Musik ausstellen: Vermittlung und Rezeption musikalischer Themen im Museum 9783839455357

Musikausstellungen vermitteln historisches und musikalisches Wissen und können darüber hinaus Orte der Erinnerung, Konte

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Musik ausstellen: Vermittlung und Rezeption musikalischer Themen im Museum
 9783839455357

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Fallstudien
3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen
4. Zusammenfassung und Resümee
Literaturverzeichnis
Danksagung

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María Del Mar Alonso Amat, Elisabeth Magesacher, Andreas Meyer Musik ausstellen

Edition Museum  | Band 53

María del Mar Alonso Amat arbeitet als Kuratorin der Sammlung historischer Musikinstrumente im Landesmuseum Württemberg. Sie studierte Klavier am Conservatorio Superior de Música in Murcia (Spanien) und Musikwissenschaft an der Folkwang Universität der Künste in Essen und promoviert zu aktuellen Darstellungen von Georg Friedrich Händel in Museen. Von 2014 bis 2017 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin innerhalb des Forschungsprojektes »Ausgestellte Musik. Untersuchungen zur Vermittlung und Rezeption von musikalischen Themen im Museum« in Essen tätig. Elisabeth Magesacher ist als Lehrbeauftragte am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien tätig und promoviert im Rahmen des Forschungsprojekts »Ausgestellte Musik. Untersuchungen zur Vermittlung und Rezeption musikalischer Themen im Museum« an der Folkwang Universität der Künste in Essen mit einer Arbeit über kulturelle Repräsentation in Musikausstellungen. Sie studierte Deutsche Philologie und Musikwissenschaft in Wien und erhielt für ihre Diplomarbeit 2014 den Dr.-Walther-Liebehenz-Preis der Georg-August-Universität Göttingen. Andreas Meyer ist Professor für Musikwissenschaft mit Schwerpunkt Musikethnologie an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Seine Forschungsinteressen umfassen Transkulturation und Hybridität, historisch orientierte Musikethnologie und Cultural Memory Studies.

María Del Mar Alonso Amat, Elisabeth Magesacher, Andreas Meyer

Musik ausstellen Vermittlung und Rezeption musikalischer Themen im Museum

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagcredit: RAGNAROCK-Museum, Roskilde (Foto: Andreas Meyer) Lektorat: Simon Bahr, Sarah Mesenbrock, Andreas Meyer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5535-3 PDF-ISBN 978-3-8394-5535-7 https://doi.org/10.14361/9783839455357 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

1. 1.1

1.2

1.3 2. 2.1

Einleitung..................................................................... 9 Museale Präsentation .......................................................... 9 1.1.1 Orte des Wissens und der Narration ..................................... 10 1.1.2 Orte der sinnlichen Erfahrung ........................................... 12 1.1.3 Orte des Erinnerns......................................................13 1.1.4 Vermittlung und Rezeption .............................................. 15 Fragestellungen ............................................................... 18 1.2.1 Museale Narrative – Ausstellungselemente im Zusammenspiel ........... 18 1.2.2 Emotion und Gedächtnis ................................................ 18 1.2.3 Vermittlung und Rezeption .............................................. 19 Methoden und Vorgehen ...................................................... 20

Fallstudien................................................................... 25 Mozarthaus Vienna ........................................................... 25 2.1.1 Analyse ............................................................... 26 2.1.2 Konzepte .............................................................. 36 2.1.3 Rezeption ............................................................. 40 2.2 Musée de la musique in der Cité de la musique – Philharmonie de Paris ........................................................ 46 2.2.1 Analyse ............................................................... 46 2.2.2 Konzepte ............................................................... 61 2.2.3 Rezeption ............................................................. 63 2.3 Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig............................ 68 2.3.1 Analyse ............................................................... 69 2.3.2 Konzepte .............................................................. 84 2.3.3 Rezeption ............................................................. 87 2.4 rock’n’ popmuseum, Gronau .................................................... 93 2.4.1 Analyse ............................................................... 94

2.4.2 Konzepte ..............................................................107 2.4.3 Rezeption ............................................................ 109 3. 3.1

Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen........................ 115 Ausstellungselemente im Zusammenspiel .................................... 120 3.1.1 Fallbeispiele: Zusammenfassung ...................................... 120 3.1.2 Handel House Museum, London ....................................... 122 3.1.3 Beethoven-Haus, Bonn ................................................ 125 3.1.4 »Händel mit Herz – Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital«, Sonderausstellung im Händel-Haus, Halle.................................................... 128 3.1.5 Musikmuseum, Basel.................................................. 130 3.1.6 Münchner Stadtmuseum: Die Sammlung Musik......................... 133 3.1.7 Musée des instruments de musique | Muziekinstrumentenmuseum (mim), Brüssel ........................... 138 3.1.8 Tropenmuseum, Amsterdam: World of Music (Musiekwereld) ........... 142 3.1.9 »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Tonund Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg«, Sonderausstellung in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin ................................. 144 3.1.10 »Rock und Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet«, Sonderausstellung im Ruhr Museum, Essen ............................ 148 3.1.11 RAGNAROCK – Museet for pop, rock og ungdomskultur, Roskilde......... 151 3.2 Aura und Gedächtnis......................................................... 156 3.2.1 Fallbeispiele: Zusammenfassung ...................................... 156 3.2.2 Handel House Museum, London.........................................157 3.2.3 Beethoven-Haus, Bonn ................................................ 158 3.2.4 »Händel mit Herz – Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital,« Sonderausstellung im Händel-Haus, Halle.................................................... 159 3.2.5 Musikmuseum, Basel................................................... 161 3.2.6 Münchner Stadtmuseum: Die Sammlung Musik......................... 163 3.2.7 Musée des instruments de musique | Muziekinstrumentenmuseum (mim), Brüssel ........................... 166 3.2.8 Tropenmuseum, Amsterdam: World of Music (Musiekwereld) ............ 168

3.2.9 »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Tonund Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg«, Sonderausstellung in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin ................................. 169 3.2.10 »Rock und Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet«, Sonderausstellung im Ruhr Museum, Essen .............................170 3.2.11 RAGNAROCK – Museet for pop, rock og ungdomskultur, Roskilde......... 172 3.3 Vermittlung und Rezeption ................................................... 173 3.3.1 Fallbeispiele: Zusammenfassung ...................................... 173 3.3.2 Handel House Museum, London.........................................175 3.3.3 Beethoven-Haus, Bonn ................................................. 177 3.3.4 »Händel mit Herz – Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital«, Sonderausstellung im Händel-Haus, Halle.................................................... 178 3.3.5 Musikmuseum, Basel................................................... 179 3.3.6 Münchner Stadtmuseum: Die Sammlung Musik ........................ 180 3.3.7 Musée des instruments de musique | Muziekinstrumentenmuseum (mim), Brüssel ........................... 182 3.3.8 Tropenmuseum, Amsterdam: World of Music (Musiekwereld) ............ 184 3.3.9 »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Tonund Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg«, Sonderausstellung in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin ................................. 185 3.3.10 »Rock und Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet«, Sonderausstellung im Ruhr Museum, Essen ............................ 187 3.3.11 RAGNAROCK – Museet for pop, rock og ungdomskultur, Roskilde........ 189 Zusammenfassung und Resümee............................................. 191 Museale Narrative – Ausstellungselemente im Zusammenspiel ................. 191 4.1.1 Grundlegende inhaltliche Ausrichtungen................................ 191 4.1.2 In context – in situ.................................................... 192 4.1.3 Transtextualität ...................................................... 193 4.2 Emotion und Gedächtnis ..................................................... 195 4.2.1 Aura ................................................................. 195 4.2.2 Kulturelles Gedächtnis und persönliche Erinnerung ................... 196 4.3 Vermittlung und Rezeption ................................................... 198 4.4 Schluss ..................................................................... 202 4. 4.1

Literaturverzeichnis.............................................................. 205 Danksagung ....................................................................... 211

1. Einleitung

1.1

Museale Präsentation

Der vorliegende Band präsentiert Erkenntnisse aus einem mehrjährigen empirischen Projekt, in dessen Verlauf Musikausstellungen verschiedener inhaltlicher Ausrichtungen systematisch als kulturelle Einrichtungen untersucht wurden. Museale Präsentationen musikalischer Themen bieten insofern eine Besonderheit, als sie sich mit immaterieller Kultur beschäftigen, während Museen eigentlich noch immer überwiegend als Archive und Präsentationsorte des Gegenständlichen gelten, des »materiellen dreidimensionalen Teils des kulturellen Erbes«1 . Die Vermittlung des genuin Musikalischen erfolgt in Musikausstellungen daher mehrheitlich indirekt über greifbare Artefakte wie etwa Musikinstrumente, Handschriften und Faksimiles. Zudem ergeben sich direkte Einbindungen über mediale Stationen, Live-Aufführungen und Beschallung. Dessen ungeachtet sind Musikausstellungen wie andere soziokulturell und/oder historisch orientierte Präsentationen Orte des Wissens und der Narration, Orte der sinnlichen Erfahrung, Orte des Erinnerns. Für die dem Projekt zugrunde liegenden Fragestellungen ist daher eine Reihe von theoretischen und empirischen Studien von Bedeutung, die sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher akademischer Perspektiven eher allgemein mit museumstypischen Präsentationen und korrespondierenden Themen beschäftigen. Einige zentrale Überlegungen sollen eingangs kurz zusammengefasst werden.

1

Vgl. Gottfried Korff, »Speicher und/oder Generator. Zum Verhältnis von Deponieren und Exponieren im Museum«, in: Ders., Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, hg. v. Martina Eberpächer u.a., Wien u.a., Böhlau 2002, 167-178, hier: 172.

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Musik ausstellen

1.1.1

Orte des Wissens und der Narration

Museen als Orte des Wissens präsentieren Objekte, die Informationen vermitteln (z.B. über ihren Zustand, ihr Material, ihre Funktionsweisen)2 oder Sachverhalte indizieren, zu denen sie eine wie auch immer geartete Verbindung haben. Sie tun das für sich genommen und im Verbund mit anderen Ausstellungselementen. Dabei lassen sich zwei grundlegende Expositionstypen unterscheiden, die Barbara Kirshenblatt-Gimblett als Präsentationen »in context« und »in situ« bezeichnet. Bei einer Ausstellung »in context« werden Beziehungen von Objekten zu anderen Objekten und zu Beschriftungen, Illustrationen etc. hergestellt. Ausstellungen »in situ« sind durch »mimetische Rekreationen von Szenerien« gekennzeichnet.3 Jana Scholze spricht in diesem Zusammenhang von »Inszenierungen« bzw. »szenischen Arrangements« oder »naturalistischen Rekonstruktionen«.4 Bei Inszenierungen, schreibt sie, verlieren »die Museumsobjekte weitgehend ihre individuelle Position« und sind ersetzbar.5 Weiterhin verweist sie auf das »scheinhaft Reale«6 , das mit szenischen Arrangements im Museum einhergeht und auf die Gefahr, »Falsifikate zu erzeugen«: »Denn solche naturalistischen Rekonstruktionen setzen optisch Fakten, die keine reale Entsprechung, aber den Anschein des Authentischen suchen.«7 Museale Erzählungen sind durch das räumliche Moment gekennzeichnet. Sie lassen sich häufig im linguistischen Sinne – im Gegensatz zu schriftlichen Texten oder Filmen mit ihren linearen Strukturen – als nichtlinear gestaltete Texte beschreiben, »ohne festen Anfang und ohne festes Ende, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Zeichentypen«8 . Das hat erhebliche Konsequenzen für die Erschließung, da mit ihr individuelle 2

3 4 5 6 7 8

Vgl. Gudrun M. König, »Dinge zeigen«, in: Alltagsdinge. Erkundungen der materiellen Kultur, hg. v. Gudrun M. König, Tübingen, Tübinger Vereinigung für Volkskunde 2005, 928, hier: 18. Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Destination Culture. Tourism, Museums and Heritage, Berkeley und Los Angeles, University of California Press 1998, 3, siehe auch 19 –23. Jana Scholze, Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld, transcript 2004, 150, 194 und 197. Ebd., 194. Ebd., 196. Ebd., 197. Michaela Schirnhofer, Textdesign von nicht-linearen Texten in der massenmedialen Kommunikation. Vorläufer, Erscheinungsformen und Wirkungen – Textfunktion zwischen Information und Appellation, Frankfurt a.M. u.a., Peter Lang 2010, 19.

1. Einleitung

Akte der Rezipient*innen einhergehen. Um das zu verdeutlichen, verwendet Heike Buschmann die erzähltheoretischen Begriffe »Event«, »Story«, »Plot«, die der Schriftsteller und Essayist E. M. Forster in die Literaturwissenschaft eingeführt hat.9 Eine Story ergibt sich ihm zufolge durch die Aneinanderreihung von Events, während es beim Plot um Ursächlichkeit geht. Forster illustriert das mit einem viel zitierten Beispiel: »Der König starb und dann starb die Königin« ist eine Story, »der König starb und dann starb die Königin aus Kummer« ist ein Plot.10 Während sich »Events« im Museum durch Objekte oder Objektarrangements und »Stories« durch die Reihenfolge der Betrachtung ergeben, müssen »Plots« laut Buschmann zumeist durch Schlussfolgerungen von den »Leser*innen« selbst gebildet werden11 . Gottfried Korff spricht in diesem Zusammenhang von »Choques« oder »Aha-Effekten« durch die »Anordnung der Dinge im Raum«.12 Diese Entschlüsselungsakte korrespondieren mit raumsoziologischen Erwägungen, denen zufolge bei der Konstitution von Räumen zwei Prozesse wirksam sind, erstens, »das Errichten, Bauen und Positionieren« und zweitens, eine »Syntheseleistung« über »Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse«.13 Museale Erzählungen wären demzufolge offen und mehrdeutig, in Abhängigkeit von Rezeptionsweisen. Allerdings kann die individuelle Erschließung durch Ausstellungskonzepte eingeschränkt werden, bei denen Führungen eine wichtige Rolle spielen. Auch das Ausstellungsdesign kann auf Rezeptionsweisen einwirken. Richtungswege sind mehr oder weniger eindeutig vorgegeben, sodass sich eine mehr oder weniger dominante Erzählstruktur ergibt.14 Weiterhin können Plots durch linear strukturierte Informationen auf Schrifttafeln und Objektbeschriftungen sowie in Filmen oder im Audioguide eindeutig vermittelt werden. Hier wird deutlich, dass den verschiedenen Elementen einer musealen Präsentation unterschiedliche Funktionen zukommen können. Vor dem Hintergrund benennt Heike

9

10 11 12 13 14

Heike Buschmann, »Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse«, in: Museumsanalyse – Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, hg. v. Joachim Baur, Bielefeld, transcript 2010, 149-169, hier: 154-156. Edward Morgan Forster, Ansichten des Romans, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1962, zitiert in Buschmann 2010, 155. Buschmann 2010, 154-155. Korff 2002, 172. Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt a.M., Suhrkamp 2001, 158-161. Buschmann 2010, 163.

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Musik ausstellen

Buschmann – in Anlehnung an Gérard Genettes Modell der Transtextualität15 – verschiedene Textarten, die im Ausstellungsbereich zueinanderfinden und unterscheidet zwischen Haupttexten, Metatexten, Hypertexten und Paratexten. Haupttexte sind demnach die Exponate (für sich genommen oder in bestimmten Konstellationen), Metatexte stehen dazu in unmittelbarer Verbindung, z.B. Beschriftungen, die die Exponate erklären. Hypertexte entstehen durch Transformation anderer Texte und geben Inhalte in einer anderen Form wieder; laut Buschmann können Audioguides oder Ausstellungskataloge als Hypertexte fungieren. Paratexte stehen nicht mit den Exponaten in Verbindung; sie sind in ihrer Nähe angesiedelt u.a. um »die Rezeptionsaktivität in bestimmte Bahnen zu lenken«. Buschmann nennt als Beispiele Hinweisschilder, Nummerierungen und Überschriften.16

1.1.2

Orte der sinnlichen Erfahrung

Museale Präsentationen können Sinnlichkeit erwirken, indem Ausstellungselemente für sich genommen oder in Konstellationen eine spezifische Aura vermitteln. Gernot Böhme folgend, soll Aura hier als ein Erfahren von Atmosphären »in affektiver Betroffenheit« verstanden werden.17 Das entspricht nur bedingt der Verwendung des Begriffes bei Walter Benjamin. Für Benjamin ergibt sich die Aura eines Objektes aufgrund seiner Einzigartigkeit.18 Stefan Burmeister spricht in diesem Zusammenhang von einem »materialistisch konzipierte[n] Aura-Konzept«. Den Gegebenheiten eines Museumskontextes, schreibt er, kann dieses Konzept nicht gerecht werden, weil eine auratische Erfahrung im Museum »nicht auf die Wesensheit eines Gegenstandes zurückgeht«, sondern erst bei den Rezipient*innen hervorgerufen wird. Gleichwohl räumt Burmeister ein, dass hier neben der »emotionale[n] Disposition des Betrachters« auch »äußere Wahrnehmungsbedingungen« eine

15 16 17

18

Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1993. Buschmann 2010, 166-168. Gernot Böhme, Anmutungen – Über das Atmosphärische, Ostfildern, edition tertium 1998, 8. Vgl. auch: Ders., Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München, Wilhelm Fink Verlag 2001, 59-60. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1963, 19.

1. Einleitung

Rolle spielen.19 Emotionale Wirkung ist häufig intendiert,20 Ausstellungskonstellationen zielen auf affektive Betroffenheit, die sich in einem Akt der Entschlüsselung ergibt. Wie bei der Themenvermittlung musealer Narrative lässt sich daher auch das auratische Moment – unabhängig von den tatsächlichen Erfahrungen der Rezipient*innen – ein Stück weit museumsanalytisch herleiten und beschreiben. Dabei ist das Verhältnis zwischen auratischen Erfahrungen und musealen Narrativen variabel. Der Plot des Narrativs selbst kann affektive Betroffenheit auslösen. Ebenso kann die Gestaltung bzw. Präsentationsästhetik (z.B. mit Licht, Klängen und graphischen Elementen) Sinnlichkeit erwirken und Sensibilisierungen fördern, wodurch Rezeptionsweisen gelenkt werden.21 Bei Musikausstellungen spielt klingende Musik eine bestimmende Rolle, die Besucher*innen womöglich, wie Anne Moore schreibt, in eine »rezeptive Verfassung« versetzt22 .

1.1.3

Orte des Erinnerns

Das Verständnis von Museen als Archive und Präsentationsorte der Erinnerungskultur korrespondiert mit dem Konzept des kulturellen Gedächtnisses, wie es von Aleida und Jan Assmann entwickelt wurde. Jan Assmann zufolge ist das kulturelle Gedächtnis eine Form des kollektiven Gedächtnisses »in dem Sinne, dass es sich verschiedene Menschen teilen und den Menschen eine kollektive und damit kulturelle Identität übermittelt«.23 Es geht also um Identitätsbildung einer Gruppe von Menschen – z.B. den Bewohner*innen einer Stadt oder einer Region – mittels Erinnerung. Hierfür bedarf es bestimmter Institutionen, in denen die Erinnerungen »gespeichert« werden. Aleida Assmann benennt als Beispiele Denkmäler, Gedenkstätten, Archive und eben Museen.24 Als Medien der Erinnerungskultur bieten Museen laut Katrin Pie19 20 21 22 23

24

Stefan Burmeister, »Der schöne Schein. Aura und Authentizität im Museum«, in: IBAES XV, 2014, 99-108, hier: 102. Vgl. Scholze 2004, 249. Vgl. ebd., 258. Vgl. Anne Moore, Morpeth Chantry Bagpipe Museum: A Specialist Collection for NonSpecialists, in: Museum International 189/1, 1996, 31-35, hier: 33f. Jan Assmann, »Communicative and Cultural Memory«, in: A Companion to Cultural Memory Studies, hg. v. Astrid Erl und Ansgar Nünning, Berlin und New York, de Gruyter 2010, 109-118, hier: 110. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München, Beck 2003 (1999), 15.

13

14

Musik ausstellen

per »Blicke auf die aktuellen oder vergangenen Selbstbilder gesellschaftlicher Gruppen, sei es in Form einer Selbstreflexivität, eines Wunschbildes oder einer Wertsetzung«.25 Damit wenden sich Kurator*innen womöglich sowohl an die Gruppe selbst, als auch an Außenstehende, denen etwas über die Gruppe mitgeteilt wird – nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, indem die eigene Region, die eigene Stadt z.B. als touristisch attraktiv dargestellt wird. Das kann Beschönigungen und andere Manipulationen mit sich bringen, die die Gruppe in einem positiven Licht erscheinen lassen. Museen als Gedächtnisorte können politisch befrachtet sein. Entsprechend unterstreicht Aleida Assmann, dass die Einrichtung des kulturellen Gedächtnisses »die Gefahr der Verzerrung, der Reduktion, der Instrumentalisierung von Erinnerung mit sich bringt«.26 Dabei ist zu bedenken, dass Kulturerscheinungen, sofern sie dem kulturellen Gedächtnis zuarbeiten, eine Umwertung erfahren. Sie werden instrumentalisiert, indem sie Identitäten stärken sollen. Reduktion wiederum scheint sich folgerichtig aus der Umwertung zu ergeben, da man bestimmte Kulturerscheinungen als geeignet, andere als ungeeignet erachtet. Weiterhin wäre zu fragen, ob so eine Reduktion nicht die Vorstellungen von einer Kultur verzerrt, sodass die Einflussnahmen, die von Assmann als Gefahren erachtet werden, in Wirklichkeit dem kulturellen Gedächtnis generell anhaften.27 Wenn es um die Vermittlung von Gruppenzugehörigkeit geht, zielen museale Narrative auch auf persönliche Emotionen. Daher spielt in diesem Kontext wiederum das auratische Moment eine wichtige Rolle, in dem Objekte z.B. als beeindruckend empfunden und mit Stolz der eigenen Gruppe zugeordnet werden. Es können aber auch Narrative von Bedeutung sein, die der Gruppe mit einem eher kritischen Blick begegnen. Die Historikerin Heidemarie Uhl hat darauf verwiesen, dass die Grundlegung eines kulturellen Gedächtnisses als »Seismograph für die moralisch-ethische Verfasstheit ei-

25

26 27

Katrin Pieper, »Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur«, in: Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, hg. v. Joachim Baur, Bielefeld, transcript 2010, 187-212, hier: 203. Assmann 2003, 15. In der englischen Fassung der Arbeit von Aleida Assmann ist der Begriff »Instrumentalisierung« durch »manipulation« ersetzt. Vgl. Aleida Assmann, Cultural Memory and Western Civilization: Functions, Media, Archives, Cambrigde, Cambridge University Press 2012, 6.

1. Einleitung

ner Gesellschaft« von Bedeutung ist.28 Vor diesem Hintergrund rücken nicht zuletzt museale Präsentationen (und die dazugehörigen Sammlungen) selbst unter ethischen Gesichtspunkten in den Blick.

1.1.4

Vermittlung und Rezeption

Hinsichtlich der Perspektive des Publikums ist von zentraler Bedeutung, dass sowohl Syntheseleistungen zur Entschlüsselung von musealen Plots als auch die Wahrnehmung sinnlicher Eindrücke in Ausstellungen individuelle Akte darstellen. Präsentationsinhalte erschließen sich vielfach aufgrund von Bildung, Interessen und Rezeptionsweisen. Museumsbesucher*innen haben unterschiedliches Vorwissen und zeichnen sich durch heterogene Formen der Aneignung aus29 und die Zusammensetzung des Publikums ist nicht vorhersagbar. Dennoch spielen Zielgruppen bei der Konzeption von Ausstellungen eine Rolle. Daniel Tyradellis schreibt in diesem Kontext, dass der »ideale Besucher« zumeist in seiner Person den Kuratierenden ähnlich sei. Von kuratorischer Seite erkläre man daher eine bestimmte Art von Wissen zur Norm.30 Entsprechend vermerkt der Museologe Heiner Treinen, dass in Museen vor allem die »Vorstellungen und kulturellen Werte« von »Experten« vermittelt würden.31 Vor diesen Hintergründen gibt es eine rege Diskussion hinsichtlich der Frage, inwieweit Museen überhaupt als Bildungsinstitutionen gelten können. Heiner Treinen vergleicht den Museumsbesuch mit der Rezeption von Massenmedien, die in erster Linie am Unterhaltungswert ausgerichtet seien und deren »Ergebnisse und Sendungen« man an sich vorüberziehen lässt (während man im Museum an ihnen vorüberzieht) »bis Anregungen erfolgen, die durch eigenes Vorwissen und über erworbene Verarbeitungsmodi induziert werden«.32 Diese Überlegungen korrespondieren mit empirischen

28 29

30 31 32

Heidemarie Uhl, »Warum Gesellschaften sich erinnern«, in: Forum politische Bildung, Informationen zur politischen Bildung 32, 2010, 5-14, hier: 10. Vgl. Charles F. Gunther, »Museum-goers: life-styles and learning characteristics«, in: The Educational Role of the Museum, hg. v. Eilean Hooper-Greenhill, London und New York, Routledge 2001 (1994), 118-130, hier 21. Daniel Tyradellis, Müde Museen. Oder: Wie Ausstellungen unser Denken verändern könnten, Hamburg, Edition Körber-Stiftung 2014, 102 und 104. Heiner Treinen, »Ist Geschichte im Museum lehrbar?«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 23, 1994, 31-38, hier: 34. Ebd., 35.

15

16

Musik ausstellen

Studien an der Smithsonian Institution in Washington, denen zu Folge Museumsbesucher*innen Ausstellungen weniger als Lernorte begreifen, die bislang unbekannte Dinge vermitteln, sondern eher als Einrichtungen, in denen bereits bestehendes Vorwissen untermauert wird.33 Weiterhin zeigt sich eine Verbindung zu konstruktivistischen lerntheoretischen Denkrichtungen, mit der Vorstellung, dass Wissen nicht unabhängig besteht, sondern beim Lernen konstruiert wird und die Lernenden dabei »eigene Werte, Überzeugungen, Muster und Vorerfahrungen« einsetzen34 . Mit diesem Ansatz plädiert etwa George Hein für Ausstellungen, die bewusst so konzipiert werden, dass Besucher*innen unterschiedliche Zugänge wählen und ihre eigenen Schlüsse ziehen können.35 Auch Bettina Habsburg-Lothringen schreibt, dass Museen kein Faktenwissen vermitteln. Ihr zufolge handelt es sich um eine Bildungsinstitution, in der es um »die Schulung einer differenzierten Wahrnehmung, die Entwicklung von Kritikfähigkeit oder die Artikulation eigener Einschätzungen« geht.36 Aus den hier geschilderten Erwägungen lässt sich schließen, dass mit musealen Präsentationen keine eindeutigen Lernziele verbunden sein sollten. Dabei ist zu bedenken, dass gerade die Art und Weise, wie im Museumskontext häufig erzählt wird, der nachhaltigen Wissensvermittlung zuarbeitet. Die oben skizzierte Eigeninitiative, die häufig nötig ist, um Bedeutungen zu erschließen, trägt dazu bei, dass sich intensive Eindrücke ergeben und Erkenntnisse so eine besondere Wirkungskraft entfalten können. Die Besucher*innen legen bestimmte Wege zurück, betrachten bestimmte Dinge und ziehen Schlussfolgerungen durch Vergleiche. Sie folgen damit didaktischen Konzepten, denen zufolge Wissen sich nicht oder nur mit Abstrichen durch Addieren von Fakten aufnehmen lässt, sondern vielmehr durch entdeckendes Lernen, wobei es durchaus um konkrete Lernziele gehen kann.37 Für 33 34

35

36

37

Zahava D. Doering, »Strangers, Guests, or Clients: Visitor Experiences in Museums«, in: Curator: The Museum Journal 42/2, 1999, 74-87, hier: 80. Stefan Neubert, Kersten Reich und Reinhard Voss, »Lernen als konstruktiver Prozess«, in: Wie kommt Wissenschaft zu Wissen?, hg. v. Theo Hug, Baltmannsweiler, Schneider Verlag Hohengehren 2001, 253-265, hier: 256. George Hein, »The Constructivist Museum«, in: The Educational Role of the Museum, hg. v. Eilean Hooper-Greenhill, London und New York, Routledge 2001 (1994), 73-79, hier: 7677. Bettina Habsburg-Lothringen, »Das Unsichtbare zeigen. Zur Vermittelbarkeit von Tondokumenten in Ausstellungen«, in: Musikausstellungen – Intention, Realisierung, Interpretation. Ein interdisziplinäres Symposium, hg. v. Andreas Meyer, Hildesheim u.a., Georg Olms Verlag 2018, 23-32, hier: 26 –27. Hein 1999, 75.

1. Einleitung

den Museumskontext verbindet sich mit der Idee des entdeckenden Lernens die Forderung nach Ausstellungen mit funktionalen, handhabbaren Objekten und interaktiven Stationen, bei denen die Besucher*innen explizit zum Handeln aufgefordert sind38 . Auch in-situ-Präsentationen, die häufig in der Absicht installiert werden, »räumliche Vorstellungen historischer Kontexte zu bieten«39 , sind hier von Bedeutung. Denn der Raum, durch den man geht oder in dem man sich befindet, ist dabei gegebenenfalls selbst Teil des Narrativs. Weiterhin ist zu beachten, dass es sich bei Museen um informale Bildungseinrichtungen handelt, um Orte der »Freizeiterfahrung«40 . Daher spielt immer auch Unterhaltung als motivationaler Faktor eine Rolle. Vor diesem Hintergrund ist das Handlungsmoment ebenfalls von Bedeutung. In einer Studie, in deren Rahmen Interviews mit Besucher*innen des Musée de la musique in Paris und des Musikinstrumentenmuseums in Leipzig geführt wurden, benennt Judith Dehail den oftmals fehlenden haptischen Bezug zu Musikinstrumenten als einen Hauptkritikpunkt von Seiten des Publikums. Sie sieht daher bei Musikausstellungen eine für museale Präsentationen typische »Hierarchie der Sinne« in Frage gestellt, bei der es an erster Stelle um visuelle Vermittlung geht: In the musical instrument museum, however, this supremacy of the visual perception is clearly challenged by the visitors. […] Besides the will to reinstate touch as legitimate, this contesting of the hierarchy of the senses established by the museum also stems from the nature of music itself.41

38

39 40 41

Vgl. Andrea Witcomb, »Interactivity: Thinking Beyond«, in: A Companion to Museum Studies, hg. v. Sharon Macdonald, Oxford, Blackwell Publishing 2006, 353-361, hier: 354 und 357. Scholze 2004, 205. John Howard Falk und Lynn Dianne Dierking, The Museum Experience, Washington D.C., Whalesback Books 1992, 11. Judith Dehail, »Musealising change or changing the museum: the case of the musical instrument museum from the visitorsʼ perspective«, in: Museological Review 18, 2014, 53-60, hier: 56.

17

18

Musik ausstellen

1.2 1.2.1

Fragestellungen Museale Narrative – Ausstellungselemente im Zusammenspiel

Obwohl das narrative und das emotionale Moment sich bedingen, sind mit beiden jeweils besondere Fragestellungen verbunden. Hinsichtlich musealer Narrative geht es zunächst um behandelte Themen als solche; es soll aufgezeigt werden, ob z.B. historisch, geographisch oder typologisch vorgegangen wird und inwieweit dabei die jeweilige Ausrichtung der Präsentation von Bedeutung ist. Präsentationen von außereuropäischer Musik, Ausstellungen europäischer Musikinstrumente, Popmusikausstellungen und Musiker*innenMuseen folgen hier möglicherweise jeweils spezifischen Ansätzen. Weiterhin gilt das Augenmerk dem Arrangement von dreidimensionalen Exponaten, Abbildungen, Audiofiles, Videobeispielen, Schrifttafeln und Objektbeschriftungen. Wir fragen, inwieweit Artefakte »in context« und »in situ« präsentiert werden und welche Besonderheiten und Intentionen sich vor allem mit in-situ-Konstellationen verbinden. Ferner geht es um erzähltheoretische Aspekte, um das Zusammenspiel verschiedener Textarten sowie um Ausstellungselemente, die sich möglicherweise als gleichberechtigte Teile von Haupttexten lesen lassen und die Inhalte der musealen Narrative gleichermaßen mitbestimmen. Dabei spielt insbesondere die Funktion von linear strukturierten Texten (z.B. Abfassungen auf Schrifttafeln oder gesprochene Audioguide-Beiträge) eine Rolle. Nicht zuletzt richtet sich der Blick in diesem Kontext auf die Bedeutung von klingender Musik.

1.2.2

Emotion und Gedächtnis

Hinsichtlich emotionaler Wirkungen ist die Aura, die Objekten und Objektkonstellationen womöglich zugesprochen werden kann, von Bedeutung – oder auch die Aura des Gebäudes, indem sich die Ausstellung befindet (z.B. das Geburtshaus eines berühmten Komponisten oder einer Komponistin). Zudem geht es um eventuelle sinnliche Gefühle, die sich aufgrund von Plots musealer Erzählungen ergeben. Auch die Präsentationsweise spielt eine wichtige Rolle, und es ist zu fragen, inwieweit etwa der Umgang mit Klängen oder auch das Umfeld, in dem Ausstellungselemente platziert sind, das auratische Moment unterstützen. Wie oben angesprochen, besteht eine Verbindung zwischen auratischen Wirkungen und Formen der Erinnerung. Daher werden Musikausstellungen

1. Einleitung

anknüpfend als Orte des kulturellen Gedächtnisses untersucht. Der Blick richtet sich auf mögliche Herausstellungen von Besitztum und Errungenschaften sozialer Gruppen, vor allem in regionalen und lokalen Kontexten, sowie die dahinter stehenden Intentionen. Da mit dem kulturellen Gedächtnis, wie vermerkt, auch ethische Aspekte einhergehen, ist weiterhin zu fragen, ob man mittels musealer Narrative kritisch mit der eigenen Geschichte (der Geschichte der angesprochenen sozialen Gruppe) umgeht. Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit die jeweiligen Sammlungen selbst, ihr Zustandekommen und die Provenienz der Objekte im Ausstellungsbereich eine Rolle spielen.

1.2.3

Vermittlung und Rezeption

Hinsichtlich didaktischer Erwägungen fragen wir, inwieweit museale Narrative z.B. durch Informationstafeln bzw. Audioguide-Beiträge vorgegeben sind oder als Geschichten im Raum offen und mehrdeutig gestaltet werden. Zudem richtet sich der Blick auf Angebote für die Besucher*innen, selbst tätig zu werden, mit der möglichen Intention, den Unterhaltungswert zu steigern bzw. entdeckendes Lernen zu fördern. Weiterhin widmen wir uns explizit den Besucher*innen und ihren Rezeptionsweisen. Das Stichwort »Heterogenität« ist schon gefallen und es stellt sich hier zunächst die Frage nach Zielgruppen von Ausstellungen und tatsächlicher Zusammensetzung des Publikums. Vor dem Hintergrund persönlichen Interesses, Erfahrungen und Vorwissen der Rezipient*innen fragen wir weiterhin, wie Ausstellungen erschlossen werden, welche Schlussfolgerungen sich konkret ergeben, inwieweit diese mit Intentionen der Kurator*innen übereinstimmen. In diesem Kontext spielen auch Beurteilungen von Ausstellungen und damit Erwartungen an Präsentationsweisen eine Rolle. Weiterhin ist der Museumbesuch als gemeinschaftliches Erlebnis von Bedeutung. Dabei geht es um Kommunikationsprozesse, insbesondere um die gemeinsame Erschließung musealer Narrative im Gespräch. Hierbei stellt sich nicht zuletzt die Frage, inwieweit kuratorische Konzepte das gemeinschaftliche Erleben fördern oder möglicherweise beeinträchtigen.

19

20

Musik ausstellen

1.3

Methoden und Vorgehen

Bei unseren Museumsanalysen beziehen wir uns vornehmlich auf den von Heike Buschmann vorgeschlagenen erzähltheoretischen Ansatz, der innerhalb von Vorstudien in überwiegend kleineren Musikausstellungen erprobt wurde. Der operative Gebrauch der Begriffe »Event«, »Story« und »Plot« erwies sich als förderlich. Auch machte es Sinn, verschiedene Formen der Textualität zu beachten. Die Einteilung von Buschmann (in Haupttexte, Paratexte, Metatexte, Hypertexte) erschien uns jedoch als zu wenig passgenau. Wie oben beschrieben, verwendet Buschmann den Terminus »Hypertext« für Bedeutungsgefüge, die Museumsinhalte in einer veränderten Form wiedergeben und benennt Museumskataloge und Audioguides als mögliche Beispiele. Unseren Erfahrungen zufolge sind diese Medien zumeist Teile der Narrative; sie geben nicht nur wieder, sondern ergänzen die musealen Inhalte vielfach mit weiteren Informationen. Auch Überschriften, die laut Buschmann als Paratexte fungieren können (also der Orientierung dienen), haben nach unserem Ermessen immer auch die Aufgabe, museale Narrative mit zu erzählen. Wir folgen einer abgeänderten Einteilung und unterscheiden stattdessen • • • •

Haupttexte (Ausstellungselemente und ihre Anordnung als zentrale Bausteine musealer Erzählungen) Kommentierende Texte (Texte, die die Elemente der Haupttexte erklären bzw. spezifizieren, z.B. durch Objektschilder oder Illustrationen) Orientierungstexte (z.B. Pfeile und Nummerierungen) Abgeleitete Texte (Texte, für deren Präsentation die Haupttexte den Anlass geben, ohne dass sie diese direkt kommentieren, z.B. die Beschreibung einer Region, aus der ein ausgestelltes Objekt kommt).

Die verschiedenen Textarten lassen sich, wie auch Heike Buschmann anmerkt42 , im Museum häufig nicht eindeutig voneinander trennen. Dennoch ist das Modell hilfreich, wenn es darum geht, das Verhältnis von Präsentationsmaterialien innerhalb einer Ausstellungskonstellation von Fall zu Fall zu erörtern. Kuratorische Intentionen dokumentieren wir mit strukturierten Interviews (wobei einige der wiedergegebenen Aussagen im vorliegenden Band

42

Buschmann 2010, 167.

1. Einleitung

anonymisiert wurden). Weitere für uns relevante Informationen zu Präsentationskonzepten finden sich auf Websites der Museen sowie in Katalogen, Broschüren und Aufsätzen. Hinsichtlich der Publikumsperspektive orientieren wir uns an den Studien der Museumswissenschaftlerin Eilean HooperGreenhill und verstehen Besucher*innen als individuelle Akteur*innen.43 Wir bedienen uns ethnographischer Methoden und untersuchen, was für die Besucher*innen im Einzelnen wichtig ist, was ihr Rezeptionshandeln motiviert und wie ihr Handeln konkret aussieht. In der ethnologischen Methodendiskussion verbinden sich Vorgehensweisen dieser Art häufig mit der Forderung nach intensiver, langwährender Feldforschung. Der deutsche Ethnologe Gerd Spittler etwa spricht in Anlehnung an Clifford Geertzs Begriff »dichte Beschreibung« von »dichter Teilnahme«, die soziale Nähe und gemeinsames Erleben erfordere.44 Soziale Nähe zu den Besucher*innen von Museen lässt sich allerdings wegen der Kürze der Kontakte meistens nicht aufbauen. Im Sinne ethnographischer Interviews standen für uns daher individuelle Gespräche im Vordergrund, bei denen wir uns selbst weitgehend zurückgenommen haben, um eher allgemeine Fragen zu stellen und die Erzählfreude anzuregen sowie gegebenenfalls auf die erzählten Sachverhalte spontan zu reagieren. Die Interviews verbanden sich mit Beobachtungen konkreter Verhaltens- und Kommunikationsweisen. Um zu gewährleisten, dass musikalische Ausstellungen in ihrer Vielfalt erfasst werden, waren die Untersuchungen international angelegt. Untersucht wurden 17 Museen in acht europäischen Ländern, von denen 14 Häuser in der vorliegenden Studie Berücksichtigung finden. Die Auswahl erfolgte nach unterschiedlichen Kriterien. Zunächst galt es, verschiedene Ausrichtungen einzubeziehen: • • •

43 44

Ausstellungen zu Persönlichkeiten der europäischen Musikgeschichte Ausstellungen, die sich primär den europäischen Musikinstrumenten und der europäischen Kunstmusik widmen Präsentationen nicht-westlicher Musik und Musikinstrumente

Eilean Hooper-Greenhill, »Studying Visitors«, in: A Companion to Museum Studies, hg. v. Sharon Macdonald, Oxford, Blackwell Publishing 2006, 362-376, hier: 362. Gerd Spittler, »Teilnehmende Beobachtung als Dichte Teilnahme«, in: Zeitschrift für Ethnologie 126/1, 2001, 1-25, hier: 19. Vgl. Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a.M., Suhrkamp 1987.

21

22

Musik ausstellen

• •

Ausstellungen zum Thema »Populäre Musik« Ausstellungen zu spezifischen musikalischen Themen.

Eine Reihe der berücksichtigten Häuser widmet sich mehreren dieser inhaltlichen Ausrichtungen. Bei der Auswahl spielte zudem eine Rolle, dass in einigen Museen verschiedene kuratorische Konzepte nebeneinander stehen, sodass unterschiedliche Intentionen deutlich werden. Die Untersuchungen vor Ort wurden zwischen 2015 und 2019 durchgeführt und erfolgten arbeitsteilig. Die Mitarbeiter*innen des Projekts haben jeweils für sich eine Reihe von Museen besucht45 (auch wenn in den Ausführungen aus sprachlichen Gründen bisweilen von »wir« und »uns« die Rede ist). Berücksichtigt wurden Dauer- und Wechselausstellungen. Museumsführungen und Workshops mit ihrer eigenen Form der Wissensvermittlung wurden nur am Rande beachtet. Im Mittelpunkt standen Präsentationen und Präsentationskonzepte, die man individuell oder in privaten Gruppen erschließen kann. Für jedes Haus bzw. für jede Ausstellung wurde eine dreiteilige Dokumentation erstellt, die sich wie folgt gliedert: 1. Museumsanalyse

-Textarten (Erzählweisen) -Einbindung von klingender Musik und interaktiven Angeboten -Interpretation 2. Konzepte

-Transkriptionen von Interviews mit Kurator*innen und anderen Verantwortlichen -Rezeption -Beobachtungen -Transkription von ethnographischen Interviews. 45

María del Mar Alonso Amat: Mozarthaus Vienna (Wien), Musikinstrumentenmuseum (Leipzig), Handel House Museum (London), Beethoven-Haus (Bonn), Händel-Haus (Halle). Elisabeth Magesacher: Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin, mim (Brüssel), Tropenmuseum (Amsterdam), Münchner Stadtmuseum, Cité de la musique – Philharmonie de Paris, Musikmuseum (Basel). Andreas Meyer: RAGNAROCK (Roskilde), rock’nʼpopmuseum (Gronau), Ruhr Museum (Essen) sowie nachbereitende Studien im Mozarthaus Vienna, Musikinstrumentenmuseum (Leipzig), Beethoven-Haus (Bonn), mim (Brüssel), Cité de la musique – Philharmonie de Paris, Münchner Stadtmuseum.

1. Einleitung

Diese Dokumentationen bieten die Grundlage für die vorliegenden Abhandlungen. Wir stellen zunächst ausführlich vier Fallbeispiele vor. Es folgen vergleichende Studien mit Kurzbeschreibungen von zehn weiteren Museen bzw. Ausstellungen. Bei den Fallbeispielen werden anfänglich museumsanalytische Daten und damit unsere eigenen Erschließungen vorgestellt. Daraufhin geht es dort um die Perspektiven der Kurator*innen und Rezipient*innen. Damit dokumentieren die Fallbeispiele nicht zuletzt unsere Vorgehensweisen während der Feldforschungen. Bei den vergleichenden Studien folgen wir einer kleinteiligeren Gliederung in Anlehnung an die oben formulierten Fragestellungen. Dabei werden auch die Erkenntnisse der Fallbeispiele nochmals in zusammengefasster Form mitberücksichtigt. Es sind bereits zwei Aufsätze zum Projekt erschienen.46 In der vorliegenden Publikation werden daraus einige Passagen übernommen und einige in sprachlich modifizierter Form wiedergegeben. Wenngleich mehrere Ausstellungen mittlerweile geschlossen oder umgebaut wurden, bevorzugen wir bei unseren Museumsanalysen die Gegenwartsform. Eine Ausnahme ergeben ältere Präsentationen, die man im Lauf unserer Untersuchungen umgebaut bzw. ersetzt hat und die wir neueren Ausstellungen bzw. Ausstellungsteilen gegenüberstellen.

46

María del Mar Alonso Amat, Andreas Meyer, »Musikausstellungen: Museumsanalytische und ethnographische Untersuchungen«, in: Beitragsarchiv zur Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung Halle/Saale 2015, hg. v. Wolfgang Auhagen und Wolfgang Hirschmann, Mainz, Schott Campus 2016, https://schott-campus.com/gfm-jahrestagu ng-2015 (zuletzt abgerufen am 23.03.2020). María del Mar Alonso Amat, Elisabeth Magesacher, Andreas Meyer, »Lesarten und Konzepte: Untersuchungen zur musealen Erzählung in Musikausstellungen«, in: Musikausstellungen. Intention, Realisierung, Interpretation. Ein interdisziplinäres Symposium, hg. v. Andreas Meyer, Hildesheim u.a., Georg Olms Verlag 2018, 33-54.

23

2. Fallstudien

2.1

Mozarthaus Vienna

Das Museum Mozarthaus Vienna ist in einem Gebäude untergebracht, in dem Wolfgang Amadeus Mozart mit seiner Familie zwischen 1784 und 1787 lebte. Es liegt im ersten Wiener Gemeindebezirk wenige Meter vom Stephansdom entfernt. Die Mozartwohnung im ersten Stock beherbergt seit den 1940er Jahren eine vom Wien Museum verantwortete Ausstellung. Allerdings gelang es erst 1976, die Wohnung vollständig anzumieten und sie in ihrer ehemaligen Aufteilung wiederherzustellen.1 Während der Vorbereitungen für die Feierlichkeiten anlässlich Mozarts 250. Geburtstags konnten weitere Stockwerke angemietet werden. Die Wien Holding, ein Unternehmen der Stadt, dem u.a. Museen, Theater und Veranstaltungshallen gehören, gründete im Auftrag der Stadt Wien zusammen mit der Raiffeisen Holding Wien-Niederösterreich und dem Wien Museum die »Mozarthaus Vienna Errichtungs- und Betriebs GmbH«, die für die Sanierung des Gebäudes sorgte und das Haus jetzt privatwirtschaftlich betreibt.2 Während die kuratorische Betreuung der Mozartwohnung weiterhin in der Verantwortung des Wien Museums lag, vertraute man die Konzeption der hinzugewonnenen Stockwerke einer externen Arbeitsgruppe an. Die Eröffnung des neuen Museums erfolgte 2006. Es werden keine Bestände aus Mozarts Nachlass präsentiert, sondern vor allem Faksimiles, Reproduktionen von Bildern und Dokumenten sowie Objekte der Epoche.

1 2

Alfred Stalzer (Hg.), Mozarthaus Vienna (= Prestel-Museumsführer), München u.a., Prestel Verlag 2006, 9. Ebd., 11-12.

26

Musik ausstellen

2.1.1

Analyse

Die Ausstellung verteilt sich auf drei Etagen (während ein viertes Geschoss unterm Dach nicht zum Museum gehört). Im Parterre befinden sich die Kasse, die Garderobe und ein Aufenthaltsraum, im Untergeschoss ein Veranstaltungssaal. Von einem Innenhof aus gelangt man per Fahrstuhl oder Treppenhaus in die oberen Stockwerke. Der Rundgang beginnt im dritten Stock, worauf die Mitarbeiter*innen an der Kasse hinweisen. Dort wird das kulturelle Milieu in Wien, mit dem Mozart in Berührung kam, thematisiert; zudem gibt es einen Raum für Sonderausstellungen. Im zweiten Stock geht es neben biografischen Aspekten um Mozarts Musik, seine Bühnenwerke und deren Rezeption. Die Ausstellung in der Mozartwohnung widmet sich der privaten Seite des Komponisten, vor allem der Art und Weise, wie Mozart dort mit seiner Familie gewohnt hat. An der Kasse bekommen die Besucher*innen einen Audioguide für Erwachsene oder Kinder (»Kidsguide«) ausgehändigt, der in verschiedenen Sprachen zur Verfügung steht. Dabei handelt es sich um ein Gerät mit Bildschirm, Lautsprecher und Zahlenknöpfen, das man wie ein Telefon ans Ohr hält. Zur Orientierung dienen ein Museumsplan auf einem Flyer, eine Informationstafel im Innenhof, Hinweise im Fahrstuhl, sowie Pfeile und ein Orientierungsplan im Treppenhaus. Die Etagen des Museums sind im Flyer und im Orientierungsplan wie folgt betitelt: 2. Stock: »Wien zur Zeit Mozarts« 3. Stock: »Mozarts musikalische Welt« 4. Stock: »Die Mozartwohnung«

Für die zweite und dritte Etage gibt es einige Gestaltungselemente, die ein einheitliches Konzept erkennen lassen. Die Artefakte werden überwiegend in Schauwänden präsentiert. Objektbeschriftungen (in Deutsch und Englisch) sind knapp gehalten und beschränken sich meistens auf die museumstypischen Angaben wie Datum oder Material/Technik. Die Themen der einzelnen Räume werden durch Schriftzüge mit Zitaten von Mozart angezeigt. An den Wänden abgebildete Nummern verweisen auf Texte des Audioguides. Wenn man sie anwählt erscheint auf dem Display der Titel des Beitrags, z.B. »Wien zur Zeit Mozarts«, »Mozart und die Freimaurer«, »Don Giovanni«. Der Audioguide für Erwachsene bietet zu den meisten Themen einen drei- bis siebenminütigen gesprochenen Textbeitrag, gelegentlich einen zweiten Beitrag über einen besonderen Aspekt des Themas. Mit den Texten verbinden sich vielfach

2. Fallstudien

Musikbeispiele, die zu den jeweiligen Themen in Beziehung stehen. Zum Teil sind sie den Texten unterlegt. Lediglich für zwei Räume, in denen Musik über Lautsprecher erklingt, gibt es keine Audioguide-Beiträge. Die Ausstellung in der Mozartwohnung weist, wie weiter unten deutlich wird, eine in hohem Maße abweichende Gestaltungsweise auf.

2.1.1.1 »Wien zur Zeit Mozarts« Die Räume der dritten Etage widmen sich Mozarts Ankunft in Wien, der Wiener Gesellschaft in der Zeit, den Freimaurern und Mozarts Lebensstil. Dabei lassen sich unterschiedliche Präsentationsweisen erkennen, was zwei Beispiele im Folgenden verdeutlichen mögen. Das Freimaurer-Thema wird über zwei Räume präsentiert. Im ersten Raum korrespondiert der Schriftzug eines Zitats von Mozart in englischer Sprache mit dem Thema: Patience & tranquillity of mind contribute more to cure our distempers as the whole art of medicine. In den Schauwänden dort finden sich • • • • • •

ein Gemälde, das laut Objektbeschriftung die »Innenansicht einer Wiener Freimaurerloge um 1785« zeigt eine Porzellanfigur »einen Freimaurer darstellend, Wien um 1775« sowie zahlreiche Faksimiles und Drucke von Schriftstücken u.a. eine Ankündigung der Loge »Zur Wohltätigkeit« über die Aufnahme Mozarts ein Präsenzprotokoll der Loge »Zur wahren Eintracht« mit den Unterschriften von Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart das Titelblatt der Kantate »Die Maurerfreude« (KV 471).

Der zweite Raum präsentiert vor allem gegenständliche Exponate: • • • •

eine Freimaurerschärpe und zwei Freimaurerschurze aus der Zeit Mozarts ein Freimaurerwinkelmaß ein Ritualbuch der Loge »Zur Liebe und Wahrheit« aus dem Jahr 1791 die »Schärpe eines Dignitärs«, ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert.

Objektbeschriftungen enthalten die Bezeichnungen der Artefakte und bieten Informationen zu Herkunft, Alter und Standort der Originale. Bisweilen gibt

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28

Musik ausstellen

es kurze zusätzliche Erklärungen. So wird etwa bei dem Präsenzprotokoll auf die »eigenhändigen Unterschriften von Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart« hingewiesen; zum Ritualbuch wird angefügt: »in Leder gebunden mit Goldprägung«. Der Text des Audioguides beginnt mit dem oben angeführten englischsprachigen Zitat und verweist darauf, dass es sich um einen Spruch handelt, den Mozart in das Stammbuch seines Sprachlehrers Johann Georg Kronauer geschrieben habe. Es folgt ein Zitat aus einer Mitteilung der Loge »Zur Wohltätigkeit«: Vorgeschlagen: Kapellmeister Mozart. Unser abgegangener Sekretär Bruder Hoffmann vergaß diesen Vorgeschlagenen bei den sehr ehrwürdigen Schwesterlogen auszuschreiben. Er ist schon vor vier Wochen bei der hochwürdigen Distrikt-Loge angesagt und wir wollten daher kommende Woche zu seiner Aufnahme schreiten, wenn die sehr ehrwürdigen Schwesterlogen nichts gegen ihn einzuwenden hätten. Ferner erfährt man, dass neben Mozart auch sein Vater Leopold der Freimaurerbewegung beitrat und dass Mozart ein besonders eifriger Bruder der Bewegung wurde. Weiterhin geht es um mehrere Kompositionen Mozarts, die den Freimaurern gewidmet sind, und es wird darauf verwiesen, dass die Zauberflöte von Ideen und Symbolen des Freimaurertums »durchwirkt« ist. Am Ende benennt der Text die »Kleine Freimaurerkantate« KV 623 als Mozarts letztes vollendetes Werk. Während des Audiobeitrags läuft im Hintergrund Musik aus der Kantate, die nach Ende des gesprochenen Textes aufgeblendet wird und für ca. 35 Sekunden weiter erklingt. Oberhalb der Schauwand im ersten Raum verweist ein Text auf die Musikstücke, die während des Audiobeitrags anklingen. Der Inhalt des Audioguides gibt einen zentralen Plot vor: Mozart war rege in der Freimaurerbewegung engagiert, was sich auch in seinem Werk niederschlägt. Die Artefakte illustrieren den Plot, wobei die Kopien von Originalschriften ein Stück weit auch Authentizität vermitteln. Durch die Betrachtung der Artefakte lassen sich weitere Plots ableiten: Die Sprache der schriftlichen Dokumente (auch des Zitats im Audioguide) sowie die dokumentierten Logenamen, verbunden mit den rituellen Kleidungsstücken, dem Winkelmaß und dem Ritualbuch stehen für das Kultische im Freimaurertum. Das Gemälde, die Porzellanfigur, die aufwendige Dekoration der Schärpen und Schurze und die Goldprägung des Ritualbuches weisen auf das großbürgerliche Moment der Bewegung.

2. Fallstudien

Ein anderer Raum widmet sich den Adelsfamilien und Gelehrten der Zeit. An einer Wand ist eine Reihe von Porträts ausgestellt (Abbildung 1). Auf den Objektbeschriftungen finden sich die Namen der Künstler und der Porträtierten, das Datum, die Technik (Kupferstich oder Öl/Leinwand) und der Standort des Originals. Weitere Informationen zu den Porträtierten sind nicht vorhanden. Der Raum steht im Zeichen zweier Zitate: und wenn ich schon kein graf bin, so habe ich vielleicht mehr Ehre im leib als mancher graf… das Herz adelt den Menschen Der Audioguide enthält einen Beitrag von ca. 5 Minuten. Man hört Abschnitte aus Mozarts Briefen, die diese Zitate enthalten. Der Sprecher erklärt, dass die Salons der Adelsfamilien wichtige Zentren des gesellschaftlichen und geistigen Lebens darstellten, in denen Mozart, so der Sprecher, »herumgereicht« wurde. Dadurch kam er nicht nur mit den fürstlichen und gräflichen Familien in Kontakt, sondern auch mit der »intellektuellen Elite« der Stadt und den Ideen der Aufklärung. Von den Porträtierten sind lediglich vier Personen erwähnt (die Gräfin Wilhelmine Thun-Hohenstein, der Gelehrte Josef von Sonnenfels, der Direktor der Hofbibliothek Baron Gottfried van Swieten und der Intendant des Hoftheaters Graf Rosini-Rosenberg). Aus dem Kontext kann man schließen, dass es sich bei den anderen porträtierten Personen ebenfalls um Angehörige der Oberschicht handelt. Weitere individuelle Schlussfolgerungen lassen sich – anders als beim Freimaurerthema – auf Grund der Betrachtung der Exponate kaum ableiten. Die Exponate sind untergeordnete Elemente der Erzählung. Sie illustrieren die im Audioguide vorgetragenen Informationen, wobei es beim Hören mühsam ist die Porträts der erwähnten Personen zu finden, da ihre Anordnung mit der Reihenfolge im Beitrag nicht übereinstimmt. Weitgehend unabhängig vom Text des Audioguides sind in den Räumen der oberen Etage einige Multimediainstallationen aufgebaut. Eine Videopräsentation mit Ansichten und einem Stadtplan Wiens im 18. Jahrhundert zeigt die verschiedenen Wohnsitze der Familie Mozart. Ein Monitor präsentiert Bilder über die Weltereignisse der damaligen Zeit. Zum Thema Sozialleben in Wien ist in Miniaturform ein Balkon mit Aussicht auf einen bekannten Platz (den Graben) installiert. Dort sieht man – per Beamer projiziert – Männer und Frauen, die sich begegnen. Auf dem Balkongeländer hängt ein Damenkorsett und in den fünf Guckkästen neben dem Balkon sind erotische Bilder des 18. Jahrhunderts zu sehen, womit laut Kurator Joachim Riedl auf die

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Musik ausstellen

Abb. 1: Mozarthaus Vienna, Porträts von Adligen und weiteren Wiener Persönlichkeiten zur Zeit Mozarts (Foto: Mozarthaus Vienna)

damalige Verbreitung von Prostitution in Wien verwiesen werden soll (vgl. Kapitel 2.1.2.1).

