Gattungen angehören  : Eine Romanze, ein Rondo, eine Melodie, eine Arie und eine Polka wurden fast alle im Aufführungsjahr von Rothomago als Transkription für Gesang und Klavier oder für Klavier solo publiziert. Zudem ließen sich zwei weitere Tänze (Gigue-Polka und Valse brillante) als von Adolphe de Groot für Rothomago komponierte Stücke ausmachen.48 Wie sich an den beiden Stücken Air des Dentelles und Les Heures zeigen lässt,49 ist der melodische Verlauf generell sehr einfach gehalten. Beide Melodien verfolgen eine regelmäßige Struktur aus Sekunden und Terzen, die durch weniger häufig vorkommende, größere Intervalle belebt wird. Dies geschieht auf sehr regelmäßige Art. In der Air des Dentelles betonen die Intervalle vorwiegend die erste und zweite Zählzeit des 3/4-Takts, was durch die Rhythmik der akkordischen Begleitung (CDDCCCC) unterstützt wird. In Les Heures bezieht sich die intervallische Betonung auf die erste und dritte Zählzeit, wobei \ , die erste Zählzeit zusätzlich von der Rhythmik CCC C4 C4 unterstrichen wird. Die Melodie ist folglich sehr liedhaft  ; die Intervallstruktur der Melodie wird der Rhythmik angeglichen. In beiden Stücken wird auf chromatische Durchgangsnoten zurückgegriffen, die als Leittöne eingesetzt werden und die Melodie somit mit einer vorwärts drängenden Dynamik unterlegen. Dieses Procedere steht in engem Zusammen47 Zwei der insgesamt neun Stücke der hauseigenen Dirigenten wechseln im Mittelteil in eine andere Tonart als die der Dominante oder Doppeldominante bzw. Tonikaparallele, und sieben Stücke gehören der Kategorie „mehrere Modulationen“ an. Vgl. Anhang IV.5 und den onlineAnhang www.boehlau.at/Die_Gesellschaft_der_Oper_Musikkultur_europaeischer_Metropolen _im_19_und_20_Jahrhundert.htm. 48 De Groot, Théâtre du Cirque Impérial. Bruyère Romance, 1862  ; D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 10. De Groot, Théâtre du Cirque Impérial. Rothomago. Rondo, 1862  ; D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 27. De Groot, Les Heures, 1878  ; D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 11. De Groot, Théâtre du Cirque Impérial. Rothomago. Air des Dentelles, 1862  ; D’Ennery/Clairville/ Monnier, Rothomago, o. D., S. 20. De Groot, Théâtre Impérial du Cirque. Rothomago. Polka des Dindons, 1862  ; D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D., S. 27. De Groot, Rothomago. Gigue-Polka, 1862  ; Ders., Rothomago. Valse brillante, Paris, 1864. 49 Ders., Théâtre du Cirque Impérial. Rothomago. Air des Dentelles, 1862  ; Ders., Les Heures, 1878.



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hang mit der harmonischen Anlage, deren Akkorde sehr häufig Septakkorde sind. Die häufige Verwendung sowohl von Durchgangsnoten als auch von Septakkorden stellt dabei ein Grundmerkmal der Operettenharmonik dar, das zum Handwerkszeug eines jeden Operettenkomponisten gehörte, was von der Nähe der Operette zum Vaudeville herrühren mag. Vor diesem Hintergrund scheint es, dass die Musik des grand spectacle Grundformen gehorchte, die das Unterhaltungsgenre Operette im Allgemeinen und seit langer Zeit auszeichneten.50 Die Harmonik in Les Heures und Air des Dentelles setzt sich dennoch von der einfachen Grundstruktur der Pariser Operettenstücke des Rothomago-Potpourris ab, da De Groot größere Kontrastwirkungen zwischen den einzelnen bogenförmig angeordneten Teilen schuf. Les Heures, die Melodie zur Szene im Stundenpalast, wo Rothomago die einzelnen Heures präsentiert, besteht aus einem Refrain und einer Strophe, die zu einer ABABA-Form angeordnet sind. Während das melodische Material von Refrain und Strophe homogen erscheint und A und B sich am meisten in ihrer unterschiedlichen Tonart unterscheiden, weisen die Harmonieverläufe verschiedene Charaktere auf. Der Refrain in F-Dur (T 6–29 und Wiederholung) hält sich stark an das Kadenzschema aus Dominante und Doppeldominante bei einer starken Präsenz der Tonika. Der Strophenteil moduliert hingegen in die Tonart der Dominante (C-Dur, T 29–45). In seinem Verlauf nutzt der Strophenteil nicht nur Subdominantparallelklänge (d-Moll, T 35), sondern auch den Septakkord der 7. Stufe von C-Dur (T 42) zur farblichen Gestaltung aus. Von diesem Unterschied abgesehen lassen sich beide Teile jedoch durchaus ob des jeweils zweimaligen Rekurses auf die Doppeldominante (G-Dur (T 12 und T 16) bzw. D-Dur (T 36 und T 44)) vergleichen. Durch diese Ähnlichkeit (Doppeldominante) bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit (Parallelklänge und Septakkord der 7. Stufe) unterstreicht der harmonische Ablauf des ganzen Stücks sowohl eine zyklisch voranschreitende Harmonisierung (ABA ergibt eine Kadenz) als er auch die Komplementärstruktur zweier farblich kontrastierender Teile verdeutlicht. Die Komplementärstruktur sichert der Arie dabei ihre Dynamik, die aus der unterschiedlichen Farbgebung der voneinander abhängenden Teile erwächst und weist gleichzeitig auf die Komplementär50 „Im Musikalischen ist eine klare Tendenz zu leicht fasslichen, harmonisch einfachen Couplet-, Lied- oder Tanzformen von rhythmischer Prägnanz zu konstatieren […]“ Haslmayr, „Operette“, 1997, Sp. 713, vgl. auch Sp. 709–710.

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struktur der Heures voraus. Insofern erklärt sich die stärkere Komplexität der Musikstücke des Potpourris, die vom Dirigenten des hauseigenen Orchesters geschrieben wurden, durch eine stärkere Dynamisierung der Musik einerseits und andererseits durch die Orientierung am Inhalt der neu verfassten Texte der Feerie Rothomago. Die rondoartige Grundstruktur schien sich dabei zudem an die vorherrschenden visuellen Formen anzulehnen, da sie das große Ziffernblatt im Bühnenbild des Stundenpalastes und das halbkreisförmige Ballett der Stunden musikalisch untermalt. Auch der Air des Dentelles, die Miranda bei ihrer Hochzeit mit Blaisinet singt – das heißt in der Szene des definitiven Umschwungs der komplementären Figurenkonstellation in eine Kreisstruktur –, eignet sowohl eine Komplementärals auch eine Kreisstruktur. Die dreimalige, zyklische Wiederkehr einer Kadenz in der Grundtonart G-Dur (T 6–9, T 27–30 und T 46–50, wobei die Subdominante in der Paralleltonart zu C-Dur, in a-Moll, auftritt) suggeriert sowohl die zyklische Anordnung der Arie als auch ihre Zweiteilung. In der Tat moduliert der erste, bis zur zweiten G-Dur-Kadenz reichende Teil über h-Moll und e-Moll zur Dominanttonart D-Dur (T 6–27), während der zweite Teil größtenteils in der Grundtonart G-Dur bleibt (T 27–54). Auch hier ergeben beide Teile zusammen eine Kadenz und sind also komplementär. Die innere Struktur der Teile rekurriert dabei auf jeweils gleiche Versatzstücke, die sich in Kadenzen und Kontraste einteilen lassen. De Groot unterlegt in jedem Teil ein Versatzstück mit einer vom harmonischen Ablauf her identischen Kadenz, die sich durch die Alteration der Subdominante nach Moll als Durchgangsakkord vor der Tonika charakterisiert (T 18–21 und T 41–44). Weitere Versatzstücke gehorchen zwar gleichen Grundformen wie Kadenzen und Kontrasten, sind jedoch auf verschiedene Wirkungen angelegt. In einem Versatzstück wird in beiden Teilen der Septakkord der 7. Stufe der Dominante D-Dur angewandt. Im ersten Teil geschieht dies in abgeschwächter Form als g-Moll-Akkord, welcher der Melodie in D-Dur (auf e und cis) unterlegt wird. Durch dieses bitonale Verhältnis bleibt eine kadenzierende Wirkung erhalten. Im zweiten Teil wird der Septakkord der 7. Stufe von D-Dur dann als Kontrastwirkung zu G-Dur ohne direkte Auflösung nach D-Dur eingesetzt. Da der besprochene Akkord zwar eine Modulation in die Tonart der Dominante andeutet, sie jedoch beide Male nicht vollzieht, ergibt sich eine Kontrastwirkung



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zur jeweiligen Tonika. Insofern erzielt De Groot eine farbliche Wirkung, ohne das feste tonale Gerüst seiner Arie verlassen zu müssen.

E B G 

5 5 E5 5 

p

E  5 G  555 55 5 55 = 5 E5 5 ris

E 

qui se

pp Col canto

5

5 = 5 5 5

fait

8))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))) 5 5 5 5 E5 B : B 5 5    Rall. à Pa - ris dit

on

Voi

5 5 E5 5 5 !5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 Rall. 55 5 5 5 55 55 5 5 5 5 5 5 5 5 B: 5 B 5 5 5 5 5  4

Notenbsp. 1 : Air des Dentelles, 1. Teil (T 23–26).

Notenbsp. 2 : Air des Dentelles, 2. Teil (T 31–35).

Wie auch schon der zweimalige Einsatz des verminderten Septakkords der 7. Stufe von D-Dur Unterschiede in der Kontrastwirkung zeigte, vervollständigt De Groot die beiden Teile durch ein weiteres kontrastbildendes Element mit gleicher Grundform : Während der erste Teil mit zwei Moll-Kadenzen beginnt (T 10–13, T 15–17), bildet eine Dur-Kadenz in der Grundtonart das Herzstück des zweiten Teils (T 36–38). Unter Berücksichtigung aller Versatzstücke und ihrer Wirkungen vollzieht die Arie in ihrer Gesamtanlage einen graduellen Anstieg zu einer Kontrastwirkung, die dann sogleich durch eine Dur-Kadenz beruhigt wird. Dies zeigt sich in ihrer Abfolge Moll-Kadenz – Moll-Kadenz/ Kontrast – Kontrast – Dur-Kadenz. Dennoch ist De Groot bemüht, diese lineare Abfolge durch wiederkehrende harmonische Grundformen anzugleichen und sie gleichzeitig zyklisch anzuordnen. Die Dynamik des Stücks beruht dabei auf der Situierung wiederkehrender Versatzstücke in unterschiedlichen tona-

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len Umgebungen, die sich aus der harmonischen Komplementarität der beiden Teile ergeben.51 Auch dieses Ergebnis lässt sich aus der Szene erklären, für die die Air geschrieben wurde und in der die parallele Figurenkonstellation in eine zyklische Interaktion zwischen den beiden Paaren übergeht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Feerie Rothomago musikalisch, szenographisch und dramaturgisch als typisches Popularstück des Pariser Theaterrepertoires zu beurteilen ist. Im Théâtre du Châtelet fanden die gängigen Merkmale der Feerie wie die aufeinander abgestimmten bogenförmigen Anlagen von Musikstücken, Aktaufbau und Bühnenbild, sowie die Vereinheitlichung von Bühne und Saal zu einem gemeinsamen fiktionalen Raum mittels einer Überlappung von Fiktionalität und Realität eine geeignete Aufführungsstätte. Diese untermalte nicht nur die dramaturgisch und symbolisch eingesetzte symmetrische Grundkonstellation von Bühne und Saal, die in Rothomago oft als analoge Räume erscheinen, auch architektonisch, sondern verstärkte zudem die Innen-Außen-Relation der Stücke. Da letztere im Théâtre Impérial du Châtelet durch die Pariser Haussmannisierung eingelöst wurde, war die Untermalung von Grundmerkmalen der Feerie durch das neue Theater durchaus politisch konnotiert. Wie auch schon die Rezipienten des Baus nahmen auch die Autoren die Kontrolle sehr wohl wahr, interpretierten sie jedoch als positive materielle Grundlage für den laufenden Theaterbetrieb. Im Gegensatz hierzu hatten sich die Musik und ihre Texte größtenteils von der regimekritischen Ironie des Vaudeville entfernt und untermalten das kreisförmige Rezeptionsmodell des grand spectacle mit auflockernden Melodien und einfachen Harmonien, die bei den Stücken der hauseigenen Dirigenten in engem Verhältnis zum Inhalt des Stücks standen. Vor dem Hintergrund, dass der Herausgeber der Clé du Caveau, Pierre-Adolphe Capelle (ca. 1775–1851), um 1848 den „Fortschritt der musikalischen Kunst und den Einbezug komplizierter Gesangsstücke in zweitrangigen Theatern, die dort unsere einfachen Romanzen oder unsere freudigen Refrains ersetzen“,52 bemerkt, ist die Kluft zwischen den aus der Clé du Caveau entnommenen und den von De Groot komponierten Stücken als kontinuierliche Fortentwicklung der musikalischen Ästhetik des Vaudevilles zu beschreiben. 51 De Groot, Théâtre du Cirque Impérial. Rothomago. Air des Dentelles, 1862. 52 Capelle (Hg.), La Clé du Caveau, 1872, S. XI-XII.



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2.1.2 Theater und Politik im grand spectacle des Zweiten Kaiserreichs

Wie aber wirkte sich dieser architektonisch hergestellte Bezug zwischen Dramaturgie, Urbanität und somit auch Politik auf die Dauer auf das Repertoire des grand spectacle im Théâtre Impérial du Châtelet aus  ? – Für das Repertoire des Théâtre Impérial du Châtelet während des Zweiten Kaiserreichs ist zu erkennen, dass sich Hippolyte Hostein zum einen immer mehr auf die Aufführungen von Dramen konzentrierte, bei denen die musikalische Begleitung weniger ausgeprägt war.53 Zum anderen wandten die Autoren Clairville und Albert Monnier, die den Großteil der Feerien und Revuen – den mit Abstand musikreichsten Gattungen des grand spectacle54 – verfassten, ihre Stücke immer mehr vom „wohlgestalteten Stück“ („pièce bien faite“) oder vom „strukturierten Stück“ („pièce structurée“) mit einer durchdeklinierten dramaturgischen Struktur ab. Sie orientierten sich nun stark am so genannten „Schubladenvaudeville“ („vaudeville à tiroirs“), das ganz auf die Tableau-Ästhetik mit schnell aufeinander folgenden Szenen und Bühnenbildern abgestimmt war.55 Erkennen lässt sich dieser Umschwung zugunsten eines sensationellen Bühnenbilds an den beiden Feerien Aladin ou La lampe merveilleuse (1863) und Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse (1866), die von den Autoren Rothomagos stammen.56 Obwohl das 53 Nur zu sechs der neunzehn gespielten Dramen lassen sich Rondos, Walzer, Couplets und Polkas finden. Dabei handelt es sich um die Dramen Lambert-Thiboust/Derosne, Le Secret de Miss Aurore, o. D.; Desnoyers/[D’Ennery], Le Naufrage de la Méduse, o. D.; Clairville/Siraudin, Le Déluge universel, o. D., Clairville/Monnier/Blum, Les Voyages de Gulliver, o. D.; Brisebarre/ Blum, Le Vengeur, 1868 und Barrière, Théodoros, o. D. 54 In der Zeit von 1862 bis 1870 wurden in den grands spectacles, die das Libretto explizit als im Théâtre Impérial du Châtelet aufgeführt ausweist, Potpourris mit insgesamt 406 Einzelstücken zusammengestellt. Davon nehmen die Stücke aus den Revue-Potpourris die Hälfte ein (51 %), während die andere Hälfte sich in Feerie (34,2 %), „pièce“ (10,4 %), Drama (3,7 %) und Militärstück (0,7 %) aufteilt. Revue und Feerie stellen somit die mit Abstand musikreichsten Gattungen des grand spectacle dar. Vgl. Anhang IV.2. 55 Carlson, The French stage in the Nineteenth Century, 1972, S. 166  ; Gidel, Le vaudeville, 1986, S. 50 und S. 74–76  ; Iki, „‚J’en suis persuadé  : je n’ai été qu’un auteur de Vaudevilles‘. Scribes ‚livret bien fait‘ exemplifiziert an ausgewählten Opéras comiques aus der Mitte des 19. Jahrhunderts“, 2004, S. 85–86  ; Martin, La féerie romantique sur les scènes parisiennes, 2007, S. 176, S. 288 und S. 396–397. 56 D’Ennery/Crémieux, Aladin ou La lampe merveilleuse, o. D. [1863]  ; Clairville/Monnier/Blum, Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse, o. D. [1866].

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Thema der Auflösung gesellschaftlicher Unterschiede in beiden Feerien beibehalten wird, ist keine regelmäßige Aktstruktur mehr zu erkennen. Stattdessen zeichnen sich die beiden Feerien durch einen stetigen Spannungsanstieg bis zu einem großen Finale in der letzten Szene aus. Bogenförmige Strukturen ergeben sich hier weniger durch inhaltliche Entsprechungen oder synchrone Handlungen der Figuren, sondern vielmehr durch Wortwiederholungen in den Dialogen oder durch Wiederholungen von Chören und Arien, die einzelne Szenenkomplexe umrahmen. In der Feerie Aladin ou La lampe merveilleuse geschieht dies durch atmosphärische Zusätze wie das Vorkommen des Rosenduftes in der Badszene (I. Akt, 3. Bild, 1. Szene) und im Königreich Néréas (III. Akt, 17. Bild, 2. Szene). In Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse, die mit gleichen Szenenkonstellationen im 3. und 30. Bild noch eine regelmäßigere Struktur aufweist, wird die im I. Akt gesungene Arie aus Cendrillon von Nicolo Isouard (1775–1818) am Schluss der Feerie wiederholt. Zudem gibt es je zu Anfang und Ende des Stücks ein großes Fest im Königspalast (Ball zu Anfang des II. Aktes und Défilé der Prinzessinnen aus aller Welt am Ende des IV. Aktes). Das gleiche gilt für die Hochzeiten in dieser Feerie, die an ihrem Beginn und Ende platziert sind. Alle diese Konstellationen sind an besonders effektvolle Bühnenbilder und musikalische Begleitung gebunden, die als strukturierende dramaturgische Elemente immer weiter in den Vordergrund rücken. Anspielungen auf das Pariser Theaterrepertoire kommen im Vergleich zu Rotho­mago nur noch in sehr reduzierter Form vor. Anstatt auf bestimmte Theaterstücke Bezug zu nehmen, finden sich lediglich Reminiszenzen an bestimmte Theatergenres und ihre Atmosphäre sowie an das öffentliche Pariser Leben.57 In Cendrillon geschieht dies mittels einer Gegenüberstellung von Opéra und Café-Concert, die stark an die inhaltliche Situation gebunden ist  : Die Fee verzaubert eine von der Protagonistin Uranie gesungene Opernarie derart, dass sie zu einem anzüglichen Stück nach Art des Café-Concerts wird, um sie vor dem König Hurluberlu zu blamieren.58 Bleibt die verstärkende ironische Wirkung ohne einen komischen Fiktionsbruch auch Hauptmerkmal dieser Allusion, lässt 57 Z. B. „Ich Baba … Baba … nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Kuchen.“ D’Ennery/ Crémieux, Aladin ou La lampe merveilleuse, o. D., S. 23. 58 Clairville/Monnier/Blum, Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse, o. D., S. 11–12.



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sich doch eine Abkehr von den Repertoirekenntnissen erkennen, die für den ehemaligen Theatergänger des Boulevard du Temple charakteristisch gewesen sein mögen. Gleichzeitig treten in Aladin jedoch auch erstmals kritische Töne in Bezug auf die politische Kontrolle hervor, die als ironische Stellungnahmen zur Auflösung der Unterschiede gesellschaftlicher Schichten erscheinen  : „… heute gibt es keine Etikette. Es gibt weder Prinzen noch Untertanen. Alle werden an der Jagd teilnehmen. Mein mit Knüppeln bewaffneter Hofstaat und mein Volk werden das Wildschwein erlegen, und ich und meine Töchter werden jagen“,59

lassen D’Ennery und Clairville den Schah ausrufen, womit sie eine Distanzierung vom Modell des beteiligten, jedoch immer nur zu Diensten des Herrschers stehenden Volkes zeigen. Ein Grund für diese aufkommende Kritik gegenüber dem politisch-symbolischen Vorteil, den Napoleon III. aus dem Betrieb des neuen Théâtre Impérial du Châtelet zog, liegt sicherlich in den ständigen, nicht bewilligten Bitten um Subventionen für das gerade eröffnete Volkstheater.60 Direkte Bezüge zur Tagespolitik und zum Pariser Theaterrepertoire waren dagegen das traditionelle Hauptaugenmerk der Jahresrevuen, die im Théâtre Impérial du Châtelet gegen Ende des Jahres aufgeführt wurden. Die drei erhaltenen Revuen La Lanterne magique (1865), Le Diable boiteux (1866) und Paris-Revue (1869) weisen dieselbe Anhäufung von szenischen Mitteln auf, die nun die regelmäßige Aktstruktur der Feerien überdeckten. Der Musik kommt eine sehr prominente Rolle zu, da durch sie viele Anspielungen auf das Pariser Theaterrepertoire hergestellt werden, vor allem auf die Offenbach’schen Operetten. Während in La Lanterne magique aus dem Jahr 1865, Offenbachs Belle Hélène (UA Dezember 1864) die Africaine von Giacomo Meyerbeer (UA April 1865) von der Bühne verjagt,61 bekommt es Don Juan in Le Diable boiteux (1866) mit Blaubart (Barbe-bleue von Offenbach, UA Februar 1866) zu tun. In Paris-Revue aus dem 59 D’Ennery/Crémieux, Aladin ou La lampe merveilleuse, o. D., S. 12. 60 Théâtre Impérial du Châtelet. Note relative à la demande d’une subvention/Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État, 20. Januar 1863. AN, F21 1143. 61 Meyerbeer-Parodien kamen auch oft in Offenbach-Operetten vor, z.B. in Ba-ta-clan (1855). Carlson, The French Stage in the Nineteenth Century, 1972, S. 132–133.

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Jahr 1869 schließlich kommen Offenbachs Operetten La Grande-Duchesse de Gérolstein (UA April 1867) und Orphée aux enfers (UA Oktober 1858) vor. Hier wird zudem oft auf das Repertoire des Théâtre Impérial du Châtelet angespielt (z.B. La Poudre de Perlinpinpin, die im selben Jahr im Châtelet von Nestor Roqueplan (1805–1870) mit einem sensationellen Bühnenbild aufgeführt worden war). In einem Chanson wird das Théâtre Impérial du Châtelet mit der Opéra gleichgesetzt, was vor allem auf die Größe der beiden Theater bezogen scheint  : Kurz darauf mokiert man sich über das Ballett der Grand Opéra, das eigentlich gar kein so großartiges Gebäude wie die noch im Bau begriffene Opéra Garnier gebraucht hätte – frei nach dem auch das Châtelet bestimmenden Grundsatz, für großartige Spektakel umso größere Theater zu bauen. Auf der Basis dieses Grundsatzes wird die Unterhaltungsform des Théâtre Impérial du Châtelet von derjenigen des klassischen Balletts abgegrenzt und als ebenso hochwertig neben diejenige der Opéra gestellt62 – eine Ansicht, die auch schon Hostein in seinen Bitten um eine Subvention herausgestellt hatte.63 Modell für die typische Unterhaltungsatmosphäre des Châtelet sind die Offenbach’schen Operetten. Neben der auflockernden Musik Offenbachs, deren Refrains Eingang in die Potpourris des grand spectacle fanden, zeichnen sich die Revuen auch durch einen hohen Grad an direkter und geometrischer Integration des Publikums aus. In den Revuen des Zweiten Kaiserreichs sind mannigfaltige Szenen im Saal enthalten, die die Trennung zwischen fiktionalem und realem Raum verschwinden lassen  : In Le Diable boiteux richtet sich die Figur Vauluisant mehrmals direkt an das Publikum, um ihm Einzelheiten der Bühnenmaschinerie zu erklären.64 Dabei muss er immer wieder verschwinden, um detailliertere Informationen von der Theaterleitung zu erhalten. In der 3. Szene des „Palais de la Réclame“ fallen Photoprogramme des Châtelet von der Saaldecke, worauf sich ein Herr 62 „Die Oper wurde schon genannt. Aber als man so tanzend diesen Tanz sah, den man dort tanzen wird, hat sich wohl jeder zu diesem schönen Monument gedacht  : Dieser Tanz mag es in Frankreich zu was auch immer bringen, aber es gibt wahrhaftig keine Notwendigkeit, das zu unterstützen.“ („On avait cité l’Opéra, Mais sur ce beau monument-là, Quand on vit, dansant comme ça, La danse qu’on y dansera, Chacun s’est dit  : que cette danse, Gagnait ce qu’elle veut en France, Et que vraiment on a, Pas besoin d’encourager ça.“) Clairville/Siraudin/Busnach, Paris-Revue, o. D. [1869], S. 7, vgl. auch S. 6. 63 Vgl. Kap. 1.2.3, Fußnote 165. 64 Clairville/Blum/Flan, Le Diable boiteux, o. D. [1866], S. 6.



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auf dem Balkon erhebt und eine Hauptfigur um ein weiteres Programm bittet, da er keins bekommen habe.65 Auch in der Szene zwischen Blaubart und Don Juan ist das Publikum integriert, da die beiden wetten, wer mit seinem Gesang das Gas für die Beleuchtung an- und ausschalten könne, worauf das Publikum kurzzeitig im Dunkeln sitzt. In einer weiteren Szene wird das Publikum zum Zeitungsleser, indem auf der Bühne ein Vorhang in Form einer riesigen Zeitung zugezogen wird.66 In Paris-Revue wird das 5. Bild gleich mit „im Saal“ angegeben.67 Es handelt sich dabei um eine von Madame Satan auf dem Balkon vorne rechts gespielte Szene. Hier lässt sie sich von einem Herrn provozieren, eine flammende Rede über die Emanzipation der Frau zu halten. Madame Satan benutzt den Balkon ihren eigenen Worten nach als „Tribüne“.68 Durch Madame Satans Eroberung des Saals als Spielfläche bindet sie das Publikum in die Grundidee des Stücks ein, Paris sei besser als die wirkliche Hölle, in der sich die Frau des Teufels so sehr langweilt und sich daher schnellstens in die französische Hauptstadt aufmacht. Auf dem Höhepunkt ihres Ausflugs – der Szene „im Saal“ – wird das Pariser Publikum zu realen und zugleich fiktionalen Figuren, auf die Madame Satan während ihrer Paris-Reise trifft. Die auf der Gleichsetzung von fiktionalem Bühnenraum und realem Zuschauerraum beruhende Einbindung des Publikums in das Stück, die im Théâtre Impérial du Châtelet durch die symmetrische Größe der beiden Räume und ihre dramaturgische Belegung mit Kreisformen untermalt wurde, wird in den Revuen auch als solche thematisiert. In La Lanterne magique bezeichnet Madame Benoîton die Komödie La Famille Benoîton von Victorien Sardou (1831–1908), die 1865 im Théâtre du Vaudeville uraufgeführt wurde, ironisch als „Studie des Bürgertums“. Die Figur der Routine will den Inhalt dieses Stücks jedoch nicht als wahrheitsgemäß ansehen, worauf ihr Madame Benoîton entgegnet, dass sich das Publikum sehr wohl in diesem Stück wiedererkenne und 65 A.a.O., S. 10. 66 A.a.O., S. 11. 67 Clairville/Siraudin/Busnach, Paris-Revue, o. D., S. 9. 68 „Meiner Meinung nach ist der Nachweis der moralischen und intellektuellen Überlegenheit der Frau über den korrupten und bornierten Verstand des Mannes eine echte Notwendigkeit unserer Zeit…  : Eben diese Notwendigkeit hat mich auf diese Tribüne gebracht, wo ich Ihnen, wenn Sie erlauben, einen kleinen Vortrag über die Unfähigkeit des Mannes in jeglicher Beziehung halten werde.“ Ebd.

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es geradezu begrüße, sich im Théâtre du Vaudeville von den Darstellern zum „Rundtanz“ („danse en ronde“) animieren zu lassen. Die Routine, die an der Grundlage „die Komödie muss ein Spiegel sein“ – frei nach dem bekannten Zitat des royalistischen Staatstheoretikers Louis de Bonald (1754–1840) aus dem Jahr 1805, das den Ursprung der Etablierung der Spiegelmetapher in Komödie und Oper darstellt69 – mit einer moralischen Intention festhält, wird schließlich von Madame Benoîton mit der Offenbach-Anspielung „Nach Chaillot, ihr Störenfriede  !“ („Nach Leukas, du Störenfried  !“/ „A Leucade, le gêneur  !“ aus „Chœur et Chanson d’Oreste“ Nr. 18a, La Belle Hélène) in das von Fabriken und Industrie durchzogene neue Stadtviertel im Pariser Westen verjagt.70 Die in dieser Revue siegreiche Unterhaltungsästhetik konzentriert sich also nicht auf die Widerspiegelung der Gesellschaft vor dem Publikum (binäre Struktur nach Art der Gebetsszene in Rothomago), sondern auf die Einbindung des Publikums in die Dynamik und die Atmosphäre des Stücks nach Art eines „Rundtanzes“ (Kreisstruktur nach Art der Truthahnszene in Rothomago). Die geometrische Relation zwischen Bühne und Saal mittels einer Kreisform wurde also zuallererst mit der Musik verbunden, wobei die Offenbach’sche Musik ein für das Théâtre Impérial du Châtelet gültiges Modell ist. Bei der immer wieder herausgestellten Wirkmächtigkeit der Musik für das kreisförmige Rezeptionsmodell und die Publikumsatmosphäre des grand spectacle erstaunt es wenig, dass die Librettisten auch die politischen Anspielungen unmittelbar mit Musik verbanden. Die Revue La Lanterne magique spielt auf die „Alliance franco-anglaise“ von 1854, auf das 50-jährige Jubiläum des 2. Pariser Friedens zwischen Russland, Preußen und Österreich von 1815 und auf die Annäherung Napoleons III. an den Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) in Biarritz vom Oktober 1865 an, dem Jahr der Uraufführung des Stücks. An seinem Beginn und an seinem Ende treten preußische Soldaten auf, die im Cirque des Champs-Elysées an einem Konzert der „harmonie universelle“ (d.h. „dem Welt-Blasorchester“ und übertragend der „universellen Harmonie“) teilgenommen haben und die erst in der Apotheose am Schluss der Stücks nochmals erscheinen, wo eine „Alliance Universelle“ in Szene gesetzt wird. Den Höhepunkt 69 Gerhard, Die Verstädterung der Oper, 1992, S. 12. 70 Clairville/Monnier/Blum, La Lanterne magique, o. D. [1865], S. 22.



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in der Mitte der Revue bildet die phantastische Musikszene „Le Royaume des Insectes“ im 7. Bild.71 Indem Anspielungen auf die politische Aktualität und Märchenszenen durch eine verstärkte musikalische Begleitung auf eine Stufe gestellt werden, bringen die Musikszenen zugleich eine bogenförmige Anlage der Revue hervor. Ähnliches gilt für die Revue Le Diable boiteux aus dem Jahr 1866, die wiederum durch eine politisch aufgeladene Szene am Beginn und am Ende und durch eine Märchenszene in der Mitte strukturiert ist. Die Handlung wird durch Kriegs- und Rivalitätsdarstellungen überlagert, die sich am Ende in von Musik begleiteten Frieden und Menschlichkeit („humanité“) auflösen  : Das Ende der Revue bildet ein Nationenballett.72 Die Inhalte der Phantasiebilder und der tagespolitisch aufgeladenen Musikszenen weisen darauf hin, dass es sich hier um bühnenbildnerisch besonders aufwändige Bilder handelt. In der Tat wurde die sensationelle Bühnenästhetik von der Aufnahme des Theaterbetriebs im Châtelet bis zum Ende des Zweiten Kaiserreichs von den Kritikern regelmäßig hervorgehoben. Ihrer Meinung nach dominierte sie nicht nur die Rezeption aller weiteren Bühnenkünste, sondern garantierte auch einen ausverkauften Saal für die Vorstellungen.73 Nestor Roqueplan, der Hippolyte Hostein ab der Saison 1869/70 bis zu seinem Tod im April 1870 als Direktor des Châtelet ablöste, stürzte sich bei der Bühnenausstattung in so hohe Unkosten, dass die Société des Trois Théâtres der Stadt Paris (Théâtre du Châtelet, Théâtre de la Gaîté und Théâtre du Vaudeville) noch im Jahr 1881 einen „Rückstand Roqueplan“ von 13.052,07 F zurückzahlte.74 Die Bühnenbilder wurden von Malern berühmter Pariser Bühnenbildateliers wie Jean-Louis Chéret (1820–1882), Eugène Fromont (18  ?  ?–18  ?  ?), Henri Robecchi (1827–1889), Auguste-Alfred Rubé (1815  ?–1899), Philippe Chaperon (1823–1906) und später auch Amable (1846–1917) und Alexandre Bailly 71 A.a.O., S. 4, S. 10–12 und S. 23. 72 Clairville/Blum/Flan, Le Diable boiteux, o. D., S. 22, S. 8–11, S. 12 und S. 17–18. 73 „Über diese Feerie lässt sich das sagen, was man auch über alle anderen sagen kann  : wunderbare Bühnenausstattung, prächtige und originelle Inszenierung, mittelmäßiges Stück.“ Gustave Bertrand, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 11. Oktober 1863, 30. Jahrgang, Nr. 45, S. 361  ; D. A. D. Saint-Yves, „Revue des Théâtres“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 10. Juni 1865, 33. Jahrgang, Nr. 23, S. 180  ; Artikel aus Le Constitutionnel zitiert in  : „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 17. Oktober 1869, 36. Jahrgang, Nr. 46, S. 363. 74 Compte de M. Harmant réglé le 2 Avril 1882. Archives de Paris, V.R. 199, cahier des charges.

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(1866–1947) hergestellt.75 Das Théâtre Impérial du Châtelet glich sich damit der allgemeinen Pariser Praxis an, die mit in großen Ateliers regelrecht konfektionell hergestellten Bühnenbildern arbeitete. Es war üblich, die einzelnen Bilder einer Neuproduktion von mehreren Ateliers anfertigen zu lassen, die jeweils auf unterschiedliche Szenarien spezialisiert waren. Außerdem wurden oft neue und alte Bühnenbilder in einem Stück kombiniert. Dies war möglich, da die Bühnenbilder in der Romantik allgemein eine deskriptive Funktion innehatten und das Szenario lediglich beschrieben anstatt es dramaturgisch mitzudeuten. Die Ausstattung bezog sich also nie auf ein Stück als Ganzes, sondern es wurden – gemäß der Tableau-Ästhetik – immer lediglich einzelne Bilder möglichst sensationell angefertigt.76 Aus der mehrfachen Verwendung einzelner Bühnenbilder, die dennoch unmittelbar besonders eindrucksvoll wirken mussten, ist auch das Festhalten an der Zentralperspektive zu erklären, die die meisten erhaltenen Szenographien der grands spectacles einheitlich auszeichnet.77 Neben wenigen Bildern, die dramatische Szenen zeigen, dominieren hier symmetrisch angeordnete Massen- und Tanzszenen im Halbkreis, die somit der geometrischen Publikumsintegration als Kreis zwischen Bühne und Saal entgegenkommen. Weisen die meisten Titelblätter der Feerien und Militärspektakel – mit Ausnahme zweier Abbildungen von dramatischen Szenen78 – durchgehend Halbkreisstrukturen auf,79 so sind diese in den erhaltenen Bühnenbildskizzen größtenteils mit der Winkelperspek75 Vgl. die Angaben auf den Titelseiten der Libretti der grands spectacles. 76 Bablet, Esthétique générale du décor de théâtre, 1965, S. 10. 77 Von den im Zeitraum 1862 bis 1870 im Théâtre Impérial du Châtelet produzierten grands spectacles ist nur ein Programm von Cendrillon aus dem Jahr 1866 erhalten, in dem jedoch keine Bühnenbilder reproduziert sind. Für diese Feerie konnten dagegen zwei Bühnenbildentwürfe von Henri Robecchi gefunden werden. Dazu kommt je ein Entwurf von Jean-Louis Chéret zu Les Voyages de Gulliver und zu Théodoros. Skizzen zu Bühnenbildern weiterer Stücke sind nicht auffindbar. Deshalb ist es ein weiteres Mal nötig, zudem auf die Titelblätter der Libretti und der Publikationen einzelner Musikstücke zurückzugreifen, die schon bei Rothomago als Quellen für zeitgenössische Bühnenansichten identifiziert werden konnten. 78 D’Ennery/Crémieux, Aladin ou La lampe merveilleuse, o. D., S. 1  ; Herman, Théâtre Impérial du Châtelet. Le Naufrage de la Méduse. Quadrille pour piano, o. D. 79 De Groot, Théâtre Impérial du Cirque, La Prise de Pékin, o. D., Cover  ; Ders., Théâtre Impérial du Châtelet, Marengo. Fifres et Tambours, 1863, Cover  ; Ders., Théâtre Impérial du Châtelet. Une fête à Milan, 1863, Cover  ; Clairville/Siraudin/Busnach, Paris-Revue, o. D., Cover.



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Abb. 20 : Henri Robecchi, Cendrillon.

tive kombiniert.0 Stilistisch herrschen üppige exotische Ausstattungen und der Empirestil vor, wobei letzterer auch schon das Bühnenbild kurz vor der Ballszene in Rothomago bestimmte. Auf dem Titelblatt zu Paris-Revue ist die bühnenbildnerische Konvention der geometrischen Angleichung von Bühnen- und Zuschauerraum offen dargestellt : Die Zeichnung vereinigt zwei hauptsächliche Szenentypen des grand spectacle zu einer halbkreisförmigen Darstellung, in die ein kleinerer Halbkreis eingeschrieben ist (Abb. 21). Während im oberen Halbkreis eine Ballettszene mit 80 Henri Robecchi, Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse. Esquisse de décor de l’acte I, tableau 3 : vaste cuisine chez M. de la Pinchonnière, 1866. OP, Opéra Esq. 19 (192) ; Esquisse de décor attribuée à Jean-Louis Chéret. Les voyages de Gulliver. Acte II, tableau 1 : Le palais du roi Quotient dans l’Île Volante. OP, Opéra Esq. 19 (104) ; Esquisse de décor par Jean-Louis Chéret. Théodoros. Acte IV, tableau 10 : Intérieur d’un palais. Escalier conduisant vers une galerie et Théodoros entouré de lions. Aux murs, trophées militaires. Velum et rideau encadrant la scène. OP, Opéra Esq. 19 (128).

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schwebenden Tänzerinnen nach Art des Stundenballetts aus Rothomago zu sehen ist, ist im unteren Teil ein ankommender Zug als bühnentechnisch aufwändige und eindrucksvolle Szene abgedruckt. Die zwei ineinander liegenden Halbkreise werden am Bildrand von Figuren des Stücks umrahmt, die das Bildinnere betrachten. Zwei große Augen am oberen Bildrand in der Mitte unterstreichen die Umrahmung der beiden Szenerien durch sehende Zuschauer. Die hier dargestellte Überlappung von Schauspielern und Zuschauern mit der zweigliedrigen Einteilung in eine Tanz- und eine dramatische Szene kann auch als Replik auf die soziale Unterteilung des Saals in Parkett und „amphithéâtres“ gelesen werden  : Die oberen Ränge wurden im Paris des 19. Jahrhunderts auch als „paradis“ bezeichnet, worauf die gezeigte Ballettszene im oberen Bildteil anspielt.81 In der zentralperspektivischen und halbkreisförmigen Anlage unterschieden sich die Bühnenbilder des Militärspektakels nur wenig von denen der Feerie. Sie setzten sich lediglich durch politische und napoleonische Requisiten und Kostüme von den Märchenszenen ab.82 Auch auf allgemeiner Ebene mögen Heldenfiguren, Kostüme und Effekte aber nicht die geometrischen Grundstrukturen als Hauptunterscheidungsgrund der szenischen Realisierung von Militärspektakel und Feerie gewertet werden, da die Kritiker die darstellerische Ästhetik des Militärspektakels ganz auf „den Ersten Konsul mit seinem weißen Pferd und seinem grauen Gehrock, […] den Kanonenlärm, […] den Geruch des Schießpulvers“83 resümierten. Obwohl Hostein lediglich zwei spectacles militaires im Théâtre Impérial du Châtelet zugunsten vieler Neuproduktionen historischer Dramen aufführte,84 ist es möglich, dass das Militärspektakel die immer stärkere Konzentration der Feerie-Librettisten auf punktuelle szenische Effekte und gezielt eingesetzte Musikstücke vorwegnahm. Im Bühnenbild der Feerien und Revuen manifestierten sich diese Effekte als ständig neu generierte „Überraschungen“, 81 Clairville/Siraudin/Busnach, Paris-Revue, o. D., Cover. 82 Vgl. die Titelblätter von De Groot, Théâtre Impérial du Châtelet, Marengo. Fifres et Tambours, 1863, und Ders., Théâtre Impérial du Châtelet. Une Fête à Milan, 1863. 83 D. A. D. Saint-Yves, „Revue des Théâtres“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 15. März 1863, 30. Jahrgang, Nr. 11, S. 86. 84 Neben zwei bis fünf Neuinszenierungen historischer Dramen pro Jahr und einer konstanten Zahl neu produzierter Feerien gab Hostein lediglich La Prise de Pékin (22. Dezember 1862), eine Wiederaufnahme aus dem Théâtre Impérial du Cirque, und Marengo (1. März 1863) im Théâtre Impérial du Châtelet. De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 213.



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Abb. 21 : Paris-Revue.

wobei sich das „noch nie Gesehene“ den Kritikern zufolge auf der großen Bühne des Châtelet besonders gut zeigen ließ. Das Châtelet sei nicht nur geradezu prädestiniert für groß angelegte visuelle Effekte, sondern es eignete sich nach Meinung der Zeitgenossen zudem überhaupt nicht für subtile Dialoge. Die Librettisten besaßen durchaus ein Bewusstsein für die vom Raum des Théâtre Impérial du Châtelet gleichsam vorgegebene Aufführungsästhetik. In allen drei Revuen sind mehrere spektakuläre Ansichten des Nouveau Paris vorge85 D. A. D. Saint-Yves, „Revue des Théâtres“, in : Revue et gazette musicale de Paris, 15. März 1863, S. 85 ; Ders., „Revue des Théâtres“, in : Revue et gazette musicale de Paris, 19. Juli 1863, 30. Jahrgang, Nr. 29, S. 230 ; Ders., „Revue des Théâtres“, in : Revue et gazette musicale de Paris, 10. Juni 1865, S. 180 ; Ders., „Revue des Théâtres“, in : Revue et gazette musicale de Paris, 31. Dezember 1865, 32. Jahrgang, Nr. 53, S. 429 ; H. Moreno, „Semaine théâtrale“, in : Le Ménestrel, 17. Dezember 1865, 33. Jahrgang, Nr. 3, S. 19.

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sehen, wobei die Haussmannisierung zumeist integrativer Teil des dramatischen Inhalts oder der dramaturgischen Anlage ist. In La Lanterne magique geht es um die ständige Gegenüberstellung von Vieux und Nouveau Paris, die die Figuren der Routine („La Routine“) und des Fortschritts („Le Progrès“) bereisen.86 In der darauf folgenden Revue Le Diable boiteux wird das haussmannisierte Paris eng mit der politischen Darstellung des Kaisers verbunden  ; sie kulminiert in der Darstellung des „Neuen Palasts der Weltausstellung“ als anstehendes politisches Großereignis im letzten Bild des Stücks.87 Unter Roqueplan erwuchs die Haussmannisierung schließlich zu einem von vielen großartigen und phantastischen Motiven, da in Paris-Revue die bühnentechnische Sensationalität überhaupt im Vordergrund stand.88 Die urbane Innen-Außen-Relation wurde folglich zur politischen Repräsentation punktuell auf das gesamte Nouveau Paris ausgeweitet, konnte aber die szenische Üppigkeit der phantastischen Szenen nie ganz verdrängen. Auf den Skizzen zu Bühnenbildern oder auf den Titelblättern der Libretti und Musikstücke sind die urbanen Ansichten des haussmannisierten Paris tatsächlich nur ansatzweise abgebildet.89 Im Zusammenhang mit der kreisförmigen Anlage der Bühnenbilder und Massenszenen wirkte die Größe des Théâtre Impérial du Châtelet auch auf die Musik prägend ein. Sie zeichnete sich im Zeitraum 1862 bis 1870 durch eine starke harmonische Einfachheit und zyklische Anordnungen einzelner Teile zu ABA-Formen aus. Während 44 Melodien in der Tonart der Tonika verbleiben, modulieren 47 Stücke im Mittelteil in die Tonart der Dominante oder Doppeldominante. Nur 19 Stücke modulieren in eine entferntere Tonart, und 30 Stücke – davon 16 Stücke der Dirigenten des hauseigenen Orchesters – weisen mehrere Modulationen auf.90 Aus den Regiebüchern, die für das grand spectacle in diesem Theater erhalten sind, geht hervor, dass der einfach gehaltene harmonische Aufbau der Arien, Chansons und Instrumentalstücke ein wichtiger Anhaltspunkt für 86 Clairville/Monnier/Blum, La Lanterne magique, o. D., S. 3–4, S. 13–15 und S. 18–20. 87 Clairville/Blum/Flan, Le Diable boiteux, o. D., S. 6–8, S. 12–13 und S. 22. 88 Clairville/Siraudin/Busnach, Paris-Revue, o. D., S. 8–9, S. 10–12 und S. 12–13. 89 Nur ein Titelblatt eines Musikstücks aus der Revue Le Diable boiteux deutet ein Pariser Gebäude an. Chéri, Théâtre Impérial du Châtelet. Le Diable boiteux. Grande revue parisienne. Ot’ donc tes pieds là, 1866, Cover. 90 Vgl. Anhang IV.5.



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die zahlreichen Statisten von der Straße darstellte, die auf der großen Bühne koordiniert werden mussten. Ihre einfach gehaltene Choreographie orientierte sich dabei vor allem an der kompositorischen Absetzung eines Mittelteils von zwei refrainartigen Rahmenteilen. In Le Petit Chaperon rouge (1900) und Le Voyage de Suzette (1901) richten sich die Bewegungen der zahlreichen Darsteller sowohl nach der regelmäßigen, zyklisch angeordneten Periodik der Melodien wie auch nach ihrer voneinander abgesetzten Harmonisierung. In Le Petit Chaperon rouge (1885, Musik von Gaston Serpette, 1846–1904) wird die Choreographie eines Chansons zudem durch eine Formation im Halbkreis abgerundet  : „ Seht, das dreht sich im Takt Beim Einsatz des Chors dreht sich Narcisse auf seinen Absätzen wie eine Marionette. Bardoulet tut es ihm gleich, und sie drehen sich gemeinsam. Ab dem 9. Takt des Chors vollführen die beiden Reihen bei jedem Takt eine halbe Drehung auf den Absätzen, beginnend mit dem Gesicht zum Publikum. Beim 16. Takt schließen sich immer zwei zusammen. Beim 20. Takt tanzen alle Walzer auf der Stelle bis zum Orgelpunkt, wo sie aufhören, um auf ihren Platz zurückzukehren  ; – während des folgenden Ritornells geht Narcisse zum linken Glasschrank zurück und hilft Denisette, aus dem Glasschrank herauszukommen. Bardoulet bleibt auf der Vorderbühne. Die Vorhänge der beiden Glasschränke wurden geschlossen. Bardoulet nutzt dies, um sich auszuziehen und um seinen Frack wieder anzuziehen und seine Perücke anzubehalten. Die Chöre verdecken die Glasschränke. Die Chorsänger der linken Seite umstellen den Feldhüter. – Chöre – –-–-–-–-

Denisette

- – Hüter – - – - - – - – - – - – - -

-–-–-–Narcisse - – - – - – - – -–-–-–-–-–

- – Bardoulet – - –

Am Ende des Trios  Er will sie fangen nähern sich die Chöre einander an und umringen den Feldhüter und Bardoulet.

– – – – – – – – – – – – – – –

–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-– - – - – - – - – Hüter

Bardoulet

- – - – - – - – - – - – -“91

91 Le Petit Chaperon rouge, annotations de mise en scène manuscrites sur pages intercalées dans un

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Eine weitere Szene zeigt, wie diese mit der Musik koordinierte Regelmäßigkeit der Choreographie im Halbkreis an die Harmonien gebunden ist. In einer Chorszene derselben Operette deutet schon die Regieanweisung die symmetrische Dreiteiligkeit des Refrains an  : „Pan  ! Pan  ! Pan  ! Auf jedem Pan  ! Pan  ! schlagen alle im Takt auf die Wäsche mit ihren Wäscheklopfern. Unsere Sonntagskleider Alle stehen auf, stellen sich auf der Vorderbühne in einer Reihe auf und schlagen auf Pan  ! Pan  ! auf die linke Handfläche. Pan  ! Pan  ! Pan  ! mit Bleuelschlägen Sie sind auf ihre Position wie beim Aufgehen des Vorhangs zurückgekehrt.“92

Das „Pan  ! Pan  !“, bei dem die Sängerinnen mit ihrem Bleuel in die linke Hand klopfen, ist in der Grundtonart F-Dur gehalten. Das Signal zum Aufstehen ist in der Musik komponiert, die kurz vor „Unsere Sonntagskleider“ über die Mediante der Dominante C-Dur (E-Dur) nach A-Dur moduliert (ein Akkord, der wiederum die Mediante der Tonika F-Dur ist). Am Schluss des Refrains, an dem die Sängerinnen wieder auf ihre Ausgangsposition zurückkehren, findet sich eine ganze Serie von Medianten (F-Dur – Des-Dur – F-Dur – Des-Dur – F-Dur – A-Dur), bevor Serpette den Text „mit Bleuelschlägen“ mit einer Kadenz in der Grundtonart des Stücks vertont (C-Dur-Septakkord – F-Dur).93 Die harmonische Absetzung unterschiedlicher, zumeist rondoartig angeordneter Teile wurde auch von den hauseigenen Komponisten des Théâtre Impérial du Châtelet praktiziert. De Groot und Chéri nutzen an den Übergängen nicht nur Medianten, sondern auch Durchgangsakkorde in Moll oder Mollkadenzen in einem Dur-Rahmen.94 Die Definition der einzelnen Teile ergibt sich dabei oft libretto imprimé. Paris, 1885. 20 x 13,5 cm, 100 p. imprimées, 130 p. manuscrites, dont les indi­ ca­tions distribution (RVP). BHVP, Bibliothèque de l’Association de la régie théâtrale (Paris), P. 31 (1), S. 70. Die Spiegelstriche stellen Chorsänger und Statisten dar. 92 A.a.O., S. 5. 93 Serpette, Le Petit Chaperon rouge, 1885, S. 9–11. 94 Vgl. De Groot, Théâtre Impérial du Cirque. Rothomago. Polka des Dindons, 1862  ; Ders., Théâtre



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aus dem Inhalt des Textes, wie sich an L’Égyptienne réaliste aus Paris-Revue zeigt. Nach der Beschreibung des Schauplatzes – das Meer bei Nacht – wird der Fischer Achmet eingeführt, der mit seiner Verlobten auf dem Nil fährt. Diese Zeile steht in Es-Dur, während die folgende Zeile in die Tonart D-Dur moduliert. Hier fragt der Sänger sich, über was die beiden denn wohl so leise sprechen könnten, und leitet zur anzüglichen Rede Achmets in G-Dur über, in welcher der Hörer erfährt, worum es dem nächtlichen Ruderer auf dem Nil mit seiner Geliebten geht. Die weite Entfernung der Tonart Es-Dur von der Grundtonart G-Dur steht somit für die Distanz des heranrudernden Pärchens, während das D-Dur der neugierigen Frage zur mitgehörten Rede Achmets in der Grundtonart hinleitet. Eine enge Verknüpfung von Musik und Textinhalt ist auch auf der Ebene einzelner herausragender Wörter und Phrasen zu erkennen, die melodisch ausgestaltet werden. Im Rondo aus Les sept châteaux du diable spielt Victor Chéri bei der Textzeile „Noch so ein charmanter Wechsel“ („C’est encore un charmant changement“) mit dem motivisch wiederholten Wechsel von gis-g-gis. Die letzte Wiederholung wird dabei mit dem verminderten Septakkord der 7. Stufe von ADur unterlegt, der die Dominante A-Dur stärkt, aber sofort zur Tonika D-Dur zurückführt.

E § $  G E  § § §  § E§ EE Mais vrai - ment C'est en - core = = § G § § § = § EE  § =  § = §

§ $  § $   !§ §  E§ §

§ § § =

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 §§ § §

Un char - mant Chan - ge - ment.

 E§§ E§§§ §

Notenbsp. 3 : Victor Chéri, Rondo (T 13–15). du Cirque Impérial. Rothomago. Bruyère Romance, 1862 ; Ders., Théâtre Impérial du Châtelet. Une fête à Milan, 1863 ; Ders., Rothomago. Gigue-Polka, 1862 ; Ders., Le Secret de Miss Aurore. Ronde du Jokey Toby, 1863. 95 Chéri, Théâtre Impérial du Châtelet. L’Égyptienne réaliste, 1870. 96 Ders., Théâtre Impérial du Châtelet. Rondo, 1864.

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In Les trois amants de Jeannette aus Cendrillon unterlegt Chéri das Wort „Ausstöße“ mit einer schnell absteigenden Melodie, die jedoch immer wieder auf einen festliegenden, höher liegenden Ton rekurriert. Durch diese Schüttelbewegung untermalt die Melodie die himmlischen „Ausstöße“, die auf die eigentliche Strophe hinleiten und dafür den Übergang von Des-Dur nach F-Dur schaffen.97 Des Weiteren werden von den hauseigenen Komponisten oft tonmalerische Elemente eingesetzt. In der Polka des Oiseaux aus Gulliver nutzt Chéri alle instrumentellen Ressourcen, um Vogelgezwitscher in den ersten Geigen, Klarinetten und Flöten mittels Vorschlägen, Trillern und kleinen, wiederholten Motiven zu erzeugen.98 Im Chant de guerre des Vengeur führt er lange Akkorde durch dreifache Vorschläge ein, die Trommelwirbel andeuten. In der zweiten Hälfte, in der im Text die Angst vorm Gegner immer mehr abnimmt, komponiert Chéri die Begleitung mit einem Fanfarenrhythmus.99 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Musik des grand spectacle sich tendenziell eng an das visuelle und inhaltliche Bühnengeschehen anlehnte. Vor diesem Hintergrund ist auch die starke Ausprägung der Bogenform zu sehen, mit der die Musik die symmetrischen Bühnenbilder und halbkreisförmigen Choreographien der vielen Darsteller begleitete. Wie schon dargelegt, wurde der Musik jedoch vor allem eine auflockernde Funktion innerhalb des Rezeptionsmodells des Rundtanzes nach Art der Offenbach’schen Melodien zugeschrieben. In der Tat ist Offenbach (44 Stücke) nach Victor Chéri (88 Stücke) und noch vor Adolphe de Groot (14 Stücke) und Alexandre Artus (13 Einträge) der meist gespielte Komponist der Musik des grand spectacle am Théâtre Impérial du Châtelet. Alle anderen Komponisten bewegen sich zwischen 6 und 1 Nennungen. In diesem Bereich sind noch Adolphe Lindheim, Joseph Doche, Paul Blaquière (1833–1868), Giacomo Meyerbeer, Julien Nargeot, Henri Romagnesi, Adolphe Adam und Derval für die Musik des grand spectacle zwischen 1862–1870 wichtig.100 Die kompositorische Anlage der 140 Potpourri-Stücke, die von den insgesamt 406 Musikstücken identifiziert werden konnten, spricht für eine einfa  97 Ders., Théâtre du Châtelet. Les trois amants de Jeannette, 1872, S. 1.   98 Ders., Gulliver. Polka des Oiseaux, 1867.   99 Ders., Théâtre Impérial du Châtelet. Chant de Guerre du Vengeur, 1868. 100 Siehe Anhang IV.3.



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che, fröhliche und bewegte Musik, die sich an den Stil der zeitgenössischen Operetten angliedert. Die am meisten verwandten Tonarten beschränken sich auf G- (32), C- (23) und D-Dur (22), gefolgt von den Tonarten F- (19) und B-Dur (15). Auch die Taktbezeichnungen sind auf 2/4- (46) und 6/8-Takt (44) limitiert  ; dazu kommen 24 Stücke im 3/4-Takt. Das Tempo ist vorwiegend mit Allegro (49) und Allegretto (35) angegeben. Führt man sich die gute Akustik und den dem Saal zugeordneten Orchestergraben des Théâtre Impérial du Châtelet vor Augen, hatte die Musik für die Hörer nicht nur an der geometrischen und dramaturgischen Anlage der Bühne im Halbkreis Anteil (vgl. das Bild des „Rundtanzes“), sondern fungierte gleichzeitig als auflockerndes Element im Zuschauerraum.101 Bei den Stückbezeichnungen stehen klar Gesangsstücke im Vordergrund  ; „Air“ (41), „Chanson“ (27) und „Ronde“ (18) stehen weit vor Instrumentalstücken wie der Polka (6). Diese liegt gleich auf mit den Chören (6). Couplets (4) kommen noch weniger vor, was mit der Entwicklung des Vaudeville zum Chanson hin übereinstimmt.102 Die Auswahl der musikalischen Gattungen war folglich eng mit der zeitgenössischen Vorliebe für bekannte Pariser Sänger-Darsteller verbunden. Die Theaterdirektoren versuchten in der Regel, die beliebtesten Schauspieler und Sänger in einer Produktion zu vereinen.103 Auch in Bezug auf das Théâtre Impérial du Châtelet unterstrich die Presse immer wieder die Wichtigkeit der schauspielerischen Leistung für den Erfolg des grand spectacle, wobei besonders Eugène Auguste Colbrun (1827  ?–1867) die Zuschauer ganz in seinen Bann zog.104 Die mitreißende Atmosphäre, die die grands spectacles allgemein auszeichnete, beruhte im Théâtre Impérial du Châtelet während des Zweiten Kaiserreichs immer stärker auf szenischen Effekten und der bewegten fröhlichen Musik. Bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft bildete sich hier ein momentgebundenes 101 Vgl. Anhang IV. 102 Ebd. 103 D. A. D. Saint-Yves, „Revue des Théâtres“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 11. Oktober 1863, 30. Jahrgang, Nr. 41, S. 325 und 31. Dezember 1865, S. 429 oder Gustave Bertrand, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 27. September 1863, 30. Jahrgang, Nr. 43, S. 343. 104 Saint-Yves, „Revue des Théâtres“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 11. Oktober 1863, S. 325.

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kreisförmiges Integrationsmodell heraus, das vor allem aus visuellen Bogenstrukturen des Bühnenbilds und ihrer Untermalung durch zyklisch angeordnete Choreographien und einer darauf abgestimmten Musik bestand. Auf der Basis dieser zumeist halbkreisförmigen Tableau-Ästhetik und ihrer musikalischen Begleitung wurde die Halbkreisform des Saals in jeder Szene neu geometrisch an die Bühne angeglichen. Die Szenographien wiesen dabei oftmals eine zweigliedrige Aufteilung in professionelle Protagonisten und dahinter stehende Darstellermassen aus Laien von der Straße auf. Diese Zweiteilung wiederholte sich symbolisch im Saal, da die Sitzplätze auch hier vom Parkett bis zu den „amphithéâtres“ vertikal nach Preiskategorien gestaffelt waren (Im Gegensatz zur Opéra wurden die Preiskategorien bis 1870 durchgängig pro Etage angesetzt und nicht in „frontal“ und „seitlich“ unterteilt). Auch wenn die Laien auf der Bühne sich nur selten die billigste Eintrittskarte in den „amphithéâtres“ leisten konnten, wurden soziale Unterschiede zwischen Darstellern und Zuschauern durch die geometrische Massenaufteilung und die Kostümierung der Statisten überspielt. Auf diese Weise rückte der fröhliche „Rundtanz“ zwischen Bühne und Saal in das Zentrum der dramaturgischen Überlagerung von Fiktion und Realität und erwuchs zur hauptsächlichen Atmosphäre während der Aufführungen der grands spectacles. Trotz der hoch politischen Symbolik seiner Dekoration und seines symmetrischen Grundrisses bewirkte der neue Theaterraum auf Dauer keine politische Konnotation des auf der Bühne gezeigten  : Visuelle Anspielungen mittels der Haussmannisierung wurden kontinuierlich von phantastischen Märchenszenen in ihrer Sensationalität übertroffen. Die moralischen Intentionen der politischen Instanzen wurden allein durch die mangelhafte Wirkung kleingliedriger, ironischer Dialoge eingelöst, die im großen Saal des Châtelet nicht beim Publikum ankamen. Was übrig blieb, war der Offenbach’sche „Rundtanz“ zwischen Bühne und Saal. Er stellte die Einbindung des Publikums in die Fiktion und die Atmosphäre des Stücks her, wobei symbolische Widerspiegelungen auf die visuelle Gegenüberstellung von Darsteller- und Zuschauermassen beschränkt blieben. Aus dieser Konstellation ergibt sich eine dramaturgische Gleichwertigkeit von Darstellern und Publikum im Pariser Musiktheater der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch nach der Haussmannisierung wurde im Rezeptionsmodell des Pariser Unterhaltungstheaters eine dramaturgische und auch räumliche Analogie von Bühne und Saal angestrebt. Die fröhliche, bogenförmig angelegte



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Musik des grand spectacle, die architektonisch dem Saal zugeordnet war und gleichzeitig die Choreographien auf der Bühne strukturierte, wirkte als übergreifendes Bindeglied zwischen Bühnendarstellung und Publikum.

2.2 Das grand spectacle in den Jahren der Dritten Republik (1871–1914)

Mit Beginn der Dritten Republik änderte sich nicht nur die Leitung des nun „Théâtre du Châtelet“ genannten Theaters, sondern auch die Rezeption seines Raums durch die Öffentlichkeit. Sowohl die neuen Direktoren als auch die Presse sahen im napoleonischen Volkstheater Châtelet einen geeigneten Raum für die patriotische, historische und kulturelle Volksbildung der neuen Republik. Das folgende Kapitel beschreibt die daran anknüpfenden Bemühungen der Theaterleiter, Autoren und Komponisten vor dem Hintergrund des im Théâtre du Châtelet praktizierten Rezeptionsmodells. In einem zweiten Teil werden Veränderungen und Weiterentwicklungen des „Rundtanzes“ zwischen Bühne und Saal untersucht, wie sie sich im grand spectacle des Théâtre du Châtelet bis kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs herausbildeten. 4.2.1 Auf ideologischen Umwegen zur „féerie géographique“  : Das Théâtre du Châtelet ist keine Opéra Populaire

Erste administrative und künstlerische Umschwünge in der Leitung des Théâtre Impérial du Châtelet deuteten sich schon einen Monat vor der Gefangennahme Napoleons III. und der Proklamation der Dritten Republik an, nachdem das Theater mit dem Tod Nestor Roqueplans im April 1870 seinen Direktor verloren hatte  : Am 6. August 1870 informierte der Direktor der Theaterverwaltung den Präfekten, dass ein Akrobatik- und Clownensemble des Londoner Alhambra unter der Leitung von Frederick Strange (1826–1878) die Erlaubnis erhalten hätte, im „Théâtre du Châtelet“ Sondervorstellungen zu geben, wie das Ensemble das Theater anscheinend selbst nannte.105 Die Eigenständigkeit, die 105 Brief des Generaldirektors der Theaterverwaltung an den Präfekten vom 6. August 1870. AN, F21 1143.

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das Ministerium den Nutzern des Théâtre du Châtelet zu dieser Zeit in Bezug auf sein kaiserliches Image ließ, weist noch einmal auf die Wichtigkeit der politischen Einstellung des Theaterdirektors für den Betrieb während des Zweiten Kaiserreichs hin. Ohne dieses Hauptkriterium war eine politisch konforme Leitung des Théâtre Impérial du Châtelet nicht gewährleistet. Strange sah das Théâtre du Châtelet nur als Übergangslösung an, bis er sein eigentliches Theater in den Magasins Réunis an der Place de la République beziehen konnte.106 In den wenigen Vorstellungen der „Troupe de l’Alhambra“ wurden vor allem Pantomimen, Akrobatik und komische Szenen dargeboten. Den Höhepunkt der ersten Vorstellung stellte jedoch die Marseillaise in der Instrumentation von Hector Berlioz dar. Gespielt wurde sie vom Orchester des Théâtre Lyrique unter der Leitung von Édouard Mangin (1837–1907). Die Kritiker der Pariser Musikzeitschriften betonten den patriotischen und popular-volksliedhaften Anstrich der Marseillaise in der Berlioz’schen Version, ohne eventuelle Implikationen der Tagespolitik anzusprechen.107 Nach der Zäsur von 1870 sollte sich hingegen eine starke öffentliche Eigendynamik volksbildender Zuschreibungen an das Théâtre du Châtelet entwickeln, die aus der übergreifenden patriotischen Einstellung nach der Niederlage gegen die Deutschen hervorging. Zwar fehlte es auch der Politik zu Beginn der Dritten Republik nicht an ambitionierten Projekten  ; diese fielen jedoch auch nach 1873 noch oft der lang anhaltenden Neustrukturierung des Ministère de l’Instruction Publique zum Opfer, in das das Theaterressort nun eingegliedert war.108 Vom 7. September 1870 bis 1. Juli 1871 blieb das Théâtre du Châtelet aufgrund der Besetzung von Paris durch die Deutschen und der Pariser Kommune geschlossen. Unter der deutschen Besatzung fiel das ihm gegenüberliegende Théâtre Lyrique dem Feuer zum Opfer. Das Théâtre du Châtelet nahm dagegen auch während der Kommune keinen Schaden. Stattdessen erfuhr das Theater in 106 Gustave Bertrand, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 21. August 1870, 37. Jahrgang, Nr. 38, S. 300. 107 Ebd.; „Nouvelles des Théâtres Lyriques“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 21. August 1870, 37. Jahrgang, Nr. 34, S. 264. 108 Dubois, La politique culturelle, 1999, S. 63f. und S. 80–108. Erst 1875 wurde von Henri Wallon und Jules Ferry ein Conseil Supérieur des Beaux-Arts aus Künstlern und Verwaltungsbeamten gebildet, der zum Ziel hatte, „die Kunst als gemeinsames Kapital zu sozialisieren“. Rioux, „Laïcisations, massifications, sécessions (1885–1918)“, 2005, S. 39.



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der unbeständigen Zeit von seiner Wiedereröffnung bis zur Machtergreifung des Marschalls MacMahon (1808–1893) im Jahr 1873 viele Direktionen, die es in ein Volkstheater nach den neuen Bildungsintentionen der Dritten Republik zu transformieren versuchten. In dieser Zeit versiegte die musikalische Produktion fast ganz, da die Direktoren hauptsächlich Dramen mit patriotischem Inhalt aufführten, wie unter den beiden Schauspielern Lacressonnière (1819–1893) und Paul Léon Deshayes (gest. 1891), die das Châtelet ab dem 1. Juli 1871 leiteten.109 Während die Presse Ende 1872 das Ende des „Operettenstroms, der die Hälfte unserer Pariser Bühnen überschwemmte“ und die Rückkehr der Gaîté und des Châtelet, „die die Feerie offenbachisiert hatten“, zum Drama proklamierte,110 waren sich die Kritiker, die Direktoren und auch die Stadt Paris einig, dass das Théâtre du Châtelet ob der politischen Situation zu einem „popularen théâtre historique“ umgestaltet werden müsste.111 Ab November 1873 erweiterte sich diese Zuschreibung auch auf die Musik. Zu dieser Zeit übernahm Hippolyte Hostein wieder die Direktion des Theaters und führte die von Lacressonnière und Deshayes vorgenommene Neuproduktion alter Dramen nun auch mit alten Feerien durch.112 Dabei achtete Hostein besonders auf die musikalische Begleitung, die er wieder ganz zu ihrem Recht kommen ließ. Für die Wiederaufnahme der Feerie Les pilules du diable ließ er eine neue, von den Kritikern als „erfrischend“ empfundene Musik von Albert Vizentini (1841–1906) komponieren, den Offenbach ein Jahr zuvor am Théâtre 109 Hierzu gehörten die schon bekannten Dramen Le Courrier de Lyon ou L’Attaque de la malleposte von Siraudin, Delacour und Moreau, Daniel Manin und Patrie   !. De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 213. 110 Gustave Bertrand, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 15. September 1872, 38. Jahrgang, Nr. 42, S. 339. 111 Ders., „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 24. September 1870, 37. Jahrgang, Nr. 43, S. 339  ; Adrien Laroque, „Revue des Théâtres“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 1. September 1872, 39. Jahrgang, Nr. 35, S. 277. Brief von Lacressonnière und Deshayes an den Ministre de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts vom 17. Oktober 1871/Minute de Lettre du 20 Octobre 1871 du Directeur des Beaux-Arts/Brief von Lacressonnière und Deshayes an die Commission des Théâtres, o. D. AN, F21 1143. 112 Gleichzeitig erlaubte er Lacressonnière und Ritt, Produktionen aus anderen Pariser Theatern wie D’Ennerys Les deux orphelines aus dem Théâtre de la Porte Saint-Martin zu besonders niedrigen Preisen im Théâtre du Châtelet zu geben. H. Moreno, „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 31. Mai 1874, 40. Jahrgang, Nr. 26, S. 205.

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de la Gaîté als Dirigenten angestellt hatte.113 Zudem setzte Hostein die Uraufführung von La Belle au bois dormant auf das Programm, deren Märchenstoff der Pianist Henri Litolff (1818–1891) zu einer „opéra“ komponiert hatte. Bei der Beurteilung dieser Neuproduktion einer Oper schwankte die Presse jedoch zwischen den Gattungen der Oper und der Feerie  ; für die eine war sie zu schlicht und zu wenig originell, für die andere zu schwer und gesetzt.114 Der Musikkritiker Arthur Pougin (1834–1921) erklärte sich die zwiespältige Neukomposition Litolffs aus der Größe des Châtelet, die zu opernhafter Prächtigkeit animiere, aber gleichzeitig eminent populär sei.115 Während La Belle au bois dormant beim Publikum als Misserfolg eingestuft wurde, zeigte sich die Presse zum Beispiel sehr beeindruckt von den akustischen Aufführungsqualitäten des Théâtre du Châtelet für Opernwerke, die es in Paris kein zweites Mal gäbe. Für die Produktion der Feerien-Oper hatte Hostein die Vorderbühne um zwei Meter vorgezogen, weshalb die Stimmen der Sänger nun noch voller im Saal erklangen.116 Im Zuge der generell in Paris wieder einsetzenden Hinwendung zur Musik, welche die Presse ab 1874 mit „Renaissance der Musik“ oder „Operettenzeit“ beschrieb,117 transformierten Hosteins Nachfolger Léo Herz und Dufau das Châtelet schließlich offiziell in eine Opéra Populaire, in der die Presse auch eine „zweite Grand Opéra“ sah.118 Herz und Dufau planten sie einerseits als Bildungsinstitution für das breite Publikum und andererseits als Aufführungsplattform für Nachwuchskomponisten. Besonders letzteres war von Musikkritikern immer wieder reklamiert worden, die Aufführungsmöglichkeiten für 113 Ders., „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 4. Januar 1874, 40. Jahrgang, Nr. 5, S. 37. 114 Gaston Escudier, „Deux insuccès“, in  : L’Art musical, 9. April 1874, Bd. 13, Nr. 15, S. 115  ; H. Lavoix, „Théâtre du Châtelet“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 12. April 1874, 41. Jahrgang, Nr. 15, S. 116. 115 Arthur Pougin, „Semaine théâtrale et musicale. La Belle au bois dormant“, in  : Le Ménestrel, 12. April 1874, 40. Jahrgang, Nr. 19, S. 148. 116 A.a.O., S. 147. 117 Arthur Pougin, „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 11. Oktober 1874, 40. Jahrgang, Nr. 45, S. 355  ; H. Moreno, „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 27. September 1874, 40. Jahrgang, Nr. 43, S. 339  ; s. a. schon  : Ders., „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 8. März 1874, 40. Jahrgang, Nr. 14, S. 108. 118 Ders., „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 19. April 1874, 40. Jahrgang, Nr. 20, S. 155.



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Komponisten wie Théophile Semet, Ernest Boulanger (1815–1900), Ernest Reyer (1823–1909), Georges Bizet (1838–1875), Jules Massenet (1842–1912), Ernest Guiraud (1837–1892), Théodore Dubois (1837–1924), Émile Paladilhe (1844–1926), Charles-Marie Widor (1844–1937) und Édouard Lalo (1823– 1892) einforderten.119 Die Direktoren der neuen Opéra Populaire bedienten diese Forderung, indem sie die Uraufführung der Oper Les Parias von Edmond Membrée (1820–1882) auf das Programm setzten. Obwohl der Komponist in Paris eher für seine Melodien als für lyrische Opernwerke bekannt war und Herz und Dufau seine Oper als eine „mit wahrer Musik versetzte Feerie“ angekündigt hatten,120 war auch dieser Oper kein Erfolg beschieden. Man kritisierte die graue, eintönige Musik der Neuproduktion Les Parias von Membrée, die eher ein Oratorium als eine Oper darstelle,121 und erbat sich für die zukünftigen Werke mehr „Ausdehnung, Farbe und knalligen Glanz“,122 also breite und kontrastreiche Wirkungen, die stark an die Musik des grand spectacle erinnern. Eine solche Ästhetik war beim zweiten Werk, das Herz und Dufau aufführen ließen, umfassend gewährleistet  : Die altbekannte, international beliebte „opéra-féerie“ Les Amours du diable von Albert Grisar (1808–1869) übte durch ihre musikalischen Qualitäten, ihr luxuriöses Bühnenbild und das Talent der Hauptdarstellerin einen großen Reiz auf das Publikum und die Kritiker aus.123 Nichtsdestotrotz musste die Opéra Populaire schon wenige Monate nach ihrer Eröffnung wieder schließen. Im In- und Ausland galt die Abwendung vom grand spectacle, 119 Arthur Pougin, „Le Théâtre Ventadour et l’Opéra Populaire“, in  : Le Ménestrel, 11. Oktober 1874, S. 355. 120 Moreno, „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 27. September 1874, S. 339. 121 „Dem Libretto der Herren Hippolyte Lucas und Leroy fehlt es zugleich an Handlung, an Bewegung und an Interesse  ; es ist traurig und leidet vor allem an der Einförmigkeit seiner drei Akte  ; es weist nur eine einzige leidenschaftliche Szene auf, und die findet sich genau am Anfang des Werks  ; der ganze Rest besteht aus Predigten des Heiligen François-Xavier und aus Beschwörungen eines brahmanischen Häuptlings, was einen Zuschauer zu der Bemerkung verleitete  : Das ist kein Stück, das ist eine Predigt.“ Arthur Pougin, „Opéra Populaire du Châtelet“, in  : Le Ménestrel, 15. November 1874, 40. Jahrgang, Nr. 50, S. 396. 122 Ebd. Pougin zufolge charakterisierte der „knallige Glanz“ das französische Musiktheater im Allgemeinen. Die Gattung Oper definierte er wie folgt  : „Die Oper ist eine szenische Aufführung, in der die Musik einen wichtigen Platz einnimmt.“ Zitiert nach  : Lacombe, „Définitions des genres lyriques dans les dictionnaires français du XIXe siècle“, 1995, S. 305. 123 Arthur Pougin, „Reprise des Amours du Diable à l’Opéra Populaire“, in  : Le Ménestrel, 22. November 1874, 40. Jahrgang, Nr. 51, S. 404.

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das im Théâtre du Châtelet einen genuinen Aufführungsort gefunden hatte, als Erklärung für das Scheitern der Opéra Populaire  :124 Die Allgemeine Musikalische Zeitung beschrieb Les Parias unumwunden als „ziemlich vollständiges Fiasko“, da schon ihre Musik überhaupt nicht mit den sonst in diesem Theater aufgeführten „Spektakelstücken“ vergleichbar sei.125 Auf das Scheitern der Opéra Populaire folgten mehrere Jahre, in denen unter dem Direktorenpaar Beaugé (einem Schauspieler) und Fischer, die das Châtelet im Dezember 1874 führten, sowie unter den Schauspielern Henri Jullien Larochelle (1827–1884), Eugène Ritt (1817–1898) und François Castel alias Castellano (gest. 1882), die dort von 1875 bis 1880 aktiv waren, wieder vornehmlich Dramen produziert wurden. Besonders Larochelle und Ritt legten Wert auf viele „Aufführungen zu verbilligten Preisen“ von historischen Dramen,126 die dem nun allgemein akzeptierten Anstrich des Châtelet als Volkstheater der Dritten Republik am nächsten kamen. Nichtsdestotrotz reicherten die Direktoren ihre Programme immer wieder mit Feerien wie den beliebten Les pilules du diable an. Im Jahr 1876 fand Castellano schließlich eine angemessene literarische Gattung, die sowohl der Feerie ähnelte, als sie auch volksbildendes Potential hatte  : Er übernahm die dramatische Bearbeitung des Le Tour du monde en 80 jours von Jules Verne (1828–1905), der ursprünglich am Théâtre de la Porte Saint-Martin uraufgeführt worden war. Die Presse bemerkte den großen Erfolg des Stücks, der sich auch am Théâtre du Châtelet einstellte, ohne dafür ausschließlich die neue Inszenierung in diesem Theater mit seiner grandiosen Bühnentechnik und seiner großen Bühne verantwortlich zu machen.127 Le Tour du monde en 80 jours begeisterte schon rein aufgrund seines Librettos mit einer spannenden Hand124 „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 13. Dezember 1874, 41. Jahrgang, Nr. 2, S. 13  ; O. Le Trioux, „Nouvelles“, in  : La Chronique musicale, 15. Dezember 1874, Bd. 6, Nr. 36, S. 286. 125 „Berichte, Nachrichten und Bemerkungen“, in  : Allgemeine Musikalische Zeitung, 23. Dezember 1874, IX. Jahrgang, Nr. 51, S. 812–813. 126 „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 31. Oktober 1875, 41. Jahrgang, Nr. 48, S. 381. La Rochelle und Ritt hatten schon im Sommer 1874 billige Volkstheatervorstellungen im Théâtre du Châtelet organisiert. Moreno, „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 31. Mai 1874, S. 205. 127 Adrien Laroque, „Revue Dramatique“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 16. April 1876, 43. Jahrgang, Nr. 16, S. 124.



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lung und variationsreichen Reiseszenarien. Diese führten den Zuschauern viele unbekannte Orte vor und boten daher mannigfaltige Gelegenheiten für sensationelle und exotische Bühnenbilder.128 Die neue Erfolgsgattung des Reiseszenarios setzte sich jedoch nicht gleich durch. Stattdessen arbeitete Castellano auch an einer Erneuerung altbekannter Feerien. Während seiner Amtszeit kamen D’Ennerys und Clairvilles Feerien wie Les sept châteaux du diable und Rothomago wieder „en vogue“.129 Zudem nahm Castellano die Offenbach-Operette Le Voyage dans la lune in das Programm des Châtelet.130 Bei all diesen Produktionen achtete er sehr auf die Musik und ihre Interpreten, indem er zum Beispiel die Café-Concert-Sängerin Thérésa (1837– 1913) für Les sept châteaux du diable engagierte. Bei dieser Verknüpfung der Feerie mit einem weiteren populären Pariser Musikgenre reagierten die Kritiker jedoch skeptisch.131 Dieselbe Skepsis äußerten sie in Bezug auf die oftmals sehr üppige szenische Ausstattung historischer Dramen nach Art der Bühnenbilder des grand spectacle, die in Les Fils aînés de la République keinesfalls dem patriotisch-naturalistischen Anspruch nachkam.132 Eine Kinderfanfare in Rothomago wurde hingegen gut aufgenommen, da sie wohl direkt an die Tradition der Statistenbesetzung im Châtelet anknüpfte und der traditionellen Gleichsetzung von Zuschauern und Darstellern entsprach.133 Vor dem Hintergrund, dass die Reiseszenarien innerhalb der Ästhetik des grand spectacle mit seinen großartig inszenierten und von auflockernder Musik begleiteten Stücken besonders erfolgreich waren, ist es nicht verwunderlich, 128 Der von D’Ennery eingerichtete Le Tour du monde en 80 jours löste in Paris das Bewusstsein aus, dass Jules Vernes Romane eine geniale Vorlage für das ganz auf spektakuläre Inszenierungen ausgerichtete französische Theater darstellten. Carlson, The French Stage in the Nineteenth Century, 1972, S. 171. 129 Adrien Laroque, „Revue dramatique“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 22. Oktober 1876, 43. Jahrgang, Nr. 43, S. 342. 130 H. Moreno, „Nouvelles théâtrales“, in  : Le Ménestrel, 8. April 1877, 43. Jahrgang, Nr. 19, S. 147. 131 Gaston Escudier, „Chronique théâtrale“, in  : L’Art musical, 26. Oktober 1876, Bd. 15, Nr. 43, S. 340. 132 Adrien Laroque, „Revue Dramatique“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 14. September 1879, 46. Jahrgang, Nr. 37, S. 301. 133 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 30. September 1877, 43. Jahrgang, Nr. 44, S. 351.

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dass Castellano schließlich direkt an den Erfolg des Tour du monde en 80 jours anknüpfte. Am 5. September 1879 führte er das neue Stück von Adolphe Bélot (1829–1890), La Vénus noire, auf, dessen Handlung sich genau wie in Le Tour du monde in eine „vierstündige Reise, die sich auf der Bühne des Châtelet vollzieht“,134 ergießt, nur dass diese Reise nicht nach Russland, sondern nach Afrika führt. Mit den im Libretto vorgesehenen pittoresken Ansichten gliederte sich die szenische Realisation in den schon aus dem Zweiten Kaiserreich bekannten Kanon von illusionistischen Bühnenbildern ein, wobei das Lokalkolorit als neues Merkmal hinzutrat.135 Der Bildungsanspruch dieser Entdeckungsreise wurde durch ein kleines afrikanisches Museum herausgekehrt, das Castellano im Foyer des Théâtre du Châtelet einrichten ließ.136 Unter der Direktion des Dramatikers Émile Rochard (geb. 1851), der von 1880 bis 1882 das Théâtre du Châtelet leitete, verstärkte sich das Interesse der Theaterkritiker für die Räume hinter der Bühne. Im Juni 1882 erschien in L’Art musical ein von André Méris verfasster Artikel mit dem Titel „Coulisses de Féerie“.137 Grund für dieses Interesse lag in den immer sensationelleren Bühnenbildern und -effekten, mit denen Rochard seine Feerien ausstattete, wobei auch er seine erste Saison mit Les pilules du diable eröffnete  : Die Neuproduktion dieser Feerie wurde auf 30 Bilder, 90 Umbauten und 900 Kostüme aufgestockt und präsentierte dem Publikum außerdem „die goldene Fliege“, eine an einem unsichtbaren Seil schwebende Tänzerin.138 Mit dieser szenographischen Sorgfalt, mit der er auch Michel Strogoff, ein weiteres Stück von Jules Verne mit einer großen Abfolge verschiedener Schauplätze, inszenierte,139 hob Rochard die durch134 Laroque, „Revue Dramatique“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 14. September 1879, S. 301. 135 „Eine solch pittoreske, reiche und mit einem solchen Lokalkolorit ausgestattete Umsetzung wurde uns von noch keinem Spektakel geboten.“ Ebd. 136 Jean d’Arm, „A tort et à travers“, in  : L’Art musical, 11. September 1879, Bd. 19, Nr. 37, S. 291–292. 137 André Méris, „Coulisses de féerie“, in  : L’Art musical, 29. Juni 1882, Bd. 21, Nr. 26, S. 203– 204. 138 Adrien Laroque, „Revue Dramatique”, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 11. April 1880, 47. Jahrgang, Nr. 15, S. 116  ; J. R., „Théâtres“, in  : L’Art musical, 15. April 1880, Bd. 19, Nr. 16, S. 115. 139 H. Moreno, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 22. August 1880, 46. Jahrgang, Nr. 38, S. 299  ; J. R., „Théâtres“, in  : L’Art musical, 25. November 1880, Bd. 19, Nr. 47, S. 332.



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schnittliche Aufführungszahl der einzelnen grands spectacles von 56,17 auf 68,60 Aufführungen pro Produktion an.140 Michel Strogoff erzielte gleich 387 Aufführungen, die höchste Aufführungszahl des Châtelet aller Zeiten. Im Anschluss an diesen Erfolg bildete die Presse den Begriff „féerie géographique“ für die neuen dramatischen Vorlagen des grand spectacle heraus,141 mit der das Châtelet sein traditionelles Repertoire endlich auf die Zuschauer und die allgemein verbreiteten kulturpolitischen Intentionen der Dritten Republik abgestimmt hatte. Neben der visuellen Sensationalität dieser neuen Feerien hoben gleich mehrere Kritiker die instruktive Akkuratheit der Ausstattung hervor. „Das ist interessant und bewundernswert als Aufführung“, ließ sich in L’Art musical nachlesen. In der Musik spiegelte sich der instruktive Wert im Lokalkolorit eines russischen Marsches und eines russischen Volksliedes wider.142 Das „geographische“ Bildungspotential, das die märchenhaften Reiseszenarien suggerierten, war dabei vor allem für das jüngere Publikum geeignet. Ab 1884 häuften sich in der Presse die Nennungen von Kindern als Zielgruppe des grand spectacle des Théâtre du Châtelet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es schließlich vollständig als Kindertheater etabliert.143 Zur gleichen Zeit, um das Jahr 1895, war das Théâtre du Châtelet schließlich unwiderrufbar mit den dramaturgischen und szenographischen Charakteristika der neu aufgelegten Feerie verbunden – nicht zuletzt, da auch der folgende Direktor Antoine Floury ab 1883 genau diese Ästhetik kultivierte  : „[…] ulkige Einfälle, fulminante Bühnenansichten, wundervolle Aufzüge und Ballette […]. Für dies alles wurde das Théâtre du Châtelet gebaut und auf die Welt gebracht […]“, schrieb der Musikkritiker Jahyer 1893 über das Theater und 140 Diese Zahlen basieren auf der Aufstellung des Repertoires des Théâtre du Châtelet in  : „À l’affiche du Châtelet depuis 1862“, in  : De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 213–215. De Nussacs Aufstellung beruht auf den Angaben in Wolff/Lejeune, „Les grandes dates du Théâtre du Châtelet. Son répertoire – ses créations – ses reprises“, in  : Dies., Le Théâtre du Châtelet est centenaire, 1961. 141 Adrien Laroque, „Revue Dramatique“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 21. November 1880, 47. Jahrgang, Nr. 47, S. 373. 142 A.a.O., S. 372  ; J. R., „Théâtres“, in  : L’Art musical, 25. November 1880, S. 332. 143 Ch. G., „Revue Théâtrale“, in  : L’Art musical, 30. September 1884, Bd. 23, Nr. 15, S. 116  ; A. Landely, „Revue Théâtrale“, in  : L’Art musical, 30. September 1888, Bd. 27, Nr. 18, S. 139  ; Henri Jahyer, „La Semaine Théâtrale“, in  : L’Art musical, 26. Oktober 1893, Bd. 32, Nr. 22, S. 51.

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sein Genre.144 Einen ähnlichen traditionsbewussten Eindruck hegten die Kritiker auch in Bezug auf andere Theater, die jeweils eng mit den ihn im Zweiten Kaiserreich zugeteilten Genres und auch mit ihrem angestammten Publikum verbunden geblieben waren. Das „régime du privilège théâtral“ hatte also schon aus Gründen der dramaturgischen Wirkung in den einzelnen, architektonisch oftmals unter Haussmann explizit auf ein bestimmtes Genre angelegten Theatern das Zweite Kaiserreich überlebt.145 Neben den Theatergängern hielten letztlich auch die Direktoren und die Pariser Stadtverwaltung an dieser über längere Sicht auch in der Dritten Republik ganz natürlich erscheinenden Aufteilung der Genres auf einzelne Theater fest. Bei der Bewerbung der Familie des kürzlich gestorbenen Floury um die Weiterführung des Théâtre du Châtelet stellte sie die Bekanntheit und die Eignung dieses Theaters für das Genre der Feerie und seine bühnenbildnerische Grandiosität heraus, indem sie unter anderem auf die Misserfolge der Opéra Populaire verwies. Nichtsdestotrotz machten Flourys Nachkommen den Fehler, sich zudem für eine verstärkte Aufführung historischer Dramen auszusprechen. Diese sollten dem Publikum historische Szenarien und französische Tugenden mit authentischen Bühnenbildern und Massenszenen näher bringen.146 Die Stadt Paris entschied sich daraufhin für einen weniger bildungsbürgerlichen Ansatz und präferierte eine Theaterleitung, die eine hohe finanzielle Sicherheit versprach  : Sie vergab den Pachtvertrag im November 1898 an Émile Rochard, der schon während seiner Direktion von 1880 bis 1882 durch seinen spektakulär inszenierten Michel Strogoff überzeugt hatte. Obwohl sich auch unter Floury einige Feerien als Klassiker etabliert hatten, die das Theater regelmäßig aus der finanziellen Sackgasse holten,147 war 144 Ebd. 145 „Ich erwiderte darauf, dass Marais, dem mit Recht im Châtelet und anderswo applaudiert wird, nicht in die Comédie gehört, und meine Schlussfolgerung war  : ‚Bei einer in den Variétés gespielten Belle Hélène muss ich Tränen lachen. In der Oper würde ich sie auspfeifen.‘“ Maximin Roll, nicht weiter identifizierbarer Zeitungsartikel vom 2. Juli 1893. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6  : Châtelet – 1866–1909. 146 Brief von Mme Veuve FLOURY und MM. FLOURY Frères, Direktoren des Théâtre du Châtelet, an den Conseil Municipal de Paris, Mai 1897. Archives de Paris, V.2 M87 – 2. 147 Dabei handelt es sich um La Queue du chat (138 Aufführungen 1883), Peau d’âne (232 Aufführungen 1883), Le Tour du monde en 80 jours (138 Aufführungen 1884, 128 Aufführungen 1896), La Poule aux œufs d’or (197 Aufführungen 1884), La Chatte blanche (133 Aufführungen 1887), Michel Strogoff (151 Aufführungen 1887, 242 Aufführungen 1891, 208 Aufführungen



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es dem Direktor im Gegensatz zu Rochard in seiner Amtszeit nicht gelungen, ein Gleichgewicht zwischen Investitionen in die Bühnenausstattung und Erfolg versprechenden Produktionen mit ausreichenden Einnahmen zu finden. Floury schaffte es mit seinen Tagesumsätzen nur selten, mit den prozentualen Abgaben von 16 % pro Vorstellung den Festbetrag der Jahresmiete von 150.000 F zu erreichen.148 Deshalb wurde ihm zum Beispiel im Juli 1883 ein Prozentsatz von 20% auferlegt, der aus 10% Miete und 10% Nachzahlungen bestand. Zehn Jahre später, ab dem 1. Januar 1893, kassierte die Stadt Paris schließlich einen Festbetrag von 250 F pro Tagesumsatz ein, um fehlende Zahlungen der letzten Jahre einzuholen.149 Währenddessen war das Théâtre du Châtelet finanziell von ständigen Höhen und Tiefen gezeichnet. Hatte es noch 1889 mit der Feerie Le Prince Soleil von Léon Vasseur (1844–1917) einen Gewinnüberschuss erzielen können, der ihm von der Stadt Paris gutgerechnet wurde, warfen die im Jahr 1891 produzierten Stücke so gut wie keine Umsätze ab.150 Das im Januar uraufgeführte Drama Jeanne d’Arc mit der Musik von Benjamin Godard (1849–1895) verließ dabei musikalisch das Genre der Feerie. Floury hatte also selbst gezeigt, dass das Genre der Feerie den größten finanziellen Erfolg beim Publikum des Théâtre du Châtelet versprach. Neben seinem guten Ruf für sensationelle Bühnenausstattungen überzeugte Émile Rochard den Pariser Stadtrat zudem noch durch sein finanzielles Konzept  : Bei seinem Direktionsbeginn 1898 wurde die Aktiengesellschaft Société de l’exploitation du Théâtre du Châtelet Rochard et Cie mit einem Kapital von 1897), Cendrillon (130 Aufführungen 1889, 156 Aufführungen 1895), Les pilules du diable (151 Aufführungen 1890), Les sept châteaux du diable (134 Aufführungen 1895), La biche au bois (140 Aufführungen 1896). De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 213–215. Roxane Martin nennt Les pilules du diable, Le pied de mouton, La biche au bois und Les sept châteaux du diable als absolute Zugpferde des Pariser Feerienrepertoires bis 1864. Martin, La féerie romantique sur les scènes parisiennes, 2007, S. 397. 148 Note d’Amenant, sous-directeur des Affaires Municipales de la Préfecture du Département de la Seine, Théâtres de la Gaîté et du Châtelet, règlement des comptes de 1889, comptes de 1890, 20 Décembre 1890./Vgl. auch Cahier de la Société parisienne des trois théâtres. Archives de Paris, V.R. 199. 149 Rapport du Receveur Municipal au Secrétaire Général du 2 février 1893. Ebd. 150 Note d’Amenant, sous-directeur des Affaires Municipales de la Préfecture du Département de la Seine, Théâtres de la Gaîté et du Châtelet, règlement des comptes de 1889, comptes de 1890, 20 Décembre 1890. Ebd.

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700.000 F geschaffen.151 Indem die Stadt Paris das Théâtre du Châtelet an diesen Theatermann verpachtete, zeigte sie öffentlich, dass sie vornehmlich an der finanziellen Prosperität des Theaters interessiert war, wobei gesellschaftlich-bildungstechnische Projekte in den Hintergrund gerieten. Die bühnentechnische Sensationalität hatte auch für das Publikum ihren Preis. In seiner Amtszeit hob Rochard nicht nur die durchschnittliche Aufführungszahl auf 83,46 an, sondern vor allem – als Folge der kostspieligen Inszenierungen – die Eintrittspreise für die grand spectacle-Vorstellungen am Châtelet um 1 bis 3 F pro Kategorie (bessere Parkettplätze und Balkonplätze um 3 F  ; Logen um 1,50 F  ; drittes „amphithéâtre“ um 0,50 F  ; alle weiteren Kategorien um 1 F). Zudem schuf er – nach einer Renovierung des Châtelet – differenziertere Preiskategorien. Für die ersten, sehr beliebten und saalfüllenden Produktionen Robinson Crusoé, einer Opéra comique von Jacques Offenbach aus dem Jahr 1867, und Michel Strogoff beließ Rochard noch die regulären Preiskategorien eines théâtre secondaire.152 Ab der Wiederaufnahme der Feerie La Poudre de Perlinpinpin in der Saison 1900/1901 teilte er die Kartenpreise dann nach dem Vorbild eines théâtre primaire in die Kategorien „Mitte“ und „rechts/links“ auf, sodass sie sich auf der 1. Etage um jeweils 1 F unterschieden.153 Während die jetzt stärker voneinander abgesetzten Preiskategorien nun vollständig auf die gute Sichtbarkeit der Bühne und somit auch auf die sensationelle Bühnenästhetik des grand spectacle ausgelegt waren, durchbrachen sie auch die zuvor fließenden preislichen Übergänge zwischen den einzelnen Rängen. Die Preiserhöhung wurde in einer Zeit vorgenommen, in der die Lebenshaltungskosten in Frankreich generell anstiegen.154 Im Vergleich hierzu stellte die Absetzung der teuren von den billigen Preiskategorien einen größeren Einschnitt dar. Sie wurde unter dem folgenden Direktor Alexandre Fontanes (1861–1935), einem Schriftsteller und Schauspieler, der das Théâtre du Châtelet von 1902 bis 151 Société de l’exploitation du Théâtre du Châtelet, Rochard et Cie. En commandité par actions au capital de 700,000 Francs. Statuts, 1898. Die Namen der Aktionäre sind leider nicht bekannt. 152 Châtelet 1899–1900. Robinson Crusoé und Le photoprogramme illustré. Saison théâtrale 1899– 1900. Michel Strogoff. Théâtre du Châtelet. ARS, WNA 25  : Théâtre du Châtelet. Saisons 1866– 1906. 153 Saison 1900–1901. Théâtre Municipal du Châtelet. La Poudre de Perlinpinpin. A.a.O., Saisons 1900–1901 et 1901–1902. 154 Tacke, „Von der Zweiten Republik bis zum Ersten Weltkrieg“, 20022, S. 284.



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1929 leiten sollte, noch einmal verstärkt. Fontanes akzentuierte die gesamte 1. Reihe des 1. Balkons nun mit der teuersten Karte von 9 F, verbilligte aber dafür die Plätze des 2. und 3. „amphithéâtre“ wieder auf 2 F bzw. 1 F. Dies galt – bis auf eine Ausnahme für La Chatte blanche im Jahre 1908 – sowohl für neue Stücke, als auch für die altbekannten Wiederaufnahmen wie Michel Strogoff (1903, 1904, 1906, 1909, 1910, 1913), Le Tour du monde en 80 jours (1904, 1905, 1907, 1908, 1911, 1913), Les Pirates de la Savane (1903, 1904) und Les pilules du diable (1907, 1908). Ab der Saison 1908/1909 hob Fontanes die teuersten Plätze in der 1. Reihe des 1. Balkons noch einmal um 1 F weiter an. Auf diese Weise wurden die Zuschauer im Saal zunehmend in zwei finanziell stark voneinander abgesetzte Schichten eingeteilt. Mit Hilfe dieser Preispolitik und der ihm übertragenen Aktiengesellschaft Rochards155 gelang es Fontanes fortwährend, seinen Stücken ein „Maximum an Fröhlichkeit, das Maximum an Glanz“ zu geben,156 die sich aus abwechslungsreichen, nach der Reise-Formel zusammengestellten Bühnenbildern zusammensetzten.157 Neben der Fortführung von Rochards Preispolitik und seinem großartig ausgestatteten Feerien-Repertoire wurden unter Fontanes noch weitaus mehrere Erfolgselemente des grand spectacle im Théâtre du Châtelet verstärkt und perfektioniert  : Zum einen legte der Theaterdirektor mit Hilfe der zwei Autorenpaare Victor de Cottens (1862–1956)/ Victor Darlay und Henry de Gorsse (1868–1935)/ Victor Darlay die „féerie géographique“ neu auf. Die alten Tricks („trucs“) der Reiseszenarien wurden nun mit einer moderneren Geschichte und neuen (amerikanischen) Schauplätzen kombiniert. Hiermit sollte das altbe155 Rochards Aktiengesellschaft wurde Fontanes 1908 übertragen. Im gleichen Jahr stockte die Gesellschaft ihr Kapital auf 800.000 F auf. Société de l’exploitation du Théâtre du Châtelet, Fontanes et Cie. En commandite par actions au capital de 800,000 Francs. Statuts, 1908. 156 „Indiscrétions – Communiqués. ‚Le Roi de l’Or‘ amuse“, nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel vom 27. November 1912. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6, Châtelet – 1911–1929. 157 „Man kommt hier her, um die Inszenierung zu sehen“, fasste Fontanes die Attraktion des grand spectacle zusammen. M. Sweet, „Tom Pitt“, nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel vom 1. April 1905. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6  : Châtelet – 1866–1909. Vgl. auch Guy Launay, „Répétition générale au Châtelet ‚Le Roi de l’Or‘“, 23. November 1912. Nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6, Châtelet – 1911–1929  ; Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 35. Jahrgang, 1909, Paris, 1910, S. 332.

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kannte Genre für die große Bühne des Châtelet aufgefrischt und für Kinder wie auch für Erwachsene gleichzeitig interessant gemacht werden.158 Zum anderen verlegte sich Fontanes auf traditionelle Gattungen des grand spectacle aus dem Zweiten Kaiserreich. In der Saison 1907/1908 führte der Direktor unter dem sprechenden Titel La Revue du Châtelet erstmals wieder eine große Revue auf. Eine solche Produktion fügte sich nahtlos in eine allgemeine Pariser Entwicklung ein, das Genre der Revue wieder aufleben zu lassen, wobei sich Fontanes’ Stück explizit an so manches Charakteristikum der Revue des Zweiten Kaiserreichs wie die Rekrutierung von noch unerprobten Tänzerinnen anglich.159 Zudem bediente man sich eines Bühnenbilds, das die Siegessäule der Place du Châtelet für eine Massenszene auf der Bühne reproduzierte.160 Zwei Jahre später ließ der Direktor schließlich ein erstes neues „Militärstück“ ankündigen, La Petite Caporale. „Die Direktion baut sehr auf dieses Stück, sie baut sogar so sehr darauf, dass sie ihre Projekte ganz darauf beschränkt“, zitierte der Journalist den Generalsekretär des Châtelet, Begusseau, über dieses Stück mit einer Darstellung der Schlacht von Marengo.161 Die Rückkehr zu den Ursprüngen des Théâtre du Châtelet wurde von der Presse sofort erkannt. In seinem Artikel in Le Théâtre wiederholte der Theaterkritiker Adolphe Adérer aus Anlass der Premiere von La Petite Caporale die Geschichte des Cirque Olympique und seiner spectacles militaires.162 Letztendlich stellte sich die Bezeichnung „pièce militaire“ 158 Sweet, „Tom Pitt“, nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel vom 1. April 1905. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6  : Châtelet – 1866–1909  ; Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 31. Jahrgang, 1905, Paris, 1906, S. 347  ; G. de Pawlowski, „Les aventures de Gavroche“, in  : Comœdia illustré, 15. Feburar 1909, 1. Jahrgang, Nr. 4, S. 105–106  ; M. Sweet, „Le Châtelet. Les Aventures de Gavroche“, in  : La Vie Théâtrale artistique et mondaine. Revue illustrée de l’art au théâtre, 25. März 1909, 4. Jahrgang, Nr. 6, S. 24. 159 Michel Joyau, „Théâtre du Châtelet“, in  : La Vie Théâtrale artistique et mondaine. Revue illustrée de l’art au Théâtre, 25. März 1908, 3. Jahrgang, Nr. 4, S. 7. 160 Le Photoprogramme. Revue Photographique Illustrée des Théâtres de Paris, La Revue du Châtelet. Châtelet, 14. Jahrgang, 2. Serie, Nr. 37, Paris, 1908. ARS, WNA 25  : Théâtre du Châtelet. Saisons 1906–1920. 161 J. B., „Au Châtelet. Les projets de M. Fontanes“, in  : Comœdia illustré, 1. September 1909, 1. Jahrgang, Nr. 17, S. 481  ; G. de Pawlowski, „Théâtre du Châtelet – ‚La Petite Caporale‘“, in  : Comœdia illustré, 15. November 1909, 2. Jahrgang, Nr. 4, S. 101. 162 Adolphe Adérer, „Théâtre Municipal du Châtelet. La Petite Caporale“, in  : Le Théâtre, September (II) 1910, Nr. 282, S. 18–23.