2.1.1.2 »Mozarts musikalische Welt« Im Vorraum der zweiten Etage wird auf einer Lichttafel zunächst ein weiteres Zitat von Mozart präsentiert: … und für mein Metier der beste Ort von der Welt. In den dahinter liegenden Räumen geht es, wie vermerkt, neben biografischen Aspekten um Mozarts Bühnenwerke. Angesprochen wird die in den Werken bedeutende Auseinandersetzung mit sozialen Themen sowie die damalige Rezeption von Figaros Hochzeit (die er in diesem Haus geschrieben hat), Zauberflöte und Don Giovanni. Weiterhin werden das Requiem und – damit korrespondierend – Mozarts Tod behandelt. Das Konzept der umfangreichen Audiobeiträge verbunden mit Zitaten sowie Exponaten in Schauwänden und knapp gehaltenen Objektbeschriftungen setzt sich fort. Darüber hinaus sind in einigen Räumen audiovisuelle Stationen mit Raumbeschallung installiert. Eine würfelförmige Video-Installation zeigt Entwürfe des Figaro-

2. Fallstudien

Kostüms mit Bildern, die sich wie in einem beweglichen Puzzle immer wieder neu zusammensetzen. 2016 wurde eine weitere Video-Installation mit dem Titel »Figaro Parallelo« eingerichtet. Synchronisiert auf mehreren Bildschirmen werden ausgewählte Szenen verschiedener Inszenierungen von Figaros Hochzeit präsentiert, wobei abwechselnd jeweils für eine Inszenierung die Musik frei im Raum erklingt. Es gibt drei zusätzliche Bildschirme. Einer in der Mitte der Installation präsentiert Figuren in historisch anmutenden Bühnenkostümen; ein weiterer zeigt an, von welcher Inszenierung gerade der Ton zu hören ist, und auf dem dritten Bildschirm werden Zitate von verschiedenen Musikwissenschaftler*innen über die Entstehung, Bedeutung und Rezeption der Oper eingeblendet. Ein Raum widmet sich der Präsentation der Zauberflöte. Eine MultimediaInstallation stellt dort eine sich stets ändernde Bühnenlandschaft aus Kulissen und Projektionen dar, die Inszenierungen und Bühnenbildern aus verschiedenen Zeiten nachempfunden ist (Abbildung 2). Insgesamt werden sechs Szenen präsentiert, mit Lichteffekten, Animationsfiguren und Videoausschnitten. Die Musik erklingt frei im Raum. Eine Tafel neben der Installation informiert mit knappen Worten über die einzelnen Szenen, z.B.: Szene 2: Die Königin der Nacht Karl Friedrich Schinkel: Bühnenbild Zauberflöte – Akt I, Szene 6, 1816 Original in: Österreichische Nationalbibliothek, Theatersammlung (Theatermuseum), Inv.Nr. GSÜ 4114/2 Szene 4: Priesterchor »O Isis und Osiris, welche Wonne!« Wurde in Anlehnung an das historische Bühnenbild von Roman Clemens (1951) entworfen Mit der Installation sind im Raum einige weitere Exponate zum Thema ausgestellt: •

• • •

das Modell eines Bühnenbildes nach einem Aquarellbild von Goethe, das er laut Objektbeschriftung anlässlich der Weimarer Erstaufführung 1794 angefertigt hat das entsprechende Aquarellbild Goethes ein Klavierauszug der Werkausgabe von 1816 die Bände einer Mozart-Gesamtausgabe (zwischen 1876 und 1907 bei Breitkopf und Härtel erschienen).

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Musik ausstellen

Abb. 2: Mozarthaus Vienna, Die Zauberflöte, Multimedia-Installation (Foto: Mozarthaus Vienna, checkpointmedia GmbH)

Einige Schilder bieten wiederum sehr knappe Objektbeschriftungen, einen abgeleiteten Text, der über Aufführungen von Mozarts Opern in Weimar während Goethes Zeit als Theaterintendant informiert sowie Ausschnitte aus Briefen Mozarts, die er von Wien aus an seine Frau sendet: »Eben komme ich von der Oper; – Sie war so voll wie allzeit. – Das Duetto Mann und Weib etc: und das Glöckchen Spiel im ersten Akt wurde wie gewöhnlich wiederholet – auch im 2. Akt das Knabenterzett – was mich aber am meisten freuet, ist der stille Beifall!« »Du kannst nicht glauben, wie charmant sich die Musik ausnimmt in einer Loge die nahe am Orchestre ist – viel besser als auf der Galerie.« Die verschiedenen Ausstellungselemente erweisen sich als eng aufeinander bezogen. Die Medieninstallation, das Modell des Bühnenbildes und das Aquarellbild sowie die Beschilderungen vermitteln Vorstellungen hinsichtlich historischer Inszenierungen und der frühen Rezeption des Werkes. Die Gesamt-

2. Fallstudien

ausgabe (präsentiert auf einem schlichten Bücherbord) und der Klavierauszug bilden einen Kontrast zur verspielt anmutenden Präsentation dieser Elemente und können als Verweise auf die handfeste kompositorische Arbeit gelesen werden. Der Klavierauszug ist als Ganzes ausgestellt, und es werden zudem einzelne Blätter daraus gezeigt u.a. mit den Noten zu Sarastros Arie »In diesen Heilgen Hallen«, die auch im Rahmen der Multimedia-Installation zu sehen ist. Ein Audiobeitrag steht für diesen Bereich nicht zur Verfügung.

2.1.1.3 »Die Mozartwohnung« Im Eingangsbereich der Mozartwohnung wird eine Reproduktion des Nachlassverzeichnisses von Mozart gezeigt sowie ein Modell der Wohnung mit Miniaturnachbildungen der im Nachlassverzeichnis aufgelisteten Einrichtungsgegenstände. Die Zuordnung zu den Räumen basiert auf Annahmen, weshalb die Räume im Modell jeweils mit Fragezeichen versehen sind. Szenen aus dem Film »Amadeus« von Miloš Forman (USA 1984) und aus einem älteren deutschösterreichischen Mozart-Film »Reich mir die Hand, mein Leben« von Karl Hartl (Österreich 1955) werden auf Bildschirmen abgespielt. Sie präsentieren verschiedene bildliche Vorstellungen der Wohnungseinrichtung, was mit der Frage »Hat Mozart so gewohnt?« eingeführt wird. In jedem Raum (außer im Vorzimmer) ist ein Objekt, wie man es im Nachlassverzeichnis findet, ausgestellt, das die vermeintliche Funktion des Raums andeutet. Dabei handelt es sich laut Überschriften der Objektschilder um Gegenstände »Aus Mozarts Zeit«. Präsentiert werden • • • • • •

eine Fruchtschale (Speisezimmer) ein Stuhl (Gästezimmer) ein Spieltisch und ein Spielkartenset (Salon) eine Standleuchte (Dienerzimmer) eine Flötenuhr (Arbeitszimmer) ein Kinderbett (Schlafzimmer).

Die ausgestellten Objekte sind nicht einfach Haushaltsgegenstände der Zeit, sie verstehen sich laut Informationstafeln und Objektbeschriftungen auch als Anzeichen von Mozarts Lebensweise. In den Räumen gibt es noch andere Exponate wie Musikhandschriften und Porträts, die auf Mozarts Aktivitäten als Komponist, Musiklehrer und Interpret bzw. auf seine Familie und Freunde verweisen. Außerdem befindet sich wiederum in jedem Raum an der Wand

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Musik ausstellen

ein Zitat. Innerhalb der einzelnen Räume werden verschiedene Themen angesprochen. Sie betreffen u.a. die Wohnung selbst. Entsprechend heißt es auf einer einführenden Informationstafel im ersten Raum: Wie hat Mozart in diesen Räumen gelebt und gearbeitet? Wo stand das Schreibpult, wo das Klavier? Wie laut ging es zu? Wer wohnte hier noch? Wie modisch war die Einrichtung? Vom originalen Interieur ist nichts überliefert, konkrete Hinweise gibt es nur wenige. Wir sind somit auf Vermutungen angewiesen, und auf Imagination. Also laden wir Sie zu einer Spurensuche ein. Im vermeintlichen »Salon« z.B. steht der oben erwähnte Spieltisch vor dem Foto eines Zimmers als wäre er Teil der Einrichtung dieses Zimmers (Abbildung 3). In einer offenen Schublade des Spieltisches findet sich das Spielkartenset. Das Foto zeigt einen Billardtisch, ein Sofa und einen kleineren Tisch mit Stühlen. Der Text der Objektbeschriftung lautet: Zimmer mit Billardtisch. Sah dieser Raum so aus wie auf dieser Fotografie? Es handelt sich um die Vergrößerung eines Modells. Es beruht auf zeitgenössischen Abbildungen von bürgerlichen Interieurs. Stilistisch handelt es sich um eine Mischung aus Rokoko und Klassizismus. Wichtige Hinweise lieferte die Verlassenschaftsliste von Mozarts letzter Wohnung. Dort sind neben dem Billardtisch auch ein »hartes Tischl« und ein »Kanape« angeführt. Die Objektbeschriftung des Spieltisches verweist ebenfalls auf das Nachlassverzeichnis. Eine weitere Informationstafel im Raum informiert über Mozarts Spielleidenschaft. Der Audioguide bietet die gleichen Informationen in ausführlicherer Form. Insgesamt beziehen sich die Texte des Audioguides stärker auf die Exponate als in den oberen Etagen. Er enthält auch Musikbeispiele, die zum Teil mit den Exponaten korrespondieren, aber – wie in den oberen Etagen – nicht eigens beschrieben werden. Einige Exponate in diesem Raum sind in Schaupulten ausgestellt, darüber an der Wand ein Zitat von Joseph Haydn: Ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne. Die Schaupulte enthalten: • •

Notendrucke der Sechs Streichquartette Op. 10 (»Haydn-Quartette«) eine Abschrift von Mozarts Widmung der Werke an Haydn

2. Fallstudien



einen Brief Leopold Mozarts an seine Tochter, aus dem hervorgeht, dass die Quartette in der Wohnung in Anwesenheit Haydns gespielt wurden. Abb. 3: Mozarthaus Vienna, Mozartwohnung, Spieltisch im vermeintlichen Spielzimmer (Foto: Mozarthaus Vienna)

An einer Wand hängen Kupferstiche von Haydn und dem irischen Sänger Michael Kelly. In der Objektbeschriftung zu Kelly steht, dass er von 1783 bis 1787 häufiger Gast bei den Mozarts war und den »Sonntagskonzerten« beiwohnte. Ein besonderes »Exponat« bietet ein Fenster im Salon, das den Blick auf die Blutgasse freigibt. Am Fenster findet sich eine Informationstafel mit folgendem Text: Die Bebauung der Blutgasse hat sich seit Mozarts Zeiten nur wenig verändert. Das letzte Haus auf der rechten Gassenseite ist das Deutschordenshaus. Hier hatte Mozart, noch in Salzburger Diensten stehend, im März 1781 mit wenigen Habseligkeiten Quartier in Wien bezogen. Das war dreieinhalb Jahre, bevor er in diese noble Wohnung einzog. Mozart konnte also aus seinem Salon als gemachter Mann auf seine bescheidenen Anfänge und seinen rasanten Aufstieg zurückblicken. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Ausstellung in der Mozartwohnung stärker als in den anderen Räumen des Hauses an die Mitarbeit der Besucher*innen appelliert. Es bedarf Vorstellungskraft, um nachzuvoll-

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Musik ausstellen

ziehen, wie Mozart in der Wohnung gelebt haben könnte. Für den Blick auf die Blutgasse sind Plots vorgegeben. Es wird zudem ein auratisches, dem »Authentischen« zuarbeitendes Moment vermittelt (»so hat Mozart auf Wien geblickt«), wobei die Rezipient*innen als Akteur*innen in die Präsentation eingebunden sind und dem räumlichen Moment als Vermittlungsform eine bedeutende Rolle zukommt. Die museale Erzählung um Haydn und die Kammerkonzerte in der Wohnung ist durch Informationstafeln und Objektbeschriftungen wiederum weitgehend festgelegt. Die zentralen Plots (Haydn und Mozart waren befreundet, Haydn war ein großer Bewunderer Mozarts, er war bei einer Aufführung der ihm gewidmeten Quartette zugegen) lassen sich allerdings auch ohne die Informationstafeln aufgrund von Exponaten (Brief, Widmung) und des Haydn-Zitats an der Wand herleiten.

2.1.2

Konzepte

Die Dauerausstellung des Hauses basiert auf unterschiedlichen kuratorischen Konzepten. Die zweite und dritte Etage wurden von dem Journalisten und Ausstellungsmacher Joachim Riedl in Zusammenarbeit mit dem Architekten Gustav Pichelmann und dem Medienunternehmen checkpointmedia GmbH kuratiert. Für die erste Etage zeichnet, wie eingangs beschrieben, das Wien Museum; als Kurator*innen fungierten Werner Hanak-Lettner, Wolfgang Kos (2006 Direktor des Wien Museums) und Ulrike Spring. Im Katalog heißt es, die Ausgestaltung der Mozartwohnung unterscheide sich »bewusst vom Gesamterscheinungsbild, um die Besonderheit und Authentizität der Räume zu unterstreichen«3 . Der Geschäftsführer des Hauses, Gerhard Vitek, betont dem gegenüber, dass er ein »gesamtkuratorisches Konzept«, das die Ausstellungsebenen mehr harmonisiert, bevorzugen würde.4 Laut Internetseite des Hauses präsentiert die Ausstellung Leben und Werk Mozarts »mit dem Schwerpunkt auf seine Wiener Jahre von 1781 bis 1791 in einem einzigartigen Ambiente«.5 Vorgabe für die Konzeption war die Überlegung, nicht in Konkurrenz zu den Mozart-Museen in Salzburg zu arbeiten und sich auf Mozarts Jahre in Wien zu konzentrieren. Weiterhin sollte aufgrund des erwarteten Zuspruchs gewährleistet sein, dass die Besucher*in-

3 4 5

Stalzer 2006, 19. Gerhard Vitek, Interview, 13.06.2016. Vgl. https://www.mozarthausvienna.at/de/MOZARTHAUS-VIENNA (zuletzt abgerufen am 28.01.2019).

2. Fallstudien

nen sich nicht länger als 60 Minuten in der Ausstellung aufhalten und der Besucherstrom fließend durch die Ausstellung geht.6 Das Publikum besteht laut Vitek zu 85 Prozent aus internationalen Tourist*innen verschiedener Generationen, die sich »in einer Stunde ein Bild von Mozart und Wien machen« wollen.7 Virgil Widrich von der Firma checkpointmedia spricht in diesem Zusammenhang sogar von 45 Minuten und sagt, man wolle »in hoher Qualität etwas vermitteln, aber relativ schnell«.8 Dabei betont er, dass es sich um ein historisches Gebäude handelt, in dem sich aus statischen Gründen und aufgrund von Sicherheitsvorschriften nur eine begrenzte Zahl an Besucher*innen gleichzeitig in den engen Räumen aufhalten darf.

2.1.2.1 »Wien zur Zeit Mozarts« & »Mozarts musikalische Welt« In den beiden oberen Etagen sollen Bilder und andere Objekte laut Katalog in »einem horizontalen Blickfeld« die Geschichte Mozarts in Wien erzählen und über den Hintergrund seiner wichtigsten Kompositionen informieren9 . Die Auswahl der Artefakte wurde von Joachim Riedl vorgenommen. Er wendet sich bewusst an ein touristisches Publikum, das, wie er sagt, häufig nicht über vertiefendes Wissen verfüge und wenig konzentriert durch die Ausstellung gehe.10 In diesem Zusammenhang verweist er auch auf kommerzielle Vorgaben, die eine Mindestbesucher*innenzahl erfordern. Er möchte vor allem Geschichten erzählen, die die Menschen interessieren, beschränke sich daher auf die bekanntesten Werke und auf allgemein bekannte Akteur*innen. Damit rechtfertigt er z.B. fehlende Informationen zu Porträts von vermeintlich unbedeutenden Persönlichkeiten. Generell möchte er Geschichten »dreidimensional« erzählen, Geschichten, die im Raum stehen, wobei es um den Gesamteindruck geht und die einzelnen Objekte nicht wichtig sind, da es sich nicht um Originale sondern um Reproduktionen handelt. Das erklärt ein Stück weit die sparsamen Objektbeschriftungen; Riedl verweist allerdings auch darauf, dass man auf schriftliche Informationen verzichtet, um zu gewährleisten, dass sich die Besucher*innen nicht allzu lange in den einzelnen Räumen aufhalten. Auf die Frage nach Interpretationsmöglichkeiten bemerkt Riedl, dass alles erklärbar sei und es »keine Rätsel« gebe. Auf die Frage z.B., was die Installation »Grabennymphen« vermittelt, sagt er: 6 7 8 9 10

Gerhard Vitek, Interview, 13.06.2016. Ebd. Virgil Widrich, Interview, 10.06.2016. Stalzer 2006, 18. Joachim Riedl, Interview, 27.06.2016.

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Musik ausstellen

Mozart hat am Graben gewohnt, am Trattnerhof, und es geht darum zu zeigen, dass es eine unglaublich liederliche Stadt war. Die Maria Theresia hat ständig dagegen gekämpft. Das ist eine berühmte zeitgenössische Geschichte, die Grabennymphen, da sind Stiche aus der Zeit. Der Straßenstrich von Wien, der Red Light District11 . Ein zentrales Anliegen war es Gerhard Vitek zufolge, »kein trockenes Museum zu etablieren, sondern etwas dynamisches, wo wir Mozart und sein gesamtes musikalisches Umfeld irgendwie atmosphärisch auch spürbar machen«.12 Daher spielten Multimediastationen mit bewegten Bildern bei der Konzeption eine wichtige Rolle. Das Medienunternehmen checkpointmedia GmbH war von Beginn an involviert und hat nicht nur Medien geliefert, sondern am Konzept mitgearbeitet. Die medialen Stationen verstehen sich als Teil der Erzählungen und sind von Medientechniken aus Mozarts Zeit inspiriert: Multimedia hat in der Mozartzeit begonnen, die ganzen Theatertricks, Pepper’s ghost, dieser Trick mit Spiegeln, den gab es bereits in Mozarts Zeit. […] Es war die Fotografie gar nicht so lange nach Mozart, also 1832 die ersten Fotos. Wenn Mozart alt geworden wäre, dann hätten wir ein Foto von ihm. Aber es lag vieles schon in der Luft, es gab schon Laterna Magica auf der Bühne, es gab gemalte Dias, also es gab viele Effekte, die wir heute kennen und es war sozusagen für mich der Beginn von Multimedia auf der Bühne. […] Deswegen haben wir uns gedacht, wir arbeiten mit dem Multimedia von damals und kombinieren es mit Multimedia von heute13 . Auch bei den Medienstationen folgt man der Vorgabe, die Besucher*innen möglichst schnell durch die Ausstellung zu schleusen. Man soll nicht länger als fünf Minuten verharren. Daher gibt es keine interaktiven Angebote, bei denen man sich womöglich länger aufhalten würde.14

2.1.2.2 »Die Mozartwohnung« Anders als bei den oberen Etagen ist die Ausstellung der Mozartwohnung laut Werner Hanak-Lettner nicht nur auf Tourist*innen sondern auch auf ein lokales Publikum gerichtet.15 Man möchte einen Mittelweg finden und weder 11 12 13 14 15

Ebd. Gerhard Vitek, Interview, 13.06.2016. Virgil Widrich, Interview, 10.06.2016. Stefan Unger, Firma checkpointmedia, Interview, 10.06.2016. Werner Hanak-Lettner, Interview, 10.06.2016.

2. Fallstudien

»zu wissenschaftlich noch zu populär« gestalten. Die Ausstellung soll fürs Publikum »kreativ herausfordernd« sein16 . Das Konzept korrespondiert laut Katalog mit einer Neugestaltung der Wohnung, wie sie bereits 1995 von der Architektin Elsa Prochazka vorgenommen wurde. Für sie war es ein Anliegen, die Räume nicht zu rekonstruieren, sondern so einzurichten, dass sie die Art und Weise, wie die Menschen gelebt haben, vor dem geistigen Auge entstehen lassen17 . In der neuen Ausstellung geht es um die »Bewahrung des hohen Reflexionsniveaus von 1995« verbunden mit Herstellung neuer Bedeutungszusammenhänge und der Einladung zu »Mitspiel und Spurensuche«18 , was sich mit dem Text auf der einführenden Informationstafel deckt, in der ebenfalls von Spurensuche und Imagination die Rede ist. Die Kuratorin Ulrike Spring, die einen Aufsatz über die Ausstellung in der Mozartwohnung verfasst hat, verweist hierzu auf die in Ausschnitten präsentierten Mozartfilme von Karl Hartl und Miloš Forman: »The visitors thus are invited to imagine Mozart’s reality here – just as the film directors had to do«.19 Ergänzend hierzu betont Werner Hanak-Lettner, dass es auch darum geht, Missverständnisse zu vermeiden: Ich weiß, dass Leute der Wien Holding sich mehr gewünscht hätten, das so zu tun, mit Möbeln, die Atmosphäre bringen. Ich habe da halt wirklich bei so einem Ort dann ein bisschen das Problem, die Leute gehen ja schnell durch, die Leute glauben, das sind die Möbel von Mozart. Es gibt Schlimmeres aber es vermittelt eine zu starke Idee.20 Gleichzeitig spielt die Authentizität des Ortes für ihn eine wichtige Rolle,21 was auch am Anfang der Ausstellung im Text des Audioguides sowie auf einer Schrifttafel vermittelt wird: Was heißt »authentisch« nach rund 220 Jahren? Im Original blieb eigentlich nur die leere Hülle der Räume erhalten. Achten Sie also auf die Abfolge der

16 17

18 19 20 21

Ebd. Elsa Prochazka, »Musikergedenkstätten in Wien, ein museologisches Konzept«, in: Wolfgang Amadeus Mozart. »Figarohaus« (= Katalog des Historischen Museums der Stadt Wien), Wien, Historisches Museum der Stadt Wien 1996. Zitiert in Stalzer 2006, 11. Stalzer 2006, 22. Ulrike Spring, »Exhibiting Mozart – Rethinking Biography«, in: Nordisk Museologi 2, 2010, 58-74, hier: 65. Werner Hanak-Lettner, Interview, 10.06.2016. Ebd.

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Musik ausstellen

Zimmer, auf Proportionen, auf Details oder Fensterblicke. Zumindest diese sind fast wie damals. Die umfassende Verwendung von Informationstafeln und Objektbeschriftungen ergibt einen weiteren Unterschied zu den Präsentationen in der zweiten und dritten Etage. Sie erklärt sich laut Hanak-Lettner aus dem Anspruch, dass Ausstellungen auch ohne die Nutzung eines Audioguides funktionieren müssen.22 Das wiederum fördert allerdings individuelle Rezeptionsweisen, was dem Anliegen entgegen steht, die Besucher*innen möglichst schnell durchzuschleusen.

2.1.3

Rezeption

Bei der überragenden Mehrheit der Besucher*innen handelt es sich – entsprechend der von Vitek benannten Zielgruppe – um internationale Tourist*innen. Das zeigt sich schon daran, dass das Museumspersonal überwiegend auf Englisch kommuniziert. In der Zeit vom 6. Juni bis 20. Juni 2016 haben wir mehr als 60 Gespräche mit Einzelpersonen, Paaren und Gruppen aus 24 Nationen geführt. Abgesehen von Schulklassen kamen während unserer Aufenthalte nur gelegentlich Besucher*innen aus Wien oder aus der Region in die Ausstellung. Nahezu alle Besucher*innen nutzen den Audioguide. In den oberen Etagen bestimmt er eindeutig den Rhythmus des Rundgangs, seinem Inhalt gebührt die Hauptaufmerksamkeit, was folgender Ausschnitt aus Feldaufzeichnungen verdeutlicht: Den Objekten wird kaum Beachtung geschenkt. Die wenigen Sitzgelegenheiten sind ständig besetzt. Man sitzt dort, um in Ruhe den Texten des Audioguides zuzuhören. Wenn ein Platz frei wird, gehen manche zurück, um sich dorthin zu setzen. Viele schlendern durch die Ausstellung beim Zuhören. Sie gehen dabei auch in Räume, denen eigentlich andere Audiobeiträge zugeordnet sind. Der Audioguide wird nur selten vom Ohr genommen. Es gibt entsprechend wenig Kommunikation.23 Bei den Multimedia-Stationen, vor allem »Figaro Parallelo«, »Zauberflöte« und »Grabennymphen« findet mehr Austausch statt, vermutlich vor allem, weil der Audioguide dort nicht eingebunden ist. Die Installation »Figaro Parallelo« wurde in den Interviews vielfach als Highlight benannt. Bei den 22 23

Ebd. Andreas Meyer, Feldaufzeichnungen, 14.09.2017.

2. Fallstudien

»Graphennymphen« konnte der intendierte Plot (Wien, eine liederliche Stadt) mehrheitlich nicht nachvollzogen werden. Die Gespräche zeigen, dass sich das Publikum – wenngleich überwiegend touristisch – hinsichtlich der Vorkenntnisse und Erwartungen in hohem Maße unterscheidet. Einige wissen nichts oder nur sehr wenig über Mozart und seine Zeit. Viele haben einen direkten Bezug, sei es als Musikliebhaber*innen, Mozartfans, Hobbymusiker*innen oder als professionelle bzw. angehende professionelle Musiker*innen. Entsprechend vielfältig wird die Ausstellung wahrgenommen. Beurteilungen reichen von »very nice, I’m very happy« bis hin zu kritischer Auseinandersetzung und Hinterfragen von Inhalten. Ein Besucher aus Houston in Texas, Mozartfan und Sänger in einem Amateurchor, verwies auf einen vermeintlichen Widerspruch innerhalb der Ausstellung: On the third and second floor he’s portrayed as someone obviously very popular and with high regard in the culture but on the display about Figaro there’s a comment from someone from Salzburg, a quote from 2005, saying that he was ahead of his time and that his music was not really appreciated in his time, which completely contradicts basically the whole of the exhibition and what the audio tour says. (07.06.2016) Die meisten Äußerungen reihen sich in ihrer Tiefe in ein Kontinuum zwischen oberflächlicher Wahrnehmung und kritischer Reflektion ein. Einige Besucher*innen sind von der vermittelten Aura angetan, verbunden mit dem Gefühl dort zu sein, wo Mozart gelebt hat, und der Möglichkeit, dieses Leben ein Stück weit nachzuvollziehen: Jüngere Besucherin aus Argentinien (07.06.2016)  It’s impressive to be in HIS house, where he lived. Jüngere Besucherin aus Großbritannien (07.06.2016)  It’s amazing to look through the same windows and walk on the same floor  as Mozart did. Besucherin (Seniorin) aus Großbritannien (10.06.2016) There’s not much here apart from a lot of copies. It’s still interesting to come   and looking at the house, to be in the rooms is wonderful.

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Musik ausstellen

Die Bedeutung des Auratischen wird auch von Edith Wregg hervorgehoben, die das Mozarthaus Vienna im Rahmen einer musikpädagogischen Studie besucht hat. Ihr zufolge berichtet das Aufsichtspersonal von »Besuchern, die so berührt sind, weil sie in Mozarts Wohnung wandeln dürfen, dass sie zu weinen beginnen«.24 Unsere Gespräche zeigen allerdings, dass Erwartungen hinsichtlich auratischer Gefühle häufig enttäuscht werden. Vor allem wird der Mangel an »authentischen« Objekten beklagt25 und mehrfach in diesem Zusammenhang der Vergleich mit anderen Häusern bemüht. Eine Auswahl kritischer Äußerungen mag das illustrieren: Besucherin (Seniorin) aus Argentinien (06.06.2016) Das hier ist halb enttäuschend im Vergleich zu unseren Erwartungen. Wir kommen aus Budapest, wo wir das Haus von Liszt gesehen haben. Das war ein großartiges Gefühl, seinen Schreibtisch und viele Objekte von ihm zu sehen. Dagegen gibt es hier Bilder, Gemälde, Schriften von anderen; das war nicht, was wir erwarteten. Es steht gute Forschungsarbeit dahinter, ohne Zweifel, aber wer hierherkommt, hat einen anderen Blick als der Forscher. Man sucht etwas von der Atmosphäre, in der Mozart lebte (Übersetzung aus dem Spanischen von María del Mar Alonso Amat). Besucherin aus den USA (08.06.2016) I guess it would have been nice if everything looked more like what it was like then, I expected it would be like going into Mozart’s house exactly like how it looked like then. So, it’s much more like a museum, not like a house. Paar aus den USA (08.06.2016) Besucher: We went to Salzburg first, we saw the museum there. Besucherin: The house here is pretty empty and I was hoping there was more stuff, because we saw the house where he was born in Salzburg. The model is nice, but we hoped more furniture to make it look like how it was. Besucher: You get information, but you don’t get feeling, you don’t get a real

24

25

Edith Wregg, »Komponisten im Museum. Impulse aus der Musikvermittlung«, in: Musikvermittlung in Museen. Reflexionen, Konzepte und Impulse, hg. v. Johannes Hoyer und Constanze Wimmer, Innsbruck, Helbling 2016, 45-105, hier: 62. Entsprechende Kritik wurde auch bei einer Besucher*innen-Befragung im Jahr 2008 geübt. Vgl. Spring 2010, 70.

2. Fallstudien

sense of how his life would have been like. Especially how they said that it would be crowded in the apartment with all the furniture he had. That would have been fun, and seeing he could play here, he sat there, something more intimate. Besucher aus den USA (08.06.2016) I envisioned more of the apartment rather than a storybook, but after being through it I think it told the story. There were very few artefacts. That was a little disappointing. This white wash makes it like a museum. So, it wasn’t very authentic, it lacked authenticity.   Paar aus Deutschland (07.06.2016) Besucher: Es hat mir nicht gefallen. Alles in der Wohnung ist sehr professionell gemacht, aber ich hätte gerne gespürt, wie er wirklich gelebt hatte. Wo ist das Familiäre bei ihm gewesen? Ich war schon mal hier, aber dieses Mal wollte meine Frau das Museum sehen. Besucherin: Ja, wir denken an die Häuser von Schiller und Goethe in Weimar zum Beispiel. Einige Besucher*innen folgen der kuratorischen Intention, in der Mozartwohnung Imagination walten zu lassen: Besucherin (Seniorin) aus Deutschland (10.06.2016) Ich kann mir hier vorstellen, wie er hier gelebt hat.   Familie aus Indien, Tochter26 : (06.06.2016) It was fun to be able to imagine and recreate how he would be living in this house.   Zwei junge Besucherinnen aus der Schweiz (07.06.2016) 1: Ich war beeindruckt. Mich interessierte, wie die Mozartwohnung aussah. 2: Man kann sich vorstellen und ein Bild davon machen, wie er gelebt hat und wie diese Zeit war.  

26

Hier und im Folgenden: Die familiären Bezeichnungen beruhen auf Annahmen aufgrund unserer Beobachtungen. Familiäre Zugehörigkeiten der Besucher*innen wurden während der ethnographischen Untersuchungen mehrheitlich nicht dokumentiert.

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Musik ausstellen

Besucherin (Seniorin) aus Deutschland (10.06.2016) Schade, dass das Mobiliar der Wohnung nicht erhalten ist. Das ist schade, aber es war nicht mehr da, aber man kann sich sehr gut vorstellen, anhand des Bettes und so weiter, wie er gewohnt und gelebt hat. In diesem Zusammenhang kann es auch zu nicht intendierten Plots kommen. Beim Rundgang durch die Wohnung beobachteten wir einen Besucher in dem Zimmer mit dem Kerzenständer, der in Richtung seiner Begleiter sagte: »Mozart komponierte hier bei Kerzenlicht«27 . Die Objektbeschriftung verwies allerdings auf die Dienstbot*innen, die sich u.a. um die Beleuchtung der Wohnung kümmern mussten, und laut Informationstafel im Raum handelt es sich hier möglicherweise um ein »Dienstzimmer«. Die Gespräche mit den Besucher*innen hatten wir zunächst am Ende der Ausstellung geführt. Dabei ging es dann allerdings überwiegend um Eindrücke von der Mozartwohnung. Um auch Äußerungen zu den oberen Etagen zu sammeln, haben wir daher auch mit Personen am Ende des Rundgangs der oberen Etagen gesprochen und nach Eindrücken gefragt. Hier wurde vor allem der Audioguide angesprochen, dessen Texte zwar als informativ aber oft auch als zu lang erachtet wurden. Mehrfach kritisch wurde die Verbindung von Audioguide und Exponaten beurteilt. Besucherin (pensionierte Lehrerin) aus England (10.06.2016) There’s a very detailed soundtrack which doesn’t relate to the exhibits. It’s very interesting but it isn’t about what you can see. You listen to this and then you look, so that it would be nice if they were married.   Besucher (Angestellter der US-Regierung) aus den USA (07.06.2016) The audio guide was fine, but it would be good if they had explained the different pieces in the rooms.   Besucher aus Houston, USA (07.06.2016) Not everybody on the walls made sense who they were. There was the name of those persons, but how was that affecting Mozart really didn’t come up. I didn’t make the connection. The description wasn’t on the audio or on the walls.

27

María del Mar Alonso Amat, Feldnotizen, ohne Datum.

2. Fallstudien

  Besucherin (Studentin) aus Hongkong (10.06.2016) I think it’s a bit confusing, because the numbers don’t relate the pictures, but the information is really good, it’s very informative.   Besucher aus England (20.06.2016) Actually, now that I remember, like when I looked up »who is this guy?« »who is this guy?« »who is this guy?«. And it didn’t come up on the audioguide. When the name came I tried myself to find which guy is that, to try to give a little visual experience to what you’re hearing. Schlussfolgerungen werden von den Besucher*innen in Abhängigkeit von Vorwissen und Interessen gezogen. Ein mehrfach benannter Plot der Ausstellung betrifft die vermeintliche Leichtlebigkeit Mozarts, die in unterschiedlicher Form interpretiert wird. Sie wird als exzessiv erachtet, aber auch als Zeichen für Normalität des Genies, als menschlicher Fehler: Besucher aus Australien (10.06.2016) Just to understand his lifestyle. He was very excessive, wasn’t he? He might have a lot of money, but he spent more. And gambling, I didn’t know about gambling.   Besucher aus den USA (06.06.2016) I would say he was a playboy, a rich guy who liked to party and have fun and play music.   Besucher aus Oregon, USA (08.06.2016) He’s a rock star! He was just like Jim Morrison or Elvis Presley, like a rock star and he acted just like that.   Besucherin aus England (08.06.2016) He was a normal person really, the gambling, people coming.   Besucher (junger Musiker) aus Texas, USA (06.06.2016) He’s a genius, but also with human faults.   Besucherin (Studentin), Musikuniversität Wien (07.06.2016) Mozart ist aus Salzburg gekommen, in die große Stadt und hat viel Geld ver-

45

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Musik ausstellen

dient. Ich mochte das Zitat »Ich möchte alles haben was gut, echt und schön ist.«

2.2

Musée de la musique in der Cité de la musique – Philharmonie de Paris

Das Musée de la musique wurde 1997 eröffnet und befindet sich im Pariser Parc de la Villette, in einem Gebäude, das als »Cité de la musique« bezeichnet wird. 2015 wurde nebenan die institutionell verbundene »Philharmonie de Paris« eröffnet, in der neben Konzertsälen auch weitere Ausstellungsräume für Sonderausstellungen zur Verfügung stehen.28 Das Musée de la musique verfügt laut Museumsbroschüre über eine Sammlung von mehr als 7000 Objekten, vor allem Musikinstrumenten. Die Sammlung wurde aus dem ehemaligen Musée instrumental du Conservatoire de Paris übernommen. Ihre Geschichte reicht bis in die Zeit der Gründung des Konservatoriums Ende des 18. Jahrhunderts zurück. Das Haus zeichnete sich von Beginn an durch Sammelaktivitäten aus. Mit dem Erwerb einer umfangreichen Sammlung des Komponisten Louis Clapisson wurde 1861 das Instrumentenmuseum gegründet.29 Im Lauf der Zeit kamen vielfältige Schenkungen hinzu, etwa Sammlungen außereuropäischer Instrumente des Politikers Victor Schoelcher (1872) und des indischen Musikwissenschaftlers Sourindra Mohun Tagore (1879)30 sowie später Instrumente aus dem Besitz der Musikwissenschaftlerin Geneviève Thibault de Chambure, die von 1961 bis 1973 als Kuratorin für den Bestand der Artefakte zuständig war31 .

2.2.1

Analyse

Die Dauerausstellung besteht aus insgesamt fünf Bereichen, verteilt auf verschiedene Ebenen. Die Ausstellung zur europäischen Musik ist chronologisch

28

29 30 31

Die Einrichtung, bestehend aus den beiden Gebäuden, wird heute als »Cité de la musique-Philharmonie de Paris« bezeichnet. Vgl. www.citedelamusique.fr/francais/ (zuletzt abgerufen am 17.02.2019). Vgl. Florence Gétreau, Aux origines du musée de la Musique: Les collections instrumentales du Conservatoire de Paris, 1793-1993, Paris, Éditions Klincksieck 1996, 15. Ebd., 380. Ebd., 340 –341.

2. Fallstudien

aufgebaut. Auf vier Stockwerken werden Musikinstrumente aus mehreren Jahrhunderten präsentiert. Jedes Stockwerk steht für einen Bereich: • • • •

»XVIIe siècle : la naissance de l’opéra« »XVIIIe siècle : la musique des Lumières« »XIXe siècle : l’Europe romantique« »XXe siècle : l’accélération de l’histoire«.

Ein weiteres Stockwerk ist unter dem Titel »Musiques du monde« außereuropäischen Objekten gewidmet. Bereits im Eingangsbereich des Museums sind außereuropäische Instrumente zusammen mit früh- und vorgeschichtlichen Exponaten in einer Wandvitrine zum Thema »Origines et mythes« ausgestellt. Während unserer Aufenthalte gab es zudem eine kleine Zusatzebene zwischen den Bereichen des 19. und 20. Jahrhunderts mit der Bezeichnung »Musiques urbaines et populaires«. Dabei handelte es sich laut einer Informationstafel um eine »Vorschau« auf einen noch zu realisierenden Ausstellungsbereich zu Rock, Pop, Chanson, Jazz und World Music (»un espace spécialement dédié à cette révolution musicale«). In allen Bereichen werden die Instrumente überwiegend »in context« gezeigt, mit einleitenden Informationstafeln, Objektbeschriftungen, Musikund Text-Beiträgen eines Audioguides, gegenständlichen Exponaten, Gemälden, Zeichnungen, Fotos und Videos. Am Eingang der Dauerausstellung erhalten die Besucher*innen kostenlos den Audioguide und eine Museumsbroschüre. Der Audioguide ist mit Kopfhörern ausgestattet und funktioniert mittels Eingabe von Zahlen, die auf Schildern verschiedenen Vitrinen, Objekten und Monitoren zugeordnet sind. Er enthält Beiträge für Erwachsene und für Kinder. An den Eingängen zu den Räumen finden sich Übersichtspläne, Informationstafeln mit Einführungstexten und Monitore mit einführenden Videos. Übersichtspläne zu den jeweiligen Themenbereichen enthält auch die Museumsbroschüre mit Stockwerksbezeichnungen, Abbildungen von Musikinstrumenten zur Kennzeichnung einzelner Themen innerhalb der verschiedenen Bereiche sowie Pfeilen, die die Wegführung anzeigen. Die Gehrichtung ist somit vorgegeben. Die Texte des Audioguides und der Museumsbroschüre sind auf Französisch und Englisch zugänglich, die meisten Informationstafeln und Objektbeschriftungen nur auf Französisch. In den Ausstellungsräumen liegen kleine Heftchen mit englischen, deutschen und italienischen Übersetzungen der Beschriftungen aus, die nach Gebrauch zurückzugeben sind.

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Musik ausstellen

In jedem Stockwerk gibt es eine so genannte »Touchez la musique«Station, mit der man sich auch an blinde und sehbehinderte Menschen wendet (mit Texten in Blindenschrift32 ) und die den Besucher*innen die Möglichkeit des haptischen Kontaktes bietet. Im Bereich »la naissance de l’opéra« ist z.B. eine Viola da Gamba mit Bogen ausgestellt. Man kann das Instrument berühren und die Saiten anzupfen. Neben dem Instrument finden sich zwei Wirbelkästen, Pferdehaar und Kolophonium zum Anfassen, zwei Holzstücke aus unterschiedlichen Holzarten zum Aufheben, eine Skizze des Instruments und des Bogens mit Bezeichnungen der einzelnen Teile, historische Abbildungen sowie ein Video in Gebärdensprache (Abbildung 4). Zudem steht ein Audiobeitrag zur Verfügung. Im Bereich »l’accélération de l’histoire« wird als Touchez la musiqueStation ein Theremin präsentiert, das ausprobiert werden kann; daneben ein Foto der Theremin-Virtuosin Clara Rockmore beim Spiel, eine Skizze über die Funktionsweisen des Instruments, Abbildungen von Schallplatten sowie Filmplakate von Filmen, in denen das Instrument zu hören war. KopfhörerSymbole verweisen auf entsprechende Musikbeispiele im Audioguide. Auf einem kleinen Bildschirm wird wiederum ein Video in Gebärdensprache präsentiert (Abbildung 5). Als inhaltlich verbindende Elemente werden in den Bereichen zur europäischen Musik (außer im Bereich »l’accélération de l’histoire«) Modelle von Konzertsälen oder Konzerthäusern aus der jeweiligen Zeit präsentiert. Die Objektbeschriftungen sind bei den Modellen gleich geordnet. Als Überschrift steht zunächst der Titel eines Werkes, das in dem jeweiligen Haus/Saal uraufgeführt wurde, sowie der Name des Komponisten, darunter der Name des Hauses/des Saales (eine Ausnahme ergibt lediglich ein Modell des Salle Le Peletier à Paris »mit der Überschrift »L’opéra au XIXe siècle«): • • • • • • • 32

Orfeo, de Claudio Monteverdi Salle du Palais Ducal de Mantoue en 1607 Alceste, de Jean-Baptiste Lully Cour de Marbre du château de Versailles en 1674 Dardanus, de Jean-Philippe Rameau Salle du Palais Royal en 1739 Symphonie parisienne, de W. A. Mozart Texte in Blindenschrift sind auch in einigen anderen Bereichen auf Informationstafeln und Objektbeschilderungen zu finden.

2. Fallstudien

• • • • • • •

Salle des Cent-Suisses du Palais des Tuileries en 1778 Symphonie fantastique, d’Hector Berlioz Salle des concerts du Conservatoire de Paris en 1830 L’opéra au XIXe siècle Salle Le Peletier à Paris en 1831 Der Ring des Nibelungen, de R. Wagner. Salle du Festspielhaus de Bayreuth en 1882.

Abb. 4: Musée de la musique, Touchez la musique-Station, Viola da Gamba (Foto: Elisabeth Magesacher)

Für alle Modelle werden des Weiteren Hersteller*innen und Datum der Herstellung sowie der Maßstab des Modells benannt. Darauf folgt der Verweis auf einen kurzen Film, der auf einem kleinen Monitor neben dem jeweiligen Modell gezeigt wird und sich inhaltlich sowohl auf das Haus/den Saal als auch auf das Werk sowie auf soziokulturelle Kontexte bezieht. Diese gleich strukturierte Präsentationsform stellt einen inhaltlichen Zusammenhang her und fördert Schlussfolgerungen durch Vergleiche des musikalischen Lebens sowie der Aufführungspraxis in den verschiedenen Epochen.

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Musik ausstellen

Abb. 5: Musée de la musique, Touchez la musique-Station, Theremin (Foto: Elisabeth Magesacher)

In den Ausstellungsbereichen gibt es keine frei über Lautsprecher klingende Musik, abgesehen von Führungen, bei denen mitunter Audiobeispiele mittels Lautsprecher vorgeführt werden. Es kommen aber täglich zu bestimmten Zeiten Musiker*innen für eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel »Musiciens au musée« in die Ausstellung und stellen in dafür vorgesehenen Bereichen ihre Instrumente vor. Dies erfolgt teils in einer Art Workshop, in dem Fragen gestellt werden können, teils in Form eines kleinen Konzertes. Die auf Übersichtsplänen und Informationstafeln vermerkten Titel der Themen, die innerhalb der verschiedenen Bereiche präsentiert werden, weisen auf instrumenten-typologische Gesichtspunkte oder auf personen- bzw. werkbezogene sowie allgemeinere Sachverhalte. Im Bereich »la naissance de l’opéra« finden sich z.B. Vitrinen mit Instrumentenbezeichnungen (»flûtes«, »bassons«, »violes« etc.) sowie Vitrinen zu den Themen »la chasse« und »maître à danser«. Im Bereich »la musique des Lumières« sind die Vitrinen u.a. mit »harpes«, »clavicorde«, »Mozart«, »Rameau« und »musiques pastorales« betitelt. Für verschiedene Bereiche sollen im Folgenden ausgewählte Konstellationen näher beschrieben werden: eine nach organologischen Aspekten aus-

2. Fallstudien

gerichtete Vitrine (»flûtes«), die Präsentation eines Komponisten (»Mozart«), ein allgemeineres Thema (»virtuosité«) und ein Thema aus dem Bereich Musiques du monde (»Les Amériques«).

2.2.1.1 »XVIIe siècle : la naissance de l’opéra«, Querflöten Die Querflötenvitrine (»flûtes«) im Bereich »la naissance de l’opéra« zeigt unterschiedliche Instrumententypen auf zwei Pulten, von links nach rechts weitgehend chronologisch geordnet: • •

• •

Flöten mit einer Klappe aus dem 18. Jahrhundert (zusammengesetzt und in einzelnen Teilen) Flöten mit zwei oder drei Klappen aus dem frühen 19. Jahrhundert, darunter kristallene Instrumente des französischen Flötenbauers Claude Laurent Klappenflöten des 19. Jahrhunderts u.a. von Theobald Böhm zwei als »Fifre« (»Querpfeife«) bezeichnete Instrumente mit Grifflöchern, aber nur mit einer Klappe, wiederum aus dem 19. Jahrhundert.

Für den Text einer Informationstafel an der Vitrine findet sich in der deutschen Broschüre folgende Übersetzung: Die aus Asien stammende Querflöte kommt im Mittelalter nach Europa. Sie besteht damals aus einem einzigen Korpus mit sechs seitlichen Grifflöchern und einem Mundstück. Am Ende des 17. Jahrhunderts verändert sich ihre Bauweise. Sie wird jetzt aus einem drei-, später vierteiligen Korpus gefertigt und erhält ein siebentes Loch, das von einer Klappe verschlossen wird. Mit ihrem erweiterten Stimmumfang und ihrem besseren Klang sticht sie die Blockflöte aus. Im 19. Jahrhundert finden die Klappen zunehmend Verwendung. Um 1830 erlangt das Instrument dank der Klappentechnik des Deutschen Theobald Böhm die Eigenschaften, die es heute auszeichnen: Tonsicherheit, gleichbleibende Klangfarbe und schnelles Spiel. Der Text des Audioguides für Erwachsene verweist auf die anfängliche Verwendung im volksmusikalischen Kontext und bietet vertiefende Informationen zur Entwicklung des Instruments und seiner Musik in Europa bis ins 20. Jahrhundert hinein (mit Debussys »Syrinx« als Beispiel für »neue Formen des instrumentalen Ausdrucks«). Mit dem allgemeinen Blick auf die Instrumentengeschichte korrespondieren die Texte der Informationstafel und des Audioguides konkret mit ausgestellten Flöten, da eine Verbindung zwischen

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der geschilderten Entwicklung und der Auswahl und Anordnung der Instrumente besteht. Beispielweise heißt es im Audioguide: In 1810, a Parisian instrument maker named Claude Laurent created a crystal flute in order to try to correct tuning faults that arose from wood warping due to humidity from breath. Die Objektbeschriftungen vermitteln für jedes Exponat Instrumentenbezeichnung (»flûte traversière« oder »flûte piccolo«), Namen und (sofern bekannt) Lebensdaten des Instrumentenbauers, Herkunft, zeitliche Einordnung (z.B. »début du XVIIIe siècle«), Datum der Anschaffung, ggf. Sammler*innen, Signaturen. Für einige wenige Beispiele finden sich weitere Informationen. Ein Instrument des Flötenbauers Jeremias Schlegel wird z.B. in seinen einzelnen Teilen präsentiert, verbunden mit folgender Beschriftung: Querflöte und ihre Mittelstücke Im 18. Jahrhundert war der Stimmton nicht festgelegt, sondern von Orten und den jeweiligen Umständen abhängig. Die austauschbaren Mittelstücke erlaubten es, die Länge und damit den Stimmton bestimmter Blasinstrumente zu verändern. Diese Flöte umfasst sieben Teile, was sehr ungewöhnlich ist.33 Bei einem Instrument mit Doppelklappe, das vermutlich von Christoph Freyer angefertigt wurde, lautet der Text: Das System der Doppelklappe, das die Unterscheidung zwischen dis und es erlaubt, wurde von dem deutschen Flötisten und Instrumentenbauer Johann Joachim Quantz (1697-1773) erdacht und realisiert, Musiker bei Friedrich II von Preußen und Autor einer berühmten Abhandlung über die Querflöte. Christoph Freyer, der mit Quantz zusammenarbeitete, ist sehr wahrscheinlich der Hersteller dieser Flöte. Unter zwei Instrumenten von Claude Laurent ist zu lesen: Laurent meldete 1806 das Patent für eine Flöte aus Kristallglas an, einem Material, das Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen besser stand-

33

Texte der Objektbeschriftungen und Informationstafeln übersetzt aus dem Französischen.

2. Fallstudien

halten sollte. Sie zeichnete sich außerdem durch ein völlig neues System der Klappenbefestigung aus. Eine Reihe von Plots kann sich durch den Vergleich der ausgestellten Instrumente ergeben, ohne dass eigens darauf verwiesen wird. Sie betreffen etwa das Material, unterschiedliche Größen und auch komplexere Sachverhalte. Für die beiden als »Querpfeife« (»Fifre«) bezeichneten Instrumente etwa benennen die Objektbeschriftungen lediglich museumsspezifische Daten (u.a. Hersteller*in, Ort, Alter). Die Präsentation verdeutlicht, dass trotz der Entwicklung der Querflöte, auch im 19. Jahrhundert einfachere Instrumente hergestellt wurden; der Name verweist auf volksmusikalische Kontexte.

2.2.1.2 »XVIIIe siècle : la musique des Lumières«, »Symphonie parisienne, de Wolfgang Amadeus Mozart« Im Bereich »la musique des Lumières« ist eine Vitrine mit Instrumenten aus dem 18. Jahrhundert ausgestellt (Abbildung 6): Violoncello, Bratsche, Geige, Oboe, Querflöte, Pauken, Trompete, Klarinette, Horn (mit Instrumentenkoffer), Fagott, Kontrabass. Mit den Instrumenten wird ein Gemälde des französischen Malers Rémi-Fursy Descarsin präsentiert, das den Musiker Jean-Louis Duport beim Musizieren auf einem Violoncello zeigt. Eine Informationstafel ist mittig in der Vitrine platziert und mit »Symphonie parisienne, de Wolfgang Amadeus Mozart« überschrieben.34 Zunächst wird ein Zusammenhang zwischen den Instrumenten und der Pariser Symphonie hergestellt: Das Instrumentenensemble lässt an das Orchester des Concert spirituel denken, für das Wolfgang Amadeus Mozart die Symphonie in D-Dur K297/300 komponierte, auch »Paris« oder »Pariser Symphonie« genannt. Das Werk wurde im Salle des Cent-Suisses im Palais des Tuileries aufgeführt. Darunter folgen die Objektbeschriftungen. Deren Anordnung entspricht nicht der Reihenfolge der Präsentation der Artefakte, die vermutlich eher nach gestalterischen Gesichtspunkten aufgestellt sind, um die Vitrine optimal auszufüllen. Abweichend von der Präsentation werden bei den Beschriftungen z.B. alle Streichinstrumente zusammengefasst. Die Zuordnung erfolgt mittels kleiner stilisierter Abbildungen der Instrumente. Die Beschriftungen bieten wiederum allgemeine Daten (Bezeichnung, Hersteller*in, Ort, Datum,

34

Im Übersichtsplan ist dieser Bereich einfach mit »Mozart« betitelt. Ähnliche Verkürzungen werden dort auch bei anderen Vitrinenbezeichnungen verwendet.

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Musik ausstellen

Signatur, ggf. Sammler*in). Für das Gemälde gibt es ein Extraschild, auf dem es unter der Überschrift »Portrait de Jean-Louis Duport, dit le Cadet« heißt: Duport spielt hier möglicherweise ein Violoncello von Stradivari, ›le Duport‹. Die Handpositionen heben eine besondere Bogenhaltung hervor und ein Spielen in einer hohen Lage. Neben der Vitrine befindet sich das in der Wand eingelassene Modell des Pariser Konzertsaales »Salle de Cent-Suisses du Palais des Tuileries« sowie ein kleiner Bildschirm. Ein 5 12 -minütiger Videofilm informiert mit vielfachen Illustrationen darüber, dass Mozart mit 22 Jahren zum dritten Mal nach Paris kam, dort aber eher kühl aufgenommen wurde. Dennoch komponierte er die Sinfonie parisienne, mit der er großen Erfolg hatte. Des Weiteren geht es um die Entwicklung des »concert spirituel« sowie um öffentliche Konzerte außerhalb des Hofes, für die der Konzertsaal ein wichtiges Forum bot. Ferner wird auf die Instrumente eingegangen, die in der Sinfonie parisienne zum Einsatz kommen und die dem ausgestellten Ensemble entsprechen. Der Audioguide bietet einen Text für Kinder, der (entsprechend aufbereitet) weitgehend die gleichen Informationen enthält, ferner ein Musikbeispiel. Das in der Überschrift benannte Thema wird damit nicht primär durch die ausgestellten Objekte, sondern über audiovisuelle Medien vermittelt. Ihre Inhalte ergeben den Haupttext der musealen Erzählung, der von den Instrumenten und dem Modell des Konzertsaals illustriert wird. Die Plots dieser Erzählung sind vorgegeben. Der Monitor und das Modell des Konzertsaals sind in der Wand eingelassen und im Vergleich zur Vitrine eher klein. Man kann sie bzw. ihren Zusammenhang mit der Vitrine durchaus übersehen, die Vitrine für sich betrachten und allein aufgrund der Objekte Plots ableiten. Unterstützt wird das durch die Präsentationsweise, bei der die Objektbeschriftungen den Instrumenten nicht räumlich sondern durch Symbole zugeordnet sind, sodass die Besucher*innen die Zugehörigkeiten selbst bestimmen müssen, was möglicherweise den Blick auf organologische Besonderheiten schärft und damit wiederum eine vergleichende Betrachtung verschiedener Instrumente (z.B. von Oboe und Klarinette) unterstützt. Auch das Gemälde von Duport, der im Text des Audioguides und im Film keine Rolle spielt, lenkt den Blick auf ein Instrument, in diesem Fall auf das Violoncello und dessen besondere Spielweise in der Zeit.

2. Fallstudien

Abb. 6: Musée de la musique, »Symphonie parisienne, de Wolfgang Amadeus Mozart« (Foto: Elisabeth Magesacher)

2.2.1.3 »XIXe siècle : l’Europe romantique«, »la virtuosité« Eine Vitrine im Bereich der europäischen Romantik ist dem Virtuosentum des 19. Jahrhunderts gewidmet (Abbildung 7). Es ist eine der wenigen ObjektKonstellationen des Hauses, bei denen Musikinstrumente nicht eindeutig im Mittelpunkt stehen. An Musikinstrumenten gibt es in dieser Vitrine: • • •

eine Gitarre, die einst Paganini und später Berlioz gehörte eine Violine von Stradivari aus dem Besitz von Pablo de Sarasate eine Zugtrompete und eine Zugposaune von Antoine Courtois, die die Musiker Jules Cerclier (laut Objektbeschriftung von 1869 bis 1894 Professor am Conservatoire) und Eugène Cerclier jeweils 1846 und 1851 im Conservatoire als Preis für ihr Spiel gewannen.

Der allgemeine Text der Vitrinenbeschriftung mit der Überschrift »La virtuosité« lenkt die Aufmerksamkeit auf die anderen ausgestellten Objekte. Im Text wird zunächst auf den »Künstlerkult« der Romantik verwiesen, sowie auf die damit einhergehende Perfektion von Spieltechniken, bei der Paganini, Liszt,

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Musik ausstellen

Thalberg und Chopin eine wichtige Rolle spielten. Hieran anknüpfend heißt es: Geräte mit den Bezeichnungen Chiroplaste, Dactylion, Chirogymnaste wurden entwickelt, die die Hände der Musiker lockern oder stärken sollten. Als Folge solcher Übungen konnte Robert Schuman einen seiner Finger nicht mehr einsetzen, was seine Karriere als Pianist beendete. Daneben findet sich eine Abbildung mit einer Hand, die in so einem Gerät, einem »Assouplisseur de doigts«, steckt. Für die Geräte sind verschiedene Beispiele ausgestellt: ein »Dactylion« erfunden vom Klaviervirtuosen und Klavierbauer Henri Herz mit an Gewichten befestigten Ringen, in die man die Finger stecken und die Gewichte anheben konnte; des Weiteren eine »Chyrogymnaste« von Casimir Martin mit unterschiedlichen Übungsgeräten, nebeneinander auf einer Holzplatte befestigt. In der Objektbeschriftung heißt es hierzu: Dieses Instrument ermöglichte ein umfangreiches Programm von Handübungen, die die Dehnung, Flexibilität und Kraft der Finger verbessern sollten. Schließlich wird ein »Assouplisseur pour les doigts« (»Weichmacher für die Finger«) mit der Bezeichnung »Epigona« präsentiert, ein hölzernes Trainingsgerät nebst einer zugehörigen Schachtel mit einem Aufkleber, dessen Text für das Gerät wirbt: Von allen Klassen des Conservatoire de Paris übernommen, bewilligt durch M. Gabriel Fauré, Direktor, und genehmigt von der Mehrzahl der Professoren am Konservatorium. […] Des Weiteren enthält die Vitrine • •

• •

verschiedene Metronome verschiedene Dirigierstäbe bzw. -stöcke: ein »baguette de mesure« von Berlioz, ein »bâton de mesure« von Mendelssohn, ein »bâton de mesure« von Camille Saint-Saëns, ein »bâton de mesure« von Charles Lamoureux zwei Holzskulpturen von Liszt und Paganini des französischen Karikaturisten Jean-Pierre Dantan zwei Gemälde: ein Porträt von Paganini (anonym) und eine szenische Darstellung mit Berlioz und Paganini, letzterer in Respekt bezeugender Hal-

2. Fallstudien

tung (Titel des Gemäldes: »Hommage de Paganini à Berlioz« von Adolphe Yvon). Der Text des Audioguides verweist auf den Kult des Individuellen in der Zeit und bietet daraufhin ergänzende Informationen zu Paganini und Liszt. Die englische Fassung lautet: Niccolò Paganini was the perfect illustration of this fashion. A child prodigy, he gave his first concert performance in 1794 at the age of 12. Each of his concerts was a major event and audiences crowded to admire his incredible technique, for which Paganini was even accused of having sold his soul to the devil! The 24th Caprice, composed of a theme and variations, is a vibrant résumé of the range of his virtuoso technique. Another child prodigy, Franz Liszt, represented the brand of Erard piano manufacturers from the age of 12 onwards. When he was twenty years old, Liszt heard Paganini play for the first time and resolved to become his equal as a pianist. In 1838, Liszt embarked upon a triumphal concert tour throughout Europe, which lasted for a decade. It was during this period that he composed the famous Transcendental Studies.

Abb. 7: Musée de la musique, »la virtuosité« (Foto: Elisabeth Magesacher)

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Es lassen sich wiederum verschiedene Interpretationen ableiten. Im Text der Vitrinenbeschriftung zu den Übungsgeräten für die Handmuskeln wird zwar auf die Verletzung Schumanns Bezug genommen, alles in allem folgt man aber einem sachlichen Ton, und vor dem Hintergrund, dass viele namhafte Musiker*innen diese Geräte verwendeten oder für gut hießen, einige sich sogar an der Erfindung solcher Geräte versuchten, scheint der Unfall fast ein zufälliges Ereignis. Die Beschreibungen kontrastieren mit den Objekten, die aus heutiger Sicht Assoziationen an Foltergeräte wecken. Während die Beschriftung und der Audioguide das Denken der Zeit dokumentieren, verweisen die ausgestellten Objekte auf dessen Extravaganz, ein Plot, der durch die Karikaturen von Liszt und Paganini unterstützt wird. Die Musikinstrumente stehen in dieser Präsentation nicht für sich selbst. Die Zugtrompete und die Posaune verweisen auf musikalische Leistungen und korrespondieren so mit dem Thema »Virtuosität«. Mit der Gitarre, die Paganini und Berlioz gehörte sowie der Stradivari-Geige von Sarasate werden auratische Gefühle angesprochen, was ein Stück weit zum Künstler*innenkult beitragen kann. Das gleiche gilt für die Ausstellung der Dirigierstäbe von Berlioz, Mendelssohn, Saint-Saëns und Lamoureux, wobei hier noch als ein weiterer Plot abgeleitet werden kann, dass Dirigierstöcke seinerzeit voluminöser waren als heute üblich. Auffällig ist die starke Präsenz von Hector Berlioz, den man nicht zuvorderst mit Virtuosentum in Verbindung bringt. Hier spielt offensichtlich das lokale Moment eine wichtige Rolle. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei dieser Präsentation das übergeordnete Thema (anders als etwa bei der Mozartvitrine) stärker durch die Objekte als Elemente der musealen Narrative gestaltet ist.

2.2.1.4 »Les Musiques du monde«: »Les Amériques« Der Ausstellungsbereich zur außereuropäischen Musik mit der Bezeichnung »Les Musiques du monde« ist nach geographischen Gesichtspunkten aufgebaut. In zwei miteinander verbundenen Bereichen werden in Vitrinen jeweils Instrumente aus – wie im Übersichtsplan bezeichnet – Ozeanien, Asien, Amerika, Afrika, und der »arabischen Welt« (»Monde arabe«) präsentiert. Eine weitere Vitrine enthält Instrumente aus verschiedenen Kulturarealen, die im 19. Jahrhundert in die Sammlung gelangten u.a. ein Lamellophon aus Gambia, eine Mundorgel aus Japan und eine Schalenhalslaute aus der Türkei. Eine Informationstafel, überschrieben mit »La découverte des musiques d’ailleurs« beschäftigt sich dort mit dem Interesse an »fremder Musik« sowie

2. Fallstudien

den Sammelaktivitäten der Zeit und verweist auf wichtige Sammler*innen. Des Weiteren werden auf einer Bühne die Instrumente eines thailändischen Ensembles präsentiert, bisweilen auch andere Instrumente.35 Zudem gibt es eine Touchez la musique-Station, die sich unter dem Titel »sanza« afrikanischen Lamellophonen widmet. Monitore an den Wänden bieten Videoaufnahmen, die zum Teil mit den Exponaten korrespondieren. In Eingangsnähe ist, wie auch auf den anderen Etagen des Museums, an einer Wand ein kurzer einleitender Text platziert, der auf eine weltweite Diversität musikalischer Traditionen verweist, die sich aufgrund vielfältiger Kontakte entwickelt habe. Diese »Musiken«, so heißt es weiter, würden überwiegend mündlich überliefert, und seien heute mit den Herausforderungen der Globalisierung konfrontiert. Neben dem Text werden auf einem Monitor Interviews u.a. mit den Musikethnologen Simha Arom und Bernard Lortat-Jacob gezeigt, außerdem Fotos von Feldforschungsreisen, unterlegt mit Musik. In den Interviews geht es u.a. um das Verhältnis von Musik und Sprache, um »polyfunktionale« Bedeutung von Musik, um musikalische Strukturen (»des structures mathématiques«). Simha Arom befindet, dass die »Musiques traditionnelles« im Begriff seien zu verschwinden. Die in den Vitrinen ausgestellten Musikinstrumente verbinden sich mit Objektbeschriftungen und Informationstafeln, die in das jeweilige Thema einführen. In der »Les Amériques« gewidmeten Vitrine (Abbildung 8) etwa verweist der Text auf die Heterogenität altamerikanischer Gesellschaften (»les civilisations amérindiennes d’autrefois«), auf die Christianisierung und den damit einhergehenden Synkretismus heutiger Religionsausübung sowie die mit der Religion verbundenen musikalischen Formen. Die Vitrine zeigt • • • •

35

eine zweifellige Trommel aus Guayana zwei Rasseln (bzw. ein Rasselpaar) unbekannter Herkunft (laut Objektbeschriftung: »Amérique latine«) zwei Kernspaltflöten (auf den Objektschildern als solche bezeichnet) aus Mexiko und aus Britisch-Kolumbien in Kanada eine Gefäßflöte aus Mexiko (ebenfalls mit einer kernspaltartigen Anblasvorrichtung)

Beim ersten Forschungsaufenthalt 2015 befand sich an der Stelle ein karibisches Steel Drum-Set, während des Aufenthaltes 2016 (wie im Raumplan verzeichnet) das thailändische Ensemble.

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drei Gitarrentypen: ein Cavaquinho aus Uruguay, ein Guitarrón aus Mexiko und ein Charango aus Bolivien.

Abb. 8: Musée de la musique, »Les Amériques« (Foto: Elisabeth Magesacher)

Die Objektbeschriftungen vermitteln knappe Daten (ggf. Name, Typ, ggf. Hersteller*in, Alter bzw. Sammlungsdatum, Herkunft, Signatur, Sammler*in). In der Vitrine findet sich zudem, neben dem Text zu »Les Amériques«, ein Foto mit einem Choro-Ensemble aus Brasilien, auf dem u.a. Spieler verschiedener Gitarrentypen zu sehen sind. Auf einem Monitor hinter dieser Vitrine werden Film-Aufnahmen mit einem mexikanischen Ensemble präsentiert, wiederum u.a. mit verschiedenen Gitarrentypen. Zu drei Instrumenten – Guitarrón, Charango und Rassel – gibt es Textbeiträge im Audioguide. Bei den Gitarren geht es um Spielweise und konkrete Spielkontexte, während der Beitrag zur Rassel allgemeiner gehalten ist: Rattles made from the husks of dried fruit, tiny bones or animal claws were among the very first sound-objects used by our far distant ancestors. Even today, all over the world, there are dancers who wear rattles on their wrists and ankles, keeping alive a secular tradition. Deep in the Amazon forest, the native populations of High Xingu have succeeded in preserving the spirit of their culture, and their music is above all linked to ritual or ceremonial activity. Accompanied by rattles and shakers,

2. Fallstudien

their songs, horns and flutes summon the spirits of water and the forest. The spirits appear to men in dreams or during Shaman séances and their message can only be expressed through music. Es lassen sich verschiedene potentielle Plots ableiten. Die beiden Flöten aus Nord- und Südamerika weisen aufgrund ihrer Bauweise (mit Kernspalte) auf eventuelle inneramerikanische Kulturzusammenhänge. Die unterschiedlichen Gitarrentypen korrespondieren mit Erwägungen auf der einleitenden Informationstafel, der zufolge Musikformen (und damit Musikinstrumente) sich durch Kontakte und Anleihen entwickeln. Die Instrumente sind erkennbar von europäischen Gitarren unterschieden. Trommel, Rassel und Flöte sind für europäische Rezipient*innen in ihrer Bauweise jedoch vermutlich weitaus unbekannter und können Vorstellungen von kultureller Diversität fördern, was durch den Audioguide-Text zum Thema »Rassel« unterstrichen wird.

2.2.2

Konzepte

Die folgenden Ausführungen beruhen überwiegend auf Interviews mit Eric de Visscher, der von 2006 bis 2016 Direktor des Museums war, mit Jean-Philippe Échard, Kurator der Sammlung von Saiteninstrumenten, und Philippe Bruguière, der die Sammlung außereuropäischer Instrumente betreut. Das Ausstellungskonzept ist eng mit Henri Loyrette, dem späteren Direktor des Musée du Louvre, verbunden. Ihm sind laut Homepage des Hauses »besondere Impulse« zu verdanken36 , und er hat – wie Eric de Visscher sagte – den »Parcours entworfen«37 . Von ihm stammt auch die Idee, Modelle von Konzertsälen in den verschiedenen historischen Bereichen aufzustellen.38 Das Museum wendet sich laut de Visscher an verschiedene Zielgruppen mit Angeboten auf unterschiedlichem Niveau. Es soll gewährleistet sein, dass man die Menschen nicht mit Informationen »betäubt« und dennoch Interessierten die Möglichkeit gibt, Wissen weiter zu vertiefen. Die Besucher*innen sollen, auch abhängig davon, wie viel Zeit ihnen zur Verfügung steht, jeweils ihren eigenen Parcours zurücklegen können und selbst entscheiden,

36 37 38

https://philharmoniedeparis.fr/fr/musee-de-la-musique/le-musee/histoire-du-musee (zuletzt abgerufen am 17.11.2018). Eric de Visscher, Interview, 30.04.2015. Ebd.

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ob und in welchen Bereichen sie sich mehr vertiefen.39 Jean-Philippe Échard spricht in diesem Zusammenhang von einem Kompromiss, den das Museum eingeht, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen.40 Philippe Bruguière möchte mit der Präsentation »Les Musiques du monde« Menschen ansprechen, die mit nicht-westlicher Musik nicht vertraut sind, aber mit einem »offenen Geist« durch die Ausstellung gehen.41 Musikinstrumente lassen sich laut de Visscher unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, als ästhetische Objekte etwa, aber auch als funktionierende Maschinen und Zeugnisse eines Wissensstandes. Daher wurden die Instrumente nach unterschiedlichen Kriterien ausgewählt. Präsentiert werden instrumentenbauliche Meisterwerke ebenso wie Objekte, die für sich genommen historisch relevant sind oder solche, denen aufgrund des Vergleichs mit anderen Objekten eine signifikante Bedeutung zukommt. Mit der Ausstellung möchte man durch die Instrumente Geschichten erzählen, vielleicht etwas zum Sozialen der Musik, auf jeden Fall, wo die Musik dargeboten wurde, in welchem Kontext, welche Rolle sie hatte und warum Musikinstrumente in diesen und jenen Momenten auftauchen […].42 Musik soll »in all ihren Dimensionen« präsentiert werden. Ziel sei es, sie nicht als isoliertes Phänomen, sondern eingebettet in Funktionen vorzustellen. Ferner möchte die Ausstellung zeigen, dass Musik eine Kunst ist, die sich »in allen Kulturen der Welt wiederfindet«43 , was sich mit einigen Sätzen aus der Museumsbroschüre deckt: We invite you on a journey through a history of music that covers all continents and where composers, musicians, instrument makers, inventors, sponsors and auditors all share the same passion: the art of sound. Für Jean-Philippe Échard ist es ein primäres Ziel, Diversität der Musik und der Musikinstrumente zu vermitteln. Die Vermittlungsform, sagt er, sei abhängig von Objekten und Quellen, die aus einer jeweiligen Zeit zur Verfügung stehen. Je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, desto schwieriger wird es, ergänzend zu den Instrumenten weitere Artefakte zu finden. Grundsätzlich gibt es »drei rote Fäden«, aufgrund derer die Ausstellung konzipiert 39 40 41 42 43

Ebd. Jean-Philippe Échard, Interview, 12.06.2015. Philippe Bruguière, Interview, 06.05.2015. Eric de Visscher, Interview, 30.04.2015. Übersetzt aus dem Französischen. Ebd.

2. Fallstudien

wurde. Objekte werden erstens unter chronologischen Gesichtspunkten präsentiert. Dabei geht es um die Geschichte der europäischen Kunstmusik der letzten 400 Jahre. Die Begrenzung ergibt sich aus der Sammlung. Außereuropäische Musik und populäre Musikformen sind sammlungsbedingt unterrepräsentiert. Die Präsentation einzelner Themen erfolgt zweitens durch die Verknüpfung von Instrumenten, musikalischem Schaffen und Orten der musikalischen Darbietung (Modellen von Gebäuden oder Konzertsälen). Drittens gibt es Vitrinen mit Instrumenten, die unter typologischen Gesichtspunkten zusammengestellt wurden. Eine besondere Bedeutung kommt nach Échard den Touchez la musique-Stationen zu, da mit ihnen die Möglichkeit gegeben ist »das Glas der Vitrinen zu brechen, ohne es tatsächlich zu brechen« (»C’est une manière de casser les vitres des vitrines, sans les casser vraiment.«). Sie bieten die Möglichkeit, die Musikinstrumente »zu spüren«; zugleich ist die »ordnungsgemäße Erhaltung der historischen Objekte« gewährleistet.44 Mit der Ausstellung »Les Musiques du monde« möchte Philippe Bruguière in kohärenter und verständlicher Form den »Reichtum nichtwestlicher Musiken« vorstellen, deren »Raffinesse und Eleganz«. Damit sollen Stereotype überwunden werden, denen zufolge es sich um »primitive oder archaische Musik aus Entwicklungsländern« handle. Das Publikum kann, auch wenn Dinge nicht erklärt werden, »Emotionen wahrnehmen«, die aus den audiovisuellen Angeboten hervorgehen. Daher spielen Filme in dieser Ausstellung eine wichtige Rolle. Bruguière betont dabei, dass er aus Platzmangel nicht die Mittel habe, um die große Vielfalt und die Schönheit dieser Musiken so darzustellen, wie er gerne würde.45

2.2.3

Rezeption

Während eines ersten Forschungsaufenthaltes im Frühjahr 2015 waren unserem Eindruck nach überwiegend Personen aus Frankreich in der Ausstellung, vor allem aus Paris, auch Studierende aus dem benachbarten Conservatoire National Supérieur. Im Sommer 2016 gab es mehr Besucher*innen von außerhalb. Das hängt (auch) mit den Jahreszeiten und Ferienmonaten zusammen; im Sommer halten sich viele Tourist*innen in der Stadt auf, während viele Pariser*innen wiederum die Stadt verlassen. Im Frühjahr 2015 war das Haus

44 45

Jean-Philippe Échard, Interview, 12.06.2015. Philippe Bruguière, Interview, 06.05.2015.

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stärker besucht. Im August 2016 wurden insgesamt 40 Gespräche mit Familien bzw. einzelnen Erwachsenen mit Kindern, Einzelpersonen sowie kleinen Erwachsenengruppen (überwiegend Personen mittleren Alters und unter 30 Jahren) geführt. Die große Mehrheit kam aus Frankreich (mehrheitlich nicht aus Paris), einige Tourist*innen aus Polen, Israel, Portugal, Spanien und Lateinamerika. Viele von ihnen waren Musikinteressierte, die auch Instrumente spielten. Fachleute waren im Sommer hingegen kaum anzutreffen, vermutlich nicht zuletzt aufgrund der Ferien am Conservatoire. Die meisten Besucher*innen nutzten den Audioguide, was zu einer gedämpften Atmosphäre beitrug. Einige Feldnotizen46 mögen das illustrieren: 20.04.2015 Dadurch, dass die meisten BesucherInnen Kopfhörer aufhaben, ist es im Museum sehr still; zwei BesucherInnen benutzen Gesten, um miteinander zu kommunizieren (winken, locken mit dem Finger etc.). Eine Mutter winkt ihrem Kind, dass es herkommen soll, zeigt auf ein Instrument in einer Vitrine etc.   2.8.2016 Es ist sehr ruhig im Museum, und die BesucherInnen sind sehr ruhig – fast alle tragen Kopfhörer   04.08.2016 Es ist wieder sehr still in Ausstellung. Mutter mit drei Mädchen (circa 5, 8, 10) geht durch Ausstellung. Alle tragen Kopfhörer. Die Mädchen flüstern miteinander, die eine läuft zur anderen, zupft sie am Ärmel, möchte ihr etwas sagen, deutet dabei auf Vitrine. Das jüngste Mädchen will der Mutter etwas sagen. Zeigt Bedürfnis nach Austausch, Kommunikation.   04.08.2016 Zwei Mädchen rennen im Museum – Schritte laut zu hören – Mutter ermahnt sie (»scht!«). Bei so wenigen Leuten: Fällt noch stärker auf.  

46

Feldnotizen von Elisabeth Magesacher. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Feldnotizen Beschreibungen und Einschätzungen der jeweiligen Situation, des Geschlechts sowie des Alters der beschriebenen Personen darstellen.

2. Fallstudien

07.08.2016 Mutter + Tochter: Mutter zeigt Tochter etwas, flüsternd, zeigt auf ein Instrument in einer Vitrine. Mädchen steht mit Livret jeu vor Vitrine.   10.08.2016 Leute bewegen sich sehr ruhig, wenn sie sprechen, dann flüsternd. Bei vielen Besucher*innen ließ sich ein typisches »Freizeitverhalten« beobachten: Sie schlenderten wie bei einem Schaufensterbummel von Vitrine zu Vitrine, um dann zu entscheiden, wo sie sich länger aufhalten wollten. Sie betrachteten die Instrumente, gaben manchmal den Code für den Audioguide ein und streiften die Texttafeln und/oder Objektbeschriftungen kurz mit den Augen. Das Hauptaugenmerk galt den Instrumenten. Die Touchez la musique-Stationen wurden zögerlich angenommen; das lag möglicherweise auch daran, dass viele Personen nicht sicher waren, ob sie diese Instrumente berühren durften. Dies bezeugen wiederum verschiedene Feldnotizen47 : 24.04.2015, Touchez la musique: Viola da Gamba Ein Mädchen (circa 10 Jahre alt) sagt: »C’est écrit ›touchez la musique‹, alors on peut toucher?!« zu ihrer Mutter. Die Mutter zuckt [mit den] Schultern. Sie hören den Audioguide, machen anscheinend das, was im Audioguide gesagt wird (sie berühren zum Beispiel beide gleichzeitig die Bogenhaare), bleiben aber nicht sehr lange und gehen dann weiter.   09.08. 2016, Touchez la musique: Viola da Gamba Ein Junge nähert sich der Station, sieht sich um, berührt aber nichts. Wenig später ein Mädchen – berührt ebenfalls nicht.   09.08. 2016, Touchez la musique: Viola da Gamba Ein Mädchen und seine Mutter nähern sich der Station, Mutter: »On peut toucher pour avoir une idée de l’instrument!« Sie berühren daraufhin die Hölzer […], aber nicht das Instrument.   09.08. 2016, Touchez la musique: Viola da Gamba Mutter mit Tochter (circa 8) und Sohn (circa 6) nähern sich Touchez la musique-Station, Kinder betrachten Instrument, fassen aber nichts an. 47

Feldnotizen von Elisabeth Magesacher.

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Musik ausstellen

Nach einer Weile berührt das Mädchen sehr vorsichtig die Saiten. Familie entfernt sich – haben sich nicht sehr lange aufgehalten.   11.08.2016, Touchez la musique: Viola da Gamba Kinder drängen sich um Touchez la musique-Station Viole. Kleiner Junge greift auf die Saiten des Instruments, Begleitperson nimmt seine Hand: »Non!«   02.08.2016, Touchez la musique: Theremin Zwei BesucherInnen, ein junger Mann und eine junge Frau circa Mitte bis Ende 20; Mann spricht mich auf Englisch an und fragt: »Excuse me, are we allowed to try this?«   4.8.2016, Touchez la musique: Theremin Zwei Leute nähern sich dem Theremin, probieren es aber nicht aus.   04.08.2016, Touchez la musique: Lamellophon Drei Damen probieren Sanza aus. Die meisten spielen einfach, ohne vorher zu hören oder zu lesen – sehr intuitiv.   07.08. 2016, Touchez la musique: Lamellophon Mann probiert Sanza aus. Allgemeiner Eindruck: Leute verbringen nicht sehr viel Zeit hier. Klimpern ein bisschen und gehen weiter. In den Gesprächen wurde das Haus fast ausschließlich positiv bewertet. Hervorgehoben wurde der Reichtum der Sammlung, das Angebot für Kinder sowie die Live-Musik durch die Reihe »Musiciens au musée«, die man immer wieder als Highlights bezeichnete. Auch der Audioguide fand vielfach Zustimmung, weil er die Verbindung von Sehen und Hören ermögliche und auch aufgrund seiner Machart, »er ist unterhaltsam, er ist einfach, nicht zu lang und nicht zu theoretisch«, wie ein Besucher erläuterte. Auf die Frage, was die Besucher*innen von der Ausstellung als Erkenntnis mitnehmen, wurde an erster Stelle die Vielfalt der Musikinstrumente benannt, die Diversität in verschiedenen Zeiten und – damit zusammenhängend – die Entwicklung von Instrumententypen. Einige Personen hatten einen persönlichen Zugang, sie spielten Violine oder Klavier und verfolgten daher insbesondere die Entwicklung »ihres« Instrumentes. Weiterhin wurde die Schönheit von Instrumenten benannt, ferner der unerwartete Klang mancher Instrumente, ihre Bauweise

2. Fallstudien

sowie die »Präsenz der Geschichte« durch die Ausstellung von Originalobjekten. Viele Instrumente waren unbekannt und wurden als ungewöhnlich bezeichnet. Dem kuratorischen Anliegen, »Geschichten durch Musikinstrumente« zu vermitteln, wird die Ausstellung durchaus gerecht, allerdings handelt es sich dabei meistens um Geschichten, die die Instrumente unmittelbar betreffen. Die Instrumente sind die Haupttexte und die Plots werden häufig durch die Betrachtung im Einzelnen und durch Vergleiche mit anderen Objekten hergeleitet. Die Vermittlung sozialer und historischer Kontexte wurde nur von wenigen Besucher*innen bestätigt und auch die intendierte Verknüpfung von Instrumenten und musikalischem Schaffen nur selten hervorgehoben. Ein Besucher betonte, er hätte zuvor nicht gewusst, dass Monteverdis Orfeo als erste Oper gilt, ein anderer hob hervor, dass »seltene Instrumente« präsentiert werden, die in Richard Wagners »Ring der Nibelungen« zum Einsatz kommen. Eine Besucherin gab an, sie habe etwas über Beethoven im Kontext der Geschichte gelernt: Besucherin (ca. 30) aus Südwest-Frankreich (07.08.2016) Ich wusste schon einiges über Beethoven […], aber ich habe weitere Dinge über ihn erfahren, auch einige, die mit der Geschichte verbunden sind, mit Napoleon, dem revolutionären Geist der Zeit. Zudem verwies sie auf den sich ändernden Stellenwert der Musik im Lauf der Zeit: Vor der Romantik waren es mehr Kompositionen für die Mächtigen, wie die Kirche oder die Könige, und dann spielten die Musiker mehr aus Leidenschaft und für den eigenen Verdienst.48 Ein jüngerer Mann äußerte sich in ähnlicher Weise (06.08.2016): Zuerst war die Musik etwas Religiöses, doch dann, mit dem Aufkommen des Künstlerstatus, wurde man zu Hütern des musikalischen Schaffens […].49 Aufgrund von Beobachtungen entstand der Eindruck, dass der Bereich »Les Musiques du monde« im Verhältnis zu den anderen Etagen des Hauses weniger zahlreich besucht war. Das kann damit zu tun haben, dass dieser Bereich der letzte des Rundgangs ist und viele Personen angesichts der Größe

48 49

Übersetzt aus dem Französischen. Übersetzt aus dem Französischen.

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Musik ausstellen

des Museums keine Energie für den Besuch dieses Raums mehr aufbrachten. Zudem ist es auch möglich, das Museum über eine Treppe zu verlassen ohne den Bereich »Musiques du monde« zu durchqueren. Viele Besuchende könnten diesen Teil, trotz Beschilderung, auch schlichtweg übersehen haben. In Gesprächen wurde der Bereich dennoch häufig erwähnt. Eine Frau mittleren Alters aus der Provence sagte, es gehe zum Teil um Instrumente, die in Vergessenheit geraten seien, was sie daran erinnere, dass wir »an Vielfalt verlieren«. Mehrere Besucher*innen verwiesen auf einen in der Ausstellung präsentierten Film aus Vanuatu mit Frauen, die im Wasser stehen und rhythmisch auf die Wasseroberfläche schlagen sowie auf einen Film über die Herstellung eines indischen Sitars. Ein Mann aus Israel betonte in diesem Zusammenhang, wie sehr es ihn beeindruckte, dass die Menschen hier etwas aus Dingen machen, die sie in der Natur finden. Vereinzelt wurde Kritik geäußert. Ein Musiker aus Argentinien sagte: Maybe »Les Musique du monde«, it’s a little pretentious, … you know, that exotic touch of the museum, I didn’t really enjoyed that. Auf Nachfrage präzisierte er: It’s some ideas I get from […] the classification of »musiques du monde« as counterpart of the rest of the music we have seen, all the classical, romantic, baroque, and the history of occidental music. […] There is a lot of more instruments, more history, more to tell, to present in this museum. (07.08.2016) Hierzu korrespondierend gab eine Frau aus Polen an, dass man die Ausstellung zu »Musiques du monde« »vertiefen« könne.

2.3

Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig50

Der Bestand des Musikinstrumentenmuseums in Leipzig geht auf die Sammlung des Musikverlegers Paul de Wit zurück, der 1893 in Leipzig ein eigenes »Musikhistorisches Museum« mit über 1000 Objekten (neben Instrumenten auch Instrumententeile, Gemälde, Lithographien u.a.) begründet hatte. Zwischenzeitlich wurde die Sammlung nach Köln verkauft, gelangte aber 1926

50

Der Name des Museums wurde 2019 abgeändert. Zuvor hieß es »Grassi Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig«.

2. Fallstudien

dank privater Spenden nach Leipzig zurück und wurde der Universität angegliedert.51 1929 wurde die Ausstellung im Grassi Museum eröffnet. Der Kaufmann Franz Dominic Grassi († 1880) hatte der Stadt Leipzig ein großes Vermögen vererbt, aus dem der Bau des Gebäudekomplexes finanziert wurde. Innerhalb des Hauses befinden sich zwei weitere Museen: das Museum für Angewandte Kunst und das Museum für Völkerkunde. Seit der Eröffnung ist der Bestand des Musikinstrumentenmuseums stetig erweitert worden, zum Teil mit dem Ankauf kompletter privater Sammlungen. Das Museum verfügt heute über etwa 9000 Objekte.52 Es besteht aus einer Dauerausstellung, einer Studiensammlung, die nur auf Anmeldung zugänglich ist, einem Raum für Sonderausstellungen sowie einer als »Klanglabor« bezeichneten museumspädagogischen Abteilung. Die gegenwärtige Dauerausstellung wurde 2006 unter dem Titel »Die Suche nach dem vollkommenen Klang« eröffnet und widmet sich hauptsächlich der europäischen Kunstmusik im deutschsprachigen Raum von der Renaissance bis zum 20. Jahrhundert.

2.3.1

Analyse

Die Räumlichkeiten bestehen aus zwei langgezogenen Flügeln, die durch den Eingangsbereich sowie einen Saal (dem so genannten »Zimeliensaal«, der auch als Konzertsaal genutzt wird) miteinander verbunden sind. Während einer der Flügel aus einem Vorraum und drei Durchgangsräumen besteht, hat der andere die Form eines langen durchgehenden Flurs. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut, mit verschiedenen im Orientierungsplan und auf einer Informationstafel neben der Eingangstür verzeichneten Themenbereichen. Dabei wird vielfach der Leipziger bzw. sächsische Kontext einbezogen. Für alle Bereiche gibt es einführende Schrifttafeln, sowie ausliegende Informationsblätter, die wie folgt überschrieben sind: • • •

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»Renaissance: ›frembde canzones und gute teutsche Liedlein‹« »Heinrich Schütz: Die Sehnsucht nach der harmonischen Ordnung« »Bartolomeo Cristofori: Instrumentenbauer am Hofe der Medici«

Enrico Weller, »Paul de Wit – Gründer der Zeitschrift für Instrumentenbau und seine Verdienste um die Musikinstrumenten-Industrie«, in: Instrumentenbau-Zeitschrift 59, 9/10, 2005, 1-6, hier: 5-6. https://www.uni-leipzig.de/universitaet/struktur/museen-und-sammlungen/musikinst rumentenmuseum/ (zuletzt abgerufen am 19.11.2019).

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Musik ausstellen

• • • • • • • • •

»Johann Sebastian Bach: Director chori musici« »Konzertsaal – Zimelien« »Tonkunst um 1800 – Meisterspiel und Liebhaberei« »Stein & Streicher – vier Generationen Mühe und Fleiß« »Romantik – in Liebe zerflossenes Gefühl« »Sachsen, der musikalische Großlieferant« »›Die Stimme ertönt und verhallt…‹ – Musikautomaten und Musikwiedergabegeräte« »Bewegte Zeiten – Zeit der Bewegungen« »Neue Renaissance – Rückbesinnung auf die Alte Musik«.

Im Museumsplan finden sich verkürzte bzw. andere Titel: • • • • • • • • • • •

»Renaissance« »Heinrich Schütz« »Bartolomeo Cristofori« »Johann Sebastian Bach« »Tonkunst um 1800« »Stein & Streicher« »Romantik«, »Sachsen« »Musikautomaten und Musikwiedergabegeräte« »Bewegte Zeiten«, »Neue Renaissance«.

Mit dem Bereich »Neue Renaissance« wird eine Beziehung zum Anfang der Ausstellung hergestellt. Er widmet sich der Rückbesinnung auf Alte Musik in Leipzig seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Gezeigt werden u.a. Instrumente aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert nach historischen Vorbildern sowie neuere Kopien von Renaissance-Instrumenten des Freiberger Doms. Im »Zimeliensaal« ist die Chronologie unterbrochen; die Instrumente werden dort nach ästhetischen Gesichtspunkten präsentiert. Während unserer Aufenthalte zwischen 2015 und 2017 wurde die Ausstellung an einzelnen Stellen verändert. Zwei Themenbereiche – die Präsentation über die Zeit Johann Sebastian Bachs und der Bereich über Musikautomaten – wurden 2015 im Rahmen von Sonderausstellungen von Grund auf neu gestaltet und betitelt. Sie sind jetzt mit »Viola Pomposa« bzw. »Leipzig als Zentrum des Musikautomatenbaus 1880-1930« überschrieben.

2. Fallstudien

Musikinstrumente stehen eindeutig im Zentrum der Ausstellung. Es handelt sich überwiegend um Präsentationen »in context«. Vereinzelt finden sich szenische Konstellationen, z.B. die komplette Werkstatteinrichtung der Gitarrenwerkstatt Weißgerber in Markneukirchen mit originalen Objekten (im Bereich »Bewegte Zeiten«). Bei den Präsentationen »in context« sind die Instrumente zum Teil mit weiteren Artefakten (vor allem mit Gemälden, Zeichnungen, Notentexten, Fotos) ausgestellt. Neben Objektbeschriftungen gibt es thematische Informationstafeln, die sich aufgrund farblicher Kennzeichnung den historischen Bereichen zuordnen lassen. Hinzu kommen Informationsblätter in den einzelnen Räumen, fünf auf unterschiedliche Bereiche verteilte Touchscreens, überwiegend mit Musikbeispielen, sowie die Texte eines Audioguides mit Kopfhörer (nur für die Bereiche, die bereits 2006 gestaltet wurden). Den Audioguide kann man an der Kasse gegen eine Gebühr ausleihen. Auf der Fußleiste der Vitrinen befindet sich ein Aufkleber mit der entsprechenden Zahl des Audioguides. Dessen Texte sind zweisprachig (deutsch und englisch), ebenso die Beschriftungen der seit 2015 neu gestalteten Bereiche; die Flyer sind dreisprachig (deutsch, englisch, japanisch). Die als »Sehen und Hören« betitelten Touchscreens, deren Ton über Kopfhörer oder im Raum verteilte Lautsprecher zu hören ist, sind in den Bereichen »Heinrich Schütz« (über Lautsprecher), »Bartolomeo Cristofori« (über Kopfhörer), »Johann Sebastian Bach«, »Tonkunst um 1800« (über Lautsprecher), »Neue Renaissance« (über Kopfhörer) installiert. Auf den Monitoren finden sich Zeichnungen und Fotos von Instrumenten. Wenn man sie berührt, erscheinen einige schriftliche Informationen und es erklingen Musikbeispiele. Die Fotos beziehen sich auf Exponate, die in den Aufnahmen original erklingen, während die Zeichnungen für Instrumente stehen, deren Klang anstelle von ausgestellten Instrumenten zu hören ist. Benannt werden Titel (bzw. Musikform) und Komponist*innen, es werden aber keine Informationen über die Instrumente und auch keine Angaben über deren Standorte vermittelt. Die Verbindung zwischen Objekten und Klangbeispielen müssen die Besucher*innen selbst herstellen. Bei einigen ausgestellten Instrumenten verweisen kleine Piktogramme auf dazugehörige Musikbeispiele. Die Beispiele dauern etwa zwei Minuten und lassen sich nicht unterbrechen. Einige weitere (von den Besucher*innen nicht steuerbare) audiovisuelle Angebote auf Monitoren mit Abbildungen und Videos gibt es in den neu gestalteten Präsentationen sowie seit 2015 in der nachgebauten Gitarrenbau-Werkstatt Weißgerber (ein Film zeigt, wie eine Gitarre gebaut und gespielt wird). Am Ende der Ausstellung ist ein kinoartiger Raum eingerichtet, in dem auf einem Bild-

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Musik ausstellen

schirm in Dauerschleife Texte und Bilder zur Geschichte der Sammlung zu sehen sind. Es werden etwa bedeutende Sammler vorgestellt, und man erhält Einblicke in Ausstellungen der 1920er Jahre und zu DDR-Zeiten. Ferner geht es um die Rekonstruktion von Museumsteilen nach der Wende. Die Zeit des Dritten Reiches wird, abgesehen von einem Foto des zerstörten Gebäudes aus dem Jahr 1945, nicht berücksichtigt. Im Folgenden möchten wir wiederum einige Ausstellungsteile exemplarisch untersuchen. Dabei geht es um die Bereiche, die umgebaut wurden, und wir vergleichen jeweils die alten und neuen Präsentationen.

2.3.1.1 »Johann Sebastian Bach« Zunächst widmen wir uns dem ehemaligen Bereich »Johann Sebastian Bach«, wie er ab 2006 gestaltet war. In der Ausstellung fand sich eine Einführungstafel, die über das musikalische Leben in Leipzig zur Zeit Johann Sebastian Bachs informierte, als die Stadt den Ruf innehatte, »eine der prächtigsten und vornehmsten Städte, eine wichtige Messe- und Universitätsstadt und zugleich eine der bedeutendsten Musikstätten des Deutschen Reiches zu sein«. In mehreren Vitrinen wurden Saiteninstrumente präsentiert, mit Objektbeschriftungen am Glas sowie Informationstafeln über den musikhistorischen Kontext dieser Instrumente in Leipzig. Die Titel der Informationstafeln lauteten: • • • •

Vitrine 1: »Studiosi und andere Dilettanten der Musik« Vitrine 2: »Kirchenmusik in Leipzig« Vitrine 3: »Musik in der Leipziger Universitätskirche« Vitrine 4: »Martin und Johann Christian Hoffmann« (der zweite Absatz hatte die Überschrift: »Viola Pomposa und Violoncello Piccolo«).

Die Tafeln waren zum Teil auf den Rückseiten der Vitrinen positioniert, sodass man sie leicht übersehen konnte. Ähnliche »versteckte« Platzierungen fanden sich auch in anderen Ausstellungsbereichen. Die vierte Vitrine (Abbildung 9) soll etwas genauer beschrieben werden. Sie enthielt ein Clavichord, zwei Violinen, eine Theorbe, ein Violoncello piccolo sowie mehrere Gamben in verschiedenen Tonlagen und einen Gambenbogen. Alle Instrumente wurden in Leipzig gefertigt, die meisten stammten aus der Werkstatt Hoffmann. Sie waren mit Buchstaben versehen und so den Beschriftungen am Glas zugeordnet. Auf den Objektbeschriftungen waren für jedes Instrument Instrumen-

2. Fallstudien

tenbauer, Herkunftsort (Leipzig), Jahr der Herstellung und Inventarnummer benannt. Zu einigen Instrumenten gab es knappe Zusatzinformationen, z.B.: Discant-Viola da Gamba Johann Christian Hoffmann Leipzig, 1738 Inv.-Nr. 795 Das Instrument wurde während des 19. Jahrhunderts zu einer Bratsche umgebaut, wobei die Zargen um etwa zwei Zentimeter verschmälert wurden. Zwischen 1903 und 1912 wurde es zu einer Viola da braccio umgestaltet. So sind Hals und Griffbrett nicht mehr original.   Tenor-Viola da Gamba Johann Christian Hoffmann Leipzig, 1731 Inv.-Nr. 819 Im Nachlass Bachs befand sich u.a. eine Viola da Gamba.   Violoncello piccolo Johann Christian Hoffmann Leipzig 1732 Inv.-Nr. 918 J.S. Bach besetzt in neun seiner Kantaten (z.B. BWV 6, 41, 68) das Violoncello piccolo, und die Suite für Violoncello solo Nr. 6 (BWV 1012) schrieb er für ein vermutlich ebenfalls etwas kleineres Violoncello »à cinque cordes« mit der Stimmung C-G-d-a-e. Die unauffällig positionierte Informationstafel zeigte die Abbildung einer »Kantatenaufführung mit Violoncello piccolo« (Unterschrift) aus Johann Gottfried Walthers »Musicalische[m] Lexicon« (Leipzig, 1732), in der das Instrument in Armhaltung gespielt wird. Ferner war dort ein Porträt des Violinvirtuosen Franz Benda abgebildet; die Bildunterschrift verwies darauf, dass er Bach und seinen Söhnen 1734 in Leipzig begegnet ist. Der Text daneben widmete sich im ersten Teil den Instrumentenbauern Martin und Johann Christian Hoffmann und ihrem freundschaftlichen Verhältnis zu J. S. Bach. Der zweite Teil war mit »Viola pomposa und Violoncello piccolo« überschrieben. Dort hieß es:

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Musik ausstellen

Zeitgenössischen Berichten zufolge hat Bach den Instrumentenbauer J. Ch. Hoffmann angeregt, die ältere Tradition der im Arm gespielten Tenorgeigen (Fagottgeige, Viola da spalla) mit den baulichen Merkmalen des klanglich ausgereifteren Violoncellos zu verbinden. Bachs Zeitgenossen nannten derartige in Armhaltung gespielte Bassinstrumente Viola pomposa oder Violoncello piccolo. »Dies Instrument ist wie ein Violoncell gestimmt, hat aber in der Höhe eine Sayte mehr, ist etwas großer als eine Bratsche, und wird mit einem Bande so befestiget, daß man es vor der Brust und auf dem Arme halten kann. Der seel. Kapellmeister Herr Bach in Leipzig hat es erfunden.« »… Der ehemalige Geigenmacher in Leipzig Hoffmann hat deren verschiedene, auf Angeben Joh. Seb. Bachs verfertiget.« (Franz Benda)

Abb. 9: Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, Vitrine mit dem Titel »Martin und Johann Christian Hoffmann« (Foto: María del Mar Alonso Amat)

Die Präsentation ist durchaus typisch für die Ausstellung, wie sie 2006 eröffnet wurde. Die Instrumente stehen im Mittelpunkt. Die Objektbeschriftungen enthalten kommentierende Texte (die Objektdaten) oder lassen sich als abgeleitete Texte interpretieren, die vornehmlich den lokalen Kontext ver-

2. Fallstudien

deutlichen. Auch die Informationstafel bietet zunächst abgeleitete Kenntnisse (über die Instrumentenbauer). Der oben wiedergegebene zweite Abschnitt lässt sich zumindest teilweise als kommentierender Text verstehen und dem neben anderen Instrumenten ausgestellten Violoncello piccolo zuordnen. Aus dieser Konstellation lassen sich eine Reihe denkbarer Plots ableiten. Zu nennen wäre die Bedeutung des Leipziger Instrumentenbaus im 17. und 18. Jahrhundert sowie die enge Beziehung der Instrumentenbauer zu den Komponisten. Zu beidem wird man durch Informationstafel und Beschilderungen direkt hingeführt. Die Spielweise des Violoncello piccolo ist ebenfalls auf der Informationstafel beschrieben, die Zuordnung zum Instrument in der Vitrine muss von den Rezipient*innen vorgenommen werden; das Objektschild des präsentierten Violoncello piccolo bietet keine entsprechenden Informationen. Weitere die Instrumente direkt betreffende Kenntnisse, etwa die instrumentenbaulichen Unterschiede zwischen Instrumenten der Gamben-, Violinenund Lautenfamilie, lassen sich aufgrund des Vergleichs der ausgestellten Instrumente ableiten. Durch den Vergleich können sich vielfältige Plots in Abhängigkeit von Interessen und Vorkenntnissen ergeben. Während man also an lokale Kontexte vielfältig herangeführt wird (sofern man die unauffällig angebrachte Informationstafel nicht übersieht) ist man bezüglich der Instrumente als solche in hohem Maße auf sich selbst angewiesen. Zu einigen Instrumenten boten allerdings die Texte des Audioguides weitergehende Informationen. In diesen Texten geht es um Bauweise, Spieltechnik, ästhetische Erscheinung sowie um kultur- und soziohistorische Kontexte, je nach Objekt in unterschiedlichen Anteilen. Dabei ist zu bedenken, dass der Audioguide sehr selten in Anspruch genommen wird (vgl. Kapitel 2.3.3).

2.3.1.2 »Viola pomposa« 2015 erfolgte in diesem Raum die Einrichtung der Sonderausstellung »Pomposa, die Lauten- und Geigenmacher Hoffmann in Leipzig«, die später als ständige Ausstellung beibehalten wurde. Die Präsentation zeigt wiederum Instrumente in Vitrinen zusammen mit Informationstafeln, Objektschildern, Gemälden und Abbildungen aus historischen Quellen. Hinzu kommt ein Monitor mit Fotos, weiteren Abbildungen sowie Videofilmen. Auf dem Fußboden ist eine historische Straßenkarte mit dem Standort der Werkstätte der Instrumentenbauerfamilie Hoffmann platziert, sodass Ortskundige eine lokale Zuordnung vornehmen können. Nahe des Eingangsbereiches findet sich

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Musik ausstellen

neben einer Vitrine eine Informationstafel mit dem Titel »Viola pomposa«. Der Text lautet: Bis heute gibt sie Rätsel auf. Zeitgenossen berichten, dass die Viola pomposa von dem »seeligen Kapellmeister Bach« erfunden worden sei. Doch was war das für ein Instrument, das Johann Christian Hoffmann nach »Angeben Joh. Seb. Bachs verfertigt« haben soll? Meint Bach dasselbe, wenn er ein Violoncello piccolo verlangt? Nach den historischen Berichten war die Viola pomposa nur wenig größer als eine Bratsche, wurde aber gestimmt wie ein Violoncello. Die besonders kleinen Violoncelli aus der Werkstatt Hoffmann können Antworten geben auf Fragen der Stimmung und Spielhaltung und der Spielweise der Viola pomposa. Darunter steht, farblich abgesetzt, ein Zitat des Komponisten Ernst Ludwig Gerber aus dem Jahr 1790: »Die steife Art, womit zu seiner Zeit die Violoncells behandelt wurden, nöthigten ihn [Bach] zu der Erfindung der Viola pomposa […].« In der Vitrine ist ein »Violoncello piccolo« ausgestellt (Abbildung 10), darunter ein Objektschild. Die Objektbeschriftungen sind in der Ausstellung überwiegend einheitlich konzipiert. Ein erster Satz lässt sich als Denkanstoß interpretieren, dann folgen objekteigene Daten (Bezeichnung, Hersteller, Herkunft, Signatur) sowie ergänzende Informationen. Beim Violoncello piccolo lautet der Text: Ein Violoncello für den Geiger Violoncello piccolo Johann Christian Hoffmann Leipzig 1732 MIMUL 918 Um das Violoncello auch auf dem Arm spielen zu können, verkleinerte es Hoffmann bis an die Grenze des akustisch Möglichen. Dafür waren spezielle Saiten nötig, die mit Silberdraht umsponnen waren. An einer Innenwand der Vitrine ist eine Abbildung mit einer Detailansicht des Titelkupferstichs zum »Musikalischen Lexikon« von Johann Gottfried Walther angebracht. Sie zeigt Musiker, die vergleichsweise große Instrumente in Geigenhaltung spielen. Die Beschriftung hierzu lautet: Viola pomposa, Viola da spalla oder Violoncello piccolo? Titelkupfer/frontispiece,

2. Fallstudien

Johann Gottfried Walther Musikalisches Lexikon, Leipzig 1732

Abb. 10: Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, Viola Piccolo und Titelkupferstich zum »Musikalischen Lexikon« von Johann Gottfried Walther (Foto: María del Mar Alonso Amat)

Eine weitere Vitrine zeigt Streichinstrumente unterschiedlicher Größen aus verschiedenen Regionen des 18. Jahrhunderts: • • •

eine Pochette ein Violoncello da spalla zwei Violoncelli piccoli

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• •

eine stumme Geige eine »große sorbische Geige«.

Zudem werden der Nachbau einer Tenorgeige aus dem 16. und eine Bassgeige aus dem 19. Jahrhundert präsentiert. Daneben findet sich an einer Innenwand die Abbildung eines Holzschnitts aus dem 17. Jahrhundert mit Musikern und Saiteninstrumenten in verschiedenen Spielhaltungen. Auf einer Außenwand der Vitrine ist eine mit »Spielhaltungen« betitelte Informationstafel angebracht, die folgenden Text enthält: Dass die Geige am Kinn und das Violoncello zwischen den Knien gehalten werden, ist eine moderne Festlegung. Früher waren Spielhaltungen vielfältiger. So konnte ein Violoncello auch auf der Schulter gespielt werden. Die Haltung wählte der Spieler nach seiner Gewohnheit, der Instrumentengröße oder der Aufführungssituation. Ebenso war die Führung des Bogens variabel: im Unter- oder Obergriff, mit oder ohne Berührung der Haare. Unter dem Text ist ein kleiner Monitor angebracht. Er präsentiert fortwährend Fotos, Videos (mit leisem Ton) und Abbildungen aus historischen Quellen, die unterschiedliche Spielweisen von Streichinstrumenten im 16. und 17. Jahrhundert verdeutlichen. Allen Instrumenten sind Objektbeschriftungen zugeordnet, z.B.: An die Schulter gelehnt Stumme Geige Deutschland 1725 MIMUL 894 Dieses Übungsinstrument besitzt den Umriss einer Geige und das Korpus einer Pochette. Die moderne Geigenhaltung unter dem Kinn ist damit nicht möglich.   Die Kinnhaltung als Standard der Moderne Violoncello da spalla Lorenzo Arcangioli Florenz 1825 MIMUL 938 Um das Violoncello in der modernen Geigenhaltung unter das Kinn zu klemmen, mussten die Zargen abgeschrägt werden.  

2. Fallstudien

Vorbild für Hoffmanns Violoncello piccolo? Tenorgeige nach Paul Klemm (Freiberg vor 1594) Hans Salger Bremen 2004 MIMUL 5407 Instrumente in dieser Größe wurden im 17. Jahrhundert für Mittelstimmen gebaut. Johann Christian Hoffmann sah sie – mit neuartigen Saiten – für die Basslage vor. Im Unterschied zur Ausstellung von 2006 wird hier ein museales Narrativ im Zusammenspiel heterogener Elemente stringent gestaltet. Auf der Informationstafel zur Vitrine mit dem Violoncello piccolo wird J. S. Bach zunächst als möglicher Erfinder der Viola Pomposa benannt. Der letzte Satz der Tafel verweist auf die Spielhaltung des Instrumentes und korrespondiert mit den Darstellungen des Kupferstichs. Das Thema wird in der Objektbeschriftung zum Violoncello piccolo aufgegriffen. Es ergibt sich eine Verbindung mit der Vitrine zum Thema »Spielhaltungen«. Informationstafel, Illustrationen und Filme widmen sich dort explizit der damals üblichen Vielfalt von Haltetechniken. Zudem ist die Auswahl der Instrumente diesem Thema untergeordnet, das auch in den Objektbeschriftungen eine wichtige Rolle spielt. Den Besucher*innen werden damit detaillierte musikalische Kenntnisse direkt und eindeutig vermittelt. Die neue Ausstellung bietet die Möglichkeit, auf dem Nachbau eines Clavichords zu musizieren. Neben dem Instrument findet sich folgende Objektbeschriftung (ein Blatt auf einem Notenständer): Herzliche Einladung: Spielen Sie! Gebrüder Ammer Eisenberg 1948 MIMUL 3468 Die Tangente am Ende einer Taste schlägt die Saite zunächst an und dient ihr dann als Steg, sodass sie schwingen kann. Die Spieltechnik unterscheidet sich wesentlich vom modernen Klavier. Beim Spielen lässt sich die Tangententechnik nachvollziehen. Daher ergibt sich eine Korrespondenz zu Modellen von Spielmechaniken verschiedener Tasteninstrumente, die in dem benachbarten Raum präsentiert werden, der dem Instrumentenbauer Bartolomeo Cristofori gewidmet ist. Die Modelle sind an einer Wand hinter einer Plexiglasscheibe angebracht. Die Scheibe ist

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Musik ausstellen

an den Seiten offen, sodass man die Tasten berühren und die Mechaniken ausprobieren kann (man wird darauf allerdings nicht eigens hingewiesen). Es lassen sich durch Vergleiche und im Verbund mit dem Spiel auf dem Clavichord verschiedene Plots »erarbeiten«.

2.3.1.3 »Musikautomaten und Musikwiedergabegeräte« Die Ausstellung von 2006 präsentierte mechanische Instrumente, Spielwerke und Klavier-Vorsetzer sowie Grammophone und Phonographen. Eine freistehende Informationstafel beschrieb ausführlich die Bedeutung der Musikautomaten-Industrie in Leipzig. Abgesehen von einigen historischen Fotografien der Herstellung von Notenrollen in der Musikautomaten-Firma Hupfeld gab es keine bildlichen Darstellungen zu den Geräten. Einige weitere Elemente (z.B. ein Musikergemälde) korrespondierten nicht erkennbar mit dem Thema. Zu hören waren die Automaten im Rahmen von Führungen. Drei Hörbeispiele konnten von einer Medienstation abgerufen werden. Je nach Größe waren die Exponate in Vitrinen oder nebeneinander freistehend ausgestellt. Eine der Vitrinen enthielt eine Reihe von auf den ersten Blick sehr heterogenen Exponaten: • • • • • •

ein Vogelkäfig mit mechanischem Flötenwerk zwei Zungenspielwerke zwei Spieldosen eine Mundharmonika (mit Papierrolle) eine Mundharmonika in Form einer Trompete (mit daneben liegendem Rollstreifen) ein selbstspielendes Akkordeon.