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jedoch als ein purer Differenzierungsversuch an der Oberfläche der grand spectacle-Ästhetik heraus, denn La Petite Caporale wartete mit denselben Elementen wie alle anderen Stücke auf – vor allem da Napoleon Bonaparte zu Pferd und die Grande Armée auch in weiteren Stücken begeisterten.163 Des Weiteren zeichnete sich La Petite Caporale wie das typische „pièce à grand spectacle“ durch eine „Bemühung um Quantität“ aus, sodass auch hier lediglich zu bedauern war, „dass dieselbe Sorgfalt nicht auf die Qualität angewandt wurde“.164 Die Rekurse auf traditionelle Erfolgsrezepte aus jüngster Zeit aber auch aus dem Zweiten Kaiserreich begünstigten die dauerhafte Ausprägung des grand spectacle als Kindertheater. Vor allem die alten Helden des spectacle militaire samt ihrer Ausstattung wurden als historisch besonders instruktiv für das Kinderpublikum angesehen. Spätestens um 1910 herum war es zur Tradition geworden, an Weihnachten165 und Neujahr mit seinen Kindern ins Théâtre du Châtelet zu gehen, sodass sich 1912 sogar die Schokoladenindustrie an diesen Brauch anpasste. Diese Tradition machte die grand spectacle-Vorstellungen im Châtelet auch für die Eltern zum gesellschaftlichen Ereignis.166 Die Attraktion des Kinder- und Erwachsenenpublikums durch das Stück und die fröhliche und mitreißende Atmosphäre im „Orchester“ der Zuschauer entstand dabei selten ohne Musik  : „Herr Fontanes weiss, was er seinem Kinderpublikum schuldig ist. Dank des Schwungs von Herrn de Gorsse und Herrn Nanteuil haben wir bei der Revue du Châtelet den unterhaltendsten Abend überhaupt verbracht. Nicht eine Minute lang kam Langeweile auf. […] Da ziehen sie alle zu einem fulminanten Spektakel auf, bei dem das Orchester seine Klänge unter das Waffengeklirr mischt  ; das alles, um mit der großen Nationalfigur des Kaisers in seinem grauen Gehrock, mit seinem kleinen Hut auf dem Kopf und auf seinem weißen Pferd von Austerlitz zu enden. Er wird von seinem Generalstab eskor-

163 Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 34. Jahrgang, 1908, Paris, 1909, S. 362. 164 De Pawlowski, „Théâtre du Châtelet – ‚La Petite Caporale‘“, in  : Comœdia illustré, 15. November 1909, S. 101. 165 „Le Théâtre. Merveilles pour la Noël“, nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel vom 2. Dezember 1911. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6, Châtelet – 1911–1929. 166 Nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel vom 4. Januar 1912. Ebd.

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tiert, dem Grenadiere der Obhut vorausreiten, deren Trommeln über die Felder erklingen. Das Spektakel ist atemberaubend, es ruft die lärmende Emotion des Saals hervor, der mit großem Orchester den mitreißenden Marsch von Sambe-et-Meuse unterstützt, und inmitten der Hurras erwacht die Erinnerung an die Grande Armée.“167

Auch die Schauspieler schafften es oft, im Saal eine „ausgelassene Fröhlichkeit“ zu verbreiten.168 Sie fielen keinesfalls hinter die raffinierte Bühnenausstattung zurück,169 zumal Fontanes wie schon vor 1870 meistens die beliebtesten Darsteller aus ganz Paris in einem Stück vereinte.170 Die gute schauspielerische Qualität der Darsteller ließ die Rampe zwischen Bühne und Saal oft verschwinden, und ein „unwiderstehlicher ‚Strom‘“ etablierte sich zwischen den Schauspielern und Zuschauern.171 All diese herkömmlichen Elemente festigten das Erscheinungsbild des grand spectacle, das nun gleichsam perfektioniert schien  : Die „féerie géographique“ mit ihren grandiosen Bühnenbildern, ihrer musikalischen Begleitung mit „Farbe und Pittoreskem“ und mit ihren wunderbaren Balletten vor dem als „traditionsbewusst“ beschriebenen Kinderpublikum entsprach kurz vor dem Ersten Weltkrieg sowohl den Vorlieben der Kinder als auch den Kindheitserinnerungen des erwachsenen Publikums.172 All dies wurde un167 Stoullig/Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1908, 1909, S. 362. 168 Calixte Denamiel, „Châtelet. – Le Roi de l’Or“, in  : La Chronique de Paris, November 1912. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6, Châtelet – 1911–1929. 169 Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 25. Jahrgang, 1899, Paris, 1900, S. 246. 170 „Indiscrétions – Communiqués. ‚Le Roi de l’Or‘ amuse“, 27. November 1912. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6, Châtelet – 1911–1929. 171 Vor allem der Darsteller Pougaud übte eine große Anziehungskraft auf das Publikum aus. Stoullig/Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1905, 1906, S. 344  ; Dies., „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1903, 1904, S. 352  ; M. Hérelle, „Pougaud, le Coquelin des gosses, n’est plus“, in  : Paris-Soir, 9. November 1928. ARS, Fonds Rondel  : Rt 19941 (1+2)  : Pougaud, Désiré. 172 Ernest La Jeunesse, „Au Châtelet  : ‚Le Roi de l’Or‘“, in  : Comœdia illustré, 5. Dezember 1912, 5. Jahrgang, Nr. 5, S. 190  ; Stoullig/Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1908, 1909, S. 365  ; Nozière, „Chronique de Nozière“, in  : L’Intransi­ geant, 17. Februar 1913/Edmond Sée, „Au Châtelet, L’Insaisissable Stanley Collins“, November 1913/Robert de Flers, „Châtelet  : L’Insaisissable Stanley Collins“, in  : Le Figaro, November 1913. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6, Châtelet – 1911–1929.



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mittelbar mit dem Saal des Châtelet verbunden  : „Fügen wir noch hinzu, dass diese anhaltende, etwas seltsame Bewegung, indem sie dem Saal des Châtelet das Leben und die Fröhlichkeit verleiht, die er braucht, an keinem Ort einen besseren Platz und eine Daseinsberechtigung hat, als in diesem ausgedehnten Rahmen“, schrieben Edmond Stoullig und Édouard Noël in ihren Annales du théâtre et de la musique von 1906.173 2.2.2 Theater auf dem Theater  : Das Rezeptionsmodell des grand ­spectacle im Théâtre du Châtelet

Das Repertoire des Théâtre du Châtelet zwischen 1871 und 1914 weist entsprechend den volksbildenden Anstrengungen seiner Direktoren vor allem Dramen (36) und „pièces“ (26) auf, wie die „féeries géographiques“ schnell allgemein genannt wurden. Darauf folgen noch Feerien (16) und Operetten (6). Militärstücke (2) und Revuen (1) wurden dagegen so gut wie gar nicht mehr, beziehungsweise nur gegen 1914 unter Fontanes gespielt.174 Sieht man die Publikation der Libretti des grand spectacle als Anzeichen für den Publikumserfolg des Stücks, so zeichnet sich die Gattung der „pièces“ als das beim Publikum beliebteste Spektakel ab. Gleichzeitig handelt es sich bei diesen Stücken um die Gattung mit den meisten Musikstücken  ; die „pièces“ ersetzten im Repertoire des Châtelet also vollständig die Feerien und Revuen.175 In den „pièces“, die während der Dritten Republik im Théâtre du Châtelet aufgeführt wurden, wurde der Saal überhaupt nicht mehr bespielt. Stattdessen lässt sich eine Weiterführung der dramaturgischen Entwicklung feststellen, die auch schon die Feerien und Revuen des Zweiten Kaiserreichs kennzeichnete  : Der dramaturgische Zusammenhalt der Stücke ergab sich fortwährend aus Wiederholungen von Wörtern oder Szenenkomplexen zu Beginn und am Ende der 173 Stoullig/Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1905, 1906, S. 342. 174 De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 213–215. 175 Der Anteil der in den „pièces“ verwandten Potpourri-Stücke beträgt 93% der 92 angegebenen Einzelstücke  ; die restlichen 7% wurden in den Dramen gespielt. Diesmal ließen sich für das Drama 33%, für die „pièce“ aber nur 17% der in den Libretti angegebenen Einzelstücke identifizieren. Für die „pièces“ sind dies 15 Stücke, für die Dramen 2. Vgl. Anhang IV.2.

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Stücke. An den Titel des Stücks gebundene Ausrufe und Typenbezeichnungen wurden nun sehr häufig als immer wiederkehrende Motive verwendet und charakterisierten gleichzeitig die Hauptfiguren (wie z.B. „Fils du Diable“ in Le Fils du diable,176 „Für Gott, für den Zaren, für das Vaterland  !“ in Michel Strogoff 177 oder „diable à quatre“ in Le Diable à quatre178). Mit diesen Motiven strukturierten die Autoren die nun linear ablaufenden Stücke, die das Publikum an immer entferntere und abwechslungsreichere Schauplätze führten. Wie sich an den „pièces“ Les Cinq sous de Lavarède, der ersten Produktion Fontanes’ aus dem Jahr 1902, bis zu Le Diable à quatre aus dem Jahr 1914 zeigen lässt, folgten die Libretti der einzelnen Produktionen dem sehr uniformen Plot des „Wettlaufs um die Dollars“,179 und auch die Schauplätze konzentrierten sich immer mehr auf die Vereinigten Staaten (vor allem auf Texas, New York und Chicago).180 Die dramatische Aktion trat zum Teil ganz hinter die szenische Sensationalität zurück. Währenddessen geschah die Angleichung von Bühne und Saal durch groß angelegte geometrische Gegenüberstellungen beider Räume. Das Drama Le Fils du diable aus dem Jahr 1873 praktizierte diesen publikumswirksamen dramaturgischen Effekt noch durch ein abgerundetes Bühnenbild am Schluss des Stücks, das den Protagonisten Reinhold ins Zentrum der Bühne stellte.181 Unter Fontanes, der Rückgriffen auf das traditionelle Genre des Théâtre du Châtelet seit Beginn seiner Amtszeit nicht abgeneigt war, kamen die Librettisten schließlich zwecks Einbindung des Publikums in das Stück vor allem auf den Topos des „Theaters auf dem Theater“ und auf traditionelle Elemente des Vaudeville zurück.182 Diese beiden Maßnahmen scheinen sich zu bedingen, da 176 Féval/Saint-Yves, Le Fils du diable, o. D. [1873]. 177 D’Ennery/Verne, Michel Strogoff, o. D. [1880]. 178 Darlay/De Gorsse, Le Diable à quatre, 1914. 179 Nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel vom 4. Januar 1912. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6  : Châtelet – 1911–1929. 180 Darlay/De Gorsse, Le Diable à quatre, 1914. Auch Japan und Peking wurden in den „pièces“ oft von den Protagonisten bereist. Siehe zum Beispiel D’Ivoi, Les Cinq sous de Lavarède, o. D. [1902]. 181 Féval/Saint-Yves, Le Fils du diable, o. D., S. 45. 182 Dies erklärte die Presse auch schon in Bezug auf das 1903 aufgeführte Stück L’Oncle d’Amérique  : „Das Stück hat sowohl etwas vom Vaudeville als auch von der Feerie und bringt an einigen Stellen zusätzlich gute Komödien-Szenen. Um es genau zu sagen, handelt es sich bei dem vorliegenden Stück um ein Le Tour du monde eines neuen Genres.“ Stoullig/ Noël, „Théâtre



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die Vaudeville-Elemente in den Libretti direkt an Bühnenbilder mit Ansichten eines Theatersaals anknüpften. Die Entwicklung hin zum „Theater auf dem Theater“ hat ihren Ursprung zwar in älteren Libretti (In Michel Strogoff sind zum Beispiel schon mehrere Anspielungen auf die Theaterwelt enthalten, die mit der Abb. 22 : La Petite Caporale, 13. Bild. Fiktionalität des Stücks verbunden werden), tradierte sich jedoch hauptsächlich im Bühnenbild : Im Laufe der Jahre etablierte sich die Darstellung eines Theaters auf dem Theater als Schlussbild der „pièces“. Dies ist in La Petite Caporale (1909), Arsène Lupin contre Herlock Sholmès (1910), Le Roi de l’or (1912) und Le Diable à quatre (1914) besonders ausgeprägt, wobei schon die Photoprogramme zu Tom Pitt (1905) und Pif ! Paf ! Pouf ! (1906) Ansichten von Bühnenbildern mit Theatersälen zeigen. In La Petite Caporale wurde das Bild des Saals des Théâtre de la Gaîté im Voraus sogar besonders angekündigt ; in Arsène Lupin contre Herlock Sholmès gehörte es den Kritikern zufolge dagegen schon fest zum Repertoire.

du Châtelet“, in : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1903, 1904, S. 353. Mit dem „Theater auf dem Theater“ nahm Fontanes ein typisches Bühnenbild der Revuen des Zweiten Kaiserreichs wieder auf. Vgl. das 10. Bild „Les Théâtres“ aus Clairville/ Siraudin/ Busnach, Paris-Revue, o. D., S. 13–15. 183 D’Ennery/Verne, Michel Strogoff, o. D., S. 17. 184 Théâtre Municipal du Châtelet. La Petite Caporale. Programme officiel, 1909–1910/Théâtre Municipal du Châtelet. Le Roi de l’Or, 1912–1913/Le diable à quatre, 12.02.1914. ARS, WNA 25 : Théâtre du Châtelet. Saisons 1906–1920. 185 Le Photoprogramme Postal des Théâtres. Châtelet, Tom Pitt, Saison 1904–1905. Ebd.; Théâtre Municipal du Châtelet, Pif ! Paf ! Pouf ! ou Un Voyage Endiablé. Programme officiel, 1906. BHVP, Théâtre du Châtelet 54. 186 De Pawlowski, „Théâtre du Châtelet – ‚La Petite Caporale‘“, in : Comœdia illustré, 15. November 1909, S. 101. 187 Paul Boyer, „Théâtre du Châtelet – ‚Arsène Lupin contre Herlock Sholmès‘“, in : Comœdia illustré, 15. November 1910, 3. Jahrgang, Nr. 4, S. 102.

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Gegen 1914 wurde schließlich auch in der Musik auf eine musikalische Gattung des traditionellen Vaudevilles zurückgegriffen, die das auf der Bühne gezeigte „Theater auf dem Theater“ unterstrich  : In Le Diable à quatre schließt das Stück mit einem Duell, das vorher in einem Chanson als „Theater auf dem Theater“ angekündigt wird.188 Ein weiteres Chanson nach Art des Schlussvaudevilles ganz am Ende des Stücks, das von allen Hauptdarstellern gesungen wurde, bezieht dann das Publikum direkt mit ein, indem es die Zuschauer zum Applaus und zum Wiederkommen motiviert. Mit dem Schlussvaudeville wurden Fiktion und Realität ein weiteres Mal überlagert, und die Zuschauer erscheinen den Darstellern absolut gleichgestellt  : „Huguette  : Heut abend wurd der Teufel zum Engel, Und dank ihm hat sich alles arrangiert. Betsy  : Dann ist es jetzt an Dir, liebes Publikum, eine ebenso gute Miene zu machen, Alle  : Ja, wenn unser Diable à quatre, Dir fröhlich vorkam und lustig, Mach uns die Freude, liebes Publikum, Zuerst einmal zu applaudieren, Und anschließend noch einmal wiederzukommen  !“189

Le Roi de l’or geht noch weiter  : Hier spielt der ganze Mittelteil des Stücks im und um das Théâtre du Châtelet.190 In der finalen Massenszene werden dann fiktionaler Bühnenraum und der ihm symmetrisch gegenübergestellte reale Zuschauerraum zu einem fiktionalen Raum vereint, indem sich die Darsteller an 188 Darlay/De Gorsse, Le Diable à quatre, 1914, S. 33. 189 „Huguette  : Ce soir, le diabl’ s’est fait ange, Et grâce à lui tout s’arrange, Betsy  : A toi donc, public charmant, D’avoir de même un bon mouv’ment, Tous  : Oui, si notre Diable à quatre T’parut joyeux et folâtre, Public, fais-nous l’plaisir Tout d’abord d’applaudir, Ensuite de revenir   !“ A.a.O., S. 36. 190 Darlay/De Gorsse, Le Roi de l’or, o. D., S. 20–21.



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der Bühnenrampe aufstellen und der reale Theatersaal für sie zu einer Pferderennbahn wird.191 Die geometrische Reproduktion des realen Theatersaals auf der Bühne wurde somit als Grundlage für die Herstellung des fiktionalen Raums zwischen Darstellern und Zuschauern genutzt. Auf diese Weise verschwommen Realität und fiktionale Handlung, wie es auch schon bei den Anspielungen auf das Pariser Theaterrepertoire in den Feerien der Fall gewesen war. Die Anspielungen der „pièces“ und Dramen mit Musik bezogen sich währenddessen überhaupt nicht mehr auf das Pariser Theaterrepertoire, sondern auf das internationale Theater- und Kunstleben im Allgemeinen. In Le Diable à quatre werden nicht nur das mondäne Pariser Publikum und der Kubismus erwähnt, sondern auch das amerikanische und russische Theater.192 Politische Anspielungen waren seit den 1880er Jahren fast ganz versiegt. Nach Le Fils du diable (1873), das in Deutschland spielt, und den politisch-kulturellen Anspielungen auf die Beziehungen Frankreichs zu England und Russland in Michel Strogoff (1880) kamen sie nicht mehr in den Libretti des grand spectacle vor. Die nun vorherrschenden Anspielungen auf die Pariser und internationale Theatermode setzten ein kulturell gebildetes Publikum voraus, das ganz den kleinbürgerlichen Zuschauern des Théâtre du Châtelet entsprach und sich weitestgehend vom volkstümlichen Vergnügungspublikum des Boulevard du Temple abgesetzt hatte. Mit dem Einbezug historischer Gattungen des alten Theaterboulevards wie dem Schlussvaudeville zeichnete sich das grand spectacle des Châtelet zudem durch in der Geschichte entfernte musikalische Formen aus, bei denen das erwachsene Publikum seine kulturelle Bildung anbringen konnte. Das Bühnenbild vollzog sowohl die bildungsbezogenen und zugleich sensationsgerichteten Anforderungen des Publikums nach, als dass es auch die geometrische Gegenüberstellung von Bühne und Saal zum Einbezug des Publikums in die Fiktion des Stücks stark formalisierte. Von 1871 an interessierte sich die Presse zunehmend für die Kulissen des großen Théâtre du Châtelet und die bühnentechnische Realisierung seiner Spektakel.193 Gleichzeitig wurden nun „Photo191 A.a.O., S. 32. 192 Darlay/De Gorsse, Le Diable à quatre, 1914, S. 21 und S. 35. 193 G. Maréchal, „La Science au Théâtre“, in  : La Nature, Bd. 1, 1889, S. 421–422  ; Ders., „Trucs de théâtre. La Féerie des Pilules du diable“, in  : La Nature, Bd. 2, 1890, S. 95–96  ; G. Chalmarès, „La Science au Théâtre. Chaudière électrique, cascade de pierreries, ballet de bijoux“, in  :

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programme“ herausgegeben, in denen die eindrucksvollsten Bühnenansichten abgedruckt waren. In den 23 für das Théâtre du Châtelet erhaltenen Programmen194 finden sich zu etwa gleichen Teilen Abbildungen von Tanzszenen (21), Massenszenen (25) und szenischen Handlungen der Protagonisten (26). Die Abbildungen von Tanz- und Massenszenen gehörten besonders gegen 1914 zu den beliebtesten Abbildungen der „Photoprogramme“, was auf eine verstärkte Wichtigkeit der Spiegelung des großen Publikums im Saal hinweist.195 Die meisten Bilder (45) sind darüber hinaus symmetrisch angelegt, wobei sich Bühnenbild und Choreographie gegenseitig verstärken. Bei 10 Bildern wird die Symmetrie entweder nur durch die Choreographie oder nur durch das Bühnenbild erzeugt, und 17 Bilder mit szenischen Darstellungen weisen gar keine Symmetrie auf. Die Inhalte der Bilder bestätigen, dass sich während der Dritten Republik die beiden Szenenarten der halbkreisförmigen Massenszene und der Sensationsszene herausbildeten. In letzterer kam die ausgefeilte Bühnenmaschinerie des Châtelet zum Einsatz, um Überfälle, Zugentgleisungen, Flugzeuglandungen oder Schiffe in Seenot darzustellen.196 Wie schon in den Bühnenbildern des Zweiten Kaiserreichs ist auch hier die Winkelperspektive sehr präsent, mit der die massigen Aufteilungen des Bühnenraums oft variiert werden (vgl. Abb. 23).197 Kreisförmige Strukturen und Symmetrien dominieren dagegen ganz die Titelblätter der Libretti und Musikstücke. Indem Titel und Bild sehr oft kombiniert sind, erinnern sie stark an Poster der einzelnen Stücke, zumal, da hier oftmals mehrere herausragende Szenen zu einer Gesamtdarstellung verbunden werden. Die Titelblätter der Musikstücke zweier Feerien aus den Jahren 1882 und 1887 haben zwar keine identischen Bildseiten, stellen jedoch jeweils ein La Nature, Bd. 1, 1902, S. 115–118  ; Pierre Calmettes, „L’envers d’un théâtre de féerie. Comment se monte et se joue une féerie“, in  : Le Monde moderne, Januar-Juni 1904, S. 351–364. 194 Eine Auflistung aller Programme findet sich in Anhang V. 195 Lediglich das Programm zu Le Roi de l’Or (1912) widerspricht dieser Entwicklung durch eine große Anzahl Bilder szenischer Handlungen der Protagonisten. Théâtre Municipal du Châtelet. Le Roi de l’Or, 1912–1913. ARS, WNA 25  : Théâtre du Châtelet. Saisons 1906–1920. 196 Vgl. Photoprogramme illustré des Théâtres. Châtelet. Le Tour du monde en 80 jours, Saison théâ­ trale 1897/98, 4. Jahrgang, Nr. 40. ARS, WNA 25  : Théâtre du Châtelet. Saisons 1866–1906. 197 „Présentation du 15e Tableau par M. Amable“, in  : Mr. Polichinelle. 1904–1905. 1re  : 16. Octobre 1904/Le Photoprogramme illustré des Théâtres, Les Quat’ cents coups du diable. Féerie à grand spectacle de M. Victor de Cottens et Victor Darlay, 1905. A.a.O.



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Abb. 23 : Rothomago, Les danses nationales, grand ballet.

zentrales Bühnenelement auf die Mittelsenkrechte, hinter oder vor dem Tanzensembles oder Darstellermassen aufgestellt sind. Da sich die Titelblätter der Musikstücke des Châtelet von denen anderer Theater wenig unterscheiden, ist anzunehmen, dass das ästhetische Merkmal der Symmetrie in der gesamten Pariser Popularästhetik Anklang fand, im großen Saal des Châtelet aber durch Tanz- und Massenszenen zur Perfektion gebracht wurde. Auf den Titelblättern der „pièces“ zeigt sich die Symmetrie des Kreises gleich als werbetechnische Strategie : Das Cover des Librettos zu Michel Strogoff (1880) kombiniert den Namen der „pièce“ mit einer handlungsreichen Szene, in der ein verfolgter Reiter mit seinem Pferd aus einem Kreis herausspringt. Auch auf den Titelblättern zu Le Roi de l’or 00 und Le Diable à quatre 0 finden sich Kreise, die mehrere Szenenbilder voneinander abtrennen. In Le Diable à quatre wird diese Überlagerung von Szenenbildern mit Kreisformen zudem noch mit einer starken Symmetrie 198 Artus, Théâtre du Châtelet. Les 1001 Nuits, 1882 ; Ders., Théâtre du Châtelet. Les 1001 Nuits. Quadrille sur les motifs de la Féerie de A. d’Ennery et Paul Ferrier, 1882 ; Ders., Théâtre du Châtelet. Les aventures de Monsieur de Crac, féerie de MM. Ernest Blum et Raoul Toché. De Crac-Polka, 1887. 199 D’Ennery/Verne, Michel Strogoff, o. D., 28 S. 200 Darlay/De Gorsse, Le Roi de l’or, o. D. 201 Darlay/De Gorsse, Le Diable à quatre, 1914.

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kombiniert  : Die in den jeweiligen Bauten angelegten Perspektiven der beiden oberen und unteren Bilder spiegeln einander (Abb. 24). Im Gegensatz zu dieser Festigung des Bühnenbilds im Zusammenhang mit der publikumsbezogenen Dramaturgie der Stücke ist in der Musik eine langsame, jedoch stetige Emanzipation von den einfachen Bogenformen, Harmonien und Melodien zu erkennen. Im Laufe der Dritten Republik entwickelte sich die musikalische Begleitung der grands spectacles vom Vaudeville immer weiter zur Operette. Schon die hohe Fluktuation der Dirigenten des Orchesters, für die das Théâtre du Châtelet meistens eine von vielen Karrierestationen in der Pariser Theaterwelt darstellte, weist auf die enge Verbindung der Musik des grand spectacle mit dem Pariser Musikrepertoire im Allgemeinen hin. Während der Dritten Republik waren fünf Dirigenten am Théâtre du Châtelet angestellt  : 1874, nach den ersten Direktionswechseln und der kurzzeitigen Umfunktionierung des Châtelet in eine Opéra Populaire, übernahm Adolphe de Groot die Stelle des Chefdirigenten ein weiteres Mal, als sein Vorgänger Adolphe Maton (geb. 1833, ehemals Théâtre Lyrique) das „von der Feerie vereinnahmte Châtelet“ regelrecht floh, wie die Presse berichtete.202 1875 verließ De Groot jedoch das Théâtre du Châtelet wieder, um durch den ehemaligen Dirigenten der Folies-Dramatiques, D. Thibault, ersetzt zu werden.203 Maton und Thibault beteiligten sich nicht an der Komposition von Musikstücken für die Potpourris, sondern fungierten während der Opéra Populaire und unter der Direktion von Larochelle und Ritt ausschließlich als Dirigenten.204 Um 1880 herum arrangierte und komponierte Alexandre Artus (1821–1911) die grand spectacle-Stücke des Théâtre du Châtelet. Der aus einer Musikerfamilie stammende Dirigent und Komponist hatte schon vorher an mehreren zweitrangigen Theatern wie der Gaîté, dem Ambigu-Comique und den Folies-Dramatiques gewirkt.205 Spätes202 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 27. Dezember 1874, 41. Jahrgang, Nr. 4, S. 30. 203 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 7. März 1875, 41. Jahrgang, Nr. 14, S. 110. 204 Vgl. „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 25. Juli 1875, 41. Jahrgang, Nr. 34, S. 268 und H. Moreno, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 26. Dezember 1875, 42. Jahrgang, Nr. 4, S. 27–28. 205 Marius Boisson, „Les Musiciens d’autrefois. Les Artus“, in  : Artus (Alexandre) et Artus (Amédée). Note biographique et critique. ARS, Fonds Rondel, Ro 2346.



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tens ab 1899 besetzte Marius Baggers (gest. 1939) die Stelle. Auch er hatte vorher an anderen Pariser Theatern gearbeitet,0 blieb jedoch von da an bis in die zwanziger Jahre am Châtelet.0 Die erhaltenen Musikstücke, die hautpsächlich aus den „pièces“ stammen, sprechen für eine Erweiterung der kompositorischen Mittel. Im Laufe der Dritten Republik verlagerte sich das Potpourri nicht nur auf Instrumentalstücke (insgesamt herrschten nun Märsche (6), Chansons (4) und Polkas (4) vor), sondern auch die kompositorische Anlage der Einzelstü- Abb. 24 : Le Diable à quatre. cke war nun komplexer. Die grundlegenden musikalischen Merkmale der Potpourris aus dem Zweiten Kaiserreich blieben dabei erhalten : Obwohl die Wichtigkeit des 6/8-Takts deutlich abnahm, wurden immer noch je eine binäre (2/4-Takt) und eine tertiäre Taktart (3/4-Takt) bevorzugt. C-, D- und G-Dur blieben – gefolgt von B-, F- und Es-Dur – die häufigsten Tonarten. Daneben ist jedoch eine stärkere Nutzung der Moll-Tonarten a- und d-Moll erkennbar. Auch im Hinblick auf die Tempoangaben lässt sich eine Differenzierung erkennen. Das Allegro war zwar noch immer das Tempo der meisten Stücke, jedoch wurden nun auch Moderato, Maestoso und Lento als Tempi sehr wichtig. Dies alles spricht für eine Emanzipation der Musik von der Tradition des Vaudeville, das heisst ihrer festen, mit der Bühnenästhetik des grand spectacle konformen 206 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in : Le Ménestrel, 4. Juli 1880, 46. Jahrgang, Nr. 31, S. 247. 207 Die aus Excelsior vom 22. September 1939, dem Todesjahr von Marius Baggers, übernommene biographische Notiz des Fonds Rondel erwähnt, dass dieser über dreißig Jahre lang am Théâtre du Châtelet als Dirigent angestellt war. „Musique. Mort de Marius Baggers“, in : Excelsior, 22. September 1939. ARS, Fonds Rondel, Ro 2414 : Baggers (Marius). Notice biographique.

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Struktur und Definition als fröhliche auditive Abbildung durch Melodie und Harmonie des auf der Bühne Gesehenen hin zu einer auf den Inhalt des Stücks bezogenen Bühnenmusik.208 Diese Entwicklung zeigt sich auch an der Einteilung der Stücke nach dem melodisch-harmonischen Modulationspotential. Von 33 Einzelstücken bleiben 8 im Rahmen der Tonika  ; 8 Stücke modulieren im Mittelteil in die Tonart der Dominante oder der Tonikaparallele, 3 Stücke modulieren in eine andere Tonart, und 14 Stücke weisen mehrere Modulationen auf. Zieht man von dieser Betrachtung die von den Dirigenten des Châtelet komponierten Stücke ab, dreht sich das Bild  : Es bleiben nun 15 Stücke, von denen 6 in der Grundtonart bleiben, 3 Modulationen des Mittelteils in eine der Tonika verwandte Tonart aufweisen, 2 Stücke einen Mittelteil in einer anderen Tonart haben und nur 4 Stücke mehrere Modulationen zeigen. Auch hier kann also gesagt werden, dass die hauseigenen Komponisten für die Differenzierung der musikalischen Anlage der Potpourri-Stücke verantwortlich sind.209 Die meisten erhaltenen Musikstücke des grand spectacle stammen von den beiden Dirigenten des Châtelet, Alexandre Artus und Marius Baggers (21 Stücke). Außer ihnen komponierten noch George Guilhaud und Maurice Naggiar große Teile der als Publikation erhaltenen Musik (8 Stücke). Gegen 1914 wurde zudem die großflächige Einarbeitung beliebter Arien aus neuen Operetten wie Die Dollarprinzessin von Leo Fall (1873–1925) und Le Comte du Luxembourg von Franz Léhar (1870–1948) modern.210 Der Anteil der Arien aus der Clé du Caveau reduzierte sich dagegen entscheidend (2 Stücke, die sofort von der Presse als Lieder aus einer anderen Zeit bemerkt wurden211)  ; das traditionelle Repertoire der Vaudevilles war demnach nicht mehr aktuell. Die musikalische Evolution gen die zeitgenössische Operette vollzog sich jedoch nur sehr langsam. Sie bildete sich im Zusammenhang mit der Verstärkung des Lokalkolorits, das die exotischen Schauplätze der „pièces“ und die tableau-artigen Bühnenbilder untermalte, und mit den Balletten heraus, für die 208 Siehe Anhang IV.4. 209 Siehe Anhang IV.5. 210 Vgl. Szene 6, 2. und 3. Bild, sowie Szene 5 in  : Darlay/De Gorsse, Le Diable à quatre, 1914. 211 Félix Duquesnel, „Les Premières“, nicht weiter bestimmbarer Zeitungsartikel vom Dezember 1898. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet, Karton 6, Châtelet – 1866–1909.



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komplexere musikalische Strukturen verwendet werden konnten. Dies lässt sich exemplarisch anhand der Musikstücke zu Michel Strogoff zeigen, die im Laufe der vielen Aufführungen dieser erfolgreichen „pièce“ immer wieder nachkomponiert wurden. Es fällt auf, dass zu Michel Strogoff nur Instrumentalstücke in der Orchesterversion existieren. Sie stammen von Alexandre Artus (6 Stücke), Marius Baggers (1 Stück) und George Guilhaud (1 Stück). Vor allem die Kompositionen von Alexandre Artus entsprachen in ihrer harmonischen Anlage noch der herkömmlichen Definition der jeweiligen Gattung. Der Strogoff-Quadrille weist zum Beispiel die traditionellen Tonart- und Taktwechsel eines Quadrille (Modulation in die Tonarten der Dominante und Subdominante, Alternation zwischen 6/8- und 2/4-Takt) auf. Die regelmäßigen Modulationen im Dominantverhältnis werden dabei jedoch durch viele Quart- und Sextvorhalte der Akkorde bereichert. Dadurch wird die sehr regelmäßige Melodie, die aus vielen Läufen, Tonwiederholungen und charakteristischen Intervallen wie Quarte und Terz besteht, mit einer harmonischen Dynamik unterlegt.212 Auch drei weitere Stücke, die Marche Triomphale,213 die Marche des Trompettes de Michel Strogoff 214 und der Pas redoublé pour Clairons et Tambours intercalé dans Michel Strogoff,215 lehnen sich eng an Märsche und Fanfaren für Blasorchester an. Fanfarenartige Akkordbrechungen und punktierte Rhythmen füllen das Harmoniegefüge aus, das sich auf die für Blechblasinstrumente bevorzugten Tonarten Es-, B-, As- und C-Dur beschränkt. Mit diesen wenigen, aber gebündelten musikalischen Mitteln komponierte Artus eine einfache, jedoch effektvolle Bühnenmusik, wie sie schon Victor Chéri während des Zweiten Kaiserreichs komponiert hatte. An der von Alexandre Artus ausgesetzten und orchestrierten Melodie Chant national russe lässt sich erkennen, dass auch die Auswahl volkstümlicher Melodien anderer Länder sich auf das Genre militärischer Instrumentalstücke wie Marsch und Fanfare konzentrierte. Es handelt sich um eine Melodie des russischen Komponisten Aleksej L’vov (1798–1870), die wiederum mit einer Fanfare aus Akkordbrechungen beginnt und danach marschartig mit punktierten Noten 212 Artus, Strogoff-Quadrille, exécuté dans Michel-Strogoff, 1881. 213 Ders., Marche Triomphale de Michel-Strogoff, 1881. 214 Ders., Marche des Trompettes de Michel Strogoff, o. D. 215 Ders., Théâtre du Châtelet. Strogoff. Pas redoublé pour Clairons et Tambours intercalé dans Michel-Strogoff, 1892.

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im Maestoso voranschreitet. Diese bleibt in einem sehr kadenzierenden Rahmen und emanzipiert sich nicht sonderlich von geschlossenen Formen nach dem Vorbild der ABA-Form.216 Alle Musikstücke von Michel Strogoff unterlegen das russische, von Krieg und Militär gezeichnete Szenario dieser „pièce“. Das Ballett La Fête Tartare von George Guilhaud aus dem Jahr 1881 nutzt dagegen alle harmonischen Farbgebungen aus, um ein orientalisches Kolorit zu schaffen. Es fällt auf, dass auf der Ebene einzelner Taktgruppierungen die Kadenzen hinter Einzelakkorde zurücktreten, die durch Quarten, Sexten, Septimen und Nonen farblich durchdekliniert werden. Die Ablösung von der Kadenz hat dabei jedoch auch inhaltliche Gründe. In der „Entrée des Derviches“ malt sie die Flüchtigkeit der Derwische harmonisch aus, während die „Entrée des Persanes“ durch kadenzierendere Harmonien bodenständiger erscheint.217 An anderer Stelle verdeutlichen diese auf der Basis eines durch Zusatztöne farblich veränderten Akkords komponierten Harmonien die Ängstlichkeit der indischen Tempeltänzerinnen („bayadères“).218 Die vielen kurzzeitigen Modulationen nutzen sowohl den Kontrast als auch ein harmonisches Voranschreiten in Stufen. Insgesamt sind sie für die hohe Dynamik der Stücke verantwortlich. Alle kompositorischen Mittel sind dem Hervorrufen einer hohen Bewegungsdynamik untergeordnet. Obwohl die Hälfte der Stücke in Guilhauds Ballett der geschlossenen, auf der Kadenz beruhenden Form treu bleibt,219 streben die Modulationen der Einzelstücke zunehmend eine harmonische Fortschreitung des gesamten Stücks an.220 Guilhaud steht mit diesem Kompositionsstil in der Tradition der Pariser Operette, die er durch sein inhaltlich gebundenes Lokalkolorit noch verfeinert. Dies zeigt sich an einem Vergleich mit der Opéra comique Le Mariage au tambour, die der Pariser Operettenkomponist Léon Vasseur 1885 für das Théâtre du 216 Lvoff, Chant national russe, 1891. 217 Guilhaud, „Derviches et Persanes“, in  : Ders., La Fête Tartare. Ballet de Michel Strogoff, 1881, S. 3–8. 218 „Zaghaft und ängstlich steigen sie die Bühne hinab.“ Ders., „Les Bayadères“, in  : A.a.O., S. 9– 15. 219 Ders., „Les Amazones de l’Émir“, „Variation du Prince Hassan“, „Variation du Prince Ali“, „Valse“, in  : A.a.O., S. 16–19, 30–31, 32–33, 34–39. 220 Vgl. die Modulationen von E-Dur über a-Moll, D-Dur, a-Moll, A-Dur, D-Dur nach a-Moll in „Les Bayadères“ oder die Modulationen von Es-Dur über g-Moll, Es-Dur, B-Dur nach G-Dur in „Les Charmeuses“, in  : A.a.O., S. 9–15 und 20–25.



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Châtelet komponierte und die einen großen Erfolg erzielte. Wie in Guilhauds Ballett weist ihre harmonische Anlage sowohl Abschnitte auf, die als modulatorische Übergänge zwischen großen Teilen fungieren,221 als auch kleingliedrige Modulationen vorhanden sind, die in der starken Nutzung von Zusatztönen als farblicher Zusatz angelegt sind.222 Die ganze Opéra comique ist durch wenige, dafür jedoch prägnante Motive und Tonartenzusammenhänge strukturiert, die Anfang, Mitte und Ende verbinden. So wird das Motiv zur Textzeile „beim Regiment feiert man die Hochzeit mit der Trommel“ („au régiment, on fait le mariage au tambour“) des Hochzeitscouplets in der Ouvertüre223 antizipiert, in der Arie Nr. 12 „Scène et Couplets du mariage“224 gesungen und schließlich im Chor der Nr. 22 „Final“225 ganz zum Schluss wieder aufgenommen. Alle diese Nummern stehen in G-Dur. Eine besonders tonmalerische Intention ist der komischen Oper nicht zuzusprechen. In diesem Punkt gehen die Ballettmusiken des Théâtre du Châtelet über den Pariser Operettenstil hinaus. Die Farbigkeit der Ballettmusiken zu Michel Strogoff läßt sich besonders gut am „charakteristischen Tanz“ La Tzigane226 von Marius Baggers aus dem Jahr 1909 beobachten, der in a-Moll geschrieben ist und einen Mittelteil in A-Dur hat. Auch hier ist die Melodie unzähligen kleingliedrigen harmonischen Tonartwechseln unterworfen. Durch die Ablösung vom Kadenzschema schafft Baggers ein Lokalkolorit, das eine Zigeunermusik andeutet. Er erreicht dies mit der Alternation von eintaktigen Melodieteilen in a-Moll und dreitaktigen Passagen in E-Dur. Dieser pizzicato gespielte Teil wird von dichten Akkorden abgelöst, die durch ihre Bassfortschreitung in Sekunden eine slawische Schwere erhalten. Ein drittes Merkmal dieses Stücks ist die Chromatik im 5. Teil, welche die dichten Akkorde in eine dichte Polyphonie überführt. Zeitgleich mit der Angleichung und der Weiterführung des Operettenstils im grand spectacle lösten sich seine musikalischen Potpourris zunehmend von der 221 Siehe z.B. Nr. 8 „Finale“, in  : Vasseur, Théâtre du Châtelet. Le Mariage au tambour, 1885, S. 82–115. 222 Siehe z.B. Nr. 2 „Couplets de Louise“, in  : A.a.O., S. 37–39. 223 A.a.O., S. 1–10. 224 A.a.O., S. 166–182. 225 A.a.O., S. 262–272. 226 Baggers, Fête de Nuit à Moscou. Ballet Russe. II. La Tzigane. Danse Caractéristique, 1909, S. 4–5.

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bogenförmigen Grundstruktur ab. Auch diese Abwendung zugunsten des Lokalkolorits prägte sich sehr langsam aus. Obwohl die Bühnenmusiken von Alexandre Artus meistens exotische Titel wie Dinazarde, Scheerazade, Alchimiste-Polka, Marche de Cléopâtre, Marche de la caravane oder Grande Marche indienne du Rajah haben, steht in den meisten von ihnen noch die regelmäßige Bogenform im Vordergrund. Viele von ihnen unterscheiden sich nicht wesentlich von Instrumental- und Gesangsstücken ohne exotischen oder dezidiert inhaltlichen Hintergrund (z.B. Dinazarde, Scheerazade, Marche de Cléopâtre), sondern gliedern sich vornehmlich an die jeweiligen Gattungen wie Polka, Marsch oder Mazurka an. Orientalische Klänge sind ihnen fern ; der rhythmische und melodiöse Gestus der Gattungen reicht für die atmosphärische Wirkung aus (s. z.B. Marche de la caravane). Dennoch ist auch hier die Tendenz zu erkennen, mehrere kurzgliedrige Modulationen zwecks stärkerer Farbgebung der Melodie einzuführen. Die großflächige harmonische Struktur bleibt zwar im Rahmen der kadenzierenden ABA-Form, jedoch ist sie auf kleiner Ebene mit deutlicheren harmonischen Kontrasten angereichert, als dies noch in der ersten Periode der Fall war.

Notenbsp. 4 : Marche de la caravane (T 33–37).

Dasselbe lässt sich für Les Aventures de Monsieur de Crac (1886) beobachten, wo Musik mit einer regelmäßigen Bogenform ebenfalls vorherrscht.0 Ledig-

227 Artus, Théâtre du Châtelet. Marche de la caravane de la Vénus Noire, 1880. 228 Vgl. zum Beispiel rein kadenzierende, vornehmlich aus Akkordbrechungen bestehende Stücke wie die Marche des trompettes aus Madame Thérèse. Ders., Théâtre du Châtelet. Madame Thérèse, drame militaire historique. Marche des trompettes, 1883. 229 Ders., Théâtre du Châtelet. Les 1001 Nuits, 1882. 230 Ders., Théâtre du Châtelet. Les Aventures de Monsieur de Crac, 1887.



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lich die Grande Marche indienne du Rajah stellt die Tonarten g-Moll und G-Dur gegenüber. Die Grande Marche emanzipiert sich auch sonst von der normalerweise verwendeten, einfachen Form : Ihre Melodie weist simple, jedoch effektvolle orientalische Elemente auf. Die fünfmalige, rhythmisch schlagende Tonwiederholung im Hauptmotiv erfüllt das Klischee einer indischen Musik. Auffallend ist, dass dieses rhythmisch-melodiöse Motiv später verkürzt wieder verwendet wird und in dieser Verkürzung viel okzidentaler klingt. Auf diese Weise wird das orientalische Motiv in die Pariser Musiktheaterkultur eingebettet, die auch in Stücken mit Lokalkolorit nie ganz ausgelöscht wird.

Notenbsp. 5 : Grande Marche indienne du Rajah I (T 33–36).

Notenbsp. 6 : Grande Marche indienne du Rajah II (T 79–84).

Den Potpourri-Stücken der 1880er und 1890er Jahre ist noch durchgehend eine enge Bindung an die Dur- und Moll-Tonalitäten zu eigen. Dies wird jedoch bei Marius Baggers und den weiteren Komponisten, die ab 1900 Musik für das Théâtre du Châtelet komponieren, anders, die die übergreifende Bogenform immer mehr durch kleingliedrige Modulationen verschwimmen lassen und sie zunehmend mit inhaltlichen, lokalkoloristischen und effektvollen Gestaltungen überdecken. Maurice Naggiar komponierte für seine Fantasia Arabe, ein BalletDivertissement aus Le Roi de l’Or (1913), in der „Danse bédouine“ und „Les Foulards“ eine Melodie mit vielen übermäßigen Sekundsprüngen, um seiner Vertonung ein arabisches Flair zu geben. Beide Stücke sind mit einem orienta231 Ders., Grande Marche indienne du Rajah, exécutée dans Les Aventures de Mr. de Crac, 1886.

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lisch anmutenden Rhythmus unterlegt (DCDCC). Die mit übermäßigen Sekunden versehene Melodie und der Rhythmus ziehen sich dabei durch das ganze Stück, das ansonsten einem zwar regelmäßigen, jedoch vom Kadenzschema abweichenden und daher kontrastreicheren Harmonieschema entspricht  : Die vier Teile des Balletts erstrecken sich auf die Tonarten d-Moll, H-Dur, G-Dur und d-Moll. „Les Foulards“ (Nr. 2), das in h-Moll beginnt und auf H-Dur endet, schafft dabei sogar den Übergang von Moll nach Dur. Alle sonstigen Teile weisen eine ABA-Form auf, kehren also an ihrem Schluss wieder zur Ausgangstonart zurück. Eine geschlossene Form besteht auch auf motivischer Ebene  : Naggiar verwendet im letzten Teil „La Fantasia“, den er schon mit „Haupt- und SchlussReprise“ ankündigt, noch einmal alle prägnanten Motive des Balletts. Aufgelockert wird die übergreifende Form des Balletts durch den Kontrast zwischen den beiden ersten, orientalischen Teilen und dem dritten Teil „Les Tambourins“, der durch seine tonale Festigkeit heraussticht.232 In der Konzeption, ein tableau-artiges Bühnenbild durch eine passende Musik zu unterstreichen und dem Ballett des Théâtre du Châtelet eine kolorierte Musik für kontrastreiche Choreographien an die Hand zu geben, bildete sich im grand spectacle der Dritten Republik eine instrumentale und zunehmend komplexere Musik heraus, die sich zunehmend an die atmosphärische Fiktion des Stücks, anstatt an die kreisförmige geometrische Beziehung zwischen Bühne und Saal hielt. Das Publikum forderte jedoch nach wie vor auch die einfacheren, regelmäßigen Chansons, denn kompliziertere Arrangements der bekannten Chansons waren nicht sehr beliebt  : „Herr Baggers hat sich große Mühe gemacht, zu stören, indem er mannigfaltige Volkslieder arrangierte, die man vielleicht besser in ihrem normalen Zustand belassen hätte“, beschwerten sich sogar die Theaterkritiker, die Marius Baggers ansonsten für seine „mitreißenden Melodien“ lobten.233 Vor diesem Hintergrund ist die Rückkehr zum Schlussvaudeville zu verstehen, das mit seiner einfachen Struktur gegen 1914 wieder Eingang in die Potpourris des grand spectacle fand. Für das Publikum sicherten re232 Naggiar, Fantasia arabe. Ballet-Divertissement dansé au Théâtre du Châtelet dans „Le Roi de l’Or“, 1913. 233 Stoullig/Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1903, 1904, S. 356  ; Dies., „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 32. Jahrgang, 1906, Paris, 1907, S. 340.



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gelmäßige Instrumentalstücke und Chansons die atmosphärische Untermalung des kreisförmigen geometrischen Raumes, der sich im großen Saal des Théâtre du Châtelet für das grand spectacle mit seinen Massenszenen und grandiosen Bühnenbildern seit seiner Eröffnung zwischen Saal und Bühne herausgebildet hatte. Hatten sich die Inhalte, die dramaturgischen Mittel und die musikalischen Merkmale auch verändert, überdauerte das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ und seine Reklamation durch die Zuschauer fortwährend das Zweite Kaiserreich. Obwohl sich die Räumlichkeiten des Châtelet nach Meinung der Kritiker vorzüglich für eine kulturelle, volksbildende Institution der Dritten Republik eigneten, hing der Einbezug politischer Botschaften auch nach Ende des Zweiten Kaiserreichs weitestgehend am politischen Engagement einzelner Theaterdirektoren, Librettisten und Bühnenbildner. Da das Rezeptionsmodell des grand spectacle gegen 1914 zu einer auch von Kritikern explizit gewünschten Kreisform zurückkehrte, mit der die sensationelle Tableau-Ästhetik der „féerie géographique“ auch dramaturgisch wirksam gemacht wurde, lässt sich von einer Perfektionierung des ursprünglichen Rezeptionsmodells des Vaudevilles im großen Saal des Châtelet mittels des „Rundtanzes“ sprechen. Der „Rundtanz“ zwischen Bühne und Saal war für die Größe des Théâtre du Châtelet am meisten angemessen, sicherte die finanzielle Prosperität des Theaters und wurde im Laufe der Dritten Republik lediglich auf die ideologischen und unterhaltungstechnischen Intentionen der Zeit abgestimmt. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg entsprachen geographisch varriierte Ansichten und historische Gattungselemente des Vaudeville ganz den Bildungserwartungen des Kinderpublikums und seiner kleinbürgerlichen Eltern.

3  Konzerte und Concerts Colonne (1863–1914)

Der Theaterbetrieb des grand spectacle wurde vor allem von der Größe des Théâtre du Châtelet und seiner ideologischen Belegung als Volkstheater zu Beginn der Dritten Republik beeinflusst. Auch die symmetrische Anlage des Theaters und sein architektonischer Bezug zwischen Innen und Außen stimmten mit der Produktion und Rezeption der Revuen, Feerien und „pièces“ überein. Die räumliche Größe und der institutionelle Charakter des Châtelet als Volkstheater führten auch dazu, dass es zu Beginn der Dritten Republik als Aufführungsort für Sinfoniekonzerte interessant wurde. Das Orchestre Colonne nutzte es ab 1873 bis weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus für seine jährlichen Konzertsaisons und etablierte das Châtelet als eine der bevorzugten Pariser Aufführungsstätten für Konzerte, das heißt für „ernste“ Musik jenseits des visuell geprägten grand spectacle. Im nächsten Kapitel sollen die räumlichen und auch institutionellen Eigenschaften des Châtelet im Vordergrund stehen, die das Rezeptionsmodell der dort stattgefundenen Sinfoniekonzerte mitprägten. Hierfür sind zunächst die Etablierungsprozesse ausschlaggebend, innerhalb derer sich die volkstheaterliche Institution Châtelet als Aufführungsraum für Instrumentalmusik vor und nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs herausbildete. Sie werden vor dem Hintergrund der allgemeinen Situation der Pariser Sinfonieorchester und ihrer Aufführungsorte betrachtet. Ein zweiter Schwerpunkt wird auf Édouard Colonnes (1838–1910) Reaktionen gegen kulturpolitische Maßnahmen der Dritten Republik um 1900 liegen, mit denen er das gut funktionierende Rezeptionsmodell seiner Konzerte zu sichern versuchte. Hierbei spielte die räumliche Nutzung des Théâtre du Châtelet durch das Orchester eine besonders wichtige Rolle.



Die Etablierung der Instrumentalmusik im Théâtre du Châtelet

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3.1 Die Etablierung der Instrumentalmusik im Théâtre du Châtelet 3.1.1 Von der Napoleon-Kantate zur Damnation de Faust  : Instrumentalmusik im Châtelet vor und nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs

Während des Zweiten Kaiserreichs wurden im Théâtre Impérial du Châtelet an reiner Instrumentalmusik ohne theatralen Hintergrund hauptsächlich Napoleon-Kantaten aufgeführt. Die Kantaten verdeutlichen einerseits die politische Rolle der Musik, so wie sie von den Direktoren des Théâtre Impérial du Châtelet in Bezug auf das napoleonische Regime genutzt wurde. Andererseits zeigen sie auch den Stellenwert der Instrumentalmusik im Paris während des Zweiten Kaiserreichs, wo sich die Musik nur schwer von ihrer engen Anbindung an das Theater emanzipieren konnte. Die erste Aufführung einer solchen Kantate fand kurz nach der Eröffnung des Theaters am 16. März 1863, dem Geburtstag des Prince Impérial statt. Für diesen Anlass komponierte Adolphe de Groot die Kantate Les sept ans de Son Altesse le Prince Impérial Napoléon über einen Text von Hippolyte Hostein. Sie beginnt mit einem Refrain in B-Dur über den Vers „Ehre sei Napoleon, dem Retter Frankreichs  ! Ehre sei Napoleon, der Hoffnung des Volkes  !“ („Gloire à Napoléon, le sauveur de la France  ! Gloire à Napoléon, du peuple l’espérance  !“), den Georges Clément in einem tempo di marcia sang. Der Refrain wird von einem Mittelteil in F-Dur abgelöst, dessen Text an den Prinzen adressiert ist und der sich vom gloriosen Marschrhythmus des ersten Teils durch eine kindlich springende rhythmische Regelmäßigkeit absetzt. Die Kantate schließt mit einer Wiederholung des Refrains. Eine solche musikalische Form glich nicht nur der Musik des grand spectacle, sondern auch den chansons patriotiques der Königin Hortense de Beauharnais (1783–1837), der Mutter von Louis-Napoléon Bonaparte. Die beliebtesten patriotischen Lieder der Reine Hortense, Partant pour la Syrie und La France, zeichnen sich durch ihre einfache harmonische Struktur und ihre regelmäßigen Melodiebögen aus. Sie bedienten somit die in den Theatern sehr populäre Form des Chansons. Dies ist auch für ihre Kantate Hymne à la Gloire der Fall, mit  De Groot, Les sept ans de Son Altesse le Prince Impérial Napoléon, 1863.  Pistone, La Musique en France de la Révolution à 1900, 1979, S. 25. Der einfache musikalische Stil glich sich an denjenigen an, den man für die Musik der Orphéons bestimmt hatte  : „[…]

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Konzerte und Concerts Colonne (1863–1914)

deren Aufführung in der Opéra 1854 die Tradition einer jährlichen NapoleonKantate zum Anlass des Saint-Napoléon-Tags am 15. August eingeführt wurde. Die berühmteste dort aufgeführte Kantate ist Gioacchino Rossinis (1792–1868) Hymne à Napoléon III, die er 1868 ganz im Stil der traditionellen „dramatischen“ Kantate komponierte. Insofern lagen im Zweiten Kaiserreich zwei anerkannte Arten von Napoleon-Kantaten vor  : die chanson patriotique und Hymnen, die der traditionellen Kantate mit einer musikdramatischen Konzeption entsprachen. Das Théâtre du Châtelet nahm erstmals am 15. August 1863, ein Jahr nach seiner Eröffnung, an den überall in Paris zum Anlass des Saint-Napoléon-Tags organisierten Gratis-Veranstaltungen teil. Wie auch in der Opéra setzte Hostein eine von ihm und De Groot geschriebene Kantate Napoléon III zwischen die Szenen und Potpourri-Stücke aus seinen aktuellen Feerien auf das Pro-

einfache unbegleitete Choralsätze zu Texten von Regierungsbeamten. Die Komponisten wurden angewiesen, ihre Werke kurz zu halten, Komplikationen zu vermeiden und sich auf zwei oder drei Stimmen zu beschränken  : Ausgedehnte Wiederholungen oder längere Durchführungen sollten vermieden werden. Stattdessen sollte der Komponist einen recht nebulös beschriebenen Stil ‚einer korrekten Harmonie, einer leicht erkennbaren Melodie, einer reinen Ausdrucksweise‘ annehmen.“ Fulcher, Musical Aesthetics and Social Philosophy in France 1848–1870, 1977, S. 113–114.  Grempler, „Rossinis politisches Spätwerk  : Die Hymne à Napoléon III und La corona d’Italia“, 2002, S. 181–198.  Vgl. auch Bouquet/Blankenburg/Verchaly, „Cantate“, 1976, S. 144–145.  Vgl. hierzu die Beschreibung des Saint-Napoléon-Tags 1866 in der Revue et gazette musicale de Paris  : „Die riesige Menschenmenge, die zu den Gratis-Aufführungen aus Anlass des Festtags des 15. Augusts geströmt war, hatte keinen Grund zur Klage über die Zusammenstellung der Vorführungen, die ihrem klugen Verstand dargeboten wurden. Das Programm setzte sich aus den besten Repertoirestücken zusammen, die von herausragenden Darstellern interpretiert wurden. […] Wie üblich trat Frau Favart in der Comédie Française zwischen zwei Programmpunkten auf, um die märchenhaften Strophen von Herrn Théodore de Banville mit dem Titel ‚Fest Frankreichs‘ zu rezitieren. Von den Kantaten, die aus demselben Anlass auf weiteren Pariser Bühnen gesungen wurden, sind neben denjenigen des Gymnase, des Palais-Royal, der Porte Saint-Martin, des Ambigu, etc. vor allem das patriotische À-propos des Théâtre du Châtelet (Text von Herrn Hostein, Musik von Herrn Chéri), das Salut César von Herrn Hugelmann im Vaudeville (Musik von Herrn De Groot) und Le Quinze Août in den Variétés von Herrn Boverat (Musik von Herrn Lindheim) zu nennen, deren Wirkung überall überragend war und die enthusiastisch aufgenommen wurden.“ D. A. D. Saint-Yves, „Revue des Théâtres“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 19. August 1866, 33. Jahrgang, Nr. 33, S. 260–261.



Die Etablierung der Instrumentalmusik im Théâtre du Châtelet

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gramm. Die Kantate des Jahres 1863 unterschied sich jedoch grundlegend von der nur wenige Monate zuvor aufgeführten Kantate Les sept ans de Son Altesse le Prince Impérial. Im Gegensatz zu letzterer war sie nicht für Singstimme mit Orchesterbegleitung geschrieben, sondern für Chor und Orchester komponiert. Die Chorpartie wurde von der Société Chorale Les Enfants de Lutèce, eine der ältesten Pariser Sociétés Orphéoniques, unter der Leitung von Gaubert ausgeführt. Für diese Chorgesellschaft komponierte De Groot eine Kantate, die die regelmäßigen Melodiebögen und die einfache Harmonik der chanson patriotique kompositorisch differenzierte. Im Gegenteil zum Chanson stand die dem Genre der Kantate eigene musikalische Textausdeutung im Vordergrund. Der Text der Kantate ist konform mit den ministeriellen Anweisungen, die Napoleon III. für die Begehung seines Festtages in den vorangegangenen Jahren gegeben hatte. Schon der erste Vers der dreiteiligen, durchkomponierten Kantate – „Wie groß ist er, wenn er voranschreitet und das Schwert mit dem Kreuz führt“ („Oh qu’il est grand quand il s’avance portant l’épée avec la croix“) – bezieht sich auf das Bild des letzten Kreuzzüglers, das Napoleon III. 1860 auf sich angewendet wissen und mit dem er seine Expedition nach Fernost rechtfertigen wollte. De Groot setzte dies mit einem harmonischen Satz um, dessen zweite Zeile sich durch archaische Quinten in den Männerstimmen auszeichnet. Neben diesen tonmalerischen Anspielungen vertonte der Komponist jedoch auch strukturelle Eigenschaften des Textes. Die zweite Zeile – „Dies ruhmreiche Volk Frankreichs, furchterregend und gleichzeitig gut“ („Ce glorieux peuple de France terrible et bon tout à la fois“) – stellt den naheliegenden Bezug der ersten Phrase auf Napoleon III. zugunsten des französischen Volks in Frage. Diese Doppeldeutigkeit wird durch eine kontrastierende Harmonisierung der beiden Zeilen in e-Moll (für Napoleon III.) und G-Dur (für das Volk) aufgelöst, die die zweite Zeile mittels der stufenartigen harmonischen Steigerung zudem besonders heraushebt. Auch die nächste Zeile, die nun sowohl auf Napoleon III.  Adolphe de Groot, Théâtre Impérial du Châtelet. Napoléon III. Cantata pour Chœur et Orchestre, composée pour la fête du 15 Août 1863, paroles de Mr. H. Hostein, chantée par la Société Chorale les Enfants de Lutèce, directeur Mr. Gaubert. AN, F18 976  : Censure théâtrale.  Di Grazia, „Sélection des premières et principales Stés chorales indépendantes“, 2003, S. 920.  Sanson, „Le 15 août  : Fête nationale du Second Empire“, 1994, S. 120.

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als auch auf sein Volk bezogen werden könnte, wird noch einmal harmonisch gesteigert, indem der Komponist den dritten Vers „gegen ehrfurchtslose Gegner ist er/es hart und ohne Mitleid“ („contre d’insolents adversaires il est rude et sans pitié“) in H-Dur vertont. Auf „hart“, dem Höhepunkt dieser Phrase, erscheint noch einmal ein Akkord in der Anfangs-Tonart e-Moll. In den kompositorisch-semantischen Anspielungen finden sich Napoleon III. und das französische Volk am Ende des Einleitungsteils und der dreistufigen harmonischen Steigerung somit vereint. S/A

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Notenbsp. 7 : Napoléon III. Cantate pour Chœur et Orchestre (T 1–12).

Hierauf folgt ein fröhlich bewegter Refrain in E-Dur über die mehrmals wiederholte Textzeile „aber hört er/es den Ruf der Brüder, haben ihre Schreie in seinem Herz geschrien“ („mais entend-il l’appel des frères leurs cris dans son cœur ont crié“), die sich nun vornehmlich auf die Einzelperson Napoleon III. zu beziehen scheint. Mit seinen vielen melodischen Sequenzen, mit denen auch hier harmonische Steigerungen erzielt werden (wie von E-Dur zur Gis-Dur), grenzt sich dieser Refrain klar von den Melodiebögen der Musik des grand spectacle ab und legt den Akzent auf die kompositorische Verarbeitung seines melodischen Materials.



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Im Gegensatz dazu nimmt der nächste Teil den harmonisch einfachen Stil der Musik des grand spectacle und der chansons patriotiques zunächst wieder auf. Die zweite Strophe vollzieht sich im Kadenzrahmen zwischen C-Dur und GDur. Dennoch ist auch hier ein rein musikalisch-semantisches Element vorhanden, mit dem De Groot die inhaltlichen Strukturen des Textes in Musik fasste : Der Komponist unterlegte den Text der Strophe „bei der Arbeit“ („à l’œuvre de main“) mit demselben melodischen Motiv wie die Textzeile des Refrains „ein Leiter ist da, der vorangeht“ („un chef est là qui précède“). Mit der melodischen Inbezugsetzung dieser beiden Textzeilen unterstrich der zweite Teil nun unmissverständlich die Führungsrolle des Kaisers, was in Bezug auf das Théâtre Impérial du Châtelet auch als Auslegung des Theaterbetriebs auf die politischen Intentionen von Napoleon III. und seiner Regierung ausgelegt werden kann.

Notenbsp. 8 : Napoléon III. Cantate pour Chœur et Orchestre (T 36–38).

Notenbsp. 9 : Napoléon III. Cantate pour Chœur et Orchestre (T 51–54).

Der dritte Teil der Kantate ist schließlich ganz an Inhalt und Stil der NapoleonKantaten der Opéra angeglichen. Die Textzeilen „Durch den Kaiser entsteht die Hoffnung, die Horizonte werden aufgedeckt“ („Par l’Empereur naît l’espérance, les horizons sont découverts“) und „Auch um seinem Fest den Glanz zu geben, den es verdient, schickt sich ein feierlicher Strauss, der Strauss der Menschlichkeit“ („Aussi pour donner à sa fête l’éclat qu’elle a mérité, un solennel bouquet s’apprête, le bouquet de l’humanité“), standen den Texten dieser Kantaten in nichts nach, die 1860 mit „Napoleon ist die heilige Hoffnung“ („Napoléon,

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c’est la sainte espérance“) und 1861 mit „Endlich weitet sich unser Grenzhorizont bis zu den Bergen“ („Enfin, l’horizon des frontières pour nous s’élargit vers les monts“, zur Annexion Nizzas und Savoyens) geschlossen hatten. Auch die Themen der Brüderlichkeit, Humanität und des von ganz Frankreich gefeierten „Napoleon-Fests“ kamen oft in den Kantaten der Opéra vor. In der Kantate des Châtelet erinnern die anfangs kadenzierenden Harmonien, der homophone Satz und das vorherrschende rhythmische Modell (N C. D  ! N C. D) zwar an die Kantate zum Geburtstag des Prinzen. Im Verlauf des Schlussteils werden die Stimmen jedoch imitatorisch aufgespalten und auch sequenziert (Notenbsp. 10). Diese kompositorisch gehobene, höchst wirkungsvolle Verarbeitung des melodischen Materials präsentierte den Zuhörern die Pracht der Einigkeit zwischen Napoleon III. und seinem Volk mit rein musikalischen Mitteln und ohne sensationelle Bühnengestaltung. Der Hintergrund dieser Pracht-Demonstration war ein finanzieller, denn Hostein reichte zu dieser Zeit beim Kaiser immer noch kontinuierlich Bitten um eine Subvention ein, bei denen er zumeist die Ähnlichkeit des Châtelet zur Opéra herausstrich.10 Napoleon III. verlieh dem Komponisten De Groot nach der Aufführung seiner Kantaten zwar beide Male eine offizielle Anerkennung,11 reagierte ansonsten jedoch nicht weiter auf die musikalischen Darbietungen zu seinen Ehren im Théâtre Impérial du Châtelet. Auf der Grundlage der Unterschiedlichkeit in der Kunstfertigkeit der beiden geehrten Kantaten lässt sich festhalten, dass Napoleon III. keine Aufmerksamkeit auf die Musik selbst, sondern lediglich auf die Tatsache seiner Huldigung richtete. Auch insgesamt war die Instrumentalmusik zu Zeiten des Zweiten Kaiserreichs ein Stiefkind der kaiserlichen Kulturpolitik, da es so gut wie keine finanziellen Zuwendungen für Sinfonieorchester gab. Dies änderte sich auch zu Beginn der Dritten Republik nur wenig.12   Bei den Zitaten handelt es sich um Kantaten-Texte von Henri Meilhac, Ludovic Halévy und Joseph Méry. Théâtre Impérial de l’Opéra, Le Quinze Août. Cantate  ; Théâtre Impérial de l’Opéra, L’Annexion. Cantate, paroles de M. Méry, musique de M. Jules Cohen  ; Académie Impériale de Musique, Cantate, paroles de MM. Henri Meilhac et Ludovic Halévy, musique de M. J. Duprato, chantée le 15 août 1864. AN, Carton AJ13 501 und 503. 10 Vgl. Kapitel 1, Fußnoten 72 und 165. 11 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 11. Oktober 1863, 30. Jahrgang, Nr. 45, S. 364. 12 Vgl. Chimènes, Mécènes et Musiciens, 2004, S. 11, S. 486f. und S. 496–500.



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Notenbsp. 10 : Napoléon III. Cantate pour Chœur et Orchestre (T 77–91).

Auf die Zuhörer bezogen verweist die Vermischung von avancierter Komposition und dem einfach gehaltenen Stil der Musik des grand spectacle hingegen auf die starke Verbundenheit der Pariser Konzertmusik mit der Musik des populären Theaters. Dies äußerte sich nicht nur in den Gratis-Vorstellungen am SaintNapoléon-Tag mit ihren Auszügen aus Feerien und Operetten, sondern auch in denen als Konzert gedachten Veranstaltungen, die nach Ende des Zweiten Kaiserreichs im Théâtre du Châtelet stattfanden. Wie schon erwähnt setzte Édouard Mangin für eine Vorstellung des Ensembles des Londoner Alhambra am 10. August 1870 die Marseillaise in der Instrumentation von Hector Berlioz und die dramatische Sinfonie Le dernier jour de la terreur von Henri Litolff auf das Programm. Ein solches Programm aus, zum einen, überall bekannten und beliebten Werken mit Affinität zur Theatermusik oder zu den chansons patriotiques und,

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zum anderen, neuen Instrumentalwerken von dramatischem Gehalt zeichnete auch die Pariser Sinfoniekonzerte der Zeit aus. Außer den ab 1828 aktiven Concerts du Conservatoire und den 1861 gegründeten Concerts Populaires von Jules Pasdeloup (1819–1887) gab es nur wenige Sinfonieorchester, in denen zeitgenössische Komponisten ihre sinfonischen Werke hätten aufführen können.13 Das Pariser Musikleben war größtenteils auf das Musiktheater konzentriert. Dieses Phänomen erklärt sich einerseits daraus, dass die Komponisten zumeist selbst stark auf dramatische Musik spezialisiert waren, um die Pariser Theaterinstitutionen und ihr Publikum zu bedienen, und andererseits aus der Tatsache, dass das breite Publikum kaum an abstrakte sinfonische Musik gewöhnt war. Selbst in der Oper war die Musik sehr vom visuellen Bühnengeschehen abhängig, das sie lediglich begleitete. Berlioz, der die Marseillaise instrumentiert hatte, fasste die Situation 1858 in einem Artikel über Litolffs 4. Sinfonisches Konzert folgendermaßen zusammen  : „In den Theatern geht es letztendlich immer darum, die Richtigkeit dieses Aphorismus’ zu beweisen, der von einem berühmten Operndirektor stammt  : ‚Die beste Musik ist diejenige, die in einer Oper nichts verdirbt.‘ Das heisst, die beste Musik ist wie ein braves Mädchen (um einen Ausdruck Balzacs zu nehmen), bei dem niemand in Verlegenheit geraten muss und mit dem man alles machen kann, was man will. Und deswegen berufen wir uns auch immer wieder auf die Korrektheit des folgenden Vergleichs, dessen Worte der Autor nicht gewagt hat, auf Französisch zu schreiben  : ‚Die Theater sind für die Musik … sicut amori lupanar.‘ […] Das ist die Lage der Pariser Komponisten  : Gibt es in dieser großen Hauptstadt der zivilisierten Welt musikalische Institutionen für sie, wo ihre Werke gut aufgeführt und aufgenommen werden können  ?“14

Aus dieser Situation heraus waren im Paris gegen Ende des Zweiten Kaiserreichs neben den Concerts du Conservatoire drei Arten von Sinfoniekonzerten entstanden  : Die einen führten Werke der jungen französischen Schule auf, um den 13 Die beiden Orchester blieben den zeitgenössischen französischen Komponisten bis zum Ende des Zweiten Kaiserreichs jedoch weitestgehend verschlossen. Locke, „The French Symphony“, 1997, S. 173  ; vgl. auch Steinbeck, Die Symphonie im 19. und 20. Jahrhundert, Teil 1, 2002, S. 307–308. 14 Berlioz, „La musique symphonique à Paris. Henry Litolff  : son quatrième concerto symphonique“ (5. März 1858), o. D., S. 303–304.



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Komponisten Aufführungsmöglichkeiten zu verschaffen. Die anderen verfolgten die musikalische Bildung des breiten Publikums, indem sie vor allem repräsentative Werke des klassischen Konzertrepertoires wie Beethoven-Sinfonien auf das Programm setzten. Die dritten schließlich propagierten eine offene Zusammenstellung aus Chansons, Volksmusik und beliebten Auszügen aus Opern, um das Genre des Konzerts beim Publikum durch Werke, an die es gewöhnt war, zu etablieren. Konzertveranstaltungen mit dem Ziel der Popularisierung sinfonischer Musik zeichneten sich dabei allgemein durch ihre niedrigen Kartenpreise aus.15 Ein Beispiel für eine Konzertgesellschaft mit der Absicht, jungen Komponisten die Aufführung ihrer Werke zu ermöglichen, sind die 1869 von Litolff gegründeten Concerts de l’Opéra. In seinen Konzerten strebte Litolff danach, sinfonische Musik mit Musiktheaterwerken auf hohem Niveau zu verbinden.16 Die hohen Eintrittspreise für seine Konzerte entsprachen ganz dem traditionellen Publikum der Opéra.17 Obwohl die Concerts de l’Opéra nur drei Monate hielten (Litolff kündigte aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands),18 nahmen sie einige Aspekte der späteren Concerts Colonne vorweg  : Litolff führte ab dem ersten Konzert Fragmente der Damnation de Faust wie das Ballet des Sylphes auf, sodass der Testamentsvollstrecker von Berlioz, der Orgelbauer Édouard Alexandre (1824–1888), ihm Mitte November 1869 den Dirigierstab des Komponisten zusandte.19 Berlioz’ Dirigierstab sollte acht Jahre später an den Dirigenten Édouard Colonne weitergegeben werden, der mit seinem Orchester ab 1873 Fragmente der Damnation de Faust und ab dem 18. Februar 1877 das vollständige Werk in den so genannten „Concerts du Châtelet“ aufführte, wie die Concerts Colonne anfangs bezeichnet wurden.20 Litolff nutzte seine 15 Für eine Übersicht über die „Blüte der Konzertgründungen“ ab der Jahrhundertmitte vgl. Kraus, Beethoven-Rezeption in Frankreich, 2001, S. 160–180  ; Pistone, La Symphonie dans l’Europe du XIXe siècle (1977), 1984, S. 81, vgl. auch S. 21. Zur Zielsetzung der Concerts Populaires und ihrer Ursprünge im Orphéon vgl. Bernard, Le chef d’orchestre, 1989, S. 20–21. 16 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 19. September 1869, 36. Jahrgang, Nr. 42, S. 335. 17 Kraus, Beethoven-Rezeption in Frankreich, 2001, S. 180. 18 H. Moreno, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 5. Dezember 1869, 37. Jahrgang, Nr. 1, S. 2–3. 19 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 21. November 1869, 36. Jahrgang, Nr. 51, S. 406. 20 „Concerts et auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 18. Februar 1877, 44. Jahrgang, Nr. 7, S. 54  ; Henry Cohen, „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 22. Februar

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Konzerte in der Opéra oft, um eigene Werke wie Le dernier jour de la terreur zu dirigieren, überließ das Pult jedoch auch Charles Gounod (1818–1893), Ernest Reyer und Camille Saint-Saëns (1835–1921) für die Aufführung ihrer Werke.21 Colonne schrieb zwar keine eigene Musik, lud aber immer wieder Saint-Saëns und andere Komponisten ein, ihre Werke zu dirigieren. Wie die Concerts de l’Opéra, die vom Musikverlag Gambogi organisiert wurden,22 waren die ab dem 11. April 1873 im Théâtre de l’Odéon unter dem Namen „Concert National“ veranstalteten Concerts Colonne ebenfalls von einem Musikverleger initiiert. Sie wurden von Jules Massenets (1842–1912) Verleger Georges Hartmann (1843–1900) zwecks der Aufführung des Oratoriums Marie-Magdeleine gegründet.23 All diese gemeinsamen Elemente standen sowohl vor als auch nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs im Raum des Pariser Musiklebens. Neu hinzu kam, dass die Pariser Sinfonieorchester zu Beginn der Dritten Republik die ehemals kaiserlichen Theater und ihr Publikum erschlossen. Dies lässt sich besonders gut anhand des Théâtre du Châtelet nachvollziehen. Das Volkstheater des Zweiten Kaiserreichs, das auch die Dritte Republik zu ihrem Volkstheater auserkoren hatte, wurde schon fünf Monate nach seiner Wiedereröffnung erstmals von einem Sinfonieorchester als Konzertsaal genutzt. Am 3. Dezember 1871 bezogen die Concerts Besselièvre, die im Sommer im Freien auf den Champs-Elysées stattfanden,24 das Châtelet für den Winter. Sie wurden von Jules Cressonnois (1823–1883), dem ehemaligen Leiter der Garde Impériale, geleitet und zeichneten sich durch ihr „leichtes“ Programm aus dem Opern- und Operettenrepertoire und durch ihre niedrigen Kartenpreise aus.25 1877, Bd. 16, Nr. 8, S. 60–61  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 10. Juni 1977, 43. Jahrgang, Nr. 28, S. 222. 21 Moreno, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 5. Dezember 1869, S. 2–3. 22 Ebd. 23 Pasler, „Building a public for orchestral music. Les Concerts Colonne“, 2002, S. 209. 24 Hierbei handelt es sich um die 1832 gegründeten Concerts des Champs-Elysées. Sie wurden ab 1859 von Charles-Henri de Besselièvre (  ?–1882), dem Impresario Musards und Arbans, geführt, dessen Name sich im Laufe der Zeit als Bezeichnung für die Konzerte durchsetzte. Fauquet, „Concerts des Champs-Elysées“, 2003, S. 303–304. 25 Pierre d’Arche, „Réouverture des Concerts des Champs-Elysées“, in  : La France musicale, 10. Mai 1868, 32. Jahrgang, Nr. 19, S. 144.



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Die Tatsache, dass die meisten Musiker der Concerts Besselièvre aus der Garde de Paris stammten, die im Châtelet schon kurz vor seiner Eröffnung einen akustischen Test absolviert hatte,26 mag der Grund für eine Vermietung des Theaters an dieses Orchester durch die Stadt Paris gewesen sein. Es scheint, als ob die Liberalisierung der kaiserlichen Theaterbetriebe für nicht-theatralische Genres erst mit Beginn der Dritten Republik, das heisst mit dem Wegfall des Ministère d’État und unter der alleinigen Verantwortung des städtischen Eigentümers, vollzogen wurde.27 Davor spielten die Pariser Sinfonieorchester entweder im Conservatoire, in kleineren Konzertsälen wie der Salle Sainte-Cécile oder der Salle Herz, in der Opéra oder – dies vor allem die Orchester mit dem breiten Publikum als Zielgruppe – in den Pariser Zirkustheatern wie dem Cirque Napoléon (heute Cirque d’Hiver). Hier fanden ab 1861 die Concerts Populaires von Jules Pasdeloup statt. Die Zirkustheater entsprachen nicht nur der Vorliebe von Napoleon Bonaparte für große Stadien und Massenveranstaltungen, sondern wurden schon ab 1840 von den Kritikern als prädestiniert für die Popularisierung von Theater und Musik angesehen.28 Mit dem Théâtre du Châtelet stand den Pariser Sinfonieorchestern nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs somit ein repräsentativeres Theater zur Verfügung, dessen Architektur dennoch an die Manege des Cirque Impérial auf dem Boulevard du Temple erinnerte und das zu Beginn der Dritten Republik stark mit der Volksbildung konnotiert wurde. In der Tat benannten sich die „Concerts des Champs-Elysées“, wie die Concerts Besselièvre offiziell hießen, mit ihrem Einzug in das Théâtre du Châtelet in „Festivals Populaires“ („Volksfestivals“) um.29

26 J.-L. Heugel, „Réception des deux Théâtres de la Place du Châtelet“, in  : Le Ménestrel, 3. August 1862, 29. Jahrgang, Nr. 36, S. 282. 27 Auch Angelika Beate Kraus bestätigt, dass die Musiktheater als Aufführungsorte von Sinfoniekonzerten vor dem Ende des Zweiten Kaiserreichs nicht in Betracht kamen. Kraus, BeethovenRezeption in Frankreich, 2001, S. 134. 28 Verspohl, „‚Mit sich selbst zum besten‘. Offene und geschlossene Form – zur gesellschaftlichen Bedeutung von Massenversammlungsarchitektur“, 1987, S. 22–25  ; Fulcher, Musical aesthetics and social philosophy in France 1848–1870, 1977, S. 125–126. 29 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 17. Dezember 1871, 38. Jahrgang, Nr. 3, S. 21  ; „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 24. Dezember 1871, 38. Jahrgang, Nr. 4, S. 31  ; „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 31. Dezember 1871, 38. Jahrgang, Nr. 5, S. 38.

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Die volksbildenden Intentionen, die den Einzug in das Châtelet einerseits zu motivieren und andererseits aber auch erst zu ermöglichen schienen, schlugen sich auch auf die ersten Rezensionen der Concerts Besselièvre nieder. Beeinflusst durch den Titel „Festivals Populaires“ gingen die Kritiker davon aus, dass sich das Orchester des Châtelet das Publikum des grand spectacle erschloß („Concert Besselièvre im Châtelet, Einführungskonzert, bei dem für die dilettantischen Anfänger, für die Beethoven zu viel ist, Werke aus niedrigeren Genres gespielt werden. Diese verschiedenen Institutionen sind erfolgreich, obwohl die Musik dort nicht wie im Theater von einem Spektakel für die Augen begleitet wird.“30). Bald darauf kam jedoch auch der im Vergleich zu den Zirkustheatern viel vornehmere Anstrich des Théâtre du Châtelet zum Tragen, denn die Programme aus Musik mit „Rhythmus und Farbe“31 wurden zunehmend mit Werken französischer Nachwuchskomponisten und Attraktionen wie Virtuosen angereichert. Auch Beethoven-Sinfonien wie die Pastorale gehörten bald zum Repertoire der Sinfoniekonzerte im Châtelet. All diese Neuerungen wurden von Henri Litolff eingeführt, der die „Festivals Populaires“ ab Dezember 1871 als zweiter Dirigent neben Cressonnois leitete, und es nach der Opéra für seine sinfonischen Ambitionen nutzte.32 Die erweiterte Programmgestaltung führte im ersten Jahr zu sehr eklektisch anmutenden Konzerten  : Neben den Ausschnitten aus Opern und Operetten oder patriotischen Liedern wie Alsace   ! von Antony Choudens (1849–1902) und Espoir   ! von Gustave Roger (1815–1879, sie reagierten auf die Niederlage Frankreichs gegen Deutschland 187033) standen auch Kantaten des Prix de Rome wie Jeanne d’Arc von Gaston Serpette34 und sinfonische Dramen von Litolff wie Le dernier jour de la terreur oder Les Guelfes auf dem Programm.35 Während Litolff das sonstige Repertoire mit Arien aus Der Freischütz, aus L’Africaine und aus 30 Gustave Bertrand, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 5. Januar 1873, 39. Jahrgang, Nr. 6, S. 44. 31 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : A.a.O., S. 48. 32 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 24. Dezember 1871, S. 31. 33 Roger, Espoir   !, 1872  ; Choudens, Alsace   !, 1871. 34 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 10. Dezember 1871, 38. Jahrgang, Nr. 2, S. 15. 35 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 24. Dezember 1871, S. 31  ; „Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 16. Februar 1872, 38. Jahrgang, Nr. 12, S. 96.



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La damnation de Faust immer weiter auf das Opernrepertoire konzentrierte,36 bezog die Programmgestaltung fortwährend Attraktionen wie die kleinen Violinistinnen Laure und Mathilde Herman und Interpreten regionaler Volksmusik wie den Provenzalen Philippe Buisson (1833–1882) mit seiner Galoubet-Flöte ein.37 Zusammen mit weiteren Aufführungen der Werke von Berlioz wurden ab dem Frühjahr 1872 schließlich verstärkt zeitgenössische Werke wie die Première Phantaisie-Ballet von Charles-Auguste de Bériot (1802–1870) oder Georges Pfeiffers (1835–1908) „symphonie dramatique“ Jeanne d’Arc aufgeführt. Für die Saison 1872–1873 erklärte der Ménestrel die Aufführung von Werken junger Komponisten dann als das ausgewiesene Ziel der Concerts Besselièvre. Die Programme sollten dennoch weiterhin durch die Abwechslung von Gesang und Instrumentalwerken variiert werden, behielten also den auf dem musikdramatischen Repertoire basierenden populären Anstrich zur Hälfte bei.38 Dies zeigt sich auch an der Besetzung und an theatralen, visuell sich äußernden Elementen  : Am 9. Februar 1873 vergrößerte Cressonnois sein Orchester durch eine Militärfanfare und mehrere Sociétés Orphéoniques und lud eine Schauspielerin der Comédie-Française ein, die Verse der aufgeführten „ode-symphonie“ Le feu du Ciel von Émile Guimet (1836–1918) nach Victor Hugo (1802–1885) zu rezitieren.39 Eine ähnliche Entwicklung zwischen der Popularisierung der sinfonischen Musik und der Herausbildung eines gehobenen Konzertrepertoires ist auch bei den Concerts Colonne zu beobachten, selbst wenn sie hier umgekehrt verlief. Nach dem Erfolg der Aufführungen von Massenets Marie-Magdeleine im Théâtre de l’Odéon zog Colonne am 9. November 1873 für eine erste richtige Konzertreihe in das Théâtre du Châtelet um. Der Ménestrel begründete den Wechsel des Aufführungsortes mit dem Fassungsvermögen des Châtelet und wies auf das finanzielle Risiko hin, das das Concert National mit seinen niedrigen Karten36 „Nouvelles Diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 7. Januar 1872, 39. Jahrgang, Nr. 1, S. 7. 37 „Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 11. Februar 1872, 38. Jahrgang, Nr. 11, S. 87. 38 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 17. November 1872, 38. Jahrgang, Nr. 51, S. 416. 39 „Nouvelles Diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 9. Februar 1873, 39. Jahrgang, Nr. 11, S. 88.

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preisen im weitaus kleineren Théâtre de l’Odéon eingegangen war.40 Im Théâtre du Châtelet mit seiner großen Kapazität von knapp 3000 Plätzen konnte das Concert National die günstigen Eintrittspreise nun auf die zahlreichen Zuhörer umlegen und seine finanziellen Risiken besser auffangen.41 Die im Châtelet angesetzten Kartenpreise mit der Spannweite von 0,50 F bis 4 F übertrafen in ihrer Günstigkeit dabei sogar diejenigen des grand spectacle.42 Auf diese Weise wurden die Sinfoniekonzerte für das angestammte Publikum des Théâtre du Châtelet wenigstens preislich interessant, wenn ihm schon das aufgeführte Repertoire von zeitgenössischen französischen Komponisten kaum als Genre und in seinem Stil bekannt war. Um den großen Saal des Châtelet zu füllen, vergrößerte der Dirigent Édouard Colonne sein Orchester, das mit seinen 40 Musikern für den neuen Aufführungsraum definitiv zu klein war.43 Die neue Orchestergröße ermöglichte es ihm, verstärkt Werke von Hector Berlioz aufzuführen. Während das Programm des ersten Konzerts mit Beethovens A-Dur-Symphonie, Mendelssohns Athalie-Ouvertüre und Bizets Ouvertüre der Arlésienne das gewohnte Panorama aus klassisch-romantischer Musik und Werken zeitgenössischer französischer Komponisten bot, das auch schon in der vorherigen Saison des Concert National im Théâtre de l’Odéon gespielt worden war,44 sah Colonne mit dem Ballet des Sylphes auch zum ersten Mal ein Berlioz-Fragment vor.45 Letzteres war dem Publikum schon aus den Concerts Besselièvre und auch allgemein aus dem Pariser Konzertrepertoire bekannt und stellte daher keine Besonderheit dar. Die folgenden Konzerte zeigen jedoch, dass Colonne über schon bekannte Werke des französischen Komponisten eine dauerhafte Aufnahme auch noch unbekannter Berlioz’scher Werke in 40 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 5. Oktober 1873, 39. Jahrgang, Nr. 45, S. 358. 41 Der Ménestrel veranschlagte die Sitzplatzzahl sogar mit 3500. Ebd. 42 „Nouvelles Diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 12. Oktober 1873, 40. Jahrgang, Nr. 41, S. 326. 43 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 5. Oktober 1873, S. 358  ; Gustave Bertrand, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 18. Januar 1873, 39. Jahrgang, Nr. 7, S. 52. 44 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 2. März 1873, 39. Jahrgang, Nr. 14, S. 112. 45 Arthur Pougin, „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 16. November 1873, 39. Jahrgang, Nr. 51, S. 407.



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sein Konzertrepertoire plante. Dabei orientierte er sich in einem zweiten Stadium an dessen Werken mit dramatischem Gehalt und volksmusikalischen Elementen  : Nur einen Monat nach dem ersten Concert National im neuen Haus setzte der Dirigent das Divertissement des Jeunes Ismaélites aus Berlioz’ L’Enfance du Christ neben die ebenfalls schon bekannte Marche Hongroise aus der Damnation de Faust auf das Programm.46 Nach diesem Konzert spielte er fast monatlich Werke von Berlioz  : Am 11. Januar 1874 führte er die Ouverture du corsaire, am 18. Januar 1874 ein weiteres Mal das Divertissement des Jeunes Ismaélites und am 1. März 1874 die Marche Troyenne, ein erstes Werk mit Chor auf. Das Divertissement des Jeunes Ismaélites fand auch auf dem Programm des dritten Konzerts der Folgesaison am 29. November 1874 seinen Platz.47 Die Ouverture du corsaire und die Marche Troyenne sind sehr effektvolle, klassisch strukturierte Stücke von Berlioz mit großen Besetzungen. Die Ouverture du corsaire zeichnet sich durch eine frei abgewandelte Sonatenform aus, die mit harmonischen Steigerungen angereichert wird (wie z.B. von c-Moll nach D-Dur bei der letzten Wiederholung des Themas zum Schluss der Ouvertüre).48 Eine solche, mit der ABA-Form vergleichbare Struktur erfüllte die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums des grand spectacle. Vor diesem Hintergrund erscheint die Programmgestaltung mit dem Ballet des Sylphes, der Marche Hongroise, der Ouverture du corsaire, der Marche Troyenne und des Divertissement des Jeunes Ismaélites als sehr behutsame Vorbereitung auf Berlioz’ Hauptwerke. Berlioz war zu seinen Lebzeiten beim Pariser Publikum nicht sehr beliebt gewesen,49 sodass auch allgemein eine gewisse Vorsicht geboten schien, wenn man Konzertprogramme mit seinen Werken gestaltete. Trotz dieses Vorbehalts bildete sich mit Einzug in den großen und popularen Saal des Théâtre du Châtelet eine großflächige Aufnahme der Werke von Berlioz in das Konzertrepertoire heraus. 46 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 7. Dezember 1873, 40. Jahrgang, Nr. 1, S. 7. 47 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 11. Januar 1874, 40. Jahrgang, Nr. 6, S. 47  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 18. Januar 1874, 40. Jahrgang, Nr. 7, S. 55  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 1. März 1874, 40. Jahrgang, Nr. 13, S. 104  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 29. November 1874, 40. Jahrgang, Nr. 52, S. 414. 48 Berlioz, „Ouverture du corsaire“, in  : Ders., Overtures, 2000, S. 251–297. 49 Eckart-Bäcker, Frankreichs Musik zwischen Romantik und Moderne, 1965, S. 44–45.

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Dass diese Ausprägung in Anlehnung an die Kapazitäten des Saals und an seinen Ruf als Volkstheater vollzogen wurde, zeigt sich am verbleibenden Repertoire des Concert National. Denn über die Neuorientierung in Richtung Berlioz hinaus blieb Colonne der herkömmlichen Zielsetzung seiner Konzerte treu  : Das Repertoire setzte sich auch weiterhin aus zahlreichen Werken zeitgenössischer französischer Komponisten wie Georges Bizet (L’Arlésienne, 9. November 1873), Jules Massenet (Scènes pittoresques, 23. November 1873), Camille Saint-Saëns (Phaéton, 14. Dezember 1873), Théodore Dubois (Pièces pour orchestre, 14. Dezember 1873), Édouard Lalo (Divertissement, 21. Dezember 1873), Victorin de Joncières (1839–1903, Marche du Dernier Jour de Pompéi, 4. Januar 1874), Ernest Guiraud (Suite d’orchestre, 11. Januar 1874) und CharlesMarie Widor (Symphonie en Fa, 22. März 1874) zusammen.50 Saint-Saëns, Massenet und Guiraud gehörten der Société Nationale de Musique an, die sich für die Aufführung zeitgenössischer Musik engagierte und die 1871 für ihre Konzerte oft auf Colonne als Dirigenten zurückgegriffen hatte.51 Die meisten der bei Colonne gespielten Komponisten wurden von Georges Hartmann verlegt.52 Die Anstrengungen, Werke zeitgenössischer französischer Komponisten aufzuführen, wurden bald auch von staatlicher Seite honoriert  : Am 25. Januar 1874 erhielten die „Concerts du Châtelet“ vom Ministère des Beaux-Arts eine finanzielle Anerkennung von 2.000 F.53 In der immer noch sehr zeitgenössischen Programmgestaltung mochte ein Grund dafür liegen, dass das Publikum sich trotz der billigen Kartenpreise wenig für die Konzerte im Châtelet interessierte. Die Saison 1873–1874 (sie ging 50 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 9. November 1873, 39. Jahrgang, Nr. 50, S. 400  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 23. November 1873, 39. Jahrgang, Nr. 52, S. 414  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 14. Dezember 1873, 40. Jahrgang, Nr. 2, S. 15  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 21. Dezember 1873, 40. Jahrgang, Nr. 3, S. 23  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 4. Januar 1874, 40. Jahrgang, Nr. 5, S. 39  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 11. Januar 1874, S. 47  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 22. März 1874, 40. Jahrgang, Nr. 16, S. 127. 51 Bernard, Le Concert symphonique à Paris entre 1861 et 1914, Bd. 1, 1976, S. 31–32. 52 Bizet, Saint-Saëns, Lalo, Franck, Guiraud, Godard und Reyer wurden von Hartmann verlegt. Devriès-Lesure, „Hartmann, Jean“, 2003, S. 578. 53 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 25. Januar 1874, 40. Jahrgang, Nr. 8, S. 63.



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bis zum März 1874, als die Direktion des Châtelet wechselte und das Theater zwecks Renovierungsarbeiten zur Umgestaltung in die Opéra Populaire geschlossen wurde54) war finanziell so wenig erfolgreich, dass Hartmann sich 1874 aus dem Unternehmen zurückzog. Colonne ließ sich jedoch nicht entmutigen und gründete am 27. Mai 1874 eine Association Artistique, in der die Orchestermitglieder je nach Gewinn am Ende einer jeden Saison anteilmäßig ausbezahlt werden sollten. Das Orchester wurde nun von einem Vorstand verwaltet, dessen Präsident Colonne selbst war. Am 19. Juli 1874 berichtete der Ménestrel, dass die Statuten der künstlerischen Vereinigung vom Conservatoire abgeleitet wären55 und dass Colonne auch weiterhin Hartmanns Ziel verfolge, zeitgenössischen Komponisten eine Aufführungsplattform zu bieten.56 Mit der administrativen Umgestaltung des Orchesters ging die Suche nach einem neuen Konzertsaal einher, da Hartmann einen Anspruch auf das Théâtre du Châtelet als Aufführungsort von Sinfoniekonzerten zu erheben schien.57 Colonne holte daraufhin Angebote des Théâtre de la Porte Saint-Martin, des Théâtre de l’Odéon, der Opéra-Comique und des Théâtre Italien ein. Der neue Direktor des Châtelet Dufau wandte sich schließlich von selbst an Colonne und machte das beste Angebot  : Am 15. September 1874 berichtete Colonne dem Komitee von den günstigen Konditionen Dufaus.58 Nur eine Woche später, am 22. September 1874, wurde beschlossen, die Konzerte des Orchesters im Châtelet zu geben, und am 10. Oktober 1874 ratifizierte die Generalversammlung der Association Artistique die Entscheidung, mit Dufau einen Vertrag einzugehen.59 54 „Semaine théâtrale et musicale“, in  : Le Ménestrel, 26. April 1874, 40. Jahrgang, Nr. 21, S. 164. 55 Vgl. Locke, „The French Symphony“, 1997, S. 165. 56 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 19. Juli 1874, 40. Jahrgang, Nr. 33, S. 264. 57 „Procès verbal de la Séance du 4 Août 1874“, in  : Procès verbaux du Comité. Première année 1874 (Du 27 mai au 10 octobre). Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/3. 58 „Procès verbal de la Séance du 16 Juin 1874“/„Procès verbal de la Séance du 25 Juin 1874“/„Procès verbal de la Séance du 7 Juillet 1874“/„Procès verbal de la Séance du 18 Août 1874“/„Procès verbal de la Séance du 25 Août 1874“/„Procès verbal de la Séance du 1er Septembre 1874“/„Procès verbal de la Séance du 8 Septembre 1874“/„Procès verbal de la Séance du 15 Septembre 1874“/„Procès verbal de la Séance du 19 Septembre 1874“, in  : Ebd. 59 „Procès verbal de la Séance du 22 Septembre 1874“/„Assemblée Générale du 10 Octobre 1874“, in  : Ebd.

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Für den Direktor des Châtelet erhöhte diese Zusage den Wert der neuen Opéra Populaire, in die er das Theater zu dieser Zeit transformierte. Denn mit seiner Entscheidung für das Théâtre du Châtelet hatte sich zwangsläufig auch Colonne entschlossen, den Akzent seiner Konzerte auf die Anziehung des breiten Publikums zu legen und durch die große Zuhörerkapazität die finanzielle Prosperität seiner Orchestervereinigung zu gewährleisten. Die Aufführung zeitgenössischer französischer Werke wurde dagegen schon durch die Vertragsverhandlungen mit Hartmann stark gedämpft, der seine Werke Colonne nicht ohne Weiteres überlassen wollte. Aus dem gleichen Grund musste das Concert National seinen Namen ändern.60 Wie Hostein beim Umzug des Théâtre Impérial du Cirque an die Place du Châtelet entschied sich das Komitee des Orchestre Colonne am 20. September 1874 für die Angabe des Spielortes im neuen Namen und taufte die neuen Konzertreihen auf „Concerts du Châtelet“.61 Die Förderung der neuen Musik verschob sich derweil auf die Mitgliederstruktur der Association Artistique, in die sich nach ihrer Gründung gleich mehrere Komponisten als „zahlende Ehrenmitglieder“ einschrieben. Durch den mit der Mitgliedschaft verbundenen Erwerb von Anteilen an der Association Artistique wurde es sehr wahrscheinlich, dass ihre Werke von Colonne gespielt wurden. 1874 waren unter anderem Augusta Holmès (1847–1903), Marie de Grandval (1830–1907), Alfred Bruneau (1857–1934), Théodore Dubois, Gabriel Fauré (1845–1924), Ernest Guiraud, Vincent d’Indy (1851–1931), Édouard Lalo, Edmond Membrée, Émile Pessard (1843–1917) und Camille Saint-Saëns zahlende Mitglieder der Association Artistique.62 Bis 1914 setzte Colonne ihre und die Werke weiterer lebender Komponisten tatsächlich regelmäßig auf seine Programme. Schon im ersten Konzert der neu gegründeten Association Artisti60 „Procès verbal de la Séance du 19 Septembre 1874“/„Procès verbal de la Séance du 6 Octobre 1874“, in  : Ebd. 61 „Procès verbal de la Séance du 20 Septembre 1874“, in  : Ebd. 62 Bernard, Le Concert symphonique à Paris entre 1861 et 1914, 1976, S. 44. Der Ménestrel gab am 18. Oktober 1874 folgendes Panorama der zahlenden Ehrenmitglieder bekannt, aus dem hervorgeht, dass neben den Komponisten auch viele Verleger und Instrumentenbauer der Association Artistique angehörten  : „Fr. Viardot, Érard, De Grandval, Galli-Marié, R. Delaborde, Oulman, Salvador, Witwe Schaeffer, Hr. und Frau P. Schaeffer, die Herren C. Saint-Saëns, G. Mathias, Durand, Schoenewerk, etc.“ „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 18. Oktober 1874, 40. Jahrgang, Nr. 46, S. 367.



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que am 15. November 1874 spielte Colonne Werke von Saint-Saëns und Massenet.63 Nicht selten überließ er den Komponisten selbst das Dirigentenpult, wenn es um die Aufführung ihrer Werke ging. Mit der Geburt der Association Artistique war in Bezug auf das zeitgenössische Repertoire ein kommerzielles System eingeführt worden, in dem die Komponisten die Aufführung ihrer Werke mitfinanzierten. Gemäß dieser Verankerung zeitgenössischer Komponisten in der Orchestervereinigung zeichneten sich die ersten Konzerte durch eine vornehmlich künstlerische Atmosphäre aus. In ihnen versammelten sich viele Komponisten und Kenner der sinfonischen Musik im Saal des Châtelet.64 Die Presse begrüßte die vielen Aufführungen zeitgenössischer Musik sehr und konzentrierte ihre Kritiken meistens ausschließlich auf die Besprechung der mannigfaltigen Uraufführungen.65 Was ältere Werke anging, fielen diese lediglich auf, wenn sie lange oder noch gar nicht in Paris aufgeführt worden waren wie im Fall der Sinfonie in g-Moll von Mozart, die Colonne am 7. Dezember 1874 spielte.66 Unbekannte oder länger nicht mehr gespielte klassische und romantische Werke wie das Divertissement des Jeunes Ismaélites von Berlioz wurden vom „so klugen Publikum“ der Concerts du Châtelet dabei allgemein sehr positiv aufgenommen.67 Im Zuge der seit Beginn der Konzerte im Châtelet sich verstärkenden Aufführungen von Werken von Hector Berlioz und der Vorliebe der Kritiker für das lange nicht gehörte klassische Repertoire führte Colonne am 10. Januar 1875 schließlich seine geistliche Trilogie L’Enfance du Christ in voller Länge auf. Für die Einführung dieses Werks arbeitete Colonne mit dem Sensationellen der Massenszenen, die auch grand spectacle und Orphéon auszeichneten, und ließ im Ménestrel die hohe Zahl von 200 Musikern und Chorsängern an-

63 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 15. November 1874, 40. Jahrgang, Nr. 50, S. 399. 64 Arthur Pougin, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 23. November 1873, 39. Jahrgang, Nr. 52, S. 411. 65 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 29. März 1874, 40. Jahrgang, Nr. 17, S. 135. 66 „Nouvelles Diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 14. Dezember 1873, 40. Jahrgang, Nr. 50, S. 398. 67 Ebd.

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kündigen.68 Die positive Rezeption der Enfance du Christ wurde von den Kritikern tatsächlich stark mit der musikalischen Bildung des Theaterpublikums in Verbindung gebracht. In umfangreichen Werkeinführungen stellte die Presse die Affinität der Enfance du Christ zur Oper heraus und untermalte diesen Aspekt durch lange Zitate von Berlioz.69 Im selben Atemzug brachte die Presse die Tatsache ins Spiel, dass Berlioz zu den vergessenen Komponisten gehörte. Trotz Mängeln der musikalischen Interpretation attestierten sie Colonne das Verdienst, die Musik von Berlioz wiedererweckt zu haben  :70 „Werden letztendlich auch die französischen Dilettanten noch merken, dass Berlioz ein Genie war  ?“71, resümierte die Konzertkritik des Ménestrel. Die gute Aufnahme des Werks durch das breite Publikum habe dabei vor allem an der Expressivität des Stücks gelegen  ; der Erfolg beruhe weniger auf den musikalischen Strukturen als auf den persönlichen Erfahrungen der Hörer.72 All diese Elemente führten dazu, dass die musikalische Presse Colonne zu weiteren Ausgrabungen der Werke von Berlioz animierte  : „Wie lange dauert es noch, bis Roméo et Juliette und die Damnation de Faust aufgeführt werden  ?“, schloss Adolphe Jullien von der Revue et gazette musicale de Paris seine Konzertkritik.73 Nach der erfolgreichen Aufführung der Enfance du Christ erneuerte das Ministère des Beaux-Arts seine finanzielle Anerkennung vom Vorjahr und unterstützte die „Société des artistes“ nochmals mit 2.000 F.74 Der Presse zufolge bewirkte diese Subvention einen Schub in der Programmgestaltung zugunsten 68 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 10. Januar 1875, 41. Jahrgang, Nr. 6, S. 47. 69 Adolphe Jullien, „Concerts du Châtelet. L’Enfance du Christ, trilogie sacrée, paroles et musique d’Hector Berlioz“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 17. Januar 1875, 42. Jahrgang, Nr. 3, S. 19. 70 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 5. Dezember 1875, 42. Jahrgang, Nr. 1, S. 6. 71 A. P., „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 24. Januar 1875, 41. Jahrgang, Nr. 8, S. 62. 72 Élie, „Association artistique. L’enfance du Christ“, in  : L’Art musical, 13. Januar 1881, Bd. 20, Nr. 2, S. 9. 73 Jullien, „Concerts du Châtelet. L’Enfance du Christ, trilogie sacrée, paroles et musique d’Hector Berlioz“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 17. Januar 1875, S. 20. 74 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 24. Januar 1875, 41. Jahrgang, Nr. 8, S. 62.