Die gut sichtbaren Lochplatten der Zungenspielwerke, die Papierrolle und der Rollstreifen ließen erahnen, dass es sich hier durchweg um mechanische Instrumente handelte, was die Objektbeschriftungen, die an der Vitrine angebracht und mit Buchstaben den Objekten zugeordnet waren, bestätigten. Die Texte enthielten unterschiedlich umfangreiche Informationen. Für eines der Zungenspielwerke fand sich etwa folgende Beschriftung: Zungenspielwerk »Ariston« Fabrik Leipziger Musikwerke vorm. Paul Ehrlich & Co um 1890

2. Fallstudien

Inv.-Nr. 4059 Die Kurbel bewegt den Blasebalg und sorgt für die Drehung der Lochscheibe. Die unterhalb der Scheibe angebrachten Hebel öffnen die Ventile und so werden, ähnlich wie bei Harmonikainstrumenten, durchschlagende Zungen zum Klingen gebracht. Diese Konstruktion von Paul Ehrlich aus dem Jahr 1881 fand als beliebtes Heiminstrument weltweiten Absatz und stand am Beginn der massenhaften Produktion von Plattenspieldosen aus Leipzig.   Beim Vogelbauer hieß es hingegen lediglich:   Vogelbauer wohl Ernst Holzweißig Nachf. Leipzig, um 1910 Inv.-Nr. 2048 Ein Kolbenpfeifchen wird mechanisch bewegt und lässt die Vögel zwitschern. Beim Akkordeon: Mechanische Ziehharmonika »Tanzbär« Rolmonica Music & Co. Baltimore, um 1930 Inv.-Nr. 3487 Der Tanzbär, eine Erfindung Zulegers von 1905 erfreute sich bis Ende der 1920er Jahre großer Beliebtheit. Anton Zuleger war ein Leipziger Instrumentenbauer, worauf an anderer Stelle der Ausstellung verwiesen wurde. Im Verbund mit dem Text zielte die Präsentation auf das internationale Renommee der Leipziger Musikautomatenherstellung. Weitere Plots konnten sich durch die Zusammenstellung der Instrumente ergeben, etwa die gewichtige Bedeutung von Durchschlagzungen für mechanische Musikinstrumente. Bei den frei aufgestellten größeren Musikautomaten waren die Beschriftungen durchweg knapp gehalten. Einige der Exponate standen in einer abgesperrten Nische und konnten nur aus der Entfernung betrachtet werden, unter ihnen ein »Wandspielschrank« und mehrere Klaviervorsetzer. Informationen zur Funktionsweise gab es nur bei einigen Artefakten. Was es mit dem »Wandspielschrank« auf sich hatte, blieb offen, er wurde als reines Möbel-

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Musik ausstellen

stück präsentiert. Zwei der Klaviervorsetzer waren tatsächlich vor Klavieren platziert. Die Objektbeschriftung des einen lautete: Mechanischer »Klavierspieler« Ludwig Hupfeld Leipzig, um 1897 Inv.-Nr. 5461 Vorsetzer mit Kurbelantrieb und Kartonplatte für 36 Töne. Die Kartonplatte war gut sichtbar, sodass man sich die Funktionsweise ein Stück weit vorstellen konnte.

2.3.1.4 »Leipzig als Zentrum des Musikautomatenbaus 1880-1930« Die neue Ausstellung weist ein stark abweichendes Profil auf. An einer Wand im Eingangsbereich sind verschiedene plattenförmige Tonträger ausgestellt: Lochplatten, Schallplatten aus Schellack und Vinyl, eine Compact Disk. Darüber wird mit Fotos und knappen Sätzen die Chronologie der Tonträger skizziert. Eine Schrifttafel verweist auf die Bedeutung der Stadt Leipzig für die industrielle Produktion von Musikautomaten und auf Orte, in denen Musikautomaten aufgestellt wurden. Die Ausstellung gliedert sich in drei Themenbereiche, mit Informationstafeln, deren Überschriften die Themen kennzeichnen: »Selbstspielende Musikinstrumente zu Hause«, »Dauerbeschallung im Wirtshaus« und »Ludwig Hupfeld AG«. Einige weitere Automaten sind unabhängig davon ausgestellt. Für die drei Themen sind die Exponate vor Fotowänden gestellt. In den Bereichen »Selbstspielende Musikinstrumente zu Hause« und »Dauerbeschallung im Wirtshaus« sind sie so platziert, als wären sie Teil der auf den Fotos abgebildeten Räume. Es ergeben sich 3-DEffekte und damit in-situ-Konstellationen. Die Fotowände zeigen eine Gaststube in einem lokalen Wirtshaus und eine großbürgerliche Wohnung, laut Beschriftung eine »Wohnung in der Leipziger Leibnizstraße 24«. Vor dem Bild der Wohnung finden sich u.a. ein Vogelkäfig mit mechanischem Flötenwerk sowie eine Organette (Zungenspielwerk mit Lochplatte, alternative Bezeichnung: »Tischdrehorgel«) in einer Holzvitrine und Standuhren mit Spielwerken. Vor dem Bild des Wirtshauses werden eine automatische Zither und mehrere als Holzmöbel gestaltete Kammzungen-Spielwerke präsentiert (Abbildung 11).53

53

Zur Mechanik dieser Instrumente vgl. Birgit Heise, Leipzigs klingende Möbel – Selbstspielende Musikinstrumente 1880-1930, Katalog zur Sonderausstellung »music.mp0 – Selbstspie-

2. Fallstudien

Abb. 11: Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig, »Dauerbeschallung im Wirtshaus« (Foto: María del Mar Alonso Amat)

Beim Thema »Ludwig Hupfeld AG« zeigt die Fotowand eine Aufnahme der Hupfeld-Werke im Leipziger Stadtteil Böhlitz-Ehrenberg. Auf der Informationstafel heißt es: Die Firma von Ludwig Hupfeld bestand von 1892 bis 2011. Das imposante Fabrikgebäude wurde 1911 am westlichen Stadtrand von Leipzig als Europas größte Produktionsstätte für selbstspielende Klaviere und Orchestrions gebaut. Neben diesem Text findet sich eine Reihe von Fotos u.a. von Max Reger, Wilhelm Backhaus und Edward Grieg, die ihr Spiel bei Hupfeld auf Notenrollen aufnehmen und vervielfältigen ließen. Vor der Fotowand stehen von der Firma produzierte Klaviervorsetzer, ein pneumatischer Flügel sowie ein Grammophon. Videoaufnahmen auf zwei Bildschirmen, die den Klang und die Funktionsweisen von einigen ausgestellten Automaten dokumentieren, ergänzen die Präsentation. Der Vergleich zeigt wiederum, dass die ältere Ausstellung eher objektzentriert gestaltet war, und die Artefakte überwiegend für sich genommen lende Instrumente aus Leipzig« im Grassi Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig, Altenburg, Kamprad 2015, 37.

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präsentiert wurden, während die neue Präsentation stärker kontextuelle Zusammenhänge vermittelt. Im Gegensatz zur Ausstellung »Viola Pomposa« ergeben sich Erkenntnisse allerdings weniger durch Objekte im Verbund mit schriftlichen Informationen, sondern vielfach aufgrund von ObjektKonstellationen sowie dem Zusammenspiel von Objekten, Abbildungen und Filmen. Plots lassen sich damit stärker durch Schlussfolgerungen ableiten: Die Präsentation demonstriert die Vielfalt und Originalität der Musikautomaten, ein Plot, der sich auch in der alten Ausstellung ergab. Die insitu-Konstellationen bieten eine optische Kontextualisierung. Die Wand mit den plattenförmigen Tonträgern im Eingangsbereich weist den Musikautomaten ihren Platz am Anfang der Geschichte der Musikindustrie zu. Das Grammophon im Bereich »Hupfeld AG« wiederum verdeutlicht den Fortschritt der Technik. Weitere Plots betreffen den lokalen Bezug. Das prominent abgebildete Fabrikgebäude der Hupfeld AG ist bis heute erhalten geblieben, sodass ortskundige Besucher*innen wiederum einen direkten lokalen Bezug herstellen können. Weiterhin werden genaue Adressen von relevanten Orten angegeben. Das Foto des imposanten Fabrikgebäudes korrespondiert mit dem im Titel der Ausstellung vorgegebenen Plot hinsichtlich der besonderen Bedeutung der Stadt Leipzig für den Musikautomatenbau. Er wird weiter gestützt durch die Abbildungen berühmter Musiker, die ihr Spiel bei Hupfeld auf Notenrollen festhalten ließen.

2.3.2

Konzepte

Die Dauerausstellung wurde 2006 in der Verantwortung der damaligen Direktorin Eszter Fontana54 kuratiert. Beim Titel »Die Suche nach dem vollkommenen Klang« geht es nach Frank Sindermann (ehemaliger Musikpädagoge am Hause) um eine Suche, die nicht zu einem Ziel führt. Es gibt keinen idealen Klang. Es ist eine fortdauernde Suche und Entwicklung. Die Instrumentenbauer haben immer versucht ein perfektes Instrument zu bauen.55 Die Ausstellung wurde nach ästhetischen und historischen Gesichtspunkten konzipiert. Eszter Fontana möchte ein vielschichtiges Publikum erreichen.

54 55

Eszter Fontana war von 1995 bis 2013 Direktorin des Museums. Frank Sindermann, Interview, 28.04.2015.

2. Fallstudien

»Geschichte und Schönheit«, sagt sie, sind Aspekte, die alle ansprechen, »Zeitabfolge ist für jedermann verständlich«. Ihre Intention war es zu zeigen, dass Instrumente häufig »selbst von sich aus« sprechen. Die Besucher*innen sollen »sich durch die Betrachtung der Musikinstrumente Fragen stellen«. Die Kuratorin spricht in diesem Zusammenhang auch von »Kommunikation durch Inszenierung«, man müsse die Objekte »in die Lage bringen, zu erzählen«.56 Im Einführungstext des Audioguides, den Eszter Fontana selbst gesprochen hat, heißt es: Sie gewinnen einen Eindruck von den handwerklichen, künstlerischen und experimentellen Fähigkeiten der Instrumentenbauer seit dem 16. Jahrhundert und können sich vom wortwörtlichen Zusammenklang von Form, Dekor und musikalischem Zweck selbst überzeugen. Weiterhin geht es laut Audioguide darum, durch Instrumente in Verbindung mit graphischen Elementen und Musikbeispielen »Musikgeschichte für alle Sinne lebendig werden zu lassen«. Dennoch betont Fontana im Interview, dass verbale Texte notwendig sind, um die Geschichten der Instrumente zu erzählen. Die Knappheit der Beschreibungen bei den Objektbeschriftungen ist dabei eine Reminiszenz an vermeintliche Rezeptionsgewohnheiten: Wenn so viele Texte sichtbar sind, das macht müde, und gelesen wird es ja nicht. Das ist ja das Interessante. Ich will nur das lesen, was ich lesen will und dann will ich alles wissen. Das ist ganz schwierig.57 Daher sind Führungen und kleine Publikationen wichtige Bestandteile der Konzeption. Fontana vergleicht die Ausstellung mit einer »großen Bibliothek«, in der man auswählen kann. Man kann sich z.B. auf eine bestimmte Epoche konzentrieren oder sich auf die herausragenden Objekte der Ausstellung beschränken. Wenn man sich für letzteres entscheidet, kann man ein Büchlein erwerben, einen »kleinen Führer mit 100 Highlights«. Ferner gibt es hierfür den Flyer mit »Kostbarkeiten«. Er versteht sich auch als Angebot an die Besucher*innen, selbst aktiv zu werden und die dort beschriebenen Instrumente in der Ausstellung zu suchen. Der starke lokale Bezug in der Ausstellung verdankt sich Fontana zu Folge dem Bestreben, eine einmalige und besondere Ausstellung zu präsentieren. Die Sammlung, sagt sie, ist vergleichbar mit anderen, etwa in Berlin oder Nürnberg. Man wollte sich 56 57

Eszter Fontana, Interview, 28.04.2015. Ebd.

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unterscheiden und es war naheliegend, sich auf Leipzig als »Musikstadt« zu konzentrieren.58 Schließlich betont Fontana, dass es bei der Konzeption auch darum ging, die drei Museen im Grassi aufeinander abzustimmen, »das Grassi Museum als Einheit zu präsentieren«.59 Abgesehen von einigen gestalterischen Ähnlichkeiten, konnten wir bei unseren Besuchen allerdings keine konzeptuellen Parallelen erkennen. Dabei ist zu bedenken, dass alle drei Museen seit 2006 vielfach umgestaltet wurden. Josef Focht, der jetzige Direktor (seit 2014), möchte in weiten Teilen andere Vorstellungen verwirklichen. Die aktuelle Dauerausstellung ist für ihn zu sehr nach ästhetischen Gesichtspunkten konzipiert, die Objekte werden »zum Erstaunen und zur ehrfürchtigen Betrachtung«60 präsentiert. Organologische Fragen spielten hingegen keine wesentliche Rolle. Focht wünscht sich eine Ausstellung, die sich den Funktionen der Instrumente in ihrer Zeit widmet und »aufführungspraktische, spieltechnische und performative Kontexte« vermittelt. Dabei wendet er sich, wie Eszter Fontana, an ein vielschichtiges Publikum: Wir haben heute, genauso wie in der Vergangenheit, ein sehr breitgefächertes Publikum. Nur heute bekennen wir uns dazu. In der Vergangenheit haben wir versucht, das Publikum über einem Kamm zu scheren. Das ist die Idee der allgemeinen Bildung: Alle müssen dasselbe erfahren und alle müssen dasselbe mit denselben Medien auf dieselbe Weise lernen, und wenn nicht, dann bekommen sie disziplinarischen Ärger. Und heute sind wir frei genug zu sagen, wir haben eine ganz breitgefächerte Besucherschar. Sie kommen zu uns mit unterschiedlichen Interessen, Vorbildung, Sprachen, Erlebnisbedarf, und wir versuchen für all diese Interessen und Erwartungshaltungen etwas bereitzuhalten. Das heißt, ich möchte für die Spieler was zum Spielen anbieten, für die Leser was zum Lesen, für die Instrumentalisten ein performatives Angebot machen, für die jüngere Generation natürlich soziale Medien anbieten, für die Spezialisten eine augmented reality im Sinne von Zusatzwissen über die Objekte bereithalten. Das ist Vielfalt und nicht die normierte Bandbreite von Vermittlungsmedien und von Vermittlungsideen. Es hat keinen Sinn, jedes Instrument zum Spielen anzubieten oder an jeder Vitrine ein Touchpad anzubringen oder eine

58 59 60

Ebd. Ebd. Josef Focht, Interview, 22.04.2015.

2. Fallstudien

Texttafel an jeder Vitrine anzubringen, sondern mal dies, mal das. Und die Qualität der Geschichte entscheidet.61 Josef Focht kuratierte 2015 die neu eingerichtete Ausstellung »Viola Pomposa«. Das Interview hatten wir mit ihm zwei Wochen vor der Eröffnung geführt. Für die neue Ausstellung zum Thema »Selbstspielende Musikinstrumente« zeichnet Birgit Heise, die von 1993 bis 2018 Kustodin der Sammlung des Museums war. Die Neugestaltung erfolgte, wie erwähnt, im Rahmen einer Sonderausstellung. Ziel dieser Ausstellung war es, Menschen aller Altersgruppen vor allem aus Leipzig und Sachsen zu erreichen, »die sonst nicht in unser Museum kommen würden«.62 Mit den in-situ-Gestaltungen (Wirtshaus, Wohnzimmer) wollte die Kuratorin zeigen, »wer die Automaten brauchte«. Die Hupfeld-Fabrik rückte u.a. in den Vordergrund, »weil das Gebäude noch steht und viele es kennen«.63

2.3.3

Rezeption

Während des Forschungsaufenthaltes im Museum im Mai 2017 kam an einem Morgen ein Mann mittleren Alters in die Ausstellung, ein Schweizer Mediziner, der, wie wir später im Interview erfuhren, in Leipzig an einem Radiolog*innen-Kongress teilnahm. Er kam alleine und fragte die Frau an der Kasse, ob sich in der Ausstellung »der älteste Hammerflügel« befände. María del Mar Alonso Amat, die sich in der Nähe aufhielt, begleitete den Besucher in den Cristofori-Raum und zeigte ihm einen von Bartolomeo Cristofori hergestellten Hammerflügel, laut Objektbeschriftung der »älteste Hammerflügel der Welt in seiner ursprünglichen Form«. Sie sprachen über das Instrument und es wurde deutlich, dass der Besucher sich sehr gut auskannte. Er machte ein Foto von der Informationstafel des Raumes und ging weiter in den Renaissance-Bereich. Dort betrachtete er ein Clavichord aus der Zeit genauer, sah sich kurz die ausgelegten Flyer an und besuchte dann die übrigen Räume. Während des Interviews am Ende der Ausstellung gab er ein differenziertes aber insgesamt positives Urteil ab: Es ist eine sehr schöne Ausstellung, sehr gut zusammengestellt. Die Tasteninstrumente überwiegen ein bisschen, da wünscht man sich was anderes,

61 62 63

Ebd. Birgit Heise, Interview, 25.02.2016. Ebd.

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Musik ausstellen

Blasinstrumente vielleicht noch. Das ist aber sicherlich durch die Historie bedingt, dadurch, dass eben einfach verschiedene Sammlungen hier zusammengeflossen sind. Ich bin persönlich ein großer Fan von Tasteninstrumenten, insofern ist es für mich sehr interessant. Was ein bisschen weniger repräsentiert ist, sind auch die Saiteninstrumente, also Gitarren und so. Aber das hat vielleicht auch nicht diese Geschichte und vielleicht kann man da auch nicht so viele Exponate zeigen. Aber es ist für mich eine sehr beeindruckende Konstellation und ich denke, auch die Beschreibungen sind ganz gut. Was ich gerne hätte und wo ich nicht genau weiß, ob es das wirklich gibt, ist so eine Gesamtübersicht, die man im Buch mitnehmen kann oder auch in elektronischer Form, irgendwie, über die ganze Ausstellung. […] Was toll wäre, aber das wird sich nur bedingt realisieren lassen, vielleicht, dass man auch noch Hörbeispiele von den Instrumenten hätte. Was ich besonders toll fand, war das Cembalo, nein, das war kein Cembalo, das ist ein Clavichord, der Nachbau, den man da selber spielen konnte. Ich habe erst dann verstanden eigentlich, wie das Clavichord funktioniert, mit diesem Nachbau. (23.05.2017) Der Mann war ein besonders aufmerksamer Besucher und er verfügte über eine besondere Vorbildung. Dennoch erweist er sich in mancher Hinsicht als repräsentativ. Die Untersuchungen zur Rezeption des Publikums beruht auf Forschungsaufenthalten im April 2015 und (in größerem Umfang) Mai 2017. In die Zeit des Aufenthalts 2017 fiel der evangelische Kirchentag in Leipzig; am 25. Mai (Christi Himmelfahrt) und am 26. Mai kamen deutlich mehr Besucher*innen als an den vorherigen Tagen. Man konnte die Teilnehmer*innen des Kirchentags gut anhand orangener Tücher erkennen, die sie trugen. Unseren Beobachtungen zufolge waren die Verweildauern der Kirchentagsteilnehmer*innen vergleichsweise kurz (im Schnitt 30 bis 40 Minuten). Viele andere Besucher*innen verbrachten bis zu zwei Stunden im Museum und die Gespräche mit diesen Personen bezeugten oftmals eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Ausstellung. Vielfach ging der gemeinschaftliche Museumsbesuch mit reger Kommunikation einher. Man machte sich gegenseitig auf Dinge aufmerksam und drückte Freude und Überraschung aus. Die Medienstationen wurden regelmäßig in Anspruch genommen. Das Publikum umfasste alle Generationen, wobei die große Mehrheit mit musikalischen Kenntnissen aufwarten konnte. In der Zeit vom 20. bis 26. Mai 2017 wurden insgesamt 46 Gespräche mit Einzelpersonen, Paaren, Familien und

2. Fallstudien

kleinen Gruppen geführt. 13 Mal waren die Personen eigens zum Kirchentag angereist. Lediglich fünf Personen gaben an, dass sie weder ein Instrument spielen noch im Chor singen. Die meisten sagten, dass sie im Amateurbereich musikalisch tätig sind, häufig ohne dass wir direkt danach gefragt hatten. Außerdem sprachen wir mit einer Gruppe von Musikstudierenden und ihren Dozent*innen aus den USA. Lediglich bei neun Gesprächen kamen die Gesprächspartner*innen aus Leipzig und Umgebung. Der weitaus größte Teil kam aus verschiedenen Regionen Deutschlands, nur sehr wenige aus anderen Ländern. Anlässe für den Besuch ergaben neben dem Kirchentag touristische und berufliche Aufenthalte in Leipzig. Bei den Erwachsenen handelte es sich überwiegend um Personen mit akademischem Hintergrund. Die Besucher*innen, mit denen wir bereits im April 2015 gesprochen hatten, zeigten ein ähnliches Profil, wenngleich sich unter ihnen im Verhältnis mehr Musikstudierende fanden. Im April 2015 hatten einige Besucher*innen zu Protokoll gegeben, dass der Leipziger Kontext in der Ausstellung anschaulich dargestellt ist und deutlich wird, dass Leipzig einst eine wichtige Musikstadt war. Wir hatten daraus geschlossen, dass lokale Themen vielfach nachvollzogen und als inhaltliche Schwerpunkte des Hauses erkannt würden.64 Das relativiert sich in den umfangreichen Gesprächen vom Mai 2017. Auf die Frage nach allgemeinen Eindrücken wurde der Leipziger Kontext überhaupt nur von drei Personen erwähnt: Besucherin (Lehrerin, Mitte 50) aus Niedersachsen, Kirchentagteilnehmerin (25.05.2017) Für mich gab es viel Neues, was ich nicht wusste. Instrumente, die ich nicht kannte und auch diese mechanische Wiedergabeinstrumente. Das wusste ich nicht, dass es in Leipzig beheimatet war. Es war informativ, klasse.   Besucherin (Buchhändlerin, Mitte 40) aus Friedrichshafen Kirchentagteilnehmerin (25.05.2017) Jedes Museum hat einen Schwerpunkt und hier habe ich den Eindruck, es ist ja auch mehr aufs Clavichord und auf Bach und die ganzen Leipziger Instrumentenbauer rundherum. Alonso: Dann haben Sie den Bezug auf Leipzig gesehen? Besucherin: Ja, genau. Ein bisschen auf Bach und ich wusste zum Beispiel

64

Alonso Amat, Meyer 2016, 7.

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Musik ausstellen

nicht, dass die Silbermann-Orgel aus Leipzig kommt. Also da habe ich schon ein bisschen was gelernt. Ich habe mich jetzt nicht vertieft aber beim Spaziergang durchs Museum habe ich einiges mitgenommen.   Besucherin (Kinderärztin, Mitte 50) aus Tübingen (25.05.2017) Und was mir nachher gefällt, ist, dass es gezeigt wird, dass es in Leipzig auch weiter gegangen ist. In der Romantischen Zeit mit Mendelssohn und Schumann und der Instrumentenbau, der sich hier angesiedelt hat. Dieses Gewandhausorchester, aus den Bürgern: Es ist der erste Konzertsaal von den Tuchhändlern. […] Diese Verwurzelung in der Gesellschaft finde ich einfach toll. Erst wenn wir direkt nach Leipziger Bezügen gefragt haben, wurden diese vielfach benannt. Meistens wurde auf einzelne Aspekte Bezug genommen, auf das Wirken Johann Sebastian Bachs, die Instrumentenbauer, die Musikautomaten. Zehn Personen gaben an, dass sie den Leipziger Kontext nicht oder nur nebenbei bzw. im Nachhinein (»Jetzt, wo Sie es sagen.«) erkannt haben. Anscheinend spielt es eine Rolle, dass lokale Bezüge vielfach über Informationstafeln vermittelt werden, was etwa ein Gespräch mit zwei Studierenden veranschaulicht (24.05.2017): Alonso: Habt ihr einen Bezug auf Leipzig gesehen? Besucher: Bach habe ich gesehen, dass spezielle Instrumente für ihn gebaut wurden. Besucherin: Ich habe jetzt auch nicht so viel gelesen. Besucher: Das habe ich gelesen, auf jeden Fall. Alonso: Habt ihr dann eher die Instrumente angeschaut? Beide: Ja! Die Frage nach allgemeinen Eindrücken wurde meistens mit Verweisen auf Instrumente und Instrumentengruppen sowie Schlussfolgerungen, die sich überwiegend aus der Betrachtung der Instrumente ergeben, beantwortet. Insbesondere wurden die Vielfalt der Instrumente, die Unterschiedlichkeit innerhalb von Instrumententypen sowie die Berücksichtigung vieler Epochen benannt. Hervorgehoben wurden die Seltenheit und Besonderheit vor allem von älteren Instrumenten. Eine wichtige Rolle spielte der gebotene ästhetische bzw. kontemplative Zugang. Die Schönheit der Instrumente wurde betont, ihre kunsthandwerkliche Ausgestaltung, die Rede war von »schöner ruhiger Atmosphäre«, »ästhetisch sehr schön«, »geduldigem Hinwenden zur

2. Fallstudien

Kunst«, »es ist aufgelockert, es ist schön präsentiert«. Viele Besucher*innen hatten einen persönlichen Zugang, indem sie sich auf Instrumente konzentrierten, die sie selbst spielen. Hier wurde bisweilen Kritik geübt, weil man die eigene Perspektive vernachlässigt sah. Der Audioguide wird, wie uns die Mitarbeiter*innen an der Kasse sagten, nur sehr selten in Anspruch genommen65 , was sich mit unseren Beobachtungen deckt. Da zudem die Objektbeschriftungen knapp gehalten sind, ergeben sich Plots eher aufgrund der Objekte als solche und des Vergleiches. Dennoch wurden von den Besucher*innen vielfach mechanische Funktionsweisen und historische Zusammenhänge (Entwicklungen von Instrumenten) benannt, wenn es darum ging, was sie für sich durch den Museumsbesuch an Kenntnis hinzugewonnen hatten. Bei den historischen Zusammenhängen stand dabei bisweilen weniger Faktizität im Vordergrund, sondern eher die Vermittlung eines »Sinnes für Geschichte und Entwicklung«, wie es ein Dozent (für »philosophy and ethics«) der oben genannten Musikstudierendengruppe aus den USA ausdrückte (20.05.2017): Well it’s fascinating; it gives you a sense of the history and the development of the western music. I mean, that’s one thing you see in Leipzig very clearly, from the foundations, the rise of western music and that sort of exhibits, it’s really, really helpful I think, for students, for individuals like myself, to have more of the feel and the flavour of how music has developed and what it must have sounded like in past times. Kritik wurde von fast allen Gesprächspartner*innen nur geäußert, wenn wir direkt nach Kritik oder Verbesserungsvorschlägen fragten. Sie betreffen vor allem fehlende Information. 2015 wurde von Musikstudierenden mehrfach Kritik an der knappen Beschreibung von technischen Merkmalen, Spielweisen und historischen Zusammenhängen geübt und mehr Information eingefordert. 2017 wurde diese Kritik von einigen Personen (mit anderem Hintergrund) aufgenommen: Besucher (Radiologe, Mitte 50) aus der Schweiz (23.5.2017, vgl. Interviewausschnitt oben) Was ich gerne noch ein bisschen herausgestellt habe, mir fehlt der Anfang,

65

Als ein Mitglied unseres Projektteams im September 2017 in die Ausstellung kam und als regulär zahlender Besucher nach einem Audioguide fragte, zeigten sich die Mitarbeiterinnen an der Kasse sogar verwundert.

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Musik ausstellen

wie man auf die Technik des Cembalos gekommen ist, oder auf die Entwicklung des Cembalos. Das fehlt mir ein bisschen. Das wird beim Hammerklavier ganz gut erläutert, wie das entstanden ist, aber ich denke auch das Cembalo hat seine ursprüngliche Geschichte, ganz am Anfang, um 1530 vielleicht, und es wäre spannend, wie ist es eigentlich [entstanden]. Da beginnt eigentlich das Tasteninstrument-Zeitalter.   Besucherin (Studentin der Bioinformatik) aus Leipzig (24.05.2017) Und dann teilweise fehlen auch ein bisschen ausführlichere Texte. Also ich fand immer das, was auf dem Instrument stand, ein bisschen aussagelos teilweise. Alonso: Die Beschriftungen am Glas? Besucherin: Ja, genau. Also, wer waren die Instrumentenbauer, und […] vielleicht habe ich es irgendwie verpasst aber irgendwie die Texttafeln, die ich gesehen habe, habe ich nicht so ganz verstanden.   Ehepaar (Anfang 60) aus den Haag, Niederlande (24.05.2017) Besucher: Ja, was noch fehlt ist eine nähere Erklärung davon, was ist der Unterschied zwischen einem Clavichord und einem Spinett, zum Beispiel. Besucherin: Ja, was genau. Sie sind ein bisschen ähnlich, aber auch different. Besucher: Und man könnte etwas tiefer auf die Technik der Instrumente eingehen, denke ich. Man sieht nur die Außenseite von den Instrumenten und nicht die innere, das Interieur der Instrumente. Wie das wirkt, wie die Hammer wirken. Wir haben eine ganz große Entwicklung gehabt! Von Clavicembalo bis Konzertflügel.   Weitere (von wenigen Besucher*innen geübte) Kritik betrifft – trotz der vorhandenen Angebote – fehlende klingende Musik und die Möglichkeit selbst zu musizieren. Offenbar geht es hier vor allem um einen stärkeren Bezug zwischen Objekten und Klangbeispielen. Beispiele aus zwei Gesprächen mögen das illustrieren:   Paar (Mitte 40, Lehrerin und Agraringenieur) aus Stuttgart, Kirchentagteilnehmende (25.05.2017) Besucherin: Ich fände das Akustische dazu noch wichtig, dass man sich eher vorstellen kann, wie klingt denn das Instrument. Also, so ein bisschen interaktiv, dass man – vielleicht nicht möglich – aber, dass man so per Knopfdruck einfach sich manches anhören kann.

2. Fallstudien

Besucher: Oder man kann sich nicht vorstellen, wie man spielt. Also wenn eine Gitarre vier zusätzliche Basssaiten hat […] wie es denn klingt? Oder wie man sie spielt? Das könnte man vielleicht mit Video unterstützen oder so was, mit neueren Medien.   Zwei angehende Studierende (Anfang 20) aus Recklinghausen (25.05.2017) Besucher 1: Ich finde es schade, dass man nicht so viel ausprobieren kann. Man sieht die Instrumente, kann sich aber nicht genau vorstellen, wie sie klingen. Die Instrumente sehen auch ähnlich aus. Besucher 2: […] Instrumente leben ja hauptsächlich vom Klang. Es war schön hier auf den Anlagen, auf den Computern, sich das mal anzuhören, aber so die Entwicklungen, wie ist der erste Klang, das wäre interessant zu erklären, ein bisschen interaktiver. Besucher 1: Genau. Einfach, weil man so viele Variationen zu einem Instrument, zum Beispiel von einem Cembalo, gesehen hat. Man weiß es nicht, wie es von einem zum anderen läuft, was der Unterschied ist. Ich finde schon wichtig, dass man irgendwie weiß, wie das klingt.

2.4

rock’n ’ popmuseum, Gronau

Gronau ist eine Kleinstadt im westlichen Münsterland an der deutsch-niederländischen Grenze, Insider*innen bekannt als Geburtsort des deutschen Rockstars Udo Lindenberg. Das rock’nʼpopmuseum wurde 2004 im Rahmen von Stadtsanierungen aufgrund des Strukturwandels in der ehemaligen Turbinenhalle eines Textilunternehmens eröffnet. Es sollte als »FlagshipProjekt« einer Erneuerung der Region zuarbeiten.66 Florian Teetz verweist in diesem Zusammenhang auf Untersuchungen, denen zufolge sich die Übernachtungszahlen in Gronau seit der Eröffnung des Hauses nahezu verdoppelt haben.67 Initiator war der damalige Kulturamtsleiter der Stadt Elmar Hoff, der die Pläne für das Museum mit Hilfe von Udo Lindenberg voran-

66

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Vgl. Florian Teetz, »Revitalisierung durch Kultur – das Rock’nʼPopmuseum in Gronau«, in: Westfalen Regional, 2013, www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Bildung_Kultur/RnP_Museum (zuletzt abgerufen am 16.08.2019). Zum Begriff »Flagship« vgl. Noam Shoval, »Das Phänomen der Flagship-Museen«, in: Geographische Rundschau 2, 2009, Braunschweig, 28-33. Teetz 2013.

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Musik ausstellen

trieb.68 Der Eröffnung des Hauses gingen rege Sammelaktivitäten voraus.69 Es wird als 100-prozentige Tochter der Stadt von einer Gemeinnützigen GmbH betrieben; die Stadt trägt den Verlustausgleich. Im Herbst 2017 wurde das Museum geschlossen und im November 2018 – nach grundlegender Umgestaltung – neu eröffnet. Unsere Untersuchungen beschränken sich auf die ältere, 2017 geschlossene Dauerausstellung, die im Untergeschoss eingerichtet war,70 während das Hauptgeschoss für Sonderausstellungen und Veranstaltungen genutzt wurde. In dem Stockwerk darüber befand sich das funktionsfähige (und auch genutzte) originale Tonstudio der ehemaligen deutschen Band »Can«. An der Kasse wurde man aufgefordert, zunächst mit dem Fahrstuhl ins Can-Studio zu fahren, daraufhin in die »eigentliche« Dauerausstellung.

2.4.1

Analyse

Eine Präsentation im Vorraum der Dauerausstellung widmet sich der »Salonmusik« (Überschrift einer Informationstafel) des späten 19. Jahrhunderts und stellt eine Art Prolog dar. Von dort führt ein Flur in die Haupthalle; die Einrichtung des Flurs mit Lichtshow und Glaskugel an der Decke scheint einer Diskothek der 1970er Jahre nachempfunden. An den Seiten sind Monitore aufgestellt, mit Filmdokumenten von Modetänzen aus verschiedenen Zeiten. Wenn man die Haupthalle betritt, finden sich entlang der rechten und der gegenüberliegenden linken Wand Exponate zu Themen, die in einer vom Kurator des Museum Thomas Mania verfassten Informationsbroschüre wie folgt überschrieben sind: • • • • • 68

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»Black Music« »1920er« »Nationalsozialismus« »Amerikanisierung« (betrifft die 1950er Jahre) »British Invasion« (betrifft die frühen 1960er Jahre) Elmar Hoff, »Wege zum Rock’nʼPop-Museum in Gronau«, in: Insel der Träume – Musik in Gronau und Enschede 1895-2005, hg. v. Alfred Hagemann und Elmar Hoff, Essen, Klartext-Verlag 2006, 381-384, hier: 383-384. Über diese Aktivitäten in Deutschland und benachbarten Ländern sowie den damit einhergehenden Enthusiasmus berichtete Jürgen Wiedehöff, Mitarbeiter des Museums (Interview, 23.06.2016). Die 2018 neu eingerichtete Dauerausstellung befindet sich im Hauptgeschoss.

2. Fallstudien

• • • • •

»Rock Age« (betrifft die späten 1960er und frühen 1970er Jahre) »Punk/Disco« (betrifft die späten 1970er Jahre) »1980er Jahre« »1990er Jahre« »Elektronische Musik«

In den Überschriften von Informationstafeln werden die Themen z.T. spezifiziert oder eingegrenzt. Die späten 1960er und frühen 1970er Jahre sind mit »Rock und Rebellion« überschrieben, die späten 1970er Jahre mit »Punk, Disco und die Alternativen«, die 1980er Jahre mit »Die Neue deutsche Welle«, die 1990er Jahre mit »Musikalische Vielfalt«. Einzig die Themen »Black Music« und »Elektronische Musik« sind keinen bestimmten Zeitabschnitten zugeordnet. Hinter dem Bereich »Elektronische Musik« befindet sich am Ende der linken Wand eine »Udo Lindenberg Ecke« mit Bühnenoutfits, Fotos und ansteuerbaren Filmen. In der Mitte der Halle sind heterogene Exponate ausgestellt u.a. • • • • •

E-Gitarrentypen eine interaktive Station mit verschiedenen Gitarrensounds elektronische Schlagzeuge zum selbst Spielen ein E-Piano von Herbert Grönemeyer eine »Trance-Glocke«, unter der man eine Klangkomposition von Jewgeni Birkhoff hören kann.

An der Wand vom Eingang aus gesehen hinten werden in einer Endlosschleife Videos von Konzertmitschnitten einer Reihe von Interpret*innen aus verschiedenen Zeiten gezeigt. Von dort gehen zwei weitere Räume ab, die vor allem emotionale Erfahrungen vermitteln. In einem sind unter dem Titel »Auditive Zeitreise« Tonaufnahmen aus verschiedenen Zeiten, z.B. Reden von Hindenburg und Hitler, oder auch Kriegsdonner zu hören. Der andere präsentiert Audiobeispiele harter, lauter Rockmusik. An der vorderen Wand der Haupthalle werden – in Korrespondenz zu den ausgestellten Instrumenten – auf einer Leinwand ansteuerbare Videos zum Thema »Gitarre« präsentiert. Abgesehen von der Präsentation der »Salonmusik« im Vorraum sind die historisch geordneten Bereiche sowie die Themen »Black Music« und »Elektronische Musik« weitgehend einheitlich gestaltet, mit Ausstellungselementen wie Abspielgeräte, Bühnenkleidung, Instrumente, Plakate, Plattencover, Fotos, Filme und Audiobeispiele. Zu fast allen Themen gibt es eine

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Musik ausstellen

allgemeine Informationstafel und häufig Beschilderungen zu Objekten und Objektkonstellationen. Die Bereiche sind gestalterisch durch unterschiedliche »Hintergrundtapeten« voneinander abgesetzt. Für den Bereich der frühen 1960er Jahre dient z.B. ein Druck von Roy Lichtenstein als Hintergrund, für die 1980er Jahre ein Strichmännchen-Bild von Keith Haring. Alle Bereiche sind mit Schubladen versehen; rechteckig geformte Schubladen enthalten weitere Text- und Bild-Informationen, quadratische Schubladen Musikbeispiele, die beim Öffnen erklingen. Bei einigen Aufnahmen kommen Kopfhörer zum Einsatz; zumeist erklingt die Musik allerdings frei im Raum, sodass eine große Zahl von Klangbeispielen gleichzeitig zu hören ist. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Exponate zu den historischen Themen »in context« ausgestellt. Die Bereiche sind mit Touchscreens ausgestattet, bezeichnet als »Exploratorien«. Sie bieten tiefer gehende Informationen, die in unterschiedlicher Weise mit den Exponaten in Verbindung stehen. Der Monitor im Bereich der 1950er Jahre enthält z.B. Buttons zu den Themen »Elvis Presley«, »Alan Freed«, »Tanzmusik in der DDR«, »Lederjacke«, »Rock’n Roll«, die mehr oder weniger auf die Exponate bezogen sind sowie »Ostermärsche« und »Beat Literatur«, deren Inhalte sich als abgeleitete Texte verstehen lassen. Wenn man einen Button auswählt, erscheinen einige Sätze zum Thema, außerdem kann man weitere Unterthemen anwählen. Für mehrere Bereiche gibt es in der oberen Leiste des Monitors die Rubriken »Video« und »Charts«, über die Film- und Klangbeispiele angesteuert werden können. Im Folgenden analysieren wir ausgewählte Bereiche: »Salonmusik«, »Black Music«, »British Invasion« und »1980er Jahre«.

2.4.1.1 »Salonmusik« Auf einer offenen, den halben Raum einnehmenden Bühne sind ein Klavier, eine Querflöte, eine Gitarre, zwei Geigen und ein Kontrabass ausgestellt. Jeweils an einer Seite der Bühne vor den Instrumenten finden sich • • •

ein Plakat mit Abbildungen und Beschreibungen zum Walzer (aus England) die Vorderseite des Einbandes eines Notendrucks von Siegfried Translateurs Walzer »Wiener Praterleben«, neben der Bühne: ein Lithographie-Stein mit Notenschrift

2. Fallstudien

• •

ein Foto von einer Flachdruck-Handpresse Noten des Salonstücks »La prière d’une vierge« von Tecla Bądarzewska.

Die Flöte und die Geigen werden auf Stühlen, Gitarre und Kontrabass in Instrumentenständern präsentiert. Vor dem Klavier steht ein weiterer Stuhl. Insgesamt wird somit eine in-situ-Konstellation angedeutet. Das Klavier wurde laut Objektbeschriftung Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut, die anderen Instrumente sind offensichtlich neu und nicht mit eigenen Objektbeschriftungen versehen. Eine allgemeine Informationstafel beschreibt das Aufkommen des Bürgertums um 1800, die beginnende Industrialisierung und Verstädterung im 19. Jahrhundert, mit der die Entstehung einer neuen urbanen Salon- bzw. Tanzmusik einhergeht und in dessen Mittelpunkt der Walzer steht. Des Weiteren wird auf die Entwicklung der Lithographie als »technische Grundlage der massenhaften Verbreitung von Notenblättern«, auf das Salonstück »La prière d’une vierge« als »ersten ›Millionenseller‹« sowie auf das kommerzielle Potential des Walzers hingewiesen. Im letzten Absatz heißt es: Mit der Walzermode entsteht eine Vielzahl von Kapellen. Unter diesem Konkurrenzdruck entwickelt Michael Pamer ein »Bandkonzept«, das den Wunsch nach einem wiedererkennbaren Tanzrhythmus und einem eigenen Profil der Darbietung befriedigt. Damit ersinnt Michael Pamer das Line-Up – den Einsatz von Rhythmusinstrumenten bei freier Entfaltung der Melodiestimmen – das ab da die gesamte Popularmusik prägt. Auf einem weiteren (wohl als allgemeine Objektbeschriftung für die Instrumentenzusammenstellung gedachten) Schild wird der Sachverhalt aufgenommen und spezifiziert: Erfindung des modernen Line-up zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Wiener Michael Pamer verlegt den Walzer-Tanzrhythmus in die Begleitstimmen (Kontrabass, Gitarre, eine Violine) und gewinnt damit die Gestaltungsfreiheit für die Melodiestimmen (Solovioline). Es handelt sich hier offensichtlich um den zentralen Plot, der somit schriftlich vorgegeben ist und durch die Exponate illustriert wird. Zum Teil ermöglichen die Exponate weitere, spezifizierende Plots. Das Walzerplakat gibt Auskunft über den Tanz in seinen Varianten, der aufwendig gestaltete Umschlag des Notendrucks verweist auf Marketingstrategien, der Lithographie-Stein ver-

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Musik ausstellen

deutlicht mit in Spiegelschrift aufgezeichneten Noten technische Details des Drucks. Im Verbund erfüllen die Exponate eine weitere, den emotionalen Bereich betreffende Funktion. Im Verhältnis zur Größe ist der Raum sparsam und übersichtlich gestaltet. Er strahlt Ruhe aus, was durch dezente Beschallung (mit Bądarzewskas »La prière d’une vierge«) verstärkt wird. Damit bietet er einen Kontrast zur Informationsfülle auf engem Raum und den sich vielfach überlagernden Klangbeispielen in der Haupthalle. Zugleich wird damit signalisiert, dass es hier noch nicht um die Präsentation von Rock und Pop (dem eigentlichen Thema), sondern um seine Vorgeschichte geht.

2.4.1.2 »Black Music« Dieser erste in der Haupthalle präsentierte Bereich ist, wie schon vermerkt, nicht als Teil der Chronologie zu verstehen, da er »schwarze Musik« aus verschiedenen Zeiten (bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert) erfasst. Als Hintergrund dient eine graue Tapete mit verschiedenen Motiven (z.B. ein historisches Foto einer afroamerikanischen Klavierspielerin und Abbildungen mit Eisenketten zum Fesseln von Menschen). Davor werden unterschiedliche Artefakte präsentiert (Abbildung 12): • • • • • •

ein DJ-Turntable-Set Single-Schallplatten der Labels Motown und Stax ein Saxophon und eine Posaune eine Mundharmonika mit Mikrophon zwei Trommeln aus Ghana Abbildung eines Titels der Zeitschrift »Vanity Fair« mit Darstellungen afroamerikanischer Tänzerinnen und einem afroamerikanischen Gitarristen (1928).

Zu den ghanaischen Trommeln erklingt über Kopfhörer ein Beispiel für ein westafrikanisches Trommelgedicht. Neben dem Turntable-Set kann man über einem Einohr-Kopfhörer einen Song von Afrika Bambaataa hören, darüber hängt ein Foto des Hip-Hop-DJs Grandmaster Flash in Aktion am Turntable-Set. Daneben ist eine Fotografie von Bill und Hillary Clinton in Westafrika platziert. In der Bildbeschriftung heißt es dazu: Statt Entschuldigung nur Bedauern. Bill und Hillary Clinton an der ›door of no return‹ des ehemaligen Sklavenhauses von Dakar, Senegal, 2. April 1998.

2. Fallstudien

Abb. 12: rock’nʼpopmuseum, »Black Music« (Foto: Andreas Meyer)

Auf einem Monitor werden in Endlosschleife Filmausschnitte des Boxkampfes zwischen Muhammad Ali und George Forman in Kinshasa, sowie mit Reden von Malcolm X und Martin Luther King gezeigt. Ein größerer Monitor präsentiert Videobeispiele mit Musik aus verschiedenen Zeiten. Beim Öffnen von Schubladen erklingen Audiobeispiele wiederum aus unterschiedlichen Zeiten; einige Schubladen enthalten weiteres Bild- und Textmaterial. Die Objektbeschriftungen warten mit knappen kommentierenden und abgeleiteten Informationen auf. Die Texte zu den Schallplatten der Labels Stax und Motown lauten z.B.: Das Soul-Label Stax geht aus dem 1957 gegründeten Label Satellite Records hervor. Zu den wichtigsten Künstlern zählen Isaac Hayes und Otis Redding. Berry Gordy führt mit seinem 1959 in Detroit gegründeten Soul-Label Motown schwarze Künstler und Künstlerinnen zum Weltruhm. Bei der Konstellation von Mundharmonika und Mikrophon heißt es:

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Musik ausstellen

Hohner-Blues-Harp und Shure Mikrofon 520D Genannt »Fahrradlampe«. Die Blues Harp zählt seit den späten 1940er Jahren auch zum Equipment des elektrisch verstärkten Chicago-Blues. Little Walter ist einer der ersten, der seine Mundharmonika über Mikrofon und Gitarrenverstärker spielt. Der Text auf der allgemeinen Informationstafel stellt zunächst eine Beziehung zwischen »Black Music« und amerikanischer Bürgerrechtsbewegung als Zeichen eines wachsenden afroamerikanischen Selbstbewusstseins her. Daraufhin geht es um den Zusammenhang von afroamerikanischen und afrikanischen kulturellen Ausdrucksformen: Die Begegnung von afrikanischer und europäischer Tonalität bringt die »Blue Notes« hervor. In afrikanischer Polyrhythmik liegen die Wurzeln von »Off Beat« und »Swing« des Jazz. In Afrika können Trommeln sprechen, afroamerikanische Musiker »erzählen« auf ihrem Instrument. Vom westafrikanischen Griot über den ländlichen (Blues-)Barden bis zum urbanen Rapper führt ein roter Faden der mündlichen Überlieferung und formelhaften Textgestaltung. In den Aufführungen von Vorsänger und Chor, Gospelprediger und Gemeinde, Soulsänger und Publikum dominiert das »Call and Response«-Prinzip. Die »Trickster«-Figuren aus afrikanischen Mythen und Fabeln sind Vorfahren afroamerikanischer Folk-Figuren wie Br’er Rabbit und Signifyinʼ Monkey, deren Taktieren mit Worten noch jedem Rapper als Vorbild dient. Der Text schließt mit dem Verweis auf die Bedeutung der afroamerikanischen Musik als »schier unerschöpfliche Energiequelle der gesamten populären Musik des 20. Jahrhunderts«. Einige dieser Informationen erfahren aufgrund der Artefakte eine Spezifikation, sodass sich die museale Erzählung im Zusammenspiel ergibt. Die europäischen Instrumente und die ghanaischen Trommeln fördern z.B. Vorstellungen von der im Text kurz angesprochenen Hybridität der Musik. Da die Trommeln für sich genommen in der afroamerikanischen Musik keine Rolle spielen, kommt ihnen innerhalb des Narrativs eine eher metaphorische Bedeutung zu.71 Die Filme von Martin Luther King und

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Vgl. Andreas Meyer, »Cultural Memory and the Exhibition of Musical Instruments. A Textual Approach«, in: Historical Sources of Ethnomusicology in Contemporary Debate, hg. v. Susanne Ziegler u.a., Newcastle upon Tyne, Cambridge Scholars Publishing 2017, 170-181, hier: 177-178.

2. Fallstudien

Malcom X spezifizieren die auf der Informationstafel thematisierte Bürgerrechtsbewegung; der Film des Boxkampfes weist auf eine größere Vielfalt der Ausdrucksformen kultureller Identität. Die Ausstellungselemente zum Thema Hip-Hop (Turntable-Set, Foto von Grandmaster Flash, Musikbeispiel von Afrika Bambaataa) weisen auf die Bedeutung der »Black Music« für die internationalen Popmusikszenen im ausgehenden 20. Jahrhundert hin und spezifizieren exemplarisch die im Text genannte »Unerschöpflichkeit«. Weitere Plots ergeben sich im Zusammenhang mit den anschließenden Bereichen »Die goldenen Zwanziger« und »Nationalsozialismus«, die sich u.a. der Jazzrezeption in Deutschland widmen. Beim Thema »Nationalsozialismus« etwa steht an prominenter Stelle ein Plakat zur 1938 in Düsseldorf errichteten Ausstellung »Entartete Musik«. Es zeigt die Persiflage eines schwarzen Saxophonspielers, sodass eine direkte Beziehung zu den Exponaten der »Black Music« hergestellt werden kann, die während der Nazizeit massiven, rassistisch motivierten Anfeindungen ausgesetzt war.

2.4.1.3 »British Invasion« Für den Bereich der frühen und mittleren 1960er Jahre bilden zwei nahezu gleich gestaltete Fotostreifen an der linken und rechten Seite des Abschnitts, mit denen die Beatles und die Rolling Stones präsentiert werden, eine Art Rahmen. Dabei handelt es sich jeweils um Fotos von einem Konzert und einem TV-Auftritt sowie Promotionsfotos mit den Konterfeis der Bandmitglieder. Zudem lässt sich auf beiden Seiten eine Schublade öffnen, woraufhin bei den Beatles der Titel »Love Me Do« und bei den Rolling Stones »(I can’t get no) Satisfaction« erklingt. Eingebettet zwischen diesen Präsentationen finden sich: • • • •

eine signierte Mundharmonika von Bob Dylan, daneben ein Foto von Bob Dylan mit Mundharmonika auf einem großen Monitor: Musik mit Filmen und Fotos u.a.: Bob Dylan spielt Mundharmonika ein Reslo-Mikrofon, daneben ein Foto mit John Lennon vor dem Mikrofon sowie eine Beatles-Postkarte Schubladen mit Abbildungen von Plattencover von DDR-Beatgruppen sowie einer DDR-Ausgabe einer Single von den Beatles: »Sweet Georgia Brown« (aufgenommen 1962 in Hamburg)

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• • • • • • •

auf einem kleinen Monitor in Endlosschleife: Anmoderation der ersten Sendung der Fernsehsendung »Beat-Club« von Radio Bremen in einer Vitrine: ein Hemd der FDJ daneben in einer Vitrine: eine Bühnenjacke der westdeutschen Band »The Lords«, Waschbrett der Band. Schallplattencover der Single: »Marmor, Stein und Eisen bricht« von Drafi Deutscher auf einem kleinen Monitor: Filmausschnitte und Audiobeispiele mit Fotos zur Protestsongbewegung in Deutschland Plakat: American Folk-Blues-Festival 1968 organisiert von »Lippmann + Rau« auf einem kleinen Monitor: Ausschnitte aus dem Beat-Club (mit den Moderator*innen Uschi Nerke und Dave Lee Travis).

Im Umfeld der Präsentation der Beatles sind zwei weitere Fotos ausgestellt: • • •

vom Sendeschiff des DDR-Radioprogramms DT64 vom Star-Club in Hamburg, daneben: ein Stein aus dem Gemäuer des mittlerweile abgerissenen Gebäudes, in dem der Star-Club untergebracht war.

Die Objekt- und Bildbeschriftungen beschränken sich mehrheitlich auf knappe Erklärungen. Bei der Präsentation der Band »The Lords« heißt es z. B zum Waschbrett: Vom Skiffle zum Beat. Skiffle-Brett der Lords, die als Skiffle Lords 1959 ihre Karriere starteten. Beim FDJ-Hemd: Förderer der DDR »Gitarrenbewegung« Hemd der DDR-Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend). Umfangreiche Informationen zur Popmusik der 1960er Jahre lassen sich auf dem Bildschirm des »Exploratoriums« abrufen. Dabei stehen folgende Themen zur Auswahl: »Folk«, »Burg Waldeck«, »Der Mauerbau«, »Londoner Rhythm & Blues«, »Blauhemd und Beat – DDR-Beat-Musik der 60er Jahre«, »Liverpool Beat«, »BRD-Beat-Szene«.

2. Fallstudien

Wenn man etwa »Londoner Rhythm & Blues« anwählt, finden sich verschiedene Unterthemen: »Die Geschichte des R & B«, »Die Bands«, »Die Label«, »Die Szene«, »Marquee Club«, »Britische Bluesszene«. Sofern man das interaktive Angebot durcharbeitet, werden die ausgestellten Objekte, Bilder und Filme überwiegend zu Illustrationen des Textes. Das setzt die Bereitschaft voraus, einige Zeit zu investieren. Es lassen sich aber auch ohne die Informationen des Touchscreens Schlussfolgerungen ableiten, z.B. zur Protestsongbewegung in Deutschland. Die Objektbeschriftung der Mundharmonika Bob Dylans lautet: Mit Bob Dylan erlebt die Mundharmonika Anfang der 1960er Jahre eine Renaissance. Vom Künstler signiertes Instrument. Die Beschriftung ist genau zwischen der Mundharmonika und dem Monitor mit Beispielen für die Protestsongbewegung in Deutschland angebracht. Nimmt man das Plakat zum »American Folk-Blues-Festival 1968 der Konzertveranstalter »Lippmann + Rau« hinzu, auf dem die Namen zahlreicher amerikanischer Protagonist*innen genannt werden, lässt sich folgern, dass American Folk in Westdeutschland populär war und die Protestsongbewegung stilistisch beeinflusste. Weiterhin wird ein vermeintlicher Kontrast zwischen der Beatmusik in Westdeutschland bzw. in Westeuropa und der DDR aufgezeigt. Für die Szenen in England und Westdeutschland stehen bunte Cover, trickreiche Frisuren der Protagonist*innen, kapriziös anmutende Bühnenkleidung und der autonome Star-Club. Der DDR-Beat ist durch das Foto des Sendeschiffes des Radioprogramms DT64, durch das FDJ-Hemd sowie in einer Schublade durch Schallplattencover repräsentiert. Das Foto des Sendeschiffes ist wie folgt beschriftet: Welle für die Jugend. Das deutsch-deutsche Jugendtreffen ist der Anlass zur Gründung des DDR-Jugendradios DT64, Sendeschiff 1964. Mit dem »deutsch-deutschen Jugendtreffen« ist das 1964 von der FDJ organisierte »Deutschlandtreffen der Jugend« gemeint. Als Plot ergibt sich somit, dass, anders als im Westen, die jugendkulturelle Musik in hohem Maße von offizieller Seite gelenkt wurde. Das FDJ-Hemd wird zur Metapher des Obrigkeitsstaates. In der Schublade findet sich, wie erwähnt, das Schallplattencover für die DDR-Ausgabe der Beatles-Aufnahme von »Sweet Georgia Brown«,

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Musik ausstellen

einer Produktion aus der Zeit, bevor die Band berühmt wurde. Die Aufnahme selbst und auch das lieblos gestaltete Cover (schwarze Schrift vor weißem Untergrund) bilden einen Kontrast zu den Artefakten aus dem Westen und weisen auf das Unverständnis der Verantwortlichen für jugendkulturelle Ausdrucksformen, wodurch der Plot ergänzt wird. In Korrespondenz hierzu steht ein DDR-Gesetzesblatt aus dem Jahr 1958, das entsprechend schon im Bereich »1950er Jahre« ausgestellt ist. Es enthält laut Präambel Anordnungen mit dem Ziel »in der Gestaltung eines sozialistischen Kulturlebens das Niveau der Unterhaltungs- und Tanzmusik zu heben, Erscheinungen der Dekadenz und des Verfalls zu bekämpfen sowie das Schaffen der Autoren der Deutschen Demokratischen Republik zu fördern […]«. Unter anderem wird dort geregelt, dass nur Musik aufgeführt werden darf, deren Noten in der DDR gedruckt wurden. Einige »originale« Objekte im Bereich »British Invasion« bedienen das auratische Moment: die Mundharmonika von Bob Dylan, das Reslo-Mikrofon der Beatles (das die Band laut Objektbeschriftung 1965 nach einem Konzert einem ihrer Roadies verkauft hat) sowie der Stein aus der Fassade des StarClubs (mit der Objektbeschriftung: »Tempel der deutschen Beatmusik«).