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zeitgenössischer französischer Musik.75 Das neue Programm lag Colonne sicherlich sehr am Herzen, er konnte es sich aber nur vor dem Hintergrund finanzieller Sicherheiten leisten. Als finanzielle Sicherheit kristallisierten sich im Folgenden zunehmend die Aufführungen der Werke von Berlioz heraus – auch abgesehen von den punktuellen ministeriellen Subventionen. Berlioz’ Werke boten dem Châtelet-Publikum die perfekte Zusammenstellung aus Grandiosem, Dramatischem und auch aus den im Trend der Zeit liegenden Ansprüchen der Wiedererweckung und der Popularisierung sinfonischer Musik. Besonders diese letzten Attribute hoben die Kritiker im November 1875 in ihren Rezensionen der Aufführung von Roméo et Juliette mit diesmal 250 Mitwirkenden hervor  :76 „Mehr als eine Seite dieser dramatischen Symphonie, wie Berlioz sie nennt, trägt die Handschrift eines großen Meisters, und ohne fürchten zu müssen, sich zu täuschen, kann man voraussagen, dass die Nachwelt, die für den Autor der Troyens schon begonnen hat, diesem leidenschaftlichen und pittoresken Werk, bei dem die ernsten Zeilen und grandiosen Konturen selbst durch die zu phantastischen Einfälle nicht beeinträchtigt werden, schon bald volle Gerechtigkeit entgegenbringen wird. Große Musik braucht Zeit, um sich in der allgemeinen Bewunderung durchzusetzen, und die musikalische Ausbildung des Publikums lässt sich nicht an einem Tag erledigen.“77

Der Presse zufolge erzielte Colonne mit Roméo et Juliette erste bedeutende Erfolge in der Popularisierung von Berlioz’ unbekannteren Werken  : Das gesamte Publikum habe nach mehreren Fragmenten energisch applaudiert. Der Kritiker machte für diesen Erfolg Colonnes leidenschaftliche Interpretation verantwortlich, die das Publikum trotz einiger Mängel des Zusammenspiels vollständig in ihren Bann gezogen hatte, und bezeichnete seinen Dirigierstil als „kommunikativen Enthusiasmus“.78 75 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 14. Februar 1875, 41. Jahrgang, Nr. 11, S. 86. 76 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 28. November 1875, 41. Jahrgang, Nr. 52, S. 415. 77 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 5. Dezember 1875, S. 7. 78 Ebd.

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Die überzeugende musikalische Qualität, die sich besonders eindrucksvoll anhand der Aufführungen der Werke von Berlioz zeigte, und die klassisch-romantische Programmgestaltung zogen nicht nur das breite, sondern auch ein Elitepublikum an. Zeitgleich zur Popularisierung der Berlioz’schen Musik wurden die Concerts du Châtelet in den Rang eines renommierten Sinfonieorchesters erhoben. Am 21. Januar 1877 verkündete der Ménestrel, dass die Marschallin Madame MacMahon (1834–1900) sich entschlossen habe, von nun an neben den Concerts du Conservatoire auch für die Concerts Colonne die Schirmherrschaft zu übernehmen.79 Ein paar Monate später schrieb dieselbe Zeitschrift  : „Die Symphonie in d-Moll von Beethoven wurde in vorzüglicher Weise ausgeführt. Mit ein wenig Täuschung hätte man glauben können, einer der schönen Interpretationen des Conservatoire beizuwohnen.“80 Solche Vergleiche wirkten sich unmittelbar auf das Publikum der Concerts du Châtelet aus. 1879 waren es nicht mehr die Komponisten, die den größten Teil der „zahlenden Ehrenmitglieder“ ausmachten, sondern ein vermögendes bürgerliches Klientel  : Namen wie Rothschild, Pereire und D’Eichtal fanden sich unter ihnen. Von nun an war das gehobene Bürgertum konstitutiver Bestandteil des Publikums der Concerts du Châtelet.81 Besiegelt wurde die Anerkennung der Concerts du Châtelet durch die Aufführung der Damnation de Faust am 25. Februar 1877. Da die dramatische Legende von Berlioz gleichzeitig in den Concerts Populaires von Jules Pasdeloup aufgeführt wurde, hatten die Kritiker Gelegenheit, einen direkten Vergleich in puncto musikalischer Interpretation zu ziehen. Beide Konzerte waren große Erfolge, beide Orchester wurden für die Wiederaufführung der gesamten Damnation de Faust ausgiebig gelobt. Die Interpretation der Concerts Colonne wurde jedoch ob Colonnes Sorgfalt bei der Einstudierung und seines leidenschaftlichen Dirigats im Vergleich zur Interpretation Pasdeloups als besser eingestuft. Gleichzeitig hob die Presse Colonne aufgrund seines kontinuierlichen Einsatzes

79 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 28. Januar 1877, 43. Jahrgang, Nr. 9, S. 70. 80 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 25. November 1877, 43. Jahrgang, Nr. 52, S. 415–416. 81 Bernard, Le Concert symphonique à Paris entre 1861 et 1914, 1976, S. 44.



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für die Werke von Berlioz hervor.82 Dies diene nicht nur dem Erfolg der Concerts du Châtelet sondern auch der musikalischen Bildung des Publikums, die – für die Kritiker an der Aufführung der Prise de Troie erkennbar – 1879 einen großen Schritt nach vorn gemacht zu haben schien  : „Ohne bei einem Vergleich des Verdienstes der einzelnen Ausführenden stehen zu bleiben, die das Werk von Berlioz im Cirque d’Hiver und im Châtelet spielen, halten wir eine Tatsache fest  : den immer beachtlicheren Publikumsandrang beim Théâtre du Châtelet und die nachhaltige Beliebtheit der Prise de Troie. Die Andächtigkeit, mit der das Publikum zuhört, die Auffassungsgabe, mit der es die pathetischsten Passagen nachvollzieht, und die Art, wie es die unnachahmliche Farbgebung einer unvergleichlichen Orchestrierung aufnimmt, verblüfft uns von Mal zu Mal mehr.“83

Insofern schließt sich der Kreis vom Einzug des Concert National in das Théâtre du Châtelet als Opéra Populaire über die behutsame Verstärkung des Berlioz’schen Repertoires, die mit der Vergrößerung des Orchesters einherging, bis zur Rezeption dieses Repertoires als erfolgreiche Popularisierung der sinfonischen Musik im Volkstheater Châtelet. Sowohl vor als auch nach Ende des Zweiten Kaiserreichs hingen die Programmgestaltung und ihre Einstufung als musikalische Bildung für das breite Publikum bei Konzerten im Châtelet eng mit der Größe des Theaters und seinem angestammten Theaterpublikum des grand spectacle zusammen. Diese institutionellen und räumlichen Merkmale erneuerten die urspüngliche avantgardistische Zielsetzung des Concert National schon aus rein finanziellen Gründen, ohne dabei jedoch die Anerkennung der Concerts du Châtelet als gehobenes Pariser Orchester auszuschließen  : Im Fall von Litolffs und Colonnes Konzertreihen bewies das Châtelet zum wiederholten Male seine Opernqualitäten. Gleichzeitig wurde es mit den nicht-theatralen Sinfoniekonzerten das erste Mal als der flexible Behälter für groß angelegte Aufführungen genutzt, die auch die Architekturkritiker schon kurz nach seiner Eröffnung im Châtelet gesehen hatten.84 82 Auguste Morel, „Hector Berlioz. La Damnation de Faust“, in  : Le Ménestrel, 4. März 1877, 43. Jahrgang, Nr. 14, S. 109. 83 H. B., „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 21. Dezember 1879, 46. Jahrgang, Nr. 3, S. 23. 84 Albert de Lasalle schrieb noch 1876 in L’Art musical über die architektonische Anlage des Théâ-

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3.1.2 Klassisches, Dramatisches, Virtuoses  : Musikalische Vorlieben des Publikums der Concerts Colonne

Welche musikalischen Charakteristika zeichneten das Repertoire der Concerts du Châtelet nun jedoch aus und wie war es auf lange Sicht auf das Publikum aus weniger gebildeten bis hin zu großbürgerlichen Zuhörern und ausgebildeten Künstlern abgestimmt  ? Von Beginn der Konzertreihen im Châtelet bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts bildeten sich im Zusammenhang mit dem institutionellen Anstrich des Châtelet als Volkstheater drei wesentliche Merkmale heraus. Die Concerts du Châtelet festigten fortwährend ein klassisches, dramatisch aufgeladenes und mit virtuosen Attraktionen gespicktes Repertoire. All diese Merkmale wurden von den Kritikern mit der Popularisierung der absoluten Musik verbunden und oft sogar explizit angemahnt. Dennoch stellten das Klassische, das Dramatische und das Virtuose auch das heterogene Publikum der ChâteletKonzerte am meisten zufrieden. Nach dem Einzug in das Théâtre du Châtelet zeichnete sich das Repertoire der Concerts du Châtelet bald vollständig durch seinen klassisch-romantischen Anstrich aus. Neben Beethoven und Berlioz orientierten sich auch die am meisten gespielten zeitgenössischen Werke von César Franck (1822–1890), Vincent d’Indy und Camille Saint-Saëns an klassischen Idealen wie der Klarheit, mit der sie Werkgattungen wie die Sinfonische Dichtung von Liszt umsetzten.85 Die unterschiedlich modern ausgeprägte klassische Grundstruktur des Repertoires von Beethoven bis Saint-Saëns bediente in ausgezeichneter Weise das musikalische Bildungsmodell der Zeit, dessen einzelne Stufen konform mit musikgetre du Châtelet durch Gabriel Davioud  : „Die Kritiken wurden mit einem scherzhaften Satz zusammengefasst, der dennoch einen Funken Wahrheit enthielt. Man behauptete, dass diese quadratische Masse mit ihrem Ventilator als krönendem Campanile einem Reisekoffer gleiche, der von einer Hutschachtel bezwungen wurde.“ Albert de Lasalle, „Salle de la Place du Châtelet“, in  : L’Art musical, 14. September 1876, Bd. 15, Nr. 37, S. 293. 85 „Gewöhnlich schwelgt die französische Musik in jeder Epoche in einem vorherrschenden ‚zeitgenössischen‘ ,klassischen Idiom‘ (wie es Martin Cooper ausgedrückt hat), einem Stil, der eine relativ beständige Annäherung an bestimmte bevorzugte Genres widerspiegelt und der bei einer bestimmten Zahl der landeseigenen ausgebildeten Meister und gelegentlichen Meisterinnen breite Zustimmung findet.“ Locke, „The French Symphony“, 1997, S. 163 und S. 175ff  ; vgl. auch Colles, The Oxford History of Music, Bd. 2, 1973, S. 214–235  ; Steinbeck, Die Symphonie im 19. und 20. Jahrhundert, 2002, S. 310–312.



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schichtlichen Weiterentwicklungen der Klassik zu sein schienen.86 Dies zeigt sich offen an der Rezeption der Werke von Berlioz, da die Kritiker den großen Erfolg seiner klassisch strukturierten Werke vornehmlich aus dem an Beethoven geschulten Hörverständnis des breiten Publikums um 1870 erklärten. Die Werke Beethovens, die in der Reihenfolge ihrer Beliebtheit in die Concerts Colonne eingeführt und danach regelmäßig, fast wöchentlich gespielt wurden,87 dienten nun hingegen ausschließlich als Prototyp sinfonischer Musik, an dem das Orchester gemessen wurde.88 Oft wurden sie gar nicht mehr in den Konzertkritiken erwähnt. Als Colonne zum Beispiel am 14. März 1875 die 9. Sinfonie in voller Länge aufführte, beschränkten sich die Kritiker auf die Anmerkung, dass diese Sinfonie auch schon in den Concerts du Conservatoire lange nicht mehr gespielt worden sei. Über die Tatsache hinaus, dass die 9. Sinfonie das Publikum des Pariser Konservatoriums anzog, wenn sie vollständig aufgeführt wurde,89 gehörten Beethovens Werke für die Kritiker schon längst zum Inventar des Pariser Konzertlebens. 86 Die Vorliebe für den klassischen Stil in Frankreich hing zudem stark mit den musikalischen Moralisierungstheorien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen, die wiederum stark vom Saint-Simonismus beeinflusst waren. Fulcher, Musical Aesthetics and Social Philosophy in France 1848–1870, 1977, S. 97–98. 87 Es scheint, als ob die Beethoven-Sinfonien sehr behutsam und in Abstimmung auf das breite Publikum des Châtelet in das Repertoire aufgenommen worden seien  : Mit der 7. Sinfonie in ADur wurde zu Beginn eine sehr freudige Beethoven-Sinfonie gespielt, die Richard Wagner 1850 als „Apotheose des Tanzes“ bezeichnet hatte. Wenn auch keinesfalls mit Vaudeville und Chanson in Verbindung zu bringen, erinnert sie doch stark an die während des Zweiten Kaiserreichs im grand spectacle vorherrschende musikalische Freudigkeit mit ihren leuchtenden Tonarten und einfachen Tanzrhythmen. Nach der 7. Sinfonie wurden auch die 5. und 6. Sinfonie gespielt, die durch ihre dramatischen Gehalte ebenfalls sehr beliebt waren. Mitte der Saison 1873–1874 kam schon fast kein Programm mehr ohne Beethoven aus. Kraus, Beethoven-Rezeption in Frankreich, 2001, S. 286–287  ; Wagner, Das Kunstwerk der Zukunft, 1850, S. 90–91. Zu den Beethoven-Programmen siehe die wöchentlichen Konzertankündigungen des Ménestrel von „Nouvelles Diverses“, in  : Le Ménestrel, 2. November 1873, 39. Jahrgang, Nr. 49, S. 391 bis „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 27. Dezember 1874, 41. Jahrgang, Nr. 4, S. 30. 88 Arthur Pougin, „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 16. November 1873, S. 407  ; Henry Cohen, „Revue des Concerts“, in  : L’Art musical, 29. November 1877, Bd. 16, Nr. 48, S. 381  ; „Concerts et auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 4. Februar 1877, 44. Jahrgang, Nr. 5, S. 37. 89 „Concerts et auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 21. März 1875, 42. Jahrgang, Nr. 12, S. 93–94.

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Im Anschluss an die klassische Schulung anhand der Beethoven-Sinfonien strich die Presse nun auch bei Berlioz Qualitäten wie Klarheit und Strukturiertheit heraus.90 Zudem wurden die naive Illustrationskraft seiner Musik, ihre Orchestration und auch ihre Volkstümlichkeit genannt.91 All diese Merkmale wurden unmittelbar mit den Epochen der Klassik und der Romantik verbunden92 und für ein besonders leichtes Hörverständnis der Berlioz’schen Werke verantwortlich gemacht. Innerhalb dieses musikhistorischen Rahmens erhielten die klassischen, Beethoven-orientierten Hörgewohnheiten mit Berlioz schließlich die zusätzlichen Qualitäten der Emotionalität und Naivität  : „Es ist besser, das Werk auf naive Weise zu hören und sich den Gemütsregungen nicht zu widersetzen“, mahnte der Kritiker der Revue musicale die Zuhörer des Konzerts vom 17. November 1901, in der die Symphonie Fantastique aufgeführt wurde.93 Insofern bestand auch eine direkte Verbindung zwischen dem Berlioz’schen Repertoire und dem traditionellen Châtelet-Publikum mit seiner an der Musik des grand spectacle geschulten Rezeptionshaltung. Die an Berlioz gebundene, klassisch-emotionale Rezeption wurde von Colonne aktiv gefördert. Von Beginn an führte er unbekannte Werke von Berlioz anhand des allgemein anerkannten Grundsatzes ihrer mehrmaligen Wiederholung in den Folgekonzerten ein.94 Wie auch bei zeitgenössischen Werken diente 90 V. W., „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 3. November 1878, 44. Jahrgang, Nr. 49, S. 397  ; J. C., „Les œuvres récemment exécutées“, in  : Revue musicale, 15. Janvier 1907, 7. Jahrgang, Nr. 2, S. 27–28. 91 „Concerts du Châtelet. – Concerts populaires. La Damnation de Faust, légende dramatique en quatre parties, par Hector Berlioz“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 25. Februar 1877, 44. Jahrgang, Nr. 8, S. 60  ; Adolphe Jullien, „Concerts populaires et concerts du Châtelet. La Prise de Troie, opéra en trois actes, paroles et musique d’Hector Berlioz. – Première audition complète, le dimanche 7 décembre“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 14. Dezember 1879, 46. Jahrgang, Nr. 50, S. 405  ; Élie, „Association artistique. L’enfance du Christ“, in  : L’Art musical, 13. Januar 1881, S. 9  ; A. Landély, „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 31. Dezember 1888, Bd. 27, Nr. 24, S. 188  ; Romain Rolland, „Les Concerts“, in  : Revue musicale, 1. Januar 1904, 4. Jahrgang, Nr. 1, S. 19. 92 Amédée Lemoine, „Exécutions récentes“, in  : Revue musicale, 15. März 1908, 8. Jahrgang, Nr. 6, S. 176–177. 93 L. L., „Musique contemporaine“, in  : Revue musicale, November 1901, 1. Jahrgang, Nr. 10, S. 411. 94 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 31. März 1878, 44. Jahrgang, Nr. 18, S. 141  ; Hugues Imbert, „M. Édouard Colonne“, in  : La Revue bleue. Revue politique et littéraire, 9. Januar 1904, 5. Jahrgang, Bd. 1, Nr. 2, S. 55.



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diese Prozedur dazu, dem breiten Publikum unbekannte Werke vertraut zu machen.95 Über die zweite Aufführung der Enfance du Christ ließ Colonne noch sein Komitee in einer besonderen Sitzung entscheiden,96 bei Roméo et Juliette97 setzte er nach der erfolgreichen Aufführung ganz natürlich ein zweites Konzert an. Dieses zweite Konzert mit Roméo et Juliette und auch andere mehrmals gespielte Werke von Berlioz riefen bei ihrer zweiten und dritten Aufführung einen immer enthusiastischeren Beifall hervor, da das Amateurpublikum sie nun besser kannte.98 In den 1890er Jahren hob Colonne die bekannten und besonders beliebten Werke in den Konzertprogrammen sogar durch eine abgesetzte Schriftart hervor.99 Vor dem Hintergrund all dieser von den Kritikern unterstrichenen Rezeptionsparameter stellen die Ausgrabung der Damnation de Faust und ihr großer Erfolg beim Publikum des Châtelet eine fast folgerichtige Konsequenz dar. Dieses Werk, das sowohl eine dramatische Handlung transportierte und klassischen Strukturen gehorchte, als auch durch die häufig gespielten Fragmente der Marche Hongroise und des Ballet des Sylphes dem Publikum vertraute Elemente aufwies, konnte in Paris um 1877 nur erfolgreich sein. Schon nach dem ersten Konzert bestätigten die Kritiker seine Angemessenheit für das gegenwärtige Pu-

95 „Concerts et auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 7. März 1880, 47. Jahrgang, Nr. 10, S. 77. 96 „Concerts et Auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 24. Januar 1875, 42. Jahrgang, Nr. 4, S. 29. Die Enfance du Christ wurde am 10. Januar 1875 und am 17. Januar 1875 in zwei aufeinanderfolgenden Konzerten zweimal aufgeführt, wie es auch für zeitgenössische Werke in den Statuten der Association Artistique vorgeschrieben war. Danach spielte Colonne immer wieder Fragmente des Werks, die noch nicht wie das Divertissement des jeunes Ismaélites vor der vollständigen Aufführung bekannt gewesen waren. Vgl. „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 10. Januar 1875, S. 47, und „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 17. Januar 1875, 41. Jahrgang, Nr. 7, S. 55. 97 Roméo et Juliette wurde in den Konzerten vom 28. November 1875 und 5. Dezember 1875 zweimal hintereinander vollständig aufgeführt. Danach spielte Colonne mehrmals Fragmente aus Roméo et Juliette. Vgl. „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 28. November 1875, S. 415, und „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 5. Dezember 1875, S. 6–7. 98 „Nouvelles Diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 12. Dezember 1875, 42. Jahrgang, Nr. 50, S. 399. 99 Pasler, „Concert Programs and their Narratives as Emblems of Ideology”, 1993, S. 265.

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blikum des Châtelet.100 Der große (finanzielle) Erfolg der Damnation bewirkte, dass Colonne die „dramatische Legende“ wieder und wieder auf sein Programm setzte. Bis zum vorletzten Konzert der Saison am 25. März 1877 führte er sie sechsmal hintereinander auf. Das letzte Konzert der Saison, in dem Die Schöpfung von Haydn gespielt wurde, war dagegen enttäuschend. Die musikalische Ausführung war zwar makellos gewesen, das Publikum des Châtelet stand jedoch noch so unter dem Eindruck der Damnation de Faust, dass ihm Haydns Schöpfung farblos erschien.101 Nur ein Jahr später hielten es die Kritiker gar für schwer, bei dem an Berlioz gewöhnten Publikum mit Werken von Niels Gade (1817–1890) eine positive Resonanz zu erzielen.102 Im Gegensatz zur ständigen Förderung einer klassisch-romantischen Rezeptionshaltung durch die Werke von Berlioz wurde die zeitgenössische französische Schule bald ganz und auf lange Zeit aus den Concerts Colonne verdrängt. Zeitgleich begann mit den 1880er Jahren eine Periode, in der sich das klassischromantische Rezeptionsmuster definitiv in den Konzerten des Châtelet institutionalisierte. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg kam dieser Prozess den Kritikern wie eine unwiderrufbare Entwicklung vor  : „[Colonne] hat sich zwar für die Delikatessen der zeitgenössischen Kunst zweifellos interessiert, und das mehr als sein Publikum  : Er hat La Damoiselle Élue, die Nocturnes von Debussy und sogar die Rhapsodie Espagnole von Ravel verstanden  ; aber da er an Massen- oder Gegenüberstellungseffekte gewöhnt war, fand er es sehr schwierig, einem gleichmäßigen Gewebe zu folgen, bei dem jede Linie wichtig ist, und man muss sagen, dass seine Instrumentalisten sehr weit davon entfernt waren, ihn dabei zu unterstützen. Das Châtelet wurde zum Konservatorium der Romantik  ; dies ist es immer noch, trotz der Bemühungen von Colonnes Nachfolger, Herrn Gabriel Pierné. Wird es sich ändern können  ? Es fällt schwer, dies zu bejahen. In jeder alteingesessenen Institution gibt es eine starke, fast unbezwingbare Trägheit, da sie an 100 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 25. Februar 1877, 43. Jahrgang, Nr. 13, S. 103. 101 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 1. April 1877, 43. Jahrgang, Nr. 18, S. 143. 102 „Concerts, nouvelles diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 17. März 1878, 45. Jahrgang, Nr. 11, S. 85.



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ihren eigenen Erfolg gebunden ist und da ihr Klientel sich weigert, den Geschmack zu ändern. Aus der Musik der Romantik von Beethoven bis Wagner lässt sich ein breites Repertoire formen. Aber das heutige hat keinen Platz im Châtelet, wie gut es auch immer aufgeführt wird  ; einige Beispiele haben dies kürzlich erst wieder bewiesen.“103

Ein Hauptpfeiler dieser Entwicklung bestand in der Tatsache, dass das klassischromantische Repertoire sowohl die Hörgewohnheiten des breiten Publikums als auch die Rezeptionsparameter der gebildeten Zuhörer zufriedenstellte. Letzteres lässt sich schon an den Konzertkritiken der 1870er Jahre ablesen, die auf rein klassischen Kriterien beruhten. Auf die zeitgenössische Musik waren sie kaum anwendbar  : Vor der jungen französischen Schule und dem Extremfall Wagner bevorzugten die Rezensenten durchgehend Klarheit und Melodie, das heißt einen „klaren Aufbau“104 und eine präzise Sprache. Als Vorbilder galten zwar ausschließlich Komponisten aus dem deutschsprachigen Raum wie Haydn, Mozart, Beethoven und Mendelssohn,105 das klassische Ideal war aber dennoch stark mit genuin französischen Parametern verbunden. Die Melodie wurde als Merkmal des französischen klassischen Musiktheaters herausgestellt,106 sodass sich ein Werk auch im Sinfoniekonzert nur durch eine klare, präzise Kantilene „seines Publikums bemächtigen konnte“.107 Die klassischen Merkmale der Ordnung und der Einheit waren dazu da, das Publikum durch eine „wahre Kraft“ in 103 Louis Laloy, „La Musique. Édouard Colonne“, in  : La Grande Revue, 25. April 1910, S. 841. 104 Barbedette, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 1. Februar 1880, 46. Jahrgang, Nr. 9, S. 70. 105 Die Vorliebe für das Klassische wurde um 1877 auch von den französischen Komponisten bedient. So im Fall der Sinfonie in A-Dur von André Messager  : „Die fragliche Symphonie zeigt sehr seriöse Qualitäten. Ohne dass sie ein Meisterwerk wäre, ohne eine deutliche Individualität zu betonen, zeigen sich bei ihrem Autor ein zartes musikalisches Empfinden und eine bemerkenswerte Beherrschung des klassischen Stils. Das Modell, mit dem sich Herr Messager am meisten beschäftigt hat, oder besser gesagt, der Meister, der ihn am stärksten beeinflusst hat, bewusst oder unbewusst, ist offenbahr Mendelssohn.“ „Concerts et auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 27. Januar 1878, 45. Jahrgang, Nr. 4, S. 30. 106 H. Moreno, „Semaine théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 24. Dezember 1876, 43. Jahrgang, Nr. 4, S. 26–27. 107 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 10. März 1878, 44. Jahrgang, Nr. 15, S. 119.

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den Bann einer musikalischen Idee zu ziehen.108 Dieser Effekt ging nach Meinung der Musikkritiker bei dem Versuch der jungen französischen Schule verloren, aus Rezitativen und vor allem aus der unendlichen Melodie Wagners109 eine neue Form hervorzubringen.110 Auch nicht wagnerianische Werke, welche vom klassischen Aufbau einer Sinfonie oder eines Konzerts abwichen, wurden als inkohärent beschrieben, wie im Fall des Klavierkonzerts in Es-Dur von Franz Liszt (1811–1886), das die Pianistin Marie Jaëll (1846–1925) am 14. November 1875 in den Concerts du Châtelet spielte.111 Dem breiten Châtelet-Publikum sagten die Kritiker vergleichsweise stark ausgeprägte klassische Rezeptionsgewohnheiten nach  : Es konnte passieren, dass das Weglassen des letzten Satzes von Schumanns Sinfonie in Es-Dur spöttisch kommentiert wurde, indem die Kritiker ironisch mutmaßten, eine Sinfonie mit fünf Sätzen wäre wohl zu viel für das klassisch geschulte Publikum der Concerts du Châtelet.112 Neben der Melodie und der Prägnanz der musikalischen Effekte wurde die klassische Einfachheit auch im Hinblick auf die Orchestration gefordert. Orchestrale Stärke und Farbgebung reicherten den Schatz an Effekten zwar angenehm an, durften jedoch keinesfalls bestimmte Dimensionen der Orchestergröße überschreiten. Hier sahen die Kritiker die Instrumentation Webers, Bizets

108 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 4. Februar 1877, 43. Jahrgang, Nr. 10, S. 79. 109 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 10. März 1878, S. 119. 110 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 13. Februar 1876, 42. Jahrgang, Nr. 11, S. 86. Die klassische Form setzte sich zudem klar von der Improvisation ab, wie J. C. 1910 in der Revue musicale in Bezug auf die Symphonie Concertante pour Violoncelle et Orchestre von George Enescu erklärte  : „[…] Verdunkelung oder Zusammenhangslosigkeit können nicht nur aus der Verbindung der Teile, sondern auch aus ihrer einzelnen kompositorischen Anlage heraus entstehen. In dieser Symphonie ist der Part des Cellos mit einer Fülle von Noten und virtuosen Mustern überladen, die in einem Konzert für Cello keineswegs fehl am Platz gewesen wären, aber die hier wie eine reine formelle Improvisation klingen, die es dem Zuhörer sehr schwer macht, dem musikalischen Gedanken zu folgen oder ihn überhaupt wiederzuerkennen.“ „Exécutions et publications nouvelles“, in  : Revue musicale, 15. Dezember 1910, 10. Jahrgang, Nr. 24, S. 561. 111 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 8. November 1875, 41. Jahrgang, Nr. 49, S. 391. 112 A. J., „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 28. Februar 1875, 41. Jahrgang, Nr. 13, S. 102.



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und Rimskij-Korsakovs als Vorbild an.113 Berlioz’ Werke stellten für die musikalische Presse in puncto klassischer Melodie, Nähe zum französischen Musiktheater und Orchestration folglich den kompositorischen Bestfall dar, wenn Adolphe Jullien (1845–1932) in der Revue et gazette musicale de Paris 1879 über Roméo et Juliette schreibt  : „[…] Berlioz übernimmt die melodischen Konturen von Gluck lediglich für den Vokalsatz  ; bei allem, was mit dem Orchester zusammenhängt, bleibt er der alte Berlioz, der sich eine so reiche orchestrale Palette aus den leuchtendsten Farben Webers und Beethovens geschaffen hat.“114 Da Berlioz sowohl die klassischen Formen und Orchestrationen aus dem deutschen Raum aufgriff, aber in seiner Expressivität und seiner Affinität zum Theater dennoch darüber hinausging, entsprach der französische Komponist vollkommen den nationalen Ambitionen in der Zeit nach 1870 in Bezug auf eine genuine französische Kultur abseits der deutschen Musiktradition. Schon kurz nach den ersten Ausgrabungen seiner Werke setzten ihn die Kritiker explizit als Platzhalter für die französische sinfonische Musik ein  : „Sie werden sehen, wie dieser bei den Musikern so umstrittene Berlioz schließlich noch gleichzeitig zu unserem französischen Beethoven und Gluck werden wird“,115 konstatierte der Ménestrel Ende 1879.116 Dass die Musik von Berlioz nicht nur dem musikalisch gebildeten, sondern auch den Vorlieben des breiten Publikums der Concerts du Châtelet entsprach, zeigen die von 1894 bis 1914 in den Concerts Colonne gegebenen Zugaben. Das Publikum verlangte vor allem die Wiederholung von Werken, die klassischen Strukturen entsprachen. Zugleich ist bei diesen Stücken jedoch auch immer eine Vorliebe für dramatisch aufgeladene Musik zu erkennen – sei es durch eine rein akustische Dramatik wie dynamische Kontraste, sei es durch eine tonmalerische Inhaltlichkeit des Stücks. Nach Beethovens Werken wurden 113 S., „Concerts Colonne  : La „deuxième Symphonie“ de M. Gustav Mahler“, in  : Revue musicale, 1. Mai 1910, 10. Jahrgang, Nr. 9, S. 230. 114 Adolphe Jullien, „Concerts populaires et concerts du Châtelet. La Prise de Troie, opéra en trois actes, paroles et musique d’Hector Berlioz“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 14. Dezember 1879, S. 405. 115 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 12. Oktober 1879, 45. Jahrgang, Nr. 46, S. 368. 116 Diese Zuschreibung blieb bis ins 20. Jahrhundert bestehen. Wright, „Berlioz in 1903  : The Centennial in France“, 2005, S. 229–262.

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in den Concerts Colonne zum Beispiel fast nie Zugaben gegeben.117 Stattdessen verlangte das Publikum jedes Mal die Wiederholung des Ballet des Sylphes (28 Mal) und der Marche Hongroise (27 Mal).118 Die beiden so häufig als Zugabe gespielten Ausschnitte aus der Damnation de Faust zeichnen sich durch ihre regelmäßige Form aus. Die mit einer Fanfare beginnende Marche Hongroise ist durch eine klare melodische Anlage gekennzeichnet, die sich aus der Verarbeitung eines eingängigen Motivs ergibt. Die regelmäßige Form wird dabei mit einer starken, durch die anschwellende Orchestrierung unterstützten Dynamik unterlegt, die darüber hinaus oft Kontraste von piano und forte erzeugt. Der Marsch steigert sich so bis zu einem großen, klangmächtigen Finale, in dem das Thema reich orchestriert wird.119 Im Gegensatz zu dieser dynamischen Steigerung ist das Ballet des Sylphes eher leise gehalten. Es herrscht eine klare Dreiteilung vor, bei welcher der Mittelteil durch eine Holzbläserinstrumentierung vom Thema der Streicher abgehoben wird. Neben der regelmäßigen Form bedeutet die Musik eine Inszenierung der dramatischen Situation, in der die Luftgeister um den schlafenden Faust schwirren  : Die Melodie des Themas wird mit einem wiegenden Dreierrhythmus unterlegt, und ein leiser Orgelpunkt der Kontrabässe suggeriert ein luftiges Summen.120 Beide Stücke kommen der klassischen Form sowie auch den Parametern der „Massenoder Gegenüberstellungseffekte“ nach, mit denen Louis Laloy die Repertoiregestaltung der Concerts Colonne beschrieben hatte. Insgesamt scheint es, als ob das Merkmal des dramatischen Gehalts nach der Gewöhnung des Publikums an absolute Musik, die James Johnson für die Zeit um 1840 feststellte,121 in den Pariser „concerts populaires“ als soziales Phänomen weiterbestand. Die Zugaben zeigen, dass sich die musikalischen Vorlieben des Publikums im Laufe der Jahre nur gering veränderten. Das Paradigma der dramatischen Aufladung der Musik bereitete im Gegenteil dem Werk Wagners 117 Es lässt sich lediglich eine einzige Zugabe feststellen, die das Publikum 1876 nach dem 2. Satz der 7. Sinfonie forderte. „Concerts du Châtelet“, in  : L’Art musical, 14. Dezember 1876, Bd. 15, Nr. 50, S. 396. 118 Comptes-rendus des concerts. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/14 – V3S/36. 119 Berlioz, La damnation de Faust, 1979, S. 56–79. 120 A.a.O., S. 206–212. 121 Johnson, Listening in Paris, 1995, S. 281.



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noch 1883 den Weg für seine dauerhafte Aufnahme in das Repertoire der Concerts Colonne  :122 Eine weitere oft gespielte Zugabe war der Trauermarsch aus Wagners Götterdämmerung mit 8 Nennungen (bei 15 Konzerten mit Werken von Wagner). Der dramatische Gehalt von Werken wie der Damnation de Faust äußerte sich darüber hinaus auch ganz konkret in der Atmosphäre während der Konzerte  : „Letzten Sonntag hat die dritte Ausführung, wir hätten fast gesagt Vorstellung, der Damnation de Faust wiederholt einen beachtlichen Andrang beim Konzert der Association Artistique des Châtelet verursacht“, berichtete Auguste Morel 1877 im Ménestrel.123 Beethovens Pastorale, die einzige von Beethoven mit einem Programm versehene und mit tonmalerischen Mitteln komponierte Sinfonie, diente demselben Effekt. Die auch von Berlioz am meisten geschätzte Beethoven-Sinfonie124 wurde im Zeitraum 1873–1880 von Colonne zwölf Mal aufgeführt und von der Presse als für das breite Publikum sehr attraktiv beurteilt.125 Neben Berlioz126 setzte Colonne auch immer wieder Ausschnitte aus Musiktheaterwerken und insbesondere Opernouvertüren klassischer französischer oder mit Frankreich verhafteter Komponisten auf sein Programm. Ouvertüren von Jean-Baptiste Lully (1632–1687), Jean-Philippe Rameau (1683–1764), Christoph Willibald Gluck (1714–1787), Gaspare Spontini (1774–1851), Gioacchino Rossini und im Ausnahmefall auch die Freischütz-Ouvertüre von Carl Maria von Weber (1786–1826), die in Paris sehr beliebt war, reicherten das Programm in den Jahren 1873–1880 kontinuierlich mit instrumentaler Opernmusik an. Am 28. Oktober 1877 spielte Colonne die Ouvertüre von Mozarts Zauberflöte.127 Daneben waren Ballettmelodien von Lully, Rameau und Gluck sehr beliebt. Zum 122 J. R., „Concerts“, in  : L’Art musical, 13. Dezember 1883, Bd. 22, Nr. 49, S. 386. 123 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 11. März 1877, 43. Jahrgang, Nr. 15, S. 118. 124 Kraus, Beethoven-Rezeption in Frankreich, 2001, S. 270. 125 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 9. März 1879, 45. Jahrgang, Nr. 16, S. 119. 126 Danièle Pistone bemerkt in ihrer Untersuchung der europäischen Sinfonie, dass besonders die sinfonischen Werke von Berlioz nicht nur einen dramatischen Inhalt aufweisen, sondern zudem sehr oft opernhafte Elemente wie den Gesang einbinden. Pistone, La Symphonie dans l’Europe du XIXe siècle, 1984, S. 81. 127 „Nouvelles diverses. Matinées et concerts“, in  : Le Ménestrel, 28. Oktober 1877, 43. Jahrgang, Nr. 48, S. 382.

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Teil wurden diese von zeitgenössischen Komponisten neu orchestriert,128 eine Praxis, die in Frankreich allgemein auf ältere Musik angewandt wurde, um sie in die Konzertprogramme der Sinfonieorchester zu integrieren. Seltener wurden auch einige Opernarien ins Programm des Châtelet aufgenommen, wie Arien aus Joseph von Étienne-Nicolas Méhul (1763–1817)129 oder aus Raymond von Ambroise Thomas130. Am 16. November 1879 sang Jean-Baptiste Faure (1830– 1914) eine Arie aus Rossinis Le siège de Corinthe.131 Trotz ihrer Fülle wurde die sinfonische Aufführung von Ouvertüren und weiteren musiktheatralen Werken nicht als gängige Praxis, sondern oft als dezidierte Annäherung an das gut bekannte Opernrepertoire wahrgenommen. Am 10. März 1878 berichtete der Ménestrel  : „Die Ouvertüre und die Ballettmelodien aus Le Roi de Lahore hatten nicht weniger Erfolg im Châtelet als auf der Bühne der großen Oper.“132 Das Wechselspiel zwischen Nachfrage und ihrer Entsprechung stärkte den Rezeptionsparameter der klassischen, dramatischen Form so sehr, dass auch zeitgenössische französische Komponisten sich danach richteten.133 Ohne dezidiert Werke aus dem Opernrepertoire auf das Programm setzen zu müssen, konnte Colonne von Beginn an auf Werke zeitgenössischer Komponisten wie die Danse macabre von Saint-Saëns (im Januar 1875 erstmals im Châtelet aufgeführt) zurückgreifen, die sowohl der Vorliebe für das Dramatische als auch derjenigen für klassische Strukturen gerecht wurden. Die Aufführung der Danse macabre entzweite zwar das Publikum, übte jedoch gleichzeitig ob ihres dramatischen Inhalts eine große Faszination auf dieses aus.134 Von der ersten Aufführung an 128 „Ballettmelodie von Rameau, orchestriert von Herrn Gevaert“. „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 23. Januar 1876, 42. Jahrgang, Nr. 8, S. 63. 129 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 1. Februar 1874, 40. Jahrgang, Nr. 9, S. 71. 130 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 9. November 1879, 45. Jahrgang, Nr. 50, S. 399. 131 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 16. November 1879, 45. Jahrgang, Nr. 51, S. 407. 132 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 10. März 1878, S. 119. 133 Locke sieht einen Zusammenhang zwischen der dramatisch aufgeladenen sinfonischen Musik und dem Festhalten der französischen Komponisten an der Ballettmusik. Locke, „The French Symphony“, 1997, S. 185–186. 134 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 20. Februar 1876, 42. Jahrgang, Nr. 12, S. 94.



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wurde die Danse macabre so zu einem der Zugpferde Colonnes  ; in den Jahren 1875 bis 1877 gab es fast keine Aufführung, ohne dass das Publikum eine Zugabe forderte. Der große Erfolg dieses Werks erklärte sich für die Kritiker aus seiner klassischen, gemäßigten Form, in die Saint-Saëns das romantische Szenario einbettete.135 Mit der Partie der Solo-Violine zeichnete sich die Danse macabre noch durch ein weiteres Element aus, das für die Concerts du Châtelet sehr wichtig war  : das Virtuose und sein visueller Aspekt. Das Virtuose stellt sich in den Kritiken hauptsächlich als dasjenige Element dar, das die dem Konzert fehlende Visualität eines Musiktheaterstücks am eindrucksvollsten ausfüllte. Für das Publikum des Châtelet galt allgemein  : je virtuoser, desto publikumswirksamer. Dabei benötigte der Virtuose für seinen Erfolg zumeist keinerlei Musikalität, sondern musste – wie Laloy 1910 die Rezeption der Solisten der Konzerte im Châtelet kommentierte – nur möglichst „akrobatisch“ wirken.136 Waren die oft als zirkushaft aufgenommenen Spielfertigkeiten der virtuosen Interpreten mit einer größeren Musikalität gepaart, zogen sie dagegen auch das Künstler- und Kritikerpublikum in ihren Bann. Dies war bei den Auftritten Jan Kubeliks (1880– 1940) in den Concerts Colonne am 15. und 18. April 1905 der Fall. Er schaffte es, sowohl das hauptsächlich zuschauende, als auch das nur zuhörende Publikum gleichermaßen zufriedenzustellen, das dem Künstler am Ende des Konzerts mit „frenetischen Hurra-Rufen“ einstimmig applaudierte  : „3. Finale. – Sehr sauberer Auftakt. Eine stets perfekte Beherrschung und Sauberkeit des Stils, eine ausgezeichnete Präzision. Es ist besser, beim Hören die Augen zu schließen. Warum wechselt der Interpret beim Spielen kontinuierlich von einem Bein aufs andere  ? Die Haltung des Bogens und der linken Hand sind doch so vollkommen  ! Neben mir sagt jemand  : ‚Sein kleiner Finger der linken Hand ist genauso lang wie die anderen  !‘ – Die höchsten Geigentöne, das dreigestrichene Fis, sind genauso rein und voll wie die Töne der normalen Lage. Ein verdienter Enthusiasmus, vier Vorhänge. Kubelik hält offensichtlich den Geiger-Rekord.“137 135 J. C., „Réouverture des concerts Colonne. – Œuvres diverses“, in  : Revue musicale, 1. November 1907, 7. Jahrgang, Nr. 21, S. 493–494. 136 Laloy, „La Musique. Édouard Colonne“, in  : La Grande Revue, 25. April 1910, S. 839. 137 A. C., „Concerts“, in  : Revue musicale, 1. Mai 1905, 5. Jahrgang, Nr. 9, S. 270.

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Die Virtuosität hatte eine so große Wirkungskraft auf das Publikum des Châtelet, dass Marie Jaëll mit ihren „zauberhaften Fingern“ sogar über die wenig klassische Form von Liszts Klavierkonzert Es-Dur hinwegtäuschen konnte, das die Pianistin auswendig vortrug.138 Auch 1879 rettete die „Autorität und das Talent“ einer Pianistin das Klavierkonzert in d-Moll von Brahms, das den Kritikern durch seine Inkohärenz und einen wenig eindrucksvollen Klavierpart aufgefallen war. Besonders, da der Solopart so gut wie keine Melodien aufweist, wurde das Konzert als wenig publikumswirksam angesehen.139 Im Gegenteil hierzu konnte es vorkommen, dass neue Interpreten mit den klassisch angelegten Klavierkonzerten von Saint-Saëns in die Concerts Colonne eingeführt wurden. Im Februar 1880 debütierte Anna Esipova (1851–1914) mit dem 2. Klavierkonzert in g-Moll in den Concerts du Châtelet, das dem Klavierpart von allen Klavierkonzerten von Saint-Saëns den umfangreichsten und melodiösesten Raum gibt. Dieses Klavierkonzert war von Camille Saint-Saëns, Marie Jaëll und Caroline Montigny-Rémaury (1843–1913) bereits seit März 1873140 regelmäßig aufgeführt worden und ein echter Publikumsfavorit. Nach ihrem gelungenen Debüt in den Concerts du Châtelet spielte Anna Esipova die Mazurka in D-Dur von Frédéric Chopin als Zugabe, „in der die kleinen Verzierungen, die sie sich hier gestattet, sicherlich nicht das mindeste sind, was dem Publikum gefällt.“141 Virtuose Interpreten waren von Anfang an fest in die Programme der Concerts Colonne integriert. Schon das erste Konzert im Châtelet gestaltete Colonne mit dem Violinisten Pablo de Sarasate (1844–1908). Dieser sollte ebenso wie auch große Werke und Neukompositionen das Interesse des Publikums wecken.142 Neben seiner fulminanten Pariser Karriere als spanisches Geigen-Wunderkind war Sarasate vor allem aufgrund seiner Beziehungen zu Komponisten für das Concert National interessant. Er war eng mit Camille Saint-Saëns und Édouard 138 Henry Cohen, „Revue des Concerts“, in  : La Chronique musicale, 1. Dezember 1875, Bd. 10, Nr. 59, S. 230–232  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 21. November 1875, 41. Jahrgang, Nr. 51, S. 407. 139 J. A., „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 2. November 1879, 45. Jahrgang, Nr. 49, S. 392. 140 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 2. März 1873, S. 112. 141 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 22. Februar 1880, 46. Jahrgang, Nr. 12, S. 94. 142 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 5. Oktober 1873, S. 358.



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Lalo befreundet, die 1870 und 1875 für ihn Werke komponierten. Selbst Max Bruch (1838–1920), der Komponist des Violinkonzertes, das Sarasate am 9. November 1873 unter Colonne im Châtelet aufführte, sollte sich später sehr für ihn interessieren und eine Schottische Fantasie (op. 45, 1879/80) für ihn schreiben. Mit den beiden Charakteristika des Wunderkinds und des gut in die Szene der zeitgenössischen Musik eingebundenen Interpreten konnte Sarasate sowohl das Châtelet-Publikum als auch das künstlerische Publikum des Concert National zufriedenstellen.143 Nachdem er mehrere Violinkonzerte von Lalo dort uraufgeführt hatte, trat der Violinvirtuose regelmäßig in den Konzerten des Châtelet auf und trug bald auch eigene Werke vor.144 Für die Jahre 1873–1880 fällt auf, dass Colonne fast ausschließlich auf Interpreten zurückgriff, die am Pariser Konservatorium studiert hatten oder dort lehrten, zumal diese nicht selten mit den oft gespielten Komponisten César Franck, Jules Massenet oder Camille Saint-Saëns in Verbindung standen.145 Schon vor dem Umzug des Concert National ins Théâtre du Châtelet wurden Solokonzerte mit Orchesterbegleitung von ihren Komponisten wie Saint-Saëns oder Klavierprofessoren des Pariser Konservatoriums wie Élie-Miriam Delaborde 143 Die Kritiker erhoben Sarasate nach diesem Konzert in den Rang eines großen Künstlers. „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 25. Januar 1874, S. 63  ; „Nouvelles diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 16. November 1873, 40. Jahrgang, Nr. 46, S. 365  ; Pougin, „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 16. November 1873, S. 407. 144 Z.B. im Konzert vom 6. Dezember 1874. „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 6. Dezember 1874, 41. Jahrgang, Nr. 1, S. 6  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 29. Februar 1880, 46. Jahrgang, Nr. 13, S. 103. 145 Z.B. Marie und Alfred Jaëll sowie Caroline Montigny-Rémaury zu Saint-Saëns. Colonne stellte darüber hinaus Saint-Saëns, Massenet und Widor frei, ihre Interpreten selbst auszusuchen. Massenet hatte in den 1880er Jahren sowohl Mitspracherecht bei den Interpreten als auch bei der Programmgestaltung. Briefe von Jules Massenet an Édouard Colonne vom 31. Januar 1877, vom 6. März 1880 und vom 18. September 1883. MUS, L. a. Massenet 111, 203 und 204. Auch über die Société Nationale de Musique rekrutierte Colonne seine Solisten, wie im Fall des Geigers Martin Marsick (1847–1924), der in den Concerts du Châtelet Werke von Vieuxtemps und Widor spielte. „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 29. November 1874, S. 414  ; „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 18. November 1877, 43. Jahrgang, Nr. 51, S. 407. Genauso wie zum Pariser Konservatorium, wo er Violine studiert hatte, pflegte Colonne zur Société Nationale de Musique enge Beziehungen, spielte das Orchestre Colonne doch mehrere Konzerte der Société Nationale de Musique in der Salle Érard.

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Konzerte und Concerts Colonne (1863–1914)

(1839–1913) aufgeführt.146 Nach dem Umzug ins Châtelet engagierte Colonne weitere Dozenten und Schüler wie die Pianisten Louis Diémer (1843–1919)147 und Marie Jaëll und gab am 7. Dezember 1873 sogar Nachwuchssängern des Conservatoire die Möglichkeit, im Châtelet zu singen. Die Kritiker bewerteten es als gute Probe für die jungen Sänger, ihre Stimme im großen Saal des Châtelet auszuprobieren.148 Auch die schon bekannten Pianisten der Concerts du Châtelet führten Nachwuchsmusiker des Conservatoire ein, wie die junge Pianistin Jane de Billemont, die am 2. Dezember 1877 zusammen mit Alfred Jaëll (1832–1882) im Châtelet debütierte.149 Insofern profitierten die Concerts Colonne in ihrer Anfangszeit von einem engen und aktiven Kreis von Interpreten aus dem angesehenen Conservatoire, die die Konzerte regelmäßig mit virtuoser Musik anreicherten. In den ersten Jahren der Concerts du Châtelet griff Colonne zudem stets auf Musiker seines Orchesters zurück, um Solopartien zu besetzen. Diese Praxis scheint aus der Integration von kammermusikalischen Werken in das Repertoire des Concert National während der ersten Châtelet-Saison entstanden zu sein, stellte aber gleichzeitig eine Parallele zu den Concerts du Conservatoire dar. Am 7. Dezember 1873 führte Colonne erstmals den letzten Satz von Beethovens Septett in Es-Dur für Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass auf. Während die Bläserpartien von Orchestermusikern solistisch besetzt waren (die Namen der Interpreten wurden in der Vorankündigung des Konzerts angegeben), ließ Colonne die Streicherpartien vom gesamten Streichersatz des Orchesters ausführen.150 Dieser Part ist besonders im Presto sehr virtuos komponiert. Auf diese Weise konnte Colonnes Orchester seine gute Technik und interpretatorische Qualität demonstrieren, wie es auch schon in den Concerts du Conservatoire ab 1838 unter François-Antoine Habeneck 146 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 30. März 1873, 39. Jahrgang, Nr. 18, S. 143. 147 A. J., „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 28. Februar 1875, S. 102  ; „Concerts et auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 28. Februar 1875, 42. Jahrgang, Nr. 9, S. 69. 148 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 7. Dezember 1873, S. 7. 149 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 9. Dezember 1877, 44. Jahrgang, Nr. 2, S. 15. 150 Ebd.



Die Etablierung der Instrumentalmusik im Théâtre du Châtelet

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(1781–1849) der Fall gewesen war.151 Das so zur Orchesterfassung gewordene Septett beeindruckte die Presse daher wenig als Werk, sondern vor allem aufgrund seiner Interpretation durch den gesamten Streichersatz.152 Die Tradition, Kammermusik durch ein ganzes Orchester auszuführen153 als auch diejenige, Solopartien mit Orchestermusikern zu besetzen,154 bestand noch lange fort.155 Als kammermusikalische Werke im sinfonischen Gewand zog Colonne im Laufe der Jahre auch Werke von Jean-Marie Leclair (1697– 1764), Luigi Boccherini (1743–1805), Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Schubert (1797–1828) heran.156 Während diese Aufführungen von der Presse selten beachtet wurden und man sie höchstens erwähnte, wenn das Orchester dabei durch ein gutes Zusammenspiel oder einen guten Klang aufgefallen war, stellte der solistische Einsatz von Orchestermusikern eine Innovation im Pariser Konzertleben dar. Der Kritiker von L’Art musical bemerkte 1879 die instruierende Wirkung der Besetzung von Solopartien mit Orchestermusikern 151 Kraus, Beethoven-Rezeption in Frankreich, 2001, S. 130. 152 „Nouvelles Diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 14. Dezember 1873, S. 398. 153 Hierzu gehörten die Serenade op. 8 von Beethoven, das Scherzo eines Streichquartetts von Cherubini und ein Quintett von Boccherini. „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 8. März 1874, 40. Jahrgang, Nr. 14, S. 109–110  ; „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 15. November 1874, S. 399  ; Henry Cohen, „Concert du Châtelet“, in  : L’Art musical, 23. November 1876, Bd. 15, Nr. 47, S. 372  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 7. Januar 1877, 43. Jahrgang, Nr. 6, S. 46. 154 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 5. November 1876, 42. Jahrgang, Nr. 49, S. 383  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 22. Februar 1880, 46. Jahrgang, Nr. 12, S. 96. 155 Fragmente des Septetts wurden noch mehrmals im Concert National gegeben  : „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 15. Februar 1874, 40. Jahrgang, Nr. 11, S. 87  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 30. Januar 1876, 42. Jahrgang, Nr. 9, S. 71–72  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 2. April 1876, 42. Jahrgang, Nr. 18, S. 143–144  ; „Nouvelles diverses. Fêtes religieuses et musicales“, in  : Le Ménestrel, 26. November 1876, 42. Jahrgang, Nr. 52, S. 407  ; „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 13. Januar 1878, 44. Jahrgang, Nr. 7, S. 55  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 9. März 1879, 45. Jahrgang, Nr. 16, S. 120  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 22. Februar 1880, S. 96. 156 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 20. Dezember 1874, 41. Jahrgang, Nr. 3, S. 23  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 27. Dezember 1874, S. 30  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 29. Oktober 1876, 42. Jahrgang, Nr. 48, S. 375  ; „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 4. Februar 1877, 43. Jahrgang, Nr. 10, S. 79.

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auf das Publikum. Ihm zufolge lernten die Zuhörer durch dieses Prozedere die Spielfertigkeit des Orchesters zu schätzen, auch wenn die Qualität der Interpretation unter dieser Praxis zu leiden schien.157 Zusammen mit der Auswahl des klassischen und romantischen Repertoires und der Virtuosität wurde also auch die Wahl der Interpreten durchaus mit der Popularisierung sinfonischer Musik in Verbindung gebracht. Um 1877, das heißt nach der Etablierung der Werke von Berlioz im Repertoire der Concerts du Châtelet und ihrer Anerkennung als repräsentatives Pariser Sinfonieorchester, wurde die Auswahl der Solisten von Grund auf verändert. Dabei blieben die Berlioz’sche Ästhetik und der Effekt des Virtuosentums durchaus erhalten  : Nach 1879 dehnte Colonne seinen Interpretenkreis auf international renommierte Musiker und Sänger jenseits des Pariser Conservatoire aus, die zumeist aus dem Dunstkreis von Berlioz und des großen Klaviervirtuosen Franz Liszt stammten. In den Konzerten waren nun Pianisten wie Wilhelmine Clauss-Szarvady (1834–1907), Théodore Ritter (1840–1886) und der Violinist Camillo Sivori (1815–1894) zu hören.158 Auch die oft für die Concerts du Châtelet engagierten Pianisten Marie Jaëll und Élie-Miriam Delaborde (über seinen Vater Charles-Valentin Alkan, 1813–1888) gehörten zum Liszt’schen Kreis. Es ist zu vermuten, dass der starke Bezug zu Liszt auf engen Verbindungen der Concerts Colonne zur Klavierbaufirma Érard beruhte, deren ehemaliger Leiter Pierre Érard (1794–1855) bis zu seinem Tod eng mit Liszt befreundet gewesen war. Bei Érard hatte nicht nur die Gründungssitzung der Association Artistique stattgefunden,159 sondern die Klavierfirma stellte den Concerts Colonne auch ihre Instrumente für die Konzerte zur Verfügung.160

157 Élie, „Revue des Concerts“, in  : L’Art musical, 30. Januar 1879, Bd. 18, Nr. 5, S. 36. 158 „Concerts, nouvelles diverses“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 2. November 1879, 46. Jahrgang, Nr. 44, S. 359  ; „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 30. November 1879, 45. Jahrgang, Nr. 52, S. 420  ; „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 25. Januar 1880, 46. Jahrgang, Nr. 8, S. 63. 159 „Procès verbal de la séance du 27 mai 1874“, in  : Procès verbaux du Comité. Première année 1874 (Du 27 mai au 10 octobre). Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/3. 160 „1er concert. Dimanche 13 Octobre 1895“, in  : 22e année (1895–1896). Compte rendus des Concerts (Orchestre). Rapport du Secrétaire du Chant. A.a.O., V3S/16.



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Obwohl die Öffnung der Concerts Colonne für internationale Interpreten bestehende Tendenzen verstärkte, veränderte sie dennoch die Programmgestaltung und ihre Rezeption. Erstens bewirkte sie den Verlust des Vergleichs mit anderen musikalischen Interpretationen aus dem Pariser Raum, der bei den Solisten aus dem Conservatoire, die oft auch anderweitig in Paris auftraten, bisher regelmäßig angestellt werden konnte. In den 1870er Jahren hatten diese Vergleiche die Konzerte im Châtelet oft mit dem gesamten Pariser Konzert- und mitunter auch Opernleben verbunden.161 Zweitens ging die Internationalisierung der Solisten mit der definitiven Verdrängung des zeitgenössischen Repertoires einher, für das Colonne zuvor die bevorzugten Interpreten der einzelnen Komponisten und der Société Musicale herangezogen hatte. Drittens stand diese Öffnung für die kommerzielle Ausrichtung, die Colonne ab den 1880er Jahren fortwährend vorantrieb. Vor allem das Engagement des berühmten Sängers Jean-Baptiste Faure für das Konzert vom 16. November 1879 hatte den Dirigenten in dieser Richtung bestärkt, da es zu einem der größten Erfolge in der bisherigen Geschichte der Association Artistique wurde.162 Mit dem Klassischen, dem Dramatischen und vor allem dem Virtuosen hatte Colonne sein Erfolgsrezept für die Zufriedenstellung seines heterogenen Publikums und die Garantie für ausgelastete Konzerte im großen Saal des Châtelet gefunden. All diese Merkmale der Concerts Colonne wurden von den Kritikern dauerhaft oder von Zeit zu Zeit mit der Popularisierung der Musik verbunden, die im Pariser Musikleben zwar allge161 Die Verbindungen mit anderen Pariser Musikinstitutionen waren sehr komplex  : Célestine Galli-Marié zum Beispiel sollte nur wenige Monate nach ihrem Konzert im Châtelet vom Oktober 1874 die Hauptrolle von Bizets Carmen bei der Uraufführung in der Opéra-Comique am 3. März 1875 singen. Durch ihr Engagement für die Aufführung der Enfance du Christ ergaben sich also Überschneidungen des Pariser Konzert- und Musiktheaterlebens mit dem Angelpunkt Bizet, einem von Colonne oft aufgeführten Komponisten. Vor diesem doppelten Hintergrund der Publikumswirksamkeit und der Förderung zeitgenössischer Komponisten ist es nicht verwunderlich, dass Colonne den so kurz nach der Uraufführung von Carmen verstorbenen Bizet ehrte, indem er die Saison 1875–1876 mit einem ihm gewidmeten Konzert eröffnete. In diesem Konzert sang Célestine Galli-Marié ein Souvenir an Bizet, das Massenet komponiert hatte. „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 18. Oktober 1874, S. 367  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 24. Oktober 1875, 41. Jahrgang, Nr. 47, S. 375. 162 V. W., „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 23. November 1879, 45. Jahrgang, Nr. 52, S. 415.

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Konzerte und Concerts Colonne (1863–1914)

mein angesagt war, jedoch im Saal des Châtelet und bei seinem angestammten Publikum besonders angebracht schien. Auf diese Weise blieben das Klassische, das Dramatische und das Virtuose auch auf lange Zeit die Hauptorientierungspunkte der Colonne’schen Programmgestaltung.

3.2 Colonne, das Châtelet und die Kulturpolitik

Dass die Herausbildung des klassisch-romantischen Hörverhaltens nicht nur mit der Institution des Théâtre du Châtelet, seinem Ruf als Volkstheater und seinem theatergewöhnten Publikum zu tun hatte, sondern auch eng mit seiner räumlichen Anlage verbunden war, zeigt sich in der Geschichte der Concerts Colonne von 1895 bis 1914. Hier wurde die klassische Programmgestaltung oftmals von staatlicher Seite aus kritisiert. Durch drei wesentliche Maßnahmen schafften es Colonne und sein Nachfolger Gabriel Pierné (1862–1957) jedoch, den ministeriellen Forderungen teilweise zu entsprechen, ohne das klassische Rezeptionsmodell zu verlassen. Dabei handelt es sich um die Verräumlichung der Musik, um die dekorative und szenische Inszenierung des Orchesterpodiums und um die Werke, die Pierné ab Ende des 19. Jahrhunderts für die Concerts Colonne komponierte. Da die damit zusammenhängenden Praktiken und in diese eingebetteten musikalischen Formen schon in den Anfangsjahren sehr erfolgreich gewesen waren, als Colonne sich noch stark am herkömmlichen Publikum des Châtelet orientiert hatte, trugen sie nach 1895 zu einer fortwährenden Festigung des klassischen Rezeptionsmodells bei. Auf der Grundlage dieser räumlichen Aufführungsparameter können in einem letzten Schritt die geometrischen, musikalischen und symbolischen Beziehungen zwischen Orchester und Publikum während der Konzerte beleuchtet werden. 3.2.1 Colonnes Reaktionen auf die Kulturpolitik der Dritten Republik

Die Zeit um 1895 stellt einen größeren Einschnitt in der musikalischen Produktion der Concerts Colonne dar, da das Ministère des Beaux-Arts die Programmgestaltung ab hier einer zunehmend strengen Revision unterzog. Die regelmäßige Bewertung der Konzerte war daraus entstanden, dass sich Colonne schon seit



Colonne, das Châtelet und die Kulturpolitik

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Beginn seiner Konzertreihen gezielt für die Anhebung seiner Subventionen einsetzte. 1873 führte er hierbei noch die ursprüngliche Zielsetzung der Concerts du Châtelet, zeitgenössische französische Musik zu spielen, ins Feld, die er in einem Schreiben an das Ministerium als „künstlerisch und national“ beschrieb. Zwei Jahre später verlegte er sich dann auf die Beschreibung „künstlerisch und moralisch-erbaulich“.163 Mit dieser zweiten Charakterisierung versuchte Colonne, seine Konzertreihen denen der volksbildend ausgerichteten Concerts Populaires von Jules Pasdeloup anzunähern, die seit langem regelmäßige und nicht nur punktuelle Subventionen erhielten.164 Colonnes wiederholte Forderungen, die Subventionen für die Concerts du Châtelet auf dieselbe Höhe mit denen der doppelt so hoch finanzierten Concerts Populaires zu setzen, stießen bei der Kommission der Beaux-Arts jedoch auch noch 1879 und 1880 auf taube Ohren.165 Das Resultat dieser Konstellation war, dass Colonne dem Ministère des Beaux-Arts immer wieder Aufstellungen über die uraufgeführten Werke und die Orchestergröße einreichte und auch das Ministerium einige Berichte erstellte.166 163 Mit Beginn der ersten Saison des Concert National im Châtelet baten Colonne und Hartmann den Direktor der Administration Générale de l’Assistance Publique, Blondel, um die vollständige Befreiung von den Droits des Pauvres. In ihren Schreiben unterstrichen Colonne und Hartmann „die künstlerische und nationale Ausrichtung der Arbeit“, die sie mit dem Concert National im Châtelet weiter zu verfolgen gedachten. Ihre Bitte wurde jedoch von Blondel nur zum Teil erfüllt, da er dem Concert National lediglich den im Vergleich zum normalen Prozentsatz von 11% gemäßigten Anteil von 8% auf die Einnahmen für die Droits des Pauvres zuerkannte. Brief von G. Hartmann und Édouard Colonne an das Ministère de l’Instruction Publique des Cultes et des Beaux-Arts vom 13. November 1873/Ministère de l’Instruction publique des Cultes et des Beaux-Arts. Direction des Beaux-Arts. Minute de Lettre du 21 9bre 1873. À M. Blondel, Directeur de l’Assistance Publique/Brief von Blondel an den Ministre des Beaux-Arts vom 4. Dezember 1873/Brief von Édouard Colonne an das Ministère de l’Instruction Publique des Cultes et des Beaux-Arts vom 15. Januar 1875. AN, F21 4626, Karton 24  : Concerts Colonne. 164 Die punktuellen Subventionen der Concerts Colonne sahen in den ersten zehn Jahren wie folgt aus  : 500 F (1873), 2.000 F (1874), 2.000 F (1875), 2.500 F (1877), 3.500 F (1878), 3.600 F (1878), 1.000 F (1878), 2.000 F (1878), 3.000 F (1879), 400 F (1879), 10.000 F (1879), 2.500 F (1886). Ministère de l’Instruction publique des Cultes et des Beaux-Arts. Direction des Beaux-Arts. Concerts Colonne. Ebd. 165 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 23. Mai 1880, 46. Jahrgang, Nr. 25, S. 199  ; „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 27. Juni 1880, 46. Jahrgang, Nr. 30, S. 239. 166 Note sur les Concerts de l’Association Artistique. 19 Mai 1879/Brief von Édouard Colonne an

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Indessen verstärkte Colonne den Anstrich der Popularisierung der sinfonischen Musik durch mannigfaltige Maßnahmen wie eine instruierende Programmgestaltung, Einführungsvorträge oder Hinweise auf das richtige Verhalten während der Konzerte. Hierbei wollte er besonders ein Familienpublikum an seine Konzerte binden.167 Für die Kritiker bestand der instruierende Charakter in den 1880er Jahren vor allem im Vergleich mehrerer nationaler Schulen, den die Programmgestaltung der Concerts Colonne ermöglichte,168 und auch der Vergleich der Interpretation mit derjenigen anderer Orchester war sehr beliebt.169 Colonne und Pierné entsprachen dem Kritikerwunsch des Vergleichs noch über lange Zeit hinweg in ihren Programmen, indem sie im Oktober 1902 und im März 1910 zum Beispiel Webers Aufforderung zum Tanze in den Instrumentationen von Felix Weingartner (1863–1942) und von Berlioz nebeneinander auf das Programm setzten.170 Es scheint, als ob sich Colonnes Anstrengungen gelohnt hätten, da das Ministerium Mitte der 1890er Jahre die jährlichen Subventionen der Concerts Colonne und der Concerts Lamoureux auf je 15.000 F anhob.171 Die Zuerkennung dieser Subvention um 1896 geschah zu einer Zeit, in der das gesamte Pariser Musikleben von groß angelegten Maßnahmen betroffen war, die „ernste“ Musik zu popularisieren, wobei auch vor der Opéra nicht Halt gemacht wurde.172 Ab 1894 ließ das Ministère des Beaux-Arts jährlich Berichte über die Concerts Colonne erstellen, in denen die Angemessenheit ihrer Subventionierung untersucht wurde. Colonne reagierte mit diversen Anstrengungen, den Ministre des Beaux-Arts vom 18. November 1890. AN, F21 4626, Karton 24  : Concerts Colonne. 167 Pasler, „Building a public for orchestral music. Les Concerts Colonne“, 2002, bes. S. 214, 216 und 228  ; Dies., „Concert Programs and their Narratives as Emblems of Ideology”, 1993, S. 263. 168 A. Héler, „Chronique musicale“, in  : L’Art musical, 15. November 1885, Bd. 24, Nr. 21, S. 153–154. 169 Ch. G., „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 31. Oktober 1887, Bd. 26, Nr. 20, S. 156. 170 „Deuxième Concert. Dimanche 26 Octobre 1902“, in  : 29e 31e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/25  ; „20e Concert. Dimanche 20 Mars 1910“, in  : 36e année. 1909–1910. Compte-rendus des Concerts. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/32. 171 Rapport à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts von Adrien Bernheim vom 2. Mai 1898. AN, F21 4626, Karton 27  : Association des Concerts Colonne et Lamoureux. 172 Patureau, Le Palais Garnier dans la Société Parisienne 1875–1914, 1991, S. 407–416.



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seine Konzerte weiter zu popularisieren. Besonders auffällig für diese Zeit sind die Beethoven-Zyklen, das heißt Gesamtpräsentationen der Werke desjenigen Komponisten, der am Beginn der Geschichte der Pariser Sinfoniekonzerte für ihre Popularisierung gestanden hatte  : Ab der Saison 1896–1897 führte Colonne nicht mehr nur einzelne Werke von Beethoven regelmäßig auf, sondern spielte alle Sinfonien in neun aufeinanderfolgenden Konzerten. Diese Beethoven-Zyklen wurden im Folgenden noch 1897, 1904, 1905, 1908 und 1909 wiederholt.173 Daneben fanden in den Jahren 1899, 1910, 1911, 1912 und 1913 mehrere „Festivals Beethoven“ statt.174 Die Beethoven-Zyklen und -Festivals zeigen, dass diese Maßnahme vom breiten Publikum sehr gut aufgenommen wurde, da sie gegen 1914 von Gabriel Pierné, der ab 1910 die Leitung des Orchesters übernahm, noch verstärkt wurde. Unter dem neuen Orchesterleiter wurde zudem noch die Zahl an mitwirkenden Musikern der Beethoven-Konzerte vergrößert  : Am 20. November 1910 stand aus Anlass des 1000. Konzerts der Association Artistique ein Beethoven-Festival mit 500 Ausführenden auf dem Programm (9. Sinfonie),175 und 1911 führte Pierné die Missa Solemnis unter Mitwirkung von 300 Musikern gleich dreimal hintereinander auf.176 Neben den Beethoven-Zyklen organisierte Colonne Mitte der 1890er Jahre zusätzlich groß angelegte Aufführungen der Werke des „neuen Beethoven“ Berlioz wie der Enfance du Christ, der Damnation de Faust und Roméo et Juliette. Es scheint, als ob Colonne den französischen Komponisten durch besonders sensa173 Concerts Colonne. Rapports du Secrétaire du Comité. Année 1897–1898. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/20  ; 31e année. Comptes rendus des Concerts Orchestre. A.a.O., V3S/27  ; 32e année. Comptes rendus des Concerts Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/28  ; 35e année (1908–1909). Comptes rendus des Concerts. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/31  ; 36e année (1909–1910). Comptes rendus des Concerts. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/32. 174 „Vingtième Concert. Dimanche 26 mars 1899“, in  : 25e année. Concerts Colonne. Rapports du secrétaire du Comité A. Petite. A.a.O., V3S/21  ; 39e année. 1910–1911. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/33  ; 40e année. 1911–1912. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/34  ; 41e année. 1912–1913. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/35  ; 42e année. 1913–1914. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/36. 175 „Sixième Concert. Dimanche 20 novembre 1910“, in  : 39e année 1910–1911. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/33. 176 „Dix-Huitième Concert. Dimanche 5 Mars 1911“, „Dix-Neuvième Concert. Dimanche 12 Mars“ und „Vingtième Concert. Dimanche 19 Mars“, in  : Ebd.

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tionelle Konzerte in Szene setzen wollte – und das sowohl für das Ministerium als auch für das breite Publikum. Hierbei kam ihm die Berlioz’sche Verräumlichung der Musik („spatialisation de la musique“) zugute, mit der schon im März 1879 das Requiem einen besonderen Eindruck auf die Zuhörer gemacht hatte.177 Berlioz hatte in seiner Partitur für das Tuba Mirum des Dies Irae vorgesehen, dass „[…] vier kleine Orchester aus Blechbläsern getrennt voneinander an den vier Ecken der großen Chor- und Orchestermasse platziert werden müssen. Nur die Hörner bleiben in der Mitte des großen Orchesters.“178 Beim Dies Irae vermittelte der hierdurch erzielte akustische Effekt den Kritikern zufolge zudem einen dramatischen Gehalt  : „Bei diesem Hauptstück hatte Berlioz die Idee, vier kleine Blechblasorchester an die vier Ecken des Hauptorchesters zu setzen, die die Trompeten der Erzengel darstellen sollten, die in die vier Himmelsrichtungen auszogen, um die Toten aufzuwecken. Diese großartige und furchterregende Fanfare vor der Strophe des Tuba Mirum hat letzten Sonntag eine elektrisierende Wirkung hervorgerufen, und im gesamten Saal brachen Beifall, Bravo-Rufe und enthusiastische Zugaben-Rufe aus.“179

Beim „Berlioz-Zyklus“ der Saison 1894–1895 erfuhr die Verräumlichung der Musik eine besonders starke Ausprägung und vor allem Perfektionierung anhand der räumlichen Anlage des Châtelet. Für die Aufführung von Roméo et Juliette am 25. November 1894 arbeitete der Dirigent ein detailliertes Manöver für die Männerstimmen aus, die hinter der Bühne durch ihre Bewegung einen dynamischen Effekt schaffen sollten  : „Der Chor hinter der Bühne geleitet von BAYER steht hinter dem nur teilweise geschlossenen eisernen Vorhang mit einer Öffnung von ungefähr 3 Metern. 177 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 17. März 1878, 44. Jahrgang, Nr. 16, S. 128. 178 Berlioz, Grande messe des morts, 1978, S. 28. 179 Auguste Morel, „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 24. März 1878, 44. Jahrgang, Nr. 17, S. 135.



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Bayer steht in der Mitte auf dem Bühnenteil hinter dem eisernen Vorhang und vor dem Harmonium (Lafitte). die Capulets zu seiner Linken die Montagues zu seiner Rechten Die beiden Gruppen, die vom unteren Teil der Bühne nicht zu sehen sind, gehen am Beginn des Chors allmählich aufeinander zu, sodass sich die Tenöre der Monta­ gues beim Forte mit den Tenören der Capulets vor dem eisernen Vorhang und hinter dem Harmonium treffen. Das umgekehrte Manöver für das Decrescendo, bei dem der offene Teil des eisernen Vorhangs während der letzten Takte leer bleiben muss.“180

Dieses Manöver übertraf die Angaben von Berlioz bei weitem. Während sich Colonne bei der räumlichen Aufstellung der drei Chöre „Capulets“, „Monta­ gues“ und „kleiner Chor“ größtenteils an Berlioz’ Angaben in der Partitur orientierte (Colonne stellte den „kleinen Chor“ gemäß Berlioz ihm gegenüber auf und ließ die Chöre der Scène d’Amour hinter der Bühne singen, vertauschte aber in den Szenen, die nicht hinter der Bühne gesungen werden, die Seiten der „Montagues“ und der „Capulets“, die Berlioz in seiner Partitur genau angegeben hatte, und die er erwägt hatte, farblich gesondert zu kleiden. Über letzteres findet sich in der Dokumentation des Konzerts keine Angabe.181), stammte die Verräumlichung des crescendo nicht von Berlioz.182 Es lässt sich folglich festhalten, dass Colonne die Verräumlichung der Musik nicht aus Gründen der Werktreue im Châtelet anwandte, sondern Effekte zu realisieren versuchte, die auf Saal und Publikum angelegt waren. Daher erstaunt es auch nicht, dass die Concerts Colonne bei der nächsten Aufführung vom 2. Dezember 1895 auf eine Kritik von Charles Warcouss im Figaro reagierten, der den akustischen Effekt des Verräumlichungsmanövers als überzogen dargestellt hatte, indem sie die Tür 180 „7ème Concert (Cycle Berlioz). 25 Novembre 1894“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptesrendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/15. 181 Vgl. Holoman, „Instrumentierung und Interpretation“, 1990, S. XXIV–XXV und „7ème Concert (Cycle Berlioz). 25 Novembre 1894“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptes-rendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/15. 182 Vgl. Berlioz, Roméo et Juliette, 1990, S. 136.

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des eisernen Vorhangs (hier mit „porte de fer“ bezeichnet) nun etwas mehr geschlossen hielten.183 Die Verräumlichung der Musik hatte in den Concerts Colonne viel mit einer Dynamik zu tun, die Entfernung oder Annäherung darstellte  : Am 13. Januar 1895 wurde in der Damnation de Faust eine Fanfare hinter den Kulissen platziert. Durch die Annäherung oder Entfernung der Fanfare von der Bühnenwand produzierte Colonne akustische Effekte, die auf die verschiedenen Nummern der Damnation abgestimmt waren.184 Auch hier glich Colonne durch eine detailliert festgelegte Nutzung der Hinterbühne Berlioz’ simple Angabe „hinter der Bühne“185 an die Akustik des Châtelet an, wobei er auch szenische Effekte gestaltete.186 Im Konzert vom 30. Dezember 1894, in dem die Enfance du Christ aufgeführt wurde, verstärkte Colonne durch das Schließen des eisernen Vorhangs die akustische Wirkung einer Entfernung des Halleluja in Nr. 9 Le repos de la Sainte Famille.187 Diese akustische Wirkung hatte Berlioz für den „Engelschor (hinter der Bühne)“ lediglich mit einem decrescendo von pianissimo zu piano pianissimo angegeben.188 Die Berichte des Secrétaire du Chant über die einzelnen Konzerte geben darüber hinaus einen Eindruck, welche Ausmaße und welchen maschinellen Charakter die Nutzung der Hinterbühne mittlerweile zum Zwecke der Erzielung akustischer Effekte in den Concerts du Châtelet angenommen hatte.189 Tatsächlich arbeitete man in den Konzerten vom 23. und 30. Dezember 1894 mit drei Chören hinter 183 „8ème Concert (Cycle Berlioz). Décembre 1894“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptes-rendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/15. 184 „13e Concert. Dimanche 13 Janvier 1895“, in  : 21e année (1894–1895). Comptes-rendus techniques des Concerts. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/14. 185 Z.B. für die 9. Szene des 3. Teils „Trommeln und Trompeten kündigen den Rückzug an“. Berlioz, La damnation de Faust, 1979, S. 250. 186 „13e Concert (Cycle Berlioz). 13 Janvier 1895“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptes-rendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/15. 187 „12ème Concert (Cycle Berlioz). 30 Décembre 1894“, in  : Ebd. 188 Berlioz, L’Enfance du Christ, 1998, S. 122. 189 „12ème Concert (Cycle Berlioz). 30 Décembre 1894“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptesrendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/15.



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den Kulissen, was eine ausgereifte Organisation ihrer Aufstellung und Besetzung, vor allem aber ihrer Instrumentalbegleitung notwendig machte. Die Begleitung, die zur Orientierung und Verstärkung des Chors ebenfalls hinter den Kulissen spielte, musste eigens geschrieben, instrumentiert und im Falle von Orgel oder Harmonium eigens registriert werden.190 Für die Aufführung der Enfance du Christ am 12. April 1895 benötigte Colonne schließlich zwei Hilfsdirigenten, um die verschiedenen Orchester- und Chorgruppen vor und hinter den Kulissen koordinieren zu können.191 All diese Maßnahmen verdeutlichen, dass das Musiktheater Châtelet mit seiner geräumigen Bühne und großen Hinterbühne einer besonders effektvollen Aufführung von Berlioz’ Werken sehr förderlich war. Zugleich war die Verräumlichung der Musik ein höchst publikumswirksames Element, das die Konzertbesucher seit der Aufführung von Berlioz’ Requiem in seinen Bann zog und auch altbekannte Werke nie langweilig werden ließ. Nach der mitunter bühnentechnisch anmutenden Perfektion der Verräumlichung anhand von Berlioz’ Werken in der Saison 1894/1895 wandte Colonne die Verräumlichung der Musik schließlich zunehmend auf die Werke weiterer französischer Komponisten an. Am 20. Oktober 1895 führte er die sinfonische Dichtung Psyché von César Franck in der Version für Orchester und Chor auf. Bei dieser Aufführung glückte erstmals der Versuch, eine Solistin hinter den Kulissen auftreten zu lassen  : Während Louise Planès, 15 Streicher und ein 58köpfiger Chor hinter den Kulissen sangen und spielten, erklang das Orchester normal auf der Bühne. Zu diesem Konzert notierte sich der Secrétaire du Chant extra am unteren Rand seines Berichts, dass das Publikum lebhaft applaudiert und Zugaben gefordert habe.192

190 „Notes des 23 et 30 Décembre 1894 (11e et 12e concert). Pour servir à l’exécution de l’Enfance du Christ“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Soli et Chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. A.a.O., V3S/17. 191 „22ème Concert Vendredi Saint. Clôture des Concerts avec Chœurs pour la Saison 1894–95. 12 Avril 1895“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptes-rendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. A.a.O., V3S/15. 192 „2e Concert (1er avec Chœurs). 20 Octobre 1895“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Soli et Chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. A.a.O., V3S/17.

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Abb. 25 : Orchesteraufstellung für Parsifal von Richard Wagner. Abb. 26 : Aufstellung eines Teils des Orchesters und der Solistin hinter der Bühne bei Psyché von César Franck.

Da die akustischen Raumeffekte zwar sehr stark an den dramatischen Gehalt der gespielten Stücke gebunden blieben, aber darüber hinaus mit einer immer ausgefeilteren Organisation der Hinterbühne als Aufführungsort zusammenhingen, kamen sie dem Publikum bald wie ein „Zaubertrick“ des grand spectacle vor. Der auch sonst sehr ironische Barca hatte dies schon 1882 in L’Art musical in einer augenzwinkernden Übertreibung in Bezug auf die Verräumlichung der Musik ausgesprochen : „Im Châtelet fehlt es zur Vollständigkeit inzwischen nur noch an Kostümen und Bühnenbildern ; Tricks kommen schon vor.“ Die „spatialisation“ der Musik fand in der räumlichen Anlage von Bühne und Hinterbühne des Théâtre du Châtelet so perfekte Bedingungen, dass sie sich 193 Barca, „Concerts du Châtelet“, in : L’Art musical, 14. Dezember 1882, Bd. 21, Nr. 49, S. 387.



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bis 1914 in der Aufführungspraxis der Concerts Colonne hielt. Von 1895 bis 1914 wurde Psyché 15 Mal gespielt.194 Dasselbe gilt für die Enfance du Christ, die 1912 das letzte Mal im Zeitraum 1895–1914 aufgeführt wurde.195 Auch das Requiem von Berlioz wurde mit den Unterbrechungen 1896–1900 und 1904– 1913 immer wieder aufgeführt.196 Schumanns Manfred, der sich wohl schon ob der inhaltlichen Nähe zur Damnation de Faust größter Beliebtheit im Châtelet erfreute und Colonne deshalb zu räumlichen Aufteilungen des Orchesters bewogen haben mag, wurde bis 1880 sieben Mal und im Zeitraum 1894–1914 siebzehn Mal gespielt.197 Eine weitere Anstrengung, die klassische Musik zu popularisieren, bestand darin, klassische und romantische Standardwerke mit den Biographien ihrer Komponisten zu verbinden, um den Konzerten der Concerts Colonne einen musikhistorischen Anspruch zu geben. Neben Beethoven gab es zahlreiche Konzertserien, die weiteren klassischen und romantischen Komponisten gewidmet waren. Von Mozart und Haydn über Mendelssohn und Schumann bis zu Brahms und sogar Liszt führten Colonne und Pierné immer wieder Sinfonie194 Gespielt am 20. und 27. Oktober 1895, am 25. Oktober 1896, am 25. April 1897, am 14. Januar 1900, am 16. Februar 1902, am 16. März 1902, am 16. und 23. Oktober 1904, am 26. Januar 1908, am 2. Februar 1908, am 9. Januar 1909, am 3. März 1912, am 12. Oktober 1913 und am 8. Februar 1914. Vgl. die Programme in den Comptes rendus du Secrétaire du Comité von 1894–1914. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/14-V3S/36. 195 Gespielt am 23. und 30. Dezember 1894, am 3. März 1895, am 12. April 1895, am 22. Dezember 1895, am 3. April 1896, am 31. März 1899, am 28. März 1902, am 20. Dezember 1902, am 20. und 27. Dezember 1903, am 24. Dezember 1905, am 29. März 1907, am 11. Dezember 1910, am 24. Dezember 1911 und am 22. Dezember 1912. Ebd. 196 Gespielt am 9., 16. und 30. Dezember 1894, am 12. April 1895, am 3. April 1896, am 20. Dezember 1903, am 17., 24. und 31. Januar 1904, am 1. April 1904, am 19. und 26. März 1905, am 24. Dezember 1905 und am 15. Februar 1914. Ebd. 197 Zwischen 1873 und 1880 gespielt am 2. Dezember 1877, am 24. Februar 1878, am 3. März 1878, am 12. Januar 1879 und am 2., 16. und 23. November 1879. Konzertannoncen in Le Ménestrel, 44. Jahrgang, Nr. 1 bis 46. Jahrgang, Nr. 38. Zwischen 1894 und 1914 gespielt am 31. Januar 1897, am 2. und 14. Februar 1897, am 31. Oktober 1897, am 23. April 1899, am 6. und 13. November 1904, am 15. Januar 1905, am 18. Februar 1906, am 2. und 9. Dezember 1906, am 31. Januar 1909, am 7. Februar 1909, am 13. und 20. Februar 1910 und am 10. und 17. November 1912. Vgl. die Programme in den Comptes rendus du Secrétaire du Comité von 1894–1914. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/14-V3S/36.

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Zyklen auf oder organisierten Festivals aus Anlass von Geburts- und Todestagen der Komponisten.198 Die Konzerte, die bestimmten Komponisten gewidmet waren, wurden zumeist an eine theatrale Darstellung gekoppelt. Sei es die Einbindung von Schaupielern, die programmatische Texte zu den einzelnen Werken rezitierten, sei es die dramatische Ausstattung einzelner Werke durch Bühnenbilder oder die Verräumlichung der Musik – viele der um 1895 angewandten Elemente hatte Colonne schon Mitte der 1870er Jahre praktiziert, als er sich noch stark am angestammten Publikum des Châtelet orientierte. Ein Beispiel hierfür sind die mannigfaltigen Ehrungen von Édouard Colonne durch sein Orchester, dessen Mitglieder ihm im Zuge des großen Erfolgs der Damnation de Faust während der Konzerte immer wieder Kränze (erstmals im März 1877) und Dirigierstäbe (Juni 1877) verliehen oder ihm für den Erhalt des Diamantenkreuzes der Ehrenlegion (Februar 1880) Anerkennung zollten.199 Von Beginn der Konzertreihe an wurden jedoch auch Komponisten geehrt, wie in dem Bizet gewidmeten Konzert, das Colonne am 1. November 1875 kurz nach dem Tod des Komponisten veranstaltete. Hier rezitierte die Schauspielerin und Sängerin Célestine Galli-Marié (1840–1905) in einem schwarzen Gewand und mit einem Strauss Veilchen in den Händen ein Gedicht über Bizet von Louis Gallet (1835–1898), wobei sie im Hintergrund von Klängen der Arlésienne begleitet wurde.200 Desgleichen rezitierte Jean Mounet-Sully (1841–1916) von der Comédie Française im Konzert vom 6. Januar 1878 zwischen dem 2. und 3. Teil der Damnation de Faust das Gedicht À Hector Berlioz von Charles Grandmougin (1850–1930).201 Die Rezitation von Texten diente in den Jahren vor 1880 vor allem dazu, dem Publikum die dramatische Grundlage eines musikalischen Werks nicht vorzuenthalten. Dieses Ziel war es den Concerts du Châtelet wert, Schauspieler 198 Daneben gab es natürlich auch Festivals, die französischen Komponisten gewidmet waren. Vgl.  : Bernard, Le Concert symphonique à Paris entre 1861 et 1914, 1976, S. 131. 199 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 1. April 1877, S. 143  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 10. Juni 1877, 43. Jahrgang, Nr. 28, S. 222  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 29. Februar 1880, 46. Jahrgang, Nr. 13, S. 102. 200 „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 8. November 1875, S. 391. 201 „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 6. Januar 1878, 44. Jahrgang, Nr. 6, S. 47.



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der Comédie-Française zu engagieren  : Am 31. Januar 1875 rezitierte Émilie Broisat (1848–1929) die „wundervollen Verse von Leconte de Lisle zur Musik, die Herr Massenet zu seiner Tragödie Les Erinnyes geschrieben hat“.202 Mit der Vorankündigung von Saint-Saëns’ Phaéton sind 1876 schließlich erste Abdrucke des Programms oder des literarischen Textes, die die Komponisten der in den Concerts du Châtelet aufgeführten Stücke inspiriert hatten, in der Presse zu finden, die die Rolle der Schauspieler gleichsam zu übernehmen scheint.203 Dieser Zeitpunkt ist deckungsgleich mit der endgültigen Erweiterung des Publikums der Concerts Colonne auf den Pariser Adel, an dem sich die Concerts Colonne in den 1880er Jahren stark orientierten. Ab dieser Zeit und scheinbar in Anlehnung an den operngewöhnten und wagnerbegeisterten Pariser Adel versah Colonne mehrere Werke mit einer szenischen Ausstattung. Auch dies nahm seinen Ausgang bei den Werken von Berlioz  : 1879 setzte Colonne das Finale der Prise de Troie in Szene, indem er die Chormassen erst ganz zum Schluss plötzlich durch die Wegnahme einer Kulisse zum Vorschein brachte.204 Spätestens 1883 fing er an, die Bühne bei Aufführungen von Berlioz’ Te deum mit Kerzenleuchtern auszustatten.205 Für La Fiancée du Timbalier von Francis Thomé (1850–1909) schließlich, das Ende März 1888 im Châtelet aufgeführt wurde, ließ Colonne den Angaben des Komponisten gemäß das Orchester hinter dem zugezogenen Vorhang verschwinden, sodass nur die Schauspielerin Renée Du Minil (1868–1941) für das Publikum sichtbar blieb. Auf diese Weise realisierte Colonne das unsichtbare Orchester Wagners in den Concerts du Châtelet.206

202 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 31. Januar 1875, 41. Jahrgang, Nr. 9, S. 71. Les Erinnyes von Leconte de Lisle wurden am 6. Januar 1873 am Théâtre de l’Odéon mit einer Bühnenmusik von Massenet uraufgeführt. 203 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 30. Januar 1876, S. 71–72. 204 H. Moreno, „La Prise de Troie d’Hector Berlioz“, in  : Le Ménestrel, 14. Dezember 1879, 46. Jahrgang, Nr. 2, S. 11–12. 205 Entsprechende Hinweise hierzu finden sich auf Plänen des Secrétaire du Chant, der die Leuchter einzeichnete, wie auch im Grand Journal der Association Artistique, wo der Kauf von Kerzenleuchtern vermerkt ist  : „Matériel“, in  : Grand Livre. 1ère à 13e année. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/87. 206 A. Landely, „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 31. März 1888, Bd. 27, Nr. 6, S. 44.

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Abb. 27 : Orchesteraufstellung für das Te deum von Hector Berlioz.

In der zweiten Periode verstärkter Popularisierungsanstrengungen um 1895 kamen die szenischen Elemente der 1870er Jahre wieder verdichtet zum Einsatz. Zum 25-jährigen Jubiläum der Concerts Colonne im Jahr 1898 wurde gleich ein ganzer Schub von Inszenierungen mit musiktheatralischen Merkmalen aus Anlass von Ehrungen wichtiger französischer Komponisten realisiert. Sieben der Jubiläumskonzerte waren jeweils einem für die Concerts Colonne wichtigen Komponisten gewidmet. Hierzu zählten Massenet, Saint-Saëns und Berlioz mit jeweils zwei Konzerten und Wagner mit einem Konzert. Massenet dirigierte seine beiden Konzerte selbst.0 Gleich im ersten dieser sieben Konzerte, dem Massenet gewidmeten Konzert vom 5. November 1898, stattete Colonne für einen Auszug aus Massenets Oper Le Mage die Bühne mit einem Bühnenbild aus.0 Bei den Berlioz-Konzerten gipfelte die szenische Inszenierung in der Krönung einer Büste, die auf der Bühne aufgestellt worden war, eine Aktion, die genauestens auf die Musik der Damnation de Faust abgestimmt war und von den Musikern mitgetragen werden musste.0 207 „Premier concert. Dimanche 23 Octobre 1898“ und „Deuxième concert. Dimanche 30 Octobre 1898“, in : 25e année. Concerts Colonne. Rapports du secrétaire du Comité A Petite. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/21. 208 „Troisième Concert. 6 Novembre 1898“ und „Quatrième Concert. 13 Novembre 1898“, in : Ebd. 209 „Huitième Concert. Dimanche 11 décembre 1898“, in : Ebd.



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In denselben Jahren nahm auch die Einbindung von Schauspielern der Comédie Française in die musikalischen Aufführungen wieder zu. Die Kritiker werteten den schauspielerischen Zusatz zur konzertanten Aufführung indessen als übertrieben – und das vor allem finanziell. Werke wie Schumanns Manfred, bei dessen Aufführung Mounet-Sully, Eugène Silvain (1851–1930) und Du Minil die Verse rezitierten, seien beim Publikum schon bekannt genug.210 Dennoch war um 1895 eine Programmgestaltung mit Werken zu beobachten, die traditionell untere Publikumsschichten dezidiert ansprach. In dieser Zeit führte Colonne sowohl die Impressions Fausses von Gustave Charpentier (1860–1956) auf, bei denen die Männerstimmen des Chors die Marseillaise hinter den Kulissen sangen,211 als er auch das Vaudeville Vaux-de-Vire von André Gédalge (1856–1926), das beim Publikum großen Erfolg erntete, auf das Programm setzte. Gédalges Vaudeville beinhaltete Lieder wie C’est à ce joli mois de mai, die auch in den Potpourris der grands spectacles verwendet wurden.212 Eine der Nummern wurde so aufgeführt, dass die acht Tenöre des Chors den Solisten beim Refrain jeder Strophe verstärkten.213 Darüber hinaus nahm Colonne im Jahr 1896 die Einführungsvorträge zu einzelnen Werken während des Konzerts wieder auf, die er schon in den Jahren 1876–1878 praktiziert hatte. Hier hatte Henri de Lapommeraye (1839–1891) zu Félicien Davids (1810–1876) Le Désert und zu Berlioz’ Requiem, also zu Wiederaufnahmen besonders bedeutender und origineller Werke, Einführungsvor210 R. D. C., „Concert du Châtelet“, in  : Le Guide musical, 7. Februar 1897, Nr. 6, S. 106. 211 „19e concert. 3 Mars 1895“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptes-rendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/15. Die Marseillaise wurde auch im Dezember 1903 aus Anlass des 100. Geburtstages von Berlioz in seiner Instrumentierung gegeben. „Septième Concert. Dimanche 6 Décembre 1903“, in  : 30e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. A.a.O., V3S/26. 212 Z.B. im I. Akt, 1. Bild, 1. Szene von Rothomago. D’Ennery/Clairville/Monnier, Rothomago, o. D. 213 „Troisième Concert. 27 Octobre 1895“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Soli et Chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/17. Vgl. zudem die Zugaben in  : „Troisième Concert. Dimanche 27 Octobre 1895“ und „Quatrième Concert. Dimanche 3 Novembre 1895“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Orchestre). Rapport du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/16.

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träge gehalten.214 1896 hielt Catulle Mendès (1841–1909) Vorträge über Werke von Berlioz und Wagner während eines Konzerts, das ausschließlich diese Komponisten auf dem Programm hatte.215 Die Einrichtung von Werkeinführungen wurde jedoch bald wieder abgesetzt, da sie dem Publikum nicht sehr gefielen. Die Einführungsvorträge um 1896 scheinen somit vor allem einem punktuellen Interesse nachgekommen zu sein, das Ministerium zufriedenzustellen und nicht unbedingt demjenigen, den Vorlieben des Publikums zu entsprechen. Ebenfalls auf das Ministère des Beaux-Arts abgestimmt erscheinen die in der Zeit von 1896–1899 organisierten „Festivals de musique française“, die den ursprünglichen Patriotismus der Concerts Colonne akzentuierten. Diese Festivals bestanden jedoch keinesfalls aus neuen Werken, sondern lediglich aus altbekannten Stücken beliebter französischer Komponisten wie Franck, Lalo, Bizet und Berlioz.216 Der Anteil an Uraufführungen zeitgenössischer französischer Komponisten ging Ende des 19. Jahrhunderts dagegen ganz zurück. Das mag damit zusammenhängen, dass die Zeit der zeitgenössischen jedoch stark klassisch-romantisch orientierten Komponisten wie Franck oder Saint-Saëns weitestgehend vorbei war (Saint-Saëns komponierte seine letzte Sinfonie 1886 und sein letztes Klavierkonzert 1896). Auch nachdem sich diese Komponisten zur Ruhe gesetzt hatten, spielte Colonne ihre beliebten Werke noch lange in seinen Konzerten. Er gab ab 1899 für längere Zeit immer wieder Francks Sinfonie in dMoll und Psyché mit großem Erfolg im Châtelet.217 Nach Colonnes Tod führte Pierné seine Vorliebe für Franck bis in die 1920er Jahre fort.218 Saint-Saëns’ wichtige Rolle für die Concerts Colonne artikulierte sich in seiner fortwähren214 „Nouvelles diverses. Concerts annoncés“, in  : Le Ménestrel, 17. Dezember 1876, 43. Jahrgang, Nr. 3, S. 22  ; „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 21. April 1878, 44. Jahrgang, Nr. 21, S. 166. 215 „23e Concert. Dimanche 3 Avril 1896“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Orchestre). Rapport du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/16. 216 „Premier Concert. Dimanche 25 Octobre 1896“, in  : Concerts Colonne. 23e année (1896–97). Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/19  ; „Vingt-Troisième Concert. Dimanche 16 Avril 1899“, in  : 25e année. Concerts Colonne. Rapports du secrétaire du Comité. A. Petite. A.a.O., V3S/21. 217 Vgl. die Konzertprogramme ab  : 25e année. Concerts Colonne. Rapports du secrétaire du Comité A. Petite. Ebd. 218 Masson, Gabriel Pierné, 1987, S. 62–63.



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den Aktivität als Dirigent der Concerts Colonne219 und in Festivals, die zum Beispiel im Jahre 1910 zu seinem 75. Geburtstag stattfanden220. Das Publikum hörte währenddessen bis 1914 nicht auf, nach der Danse macabre ein Dacapo zu fordern.221 Diese wie auch die anderen Maßnahmen zur Popularisierung der Konzerte veränderten die herkömmliche klassisch-romantische und zugleich dramatisch aufgeladene Programmgestaltung also kaum. Da sie sich wie die Bühnengestaltung und die Verräumlichung der Musik zum Teil eng an die Strategien der 1870er Jahre anlehnten, wurde das klassisch-romantische Repertoire eher noch gefestigt. Die finanzielle Prosperität, die sich mit dieser Programmgestaltung in enger Anlehnung an die Vorlieben des breiten Publikums weiterhin erzielen und mit der gezielten Ausnutzung der Aufführungsmöglichkeiten im Châtelet noch perfektionieren ließ, ermöglichte es Colonne, den Kreis der eingeladenen Dirigenten um 1900 auf international renommierte Interpreten auszudehnen. Seinem Grundsatz „die Kunst hat kein Vaterland“ folgend222 und aufgrund seiner guten Erfahrungen mit internationalen Interpreten lud Colonne nun vornehmlich ausländische Dirigenten und Komponisten ein, sein Orchester im Châtelet zu dirigieren. Hierzu zählten ab 1897 besonders Dirigenten aus dem deutschsprachigen Raum wie Felix Mottl (1856–1911) und Richard Strauss (1864–1949). Während Mottl ein reines Wagner-Programm aufführte, dirigierte Strauss in 219 „Premier Concert. Dimanche 20 Octobre 1907“, in  : 34e année. Comptes-rendus des Concerts, Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/30. 220 „Troisième Concert. Dimanche 4 Novembre 1900“, in  : 27ème année. Comptes-rendus des Concerts (Orchestre). Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/23  ; „Premier Concert. Dimanche 9 Octobre 1910“, in  : 39e année. 1910–1911. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/33. 221 „Premier Concert. Dimanche 12 Octobre 1913“, in  : 42e Année. 1913–1914. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/36  ; „Seizième Concert. Dimanche 8 Février 1914“, in  : Ebd. 222 Umfrage von Austin de Croze in Le Soir, zitiert in  : Le Ménestrel, 1894, S. 320, hier aus  : Bernard, Le Concert symphonique à Paris entre 1861 et 1914, 1976, S. 94–95. Die Formulierung stammt aus dem Rapport à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts, in dem Adrien Bernheim sie auf Colonne anwendet  : „Man sollte die Formel ‚Die Kunst hat kein Vaterland‘ nicht zu sehr ausnutzen und nicht zu jedem Anlass ins Feld führen.“ Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais Royal, le 18 Janvier 1897. Rapport à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts. AN, F21 4626, Karton 27  : Association des Concerts Lamoureux et Colonne.

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den Concerts du Châtelet seine Werke Till Eulenspiegel, Tod und Verklärung und einige Orchesterlieder.223 Deutschsprachige Dirigenten und ihr Programm rückten folglich an die Stelle der französischen Komponisten, die Colonne im Châtelet zuvor meist ihre eigenen Werke hatte dirigieren lassen. Nach Mottl und Strauss sollten bis 1914 neben dem Niederländer Willem Mengelberg (1907) noch Hans Richter (1898), Siegfried Wagner (1900), Ernst von Schuch (1904) und Arthur Nikisch (1905) als Dirigenten eingeladen werden. Sie alle garantierten den Concerts Colonne höhere Einnahmen, die wie bei den Virtuosen durch erhöhte Kartenpreise erzielt wurden.224 Die Einladung besonders deutscher Dirigenten war für das Ministère des ­Beaux-Arts, das den Concerts Colonne nun jährlich eine Subvention von 15.000 F zahlte, der Stein des Anstoßes, die Concerts Colonne stärker zu fordern. Das Ministerium beklagte sich Anfang 1897 nach Mottls Konzerten sogleich über Colonnes deutsche Programmgestaltung. Neben dem Mangel an Frankreichverbundenheit kritisierte das Ministerium die Preiserhöhungen bei den von den deutschen Stardirigenten geleiteten Konzerten.225 Insgesamt war dem Minister aufgefallen, dass Colonne und vor allem der Wagner-Liebhaber Lamoureux zu wenig zeitgenössische französische Musik aufführten,226 was für ein „staatliches 223 „Septième Concert. Dimanche 28 Novembre 1897“, in  : Concerts Colonne. Rapports du Secrétaire du Comité. Année 1897–1898. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/20. 224 Willem Mengelberg (1871–1951)  : „Troisième Concert. Dimanche 3 Novembre 1907“, in  : 34e année. Comptes-rendus des Concerts, Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/30. Hans Richter (1843–1916)  : „Vingt-Troisième Concert. Dimanche 3 Avril 1898“, in  : Concerts Colonne. Rapports du Secrétaire du Comité. Année 1897–1898. A.a.O., V3S/20. Siegfried Wagner (1869–1930)  : „Vingtième Concert. Dimanche 25 Mars 1900“, in  : 26e année. Comptes rendus des Concerts (Orchestre). Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/22. Ernst von Schuch (1846–1914)  : „Seizième Concert. Dimanche 7 Février 1904“, in  : 30e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. A.a.O., V3S/26. Arthur Nikisch (1855–1922)  : „Onzième Concert. Dimanche 8 Janvier 1905“, in  : 31e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. A.a.O., V3S/27. Siehe auch Pasler, Composing the Citizen, 2009, S. 691. 225 Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais Royal, le 18 Janvier 1897. Rapport à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts. AN, F21 4626, Karton 27  : Association des Concerts Lamoureux et Colonne. Vgl. auch Caullier, La Belle et la Bête, 1993, S. 26–27. 226 Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Minute de Lettre du 4 Xbre 1894. Le Ministre, le Dr à M. Bernheim, Cre du G. AN, F21 4626, Karton 27  : Association des Concerts Lamoureux et Colonne.



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Konzert“ („concert d’État“) nicht tolerierbar war.227 „Dieses Programm wird streng genommen als Rechtfertigung der Subvention dargestellt, die das Ministerium ihnen bewilligt“, kommentierte der staatliche Generalinspektor für Theater, Adrien Bernheim (1861–1914), schon 1894 höhnisch die deutschen Programme der beiden Orchester und schlug vor, die Subventionen offiziell an Vorschriften der Programmgestaltung bezüglich zeitgenössischer französischer Werke zu binden.228 Seine Anmerkungen führten dazu, dass die deutschen und sehr klassischen Konzertprogramme der subventionierten Pariser Orchester 1896 in der Abgeordnetenkammer diskutiert wurden.229 Colonnes auf Beethoven und Berlioz bezogenes Popularisierungskonzept, mit dem er die verschiedenen politischen Gremien nach dem Modell von Pasdeloups Concerts Populaires zufriedenzustellen suchte, ohne von seinem klassisch-romantischen Programm abrücken zu müssen, stimmten in den 1890er Jahren also überhaupt nicht mehr mit dem kulturpolitischen Fokus des Ministère des Beaux-Arts überein, das nun mehr zeitgenössische französische Musik aufgeführt sehen wollte. Die Anregungen Bernheims führten 1898 zu einem ersten Pflichtenkatalog, an dessen Einhaltung sowohl die Subventionen als auch die Pacht des Théâtre du Châtelet gebunden wurden. Der Pflichtenkatalog sah neben der genauen Zahl der jährlichen Konzerte die Zahlungsmodalitäten der Pacht und Höchstpreise von 1–2 F für die niedrigste Eintrittskartenkategorie vor, um den „popularen Anstrich“ der Konzerte zu festigen.230 Dabei wurde die jährliche Subvention der Concerts Colonne von 15.000 F keinesfalls erhöht.231 Stattdessen arbeitete das Ministerium auch weiterhin an einer Umstrukturierung der klassischen Kon227 Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais Royal, le 18 Janvier 1897. Rapport à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts. Ebd. 228 Brief Adrien Bernheims an den Direktor des Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts vom 13. Dezember 1894. Ebd. 229 P. Rameau, 14.12.1896. ARS, Ro 2450 (1–3)  : Berlioz (Hector), La Damnation de Faust, légende dramatique en 4 parties. Représentations diverses. 230 „Concession au profit de l’Association artistique (Concerts Colonne). – Cahier des charges. L’an mil huit cent quatre-vingt-dix-huit“, in  : Massard, Rapport au nom de la 2e commission sur  : 1° une pétition de l’Association artistique des concerts Colonne  ; 2° une pétition de M. Fontanes, directeur du Châtelet, 1911, S. 11. 231 Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais Royal, le 2 Mai 1898. RAPPORT à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts. AN, F21 4626, Karton 27  : Association des Concerts Lamoureux et Colonne.