2.4.1.4 »1980er Jahre« Der Bereich der 1980er Jahre widmet sich überwiegend Entwicklungen in Deutschland. Wie oben erwähnt, lautet die Überschrift der Informationstafel »Die Neue Deutsche Welle«. Es findet sich wiederum eine Reihe heterogener Exponate: • • • • • • •

Casio Mini-Synthesizer (Vitrine) darunter: ein kleiner Monitor mit Videobeispielen der Neuen Deutschen Welle darunter: Bühnenkleidung, Gitarre und Koffer von Ina Deter (Vitrine) großer Monitor mit Videobeispielen internationaler Popmusik der Zeit Korg-Synthesizer (Vitrine) handschriftliche Noten des Liedes »Über sieben Brücken musst Du gehen« von Karat CD-Cover mit deutscher Popmusik u.a. von Udo Lindenberg, Tote Hosen, Silly, BAP, Herbert Grönemeyer; Musikbeispiele lassen sich mittels Strichcodes auf den Covern und Strichcode-Scanner abrufen

2. Fallstudien

• • • •

kleiner Monitor mit Musikvideo »Video Killed the Radio Star« von »The Buggles« (ohne Ton) Gitarre mit Zertifikatsschreiben von Wolfgang Niedecken, Cover, LPBooklet von BAP, (Vitrine) Kassettenrecorder und Home-Recordings auf Kassetten von »Anderen« DDR-Bands (Vitrine) Gitarre des Metal-Gitarristen Kai Hansen, CD-Booklet mit Abbildung des Instrumentes, Lederjacke einer Kulturwissenschaftlerin, die über Heavy Metal promoviert hat (Vitrine).

Der Text der Informationstafel stellt zunächst eine Verbindung zwischen Neuer Deutscher Welle und einer vermeintlichen »Entpolitisierung« und »Ausdifferenzierung« her. Er verweist auf den »Boom« deutschsprachiger Popmusik in Westdeutschland, der mit dem Aufkommen der Neuen Deutschen Welle einhergeht, und es werden andere Popmusikstile der Zeit benannt (Heavy Metal, New Wave, Indie-Pop, Gothic, Synthie-Pop). Schließlich geht es um »nicht staatstragende« Bands in der DDR: Das Regime verliert die Kontrolle über Volk und Lieder. In den Wohnungen der Künstler rund um den »Prenzlberg« hängen Poster mit »Gorbi« an den Wänden, jenem Gorbatschow mit dem die Ära des »Eisernen Vorhangs« endet. Weitere Charakteristika der Musik und ihrer Zeit lassen sich wiederum aufgrund der Exponate in ihren Konstellationen und den entsprechenden Objektbeschriftungen erschließen. Der Text zum Casio Mini-Synthesizer lautet: Die Band Trio macht den Casio hoffähig, Anfang der 1980er Jahre. Damit verweist die Vitrine auf die Einfachheit der Musik als ästhetische Kategorie, die in den Videos auf dem darunter positionierten kleinen Monitor dokumentiert wird. Zur Ina Deter-Vitrine (Abbildung 13) heißt es: »Neue Männer braucht das Land« Im Dienste der Emanzipation der Frau – Ina Deter Der Text bietet einen Kontrast zu den Exponaten u.a. einer pinkfarbenen Gitarre und pinkfarbenen hochhackigen Schuhen. Die Exponate korrespondieren mit der spaßbetonenden Grundhaltung der Protagonist*innen der Neuen Deutschen Welle, mit denen Ina Deter somit trotz ihrer politischen Intentionen in Verbindung gebracht wird.

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Musik ausstellen

Abb. 13: rock’nʼpopmuseum, Bühnenkleidung, Gitarre und Koffer von Ina Deter (Foto: Andreas Meyer)

Mit den DDR-Gruppen wird wieder das zuvor eingeführte Thema Kontraste zwischen Ost- und Westdeutschland aufgegriffen, jetzt aber unter neuen Vorzeichen. Während die Entwicklung in Westdeutschland zumindest teilweise als »Entpolitisierung« gedeutet wird, steht der beschriebene DDR-Pop nunmehr für Subversion. Der Plot ist im Text der Informationstafel vorgegeben und wird durch die selbstproduzierten Kassetten spezifiziert. Die Objektbeschriftung lautet hier: Medien des Underground Kassettenaufnahmen der Anderen Bands aus der DDR Mitte bis Ende der 1980er Jahre Die Partitur des Liedes »Über sieben Brücken musst Du gehen« von Karat steht hingegen für Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland auf der Ebene des Mainstream. Im Text der Objektbeschriftung heißt es »DeutschDeutscher Hit«. Um den Plot nachzuvollziehen, muss man wissen, dass der

2. Fallstudien

Song von Peter Maffay mit großem Erfolg im Westen gecovert wurde. Mit der Präsentation der Originalnoten wird – wie auch mit der Originalgitarre von Wolfgang Niedecken – wiederum das auratische Moment bedient. Ein Touchscreen ist in diesem Bereich nicht installiert. Allerdings finden sich Informationen zur »Neuen Deutschen Welle« im »Exploratorium« bei den »1990er« Jahren, wodurch man zwischen beiden Themenbereichen eine Verbindung herstellt.

2.4.2

Konzepte

In einer Broschüre, die anlässlich des 10-jährigen Jubiläums erschien, wird eine Zielgruppe »von jung bis alt« benannt.72 Von »sechs bis einhundert, so ungefähr, man möchte möglichst breite Publika ins Haus bekommen,« sagt der Kurator Thomas Mania,73 um gleichzeitig einzuschränken: Im Moment sieht es so aus, von der Verteilung her, die Schulklassen machen so 30 bis 40 % aus und der Rest ist dann so meisten über 30, ab 40, würde ich sagen, geht’s tatsächlich bis ins Rentenalter hinein, 70 bis 80.74 Laut Homepage präsentiert das Museum eine »Zeitreise von 100 Jahren Popularmusik« und will die Entwicklung des Sounds »hör- und fühlbar« machen. Es will kein Ort sein »der allein Devotionalien präsentiert« sondern »Erlebnis mit Information« sowie »sinnliche Erfahrung und Interaktion« verknüpft.75 Thomas Mania spricht in diesem Zusammenhang von einem »dualen Konzept« mit der Idee entlang der Wände weitgehend chronologisch geordnete »Informationsbasen« und in der Mitte des Raumes »Emotionsbereiche« bzw. »Emotionserlebnisbereiche« aufzubauen.76 Dadurch, dass neue Exponate und auch einzelne Bereiche hinzugekommen sind, habe sich das Konzept

72 73 74 75

76

Vgl. rock’n pop museum Gronau GmbH (Hg.): 10 Jahre rock’n pop museum Gronau. Sounds, visions and exhibitons, Gronau o.J. Thomas Mania, Interview, 24.03.2016. Ebd. www.rock-popmuseum.de (zuletzt abgerufen am 28.12.2017). Mit der Eröffnung der neuen Dauerausstellung 2018 wurde auch die Homepage von Grund auf überarbeitet und mit neuen Texten versehen. In der 2018 neu eröffneten Dauerausstellung hat man auf chronologische Vorgehensweisen verzichtet und behandelt stattdessen verschiedene Themen, die jeweils mehrere Zeiträume umfassen.

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Musik ausstellen

im Lauf der Zeit etwas verformt und die strenge Trennung aufgelöst. Hinsichtlich der historisch geordneten Themenbereiche ist es ein Anliegen, Besucher*innen einen assoziativen Zugang zu ermöglichen, weshalb man sich mit Erklärungstexten zurückgehalten hat. Objekte, Filme und Musiken sollen zusammen erst mal ein grobes Bild ergeben. Es geht ja darum, sich an diese Zeit zu erinnern und dann auch noch mal seine Erinnerung zu überprüfen an dem, was man sieht. Wenn also sozusagen Museum und Erinnerung ein Wechselspiel ergeben, dann funktioniert dieses Haus.77 Dabei ist es auch wichtig, dem Publikum »Andockpunkte« zu bieten, die mit ihrer eigenen musikalischen Sozialisation zu tun haben, um Interesse zu erregen, dass sich womöglich dann auch auf andere Themen übertragen lässt. In diesem Zusammenhang verweist Mania insbesondere auf die Hits der Charts, die sich in den »Exploratorien« der verschiedenen Bereiche abrufen lassen, sodass die Besucher*innen nach vertrauten Liedern suchen können.78 Von zentraler Bedeutung war anfangs die Idee, einen in hohem Maße kommunikativen Ort zu schaffen, weshalb man weitgehend auf Kopfhörer verzichtete: Das akustische Konzept ist sehr wichtig für unser Haus. Wir sind damals, 2004, von der Ideologie – würde ich es glatt nennen – ausgegangen, es ist ein Museum der Kommunikation und die sollte möglichst frei stattfinden. Das heißt, Kopfhörer und so etwas waren damals für uns eigentlich kein Thema. In gewissen Bereichen konnte man es nicht umgehen, aber es war uns wichtig, dass man zusammen durchs Haus gehen kann und sich über die Sachen unterhalten kann, die man da sieht. Das heißt, wir brauchten frei abstrahlende Schallquellen. Damit wird es schwierig. Sie haben es unten gesehen, ich glaube, wir haben über 250 Schallquellen verschiedenster Art. Das ist natürlich eine Aufgabe, das hinzubekommen. Wir haben damals mit Fachleuten zusammengearbeitet, die haben Konzepte der Psychoakustik vorgestellt, was wir damals sehr gelungen fanden, mit dem man halt quasi ein Grundrauschen erzeugt, das gewisse Frequenzen wegdrückt und darüber kann man dann kanalisierte Schallquellen legen, die dann halt räumlich abgrenzbar sein sollen.79

77 78 79

Thomas Mania, Interview, 24.03.2016. Ebd. Ebd.

2. Fallstudien

Ziel dieses psychoakustischen Konzeptes ist es, so Mania weiter, dass man sich auf Objekte und Beschreibungen konzentriert und das Gehirn die nicht dazugehörigen Schallquellen ausschaltet. Viele Menschen nehmen aber trotz dieses Kanalisationsprozesses mehrere Schallquellen wahr, was dann in hohem Maße als störend empfunden wird. Hinzu kommt, »dass eher die älteren Generationen« ins Museum kommen und dass bei Hörgeräten die beschriebene Selektionsleistung des Gehirns nicht wirkt. Stefanie Hamann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Hauses bemerkt ergänzend hierzu: Das funktioniert halt für bestimmte Altersgruppen nicht, kleinere Kinder werden unruhig, die rennen einfach nur von einem Punkt zum anderen und ältere Leute, auch unabhängig vom Hörgerät, haben die Museumsbegleiter erzählt, die fühlen so eine Beklemmung in der Brust, und verlassen dann teilweise auch das Haus […].80

2.4.3

Rezeption

Während mehrtägiger Studienaufenthalte im März 2016 und September 2017 war das Publikum entsprechend der Zielgruppe von der Altersstruktur her durchaus gemischt – viele Familien und Paare, wenige Einzelpersonen (zumeist Männer) – wobei die über 50-jährigen eindeutig in der Mehrheit waren. Im März 2016 und September 2017 wurden insgesamt 45 Gespräche mit Familien, Paaren und Einzelpersonen geführt. Den Gesprächen zufolge verfügten wenige Besucher*innen über musikalische Vorbildung. Einige gaben an, dass sie Gitarre spielten oder in ihrer Jugend Popmusik gemacht haben. Andere verfügten über Vorbildung, die nur indirekt mit den präsentierten Themen korrespondierte, genannt wurde u.a. Flötenspiel, Chorgesang, DjembeTrommeln. Viele Besucher*innen kamen aus der näheren Umgebung, auch aus den naheliegenden niederländischen Regionen. Einige kamen von weiter her und waren ohnehin in der Gegend, andere waren eigens angereist (z.B. aus Essen oder aus Amsterdam). Die Anzahl der Besucher*innen kann sich von Tag zu Tag signifikant verändern. Im September 2017 etwa kamen an einem Freitag insgesamt nur 12 Personen, am darauffolgenden (regnerischen)

80

Stefanie Hamann, Interview, 24.03.2016. In der 2018 neu eröffneten Ausstellung gibt es, abgesehen von Konzertmitschnitten, die in Zeitabständen vorgeführt werden, keine im Raum klingende Musik. Es wurde ein Audioguide-System mit Kopfhörern eingeführt.

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Musik ausstellen

Samstag war die Ausstellung bis in den späten Nachmittag hinein nahezu überfüllt. Hinsichtlich der weitgehend historisch geordneten Ausstellungsteile fiel auf, dass die rechte Wand in der Nähe des Eingangs, die von »Black Music« bis zu den »1960er Jahren« reicht, intensiv und häufig systematisch studiert wurde. Bisweilen staute sich hier das Publikum, während die gegenüberliegende Seite (von den 1970er Jahren bis zur Gegenwart) weitgehend leer blieb. Einen Grund hierfür ergibt sich möglicherweise daraus, dass die Besucher*innen anfangs konzentrierter sind. Wichtiger jedoch scheint, dass die Chronologie am Ende der Wand unterbrochen ist und sich erst auf der gegenüberliegenden Seite fortsetzt, was man zum Anlass nimmt, andere Angebote der Ausstellung wahrzunehmen. Häufig wurden gezielt interaktive Stationen angesteuert und einige Besucher*innen gingen schnell weiter, wenn bei der Präsentation bestimmter Themen die interaktiven Stationen besetzt waren. Die Ausstellung erweist sich in hohem Maß als kommunikativer Ort, was einige Ausschnitte aus Feldnotizen bezeugen81 : 23.03.2016 Viele Familien in der Ausstellung, Eltern erklären den Kindern bestimmte Sachverhalte.   Eine Familie verweilt 10 – 15 Minuten im Raum der Salonmusik. Mutter liest längeren Text vor.   Eine Mutter zeigt ihrem Kind Tanzschritte im Abschnitt der 1960er Jahre.   25.03.2016 Vater erklärt seinem Sohn den Ausstellungsteil »Entartete Musik« [im Bereich »Nationalsozialismus«].   Eine Familie tanzt gemeinsam unter der Glocke [in der Hallenmitte].   Vater erklärt seinem Sohn die [Foto]-Wand mit jüdischen, im dritten Reich verfolgten Persönlichkeiten [im Bereich »Nationalsozialismus«]. […] junges Paar tanzt vor Exploratorium der 1950er »Rock’n Roll«.  

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Feldnotizen von Andreas Meyer.

2. Fallstudien

Vater erklärt Sohn Noten von Tecla Bądarzewska [Bereich Salonmusik]. Familie geht weiter und bleibt vor einem der Tanzmonitore stehen. Vater erklärt: »Elvis ist früh verstorben«, verweist bei Flower Power-Zeit [mit Tänzen in den späten 1960er Jahren] auf Hippies. Sohn fragt »Hippie sein war strafbar, oder«. Vater verneint das. Vater erklärt [den Tanzstil] Pogo, Mutter: »Total bescheuert«. Vater: »Das war die Zeit«.   30.09.2017 Eine Mutter mit ihrer Tochter (vierköpfige Familie) tanzen zusammen mit Kopfhörern bei den Charts der 1990er Jahre – und das ziemlich lange.   Zwei ältere Frauen [stehen] vor einem der Tanzbildschirme und versuchen das nachzumachen, was sie sehen [vor einem der Monitore, die Filmdokumente zu Modetänzen aus verschiedenen Zeiten zeigen].   Zwei junge Mädchen tanzen vorm Monitor von den Charts der 1990er Jahre – ein bisschen übertrieben – und fotografieren sich dabei. Die Bewertung der Ausstellung war fast ohne Ausnahme positiv, wobei Erinnerung und damit der persönliche Zugang häufig eine wichtige Rolle spielten und ein entsprechend emotionaler Zugang erfolgte. Es war von »Hochgefühl« die Rede und von »Überwältigung«. Häufig boten klingende Musik und die dazu gehörenden Schallplattencover wichtige Anknüpfungspunkte. Die Aura der Objekte spielte eine eher geringe Rolle, nur wenige benannten »originale« Artefakte (Bühnenkleidung, Instrumente etc.) als besonders ansprechend. Auf die Frage nach der Vermittlung von Wissen gaben einige an, sie hätten Zusammenhänge nachvollziehen können. Insbesondere wurde hier der Bezug zwischen Rock- bzw. Popmusik und der Tanzmusik des ausgehenden 19. Jahrhunderts benannt. Häufig wurde das Museum jedoch nicht oder nur mit Abstrichen als Lernort begriffen. Ein Besucher (Mitte 30) fasst das wie folgt zusammen: Es geht ja auch nicht darum, dass man jetzt irgendetwas auswendig lernt und das irgendwie abruft, sondern, dass man das irgendwie so ein bisschen auf sich wirken lässt (23.03.2016). Das konnte gleichwohl mit großer Intensität einhergehen und einige Besucher*innen nahmen viele Zusammenhänge auf und beschäftigen sich tiefergehend mit ihnen. Ein älteres Ehepaar etwa bezeichnete das Museum als

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Musik ausstellen

häufige Anlaufstelle, das es aufsucht, wann immer es »im Münsterland zu Besuch« ist: Besucher: Und das Schöne ist, dass es ja eigentlich ein Sammelsurium quer durch die gesamte Musikgeschichte auch ist, und meiner Ansicht nach ist das nicht so mit dem erhobenen Zeigefinger oder, dass man den Zug in eine bestimmte Richtung lenken will, sondern jeder kann sich so seine Ecke selbst aussuchen, wo er Interesse dran hat. Also es werden nicht schon irgendwelche Schwerpunkte vorgegeben, sondern die kann sich halt jeder selber suchen. Besucherin: Ja, und wer will, kann einfach nur durchlaufen, und wer will, kann intensiver in die Sachen reingehen. Wirklich richtig intensiver, und ich habe es auch die letzten Jahre immer so als Denkanstoß empfunden, habʼ dann zuhause mal noch ein bisschen geguckt (23.03.2016). Eine Besucherin mittleren Alters fiel uns auf, weil sie die Ausstellung von Beginn an sehr ausführlich rezipierte, systematisch vorging und für jeden Bereich alle Schubladen öffnete, viel las, sehr konzentriert wirkte und schließlich nahezu alle interaktiven Stationen in der Mitte des Raumes ausprobierte. Nach Eindrücken gefragt, sagte sie: Ich finde das total interessant, ich weiß also gar nicht, wie lange ich hier drinnen war, 2-3 Stunden, und ich finde, es ist sehr logisch aufgebaut, gut verständlich, und ich habe ganz viele Dinge erfahren, die ich noch nicht wusste, und war erstaunt, wie jung die Stones waren (30.09.2017). Zur Frage, ob sie etwas dazugelernt habe: Ja, ich fand jetzt ganz interessant, als letztes habe ich mir jetzt angeguckt, wie Elektrogitarren funktionieren, also welche Effekte man erreichen kann, mit diesen Pedalen oder so, und das fand ich ganz gut dargestellt, dass man immer den Originalton hatte und dann den Effekt einstellen konnte um das zu hören. Das finde ich gut gemacht.82 Auf die Frage nach Highlights antwortete sie: Highlights? Kann ich so gar nicht sagen. Ich fand alles für sich interessant. Ich fand auch schön, dass zwischendurch immer wieder diese Hitlisten aus

82

Sie bezieht sich hier auf die interaktive Station mit verschiedenen Gitarrensounds in der Mitte des Raumes.

2. Fallstudien

den verschiedenen Jahren da waren, und die letzten kannte ich nicht mehr. Aber wie viele Lieder ich doch kannte. Weil man früher ja viel Radio gehört hat. Und was mich beeindruckt hat, war, es gab ja da so eine Mappe mit der Bravo von 1957 oder so, da war auch das Fernsehprogramm drinnen, das fing dann um 16 Uhr an, und es gab quasi nur fünf Sendungen und das hörte dann um 22 Uhr auf. Und ich habe erfahren, es gab dahinten so eine Musikbox, mit Fernseher, ein Tonbandgerät und einem Schallplattenspieler, und die Dame erzählte mir, die kostete damals zwischen 7 12 tausend und 15000 D-Mark und das war ein Vielfaches vom Jahresgehalt meines Vaters. Also das Leute sich so was dann gekauft haben, das hätte noch nicht mal in unser Wohnzimmer gepasst von der Größe her, ja das hat mich erstaunt. Das habe ich noch nie gesehen und auch noch nie gehört. Und ich habe gedacht, unser erstes Fernsehen hatten wir erst 1970 und zwar auch nur – meine Eltern hatten ein kleines Haus gekauft, das war als Möbel da verblieben, sonst hätten wir da auch noch keins gehabt. Von einer Mehrheit wurden die interaktiven Angebote als besonders attraktiv bezeichnet. Sie wurden, wie vermerkt, entsprechend aufwändig genutzt. Insbesondere verwies man in diesem Zusammenhang auf die Charts, die sich über die interaktiven Stationen abrufen lassen. Viele Besucher*innen hielten sich, gemessen an der Größe der Ausstellung, lange auf, häufig zwei bis drei Stunden. Kritische Äußerungen waren selten. Sie betrafen etwa Musiker*innen, die nicht hinreichend beachtet wären, was offensichtlich mit dem häufig persönlichen Zugang zusammenhängt. Einige Besucher*innen hatten ausführlichere Präsentationen erwartet. Ebenfalls kritisiert, allerdings mehrheitlich nur auf direkte Nachfrage, wurde, dass viele Audiobeispiele gleichzeitig frei im Raum erklingen, was man als störend empfand und die Konzentration erschwerte.

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3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Die folgenden vergleichenden Untersuchungen betreffen die vier in den Fallstudien vorgestellten Häuser sowie zehn weitere Ausstellungen unterschiedlicher Ausrichtungen: Handel House Museum, London Das Handel House Museum wurde 2001 gegründet und befindet sich in einem mehrstöckigen Gebäude im Zentrum von London, in dem Händel 36 Jahre bis zu seinem Tod lebte, sowie in einem Nachbarhaus. Trägerin ist eine außeramtliche Gesellschaft, die Handel House Trust Limited. Das Museum verfügt über eine eigene Sammlung, vor allem historische Bücher, Musikdrucke und Bilder. Der Bestand stammt überwiegend aus einer privaten Sammlung (Gerald Byrne Collection), die das Haus 1998 erworben hat.1 Zudem gibt es Leihgaben in der Ausstellung aus dem Victoria & Albert Museum (V&A). Im Nachbarhaus hat Jimi Hendrix in den späten 1960er Jahren gewohnt. 2016 wurden dort einige Räume für eine Jimi Hendrix-Ausstellung hergerichtet; seit dieser Erweiterung heißt das Museum »Handel & Hendrix in London«. Unsere Untersuchungen fanden im Sommer 2015 statt. Im Zentrum der HändelAusstellung stehen vier möblierte Räume, die Händels Wohnung repräsentieren. Mit der Eröffnung von »Handel & Hendrix in London« wurde die Prä1

Jacqueline Riding, »Handel’s House«, in: Handel House Museum Companion, hg. v. Jacqueline Riding, Donald Burrows und Anthony Hicks, London, The Handel House Trust Limited 2001, 21-36, hier: 33-35. Vgl. auch: https://handelhendrix.org/learn/ourcollection/(zuletzt abgerufen am 4.02.2019). Die Homepage des Museums gibt keine Angabe über die Objektanzahl. Es wird auf den Katalog der Gerald Coke Handel Collection im Foundling Museum verwiesen. Bei der Katalog-Sucheingabe »Handel House Museum« ergeben sich insgesamt 805 Einträge (Sammlungsobjekte und andere Bestände).

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Musik ausstellen

sentation in den Räumen leicht modifiziert. Insofern beziehen wir uns nicht ganz auf den aktuellen Zustand. Während unseres Aufenthaltes lief eine Sonderausstellung mit dem Titel »Handel: A Life With Friends« in zwei weiteren Räumen des Nachbarhauses.2 Beethoven-Haus, Bonn Das Museum in Beethovens Geburtshaus wird vom Verein »Beethoven-Haus« betrieben, der bereits 1889 gegründet wurde. Neben dem Museum führt der Verein ein Archiv und versteht sich als Forschungs- und Dokumentationsinstitut. Unsere Untersuchungen erfolgten 2015, 2016 und 2018 und betreffen die damalige Dauerausstellung, die den Kernbestand der Sammlung mit einer Vielfalt originaler Artefakte präsentierte (u.a. Handschriften, Musikdrucke, Gegenstände aus dem Besitz Beethovens). Einer der Räume war für Sonderausstellungen reserviert. In einem Nachbarhaus befanden sich digitale Sammlungen sowie ein Raum mit einer der Oper Fidelio gewidmeten interaktiven Station. Anlässlich des Jubiläums »Beethoven 2020« wurde die Dauerausstellung neugestaltet und im September 2019 wiedereröffnet. Die Beschreibungen unserer Untersuchungen betreffen somit nicht die aktuelle Präsentation. »Händel mit Herz – Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital«, Sonderausstellung im Händel-Haus, Halle Das Museum »Händel-Haus« in Halle (Saale) umfasst einen Häuserkomplex mit dem Geburtshaus Händels und seinen Nachbargebäuden. Es präsentiert Dauerausstellungen über Händel, zur lokalen Musikgeschichte sowie eine Musikinstrumentensammlung, außerdem zahlreiche Sonderausstellungen. Zur Sammlung gehören über 700 Musikinstrumente, Grafikmaterialien, historische Publikationen, ca. 900 Noten- und Texthandschriften und weitere Dokumente.3 Das Museum wurde 1948 eingerichtet. Seit 2007 ist es Teil einer privatrechtlichen Stiftung (»Stiftung Händel-Haus«). Die Sonderausstellung »Händel mit Herz« widmete sich Händels Engagement für das Foundling Hospital (Waisenhaus) in London. Sie wurde vom 23. Februar 2016 bis zum 10. Januar 2017 gezeigt. María del Mar Alonso Amat hat als Mitarbeiterin

2 3

Sonderausstellung vom 1.07.2015 bis 10.01.2016, kuratiert von Ellen T. Harris, Autorin von George Frideric Handel: A life with Friends, New York u.a., Norton & Company 2014. https://st.museum-digital.de/index.php?t=institution&instnr=87 (zuletzt abgerufen am 31.03.2019).

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

unseres Projektes im Kurator*innen-Team an der Ausstellung mitgewirkt und konnte so die Entstehung von innen her dokumentieren. Musikmuseum, Basel Die Geschichte des Musikmuseums in Basel geht laut Museumsführer auf eine Instrumentensammlung zurück, die Mitte des 19. Jahrhunderts begründet wurde.4 Im Jahr 2000 erfolgte die Eröffnung des Museums in einem ehemaligen Klostergebäude im Zentrum der Altstadt, das bis 1995 als Untersuchungsgefängnis diente. Das Gebäude steht zum Teil unter Denkmalschutz und die Zellenstruktur ist bis heute erhalten geblieben, sodass sich ein kleinteiliger Ausstellungsaufbau ergibt. Die Sammlung umfasst über 2000 Musikinstrumente aus dem 15. bis 20. Jahrhundert und »ist in der Schweiz die grösste ihrer Art«.5 Das Haus gehört als Teil des Historischen Museums Basel (HMB) zu den staatlichen Museen der Stadt. Münchner Stadtmuseum: Die Sammlung Musik Das 1888 gegründete Münchner Stadtmuseum ist eine Einrichtung der Landeshauptstadt München. Es präsentiert verschiedene mit der Stadt verbundene Themen und beherbergt unterschiedliche Sammlungen (u.a. Fotografie, Puppentheater, Musikinstrumente).6 Die Musikausstellung mit der Bezeichnung »Sammlung Musik« befindet sich auf der vierten Etage. Sie wurde 1940 gegründet und basiert auf einer Privatsammlung des Münchners Georg Neuner.7 Laut Homepage besteht die Sammlung aus mehr als 6000 Instrumenten, von denen etwa ein Fünftel ausgestellt ist.8 Präsentiert werden Instrumente aus Afrika und Asien sowie einige aus Ozeanien und Mittelamerika, außerdem europäische Kunst- und Volksmusikinstrumente. Ab 2021 soll das Haus geschlossen und von Grund auf umgestaltet werden.9 4 5 6 7

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Veronika Gutmann und Peter Portner,Musikmuseum. Führer durch die Ausstellung, Basel, Historisches Museum Basel 2000, 9. Ebd. https://www.muenchner-stadtmuseum.de/sammlungen/uebersicht.html (zuletzt abgerufen am 22.02.2019). András Varsányi, »Museum hörbar machen – Beobachtungen zur Installation eines SOUNDLAB in einem Musikinstrumentenmuseum«, in: Musikausstellungen. Intention, Realisierung, Interpretation. Ein interdisziplinäres Symposium, hg. v. Andreas Meyer, Hildesheim u.a., Georg Olms Verlag 2018, 307-334, hier: 307. www.muenchner-stadtmuseum.de/daueraustellungen/dauerausstellungmusik.html (zuletzt abgerufen am 12.04.2015). Varsányi 2018, 334.

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Musik ausstellen

Musée des instruments de musique | Muziekinstrumentenmuseum (mim), Brüssel Das Musée des instruments de musique (niederländisch: Muziekinstrumentenmuseum) ist seit 2000 in einem Jugendstilgebäude, dem ehemaligen Kaufhaus »Old England«, im Stadtzentrum Brüssels untergebracht. Es wurde 1877 als Teil des Brüsseler Konservatoriums gegründet und gehört heute zu den Musées royaux d’Art et d’Histoire | Koninklijke Musea voor Kunst en Geschiedenis, und damit zu den belgischen Staatsmuseen.10 Die Sammlung umfasst circa 8000 Objekte,11 von denen laut Homepage12 etwa 1200 in der Ausstellung gezeigt werden. Mehrere Räume auf verschiedenen Stockwerken widmen sich europäischen Kunstmusikinstrumenten. Ein weiterer Raum präsentiert »Traditions du monde/Tradities in de wereld/Traditional Instruments«13 , wobei dort auch Volksmusikinstrumente aus verschiedenen Teilen Europas Berücksichtigung finden. Tropenmuseum, Amsterdam: World of Music (Musiekwereld) Das Tropenmuseum – im 19. Jahrhundert als »Koloniaal Museum« (»the world’s first Colonial Museum«14 ) gegründet – zeigt ethnographische Artefakte aus vielen Regionen der Welt. Heute ist es mit dem Museum Volkenkunde Leiden, dem Afrika Museum in Berg en Dal und dem Wereld Museum in Rotterdam unter dem Namen »Nationaal Museum van Wereldculturen« fusioniert.15 Bis zum Frühjahr 2016 war die Ausstellung World of Music (Musiekwereld) eine von neun Dauerausstellungen im Haus (die übrigen acht widmeten sich regional geordneten Kulturen der Welt). Im Mittelpunkt stand die Präsentation von Musikinstrumenten. Außerdem gab es mehrere interaktive Bereiche. Kurz nach den Forschungsaufenthalten 2015 und 2016 wurde das Haus weitgehend umgestaltet und die Musikausstellung abgebaut.

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www.mim.be/history (zuletzt abgerufen am 22.02.2019). Vgl. Joke Krause, Cécile Maréchal u.a., 50 instruments insolites. Le coup de coeur des visiteurs du mim, Bruxelles, Renaissance du livre 2010. www.mim.be/nl/de-tentoonstellingszalen (zuletzt abgerufen am 18.01.2020). Beschriftung am Eingang und Bezeichnungen in einem Übersichtsplan an der Wand. https://www.tropenmuseum.nl/en/themes/history-tropenmuseum (zuletzt abgerufen am 22.02.2019). https://www.tropenmuseum.nl/en/themes/collection (zuletzt abgerufen am 22.02. 2019).

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

»Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Ton- und Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg,« Sonderausstellung in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin Die Museen Dahlem beherbergten bis Januar 2017 die Ausstellungen des Ethnologischen Museums, des Museums für Asiatische Kunst und des Museums Europäischer Kulturen der Staatlichen Museen zu Berlin.16 Seit 2017 ist am Standort Dahlem lediglich die Ausstellung des Museums Europäischer Kulturen für Besucher*innen geöffnet.17 Die Sammlungen des Museums für Asiatische Kunst und des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin sollen zukünftig im Humboldt Forum im Berliner Schloss gezeigt werden.18 Die Ausstellung »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente« wurde, noch am Standort Dahlem, im Rahmen eines DFG-Projektes realisiert und widmete sich Tonaufnahmen, die von der »Phonographischen Kommission« in Kriegsgefangenenlagern während des Ersten Weltkriegs gemacht wurden. Zudem zeigte die Ausstellung Bilddokumente des Fotographen Otto Stiehl aus den Lagern. Die präsentierten Klangbeispiele stammen aus dem Berliner Phonogrammarchiv, das dem Ethnologischen Museum angegliedert ist, die Bilddokumente aus dem Bestand des Museums Europäischer Kulturen. Die Ausstellung wurde vom 10. Oktober 2014 bis zum 6. April 2015 gezeigt. »Rock und Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet«, Sonderausstellung im Ruhr Museum, Essen Das Ruhr Museum wurde 2010 in der ehemaligen Kohlenwäsche der als UNESCO-Welterbe anerkannten Zeche Zollverein in Essen eingerichtet. Es befindet sich in Trägerschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Als Regionalmuseum versteht sich das Haus als »Gedächtnis und Schaufenster der Metropole Ruhr«.19 Die Sonderausstellung »Rock und Pop im Pott« widmete sich der Popmusikgeschichte im Ruhrgebiet, wobei sowohl die Musik selbst als auch deren Rezeption in den Blick rückten. Sie verband sich mit einem umfangreichen Begleitprogramm u.a. mit Konzerten, Filmvorführungen und 16 17 18 19

https://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/ethnologisches-museum/ ueber-uns/profil.html (zuletzt abgerufen am 22.02.2019). https://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/museum-europaeischerkulturen/ueber-uns/geschichte.html (zuletzt abgerufen am 22.02.2019). https://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/humboldt-forum/auf-demweg-zum-humboldt-forum.html (zuletzt abgerufen am 22.02.2019). https://www.ruhrmuseum.de/startseite/ (zuletzt abgerufen am 10.08.2018).

119

120

Musik ausstellen

Gesprächsrunden. Die Ausstellung war vom 5. Mai 2016 bis zum 28. Februar 2017 geöffnet. RAGNAROCK – Museet for pop, rock og ungdomskultur, Roskilde Das RAGNAROCK-Museum in Roskilde versteht sich laut Kurator Rasmus Rosenørn als kulturhistorisches Museum20 und widmet sich über mehrere Stockwerke mit einer Sammlung heterogener Artefakte der dänischen Popmusik und in diesem Kontext vor allem den dänischen Jugendkulturen. Das 2016 eröffnete Haus ist Teil einer von verschiedenen Kommunen gemeinsam betriebenen Museumsgruppe. Das futuristisch anmutende Gebäude wurde eigens für das Museum von einer niederländischen und einer dänischen Architektengruppe entworfen und liegt etwas abseits der Innenstadt auf dem Grundstück einer ehemaligen Betonfabrik in der Nähe des Geländes vom Roskilde-Festival. Die Sammlung wurde über mehrere Jahre im Rahmen einer privaten Initiative aufgebaut.21

3.1 3.1.1

Ausstellungselemente im Zusammenspiel Fallbeispiele: Zusammenfassung

In den Ausstellungen in der zweiten und der dritten Etage des Mozarthauses Vienna werden Exponate vornehmlich in Schauwänden präsentiert. Dabei handelt es sich vielfach nicht um Originale. Plots sind häufig durch linear strukturierte Beiträge im Audioguide vorgegeben, die von den Exponaten illustriert werden. An einigen Stellen können sich weitere Plots durch die Konstellationen von Ausstellungselementen ergeben. Aufwendig konzipierte Medienstationen ergänzen die Präsentationen. Einige von ihnen erweisen sich als Elemente musealer Erzählungen andere als Zusatzangebote. In der ersten Etage, der »Mozartwohnung«, ergeben sich Narrative stärker aufgrund von Exponaten. Im Mittelpunkt stehen angedeutete szenische Präsentationen, die an die Vorstellungskraft des Publikums appellieren. Im Pariser Musée de la musique stehen Musikinstrumente im Mittelpunkt, die zumeist »in context« gezeigt werden. Häufig erfolgt die Anordnung

20 21

Rasmus Rosenørn, Interview, 23.03.2018. Ebd.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

nach typologischen Gesichtspunkten, was die vergleichende Betrachtung fördert. Die Instrumente lassen sich mehrheitlich als Haupttexte lesen. Übergeordnete (nicht-organologische) Themen werden durch audiovisuelle Medien vermittelt. Eine Ausnahme bietet u.a. der Bereich »Virtuosität«, für den sich vielfältige Plots durch das Zusammenspiel verschiedener Ausstellungselemente ergeben. Während man bei der Ausstellung zur europäischen Musik einem historischen Ansatz folgt, wird außereuropäische Musik überwiegend unter geographischen Gesichtspunkten präsentiert. Für die verschiedenen Epochen der europäischen Musikgeschichte sowie für den Bereich der außereuropäischen Musik gibt es jeweils interaktive Stationen. Die älteren Ausstellungsteile im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig sind stark auf die Objekte als solche bezogen. Viele der ausgestellten Musikinstrumente wurden nicht zuletzt aus ästhetischen Gründen ausgewählt. Informationen zur Organologie und Spielweise müssen durch Vergleiche nachvollzogen werden. Lokale Kontexte lassen sich hingegen unzweideutig aufgrund von linear verfassten Beschreibungen auf Objektschildern und Informationstafeln herleiten. In den neueren Ausstellungsteilen ist die Auswahl der Objekte zum Teil der Vermittlung von Themen untergeordnet, die Besucher*innen werden stärker durch das Zusammenspiel der Ausstellungselemente, bei dem auch klingende Musik eine Rolle spielt, zum Thema hingeführt. Dabei ergeben sich vereinzelt Angebote an die Besucher*innen, selbst aktiv zu werden. Die neue Ausstellung zum Thema »Musikautomaten« bindet zur Kontextualisierung verstärkt in-situ-Präsentationen ein. Die Ausstellung im rock’nʼpopmuseum in Gronau teilt sich in historische und eher themenbezogene Bereiche. Die historischen Bereiche sind durch eine einheitliche Gestaltung sowie durch heterogene Artefakte wie Vinyl-Schallplatten, Cover von Tonträgern, Plakate, Musikaufnahmen, Filmausschnitte, Abspielgeräte, Instrumente und Bühnenkleidung gekennzeichnet. Plots ergeben sich durch das Zusammenspiel von Exponaten und Beschriftungen bzw. medial über Touchscreens vermittelten Informationen und interaktiven Angeboten, lassen sich aber vielfach auch aufgrund der Konstellation von Exponaten herleiten. Die (nicht historisch geordneten) Ausstellungsteile in der Mitte der Haupthalle sind durch einzelne (für sich stehende) Objekte sowie Audio- und Videostationen geprägt, die häufig zur aktiven Teilnahme und damit zu unmittelbarem Erleben einladen.

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Musik ausstellen

3.1.2

Handel House Museum, London

Im Handel House Museum hat man versucht, die Einrichtung der Wohnung Händels anhand von Inventarlisten nachzugestalten. Um den Eindruck einer Wohnungseinrichtung nicht zu beeinträchtigen, gibt es keine Glasvitrinen und auch keine Objektbeschriftungen22 , sondern lediglich unterschiedlich platzierte Informationsblätter. Die einzelnen Wohnräume sind Themen zugeordnet, die auf den Informationsblättern wie folgt bezeichnet sind: • • • •

»Bedroom, Theme of the Room: Handel the Man« »Dressing Room, Theme of the Room: Handel’s London« »Rehearsal Room, Theme of the Room: Rehearsal and Performance« »Composition Room, Theme of the Room: Composition«.

Der »Composition Room« ist z.B. wie folgt ausgestattet: • • • • •

ein Sessel ein dreibeiniger Tisch ein Esszimmerstuhl ein Spiegel (Trumeau) eine Orgel aus der Werkstatt von John Snetzler.

Zudem hängen Bilder an den Wänden. Das Informationsblatt liegt auf einem Notenpult. Behandelt wird dort zunächst die Bedeutung Händels für die englische Musik seiner Epoche, die Zusammenarbeit mit Librettisten sowie die Art und Weise, wie er sich bei anderen Komponisten »bediente«. Daraufhin folgt die Frage: »How would Handel have used this room?« Seine Arbeitsweise wird beschrieben, sein Arbeitstempo, die kreative Energie und emotionale Involviertheit, insbesondere bei der Komposition des Messias: Romantic legends have sprung up around the composition of Messiah: that during this period meals were left untouched (unlikely considering Handel’s

22

Sara Bardwell, Interview, 20.08.2015 und Martin Wyatt, Interview, 26.08.2015. Sarah Bardwell war von 2004 bis 2016 Direktorin des Hauses, Martin Wyatt arbeitete von 2007 bis 2016 als Kurator am Museum. Maßgeblich verantwortlich für die Konzeption der Ausstellung war Jacqueline Riding, die von 1999 bis 2004 als Direktorin des Museums fungierte.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

enthusiasm for food and drink) and that, overwhelmed by emotion or religious fervour, the composer wept as he composed. Es wird dann auf einige Quellen verwiesen, die nahelegen, dass Händel in diesem Raum tatsächlich komponierte. Weiterhin bietet das Informationsblatt Hinweise zum Werk Händels und seiner Bedeutung sowie einige Kommentare zu den in der in-situ-Konstellation präsentierten Exponaten. Umfangreiche Informationen gibt es zu den Bildern, die nicht nur der Inszenierung des Raumes dienen, sondern im Verbund mit diesen Texten auf verschiedene Aspekte verweisen. Zu einem Stich von einem Prachtbau im Green Park wird z.B. mitgeteilt, dass das Gebäude für die königlichen Feuerwerke errichtet wurde; daraufhin vermittelt der Text Hintergründe zur Uraufführung der Feuerwerksmusik. Zu einem Porträt des Librettisten Charles Jennens heißt es u.a.: His first libretto was that of Saul (1738-39), the most powerful of the early dramatic oratorios. A year later he worked directly with Handel himself in adapting and extending a draft for what became L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato (1740), a selection of Milton’s verses prepared by another influential friend, James Harris of Salisbury. Around the same time Jennens also had the idea of a ›sacred oratorio‹ designed for performance in Passion Week, based on texts compiled from the Bible. This was, of course, Messiah, set by Handel in 1741 (though not achieving its final form until 1750). Die ausgestellte Orgel (Abbildung 14) lässt sich unter organologischen Gesichtspunkten betrachten und mit anderen im Haus ausgestellten Tasteninstrumenten in Verbindung bringen. Für die Instrumente gibt es zusätzliche Informationsblätter, mit unterschiedlich gewichteten Inhalten zu Instrumentenbauern, Funktionsweisen der Instrumente und ihre Bedeutung für Händel. Die anderen Räume sind mit ähnlichen Konstellationen gestaltet. Eine Besonderheit bietet der »Rehearsal Room« (Abbildung 15), in dem ein Cembalo steht. Hier üben regelmäßig Musiker*innen während der Besuchszeiten, und es werden Konzerte gegeben, sodass klingende Musik das Thema des Raumes (»Rehearsal and Performance«) ergänzt bzw. illustriert. Eine weitere Besonderheit im Handel House Museum ist die Einbeziehung von sogenannten »Volunteers«, überwiegend Rentner*innen und Studierende, die als Aufsichten fungieren, sich sehr gut im Haus auskennen und vielfältige Informationen

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Musik ausstellen

Abb. 14: Handel House Museum, »Composition Room« (Foto: María del Mar Alonso Amat)

zur Ausstellung parat haben und damit Unterstützung bei der Erschließung anbieten.

Abb. 15: Handel House Museum, »Rehearsal Room« (Foto: María del Mar Alonso Amat)

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Abb. 16: Handel House Museum, »Bedroom« (Foto: María del Mar Alonso Amat)

3.1.3

Beethoven-Haus, Bonn

In der von uns besuchten ehemaligen Dauerausstellung im Beethoven-Haus in Bonn verzichtet man auf in-situ-Präsentationen. Ein chronologisch geordneter Rundgang bietet verschiedene Themen, denen Exponate in Tischvitrinen und Bilder zugeordnet sind. Abgesehen von einigen Instrumenten aus Beethovens Besitz gibt es keine freistehenden Objekte. Das erste Stockwerk ist »Beethoven in Bonn«, das zweite »Beethoven in Wien« gewidmet.23 Es gibt in den Räumen weder Informationstafeln noch Themenüberschriften. Ein Faltblatt, das man zusammen mit der Eintrittskarte bekommt, sowie ein Audioguide, der gegen eine Gebühr ausgehändigt wird, enthalten Informationen zu den Objekten und den jeweiligen Themen. Der Audioguide bietet außerdem Musikbeispiele, die mit den behandelten Themen bzw. den Objekten und Objektarrangements korrespondieren. Die Kuratorin Nicole Kämpken (seit 2018 Leiterin des Museums) sagt, das Haus sei so konzipiert,

23

In der 2019 neu eröffneten Ausstellung ist auch das Erdgeschoss einbezogen. Die Präsentation widmet sich überwiegend einzelnen Themen in unterschiedlichen Zeiten, sodass die Chronologie und damit die Trennung zwischen den Bonner und Wiener Lebensjahren aufgehoben ist.

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Musik ausstellen

dass man »entweder eine Führung macht oder den Audioguide mitnimmt«.24 Dem folgend, widmet sich eine Konstellation von Ausstellungselementen der Freundschaft Beethovens zur Bonner Familie von Breuning. In einer Tischvitrine finden sich u.a.: • • •

ein Schattenriss des jungen Beethoven eine Glückwunschkarte von Eleonore Breuning sowie weitere Schriftstücke der Familie, die Zuneigung zu Beethoven bezeugen ein aufgeschlagenes Exemplar der Beethovenbiographie von Franz Gerhard Wegeler,

an den Wänden dahinter und daneben: • •

Schattenrisse und Porträt-Gemälde der Familie Porträt-Gemälde Franz Gerhard Wegelers.

Die Objektbeschriftungen vermitteln knappe Informationen. Zum Porträt von Johann Lorenz von Breuning heißt es z. B: »[…] Die Familie von Breuning war für den jungen Beethoven ein Hort der Fürsorge und Freundschaft. Sie bereicherte ihn geistig und menschlich sehr.« Ohne Vorwissen lassen sich aufgrund dieser Konstellation nur sehr wenige Schlussfolgerungen über die Beziehung zwischen Beethoven und den Breunings ableiten. Hintergründe bleiben unverständlich. Der Text des Audioguides bezieht sich auf die Artefakte und bietet darüber hinaus gehende Informationen: Beethovens Freundeskreis aus seiner Bonner Zeit und mittendrin er selbst. Ebenfalls als Schattenriss. Das erste authentische Beethovenporträt. Der 16-jährige trägt seine Dienstkleidung mit Perücke und Spitzenhalstuch. Ein Nachbar, Bäckermeister Fischer, beschrieb ihn später so: »Kurz gedrungen, breit in den Schultern, kurz von Hals, dicker Kopf, runde Nase, schwarzbraune Gesichtsfarbe.« Die Schattenrisse daneben zeigen die Familie von Breuning, eine angesehene Familie, gebildet, belesen, musikalisch. Helene von Breuning hatte Beethoven zunächst als Klavierlehrer für zwei ihrer Kinder engagiert, auf Empfehlung des Medizinstudenten Franz Gerhard Wegeler, der mit Beethoven befreundet war. Wegeler heiratete später in die Familie von Breuning ein. Sein Porträt hängt rechts an der Wand. Bald

24

Nicole Kämpken, Interview, 26.01.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

wurde Beethoven wie ein Familienmitglied behandelt. Er war nur ein Jahr älter als seine Klavierschülerin Eleonore und mit ihrem Bruder Stephan blieb er sein Leben lang eng befreundet. Des Weiteren geht es um die Freundschaft Beethovens zu Franz Gerhard Wegeler, verbunden mit einem längeren Zitat aus Wegelers Beethovenbiographie. Erst diese von den Objekten abgeleiteten Textpassagen des Audioguides vermitteln die Zusammenhänge und damit primär das museale Narrativ, wenngleich man die entsprechenden Informationen in verkürzter Form auch im Faltblatt, das an der Kasse ausgehändigt wird, nachlesen kann. In anderen Vitrinen verbinden sich die Exponate und ihre Objektbeschriftungen durchaus auch für sich genommen zu Narrativen, die sich ohne Informationen der Texte im Audioguide oder Faltblatt nachvollziehen lassen. So sind in einer Tischvitrine folgende Artefakte präsentiert: • • • • •

Brief an Franz Gerhard Wegeler von 1801, in dem Beethoven über seinen zunehmenden Hörverlust berichtet (mit Transkription eines Abschnitts) Heiligenstädter Testament – ein Brief an seine Brüder von 1802 (Faksimile) ein Blatt aus einem Konversationsheft Beethovens Skizzenblatt zur Sinfonie Nr. 7 mit handschriftlichen Notizen Beethovens über das Gehörleiden Beethovens Hörrohre (von Johann Nepomuk Mälzel, 1813).

In der Objektbeschriftung zum Heiligenstädter Testament ist u.a. vermerkt, dass Beethoven im ersten Teil von seiner Ertaubung berichtet und dass das Schriftstück nach seinem Tode seiner Krankengeschichte zugefügt werden sollte. Die Objektbeschriftung des Skizzenblatts zur 7. Sinfonie enthält ein Zitat aus den handschriftlichen Notizen auf dem Blatt: »Baumwolle in den Ohren am Klawier benimmt meinem Gehör das unangenehm Rauschende«. Die Zusammenstellung vermittelt einen Eindruck von der Krankheit und ihrem Verlauf. Der Audioguide ergänzt als Teil der musealen Erzählung diesen Eindruck. Unter anderem wird (mit dramatischer Stimme) aus dem Heiligenstädter Testament zitiert. Daraufhin heißt es: Hören Sie nun selbst, wie zunehmend schlecht Beethoven gehört hat: als erstes ein fiktives Gespräch des 34-jährigen, als zweites einen Ausschnitt aus der 5. Sinfonie, so wie er sie drei Jahre später bei der Uraufführung wahrneh-

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Musik ausstellen

men konnte. Als drittes hören Sie, was der 53-jährige von seiner 9. Sinfonie noch vernahm, als diese 1824 uraufgeführt wurde. Es folgen die Hörbeispiele sowie zum Vergleich die Tonaufnahmen, wie sie eigentlich klingen.

3.1.4

»Händel mit Herz – Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital«, Sonderausstellung im Händel-Haus, Halle

Für die Ausstellung im Händel-Haus standen vier Räume zur Verfügung, zwei im ersten und zwei im zweiten Stockwerk. Die beiden Teile sind damit räumlich nicht direkt verbunden. Die Präsentation im ersten Stockwerk vermittelt Kenntnisse zu den Waisenhäusern in Halle und London zur Zeit Händels sowie zur Jugend des Komponisten in Halle. Im zweiten Stockwerk geht es vor allem um Händels Oratorium »Messias«, das Mitte des 18. Jahrhunderts regelmäßig im Rahmen von Benefizkonzerten im Foundling Hospital aufgeführt wurde. Im ersten Stockwerk gibt es nur wenige Exponate: • • •



ein Kupferstich vom Wappen des Foundling Hospitals (Reproduktion) eine Händel-Büste Porträts (gedruckte Reproduktionen der Gemälde) von Händel, Captain Thomas Coram (Gründer des Foundling Hospital) und vom Maler William Hogarth (wie Händel ein Förderer des Waisenhauses) ein Modell des historischen Hauptgebäudes der Franckeschen Stiftungen in Halle.

Die Franckeschen Stiftungen wurden vom pietistischen Theologen August Herrmann Francke 1698 gegründet. Sie existieren bis heute und umfassen verschiedene soziale und kulturelle Institutionen. Mit der Präsentation des Modells wird eine Verbindung zwischen dem Foundling Hospital und einer vergleichbaren Institution in Halle hergestellt. Die Themenvermittlung verläuft vor allem über Banner, die in den Räumen rundumverlaufend entlang der Wandflächen aufgehängt sind (Abbildung 17). Ergänzende Informationen und Beispiele klingender Musik bieten verschiedene Medienstationen, von denen sich eine dem Foundling Hospital Anthem widmet, einem Chorwerk, dass Händel für die Konzerte komponierte, die zu wohltätigen Zwecken im Foundling Hospital veranstal-

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

tet wurden. Ferner gibt es eine Vermittlungsebene für Kinder in Form von runden Karten, die an den Bannern hängen. Sie zeigen Bilder von Erkennungsobjekten der Waisenkinder (»tokens«) und beschreiben ihr Leben im Foundling Hospital.

Abb. 17: Händel-Haus, »Händel mit Herz«, Raum im ersten Stockwerk, in der Mitte ein Modell des historischen Hauptgebäudes der Franckeschen Stiftungen in Halle (Foto: María del Mar Alonso Amat)

Im zweiten Stockwerk zum Thema »Messias« setzt sich das Konzept mit den Bannern fort. Die Texte bieten Informationen zur Entstehung des Werkes und zur Aufführung im Rahmen von Benefizkonzerten im Foundling Hospital. Ein Monitor zeigt korrespondierende Ausschnitte aus einem Dokumentarfilm über das Werk mit über Lautsprecher erklingendem Ton. Der zweite Raum, der als »Schatzkammer« bezeichnet wird und mit klimatisierten Vitrinen ausgestattet ist, enthält wertvolle Leihgaben des Foundling Museums, der Gerald Coke Handel Collection und der Franckeschen Stiftungen. Zu sehen sind u.a. eine Dirigierpartitur des oben erwähnten Foundling Hospital Anthem mit Eintragungen Händels, die Reinkopie einer Dirigierpartitur des Messias und ein Buch von August Hermann Francke in englischer Übersetzung. Eine Medienstation mit Touchscreen bietet Informationen zu den Exponaten (Abbildung 18). Die örtliche Trennung und das Ambiente der Schatzkammer (ein dunkler fensterloser Raum) sowie die kommentierenden Texte

129

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Musik ausstellen

der Medienstation fördern die Betrachtung der Exponate für sich genommen. Dennoch fungieren sie als Illustrationen der durch die Wandtexte linear vermittelten Informationen.

Abb. 18: Händel-Haus, »Händel mit Herz«, Schatzkammer mit Medienstation (Foto: María del Mar Alonso Amat)

3.1.5

Musikmuseum, Basel

Im Musikmuseum in Basel sind Musikinstrumente teils bestimmten musikalischen Themen zugeordnet und teils als Exempel für Instrumententypen präsentiert. Für die einzelnen Stockwerke gibt es Oberthemen, die im Orientierungsplan an der Wand im Erdgeschoss sowie in einem Flyer, den die Besucher*innen an der Kasse enthalten, wie folgt überschrieben sind: • • • •

Erdgeschoss: »Musik in Basel« Obergeschoss: »Konzert, Choral und Tanz« Obergeschoss: »Parade, Feier und Signale« Obergeschoss: »Roter Saal« (für Veranstaltungen).

In den größeren Vorräumen vor den Zellen finden sich große freistehende Instrumente, während in den Zellen mit kleineren Exponaten verschiedene Unterthemen präsentiert werden, bei »Konzert, Choral und Tanz« etwa u.a. die

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Unterthemen »Kammermusik des Barock«, »Lobet den Herrn: Instrumente in Kloster und Kirche« oder »Klarinetten, Flöten und Oboen«. Bei der Präsentation spielen ästhetische Faktoren eine wichtige Rolle, was sich vor allem anhand der Vitrinengestaltung zeigt. Die Oboen sind z.B. nach Farben (Abbildung 19), die Flöten nach Größen geordnet.