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zertprogramme. In seinen folgenden Berichten wies Adrien Bernheim die Concerts Colonne direkt an, die häufigen Aufführungen der Damnation de Faust zugunsten einer variationsreicheren Programmgestaltung zu reduzieren.232 Die negativen Beobachtungen, auf die sich das Ministerium besonders nach Mottls Konzert stützte, führten im Januar 1904 schließlich zur Erweiterung des Pflichtenkatalogs. Als Auflage für die Subvention wurde zusätzlich festgehalten, dass die Konzertprogramme von nun an pro Saison drei Stunden noch ungespielter zeitgenössischer französischer Musik beinhalten sollten. Amédée Lemoine von der Revue musicale begrüßte den neuen Pflichtenkatalog als Gerechtwerdung gegenüber den Komponisten im dezidiert klassischen Konzertbetrieb und als Garant für ein abwechslungsreicheres Programm – selbst wenn er die Rezeption der neuen Musik durch die Nachbarschaft der klassischen Standardwerke gefährdet sah.233 Für die Programmgestaltung bedeutete die Einführung des Pflichtenkatalogs eine obligatorische Rückkehr zur ursprünglichen, aber mit dem Karriereende von Saint-Saëns endgültig versiegten Zielsetzung des Concert National, Werke zeitgenössischer Komponisten aufzuführen.234 Dies stellte das Erfolgsrezept der Concerts Colonne auf eine harte Probe. Obwohl 1904, dem Jahr der Einführung der Subventionsbedingungen, in der Presse eine lebhafte Diskussion über eine genuin französische Musik einsetzte,235 versuchten Colonne und später Pierné die Vorschriften weitestgehend zu umgehen. Colonnes und Piernés erste Reaktion auf den Pflichtenkatalog bezog sich auf die Verlagerung des programm232 Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais-Royal le 30 Avril 1903. RAPPORT à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts/Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais-Royal le 23 Avril 1904. RAPPORT à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts. Ebd. 233 Amédée Lemoine, „Les concerts“, in  : Revue musicale, 15. Dezember 1905, 5. Jahrgang, Nr. 23, S. 617–618. 234 „Das Ziel, das von der Verwaltung der Schönen Künste verfolgt wird, liegt tatsächlich darin, die Produktion unserer jungen Musiker zu fördern und ihnen neue Möglichkeiten und Aussichten zu eröffnen. Der Einbezug von neu orchestrierten Werken schon verstorbener Komponisten in die drei Stunden noch nicht gespielter Musik wäre dieser Zielsetzung genau entgegengesetzt und würde die Gründe verkennen, die zum Beschluss vom 1. Februar 1904 geführt haben.“ Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Minute de Lettre du 1 Déc. 1904. Le Dr. à M. Édouard Colonne. AN, F21 4626, Karton 24  : Concerts Colonne. 235 Fulcher, French Cultural Politics and Music, 1999, S. 106–109.



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gestalterischen Schwerpunkts von deutschen Werken auf die russische und osteuropäische Musik. Nachdem sie schon vor den neuen Bestimmungen Festivals russischer (1902)236 und polnischer Musik (1903)237 veranstaltet hatten, beauftragte Colonne 1904 den zweiten Dirigenten, ihm neue Werke russischer und auch englischer Komponisten vorzuschlagen. Das neue Interesse für Russland und England bot sich nicht nur aufgrund des Interesses der Kritiker für verschiedene nationale Schulen, sondern vor allem aufgrund der damaligen politischen Ereignisse regelrecht an  : Am 8. April 1904 wurde die Entente Cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien geschlossen, die 1907 durch Russland zur Triple Entente erweitert wurde. Darüber hinaus zeigte sich Pierné von Werken englischer und russischer Komponisten wie Edward Elgar (1857–1934), Aleksandr Glazunov (1865–1936) und Nikolaj Rimskij-Korsakov (1844–1908) nicht sehr überzeugt.238 Bei der direkten Einlösung des Pflichtenkatalogs verlegten sich Colonne und Pierné auf mehrere Umgehungsstrategien, die teilweise vom Ministerium akzeptiert wurden. Im ministeriellen Bericht über die Concerts Colonne des Jahres 1904 ist festgehalten, dass Colonne die drei Stunden zeitgenössische Musik vorzugsweise mit sehr langen Werken füllte, sodass für die zeitgenössischen Komponisten die Wahrscheinlichkeit sank, dass auch nur ein kurzes Werk von ihnen in den Concerts Colonne aufgeführt wurde.239 Um die drei Stunden noch unaufgeführter französischer Werke zu füllen, versuchte Colonne zudem, auf schon beim Publikum bekannte Komponisten zurückzugreifen. Dazu gehörte, auch ausländische Komponisten wie den Rumänen George Enescu (1881–1955) und den Italiener Alfredo Casella (1883–1947), die am Pariser Konservatorium studiert hatten, als französische Komponisten anerkennen zu lassen. Der vom Ministerium um ein Gutachten gebetene Direktor des Konservatoriums, Ga236 „Vingt-Unième Concert. Dimanche 23 Mars 1902“, in  : 28e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/24. 237 „Vingt-Unième Concert. Dimanche 29 Mars 1903“, in  : 29e 31e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/25. 238 Brief von Gabriel Pierné an Édouard Colonne vom 3. September 1904. MUS, L. a. Pierné 56. 239 Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais-Royal le 23 Septembre 1904. RAPPORT à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts. AN, F21 4626, Karton 27  : Association des Concerts Lamoureux et Colonne.

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briel Fauré (1845–1924), sprach sich dabei für eine Anerkennung derjenigen Komponisten als „französische Komponisten“ aus, die am Konservatorium eine Kompositionsklasse besucht hatten, was bei Enescu, jedoch nicht bei Casella der Fall war.240 Ob ein zeitgenössisches Werk uraufgeführt wurde oder nicht, hing nun ganz davon ab, ob es als „unaufgeführte französische Musik“ galt. In der Regel machten Colonne und Pierné dies bekannten wie unbekannten, inländischen wie ausländischen Komponisten zur Bedingung.241 Die Komponisten versuchten daraufhin häufig selbst, die Erlaubnis beim Ministerium einzuholen.242 War es am Beginn der Geschichte der Concerts Colonne für die einzelnen Komponisten nötig gewesen, die Aufführung ihres Werks durch ihre Mitgliedschaft in der Association Artistique voranzutreiben oder sogar mit eigenen Mitteln finanziell zu unterstützen, verlagerte sich die finanzielle Zuwendung für eine Uraufführung mit der Einführung der „drei Stunden noch ungespielter Musik“ somit von den Komponisten auf die staatlichen Subventionen. Das Ministerium zeigte sich vor allem in Bezug auf Anfragen ausländischer Komponisten als besonders streng. Bei bereits aufgeführten Werken französischer Komponisten waren dagegen Spielräume vorhanden. Das Ministerium war bereit, diese Werke in die „drei Stunden“ aufzunehmen, wenn das Konzert gratis oder nicht öffentlich vor einem geschlossenen Publikum stattgefunden 240 Paris (9e), le 30 Novembre 1906. Le Directeur du Conservatoire national de Musique et de Déclamation, à Monsieur le Sous-Secrétaire d’État des Beaux-Arts. AN, F21 4626, Karton 24  : Concerts Colonne. 241 Pierné teilte dem Ministerium noch 1914 mit, dass er eine Suite über Daphnis et Chloé von Ravel nur auf das Programm setzen würde, wenn sie zu den „drei Stunden unaufgeführter Musik“ zählte. Brief von Gabriel Pierné an Monsieur d’Estournelles de Constant vom 4. März 1904. Ebd. 242 So wie im Fall von Robert Brussel (1907), Alfred Casella (1909), Théodore Dubois (1909), Stau Goleskeu (1909), J. B. Ganaye (1909), Joseph Guy Ropartz (1913) und Adolphe Marty (1913). Brief vom Sous-Secrétaire d’État an Alfred Casella vom 15. November 1909/Brief von Stant Goleskeu an Monsieur Dujardin-Beaumetz, Sous-Secrétaire d’État des Beaux-Arts, vom 27. Oktober 1909/Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Note pour Monsieur le soussecrétaire d’État des Beaux-Arts, 27 Janv 1909/Ministère de l’Instruction Publique et des BeauxArts. Note pour Monsieur le Sous-secrétaire d’État des Beaux-Arts, 4 décembre 1909/Brief von R. Brussel an den Ministre d’État et des Beaux-Arts vom 30. Dezember 1907/Brief von Joseph Guy Ropartz an den Sous-Secrétaire d’État des Beaux-Arts vom 26. November 1913/Brief von Adolphe Marty an den Sous-Secrétaire d’État des Beaux-Arts vom 6. August 1913. Ebd.



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hatte,243 oder wenn das betreffende Werk von einem französischen Komponisten neu orchestriert worden war. Hierbei war jedoch Bedingung, dass auch der Komponist des Originals noch am Leben und Franzose sein musste.244 Den Concerts Colonne war es ebenfalls möglich, schon aufgeführte Musiktheaterwerke in ihrer instrumentalen Konzertversion als unaufgeführte französische Musik anerkennen zu lassen. Vor allem diese Werke befreiten die Concerts Colonne von der Auflage, bislang nicht gespielte, das heißt dem Publikum gänzlich neue Werke größtenteils unbekannter Komponisten aufführen zu müssen.245 Gleichzeitig blieb damit die Affinität der Colonne’schen Konzertprogramme zum Musiktheater erhalten. Auch Pierné hielt an der eklektischen Programmgestaltung Colonnes fest, der die „Wissenschaft, Programme zu erstellen“ seit jeher beherrscht hatte.246 Dazu brachte der Nachfolger von Colonne sein Unverständnis für administrative Maßnahmen, die die eingesessene Programmgestaltung der Concerts Colonne veränderten, gegen 1914 immer nachdrücklicher zum Ausdruck.247 In Anfragen an das Ministerium, teilweise schon aufgeführte Werke zu den „drei Stunden noch ungespielter Musik“ zählen zu lassen, äußerte sich Pierné  : „Ich möchte Sie höflichst bitten, die sinfonische Suite ‚JEUX‘ als neues Werk –Uraufführung – zu betrachten, die mir von Claude Debussy anvertraut wurde. Dieses Werk ist dem Ballett mit demselben Titel entnommen, das letztes Jahr am Théâtre des Champs-Elysées aufgeführt wurde. Das sinfonische Werk hat eine neue Form und wird eine echte Uraufführung sein.

243 Vgl. die Anträge und Erlaubnisse bzw. Ablehnungen in  : Note pour Monsieur le sous-Secrétaire d’État des Beaux-Arts, 27 Oct. 1909/Brief von R. Brussel an den Ministre d’État et des Beaux-Arts vom 30. Dezember 1907. Ebd. 244 Brief von Édouard Colonne an das Ministère de l’Instruction Publique des Cultes et des Beaux-Arts vom 9. November 1904. Ebd. 245 Dabei handelte es sich um La faute de l’Abbé Mouret von Bruneau (1907–1908), La Foi von Saint-Saëns (1909–1910), Le Paradon von Bruneau, La tragédie de Salomé von Florent Schmitt, Daphnis et Chloé von Ravel (1910–1911) und Paysans et Soldats von Noël Gallon (1911–1912). Brief von Blanquart, Secrétaire du Comité der Association Artistique, an Monsieur d’Estournelles de Constant vom 11. Februar 1914. Ebd. 246 A. Landely, „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 15. Januar 1886, Bd. 25, Nr. 1, S. 3. 247 Vgl. auch Masson, Gabriel Pierné, 1987, S. 34.

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Ich füge noch hinzu, dass es in unserem gemeinsamen Interesse liegt, uns in Bezug auf Werke von Wert zu helfen, die wir Sie bitten, entsprechend unseres Pflichtenkatalogs auf die Liste der Uraufführungen zu setzen. – Denn wenn es anders wäre, würden Sie mich zwingen, Werke von geringstem Interesse aufzuführen, die dem Ruf unserer Konzerte schaden könnten.“248

Der veränderte Ton, mit dem Pierné den Pflichtenkatalog direkt auszuhebeln versuchte, spricht für eine Institutionalisierung seiner Handhabung, die gegen 1914 zu gleichen Teilen vom Ministerium und vom Konzertleiter bestimmt wurde. Das halb auf das Renommee bezogene, halb kommerzielle Argument, das Pierné für die Rechtfertigung seines herkömmlichen Programms aus Klassischem, Dramatischem und Virtuosem anführte, schien auch für das Ministère des Beaux-Arts letztendlich einsichtig zu sein  ; die in der mondänen und international beachteten „Saison russe“ 1913 uraufgeführte Ballettmusik Jeux wurde am 1. März 1914 tatsächlich in den Concerts Colonne in bearbeiteter Form als „Uraufführung“ gegeben.249 Mit den am Theaterraum orientierten Reaktionen auf die Forderungen des Ministeriums hatte sich das klassische Rezeptionsmodell der Concerts Colonne so gefestigt, dass auch das Ministerium immer großzügigere Konzessionen machte. 3.2.2 Die Ära Gabriel Piernés und seiner Werke in den Concerts Colonne (1895–1914)

Pierné hatte eine vergleichsweise große Autorität hinsichtlich des Pflichtenkatalogs, da er selbst unablässig Werke für die Concerts Colonne komponierte und diese dort aufführte. Die Werke des Orgelschülers von César Franck und des Kontrapunkt- und Fugenschülers von Massenet250 waren dabei ganz auf das vor248 Brief von Gabriel Pierné an Monsieur d’Estournelles de Constant vom 28. Januar 1914. AN, F21 4626, Karton 24  : Concerts Colonne. 249 „Dix-huitième concert. Dimanche 1er Mars 1914“, in  : 42e Année. 1913–1914. Comptes rendus des Concerts. Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/36. 250 Schneider, „Pierné, Gabriel“, 2005, Sp. 556. Georges Masson erwähnt neben Franck und Massenet noch Saint-Saëns, der Piernés Stil ebenfalls beeinflusste. Masson, Gabriel Pierné, 1987, S. 82.



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herrschende Repertoire der Concerts Colonne abgestimmt. Sie zeichnen sich allesamt durch ihren dramatischen Gehalt, eine besonders hohe Zahl an Mitwirkenden sowie durch die intensive Nutzung der Bühne aus. Mit diesen Charakteristika stellte Pierné das Publikum der Concerts Colonne fortwährend zufrieden. Piernés Werke wurden ebenfalls in der Zeit der großen Popularisierungsanstrengungen um 1895 in die Programme der Concerts Colonne aufgenommen. 1895 dirigierte Colonne Piernés Bühnenmusik zu Izéÿl,251 1896 seine Deux Contes de Jean Lorrain252 und 1897 Yanthis, eine Bühnenmusik zu einem Drama Jean Lorrains (1855–1906).253 Am 12. Dezember 1897 leitete Pierné schließlich selbst seine „épisode lyrique“ Nuit de Noël 1870, deren Ausführung mit einer gesonderten Orchesteraufstellung verbunden war. Sie zeugt von der akustischen Perfektion, die durch die ausgeklügelte Aufstellung der Interpreten hinter der Bühne angestrebt wurde.254 Die Aufstellungen des Chors mit dem Rücken zum Publikum, den Trompeten in einer Seitennische und der Sängerin auf einer Trittleiter vor einer halb geöffneten Bühnentür garantierten unterschiedliche Dämpfungseffekte. Diese wurden auch bei Glockengeläut und Ausrufen wie „Deutschland  !“ (in der linken Bühnenecke) und „Er lebe  !“ (in der Mitte der Bühne) realisiert  ;255 Akustik und Dramatik gingen in der Ausführung der Nuit de Noël 1870 in eins (vgl. Abb. 28). In der zweiten Hälfte der Jubiläumssaison, am 27. Februar 1898, wurde Piernés „poème symphonique mit Chören“ L’An Mil in den Concerts Colonne ur251 „20e Concert. Dimanche 10 Mars 1895“ und „Vingt-Unième Concert. Dimanche 17 Mars 1895“, in  : 21e année (1894–1895). Comptes-rendus techniques des Concerts. Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/14. 252 „Vingt-Unième Concert. Dimanche 22 Mars 1896“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Orchestre). Rapport du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/16. 253 „Seizième Concert. Dimanche 21 février 1897“, in  : Concerts Colonne. 23e année (1896–97). Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/19. 254 „Neuvième Concert. Dimanche 12 décembre 97“, in  : Concerts Colonne. Rapports du Secrétaire du Comité. Année 1897–1898. A.a.O., V3S/20. Pierné gibt in seiner Partitur an mehreren Stellen die Aufstellungen an, die Teile des Orchesters einzunehmen haben, wie „draußen“, „hinter der Bühne“, „im Verborgenen“ oder „Die Glocken müssen an verschiedenen, von der Bühne entfernten Orten aufgestellt werden. Das Glockenspiel muss näher am Orchester sein. Der Solo-Alt wird sich auf der Orgelempore aufstellen“. Pierné, Nuit de Noël 1870, 1896. 255 A.a.O., S. 31.

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aufgeführt. Der Chorsinfonie war ein für seine Dramatik sprechender Vers der Apokalypse vorangestellt : „Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan losgelassen werden aus seinem Gefängnis und wird ausziehen, zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde (Apokalypse, 20, 7–8).“ Der erste Teil dieses Werks, „Miserere mei“, sah einen Chor hinter den Kulissen vor. Der zweite Teil mit dem Titel „Fête des Fous et de l’Âne“ Abb. 28 : Orchesteraufstellung für Nuit de Noël beinhaltete immerhin noch ein Bassvon Gabriel Pierné. Solo hinter den Kulissen, während der dritte Teil „Te deum laudamus“ ganz ohne die Hinterbühne auskam. Waren der erste und der dritte Teil des „poème symphonique“ stark liturgisch geprägt, stützte Pierné den zweiten Teil auf einen Gesang aus dem Mittelalter. Deshalb kann die „Fête de Fous et de l’Âne“ als BTeil einer ABA-Form verstanden werden. Die beiden Randteile weisen zudem gleiche motivische Versatzstücke auf. Der B-Teil handelt von einer Eselsprozession, in der das Volk einen Esel in die Kirche bringt, um ihm dort mit großem Geschrei und Vergnügen zu huldigen. Auf der Grundlage des Inhalts und der in einem Begleittext angekündigten „Spottgesänge des Volkes“ und „frevelhaften Tänze“ bietet er einen hohen Anteil an sehr einfacher und volkstümlicher Musik. Pierné verwandte im zweiten Teil dramatische und zugleich vergnügliche Effekte, indem er Lachsalven des Volks und das „I-A“ des Esels („Hin-han“) vertonte. Beides wurde mit sehr einfachem Tonmaterial komponiert : Die Lachsalven folgen einer simplen chromatisch ansteigenden Linie und die „I-As“ äußern sich in Quart-, Quint- oder Oktavsprün256 „Dix-huitième concert. Dimanche 27 février 1898“, in : Concerts Colonne. Rapports du secrétaire du Comité. Année 1897–1898. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/20. 257 So z.B. die Wiederaufnahme des dritten Themas des „Miserere mei“ im „Te deum laudamus“. Vgl. Pierné, L’An Mil, 1898, S. 14 („Miserere mei“) und S. 112 („Te deum laudamus“).



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gen. Die Rhythmik der Textzeilen beschränkt sich dabei auf das Schema   !N CN C  !, das einen tänzerischen, sehr volksliedhaften Anstrich mit sich bringt. Ein weiteres Element ist das Antreiben des Esels mit in unterschiedlichen, aber immer aufsteigenden Intervallen vertonten „E-ho   !“. Im Finale des zweiten Teils verdichten sich diese drei Elemente immer mehr, bis sie im Glockengeläut untergehen, das sich in einer perpetuellen Bewegung in A-Dur über die letzten sieben Schlußtakte hält.258 Die formale, harmonische, rhythmische und melodische Einfachheit von L’An Mil spricht für eine klassische Aufteilung sowie für den Einbezug sehr einfacher musikalischer Elemente für ein breites Publikum. Der B-Teil wird von zwei höchst kunstvollen, liturgisch geprägten Randteilen umrahmt. Auch hier tritt sehr einfaches und effektvolles Kompositionsmaterial auf, wie die archaischen Quinten im „Miserere mei“, mit denen auch schon De Groot in seiner Napoleon-Kantate auf schlichte Weise einen mittelalterlichen Stil evoziert hatte. Im Gegensatz zur Napoleon-Kantate haben all diese Elemente in Piernés Komposition jedoch ihren motivischen Platz, denn die tonmalerischen Klänge wie die Quinten werden stets motivisch verarbeitet. So kehrt dieselbe Quintenbewegung (Oszillieren zweier Halben im Halbtonabstand) an anderer Stelle bei gleicher Rhythmik im Intervall der Oktave wieder und stellt zugleich den Anfang eines weiteren kurzen Motivs dar.259 Die einzelnen, durch ein effektvolles Tonmaterial und seine Verarbeitung charakterisierten Teile von L’An Mil ergeben jedoch eine sehr klare Gesamtstruktur. Hier die Struktur des „Miserere mei“ (Teil 1), die den Komplexitätsgrad zwischen einfachem Tonmaterial oder einfacher Bewegung und ihrer Verdichtung im ganzen Stück zeigt  : 1. Teil (Ziffern 1–7)

Verarbeitung dreier melodischer Themen

2. Teil (Ziffer 8)

aufsteigende Linien mit chromatischen und (hypo-)lydischen Elementen

3. Teil (Ziffern 9–10) Überleitungsteil mit Rückkehr zum 3. Thema aus dem 1. Teil und Verdichtung schon verwendeter Elemente 4. Teil (Ziffern 11–17) Akkordbrechungen und chromatische Linien, zuerst aufsteigend, dann wechselnd auf- und absteigend, dann verdichtet 258 Ebd. 259 A.a.O., S. 7–8 (Quintbewegung) und S. 11 (Oktavbewegung).

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in kontrapunktischen Gegenbewegungen, zuletzt Ausdünnung der Akkordbrechungen und chromatischen Linien auf wenige Stimmen, das ganze versetzt mit Anklängen an die drei Themen aus dem 1. Teil 5. Teil (Ziffern 17–20) starke Verkürzung aller vorher verwendeten Elemente,

Abschlussmelodie im Unisono

Die Kompositionsweise des „Miserere mei“ folgt dem Grundeffekt, verwendete Elemente immer wieder neu einzubauen, sodass gegen den Schluss ein Verdichtungseffekt entsteht. Die filigrane Verflechtung all dieser Elemente bleibt dabei für den Hörer durchsichtig, da Pierné höchst einfaches, das heißt höchst effektvolles und einfach wiederzuerkennendes Tonmaterial und Motive benutzt. Im Vergleich zu einer solchen linearen, sich über das ganze Stück erstreckenden Struktur weist das „Te deum laudamus“ (Teil 3) großflächigere Ritornell-Formen auf, die sich aus dem Unterschied zwischen Motivverarbeitung und Messteil ergeben  : 1. Teil (Ziffer 38)

Einleitung mit dichten Akkorden

2. Teil (Ziffern 39–40) Wiederkehr von Motiven aus dem „Miserere mei“ (3. Thema) 3. Teil (Ziffer 41)

rhythmische Uniformität

4. Teil (Ziffer 42)

Wiederkehr von Motiven aus dem „Miserere mei“ (Akkordbrechungen)

5. Teil (Ziffer 43)

rhythmische Uniformität

6. Teil (Ziffern 44–45) Wiederkehr von Motiven aus dem „Miserere mei“ (Achtelbewegung) 7. Teil (Ziffern 46–47) „Te deum laudamus“ Choral, Fuge und Alternation mit dem „Credo“ 8. Teil (Ziffern 48–51) „Gloria“ 9. Teil (Ziffern 52–54) Schlussteil mit dichten Harmonien und Motivwiederholungen aus dem 1. Teil, Akkordbrechungen und einem letzten „Credo“

Auch in diesem zweiteiligen Stück aus der Wiederverarbeitung vorheriger Motive und einem Messteil verdichtet sich alles vorher schon Dagewesene in seinem



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letzten Abschnitt, ohne dabei jedoch die ABA-Form des „Te deum laudamus“ (hier in der Form von ABB’A’) außer Acht zu lassen. Neben dieser kontinuierlichen Steigerung bleibt die innere Anlage jedoch regelmäßig und gehorcht der klassischen Klarheit. Verdichtungen und Steigerungen erinnern gleichzeitig sehr an die Napoleon-Kantate, die De Groot 1863 für das Théâtre du Châtelet komponierte. Schon die Wortwahl der Kritiker mit „Größe“, „Schwung“, „Farbe“ und „fröhlichen Rhythmen“ brachte Piernés Werk und die Musik des grand spectacle auf einen gemeinsamen atmosphärischen (im Gegensatz zu einem kompositorischen) Nenner.260 Der künstlerische Unterschied erklärt sich vor allem über die Filigranität  : Während die Einfachheit von De Groots Musik des grand spectacle sich auch an der Beschränkung auf wenige, leuchtende und im Kadenzschema wichtige Harmonien ablesen ließ, ist die harmonische Struktur bei Pierné sehr frei. Regelmäßigkeiten der Form lassen sich bei Pierné lediglich hinsichtlich des Aufbaus der einzelnen Teile und der Wiederkehr von Motiven erkennen. Auf die Aufführung von L’An Mil folgten am 15. und 22. Dezember 1901 ein Poème Symphonique,261 am 25. Januar 1903 das Concertstück pour harpe et orchestre262 und die schon einmal aufgeführte Nuit de Noël 1870, die Pierné am 5. April 1903 selbst dirigierte.263 Am 8. November 1903 – drei Wochen nach seiner Vorstellung beim Orchester – leitete Pierné erstmals ein ganzes Konzert im Châtelet264 und dirigierte in der Folge auch die beiden Konzerte vom 15. und 22. November 1903.265 Beim nächsten Konzert unter seinem Dirigat stand eine Aufführung von Roméo et Juliette von Berlioz mit 250 Mitwirkenden auf 260 L. H., „Exécutions récentes“, in  : Revue musicale, 1. April 1910, 10. Jahrgang, Nr. 7, S. 193– 194. 261 „Huitième Concert. Dimanche 15 décembre 1901“ und „Neuvième concert. Dimanche 22 décembre 1901“, in  : 28e année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/24. 262 „Treizième Concert. Dimanche 25 Janvier 1903“, in  : 29e 31e année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/25. 263 „Vingt-Deuxième Concert. Dimanche 5 Avril 1903“, in  : Ebd. 264 „Troisième Concert. Dimanche 8 Novembre 1903“, in  : 30e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. A.a.O., V3S/26. 265 „Quatrième Concert. Dimanche 15 Novembre 1903“ und „Cinquième Concert. Dimanche 22 Novembre 1903“, in  : Ebd.

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dem Programm.266 Auch in der Folgesaison dirigierte Pierné zwei Konzerte.267 Von da an überließ ihm Colonne regelmäßig das Dirigentenpult. In seiner Zeit als Dirigent des Orchesters Colonne führte Pierné regelmäßig eigene Werke auf, ab 1905 vorzugsweise Oratorien mit großem Orchester. Am 22. Januar 1905 etwa wurde seine musikalische Legende Croisade des Enfants in den Concerts Colonne gegeben, die zudem eine Verräumlichung der Musik durch hinter der Bühne singende Chöre vorsah.268 Camille Bellaigue bemerkte in seinen Kritiken die besonders kindliche Melodik der Croisade, deren „Banalität durch die gut gelungenen rhythmischen, modulatorischen und taktmäßigen Wendungen“ getilgt werde und die dadurch an „Kraft und Weite“ gewänne.269 Am 27. Dezember 1908 führte Pierné Les Enfants à Bethléem auf, die der Croisade des Enfants ob ihres biblischen, aus Kindersicht beschriebenen Themas sehr ähnlich ist. Das ein Jahr zuvor in Amsterdam uraufgeführte Werk reihte sich in die Aufführungen mit großem Musikeraufgebot ein. „Mindestens 100 Chorsänger“ gab Pierné in der Partitur die Größe des Kinderchors an.270 Das dem Klavierauszug vorangestellte Sonett Aux petits Interprètes des „Enfants à Bethléem“ zeichnet den musikalischen und dramatischen Inhalt des Stücks programmatisch vor  : die Erzählung der Weihnachtsgeschichte während des deutsch-französischen Krieges aus Sicht der Kinder und mit ihren einfachen Liedern.271 In der Tat zeichnet sich das „Mysterium in zwei Teilen“ durch einfache Kantilenen aus, die mit einer simplen, meistens auf einem prägnanten Motiv beruhenden Begleitung unterlegt werden. Die Harmonien bewegen sich größtenteils im Rahmen einer Kadenz, werden jedoch ständig durch die Parallelakkorde der Stufen I, IV und V aufgelockert. Ein in der Mitte und am Ende des 1. Teils mit denselben Harmonien vertontes „Weihnachten  !“ gibt diesem Teil eine zweiteilige symmetrische Struktur.272 266 „Douzième Concert. Dimanche 10 Janvier 1904“, in  : Ebd. 267 31e Année. Comptes rendus des Concerts. Orchestre. A.a.O., V3S/27. 268 Schneider, „Die kreative Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen geistlichen und Mysterienspiel“, 2005, S. 293. 269 Camille Bellaigue, „La Croisade des enfants“ (Februar 1905), in  : Études musicales, 3. Serie, Paris, 1907, S. 205. Zitiert nach  : A.a.O., S. 294–295. 270 Pierné, Les Enfants à Bethléem, 1907. 271 Nigond/Pierné, „Aux petits Interprètes des ‚Enfants à Bethléem‘“, in  : Ebd. 272 A.a.O., S. 37f. (35) und S. 64 (65).



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Nachdem er am 20. März 1910 L’An Mil wiederaufgenommen hatte, bestritt Pierné am 24. März 1912 die Uraufführung seines neuen Oratoriums Saint François d’Assise. Teile dieses Chorwerks wurden am 22. Dezember 1912 wiederholt.273 Für seine Aufführung wurde ein großes Orchester benötigt, da Pierné z.B. die Holzbläser wie schon in der Croisade des Enfants allesamt in dreifacher Besetzung vorgesehen hatte. Ein großes Schlagwerk, acht Solisten und ein vierstimmiger Chor rundeten die Besetzung ab.274 Das Werk stellte für André Cœuroy „ein gut gelungenes Gleichgewicht zwischen dem musikalischen Material und dem dramatischen Interesse“ dar.275 Es besteht aus einem Prolog und zwei Teilen, wobei der Prolog noch zweimal, die beiden Teile jeweils dreimal unterteilt sind. Pierné arbeitete auch in diesem Oratorium wieder stark mit melodisch-harmonischen Motiven, die die Begleitung der jeweiligen Gesänge untermalten. Diese Motive und Melodien binden die drei Teile des Stücks fest zusammen. Ein markantes Element des Eingangsstücks „La Jeunesse de François“ sind schnell aufsteigende Tonleitern in Septolen, Oktolen, Nonolen und Dezimolen.276 Diese ziehen sich über das ganze Stück und werden vor allem im Teil „Les Oiseaux“ eingesetzt. Am Ende des Oratoriums, in „La Mort de Saint François“, erscheinen die schnellen Läufe schließlich gleichsam verlangsamt. Der 1. Teil „La Jeunesse de François“ gehorcht einer Symmetrie, die durch ein rhythmisch-harmonisches Thema hergestellt wird, das den Mittelteil einrahmt.277 Daneben findet sich das tonmalerisch-mittelalterliche Element der leeren Quinten, die Pierné für die Einleitung benutzte und bei der Ankündigung eines Reigens wieder verwendete.278 Auch die über das ganze Oratorium hin immer wieder eingebrachte Melodie des „Sonnengesangs“ strukturiert Saint 273 Saint François d’Assise nimmt Cœuroy zufolge zusammen mit L’An Mil, Nuit de Noël 1870 und La Croisade des Enfants einen hohen Stellenwert innerhalb Piernés Gesamtwerk ein. Cœuroy, Historique des Concerts Colonne, 1929, S. 9. 274 Schneider, „Die kreative Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen geistlichen und Mysterienspiel“, 2005, S. 308. 275 Cœuroy, „La musique religieuse“, in  : Rohozinski (Hg.), Cinquante ans de musique française (1874–1925), 1925, Bd. II, S. 162–163. Zitiert nach  : Ebd. 276 Pierné, Franz von Assisi, 1912, S. 13f. 277 A.a.O., S. 15 (Ziffer 9) und S. 46 (Ziffer 32). 278 A.a.O., S. 3f. (Einleitung) und S. 16 („La farandole est proche   !“). Vgl. die Herausarbeitung der Mittelalterbezüge bei Schneider, „Die kreative Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen geistlichen und Mysterienspiel“, 2005, S. 308–309.

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François d’Assise auf großer Ebene  : Sie charakterisiert sowohl das mittlere Stück des 1. Teils „Sœur Claire“ als auch das mittlere Stück des 2. Teils, den „Cantique du soleil“.279 Die sehr motivische Begleitung der Stücke bewirkt, dass viele kleingliedrige, jedoch gut erkennbare Sektionen entstehen, die die Begleitung jeweils effektvoll auszeichnen. Neben der Verwendung der oben genannten tonmalerischen Quinten, die an geeigneten Punkten dramatisch eingesetzt wurden, verstand es Pierné, in seiner Begleitung mittels simplen Tonmaterials bestimmte Atmosphären zu erzielen. In „Sœur Claire“ komponierte er die Freude über Gottes Anwesenheit mit Arpeggien und regelmäßigen 64teln. Die Harmonien bewegen sich relativ stabil zwischen A- und E-Dur mit nur wenigen Auflockerungen nach eMoll.280 Das unmittelbar darauffolgende Stück „Les Stigmates“ (2. Teil) beginnt mit einem fugierten, rhythmisch komplizierten Motiv in den Streichern, die jeweils noch in mehrere Stimmen unterteilt werden. Die Fuge wird nach dem Beginn des zweiten Durchlaufs durch eine mit vielen 16tel-Pausen durchsetzte Melodie der ersten Geigen begleitet und zudem durch weitere Themeneinsätze der tiefen Holzbläser verstärkt. Das Fugenthema und die begleitende Melodie werden dabei ein paar Takte später von einer größtenteils chromatischen, langsam aufsteigenden Linie in den Bässen zusammengehalten. Das Motiv der schnellen Aufwärtsläufe wird so in einem komplizierten Kompositionsteil zu einem strukturierenden Kompositionselement, an dem sich der Zuhörer an dieser virtuosen Stelle festhalten kann.281 Der Fugen-Teil wird abgelöst von einer kompositorischen Verarbeitung eines Terzmotivs.282 Auf das ganze Oratorium bezogen würde sich Pierné ohne seine harmonisch-melodischen oder harmonisch-rhythmischen Motive allgemein in einem sehr freien Tonartenschema bewegen, das sich gleichsam durch die Dur-/Moll-Tonalität sowie durch modale Linien charakterisierte. Durch seine auf Motiven beruhende Kompositionstechnik ergeben sich jedoch einzelne effektvolle Inseln, die das Stück für den Zuhörer sehr variationsreich gestalten, dabei aber durchaus einen Zusammenhalt 279 Pierné, Franz von Assisi, 1912, S. 117–129 („Sœur Claire“) und S. 258–281 („Le Cantique du Soleil“). 280 A.a.O., S. 157–160 (Ziffer 115–116). 281 A.a.O., S. 165–167 (Ziffer 119–120). 282 A.a.O., S. 168–169 (Ziffer 123).



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von wiederkehrenden Melodien zu erkennen geben.283 Nach seinen klassischsymmetrischen Frühwerken orientierte sich Pierné folglich später vermehrt an Motiven, die er einsetzte, um dem musikalischen Ablauf eine möglichst effektvolle Ordnung zu geben. Am 5. April 1914 setzte Pierné sein Prélude de la Croisade des Enfants neben Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune und Alfred Bruneaus Prélude de Messidor auf das Programm der Concerts Colonne. Die Aufführungen von eigenen Werken ohne Chöre hatten nach 1905 zunehmend abgenommen. Dies ging mit einer allgemeinen Entwicklung des Programms einher  : Für die Saison 1911/1912 bemerkte Adrien Bernheim, der Berichterstatter des Ministère des Beaux-Arts, dass zwei Drittel der von Pierné aufgeführten zeitgenössischen französischen Werke Werke mit Chor seien und lobte ihn für den großen Probenaufwand.284 Lieder wurden dagegen nach Piernés Übernahme der Orchesterleitung vorerst kaum mehr in das Programm aufgenommen.285 Somit pendelte sich die Handhabung der „drei Stunden zeitgenössischer Musik“ im Théâtre du Châtelet unter Pierné durch seine Chorwerke ein, die eine große Zahl an Ausführenden benötigten und viele Bezüge zur klassischen Form sowie dramatische Effekte aufwiesen. Die Vorliebe für das Grandiose steigerte sich immer mehr, da Pierné in seinen beiden letzten vor 1914 aufgeführten Werken (La Croisade des Enfants, Saint François d’Assise) die Orchesterstimmen zum Teil dreifach aufspaltete.286 Ebenso wie seine Werke wurde auch das Dirigat Gabriel Piernés als sehr effektvoll eingestuft. Romain Rolland (1866–1944) verglich seine Berlioz-Interpretationen mit denen des für seine physische Energie gelobten Felix Mottl 283 Auch die verschiedenen Personalthemen stellten musikalische Zusammenhänge her. Schneider, „Die kreative Auseinandersetzung mit dem mittelalterlichen geistlichen und Mysterienspiel“, 2005, S. 308. 284 Ministère de l’Instruction Publique et des Beaux-Arts. Palais-Royal le 20 Mai 1912. RAPPORT à Monsieur le Ministre de l’Instruction publique et des Beaux-Arts. AN, F21 4626, Karton 27  : Concerts Colonne. 285 Vgl. die Tabelle „Chez Colonne“ in  : Bernard, „La mélodie dans les Sociétés de Concert“, 1987, S. 55–56. 286 Vgl. z.B. den Streichersatz von „Les Oiseaux“ in Saint François d’Assise oder von „Le Départ“ in La Croisade des Enfants. Pierné, Franz von Assisi, 1912, S. 130–164  ; Ders., Der Kinderkreuzzug, 1904, S. 13–17 (Ziffern 8–10).

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und strich gleichzeitig Piernés Ähnlichkeit zu Berlioz bei der Interpretation von Beethovens Werken heraus.287 Mit seinem dynamischen Dirigat schien Pierné zu einer Ästhetik gefunden zu haben, welche die Niederlassungsphase der Concerts Colonne im Théâtre du Châtelet am meisten bestimmt hatte – akustisch wie auch dispositionstechnisch. Piernés Dirigat war dabei noch effektvoller als dasjenige Colonnes. Für die Kritiker rechtfertigten sich seine musikalischen Eigenheiten durch die Tatsache, dass er beim Publikum neben seiner exponierten Stelle als Dirigent die Autorität eines Komponisten besaß.288 Ein Merkmal der von Pierné verwendeten musikalischen Effekte war es, die Tempi zu übertreiben und besonders Standardwerke zu schnell zu spielen,289 was von den Kritikern zu Beginn seiner Tätigkeit als Chefdirigent des Orchesters Colonne oft angemahnt wurde.290 Im Vergleich zu Pierné erscheint Colonne als ein hinsichtlich der Tempi ausgeglichener Dirigent, wichen die Längen der Damnation de Faust-Aufführungen im Zeitraum von 1877 bis 1910 doch kaum voneinander ab  ; während seiner langen Karriere hatte Colonne die Damnation auch im Zuge der enthusiastischen Publikumsreaktion und Rezeption nie im Tempo angezogen.291 Bei Pierné hingegen schienen die Zeiten der klassischen Interpretation vorbei zu sein. Die zu schnell genommenen Tempi erinnern stark an die in der Musik des grand spectacle während des Zweiten Kaiserreichs bevorzugten Allegri und Allegretti. Während es scheint, dass in den Concerts Colonne vergleichbare Publikumseffekte wie im popularen Musiktheater erzielt wurden, lag der Grund für diese Schnelligkeit im Dirigat Piernés für die Kritiker an dem Effekt des

287 Romain Rolland, „Les Concerts“, in  : Revue musicale, 1. Dezember 1903, 3. Jahrgang, Nr. 17, S. 677–679. 288 E. D., „Publications nouvelles et exécutions récentes“, in  : Revue musicale, 1. Dezember 1910, 10. Jahrgang, Nr. 23, S. 544. 289 H., „Publications et exécutions récentes“, in  : Revue musicale, 1. Dezember 1908, 8. Jahrgang, Nr. 23, S. 642  ; Ders., „Exécutions et publications nouvelles“, in  : Revue musicale, 1. November 1909, 9. Jahrgang, Nr. 21, S. 487. 290 „Séance originale. – Concerts divers. – Publications“, in  : Revue musicale, 1. Mai 1910, 10. Jahrgang, Nr. 9, S. 236. 291 Vgl. die vom Secrétaire de l’Association Artistique angegebenen Aufführungslängen in den Rapports du Secrétaire du Comité. Rapports du Secrétaire du Comité/Comptes-rendus des Concerts. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/14 – V3S/31.



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Virtuosen.292 1911 kritisierte die musikalische Presse die zu virtuose Komposition von Piernés Poème Symphonique293 und auch der Konzertprogramme im Allgemeinen.294 Obwohl es so scheint, als ob mit der Ära Pierné die musikalische Moderne samt ihrer instrumentalen Klangeffekte Einzug in das Konzertrepertoire des Théâtre du Châtelet gehalten habe, wandten sich auch zeitgenössische französische Komponisten gegen Piernés Stil. Nach der Uraufführung von Jeux am 1. März 1914 beklagte sich Debussy über die mangelnde Homogenität zwischen den verschiedenen Einzelteilen und darüber, dass die Interpretation durchgängig zu laut und einzelne Stellen zu schnell gewesen seien.295 Hier zeigt sich eindrucksvoll der Zwiespalt zwischen Debussys Wahl Piernés als bevorzugtem Dirigenten (vor Camille Chevillard (1859–1923) und den Concerts Lamoureux) und den Aufführungsbedingungen, die das Théâtre du Châtelet und sein Konzertpublikum vorzugeben schienen.296 Momentgebundene Effekthaftigkeit und eine laute Ausführung charakterisierten kurz vor dem Ersten Weltkrieg voll und ganz Piernés musikalische Interpretation im großen Saal des Châtelet. Dabei muss eingeräumt werden, dass Pierné als Komponist Effekte hauptsächlich zur Strukturierung seiner harmonisch freieren Werke benutzte, weshalb es möglich ist, dass er auch Debussys Musik in dieser Art interpretierte und Einzeleffekte stark hervortreten ließ. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich unter der Leitung Piernés die von Colonne eingesetzten Elemente des Klassischen, des Dramatischen und des Virtuosen verdichteten. Dies geschah vor allem anhand der räumlichen Verhält292 Georges Masson verteidigt Pierné in seiner Biographie wie folgt  : „[Es wurde kritisiert, GzN], dass er nicht gerade ein Dirigier-Virtuose sei und sich zudem niemals der Uhr anpasste. Dieser Musiker arbeitete jedoch nach einer Konzeption, derzufolge das Ziel des Konzerts nicht darin bestand, tatenlos von der erlangten Schnelligkeit zu profitieren, sondern die Bewegung im Gegenteil unaufhörlich zu erforschen und zu erschaffen.“ Masson, Gabriel Pierné, 1987, S. 51. 293 L. H., „Exécutions et publications récentes“, in  : Revue musicale, 1. Februar 1911, 11. Jahrgang, Nr. 3, S. 69. 294 R., „Exécutions et publications récentes“, in  : A.a.O., S. 71  ; J. C., „Concerts“, in  : Revue musicale, 15. März 1911, 11. Jahrgang, Nr. 6, S. 134. 295 Brief von Claude Debussy an Gabriel Pierné vom 5. März 1914. in  : Lesure (Hg.), Claude Debussy. Correspondance 1884–1918, 1993, S. 338. 296 Briscoe, „Debussy and Orchestral Performance“, 1999, S. 80.

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nisse des Châtelet, die Pierné bei seinen eigenen Werken für die Verräumlichung der Musik und die große Zahl der Aufführenden zugute kam.297 Mittels dieser Verdichtung verstärkte Pierné einzelne Elemente wie das Großartige, das Virtuose oder das Leichte und Freudige, sodass die Concerts Colonne immer mehr der Ästhetik des grand spectacle zu folgen schienen. Das mag einerseits mit Piernés persönlichen Vorlieben als Künstler zusammenhängen  : Nach 1914 komponierte er Werke, die er dezidiert mit der Ästhetik der Music-Hall in Verbindung brachte wie die Ballette Impressions de music hall (1927) und Images (1935).298 Andererseits zeigt sich eine Affinität zu musikalischen Parametern des grand spectacle des Zweiten Kaiserreichs. Sie trat besonders stark gegen 1914 hervor, als sich die Beziehung der Concerts Colonne zum Ministère des Beaux-Arts weitestgehend institutionalisiert hatte. Im Gegensatz zum Colonne der 1890er Jahre sah der zeitgenössische Komponist Pierné keine Veranlassung, die soziale oder künstlerische Zielsetzung seiner Konzerte im Aufführungsraum Théâtre du Châtelet zu ändern oder sein Publikum zu vergrößern und passte sich vornehmlich dem Saal und seinem Publikum an. 3.2.3 Geometrischer, musikalischer und symbolischer Raum zwischen Orchester und Publikum

Unter dem Einfluss der Popularisierungsanstrengungen zu Beginn der Dritten Republik vollzogen die Concerts Colonne von 1873 bis 1914 dieselbe Entwicklung, die das grand spectacle zum fröhlichen Schlussvaudeville zurücktrug, wobei die Programmgestaltung und ihre musikalischen Charakteristika relativ stabil blieben. Letzteres lag an der Stärke des vorherrschenden Rezeptionsmodells, das von Colonne, seinem Publikum, aber auch vom Saal des Châtelet und seinen Räumlichkeiten entscheidend mitgeprägt wurde. 297 Georges Masson sieht in der Repertoiregestaltung der Concerts Colonne unter Pierné die Fortführung der von Colonne etablierten Maximen. Masson, Gabriel Pierné, 1987, S. 64–65. Der zunehmende Eklektizismus der Concerts Colonne war zeitgleich auch bezeichnend für die Opéra, die sich im Rahmen kulturpolitischer Popularisierungsanstrengungen immer mehr der Öffnung für untere Publikumsschichten zu stellen hatte. Patureau, Le Palais Garnier dans la Société Parisienne, 1991, S. 401. 298 Schneider, „Pierné, Gabriel“, 2005, Sp. 560.



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Schon in der Anfangszeit der Concerts Colonne hatte sein Dirigent eine hohe Geschicklichkeit in der auf das Publikum abgestimmten, sehr eklektischen Programmgestaltung bewiesen. Im Oktober 1879 beschrieb der Ménestrel auch das Publikum der Concerts Colonne als „eklektisch“,299 und knappe zehn Jahre später brachte L’Art musical diese Charakterisierung explizit mit Colonnes Programmgestaltung in Verbindung.300 Das Charakteristikum, ein eklektisches Publikum zu sein, konnte neben der Offenheit für unterschiedliche Werke auch Negatives bedeuten  : 1889 wurde das Publikum der Concerts Colonne mit „gedankenlos und schafsköpfig“ beschrieben. Mit dieser Wortwahl kritisierte Landély des Art musical die Vorliebe des Châtelet-Publikums für sehr melodiöse und ihm schon gut bekannte Stücke, egal welchen Stils sie waren oder welcher Epoche sie entstammten. Er stellte heraus, dass das Publikum aufgrund dieser Rezeptionshaltung nicht eine „Perle“ von einer „Auster“ unterscheiden könne.301 Die Vorliebe für klassische, jedoch effektvolle und heterogen einsetzbare musikalische Parameter schien dabei eng mit der Musik von Hector Berlioz zusammenzuhängen. Im Jahr 1880 beschrieb ein Kritiker der Revue et gazette musicale de Paris das Publikum als „diese ‚wogende und gemischte‘ Menge, die der Werke von Berlioz nie müde wird und die im Abstand von wenigen Minuten einem Meisterwerk und einem Taschenspielerstück mit derselben Wildheit applaudieren kann  !“302 In positiver Hinsicht bewirkte der Eklektizismus des Colonne’schen Publikums eine spontane, ehrliche Rezeptionshaltung gegenüber den unterschiedlichsten Werken. Den Kritikern fiel diese Spontaneität als „musikalisch“, ja sogar „kitzlig“ auf.303 Die Publikumsrezeption hing dabei stark mit der Massenwirkung zusammen, die während der Konzerte im Châtelet entstand. Der Ménestrel bezeichnete die Konzertbesucher des Châtelet 1886 als „demokratisch  ; es [sein Publikum, GzN] zeigt die spontanen Zornausbrüche der Massen, aber 299 H. M., „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 26. Oktober 1879, 45. Jahrgang, Nr. 48, S. 383–384. 300 A. H., „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 15. November 1888, Bd. 27, Nr. 21, S. 163. 301 „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 31. Oktober 1889, Bd. 28, Nr. 20, S. 154. 302 „Concerts et auditions musicales“, in  : Revue et gazette musicale de Paris, 1. Februar 1880, 47. Jahrgang, Nr. 5, S. 37. 303 H., „Exécutions et publications nouvelles“, in  : Revue musicale, 1. November 1909, S. 487.

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auch ihre großherzigen Instinkte“.304 Mit dieser Wortwahl glich der Kritiker das Publikum und seine Rezeption der Concerts Colonne an die zwei Hauptcharakteristika des Châtelet – das Massentheater und den demokratisch-fließenden Aufbau der einzelnen Ränge – an. Zwischen Saal und Orchester stand Colonne gleichsam wie ein Fels in der Brandung. Die musikalische Beziehung zwischen dem Dirigenten und seinem Publikum artikulierte sich vor allem in den ersten Jahren über die Forderung von Zugaben, die Colonne entweder erwiderte oder verweigerte.305 Das Publikum des Châtelet war im Folgenden dafür bekannt, dass es ständig Zugaben forderte. Besonders im Zuge des großen Erfolgs der Damnation de Faust beklagten sich die Kritiker oft über die langen Konzerte, in denen Colonne aufgrund der enthusiastischen Reaktion des Publikums unglaublich viele Stücke da capo spielen ließ.306 Auf diese Weise entwickelte sich Colonnes Autorität zur alles entscheidenen Instanz über die Konzertatmosphäre im Châtelet. Colonne selbst beschrieb seine Rolle als Dirigent damit, eine „kommunikative Flamme“ zwischen den Interpreten und den Zuhörern zu etablieren.307 Den Kritikern zufolge gelang ihm dies sowohl auf räumlicher als auch auf musikalischer Ebene vorzüglich  : Zum einen fanden sie, dass der Orchesterleiter regelrecht dafür gemacht sei, „große Dinge zu tun, wohingegen Herr Chevillard [Concerts Lamoureux, GzN] vielleicht eher bestrebt ist, neue Dinge zu tun“.308 Dieses Talent und die Vorliebe für groß angelegte Werke fanden im großen Saal und auf der großen Bühne des Châtelet ihren perfekten Platz. Colonnes Begabung bezog sich jedoch nicht nur auf die geschlossene musikalische Interpretation durch das große Orchester, sondern war auch der Angelpunkt für eine gute Vorstellung 304 Le Ménestrel, 19. Dezember 1886. Zitiert nach  : Le Colonel Chauvin, „150e anniversaire Édouard Colonne (1838–1910)“, 1988, S. 73–82. Vgl. auch Pasler, Composing the Citizen, 2009, S. 469–470. 305 Henri Cohen, „Concert du Châtelet“, in  : L’Art musical, 9. März 1876, Bd. 15, Nr. 10, S. 78. 306 V. W., „Nouvelles diverses. Concerts et soirées“, in  : Le Ménestrel, 3. November 1878, S. 397– 398. 307 Édouard Colonne, „Les grands chefs d’orchestre. Édouard Colonne“, in  : Comœdia illustré, 15. Februar 1909, 1. Jahrgang, Nr. 4, S. 120. 308 J. C., „Les œuvres récemment exécutées à Paris“, in  : Revue musicale, 1. Februar 1907, 7. Jahr­ gang, Nr. 3, S. 50–51  ; Lemoine, „Les concerts“, in  : Revue musicale, 15. Dezember 1905, S. 617  ; Louis Laloy, „Les Concerts. Concerts Colonne et Chevillard“, in  : La Grande Revue, 10. Dezember 1908, S. 601.



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der Werke gegenüber dem großen Publikum, dem Colonne die aufgeführten Stücke verständlich machen konnte.309 Seine mitreißende Künstlerpersönlichkeit war zudem dafür verantwortlich, dass das ansonsten heterogene Publikum sich zu einer homogenen, eng an die Aufführung gebundenen Zuhörerschaft formierte  : „[…] auch die Menge ist stets bei ihm, und der künstlerische Elan vereint sie zu einer gemeinsamen Schwingung (vibration)“, kommentierte L’Art musical 1891 die Beziehung zwischen dem Dirigenten und seinem Publikum.310 Die „gemeinsame Schwingung“ übertrug sich schließlich auf die Charakterisierung des Publikums, das noch 1908 in der Revue musicale als „vibrierend“ beschrieben wurde.311 Die Werke von Berlioz waren besonders konform mit Colonnes musikalischem Talent als klassisch-romantischem Dirigenten und seinen Vorlieben für Werke mit großer Besetzung. Die Kritiker erklärten den Erfolg der Concerts Colonne zudem mit der starken Affinität des Dirigenten zu Berlioz  ; nur allzu oft stellten sie beide in puncto musikalischem Stil auf eine Stufe.312 Colonne selbst nannte Berlioz als sein Vorbild und setzte die von Berlioz propagierte unbedingte Identifikation mit dem aufzuführenden musikalischen Werk auch bei sich selbst als Ausgangspunkt für eine gute musikalische Interpretation an.313 Für den Berlioz-Spezialisten Adolphe Boschot (1871–1955) lag das Geheimnis der erfolgreichen Ausgrabung der Damnation de Faust Ende des 19. Jahrhunderts in eben dieser Identifikation.314 Beim breiten Publikum war die Ineinssetzung von Colonne und Berlioz dagegen oft visuell motiviert. In Jacques E. Blanches Jugenderinnerungen an Aufführungen der Damnation de Faust im Châtelet, die er 1914 im Gaulois beschrieb, spiegelte Colonne ihm regelmäßig die Silhouette 309 Auguste Morel, „Concours de la Ville de Paris. Le Tasse. Symphonie dramatique de M. Benjamin Godard“, in  : Le Ménestrel, 22. Dezember 1878, 45. Jahrgang, Nr. 4, S. 28. 310 Ch. G., „Revue des concerts“, in  : L’Art musical, 31. Januar 1891, Bd. 30, Nr. 2, S. 12. 311 S., „Publications et exécutions nouvelles“, in  : Revue musicale, 1. November 1908, 8. Jahrgang, Nr. 21, S. 575. Vgl. auch Mauclair, La Religion de la musique et les héros de l’orchestre, 1928, S. 11–15. 312 Morel, „Hector Berlioz. La Damnation de Faust“, in  : Le Ménestrel, 4. März 1877, S. 109. 313 Colonne, „Les grands chefs d’orchestre. Édouard Colonne“, in  : Comœdia illustré, 15. Februar 1909, S. 120–121. 314 Adolphe Boschot, „La Damnation de Faust“, Auszug aus der Revue bleue, 29. März 1927, S. 166. ARS, Fonds Rondel, Ro 2444.

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von Berlioz vor.315 Insofern verkörperte die Person Édouard Colonne das weite Spektrum, das das Erfolgsgeheimnis der Concerts Colonne beim breiten Publikum gewesen war  : Klassisch-romantische Musikalität, Massenwirkung und Visualität des Genres Sinfoniekonzert. Die Berlioz’schen Werke mit großer Besetzung eigneten sich auch geometrisch in besonderer Weise für das Châtelet. Mit ihrer großen Zahl an Mitwirkenden sicherten sie auf der Bühne eine Gegenmasse gegenüber dem zahlreichen Publikum im Saal. Schon mit Berlioz selbst lässt sich der geometrische Aspekt der „Schwingung“ zwischen Orchester und Publikum beschreiben  : In seiner Instrumentationslehre beschrieb der Komponist die beste Aufstellung eines Sinfonieorchesters als „amphitheatrisch“.316 Diese Bezeichnung stellte eine Symmetrie zwischen dem Orchester und den „amphithéâtres“ im Saal her, die der architektonischen Symmetrie zwischen Bühne und Saal im Châtelet angepasst war. Vor dem Hintergrund, dass Colonnes Berlioz-Interpretation stark mit Klangfülle und Massenwirkung verbunden war und sich auf Rezeptionsseite in der „Schwingung“ des Publikums äußerte, lässt sich sagen, dass sie auf demselben Konzept des „Rundtanzes“ zwischen Bühne und Saal beruhte, wie es im grand spectacle der Fall war. Massenwirkung und, damit inbegriffen, Klangfülle fungierten darüber hinaus als Hauptelement der Werbung  : Colonne versäumte selten, in den Ankündigungen wie auch auf den kostenlos verteilten Programmen die Größe des Orchesters zu erwähnen.317 Ein weiterer geometrischer Aspekt ist die Akustik des Saals, die für ein romantisches Konzertrepertoire geradezu geschaffen war. Mit seiner Nachhallzeit von ca. 1,5 Sekunden war das Théâtre du Châtelet einer der nachhallendsten Säle von Paris. Die „romantische Akustik“ des Châtelet war bei den herausragendsten Interpreten und Dirigenten bekannt. 1911 fragte Felix Weingartner den Pariser Impresario Gabriel Astruc (1864–1938), ob man den geplanten Beethoven-Zy315 Jacques E. Blanche, „Berlioz et la Damnation de Faust“, in  : Le Gaulois, 7. März 1914, S. 3. 316 Berlioz, Instrumentationslehre, Teil II, 1955, S. 434f. 317 Vgl. die Konzertankündigungen im Ménestrel und die Angaben auf den Programmzetteln, die der Sekretär in seine Konzertberichte einklebte. Rapports du Secretaire du Comité/Comptes-rendus des Concerts. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/14 – V3S/36. Pasler stellt verstärkte Angaben der Zahl der ausführenden Musiker ab 1900 fest. Pasler, „Concert Programs and their Narratives as Emblems of Ideology”, 1993, S. 290–292.



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klus nicht im Châtelet statt in der Opéra aufführen könne. Er begründete seine Anfrage damit, dass die Akustik des Châtelet weitaus besser sei.318 Sie eignete sich besonders für Monumentalwerke und wurde um 1907 von den Kritikern sogar als ungeeignet für kammermusikalische Werke und Werke alter Musik befunden, die im Châtelet von vornherein akustisch zum Scheitern verurteilt waren.319 Es fällt auf, dass die Kritiker die fehlende Klangfülle oft im Zusammenhang mit der Größe des Saals oder des Publikums sahen. Inkongruenzen zwischen Klangfülle und Massenpublikum wurden als Erklärung herangezogen, wenn Werke durchfielen, wie im Fall von Vincent d’Indys Souvenirs 1907  : „Es ist schließlich keine leichte Angelegenheit, die Seele von 3000 Zuhörern mit sehr zarten und persönlichen Empfindungen zu durchdringen, und das mithilfe einer sehr langen und größtenteils traurigen Komposition, die dazu noch auf einem einzigen, schon von allein wenig hervorstechenden Motiv aufbaut.“320

Das Publikum selbst war während der gesamten Konzertaktivität der Concerts Colonne heterogen und entstammte verschiedenen sozialen Schichten. Auf der einen Seite besuchten ein studentisches Publikum und ein Publikum aus unteren sozialen Schichten die Konzerte.321 1898 identifizierte Hugues Le Roux das Publikum der „unteren Preiskategorien“ als „Studenten, Angestellte, kleine Leute“.322 Diese Zuhörer reagierten besonders enthusiastisch auf die Werke von Franck und Berlioz,323 aber wurden auch als „lärmend“ und „revolutionär“, „fordernd“ und „tyrannisch“, „künstlerisch“ und gar „snobistisch“ beschrieben. Aus den oberen Rängen kamen daher viele lautstarke Proteste gegen Werke, die 318 Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 13. April 1911. AN, Papiers Astruc MI 150/6, Dossier 24  : Felix Weingartner. 319 Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Concerts Colonne. 20 Janvier“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 33. Jahrgang, 1907, Paris, 1908, S. 513  ; Y. D., „Concerts Colonne“, in  : Le Monde musical, 30. Dezember 1907, 9. Jahrgang, Nr. 24, S. 366. 320 Ebd. Vgl. auch Luc Marvy, „Concerts Colonne. C. Saint-Saëns. – Louis Diémer“, in  : Le Monde musical, 30. Oktober 1907, 9. Jahrgang, Nr. 20, S. 305. 321 Laloy, „La Musique. Édouard Colonne“, in  : La Grande Revue, 25. April 1910, S. 839. 322 Hugues Le Roux, „Causerie Théâtrale. Édouard Colonne“, in  : Les Annales politiques et littéraires. Revue populaire paraissant le dimanche, 23. Oktober 1898, 16. Jahrgang, Nr. 800, S. 265. 323 Cœuroy, Historique des Concerts Colonne, 1929, S. 6.

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nicht dem herkömmlichen Repertoire der Concerts Colonne oder den avancierten Vorlieben des Publikums im „paradis“ entsprachen.324 Die enthusiastische Stimmung in den oberen Rängen wurde dabei oft mit der Zirkus-Vergangenheit des Théâtre du Châtelet in Zusammenhang gebracht  : „Berlioz’ Fauxpas, seine Entwürfe und seine Intentionen gefallen mir immer noch  ; vielleicht aufgrund meiner Erinnerungen an das Châtelet um 1880, wo dicke Staubschichten aus den Heizungsschächten zusammen mit dem Geruch der Manege gen Decke stiegen, von wo wir ungeduldig und begeistert mit unseren Füßen stampften.“325

Die bürgerlichen Zuhörer im Parkett und in den unteren Rängen setzten sich von diesem Publikum stark ab. Sie wurden von der Presse als eine „jedes Jahr zahlreichere Elite“ und auch als das „gute Publikum“ mit dem angemessenen Konzertverhalten bezeichnet.326 Die Zweiteilung des Publikums äußerte sich am offensichtlichsten durch den unterschiedlichen Kleidungsstil.327 Zudem war sie durch die räumliche Anlage des Zuschauerraums begründet, die die Amphitheaterränge vom restlichen Saal regelrecht abschnitt. Camille Mauclair zufolge produzierte die Enge der oberen Ränge oft einen Aufschrei des Publikums in den Amphitheaterrängen, die für weitere Kritiker wie ein „‚paradis‘ eines turbulenten Pariser Theaters“ anmuteten.328 In einem Vergleich mit dem Cirque d’Été, wo Charles Lamoureux (1834–1899) anfangs seine Konzerte veranstal324 L. L., „Musique contemporaine“, in  : Revue musicale, Dezember 1901, 1. Jahrgang, Nr. 11–12, S. 470  ; S., „Exécutions et publications récentes“, in  : Revue musicale, 1. Februar 1908, 8. Jahrgang, Nr. 3, S. 81  ; André Lamette, „Concerts Colonne (15 novembre)“, in  : Le Guide musical, 22. November 1908, Nr. 47, S. 754–755  ; S., „Concerts Colonne  : La ‚deuxième Symphonie‘ de M. Gustav Mahler“, in  : Revue musicale, 1. Mai 1910, S. 226. 325 Blanche, „Berlioz et la Damnation de Faust“, in  : Le Gaulois, 7. März 1914. 326 Gabriel Mourey, „Édouard Colonne“, in  : L’Opinion, 2. April 1910, S. 432  ; L. L., „Musique contemporaine“, in  : Revue musicale, Dezember 1901, S. 470  ; J. C., „Réouverture des concerts Colonne. – Œuvres diverses“, in  : Revue musicale, 1. November 1907, S. 493. 327 Mauclair, La Religion de la musique et les héros de l’orchestre, 1928, S. 13–14  ; Bernard, Le Concert symphonique à Paris entre 1861 et 1914, 1976, S. 127. 328 Vgl. auch Stoullig/Noël, „Concerts Colonne. 20 Janvier“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1907, 1908, S. 514  ; S., „Concerts Colonne  : La ‚deuxième Symphonie‘ de M. Gustav Mahler“, in  : Revue musicale, 1. Mai 1910, S. 226.



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tete, strich Mauclair zugleich die Prosperität der kreisförmigen Zirkusarchitektur für eine mitreißende Atmosphäre in populären Sinfoniekonzerten heraus  : „Das ‚amphithéâtre‘ des Châtelet ist damit überhaupt nicht vergleichbar. Hier gibt es keinerlei Licht  : Man setzt sich ohne die Nachlässigkeit dieses verschwundenen Ortes in die stufenförmigen Ränge. Im Cirque d’Été schwommen wir förmlich im freudigen impressionistischen Kolorit  : Hier verschwindet jeder in einer lithographischen Schwärze, in einer stollenartigen Undurchsichtigkeit, wo nur einige Glühbirnen rot leuchten. Und diese Menschentraube hängt in höchster Höhe und wird von Eisenstangen umzingelt, die sie davon abzuhalten scheinen, in den Abgrund zu fallen. Aus dieser anonymen Schwärze erhebt sich manchmal ein Nordwind aus zwieträchtigen Rufen  : Aber dabei handelt es sich nicht mehr um diese freudige Unverfrorenheit des römischen Volkes, das sich in glänzendem Licht und wahrhaftig frei wie vor den Göttern des Zirkus präsentierte, als der Virtuose wie eine Gallionsfigur von ganz hinten aus dem Orchester auftauchte, von allen Punkten des ausgedehnten Kreises sichtbar. Paderewsky, rothaarig wie ein junger Löwe, Pugno und Ysaÿe gefüttert und untersetzt wie zwei Bären, oder irgendeine vollkommen blasse und mit Edelsteinen benetzte Sängerin, gleich einer Christin den brüllenden und zusammengerotteten Monstern des Orchesters ausgeliefert, während sich tausende unserer Daumen nach oben oder unten hoben und über ihre Rettung oder ihren Tod entschieden. Die Gedrängtheit des Châtelet macht eine solche Teilnahme der Menge auf den billigen Plätzen am Drama weniger leicht  : Es gibt einen Bruch zwischen zwei Bereichen, das Theater ist von unten nach oben aufgeteilt, während es die wahrhaft für Konzerte geeignete Musikarena erlaubt, den Sturm horizontal über die reichen oder armen Köpfe fegen zu lassen. Nichtsdestotrotz gehe ich oft dorthin, da man hier auf keinerlei gleichgültige Gesichter trifft und da man hier kluge Sachen hört […]“329

Die Reaktionen des Publikums der oberen Ränge äußerten sich vor allem in der Durchbrechung der Stille, womit die Aufführung von weniger beliebten Werken nicht selten empfindlich gestört wurde. Gepaart mit der snobistischen Haltung des Studentenpublikums provozierten sie oft einen Aufruhr im gesamten Saal.330 329 Mauclair, La Religion de la musique et les héros de l’orchestre, 1928, S. 277–278. 330 „Nouvelles de partout“, in  : Le Journal de musique, 20. Januar 1877, 1. Jahrgang, Nr. 31, S. 4  ; M., „Les concerts“, in  : Revue musicale, 15. November 1905, 5. Jahrgang, Nr. 21, S. 559.

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Es sind zahlreiche Berichte und Anekdoten über Tumulte überliefert, die zwischen den „amphithéâtres“ und dem Parkett entstanden. In der Regel wurden diese durch Machtworte Colonnes beruhigt. Wenn die erwünschte Stille nicht mit Musik erreicht werden konnte, verwies Colonne oft auf das vornehmere Publikum im unteren Teil des Saals.331 Dieses konnte vom Publikum des „paradis“ zwar nur bedingt gesehen, aber immer gehört werden. Die räumliche Zweiteilung provozierte also eine verstärkte Erziehung des breiten Publikums und war zugleich Anlass, das vornehmere Publikum mit einer Modellrolle zu versehen und somit aktiv in die gelungene Durchführung eines Sinfoniekonzerts einzubinden. Auf diese Weise erhielt das Gesehenwerden des gehobenen Publikums im Saal, das für die adligen Besucher der Opéra im 19. Jahrhundert charakteristisch war, im vornehmlich auf die musikalische Darbietung konzentrierten Sinfoniekonzert den bürgerlichen Anstrich einer kulturellen Gebildetheit. Die „Schulung“ durch Colonne und auch die zunehmende Alterung der Konzertbesucher bewirkten, dass das Publikum der Châtelet-Konzerte gegen 1910 viel von seiner revolutionären Einstellung verloren hatte. Auch in Bezug auf die Rezeption der Musik schien es nun als sehr homogen.332 Der Komponist Adolphe Marty (1865–1944) bezeichnete das Publikum der Concerts Colonne 1913 einheitlich als „breites Pariser Publikum“, vor dem er sein neues Werk zu präsentieren gedachte.333 Diese Bezeichnung, die in einer Zeit auftrat, als sich Colonnes Sinfoniekonzerte und ihr Rezeptionsmodell auch gegenüber des 331 Laloy, „La Musique. Édouard Colonne“, in  : La Grande Revue, 25. April 1910, S. 838–839. Der Bericht Laloys stimmt mit einer Notiz des Secrétaire du Chant zum Konzert vom 3. April 1896 überein  : „Vendredi Saint 3 Avril 1896 Suite“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Soli et Chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/17. Vgl. auch Stoullig/Noël, „Concerts Colonne. 20 Janvier“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1907, 1908, S. 511–512. Das Eingreifen des Dirigenten bei lautem und störendem Publikumsverhalten stellt Lawrence W. Levine auch als entscheidend für die Herausbildung einer Konzertkultur in Amerika heraus. Es ist anzunehmen, dass die Rolle des Dirigenten für die Etablierung der sinfonischen Musik in Europa und Nordamerika allgemein wichtig war. Levine, Highbrow/ lowbrow, 1988, S. 189–193. 332 Laloy, „La Musique. Édouard Colonne“, in  : La Grande Revue, 25. April 1910, S. 839  ; Blanche, „Berlioz et la Damnation de Faust“, in  : Le Gaulois, 7. März 1914, S. 3. 333 Brief von Adolphe Marty an den Ministre des Beaux-Arts vom 6. August 1913. AN, F21 4626  : Karton 24  : Concerts Colonne.



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Ministère des Beaux-Arts musikalisch institutionalisiert hatten, entsprach dabei genau den Vorstellungen, die Napoleon III. und sein Seine-Präfekt Haussmann in Bezug auf die Zielgruppe des Châtelet gehegt hatten. Die dauerhafte Bindung zweier Publikumsschichten als auch die Homogenisierung des Publikums anhand des „Rundtanzes“ zwischen dem großen Orchester und den zahlreichen Zuhörern im kreisförmigen Saal lassen sich auch an Colonnes ausgeklügelter Preispolitik ablesen. Diese kann gleichsam als Institutionalisierung der heterogenen Zuhörerschaft mittels der Erziehung des breiten Publikums für das angemessene Verhalten im Sinfoniekonzert gelten. In den ersten Jahren sah Colonne in der Regel hohe Preise für diejenigen Plätze vor, die eine gute Sicht auf die Bühne boten, auf denen man jedoch auch vom übrigen Publikum bestens gesehen werden konnte. Dies ist besonders auf den Plätzen der 1. Reihe des 1. freiliegenden Balkons der Fall. Sie kosteten den Konzertbesucher 12 F, während er für einen Platz in der 2. Reihe lediglich 11 F zahlen musste. Neben diesem visuellen Charakteristikum spiegelt die preisliche Aufteilung auch die Konformität von Gesehenwerden und guter Akustik im Saal des Châtelet wider, denn zweifelsohne war das besser platzierte Publikum auf den teureren Plätzen gegenüber dem der „amphithéâtres“ auch in akustischer Hinsicht im Vorteil. Der Sekretär gab die Akustik als Ursprung des Tumultes vom 13. September 1896 an, als das Publikum der „amphithéâtres“ lautstark gegen den Vortrag von Catulle Mendès protestiert hatte. In seinem Bericht unterteilte der Sekretär die beiden feindlichen Parteien in die Zuschauer des Parterres, der Logen und des Balkons der ersten Etage, die im Gegensatz zum höher platzierten Publikum dem Vortrag ohne Weiteres folgen könnten.334 Dass akustische Bedingungen und gesellschaftliche Schicht im Théâtre du Châtelet kongruent waren, zeigt sich an den Kartenpreisen für das „Tumultkonzert“. Der Eintritt kostete den Zuschauer für den 1. Rang des 1. Balkons 12 F, für einen Platz in einer Loge, einem Baignoire und im übrigen 1. Balkon 11 F und für einen Fauteuil im Parkett 10 F bzw. 8 F. Die Plätze des 2. und 3. „amphithéâtre“ kosteten dagegen lediglich 2,50 bzw. 2 F. Daneben gab es auch billigere Plätze, die im hinteren Parkett (4 F) und vor den Baignoires unter dem Balkon 334 „Vendredi Saint 3 Avril 1896 Suite“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Soli et Chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/17.

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lagen („pourtour“, 5 F). Im Vergleich zu den Kartenpreisen der anderen im Parkett gelegenen Plätze fällt auf, dass sich die beiden billigeren Preiskategorien auf Plätze bezogen, die eine schlechtere Akustik aufwiesen.335 Da diese Plätze für die Zuschauer auf dem Balkon, in den Galerien und „amphithéâtres“ nicht sichtbar waren, beinhaltete der Erwerb eines teureren Platzes zudem eine auf den Karteninhaber selbst bezogene Exponiertheit im Saal.336 Im Laufe der Jahre äußerte sich die Zweiteilung des Publikums in die „amphithéâtres“ und die vornehmen Zuschauer in den unteren Rängen, die von überall gesehen werden konnten, zunehmend in einer großen Kluft zwischen den niedrigen und hohen Preiskategorien. Während sich die einzelnen Preiskategorien des grand spectacle nur um 1–2 F unterschieden, ergab sich bei denen der Concerts Colonne oft eine Differenz von 3 F zwischen den drei „amphi­ théâtres“ (3., 4. und 5. Etage) und den übrigen Plätzen. Nachdem die Pariser Stadtverwaltung den Eintritt für die beiden oberen „amphithéâtres“ auf 2 bzw. 1 F offiziell festgelegt hatte,337 vergrößerte sich die Spaltung zwischen den beiden Publikumsarten immer mehr, da die restlichen Kartenpreise im Zuge der Kommerzialisierung der Konzerte immer weiter angehoben wurden. Da diese Zweiteilung vor allem das vornehme Publikum in Szene setzte, ist es nicht verwunderlich, dass die Concerts Colonne auch zunehmend vom Pariser Adel besucht wurden. Colonne war sich der symbolischen Wirkung der akustischen, visuellen und finanziellen Abgrenzung der Zuhörerschaft in zwei Schichten bewusst. Er nutzte sie fortwährend zur Schulung des breiten Publikums, indem er seine Preispolitik bei bestimmten Konzerten auch im Detail noch einmal verstärkte. Gleichzeitig 335 Im Bericht über die Verbesserung der Akustik des Théâtre du Châtelet von 1988 ist festgehalten, dass der große Vorsprung des ersten Balkons in den Saal eine überaus schlechte Akustik für die darunter liegenden Plätze verursachte. Bei der Renovierung des Châtelet wurde der erste Balkon daraufhin verkleinert und in seiner Decke ein Profil angelegt, das die Resonanz der Klänge unter den Balkon leitet. Théâtre du Châtelet, Rapport sur l’amélioration de l’acoustique au Théâtre du Châtelet en 1988. Siehe Anhang I. 336 So wird das Baignoire im Allgemeinen als akustisch schlechter Platz angesehen (siehe André Antoine, 1890). Zugleich stellt es jedoch eine gesellschaftlich höher gestellte Platzierung dar, da es wie die Loge einen abgeschlossenen Raum bildet. Gourdon, „La participation, mythe ou réalité   ?“, 1970, S. 8–9. 337 Massard, Rapport au nom de la 2e commission sur  : 1° une pétition de l’Association artistique des concerts Colonne  ; 2° une pétition de M. Fontanes, directeur du Châtelet, 1911, S. 4.



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spiegelt sich hier der Fortschritt des niedrigeren Publikums wider, sich in den Konzerten angemessen zu benehmen. In den Jahren 1894 bis 1898, den „Popularisierungsjahren“, wurde bei jedem Konzert wie auch schon in den 1870er Jahren die erste Reihe des freiliegenden 1. Balkons, in der sich für die darüberliegenden Galerien und Amphitheater die exponiertesten Plätze befinden, preislich akzentuiert.338 Diese Akzentuierung wurde Ende der Saison 1896/1897 das erste Mal für ein Programm aufgehoben, das ausschließlich Stücke aus Wagners Ring des Nibelungen enthielt.339 Ab diesem Zeitpunkt praktizierte Colonne die preisliche Zusammenlegung von Logen, Baignoires und des gesamten 1. Balkons bei Konzerten mit besonderen Solisten und berühmten Gastdirigenten wie Felix Mottl.340 Das geschah höchstwahrscheinlich, um gehobene Ausgaben für das Konzert durch eine größere Zahl teurer Eintrittskarten auszugleichen. Mit Beginn der Saison 1898/1899, eines Konzertzyklus zum 25-jährigen Bestehen der Orchestervereinigung, blieb Colonne ganz bei dieser preislichen Aufteilung, bei welcher der 1. Balkon nicht mehr unterteilt wurde. Lediglich in der Saison 1902/1903 verlangten die Concerts Colonne für die Plätze der ersten Reihe des 1. Balkons noch einmal den höchsten Preis. Dabei handelt es sich vor allem um Konzerte mit bildendem Charakter oder mit Aufführungen moderner französischer Werke. Während Colonne im 2. Konzert der Saison die Orchestrierungen Felix Weingartners und Hector Berlioz’ von Carl Maria von Webers Aufforderung zum Tanz direkt nacheinander spielen ließ,341 handelte es sich beim 22. Konzert um die erstmalige Aufführung eines besonders großen Werks von Gabriel Pierné, Nuit de Noël 1870, das der noch weitestgehend unbekannte Komponist selbst dirigierte.342 Ab der Saison 1907/1908 änderte sich 338 Im Vergleich dazu waren es bei der ersten Preisaufstellung 1874 die Logen, die die teuersten Plätze waren. „Procès Verbal de la Séance du 29 Septembre 1874“, in  : Procès verbaux du Comité. Première année 1874. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/3. 339 „Vingt-troisième concert. Vendredi Saint 16 avril 1897“, in  : Concerts Colonne. 23e année. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/19. 340 „Dix-Septième Concert. Dimanche 13 février 1898“, in  : Concerts Colonne. Rapports du Secrétaire du Comité. Année 1897–1898. A.a.O., V3S/20. 341 „Deuxième Concert. Dimanche 26 Octobre 1902“, in  : 31e Année. Comptes-rendus des concerts. Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/25. 342 „Vingt-deuxième Concert. Dimanche 5 Avril 1903“, in  : Ebd.

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das Preisverhältnis noch einmal grundlegend, indem statt der Unterteilung des 1. Balkons nun der 1. Rang und das 1. „amphithéâtre“ in frontal zur und seitlich der Bühne gelegene Plätze aufgeteilt wurde.343 Diese Änderung zeigt den Umschwung von einer auf den Saal bezogenen Preispolitik zu einer visuellen, auf die Bühne konzentrierten preislichen Aufteilung des Saals. Zusammen mit der musikalischen Affinität der Werke Piernés zum grand spectacle und seinen Massenaufteilungen (man denke an das große Orchester und die vielen Chöre, die für Piernés Werke benötigt werden) unterstützt die Erneuerung der Preisaufteilung die These eines durch das homogene Publikum favorisierten Prozesses, in dem sich die musikalische Produktion und Rezeption immer mehr an die räumlichen Verhältnisse des Théâtre du Châtelet banden. Parallel zur Entwicklung der Produktion und Rezeption des grand spectacle zeigt sich auch am Beispiel der Concerts Colonne, dass das im Zweiten Kaiserreich favorisierte Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ im Théâtre du Châtelet fortwährend gesucht und praktiziert wurde. Seine Herausbildung im Sinfoniekonzert beruhte zum einen auf der starken Orientierung am Visuellen und Dramatischen, die für das Pariser Theaterpublikum allgemein attraktiv waren. Zum anderen entwickelte sich das Rezeptionsmodell der Concerts Colonne auch in enger Anlehnung an die räumlichen Strukturen des Châtelet, die besonders in der Anfangsphase und zur teilweisen Einlösung und Verteidigung der gut funktionierenden „Schwingung“ zwischen Orchester und Saal gegen die kulturpolitischen Forderungen der Dritten Republik um 1895 herangezogen wurden. Dass die Concerts Colonne fortwährend mit der Popularisierung der sinfonischen Musik verbunden wurden und diese auch programmatisch beim Ministerium voranstellen konnten, liegt sowohl am institutionellen Ruf des Châtelet als Volkstheater zu Beginn der Dritten Republik als auch an seinen Analogien zur Zirkusarchitektur. Schon die Zeitgenossen bemerkten die große Relevanz eines arenenhaften Aufführungsraums für die Popularisierung der sinfonischen Musik. Im großen Saal des Théâtre du Châtelet schufen Colonne und Pierné ein Rezeptionsmodell, das auf der symmetrischen Gegenüberstellung der zahlreichen Musiker auf der Bühne und dem halbkreisförmigen Saal beruhte und durch ein 343 34e Année. Comptes-rendus des concerts. Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. A.a.O., V3S/30.



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mitreißendes Dirigat animiert wurde. Auf diese Weise konnten sie einerseits das sozial heterogene Publikum zu einer homogenen Zuhörerschaft während der musikalischen Darbietungen vereinen. Andererseits grenzte die architektonische Anlage der „amphithéâtres“ das vornehme Publikum vom Publikum auf den billigeren Plätzen fortwährend ab. Diese Abgrenzung machte die Schulung des breiten Publikums zu einem ausgeprägten Anliegen der Concerts Colonne und sicherte der adligen Zuhörerschaft zudem eine visuelle und akustische Modellrolle während der Konzerte. Als die Schulung des breiten Publikums abgeschlossen schien, trat die geometrische Kreisform besonders stark hervor und wies auf musikalischer Ebene zudem ähnliche Parameter wie die Musik des grand spectacle auf. Es gilt daher festzuhalten, dass der geometrische Raum besonders in Zeiten weniger politischer Einflussnahmen und eines sozial homogenen Publikums hervortrat, sich gegen diese mittels räumlicher Aufführungsmaßnahmen aber auch fortwährend durchsetzte. Der geometrische Raum ist daher für die Herausbildung von musikalischen Rezeptionsmodellen als der prägnanteste zu beurteilen, da er im Frankreich um 1900 auch symbolische und programmgestalterische Veränderungen der musikalischen Produktion und Rezeption mitbestimmte und zur Festigung von Rezeptionsmodellen herangezogen wurde. Auf musikalischer Ebene verhalfen die Pariser Zirkustheater den Werken von Berlioz zu einem posthumen Erfolg nach dem Ende des Zweiten Kaiserreichs. Nach dem Auslaufen der Schaffensperioden von sehr klassisch-romantischen Komponisten wie Saint-Saëns bildete sich im Raum des Châtelet unter Pierné eine sehr motivisch geordnete, effektvolle Kompositionsweise heraus.

4  Die great seasons (1900–1914)

Mit den great seasons etablierte sich ab 1906 ein jährliches Festival der musikalischen und musiktheatralischen Avantgarde, das ein internationales, elegantes Elitepublikum in das Théâtre du Châtelet zog. Schon die Entstehung dieser „grandes saisons“ ist eng mit einer mondänen Zuschauerschaft verbunden, knüpften sie doch unmittelbar an das Pariser Pferderennen „Le Grand Prix de Paris“ und sein internationales, vornehmlich amerkanisches Publikum an, das aus Anlass dieses Sportereignisses jedes Jahr im Mai in die französische Hauptstadt strömte. 1905 versuchte der Erfinder der great seasons, der Pariser Impresario Gabriel Astruc, von diesem Publikum zu profitieren, indem er ein „Festival symphonique“ unter der Leitung von Felix Weingartner direkt im Anschluss an das Pferderennen organisierte. Das Festival, das im Nouveau Théâtre stattfand, hatte einen so großen Erfolg, dass Astruc von da an jährlich eine „grande saison de Paris“ mit namhaften Interpreten und sensationellen Programmen ausrichtete. Diese Saisons bildeten bald nicht mehr nur das künstlerische Pendant zum sportlichen Großereignis des Pferderennens, sondern etablierten sich als renommiertes Festival mit expliziten Anleihen bei den Bayreuther und Münchner Festspielen sowie bei den „London seasons“. Aufgrund ihrer internationalen Wirkungskraft, die sich zum Beispiel in der finanziellen Beteiligung amerikanischer Mäzene zeigte, wurden die „grandes saisons de Paris“ bald als „great seasons“ bezeichnet, wobei der englische Aus Astruc selbst beschrieb sein Publikum als elitär, international und luxuriös. Brief von Gabriel Astruc an Louis Helbronner vom 19. Oktober 1909. AN, Fonds Astruc, 409 AP/4  : Assurances. Édouard Noël und Edmond Stoullig nennen das Derby de Chantilly, das Grand-Steeple d’Auteuil und den Grand Prix de Paris als Attraktionen, anlässlich derer sich die „gesellschaftliche Elite“ im Frühling in Paris traf. Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Saison d’Opéra Italien“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 36. Jahrgang, 1910, Paris, 1911, S. 368.  „Was für eine arme Provinzmaus bin ich doch  ! Wie konnte ich nur denken, die große Woche begänne mit dem Derby  ! Was für ein Irrtum  ! Wie es scheint, besteht das Signal für die Pariser Saison heutzutage im Einmarsch ausländischer Ensembles.“ Janine (Fernand Vanderem), „Remarques d’une débutante  : la corbeille“, in  : Fémina, 15. Juni 1910, Nr. 226, S. 332.  Louis Schneider, „La Saison Russe de 1909 au Théâtre du Châtelet“, in  : Le Théâtre, Mai (I) 1909, Nr. 249, S. 4.



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druck nicht selten für die überzogene Mondänität der musikalischen Galaveranstaltungen stand. Von 1906 an fanden die great seasons hauptsächlich im Théâtre du Châtelet, in der Opéra und im 1913 von Astruc eröffneten Théâtre des Champs-Elysées statt. Das eigentliche Volkstheater und der neu gebaute Spielort verdeutlichen, dass sich die vornehmen great seasons weniger durch den Ruf gehobener Musikinstitutionen denn durch eine eigene produktionstechnische Qualität profilierten, um sich dauerhaft zu etablieren. Einen ersten Kulminationspunkt bildete die „Saison russe“ 1909, die unter der gemeinsamen Leitung von Astruc (für die Organisation) und Sergej Djaghilev (1872–1929, für die künstlerische Leitung) im Châtelet abgehalten wurde und von dort aus auf die Musik- und Tanzwelt ganz Europas und schließlich auch Amerikas ausstrahlte. Unter Astrucs sehr am Publikum orientierter Führung konnte die „Saison russe“ dabei von Erfahrungen profitieren, die der Impresario bei der 1907 ebenfalls im Châtelet durchgeführten französischen Erstaufführung der Oper Salome von Richard Strauss (1864–1949) und bei mehreren sinfonischen Festivals im Châtelet gemacht hatte. Das folgende Kapitel zeichnet die Herausbildung des avantgardistischen Rezeptionsmodells der great seasons jenseits renommierter Musikinstitutionen und die Einflüsse des Theaterraums des Châtelet anhand eben dieser beiden Schritte nach.

4.1 Das Châtelet als mondäner Aufführungsort 4.1.1 Die „Festivals symphoniques“ als Wegbereiter der great seasons zwischen Châtelet und Opéra

Über den „Grand Prix de Paris“ hinaus ist die Entstehung der mondänen great seasons eng mit der sinfonischen Musik im Paris um 1900 und der Erweiterung ihres Interpretenkreises auf international renommierte Solisten verbunden. Hierbei war die 1890 von der Comtesse Élisabeth Greffulhe (1860–1952) gegründete Société des Grandes Auditions Musicales de France (S.G.A.M.) eine  A. Tenroc, „Les ‚great season‘ parisiennes“, in  : Le Courrier musical, 1. Juli 1912, 15. Jahrgang, Nr. 13, S. 395–397.

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treibende Kraft. Als Gesellschaft mit zahlreichen adligen zahlenden „Ehrenmitgliedern“ wie Henry Deutsch de la Meurthe (1848–1919) und Baron A. de Rothschild organisierte die S.G.A.M. unzählige Aufführungen besonders außergewöhnlicher oder moderner Werke wie Les Troyens à Carthage von Berlioz in der Opéra-Comique im Jahr 1892. 1899 änderte die Société ihre finanzielle Strategie, indem sie für die einzelnen Aufführungen nun punktuelle Garantiekomitees („comités de garantie“) aus immer wieder neuen Mäzenen zusammenstellte. Auf diese Weise veranstaltete sie 1899 die Aufführung von Tristan und Isolde im Nouveau Théâtre, der Götterdämmerung unter der Leitung von Hans Richter und Felix Mottl 1902 im Théâtre du Château-d’Eau und 1903, wiederum im Nouveau Théâtre, ein „Festival Beethoven“ mit dem französischen Dirigenten Alfred Cortot (1877–1962). Die mäzenatischen Tätigkeiten der S.G.A.M. im Pariser Musikleben waren nicht nur für die Direktoren der Opéra interessant, die die Société schon kurz nach ihrer Gründung fest an den Opernbetrieb binden wollten. Ab 1904 klinkte sich auch der Pariser Musikjournalist und Teilhaber des Musikverlags Enoch et Cie, Gabriel Astruc, gezielt in die Aktivitäten der S.G.A.M. ein. Indem er sich für einzelne Veranstaltungen der S.G.A.M. um organisatorische und praktische Anliegen wie Miete des Theaters und Werbung kümmerte, konnte Astruc hier wertvolle Kontakte für sein eigenes Verlagshaus Astruc et Cie und ein Jahr darauf auch für seine 1905 gegründete Konzertagentur Société Musicale knüpfen. Im Folgenden profitierten die S.G.A.M. und Astrucs Agentur gegenseitig voneinander. Während Astruc im Jahr 1905 seine Kontakte zum italienischen Musikverlag Sonzogno nutzte, um die Erlaubnis für die Aufführung seiner Opern innerhalb der „Saison italienne“ der S.G.A.M. im Théâtre Sarah-Bernhardt (ehemals Théâtre Lyrique) mit dem Tenor Enrico Caruso (1873–1921) einzuholen, gelangte der Impresario im Jahr 1904 über die Kontakte der Société zu Chevillard zur Organisation einer Deutschland-Tournee des Orchestre Lamoureux.    

Chimènes, Mécènes et musiciens, 2004, S. 559–566. A.a.O., S. 576. A.a.O., S. 595. Brief von Gabriel Astruc an Charles Joly vom 3. September 1904. AN, Fonds Astruc, 409 AP/32  ; Brief von Le Journal an Gabriel Astruc vom 5. Juni 1905. A.a.O., 409 AP/31.



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Bei dieser Zusammenarbeit erstaunt es nicht, dass Astruc vornehmlich Kontakte im Bereich des Konzertbetriebs hatte. Von hier aus versuchte er, den Interpretenkreis seiner Agentur immer weiter auf den europäischen Raum auszuweiten. Ab 1905 vertrat Astruc auch Colonne offiziell als sein Agent. Schon davor schlug er ihm regelmäßig international renommierte Interpreten wie Mischa Elman (1891–1967) und Ernest van Dyck (1861–1923) für seine Konzerte vor und besorgte ihm auch selbst Engagements auf internationalem Niveau wie bei Hans Richters London Symphony Orchestra im Jahr 1904, wo Colonne zur Zeit der Entente Cordiale ein Konzert dirigierte.10 Im Anschluss an dieses Gastdirigat engagierte sich Astruc sofort für den Gegenbesuch des britischen Orchesters im Rahmen eines „Festival Anglais“ in Paris Anfang Januar 1906. In Zusammenarbeit mit der Londoner Concert Agency L. G. Sharpe wurde auch dieses Festival ganz auf den politischen Zusammenhang der Entente Cordiale abgestimmt. Astruc und Sharpe strebten eine französisch-englische Schirmherrschaft durch den französischen Präsidenten Émile Loubet (1838–1929) und den englischen König an.11 Auf künstlerischer Seite sollte der anglophile und schon seit 1901 in London tätige Dirigent André Messager (1853–1929) für die Freundschaft der beiden Länder stehen. Über diese symbolisch-politische Außenwirkung des Konzertfestivals hinaus entschieden sich die Organisatoren außerdem für die lokale Erfolgsgarantie Édouard Colonne, der einige Werke von Berlioz dirigieren sollte.12 Für den englischen Teil des Konzertprogramms sorgte Sir Charles Villiers Stanford (1852–1924) mit dem 300-köpfigen Chor   Nach Astrucs Erzählungen in seiner Autobiographie waren es seine ersten Künstler Wanda Landowska (1879–1959) und Artur Rubinstein (1887–1982), die seine Société Musicale in Frankreich und im Ausland bekannt machten. In Paris patronierte die Comtesse Greffulhe die Konzerte der beiden Solisten. Astruc, Le Pavillon des Fantômes, 1929, S. 265–266. Eine Liste der von Astruc vertretenen Musiker auf dem Stand Juni 1905 findet sich in  : AN, Fonds Astruc, 409 AP/1, Dossier 3. 10 Telegramm von Gabriel Astruc an Édouard Colonne vom 23. Oktober 1905/Telegramm von Gabriel Astruc an Édouard Colonne vom 22. November 1905. A.a.O., 409 AP/2. Vgl. auch Pasler, „Concert Programs and their Narratives as Emblems of Ideology”, 1993, S. 285–289. 11 Henri de Curzon, „Concerts du London Symphony Orchestra et de la Chorale de Leeds“, in  : Le Guide musical. Revue internationale de la Musique et des Théâtres, 21. Januar 1906, Bd. 52, Nr. 3, S. 46. 12 Telegramm von Gabriel Astruc an L. G. Sharpe vom 5. Dezember 1905. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2.

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der Stadt Leeds. Er dirigierte beim Festival Werke von Hubert Parry (1848– 1918), Arthur Sullivan (1842–1900) und Alexander Mackenzie (1847–1935), während die französischen Dirigenten neben Berlioz noch Werke von Saint­Saëns, Strauss und Wagner leiteten.13 Die politische Symbolik und ihre Anreicherung mit den Pariser Erfolgselementen Berlioz, Colonne, großem Orchester und international renommierten Interpreten standen bei der Organisation dermaßen im Vordergrund, dass der Aufführungsort vornehmlich nach finanziellen Gesichtspunkten ausgesucht wurde. Drei Monate vor dem Konzert fiel die Wahl auf das Théâtre du Châtelet, das sich aufgrund seiner großen Kapazität und seiner vergleichsweise billigen Miete anbot, obwohl sich Sharpe in der angesehenen Opéra einen größeren finanziellen Erfolg versprach.14 Der einzige Nachteil war, dass sein Direktor Fontanes Astruc das Théâtre du Châtelet lediglich für Matineen und nicht während der Abendvorstellungen zur Verfügung stellte, obwohl er sein Theater gerne an fremde Ensembles vermietete.15 Das „Festival Anglais“ war in der Tat nicht die erste Organisation eines punktuellen, prunkvoll angekündigten Konzerts im Châtelet. Bei der Weltausstellung im Jahr 1900 hatte es schon den Wiener Philharmonikern unter Gustav Mahler (1860–1911) für ihre ersten Konzertveranstaltungen außerhalb Österreichs gedient. Diese Konzertreise war durch das Engagement der Fürstin Pauline von Metternich-Sándor (1836–1921) zustandegekommen, der Frau des ehemaligen Pariser Botschafters Fürst Richard Klemens von Metternich (1829–1895), die sich während seiner Pariser Amtszeit bis 1871 stark als Salonière im Musikleben der französischen Hauptstadt engagiert hatte. Um das Gastspiel der Wiener Philharmoniker in Paris finanziell möglich zu machen, gründete Pauline von Metternich-Sándor extra ein Garantiekomitee aus Angehörigen der Wiener Oberschicht.16 Im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Aspekten, die die 13 „Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 7. Januar 1906, 72. Jahrgang, Nr. 1, S. 6. 14 So argumentierte Sharpe bei Verhandlungen mit Astruc für ein zweites Gastspiel des London Symphony Orchestras. Brief von L. G. Sharpe an Gabriel Astruc vom 20. Dezember 1906. AN, Fonds Astruc, 409 AP/15. 15 Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 14. September 1905. A.a.O., 409 AP/7  ; Telegramm von Gabriel Astruc an L. G. Sharpe vom 4. Oktober 1905. A.a.O., 409 AP/2. 16 De la Grange, Gustav Mahler, Bd. 2, 1995, S. 255 und S. 266–267.



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Fürstin verfolgt haben mag, sahen die Wiener Philharmoniker die Reise in die französische Hauptstadt vornehmlich als patriotisches Unternehmen.17 Auch sie nahmen die Vorbereitungen mit großem Elan auf. Im Vorfeld der Pariser Konzerte wandte sich Mahler an den Wiener Musikwissenschaftler Guido Adler (1855–1941), um eine Einschätzung über den potentiellen Erfolg seines Orchesters in Paris einzuholen. Adler verwies ihn sofort an seinen Freund Romain Rolland, der Mahler einen großen Erfolg voraussagte, da das Pariser Publikum sehr interessiert an Dirigenten aus dem deutschsprachigen Raum sei. Gleichzeitig warnte Rolland Mahler vor der schlechten Akustik des Trocadéro, wo die offiziellen Konzerte der Weltausstellung stattfanden. Stattdessen schlug er ihm das auch schon von der S.G.A.M. gut erprobte Nouveau Théâtre vor, unter dem Vorbehalt, dass dies dennoch zu klein für das potentielle Publikumsaufkommen sein könne.18 Im Folgenden organisierten die Wiener Philharmoniker jeweils ein Sinfonie- und ein Chorkonzert mit dem Wiener Männergesangverein im Trocadéro und im Théâtre du Châtelet.19 Die Kritiken der Konzerte im Theater an der Place du Châtelet vom 18. und 19. Juni 1900 hoben tatsächlich zuerst die weitaus bessere Akustik dieses Saals im Vergleich zum Trocadéro heraus. Hier ließ sich viel besser eine Meinung über das Zusammenspiel des Orchesters und das Dirigat Mahlers bilden.20 Während das Orchester für seine Disziplin und seinen Zusammenklang gelobt wurde, charakterisierte die Presse Mahlers Dirigat als zu rational und nuancenreich. Ihm fehlten die großen Bögen und die mitreißende, weniger kalte Interpretation der Werke, wie sie Colonne in seinen Konzerten praktizierte. Orchester und Chor der Wiener Philharmoniker wurden darüber hinaus oft mit ihren französischen Pendants verglichen.21 17 Hellsberg, Demokratie der Könige, 1992, S. 305. 18 Brief von Romain Rolland an Guido Adler, zitiert nach  : De la Grange, Gustav Mahler, 1995, S. 255–256. 19 Vgl. Picard, Rapport Général administratif technique. Exposition universelle internationale de 1900 à Paris, Bd. 6, 1903, S. 146. Die beiden Konzerte im Théâtre du Châtelet fanden am 18. und 19. Juni 1900 jeweils um 14.30 Uhr statt. 20 O. Bn., „La musique viennoise à l’exposition“, in  : Le Ménestrel, 24. Juni 1900, 66. Jahrgang, Nr. 25, S. 197. Vgl. auch De la Grange, Gustav Mahler, 1995, S. 259. 21 Willy, „L’Ouvreuse“, in  : Comœdia, und Artikel von Pierre Lalo zitiert nach  : A.a.O., S. 258– 261.

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Der Saal des Châtelet erwies sich letztendlich entgegen Rollands Einschätzung als zu groß. Beim ersten Konzert füllte sich das Theater nur halb, denn Pauline Metternich-Sándor hatte neben den in Paris ansässigen Österreichern (Mandl, Berger, Back, Brandeis) lediglich einige wenige Vertreter der Pariser Oberschicht (De Pourtalès, Ephrussi) mobilisieren können. Die dürftige Werbung – eine einzige Anzeige im Figaro – war in der Veranstaltungsdichte der Weltausstellung untergegangen.22 Dennoch hörten einige wichtige Vertreter des Pariser Musiklebens wie Camille Saint-Saëns, Catulle Mendès (1841–1909), Alfred Bruneau und Victor Maurel (1848–1923) das erste Konzert, in dem Mahler Beethovens 5. Sinfonie, das Vorspiel von Wagners Die Meistersinger und die Ouvertüren von Oberon und Leonore aufführte.23 Trotz der geringen Teilnahme erfüllten die Konzerte die gesellschaftlichen Funktionen einer Elite-Veranstaltung. Die Bankette und Empfänge sowie die Ehre, die Wiener Philharmoniker in Paris begrüßen zu können, spielten eine weitaus größere Rolle als die musikalischen Aufführungen selbst, berichtete Mahler in einem Brief an seine Freunde.24 Das Missverhältnis zwischen der mondänen Veranstaltung und ihrem geringen Besuch führte darüber hinaus am Ende zu gravierenden finanziellen Problemen. Diese wurden noch verstärkt, da sich die Fürstin Metternicht-Sándor weigerte, beim Wiener Bankier Baron Albert de Rothschild (1879–1940) vorzusprechen. Sie wollte ihn über die finanzielle Unterstützung hinaus, die er ihren Veranstaltungen jährlich zukommen ließ, nicht belästigen.25 Das mäzenatische Engagement des Adels über nationale Grenzen hinweg durfte in der Zeit um 1900 keinesfalls die regelmäßigen künstlerischen Veranstaltungen auf lokaler Ebene samt ihrer gesellschaftlichen Funktion gefährden. Wie das „Festival Anglais“ mit seiner politischen Ausrichtung zeigt, wurde das vorhandene Engagement der Pariser Adelsschicht und der ausländischen Orchester unter Astruc gleichzeitig gefördert und auf eine erfolgsversprechende Basis gestellt. Da der Pariser Impresario in seinen Veranstaltungen die gängigen Pariser Erfolgselemente gezielt verdichtete, sprach seine Organisation für eine fi22 Hellsberg, Demokratie der Könige, 1992, S. 308. 23 De la Grange, Gustav Mahler, 1995, S. 258. 24 Brief von Gustav Mahler an Nanna Spiegler vom 20. Juni 1900, zitiert nach  : A.a.O., S. 262– 263. 25 A.a.O., S. 263–264.



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nanzielle Prosperität ohne Risiko. Diese Strategie führte beim „Festival Anglais“ zu einem vollen Erfolg, auch wenn die Rezeption der musikalischen Interpretation derjenigen der Wiener Philharmoniker sehr ähnlich war  : Wie schon bei Mahler wurde das London Symphony Orchestra unter Stanford für sein gutes Zusammenspiel, seine Präzision und seine Musikalität gelobt.26 Das Dirigat des Engländers wirkte auf die Pariser Kritiker allerdings wenig mitreißend, da es ihm an Vibrato mangele.27 Im Gegensatz hierzu wurden Astrucs Innovationen wie die Aufführung zeitgenössischer englischer Werke und die Inszenierung der politischen Symbolik zu Beginn und am Ende des Konzerts sehr positiv aufgenommen, wie es Amédée Boutarel vom Ménestrel berichtet  : „Am Ende des Konzerts ließ Herr Ch. Stanford die Orchester- und Sängermassen das God save the King und danach die Marseillaise ausführen, die nicht auf dem Programm standen. Nach den beiden Nationalgesängen brach ein großartiger Applaus aus, der sich noch verdoppelte, als Miss Perceval Allen einen riesigen Palmenzweig in Empfang nahm, den man ihr auf die Bühne gebracht hatte, und ihn über ihren Kopf hielt, um ihn allen Anwesenden zu zeigen. In diesem Moment tendierten alle dazu, in den beiden Pariser Konzerten der ausländischen Musiker etwas anderes als ein reines Musikfest zu sehen.“28

Die Inszenierung der französisch-englischen Völkerfreundschaft mit einem hochgehaltenen Palmenzweig erinnert stark an die „Apotheosen“ des grand spectacle während des Zweiten Kaiserreichs, in denen sich oftmals alle Völker zu einem „allumfassenden Bündnis“ zusammenschlossen. Es scheint, als ob die politische Wirkung der beiden Nationalhymnen, die zu Beginn des Konzerts lediglich eine „relative Wirkung“ gezeigt hatten,29 beim Pariser Publikum erst mittels dieser Inszenierung zum Tragen kam. Gleichzeitig zur Palmen haltenden Sängerin fielen die farblich voneinander abgesetzten Stimmgruppen des großen 26 A. C., „The London Symphony Orchestra“, in  : Revue musicale, 15. Januar 1906, Nr. 2, 6. Jahrgang, S. 52–53  ; De Curzon, „Concerts du London Symphony Orchestra et de la chorale de Leeds“, in  : Le Guide musical, 21. Januar 1906, S. 46–47. 27 Amédée Boutarel, „Revue des Grands Concerts“, in  : Le Ménestrel, 14. Januar 1906, 72. Jahrgang, Nr. 2, S. 13. 28 Ders., „Revue des Grands Concerts“, in  : Le Ménestrel, 21. Januar 1906, 72. Jahrgang, Nr. 3, S. 21. 29 Ders., „Revue des Grands Concerts“, in  : Le Ménestrel, 14. Januar 1906, S. 13.

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Chors positiv auf, mit denen der Halbkreis der Ausführenden auf der Bühne in Szene gesetzt worden war.30 Somit hatte Astruc aus dem politischen Anlass des Konzerts heraus sowohl Symbolik und Bühnenbild des Zweiten Kaiserreichs als auch die geometrische Rundform der Orchesteraufstellung erfolgreich reaktiviert. In Analogie zum Nutzen ähnlicher visueller Effekte in den Concerts Colonne lässt sich vermuten, dass es Astruc dabei weitaus weniger um die politische Botschaft als um die Herstellung einer „Schwingung“ zwischen Orchester und Publikum ging. Festzuhalten ist, dass eine politische Inszenierung im Paris um 1900 ähnliche Formen musikalischer Produktion wie für das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ hervorriefen, das sich im Châtelet besonders gut realisieren ließ. Im Zusammenhang mit einer politischen Botschaft eignete es sich hervorragend, um die mondänen Musikveranstaltungen der Pariser Oberschicht in ihrer Rezeption zu perfektionieren und finanziell zum Erfolg zu führen. Für das folgende Festival, das Astruc im April 1906 im Théâtre du Châtelet organisierte, trieb der Impresario die eklektische Zusammenstellung von Erfolgselementen des Pariser Musiklebens noch einmal entscheidend voran. Nachdem Weingartner mit seinem „Festival Beethoven“ 1905 im Nouveau Théâtre einen großen Erfolg gefeiert hatte, begann Astruc sofort mit den Planungen für ein weiteres Festival im weitaus größeren Théâtre du Châtelet, das dem Publikumsandrang besser gewachsen sein würde und das auch der Presse ungleich repräsentativer erschien.31 Schon das erste Festival im Nouveau Théâtre hatte sich durch die Berühmtheit des Dirigenten, seine Anerkennung als der Beethoven-Spezialist, das sensationelle Programm mit allen neun Beethoven-Sinfonien und die große Zahl an ausführenden Musikern mit dem 200-köpfigen Chor der Concerts Colonne ausgezeichnet.32 All dies hing zwar eng mit Colonnes Er30 Ders., „Revue des Grands Concerts“, in  : Le Ménestrel, 21. Januar 1906, S. 21. 31 Henri de Curzon, „Le Festival Beethoven-Berlioz“, in  : Le Guide musical, 15. April 1906, Bd. 52, Nr. 15, S. 290. 32 Astruc erinnert sich an das erste „Festival Beethoven“ wie folgt  : „Und jetzt komme ich zu Felix Weingartner  ! Felix-qui-potuit, wie wir dich nannten. Potuit, Verb, das sich in unseren Gedanken in uneingeschränktem Maße einnistete und für die Macht an sich stand, die Allmacht  ! Felix Weingartner, den ich seit der Gründung der Société Musicale nach Paris eingeladen hatte, um im Nouveau-Théâtre die neun Sinfonien von Beethoven zu geben. Alle neune, alle hintereinander, ungeachtet der Verblüffung, die die Ankündigung eines solchen Festivals unter den Pingiunen hervorruft  !“ Astruc, Le Pavillon des Fantômes, 1929, S. 300.



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folgsrezept zusammen  ; im Vergleich zum Sinfonieorchester für das breite Pariser Publikum strahlte das „Festival Beethoven“ 1905 mit seinem „Banquet Weingartner“ jedoch einen ausschließlich gehobenen Anstrich aus. Mit dem Einzug des Festivals in das Théâtre du Châtelet kümmerten sich Astruc und Weingartner vor allem um eine sensationelle Zahl von ausführenden Musikern und um die Programmgestaltung mit groß angelegten Werken. Gleich zu Beginn der Planungen nahm Weingartner die Größe des Châtelet zum Anlass, Astruc die Missa Solemnis unter Mitwirkung eines 300-köpfigen Amsterdamer Chors unter der Leitung von A. van den Broecke vorzuschlagen.33 Astruc reagierte mit der Anregung, gleich das renommierte Concertgebouw-Orchester aus Amsterdam einzuladen, aber Weingartner zog das ihm schon bekannte Orchestre Lamoureux vor.34 Als der Dirigent jedoch für die Erweiterung der Komponistenauswahl auf Gluck, Haydn, Bach, Mozart, Weber, Schubert, Berlioz und Brahms für ein „Festival Musical“ plädierte,35 setzte Astruc die ausschließliche Konzentration auf Beethoven und Berlioz durch. Ein solches Programm brachte den Mitherausgeber der deutschen Berlioz-Gesamtausgabe Weingartner zwar in Verlegenheit, das Ehrgefühl Colonnes zu verletzen, versprach dafür jedoch eine risikofreie Konzertserie mit großem Anklang beim Pariser Publikum, da sie die zwei wohl beliebtesten Komponisten in einem einzigen Festival bündelte. Im Folgenden einigte man sich auf ein „Festival Beethoven-Berlioz“ und die Aufführung des Requiems von Berlioz, also eines Werks, das bekannt für die Verräumlichung der Musik war.36 All diese Ingredienzien der vergrößerten Neuauflage des „Festival Beethoven“ vom Vorjahr waren für Astruc eine so sichere Erfolgsgarantie, dass er Weingartners Einwände, das nur wenige Monate zuvor abgehaltene „Festival Anglais“ mit seinem ebenfalls großen Chor-, Orchester- und Interpretenaufgebot könne eine bedeutende Konkurrenz zu seinem Amsterdamer Chor darstellen, mit der einfachen Information „Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Chöre aus Leeds – statt 400 Sängern kommen nur 250“ beruhigte.37 33 Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 7. Juni 1905. AN, Papiers Astruc, 150 MI/6, Dossier 24. 34 Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 7. Oktober 1905. Ebd. 35 Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 9. Oktober 1905. Ebd. 36 Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 10. November 1905. Ebd. 37 Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 15. November 1905. A.a.O., 150 MI/6, Dos-

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Gegen Ende der nun ganz auf das Châtelet und seine Kapazitäten ausgelegten Planungen führte Astruc auch noch einmal die Wahl des Aufführungsortes zur Perfektion. Indem er für die beiden Chorkonzerte die institutionell weitaus renommiertere Opéra anmietete, erhielt das ohnehin sensationelle „Festival Beethoven-Berlioz“ auch für Weingartner ein so starkes musikalisches und gesellschaftliches Gewicht, dass sich der Dirigent sofort für eine noch größere Perfektion in der musikalischen Ausführung engagierte.38 Die Orchesterkonzerte des Festivals konnten hingegen von der guten Akustik des Châtelet und auch von einer komplikationslosen Zusammenarbeit mit seinem Direktor Fontanes profitieren. Im Gegensatz zum „Festival Anglais“ bot der Direktor des Châtelet sein Theater nun auch für Orchesterproben und sogar eine Abendvorstellung an und machte es dadurch auch administrativ zum neutralen Behälter für groß angelegte Aufführungen, als der die Architektur des Theaters schon kurz nach seiner Eröffnung eingestuft worden war.39 Grandiose Musikveranstaltungen waren dabei in Paris auch an anderen Orten an der Tagesordnung  : Um das Engagement des großen Amsterdamer Chors vollständig auszunutzen, integrierte ihn Astruc in ein Benefiz-Konzert im Trocadéro für das am 10. März 1906 geschehene Grubenunglück in Courrières. Das Konzert, das als „künstlerische Feierlichkeit“ und mit „sensationellen Attraktionen“ wie seine 1500 Ausführenden angekündigt worden war, wurde von Pierné geleitet und hatte seine Croisade des Enfants auf dem Programm.40 Im Gegensatz zu den vorangegangenen Konzerten unter Mahler und Stanford wurde das „Festival Beethoven-Berlioz“ im Châtelet auch musikalisch ein voller Erfolg. Die Presse verglich Weingartners Dirigat mit demjenigen, das in den Concerts du Conservatoire praktiziert wurde und jahrelang die französische Beethoven-Rezeption geprägt hatte. Auch stellte Weingartner zur vollen Zufriedenheit der Kritiker die „mitschwingende“ Kommunikation zwischen Orchessier 24  ; Telegramm von Gabriel Astruc an Felix Weingartner vom 16. November 1905. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2, Dossier 3. 38 Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 18. März 1906. AN, Papiers Astruc, 150 MI/6, Dossier 24. 39 Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 17. Februar 1906/Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 21. April 1906/Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 28. März 1906. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7, Dossier 2. 40 „Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 1. April 1906, 72. Jahrgang, Nr. 13, S. 103.



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ter und dem Publikum her.41 Gleichzeitig hob sich der österreichische Dirigent jedoch vom französischen Rezeptionsmodell ab, indem er ein neues Element einbrachte  : das einer großen künstlerischen Persönlichkeit. Weingartner schien die Musik nicht nur zu leiten, sondern regelrecht zu erschaffen – und das mit einer großen Schlichtheit. Auf diese Weise übertraf der deutsche Beethovenund Berlioz-Spezialist die französischen Erwartungen einer gewissen klassischen Werktreue, die sich in der Gleichsetzung von Colonne mit Berlioz niederschlug, und einer musikalischen Kommunikation zwischen Saal und Orchester als individueller Künstler.42 Auch Astruc überzeugte das Publikum erneut durch eine künstlerische Innovation  : In den beiden Chorkonzerten der Opéra perfektionierte er ein zweites Mal die Gestaltung des Orchesters, indem er es für das Requiem auf verschiedenen Estraden und vor ein opernartiges Bühnenbild platzierte. Die bewundernde Beschreibung dieser inszenatorischen Maßnahme verrät den durchschlagenden Erfolg dieser neuartigen Choreographie und ihres visuellen Effekts auf das Publikum.43 Mit dem „Festival Beethoven-Berlioz“ hatte Astrucs eklektische, auf die sensationelle Zusammenstellung beliebter und erprobter Merkmale des Pariser Konzertlebens ausgelegte Strategie wiederholt Anklang gefunden.44 Dieser Erfolg scheint für den Impresario den definitiven Ausschlag dafür gegeben zu haben, das Pariser Musikleben nun regelmäßig mit grandiosen Musikveranstaltungen anzureichern. Dabei ging es Astruc weiterhin vor allem um die sensationelle, auf die Pariser Musikrezeption abgestimmte Qualität seiner musikalischen Produktionen und nicht um ihre Institutionalisierung in einer gehobenen Pariser Musikinstitution  : Gleich nach dem „Festival Beethoven-Berlioz“ fragte Astruc bei Fontanes an, ihm sein Theater auch für eine weitere Veranstaltungsreihe im 41 Henri de Curzon, „Festival Beethoven-Berlioz“, in  : Le Guide musical, 29. April 1906, Bd. 52, Nr. 17, S. 333–334. 42 Amédée Boutarel, „Festival Beethoven-Berlioz“, in  : Le Ménestrel, 29. April 1906, 72. Jahrgang, Nr. 17, S. 129–130. 43 Henri de Curzon, „Festival Beethoven-Berlioz“, in  : Le Guide musical, 6. Mai 1906, Bd. 52, Nr. 18, S. 354. 44 Die Presse stellte Astrucs Eklektizismus als unbedingten Vorzug heraus. De Curzon, „Le Festival Beethoven-Berlioz“, in  : Le Guide musical, 15. April 1906, S. 291  ; Ders., „Festival BeethovenBerlioz“, in  : Le Guide musical, 6. Mai 1906, S. 354.

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Sommer 1907 zu überlassen, worauf Fontanes gerne einging.45 Wie die 1907 dort stattgefundene französische Erstaufführung der Oper Salome46 von Richard Strauss zeigt, hatte Astruc in diesem Aufführungsraum alle Freiheiten, musikalische, gesellschaftliche und räumliche Innovationen zu verwirklichen. 4.1.2 Die französische Erstaufführung der Oper Salome von Richard Strauss 1907

Neben den Konzertfestivals interessierte sich Astruc schon früh für herausragende Werke des zeitgenössischen Musiktheaters. Im Rahmen seiner großflächigen Suche nach neuen Künstlern und Kontakten für seine Pariser Konzertagentur bot er sich am 3. Juli 1905 bei Richard Strauss’ Verleger Adolph Fürstner (1833–1908) als französischer Vertragshändler der bis dato jüngsten bekannten Oper von Strauss, der 1901 fertiggestellten Feuersnot, an. Da Fürstner ihm daraufhin mitteilte, auch die Aufführungsrechte an der soeben vollendeten Salome zu besitzen, von der Astruc noch gar keine Kenntnis hatte, erweiterte der Pariser Impresario sein Angebot sogleich auf die französische Vertretung der kompletten Werke von Richard Strauss.47 Obwohl Fürstner diesem Angebot aufgrund schon bestehender Verträge nicht entsprechen konnte, wiederholte Astruc seine Anfrage nochmals nach der erfolgreichen Uraufführung von Salome vom Dezember 1905 in Dresden und bat Fürstner nun explizit um die Rechte für die französische Erstaufführung von Salome und Feuersnot.48 Diesmal zögerten Strauss und Fürstner, da der deutsche Komponist plante, anhand des Wilde’schen Originaltextes von Salome eine genuin französische Fassung herzustellen. An dieser arbeitete er schon seit der Fertigstellung von Salome im Juli 45 Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 8. Mai 1906. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7, Dossier 2. 46 Die Produktionsgeschichte der französischen Erstaufführung der Salome von Richard Strauss in deutscher Sprache wurde entscheidend durch die vom Komponisten eigens eingerichtete französische Version Salomé mitbestimmt. Die beiden Versionen werden im Folgenden durch ihre unterschiedlichen Schreibweisen (Salome, Salomé) unterschieden. 47 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 7. Juli 1905. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, IV(2)  ; Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 19. Juli 1905. A.a.O., IV(3). 48 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 20. Dezember 1905. A.a.O., IV(4).



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1905 in enger Zusammenarbeit mit dem französischen Schriftsteller, Musikhistoriker und Musikkritiker Romain Rolland, der Strauss bei der kompositorischen Umsetzung der französischen Sprache und ihrer Akzente behilflich war. Der Hintergrund, eine „französische“ Neukomposition der Partitur und nicht lediglich eine Übersetzung des Librettos zu erstellen, beruhte auf Strauss’ Vorstellung, Salome eigne sich gut für die Pariser Opéra-Comique und ihre mit Dialogen angereicherten Musikproduktionen.49 Rolland war gegenüber dieser Idee zwar sehr skeptisch, da er in diesem Rahmen eine ironische Aufnahme und groteske Wirkung so mancher Szene und besonders des Endes von Salome befürchtete, sah aber in Strauss’ Werk eine faszinierende Komposition, die mit dem französischen Rezeptionsmodell aus Klassischem, Effekthaftigkeit und simplen, aber stringenten, dynamischen Linien relativ konform war.50 Um das Pariser Publikum jedoch auf den schwierigen und grotesk anmutenden Inhalt Salomes vorzubereiten, riet Rolland Strauss, schon vorab Teile seiner Oper in Paris konzertant aufzuführen.51 Auf diesen Rat ging Strauss jedoch nicht ein. Bei seinem Engagement als Gastdirigent der Concerts Colonne für den 25. März 1906 setzte der Komponist lediglich die französische Erstaufführung seiner sinfonischen Dichtung Sinfonia Domestica auf das Programm.52 Das Werk zeichnete sich immerhin durch eine ähnlich komplexe Kompositionsweise und Orchestergröße wie Salome aus53 und musste von Pierné und Strauss in zahlreichen Proben einstudiert werden.54 Obwohl sich so mancher Kritiker nach der Aufführung der Sinfonia Domestica zwischen einer Abwehrreaktion gegen die aufreibende musikalische 49 Brief von Richard Strauss an Romain Rolland vom 16. Juli 1905/Brief von Richard Strauss an Romain Rolland vom 7. September 1905/Brief von Richard Strauss an Romain Rolland vom 13. September 1905, in  : Samazeuilh (Hg.), Cahiers Romain Rolland, 1951, S. 49, S. 60 und S. 62. 50 Brief von Romain Rolland an Richard Strauss vom 5. November 1905, in  : A.a.O., S. 64. 51 Brief von Romain Rolland an Richard Strauss vom 12. November 1905. in  : A.a.O., S. 81. 52 Strauss teilte Rolland in seinem Brief vom 10. November 1905 mit, dass er am 25. März 1906 ein Konzert des Orchestre Colonne dirigiere. Brief von Richard Strauss an Romain Rolland vom 10. November 1905. in  : A.a.O., S. 79. 53 Die Sinfonia Domestica benötigte 4 Saxophone und ein zusätzliches Schlagzeug-Ensemble. Vgl. Trenner, Richard Strauss Werkverzeichnis, 19992, S. 200. 54 Siehe 21., 22. und 23. Konzert in  : 32e année. Comptes-rendus des Concerts Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/28.

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Zeichnung des Familienlebens und einer großen Anziehungskraft der Musik hin- und hergerissen fühlte,55 wurde sie vom breiten Publikum sehr gut aufgenommen.56 Ein wichtiger Grund für diesen Erfolg war die Vergleichbarkeit der Sinfonia Domestica mit Orchestration und dramatischer Aufladung bei Berlioz, die von der musikalischen Presse auch bei darauffolgenden Aufführungen sofort bemerkt wurde.57 Indessen hatte sich die Strauss’sche Salome von Dresden aus in Windeseile an mehreren Opernhäusern in ganz Europa und auch in Amerika verbreitet. Bis Anfang 1907 wurde sie in Breslau, Graz, Leipzig, Köln, München, Berlin, Düsseldorf, Turin, Mailand und New York aufgeführt,58 wo es nicht selten zu Zwischenfällen kam. Schon die Uraufführung des Wilde’schen Dramas 1896 im Pariser Théâtre de l’Œuvre war eng mit dem kriminellen und amoralischen Ruf des irischen Autors verbunden gewesen.59 Ähnliche Skandale gab es bei der Aufführung der Oper Salome in Berlin im Dezember 1906, bei der Wilhelm II. (1859–1941) höchstpersönlich szenische Einschränkungen zur Wahrung der christlichen Moral verlangte. Anderthalb Monate später löste die blasphemische Skandalösität der Szene, in der Salome den ihr auf einem Teller präsentierten Kopf Jochanaans küsst, in New York so starke Proteste aus, dass das Werk nach wenigen Vorstellungen abgesetzt wurde.60 Zu diesem Zeitpunkt harrte das Pariser Publikum noch immer der französischen Erstaufführung von Richard Strauss’ Salome, deren sensationeller Ruf sich kontinuierlich verstärkte und ihr weltweit vorauseilte. Obwohl sich Astruc direkt nach dem erfolgreichen Konzert mit der Sinfonia Domestica wieder bei Fürstner meldete und nun explizit um die Aufführungsrechte für die sensationelle Oper Salome bat, kam es lange zu keiner Ent55 Jean Jemain, „Concerts Colonne“, in  : Le Ménestrel, 19. Januar 1907, 73. Jahrgang, Nr. 3, S. 21  ; Ders., „Revue des grands concerts“, in  : Le Ménestrel, 26. Januar 1907, 73. Jahrgang, Nr. 4, S. 28. 56 Colonne spielte die Sinfonia Domestica noch einmal im Januar 1907  : „Zuletzt wurde die wundervolle Sinfonia Domestica zum dritten Mal mit enthusiastischem Applaus aufgenommen.“ G. D., „Concerts Colonne“, in  : Le Monde musical, 31. Januar 1907, 9. Jahrgang, Nr. 2, S. 26. 57 „Notre portrait  : Richard Strauss“, in  : Le Monde musical, 30. April 1907, 9. Jahrgang, Nr. 8, S. 113  ; Jemain, „Concerts Colonne“, in  : Le Ménestrel, 19. Januar 1907, S. 21. 58 Pazdro, „L’œuvre à l’affiche“, 1983, S. 196. 59 Kelkel, La musique de ballet en France de la Belle Époque aux années folles, 1992, S. 21–22. 60 Hartmann, Richard Strauss, 1980, S. 35.



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scheidung für eine Pariser Vorstellung. Für die Aufführung der französischen Fassung in Paris mussten sich Strauss und Fürstner erst die Autorenrechte des Wilde’schen Originals sichern.61 Erst einen Monat nach der Klärung der Rechte vom 6. Juli 1906, und nachdem Astruc in einem weiteren Brief direkt an Strauss noch einmal seine Dienste als erfahrener Pariser Impresario unterstrichen hatte, gingen Strauss und Fürstner auf seine Bitten ein.62 Mit der Zusage erbaten sich der Komponist und sein Verleger gleich eine Auskunft zum französischsprachigen Raum, aus dem sie höchstwahrscheinlich schon mehrere Aufführungsangebote – vor allem aus Brüssel und Monte Carlo – erhalten hatten. Fürstner informierte sich bei Astruc über die Leihgebühren für die Partitur, die man von den verschiedenen Theatern verlangen konnte, und bat Astruc um eine Einschätzung, wo man Salomé zuerst aufführen solle.63 Astruc sprach sich im Folgenden gemäß seiner Vorliebe für mondäne Musikereignisse gleich für das Opernhaus im vornehmen Monte Carlo unter der Leitung seines Bekannten Raoul Gunsbourg (1860–1955) aus, das er dem bürgerlichen Brüssel vorzog.64 Da der Direktor des Théâtre de la Monnaie, Maurice Kufferath (1852–1919), Fürstner jedoch eine baldige Aufführung in Aussicht stellte, konzentrierte sich der Verleger mehr und mehr auf die Verhandlungen mit Brüssel.65 Als Reaktion darauf engagierte sich Astruc mit voller Kraft für eine baldige Aufführung in Paris, die Strauss und Fürstner in der Opéra anzusiedeln gedachten.66 Auch 61 Der Vertrag über die Aufführungsrechte kam erst Anfang Juli 1906 zustande. Vertrag zwischen Egerton Spencer Grey, Ludwig Bloch, Arthur Langen, Algernon Marshall Stodman Methuen und Richard Strauss vom 6. Juli 1906. AN, Papiers Astruc, 150 MI/4, Dossier 22  : Richard Strauss. 62 Brief von Gabriel Astruc an Richard Strauss vom 21. Juli 1906. Privatarchiv Richard Strauss, Garmisch-Partenkirchen. 63 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 10. August 1906. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, IV(8). 64 „Ich muss Ihnen nicht sagen, dass eine Uraufführung in Monte-Carlo im Hinblick auf das Aufsehen in der ganzen Welt eine überwältigende Wirkung haben wird und dass Sie dort für das Stück von Richard Strauss eine unvergleichliche Werbung bekommen.“ Brief von Gabriel Astruc an Adolph Fürstner, o. D. [Astruc nimmt jedoch Bezug auf den Brief vom 10. August 1906]. Privatarchiv Richard Strauss, Garmisch-Partenkirchen. 65 Brief von Maurice Kufferath an Adolph Fürstner vom 21. August 1906. A.a.O.; Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 1. Oktober 1906. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, IV(13). 66 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 10. August 1906. A.a.O., IV(8)  ; Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 24. November 1906. A.a.O., IV(23).

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wenn sich Rolland bessere Aufführungsbedingungen für Salomé als diejenigen der Opéra wünschte und Strauss vor der mangelhaften Sorgfalt bei der szenischen Umsetzung durch Regie und Bühnenbild warnte,67 hielten Strauss und Fürstner an der gewichtigen Pariser Musikinstitution ohne Einschränkung fest.68 Auch die finanzielle Seite war Strauss und vor allem Fürstner nicht unwichtig  : Am 8. November 1906 schickte Fürstner Astruc die Orchesterpartitur von Salomé für den Direktor der Opéra, Pédro Gailhard (1848–1918). Da Gailhard Schwierigkeiten hatte, das Werk noch im Programm der laufenden Saison unterzubringen, versuchte Astruc ihn zwischenzeitlich durch Preisnachlässe für das Orchestermaterial zu beeinflussen, das er Gailhard am liebsten gratis überlassen hätte. Fürstner ermahnte ihn jedoch zur Mäßigung, da er das Material der sensationellen Salomé gut vermarktet wissen wollte.69 Zeitgleich tauchten in der Pariser Presse erste Gerüchte über eine Aufführung von Salome in deutscher Sprache auf. Indem er dieses Gerücht dementierte,70 trat Astruc zum ersten Mal öffentlich als französischer Vertreter der Strauss’schen Interessen auf und wurde danach zu einer wichtigen Schlüsselfigur zwischen dem deutschen Komponisten und den Pariser Journalisten.71 In den folgenden Monaten bekam die Vermittlerrolle zwischen Strauss und der Pariser Presse ein immer größeres Gewicht, da sich weder die Aufführung in der Opéra realisierte, sowie zeitweise eine Aufführung in Paris überhaupt ganz unmöglich schien. Anfang Januar 1907 kündigte der Pariser Operndirektor Pédro Gailhard zwar die französische Erstaufführung Salomés mit den hauseigenen Sängern Lucienne Bréval (1869–1935) und Francisque Delmas (1861–1933) offiziell an,72 nahm sie dann aber letztendlich doch nicht in sein Programm auf. Er hatte einerseits Vorbehalte gegen den hohen Preis für die Leihgabe der 67 Brief von Romain Rolland an Richard Strauss vom 1. Dezember 1906. in  : Samazeuilh (Hg.), Cahiers Romain Rolland, 1951, S. 84–85. 68 Telegramm von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 21. Januar 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, IV(33). 69 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 19. November 1906. A.a.O., IV(22). 70 Telegramm von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 16. November 1906. A.a.O., IV(21). 71 Sofort danach wandten sich erste Pariser Journalisten an Astruc, um weitere Informationen über Salomé zu bekommen, z.B. Brief von B. Marcel (L’Humanité) an Gabriel Astruc vom 19. November 1906. A.a.O., IV(23). 72 Le Ménestrel, 5. Januar 1907, 73. Jahrgang, Nr. 1, S. 7.



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Partitur und beschwerte sich andererseits über die französische Textfassung, die er für unsingbar hielt.73 Ein dritter Grund lag in der Sonderstellung, die Strauss als ausländischer Komponist eines französischen Opernwerks im Pariser Musikleben administrativ zukam. Seit Beginn des Jahres 1907 weigerte sich Richard Strauss, zwecks Abrechnung seiner Autorenrechte in Frankreich der Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques beizutreten, da er zwei Paragraphen des frankreichzentrierten Mitgliedsvertrags nicht akzeptieren konnte. Die Paragraphen 5 und 17 verboten es ihm erstens, seine mitunter weltberühmten Werke in Ländern zu spielen, die keinen Vertrag mit der Société hatten, und untersagten zweitens eine Produktion des Werks in Theatern, in denen Strauss in irgendeiner Form angestellt war. Da Strauss hierdurch die internationale Verbreitung seiner Opern gefährdet sah, lehnte er eine Unterschrift des Mitgliedsvertrags kategorisch ab und plädierte für eine Modifikation der Statuten.74 Die Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques sicherte Strauss zwar mündlich zu, die beiden Paragraphen wie im Falle Wagners oder Verdis nicht auf ihn anzuwenden,75 pochte jedoch gleichzeitig darauf, „Verträge mit den Theatermauern“ zu haben.76 Eine Aufführung der Salomé in Frankreich wurde somit nur möglich, wenn der Direktor des ausrichtenden Theaters die Autorenrechte zweifach an Strauss und an die Société zahlte.77 Diese doppelte finanzielle Belastung wollte Gailhard von der Opéra keinesfalls eingehen. Stattdessen äußerten die Gebrüder Émile und Vincent Isola (1860–1945/ 1862–1947) des Théâtre de la Gaîté ein 73 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 2. Januar 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, IV(30)  ; Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 27. Dezember 1906. MUS, L. a. Strauss (R) 11. 74 Ebd.; Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1907. MUS, L. a. Strauss (R) 9. 75 Brief von Alfred Capus an Richard Strauss vom 26. Februar 1907. AN, Papiers Astruc, 150 MI/4, Dossier 22. Auch die Presse versuchte Strauss zu beruhigen, indem sie ihm von Wagner über Verdi bis Puccini alle ausländischen Komponisten aufzählte, die den Mitgliedsvertrag ohne Weiteres unterschrieben hatten. „Nouvelles Diverses“, in  : Le Ménestrel, 16. März 1907, 73. Jahrgang, Nr. 11, S. 85. 76 Astruc, Le Pavillon des Fantômes, 1987, S. 217. 77 Brief von Dr. Julius Levin, o. D. AN, Papiers Astruc, 150 MI/4, Dossier 22  ; Projektskizze Salomé, o. D. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7, Dossier 2. Das Projekt erwähnt zwei Versionen, eine für den Fall, dass Strauss der Société des Auteurs Dramatiques beitritt (20.000 F Gage, 5.000 F Mietgebühren für das Notenmaterial und 10% Autorenrechte), und eine für den Fall, Strauss die Autorenrechte gesondert auszuzahlen (20.000 F Gage, 16.000 F Autorenrechte für 10 Aufführungen).

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lebhaftes Interesse für die Durchführung der Uraufführung der französischen Fassung und ließen sich auch auf die doppelten Autorenrechte ein. Hintergrund dieser großzügigen Zusage war, dass die Gebrüder Isola im Wettbewerb um den Direktorenposten der Opéra standen, wobei sie von einer finanzkräftigen Lobby und auch von Gailhard selbst unterstützt wurden.78 Letzterer machte den Isola im Feburar 1907 die Zusage, ihnen die Sopranistin Lucienne Bréval für die Hauptrolle der Oper Salomé auszuleihen.79 Daraufhin setzten die Leiter des Théâtre de la Gaîté die französische Premiere offiziell für Anfang Mai 1907 an.80 Strauss erbat sich indessen ein Dirigentenhonorar von 2.000 F und 1.600 F an Autorenrechten pro Aufführung.81 Des Weiteren stellte er Forderungen in Bezug auf die szenische Realisierung seiner Oper, die nun im weitaus weniger renommierten Théâtre de la Gaîté stattfinden sollte. Neben der Besetzung der Titelrolle mit Lucienne Bréval gehörten die Konzeption des Bühnenbilds durch Alfred Roller (1864–1935) von der Königlichen Oper Wien, die Regie durch Willi Wirk aus München oder Georg Dröscher (1854–1945) aus Berlin, genügend Proben, die Aufführung mit dem französischen Originaltext von Wilde und ein Orchester mit mindestens 104 Musikern dazu.82 Die Gebrüder Isola akzeptierten Strauss’ Bedingungen, sodass Fürstner unter Astrucs Vermittlung detailliertere Vertragsverhandlungen mit ihnen aufnahm. Nur baten sie Strauss, sein Orchester auf 100 statt 110 Musiker zu beschränken, um einem Abriss der ersten Sitzreihen im Parkett zu entgehen.83 Fürstner unterstrich jedoch sogleich, dass das Orchestre Colonne zumindest seinen Streichersatz erweitern müsse, sodass es bei der Mindestzahl von 104 Musikern blieb.84 Inzwischen berichtete die Pariser Presse fast täglich unter der Titelzeile „Die 78 Brief von Astrucs Angestelltem Morsier an Gabriel Astruc vom 6. Dezember 1906. A.a.O., 409 AP/1, Dossier 2  ; Ponthierry, „La question ‚Salomé‘“, in  : La Liberté, 24. Februar 1907, S. 1. 79 Die Projektskizze Astrucs sieht zudem eine Dreiteilung des Gewinns zwischen den Gebrüdern Isola, Gailhard und Astruc vor. Projektskizze Salomé, o. D. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7, Dossier 2. 80 „Nouvelles Diverses“, in  : Le Ménestrel, 2. Februar 1907, 73. Jahrgang, Nr. 5, S. 39. 81 Telegramm von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 21. Januar 1907/Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 25. Januar 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard StraussSalomé, IV(33) und IV(34). 82 Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 25. Januar 1907. MUS, L. a. Strauss (R) 10. 83 Projektskizze Salomé, o. D. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7, Dossier 2. 84 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 31. Januar 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, IV(35).



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Frage Salomé“ über die geplanten Aufführungen der Oper von Richard Strauss und ihren organisatorischen Stand.85 Der Sensationstaumel war mittlerweile so groß, dass auch kritische Stimmen über die exzessive Berichterstattung laut wurden, die das Pariser Publikum regelrecht domptiere und eine unvoreingenommene Aufnahme der Oper Salomé gänzlich unmöglich mache.86 Diese brennende Erwartungshaltung der Pariser Öffentlichkeit nutzte Strauss schließlich zu seinen Gunsten. Während sich die Gebrüder Isola mit der Organisation ohnehin viel Zeit ließen und viel in Bezug auf ihre Kandidatur als Operndirektoren taktierten, pochte er beim Vorsitzenden der Société Alfred Capus (1858– 1922) schließlich explizit auf die Änderung der Statuten und machte dies zur absoluten Bedingung einer französischen Erstaufführung seiner weltberühmten Oper.87 Ende Januar 1907 publizierte Strauss sogar einen Artikel in der deutschen Presse, in dem er mutmaßte, die Franzosen würden den Mitgliedsvertrag nur nicht ändern, um die Aufführung ausländischer Werke zu verhindern.88 In diesem Zusammenhang wurde er auch von Maurice Kufferath, dem Direktor des Brüsseler Théâtre de la Monnaie, unterstützt, der die Statuten der französischen Société als „Idio(t)synkrasie“ bezeichnete.89 Aufgrund des hohen öffentlichen Drucks, durch den Strauss die Société zur alleinigen Verantwortlichen für die lange Wartezeit auf die Pariser Erstaufführung stilisierte, lenkte Capus schließlich ein und nahm Strauss am 23. März 1907 auch ohne die beiden kritisierten Paragraphen in die Société des Auteurs et Compositeurs Dramatiques auf.90 Am Folgetag zeigte sich die Presse gleichzeitig erfreut und ratlos über diese 85 Ponthierry, „La question ‚Salomé‘“, in  : La Liberté, 24. Februar 1907, S. 1  ; Th. Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 25. Februar 1907, S. 3  ; Ponthierry, „La question de Salomé“, in  : La Liberté, 26. Februar 1907, S. 2–3  ; Th. Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 1. März 1907, S. 3  ; „La question Salomé“, in  : Le Guide musical, 3. März 1907, S. 165–166. 86 Gaston Carraud, „Musique allemande et Musique française“, in  : La Liberté, 5. Mai 1907, S. 1. 87 Telegramm von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 18. Februar 1907. MUS, L. a. Strauss (R) 7  ; Brief von Richard Strauss an Alfred Capus vom 6. März 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/27, Compositeurs. 88 Beilage des Berliner Börsen-Courriers Nr. 51. Donnerstag, den 31. Januar 1907. AN, Papiers Astruc, 150 MI/4, Dossier 22. 89 Brief von Maurice Kufferath an Gabriel Astruc vom 6. Januar 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/9. 90 Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 16. März 1907. OP, Archives, carton 2.240,

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Entwicklung, da die Isola in der Zwischenzeit aus der Organisation der französischen Salomé vollständig ausgestiegen waren. Henri Hertz (1875–1966), den sie als künstlerischen Leiter des Théâtre de la Gaîté eingesetzt hatten, teilte Ende Februar offiziell mit, die Aufführung der Salomé unter keinen Umständen im Programm der laufenden Saison unterbringen zu können.91 Aus dieser zugleich vorteilhaften und ungeklärten Situation heraus nahm Astruc die Organisation der Pariser Aufführung von Salomé selbst in die Hand. Durch seine Anstrengungen der letzten Monate war er auf diese Situation bereits bestens vorbereitet  : Direkt nach Strauss’ Beitritt zur Société kündigte er vorsichtig eine Vorstellungsreihe der Strauss’schen Oper auf Deutsch an, da bis zum Ende der Saison keine Zeit für die französischen Interpreten blieb, die neue und schwierige Partitur einzustudieren.92 Zu dieser Zeit stand er schon in regem Kontakt zu Theaterdirektoren und Interpreten aus dem deutschsprachigen Raum, die Salome bereits aufgeführt hatten, wie Otto Neitzel (1852–1920) von der Oper Köln, den er bat, ihm das Orchester und das Ensemble für Paris auszuleihen. Da Neitzel seine Sänger nicht entbehren konnte, schlug er Astruc das Ensemble der Metropolitan Opera New York vor, wo Salome schon nach wenigen Vorstellungen abgesetzt worden war.93 Indessen reichte die große ErwarDossier Richard Strauss-Salomé, IV(39)  ; Brief von Alfred Capus an Richard Strauss vom 23. März 1907. AN, Papiers Astruc, 150 MI/4, Dossier 22  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 23. März 1907, 72. Jahrgang, Nr. 12, S. 95. 91 Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 25. Februar 1907, S. 3. Zuerst ließen sich die Isola, die sich an der Côte d’Azur aufhielten und von dort aus die Salomé-Aufführung planten, davon lange nicht beeindrucken und verfolgten weiter ihren Plan, sowohl französische als auch deutsche Vorstellungen des Werks in Paris zu geben, notfalls auch in einem anderen Theater als der Gaîté. Astruc bestätigte derweil öffentlich seine Zuversicht, dass Hertz seine Meinung noch einmal ändern werde. Durch eine gezielte Nutzung der Medien, an die die Gebrüder Isola und Astruc kontinuierlich kleine Informationen über Salomé verteilten, festigten die Gebrüder Isola ihren Ruf als verantwortungsvolle Theaterdirektoren und entsprachen somit den Forderungen ihrer Lobby, die sie auch nach der Ernennung von André Messager als zukünftigem Direktor der Opéra noch durch ein finanzielles Kapital unterstützte. Astruc förderte diese Selbstdarstellung, da er sich durch das frei gewordene Kapital ihrer Anhänger eine finanzkräftige Unterstützung für weitere musikalische Events erhoffte. Telegramme von Isola an Gabriel Astruc vom 28. Februar und vom 7., 22., 23. und 29. März 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7. 92 Ponthierry, „Salomé à Paris“, in  : La Liberté, 23. März 1907, S. 1. 93 Briefe von Otto Neitzel an Gabriel Astruc vom 2. und 6. März 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/14.



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tung der Pariser Salome/é so weit, dass sich der deutsche Bariton Fritz Feinhals (1869–1940) Strauss von selbst anbot, die Rolle des Jochanaan zu singen, da er im Figaro von den geplanten Aufführungen auf Deutsch gelesen hatte.94 Dies führte dazu, dass sich auch Strauss wenig später stark in die Sängerfrage einbrachte, sich für Emmy Destinn (1878–1930) und Carl Burrian (1870–1924) aussprach und den Kontakt zu ihnen herstellte.95 Nach Verhandlungen mit dem Covent Garden Theatre London, wo Destinn bereits für Mai engagiert war, erreichte Astruc, die Sängerin zumindest für einige Vorstellungen in Paris aus ihrem Vertrag zu lösen.96 Für die restlichen Vorstellungen verpflichtete Astruc über den Tenor Jean de Reszké (1850–1925) Olive Fremstad (1871–1951) von der Metropolitan Opera New York. De Reszké freute sich außerordentlich, die beiden hauptsächlichen Interpretinnen der Salome in derselben Produktion hören und vergleichen zu können.97 Auch bei weiteren Aufführungselementen waren Astrucs Planungen schon in einem fortgeschrittenen Stadium. Ende Februar hatte er den amerikanischen Bankier und Mäzen der Metropolitan Opera New York, Otto H. Kahn (1867– 1934), bei der Uraufführung der französischen Salomé in Brüssel getroffen und mit ihm über die Gründung eines amerikanischen Garantiekomitees für die Pariser Aufführungen beraten.98 Kahn war Astruc darüber hinaus sicherlich auch beim Engagement von Olive Fremstad behilflich.99 Des Weiteren hatte Astruc 94 Brief von Fritz Feinhals an Richard Strauss vom 25. März 1907. A.a.O., 409 AP/19. Auch die Konzertagentur Eugen Frankfurter aus Köln bot Astruc Mitte Mai ihre Dienste an, um ihm deutsche Sänger zu vermitteln. Telegramme und Briefe von Eugen Frankfurter an Gabriel Astruc vom 12. April und vom 12., 13. und 24. Mai 1907. A.a.O., 409 AP/13. 95 Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 13. April 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, I(2). Strauss fragte Emmy Destinn persönlich, ob sie in Paris singen wolle. Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 25. Februar 1907. A.a.O., I(1). Astruc hatte den Tenor Burrian dabei schon einen knappen Monat früher auf eigene Faust kontaktiert. Telegramm von Carl Burrian an Gabriel Astruc vom 20. März 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/45. 96 Briefe und Telegramme von Henry Higgins an Gabriel Astruc vom 9., 13., 14., 16. und 17. April 1907. A.a.O., 409 AP/11. 97 Telegramm von Olive Fremstad an Jean de Reszké vom 17. April 1907/Brief von Jean de Reszké an Gabriel Astruc, o. D. A.a.O., 409 AP/22. 98 Astruc, Le Pavillon des Fantômes, 1987, S. 175.   99 Astruc und Kahn berieten ebenfalls über das Engagement des Ensembles der Metropolitan Opera New York, und Kahn setzte sich beim Direktor Heinrich Conried dafür ein. Tele-

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natürlich auch schon ein passendes Theater an der Hand, das er bereits ein Jahr zuvor für Mai bis Juni 1907 reserviert hatte  : Schon kurz nach der ersten Ankündigung vom 23. März 1907, es werde wahrscheinlich deutsche Aufführungen von Salome geben, machte Astruc das Théâtre du Châtelet dem Pariser Adel als Aufführungsort der Strauss’schen Oper schmackhaft. Im Falle eines Beitritts zum Garantiekomitee bestünde hier aufgrund der 3400 Sitzplätze keinerlei finanzielles Risiko.100 Da die Sänger allesamt zusagten, und da auch Strauss seine Präsenz als Dirigent der Salomé in Paris von Mai bis Juni schon fest eingeplant hatte, konnten der Komponist und Fürstner Astruc letztendlich nur zustimmen, in dieser Zeit eine Vorstellungsreihe der deutschen Fassung im Châtelet zu geben. Am 4. April 1907 unterschrieb der Verleger den Vertrag über die Aufführung von Salome in deutscher Sprache und schickte Astruc die Orchesterpartitur zu.101 Astruc zögerte nicht lange und kündigte daraufhin die Comtesse Greffuhle als offizielle Schirmherrin der lang erwarteten Vorstellungsreihe der Strauss’schen Oper an.102 Das große Interesse der Präsidentin der S.G.A.M. an Salomé war seit der Dresdener Uraufführung bekannt, nach der sie – „immer auf der Suche nach sensationellen Veranstaltungen“ – eine erste Aufführung in Paris mit Klavierbegleitung hatte geben lassen, die den Enthusiasmus der Salons hervorrief.103 Sobald die Eckdaten der Aufführungen feststanden, formalisierte Astruc die rege Berichterstattung in der Presse durch regelmäßige Pressemitteilungen über die wechselnden Besetzungen der weiblichen Hauptrolle, die Eintrittspreise und die Generalprobe, die als Galavorstellung angekündigt wurde. Hierbei konzentrierte sich Astruc hauptsächlich auf die französischen Tageszeitungen des rechten Flügels wie Le Temps, La Liberté und Le Figaro, die von einem finanz-

gramme von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 3. und 6. April 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/10. 100 Brief von Gabriel Astruc an Sir Edgar Speyer vom 28. März 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, V(III, 55). 101 Vertrag zwischen Adolph Fürstner und Gabriel Astruc vom 4. April 1907. A.a.O., IV(2)  ; Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 4. April 1907. A.a.O., IV(44). 102 „Nouvelles diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 6. April 1907, 73. Jahrgang, Nr. 14, S. 111. 103 Astruc, „La colère de Salomé“, 1986, S. 7.



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kräftigen Publikum gelesen wurden.104 Diese Zeitschriften und die Musikzeitschrift Le Ménestrel berichteten im Folgenden über musikalische Details wie die Partiturstudien Piernés, der die Oper mit dem Orchestre Colonne einstudierte, Einzelheiten des Librettos, die Tänzerin Natasha (Natalia) Trouhanova (1885– 1956) als Interpretin des Schleiertanzes, eine von Le Figaro organisierte Voraufführung bei Madame Isnardon, der Gattin des Opernsängers Jacques Isnardon (geb. 1865), und über die einzelnen Sänger.105 Strauss wies Astruc zudem an, die Aufführungsdaten an die internationale Presse und besonders die Presse der Nachbarländer Frankreichs weiterzugeben.106 Am 5. Mai 1907 – einen Tag vor der Generalprobe – ließ Astruc in Le Temps ankündigen, dass die Sänger sich wie in den Wagner-Zyklen der international renommierten und mondänen Festivals in Bayreuth und München abwechselten.107 Angesichts der Sensationalität der avantgardistischen Oper und ihrer Pariser Organisationsgeschichte ist es nicht verwunderlich, dass sich bei der Galaveranstaltung der Generalprobe eine unglaubliche Anzahl namhafter Vertreter der Pariser Oberschicht als Publikum einstellte, die den Saal vollständig ausfüllte. Astruc ließ diese erste Pariser Aufführung vom Prince Auguste d’Arenberg (1837–1924) als Benefizveranstaltung für seine Société Philhanthropique ausrichten.108 Die Kartenpreise waren dementsprechend hoch und reichten auch in den folgenden Aufführungen von 40 F bis 3 F, also das Dreifache der Kartenpreise des grand spectacle und knapp das Doppelte der Concerts Colonne.109 104 Am 16. April 1907 schaltete Astruc eine erste Pressemitteilung. „Théâtres“, in  : Le Temps, 16. April 1907, S. 3  ; Th. Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 17. April 1907, S. 3  ; „Nouvelles Diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 20. April 1907, 73. Jahrgang, Nr. 16, S. 127. Anfang Mai erschien eine weitere identische Mitteilung in diesen Zeitschriften. „Théâtres“, in  : Le Temps, 2. Mai 1907, S. 3  ; Th. Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 3. Mai 1907, S. 3  ; „Nouvelles diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 4. Mai 1907, 73. Jahrgang, Nr. 18, S. 143. 105 „Nouvelles Diverses. Paris et départements“, in  : Le Ménestrel, 20. April 1907, 73. Jahrgang, Nr. 16, S. 127  ; Th. Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 4. Mai 1907, S. 3  ; „Théâtres“, in  : Le Temps, 7. Mai 1907, S. 3  ; „Théâtres“, in  : Le Temps, 8. Mai 1907, S. 3. 106 Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 23. April 1907. MUS, L. a. Strauss (R) 12. 107 „Théâtres“, in  : Le Temps, 5. April 1907, S. 3. 108 Th. Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 3. Mai 1907, S. 3. 109 „Nouvelles diverses. Étranger“, in  : Le Ménestrel, 27. April 1907, 73. Jahrgang, Nr. 17, S. 135.

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Strauss selbst spendete der Société Philanthropique den Prozentsatz seiner Autorenrechte.110 Neben der Pariser Oberschicht – vertreten durch die Mitglieder der Société Philanthropique und der S.G.A.M.111 – waren Musiker, Literaten und auch das amerikanische Publikum präsent. Der Kritiker der Liberté war so beeindruckt, dass er die namhaftesten Einzelpersonen am Beginn seines Artikels in einer endlos scheinenden Liste aufzählte  : „Zitieren wir nur die, auf die der Blick durch unser Opernglas zufällig fiel  : Gräfin Adhéaume de Chevigné, Gräfin Greffulhe, Graf J. de Camondo, Hr. Michel Ephrussi, Baron Henri de Rothschild, Hr. Henri Rochefort, Hr. Jean de Reszké, Hr. Capus, Hr. W.-K. Vanderbilt, Hr. Camille Blanc, Hr. Otto H. Kahn, Hr. James H. Hyde, Sir Edgar Speyer, Hr. Jules Gouin, Hr. Coquelin der Ältere, Hr. Antoine, Hr. Fasquelle, Hr. Pierre Wolff, Fr. Moore, Hr. Cheramy, Hr. Vincent d’Indy, Hr. Fauré, Hr. Fürstner, Verleger von Salomé  ; Fr. Bulteau, Hr. Noël Bardac, Hr. Lilienthal, Hr. Messager, Hr. und Fr. Thors, Hr. und Fr. Laffon, Baron von Schweitzer, Pierre Mortier, Baron und Baronin Verly, Hr. und Fr. de Saint-Hiltaire, Hr. und Fr. Albert Carré, Hr. René Cahen, Hr. Pierre Lagarde, Fr. Ehrler, Hr. und Fr. Philippi, Hr. Gaston Dreyfus, Fr. Chartran, Hr. Arthur Rubinstein, Hr. Pierre Girod, Frl. Jeanne Granier, Frl. Bréval, der Graf de Gabriac, Hr. Romain Rolland, Hr. Georges Hüe, Hr. und Fr. Henri Cain, Hr. und Fr. Georges Cain, Hr. Camille Erlanger, Hr. James Stillman, Hr. René Maizeroy, Hr. und Fr. Gandrey, Hr. und Fr. Charles Neef, Hr. Bernstein, Fr.

110 Brief von Gabriel Astruc an den Prince Auguste d’Arenberg vom 21. Mai 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/34. 111 Bei der Abrechnung rekapitulierte Astruc noch einmal die Liste der Persönlichkeiten, die der Société Philanthropique durch den Kauf von Eintrittskarten für die Generalprobe Salomes gespendet hatten, und den finanziellen Aufwand, der damit verbunden war  : „Hr. Lilienthal, 2 Plätze im Parkett, 200 F  ; Frau Ehrler, 3 Plätze im Parkett, 300 F  ; Frau Moore, 1 Loge zu 8 Plätzen, 800 F  ; Hr. Bolatre, 1 Platz im Parkett, 100 F  ; Comtesse d’Arcourt, 2 Plätze auf dem Balkon, 200 F  ; Prince de Sagan, 1 Platz auf dem Balkon, 100 F  ; Hr. Jules Gouin, 1 Loge zu 6 Plätzen, 600 F  ; Hr. Oscar de Lers, 1 Platz auf dem Balkon, 100 F  ; Hr. Jacques Fourchy, 1 Platz auf dem Balkon, 100 F  ; Duc d’Elchingen, 2 Plätze im Parkett, 200 F  ; Fräulein Rouvry, 2 Plätze auf dem Balkon, 200 F  ; Fräulein Grandjean, 1 Platz auf dem Balkon, 100 F  ; Hr. Tissier, 1 Platz auf dem Balkon, 100 F  ; Hr. Lazare, 3 Plätze auf dem Balkon, 300 F  ; Hr. Étienne, 1 Platz im Parkett, 100 F  ; Frau Moore, 3 Plätze im Parkett, 300 F  ; Hr. Sachs, 3 Plätze im Parkett, 300 F  ; Comte de Vogüé, 1 Platz auf dem Balkon, 100 F  ; Frau Ephrussi, 16 Plätze, 1.600 F  ; Gesamt  : 5.800 F.“ Répétition Générale de „Salomé“. Ebd.



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Henry Say, Graf Jean de Castellane, Hr. Cuvillier, Frl. Lender, Hr. Fernand Halphen, Fr. Albert, Cahen d’Anvers, Gräfin d’Harcourt, Hr. Éd. Noetzlin, Fr. de Saint-Marceaux, Hr. A. Bénac, Hr. Georges Heine, Fr. Legrand, Fr. Madeleine Lemaire und Frl. Suzanne Lemaire, Hr. Adrien Hébard, Hr. Isidore de Lara, Hr. Forain, Hr. Rodolphe Berger, etc., etc.“112

In der Tat zeichnete sich der Saal durch die besondere Sehenswürdigkeit des Publikums selbst aus und wurde von den Kritikern allgemein als der eleganteste Saal seit Langem beschrieben. Bei der Generalprobe von Salome glänzten nicht nur das Parkett und die Logen, sondern der gesamte Saal und seine Zuschauer aus der Adelsschicht und der Finanzelite.113 Während die architektonischen Strukturen des Volkstheaters Châtelet dementsprechend vollständig vom eleganten Publikum überdeckt wurden, erhielt der Saal zudem ein hohes politisches Gewicht. Aus Vorsicht gegenüber den politischen Implikationen, die die Aufführung einer deutschen Oper mit deutschen Künstlern im Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben konnte, hatte Astruc im Vorfeld das französische Außenministerium konsultiert. Da sich sowohl der französische Außenminister Stéphen Pichon (1857–1933) als auch der Präsident Armand Fallières (1841– 1931) der Aufführung von Salome gegenüber sehr aufgeschlossen zeigten, lud Astruc Fallières schließlich zur öffentlichen Generalprobe ein. Der französische Präsident akzeptierte Astrucs Einladung und erhielt die zentrale Loge auf der

112 Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 8. Mai 1907, S. 3. Neben den genannten Personen waren noch die Comtesse Cossé-Brissac, Orgelbauer Mustel, Graf San Martino, Léo Sachs, André Gédalge, Charles-Marie Widor, Graf Montesquiou, Claude Debussy und Alfred Cortot bei der Generalprobe oder bei weiteren Vorstellungen von Salome anwesend. Brief von Prince Auguste d’Arenberg an Gabriel Astruc vom 26. April 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/34  ; Brief von Pr Mustel et Cie an Gabriel Astruc vom 1. Mai 1907. A.a.O., 409 AP/3, Dossier 2  ; Telegramm von Graf San Martino an Gabriel Astruc vom 1. Mai 1907. A.a.O., 409 AP/35  ; Brief von Alfred Cortot an Gabriel Astruc vom 2. Mai 1907. AN, Papiers Astruc, 150 MI/6, Dossier 36  ; Brief von Léo Sachs an Morsier vom 6. Mai 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/27  ; Brief von André Gédalge an Gabriel Astruc vom 6. Mai 1907. A.a.O., 409 AP/45  ; Brief von Charles-Marie Widor an Gabriel Astruc vom 8. Mai 1907. A.a.O., 409 AP/27  ; Brief der Comtesse Louis de Montesquiou an Gabriel Astruc vom 16. Mai 1907. A.a.O., 409 AP/33, Dossier 1  ; Brief von Claude Debussy an Gabriel Astruc vom 23. Mai 1907. MUS, L. a. Debussy 56. 113 „Théâtres“, in  : Le Temps, 8. Mai 1907, S. 3.

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ersten Etage.114 Durch die Präsenz von weiteren Ministern und dem deutschen sowie österreichischen Botschafter, die dem Präsidenten alle einen Besuch in seiner Loge abstatteten, wurde die Generalprobe von Salome zu einem politischen Spektakel vor den Augen des mondänen Publikums.115 Die billigeren Plätze in den oberen Rängen wurden derweil von unzähligen Studenten bevölkert. Um einer eventuellen negativen Rezeption der avantgardistischen Musik von Richard Strauss vorzubeugen, hatte Astruc Gratis-Eintrittskarten an die Pariser Studentenvereinigungen verteilt, deren Mitglieder schon bei den Concerts Colonne für ihre Aufgeschlossenheit gegenüber zeitgenössischer Musik bekannt waren.116 Nichtsdestotrotz spricht vieles dafür, dass das Spektakel im Saal in diametralem Gegensatz zur „Schwingung“ in den Concerts Colonne stand und bei Salome in gewisser Weise die Aufführung überdeckte. Die gesamte Bühnenausstattung war von mehreren Theatern aus den Nachbarländern ausgeliehen, da Astruc von Ende März bis Ende Mai keine Zeit mehr blieb, ein neues Bühnenbild anfertigen zu lassen. Das Dekor stammte aus Turin, und die Kostüme wurden aus Deutschland von den Sängern mitgebracht.117 Im Gegensatz zu diesem Pragmatismus war die visuelle Erwartung des Pariser Publikums und auch der wenigen Pariser Darsteller wie Natasha Trouhanova schon in starker Weise durch Gustave Moreaus (1826–1898) Bild L’Apparition vorgeprägt,118 auf dem vor allem die Choreographie und die Kleidung Salomes und des Heiligen Sebastians herausstechen. Die Interpretin des Schleiertanzes, die Pariser Tänzerin Natasha Trouhanova, wünschte sich explizit ein Kostüm nach Moreaus Vorlage, 114 Astruc, „La colère de Salomé“, 1986, S. 6–7. 115 „Théâtres“, in  : Le Temps, 8. Mai 1907, S. 3. Das repräsentative Spektakel im Saal wirkte zudem unmittelbar auf die Rezeption der Oper Salome ein. Vgl. den Artikel der Revue musicale vom 15. Mai 1907 zitiert bei Testi, La Parigi musicale del primo Novecento, 2003, S. 129–130. 116 Brief von C. Campinchi, Präsident der Association Générale des Étudiants de Paris, an Gabriel Astruc vom 8. Mai 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/32, Dossier 2. 117 „Cahier Salomé“ von Gabriel Astruc. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, V(1)  ; Kufferath, Salomé, 1907, S. 94. Die Pariser Kritiker befanden das Bühnenbild für gut, ohne es jedoch als originell oder außergewöhnlich zu rezipieren. Gaston Carraud, „Les Premières. Châtelet. Salomé“, in  : La Liberté, 10. Mai 1907, S. 2. 118 Zur starken Präsenz des Salomé-Motivs in der französischen Bildenden Kunst und zur Wichtigkeit von L’Apparition von Gustave Moreau siehe  : Schneider-Seidel, Antike Sujets und moderne Musik, 2002, S. 45–49.



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musste sich jedoch aus praktischen Gründen schließlich dasselbe Kostüm wie dasjenige von Emmy Destinn anfertigen lassen. Somit blieb Trouhanovas Bitte, ihr einige Statisten zur Verfügung zu stellen, die während ihres Tanzes die großen Schleier festhielten, damit die große Bühne des Châtelet besser ausgefüllt würde, die einzige Pariser Innovation bei der bühnentechnischen Realisierung von Salome.119 Die Vorbereitungen auf Salome im Châtelet waren nichtsdestoweniger durch einschneidende räumliche Veränderungen bestimmt. Um das große Orchester mit 110 Musikern im Orchestergraben vor der Bühne platzieren zu können, mussten – wie schon für das Théâtre de la Gaîté vorgesehen – auch im Théâtre du Châtelet die ersten fünf Sitzreihen des Parketts abgerissen werden. Dieser Umbau wurde von Fontanes ohne Weiteres genehmigt, der sich zudem um den guten Ablauf der Aufführungen in Bezug auf die Bühnentechnik und die Lampen für die Notenpulte kümmerte.120 Um die gewünschte Orchestergröße zu erreichen, an die selbst das Orchestre Colonne nicht herankam, stellte Fontanes Astruc sogar Musiker aus dem Orchester des Théâtre du Châtelet zur Verfügung.121 Strauss war es währenddessen an der lichttechnischen und auch akustischen Perfektionierung des neuen Orchestergrabens gelegen. Er erbat sich eine Bande, die das Lampenlicht über den Notenpulten für die Zuschauer im Parkett so weit tilgte, dass es die Mondscheinszene in Salome nicht beeinträchtigte.122 Am 23. April 1907 schickte er Astruc zudem einen Plan mit der genauen Orchesteraufstellung für Gabriel Pierné, der die Partitur mit dem Orchestre Colonne schon vor Strauss’ Ankunft in Paris einstudierte. 119 Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc von April 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, III(1)  ; Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc von April 1907. A.a.O., III(2)  ; Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc, o. D. [Trouhanova spielt jedoch auf Emmy Destinns Salome-Kostüm und auf die Concerts Russes von Djagilev an, daher muss der Brief aus dem Jahr 1907 stammen]. AN, Papiers Astruc, 150 MI/3, Dossier 14. 120 Am 21. April schickte ein Mitarbeiter der Châtelet-Direktion Astruc einen Plan der Logen. Brief von [G. Riyenna] an Gabriel Astruc vom 21. April 1907/Brief von André Prévost (Verwaltungsleiter des Théâtre du Châtelet) an Gabriel Astruc vom 26. April 1907/Brief von André Prévost an Gabriel Astruc vom 19. April 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7. 121 „Cahier Salomé“ von Gabriel Astruc. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, V(1). 122 Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 23. April 1907. MUS, L. a. Strauss (R) 12.

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Auf diesem Plan setzte Strauss das Schlagzeug unter die Bühnenrampe und die Blechblasinstrumente an die Bande, damit sie gegenüber den sich in der Mitte des Orchestergrabens befindenden leiseren Streich- und Holzblasinstrumenten gedämpft würden (Abb. 29).123 Er zielte damit auf eine akustische Ausgewogenheit der einzelnen Klanggruppen, die für die Effekte der Oper eine jeweils gleichwertige Rolle spielen sollten. Dem Komponisten war es also keinesfalls an eklatanten Klangeffekten gelegen, bei deren vielleicht grotesker Wirkung auf das französische Publikum sich auch schon Rolland nicht sicher gewesen war, sondern an einer nuancenreichen Interpretation seiner komplexen Partitur. Wie die Kritiken nach der Aufführung schrieben, gelang Strauss eine solche Ausführung vollkommen. Sie lobten das akustische Gleichgewicht des Orchesters, das einen viel homogeneren Eindruck machte als die musikalische Interpretation in Mailand unter Arturo Toscanini (1867–1957).124 Neben der akustischen Einrichtung beruhte dieser Erfolg auch auf den zehn Orchesterproben, die Strauss in Paris nach den Vorbereitungen des Orchestre Colonne durch Pierné noch selbst vor Ort abgehalten hatte.125 Die musikalische Rezeption der Oper Salome hingegen prägte die Zwiespältigkeit der Kritiker gegenüber Strauss’ Musik noch einmal weiter aus. Die Presse schwankte zwischen den Attributen „banal“, „arm“, „vulgär“ und der Anerkennung einer großen musikalischen Ausdruckskraft des Komponisten.126 Rolland kritisierte einerseits die Effekthaftigkeit, die Strauss oft zu Ungunsten einer nuancierten Emotionalität einsetze, lobte den Komponisten jedoch gleichzeitig für die Wirkung seiner effektvollen Musik, die das Publikum unter einer

123 Ebd. 124 „‚Salomé‘ de Strauss à Milan et à Turin“, in  : Le Monde musical, 15. Januar 1907, 9. Jahrgang, Nr. 1, S. 9  ; Huré, „Salomé à Paris“, in  : Le Monde musical, 15. Mai 1907, S. 134  ; Pierre Lalo, „La Musique, Salomé“, in  : Le Temps, 15. Mai 1907, S. 2  ; Louis Schneider, „Salomé. Drame musical en un acte. Poème d’Oscar Wilde. Musique de M. Richard Strauss. Représenté au Théâtre Municipal du Châtelet“, in  : Le Théâtre, Mai (II) 1907, Nr. 202, S. 8. 125 „Théâtres“, in  : Le Temps, 3. Mai 1907, S. 3. Pierné absolvierte vor Strauss’ Ankunft in Paris mit dem Orchestre Colonne 25 Proben für Salome, eine bisher nie erreichte Probenzahl. Pierné hatte sich zudem nach dem Besuch der Brüsseler Produktion vom dortigen Dirigenten Sylvain Dupuis beraten lassen. L. S., „Nouvelles Diverses. Étranger“, in  : Le Ménestrel, 13. April 1907, 73. Jahrgang, Nr. 15, S. 117. 126 Carraud, „Musique allemande et Musique française“, in  : La Liberté, 5. Mai 1907, S. 1.



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Abb. 29 : Plan der Orchesteraufstellung für Salome von Richard Strauss.

„Wahrheit“ und unter einem „Gefühl“ vereine. Eine gängige Meinung aller Kritiker war, dass es Strauss an Persönlichkeit mangele, das heißt, dass sich seine Musik durch schwache Themen aber eine unglaublich virtuose und expressive Verarbeitung auszeichne. Das Werk lebe gleichsam von seiner Expressivität, die die Musikalität durch eine sehr gestische und akzentstarke Musik übertöne. Insofern waren die Zuhörer von der psychologisierenden Musiksprache Salomes und nicht wie im herkömmlichen Konzert- und Opernbetrieb von den musikalischen Formen und regelmäßigen Melodien ergriffen. Der „Nervenkontrapunkt“, wie Strauss seine Komposition selbst bezeichnete, übertönte darüber 127 Brief von Romain Rolland an Richard Strauss vom 14. Mai 1907, in : Samazeuilh (Hg.), Cahiers Romain Rolland, 1951, S. 86–89. 128 Vgl. Huré, „Salomé à Paris“, in : Le Monde musical, 15. Mai 1907, S. 133–134 ; Lalo, „La Musique. Salomé“, in : Le Temps, 15. Mai 1907, S. 2 ; „Salomé et la presse. Opinions de MM. C. Saint-Saëns, Gabriel Fauré, A. Coquart, G. Carraud“, in : Le Monde musical, 15. Mai 1907, S. 134–135 ; Kufferath, Salomé, 1907, S. 46, S. 82–84, S. 93. 129 Brief vom 8. Januar 1935, in : Tenschert (Hg.), Richard Strauss und Joseph Gregor, 1955, S. 17.

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hinaus jegliches anrüchige Detail des Librettos, das von der Presse in den Berichten über die Aufführungsreihe kaum mehr besprochen wurde. Auch hinsichtlich des großen Orchesters und des eigens eingerichteten Orchestergrabens war die Rezeption geteilt. Positiv eingestellte Kritiker erkannten in den 110 Musikern eine musikalische Notwendigkeit für Strauss, seine Orchestrierungskünste erst vollständig zur Geltung zu bringen.130 Negativ eingestellte Rezensenten wie Arthur Pougin vom Ménestrel, die Strauss’ Musik als „Lärm“ empfanden, beschrieben die Orchestergröße dagegen von vornherein als übertrieben. Pougin machte die bedeutende Anzahl an Musikern, die im Abriss der ersten fünf Sitzreihen räumlich erfahrbar war, für die eklatante, lärmende und unpersönliche Ausdruckskraft der Oper Salome verantwortlich.131 Während die Darstellermassen auf der Bühne unter der exzellenten Regie von Hans Löwenfeld (1874–1921) aus Stuttgart tadellos agierten, „fiel“ die Musik den Kritikern zufolge ausdrucksmäßig und zugleich räumlich in den Saal „ein“ und übermannte dort mit ihrer „riesigen Armee von Instrumenten“ das sozial homogene Elite-Publikum.132 Den Kritikern zufolge nahm das Publikum die Oper nur deshalb ohne Weiteres sehr positiv auf und goutierte diesen Angriff auf die im französischen Rezeptionsmodell gleichwertige Hälfte des Saals, da sich die Zuhörer ganz auf ein mondänes gesellschaftliches Ereignis eingestellt hatten und Salome schon im Vorfeld als Sensation gegolten hatte.133 Im Vergleich hierzu wurde die Orchestergröße in den Dresdener Kritiken nicht im Zusammenhang mit der Wirkung der Musik auf das Publikum im Saal thematisiert.134 130 Lalo, „La Musique. Salomé“, in  : Le Temps, 15. Mai 1907, S. 2. 131 Arthur Pougin, „La semaine théâtrale. Théâtre du Châtelet. Salomé, drame musical en un acte, paroles d’Oscar Wilde, musique de M. Richard Strauss (8 mai 1907)“, in  : Le Ménestrel, 11. Mai 1907, 73. Jahrgang, Nr. 19, S. 147–148. 132 Mit diesen Worten fasste Pierre Lalo die negativen Bewertungen des Orchesters zusammen. Lalo, „La Musique. Salomé“, in  : Le Temps, 15. Mai 1907, S. 2. 133 Brief von Serge Basset (Le Figaro) an Gabriel Astruc vom 17. Mai 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/31  : Presse/Journaux  ; „Théâtres“, in  : Le Temps, 10. Mai 1907, S. 3  ; D’Avonde, „Théâtres“, in  : La Liberté, 15. Mai 1907, S. 2. 134 Die Dresdener berichteten wie die Pariser Kritiken über die Größe des Orchesters und seine Klangmächtigkeit, brachten diese aber immer mit dem Inhalt des Stücks in Verbindung. Der daran anknüpfende, von Strauss erzielte musikalische Ausdruck rechtfertigte das Aufgebot an Instrumenten und das auch dortige Einreißen der ersten Ränge. Messmer, Kritiken zu den Uraufführungen der Bühnenwerke von Richard Strauss, 1989, S. 36–54.



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Beim gesellschaftlichen Ereignis der Pariser Salome-Aufführung hatten sich somit zwei verschiedene Publikumsarten herausgebildet, die der mondänen Oberschicht, die bei der Galavorstellung ihren sozialen Rang in Szene setzte und sich als Teil eines gesellschaftlichen und politischen Spektakels fühlen konnte, und der Musikkritiker und ihres herkömmlichen Rezeptionsmodells aus den Pariser Opernvorstellungen und Sinfoniekonzerten. Letztere kritisierten dabei nicht selten die Tatsache, dass einem deutschen Werk unter der Leitung eines deutschen Komponisten mit deutschen Sängern mit dem Besuch des französischen Präsidenten eine so große Achtung entgegengebracht wurde.135 Anstatt sich dieser Kritik jedoch auszusetzten, versuchte Astruc im Sinne des gehobenen Publikums nach Ende der Salome-Vorstellungen, den Schwerpunkt der politischen und zugleich gesellschaftlichen Relevanz noch einmal zu verstärken. Anfang Juli 1907 beantragte der Impresario die französische Ehrenlegion für Strauss und alle deutschen Sänger, die an der Pariser Produktion mitgewirkt hatten.136 Auf diese Weise versuchte Astruc, die Salome-Aufführungen mit einer ähnlichen politischen Zelebrierung zu verbinden, anhand derer er auch schon das „Festival Anglais“ konzipiert hatte. Es galt, die Grenzenlosigkeit der Kunst in eine Grenzenlosigkeit der Politik zu überführen, die die gesellschaftliche Wichtigkeit der Musikveranstaltung noch einmal um einiges anhob.137 An letzterem hatte Astruc schon deshalb Interesse, da die Salome-Produktion ein finanzieller Misserfolg wurde. Die Kosten für die großen Investitionen des Theaterumbaus, die vielen Proben und die zahlreichen Mitwirkenden (Strauss hatte erwirkt, dass alle Rollen doppelt besetzt wurden) konnten trotz ausverkauftem Châtelet138 durch die insgesamt nur sechs Vorstellungen nicht getilgt werden.139 Indem Strauss sich sein Verhältnis zum Orchestre Colonne durch seine abschätzigen Bemerkungen und die seiner Frau Pauline de Ahna-Strauss (1863–1950) verscherzte, 135 Astruc, „La colère de Salomé“, 1986, S. 6–7. 136 Brief von Gabriel Astruc an den Comte de Radolin, o. D. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Richard Strauss-Salomé, I(15). Strauss dankte Astruc für seine Bemühungen, die Ehrenlegion für ihn beantragt zu haben, in einem Brief vom 5. Juli 1907. Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 5. Juli 1907. A.a.O., I(4). 137 Astruc, Le Pavillon des Fantômes, 1987, S. 217. 138 „Théâtres“, in  : Le Temps, 11. Mai 1907, S. 3. 139 Kollektivschreiben von Gabriel Astruc an die Mitglieder des Comité de Garantie vom 17. Juni 1907. AN, Papiers Astruc, 150 MI/4.

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war auch die Möglichkeit einiger Zusatzvorstellungen für weitere finanzielle Einnahmen gestorben.140 Diese wurde zudem durch den Skandal verhindert, den Strauss’ Weigerung produzierte, sich zwischen den beiden Salome-Darstellerinnen Emmy Destinn und Natasha Trouhanova zu verbeugen, woraufhin die Trouhanova beim Vorhang hinter der Bühne bleiben musste.141 Strauss hingegen war mit den Pariser Aufführungen und ihrer positiven Rezeption durch die mondänen Opernbesucher vollends zufrieden. Während seiner anschließenden Ferien in Fontainebleau und noch unter dem Eindruck der Aufführungen seiner Oper im Châtelet setzte er das breite Publikum sogar als Platzhalter für eine natürliche und angemessene Rezeption seiner Musik ein. Er reagierte damit auf die Kritik des Komponisten Felix Draeseke (1835–1913), der die musikalische Avantgarde und indirekt die Werke von Richard Strauss kurz vorher als „Unmusik“ kritisiert hatte.142 In seiner offiziellen Antwort an Draeseke – dem Manifeste de Fontainebleau – beschrieb er ein harmonisches, von den Kritikern gänzlich unbeeinflusstes Publikum als Grundbedingung für eine positive Aufnahme fortschrittlicher Musik – eine Bedingung, wie sie unter den Vorzeichen der Sensationalität und der politischen Repräsentation auch bei den Aufführungen in Paris gewährleistet gewesen war.143 Insofern legitimierte Strauss Astrucs Organisation, die den Saal als gleichwertig zur Opernvorstellung auf der Bühne inszenierte, für die musikalische Rezeption auch auf internationalem Niveau. Gleichzeitig setzte er die Gleichwertigkeit von Bühne und Saal, die Astruc bisher zur internationalen Erweiterung des Publikums und zur Organisation von Musikvorstellungen abseits der renommierten musikalischen Institutionen gedient hatte, auch für die erfolgreiche Durchführung avantgardistischer Musikaufführungen an. Das traditionelle französische Rezeptionsmodell des „Rund140 Brief von Gabriel Astruc an Sir Edgar Speyer und an Henri Deutsch de la Meurthe vom 20. Juni 1907. Ebd. Vgl. auch Boyden, Richard Strauss, 1999, S. 187. 141 „Une lettre bien sentie“, in  : Le Monde musical, 30. Mai 1907, 9. Jahrgang, Nr. 10, S. 158. Natasha Trouhanova kündigte Astruc auf dem Fuße  : Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc vom 18. Mai 1907. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Salomé, III(3). 142 Felix Draeseke, „Die Konfusion in der Musik. Ein Mahnruf“, in  : Neue Musikzeitung, 28. Jahrgang (1906), Nr. 1, S. 1–7. 143 Strauss, „Gibt es für die Musik eine Fortschrittspartei  ?“, 1949, S. 14–15. In Frankreich berichtete Le Monde musical vom „Manifeste de Fontainebleau“. „Y’a-t-il pour la musique un parti de Progrès   ?“, in  : Le Monde musical, 30. September 1907, 9. Jahrgang, Nr. 18, S. 262–263.



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tanzes“ und der Aufführungsraum des Théâtre du Châtelet bildeten hierfür zwar die perfekte Grundlage, die sich im Châtelet zudem räumlich flexibel für Genres jenseits des grand spectacle realisieren ließ. Das französische Rezeptionsmodell erscheint bei der Salome-Aufführung dennoch viel durchdeklinierter als Strauss und auch Astruc es sich gewünscht hätten, denn die Pariser Kritiker wandten den „Rundtanz“ auch auf die kompositorischen Strukturen und die räumliche, aufführungstechnische Ebene an, wo die Oper von Richard Strauss absolutes Neuland darstellte. Eine weitere Perfektionierung von Astrucs mondänen Saisons konnte sich dementsprechend nur auf die Überführung der Gleichwertigkeit von Bühne und Saal zu einer „schwingenden“ Verbindung zwischen Ausführenden und Publikum seitens der künstlerischen Realisierung beziehen.

4.2 Das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ und die Avantgarde  : Die „Saisons russes“ und die „Saison italienne“ (1909–1913)

Nach dem zwar nicht finanziellen jedoch außergewöhnlichen Publikumserfolg der Salome-Produktion im Théâtre du Châtelet kamen viele Pariser Musikschaffende und Journalisten auf Astruc zu und machten ihm Vorschläge in Bezug auf weitere Saisons und ihre Institutionalisierung. Während Astruc wenig Interesse für Anregungen äußerte, bei denen es sich um einen institutionellen Rahmen wie ein hauseigenes Orchester seiner Konzertagentur handelte,144 notierte er sich „sehr interessante Angelegenheit“ neben den Vorschlag des Turiner Korrespondenten von Le Figaro, Trémant, der ihn zu einer weiteren „Saison italienne“ motivierte.145 Im November 1908 schlug Astruc jedoch auch dieses Angebot aus,146 da er bereits an einer umfangreichen Saison arbeitete, die dem Pariser Publikum nochmals etwas noch nie Dagewesenes präsentieren würde  : Im Zuge seines Interesses für ausländische zeitgenössische Musik wie zum Beispiel für englische Operetten hatte Astruc vom russischen Impresario Sergej Djagilev ein attraktives 144 Brief von Alexandre Petit an Gabriel Astruc vom 29. November 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/26. 145 Briefe von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 29. und 31. März 1908, vom 4. und 6. April 1908 und vom 21. Juli 1908. A.a.O., 409 AP/31. 146 Brief von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 14. November 1908. Ebd.

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Angebot für eine Saison mit den – von ihm als solche angekündigten – Tanzensembles des Sankt Petersburger Mariinskij- und des Moskauer Bol’šoj-Theaters erhalten.147 Die schon seit den „Concerts russes“ von 1905 bestehende Zusammenarbeit zwischen Djagilev und Astruc gestaltete sich jedoch zeitweise so schwierig, dass Astruc nach der „Saison russe“ 1909 im Alleingang eine „Saison italienne“ 1910 im Châtelet organisierte, während Djagilev eine weitere „Saison russe“ in der Opéra abhielt. Die beiden Saisons und auch die folgenden „Saisons russes“ im Théâtre du Châtelet bieten die Möglichkeit, die Einrichtung einer avantgardistischen und zugleich exotischen musikalischen Neuproduktion mit dem Rezeptionsmodell bei Hauptwerken des gängigen italienischen Opernrepertoires zu vergleichen. Während bei Strauss’ Salome ihr sensationeller Ruf und ihre neuartige Musik im Vordergrund gestanden hatten, zeichneten sich die „Saisons russes“ und die „Saison italienne“ durch gezielte gesellschaftliche und künstlerische Vorkehrungen aus, aus denen das Zusammenspiel zwischen Produktion und Architektur des Saals bei verschiedenen Musiktheatergattungen und Musikstilen zu Tage tritt. Wie zu zeigen sein wird, lehnten sich die avantgardistischen „Saisons russes“ oft an das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ an. 4.2.1 Künstlerische Choreographien  : Die Ballets Russes und ihr Publikum

Im Gegensatz zu den vorherigen Saisons, bei denen das Châtelet oftmals aus Mangel an Alternativen zum Spielort der great season geworden war, entschied sich Sergej Djagilev für die „Saison russe“ 1909 ganz bewusst für dieses Theater. Bei seiner Opernsaison vom Vorjahr in der Opéra mit namhaften Interpreten wie Fëdor Šaljapin (1873–1938) hatte der russische Impresario schlechte Erfahrungen mit dem Personal gemacht. Da das Châtelet dieselbe Bühnengröße wie die Pariser Oper aufwies, überzeugte Djagilev Astruc, das Châtelet auch dem gehobeneren Théâtre Sarah Bernhard (ehemals Théâtre Lyrique) vorzuziehen. Astruc schloss deshalb im Oktober 1908 mit Fontanes einen Mietvertrag für Mai bis Juni 1909 ab.148 147 Fédorovski, L’Histoire secrète des Ballets russes, 2002, S. 44–45. 148 Rapport Confidentiel sur la SAISON RUSSE organisée à Paris au Théâtre Municipal du Châtelet en Mai-Juin 1909 par les soins de MM. Serge de Diaghilew et Gabriel Astruc, von Gabriel Astruc, o. D. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Ballets Russes, II(49)  ; Projekt von Gabriel Astruc für



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Die Organisation im Vorfeld der Saison knüpfte direkt an die schon bei Salome gemachten Erfahrungen an. Schon Ende 1908 ließ Djagilev Tänzer seines russischen Ensembles in Pariser Salons auftreten und gab zudem eine BenefizGalaveranstaltung mit Šaljapin und der Balletttänzerin Anna Pavlova (1881– 1931) in der Opéra.149 Sofort nachdem der Aufführungsort mit dem Châtelet feststand,150 richtete Astruc erste Pressemitteilungen an die bewährten konservativen Tageszeitungen Le Figaro, Le Gaulois, L’Écho de Paris und Le Matin.151 Nach diesen offiziellen Programmankündigungen änderte Djagilev jedoch noch so häufig seine Programmgestaltung und auch die Besetzung, dass es zu ersten Konflikten mit Astruc kam.152 Im Gegensatz zu den Absprachen mit Astruc wandte Djagilev sehr viel Energie für die bühnentechnische aber auch gesellschaftlich-symbolische Renovierung des Châtelet auf. Es scheint, als ob der Saal, den der Tänzer Vaslav Nijinskij bei seiner Ankunft als „See ohne Wasser“ beschrieb,153 mit dem hohen gesellschaftlichen Anspruch eines russischen Theaterabends und des Opéra-gewöhnten Djagilev nicht konform war. Kurz vor und während der Proben im Châtelet ließ er einen elastischeren Bühnenboden aus Tannenholz verlegen, auf dem sich die Tänzer besser bewegen konnten,154 und mehrere Falltüren für die russischen Vorstellungen 1909. AN, Fonds Astruc, 409 AP/1  ; Brief von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 14. Juli 1908. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1  ; Schneider, „La Saison Russe de 1909 au Théâtre du Châtelet“, in  : Le Théâtre, Mai (I) 1909, S. 4. 149 Telegramme von Sergej Djagilev an die Comtesse de Chévigné vom 20. April 1908 und an Victorien Sardou vom 21. April 1908. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. Es handelte sich um den Salon der Princesse de Polignac. Kahan, Music’s Modern Muse, 2003, S. 153  ; Brief von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 24. Januar/6. Februar 1909. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. 150 Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 1. Oktober 1908. Ebd. 151 Rapport Confidentiel sur la SAISON RUSSE organisée à Paris au Théâtre Municipal du Châtelet en Mai-Juin 1909 par les soins de MM. Serge de Diaghilew et Gabriel Astruc. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Ballets Russes II(49)  ; Brief vom Direktor des Service de Publicité des Figaro an Gabriel Astruc vom 27. November 1908. AN, Fonds Astruc, 409 AP/31. 152 Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 27. April 1909/Telegramm von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev, o. D. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1, Dossier 7b. Vgl. auch das schon früh angekündigte Programm mit der definitiven Programmgestaltung. Le Guide musical, 14. März 1909, 53. Jahrgang, Nr. 11, S. 237. 153 Vgl. Einleitung, Fußnote 13. 154 Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 29. März 1909. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1, Dossier 7b.

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Stücke wie Le Pavillon d’Armide konstruieren.155 Das neue Parkett bedeckte dabei teilweise den Orchestergraben, sodass die ersten Sitzreihen abermals abgerissen werden mussten, um das große Sankt Petersburger Orchester zu platzieren, das die Ballette musikalisch begleitete.156 Im Saal wurden neue Logen unter dem Balkonvorsprung im Parterre angelegt, Säulen und Balustraden mit neuem Samt bezogen und granatroter Teppich in den Gängen des Parketts verlegt. Malerarbeiten und Grünpflanzen im Foyer rundeten die Renovierung des „baufälligen“ und „etwas staubigen“ Châtelet und seine neue luxuriösere Ausstattung ab.157 Auch Astruc leistete seinen Beitrag zu einer glänzenden Ausstaffierung des Zuschauerraums, indem er sich um die Begeisterung eines eleganten Publikums für die „Saison russe“ bemühte. Im Gegensatz zur politischen Rahmung des Saals durch hohe Staatsbeamte bei den Salome-Vorstellungen, die den nationalistischeren Kritikern Unbehagen bereitet hatte, strebte Astruc für die Ballets Russes nun ein gezielt literarisch-künstlerisches Publikum an. Er ließ Plakatund Prospektwerbung in Kunstgeschäften und mondänen Cafés, Restaurants und Hotels aushängen158 und sich ansonsten von namhaften Persönlichkeiten aus dem Pariser Kulturleben unterstützen. Schon im Vorfeld der Aufführungen stellten Jean Cocteau (1889–1963), Marcel Proust (1871–1922), Jean-Louis Vaudoyer (1883–1963), Reynaldo Hahn (1874–1947), Robert Brussel (1874– 1940), Misia (1872–1950) und andere eine „enthusiastische Atmosphäre“ her, 155 Lieven, The birth of the Ballets-Russes, 1936, S. 88. 156 Karsavina, Ballets Russes, 1931, S. 215–216  ; Fédorovski, L’Histoire secrète des Ballets Russes, 2002, S. 61. 157 Kochno, Diaghilev and the Ballets Russes, 1970, S. 15–16  ; Karsavina, Ballets russes, 1931, S. 215–216  ; Nijinskij, „Nijinsky“, 1934, S. 429  ; „Familles d’artistes“, in  : Le Monde, 29. Dezember 1990. BHVP, Karton „Ballets Russes“  ; Raoul Aubry, „Variations sur des airs russes“, in  : Le Temps, 17. April 1909, S. 3  ; Robert Brussel, „Impressions de ballet russe“, in  : Le Figaro, 11. Mai 1909, S. 4  ; Henri de Curzon, „La ‚Saison Russe‘ à Paris“, in  : Le Guide musical, 23. und 30. Mai 1909, 55. Jahrgang, Nr. 21–22, S. 434  ; Camille Le Senne, „Premières et reprises. L’opéra russe au Châtelet“, in  : Le Siècle, 21. Mai 1909, S. 3. 158 Darunter das Café de Paris, das Hôtel Mercédès, das Restaurant l’Abbaye und das Grand Hôtel de Paris. Brief von B. Montigné an Gabriel Astruc vom 22. Mai 1909/Brief vom Café de Paris an Gabriel Astruc vom 22. Mai 1909/Brief von Mr. Albert an Gabriel Astruc vom 28. Mai 1909/Brief von Tony Durad an Gabriel Astruc vom 7. Juni 1909/Brief von Colas an Gabriel Astruc vom 14. Juni 1909. AN, Fonds Astruc, 409 AP/3  ; Brief von Gabriel Astruc an F. Cortot vom 28. Juli 1909. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Ballets Russes, I(21).



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Abb. 30 : Die „corbeille“ des Théâtre du Châtelet.

die es für alle Künstler, Maler, Musiker und Snobs zu einem Muß machte, bei den Ballettaufführungen der „Saison russe“ dabei zu sein. Astruc ließ es keinesfalls bei einem künstlerischen Renommee und Charakter der Vorstellungsreihe bewenden, sondern brachte den künstlerischen Anstrich auch konkret in die einzelnen Aufführungen ein. Bei der Generalprobe der Ballets Russes am 18. Mai 1909, die als Galaveranstaltung abgehalten wurde, platzierte der Pariser Impresario in der 1. Reihe des 1. Balkons 52 Pariser Schauspielerinnen, Opernsängerinnen und Tänzerinnen der Ballets Russes, die gerade nicht auf der Bühne gebraucht wurden, in der Reihenfolge blond-brünett. Diese Publikums-Choreographie wurde von den Zuschauern im Saal sofort als solche bemerkt und erhielt noch vor dem eigentlichen Vorstellungsbeginn einen eigenen Applaus. Auch die Kritiker beschrieben diese Inszenierung des Saals mit leuchtenden Farben und tauften sie auf den Namen „corbeille“ („Körbchen“) 159 Astruc, „Au temps de la ‚Corbeille‘. Le premier feu d’artifice“, 1930, S. 45.

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– ein Begriff, der gleichzeitig auf die Schönheit der Zuschauerinnen und ihre Anordnung im Halbrund Bezug nahm.160 Die Bezeichnung „corbeille“ lehnte sich an das Vokabular des Café-Concerts an, wo sie für den Teil benutzt wurde, in dem sich hinreißende Sängerinnen in einem Halbkreis auf der Bühne aufstellten, um dort Chansons, Romanzen oder kleine Lieder zum Besten zu geben.161 Dass Astrucs symbolisch-räumliche Innovation ihre Wurzeln im Populärtheater hatte, hängt eng mit seiner Idealvorstellung der Atmosphäre während der Aufführungen zusammen. Astrucs Ziel scheint es gewesen zu sein, im Châtelet eine solche fiktionale Gleichsetzung von Bühne und Publikum zu kreieren, die auch schon die fiktionale Relation zwischen dem Saal und Šaljapin als Boris Godounov in der „Saison russe“ 1908 ausgezeichnet hatte und die Astruc mit den Worten „wir vergaßen, dass wir im Theater waren  : Wir waren keine Zuschauer mehr, wir waren keine Zuhörer mehr, wir erlebten alle mit ihm mit“ kommentiert hatte.162 Eine solche fiktionale Beziehung zwischen Bühne und Saal entsprach nicht nur den grands spectacles, sondern auch Djagilevs Vorstellungen, denn das russische Publikumsverhalten war weitaus weniger auf das „socialising“ im Saal denn auf das konzentrierte Beiwohnen eines Balletts während mehrerer Stunden angelegt.163 Gleichzeitig durfte das Repräsentationsspektakel des Publikums im Saal, das auch schon bei Salome ein wichtiges Erfolgselement gewesen war, keinesfalls behindert werden. Durch die Adaption einer populären Szenenaufstellung für eine künstlerisch-gesellschaftliche Aufwertung des Saals konnte sich Astruc sowohl an das populäre Modell des „Rundtanzes“ anlehnen, als er auch die künstlerische Individualität, die die Kritiker bei Weingartners Dirigat und bei der Oper Salome anerkennend festgestellt hatten, auf das Publikum im Saal übertrug. Auf diese Weise vereinte er die mitreißende Atmosphäre mit dem traditionellen gesellschaftlichen In-Szene-Setzen höher gestellter Einzelpersonen. Die neue künstlerische Rolle ersetzte die gesellschaftliche Standes-Symbolik vorzüglich. Statt noblen Banketten organisierte Astruc nun „Corbeille-Dinners“ 160 A.a.O., S. 45–46. 161 Condemi, Les Cafés-Concerts, 1992, S. 84–85. 162 Zitiert nach  : Hiégel, L’Histoire des Ballets russes, 1975, S. 2. 163 Giunta/Rathgeber, „Diaghilew und die Öffnung Rußlands in den Westen“, 1994, S. 36.



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im Anschluss an die einzelnen Vorstellungen.164 Auch während der Aufführungen überdeckte die „corbeille“ vollständig das politische Repräsentationsspektakel, das im Zuschauerraum dennoch weiter stattfand.165 Die Kritiker beschrieben den Saal als „von einer auserlesenen Eleganz“ und „äußerst glanzvoll“166 und berichteten ausgiebig über die Abendgarderoben der Zuschauerinnen.167 Sie schwankten nicht selten zwischen dem Charakteristikum der Märchenhaftigkeit und einer für das Volkstheater Châtelet vollkommen unüblichen Publikumsstruktur.168 Nicht Djagilevs Renovierung des Théâtre du Châtelet, sondern die halb populäre, halb elitäre „corbeille“ brachte also die soziale Flexibilität des Theaterraums zum Vorschein, vor allem, da sie die Unterschiede der Rezeptionsmodelle niedriger und hoher Genres ins Wanken brachte. Der Aspekt des Künstlerischen zeichnete nicht nur den Saal, sondern auch die Stücke auf der Bühne in gehobenem Maße aus. Während die Musik als „unspektakulär“ beschrieben wurde, da sie nicht an Musorgskijs Boris Godounov herankam, den Djagilev ein Jahr zuvor in der Opéra mit Šaljapin in der Hauptrolle aufgeführt hatte,169 zogen die neuartigen visuellen Reize des Tanzensembles und 164 Astruc, Le Pavillon des Fantômes, 1987, S. 220. 165 Ad., „Opéras et ballets russes“, in  : Le Temps, 20. Mai 1909, S. 3  ; Jules Claretie, „De la danse, de la valse et des mœurs à propos de danseurs russes“, in  : Le Temps, 21. Mai 1909, S. 3  ; Interim, „Premières Représentations. Théâtre du Châtelet“, in  : Le Journal, 21. Mai 1909, S. 5. 166 G. V. [= Gabriel Vauthier], „Théâtres de Paris. Première représentation de la Saison russe. Opéra et Ballet“, 21. Mai 1909. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2)  ; Paulino, „Répétition générale de Cléopâtre, Les Sylphides, Rousslan et Ludmila“, in  : Comœdia, 3. Juni 1909, 3. Jahrgang, Nr. 603, S. 3  ; Nijinskij, „Nijinsky“, in  : Les Annales, 1934, S. 429  ; Émile de SaintAuban, „Opéra russe (Châtelet)“, in  : Le Soleil, 24. Mai 1909, S. 2. 167 Un Monsieur de l’Orchestre, „La Soirée. La Saison Russe“, in  : Le Figaro, 5. Juni 1909, S. 6. 168 Ders., „La soirée. La Saison Russe au Châtelet“, in  : Le Figaro, 20. Mai 1909, S. 6. 169 Robert Brussel, „La Saison Russe. Premier spectacle  : le Pavillon d’Armide, ballet en un acte, de M. Alexandre Benois, musique de M. N. Tchérepnine  ; le Prince Igor, de Borodine  ; le Festin  ; suite de danses“, in  : A.a.O., S. 5  ; André-É. Marty, „Encore les Ballets Russes“, in  : Comœdia illustré, 15. August 1909, 1. Jahrgang, Nr. 16, S. 459  ; E. D., „Les représentations d’opéra et de ballet russes au théâtre du Châtelet“, in  : Revue musicale, 1. Juli 1909, 9. Jahrgang, Nr. 13, S. 335  ; Paul Souday, „Les Premières au Châtelet. La Saison russe. – ‚Le Pavillon d’Armide‘. – ‚Le prince Igor‘. – ‚Le Festin‘“, in  : L’Éclair, 20. Mai 1909, S. 3. Pierre Lalo, „Au Châtelet. Premier spectacle de la saison russe“, in  : Le Temps, 22. Mai 1909, S. 3  ; Félix Duquesnel, „La Quinzaine Théâtrale“, in  : Le Théâtre, 1. Mai 1909, Nr. 249, S. 3  ; De Curzon, „La ‚Saison Russe‘ à Paris“, in  : Le Guide musical, 23. und 30. Mai 1909, S. 434. An Musorgskijs ausdrucksstarke Musik kam gerade noch La Pskovitaine seines Lehrers Rims-

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des Bühnenbilds das Publikum vollständig in ihren Bann. Besonders die Tänzer und ihr „unerwartetes, verschiedenartiges und wunderbares Talent“, das sich in ihrer „unglaublichen Kraft, […], ihrer Geschmeidigkeit, der ausgezeichneten Eleganz ihrer Haltungen“170 äußerte, glichen die mangelhafte Ausdruckskraft der Musik oftmals aus,171 wobei auch die hellen Farben des malerisch konzipierten Bühnenbilds zu den beeindruckendsten Neuerungen zählten, die die Ballets Russes mit nach Paris brachten.172 Die geometrischen Grundformen der Bühnenbilder blieben in der ersten „Saison russe“ dabei der herkömmlichen, zum Saal hin geöffneten Halbkreisform größtenteils treu.173 Ein Grund für die relative Nichtbeachtung der Musik liegt sicherlich darin, dass Djagilev das musikalische Programm ganz auf die schon bestehenden Vorlieben und die prägnantesten Rezeptionselemente des Pariser Publikums ausgelegt hatte. Nach vielen Änderungen des anfangs ambitionierten Programms174 galt ein Großteil der Programmauswahl dem Ziel, die Zuschauer behutsam an das russische Ballett heranzuführen. Hierbei stützte sich Djagilev auf seine „Saisons russes“ aus den vorangegangenen Jahren. In diesem Sinne beinhaltete das Programm Stücke wie Rousslan et Ludmila von Michail Glinka (1804–1857), die bereits in den „Concerts russes“ von 1905 gespielt worden waren, und sah mit dem Akt aus La Pskovitaine von Rimskij-Korsakov eine weitere Gelegenheit kij-Korsakov heran. Ders., „La Pskovitaine de Rimsky-Korsakow au Châtelet (Saison Russe)“, in  : Le Guide musical, 6. und 13. Juni 1909, 55. Jahrgang, Nr. 23–24, S. 447. 170 J. B., „Natacha Trouhanova“, in  : Comœdia illustré, 15. Juni 1909, 1. Jahrgang, Nr. 12, S. 336. 171 Brussel, „La Saison Russe. Premier spectacle“, in  : Le Figaro, 20. Mai 1909, S. 5  ; Cerdannes, „Saison russe 1909“, in  : Comœdia illustré, 15. Juni 1909, 1. Jahrgang, Nr. 12, S. 334. 172 Prinzing, „Léon Bakst (Lev Rosenberg 1866–1924)“, 1994, S. 127–131  ; Schouvaloff, „Léon Bakst, the Indispensable Designer“, 1998, S. 58. 173 Pierre Vorms bezeichnet die Bühnenbilder der Ballets Russes in ihrer ersten Periode von 1909– 1914 trotz ihrer Modernität als festen Anhaltspunkt für das Publikum, das lediglich aufgrund der Choreographie Nijinskijs (L’après-midi d’un faune) oder der Musik Stravinskijs (Le Sacre du Printemps) in Aufruhr geriet. Vorms, „Serge de Diaghilew ou La Mise en Scène des Arts“, 1955, S. 17. Erst ab 1912 arbeitete Bakst immer stärker mit explosionsartig angelegten geometrischen Formen wie in Thamar oder Le Dieu Bleu, die nicht mehr nur auf den Halbkreis des Publikums im Saal, sondern innerhalb des Bühnenbilds nach oben oder unten weisen. Vgl. die Bühnenbilder zu Thamar und Le Dieu Bleu in  : Ingles, Bakst. L’Art du Théâtre et de la Danse, 2000, S. 123 und S. 130. 174 Vgl. die Programmankündigung in Le Guide musical, 14. März 1909, S. 237.



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vor, den beeindruckenden Šaljapin nochmals in Szene zu setzen.175 Für diesen Akt, der extra in Ivan le Terrible umbenannt wurde, versuchte Djagilev zudem, das Bühnenbild für Boris Godounov von der Opéra auszuleihen, was ihm jedoch nicht gelang.176 Die Massenszenen von Ivan le Terrible und Šaljapins vehementer Ankunft zu Pferd auf der Bühne,177 bei dem das Publikum spontan applaudierte, wurden trotzdem ein voller Erfolg.178 Ein Kritiker verglich die Szenerie instinktiv mit der „pièce“ Michel Strogoff, strich aber gleichzeitig den hohen künstlerischen Wert der Djagilev’schen Inszenierung heraus.179 Bei Judith und Rousslan et Ludmila glichen die künstlerischen Fähigkeiten der Interpreten Šaljapin und Félia Litvinne (1860–1936) sowie der Chöre sogar die allseits empfundenen musikalischen Mängel der Partituren aus.180 Die fließenden Grenzen zwischen einer künstlerischen Hochkultur und dem populären Theater zeichneten auch weitere Stücke der Ballets Russes aus. Die musikalische Begleitung wurde vor allem dafür kritisiert, dass sich Djagilev mehrerer Potpourris aus russischen Werken oder neu arrangierten Stücken von Frédéric Chopin bediente, wie es am Sankt Petersburger Theater üblich war. In 175 Für die Programme der great seasons vgl. die Aufstellung bei De Nussac, Le Théâtre du Châtelet, 1995, S. 214–215. 176 Brief von Malliard (Opéra) an Gabriel Astruc vom 17. März 1909. AN, Fonds Astruc, 409 AP/7. 177 Diese Szene wurde bildlich in L’Illustration wiedergegeben. „La Saison Russe à Paris. Entrée à Pskow d’Ivan le Terrible (M. Chaliapine)“, in  : L’Illustration, 29. Mai 1909, S. 369. 178 Brussel, „La Saison Russe“, in  : Le Figaro, 27. Mai 1909, S. 4  ; Un Monsieur de l’Orchestre, „La Soirée. Ivan le Terrible au Châtelet“, in  : Ebd.; Émile de Saint-Auban, „Théâtre du Châtelet (Saison russe)“, in  : Le Soleil, 31. Mai 1909, S. 2  ; Jacques-Émile Blanche, „Après la Saison Russe“, in  : Le Figaro, 3. Juli 1909, S. 1  ; Louis Laloy, „Le Mois. Chronique. La Saison Russe“, in  : Bulletin français de la S.I.M., Juni 1909, 5. Jahrgang, Nr. 6, S. 585  ; G. V., „Théâtres de Paris. Châtelet. – Saison Russe. – Ivan le Terrible (La Pskovitaine), opéra en trois actes et cinq tableaux, de N. Rimsky-Korsakow“, 27. Mai 1909. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2). 179 Un Monsieur de l’Orchestre, „La Soirée. Ivan le Terrible au Châtelet“, in  : Le Figaro, 27. Mai 1909, S. 4. 180 Robert Brussel, „La Saison Russe. Judith  : Scène de l’orgie et finale de l’opéra de Serow“, in  : Le Figaro, 9. Juni 1909, S. 5  ; G. V., „Théâtres de Paris. Châtelet. – Saison Russe. – Premier acte de Rousslan et Ludmila, opéra de Michel Glinka. – Les Sylphides, rêverie dramatique en un acte, musique de Chopin. – Cléopâtre, drame chorégraphique en un acte, musique de A. Arensky“, 5. Juli 1909. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2)  ; Mill Cissan, „‚Ivan le Terrible‘ (La Pskovitaine), opéra de N. Rimsky-Korsakow“, in  : Comœdia illustré, 1. Juni 1909, 1. Jahrgang, Nr. 11, S. 306.