Abb. 19: Musikmuseum, Oboen im Bereich »Klarinetten, Flöten, Oboen« (Foto: Elisabeth Magesacher)

131

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Musik ausstellen

Einen Kontrast zur ästhetischen Präsentation der Instrumente bietet eine Zelle, die man unverändert als Gefängniszelle erhalten hat (»Gefängniszelle Nr. 140«), mit originaler Einrichtung und Zeichnungen von ehemaligen Insassen an den Wänden. Die Zelle darf nicht betreten werden; Besucher*innen können durch das Fenster der (original erhaltenen) Zellentür in die Zelle blicken. Beschriftungen sind in den Zellen knapp gehalten. Bei den Flöten, Oboen und Klarinetten etwa beschränken sich die Informationen der an der Vitrine angebrachten Objektschilder auf Bezeichnung und Stimmung des Instruments (z.B.: »Querflöte auf c1«), Hersteller*in, Ort, Datum (soweit bekannt). Weitergehende Informationen lassen sich über Medienstationen in den Zellen abrufen; jede Zelle ist mit einer pultartigen Medienstation mit Touchscreen ausgestattet. Alle Medienstationen sind in ihrer Menüführung gleich aufgebaut. Es gibt übergeordnete Menüpunkte: »Einführung«, »Musikbeispiele«, »Instrumente«, »Illustrationen«, »Quellen«. Unter »Einführung« können Informationen zum Thema der Zelle abgerufen werden. Der Menüpunkt »Instrumente« bietet vor allem abgeleitete Texte zu den Exponaten. Der Ton der Musikbeispiele erklingt frei im Raum. Von der Station aus, die am anderen Ende der Zelle gegenüber des Zelleneingangs positioniert ist, hat man neben dem Touchscreen auch die ganze restliche Zelle im Blick. Anders als bei einem mobilen Audioguide, steht man also nicht direkt vor dem Instrument, um das es in der Station gerade geht. Die Informationen verbinden sich mit dem Eindruck von der Vitrine als Ganzes mit ihrer ästhetisch begründeten Gestaltung. Allerdings ist es angesichts der überschaubaren Größe der Zellen leicht möglich, zwischen Medienstation und Vitrinen hin- und herzugehen. In den Bereichen vor den Zellen gibt es keine Medienstationen. Informationen werden dort auf Objektschildern vermittelt, deren Texte zudem auf Hörbeispiele und weitere Informationen an Medienstationen bestimmter Zellen auf derselben Etage verweisen, die sich somit von den Objekten räumlich getrennt abrufen lassen. Die Medienstationen und Informationstafeln bieten kommentierende und abgeleitete Texte; sie vermitteln vielfach inhaltlich in die Tiefe gehendes Wissen und sind in einem akademischen Stil gehalten. Die Informationstafel zu einem aufrechtstehenden Klavier ist z.B. mit »Pianino mit Jankó- und Normalklaviatur (schwenkbar)« überschrieben. Im Text heißt es: Das Besondere an diesem Klavier ist allein die treppenartig ansteigende Tastatur. Ihr Grundprinzip besteht aus zwei gegeneinander versetzten Ganztonleitern (der Abstand zur nächsten Taste ist in waagrechter Ebene stets ein

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Ganztonschritt, zur darüberliegenden Reihe jeweils ein Halbtonschritt). Die Tastatur beginnt links unten mit den Tönen a – h (helle Tasten), gefolgt von cis – es (dunkle Tasten) sowie f – g – a – h (helle Tasten), darüber b (dunkle Taste) und c – d – e usw. Die folgende dritte Reihe wiederholt die erste, die oberste Reihe schließlich die zweite, womit jeder Ton auf zwei verschiedenen Ebenen zur Verfügung steht. Der Mathematiker Paul von Jankó (1856 – 1919) entwarf diese Reformtastatur 1882, um die aus dem 15. Jahrhundert stammende »normale« Klaviatur (mit einer C-Dur- Skala auf den Unter- und fünf »akzidentiellen« Tönen auf den Obertasten) den musikalischen Erfordernissen der Moderne anzupassen.

3.1.6

Münchner Stadtmuseum: Die Sammlung Musik

In der Dauerausstellung im Münchner Stadtmuseum sind europäische und nichteuropäische Musikformen in nahezu gleichen Anteilen präsentiert. Dabei reiht sich ein Raum an den nächsten. Der Aufbau lässt sich thematisch wie folgt beschreiben25 : Eingangsbereich: »Stub’nmusi – Bayerische Hausmusik«, »Blaskapelle«, Carl Orff • •



Raum 1: »Afrika südlich der Sahara«, »Kunstkammer – Wunderkabinett der Musikinstrumente« Raum 2: Mittel- und Südamerika (eine Vitrine), Ozeanien, Asien (mit einem Schwerpunkt auf Südost-Asien), »Naher Osten, Nordafrika« Raum 3 und 4: Europa.

Ein Audioguide, der kostenlos zur Verfügung gestellt wird, hält für einzelne Objekte und Objektkonstellationen essayartige gesprochene Textbeiträge bereit, die einen fachsprachlichen Stil aufweisen, teils mit Musikbeispielen. Im Eingangsbereich werden die Instrumente überwiegend in ihren sozialen Zusammenhängen gezeigt. So ist etwa für das Thema »Stub’nmusi – Bayerische Hausmusik« eine in-situ-Konstellation eingerichtet (Abbildung 20). In einer

25

Textüberschriften an den Vitrinen sind hier in Anführungszeichen gesetzt.

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Musik ausstellen

Glasvitrine stehen ein Tisch und zwei Stühle vor einer Tapete, auf der eine Abbildung von Volksmusiker*innen zu sehen ist. Rundherum bzw. auf und unter den Möbeln sind Musikinstrumente verteilt u.a. eine Harfe, eine Gitarre, ein Hackbrett, eine Zither, eine Ocarina, eine Maultrommel, eine Knopfharmonika, ein chromatisches Akkordeon, ein Kontrabass. An der Wand hängen Kuhglocken als Zeichen für den ländlichen Kontext, außerdem eine Geige und eine »Türzither« in Lyraform. Zu den Instrumenten gibt es Objektbeschriftungen mit museumstypischen Daten. Am Glas findet sich eine Informationstafel, die allgemein über alpenländische Hausmusik Auskunft gibt, ferner über die Rückbesinnung auf diese Musik Anfang des 20. Jahrhunderts, über die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg und über die Bedeutung der Volksmusikforschung in Bayern. Weiterhin thematisiert der Text den Begriff »Stub’nmusi« und dessen Entstehung.

Abb. 20: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Musik, »Stub’nmusi – Bayrische Hausmusik« (Foto: Elisabeth Magesacher)

In den Abteilungen zur Musik in Afrika und Asien vermitteln Informationstafeln und Objektbeschriftungen ebenfalls Kenntnisse zu Spielkontexten, außerdem zu Spielweisen und Morphologie von einzelnen Instrumenten. In den asiatischen Bereichen gibt es ferner gelegentlich Informationen zu mu-

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

sikhistorischen Fragen. In einem längeren Text mit der Überschrift »Röhrenspießgeigen in China« heißt es z.B.: Die erhhu [er = zwei, hu = Saiteninstrument] ist in der Stimmung eine Oktave tiefer als die jing hu. […] Die erhhu wurde von Mei-Lanfang (1894-1949), einem bedeutenden Vertreter des »neuen Dramas« [hsin-hsi] seit 1914, als zweites Streichinstrument in die Peking-Oper zur Begleitung der – tieferen Männerstimmen – eingeführt. Seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts gehört die er hu zu den wichtigsten Instrumenten im Rahmen eines Konzertes mit ständig wachsendem Solo-Repertoire.26 Eine Besonderheit bietet das Münchner Stadtmuseum mit dem »Soundlab«, interaktiven Stationen, die im Eingangsbereich und in den nicht-europäischen Präsentationen errichtet sind und ergologische sowie musikalische Erkenntnisse vermitteln.27 Die orangefarbenen, stark ins Auge fallenden Stationen sind in unterschiedlicher Weise mit den Exponaten verbunden. Im Afrikabereich etwa kann man mittels einer verschiebbaren hölzernen Klangplatte und verschiedener Resonatoren nachvollziehen, inwieweit sich der Klang je nach Resonator verändert (Abbildung 21). Einer dieser Resonatoren ist z.B. eine Kalebasse mit einem Bohrloch, über dem ein Mirliton befestigt ist, das beim Anschlagen der Klangplatte mitschwingt. Durch den »Mitsummer« wird laut Text »der Holzklang fast gänzlich verdeckt und dem Xylophon ein stimmähnlicher Klang verliehen«. In einer der Vitrinen in der Nähe ist ein Xylophon aus Namibia mit entsprechenden Resonatoren platziert (Objektbeschriftung: »Xylophon im Holzgestell mit 11 Holzklangplatten, Kalebassenresonatoren mit Mirlitons silimba. Lozi. Namibia«). Der Bereich »Kunstkammer – Wunderkabinett« (Abbildung 22), dessen Name auf die Raritätensammlungen in früheren Jahrhunderten weist, bietet die Gelegenheit, eine Vielzahlt heterogener Instrumente aus verschiedenen Regionen komprimiert auszustellen. Im Beitrag des Audioguides ist die Rede von einem »wohlgeordneten Chaos unseres Wunderkabinetts der Musikinstrumente«. Die Soundlab-Station besteht aus einer Art Schaltpult, das vor den Instrumenten installiert ist. Am Pult finden sich, gruppiert nach verschiedenen Instrumentengruppen, die Bezeichnungen der Instrumente; daneben sind Knöpfe angebracht, die Augen- und Ohrensymbolen zugeordnet

26 27

Ein Schreibfehler in der Objektbeschriftung, Lebensdaten von Mei-Lanfang: 1894-1961. Vgl. Varsányi, 2018.

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Musik ausstellen

Abb. 21: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Musik, Soundlab-Station zum Thema »Resonatoren« (Foto: Elisabeth Magesacher)

sind. Drückt man die Knöpfe mit Augensymbol, leuchtet neben dem zugehörigen Instrument ein rotes Lämpchen auf. Die Knöpfe mit dem Ohrsymbol dienen zum Anwählen von Hörbeispielen, die dann über Lautsprecher erklingen. Zwei Informationstafeln, deren orangene Farbe einen Zusammenhang mit dem Soundlab herstellt, informieren über historische Hintergründe der »Wunderkabinette« und über Klassifikationssysteme von Musikinstrumenten. Die Konstellation bietet den Besucher*innen die Möglichkeit, unterschiedliche Plots abzuleiten. Unter dem Aspekt der organologischen Einteilung sind die ausgestellten Instrumente Beispiele für die verschiedenen Instrumentengruppen. Zudem werden die Instrumente zumindest andeutungsweise »in situ« präsentiert und lassen sich als Modell einer Raritätensammlung lesen. Am Ende der Asien-Abteilung findet sich eine Vitrine zum Thema »Arabischer Einflussbereich«, die laut András Varsányi, von 2009 bis 2018 Leiter der Sammlung, einen »Übergangsmoment von Orient und Europa« markie-

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Abb. 22: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Musik, »Kunstkammer – Wunderkabinett« (Foto: Elisabeth Magesacher)

ren soll.28 Der Text des Audioguides beschreibt die Bedeutung der arabischen Musik für andere Kulturen und verweist als Beispiel auf ägyptische Klarinetten, die ein Vorbild für die sardischen Launeddas abgeben. Launeddas sind allerdings in der Europaabteilung nicht ausgestellt. Stattdessen findet man eine europäische Laute zusammen mit einer arabischen Laute »Ud« in einer Vitrine. Es gibt kaum zusätzliche Informationen; die Besucher*innen müssen genauere Zusammenhänge selbst herstellen. Insgesamt gibt es in der EuropaAbteilung im Vergleich zur Ausstellung afrikanischer und asiatischer Instrumente nur wenige kontextualisierende Informationstafeln, sodass man bei der Betrachtung der Artefakte häufig auf sich allein gestellt ist. Europäische Kunstmusikinstrumente sind nach typologischen Gesichtspunkten in Vitrinen ausgestellt. Zumeist sind verwandte Instrumente in Gruppen zusammengefasst. So werden etwa in einer Vitrine verschiedene Viole d’amore gezeigt, die sich in Form und Größe unterscheiden. Die Objektbeschriftungen enthalten kommentierende Texte mit den museumstypischen

28

Varsányi, Interview, 10.03.2015.

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Musik ausstellen

Daten sowie Angaben zur Anzahl der Saiten und zum Teil mit Hinweisen zu angeschnitzten anthropomorphen Köpfen (»Puttenkopf, »Cupido-Kopf mit Augenbinde«, »Amor-Kopf mit Augenbinde«). Die vergleichende Betrachtung verdeutlicht die Besonderheiten der Instrumente im Detail. Das ist auch kennzeichnend für die Präsentation verschiedener anderer Instrumentengruppen; es geht primär um den feinen Unterschied. Die wenigen Beiträge des Audioguides bieten instrumentenkundliche Informationen und gelegentlich illustrierende Musikbeispiele. Zudem gibt es eine kleine Videostation mit Kopfhörern, in der in Endlosschleife verschiedene Saiteninstrumente vorgeführt werden.

3.1.7

Musée des instruments de musique | Muziekinstrumentenmuseum (mim), Brüssel

Die vier Etagen im Musikinstrumentenmuseum in Brüssel sind thematisch in Bereiche gegliedert, die in einem Übersichtsplan wie folgt benannt werden:29 • •

• •

Untergeschoss: »Musicus mechanicus« (mechanische Musikinstrumente) 1. Stock: »Traditions du monde«/»Tradities in de wereld«/»Traditional Instruments« (außereuropäische Musikinstrumente, europäische Volksmusikinstrumente) 2. Stock: »Musique savante occidentale«/»Westerse kunstmuziek«/»Western Art Music« (europäische Kunstmusikinstrumente) 4. Stock: »Claviers«/»Klavieren«/»Keyboards« (Tasteninstrumente).30

Im Ausstellungsbereich »Musique savante occidentale« ergibt sich anstelle eines Rundgangs aufgrund des Vitrinenaufbaus ein verzweigter, vielgängiger Weg. Bestimmte Bereiche sind bestimmten Themen zugeordnet. Die Überschriften der dazugehörigen Informationstafeln (in französischer und niederländischer Sprache) lauten z.B. •

29 30

»Cantigas de Santa Maria«

Im dritten Stock ist ein Museumsshop eingerichtet. Die Abteilung »Claviers« war 2015 während unserer Studien geschlossen und im Umbau. Die mittlerweile wiedereröffnete Ausstellung unterscheidet sich in der Gestaltung und im Verhältnis von Objekten und Beschriftungen signifikant von den älteren Präsentationen des Hauses.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

• • •

»Theatrum instrumentorum« »Cembalo-Bau in Antwerpen« »Haydn und Esterhazy«.

Schrifttafeln kommentieren die Artefakte und bieten darüberhinausgehende Informationen, und sie verweisen zudem auf die vorgegebene Gehrichtung, sodass sich eine weitgehend chronologisch geordnete Reihenfolge der Themen ergibt. Allerdings sind die Schrifttafeln zum Teil etwas versteckt angebracht bzw. ungünstig positioniert. Objektbeschriftungen (in französischer, niederländischer und englischer Sprache) beschränken sich auf Hersteller*in, Ort und Jahr. Der mit Kopfhörern ausgestattete Audioguide hält für ausgewählte Objekte (gekennzeichnet durch Lautsprechersymbole auf dem Boden vor der Vitrine) Musikbeispiele bereit. Wenn man auf dem Lautsprechersymbol steht, wird der entsprechende Beitrag automatisch abgespielt. Das Display des Audioguides zeigt ein Foto des Instruments, das erklingt und das in der Vitrine zu sehen ist, vor der die Besucher*innen stehen. Mit dem Foto ist auch der Name des Instruments abgebildet, zudem gibt es bisweilen einen kurzen Text. Wenn sich die Besucher*innen also in Reichweite einer Vitrine befinden, hören sie Musik über die Kopfhörer, sehen das Foto des Instruments am Display und können in der Vitrine nach dem abgebildeten Instrument suchen.31 Charakteristisch für die Ausstellung ist die Präsentation von Instrumenten zusammen mit historischen Schriftstücken und Abbildungen. Ein Bereich ist z.B. Michael Praetorius und seinem monumentalen instrumentenkundlichen Werk »Theatrum Instrumentorum« gewidmet. In zwei nebeneinanderstehenden Vitrinen sind Grifflochtrompeten und Flöten der Zeit ausgestellt, dazwischen zwei illustrierte Schrifttafeln. Dort finden sich oben u.a. eine Abbildung der Titelseite des Werkes von Praetorius, darunter Abbildungen der Instrumente, wie sie bei Praetorius präsentiert werden. In ähnlicher Konstellation sind Violinen- und Oboeninstrumente sowie ein Geigenwerk ausgestellt. In unmittelbarer Nähe befindet sich eine allgemein gehaltene Informationstafel zum »Theatrum Instrumentorum«. Ferner werden laminierte Kopi-

31

Die Beschreibungen beziehen sich auf unseren Studienaufenthalt 2015. Bei späteren Besuchen 2016 und 2018 war ein verändertes Audioguide-System installiert, bei dem man für die jeweiligen Instrumente Nummern eingeben musste. Es gab kurze Informationen zum Instrument und zum Musikbeispiel auf dem Minidisplay, aber keine Abbildungen.

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Musik ausstellen

en einzelner Seiten des Werkes in Übergröße zum Durchblättern präsentiert. Die historischen Dokumente lassen sich als eigenständige Exponate lesen, die von den Instrumenten illustriert werden oder als abgeleitete Texte, die Einblicke in die Art und Weise bieten, wie Gelehrte der Zeit mit den ausgestellten Musikinstrumenten umgegangen sind. Ein weiteres markantes Beispiel für die Zusammenstellung von Instrumenten und anderen historischen Artefakten bietet eine in-situ-Präsentation mit Streichinstrumenten aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Eine Violine, eine Bratsche und eine Bassgeige sind vor dem Druck eines Gemäldes platziert, das Spielleute mit eben diesen Instrumenten zeigt, und zwar so, als würden die abgebildeten Spielleute auf den ausgestellten Instrumenten musizieren (Abbildung 23). Auf diese Weise wird die Spielhaltung demonstriert (z.B. Bassgeige in horizontaler Haltung). Gegenüber ist ein von hinten beleuchtetes Wandbild mit Illustrationen zum Thema »Spielleute im 16. und 17. Jahrhundert« platziert.

Abb. 23: Musée des instruments de musique (mim), Streichinstrumente aus dem 16. und 17. Jahrhundert (Foto: Elisabeth Magesacher)

Im Bereich »Traditions du monde« (niederländisch: »Tradities in de wereld«) sind europäische Volksmusikinstrumente einbezogen. Sie werden ähnlich wie im Bereich der europäischen Kunstmusik in Vitrinen und im Ver-

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

bund mit Schrifttafeln und Abbildungen gezeigt, allerdings vorwiegend nach typologischen und nicht wie die Kunstmusikinstrumente nach historischen Gesichtspunkten. Die außereuropäischen Musikinstrumente werden gestalterisch anders präsentiert. Sie sind häufig frei auf Podesten (nicht hinter Glas) und in kleinen Vitrinen daneben platziert, oder sie hängen an den Wänden hinter den Podesten. Es ergeben sich verschiedene Themeninseln, die überwiegend Instrumenten bestimmter Regionen gewidmet sind und in einigen Fällen überregionalen typologischen Gesichtspunkten folgen. Die Bereiche sind nicht im Einzelnen beschriftet, es gibt aber Informationstafeln u.a. mit folgenden Überschriften in niederländischer und französischer Sprache. In der deutschen Übersetzung: • • • •

»Die chinesische Oper« »Orchester mit Blasinstrumenten in Afrika« »Sprechtrommeln« »Saiteninstrumente auf dem indischen Subkontinent«.

Der Text zum Thema »Die chinesische Oper« lautet: In der chinesischen Oper ist der Interpret auch der Schöpfer. Er ist Sänger und Schauspieler, Pantomime und Akrobat. Das zentrale Thema ist der Kampf zwischen gegnerischen Kräften, wobei das Gute am Ende immer die Oberhand behält. Kastagnetten und Zimbeln begleiten den Pantomimen, ein Gong die dramatischen Kampfszenen, eine kleine Trommel und Tamburin den Gesang. Langhals-Streichlauten32 begleiten sowohl die Balladen als auch die künstlerischen Lieder der Protagonisten. Der Orchesterleiter ist manchmal ein Flötist.33 Die im Text erwähnten Instrumente sind neben anderen chinesischen Instrumenten ausgestellt, sodass die Besucher*innen die Zuordnung vornehmen müssen. Informationen auf den Objektschildern beschränken sich auf Instrumentennamen, Instrumentengattung (z.B. Trommel, Querflöte, Laute) und Alter. 32

33

Der Begriff »Langhals-Streichlaute« taucht nur in der niederländischen Fassung auf (»gestreken Langhalsluiten«); im französischen Text ist die Rede von »langstieliger Geige« (»des vièles à long manche«). In der »Systematik der Musikinstrumente« von v. Hornbostel und Sachs wird der Instrumententyp als Spießlaute (im Unterschied zur Halslaute) bezeichnet. Texte der Informationstafeln übersetzt aus dem Niederländischen.

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Musik ausstellen

Auf der Informationstafel zum Thema »Sprechtrommeln« heißt es: In asiatischen, südamerikanischen und afrikanischen Kulturen dient Musik oft dazu, Botschaften zu vermitteln. Oft benutzen sie sprechende Trommeln. Dies können hölzerne Schlitztrommeln oder Trommeln mit einer Membran sein. Es ist wichtig, dass zwei Klänge unterschiedlicher Tonhöhe erzeugt werden können. Zum Beispiel spielt man auf zwei verschiedenen Trommeln oder auf einer Trommel mit zwei Fellen, die oft die Form einer Sanduhr haben. Die dazugehörige Bühne mit Instrumenten zeigt Schlitztrommeln u.a. aus Zentralafrika und Neuguinea, zudem einige Felltrommeln, jedoch keine sanduhrförmigen. Auf einem Foto ist eine übergroße Schlitztrommel im Spielkontext abgebildet – ohne Informationen über die Herkunft und den Anlass des Spielens. Auch in diesem Bereich sind die Besucher*innen weitgehend auf sich allein gestellt, um Schlussfolgerungen zu ziehen, etwa bezüglich der Spieltechnik. Während in Paris, wie oben beschrieben, vorgeschichtliche Exponate im Eingangsbereich zusammen mit nicht-europäischen Instrumenten gezeigt werden, sind in Brüssel alte und vorgeschichtliche Instrumente im Bereich »Europäische Kunstmusik« platziert. Dort findet sich zudem eine Vitrine, die am Beispiel von Saiteninstrumenten den Beziehungen zwischen europäischen und asiatischen Kulturarealen gewidmet ist. Eine Informationstafel verweist explizit auf den Einfluss asiatischer Musikformen und Musikinstrumente auf die europäische Musik.

3.1.8

Tropenmuseum, Amsterdam: World of Music (Musiekwereld)

Die Musikausstellung im Tropenmuseum in Amsterdam ist nach klassifikatorischen Gesichtspunkten aufgebaut. In vier kreisförmig angeordneten Vitrinen (Abbildung 24) werden Musikinstrumente aus verschiedenen Regionen der Welt entsprechend der Systematik von v. Hornbostel und Sachs präsentiert, wobei man als Beschriftungen an den Vitrinen anstelle organologischer Bezeichnungen eigene Begriffe (niederländisch und englisch) verwendet: • • • •

»Allemaal Lucht«/»Running on Air« (für die Aerophone) »Gevoelige Snaren«/»Strings Attached« (für die Chordophone) »Trommel Vliezen«/»Beat it!« (für die Membranophone) »Licht Geraakt«/»A bit touchy« (für die Idiophone).

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Abb. 24: Tropenmuseum, World of Music (Foto: Elisabeth Magesacher)

In den Vitrinen finden sich keine Beschilderungen. Die Benennungen der Instrumente und weitere Erklärungen sind über Touchscreens abrufbar, die sich vor den Vitrinen befinden. Auf der Startseite jedes Monitors sind die Instrumente, so wie in der Vitrine positioniert, abgebildet. Berühren Besucher*innen eine Instrumentenabbildung am Monitor, öffnet sich eine neue Seite, auf der ein vergrößertes Foto des Instruments zu sehen ist und über Kopfhörer ein kurzes Klangbeispiel erklingt. Neben dem Foto steht ein kurzer, kommentierender und/oder abgeleiteter Text auf Englisch bzw. Niederländisch. Für eine becherförmige Trommel aus der Türkei lautet er z.B.: Goblet drum. In Turkey, folk music is accompanied by a dümbelek. This instrument is played while held under one arm, or on the player’s lap. There are many varieties of goblet drums, made of wood, or metal or clay, from Marocco to Bulgaria. They have been played for over 3000 years! In Iran it is a classical music instrument; in Algeria it accompanies traditional music. Über den Vitrinen sind Fotografien von Musiker*innen zu sehen. Des Weiteren werden in der Ausstellung drei kurze Filme gezeigt, die jeweils ein Instrument porträtieren. Das Zusammenspiel der Ausstellungselemente kann zu Mehrdeutigkeiten in Abhängigkeit von Wahrnehmungsprozessen führen.

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Musik ausstellen

In einem der Filme wird z.B. das Akkordeon vorgestellt. Es wird erläutert, dass das Akkordeon in Europa entwickelt und von Seefahrern auf deren Reisen mitgenommen und verbreitet wurde, sodass es heute in vielen Regionen der Welt bekannt ist und in unterschiedlichen musikalischen Kontexten eingesetzt wird. Die Platzierung dieser Filme in der Ausstellung ist von maßgeblicher Bedeutung. Um den Film mit Ton zu sehen, müssen sich Besucher*innen auf einen vorbestimmten Platz in der Mitte des Ausstellungsraums setzen, denn nur von dort aus haben sie Zugang zu den Kopfhörern. Von diesem Platz wiederum ist genau das jeweilige Instrument im Blickfeld, das im Fokus des Filmes steht. Hinter dem ausgestellten Instrument befindet sich die Filmleinwand. Durch das Zusammenspiel zwischen Film und Instrument kann es zu veränderten Bedeutungen kommen: Betrachtet man das Akkordeon im Kontext der Vitrinen, neben anderen Instrumenten, lässt es sich als ein Beispiel für die Instrumente der Vitrine »Running on Air« lesen. In Verbindung mit dem Film, der die Geschichte des Instruments und seine Verwendung in verschiedenen Regionen und Musikstilen erläutert, verweist es auf interkulturellen Austausch. Neben den Texten, die über die Monitore abgerufen werden können, und den Vitrinen-Titeln gibt es nur einen weiteren Text, der auf Niederländisch und Englisch an der Wand abgedruckt ist. Er trägt den Titel der Ausstellung – »Muziekwereld/World of Music« – als Überschrift. In der englischen Fassung heißt es im ersten Absatz: Music and musical instruments travel well. All around the world, different elements mix to produce new music.

3.1.9

»Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Ton- und Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg«, Sonderausstellung in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin

Die Sonderausstellung basiert, wie oben vermerkt, auf einem wissenschaftlichen Projekt und präsentiert Tonaufnahmen, die in Kriegsgefangenenlagern während des Ersten Weltkriegs gemacht wurden, sowie Bilder des Fotografen Otto Stiehl aus zwei Gefangenenlagern. Die Präsentationen verteilen sich über zwei miteinander verbundene, unterschiedlich große Räume. Nahe des Eingangs zum größeren Raum findet sich ein Banner, dessen Text in die Ausstellung einführt. Er informiert über das ethnologische Interesse an kulturellen Ausdrucksformen der Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg, über die

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Aktivitäten der »Königlich Preußischen Phonographischen Kommission«, die in Gefangenenlagern Musik- und Sprachaufnahmen produzierte sowie über den Amateurfotographen Otto Stiehl, einen der Kommandanten des Kriegsgefangenenlagers Wünsdorf. Auf der gegenüberliegenden Wand finden sich mehrere Banner sowie Fotos mit weitergehenden Informationen u.a. zur Arbeitsweise der Phonographischen Kommission. Ergänzend hierzu sind laminierte Abschriften und Scans von Zitaten aus Berichten der Kommissionsmitglieder ausgestellt, die Einblicke in die Arbeit aus erster Hand bieten, etwa von Otto Dempwolff: »[Ich habe einen Malaien] als brauchbar für phonographische Aufnahmen befunden. Mit diesem habe ich mich an 12 Tagen beschäftigt (…) [und] eine Anzahl von Worten, Sätzen, Gesprächen, Erzählungen und Liedern linguistisch durchgearbeitet. An einigen Tagen waren die Herren Geheimrat Stumpf und Prof. von Hornbostel zugegen, welche die Darbietungen des Gewährsmannes in Gesang und Geigenspiel musikalisch bewerteten. Aus dem niedergeschriebenen Material wurde von mir unter Berücksichtigung pädagogischer Gesichtspunkte für etwaigen Unterricht in der malaiischen Sprache der Inhalt für sechs Platten ausgewählt, deren technische Aufnahme Herr Prof. Doegen leitete. Außerdem hat ein von Herrn Prof. Doegen eingeführter Herr, dessen Namen ich nicht zur Hand habe, einige Rollenaufnahmen [Anm.: Aufnahmen auf Wachswalzen, vermutlich ist Schünemann gemeint] von gesungenen Liedern gemacht, deren Texte ich ihm angegeben habe.« Aus Bericht von Otto Dempwolff, 21.02.1919. Des Weiteren werden Vitrinen mit Dokumenten präsentiert, vor allem Aufnahmeprotokolle und »Personalbögen« von Kriegsgefangenen, mit denen Aufnahmen gemacht wurden. Gesangsaufnahmen aus den Lagern lassen sich an drei mit Kopfhörern ausgestatteten Hörstationen (Abbildung 25) per Knopfdruck abhören. Für alle Aufnahmen finden sich neben dem Abhörknopf Informationen zur jeweiligen Aufnahme, z.B.: PhonKomm 52 Flämisches Lied »Het Gebet des Landmans« gesungen von Franz Janssens Kriegsgefangenenlager Göttingen

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Musik ausstellen

Auf Videobildschirmen werden weitere Informationen vermittelt (u.a. Interviews mit Wissenschaftler*innen). Außerdem sind an jeder Hörstation Informationen aus den Protokollheften der Phonographischen Kommission als Scans der Originaldokumente angebracht, sodass man sie während des Hörens studieren kann. Ein Banner bietet grundlegende Informationen über die Hörstationen.

Abb. 25: Staatliche Museen zu Berlin, »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente«, Hörstationen (Foto: Elisabeth Magesacher)

Eine weitere Medienstation widmet sich mit Video- und Audiobeiträgen der DFG-Projektarbeit. U. a. können hier Tonaufnahmen aus der Sammlung angehört werden, zu denen keine Informationen vorliegen; ein Text am Monitor regt zur Mitarbeit an: »Hinweise und Anregungen zur Erschließung der Inhalte sind jederzeit willkommen.« Weitere Artefakte und Texttafeln vermitteln allgemeine Informationen zu Archivwesen und Aufnahmetechnik. Die Bilder von Otto Stiehl aus dem Gefangenenlager Wünsdorf sind ebenfalls im ersten Raum ausgestellt; dabei handelt es sich überwiegend um Porträts von namentlich genannten Gefangenen. Im Mittelpunkt des zweiten, kleineren Raumes steht eine in-situInstallation: Eine Art Bühne mit Holzbrettern deutet den Innenraum einer

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Baracke an. Ein Kartonaufsteller auf der Bühne zeigt ein lebensgroßes Foto einer Aufnahmesituation mit Gefangenen. Auf einem Tisch davor steht, als »echtes« Objekt, ein Phonograph. Durch die Zusammenstellung von Foto und Objekt ergibt sich ein »3D-Effekt«. Daneben wird auf einer Leinwand ein Film über die Arbeit der Phonographischen Kommission gezeigt. Ein Stoffbanner dokumentiert eine historische, von Georg Schünemann angefertigte Tabelle mit den Herkunftsregionen der aufgenommenen Gesänge. Gegenüber der in-situ-Installation findet sich eine Schrifttafel mit einführenden Zeilen über die Kommission. Man kann die Ausstellung sowohl über den ersten als auch über den zweiten Raum betreten. Wenn man über den ersten Raum eintritt, bieten die Texte auf Bannern umfassende Informationen, sodass man sich wohlvorbereitet mit den Aufnahmen der Hörstationen und den präsentierten Artefakten beschäftigen kann. Kommt man vom zweiten Raum in die Ausstellung, muss man sich die Zusammenhänge stärker in eigener Initiative erschließen. Zwar gibt es die Schrifttafel und den Film über die Phonographische Kommission, es fehlt aber eine linear geordnete Hinführung zum Thema, wodurch eine freiere Erschließung gefördert wird. Plots ergeben sich mithin stärker in Abhängigkeit von individuellen Handlungen und Vorwissen. Diese unterschiedlichen Zugangsweisen sind laut einer Mitarbeiterin aus dem Ausstellungsteam durchaus gewollt: Man könnte es auch so sehen: [Die Ausstellung über den ersten Raum betreten] sollten diejenigen, die sich wirklich damit auseinandersetzen wollen, die Texte lesen und sich einfach informieren wollen. Diejenigen, die sich mehr reinfühlen möchten in die Aufnahmesituation oder einfach das empirisch mehr aufnehmen möchten, die sollen von der anderen Seite beginnen […], weil es mehr zum Nachfühlen ist und Nachdenken. Da kommt man erst mal in diese Baracke, […] da weiß man nicht, was das ist, man kommt einfach rein und sieht dieses Bild von den Wissenschaftlern mit dem Musiker, man sieht auch das Gerät, das Aufnahmegerät, und fragt sich, was das eigentlich ist, und man kann einfach durch die Deduktion eigentlich an die Lösung kommen. Und von der anderen Seite ist es Induktion, also man liest sich erst mal rein […].34

34

Interview, 27.01.2015.

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Musik ausstellen

3.1.10

»Rock und Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet«, Sonderausstellung im Ruhr Museum, Essen

Im Eingangsbereich der Ausstellung »Rock und Pop im Pott« ist ein »Soundraum« eingerichtet, in dem mit einem audiovisuellen Zusammenschnitt in die Musikszene des Ruhrgebietes zu verschiedenen Zeiten eingeführt wird. Daraufhin ergibt sich ein chronologischer Rundgang. Zudem werden Artefakte zu einzelnen Topoi in abseitigen Räumen gezeigt, die teils nach historischen und teils nach systematischen Gesichtspunkten geordnet sind. Der chronologische Rundgang folgt Themenüberschriften: • • • • • • • • • • •

»Prolog« (Vorläufer) »Aus der Reihe tanzen – Rock’n Roll im Ruhrgebiet« »The Beat goes on – Beat Bands im deutschen Industrierevier« »Leben, Kämpfen, Solidarisieren – Musik und Politik« »Mythen und Menschenmassen – Rock und Pop-Festivals« »Auch die Krauts rocken – Deutsch-Rock im Ruhrgebiet« »Mach Dein Ding – Punk im Ruhrgebiet« »Harter Rock im Industrierevier – Heavy Metal« »Die Wüste lebt – Ruhrpott als Erfolgsrezept« »Keine Love Parade – Techno im Ruhrgebiet« »Musik der Einwanderer-Gesellschaft – Hip Hop und Gastarbeitersound«.

Die Themen sind einheitlich gestaltet. Die Themenüberschrift findet sich vor einem (grob aufgelösten) Hintergrundfoto zusammen mit einem längeren allgemein gehaltenen Wandtext. Davor oder daneben stehen auf einem Podest hinter Glas größere Objekte (laut Katalog: »Schlüsselobjekte«35 ). Jeweils gegenüber sind in einer Vitrine mit mehreren Abteilungen kleinere Gegenstände, Dokumente, Fotos ausgestellt. Eine Videostation mit Kopfhörer daneben zeigt Ausschnitte aus Dokumentarfilmen und Musikvideos. Im Bereich »Keine Love Parade – Techno im Ruhrgebiet« sind etwa auf dem Podest ein DJ-SetUp sowie Bühnenkleidung, Plattentaschen und Plattenkoffer von bekannten

35

Hannes Bierkämper, »Learning from Pop oder der dekorierte Schuppen. Zum Gestaltungskonzept der Ausstellung Rock und Pop im Pott«, in: Rock & Pop im Pop – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet, hg. v. Heinrich Theodor Grütter, Essen, Klartext-Verlag 2016, 19-24, hier: 23.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

DJs präsentiert, in der gegenüberliegenden Vitrine u.a. ein Drum-Computer, ein Bass-Synthesizer und Plakate zu Tanzveranstaltungen, Pokale und Urkunden. Die Videostation bietet einen Film über die Love Parade in Essen, Dortmund und Duisburg, wobei auch die Katastrophe von 2010, als während des Festivals in Duisburg 21 Menschen ums Leben kamen, behandelt wird. Ein Audioguide, der an der Kasse gegen Gebühr ausgeliehen wird, enthält lange, feature-artige Beiträge zu den Themen mit Musikbeispielen, zum Teil auf Objekte und Objektkonstellationen bezogen, zum Teil darüberhinausgehend. Für den Bereich »Rock’n Roll« etwa sind als »Schlüsselobjekte« die Kabine eines Raupenkarussels sowie eine Jukebox ausgestellt (Abbildung 26). Der Wandtext informiert kurz über deren Bedeutung für die jugendkulturelle Musik der Zeit. Das wird im Text des Audioguides aufgenommen und erweitert; man erfährt, dass Karussellbetreiber als DJs fungierten und dass man als Fan mit der zunehmenden Verbreitung der Jukeboxes zum »eigenen DJ« avancierte. Weiterhin gibt es Informationen über die präsentierten Filme und Fotos des Bereiches. Darüber hinaus geht es um Sachverhalte, die sich aus dem Thema ableiten und mit den Artefakten in den Vitrinen nur indirekt in Zusammenhang stehen. Exponate und Beschriftungen bzw. Audioguide-Beiträge verbinden sich in unterschiedlicher Weise zu musealen Narrativen, was einige Beispiele verdeutlichen mögen. Im Bereich »Rock’n Roll« wird eine Eintrittskarte für die Hitparade in der Essener Grugahalle, unterschrieben von Elvis Presley, präsentiert. In der Objektbeschriftung heißt es: Während seiner deutschen GI-Zeit besuchte Elvis Presley die Gala zur Verleihung des goldenen Löwen von Radio Luxemburg. Peter Kraus (»der deutsche Elvis«) war erster Gewinner des Radiopreises. Die Eintrittskarte bietet einen Index, den Beweis für den ersten Teil der Aussage in der Beschriftung, die den Plot vorgibt. Mit dem Verweis auf Peter Kraus wird ein abgeleiteter Text angefügt. An anderen Stellen ergänzen sich Exponate und Beschriftungen. Der Einführungstext zum Thema Punkrock ist betont sachlich gehalten u.a. heißt es dort: Massenarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise gehörten zum Alltag. Auflehnung und Protest gegen bestehende Regeln und Werte waren die Folge. In den Vitrinen sind u.a. Backstage-Pässe und Fanzines ausgestellt. Einer der Backstage-Pässe trägt die Aufschrift: »Ich Arsch gehöre dazu«; die aus-

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Musik ausstellen

Abb. 26: Ruhrmuseum, »Rock und Pop im Pott«, Raupenkarussel und Jukebox als »Schlüsselobjekte« zum Thema »Rock’n Roll« (Foto: Andreas Meyer)

gestellten Fanzines haben Titel wie »Ungewollt« oder »Kotzfleck«. Die Objektbeschriftung lautet lapidar: »Fanzines aus dem Ruhrgebiet«. Es sind somit die Objekte selbst, die den szeneeigenen subversiven Umgang mit Normen kennzeichnen. Bei anderen Konstellationen geben die Beschriftungen lediglich das wieder, was sich schon aufgrund der Betrachtung der Artefakte erkennen lässt. So wird etwa beim Thema »Beat Bands« (1960er Jahre) die Bedeutung der Beatmusik für Jugendliche in der DDR betont. In der dazugehörigen Vitrine ist eine Single der Gelsenkirchener Band German Blue Flames ausgestellt, daneben ein Schreiben von Fans aus der DDR sowie das Ant-

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

wortschreiben zu einem Antrag auf eine Reisegenehmigung für eine Tournee durch die »SBZ« des NRW-Innenministers, in dem es heißt: Ich darf Ihnen anheim stellen, sofern dies noch nicht geschehen sein sollte, Ihr Anliegen dem Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen in Bonn vorzutragen. In der Objektbeschriftung zum Brief aus der DDR heißt es, das Dokument beweise die Popularität der German Blue Flames, die »bis hinter den Eisernen Vorhang reichte«, zum Brief des Innenministers: Der Minister antwortete persönlich und verwies zuständiger halber auf Bonn. Die abseitigen Räume der Ausstellung sind Themen wie z.B. »Mode«, »Tanz«, »Equipment«, »Marketing« gewidmet. Eine dieser Abseiten ist mit »Körper in Bewegung – Musik und Tanz« betitelt. Eine Vitrine zeigt Schuhe, die zu verschiedenen Zeiten zumeist im jugendkulturellen Kontext zum Tanzen getragen wurden u.a. »Boots«, »Pikes« und Plateauschuhe. Gegenüber sind in einer Vitrine Plakate und Fotos zu Tanzveranstaltungen in den 1960er und 1980er Jahren ausgestellt. An der Decke des Raumes ist eine Diskokugel befestigt. Beim Betreten eines Kreises gehen Lichter an, die Musik wird lauter und geht zum Anfang einer Schleife mit jugendkultureller Tanzmusik von den 1950er bis 1990er Jahren. Der eigene Körper wird gefilmt und farbverfremdet an eine Wand projiziert, sodass man die eigenen Tanzbewegungen beobachten kann und so zu den verschiedenen Musikstücken ein spezifisches Verhältnis entwickelt (Abbildung 27). Das Thema Tanz wird (unter Ausnutzung des räumlichen und damit museumstypischen Moments) ein Stück weit über eigene unmittelbare Erfahrungen erschlossen.

3.1.11

RAGNAROCK – Museet for pop, rock og ungdomskultur, Roskilde

Die Dauerausstellung im RAGNAROCK-Museum in Roskilde (Dänemark) folgt einer Einteilung nach Bereichen, die sich heterogenen Topoi widmen. Anstelle einer Eintrittskarte bekommt man einen als »On Stage Pass« bezeichneten Ausweis zum umhängen. Auf dessen Rückseite finden sich ein Orientierungsplan sowie Bezeichnungen der einzelnen Bereiche. Auf der Vorderseite gibt es einen kurzen Einführungstext, der mit der Aufforderung schließt, man möge per Fahrstuhl in den dritten Stock fahren, um sich auf

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Musik ausstellen

Abb. 27: Ruhr Museum, »Rock und Pop im Pott«, »Körper in Bewegung – Musik und Tanz« (Foto: Ruhr Museum)

eine »farbenfrohe Reise« zu begeben. Es reihen sich verschiedene Themen aneinander u.a. im dritten Stock: • • • •

»Let there be light«36 (Lichteffekte und Light Shows) »Dance fever« (Rock’n Roll-Tanz, Breakdance, Rave) »Fracture« (Musik und Gender, Musik und Politik, Restriktionen gegenüber jugendkulturellen Ausdruckformen) »Musical Currents« (Daten zur Geschichte der dänischen Popmusik),

im zweiten Stock: • • •

36

»Fans: Boys and Girls« (Fan-Kommentare, Fan-Aktivitäten, Merchandisings) »Electric intimacy« (über eine Radiosendung für Jugendliche) »Rotation« (Tonträger, Aufnahme- und Abspielgeräte, Instrumente).

Beschriftungen in der Ausstellung zumeist in dänischer und englischer Sprache.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Lediglich die Präsentation zum Thema »Musical Currents« (Abbildung 28) ist eindeutig und durchgehend chronologisch geordnet. Entlang einer Wand ist eine Zeittafel installiert, die sich überwiegend aus Leuchtbildern mit Protagonist*innen und Fans zusammensetzt; außerdem gibt es Audiobeispiele und Filme auf kleinen Monitoren, für die der Ton über Kopfhörer erklingt.

Abb. 28: RAGNAROCK, »Musical Currents« (Foto: Andreas Meyer)

Wie in den Popmusik-Ausstellungen in Gronau und Essen ergeben sich museale Narrative im vielfältigen Zusammenspiel von Objekten, audiovisuellen Medien sowie Informationstafeln und Objektschildern. Audioaufnahmen und Videos werden in der Funktion kommentierender oder abgeleiteter Texte in Bezug auf Objekte präsentiert und auch als eigenständige Exponate, als Dokumente einer Zeit oder eines Sachverhalts. Ferner gibt es viele interakti-

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Musik ausstellen

ve Angebote, die häufig mit anderen Ausstellungselementen korrespondieren und zur Erzählung beitragen. Ein signifikantes Beispiel bietet eine Installation zum Thema Wiedergabegeräte. An einer Wand sind ein Tonbandgerät, ein Analog-Radio, ein Schallplattenspieler, ein CD-Player, ein Mp3-Player und ein Smartphone angebracht. Die Besucher*innen können mit drei farblich markierten Knöpfen auswählen und dadurch raten, welches Gerät ihrer Meinung nach gerade zu hören ist. Für jedes Musikbeispiel stehen drei Geräte zur Auswahl; sie werden in der Farbe der Knöpfe angestrahlt. Nachdem die Wahl getroffen ist, wird die Auflösung mit einem kurzen Text an die Wand gebeamt, dabei wird auch erklärt, wodurch sich der gehörte Sound physikalisch auszeichnet. Nahe der Installation sind verschiedene Typen der Geräte ausgestellt.37 Im Bereich der Fan-Kultur geben Informationstafeln und Objektbeschriftungen zumeist nicht kuratorische Sichtweisen wieder, sondern nehmen die Perspektive der Musikrezipient*innen ein. Die Texte bieten weniger Erklärungen als Ergänzungen zu den Artefakten. Eine Vitrine etwa präsentiert unter dem Titel »From Otto38 to Gaga« Merchandise-Artikel dänischer und internationaler Popstars. Für die britischen Spice Girls sind u.a. ein Kopfkissenbezug, ein Becher, ein Fotoalbum und eine Buchpublikation ausgestellt. Dem Buch ist folgende Objektbeschriftung zugeordnet: WHO KNOWS MOST ABOUT THE SPICE GIRLS Spice Girls fan book, Kelly Fergus: All things spice, the complete unofficial story of the Spice Girls, 1997 Learn everything about the girls! Read about Mel B’s tattoos, Mel C’s favourite football team, and Victoria’s favourite fashion labels. Being a fan is not just about consuming, fans need to have special knowledge, too. Für Lady Gaga wird u.a. eine quadratische Sonnenbrille mit der Aufschrift »Ga Ga« präsentiert. In der Objektbeschriftung heißt es: GAGA VISION Lady Gaga sunglasses, around 2009. With a pair of Lady Gaga sunglasses, you see the world through Lady Gaga’s eyes. Lady Gaga makes pop music, but turns the normal upside down. An extraordinary idol also wears extraordinary sunglasses. 37 38

Die Installation wurde 2020 abgebaut. Laut Rasmus Rosenørn wurde sie vom Publikum nur mäßig angenommen, war aber technisch sehr aufwendig (Mail, 25.03.2020). Otto Brandenburg, dänischer Popstar der 1950er Jahre.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Sofern man, wie laut Orientierungsplan vorgesehen, mit dem Fahrstuhl in die Ausstellung fährt, erlebt man einen eher emotionalen Einstieg. Im Fahrstuhl erklingt mit hoher Lautstärke ein technisch verfremdeter dänischer Popsong. Man kommt zunächst in einen Spiegelsaal und von dort in den Raum, der sich Licht und Lightshow widmet. Interaktive Stationen bieten die Möglichkeit, für bestimmte musikalische Genres Lichteffekte zu kreieren. Auf einer Wandtafel im Eingangsbereich mit der Überschrift »INTRO« steht: A caleidoscopic tale of Danish youth culture told through the sound, images, and symbols of rock and pop music. We hear about the first youths and all the youngsters that followed. We hear about the music they believed in, and the community they made up, the consumption they produce, and the society they challenged. Music became the soundtrack of self-realization. Look, listen, and dance. »Look, listen and dance« ist wörtlich zu nehmen, denn es folgt ein Raum zum Thema »Tanz«, in weiten Teilen ähnlich präsentiert, wie oben für die Ausstellung »Rock und Pop im Pott« in Essen beschrieben. Eine Vitrine bietet Artefakte zu jugendkulturellen Tänzen. An der Decke ist eine Diskokugel montiert. Die Besucher*innen können zu verschiedenen Musikstilen tanzen, der Tanz wird gefilmt und in bildlich verfremdeter Form an eine Wand projiziert, sodass bei der Rezeption des Themas wiederum unmittelbare Erfahrung im Spiel ist. Man kann auch über eine Treppe in die Ausstellung gelangen (eine Wandbeschriftung im Foyer fordert zum Hochgehen auf). Dann erreicht man etwas unvermittelt zuerst den Raum zum Bereich »Fracture«. Bei einem ersten Aufenthalt haben wir diesen Weg genommen, weil der Fahrstuhl außer Betrieb war. Da es kaum Orientierungshilfen gibt, dauerte es eine Weile, bis klar wurde, dass es im ersten Raum überwiegend um Revolte und Politik geht, von »Rock’n Roll-Krawallen bis zur Frauen-Emanzipation«.39 Mit zunehmender Beschäftigung wurde die Grundstruktur der Ausstellung dann erkennbar.

39

Andreas Meyer, Feldnotizen, 21.3.2018.

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Musik ausstellen

3.2 3.2.1

Aura und Gedächtnis Fallbeispiele: Zusammenfassung

In den oberen Etagen der Ausstellung im Mozarthaus Vienna verzichtet man weitgehend auf die Präsentation von auratisch aufgeladenen Objekten; im Mittelpunkt stehen die Texte des Audioguides; den Artefakten kommt mehrheitlich eine sekundäre Rolle zu. Die Ausstellung in der Mozartwohnung hingegen zielt durchaus auf die Aura der Räume und des Hauses. Man verzichtet aber auf die Rekonstruktion der Einrichtung und appeliert an die Vorstellungskraft der Besucher*innen. Die Ausstellung konzentriert sich auf Mozarts Wiener Jahre, um sich, wie von kuratorischer Seite vermerkt, von anderen Häusern abzusetzen. Damit wird das Profil Wiens als Musikstadt hervorgehoben. Wenngleich man im Musée de la musique in Paris auch instrumentenbauliche Meisterwerke präsentieren möchte und sowohl Ästhetik als auch historische Bedeutung der Objekte eine Rolle spielen, geht es in hohem Maße darum, über die Artefakte verschiedene Themen zu vermitteln. Oftmals wird ein Bezug zu Frankreich bzw. Paris hergestellt und somit die musikalische Bedeutung Frankreichs hervorgehoben, wenn z.B. das Thema »Virtuosität« im Verbund mit Hector Berlioz präsentiert wird oder Mozart vor allem aufgrund seiner Pariser Zeit Berücksichtigung findet. Mit der älteren Ausstellung im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig (Konzept von 2006) möchte man »Geschichte und Schönheit« vermitteln, sodass viele Instrumente unter ästhetischen Gesichtspunkten gezeigt werden; auch geht es um die prominente Präsentation von historisch authentischen Objekten, häufig von bekannten Instrumentenbauern. In den neuen Ausstellungsteilen sind die Objekte für sich genommen weniger bedeutend, da sie im Verbund stärker der Vermittlung von bestimmten Sachverhalten dienen. Sowohl in den älteren als auch den neuen Ausstellungsteilen steht die Stadt Leipzig im Vordergrund der musealen Narrative, die als eine bedeutende Musikstadt vorgestellt wird. An verschiedenen Stellen wird auf konkrete Orte in Leipzig verwiesen, an denen z.B. Instrumentenbauwerkstätten standen, sodass sich für lokale Besucher*innen möglicherweise ein Wiedererkennungseffekt ergibt. Im rock’nʼpopmuseum in Gronau präsentiert man eine Reihe originaler und damit auratisch bedeutender Objekte. Mehrheitlich sind die Objekte jedoch als Teile musealer Narrative ausgestellt. Zwei überwiegend auditiv ge-

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

staltete Räume zielen primär auf emotionale Wahrnehmung. Abgesehen von der Präsentation Udo Lindenbergs (der, wie vermerkt, in Gronau geboren wurde) am Ende der Ausstellung, gibt es keine Verweise auf lokale Aspekte.40 In den historisch geordneten Bereichen sind soziale und politische Entwicklungen in Deutschland von Bedeutung, die durchaus kritisch aufbereitet werden. Insgesamt zielt die Ausstellung aber vor allem auf persönliche Erinnerungen und damit eher indirekt auf kollektive Identität (wenn persönliche Erinnerungen gemeinsame Erfahrungen betreffen).

3.2.2

Handel House Museum, London

Wie oben beschrieben, umfasst die Sammlung im Handel House Museum u.a. Musikdrucke und Werke bildender Kunst. Einige Gemälde, Radierungen, Mezzotintos sind in die Wohnungseinrichtung eingebunden. Die Werke wurden vor allem ausgewählt, um das Thema des jeweiligen Raumes mitzugestalten. Ihr »Wert« für sich genommen war dabei von zweitrangiger Bedeutung. Notendrucke, die einen Großteil der Sammlung ausmachen, sind Kurator Martin Wyatt zufolge nicht für die Dauerausstellung geeignet und werden gegebenenfalls in Sonderausstellungen gezeigt. Vor Beginn der Umbauarbeiten 2015 wurden allerdings in einem weiteren Raum einige originale Objekte präsentiert u.a. ein Brief von Händel an Charles Jennens und das Manuskript einer Arie. Martin Wyatt betont, dass das Haus selbst den Kern der Sammlung bzw. das wichtigste Artefakt darstellt.41 Die Möblierung der Räume unterstützt die Wahrnehmung des Hauses als Original. Auch die Proben mit Cembalo in Händels »Rehearsal Room« tragen dazu bei, eine »authentische« Atmosphäre zu schaffen. Die Themen der Räume betreffen primär Händels Leben in London und die Musik, die er dort komponiert hat. Das gleiche gilt für die meisten Themen der Sonderausstellungen, die seit 2003 in unregelmäßigen Abständen gezeigt wurden. Ein Beispiel bietet die oben erwähnte Ausstellung »Handel: A Life With Friends«. über Händels Freundschaften in Mayfair, seiner Nach-

40

41

In der 2018 neu eröffneten Dauerausstellung ist Udo Lindenberg wesentlich präsenter. Bereits im Eingangsbereich findet sich eine Medieninstallation mit einer persönlichen Videobotschaft des Sängers. Auch bei der musealen Präsentation verschiedener Themen in der Ausstellung wird sich vielfach auf Lindenberg bezogen. Martin Wyatt, Interview, 26.08.2015.

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158

Musik ausstellen

barschaft in London. Die Ausblendung der frühen Jahre unterstützt die Vorstellung von Händel als britischer Komponist.

3.2.3

Beethoven-Haus, Bonn

Das Beethoven-Haus verfügt über eine Vielzahl von Objekten, die unter verschiedenen Gesichtspunkten für sich genommen einen besonderen Wert haben: Zu nennen wären Instrumente, Alltagsgegenstände und Möbel aus dem Besitz Beethovens, originale Schriftstücke, berühmte Porträts, eine Haarlocke Beethovens, die Totenmaske. Die Artefakte werden, wie Michael Ladenburger sagt, bewusst eher schlicht präsentiert, wobei er darauf verweist, dass die Konzeption der Ausstellung mehr als 20 Jahre alt ist und auf das Jahr 1993 zurückgeht: Im Vordergrund steht die Aura des Originals, sowohl des Gebäudes als auch des einzelnen authentischen Objektes. Vor 20 Jahren war es, denke ich, absolut richtig, und es gibt heute noch viele, die sagen, das ist ein wunderbares Museum, denn ich werde nicht bespielt, ich muss – das kann man positiv oder negativ sehen – ich muss mir das selbst aneignen. Es gibt nicht viel Ablenkung durch Medien oder sonst was von den einzelnen Objekten. Alles ist sehr zurückgenommen und dadurch kann aber das einzelne Objekt oder die Atmosphäre des Hauses Wirkung erzeugen.42 Besonders deutlich zeigt sich die Zurückgenommenheit anhand eines abseitigen Raumes im Obergeschoss, der als »Geburtszimmer« bezeichnet wird. Vor dem Eingang liegt auf einem Pult ein Taufregister (Faksimile) mit dem Eintrag von Ludwig van Beethoven am 17. Dezember 1770. Der Text im Flyer dazu lautet: Der Eintrag vom 17. Dezember 1770 im Taufregister der ehemaligen St. Remigius-Kirche in Bonn ist der einzige Anhaltspunkt, wann Beethoven geboren wurde. Vermutlich hat er am 16. oder 17. Dezember 1770 in dieser bescheidenen Dachkammer das Licht der Welt erblickt. Im Raum selbst steht eine Büste. Eine durchsichtige Leinwand verkleinert den Raum und verdeutlicht so die Größe zur Zeit als Beethoven in dem Haus lebte. Eine Texttafel mit Foto verweist auf bauliche Veränderungen. Weitere Artefakte gibt es nicht, man blickt in einen nahezu leeren Raum, es geht allein 42

Michael Ladenburger, ehemals Museumsdirektor, Interview, 26.01.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

um dessen Aura. Eine Leine versperrt den Eingang, was die auratische Atmosphäre noch unterstreicht.43 Laut Homepage versteht bzw. verstand sich das Museum als »musikalischer Gedächtnisort«, als eine Gedenkstätte »für Menschen aus aller Welt«.44 Bei der Vermittlung des Auratischen soll daher offensichtlich weniger bzw. nur indirekt das lokale oder nationale kulturelle Gedächtnis gestärkt werden. Es wird die Möglichkeit geboten, einen nahezu weltweit verehrten Musiker als herausragendes Genie der Menschheit zu feiern. Die überregionale Ausrichtung zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass im Haus die verschiedenen Lebensabschnitte Beethovens in gleichem Umfang berücksichtigt sind und nicht etwa die »Bonner Jahre« im Vordergrund stehen.