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Paris wurden die Potpourris von Les Sylphides, Le Festin und Cléopâtre dagegen sofort mit den Pariser Music-Halls in Verbindung gebracht.181 Das erfolgreichste Merkmal der eklektischen Programmgestaltung war die klassische und mit dynamischen Kontrasten angereicherte kompositorische Anlage vieler Musikstücke, die zur Begleitung der Ballette herangezogen wurden. Dies war besonders bei der Ballettszene Danses du Prince Igor zu Musik aus dem II. Akt von Le Prince Igor der Fall, mit der Djagilev eine behutsame Verbindung zwischen der Oper und den 1909 erstmals auf dem Programm stehenden russischen Balletten schuf. Gesungen von Šaljapin, Elisabeth Petrenko (1880–1951) und dem Chor des Moskauer Bol’šoj-Theaters182 vereinten die Danses du Prince Igor mehrere prägnante Elemente des Pariser Musiklebens und seiner Rezeption  : Zuerst einmal gehörte der Ausschnitt aus Le Prince Igor zum bewegendsten Teil von Aleksandr Borodins (1833–1887) Oper und zeichnete sich Robert Brussel vom Figaro zufolge durch seine Einheit, seine Poesie und seine Varietät aus.183 In der Tat finden sich diese Kriterien, die auch für das Rezeptionsmodell der Pariser Sinfoniekonzerte typisch waren, in den starken Kontrastwirkungen bei einer abgerundeten Form der beiden Stücke der Danses du Prince Igor wieder, deren Musik aus der Danse des jeunes filles polovtsiennes (II. Akt, Nr. 8) und der Danse polovtsienne et chœur (II. Akt, Nr. 17) bestand.184 Im zweiten Stück ist die regelmäßige Form mit der wiederkehrenden Chormelodie einer stetig ansteigenden Dynamik unterlegt  : Nach einem ruhigen Beginn überschlagen sich 181 Cerdannes, „La Saison Russe“, in  : Comœdia illustré, 15. Juni 1909, S. 334  ; Auguste Serieyx, „Chronique Musicale. A propos des Russes“. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2). Vgl. auch Arthur Pougin, „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 29. Mai 1909, 75. Jahrgang, Nr. 22, S. 171  ; Ders., „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 12. Juni 1909, 75. Jahrgang, Nr. 24, S. 188  ; Arkel, „Au Théâtre. La Saison Russe au Châtelet“, in  : Le Matin, 4. Juni 1909, S. 4  ; Gaston Carraud, „Les Premières. Théâtre du Châtelet. – Ouverture de la saison russe“, in  : La Liberté, 21. Mai 1909, S. 3  ; Émile de Saint-Auban, „Châtelet (Saison russe)“, in  : Le Soleil, 7. Juni 1909, S. 2  ; Montcornet, „Premières Représentations. Théâtre du Châtelet  : Opéra et ballet russes“, in  : Le Petit Parisien, 20. Mai 1909, S. 2  ; Albert Renaud, „La Vie au Théâtre. Critique Musicale. Théâtre du Châtelet (Saison Russe)“, in  : La Patrie, 6. Juni 1909, S. 3. 182 Brussel, „La Saison Russe. Judith “, in  : Le Figaro, 9. Juni 1909, S. 5. 183 Ders., „La Saison Russe. Premier Spectacle“, in  : Le Figaro, 20. Mai 1909, S. 5. 184 Vgl. beim ersten Stück das ritornellartig wiederkehrende Thema (Ziffern A, D und G) und die Zwischenteile, die größere dynamische Kontraste aufweisen und groß angelegte crescendi vollziehen. Borodin, Fürst Igor, 1983, S. 262–282.



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die Takt- und Tempowechsel verschiedener melodischer Teile, die aus unterschiedlichen russischen Tänzen entlehnt sind.185 Dieses Prozedere wiederholt sich nach der Hälfte des Stücks (Wiederaufnahme des Anfangschors) auf einer noch bewegteren Ebene und kulminiert am Ende in einem Allegro con spirito.186 Die Danses du Prince Igor gehorchen somit der dynamischen Form einer Berlioz’schen Marche Hongroise, die sie durch die virtuosere Nutzung der einzelnen musikalischen Parameter noch steigern. Auf diese Weise wird der Musik ein starker Momentcharakter verliehen, der jedoch keinesfalls eine feste Grundstruktur infrage stellt. Die musikalische Ausrichtung auf wirkungsvolle Kriterien wurde durch eine effektvolle Visualität unterstützt. Michail Fokins (1880–1942) neue Choreographie sollte vor allem durch ihre Massenszenen begeistern,187 was ihm auch gelang. Sein Verdienst war es, seine Choreographie so eng an den musikalischen Ausdruck angepasst und so lebhaft gestaltet zu haben, dass die Vereinigung von Musik und Inszenierung das Publikum kollektiv mitriss  : „Am anderen Abend gab es einen Moment, in dem der gesamte Saal, der ganz von der Besessenheit der Tänze der Sklaven und polovtsienser Kämpfer erfasst war, fast aufgesprungen wäre, um zu den Waffen zu greifen. Diese lebhafte Musik, diese Bogenträger mit ihren feurigen, leidenschaftlichen, wilden Gesten, dieses ganze Menschengetümmel, diese hochgerissenen Arme, diese hektischen Hände, die Blendung durch diese vielfarbigen Kostüme versetzten dieses von diesem Fieber und dieser Tollheit der Bewegungen erstaunte Pariser Publikum für einen Moment in eine Art von Schwindel.“188

185 Vgl. die Teile Allegro vivo im 4/4-Takt (T 46) – Allegro im 3/4-Takt (T 91) – Presto im 6/8-Takt (T 233). A.a.O., S. 408–442. 186 Der 2. Teil des zweiten Stücks beginnt mit einem Moderato alla breve im 2/2-Takt (T 369), darauf folgen ein Presto im 6/8-Takt (T 433) und schließlich das Allegro con spirito im 4/4-Takt (T 571). A.a.O., S. 443–479. 187 Harris, „Danses du Prince Igor“, 1987, S. 233. 188 Jules Claretie, „De la danse, de la valse et des mœurs à propos de danseurs russes“, in  : Le Temps, 21. Mai 1909, S. 3  ; „Premières représentations. Châtelet – Saison Russes. Opéra. Ballet“, 21. Mai 1909. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2)  ; B. de Lomagne, „Les Premières. Châtelet. – Représentations russes“, in  : Le Soir, 22. Mai 1909, S. 1. Vgl. auch Arthur Coquart, „Ivan le Terrible“, in  : L’Écho de Paris, 27. Mai 1909, S. 4.

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Die schnelle Bewegungsdynamik sicherte den Ballets Russes noch oft einen großen Publikumserfolg. Auch die Tänze in Cléopâtre, einem musikalischen Potpourri aus Stücken von Antonij Arenskij (1861–1906), Sergej Taneev (1856– 1915), Nikolaj Rimskij-Korsakov, Michail Glinka, Modest Musorgskij und Aleksandr Glazunov wurden von Djagilev unter höchst funktionalen Aspekten – darunter vor allem Eindruckshaftigkeit und Mitreißendes – ausgewählt. Im Gegensatz hierzu lehnten die Kritiker die langsamere, schwere Musik Arenskijs kategorisch ab.189 Auch Nikolaj Čerepnins (1873–1945) als wagnerianisch beschriebene Musik190 in Le Pavillon d’Armide fand wenig Zustimmung.191 Ihre Musik hatte vor allem keine dramatische Kraft, die das Publikum hätte mitreißen können. Das Zusammenwirken von bewegter Musik und Choreographie auf der Bühne fügte sich in der Mehrzahl der Fälle so gut in das Bühnenbild ein, dass die Presse den Hauptgrund für die große Attraktion des Publikums während der Ballettaufführungen in der perfekten Überlagerung der verschiedenen Künste ausmachte  : „Aber die absolute Schönheit der Aufführung entsteht zum wiederholten Mal aus der wunderbar kunstvollen Vereinigung aller Künste. Manchmal ist es die Musik, oft sind es die Tranzgruppen von Herrn Fokine, und die Tänzer 189 Serieyx, „Chronique Musicale. A propos des Russes“. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2)  ; Robert Brussel, „La Saison Russe. Rousslan et Ludmila (1er acte), opéra de Michel Glinka  ; les Sylphides, rêverie romantique, en un acte, musique de Chopin, Cléopâtre, drame chorégraphique, en un acte, musique de A. Arensky“, in  : Le Figaro, 5. Juni 1909, S. 6. 190 Georges Boyer, „Premières représentations. Théâtre du Châtelet – Ouverture de la Saison Russe“, in  : Le Petit journal, 20. Mai 1909, S. 2. Auch in der Saison 1911 assoziierte ein Kritiker Čerepnins Musik mit dem Wagner’schen Stil. Gaston Carraud, „Théâtres. Châtelet. – Représentations des ballets russes  : le ‚Spectre de la Rose‘, ‚Narcisse‘, ‚Sadko‘“, in  : La Liberté, 5. Juni 1911, S. 3  ; Souday, „Les Premières. Au Châtelet. La Saison russe“, in  : L’Éclair, 20. Mai 1909, S. 3. 191 „Musique. Théâtre du Châtelet“. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2)  ; Brussel, „La Saison Russe. Premier spectacle“, in  : Le Figaro, 20. Mai 1909, S. 5  ; Henry Gauthier-Villars, „Opéra Russe (Châtelet). Le Pavillon d’Armide. Le Prince Igor. Le Festin“, in  : Comœdia, 20. Mai 1909, 3. Jahrgang, Nr. 598, S. 1  ; Laloy, „Le Mois. Chronique. La Saison Russe“, in  : Bulletin français de la S.I.M., Juni 1909, S. 584  ; De Curzon, „La ‚Saison Russe‘ à Paris“, in  : Le Guide musical, 23. und 30. Mai 1909, S. 435  ; Pougin, „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 29. Mai 1909, S. 171  ; Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Saison Russe“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1909, 1910, S. 339  ; Victor Debay, „La Saison Russe au Châtelet. Le Pavillon d’Armide. – Le Festin. – Le Prince Igor“, in  : Le Courrier musical, 1. Juni 1909, 12. Jahrgang, Nr. 11, S. 380.



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sind es immer“,192 resümierte Robert Brussel einen der ersten Ballettabende des russischen Ensembles. Dass eine solche Gesamtkunstwerk-Ästhetik im Paris um 1900 vor allem mit populären Musiktheaterformen zusammenhing, zeigen die mannigfaltigen Vergleiche der künstlerischen Wirkungskraft oder auch nur einzelner Bühnendetails mit den Folies-Bergères oder der Opéra-Comique.193 Die Inszenierungen dieser Theater wurden von den Ballets Russes in zwei entscheidenden Punkten jedoch noch übertroffen  : Zum einen zeichneten sich die Vorstellungen der „Saisons russes“ durch eine starke, für die Zeitgenossen fast barock anmutende visuelle Eindruckskraft aus,194 die durch den Zusammenklang der verschiedenen Künste noch gesteigert wurde195 – und das, ohne die „unnütze Üppigkeit“ und den „ruinösen Protz“ der Pariser Theater nachzuahmen. Schon in dieser Hinsicht wiesen die Inszenierungen der Opéra-Comique zweitens „weniger Schwung“ auf und blieben „ohne diese köstliche Mischung aus Feinheit und Unförmigkeit“, die die „Saison russe“ auszeichnete.196 Die Atmosphäre während der Vorstellungen war schließlich so vereinnahmend, dass die Kritiker sie sich auch für den gängigen Pariser Theaterbetrieb wünschten. „Staunen, nur vor Bewunderung und Freude in Gegenwart einer schönen Sache in Schwingung versetzt werden“,197 lautete die Parole für eine Verbesserung der 192 Brussel, „La Saison Russe. Rousslan et Ludmila“, in  : Le Figaro, 5. Juni 1909, S. 6  ; JacquesÉmile Blanche, „Les Décors de l’Opéra Russe“, in  : Le Figaro, 29. Mai 1909, S. 1. 193 Brief von Claude Debussy an Gabriel Astruc vom 12. Juni 1909. MUS, L. a. Debussy 41  ; E. D., „Les représentations d’opéra et de ballet russes au théâtre du Châtelet“, in  : Revue musicale, 1. Juli 1909, S. 334  ; Laloy, „Le Mois. Chronique. La Saison Russe“, in  : Bulletin français de la S.I.M., Juni 1909, S. 591–592  ; Camille Le Senne, „Premières et reprises. Opéra Russe  : de Glinka à Arensky“, in  : Le Siècle, 6. Juni 1909, S. 2. 194 Boris Kochno beschrieb die Vorstellungen der Ballets Russes als „die Erfüllung des Traums der Renaissance-Künstler, eine Synthese aller Theaterkünste, eine Erneuerung des großen Hofspektakels, des prächtigsten Festes, wo alles verschmolzen wurde, um die Gesamtheit aller menschlichen Sinne anzuregen, aber bei dem das Visuelle, die Verzückung der Augen, der sicherste Zauber war…“ Hiégel, L’Histoire des Ballets Russes, 1975, S. 2. 195 G. V., „Théâtres de Paris. – Saison Russe. – Premier acte de Rousslan et Ludmila“, 5. Juli 1909/„Premières représentations. Châtelet – Saison Russe“, 5. Juli 1909. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2). 196 Laloy, „Le Mois. Chronique. La Saison Russe“, in  : Bulletin français de la S.I.M., Juni 1909, S. 591–592. 197 Blanche, „Les Décors de l’Opéra russe“, in  : Le Figaro, 29. Mai 1909, S. 1  ; Ders., „Après la Saison Russe“, in  : Le Figaro, 3. Juli 1909, S. 1.

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Bühnenpräsenz und der Inszenierung in den französischen Theatern nach dem Vorbild der Ballets Russes und ihrem Akzent auf dem Künstlerischen. Wie aber sah die „Schwingung“ zwischen Publikum und Darstellern nun in den Vorstellungen der Ballets Russes vor dem Hintergrund aus, dass Astruc hier eine künstlerisch-gesellschaftliche Symbolik zu propagieren versuchte  ? Innerhalb seines Konzepts, das Pariser Publikum auf eklektizistische Art an das russische Ballett zu gewöhnen, operierte Djagilev auch auf kulturell-nationalistischem Terrain. Als „französischen Teil“ hatte er ein Ballett in das Programm aufgenommen, das die historische Nähe der russischen Balletttradition zum französischen Ballett (durch zum Beispiel Marius Petipa (1818–1910)) hervorhob. Dabei handelte es sich um Les Sylphides, ein handlungsloses Ballett zu Préludes, Valses, Mazurkas und einer Nocturne von Chopin in der Orchestrierung von Sergej Taneev, Igor Stravinskij, Nikolaj Solokov (1859–1922), Anatoli Ljadov (1855–1914) und Aleksandr Glazunov. Les Sylphides lehnten sich im Titel an das französische romantische Ballett La Sylphide (1832) an, an dem sich Leon Bakst (1866–1924) auch für die Kostüme für die „Saison russe“ 1909 orientierte. Im Gegensatz zu La Sylphide waren die russischen Sylphides jedoch kein Handlungsballett, sondern erklärten den Tanz selbst zu ihrem Mittelpunkt.198 Vor dieser Folie verfolgte Les Sylphides auf choreographischer, musikalischer und bühnenbildnerischer Ebene eine Konzeption, die auf vertrauten Traditionen, das heißt vor allem auf einer klassischen Symmetrie basierte, diese jedoch nach Art der Ballets Russes in mehreren Details modifizierte. Michail Fokin legte Les Sylphides eine choreographische ABA-Form zugrunde  ; die Endposition nahm die des Anfangs wieder auf.199 Dies galt auch für die Motivik und die harmonische Anlage der Musik, die sich zum Beispiel mit Chopins Nocturne in As-Dur in der Orchestrierung von Stravinskij – dem Schlussstück von Les Sylphides – durch eine strenge, über das ganze Stück hin durchdeklinierte Bogenform auszeichnete.200 Auch auf der räumlichen Ebene charakterisierte sich die Choreographie durch die herkömmliche starke Symmetrie, die sich in Halbkreisen und der Akzentuierung der Bühnenmitte ausdrückte. Das Bühnenbild von 198 Harris, „Fokin  : Les Sylphides (1909)“, 1987, S. 234–235. 199 Buckle, Diaghilev, 1979, S. 149. 200 Danuser, „Traduttore – Traditore   ?“, 2000, S. 61–67.



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Aleksandr Benua (1870–1960), der für das Musiktheater gezielt eine Verschmelzung von Musik, Tanz und Kunst zwecks Erzeugung einer Illusion anstrebte201 und damit eine Konzeption vertrat, die der Bühnenästhetik des grand spectacle sehr ähnlich war, hielt sich ebenfalls an eine symmetrische Grundstruktur. Das Publikum nahm die vertrauten klassischen Elemente mit Wohlwollen auf.202 Die Kritiker bemerkten ein weiteres Mal die enorme Lebhaftigkeit des russischen Ensembles.203 Die Nähe der Sylphides zum französischen klassischen Tanz animierte derweil die Diskussionen im Foyer während der Pausen.204 Fast einstimmig erklärte man das Ballett als Modell zur Rehabilitation des französischen Tanzes, der schon seit Jahren keine Neuerungen mehr hervorgebracht habe und an dem man somit das Interesse verloren hatte.205 Obwohl die Kritiker die Lebhaftigkeit einerseits mit der russischen Tanz- und Musik-Kultur206 und andererseits mit den institutionellen Bedingungen der russischen Musiktheater erklärten,207 die von den kultivierten Milieus Sankt Petersburgs gefördert wurden,208 war Konsens, dass Frankreich sich an den Ballets Russes ein Beispiel nehmen solle.209 Die von Djagilev gesuchte Nähe zur französischen Tradition und Astrucs künstlerische anstatt politische Inszenierung des Publikums hielt das Pariser Publikum folglich davon ab, die russischen Vorstellungen als Eingriff in die eigene Kultur von außen zu sehen. Stattdessen ebneten eindeutige künstlerische französische Reminiszenzen den Weg für eine Vermischung der russischen Tanzästhetik mit der gegenwärtigen Pariser Musiktheaterkultur, was 201 Kullen/Richter, „Alexandre Benois und Mir Iskusstwa“, 1994, S. 8. 202 G. V., „Théâtres de Paris. Châtelet – Saison Russe“. ARS, Fonds Rondel, Ro 12415 (2)  ; Brussel, „La Saison Russe. Rousslan et Ludmila (1er acte)“, in  : Le Figaro, 5. Juni 1909, S. 6. 203 Marty, „Encore les Ballets Russes“, in  : Comœdia illustré, 15. August 1909, S. 459. 204 Paulino, „La Soirée“, in  : Comœdia, 20. Mai 1909, 3. Jahrgang, Nr. 598, S. 2. 205 Cerdannes, „Saison Russe 1909“, in  : Comœdia illustré, 15. Juni 1909, S. 333. 206 „Musique. Théâtre du Châtelet  : Saison Russe“. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2)  ; Blanche, „Après la Saison Russe“, in  : Le Figaro, 3. Juli 1909, S. 1. 207 Carraud, „Les Premières. Théâtre du Châtelet. – Ouverture de la saison russe“, in  : La Liberté, 21. Mai 1909, S. 3. 208 Paulino, „La Soirée“, in  : Comœdia, 20. Mai 1909, S. 2  ; Louis Schneider, „L’École de Ballet de Saint-Pétersbourg“, in  : Musica, Juni 1909, Nr. 81, S. 84–85  ; Ders., „Le Ballet Russe“, in  : Le Théâtre, Mai (I) 1909, Nr. 249, S. 15  ; „Premières Représentations. Châtelet – Saison Russe. Opéra. Ballet“, 21. Mai 1909. ARS, Fonds Rondel, Ro 12514 (2). 209 Gaston Carraud, „Les Premières. Châtelet. – Troisième spectacle de la saison russe“, in  : La Liberté, 6. Juni 1909, S. 2.

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den mit einem politischen Rahmen versehenen Salome-Vorstellungen auf einer solch breiten Ebene verwehrt geblieben war. Mitverantwortlich für diese sich abseits von Politik und Nationalismus nur auf künstlerischer Ebene vollziehende Entwicklung waren die filigranen Neuerungen, die Fokin, Stravinskij und Benua in das klassische Konzept von Les Sylphides einführten und die in ihrer Klarheit auf die Modifikation bestehender Rezeptionsmodelle zielten. Dies passierte sehr unterschwellig in Musik und Choreographie und sehr offensichtlich im Bühnenbild. Stravinskij zum Beispiel hatte Chopins durch und durch kreisförmige Nocturne mit einer orchestralen Farbigkeit versehen, die „einen Taumel oder ein Delirium suggeriert, aber es ist ein kontrolliertes Delirium, das Stravinsky hier inszeniert“.210 Stravinskijs Orchestration bediente sowohl die klassische Form des gängigen französischen Rezeptionsmodells, als er sie zugleich mit einer lebhaften Farbigkeit versah, mit der die russische Musik allgemein das Pariser Publikum begeisterte und die sich an den zweiten Parameter neben der Bogenform, die stetig ansteigende Dynamik, anlehnte.211 Benua hingegen kehrte die bestehende Struktur des halbkreisförmigen Hintergrundes vollständig um  : Der Halbkreis, den der Bühnenbildner der romantischen Szenerie zugrunde legte, war entgegen Fokins Choreographie nicht mehr dem Publikum zugewandt, sondern öffnete sich gen Bühnenrückwand. Auf diese Weise schloss Benua die symmetrischen Hälften Bühne und Saal nicht wie sonst spiegelartig zusammen, sondern reihte eine weitere Halbkreisfigur vor den Halbkreis im Saal.212 Diese geometrische Anlage zweier hintereinandergestellter Halbkreise wurde durch choreographische Elemente unterstützt. Die zweite Solistin zum Beispiel „beendet ihr Solo in einer Pirouette auf der Spitze, die sie mit dem Rücken zum Publikum hin schließt“.213 Durch diese Pirouette nahm die Tänzerin gewissermaßen dieselbe Perspektive wie das Publikum auf den in Richtung Bühnenrückwand geöffneten Halbkreis ein. Hält man sich vor Augen, dass Astruc die unbeschäftigten russischen Tänzerinnen in die 1. Reihe des 1. Balkons gesetzt hatte, ergibt sich 210 Danuser, „Traduttore – Traditore   ?“, 2000, S. 69. 211 A.a.O., S. 68–73. 212 Vgl. das Bild zu Les Sylphides in Dahlhaus/Döhring (Hg.), Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 2, 1987, S. 235. 213 Dale Harris, „Les Sylphides“, 1987, S. 235.



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Abb. 31 : Les Sylphides von Fokin und Benua.

aus diesem Perspektivenwechsel eine von der Bühne ausgehende geometrische Gleichsetzung der Tänzer mit dem Publikum durch eine tänzerische Figur, die der französische Ballettmeister Jean Georges Noverre (1727–1810) zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfunden hatte und die auf diese Weise eine wichtige Etappe des französischen Tanzes evozierte. Diese Gleichsetzung unterscheidet sich von der herkömmlichen Integration des Publikums durch die absolute geometrische Kongruenz der Bühne aus der Blickrichtung der Zuschauer. Einerseits suggerierte die Abgewandtheit des Halbkreises und der Tänzerin vom Publikum, die Bühne sei ein vom Saal abgeschlossener Raum, und bestärkte so das althergebrachte System der Opéra, nämlich die künstlerische Szenerie auf der Bühne und die gesellschaftliche Valenz des Saals als gleichwertige und unabhängige Räume. Andererseits musste sich der Zuschauer durch die Perspektivgleichheit und durch die Wiederaufnahme des Halbkreises der „corbeille“ mit der Bühne gleichgesetzt 214 Vgl. auch Lomax, „Les Sylphides. Diaghilev Production“, 1998, S. 62.

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fühlen, anstatt lediglich Teil des Theaterspektakels zwischen Bühne und Saal zu sein. Künstler und Zuschauer standen sich nicht mehr gegenseitig animierend gegenüber, sondern sahen in dieselbe Richtung auf den von Benua gemalten Bühnenhintergrund, der die Deckungsgleichheit von Bühne und Saal und somit auch von Tänzern und Zuschauern suggerierte. Da es sich um die Gleichsetzung der Blickrichtung innerhalb zweier hintereinandergestellter Halbkreise zusammen mit einer personellen Gleichsetzung von Bühnen- und Zuschauerraum und nicht mehr um die totale Symmetrie des „Rundtanzes“ handelte, mag auch der räumliche Einfall des Sankt Petersburger Orchesters in den Saal den Zuschauern der Ballets Russes als nicht mehr so schwerwiegend erschienen sein. Vor diesem Hintergrund zwischen Tradition und Innovation erscheint es nicht mehr als Zufall, dass sich die Zuschauerinnen animiert fühlten, die Kostüme und Farben der Ballets Russes in ihre Kleidung und Mode zu integrieren, die bald ganz Paris dominieren sollten, und das Publikum sich allgemein dem Snobismus öffnete. Die Verschmelzung von Kunst und öffentlichem Leben wurde auch von Aleksandr Benua so gesehen, der die künstlerische Erneuerung, die die Ballets Russes dem Pariser Publikum aufzeigten, als „Bestandteil der allgemeinen Kultur“ bezeichnete.215 Die eklektische Konzeption der Ballets Russes hatte Astrucs symbolisch-künstlerische Publikumsinszenierung erfolgreich an das Bühnengeschehen gebunden und zwischen Bühne und Saal eine „Schwingung“ hergestellt, deren gesellschaftliche wie künstlerische Wirkung weit über die einzelnen Aufführungen im Théâtre du Châtelet hinausreichte. 4.2.2 Italienische Melodien  : Oper wie in der Opéra

Nach dem erfolgreichen Abschluss der „Saison russe“ 1909 brach ein offener Streit zwischen Astruc und Djagilev aus, der sofort abreiste und dem Pariser Impresario seinen Anteil an den hohen Kosten nicht zahlte. Astruc reagierte mit dem Verkauf der wertvollen russischen Kostüme an die Oper Monte Carlo216 215 Article dactylographié écrit par A. Benois qui dût paraître dans le Journal de St Pétersbourg Resch N° 165, article intitulé „Lettres artistiques, les Représentations russes à Paris“. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. 216 Vertragsentwurf über den Verkauf der Kostüme zwischen Sergej Djagilev und Gabriel Astruc vom 29. Juni 1909. Ebd.



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und mit zahlreichen Anstrengungen, eine nächste „Saison russe“ unter Djagilevs Leitung unter jeden Umständen zu verhindern. Er versuchte, den russischen Impresario in der französischen und russischen Presse in Verruf zu bringen217 und wichtige Sänger aus Djagilevs Umfeld durch ein Engagement früh an eigene musikalische Planungen zu binden, damit sie Djagilev nicht mehr zur Verfügung stünden.218 Da Šaljapin jedoch bereits bei Djagilev für eine nächste Saison zugesagt hatte219 und auch das Engagement weiterer Sänger wie Félia Litvinne und Aleksandr Davidoff (1872–1944) nicht sicher war, begann Astruc, eine echte Konkurrenz-Saison mit nicht-russischen Interpreten zu organisieren. Dabei handelte es sich um eine weitere „Saison italienne“ in Zusammenarbeit mit dem Ensemble der Metropolitan Opera New York. Mit dem New Yorker Opernhaus stand Astruc seit der Pariser Salome-Produktion in Kontakt, für die ihm der Direktor Heinrich Conried (1855–1909) die Sopranistin Olive Fremstad ausgeliehen hatte.220 Unter den neuen Direktoren Giulio Gatti-Casazza (1869–1940) und Andreas Dippel (1866–1932) hatte Astruc seine Beziehungen zur Met mittlerweile bis zu einem Exklusivvertrag für Frankreich ausgebaut.221 Für die „Saison russe“ war Gatti-Casazza höchstpersönlich nach Paris gereist, um die neue Präsentation russischer Kunst nach dem 217 Astruc schrieb einen Rapport Confidentiel an das Ministerium (leider ist nicht überliefert, um welches Ministerium es sich handelt). Der vertrauliche Bericht schloss mit der Bitte, Djagilevs nächste Saison zu sanktionieren. Rapport Confidentiel sur la SAISON RUSSE organisée à Paris au Théâtre Municipal du Châtelet en Mai-Juin 1909 par les soins de MM. Serge de Diaghilew et Gabriel Astruc. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Ballets Russes, II(49) und III(52). In Bezug auf die russische Presse s. Telegramm von Gabriel Astruc an Novoie Wronya, St. Petersburg, vom 24. Juli 1909. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. 218 Brief von Gabriel Astruc an Mathilde Kachesinska vom 2. August 1909. Ebd.; Telegramm von Gabriel Astruc an Fëdor Šaljapin vom 28. Juli 1909/Brief von Davidoff an Gabriel Astruc vom 29. Juli 1909. AN, Fonds Astruc, 409 AP/1. 219 In Telegrammen vom 10. Juni 1909 und vom 8. Oktober 1909 sagte Šaljapin Astruc wiederholt ab. Telegramme von Fëdor Šaljapin an Gabriel Astruc vom 10. Juni 1909 und vom 8. Oktober 1909. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. 220 Neben Trémants Vorschlag aus Turin hatte Astruc 1907 auch mit dem damaligen Direktor der Metropolitan Opera New York, Heinrich Conried, eine Projektskizze für eine „Saison italienne“ entwickelt. Brief von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 9. August 1907. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2. 221 „New York. Thompson’s Cablegram“, in  : New York American. Musical Courrier, 24. März 1909  ; „Revues Américaines”, in  : Le Cri de Paris, 8. April 1909. A.a.O., 409 AP/4.

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eindrucksvollen Boris Godounov mitzuerleben. Während er Astruc dort als Agent des Tenors Dmitrij Smirnov (1882–1944) verpflichtete, für den sich die Metropolitan Opera sehr interessierte,222 sprach ihn der findige und ständig nach neuen Interpreten suchende Pariser Impresario sofort auf eine Pariser Saison mit dem Ensemble der Metropolitan Opera an. Gatti-Casazza war interessiert,223 sodass es Astruc leicht möglich war, auf die Met für eine Saison als Konkurrenzunternehmen gegen Djagilev zurückzukommen. Im August 1909 kam ein Treffen zwischen ihm, seinem Co-Direktor Dippel und Astruc in Venedig zustande, wo eine gemeinsame „Saison italienne“ in Paris beschlossen wurde.224 Zu den vertraglichen Details, die im Oktober 1909 festgelegt wurden, gehörten die Mitwirkung Enrico Carusos an den Pariser Aufführungen sowie die Bereitstellung des Bühnenbilds durch die Met.225 Gerade der berühmte Tenor Caruso war es, durch den Astruc mit einem regen Zuspruch des gehobenen Pariser und auch internationalen Publikums für seine „Saison italienne“ rechnen konnte, obwohl diese keine so große Neuigkeit wie die „Saison russe“ vom Vorjahr darstellte. Erst im November 1908 hatte die Comtesse Greffulhe noch geplant, ein Galakonzert mit Enrico Caruso für Mai 1909 zu organisieren.226 Auch der italienische Adel interessierte sich für Astrucs „Saison italienne“, sodass sich die Grafen Brunetta d’Usseaux und San Martino bereit erklärten, Astruc bei der Zusammenstellung eines italienischen Garantiekomitees behilflich zu sein. Beide Grafen sprachen sich für politisch einflussreiche Mäzene aus (sie dachten an den König von Italien und an die Prinzessin Poggio-Suasa aus der Adelsfamilie Ruspoli), allein schon, da man ihrer Meinung nach die großen politischen Entscheidungen, „das wissen Sie besser als ich, beim Klang guter Musik“ fällte.227 Im Zusammenhang mit der 222 Brief von Jué an Gabriel Astruc vom 17. August 1909. A.a.O., 409 AP/1. 223 Gatti-Casazza, Memories of the Opera (1941), 1973, S. 175. 224 Brief von Gabriel Astruc an Jué, o. D. [ca. 23. Juni]. AN, Fonds Astruc, 409 AP/1. 225 Briefe von Gabriel Astruc an Giulio Gatti-Casazza vom 5. und 6. Oktober 1909. A.a.O., 409 AP/2. 226 Brief von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 26. Februar 1908. A.a.O., 409 AP/10. Astruc hatte schon zum Projekt E. Trémants 1908 geäußert  : „Seit einigen Jahren gibt es in Paris ein wahnsinniges Verlangen nach melodischer Musik und nach Bel Canto“. Projekt von Gabriel Astruc für eine Saison Italienne auf das Angebot Trémants hin, o. D. A.a.O., 409 AP/31. 227 Brief von Brunetta d’Usseaux an Gabriel Astruc vom 19. September 1909. A.a.O., 409 AP/34  ; Brief von Gabriel Astruc an den Grafen San Martino vom 14. Oktober 1909. A.a.O., 409 AP/2.



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italienischen Kultur optierte man also für ein politisches Modell der Zuschauerschaft, das in Paris nach der „corbeille“ mittlerweile überholt schien. Was die Pariser Werbung anbelangt, tat Astruc derweil alles dafür, seine „Saison italienne“ als die „grande saison de Paris“ vor möglichen Unternehmungen Djagilevs zu verkaufen.228 Ein wichtiges Element war das Programm, für das sich Astruc bemühte, die berühmtesten italienischen Opern der beiden Hauptverleger Edoardo Sonzogno (1836–1920) und Tito Ricordi (1865–1933) in einer Saison zu vereinen. Während Ricordi ihm ohne Weiteres seine Opern Otello, Gioconda, Mefistofele und Manon Lescaut gratis überließ, wenn Astruc ihn dafür in das Garantiekomitee einschriebe,229 weigerte sich Sonzogno strikt, Astruc auch nur eine seiner beiden Opern Cavalleria Rusticana und I Pagliacci in das Programm aufnehmen zu lassen. Sonzogno stand Astrucs „Saison italienne“ grundsätzlich feindlich gegenüber, da die Metropolitan Opera seinen Vertrag über die Aufführung der Opern aus seinem Repertoire, der durch Astrucs Vermittlung zustandegekommen war, nur notdürftig erfüllte. Trotzig erklärte er Astruc, die Aufführungsrechte seiner beiden Opern für Frankreich schon an Albert Carré (1852–1938) von der Opéra-Comique vergeben zu haben, worauf Astruc sofort mit Carré Verhandlungen aufnahm.230 Die List, Carré die Uraufführung einer Oper des unbekannten italienischen Komponisten Torre Alfina unter der Leitung von Arturo Toscanini unterzujubeln, wobei Carré seinen Toscanini-Galaabend bekam und Astruc die von Torre Alfina versprochene Finanzspritze,231 scheiterte aber. Weder wollte Toscanini das Werk von Torre Alfina dirigieren, noch hatte Carré Lust, das aufwändige Werk einzustudieren.232 Als schließlich auch Šaljapin und Lina Cavalieri (1874–1944), eine Sängerin von der Manhattan-Opera New York, dem Konkurrenz-Unternehmen der Met, Astruc definitiv absagten,233 drohte seine Saison künstlerisch und finanziell zu scheitern. Auch 228 Brief von Gabriel Astruc an Giulio Gatti-Casazza vom 11. Oktober 1909. Ebd. 229 Brief von Tito Ricordi an Gabriel Astruc vom 6. Oktober 1909. A.a.O., 409 AP/28. 230 Brief von Edoardo Sonzogno an Gabriel Astruc vom 16. Oktober 1908. A.a.O., 409 AP/10  ; Brief von Edoardo Sonzogno an Gabriel Astruc vom 27. Oktober 1909. A.a.O., 409 AP/15. 231 Briefe von Gabriel Astruc an Giulio Gatti-Casazza vom 11. und 19. Oktober 1909. A.a.O., 409 AP/2. 232 Brief von Gabriel Astruc an G. P. Centanini vom 29. Oktober 1909. Ebd. 233 Auch Ricordi hatte versucht, Šaljapin von einem Engagement bei Astrucs „Saison italienne“ zu überzeugen. Brief von Tito Ricordi an Gabriel Astruc vom 21. Oktober 1909. A.a.O., 409

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wenn Astruc daraufhin versuchte, seine Saison mittels einer sensationellen Presse am Leben zu erhalten (obwohl er Emmy Destinn nicht aus ihrem Engagement am Covent-Garden Theater London lösen konnte, kündigte er sie trotzdem in der Presse an234) und auch weiterhin gegen Djagilevs Finanzierung einer neuen „Saison russe“ agierte,235 musste er doch bald erkennen, dass eine Aussöhnung mit dem russischen Impresario unabdingbar war – vor allem, da Djagilev für 1910 die Opéra reserviert hatte. Diese Erkenntnis war ganz im Sinne des Pariser Künstler- und Kritikerpublikums in Person von Misia Edwards und Robert Brussel, die am 22. Dezember 1909 erfolgreich zwischen Astruc und Djagilev vermittelten,236 sodass die beiden am 25. Februar 1910 vor dem Berufungsgericht über die Begleichung der noch ausstehenden Schulden offiziell übereinkamen.237 Auf diese Weise stand einer nochmaligen Zusammenarbeit zwischen dem künstlerischen Leiter des russischen Ensembles und dem gesellschaftlich gut eingebundenen Pariser Impresario nichts mehr im Wege. Das Zusammenwirken sowohl künstlerischer als auch gesellschaftlich-symbolischer Elemente, wie sie Djagilev und Astruc für ihre Aufführungen konzipierten, scheint dem vermittelnden Pariser Künstlerpublikum so sehr am Herzen gelegen zu haben, dass es sich aktiv für die Versöhnung von Djagilev und Astruc engagierte. Im Folgenden organisierten Astruc und Djagilev sowohl eine „Saison russe“ als auch die „Saison italienne“ für den Sommer 1910 in gegenseitiger Absprache der Termine und Interpreten.238 Die Erfolgsformel für solche Saisons stand AP/28  ; Brief von Gabriel Astruc an Max Mapou vom 25. Oktober 1909. A.a.O., 409 AP/2  ; Telegramm von Fëdor Šaljapin an Gabriel Astruc vom 3. November 1909. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. Selbst wenn Astruc Giacomo Puccini einspannte, um Lina Cavalieri zu engagieren, reagierte Gatti-Casazza fortwährend allergisch auf Astrucs Bemühen um die Sängerin. Brief von ­Gabriel Astruc an Giacomo Puccini vom 20. Oktober 1909/Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an ­Gabriel Astruc vom 22. März 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2. 234 Brief von Gabriel Astruc an G. P. Centanini vom 29. Oktober 1909. Ebd. 235 Brief von Gabriel Astruc an Félia Litvinne vom 11. Dezember 1909. A.a.O., 409 AP/20. 236 Brief von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev vom 11. Februar 1910. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1  ; Brief von Gabriel Astruc an Robert Brussel vom 22. Dezember 1909. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Ballets Russes, II(40). 237 Brief von Robert Brussel an Sergej Djagilev vom 24. Januar 1910. A.a.O., III(69)  ; Brief von Richard Léon, Avoué près de la Cour d’Appel, an Gabriel Astruc vom 25. Februar 1910. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. 238 Brief von Robert Brussel an Sergej Djagilev, o. D. Ebd.



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von Produktionsseite nun unwiderrufbar fest  : Sie zeichneten sich durch ihren Fokus auf hervorragenden Interpreten von Weltruhm oder ausländischen Ensembles von international herausragenden Musikinstitutionen aus. Ein lediglich pittoreskes Nationalkolorit oder russische Tanz- und Musikgruppen sehr volkstümlichen Stils schieden hingegen aus  ; Astruc wollte seinem Publikum keine „Nummern“ bieten.239 Als Aufführungsorte wählte man vornehmlich die Opéra und das Théâtre du Châtelet (diese beiden Theater waren dabei gleich groß). Zielgruppe der sensationell angelegten Veranstaltungen war das wohlhabende Pariser und internationale Publikum aus der Adelsschicht und aus Künstlerkreisen, das Astruc „in der Hand hatte“.240 „In der Hand haben“ bedeutete eine sehr persönliche und direkte Beziehung des Impresarios zu seinem Publikum  ; für die „Saison russe“ 1909 hatte Astruc nach eigenen Angaben knapp 15000 Briefe verschickt.241 Ein weiteres Merkmal der „grande saison“ war die Monopolisierung der jeweiligen Musiktheaterstücke, die zur Aufführung standen. Ob es sich dabei um das Ballett Cléopâtre handelte, das Djagilev Astruc für 50.000 F anbot,242 oder um die Priorität, als erster den Startenor Caruso in Paris zu präsentieren, weswegen die Comtesse Greffulhe Astruc Schwierigkeiten bereitete243 – immer ging es um eine Monopolisierung der Produktionen, die durch 239 Brief von Gabriel Astruc an Max Mapou vom 25. Oktober 1909. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2. 240 Brief von Robert Brussel an Sergej Djagilev, o. D. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. 241 Brief von Gabriel Astruc an F. Cortot vom 28. Juli 1909. OP, Archives, carton 2.240, Dossier Ballets Russes, I(21). 242 Telegramme von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev vom 7., 8. und 9. Februar 1910/Telegramme von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 9., 11. und 25. Februar 1910. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1. 243 Die Affaire um Carusos ersten Auftritt in Paris 1910 bereitete unter den Organisatoren in kürzester Zeit einigen Wirbel. Während Gatti-Casazza und Astruc einen Auftritt Carusos vor Beginn der „Saison italienne“ um jeden Preis verhindern oder zumindest selbst organisieren wollten, mussten sie dennoch Otto H. Kahn, den großen New Yorker Mäzen der Metropolitan Opera zufriedenstellen, der der Comtesse Greffulhe die Priorität für Caruso versprochen hatte. Brief von Camaran Chimay, Comtesse Greffulhe, an Otto H. Kahn vom 11. Dezember 1909/Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 22. Dezember 1909/Brief von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 23. Dezember 1909/Telegramm von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1910/Brief von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 4. Januar 1910/Telegramm von Centanini an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1910/Telegramm von Brunetta d’Usseaux an Otto H. Kahn vom 4. Januar 1910/Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1910/Brief von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 7. Januar 1910/Zwei Telegramme von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 2. Februar 1910/Telegramm von Gabriel

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ihre Unediertheit oder ihre Rarität einen exklusiven Charakter innehatten. Keinesfalls durfte das Monopol, nach dem auch schon Weingartner für das „Festival Beethoven-Berlioz“ gestrebt hatte, zu Schaden kommen  : Als der Impresario und Direktor der Opéra de Monte Carlo, Gunsbourg, ein Pariser Konzert mit Caruso vor Beginn der „Saison italienne“ ankündigte, beschloss Astruc kurzerhand, alle Logen aufzukaufen und sie den Abonnenten seiner „Saison“ zu überlassen.244 Astruc konnte diese Galaveranstaltung mit Caruso letztendlich unter seiner eigenen Regie abhalten  ;245 ein Stück des Sensationsgehalts für seine „Saison italienne“, das durch den vorherigen Auftritt Carusos verloren ging, kompensierte er durch eine auffällige Leuchtreklame am Sitz seiner Société Musicale, dem Pavillon d’Hanovre  : „ M A I J U N I I M C H AT E L E T. C A R U S O W I RD S I N G E N . A I D A PAG L I AC C I M A N O N L E S C AU T. “246 Die Strategie der Monopolisierung bestimmter Aufführungen für ein bestimmtes Publikum charakterisierte nicht nur Astrucs und Djagilevs Musikproduktionen, sondern seit jeher auch die S.G.A.M. unter der Leitung der Comtesse Greffulhe. Insofern konservierte Astrucs „Saison italienne“ 1910 auf organisatorischer Ebene ganz die Zielgruppe und den künstlerischen Standard derjenigen Gesellschaft, die ihm zum Karrieresprung verholfen hatte, realisierte dies jedoch in großem Rahmen in einem großen Theater, dem Théâtre du Châtelet. Diese Größenordnung der Aufführungsorte wurde derweil auch von der Comtesse Greffulhe bevorzugt  : Das Caruso-Konzert hatte sie in der Salle du Trocadéro geplant. Astruc selbst verschrieb sich mittlerweile auf ganzer Linie großen Veranstaltungen  : „Es ist meine Leidenschaft für schöne Aufführungen und meine Vorliebe für große Dinge“, schrieb er in einem Brief an Gatti-Casazza.247 Zu dieser Ästhetik des Großartigen gehörten nicht wenige Elemente aus den grands spectacles des Châtelet. Gatti-Casazza kündigte besonders für Aida eine große Zahl von Ausführenden an,248 und Astruc bestellte bei André Astruc an Otto H. Kahn vom 2. Februar 1910/Telegramm von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 5. Februar 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2. 244 Brief von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 19. April 1910. Ebd. 245 Brief von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 4. Januar 1910. Ebd. 246 Brief von Emile d’Or, Paz et Silva, an Gabriel Astruc vom 20. April 1910. A.a.O., 409 AP/3. 247 Brief von Gabriel Astruc an Giulio Gatti-Casazza vom 1. März 1910. A.a.O., 409 AP/10. 248 Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 5. April 1910. A.a.O., 409 AP/2.



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Prévost, dem Sekretär des Théâtre du Châtelet, fünf Pferde und einen Esel.249 Solche szenischen Einlagen konnten wirklich nur im Châtelet oder in der Opéra ihren Platz auf der Bühne finden. Auch bei der „Saison italienne“ durfte eine neue „corbeille“ natürlich nicht fehlen, auf die in diesem Jahr besonders die Journalisten der reich bebilderten Pariser Revue L’Illustration gespannt waren.250 Das Gesehen-Werden, das mit dieser nun schon bekannten künstlerbetonten Publikumschoreographie einherging,251 wurde dabei so manchem Zuschauer schon zu viel, der sich in der „corbeille“ „zu sehr wie in einer Aufführung seiner selbst und zu sehr den Blicken des Publikums ausgesetzt“ fühlte.252 Für die adligen Theaterbesucher, die sich deshalb im Parkett platzieren ließen, bestand die gesellschaftliche Wichtigkeit des Theaterabends trotzdem weiter, da Astruc auch in der „Saison italienne“ die althergebrachten Benefizveranstaltungen – diesmal für die Société des Artistes et des Amis de l’Opéra des Grafen Isaac de Camondo (1851–1911) – organisierte.253 Zudem hob Astruc im Vergleich zur „Saison russe“ 1909 alle Kartenpreise um 10 F an, dass ein Platz im Parkett nun fast ebenso viel kostete wie ein Logenplatz. Die Abonnements unterteilten sich nun auch nicht mehr in Premieren und normale Vorstellungen, sondern suggerierten ausnahmslos Galavor-

249 Brief von André Prévost an Gabriel Astruc vom 12. Mai 1910. A.a.O., 409 AP/7. 250 „Wir warten voller Angst auf Ihre corbeille.“ Brief von R. Baschet an Gabriel Astruc vom 19. Mai 1910. A.a.O., 409 AP/31. 251 In der Frauenzeitschrift Fémina vom 15. Juni 1910, die von Astruc herausgegeben wurde, erschienen der Artikel „Remarques d’une débutante  : la corbeille“ und eine Zeichnung der „corbeille“ mit folgendem Begleittext  : „Im Jargon der Platzanweiserinnen bezeichnet das Wort ‚corbeille‘ den ersten Rang des ersten Balkons, der den Saal umsäumt wie eine Flechtkante einen Korb. Aber im Pariser Stil steht die ‚corbeille des Châtelet‘ seit letztem Jahr für die anmutige Theorie von den hübschen jungen Frauen und berühmten Künstlerinnen, die am Abend der Generalproben der großen ausländischen Saisons, die man in diesem Theater organisiert, den Balkon schmücken. Diese Gruppierung der schönsten und elegantesten Zuschauerinnen an einem einzigartigen Ort des Theaters ohne eine Durchmischung mit schwarzen Fräcken ist die Umsetzung einer raffinierten und charmanten Idee.“ Léon Fauvet, „Au Châtelet  : ‚La corbeille‘“, in  : Fémina, 15. Juni 1910, S. 332. 252 Telegramm von Madame Louis Stern an Gabriel Astruc vom 15. April 1910/Brief von der Marquise de Peralta an Gabriel Astruc vom 20. April 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/35. 253 Briefe von I. de Camondo an Gabriel Astruc vom 14. Januar 1910 und vom 2. Juli 1910. A.a.O., 409 AP/5.

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stellungen.254 Insgesamt konnte das Publikum davon ausgehen, dass sich nur ein wohlhabendes Elitepublikum den Eintritt in die mondänen Veranstaltungen der Saisons leisten konnte  ; nun waren es die Vertreter der Studentenvereinigungen, die Astruc um Freikarten baten.255 Astrucs Versuch, sich auch die wohlhabende Pariser Adelsschicht abseits der S.G.A.M. und ihrer mäzenatischen Kreise zu erschließen, indem er dem französischen Automobil-Club nach Abschluss der „Saison italienne“ ein Caruso-Konzert anbot, scheiterte dagegen grundlegend.256 Die Anziehungskraft der sensationellen Interpreten hatte ihre Grenzen und war für den Gewinn eines neuen Publikums nicht unbedingt ausreichend. Neben dem finanziell hergestellten Elitecharakter der Vorstellungen machte sich Astruc in puncto Publikum zusätzlich ein Argument zunutze, das auch schon Strauss in seinem Manifeste de Fontainebleau herausgestrichen hatte. Im Vorfeld der „Saison italienne“ erschienen immer wieder Artikel in der französischen Presse, die sich einerseits gegen die ausländische, hier italienische Musik wandten und andererseits eine vermeintliche Frankreichfeindlichkeit der Metropolitan Opera anprangerten.257 Astruc entgegnete diesen politischen Tendenzen, die auch sein bürgerlich-konservatives Publikum leicht hätten beeinflussen können, mit der Ansicht, nur das Publikum selbst könne nach einer Aufführung über das Primat der französischen Musik über die italienische Oper entscheiden.258 Genau wie Richard Strauss in seinem Manifeste de Fontainebleau setzte der Impresario sein Publikum als alleinigen „Richter“ über die „Saison italienne“ und ihre patriotischen Implikationen ein. Diese Rolle sollte es während der Vorstellungen ausüben. 254 Annonce der „Saison italienne“ mit „fünfzehn Galavorstellungen“ in  : Le Guide musical, 15. Mai 1910, 56. Jahrgang, Nr. 20, S. 399  ; Sixième Saison Russe organisée par M. Serge de Diaghilew. Huit Représentations de Gala. Ballets Russes [Programmankündigung]. ARS, Ro 12519 (1). 255 Brief von M. Boiselle, Président de l’Association Générale des Étudiants à Paris, an Gabriel Astruc vom 19. Juni 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/33, Dossier 2  : Associations. 256 Brief des Generalsekretärs des Automobil-Club de France vom 13. Juni 1910. Ebd. 257 Hier musste sich Astruc selbst den Vorwurf gefallen lassen, er unterstütze die Kritiker der Metropolitan Opera. Brief von Gabriel Astruc an Maurice Léon, Counsellor of Law, vom 14. März 1910. A.a.O., 409 AP/4. 258 Brief von Gabriel Astruc an Giulio Gatti-Casazza und Andreas Dippel vom 1. Februar 1910. A.a.O., 409 AP/2. Auch der Graf Brunetta d’Usseaux wandte sich mit Richtigstellungen an die Pariser Presse. Brief von Comte E. Brunetta d’Usseaux an G. de Pawlowski, Chefredakteur von Comœdia, vom 22. Februar 1910. A.a.O., 409 AP/34.



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All diese finanziellen, sozialen und politischen Implikationen mögen der Grund dafür gewesen sein, dass bei der „Saison italienne“ 1910 fast ausschließlich das Publikum im Vordergrund stand.259 Die Zuschauer bewegten sich während des ganzen ersten Aktes im Saal, und einige holten dabei ob des frühen Beginns der Vorstellung sogar ihr Abendessen mit Sandwiches nach.260 Lange Ovationen schienen nicht nur den Sängern, dem Orchester und der Inszenierung zu gelten, sondern auch dem Publikum selbst,261 das sich wieder einmal aus der Welt der Kunst und der Literatur zusammensetzte.262 Der Glanz des Saals fand in Astrucs „grande saison“ 1910 zudem Widerhall im urbanen Kontext um das Théâtre du Châtelet herum. Während der Vorstellungen der „Saison italienne“ transformierten sich die Straßen vor dem Theater in wahre Auto-Ausstellungen, sodass es nötig wurde, in der Zeitschrift Comœdia eine Verordnung der Préfecture de Police zu publizieren, in welcher Reihenfolge welche Autos am Châtelet ankommen durften.263 Das Sichzeigen des Publikums im Saal dehnte sich in der „Saison italienne“ gleichsam auf die Place du Châtelet aus, war jedoch von den „durchlässigen“ Mauern des Châtelet gänzlich unabhängig und verdeutlichte lediglich die statusmäßige Selbstdarstellung im Saal. Die Aufmerksamkeit, die das Publikum den italienischen Opern entgegenbrachte, bezog sich in dieser mondänen Atmosphäre keinesfalls auf die gesamten Aufführungen, sondern lediglich auf einzelne Arien der herausragenden Sänger. Bis auf Manon Lescaut waren von Aida, Otello und Falstaff bis hin zu Cavalleria Rusticana und I Pagliacci – deren Aufführungsrechte schließlich Gatti-Casazza mit Sonzogno selbst aushandelte,264 wobei jedoch die Rechte der französischen 259 Gatti-Casazza zufolge ging Astrucs Plan einer Ruhigstellung der Kritiker durch das anwesende Publikum vollständig auf. Gatti-Casazza, Memories of the Opera, 1973, S. 178. 260 „Au Châtelet Italien“, in  : Comœdia illustré, 1. Juni 1910, 2. Jahrgang, Nr. 17, S. 474. 261 Hubert Génin, „La Saison Italienne au Châtelet“, in  : Comœdia, 19. Juni 1910, 4. Jahrgang, Nr. 993, S. 4. 262 „Aux Italiens. La deuxième représentation d’Otello, de Verdi“, in  : Comœdia, 31. Mai 1910, 4. Jahrgang, Nr. 974, S. 3  ; Stoullig/Noël, „Saison d’Opéra Italien“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 1910, 1911, S. 370  ; Janine, „Remarques d’une débutante  : la corbeille“, in  : Fémina, 15. Juni 1910, S. 332. 263 Génin, „La Saison Italienne au Châtelet“, in  : Comœdia, 19. Juni 1910, S. 4. 264 Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 17. Januar 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2.

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Vertragshändler übergangen wurden265 – alle vorgestellten Opern schon einmal oder mehrmals in Paris aufgeführt worden. Ein weiterer Grund dafür, dass das Publikum sehr stark im Vordergrund stand, lag in dem von den Kritikern als mittelmäßig eingeschätzten Bühnenbild, das sich nicht weiter von Bühnenbildern der Opéra abhob.266 Paul Souday von L’Éclair beschrieb die Aufführungen als ein opernhaftes Szenario, das an die Opernspektakel des 18. und 19. Jahrhunderts erinnerte  : „Diese Abende der Italiener sind, vor allem wenn Caruso singt, keine gewöhnlichen Aufführungen, sondern ‚Galas‘ oder mondäne Versammlungen. Der Saal ist von einem fulminanten Glanz und zumeist interessanter anzusehen als die Bühne. Wenn das mit Diamanten beladene Publikum sich bequemt, dem Stück zuzuhören, dann nur bei sehr italienischen Melodien, die dem Tenor oder der Primadonna die Möglichkeit geben, einige hübsche Noten auszustoßen. Der physische Genuss, den die kraftvollen oder mit einem netten Timbre ausgestatteten Stimmen hervorrufen, scheint das einzige zu sein, an dem dieses kosmopolitische Publikum Gefallen findet. Will man bei diesen so glanzvollen Feierlichkeiten über Musik sprechen, legt man sich den peinlichen Ruf eines Herren zu, der nicht verstanden hat, worum es geht.“267

Selbst bei Vorstellungen der einzigen Pariser Neuheit und äußerst positiv aufgenommenen Manon Lescaut, für die Astruc sogar noch Zusatzvorstellungen ansetzte,268 gab sich das Szenario im Saal zwar etwas weniger, aber doch immer noch sehr „opernhaft“, was auch bei Manon Lescaut an der Musik lag, die schlussendlich für die meisten Kritiker doch keine Neuigkeit für das Pariser 265 „Nouvelles Diverses. Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 14. Mai 1910, 76. Jahrgang, Nr. 20, S. 159. In der Tat klagten Heugel und Choudens, die französischen Vertragshändler von I Pagliacci und Cavalleria Rusticana, Astruc am 14. Mai 1910 offiziell an. Anklage Gabriel Astrucs durch P. de Choudens vom 14. Mai 1910/Anklage Gabriel Astrucs durch M. Heugel vom 14. Mai 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/2. 266 „Au Châtelet Italien“, in  : Comœdia illustré, 1. Juni 1910, S. 474. 267 Paul Souday, „Aux Italiens (Châtelet). ‚Manon Lescaut‘, de M. Puccini“, in  : L’Éclair, 11. Juni 1910, S. 2. 268 Um den 15. Juni herum bestellte Astruc die neue Leuchtreklame „23. und 25. Juni 2 zusätzliche Aufführungen von MANON LESCAUT“ für den Pavillon d’Hanovre. Brief von „Paz et Silva“ an Gabriel Astruc vom 15. Juni 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/3.



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Publikum darstellte.269 Stattdessen strichen sie die Lebhaftigkeit der musikalischen Interpretation heraus.270 Daran waren vor allem die Interpreten Enrico Caruso, Lucrezia Bori (1887–1960), Pasquale Amato (1878–1942), Leo Slezak (1873–1946) und Antonio Scotti (1866–1936) auf musikalischer271 sowie auf dramatischer Ebene272 beteiligt. Neben ihren sängerischen wie spielerischen Qualitäten band auch das Dirigat Toscaninis das Publikum mitunter doch an das Geschehen auf der Bühne. Toscaninis Dirigat wies dieselbe „Flamme“, dasselbe Kommunikationstalent Édouard Colonnes auf, mit denen er das Publikum in seinen Bann zog.273 Diese sinfonisch erprobte Kommunikation zwischen Bühne und Saal, die auch sängerisch an musikalisch geeigneten Stellen erreicht wurde, mag ein Grund dafür gewesen sein, dass die Kritiker bei der „Saison italienne“ zum ersten Mal wie das breite Publikum reagierten.274 Viel spricht dafür, dass die Kritiker sich ebenfalls von der mondänen und ganz auf 269 Victor Debay, „Au Châtelet. La Saison Italienne“, in  : Le Courrier musical, 15. Juni 1910, 13. Jahrgang, Nr. 12, S. 469. 270 Henri de Curzon, „La Saison Italienne à Paris“, in  : Le Guide musical, 29. Mai 1910, 56. Jahrgang, Nr. 22, S. 428–429. 271 Henri Gauthier-Villars, „Aux Italiens. Manon Lescaut de M. G. Puccini“, in  : Comœdia, 10. Juni 1910, 4. Jahrgang, Nr. 984, S. 3  ; Robert Brussel, „Les Théâtres. Saison Italienne du Châtelet  : Otello, de G. Verdi“, in  : Le Figaro, 27. Mai 1910, S. 6. 272 Henri Gauthier-Villars, „Aux Italiens. Otello, Opéra en quatre actes, de Verdi“, in  : Comœdia, 26. Mai 1910, 4. Jahrgang, Nr. 959, S. 3  ; „Aux Italiens. La deuxième représentation d’Otello, de Verdi“, in  : Comœdia, 31. Mai 1910, S. 3  ; E. R., „Manon Lescaut, de Puccini (Théâtre du Châtelet, Saison Italienne)“, in  : Revue musicale, 15. Juni 1910, 10. Jahrgang, Nr. 12, S. 311  ; Paul Souday, „Les Premières. Aux Italiens (Châtelet). ‚Falstaff‘ de Verdi“, in  : L’Éclair, 5. Juni 1910, S. 2. 273 L. S., „La Saison d’Opéra Italien au Châtelet“, in  : Comœdia, 4. Juni 1910, 4. Jahrgang, Nr. 978, S. 2  ; Gauthier-Villars, „Aux Italiens. Otello“, in  : Comœdia, 26. Mai 1910, S. 3  ; De Curzon, „La Saison Italienne à Paris“, in  : Le Guide musical, 29. Mai 1910, S. 428–429  ; Arthur Pougin, „Châtelet. – Saison Italienne  : Aida“, in  : Le Ménestrel, 28. Mai 1910, 76. Jahrgang, Nr. 22, S. 171  ; Debay, „Au Châtelet. La Saison italienne“, in  : Le Courrier musical, 1. Juni 1910, S. 428. 274 Selbst der sehr kritische Arthur Pougin stellte sich in seiner Falstaff-Kritik auf dieselbe Stufe wie sein Publikum  : „Die Interpretation, die in vorzüglicher Weise von Herrn Toscanini mit einer außergewöhnlichen Sicherheit und Präzision geleitet wurde, war für alle im Allgemeinen und im Detail ausgezeichnet. […] Was will man mehr  ? Deshalb war der Erfolg von Falstaff so triumphal.“ Arthur Pougin, „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 11. Juni 1910, 76. Jahrgang, Nr. 24, S. 187. Vgl. auch Gaston Carraud, „Théâtres. Otello“, in  : La Liberté, 27. Mai 1910, S. 3.

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die berühmten Interpreten konzentrierten Atmosphäre mitreißen ließen. Henri Gauthier-Villars stellte in diesem Zusammenhang fest, dass erst das Unter-sichsein der „Leute von Welt“ perfekte Bedingungen schaffe, „um die transalpine Musik zu genießen“.275 Die Zusammenstellung von bekannten Opernwerken des italienischen Repertoires und Interpreten von internationalem Rang stellte insgesamt eine Festival-Atmosphäre her, die mit der Scala in Mailand und den Bayreuther Festspielen verglichen wurde.276 Animiert durch eine erneute „corbeille“ zählten in dieser Atmosphäre allein die hohen Persönlichkeiten im Saal und die Interpreten, deren musikalische Ausführung durch Toscaninis „Schwingung“ zusammengehalten wurde. Der Theaterraum war bei der „Saison italienne“ mit ihrem schon bekannten musikalischen Programm dagegen verhältnismäßig sekundär. Berühmte Interpreten und eine zyklusartige Vollständigkeit eines bekannten Repertoires277 sorgten im Paris des beginnenden 20. Jahrhunderts zwar für einen mondänen und zugleich internationalen Veranstaltungscharakter auch jenseits der gehobenen Musikinstitutionen, brachten aber keine sensationelle Aufnahme mit sich. Eine solche blieb in der Saison 1910 ganz Djagilev vorbehalten, der dem Pariser Publikum mit Igor Stravinskijs Oiseau de Feu eine neue tänzerische und vor allem auch musikalische Sensation präsentiert hatte. Im Gegensatz zu Astrucs „Saison italienne“, die sich durch eine gesteigerte Mondänität auszeichnete, stellte Stravinskijs hochqualitative und lebhafte Musik die Einheit der Künste in den Balletten des russischen Ensembles auf eine neue Stufe.278 275 Gauthier-Villars, „Aux Italiens. Manon Lescaut de M. G. Puccini“, in  : Comœdia, 10. Juni 1910, S. 3. 276 „Die Vorstellung der Aida von gestern abend hätte nicht perfekter sein können. Die Ehre gebührt Ihnen, das wollte ich Ihnen unbedingt schriftlich mitteilen. Es erinnert mich an die schönsten Tage in Bayreuth, die Galavorstellung in der Scala Mailand vom 14. Oktober 1875 (als Empfang für Bismarck und den deutschen Kaiser), bei der Rigoletto und das Ballett aus Manon Lescaut gegeben wurden, sowie an einige weitere, aber sehr seltene Aufführungen. Es gab nichts, was nicht gestimmt hätte.“ Brief von Max Lyon an Gabriel Astruc, o. D. AN, Fonds Astruc, 409 AP/34. 277 „Aux Italiens. La deuxième représentation d’Otello, de Verdi“, in  : Comœdia, 31. Mai 1910, S. 3  ; Alfred Bruneau, „Au Théâtre. ‚Falstaff‘ au Châtelet“, in  : Le Matin, 4. Juni 1910, S. 4  ; Carraud, „Théâtres. Otello“, in  : La Liberté, 27. Mai 1910, S. 3. 278 Robert Brussel, „Les Théâtres. À l’Opéra  : Saison de Ballet Russe (4e spectacle, L’Oiseau de



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4.2.3 Avantgarden  : Stravinskij, Debussy, Pizzetti und das Châtelet

Die Schlussfolgerung aus der unterschiedlichen Rezeption der „Saison italienne“ und der „Saison russe“ 1910 konnte nur sein, die Forderung der Kritiker nach zeitgenössischen französischen Musikkompositionen in der von Astruc und Djagilev wieder gemeinsam organisierten „Saison russe“ 1911 so gut wie möglich zu berücksichtigen, um der Musik ein gleichwertiges Gewicht im Konzert der verschiedenen Bühnenkünste zu geben.279 Der Einbezug lebender französischer Komponisten garantierte darüber hinaus eine stärkere Unediertheit der Produktionen, mit der Djagilevs „Saisons russes“ gegenüber Astrucs Werkzyklen glänzten. Ein solches Engagement stellte mittlerweile eine allgemeine Tendenz dar. Für den Sommer 1911 organisierte auch die Tänzerin Natasha Trouhanova mehrere „Concerts de danse“ mit französischen, jedoch schon bekannten zeitgenössischen Musikstücken von Gabriel Fauré (Quatre pièces) und Vincent d’Indy (Istar).280 Obwohl die Trouhanova ihre Choreographien nicht nach den französischen klassischen Maßgaben gestaltete, sondern 1912 sogar dazu überging, den Tanz aus der zeitgenössischen französischen Musik von Paul Dukas (1865–1935, La Péri), Maurice Ravel (1875–1937, Adélaide ou le langage des fleurs) oder Florent Schmitt (1870–1958, La Tragédie de Salomé) heraus von Grund auf erneuern zu wollen,281 erreichte sie mit ihren eher konventionellen Bühnenelementen wie einer märchenhaft ausgestatteten Szenographie im Halbrund lediglich eine wohlwollende Publikumsreaktion.282 Hier wie auch bei Feu, conte dansé, en un tableau, de M. Michel Fokine, musique de M. Igor Stravinsky  ; le Carnaval, les Orientales)“, in  : Le Figaro, 27. Juni 1910, S. 6. 279 Die französischen Kritiker forderten dies schon seit der „Saison russe“ 1909. Es fielen die Namen von Claude Debussy, Paul Dukas, Maurice Ravel und Florent Schmitt. Blanche, „Après la Saison Russe“, in  : Le Figaro, 3. Juli 1909, S. 1. 280 Amédé Boutarel, „Revue des Grands Concerts et Semaine Musicale“, in  : Le Ménestrel, 13. Mai 1911, 77. Jahrgang, Nr. 19, S. 148  ; Ders., „Revue des Grands Concerts et Semaine Musicale“, in  : Le Ménestrel, 20. Mai 1911, 77. Jahrgang, Nr. 20, S. 156  ; M. Daubresse, „Concerts de danse donnés par Mlle Trouhanova“, in  : Le Guide musical, 14. und 21. Mai 1911, 57. Jahrgang, Nr. 20–21, S. 392–393. 281 Théâtre du Châtelet. Deux concerts de danse donnés par Mme N. Trouhanova (Avril 1912). AN, Papiers Astruc, 150 MI/2  ; Gaston Duvernay, „Vie de Paris. Les Concerts de danse de Natasha Trouhanova“, in  : Le Figaro, 18. April 1912, S. 1. 282 Robert Brussel, „Les Théâtres. Au Châtelet  : Spectacles de danse de Mlle Trouhanova“, in  : Le

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Astrucs avantgardistischen Produktionen der Saisons 1911 bis 1913 fehlte den Kritikern so manches Mal der Gesamtkunstwerkcharakter, sodass die Saisons nicht wie ersehnt für die Erneuerung des französischen Theaters standen.283 Da Djagilev und Astruc im Gegensatz hierzu einige abgerundete und breitflächig anerkannte Erfolge erzielten, lässt sich an ihren avantgardistischen Musikproduktionen einerseits zeigen, welches Rezeptionsmodell auch zeitgenössische Werke zum Erfolg führte, und andererseits, welche Voraussetzungen bei der Zusammenarbeit avantgardistischer Künstler vorhanden sein mussten, damit die Werke dieses Rezeptionsmodell überhaupt bedienten. Von 1911 bis 1913 arbeitete Astruc zweigleisig. Einerseits kümmerte er sich immer mehr um die künstlerische Erschaffung von Werken und nicht nur um die Organisation ihrer Aufführung. Er versuchte nun gezielt, Künstler verschiedener Bühnenkünste zusammenzubringen und zu gemeinsamen Werken zu animieren. Ende des Jahres 1910 gab Astruc zwei Musikproduktionen in Auftrag, die die Saison 1911 mit der üblichen, jedoch auch auf kompositorischer Ebene eingelösten Sensationalität bedienen sollten  : Zum einen schloss er zusammen mit Djagilev einen Vertrag mit Reynaldo Hahn (1874–1947) und Jean Cocteau über die Auftragskomposition des Balletts Le Dieu Bleu, die mit dem herausragenden Tänzer Vaclav Nijinskij (1889–1950) in der Titelrolle uraufgeführt werden sollte. Da das Ballett hauptsächlich für eine Coronation-Gala in London gedacht war, sollte es für Paris bei der Uraufführung bleiben, was dem Werk einen nicht zu überbietenden Raritätscharakter verlieh.284 Zum anderen verfolgte Astruc auf eigene Faust eine Verbindung sensationeller Interpreten mit der gesamtkunstwerkartigen Ästhetik, welche die Kritiker in den beiden „Saisons russes“ ausgemacht hatten. Dies war ihm ein Leichtes, da einzelne Künstler wie Gabriele d’Annunzio (1863–1938) nach der „Saison russe“ 1910 angefanFigaro, 24. April 1912, S. 4. Vgl. auch die Photographie des Bühnenbilds der Concerts de Danse. AN, Fonds Astruc, 409 AP/46. 283 Henri de Curzon, „Concert de danse de Mlle Trouhanova“, in  : Le Guide musical, 28. April 1912, 58. Jahrgang, Nr. 17, S. 334  ; Jacques Pillois, „À propos d’un Concert de Danse. Mlle Trouhanowa dans des œuvres de Vincent d’Indy, Paul Dukas, M. Ravel et F. Schmitt“, in  : Le Courrier musical, 1. Mai 1912, 15. Jahrgang, Nr. 10, S. 266–268. 284 In einem Telegramm Ende des Jahres 1910 ermahnte Djagilev Astruc zum baldigen Vertragsabschluss mit Reynaldo Hahn. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 22. Dezember 1910. AN, Papiers Astruc, 150 MI/1.



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gen hatten, sich sehr für die Zusammenarbeit mit russischen Künstlern – hier Ida Rubinstein (1885–1960) – zu interessieren.285 An D’Annunzios Seite tat Astruc alles, was er konnte, um die Zusammenkunft der Künstler zu arrangieren und zu erweitern  : Am 11. Dezember 1910, nach langer Suche nach einem Komponisten,286 setzte er Gabriele d’Annunzio, Ida Rubinstein, Claude Debussy und Leon Bakst an einen Tisch.287 Hier kamen sie über die Kreation eines gemeinsamen Martyre de Saint-Sébastien überein, mit dem eine neue Form der „Gesamtkunst“ („art total“) geschaffen werden sollte.288 Obwohl Astruc auch über Djagilevs Kreise hinaus nach neuen Kontakten zum Beispiel im Bereich des Bühnenbilds suchte – Astruc nahm unter anderem Kontakt zum Bühnenbildner Edward Gordon Craig (1872–1966) auf289 –, entlehnte er Djagilev mit diesem Projekt mit Leon Bakst und Ida Rubinstein zwei seiner wichtigsten Künstler, die er in eine eigene, italienisch-französisch-russische Produktion einband. Die Engagements der Künstler für den Martyre de Saint-Sébastien zeigten sich dabei von Beginn an als derartige Selbstläufer in der Presse,290 dass sie sich um das erste Interview mit Ida Rubinstein regelrecht riss.291 Die Einbindung der französischen Komponisten nicht nur als Schöpfer der musikalischen Werke, sondern auch als Dirigenten der Ballett-Uraufführungen, war auch Djagilev für die beiden Neukompositionen Le Dieu Bleu von Hahn und La Péri von Paul Dukas wichtig. Bei La Péri handelte es sich um eine für 285 Tosi (Hg.), Claude Debussy et Gabriele D’Annunzio, 1948, S. 10. 286 Vor Debussy waren für Ida Rubinstein und D’Annunzio noch Henri Février, Florent Schmitt und Jean Roger-Ducasse im Gespräch. Depaulis, „Quelques précisions nouvelles sur le Martyre de Saint Sébastien“, 1996, S. 5–20. 287 Brief von Gabriel Astruc an Madame Debussy vom 9. Dezember 1910, in  : Tosi (Hg.), Claude Debussy et Gabriele D’Annunzio, 1948, S. 54. Vgl. auch  : Isgrò, „D’Annunzio, Bakst e la rivoluzione della scena“, 2000, S. 27. 288 Brief von A. de Rigaud an Gabriel Astruc vom 12. Dezember 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/27  ; De Santis Proja, „Le Martyre de Saint Sébastien, un singolare incontro di poesia, musica e visualità teatrale“, 2000, S. 21–22. 289 Bericht über den Stand eines Engagements von Edward Gordon Craig, o. D. [zusammen mit einer Korrespondenz zwischen Edward Gordon Craig und Gabriel Astruc von Juli 1911]. AN, Fonds Astruc, 409 AP/3. 290 Gaston Sorbets, „Le Martyre de Saint Sébastien, au théâtre du Châtelet“, in  : L’Illustration théâtrale. Journal d’actualités dramatiques, Paris, 1911, keine Seitenangabe. 291 Brief von Georges-Michel an Gabriel Astruc vom 18. Dezember 1910. AN, Fonds Astruc, 409 AP/1.

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Natasha Trouhanova komponierte Ballettmusik, die Astruc Djagilev als zweites französisches Werk vorschlug.292 Djagilev machte Dukas die musikalische Leitung der Uraufführung zur Bedingung, da dies „eine wichtige moralische Wirkung“293 habe, sie also ihre Öffnung für die französische Musik beim Publikum gefährdet sahen, wenn nicht ein französischer Interpret an der Ausführung mitwirkte.294 Die konkrete Zusammenarbeit zwischen den russischen Künstlern und französischen Komponisten gestaltete sich dagegen sehr schwierig. Selbst wenn Reynaldo Hahn den russischen Impresario persönlich in Sankt Petersburg besucht hatte, wo mit großem Erfolg eine Klavieraufführung der neuen Ballettmusik stattfand,295 zog sich die Herstellung der Choreographie und des Bühnenbilds in die Länge.296 Ähnliche Gründe297 führten auch Dukas schließlich zu dem Entschluss, sich einer Aufführung von La Péri entschieden entgegenzustellen.298 Es scheint, als ob der russische Künstlerkreis der Ballets Russes die Einheit der Künste am besten untereinander herstellen konnte, sich aber mit Künstlern von außen relativ schwertat. Wie aus den Erfahrungen von Pierre Monteux (1875–1964) hervorgeht, den die Ballets Russes für ihre Londoner Vorstellungen als Dirigenten engagiert hatten,299 lag in der Zusammenarbeit zwischen den Tänzern und den Musikern ein besonderes Konfliktpotential. Djagilev sah die Musik vornehmlich als Beigabe einer visuell weitaus überzeugenderen Vorstellung an. Aus diesem Grund kam es oft zu schlechten Probensituationen für das Orchester, wo sich die Musik ganz dem Spektakel unterord292 Buckle, Diaghilev, 1979, S. 189. 293 Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 25. März 1911. AN, Papiers Astruc, 150 MI/2. 294 Telegramme von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 23. und 30. März 1911 und vom 3. April 1911. Ebd. 295 Telegramm von Reynaldo Hahn an Gabriel Astruc vom 1. März 1911. A.a.O., 150 MI/3. 296 Baksts Anreise nach Paris verzögerte sich. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 12. März 1911. A.a.O., 150 MI/2. 297 Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 13. April 1911/Brief von Leon Bakst an Sergej Djagilev vom 24. Mai 1911. Ebd. 298 Georges Pioch, „Les Premières. Les Ballets Russes au Châtelet“, in  : Gil Blas, 14. Juni 1911, S. 3. 299 Brief eines Mitarbeiters der Société Musicale an Gabriel Astruc vom 10. August 1911. AN, Fonds Astruc, 409 AP/1. Siehe auch Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 3. Oktober 1911. AN, Papiers Astruc, 150 MI/2.



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nen und an die szenische Aktion anpassen sollte.300 Die wirklich interessanten Werke ließ das russische Ensemble meistens von ihren Komponisten dirigieren, sodass für Monteux nur die musikalischen Bearbeitungen übrig blieben. Insofern hielt das Engagement für Monteux keinerlei künstlerische Erfüllung bereit, und er brach es nur aus ruftechnischen Gründen für seine Pariser Karriere nicht ab.301 Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass auch der Ravel’schen Daphnis et Chloé in der Interpretation der Ballets Russes ein ähnliches Schicksal wie La Péri widerfuhr. Daphnis et Chloé wurde zwar zwei Mal aufgeführt, aber auch hier kritisierte die Presse, dass die Choreographie der Musik nicht gerecht geworden sei. Die Frische, die Spontanität und der außergewöhnliche Klang der Musik kamen nicht zum Ausdruck, wobei das Bühnenbild diesmal mit mehreren Ebenen der ansonsten ordnenden geometrischen Strukturen spielte.302 Neben dem Akzent auf internationalen avantgardistischen Kreationen fuhr Astruc andererseits weiter fort, „Festivals Weingartner“ zu organisieren, „Saisons Strauss“ und „Saisons italiennes“ zu planen303 und den schon aus der „corbeille“ bewährten Charakter des Populären stärker in seinen Saisons zu verankern. Ab Anfang 1910 interessierte sich der Pariser Impresario sehr für das nicht-französische populäre Theater. In Zusammenarbeit mit der Quinlan International Musical Agency in London plante er eine „grande saison“ mit 300 Briefe von Pierre Monteux an Gabriel Astruc vom 5. November 1911 und vom 29. Dezember 1911. A.a.O., 150 MI/5  ; Brief von Pierre Monteux an Igor Stravinsky vom 5. Januar 1913, in  : Craft (Hg.), Stravinsky. Selected Correspondence, Bd. II, 1984, S. 51. 301 Brief von Pierre Monteux an Gabriel Astruc vom 28. Oktober 1911. AN, Papiers Astruc, 150 MI/5. 302 Émile Vuillermoz, „La grande Saison de Paris“, in  : Le Mois. Revue de la S.I.M., 15. Juni 1912, S. 66–67. 303 Hierbei handelte es sich um eine „Saison Strauss“ mit Thomas Beecham aus London und eine „Saison italienne“ mit dem Mailänder Ensemble, die Astruc für Mai-Juni 1912 plante, die sich aber nicht realisierten. Vertrag zwischen Thomas Beecham und Gabriel Astruc vom 19. Juni 1911/Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 13. September 1911/Brief von Albert Archdeacon an Gabriel Astruc vom 3. November 1911. AN, Fonds Astruc, 409 AP/25  ; Preventivo di spese per l’esercizio di una stagione teatrale a Parigi – Teatro Châtelet – Maggio Giugno 1912, o. D./La Scala de Milan à Paris  : Estimation des Dépenses, o. D. AN, Papiers Astruc, 150 MI/8, Dossier 47.

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englischen Operetten und einer Londoner Truppe im Théâtre du Châtelet oder im Théâtre Sarah Bernhard.304 Diese beiden bewährten Veranstaltungstypen erzielten zwar ihren herkömmlichen Erfolg, blieben aber hinter der Sensationalität der Djagilev’schen „Saisons russes“ dennoch weit zurück. In das Weingartner-Festival mit dem schon traditionellen Beethoven-Programm, das 1911 wieder im Châtelet aufgrund seiner guten Akustik und auch seines Fassungsvermögens für das große Orchester stattfand, brachten weder Weingartner noch Astruc neue Ideen ein, sondern hielten sich nach wie vor an den Grundsatz des Großartigen.305 Die zusammenfassende Kritik dieses Festivals war, dass es schwierig sei, noch Neues über es zu sagen, da das Publikum mit Beethovens Musik schon so vertraut sei. Dennoch übe Weingartners Interpretation ob seiner Persönlichkeit und seines Respekts immer noch eine starke Anziehungskraft aus.306 Ebenso wurden auch die Vorstellungen der englischen Operette The Quaker Girl rezipiert, die Astruc relativ kurzfristig für die Saison 1911 mit dem Ensemble des Londoner Adelphi Theaters unter der Leitung von George Edwardes (1855–1915) organisiert hatte. Die Operette von Lionel Monckton (1861–1924) – so berichtete die Londoner Dependance des Verlags Enoch et Cie Astruc aus Großbritannien – zeichne sich durch ihre luxuriöse Ausstattung, viele Tänze und komische Lieder aus. Als Aufführungsort riet ihm Enoch zum Théâtre du Châtelet und zum Théâtre du Vaudeville.307 Astrucs Entscheidung für das Châtelet begeisterte die Londoner Presse, da die Aufführung dort im Vergleich zum Londoner Adelphi-Theater sicherlich noch an Großartigkeit gewinnen würde.308 Schwieriger war es, eine Sängerin zu engagieren, da die be304 Briefe von Thomas Quinlan (Quinlan International Musical Agency London) an Gabriel Astruc vom 7., 12. und 24. Januar 1910, vom 29. Dezember 1910 und vom 20. Januar 1911. AN, Fonds Astruc, 409 AP/15. 305 Kammermusikalisch besetzte Werke wie Lieder mit Klavierbegleitung wurden aus dem Programm ausgeschlossen mit dem Grund  : „Bei einem großen Konzertfestival würde es vor der Neunten Sinfonie einen mickrigen Eindruck machen.“ Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 25. März 1911. Vgl. auch Briefe von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 21. Januar 1910, 13. April 1910 und 14. Dezember 1910. AN, Papiers Astruc, 150 MI/6. 306 Henri de Curzon, „Festival Beethoven“, in  : Le Guide musical, 7. Mai 1911, 57. Jahrgang, Nr. 19, S. 368. 307 Brief an Gabriel Astruc von Enoch (London) vom 12. April 1911. AN, Fonds Astruc, 409 AP/28. 308 „‚Die englische Musikkomödie‘, sagte Astruc heute zu mir, ‚hatte nie eine faire Chance in Paris, und das ist der Grund, warum ich ,The Quaker Girl‘ nach Paris gebracht habe. Da die



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liebte Londoner Hauptdarstellerin Gertie Millar (1879–1952) nicht frei war. Enoch warnte Astruc vor dem Ersatz Phyllis Dare (1890–1975), deren Stimme viel schwächer als diejenige von Gertie Millar sei,309 was gerade im großen Saal des Châtelet einen Nachteil darstellte. Obwohl die Operette mit ihren Analogien zum grand spectacle allen Anschein gab, dass Astruc mit ihr neue Publikumsschichten erobern wollte, bereitete er seinen Saal ganz nach dem herkömmlichen Muster vor, indem er Pariser Adelige wie die Prinzessin de Polignac einlud. Das Interesse für die Operette war bei diesem Klientel jedoch ungleich niedriger  ; die Prinzessin de Polignac sagte Astruc ab.310 Astruc warb daraufhin in den Pariser Tageszeitungen mit der Zugänglichkeit der auf einem „vaudevilleartigen Märchen“ basierenden englischen Operette für das breite Publikum.311 Trotzdem endete die Produktion auch nach weiterer Werbung, die Astruc noch während der laufenden Vorstellungen zum Beispiel in Le Matin schaltete,312 mit einem beträchtlichen Defizit.313 Deswegen wurde das Projekt, The Quaker Girl im Moulin Rouge aufzuführen, auch nicht ausgeführt.314 Abgesehen vom mangelnden Enthusiasmus des gehobenen Publikums bestand ein Grund dieses Defizits in der musikalischen Anlage der Operette von Lionel Monckton und ihrer Ausführung. The Quaker Girl wurde im Gegensatz zu den Vorstellungen der Ballets Russes sofort mit den Verhältnissen des Théâtre

Bühne des Théâtre du Châtelet viel größer als diejenige des Adelphi ist, wird das Ensemble für ,Quaker Girl‘ auf 150 Personen aufgestockt und ein neues Bühnenbild angefertigt werden. Alle Mitglieder der ursprünglichen Besetzung werden zu sehen sein, auch Frl. Gertie Millar und Hr. Joseph Coyne.“ Ausschnitt aus der Daily Mail von Ende April 1911, Beilage des Briefs von Enoch (London) an Gabriel Astruc vom 1. Mai 1911. Ebd. 309 Briefe von Enoch (London) an Gabriel Astruc vom 25., 29. und 31. Mai 1911. Ebd. 310 Brief von E. Guy an Gabriel Astruc vom 16. Juni 1911. A.a.O., 409 AP/34. 311 Théodore Avonde, „Courrier Théâtral. ‚The Quaker Girl‘ au Châtelet“, in  : La Liberté, 22. Juni 1911, S. 3. 312 „Théâtres et Concerts. Indiscrétions – Communiqués. Les derniers de ‚La Quaker Girl‘ au Châtelet“, in  : Le Matin, 26. Juni 1911, S. 4  ; „Théâtres et Concerts. Indiscrétions – Communiqués. Au Châtelet  : ‚The Quaker Girl‘“, in  : Le Matin, 27. Juni 1911, S. 4  ; „Théâtres et Concerts. Indiscrétions – Communiqués. Dernier Gala“, in  : Le Matin, 28. Juni 1911, S. 4. 313 Brief eines Mitarbeiters der Société Musicale an Gabriel Astruc vom 4. August 1911. AN, Fonds Astruc, 409 AP/1. 314 Brief eines Mitarbeiters der Société Musicale an Gabriel Astruc vom 10. August 1911. Ebd.

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du Châtelet in Zusammenhang gebracht.315 Wenn auch die Inszenierung, das Bühnenbild und das Ensemble gut vorbereitet und auf der Höhe der Pariser Operette waren, war ein großer Kritikpunkt, dass die Stimme von Phyllis Dare und auch der weiteren Interpreten nicht ausreiche.316 Ein zu hoher Verwicklungsgrad der Intrige und eine etwas zu konventionelle Musik rundeten das relative Desinteresse des Pariser Publikums ab317 – und das, obwohl die Faktur der Musik in ihrer Operettenhaftigkeit tadellos funktionierte  :318 Am Ende des Stücks summten alle Zuschauer den Schlusswalzer vor sich hin.319 Dies mag der Grund dafür gewesen sein, dass sich Astruc im September 1911 die Vertragshändlerschaft für alle Operetten des englischen Verlegers Chappell/Fürstner in Frankreich in französischer Übersetzung sicherte.320 1912 erschien dann wirklich eine französische Ausgabe von The Quaker Girl, samt des Schlusswalzers, in ABA-Form, wobei sich die Harmonisierung des Themas lediglich der Tonika, der Dominante und der Doppeldominante bedient. Im zweiten Teil – kenntlich durch eine filigranere Rhythmik – komponierte Lionel Monckton auch Subdominanten und deren Gegenklänge. Aufgrund dieser sehr einfachen kompositorischen Anlage lässt sich die Partitur von The Quaker Girl deutlich mit den Musikstücken vergleichen, die in den 1880er und 1890er Jahren im grand spectacle-Betrieb des Châtelet gespielt wurden, wiesen jedoch nicht die kompositorische Komplexität der Ballettmusik eines Marius Baggers auf.321 Obwohl sich 315 Louis Schneider beschrieb das Publikum mit „das breite Châtelet-Publikum“. Louis Schneider, „The Quaker Girl. La mise en scène et les décors“, in  : Comœdia, 21. Juni 1911, 5. Jahrgang, Nr. 1360, S. 2. 316 C., „La Saison de Ballets Russes au Châtelet“, in  : Le Guide musical, 25. Juni und 2. Juli 1911, 57. Jahrgang, Nr. 26–27, S. 451–452. 317 Adolphe Jullien, „Revue Musicale“, in  : Feuilleton du Journal des débats, 25. Juni 1911, S. 1– 2. 318 Reynaldo Hahn, „Premières Représentations. Châtelet. – The Quaker Girl, livret de MM. J. Tanner, A. Ross et P. Greenbank, musique de M. Lionel Monckton“, in  : Le Journal, 21. Juni 1911, S. 4. 319 Edmond Stoullig/Édouard Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Dies., Les Annales du théâtre et de la musique, 37. Jahrgang, 1911, Paris, 1912, S. 394–396  ; Remember, „La Grande Saison de Paris. The Quaker Girl“, in  : Comœdia, 21. Juni 1911, 5. Jahrgang, Nr. 1360, S. 1–2  ; Victor Debay, „Au Châtelet“, in  : Le Courrier musical, 1. Juli 1911, 14. Jahrgang, Nr. 13, S. 471. 320 Vertrag zwischen Adolph Fürstner und Gabriel Astruc vom 12. September 1911. AN, Fonds Astruc, 409 AP/28. 321 Monckton, Quaker Girl, 1912, S. 202–206.



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eine starke Nähe des englischen zum französischen Rezeptionsmodell erkennen lässt, musste den Zuschauern von The Quaker Girl die Musik der englischen Operette folglich als etwas altbacken erscheinen, da sich das französische Rezeptionsmodell des Unterhaltungs-Musiktheaters schon weiterentwickelt hatte und über komplexere Harmonisierungen hinaus mittlerweile auf das pittoreske Schlussvaudeville zurückgriff. Dem Pariser Publikum erschien die great season 1911 derweil wie ein unendlicher Veranstaltungsreigen, wie ein rauschendes Fest aus der OffenbachOperette La Vie Parisienne. „Alles dreht und dreht und dreht sich  ! Alles tanzt und tanzt und tanzt  !“, begann der Musikkritiker Adolphe Jullien seinen Bericht über die Saison 1911, und Henri Chervet titelte  : „Es wird getanzt in Paris. Es wird überall getanzt  : in der Oper, im Châtelet, im Théâtre des Arts, in der Music-Hall“.322 Die „Saison russe“ dieses Jahres war dabei explizit als Wiederauflebenlassen der Saison 1909 konzipiert.323 Mit Le Spectre de la Rose über Webers Aufforderung zum Tanze und ein Gedicht von Théophile Gautier (1811–1872) präsentierte Djagilev sowohl wieder französisch orientierte Werke als er mit Sadko von Rimskij-Korsakov und Čerepnin auch für genuin russische Musik optierte, die dem Pariser Publikum schon aus den Sinfoniekonzerten bekannt war.324 Hinzu kamen die Musik La Bataille de Kerjenetz von RimskijKorsakov, deren szenische Realisierung sich ausschließlich auf ein Tableau des Malers Nikolaj Roerich (1874–1947) beschränkte, und Petrouchka, eine neue Ballettkomposition von Stravinskij. Die Ballette Le Carnaval, Shéhérazade und Oiseau de Feu aus der vorangegangenen Saison 1910 in der Opéra rundeten das Programm der „Saison russe“ ab. 322 Jullien, „Revue Musicale“, in  : Feuilleton du Journal des débats, 25. Juni 1911, S. 1 ; Henri Chervet, „Voyez comme on danse“, in  : Gil Blas, 9. Juni 1911, S. 1. Die Organisatoren kündigten die „Saison russe“ 1911 als Fest an. „La Grande Saison de Paris. Le Ballet russe au Châtelet“, in  : Comœdia, 6. Juni 1911, 5. Jahrgang, Nr. 1345, S. 3. 323 Gabriel Boissy, „Les Ballets Russes au Châtelet”, in  : Excelsior, 23. Februar 1911, S. 7. 324 Sakdo wurde schon am 28. Januar 1900 in den Concerts Colonne gespielt. „Treizième Concert. Dimanche 28 Janvier 1900“, in  : 26e année. Comptes rendus des Concerts (Orchestre). Rapports du Secrétaire du Comité. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/22. Auch Shéhérazade gehörte seit langem zum festen Repertoire der Pariser Orchester. „La Grande Saison de Paris. Le Ballet russe au Châtelet“, in  : Comœdia, 6. Juni 1911, S. 3  ; Arthur Pougin, „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 17. Juni 1911, 77. Jahrgang, Nr. 24, S. 189.

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Bis auf die Bataille de Kerjenetz325 fand die neue Vorstellungsreihe der Ballets Russes rundum Anklang. Die Kritiker lobten wie eh und je die Lebhaftigkeit der tänzerischen und musikalischen Interpretation326 und kritisierten nach wie vor die musikalischen Bearbeitungen.327 Während auch Čerepnins Musik zum wiederholten Male als zu wagnerianisch und auch oberflächlich abgetan wurde,328 verlagerten die Kritiker ihren Enthusiasmus vorrangig auf die Bühnenbilder von Leon Bakst und das disziplinierte Engagement eines jeden Tänzers.329 Gepaart mit der Absage von La Péri und Le Dieu Bleu brachte die relative Unwichtigkeit der Musik gegenüber den anderen Bestandteilen des Spektakels mehr denn je die gezielte Forderung hervor, französische Komponisten in die „Saison russe“ einzubinden.330 Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Kritiker sich über die neue Ballettkomposition Petrouchka von Stravinskij höchst enthusiastisch äußerten. Im Veranstaltungsreigen der great season 1911 stach dieses Ballett in besonderem Maße hervor, da es nicht nur bestehende inhalt325 „Ein sinfonisches Stück von Rimsky-Korsakoff, die Schlacht von Kerjenec, eine sehr gut strukturierte, um nicht zu sagen sehr aufgeräumte Schlacht, die als sehr rationales Crescendo abläuft, ohne dass die Tatsache, dass sie vor einem Bild von Roerich gespielt wird, viel zu ihrer Bedeutung hinzufügen würde.“ Jullien, „Revue Musicale“, in  : Feuilleton du Journal des débats, 25. Juni 1911, S. 1. 326 Robert Brussel, „Théâtre du Châtelet. – Grande Saison de Paris  : Ballets russes“, in  : Le Figaro, 8. Juni 1911, S. 5  ; Jullien, „Revue Musicale“, in  : Feuilleton du Journal des débats, 25. Juni 1911, S 1  ; Paul Souday, „Les Premières. Châtelet. Ballets Russes. – ‚Petrouchka‘, de M. Igor Strawinski“, in  : L’Éclair, 14. Juni 1911, S. 2  ; Ders., „Les Premières. Châtelet. Ballets Russes. – ‚Le Carnaval‘. – ‚Narcisse‘. – ‚Le Spectre de la Rose‘. – ‚Sadko‘“, in  : L’Éclair, 7. Juni 1911, S. 2. 327 Ebd. 328 Georges Pioch, „Les Premières. Les Ballets russes au Châtelet“, in  : Gil Blas, 7. Juni 1911, S. 3  ; Souday, „Les Premières. Châtelet. Ballets Russes“, in  : L’Éclair, 7. Juni 1911, S. 2  ; Pierre Lalo, „La Musique“, in  : Le Temps, 13. Juni 1911, S. 3. 329 „La Grande Saison de Paris. Le Ballet russe au Châtelet“, in  : Comœdia, 6. Juni 1911, S. 3  ; Pioch, „Les Premières. Les Ballets russes au Châtelet“, in  : Gil Blas, 7. Juni 1911, S. 3  ; Chervet, „Voyez comme on danse“, in  : Gil Blas, 9. Juni 1911, S. 1  ; Claude Roger-Marx, „Le Martyre de Saint-Sébastien“, in  : Comœdia illustré, numéro spécial, 1. Juni 1911, 3. Jahrgang, Nr. 17, S. 532–538. 330 Robert Brussel, „Théâtre du Châtelet (Grande Saison de Paris  : Pétrouchka, scène burlesque en quatre tableaux, de Igor Strawinsky et A. Benois  ; musique de Igor Strawinsky, chorégraphie de Michel Fokine. – Le Spectre de la Rose, musique de Weber. – Shéhérazade, de RimskyKorsakow)“, in  : Le Figaro, 17. Juni 1911, S. 6.



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liche Formen (russische Mythen, Legenden und Märchen) erneuerte, sondern auch die Zusammenwirkung von Musik und Tanz auf eine neue Stufe hob.331 In diesem Werk, das die Geschichte der Marionette Petrouchka auf einem Jahrmarkt erzählt, kulminierten alle bevorzugten Elemente – Lebhaftigkeit, „Schwingung“ des Publikums, Fantasie und eine neue Musik – auf eine perfekte Weise.332 Auch wenn negative Kritiken das Stravinskij-Ballett abfällig mit der Music-Hall in Verbindung brachten333 oder es als „Laterna magica für erwachsene Kinder“334 bezeichneten – Petrouchka war die Sensation der „Saison russe“ 1911.335 Ein Grund für diesen Erfolg lag in den zumeist positiv eingeordneten Bezügen Petrouchkas zum Jahrmarkt, die mannigfache Kindheitserinnerungen beim Publikum weckten.336 Unterstützt wurden diese Eindrücke durch eine plastische und zugleich sentimentale Zeichnung der Massen durch den Choreographen Michail Fokin sowie durch eine realistische, jedoch gleichzeitig phantastisch kolorierte Szenographie von Aleksandr Benua.337 Des Weiteren charakterisierte sich Petrouchka durch Anlehnungen an populäre Formen. Zwei Jahrmarktszenen umfassten die beiden Szenen in der Stube Petrouchkas und des Mohren, sodass das Stück inhaltlich und bühnenbildnerisch eine ABA331 Jullien, „Revue Musicale“, in  : Feuilleton du Journal des débats, 25. Juni 1911, S. 1. Die Lebhaftigkeit der Vorstellungen zog sogar das Publikum der Generalprobe in ihren Bann. Louis Vuil­lemin, „Ballets Russes. Petrouchka. La Bataille de Kerjenetz. Le Spectre de la Rose. Shéhé­ razade“, in  : Comœdia, 14. Juni 1911, 5. Jahrgang, Nr. 1353, S. 1–2  ; Chervet, „Voyez comme on danse“, in  : Gil Blas, 9. Juni 1911, S. 1. 332 Alfred Bruneau, „Au Châtelet, trois marionettes nous remplissent d’émotion et d’admiration“, in  : Le Matin, 14. Juni 1911, S. 6. 333 Souday, „Les Premières. Châtelet. Ballets Russes “, in  : L’Éclair, 14. Juni 1911, S. 2. 334 Ders., „Les Premières. Châtelet. Ballets russes“, in  : L’Éclair, 7. Juni 1911, S. 2. 335 Svetloff, „Les Ballets Russes de Serge de Diaghilew. 1911 PARIS. Théâtre du Châtelet. Nou­ veaux Ballets. Narcisse. Le Spectre de la Rose. Petrouchka. Opéra Ballet. Sadko“, in  : Collection des plus beaux numéros de Comœdia illustré et des programmes consacrés aux Ballets et Galas russes depuis le début à Paris 1909–1921, 1922, ohne Seitenangabe  ; Louis Schneider, „Le Second Spectacle des Ballets russes au Châtelet“, in  : Le Gaulois, 15. Juni 1911, S. 3. 336 Lucie Delarue-Mardrus, „Fantaisie. A propos de ballets russes. Avec son lyrisme et sa merveilleuse et artiste pénétration, Mme Delarue-Mardrus évoque les spectres charmants et évanouis des ballets russes“, 28. Juni 1911/Jacques Boulenger, „La civilité puérile et honnête. Pour parler des Ballets russes“, 1. Juli 1911. ARS, Fonds Rondel, Ro 12519 (1). 337 Goodwin, „Fokin  : Petrouchka (1911)“, 1987, S. 246–248.

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Form aufwies. An einer bogenartigen, abgeschlossenen Form war es besonders Stravinskij gelegen  : „Es ist mein echter Wunsch, dass Petruschka mit dem Zauberer endet, der, nachdem der Mohr Petruschka getötet hat, auf der Bühne erscheint, dort alle drei – Petruschka, den Mohren und die Ballerina – aufsammelt und dann mit einer eleganten und affektierten Verbeugung abgeht, genauso wie er in der esten Szene aufgetaucht war.“338

In den natürlichen Hintergrund aus Bühnenbild und Massenfiguration fügte Benua die unnatürlichen Hauptfiguren des Balletts ein  ; das Ganze fasste er durch einen quadratischen, auf einen Fluchtpunkt in der Bühnenmitte ausgerichteten Rahmen ein.339 Die Halbkreisfigur, das heisst die Symmetrie der Bühne und zwischen Bühne und Saal, war folglich in diesem Ballett wiederhergestellt, innerhalb derer nun die durch Musik, Choreographie und Kostüme äußerst künstlich angelegten Marionetten agierten. Sei es, dass die Halbkreisform ein besonders leichtes Element zur Vereinheitlichung der einzelnen Bühnenkünste darstellte, sei es, dass man diese einfache Struktur mit der populären Jahrmarktsästhetik in Verbindung brachte – die neuartige Musik Stravinskijs und die daraus folgende choreographische Figurencharakterisierung Fokins340 fand in einem äußerst traditionellen und populären Rahmen statt, der das Publikum sofort überzeugte. Gerade diese Nähe zu vertrauten theatralischen Strukturen und zur heimischen Welt des Jahrmarkts mag es gewesen sein, dass man Petrouchka als ein erstes Zeugnis einer musiktheatralischen Erneuerung ansah, die sich abseits eines russischen Orientalismus abzeichnete.341 Die Wahl des Jahrmarkttheaters als Szenerie für Petrouchka beruhte vollständig auf Stravinskijs Anregungen. Sie war von Stravinskij und Djagilev an der Schwelle, als Djagilev den Komponisten bat, sein ursprüngliches Konzertstück 338 Brief von Igor Stravinskij an Aleksandr Benua vom 3. November 1910, in  : Stravinsky/Craft, Stravinsky in pictures and documents, 1978, S. 68. 339 „Michail Michailowitsch Fokin, Pétrouchka (1911), 1. und 4. Bild  ; Bühnenbildentwurf  : Aleksandr Benua  ; Ballets Russes, Paris 1911“, in  : Dahlhaus/Döhring (Hg.), Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 2, 1987, Tafel 7 unten. 340 Vgl. Goodwin, „Fokin  : Petrouchka (1911)“, 1987, S. 246–248. 341 Canudo, „Ballets Russes et Snobs latins“, in  : La Renaissance contemporaine, 24. August 1911, S. 1006–1007.



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Abb. 32 : Petrouchka, 4. Bild.

in das Ballett Petrouchka umzuwandeln, gemeinsam beschlossen worden. Der Komponist wirkte im Folgenden bei Aleksandr Benua stark auf die Konzeption des Inhalts und des Bühnenbilds ein. Im Théâtre du Châtelet stimmte er wie auch schon in Oiseau de Feu eine musikalische Szenerie auf eine bestimmte Theaterform ab, die hier mit der Jahrmarktszenerie eine sehr populäre war. Nach dem Erfolg von Petrouchka verfolgte Stravinskij die Einbindung von Theatergenres in seine Musik weiter. Der Theatererfahrene Komponist, der seine Kindheit in den Kulissen der Sankt Petersburger Oper zugebracht hatte, bewies in den großen Sälen des Châtelet und der Opéra ein besonderes Geschick für ein geometrisch, fiktional und auch musikalisch wirkungsvolles Rezeptionsmodell. Denn Stra342 White, Stravinsky, 1979, S. 194. 343 Vgl. die Briefe zwischen Benua und Stravinskij über die Festlegung der Musik und der Choreographie in : Stravinsky/Craft, Stravinsky in pictures and documents, 1978, S. 66–73. 344 Cross, „Stravinsky’s theatres“, 2003, S. 148.

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vinskij machte sich auch sonst beim Publikum beliebt, indem er russische Volksweisen in seine Partitur einbrachte, wovon eine Melodie als Down the Petersky ein sehr populäres Stück in Šaljapins Repertoire wurde. Gleichzeitig scheute er nicht davor zurück, Chansons aus der Music-Hall (Elle avait un’ jambe en bois) zu verwenden.345 Diese Mischung brachte Rimskij-Korsakov dazu, Petrouchka als „russischen Vodka mit französischem Parfüm“ zu bezeichnen.346 Einige heutige musikalische Analysen gehen so weit, in Stravinskijs Komposition die Überführung der Potpourris aus der Saison 1909 (vergleiche zum Beispiel Les Sylphides) in eine Zitattechnik mit volkstümlichem und leichtem Fundus zu sehen,347 während andere Musikanalysen bei Petrouchka vor allem die klassischen Tendenzen des Komponisten erkennen.348 Beide Analysen finden sich auch schon in den Kritiken zur Uraufführung Petrouchkas wieder, wie zum Beispiel in derjenigen in der Nouvelle revue française von Jacques Rivière, der das Ballett sowohl für seinen klassischen als auch rustikalen Anstrich lobte und sich gleichzeitig für eine Rückkehr zu den „unmittelbarsten und natürlichsten Materialien, über die man verfügen kann“, nach dem Modell Petrouchkas aussprach.349 Vor dem Hintergrund der populären und klassischen Anlage von Petrouchka liest sich dieser Satz wie eine Anerkennung des „niedrigen“ französischen Rezeptionsmodells durch das „ernste“ Musiktheater. Als Baustein zur Erneuerung des französischen Theaters musste Le Martyre de Saint-Sébastien dagegen enttäuschen. Zwar genügte das neue Stück von D’Annunzio, Debussy, Rubinstein und Bakst allen Anforderungen der „grande saison“  :350 berühmte Interpreten, sensationelle Brisanz (wenige Tage vor der Uraufführung untersagte der Bischof von Paris den katholischen Gläubigen,

345 White, Stravinsky, 1979, S. 199–200. 346 Kochno, Diaghilev and the Ballets Russes, 1970, S. 69. 347 Kelkel, La Musique de Ballet en France de la Belle Époque aux Années Folles, 1992, S. 50 und S. 58f. 348 Berger, „Music for the ballet“, 1949, S. 41–103. 349 Dufour, Stravinski et ses exégètes (1910–1940), 2006, S. 145–146. 350 Guy Launay, „Au Théâtre. M. Gabriele d’Annunzio a deux circonstances atténuantes  : la musique et les décors. Sans cela…“, in  : Le Matin, 23. Mai 1911, S. 2.



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das Stück zu sehen),351 Massenszenen,352 eine ausdrucksstarke Interpretation353 und ein gutes Zusammenspiel von Drama, Musik und Bühnenbild.354 Dennoch fehlte ihm die durchschlagende Kraft der Ballets Russes, die ihre musikalisch-choreographischen Neuerungen auf die einfachen traditionellen Formen des Theaters stützten. Sowohl D’Annunzios Libretto „in französischen Rhythmen“, das eher auf momentgebundene Farbgebungen und das Mysteriöse der französischen Kultur denn auf ihre klaren Formen abzielte355 und das von der Russin Ida Rubinstein in ihrem ganz eigenen Tonfall auf Französisch deklariert wurde, als auch Debussys Musik gaben dem Stück eher eine unendliche Länge als durch die Überlagerung der verschiedenen Elemente prägnante Publikumswirkungen zu erzeugen.356 Die szenische Ausführung wurde allgemein als „fehlerhaft“ beschrieben, vor allem, da es nicht gelang, die Chormassen zusammenzuhalten und einheitlich aufzustellen.357 An dieser räumlichen Unkoordiniertheit konnte auch das ausdrucksstarke Bühnenbild von Leon Bakst nichts ändern,358 das in großen Teilen auf dem bekannten 351 „Paris et Départements“, in  : Le Ménestrel, 20. Mai 1911, 77. Jahrgang, Nr. 20, S. 159–160. Vgl. auch Stoianova, „Saint-Sébastien. Mythe et Martyre“, 1987, S. 133. 352 Roger-Marx, „Le Martyre de Saint-Sébastien“, in  : Comœdia illustré, 1. Juni 1911, S. 532– 538. 353 Henri Gauthier-Villars, „La Musique du ‚Martyre de Saint-Sébastien‘“, in  : Comœdia illustré, numéro spécial, 15. Juni 1911, 3. Jahrgang, Nr. 18, S. 565–566. 354 Roger-Marx, „Le Martyre de Saint-Sébastien“, in  : Comœdia illustré, 1. Juni 1911, S. 532–538  ; Arthur Pougin, „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 3. Juni 1911, 77. Jahrgang, Nr. 22, S. 172. 355 D’Annunzio versuchte sich mit einer archaisch gestalteten Sprache an die französische Kultur anzunähern. Gaston Sorbets, „Le Martyre de Saint Sébastien, au théâtre du Châtelet“, in  : L’Illustration théâtrale. Journal d’actualités dramatiques, Paris, 1911, ohne Seitenangabe. Vgl. auch De Santis Proja, „Le Martyre de Saint Sébastien, un singolare incontro di poesia, musica e visualità teatrale“, 2000, S. 22. Ivanka Stoianova arbeitet in ihrem umfassenden Aufsatz eine geschlossene Form heraus, die jedoch stark an D’Annunzios Konzept des Christentums und des Masochismus gebunden ist. Stoianova, „Saint-Sébastien. Mythe et Martyre“, 1987, S. 140. 356 Stoullig/Noël, „Théâtre du Châtelet“, in  : Les Annales du théâtre et de la musique, 1911, 1912, S. 388  ; Paul de Stoecklin, „Théâtre du Châtelet. Le Martyre de Saint-Sébastien“, in  : Le Courrier musical, 1. Juni 1911, 14. Jahrgang, Nr. 11, S. 409. 357 Cuttoli, „Le Martyre de Saint-Sébastien. Création et Reprises“, 1957, S. 14. 358 De Stoecklin, „Théâtre du Châtelet. Le Martyre de Saint-Sébastien“, in  : Le Courrier musical, 1. Juni 1911, S. 409.

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geometrischen Grundmuster des Halbkreises oder zumindest der Zentralperspektive basierte.359 Für Teile des Publikums war Le Martyre de Saint Sébastien schlichtweg nicht verständlich – sei es, aufgrund der androgynen Figurenbesetzung (Ida Rubinstein in der Rolle des Heiligen Sebastians), sei es, da D’Annunzios französischer Ausdruck die Franzosen ermüdete.360 Der Misserfolg war so groß, dass ­Gabriel Astruc gemäß seiner traditionellen Vermarktungsstrategie ausgerufen haben soll  : „Ich verstehe das nicht  ! Ich habe den größten Musiker (Debussy), den größten Poeten (D’Annunzio), den größten Bühnenmaler (Léon Bakst), den größten Choreographen (Michail Fokine, mit I. Rubinstein in der Rolle des Heiligen) zusammengebracht… und es ist schlecht  !“361

Die Musik von Claude Debussy befand man allgemein als „sekundär“, als „Bühnenmusik“.362 „Sie mischt sich nicht oft in die Handlung, tritt hinter sie zurück und erscheint in erster Linie so, als ob sie mimische Stellen einrahmen oder verstärken wollte“, befand Henri de Curzon von Le Guide musical.363 Auf musikalischer Seite handelt es sich beim Martyre um ein Werk, das den Rahmen der Tonalität weitestgehend verlässt, vor allem, was die für das französische Rezeptionsmodell so typischen harmonischen Spannungsverhältnisse der Kadenz anbelangt.364 Mit ihrer Kritik an der mangelnden Effekthaftigkeit attestierte die Presse D’Annunzio und Debussy einen Mangel an Zusammenarbeit, obwohl beide versucht hatten, ihre Künste im Libretto und in der Komposition bestmöglich 359 Vgl. die Bilder und Photographien zur Inszenierung im Châtelet in  : Santoli (Hg.), L’Arte del tragico, 2000, S. 55–69. 360 Pougin, „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 3. Juni 1911, S. 171. 361 Lockspeiser, Claude Debussy, 1980, S. 441. 362 Pougin, „Semaine Théâtrale“, in  : Le Ménestrel, 3. Juni 1911, S. 171  ; Henri de Curzon, „Au Châtelet“, in  : Le Guide musical, 28. Mai und 4. Juni 1911, 57. Jahrgang, Nr. 22–23, S. 407. 363 Ebd. 364 Gallotta, „Estetica e funzione della musica di Debussy nel Martyre de Saint Sébastien“, 2000, S. 25–26. Vgl. auch  : Petazzi (Hg.), „I consigli del vento che passa“, 1989 und Stoianova, „SaintSébastien. Mythe et Martyre“, 1987, S. 143–146.



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anzugleichen. Die wenige Zeit, die vor allem Debussy zur Komposition blieb, bewirkte jedoch, dass sich sowohl Komponist als auch Librettist nach Art der Ballets Russes immer mehr auf die szenische Realisierung stützten, um ihr Werk zu perfektionieren. Während es D’Annunzio daran gelegen war, die Interpreten selbst festzusetzen, sie teilweise vor dem Schreiben seines Textes kennenzulernen und ihnen eine gute Deklamation und einen „Körperrhythmus“ abzuverlangen,365 kümmerte sich Debussy um eine publikumswirksame Inszenierung des Lichts und der szenischen Bewegungen.366 Beiden Künstlern war es an einer wirkungsvollen Choreographie der Massen gelegen, für die der Schauspieler und Theaterleiter Armand Bour (1868–1945) verantwortlich war. Debussys Anstrengungen konnten das Stück jedoch nicht retten, dessen Libretto eine viel zu filigrane und unregelmäßige sprachliche Grundlage bot. Nicht wenige Kritiker verließen das Theater vor Ende der Aufführung  : „Warum muss der von den beiden Musik-Poeten geschriebene Martyre de Saint Sébastien eines der anstrengendsten Werke sein, die in dieser ‚season‘ zu hören waren  ? Am Premierenabend habe ich das Theater eine Viertelstunde nach Mitternacht verlassen. Es fehlten immer noch zwei große Akte, aber es war mir unmöglich, noch länger auszuhalten. Meine Widerstandskraft war aufgebraucht  ; ich musste aufgeben. Warum  ? …Ist es wegen der Länge des Werks  ? Nein, der Ring des Nibelungen ist noch länger. Ist es, weil die Musik von Debussy nur selten und sehr unauffällig einsetzt, um einige Szenen zu untermalen  ? Bei der Arlésienne ist es genauso  ! Ist es, weil D’Annunzio uns einen Heiligen Sebastian mit einem mißverständlichen Charme präsentiert, eine Art Zwitter mit Haaren aus Hyazinth, einen Epheben des ‚dritten Geschlechts‘, wie man es von bestimmten Figuren auf den Bildern Botticellis sagt  ? Nein  ; die Wahrheit ist viel einfacher. Der Leuchte Francisque Sarcey hätte es gefallen, die Antwort zu verkünden. Der Autor glaubte, dass sich mit Lyrik, Lyrik und nochmals Lyrik – funkelnde Metaphern, gesammelte Merkmale einer freien Phantasie, – Theater machen ließe. Er hat sich geirrt. Er hatte ein recht starkes Vertrauen … in sich selbst, um die gewöhnliche Ästhetik zu verwerfen und sich seiner blühenden 365 Brief von Gabriele d’Annunzio an Gabriel Astruc vom 21. Januar 1911. MUS, L. a. D’Annunzio 5. 366 Orledge, „Debussy’s Orchestral Collaborations, 1911–13. 1  : Le martyre de Saint-Sébastien“, 1974, S. 1035.

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Phantasie zu überlassen. Er hat sich grundlegend geirrt. Im Theater ist der Stil zweitrangig  ; das, was man zuerst einmal braucht, ist die Wahrheit  ; und die Wahrheit lässt sich nur durch Einfachheit gewinnen. Es ist traurig, das zu sagen  : Im kleinen Finger von Scribe oder A. Dumas steckt mehr szenische Kunst als in dem riesigen ‚Mysterium‘ (  ?), das man uns vorgeführt hat. Für solche Werke braucht man im Übrigen eine religiöse Ruhe, eine Andächtigkeit und Natürlichkeit, die weder der Schöpfer von Il Fuoco noch der von Pelléas et Mélisande besitzen, und die vielleicht nicht mehr an der Zeit sind.“367

Sprache und Musik verdeckten die Wahrhaftigkeit des religiösen Stoffs anstatt sie hervorzubringen. Dies war sicherlich eine sehr konservative Einschätzung, spiegelte aber die „klassische“ Lebhaftigkeit der Ballets Russes wider, die in Paris mit Petrouchka gerade erst wieder Furore gemacht hatte. Ein Vergleich zwischen Le Martyre de Saint Sébastien und Petrouchka macht in der Tat deutlich, dass eine starke Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bühnenkünstlern für die französische Fassung des Gesamtkunstwerks nicht ausreichte, sondern absolut einfache geometrische Formen und ein Sinn für die Aufführungssituation im Theater nötig waren, die seit jeher das französische Rezeptionsmodell bestimmten und auf den „Rundtanz“ und die Symmetrie als kulturelle Parameter des Zweiten Kaiserreichs zurückgingen.368 Lediglich diese künstlerische Konzeption schien beim Pariser Publikum zum Erfolg zu führen, indem sie sogar beim Adelspublikum die „Schwingung“ zwischen Bühne und Saal erzeugte.369 Die mangelhafte Abstimmung von Musik und Choreographie wurde auch bei nicht-französischen Werken der „Saison russe“ 1912 ins Feld geführt, die Djagilev wieder mit der üblichen Zusammenstellung aus Neuproduktionen (neben Daphnis et Chloé noch L’après-midi d’un faune, Le Dieu Bleu und Thamar) und Wiederaufnahmen (Petrouchka, L’Oiseau de Feu, Narcisse, Le Spectre de la Rose, 367 J. C., „Le Martyre de Saint Sébastien“, in  : Revue musicale, 1. Juni 1911, 11. Jahrgang, Nr. 11, S. 233–234. 368 Ivanka Stoianova schließt ihren Artikel über Le Martyre de Saint Sébastien mit  : „In diesem Sinne erscheint Le Martyre de Saint Sébastien heute näher an unserer Zeit als an der Zeit seiner Erschaffung.“ Stoianova, „Saint-Sébastien. Mythe et Martyre“, 1987, S. 152. Vgl. auch Hirsbrunner, „Debussys ‚Le Martyre de Saint-Sébastien‘ und der Geist des Fin de Siècle“, 1984, S. 236. 369 Chervet, „Voyez comme on danse“, in  : Gil Blas, 9. Juni 1911, S. 1.



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Carnaval) konzipiert hatte.370 Der Unterschied zwischen Musik und Tanz war in der choreographischen Umsetzung von Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune durch Vaclav Nijinskij besonders stark. Hier empfanden es die Kritiker sofort als eine große Schwierigkeit, einer Visualisierung zu folgen, die ihre eigene Vorstellungskraft bei der höchst evokativen Musik Debussys überdeckte.371 Im Vergleich zu Petrouchka, dessen Musik man allgemein als „gestisch“ ansah und die eine traumhafte Darstellung auf der Bühne begleitete, befand man die Musik von L’après-midi d’un faune als traumartig, was ein kinohaftes Ballett nur zerstören konnte. Musik und Choreographie passten nach Meinung der Kritiker in L’après-midi d’un faune nicht zusammen, da die Musik in Bögen komponiert war, Nijinskij jedoch als Konzeption die Orientierung an griechischen Vasen festgelegt hatte, die zur Folge hatte, dass sich seine Bewegungen reliefartig und eher geometrisch als fließend darstellten.372 Schon diese Flächenhaftigkeit à la Relief mag die französischen Zuschauer, die bei der besonders tiefen Bühne des Châtelet an Formationen im Halbkreis gewöhnt waren, gestört haben, da sie von der normalen produktionstechnischen Nutzung eines Guckkastentheaters extrem abwich.373 Die Choreographie war tatsächlich nicht wie sonst auf die musikalische Vorlage abgestimmt  ;374 lediglich die grobe Anlage der Szenen suggerierte die traditionelle ABA’-Form.375 Nijinskijs erste choreographische Kreation wäre wahrscheinlich wie alle anderen russischen Ballette zu französischer Musik in eine relative Vergessenheit

370 Djagilev teilte Astruc ein erstes Programm bereits Anfang März 1912 mit. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 6. März 1912. AN, Papiers Astruc, 150 MI/2. 371 Henri Gauthier-Villars, „Deux ballets de musiciens français“, in  : Comœdia illustré, 15. Juni 1912, 4. Jahrgang, Nr. 18, ohne Seitenangabe  ; Alfred Bruneau, „Au Théâtre. Au Châtelet, on joue chorégraphiquement ‚l’Après-midi d’un faune‘“, in  : Le Matin, 30. Mai 1912, S. 4. 372 Vuillermoz, „La grande Saison de Paris“, in  : Le Mois. Revue de la S.I.M., 15. Juni 1912, S. 65–66  ; Gauthier-Villars, „Deux ballets de musiciens français“, in  : Comœdia illustré, 15. Juni 1912, ohne Seitenangabe  ; Adolphe Boschot, „La Musique. Ballets Russes, sujets grecs   ?“, in  : L’Écho de Paris, 10. Juni 1912, S. 4. 373 Brandstetter, „Die Inszenierung der Fläche. Ornament und Relief im Theaterkonzept der Ballets Russes“, 1997, S. 156–157 und S. 160. 374 Nijinskij sah seine Choreographie als „statische Aktion gegen symphonische Turbulenz”. Jungwirth, „Nijinsky als Choreograph – zu radikal für sein Publikum  ?“, 1994, S. 52. 375 Jordan, „Debussy, the Dance, and the Faune“, 1999, S. 124.

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geraten,376 hätte sich L’après-midi d’un faune nicht aufgrund einer anzüglichen Pose Nijinskijs zu einem handfesten Theaterskandal ausgewachsen. Die Schlussszene, in der der Tänzer seinen Körper auf dem Schal der Nymphe ausstreckt, um seine Hände unter seinen Körper gleiten zu lassen, war zu viel für einen Teil des Publikums im Saal. Einige Zuschauer pfiffen, andere ließ Nijinskijs eindeutige Pose kalt.377 Im Zuge des Skandals spielte auch die Architektur des Théâtre du Châtelet eine Rolle, da sich das Publikum im Saal wie schon bei den Tumulten der Concerts Colonne in die zwei Gruppen der „amphithéâtres“ und der reichen Pariser Oberschicht im Parkett aufteilten.378 Aus dieser „disparaten“ Atmosphäre heraus protestierte Gaston Calmette (1858–1914), der Direktor des Figaro, im Theater und in seinen folgenden Artikeln vehement gegen Nijinskij und sprach sich für eine Kunst des Schönen, der Poesie, des Gefühls und des Traums aus, die er in Le Spectre de la Rose verwirklicht sah.379 Der Bildhauer Auguste Rodin (1840–1917), der das Stück auch gesehen hatte, verteidigte Nijinskij. Er stellte die Schönheit des Tänzers heraus, die derjenigen einer antiken Statue gleichkäme. Rodin schloss mit den Worten  : „Ich würde mir wünschen, dass eine so ehrhafte Bemühung umfassend verstanden würde und dass im Théâtre du Châtelet neben den Galavorstellungen noch weitere Aufführungen organisiert würden, bei denen sich alle Künstler instruieren und dem Spektakel der Schönheit gemeinsam beiwohnen könnten.“380

Rodins Zitat zeigt, auf welches Publikum die Orientierung an vorhandenen Formen und traditionellen geometrischen, fiktionalen und symbolischen Beziehungen zwischen Bühne und Saal angelegt war und wie die Künstleratmosphäre dieser dritten „Saison russe“ im Châtelet aus Sicht der Künstler wirklich aussah. Diese beschrieben das mondäne Publikum als eher konservativ. Positiv gewendet bedeutete Rodins Bitte, mehr Künstler in das Publikum einzubinden, eine Bestätigung 376 Christout, Le Ballet occidental, 1995, S. 110–112. 377 Arthur Pougin, „Semaine Théâtrale. Châtelet. Encore les ballets russes“, in  : Le Ménestrel, 15. Juni 1912, 78. Jahrgang, Nr. 24, S. 188. 378 Maurice Touchard, „La Musique au Châtelet“, in  : La Nouvelle revue, 15. Juli 1912, S. 206. 379 Gaston Calmette, „Un faux pas“, in  : Le Figaro, 30. Mai 1912, S. 1. 380 Auguste Rodin, „La Rénovation de la Danse“, in  : Le Matin, 30. Mai 1912, S. 1.



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der Astruc’schen Inszenierungen des Saals bei avantgardistischen Musiktheaterproduktionen. Da sich seine künstlerische Ausschmückung mit der jährlichen „corbeille“ jedoch anscheinend institutionalisiert hatte, konnte sie auch die Aufregung über moralische Einbrüche in den Spektakeln nicht mehr verhindern, wie es in den Vorjahren bei Cléopâtre oder bei Le Spectre de la Rose der Fall gewesen war (Man denke an die Frauwerdung in Le Spectre de la Rose381). So wie die künstlichkünstlerische „corbeille“ den Ballets Russes in den vergangenen Jahren eine Immunität gegen anzügliche Szenen garantiert und bewirkt hatte, dass die künstlerischen und nicht die inhaltlichen Elemente für das Publikum auch auf der Bühne im Mittelpunkt standen, forderte Rodin nun echte Künstler, damit auch die zum Teil deutlich anzüglichen Werke der Moderne als Kunst rezipiert würden. Im selben Zug fällt auf, dass Astrucs Innovationen scheinbar einen vorläufigen Endpunkt erreicht hatten, obwohl er dem Sensationellen und dem Populären treu blieb. Weder der Aéro-Club de France, mit dem Astruc seine „corbeille“ auf die „Frauen von Welt“ aus den Kreisen von Jules Verne zu erweitern gedachte, nahm sein Angebot an,382 noch führte sein Folgeprojekt des Martyre de Saint Sébastien, eine Hélène de Sparte von Émile Verhaeren (1855–1916), Déodat de Sévérac (1872–1921), Leon Bakst und Ida Rubinstein zum Erfolg. Hier hatte Astruc zwar großen Wert auf die Eignung sowohl des Komponisten – ein Franzose mit einem kompositorischen Schwerpunkt auf südfranzösischer Volksmusik – als auch der Musik gelegt – er verlangte von Déodat de Sévérac explizit einen „musikalischen Kommentar“ oder eine „Bühnenmusik“,383 nutzte jedoch die katalanische Fanfare, für deren Instrumente De Sévérac einige Ausschnitte komponiert hatte, als Bildmaterial für die Ankündigung des Stücks.384 Auch wenn Astruc Hélène de Sparte als großartiges (grand) Spektakel angekün381 Vgl. Harris, „Fokin  : Le Spectre de la Rose“, 1987, S. 245. 382 Brief von Jacques Rallay, Aéro-Club de France, an Gabriel Astruc vom 11. Mai 1912. AN, Fonds Astruc, 409 AP/33. 383 So nannte es De Sévérac selbst, und so verstanden es auch später die Kritiker. Briefe von Déodat de Sévérac an Gabriel Astruc vom 18. Februar 1912 und vom 11. März 1912. A.a.O., 409 AP/27  ; Henri de Curzon, „La Semaine. Paris“, in  : Le Guide musical, 12. und 19. Mai 1912, 58. Jahrgang, Nr. 19–20, S. 376  ; Paul de Stoecklin, „Les Premières. Théâtre du Châtelet. Hélène de Sparte“, in  : Le Courrier musical, 15. Mai 1912, 15. Jahrgang, Nr. 10, S. 301. 384 Brief von G. de Pawlowski, Chefredakteur von Comœdia, an Gabriel Astruc vom 17. Juni 1912. AN, Fonds Astruc, 409 AP/31.

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digt hatte, zeigten sich die Kritiker nach den sechs Aufführungen im Théâtre du Châtelet vom 1. bis 10. Mai 1912 sehr negativ.385 Besonders negativ bemerkten sie Verhaerens Sprache, die sich jenseits jeglicher klarer Form ausbreitete und „Frankreichs Franzosen“ deswegen in keinster Hinsicht befriedigte.386 Astrucs angestammtes, kunstgewohntes Publikum beschwichtigte diesen Eindruck später mit der Qualität der Interpreten  : Henri Deutsch de la Meurthe dankte Astruc mit den Worten  : „[…] um Sie zur Umsetzung dieses wichtigen Werks zu beglückwünschen. […] Frau Rubinstein war sehr schön“.387 Ein Aufführungselement, das selten oder nie kritisiert wurde, waren die Bühnenbilder von Leon Bakst und Aleksandr Benua. Besonders Bakst, der 1912 das Bühnenbild zu nicht weniger als allen vier neuen Balletten und dazu noch zu Hélène de Sparte und zu Salomé von Florent Schmitt konzipierte,388 erntete immer anerkennenderes Lob. Vor allem bei den Musikkritikern erwuchs er allmählich zum Angelpunkt der russischen Innovationen  : „Über ihre offensichtliche Unordnung, ihren tumulthaften Eklektizismus, ihre zügellose Vielfarbigkeit hinaus bewahrt sich die ‚grande saison‘ eine Art thematische Einheitlichkeit  ; sie ist nach Art der von Vincent d’Indy so geliebten zyklischen Werke aufgebaut. Ihre Variationen und Entwicklungen sind voll mit Unvorhergesehenem und Phantasie, aber die ursprüngliche ‚Zelle‘ bleibt unverändert. Diese Zelle ist Léon Bakst, der Leader eines bewußten und organisierten Slawismus. Er überlagert jegliche Musik mit einem unumstoßbaren Kontrapunkt. Über den Debussy geht er mit einer Augmentation, über den Reynaldo Hahn mit einer Diminution, über den Balakirew mit einem Oktavkanon und über den Ravel mit einem Krebs. Er durchdringt 385 In einem Brief beschwichtigte Astruc Félix Juven  : „Ein Rat  : Urteilen Sie niemals über Sachen, die Sie nicht gesehen haben. Hélène de Sparte war ein echtes Meisterwerk, das nur das Unglück hatte, auf seinem Weg von einigen Bonnots und Garniers gekreuzt zu werden.“ Brief von Gabriel Astruc an Félix Juven vom 11. Mai 1912. A.a.O., 409 AP/30. 386 De Stoecklin, „Les Premières. Théâtre du Châtelet. Hélène de Sparte“, in  : Le Courrier musical, 15. Mai 1912, S. 300. 387 Brief von Henri Deutsch de la Meurthe an Gabriel Astruc vom 5. Mai 1912. AN, Fonds Astruc, 409 AP/47. 388 Svetloff, „Les Ballets Russes de Serge de Diaghilew 1912. PARIS. Théâtre du Châtelet. Nou­ veaux Ballets. Le Dieu Bleu, L’après-midi d’un Faune, Daphnis et Chloé, Thamar“, in  : Collection des plus beaux numéros de Comœdia illustré et des programmes consacrés aux ballets et galas russes depuis le début à Paris, 1909–1921, 1922, ohne Seitenangabe.



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auf eigensinnige Weise das Allegro, das Scherzo, das Andante und das Finale dieser reichhaltigen Symphonie. Unser heiliger Vater Bakst ist der Kirchenfürst der neuen Religion. Alles geht durch seine Hände. […] Er ist überall  ; beseitigt man ihn, fällt alles in sich zusammen, und es gibt in Paris keine Grande Saison mehr. Die Grundfrage für die Kritiker ist also nicht, ob Debussy, Ravel, Reynaldo Hahn oder Déodat de Sévérac dieses Jahr unsere Kunst mit gelungenen Beiträgen bereichert haben  : Es ist lediglich wichtig zu wissen, wie sich der künstlerische Direktor der Saison Russe mit seiner Palette in der Hand gegenüber seinen neuen Mitarbeitern verhalten hat, die ihm der Himmel geschickt hat.“389

Die gute Arbeit von Leon Bakst hatte zur Folge, dass das Visuelle gegen 1912 schließlich völlig in den Vordergrund trat. „Die sehenden Augen sind hingerissen und darauf überhaupt nicht vorbereitet“, schloss ein ankündigender Artikel der Saison in Comœdia illustré.390 Im Folgenden bescheinigten die Kritiker Djagilevs Truppe oft eine gute Zusammenarbeit zwischen Bühnenbild und Choreographie, während die Musik – wie zum Beispiel bei Thamar, einem Ballett von Fokin zu einer Komposition von Milij Balakirev (1836–1910) – als nicht harmonisch eingebracht und zudem noch schlecht interpretiert beschrieben wurde.391 Es schien, als ob alles, was vom Gesamtkunstwerk-Trio Bakst, Fokin und Stravinskij abwich, der Kritik mangelnder Harmonie zwischen den einzelnen Künsten ausgesetzt war. Die drei Künstler standen für Instinkt, Berührung der Sinne, Ausdruckskraft und Raffinesse  ; verkörpert wurden diese Eigenschaften in L’Oiseau de Feu, Petrouchka und Shéhérazade, die auch diese Saison wieder aufgeführt wurden.392 Charles Méryel von Comœdia zufolge zeichneten sich Bakst, Fokin und Stravinskij dabei durch eine Verbundenheit zu den Regeln ihrer jeweiligen Künste aus. Erst auf dieser Basis räumten sich die Künstler einen gewissen Innovationsspielraum ein, um die einzelnen Künste miteinander 389 Vuillermoz, „La grande Saison de Paris“, in  : Le Mois. Revue de la S.I.M., 15. Juni 1912, S. 63. 390 Louis Delluc, „Les Ballets Russes en 1912“, in  : Comœdia illustré, 15. Mai 1912, 4. Jahrgang, Nr. 16, S. 657. 391 M.-D. Calvocoressi, „Les Ballets Russes“, in  : Comœdia illustré, 1. Juni 1912, 4. Jahrgang, Nr. 17, S. 715. 392 Louis Vuillemin, „La première série des Ballets Russes“, in  : Comœdia, 20. Mai 1912, 6. Jahrgang, Nr. 1694, S. 1.

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zu verbinden.393 Vor dem Hintergrund, dass die französische Presse die klassischen Strukturen vor allem anderen bevorzugte, ist Stravinskijs Vorliebe für abgerundete Formen als hohes Bewusstsein für publikumswirksame musikalische Grundformen zu sehen, vor deren Hintergrund er seinen effektvollen, gestischen und zugleich raffinierten Kompositionsstil entwickelte. Ein ausgereifter Kompositionsstil wurde durchaus auch den Komponisten zugesprochen, die bis 1914 weitere avantgardistische Werke nach dem Astruc’schen Sensationsmodell aufführten. Die gregorianisch inspirierte Musik von Ildebrando Pizzetti da Parma (1880–1968) zu D’Annunzios 1913 im Châtelet uraufgeführter La Pisanelle wurde von einigen Musikkritikern durchaus positiv rezipiert. Gleichzeitig strich die Presse die Unangemessenheit der dramaturgischen Anlage für das Pariser Publikum offen heraus, indem sie sie nun unumwunden mit dem Modell des „Rundtanzes“ aus dem Populärtheater verglich  : „Man hat aus Respekt tausend zweitrangige Gründe vorgebracht  : einen wutentbrannten Singsang, Schauspieler, die zu viel und ohne Nuancen herumschreien, eine Darstellerin, die von der Natur mit allem großzügig bedacht wurde, bis auf mit einer Stimme, der barbarische Glanz einer Inszenierung, die das Werk eher zerdrückt, als ihm zu dienen. Und das alles ist auch zum Teil wahr. Aber es ist eben nur eine nebensächliche Wahrheit. Und D’Annunzio ist so bedeutend, so hochmütig auf seinem eigenen Irrweg, als dass er die bloße Wahrheit so einfach schlucken würde. So fulminant sein Drama auch sei, es ist mit lyrischem Prunk überladen, seinem ganzen nach einer wuchtigen, um nicht zu sagen grässlichen, einförmigen Vorlage konzipiertem und darin eingeschlossenem Drama, ihm fehlt es an grundlegenden Regeln, die trotz allem immer noch das Theater regieren  : eine zwingende, äußere und wenn man so will auch untergebene, aber vitale Logik. Man muss schmunzeln, wenn man an den Schwung denkt, mit dem ein Sardou dies alles ohne die geringste Mühe ins Lot gebracht und uns mit seinen fabelhaften Wendungen ein großes Vergnügen bereitet hätte, ohne die wir verlassen und verloren gewesen wären. Man schmunzelt, obwohl man fast weinen müsste. Denn es handelt sich hier um eine zwar unproduktive, aber ungeheure Arbeit und einen gewaltigen Kraftakt. Man könnte sie als einen Vulkan393 Charles Méryel, „L’adieu aux Ballets Russes“, in  : Comœdia illustré, 15. Juni 1912, 4. Jahrgang, Nr. 18, S. 749.



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ausbruch bezeichnen, der Juwelen und Lava versprüht  ! Der gewöhnliche Zuschauer ist irritiert und nimmt noch nicht einmal die Juwelen wahr. Und er wird dreihundert Mal das neueste gut gelungene Vaudeville anschauen gehen  ! Theater, Schattenreich, Ort der Enttäuschung, der Chimere und des Unheils, von dem der große Berlioz schon sagte, dass es gegenüber jeglicher Musik sicut amori lupanar sei … Aber von einer so großen Liebe eingenommen ist die Ruine dennoch bewunderungswert  !“394

Der Grund für die einerseits positiv-anerkennende und auf das breite Publikum bezogen andererseits negative Aufnahme von La Pisanelle lag nicht allein in der dramaturgischen Struktur des Werks begründet („Sie glauben, Sie könnten die Handlung durch die Geste, die Empfindung durch das Bild, die Idee durch das Wort ersetzen. Nicht alles, was glänzt, ist Gold  ; nicht alles, was singt, ist Kunst, und sogar nicht alles, was Kunst ist, ist schön. Wenn man aus La Pisanelle oder aus dem Martyre de Saint Sébastien herauskommt, haben vier vorgetragene Verse von La Fontaine denselben Effekt wie ein Glas reines Wasser nach den schärfsten Gewürzen.“395). Sie lag auch an der szenischen Ausgestaltung durch den berühmten Regisseur Vsevolod Ėmil’evič Mejerchol’d (1874–1940), den Ida Rubinstein engagiert hatte. Mejerchol’d nahm sein Engagement im Châtelet gezielt zum Anlass, seine inszenatorischen Fähigkeiten auf einer großen Bühne zu erproben.396 Seine Inszenierung kam jedoch wortwörtlich nicht beim Publikum der Vorstellungen an, da Mejerchol’d einerseits den Bühnenrahmen mit Tüchern aushängte, die die akustische Reflektion der Stimmen dämpften, und andererseits viele Szenen auf dem hinteren Teil der großen Bühne spielen ließ, sodass die Zuschauer schon rein deshalb das gesungene und gesprochene Wort kaum wahrnehmen konnten.397 394 Gabriel Trarieux, „Le Mouvement Dramatique. Théâtre du Châtelet  : La Pisanelle, pièce en trois actes et un prologue de M. Gabriele d’Annunzio“, in  : La Revue, 1. Juli 1913, S. 113. 395 Fernand Gregh, „Théâtres. Châtelet. – La ‚Pisanelle ou la Mort Parfumée‘, comédie en un prologue et trois actes, de M. Gabriele d’Annunzio“, in  : La Liberté, 14. Juni 1913, S. 2. 396 Georges-Michel, Un demi-siècle de gloires théâtrales, 1950, S. 254. Zur Entstehungsgeschichte, zur Anlage des Stücks und zu seiner Rezeption siehe  : Picon-Vallin, „Meyerhold au Châtelet“, 2006, S. 215–227. 397 Gregh, „Théâtres. Châtelet. – La ‚Pisanelle ou la Mort Parfumée‘“, in  : La Liberté, 14. Juni 1913, S. 2  ; Louis Schneider, „La mise en scène et les décors“, in  : Comœdia, 13. Juni 1913, 7. Jahrgang, Nr. 1718, S. 3.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass räumlich-geometrische, -fiktionale und -musikalische Innovationen avantgardistischer Musik- und Tanztheaterwerke das breite Publikum am besten erreichten, wenn sie sich der am offensichtlichsten im populären Theater verbreiteten halbkreisförmigen Grundformen annahmen. Diese stimmten vor allem mit dem klassischen Stil überein, den Stravinskij zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris ideenreich erneuerte. Musikalische Kompositonen, die über diese Grundformen hinausgingen, setzten ein echtes Künstlerpublikum voraus, das auch mit dem Publikum der Pariser Oberschicht nicht immer gegeben war. Astrucs und Djagilevs Verdienst war es, das herkömmliche Pariser Rezeptionsmodell mit einer neuen künstlerischen und gesellschaftlichen Symbolik aus klassischen und populären Anleihen modifiziert zu haben, mit dem sich das Publikum für die Avantgarde begeistern ließ. Von der Anzahl der Interpreten über die Renovierung des Theaters bis zur „corbeille“ bezogen sich ihre fiktionalen und symbolischen Maßnahmen dabei vornehmlich auf die räumliche Ebene. Ohne die Orientierung am großen Raum des Châtelet und seiner Ausfüllung durch populäre oder zeitlich entlehnte Elemente hätte sich das Publikum gegenüber der Musik sicherlich auch hier nach der Berlioz’schen Ansicht „wie das Freudenhaus zur Liebe“ verhalten.

Schluss

Anhand der Analyse des Théâtre du Châtelet als Raum musikalischer Produktion und Rezeption lässt sich zeigen, wie verflochten die einzelnen musikalischen Genres im Paris des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in ihrer sozialen und künstlerischen Praxis waren. Der architektur- und raumsoziologische Blick, der von rein institutionellen Strukturen abstrahiert, um stärker das Ereignis der Aufführung zu fokussieren, legt mannigfaltige gegenseitige Einflussnahmen unterschiedlicher Genres sowie kulturgeschichtliche Rahmenbedingungen und Ursprünge musikalischer Stile frei. Als ein solcher historischer Ursprung ist etwa die Haussmannisierung unter Napoleon III. für die Beibehaltung des Rezeptionsmodells des „Rundtanzes“ im grand spectacle auch während der Dritten Republik anzusehen. Die herausragende Größe und die symmetrische Gegenüberstellung von Bühne und Saal im Théâtre du Châtelet führten dazu, dass Dramaturgen und Produzenten gegen 1914 sogar wieder auf das traditionelle Schlussvaudeville oder auch Bühnenansichten eines Theatersaals zurückgriffen – nicht zuletzt, um die Musik zu einer einfachen Form zurückzuführen. Ein weiterer Ursprung einer musikhistorischen Entwicklung liegt in der Pariser Zirkusarchitektur, von der auch das Théâtre du Châtelet architektonisch beeinflusst war. Für die Rezipienten der Concerts Colonne war es unter anderem die Zirkusform des Saals, die in den Sinfoniekonzerten zu einem klassisch-romantischen, „schwingenden“ Rezeptionsmodell führte, an das später auch Pierné seine Werke und seine musikalische Interpretation anglich. Das an den klassischen Stil oder das Populartheater angelehnte symmetrische Rezeptionsmodell, das sich in den great seasons mit Les Sylphides und Petrouchka herausbildete, scheint hingegen eine gesamteuropäische Theaterdisposition widerzuspiegeln, die dem Raumempfinden in besonders großen Opernhäusern wie dem Marinskij-Theater, der Pariser Opéra und eben auch dem Théâtre du Châtelet entsprach. Im Châtelet führte es vor allem aufgrund Stravinskijs kompositorischen Ideenreichtums und Astrucs Innovation einer Choreographie des Publikums zum Erfolg. Beide Neuerungen bildeten zudem die Grundlage für eine avantgardistische Rekomposition des herkömmlichen Rezeptionsmodells

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wie in Les Sylphides, das durch die Hintereinanderstellung eines Halbkreises auf der Bühne an den Halbkreis im Saal fast kubistisch anmutet. In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, inwiefern die architektursoziologische Analyse des Théâtre du Châtelet repräsentativ ist für die europäische Musikkultur und durch was sich die Produktions- und Rezeptionsgeschichte dieses Pariser Theaters von anderen größeren Opernhäusern abhebt. Dieser Frage soll anhand einer resümierenden Darstellung der drei wesentlichen Erkenntnisse über das Pariser Musikleben um 1900 und der daran anschließenden Forschungsdesiderate nachgegangen werden, die aus der vorliegenden raumorientierten Studie hervorgehen. Die erste Erkenntnis betrifft den künstlerischen Charakter und die Herstellung einer unterhaltenden Atmosphäre, die im Châtelet aus einer perfekten Überlagerung mehrerer, nach der simplen geometrischen Form des Halbkreises strukturierter Bühnenkünste erwuchs. Produzenten der grands spectacles beschrieben die daraus entstehende Atmosphäre als „Rundtanz“ zwischen Bühne und Saal. Ein solcher „Rundtanz“ wurde vor allem von Dramaturgen, Bühnenmalern und Choreographen dieses Genres explizit gefördert, die regelmäßige Halbkreisstrukturen und Bogenformen mit kontrastreichen Farbgebungen anreicherten und sie den im Halbrund angelegten Sitzreihen im Saal gegenüberstellten. Im Zusammenhang mit der Choreographie gehorchte auch die Musik oft einer ABA-Form, wobei ihre Wirkung im Rahmen des „Rundtanzes“ jedoch vornehmlich in einer fröhlichen Dynamik und Bewegtheit bestand. (Strophen-) Form und Melodiebildung der Musik wurden darüber hinaus zumeist dem Text angepasst. Als die Musik im Zuge des Exotismus und der zunehmend komplizierten Choreographie immer komplexer wurde, banden die Dramaturgen die Musikeinlagen in ihren Libretti explizit an das Schlussvaudeville zurück. Ein vergleichbares, visuell dominiertes Modell entstand auch in den Concerts Colonne, wo das klassisch-romantische Repertoire oft mit dem beeindruckenden Aufgebot von mehr als 200 Musikern untermalt und geometrisch dem Saal gegenübergestellt wurde, während gering besetzte Stücke und subtile Interpretationen regelmäßig ein Misserfolg wurden. Die musikalische Attraktivität dieses geometrischen Modells bestand in den Concerts Colonne vor allem im „schwingenden“ Dirigat Édouard Colonnes, mit dem er Ausführende und Zuhörer zu einer „Stimmungsgemeinsamkeit“ vereinte. Auf diese Weise führte er



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höchst erfolgreiche Ausgrabungen der Werke von Hector Berlioz durch, die sich durch ihre große Zahl an Ausführenden, ihren klassisch-romantischen Duktus und ihren Verräumlichungen der Musik in erstklassiger Weise für den Aufführungsraum des Théâtre du Châtelet eigneten. Pointiert ließe sich in diesem Zusammenhang formulieren, dass erst Napoleon III. mit den repräsentativen Volkstheaterbauten des Nouveau Paris einen geeigneten Rahmen für die Berlioz’schen Werke schuf und dass sich Berlioz’ Kritiken des Pariser Konzertlebens zu Lebzeiten vor allem gegen das gehobene Publikum der Opéra gewandt hatten, nicht jedoch gegen das breite Publikum, welches sich seiner Musik gegenüber weitaus offener zeigte. Eine solche kulturhistorische Verbindung zwischen Berlioz und der Architektur des Théâtre du Châtelet lässt sich herstellen, da das Châtelet aus verschiedensten kulturellen, sozialen, politischen und auch musikalischen Vorstellungen hervorging, die zwar ein Bild des kulturellen Lebens während des Zweiten Kaiserreichs abgeben, aber gleichzeitig fest in der theaterpraktischen Tradition des 19. Jahrhunderts verankert waren. Berlioz’ Beschreibung der Orchesteraufstellung als „amphitheatrisch“ traf im Théâtre du Châtelet mit der damaligen Vorstellung von Volkstheatern zusammen, für die seit Napoleon I. und seit dem Bau des Théâtre de l’Odéon im Jahr 1819 kollektive, amphitheatrische Ränge konstitutiv waren. In gleicher Weise konnte im Rahmen der Analyse der Feerie Rothomago gezeigt werden, dass das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ schon vor der Haussmannisierung existierte, im neuen Aufführungsraum Théâtre du Châtelet jedoch einige Veränderungen in Richtung des „vaudeville à tiroirs“ erfuhr. Was die politisch-moralische Formalisierung der Theaterpraxis durch die Pariser Haussmannisierung anbelangt, lässt sich also festhalten, dass Napoleon III. die bestehende Theaterpraxis nicht veränderte, sondern im Gegenteil durch die Größe und Repräsentativität des Theaters vollkommen auf das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ festlegte, das im Saal des Châtelet nun jedoch vornehmlich durch visuell eindrucksvolle Bühnenbilder denn durch ironische Dialoge seine Wirkung entfaltete. Gleichzeitig schuf Napoleon III. durch das nun viel repräsentativere Theatergebäude eine soziale Anhebung des Publikums des grand spectacle und damit auch eine Annäherung „niedriger“ und „gehobener“ Genres. Auch in theaterpraktischer Hinsicht wurde das Théâtre du Châtelet von Beginn an als ein flexibler Behälter von opernhafter Größe für unterschied-

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liche Gattungen rezipiert. Während diese architektonischen Eigenschaften die musikgeschichtliche Entwicklung des Paris um 1900 nachhaltig beeinflussten, konnte eine gezielte politische Ausrichtung der Aufführungen auf das Regime des Zweiten Kaiserreichs dagegen nicht architektonisch festgelegt werden. Das Einbringen politischer Botschaften hing ganz von den einzelnen Librettisten und Produzenten des grand spectacle und nicht von architektonischen Parametern wie dem Innen-Außen-Bezug des Théâtre du Châtelet ab. Trotz der räumlichen Flexibilität des Théâtre du Châtelet zeichnen sich bedeutende Unterschiede zwischen den Rezeptionsmodellen der einzelnen Genres ab, die hauptsächlich auf der unterschiedlichen Gewichtung von Visuellem und Auditivem beruhen. Im Vergleich zum grand spectacle war das „schwingende“, an die Zirkusatmosphäre angelehnte Rezeptionsmodell der Concerts Colonne ungleich komplexer. Die räumliche Positionierung von Zuhörern und Orchester im Rahmen der architektonischen Strukturen des Châtelet provozierten nicht nur eine „Stimmungsgemeinsamkeit“ zwischen Ausführenden und Publikum, sondern auch eine auf die angemessene Durchführung des Konzerts bezogene Absetzung des sozial gehobenen Publikums. Dieses führte dem Publikum der oberen Ränge seine musikalische Bildung vor, indem es ihm das richtige, stille Verhalten während der Konzerte demonstrierte. Ein bildungstechnischer Anspruch entwickelte sich zwar auch im grand spectacle im Anschluss an die volksbildenden Bemühungen zu Beginn der Dritten Republik und die Herausbildung der „féerie géographique“. Hiervon war jedoch das gesamte kleinbürgerliche Publikum betroffen, das gegen 1914 sein musikalisches Wissen bei den traditionellen Schlussvaudevilles als historisch entfernte Gattung anbringen konnte. In dieser Abstufung bekamen – so lautet die zweite Erkenntnis der vorliegenden Studie – sowohl die Zuschauer des grand spectacle als auch die Zuhörer der Sinfoniekonzerte im Châtelet mit Beginn des 20. Jahrhunderts eine zunehmend „künstlerische“ Rolle. Die künstlerische Einbindung des Publikums im grand spectacle und viel mehr noch in den Sinfoniekonzerten wurde von Gabriel Astruc für die great seasons aufgegriffen und gleichsam perfektioniert. Astruc unterzog die Zuschauer einer eigenen Choreographie und machte sie somit zu echten, mit Applaus bedachten Darstellern im Saal. Die „corbeille“, die auch in den darauffolgenden great seasons immer wieder inszeniert wurde, wurde zum Grundstein für die



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Entwicklung des Publikums der Belle Époque, das sich durch seine Eleganz und seinen Snobismus auszeichnete. Neben dieser sozial-künstlerischen Innovation beruht das Rezeptionsmodell der great seasons im traditionellen Volkstheater Châtelet auf weiteren Rückgriffen auf Genres des Pariser Musiklebens  : In der Tat muten Ballette wie Les Sylphides und Petrouchka mit ihrer Anlehnung an den Jahrmarkt, an den klassischen Stil und an die Pariser Unterhaltungsmusik wie eine perfekte Verschmelzung der beiden schon genannten zentralen Prinzipien des Pariser Musiklebens um 1900 an  : Stravinskij schaffte es nicht nur, die verschiedenen Bühnenkünste anhand einer simplen geometrischen Form einander anzugleichen, mit seiner effektvollen Musik dynamisch aufzuladen und die Aufmerksamkeit des Publikums durch die geometrische Spiegelung des Jahrmarktszenarios ganz an das Ballett zu binden, sondern auch, die künstlerische Bildung der Zuschauer mittels seiner neoklassizistischen, mit musikalischen Zitaten angefüllten Kompositionen zu aktivieren. Wie die Rezeption seiner Ballette zeigt, bot der Rückgriff auf besonders einfache Formen wie das „Rundtanz“-Modell des Unterhaltungstheaters sehr gute Angriffspunkte für eine kulturell umfassende Neukomposition des herkömmlichen Rezeptionsmodells  : Ein Erfolgsgeheimnis der Ballets Russes lag darin, das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ nicht rein sozial, sondern auch künstlerisch auf eine neue dynamische, stilistische und auch formbezogene Stufe gestellt zu haben. Bei den Ballets Russes ergänzten sich soziale und künstlerische Neuerungen gegenseitig, indem sie vornehmlich der Anbindung der Bühne an den Saal dienten. Der Eklektizismus eines Stravinskij – so die dritte Erkenntnis dieser Arbeit – beruhte im Pariser Musikleben um 1900 also einerseits auf dem Sinn des Komponisten für traditionelle Theaterformen, andererseits aber auch auf dem von Djagilev und Astruc eingeführten Eklektizismus in Bezug auf mitreißende musikalische Formen und die Charakterisierung des Publikums als „Künstler“. Aus einer solchen Konstellation wird klar, dass der Theaterraum des Châtelet zwar spezielle und entscheidende Einwirkungen auf die musikalische Produktion und Rezeption im Paris um 1900 ausüben konnte (vgl. die Rolle des vornehmen Publikums in den Concerts Colonne). Gleichzeitig wird auch deutlich, dass bestimmte Entwicklungen zwar vor dem Hintergrund eines bestimmten Aufführungsraums und einer musikalischen Tradition, aber vornehmlich durch das Zusammenwirken verschiedener Akteure begünstigt wurden. Insofern hat

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der Raum des Théâtre du Châtelet viele Gesichter. Seine Neutralität als Raum unterschiedlicher musikalischer Produktionen war schon in seiner baulichen Konzeption angelegt, in der Haussmann und Napoleon III. Politik, Theater und Urbanität verschmolzen und das Théâtre du Châtelet auf ein gleichzeitig breites und gehobenes Publikum anlegten. Nach dem Wegfall der politischen Symbolik reichten die Gesichter des Châtelet von seiner perfekten politischvolksbildenden und theaterpraktischen Abstimmung auf das grand spectacle bis hin zur opernhaften Größe, die für die Produzenten der great seasons interessant war. Aus diesen verschiedenen Raumwahrnehmungen gingen unterschiedliche Produktionsideen und -maßnahmen hervor, die jedoch gleichzeitig immer an die aktuellen Rezeptionsmuster im Paris oder auch im Europa um 1900 angeglichen waren. Die Repräsentativität des Théâtre du Châtelet für das Pariser oder auch das europäische Musiktheater ist somit aus der Perspektive der Herkunft seiner Akteure her zu verstehen  : Das grand spectacle war durch diesen Aufführungsraum gut in das Pariser Theaterleben zwischen Boulevard du Temple und Nouveau Paris eingebunden, und durch seine Größe wurde es ab 1870 zum Volkstheater par excellence der Dritten Republik. Strauss und Djagilev hingegen nutzten das Châtelet – unter der Voraussetzung seiner Renovierung – wie das Dresdener Opernhaus, das Sankt Petersburger Marinskij-Theater oder die Pariser Opéra. Die Voraussetzung für eine solch vielfältige Nutzung durch internationale Akteure bildete sicherlich die architektonische und räumliche Vergleichbarkeit all dieser Theater nach dem traditionellen italienischen Grundmuster, lag aber hauptsächlich an den mannigfaltigen Querverbindungen zwischen einzelnen europäischen Rezeptionsmodellen. Erfolgreich umgesetzte Raumnutzungsmuster, die a priori nicht aus dem Pariser Musikleben stammten, wiesen zum Großteil musikgeschichtliche Affinitäten zur Pariser Musikkultur auf. Das schnelle Verständnis des französischen Rezeptionsmodells durch die russischen Künstler lag zum Teil in der generellen formalen und melodiösen Regelmäßigkeit von Volks- und Unterhaltungsmusik begründet, die auch für die russische Folklore und ihre kompositorische Verarbeitung wie in den Danses du Prince Igor charakteristisch war. Zum Teil geht sie aber auch auf den Kulturtransfer des französischen Balletts in die russische Balletttradition des 19. Jahrhunderts zurück. Durch das Wirken von Marius Petipa in Sankt Petersburg übte der klassische



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französische Tanz seit den 1850er Jahren einen großen Einfluss auf das russische Ballett aus und bildete sogar noch eine stärkere Bogenform innerhalb der Nummerndramaturgie der Handlungsballette aus. Zusammen mit Astrucs eklektischen Rückgriffen auf Rezeptionsmuster des Pariser Musiktheaters brachten diese internationalen Parameter eine so erfolgreiche Rekomposition des traditionellen Pariser Rezeptionsmodells hervor, sodass sich auch die Theaterarchitektur erneuerte  : Im 1913 von Gabriel Astruc gebauten Théâtre des Champs-Elysées ist zu erkennen, dass die Ränge nun nicht mehr wie im Châtelet durch Arkaden und ihre Säulen unterteilt sind, sondern ausnahmslos freiliegende Balkone nach Art der „corbeille“ darstellen. Wie sich an der Eröffnung dieses Theaters mit Le Sacre du Printemps von Stravinskij zeigt, reichte diese architektonische Angleichung an das neue soziale Publikumskonzept der Belle Époque im Pariser Musikleben jedoch keineswegs aus, um ein durchweg positives Rezeptionsverhalten zu gewährleisten. In der französischen Metropole mussten sowohl das Publikum als auch das Bühnengeschehen in ihren geometrischen und auch musikalischen Formen stark aufeinander abgestimmt sein, um „Stimmungsgemeinsamkeiten“ zwischen Bühne und Saal zu erzielen. Zusammenfassend ist der Eklektizismus des Pariser Musiklebens zu Beginn des 20. Jahrhunderts kulturgeschichtlich als Rekomposition von feststehenden Figuren aus Bühne und Saal zu definieren, mit der Motivation, das Publikum nicht nur in die künstlerische Aktion auf der Bühne zu integrieren, sondern es gleichwertig mit dem Bühnengeschehen zu behandeln – und das mit produktionstechnischen Anleihen aus anderen kulturellen Traditionen und Genres, von denen sich die Impresari sowohl organisatorische als auch kompositorische Strukturen zunutze machten. Eine solche publikumsbezogene Definition wird am sinnfälligsten, wenn man sich den Inhalt von Parade vor Augen führt, das im Jahr 1917 im Théâtre du Châtelet uraufgeführt wurde. Eine Theaterbude, das Publikum und je ein amerikanischer und französischer Manager bevölkern die Bühne  ; das Stück wird von Erik Saties (1866–1925) Musik begleitet, der sie bewusst im Hintergrund hielt und Klangeffekte aus dem Alltagsleben nutzte. In diesem Sinne stellt Parade nicht nur durch seine „eklektizistischen“ inhaltlichen Elemente, die klischeehaft aus den hauptsächlichen Produktions Oberzaucher-Schüller, „Tanz. Das 19. Jahrhundert“, 1998, Sp. 326.

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elementen einer musikalischen Aufführung und ihrer Rezeption im Paris um 1900 zusammengewürfelt sind, eine musikalische Produktion der Avantgarde dar, sondern auch aufgrund seiner Formen, die auf der visuellen Ebene nun den karikaturalen (im Gegensatz zu pittoresken) Höhepunkt des Simplen und Popularen erreichten. Der nicht unangefochtene Erfolg des Stücks zeigt, dass hier wiederum eine Grenze zur Avantgarde überschritten wurde, über die nur „echte“ Künstler im Sinne der Definition von Auguste Rodin gehen konnten. Dasselbe galt für weitere Konzeptionen, die wie Nijinskij in L’après-midi d’un faune oder Debussy und D’Annunzio in Le Martyre de Saint-Sébastien mit neuartigen Rezeptionsmodellen abseits des „Rundtanzes“ arbeiteten. Das Publikum und seine Rezeptionsgewohnheiten, darunter vor allem die „mitschwingende“ Stimmung, mussten selbst in musikalischen Produktionen der Avantgarde stark berücksichtigt werden. Nicht zuletzt die Misserfolge der 1920er Jahre zeigen, dass die zumeist geometrisch hergestellte Gleichberechtigung von Bühne und Saal ein fortwährendes Charakteristikum des Pariser Musiklebens, seiner musikalischen Produktion und vor allem seiner Rezeption blieb. Während die Herausbildung eines neuen Rezeptionsmodells in hohem Maße von den Rezeptionserwartungen des Publikums abhängig schien, bildeten sich im Bereich des „Rundtanzes“ mannigfaltige wechselseitige Einflüsse verschiedener „hoher“ und „niedriger“ Genres aus. In der Tat lässt sich in der Produktionsgeschichte des grand spectacle und der great seasons ab 1900 eine enge Verflechtung erkennen. Mögen die „Saisons russes“, darunter insbesondere die Stravinskij-Ballette, in erster Linie vom Erfolg der russischen Folklore in ihren ersten Vorstellungen (vgl. Danses du Prince Igor) aber auch von der Tendenz beeinflusst gewesen sein, die das Bühnenbild des grand spectacle ab 1905 „Theater auf dem Theater“ darstellen ließ (vergleiche zum Beispiel den Jahrmarkt in Petrouchka, der beim Pariser Publikum Kindheitserinnerungen hervorrief ), so ist die Rückkehr zum Schlussvaudeville als Aufnahme des von den Ballets Russes praktizierten Eklektizismus zu werten. Im Repertoire der Concerts Colonne lassen sich Anleihen der Pariser Unterhaltungsmusik zwar schon ab 1895 fest Haine, „Jean Cocteau, impresario musical à la croisée des arts“, 2006, S. 69–134.  Cocteau kommentierte  : „Bei Parade fasste das Publikum die Transposition der Music-Hall als schlechte Music-Hall auf.“ Cocteau, „Le Coq et l’Arlequin“ (1926), 1995, S. 441.



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stellen (vergleiche zum Beispiel Vaux-de-Vire von Gédalge), sie gehörten hier jedoch traditionell zur Festigung eines sinfonischen Repertoires bei einem sozial aufgefächerten Publikum, das vornehmlich an das Musiktheater gewöhnt war, und wurden also pragmatisch und nicht demonstrativ im Repertoire eingesetzt. Insofern bildeten auch die Concerts Colonne im Hinblick auf den musikalischen Eklektizismus der Pariser Moderne ein Vorbild, das in der Rezeption noch „künstlerisch“ steigerungsfähig war. Vor diesem Hintergrund kann methodisch festgehalten werden, dass im Frankreich um 1900 ein sozial differenziertes Publikum das Spiel mit geometrischen Formen des Rezeptionsmodells weitestgehend auszuschließen schien. Der symbolisch-gesellschaftliche Raum kann also nach dem geometrischen Raum als der einflussreichste für die Etablierung eines Rezeptionsmodells und die Institutionalisierung von Produktionsmaßnahmen angesehen werden. Vor dem Hintergrund dieser kulturgeschichtlichen Erkenntnisse zum Charakter der musikalischen Unterhaltung, zur Künstlerrolle des Publikums und zum Eklektizismus lassen sich noch einige Schlussfolgerungen ziehen, die den gegenwärtigen Forschungsstand und weitere Forschungsdesiderate betreffen. Zum einen lässt sich festhalten, dass das „Gesamtkunstwerk“, wie die Bühnenästhetik der Ballets Russes beschrieben wird, de facto schon in den Unterhaltungsgenres des Pariser Musiklebens existierte. Das russische Tanzensemble hob sich von dieser Konzeption ab, indem es sein Hauptaugenmerk auf die künstlerische Anreicherung und Neukomposition des herkömmlichen Rezeptionsmodells legte. Der Akzent der Musiktheater-Avantgarde liegt somit nicht auf „Gesamt“, sondern eher auf „Kunst“. Vor diesem Hintergrund werden auch die innovativen Abweichungen vom „Rundtanz“ und die damit einhergehende Forderung Rodins nach einem „Künstlerpublikum“ noch einmal besonders nachvollziehbar. Zum anderen lässt sich anhand der Ergebnisse auch der klassische Formcharakter der französischen Sinfonik der Romantik kulturgeschichtlich verständlich machen. Weit davon entfernt, lediglich aus den rein musikalischen Traditionen und Grundsätzen des Conservatoire, der Schola Cantorum und der Société Nationale de Musique erwachsen zu sein, wurde die klassische Form vor allem im Zusammenhang mit dem Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ praktiziert und kulturell gefestigt. Daran anknüpfend könnten detailliertere, kultur-

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geschichtlich fundierte Analysen der klassischen Form und ihrer Ausprägungen zwischen Romantik und Moderne herausfinden, inwiefern das Rezeptionsmodell des „Rundtanzes“ und seine musikalischen Umsetzungen nach der Jahrhundertwende auf die 1918 von Jean Cocteau als genuin französisches Charakteristikum postulierte Klarheit vorauswiesen, die der französische Intellektuelle mit den formbasierten Künsten der Zeichnung und der Architektur verglich. Weitere musikhistorische Forschungen, die an die enge Verbindung von Rezeptionsmodell, kulturellen Rahmenbedingungen und musikalischer Komposition anknüpfen könnten, lägen im Bereich der kompositorischen Gewichtung von Form und Effekt. Wie sich schon bei den Werken von Gabriel Pierné andeutet, wurde die klassische Form mit Beginn der Moderne in verschiedener Weise hergestellt, darunter unter anderem mit tonmalerischen, rhythmischen oder instrumentalen Effekten. Die Musik des grand spectacle grenzte einzelne Formteile bevorzugt mit Medianten und Mollkadenzen ab, während in den great seasons häufig Musikstücke mit schnellen Tempi und dynamischen Steigerungen, die wiederum als Formen und nicht als punktuelle Effekte anmuteten, auf dem Programm standen. Vor dem Hintergrund, dass die Rezeptionsmodelle „niedriger“ und „ernster“ Genres mitunter auf derselben geometrischen Form beruhten, erscheint eine detailliertere transversale Untersuchung zwischen mehreren Genres zur musikgeschichtlichen Gewichtung von Effekt und Form, die hier nur ansatzweise vorgenommen werden konnte, wünschenswert. Angesichts der erzielten Ergebnisse lässt sich auch eine Evaluation des architektur- und raumsoziologischen Ansatzes für die Musik- und Kulturgeschichtsschreibung vornehmen. Ein solcher methodischer Zugriff erweitert nicht nur den Quellenbestand zur Rezeptionsgeschichte der Musik um die architekturhistorischen Quellen, die mannigfaltige Auskünfte über kulturelle Vorstellungen zum Musikleben offen legen. Er erlaubt es zudem, unterschiedlichste Quellen in der Erforschung des „Ereignisses“ der Aufführung zu bündeln, ohne dabei jedoch traditionelle theatergeschichtliche oder handlungsbezogene institutionelle Strukturen außer Acht zu lassen. Da die Architektur ein vielschichtiges Bezugsobjekt für mehrere kulturelle Aspekte darstellt, die in architektonischen Planungen, aber auch in bestimmten Raumnutzungen austariert werden, ermöglicht  A.a.O., S. 436.



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eine architektursoziologische Analyse eine kulturell „dichte“ Beschreibung aus mehreren Perspektiven. Diese umfasst zum einen die Verbindung der einzelnen Bühnenkünste während der Aufführung. Zum anderen lässt sich durch die Architektur- und Raumsoziologie auch der Wirkungsbereich von politischen und musikalischen Instanzen auf das Musikleben und seine Produktionen erkennen und analytisch angemessen berücksichtigen. Ähnliches gilt für relativ abstrakte Themenfelder wie die musikalische „Unterhaltung“ und „Klarheit“. Da sie mit kulturell „dicht“ beschriebenen Rezeptionsmodellen verbunden werden können, lassen auch sie sich nuancierter und zeitbezogen beschreiben. Am Beispiel des Théâtre du Châtelet konnten die Ursprünge und die Evolution des Grundmodells der musikalischen Produktion und Rezeption in Frankreich und seine Kommerzialisierung herausgearbeitet werden. Letztere wurde während der Planungsphase vehement von Camille Doucet und Hippolyte Hostein eingebracht, die eine möglichst hohe Sitzplatzkapazität forderten. Die architektursoziologische Methode in ihrer musikhistorischen Ausprägung von Mercedes Viale Ferrero hat sich in dieser Arbeit zudem als geeignet erwiesen, Dokumentationslücken des Unterhaltungstheaters, für das sich nicht wie bei den great seasons zu jeder Aufführung Quellenmaterial findet, zu schließen, indem sie sich auf räumliche Kommunikationsstrukturen konzentriert und das reichhaltige und noch unbeachtete Quellenmaterial hierzu in Form von Kritikeraussagen über den Raum oder Anspielungen in den Libretti auf den Raum auch für Interpretationen im Bereich der Musik fruchtbar macht. Ob im Hinblick auf lückenhafte Quellenbestände oder auf die hier entwickelten Forschungsdesiderate – die Architektursoziologie deckt Grundformen der musikalischen Kulturgeschichte auf, die Denkmodelle für weiterführende Analysen in den hier herangezogenen Teilbereichen (Sozialgeschichte der Musik, musikalische Analyse, Geschichte der Kulturpolitik) bieten.

 Früchtl/Zimmermann, „Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines gesellschaftlichen, individuellen und kulturellen Phänomens“, 2001, S. 30.

Anhang I – Akustik (Dokument des Archivs des Théâtre du Châtelet, 1, place du Châtelet, 75001 Paris)

Théâtre du Châtelet ABSCHNITTE Parkett

Verbesserung der Akustik

8.11.1988

UMBAU

1988/1989

GEGENWÄRTIGER ZUSTAND Holzfussboden Originalzustand, später durch eine mit Teppich überzogene Betonplatte ersetzt

Wiederherstellung des schallreflektierenden Holzbodens mit einem Parkett aus sehr hartem exotischem Holz (WENGE)



Corbeille

Ursprünglicher Holzboden, später mit Teppich ausgelegt

Wie Parkett



Parkett

Decken des Balkons Starke Verdeckung des hinteren Teils des Parketts durch die Corbeille

Zurücknahme der Corbeille und Profilierung der Decke, um eine Schallre­ flexion bis an die Ränder des Saals zu gewährleisten



Corbeille

Flache Decken unter jedem Balkon

Profilierung jedes Balkons und jedes Simses zur Schallreflexion bis zu den Rändern des Saals

Kuppel des Saals Während die Kuppel früher aus Glas für die Gasbeleuchtung des Saals bestand, stellt sie heute ein abgedecktes Gitter mit einer schallabsorbierenden Isolation dar

Auskleidung der Kuppel mit einer Stuckrosette mit Trompe-l’œil-Dekoration, die einen Schallreflektor abgibt

Bühnenrahmen Indem er um 3 Meter zurückgenommen wurde, um einen breiteren Orchestergraben zu schaffen, wurde das Profil des Bühnenrahmens zur einer schallschluckenden Fläche

Herstellung eines schallreflektierenden Profils durch die Schaffung eines monumentalen Polyzylinders aus Stuck mit Trompe-l’œil-Dekoration

Orchestergraben Indem das Orchester unter einem zu hohen Bühnenrahmen platziert ist, erhält es nicht genug reflektierten Schall

Ausweitung des Orchestergrabens unter die Vorderbühne, um dort die Blechblasinstrumente zu platzieren und ein muschelartiges Profil zum Saal hin zu schaffen











Anhang II Produktionen des grand spectacle im Théâtre du Châtelet, klassifiziert nach Genres, mit Datum der Uraufführung Legende  : Libretto mit Angabe des Théâtre du Châtelet als Aufführungsort Libretto mit Angabe anderer Pariser Theater als Aufführungsort/keine Angabe des Aufführungsorts Libretto nicht im Katalog der Bibliothèque Nationale de France

Mélodrame/ Nr. me mêlé de chant

ntures de Mandrin 1. 65)

s de la Seine 65)

Comédie/Vaudeville Feerie LeRothomago Riquet à la houppe (19.8.1862) (30.5.1869)

Aladin ou(vaudeville) La lampe mer2. Tout-Paris (16.6.1891) veilleuse (3.10.1863)

Opéra/Opérette Spectacle militaire

Pièce Revue

Drame

Les Parias La Prise de(13.11.1874) Pékin (22.12.1862)

Voyages de Gulliver LaLes Lanterne magique (12.12.1867) (8.12.1865)

Don César de Bazan (6.6.1863)

Les Amours du diable Marengo (1.3.1863) (opéra-féerie) (18.11.1874)

Juif errant (7.12.1872) LeLediable boiteux (18.12.1866)

Le Secret de Miss Aurore (3.7.1863)

ns du Mont St-Ber-3. 3.8.1872)

Les sept châteaux du diable (12.09.1864)

Premières Pageslad’une Le voyage dans lune (opé- Paris-Revue Le Tour du monde en 80 jours (27.12.1869) Le Naufrage de la Méduse grande histoire (1.4.1865) rette-féerie (1.4.1877) (3.4.1876) (16.1.1864)

ondaine (20.9.1873)4.

Mariage au tambour Cendrillon ou La pantou- Le Madame Thérèse fle merveilleuse (4.7.1866) (4.4.1885) (9.10.1882)

31.10.1875)

5.

Ali-Baba et les quarante voleurs (19.7.1868)

La (mystère) La Passion Guerre (23.12.1885) (30.3.1893)

L’Assommoir (20.6.1885)

La Case de l’Oncle Tom (9.7.1864)

6.

La Poudre de Perlinpinpin (4.9.1869)

Le Voyage de Suzette (27.10.1901)

Les Environs de Paris (7.7.1888)

Les Mystères du Vieux Paris (21.1.1865)

7.

Les pilules du diable (31.12.1873)

Le Prince Soleil (11.7.1889) Le Déluge Universel (29.7.1865)

8.

La Belle au bois dormant (4.4.1874)

Orient-Express (12.7.1890) Trois hommes forts (6.11.1865)

9.

Les Mille et une nuits (14.12.1881)

Les Enfants du Capitaine Grant (16.4.1892)

Fanfan la Tulipe (23.3.1866)

10.

La Queue du chat (27.1.1883)

Le Trésor des Radhjas (3.2.1894)

Le Vengeur (7.3.1868)

11.

Peau d’âne (24.7.1883)

Don Quichotte (9.2.1895) Le Comte d’Essex (5.5.1868)

12.

La Poule aux œufs d’or (22.9.1884)

Robinson Crusoé (20.10.1899) Les Pirates de la Savane (11.8.1868)

13.

Coco Félé (26.9.1885)

Les Cinq sous de Lavarède L’Armurier de Santiago (30.9.1868) (7.2.1902)

14.

Les Aventures de Monsieur de Crac (19.4.1886)

Les Aventures du CapitaineThéodoros (21.12.1868) Corcoran (30.10.1902)

15.

La Chatte blanche (2.4.1887)

Robert Macaire (15.5.1903) Les Blancs et les bleues (10.3.1869)

16.

Le Chat du diable (19.10.1893)

L’Oncle d’Amérique (20.11.1903)

Les Cosaques (21.3.1869)

17.

La biche au bois (14.11.1896)

Monsieur Policinelle (16.10.1904)

Le Courrier de Lyon (1.7.1871)

(17.11.1880) La Jeunesse du Roi Henri LaMichel RevueStrogoff du Châtelet (1.3.1908) (25.3.1864)



Anhang II

353

Anhang II Produktionen des grand spectacle im Théâtre du Châtelet, klassifiziert nach Genres, mit Datum der Uraufführung Legende  : Libretto mit Angabe des Théâtre du Châtelet als Aufführungsort Libretto mit Angabe anderer Pariser Theater als Aufführungsort/keine Angabe des Aufführungsorts Libretto nicht im Katalog der Bibliothèque Nationale de France

Mélodrame/ Nr. Drame mêlé de chant Les Aventures de Mandrin 1. (14.5.1865) Les Nuits de la Seine (9.10.1865)

Feerie Comédie/Vaudeville (19.8.1862) LeRothomago Riquet à la houppe (30.5.1869)

Aladin ou(vaudeville) La lampe mer2. Tout-Paris veilleuse (3.10.1863) (16.6.1891)

Spectacle militaire Opéra/Opérette

Drame

La Prise de(13.11.1874) Pékin Les Parias (22.12.1862)

LaLes Lanterne magique Voyages de Gulliver (8.12.1865) (12.12.1867)

Don César de Bazan (6.6.1863)

Marengo (1.3.1863) Les Amours du diable (opéra-féerie) (18.11.1874)

LeLediable boiteux Juif errant (7.12.1872) (18.12.1866)

Le Secret de Miss A (3.7.1863)

Les Chiens du Mont St-Ber-3. nard (23.8.1872)

Les sept châteaux du diable (12.09.1864)

La Faridondaine (20.9.1873)4.

Cendrillon ou La pantou- Le Madame Thérèse Mariage au tambour fle merveilleuse (4.7.1866) (4.4.1885) (9.10.1882)

Latude (31.10.1875)

Revue Pièce

Premières Pageslad’une (27.12.1869) Le Naufrage de la M Le voyage dans lune (opé- Paris-Revue Le Tour du monde en 80 jours grande histoire (1.4.1865) (16.1.1864) rette-féerie (1.4.1877) (3.4.1876) LaMichel RevueStrogoff du Châtelet (17.11.1880) La Jeunesse du Roi (1.3.1908) (25.3.1864)

5.

Ali-Baba et les quarante voleurs (19.7.1868)

La Passion Guerre (23.12.1885) La (mystère) (30.3.1893)

L’Assommoir (20.6.1885)

La Case de l’Oncle To (9.7.1864)

6.

La Poudre de Perlinpinpin (4.9.1869)

Le Voyage de Suzette (27.10.1901)

Les Environs de Paris (7.7.1888)

Les Mystères du Vie Paris (21.1.1865)

7.

Les pilules du diable (31.12.1873)

Le Prince Soleil (11.7.1889) Le Déluge Universe (29.7.1865)

8.

La Belle au bois dormant (4.4.1874)

Orient-Express (12.7.1890) Trois hommes forts (6.11.1865)

9.

Les Mille et une nuits (14.12.1881)

Les Enfants du Capitaine Grant (16.4.1892)

Fanfan la Tulipe (23

10.

La Queue du chat (27.1.1883)

Le Trésor des Radhjas (3.2.1894)

Le Vengeur (7.3.1868

11.

Peau d’âne (24.7.1883)

Don Quichotte (9.2.1895) Le Comte d’Essex (5.5.1868)

12.

La Poule aux œufs d’or (22.9.1884)

Les Pirates de la Sav Robinson Crusoé (20.10.1899) (11.8.1868)

13.

Coco Félé (26.9.1885)

Les Cinq sous de Lavarède L’Armurier de Santia (30.9.1868) (7.2.1902)

14.

Les Aventures de Monsieur de Crac (19.4.1886)

Les Aventures du CapitaineThéodoros (21.12.18 Corcoran (30.10.1902)

15.

La Chatte blanche (2.4.1887)

Robert Macaire (15.5.1903) Les Blancs et les ble (10.3.1869)

16.

Le Chat du diable (19.10.1893)

L’Oncle d’Amérique (20.11.1903)

Les Cosaques (21.3.18

17.

La biche au bois (14.11.1896)

Monsieur Policinelle (16.10.1904)

Le Courrier de Lyon (1.7.1871)

354

Mélodrame/ Nr. me mêlé de chant

Anhang II

Comédie/Vaudeville Feerie

Opéra/Opérette Spectacle militaire

Pièce Revue

Drame

18.

Le Petit Chaperon rouge (22.12.1900)

Tom Pitt (2.3.1905)

19.

Les 400 coups du diable (23.12.1905)

Les Aventures de GavrocheMademoiselle de la faille (27.1.1909) (22.10.1871)

20.

Pif   ! Paf   ! Pouf   ! (6.12.1906)

La Petite Caporale (28.10.1909)

Daniel Manin (15.3.1872)

21.

La Princesse Sans-Gêne (16.11.1907)

L’Homme à deux têtes (2.2.1910)

La Bouquetière des innocents (18.5.1872)

Vingt ans après (25.7.1871)

22.

Arsène Lupin contre Herlock Le Miracle des roses Sholmes (23.10.1910) (20.7.1872)

23.

La Course aux Dollars (10.11.1911)

Patrie   ! (12.10.1872)

24.

Le Roi de l’or (23.11.1912)

La Maison du baigneur (23.12.1872)

25.

Le Champion de l’air (14.2.1913)

Cartouche (19.3.1873)

26.

L’insaisissable Stanley Collins Le Fils du diable (17.5.1873) (8.11.1913)

27.

Le Diable à quatre (12.2.1914) La Tour de Londres (30.8.1873)

28.

La Camorra (1.11.1873)

29.

Les deux orphelines (1.6.1874)

30.

Les Fugitifs (6.2.1875)

31.

Cromwell (24.4.1875)

32.

Perrinet Leclair (13.7.1875)

33.

Le Sonneur de Saint-Paul (11.8.1875)

34.

La Closerie des genêts (15.9.1875)

35.

Pierre le Noir (20.11.1875)

36.

Les Muscadins (23.12.1875)

37.

Gaspardo le pêcheur (15.1.1876)

38.

Marceau (29.10.1877)

39.

Salvator Rosa (28.3.1879)

40.

Les Fils aînés de la République (10.5.1879)

41.

La Vénus noire (5.11.1879)

42.

Le Beau Solignac (12.1.1880)

43.

Le Bossu (23.12.1882)



Anhang II

Mélodrame/ Nr. Drame mêlé de chant

Feerie Comédie/Vaudeville

Spectacle militaire Opéra/Opérette

Revue Pièce

355

Drame

18.

Le Petit Chaperon rouge (22.12.1900)

Tom Pitt (2.3.1905)

Vingt ans après (25

19.

Les 400 coups du diable (23.12.1905)

Les Aventures de GavrocheMademoiselle de la (22.10.1871) (27.1.1909)

20.

Pif   ! Paf   ! Pouf   ! (6.12.1906)

La Petite Caporale (28.10.1909)

Daniel Manin (15.3.

21.

La Princesse Sans-Gêne (16.11.1907)

L’Homme à deux têtes (2.2.1910)

La Bouquetière des cents (18.5.1872)

22.

Arsène Lupin contre Herlock Le Miracle des roses Sholmes (23.10.1910) (20.7.1872)

23.

La Course aux Dollars (10.11.1911)

Patrie   ! (12.10.1872)

24.

Le Roi de l’or (23.11.1912)

La Maison du baign (23.12.1872)

25.

Le Champion de l’air (14.2.1913)

Cartouche (19.3.187

26.

Le Fils du diable (17. L’insaisissable Stanley Collins (8.11.1913)

27.

Le Diable à quatre (12.2.1914) La Tour de Londres (30.8.1873)

28.

La Camorra (1.11.187

29.

Les deux orphelines (1.6.1874)

30.

Les Fugitifs (6.2.1875

31.

Cromwell (24.4.187

32.

Perrinet Leclair (13.7

33.

Le Sonneur de Sain (11.8.1875)

34.

La Closerie des genê (15.9.1875)

35.

Pierre le Noir (20.11.

36.

Les Muscadins (23.1

37.

Gaspardo le pêcheu (15.1.1876)

38.

Marceau (29.10.187

39.

Salvator Rosa (28.3.

40.

Les Fils aînés de la R blique (10.5.1879)

41.

La Vénus noire (5.11

42.

Le Beau Solignac (12.1.1880)

43.

Le Bossu (23.12.1882

356

Mélodrame/ Nr. me mêlé de chant

Anhang II

Comédie/Vaudeville Feerie

Opéra/Opérette Spectacle militaire

Pièce Revue

Drame

44.

Kléber (9.7.1883)

45.

Germinal (21.4.1888)

46.

Les Bohémiens de Paris (14.6.1888)

47.

La Reine Margot (26.1.1889)

48.

Jeanne d’Arc (27.1.1891)

49.

Camille Desmoulins (3.3.1891)

50.

Madame l’Amiral (17.9.1892)

51.

La Fille prodigue (11.3.1893)

52.

Catherine de Russie (25.4.1896)



Anhang II

Mélodrame/ Nr. Drame mêlé de chant

Feerie Comédie/Vaudeville

Spectacle militaire Opéra/Opérette

Revue Pièce

357

Drame

44.

Kléber (9.7.1883)

45.

Germinal (21.4.1888

46.

Les Bohémiens de P (14.6.1888)

47.

La Reine Margot (26.1.1889)

48.

Jeanne d’Arc (27.1.18

49.

Camille Desmoulins (3.3.1891)

50.

Madame l’Amiral (17.9.1892)

51.

La Fille prodigue (11

52.

Catherine de Russie (25.4.1896)

Anhang III Reprisen des grand spectacle

Comédie

quet à la houppe )

Nr. 1.

Spectacle Feerie Militaire

Opérette Drame

(13.5.1863) LaRothomago Prise de Pékin (18.12.1892) LeLa Voyage Jeunesse de Suzette du Roi Henri (29.10.1877) (16.3.1907) (18.2.1865) (1.1.1879) (21.11.1897)

Mélodrame Pièce Les LeNuits Juif errant de la Seine (20.4.1872) (26.11.1865) (9.7.1894)

2.

Cendrillon (10.3.1867) (11.4.1868) (26.9.1888) (12.9.1891) (30.3.1895)

Le Naufrage de la Méduse (17.10.1868) (23.5.1869) (5.2.1876)

Le Tour du monde en 80 jours (12.3.1884) (20.11.1886) (27.2.1889) (25.3.1891) (5.4.1893) (11.7.1896) (1.5.1901) (14.12.1904) (1.9.1905) (30.5.1907) (4.8.1911)

3.

Les pilules du diable (25.12.1874) (8.4.1880) (15.2.1890) (9.8.1907) (18.4.1908)

Les deux orphelines (29.5.1875)

L’Assommoir (12.2.1886)

4.

Les sept châteaux du diable La Closerie des genêts (14.10.1876) (20.4.1878) (16.2.1879) (23.12.1895)

Michel Strogoff (24.12.1887) (21.11.1891) (2.7.1893) (10.4.1897) (13.2.1900) (12.8.1903) (23.4.1904) (25.7.1906) (6.8.1909) (11.9.1910) (8.8.1913) (24.12.1914)

5.

Peau d’âne (17.10.1890)

Les Pirates de la Savane (22.6.1879) (26.10.1894) (13.3.1903) (4.8.1904)

Les Environs de Paris (3.9.1895)

6.

La Poudre de Perlinpinpin (8.12.1898) (9.5.1900)

Les Fugitifs (19.3.1880)

Les Cinq sous de Lavarède (29.3.1904)

7.

La Chatte blanche (4.11.1908)

La Bouquetière des innocents (29.7.1893)

Monsieur Polichinelle (29.7.1905)

8.

Les Aventures de Gavroche (5.8.1910)

9.

La Petite Caporale (31.3.1911)

Revue La Lanterne magique (21.4.1866)



Anhang III

359

Anhang III Reprisen des grand spectacle

Comédie Le Riquet à la houppe (1869)

Nr. 1.

Spectacle Feerie Militaire

Opérette Drame

LaRothomago Prise de Pékin (18.12.1892) LeLa Voyage de Suzette (13.5.1863) Jeunesse du Roi Henri (16.3.1907) (29.10.1877) (18.2.1865) (1.1.1879) (21.11.1897)

Mélodrame Pièce Les de la Seine LeNuits Juif errant (20.4.1872) (26.11.1865) (9.7.1894)

2.

Cendrillon (10.3.1867) (11.4.1868) (26.9.1888) (12.9.1891) (30.3.1895)

Le Naufrage de la Méduse (17.10.1868) (23.5.1869) (5.2.1876)

Le Tour du monde en 80 jours (12.3.1884) (20.11.1886) (27.2.1889) (25.3.1891) (5.4.1893) (11.7.1896) (1.5.1901) (14.12.1904) (1.9.1905) (30.5.1907) (4.8.1911)

3.

Les pilules du diable (25.12.1874) (8.4.1880) (15.2.1890) (9.8.1907) (18.4.1908)

Les deux orphelines (29.5.1875)

L’Assommoir (12.2.1886)

4.

Les sept châteaux du diable La Closerie des genêts (14.10.1876) (20.4.1878) (16.2.1879) (23.12.1895)

Michel Strogoff (24.12.1887) (21.11.1891) (2.7.1893) (10.4.1897) (13.2.1900) (12.8.1903) (23.4.1904) (25.7.1906) (6.8.1909) (11.9.1910) (8.8.1913) (24.12.1914)

5.

Peau d’âne (17.10.1890)

Les Pirates de la Savane (22.6.1879) (26.10.1894) (13.3.1903) (4.8.1904)

Les Environs de Paris (3.9.1895)

6.

La Poudre de Perlinpinpin (8.12.1898) (9.5.1900)

Les Fugitifs (19.3.1880)

Les Cinq sous de Lavarède (29.3.1904)

7.

La Chatte blanche (4.11.1908)

La Bouquetière des innocents (29.7.1893)

Monsieur Polichinelle (29.7.1905)

8.

Les Aventures de Gavroche (5.8.1910)

9.

La Petite Caporale (31.3.1911)

Re (21.4.1866)

Anhang IV – Die Musik des grand spectacle 1. Anzahl der Stücke des grand spectacle 1862–1870

1871–1914

1862–1914

Anzahl der Stücke des grand spectacle (nach DE NUSSAC)

32 (26,23%)

90 (73,77%)

122 (100%)

Identifizierte Libretti, die das Théâtre du Châtelet als Aufführungsort angeben

17 (53,125%)

15 (16,66%)

32 (26,22%)

Libretti, die von anderen Theatern übernommen wurden

13 (40,625%)

28 (31,12%)

41 (33,60%)

2 (6,25%)

47 (52,22%)

49 (40,18%)

Nicht auffindbare Libretti

2. Anzahl der Musikstücke des grand spectacle

(= Gesamtzahl der angegebenen Potpourri-Einzelstücke aus den Libretti, die das Théâtre du Châtelet als Aufführungsort angeben / Zahl der davon identifizierten Stücke  ; hierbei sind auch einzelne Musikstücke aus dem Katalog der Bibliothèque Nationale de France aufgeführt, die nicht in den Libretti angegeben sind, die aber das Théâtre du Châtelet als Aufführungsort angeben) Identifizierte Einzelstücke aus den Potpourris mit der Angabe „Châtelet“ 1862–1870 Jahr

Titel

Genre

1862

Rothomago

Feerie

1862

La Prise de Pékin

Spectacle militaire

1863

Marengo

Spectacle militaire

1863

Le Secret de Miss Aurore Drama

1863

Aladin ou La lampe merveilleuse

1864 1865

Zahl der angegebenen Zahl der identifizierten Musikstücke Musikstücke 50

29 2

3

5

2

2

Feerie

41

13

La Jeunesse du Roi Henri

Drama

5

2

La Lanterne magique

Revue

81

32

 Eine ausführliche Aufstellung der Musikstücke und die musikanalytischen Details finden sich online unter  : www.boehlau.at/Die_Gesellschaft_der_Oper_Musikkultur_europaeischer_Metropolen _im_19_und_20_Jahrhundert.htm



Anhang IV

Jahr

Titel

Zahl der angegebenen Zahl der identifizierten Musikstücke Musikstücke

Genre

1866

Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse

Feerie

48

8

1866

Le diable boiteux

Revue

79

22

1867

Les Voyages de Gulliver

Pièce

42

13

1868

Le Vengeur

Drama

7

1

1868

Théodoros

Drama

1

1

1869

Paris-Revue

Revue



361

47

10

406

140



= 34,48%,

davon  : Genre

Angabe gesamt

Identifiziert

Revue

207 (50,98%)

64 (30,91%)

Feerie

139 (34,23%)

50 (35,71%)

Pièce

42 (10,34%)

13 (30,95%)

15 (3,69%)

6 (40%)

3 (0,73%)

7 (233,33%)

Drama Spectacle militaire

Identifizierte Einzelstücke aus den Potpourris mit der Angabe „Châtelet“ 1871–1914 Jahr

Titel

Genre

Zahl der angegebenen Musikstücke

Zahl der identifizier­ ten Musikstücke

1873

Le Fils du diable

Drama

2

1

1875

Les Muscadins

Drama

4

1

1880

Michel Strogoff

Pièce

4

8

1888

Les Environs de Paris

„������������������� voyage d’agrément��“� (= Pièce)

1902

Les Cinq sous de Lavarède

Pièce

5

1902

Capitaine Corcoran

Pièce

3

1912

Le Roi de l’or

Pièce

5

1913

Stanley Collins

Pièce

4

1913

Le Champion de l’air

Pièce

1

1914

Le Diable à quatre

Pièce

29

1

35

6

92

17 = 18,47%

362

Anhang IV

davon  : Genre

Angabe gesamt

Identifiziert

Pièce

86 (93,47%)

15 (17,44%)

6 (6,5%)

2 (33,33%)

Drama

Identifizierte Einzelstücke aus den Potpourris mit der Angabe „Châtelet“ 1862–1914 Gesamt 498/157 = 31,52% davon: Genre

Angabe gesamt

Identifiziert

Revue

207 (41,56%)

64 (30,91%)

Feerie

139 (27,91%)

50 (35,97%)

Pièce

128 (25,7%)

28 (21,875%)

21 (4,21%)

8 (38,09%)

3 (0,6%)

7 (233,33%)

Drama Spectacle militaire

3. Komponisten

(= Auszählung der identifizierten Stücke aus den Libretti mit der Angabe „Châte­ let“ und den im Katalog der Bibliothèque Nationale de France gefundenen Einzelstücken mit der Angabe „Châtelet“) Clé du Caveau (1862–1870/1871–1914) Stücke mit der Angabe „Châtelet“

+ Einzel­ stücke

Dirigenten des Châtelet (1862–1870/1871–1914)

Andere Komponisten (1862–1870/1871–1914)

Feerie  : Revue  : Pièce  : Drama  :

18 (18/0) 36 (36/0)   4   (3/1)   1   (0/1)

Feerie  : 12 (12/0) Spectacle militaire  :   7   (7/0) Drama  :   7   (6/1) Revue  :   8   (8/0) Pièce  : 12   (5/7)

Feerie  :� Revue  : � Pièce  : �

20 (20/0) 20 (20/0) 12 ������   ����� (5/7)

GESAMT  :

59 (57/2)

GESAMT  :

GESAMT  :�

52 (45/7)

Drama  :   1   (0/1) Feerie  : 12   (4/8) Spectacle militaire  :   1   (0/1)

46 (38/8)

Pièce  :��

  1 ������ ��������   ����� (0/1)

GESAMT  :

GESAMT  :��

  1 ������ ��������   ����� (0/1)

14 (4/10)



Anhang IV

Komponisten Komponist

1862–1870

Chéri, Victor

88

1871–1914

Gesamt

Offenbach, Jacques

43

 2 �

45

De Groot, Adolphe

14

[1 Mal auf einem Deckblatt als Komponist erwähnt]

14

Hervé

14

88

14

Artus, Alexandre

1

Lindheim, Adolphe

6

12

6

Doche, Alexandre

5

5

Blaquière, Paul

5

5

Meyerbeer, Giacomo

4

4  4 �

Fall, Leo

13

4

Nargeot, Pierre-Julien

3

3

Romagnesi, Henri

3

3

Adam, Adolphe

3

3

Derval

3

3

Mangeant, Sylvain

2

Artus, Amédée

2  2 �

2

Gounod, Charles

2

2

Auber, Daniel-François-Esprit

2

2

Béancourt, Philippe-Alexis

2

2

Nicolo

2

2

Javelot, Jules

2

Renaud, Albert

2  1 �

1

Delibes, Léo

1

1

Massé, Victor

1

1

Flotow, Friedrich von

1

1

Montaubry, Jean-Baptiste Édouard

1

1

Semet, Théodore

1

1

Messager, André

1

1

Gaveaux, Pierre

1

1

Maillard, Aimé

1

1

Darcier

1

1

363

364

Anhang IV

Komponist

1862–1870

1871–1914

Gesamt

Monpou, Hippolyte

1

1

Oray, André-Marie

1

1

Donizetti, Gaetano

1

1

Verdi, Giuseppe

1

1

L’Épine, Ernest

1

1

Ascher, Joseph

1

1

Déjazet, Eugène

1

1

Spontini, Gaspare

1

1

D’Adhémar, Abel

1

1

Casadeus, Robert

1

1

Boieldieu, François-Adrien

1

1

Colonne

1

1

Béranger, Pierre-Jean de

1

1

Vautour

1

1

Berthelier, Jean-François

1

Guilhaud, George

1 1

1

Naggiar, Maurice

1

1

Lacour, Louis

1

1

Léhar, Franz

1

1

Martinet, Henry/ Bossy, Alfred

1

1

+ 1 Benjamin Godard (Jeanne d’Arc), 2 Léon Vasseur (Prince Soleil, Mariage au Tambour)



Anhang IV

365

4. Genre, Taktart, Tonart

(Stücke aus den Libretti mit der Angabe „Châtelet“ und Einzelstücke mit der Angabe „Châtelet“) Klassifikation nach Genre Genre

1862–1870

1871–1914

Gesamt

Air

41

3

44

Chanson

27

4

31

Ronde

18

2

20

Polka

6

4

10

Vaudeville

9

9

Keine Angabe

6

6

Valse

4

Chœur

6

Marche

2

6 6

6

6

Couplet

4

1

5

Sérénade

2

2

4

3

3

Danse Contredanse

2

2

Galop

2

2

Moritat

2

Chant de guerre

1

Romance

1

1

Ballade

1

1

Mélodie

1

1

Boléro

1

1

Fanfare

1

1

Redowa

1

1

Barcarolle

1

1

Tarantelle

1

1

Fifres et tambours

1

1

Canon

1

1

Romance

1

1

Légende

1

1

2 1

2

366

Anhang IV

Genre

1871–1914

Gesamt

Bacchanale

1862–1870

1

1

Quadrille

1

1

Pas redoublé

1

1

Chant national

1

1

Klassifikation nach Taktart Taktart

1862–1870

1871–1914

Gesamt

E

46

12

58

0

44

  5 

49

I

24

 8

32

o

12

A

 7

i

 7

 7

E–I

 1

 1

O

 1

 1

0–E

12  7

14

 1

 1

Klassifikation nach Tonart Tonart

1862–1870

1871–1914

Gesamt

G-Dur

32

5

37

C-Dur

23

4

27

D-Dur

22

4

26

B-Dur

15

4

19

F-Dur

19

2

21

Es-Dur

 9

4

13

A-Dur

 7

g-Moll

 5

1

 6

a-Moll

 3

3

 6

d-Moll

 3

2

 5

c-Moll

 2

1

 3

As-Dur

 2

1

 3

h-Moll

1

 1

E-Dur

1

 1

 7



Anhang IV

Klassifikation nach Tempoangabe Tempo

1862–1870

1871–1914

Gesamt

Allegro

35

3

38

Allegretto

32

Moderato

4

Andante

6

Maestoso

32 2

6 2

Lento

1

Andantino

2

Allegro moderato

5

Andante moderato

2

6

3

2 4 2

1

6 2

Allegretto moderato

1

1

Allegro non troppo

2

2

Allegro vivo

4

Andante maestoso Andante cantabile Andantino quasi Allegretto

4 1 1

1

1 1 1

Allegretto sostenuto

1

1

Allegro grazioso

1

1

Allegro maestoso

1

1

Presto

1

1

Allegro deciso

1

1

Vivace

1

1

Vivo

1

Leggiero grazioso Martial Langoureusement

1 1 1

1

1 1 1

Allegro vivave

1

1

Andante grazioso

1

1

Allegretto grazioso

1

1

Allegro louré

1

1

Andante moderato

1

1

Allegretto maestoso

1

1

367

368

Anhang IV

Zusammenfassende Tabelle (alle Tempoangaben im Bereich Allegro, Andante etc.) Tempoangabe

1862–1870

1871–1914

Gesamt

Allegro

49

6

55

Allegretto

35

1

36

Andante

9

3

12

Moderato

4

2

6

Andantino

3

3

Maestoso

4

4

3

4

Lento

1

Vivace

2

2

Langoureusement

2

2

Presto

1

1

Leggiero Martial Grazioso

3

1

1

1

1

1

4

5. Harmonie

Stück Rothomago

Gesamtzahl der identi­ fizierten ­Einzelstücke

Reine Kadenz

Mittelteil in Tonart der D/Tp

Mittelteil in anderer Tonart

Mehrere Mo­ dulationen

28

7

6

4

11

La Prise de Pékin

2

1

1

Marengo

5

1

3

1

Le Secret de Miss Aurore

1

1 1

2

Aladin ou La lampe merveilleuse

13

Les sept châteaux du diable

2

1

1

La Jeunesse du Roi Henri

2

1

1

La Lanterne magique Cendrillon

6

32

9

4

15

1

7

8

4

2

Le diable boiteux

22

8

10

2

2 2

Gulliver

13

4

3

4

2



Anhang IV

Stück

Gesamtzahl der identi­ fizierten ­Einzelstücke

Le Vengeur

1

Théodoros

1

La Poudre de Perlinpinpin

1

Paris-Revue

9

Le Fils du diable

1

Michel Strogoff

Reine Kadenz

Mittelteil in Tonart der D/Tp

Mittelteil in anderer Tonart

369

Mehrere Mo­ dulationen

1 1 1 5

1

2

6

1

2

1

2

Le Roi de l’or

4

1

1

1

1

Le Diable à quatre

6

3

1

1

1

Les Muscadins

1

La Vénus noire

1

1

Les Mille et une nuits

4

4 (Polkas)

Madame Thérèse

1

Les Aventures de Monsieur de Crac

5

Don Quichotte

1

Jeanne d’Arc

3

GESAMT

1 1

1

1 3

2

1 1

2

52 (44/8)

173

55 (47/8)

22 (19/3)

44 (30/14)

Auszählung ohne Stücke der Dirigenten des Théâtre du Châtelet

Stück Rothomago

Gesamt

Reine Kadenz

Mittelteil in Tonart der D/Tp

Mittelteil in anderer Tonart

Mehrere Modu­ lationen

19

7

6

2

4

6

4

1

2

9

13

2

4

La Prise de Pékin

0

Marengo

0

Le Secret de Miss Aurore

0

Aladin ou La lampe merveilleuse

13

Les sept châteaux du diable

0

La Jeunesse du Roi Henri

0

La Lanterne magique

28

370

Anhang IV

Stück Cendrillon

Gesamt

Reine Kadenz

Mittelteil in Tonart der D/Tp

Mittelteil in anderer Tonart

Mehrere Modu­ lationen

2

2

5

3

2

21

7

10

Gulliver

7

2

4

Le Vengeur

0

Théodoros

0

La Poudre de Perlinpinpin

0

Paris-Revue

5

Le Fils du diable

0

Michel Strogoff

0

Le Roi de l’or

4

1

1

1

1

Le Diable à quatre

6

3

1

1

1

Les Muscadins

1

La Vénus noire

0

Les Mille et une nuits

0

Madame Thérèse

0

Les Aventures de Monsieur de Crac

0

Don Quichotte

1

9 (7/2)

18 (14/4)

Le diable boiteux

Jeanne d’Arc GESAMT

3 113 (98/15)

1

4

1

1

1 1 44 (38/6)

2 42 (39/3)

Anhang V – Photoprogramme des grand spectacle (chronologisch geordnet  ; aus ARS, WNA 25, wenn nicht anders angegeben)

Le Photoprogramme. Revue Illustrée des Théâtres, Théâtre du Châtelet. Michel Strogoff, 3. Jahrgang, Saison Théâtrale 96–97, Nr. 49. Le Monde Théâtral. Photo-Châtelet Illustré, programme spécial du Théâtre du Châtelet. Le seul autorisé à être vendu à l’intérieur du Théâtre, Michel Strogoff, 8. Jahrgang, 1896/97, Paris. Le Photo-programme illustré des théâtres, Châtelet. Rothomago, 3. Jahrgang, Saison théâtrale 1897–1898. Le Photo-programme illustré des Théâtres, Châtelet. Le Tour du Monde en 80 Jours, 4. Jahrgang, Saison Théâtrale 1897–98, Nr. 40. Théâtre Municipal du Châtelet, Robinson Crusoé, Saison théâtrale 1899–1900. Le Photo-programme illustré, Théâtre du Châtelet. Michel Strogoff, Saison théâtrale 1899–1900. Le Photo-programme Postal des Théâtres, Châtelet. Le Tour du Monde en 80 Jours, Saison 1904/1905. Théâtre du Châtelet, Mr. Policinelle, 1904–1905, 1re  : 16 Oct. 1904. Le Photo-programme Postal des Théâtres, Châtelet. Tom Pitt, Saison 1904–1905. Le Photo-programme Postal des Théâtres, Châtelet. Les Pirates de la Savane, Saison 1904–1905. Théâtre du Châtelet, Pif   ! Paf   ! Pouf   ! ou Un Voyage endiablé, Saison 1904–1905 [BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet 54]. Le Photo-programme illustré des théâtres, Théâtre Municipal du Châtelet. Les 400 coups du diable, féerie à grand spectacle de M. Victor de Cottens et Victor Darlay, Saison 1905–1906. Le Photoprogramme. Revue Photographique Illustrée des Théâtres de Paris, Châtelet, 14. Jahrgang, 2. Reihe, Nr. 23 (Les pilules du diable, 1907–1908). Le Photoprogramme. Revue Photographique Illustrée des Théâtres de Paris, Châtelet. Les Pilules du Diable, 14. Jahrgang, 2. Reihe, Nr. 23 (1907–1908). [identisch mit dem darüber angegebenen Programm, nur mit anderen Photographien] Le Photoprogramme. Revue Photographique Illustrée des Théâtres de Paris, Châtelet. La princesse sans gêne, 14. Jahrgang, 2. Reihe, Nr. 27 (1907–1908). Le Photoprogramme. Revue Photographique Illustrée des Théâtres de Paris, Châtelet. La Revue du Châtelet, 14. Jahrgang, 2. Reihe, Nr. 37.

372

Anhang V

Le Photo-Programme, Châtelet. La Chatte blanche, Saison 1908–1909. Théâtre Municipal du Châtelet, Programme Officiel (Les Aventures de Gavroche, 1908– 1909). Théâtre Municipal du Châtelet, Programme Officiel (L’Homme à deux têtes, 1909–1910). Théâtre Municipal du Châtelet, Programme Officiel (La petite Caporale, 1909–1910). Théâtre Municipal du Châtelet, Le Roi de l’Or. Programme Officiel (1912–1913). Théâtre Municipal du Châtelet, Programme Officiel (Michel Strogoff, 1912–1913). Théâtre Municipal du Châtelet, Programme Officiel (Le Diable à quatre, 1912–1913).

Bibliographie I. Quellen 1. Die Architektur des Théâtre du Châtelet Archive AN, F21

1039.

Schöne Künste. Theater (19. Jahrhundert). Abriss des Boulevard du Temple, Umsiedlung und Rekonstruktion zweier Theater, darunter der Cirque Impérial, Place du Châtelet  : Bekanntmachung des Stadtrats, Bericht des Conseil des Bâtiments Civils, Erlass vom 27. Februar 1860 zur Autorisierung des Baus zweier Theater auf der Place du Châtelet  ; Erlass zur Änderung des Namens des Cirque Impérial du Châtelet. Note sur la situation des Théâtres du Boulevard du Temple [an den Préfet de la Seine], o. D. [Beginn 1858]. Minute de Lettre du Ministre d’État à Mr. le Préfet de la Seine, 16. Januar 1858. Brief vom Préfet de la Seine an den Ministre d’État vom 30. November 1859. Brief von Baron Georges Eugène Haussmann an das Ministère d’État vom 30. November 1859. Conseil Général des Bâtiments civils. Extrait du Registre des Délibérations. Séance du 24 X.bre 1859. Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 20. Februar 1860. Ministère d’État. Arrêté. 27 février 1860. Note pour Son Excellence de Camille Doucet en date du 30 mai 1861. Ministre d’État. Théâtres. Note pour Son Excellence du 30 Mai 1861. Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 30. Mai 1861. Brief vom Préfet de la Seine an den Ministre d’État vom 30. November 1861. Brief von Camille Doucet an den Préfet de la Seine vom 18. Dezember 1861. AN, F21 1143.