3.2.4

»Händel mit Herz – Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital,« Sonderausstellung im Händel-Haus, Halle

In der Ausstellung »Händel mit Herz« werden, wie oben beschrieben, wertvolle Objekte in der »Schatzkammer« präsentiert und dementsprechend herausgestellt. Abgesehen davon finden sich keine Objekte, die auf das auratische Moment zielen. Im Vordergrund steht das museale Narrativ. Eine haptische Präsentation zielt primär auf die Betroffenheit des Publikums. Auf einem Banner wird das Losverfahren erklärt, das über die Aufnahme im Waisenhaus entschied: Obwohl das Foundling Hospital im ersten Jahr rund hundert Kinder aufnahm, reichten die Kapazitäten nicht aus, um der großen Nachfrage gerecht zu werden. Deshalb wurde 1742 ein Los-System eingeführt. Dabei entschied die Farbe einer Kugel, die die Mutter wahllos aus einem Behältnis nahm, über das weitere Schicksal des Kindes. Im Eingangsbereich des Raumes findet sich ein Holzkasten mit der Aufschrift: 43

44

In der 2019 neu eröffneten Ausstellung ist in diesem Raum eine abstrakte mediale Installation eingerichtet worden, die sich künstlerisch mit dem berühmten Satz »So wirbeln die Töne« aus einem Brief von Beethoven an Franz Brunsvik auseinandersetzt. Es wird nicht länger darauf verwiesen, dass es sich möglicherweise um Beethovens Geburtszimmer handelt. https://www.beethoven.de/home (zuletzt abgerufen am 19.08.2018). Die Homepage wurde überarbeitet (zuletzt abgerufen am 28.10.2019). Mittlerweile wird der Begriff »Gedächtnisort« dort nicht mehr verwendet.

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Musik ausstellen

Liebe Besucher, um die verzweifelte Situation einer Mutter nachzuempfinden, die ihr Kind im Foundling Hospital abgeben möchte, ziehen Sie bitte eine Kugel! Man kann eine rote, schwarze oder weiße Kugel aus dem Holzkasten entnehmen. Am Ende des Raumes gibt es drei weitere Kästen zum Hineinwerfen mit folgenden Aufschriften45 : Sie haben eine schwarze Kugel gezogen? Leider können wir Ihr Kind nicht aufnehmen. Sie haben eine rote Kugel gezogen? Momentan sind alle Plätze belegt. Sie bekommen aber eine zweite Chance, falls ein anderes Kind abgelehnt wird. Sie haben eine weiße Kugel gezogen? Herzlichen Glückwunsch! Wir nehmen Ihr Kind auf, sofern es gesund ist. Bitte geben Sie ihm ein persönliches Erkennungszeichen mit. Wie oben beschrieben, werden die Franckeschen Stiftungen mit ihrem Waisenhaus in Halle umfangreich einbezogen,46 obwohl es eigentlich um Händels soziales Wirken in London geht. Clemens Birnbaum, Direktor der Stiftung Händel-Haus, erklärte im Interview, dass der Direktor der Franckeschen Stiftungen die lokalen Museen zusammenbrachte, um zu erörtern, inwieweit sie die Bewerbung der Stiftungen als UNESCO-Weltkulturerbe unterstützen konnten. Aus dieser Initiative sind im Jahr 2015 mehrere Ausstellungen entstanden, von denen »Händel mit Herz« die letzte war. Auf einer Informationstafel in der Ausstellung ist vermerkt: Sicherlich wurde er [Händel] auch als Student der Alma Mater Halensis mit den fortschrittlichen Ideen und Werken August Hermann Franckes vertraut, bevor er Halle 1703 verließ. Spätestens jedoch bei seinen Verwandtschaftsbesuchen wird er hier den inzwischen gewachsenen Schulkomplex wahrgenommen haben. Franckes Wohltaten für die Waisenkinder in Halle inspirierten Händel möglicherweise, sich später für das Foundling Hospital in London so stark zu engagieren. Händels Erfahrungen in Halle als mögliche Motivation für sein soziales Handeln wird als Plot auch im Film einer Medienstation vermittelt. Dort wird von einem Kind ein Trauergedicht vorgetragen, das Händel als Zwölfjähriger

45 46

Vgl. Abbildung 17, links und rechts oben. Clemens Birnbaum, Interview, 3.02.2016.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

auf den Tod des Vaters geschrieben hat. Auf der oben erwähnten Informationstafel, die sich neben dem Bildschirm findet, wird der frühe Verlust des Vaters mit dem späteren Engagement in Verbindung gebracht, ebenso in der Objektbeschriftung eines Händel-Gemäldes im Nebenraum: Händel gehörte zu den großzügigen Förderern des Foundling Hospital. Schon als Zwölfjähriger hatte er seinen Vater verloren und wusste, was es bedeutet, »vaterlos« zu sein, auch wenn ihm das Schicksal, in einem Heim aufwachsen zu müssen, erspart blieb. Auch die Präsentation des Foundling Hospital Anthem stellt eine Beziehung zu Händels Zeit in Halle her. Für eine erste Version der Komposition hatte Händel einen Choral von Martin Luther verwendet. Bei der ausgestellten Dirigierpartitur handelt es sich um eine zweite Version, für die er den Choral entfernt hatte. Dennoch kann man den Choral-Satz in einer Medienstation hören und eine detaillierte Beschreibung lesen, mit abschließender Anmerkung: Das ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sehr Händel sich seinen musikalischen Wurzeln im Herzen Deutschlands verbunden fühlte. Somit wird das Thema »Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital« zum Anlass genommen, die Zeit Händels in Halle ausführlich zu behandeln. Das Händel-Haus will mit seinen Sonderausstellungen primär ein lokales Publikum erreichen.47 Die konstruierten Zusammenhänge sollten offensichtlich der Vorstellung von Händel als Komponist der Region dienen, als »einer von uns«. Diese Zusammenhänge wurden in der Berichterstattung der lokalen Presse aufgegriffen. Ein Bericht über die Ausstellung war z.B. mit dem Titel »Verse für verstorbenen Vater« überschrieben.48

3.2.5

Musikmuseum, Basel

Wie oben beschrieben, sind ästhetische Merkmale in der Ausstellung in Basel von besonderer Bedeutung. Die Ästhetik betrifft sowohl InstrumentenKonstellationen als auch individuelle Instrumente. Es wird eine Vielzahl von kunsthandwerklich ansprechenden Artefakten präsentiert. Dabei geht es

47 48

Ebd. Super Sonntag, 28.02.2016.

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Musik ausstellen

aber, wie die museumspädagogische Mitarbeiterin Barbara Schneebeli betont, nicht vornehmlich um die Präsentation von Exemplaren renommierter Instrumentenbauer: Schneebeli: … dann wird gefragt, haben Sie keine Stradivari? Das ist so eine Frage, die immer mal wieder auftaucht. Und da weiß ich inzwischen auch, was ich dazu sagen kann. Und da schauen vielleicht die Leute nachher die Instrumente auch anders an. Magesacher: Was würden Sie denn antworten auf die Frage? Schneebeli: Ja, dass diese Instrumente quasi alle noch im Umlauf sind und es wäre jammerschade, die würden hier im Museum hängen, weil dann ginge das Leben dieses Instruments verloren. Und dann wäre es nicht mehr spielbar und das kann man sich bei solch wunderbaren Instrumenten schlicht nicht leisten.49 Die Ausstellung im Erdgeschoss widmet sich, wie oben vermerkt, dem Thema »Musik in Basel«. Sie ist chronologisch geordnet mit verschiedenen Unterthemen für die verschiedenen Zeitabschnitte. Beim 18. Jahrhundert geht es z.B. um »Öffentliche Konzerte«, beim 19. Jahrhundert um »Alte Musik in neuer Zeit«, »Musikvereine« und »Trommeln und Pfeifen«. Veronika Gutmann zufolge, die als ehemalige Direktorin inhaltlich für die Dauerausstellung verantwortlich ist, hat sich der starke Basel-Bezug aus dem Bestand der Sammlung ergeben. Die Präsentation ist eher sachlich, wenngleich der Museumsführer einige Objekte als »wichtigste Zeugnisse städtischer Repräsentation« beschreibt.50 Dabei ist zu bedenken, dass das Basler Musikleben nur einen Teil der Ausstellung darstellt und die Sammlung weitere bedeutende, nicht mit Basel verbundene Schwerpunkte enthält. Veronika Gutmann weist darauf hin, dass das Musikleben in einer protestantischen Stadt mit bürgerlicher Kultur, wie sie in Basel gepflegt wurde, nicht vergleichbar ist mit jenem an manchen europäischen Fürstenhöfen mit eigener Hofkapelle, eigenem Instrumentarium und komponierenden Kapellmeistern.51

49 50 51

Barbara Schneebeli, Interview, 15.11.2015. Gutmann, Portner 2000, 23. Veronika Gutmann, Interview, 23.11.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

3.2.6

Münchner Stadtmuseum: Die Sammlung Musik

Die Musikausstellung im Münchner Stadtmuseum basiert, wie vermerkt, auf einer Sammlung des Münchners Georg Neuner. Sie wurde später vielfach »mit einer Reihe von wertvollen Instrumenten« ergänzt u.a. mit Violinen von Antonio und Girolamo Amati sowie Jacob Stainer, Flöten von Theobald Boehm, Saxophonen von Adolphe Sax.52 Auch findet sich eine Reihe von Exemplaren renommierter bayrischer Instrumentenbauer. Bis auf wenige Ausnahmen, beispielsweise zwei Violinen von Stainer und den Brüdern Amati, die gemeinsam in einer großen Vitrine generös platziert gezeigt werden, sind Instrumente nicht prominent als »Spitzenstücke« ausgestellt. Auch bei den Instrumenten von Stainer und Amati wird in den Vitrinentexten nicht explizit auf die bekannten Instrumentenbauer hingewiesen. Es geht eher, wie bereits oben beschrieben, um Unterschiede sowie um »Sonderformen« und »Vielfalt und Entwicklung«.53 Auffällig, als einziges Objekt in einer Vitrine, wird allerdings eine Geige präsentiert. Die Überschrift der Vitrinenbeschriftung lautet: »Violine aus dem Besitz von Pater Rupert Mayer (1876 – 1945)«. Im Text heißt es: Nach Erzählungen von Zeitgenossen spielte Rupert Mayer seine Violine »mit Hingabe« ehe er seine Predigten vorbereitete. Pater Rupert Mayer, »der Priester des standhaften Glaubens«, wurde am 3. Mai 1987 von Papst Johannes Paul II. im Münchner Olympiastadion selig gesprochen. Dass es sich bei Rupert Mayer um eine wichtige Person im Widerstand gegen den Nationalsozialismus in München handelt, geht aus dem Text nicht hervor. Der Verweis auf das Todesjahr 1945 sowie die Kennzeichnung als »Priester des standhaften Glaubens« lässt aber eine entsprechende Verbindung vermuten. Gerade der Verzicht auf detaillierte biographische Beschreibungen im Verbund mit der auf das auratische Moment zielenden Präsentationsweise weist den Pater Rupert Mayer als wichtige und besonders in der Region München allgemein bekannte historische Persönlichkeit aus. Der Eingangsbereich ist, wie oben beschrieben, Bayern und München gewidmet. Für die in-situ-Konstellation zum Thema »Stub’nmusi« trägt die Informationstafel den Untertitel »Bayerische Hausmusik«. Die Musik wird je52 53

Varsányi 2018, 315. Homepage des Hauses: https://www.muenchner-stadtmuseum.de/daueraustellungen/ dauerausstellungmusik.html (zuletzt abgerufen am 21.08.2018).

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Musik ausstellen

doch nicht als originär bayrisch, sondern als »alpenländisch« beschrieben, die, im Unterschied zur Tanzmusik, im kleinsten Kreis gespielt wird. Auch werden Bezüge zur französischen »musique de chambre« hergestellt, als »die Musik des Intimen und Häuslichen« und es wird erwähnt, dass der Begriff »Stub’nmusi« auf den Musikanten Tobi Reiser zurückgeht, der aus Salzburg stammt. Es geht nicht darum, die bayrische Volksmusik als etwas Besonderes darzustellen; laut András Varsányi will man die Besucher*innen am Beginn der Ausstellung lediglich dort empfangen, wo sie herkommen, »also aus Bayern, aus München, aus dem Stadtmuseum«.54 In der Carl Orff gewidmeten Vitrine spielt dessen Münchner Heimat keine Rolle. Im Zentrum stehen Orffs Beziehung zur außereuropäischen Musik und sein musikalisches Schaffen. Unter anderem werden ein Foto von Orff mit einem indonesischen Angklung sowie eine Reihe außereuropäischer Instrumente gezeigt. Damit soll laut András Varsányi ein Übergang zur Afrika-Ausstellung im nachfolgenden Raum geschaffen werden.55 Vom 27. April 2018 bis zum 6. Januar 2019 präsentierte das Münchner Stadtmuseum eine Ausstellung mit dem Titel »›Ehem. jüdischer Besitz‹ – Erwerbungen des Münchner Stadtmuseums im Nationalsozialismus«. Auf einer einführenden Schrifttafel hieß es: Die Ausstellung bietet einen umfassenden Einblick in die bislang am Haus erfolgte Provenienzforschung. Sie präsentiert ein wichtiges Kapitel der eigenen Hausgeschichte erstmals der Öffentlichkeit. Das Münchner Stadtmuseum möchte sich so seiner historischen Verantwortung stellen. In der Ausstellung wurden auch Musikinstrumente aus dem Besitz der jüdischen Kunsthandlung L. Bernheimer gezeigt: eine Fasstrommel aus China, ein Gong aus Myanmar und eine Elfenbeintrompete aus Westafrika. Das Museum hat die Objekte unter nicht geklärten Umständen erworben, nachdem die Familie Bernheimer Deutschland hatte verlassen müssen.56 Texte auf verschiedenen Bannern in der Ausstellung schildern das Schicksal der Familie und ihrer Firma.

54 55 56

András Varsányi, Interview, 10.03.2015. Ebd. Vgl. Vanessa Maria Voigt und Henning Radar, »Die ›Arisierung‹ der L. Bernheimer KG 1939. Erwerbungen der städtischen Musikinstrumentensammlung 1940«, in: »Ehem. jüdischer Besitz«. Erwerbungen des Münchner Stadtmuseums im Nationalsozialismus, hg. v. Vanessa Maria Voigt und Henning Radar, München, Hirmer o.J., 179-193, hier: 180.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Auch in der Dauerausstellung Musik werden an verschiedenen Stellen Kenntnisse zu Hintergründen der Sammlung vermittelt. Vor dem Eingangsbereich zur Ausstellung ist ein Bild von Georg Neuner aufgehängt, mit der Bildunterschrift »Gründer der ›Städtischen Musikinstrumentensammlung‹, heute ›Münchner Stadtmuseum – Sammlung Musik‹«. Ein Symbol daneben verweist auf einen Audiobeitrag, der sich mit der Entstehung der Sammlung und dessen Bestand auseinandersetzt und afrikanische, asiatische und europäische Instrumente als Sammelschwerpunkte benennt. Daraufhin heißt es im Beitrag: Eine Herausforderung ist bis heute das koloniale Erbe der Sammlung. Nur in wenigen Fällen sind einerseits die Region, aus der das jeweilige Instrument ursprünglich stammt, andererseits die Umstände der Erwerbung bzw. die Vorbesitzer bekannt. Im Bereich Afrika widmet sich eine einführende Informationstafel mit der Überschrift »Afrika südlich der Sahara« den Sammelaktivitäten Georg Neuners: Die Abteilung der Musikinstrumente aus Afrika in der Sammlung Musik ist mit 780 Objekten sehr umfangreich. Bereits das dritte vom Sammlungsgründer Georg Neuner im Jahre 1929 erworbene Instrument war ein Lamellophon aus Kamerun/Westafrika. Nach der Gründung der »Städtischen Musikinstrumenten-Sammlung« (1940) konnte Neuner ein größeres Kontingent an Instrumenten von der belgischen Afrika-Kunsthändlerin Jeanne Walschot erwerben, die wiederum ihre Quellen hauptsächlich in der damaligen belgischen Kolonie »Congo Belge« (heute: République du Congo/Demokratische Republik Kongo) hatte. Eine weitere Tafel setzt sich kritisch mit der Kolonialzeit auseinander. In der Afrika-Abteilung steht ferner eine Vitrine mit Elfenbeinhörnern, wobei schon die Vitrine selbst auf die Problematik des Themas verweist. Ihr Rahmen ist so geformt, dass sich die Silhouette eines Elefanten zeigt (Abbildung 29). Der Text der dazu gehörigen Vitrinenbeschriftung lautet: Die Sammlung Musik hat etwa 200 Instrumente aus Elfenbein. Diese wurden zu einer Zeit erworben, in der es noch keine Regeln für die Einfuhr gab. Heute würden Museen nur noch Objekte erwerben, deren Herkunft rechtlich einwandfrei und dokumentiert ist. Doch trotz des Washingtoner Artenschutzabkommens (1973) und insbesondere des seit 1989 weltweit gelten-

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Musik ausstellen

den Verbotes des Handels mit Elfenbein scheint die Einfuhr von »Kunstwerken«, Musikinstrumenten und Kleidungsstücken aus Tieren geschützter Arten immer noch möglich und lohnenswert zu sein, betrachtet man die Mengen beschlagnahmter Objekte an den Flughäfen. Mehr als 650 Elefanten wurden im Jahre 2011 wegen ihres Elfenbeins brutal abgeschlachtet. Abgesehen von den museumstypischen Daten der Objektbeschriftungen gibt es hier keine weiteren Informationen zu den Instrumenten und ihren Spielkontexten, wodurch die politische Botschaft noch gewichtiger wirkt.

3.2.7

Musée des instruments de musique | Muziekinstrumentenmuseum (mim), Brüssel

Wie in Basel und München spielt die augenfällige Präsentation einzelner herausragender Instrumente auch in Brüssel eine untergeordnete Rolle. Im Eingangsbereich der Etage »Musique savante occidentale« findet sich, wie vermerkt, eine Vitrine mit den ältesten Artefakten des Hauses, eine ägyptische Harfe und zwei Trompeten (jüdische Schofar) aus dem Iran, jeweils datiert auf 1500 v. Chr. Eine Informationstafel vermittelt Kenntnisse zu Musikinstrumenten in der Antike. Die Artefakte werden nicht für sich herausgestellt, sie dienen primär als Exempel. Wenngleich eine Reihe der gezeigten Instrumente von belgischen Instrumentenbauern gefertigt wurde, wird auch das mehrheitlich nicht weiter hervorgehoben. Prominent präsentiert werden Saxophone und Saxhörner. In zwei großen, hell ausgeleuchteten Vitrinen findet sich jeweils ein Satz mit den Instrumenten in allen Lagen, in der Vitrine der Saxophone zudem die Kopie einer Patenturkunde. Eine Zusammenstellung von beleuchteten Wandbildern informiert über Adolphe Sax und die Komponisten seiner Zeit, mit denen er Kontakt hatte; eine Tafel illustriert die stete Vergrößerung seiner Instrumentenwerkstätten in Paris. Die dazugehörige Informationstafel widmet sich vor allem ergologischen Merkmalen der Instrumente. Dass Adolphe Sax in Belgien geboren wurde und seine Jugend in Brüssel verbracht hat, wird nicht hervorgehoben. Die vergleichsweise aufwendige und augenfällige Präsentation unterstreicht jedoch seinen Stellenwert als Instrumentenbauer. Wie oben beschrieben, werden europäische Volkmusikinstrumente im Museum in Brüssel innerhalb des Ausstellungsbereiches »Traditions du monde« gezeigt. Dabei handelt es sich überwiegend um in weiten Teilen Europas verbreitete Instrumente. Im Eingangsbereich finden sich zunächst

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Abb. 29: Münchner Stadtmuseum, Sammlung Musik, Vitrine mit Elfenbeinhörnern (Foto: Elisabeth Magesacher)

Instrumente aus Belgien bzw. von belgischen Instrumentenbauern. Eine der Vitrinen in diesem Bereich zeigt Akkordeons aus Belgien in verschiedenen Formen. Darunter befindet sich auch ein »Basse-aux-pieds« (Fußbass), der von dem belgischen Instrumentenbauer Joseph Alexandry erfunden wurde. Dabei handelt es sich um eine mit den Füßen zu spielende Harmonika,

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Musik ausstellen

die normalerweise von einem Akkordeonspieler als zusätzliches Instrument bedient wird. Das ausgestellte Exemplar ist unscheinbar in der AkkordeonVitrine platziert. Abbildungen und Zeichnungen des Erfinders, die die Funktionsweise des Instruments demonstrieren, finden sich etwas weiter entfernt, an der Stirnseite der Nebenvitrine. Ein Audiobeispiel steht dafür nicht zur Verfügung. Trotz seiner Originalität und obwohl es sich um eines der wenigen auch vom Typ her belgischen Instrumente handelt, wird das regionale Profil aufgrund der Präsentation nicht eigens hervorgehoben.

3.2.8

Tropenmuseum, Amsterdam: World of Music (Musiekwereld)

Die über Touchscreen abrufbaren Informationen zu den Instrumenten in der Musikausstellung des Tropenmuseums betreffen vor allem Spielweise und Kontexte. Angaben zu den Instrumenten selbst beschränken sich auf Hersteller, Alter (soweit bekannt), Sammler*innen bzw. Händler*innen. Die Artefakte sind als Exempel ausgestellt und dienen vor allem als Bausteine der intendierten musealen Narrative. Es gibt keine als herausragend präsentierten Objekte. Das Tropenmuseum wurde 1871 unter dem Namen »Koloniaal Museum« eröffnet und widmete sich entsprechend den niederländischen Kolonien. Die historischen Hintergründe der Sammlung werden in der Musikinstrumentenausstellung nicht thematisiert. Allerdings stammt auch nur eine geringe Anzahl der Artefakte (ca. 1/10) aus den ehemaligen Kolonien. Während der Zeit unserer Studien gab es im Tropenmuseum eine Initiative mit dem Titel »Decolonize the Museum«. Farblich auffällige Informationstafeln enthielten »alternative Texte« von Museumsmitarbeiter*innen und externen Autor*innen, aus Ländern, deren Kulturen präsentiert wurden. Auf einer einführenden Tafel war zu lesen: The Tropenmuseum, as is the case with ethnographic museums in general, is first of all a product of European colonialism. Throughout the centuries, the museum has often attempted to camouflage the violence of the colonial enterprise. In many ways, the museum has supported and legitimized the exploitation fundamental to it. By using euphemistic language when it comes to slavery and genocide, glorifying racist science and industry, erasing pre-colonial and anti-colonial histories, and so on. The alternative texts that you will encounter on the yellow panels show the unfiltered experiences, responses and critiques of ourselves and tens of

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

other visitors whose heritage is studied and exhibited, but who are seldom the target group of the museum.57 Die Tafeln waren in verschiedenen Ausstellungsbereichen des Museums aufgestellt. Die Ausstellung »World of Music« war in dieses Projekt jedoch nicht mit eingebunden.

3.2.9

»Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Ton- und Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg«, Sonderausstellung in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin

Viele der in der Ausstellung in Berlin-Dahlem präsentierten Artefakte (z.B. Wachswalzen und Phonographen) dienen primär als (austauschbare) Beispiele. Zudem gibt es eine Reihe von Originaldokumenten wie etwa die »Personalbögen« von Gefangenen, die betroffen machen können und so das emotionale Moment bedienen. Auch die Musikbeispiele, die über die Hörstationen abzurufen sind, erzeugen emotionale Wirkung, zielen aber nicht primär auf Besonderheiten der individuellen Stücke, sondern sollen vor allem, wie in einer Texttafel vermerkt ist, die Sammlung repräsentieren: Bei der Auswahl der Musikbeispiele wurde darauf geachtet, die Vielfalt der Sammlung abzubilden: Vielfalt der Sprachen, Vielfalt der Ethnien und Vielfalt der Themen in den Musikstücken. Weitere Kriterien waren eine möglichst gute Qualität der Digitalisate und das Vorliegen von Liedtexten, Übersetzungen und/oder ergänzenden Informationen. Teilweise wurden hierzu Sprachexperten und Angehörige der sogenannten Source Communities beratend herangezogen. Hinsichtlich der mit den Tonaufnahmen präsentierten Fotografien des Lagerkommandanten Otto Stiehl wird in der Ausstellung mehrfach auf deren Nutzung für Propagandazwecke verwiesen, und es werden fragwürdige, aus heutiger Sicht irrtümliche Denkweisen, wie sie bei Otto Stiehl erkennbar sind, benannt. Auf einem Textbanner ist vermerkt: 57

»Decolonize the Museum«, laut Informationstafel organisiert von Tirza Balk, Hodan Warsame und Simone Zeefuik. Vgl. August Schmidhofer: »Musik im ethnographischen Museum«, in: Musikausstellungen. Intention, Realisierung, Interpretation. Ein interdisziplinäres Symposium, hg. v. Andreas Meyer, Hildesheim, Georg Olms Verlag 2018, 235-244, hier: 241.

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Musik ausstellen

Vom Zeitgeist geprägt und den Intentionen der damaligen anthropologischethnologischen Auffassung folgend, nutzte Stiehl seine Porträtaufnahmen für Vorträge und Veröffentlichungen. Zwar sprach er den Porträtierten nicht ihre Individualität ab, jedoch ordnet er den jeweiligen »Ethnien« spezifische »Charaktereigenschaften« zu. Die Arbeit der Phonographischen Kommission wird nicht ähnlich kritisch beschrieben; die sich aus der Lagersituation ergebenen unterschiedlichen Machtpositionen zwischen der Phonographischen Kommission und den Sängern werden in den Begleittexten nicht eigens thematisiert. Sie lassen sich indirekt aufgrund ausgestellter Dokumente und Banner mit Zitaten von Mitgliedern der Kommission ableiten. So heißt es etwa in einem Bericht von Paul Hambruch, datiert auf den 11.3.1919: […] Die Leute wurden nach ihren verschiedenen Stämmen ausgesondert, um auf diese Weise die unterschiedlichen Dialekte zu erhalten, und nach ihrem Können; da eine Reihe recht musikbegabt war; so konnten auch 16 Aufnahmen, Einzel-, Chor-Gesänge und Ziehharmonikamusik gemacht werden, die einen interessanten Einblick in die ursprüngliche Musik der Eingeborenen und deren heutige Anpassung an europäische Musik tun lassen.58

3.2.10

»Rock und Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet«, Sonderausstellung im Ruhr Museum, Essen

In der Sonderausstellung im Ruhr Museum wird eine Reihe von Objekten im Hinblick auf ihre auratische Wirkung gezeigt, z.B. eine Originalgitarre der Metal-Band Axxis. Mehrheitlich sind Accessoires von Musiker*innen allerdings eher als narratives Element ausgestellt (etwa die oben beschriebene Eintrittskarte von Elvis Presley). Der Soundraum im Eingangsbereich zielt auf einen »emotionale Einstieg«. Man möchte die »lebendige und vielfältige Musikszene des Ruhrgebiets sinnlich erfahrbar« machen.59 Die Ausstellung weist schon vom Titel her auf regionale Bezüge. Das Museum als Ganzes versteht sich als »Gedächtnis und Schaufenster der Metropole Ruhr«.60 Entsprechend benennt der Text des Audioguides zur Popausstellung die Vermittlung von »kollektiver Erinnerung« als primäres Anliegen.

58 59 60

Vgl. auch Zitat von Otto Dempwolff, Kap. 3.1.9. Bierkämper 2016, 23. https://www.ruhrmuseum.de/startseite/ (zuletzt abgerufen am 26.08.2018).

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Einer der Kuratoren, Holger Krüssmann, spricht von einer »Erinnerungsausstellung«.61 Thomas Kufen, Oberbürgermeister der Stadt Essen, zählt in seinem Grußwort eine Reihe von Pop-Events auf, die seit den 1960er Jahren im Ruhrgebiet stattgefunden und sich »tief in das kulturelle Gedächtnis des Reviers eingeschrieben« haben.62 Damit ist die grundsätzliche Ausrichtung der Präsentation vorgegeben. Vielfach werden Persönlichkeiten und besondere Events herausgestellt sowie Erinnerungen angeregt. Schon der Weg in den Soundraum im Eingangsbereich wird von Porträts bekannter Musiker*innen aus dem Ruhrgebiet flankiert. Auch viele weitere Bereiche der Ausstellung widmen sich renommierten Popstars u.a. mit der Präsentation von Goldenen Schallplatten und weiteren Preisen. Innerhalb des Themas »Mythen und Menschenmassen – Rock- und Pop-Festivals« wird auf Pioniertaten regionaler Festivalmacher*innen verwiesen. Eine Vitrine zeigt das Programmheft und ein Ticket zum »Internationalen Essener Pop und Blues Festival«, daneben verweist die Kopie einer Anzeige in der britischen Zeitschrift »Melodie Maker« (»First German Blues Festival«) auf die überregionale Bedeutung. Der Text der Vitrinenbeschriftung lautet: Das erste kommerzielle Festival der deutschen Popgeschichte ging 1969 in der Grugahalle über die Bühne. Auf dem ›Internationalen Essener Pop- und Bluesfestival‹ gaben viele spätere Mega-Acts ihr Deutschland Debüt. Das Ruhrgebiet wurde zur vielgestaltigen Festival-Landschaft, die sämtliche Genres und Fan-Szenen von Metal bis Reggae, Techno und Punk bedient. Teils privatwirtschaftlich organisiert, teils als Instrument des Stadtmarketings ›umsonst und draußen‹ wirken sie weit über die Region hinaus. Verschiedene Konstellationen der Ausstellung zielen vor allem auf persönliche Erinnerungen der Besucher*innen. Einer der abseitigen Räume zeigt unter dem Titel »Szenetreffs und Konzerthallen« Fotos und Beschreibungen von Musikclubs, die für sich genommen nicht gerade spektakulär sind. Es geht darum, die Galerie abzuschreiten, auf der Suche nach bekannten Clubs, in denen man möglicherweise selbst getanzt hat. In einer anderen Abseite, »Gruppenbild – Die Bands des Ruhrgebiets«, sind in vier Räumen die Cover

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Interview, 15.01.2017. Das Interview mit Holger Krüssmann wurde während einer Exkursion ins Ruhr Museum von Studierenden der Folkwang Universität der Künste geführt. Thomas Kufen, »Grußwort«, in: Rock & Pop im Pott. 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet, hg. v. Heinrich Theodor Grüttner, Essen, Klartext-Verlag 2016, o. Sz.

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Musik ausstellen

von LPs, CDs und DVDs ausgestellt. Die Präsentation beeindruckt aufgrund ihrer Menge. Im Einzelnen geht es auch hier um Wiedererkennung. Des Weiteren wird die Möglichkeit zur Partizipation geboten. Der Text des Audioguides schließt mit der Aufforderung, man möge nachsehen, ob man nicht selber Schallplatten (»Raritäten«) aus dem Ruhrgebiet besitzt, die nicht ausgestellt sind: »Werden Sie als Leihgeber Teil dieser Ausstellung«.

3.2.11

RAGNAROCK – Museet for pop, rock og ungdomskultur, Roskilde

Das auratische Moment spielt in der Ausstellung in Roskilde eine geringe Rolle. Es war ein zentrales Anliegen, den Eindruck einer »Hall of Fame« zu vermeiden.63 Lediglich eine Art Durchgangsflur ist international renommierten dänischen Popgrößen gewidmet. Z. B. findet sich hier die Hülle der SingleCD »Saturday Night« von Whigfield mit folgender Objektbeschriftung: In an unprecedented breakthrough Whigfield’s Saturday Night made history by becoming the first ever debut single to enter the UK singles at no. 1. This signalled the start of a period of Danish dominance within the genre of eurodance. Vielfach werden Objekte aus dem Besitz bekannter Musiker*innen ausgestellt, um Geschichten zu erzählen, ähnlich wie in der Ausstellung in Essen. So wird etwa in dem Raum, der sich mit Musik und Politik beschäftigt, eine Haarsträhne des Musikers Lars Stryg präsentiert. Die Objektbeschriftung ist mit »Cut Your Hair and Get a Job« betitelt und beschreibt die Probleme im Alltag, denen männliche Jugendliche in den 1960er Jahren ausgesetzt waren, wenn sie sich die Haare wachsen ließen. Ein anderes Beispiel bietet ein TShirt der Punk Rock-Sängerin Camilla Høiby mit einem selbst aufgenähten Schriftzug: »Some people think little girls should be seen and not heard.«64 Das T-Shirt kann für Fans eine gewisse Aura vermitteln und verweist unabhängig davon auf die »Do it Yourself«-Attitüde der Punkszene. Der Schriftzug lässt sich zudem als ein politisches Statement interpretieren. Der Ausstellungsbeginn (sofern man mit dem Fahrstuhl in die Ausstellung fährt) widmet sich, wie vermerkt, dem Thema »Licht und Lightshow«. Damit geht es wiederum um einen emotionalen Einstieg, der sich in Roskilde aller-

63 64

Rasmus Rosenørn, Interview, 23.03.2018. Zitat eines Songs der britischen Punk-Band X-Ray Specs.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

dings mit dem Angebot verbindet, eigene Lightshows zu gestalten und sich somit kreativ zu betätigen. Der Kurator Rasmus Rosenørn bemerkt hierzu: That was put there on purpose, because that is the best interactive installation we have to invite people inside and just expressing themselves and then they can start looking around for objects and watch the movie and look at the posters in the floor and so.65 Wie Rasmus Rosenørn betont, versteht sich RAGNAROCK als kulturhistorische Ausstellung und möchte nicht primär als Erinnerungsort erachtet werden. Die Erzählweise mit Narrativen, die mehrere Zeitabschnitte umfassen, soll dieses Anliegen unterstützen: And actually we are very glad that we dropped or stopped working with the idea of a more chronological exhibition because I think, if we had that, the room about the 1960s would be packed with the grey hair people […] and if somebody in the forties like me would visit the museum, we would spend all of the time in the room about the 90s.66 Allerdings verweist Rosenørn in diesem Zusammenhang auf die an prominenter Stelle errichtete Zeittafel zur Geschichte der dänischen Popmusik (»Musical Currents«): People automatically find the period, when they were young and they go and listen to the music of their own youth. »Oh, I forgot about that and that is fantastic, they have that here«.67

3.3

Vermittlung und Rezeption

3.3.1

Fallbeispiele: Zusammenfassung

Im Mozarthaus Vienna benennt man Tourist*innen, die nicht viel über Mozart wissen müssen, als Zielgruppe, wobei die Kurator*innen der Mozartwohnung auch ein lokales Publikum ansprechen wollen. Während die Vermittlung der in den oberen Etagen präsentierten Themen auf Eindeutigkeit zielt, bietet

65 66 67

Rasmus Rosenørn, Interview, 23.03.2018. Ebd. Ebd.

173

174

Musik ausstellen

die Mozartwohnung ein höheres Maß an Interpretationsfreiheit. Das Publikum besteht überwiegend aus Tourist*innen mit unterschiedlichem Vorwissen. Nahezu alle Besucher*innen nutzen den Audioguide mit seinen linear vorgegebenen Narrativen. Daher wird untereinander kaum kommuniziert. Besondere Aufmerksamkeit gilt den medialen Stationen. Kritisiert wird die zum Teil fehlende eindeutige Beziehung zwischen dem Text des Audioguides und den Artefakten. Vielfach wird ein stärker objektbezogenes Narrativ erwartet. Ferner wird das Fehlen von Originalen und damit das nur gering ausgeprägte auratische Moment bemängelt. Dem Anliegen, in der Mozartwohnung Imagination walten zu lassen, werden Besucher*innen zum Teil gerecht. Im Musée de la musique möchte man ein vielschichtiges Publikum erreichen. Man möchte Musik in ihren Kontexten und Musikinstrumente eingebettet in Funktionen zeigen und die individuelle Erschließung je nach Vorwissen und Interessen fördern. Interaktive Stationen sollen die Möglichkeit bieten, Instrumente zu berühren und durch den haptischen Kontakt erfahrbar zu machen. Die von uns befragten Besucher*innen verfügten mehrheitlich über umfangreiches musikalisches Wissen. Der Audioguide unterstützt eine eher gedämpfte Atmosphäre im Museum, es gibt wiederum wenig Kommunikation. Die interaktiven Stationen werden nur zögerlich angenommen. Gelegenheit zur Kommunikation mit Musiker*innen bietet die täglich stattfindende Vermittlungsveranstaltung »Musicien au musée«. Die Ausstellung wurde mehrheitlich wohlwollend bewertet. Obwohl das Museum beansprucht, nicht primär Instrumente, sondern Musik zu präsentieren, betreffen die vom Publikum benannten Plots der Ausstellung überwiegend die Instrumente. Der Bereich »Les musiques du monde« war während unserer Aufenthalte im Vergleich zu anderen Bereichen des Hauses schlechter besucht; dennoch wurden in den Interviews die ethnologisch orientierten Ausstellungsteile häufig erwähnt und unterschiedlich beurteilt. Im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig zielt man auf ein Publikum mit unterschiedlichem musikalischen Vorwissen. Dabei ergeben sich verschiedene Konzepte. In der alten Ausstellung geht es um die Bedeutung des Ästhetischen. Organologische Zusammenhänge sollen individuell erschlossen werden. Die Besucher*innen sollen sich »Fragen stellen«. Lokale Zusammenhänge werden unzweideutig über Texttafeln mitgeteilt. Mit den neuen Ausstellungsteilen möchte man Besucher*innen je nach Interesse und Vorwissen unterschiedliche Themen mit unterschiedlichen Präsentationsweisen anbieten. Die Auswahl der Artefakte zielt dort häufig auf eine stringente

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Vermittlung von Themen. Die Besucher*innen sind in ihrer Mehrzahl musikalisch gebildet. Der Besuch geht mit regen Gesprächen einher. Die Bewertung ist überwiegend positiv, wobei Vielfalt, Besonderheit und Schönheit der Instrumente herausgestellt werden. Obwohl auf den Informationstafeln und Objektbeschriftungen organologische Merkmale eine untergeordnete Rolle spielen, werden diese häufig als signifikante Erkenntnisse benannt, die eher aufgrund von genauen Betrachtungen und durch Vergleichen erworben werden. Der für das Museum wichtige lokale Kontext wird von den Besucher*innen – trotz linear strukturierter Beschreibungen – in vielen Fällen nicht eindeutig erkennbar nachvollzogen. Das rock’nʼpopmuseum in Gronau zielt wiederum auf ein breites Publikum. Man möchte den Besucher*innen vor allem assoziative Zugänge und persönliche Anknüpfungspunkte ermöglichen und einen Ort der Kommunikation schaffen. Das Publikum ist sehr gemischt, wobei die Generationen über 40 eine Mehrheit bilden. Persönliche Anknüpfungspunkte spielen für die Besucher*innen eine zentrale Rolle. Das kuratorische Konzept, zur Förderung der Kommunikation anstelle von Kopfhörern freie Schallquellen zu verwenden, geht auf. Vielfach wird der Museumsbesuch als gemeinschaftliches Ereignis erlebt. Interaktive Angebote werden intensiv genutzt. Auf Nachfrage wird die Überlagerung verschiedener Schallquellen bisweilen kritisiert und als störend empfunden. Dennoch ist nahezu ohne Ausnahme eine positive Bewertung zu verzeichnen. Oftmals wird herausgestellt, dass in der Ausstellung eigene Erinnerungen aufkommen. Einigen Besucher*innen geht es primär um sinnliche Erfahrungen, bei denen man weniger inhaltliche Schlussfolgerungen zieht, sondern die Präsentation auf sich wirken lässt.

3.3.2

Handel House Museum, London

Die Ausstellung im Handel House Museum ist laut Sarah Bardwell (Direktorin des Museums bis 2016) so konzipiert, dass Besucher*innen mit musikalischer Bildung etwas dazulernen können und auch Besucher*innen, die über weniger Vorwissen verfügen, die Möglichkeit haben, sich mit dem Komponisten auseinanderzusetzen.68 Laut Kurator Martin Wyatt ist es daher eine Herausforderung, Texte nicht zu technisch und nicht zu einfach zu formulieren. Zudem möchte man vermeiden, Schlussfolgerungen vorzuschreiben. Das Publikum soll eigenständig Verbindungen zwischen dem Thema eines 68

Sarah Bardwell, Interview, August 2015.

175

176

Musik ausstellen

Raumes und den Objekten, z.B. den ausgestellten Bildern an den Wänden, herstellen.69 Bei der Vermittlung der Ausstellungsthemen geht man zunächst von einem Publikum mit eher durchschnittlichen Vorkenntnissen aus: Our visitors know a little bit about Handel. Maybe they have sung the Messiah’s score or maybe they listen to Handel’s music from time to time and they’re interested in finding out more about him. Those are kind of who we aim our interpretation at the moment and our exhibition programme towards, people who have an acquaintance with but not a very deep historical or musicological knowledge […].70 Sarah Bardwell zufolge ist es ein Anliegen, dass die Besucher*innen die Schönheit des Hauses wahrnehmen, über Händel nachdenken und seine Musik zelebrieren.71 Wenngleich die Einrichtung der Räume nachgestaltet wurde, zielt die Präsentation im Verbund mit den Beschreibungen auf die Imaginationskraft der Besucher*innen, die sich vorstellen sollen, wie Händel in diesen Räumen agierte. Hierzu bemerkt Sarah Bardwell: I mean, it’s not like his home, you know, it’s his home but it doesn’t feel like that, because obviously there’s no clothes, there’s no papers, there’s no other things, but on the other hand I think we ask the visitors to bring their imagination and be inspired by the place.72 Während unserer Aufenthalte setzte sich das Publikum überwiegend aus nationalen und internationalen Tourist*innen zusammen, darunter viele Familien aber auch Studierende (häufig Musikstudierende). Die Mehrheit war musikalisch gebildet, was sich etwa daran zeigte, dass Notendrucke gelesen wurden und dass nachgefragt wurde, ob man auf Instrumenten spielen könne. Während der Interviews, die wir geführt haben, kam es bisweilen zu substanziellen Diskussionen über Händel als Musiker. Ein reger Austausch ergab sich zwischen Besucher*innen und Volunteers. Häufig wurden die Volunteers direkt um Information zu bestimmten Artefakten gebeten. Auf die Frage, ob man etwas mitnimmt, was man zuvor nicht gewusst hat, wurden jedoch mehrheitlich Erkenntnisse über die private Seite Händels, sein Leben in London, genannt, wobei man sich auch auf die Sonderausstellung über Händels

69 70 71 72

Martin Wyatt, Interview, August 2015. Ebd. Sarah Bardwell, Interview, August 2015. Ebd.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Freundschaften in der Nachbarschaft bezog. Viele der Interviewten waren enttäuscht darüber, dass nur wenige originale Objekte zu sehen waren. Aber es wurde auch die aufgrund der Rekonstruktion entstandene Atmosphäre gelobt. Als ein Highlight galten vielfach die Live-Proben im »Rehearsal Room«. Dabei kam zum Teil Imagination ins Spiel, insofern sich Besucher*innen nach eigenen Angaben aufgrund der klingenden Musik vorstellten, wie zu Händels Zeiten in diesem Raum geprobt wurde.

3.3.3

Beethoven-Haus, Bonn

Im Beethoven-Haus geht man von Besucher*innen ohne besondere Vorkenntnisse aus. Man will Brücken bauen und allgemein verständliche Narrative vermitteln. Dabei geht es weniger um abrufbares Wissen, sondern laut Michael Ladenburger darum, Fragen zu provozieren und »Intuition zuzulassen«.73 Ein Fachpublikum versucht man eher mit Sonderausstellungen zu bedienen.74 Das Beethoven-Haus ist für die Stadt eine wichtige Tourismusattraktion, was sich etwa daran zeigt, dass das Museum auf der Homepage der Stadt Bonn bei »Sehenswürdigkeiten« an erster Stelle genannt wird. Die zahlreichen Besucher*innen, die wir in Bonn getroffen haben, waren wiederum überwiegend musikalisch vorgebildet. Das internationale Publikum setzte sich aus Musiker*innen, Musikstudierenden und Liebhaber*innen zusammen, letzte mehrheitlich mit umfassenden musikalischen und kulturhistorischen Kenntnissen, was sich während unserer Gespräche zeigte. Der Audioguide, eigentlich als wichtiger Teil des Konzepts eingebunden, wurde kaum in Anspruch genommen.75 Die meisten Besucher*innen verwendeten den Flyer, der viele Informationen des Audioguides in stark verkürzter Form enthält. Die wenigen, die den Audioguide verwendeten, benannten mehrheitlich die Demonstrationen von Beethovens Hörverlust im Verbund mit den ausgestellten originalen Hörrohren als ein Highlight der Ausstellung. Auf die Frage, inwieweit man etwas aus der Ausstellung mitnimmt, was man zuvor nicht wusste, wurden vielfache und unterschiedliche Sachverhalte sowohl hinsichtlich des musikalischen Werdegangs als auch privater Umstände benannt. Generell wurde,

73 74 75

Michael Ladenburger, Interview, 26.01.2015 Nicole Kämpken, Interview, 26.01.2015. Möglicherweise vor allem, weil seine Verwendung gebührenpflichtig war. In der 2019 neu eröffneten Ausstellung erhält man den Audioguide kostenfrei.

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178

Musik ausstellen

wie von kuratorischer Seite intendiert, die Aura der Objekte häufig gewürdigt, vor allem die präsentierten Alltagsgegenstände und Musikinstrumente aus Beethovens Besitz. Die Aura des Ortes war ebenfalls für viele Besucher*innen bedeutsam, die Atmosphäre, die das Haus vermittelt und das Gefühl an einem »authentischen« Ort zu sein. Das Geburtszimmer wurde dabei nur selten erwähnt, wenn, dann aber mit besonderem Pathos. Ein spanischsprachiger Eintrag im Gästebuch lautet entsprechend: Increíble visita a este lugar, gigantesca fuerza de la pequeñísima habitación en que nació tan grande maestro. [Unglaublicher Besuch an diesem Ort, gewaltige Kraft im winzigen Zimmer, in dem so ein großer Meister geboren wurde.] Der Wunsch nach auratischer Wirkung geht zum Teil mit Kritik einher. Einige Besucher*innen hätten sich ein Ambiente gewünscht, das den Charakter einer Wohnung stärker hervorhebt, ein Bett im Geburtszimmer z.B. oder andere Möbel in den Räumen. Auch wurde kritisiert, dass es schwer nachzuvollziehen sei, bei welchen Räumen des Komplexes es sich tatsächlich um Teile der Beethoven-Wohnung handelt. Zwar wird im Flyer und auch an einer Stelle in der Ausstellung selbst erklärt, dass die Familie Beethoven das (gartenseitige) Hinterhaus bewohnte, aber offensichtlich nicht so, dass es effektiv vermittelt wird. Schließlich gab es in einigen Fällen grundsätzliche und tiefer gehende Kritik am Museum. Dabei wurde angeführt, dass es sich eher um die Präsentation einer Sammlung handelt als um eine Ausstellung, die dem Musiker und Menschen Beethoven in seinen Facetten gerecht wird, Hintergründe ausleuchtet und dabei auch z.B. Musik stärker einbindet. Mehrfach wurde die Ausstellung mit dem Adjektiv »kalt« beschrieben.

3.3.4

»Händel mit Herz – Der Komponist und die Kinder des Londoner Foundling Hospital«, Sonderausstellung im Händel-Haus, Halle

Als Zielpublikum der Ausstellungen im Händel-Haus werden von der Kuratorin Konstanze Musketa »Musikliebhaber und Fachleute« benannt, »gut gebildete Leute in bestimmten Themen, die noch etwas über Musik lernen wollen«.76 Clemens Birnbaum, der Direktor des Hauses betont, wie oben erwähnt, dass man sich mit den Sonderausstellungen vor allem an ein lokales Publikum wendet. Dementsprechend waren die Beschriftungen und Texte der 76

Konstanze Musketa, Interview, 12.06.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

Medienstationen in der Ausstellung »Händel mit Herz« nur deutschsprachig. Es war ein primäres Anliegen, das sensible Thema so zu behandeln, dass die schwierigen Umstände der Waisenkinder und ihrer Familien hervorgehoben werden und ein idealisiertes Bild vermieden wird. Ferner beschränkte man sich bewusst auf wenige Exponate, um nicht von den überwiegend linear vermittelten zentralen Inhalten abzulenken.77 Die Ausstellung wurde während unserer Aufenthalte überwiegend von Erwachsenen mittleren Alters und Senior*innen mit ausgeprägter musikalischer Bildung besucht. Die Mehrheit wohnte in Halle oder der Umgebung der Stadt, andere kamen aus entfernteren Regionen Deutschlands. Nur sehr wenige Personen kamen gezielt für die Sonderausstellung ins Museum. Von vielen wurde die Präsentation als Teil der Dauerausstellung angesehen, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass sie sich in zwei voneinander getrennte Bereiche aufteilte. Texte wurden von vielen Besucher*innen gelesen. Dennoch war eine besondere Affinität für die medialen Stationen zu verzeichnen; auch das Spiel mit den verschiedenfarbigen Kugeln zum Nachvollzug des Losverfahrens im Foundling Hospital wurde oftmals angenommen. Die Geschichte über das Foundling Hospital und Händels Benefizkonzerte war für die große Mehrheit der Befragten ein unbekanntes Thema. Sie zeigten sich vielfach interessiert und auch emotional berührt. Der von Seiten der Kuratorinnen intendierte Plot hinsichtlich Händels Erfahrungen in der Jugend als möglicher Ausgangspunkt für sein soziales Engagement in London wurde in den Gesprächen kaum hervorgehoben. Händels Motivationen wurden nicht reflektiert. Auch die in der »Schatzkammer« präsentierten Originale fanden in den Gesprächen keine eingehende Erwähnung. Die Aura der Objekte spielte keine wichtige Rolle.

3.3.5

Musikmuseum, Basel

Laut Martin Kirnbauer, von 2004 bis 2017 Leiter des Musikmuseums, zielt die Dauerausstellung quasi auf das Konzertgeher-Publikum, also klassisches Bildungsbürgertum und Leute, die selber Musik machen. […] Es richtet sich also nicht an jemanden, der eigentlich von Musik keine Ahnung hat.78 77

78

María del Mar Alonso Amat hat, wie vermerkt, an der Konzeption und am Aufbau der Ausstellung kuratorisch mitgewirkt. Wir beziehen uns hier auf ihre Felddokumentation. Martin Kirnbauer, Interview, 16.11.2015.

179

180

Musik ausstellen

Bei der Konzeption hat man sich, wie Burkard von Roda (ehemaliger Direktor des Historischen Museums, zu dem das Musikmuseum gehört) schreibt, bewusst für eine auf Lautsprecher gestützte Musikvermittlung entschieden, weil Kopfhörer ihre Träger*innen isolierten und Kommunikation, »für die ein Museum ja ein bevorzugter Ort sein sollte«, verhinderten.79 Während unseres Aufenthaltes kam das Publikum in weitgehend gleichen Anteilen aus Basel und Umgebung auf der einen sowie aus ferneren Regionen der Schweiz und aus anderen Ländern auf der anderen Seite. Es verfügte mehrheitlich über ausgeprägte musikalische Vorbildung. Der Besuch im Museum ging häufig mit regen Gesprächen zwischen den Gästen einher, die gemeinsam in die Ausstellung kamen. Die durch die Zellenstruktur vorgegebene intime Struktur der Ausstellung fördert diese Kommunikation, da man frei miteinander sprechen kann, ohne andere Ausstellungsbesucher*innen zu stören. Von Bedeutung war – wie intendiert – ferner, dass niemand Kopfhörer aufsetzen muss, da der Ton frei im Raum erklingt. Die Medienstationen wurden intensiv genutzt. Einige Besucher*innen hätten sich mehr Musikbeispiele gewünscht, um genauere Vorstellungen vom Klang der einzelnen ausgestellten Instrumente vermittelt zu bekommen. Die ästhetische Ausrichtung wurde nachvollzogen, wobei man häufig das Gebäude mit einschloss. Immer wieder fiel in den Interviews das Wort »schön«: »ein schönes Haus«, »die Atmosphäre ist schön«, »ich finde auch das Handwerk schön, wie es gemacht ist«. Die als solche erhalten gebliebene »Gefängniszelle Nr. 140« übte oftmals und besonders auf Kinder und Jugendliche eine hohe Anziehungskraft und Faszination aus. Verschiedentlich stellten Besucher*innen das Alter und die Echtheit der Instrumente heraus. Schlussfolgerungen bezüglich der Organologie oder historischer Zusammenhänge wurden hingegen in den Gesprächen nur selten genannt.

3.3.6

Münchner Stadtmuseum: Die Sammlung Musik

In München möchte man ein breit gefächertes Publikum erreichen und »ganz bewusst nicht nur das Bildungsbürgertum«, wobei man als Stadtmuseum nicht zuletzt auf ein lokales Publikum zielt.80 Hinsichtlich der Vermittlungs-

79

80

Burkard von Roda: »Das Musikmuseum des Historischen Museums Basel«, in: Szenografie in Ausstellungen und Museen 3, hg. v. Gerhard Kilger und Wolfgang Müller-Kuhlmann, Essen, Klartext-Verlag 2008, 61-67, hier: 64. András Varsányi, Interview, 10.03.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

absichten betont András Varsányi, dass eine Ausstellung niemals »erschöpfend«, sondern »immer nur anregend« sein könne.81 Tatsächlich ist das Publikum sowohl hinsichtlich der Altersstruktur als auch des musikalischen Vorwissens heterogen. Es kommen Besucher*innen aus der Region um München ebenso wie Tourist*innen. Die Sammlung Musik ergibt nur selten den Hauptanlass für den Besuch im Stadtmuseum. Einige Besucher*innen gaben an, sie hatten vorher nicht gewusst, dass es in dem Haus überhaupt eine Musikabteilung gibt. Die außereuropäischen Teile der Ausstellung spielen bei der Rezeption eine dominierende Rolle. Schon auf der Homepage des Hauses wird darauf verwiesen, dass über die Hälfte der Sammlung aus »nicht europäischen Ländern« kommt, und der Fokus liegt dort auf der Beschreibung dieser Bereiche.82 Deren Popularität erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass in diesen Ausstellungsteilen die interaktiven »Soundlabs« aufgebaut sind, die thematisch mit den Vitrinen korrespondieren. Die Stationen wurden von Besucher*innen vielfach genutzt, während den Vitrinen deutlich weniger Aufmerksamkeit zuteil wurde. Eine Reihe von Besucher*innen ging gezielt von Station zu Station. Hinzu kommt, dass häufig auch die Aufsichtspersonen auf die Soundlab-Stationen hinwiesen und interessierten Besucher*innen erklärten, wie diese funktionierten. Nicht zuletzt aufgrund der Soundlabs vermittelt die Sammlung Musik im Vergleich zu den anderen Ausstellungen des Stadtmuseums einen wesentlich lebendigeren Eindruck. In den Gesprächen wurden die interaktiven Angebote häufig positiv erwähnt. Ferner wurde lobend hervorgehoben, dass man nicht nur europäische Instrumente präsentiert und dass viele Instrumente aus für die meisten Besucher*innen weitgehend unbekannten Musikkulturen kommen. Der Kommentar einer Besucherin liest sich wie eine Zusammenfassung der Mehrheit der Beurteilungen: Also ich finde es sehr beeindruckend, dass so viele Instrumente aus der ganzen Welt und aus verschiedenen Zeiten oder Jahrhunderten hier zusammengetragen wurden, das finde ich total spannend und unheimlich beeindruckend. Und ganz super ist, dass man manches hören kann, oder manches auch selber ausprobieren kann, das ist sehr lohnend. (14.07.2016)

81 82

Ebd. https://www.muenchner-stadtmuseum.de/daueraustellungen/dauerausstellungmusik .html (zuletzt abgerufen am 04.09.2018).

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182

Musik ausstellen

Diejenigen Besucher*innen, die über die Präsentation der europäischen Musik sprachen, benannten einzelne Instrumente oder Instrumentengruppen und deren Ergologie als besonders interessant, z.T. vor dem Hintergrund ihrer eigenen musikalischen Bildung (»dieser Bereich interessiert mich am meisten, weil ich selbst Streichmusik mache«). Eine Interviewpartnerin stellte den von uns analytisch abgeleiteten Plot bezüglich des »feinen Unterschieds« zwischen ähnlichen Instrumenten bzw. Instrumenten gleichen Typs heraus: Eine Nullachtfünfzehn-Geige gibt es nicht, es ist immer ein Einzelstück. (10.3.2015) Vereinzelt wurde Kritik geäußert. Einige hätten sich mehr Musikbeispiele gewünscht, die mit den ausgestellten Instrumenten korrespondieren. Eine Besucherin kritisierte die Sprache der Informationstafeln: Ein bisschen genauer erklärt für den Laien hätte ich vielleicht. Weil da war irgendwas, gleich mit pentatonisch, diatonisch und so, und das weiß man eigentlich, wenn man nicht selbst jetzt ein Instrument spielt, nicht. (10.07.2016)

3.3.7

Musée des instruments de musique | Muziekinstrumentenmuseum (mim), Brüssel

Um ein breites Publikum zu erreichen, bemüht man sich im Musée des instruments de musique um allgemein verständliche Vermittlung. Eine Museumsmitarbeiterin verdeutlicht das anhand des Vergleichs mit einem Seefahrtsmuseum: I love this sort of museum because I learn a lot. But it has to be of course on my level. And I always tell them [my colleagues] imagine you in such a museum. What would you like to know about a boat? I would like to know how far it goes, the technique, how is it done […] simple things. So, I tell them, yes, our visitors are the same. It’s like you are in a Maritime Museum.83 Laut Kuratorin Saskia Willaert geht es in der Ausstellung zunächst darum, dass die Besucher*innen »eine gute Zeit haben«.84 Konkret vermitteln möch-

83 84

Interview, 28.06.2015. Saskia Willaert, Interview, 02.07.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

te sie, dass Musikinstrumente vielfach aufgrund von Kulturkontakten entwickelt werden: I think it would be nice if people, if visitors realize that our instruments in Western Culture […] have an origin mostly outside Europe, that cultures are connected. And that […] there has been a lot of migration of musical instruments, that we are not the inventors of all our instruments.85 Auf der Homepage des Museums wird auf eine Studie verwiesen, der zufolge sich vor allem Erwachsene im Alter zwischen 25 und 65 Jahren angesprochen fühlen. 28 % der Besucher*innen kommen demnach aus Belgien (die Hälfte davon aus der Region um Brüssel), 28 % aus Frankreich, 13 % aus Großbritannien, 7 % aus den Niederlanden, jeweils 6 % aus den USA, Deutschland, Spanien und Italien.86 Auch während unserer Aufenthalte bestand das Publikum überwiegend aus internationalen Tourist*innen aller Altersgruppen (Familien mit Kindern, Gruppen, Alleinreisende), was auch mit dem Zeitraum der Forschungsaufenthalte im Sommer zusammenhängen kann. Die Interviewpartner*innen zeichneten sich allerdings wiederum in der Mehrheit durch mannigfaltiges musikalisches Vorwissen aus. Der durch Orientierungstexte vorgegebene Rundgang wurde häufig nicht eingehalten, vor allem wohl, weil es nicht allzu einfach war, ihm zu folgen. Man konnte aufgrund der Ausstellungsarchitektur viele verschiedene Wege gehen und Pfeile waren eher versteckt angebracht. Die meisten Besucher*innen nutzten den Audioguide mit Musikbeispielen. Häufig wurden Lautsprechersymbole direkt angesteuert. Das Haus erwies sich als ein in hohem Maße kommunikativer Ort. Immer wieder ergaben sich Unterhaltungen zwischen Besucher*innen, die das Museum zu zweit oder in kleineren Gruppen besuchten, und man machte sich gegenseitig auf Dinge aufmerksam. Gefördert wurde das durch die inhaltliche Ausrichtung des Audioguides, der für ausgewählte Objekte Musikbeispiele bereithält, aber auf längere, die Nutzer*innen bindende gesprochene Textbeiträge verzichtet. Wie vermerkt, gibt es seit 2016 ein neues AudioguideSystem. Die neuen Geräte können mit Kopfhörer oder mittels eines kleinen Lautsprechers wie ein Telefon benutzt werden. Bisweilen unterhalten sich Besucher*innen mit dem Gerät am Ohr. Mehrheitlich wurde das Museum positiv bewertet, wobei auch das historische Gebäude selbst eingebunden war. Häufig verwies man auf Besonder85 86

Ebd. www.mim.be/faq (zuletzt abgerufen am 29.09.2018).

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Musik ausstellen

heiten von Instrumenten bzw. auf deren Alter. Hinsichtlich der Texttafeln und Objektbeschriftungen wurde bemängelt, dass die Texte zu klein gedruckt und zumeist nur in niederländischer und französischer Sprache präsentiert sind. Das geschah allerdings nur auf Nachfrage. Der Ausstellungsbereich »Traditions du monde« wurde bei der Frage nach Eindrücken von der Ausstellung kaum explizit erwähnt. Die Besucher*innen bezogen sich auf die Ausstellung als Ganzes oder auf die Instrumente der Europa-Abteilung. Gleichwohl wurde der Bereich vielfach besucht. Der Audioguide mit Musikbeispielen spielte dort genau wie in der Abteilung zur europäischen Kunstmusik eine wichtige Rolle; bisweilen wurde sogar vor den Vitrinen zur Musik getanzt.

3.3.8

Tropenmuseum, Amsterdam: World of Music (Musiekwereld)

Auch bei der Ausstellung im Tropenmuseum hat man darauf geachtet, dass die Präsentation ohne musikalische Vorbildung verständlich ist. Die Kurator*innen richteten sich bei der Konzeption an zwei Mitarbeiter*innen aus dem Team mit wenig ausgeprägtem Vorwissen mit der Frage, inwieweit bestimmte Ideen für sie interessant waren und ihre Aufmerksamkeit weckten.87 In den Texten der Monitor-Stationen verzichtete man bewusst auf Fachbegriffe.88 Ähnlich wie in Brüssel ist das Thema Kulturkontakte für die Konzeption der Ausstellung von zentraler Bedeutung. Entsprechend äußert sich die Kuratorin Daan van Dartel: I think it’s a high ambition for a museum, but it would be nice if people would leave this exhibition thinking about how music influences each other, how everybody takes and borrows from each other, and how music shows actually how the world works, how cultural contact works.89 Unseren Erfahrungen zufolge ist das Publikum international zusammengesetzt, mit mehrheitlich vergleichsweise geringen musikalischen Kenntnissen. Für die wenigsten Besucher*innen war die Musikausstellung Anlass für den Besuch des Tropenmuseums. Die Monitore bzw. die dazugehörenden Kopfhörer wurden von den meisten Besucher*innen gezielt angesteuert; manche Personen verließen den Raum auch umgehend wieder, wenn sie sahen, dass

87 88 89

Nach Francine Swart, Kuratorin, Interview, 29.08.2015. Ebd. Daan van Dartel, Interview, 17.8.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

alle Kopfhörer besetzt waren. In Bezug auf den Umgang mit den Monitoren vor den Vitrinen wurde deutlich, dass viele Besucher*innen die Blicke auf die Monitore geheftet hielten, während sie den Objekten in den Vitrinen vor sich weniger Beachtung schenkten. Neben den über Monitor abrufbaren Informationen gab es, wie auch in anderen Abteilungen des Hauses üblich, keine weiteren Objektbeschriftungen in der Ausstellung, da diese – so die Überlegung der Kurator*innen – möglicherweise von den Artefakten ablenken könnten.90 Feldbeobachtungen zufolge lenkten die Monitore von den Instrumenten ab. Von vielen Personen wurde das beabsichtigte Zusammenspiel zwischen den Monitoren und den ausgestellten Objekten nicht umgesetzt. Während unserer Gespräche beantwortet ein Akademiker aus den USA die Frage nach allgemeinen Eindrücken wie folgt: Well, to see world music put together in all of the different pieces, like from stringed instruments to percussion, and then to kind of understand the way they both come from different cultures but also the way they now fused together […] – so it both gives you the feeling of the individuality of each culture and at the same time the way how they are also coming together and connecting to each other. (26.08.2015) Der Besucher beschreibt den Plot, wie er von kuratorischer Seite intendiert war. Diese genaue Wiedergabe der ausstellerischen Intentionen erwies sich jedoch als Ausnahme; andere Besucher*innen benannten vielmehr einzelne Aspekte der Ausstellung, beispielsweise die Vielfalt oder die Präsentation von klingender Musik.

3.3.9

»Phonographierte Klänge – Photographierte Momente. Ton- und Bilddokumente aus deutschen Kriegsgefangenenlagern im Ersten Weltkrieg«, Sonderausstellung in den Museen Dahlem – Staatliche Museen zu Berlin

Laut einer Ausstellungsmitarbeiterin wollte man mit der Sonderausstellung in Berlin »mehr die wissenschaftlich Interessierten erreichen«. Ähnlich wie bei dem wissenschaftlichen Projekt, dass der Ausstellung zugrunde lag, müsste man »viel lesen, um sich ein bisschen einzuarbeiten«.91 Eine weitere Person aus dem Team sagte einschränkend, die Sammlung sei 90 91

Ebd. Interview, 27.01.2015.

185

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Musik ausstellen

natürlich auch vor allem für Wissenschaftler interessant, die mit den Materialien arbeiten, aber wir wollten auch ganz gezielt nicht nur Wissenschaftler, sondern auch das Publikum des ethnologischen Museums oder einfach Interessierte ansprechen.92 Zudem hatte man sich bei der Konzeption Besucher*innen vorgestellt, die aus Ländern kommen, um deren Musik es in der Ausstellung geht.93 Mit der Ausstellung wollte man über das zugrundeliegende Projekt informieren. Laut einer Mitarbeiterin war es wichtig, archivgeschichtliche Aspekte der Sammlung in die Ausstellung einzubringen und in Verbindung mit dem Forschungsprojekt auf den Digitalisierungs- und Erschließungsprozess der Walzenaufnahmen einzugehen.94 Aber es ging auch darum, Bilder und Material »auf sich wirken zu lassen«.95 Zudem wollte man verdeutlichen, »dass die Leute, die im ersten Weltkrieg gekämpft haben, […] echte Menschen waren, sie hatten ihre Geschichte«.96 Die Räume der Ausstellung fungierten auch als Durchgang zwischen dem Museum für Europäische Kunst und dem Ethnologischen Museum, weshalb viele Besucher*innen eher zufällig vorbeikamen. Entsprechend breit gefächert war die Zusammensetzung des Publikums und entsprechend unterschiedlich die Intensität der Auseinandersetzung mit dem Thema. Einige Gäste beschäftigten sich mit nahezu jedem Text und jedem Bild und daraufhin mit den Hörstationen. Es wäre gut gemacht, sagte eine Studentin im Interview, »aber man muss sich damit beschäftigen wollen«. Sie war nicht über den Haupteingang in die Ausstellung gekommen, sondern über den zweiten Raum, also ohne anfangs die einführenden Texte lesen zu können: Es war zuerst ein bisschen wie die Sendung mit der Maus. Ich kam rein und wusste nicht, worum es hier geht, und es war so viel. (29.1.2015) Einige Besucher*innen begriffen die Ausstellung vor allem als eine Auseinandersetzung generell mit dem Ersten Weltkrieg. Das Thema legt nahe, dass die Ausstellung mit ihrer Konstellation von Musik und Gefangenschaft nicht nur inhaltlich, sondern auch emotional anspricht. Dem gegenüber nahmen unsere Gesprächspartner*innen einen überwiegend sachlich analytischen Stand92 93 94 95 96

Interview, 20.01.2015. Interview, 27.01.2015. Interview, 20.01.2015. Ebd. Interview, 27.01.2015.

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

punkt ein. Einige Eintragungen im Gästebuch hingegen zeugen von innerlicher Bewegung: Neben so viel Schatten und Leid gab und gibt es viel Licht und Schönheit, ein Hoffnungsschimmer für uns Menschen […].   In alten polnischen Liedern heißt es: »Und als die Titanic sank, hat das Kammerorchester gespielt.« Das zeigt auf, dass die Macht der Musik unbeschreibbar groß ist.   In einer Zeit, wo brutale Mächte die Menschen in Not und Leid brachten, sangen Menschen aus aller Welt ihre Lieder auf Wachswalzen und blieben in ihrer positiven Grundhaltung bis heute lebendig.

3.3.10

»Rock und Pop im Pott – 60 Jahre Musik im Ruhrgebiet«, Sonderausstellung im Ruhr Museum, Essen

Die Ausstellung »Rock und Pop im Pott« wendete sich laut Kurator Holger Krüssmann primär an über 50-jährige Besucher*innen.97 Wie vermerkt, zielte die Ausstellung auf Erinnerung. Darüber hinaus ging es um die Vermittlung von Musikgeschichte, um einen chronologischen Rundgang, der, so das Konzept, »je nach Interesse, durch ein Abschweifen in die Seitenkabinette« individuell gestaltet werden kann.98 Eine Mehrzahl der Besucher*innen während unserer Studien entsprach der benannten Zielgruppe (abgesehen von schulischen Jugendgruppen, die täglich zumeist am Vormittag ins Museum kamen). Das Publikum zeichnete sich durch rege Kommunikation aus. Unterstützt wurde das zum einen dadurch, dass kaum jemand den Audioguide nutzte, zum anderen durch die Einohr-Kopfhörer der Medienstationen, die es erlauben, zugleich zu hören und zu kommunizieren. Einige Besucher*innen benutzten die Kopfhörer wie kleine Lautsprecher und hielten sie vor dem Körper, sodass man gemeinsam zuhören konnte. Die Rezeption war tatsächlich überwiegend durch persönliche Erinnerungen bestimmt. Das zeigt sich anhand vielfältiger Beobachtungen. Der Raum zum Thema Szenetreffs und Konzerthallen etwa, in dem es vorwiegend um Wiedererkennung ging, wurde ständig besucht, besonders fielen uns eine Lehrerin und ein Lehrer auf, die dort über 20 Minuten verweilten 97 98

Holger Krüssmann, Interview, 15.01.2017. Bierkämper 2016, 23.

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Musik ausstellen

und nach bekannten Clubs suchten, während ihre Schüler*innen eher lustlos durch die Ausstellung schritten. Erinnerungen spielen auch dort eine Rolle, wo sie in ihrer Form nicht intendiert waren. Im Bereich »Musik der Einwanderer-Gesellschaft« war z.B. eine E-Gitarre mit zusätzlichen Bünden für die Intervalle türkischer Tonskalen ausgestellt. Ein Besucher sah das Instrument und sagte zu seinem jungen Begleiter: Die Gitarre habe ich früher mal gehabt. Waren drei Tonabnehmer dran. […] Immer haben wir Musik gemacht, heute machʼ ich auch noch ein bisschen was, aber immer alleine.99 Offensichtlich bezog er sich dabei nicht auf die zusätzlichen Bünde, sondern auf den Instrumententyp oder die Instrumentenmarke. Die Erinnerungsbezogenheit setzt sich mit Eintragungen im Gästebuch fort, z.B.: »Wir waren wieder jung.« oder »Wunderbare Erinnerungen an Kindheit und Jugend (geb. 1955) wurden wach!«. Wenngleich den 1950er, 60er und 70er Jahren ein besonderes Interesse galt, waren unseren Beobachtungen zufolge Erinnerungen auch für jüngere Besucher*innen von Bedeutung. Ein junger Mann etwa zeigte auf ein Plakat und sagte zu seiner Begleiterin: »Da haben wir auch mal gespielt«.100 Peter Klose, der einen Aufsatz über die Ausstellung verfasst hat, berichtet von Studierenden, mit denen er in die Ausstellung gekommen war, für die sich die Rezeption ebenfalls mit persönlicher Rückschau verband, z.B. bei der Betrachtung von Audiogeräten (»Den Discman hatte ich als Kind auch!«).101 In den Gesprächen bestätigt sich die Bedeutung von persönlicher Erinnerung und Wiedererkennung sowohl bei jüngeren als auch älteren Besucher*innen. Einige Artefakte weckten auch jenseits des nostalgischen Momentes reges Interesse, vor allem wenn sie Einblicke in die Alltagswelt des Musikbetriebes gewährten, z.B. originale Catering-Listen mit ausgefallenen Getränke- und Essens-Wünschen von Popstars, die während der RockpalastKonzerte in Essen auftraten.

99 Andreas Meyer, Feldnotizen, 21.01.2017. 100 Ebd. 101 Peter Klose: »Populäre Musik im Museum. Das Museum als Lernort zwischen Vermittlung und Aneignung«, in: Samples, Online Publikation der Gesellschaft für Popularmusikforschung 15, 2017, 12, www.gfpm-samples.de/Samples15/klose.pdf (zuletzt abgerufen am 14.12.2019).

3. Kurzbeschreibungen/Vergleichende Untersuchungen

3.3.11

RAGNAROCK – Museet for pop, rock og ungdomskultur, Roskilde

Die RAGNAROCK-Ausstellung richtet sich laut Kurator Rasmus Rosenørn an Erwachsene verschiedener Altersgruppen mit Interesse an Musik: We don’t work with target groups with certain ages, but adults, that are interested in music, that are conscious about music. They don’t have to be experts or nerds or something like that but more conscious about that they are consumers of popular music in some way or another.102 Das Haus will kein Musikmuseum sein, sondern Themen zur Jugendkultur vermitteln und die zentrale Bedeutung von Musik in diesem Zusammenhang herausstellen. Der Museumsbesuch soll als soziale Erfahrung gestaltet sein, die Ausstellung ein Ort des Austausches, weshalb man auf den Einsatz von Audioguides verzichtet hat. Neben Themenvermittlung soll mittels interaktiver Stationen auch die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst auszudrücken, indem man z.B. eine eigene Lightshow kreiert.103 Während unseres Aufenthaltes setzte sich das Publikum aus Gruppen bzw. Familien und Einzelgästen unterschiedlichen Alters zusammen, überwiegend aus Dänemark. Der einzige chronologisch aufgebaute Ausstellungsteil, die als »Musical Currents« bezeichnete Zeittafel mit Listen dänischer Hitparaden und korrespondierenden Tonaufnahmen und Filmen auf kleinen Monitoren, wurde von vielen Besucher*innen genutzt und mehrfach als Highlight benannt. Generell große Zustimmung fand das vielfältige Angebot interaktiver Stationen. Der Raum zum Thema Musik und Politik wurde während unseres Aufenthaltes meistens schnell durchschritten. Kaum jemand hielt sich länger auf, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass es dort keine spielerischen interaktiven Angebote gibt. Obwohl klingende Musik vielfach über Kopfhörer vermittelt wird, konnten wir lebhafte Kommunikation der Besucher*innen untereinander verzeichnen. Kaum jemand steuerte gezielt die einzelnen Kopfhörer an. Im Vordergrund stand das gemeinsame Erleben. In den Gesprächen stellten ältere Besucher*innen wiederum vielfach Bezüge zur eigenen Person her. »It’s funny when you have been part of it«, bemerkte z.B. einer unserer Interviewpartner. Viele Besucher*innen jüngeren

102 Rasmus Rosenørn, Interview, 23.03.2018. 103 Ebd.

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Musik ausstellen

und mittleren Alters gaben an, dass sie viel gelernt hätten. Mehrheitlich bezog sich das auf Zeitabschnitte, mit denen sie sich nicht auskannten. Bisweilen wurde das Fehlen einer chronologischen Ordnung als irritierend erachtet. Entsprechend äußerte sich eine jüngere Frau: Well it is very thorough. But maybe I’m a little bit confused about – the time is a little bit confusing. It is not like from the beginning to the end, I feel. So, it is maybe about the organisation of it, I am a little confused about, but I like it. (24.03.2018)

4. Zusammenfassung und Resümee

4.1 4.1.1

Museale Narrative – Ausstellungselemente im Zusammenspiel Grundlegende inhaltliche Ausrichtungen

Bei Ausstellungen, die sich mit westlicher Musik und westlichen Musikinstrumenten beschäftigen (einschließlich Präsentationen zur Popmusik) sind historische Gesichtspunkte von zentraler Bedeutung. Mehrheitlich folgt der Aufbau einer chronologischen Ordnung. Wenn nicht, wie etwa im RAGNAROCKMuseum, lassen sich die dargestellten Phänomene zumindest zeitlich einordnen. Auch verbinden sich die Themen dort mit bestimmten Personen, zumeist Musiker*innen, Hersteller*innen von Instrumenten oder anderen Protagonist*innen einer bestimmten Zeit. Für die Präsentationen der Musik in Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien lässt sich das so nicht sagen. Der Aufbau erfolgt nach geographischen Aspekten (im Musée de la musique, Münchner Stadtmuseum), nach systematischen Einordnungen von Musikinstrumenten (im Tropenmuseum) oder mittels Themeninseln (im mim). Es finden sich häufig sehr vage Zeitangaben zum Alter ausgestellter Instrumente oder Instrumententypen. Genauere Daten betreffen zumeist eher den Zeitpunkt der Sammlung. Wenn Namen benannt werden, beziehen diese sich häufig auf die Sammler*innen. Auch fehlt es bei Themen zur außereuropäischen Musik häufig an zusammenhängenden historischen Narrativen. Ausnahmen bietet die Ausstellung im Münchner Stadtmuseum bei Präsentation einiger Themen zur Musik im asiatischen Raum mit sporadisch eingefügten musikgeschichtlichen Informationen. Wenngleich nur zwei der besuchten Häuser dezidiert als Musikinstrumentenmuseen bezeichnet werden (Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig und mim in Brüssel), stehen Musikinstrumente auch im Zentrum von Präsentationen, die sich als Musikausstellungen verstehen und ver-

192

Musik ausstellen

schiedene musikalische Themen vermitteln wollen (Musée de la musique, Musikmuseum in Basel, Münchner Stadtmuseum, Tropenmuseum). Das weist auf die nach wie vor signifikante Bedeutung von gegenständlichen Exponaten im Museumsbereich, auch dort, wo es um die Vermittlung immaterieller Kultur geht. Zumeist spielen typologische und morphologische Fragen eine Rolle, und es werden Musikinstrumente je nach kuratorischen Konzepten unter ästhetischen, lokalen und anderen kontextuellen Gesichtspunkten präsentiert.

4.1.2

In context – in situ

In den von uns besuchten Ausstellungen werden die Exponate mehrheitlich »in context« gezeigt. Einige Museen – etwa das Beethoven-Haus in Bonn – verzichten ganz auf szenische Darstellungen. Sofern in-situ-Präsentationen eingebunden sind, lassen sich verschiedene Intentionen analytisch herleiten: Sie zielen z.T. primär auf Imagination, wie in der Mozartwohnung im Mozarthaus Vienna oder im Handel House Museum in London. Die Besucher*innen sollen sich vorstellen können, wie die Protagonist*innen in den Räumen gelebt haben. Dabei wird in Wien von kuratorischer Seite das von Jana Scholze benannte Problem reflektiert, eine Ausstellung »in situ« könne womöglich den falschen Anschein von Authentizität erwecken1 , weshalb man dort die Nachgestaltung nur andeutet und die Besucher*innen auf einer Informationstafel darauf hinweist, dass nicht überliefert ist, wie die Einrichtung genau ausgesehen hat. Des Weiteren dienen in-situ-Präsentationen der Kontextualisierung von Artefakten, wie etwa von einigen Objekten der neu gestalteten Musikautomaten-Ausstellung im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig. Nachgebildet wird das Umfeld in Wirtshäusern und privaten Wohnungen. Auch hier ist Imagination im Spiel, sie bezieht sich aber auf die Bedeutung bzw. Funktion der Objekte selbst. Auch die Instrumente der »Wunderkammer« im Münchner Stadtmuseum und die Gemälde im Handel House Museum in London sind trotz szenischer Einbettung auch eigenständige Exponate. Es relativiert sich die Auffassung, dass innerhalb von in-situKonstellationen die Objekte, wie von Jana Scholze angenommen, weitgehend ihre »individuelle Position« verlieren und ersetzbar sind.2

1 2

Vgl. Kap. 1.1.1. Ebd.

4. Zusammenfassung und Resümee

4.1.3

Transtextualität

In fast allen Ausstellungen spielen Orientierungstexte eine wichtige Rolle. Gehrichtungen sind vielfach aufgrund von Nummerierungen, Farbcodes, Pfeilen sowie gestalterischen und architektonischen Merkmalen vorgegeben. Haupttexte sowie kommentierende und abgeleitete Texte ergeben sich häufig in Abhängigkeit von Interpretationen, da sich aufgrund der Zusammenstellung von Ausstellungselementen verschiedene Narrative herleiten lassen und die Elemente je nach Plot in unterschiedlichem Verhältnis zueinander finden. Wenngleich Musikinstrumente vielfach im Vordergrund stehen, ergeben sich museale Narrative auch aufgrund der Konstellationen von heterogenen Objekten, z.B. im Musée de la musique (Thema: »Virtuosität«), im Mozarthaus Vienna (Thema: »Zauberflöte«), im Beethoven-Haus (Thema: »Beethovens Taubheit«). Bei Ausstellungen, die sich popmusikalischen Themen widmen, ist die Verwendung heterogener Artefakte als durchgängig erkennbares Teilkonzept zu erkennen. Die »mediale Verfasstheit populärer Musik«3 ermöglicht die Zusammenstellung verschiedenartiger Exponate wie etwa Tonträger, Schallplattencover, Videofilme, Fanartikel, Aufnahme- und Abspielgeräte, Equipment. Zumeist ergeben sich museale Narrative durch Konstellationen von Exponaten und linear gestalteten Texten auf Informationstafeln und Objektschildern, in Filmen oder im Audioguide. Linearen Beschreibungen kommen im transtextuellen Zusammenspiel unterschiedliche Funktionen zu. Sie können als Haupttexte die Erzählung vorgeben, die von anderen Ausstellungselementen illustriert wird. Besonders signifikante Beispiele finden sich im Mozarthaus Vienna. Ferner werden linear verfasste Beschreibungen von anderen Ausstellungselementen ebenfalls illustriert, wobei sich aber einige dieser Elemente zu weiteren Narrativen verbinden (z.B. wiederum im Mozarthaus Vienna bei der Präsentation des Freimaurerthemas und im Musée de la musique beim Thema »Symphonie parisienne«). Zudem ergeben sich Narrative aus der stringenten Verknüpfung von linearen Texten und anderen Ausstellungselementen. Bisweilen ist dabei der Duktus der Texte für die Vermittlung musealer Erzählungen von Bedeutung. Die Beschreibungen von Übungsgeräten beim Thema »Virtuosität« im Musée de la musique sind z.B. sachlich gehalten, während die Objekte selbst ihre Extravaganz zum Ausdruck bringen.

3

Klose 2017, 13.

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Musik ausstellen

Ebenso sachlich sind in der Ausstellung im Ruhr Museum die Texte zum Thema »Punkrock« geschrieben, und es sind die Objekte, die auf das Subversive der Szene verweisen. Eine Besonderheit bietet das RAGNAROCK-Museum, weil dort die Texte der Objektbeschriftungen zu Fanartikeln aus einer angenommenen Perspektive der Fans geschrieben sind. In vielen Fällen schließlich kommentieren linear gestaltete Texte lediglich die Artefakte und bieten Informationen z.B. über deren Herkunft, Alter oder Hersteller*innen. Klingende Musik ist in das Geflecht von Textarten mit Audio- und Videoaufnahmen, dem Spiel auf präsentierten Instrumenten sowie mit Konzerten in den Ausstellungsräumen eingebunden. In der Ausstellung »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente« in Berlin erweisen sich Tonaufnahmen als Haupttexte. Bei Präsentationen zur Popmusik verdeutlichen Cover, Labels und kommerzielle Musikvideos die Bedeutung von Tonträgern, sodass sich die dazugehörigen Musikaufnahmen häufig als Elemente der Haupttexte lesen lassen. In einigen weiteren Fällen, z.B. im Beethoven-Haus bei der Darstellung von Beethovens Hörverlust, fungiert die Musik ebenfalls als gleichberechtigter Baustein der Erzählung. Bei Musikinstrumenten ergibt sich häufig eine naheliegende Verbindung zu klingender Musik. Die Instrumente sind für sich oder in Konstellationen die Haupttexte, die klanglich illustriert werden. Wenn man direkt vor den Instrumenten steht, die erklingen, wie etwa im mim in Brüssel, im Musée de la musique in Paris, im Tropenmuseum in Amsterdam und im Stadtmuseum in München (bei der Darstellung des »Wunderkabinetts«) können sich außerdem spezifische Plots ergeben, indem man einen Zusammenhang zwischen dem Klang und der Morphologie der Instrumente herstellt. Wenn die Musik hingegen über zentral installierte Abhörstationen erklingt, sodass man die Instrumente nicht immer direkt im Blick hat, wie im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig und im Musikmuseum in Basel, sind Vergleiche zwischen Klang und Organologie oftmals nicht möglich. Entsprechend bezeichnet Burkard von Roda in seinem Aufsatz über die Baseler Ausstellung die Klangbeispiele als »Ergänzung«.4 Das Angebot, ausgestellte Musikinstrumente zu spielen, ist nur in seltenen Fällen gegeben. Eine Ausnahme bietet das Museum in Leipzig mit dem Nachbau eines Clavichords. Der unmittelbare Zugang kann zu Schlussfolgerungen hinsichtlich der Spielmechanik führen, die sich nur mit Abstrichen über Klang- oder Videobeispiele entsprechend vermitteln ließen. 4

von Roda 2008, 64.

4. Zusammenfassung und Resümee

4.2 4.2.1

Emotion und Gedächtnis Aura

Das auratische Moment spielt in nahezu allen Häusern eine Rolle. Musikausstellungen sind Präsentationsorte des Exzeptionellen. Es finden sich originale Objekte u.a. Instrumente bekannter Instrumentenbauer*innen (z.B. im Münchner Stadtmuseum und im Leipziger Musikinstrumentenmusem sowie Gegenstände aus dem Besitz berühmter Musiker*innen (z.B. Dirigierstäbe von Liszt und Paganini im Musée de la musique), Partituren mit eigenhändigen Eintragungen (in der Ausstellung »Händel mit Herz«), Instrumente aus dem Besitz Beethovens (im Beethoven-Haus), Objekte aus dem Besitz bekannter Popmusiker*innen (in den Popausstellungen in Gronau, Essen und Roskilde). Bei Musiker*innenmuseen sind es auch die Gebäude oder Räume selbst, die als originale »Objekte« auratische Gefühle bedienen können. Weiterhin finden sich besonders alte Objekte (z.B. Schofar-Hörner im mim, das »älteste« Hammerklavier in Leipzig) sowie besonders schöne bzw. erkennbar meisterlich hergestellte Objekte (u.a. im Museé de la musique, im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig und im Musikmuseum in Basel). Signifikante Unterschiede bestehen in der Art und Weise, wie man die exzeptionellen Artefakte präsentiert. In Leipzig etwa verweist ein Flyer eigens auf die »Kostbarkeiten« und eine Broschüre wirbt mit dem vermeintlich ältesten Hammerflügel. In der Ausstellung »Händel mit Herz« hat man originale Partituren in einer »Schatzkammer« präsentiert. In anderen Häusern werden besondere Objekte weniger auffällig und vor allem als Teile musealer Narrative gezeigt (z.B. im RAGNAROCK-Museum und im Musée de la musique). Einige Kurator*innen betonen sogar, dass es ihnen nicht darum geht, Bewunderung und Staunen auszulösen (Josef Focht im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig und Rasmus Rosenørn im RAGNAROCK Museum). Weiterhin kann sich affektive Betroffenheit aufgrund der Inhalte musealer Narrative ergeben, z.B. bei der Präsentation von Beethovens Taubheit (im Beethoven-Haus), von Händels sozialem Engagement (im Händel-Haus in Halle) und von Tondokumenten von Kriegsgefangenen (in den Museen Dahlem in Berlin). In mehreren Häusern ist klingende Musik ein wichtiger Faktor für die Vermittlung sinnlicher Wirkungen. Im RAGNAROCK-Museum stimmt die laute Rockmusik im Fahrstuhl auf die Ausstellung ein. Im rock’nʼpopmuseum in Gronau kontrastiert die ruhige Musik im Vorraum mit den simultan klingenden lauten Schallquellen im Hauptraum. Die lauten Klänge

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Musik ausstellen

sind von Weitem zu hören und indizieren schon vorab eine veränderte Musikwelt, sodass sich ein Zusammenhang zwischen atmosphärisch eingesetzten Elementen und den musealen Narrativen ergibt. Die im Münchner Stadtmuseum bei Anwesenheit mehrerer Besucher*innen häufig simultan genutzten Soundlab-Stationen signalisieren Lebendigkeit und laden dazu ein, selbst aktiv zu werden; der präsente Klang bietet einen starken Kontrast zu den anderen stillen Museumsbereichen. Auch die Live-Proben im Handel House Museum stehen für Lebendigkeit in der Ausstellung. Umgekehrt kann Stille, wie sie die Ausstellung in Paris kennzeichnet, eher feierlich anmutende Stimmungen auslösen. Im Beethoven-Haus korrespondiert der Verzicht auf frei im Raum klingende Musik mit der schlichten Präsentation, die kuratorisch intendiert ist, damit man sich auf die Artefakte konzentriert.

4.2.2

Kulturelles Gedächtnis und persönliche Erinnerung

Mit dem Anliegen, kulturelle Identität zu fördern, wird in Musikausstellungen unterschiedlich umgegangen. Zwar sind für viele der untersuchten Ausstellungen nationale und/oder regionale Bezüge von Bedeutung, es ergeben sich dafür aber verschiedene Absichten und Darstellungsweisen. Zum einen sind Ausstellungen mit regionalen Schwerpunkten zu finden, bei denen das regionale Musikleben nicht als etwas Exzeptionelles herausgestellt wird. Der Bezug zur Region ergibt sich nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen, etwa aufgrund der zur Verfügung stehende Sammlung (im Musikmuseum in Basel). Bisweilen stärken regional bezogene Ausstellungsteile das Profil des Hauses, dienen aber vorwiegend der Vermittlung übergeordneter (organologischer) Narrative (in der Europaabteilung des Münchner Stadtmuseums). Zudem werden Themen mit regionalem Bezug optisch und inhaltlich entsprechend oder ähnlich anderer Themen präsentiert (wiederum im Münchner Stadtmuseum und im mim in Brüssel sowie im Beethoven-Haus in Bonn). Zum anderen folgt die Gestaltung regionaler Themen oft auch erkennbar dem Ziel, die Bedeutung des Musikalischen für die jeweilige Region hervorzuheben. Im Museum in Leipzig etwa geht es vielfach darum, Leipzig als Musikstadt zu präsentieren. Ein anderes Beispiel bietet die Sonderausstellung »Rock und Pop im Pott« am Ruhr Museum mit dem Anliegen, die Bedeutung des Ruhrgebiets für die Popmusik in Deutschland herauszustellen. Beide Häuser wenden sich an ein lokales Publikum und für beide Häuser spielt Wiederkennung konkreter Orte eine wichtige Rolle. In verschiedenen Museen wird das »Eigene« betont, indem Themen, die sich in einem breiteren Kontext

4. Zusammenfassung und Resümee

darstellen ließen, auf die eigene Region bezogen werden. Im Handel House Museum in London beschränkt man sich auf Händels Londoner Jahre und präsentiert ihn damit als britischen Komponisten. Im Musée de la musique in Paris werden, wenn es um das Thema »Virtuosität« geht, Bezüge zu Berlioz und so zum Musikleben in Frankreich hergestellt; mit Mozart beschäftigt man sich dort am Beispiel seiner Zeit in Paris. Das Mozarthaus Vienna widmet sich der Wiener Zeit Mozarts und stellt so die Musikstadt Wien heraus. Die Sonderausstellung »Händel mit Herz« bietet schließlich ein Beispiel für Präsentationen, bei denen der Bezug zum »Eigenen« erst aufgrund kuratorischer Interpretationen zustande kommt. Es wird ein Zusammenhang zwischen Händels sozialem Engagement in London und seiner Jugendzeit in Halle konstruiert und so die Möglichkeit eröffnet, bei einem Thema über Händel in London die eigene Region einzubeziehen. Zum kulturellen Gedächtnis gehört, wie in der Einleitung vermerkt, auch der prüfend-hinterfragende Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Die Ausstellungen zur Popmusik in Gronau, Roskilde und Essen vermitteln einzelne Themen, mit denen kritisch die jüngere deutsche bzw. dänische Geschichte reflektiert wird (z.B. Reaktionen auf jugendkulturelle Ausdrucksformen von Seiten der Obrigkeiten oder konkrete Ereignisse wie die Katastrophe bei der Love Parade in Duisburg). In Präsentationen zu Themen der europäischen Musikgeschichte spielen politische Faktoren im engeren Sinne hingegen kaum eine Rolle. Zum kritischen Umgang mit der Vergangenheit gehört auch die Frage nach der Herkunft von Objekten und dem Zustandekommen der Sammlungen. Es fällt auf, dass Provenienz in Musikausstellungen kaum thematisiert wird, trotz reger Diskussion in der Öffentlichkeit und trotz vielfältiger museumsinterner und -externer Studien zum Thema.5 Im Leipziger Musikinstrumentenmuseum ist am Ende der Ausstellung eine Medienstation mit Texten und Bildern zur Geschichte des Hauses aufgestellt, bei der jedoch die Zeit des Dritten Reiches keine Berücksichtigung findet. Im Bereich »Les musiques du monde« im Musée de la musique widmet sich eine Vitrine eher unkritisch den Sammelaktivitäten

5

Vgl. z.B.: Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (Hg.), Kulturverluste, Provenienzforschung, Restitution: Sammlungsgut mit belasteter Herkunft in Museen, Bibliotheken und Archiven, München und Berlin, Deutscher Kunstverlag 2007; Larissa Förster u.a. (Hg.), Provenienzforschung zu ethnographischen Sammlungen der Kolonialzeit, München, Arbeitsgruppe Museum der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie 2018.

197

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Musik ausstellen

des 19. Jahrhunderts anhand ausgewählter Beispiele. Kolonialgeschichtliche Aspekte bleiben sowohl in Paris als auch in Brüssel (im Bereich »Traditions du monde«) weitgehend unbenannt. Die Sonderausstellung in Berlin »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente« behandelt primär Sammelaktivitäten, sodass die Herkunft der klingenden »Exponate« als Teil der intendierten Narrative deutlich ist. Eine wirkliche Ausnahme mit dem Versuch, den Besucher*innen in einigen Ausstellungsbereichen kritisch Hintergründe zum ausgestellten Museumsbestand zu vermitteln, bietet die Sammlung Musik des Münchner Stadtmuseums, indem Texttafeln und sogar ganze Vitrinen eigens dieser Thematik gewidmet sind. In den Bereichen zur außereuropäischen Musik ergeben sich an verschiedenen Stellen reflektierende Auseinandersetzungen mit Sammelaktivitäten als Facetten der »eigenen« europäischen (Kolonial-)Geschichte. In Popmusikausstellungen geht es bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht nur darum, auf nationale oder regionale Partikularitäten zu verweisen, sondern auch um persönliche Erinnerungen. Der Museumsbesuch soll sich mit einem nostalgischen Blick auf die eigene Vergangenheit verbinden. Ein Grund hierfür ergibt sich daraus, dass es häufig um Zeiträume geht, die von Besucher*innen selbst miterlebt und vielleicht sogar mitgestaltet wurden. Dabei ist zu bedenken, dass gerade individuelle Erinnerung kollektive Identität festigen kann, indem sie mit einer Gruppe von Menschen und/oder bestimmten Städten, Gemeinden, Regionen etc. verbunden ist. Im RAGNAROCK-Museum in Roskilde versucht man allerdings, der Nostalgie ein Stück weit entgegenzuarbeiten, indem man bevorzugt Themen behandelt, die mehrere Zeitabschnitte umfassen.

4.3

Vermittlung und Rezeption

Wie in der Einleitung beschrieben, gilt Mehrdeutigkeit als ein signifikantes Merkmal museumstypischer Darstellungen. Korrespondierend hierzu wird in den von uns besuchten Häusern von kuratorischer Seite mehrfach auf Freiheiten bei der Rezeption verwiesen. Die Besucher*innen sollen in Bezug auf die thematische Auswahl und Vertiefung ihren »eigenen Parcours zurücklegen« (im Musée de la musique), sie sollen sich Fragen stellen (im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig), man will Fragen anregen (im Beethoven-Haus) und keine Schlussfolgerungen vorschreiben (im Handel House Museum). Selbst dort, wo bestimmte Vermittlungsziele benannt werden, appelliert man bis-

4. Zusammenfassung und Resümee

weilen an individuelle Rezeptionsweisen. In Amsterdam etwa will man das Thema »Kulturkontakte« nicht einfach vermitteln, sondern die Besucher*innen sollen darüber »nachdenken, wie Musik sich beeinflusst«. Für die Ausstellung »Phonographierte Klänge – Photographierte Momente« ergeben sich zwei unterschiedliche Zugänge und die aufeinander aufbauenden Textbanner sorgen nur dann für eindeutige Vermittlung, wenn man sich die Ausstellung über einen dieser Zugänge erschließt, während der andere eine individuellere Rezeption fördert. Der Idee eines offenen Narrativs am nächsten kommen Ausstellungen, die vor allem die Imagination ansprechen wollen (wie in der Mozartwohnung im Mozarthaus Vienna und im Handel House Museum in London) und Ausstellungen, bei denen die Objekte überwiegend nach ästhetischen Gesichtspunkten zusammengestellt sind (wie im Musikmuseum in Basel). Für letztere gilt, dass sich auch hier vielfältige Plots durch Vergleiche ergeben können, die aber möglicherweise nicht den primären kuratorischen Intentionen entsprechen. Trotz angestrebter Freiheiten bei der Rezeption sind bestimmte Rezeptionsweisen und damit die Vermittlung von bestimmten Erkenntnissen offensichtlich zumeist intendiert. Darauf weist neben der vielfältigen Verwendung linear strukturierter Texte auf Schrifttafeln, in Filmen und in den Audioguides auch die signifikante Bedeutung von Orientierungstexten. Häufig lassen sich konkrete Plots nachvollziehbar analytisch herleiten. Die Idee einer konstruktivistischen Didaktik ist somit von nur geringer Bedeutung. Entdeckendes Lernen spielt eine unterschiedlich wichtige Rolle. Bisweilen besteht das Angebot darin, dass die Besucher*innen sich auf die Suche begeben, um linear vermittelte Informationen oder etwa Klangbeispiele bestimmten Objekten zuzuordnen. Des Weiteren werden Informationen zu den Objekten häufig über interaktive Stationen vermittelt, sodass die Besucher*innen diese selbst ansteuern. Interaktive Angebote sind in Museen aller Ausrichtungen bedeutend, wobei hier mit der Idee des entdeckenden Lernens das Moment des Entertainments einhergeht; interaktive Stationen sind nicht zuletzt eine Reminiszenz an eine angenommene Medienaffinität. Ausstellungen zur Popmusik sind im Zusammenhang von interaktiven Angeboten hervorzuheben, weil entsprechende Stationen hier systematisch in die musealen Narrative eingebunden sind und »Hands On-Rezeption« explizit und ohne Ausnahme als Teil kuratorischer Konzeptionen erkennbar ist. Dabei wird auch das räumliche Moment einbezogen, wenn z.B. Ausstellungsteile als Tanzsäle gestaltet sind.

199

200

Musik ausstellen

Die große Mehrheit der Musikausstellungen zielt auf ein heterogenes Publikum. Man möchte Menschen unterschiedlicher Generationen mit unterschiedlicher Vorbildung ansprechen. Nicht haltbar sind aufgrund unserer Untersuchungen Vorstellungen von Daniel Tyradellis, denen zufolge Kuratierende davon ausgehen, dass Besucher*innen ihnen persönlich ähnlich sind.6 Vielmehr versucht man der Heterogenität gerecht zu werden, indem man etwa vielperspektivische Ansätze verfolgt, mit Angeboten für Besucher*innen mit unterschiedlichem musikalischen Vorwissen (z.B. im Museum in Leipzig und im Musée de la musique), oder sich bewusst nicht an Expert*innen wendet (im RAGNAROCK Museum) bzw. sich um allgemeine Verständlichkeit bemüht (z.B. im Handel House Museum, im Beethoven-Haus, im mim, im Tropenmuseum). Im mim und im Tropenmuseum verfolgt man bei der Konzeption sogar Strategien, die es ermöglichen sollen, sich in Besucher*innen hineinzuversetzen, die über ein geringeres spezifisches Vorwissen über die Ausstellungsthemen verfügen als die Museumsmacher*innen. Die tatsächliche Zusammensetzung des Publikums unterscheidet sich je nach Ausrichtung und Standort. Museen, bei denen Aspekte zur europäischen Musikgeschichte im Mittelpunkt stehen, sei es mit Ausstellungen über Protagonist*innen, Musikinstrumente oder allgemeinere Themen, werden überwiegend von musikalisch vielfältig gebildeten Personen besucht. Eine Ausnahme ergibt lediglich das Mozarthaus Vienna, dessen vornehmlich touristisches Publikum mit in hohem Maße unterschiedlichen Voraussetzungen ins Museum kommt. In den Ausstellungen zur Popmusik sowie im Münchner Stadtmuseum, im Tropenmuseum in Amsterdam und in der Sonderausstellung in Berlin ist das Publikum ebenfalls hinsichtlich musikalischer Vorbildung heterogener. In München, Amsterdam und Berlin kann das damit zusammenhängen, dass die Ausstellungen in größeren Häusern untergebracht sind und häufig nicht den Hauptanlass für den Museumbesuch ergeben. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch saisonale Unterschiede (etwa in Paris). Was die konkreten Inhalte anbelangt, ist festzuhalten, dass Musikausstellungen vielfältiges Wissen vermitteln bzw. die Wissensvermittlung von Seiten des Publikums häufig eingefordert wird. Es relativieren sich Vorstellungen, denen zufolge der Museumsbesuch primär am Unterhaltungswert ausgerichtet ist und überwiegend bestehende Kenntnisse vertieft werden.7 Persönliche 6 7

Vgl. Kap. 1.1.4. Ebd.

4. Zusammenfassung und Resümee

Zugänge spielen bei der Aneignung von Wissen durchaus eine Rolle, wenn man sich etwa intensiv mit Instrumenten auseinandersetzt, die man selbst spielt, z.B. im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig und im Musée de la musique; auch in Popmusikausstellungen bestimmen individuelle Interessen vielfach die Rezeption. Die Gespräche mit Besucher*innen in verschiedenen Häusern zeigen jedoch, dass in hohem Maße verschiedenartige, auch Faktizität betreffende Kenntnisse erworben werden (z.B. im Musée de la musique, im Beethoven-Haus, im RAGNAROCK-Museum). Fehlende Vermittlung von Fakten, die etwa die Organologie von Musikinstrumenten betreffen, wird bisweilen kritisiert (z.B. in Leipzig). Gleichzeitig fällt auf, dass intendierte Plots öfters nur mit Abstrichen bzw. nicht eindeutig erkennbar nachvollzogen werden. Lokale Kontexte im Museum in Leipzig oder der konstruierte Plot im Händel-Haus in Halle, demzufolge Händels Motivation für sein soziales Engagement in seiner Jugend in Halle begründet sei, werden in Gesprächen mit offener Fragestellung von den Besucher*innen, obwohl in linear verfassten Texten unzweideutig vermittelt, kaum als Erkenntnisse benannt, ebenso wenig soziale Hintergründe zu musikalischen Phänomenen im Musée de la musique. Auch intendierte Themen bei Präsentationen außereuropäischer Musik, etwa die Bedeutung von Kulturkontakten bei der Entwicklung von Musikinstrumenten in der Ausstellung im Tropenmuseum, spielen für viele Besucher*innen eine eher geringe Rolle. Äußerungen bezogen sich stattdessen häufig auf allgemeine Eindrücke des Ausstellungsbesuchs. Der von Judith Dehail aufgeführte Befund, demzufolge der fehlende haptische Zugang bei der Präsentation von Musikinstrumenten vielfach kritisiert wird8 , korrespondiert mit unseren Erkenntnissen insofern, als haptische und interaktive Angebote, die den Klang und die Funktion von Musikinstrumenten vermitteln, häufig genutzt und positiv beurteilt werden. Mehrfach wurde Kritik geübt, wenn diese Angebote fehlten. Andererseits zeigt das Beispiel in Paris, dass interaktive Installationen bisweilen auch zögerlich angenommen werden. Generell ist bei der Rezeption ein hohes Maß an Medienaffinität zu verzeichnen. Das geht manchmal soweit, dass einzelne Besucher*innen gezielt fast nur Medienstationen ansteuern (z.B. im Münchner Stadtmuseum, im Tropenmuseum, im rock’nʼpopmuseum). Zugleich ist eine durchaus konservative Haltung erkennbar. Viele Besucher*innen verstehen das Museum als Ort der materiellen Kultur. In diesem Zusammenhang ist das auratische Moment von Bedeutung. Man erwartet vielfach Originale bzw. besonders schöne, 8

Ebd.

201

202

Musik ausstellen

besonders alte, besonders seltene Objekte. Wenn diese fehlen, wird das kritisiert (z.B. im Mozarthaus Vienna und im Handel House Museum in London). Auch das Ambiente ist wichtig. Ausdrücklich wird die Atmosphäre im Musikinstrumentenmuseum in Leipzig und im Handel House Museum gelobt, die Ausstellung im Beethoven-Haus hingegen als »kalt« und die Ausstellung im Mozarthaus Vienna als »leer« beschrieben. Auf Emotionen zielende Narrative, etwa die Geschichte des Hörverlustes bei Beethoven oder das soziale Engagement Händels, werden von vielen Besucher*innen mit Betroffenheit nachvollzogen. Die Bedeutung der Museen als Medien des kulturellen Gedächtnisses lässt sich aufgrund unserer Besucher*innenforschungen nur bedingt beurteilen. Wie oben gesehen, werden lokale bzw. regionale Plots in den Gesprächen kaum eigens herausgestellt. Das heißt jedoch nicht, dass das lokale Moment nicht erfasst und Identifikation nicht gefördert wird. In Popmusik-Ausstellungen spielt – wie häufig kuratorisch intendiert – persönliche Erinnerung eine zentrale Rolle. Besucher*innen steuern gezielt Bereiche an, die mit ihrer Lebensgeschichte in Verbindung stehen, oder es werden Verbindungen zur eigenen Lebensgeschichte hergestellt. Es zeigt sich hier die Identifikationskraft populärer Musik. Im RAGNAROCK-Museum ist persönliche Erinnerung allerdings eindeutig erkennbar nur für ältere Besucher*innen von Bedeutung. Kommunikation unter Besucher*innengruppen ist in den verschiedenen Häusern unterschiedlich ausgeprägt. Dabei ergeben sich Korrespondenzen zum jeweiligen Einsatz von Medien. Dort, wo Audioguides intensiv genutzt werden, und diese vor allem durch linear gestaltete Texte bestimmt sind, ist Vereinzelung bei der Rezeption zu verzeichnen (im Mozarthaus Vienna und im Musée de la musique). Wenn der Audioguide hingegen überwiegend durch Musikbeispiele geprägt ist (wie im mim), kann sich durchaus eine lebhafte Kommunikation ergeben. Auch die Technik des Audioguides ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, die Verwendung von »Einohr-« oder »Zweiohr-Kopfhörern«. Generell wird Gemeinschaftlichkeit dort gefördert, wo der Einsatz von Kopfhörern begrenzt ist und Musik frei im Raum erklingt.

4.4

Schluss

Die hier präsentierten Ergebnisse entziehen sich einem kompakteren Resümee. Wenngleich einige (eher allgemeine) Faktoren den Musikausstellungen

4. Zusammenfassung und Resümee

in ihrer Mehrheit zukommen und wenngleich sich Korrespondenzen zwischen inhaltlichen Ausrichtungen, Konzepten und Publikumsaktivitäten erkennen lassen, sind für viele der untersuchten Aspekte heterogene Merkmale zu verzeichnen, die sich zu einem facettenreichen Bild einer gegenwärtigen Museumslandschaft zusammenfügen. Während der Untersuchungen haben wir einen kulturrelativistischen Standpunkt eingenommen; es ging uns bewusst nicht um die Evaluierung von Ausstellungskonzepten und deren Umsetzung. Das ergibt sich aus dem von uns verfolgten ethnographischen Ansatz und zudem generell aufgrund der Flüchtigkeit von möglichen Beurteilungskriterien. Ausstellungen, schreibt Bettina Habsburg-Lothringen, sind »Produkte ihrer Zeit«, die »den Stand wissenschaftlicher und museologischer Debatten« und »ästhetische Trends oder die technische und mediale Entwicklung« spiegeln.9 Dabei ist auch die Art und Weise einzubeziehen, wie Ausstellungen erschlossen werden. Lern- und Freizeitverhalten sind ebenfalls an Zeiten gebunden und mit ihnen verändern sich die Erwartungshaltungen des Publikums. Die sich in Bezug auf Konzeption und Rezeption ergebenen dynamischen Prozesse waren für uns insofern prägnant nachvollziehbar, als im Lauf des Projekts, das sich über fünf Jahre erstreckte, Dauerausstellungen häufig umgestaltet oder ganz neu konzipiert wurden.

9

Bettina Habsburg-Lothringen, »Daueraustellungen. Erbe und Alltag«, in: Dauerausstellungen. Schlaglichter auf ein Format, hg. v. Bettina Habsburg-Lothringen, Bielefeld, transcript 2012, 9-18, hier: 11.

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Danksagung

Unser Dank gilt zunächst den Mitarbeiter*innen der von uns besuchten Museen für ihre Kooperation und ebenso den vielen Museumsbesucher*innen, mit denen wir sprechen konnten. Zudem danken wir der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die unser Projekt mit einer Sachbeihilfe großzügig gefördert hat. Für vielfältige Unterstützungen, Anregungen und Korrekturen bedanken wir uns ferner bei Carina Ahrens, Simon Bahr, Frank Bär, Stella Douglas, Bettina von Habsburg-Lothringen, Maria Kuhn, Charis Landes, Gabriele Meyer-Hoppe und Sarah Mesenbrock.

Museum Anna Greve

Koloniales Erbe in Museen Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit 2019, 266 S., kart., 23 SW-Abbildungen, 4 Farbabbildungen 24,99 € (DE), 978-3-8376-4931-4 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4931-8

Bärbel Maul, Cornelia Röhlke (Hg.)

Museum und Inklusion Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe 2018, 168 S., kart., 16 Farbabbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4420-3 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4420-7 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4420-3

Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hg.)

Das Museum als Provokation der Philosophie Beiträge zu einer aktuellen Debatte 2018, 286 S., kart., 19 SW-Abbildungen 29,99 € (DE), 978-3-8376-4060-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4060-5

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Museum Andrea Kramper

Storytelling für Museen Herausforderungen und Chancen 2017, 140 S., kart., 15 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4017-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4017-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4017-5

Johanna Di Blasi

Das Humboldt Lab Museumsexperimente zwischen postkolonialer Revision und szenografischer Wende 2019, 292 S., kart., 16 Farbabbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4920-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4920-2

Klaus Krüger, Elke A. Werner, Andreas Schalhorn (Hg.)

Evidenzen des Expositorischen Wie in Ausstellungen Wissen, Erkenntnis und ästhetische Bedeutung erzeugt wird 2019, 360 S., kart., 4 SW-Abbildungen, 77 Farbabbildungen 32,99 € (DE), 978-3-8376-4210-0 E-Book: 32,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4210-4

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