Schöne Künste. Theater (19. Jahrhundert). Cirque Olympique (>1870). Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 14. Oktober 1858. Rapport à Son Excellence le Ministre d’État du Secrétaire Général [Pelletin], 25. Oktober 1858. Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 24. März 1860. Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 18. Februar 1861. Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 19. Februar 1861.

374

Bibliographie

Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 30. Oktober 1861. Brief von Camille Doucet an den Ministre d’État vom 30. November 1861. Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 20. Dezember 1861. Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 30. Dezember 1861. Note de Camille Doucet pour le Ministre d’État du 29 Juillet 1862. Brief von Camille Doucet and Hippolyte Hostein vom 12. August 1862. Arrêté au nom de l’Empereur du 20 Septembre 1862. Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 20. Januar 1863. Théâtre Impérial du Châtelet. Note relative à la demande d’une subvention, 26. März 1863. Brief von Adolphe d’Ennery an den Ministre d’État, o. D. Note sur le Théâtre Impérial du Cirque et sur son déplacement prochain, o. D. Théâtre Impérial du Châtelet. Note relative à la demande d’une subvention, o. D. Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État, o. D. BAVP, Fonds Davioud.

Plan du 11 avril 1859. Dav. 1 CR, DA 2223. Théâtre Impérial du Cirque, Mai 1859. Dav. 2 CR, DA 2119. Caves/ Sous-sol, mars 1860. Dav. 3 CR, DA 2122. Théâtre du Cirque. Rez-de-chaussée de la Salle (Projet du 27 Mars 1860). Dav. 4b CR, DA 2104. Théâtre du Cirque. 1er Étage de la Salle du projet du 27 Mars 1860. Dav. 4b CR, DA 2105. Théâtre du Cirque. 2ème et 3ème Étages de la Salle (Projet en date du 27 Mars 1860). Dav. 4b CR, DA 2106. Théâtre du Cirque. 4ème et 5ème Étages de la Salle (Projet du 27 Mars 1860). Dav. 4b CR, DA 2107. Théâtre du Cirque. Orchestre et Parterre. Dav. 5b CR, DA 2110. Théâtre du Cirque. 1er Étage. Dav. 5b CR, DA 2111. Théâtre du Cirque. 2e Étage. Dav. 5b CR, DA 2112. Théâtre du Cirque. 3e Étage. Dav. 5b CR, DA 2113. Théâtre du Cirque. 4e Étage. Dav. 5b CR, DA 2114. Théâtre du Cirque Impérial. Coupe Longitudinale. Dav. 6b CR, DA 2126. Fichelle de 0m04 p. M., o. D. Dav. 18b CR, DA 2307 OP, Cliché 87C 130796.

Théâtre Impérial du Châtelet. Étude pour le rideau d’avant-scène. Anonyme.



Bibliographie

375

Zeitungsartikel Die Zeitungsbestände zur Rezeptionsgeschichte des Théâtre du Châtelet wurden mit Hilfe des Répertoire International de la Presse Musicale (RIPM) der Bibliothèque Nationale de France systematisch für die Schwerpunkte Architektur, grand spectacle, Concerts Colonne und great seasons erschlossen. Im Folgenden werden jeweils die in der Arbeit zitierten Jahrgänge der herangezogenen Zeitschriften angegeben. Ergänzend zum RIPM wurden die Sammlungen von Zeitungsartikeln zum Théâtre du Châtelet des Fonds Rondel (ARS) und der BHVP herangezogen. Gazette des Beaux-Arts, 1862. Le Magasin pittoresque, 34. Jahrgang, 1866. Le Ménestrel, 29. Jahrgang, 1862. Le Monde illustré, 6. Jahrgang, 1862. Revue et gazette des théâtres, 1862. Revue et gazette musicale de Paris, 29. Jahrgang, 1862. Zeitgenössische Literatur und gedruckte Quellen Arbelli, H.-P., Civilisation. Travaux de Paris. Les trois nouveaux théâtres, Paris, 1863. Auger, Hippolyte, Physiologie du théâtre, Bd. 3, Paris, 1839. Baret, Charles, Le Théâtre en province, propos d’avant-guerre, Paris, 1918. Beaulieu, Henri, Les Théâtres du boulevard du Crime (1905), Genf, 1977. D’Avenel, Georges, Le Mécanisme de la Vie Moderne, quatrième série  : l’habilement féminin, la publicité, le théâtre, le prêt populaire, Paris, 1902. Daly, César/ Davioud, Gabriel, Architecture Contemporaine. Les Théâtres de la Place du Châtelet   : Théâtre du Châtelet – Théâtre Lyrique. Construits d’après les dessins et sous la direction de M. Gabriel Davioud, architecte. Publiés sous le patronage et avec le concours de la ville de Paris, Paris, 1865. –, Architecture Contemporaine. Les Théâtres de la Place du Châtelet. Théâtre du Châtelet – Théâtre-Lyrique. Construits d’après les dessins et sous la direction de M. Gabriel Davioud, Architecte, Paris, o. D. [1874]. Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte (1824– 1881), 1981–1982. Destors, Denis, Notice sur la vie et les œuvres de Gabriel Davioud, lue au Congrès, séance du 14 Juin 1881, Paris, 1881. Dupavillon, Christian, Architectures du cirque des origines à nos jours, Paris, 1982. Haussmann, Baron Georges Eugène, Mémoires (1893), hg. von Françoise Choay, Paris, 2000.

376

Bibliographie

Gosset, Alphonse, Considérations sur l’architecture théâtrale. Application au Théâtre de Reims, extrait de la lecture faite à l’Académie Impériale de Reims, dans sa séance du 14 Mai 1867, Reims, 1867. Hostein, Hippolyte, Historiettes et souvenirs d’un homme de théâtre, Paris, 1878. Lettre de M. Hostein en réponse à la Note de M. Billion, directeur du théâtre du Cirque Impérial, Paris, 1858. Michaux, M. L., Histoire et Description des Fontaines Publiques de Paris, Paris, 1879. Narjoux, Félix, Paris. Monuments élevés par la ville 1850–1880, vol. III  : édifices consacrés aux beaux-arts, Paris, 1882. Pougin, Arthur, Dictionnaire Historique et Pittoresque du Théâtre et des Arts qui s’y rattachent, Paris, 1885. Rénovation de la cage de scène, Paris, 1998. Rolland, Romain, Jean-Christophe, Bd. 5  : La Foire sur la place (1908), Paris, 1932. 2. Das grand spectacle Archive ARS, Fonds Rondel.

„Musique. Mort de Marius Baggers“, in  : Excelsior, 22. September 1939. Ro 2414  : Baggers (Marius). Notice biographique. Boisson, Marius, „Les Musiciens d’autrefois. Les Artus“. Ro 2346  : Artus (Alexandre) et Artus (Amédée). Note biographique et critique. Talin (Henri Meilhac), Comment se fait un Vaudeville, 1851. Rf 45209. OP, Esq./ Aff. Th.

Bühnenbildentwürfe und Poster. Esquisse de décor attribuée à Jean-Louis Chéret. Les voyages de Gulliver. Acte II, tableau 1  : Le palais du roi Quotient dans l’Île Volante. Opéra Esq. 19 (104). Esquisse de décor par Jean-Louis Chéret. Théodoros. Acte IV, tableau 10  : Intérieur d’un palais. Escalier conduisant vers une galerie et Théodoros entouré de lions. Aux murs, trophées militaires. Velum et rideau encadrant la scène. Opéra Esq. 19 (128). Henri Robecchi, Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse. Esquisse de décor de l’acte I, tableau 3  : vaste cuisine chez M. de la Pinchonnière, 1866. Opéra Esq. 19 (192). Rothomago  : esquisse de décor pour le tableau 2 du prologue ou pour le tableau 4 de l’acte II  : escaliers monumentaux conduisant à la terrasse d’un palais, 1862. Opéra Esq. 19 (199).



Bibliographie

377

AN, F21 1143.

Schöne Künste. Theater (19. Jahrhundert). Cirque Olympique (>1870). Brief von Hippolyte Hostein an den Ministre d’État vom 20. Januar 1863. Brief des Generaldirektors der Theaterverwaltung an den Präfekten vom 6. August 1870. Brief von Lacressonnière und Deshayes an den Ministre de l’Instruction Publique et des ­Beaux-Arts vom 17. Oktober 1871. Minute de Lettre du 20 Octobre 1871 du Directeur des Beaux-Arts. Théâtre Impérial du Châtelet. Note relative à la demande d’une subvention, o. D. Brief von Lacressonnière und Deshayes an die Commission des Théâtres, o. D. Archives de Paris, V.R. 199.

Archiv des Départements. Théâtre du Châtelet  ; Pflichtenkatalog (1881–1895). Compte de M. Harmant réglé le 2 Avril 1882. Note d’Amenant, sous-directeur des Affaires Municipales de la Préfecture du Département de la Seine, Théâtres de la Gaîté et du Châtelet, règlement des comptes de 1889, comptes de 1890, 20 Décembre 1890. Rapport du Receveur Municipal au Secrétaire Général du 2 février 1893. Cahier de la Société parisienne des trois théâtres. Archives de Paris, V.2 M87–2.

Verwaltung des Départements. Théâtre du Châtelet. Brief von Mme Veuve FLOURY und MM. FLOURY Frères, Direktoren des Théâtre du Châtelet, an den Conseil Municipal de Paris, Mai 1897. Libretti Barrière, Théodore, Théodoros. Drame en cinq actes, quatorze tableaux, représenté pour la première fois, à Paris, sur le Théâtre Impérial du Châtelet, le 21 décembre 1868, Paris, o. D. Brisebarre, Édouard Louis Alexandre/ Blum, Ernest, Le Vengeur, drame national et maritime en 5 actes et 10 tableaux, musique de Victor Chéri, représenté pour la première fois, à Paris, sur le Théâtre Impérial du Châtelet, le 7 mars 1868, Paris, 1868. Clairville/ Blum, Ernest/ Flan, Alexandre, Le diable boiteux. Grande revue parisienne en quatre actes et trente tableaux. Musique nouvelle de M. Victor Chéri. Ballets de M. Honoré. Décors de MM. Fromont, Daran, Poisson, Robecchi et Philastre. Costumes dessinés par MM. Marcelin, Hadol et Cornillet, et exécutés par M. Ferdinand et Madame Gervais. Représentée pour la première fois, à Paris, sur le Théâtre Impérial du Châtelet, le mardi 18 décembre 1866. Direction de M. Hippolyte Hostein, Paris, o. D.

378

Bibliographie

Clairville/ Monnier, Albert/Blum, Ernest, Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse. Grande Féerie en cinq actes et trente tableaux, musique nouvelle de M. Victor Chéri, Ballets de M. Honoré, décors de MM. Chéret, Fromont, Robecchi, Machines de M. Riotton, costumes dessinés par M. Grévin. Représentée pour la première fois, à Paris, sur le Théâtre Impérial du Châtelet, le lundi 4 juin 1866. Direction de M. Hippolyte Hostein, Paris, o. D. –, La Lanterne magique. Grande Revue de l’année en quatre actes et vingt tableaux. Musique de Victor Chéri, Ballets de M. Honoré, Décors de MM. Fromont, Pelette, Daran, Poisson, Robecchi et Philastre, Machinerie de M. Riotton, Costumes dessinés par M. Grévin. Représentée pour la première fois à Paris, sur le théâtre impérial du Châtelet, le Vendredi 8 décembre 1865. Direction de M. H. Hostein, Paris, o. D. Clairville/Siraudin, Paul, Le Déluge universel, drame à grand spectacle en 5 actes, en 12 tableaux, musique et chœurs de M. Victor Chéri, représenté pour la première fois, à Paris, au Théâtre Impérial du Châtelet, le 29 juillet 1865, Paris, o. D. Clairville/Siraudin, Paul/Busnach, W., Paris-Revue. Revue-Ballet-Féerie en quatre actes, un prologue et vingt-six tableaux, musique nouvelle de M. Victor Chéri, Ballet de M. Honoré, Décors de MM. Chéret, Fromont et Floury, mise en scène de M. Rey. Représentée pour la première fois, à Paris, sur le théâtre impérial du Châtelet, le lundi 27 décembre 1869, Paris, o. D. D’Ennery, Adolphe/Clairville/Monnier, Albert, Rothomago. Féerie à grand spectacle, en vingt-cinq tableaux (cinq actes dont un prologue), Mise en scène de M. Hostein, musique de M. Adolphe de Groot, Ballets de M. Honoré, décors de MM. Chéret et Chaney, Daran, Poisson, Robecchi et Fromont, machines de M. Riotton, costumes dessinés par M. Alfred Albert, représentée pour la première fois, à Paris, sur le Théâtre Impérial du Cirque, le 1er Mars 1862, Paris, o. D. D’Ennery, Adolphe/Crémieux, Hector, Aladin ou La lampe merveilleuse. Féerie nouvelle en quatre actes, en vingt tableaux, musique de M. Degroot, représentée pour la première fois, à Paris, sur le Théâtre Impérial du Châtelet, le 3 octobre 1863, Paris, o. D. D’Ennery, Adolphe/Verne, Jules, Michel Strogoff. Pièce à grand spectacle en 5 actes et 16 tableaux, musique de M. Artus. – Décors de MM. Chéret, Rubé, Chapron, Lavastre, Nézel. Représentée pour la première fois à Paris, sur le Théâtre du Châtelet, le 17 novembre 1880, Paris, o. D. D’Ivoi, Paul, Les Cinq sous de Lavarède. Pièce à grand spectacle en 4 Actes et 21 Tableaux. Représentée pour la première fois, le 7 février 1902, sur la Scène du Théâtre du Châtelet, Paris, o. D. Darlay, Victor/De Gorsse, Henry, Le Diable à quatre. Pièce à grand spectacle, en 3 Actes et 18 Tableaux, mise en scène de M. Henri Provost, Musique nouvelle et arrangée de M. Marius Baggers, Machinerie de M. Eugène Colombier. Représentée pour la première fois à Paris au Théâtre du Châtelet, le 10 Février 1914, Paris, 1914. –, Le Roi de l’or. Pièce à grand spectacle en 4 actes et 25 tableaux, Musique nouvelle et ar-



Bibliographie

379

rangée de M. Marius Baggers. Décors d’Amable et Cioccari et Alexandre Bailly – Ballets et divertissements réglés par M. Wandelaer. Représentée pour la première fois à Paris au Théâtre du Châtelet, le 15 Novembre 1912, Paris, o. D. Desnoyers, Charles/[handschriftlich hinzugefügt  : et A. d’Ennery], Le Naufrage de la Méduse. Drame en cinq actes, représenté pour la première fois, à Paris, sur le Théâtre de l’Ambigu-Comique, le 27 avril 1832, Paris, o. D. Féval, Paul/Saint-Yves, Le Fils du diable. Drame en cinq actes et onze tableaux, précédé de Les trois Hommes Rouges, prologue, représenté pour la première fois sur le Théâtre de l’Ambigu-Comique, le 24 août 1847, et repris sur le Théâtre du Châtelet le 17 mai 1873, Paris, o. D. Lambert-Thiboust/Derosne, Bernard, Le Secret de Miss Aurore. Drame en 5 actes et 8 tableaux, musique de M. Degroot, représenté pour la première fois au Théâtre Impérial du Châtelet le 3 juillet 1863, Paris, o. D. Monnier, Albert/Clairville/Blum, Ernest, Les Voyages de Gulliver, pièce fantastique en 4 actes et 30 tableaux, musique nouvelle de M. Victor Chéri, représentée pour la première fois, à Paris, au Théâtre Impérial du Châtelet, le 12 décembre 1867, Paris, o. D. Partituren Artus, Alexandre, Grande Marche Indienne du Rajah, exécutée dans Les Aventures de Mr. de Crac, Paris, 1886. –, Strogoff-Quadrille, exécuté dans Michel-Strogoff, Paris, 1881. –, Théâtre du Châtelet. Les 1001 Nuits, féerie de A. d’Ennery et Paul Ferrier, Paris, 1882. –, Théâtre du Châtelet. Les 1001 Nuits. Quadrille sur les motifs de la Féerie de A. d’Ennery et Paul Ferrier, Paris, 1882. –, Théâtre du Châtelet. Les aventures de Monsieur de Crac, féerie de MM. Ernest Blum et Raoul Toché. De Crac-Polka, Paris, 1887. –, Théâtre du Châtelet. Les Aventures de Monsieur de Crac, féerie de MM. Ernest Blum et Raoul Toché, Paris, 1887. –, Théâtre du Châtelet. Madame Thérèse, drame militaire historique. Marche des trompettes, paroles de Erckmann-Chatrian, Paris, 1883. –, Théâtre du Châtelet. Marche de la Caravane de la Vénus Noire, voyage dans l’Afrique Centrale de A. Belot, Paris, 1880. –, Théâtre du Châtelet. Strogoff. Pas redoublé pour Clairons et Tambours intercalé dans Michel-Strogoff, Paris, 1892. Baggers, Marius, Fête de Nuit à Moscou. Ballet Russe. II. La Tzigane. Danse Caractéristique, Paris, 1909. Blaquière, Paul, Titilariti Tontonlariton. Chanson, paroles d’Amédée Rolland, Paris, o. D.

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Capelle, P. (Hg.), La Clé du Caveau. À l’usage des chansonniers français et étrangers, des amateurs, auteurs, acteurs, chefs d’orchestre et de tous les amis du Vaudeville et de la chanson, quatrième édition contenant 2350 airs, dont 470 qui n’étaient point dans l’Édition précédente, tels que Chœurs, Airs de facture, Airs d’entrée et de sortie, Rondes, Rondeaux, Cavatines, Barcarolles, Ballades, Complaintes, Romances, Contredanses, Valses, Allemandes, Anglaises, Tyroliennes, Hongroises, Polkas, Boléros, Fandangos, Sauteuses, Galops, Canons, Nocturnes, Airs à plusieurs voix, Airs de chasse, Carillons, Marches, Chants guerriers et nationaux, etc. Cet ouvrage est précédé d’une notice sur le caveau et comprend trois tables alphabétiques et deux tableaux où se trouvent les Coupes figurées des Airs contenus dans ce Recueil unique, avec les noms de MM. les Compositeurs qui ont contribué à ce travail, et les titres des Partitions ou Publications partielles auxquelles ces mêmes airs doivent leur origine, Paris, 1872. Chéri, Victor, Gulliver. Polka des Oiseaux, Paris, 1867. –, Théâtre du Châtelet. Les trois amants de Jeannette. Ronde chantée par Mlle Clarisse Miroy dans la féerie de Cendrillon, paroles de MM. Clairville, A. Monnier et Blum, Paris, 1872. –, Théâtre Impérial du Châtelet. Chant de Guerre du Vengeur, chanté par Mr. Fraysinet, paroles de MM. Ed. Brisebarre et E. Blum, Paris, 1868. –, Théâtre Impérial du Châtelet. L’Égyptienne Réaliste, chantée par Mlle Kadoudja dans Paris-Revue, paroles de MM. Clairville, Siraudin et W. Busnach, Paris, 1870. –, Théâtre Impérial du Châtelet. Le Diable boiteux. Grande revue parisienne. Ot’ donc tes pieds là, Paris, 1866. –, Théâtre Impérial du Châtelet. Rondo, chanté par Mlle Lise Tautin dans Les Sept Châteaux du diable, paroles de D’Ennery et Clairville, Paris, 1864. –, Turlurette. Ronde chantée par Mr. Colbrun dans Rothomago, Paris, 1862. Darcier, L., Le Beau Nicolas. Chansonnette, paroles de A. Groult, Paris, o. D. De Groot, Adolphe, Le Secret de Miss Aurore. Ronde du Jokey Toby, chantée par Mr. Colbrun, paroles de Mrs Bernard Derosne, Lambert, Thiboust, Paris, 1863. –, Les Heures. Mélodie, chantée par Mademoiselle Vangel dans Rothomago, paroles de Clairville et d’Ennery, Paris, 1878. –, Rothomago. Gigue-Polka, Paris, 1862. –, Rothomago. Valse brillante, Paris, 1864. –, Théâtre du Cirque Impérial. Bruyère Romance, chantée par Mme Esclozas, paroles de MM. d’Ennery, Clairville et Albert Monnier, Paris, 1862. –, Théâtre du Cirque Impérial. Rothomago. Air des Dentelles, chanté par Mme Coraly Geoffroy, paroles de MM. d’Ennery, Clairville et Albert Monnier, Paris, 1862. –, Théâtre du Cirque Impérial. Rothomago. Rondo chanté par Mme Coraly Geoffroy, paroles de MM. d’Ennery, Clairville et Albert Monnier, Paris, 1862. –, Théâtre Impérial du Cirque. Rothomago. Polka des Dindons, pour piano, Paris, 1862. –, Théâtre Impérial du Châtelet, Marengo. Fifres et Tambours, polka pour le piano, Paris, 1863.



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–, Théâtre Impérial du Châtelet. Une fête à Milan. Polka-Mazurka et valse tirées du Ballet dansé dans Marengo, pour piano, Paris, 1863. –, Théâtre Impérial du Cirque, La Prise de Pékin, pour piano, Paris, o. D. Guilhaud, George, La Fête Tartare. Ballet de Michel Strogoff, de A. d’Ennery et J. Verne, pour piano, Paris, 1881. Herman, Théâtre Impérial du Châtelet. Le Naufrage de la Méduse. Quadrille pour piano, Paris, o. D. Lvoff, Alexis, Chant national russe, orchestré par Alexandre Artus, Paris, 1891. Monpou, Hippolyte, Le Lever. Chansonnette, paroles de Mr. Alfred de Musset, Paris, o. D. Naggiar, Maurice, Fantasia arabe. Ballet-Divertissement dansé au Théâtre du Châtelet dans „Le Roi de l’Or“, de MM. De Gorsse et Darlay, Paris, 1913. Offenbach, Jacques, Die beiden Blinden (Les deux Aveugles), Operette in einem Aufzuge von J. Moinaux, Berlin, 1897. –, La Chanson de Fortunio. Opéra Comique en un acte, partition chant et piano, Paris, 1861. Romagnesi, A., Faut l’oublier, paroles de Mr. A. Naudet, Paris, o. D. Semet, Théodore, „N° 18. Sérénade“, in  : Ders., Gil-Blas. Opéra en cinq actes, paroles de Jules Barbier et Michel Carré, Paris, o. D., S. 246–249. Serpette, Gaston, Le Petit Chaperon rouge. Opérette en 3 actes et 4 tableaux, Paris, 1885. Vasseur, Léon, Théâtre du Châtelet. Le Mariage au Tambour. Opéra Comique en 3 actes d’après la pièce d’Alexandre Dumas, de Leuven & Brunswick, paroles de Paul Burani, partition Piano et Chant réduite par l’auteur, Paris, 1885. Programme ARS, WNA 25, Saisons 1866–1906 und 1906–1920.

Sammlung von Informationsdokumenten über das Théâtre du Châtelet – Théâtre Musical de Paris. Enthält Programme und Kalender der Saisons, Programme, Pressemappen, Broschüren und Programmzettel der Aufführungen, Einladungen, Zeitungsausschnitte, das Journal „Châtelet“. Programmheft Rothomago. Théâtre du Châtelet. Saisons 1866–1867. Le Photo-programme illustré des théâtres. Châtelet. Rothomago, 3. Jahrgang, Saison théâtrale 1897–1898. Photoprogramme illustré des Théâtres. Châtelet. Le Tour du monde en 80 jours, Saison théâtrale 1897/98, 4e année, n° 40. Châtelet 1899–1900. Robinson Crusoé. Le photoprogramme illustré. Saison théâtrale 1899–1900. Michel Strogoff. Théâtre du Châtelet.

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Le petit chaperon rouge, annotations de mise en scène manuscrites sur pages intercalées dans un libretto imprimé. Paris, 1885. 20 x 13,5 cm, 100 p. imprimées, 130 p. manuscrites, dont les indications distribution (RVP). Zeitungsartikel Allgemeine Musikalische Zeitung, IX. Jahrgang, 1874. Les Annales du théâtre et de la musique, 25. Jahrgang, 1899 – 35. Jahrgang, 1909. L’Art musical, Bd. 13, 1874 – Bd. 32, 1893. La Chronique musicale, Bd. 6, 1874. Comœdia illustré, 1. Jahrgang, 1909 – 5. Jahrgang, 1912. La Ménestrel, 30. Jahrgang, 1863 – 46. Jahrgang, 1880. Le Monde illustré, 6. Jahrgang, 1862. Le Monde moderne, 1904. La Nature, Jahrgänge 1889, 1890 und 1902. Revue et gazette musicale de Paris, 30. Jahrgang, 1863 – 47. Jahrgang, 1880. Le Théâtre, 1902. La Vie Théâtrale artistique et mondaine. Revue illustrée de l’art au théâtre, 3. Jahrgang, 1908 – 4. Jahrgang, 1909.



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Brief von Camaran Chimay, Comtesse Greffulhe, an Otto H. Kahn vom 11. Dezember 1909. Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 22. Dezember 1909. Brief von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 23. Dezember 1909. Telegramm von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1910. Brief von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 4. Januar 1910. Telegramm von Centanini an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1910. Telegramm von Brunetta d’Usseaux an Otto H. Kahn vom 4. Januar 1910. Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1910. Brief von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 4. Januar 1910. Brief von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 7. Januar 1910. Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 17. Januar 1910. Brief von Gabriel Astruc an Giulio Gatti-Casazza und Dippel vom 1. Februar 1910. Zwei Telegramme von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 2. Februar 1910. Telegramm von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 2. Februar 1910. Telegramm von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 5. Februar 1910. Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 22. März 1910. Telegramm von Giulio Gatti-Casazza an Gabriel Astruc vom 5. April 1910. Brief von Gabriel Astruc an Otto H. Kahn vom 19. April 1910. Anklage Gabriel Astrucs durch P. de Choudens vom 14. Mai 1910. Anklage Gabriel Astrucs durch M. Heugel vom 14. Mai 1910. 409 AP/3  : Société Musicale. Ursprünge und Gründung. Personal und Leitung. Finanzund Rechtssachen. 1906–1915. Brief von Pr Mustel et Cie an Gabriel Astruc vom 1. Mai 1907. Brief von B. Montigné an Gabriel Astruc vom 22. Mai 1909. Brief vom Café de Paris an Gabriel Astruc vom 22. Mai 1909. Brief von Mr. Albert an Gabriel Astruc vom 28. Mai 1909. Brief von Tony Durad an Gabriel Astruc vom 7. Juni 1909. Brief von Colas an Gabriel Astruc vom 14. Juni 1909. Brief von Gabriel Astruc an Louis Helbronner vom 19. Oktober 1909. Brief von Émile d’Or, Paz et Silva, an Gabriel Astruc vom 20. April 1910. Brief von „Paz et Silva“ an Gabriel Astruc vom 15. Juni 1910. Bericht über den Stand eines Engagements von Edward Gordon Craig, o. D. [zusammen mit einer Korrespondenz zwischen Edward Gordon Craig und Gabriel Astruc von Juli 1911]. 409 AP/4  : Société Musicale. Ursprünge und Gründung. Personal und Leitung. Finanzund Rechtssachen. 1906–1915. „Revues Américaines”, in  : Le Cri de Paris, 8. April 1909. Brief von Gabriel Astruc an Maurice Léon, Counsellor of Law, vom 14. März 1910.



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409 AP/5  : Société Musicale. Wohltätigkeitsveranstaltungen und -Galas. 1904–1924. Brief von J. de Camondo an Gabriel Astruc vom 14. Januar 1910. Brief von J. de Camondo an Gabriel Astruc vom 2. Juli 1910. 409 AP/7  : Société Musicale. Pariser Theater und Konzertsäle. 1913–1914. Projektskizze Salomé, o. D. Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 14. September 1905. Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 17. Februar 1906. Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 28. März 1906. Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 21. April 1906. Brief von Alexandre Fontanes an Gabriel Astruc vom 8. Mai 1906. Telegramm von Isola an Gabriel Astruc vom 28. Februar 1907. Telegramm von Isola an Gabriel Astruc vom 7. März 1907. Telegramm von Isola an Gabriel Astruc vom 22. März 1907. Telegramm von Isola an Gabriel Astruc vom 23. März 1907. Telegramm von Isola an Gabriel Astruc vom 29. März 1907. Brief von André Prévost (Verwaltungsleiter des Théâtre du Châtelet) an Gabriel Astruc vom 19. April 1907. Brief von [G. Riyenna] an Gabriel Astruc vom 21. April 1907. Brief von André Prévost an Gabriel Astruc vom 26. April 1907. Brief von Malliard (Opéra) an Gabriel Astruc vom 17. März 1909. Brief von André Prévost an Gabriel Astruc vom 12. Mai 1910. 409 AP/9  : Société Musicale. Theater, Konzertsäle und Casinos im Ausland, nach Ländern geordnet. 1904–1914. Brief von Maurice Kufferath an Gabriel Astruc vom 6. Januar 1907. 409 AP/10  : Société Musicale. Theater, Konzertsäle und Casinos im Ausland, nach Ländern geordnet. 1904–1914. Telegramm von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 3. April 1907. Telegramm von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 6. April 1907. Brief von Otto H. Kahn an Gabriel Astruc vom 26. Februar 1908. Brief von Edoardo Sonzogno an Gabriel Astruc vom 16. Oktober 1908. Brief von Gabriel Astruc an Giulio Gatti-Casazza vom 1. März 1910. 409 AP/11  : Société Musicale. Theater, Konzertsäle und Casinos im Ausland, nach Ländern geordnet. 1904–1914. Brief von Henry Higgins an Gabriel Astruc vom 9. April 1907. Telegramm von Henry Higgins an Gabriel Astruc vom 13. April 1907. Brief von Henry Higgins an Gabriel Astruc vom 14. April 1907. Telegramm von Henry Higgins an Gabriel Astruc vom 16. April 1907.

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Bibliographie

Brief von Henry Higgins an Gabriel Astruc vom 17. April 1907. 409 AP/13  : Société Musicale. Agenten und Impresari. 1904–1914. Brief von Eugen Frankfurter an Gabriel Astruc vom 12. April 1907. Telegramm von Eugen Frankfurter an Gabriel Astruc vom 12. Mai 1907. Telegramm von Eugen Frankfurter an Gabriel Astruc vom 13. Mai 1907. Brief von Eugen Frankfurter an Gabriel Astruc vom 24. Mai 1907. 409 AP/14  : Société Musicale. Agenten und Impresari. 1904–1914. Brief von Otto Neitzel an Gabriel Astruc vom 2. März 1907. Brief von Otto Neitzel an Gabriel Astruc vom 6. März 1907. 409 AP/15  : Société Musicale. Agenten und Impresari. 1904–1914. Brief von L. G. Sharpe an Gabriel Astruc vom 20. Dezember 1906. Brief von Edoardo Sonzogno an Gabriel Astruc vom 27. Oktober 1909. Brief von Thomas Quinlan (Quinlan International Musical Agency London) an Gabriel Astruc vom 7. Januar 1910. Brief von Thomas Quinlan an Gabriel Astruc vom 12. Januar 1910. Brief von Thomas Quinlan an Gabriel Astruc vom 24. Januar 1910. Brief von Thomas Quinlan an Gabriel Astruc vom 29. Dezember 1910. Brief von Thomas Quinlan an Gabriel Astruc vom 20. Januar 1911. 409 AP/19  : Société Musicale. Chöre und Opernsänger. Erhaltene Briefe, Repertoires, Programme, Photographien, Verträge. 1902–1921. Brief von Fritz Feinhals an Richard Strauss vom 25. März 1907. 409 AP/20  : Société Musicale. Chöre und Opernsänger. Erhaltene Briefe, Repertoires, Programme, Photographien, Verträge. 1902–1921. Brief von Gabriel Astruc an Félia Litvinne vom 11. Dezember 1909. 409 AP/22  : Société Musicale. Chöre und Opernsänger. Erhaltene Briefe, Repertoires, Programme, Photographien, Verträge. 1902–1921. Telegramm von Olive Fremstad an Jean de Reszké vom 17. April 1907. Brief von Jean de Reszké an Gabriel Astruc, o. D. 409 AP/25  : Société Musicale. Dirigenten. Erhaltene Briefe, Programme, Photographien. 1904–1920. Vertrag zwischen Thomas Beecham und Gabriel Astruc vom 19. Juni 1911. Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 13. September 1911. Brief von Albert Archdeacon an Gabriel Astruc vom 3. November 1911. 409 AP/26  : Société Musicale. Orchester. Erhaltene Briefe, Programme, Photographien. 1903–1914.



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Brief von Alexandre Petit an Gabriel Astruc vom 29. November 1907. 409 AP/27  : Société Musicale. Komponisten. Erhaltene Briefe. 1904–1918. Brief von Richard Strauss an Alfred Capus vom 6. März 1907. Brief von Léo Sachs an Morsier vom 6. Mai 1907. Brief von Charles-Marie Widor an Gabriel Astruc vom 8. Mai 1907. Brief von A. de Rigaud an Gabriel Astruc vom 12. Dezember 1910. Brief von Déodat de Sévérac an Gabriel Astruc vom 18. Februar 1912. Brief von Déodat de Sévérac an Gabriel Astruc vom 11. März 1912. 409 AP/28  : Société Musicale. Verleger. Erhaltene Briefe. 1904–1914. Brief von Tito Ricordi an Gabriel Astruc vom 6. Oktober 1909. Brief von Tito Ricordi an Gabriel Astruc vom 21. Oktober 1909. Brief an Gabriel Astruc von Enoch (London) vom 12. April 1911. Ausschnitt aus der Daily Mail von Ende April 1911, Beilage des Briefs von Enoch (London) an Gabriel Astruc vom 1. Mai 1911. Brief von Enoch (London) an Gabriel Astruc vom 25. Mai 1911. Brief von Enoch (London) an Gabriel Astruc vom 29. Mai 1911. Brief von Enoch (London) an Gabriel Astruc vom 31. Mai 1911. Vertrag zwischen Adolph Fürstner und Gabriel Astruc vom 12. September 1911. 409 AP/30  : Société Musicale. Presse. 1903–1914. Brief von Gabriel Astruc an Félix Juven vom 11. Mai 1912. 409 AP/31  : Société Musicale. Presse. 1903–1914. Brief von Le Journal an Gabriel Astruc vom 5. Juni 1905. Brief von Serge Basset (Le Figaro) an Gabriel Astruc vom 17. Mai 1907. Brief von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 29. März 1908. Brief von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 31. März 1908. Brief von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 4. April 1908. Brief von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 6. April 1908. Brief von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 21. Juli 1908. Brief von E. Trémant an Gabriel Astruc vom 14. November 1908. Projekt von Gabriel Astruc für eine Saison Italienne auf das Angebot Trémants hin, o. D. Brief vom Direktor des Service de Publicité des Figaro an Gabriel Astruc vom 27. November 1908. Brief von R. Baschet an Gabriel Astruc vom 19. Mai 1910. Brief von G. de Pawlowski, Chefredakteur von Comœdia, an Gabriel Astruc vom 17. Juni 1912. 409 AP/32  : Société Musicale. Unterlagen von Charles Joly (1860–1905), Musikredakteur des Figaro. 1900–1911.

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Bibliographie

Brief von Gabriel Astruc an Charles Joly vom 3. September 1904. Brief von C. Campinchi, Präsident der Association Générale des Étudiants de Paris, an Gabriel Astruc vom 8. Mai 1907. 409 AP/33  : Société Musicale. Gesellschaftliches Leben. Erhaltene Briefe. 1904–1914. Brief der Comtesse Louis de Montesquiou an Gabriel Astruc vom 16. Mai 1907. Brief des Generalsekretärs des Automobil-Club de France vom 13. Juni 1910. Brief von M. Boiselle, Président de l’Association Générale des Étudiants à Paris, an Gabriel Astruc vom 19. Juni 1910. Brief von Jacques Rallay, Aéro-Club de France, an Gabriel Astruc vom 11. Mai 1912. 409 AP/34  : Société Musicale. Gesellschaftliches Leben. Erhaltene Briefe. 1904–1914. Brief von Prince Auguste d’Arenberg an Gabriel Astruc vom 26. April 1907. Brief von Gabriel Astruc an den Prince Auguste d’Arenberg vom 21. Mai 1907. Brief von Brunetta d’Usseaux an Gabriel Astruc vom 19. September 1909. Brief von Comte E. Brunetta d’Usseaux an G. de Pawlowski, Chefredakteur von Comœdia, vom 22. Februar 1910. Brief von E. Guy an Gabriel Astruc vom 16. Juni 1911. Répétition Générale de „Salomé“. Brief von Max Lyon an Gabriel Astruc, o. D. 409 AP/35  : Société Musicale. Gesellschaftliches Leben. Erhaltene Briefe. 1904–1914. Telegramm vom Grafen San Martino an Gabriel Astruc vom 1. Mai 1907. Telegramm von Madame Louis Stern an Gabriel Astruc vom 15. April 1910. Brief von der Marquise de Peralta an Gabriel Astruc vom 20. April 1910. 409 AP/45  : Verschiedene Korrespondenzen. 1904–1914. Telegramm von Carl Burrian an Gabriel Astruc vom 20. März 1907. Brief von André Gédalge an Gabriel Astruc vom 6. Mai 1907. 409 AP/46  : Photographien. Photographie des Bühnenbilds der Concerts de Danse von Natasha Trouhanova. 409 AP/47  : Verschiedene Korrespondenzen und Dokumente. 1905–1914. Brief von Henri Deutsch de la Meurthe an Gabriel Astruc vom 5. Mai 1912. AN, 150 MI/1 – 150 MI/8.

Privatarchive. Unterlagen von Astruc. 150 MI/1  : Saison Russe 1909. Article dactylographié écrit par A. Benois qui dût paraître dans le Journal de St Pétersbourg Resch N° 165, article intitulé „Lettres artistiques, les Représentations russes à Paris“.



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395

Brief von Robert Brussel an Sergej Djagilev, o. D. Telegramm von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev, o. D. Brief von Robert Brussel an Sergej Djagilev, o. D. Telegramm von Sergej Djagilev an die Comtesse de Chévigné vom 20. April 1908. Telegramm von Sergej Djagilev an Victorien Sardou vom 21. April 1908. Brief von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 14. Juli 1908. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 1. Oktober 1908. Brief von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 24. Januar 1909. Brief von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 6. Februar 1909. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 29. März 1909. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 27. April 1909. Telegramm von Fëdor Šaljapin an Gabriel Astruc vom 10. Juni 1909. Vertragsentwurf über den Verkauf der Kostüme zwischen Sergej Djagilev und Gabriel Astruc vom 29. Juni 1909. Telegramm von Gabriel Astruc an Novoie Wronya, St. Petersburg, vom 24. Juli 1909. Brief von Gabriel Astruc an Mathilde Kachesinska vom 2. August 1909. Telegramm von Fëdor Šaljapin an Gabriel Astruc vom 8. Oktober 1909. Telegramm von Fëdor Šaljapin an Gabriel Astruc vom 3. November 1909. Telegramm von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev vom 7. Februar 1910. Telegramm von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev vom 8. Februar 1910. Telegramm von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev vom 9. Februar 1910. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 9. Februar 1910. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 11. Februar 1910. Brief von Gabriel Astruc an Sergej Djagilev vom 11. Februar 1910. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 25. Februar 1910. Brief von Richard Léon, Avoué près de la Cour d’Appel, an Gabriel Astruc vom 25. Februar 1910. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 22. Dezember 1910. 150 MI/2  : Saisons Russes 1911–1913. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 12. März 1911. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 23. März 1911. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 25. März 1911. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 30. März 1911. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 3. April 1911. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 13. April 1911. Brief von Leon Bakst an Sergej Djagilev vom 24. Mai 1911. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 3. Oktober 1911. Telegramm von Sergej Djagilev an Gabriel Astruc vom 6. März 1912.

396

Bibliographie

Théâtre du Châtelet. Deux concerts de danse donnés par Mme N. Trouhanova (Avril 1912). 150 MI/3  : Verschiedene Korrespondenzen. 1904–1914. Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc, o. D. [Trouhanova macht jedoch Anspielungen auf Emmy Destinns Salome-Kostüm und auf die Concerts Russes von Djagilev, daher muss der Brief aus dem Jahr 1907 stammen]. Telegramm von Reynaldo Hahn an Gabriel Astruc vom 1. März 1911. 150 MI/4  : Verschiedene Korrespondenzen. 1904–1914. Vertrag zwischen Egerton Spencer Grey, Ludwig Bloch, Arthur Langen, Algernon Marshall Stodman Methuen und Richard Strauss vom 6. Juli 1906. Beilage des Berliner Börsen-Courriers Nr. 51. Donnerstag, den 31. Januar 1907. Brief von Alfred Capus an Richard Strauss vom 26. Februar 1907. Brief von Alfred Capus an Richard Strauss vom 23. März 1907. Kollektivschreiben von Gabriel Astruc an die Mitglieder des Garantiekomitees vom 17. Juni 1907. Brief von Gabriel Astruc an Sir Edgar Speyer und an Henri Deutsch de la Meurthe vom 20. Juni 1907. Brief von Dr. Julius Levin, o. D. 150 MI/5  : Verschiedene Korrespondenzen. 1904–1914. Brief von Pierre Monteux an Gabriel Astruc vom 28. Oktober 1911. Brief von Pierre Monteux an Gabriel Astruc vom 5. November 1911. Brief von Pierre Monteux an Gabriel Astruc vom 29. Dezember 1911. 150 MI/6  : Verschiedene Korrespondenzen. 1904–1914. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 7. Juni 1905. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 7. Oktober 1905. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 9. Oktober 1905. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 10. November 1905. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 15. November 1905. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 18. März 1906. Brief von Alfred Cortot an Gabriel Astruc vom 2. Mai 1907. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 21. Januar 1910. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 13. April 1910. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 14. Dezember 1910. Brief von Felix Weingartner an Gabriel Astruc vom 25. März 1911. 150 MI/8  : Verschiedene Korrespondenzen. 1904–1914. Preventivo di spese per l’esercizio di una stagione teatrale a Parigi – Teatro Châtelet – Maggio Giugno 1912, o. D.



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La Scala de Milan à Paris  : Estimation des Dépenses, o. D. OP, Archives, Carton 2.240  : Dossier Richard Strauss. Salomé.

Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 25. Februar 1907. I (1). Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 13. April 1907. I (2). Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 5. Juli 1907. I (4). Brief von Gabriel Astruc an den Comte de Radolin, o. D. I (15). Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc von April 1907. III (1). Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc von April 1907. III (2). Brief von Natasha Trouhanova an Gabriel Astruc vom 18. Mai 1907. III (3). Vertrag zwischen Adolph Fürstner und Gabriel Astruc vom 4. April 1907. IV (2), Contrats entre Fürstner/Strauss et Astruc. Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 7. Juli 1905. IV (2), Fürstner. Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 19. Juli 1905. IV (3). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 20. Dezember 1905. IV (4). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 10. August 1906. IV (8). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 1. Oktober 1906. IV (13). Telegramm von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 16. November 1906. IV (21). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 19. November 1906. IV (22). Brief von B. Marcel (L’Humanité) an Gabriel Astruc vom 19. November 1906. IV (23). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 24. November 1906. IV (23). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 2. Januar 1907. IV (30). Telegramm von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 21. Januar 1907. IV (33). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 25. Januar 1907. IV (34). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 31. Januar 1907. IV (35). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 16. März 1907. IV (39). Brief von Adolph Fürstner an Gabriel Astruc vom 4. April 1907. IV (44). „Cahier Salomé“ von Gabriel Astruc. V (1). Brief von Gabriel Astruc an Sir Edgar Speyer vom 28. März 1907. V (III, 55). OP, Carton 2.240  : Dossier Ballets Russes.

Brief von Gabriel Astruc an F. Cortot vom 28. Juli 1909. I (21). Brief von Gabriel Astruc an Robert Brussel vom 22. Dezember 1909. II (40). Rapport Confidentiel sur la SAISON RUSSE organisée à Paris au Théâtre Municipal du Châtelet en Mai-Juin 1909 par les soins de MM. Serge de Diaghilew et Gabriel Astruc von Gabriel Astruc, o. D. II (49) und III (52). Brief von Robert Brussel an Sergej Djagilev vom 24. Januar 1910. III (69).

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Archives de Paris, V3S/21-V3S/36.

Archive der Association Artistique des Concerts Colonne. 26e année. Comptes rendus des Concerts (Orchestre). Rapports du Secrétaire du Comité. V3S/22. 32e année. Comptes-rendus des Concerts Orchestre. Rapports du Secrétaire du Comité. V3S/28. Privatarchiv Richard Strauss, Garmisch-Partenkirchen.

Brief von Gabriel Astruc an Richard Strauss vom 21. Juli 1906. Brief von Gabriel Astruc an Adolph Fürstner, o. D. [Astruc nimmt jedoch Bezug auf den Brief „vom 10. August“]. Brief von Maurice Kufferath an Adolph Fürstner vom 21. August 1906. MUS, Lettres autographes.

Brief von Gabriele d’Annunzio an Gabriel Astruc vom 21. Januar 1911. L. a. D’Annunzio 5. Brief von Claude Debussy an Gabriel Astruc vom 12. Juni 1909. L. a. Debussy 41. Brief von Claude Debussy an Gabriel Astruc vom 23. Mai 1907. L. a. Debussy 56. Telegramm von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 18. Februar 1907. L. a. Strauss (R) 7. Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 4. Januar 1907. L. a. Strauss (R) 9. Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 25. Januar 1907. L. a. Strauss (R) 10. Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 27. Dezember 1906. L. a. Strauss (R) 11. Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 23. April 1907. L. a. Strauss (R) 12. Partituren Borodin, Alexander, Fürst Igor. Oper in vier Akten und einem Prolog, Text vom Komponisten, vollendet und orchestriert von Alexander Glasunow und Nikolai Rimsky-Korsakow, textliche und musikalische Neufassung von Hubert Franz und Winfried Zillig, Partitur, Frankfurt, 1983. Monckton, Lionel, Quaker Girl. „La Petite Quaker“. Opérette en trois actes, de James T. Tanner, partition chant et piano, Paris, 1912. Zeitungsartikel Les Annales du théâtre et de la musique, 35. Jahrgang, 1909 – 37. Jahrgang, 1911. Bulletin Français de la S.I.M., 5. Jahrgang, 1909. Comœdia, 3. Jahrgang, 1909 – 7. Jahrgang, 1913.



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Comœdia illustré, 1. Jahrgang, 1909 – 4. Jahrgang, 1912. Le Courrier musical, 12. Jahrgang, 1909 – 15. Jahrgang, 1912. L’Écho de Paris, 1909–1912. L’Éclair, 1909–1911. Excelsior, 1911. Fémina, 1910. Feuilleton du Journal des débats, 1911. Le Figaro, 1909–1912. Le Gaulois, 1911. Gil Blas, 1911. Le Guide musical. Revue internationale de la musique et des théâtres, 52. Jahrgang, 1906 – 58. Jahrgang, 1912. L’Illustration, 1909. L’Illustration théâtrale. Journal d’actualités dramatiques, 1911. Le Journal, 1909–1911. La Liberté, 1907–1913. Le Matin, 1911–1912. Le Ménestrel, 72. Jahrgang, 1906 – 78. Jahrgang, 1912. Le Mois. Revue de la S.I.M., 1912. Le Monde musical, 9. Jahrgang, 1907. Musica, 1909. Neue Musikzeitung, 28. Jahrgang, 1906. New York American. Musical Courrier, 1909. La Nouvelle revue, 1912. La Patrie, 1909. Le Petit journal, 1909. Le Petit Parisien, 1909. La Renaissance contemporaine, 1911. La Revue, 1913. La Revue musicale, 6. Jahrgang, 1906 – 11. Jahrgang, 1911. Le Siècle, 1909. Le Soir, 1909. Le Soleil, 1909. Le Temps, 1907–1911. Le Théâtre, 1907–1909.

400

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1  : Fontaine du Palmier mit Siegessäule. Photographie von Gesa zur Nieden. Abb. 2  : Gabriel Davioud, Plan der Place du Châtelet mit Theatern, 11. April 1859. BAVP,

Fonds Davioud, Dav. 1 CR, DA 2223. Abb. 3  : Gabriel Davioud, Théâtre Impérial du Cirque, 11. April 1859. „Théâtre Impérial du

Cirque (théâtre impérial du Châtelet), plans de rez-de-chaussée et premier étage“, in  : Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte (1824–1881), 1981–1982, S. 57, Nr. 98. Abb. 4  : Cirque Olympique auf dem Boulevard du Temple, 1840. Dupavillon, Christian, Architectures du cirque des origines à nos jours, Paris, 1982, S. 63, Abb. 96. Abb. 5  : Gabriel Davioud, Théâtre Impérial du Châtelet, Ende 1859. „Théâtre du Cirque Impérial, coupe selon l’axe longitudinal“, in  : Délégation à l’action artistique de la Ville de Paris, Gabriel Davioud, architecte (1824–1881), 1981–1982, S. 58, Nr. 102. Abb. 6  : Théâtre du Cirque Olympique, 1840. Kaufmann, „Paris. Théâtre du cirque olympique, coupe longitudinale“, in  : Architectonographie des théâtres ou parallèle …, Paris, 1840, pl. XXVIII, détail, in  : Dupavillon, Architectures du cirque des origines à nos jours, 1982, S. 63, Abb. 97. Original der Archives de Paris. Abb. 7  : Théâtre de l’Odéon, 1782. Recueil de planches, sur les sciences, les arts libéraux et les arts méchaniques, avec leur explication, Théâtres, Machines de théâtre (o. D.), Tours, 2002, Suppl. Pl. 7. Abb. 8  : Gabriel Davioud, Théâtre Impérial du Cirque, Mai 1859. BAVP, Fonds Davioud, Dav. 2 CR, DA 2119. Abb. 9  : Théâtre Impérial du Châtelet, 1. Etage, 27. März 1860. BAVP, Fonds Davioud, Dav. 3 CR, DA 2125. Abb. 10  : Gabriel Davioud, Erdgeschoss, März 1860. BAVP, Fonds Davioud, Dav. 3 CR, DA 2123. Abb. 11  : Definitiver Zustand. Daly, César/Davioud, Gabriel, Architecture Contemporaine. Les Théâtres de la Place du Châtelet, Théâtre du Châtelet – Théâtre Lyrique. Construits d’après les dessins et sous la direction de M. Gabriel Davioud, Architecte, Paris, o. D., Planche X. Abb. 12  : Innenansicht. A.a.O., Planche XXVII. Abb. 13  : Außenansicht. A.a.O., Planche III. Abb. 14  : Loggia des Théâtre Impérial du Châtelet. De Nussac, Sylvie, Le Théâtre du Châtelet, Paris, 1995, S. 9. Abb. 15  : Mittelsäule auf der Höhe der 2. und 3. Etage. Daly/Davioud, Architecture Contemporaine. Les Théâtres de la Place du Châtelet, o. D., Planche XXXIV.



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Abb. 16  : Dekoration der oberen Arkaden. A.a.O., Planche XXXII. Abb. 17  : Rothomago, II. Akt, 4. Bild. Rothomago  : esquisse de décor pour le tableau 2 du prolo-

gue ou pour le tableau 4 de l’acte II  : escaliers monumentaux conduisant à la terrasse d’un palais, 1862. OP, Esq. 19 (199°). Abb. 18  : Stundenpalast, grand ballet. „6e Tableau  : Le Palais des Heures, grand ballet“, in  : Rothomago, 1897/1898. ARS, WNA 25 (1860–1906). Abb. 19  : Blick von der Bühne auf den Saal während einer Vorstellung von Rothomago. Pibaraud, Intérieur du Théâtre du Châtelet. BHVP, Fonds du Théâtre du Châtelet. Abb. 20  : Henri Robecchi, Cendrillon. Esquisse de décor (Henri Robecchi   ?). Cendrillon. Acte I, tableau 3  : Vaste cuisine chez M. de La Pinchonnière. OP, Esq. 19 (192). Abb. 21  : Paris-Revue. Clairville/Siraudin/Busnach, W., Paris-Revue. Revue-Ballet-Féerie en quatre actes, un prologue et vingt-six tableaux, musique nouvelle de M. Victor Chéri, Ballet de M. Honoré, Décors de MM. Cheret, Fromont et Floury, mise en scène de M. Rey. Représentée pour la première fois, à Paris, sur le théâtre impérial du Châtelet, le lundi 27 décembre 1869, Paris, o. D., Cover. Bibliothèque Nationale de France. Abb. 22  : La Petite Caporale, 4. Bild. Comœdia illustré, 15. November 1909, 2. Jahrgang, Nr. 4, S. 101. Abb. 23  : Rothomago, Les danses nationales, grand ballet. Rothomago, 1897/1898. ARS, WNA 25 (1866–1906). Abb. 24  : Le Diable à quatre. Darlay, Victor/De Gorsse, Henry, Le Diable à quatre. Pièce à grand spectacle, en 3 Actes et 18 Tableaux, mise en scène de M. Henri Provost, Musique nouvelle et arrangée de M. Marius Baggers, Machinerie de M. Eugène Colombier. Représentée pour la première fois à Paris au Théâtre du Châtelet, le 10 Février 1914, Paris, 1914, Cover. Bibliothèque Nationale de France. Abb. 25  : Orchesteraufstellung für Parsifal. „23e Concert. 3 Avril 1896“, in  : 22e Année (1895–1896). Comptes-rendus des Concerts (Soli et Chœurs). Rapport du secrétaire du Chant. Archives de Paris, Archives de l’Association artistique des Concerts Colonne, V3S/17. Abb. 26  : Aufstellung eines Teils des Orchesters und der Solistin hinter der Bühne bei Psyché.

„1er Concert. 25 Octobre 1896“, in  : Concerts Colonne. 23e année (1896–97). Rapports du Comité. A.a.O., V3S/19. Abb. 27  : Orchesteraufstellung für das Te deum von Hector Berlioz. „17e Concert. Dimanche 10 février 1895“, in  : 21e année ~ (1894–1895). Comptes-rendus des Concerts (soli et chœurs). Rapport du Secrétaire du Chant. A.a.O., V3S/15. Abb. 28  : Orchesteraufstellung für Nuit de Noël von Gabriel Pierné. „Neuvième Concert. Dimanche 12 décembre 97“, in  : Concerts Colonne. Rapports du Secrétaire du Comité. Année 1897–1898. A.a.O., V3S/20. Abb. 29  : Plan der Orchesteraufstellung für Salome von Richard Strauss. Handschriftliche Kopie des Plans in  : Brief von Richard Strauss an Gabriel Astruc vom 23. April 1907. MUS, L. a. Strauss (R) 12.

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beille“, in  : Fémina, 15. Juni 1910, S. 332. Abb. 31  : Les Sylphides von Fokin und Benua. Le Théâtre, Nr. 255, 1909. Mit freundlicher

Unterstützung des Forschungsinstituts für Musiktheater in Thurnau. Abb. 32  : Petrouchka, 4. Bild. Le Théâtre, Nr. 303, 1911/1912. Mit freundlicher Unterstüt-

zung des Forschungsinstituts für Musiktheater in Thurnau.

Dank

Das Théâtre du Châtelet liegt nicht nur auf dem Weg eines jeden Pariser Passanten, der von der rive gauche über die Île de la Cité in Richtung Les Halles oder vom Hôtel de Ville zur Comédie Française und zur Opéra spaziert. Es findet sich auch sonst an allen Ecken der Stadt, auf Plakaten, in Zeitungen und nicht zuletzt in unzähligen Pariser Bibliotheken wieder, wo seine gesamte Geschichte, wie man nach ersten Einblicken anzunehmen versucht ist, aufgehoben scheint. Mein Dank gilt allen, die mich auf meinem Parcours begleiteten, eine eher alltägliche und nur gelegentlich im Rahmen eines Musiktheaterbesuchs herausgehobene Ansicht des Châtelet zu der Forschungsarbeit zu machen, die im Dezember 2007 an den Universitäten École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris und Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen wurde. Danken möchte ich in erster Linie meinem französischen Betreuer Michael Werner, der meine spontane Entdeckung des Châtelet und ihre wissenschaftliche Vertiefung stets mit großem Interesse verfolgte, mich förderte und dessen kulturgeschichtliche und auch musikwissenschaftliche Anregungen meine Arbeit an entscheidenden Punkten weitergeführt haben. Ebenfalls gilt mein Dank meiner deutschen Betreuerin Monika Woitas, die meine Forschungen durch erkenntnisreiche tanz- und theaterwissenschaftliche Sichtweisen bereicherte. Beide Betreuer haben es ermöglicht, dass mein Promotionsvorhaben ohne Schwierigkeiten als deutsch-französische co-tutelle de thèse durchgeführt werden konnte. Bei der Einordnung der vielschichtigen Quellen und Zusammenhänge konnte ich von den Impulsen und Ratschlägen unterschiedlichster Wissenschaftler profitieren, von denen besonders Esteban Buch, Hans-Joachim Hinrichsen, Lucian Hölscher, Christian Kaden, Monika Steinhauser und Patrice Veit genannt seien, die verschiedene Aspekte der Arbeit von gesellschaftlichen Musikpraktiken über methodische Ansätze bis hin zu architektonischen Details mit mir zusammen beleuchteten. Als affiliierte Doktorandin des Forschungsprojekts „Oper im Wan­ del der Gesellschaft“ traf ich 2006 auf ein anregendes Umfeld zur Erforschung des Zusammenhangs von Musiktheater und Gesellschaft, in dem ich meine Fallstudie mit weiteren Untersuchungen europäischer Metropolen konfrontieren

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Dank

konnte. Hier, im Seminar „Espaces musicaux“ der EHESS Paris und bei Vortragsmöglichkeiten in verschiedenen Universitäten und Institutionen erhielt ich viele gute Ideen von Christa Brüstle, Étienne François, Corinna Herr, Mareike König, Denis Laborde, Clemens Risi, Yann Rocher, Philipp Ther und insbesondere von Jutta Toelle. Besonders danken möchte ich auch den verschiedenen Bibliotheksmitarbeitern, die mich bei meinen Pariser Recherchen tagtäglich begleiteten wie Marie-Odile Gigou von der BHVP, Christine Huvé von der BAVP, Jürgen May vom Richard Strauss-Institut Garmisch-Partenkirchen und nicht zuletzt dem Personal der Départements Musique, Opéra und Arts du Spectacle der Bibliothèque Nationale de France, dessen bibliographische Hinweise mir immer weitere Quellenbestände eröffneten. Was die größte Quelle meiner Arbeit betrifft – das Théâtre du Châtelet – bedanke ich mich ganz herzlich bei Sandra Solvit, die mich durch das Theater führte und mir Dokumente des zeitgenössisch ausgelegten Theaterarchivs zur Verfügung stellte. Diese Studie ist nicht nur im Spannungsfeld zwischen Musik- und Geschichtswissenschaft, sondern auch zwischen der deutschen und französischen Forschung entstanden. Um die beiden Einflüsse gewinnbringend einbringen zu können und um für die unterschiedlichen wissenschaftlichen Dialekte sensibilisiert zu werden, waren Verankerungen und Förderungen in verschiedenen französischen, deutschen und deutsch-französischen Institutionen wie dem Centre Interdisciplinaire d’Études et de Recherches sur l’Allemagne (CIERA) von besonderer Wichtigkeit. Die Arbeit selbst wurde vom Deutschen Historischen Institut Paris und von der Studienstiftung des deutschen Volkes finanziell und auch ideell gefördert. Das Centre Marc Bloch Berlin hat sie durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt. Bei all diesen Institutionen möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Ein genauso reichhaltiger und vor allem enger Austausch geschah im Kreis meiner französischen Studienkollegen Caroline Barbot, Malika Combes, Igor Contreras, Frédéric Gaussin, Maud Lambiet, Benoît Michel, Yann Rocher und William Rodriguez, die darüber hinaus besonders gut meine französischen Texte (und Fehler  !) kennen. Mit Sara Iglesias, Benoît Lurson, Christine Howald, Christiane Coester, Jennifer Royston und vor allem, immer wieder sowie ganz besonders mit Verena Steller verbinden mich fruchtbare Diskussionen zu Kultur- und Musikgeschichte und konkrete Anregungen für meine Kapitel von deutsch-französischer Seite aus. Ihnen allen



Dank

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danke ich für ihre Hilfe, ihre Kritik, für ihren Beistand in großen Dingen (wie Korrekturlesen) und kleinen Dingen (wie dem Druck) und nicht zuletzt auch für ihre gute Laune  ! Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, meinem Bruder Friedrich und Ruth Becker. Sie haben vom Korrekturlesen über Umzüge mit besonders viel Papier bis zur Verteidigung ziemlich alles gesehen, was zu einer guten Promotion gehört. Ich danke ihnen sehr für ihre verlässliche, stets ermutigende Begleitung über all die Jahre hinweg und meinen Eltern für ihre großzügige Unterstützung, so wie ich Daniel Martin Feige für Unzähliges zwischen Paris, Berlin und Rom verbunden bin.

Register Adam, Adolphe  44, 124 Adérer, Adolphe  140 Adler, Guido  255 Ahna-Strauss, Pauline de  281 Albert  275 Aleotti, Giovanni Battista  62 Alexandre, Édouard  169 Alkan, Charles-Valentin  200 Allen, Maud Perceval  257 Amable (Pseud. von Petit, Amable)  115 Amato, Pasquale  311 Anonym Air des Rosières  100 C’est à ce joli mois de mai  215 Down the Petersky  326 Elle avait un’ jambe en bois  326 God save the king  257 Je pars déjà de toutes parts  100 Nous nous marierons dimanche  100 La Poule aux œufs d’or  136 La Queue du chat  136 Te deum  96 Antoine, André  29, 246, 274 Arban, Jean-Baptiste  170 Arcourt, Comtesse d’  274 Arenberg, Prince Auguste d’  273 Arenskij, Antonij Stepanovič  294 Cléopâtre  294 Artus, Alexandre  124, 150, 152–153, 156 Alchimiste-Polka  156 Dinazarde  156 Grande marche indienne du Rajah  156–157 Marche de Cléopâtre  156 Marche de la caravane  156 Marche des Trompettes  153, 156 Marche Triomphale  153 Pas redoublé pour Clairons et Tambours  153 Scheerazade  156 Strogoff-Quadrille  153 Astruc, Gabriel  16, 21, 27, 240, 250–254, 256– 262, 264–266, 268, 270–273, 275–277,

281–288, 296–298, 300–310, 312–320, 328, 331, 333–334, 336, 338–339, 342–343, 345 Auber, Daniel-François-Esprit  44, 46 Auger, Hippolyte  29 Bach, Johann Sebastian  259 Back  256 Baggers, Marius  151–153, 155, 157–158, 320 La Tzigane  155 Bailly, Alexandre  115 Bakst, Leon  290, 296, 315, 322, 326–328, 333–335 Le Carnaval  321 Cléopâtre  292, 305 Le Dieu Bleu  290 Hélène de Sparte  333 Le Martyre de Saint-Sébastien  315, 326–330 Shéhérazade  321, 335 Les Sylphides  296 Thamar  290, 335 Balakirev, Milij Alekseevič  334–335 Thamar  335 Balzac, Honoré de  168 Banville, Théodore de   162 Barca  210 Bardac, Noël  274 Barrière, Théodore  109 Théodoros  109, 116 Bayer  206–207 Beaugé  132 Beauharnais, Hortense de   161 La France  161 Hymne à la Gloire  161 Partant pour la Syrie  161 Beaulieu, Henri  33 Beecham, Thomas  317 Beethoven, Ludwig van  169, 172, 182, 184–186, 189, 191, 193, 198–199, 205, 211, 219, 234, 240, 252, 256, 258–261, 306, 318 5. Sinfonie  185, 256 6. Sinfonie („Pastorale“)  172, 185, 193



7. Sinfonie  174, 185, 192 9. Sinfonie  182, 185, 205 Leonore  256 Missa Solemnis  205, 259 Septett in Es-Dur  198–199 Serenade, op. 8  199 Begusseau  140 Bellaigue, Camille  230 Bélot, Adolphe  134 La Vénus noire  134 Bénac, A.  275 Benua, Aleksandr Nikolaevič  297–300, 323, 324–325, 334 Le Pavillon d’Armide  286 Petrouchka  323–325 Shéhérazade  321 Les Sylphides  292, 297–299 Berger  256 Berger, Rodolphe  275 Bériot, Charles-Auguste  173 Première Phantaisie-Ballet  173 Berlioz, Hector  11, 16, 44, 128, 167–169, 173–176, 179–188, 191, 193, 200, 204–209, 211–216, 219, 229, 233–234, 237, 239–242, 247, 249, 252–254, 259–261, 264, 293, 306, 337–338, 341 Abendunterhaltungen im Orchester  11 La damnation de Faust  16, 161, 169, 173, 175, 180, 182, 187–188, 192–193, 205, 208, 211–212, 214, 220, 234, 238, 239 Ballet des Sylphes  169, 174–175, 187, 192 Marche Hongroise  175, 187, 192, 293 L’Enfance du Christ  175, 179–180, 187, 201, 205, 208–209, 211 Divertissement des jeunes Ismaélites  175, 179, 187 Hymne des Marseillais  128, 167–168, 215 Ouverture du corsaire  175 Requiem  206, 209, 211, 215, 259, 261 Roméo et Juliette  180–181, 187, 191, 205– 207, 229 Symphonie Fantastique  186 Te Deum  213–214 Les Troyens  181, 252 Marche Troyenne  175

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La Prise de Troie  183, 213 Les Troyens à Carthage  252 Bernheim, Adrien  217, 219–220, 233 Bernstein  274 Besselièvre, Charles-Henri de  170 Biet, Christian  24 Billemont, Jane de   198 Bismarck, Otto von  114, 312 Bizet, Georges  131, 174, 176, 190, 201, 212, 216 Arlésienne  174, 176, 212, 329 Carmen  201 Blanc, Camille  274 Blanche, Jacques E.  239 Blaquière, Paul  124 Titilariti Tontonlariton  100 Blondel  203 Blum, Ernest  109 Les aventures de Monsieur de Crac   156 La biche au bois  137 Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse  109, 110, 116, 124, 137 Le diable boiteux  111–112, 115, 120 La Lanterne magique  111, 113–114, 120 Le Vengeur  109, 124 Les Voyages de Gulliver  109, 116, 124 Boccherini, Luigi  199 Boito, Arrigo Mefistofele  303 Boizot, Louis-Simon  54 Bolatre  274 Bonald, Louis de   114 Bonaparte, Napoleon  47, 54, 56, 77, 141, 171, 341 Bonaparte, Napoléon Eugène Louis (Prince Impérial)  161 Bonnot  334 Bori, Lucrezia  311 Borodin, Aleksandr Porfir’evič  292 Le Prince Igor/ Danses du Prince Igor  292–293, 344, 346 Boschot, Adolphe  239 Botticelli, Sandro  329 Boulanger, Ernest  131 Bour, Armand  329

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Bourgeois, Anicet Les pilules du diable  129, 132, 134, 137, 139 Les Pirates de la Savane  139 Bourla, Alexandre  56 Boutarel, Amédée  257 Boverat  162 Le Quinze Août  162 Brahms, Johannes  196, 211, 259 Klavierkonzert in d-Moll  196 Brandeis  256 Bréval, Lucienne  266, 268, 274 Brisebarre, Édouard Louis Alexandre  109 Le Vengeur  109, 124 Broecke, A. van den  259 Broisat, Émilie  213 Bruch, Max  197 Schottische Fantasie  197 Violinkonzerte  197 Bruneau, Alfred  178, 223, 233, 256 La faute de l’Abbé Mouret  223 Le Paradon  223 Prélude de Messidor  233 Brussel, Robert  222, 286, 292, 295, 304 Buisson, Philippe  173 Buontalenti, Bernardo  72 Bulteau  274 Burrian, Carl  271 Busnach, W. Paris-Revue  111–112, 117, 119–120, 123 Cahen, René  274 Cahen d’Anvers, Louis  275 Cain, Georges  274 Cain, Henri  274 Calmette, Gaston  332 Camondo, Graf I. de  274, 307 Capelle, Pierre-Adolphe  108 Capus, Alfred  269, 274 Carré, Albert  274, 303 Caruso, Enrico  252, 302, 305–306, 308, 310, 311 Casella, Alfredo  221, 222 Castellane, Graf Jean de  275 Castellano (Pseud. von Castel, François)  132–134 Cavalieri, Lina  303–304

Čerepnin, Nikolaj Nikolaevič  294, 321–322 Le Pavillon d’Armide  286, 294 Certeau, Michel de  17 Chaperon, Philippe  115 Chappell  320 Charle, Christophe  11 Charpentier, Gustave  215 Impressions Fausses  215 Charpentier, Louis-Théodore  56, 60 Chartran  274 Chatrian, Alexandre Madame Thérèse  156 Cheramy  274 Chéret, Jean-Louis  115–116 Chéri, Victor  101, 122–124, 153, 162 À-propos patriotique  162 Chant de guerre  124 L’Égyptienne réaliste  123 Polka des oiseaux  124 Rondo  123 Les trois amants de Jeannette  124 Cherubini, Luigi  199 Chervet, Henri  321 Chévigné, Gräfin Adhéaume de  274 Chevillard, Camille  235, 238, 252 Chivot, Henri Le Voyage de Suzette  121 Chopin, Frédéric  196, 291, 296, 298 Mazurka in D-Dur  196 Nocturne in As-Dur  296, 298 Choudens  310 Choudens, Antony  172 Alsace  !  172 Clairville  88–90, 95, 100, 109, 111, 133 Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse  109– 110, 116, 124, 137 Le Déluge universel  109 Le diable boiteux  111–112, 115, 120 La Lanterne magique  111, 113–114, 120 Paris-Revue  111–112, 117, 119–120, 123 Rothomago  80, 87–110, 114, 116–118, 133, 149, 341 Les sept châteaux du diable  123, 133, 137 Les Voyages de Gulliver  109, 116, 124 Clauss-Szarvady, Wilhelmine  200



Clément, Georges  161 Cocteau, Jean  11, 286, 314, 348 Le Dieu bleu  314 Parade  11, 345–346 Cœuroy, André  231 Cogniard, Hippolyte  112 La biche au bois  137 La Chatte blanche  136, 139 Le pied de mouton  137 La poudre de Perlinpinpin  94, 112, 138 Cogniard, Théodore  112 La biche au bois  137 La Chatte blanche  136, 139 Le pied de mouton  137 La poudre de Perlinpinpin  94, 112, 138 Colbrun, Eugène Auguste   125 Colonne, Édouard  16, 160, 169–170, 174, 176–183, 185–188, 193–205, 207–209, 211–223, 225, 230, 234–240, 244–248, 253–255, 258–259, 261, 264, 311, 340 Conried, Heinrich  271, 301 Comte, Auguste  44 Cooper, Martin  184 Coquelin, Constant  274 Cortot, Alfred  252, 275 Cossé-Brissac, Comtesse  275 Cottens, Victor de  139 L’Oncle d’Amérique  144 Pif  ! Paf  ! Pouf  !  145 Tom Pitt  145 Coyne, Joseph  319 Craig, Edward Gordon  315 Crémieux, Hector Aladin ou La lampe merveilleuse  109–111 Le pied de mouton  137 Cressonnois, Jules  170, 172–173 Croze, Austin de  217 Curzon, Henri de  328 Cuvillier  274 D’Annunzio, Gabriele  314–315, 326–329, 336, 346 Il Fuoco  330 Le Martyre de Saint-Sébastien  315, 326–330, 333, 337, 346

Register

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La Pisanelle  336–337 Dahlhaus, Carl  24 Daly, César  64, 71 Darcel, Alfred  82–83, 85 Darcier, L.   102 Le beau Nicolas  100, 102 Dare, Phyllis  319–320 Darlay, Victor  139 Arsène Lupin contre Herlock Sholmès  145 Le Diable à quatre  144–147, 149–150 L’Oncle d’Amérique  144 La Petite Caporale  140–141, 145 Pif  ! Paf  ! Pouf  !   145 Le Roi de l’or  145–146, 148–149, 157 Tom Pitt  145 David, Félicien  44, 215 Le Désert  215 Davidoff, Aleksandr  301 Davioud, Gabriel  19, 32, 44, 49–50, 52–53, 55–58, 60–69, 71–72, 74–78, 81–83, 85, 96, 184 Debret, François  56, 58 Debussy, Claude  188, 223, 233, 235, 275, 313, 315, 326–329, 331, 334–335, 346 La Damoiselle élue  188 Jeux, sinfonische Suite  223–224, 235 Le Martyre de Saint-Sébastien  315, 326–330, 333, 337, 346 Nocturnes  188 Pelléas et Mélisande  330 Prélude à l’après-midi d’un faune  233, 331 Delaborde, Élie-Miriam  197, 200 Delaborde, R.  178 Delacour, Alfred  129 Le Courrier de Lyon  129 Delibes, Léo  101 Les deux gardes-malades  101 Delmas, Francisque  266 Derosne, Bernard  109 Le Secret de Miss Aurore  109 Derval  124 Deshayes, Paul Léon  129 Desnoyers, Charles  109 Le Naufrage de la Méduse  95, 109 Destinn, Emmy  271, 277, 282, 304

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Destors, Denis  52 Deutsch de la Meurthe, Henry  252, 334 Dharmenon, Frédéric Daniel Manin  129 Diderot, Denis  98 Diémer, Louis  198 Dippel, Andreas  301–302 Djagilev, Sergej  14, 16, 21, 251, 277, 283–285, 288–292, 294, 296–297, 300–305, 313–316, 318, 321, 324, 330–331, 335, 338, 343–344 Doche, Alexandre-Pierre-Joseph  101, 124 Les Deux Maîtresses  101 Les Mémoires du diable  101 Dorfeuille, Pierre-Paul  56 Doucet, Camille  34–38, 40–41, 43, 45–46, 57, 349 Draeseke, Felix  282 Dreyfus, Gaston  274 Dröscher, Georg  268 Duban, Jacques Félix  52, 60, 63–64, 66–67 Dubois, Théodore  131, 176, 178, 222 Pièces pour orchestre  176 Duc, Louis  52 Dufau  130–131, 177 Dugué, Ferdinand Les Pirates de la Savane  139 Dukas, Paul  313, 315–316 La Péri  313, 315–317, 322 Dumas, Alexandre  43, 330 Dumas, Alexandre, d. Jüng.  43 Duneton, Claude  102 Dupuis, Sylvain  278 Durand  178 Durkheim, Émile  18 Duru, Alfred Le Voyage de Suzette  121 Dyck, Ernest van  253 Eduard VII. (König von Großbritannien und Irland)  253 Edwardes, George  318 Edwards, Misia  286, 304 Ehrler  274 Eichtal, d’  182 Elchingen, Duc d’  274

Elgar, Edward  221 Elias, Norbert  18 Elman, Mischa  253 Enescu, George  190, 221 Symphonie Concertante pour Violoncelle et Orchestre  190 Ennery, Adolphe d’  46, 88, 90, 95, 100, 109, 111, 129, 133 Aladin ou La lampe merveilleuse  109–111 Les deux orphelines  129 Marengo  118 Michel Strogoff  135–136, 138–139, 144–145, 147, 149, 153–155, 291 Le Naufrage de la Méduse  109 La Prise de Pékin  118 Rothomago  80, 87–110, 114, 116–118, 133, 149, 341 Les sept châteaux du diable  123, 133, 137 Le tour du monde en 80 jours  136, 139, 144 Enoch  252, 318–319 Ephrussi  256 Ephrussi, Michel  274 Érard, Pierre  200 Erckmann, Émile Madame Thérèse  156 Erlanger, Camille  274 Esipova, Anna  196 Étienne  274 Fall, Leo  152 Die Dollarprinzessin  152 Fallières, Armand  275, 281 Fasquelle  274 Fauré, Gabriel  178, 221–222, 274, 313 Quatre pièces  313 Faure, Jean-Baptiste  194, 201 Favart, Mademoiselle (Pseud. von Pingaud, Pierrette-Ignace-Marie)  162 Feinhals, Fritz  271 Ferry, Jules  128 Fétis, François-Joseph  35 Féval, Paul Le Fils du diable  144, 147 Février, Henri  315 Fischer  132



Flan, Alexandre Le diable boiteux  111–112, 115, 120 Flotow, Friedrich von  101 Martha  101 Floury, Antoine  135–137 Fokin, Michail Michajlovič  293–294, 296, 298–299, 323–324, 328, 335 Le Carnaval  321, 331 Cléopâtre  292, 294, 305, 333 Les Danses du Prince Igor  292–293 Daphnis et Chloé  330 Le Festin  292 Le Martyre de Saint-Sébastien  328 Narcisse  330 Le Pavillon d’Armide  286 Petrouchka  323–324, 331, 335, 339, 343 Shéhérazade  321, 335 Le Spectre de la rose  330, 332–333 Les Sylphides  293, 296, 298–299, 326, 339–340, 343 Thamar  330, 335 Fontanes, Alexandre  138–145, 254, 260–262, 277, 284 Forain  275 Fould, Achille  31, 40 Fourchy, Jacques  274 Fourier, Charles  44 Franck, César  184, 197, 209–210, 216, 224, 241 Psyché  209–210, 216 Sinfonie in d-Moll  216 Franconi, Antonio  34 Frankfurter, Eugen  271 Fremstad, Olive  271, 301 Fromont, Eugène  115 Fürstner, Adolph  262, 264–266, 268, 272, 274, 320 Gabriac, Graf Arthur de  274 Gade, Niels  188 Gailhard, Pédro  266–268 Gallet, Louis  212 Galli-Bibiena, Familie  98 Galli-Marié, Célestine  178, 201, 212 Gallon, Noël  223 Paysans et soldats  223

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Gambogi  170 Ganaye, J. B.  222 Gandrey  274 Garnier  334 Gatti-Casazza, Giulio  301–302, 304–306, 309 Gaubert  163 Gauthier-Villars, Henri  312 Gautier, Théophile  321 Le Spectre de la rose  321 Gédalge, André  215, 275, 347 Vaux-de-Vire  215, 347 Girod, Pierre  274 Glazunov, Aleksandr Konstantinovič  221, 294, 296 Cléopâtre  294 Les Sylphides  296 Glinka, Michail  290, 294 Cléopâtre  294 Rousslan et Ludmila  290–291 Gluck, Christoph Willibald  191, 193, 259 Godard, Benjamin  137 Jeanne d’Arc  137 Goleskeu, Stau  222 Gorsse, Henry de   139, 141 Arsène Lupin contre Herlock Sholmès  145 Le Diable à quatre  144–147, 149–150 La Petite Caporale  140–141, 145 La Revue du Châtelet  140–141 Le Roi de l’or  145–146, 148–149, 157 Gouin, Jules  274 Gounod, Charles  170 Grandjean  274 Grandmougin, Charles  212 À Hector Berlioz  212 Grandval, Marie de   178 Granier, Jeanne  274 Greffulhe, Comtesse Élisabeth  251, 253, 272, 274, 302, 305–306 Grimm, Gebrüder La belle au bois dormant (Dornröschen)  94–95 Grisar, Albert  131 Les Amours du diable  131 Groot, Adolphe de  101, 104–108, 122, 124, 150, 161, 163, 165–166, 227, 229 Air des Dentelles  104–107

426

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Napoléon III  162, 164, 165, 167, 227, 229 Gigue-Polka  104 Les Heures  104–105 Salut César  162 Les sept ans de Son Altesse le Prince Impérial Napoléon   161, 163 Valse brillante  104 Guilhaud, George  152–155 La Fête Tartare  154 Guimet, Émile  173 Le feu du ciel  173 Guiraud, Ernest  131, 176, 178 Suite d’orchestre  176 Gunsbourg, Raoul  265, 306 Habeneck, François-Antoine  198 Hahn, Reynaldo  286, 314–316, 334–335 Le Dieu bleu  314–315, 322, 330 Halévy, Ludovic  166 Halphen, Fernand  275 Harcourt, Gräfin d’  275 Hartmann, Georges  170, 176–178, 203 Haussmann, Baron Georges Eugène  14, 19, 31–34, 36, 38–42, 48–53, 56–58, 63–64, 75, 80–82, 136, 245, 344 Hautecœur, Louis  52 Haydn, Joseph  188–189, 211, 259 Die Schöpfung  188 Hébard, Adrien  275 Heine, Georges  275 Herman, Laure  173 Herman, Mathilde  173 Hertz, Henri  270 Hervé  102 Fifi et Nini  102 Herz, Léo  130, 131 Heugel, Henri  310 Heugel, Jacques Léopold   83 Hillier, Bill  23 Hittorf, Jacques Ignace  60 Holmès, Augusta  178 Hostein, Hippolyte  36, 37–38, 42–48, 50, 60–61, 64, 66, 71, 79–80, 82, 84, 88, 91, 94, 109, 112, 115, 118, 129–130, 161, 165, 178, 349

À-propos patriotique  162 Napoléon III  162, 164, 167 Les sept ans de Son Altesse le Prince Impérial Napoléon  161, 163 Huë, Georges  274 Hugelmann, Gabriel  162 Salut César  162 Hugo, Victor  173 Le feu du ciel  173 Hyde, James H.   274 Indy, Vincent d’  178, 184, 241, 274, 313, 334 Istar  313 Souvenirs  241 Isnardon, Jacques  273 Isola, Émile  267–270 Isola, Vincent  267–270 Isouard, Nicolo  110 Cendrillon  110 Ivoi, Paul d’ Les Cinq sous de Lavarède  144 Jacquemart, Alfred  54 Jaëll, Alfred  197–198 Jaëll, Marie  190, 196–198, 200 Jahyer  135 Johnson, James  192 Joncières, Victorin de   176 Marche du Dernier Jour de Pompéi  176 Jullien, Adolphe  180, 191, 321 Juven, Félix  334 Kahn, Otto H.  271, 274, 305 Kemp, Wolfgang  23 Kochno, Boris  295 Kracauer, Siegfried  45, 81 Kraus, Angelika Beate  171 Kubelik, Jan  195 Kufferath, Maurice  265, 269 La Fontaine, Jean de  337 Labrouste, Henri  52 Lacressonnière  129 Laffon  274 Lafitte  207



Lagarde, Pierre  274 Lalo, Édouard  131, 176, 178, 196–197, 216 Divertissement  176 Lalo, Pierre  280 Laloue, Ferdinand Les pilules du diable  129, 132, 134, 137, 139 Laloy, Louis  192, 195, 244 Lambert-Thiboust  109 Le Secret de Miss Aurore  109 Lamoureux, Charles  218, 242 Landély (Pseud. von Hettich, Amédée-Louis)  237 Landowska, Wanda  253 Lapommeraye, Henri de  215 Lara, Isidore de  275 Larochelle, Henri Jullien  132, 150 Lasalle, Albert de  183 Lazare  274 Le Roux, Hugues  241 Leclair, Jean-Marie  199 Legrand  275 Léhar, Franz  152 Le Comte du Luxembourg  152 Lemaire, Madeleine  275 Lemaire, Suzanne  275 Lemoine, Amédée  220 Lender  274 Leoncavallo, Ruggero I Pagliacci  303, 306, 309–310 Leroy, H.  131 Lers, Oscar de  274 Levine, Lawrence W.  244 Lilienthal  274 Lindheim, Adolphe  102, 124 Moujik  102 Le Quinze Août  162 Lisle, Leconte de  213 Liszt, Franz  184, 190, 196, 200, 211 Klavierkonzert in Es-Dur  190, 196 Litolff, Henri  130, 167–170, 172, 183 4. Sinfonisches Konzert  168 La belle au bois dormant  130 Le dernier jour de la terreur  167, 170, 172 Les Guelfes  172 Litvinne, Félia  291, 301 Ljadov, Anatoli  296

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Les Sylphides  296 Locke, Ralph P.  194 Lorbac, Charles de Daniel Manin  129 Lorrain, Jean  225 Löw, Martina  17, 20 Löwenfeld, Hans  280 Loubet, Émile  253 Louis, Victor  72 Lucas, Hippolyte  131 Lully, Jean-Baptiste  193 L’vov, Aleksej  153 Chant national russe  153 Mackenzie, Alexander  254 MacMahon, Marschall  129 MacMahon, Marschallin  182 Mahler, Gustav  254–257, 260 Maillard, Aimé  102 Les Dragons de Villars  102 Maizeroy, René  274 Mandl  256 Mangeant, Sylvain  102 Ma nièce et mon ours  102 Mangin, Édouard  128, 167 Marais, Léon  136 Marsick, Martin  197 Martin, Roxane  137 Marty, Adolphe  222, 244 Mascagni, Pietro Cavalleria Rusticana  303, 309–310 Massé, Victor  101 Les noces de Jeannette  101 Massenet, Jules  131, 170, 173, 176, 179, 197, 201, 213–214, 224 Les Erinnyes  213 Le Mage  214 Marie-Magdeleine  170, 173 Le Roi de Lahore  194 Scènes pittoresques  176 Souvenir an Bizet  201 Masson, Georges  224, 235–236 Masson, Michel Les Fils aînés de la République  133 Mathias, G.  178

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Maton, Adolphe  150 Mauclair, Camille  242–243 Maurel, Victor  256 Méhul, Étienne-Nicolas  194 Joseph  194 Meilhac, Henri  89, 166 Mejerchol’d, Vsevolod Ėmil’evič  337 Melas, Michael Friedrich Benedikt Freiherr von 79 Membrée, Edmond  131, 178 Les Parias  131–132 Mendelssohn, Felix  174, 189, 211 Athalie  174 Mendès, Catulle  216, 245, 256 Mengelberg, Willem  218 Méris, André  134 Méry, Joseph  166 Méryel, Charles  335 Messager, André  189, 253, 270, 274 Sinfonie in A-Dur  189 Metternich, Fürst Richard Klemens von  254 Metternich-Sándor, Fürstin Pauline von  254, 256 Meyerbeer, Giacomo  11, 111, 124 L’Africaine  111, 172 Robert le diable  11 Millar, Gertie  319 Minil, René du  213, 215 Monckton, Lionel  318–320 The Quaker Girl  318–321 Monnier, Albert  89–90, 95, 100, 109 Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse  109– 110, 116, 124, 137 La Lanterne magique  111, 113–114, 120 Rothomago  80, 87–110, 114, 116–117, 133, 149, 341 Les sept châteaux du diable  123, 133, 137 Les Voyages de Gulliver  109, 116, 124 Monpou, Hippolyte  102 Le Lever  100, 102 Monselet, Charles  88 Montaubry, Jean-Baptiste Édouard  101 Le joli mois de mai  101 Montesquiou, Graf  275 Monteux, Pierre  316–317

Montigny-Rémaury, Caroline   196–197 Montijo, Eugénie de (Kaiserin der Franzosen) 46, 75, 86 Moore  274 Moreau, Eugène  129 Le Courrier de Lyon  129 Moreau, Gustave  276 L’Apparition  276 Morel, Auguste  193 Mortier, Pierre  274 Mottl, Felix  217–218, 233, 247, 252 Mounet-Sully, Jean  212, 215 Mozart, Wolfgang Amadeus  179, 189, 193, 199, 211, 259 Die Zauberflöte, Ouvertüre  193 Sinfonie in g-Moll  179 Musard, Philippe  170 Musorgskij, Modest Petrovič  289, 294 Cléopâtre  294 Boris Godounov  291, 302 Mustel  275 Naggiar, Maurice  152, 157–158 Fantasia arabe  157 Napoleon III. (Louis-Napoléon Bonaparte)  14– 15, 22, 31–32, 36–38, 42–44, 46–49, 51, 55–56, 64, 71–72, 74, 81, 86, 96, 102, 111, 114, 127, 161, 163–166, 245, 339, 341, 344 Nanteuil, Georges  141 La Revue du Châtelet  140–141 Nargeot, Pierre-Julien  101, 124 Les Bibelots  101 La Lanterne magique  101 Neef, Charles  274 Neitzel, Otto  270 Nijinskij, Vaclav  14, 285, 290, 314, 331–332, 346 L’après-midi d’un faune  290, 330–332, 346 Nikisch, Arthur  218 Noël, Édouard  143, 250 Noetzlin, Édouard  275 Noverre, Jean Georges  299 Nussac, Sylvie de   135 Offenbach, Jacques  11, 81, 101–103, 111–112, 114, 124, 126, 129, 133, 138, 321



Barbe-bleue  111 Ba-ta-clan  111 La Belle Hélène  111, 114, 136 Chanson de Fortunio  102–103 Les Deux Aveugles  102–103 La Grande-Duchesse de Gérolstein  112 Mesdames de la Halle  102 Orphée aux enfers  112 Robinson Crusoé  138 La Vie Parisienne  321 Le Voyage dans la lune  133 Oray, André-Marie  102 Un dimanche à Robinson  102 Oulman  178 Paderewski, Ignacy Jan  243 Paladilhe, Émile  131 Palladio, Andrea  58, 62, 72, 78 Parry, Hubert  254 Pasdeloup, Jules  168, 171, 182, 203, 219 Pasler, Yann  240 Pavlova, Anna  285 Pereire  182 Pessard, Émile  178 Petipa, Marius  296, 344 Petrenko, Elisabeth  292 Pfeiffer, Georges  173 Jeanne d’Arc  173 Philippi  274 Picasso, Pablo  11 Parade  11, 345–346 Pichon, Stéphen  275 Pierné, Gabriel  188, 202, 204–205, 211, 216, 220–236, 247–249, 260, 263, 273, 277–278, 339, 348 L’An Mil  225, 227–228, 231 Concertstück pour harpe et orchestre  229 La Croisade des Enfants  230–233, 260 Deux contes de Jean Lorrain  225 Les Enfants à Bethléem  230 Images  236 Impressions de music hall  236 Izéÿl  225 Nuit de Noël 1870  225–226, 229, 231, 247 Poème symphonique  229, 235

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Saint-François d’Assise  231–233 Yanthis  225 Pizzetti da Parma, Ildebrando  313, 336 La Pisanelle  336–337 Place  60 Planès, Louise  209 Poggio-Suasa, Prinzessin (Familie Ruspoli)  302 Polignac, Prinzessin de  319 Ponchielli, Almicare La Gioconda  303 Pougaud, Désiré  142 Pougin, Arthur  130–131, 280, 311 Pourtalès, de  256 Prévost, André  306–307 Proust, Marcel  286 Puccini, Giacomo  267, 304 Manon Lescaut  303, 306, 309–310, 312 Pugno, Raoul  243 Quinlan  317 Ravel, Maurice  188, 222–223, 313, 317, 334–335 Adélaide ou Le langage des fleurs  313 Daphnis et Chloé  317, 330 Daphnis et Chloé, Suite  222–223 Rhapsodie Espagnole  188 Reszké, Jean de  271, 274 Reyer, Ernest  131, 170 Richter, Hans  218, 252–253 Ricordi, Tito  303 Rimskij-Korsakov, Nikolaj Andreevič  191, 221, 290, 294, 321–322, 326 La Bataille de Kerjenetz  321–322 Cléopâtre  294 La Pskovitaine/ Ivan le Terrible  290–291 Sadko  321 Ritt, Eugène  129, 132, 150 Ritter, Théodore  200 Rivière, Jacques  326 Robecchi, Henri  115–116 Rochard, Émile  134, 136–139 Rochefort, Henri  274 Rodin, Auguste  332–333, 346–347 Roerich, Nicolaj  321–322 La Bataille de Kerjenetz  321–322

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Roger, Gustave  172 Espoir  !  172 Roger-Ducasse, Jean  315 Rolland, Romain  11, 15, 233, 255–256, 263, 266, 274, 278 Jean-Christophe  11 Roller, Alfred  268 Romagnesi, Antoine Joseph Michel  101, 124 Le beau Lycas aimait Thémère  101 Faut l’oublier  100–101 Ropartz, Joseph Guy  222 Roqueplan, Nestor  112, 115, 120, 127 Rossini, Gioacchino  162, 193–194 Hymne à Napoléon III  162 Le siège de Corinthe  194 Rothschild  182 Rothschild, Baron Albert de  252, 256 Rothschild, Baron Henri de  274 Roubo, André Jacques  56, 58 Rouget de Lisle, Claude Joseph La Marseillaise  257 Rouvry  274 Rubé, Auguste-Alfred  115 Rubinstein, Artur  253, 274 Rubinstein, Ida  315, 326–328, 333–334 Hélène de Sparte  333–334 Le Martyre de Saint-Sébastien  326–330 Sachs, Léo  274 Sagan, Prince de  274 Saint-Hiltaire  274 Saint-Marceaux  275 Saint-Saëns, Camille  170, 176, 178–179, 184, 194–197, 213–214, 216, 220, 223–224, 249, 254, 256 2. Klavierkonzert in g-Moll  196 Danse macabre  194–195, 217 La Foi  223 Phaéton  176, 213 Saint-Yves (Pseud. von Déaddé, Édouard) Le Fils du diable  144, 147 Šaljapin, Fëdor  284–285, 288–289, 291–292, 301, 303, 326 Salvador  178 San Martino, Graf  275, 302

Sarasate, Pablo de   196–197 Sarcey, Francisque  329 Sardou, Victorien  113, 336 La Famille Benoîton  113 Patrie  !  129 Satie, Erik  11, 345 Parade  11, 345–346 Say, Henry  275 Schaeffer, P.  178 Schmarsow, August  18 Schmitt, Florent  223, 313, 315, 334 La tragédie de Salomé  223, 313, 334 Schneider, Louis  320 Schneider, Hortense  81 Schoenewerk  178 Schroer, Markus  17 Schubert, Franz  199, 259 Schuch, Ernst von  218 Schumann, Robert  190, 211, 215 Manfred  211, 215 Sinfonie in Es-Dur  190 Schweitzer, Baron von  274 Scotti, Antonio  311 Scribe, Eugène  330 Scudo, Paul  35 Semet, Théophile  101, 131 Air de la complainte de Gil-Blas  101 Semper, Gottfried  53 Serov, Aleksandr Nikolaevič Judith  291 Serpette, Gaston  121–122, 172 Jeanne d’Arc  172 Le Petit Chaperon Rouge  121–122 Sévérac, Déodat de  333, 335 Hélène de Sparte  333–334 Sharpe, L. G.  253–254 Silvain, Eugène  215 Simmel, Georg  18, 20 Siraudin, Paul  109 Le Courrier de Lyon  129 Le Déluge universel  109 Paris-Revue  111–112, 117–120, 123 Sivori, Camillo  200 Slezak, Leo  311 Smirnov, Dmitrij  302



Solokov, Nikolaj  296 Les Sylphides  296 Sonzogno, Edoardo  252, 303, 309 Souday, Paul  310 Speyer, Sir Edgar  274 Spontini, Gaspare  193 Stanford, Sir Charles Villiers  253, 257, 260 Stillman, James  274 Stoianova, Ivanka  327, 330 Stoullig, Edmond  143, 250 Strange, Frederick  127–128 Strauss, Richard  16, 217–218, 251, 254, 262– 274, 276–284, 308, 317, 344 Feuersnot  262 Orchesterlieder  218 Salome  16, 251, 262–264, 266, 270–272, 274–277, 279–286, 288–298, 301 Salomé  262, 265–272, 278 Sinfonia Domestica  263–264 Till Eulenspiegel  218 Tod und Verklärung  218 Strauss-de Ahna, Pauline  281 Stravinskij, Igor  12, 290, 296, 298, 312, 321– 322, 324–326, 335–336, 338–339, 343, 345–346 Konzertstück  324 Petrouchka  12, 321–326, 330–331, 335, 339, 343, 346 L’Oiseau de Feu  312, 321, 325, 330, 335 Le Sacre du Printemps  290, 345 Les Sylphides  296, 298 Sullivan, Arthur  254 Taglioni, Filippo La Sylphide  296 Taneev, Sergej Ivanovič  294, 296 Cléopâtre  294 Les Sylphides  296 Thérésa  133 Thibault, D.  150 Thomas, Ambroise  44, 194 Raymond  194 Thomasseau, Jean-Marie  38 Thomé, Francis  213 La Fiancée du Timbalier  213 Thors  274

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Tissier  274 Toché, Raoul Les aventures de Monsieur de Crac  156 La biche au bois  137 Torre Alfina  303 Toscanini, Arturo  278, 303, 311–312 Trémant, E.  283, 301–302 Triau, Christophe  24 Trouhanova, Natasha (Natalia)  273, 276–277, 282, 313, 316 Usseaux, Graf Eugène Brunetta d’  302, 308 Vanderbilt, W.-K.  274 Vanderburch, Émile Peau d’âne  136 Vasseur, Léon  137, 154 Le Mariage au tambour  154 Le Prince Soleil  137 Vaudoyer, Jean-Louis  286 Le Spectre de la rose  330 Vaudoyer, Léon  52 Verdi, Giuseppe  267 Aida  306, 309, 312 Falstaff  309, 311 Otello  303, 309 Rigoletto  312 Verhaeren, Émile  333–334 Hélène de Sparte  333–334 Verly, Baron und Baronin  274 Verne, Jules  15, 132–134 Le Tour du monde en 80 jours  15, 132–134 Michel Strogoff  134 Viale Ferrero, Mercedes  27, 349 Viardot  178 Vieuxtemps, Henri  197 Vitruv  62 Vittorio Emmanuele III (König von Italien)  302 Vizentini, Albert  129 Vogüé, Comte de  274 Vorms, Pierre  290 Wagner, Richard  185, 189–190, 192–193, 210, 213–214, 216–218, 247, 254, 256, 267, 273, 294

432

Register

Götterdämmerung  193, 252 Die Meistersinger von Nürnberg  256 Parsifal  210 Der Ring des Nibelungen  329 Tristan und Isolde  252 Wagner, Siegfried  218 Wallon, Henri  128 Warcouss, Charles  207 Weber, Carl Maria von  190–191, 193, 204, 247, 259, 321 Aufforderung zum Tanze  204, 247, 321 Der Freischütz  172, 193

Oberon, Ouvertüre  256 Weingartner, Felix  204, 240, 247, 250, 258– 261, 318–319 Widor, Charles-Marie  131, 176, 197, 275 Symphonie en Fa  176 Wilde, Oscar  262, 264–265, 268 Wilhelm II. (Deutscher Kaiser)  264 Wirk, Willi  268 Wolff, Pierre  274 Ysaÿe, Eugène  243

Die Gesellschaft Der Oper. Musikkultur eurOpäischer MetrOpOlen iM 19. unD 20. JahrhunDert Herausgegeben von PHiliPP THer bd. 1 PHiliPP THer in der MiT Te der gesellscHafT oPernTHeaTer in ZenTraleuroPa 1815–1914 2006. 465 s. br. 148 x 210 MM. isbn 978-3-486-57941-3 (d), 978-3-7029-0541-5 (a) bd. 2 sven oliver Müller, JuT Ta Toelle (Hg.) büHnen der PoliTik die oPer in euroPäiscHen gesellscHafTen iM 19. und 20. JaHrHunderT 2008. 255 s. br. 148 x 210 MM. isbn 978-3-486-58570-4 (d), 978-3-7029-0562-0 (a) bd. 3 PeTer sTacHel, PHiliPP THer (Hg.) Wie euroPäiscH isT die oPer? die gescHicHTe des MusikTHeaTers als Zugang Zu einer kulTurellen ToPograPHie euroPas 2009. 226 s. br. 148 x 210 MM. isbn 978-3-205-77804-2 (a), 978-3-486-58800-2 (d) bd. 4 JuT Ta Toelle büHne der sTadT Mailand und das TeaTro alla scala Z WiscHen risorgiMenTo und fin de siècle 2009. 212 s. br. 148 x 210 MM. isbn 978-3-205-77935-3 (a), 978-3-486-58958-0 (d) bd. 5 sven oliver Müller, PHiliPP THer, JuT Ta Toelle, gesa Zur nieden (Hg.) oPer iM Wandel der gesellscHafT kulTurTransfers und neTZ Werke des MusikTHeaTers iM Modernen euroPa 2010. 331 s. br. 210 x 148 MM. isbn 978-3-205-78491-3 (a), isbn 978-3-486-59236-8 (d)

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Mirella Freni, Edita Gruberova, Peter Dvorsky José Carreras, Placido Domingo, Thomas Hampson, Nicolai Ghiaurov, Samuel Ramey sind nur einige der Sänger, mit denen er in den großen europäischen und amerikanischen Opernhäusern gearbeitet hat. Seine ersten Sängererfahrungen aber machte Fabio Luisi, Chefdirigent der Wiener Symphoniker und seit Herbst 2007 Generalmusikdirektor der Dresdner Semper Oper und der Staatskapelle Dresden, mit einem der Stars der Wiener Karajan-Ära: als Korrepetitor von Leyla Gencer. Mit ihr erarbeitete er die großen italienischen Opern und schuf sich das Rüstzeug für seine kommende Karriere. Sie begann in Graz: als Meisterschüler von Milan Horvat, Korrepetitor und Dirigent an der Oper, wo man auf den jungen Genuesen, der auch fabelhaft Klavier spielte, aufmerksam wurde. Von dort ging es über die deutsche Provinz rasch an die großen Opernhäuser von Wien, München und Paris bis zur New Yorker „Met“ und an die Spitze mehrerer europäischer Orchester. Nicht immer ohne störende Hintergrundmusik, wie sich Fabio Luisi in seiner Autobiographie pointiert erinnert.

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Nach langen Jahren einer kulturellen Randständigkeit ist die Oper gegenwärtig wieder ein vielbeachtetes Öffentlichkeitsphänomen geworden. Im Gegensatz zum Sprechtheater, das weitgehend hinter Film und Fernsehen zurücktritt, fasziniert die Oper immer breitere Bevölkerungsschichten nicht nur durch die Verführungskraft ihrer Musik, sondern auch durch ihren Starkult und ihre provokanten Regieexperimente. Allerdings bleibt abzuwarten, ob dies zu einer Demokratisierung dieser anspruchsvollen Kunstgattung oder eher zu einem Abgleiten ins Massenmediale führen wird. Dieses Buch zeigt, dass einige Komponisten auch schon früher den elitären Status der Oper mit fortschrittsbetonten Konzepten zu durchbrechen suchten, während andere lediglich die Repräsentations- und Unterhaltungsbedürfnisse der herrschenden Gesellschaftsschichten befriedigen wollten. Jost Hermand stellt anschaulich dar, wie sich – zwischen Glanz und Elend – die sozialhistorischen, inhaltlichen und musikalischen Bedingungen der deutschen Oper vom Barock bis heute entwickelt haben. ÖÖ3%)4%.Ö'%"5.$%.Ö-)4Ö3#(54:5-3#(,!'ÖÖ8ÖÖ-- )3".Ö    

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Im Zentrum dieses Bandes steht die Fest- und Opernkultur am Wittelsbacher Hof während der Herrschaft der Kurfürsten Max Emanuel (1680–1726) und Karl Albrecht (1726–1745). Betrachtet wird vor allem die Intention des Fürstenhauses, den Untertanen auf diese Weise die Notwendigkeit der bestehenden Ordnung zu vermitteln und zugleich die konkurrierenden Höfe von der Macht des bayerischen Hofes zu überzeugen. Opern, Turnierspiele und Festkantaten werden dazu in die höfischen Kommunikationszusammenhänge eingeordnet. Der Autor zeigt, wie die politisch-kulturelle Gegenwart in den Aufführungen gespiegelt wurde, indem in ihnen der konkrete Aufführungsanlass verarbeitet, aber auch Aspekte der höfischen Lebenspraxis in symbolischer Form zum Ausdruck gebracht wurden. ÖÖ3Ö-)4ÖÖ37 !""Ö'"ÖÖ8ÖÖ--Ö )3".Ö    

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